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Full text of "Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experimentelle Pädagogik 19.1918"

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ZEITSCHRIFT FÜR 


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UND EXPERIMENTELLE PÄDAGOGIK 


HERAUSGEGEBEN VON 

Ö. SCH ElBNER UND W STERN 




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UNTER REDAKTIONELLER MITWIRKUNG VON 

A. FISCHER UND H. GAUD1G 

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Inhaltsverzeichnis, 


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A. Abhandlungen. 

Seile 


Zum Problem der Schulklasse« Von Oberschulrat Prof. Dr. H. Gaudig in 

Leipzig. 1 

Über Persönlichkeitsideale Im höheren Jugendalter. Statistische Untersuchung 
über die Ideale von Schülern an norwegischen Lehrerschulen. Von 

Dr. M. L. Reymert in Christiana. 10 

Das musikalische Wunderkind. Von Privatdozent Dr. Göza R6v6cz in 

Budapest.29 

Ein unterrlchlspsychologischer Grundsatz über die Aneignung verwechselbarer 

Begriffe. Von Professor O. Ohmann in Berlin.* 34 

Einheitskindergärten? Von Nelly Wolffheim in Berlin.41 

Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher. Von Prof. Dr. W. Stern in 

Hamburg.• . . . 05 

Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden bei der Aufnahmeprüfung 
in ein Lehrerinnenseminar. Von O. Melchior und A. Penkert in 

Hamburg.. . !.100 

Die psychologischen Schüleruntertuchungen zur Aufnahme ln die Berliner Be- 
gabtenschulen. Von Dr. W. Moede und Dr. C. Piorkowski in 

Berlin.127 

Die Methode der Auslese befähigter Volksschüler in Hamburg. Von Prof. Dr. 

W. Stern .. 132 

Kindergartenfragen nach dem Kriege. Von Universitätsprofessor Dr. A. Fischer 

in München.145 

Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen. Von Henriette Gold¬ 
schmidt in Leipzig.161 

Zur Forderung einer Psychotcchnlk der Beobachtung. Von Präparandenlehrer 

W. J. Ruttmann in Marktsteft.172 

Ergänzung von Stichworten zu einer ganzen Geschichte. Eine Nachprüfung der 
Ergebnisse E. Meumanns auf Grund seiner „Kombinationsmethode“. 

Von Privatdozent Dr. G. Weiß in Jena.176 

Probleme und Apparte zu einer experimentellen Pädagogik. Von Privatdozent 

Dr. H. Rupp in Berlin.179; 245 ; 286 ; 395 

Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten. Gut¬ 
achtliche Äußerungen zu der päd. Konferenz im Preuß. Ministerium 
der geistl. und Unterrichts-Angelegenheiten am 24. u. 25. Mai 1917. 
Vorbemerkung. Von der Schriftleitung.209 

1. Über Ordinariate für Pädagogik in den philosophischen Fakultäten. 

Von Universitätsprofessor Dr. E. Becher in München.210 

2. Thesen über pädagogische Professuren. Von Universitätsprofessor 

Dr J. Cohn in Freiburg.214 

3. Pädagogikprofessuren. Von Dr. R. Lehmann, Prof, an der Akademie 

in Posen.219 

4. Thesen betr. die Pflege der Erziehungswissenschaft an der Universität. 

Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. P. Natorp in Marburg.222 

5. Pädagogik als Unterrichtsfach. Von Prof. Dr. W. Stern in Ham¬ 
burg ..-.225 


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IV 


Inhaltsverzeichnis 


Seite 

6. Leitsätze zur Hochgchul Vertretung der Pädagogik« Von Universitäts¬ 
professor Dr. E. R. Jaensch in Marburg.273 

7. Zur Frage der Lehrstühle für Pädagogik an den Universitäten« Von 

Schulrat K. Muthesius, Seminardirektor in Weimar.275 

8. Zum Begriff der Hochschulpädagogik nach den Bedürfnissen der Jugend- 
und Volkserziehung« Von Geheimrat A. Sickinger, Stadtschulrat 

in Mannheim.279 

9. Zur Frage der Vertretung der Pädagogik an der Universität» Von 

Privatdozent Dr. M. Brahn in Leipzig.417 

Anhang. Die Leitsätze der Konferenz« Von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. 

E. Troeltsch in Berlin, Prof. Dr. J. Ziehen in Frankfurt, 
Universitätsprofessor Dr. E. Spranger in Leipzig .#.... 230 
Über das Bauen und die Bauspiele von Kindern. Von Prof. Dr. A. Fischer in 


München.234 

Zur Geschichte der Kinderpsychologie und der experimentellen Pädagogik« Von 

Lehrer Dr. H. Götz in Leipzig. 267 

Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern« Von K. Kühn in 

Tübingen..296 

Bemerkungen zur Frage der Begabtenauslese« Von Dr. phil. et med. E. Stern 

in Straßburg.*. 332 

Von der Denkverfassung der deutschen Seele ln der Zeit der großen Krisis. Von 

Oberschulrat Prof. Dr. H. Gaudig in Leipzig. 353 

SelbsDtadigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften und als 
Erziehungsziele. Von Universitätsprofessor Dr. F. E. O. Schultze in 

Frankfurt a. M.360 

Über Spielzeug als Erziehungsmittel und die Einrichtung öffentlicher Spielzimmer 
und Beobachtungsstätten. Von Seminaroberlehrer Prof. O. Frey in 
Leipzig.", . ..373 


Becher, Erich 
Brahn, Max 
Cohn, Jonas 
Fischer, Aloys 
Frey, Oskar 
Gaudig, Hugo 
Goldschmidt, Henriette 
GötZ, Hermann . . . 

Jaensch, E. R. . . . 

Köhn, Karl .... 

Lehtnann, Rudolf . . 

Melchior, O. 

Moede, Walther . . . 

Muthesius, Karl........ 275 


Seite 

Natorp, Paul.222 

Ohmann, 0.34 

Penkert, 0.100 

Piorkowski, Curt.127 

Rävösz, G6za.. . 29 

Reymert, L.10 

Rupp, Hans . . . .176,245,286,395 

Ruttmann, W. J..172 

Schultze, F. E. Otto.360 

Sickinger, Anton.279 

Stern, Erich . ..332 

Stern, William. 65, 132, 225 

Weiß, Georg.176 

Wolffheim, Nelly.41 


Verzeichnis der Verfasser. 

Seite 

.... 210 
.... 417 
.... 214 
. . 145 , 234 

. 373 
1, 353 
181 
257 
273 
296 
219 
100 
127 


B. Kleine BeitrSge und Mitteilungen. 

(Wegen Raummangels beschrankt worden.) Seite 

Die Pädagogik In der neuen preußischen Oberlehrerprätang.44 

Die Vertretung der Psychologie und Pädagogik an den deutschen Hochschulen 

im Winterhalbjahr 1917/18. 46 

Der zweite Ungarische Landeskongreß tür Kinderforschung.49 

Breslauer Begabtenauslese.143 

Förderung begabter Kleinstadt* and Landkinder . 143 


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Inhaltsverzeichnis 


V 


Seile 

Entwarf eines pgyohogrzphlschen Beobachtangsbogens för begabte Volksschüler 

In Berlin...144 

Vertretung der Psychologie and Pädagogik an den dentsehen Universitäten im 

Sommerhalbjahr 1918.418 

Pädagogische Abteilung im Niederländischen Museum für Bltern und Erzieher . 422 

Bayrisches Schulmnseom für Zeichnen. 423 

Die Ausbildung der weiblichen Jugend in der Säuglings- und Kleinkinderpflege 425 

Sammelklassen für sohwerschwaohsinnige Kinder.425 

Begabungsproblem als Arbeitsthema in der Vereinigung für Kinderkunde in 

Frankfurt.428 

Fragebogen zur Pädagogik des Militärs.420 

Naehrlehten. 50, 428 


Inhalt der Nachrichten. 


Seite 

Hochschulsonderkurs für Jugend- 
gerichtöarbeit in Berlin .... 51 

Ein Landesschulrat für Bayern . 50 

Pädagogische und staatswissen¬ 
schaftliche Fortbildungskurse für 

Lehrer in Düsseldorf.51 

Zulassung studierender Volksschul¬ 
lehrer zur Promotion an der Uni¬ 
versität Jena.51 


Seite 

Ein Preisausschreiben zum Problem 


der Begabtenauslese.272 

K. Bühler.428 

W. Hellpach.428 

G. Kerschensteiner.428 

Th. Litt.428 

K. Roller. .428 

Th. Ziegler f.428 


C. Literaturbericht. 1 ) 

L Sammelberiehte. 


Abhandlungen aus der Zeitschrift für angewandte Psychologie. Bd. 11 u. 12. 

Von W. J. Ruttmann.268 

Die kindliche Phantasie. Von Ingeborg Schönfeld.236 

n. Einzelberichte und Besprechungen. 

Balsiger, Einführung in die Seelenkunde.60 

Bernfeld, S., Über Schülervereine . . ..269 

Blüher, Hans, Die Intellektuellen und die Geistigen.206 

Brohmer, Dr. P., Seminarlehrer in Eilenburg, Sexuelle Erziehung im Lehrer¬ 
seminar .208 

Buchberger, Dr., Die Jugendfürsorge und Fürsorgeerziehung.63 

Buchenau, Dr. Arthur, Kurzer Abriß der Psychologie.59 

Chotzen, Dr. med. Mart., Die Notwendigkeit einer häuslichen sittlichen 

Erziehung.208 

Dessoir, Max, u. Menzer, Paul, Philosophisches Lesebuch.430 

Deuchler,G., Über die Bestimmung von Rangkorrelationen aus Zeugnisnoten 272 
Dittrich, Dr. phil. Ottmar, Prof, an der Univ. Leipzig, Individualismus, 

Universalismus, Persoüalismus.205 

Dubois, Paul, Über den Einfluß des Geistes auf den Körper.432 

Franken, A., Bilderkombination. Ein Beitrag zum Problem der Intelligenz¬ 
prüfung .271 

Haas, W., Die Seele des Orients.431 

Häberlin, Paul, Das Ziel der Erziehung.59 


1) Der Literaturbericht mußte wegen Raummangels beschränkt werden; er erfahrt im folgenden Jahr¬ 
gang seine Ergänzung. 


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VI 


Inhalteverzeichnis 


Seite 


Heymanns, G., u. Wiersma, E., Verschiedenheiten der Altersentwickelung 

bei männlichen und weiblichen Mittelschülern.. 270 i 

Huth, Albert, Ein Jahr Kindergartenarbeit.348 

Giese, Fritz, Deutsche Psychologie.429 

„ * Neudrucke zur Psychologie.430 

Joteyko, J., I er congres International de Pödologie tenu ä Bruxelles . . 52 j 

Jaederholm, A., Untersuchungen über die Methode Binet-Simon .... 259 11 

Koväcs, S., Untersuchung über das musikäb'sche Gedächtnis.269 

Kesseler, Dr. Kurt, Grundlinien einer deutsch-idealistischen Pädagogik 57 j 

Lenschau, Dr. Thomas, Deutschunterricht als Kulturkunde.351 >j 

Lipmann, O., Psychische Gesohlechtsunterschiede.60 

„ „ Die Entwicklung der grammatisch-logischen Funktionen . . 271 

Lobsien, Marx, Die Lemweisen der Schüler..61 

„ „ Einfluß des Tempos auf die Arbeit der Schulkinder . . 271 j 

Meirowsky, Geschlechtsleben der Jugend.208 

Moede, Walther, Die Untersuchung und Übung der Gehimgeschädigten 

nach experimentellen Methoden.205 

Nagy, Ladislaus, Ergebnisse einer Umfrage über die Auffassung des 

Kindes vom Kriege. 206, 270 

Pannenberg, H. J. u. W. A., Die Psychologie des Zeichners und Malers 271 i 
Pestalozza, Dr. phil. August Graf von, Aufgabe der geschichtlichen Dar¬ 
stellung der Pädagogik. 352 

Pfeifer, Dr. phil. et med. A., Das menschliche Gehirn. 205 J 

Poppelreuter, Aufgaben und Organisation der Hirnverletzten-Fürsorge 62 

Schäfer, Wilhelm, Lebenstag eines Menschenfreundes . ..64 

Schmidt, Heinrich, Geschichte der Entwicklungslehre.429 

Schultze, F. E. Otto, Eine neue Weise der Auswertung der Intelligenz¬ 
tests (Methode der Intelligenzzensur).269 

Schüßler, H., Das unmusikalische Kind.269 

„ „ Ist die Behauptung Meumanns richtig: Kinder können im 

allgemeinen vor dem 14. Lebensjahre nioht logisch schließen? . . 270 

Stern, W., Der Intelligenzquotient als Maß der kindlichen Intelligenz, ins¬ 
besondere der unternormalen.269 

„ „ Über Alterseichung von Definitionstests.269 

Verworn, Max, Prof, an der Universität Bonn, Die Frage nach den Grenzen 

der Erkenntnis.205 

„ „ Die biologischen Grundlagen der Kulturpolitik.428 

„ „ Zur Psychologie der primitiven Kunst. 432 { 


Warschauer, E., Rechtspsychologische Versuche an Schulkindern .... 270 
Warstat, Dr. Willi, Oberlehrer in Altona-Ottensen, Die Schulzeitschrift 

und ihre Bedeutung für Erziehung, Unterricht und Jugendkunde 207 
Wiese, Anna, Zur Frage nach den Geschlechtsdifferenzen im akademischen 


Studium. Ergebnisse einer Studienenquäte.270 

Zander, R., Vom Nervensystem, seinem Bau und seiner Bedeutung für Leib 

und Seele im gesunden und kranken Zustand.432 


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Zum Problem der Sehalklasse. 


Von Hugo Gaudig. 


Wer dem Schulleben der Gegenwart weder zu fern noch zu nahe steht, 
wird mehr oder weniger deutlich erkennen, daß es sich in der Zukunft 
nicht um einzelne Besserungen, sondern um grundlegende Wandlungen 
handeln muß. Auf den Kräftedurchbruch, der zur Durchführung der 
unbedingt notwendigen Wandlungen des deutschen Schulwesens nötig 
ist, hätten wir vielleicht vergebens oder jedenfalls sehr lange warten müssen, 
wenn der Krieg uns nicht in eine Lage gebracht hätte, in der wir der For¬ 
derung einer allgemeinen Steigerung der deutschen Volkskultur unbedingt 
genügen müssen. Solche allgemeine Steigerung aber ist undenkbar ohne 
eine entscheidende Steigerung des mächtigen Kulturwerkzeugs der Schule. 
Die Gesamtkräfte, die sich an die Kultursteigerung setzen werden, können 
unmöglich an der Schule vorbeiwirken. Die deutsche Lehrerschaft wird 
unter die wirkenden Kräfte nur so weit rechnen, als sie die Schule unter 
hohen, allgemeinen kulturellen Gesichtspunkten anzusehen vermag. Es 
wäre tragisch für den deutschen Lehrerstand, wenn sein Denken, in der 
Vergangenheit der deutschen Schule oder in einigen über Gebühr wichtig 
genommenen Teilfragen befangen, unter der Linie bliebe, bei der das 
Kulturdenken und Kulturschaffen der Zukunft einsetzt. 

Unsere Gesamtanschauung von der Schule leidet — das sei hier nur 
kurz gesagt — stark unter der Auffassung der Schule als einer „Anstalt“. 
Wir müssen von der Zukunft fordern, daß die Schule als ein kultureller 
Lebenskreis erfaßt und daß mit der Entfaltung von Schulleben voller 
Ernst gemacht wird. Der deutschen Schule müssen klare Lebensziele 
gesteckt werden, und auf diese Lebensziele hin müssen sich starke Lebens¬ 
kräfte auswirken. Alles, was innerhalb der bisherigen Schule der Ver¬ 
lebendigung fähig ist, Menschen und Einrichtungen, muß verlebendigt 
werden — zu einem Höchstmaß inneren Lebens: Menschen und Einrich¬ 
tungen, Einrichtungen und Menschen, eins mit dem anderen. So fordert 
die Schule der Zukunft z. B., wenn ich recht sehe, daß wir Lehrer mehr 
als bisher mit unserem Personalleben in das Schulleben eingehen, daß 
das Schuljenseits unseres Daseins sich verringert zugunsten unseres Schul¬ 
lebens. Oder irre ich mich, wenn ich meine, unser Dasein sei noch im 
allgemeinen zu schulfrei, nicht tief genug eingetaucht in das Leben der 
Schule ? Nur eine Gewissensfrage an uns: Läßt uns die Schule nicht noch 
zu leicht los in ganz schulfremde Gebiete ? Daß ich nicht den Nur-Lehrer 
will, davor schützt mich meine Forderung, der Lehrer solle Vollpersönlich¬ 
keit sein. Aber ob wir nicht, namentlich mit unserem Gefühls- und Affekt¬ 
leben, viel tiefer in die Schule eintauchen müßten? Und unsere Schüler ? 
Soll uns auf die Dauer das Schulleben namentlich der Schüler der höheren 
Schulen genügen? Tauchen sie tief genug in das Schulleben ein? Ist 
nicht der Mangel wertvoller Schulgesinnung, wertvoller Schulstimmung, 

Zeitschrift f pädagog. Psychologie. ' 1 


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2 


Hugo Gaudig 


wertvollen Schulwillens unerträglich ? Unerträglich vor allem das geringe 
Maß persönlichen Wesens, mit dem sie in das Schulleben eingehen ? Wie 
die Menschen, so sind die Einrichtungen mit einem Bestmaß von Leben 
zu erfüllen. Sie müssen dem Gesamtlehen der Schule leisten, was sie nur 
irgend leisten können. 

Eine der „Einrichtungen“, die m. E. bisher nicht entfernt ihren vollen 
Schulwert, also ihren vollen — Kulturwert entfaltet hat, ist die Schul¬ 
klasse. Man kann das bereits an der pädagogischen Literatur erkennen, 
die das große Thema Schulklasse nur ganz kümmerlich behandelt. Mehr 
noch leider an dem Leben, das die Schulklasse im allgemeinen führt. 
Hier liegen schöne Aufgaben für unser zukünftiges pädagogisches Denken; 
vor allem aber für unser pädagogisches Beobachten; was sage ich Be¬ 
obachten? Vor allem für unser pädagogisches Erleben. In Wahrheit: 
Es gibt hier viel Unerlebtes zu erleben 1 Wenigstens für mich. 

Aus der Zukunft winken schöne Möglichkeiten. Wenn es uns deutschen 
Lehrern gelänge, das Klassenleben so wachzurufen, wie es mir erreichbar 
erscheint, so hätten wir der deutschen Gesamtkultur einen wesentlichen 
Dienst getan; nicht nur der intellektuellen Kultur, sondern vor allem 
der sozialen Kultur auf allen Gebieten, auf denen das Leben sich sozial 
gestaltet ; so auf dem Gebiete der Bildung im weiteren Sinne, auch der 
körperlichen, auf dem Gebiete des allgemeinen Arbeitslebens, auf dem 
Gebiete des politischen und nicht zuletzt des religiösen Lebens. 

Bei der Schulklasse denkt man gemeinhin an eine Verknüpfung von 
einzelnen Schülern, die demselben Bildungsziele zugeführt werden sollen. 
Man faßt die Klasse als ein „Aggregat“, wobei die Bedeutung von grex 
manchmal mehr mitschwingen mag, als es für die Verknüpfungseinheit 
gut ist; die Klasse erscheint also im wesentlichen als ein Mittel der Zu¬ 
sammenfassung einzelner Schüler zur Erreichung eines Bildungsziels. 
Nun zwingt allerdings die einfache Tatsächlichkeit dazu, das klassen¬ 
mäßige Zusammensein der Schüler in Betracht zu ziehn, da dies Zusammen¬ 
sein die Art des Bildungserwerbs gegenüber dem Einzelunterricht ganz 
wesentlich ändert. Die Klasse bleibt aber lediglich noch Mittel, noch 
,,'Vehikel“ der Bildungsarbeit. Die Frage geht hierbei dahin, wie die Bildungs¬ 
arbeit der Klasse organisiert werden muß, damit das Bildungsziel erreicht 
wird. Dies Ziel kann dann entweder mehr durchschnittsmäßig oder mehr 
individualistisch bestimmt werden; im ersteren Falle wiederum entweder 
mehr im Sinne des mittleren Durchschnitts oder dahin, daß möglichst 
viele auf dieselbe Höhe zu führen sind. Im Falle individualistischer Zweck¬ 
setzung aber kann die Klasse mehr als ein „Ordnungssystem“, um einen 
Ausdruck Euckens zu gebrauchen, als ein System der Anordnung und 
Abstufung erscheinen, in dem die Schüler nach ihren Leistungen ge¬ 
ordnet sind, oder sie kommen, ohne daß der Wert der Leistungen als 
das einzig Wesentliche betont wird, nach der Gesamtheit ihrer geistigen 
Wesenheit, ihres geistigen Eigenwesens in Betracht. 

Bislang ist aber die Klasse noch nicht als eine Form sozialen Lebens 
gewürdigt worden. Bedarf nun schon die Klasse als Mittel der Bildungs¬ 
arbeit eines nachhaltigen pädagogischen Studiums, so noch viel mehr die 


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Zorn Problem der Schulklasse 


3 


Klasse als Form sozialen Lebens. Man überlege nur, daß die Klassen¬ 
genossen nicht selten 8 Jahr und mehr derselben Klasse angehören; also 
während so langer Zeit wochentäglich einen namhaften Teil des Tages 
£b demselben Verbände leben, in einem Verbände, der seine Wirkungen 
noeh über die tägliche Schulzeit hinaus in das häusliche Leben, namentlich 
in das häusliche Arbeitsleben, hinein erstreckt. Gewiß fehlt dem Klassen- 
verbande eine starke Naturgrundlage, wie sie die Familie hat, wohl ist 
er ein Zwangsverband, bei dem nicht wie bei freundschaftlichem Zusammen¬ 
schluß oder freier Vereinsbildung Wahlverwandtschaft wirksam ist, wohl 
grenzt sich der Wirkungskreis der Klasse scharf auf das Schulleben ab, 
so daß die Möglichkeit besteht, daß die Klassengenossen im wesentlichen 
nur mit ihrem Schul-Ich im Klassenverbande stehen, mit ihrem Haus-Ich 
aber, vielleicht mit ihrem wesentlichen Ich, außerhalb; wohl leidet der 
klassenmäßige Zusammenschluß durch den Ausblick auf seinen Zerfall 
nach der Schulzeit usw. usw. Aber immerhin I Welche starken sozialen 
Kräfte wirken im Klassenverbandel Wirken oder können doch wirken, 
wenn das Klassenleben im Rahmen des Schullebens zu seiner vollen Lebens¬ 
kraft entfaltet ist. Die Klasse bedeutet ja eine Gemeinschaft des Strebens 
auf wertvolle Lebensziele, eine Gemeinschaft des Arbeitens an wert¬ 
vollstem Arbeitsstoff, eine Gemeinschaft lebenswichtigen Güterbesitzes; 
und weiter eine Gemeinschaft des Ausruhens und der Erholung, des Spiels 
und der Feier, z. B. der nationalen und religiösen Feier; ferner eine Ge¬ 
meinschaft des Verkehrs und des Wanderns; eine Gemeinschaft in dem 
Rahmen desselben Schulganzen, unter derselben Schulordnung; vor 
allem eine Gemeinschaft des gleichen Grundverhältnisses zu den Lehrern 
als den Leitern der gesamten Lebensvorgänge der Schule; auch das sei 
nicht vergessen: eine Gemeinschaft, in der an dem Leben der großen Ver¬ 
bände, die das Schulleben umhegen, dem Leben der Gemeinde, des Staates, 
der religiösen Verbände, der gesamten Kulturgesellschaft, wertvoller 
Anteil genommen wird; in alledem eine Gemeinschaft des Erlebens, des 
Erlebens der Schicksale der einzelnen Klassengenossen, des Klassen- 
▼erbandes, der Schulgemeinschaft, darüber hinaus der großen Kultur¬ 
verbände; dazu eine Gemeinschaft des Einlebens, des Miterlebens, des 
Nacherlebens. Es müßte wunderlich zugehen, wenn ein so stark vergesell¬ 
schaftender Verband nicht starke, für das ganze Leben entscheidende oder 
doch bedeutsame Wirkungen ausübte. Immer wieder vorausgesetzt, 
daß die sozialen Kräfte von allen Hemmungen befreit und zur vollen 
Wirksamkeit entfesselt werden. Dazu bedarf es übrigens nicht zum wenig¬ 
sten eines sorgfältigen psychologischen Studiums — eine schöne Aufgabe 
für die pädagogische Psychologie. 

Soll aber der soziale Charakter der Klasse recht entfaltet werden, 
so sind die leitenden Gesichtspunkte hoch hinauf, in allgemeinen Kultur- 
anschauungen, zu suchen. Letztlich wird sie der einzelne Pädagog in 
seiner Lebens- und Weltanschauung zu finden haben. Es wird einsehr 
wesentlicher Unterschied sein, ob man eine individualistische Lebens¬ 
auffassung vertritt, die vor allem dem einzelnen Individuum zum Rechte 
schrankenloser Selbstentfaltung und ungehemmten Auslebens verhelfen 

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4 


Hugo Gaudig 


und ihm dazu auch die Kunst vermitteln will, die Gemeinschaft, in der 
man steht, zweckentsprechend auszunutzen, oder ob man, von grundsätz¬ 
lichen sozialistischen Anschauungen bestimmt, Menschen erziehen will, 
die Gemeinschaftszwecke verwirklichen, ihre Arbeit und ihr Eigen wesen 
der Gesellschaft hingeben sollen; vielleicht scheut man sich sogar nicht, um 
des restlosen gesellschaftlichen Zusammenschlusses willen einen Ausgleich 
der Geistigkeit, ein „Ggaliser les intelligences“, ein Massendenken, -fühlen 
und -wollen zu fordern. Wie anders, wenn man — mit der Persönlichkeits¬ 
anschauung — zwar seinen Standort unerschütterlich fest nicht in der 
Gesellschaft, sondern im einzelnen nimmt und als die eigentliche Lebens¬ 
aufgabe die Entfaltung des Eigenwesens im Sinne seines Ideals hinstellt, 
dabei vor allem betonend, daß ja das Leben des einzelnen, zur Vollreife 
entfaltet, Lebensgebiete und Lebensbeziehungen umfaßt, die höchst wert¬ 
voll, aber in ihrem Wesenskern unsozial sind, wie das Berufsleben, das 
Bildungsleben, das Naturleben, das religiöse Leben, wenn man aber auf 
der anderen Seite der Bedeutung der Gesellschaft für den einzelnen grund¬ 
sätzlich gerecht wird, wenn man also z. B. berücksichtigt, daß die Gemein¬ 
schaft den einzelnen zunächst von seiner Geburt an pflegen und in der 
Richtung seines Eigenwesens entwickeln muß, daß ferner die Gemeinschaft 
ihm die Möglichkeit gewährt, an der Erreichung großer Menschheits¬ 
ziele, die nur große Verbände sich stecken können, mitzuarbeiten und 
zugleich aus dem Leben der Gesamtheit Kräfte für das Eigenleben zu 
ziehen, vor allem aber, daß in der sozialethischen Gesinnung der Hingabe 
an das Leben einer Gemeinschaft ein an sich für ein wertvolles Personen¬ 
leben unentbehrlicher Wert hegt. 

Für die nächste Zukunft steht vor allem im deutschen Volke der ge¬ 
waltige Prozeß „Gesellschaft — Individuum“ an. Dieser Prozeß drängt, 
wenn wir aus der Zerfahrenheit unseres Kulturlebens herauskommen 
wollen, zur Entscheidung. Die Entscheidung kann nicht so gefunden 
werden, daß man mit einem unklaren Teils — teils die berüchtigte „mittlere 
Linie“ sucht; die Entscheidung muß zu einer höheren Synthese führen. 
Für uns liegt diese höhere Synthese in der Idee der Persönlichkeit. 

Wie gestaltet sich nun das Verhältnis, in dem sich innerhalb des Schul¬ 
lebens das große kulturelle Grund Verhältnis „Gesellschaft —Individuum“ 
darstellt? Indem ich auf die Behandlung der Frage in meinem Buche 
„Die Schule im Dienste der werdenden Persönlichkeit“ verweise, hebe 
ich das Wesentliche heraus. 

Unser Erziehungsziel ist die Entfaltung des Eigenwesens unserer Zög¬ 
linge in der Richtung idealer Persönlichkeit. Wir fordern somit von der 
Schule, daß sie vom ersten Schultage an sich bemüht, das Eigenwesen 
ihrer Schüler zu erfassen und zu entfalten, daß sie sich mit dem Eltern¬ 
hause zu planmäßiger Arbeit an der werdenden Persönlichkeit zusammen¬ 
schließt, daß ihre Zöglinge ihr eine höchst persönliche Geschichte haben und 
von Tag zu Tage gewinnen. Unsere Forderung bezieht sich nicht nur 
auf das geistige, sondern auf das gesamte Eigenwesen; wir wollen nicht 
nur geistige Eigenart, sondern auch Eigenart des Gemütslebens und des 
Willenslebens, vor allem aber die Gesamteigenart entwickelt haben, wir for- 


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Zum Problem der Schulklasse 


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dem eindringendes Studium der Entwicklungsmotive und Entwicklungsten¬ 
denzen, die sich nur irgendwie in ihnen zu erkennen geben. Wir sind zwar 
weit davon entfernt, das öde Streben nach geistigen Höchstleistungen zu 
billigen; aber immerhin — ein individuelles Bestmaß der Leistungs¬ 
steigerung ist doch auch für unsere Arbeit Ziel. Vor unserem geistigen Auge 
steht der Zögling vor allem als der auf sich gestellte einzelne, der fähig 
werden soll, die große Verantwortung des Lebens zu tragen. Und eben 
diesen Zögling erziehen wir in der Schule klassenmäßig? Halten wir 
acht und mehr Jahre in einer engen Gemeinschaft fest, als sollte er in 
und mit dieser Gemeinschaft durchs Leben gehen ? Eigenwesen der ver¬ 
schiedensten Art, die nicht nur ein Mehr oder Minder an Begabung, son¬ 
dern das Innerste und Feinste der seelischen Verfassung unterscheidet, 
werden auf das gleiche Ziel mit den gleichen Mitteln erzogen? Statt eine 
höchst individuelle Auswahl des Erziehers, der Mitzöglinge zu treffen, 
eine höchstindividuelle Festsetzung des Erziehungsideals und der Er¬ 
ziehungsmittel zu fordern, begnügt man sich mit Durchschnittsmäßigkeit. 
Es tut wirklich not, daß man sich an der Schwelle der großen grundsätz¬ 
lichen Schwierigkeit bewußt wird, vor die uns die Klasse stößt. Die Rück¬ 
zugslinie: „Das geht nicht anders; so fordert es ohnehin das Leben“ sollte 
man nicht vorschnell betreten. Wir müssen uns eindringlich die Gefahr im 
Bewußtsein halten, daß unsere Zöglinge unter unserer Hand, indem sie 
zu Klassenmenschen werden, zu Klassenmenschen entarten, daß sie auf 
der Schule für alles Feine eines eigenwesentlichen Daseins veidorben 
werden, daß sich in ihnen ein strammer Korpsgeist entwickelt, nicht aber 
Sinn, Verständnis, Gefühl für eigenwesentliche Daseinsgestaltung, nicht 
der Wille zu einem Eigenleben, nicht das Bewußtsein und das Gefühl 
der Verantwortlichkeit für das eigene Selbst. Die Klasse kann ein äußerst 
wirksames Werkzeug der Gleichmacherei werden. 

Was muß geschehn, um der Gefahr vorzubeugen? Die Erzieher müssen 
die Bäume vor dem Walde zu sehn vermögen, d. h. die Klasse muß sich 
ihnen, wenn es not ist, immer wieder in Einzelschüler auflösen; ja, sie 
müssen von Anfang an und dauernd ein persönliches Verhältnis zu den ein¬ 
zelnen werdenden Persönlichkeiten als einzelnen haben. Sie haben Stellung 
zur Klasse, zu den einzelnen Schülern als Klassengenossen, aber auch zu 
den einzelnen Schülern als einzelnen zu nehmen. In den einzelnen Schülern 
anderseits sind alle guten Kräfte einer auf Veredlung ihres Eigenwesens 
abzielenden Entwicklung wachzurufen; vor allem ist im einzelnen Zögling 
sein eigener guter Wille für seine Selbst Verwirklichung zu gewinnen; der 
Wille der Selbstbehauptung und Selbstentfaltung auf ein höheres Selbst 
hin. Vor allem aber sind die Klassen selbst als „Subjekte“ höherer Ordnung 
so zu erziehen, daß sie die Entfaltung eigenwesentlichen Lebens nicht 
hemmen, sondern fördern (s. u.). 

_ Die Gefahr der geistigen Gleichmacherei, der Abschleifung des geistigen 
Eigenartigen ist um so größer, je einseitiger die Schule mit eigentlichem 
„Klassenunterricht“, d. h. mit einem Unterricht arbeitet, bei dem der 
Lehrer unterrichtet und so die eigentlich bewegende Kraft ist. Die Gefahr 
verringert sich, je mehr die Klassen selbsttätig arbeiten, weil bei selbst- 


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6 


Hugo Gaudig 


tätiger Klassenarbeit dem einzelnen Schüler die Möglichkeit freierer 
Bewegung gegeben ist. Man wird aber in Zukunft neben den Stunden ge¬ 
meinsamer Tätigkeit grundsätzlich die eigentliche Arbeitsstunde als ein 
unentbehrliches Mittel der Persönlichkeitserziehung gelten lassen müssen; 
man wird die Schüler wohl in dem gleichen Raume vereinen, die einzel¬ 
nen aber „für sich“ arbeiten lassen. Ein solches Fürsicharbeiten wird sich 
als eine wertvolle Stütze des Fürsichseins ausweisen. Man muß also mit 
dem Grundsatz der übergroßen Betonung der Mündlichkeit brechen und 
der reinen Kopfarbeit, besonders aber der schriftlichen Darstellung viel 
mehr Raum als bisher gewähren. Über diesen Arbeitsstunden, in denen 
der einzelne Schüler auf sich angewiesen ist, darf natürlich nicht Ex¬ 
temporalien-Stimmung liegen. Sie müssen einem stark gefühlten Bedürf¬ 
nis des Schülers entsprechen, allein zu arbeiten, sich aus der gemeinsamen 
Arbeit, dem gemeinsamen „Dasein“ zur stillen Einzelarbeit, zum Fürsich- 
sein zurückzuziehen. Sache sorgfältiger Beobachtung der Klasse und 
der Arbeitsvorgänge wird es sein, den Zeitpunkt für den Abbruch der 
gemeinsamen Arbeit und für den Übergang zur stillen Arbeit zu bestim¬ 
men. (Nebenher gesagt: So würde endlich auch die Aufsatznot an der 
Wurzel angefaßt.) Mit einem solchen, oft auch in schönem Rhythmus ab¬ 
laufenden Wechsel der gemeinsamen und der Einzelarbeit wird man jeden¬ 
falls die geistige Eigenwesenheit stark fördern; nicht allein die der be¬ 
gabten Naturen, die nach der Gebundenheit der Klassenarbeit Gelegen¬ 
heit freier Selbstentfaltung ersehnen, sondern auch die zaghaften, lang¬ 
samen, „stillen“, beschaulichen, undialektischen, überhaupt die Schüler, 
die nun einmal bei gemeinsamem mündlichen Unterricht nicht zum Rechte 
ihrer Natur kommen. 

Wenn aber klassenmäßig gearbeitet wird, so darf im Interesse allseitiger 
Pflege der werdenden Persönlichkeiten die Gestaltung des gesamten Arbeits¬ 
vorgangs nicht ihren natürlichen Gang gehen; d. h. es darf nicht dahin 
kommen, daß sich — wie es leider sehr viel geschieht — eine Art der„Arbeits- 
teilung“ herausstellt, bei der eine kleine Gruppe von Schülern die eigent¬ 
liche Trägerin der Bewegung ist, die Mehrzahl aber infolge von geistiger 
Trägheit, von Schüchternheit, Verschlossenheit, von schwerflüssiger 
Darstellungsweise oder aus irgendwelchen anderen Ursachen in der Rolle 
der Geführten verharrt. Es gilt, daß Schülern dieser Art ihre Pflicht 
und ihr Recht zu eigentlicher Mitarbeit gegenwärtig bleibt. Der Lehrer, 
sie selbst, die Klasse müssen in dieser Richtung wirken. Da, wo man den 
Schülern die Regelung des Arbeitsverlaufs überläßt, werden die be¬ 
gabteren Köpfe genug Hemmungsenergie besitzen müssen, um die minder- 
begabten nicht von der Arbeit zu verdrängen; die Minderbegabten (viel¬ 
leicht nur Langsameren) aber werden, damit sich in der Arbeit ihr Eigen¬ 
wesen entwickelt, zur Entfaltung positiver Kraftleistung Antrieb und 
Raum zu erhalten haben. Wenn jemand 8 Jahre oder mehr sich gewöhnt 
hat, „führenden Geistern“ zu folgen, dann sind in der Regel die Kräfte 
geistigen Eigenlebens erstorben; dann ist der „subalterne“ Kopf fertig; 
der Kopf, der nur „nach“ zu denken versteht. 

Gelegenheit zu einer das Eigenwesen berücksichtigenden Arbeitszu- 


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Zum Problem der Sohulklasse 


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teilung gewährt das Verfahren, das wir als Arbeitsteilung und Arbeits¬ 
vereinigung bezeichnen; dies Verfahren, das um seiner hohen technischen 
Schönheit, seines geistigen Wertes, seiner sozialethischen Bedeutung willen 
hoffentlich immer mehr Boden in der deutschen Schule gewinnt. 

Für unseren gesamten Zusammenhang ist dies Verfahren ja von ganz 
besonderem Wert; denn durch die Arbeitsteilung kann der einzelne zu 
einer seinem Eigen wesen gut liegenden Arbeit gelangen, während die 
Arbeitsvereinigung die Klasse zu einer vielleicht hohen Form der Arbeit 
aufruft, zur Verbindung reich differenzierter Einzelarbeiten. Hier aber 
handelt es sich zunächst lediglich um die Förderung der eigen wesentlichen 
Entwicklung durch die Arbeitsteilung. Sie gewährt die Möglichkeit, 
den einzelnen Schüler in der Richtung seiner Stärke und seiner Schwäche 
zur Betätigung heranzuziehen. 

Soll der einzelne Schüler nicht in Gefahr geraten, durch die Klasse in 
seiner eigenwesentlichen Entwicklung schweren Schaden zu erleiden, 
so muß er nun ferner in der Lage sein, zu der Klasse Stellung zu nehmen. 
Es ist von großem Belang, daß er sich des Rechtes und der Verpflichtung 
zu dieser Stellungnahme bewußt ist und dies Recht ausübt, diese Pflicht 
gegen sich selbst erfüllt. Es gibt Schülernaturen genug, die zu solcher 
Stellungnahme schwer zu vermögen sind: z. B. die geborenen Massen¬ 
menschen, die eigenartigen Gesellschaftsnaturen, die sich gern dem „Korps¬ 
geist“ beugen, gern „mittun“, die in sich keinen Antrieb haben, sich mit 
der allgemeinen Meinung auseinanderzusetzen, oder doch zu feige oder zu 
kraftlos sind, diesem Antrieb zu folgen. So gewiß aber zum Werden der 
Persönlichkeit die Kunst gehört, sich seiner und seiner Lebensbeziehungen 
bewußt zu werden und sich selbst in seinen Lebensbeziehungen zu behaupten, 
so gewiß muß die Persönlichkeitserziehung auf die Befähigung, geistige 
wie sittliche, zur Stellungnahme dringen. 

Doch die Schule muß auch eine Pflegstätte sozialen Lebens sein; 
die Schule als ein Lebensganzes, vor allem aber wieder die Klasse. Je 
mehr sie unserer Forderung gemäß ihre Lebensmöglichkeiten entfaltet, 
je mehr sie eine Gemeinschaft der Arbeit und der Erholung, der Arbeit 
und des Spiels, der Arbeit und der Feier, der Arbeit und des Erlebens wird, 
je mehr sie geistiges Gemeinschaftsleben führt, in Gefühlen und Stimmun¬ 
gen sich zusammenschließt, je mehr sie den Willen zur Einheit besitzt, 
um so leichter wird sich im Klassenverbande soziales Leben der einzelnen 
entfalten, um so leichter wird sich der einzelne in das bewegte Lebensganze 
einordnen, bereit, wo es not ist, dem Ganzen auch sich unterzuordnen; 
um so williger wird er die Zwecke der Gesamtheit zu den seinen machen, 
die dem Ganzen förderliche Arbeit leisten, am Schicksal der Klasse 
Anteil nehmen. Wichtig für die sozial-ethische Entwicklung des ein¬ 
zelnen ist namentlich, daß er sich seiner Klasse verpflichtet weiß; ver¬ 
pflichtet nicht nur zu der üblichen „anständigen“ Gesinnung der Klasse 
und den einzelnen Klassengenossen gegenüber, verpflichtet auch z. B. 
zum Fleiß, zur geistigen Energie, zum Wohlverhalten dem Lehrer gegen¬ 
über, zur Achtung vor der Schule, ihren Bildungszielen und Bildungsein 
richtungen. Man beachte wohl — der Klasse verpflichtet zu dem allen, 


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Hugo Gaudig 


denn wenn z. B. die Klassen Trägerinnen wertvoller Schulgesinnung sein 
Bollen, so handelt der Schüler auch gegen die Klasse pflichtwidrig, der in 
seinem Klassenleben an seinem Teile keine wertvolle Schulgesinnung be¬ 
tätigt. Ich habe schon oft Schüler gegen Tadel, wie z.ß.: „Sie haben kein 
Recht, die Klasse so zu langweilen“, „Sie haben kein Recht, durch schlechtes 
Arbeiten die Klasse am Vorwärtskommen zu hemmen“, „Sie begehen durch 
ihre Saumseligkeit ein Unrecht am Geist der Klasse“, empfindlich reagieren 
sehen. 

Der Verpflichtung gegenüber der Klasse wird um so lieber genügt werden, 
je mehr der einzelne Schüler sich seiner Klasse freut und je mehr er Ver¬ 
ständnis für den Wert der Klasse besitzt, besonders für den Wert, den sie 
für ihn selbst hat. Hier tuen sich weite Ausblicke auf pädagogisches Neu¬ 
land auf. — 

Ein wichtiges Stück sozialethischer Verfassung ist die Fähigkeit, 
mit anderen gleich zu denken, zu fühlen, zu wollen; vor allem innerhalb 
eines engeren Lebensverbandes. Wollen wir kein Zerfallen des Gesellschafts- 
lebens, so müssen die einzelnen sich in großen Grundansichten, in Lebens¬ 
gefühlen, im Streben nach einheitlichen Lebenszielen, in Lebensanschauun¬ 
gen zusammenschließen können. Soll uns nicht ein Stück sehr wertvollen 
Erlebens verloren gehen, so bedürfen wir der Fähigkeit, in eine Gemeinschaft 
aufzugehen, uns von ihrem Gefühl tragen zu lassen. Nur wenn in allen 
Verbandsgliedem eine gleichartige Verfassung herrscht, vermag der Ver¬ 
band mit voller Kraft, mit vollem Druck zu wirken. Daß die Menschen 
oft nicht Träger solches Gemeinschaftsgeistes sind, ist durchaus nicht 
immer eine berechtigte Auswirkung ihres Eigenlebens, sondern bald 
ein vorsichtiges Zurückhalten („reserviertes“ Wesen), bald ein „Tic“, 
bald sonstiges. Die Klasse, in der die geistige Arbeit in den Köpfenden 
festen Grundstock gleicher Anschauungen anlegt, in der sich alle auf 
wesentlich gleiche Ziele hin bewegen, das Gefühl in allen gleichsinnig 
erregt wird, ist eine Schule des Gemeingeistes. 

Die Klasse, so sahen wir zunächst, erzieht den einzelnen zur Ein¬ 
ordnung in eine Gemeinschaft, so daß er als einzelner in einem Verbände als 
Verbandsgenosse zu leben vermag. Sie gibt dem einzelnen zweitens 
Gelegenheit, mit seinem Geist in den Gemeingeist einzugehen, im Gemein¬ 
geist aufzugehen. Sie ermöglicht ihm aber auch drittens sich mit den anderen 
Klassengenossen in einem „Wir“ zusammenzufassen und durch dies Wir- 
Bewußtsein der „Klasse“ zu einem höheren Dasein zu helfen; zu einem 
Dasein, das uns berechtigt, von der Klasse als von einem sittlichen Sub¬ 
jekt, einer Persönlichkeit, zu sprechen, die Selbstbewußtsein hat, der 
Selbstbestimmung fähig ist, sich selbst zu bejahen und zu verneinen 
vermag usw. Indem die einzelnen Klassengenossen sich in einer Gesamt- 
voretellung („Wir“, „unsere Klasse“, „die Klasse“) zusammenfassen und 
das Leben der in dieser Gesamtvorstellung erfaßten Wesenheit in sich 
erleben, gewinnt die Klasse eine Daseinsform, bei der man von ihr als 
einem Subjekt reden darf, das „Kraftgefühle“ hat, wie das des Gelingens, 
des Vorwärtskommens, der Erhobenheit, oder ihr Gegenteil, wie das Gefühl 
der Schwäche, des Gehemmtseins, des Nichtemporkönnens, ein Subjekt, 


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Zum Problem der Schulklasse 


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das gespannt erwartet oder enttäuscht ist, dem Ehrgefühl, Bescheidenheit 
oder Selbstgefälligkeit eigen 6ind, das Liebe und Haß, Verehrung und 
Abscheu, Neid, Mißgunst, Schadenfreude fühlt. 

Wenn sich in dem einzelnen Schüler ein kräftiges Wirbewußtsein ent¬ 
wickelt, so kann sein Seelenleben stark durch die Gemeinschaft in An¬ 
spruch genommen werden; sein seelisches Erleben ist verwoben mit dem 
Leben einer Gesamtheit, das sehr kräftig sein kann, das nicht nur die Denk¬ 
tätigkeit, sondern vor allem das Gefühlsleben der einzelnen in sich hinein¬ 
reißt. Wenn gegenwärtig das „Wir-Leben“ die einzelnen oft so wenig 
bewegt, so kann das nicht bestimmend sein für die Zukunft, wenn man 
die Klasse für die soziale Erziehung der werdenden Persönlichkeit in An¬ 
spruch nimmt. Die Pädagogik der Zukunft wird großen Wert darauf 
legen, daß in allen einzelnen Schülern die Hemmnisse beseitigt werden, 
die einer Entwicklung und Auswirkung des Klassenbewustseins entgegen¬ 
stehen. Sie wird dabei sich bewußt sein, daß es sich bei der Entwicklung 
zu einem reifen Klassenleben um einen feinen und schwierigen, in einer 
Reihe von Stadien verlaufenden Entwicklungsvorgang handelt. 

Der einzelne im Verhältnis zu der Klasse — das ist das für uns vor allem 
wichtige Lebensverhältnis. Indes: soll sich dies Verhätnis glücklich 
gestalten, so muß sich auch das Gegenverhältnis, das Verhältnis der Klasse 
zu den einzelnen Klassengenossen, gut entwickeln. Je mehr sich dieKlasse 
zu einem „Subjekt höherer Ordnung“ entwickelt, um so mehr wird sie in 
der Lage sein, sich ein Verhältnis zu ihren Gliedern zu geben. Sie wird 
sieh so z. B. ihrer Verpflichtung gegen diese Glieder bewußt sein und 
handelnd ihren Verpflichtungen gerecht werden; ebenso wird sie anderseits 
darauf dringen, daß ihre Glieder sich ihrer Verpflichtungen gegen die Klasse 
bewußt werden und sie handelnd erfüllen. Sie wird, je mehr sie zum sitt¬ 
lichen Subjekt heranreift, nicht aus Zufallsstimmungen heraus handeln, 
sondern aus einer Grundgesinnung, die nicht dem Wandel durch Zufalls¬ 
bewegungen ausgesetzt ist. Anderseits wird es sich bei dieser Regelung des 
wechselseitigen Verhältnisses nicht um Gelegentliches handeln, sondern 
um Beziehungen dauernder Art. Damit aber das Verhältnis zwischen Klasse 
und einzelnen Schülern sich recht gestaltet, muß die Klasse ihre Glieder 
kennen und zwar nicht nur obenhin; eine Forderung, die schwer zu erfüllen 
ist und z. B. vom Lehrer ein sehr sorgfältiges, bedachtes Einwirken auf den 
Vorgang der Urteilsbildung fordert. Pädagogisches Neuland, aber Neu¬ 
land, das, in rechte Pflege genommen, reiche Ernte verspricht. Pestalozzi 
meint einmal gelegentlich: „Die kollektive Existenz unseres Geschlechts 
kann dasselbe nur zivilisieren, sie kann es nicht kultivieren“. Der schwere 
Irrtum P.’s wird in der Schule ersichtlich werden, sobald die Klasse sich 
zu einem sittlichen Subjekt emporgebildet hat, das dann bei gereiftem 
„Kollektivgewissen“ sein Handeln unter sittliche Normen rückt. Eine 
Klasse, wie sie uns vorschwebt und wie ich sie nicht selten sich habe ent¬ 
wickeln sehen, kann den einzelnen Schüler unter die segensreichen Ein¬ 
wirkungen einer sittlich gesinnten, sich sittlich regelnden Gemeinschaft 
stellen und ihm so für sein sozial-ethisches Leben sehr wertvolle Erfahrun¬ 
gen, z. B. für sein Werturteil über ethisches Gemeinschaftsleben sichere 


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Hugo Zorn Ftoblcn 


Unterlagen, gewähren. Zugleich wird er leicht die Wirkungen seines eigenen 
auf die Gemeinschaft gerichteten sittlichen Handelns unmittelbar und 
aus den Rückwirkungen der Gemeinschaft erfahren. 

Überschauen wir das Ganze unserer Forderungen, so zeigen sie einen 
doppelten Zug, den individualen und den sozialen; ich hoffe aber so, 
daß die Erwartung auf die Vereinigung der beiden Züge im Personalen 
berechtigt erscheint. Allerdings muß sehr viel gearbeitet werden, wenn 
durch die Ausgestaltung des Klassenlebens das Ziel, das uns vorschwebt, 
erreicht werden soll. Die Fülle der Kräfte muß wachgerufen werden, damit 
die Klasse wird, was sie werden soll, ein reich bewegtes, für das gesamte 
Erziehungsziel der Schule hochwertiges Stück des Schullebens. Vor allem 
müssen in unseren Schülern die Gesinnungen gepflegt, die Kräfte ent¬ 
wickelt, die Bewegungen ausgelöst werden, die zu wertvollem Klassen¬ 
leben führen. Am schwersten ist natürlich die Aufgabe des Lehrers. Feinste 
Erziehungskunst verlangt z. B. die Einwirkung auf das Werden eines 
Klassenbewußtseins, auf die Entwicklung eines kollektiven sittlichen Be¬ 
wußtseins usw. Es gibt Lehrer, denen fällt es außerordentlich schwer, 
Klassenleben zu erkennen und vor allem zu fühlen. Was sie erkennen und 
fühlen, ist entweder ein Durcheinander von Einzeleindrücken oder etwas 
schablonenhaftes Allgemeines. Sie .spüren nicht, wenn die Klasse von 
Gemeingeist ergriffen wird und die einzelnen Klassenglieder untertauchen 
im Strom eines Allgemeinbewußtseins; sie unterscheiden nicht klar, ob 
sie in Einzelerscheinungen Tatsachen des Lebens der Klasse oder individuelle 
Erscheinungen zu sehen haben; sie erkennen nicht sicher die Einwirkungen, 
die bewußten und gewollten Einwirkungen, der Klasse auf den einzelnen 
Klassengenossen usw. Wir Lehrer werden jedenfalls um so mehr Helfer 
zur Entwicklung wertvollen Klassenlebens sein können, je mehr wir selbst 
in einem wertvollen Verhältnis zu unseren Klassen zu stehen vermögen. 
Einzelschüler und Klasse, Klasse und Einzelschüler, ist das eine Lebens¬ 
verhältnis, das in Zukunft ungleich reicher und feiner als bisher ausge¬ 
staltet werden muß, wenn unsere Schulen nicht „Anstalten“, sondern 
Lebenskreise sein sollen. In Wechselwirkung zu diesem Lebensverhältnis 
steht das andere: Lehrer und Schüler, Schüler und Lehrer; Schüler einmal 
im Sinne der Einzelschüler, dann aber im Sinn von Klasse. — 

Ein großes Ziel winkt der Schule der Zukunft: die Mitwirkung an der 
Lösung des großen Problems Individuum — Gesellschaft. Zu wertvoller 
Mitwirkung aber wird nicht der „Lehrer“ fähig sein, der an einer „Anstalt“ 
unterrichtet, sondern der Erzieher, der in seinem Eigenleben das Leben 
des Lebenskreises des Schule mitlebt und mit seinen Lebenskräften am Leben 
der Schule mitschafft. 

Uber Peroönliehkeitsideale im höheren Jagendalter. 

StatistischeUntersuchung über die Ideale von Schülern norwegischer Lehrerschulen. 

Von Martin Luther Reymert. 

Die Untersuchungen, die bisher über die Ideale bei verschiedenen Gruppen von 
Personen angestellt worden sind, haben sich wesentlich auf das 7—14jährige Alter 


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Reymert, Über Persönliohkeiteideale im höheren Jugendalter 


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beschränkt, und die Experimente haben zum überwiegenden Teil Volksschul* 
kinder zum Objekt gehabt. Nur Qoddard hat sich auch mit Kindern der Mittel* 
schule beschäftigt 1 ), und Barnes mit 4—6jährigen Kindern der Kindergärten 
New-Yorks*). 

Mit Bezug aber auf die höhere Jugendzeit hat man sich bis jetzt im wesent¬ 
lichen mit Vermutungen begnügen müssen. Allerdings hat Barnes eine Probe*) 
an 38 männlichen und 62 weiblichen Schülern amerikanischer Lehrerschulen — 
doch natürlich ohne eine Spezialisierung der verschiedenen Altersstufen — 
angestellt, und Qoddard hat 710, zwei ganz verschiedenen Schulformen ent¬ 
stammende junge Leute im Alter von 16—28 Jahren einer Untersuchung be¬ 
züglich ihrer „Negativen Ideale“ unterzogen 4 ). Betreffe der Versuchsanordnungen 
der bisherigen Idealuntersuchungen liegt oft nur der Bescheid vor, so und so viele 
Papiere „seien gesammelt“. Soll man jedoch in psychologischer wie pädagogischer 
Beziehung zu zuverlässigen Ergebnissen gelangen, muß man bestrebt sein, 
die Aufgabe möglichst individuell zu fassen und gerade die differenzierenden 
Momente zu beachten 5 ). 

Mit Bezug auf die von Qoddard untersuchten Altersstufen (15—20 Jahre) 
meldet sich neben den sonstigen Schwierigkeiten auch noch eine besondere, 
auf die Richter aufmerksam gemacht hat, und die darin liegt, daß man nicht 
ganz ernstgemeinte Antworten erhält. Demgemäß verzichteteRichter darauf, 
seine Idealuntersuchungen auch auf die Fortbildungsschulen Sachsens zu er¬ 
strecken, weil die Lehrer dieser Schulen den Er ns t der Schüler in dieser Beziehung 
stark in Zweifel zogen. Ich habe mich mm bemüht, um ein zuverlässiges Ergebnis 
zu erlangen, möglichst günstige Bedingungen zuwege zu bringen. Ich wandte 
mich an dieLehrerschulen, da ich mich in bezug auf den Ernst dieser Schüler sicher 
fühlte, und durch freundliches Entgegenkommen der zuständigen Rektoren 
gelang es mir, die Aufgabe unter ähnlichen zuverlässigen Bedingungen wie früher 
bei den Volksschulkindem*) — in sämtlichen Klassen am nämlichen Tage in der 
nämlichen Schulstunde — durchzuführen. Beeinflussungen oder Erläuterungen 
jedweder Art wurden vermieden; den Schülern wurde im voraus bekannt gegeben, 
daß die Beantwortung der Frage ihrerseits durchaus freiwillig sei, woraufhin 
11 von Hundert der männlichen und 14 v. H. der weiblichen Schüler es unter¬ 
ließen, eine Antwort niederzuschreiben. Der Wortlaut der Frage für diese 
Altersstufen war folgender: 

Welcher Person möchtest du am liebsten ähnlich sein und warum? 

Eine Änderung gegen frühere Versuche trat insofern ein, als man den Schülern 
aus verschiedenen Gründen mitteilte, Gott und Jesus seien bei der Beantwortung 
außer Betracht zu lassen. Um das Vertrauen der Versuchspersonen auf 

*) Zeitschr. f. exp. Pädagogik 1907, S. 166 ff. (Die Kurve der „öffentlichen Cha¬ 
raktere“ ließ in der Mittelschule eine unverkennbare Steigerung erkennen.) 

*) „Ideals of New-York Kindergarten Children“, Earl Barnes, Kindergarten 
Magazine, Oktober 1903. 

’) Studies in Education II, S. 359. 

4 ) Ebenda, S. 392, H. H. Goddard: „Negative Ideals“. 

*) Vgl. William Stern: Die differentielle Psychologie in ihren methodischen 
Grundlagen, Kap. VIII, Verl. J. Ambr. Barth, Leipzig 1911. 

*) Siehe meinen Artikel in dieser Zeitschrift Bd. XVII, S. 226: „Zur Frage nach 
den Idealen des Kindes“. 


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Martin Luther Reymert 


die Bewahrung strengster Anonymität zu festigen, wurde die wich- 
tige Maßnahme getroffen, daß die Rektoren und Versuchsleiter 
im voraus gelobten, die Antworten nicht zu lesen, sondern die* 
selben zwecks sofortiger Weiterbeförderung nur einzusammeln. 
Im ganzen wurden mir nun 838 Beantwortungen von männlichen (399) und weib¬ 
lichen (439) Seminaristen im Alter von 18—25 Jahren zugestellt 1 ). Die Eltern 
der Untersuchten waren zu 61 v. H. Landwirte, die übrigen zum größten Teil 
Lehrer und sonstige Angestellte, sowie einige wenige Beamte, wesentlich Geistliche. 

Alle abgelieferten Beantwortungen tragen ohne Ausnahme das Gepräge der 
Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, wie dies auch, meine ich, aus den unten wieder¬ 
gegebenen Beispielen hervorgehen muß, die, den niedergeschriebenen Antworten 
aufs Geratewohl entnommen, ein richtiges Durchschnittsbild darbieten sollten. 


Einige Beantwortungen 


männlicher Versuchspersonen. 

weiblicher Versuchspersonen. 

17 Jahre: j 

17 Jahre: 

Abraham Lincoln, 
weil er denken, reden, wollen, und vor 
allen Dingen tun konnte, was sein Ge¬ 
wissen von ihm forderte. 

(unverkennbar Ibsensche Sprache) 

1. Meinem Vater, 
weil er so gut ist. 

2. Meiner Mutter, 

weil sie seit dem Tode meines Vaters 
das Geschäft geführt hat, trotzdem sie 
keine Vorkenntnisse besaß und viel Mi߬ 
geschick hatte und doch den Mut nicht 
verlor. 

IS Jahre: 

18 Jahre: 

Wergeland, 

weil „er für Freiheit kämpfte und der 
Kern ihm mehr als die Form galt“. 
(Die Anführungsstriche besagen, daß 
die Wendung einem Verfasser entlehnt 
ist.) 

1. Wergeland, 

weil er so unerschrocken und klar war 
und so gut gegen alle, denen es schlecht 
ging. 

2. Florence Nightingale, 

weil sie voller Güte und Aufopferung 
gegen die Kranken war. 

19 Jahre: 

19 Jahre: 

Alle jungen Leute, die im Leben vorwärts 
streben, haben ihr Ideal und befleißigen 
sich, ihm nachzueifern. So habe auch ich 
das meinige, nämlich meinen alten 
Lehrer A. M. Was er hier im Leben aus¬ 
gerichtet hat, dünkt mir etwas vom 
Größten zu sein, was Menschen tun 
können. Sein ganzes Leben-lang hat er 
seine Kraft in den Dienst der Schule 
gestellt. 

1. v. Müller, dem Anführer der „Em¬ 
den“, 

weil er mit kleinen Mitteln Großes aus- 
richtete. 

2. Der biblischen Ruth, 
ihrer aufopfernden Liebe wegen. 

3. A. L. (Bekannte), 

weil sie alle entschuldigt und zu allen 
gut ist; obwohl alt und arm, ist sie zu¬ 
frieden und dankbar. (Neunorwegisch.) 

4. Napoleon, 

weil er begabt, rasch im Handeln 
und mutig war. 


l ) Sämtliche Lehrerschulen des Landes waren im Jahre dieser Untersuchung von 
009 männlichen und 631 weiblichen Schülern besucht, die sich auf die sechs 
staatlichen Seminare und die sechs Privatschulen des Landes verteilten; drei dieser 
letzteren kommen bei meiner Untersuchung nicht mit in Betracht. 


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Über Persönlichkeitsideale im höheren Jugendalter 


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männliche Versuchspersonen. 

20 Jahre: 

Es ist schwierig, von einem Mann, dem 
man in jeder Beziehung gleichen möchte, 
su lesen, zu hören, oder ihn im Leben an- 
sutreffen. Jeder Mensch hat ja seine 
Fehler, jegliche historische Persönlich¬ 
keit ihre scharfen Kanten, die der Ab- 
sohleifung bedürfen. Unter den großen 
Männern der Geschichte hebt sich mir 
leuchtend Olav Haraldsön (der Hei¬ 
lige) ab. Ihm möchte ich wohl ähnlich 
Bein, gerade in dem einen, daß er für eine 
solche Sache kämpfte und für sie in den 
Tod ging. In seinem großen Gebet vor 
der Schlacht bei Stiklestad bittet er, 
selbst im Feuer brennen su müssen, 
„wenn die Geschlechter dadurch erlöst 
würden 1 *. Wie sehr gleicht er hierin dem 
Erlöser selbst! Seine Arbeit wurde von 
der Liebe zu Gott und Volk getragen. 
Ihm ähnlich zu werden, könnte sich der 
Mühe verlohnen. 


21 Jahre: 

1. Gladstone (der große alte Mann), 
weil er ehrlich, wie aus einem Guße war. 

2. Demosthenes, 

weil er ein großer Redner war. 

3. Roald Amundsen, 

weil er unserm Land größere Ehre ge¬ 
macht hat als die meisten. (Neunorweg.) 

4. Dem Mathematiker Nils Hen¬ 
rik Abel, 

weil er so berühmt war. 

5. Luther, 

er hat die Sache, die den höchsten 
Wert für uns hat,.am meisten gefördert. 
(Neunorwegisch.) 


22 Jahre: 

Garborg, 

weil er nach der Wahrheit im Leben 
forschte. „Zum Lebensmarkte trug der 
Fragen ich zu Häuf, doch Antwort ward 
mir nie — Zweifel nur in Kauf.“ 

(Zitat des Dichters. Neunorwegisch.) 


weibliche Versuchspersonen. 

20 Jahre: 

1. Gunnar paa Lidarende 1 ), 

weil er in Wahrheit ein Mann war, 
der das Tapfere, Edle und Gute ganz und 
voll in sich vereinte. 

2. Rousseau, 

seiner göttlichen Gedanken halber. 

3. N. N. (Bekannte), 

weil sie gut, ehrlich und wahrheitsliebend 
ist. 

4. Meiner Mutter, 

weil sie stark und liebevoll ist. Ich 
brauche ihr nichts zu verheimlichen, 
und wie schlimm es auch stehen mag, so 
steht sie treu zur Seite. 

5. Meinem Vater, 

weil er im Besitz so vieler guter Eigen¬ 
schaften ist, die mir fehlen. 


l ) Aus der norwegischen Sage. 


21 Jahre: 

1. Oie Bull, 

er besiegte die Herzen. 

2. Ich möchte am liebsten meiner 
alten Großmutter ähnlich sein. Bei 
ihr fand ich, was mir den tiefsten Lebens¬ 
wert zu haben scheint. Sie war dem 
Besten in sich selbst getreu und treu 
gegen ihre Mitmenschen. Sie ging frisch 
drauf los, wenn es jemand not tat, die 
Wahrheit zu hören, aber ihre Rede war 
nicht kalt und scharf, Schonung und Liebe 
verrieten sich in ihrer Stimme. Sie fand 
bei allen Menschen etwas Gutes und 
knüpfte hieran ihren starken Glauben 
an das Lichte im Leben; darum lebte 
sie, obgleich oft von Schwerem betroffen, 
so froh und sicher und richtete so viel 
im Hause aus. Sie gab den Kindern ein 
reiches Erbe heller Lebenszuversicht 
und Wahrheitsliebe. (Neunorwegisch.) 

22 Jahre: 

Es gibt einen Mann in der Geschichte, 
dessen Name mir stets leuchtend vor¬ 
geschwebt hat — Arnold Winkelried. 
Ich kenne niemand in der Geschichte, 
dem ich, obgleich eine Frau, lieber 
gleichen möchte. Ich möchte ihm ähnlich 
sein, weil er sich für andre opfern wollte 
und konnte, sich opfern für Volk und 
Vaterland; weil er nicht das Seine suchte, 
sondern alles für andre dahingab. 


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Martin Luther Reymert 


männliche Versuchspersonen. 

23 Jahre: 

Henrik Ibsen, 

weil er der Dichter ist, der Wortkünstler. 
Weil er der mächtige Geist ist, der mit 
des Gedankens Messer Vorurteile und 
Engherzigkeit durchschneidet, weil er 
die mächtigen Schwingen hat und hoch 
über des Tages Grau dahinsegelt. Möchte 
wohl seinen Willen besitzen, denselben 
Willen, der sich von „Catilina (< bis zu 
,,Wenn wir Toten erwachen“ hindurch¬ 
arbeitete. 


24 Jahre: 

Ich habe niemand gefunden, dem ich 
ganz und gar ähnlich sein möchte — 
kein reines Ideal. Den Menschen, von 
denen'ich höre und lese oder die ich kenne, 
entnehme ich die Züge, die mit meiner 
Lebensanschauung übereinstimmen. 


weibliche Versuchspersonen. 

23 Jahre: 

Camilla Collet, 

Sie besaß nicht allein die äußere Schönheit, 
nach der wir Frauen im Grunde so oft 
trachten; sie besaß auch die Schönheit 
der Seele. Sie war klug, geistreich und 
durch und durch feinfühlend. Sie war 
eine echt weibliche und feine Natur, 
obgleich sie unter den ersten war, die 
dafür eintraten, der Frau ihren Platz 
neben dem Manne in der Gesellschaft an¬ 
zuweisen. Sie war mutig, sie bot alten 
Sitten und Vorurteilen Trotz. _ 

24 Jahre: 

1. Meiner Großmutter, 
weil sie ganz Frau ist. 

2. Bertha v. Suttner, 

weil sie für den Frieden gearbeitet hat, 
und dies erscheint mir etwas vom Größten 
zu sein, wofür man arbeiten kann. 


26 Jahre: 

1. Leo Tolstoi, 

weil er offne Augen besaß für alles, was 
gerecht, edel und schön ist unter den 
Menschen und gleicherweise allesSchlechte 
haßte, was sich ebenfalls unter ihnen, 
sowohl im privaten wie im öffentlichen 
Leben findet. Doch vielleicht haupt¬ 
sächlich darum, weil er selbst lebte, wie 
er lehrte. 

2. Björnstjerne Björnsson, 
Kampflust, Begabtheit,Rednerkunst und 
Humor. 

3. Professor Birkeland, 

weil er eine für die Menschheit sehr 
nutzbringende wissenschaftliche Erfin¬ 
dung gemacht hat. Er hat ein Verfahren 
erfunden, wonach man den in der Luft 
befindlichen Stickstoff so verwenden 
kann, daß er den Pflanzen zugute kommt. 
Wenn die Bauern das nach seinem Ver¬ 
fahren hergestellte Dungmittel gebrau¬ 
chen, gedeihen ihre Felder besser. Dies 
bedeutet einen Gewinn für das ganze 
Land. Auch ist daraus eine neue In¬ 
dustrie erwachsen, die viele Arbeiter 
beschäftigt. Und die Erzeugnisse dieser 
Industrie sind ein wichtiger Ausfuhr¬ 
artikel geworden, der dem Lande viel 
Geld einbringt. Er ist einer der Männer, 
von denen Norwegen den größten Nutzen 
gehabt hat. 

4. Meinem Vater, 

1. er tat das Seine, 

2. tu ich das Meine ? 

(Neunorwegisch.) 


26 Jahre: 

1. Ganz und gar möchte ich niemand 
ähnlich sein. Ich möchte wohl einem 
der großen Männer der Geschichte darin 
gleichen, daß sie nicht nervös waren. 

2. Tora (Bekannte), 

sie will, kann aber trotzdem sagen: 
Nicht wie ich will, sondern wie du willst. 

3. Meiner Mutter, 

sie war selbstlos, gab sich ganz für andre 
und verrichtete ihre Arbeit für ihren 
Gott. Sie konnte alles erreichen, denn sie 
hatte beten gelernt. Sie war treu im 
Kleinen wie im Großen. (Neunorwegisch.) 

4. Meinem Vater, 

weil er ehrlioh und gut und natürlich war. 
6. Paulus, 

er erachtete alles für Tand außer dem 
einen — Christus gleich zu sein. — Chri¬ 
stus war ihm das Leben und Sterben ein 
Gewinn. 

6. Henrik Ibsen, 
weil er sich selbst treu war. 


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Über Persönlichkeiteideale im höheren Jugendalter 


1& 


Die Wahl des Ideals. 

Ganz natürlich wird die reife Jugend bei der Wahl ihrer Vorbilder eine weitere 
Ausschau halten können als das Kindesalter mit seinem engeren Erfahrungskreis. 
Die Gesichtspunkte mehren sich nicht unbeträchtlich. Ich habe die Klassifi¬ 
zierung nach sorgfältiger Prüfung auf die in der untenstehenden Tabelle ange¬ 
gebenen Gruppen beschränkt, die allgemeines Interesse beanspruchen dürften. 

Tabelle. 


Die Zahlen geben den Prozentsatz der verschiedenen Altersstufen an. 


Alter 


18 

19 

20 

21 

22 

23 

24—26 

Zusammen 

Anzahl der Beant¬ 
wortungen . . 

M. 

Fr. 

60 

65 

72 

78 

90 

95 

55 

05 

44 

45 

34 

45 

44 

56 

399 , oog 
439 | M 

L Bekanntenkreis 

M. 

Fr. 

5 

29 

7 

36 

4 

26 

6 

29 

8 

31 

30 

7 

40 

5 

32 

a) Eltern .... 

M. 

Fr. 

10 

4 

13 

2 

13 

4 

12 

2 

12 

: 

3 

19 

2 

14 

b) Verwandte . • 

M. 

Fr. 

6 

1 

2 

1 

1 

5 

3 

4 

2 

4 

3 

i 

3 

c) Bekannte. . . 

M. 

Fr. 

5 

13 

3 

22 

12 

i 

12 

3 

15 

12 

18 

2 

15 

EL öffentliche Per¬ 
sonen .... 

M. 

Fr. 

05 

71 

93 

64 

96 

74 

94 

71 

92 

69 

100 

70 

93 

60 

95 

68 

a) Geschichte des 
eignen Landes 

M. 

Fr. 

5 

9 

12 

3 

11 

4 

11 

3 

6 

3 

10 

8 

9 

3 

b) Fremde Ge¬ 
schichte . . . 

M. 

Fr. 

28 

20 

14 

15 

17 

18 

24 

8 

22 

15 

25 

18 

17 

14 

21 

15 

c) Dichter des eig¬ 
nen Landes . • 

M. 

Fr. 

34 

20 

30 

26 

31 

28 

38 

40 

30 

23 

32 

38 

38 

21 

33 

28 

d) Fremde Dichter 

M. 

Fr. 

— 

4 

1 

1 

1 

4 

2 

5 

5 

8 

4 

5 

4 

2 

e) Sonstiger Art • 

M. 

Fr. 

28 

22 

33 . 

19 

36 

23 

17 

18 

29 

23 

25 

10 

24 

25 

28 

20 


Entnehmen wir der Tabelle zunächst das' uns hier besonders interessierende 
Verhältnis — wie sich in der Jugendzeit der Übergang vom örtlichen zum weiteren 
Ideale vollzieht — so werden wir aus der Tafel 1 Seite 16 über die „Wahl 
aus dem Bekanntenkreis“ einige Anhaltspunkte gewinnen. 

Zunächst fällt uns ins Auge, daß die Kurve der weiblichen Versuchspersonen 
beträchtlich höher als die der männlichen liegt und daß somit das im Kindes- 
alter so typische Verhältnis der weit stärkeren Inanspruchnahme des persönlichen 
Bekanntenkreises durch die weiblichen als durch die männlichen Personen, 
bei ihrem Suchen nach Idealen — unverkennbar im höheren Alter fortgesetzt 


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16 


Martin Luther Reymert 


Alter 


wird (wir finden hier die Ziffern Fr. 29 v. H., M. 5 v. H. — bei Goddard in „Ne¬ 
gative Ideals“ Fr. 42 v. H., M. 23 v. H. und bei Barnes Fr. 23 v. H., M. 8 v. H.). 
Ferner bemerken wir, daß die Kurven der beiden Geschlechter dieses Alters keinen 
größeren Schwankungen unterworfen sind und daß dabei das erwähnte Verhältnis 
gleichmäßig besteht. 

Beide Kurven erreichen den Gipfelpunkt im 24—25jährigen Alter. Barnes 
nimmt an, daß man bei etwaigen Untersuchungen erwachsener Altersstufen einmal 
zu dem Punkt gelangen würde, wo die Bekanntschaftskurve wiederum einen deut¬ 
lichen Anstieg zeigt 1 ). Bei den vorgeschritteneren Altersstufen macht sich ja 
erfahrungsgemäß die Neigung bemerkbar, wieder zu den örtlichen Idealen im 
allgemeinen zurückzukehren. Ein wichtiges Moment kommt meines Erachtens 
bei der Idealuntersuchung des erwachsenen Alters noch hinzu, die Bolle nämlich, 
die während der Wahl der Wert des gewählten Ideals für das Individuum spielen 
kann. Je nachdem eine Persönlichkeit heranwächst und ein immer schärferes 

UnterscheidungBvermögen erwirbt, scheint es 
für sie angemessen, sich in ihrem idealen 
Streben nachdrücklich an eine handgreif¬ 
liche, lebende Persönlichkeit der Familie oder 
des Umgangskreises zu halten, was sodann 
natürlich die Wahl eines örtlichen Vorbildes 
fördern muß. Bei der Durchsicht der Beant¬ 
wortungen des 24—25jährigen Alters habe 
ich in der Bekanntschaftsgruppe den be¬ 
stimmten Eindruck erhalten, als bezeichneten 
eben die steigenden Kurven dieses Alters eine 
Entwicklung — und zwar eine Entwicklung in gesunder Richtung, da nun der 
kritische Sinn in wertvoller Weise mit zum Ausdruck kommt. Vielleicht könnte 
dieser Umstand geeignet sein, schulpädagogische Konsequenzen für die sittliche 
Erziehung nach sich zu ziehen. Auch dürften fortgesetzte Untersuchungen mit 
verschiedenartigem Material und unter verschiedenen Bedingungen in bezug auf 
das Eintreten des hier besprochenen Vorgangs in der reiferen Jugendzeit wert¬ 
vollen Vergleichungsstoff zuwege schaffen. 

Da die überwiegende Anzahl der hier untersuchten Schüler der Volksschule 
entstammt, mag es Interesse haben, die norwegische Kurve des Mittelprozent¬ 
satzes der Bekanntschafts wählen beider Gesohlechter vom 7.—25. Jahre dar¬ 
gestellt zu sehen, wobei noch besonders zu bemerken ist, daß die Versuchsper¬ 
sonen mit nur wenig Ausnahmen den nämlichen Schülgang hinter sich haben*). 

Da man ja davon ausgehen kann, daß man in den Lehrerschulen die besseren 
oder besten Schüler der Volksschule wiederfindet, scheint hier eine Normalkuxve 
unsrer Verhältnisse vorzuliegen, wie sie dem allgemeinen als natürlich angenomme¬ 
nen Verhalten entspricht, daß nämlich die nordische Jugend auf psychischem 
Gebiet eine langsamere Entwicklung zeigt als die Jugend der südlicheren Breiten¬ 
grade. 

') Studie« in Education, 8. 360. 

*) Nur etwa 12 v. H. der Schüler machen zwischen Volksschule und Seminar ihr 
Mittelschulexam'en; einzelne besuchen in der Zwischenzeit eine Volkshochschule. 



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Über Persönliohkeitaideale im höheren Jugendalter 


17 


Was die Wahl eines Vorbildes beim andern Geschlecht betrifft, so wählten in 
dieser Studie 56 v. H. aller weiblichen Versuchspersonen (bei Barnes 50 v. H.) 
ein männliches Ideal 1 ), während nur ein einziger Mann eine Frau (seine Schwester) 
erwählte (bei Barnes 0 y. H.). In der Kurve des weiblichen Geschleohts macht 
sich hier keine merkbare Tendenz geltend. 



Eine Kurve, deren größerer Teil einen ziemlich ebenmäßigen Lauf darbietet, was 
vielleicht mit der Tatsache versöhnen könnte, daß diese Kurve im Kindesalter 
höher als die irgendeines andern Landes liegt. 


Die Wahl der Eltern. 

Diese scheint in Ansehung der hier untersuchten Altersklassen eine weit größere 
Bolle bei den Frauen (14 v. H.) als bei den Männern (2 v. H.) zu spielen; Töchter 
hangen ja viel inniger an Vater und Mutter als Söhne, eine Tatsache, die wohl ihre 
Erklärung in dem allgemein bekannten Umstand findet, daß der Knabe sich 
früher von der Häuslichkeit emanzipiert als das Mädchen. Mit dem Einfluß der 
Mutter auf den Knaben ist es ja beim Eintritt ins Pubertätsalter nahezu vorbei, 
von nun an sucht der Knabe instinktmäßig den Vater; aber der Vater muß Zeit 
und die glückliche Gabe des Verständnisses haben, um auf den Sohn in kamerad¬ 
schaftlich vorbildlicher Weise einwirken zu können. Ist vielleicht hierin der Grund 
für den niedrigen Prozentsatz der jungen Männer in dieser Gruppe zu suchen ? 


*) Indem Stanley Hall in „Adolescence“ (Vol. II, S. 391) die Ergebnisse der Ideal¬ 
untersuchungen und der sich daran schließenden Studien aufzählt, spricht er unter 
anderin aus: „Die traurigste Tatsache, die aus diesen Studien hervortritt, ist, daß 
beinahe die Hälfte unsrer amerikanischen Mädchen im Übergangsalter ein männliches 
Ideal wählt oder einem Manne gleich sein will“. Und ferner: „Während immer mehr 
Frauen niedrigere und höhere Schulstufen durchmachen, sind die Ideale des Ge¬ 
schlechts noch viel zu sehr männlicher Art. Die Lehrbücher erzählen viel zu wenig 
über Frauen. Wenn eine Biblische Geschichte der Frau, eine Geschichte für Frauen, 
vorgeschlagen worden ist, fürchtet die Frau stete, dies müsse zu einem Zurückver¬ 
setzen ihrerseits in den alten Sklavenstand führen.“ 

Daß 60 v. H. unsrer weiblichen Versuchspersonen ein männliches Ideal wählen, 
sollte die Aufmerksamkeit auch bei uns in hohem Maße wachrufen. Die strenge For¬ 
derung einer Differenzierung der Geschlechter — auf die Medizin und Psychologie' 
immer wieder zurückkommen — sollten selbst die Frauenrechtlerinnen — in ihrem 
eignen Interesse — nicht außer acht lassen.. 

Zeitschrift f. pädagog. Psychologie. 2 


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18 


Martin Luther Reymert 


Bei den mannigfaltigen „Gruppierungen“ in statistisch-pädagogischen Arbeiten 
läuft man Gefahr, die Beurteilung viel zu einseitig zu vollziehen. Wahl und Be¬ 
gründung hängen innig zusammen in den Idealstudien, und in dieser Gruppe halte 
ich es zur Erläuterung der Wahlen für angezeigt, gleich an dieser Stelle auf einen 
auffallenden Zug der Begründung aufmerksam zu machen. Die Eigenschaft 
nämlich, die — ganz besonders von Frauen — als die höchste, für die Wahl von 
Vater und Mutter entscheidende geschätzt wird, ist das unbedingte Vertrauenhaben 
zu ihnen: „an sie oder an ihn kann ich mich stets wenden, wie schlimm es auch 
stehen mag“. 

In der Gruppe „Verwandte“ machen sich frühere Generationen (Großväter 
und Großmütter) in hervorragender Weise bemerkbar, so daß mir der Eindruck 
verblieb, als suchten die jungen Leute aus einer Zeit wie der unsrigen, die mehr 
oder weniger voller Bewegung ist und ein ruhiges Überblicken so schwer macht, 
in eine andre Zeit absoluteren Gepräges hinüber. Dieser Eindruck wird 
durch die angeführten Gründe noch in hohem Maße verstärkt. 

Bekannte. 

Auch hier ist die Ziffer der weiblichen Versuchspersonen (12 v. H.) höher als 
die der männlichen (2. v. H.) —ein Verhältnis, das zum Nachdenken auffordert. 
„Alles was Jugend heißt, verhält sich in erstaunlichem Maße plastisch und sugge¬ 
stiv zu seiner Umgebung“, sagt Stanley Hall. Diese Studie scheint anzudeuten, 
daß junge Mädchen von 18—25 Jahren erheblich mehr als junge Männer (in 
diesem Fall um das Sechsfache) von Freunden und Freundinnen sogar in wirk¬ 
lichen Lebensfragen beeinflußt werden. Die von den weiblichen Versuchspersonen 
angegebenen Begründungen für die Wahl ihres Vorbildes im Bekanntenkreis 
verraten eine Sympathie für den Erwählten so stark, daß meines Erachtens nicht 
angezweifelt werden kann, wie ihnen die Beantwortung der Frage: Was würde 
sie oder er wohl hierzu sagen T — geradezu eine Lebensnorm zu sein scheint. 
Wir befinden uns ja hier im Alter der Busenfreundschaften. 
Ein seitens der zuständigen Angehörigen oder wenn möglich seitens der Schule 
bewußtes Überwachen, ein Kultivieren der „Bekanntschaftsideale“ junger Mäd¬ 
chen in diesem Alter, dürfte vielleicht eine große pädagogische Aufgabe dar¬ 
stellen. 

Auch in dieser Gruppe (wie in derjenigen der „Eltern“) spielt das weibliche 
Bedürfnis nach „Verständnis“ und vertrauender Hingabe eine große Rolle. Meist 
fällt die Wahl auf gleichalterige oder etwas ältere Freundinnen, seltener auf 
Männer, die dann lieber einer etwas höheren Altersstufe angehören. Die Lehrer 
der Schule waren von 1 v. H. der männlichen und 2,5 v. H. der weiblicher Ver¬ 
suchspersonen gewählt. 

Geschichte des eignen Landes 1 ). 

Dieser Studie zufolge wenden sich 9 v. H. der männlichen und 3. v. H. der weib¬ 
lichen jungen Leute dieses Alters bei ihrem Suchen nach einem Vorbilde in un¬ 
mittelbarer Weise der vaterländischen Geschichte zu. Die Wahlen fallen sehr 


*) Vgl. meine Studie über norwegische Volksschulkindor. 


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Über Persönliohkeitsideale im höheren Jugendalter 


19 


zerstreut aus; von beiden Geschlechtern am höchsten geschätzt sind: 1. Tordens* 
kjold, 2. Olav der Heilige, 3. Olav Trygvason. Von Männern allein erhielt die 
höchste Stimmenanzahl Haakon Haakonson 1 ), sodann mehrere (meist radikale) 
Politiker. Von norwegischen historischen Persönlichkeiten der Jetztzeit nimmt 
Boald Amundsen den ersten Platz ein, während auf Chr. Michelsen und Lövland 
(das Minis terium der Unionsauflösung 1905) je eine Stimme entfiel. 

Das höherstehende weibliche Ideal norwegischer Geschichte ist auch für diese 
Altersstufe Anna Kolbjörnsdatter, sie, die sich hauptsächlich durch typisch 
männliche Tugenden auszeichnete 1 Wie beredt wiederum 1 Abermals drängt sich 
uns die Frage auf: Müßte man nicht in die Schulen (zumal in die Lehrerschulen) 
vaterländisch historische Biographien in vertiefter Behandlung einführen und 
zwar derart, daß in ihnen die historische Persönlichkeit sowie ihr national-sozialer 
Hintergrund gleich bewertet werden? 

Fremde Geschichte. 

Die Geschichte fremder Länder zeigt sich hier reicher an vorbildlichem Stoff 
als unsre eigne, denn 20 v. H. der Männer und 14 v. H. der Frauen finden hier 
ihr Ideal. Die auf diesem Gebiete gewählten Personen dürften vielleicht für 
spätere Vergleichszwecke allgemeines Interesse haben. 

Der Reihenfolge nach erhielten die meisten Stimmen-beider Geschlechter 
folgende Persönlichkeiten: 1. Sokrates, 2. Washington, 3. Napoleon, 4. Cäsar, 
5. Gladstone, 6. Livingstone 8 ). 

Nur von Männern wurden gewählt: 

1. Lincoln, 2. Demosthenes, 3. Bismarck. 

Je eine Stimme erhielten hier: Kaiser Wilhelm, Friedrich der Große, Epa- 
minondas, Aristides, Aristoteles, Diogenes, Alexander der Große, Karl XII., 
Gustaf Adolf, Lloyd George, Nobel, H. Dunnant, Lavasö, Karl Marx.. Jean Jauräs. 

Nur Frauen wählten: 

1. Florence Nightingale (die weitaus größte Stimmenanzahl), 2. Jeanne D’arc, 
3. Königin Elisabeth. 

Je eine Stimme entfiel auf: Königin Luise, Königin Margreta, Königin Victoria, 
Arnold Winkelried, Benjamin Franklin, William Pitt (der Ältere), Cornelia (die 
Mutter der Gracchen), Eleonora Ulfeldt 8 ). 


l ) Der König, welcher in Henrik Ibsens „Die Kronprätendenten“ den Königs¬ 
gedanken hat: alle einander widerstrebenden Strömungen in einem geeinten 
Norwegen zu sammeln. 

*) Am eingehendsten beschäftigt man sich mit Sokrates im Fach „Pädagogik mit 
Seelenlehre“. Den für diese Wahl angegebenen Gründen aber läßt sich entnehmen, 
HftB er den Schülern geschichtlich der glänzendste Vertreter moralischen Mutes 
und Wahrheitsforschens ist. Als Pädagog mit der „sokratischen Methode“ kommt er 
nicht zur Erwähnung. 

*) Die auf Florence Nightingale entfallende große Stimmenanzahl der Frauen 
läßt Bich zum Teil daraus erklären, daß in einer der Schulen über sie Vorträge gehalten 
worden waren. Sollte denn aber nicht die Begierde, mit der die Frauen dies weib¬ 
liche Ideal ergriffen, uns eine Weisung sein, Frauenideale zu finden und auszunutzen ? 
Gerade für das plastische Alter von 18—25 Jahren dürfte dies tiefgehendste Bedeutung 
haben. 

2 * 


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20 


Martin Luther Reymert 


Ein Zusammenfassen der Gruppen „Vaterländische Geschichte“ und „Fremde 
Geschichte“ gibt für diese Altersstufen folgende Kurven, 

Alter 



- « des eignen lindes 

. Dichter » » » 

—Nicht untersucht 

Tafel 3. Die Wahl geschichtlicher Ideale 

die darzutun scheinen, daß sich der typische Unterschied zwischen den Geschlech¬ 
tern im Kindesalter auch in diesen Jahren wiederfindet, in dem historisches In¬ 
teresse bei jungen Männern weit stärker vertreten zu sein scheint als bei jungen 
Mädchen. Es mag wohl sein, daß wir es hier mit einer fundamentalen Verschieden¬ 
artigkeit zu tun haben, die seinerzeit pädagogische Konsequenzen zeitigen dürfte. 

Dichter des eignen Landes. 

Dieser Gruppe läßt sich die weitaus größte Zahl der erwählten Vorbilder (M. 
31 v. H., Fr. 24 v. H.) einordnen, und diesen Vorzug mag sie zum Teil dem Um¬ 
stand verdanken, daß mehrere unsrer großen Dichter sich neben einem Weltruf 
große nationale und soziale Verdienste erworben haben. Stanley Hall 
sagt in „Adolescence“ über das reifere Jünglingsalter 1 ): „He is bemastered by the 
style of great authors he has read and is an adept at dialect and the personation 
of national types“. Wort für Wort kann ich dies Urteil gemäß der von mir ge¬ 
machten Erfahrungen in dieser Gruppe unterschreiben. Was die Liebe zum Dia¬ 
lekt betrifft, so tritt dieselbe in dieser Studie in der recht ansehnlichen Wahl von 
Dichtem zutage, die sich der „neunorwegischen“, auf verschiedenen Dialekten 
aufgebauten Sprache 2 ) bedienen. 

Die von beiden Geschlechtern bevorzugtesten Dichter sind: 
Henrik Wergeland (M. 66, Fr. 50 v. H.), Björnstjeme Bjömson (M. 15, Fr. 5 v. H.), 
Ivar Aasen (neunorwegischer Dichter) M. 11, Fr. 6 v. H.), Arne Garborg (neunor¬ 
wegisch) (M. 11, Fr. 2 v. H.), Henrik Ibsen (M. 9, Fr. 3 v. H.), Aasmund Vinje 
(neunorwegisch) (M. 7, Fr. 4 v. H.), Per Sivle (M. 3, Fr. 1 v. H.), je eine Stimme 
haben Welhaven, Ivar Mortensen, Sven Moren. 

Von Männern allein entfielen die meisten Stimmen auf Ludwig .Holberg, von 
Frauen allein die meisten auf Camilla Collet, demnächst auf Hulda Garborg und 
Barbra Ring. Jörgen Moe und Sigrid Unseth erhielten je eine Stimme. 


») Vol. II, S. 316. 

*) Mit Bezug hierauf herrscht hier im Lande ein scharfer Sprachkampf. 


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Über Persönlichkeitsideale im höheren Jugendalter 


21 


Fremde Dichter. 

worden hinsichtlich der Stimmenzahl in folgender Reihenfolge gewählt: 

Von beiden Geschlechtern: Oehlenschläger. 

Von Männern "allein: Leo Tolstoi, Goethe, Fröding 1 ) (schwedisch), Homer. 
Von Frauen allein: Bertha v. Suttner. 

Fassen wir die Gruppen eigne und fremde Dichter für das Alter 18—25 Jahre 
zusammen, so entstehen folgende Kurven der Tafel 4. 


Alter 




Tafel 5 


Die männliche Kurve verrät steigende Tendenzen. Der starke Fall der weib- 
liohen Kurve im 24—25jährigen Alter läßt sich durch die reiche Wahl persön¬ 
licher Bekannter in diesen Jahren (40 v. H.) erklären. 

Das nebenstehende Diagramm (Tafel 5) stellt dar, wie sich das Interesse für 
nationale Dichter zum Interesse fürnationale Geschichte und für Geschichte 
überhaupt verhält. Da meine beiden, an dieser Stelle bekanntgegebenen Studien 
zu bestätigen scheinen, daß die Schule (besonders offenkundig bei den Schülern 
des Jugendalters) in hohem Maße verantwortlich ist für den den Schülern darge¬ 
botenen „vorbildlichen“ Stoff, so könnte vielleicht das Diagramm einen Einblick 
in die Rolle gewähren, die die obengenannten Gruppen in der norwegischen 


Schule spielen. 

Eine Gruppe sonstiger Art 

umfaßt: M. Fr. 

v. H. v.H. 

Die Wahl von Künstlern..2 3 

„ „ „ Männern der Realwissenschaft.2 1 

„ „ „ Personen der Dichtung.1 1 

„ „ vom Gesichtspunktaus: Niemand, da alle Fehler haben 3 2 

„ „ öffentlicher, rein religiöser Charaktere ....... 8 9 

„ „ öffentlicher, rein pädagogischer Charaktere ..... 6 5 

„ „ andrer Persönlichkeiten (Vorkämpfern der Enthalt¬ 
samkeit u. ä.).6 — 


Von Künstlern wurden von beiden Geschlechtern gewählt: 1. Oie Bull (der 
Meister Norwegens auf dem nationalen Instrument, der Geige), 2. Edvard Grieg 
(der berühmte norwegische Komponist). 

. Von Männern der Realwissenschaften: 1. Darwin, 2. Nils Henrik Abel. 

Von öffentlichen, rein religiösen Charakteren: 1. Luther 2 ), 2. H. Nielsen Hauge. 
Aus der Biblischen Geschichte (M. 3 v. H., Fr. 3 v. H.): von beiden Geschlechtern 
Paulus, Johannes der Täufer. 

>) Fröding war kürzlich Vortragsweise behandelt worden. 

*) Den von allen betreffenden Personen angegebenen Gründen zufolge gehört 
Luther dieser Gruppe an, als Pädagog findet er nicht Erwähnung. 


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22 


Martin Luther Reymert 


Von Männern allein: Joseph, Abraham, Moses. 

Von Frauen allein: Maria (die Mutter Jesu), Buth. 

Von öffentlichen, rein pädagogischen Charakteren: 

Gewählt von beiden Geschlechtern: 1. Bekannte, um die Schule verdiente 
Norweger, 2. Kr. Kold, dänischer Volkshochschullehrer, Pestalozzi 3 (2), 
Rousseau 2 (2), Grundtvig 2 (2). 

Gewählt von Frauen allein: Oie Vik, Henrik Rytter. 


Die Gründe. 

Betrachtet man die Gründe, die die Wahl des Vorbildes bestimmen, so gewinnt 
man in mancher Beziehung einen wertvollen Einblick in das innere Leben der 
jugendlichen Personen. Den Stoff genau zu klassifizieren, ist allerdings nicht 
leicht, da hier gleichzeitig mehrere Gesichtspunkte zur Geltung kommen; jedoch 
habe ich nach mehrmaliger sorgfältiger Prüfung einige Prozentzahlen heraus¬ 
gefunden, die alle Glieder mit in Betracht kommen lassen. Hierbei trat mir 
klar vor Augen, daß die rein individuell ethischen Eigenschaften sowohl von 
Männern wie Frauen am höchsten geschätzt werden. 


Rein ethisch betonte Gründe: 


Alter 

18 

19 



22 

23 

24—25 

Zusammen 

Mittel 

M. 

44 

58 

51 

63 

66 


54 

54 

60 

Fr. 

66 

63 


73 

63 

52 

68 

65 


In dieser Gruppe sind die für die Wahl einer Person abgegebenen ethischen 
Gründe religiöser Art nicht mit einbegriffen. 

Ausgesprochen religiöse Gründe wurden ziffernmäßig wie folgt angegeben: 


Alter 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24—26 

Zusammen 

Mittel 

M. 

15 

18 

25 

20 

16 

23 

13 

19 

j 16 v. H. 

Fr. 

9 

15 

16 

16 

22 

28 

30 

20 


Wir sehen, daß auf dieser Altersstufe ethische Eigenschaften von Frauen 
höher als von Männern eingeschätzt werden, während ein Wesens unterschied der 
Geschlechter in bezug auf die religiöse Bewertung — wenn man nicht etwa den 
mit den Jahren raschen und gleichmäßigen Anstieg der weiblichen Kurve in 
Betracht ziehen will — nicht nachweisbar ist. Goddards Annahme, daß die 
Frau von Natur aus religiöser veranlagt sei als der Mann, ließe sich vielleicht 
dahin begrenzen, daß bei der Frau religiöser Sinn und religiöses Gefühl oft mit 
den Jahren wächst, während dem Manne seine praktische Tätigkeit, die stärker 


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Über Persönliehkeitsideale im höheren Jugendalter 


23 


differenzierten weltlichen Interessen oft Hemmnisse für das Zustandekommen 
eines allgemein religiösen Verhältnisses sind. 

Die Mittel der ethischen Eigenschaften beziffern sich auf 30, die der religiösen 
aber nur auf 16: Das Verhältnis der beiden Werte gibt zu mancherlei Erwägungen 
Anlaß. Daß beiden ethischen Gründen oft der religiöse Hintergrund durchschim¬ 
mert, ist nicht in Abrede zu stellen; aber im ganzen wirkte das Ergebnis nach mei¬ 
nen in der Volksschule gemachten Erfahrungen etwas überraschend. 

Die Schüler treten im 18. Lebensjahre mit verhältnismäßig geringen Kennt¬ 
nissen und mit einem recht beschränkten Gesichtskreis in die Lehrerschule ein, 
welche nun diesen jungen Gemütern im Laufe von drei Jahren durch viele 
„Fächer“ hindurch die Welt der Vergangenheit und Gegenwart so vollständig 
wie nur möglich erschließen, aber auch zugleich Erzieher und Lehrer aus ihnen 
machen soll 1 ). 

Das eine Wunder nach dem andern sehen die jungen Leute nun leuchtend vor 
sich stehen —sie sehen Sokrates im neuen Licht, Darwin und alle die andern, 
die menschliches Denken in neue Bahnen leiteten. Es wird gerüttelt an den 
bisher in Heim und Schule erworbenen Dogmen und Anschauungen. Ein beun¬ 
ruhigendes Gefühl von der Mannigfaltigkeit des Lebens, von der Unzahl der Pro¬ 
bleme ergreift sie. Mit erwachender Kritik und neu entstehendem Forscherdrang 
suchen sie nach Anhaltpunkten — suchen dieselben bei den großen Geistern aller 
Zeiten, forschen in Religion und Literatur — und finden meist scharf voneinander 
abweichende Standpunkte. Eine allgemeine Unsicherheit des Gemütes, ein 
Schwanken des Urteils wird die Folge dieser inneren Erfahrungen. In dieser 
Weise erkläre ich mir, daß die jungen Leute vorläufig auf einer allgemeinmensch¬ 
lichen Grundlage der Ethik Ruhe suchen, in einem Streben nach und einem Fest¬ 
haltenwollen an den besten Eigenschaften, die den meisten großen Geistern und 
den besten, ihnen im Leben entgegentretenden Menschen gemein zu sein scheinen. 
Hier bewegen sie sich auf neutralem Boden, ohne in ein gegensätzliches Verhältnis 
zur — Religion zu geraten, die in diesen Jahren wohl der Anlaß so mancher inne¬ 
rer Kämpfe ist. Die hohe Prozentzahl der „ethischen Gründe“ scheint darum 
anzudeuten, daß das ethische Streben in praktischer Beziehung stärkeren Beschlag 
auf die reifere Jugend legt als das religiöse, und daß bei uns ein abgeklärter Stand¬ 
punkt auf diesem letzteren Gebiete einem noch reiferen Alter angehört. Hiermit 
sei aber nichts gesagt über die Rolle, welche die Religion, religiöser Sinn und reli¬ 
giöses Fühlen als Hintergrund alles ethischen Strebens spielt. Daß die Gruppe 
„rein religiöse Gründe“ keine höhere Prozentzahl aufweist, dürfte teilweise in 
der oben dargelegten Entwicklung eine Erklärung finden, auch mag dem durch 
die physische Entwicklung dieser Jahre stark geförderten „Ich“-Gefühl eine ge¬ 
wisse Bedeutung beigelegt werden. Man vergesse auch nicht, daß die Gottheit 
bei dieser Studie außer Betracht gesetzt wurde, und ferner, daß wir uns beim Be¬ 
treten des religiösen Gebiets auf einem Grund befinden, wo viele eine natürliche 
Scheu haben, auch sich selbst Rechenschaft zu geben. 


l ) Man kann sich nicht genug wundern, daß der Schule diese Aufgabe so weit wie 
bisher geglückt ist. Es ist sohwer begreiflich, wo in unsem Tagen die Zeit dazu 
herkommt — man hat auch eben jetzt in Erwägung gezogen, die Schulen zu vier¬ 
jährigen zu machen. 


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24 


Martin Luther Reymert 


Unter den ethischen Eigenschaften sehen wir Opfer Willigkeit und das Ver¬ 
langen, andern zu helfen, vor allen andern geschätzt 1 ). Die Zahlen hierfür 
lauten wie folgt: 


Alter 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24—25 

Zusammen 

Mittel 

M. 

12 

12 

14 

20 

25 

17 

13 

16 

J 29 v. H 

Fr. 

42 

39 

43 

47 

40 

• 

32 

48 

42 


„Edel“, „selbstlos“, „opfert sich für andre“, „denkt mehr an andre als an sich 
selbst“, sind die Gründe, die wir am häufigsten antreffen. Frauen scheinen in 
diesem Alter altruistischer als Männer veranlagt zu sein. Moralischer Mut 
scheint für dieses Alter eine begehrenswerte Eigenschaft zu sein. „Hielt an seiner 
Sache fest, was auch die andern darüber meinten“, „wich nicht von dem, was 
er als Recht erachtete“, „ging für seine Überzeugung sogar in den Tod“ sind oft 
wiederkehrende Gründe. Vergleichshalber seien hier auch die Prozentzahlen derer 
angegeben, die dem physischen Mut, der Tapferkeit huldigen: 


Alter 


18 J 

19 

20 

21 

22 

23 

24—25 

Zusammen 

Mittel 

Physischer Mut. . 

M. 

Fr. 

2 

2 

3 

4 

6 

3 

7 

8 

3 

7 

4 

12 

6 

3 

| 4.5 

Moralischer Mut . 

M. 

Fr. 

22 

2 

18 

10 

12 

2 

23 

12 

24 

13 

26 

4 

13 

5 

20 

7 

| 13.3 


Wie wir sehen, scheint der Mut in beiderlei Gestalt (vgl. Lehmann) viel höher 
von den jungen Männern als von den jungen Mädchen geschätzt zu werden. 
Pädagogisches Interesse dürfte es vielleicht haben — als Hintergrund jeder Moral¬ 
erziehung in diesen Jahren — den „Mut“ zu betonen. Stehen wir hier nicht vor 
Eigenschaften, deren unsre Zeit mit ihren vielen verschwommenen Tendenzen 
besonders bedürftig wäre? 


x ) In der Übersicht über „Det Kgl. Danske Videnskabemes Selskabs Forhand- 
linger“ 1916, Nr. 2, hat der bekannte Kopenhagener Professor Alfr. Lehmann 
soeben eine Studie über mehrere tausend dänische Kinder („Om Borns Idealer“) 
veröffentlicht. Eine besondere Bedeutung kommt der Arbeit dadurch Zu, daß sie 
meines Wissens die erste ist, die Vergleiche einerseits zwischen Stadt- und Landkin¬ 
dern, und anderseits zwischen Schulen für beide Geschlechter zusammen und Knaben- 
und Mädchenschulen zu ziehen versucht. 

Professor Lehmann äußert sich in seiner Studie (S. 92) in folgender Weise: „Zärt¬ 
lichkeit ist meines Erachtens das typisch weibliche Gefühl, das in seiner höchsten Aus¬ 
drucksform gewöhnlich Mutterliebe genannt wird und im Beschützungsinstinkt 
wurzelt. Da dieser Instinkt bei allen höheren Tieren, zumal bei den Weibchen und 
nur ausnahmesweise bei den Männchen vorhanden ist, wäre anzunehmen, etwas 
Ähnliches mit Bezug auf das demselben entspringende Zärtlichkeitsgefühl des Men¬ 
schen zu finden. Und da dieses gerade das kennzeichnende Gefühl der Frau sein soll, 
müßte es um so stärker werden, je mehr die Entwicklung des Kindes sich dem „Weib¬ 
werden“ nähert.“ 

Die Vermutung, die durch den Befund Lehmanns für das 8—16jährige Alter 
erhärtet wird, findet, wie man sieht, eine evidente Bestätigung durch die von mir 
untersuchten Alterstufen 18—26 Jahre. 


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Über Persönliohkeitsideale im höheren Jugendalter 


26 


In welchem Umfang Jugendschulen berechtigt sind, ,,Überzeugungen“ zu 
schaffen, wozu sie mir sehr wohl fähig zu sein soheinen, darüber könnte gestritten 
werden. Das berührt aber nicht die Frage von der pädagogischen Heranleitung 
zu prinzipiellen, ethischen Grundsätzen. Und gibt man dies zu, so wird in erster 
Linie der moralische Mut sich als Ideal aufdrängen; diese Eigenschaft ist in keiner 
dogmatischen Überzeugung verkapselt. Die.starke Opferwilligkeit der 
Trauen, die, recht oft etwas verschwommen, als das Bedürfnis „den Menschen 
zu helfen“ 1 ) empfunden wird, sowie auch die von den jungen Männ ern vorge¬ 
zogenen mehr energisch ausgeprägten Ideale, scheinen mir in den Jagendschulen 
im hohen Maße aufmerksamer Beachtung zu bedürfen. Ich erinnere hierbei an 
den Ausspruch Stanley Halls: Youth is peculiarly prone to enthuse for great 
and distant causes and grow myopic for homely every day social duties“, und: 
„The social instincts of girls are perhaps still more in danger of to wide irradiation, 
for their normal sphere of influence is more personal“. (Adolescence, Vol. II, 
S. 431.) Es scheint mir klär zu sein, daß die pädagogische Richtung, deren 
hauptsächlichste Verfechter auf deutschem Boden wohl R. Lehmann und 
Fr. W. Förster*) sind, und welche die Erörterung ethischen Stoffe in der Schule 
fordert, im Recht ist — wenigstens insofern man diese Altersstufen berück¬ 
sichtigt. Allerdings muß das Ziel hierbei nicht das sein, eine allumfassende Lebens- 
anschauung zu bilden, sondern nur den jungen Menschen möglichst gute 
Bedingungen zu schaffen, um ihren selbstgewählten Weg zu finden. 


Intellektuelle Gründe. 

Diese kommen ziffernmäßig in folgender Weise zum Ausdruck: 


Alter 

18 

19 

20 

21 

_ 

22 

23 

24—25 

Zusammen 

Mittel 

M. 

25 

34 

35 

21 

40 

17 

12 

28 

23 v. H. 


25 

17 

25 

20 

22 

20 

13 

20 



„Dem klaren Gedanken“ scheinen beide Geschlechter in überwiegender Weise 
zu huldigen, ebenso behauptet der „zähe Wille“ einen ansehnlichen Platz, während 
die Phantasie in klar ausgesprochener Weise nur eine unbedeutende Rolle spielt. 


*) Die meisten werden wohl die bittre Tragödie erleben: Erst die hohen Ziele der 
Jugendzeit gepaart mit dem Verlangen, der Welt einen neuen Lauf zu geben — und 
dum die lähmenden Forderungen der Selbsterkenntnis und des praktischen Lebens. 
Gar mancher mag hierbei den „Willen zum Leben“ eingebüßt haben. Um nun wenig¬ 
stens die pessimistische Reaktion dieser Tragödie kürzer und leichter ertragbar zu 
machen — und um die Sturm- und Drangperiode möglichst in ein frohgesinntes, 
handlungsfähiges „Mannesalter“ auslaufen zu sehen, dürfte es ratsam sein, der Jugend 
in den Schulen Beispiele aus Geschichte und Literatur vorzuführen. Diese müßten 
in der Weise zugänglich gemacht werden, daß sie ohne jegliches „Moralisieren“ und 
ohne den Schülern ihre jugendliche Lebensfreude zu benehmen, kraft ihres eignen 
Wertes wirkten. Ihre Herzen dürften sich nicht abgestoßen fühlen bei dem Bestreben 
der Erzieher, ihrer Intelligenz — auch auf ethischem Gebiete — habhaft zu werden. 
Man könnte ihnen z. B. Goethes Weg vom „Jungen Werther“ bis zu den großen Wer¬ 
ken seiner Mannesreife vorzeichnen. 

*) R. Lehmann: „Erzieher und Erziehung“. Fr. W. Förster: „Schule und Cha¬ 
rakter“, sowie „Jugendlehre“. 


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26 


Martin Luther Reymert 


Ein nennenswerter Unterschied in bezug auf die intellektuelle Idealität läßt 
sich den hier vorliegenden Aussagen nicht entnehmen. 

Ehre und Ruhm 

als eigens her vorgehobene Werte erschienen bei 6 v. H. der Männer und 1 v. H. 
der Frauen, ein Verhältnis, das wohl zum großen Teil auf den Einfluß der Schule 
zurückzuführen ist. 


Künstlerische Eigenschaften. 

Unter diesen ist vor allem die Lust zum Schriftstellern ausgeprägt, sodann zur 
Beredsamkeit und zur Musik. 

Dies der Kunst gewidmete Interesse kommt, wie die untenstehenden Ziffern 
zeigen, bei beiden Geschlechtern in gleicher Weise zum Ausdruck: 


Alter 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24—25 

Zusammen 

Mittel 

M. 

4 

14 

9 

17 

10 

17 

10 

12 

1 12 v. EL 

Fr. 

8 

19 

4 

20 

13 

12 

8 

12 

1 


Daß 12 v. H. bai der Wahl ihres Vorbildes immittelbar die künstlerische Be¬ 
gabung mit in Betracht ziehen, scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, daß die 
unter den intellektuellen Gründen nicht klar als begehrenswert aufgeführte 
Phantasie hier zu ihrem Rechte gelangt und daß sich die Jugend dieser Jahre 
stark zur Kunst hingezogen fühlt. 


Klar zum Ausdruck kommende nationale Gründe 
bestimmen die Wahl von Vorbildern in folgender Weise: 


Alter 

18 

19 

20 

21 

22 

23 

24—25 

Zusammen 

Mittel 

M. 

42 

30 

36 

50 

F - ' ' 

40 

40 

33 

39 

J 27 v. H. 

Fr. 

8 

19 

21 

13 

13 

8 

18 

14 


Diese Zahlen lassen deutlich erkennen, wie viel früher und wieviel stärker die 
jungen Männer die nationale Idee ergreifen. Während sie bei den Frauen mehr 
die Gestalt allgemeiner Vaterlandsliebe annimmt, ist sie den jungen Männern 
in viel stärkerer Weise politisch differenziert 1 ). Der Sinn für national-politische 
Fragen ist bei den jungen Männern sehr ausgeprägt, und zwar scheint die un¬ 
mittelbare Begeisterung für politische Vorbilder in diesen Jahren ent¬ 
scheidender zu wirken als logische Gründe. Wie die Begeisterung in diesen 
Jahren gepflegt und ermuntert wird, dürfte daher vielleicht sehr entscheidende 
Bedeutung gewinnen. Der Radikalismus tritt — wie es in diesen Jahren begreif¬ 
lich ist — stark hervor. Das nationale Sinn scheint größtenteils von nationalen 
Dichtern eingehaucht und genährt zu werden. 

*) Staatsbürgerliches und kommunales Stimmrecht genießen beide Geschlechter 
vom vollendeten 25. Jahre an. 


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_ . j 



Über Persönliohkeitsideale im höheren Jugendalter 


27 


ln pädagogischer Beziehung ist es wohl nur freudig zu begrüßen, wenn das 
Nationalitätsgefühl bei den angehendenVolkserziehemeine so große Rolle spielt; 
doch dürfte ein Hinweis von den weiteren Zielen auf die engeren hin, ein 
Fingerzeig, daß diese jungen Menschen dem Vaterland besonders in der Schul* 
stube dienen sollen, wohl am Platze sein, und zwar umsomehr, wenn manberück- 
sichtigt, welch niedrige Prozentzahl beider Qeschlechter hier bei der Wahl von 
Vorbildern ihren künftigen Beruf praktisch ins Auge faßt. 


Das internationale Interesse 

findet seine Betonung in den großen Programmen: international soziale Samm¬ 
lung, Friedenssache u. ä., für die 7 v. H. der Männer und 4 v. H. der Frauen ihre 
Stimme abgeben. Auch hier wie sonst in dieser Studie scheint das Jugendalter 
die Zeit der hohen idealen Ziele zu sein. 

Für 8 v. H. aller Fräuen, die ihre Stimmen abgaben, war das ,'Frauenrecht“ 
höchste Richtschnur bei der Wahl ihres Vorbildes, ein Umstand, der in einem Land 
der Frauenemanzipation wie dem unsrigen wohl begreiflich ist 1 ). 

Hier tritt mir die Bedeutung des Vorbildes recht klar ins Licht, denn in 
jeder einzelnen dieser Beantwortungen spürt man den Einfluß der Dichterin 
Camilla Collet — dieser selten feinen Persönlichkeit, für die das „Frauenrecht“ 
nicht wesentlich politische Bedeutung hatte. 

Zusammenfassung. 

Zur Übersicht folgt hier schließlich eine Zusammenfassung der wichtigsten 
Ergebnisse, die sich meines Erachtens der vorliegenden Studie entnehmen lassen. 

1. Die Schule scheint als Quelle des vorbildlichen Stoffes für 
die untersuchten Altersstufen (18—25 Jahre) eine beherrschende Rolle zu 
spielen, denn 95 v. H. der Männer und 68 v. H. der Frauen suchen ihr Ideal 
unter den lehrplanmäßig in der Schule behandelten öffentlichen Charakteren. 
Von den verschiedenen Fächern scheint der Unterricht in derMuttersprache 
in dieser Beziehung am fruchtbringendsten zu sein, danach der Geschichts¬ 
unterricht. Die Biblische Geschichte liefert sehr wenige Vorbilder. 

2. Mehr Frauen als Männer wählen ihr Vorbild unter persön¬ 
lichen Bekannten (Männer 5 v. H., Frauen 32 v. H.). Das Verhältnis zwischen 
der Wahl „persönlicher Bekannter“ und „öffentlicher Charaktere“ kann — bei 
diesen Schülern nur bedingungsweise — als ein Maßstab persönlicher Ent¬ 
wicklung gelten. 

3. Eltern scheinen ein weit höheren Platz bei den weiblichen, als bei 
den männlichen Schülern des Jugendalters einzunehmen: die weibliche Kurve 
zeigt hier einen mit zunehmenden Jahren erfolgenden Anstieg. 
Die bei Eltern am höchsten geschätzte Eigenschaft ist Vertrauens- und 
verständnisvolle Kameradschaftlichkeit. 


>) Die norwegischen Frauen genießen nunmehr allgemeines staatsbürgerliches und 
ko mmuna les Stimmrecht. Bei der letzten Wahl (1915) zum Btorting (der norwegi¬ 
schen Reichsversammlung) machten die Frauen 58,09 ▼. H. der gesamten Wähler- 
rrnfiftt* aus. — In den Städten stimmten 65 v. H. aller Frauen, auf dem Lande 43. v. H. 
Keine Frau wurde in das Storting gewählt. 


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38 


Martin Luther Reymert 


4. Freundschaft scheint in diesen Jahren weit größere Bedeutung für 
Frauen als für Männer zu haben. Das Bedürfnis nach Verständnis und 
Vertraulichkeit dürfte hier den Hauptpunkt bilden. Das 19jährige Alter bezeichnet 
für Frauen den Gipfel. 

5. Unter Verwandten stehen die Großeltern am höchsten. 

6. Die Lehrerpersönlichkeiten der Schule werden von 1 v. H. der Männer 
und 3 v. H. der Frauen hoch eingeschätzt; sie sind demnach nicht sonder- 
lieh bevorzugt als Vorbilder. 

7. Große Schriftsteller und Dichter scheinen in charakterbilden¬ 
der Beziehung den größten Einfluß auf das Jugendalter zu haben. 

8. Die von Schülern norwegischer Lehrerschulen bevorzugtesten öffentlichen 
Charaktere sind: 1. Henrik Wergeland (norwegischer Dichter), 2. Sokrates, 
3. Luther, 4. Bjömstjerne Bjömson. 

9. Der Sinn für Geschichte scheint für Männer und Frauen dieser Alters¬ 
stufen im Verhältnis 5:3 zu stehen. 

10. Aus den Gründen für die Wahl der Vorbilder sieht man, daß sowohl von 
Männern wie Frauen die rein ethischen Eigenschaften am höchsten ge¬ 
schätzt werden (betont von 54 v. H. der Männer und 65 v. H. der Frauen). 

Opferwille und Hilfsbereitschaft sind stark hervortretende ethische Eigen¬ 
schaften, doch in viel stärkerem Maße bei Frauen als bei Männern (Männer 16 v. H., 
Frauen 42 v. H.). Ein bevorzugter Platz kommt dem „moralischen Mut“ zu, der 
aber von Männern viel höher als von Frauen geschätzt wird (Männer 20 v. H:, 
Frauen 7 v. H.). 

11. Die Kurve der rein religiösen Gründe zeigt bei den Frauen einen 
gleichmäßigen Anstieg. Es scheint, als griffe das ethische Streben in diesen 
Jahren stärker in die praktische Wirklichkeit ein als das rein religiöse. Das 
rein religiöse Streben wird von 19 v. H. der Männer und 20 v. H, der Frauen 
betont. 

12. Reinen Geisteseigenschaften wird der höhere Tribut von Männern ge¬ 
zollt (Männer 26 v. H., Frauen 20 v. H.). 

13. Ehre und Ruh m werden wenig genannt, aber sechsmalso oft von Männern 
als von Frauen. 

14. Hohen Wert besitzen künstlerische Eigenschaften und zwar gleicherweise 
für Männer wie für Frauen (Männer 12 v. H., Frauen 12 v. H.); obenan steht die 
Lust zum Schriftstellern. 

15. Ein starker Sinn für das Nationale offenbarte sich durchweg bei 
den Untersuchten, mehr bei Männern als bei Frauen. Dabei macht sich ein 
starker Radikalismus geltend. Der nationale Geist scheint meist 
durch nationale Dichter, sehr wenig durch die nationale Geschichte ange¬ 
regt und gestärkt zu werden. 

16. Was die Wahl von Vorbildern des andern Geschlechts betrifft, so 
wählen 56 v. H. der Frauen männliche Ideale; die Kurve der Jahre 18—25 
für das weibliche Geschlecht verrät keine merkbare Tendenz. 
Nur ein Mann wählte ein weibliches Ideal. 


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Gäza Rt^vesz, Dm musikalische Wunderkind 


29 


Das musikalische Wunderkind. 

Von G6za Revesz. 

Heute, wo in Deutschland eine Anzahl von begeisterten Psychologen und 
Pädagogen das Ziel ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen in der Aus¬ 
arbeitung von Methoden und Regeln und in der Vorbereitung neuer Ein¬ 
richtungen erblickt, die eine systematische, auf wissenschaftlichen Prinzipien 
gegründete, und nicht vom Zufall abhängige Entfaltung der geistigen Kräfte 
der deutschen Nation ermöglichen soll, wird es von Interesse sein, wenn 
ich hier ein besonderes Thema behandle, dem derselbe Gedanke zugrunde 
liegt, wie dieser sozial-pädagogischen Strömung. 

Es ist endlich zur Überzeugung geworden, daß man sich von höherem 
kulturellen und sozialen Standpunkte aus nicht damit zufrieden geben darf, 
nur einfach zuzusehen, wo die Begabten zufällig einen der Betätigung ihrer 
Fähigkeiten angemessenen Platz finden möchten; es ist klar geworden, daß 
man Auslese, Auswahl, Richtung und Entfaltung der Begabten des Volkes 
nicht dem Spiel der launischen Willkür und des blinden Zufalls überlassen 
darf, was zur Vergeudung der unersetzlichen Kräfte der Nation führt, 
sondern am Ausbau einer Organisation mitwirken soll, deren Aufgabe es 
ist, das Begabungsproblem in seinem ganzen Umfang zu untersuchen, die 
Prinzipien und Methoden dieses Unternehmens festzustellen und über die 
Auswahl und geregelte Entfaltung der Begabten konkrete Vorschläge zu 
machen.*) 

« Zum Problem des Aufstiegs der Begabten gehört selbstverständlich auoh 
das Problem der höchstbegabten, das der genial veranlagten Kinder. Daß 
solche Kinder in der Tat, und nicht einmal so selten, Vorkommen, lehrt 
vor allem die Musikgeschichte. Der eigentliche Grund, warum hochbegabte 
Kinder eben besonders auf dem Gebiete der Musik auftauchen, wie es 
kommt, daß ein Kind zu so früher Zeit, da seine Kräfte noch der geistigen 
und körperlichen Entwicklung dienen müssen, trotz ungenügender Schulung 
in der Musik, durch seine schöpferische oder reproduktiv-interpretative 
Fähigkeit uns in Erstaunen setzen kann, ist noch nicht erforscht worden. 

In einer vor kurzem von mir veröffentlichten Arbeit, die der syste¬ 
matischen Untersuchung des kleinen ungarischen Komponisten und Pianisten 
Erwin Nyiregyhäzi gewidmet ist, habe ich die Frage etwas eingehender 
besprochen und ihre Lösung in der Natur der Musik selbst gesucht. 2 ) 
Wenn auch diese Frage noch nicht endgültig beantwortet ist, steht doch 
die Tatsache fest, daß wir in unserem ungarischen Volke eine niemals versiegende 
Quelle besitzen, aus der immerfort hervorragende künstlerische Talente 
hervorgehen. Aber wir dürfen den Reichtum, der uns so zufällt, nicht 
einfach hinnehmen und genießen, sondern er verpflichtet uns zugleich, diese 
Hoffnungskinder zu pflegen, zu bilden und uneigennützig der großen Welt 
zu schenken. Von diesem Schatz, der es uns möglich macht, mit eigenen 

‘) Über dieses Problem siehe besonders die Abhandlung von W. Stern: Die 
Jugendkunde als Kulturforderung. Diese Zeitschrift, Bd. 17, S. 273. 

*) G. Räväsz: Erwin Nyiregyhäzi: Psychologische Analyse eines musikalisch 
hervorragenden Kindes. Leipzig. Veit u. Co. 1910.' S. 14 ff. 


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30 


Göza Rävösz 


Augen zu schauen und selbst zu sammeln, habe ich den Antrieb empfangen, 
mich mit der Frage des musikalischen Talentes wissenschaftlich seit längerer 
Zeit zu beschäftigen, und so komme ich dazu, meine Ansichten über das 
musikalische Talent im allgemeinen, über sein Vorkommen im jugendlichen 
Alter, über die Prinzipien seiner Vorausbestimmung und endlich über das 
erwünschte Verhalten der Gesellschaft den großen Talenten gegenüber schon 
an diesem Ort kurz auszusprechen, bevor ich Gelegenheit nehme, meine An¬ 
sichten über diese Fragen in weiterem Rahmen ausführlicher zu entwickeln. 

Das erste, was uns bei dieser Frage auffällt, ist das Merkwürdige, daß 
nur Kinder mit außerordentlich musikalischer Begabung Wunderkinder 
genannt werden. Wird man aber diesen, nur auf das musikalische Gebiet 
bezogenen Begriff des Wunderkindes auch wissenschaftlich rechtfertigen 
können oder wird es sich nicht vielmehr ergeben, daß dieser Begriff sich 
nur aus oberflächlichen Betrachtungen .herausgebildet hat und daher für 
eine wissenschaftliche Begriffsbestimmung unbrauchbar ist? 

Leicfit wird es nun zu zeigen sein, daß in der vorwissenschaftlichen Form 
des Begriffes Wunderkind doch schon der Kern der Wahrheit liegt, wie 
ja so oft im Sprachgebrauch sich der eigentliche Sinn eines Wortes findet. 

Es muß nämlich als eine fast ohne Ausnahme geltende Regel angesehen 
werden, daß Kinder im frühesten Alter mit bemerkenswerten künstlerischen 
Leistungen ausschließlich auf musikalischem Gebiete hervortreten, während 
es uns nicht bekannt ist, daß Kinder auf anderen Kunstgebieten schon 
vor der Zeit der körperlichen Reife etwas Hervorragendes zu leisten ^ 
imstande gewesen wären. Raffael, dessen künstlerische Begabung — wie 
die zeitgenössischen Quellen berichten — ganz ungewöhnlich früh erwacht 
ist, entwirft seine ersten bedeutenderen Bilder erst im 15. und 16. Lebens¬ 
jahre. Ähnliches kann von anderen Künstlern gesagt werden, die duroh 
ihr frühzeitig entwickeltes Talent die Aufmerksamkeit ihrer Zeitgenossen 
erregten, wie z. B. Michelangelo, Rembrandt, Van Dyck, Dürer, Holbein der 
jüngere, Velasquez u. a. m., die aber alle erst in ihrem 17. bis 19. Lebens¬ 
jahre ihr echtes Talent zum Ausdruck brachten. — In der Geschichte der 
Wissenschaft kommt es noch viel seltener vor, daß die Begabung in 
unverkennbarer Weise schon zu einer Zeit, wo die geistige Entwicklung 
eigentlich noch recht weit von ihrer vollen Entfaltung steht, ihr Leben an¬ 
gekündigt hätte. Nur die Mathematik macht hiervon eine Ausnahme, da 
in den Jugendarbeiten der meisten berühmten Mathematiker nicht nur der 
mathematische Sinn, sondern schon reifes Talent sich kundgibt (Gauß, Abel, 
Galois, Bolyai). 

Die Richtigkeit der aufgestellten These, daß unter allen Künsten die 
Musik es ist, die ihre Talente so früh offenbart, kann durch eine große 
Anzahl von Beispielen aus der Musikgeschichte belegt werden. Hält man 
das vor Augen, so ist es nicht verwunderlich, daß man von musikalischen 
Wunderkindern zu sprechen pflegt. Man hat diesem entsprechend ein Kind 
dann als Wunderkind bezeichnet, wenn es auf irgendeinem Gebiete der 
musikalischen Betätigung, sei es auf künstlerisch-reproduktivem oder auf 
dem schöpferischen für seine jungen Jahre Außergewöhnliches leistete. Ganz 


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Das musikalische Wunderkind 


31 


unberechtigerweise pflegen manche unter sie auch solche Kinder einzumischen, 
die nur mit einem seltenen musikalischen Gedächtnis oder musikalischen 
Gehör ausgestattet sind. 

Dennooh ist das Wort Wunderkind auch in der ersten Bedeutung ge¬ 
nommen nicht untadelig. Denn was man beim Beurteilen der Begabung 
eines Kindes festzustellen sucht, ist ja seine Leistung im Verhältnis zum 
Alter. Überragt sie die durchschnittliche ihres Alters wesentlich, so hat 
man ein Bolches Kind wohl ein Wunderkind genannt. Allein was sich in 
einer solchen relativ-großen Leistung äußert, ist zunächst nur ein VorBprung, 
und begründet als solcher jene Bezeichnung noch nicht. Denn daß ein Kind 
nach gewissen musikalischen Fähigkeiten den Anforderungen entspricht, die 
an ältere musikalisch veranlagte Kinder gestellt werden, hat mit über¬ 
normaler Begabung nichts zu tun. Und sogar wenn ein Kind in seinen 
musikalischen Leistungen nicht nur seinen Altersgenossen, sondern auch 
den normal begabten Erwachsenen gegenüber Überlegenheit beweist, weist 
noch nicht auf eine besonders ausgeprägte, nur hochpotenzierte Be¬ 
gabung. Es kann aber weder die Vorentwicklung noch die relative Über¬ 
normalität das bedeutende Attribut Wunderkind rechtfertigen. 

Das Wunderbare liegt weder darin, daß sich die musikalische Begabung 
in der zarten Jugend äußert, noch in dem raschen Tempo ihrer Entwick¬ 
lung; das Wunderbare liegt allein in der schöpferischen Entfaltung, 
des Geistes; wir bewundern an Gott und an Menschen nur die 
Schöpfung. — Die Grundvoraussetzung ist also stets die schöpferische 
Gestaltungskraft, gleichviel ob diese sich in künstlerisch-reproduktiver 
oder in kompositorischer Richtung äußert. Da aber das Wunderbare der 
Leistung nicht darin liegt, daß ein Kind sie vollführt, sondern darin, daß 
sie überhaupt erscheint, so muß das Wunderbare in der Ursprünglichkeit 
des Talentes, in der Empfindung, im künstlerischen Willen und Schaffens¬ 
trieb gesucht werden. Ob ein musikalischer Gedanke von einem Fände 
oder von einem Erwachsenen genial ausgeführt wird, bleibt sich vom rein 
künstlerischen Standpunkte aus gleich. Ein künstlerisch begabtes Kind am 
Klavier kann auf uns wohl einen Zauber ausüben, wir können an ihm 
seine Virtuosität, seinen Ernst, seine Hingebung, seine reiche Anlage be¬ 
wundern, aber das eigentlich Wunderbare bleibt doch allein seine künst¬ 
lerische Leistung, wozu ihm alle die Qualitäten dienen. Also von einem 
Wunderkind sprechen wir da, wo wir das Wunderbare in einem Kinde 
finden. Damit ist zugleich gesagt, daß ein Kind mit besonderen technischen 
Fertigkeiten ebensowenig Wunderkind genannt werden darf, wie jemand 
mit großem Zahlengedächtnis und mit hervorragender Leistungsfähigkeit 
in arithmetischen Operationen den Titel eines bedeutenden Mathematikers 
verdient. 

Es erhebt sich nun die wichtige Frage, wie ein musikalisch anscheinend 
besonders begabtes Kind nach der Bedeutung seines Talentes zu be¬ 
urteilen sei. 

Kann man die Leistungen eines Kindes ohne jegliche Rücksicht auf das 
Alter mit den Kunstleistungen der großen Künstler vergleichen, wie man 
das bei dem kleinen Mozart und Liszt konnte, — so hat man zur Bestim- 


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Göza R4vösz 


qjung des Talentes keine besondere Methode nötig, man mißt es mit dem 
Maßstabe, nach dem man Meister beurteilt. 

Ganz anders müssen wir jedoch Vorgehen, wenn es sich um Jugend¬ 
leistungen handelt, die den Forderungen, die wir an eine Arbeit von echtem 
künstlerischen Wert zu stellen haben, noch nicht in vollem Maße ent¬ 
sprechen. Bei solchen Fällen kommt der musikverständige Psychologe 
zuerst zu Wort, hier muß der Musiker die Beurteilung des Talentes dem 
Psychologen überlassen. Denn der Kunstkritiker wird bei Beurteilung 
künstlerischer Betätigungen ausschließlich durch ästhetische Prinzipien ge¬ 
leitet, die zum größten Teil auf Ansobauung und Studium von Meister¬ 
werken gegründet sind. Bei dieser Wertung ästhetischer Gegenstände 
können oder vielmehr dürfen psychologische oder gar psychogenetische 
Motive nicht mitreden. Sollen aber Jugendwerke und durch Kinder aus¬ 
geführte musikalische Interpretationen nicht nach dem absoluten Werte, 
sondern nach der Größe und Bedeutung der darin zum Ausdruck kommenden 
Keime beurteilt werden, dann rücken mannigfache andere Gesichtspunkte 
in den Vordergrund. 

Bei Beurteilung kompositorischer Fähigkeit müssen Umstände berück¬ 
sichtigt werden, auf welche bei einem erwachsenen Komponisten niemals 
zu achten nötig ist. Man wird sich zu einem Kinde ganz anders stellen 
müssen, als zu einem Fertigen, wenn es aus einer fremden Quelle schöpft, 
wenn es in der Auswahl und Umformung bekannter Elemente nicht immer 
selbständig verfährt, wenn es gegen die konventionellen Regeln der Schule 
verstößt. Denn die Fehler, die aus Mangel an Kenntnissen entstehen, 
haben mit dem Talent eines Kindes nichts zu tim. Wir müssen die Ge¬ 
dankenfülle, die Erfindung, den Schaffensdrang würdigen. Denn reine 
Harmonie, durchsichtige Form, korrekter Satz, kontrapunktische Sicherheit 
können erlernt werden; ein reiches musikalisches Gemüt aber, Erfindungs¬ 
gabe, Kunstgeschmack, poetischer Schwung sind Vorzüge des großen Talentes, 
die nicht angeeignet werden können. Daraus ergibt sich, daß Jugendwerke 
stets im ganzen behandelt und beurteilt werden müssen, und besonderes 
Gewicht auf den Vergleich von Werken verschiedener Epochen zu legen 
ist, um auch den Fortschritt erkennen zu können. 

Ähnlich müssen wir bei einem Kind als Virtuosen Vorgehen. Nur darf 
man sich hier niemals von der technischen Fertigkeit, von der oft unglaub¬ 
lichen Beherrschung instrumentaler Schwierigkeiten bestimmen lassen. Die 
Hauptsache ist auch hier der Stil, die Ruhe, die Überlegtheit, das 
Schöpferische in der Interpretation, die Musikalität und die Be¬ 
ziehung zu der Musik und zu den Meisterwerken, die das Kind bei der 
Auffassung und Darstellung von Tonwerken zum Ausdruck bringt. Nicht 
die Virtuosität, sondern die allumfassende Musikalität muß bei der Be¬ 
urteilung des ausübenden Künstlers den Ausschlag geben. 

In einer Zeit jedoch, wo die kompositorische und reproduktive Fähigkeit 
eines Kindes noch auf der Stufe der beginnenden Blüte steht, und in Fällen, 
wo die gegenwärtigen künstlerischen Leistungen weder eine zureichende 
Grundlage für die Begabungsbestimmung, noch genügende Bürgschaft für 
die Prognose bieten können, müssen noch andere musikalische Eigenschaften 


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Das musikalische Wunderkind 


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und soweit es möglich auch diese in ihrer Entwicklung zur Untersuchung 
herangezogen werden. — Vor allem ist es notwendig, das musikalische 
Gehör in allen seinen Äußerungen, das .musikalische Gedächtnis, die Fähig¬ 
keit in Transponieren, Improvisieren, Modulieren, und Vom-Blatt- 
Spielen genau zu studieren. Wenn man nun zu diesen großenteils exakt 
durchführbaren Untersuchungen noch die Beobachtung des psychischen Ver¬ 
haltens bei musikalischer Betätigung hinzufügt, ferner des Kindes Beziehung 
zu den großen Meistern der Musik zu erkennen sucht, dann erst kann man 
aus all diesen Qualitäten das Bild der musikalischen Persönlichkeit 
des Kindes entwerfen. — Ob nun gleich für die Bestimmung der musi¬ 
kalischen Begabung dadurch das meiste sohon gewönnen ist, sollen wir 
dooh nicht, bevor wir einen Blick auf die Persönlichkeit im allgemeinen 
geworfen haben, ein endgültiges Urteil über das Wunderkind abgeben. 
Dazu müssen Beobachtungen gesammelt werden über Intelligenz, Lernbe¬ 
dürfnis, Auffassung und Bildungsfähigkeit, Interesse, und vor allem über 
die Künstlernatur des Kindes, die doch den am meisten charakteristischen 
Zug der Persönlichkeit bildet. 

Nun zuletzt noch einige Worte darüber, wie sich die Gesellschaft den 
Wunderkindern gegenüber zu verhalten hätte. 

In jeder beobachtenswerten Begabung, die ein Mensch mit auf die 
Welt bringt, liegt — wie Stern es betont — ein Anspruch, daß ihm zur 
Entwicklung und zur Verwertung der Begabung alle angemessenen Mög¬ 
lichkeiten gewährt werden. Bei einem ganz hervorragenden Talent gilt das 
noch in ganz besonderem Maße. Die Verpflichtung der Gesellschaft soll 
aber auf Grund ethisoher und pädagogischer Prinzipien erfaßt werden. 
Die Gesellschaft ist keineswegs nur dazu verpflichtet, die materielle Lage 
des Kindes zu sichern, auch hat sie keineswegs die Aufgabe, mit einer 
nervösen Peinlichkeit immer darauf zu achten, daß das Kind mit der harten 
Seite des Lebens niemals in Berührung komme: sie ist vor allem dafür 
verantwortlich, ob dem Kinde die moralische und menschliche Er¬ 
ziehung zuteil wird, die von der höheren Kulturgemeinschaft gefordert 
und von einer dahin zielenden Erziehung erreicht werden kann. 

Wenn man die Entwicklung der musikalischen Wunderkinder und sogar 
die der Musiker überhaupt verfolgt, so enthüllen sich die richtigen Er¬ 
ziehungsmaßnahmen für genial veranlagte Kinder von selbst. Vor allem 
darf die geistige Entwicklung des Kindes nioht zu rascherem Tempo an¬ 
getrieben werden, damit daraus kein Rückschlag auf das körperliche Wachs¬ 
tum erfolge, was wieder eine unheilvolle Rückwirkung auf die psychisohen 
F unk tionen ausüben müßte. Ferner darf man nicht dazu beitragen, daß 
das ursprünglich einseitige Interesse für die Musik noch absichlich einge¬ 
engt werde; vielmehr ist es im Interesse der gleichmäßigen Entfaltung aller 
geistigen Qualitäten sogar vorteilhaft, das musikalische Interesse bisweilen 
zurückzudrängen. 

Ein Kind muß sich normal entwickeln. Jede Periode der Kindheit hat 
ihre eigene Aufgabe, ihr eigenes Ziel, ihre eigenen Anforderungen. Alle 
Abschnitte des kindlichen Lebens normal, unbeschleunigt zu durchlaufen 
und in jeder Früchte zu ernten, ist deshalb die wesentliche Bedingung für die 

Zeitschrift f. pBdagog. Psychologie. ® 


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G6za Rävösz, Das musikalische Wunderkind 


harmonische Entfaltung der geistigen Kräfte des Menschen. Dazu gehört 
aber, daß die eigentliche künstlerische Erziehung nicht allzufrüh ihren An* 
fang nehme und auf die Aneignung nichtmusikalischer Kenntnisse keinen 
hemmenden Einfluß ausübe. Denn Geist und Gemüt des Künstlers müssen 
behutsam und sorgfältig gebildet werden, und die Bildung eines Künstlers 
muß von mannigfacher Art sein. Darum muß neben der ernsten, strengen 
künstlerischen Erziehung auoh für Aneignung spezieller und allgemeiner 
sonstiger Bildung Sorge getragen werden; denn der Künstler ist nur eine 
Offenbarungsweise des Menschen. Darum ist es der Mensch, der in ihm 
gebildet werden muß. 


Ein unterriohtspsychologiseher Grundsatz über 
die Aneignung verweehselbarer Begriffe. 

Von Otto Ohmann. 

In verschiedenen Unterrichtsfächern,, besonders in der Mathematik und den 
naturwissenschaftlichen Lehrfächern, bringe ich seit mehr als zwei Jahrzehnten 
ein Prinzip zur Anwendung, das sich in mnemotechnischer Hinsicht als sehr 
nützlich erwies. Ursprünglich war es meine Absicht, dieses didaktische Prinzip 
im Zusammenhang mit einer physiologisch gearteten Theorie der für den Unter¬ 
richt wichtigsten psychischen Erscheinungen zu geben und es so als einen Unter¬ 
fall eines allgemeinen Gesetzes darzustellen, — der Umstand jedoch, daß diese 
Arbeit unter den Händen bedenklich aawuchs und sich von dem geplanten 
Abschluß eher entfernt als sich ihm nähert, sowie der weitere Umstand, daß 
inzwischen von anderer Seite Untersuchungen veröffentlicht wurden, die mit 
jener geplanten Theorie gewisse Berührungspunkte haben — wir denken ins¬ 
besondere an die Arbeiten von R. Semon und M. Verworn —, veranlassen mich, 
das Prinzip einstweilen abzutrennen und es ohne jene physiologische Begründung 
oder nur unter kurzer Andeutung einzelner Punkte derselben zu bringen. 

Bei dem heutigen Stande der Gehirnforschung kann man sich nicht mehr dem 
Verdachte einer mechanistischen Weltauffassung aussetzen, wenn man aner¬ 
kennt, daß mit jedem geistigen Vorgang ein bestimmter physischer, der Haupt¬ 
sache nach chemisch gearteter Vorgang verknüpft ist. Die- Grundansohauung 
des sog. „psycho-physischen Parallelismus“ wird jetzt wohl kaum nooh in Zweifel 
gezogen. Dementsprechend ist auch bei der Aneignung eines neuen Begriffes 
—.denken wir der Einfachheit halber nur an eine fremdsprachliche Vokabel — 
eine bestimmt umschriebene Neubildung im Gehirn anzunehmen. Der Sitz 
solcher Neubildungen ist unzweifelhaft die Großhirnrinde. Das Resultat des 
abgeschlossenen Vorganges, bei dem ein neuer Begriff in unserm Gedächtnis 
zur Aneignung und dementsprechend zur Ausbildung in unserem Gehirn gelangt, 
nenne ich eine Akkreszenz. Es ist für die Sache selbst nioht von Belang, 
ob man annimmt, daß es sich bei dem Vorgänge um eine Neubildung im Sinne 
einer bloßen Umformung der dafür prädestinierten Nervenelemente im Ge¬ 
hirn handelt oder ob man eine Neubildung im Sinne einer Umformung nebst 
Vermehrung — also etwa umgeformte Nervenelemente plus festgehaltenen 


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Otto Ohmann, Ein unterrichtapsychologiacher Grundsatz usw. 


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und mitverarbeiteten Blutbestandteilen — als vorliegend erachtet. Im ersteren 
Falle — den ich für den unwahrscheinlicheren halte, der aber dem üblichen 
Bilde des „Einprägens“ oder des „Eindrucks“ mehr entsprechen würde — wäre 
der Ausdruck „Inkreszenz“ geeigneter. Ohne Zweifel dürfen wir den erwähnten 
Vorgang, besonders in Anbetracht der dazu erforderlichen Energie, den Wachs¬ 
tumsvorgängen zurechnen; denn es findet, zumal wenn wir die ontogenetische 
wie auch die phylogenetische Entwicklung des Gehirns bedenken, ein wirkliches 
cresoere statt. Und da es sich bei dem Vorgänge um ein Hinzukommen von 
etwas Neuem zu bereits Vorhandenem handelt, so ist sprachlich auch das ad 
wohl auf alle Fälle gerechtfertigt. Wir haben cs also bei einer solchen Akkr es zen z 
mit einer spezifischen Neubildung in dem betreffenden Gehimteile zu tun, 
die wir trotz des unlösbaren Zusammenhanges mit dem übrigen doch in ihrer 
Isolation auffassen können. Des weiteren ist sicherzustellen, daß eine solche 
Akkreszenz nach ihrem Entstehen beliebig oft erregt werden kann, um da¬ 
mit, je nach dem Grade der Erregung ins Unterbewußtsein oder als Vorstellung 
ins eigentliche Bewußtsein zu treten. Schließlich ist aus der erwähnten Theorie 
vorwegzunehmen, daß zeitlich ziemlich weit auseinanderliegende Einwirkungen 
der geschilderten Art auch räumlich getrennt sind, d. h. zu verschiedenen, 
räumlich mehr oder weniger getrennten Akkreszenzen führen. 

Es sei noch einmal betont, daß wir mit diesen Anschauungen und Vergleichungen 
nicht den Boden der Erfahrung verlassen, sofern wir uns bewußt bleiben, daß wir 
damit nur nach einem Hilfsmittel zum besseren Verständnis der psychischen Er¬ 
scheinungen ausschauen und nur das bestimmte Korrelat eines geistigen Vor¬ 
ganges zu erfassen suchen, und sofern wir uns von der materialistischen Ansicht, 
das Gedankliche aus dem Materiellen ableiten zu können, entschieden fernhalten. 

. Vielfach habe ich nun — sowohl durch Erfahrungen an der eignen Psyche, 
aber noch in viel höherem Maße durch Erfahrungen an anderen, zumal im Unter¬ 
richt an den Schülern — die Beobachtung gemacht, daß eine solche Akkreszenz 
sicherer entsteht, vor allem später sicherer wiedererregt wird, wenn sie in mög¬ 
lichster Einfachheit und Klarheit für sich allein bewirkt wird, d. h. also, 
wenn ein sonst naheliegender Begriff, sei es ein gleichartiger oder gegensätzlicher, 
nicht gleichzeitig oder, genauer, nicht unmittelbar danach zur Ausbildung 
gebracht wird. Es möge dies an einigen Beispielen, zunächst aus dem mathemati¬ 
schen und naturwissenschaftlichen Unterricht, näher erläutert werden. 

Handelt es sich im ersten geometrischen Unterricht um die Einprägung 
der Namen für die Seiten des rechtwinkligen Dreiecks, so werde einstweilen nur 
festgesetzt: „Die den rechten Winkel einschließenden Seiten werden Katheten 
genannt.“ Allein von diesem Neunen läßt man also die Akkreszenz sich bilden, 
den Namen der Hypotenuse schaltet man ganz aus; bedarf man seiner, etwa 
bei einer Konstruktionsaufgabe, so heißt sie einfach „die Seite c“ oder „die dem 
rechten Winkel gegenüberliegende Seite“. Erst nach Wochen, gegebenenfalls 
erst nach Monaten, nachdem mit dem Begriff Kathete wiederholt operiert 
worden ist, wird die Akkreszenz für den Begriff Hypotenuse gebildet. Auf 
dieseWeise habe ich es bei mehr als einer Generation erreicht, daß diese sonst von 
den Schülern so häufig verwechselten Namen niemals einer Unsicherheit bei 
der Reproduktion unterlagen. — Ein mehr beiläufiger, aber immerhin schätzens¬ 
werter Vorteil dieses Verfahrens besteht in diesem besonderen Falle noch darin, 

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Otto Ohmann 


daß man so die Orthographie des Namens Kathete fest zur Einprägung bringt; 
die leidigen Verwechslungen hinsichtlich des „t“ und „th“ kommen gar nicht 
in Frage, da der Name der Hypotenuse noch gar nicht berührt worden ist. — 
Etwas Ähnliches ist es mit den Begriffen Supplementwinkel und Komple¬ 
mentwinkel. Werden beide zugleich im Zusammenhänge erörtert, so gibt es 
ewige Verwechselungen. Wird dagegen erst nur der im Lehrgänge zunächst 
gelegene Begriff des Supplementwinkels — als des Winkels, der einen gegebenen 
Winkel zu 2 Rechten ergänzt — erörtert, und der andere Begriff peinlich vermie¬ 
den, so wächst sich die zugehörige Akkreszenz mit umso größerer Sicherheit aus, 
je länger man mit diesem Begriff allein arbeitet. Wird später der Begriff Komple¬ 
mentwinkel gelegentlich hinzugenommen, so bildet der zuerst eingelerote Begriff 
i mm er eine sichere Stütze, und Verwechslungen sind so gut wie ausgeschlossen. 
— Beiläufig sei bemerkt, daß man über die Berechtigung, diese Fremdwörter 
überhaupt beizubehalten, natürlich verschiedener Meinung sein kann. Es ist 
aber mißlich und schleppend, das Wort Supplementwinkel durch „Ergänzungs¬ 
winkel zu zwei Rechten“ oder „E. zu einem Gestreckten“ oder „E. zu 180** 
zu ersetzen; das Wort „Ergänzungswinkel“ allein reicht auf keinen Fall aus. 
Das Substantiv „Supplement“ halte ich daher, besonders auch wegen des Ad¬ 
jektivs „supplementär“ für entschieden nützlich, z. B. auch, wenn in Kopfrechen¬ 
aufgaben zu einem nach Winkelgraden gegebenen Winkel die erwähnte Ergänzung 
aufgesucht werden soll, die dann zuletzt zu dem allgemeinen Ausdruck „2 R — a“ 
führt. Wir wollen überhaupt in der Mathematik und auch in den Fachwissen¬ 
schaften mit dem Ausmerzen der oft so inhaltreichen und ins Schwarze treffenden 
Fremdwörter recht vorsichtig sein. Es wäre falsch, sie einem Prinzip zuliebe, 
das hinsichtlich der allgemeinen Umgangssprache seine volle Berechtigung hat 
und in dem gegenwärtigen Weltkriege mit Recht bei uns wieder neu belebt wird, 
auch dort ausmerzen zu wollen, wo sie wegen ihrer Kürze oder wegen ihres Inhalts 
zu größerer Klarheit und zu erwünschter Einfachheit im Ausdruck und damit 
auch zu größerer Leichtigkeit bei der Reproduktion führen. 

In der Physik geben die Begriffe konvex und konkav, bzw. plankonvex, bi¬ 
konkav usw. häufig zu Verwechselungen Anlaß. Hier lasse man zuerst nur von 
der konvexen bzw. bikonvexen Linse die Akkreszenz sich bilden und vermeide 
peinlich die Erwähnung des gegensätzlichen Begriffes. Erst wenn lange Zeit 
nur mit dieser Akkreszenz gearbeitet ist, gehe man zur Ausbildung der Akkreszenz 
„konkav“ über. Nunmehr prägt sich diese als Gegensatz gleichsam von selbst 
ein. Und wenn jetzt gelegentlich einer von beiden Begriffen auftritt, so bietet 
jene zeitlich zuerst gebildete Akkreszenz einen ganz sicheren Anhalt. Auf diese 
Weise sind Verwechselungen leicht auszuschließen, zumal wenn man die Bildung 
der Akkreszenz konkav durch Einlemen der Vokabel cavus = hohl -noch zweck¬ 
mäßig verstärkt. Nicht selten glaubt man aber recht anschaulich und systematisch 
zu verfahren, wenn bei der Behandlung der Linsen im Anfang der Satz aufgestellt 
wird „man unterscheidet zwei Hauptarten von Linsen, konvexe und konkave** 
und wenn nun durch Zeichnungen beide Arten nebeneinander gestellt und weiter 
erläutert werden. Durch solches Aferfahren wird den Verwechslungen Tür und 
Tor geöffnet. 

In der Chemie werden anfänglich oft die Umfärbungen, die man mit den 
Ausdrücken „saure“ und „basische“ Reaktion bezeichnet, miteinander ver- 


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Ein unterrichtspsychol. Grundsatz über die Aneignung verwechselb. Begriffe 37 


wechselt. Auch hier erweist es sich als sehr nützlich, möglichst lange nur die 
methodisch zunächst gelegene „saure“ Reaktion, die Umfärbung des käuflichen 
blauen Lackmusfarbstoffes in Rot, als Versuch vorzunehmen, bzw. in Schüler - 
Übungen vornehmen zu lassen. Ist diese Reaktion durch wiederholte Versuche 
genügend anschaulich erfaßt, so führt die Hinzunahme der entgegengesetzten, 
der alkalisdien Reaktion, zu keinerlei Schwierigkeiten, zumal wenn man sie nur 
als eine restitutio in integrum, also als bloße Rückfärbung, oder als Aufhebung 
der sauren Reaktion hinstellt 1 ). Dieses Verfahren führt seihst dann nicht zu Ver¬ 
wechselungen, wenn man alsbald eine zweite charakteristische alkalischeReaktion, 
die Umfärbung der farblosen Phenolphthaleinlösung in Rot dazunimmt. 

In den Sprachen spielen die Verwechselungen zwischen ähnlich klingenden 
Wörtern eine ziemlich große Rolle, und mancher stille Seufzer entsteht dabei 
sowohl bei den Extemporale-Schreibenden wie auch beim Korrigierenden. Metior 
und mentior, cado und caedo, und rp£90, ou und oüsind ein paar Beispiele. 

Auch hier ist es immer nützlich, einstweilen nur von der einen der beiden irgendwie 
zusammengehörigen Vokabeln die Akkreszenz zu erzeugen — man wird dazu 
die wichtigere, die häufiger gebrauchte wählen — und längere Zeit nur sie in den 
Übungen zu verwenden. Tritt dann nach einem angemessenen Zeitraum der 
andere Teil des Wortepaares hinzu, so bietet wiederum die zeitlich zuerst gebildete 
Akkreszenz den sicheren Anhalt und schützt vor der Verwechselung. Dieses 
Verfahren empfiehlt sich auch dann noch, wenn es zu dem einen Teil des Worte¬ 
paares eine mnemotechnische Hilfe gibt, in ähnlicher Weise wie oben bei den Be¬ 
griffen konkav und konvex. Bei dem ersterwähnten Wortepaar z. B. ist solche 
Hilfe darin gegeben, daß man beim Einlernen des Wortes metior an das beim 
Messen verwendete Meter erinnert (oder auch noch an Dimension, falls dieser Be¬ 
griff in der Mathematik bereits aufgetreten ist); bei cado und caedo liegt die Hilfe 
in dem Gleichklang mit den Worten „ich falle“ und „ich fälle“. Bei vielen Woite- 
paaren existiert aber eine solche Hilfe nicht, bei diesen wird dann daB empfohlene 
Verfahren besonders wichtig. Von vornherein das Wortepaar aufzustellen, ist 
jedenfalls durchaus zu widerraten. 

Diese Beispiele genügen wohl, um das dem Verfahren zugrundeliegende didakti¬ 
sche Psinzip genauer zu formulieren. Es möge in zwei Fassungen aufgestellt 
werden: 

„Prinzip der zeitlichen Trennung zweier verwechselbarer Begriffe. 

tr Zwei Begriffe, die in einem derartigen Zusammenhänge zueinander stehen, 
daß bei der Reproduktion des einen eine Verwechselung mit dem anderen nahdiegt, 
dürfen nickt gleichzeitig, d. h. nicht in unmittelbarem Zusammenhang mitgeteilt 
werden, sondern müssen einzeln und zeitlich ziemlich weit voneinander getrennt 
zur Ausbildung gelangen. 

Oder: 

Prinzip der primären Akkreszenz. 

Bei der Übermittelung zweier ähnlich klingender oder sonstwie zusammen¬ 
gehöriger und verwechselbarer Begriffe ist zunächst immer nur die Akkreszenz 


l ) Diese Art der Behandlung ist durchgeführt in des Verf. „Leitfaden der Chemie 
und Mineralogie“ (Berlin, Verlag von Winckelmann u. Söhne, 6. Aufl., 1916), der auch 
im übrigen nach einem streng aufbauenden Lehrverfahren angelegt ist. 


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Otto Ohmann 


des einen — und zwar des dazu am meisten geeigneten — Begriffes und erst 
nach längerer Zeit die des anderen zu bewirken. 

Nun glaub3 ich — zumal hinsichtlich der gleichklingenden Wörter — ver¬ 
schiedene Stimmen zu vernehmen: „Wie bringen die verwechselbaren Dinge 
absichtlich gleichzeitig; dadurch daß wir die Schüler zwingen, sie nun doch aus¬ 
einanderzuhalten, üben wir ihr Gedächtnis und schärfen wir ihren Verstand.“ 
Diesen Stimmen halten wir entgegen: Den Verstand der Schüler scharfen wir 
hauptsächlich durch Übungen in der Wiedergabe klar umgrenzter Begriffe und 
durchAufsuchen logischer Beziehungen, aber nicht durch mühsameUnterscheidung 
von Begriffen und Worten, die durch Gleichklang nur eine Beziehung Vortäuschen, 
und bei deren Aufstellung der Zufall eine mehr oder minder große Rolle spielte; 
das gleichzeitige Einprägen und dann folgende mühsame Unterscheiden bedeutet 
ferner nur eine Belastung des Gedächtnisses, keine Übung. Bei der heutigen, 
so unermeßlich angewachsenen Fülle des wirklich Wertvollen müssen wir aber 
möglichst auf Entlastung bedacht sein. 

In einem neueren Lehrbuch der französischen Sprache findet sich z. B. folgende 
Zusammenstellung: 

le mfrnoire, die Denkschrift la memoire, das Gedächtnis 

le voile, der Schleier la voile, das Segel 

le manche, der Stiel la manche , der Ärmel 

le tour, der Umgang, der Streich la tour, der Turm 

le page, der Edelknabe la page, die Seite. 

Diese kleine Tabelle wurde natürlich den Schülern (der Untertertia) mit einem 
Male zur Einprägung aufgegeben — gewiß ganz in Übereinstimmung mit den Ab¬ 
sichten des Lehrbuchverfassers. Es ist aber klar, daß bei diesem Verfahren 
allen Verwechselungen Vorschub geleistet wird, daß bei der Reproduktion Un¬ 
sicherheit die Regel bildet, wenigstens daß wirkliche Sicherheit nur mit erhöhtem, 
der ziemlich belanglosen Sache nicht entsprechendem Energieaufwand erreicht 
wird. 

Soll nun das doch immerhin Zusammengehörige ganz getrennt werden? — 
Durchaus, wenigstens sofern es sich um die erste Einprägung handelt. Da sind 
zunächst die wenigen wirklich wichtigen Vokabeln für sich mit ihrem 
Genus zu lernen, wie irgendwelche anderen Teile des Vokabelschatzes. Da¬ 
nach, aber ziemlich viel später, mögen sie mit der zweiten Bedeutung und dem 
anderen Genus ruhig tabellarisch nebeneinander gestellt werden. Wie das im 
einzelnen und in ähnlichen Fällen auf sprachlichem Gebiet durchzuführen ist, 
dürfen wir getrost den philologischen Verfassern überlassen. Wer von der Richtig¬ 
keit des Prinzips überzeugt ist, wird unschwer Mittel und Wege finden, es in der 
Grammatik und anderen Lehrbüchern angemessen zur Geltung zu bringen. Einst¬ 
weilen wird es genügen — im Vertrauen darauf, daß der Schüler von seinem an¬ 
geborenen Rechte, nicht mehr zu lernen als verlangt ist, schon ausreichenden Ge¬ 
brauch machen wird — von solchen Wortepaaren nur die einzelnen wichtigeren 
Vokabeln mit ihrem Genus unterstreichen und lernen zu lassen. * 

Man wende nicht ein, daß in diesen und ähnlichen Fällen die Schüler sich 
doch so viel mit den Dingen beschäftigen müssen, daß sie schließlich die genügende 
Sicherheit von selbst erwerben. Für viele Schüler, nicht einmal immer für die 
Mehrzahl, soll das zugegeben werden. Das Prinzip soll aber gerade über die ersten, 


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Ein unterrichtepsychol. Grundsatz über die Aneignung verwechselb. Begriffe 39 


sich so häufig einstellenden Unsicherheiten hinweghelfen, es soll hier einer Energie- 
Verschwendung Vorbeugen, es soll den Zeitraum des Schwankens abkürzen oder 
überhaupt auf Null reduzieren. — Es sei hier eine Reminiszenz eingeflochten, 
die vielleicht besser als manches andere den Wert des Prinzips zu illustrieren 
vermag. Es war in der Untertertia eines Gymnasiums; ich unterrichtete Geo¬ 
metrie und hatte die Jungen in das rechtwinklige Dreieck mit seinen Benennun¬ 
gen dem Prinzip entsprechend so eingeführt, wie es oben bereits näher dargelegt 
wurde — als eines Tages der Direktor (ein klassischer Philologe) unerwartet eintrat. 
Nach längerem Zuhören ergriff er selbst das Wort. Wie schreibst du das Wort 
Kathete ? Der gefragte Junge buchstabierte es richtig. Schreibe du es mal an 
die Tafel, befahl er einem anderen Schüler. Der Junge schrieb es richtig. Wie 
schreibst du das Wort, fragte er einen anderen Schüler, gleichsam als ob es sein 
Vorgänger falsch geschrieben hätte. Auch dieser Schüler schrieb es richtig. Das¬ 
selbe Manöver wurde mit der Hypotenuse durchgeführt. Immer machten es 
die Jungen richtig, und der Direktor schien keineswegs darüber erfreut zu sein. 
Da ich mit den Jungen aber auch noch die Kegel repetiert hatte, daß die mit 
der gesprochenen Silbe „lieh“ endigenden Adjektiva mit „ig“ geschrieben 
werden, sobald das „ 1 “ dem Stammwort angehört — eine Regel, die den meisten 
gänzlich entfallen war — und nun der Direktor einen Schüler aufforderte, das 
Wort „gleichschenklig“ an die Tafel zu schreiben, was ohne Fehler geschah, 
richtets er nur noch die Frage an den Schüler, ob er „es auch genau wüßte“, 
daß das Wort so geschrieben werde, und verließ, als der Schüler auch dies be¬ 
jahte, statt mit Befriedigung, mit einem deutlichen, mir ganz unerklärlichen 
Unmut, um nicht zu sagen, mit Enttäuschung, das Zimmer. Erst viel später 
wurde mir klar, daß ich bei ihm ein Dogma zerstört hatte; nämlich, als er mir 
gelegentlich mitteilte, daß er wiederholt bei Mathematikern dieselbe Probe 
im Unterricht vorgenommen hätte und niemals eine durchgängig richtige 
Schreibweise dieser Worte erlebt hätte. 

Wer sich mit dem oben formulierten didaktischen Prinzip vertraut macht, 
wird eine erhebliche Zahl von Anwendungen in allen Unterrichtsfächern auffinden. 
Wir wählten hier absichtlich recht elementare aus, weil sich an ihnen die An¬ 
wendbarkeit am einfachsten darlegen läßt. Auch weiterhin beim wissenschaftlichen 
Lehren, auch beim Abfassen jedweden Lehrbuches, nicht zuletzt hinsichtlich 
der Ausbildung der eigenen Psyche, kann es zum nützlichen Wegweiser werden. 
Insbesondere, so hoffen wir, wird es dazu beitragen, dem Faktor Zeit im Unter¬ 
richt mehr zu seiner Bedeutung zu verhelfen. Bei allem Lehren handelt es sich 
um den richtig vollführten Anbau der jugendlichen Psyche, die wie ein aufnahme- 
bereites Feld vor uns liegt. Bei diesem Anbau handelt sich es aber nicht nur 
um ein bloßes Ausstreuen von Samenkörnern. Dt» Bild des Säemanns — so 
sympathisch es uns Unterrichtenden auch sein mag — paßt mehr für den VortragB- 
redner und den Pfarrer, weit weniger für den Unterrichtenden. Auf ihn paßt 
mehr das Bild des Forstmannes oder Gärtners, der nicht schnell Samen in die 
Furchen einstreut, sondern junge, bereits angekeimte Pflanzen einzeln, langsam 
und mit Bedacht einpflanzt. Denn jedweder Begriff, der für wertvoll genug 
befunden wird, um im Unterricht übermittelt zu werden, ist schon etwas derartig 
Zusammengesetztes. Der Unterrichtende hat, um im Bilde zu bleiben, genau 
suszulesen, was er pflan2t, und hat genau zu bedenken, wann und wo er es 


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Otto Ohmann, Ein unterriohtapayohologisoher Grundsatz usw. 


pflanzt. Gerade auf den richtigen Zeitpunkt kommt es zuweilen entscheidend 
an. Besonders beim Beginn eines neuen Unterrichtsgebietes ist die Ausbildung 
der ersten Akkreszenzen mit peinlicher Sorgfalt vorzunehmen. Denken wir 
etwa, hinsichtlich des mathematischen Unterrichts, an die Trigonometrie, vor¬ 
erst an die goniometrischen Formeln, so entspricht es dem Sinn des aufgestellten 
Prinzips, nicht gleich die vier gewöhnlichen Winkelfunktionen, sinus, cosinus, 
tangens und cotangens, aufzustellen — häufig genug findet man in Lehrbü¬ 
chern gleich im Anfang diese Zusammenstellung — auch nicht e inm al zwei, 
den sinus und cosinus, sondern sich längere Zeit nur mit der Sinusfunktion eines 
Winkels zu beschäftigen. Der damit verknüpfte kleine Zeitverlust wird durch 
die damit gewonnene größere Sicherheit reichlich aufgewogen. Es entspricht 
weiter dem Sinn des Prinzips, diese ersten Akkreszenzen — sobald nämlich noch 
die Cosinusfunktion hinzugenommen ist — auch nach der historischen Seite hin 
zu vervollständigen und damit lebensvoller zu gestalten, was durch die Durch¬ 
nahme der großartigen Aufgabe des Aristarch von Samos — die im Unterricht 
hei weitem nicht genügend ausgewertet wird — fruchtbringend geschehen kann. 
Dieser geniale Kopf konzipierte bekanntlich das bei Vollendung der ersten Mond¬ 
phase bestehende rechtwinklige Dreieck Erde — Mond — Sonne, mit dem 
rechten Winkel beim Monde und dem von dem Erdstandpunkt aus meßbaren 
Winkel, dessen Schenkel nach Mond und Sonne weisen; und Aristarch vermochte 
durch Messung dieses Winkels nicht nur die relativen Entfernungen Erde—Mond 
und Erde—Sonne festzustellen, sondern auch — da Sonnen- und Mondscheibe 
bei gewöhnlicher Betrachtung ungefähr gleichgroß erscheinen — bereits einen 
Schluß über das relative Größenverhältnis von Sonne und Mond zu ziehen. 
Ein glänzendes Beispiel der Leistungsfähigkeit antiken griechischen Geistes. 

So wird man bei weitergehender praktischer Anwendung des aufgestellten 
didaktischen Prinzips erkennen, daß dasselbe oder vielmehr die damit zusammen¬ 
hängenden, hier nur unvollkommen angedeuteten physiologischen Anschauungen 
allmählich die gesamte didaktische Tätigkeit zu beeinflussen vermögen. Mich 
begleiten wenigstens diese Anschauungen mit ihren weiteren Folgerungen un¬ 
aufhörlich beim Unterricht, und sie geben mir in allen auftretenden Fragen fast 
regelmäßig den richtigen Fingerzeig. Der Zweck dieser Zeilen ist erreicht, wenn 
sie dazu beitragen, daß diese Anschauungen auch in anderen beim Unterricht zur 
lebendigen Wirkung gelangen. 

Noch eine kurze Bemerkung sei zum Schluß gestattet. Der Titel der vorliegen¬ 
den Arbeit sollte eigentlich lauten „Uber ein vernachlässigtes didaktisches Prin¬ 
zip usw.“, indem ich von der Meinung ausging, daß dieses Prinzip irgendwo 
— bei Herbart, Jean Paul oder anderen — schon einmal ausgesprochen 
sein müßte; ich habe aber bis jetzt darüber nichts auffinden können. Vielleicht 
wird ein anderer durch die vorliegenden Zeilen angeregt, danach zu spüren. 
Verfasser will gern auf denBuhm der Priorität verzichten und sich damit begnügen, 
das Prinzip unabhängig wieder aufgestellt und dadurch in Erinnerung gebracht 
zu haben. 



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Nelly Wolffheün, Emheitekindergärten? 


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Einheitskindergärten ? 

Von Nelly Wolffheim. 

Der Kindergarten ist in den letzten Jahren nicht nur als soziale Einrichtung 
mehr zur Anerkennung gekommen, sondern auch seine pädagogische Würdigung 
ist gewachsen. Wohl als Folge dieser Erscheinung werden (wenigstens meinen 
Beobachtungen nach) aus den Kreisen der gebildeten und besser gestellten 
Familien häufiger als früher die Kinder einem Kindergarten anvertraut; viel* 
fach sprechen naturgemäß auch äußere Gründe, besonders die zunehmende be* 
rufliche oder soziale Tätigkeit der Mütter, hierbei mit. Es fragt sich nun, in welche 
Art der Kindergärten diese Kinder geschickt werden sollen. Neben den Volks- 
kindergärten hat man für die sozial gehobeneren Stände vielfach Mittelstands¬ 
kindergärten eingerichtet und kleine private Kindergärten und Familienzirkel 
begründet; häufig finden sich auch — besonders seit der Mädchenschulreform 
— 1 den höheren Mädchenschulen Kindergärten angegliedert. An manchen Plätzen 
scheint mir ein Mangel an derartigen Einrichtungen zu bestehen, und ihre Ver¬ 
mehrung wäre zu befürworten. Man muß bei der Behandlung dieser Frage aber 
auch der Richtung Aufmerksamkeit schenken, die es für wünschenswert hält, 
die Kinder aller Stände dem Volkskindergarten zuzuführen. Von äußerst 
schätzens'fcfc* .er, auf diesem Gebiet autoritativer Seite wurde erst kürzlich 
öffentlich hervorgehoben, wie sehr es zu begrüßen sei, wenn gebildete Familien 
dadurch, daß sie ihre Kinder in den allgemeinen Kindergarten schicken, den 
breiteren Volksmassen zeigen, für wie wertvoll sie die Institution an sich ein¬ 
schätzen. Man muß anerkennen, daß es, besonders auf dem Lande, unbedingt 
für den Kindergarten wirkt, wenn der Pastor, der Lehrer oder eine als wohl¬ 
habend bekannte Familie ein Kind in den öffentlichen Kindergarten schickt. 
Es wird auch damit zu rechnen sein, daß diese Kreise, wenn sie durch die per¬ 
sönlichen Beziehungen an dem Kindergarten interessiert sind, die Einrichtung 
durch ihre Fürsorge fördern werden. Dies wäre im Interesse der Kindergarten¬ 
idee, vor allem aber im Hinblick auf die kleinen Zöglinge erfreulich, und wenn 
man die Sache vom sozialen Standpunkt aus betrachtet, wird man noch manche 
andere Vorteile, vor allem solche, die dem Gerechtigkeitsgedanken entspre¬ 
chen, herausfinden. Wer in der sozialen Arbeit steht, hat meist die Neigung, 
alles in erster Linie vom volkBerzieherischen Gesichtspunkt aus und im Sinne 
der unteren Volksschichten zu beurteilen, und von hier ausgehend, kann man 
den Einheitskindergarten in vielfacher Hinsicht gutheißen. Wer aber die 
pädagogische Arbeit in verschiedenen Bevölkerungskreisen ausgeübt hat, weiß, 
daß man auch die Kehrseite solcher Anschauungen nicht außer acht lassen darf; 
man läuft sonst Gefahr, einen Teil der Kinder ohne durchaus zwingenden 
Grund zu benachteiligen. Daß die Mehrzahl der Familien, die es nicht aus 
äußeren Gründen tun müssen, sich auch schwer dazu entschließen würden, ihre 
Sünder in einen Volkßkindergärten zu schicken, ist sicher. 

In erster Linie sind da Gesichtspunkte der Gesundheitspflege von Bedeutung. 
Volkskindergärten sind fast immer Massenanstalten, die eine Anzahl von vierzig 
(in sehr günstigen Fällen!) bis zu hundert und mehr Zöglingen aufnehmen. 
Die wenigen Einrichtungen, die in der glücklichen Lage sind, die Kinder 


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Nelly Wolffheim 


innerhalb dieser größeren Gemeinschaft in kleinere Gruppen zu teilen, die 
sich in familienhaften Zimmern für sich aufhalten, sind Ausnahmen. Daß 
es an sich nicht wünschenswert ist, ein kleines Kind der Unruhe und der 
bei der Masse notwendigen schulmäßigeren Disziplin auszusetzen, daß es nicht 
günstig sein kann, wenn die Kleinen, die bei einem Zusammensein vieler 
naturgemäß wenig gute Luft einatmen, muß jeder zugeben; man sieht daher 
auch von seiten der Kindergartenvertreter die Massenanstalten immer nur 
als einen durch äußere Umstände bedingten Notbehelf an und strebt mehr 
und mehr einem Kindergarten zu, der den Charakter einer Familienkinder¬ 
stube trägt. Warum will man es dann aber aus einseitig sozial-ethischen Prin¬ 
zipien befürworten, daß wir Kinder, die nicht darauf angewiesen sind, einen 
Kindergarten zu besuchen, den zugegebenen und so allgemein bekämpften 
Nachteilen aussetzen? Aber rechnen wir hier einmal mit einem Idealkinder¬ 
garten, in dem nach Möglichkeit alle die hervorgehobenen Schädlichkeiten be¬ 
seitigt sind: Im Kindergarten selbst ist alles schön und gut, die Räume sind 
hygienisch einwandfrei, das Zusammensein der Kleinen wird in bester familien- 
hafter Art ausgestaltet, die pädagogische Leitung ist eine rechte, kurz, der Kin¬ 
dergarten ist so, wie er uns allen als wünschenswert vorschwebt und wie er an 
manchen Plätzen annähernd zu finden ist. Und trotzdem halte ich es nicht für 
empfehlenswert, Kinder aus einer sorgfältigen Kinderstube der oberen Schich¬ 
ten dorthin zu schicken! Wie dies im Zusammenhang mit den Wohnverhältnis¬ 
sen, mit den Arbeitsanforderungen, die an die Mütter gestellt werden, ganz 
natürlich ist, kann die Körperpflege bei den Kindern des einfachen Volkes nur 
eine primitive sein; der Kleidung der Kleinen hängt, selbst wenn sie sauber ge¬ 
halten wird, die Atmosphäre der engen, oft ungesunden Wohnungen an, und 
die Ausdünstungen sind häufig recht unangenehm bemerkbar. Die besten hygieni¬ 
schen Einrichtungen des Kindergartens (Kinderbäder) können dies nicht aus- 
schalten. Die obhutgewährende Aufgabe des Volkskindergartens macht es außer¬ 
dem unmöglich, mit starken Erkältungen oder leichten Ausschlägen behaftete 
Kinder vom Kindergarten fern zu halten, und Isolierzimmer sind bisher an den 
wenigsten Plätzen eingerichtet. Daß dies alles der Ausbreitung von Krankheits¬ 
keimen günstig ist, liegt auf der Hand. Man rechne hierzu die Unkenntnis und 
Unbedachtsamkeit ungebildeter Leute, denen ärztliche Beratung nicht immer 
zur Seite steht, und bringe hiermit die vermehrte Möglichkeit einer Krankheitfi- 
übertragung in Zusammenhang. Mögen die Verordnungen der Anstalten noch 
so strenge sein und der Einschleppung von Kinderkrankheiten entgegenzuwirken 
suchen; wer bürgt dafür, daß die Erkrankungen bei der Arztscheu jener Kreise 
rechtzeitig erkannt werden ? Wer will es einer Mutter, die mit Heimarbeit über¬ 
lastet ist, verdenken, wenn sie einen Krankheitsfall innerhalb der Familie ver¬ 
heimlicht, um wenigstens die gesunden Kinder tagsüber in den Kindergarten 
schicken zu können ? Warum, so ist auch hier zu fragen, Kinder, die in päda¬ 
gogischer Hinsicht die Vorteile des Kindergartens auf eine andere Art genießen 
können, dem aussetzen? 

Man nehme dazu die nach meiner Erfahrung durchschnittlich größere Sensibili¬ 
tät und nervöse Disposition der oberen Schichten, die bereits in der frühen Kind¬ 
heit bemerkbar wird. Wozu diese Kleinen dem großen Betriebe einreihen und 
sie dort täglich für viele Stunden festhalten ? 


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Einheitokindergärten T 


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Neben den Fragen der Gesundheitspflege muß in diesem Zusammenhänge der 
geistige Standpunkt der Kinder bei der Beurteilung herangezogen werden. Es 
ist kein Zweifel, daß die Kinder verschiedener Bildungs- und Lebenskreise auch 
durch den Kindergarten verschiedenes zu empfangen haben. Ich kann an dieser 
Stelle auf die Unterschiede nur andeutend eingehen. Es sei hervorgehoben, daß 
ich bei Beginn meiner Tätigkeit an Kindern der oberen Schichten, vom VolkB* 
kindergarten kommend, wesentlich umlemen mußte. Es soll hiermit in keiner 
Weise ein Werturteil nach irgendeiner Seite hin abgegeben werden, nur liegt 
mir daran, das Vorhandensein bestimmter Unterscheidungen, die von manchen 
geleugnet werden, zu betonen. Manches, was man bei Kindern, die viel allein 
sind, oder deren beide Eltern weder die Zeit noch das Wissen haben, um den 
Kleinen geistige Anregungen und Belehrungen zu bieten, bewußt fördern muß, 
bedarf im Kindergarten für die besser gestellten Kreise nicht der Pflege. Man täte 
unrecht, diesen Kindern die gleichen Anregungen zu bieten wie jenen; während 
bei den Volkskindem gerade der Denkanregung besondere Aufmerksamkeit 
zu schenken ist, wird man die Kleinen aus der modernen gebildeten Großstadt* 
familie meist geistig zu schonen haben und ihnen statt vielem Denkinhalt, der 
ihnen anderweitig mehr als wünschenswert ist, zugeführt wird, nur Gelegenheit 
zur ruhigen konzentrierten Beschäftigung geben. Die Tätigkeit dieser Eiinder muß 
der Verarbeitung der vielen, allzuvielen Eindrücke und der Klärung des erstaun¬ 
lich großenWort wissens dienen. Im Volkskindergarten ist der Pflege der Sprache 
besondere Aufmerksamkeit zu schenken; die Kinder müssen häufig erst lernen, 
ihre Gedanken wiederzugeben oder sie in eine möglichst gute Form zu kleiden; 
dieses der Schule vorarbeitende Bemühen wird in den meisten Fällen bei Kindern 
aus gebildeten Familien fortfallen. Hier wird es sich hingegen mehr darum han¬ 
deln, die Kleinen zu gewöhnen, von einer ihnen durch stete Unterhaltung mit 
Erwachsenen (besonders bei Einzigen 1 ) und durch die zu eingehende Frage¬ 
beantwortung anerzogenen Vielgeschwätzigkeit abzulassen. Die Kinder des 
einfachen Volkes sind von Hause aus selbständiger; die oft recht verwöhnten 
Kinder begüterter Kreise müssen in vielen Fällen im Kindergarten zu Eigen¬ 
handlungen geführt werden, die ihnen die häusliche Kinderstube nur zu willig 
abzunehmen geneigt ist. Oft gilt es, zuerst das Selbstvertrauen nach dieser 
Richtung hin zu wecken und dem Kinde zu zeigen, was es zu leisten vermag, 
ln allen praktischen Lebensfragen sind die Kinder der unteren Schichten meist 
denen der oberen Klassen überlegen; die Anleitung zu den im modernen Kinder¬ 
garten gern gepflegten hauswirtschaftlichen Beschäftigungen wird je nach 
der Art der kleinen Zöglinge eine andere sein müssen, ebenso wie sie meines 
Erachtens von verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen wird. 

Man kann natürlich diese hier hervorgehobenen Unterschiede nicht als allge¬ 
meingültige hinstellen; sie sollen nur einzelne Hinweise auf das geben, was mir 
im Laufe meiner Praxis als bemerkenswert und unterscheidenswert aufgefallen 
ist. Eis sei hierbei bemerkt, daß in einem Mittelstandskindergarten der inneren 
Stadt die Kontraste zum Volkskindergarten weniger schroff fühlbar sein werden, 
als ich sie bei der Beschäftigung mit Kindern aus vermögenden Kreisen des Berliner 
Westens empfinde. — Die Eigenart des einzelnen Kindes wird sich naturgemäß 
in jedem Kindergarten bemerkbar zu machen suchen, und Unterschiede werden 
innerhalb der jeweiligenVolksschichten unbedingt hervortreten. Aber in der Masse 


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Nelly Wolffheim, Einheitekinderg&rten? 


wird ein Generalisieren nie zu vermeiden sein, und wir, die wir — unter Aus¬ 
schluß der zu Zeiten befürworteten Übertreibungen auf diesem Gebiet — für 
ein rechtes Individualisieren bei der Erziehung eintreten, müßten es schon 
aus diesem Grunde vermeiden, Kinder ohne äußere Notwendigkeit einer 
allzu großen Allgemeinheit einzuordnen. Die pädagogische Bedeutung des 
Zusammenlebens der Kinder in einem vergrößerten Kinderkreise soll deshalb 
nicht etwa in Abrede gestellt werden. 

Für die erziehlichen Aufgaben, die der Kindergarten an den Kindern aus 
gebildeten Familien zu erfüllen hat, genügen auch weniger Tagesstunden, als 
sie für eine obhutgewährende Anstalt als zweckmäßig zu erachten sind. Ich per¬ 
sönlich bin sogar der Ansicht, daß ein täglicher Besuch des Kindergartens, wenn 
nicht äußere Gründe es erforderlich machen, für*diese Kinder nicht nötig, ja nicht 
einmal imbedingt wünschenswert ist. Als nicht sehr wesentlich echätze ich die 
von manchen Seiten ausgesprochenen Bedenken gegen eine Gemeinschafts¬ 
erziehung ein, die sich auf die Befürchtung gegenseitiger ungünstiger Beeinflussung 
stützen. Der Einfluß der Kinder auf einander ist, soweit ich meinen Erfahrungen 
trauen kann, auf der frühen Altersstufe nicht sehr groß, was ich in dieser Zeit¬ 
schrift bereits einmal nachzuweisen suchte. Die Befürchtung, daß die Kinder 
unbemittelter Familien durch ein Zusammensein mit den verwöhnteren Kindern 
zu Neid und Eifersucht kommen würden, ist nicht allzu schwer zu nehmen, da 
doch dieser Neid bei entsprechender Veranlagung oder häuslicher Beeinflussung 
der Kinder überall auf Schritt und Tritt Nahrung findet. 

Nicht ganz unbedenklich scheint mir die ästhetische Seite der Frage zu sein. 
Wie der Körperpflege wird den gesamten äußeren Formen der Kinder in gebil¬ 
deten Kreisen viel Aufmerksamkeit geschenkt, und wenn man auch den Übertrei¬ 
bungen auf diesem Gebiet nicht das Wort zu reden braucht, so ist doch eine 
gewisse Lebenskultar als Wertfaktor einzuschätzen, und ich weiß nicht, ob es 
wünschenswert ist, diese Kinder in eine dauernde und enge Berührung mit 
Kindern zu bringen, die auf einem weitabliegenden Boden aufwachsen. 

• Wenn es auch als das Ideal zu gelten hat, allen Volksschichten Gleichwertiges 
zu bieten, so sehe ich doch keine Veranlassung, solchen Kindern, die es besser 
haben können, das ihnen weniger Zuträgliche zu geben. Solange wir eine ver¬ 
schiedene Lebensführung der einzelnen Volksschichten haben, werden wir auch 
den Kindern eine verschiedene Lebensbildung übermitteln müssen. Jedenfalls 
aber ist es zu vermeiden, aus sozialer Gleichmachungsidee heraus Kinder in 
hygienischer und erziehlicher Hinsicht zu schädigen. 


Kleine Beiträge und Mitteilungen. 

Die Pädagogik in der neuen preußischen Oberlehrerprfifung. Am 1. April 
1918 tritt eine neue Prüfungsordnung für das Lehramt an den höheren Schulen 
Preußens in Kraft. Sie enthält sehr wichtige Bestimmungen hinsichtlich der 
Pädagogik und ist in dieser Hinsicht auch von allgemeinem Interesse. Das 
grundsätzlich Wichtigste an ihr ist die Trennung der theoretisch-päda¬ 
gogischen Ausbildung und Prüfung von der fachwissenschaftlichen 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


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Ausbildung und Prüfung. Die preußische Oberlehrerprüfung ist in Zu¬ 
kunft eine zweifache; sie zerfällt in die wissenschaftliche (fachwissen- 
schaftliche) und pädagogische Prüfung. Die fachwissenschaftliche Prüfung 
wird nach Ablauf eines mindestens vierjährigen Studiums vor einem Wissen¬ 
schaftlichen Prüfungsamte abgelegt, das aus Universitätsdozenten und Schul¬ 
männern zusammengesetzt ist. Die pädagogische Prüfung wird am Schlüsse 
einer an das Universitätsstudium sich anschließenden zweijährigen praktischen 
Ausbildung vor einem Pädagogischen Prüfungsamte abgelegt, dem der zustän¬ 
dige Provinzialschulrat, der Direktor und die mit der Vorbereitung des Kan¬ 
didaten beauftragten Lehrer angehören. Die Pädagogik kommt als Prüfungs¬ 
gegenstand für die fachwissenschaftliche Prüfung in Wegfall; an ihre 
Stelle tritt Philosophie, insbesondere Psychologie, Ethik, Logik und Erkennt¬ 
nislehre. In der pädagogischen Prüfung können Geschichte des Erziehungs¬ 
und Unterrichtswesens und Didaktik einzelner Unterrichtsfächer auftreten; ob 
sie geprüft werden, hängt von der Entscheidung des Provinzialschulrates ab. 
Wie die Prüfung, so wird auch die Ausbildung in der theoretischen Päda¬ 
gogik von der Universität losgelöst. Vor der Zulassung zur Prüfung muß 
der Kandidat nachweisen, daß er die notwendigen Fachvorlesungen besucht 
und an wissenschaftlichen Übungen mit Erfolg teilgenommen hat; hinsichtlich 
der Pädagogik wird nur allgemein gefordert, daß er überhaupt Vorlesungen 
gehört hat. Die Einführung in einzelne Gebiete der theoretischen Pädagogik 
erfolgt erst während der praktischen Ausbildung; zu den zahlreichen Verhand¬ 
lungsgegenständen der wöchentlich mindesteUs zwei Stunden umfassenden 
Sitzungen gehören neben Psychologie und Ethik, die bereits in der wissen¬ 
schaftlichen Prüfung berührt worden sind, auch die Geschichte des Erziehungs¬ 
und Unterrichtswesens und die Unterrichtslehre der einzelnen Lehrfächer. 

Was nun die Trennung der beiden Prüfungen anbelangt, so ist diese zwei¬ 
fellos gut und richtig und insbesondere für die bisher sehr stiefmütterlich be¬ 
handelte Pädagogik von großem Vorteil. Die preußische Unterrichtsverwaltung 
hat damit einen wichtigen Schritt nach vorwärts getan. Mit schwerem Herzen 
aber und mit ernsten Befürchtungen wird man der Loslösung der theoretisch¬ 
pädagogischen Ausbildung von der Universität gegenüberstehen. Zwar 
ist der Gedanke ganz richtig, daß ein tieferes Verständnis für die Pädagogik 
nur möglich ist in engster Fühlung mit der Unterrichtstätigkeit, und mit Recht 
legt die pädagogische Prüfungsordnung großen Wert auf die Feststellung, ob 
der Kandidat durch die praktische Vorbereitung einen klaren Einblick in die 
Aufgaben der Erziehung und des Unterrichts gewonnen hat. Aber darüber 
kann kein Zweifel bestehen, daß die wissenschaftliche Voraussetzung 
für das verständnisvolle Erfassen der Erziehungsprobleme nur auf der Uni¬ 
versität gewonnen werden kann und zwar nicht bloß durch die Einführung 
in Psychologie und Ethik, sondern in erster Linie durch die planmäßige Ein¬ 
führung in die pädagogische Systematik und die historische Pädagogik. Die 
Aufgabe der praktischen Vorbereitung kann in bezug auf die theoretische 
Pädagogik lediglich darin bestehen, die erlangten Kenntnisse und Erkenntnisse 
anzuwenden, zu prüfen, zu erweitern und zu vertiefen. In der Ansicht, daß 
die Universität nur die fachwissenschaftliche, nicht aber die erziehungswissen¬ 
schaftliche Ausbildung zu übernehmen habe, liegt eine Mißachtung der 
Pädagogik als Wissenschaf t ausgesprochen, wie man sie kaum schärfer 
erwarten kann. Mit der neuen Prüfungsordnung ist für die Pädago- 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


gik als Lehrfach der Universität die letzte Stunde gekommen. 
Zwar kann die Prüfung in Philosophie auch Problemkreise der philosophischen 
Erziehungslehre in sich schließen, und der Kandidat hat das Recht, die Lehr¬ 
befähigung in Pädagogik zu erwerben; aber durch diese Bestimmungen wird 
das drohende Unheil kaum aufgehalten werden. Sollen Erziehung und Unter¬ 
richt in Zukunft nicht zum bloß'en Handwerk herabsinken, so wird man hin¬ 
sichtlich der Handhabung der neuen Prüfungsordnung folgende dringenden 
Wünsche äußern müssen: § 5 (Zulassung zur wissenschaftlichen Prüfung) ist 
dahin zu ergänzen, daß der Kandidat in jedem Semester mindestens eine 
pädagogische Vorlesung gehört haben und an Obungen der pädagogischen 
Seminarien und psychologischen Institute mit Erfolg teilgenommen haben mufi; 
in § 9 (Prüfung in Philosophie) ist die philosophische Erziehungslehre, die in 
die pädagogische Prüfung gehört, in Wegfall zu bringen und dafür die Psy¬ 
chologie zum Hauptgegenstand der Prüfung zu machen; in § 50 (Pädago¬ 
gisches Prüfungsamt) ist zu verfügen, daß jedem Prüfungsamt auch mindestens 
ein Vertreter der Pädagogik oder Psychologie an der Universität angehören 
muß; in § 54 (mündliche Prüfung) ist anzuordnen, daß Systematik, Geschichte 
und Psychologie mindestens eines Faches, für das der Kandidat die Lehrbe¬ 
fähigung besitzt, sowie Systematik, Geschichte und Psychologie der ethischen 
Erziehung (die wegen der Schulzucht und der Handhabung der Zensuren in 
Betragen und Fleiß für jeden Lehrer in Betracht kommt) geprüft werden 
müssen; auch muß der Kandidat zeigen, daß er befähigt ist, die einzelnen 
Schüler nach einfacheren psychologischen Methoden richtig zu beurteilen 
und im Einzelfalle die den Anforderungen des Unterrichts und der sittlichen 
Bildung gegenüberstehende Begabung zu erkennen. 

Leipzig. Johannes Kretzschmar. 


Die Vertretung der Psychologie und Pädagogik an den deutschen 
Hochschulen im Winterhalbjahr 1917/18. Berlin. Lüttge (theol. F.): 
Religionspsychologie (2). — Förster (med. F.): Psychiatrie des Kindes¬ 
alters (1). — Ludwig Jacobsohn (med. F.): Das geistig normale, das 
schwachsinnige und das psychopath. Kind (1). — Karl Schaefer (med. F.): 
Mediz. Psychologie (2). — Stier (med. F.): Psychopathologie des Kindes¬ 
alters (1). — Stumpf: Psychologie mit Demonstr. (4), Übungen im psycho- 
log. Institut (1). — Dessoir: Allg. Psychologie (2). — Vierkandt: Entwick¬ 
lungspsychologie (2). — Wertheimer: Experim.-psycholog. Übungen (2).— 
Mahling (theol. F.): Katechet Sem. (2). — Fabricius (theolog. F.): Päda¬ 
gogik (2). — Adolf Baginsky (med. F.): Einfluß des modernen Schul¬ 
unterrichts auf den kindl. Organismus (1). — Ferd. Jacob Schmidt: 
Geschichte der Pädagogik (4). Pädagog. Sem.: Übungen über die pädagog. 
Theorien des 19. Jahrh. (l 1 ^). Bonn. Dyroff: Psychologie (4). — Eris¬ 
mann: Einführungskurs in die experim. Psychologie (2). — Störring: 
Selbständige Arbeiten im psychologischen Laboratorium täglich. — Pfennigs - 
dorf (ev.-theol. F): Katechetisches Seminar (2). — Hübner (med.-F.): Geistig 
abnorme Kinder (1). — Dyroff: Geschichte der Pädagogik (2). — 
Kutzner: Einführung in die experimentelle Pädagogik (1). Breslau. Hönigs- 
wald: Im psycholog. Seminar: Übungen zur Denkpsychologie und Phä¬ 
nomenologie. — Steinbeck (ev.-theol. F.): Katholisches Seminar (2). 


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Keine Beiträge und Mitteilungen 


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Pädagogik und Volksschulkunde (2). — Gercke: Bildungsziele, für Hörer 
aller Fakultäten (1). — Hönigswald: Die theoretischen Grundlagen der 
Pädagogik (2). Kolloquium der philosophischen Pädagogik (2). — Müller: 
Das höhere Schulwesen in seiner geschichtlichen Entwicklung (2). Übungen 
zur Geschichte des höheren Schulwesens, privatissime (1). Erlangen. Cas¬ 
par i (theol. F.): Allgem. Pädagogik, mit besonderer Berücksichtigung der 
Volksschule (4). Katechet. Seminar (2). Pädagog. Praktikum, mit Schulrat 
Hedenus (2). — Weichardt (med. F.): Schulhygiene (1). — Leser: Die 
Lebensanschauungen der großen Pädagogen der Neuzeit (2). Frankfurt, a. M. 
Schumann (naturw. F.): Psychologie (mit Demonstr.) 3. — Hennig (naturw. 
F.): Gedächtnis und Denken (mit Demonstr.) (2). — Schumann (naturw. 
F.): Einführungskursus in die experim. Psychologie (2). Wissenschaftl. Ar¬ 
beiten Fortgeschr. (täglich n. Bedarf). — Schumann (naturw. F.): Philo¬ 
sophisches Seminar: Bespr. psycholog. Arbeiten (1). — Hahn (med. F.): 
Psychopathologie des Kindes mit Krankenvorstellungen (1). — Ziehen: 
Literaturpädagogik (2); Bilder aus der Geschichte der Monarchie vom Stand¬ 
punkt der Volkserhebung (1). — Schultze: Charakterpsychologie und Er¬ 
ziehung (3); Katechet. Übungen im Anschluß an die Vorlesungen über 
Charakterpsychologie und Erziehung (2). — Ziehen: Übungen zur Ein¬ 
führung in die Kartographie des Bildungswesens (1). — Pape (Wirtschafts- 

u. sozialwissenschaftl. F.): Geschichte und Organisation des kaufm. Bildungs¬ 
wesens in Deutschland (1). — Seminar für Handelsschulpädagogik: Lehr- 
flbungen und Besprechungen (3). — Lühr (Wirtschafts- und sozialwissen- 
schaftl. F.): Einführung in die Handelsschulpraxis, Hospitierübungen und 
Besprechungen (2). Freiburg i. B. Kehrer (med. F.): Kriminalpsychologie 
und Psychologie der Aussage. — Cohn: Psychologische Arbeiten. — Cohn: 
Geschichte der Pädagogik. Gießen. Sommer (med. F.): Experimentelle 
Psychologie und Psychopathologie (für Studierende aller Fakultäten) (1). — 
Koffka: Psycholog. Kolloquium (1). — Siebeck: Geschichte der Bildung 
und der Pädagogik seit Ausgang des Mittelalters (3). Göttingen. G. E. Müller: 
Psychologie (4); Psychophysische Methodik und Korrelationslehre (1); Ex- 
periment.-psychol. Arbeiten (36). — Baade: Deskriptive Psychologie und 
Psychographie (2); Übungen zur Psychologie des Denkens (1). — J. Meyer 
(theol. F.): System der evang. Pädagogik (2). — Rosenthal (med. F.): 
Schulhygiene (1). Greifswald. Schwarz: Philosophisches Seminar: Über 
die Lehre vom Willen. — Schmeckei: Experimentelle Psychologie (2). — 

v. d. Goltz (theol. F.): Katechet. Seminar ( 1 ). Halle. Kauffmann (med. 
F.): Psychologie des Verbrechens, mit Lichtbildern (1). — Menzer: Psycho¬ 
logie (4). — Eger (theol. F.): Katechetik (2). — von Drigalski (med. F.): 
Gesundheitspflege, für Mitglieder des pädagog. Seminars und für Hörer aller 
Fakultäten (1). — Fries: Pädagogische Übungen über Comenius ( 2 ); Ge¬ 
schichte der Pädagogik seit dem Beginn des Mittelalters (2); Besichtigungen 
und Probestunden, an noch zu bestimmenden Tagen und Stunden. — Frisch¬ 
eisen-Köhler: Das Bildungsideal der Klassiker ( 1 ); Die psychologischen 
und ethischen Grundlagen der Erziehung (2); Übungen zur Begabungs¬ 
forschung (2). Heidelberg. Nißl (med. F.): Psych. Klinik (3); Forens. 
Psychiatrie (2). — Homburger (med. F.): Allgemeine Psychopathologie des 
Kindesalters (1). — Jaspers: Allgemeine Psychologie (2); Psychologische 
Übungen (2). — Niebergall (theol. F.): Unterricht und Erziehung ( 2 ). — 


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Kleine Beiträge and Mitteilungen. 


Rohrhurst (theol. F.): Kat. Übung (l‘/ 2 ); Geschichte der bad. Volksschule 
(1). — Niebergall (nat.-math. F.): Pädagogik in ihrer Anwendung auf die 
körperliche Erziehung (1). Jena. Schultz (med. F.): Med. Psychologie (1). 
— Thümmel (theol. F.): Katechet. Seminar ( 2 ). — Rein: System der Päda¬ 
gogik (2); Pädag. Seminar mit praktischen Übungen. — Weiß: Die Grund¬ 
lagen des Unterrichtsverfahrens (2); J. Fr. Herbarts pädagogische Lebens¬ 
jahre mit Erklärung seiner pädagogischen Jugendschriften. Kiel. Martius: 
Psychologie (4); Psycholog. Seminar (2). — Baron von Brockdorff: Ge¬ 
schichte der Pädagogik seit Luther (2); Entwicklung des Schulwesens unter 
Kaiser Wilhelm II. (1); Übung im Anschlufi an Herbarts Schriften (1). Königs¬ 
berg. Ach: Experimentell-psychologische Übungen ( 1 ); Psychologie (4). — 
Uckeley (theol. F.): Katechetisches Seminar (1). — Kowalewski: Kollo¬ 
quium über experimentelle Pädagogik (l 1 /j). Leipzig. Frenz el (theoL F.): 
Psychologie des Religionsunterrichts. — Gregor (med. F.): Med. Psycho¬ 
logie. — Krueger: Einführung in die Psychologie. Einführungskursus zur 
experimentellen Psychologie. Leit selbständ. Arb. — Wirth: Übungen zu 
den psychophys. Maßmethoden. Selbständ. experiment. Arbeiten. — Brahn: 
Psychologie des Aberglaubens und der Zauberei. Didaktik des Lesens, 
Schreibens, Zeichnens und Rechnens. Wiss. Arb. über experiment. Päda¬ 
gogik und angew. Psychologie. — Frenzei (theol. F.): Seminar für Päda¬ 
gogik: Prakt.-pädagog. Übungen und Besuche von Lehr- und Erziehungs¬ 
anstalten. — Spranger: Pädagogik I. — Jungmann: Geschichte der 
Pädagogik seit der Reform. Praktisch-pädag. Seminar. — Barth: Erziehungs¬ 
und Unterrichtslehre. — Wagner: Chem. Übungen für Lehrer. Didakt. 
Besprechungen zu den chem. Übungen für Lehrer. — John: UnterrichtB- 
lehre für Landwirtschaftslehrer. Theoretische Seminarübungen. Experiment 
Vorbereitung für den Unterricht. Unterrichtserteilung in der ÜbungBschule. 
Marburg. Bornhausen (theol. F.): Religionspsychologie. — Jaensch: 
Psychologie (4). Philosophisches Seminar: Aufbau des Bewußtseins (l 4 /x). 
Experimentell - psychologische Untersuchungen. Psychologische Versuche. 
— Natorp: Geschichte der Pädagogik (3). München. Goett (med. F.): 
Nervenkrankheiten und Psychopathologie des Kindesalters mit Demonstr. (2). 
Die körperliche und geistige Entwicklung des Kindes (für Hörer aller Fak.) 

(1) . — Becher: Einführungskurs zu experiment. Psychologie (mit Pauli) 

(2) . Experimentell-psychol. Arbeiten für Fortgeschrittene (mit Prof. Bühler), 
täglich. — Bühler: Psychologie (4); Experimentell-psycholog. Arbeiten für 
Fortgeschrittene (mit Prof. Becher), täglich. — Pauli: Psychologie der 
Empfindung ( 1 ). Einführungskurs in die experiment. Psychologie (mit Prof. 
Becher) (2). — Gallinger: Psychologie der Verleumdung (1). Übungen 
über das Wesen des Mutes und der Freiheit (1). — Heinrich Meyer 
(theol. F.): Religionspsychologie als Grundlage der religiösen Entwicklung und 
Erziehung. Katechet. Praktikum. — Götti er (theol. F.): System der Päda¬ 
gogik I. (4). Didakt. Praktikum (2). Katechet Praktikum (mit Mayer) 
(1). — Uffenheimer (med. F.): Soziale Jugendfürsorge mit Besichtigung 
der einschlägigen Institutionen (für Hörer aller Fak.) (1). — Rehm: Die 
pädagog. Theorien der Aufklärung und der Romantik. — Joachimsen: 
Übungen zur Didaktik des Geschichtsunterrichts (1V2). — Al. Fischer: 
Grundzüge der Erziehungs- und Unterrichtslehre. Münster. Brunswig 
(philos. und nat. F.): Psychologie (4). — Ettlinger (philos. und nat F.): 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


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Psychologie (4). — Goldschmidt (philos. und nai F.): Philosophisches und 
Seelenkundliches vom Gemütsleben und dessen Äußerungen in Sprache und 
Pantomimik. Kursus der experimental-psychol. Methoden (2). Psychologische 
Obungen und Anleitung zum selbständigen psychologischen Arbeiten, nach 
Vereinbarung. — Smend (ev.-theol. F.): Katechetisches Seminar (1). — 
Hüls (kath.-theol. F.): Katechetische Pädagogik (2). — Lauer (philos. 
und nat. F.): Ober pädagogische Zeit- u. Streitfragen (1). Rostock. Walter 
(med. Wissenschaft): Einführung in die allgemeine und pathologische Psycho¬ 
logie. — Utitz und Walter: Einführung in die allgemeine und patho¬ 
logische Psychologie. — Hilbert (theol. Wissenschaft): Praktisches Seminar, 
Katechet. (2). Straßburg. Schneider: Psychologie. — Naumann (ev.- 
theol. F.): katechet. Seminar. — Simmel: Pädagogik. — Messer¬ 
schmidt (med. F.): Hygiene d. Schule. Tübingen. Spitta: Untersuchung 
zur vergleichenden Psychologie. — Groos: Psychologie. — v. Wurster 
(ev.-theol.): Katechet. Sem. mit Obungen in der Volksschule. — Sägmüller 
(kath. Theol): Theoret. Pädagogik. — Schilling (kath. Theol.): Katechetik. 
— Deuchler: Die pädagogischen Ideen und das Bildungswesen der Neu¬ 
zeit Pädag. Sem.: Erziehungswissenschaftliche Übungen über die Unterschiede 
der beiden Geschlechter. Würzburg. Marbe (philos.-hist. Abt): Experi¬ 
mentelle Obungen zur Einführung in die Psychologie, Pädagogik und 
Ästhetik (3). — Peters (philos.-hist. Abt): Psychologie des Kindes (2). 
Experiment. Übungen zur Einführung in die Psychologie, Pädagogik und 
Ästhetik. — Stölzle (philos. Abt): Allgemeine Unterrichtslehre 1. Seminar A, 
Philosoph, u. päd. Obungen (1). Anleitung zu wissenschaftlichen Arbeiten 
auf dem Gebiete der Philosophie und Pädagogik. 


Der zweite Ungarische Landeskongreß für Kinderforschnng fand zu 
Anfang November 1917 in Budapest statt Veranstaltet hatte ihn die rührige 
Ungarische Gesellschaft für Kinderforschung. In der vorangestellten 
Jahresversammlung dieser großen Arbeitsgemeinschaft wurde hervorgehoben, 
daß nunmehr die Zeitschrift der Gesellschaft («Das Kind') bereits ein Jahrzehnt 
hinter sich habe und in ihrer deutschen Sonderausgabe durch die ganze Welt 
bekannt sei. Eine Festnummer überreichte man dem Grafen Alexander 
Teleki, der in begeisterter, selbstloser Hingabe seit dem Bestehen der Gesell¬ 
schaft — es sind 15 Jahre — den Vorsitz führt und es erzielt hat, daß die 
Gemeinschaft jetzt über 2000 Mitglieder umfaßt und bei allen wichtigeren 
Unterrichts- und Erziehungsangelegenheiten des Landes mitwirkt. 

Die Verhandlungen des Kongresses beschäftigten sich in Vorträgen und an¬ 
schließenden lebhaften Aussprachen mit sechs bedeutsamen Gegenständen. 

1. Sehr ergiebige Darlegungen bot Dozent Göza Revösz, der aus seinem 
besonderen Forschungsgebiete das Thema „Die frühzeitige Erkennung 
der Begabung“ behandelte. Noch ehe besondere schöpferische Leistungen 
eine ausgesprochene Begabung einwandfrei erweisen, bekundet sie sich schon 
frühe im Denken wie im Handeln, im intellektuellen wie im willenhaften Ver¬ 
halten des Kindes. Ein bestimmter Interessenzug ist ein sicheres Begabungs¬ 
symptom, wenn er ausschließlich, besonders stark, ausdauernd und spontan 
auftritt. Die Forschung muß drei Fragen nachgehen: Welche Begabungen 
äußern sich frühzeitig (es sind dies vor allem die künstlerischen und tech¬ 
nischen); in welchem Lebensalter geschieht dies; welche Methoden derFest- 

Zeitaehrift f. ptdagog. Psychologie. 4 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


Stellung sind brauchbar? Der Vortragende gab zu jedem dieser Punkte viele 
wertvolle und neue Aufschlüsse. 

2. Der Vortrag von Professor B61a Plichta, Szeged, über „Die Erziehung, 
den Unterricht, die gesellschaftliche und behördliche Fürsorge 
der begabten Kinder“ führte zu folgenden Anträgen: a) Die Gesellschaft möge 
zur Förderung einer Ermittlung und Erziehung der Begabten einen Entwurf 
ausarbeiten und an zuständiger Stelle ein Gesetz zur Fürsorge für begabte 
Kinder anregen, b) Die Gesellschaft möge einen Zusammenschluß aller Ver* 
eine veranlassen, die am Aufstiege der Begabten ein Interesse haben. 

3. Auch der bekannte Seminardirektor Ladislaus Nagy, der einen theoretisch 
weit ausgeführten, mit reichem praktischen Material ausgestatteten Vortrag über 
„Gesichtspunkte bei der Abfassung von Individualitätsbogen“ bot, 
verdichtete seine Darbietungen zu Anträgen. Sie lauteten: a) In allen Schulen 
ist für jeden Schüler die Führung von Individualbogen höchst wünschenswert, 
b) Bei ihrer Abfassung müssen psychologische, pädagogische, hygienische und 
soziologische Gesichtspunkte zur Geltung kommen, c) Die Gesellschaft stelle 
einen möglichst für alle Schulen verwendbaren Individualbogen her. d) Sie 
rege die Schulbehörden zur amtlichen Einführung an. 

4. Dr. Margarete Rövösz befaßte sich mit „Leitsätzen zur Fürsorge 
und heil pädagogischen Behandlung sittlich gefährdeter Kinder.“ 
Eingehend wurden von ihr die sozialen und naturwissenschaftlichen Grund¬ 
lagen der Verwahrlosung behandelt, ferner das Verhältnis der Degeneration 
und Variation, das Ausscheiden neuer Elemente aus der entwicklungsfähigen 
variablen Schicht, die Typen verwahrloster Kinder — psychographisch ge¬ 
kennzeichnet —, die allgemeinen pädagogischen Grundsätze, die Einübung des 
Guten durch Gewöhnung, die Ableitung der antisozialen Gefühle. 

5. Der praktischen Seite des gleichen Themas wandte sich Josef Sändor, 
Richter am Gerichtshof in Brassö zu. Er sprach über „Gesellschaftliche 
und -behördliche Einrichtungen zur Rettung und Erziehung der 
sittlich gefährdeten Jugend.“ Schon bei den vorschulpflichtigen Kindern, 
so fordert er, hat die Öffentlichkeit einzugreifen. Dabei bedarf es aber gründ¬ 
licherer Studien über die Soziologie des Kindes. Im fortgeschrittenen Grade 
sind die Verwahrlosten der Zwangserziehung zu überweisen („Stigmatische 
Schulen“). Ältere gefährdete Jugendliche müssen, ohne daß aber die persön¬ 
liche Freiheit beschränkt werde, unter behördlicher Aufsicht bleiben. Für 
abenteuerlustige Knaben könnte in Fiume eine besondere Anstalt errichtet 
werden, die im Rahmen der allgemeinen Erziehungsschulen für den Marine¬ 
beruf ausbildet. 

6 . Im letzten Vortrag, den Richter Dr. Kärmän bot und der über „Päda¬ 
gogische Gesichtspunkte in der Erziehung der Kriegswaisen“ han¬ 
delte, wurde eine Pädagogik gefordert, die ihre Grundsätze durch Anwendung 
der Beobachtung und des Experiments gewinnt und für die besondere Pfleger 
und Lehrer auszubilden seien. 

Nachrichten. 1. Ein Landesschulrat für Bayern ist durch königliche 
Verordnung vom 29. Juli v. J. ins Leben getreten. Er setzt sich zusammen 
aus Beamten des Ministeriums für Kirchen- und Schulangelegenheiten und einer 
Anzahl vom König auf die Dauer von fünf Jahren ernannter Mitglieder, als 
welche Personen, die sich imUnterrichts- und Erziehungswesen besondere Kennt- 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


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nisse und Erfahrungen erworben haben, in Betracht kommen. Zweck des Landes¬ 
schulbeirates ist die Beratung wichtiger Angelegenheiten der höheren Lehr¬ 
anstalten, der Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalten, der höheren weiblichen 
Unterrichtsanstalten, der Volkshauptschulen und Volksfortbildungsschulen und 
der Berufsfortbildungsschulen. Nach diesen Schulgebieten gliedert sich der Lan¬ 
desschulrat in vier Abteilungen, die gemeinsam oder einzeln beraten können 
und die nach Erfordernis vom Ministerium einberufen werden. 

2. An derUniversität Jena ist von der philosophischen Fakultät beschlossen 
worden, studierende Volksschullehrer, die in der höheren pädagogischen 
Prüfung mit I bestanden haben, zur Promotion zuzulassen. 

3. Vom Winterhalbjahr 1917 an haben die akademischen Kurse für allge¬ 
meine Fortbildung und Wirtschaftswissenschaften (Leiter: Prof. Dr. Kumpmann) 
an der Akademie für kommunale Verwaltung in Düsseldorf eine weitere Aus¬ 
gestaltung durch pädagogische und staatswissenschaftliche Fort-, 
bildungskurse für Lehrer erfahren. Im Einvernehmen mit den Fach¬ 
verbänden der Lehrerkreise und den entsprechenden Fachvertretern ist bis 
jetzt für etwa vier Halbjahre ein Plan aufgestellt worden, von dem im laufen¬ 
den Halbjahre folgende Vorlesungen gehalten wurden: 1. Grundlegung der 
Pädagogik und Gegenwartsprobleme in Erziehung und Unterricht. (Gymnasial¬ 
direktor Erythropel, Düsseldorf.) 2. Allgemeine Psychologie auf experi¬ 
menteller Grundlage. (Privatdozent Dr. Kutzner, Bonn.) 3. Verfassung und 
Verwaltung des Deutschen Reiches und des preußischen Staates. (Dr. Her ring, 
Düsseldorf). 4. Die Auswahl der Begabten. (Stadtschulrat C o nra d i, Düsseldorf). 

4. EinH ochschulsond erkurs für Jugendgerichtsarbeit wird vom 31. 
Januar bis 10. Februar 1918 in Berlin durch das Kriminalistische Institut der 
Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität und die deutsche Zentrale für Jugendfür¬ 
sorge veranstaltet. Leitend ist der Gedanke, daß die Bekämpfung der Krimi¬ 
nalität der Jugend eine Aufgabe sei, die von der Gesamtheit des deutschen 
Volkes zu leisten ist. Alle Kreise sind verantwortlich und zur Mitarbeit berufen. 
Um aber diese Arbeit erfolgreich leisten zu können, ist es notwendig, daß 
der einzelne Helfer die gesetzlichen Grundlagen der Jugendgerichtsarbeit kennt. 
Der H oc hsc hui sonderkurs s olldiese Kenntnisse vermitteln, zugleich 
auch Gelegenheit bieten, einen Einblick in die praktische Arbeit der Berliner 
Jugendgerichtshilfe zu gewinnen und einige der wichtigsten Anstalten kennen 
zu lernen. Er ist bestimmt für Leiter und Mitglieder von Jugendfürsorge¬ 
vereinen und Jugendgerichtshilfen, für Studierende aller Fakultäten, für Geist¬ 
liche, Lehrer, Vertreter der freiwilligen Liebestätigkeit, der Frauenvereine, der 
Arbeiter- und Berufsorganisationen, kurz für alle sozial interessierten Kreise. 
Geplant sind folgende Vorlesungen und Führungen: Strafrecht (Professor Dr. 
vonLiszt). — Psychiatrie in der Jugendgerichtsarbeit (Professor Dr. K r a m e r). — 
Gerichtsverfassung und Strafprozeß (Professor Dr. Goldschmidt). — Jugend¬ 
gerichtswesen (Amtsgerichtsrat Dr. Friede berg). — Fürsorge-Erziehung 
(Geheimer Justizrat Dr. Aschrott). — Gefängniswesen (Direktor Hölsberg). — 
Besichtigung der Anstalt Struveshof mit anschließendem Vortrag: Ausführung 
der Fürsorge-Erziehung. (Erziehungsdirektor Knaut). — Besichtigung des 
Wilhelmsstifts in Potsdam und der Strafanstalt Plötzensee. — An den Vor¬ 
mittagen findet eine Einführung in die Arbeit der Deutschen Zentrale für 
Jugendfürsorge, insbesondere in die Tätigkeit der Berliner Jugendgerichtshilfe, 
statt; außerdem sind Besuche der Verhandlungen des Jugendgerichts und der 

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Literaturbericht 


Jugendstrafkammem vorgesehen. Anmeldungen sind an die Deutsche 
Zentrale für Jugendfürsorge, Ausschuß für Jugendgerichte und 
Jugendgerichtshilfen, Monbijouplatz 3, erbeten. 


Literaturbericht. 

J. Joteyko, I er congrds International de Pädologie tenu k Bruxelles, 
du 12. au 18. Aoüt 1911. Volume I: Comptes rendus des S6ances 480 p, Vo¬ 
lume II: Rapports 600 p. Brüssel 1912. Librairie Misch et Thron. 

Der Bericht über den ersten internationalen Kongreß für Jugendkunde — so 
möchte ich das französische pädologie des offiziellen Programms übersetzen — ist seit 
Anfang 1913 erschienen. Der Kongreß selbst und dio Gegenstände wie die Artseiner 
Verhandlungen bieten gegenwärtig vielfach ein beinahe geschichtliches Interesse; 
zeugte er doch von einer Arbeitsgemeinschaft und sachlichen Interessengleichheit 
der europäischen Völker, auf die wir fast wie auf eine Tatsache fernster Vergangenheit 
zurückschauen. Und doch wird er als Erlebnis allen Teilnehmern unvergeßlich ge¬ 
blieben sein, und doch verdient der europäische Gedankenaustausch, von dem er 
erfüllt war, wärmste Beachtung, kann der jugendkundliche Forscher an dieser 
ersten Zusammenfassung der über die Kulturländer der Erde zerstreuten Arbeit 
auf seinem Gebiete unmöglich vorübergehen, ln welchem Maß die Arbeit an der 
Jugend der Völker der Annäherung dieser selbst zugute kommt, wage ich augen¬ 
blicklich nicht zu entscheiden, aber daß unmittelbar vor der jetzigen Krisis der 
Welt die friedliche Durchdringung der Völker auf dem Marsche war, ist mir ge¬ 
rade unter dem Eindruck der Brüsseler Tage deutlich geworden; und daß ihre 
künftige Wiederkehr zum glorreichen Erfolg nur werden kann, wenn die jungen 
Generationen aus gleichheitlicherer Erziehung heraus die Fremdheit, Mißverständ¬ 
nisse, Haß- und Rachegefühle überwinden lernen, ist eine Überzeugung, die in mir 
durch das pädagogische Denken gerade in der Kriegszeit bestärkt wird. 

So mag es erlaubt sein und richtig verstanden werden, wenn ich unter Hin¬ 
weis auf die von J. Joteyko redigierten Kongreßverhandlungen und gestützt auf 
eigene Erinnerungen und Aufzeichnungen hier einen kurzen Bericht gebe; für die 
jugendkundliche Arbeit bleibt er doch eine erste Selbstbesinnung auf den Stand 
der Fragestellungen und Methoden; und wer sonst nichts aus ihm lernen kann 
oder will, mag wenigstens ermessen und prüfen, ob die wissenschaftliche Erforschung 
der Kinder und Jugendlichen seitdem wesentlich weiter gekommen ist. 

Die Vorgeschichte des Kongresses reicht bis auf das Jahr 1909 zurück, 1 ) in 
welchem bei Gelegenheit des VT. internationalen Kongresses für Psychologie in 
Genf sich ein Komitee konstituierte mit der Absicht, auch die Sache der exakten 
Jugendkunde durch internationalen Gedankenaustausch und Zusammenschluß der 
Interessenten zu fördern. Die Vorbeteitung und Durchführung lag in den Händen 
eines Arbeitsausschusses, der aus Decroly, Joteyko, Menzerath in Brüssel, Schuyten 
und Günzburg in Antwerpen gebildet war und von einzelnen Vertretern der 
Wissenschaft vom Kinde sowie von pädologischen Gesellschaften unterstützt wurde. 
Eine größere Anzahl nationaler Ausschüsse haben sich in ihren Ländern für die 
Sache des Kongresses bemüht, so besonders in England, Ungarn, Polen, Italien, 
Spanien. Aus Deutschland, Österreich und der Schweiz war die Beteiligung eine 
verschwindend geringe. Es lag das zum Teil sicher daran, daß für Deutschland 
ein Kongreß mit ähnlicher Tendenz in Aussicht stand: der erste deutsche Kongreß 
für Jugendkunde und Jugendbildung, der inzwischen vom Bund für Schulreform 
in Dresden abgehalten worden ist; allein man wird auch tiefer liegende Ursachen 
nicht verkennen dürfen, und dazu rechne ich zu allererst das noch weitverbreitete 
Mißtrauen gegen die Sammeldisziplin, wenn ich mich so ausdrücken darf, die in 
den Publikationen der romanischen und amerikanischen Wissenschaft unter dem 


*) Vergl. dazu: E. Clapardde. Kinderpeychologie und experimentelle Pädagogik. 
S. 35. 


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Literaturbericht 


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Namen Pädologie ging und noch geht. Ich sage nicht, daß dieses Mißtrauen in 
seinem ganzen Umfang begründet ist, ich meine sogar, daß eine aufmerksame Teil¬ 
nahme an der Literatur des Auslandes und eine stärkere Beteiligung an inter¬ 
nationalen Verhandlungen als Gegenmittel gegen wissenschaftlichen Chauvinismus 
notwendig sind; ich weise lediglich auf das noch bestehende Mißtrauen hin, um 
die geringe Teilnahme gewisser Länder, in denen die Kinderforschung sehr ernsthaft 
betrieben wird, an dem Kongreß in Brüssel aus einer größeren Tiefe zu erklären, 
als es manche, zweifellos auch wirksame äußere Umstände und Verhältnisse tun 
können. 

Der äußere Verlauf des Kongresses war recht gelungen, dank der Gastfreund¬ 
schaft der Städte Brüssel, Antwerpen, Charleroi, der Teilnahme der Behörden und 
der vielen Anregungen, welche die Städte neben dem Kongreß geboten haben. 
Die Kongreßverhandlungen selbst geben jedoch kein vollständiges Bild des gegen¬ 
wärtigen Standes der Wissenschaft vom Kinde und ihrer Anwendung auf die 
Praxis des Unterrichts und der Erziehung; eine Reihe wichtiger Vorträge, um 
deretwilien vielleicht mancher überhaupt zur Tagung gekommen war, mußte unter¬ 
bleiben, weil die Autoren nicht erschienen waren, — es felüten z. B.*) Bechterew, 
Bertier, Claparöde, Stern, Meumann, Griesbach, Ranschburg, Spearman, G. della 
Valle. Die große Hitze, unter welcher die Verhandlungsfreudigkeit anfänglich ge¬ 
litten hat, mag manchen abgehalten haben; aber ich kann doch die Bemerkung 
nicht unterdrücken, daß die Verantwortung für die Höhe eines Kongresses auch 
diejenigen mitzutragen haben, die durch ihre vielleicht doch vermeidliche Ab¬ 
wesenheit weniger bedeutenden Kräften ein Übermaß von Raum gelassen haben. 
Weiter beeinträchtigten die überladenen Tagesordnungen die Ergiebigkeit der 
Verhandlungen, teilweise sogar in den Sektionssitzungen. Und schließlich muß 
auch dies ausgesprochen werden, daß die tolerante Kongreßleitung manches zu¬ 
gelassen hat, was mehr als Entartungserscheinung der damals hochflutenden Schul¬ 
reformbewegung Interesse verdiente. Ich kann die Absicht der Kongreßleitung 
wohl veistehen; es gibt in jeder großen Zeitbewegung Unterströmungen, die aus 
unzufriedenem Dilettantismus gespeist werden und sich gerne als zu Unrecht 
übersehen fühlen, wenn man sie nicht zu Worte kommen läßt. Trotzdem glaube 
ich, der Kongreß hätte an Erfolg gewonnen, wenn weniger Rücksicht genommen 
worden wäre. Ein Verdienst darf ihm nicht bestritten werden: er hat die inter¬ 
nationale Ausbreitung der Schulreformbewegung dokumentiert, die internationale 
Gleichförmigkeit der pädologischen Forschung gezeigt, ein Bild von ihrer Flächen¬ 
entfaltung gegeben, kein vollständiges freilich von ihrer dritten Dimension. Ob 
diesem ersten Versuch weitere folgen werden, ist heute ungewiß; sollte es der 
Fall werden, so dürften diese nachfolgenden Kongresse der organisatorischen 
Schwierigkeiten des erfahrungslosen ersten Anfangs überhoben sein und nach 
größerer Konzentration und Vertiefung streben können; wenn es ihnen besser ge¬ 
lingt, sollen sie jedoch des Dankes nicht vergessen, der denen gebührt, die Mut 
und Mühe des ersten Schrittes auf dem Wege zu einer zeitweisen Arbeitsgemein¬ 
schaft der pädagogisch interessierten Welt gehabt haben. 

Mit dem Kongreß war eine kleine Ausstellung verbunden in der Halle und in 
vier Parterreräumen der 13. städtischen Schule in Brüssel. Das Verdienst ihrer 
Anordnung gebührt in erster Linie Paul Menzerath, dann der Firma für Präzisions¬ 
mechanik E. Drosten in Brüssel und der Opferwilligkeit der Aussteller selbst. Die 
Ausstellung umfaßte eine schulhygienische, psychologische und pädagogische Ab¬ 
teilung und wurde ergänzt durch eine Kollektion technischer Hilfsmittel für das 
pädologische Experiment und eine freilich ungleichmäßige pädologische Bibliothek. 

In der Abteilung für Schulhygiene sah man Modelle und Abbildungen der 
Sinnesorgane, die herrlichen Demonstrationspräparate der Gesellschaft Natura docet 
(Naunhof bei Leipzig), Abbildungen über richtige und falsche Haltung und Ver¬ 
teilung der Kinder im Schulraum, Tabellen über die Gesundheitsverhältnisse der 

*) Man vergleiche dazu das in Nummer 7/8 des Jahrgangs 1911 dieser Zeit¬ 
schrift S. 429—431 veröffentlichte Programm des Kongresses, um die Bedeutung 
dieser Ausfälle richtig zu beurteilen! 


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Literaturberichfc 


l>elgischen Schuljugend — hervorheben möchte ich eine instruktive Tafel über die 
Verteilung der Ursachen des Schwachsinns und der Zurückgebliebenheit — und 
schließlich das gesamte Untersuchungsbesteck eines modernen Schularztes: anthro¬ 
pologische Zirkel und Meßbänder, Linsensatz, Schriftproben und Augenspiegel, 
Dynamometer, Spirometer, Hygrometer usw. Beachtung verdiente ein nach An¬ 
gaben Dufestels gearbeiteter Apparat zur graphischen Registrierung der Verände¬ 
rungen de3 Brustumfangs durch die Atmung. 

Den Hauptstock der psychologischen Abteilung bildeten die bekannten Apparate 
zu physiologischen und psychologischen Untersuchungen und Experimenten, wie 
sie von den Firmen G. Boulitte (Paris), W. Petzold (Leipzig), Spindler und Hoyer 
(Göttingen), M. Sendtner (München), E. Tainturier (Paris) und E. Zimmermann 
(Leipzig) hergestellt und in Handel gebracht werden. Eine spezielle Auslese der 
für kinderpsychologische und pädagogische Zwecke brauchbaren Instrumente und 
Apparate wäre zweckmäßiger gewesen als diese allgemeine Heerschau über lang 
bekannte und der Praxis des Laboratoriums geläufige Hilfsmittel; ich halte os für 
überflüssig, sie aufzuzählen; ein Blick in die Verlagskataloge der betreffenden 
Firmen orientiert klarer und gründlicher als es meine Beschreibung könnte. Neu 
waren lediglich das von Menzerath ausgestellte Modell eines Wahlreaktionstasters 
mit doppelter Bezeichnung der Taster und ein nach seinen Angaben kombiniertes 
tragbares Reiselaboratorium mit den wesentlichen Vorrichtungen für Gedächtnis-, 
Assoziations- und Reaktionsversuche, einem Chronoskop nach d'Aisonval, Karten¬ 
wechsler, Schalltrichter, Relais und einem ergiebigen Akkumulator. Eis waren noch 
mehrfache Verbesserungen in Aussicht genommen, insbesondere der Ersatz des 
Lippenschlüssels durch einen Kinnschlüssel; solange der Apparat nicht seine de¬ 
finitive Gestalt besitzt und ich mit ihm gearbeitet habe, möchte ich mein Elnd- 
urteil zurückhalten. So verdienstlich und begrüßenswert eine bequeme Zusammen¬ 
stellung der wichtigsten Apparate wäre, die kleinen Dimensionen und Steck¬ 
konstruktionen lassen mich glauben, daß das Modell Menzerath noch nicht die 
vollständige Erfüllung dieses Bedürfnisses ist, vielleicht es werden kann. 

In der pädagogischen Abteilung fanden, wie verdient, die Stichproben aus dem 
pädologischen Museum in Budapest die meiste Beachtung; es handelte sich um 
eine große Serie von Zeichnungen von Kindern und Analphabeten, um ornamentale 
farbige Entwürfe, um Spielzeuge und Musikinstrumente aus Stroh und Rohr, um 
Schriftproben und ähnliche meist spontan geschaffene Zeugen des geistigen Besitzes 
und der Ausdrucksfähigkeit. Ich möchte es besonders betonen, daß L. Nagy, der 
verdienstvolle Urheber dieser Sammlungen, nach einem weitschauenden Plane 
verfuhr. Seine Absicht war: die faktische Bedeutung des Schulunterrichts für 
den Stand von Kenntnissen, Fähigkeiten und Ausdrucksmöglichkeiten zu zeigen; 
sein Weg bestand darin, die Geistesprodukte solcher Erwachsener zu sammeln, 
die entweder keine Schulbildung genossen haben, oder in denen die kümmerlichen 
Anfänge derselben vollständig verwittert und verfallen sind. Er wandte sich des¬ 
halb an die Militärverwaltung, um diesbezügliche Erhebungen an einer größeren 
Anzahl von Analphabeten durchzuführen. Mit ihren Leistungen vergleicht, kon¬ 
frontiert er dann themagleiche Erzeugnisse von Kindern der verschiedenen Schul¬ 
stufen und bereitet so die Möglichkeit vor, einmal genauer bestimmen zu können, 
auf welcher Stufe des unterrichteten Kindes dieser oder jener imunterrichtet ge¬ 
bliebene Erwachsene stehen geblieben ist. Das in Brüssel gebotene Material war 
in dieser Hinsicht sehr lehrreich, freilich nicht ausgiebig genug, um einen Ent¬ 
scheid darüber zu gestatten, ob die theoretischen End absich ten Nagys damit be¬ 
wiesen werden können. Das Material bot aber auch unabhängig von dieser Frage¬ 
stellung einen hohen Wert für die Kenntnis des ungarischen Schulkindes und des 
Kindes überhaupt. Ich möchte die herrlichen farbigen Entwürfe von „Braut¬ 
kleidern“ nicht unerwähnt lassen, die — wie die ungarische Keramik, Tracht, 
Leinwandstickerei, Lederarbeiten und andere Zweige des Kunstgewerbes — einen 
hohen eingeborenen dekorativen Farbengeschmack dieser Nation beweisen. Es 
soheint überhaupt, als ob der dekorative Farbensinn zunehme, je mehr man sich 
dem Oäten nähert. 


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Literaturbericht 


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Die größte Kollektion nach der ungarischen waren Kipianis Belege für den 
Einfluß der Rechtshändigkeit und Reohtsseitigkeit auf Raumorientierung und 
Gegenstandsauffassung überhaupt, zur Veranschaulichung des Einflusses der Beid- 
händigkeit und eine größere Anzahl von Proben sowohl linkshändiger wie beid¬ 
händiger Ausdruckserzeugnisse. Die Würdigung dieses Materials ist in dem Bericht 
über die größere Reihe von Vorträgen und Mitteilungen enthalten, welche sich mit 
den Grundlagen, der Bedeutung und der Erziehung der Ambidextrie beschäftigt 
haben — ein Thema, das seitdem jeden Reiz verloren zu haben scheint. 

In der pädagogischen Abteilung befanden sich dann noch kleinere Kollektionen 
von Slöjdarbeiten aus polnischen Schulen, von Veranschaulichungsmitteln für 
Kindergarten- und Elementarunterricht, einige Tafeln mit statistischen Erhebungen 
über die Privatlektüre der Kinder in Moskauer Schulen. Die Tafeln zur Erleichte¬ 
rung der unbewußten Einprägung einer Buchstabenform durch schematische Zeich¬ 
nung eines Gegenstandes, der mit dem betreffenden Buchstaben anfängt und 
dessen Grundgestalt soweit als möglich der Buchstabenform angeglichen wird, 
waren sehr anfechtbar; das Problem ist seither in gründlicher Weise behandelt 
durch F. E. Otto Schultz in seiner Untersuchung über Gedächtnishilfen bei der 
Satzlesemethode (Frankfurt a. M. 1914. M. Diesterweg). Aus den Tabellen über 
Privatlektüre ergeben sich die Prozentsätze der Kinder, die selber lesen, derer, 
die sich lieber vor lesen lassen, die Prozentsätze der auf den verschiedenen Alters¬ 
stufen bevorzugten Stoffe usw.; zu tiefer dringender Analyse der Wirkung der 
Privatlektüre ist die statistische Erhebung kein Weg. Auch in Antwerpen und 
Charleroi, wohin der Kongreß je eine Exkursion unternahm, wurden kleine Aus¬ 
stellungen gezeigt; ich habe nur diejenige in Antwerpen gesehen; sie umfaßte 
Lehrmittel und Lehrergebnisse der Knaben- und Mädchenschulen und einige 
Hilfsmittel für schulärztliche und schulpsychologische Untersuchungen aus dem 
Laboratorium des Schularztes Dr. Günzburg. Unter den Dokumenten der kind¬ 
lichen Entwickelung befand sich wenig, was nicht bei den vielen Schulausstel¬ 
lungen, die wir in Deutschland infolge des Kampfes um die Arbeitsschule all¬ 
jährlich haben, auch oder noch besser gesehen werden kann. Am Ausflug nach 
Charleroi habe ich nicht teilgenommen; wie mir berichtet wurde, erhielten die 
Kongreßmitglieder dort einen sehr instruktiven Einblick in die Organisation, 
Unteirichtsmethodik und Lehrerfolge der Uni versitz du travail und der Fürsorge- 
anstalt für Krüppel der Provinz Hennegau. 

Nach diesem Überblick über den äußeren Verlauf und die besonderen Veran¬ 
staltungen wende ich mich zur Darstellung der Kongreßverhandlungen selbst. 
Es sind hauptsächlich die Fragen der Jugendkunde (speziell der Psychologie und 
Physiologie des Kindes) und der Reform des Unterrichts und der Erziehung 
(namentlich durch die Schule), die heute im Vordergrund des pädagogischen 
Interesses stehen; es war nur der Ausdruck der Zcitlage, wenn diese beiden 
Themata auch in den Verhandlungen des Brüsseler Kongresses den breitesten 
Raum einnahmen. Das Streben nach exakter Kenntnis der Kindesnatur und 
nach feinfühliger Anpassung der Unterrichtsmethodik an ihre Entwickelung ist 
jedenfalls eines der wesentlichen Momente in dem Unterschied zwischen ,,alter“ 
und „neuer“ Richtung in der Pädagogik. Ich habe früher ausführlich begründet , l ) 
inwiefern diese gegenwärtige Konstellation die Gefahr der Verengung und Ver¬ 
flachung pädagogischer Fragestellung einschließt; keine Erziehung kann auf hören, 
den wertvollen Inhalt unserer Kultur als Norm vorauszusetzen, die Entwicklung 
zu beeinflussen, zu dirigieren, dabei außer den psychologischen Tatsachen in Kind 
und Lehrer die Logik der Sachen und die Berechtigung der Ziele zu prüfen und 
zu berücksichtigen. Ein Kongreß für Pädologie ist ja freilich durch seinen Titel 
berechtigt, solchen Problemen aus dem Wege zu gehen; ich hätte auch kein Recht, 
auf sie zu verweisen, wenn nicht immer wieder die Tendenz zutage getreten 
wäre, von jugendkundlichen Feststellungen aus ohne weiteres zu pädagogischer 
Nutzanwendung und Reformforderung überzugehen, ohne an die Fülle berechtigter 


*) Vergleiche meine Ausführungen in dieser Zeitschrift XII, 2, S. 81 f. 


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Literaturbericht 


anderer Faktoren auch nur zu denken. In diesem Punkt läßt sich die Verschie¬ 
bung der pädagogischen Lage seit dem Jahr 1911 sozusagen mit Händen greifen. 

Auf kurze Titel gebracht lassen sich die psychologischen Themata des Kongreesee 
in zwei Gruppen zusammenfassen: Wie entwickeln sich die einzelnen 
geistigen Fähigkeiten beim Kinde? und: Wie hängen die einzelnen 
geistigen Fähigkeiten miteinander zusammen ? In der ersten Gruppe 
wurden ausführlicher behandelt — auf Grund von Umfragen, Laboratoriums¬ 
versuchen und Schulbeobachtungen — die Entwicklung der Sprache (von Gheorgov) 
mit Einschluß der kindlichen Definitionen (von Frl. Szyc), bei denen auch die 
Kenntnisse, Erkenntnisse und logischen Fähigkeiten neben den sprachlichen eine 
Rolle spielen, die Entwicklung der Merkfähigkeit und des Gedächtnisses (F. Raalten) 
mit Einschluß der Aussage und Zeugnisfähigkeit des Kindes (von W. H. Winch, 
Margit Rövösz und M. Fiore), die Entwicklung der motorischen Funktionen, unter 
Berücksichtigung der Fragen einer rhythmischen Gymnastik, der Rechts- und 
Linkshändigkeit (von R. Guilliaume, Joteyko, Kipiani, Nayrac, A. Ley) die Ent¬ 
wicklung des Farbensinnes (von J. Degand), die Entwicklung der Mengen- und 
Zahlvorstellungen und Zahlbegriffe (von Decroly, Degand, Monchamps), der 
Phantasie (von Persigout), der ästhetischen Empfänglichkeit (von Hösch-Emst), der 
moralischen und religiösen Gefühle (Ghidionescu, Klootsema, Ugerto de Ercilla 
S. J.), der Typen des Denkens (Schuyten, Nogrädy, verlesen durch Braunshausen), 
der sozialen Gefühle (A. Fischer, Varendonck), des Schlafes und Traumlebens 
(Deutsch, mitgeteilt von Nagy). 

Aus dem Problemkreis der im engeren Sinn pädagogischen Psychologie, speziell 
der seelischen Entwicklung, soweit sie mit dem Unterricht in Zusammenhang 
steht, verdienen Hervorhebung die Mitteilungen über Zerstreutheit, Ablenkbarkeit, 
Aufmerksamkeit (Lipska-Lirbach), über Intelligenzentwicklung und Intelligenztests 
(Saffioti). 

In diesen Vorträgen, Mitteilungen und der Aussprache über sie kam die for¬ 
schende Arbeit in ihrer Vielgestaltigkeit zum Ausdruck, in den großen Sammel¬ 
referaten die Zusammenfassung des Standes unserer Methoden und Kenntnisse. 
Von diesen allgemeinen Vorträgen verdienen Hervorhebung und Beachtung auch 
heute noch der von Joteyko über die Terminologie in der Kinderforschung, von 
8 . dei Sanctis über abnorme Kinder, von J. C. Jung über die Bedeutung der 
Psychanalyse. Von den sehr zahlreichen anthropometrischen und sinnesphysio¬ 
logischen Mitteilungen und Vorträgen sehe ich hier ab, obgleich ihr Interesse für 
den Erzieher wie für den Kinderforscher ein hohes ist. 

Von der zweiten Kardinalfrage nach den Korrelationen kamen ausführlicher zur 
Behandlung die Zusammenhänge zwischen Intelligenz und Gedächtnis (Ransch- 
burg, verlesen durch die Kongreßleitung, F. van Raalten), zwischen Intelligenz 
und Sinnesschärfe (Ferreri), zwischen Intelligenz, Aufmerksamkeit und Gedächtnis, 
zwischen Körpermaßen und geistigen Fähigkeiten (Manouvrier, Gray), zwischen 
technischer und geistiger Entwicklung des Kindes, mit Rücksicht auf die Grund¬ 
lagen des Schulunterrichts (Lorent, Schreuder). Die von Spearman versprochene 
prinzipielle Behandlung des Korrelationsproblems und der Methoden zur Fest¬ 
stellung i on Korrelationen ist leider ausgefallen (im gedruckt vorliegenden Berioht 
ist ein klares Referat desselben über den damaligen Stand der Frage enthalten); 
ich habe das um so mehr bedauert, als Spearman mit F. Krüger große Verdienste in 
der Korrelationsforschung besitzt und die Literatur dieses Gebietes zweifellos 
beherrscht; ich bin auch der Meinung, daß die Klärung der grundlegenden Be¬ 
griffe auf dem Gebiete der Begabungsforschung nicht länger mehr umgangen oder 
auf geschoben werden kann. 

Relativ einheitliche Problemgruppen in der psychologischen und anthropologischen 
Sektion bildeten dann noch die Test- und Ermüdungsfrage, mit Einschluß 
der in der romanischen Pädologie ja noch immer blühenden Ästhesiometrie. 

Auf pädagogischem Gebiete waren es alle wichtigen und viele imwichtigen 
Vorschläge, Reformen und Versuche, die den Gegenstand der Verhandlung und 
meist au oh des Streites gebildet haben: die Frage der Koedukation wurde prin- 


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zipiell und an der Hand von Erfahrungen ventiliert (Badley, Rouma); die unter- 
richtliche und erzieherische Wirkung der Handarbeit, das Problem der Schul¬ 
gemeinden und das Seif govemement, die ganze über die Handarbeit hinaus¬ 
drängende Bewegung der Arbeitsschule bildeten einen Hauptinhalt der fiducation 
nouvelle, zu deutsch Reformpädagogik. Eine Vereinheitlichung auf gewisse Grund¬ 
fragen ist hief weniger leicht, doch heben sich als solche heraus: 1) das Problem 
der Ermüdung, an der Grenze zwischen Physiologie, Psychologie und Pädagogik, 
und von allen Seiten behandelt (individuelle und kollektive Ermüdung von Wayen- 
burg, Schreibermüdung, Maß der Ermüdung, Mittel zu ihrer Verhütung (G. Rouma), 
2) das Problem der Koedukation (Badley), 3) das Problem der modernen Methodik; 
Arbeitsschule und Selbsttätigkeit (A. Fernere), 4) die Frage der Handarbeit im 
engeren Sinn (Lorent), 5) die modernen Schwierigkeiten, Ziele,und Methoden der 
Charakterbildung im engeren Sinn. Die Zurückführung der Verhandlungen auf 
diese großen Linien gibt freilich kein Bild mehr von der Fülle der Einzelanregungen; 
es gehörte zu den größten geistigen Reizen der Tagung, von geistreichen Beobach¬ 
tungen, z. B. über den Wert der Stimme im Unterricht oder von der Muskel¬ 
trägheit des zurückgebliebenen Schülers oder von einer anderen Einzelheit aus immer 
wieder Perspektiven auf die entscheidenden Fragen sich öffnen zu sehen, in der 
Diskussion zugleich das Gemeinsame und das Verschiedene der Nationalitäten, 
ihrer Denkweise und demgemäß auch ihrer pädagogischen Ideen, Einrichtungen 
und Persönlichkeiten zu beobachten. 

Wirft man jetzt einen Bick auf diese Tagung zurück, so erstaunt man vor allem 
über die Weite des Abstandes, die uns von der Buntheit und Zersplitterung, der 
Unsicherheit und teilweise Ziellosigkeit der Fragestellung und Methodik trennt. 
Durch den Ausbau des Schularztwesens ist in Deutschland die anthropologische, 
medizinische und hygienische Seite der Kindesforschung wie der Erziehung und 
Kinderfürsorge außerordentlich gefestigt und gefördert worden; manche Fragen 
wie die nach Beidhändigkeit, nach der ästhesiometrischen Methode, auf dem 
Kongreß 1911 lebhaftest erörtert, muten uns wie überholte und kaum verständ¬ 
liche Sonderbarkeiten an. Auch die psychologische Kinderforschung hat an 
Sicherheit der Methode erheblich gewonnen. Am größten ist aber der Abstand 
zwischen Einst und Jetzt auf dem Gebiet des pädagogischen Denkens im engeren 
Sinn. Der Dilettantismus und der Doktrinarismus (namentlich der neueren Denk¬ 
weisen) haben einer gesunden Selbstkritik Platz gemacht, die Grundfragen der 
Erziehung werden immer reiner und einheitlicher gesehen;- der Fortschritt der 
Arbeit und das große Erlebnis haben gleichmäßig dazu beigetragen, den Blick von 
Nebensachen abzuziehen und die Problematik der menschlichen Dinge auf ihre 
großen Grundlinien zu vereinfachen. Ein internationaler Jugendkunde- und Er¬ 
ziehungskongreß der Zukunft wird, wenn er einmal kommt, größere Schwere be¬ 
sitzen. Dem, der die Brüsseler Tage 1911 miterlebt hat, wird der gedruckte 
Bericht die farbige Erinnerung an eine Versammlung sachlich verbundener 
Menschen und an strahlend schöne Tage lebendig werden lassen. 

München. Aloys Fischer. 

Dr. Kurt Kesseler, „Grundlinien einer deutsch-idealistischen Päda¬ 
gogik/* Langensalza 1916. J. Beltz, 41 S. 1 M. 

Um einen festen Standpunkt inmitten der Strömungen der Gegenwart zu 
gewinnen, gründet K. seine Pädagogik auf die Philosophie des deutschen Idealis¬ 
mus, als dessen Wesen er das Bekenntnis zum Geist hinstellt. Das Bildungsideal 
ist: „Erhebung des Menschen in die geistige Welt durch humane und nationale 
Bildung, durch Persönlichkeitsbildung und Nationalerziehung (S. 7). Bei der Ver¬ 
standesbildung sucht K. über die Einseitigkeit des Intellektualismus hinauszukommen 
und fordert Rückkehr zu Pestalozzi. Die formale Büdung hat Aufmerksamkeit, 
Gedächtnis, Phantasie, Denken und Sprechen zu schulen; für die materiale Bildung 
gilt als oberster Gesichtspunkt, „daß die Kenntnisse der Begründung und dem 
Ausbau einer deutsch-idealistischen Weltanschauung dienen** (10). Daher stehen 
im Mittelpunkt des Unterrichts Deutsch, Geschichte und Religion bei allen Schul- 


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gattungen; bei den höheren tritt mit zwei Wochenatunden ab OII, spätestens UI 
der philosophische Unterricht hinzu, umfassend Logik, Pädagogik, Geschichte der 
Philosophie und Philosophie des deutschen Idealismus. Latein soll Grundlage 
des Sprachunterrichts werden. Griechisch wahlfrei; von modernen Sprachen wird 
besonders Englisch gefordert, das zur Einführung in einen fremden Kultur kreis 
dienen soll. Dazu treten dann Mathematik und die Realien. Die technischen 
Fächer stehen im Dienste der Kunsterziehung. Als wichtigste Grundgesetze der 
Methode gelten ihm Induktion und Selbsttätigkeit. Jede Unterrichtsstunde muß 
methodisch den Dreischritt Anschauen, Denken, Handeln erkennen lassen. Hinter 
der Bildung des Verstandes darf die Willensbildung nicht zurücktreten. Ihr Ziel 
ist Bildung zur sittlichen Persönlichkeit und Eingliederung dieser in die sozialen 
Verbände. Diesem doppelten Ziele entsprechen zwei Gruppen von Tugenden: 
a) Besonnenheit, Tapferkeit, Einsichtigkeit, b) Gerechtigkeit, Treue, Liebe. Die 
Methode der Willensbildung hat die rechte Mitte zwischen zu großer Freiheit und 
Drill zu wahren, sie ist lockend durch Beispiel, anregend durch Betätigung 
(Selbstregierung) und Unterricht, bestimmend durch Aufsicht, Gebot, Ermahnung, 
Lohn und Strafe. — Die Kunst führt uns aus der kühlen Welt des Verstandes 
und der oft herben Welt der Pflicht in die Sphären der Harmonie und des 
Friedens; sie führt zur Humanitäts-Aufgabe der Kunsterziehung, ist Pflege des 
aesthetischen Sinnes, des Sinnes für die Form, des Interesses an der Idee. Besonders 
interessant sind Ks. Ausführungen über die religiöse Pflege. Das Kind hat ein 
Recht darauf, daß man in ihm den Sinn für die Welt der Religion nicht ver¬ 
kümmern läßt; darum wird die Verschiebung der religiösen Bildung auf spätere 
Zeit (Rousseau) verworfen, ebenso aber auch die dogmatisch-kirchliche Erziehung. 
Als Mittel der religiösen Pflege werden Vorbild, Übung und Lehre bezeichnet, 
gewarnt wird vor Häufung der Schulandachten, die Teilnahme daran soll ganz 
freiwillig sein. „Der Religionslehrer kann (und darf!) den Kindern nur den Weg 
zu Gott zeigen, die Entscheidung darüber, ob sie ihn gehen wollen, müssen sie 
selber treffen, denn religiöser Glaube ist stets Freiheitstat“ (25). (Es erhebt sich 
die Frage, ob eine solche Entscheidung, nämlich im positiven Sinne, überhaupt 
noch möglich ist, wenn der Religionsunterricht so früh beginnt. Der Ref.). Der 
Katechismusunterricht gehört in den historischen Teil des Religionsunterrichts, 
der auch nichtchristliche Religionen zu berücksichtigen. hat. Auf den höheren 
Schulen soll der Religionsunterricht mit der philosophischen Propädeutik Zu¬ 
sammenarbeiten. Die kirchliche Beaufsichtigung des Religionsunterrichts verträgt 
sich nicht mit dem protestantischen Gedanken des allgemeinen Priestertums der 
Gläubigen, weshalb völlige Trennung von Schulreligionsunterricht und Kirche ge¬ 
fordert wird. — Bei der Nationalerziehung kommt es weniger auf staatsbürger¬ 
liches Wissen als auf staatsbürgerliche Gesinnung an. Die beste Grundlage dafür 
bietet die Mutterstube. Hieran hat die Schule anzuknüpfen, die Jugendpflege 
fortzusetzen und die militärische Dienstzeit den Abschluß zu geben. Für die 
Frau wird ein weibliches Dienstjahr gefordert. Es ist daher selbstverständlich, 
daß K. die Familienerziehung ganz besonders hervorhebt. Die Familie ist die 
Grundlage aller Menschenbildung und übertrifft alle anderen Erziehungsorgani¬ 
sationen an Unmittelbarkeit und Lebensfrische. Daher Förderung des päda¬ 
gogischen Sinnes. In den Oberklassen der höheren Schule und in den Fortbildungs¬ 
schulen sollen pädagogische Fragen zur Erörterung kommen, für die Erwachsenen 
Vorträge über Erziehung gehalten werden. Die soziale Lage der Eltern muß 
verbessert werden. Schaffung staatlicher Kinderhorte, deren Besuch in den 
letzten zwei vorschulpflichtigen Jahren für jedes Kind obligatorisch ist. Planmäßig 
durohgeführte Säuglingspflege und Fürsorgeerziehung. — K. verwirft die Einheits¬ 
schule mit gemeinsamer Grundstufe mit Rücksicht auf die bessere Vorbildung 
der Kinder sozial besser gestellter Kreise. Er fordert eine vier- und eine drei- 
kle^sige Grundstufe. An die vierkiesige schließt sich die Volksschulbildung 
an, die bis zum 15. Jahre zu verlängern ist, daran vom 15.—18. Jahre die Pflicht¬ 
fortbildungsschule, an die dreikiesige Grundstufe schließt sich de Real-Gymna¬ 
sium, die höhere Einheitsschule der Zukunft an. Volksschülern, die sich als ge- 


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eignet für die höhere Schule erweisen, soll nach Kieler Muster ein späterer 
Übergang in die höhere Schule ermöglicht werden. Da durch die Schule die 
Bildung nicht abgeschlossen werden kann, hat der Staat für die Möglichkeit der 
Weiterbildung zu sorgen. (Volksbildungsvereine, Bibliotheken, Lesehallen, Volks¬ 
hochschulen). 

Bonn Oskar Kutzner. 

Häberlin, Paul, Das Ziel der Erziehung. Kober. Basel 1917. 171 S. 4,80 M. 

H. stellt sich zur Aufgabe die Besinnung auf das Ziel der Erziehung. Zu 
diesem Zwecke erörtert er zuerst die Frage, ob es objektiven oder nur subjektiven 
Wert gibt und kommt zu dem Ergebnis, daß „wer je Wahrheit schlechthin ge¬ 
sucht hat .... auch objektiven Wert anerkannt hat“ (24). Der objektive Wert 
gründet sich auf den Überzeugungscharakter. Die Erziehung hat nun objektiven 
Sinn, wenn sie von objektiv Geltendem aus gefordert ist. Nun gibt es nicht 
mehrere objektive Werte, sondern nur einen, den H. die Idee nennt; sie muß 
zur Darstellung gebracht werden und fordert darum grundsätzliche Hingabe an 
sich, d. L Frömmigkeit. Die Darstelluug der Idee ist zugleich unsere einzige 
objektive Aufgabe, der Sinn unseres Daseins. Die Realisierung der Idee in der 
Menschheit ist die Kultur. Unter Kultur versteht H. aber auch richtiges Ver¬ 
halten des Menschen, wobei er wieder zwei Richtungen und zwei Formen unter¬ 
scheidet: a) Verhalten gegenüber der Idee und gegenüber der Wirklichkeit, 
b) das theoretische und praktische Verhalten. Daraus ergeben sich vier Grund¬ 
formen der Kultur: Norm-Einsicht, fromme Hingabe, Wirklichkeits-Einsicht, 
rechtes Handeln gegenüber der Wirklichkeit (74). Der Einzelne hat gemäß seiner 
individuellen Besonderheit die Aufgabe, die Idee zur Darstellung zu bringen. 
Das kann er immer nur selber tun, aber ich kann ihm dabei helfen in indirekter 
oder direkter Form, indem ich entweder auf seine Umwelt oder auf ihn selbst 
einwirke. Diese innere Förderung des andern auf dem Wege zur Erfüllung seiner 
Bestimmung nennt H. Erziehung (90, 99). Da es in Wirklichkeit keine allgemein 
menschlichen Pflichten gibt, sondern nur Verwandtschaften ünd Ähnlichkeiten 
größeren und geringeren Grades, muß eine inhaltliche Bestimmung dessen, wofür 
Erziehung den Einzelnen vorbereiten soll, im Erziehungsziel — soll dieses all¬ 
gemein gelten — unterbleiben. Entsprechend den vier Grundformen der Kultur 
läßt sich das Erziehungsziel näher charakterisieren. Das erste Teilziel besteht 
in der Fähigkeit des Zöglings, sich der Idee gegenüber praktisch richtig zu ver¬ 
halten: der rechte Wille (113 ff.), das zweite in der richtigen Norm-Einsicht (126 ff.), 
das dritte in der rechten Urteilsfähigkeit (143 ff.) und das letzte in der Berufs- 
tüchtigkeit (158 ff.). H. erinnert in seinen Anschauungen und Ausführungen sehr 
an Fichte. 

Bonn. Oskar Kutzner. 

Dr. Artur Buchenau, Kurzer Abriß der Psychologie. Für den Unterricht an höheren 
Schulen, an Lehrer- und Lehrerinnen-Bildungsanstalten, sowie für das eigene Studium. Berlin 
1917. Reimer. 64 S. 0,80 M. 

Die kleine Schrift verdankt unterrichtlicher Tätigkeit ihres Verfassers die Entstehung und 
bietet auch weiterhin dem Schulfache Psychologie" ihre Dienste an. Sie verzichtet mit Recht auf 
eine didaktische Formung des Stoffes — eine solche muß gerade in der schwierigen psychologischen 
Unterweisung immer persönliche Leistung dös Lehrers bleiben — und reicht nur in knapper, 
u. E. allzu knapper Bemessung d(|s wissenschaftlich einwandfreie, nach dem gegenwärtigen 
Stande der Forschung ausgewählte und formulierte Lehrgut dar. Dabei ist mit Geschick viel¬ 
fach der Blick auf die großen Fragen der Weltanschauung eingestellt, die in die Psychologie 
so reich hereinspielen. Durchweg wird erkenntlich, wie Buchenau, dessen reiche schriftstel¬ 
lerische und lehrende Tätigkeit früher eine einseitige erkenntnis-theoretische, von Natorp be¬ 
einflußte Orientierung zeigte, neuerdings der empirisch forschenden Psychologie ihr Recht werden 
läßt und wie er so — was er im Vorworte auch selbst bekennt — zu einer Synthese von Kant 
und Wundt kommt. 

Hervorgehoben sei, daß Buchenau in solcher Bahn in entschiedener Weise einen Stoff¬ 
wechsel in der Seminarpsychologie, die vielfach immer noch auf die überholte Lehre Herbarts 


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Literaturbericht 


die neuen Anschauungen aufpfropft, entschlossen wagt. Eine zweite Auflage wird nicht umhin 
können, sich mit Bildern und graphischen Darstellungen auszustatten. 

Leipzig. Otto Scheibner. 

Ed. Balsiger, Einführung in die Seelenkunde. Psychologie auf physiologischer Grund¬ 
lage für den Unterricht am Seminare und die Selbstbelehrung. Bern 1913. A. Franke. 101 S. 2,20 M. 

Als Schullehrbuch muß dieser Versuch einer kurzen Darstellung des seelischen Lebens außer 
seiner Beurteilung des Inhaltes (gegen den mancherlei einzuwenden wäre, vergl. z. B. die Er¬ 
klärung des Gedächtnisbegriffes) eine Prüfung auf die Formung des Stoffes erfahren. Sie ent¬ 
spricht in manchem nicht den Forderungen der in jüngerer Zeit wesentlich geförderten' Methodik 
des psychologischen Unterrichts. (Vergl. z. B. 0. Scheibner, Zur Gestaltung des psychologischen 
Unterrichts in der Lehrerbildung. Diese Zeitschrift Jahrg. 1917). Ganz verfehlt erscheint die 
Gliederung in „Erster Teil: Physiologische Grundlegung“ und .Zweiter Teil: Seelenleben*. Der 
psychologische Unterricht wird so auf langer Strecke eingeleitet mit Betrachtungen rein natur¬ 
wissenschaftlicher Art, die übrigens der Seminarunterricht in der Anthropologie, Zoologie und 
Biologie viel ausführlicher ohnedies behandelt, so daß sie bei der psychologischen Unterweisung 
vorauszusetzen und dann nur so weit heranzuziehen sind, als es die Vertiefung der psychologischen 
Einsicht durchaus erfordert. Auszugehen ist dabei immer von den seelenkundlichen Erlebnissen 
und nicht, wie dies ein verbreiteter Fehler in den gebräuchlichen psychologischen Lehrbüchern 
ist, von physikalischen und physiologischen Tatsachen. Ein seltsamer Teil des Buches ist auch 
der Schlußabschnitt, der „Ergebnisse der experimentellen Forschung“ in recht zufälliger Auswahl 
und ungenügender Ausbreitung zusammenstellt. Es mußte dieser Stoff in die verschiedenen Kapitel 
des Buches organisch hineingearbeitet werden, wie dies tatsächlich vom Verfasser auch in einigen 
Fällen vorgenommen worden ist, wenn auch zumeist nicht in der Art, wie wir uns die Ein¬ 
gliederung des psychologischen Versuchs ausgiebiger und methodisch herzhafter angefaßt denken 
und selbst betreiben. Dagegen empfehlen wir eine Herausnahme des kinderpsychologischen 
Stoffes aus den einzelnen Abschnitten und seinen Zusammenschluß zu einer, den Entwicklungs- 
zug deutlich herausarbeitenden eigenen Darstellung. Daß wiederholt pädagogische Gedanken¬ 
gänge sich in die psychologischen Ausführungen einschleichen, nimmt in einem Seminarlehrbuch 
nicht Wunder. Geschieht es nur bei dazu drängender Gelegenheit, so mag wenig dagegen ein¬ 
zuwenden sein. Im allgemeinen aber sollte der psychologische Unterricht im Seminare, der bei 
der Fülle und Bedeutung des sich anbietenden Stoffes seine Zeit für seinen Stoff ausnützen muß, 
der Pädagogik, der er allerdings in letzter Absicht dienen soll, nicht vorgreifen: es entwickelt 
sich in den Schülern sonst nur allzu leicht der gefährliche pädagogische Psychologismus, der die 
Normierung des unterrichtlichen und erziehlichen Tuns einzig und allein aus seelischen Erkennt¬ 
nissen gewinnt. 

Leipzig. Rieh. Tränkmann. 

Lipmann, O., Psychische Geschlechfcsunterschiede. Ergebnisse der diffe¬ 
rentiellen Psychologie statistisch bearbeitet. 2 Teile. IV, 108 und 172 S.; 9 Kurven. 
Leipzig 1917. Beiheft 14 zur Zeitschr. f. angew. Psychol. Barth. 1916. 12.— M. 

Die Problemstellung — Koedukationsfrage — war für L. durch jenen bekannten 
Breslauer Kongreß des Bundes für Schulreform 1913 gegeben, und bereits damals 
haben L.s umfassenden, mühevollen und exakten Forschungen gebührende Anerken¬ 
nung gefunden. Umso wertvoller, daß die Ergebnisse seiner statistischen Zusammen¬ 
fassung in Buchform auch weiteren Kreisen zugänglich werden, daß sie sich nach¬ 
prüfbar stabilisierten. Die Enge der zeitlich bedingten Problemstellung kann 
dabei wissenschaftlich nur von Vorteil sein. Der erste Teil gibt den zusammen¬ 
hängenden Text; der zweite die Tabellen und die Bibliographie. Fünf Hauptkapitel 
gliedern den Textteil: Methodik, die Einzelergebnisse, systematische Übersicht 
über die Einzelergebnisse, Vergleich des Geschlechtsverhältnisses auf den ver¬ 
schiedenen Altersklassen, Gesamtstatistik. Wertvoll sind schon die methodischen 
Erörterungen, deren reiche mathematische Grundgebung den Exaktheitsgrad 
anlegen soll, der bei der experimentellen komplexen Psychologie denkbar und 
wünschenswert ist. Im ganzen kommt L. zur Aufteilung der Versuchsergebnisse 
nach der Alternativ- und der Klassifikationsmethode. Die eine gilt für Resultate 
mit bipolarem Ergebnis (richtig, falsch; Voll- oder Fehlleistung usw.); die andere 
dehnt ihr Geltungsbereich über solche Ergebnisse aus, deren variables Leistungs¬ 
moment mannigfach gestreut und wesentlich nach drei Klassen, den mittleren, 


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den oberen und den minderen Leistungen, gestaffelt werden kann. L. hat über 
diese Dinge bereits vordem sich verschiedentlich geäußert; hier findet sich der 
Oesamtgesichtspunkt in guter Synthese. Die Kapitel über die Einzelergebnisse 
umfassen eine reiche Fülle der Arbeiten anderer, die L. auf Orund seiner strengen, 
methodischen Auswahl für verwendbar erachtete und deren Resultate er statistisch 
zusammenstellt, vergleicht, auswertet. Die Sinnespsychologie, die Vorstellungen, 
sämtliche experimentell greifbaren Bewegungsvorgänge, Rechnen und mathema¬ 
tische Anlage, Begabungserscheinungen auf bestimmten Kulturgebieten (z. B. 
Zeichnen, Technik, Geschichte usw.), sprachliche Veranlagung, alle emotionalen und 
voluntativen Faktoren, die so prekäre Intelligenz- und Schulleistung, die Aufmerk¬ 
samkeit, Suggestibilität: alle, soweit bisher experimentell fruchtbar untersucht, 
werden statistisch verglichen und auf Endergebnisse hinsichtlich der Geschleohts- 
unterschiede formuliert. Eine Gesamtübersicht gibt hinsichtlich der Verteilung 
dieser Einzeleigensohaften im Rahmen der Geschlechterleistung Aufschluß; ein 
Annexus bezieht sich — übrigens eine fruchtbare Ausbaumöglichkeit — auf paar¬ 
weise Eigenschafts- bezw. Leistungsvergleichung in ihrer Beziehung zur psychischen 
Geschlechterdifferenz. Ein neuer Aufriß im vierten Kapitel; Vergleich der Ge¬ 
schlechtsverhältnisse nach den Altersstufen (3 - 17jährige wurden berücksichtigt). 
Er ergibt im allgemeinen: Zunahme der Divergenz mit Anstieg des Alters; 
Entwicklungsbeschleunigung in der Präpubertät beim Manne; größere Konstanz der 
Mädchen, Frühjahrsanstieg der Knaben im Jahresablauf. Endlich im zusammenfas¬ 
senden Schlußkapitel als allerwichtigstes das klare Überwiegen der männlichen 
Vpp. im oberen und unteren Leistungsviertel, die Angleichung der weiblichen 
Leistung, die größere Konstanz derselben um sämtliche Mittelwerte, Durchschnitts- 
maße. Die Frau arbeitet konstanter, der Mann extremer, M. hat eine größere 
Intervariabilität, andererseits hatte M. eine höhere mittlere Variation beim selben 
Versuch. (L. hätte dieses Paradoxon noch mehr betonen können, er ging auf die 
m. V. nur ganz nebenher, S. 70, ein). Hierin liegt zweifellos das fruchtbarste 
aller seiner Ergebnisse und die größte Anregung zum Weiteren. Denn alles andere 
sonst — einschließlich der Anwendung auf eine Koinstruktion — ist trotzdem 
letzten Endes ein Ignorabimus. Die experimentelle Psychologie hat (außer obigem) 
kaum etwas erbracht, was man nicht gewußt hat, andererseits meist da versagt, wo 
man Aufschluß erwartete. L. kommt zum Endergebnis, daß, nach dem bisherigen 
Stande der Wissenschaft, empirisch eine Nivellierung der Geschlechterdifferenzen 
eigentlich herauskommt. Praktisch (und das ist leider etwas anderes) dürften 
dagegen die Differenzen viel erheblicher sein, weil da Strukturzusammenhänge 
mitsprechen, komplexe Bindungen, die kein Versuch mehr fassen wird. Es gehört 
mit zu den anerkennenswertesten Leistungen L.s, daß er vor dieser Resignation 
— die übrigens keinem aufrichtigen Forscher unerwartet sein konnte — nicht 
zurückschreckt» und die experimentellen Gewohnheitspädagogen mögen sich dieses 
Ergebnis besonders notieren. — Der zweite Teil ist zum eigentlichen Studium 
bestimmt. Die Tabellen sind vortrefflich und in dieser Form in keiner ähnlichen 
Zusammenstellung auffindbar. Daß die umfängliche Bibliographie erstklassig ist, 
versteht sich bei L. von selbst. Im ganzen methodisch, des Resultats und der 
Nachwirkung wegen eine vorzügliche Studie, ganz abgerechnet den bewunderungs¬ 
würdigen Fleiß bis zum Ziel. 

z. Zt. Mülheim (Ruhr) Fritz Giese. 

Marx Lobsien, Die Lernweisen der Schüler. Psychologische Beiträge zur geistigen Öko¬ 
nomie des Unterrichts. Mit zwei Figuren und einer Tafel im Text. Leipzig 1917. Wunderlich. 

89 S. 1,60 M. 

In den Forderungen und Anweisungen, die auf Grund der experimentellen Analyse der Ge- 
dächtnialeistungen aufgestellt worden sind, findet sich zumeist die persönliche Eigenart des Ler¬ 
nenden in ihrer Bedeutung für die Wirtschaftlichkeit des Lernens nicht berücksichtigt oder 
unterschätzt. Man übersieht, wie die letzthin unveränderliche Wesenheit des Lernenden in die 
scheinbar so mechanische Leistung des Einprägens eingeht und wie von hier aus ein durchaus 
individueller Lernvorgang bedingt ist, mit dem die Hinleitung auf ein ökonomisches Verfahren 
zu rechnen hat Hierzu nun bieten die Untersuchungen Lobsiens, dem die experimentelle Pädagogik 


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Literaturbericht 


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schon manche schöne Qabe dankt, ein doppeltes: sie erweisen einmal die große Mannigfaltigkeit, 
in der die naturgemäß gegebenen Lernweisen tatsächlich auftreten, und sie geben dem Lehrer 
zwei Wege an, zur Kenntnis des persönlichen Lernens seiner Schüler zu gelangen. 

In einer ersten Untersuchung, die sich auf eine Klasse des vierten Schuljahre» erstreckte, be¬ 
diente sich Lobsien des einfachen Verfahrens der Umfrage. Die ihr anhaftenden Unzulänglich¬ 
keiten versuchte er nach Kräften eiozoschränken. Er ließ verschiedene Texte, die im Unterricht 
zuvor erläutert worden waren, als Hausaufgabe einprägen und stellte dann die Schüler vor eine 
Reihe von Fragen. So gewann er in der Verarbeitung eine Übersichtstafel, die Auskunft gibt 
über Art, Anzahl und Umfang der Lesungen, über den Ursprung des Lern Verfahrens (Einfluß der 
Schule, des Hauses), über Ort und Art der Überprüfung, über die Beurteilung der Schwierigkeit 
des Textes durch den Schüler. In den Psychogrammen der Klassen, um die sich heute schon 
viele Schulen bemühen, darf eine solche Tabelle, wie sie Lobsien bietet, wegen ihrer Bedeutung 
und auch wegen des verhältnismäßig leichten und sicheren Weges der Gewinnung, nicht fehlen. 

Neben ihrem selbständigen Werte sollte die Umfrage auch die Bedeutung einer Vorunter¬ 
suchung haben für eine methodisch gründlich ausgeführte Hauptuntersuchung. In ihr wurden 
für den Einzelversuch die Prüflinge von einer anderen, doch gleichaltrigen Schulklasse gestellt. 
Die Lernaufgaben umfaßten sehr mannigfaltige Texte; sinnvolle und sinnlose, solche gebundener 
und ungebundener Form, längere und kürzere, gegliederte und ungegliederte, Zahlen- und Wörter¬ 
reihen. Dargeboten wurden sie an einem verstellbaren Lesepult, das zur Beobachtung der 
Augenbewegungen mit einem Spiegel ausgestattet war. Die Prüflinge waren angewiesen, die vor¬ 
liegenden Texte in Gegenwart des Lehrers nach ihrer Gewohnheit laut oder leise, schnell oder 
langsam, im Ganzen oder in Teilen zu lernen. Alles irgend Beobachtbare und besonders Zähl¬ 
bare ist von Lobsien in ausführlichen Protokollen niedergelegt worden, von denen dreizehn, die 
typisch für besondere Lemweisen erscheinen, in seiner Schrift abgedruckt sind. Bei dem Mangel 
ähnlichen Untersucbungsmaterials und bei der offenbar sehr geschickten und gewissenhaften 
Beobachtung Lobsiens wäre die Veröffentlichung der gesamten Niederschrift von wissenschaft¬ 
lichem Interesse gewesen. Leider ist auch auf eine tabellarische Zusammenstellung aller Lei¬ 
stungen, wie dies schätzenswert beim Vorversuche geschah, verzichtet worden. Dafür geht Lobsien 
aber in ausführlichen Erörterungen und Berichten den einzelnen Seiten des Lernvorganges nach. 
Insbesondere bringt er dabei über die Art des Einlesens reichlich Beobachtungen, die das in 
Laboratoriumsversuchen reich ausgebaute Gebiet der Psychologie und Technik des Lernens sehr 
willkommen ergänzen und zu neuen Problemstellungen anregen. 

Die pädagogischen Praktiker haben wiederholt zu übereilt und übereifrig die Untersuchungen 
der experimentellen Pädagogik in das unterrichUiche Tun hinübergeleitet und mit solcher Ver- 
frühung der Bewegung einer empirisch forschenden Erziehungswissenschaft wider Willen ge¬ 
schadet. Lobsien selbst, dessen Verdienste wir keineswegs unterschätzen, haben wir bei der Be¬ 
sprechung seines Buches *) „Experimentelle Schülerkunde* den Vorwurf nicht ersparen können, 
daß er im unterrichtlichen Betriebe zu einer reicheren Anwendung des Experiments auffordert und 
anleitet, als es die Technisierung der Methoden heute schon erlaubt und als es zum Teil die näch¬ 
sten Aufgaben der Schule überhaupt zulassen. Seine neue Schrift aber, die übrigens erweist, daß 
eine auf wissenschaftlicher Höhe stehende psychologische Untersuchung auch annähernd fremd¬ 
wortfrei geschrieben sein kann, verdient die weiteste Verbreitung und die nachdrücklichste Wir¬ 
kung unter der Lehrerschaft. 

Leipzig. Otto Scheibner. 

Poppelreuter, Aufgaben und Organisation der Hirnverletzten- 
Fürsorge. Heft 2 der Deutschen Krüppelhilfe. Ergänzungshefte der Zeit¬ 
schrift für Krüppelfürsorge, herausgegeben von Prof. Dr. Konrad Biesalski 
und Erziehungsdirektor Hans Würtz. Leipzig 1916. Leopold Voß. 40 Seiten. 
1,50 M. 

Untersuchung mit speziellen Methoden, Behandlung in Übungsschulen und 
Werkstätten, sowie soziale Versorgung: das sind die Grundgedanken, denen die 
Hirngeschädigtenfürsorge nach P. nachzugehen hat Er selbst hatte das große 
Glück, für seine Ideen die Unterstützung maßgebender Zivil- und Militärbehörden 
zu erlangen und wurde durch das Wohlwollen seiner Vorgesetzten zum Leiter 
einer militärischen Ner venstation für Kopfschüsse im Festungslazarett Köln be¬ 
rufen, wo er reiche Erfahrung auf dem neuen Gebiete erwerben und segens¬ 
reiche Tätigkeit entfalten konnte. 

l ) Diese Zeitschr. XD Jahrg. 1916. S. 399/400. 


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Literaturbericht 


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Der Unterricht wird teils in Gruppen oder Klassen erteilt, in schweren 
F&llen aber auch als Einzelunterweisung gepflogen. An Lehrkräften sind Gym¬ 
nasial- und Volksschullehrer vorhanden, sowie auch einige Leuen. Lesen, Schreiben, 
Rechnen, Sprechen, Aufsatzschreiben nach dem Film sind die Hauptgebiete 
der Übungen, die durchgeführt werden. 

Die körperliche Übung kommt gegenüber der Übung der psychischen Funk¬ 
tionen keineswegs zu kurz weg. Hier sind mittelschwere Fälle das eigentliche 
Feld der Übungsbehandlung, während bei schweren Defekten vor Optimismus 
gewarnt wird. An Stelle der Übung mit orthopädischen Apparaten wird Werk¬ 
stattbetätigung vorgezogen, wo komplexere Ziel- und Gebrauchshandlungen zu¬ 
grunde gelegt werden. P. hält eine Hand für berufsbrauchbar, wenn der dyna¬ 
mometrische Druck 8—10 Kilogramm beträgt. 

Als bewährte Untersuchungsmethoden werden bekannte Verfahren der ex¬ 
perimentellen Psychologie und Psychiatrie angeführt: Fortlaufendes Addieren 
nach Kräpelin, Kombinationstexte nach Ebbinghaus, Merkfähigkeitsprüfungen, 
tachistoskopi8che Aufmerksamkeitsuntersuchungen. Besonders empfiehlt P. als 
neue Proben das Eimerheben nach vorgeschriebenen Zeiten bei bestimmter 
Schwere des Eimers, Stanzen nach auf gegebenem Programm und Knöpfesortieren. 

Die Feststellung der körperlichen Arbeitsfähigkeit ist wichtig, da Bücken, 
schwere körperliche Arbeit usw. meistens vom Hirnverletzten gar nicht oder nur 
schlecht vertragen werden können. Die Webersche pletysmographische Ab¬ 
nahme wird in Köln leider nicht angewandt, trotzdem sie große Aufhellung 
bringt über die körperliche Arbeitsfähigkeit eines Patienten. 

Sonderbarerweise werden hysterische Propferscheinungen nur nebensächlich 
von P. berührt. Die Ärmlichkeit dieser angewandten Untersuchungsmethodik 
dürfte sehr bald beseitigt werden, falls es P. gelingt, einen erfahrenen 
Experimental-Psychologen für seine Kopfschußstation zu gewinnen, der 
Arbeitsfähigkeits- und Eignungsprüfungen neben eingehenden speziellen Unter¬ 
suchungen ausführt. 

Die Leistungen der Kopfschüßler sind im Gebiete des früheren Wissens und 
der gelernten Fertigkeiten immer noch am besten, die Übungserfolge sind aber 
auch beträchtlich, zumal vernünftige Grundsätze die Übungstherapie beherrschen, 
so daß die soziale Prognose nach P. nicht ungünstig ist. Die Frage der allmäh¬ 
lichen intellektuellen Verkümmerung durch die Verletzung kann bei der Kürze 
der Zeit noch nicht erörtert werden, wohl aber die Bedeutung der Rinden¬ 
epilepsie für die Berufstüchtigkeit. P. rät auf Grund seiner Erfahrung von einer 
Überweisung in Epileptikeranstalten ab; er spricht sich für eine besonders 
sorgfältige Berufsberatung und pflegliche Unterbringung in geeigneten Betrieben 
aus, zumal die Anfälle selten sind und die Epilepsie der Hirnverletzten nicht 
erblich ist. 

In einem Nachwort ruft Dr. Preysing zur Gründung neuer Zentralinstitute 
auf, wo Chirurg und Nervenarzt, Psycholog und Lehrer einträchtig Zusammen¬ 
arbeiten zum Wohle der Hirnverletzten. Möge seine Mahnung nicht ungehört 
verklingen, sondern von reichen Erfolgen gekrönt sein, da hier noch unsäglich 
viel nützliche und wertvolle Arbeit zu leisten ist, wie das treffliche Beispiel 
der Kölner Station beweist. 

Berlin. Walther Moede. 

Dr. Buchberger, Die Jugendfürsorge und Fürsorgeerziehung. 2. Heft 
Verlag Jos. KöseL Kempten-München 1916. 60 S. 1 M. 

Die Schrift enthält vier Aufsätze, die ein Büd geben von der gut organisierten 
Münchner Jugendfürsorgearbeit. Amtsgerichtsrat Riss-München spricht zunächst 
über die Bedeutung der Vormundschaft in der Jugendfürsorge und hebt mit 
Recht hervor, daß es, zumal im Kriege, de» eigenste Interesse des Staates sei, 
auf eine gute Erziehung der Jugend mit allem Eifer bedacht zu sein. Die Ge¬ 
winnung guter Vormünder war schon im Frieden nicht so leicht; ihre Auffindung 
und Ausbildung ist jetzt mehr als je allerwichtigste Aufgabe jeder Jugendfür- 


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Literaturbericht 


sorgeyereinigung. Landgerichtsrat K. Rupprecht gibt eine Darstellung der 
Fürsorgeerziehung in Bayern, die dureh Gesetz vom 21. August 1914 neu 
geregelt ist. Das Gesetz ist am 1. Januar 1916 in Kraft getreten und bringt in 
manchen Punkten beachtenswerte Fortschritte. Der Erfolg der Fürsorgeerziehung 
wird sich noch steigern lassen dadurch, daß sie, immer mehr als Vorbeugungs¬ 
maßnahme angewendet, den individuellen Verhältnissen der Zöglinge angepaßt 
und lange genug ausgedehnt wird, und daß nach ihrer Aufhebung für genügende 
Beaufsichtigung gesorgt wird. Jugendrichter Botzong-München behandelt die 
Arbeit des Fürsorgers vor und während der Fürsorgeerziehung, neben und nach 
der Anstaltserziehung. Wie notwendig eine eingehende Beaufsichtigung durch 
beamtete Personen und deren inniges Zusammenarbeiten mit den Jugendfürsorge¬ 
organisationen gerade während des Krieges ist, zeigt Verfasser an der Statistik des 
Münchner Jugendgerichts; die Kriminalität nahm ganz erheblich zu: es wurden 
verurteilt 1914: 370, 1915: 734 Jugendliche. Frau Landgerichtsdirektor Pfeil¬ 
schifter berichtet ausführlich und mit besonderer Wärme über die praktische 
Tätigkeit des Fürsorgers und der Fürsorgerin in Ausübung der „Schutzaufsicht“ 
über straffällig gewordene und verwahrloste Jugendliche, über einen Teil der aus der 
Anstalt entlassenen Zöglinge, über Jugendliche, deren Verwahrlosung vorgebeugt 
werden soll. Amtsrichter J. Marschall-München hat ein Merkblatt für den 
Vormund, Pfleger und Beistand beigefügt. 

Kleinmeusdorf bei Leipzig. Fritz Knauthe. 


Wilhelm Schäfer, Lebenstag eines Menschenfreundes. München 1916. G. Müller. 

410 Seiten. 4 M. 

Wenn ich hier das Werk eines Dichters anzeige, so geschieht es nicht wegen 
neuer wissenschaftlicher Ergebnisse der Pestalozziforschung, sondern weil ich 
glaube, daß jeder Erzieher ein lebhaftes Interesse haben soll, die inneren Schick¬ 
sale und Wandlungen eines Mannes einheitlich nachzuerleben, der zu den 
wenigen pädagogischen Genien des Menschengeschlechts gehört, und weil die 
dichterische Gestaltung allein wie das Recht so auch die Kraft hat, ein solches 
Einheitsbild zu schaffen. Mit verhaltener Leidenschaftlichkeit erzählt W. Schäfer 
die Lebensgeschichte des Landwirts, Armennarren, Schriftstellers, Waisenvaters, 
Winkelschulmeisters und Schloßherrn Heinrich Pestalozzi ,und läßt aus ihm das 
Bild des Ehrenbürgers der französischen Nation, Sozialreformers, Denkers, Pro¬ 
pheten der Menschenerziehung erblühen. Der Glanz, der seine franziskanische 
Gestalt umleuchtet, ist in dieser Dichtung aufgefangen, darum mögen ihre tiefen 
Worte und überlegt geformten Deutungen äußerer und innerer Schicksale ein¬ 
dringlicher lehren, welch ein Geist es war, der sich sein Leben lang mühte, „in 
das Haus des Unrechts die Treppe der Menschenbildung zu bauen.“ Wie Person 
und Erlebnis, Erlebnis und Werk Zusammenhängen, das aufzuhellen, ist die Auf¬ 
gabe aller Biographie; in W. Schäfers Pestalozzibuch wird diese Aufgabe verständlich 
gelöst: wir sehen, wie sich die Folge der Begebenheiten und Personen, die „Un¬ 
brauchbarkeit“ für das Leben und die höchste Leistung dafür, der Konflikt 
zwischen Gewissen und Geschäft, Mittel und Zweck zu der sinnvollen Lebens¬ 
einheit eines Führers der Welt webt. Und wir werden von neuem überzeugt 
von der leicht vergessenen Wahrheit, daß der pädagogische Genius in der Liebe 
liegt, nicht in der Erkenntnis. In vieler Hinsicht ist ein solches Lebensbild erst 
wegeweisend für die Erarbeitung auch der wissenschaftlichen Erkenntnis. 

München. Aloys Fischer. 


Druck von J. B. Hirschfeld (August Pries) ln Leipzig. 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher. 

(Aus dem psychologischen Laboratorium in Hamborg) 

Von William Stern. 

Mit 3 Figuren im Text. 

Einleitung. c 

1. Sprachliche Intelligenztests. 

I. Bindewortergänzung. EL Bilderbogenbeschreibung. UL Tests zur Prüfung 
dar Kritikfähigkeit. IV. Begriffserklärungen. V. Der Fabeltest. VL Satz¬ 
bildung aus Stichwörtern. 

2. Sprachlose Tests. 

I. Einreihige Ordnungen, n. Mehrdimensionale Ordnungen, m. Logische 
Ordnungen. IV. Zuordnungstests. 


Einleitung. 

Als die Methoden der IntelligenzprQfung von Bin et und anderen aus¬ 
gebildet wurden, stand im Vordergrund des Interesses die Feststellung 
intellektueller Schwäche auf frühen Stufen der Kindheit, um die recht¬ 
zeitige Erkennung und angemessene Unterbringung untemormaler Kinder 
zu ermöglichen. Zwar wurden die Intelligenzprüfungen auch zu anderen 
Zwecken verwendet; aber es überwog doch die Rücksicht auf die besonders 
Schwachen und auf die ersten Schuljahre. Die Folge war, daß die Tests 
für die niederen Entwicklungsstufen der Intelligenz besonders gründlich 
ausgearbeitet und durchgeprobt wurden, während die Aufgaben, die eine 
höhere Denkbetätigung verlangten, stark in den Hintergrund traten. So 
sind auch die Staffelserien Binets und seiner Nachfolger eigentlich 
brauchbar nur für die Intelligenzjahre 4—10, während die für 11-, 12- 
und 16 jährige bestimmten Tests zum Teil den Eindruck nachträglich 
angefügten Flickwerkes machen und den Benutzer recht unbefriedigt lassen. 

Eine Beseitigung dieses Mangels ist nun um so nötiger, als die neueren 
praktischen Bedürfnisse immer mehr neben der Erkennung der früh¬ 
kindlichen und der zurückgebliebenen Intelligenzen auch die Intelligenz¬ 
diagnose der höheren Jugendjahre und der besonders Befähigten 
fordern. Im gegenwärtigen Augenblick, da vielfach Klassen und Schulen 
für besonders Begabte gegründet werden, tritt an den Psychologen die 
Aufgabe heran, mitzuwirken an der so schwierigen und so verantwortungs¬ 
vollen Auslese der dazu geeigneten Schüler. Die Beteiligung der Psychologie 
an der Berufsberatung, bei Aufnahmeprüfungen, am Jugendgericht, an der 
Jugendpflege macht brauchbare psychodiagnostische Hilfsmittel für die 
höheren Jugendjahre erwünscht. So sah sich z. B. das hamburgische 

Zeitschrift f. pfidagog. Psychologie. 5 


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William Stern 


psychologische Institut in jüngster Zeit zweimal vor solche Anforderungen 
gestellt: einmal wurde von der Leitung eines Lehrerinnenseminars der 
Wunsch geäußert, die Aufnahmeprüfung (die aus 200 Bewerberinnen nur 
die 25 geeignetsten auswählen sollte) durch eine psychologische Intelligenz¬ 
prüfung zu ergänzen — hierüber wird an anderer Stelle dieser Zeitschrift 
berichtet werden. Sodann ist in Hamburg die Schaffung verschiedener 
Übergangsklassen beabsichtigt, durch welche gutbegabte Volksschüler nach 
abgeschlossenem 4. Schuljahr sowie auch Absolventen des 8. Schul¬ 
jahres von der Volksschule zu höheren Ausbildungsgängen übergeführt 
werden sollen; zur Unterstützung der Auslese sind psychologische Test¬ 
prüfungen dringend erwünscht, die aber genau vorbereitet sein müssen. 
Das Laboratorium ist zur Zeit mit der Ausarbeitung und Eichung der 
Tests beschäftigt. 

Im Folgenden seien nun einige neue Prüfungsmethoden kurz geschildert, 
die sich auf schwerere Aufgaben beziehen als die meisten bisher angewandten 
und daher in der einen oder anderen Form für die oben genannten ver¬ 
schiedenen Aufgaben verwendet werden könnten. Größtenteils handelt es 
sich um Testmethoden, die während der letzten Jahre unter meiner Leitung 
in den psychologischen Seminaren in Breslau und Hamburg ausgearbeitet 
worden sind; daneben werden auch einige soeben von anderen Seiten ver¬ 
öffentlichte Methoden erwähnt werden. *) 

Bezüglich der in Breslau ausgebildeten Methoden liegen die Anfänge 
zum Teil schon weit zurück; der Krieg, der die hoffnungsvoll begonnenen 
Arbeiten jählings unterbrach, und der frühe Tod eines eifrigen und be¬ 
gabten Schülers, des Breslauer Kandidaten W. Minkus, der einen groß 
angelegten Massenversuch mit neuen Tests durchgeführt und seine Ver¬ 
arbeitung begonnen hatte, haben bisher eine Veröffentlichung unmöglich 
gemacht. Nun aber, da die praktischen Kulturaufgaben gebieterisch die 
Anwendung neuer Methoden fordern, entschließe ich mich, einen kurzen 
vorläufigen Bericht über jene Verfahrungsweisen zu veröffentlichen; die 
ausführliche Darstellung bleibt Berichten in der Ztschr. f. angew. Psycho¬ 
logie Vorbehalten. 

Am Hamburger psychologischen Laboratorium habe ich im Winter 
1916/17 und Sommer 1917 seminaristische Übungen über Intelligenzprüfung 
abgehalten. Hierbei bildete sich erfreulicherweise ein fester Stamm von Mit¬ 
arbeitern und Mitarbeiterinnen aus, welche die Ausarbeitung und Erprobung 
bestimmter Tests an den ihnen zur Verfügung stehenden Schulen über¬ 
nahmen. Es ist später aus deren Feder eine Reihe von monographischen 
Darstellungen zu erwarten; auch hier kann der gegenwärtige Aufsatz nur 
eine vorläufige Übersicht über die leitenden Gesichtspunkte gewähren. 

Die Tests werden hier noch unabhängig von den speziellen praktischen 
Aufgaben geschildert, denen sie dienstbar gemacht werden. Jede solche 
praktische Aufgabe zeigt ihr besonderes Gesicht und wird deshalb in der 

1 ) Die in meinem Buch „Die Intelligenzprüfung an Kindern und Jugendlichen“ 
(2. Auflage 1916) ausführlich geschilderten Methoden werden hier natürlich nicht 
wiederholt* Es k a nn also der folgende Bericht als Fortführung und Ergänzung 
der dort gegebenen Methodendarstellung gelten. 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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Zusammenstellung der Tests zu Serien, in den Versuchsbedingungen, in 
der Bewertung der Testergebnisse, in der Verbindung der experimentellen 
mit der beobachtenden Methode usw. ihre speziellen Wege gehen müssen. 
Eine derartige besondere Nutzanwendung zeigt die schon erwähnte Auf¬ 
nahmeprüfung am Lehrerinnenseminar, über die in diesem Heft berichtet 
wird. Die Schaffung von Serien für die Begabtenauslese wie für die Be¬ 
rufsberatung wird demnächst in Angriff zu nehmen sein; der heutige Be¬ 
richt dient vor allem dazu, einiges Material hierfür bereit zu stellen. 

Allen Mitarbeitern an den Arbeitsgemeinschaften der Seminare in Breslau 
und Hamburg, die — zum Teil mit hingebendem Interesse und großem 
Zeitaufwand — an der Ausbildung und Verarbeitung der Methoden mit¬ 
gewirkt haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 


Gegen die von Binet und seinen Nachfolgern aufgestellten Tests wird 
mit Recht der Vorwurf erhoben, daß sie nur zum Teil die eigentliche 
Intelligenz treffen, zum Teil aber noch vom Schulwissen, von Gedächtnis¬ 
funktionen, von der Geschicklichkeit, von der Sprachfähigkeit abhängig 
sind. Die höheren Intelligenztests müssen nun, soweit irgend möglich, 
gegen solche Einwände geschützt sein; ihre Lösung muß im wesentlichen 
eine echte Denkleistung sein, bei der — entsprechend der Definition der 
Intelligenz — der Prüfling sich mit neuartigen geistigen Anforderungen 
in sinnvoller Weise abzufinden hat. Man muß also versuchen, die Tests 
so zu gestalten, daß sie keiner in der Schule ausgeübten Aufgabe ähnlich 
sind und auch nicht positive, von Unterricht oder Umwelt bestimmte 
Kenntnisse fordern (soweit solche nicht — wie Lesen, Schreiben, Verständnis 
des Wortlautes der Aufgabe — als völlig selbstverständlich zu gelten haben). 
Diese methodische Forderung ist nie ganz vollkommen zu erfüllen, und 
wir müssen uns damit begnügen, wenigstens eine möglichst große An¬ 
näherung an das Ziel zu erreichen. Besonders schwer ist es hierbei, den 
Anteil des sprachlichen Faktors zu bestimmen. Denn überall da, wo 
die Aufgabe vom Prüfling eine sprachliche Formulierung seiner Denkarbeit 
verlangt, kann eine Unstimmigkeit eintreten, indem bald sprachliche Un- 
beholfenheit oder mangelnde Sprachkultur die eigentliche Intelligenzleistung 
nicht recht zur Äußerung kommen lassen, bald eine mehr äußerliche Sprach¬ 
gewandtheit eine zu hohe Denkleistung vortäuscht. Immerhin wird gerade 
da, wo nicht geläufige Redewendungen verwendet werden dürfen, sondern 
eine Anpassung des Ausdrucks an die besondere Aufgabe nötig ist, eine 
ziemlich hohe Korrelation zwischen Denken und Sprechen zu erwarten sein, 
wenigstens dann, wenn es sich um Individuen einer in sich einigermaßen 
homogenen Bevölkerungsschicht handelt. Außerdem ist ja die sich sprach¬ 
lich äußernde Intelligenz eine im Leben so wichtige Eigenschaft, daß deren 
Prüfung unbedingt erforderlich ist. Andererseits freilich ergibt sich aus 
solchen Betrachtungen, daß die sprachlichen Intelligenztests ergänzt 
werden müssen durch Tests für stumme Intelligenzleistungen, also 
solche, bei denen die Lösung nicht durch mündlichen oder schriftlichen 
Ausdruck, sondern durch Vollziehung einer überlegten Handlung zu er¬ 
folgen hat Diese Gruppe von Prüfungsmitteln ist bisher recht stief- 

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William Stern 


mütterlich behandelt worden; wir werden mehrere solcher stummen Testa 
besprechen. 

Es darf freilich nicht unerwähnt bleiben, daß der praktischen An¬ 
wendung sprachloser Tests gewisse Grenzen gesetzt sind, die für Sprach- 
tests nicht in gleichem Maße bestehen. Letztere sind nämlich fast 
immer durch schriftliches Verfahren zu lösen und dadurch im Massen¬ 
oder Gruppenversuch anwendbar, während bei den stummen Tests meist 
nur der Einzelversuch in Frage kommt. Denn hier ist nicht nur das 
Endergebnis, sondern auch das individuelle Verhalten während der 
Durchführung der geforderten Handlung von Wichtigkeit, und dies Ver¬ 
halten kann im Massenversuch nicht beobachtet und festgehalten wer¬ 
den; außerdem würden sich die Prüflinge hierbei aufs stärkste gegen¬ 
seitig beeinflussen. Diese Grenze ist sehr bedauerlich. Denn da man 
sich oft aus Gründen der Zeitersparnis und Bequemlichkeit auf schrift¬ 
liche Massenprüfungen beschränken wird, so werden sprachlose Tests 
nicht in wünschenswertem Maße zur Geltung kommen. Ich erblicke 
darin eine gewisse Gefahr; denn die Auslese der Begabten oder die 
Aufnahmeprüfung mit Hilfe psychologischer Methoden ist eine so ver¬ 
antwortungsvolle Aufgabe, daß man sich nicht mit einer relativ ein¬ 
seitigen — nämlich mit Sprachfertigkeit unlöslich verbundenen — Fähig¬ 
keitsprüfung begnügen sollte. Die stummen Tests geben zum Teil über 
so ganz andersartige Seiten geistiger Fähigkeit Rechenschaft, daß für 
die hierzu erforderlichen Einzelprüfungen so weit als irgend möglich Zeit 
und Gelegenheit geschaffen werden müßte. i 

1. Sprachliche Intelligenztests. 

I. Die Bindewortergänzung. 

Eine der ältesten Methoden der IP ist die Ergänzung von Textlücken 
nach Ebbinghaus. Früher wurden wahllos beliebige Stellen des Textes 
* ausgelassen; doch war dadurch die Denkschwierigkeit für die einzelnen 
Lücken so verschieden groß, daß eine exakte Bemessung der Leistung 
nicht möglich war. Man ging deshalb dazu über, die Ergänzung be¬ 
stimmter Wortkategorien zu fordern. A. Mayer ließ stets die Verben fort 
und verlangte somit, daß innerhalb der Gedankeneinheit des einzelnen 
Satzes die tragende Handlung richtig erkannt werde; aber diese Aufgabe 
ist für das höhere Jugendalter zu leicht. Weit schwerer ist es, das lo¬ 
gische Verhältnis zweier Gedankeneinheiten zueinander richtig 
zu erfassen; und da dies Verhältnis durch die nebenordnenden und unter¬ 
ordnenden Konjunktionen ausgedrückt ist, so kam Otto Lipmann auf 
den Gedanken, in einem zusammenhängenden Text nur diese Wörter weg 
zulassen und vom Prüfling die Ergänzung zu fordern. Die von L. ge¬ 
leitete Arbeitsgemeinschaft für exakte Pädagogik im Berliner Lehrerverein 
hat einen solchen Text 1912 benutzt; soeben ist eine vorläufige Mitteilung 
von L. darüber erschienen. 1 ) 

4 ) Otto Lipmann, Die Entwicklung der grammatisch-logischen Funktionen. 
Zeitschrift f. angew. Psychol. XII, S. 347—371. 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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Eine Durchprüfung des mir schon früh bekannt gewordenen Lipmannschen 
Textes am Breslauer psychologischen Seminar führte hier zu einem syste¬ 
matischen Aushau der Methode, die hauptsächlich durch W. Minkus ge¬ 
leistet wurde. Hierbei war folgender Gedankengang maßgebend. Durch 
die Bindewörter können alle Hauptgruppen logischer Denkbeziehungen 
überhaupt dargestellt werden; sie drücken temporale, kausale, finale, 
steigernde, kontrastierende und andere Beziehungen aus. Um nun fest¬ 
zustellen, wie die Denkfähigkeit des Jugendlichen sich zu den verschiedenen 
Beziehungskategorien verhält, galt es, den Text so zu gestalten, daß alle 
Kategorien darin enthalten sind und zwar jede mehr als einmal, damit 
die Lösung nicht nur von der zufälligen Konstellation des Wortes im Satz¬ 
zusammenhang abhinge. M. schuf nun einen Text, der jede Kategorie je 
zweimal in nebenordnenden (Hauptsatz-) Verbindungen und, wo es an¬ 
ging, auch in zwei unterordnenden (Nebensatz-) Verbindungen Vorkommen 
ließ. So wird z. B. für die „folgernde“ Satzverbindung zweimal die Er¬ 
gänzung „so daß“, zweimal die Ergänzung „daher“ gefordert usw. Welche 
Schwierigkeiten bei der Herstellung eines solchen Textes vorliegen, kann 
man sich vorstellen; doch hat M. die Aufgabe ohne allzu große Künstlich¬ 
keit gelöst. M. hat mit seinem Text einen Massenversuch veranstaltet 
an den vier oberen Jahrgängen von Volksschulen und an Fortbildungs¬ 
schulen und zwar bei beiden Geschlechtern und innerhalb jedes Geschlechts 
an Schulen aus besseren und aus schlechteren sozialen Schichten. Somit 
ist sein Material zu vergleichenden Untersuchungen über die Alters-, Ge¬ 
schlechts- und soziale Differenzierung der Denkleistung vorzüglich geeignet. 
Besonders verdienstlich ist die Heranziehung der Fortbildungsschulen; ist 
doch hierdurch — meines Wissens zum erstenmal — die psychologische 
Prüfung der Volksjugend über das Volksschulalter hinaus fortgesetzt worden. 

Minkus hatte die Verarbeitung dieses Versuchs in ständiger Aussprache 
mit mir eingeleitet; als besonders schwierig erwies sich die Bewertung 
der Ausfüllungen, weil hier zwischen der ausgesprochen zutreffenden und 
der zweifellos falschen Ausfüllung eine ganze Stufenleiter von Möglichkeiten 
besteht. Eine Gruppe von Breslauer Seminarteilnehmerinnen war unter * 
seiner Leitung mit der Auswertung beschäftigt, als Minkus selbst durch 
einen unerwarteten Tod dahingerafft wurde. Aber die wertvolle Arbeit 
des so früh Verstorbenen sollte nicht umsonst getan sein; seine Helferinnen 
führten die Auswertung der Lücken in pietätvoller Treue zu Ende, und 
ich habe nunmehr das ganze Material übernommen, um es statistisch und 
psychologisch zu verarbeiten. 2 ) 

Aus den zurzeit vorliegenden Teilergebnissen der Lipmann’schen wie der 
Minkus’schen Versuche kann bereits so viel mit Sicherheit festgestellt werden, 
daß die Fähigkeit, den Test zu lösen, sich erst gegen das Ende der Volks¬ 
schulzeit zu bemerkenswerter Höhe entwickelt, daß er demnach gerade 
für die Prüfung von 12—16jährigen in Betracht kommt. Entsprechendes 
ergab sich auch, als der Test bei der Aufnahmeprüfung an einem Lehre- 


l ) Der Bericht wird hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit in der Zeitschrift für 
angew. Psychologie erscheinen können. 


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William Stern 


rinnensemiiiar benutzt wurde, wo sogar noch manche viel ältere Bewerbe¬ 
rinnen eine größere Anzahl von Fehlern begingen. 1 ) 

Der Minkus’sche Text ist beträchtlich schwerer als der Lipmann’sche und 
daher für höhere Altersstufen geeignet. 

Die in der Einleitung gemachten Bemerkungen über die Verbindung 
von Denk- und Sprachfertigkeit gelten ganz besonders für diesen Test. 
Größere oder geringere Sprachgewandtheit und vor allem Umfang des 
Wortschatzes spielen zweifellos bei dem Ausfall eine Rolle — was be¬ 
sonders bei Vergleichung von Prüflingen verschiedener sprachlicher Kultur, 
z. B. von Schülern der Volks- und der höheren Schule, hervortritt. Man 
wird ihn zu eigentlichen Intelligenzprüfungen daher nur dort benutzen 
können, wo die Prüflinge aus einer einigermaßen gleichartigen sozialen 
und sprachlichen Umwelt stammen. 

Wir geben im folgenden den Wortlaut beider Texte und die geforderten 
Ausfüllungen wieder. 

Der Lipmann’sche Text lautet: 

„Als wir am Sonntag morgen aufwachten, fragte ich gleich meinen Vater, ob 
die Sonne scheint (1) ob es regnet. (2) das Wetter sehr schön wen 1 , und es (3) 
regnete (4) schneite, so woUten wir einen Ausflug machen. Ich sprang (5) schnell 
aus dem Bett und zog mir Schuhe (6) Strümpfe an. Wir mußten uns sehr be¬ 
eilen, (7) wir den Zug noch erreichten. Beinahe wären wir zu spät gekommen. 
(8) wir den ganzen Weg bis zum Bahnhof rannten. (9) der Zug abgegangen war, 
fingen wir, (10) wir fuhren, zu singen an. Dann stiegen wir aus und marschierten 
ab. Die Mutter hatte einen Schirm, (11) nicht der Vater. Nun fing es an zu 
regnen. Die Mutter machte ihren Schirm auf; (12) sie woUte nicht naß werden; 
(13) hatte sie ihn ja auch mitgenommen. Aber ich und mein Vater, die wir keine 
Schirme hatten, wurden naß; (14) waren wir sehr vergnügt. Als wir angekommen 
waren, durfte ich mit meinem Bruder spielen; (15) unterhielten sich der Vater 
und die Mutter und bestellten etwas zu essen. Als das Essen kam, sagte die 
Mutter zu mir: „ (16) du etwas essen willst, so mußt du dir (17) noch die Hände 
waschen. 44 Ich wusch mich also; (18) die Bände waren (19) schmutzig, (20) sie 
nicht ganz sauber wurden. Dann aßen wir und gingen wieder zum Bahnhof. 
Wir waren so müde, daß wir (21) einschliefen, (22) wir wieder zu Hause waren. 
(23) die Eltern schliefen nicht, obwohl sie (24) müde waren; (25) ich am nächsten 
Morgen aufwachte, hatte ich (26) nicht ausgeschlafen; (27) konnte ich in der 
Schule nicht gut aufpassen; (28) (29) in der Pause hatte ich Lust, zu spielen; 
am liebsten hätte ich geschlafen; (30) das Turnen, das ich sonst so gern habe, 
machte mir diesmal keine Freude. Ich war froh, als die Schule zu Ende war, 
und ging schnell nach Hause, (31) Mittagsbrot (32) essen; (33) schlief ich noch 
ein Stündchen; (34) hätte ich die Kaffeezeit verschieden. 44 

Die Ziffern waren im eigentlichen Versuchstext nicht enthalten; sie ver¬ 
treten die Lücken im Text und sollen dem Leser nur die Feststellung der 
Axisfüllungen erleichtern. Diese lauten: 1 oder, 2 da, 3 weder, 4 noch, 5 daher 
6 und, 7 damit, 8 obgleich, 9 als, 10 während, 11 aber, 12 denn, 13 deshalb 
(darum), 14 trotzdem, 15 inzwischen (unterdessen), 16 wenn, 17 vorher, 18 aber, 
19 so, 20 daß, 21 schon, 22 bevor, 23 aber, 24 auch, 25 als, 26 noch, 27 deshalb, 
28 29 nicht einmal, 30 auch, 31 um, 32 zu, 33 vorher, 34 beinahe (fast). 

Natürlich müssen auch andere Wörter, wenn sie die gleiche Bedeutung haben, 
als richtig gelten. 


*) Vgl. den Bericht von Melchior in diesem Heft. 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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Der Minkns’sche Text lautet: 

Der Freund aus der Unterwelt. 

(Ein chinesisches Märchen). 1 ) 

ln einer größeren Stadt Chinas lebte einst ein strebsamer Beamter, namens Tiön. *). 

sein Gehalt für ihn und seine junge Frau kaum ausreichte, hätte er sich gern eine besser be¬ 
soldete Stellung erworben. *).er hatte wenig Hoffnung, die hierzu nötige Prüfung 

zu bestehen, *).ihm nicht geradezu ein Wunder zu Hilfe kam. Oft war er nahe 

daran, zu verzweifeln, 4 ) er sich alle erdenkliche Mühe gab, wollte in seinem 

armen Kopfe nichts haften bleiben: stets vergaß er das mühsam Gelernte *).über¬ 
haupt wieder völlig,.er behielt es nur unklar und verworren im Gedächtnis. 

*).glaubten seine Freunde, die sich 7 ).für diese Prüfung vorbereiteten, 

er werde nichts erreichen, und redeten oft lange auf ihn ein, 8 ).ihn endlich ein¬ 
mal von der Aussichtslosigkeit seiner Anstrengungen.überzeugen. Aber •) ....... . 

ihn seinem Vorhaben abspenstig machen, spornten ihn solche Reden, weit entfernt, 

ihren Zweck zu erreichen, gerade an, und gegen aller Erwarten erreichte er trotz seines 
schlechten Gedächtnisses auch wirklich sein Ziel. Er bestand schließlich die Prüfung 
,0 ) .... als Bester von allen und mit großer Auszeichnung. Das ist eine wunderliche Ge¬ 
schichte. n ) .... ihr mir zuhören wollt, erzähle ich euch, wie es sich zugetragen hat Aber 

glauben werdet ihr mir wohl kaum, so seltsam klingt alles. Und doch ist 12 ). 

irgend etwas übertrieben.hinzugedichtet. Also so war es: ln einer schönen 

Sommernacht kehrten Tiön und seine Freunde einst zu später Stunde in die Stadt zurück, 


i9 ) .sie einen herrlichen Abend in der freien Natur verlebt hatten. 14 ). 

sie ihres Weges zogen, erfüllten sie die stillen Straßen mit fröhlichem Lachen und Gesang, 

M ).sie waren draußen bei einem Glase Wein in eine recht ausgelassene Stimmung 

geraten. *).jeder Nachtwächter, dem sie begegneten, sie zur Ruhe ermahnte, ließen sie sich 


in ihrem lärmenden Übermut durch sie nicht im geringsten hindern. Plötzlich aber verstummte 
einer nach dem andern und blickte scheu nach dem verrufenen düsteren Tempel des soge¬ 
nannten „unterweltlichen Gerichts“, an dessen finster drohendem Riesenbau sie eben vorüber 
mußten, ln seinen Kellern wurden die Todesurteile vollzogen, und zum Überfluß erzählte man 

von dem Gebäude auch noch die unheimlichsten Gespenstergeschichten, 17 ).schon 

deshalb jeder gern einen großen Bogen um diesen Ort des Grauens machte. 

& ”).am hellen Tage sollte es hier so ganz geheuer sein, und jetzt war es stock¬ 

dunkle Nacht. Tiön aber war ein unerschrockener Mensch, den niemals etwas in Furcht jagen 

konnte: Jetzt fürchtete er sich daher lö ).. und plötzlich, *°).ihn einer 

hindern konnte, stand er auf den Stufen zum Eingang des Tempels. Alle redeten ihm zu, 
lieber mit ihnen ins Gasthaus „zur trauten Teetasse“ zu gehen, statt hier Unfug zu treiben. 

Er solle vernünftig sein und herunterkommen. 31 ).stieg er währenddem auch 

noch die letzten Stufen hinan und, weit entfernt zu hören, rief er ihnen lachend zu, er komme 

auch hin, **).aber wolle er sich da drinnen ein bißchen umsehen. **).sollten sie 

daher ruhig dorthin vorausgehen und einstweilen Wein bestellen. Und als einer meinte, er 

werde sich ja schön hüten, hineinzugehen, setzte er noch hinzu: „ u ) .ihr seht, 

daß ich wirklich drin gewesen bin, werde ich euch den „Schreiber Lu“ mitbringen 1“ Mit dem 
Schreiber Lu meinte er ein lebensgroßes Götzenbild, das allen wegen seiner furchtbaren Hä߬ 
lichkeit bekannt war. Bei seinen Worten winkte Tiön seinen Freunden noch einmal lustig zu, 

**).verschwand er in dem Dunkel des hohen Tores. Die übrigen gingen in die 

„traute Teetasse“ und saßen bald fröhlich beim Weine. Nach einer Weile erhob sich der reiche 
Li und bat bedeutungsvoll um Ruhe. In freudiger Erwartung wandte sich alles ihm zu, 

**).Li so umständlich tat, gab er gewöhnlich etwas zum Besten. Und richtig: 

**).er sich mehrmals wichtig geräuspert hatte, verkündete er feierlich, er wolle 

die ganze Zeche bezahlen, l8 ).Tiön sein Wort wirklich halte. Habe er aber bloß 

geprahlt, dann solle er zur Strafe dafür **).ihren ganzen Wein bezahlen. 

wenigstens aus seinem eigenen Keller ein paar Flaschen herausrücken. In diesem Augenblicke 
flog plötzlich die Tür auf, und herein keuchte Tiön, mit der großen schweren Tempelfigur auf 
dem Rücken. Jählings, *°).die Gläser wie aufgescheuchte Frösche durcheinander¬ 

hüpften, stieß er zunächst seine Last mit lautem Krach mitten auf den Tisch nieder. 


l ) Nach einem Stücke der Sammlung chinesischer Märchen von Gustav Gast: „So war est“ 
(Piön pal) Verlag: Herrn. J. Meidinger-Berlin. 


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William Stern 


31 ) .schenkte er sich zuerst rasch ein Glas Wein ein, das er hastig hinunterstürzt e, 

32 ) .er von der Anstrengung heftigen Durst bekommen hatte. sa ). 


starrten die andern zunächst lange, wie gelähmt vor Schreck und Entsetzen, ununterbrochen 
auf den giftgrün bemalten, unheimlichen Gast in ihrer Mitte, der sie mit seinen roten Glotz¬ 
augen tückisch anfunkelte. 34 ).ihnen Mut.machen, stieg Tiön zu 

ihm hinauf und bot ihm Übermütig auch einen Weinbecher an. Da aber durch die Erschütterung 
der bewegliche Kopf ins Wackeln kam, war die Wirkung eine ganz unerwartete. Die ganze 

Gesellschaft schrie entsetzt auf, 36 ).das von ihm erhoffte Gelächter.erheben, und 

stob in wilder Flucht zur Tür hinaus, weit entfernt, auf Tiens beruhigende Worte zu hören. 


3fl ).soviel Zeit nahmen sie sich, ihre Hüte und Stöcke aufzuraffen, sondern ließen 

alles hängen und stürzten so davon. Ober ihre Furcht lachend, verließ nun auch Tiön das 

Gasthaus, 37 ).aber stellte er vorsichtigerweise die Figur hinter einen Vorhang, 

38 ).sie nicht noch anderen einen ebensolchen Schrecken einjagte. Zu Haus an¬ 

gelangt, trat er, noch immer lächelnd, in sein Arbeitszimmer, als ihn jählings ein eisiger 


Schreck durchfuhr: Mitten in der Stube stand da im fahlen Mondlicht: der „Schreiber Lu“. 
Und plötzlich fing die Figur an, sich langsam zu bewegen, gerade auf ihn zu. Da vermochte 
er vor Grauen sich 39 ).von der Stelle zu rühren.ein Wort hervorzu¬ 

bringen. Glaubte er doch bestimmt, Lu werde ihn nun beim Kragen nehmen und ihm kurzer¬ 
hand den Hals umdrehen. 40 ).begann da dieser, mit einem Male, weit entfernt 

von solcher Gewalttat, wider Erwarten ganz gutmütig zu lachen, sprach ihm 41 ) ........ 

mit freundlichen Worten Mut zu. 4S ).konnte der sonst so mutige Tiön nur sehr 

langsam seine Furcht überwinden. 43 ).auch für den Mutigsten ist es schließlich eine heikle 

Geschichte, sich in tiefer Nacht mit lebendig gewordenen Tempelfiguren zu unterhalten. Er 
mußte nun Wein holen und mit Lu anstoßen. „Deine unerschrockene Tat“, sagte dieser zu 

ihm, „hat mir gefallen, und ich möchte sie gern belohnen. 44 j.du irgend einen 

Wunsch auf dem Herzen hast, will ich ihn dir gern erfüllen, soweit es in meiner Macht steht!“ 
Da dachte Tiön an die bevorstehende Prüfung und klagte dem neuen Freund sein Leid. Frei¬ 
lich, fügte er hinzu, helfen könne ihm da kein Mensch, und Lu werde es wohl 45 ). 

können. Der meinte, er werde sich die Sache beschlafen und ließ sich auf das Ruhebett 

nieder, und an seiner Seite befahl erdarauf Tiön, sich 40 ).hinzulegen. Der schlief auch bald 

ein, 47 ).ihm alle Müdigkeit vergangen war. Nach einer Weile erwachte er von einem leisen 

Stich im Kopfe und sah Lu mit einem blutigen, spitzen Messer in der Hand neben sich sitzen. 
Er glaubte zuerst, Lu habe es sich anders überlegt, und es solle ihm nun doch noch an den 

Kragen gehen. 4S ).begann er nun sofort aus Leibeskräften und voller Entsetzen 

zu schreien, worüber Lu jedoch herzlich lachen mußte. „Sei doch nur still“, sagte er zu ihm, 

ich habe dir ja bloß ein besseres Gehirn eingesetzt, 49 ).du in friedlichem 

Schlummer lagst Nun wirst du dir alles ganz mühelos merken und infolgedessen eine vor¬ 
zügliche Prüfung machen. Jetzt aber lebe wohl! Ich muß rasch in meinen Tempel zurück, 

.die Sonne völlig aufgeht!“ Weg war er, und Tiön glaubte zu träumen. Aber 

schon am nächsten Tage merkte er, wie ausgezeichnet das neue Gehirn arbeitete. Er behielt 
sich alles spielend, und so kam es, daß er die gefürchtete Prüfling als Bester bestand. 

Bei diesem Text waren die Lückennummern auch im Original mitgedruckt. 

Die geforderten Ausfüllungen lauten: 

1 da, 2 aber, 3 wenn, 4 denn obgleich, 6 entweder — oder, 6 daher, 7 gleichfalls, 8 um 
— zu, 9 anstatt — zu, 10 sogar, 11 wenn, 12 weder — noch, 13 nachdem, 14 während, 15 denn, 
16 obgleich, 17 sodaß, 18 nicht einmal, 19 ebensowenig, 20 ehe, 21 statt dessen, 22 vorher. 
23 währenddessen, 24 damit, 25 dann, 26 denn wenn, 27 nachdem, 28 wenn, 29 entweder — 
oder, 30 sodaß, 31 dann (hierauf), 32 da (weil), 33 währenddessen, 34 um — zu, 85 anstatt 
zu, 36 nicht einmal, 37 vorher, 38 damit, 39 weder — noch, 40 statt dessen, 41 sogar, 
42 trotzdem, 43 denn, 44 wenn, 45 ebensowenig fauch nicht), 46 auch (ebenfalls), 47 obgleich, 
48 daher, 49 während, 50 ehe. 

Nach dem gegenwärtigen Stand unserer Berechnungen aus dem Min- 
kus’schen Versuch läßt sich wenigstens die folgende Tabelle aufstellen. 
In ihr sind die Ergebnisse von 4 Klassenstufen enthalten (die beiden 
oberen Klassen der Volksschule und die Unter- und Mittelstufe der Fort¬ 
bildungsschule) und zwar getrennt einerseits nach den Geschlechtern, 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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andererseits nach den Schulleistungen. Jede Ziffer ist aus den Leistungen 
von je 8 Prüflingen abgezogen. Die Ziffern drücken aus: wieviel Prozent 
der Lücken richtig ausgefüllt sind („Treffer“), und bei wievielen die Aus¬ 
füllung gänzlich unterblieben ist („Auslassungen“). Die übrigen hier fort- 
gelassenen Kategorien (halb richtige, fragliche, falsche Ausfüllungen) sind 
nur mit relativ kleinen Prozentsätzen vertreten und zeigen auch keine 
eindeutigen Unterschiede nach Altersstufen und Schulleistungen. 



Volksschule 

Fortbildungsschule 


Klasse 11 

Klasse I 

J Unterstufe 

Mittelstufe 


gute [schlechte 

gute | 

schlechtej 

gute | 

schlechte 

gute 

schlechte 


Weiblich 

Treffer. 

49*/,% 

29% 

657,% 

38*/*% 

70% 

i 

517« % 

62% 

567*% 






Auslassungen . . 

U% 

42% 

10% 

21 7*% 

9V.% 

20 7*% 

15% 

19 7* % 


Männlich 

Treffer. 

47% 

34% 

68% 

46% 

55% 

45% 

637*% 

51 7* % 






Auslassungen . . 

18% 

1 

40% 

7% 

18 •/« % 

12»/«% 

28% : 

157»% 

22% 


Die Tabelle zeigt: 1. Eine besonders starke Zunahme der Leistungen 
(Vermehrung der Treffer, Verringerung der Auslassungen) findet von der 
II. zur I. Volksschulklasse statt, während bei den Fortbildungsschülem 
keine eindeutige Steigerung der Leistungen zu bemerken ist (zum Teil 
sogar eine Abnahme!). 2. Der Unterschied der „guten“ und „schlechten“ 
Schüler ist sehr bedeutend. Er fehlt auf keiner Jahresstufe, ist aber am 
weitaus stärksten auf den beiden oberen Volksschulstufen. So haben in 
Klasse II die guten Schülerinnen fast doppelt soviel Treffer wie die 
schlechten Schülerinnen, dagegen nicht einmal halb soviel Auslassungen 
wie diese. Zwischen guten und schlechten Knaben ist der Unterschied 
der Treffer nicht ganz so groß, aber noch bedeutend genug, der der Aus¬ 
lassungen ebenso groß wie bei den Mädchen. Die schlechten Schüler der 
L Klasse stehen den guten der n. Klasse bei den Knaben gleich, bei den 
Mädchen sind sie noch weiter hinter diesen zurück. Nach diesen Er¬ 
gebnissen liefert also der Minkus’sche Lückentext für Schüler 
des 14. Lebensjahres besonders charakteristische Ausschläge. 

n. Bilderbogenbeschreibung. 

Die Inhaltsangabe eines vorgelegten Einzelbildes gehört zu den wichtigsten 
Bestandteilen der Binetschen Serie, da hier das Verhalten verschiedener 
Intelligenzstufen gegenüber dem gleichen Reizkomplex besonders deutlich 


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William Stern 


in die Erscheinung tritt. Erhöht wurde die Brauchbarkeit dieses Tests 
durch Bobertag, der an die Stelle der ziemlich nichtssagenden Binetschen 
Bilder solche mit einer scharfen Pointe setzte; die Auffassung dieses poin¬ 
tierten Bildzusammenhanges soll vom 9jährigen auf äußeren Anstoß (pro¬ 
vozierte Bilderklärung), vom 11jährigen ganz aus eigenem Antrieb geleistet 
werden (spontane Bilderklärung), während die bloße Aufzählung von 
Gegenständen für den 3jährigen, die Nennung der Handlungen einzelner 
Bildpersonen für den 6jährigen charakteristisch ist. 

Die Fortbildung dieses Tests zu noch höheren Intelligenzanforderungen 
erschien nun dadurch möglich, daß man an die Stelle des einen Bildes 
eine Bilderreihe setzte, die eine in sich zusammenhängende pointierte 
Handlung darstellt. Wie bei der Bindewortergänzung soll also auch hier 
nunmehr von der Auffassung einer einzelnen Gedankeneinheit zur Ver¬ 
knüpfung mehrerer Einheiten übergegangen werden. 

Als geeignetes Prüfungsmaterial bieten sich manche Münchner Bilder¬ 
bogen dar, in denen eine fortlaufende Geschichte illustriert ist; denn diese 
sind der jugendlichen Auffassungsfähigkeit angepaßt, setzen meist kein be¬ 
sonderes positives Wissen voraus und besitzen eine Pointe. Von solchen 
Bilderbogen wird der gedruckte Text fortgeschnitten; der Prüfling hat 
nun selbst Inhalt und Bedeutung der dargestellten Handlung mündlich 
oder schriftlich wiederzugeben. 

Vorversuche mit Bilderbogen wurden bereits seit ungefähr 1910 im 
Breslauer Seminar von Bobertag und Moskiewicz gemacht, die aber nicht 
veröffentlicht worden sind. Im Winter 1911/12 veranstaltete die von mir 
beratene psychologische Arbeitsgemeinschaft des Breslauer Lehrervereins 
einen Massenversuch, bei dem u. a. auch ein Bilderbogenexperiment an¬ 
gewandt wurde. Die Lehrergruppe kam selbst nicht zur Ausarbeitung 
der Ergebnisse, doch wurde ein Teil des Materials für die im Jahre 1913 
in Breslau stattfindende Ausstellung zur vergleichenden Jugendkunde der 
Geschlechter von Studenten meines Seminars provisorisch bearbeitet, 
worüber ganz kurz in dem Ausstellungskatalog berichtet ist. 1 ) Erneut 
wurde dann der Test benutzt von W. Minkus, der ihn in seinem Massen¬ 
versuch an denselben Volks- und Fortbildungsschülem prüfte, die er auch 
dem Bindeworttest unterworfen hatte. M. kam nur noch dazu, ein Schema 
der Wertung für die erzielten Niederschriften aufzustellen; jetzt ist das 
Material dem Hamburger Seminar überwiesen worden und wird von einem 
Seminarteilnehmer bearbeitet. 

Im Herbst 1916 ist dann der Bilderbogentest bei der mehrfach erwähnten 
Aufnahmeprüfung zum Lehrerinnenseminar mit verwandt worden, worüber 
Herr Penkert in diesem Heft berichten wird. Ferner fand ein Massen¬ 
versuch an sieben Klassen einer höheren Mädchenschule in Hamburg statt. 

Bei näherer Prüfung der Münchner Bilderbogen stellte es sich doch heraus, 
daß die Auswahl der für unseren Zweck geeigneten Blätter nicht leicht ist; 
bald bot der Inhalt, bald die Zeichnung allerlei Bedenken. Das Idealste 

*) Die Ausstellung zur vergleichenden Jugendkunde der Geschlechter auf dem 
3. Kongreß für Jugendbildung und Jugendkunde in Breslau im Oktober 1913» 
Arbeiten des Bundes für Schulreform Nr. 7. Teubner 1913. S. 7—10. 


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Höhere InteHigenxteata aut Prüfung Jugendlicher 


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ÜNIVERSfTY OF MfCHIGAN 


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wäre zweifellos, von einem geschickten Zeichner eigens Bilderserien her¬ 
steilen zu lassen, die von vornherein den psychologischen Absichten an¬ 
gepaßt sind; dann sind auch exakte Abstufungen der Schwierigkeit möglich. 
Zunächst aber müssen wir uns mit dem vorhandenen Material begnügen, 
und da stellten sich doch einige als ganz brauchbar heraus. Bei sämt¬ 
lichen oben erwähnten Versuchen wurde der Bilderbogen „Das Wieder¬ 
sehen“ 1 ) angewandt, den wir in verkleinerten Massen wiedergeben; außer¬ 
dem verwandte W. Minkus den Bilderbogen „Der sparsame Hausvater“. 
„Das Wiedersehen“ ist für die höheren Volksschuljahrgänge eigentlich 
etwas zu leicht, wenigstens was die entscheidende Leistung, das Verständnis 
des Zusammenhangs angeht 2 ); feinere Intelligenzbekundungen allerdings 
— wie Reflexionen über die „Moral“ der Geschichte, über das Verhältnis 
von Schuld und Strafe, ferner Deutungen von den dargestellten Ausdrucks¬ 
bewegungen auf die seelischen Eigenschaften und Verhaltungsweisen der 
handelnden Personen, ja auch der Pferde — zeigen gerade innerhalb der 
Altersstufen von 10—14 Jahren so deutliche Fortschritte, daß hieraus sehr 
wohl Schlüsse auf die geistige Entwicklungsstufe gezogen werden können. 

Neben der eigentlichen Intelligenz aber sind gerade bei diesem Test 
noch außerordentlich viel andere, den Pädagogen und Psychologen inter¬ 
essierende Funktionen feststellbar: die Beobachtungsfähigkeit, die Phantasie, 
die sprachliche Ausdrucksfähigkeit; auf diese Vielseitigkeit weist besonders 
der Bericht des Herrn Penkert über die Aufnahmeprüfung im Lehrerinnen¬ 
seminar hin. 

Durch verschiedene methodische Mittel ist es möglich, den Test schwerer 
zu gestalten, so daß er für die eigentliche Intelligenzprüfung höherer Jugend¬ 
jahrgänge noch geeigneter wird. Dies kann geschehen durch folgende 
Mittel: 1. Auswahl von Bilderbogen schwierigeren Inhalts; 2. Auslassung 
einzelner Zwischenbilder, so daß der Beschauer wichtige Phasen der zu¬ 
sammenhängenden Handlung ergänzen muß (Anklang an den Textlücken¬ 
versuch); 3. Fortlassung nicht nur des Textes, sondern auch der Über¬ 
schrift; Aufforderung, diese selbst kurz und treffend zu formulieren (so 
wurde bei der Aufnahmeprüfung verfahren); 4. Aufforderung, die all¬ 
gemeine „Moral“ der Geschichte zu finden (Anklang an den unten zu 
besprechenden Fabeltest). 

Eine ganz andersartige Benutzung des Bilderbogens zu einer „stummen“ 
Intelligenzprüfung findet später Besprechung. 

Nebenbei sei bemerkt, daß der Test der Bilderbogenbeschreibung, ab¬ 
gesehen von seiner Bedeutung zu Zwecken der Intelligenzprüfung, in der 
Lehrerschaft auch pädagogisches Interesse erweckt hat. Es scheint, 
daß hier eine neue Art des Aufsatzthemas gefunden ist, die so 
manche bei anderen Themenformen weniger beanspruchten seelischen Funk¬ 
tionen des Schülers in Bewegung setzt und zugleich dem Lehrer neue 
Einblicke in die Schülerindividualitäten gewährt. 


‘) Münchner Bilderbogen Nr. 915. 

3 ) Dies geht schon aus der vorläufigen Tabelle im Ausstellungskatalog S. 9 
hervor. 


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Höhere Intelligenzteste zur Prüfung Jugendlicher 


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Das Versuchsv erfahren ist das folgende: 

Der Bilderbogen wird zerschnitten und die Bilder werden ohne Text in richtiger 
Abfolge in zwei bis drei Reihen auf Pappe geklebt. Jeder Prüfling erhält 
(auch im Massenversuch) ein Blatt für sich. Er hat es mit der Bildseite nach 
unten vor sich hinzulegen, bis die Anweisung seitens des Versuchsleiters 
erfolgt ist. Rn Minkus'schen Massenversuch wurden die Schüler darauf hin¬ 
gewiesen, daß es sich nicht um einen „Schulaufsatz“ im gewöhnlichen 
Sinn handle, daß der Klassenlehrer die Niederschrift nicht zu sehen be¬ 
komme und daß es nichts schade, wenn Fehler begangen würden. Der 
Wortlaut der Aufforderung lautete: „Seht Euch den Bilderbogen erst 
ordentlich an und dann schreibt die ganze Geschichte, die darauf dar¬ 
gestellt ist, einmal auf — alles, was Ihr davon zu erzählen wißt und so, 
wie Ihr es am schönsten findet.“ Über die etwas anders lautende In¬ 
struktion bei der Hamburger Aufnahmeprüfung berichtet Herr Penkert. 

Als Dauer des Versuchs werden wohl 40—45 Minuten stets genügen. 
Beim Massenversuch muß dafür gesorgt werden, daß keine Verbindung 
zwischen den Schülern besteht. Minkus fand hierfür den — auch für 
andersartige Versuche sehr zu empfehlenden — Ausweg, daß er zwei 
verschiedene Bilderbogen benutzte; diese werden so verteilt, daß die 
nebeneinander sitzenden Schüler stets verschiedene Themen zu bearbeiten 
hatten. 

HI. Tests zur Prüfung der Kritikfähigkeit. 

Daß das Kritisieren eine ausgesprochene Intelligenzleistung darstellt, ist 
schon stets bemerkt worden. So unsympathisch derjenige Mensch sein 
mag, dessen Intelligenz sich vorwiegend im Herausfinden von. Mängeln 
und Schwächen bekundet, so ist es doch zweifellos, daß innerhalb der 
Gesamtheit geistiger Fähigkeiten auch diese ihren Platz haben und 
deshalb, wenn möglich, auch in einer Intelligenzprüfung festgestellt werden 
muß. Das Kritisieren ist eine höhere Stufe des Verstehens; denn jetzt 
genügt es nicht, das Gegebene in seinem positiven Inhalt aufzufassen; 
man muß es auch messen an einer im Bewußtsein bereit liegenden Norm, 
die sich in dem dargebotenen Stoff nicht befriedigt findet. 

Bei Intelligenzprüfungen kann die Kritikfähigkeit in drei verschiedenen 
Entwicklungsstufen festgestellt werden. 

Ihre einfachste Leistung liegt dort vor, wo die Kritik als Reaktion 
auf einen einfachen Reiz verlangt wird; es ist das Bemerken einer 
einzelnen Absurdität. Der Reiz kann in einer sprachlichen Formulierung 
oder einer bildlichen Darstellung bestehen, die einen Widersinn enthält; der 
Prüfling wird befragt: kann man so sagen? bzw.: ist an dem Bilde etwas 
nicht richtig? 

Höher steht die geforderte Leistung schon dort, wo die zu kritisierenden 
Reize eingestreut sind in einen größeren textlichen oder bildlichen Zu¬ 
sammenhang; es wird dann nur die allgemeine Aufgabe gegeben, die zu 
bemängelnden Widersinnigkeiten herauszufinden. War im ersten Falle 
durch den Reiz schon die eindeutige Einstellung der Aufmerksamkeit auf 
die darin enthaltene Absurdität gegeben, so muß im zweiten Fall bei 


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jedem Gliede des größeren Reizzusammenhangs erst die Entscheidungs¬ 
frage gelöst werden: liegt hier eine Absurdität vor oder nicht? Erst nach 
deren Entscheidung kann zur näheren Feststellung ihres Inhalts über¬ 
gegangen werden. Es ist also ein Verhalten ähnlich dem des Lehrers, 
der eine schriftliche Arbeit zu korrigieren hat. 

Die höchste Stufe erreicht die Kritikfähigkeit dort, wo sie gar nicht 
mehr als Reaktion auf eine dahingehende Anforderung, sondern ganz 
spontan bei andersartigen Aufgaben arbeitet. Es sei z. B. die Aufgabe 
gegeben, irgendeine Darstellung (über ein gesehenes Bild, ein Erlebnis, 
ein gelesenes Werk) zu liefern; der kritische Geist wird sich dann nicht 
mit bloßer Berichterstattung begnügen; er wird von selbst darauf kommen, 
Mängel und Unstimmigkeiten anzumerken oder auch seine subjektive 
Mißfälligkeit über diese oder jene Einzelheit auszudrücken. 

Die bisher bei Intelligenzprüfungen geforderten Kritikleistungen waren 
fast ausschließlich solche der ersten Stufe. Beispiele hierfür sind die 
bekannten Sätze von Binet: „Ich habe drei Brüder: Paul, Emst und ich.“ 

— „In einem Walde fand man eine Leiche, die in 18 Teile geteilt war; 
man nimmt an, daß Selbstmord vorliegt.“ Beispiele widersinniger Bilder: 
Darstellung einer Baumallee, in der ein Baum vom Sturm ganz zur 
Seite gebogen erscheint, während die anderen Bäume gerade stehen. Dar¬ 
stellung einer Bäuerin, die an einem über die Schulter gelegten Querholz 
auf der einen Seite einen Eimer trägt, während an der anderen Seite 
nichts hängt; dennoch steht das Querholz wagerecht. Derartige eindeutige 
Absurditätenreize sind für unsere Zwecke zu leicht. *) 

Kritikleistungen der dritten Stufe, also ganz spontane Äußerungen 
kritischen Sinnes, sind zuweilen mit überraschender Deutlichkeit bei Auf¬ 
satztests hervorgetreten, so z. B. bei der oben besprochenen schriftlichen 
„Bilderbogenbeschreibung“. Hier fanden gewisse Versuchspersonen an der 
Handlung, an den dargestellten Menschen, auch an der Technik oder 
Ästhetik der Zeichnungen allerlei auszusetzen, wobei es sich bald um 
objektiv berechtigte Einwände, bald um subjektive Geschmacksäußerungen, 
zuweilen um bloße Nörgelsucht handelte. Aber eben diese Willkür ganz 
spontaner Kritikleistungen macht es schwer, sie als Bekundungen der 
Intelligenzhöhe aufzufassen. Sie sind mehr Kennzeichen einer kritischen 
Neigung — und als solche differentiell-psychologisch gewiß interessant 

— als einer Kritikfähigkeit; auf diese aber kommt, es uns bei der In¬ 
telligenzprüfung in erster Reihe an. 

Wir werden deshalb versuchen müssen, Kritikleistungen der zweiten 
Stufe herbeizuführen: also das Herausfinden von Stellen, die objektive 
Kritik erfordern, aus einem größeren Ganzen. Es darf hierbei nicht dem 
subjektiven Belieben überlassen bleiben, ob man kritisiert oder nicht; 


*) Mit Recht ist den Binetschen Absurditäten der Vorwurf gemacht 
worden, daß sie zum Teil geschmacklos und blutrünstig sind — wofür auch 
oben ein Beispiel gegeben ist. Soeben ist eine ganze Reihe anderer widersinniger 
Sätze, auf welche dieser Vorwurf nicht zutrifft, von Karstädt durchgeprüft 
und für verschiedene Altersstufen geeicht worden. Ein Bericht hierüber wird 
demnächst in der Zeitschr. f. angew. Psyohol. erfolgen. 


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Höhere Intelligenzteste zur Prüfung Jugendlicher 


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vielmehr müssen die zu findenden Stellen aus offenkundigen Widersinnig¬ 
keiten bestehen, die jeder ablehnen muß, der ihren Inhalt versteht. Hier¬ 
durch ist es ferner möglich, die Kritikfähigkeit der Prüflinge exakt zu 
vergleichen, da eine bestimmte Zahl von sinnwidrigen Stellen gefunden 
werden soll und da außerdem diese Stellen in der Schwierigkeit der 
Lösung abgestuft sein können. 

Ich habe zwei solcher Texte hergestellt, die gegenwärtig von uns an 
Schülern verschiedenen Alters durchgeprüft werden. Ihr Wortlaut, der 
aber vielleicht noeh auf Grund der Vorprüfungen hier und da verändert 
werden wird, folgt weiter unten. 

Text 1 enthält 10 Absurditäten, Text 2 deren 12. Der Schwierigkeit 
nach sind die Absurditäten sehr verschieden. 

Text 1 hat sich bei den Vorprüfungen als der bedeutend leichtere 
erwiesen; er dürfte für 10—12 jährige geeignet sein. Text 2, der eine 
Reihe schwieriger Beziehungsbegriffe (z. B. Verwandtschaftsverhältnisse) 
enthält, scheint für 14—16 jährige brauchbar. 

Text l. 

An einem schönen Märztage machte unsere Klasse einen Tagesausflug. Obgleich 
cs die ganze Nacht geregnet hatte, waren die Wege morgens recht naß und schmutzig; 
doch störte das nicht unsere Wanderlust. Wir kamen durch einen Wald, der aus lauter 
Tannen und Kiefern bestand. Leider waren die Bäume wegen der frühen Jahreszeit 
noch ganz kahl; wie herrlich muß es im Sommer sein, wenn die Bäume erst durch 
dichten Schatten gegen den Sonnenbrand schützen! Einmal sahen wir in der Ferne ein 
wildes Kaninchen vor uns herlaufen. Ich jagte ihm nach, aber da es ständig schneller 
lief als ich, konnte ich ihm nur langsam näher kommen und fing es schließlich. 
Aber ich quälte es gar nicht, sondern ließ es bald wieder laufen, da ich an den Spruch 
dachte: „Die Freuden, die man übertreibt, verwandeln sich in Schmerzen.“ Dann 
führte uns der Weg an Feldern vorbei, auf denen die Bauern die Getreideernte ein¬ 
brachten. Mittags trafen wir in dem Dorf ein, wo wir bleiben wollten. Das Dörfchen 
hatte vor einem Jahr durch ein Brandunglück schwer gelitten; der Kirchtum war 
völlig niedergebrannt; zur Erinnerung war an der Stelle, wo die Turmspitze gewesen 
war, eine Gedenktafel angebracht worden. Bei einer Meierei fragten wir an, ob wir 
Müch und Käse bekommen könnten, es war aber nichts mehr vorhanden. Doch 
sagte man uns, in einer halben Stunde werde gemolken, dann könnten wir sofort 
beides bekommen, soviel wir wollten. Wir warteten gern und lteßen es uns trefflich 
schmecken. Die meisten blieben nun im Dorf; ich aber machte mit einem Freund 
einen Abstecher auf einen hochgelegenen Aussichtspunkt. Wir stiegen eine halbe 
Stunde bergauf, freuten uns an dem schönen Rundblick und kehrten dann auf einem 
noch steileren, ebenfalls ständig ansteigenden Weg ins Dorf zurück. 

Mit vielerlei Spielen verging uns der Nachmittag schnell; wir bemerkten kaum, 
daß die Schatten der Bäume kürzer und kürzer wurden, und waren überrascht, als 
die Sonne unterging. Wir lagerten uns noch etwas am Ufer eines Sees, von dem 
plötzlich dichter Nebel aufstieg. Aber dieser Nebel breitete sich nicht sehr weit aus. 
Nur wir selbst waren ganzvon ihm eingehüllt, undallenahen Gegenstände verschwanden 
ringsherum, dagegen waren ferner liegende Dörfer undWälder deutlich für uns sichtbar. 

Müde, aber sehr befriedigt kamen wir bei völliger Dunkelheit zu Hause an. 

Text 2. 

Neulich machte unser Verein eine Landpartie; mittags kehrten wir in einer 
Wirtschaft ein. Nach dem Essen teilte sich die Gesellschaft in drei Gruppen: die 
eine Hälfte blieb plaudernd im Speisesaal, die zweite machte einen Spaziergang 
durchs Dorf, die dritte suchte den schönen Garten auf, der im Norden durch eine 


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höbe Mauer gegen die stechenden Strahlen der Mittagssonne geschützt war. Ich 
ging auch in den Garten und kam mit einem alten Herrn ins Gespräch. „Ich hörte 
erzählen“, so sagte dieser, „daß Sie von einem Rittergeschlecht aus der Zeit der 
Kreuzzüge herstammen sollen, ist das wahr?“ Ich antwortete: „Nein, das stimmt 
nicht, es liegt eine Verwechslung mit meinem Vater vor, die mir schon öfter begegnet 
ist.“ Auf seine Frage nach meinen Geschwistern erwiderte ich: „Ich habe drei 
Brüder, Fritz, Hans und ich. Fritz hat die Gärtnerei erlernt und ist kürzlich, um 
seinen Beruf auszuüben, mich Spitzbergen im nördlichen Eismeer übergesiedelt; 
Hans ist Buchhalter in einem Handlungshause und ich bin angestellt in einer großen 
Kabelfabrik, wo wir die ungeheuren Kabellängen herstellen, die uns zum Zweck 
der drahtlosen Telegraphie mit Ostafrika verbinden.“ 

Nun erzählte der alte Herr von seinem Vater. Dieser war zweimal verheiratet 
gewesen, das erste Mal mit einem adligen Fräulein, das zweite Mal mit einer armen 
Lehrerin. Er selbst stammt aus der ersten Ehe des Vaters; er hatte nur eine Stief¬ 
schwester, die, obgleich sie älter war als er, sich ihm doch in allem unterordnete 
und fügte. Die Stiefschwester ist als junge Frau schon vor 18 Jahren gestorben. 
Nun hat er die Sorge für ihre Kinder übernommen und ihr jüngstes Böhnchen erst 
vor einem Jahre eingeschult. 

Während wir so sprachen, begegneten uns zwei Herren, die sich außerordentlich 
ähnlich sahen, namentlich bei dem einen war die Ähnlichkeit besonders auffallend. 
Ich erfuhr, daß es Zwillinge waren. Der eine Zwillingsbruder ist ein berühmter 
Arzt; als Zeichen für seine großen ärztlichen Erfolge wird berichtet, daß jährlich 
etwa 50 Patienten in seiner Behandlung sterben. Der andere, zwei Jahre jüngere, 
ist ein Rechtsanwalt, der als Verteidiger von Verbrechern einen Namen hat. Neulich 
gelang es ihm, für einen Mörder ein milderes Urteil zu erwirken; er konnte nämlich 
nachweisen, daß dieser den Mord nicht aus Leidenschaft oder aus Notwehr, sondern 
mit Vorbedacht begangen hatte. 

Die Texte sind zu mündlichem oder zu schriftlichem Versuch zu ver¬ 
wenden (in letzterer Form auch für Klassenversuche). Die Instruktion 
für die Prüflinge müßte etwa folgendermaßen lauten: 

„Jetzt sollt Ihr einmal etwas Ähnliches machen, wie wenn ein Lehrer 
einen Aufsatz korrigiert. Diese Geschichte lest Euch genau und langsam 
durch. Es sind einige Stellen darin, die einen Unsinn enthalten; diese 
sollt Ihr herausfinden und daneben schreiben, warum sie falsch sind. Es 
kommt nicht darauf an, Fehler der Rechtschreibung und der Interpunktion 
zu finden; nur auf Unsinnigkeiten des Inhalts soll geachtet werden.“ 

Bei mündlicher Prüfung muß der Prüfling den Text langsam und laut 
vorlesen und bei jeder bemerkten Absurdität sofort angeben, was wider¬ 
sinnig ist. Ein Protokollant muß, wenn möglich stenographisch, die 
kritischen Äußerungen mitschreiben. Der Versuchsleiter darf auf fragende 
Blicke in keiner Weise reagieren. Sind bei der erstmaligen Lesung nicht 
alle Stellen gefunden, so läßt man noch einmal lesen, und ruft bei jeder 
etwa übergangenen Stelle: „Halt!“ Es wird also nun die Kritikfähigkeit 
der ersten Stufe ins Spiel gesetzt. 

Bei schriftlichen Prüfungen darf das vorgelegte Textblatt nur zum Teil 
bedruckt oder beschrieben sein; mindestens die Hälfte des Blattes muß für. 
die schriftliche Kritik frei bleiben. 

Die Ergebnisse können zahlenmäßig in 4 Gruppen geteilt werden 
1. Überhaupt nicht bemerkte Unsinnigkeiten („Auslassungen“). 2. Richtig 
bemerkte und richtig kritisierte Absurditäten („Treffer“); dazwischen stehen: 
3. Kritiken an falscher Stelle, wo gar keine wirkliche Absurdität vorliegt 


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(„falsche Reaktionen“). 4. Richtig bemerkte, aber nicht zutreffend kriti¬ 
sierte Widersinnigkeiten („Fehlkritiken“). 

Neben den rein zahlenmäßigen Angaben ist aber gerade bei diesem Test 
die qualitative Bewertung wichtig, denn die richtige Kritik einer Ab¬ 
surdität kann in sehr verschiedenem Grade sprachlicher und logischer Voll¬ 
kommenheit ausgeübt worden sein. 

Eine Erweiterung dieses Tests wird soeben für die erneute Aufnahmeprüfung 
zum Lehrerinnenseminar vorbereitet. Es werden in den Text 2 noch eine Reihe 
weiterer Fehler hineingearbeitet, die nicht logischer Natur sind, sondern sich auf 
Grammatik, Syntax und Interpunktion beziehen. So kann geprüft werden, ob 
eine Weite der Aufmerksamkeit besteht, die außer der Hauptaufgabe zugleich 
gewisse Nebenaufgaben zu bewältigen, vermag. Natürlich muß dann die In¬ 
struktion für die Versuchspersonen entsprechend geändert werden. 


Bas gleiche Prüfungsprinzip läßt sich ohne Schwierigkeit auch auf bildliche 
Darstellungen anwenden. Man kann entweder eine ganze Serie von Einzelr 
bildern der Reihe nach vorlegen, von denen die meisten sinnvoll sind, 
nur einige mit Absurditäten wie in unseren obigen Beispielen (s. S. 15) durch¬ 
setzt sind. Oder man kann Bilderbogen ohne Text herstellen, die an manchen 
Stellen Sinnwidrigkeiten der Handlung enthalten. Endlich kann man solche 
zusammenhängenden Handlungen mit eingestreuten Absurditäten auch im 
Film vorführen. Eine Herstellung derartiger Tests hat meines Wissens 
noch nicht stattgefunden. 

• 

IV. Begriffserklärungen. 

Die Anwendung von Begriffsdefinitionen zum Zweck der Intelligenz¬ 
prüfung begegnet uns im Binet-System und anderwärts. Das Definieren 
ganz leichter konkreter Begriffe, wie „Stuhl“, „Puppe“ usw. kommt für 
unsere Aufgabe nicht in Frage (Bobertag verlangt sie in seinem deutschen 
Binet-System von Fünfjährigen in elementarer, von Neunjährigen in voll¬ 
kommenerer Form); dagegen treten bei dem Versuch, schwerere Begriffe 
zu erklären, sehr charakteristische Intelligenzunterschiede älterer Schüler 
hervor. Bobertag legt den Elf- und Zwölfjährigen die drei Begriffe „Neid“, 
„Mitleid“, „Gerechtigkeit“ vor und betrachtet den Test als gelöst, wenn 
mindestens zwei in der Form Von Anschauungsbeispielen erläutert werden 
(„Mitleid ist, wenn ...“). 

Umfassenderes Material bot die Massenuntersuchung von A. Gregor 1 ), 
der an Erwachsenen (Krankenpflegern und -pflegerinnen) und an Schülern 
beiderlei Geschlechts aus acht Schulstufen 37 Begriffe definieren ließ, 
derart, daß jeder Begriff jeder Altersstufe vorgelegt wurde. Die statisti¬ 
schen Ergebnisse habe ich selbst für die speziellen Zwecke der Eichung 
umgerechnet*) und hierbei gefunden, daß sich im wesentlichen drei Gruppen 
von Begriffen unterscheiden lassen: 


i) Untersuchungen über die Entwicklung einfacher logischer Leistungen (Be¬ 
griffserklärungen). Zeitschrift für angewandte Psychologie 19, 339—461, 1916. 

*) Über Alterseichung von Definitionstesta, eine methodologische Untersuchung 
auf Grund der Massenversuche von A. Gregor. Zeitschrift für angewandte Psycho¬ 
logie 11, S. 90 ff., 1916. 

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William Stern 


Konkrete Begriffe (z. B.: „Laube“, „Tür“, „Stuhl“, „Zeit“), deren 
richtige Definition vom 4. Schuljahr zu verlangen fet; 

„halb abstrakte“ Begriffe, die auf politische und Boziale Einrichtungen 
gehen und im 7. Schuljahr gefordert werden können (z. B.: „Obrigkeit“, 
„Bündnis", „Kolonie“, „Gesetz“); 

ganz abstrakte Begriffe aus dem Gebiet der Ethik und Logik (z. B.: 
„Gerechtigkeit“, „Sitte“, „Mut“, „Irrtum“, „Urteil“); sie sind dem 
8. Schuljahr zuzuschreiben. 

Aber auch diese Verrechnung konnte nicht als befriedigendes End¬ 
ergebnis gelten. Gregor hatte seine Versuchspersonen lediglich nach Schul¬ 
stufen gegliedert, nicht nach Altersstufen, die für uns weit wichtiger 
sind; er hatte sich auf schriftliche Massen versuche beschränkt, ohne fest¬ 
zustellen, ob sich deren Ergebnisse ohne weiteres mit den bei mündlicher 
Einzelprüfung zu erzielenden Resultaten decken. Endlich ist seine Wertungs¬ 
weise ( in „Nullfälle“, „falsche Fälle“, „primitive“, „richtige“ und „kor¬ 
rekte“ Definitionen) nicht durchsichtig genug, um bei weiteren psycho¬ 
logischen Begriffsprüfungen übernommen werden zu können. 

Deshalb schienen neue Erprobungen dieser Testform erforderlich, 
und solche sind inzwischen einerseits von Karstädt, andererseits von 
unserem Laboratorium vorgenommen worden. Karstädt wandte neben 
vielen anderen Tests auch Definitionen an, um für die. Bineischen Tests 
teils brauchbare Ersatzserien, teils die sehr wünschenswerten Parallelserien 
zu schaffen 1 ). Unsere eigenen Versuche gelten der speziellen Aufgabe, solche 
Begriffe zu finden, die zur Feststellung höherer Begabung von Zehnjährigen 
geeignet sind. Deshalb mußten zehn-, elf- und zwölfjährige Kinder geprüft 
werden. 

Herr Oberlehrer Roleff, der diese Prüfung übernommen hatte, war in 
der Lage, sämtliche Knaben dieses Alters, die in der Stadt Bergedorf 
bei Hamburg eine Volks- oder eine höhere Schule besuchen (über 1200) 
zu prüfen. Es geschah im schriftlichen Massenversuch; aber daneben ging 
bei einer kleineren Zahl auch eine mündliche Prüfung einher, um die 
Ergebnisse beider Verhaltungsweisen zu vergleichen. ' Sowohl bei den 
Vorbereitungen des Versuchs, wie bei der Verarbeitung und statistischen 
Verwertung war die Lehrerin Fräulein Friedag als Mitarbeiterin des 
Herrn Roloff tätig. 

Mit Absicht wurden Begriffe sehr verschiedener Beschaffenheit und 
Schwierigkeit gewählt, wobei wir im voraus damit rechneten, daß sich 
einige von diesen als weniger geeignet erweisen würden. 

Es waren teils abstrakte, teils halb abstrakte, teils konkrete Begriffe. 
Einige setzten gewisse positive Kenntnisse oder Lektüre bestimmter 
Art („Skalp“!) voraus. Die meisten waren so beschaffen, daß eine wenn 
auch unbestimmte Bekanntschaft mit dem Begriff bei jedem normalen 
Knaben ohne weiteres angenommen werden konnte; das Problem war 
nur, wie weit die Prüflinge imstande waren, sich über den Inhalt ihrer 
Vorstellung Rechenschaft zu geben und sie klar und logisch zu formulieren. 

l ) Er wird darüber demnächst in der Zeitschrift für angewandte Psychologie 
berichten. 


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Höhere Intelligenzteste zur Prüfung Jugendlicher 


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Die Liste, welche absichtlich die Begriffe verschiedener Form und 
Schwierigkeit ungeordnet vermischt darbietet, war die folgende: 

„Briefträger“, „Insel“, „U-Boot“, „Geiz“, „Mut“, „Manöver“, „Vetter“, 
„Lflge“, „Skalp“, „Neid“, „Beute“, „Miete“, „Onkel“, „Wehrpflicht“. 

Den Lehrern, die bei dem Versuch beteiligt waren, wurde die folgende 
Anweisung gegeben: 

J. Vorbereitung. 

Um den Kindern klar zu machen, was von ihnen verlangt wird, entwickelt man 
gemeinsam mit ihnen die Definitionen von 
1. Hammer, 2. Mitleid. 

I>ie Definition yon „Hammer“ ist zu bringen auf die Form: 

Hammer ist ein Werkzeug, mit dem man schlägt. 

Die Definition von „Mitleid“ ist zu bringen auf die Form: 

Mitleidig ist man, wenn einem die Not eines andern leid tut. 

Aufforderung an die Kinder: Denkt nach, wie ihr jemandem möglichst genau 
erklären könnt, was die folgenden Wörter bedeuten. 


II. Der Versuch. 

Den Kindern wird der erste Begriff der obigen Reihe genannt und an die Tafel 
gesohrit ben Es wird eine Besinnzeit von etwa l /» Minute gewährt; während dieser 
Zeit darf "kein Kind schreiben. Die schriftliche Beantwortung beginnt nach einem 
verabredeten Zeichen oder Wort. (Schreibt!) Sie beansprucht erfahrungsgemäß 
eine Zeit von etwa 1 Minute; diese Zeit ist nicht wesentlich zu überschreiten; wpr 
fertig ist, hat die Feder hinzulegen. 

Hierauf wird der zweite Begriff der obigen Reihe genannt und angeschrieben 
(sofortiges Anschreiben der ganzen Reihe ist zu vermeiden) und in gleicher Weise 
erledigt wie der erste usw. 

Fragen der Kinder sind nicht zu beantworten, gegenseitige Hilfen (Absehen, Ver¬ 
sprechen und dgl.) möglichst zu verhindern. 

Auf jeder Arbeit Name und Klasse von den Kindern vermerken lassen. Es wird 
gebeten, das Lebensalter der Kinder in Jahren und vollendeten Monaten hinzuzufügen. 
(12 Jahr 7 Monate ist z. B. zu schreiben: 12; 7.) 

Die Bearbeitung des Materials ist gegenwärtig im Gange; es zeigt sieh 
schon jetzt, daß gewisse Begriffe für unsere Testzwecke sehr geeignet sind. 
Bei manchen ron ihnen tritt ein starker Altersfortsehritt gerade in den 
geprüften Jahrgängen von 10—12 auf; diese Definitionsaufgaben würden 
sich also dazu eignen, die besonders intelligenten Zehnjährigen festzustellen. 
Andere Begriffe haben* selbst bei den Zwölfjährigen nur eine verhältnis¬ 
mäßig kleine Zahl richtiger Lösungen gefunden; sie werden also für Prüfun¬ 
gen älterer Jahrgänge verwendbar sein. 

Aus den statistischen Berechnungen von Herrn Roloff und Frl. Friedag kann 
bereits ein Befund von bemerkenswertem Interesse verzeichnet werden: Die 
gleichaltrigen Knaben der drei Schultypen Gymnasium, Realschule, Volksschule 
zeigen bedeutende Unterschiede in den Definitionsleistungen; und zwar ist die 
Rückständigkeit der Realschüler gegen die Gymnasiasten merkwürdigerweise größer, 
als die der Volksschüler gegen die Realschüler. Wieweit die Verschiede nh ei t en 
der soziale!! Umwelt, der Wissens-, der Ausdrucksfähigkeit und der eigentUchen 
Intelligenz an dieser Differenzierung der Leistungen beteiligt sind, ist jetzt noch 
nicht fostzusteUen. 

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William Stern 


V. Der Fabel-Test. 

Eine der Hauptaufgaben des Denkens besteht darin, aus einem kon¬ 
kreten, umfangreicheren Vorstellungsinhalt den wesentlichen Kern- 
gedanken herauszuholen und ihn in seiner über den Einzelfall heraus¬ 
gehenden allgemeineren Bedeutung zu erfassen. Hierbei genügt es 
eben nicht, den dargebotenen Inhalt einfach hinzunehmen und in seiner 
konkreten Beschaffenheit aufzufassen; er muß umgeformt werden, indem 
einerseits die verschiedenen Teile als verschieden wichtig beurteilt, die 
unwesentlichen fortgelassen und die wesentlichen isoliert werden, und 
indem andererseits an diesem Grundinhalt selber die konkrete Gestaltung 
zu einem allgemeinen Gedanken verallgemeinert wird. 

Hierher würde die Aufgabe gehören, die Pointe eines Witzes zu erfassen; 
aber das Witzverständnis ist vermutlich eine verwickeltere Fähigkeit, 
zu der nicht nur eine gewisse allgemeine Intelligenzhöhe, sondern auch eine 
spezifische, bisher noch nicht näher untersuchte Begabung für Humor, 
Paradoxie und Überraschung gehört. Daher kommt es, daß viele zweifel¬ 
los intelligente Menschen Witzen gegenüber überraschend hilflos sind 1 ). 

Für unsere Zwecke ist es daher besser, den Paradoxiefaktor auszuschalten 
und bei einem ernsthaften Stoff die Herausarbeitung des Grundgedankens 
zu fordern. So manche Wege sind hier denkbar; die Benutzung von Bildern 
oder Bilderserien, von technischen Apparaten, von sprachlichen Texten. 
Unter den letzteren sind solche besonders geeignet, die von vornherein die 
Bestimmung haben, einen abstrakten Kerngedanken in konkreter Form 
darzustellen: das sind die Fabeln. Diese dienen allein dem Zweck, 
daß der Leser die „Moral von der Geschieht’“ erfasse. Wann sind Kinder 
zu dieser gedanklichen Leistung fähig, und in welcher Weise äußert sich 
bei Fabelaufgaben der Unterschied der Intelligenzgrade? 

Wir sind augenblicklich nicht zu einer Beantwortung dieser Fragen 
fähig, sondern können nur den Weg angeben, auf dem wir das Problem 
bearbeiten. Der Fabel-Test ist von den Amerikanern Terman und Childs 
vorgeschlagen; später hatte Meumann die Absicht, ihn zu verwenden. 
Fräulein Leonora Heitsch, welche die Bearbeitung dieses Tests über¬ 
nommen hatte, benutzte sieben der von Terman und Childs vorgeschlage¬ 
nen Fabeln und drei, die Meumann in einem nur handschriftlich vorhandenen 
Testentwurf zusammengestellt hatte 2 ). Es sind die folgenden: 

I. Fabeln nach Terman und Child*, 

1. Das Milchmädchen und seine Pläne. 

Ein Milchm ädchen trug einen Krug mit Milch auf dem Kopfe und überlegte 
folgendes: Mit dem Gelde, welches ich für diese Milch erhalte, kann ich 300 Eier 
kaufen - Aus diesen Eiern werde ich mindestens 200 Küchlein bekommen. Mit dem 
Gelde, welches die Küchlein einbringen werden, kann ich mir ein neues Kleid kaufen. 
Mit diesem Kleide werde ich mit den jungen Burschen zum Tanze gehen, die werden 
mich alle heiraten wollen, aber dann werfe ich meinen Kopf in den Nacken und ver- 


>) Eine ähnliche Kombination allgemeiner Intelligenz mit einer noch wenig bekann¬ 
ten Spezialfähigkeit liegt auch bei dar Begabung zum Rätselraten vor. 

*) Wir machen mit frdl. Zustimmung von Frl. Meta Meumann davon Uebrauoh. 


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schmähe sie alle. Im selben Augenblick warf sie in Gedanken den Kopf zurück, 
der Krug mit Milch fiel zerschmettert zu Boden, und alle ihre Luftschlösser wurden 
in einem Augenblick zertrümmert. 

2. Merkur 1 ^ und der Holzfäller. 

Ein Holzfäller ließ einmal eine Axt in einen tiefen Teich fallen. Er setzte sich 
auf eine Bank und bejammerte seinen Verlust. Da erschien Merkur, sprang in den 
Teich, brachte eine goldene Axt zum Vorschein und fragte, ob das die verlorene sei ? 
Als der M ann dies verneinte, tauchte Merkur ein zweites Mal unter und brachte eine 
silberne Axt herauf. Als der Mann nun sagte, dies sei immer noch nicht die seinige, 
tauchte der Gott ein drittes Mal und holte die richtige Axt herauf. Der Mann nahm 
sein Eigentum mit Freuden in Empfang, und Merkur hatte solche Freude über ihn, 
daß er ihm die goldene und die silberne noch dazu schenkte. 

3. Die Ameise und die Grille. 

Eine Grille, die den ganzen Sommer fröhlich gesungen hatte, starb im Winter 
fast vor Hunger. Da ging sie zu einigen Ameisen, die in der Nähe wohnten, und bat 
sie, ihr etwas von ihren aufgespeicherten Vorräten zu leihen. „Was hast du im Sommer 
getan ?“ fragten sie. „Ich habe Tag und Nacht gesungen,“ antwortete die Grille. 
„So, gesungen hast du,“ sagten die Ameisen, „nun dann kannst du jetzt ja tanzen.“ 

4. Der Storch und die Kraniche. 

Ein Bauer stellte einige Fallen auf, um Kraniche zu fangen, die seine Saaten fraßen. 
Mit den Kranichen zusammen fing er einen Storch. Der Storch bat den Bauern, sein 
Leben zu schonen, er müsse Mitleid mit seinem gebrochenen Bein haben, er sei ein 
Vogel von ausgezeichnetem Charakter und durchaus nicht wie die Kraniche. Der 
Bauer lachte und sagte: „Ich fing dich mit diesen Räubern, den Kranichen, zusammen 
und du mußt mit ihnen sterben.“ 

5. Herkules*) und der Fuhrmann. 

Ein Fuhrmann fuhr die Landstraße entlang, als die Räder auf einmal in einen 
tiefen Graben versanken. Er tat nichts, schaute nur auf seinen Wagen und rief 
Herkules laut um Hilfe an. Herkules kam und sagte zu ihm: „Drücke mit deiner 
Schulter das Rad aus der Furche und sporne deine Ochsen an, mein lieber Mann,“ 
dann ging er Weiter und ließ den Fuhrmann stehen. 

6. Der Knabe und die Nüsse. 

Ein Knabe langte mit seiner Hemd in ein Gefäß mit Nüssen und ergriff so viele, 
als er nur halten konnte, aber es war ihm nicht möglich, die Hand mit den Nüssen 
aus dem Hals des Gefässes wieder herauszuziehen. Die Nüsse wollte er aber auch 
nicht preisgeben, so fing er an zu weinen, die Nüsse aber hielt er fest. 

7. Der Adler und die Schildkröte. 

Eine Schildkröte beschwerte sich bei den Vögeln darüber, daß keiner sie fliegen 
lehren wollte. „Nun denn,“ sagte der Adler, „ich will dich fliegen lehren,“ und nahm 
sie hoch mit, bis fast in die Wolken. Dann ließ er sie plötzlich fallen und sie zerschmet¬ 
terte auf den Felsen. 

//. Aus der Meumann’schen Sammlung. 

1. Ein Rabe saß auf einem Baum und hatte einen Käse im Schnabel. Da kam 
ein Fuchs und sagte zu dem Raben: „Wie schön kannst du singen!“ Der Rabe fühlte 

l ) „Merkur“ wäre für deutsche Kinder besser durch „Rübezahl“ oder den 
„Berggeist“ zu ersetzen. 

*) Vgl. die vorige Anm. 


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sich geschmeichelt and wollte gleich seine Stimme hören lassen. Als er den SoÜktabel 
öffnete» entfiel ihm der Käse» und der Fuchs schnappte ihn auf. 

2. Zwei Ziegen begegneten sich auf einem schmalen Stege» der über einen tiefen 
und breiten Graben führte. Da keine zurückweichen wollte, wurden sie so zornig, 
daß sie mit ihren Hörnern gegeneinander rannten. Bei dem heftigen Stoß aber stürzten 
beide und fielen in das Wasser. Nur mit großer Mühe konnten sich die beiden 
Ziegen an das Ufer retten. 

3. Ein Hund lief mit einem Stück Fleisch durch einen Wasserstrom. Als er das 
Fleisch im Wasser sich spiegeln sah, meinte er, es wäre auch Fleisch und schnappte 
daher gierig danach. Als er das Maul auftat, entfiel ihm das Stück Fleisch, und 
daä Wasser führte es weg. 

4. Eine Henne fand ein Nest voll junger Schlangen, die waren von der Kälte 
ganz erstarrt und Bchon halb tot. Die gute Henne setzte sich voll Mitleid darauf, 
um sie zu erwärmen. Allein sobald die jungen Schlangen wieder zum Leben kamen, 
bissen sie die Henne tot. 

Die Fabeln sind bisher hauptsächlich bei Mädchen der Altersstufen 
10 bis 12 Jahre durchgeprüft worden; es zeigte sich — bei sehr ver¬ 
schiedenen Lösungsprozenten der einzelnen Fabeln — im ganzen ein be¬ 
deutender Alterszuwachs vom 10. bis zum 12. Jahre. Als leichtere Fabeln, 
die für gutbegabte Kinder dieser Jahrgänge brauchbar sein dürften, er¬ 
wiesen sich Nr. 1, 2, 6, 6, 7 der ersten Serie, Nr. 3 der zweiten Serie. 
Schwerer und daher nur für höhere Jahrgänge verwendbar waren: 
Nr. 3, 4 der ersten, Nr. 2, 4 der zweiten Reihe. Das Prüfungsverfahren 
schildert Fräulein Heitsch in folgender für ihre Mitarbeiter bestimmten 
Anweisung: 

x Anweisung. 

I. Aufgabe. 

Es handelt sich darum, in einem schriftlichen Klassen versuch niederzulegen, welches 
Verständnis der Moral gewisser Fabeln bei den Versuchspersonen vorhanden ist. 

II. Versuchsanordnung: - 

1. Vorversuch. 

Bemerkung: Um die richtige Einstellung der Versuchsperson zu erreichen, 
erfolgt ein mündlicher Vorversuch. Benutzt wird zur Demonstration die Fabel: „Der 
Rabe und der Fuchs“. 

Versuchsgang: Ich werde euch eine Fabel vorlesen. Ihr wißt, was eine Fabel ist 7 
(Zu verlangen, daß den Kindern bewußt wird, daß die Fabel eine Lehre vermittelt.) 

Nachdem ich euch die Fabel vorgelesen habe, werde ich euch fragen: „Was lernen 
wir aus dieser Fabel 7“ (Durch Kontrollfragen ist festzustellen, daß die Aufgabe 
erfaßt ist. Etwa: „Worauf habt ihr also zu achten 7“ Auf die Lehre. — „Was nicht 
angeben 7“ Den Inhalt; die Eigenschaften.) Nach der Ankündigung: „Ich lese jetzt 
die Fabel vor!“ erfolgt die Lektüre. 

Man läßt allen Kindern eine Minute Besinnzeit und nimmt dann erst Antworten 
entgegen. Antworten, die reine Inhaltsangaben oder Beurteilung der Handelnden 
erkennen lassen, dienen dazu, den Kindern möglichst durch Selbstkritik die falsche 
Einstellung aufzuweisen und sie nachdrücklich zur richtigen zu führen. — Es ist 
auf Kürze der Fassung Wert zu legen. Nachdem die Überzeugung gewonnen ist, 
daß die Klasse die richtige Einstellung hat, schreitet man zum eigentlichen Versuche, 
bei dem die Antwort schriftlich niedergelegt wird. 

2. Hauptversuch. 

a) Ankündigung: Ich lese eine andere Fabel vor. Diesmal wird die Lehre auf- 
geschrieben! 

b) Äußere Vorbereitung: Verteilen der Blätter. — Aufschreiben des Namens 
und Geburtsdatums ('Bag, Monat, Jahr) rechts oben. — Hinweis, daß es nicht auf 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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Schreibrichtigkeit ankommt. — Neue Reihe. — Fortlaufende Nummerierung. — 
Versagen durch wagerechten Strich andeuten. 

c) Vor lesen (s. oben). 

d) Niederschreiben der Antwort: 

Es ist streng darauf zu achten» daß das Niederschreiben erat nach dem völligen 
Vorlesen und dem Ablauf der gewährten Besinnzeit auf das Kommando: »»Schreibt 
nun!*' erfolgt. Zwischenfragen sind ausgeschlossen. 

Es empfiehlt sich aber» vor dem Kommando zum Niederschreiben die Kinder kurz 
aufzufordern» durch Fingerheben anzuzeigen» ob sie ein nochmaligesVorlesen wünschen» 
und diesem Wunsche in weitgehendem Maß (etwa schon bei einem Sechstel der Zahl) 
Rechnung zu tragen. 

Der Versuchsleiter merkt auf einem Begleitblatt die Wiederholungszahl jeder 
Fabel an. 

Nach dem Niederschreiben ist zu fragen» wem die Fabel bekannt war» und von 
diesen ist in Klammer das Wort »»bekannt" unter der Antwort zu vermerken. 

e) Nach Fertigstellung der letzten Antwort werden die Blätter eingesammelt 
und ohne jede Korrektur gelassen, damit sie als psychologisches Material verwend¬ 
bar sind. 


VI. Satzbildung aus Stichwörtern. 

Nur kurz sei der Vollständigkeit halber erwähnt, daß auch eine Er¬ 
probung des „Dreiwörter-Tests“ (Bildung eines sinnvollen Zusammen¬ 
hangs aus drei Stichwörtern) bei uns im Gange ist. Diese, früher „Masseion- 
Test“ genannte, Prüfungsform spielt bekanntlich auch im Binet-System 
eine Rolle und zwar mit den nicht gerade glücklich gewählten Wörtern 
„Paris — Fluß — Geld“. Systematisch ausgebaut wurde der Test von Pior- 
kowski 1 ), dessen Wortmaterial auch unsern Versuchen zugrunde gelegt 
wird. Einen kurzen Auszug der Hauptergebnisse Piorkowskis gab ich 
an anderer Stelle *). Der Test prüft bald mehr die Fähigkeit zu sachlich¬ 
logischer Gedankenverknüpfung, bald mehr die kombinatorische Phan¬ 
tasie; welche dieser beiden Funktionen mehr getroffen wird, hängt teils 
von dem Typus der Prüflinge, teils von der Instruktion ab. Die Schwierig¬ 
keit des Tests ist natürlich bei den verschiedenen Wortgruppen sehr ver¬ 
schieden groß; außerdem sind durch die Art der Aufgabestellung zwei 
Hauptabstufungen der Schwierigkeit möglich. Eb wird entweder eine 
sinnvolle Lösung verlangt — in dieser Form wird der Test von uns bei 
Zehn- bis Zwölfjährigen durchgeprüft. Oder die Aufgabe lautet, mehrere 
(oder: möglichst viele) recht verschiedene Lösungen für jede Wortgruppe 
zu finden; hier wird die Beweglichkeit und der Reichtum der Denk¬ 
beziehungen geprüft. Die letztere Methodik haben Moede und Piorkowski 
neuerdings für die Auslese übernormaler Vierzehnjähriger verwandt. 

Die Liste der von Piorkowski gebildeten Wortgruppen, die auch unserer 
Nachprüfung zugrunde gelegt sind, lautet*): 


*) C. Piorkowski. Untersuchungen über die Kombinationsfähigkeit bei Schul¬ 
kindern. Pädagogisch-psychologische Arbeiten des Leipziger Lehrervereins 4, S. 55 ff.» 
1913. 

*) Die Intelligenzprüfung an Kindern und Jugendl. 2- Auflage. 1916. S. 150 ff. 

*) Wir geben sie hier wieder, da sie bisher nur an einer etwas versteckten Stelle 
abgedruckt war. In der Originalarbeit gibt Pf» was sehr dankenswert ist, eine Über¬ 
sicht über die für jede Wortgruppe vorgekommenen Lösungen, nebst deren Bewertung 
durch den Versuchsleiter. 


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1. Pferd — Biene — heruntergefallener Reiter. 

2. Jäger — Sonne — vorbeigeschossen. 

3. Dieb — Fenster — Wunde. 

4. Neugieriger Junge — Türe — Nasenbluten. 

5. Seiltänzer — böser Mensch — Schrei. 

6. Wolkenbruch — fortgeschwemmtes Haus — treuer Hund. 

7. Bäckerjunge — hoch vorbeifliegender Luftballon — Prügel. 

8. Fast verdursteter Hund — mitleidiger Mensch — verhinderter Überfall. 

9. Katze — Baum — herausgerissene Federn. 

10. Spaziergänger — Sturm — Loch im Kopf. 

11. Einbrecher — Bibel — umkehren. 

12. Verfolgter Reiter — Mauseloch — Gefangennahme. 

13. Wohltäter — undankbarer Mensch — Polizei. 

14. Regen — Kälte — zerbrochener Krug. 

15. Landmann — große Hitze — Diebstahl. 

16. Soldaten im Lager — sternlose Nacht — große Verwirrung und Geschrei. 

17. Elektrische Bahn — Lärm — Blut. 

18. Dieb — Feuer anlegen — einbrechen. 

19. Sturm — verhütetes Eisenbahnunglück — Belohnung. 

20. Stehengebliebene Uhr — geschehenes Eisenbahnunglück — Freude. 

21. Guter Getreidestand — fauler Bauer — Verzweiflung. 

22. Spiegel — heranschleichender Mörder — Rettung. 

23. Betrügerischer Fleischer — Kühe — Salz. 

24. Wasserhahn — Festzug — Stube voll Wasser. 

Die von unserm Seminarmitglied Dr. Angelstein vorgenommene Erprobung 
des Tests erstreckte sich auf die Wortgruppe 11, 13, 15, 16, 18, 20, 21, 22; 
dazu auf die weitere Wortgruppe: Reise — treuer' Hund — Freude. Die 
Niederschriften wurden als Versager, halbrichtige und ganzrichtige gewertet. 
Bei den drei Jahrgängen von Schülern einer höheren Schule ergab sich 
folgender Prozentsatz richtiger Lösungen: 

Reise 

Wortgruppe 11 13 15 16 18 20 21 22 tr. Hund 

Freude 


Richtige Lösungen \ 10—11 J. 36 29 14 20 18 18 20 36 41 

in % bei Kindern \ 11—12 J. 45 60 40 20 27 12 25 50 44 

im Alter von | 12—13 J. 69 34 59 44 37 56 15 56 66 

Man erkennt den bedeutenden Unterschied in der Schwierigkeit. Einige 
Gruppen (z. B. 18, 21) sind für die geprüften Altersstufen zu schwer. Bei 
anderen ist ein deutlicher Leistungsaufstieg von den 10 jährigen zu den 
12jährigen zu bemerken (z. B. bei 11, 15, 20 und der neuen Wortgruppe). 
Diese würden also für normale 12 jährige — und demnach auch wohl zur 
Feststellung besonders befähigter 10 jähriger — brauchbar sein. 

2. Sprachlose Tests. 

Wir behandeln hier vornehmlich eine Reihe von „Ordnungstests“, die in 
unserem Seminar ausgearbeitet worden sind; mehr anhangsweise wird auf 
„Zuordnungstests“ hingewiesen. 

Im Binetschen Staffelsystem gibt es nur wenige Tests, die nicht sprach¬ 
liche Äußerungen beanspruchen; unter diesen ist jene Aufgabe die weitaus 
beste, welche das Ordnen von 5 Gewichten verlangt. 5 kleine völlig gleich 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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ausseilende Kästchen, die aber durch verschiedene Füllung an Gewicht 
merklich verschieden sind, werden dem Prüfling vorgelegt. Der Prüfer 
sagt, daß diese Kästchen nach der Schwere zu ordnen seien, und macht 
es einmal vor; der Prüfling hat es dreimal nachzumachen. Natürlich darf 
der Gewichtsunterschied nicht so gering sein, daß der Ausfall von der 
peripheren Unterschiedsempfindlichkeit des Prüflings abhängen könnte; 
für die Intelligenzprüfung kommt es ja nur darauf an, daß der Prüf¬ 
ling die Aufgabe versteht, daß er das Merkmal der Schwere aus allen an 
den Kästchen wahrnehmbaren Merkmalen isolierend heraushebt, und daß 
er imstande ist, den Gedanken der aufsteigenden Schwere dauernd dem 
Vergleich der einzelnen Elemente zugrundezulegen. Er muß ferner von 
selbst darauf kommen, daß es nicht genügt, je zwei Kästchen zu ver¬ 
gleichen und nebeneinander zu legen, sondern daß jedes neu einzu¬ 
ordnende Kästchen mit allen schon vorher geordneten verglichen werden 
muß. All dies sind ausgesprochene Denkanforderungen; und in der Tat 
bietet bei diesem Test nicht nur die schließliche richtige oder falsche 
Lösung, sondern auch das Verhalten des Prüflings während des Versuchs 
Anhaltspunkte zur Einschätzung seiner Intelligenz. 

Dieser Test ist für das Alter 9 Jahr angesetzt. Mir schien nun das 
hier zum Ausdruck kommende Prinzip des „Ordnens nach einem lei¬ 
tenden Gesichtspunkt“ so wertvoll, daß ich seine Erweiterung auf 
andere Ordnungsgesichtspunkte und zugleich seine Übertragung auf ältere 
Jahrgänge anstrebte. Die Ausbildung und Erprobung solcher Ordnungs¬ 
tests wurde ebenfalls bereits mit Breslauer Seminarteilnehmern begonnen; 
sie wird jetzt mit Hamburger Seminarteilnehmern fortgesetzt, insbesondere 
hat. hier die Lehrerin Frl. Martha Muchow die Durchprüfung übernommen. 

Wie schon angedeutet, verlangt der Test vor allem eine gewisse Ab¬ 
straktionsleistung: der Prüfling muß fähig sein, an den Objekten ein 
vergleichbares Merkmal zu beachten und von allen anderen Eigenschaften 
dabei abzusehen. Sodann wird verlangt, daß er dieses Merkmal zur 
Grundlage einer Stufenordnung macht. Nun drängt sich als erste Ände¬ 
rung gegenüber dem Binet-Test die Möglichkeit auf, daß man den Ge¬ 
sichtspunkt, nach welchem geordnet werden soll, nicht darbietet, sondern 
selbst finden läßt. Dadurch werden beträchtlich erweiterte Anforde¬ 
rungen an die Abstraktionsfähigkeit gestellt. In unseren Versuchen wird 
also bei der Vorlegung der durcheinander gemischten Reize lediglich die 
allgemeine Aufforderung ausgesprochen: „Bringe sie in eine geordnete 
Reihe!“ oder: „Ordne sie der Reihe nach!“ 

Zweitens läßt sich der Test ausbauen durch verschiedene Schwierigkeit 
der verlangten Ordnung. Unsere Aufzählung beginnt mit einfachen, ein¬ 
reihigen Ordnungen, die für das höhere Jugendalter zum größeren Teil 
zu leicht sind, aber das Material für die Schaffung der anderen Ordnungen 
(der erschwerten Einreihigkeit und der mehrdimensionalen Ordnungen) bieten. 

Drittens sind Variationen möglich durch die Wahl der zu ordnenden 
Gegenstände. Hier ist zu unterscheiden zwischen sensoriellen und logischen 
Ordnungen. Die sensoriellen können den verschiedensten Sinnesgebieten 
entlehnt werden; wir beschränken uns auf die am leichtesten herstellbaren 


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und vielseitig verwendbaren optischen Reize, nämlich Figuren verschiedener 
Größe, Helligkeit, Farbe und Form. Die logischen Ordnungen beziehen 
sich auf Begriffsreihen und auf bedeutungsvolle Handlungszusammenhänge. 

Bei sämtlichen Ordnungstests ist vom Versuchsleiter Folgendes fest¬ 
zustellen: 

1. Das Ergebnis der Legung. Bei falschen Lösungen genügt es nicht, 
bloß den Vermerk „falsch“ zu protokollieren; es müssen auch die Arten 
der Fehler festgestellt werden. Zu diesem Zweck sind die Elemente jeder 
Reihe in einer dem Prüfling unsichtbaren Weise zu nummerieren; die 
Nummernfolge der gelegten Elemente wird dann protokolliert. 

2. Die Zeitdauer der Arbeit, mit Stoppuhr zu messen. 

3. Der Verlauf der Arbeit. Hier sind oft qualitative Beobachtungen zu 
machen, die unter Umständen für die psychische Besonderheit des Prüflings 
mehr besagen, als das schließliche Endergebnis. Vermutlich werden hier¬ 
bei nicht nur Grade, sondern auch Typen der Intelligenzleistung 
hervortreten: ob mehr systematisch oder sprunghaft gearbeitet wird, ob 
erst viele Möglichkeiten durchgeprüft werden oder sofort mit intuitiver 
Sicherheit das rechte Ordnungsprinzip gewonnen wird, ob Selbstkorrekturen 
im größeren Umfang Vorkommen, ob die Aufmerksamkeit immer nur auf 
wenige Glieder der Reihe konzentriert wird oder möglichst viele Elemente 
zu überschauen sucht usyr. 

4. Die gegebenen Hilfen. Art und Wortlaut dieser Hilfen sollten fest¬ 
gelegt sein und während aller Versuche möglichst streng innegehalten 
werden. 


I. Einreihige Ordnungen. 

Bei der Herstellung jeder Reihe ist darauf zu achten, daß sich die 
Einzelelemente nur bezüglich des Ordnungsgesichtspunktes deutlich unter¬ 
scheiden, im übrigen aber gleich sind. 

1. Größenunterschiede. Eine Reihe von Quadraten gleicher Farbe 
und Helligkeit, aber zunehmender Größe. Statt der Quadrate können auch 
andere Figuren (Kreise, Dreiecke, Sechsecke) gewählt werden. 

2. Helligkeitsunterschiede. 5 gleich große Kreise: schwarz, dunkel- 
grau, mittelgrau, hellgrau, weiß. Die Reihe kann natürlich durch Ein¬ 
schiebung von Zwischenstufen vermehrt werden. 

3. Zahlenunterschiede. Regelmäßige Vielecke gleicher Farbe und 
gleichen Umkreises, aber steigender Seitenzahl. Wir benutzen die Figuren 
vom Viereck bis zum Zehneck. Desgleichen Stemfiguren mit verschiedener 
Strahlenzahl vom Vierstrahl bis zum Zehnstrahl. Je höhere Seiten- 
bzw. Strahlenzahlen man hinzunimmt, umso schwerer wird der Test. 
Denn bei den einfacheren Figuren können die Prüflinge dem anschaulichen 
Eindruck folgen. Verlassen sie sich aber auch bei den schwereren Figuren 
darauf, so treten häufig Verwechslungen ein, so z. B. zwischen Sieben- 
und Achteck. Es ist daher darauf zu achten, ob der Prüfling bei den 
schwerer erkennbaren Figuren von selbst darauf kommt, die Ecken 
(Strahlen) zu zählen, ob er sich hierbei spontan gegen Verzählung sichert 
(z. B. durch Festhalten einer Ecke) usw. 


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91 


VorversBche ergaben, daß die Beachtung der Seiten- bzw. Strahlenzahlen 
gar nicht so nahe liegt, wie man von vornherein annehmen möchte. Noch 
manche zehnjährigen Kinder versuchen die Figuren nach der Größe zu 
ordnen (obgleich hier kein eindeutiger Unterschied bestand) oder nach 
ästhetischem Eindruck zusammenzulegen, unter Nichtachtung der steigen¬ 
den Eckenziffer. 

Eine Erschwerung erfährt die einreihige Ordnung in den 

4. Lückenhaften Reihen. Man läßt beim Vorlegen ein Element (oder 
auch mehrere Elemente) fort und stellt fest, ob das Fehlen des Gliedes be¬ 
merkt wird. Eindeutig ist dies nur möglich bei. der Reihe 3; wenn die 
Vorlagen bestehen aus Dreieck, Viereck, Sechseck, Siebeneck, Achteck, so 
muß bei einer gewissen Intelligenzstufe gefordert werden, daß der Prüfling 
beim Ordnen das Fünfeck vermißt. Zeigt er dies nicht spontan durch 
Freilassen des Platzes oder sprachliche Äußerung, so sind Hilfen zu geben. 
Zunächst: „Gefällt dir die Reihe so oder könntest du sie dir besser 
denken?* Wenn dies nicht ausreicht: „Fehlt eine Figur in der Reihe?* 
Die Schwierigkeit ist leicht abzustufen, da das Fehlen des Fünfecks viel 
leichter bemerkt wird als das des Siebenecks. 

Bei Größen und Helligkeiten sind lückenhafte Reihen nur sehr schwer 
herzustellen, da die einzelnen Glieder nicht eindeutig bestimmt sind. Hier 
muß der Sprung so groß sein, daß er im auffälligen Gegensatz zu der 
mäßigen Abstufung der anderen Glieder steht. 

H. Mehrdimensionale Ordnungen. 

Die Denkarbeit wird sofort ganz gewaltig erschwert, wenn nicht die 
bloße Beachtung eines reihenbildenden Gesichtspunktes verlangt wird, 
sondern deren mehrere vorhanden sind. Es sind dann unter Umständen 
drei Aufgaben zu lösen: aus der vorgelegten Menge von Elementen die 
zu jedem Gesichtspunkt gehörenden herauszusondem (analytische Aufgabe), 
innerhalb jedes Gesichtspunkts die Reihen zu bilden (Synthese erster 
Ordnung) und die gebildeten Reihen, wenn möglich zueinander in Be¬ 
ziehung bringen (Synthese zweiter Ordnung). 

6. Getrennte Reihen. Nur die erste der drei genannten Aufgaben, die 
analytische, tritt als neue Forderung auf,, wenn man. die Elemente zweier 
(oder mehrerer) von einander unabhängiger Reihen dem Prüfling 
durcheinander gemischt vorgelegt Nach der Deutlichkeit der Verschieden¬ 
heit zwischen den Reihen sind hier die Schwierigkeiten stufenweise zu 
variieren: wenn gleichgroße Kreise verschiedener Helligkeit und gleich¬ 
getönte Vierecke verschiedener Größe durcheinander gemischt vorgelegt 
werden, so ist die Scheidung leichter, als wenn man die Kreise mit Zehn¬ 
ecken mischt, die schon viel kreisähnlicher sind. Eine stärkere Erschwerung 
wird durch Benutzung gleicher Formen herbeigeführt: gleichgroße Kreise 
verschiedener Helligkeit in Mischung mit gleichhellen Kreisen verschiedener 
Größe. Hierbei darf aber kein Glied so beschaffen sein, daß es beiden 
Reihen angehören könnte (das wäre schon Aufgabe 6). Weitere Beispiele 
solcher Mischungen lassen sich aus den unter 1 , 2, 3 genannten Tests 
in beliebiger Anzahl bilden. 


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92 


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6. Gekreuzte Reihen. Ein ganz neuer und besonders schwerer Typus 
von Aufgaben scheint darin zu bestehen, zwei Reihen auf Grund eines 
gemeinsamen Gliedes mit einander zu kreuzen. Wenigstens ergab sich bei 
Vorversuchen, daß selbst gebildete Erwachsene einen solchen Test oft nur 
mit mehrfachen Hilfen zu lösen vermochten. 

Ob etwa bei der Herstellung eines solchen „Achsenkreuzes“ oder „Koor¬ 
dinatensystems“ mathematische Kenntnisse oder Fähigkeiten stark mit¬ 
sprechen, bedarf noch der Nachprüfung *); ich möchte allerdings glauben, 
daß die allgemeine Intelligenzleistung hierbei durchaus überwiegt. Es 
seien in der Vorlage durcheinander gemischt dargeboten (s. d. Fig. 2) 5 Qua¬ 
drate mit gleichen Beiten längen a« und den Helligkeiten hi, hj, h», tu, hs 
und noch weitere 4 Quadrate von gleicher Helligkeit tu, aber verschiedenen 
Seitenlängen ai, aj, a<, a* — so besteht der erste Schritt zur Lösung 
darin, daß der Prüfling bemerkt: einige der Quadrate fügen sich bei 
gleicher Größe der Helligkeitsordnung, andere bei gleicher Helligkeit der 



Fig. 2. 


Größenordnung. Er wird also zwei getrennte Reihen schaffen. Der zweite 
Schritt muß nun darin bestehen, daß er bemerkt: das Quadrat mit der 
Seitenlänge aa und der Helligkeit ha paßt in beide Reihen. Da es nur 
einmal vorhanden ist, bleibt seine Zuordnung so lange willkürlich, als die 
Reihen unabhängig voneinander gelegt sind. Es folgt der dritte und ent¬ 
scheidende Schritt: daß diese Willkür als störend empfunden und der 
Versuch zu ihrer Beseitigung gemacht wird. Ist nun die Einsicht, daß es 
nur eine Möglichkeit gibt, das Quadrat (aa hs) beiden Reihen zuzuordnen, 
nämlich durch Herstellung des Achsenkreuzes (s. d. Fig.) wirklich eine 
mathematische? Handelt es sich nicht vielmehr um eine Kreuzung be¬ 
grifflicher Merkmale, also um eine logische Leistung? Vielleicht werden 
wir einer Lösung dieser interessanten Frage näher gebracht werden, wenn 
wir das Prinzip der Kreuzung auf rein begriffliche Reihen anwenden (vergl. 
unter HI). 

*) Wenn ja, so wäre der Test bei solchen Prüflingen, welche im mathematischen 
Unterricht noch nichts von diesen Dingen gehört haben, als mathematische 
Fähigkeitsprüfong anzuwenden. 

*) In der Wiedergabe sind leider die Helligkeits-Unterschiede bezw. Überein¬ 
stimmungen nicht überall ganz deutlich geworden. 


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93 


Eb ist selbstverständlich, daß durch die Wahl der zur Kreuzung zu 
bringenden Einzelreihen die Schwierigkeit der Aufgabe wiederum mannig¬ 
fach abgestuft werden kann. Eine besondere Erschwerung bietet die An¬ 
wendung von Doppelkreuzungen, wenn z. B. durcheinander gemischt vor¬ 
gelegt werden: Vielecke gleicher Helligkeit und ungefähr gleicher Größe 
vom Dreieck bis zum Zehneck (Hauptachse), Fünfecke derselben Helligkeit 
aber verschiedener Größe, Achtecke von der Größe des Achtecks, das der 
Hauptachse angehört, aber von abgestufter Helligkeit. 

Die Anweisung bei dem Versuch mit gekreuzten Reihen muß etwa so 
lauten: „Bringen Sie in alle diese Figuren eine Ordnung, die Sie möglichst 
befriedigt; es handelt sich aber diesmal nicht um eine einzige Reihe.“ 
Bildet der Prüfling dann zwei Reihen, ohne von selbst deren Kombination 
zu versuchen, so wird die Hilfe gegeben: „Gibt es ein Glied, das ebenso 
gut der anderen Reihe angehören könnte?* 1 Ist dies gefunden, so wird 
gefragt: „Läßt sich die Ordnung nicht so herstellen, daß diese Willkür 
vermieden wird?“ 

7. Geschlossene Reihen. Wenn man die Farben des Spektrums Rot, 
Ziegelrot, Orange, Gelb, Gelbgrün, Grün, Grünblau, Blau, Violett in 
einer Reihe von farbigen Papieren durcheinander gemischt vorlegt, dazu 
ein Papier, welches die Zwischenfarbe zwischen den beiden Grenzfarben, 
also Purpur, zeigt, dann ist eine voll befriedigende Ordnung nur in der 
Form des geschlossenen Kreises möglich. Wir benutzen dazu 10 Scheiben 
aus farbigen Papieren von Zimmermann. (Bei der Auswahl der Farben 
ist darauf zu achten, daß der Unterschied zwischen je zwei benach¬ 
barten Scheiben ungefähr gleichgroß erscheint). Legt man diese Farben 
durcheinander gemischt vor mit der bloßen Anweisung: „Ordnen Sie diese 
Farben**, so wird gewöhnlich eine eindimensionale Reihe hergestellt. Diese 
ist aber immer willkürlich; denn jede Einzelfarbe kann als Anfangsglied 
benutzt werden. Es handelt sich also für den Prüfling ähnlich wie bei 
Test 7 darum, eine solche Willkürlichkeit erstens zu bemerken und 
zweitens zu überwinden durch Umbiegung der Reihe, bis sie sich zum 
Kreise schließt. 

/ 

Bei diesem Test erlebten wir eine große Überraschung: schon die bloße 
Herstellung einer Reihe (die ja noch nicht die volle Lösung enthält) 
erwies sich als unerwartet schwer. Voraussetzung war, daß die Prüflinge 
nicht das Spektrum und seine Gesetze kannten, auch nicht durch be¬ 
sonders eingehende Beschäftigung mit der Malerei an Farbenvergleichung 
gewöhnt waren. Aber ich hatte gemeint, daß der Gesichtspunkt der 
Ähnlichkeit aufdringlich genug sein müßte, um auch ohne jede theo¬ 
retische Kenntnis die Ordnung leicht zu machen. Es zeigte sich aber, 
daß 10jährigen Kindern die richtige Reihenbildung fast nie gelang; erst 
bei 12jährigen glückte der Test häufiger. Auf die Idee aber, daß die 
geradlinige Reihenordnung willkürlich sei, da ja jede Farbe als Anfangs¬ 
glied dienen könne, kamen nur wenige; und gar die Lösung dieser 
Schwierigkeit: die Umbiegung der Reihe zum geschlossenen Kreise kam 
nur ganz ausnahmsweise, sogar bei Erwachsenen, vor, — wofern nicht eben 


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94 


William Stern 


physikalische, psychologische oder maltechnische Kenntnisse müwirken 
konnten. 1 ) 

m. Logische Ordnungen. 

9. Begriffsreihen. Die Reihen unterscheiden sieh von den Figuren¬ 
reihen dadurch, daß die Merkmale, die der Abstraktion und der Ordnung 
zugrunde liegen, nicht unmittelbar sinnlich gegeben sind, sondern gedacht 
werden müssen. Natürlich darf das hierbei vorauszusetzende Wissen nicht 
von den individuell variierenden Bedingungen des Schulunterrichts abhängig 
sein. Die Schwierigkeit der Reihen ist abstufbar durch die Wahl der 
Merkmale. Man kann solche wählen, die an sich anschaulicher Natur 
(wenn auch im Augenblick nicht anschaulich gegeben) sind, oder man 
kann abstrakte Merkmale, z. B. den Grad der Allgemeinheit, wählen. Wir 
geben einige Beispiele, die sich beliebig vermehren lassen (der Ordnungs¬ 
gesichtspunkt ist jeder Reihe in Klammern beigefügt). 

Dieser Test kann im Einzelversuch oder im Massenversuch angewandt 
werden. Im ersten Falle geschieht die Darbietung auf Kärtchen, deren 
jedes den Namen eines Begriffs (unter Umständen auch dessen bildliche 
Darstellung) enthält. Die Kärtchen werden duroheinandergemischt vor¬ 
gelegt. Beim Massenvereuch erhält jeder Prüfling einen Vordruck der un¬ 
geordnet nebeneinander stehenden Begriffe; er hat sie dann in richtiger 
Ordnung darunter zu schreiben. 


Begriffsreihen. 


Gesichtspunkte 
der Ordnung 


1. Maus, Pudel, Schaf, Esel, Kuh, Elefant. 

2. Blaubeere, Kirsche, Pflaume, Birne, Melone, Kürbis 

3. Säugling, Schulkind, Jüngling, Mann, Greis . . . . 

4. Neujahr, Ostern, Pfingsten, Große Ferien, Herbstferien, 


Große 

Alter 


Weihnachten 


Zeit 


5. Vorgestern, gestern, heute, morgen, übermorgen . . . 

6. Zimmer, Haus, Straße, Stadtteil, Stadt, Provinz, Staat 

7. Buchstabe, Silbe, Wort, Satz, Märchen, Märchenbuch . 

8. Sekunde, Minute, Stunde, Tag, Woche, Monat, Jahr . 

9. Blattrippe, Blatt, Zweig, Baum, Wald. 

10. Wolkenbruch, Hochwasser, zerstörte Brücken, abgeschnit¬ 
tenes Dorf, Hungersnot. 

11. Kriegserklärung, Vormarsch, Schlacht, Sieg, Waffenstill¬ 
stand, Friedensschluß. 

12. Pflügen, Säen, Düngen, Mähen, Dreschen, Mahlen, Backen 

13. Geldbrief träger, Briefträger, Postbeamter, Beamter, Mann, 

Mensch... 

14. Baum, Laubbaum, Obstbaum, Kirschbaum, Sauerkirsch¬ 
baum .. 


99 

Teil u. Ganzes 

99 99 99 

99 9 % 99 

»» 99 99 


Ursache u. Wirkung 
Logische Folge 
von Handlungen 

99 99 99 

Grad der 
Allgemeinheit 


ii »t 


M 


*) Der Test scheint übrigens recht geeignet, in der Psyohologievorlesung beim 
Kapitel Farbenwahrnehmung angewendet zu werden. Denn an ihm kann sich 
der Student oder Seminarist selber ein Prinzip des psychologischen F&rben- 
systems, den geschlossenen Bing der bunten Farben, erarbeiten. 


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Wählt man die hei manchen Reihen möglichen bildlichen Darsteilungen 
statt der Worte, so ist darauf zu achten, daß das Ordnungsmerinnai nicht 
zugleich anschaulich gegeben ist. Es müßten z. B. bei Reihe 1 die Tiere 
alle gleichgroß abgebildet sein (wodurch voraussichtlich die Aufgabe gegen¬ 
über der Vorlage in Worten erschwert werden würde; denn nun muß die 
Anschauung der gleichgroßen Figuren überwunden werden durch den 
Gedanken der in Wirklichkeit verschiedenen Größen). 

Das Hinausgehen über die bloße Einreihigkeit ist bei den Begriffsord- 
nungen ebenso möglich wie bei den Figurenordnungen: mehrere Reihen 
können durcheinander gemischt werden mit der Aufgabe, sie zu trennen 
und isoliert zu ordnen. Auch Kreuzungen sind herstellbar, z. B. zwischen 
Reihe 9 und 14 (Schnittpunkt: Baum), zwischen 13 und 3 (Salmittpunkt: 
Mann); doch sind diese Aufgaben sehr schwer. 

, Bei älteren Schülern kann man nach vollzogener Ordnung die Angabe 
4es dabei angewandten „Gesichtspunktes“ verlangen. i 

9. Bilderbogenordnung. Diese Aufgabe unterscheidet sich von allei^ 
anderen Ordnungstests dadurch, daß es sich nicht mehr um eine Reihe 
handelt, die nach irgendeinem Merkmal abgestuft ist, sondern um die 
Phasen eines sinnvollen Zusammenhangs, die in die richtige Reihenfolge 
gebracht werden sollen. Die Bilderbogen, die wir oben (bei der JBilderf- 
bogenerklfirnng“) in ihrer richtigen Abfolge dargeboten hatten, werden 
jetzt zerschnitten vorgelegt, und der Prüfling hat selbst die richtige 
Anordnung der durcheinander gemischten Einzelbilder zu finden. 

Die Bilderbogen müssen auf ihre Eignung zu diesem Versuch besonders 
geprüft werden; finden sich doch oft in ihnen Darstellungen von Phaseij, 
die nicht eindeutig an eine bestimmte Stelle der Reihe passep; solche 
Teilbilder sind fortzulassen. Jedes der vorgelegten Bilder muß och 
zweifellos in -eine zeitliche Handlungsabfolge einfügen. Andererseits kann 
man durch Fortlassung weiterer Phasen die Aufgabe erschweren, indem 
nun wichtige Abschnitte der Handlung kombinatorisch ergänzt werden 
können. Hierdurch sowohl wie durch die Auswahl verschieden schwerer 
Bilderhogen ist die Schwierigkeit mannigfach abstufbar. 

Einige solcher Qrdnungsversuche mit Bilderbogen sind bereits vor Jahren 
im Breslauer Seminar angestellt, aber nicht veröffentlicht worden; sie 
werden jetzt im Hamburger Seminar durch Fräulein Heitsch wieder auf¬ 
genommen. Unabhängig davon ist der belgische Forscher Decroly auf 
den gleichen Gedanken gekommen, worüber er in einer vorläufigen Mit¬ 
teilung berichtet. 1 ) Er benutzte 11 Bilderbogen aufsteigender Schwierigkeit, 
deren Inhalt er mit wenigen Worten andeutet. Die vergleichende Prüfung 
in Normal- und Schwachsinnigenschulen zeigte sehr starke Unterschiede, 
sowohl in der Fähigkeit, die richtige Reihenfolge herzustellen, wie auch in 
dem Zeitaufwand. Die Schwierigkeit der Bilderbogen war so abgestuft, 
daß die leichtesten schon von der Mehrheit der 7- und 8jährigen normalen 

*) Epreuve nouvelle pour l’examen mental et son applieation aus enfants 
anorm&ux. Ball, de la Soc. d’Anthropologie de Bruxelles Bd. 32, Des. 1913. — 
Ob die angekündigte ausführlichere Darstellung erschienen ist, entzieht sieh 
nieiner Kenntnis. 


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Kinder, die schwersten dagegen erst, von den 12 jährigen richtig geordnet 
werden konnten. Der Test wurde also auch für höhere Altersstufen ein- 
zuriehten sein. 

Die Versuche im Hamburger Seminar werden zunächst mit dem oben 
genannten „Wiedeisehen“ (Münchener Bilderbogen Nr. 915; s. d. Abb. S. 11) 
angesteilt. Außerdem erwiesen sich die folgenden Bilderbögen noch als 


brauchbar, zum Teil freilich erst nach■.;Bos.iutiguttg'v&iniget Teilbilder, deren 
Platz in der Hei he nicht eindeutig war; Apfettüebe .-(Nr- 942); Der nasch¬ 
hafte Moppel (Nr, 1067), Diogenes und die-, böse« Buben (Nr. 350) '). 


‘j Die Bilderbogen sind; votn Braun $ hohneider in München m H».. 

«iahen. Auskunft« tifaee di« nötigen Abänderungen rrteiit gern daa Hamburger 
Keroitmr. Dotnstr S. - Oer- Bilderbogen »Diogenes" «kenunt..vou 'Wilhelm- Bosch; 
es« Sst »vreofernäflig, ftici) hier vist Begibti de»».Tawuchas zu vefgewiBaern, ob er 
nicht bekannt ist. ' ’ • . • 








Höhere Intelligenztests aur Prüfung Jugendlicher 


IV. ZaöfdiDaiigßtests. 

Zur Vervollständigung der Übersieht sei hier nur kurz ein neuer Test 
von A. Ranken, Rektor zu ßielefeld, gesehildert 1 ), zu dessen 'Nachprüfung 
vräf noch keine Gelegenheit katten, der aber nach den von Franken -veröffect 
iiehten, sehr eingehenden Resultaten für die ans angehenden Altersstufen 
geeignet zu sein scheint. Der Test stellt die Aufgabe, zu je einem darge¬ 
botenen Begriff aus einer Reihe andfeter d©ti samvoil dazu gehörigen Begriff 


zu finden. Aber während man bisher für solche und ähnliche Aufgaben 
stet» die Begriffe in sprachlicher Form verlegte, arbeitete F. mit Bildern 
und erzielte dadurch den Vorteil, daß die Sprachfähigkeit des Prüflings 
keine Rolle spielt; Bst ist also wiederum ein ,,stummer“ Test. Geprüft 
wird diejenige.Itenn. kbnibinutorischer Gedankenarbeit,- die wir am besten 
als ,,Zuor d n ting “ bezOlehKon köhnton. Verbunden ist damit ein kr it iseb 


J) A. Fraokoii, BiW^kömh«uvtioA8M. Ein Baifxag tum Problemder Iheefligt«*; 
Prüfungen. Zoitschrift für ungewandte Psychologie 12, 8. 173-—230, 1017. 
Zeltacbrtrt f. p*«i»*og. P*srehciU>*ie. 7 






98 


William Stern 


wählendes Verhalten, da aus einer großen Menge von Kombinations- 
möglichkeiten die richtige gefunden werden soll. 

Das Heizmaterial besteht in zwei Tafeln, deren jede 52 Bildchen ent¬ 
hält (siehe die verkleinerten Abbildungen S. 32/33). Mit jedem Bildchen der 
Tafel I steht ein Bildchen der Tafel II in sinnvollem Zusammenhang, so 
Spinne, Spinnennetz; Stiefel, Stiefelknecht; Gewicht, Wage; rauchender 
Schornstein, Schornsteinfeger; Schmetterling, Raupe usw. 

Zur Verwendung im Einzel versuch wird die Tafel I durchschnitten; 
jedes einzelne Bildchen muß dann auf das zu ihm gehörige Bildchen von 
Tafel II gelegt werden, bis möglichst viele Deckungen erfolgt sind. Im 
Massen versuch werden beide Tafeln in starker Vergrößerung an die 
Wandtafel gehängt. Die Bildchen von Tafel I sind mit Buchstaben, die 
von Tafel II mit Ziffern versehen. Jedes Kind erhält ein Blatt mit Ziffern¬ 
vordruck und hat zu jeder Ziffer (die eine Bildchennummer von Tafel II 
bedeutet) den Buchstaben des dazu gehörigen Bildchens von Tafel I zu fügen. 

Diese beiden Versuchsanordnungen scheinen mir in ihren psychologischen 
Anforderungen sehr verschieden zu sein, und zwar ist der Massenversuch 
sehr viel schwerer. Beim Einzelyersuch wird die Arbeit um so leichter, 
je weiter der Versuch fortschreitet; denn es sind bereits immer mehr Bild- 
chen verdeckt, und es bleiben daher immer weniger für die weitere Wahl 
übrig. Diese fortschreitende Erleichterung fehlt im Massenversuch. Außer¬ 
dem hat bei diesem das Kind nicht nur die Bilderzuordnung zu vollziehen, 
sondern auch die sehr viel abstraktere Zuordnung von Ziffern zu Buch¬ 
staben zu verstehen und durchzuführen. 

Ein Fehler der Versuchsanordnung, der dringend der Beseitigung bedarf, 
ist die Mehrdeutigkeit der möglichen Kombinationen. Dem Zirkel vor 
Tafel II soll das Winkelmaß von Tafel I zugeordnet sein; aber könnte 
man ihm nicht mit gleichem Recht die Kreisscheibe (die als Gegenstück zur 
Armbrust gedacht ist) zuordnen ? Ebenso soll die Nixe mit dem Zwerg 
(nicht etwa mit dem Fisch), die Gabel mit dem Löffel (nicht etwa mit 
dem Messer) kombiniert werden. Von den vielen „sinnvollen Fehlern“, 
die Franken feststellte, wird ein beträchtlicher Teil auf dieser Vieldeutig¬ 
keit beruhen; für künftige Zwecke müßten für die Bildertafeln nur solche 
Begriffspaare ausgesucht werden, bei denen die Gefahr des Ineinander- 
übergreifens möglichst gering ist. 

Natürlich bieten die einzelnen Paare für die Lösungen sehr verschiedene 
Schwierigkeit; darin ist aber kein Mangel zu sehen, im Gegenteil: es ist 
ein gutes diagnostisches Moment für die Intelligenz, ob die Leistungen eines 
Prüflings sich vorwiegend auf die leichteren oder auch in größerem Umfang 
auf die schwereren Zuordnungen erstrecken. 

Aus den zahlreichen und gründlichen tabellarischen Berechnungen, die 
F. bringt, ziehen wir hier nur die für unseren Zweck wichtigen Ergeb¬ 
nisse in vereinfachter Form heraus; sie stammen aus den Massenver¬ 
suchen, bei denen aus jeder Altersstufe ungefähr 100 Kinder geprüft wurden. 
Die Prozentzahl der „Treffer“ ist berechnet als das Verhältnis der richtigen 
Lösungen zu den geforderten Kombinationen, die „Urteilstreue“ dagegen 
als das Verhältnis der richtigen Lösungen zu den vom Kinde versuchten 


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Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


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Kombinationen. Der letztere Wert drückt also aus, wie weit das Kind selbst 
Kritik übt und die Herstellung beliebiger sinnloser Kombinationen vermied. 


Alter: 

■i 

8 

9 

US 

11 

12 

13 

14 

Prozentzahl 

f Knaben 

5,2 

7,2 

9,2 

18,4 

33 

43,2 

40,6 

52 

der Treffer 

( Mädchen 

3,8 

i 

7 

9,2 

14,0 

22 

34 

32,8 

42,2 

Urteilstreue < 

f Knaben 

12,7 

24,3 

24 

47,7 

57,4 

02,7 

58,6 

66,2 

( Mädchen 

10,6 

22,7 

25,3 

37,2 

45 

53,0 

56,1 

60,6 


Die Tabelle 1 ) zeigt eine durchgehende, wenn auch nicht bedeutende 
Rückständigkeit der Mädchen, vor allem aber einen raschen Anstieg 
der Werte in den Altersstufen 10 bis 12. Namentlich geht aus der 
Zunahme der Urteilstreue hervor, daß erst hier das Kind beginnt, bei der 
Auswahl der Zuordnungen eine gewisse Kritik zu entfalten. Für die sieben- 
bis neunjährigen Kinder ist der Test augenscheinlich zu schwer, bei den 
dreizehn- und vierzehnjährigen ist keine bedeutende Steigerung der Leistun¬ 
gen mehr ersichtlich. Allerdings wird auch hier der Trefferprozentsatz 
60% noch nicht oder kaum erreicht; es ist daher möglich, daß jenseits 
des vierzehnten Jahres noch einmal ein Aufstieg zu weit höheren Lösungs¬ 
prozenten stattfindet. Vermutlich werden dann gerade die schwereren 
Kombinationen, die bei den Jüngeren meist ungelöst bleiben, in größerer 
Anzahl bewältigt werden. Daß der Test geeignet sein dürfte, zur Er¬ 
mittlung besonders intelligenter Kinder der Mittelstufe zu dienen, zeigt 
nicht nur der allgemeine schnelle Altersfortschritt zwischen zehn und zwölf 
Jahren, sondern auch eine andere Berechnung. F. teilte die Kinder jedes 
Jahrgangs nach der Anzahl der Trefferprozente in drei Gruppen, eine 
schwache, mittlere und gute. Wurde nun für jede dieser Gruppen der Alters¬ 
fortschritt gesondert berechnet, so ergab sich 2 ) :ein einigermaßen bemerkens¬ 
werter Altersfortschritt für Trefferzahl und Urteilstreue war bei den 
Schwachbegabten erst im 12. Lebensjahr zu finden. Kinder von normaler 
Kombinationsfähigkeit entwickeln diese Eigenschaft zwischen dem elften 
und zwölften Lebensjahr. Begabte Schüler erreichen dagegen 
schon im zehnten Lebensjahr mit großer Schnelligkeit einen 
bedeutenden Grad sowohl in der Findung richtiger, wie 
in der Vermeidung falscher Kombinationen. Die drei Begabungs¬ 
gruppen zeigen gerade bei den Zehnjähiigen folgende starke Unterschiede: 



10 jährige Schüler mit 
schwacher | mittlerer | guter 

Kombinationsfähigkeit 

Prozentzahl l Knaben 
der Treffer \ Mädchen 

1.7 

2,1 

8.6 

7.1 

17,9 

12 fi 

Urteilstreue ^ Mädchen 

13,5 

11,2 

44.4 

39.4 

60,7 

50 


*) Aasgezogen aus Frankens Tabelle 11, S. 204. 

') Nach Frankens Tabelle 12, 8. 207. 

7* 


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100 William Stern, Höhere Intelligenztests zur Prüfung Jugendlicher 


Somit darf man einem guten Ausfall dieses Tests gerade bei zehnjährigen 
Prüflingen diagnostischen Wert beimessen. 

Die Fähigkeit der „Zuordnung” läßt sich übrigens auch an ganz anders¬ 
artigem Material prüfen, und zwar mit Methoden, bei denen manche 
Schwächen des Franken’schen Verfahrens vermieden werden könnten. Die 
Aufgabe wird stets so zu stellen sein, daß aus einer größeren Anzahl von 
Reizen jeweilig derjenige herausgefunden werden muß, der zu einem andern 
Reiz in sinnvoller Beziehung steht. 

Für sprachliches Material hatte Minkus bereits seinem Bindeworttest 
(s. S. 6) einen Zuordnungsversuch hinzugefügt. Nachdem die Prüflinge 
die Textlücken, so weit sie konnten, ausgefüllt hatten, erhielten sie alpha¬ 
betische Listen der einzutragenden Wörter mit der Aufforderung, auf Grund 
dieser Verzeichnisse die noch etwa verbliebenen Lücken zu ergänzen; hier 
mußten die Prüflinge „zuordnen”, indem sie entweder zu einer unverständ¬ 
lichen Lücke das passende Wort, oder zu einem Wort der Liste den 
passenden Platz im Text suchten. Es ist eine ähnliche geistige Leistung, 
wie das Aufsuchen einer Vokabel im Wörterbuch, namentlich dann, wenn 
die Vokabel verschiedene Bedeutungen hat, von denen nur eine in die zu 
übersetzende Stelle paßt Das Verfahren verdient wohl, als selbständiger 
Test ausgebaut zu werden. 

Auch die Zuordnung von Bild zu Text wäre verwendbar. Es gibt 
Münchener Bilderbogen, welche Illustrationen zu Sprichwörtern enthalten. 
Werden von diesen Bildern die Unterschriften entfernt andererseits die 
Sprichwörter in einer alphabetisch geordneten Liste vorgelegt, so kann nun¬ 
mehr die Zuordnung verlangt werden. 


Das psychologische Laboratorium zu Hamburg (Domstrasse 8) ist gern 
bereit, über die oben beschriebenen Prüfungsmethoden und die dazu nötigen 
Materialien nähere Auskunft zu erteilen. 


Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden bei der 
Aufnahmeprüfung in ein Lehrerinnenseminar. 

(Aus dem psychologischen Laboratorium in Hamburg.) 

Von 0. Melchior und A. Penkert. 

Inhalt: I. Zur Einführung (O. Melchior). — II. Die Methode der Bindewort- 
Ergänzung (O. Melchior). — III. Der Bilderbogentest (A. Penkert). 

I. Zur Einführung. 

Von O. Melchior. 

Bei der großen Zahl von Bewerberinnen, die sich alljährlich zum Ein- 
. . tritt in das Hamburger Lehrerinnenseminar melden, wird der sorgfältige 
' '.Ausbau der Aufnahmeprüfung zu einer notwendigen Forderung. Seit 
. "Jahren schon haben wir das alte Prüfungsverfahren, das im wesentlichen 


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0. Melchior und A. Penkert, Über die Anwendung zweier psyoh. Methoden usw. 101 


nur die erworbenen Kenntnisse feststellt nnd den fleißigen Schüler heraus- 
findet, durch neue Bestimmungen ergänzt, wodurch hauptsächlich die 
allgemeine oder besondere Begabung und die geistige Keife der Auf¬ 
zunehmenden ermittelt werden soll. Alle die hier in Frage kommenden 
Maßnahmen einzeln aufzuzählen, würde zu weit führen. Nur darauf sei 
hingewiesen, daß wir in der schriftlichen Prüfung für Klasse V (die unterste 
Klasse) die beliebten Fragen aus den Wissensfächern ganz ausschließen 
und während der drei Tage, die für diesen Teil der Prüfung festgesetzt 
sind, nur Aufsätze und Kechenarbeiten fordern. Die Themen für die drei 
Aufsätze werden so gewählt, daß die verschiedensten Anlagen sich zeigen 
können. Während die eine Arbeit den Charakter des freien Aufsatzes 
trägt, soll die andere mehr den Nachweis der sprachlich-logischen Fähigkeit, 
der klaren und geordneten Gedankenfolge, erbringen. Endlich wird im 
sogenannten „dritten Aufsatz“ von den Prüflingen verlangt, daß sie den 
Hauptinhalt einer Abhandlung, die ihnen ohne irgendwelche Überschrift 
vorgelegt wird, in kurzen Sätzen wiedergeben und mit einer Überschrift 
versehen. 

Es war deshalb nur ein Schritt weiter auf dem Wege, auf dem wir bereits 
standen, als wir auf Anregung unseres damaligen Direktors, des jetzigen 
Schulrats Herrn Prof. Dr. Umlauf, bei der letzten Aufnahmeprüfung uns 
entschlossen, auch das psychologische Experiment, und zwar in Form der 
sogenannten Intelligenzprüfung, mit zu Rate zu ziehen. Von vornherein 
erkannten wir die Grenzen für dieses neue Prüfungsmittel. Nach dem 
jetzigen Stande der Forschung konnten die Ergebnisse solcher Prüfungen 
nicht entscheidend bei der Aufnahme mitsprechen. Und selbst wenn 
die fortschreitende junge Wissenschaft ihre Methoden verfeinert und die 
noch vorhandenen Fehlerquellen weiterhin ausscheidet, wird die experi¬ 
mentelle Prüfung immer nur ergänzen und unterstützen, nicht aber eine 
methodisch geleitete Beobachtung ersetzen können. Das Tiefste der Persön¬ 
lichkeit jedoch erschließt sich niemals einem rein technischen Ermitte¬ 
lungsverfahren. Der Weltkrieg vor allem hat gezeigt, wie die Anpassung 
des Menschen an neue und ungeahnte Lebensbedingungen außerhalb 
jeder Berechnung steht; wie sich Entwicklungen vollziehen, die unerwartet 
einsetzen und deren Verlauf unfaßbar und unmeßbar ist. 

Nach Klärung des grundsätzlichen Standpunktes gingen wir zur prak¬ 
tischen Arbeit über. Der Leiter des hiesigen psychologischen Laboratoriums, 
Herr Prof. Dr. W. Stern, unterstützte uns hierbei in entgegenkommendster 
Weise. Freilich stand die Vorbereitung unter dem Druck des sehr nahen 
Prüfungstermins; der Entschluß zur Hinzuziehung psychologischer Metho¬ 
den war erst wenige Wochen vor Beginn der Prüfung gefaßt worden. 
Infolgedessen konnten nur kurze gemeinsame Beratungen stattfinden; 
auch mußte die Ausarbeitung neuer, dem besonderen Zweck eigens anzu¬ 
passender Tests unterbleiben. Wir hatten lediglich die Möglichkeit, aus 
den im psychologischen Laboratorium gerade verfügbaren Tests einige 
auszuwählen. 

Es ist bestimmt zu erwarten, daß in Wiederholungsfällen eine früher 
einsetzende Vorbereitung in Verbindung mit den nun vorliegenden Er- 


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O. Melchior und H. Penkert 


102 


fahrungen dazu führen wird, die Verwendung von Tests zu Aufnahme¬ 
prüfungen noch fruchtbringender zu gestalten. Solche Wiederholungen 
sind in Hamburg geplant; natürlich muß dann jedesmal mit den Tests 
gewechselt werden. — Es wurden folgende drei Prüfungsformen ausgewählt: 
1. eine Textlückenergänzung (Lückentext nach Mmkus), 2. ein Bilderbogen¬ 
test und 3. ein Defmitionstest. Die beiden ersten Tests hatten die Prüflinge 
nach Beendigung der schriftlichen Aufnahmeprüfung zu bearbeiten. Der 
Definitionstest wurde an den Schluß der mündlichen Prüfung verlegt. 
Die Auswahl dieser Tests, die mit Rücksicht auf Alter und Vorbildung der 
Prüflinge getroffen wurde, erwies sich als zweckmäßig. Ihr Gebrauch 
ist unter ähnlichen Voraussetzungen zu empfehlen. Und doch scheint 
mir hier noch ein Problem voizuliegen, dem wir damals nicht näher getreten 
sind: ich meine das Problem der Lebensbahnberatung 1 ). Das Lehrerin¬ 
nenseminar ist eine Schulanstalt, die nicht nur höhere Lehrziele verfolgt, 
sondern in ihren oberen Klassen zugleich auf einen bestimmten Beruf vor¬ 
bereitet. Da erhebt sich die heute so viel erörterte Frage, die — auf den 
Lehrerberuf bezogen — lautet: Sind bei Ausübung dieses Berufs außer 
einem bestimmtenMaße von Intelligenz noch gewisse eigenartige (spezifische) 
seelische Leistungen erforderlich? Eine Bearbeitung dieser Frage würde 
der weiteren Ausgestaltung der Seminar-Aufnahmeprüfungen wertvolle 
Gesichtspunkte zuführen 1 ). 

Über die Anwendung und die praktischen Ergebnisse des Minkusschen 
Lückentextes unterrichtet die nachstehende Abhandlung. Herr Seminar¬ 
lehrer Penkert wird über den zweiten Test berichten. Der Definitions¬ 
test konnte noch nicht bearbeitet werden. Die wissenschaftliche Ver¬ 
wertung des reichen Materials erfolgt in Arbeitsgemeinschaften, die dem 
psychologischen Laboratorium angegliedert sind. 


1 ) Vgl. hierzu: W. Stern, Beratende Psychologie (Sonntagsbeilage der Vossischen 
Zeitung Nr. 242 und Nr. 254. Jahrgang 1917). — Ausführlicheres findet sich in der 
Programmschrift: W. Stern, Jugendkunde als Kulturforderung. Leipzig 1916. — 
Siehe auch: E. Sprenger, Begabung und Studium (hieraus besonders Absahnitt 5: 
Maßregeln zur Erkenntnis und Förderung hervorragend Begabter). 

*) Erfreulicherweise sind solche Untersuchungen, wie sie oben von Melchior 
gefordert werden, bereits im Gange. Verwiesen sei auf die Abhandlung von Else 
Voigtländer: „Zur Psychologie der Erzieherpersönlichkeit“ (diese Ztschr. 18 (9/10), 
Sept./Okt. 1917, S. 385) und auf die aus der Robert Rißmann-Stiftung mit einem 
Preise bedachte Schrift von E. Hylla: „Über die psychische Eignung zum Lehr er¬ 
beruf“. (Sie wird in der Deutschen Schule veröffentlicht werden.) Auch der um¬ 
fassende Fragebogen über die psychische Eignung für höhere Berufe, den Dr. Martha 
Ulrich entworfen hat, wird mit Vorteil für diesen Zweck herangezogen werden können. 
(„Die psychologische Analyse der höheren Berufe als Grundlage einer künftigen 
Berufsberatung.“ Zeitschrift für angewandte Psychologie 18, S. 1 ff. Auch gesondert 
als Nr. 4 der „Sohriften zur Psychologie der Berufseignung“ hrsg. von Lipmann 
und Stern.) Ferner ist hierzu die obengenannte Schrift Sprängers zu beachten. 
— Der Beitrag, den die Psychologie von der Seite der Eignungsforschung her zur 
Ausgestaltung der Aufnahmeprüfungen beizusteuern vermag, scheint mir eben so 
wichtig zu sein wie die Hilfe, die sie mit ihren Testmethoden gewähren kann. 

W. Stern. 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


103 


II. Die Methode der Bindewort-Ergänzung 1 ). 

Von O. Melchior. 

Auf die Mannigfaltigkeit der Fragestellung, die bei theoretischen Unter¬ 
suchungen so wichtig ist, durften wir bei unserer Prüfung und bei der Be¬ 
wertung ihrer Ergebnisse nur wenig Rücksicht nehmen. Uns mußte der 
praktisch-pädagogische Gesichtspunkt leiten. Nicht weniger als 
196 Prüflinge standen zur Auswahl; von diesen konnte nur eine sehr be¬ 
schränkte Zahl — ungefähr 14% — Aufnahme finden. In bezug auf Alter 
und Vorbildung bestanden die geringsten Differenzierungen für Klasse V, 
während diese Unterschiede bei den Anmeldungen für die IV. und 
III. Klasse deutlicher hervortraten. Aus dieser großen und bunten 
'Masse sollten die intelligentesten Teile fürs Seminar gewonnen werden. 
— Zur Bewältigung der Korrektur blieb verhältnismäßig wenig Zeit. 
Außerdem ist die Arbeit ja immer neben einer vollwertigen Berufs¬ 
tätigkeit zu leisten. So oder ähnlich aber liegen die Verhältnisse bei allen 
derartigen Prüfungen! Der Zeitraum zwischen dem schriftlichen und münd¬ 
lichen Teile der Prüfung ist oft noch viel kürzer bemessen als bei uns. 
Deshalb wird man genötigt sein, bei der praktischen Anwendung der 
Tests eine Vereinfachung des Gesamtverfahrens durchzuführen. 
Ein Test für Versuchszwecke muß einen andern Charakter 
haben als ein Prüfungstest. Mit allem Nachdruck möchte ich auf 
diesen Unterschied hinweisen. Aus diesem Grunde hatten wir nicht drei 
Phasen der Textausfüllung vorgesehen, sondern nur deren zwei, unter 
Wegfall der ersten. Die Prüfung selbst nahm folgenden Verlauf: 

Die Schülerinnen waren auf verschiedene Prüfungsräume verteilt. Um 
die Prüfung einheitlich zu gestalten, erhielten die aufsichtführenden Lehr¬ 
personen schriftliche Anweisungen eingehändigt. Nach Verteilung der 
Lückentexte 2 ) wurde die Anweisung vorgelesen. Sie hatte folgenden Wort¬ 
laut: „Hier ist eine Geschichte erzählt, in der an jeder leer gelassenen 
Stelle ein Wort ausgelassen ist. Ihr sollt jedesmal das passende Wort 
einfügen. Wenn Ihr eine Lücke nicht gleich ausfüllen könnt, so laßt sie 
einstweilen frei und geht weiter. Glaubt aber nicht, daß das einzufügende 
Wort immer so lang wie die Lücke sein muß.“ — Nach einer Stunde: 
„Jetzt legt die Federhalter beiseite und nehmt den Bleistift zur Hand. 
Ihr bekommt von mir einen Zettel, auf dem alle fehlenden Worte drauf¬ 
stehen, natürlich nicht in der richtigen Reihenfolge. Nun prüft Eure Arbeit 
mit Hilfe dieses Zettels. Ihr dürft mit Bleistift Eure Arbeit verbessern 
und ergänzen. Die auf dem Zettel stehenden Worte müssen übrigens 
zum Teil mehrfach angewendet werden.“ — Die Dauer der Prüfung war 
auf 1% Stunden — ohne Unterbrechung — festgesetzt. 


l ) Vgl. die voranstehende Abhandlung: W. Stern, Höhere Intelligenztests zur 
Prüfung Jugendlicher. S. 4 ff. 

*) Lückentext und Wortliste, auf die ich des öfteren verweisen muß, $in4 
ebenfalls in der Arbeit von Stern, 8. 7/8 abgedruckt. 


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O. Melchior and H. Penkert 


Die während dieser Zeit gesammelten Beobachtungen wurden schrift¬ 
lich festgelegt. Sie ergaben manche praktische Fingerzeige. Die ange¬ 
setzte Zeit war hiernach zu reichlich bemessen. Für reifere Prüflinge genügen 
46 Minuten für die erste und 20 Minuten für die zweite Phase. Die An¬ 
weisung war von allen verstanden worden. Wenn trotzdem noch Fragen 
über die Ausführung der Arbeit gestellt wurden, so lag dies mehr an gewissen 
Mängeln der Textvorlage, wovon später noch die Rede sein wird. Bei der 
Bearbeitung dieses Tests ist besonders scharfe Aufsicht nötig. Ein flüch¬ 
tiger Blick zur Nachbarin kann recht lohnend ausfallen; er genügt, um das 
fehlende oder bessere Wort zu erhaschen. 

Die Korrektur ließ den Unterschied zwischen einem wissenschaft¬ 
lichen Versuch und unserer Prüfung besonders deutlich erkennen. Dort 
wird das gewonnene Material nach bestimmten Grundsätzen verarbeitet; 
von der Vielseitigkeit und Klarheit der Fragestellung ist nicht zuletzt 
der Gewinn für die Wissenschaft abhängig. Ein solch gründlich durch¬ 
dachtes und reich gegliedertes System kann theoretisch ungemein fesseln, 
ist aber für Prüfungszwecke nicht durchführbar. Soll sich ein Test als 
praktisch brauchbar erweisen, so muß das durch ihn vereinigte Mate¬ 
rial auch korrekturfähig sein, d. h. es muß ein möglichst einfaches 
Korrekturschema zugrunde gelegt werden können, das aber trotzdem die 
Stoffe schnell und sicher abstuft und bewertet. So traten denn alle die sich 
herandrängenden Fragen aus dem Gebiete der differentiellen und der Denk¬ 
psychologie schließlich zurück zugunsten der praktisch-nüchternen Über¬ 
legung: Ist die Lücke richtig, zulässig oder falsch ausgefüllt? Eine vierte 
Spalte sollte die Arbeitsweise des Prüflings erkennen lassen; sie trug die 
Überschrift: Korrigiert (d. h. wie oft selbst korrigiert?). Nach diesem 
Schema wurden beide Arbeiten, die mit Tinte geschriebene I. und die mit 
Bleistift angefertigte II. Arbeit, durchgesehen. Eine „Zusammenfassung“ 
bot die erforderliche schnelle Übersicht. Das „Zeugnis“ mit den Graden 
1 bis 6 und einfachen Zwischenzensuren gestattete Vergleich und Rang¬ 
ordnung. Das Korrekturschema — nebst einem ausgeführten Beispiele — 
hatte demnach folgendes Aussehen: 


Name 

I. Arbeit 

II. Arbeit 


Zeugnis 

(Bern.) 

rich¬ 

tig 


falsch 

korr. 

i 

•g.SP 

•e- 

bo 
A *3 

43 

g 

3 

korr. 

rich¬ 

tig 

dß 
» *2 

BJ 

PÖ 

ö 

CO 

»H 

korr. 


1 1 

1 1 

1 1 

1 

i 

i 

i 

1 1 

i 



40 

(30-f-10) 

5 

(2+3) 

5 

(HO) 

6 

(6+0) 

2-3 

Sorgfalt? 


Die praktischen Ergebnisse. 

1. Ein Vergleich zwischen den Ergebnissen der Intelligenzprüfung mit 
den Zeugnissen für die alten Prüfungsfächer ergab bei einer größeren 
Zahl von Einzelfällen auffallende Widersprüche. In bezug auf die 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


105 


Gesamtergebnisse dagegen ist eine weitgehende Übereinstimmung 
zwischen beiden Prflfungsformen festzustellen. 

Belege: Für die fünf Prüflinge, die in Klasse IV aufgenommen wur¬ 
den 1 ), lauten die Zeugnisse für Intelligenzprüfung: 2—3; 2; 1—2; 2; 2. 

Zusammenstellung für Klasse Y: Nach der schriftlichen Prüfung schieden 
ans: 124; davon hatten 

weniger als genügend (darunter siebenmal die 6): 73 =58,87 % 


gut. 5 = 4,03 % 

mehr als gut.— — 

Nach der mündlichen Prüfung schieden aus: 21; davon hatten 

weniger als genügend (darunter keine 6):. 3 =14,28 % 

gut.10 = 47,61 % 

mehr als gut.— — 

Aufgenommen wurden: 23; davon hatten 

weniger als genügend (darunter keine 6):. 4 =17,39 % 

gut. 9 = 39,13 % 

mehr als gut. 2 = 8,69 % 


Ergebnis: Nach dieser Zusammenstellung bestehen im allgemeinen 
günstige Beziehungen zwischen den Ergebnissen der Intelligenzprüfung 
und der bisher bei uns bewährten Prüfungsform. 

2. Auffallend ist, daß weder die besten noch die schlechtesten Leistungen 
unter den für die Klassen III und IV geprüften Schülerinnen vertreten 
sind. Die größten Schwankungen finden sich in Klasse Y. 

Belege: für Klasse III liegen die Zeugnisse zwischen 4 und 2; 

„ „ IV „ „ „ „ 4 und 1—2; 

„ »» V vgl. die Belege unter 11 

Ergebnis: Der Test eignet sich im besonderen Maße für eine bestimmte 
Alterstufe (14. bis 15. Lebensjahr). 

3. Die Abhängigkeit der Leistung von der sprachlichen Umgebung, 
besonders aber von der systematischen sprachlichen (fremdsprachlichen!) 
Schulung scheint sicher zu sein. 

Belege: Zahl der Anmeldungen für Klasse III: 6; 

aus höheren Schulen: 4; Zeugnisse der Intelligenzprüfung: 

2— 3; 2—3; 2; 2; 

aus Volksschulen: 2; Zeugnisse der Intelligenzprüfung: 

3; 4; 

Zahl der Anmeldungen für Klasse IV: 22; 

aus höheren Schulen: 12; Zeugnisse der Intelligenzprüfung: 

3— 4; 3; 2—3; 2—3; 2; 2; 2; 2; 2; 2; 1—2; 1—2; 
aus Volksschulen: 10; Zeugnisse der Intelligenzprüfung: 4; 

4; 3—4; 3; 2—3; 2—3; 2; 2; 2; 2. 

Ergebnis: Wenn man mit Stern unter Intelligenz „die allgemeine 
geistige Anpassungsfähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des 


l ) In Klasse 111 fand keine der Bewerberinnen Aufnahme« 


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O. Melchior und H. Penkert 


Lebens“ versteht, so ist unser Test zur Intelligenzprüfung im eigentlichen 
Sinne nicht zu empfehlen. Er ist vielmehr ein Prüfungsmittel zur Fest¬ 
stellung sprachlich-logischer Funktionen. Schüler mit guter fremdsprach¬ 
licher Schulung sind von vornherein günstiger eingestellt. 

Zusammenfassung: Somit ei scheint der Ergänzungstest (Methode 
der Bindewort-Ergänzung) als ein Mittel zur Feststellung sprachlich¬ 
logischer Funktionen. Er ist am besten geeignet für das 14. bis 16: Lebens¬ 
jahr, und zwar für solche Prüflinge, die ohne besondere fremdsprachliche 
Vorbildung sind. 

Zur Methodologie ist folgendes zu bemerken: 

Die Bearbeitung des Textes ist nach sprachlich-logischen Gesichts¬ 
punkten erfolgt. Der Verfasser hat eine erstaunliche. Gedankenschärfe 
aufgeboten und einen systematischen Ausbau geschaffen, der kaum noch 
übertroffen werden kann. Aus der. Verteilungsübersicht der Lücken 
nach logischen Kategorien“ 1 ) ist deutlich zu ersehen, wie alle Gruppen 
der Konjunktionen vertreten und umsichtig verteilt sind. Für jede der¬ 
selben ist eine gleiche Zahl von Lücken bestimmt. Innerhalb jeder Gruppe 
sind die Schwierigkeiten gleichartig gedacht. Um zu verhüten, daß statt 
der erforderlichen Konjunktionen Flickwörter (da, oder) gesetzt werden, 
sind solche bereits in den gedruckten Text aufgenommen (z. B. bei Lücke 
401). Kurz, mit allen Mitteln logischer und spiachlicher Kunst soll ein 
gleichartiges und eindeutiges Material gewonnen werden. 

Trotzdem sind [ Einwände in methodischer Hinsicht zu erheben; sie 
richten sich zunächst gegen die 6chon erwähnte Textveränderung. Dadurch 
aber werden verschiedene Stellen der Vorlage sprachlich mangelhaft. 
Einige Prüflinge haben denn auch Korrekturen des Textes vorgenommen 
oder diesbezügliche Fragen bei der Bearbeitung gestellt. Daß derartige 
Mängel die Leistung beeinträchtigen, ist ohne weiteres anzunehmen. — 
Schwerer wiegen die Bedenken, die das Wesen der Methode selbst treffen. 
In der Anweisung wird gefordert, daß bei jeder Lücke das „passende Wort“ 
einzufügen ist. Nun zeigen sich Leistungen, die als gelungen gelten müssen, 
die jedoch Worte aufweisen, welche nicht immer die gewünschten Kon¬ 
junktionen sind. Sogar Vertreter anderer Wortklassen (z. B. der Adverbien) 
finden eine sinngemäße Anwendung. Recht bemerkenswert hierbei ist 
die Verschiedenheit der Wortlisten, die von Minkus-Stern und vom Seminar 
Freiligrathstraße zusammehgestellt wurden. Die Denkmöglichkeiten sind 
eben mannigfaltiger und lassen sich nicht in eine bestimmte grammatische 
Kategorie einzwängen. Deshalb ist das Material nicht so „einheitlich und 
in sich vergleichbar“, wie es erwartet wurde. 

Nach alledem scheint es mir, als ob die Textlücken-Ergänzungen — 
selbst in der meisterhaften Form, wie sie Minkus aufgestellt hat*— nicht 
einwandfreie Ergebnisse zu bieten vermögen. Ob unsre Wissenschaft in 
Zukunft sich mehr den „stummen Tests“ widmen wird? 


*) Wird erat später in der Ztschr. f. angew. Psychol. Veröffentlicht werden. (W. St.) 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


107 


III. Der Bilderbogentest. 

Von A. Penkert. 

1. Äußere Anordnung des Versuchs. 

Der benutzte Münchner Bilderbogen „Das Wiedersehen“, war zerschnit¬ 
ten .und die einzelnen sieben Bilder, die etwa nahezu Postkartengröße 
hatten, ohne Überschrift und Text auf einen Karton geklebt in der ursprüng¬ 
lichen, dem Gang der Handlung entsprechenden Reihenfolge. 1 ) Die Bilder¬ 
bogenexemplare wurden verteilt unter Hinzufügung folgender Worte: 
„Ihr habt jetzt alle einen Bilderbogen bekommen. Erzählt recht anschaulich 
die Geschichte, so, wie sie auf den sieben Bildern dargestellt ist. Findet 
selbst eine passende Überschrift. Ihr habt 1% Stunden Zeit und dürft 
den Bilderbogen während der ganzen Zeit vor Augen behalten.“ 

2. Allgemeiner Befund. 

Die Arbeiten umfassen durchschnittlich vier Seiten Reinschrift, zu¬ 
meist ebenso viel Seiten Kladde, selten eine vorangestellte Skizze oder 
Gedanken, die der Wichtigkeit oder der Schwierigkeit der Formung wegen 
neben Kladde oder Reinschrift besonders verzeichnet oder ausgearbeitet 
sind. Die Arbeiten, die fast ausnahmslos die Form eines Aufsatzes, einer 
Erzählung haben, sind zu allermeist leicht und fließend zustandegekommen. 
Darauf weist die geringe Zahl der Verbesserungen ebenso deutlich hin, wie 
die sich gleich bleibende Schrift und die fast stets erreichte Beendung der 
Erzählung. Und das, trotzdem von den meisten erst das Ganze in Kladde 
und dann.— meist mit wenigen oder gar keinen Änderungen — in „Rein¬ 
schrift“ geschrieben wurde in der dafür doch relativ kurzen Zeit von 
1% Stunden, die von einer kleinen Zahl nicht einmal ganz beansprucht 
wurde. Wenn hie und da Hemmungen erkennbar sind, so stammen sie 
sicherlich nicht von einer im allgemeinen als unerwartet schwer befundenen 
Aufgabestellung. Es wurde überhaupt die Forderung mit dem angenehmen 
Bewußtsein, der Aufgabe gewachsen zu sein, ja der offenen Freude be¬ 
grüßt. Das bekundeten Gesichtsausdruck und leise Ausrufe. 

Was den Prüflingen so leicht erschien; war die Forderung, aus der Bilder¬ 
folge eine Handlung zu erkennen und diese zu erzählen. Tatsächlich waren 
ihnen diese beiden Arbeitsrichtungen seit dem größten Teil der Schulzeit 
bekannt. Bildbetrachtungen und -deutungen treten schon im ersten 
^Schuljahr auf, werden schon im vorschulpflichtigen Alter geübt, und die 
Erzählung einer kleinen Geschichte gehört zu den frühesten Forderungen 
des Aulsatzunterrichts; dazu war die Geschichte, die der Bilderbogen 
erkennen ließ, einfach und überdies drollig. Der Gang der Handlung ist 
denn auch in allen Arbeiten richtig erkannt und fast ausnahmslos in der 
Form einer Erzählung dargestellt. Die Forderung ging aber höher. Man 
wojlte pine anschauliche und doch eng an die Bilder angeschlossene Er¬ 
zählung, eine lebendige, interessierte Wiedergabe, die aber erkennen ließ, 
daß die Erzählerin ihrer Phantasie nicht zügellos ohne Rücksicht auf die 
Bilder folgte, oder gar im Widerspruch zu ihnen. Gerade auf Grund dieser 


1 ) S. d. verkleinerte Abbildung in diesem Heft S. 11. 


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108 


O. Melohior und H. Penkert 


doppelten Einstellung auf die Bezeugung einer feineren, detaillierten Bild¬ 
betrachtung einerseits und eine trotz des Beobachtungsreichtums nicht 
schwerfällige und den Gang der Handlung nicht außer Acht lassende, 
lebendig fortschreitende Darstellung andererseits sollten aus der großen 
Zahl der Prüflinge die würdigsten erkannt werden. Beidem sind nur wenige 
Arbeiten gerecht geworden. Im allgemeinen ist lebendig erzählt, auoh im 
Anschluß an die Bilder, aber ohne eine feinere Betrachtung der einzelnen 
Bilder erkennen zu lassen. Weitaus die meisten halten sich an die Hand¬ 
lung im ganzen und flechten nur so viel Beobachtungen ein, als ihnen zur 
Darstellung des Ganzen erforderlich erscheinen, und bringen außer diesen 
nur hie und da Einzelheiten, die ihnen als besonders treffend, scherzhaft 
oder bedeutend aufgefallen sind. Hierbei spielte mehr der Zufall als eine 
durchdachte Auswahl die Hauptrolle. Eine bei weitem kleinere Zahl 
legt das Hauptaugenmerk auf die Angabe möglichst vieler und bald für 
den Gang der Handlung, bald für die Art der Darstellung charakteristischer 
Beobachtungseinzelheiten, geht Bild für Bild vor und reiht die Angaben 
mehr oder weniger geschickt verknüpft aneinander. So kommt es, daß 
der Blick für Beobachtungsfeinheiten, aber auch der Blick für die Ein¬ 
schätzung der Wichtigkeit der einzelnen Beobachtungen lange nicht so 
entwickelt erscheint, wie man nach dem Alter und der Vorbildung der 
Prüflinge wohl erwarten konnte. Von den beiden, den Gang der Handlung 
wesentlich bestimmenden Hauptangaben (Sicherung der Backwaren 
durch Schließen der Karre; Sicherung der Milchkannen und des Wagens 
durch Absträngen oder Pestbinden der Pferde) wird zu allermeist nur das 
erste angegeben, und nicht immer so, daß man das Verständnis der Erzäh¬ 
lerin für die Bedeutung dieser Einzelheiten mit Sicherheit erkennen könnte. 
Von unwichtigeren Einzelheiten wird eine große Anzahl getroffen, immerhin 
aber weniger der Zahl, der Güte und der Richtung nach, als der Referent 
erwartete und nach dem Vergleich mit Arbeiten weit jüngerer Schülerinnen 
erwarten konnte. Die Prüflinge hatten sich ersichtlich auf eine „Stilleistung“ 
in erster Linie eingestellt. Wurden aber einzelne Beobachtungen ausge¬ 
führt, so wurden sie, wo es möglich war, häufig und gern seelisch vertieft 
mit erkennbarem Einfühlungsvermögen. Beispielsweise wird nicht nur 
Haltung und Bewegung der beiden Geschäftsleute auf Bild 1 bezeichnet, 
sondern die Begrüßung als solche, als eine nach längerer Trennung, als 
unverhoffte, als besonders herzliche erkannt. Ähnlich wird die Haltung 
der Pferde auf den Bildern 2, 3, 6, 6, 7 seelisch gedeutet. Die Pferde sind 
der Erzählerin aufmerksam lauschende, die den günstigen Augenblick 
erkennen, sich leise und vorsichtig der Bäckerkarre nähern, sich beschämt 
abwenden, als sie die Folgen ihres Tuns erkennen und schließlich aus Furcht 
vor Strafe davonrennen. Vieles wird richtig aus den Bildern erschlossen 
und das einzelne Bild mit den benachbarten richtig verknüpft. Die drollige 
Art der Handlungsführung und -darstellung wird vielfach erkannt und 
gern verwertet. 

Als größere hinzugeschaute oder hinzugedachte Phantasieeinheiten 
kommen fast nur Gespräche in Betracht. Gespräche werden meist mit 
besonderer Vorliebe zu den Bildern 2 und 6 ausgeführt, seltener zu Bild 4, 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


109 


häufig im Hamburger Plattdeutsch, meist wortreich und realistisch beurteilt 
nicht unrichtig, aber inhaltlich ärmlich. Den Mittelpunkt des Gesprächs 
zu Bild 6 bildet meist die Schuldfrage, bei der die Erzählerinnen sich be¬ 
sonders gern auf die Seite des Bäckers stellen. 

An Reflexionen über die Handlung und ihre Dartellung im ganzen sind 
nur ethisch gerichtete häufiger vertreten. Kritische Beurteilungen der 
Handlungsführung und der zeichnerischen Darstellung fehlen fast ganz. 

Die erdachten Überschriften sind durchweg richtig, wenn auch nicht 
immer besonders charakteristisch gewählt. 

3. Gang der Korrektur. 

Die große Rolle, die der Aufsatz bei allen Prüfungen im niederen wie 
im höheren Schulwesen spielt, erklärt sich aus der großen Zahl der Betäti¬ 
gungsweisen der seelischen Natur, die in ihm zum Ausdruck kommen. 
Die relativ lange Zeitspanne, die bei längeren Arbeiten immer eintretende 
Erscheinung, daß der Autor sich bald früher bald später ungezwungen 
den Gedankengängen überläßt und somit nach Richtung, Kraft und For¬ 
mung seiner Gedanken ein deutliches Abbild seiner seelischen Art gibt, die 
mit der längeren Dauer steigende Möglichkeit, aus allen Richtungen her 
das Thema zu beleuchten, bald aus dem Schatze getreu bewahrten Wissens 
und klarer Beobachtungen, bald durch selbständig gefügte Kombinationen 
und phantasievoll geschaute Möglichkeiten den* zentralen Gedanken in 
reicher Fülle auszubauen, alles dies gibt dem Aufsatz den Vorzug, die 
Persönlichkeit reicher als in anderen Aufgaben zu sehen. Alles dies erhöht 
aber auch die Schwierigkeiten der gerechten Zensierung ins Unmeßbare. 
Das gilt dem Umfange nach in gleichem, der Präzision nach aber in erhöhtem 
Maße für den Aufsatz als Test. Um dem nicht einseitig eingeschränk¬ 
ten, durch die einführenden Sätze eher allseitig zu erhöhter Tätigkeit 
anregenden Test nach allen in Betracht kommenden Richtungen in der 
Zensierung gerecht zu werden, wurden vom Referenten folgende Abteilun¬ 
gen eingesetzt: Beobachtungsleistung, intellektuelle Leistung, Phantasie¬ 
leistung, allgemeine Richtung und Energie des Gedanken Verlaufs, stilistische 
Leistung, Orthographie und Grammatik, Interpunktion und pädagogische 
Beanlagung. Aus diesen Abteilungen und ihren unten angefügten, zum 
guten Teil mehr im Anschluß an die Arbeiten als rein deduktiv gefundenen 
Unterabteilungen ergibt sich ohne weiteres, daß der Test in der bearbeiteten 
Form ein Kollektivtest umfänglichster Art ist. Bildbeschreibung, Erzäh¬ 
lung einer in wenigen Momenten fixierten Handlung, Auffindung einer 
passenden Überschrift sind an sich schon mehr oder weniger komplexe Auf¬ 
gaben. Zu ihnen kommt die gesamte sprachtechnische Seite. Das folgende 
(Schema, das der Analyse zugrunde lag, läßt die reiche Verästelung der 
Aufgabe deutlich erkennen. 

1. Beobachtungsleistung: 

a) Sachliche Einzelheiten, 

b) Sinn für Scherz und Humor in der zeichnerischen Darstellung. 

2. Intellektuale Leistung (logische, kritische Seite der Arbeit): 

a) Deutung der Beobachtungseinzelheiten nach Art und Grad, 

b) Wahl der Überschrift, 


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O. Melchior und H. Penkert 


c) Ethische Beurteilung der Handlung und der Handelnden, 

d) Beurteilung der zeichnerischen Darstellung, 

e) Verhältnis von Plan, Skizze, Kladde und Reinschrift zueinander. 

3. Phantasieleistung: 

a) Vertiefung und Ergänzung des einzelnen Bildes, 

b) Gedanken über das Vorher, 

c) über das Nachher der Handlung. 

4. Allgemeine Richtung und Energie des Gedankenverlaufs. 

6. Stilistische Leistung: 

a) Wortwahl nach Schärfe und Geschmack, 

b) Tropen, Metaphern usw., 

c) Satzbau, 

d) Satz- und Gedankengruppen und deren Verbindung, 

e) Angabe der Richtungen, nach denen die Arbeit besonders aus¬ 
gebaut ist, 

f) Länge. 

6. Orthographie, Grammatik. 

7. Interpunktion. 

8. Ist eine pädagogische Beanlagung erkennbar? (Lust und Geschick 

im Erzählen.) 

Für jede dieser Abteilungen und Unterabteilungen wurde vom Refe¬ 
renten charakteristisches Material zusammengestellt und darauf die spezielle 
Leistung teils durch eine Zensur abgeschätzt, teils als Plus-, bzw. als Minns¬ 
wert ohne Zeugnis eingesetzt. Zensiert wurden die Abteilungen la, 2a, 
2b, 3a, 4, 6a bis e; als Plus- bzw. Minuswerte wurden angemerkt lb, 2c, 
2d, 2e, 3b, 3c, 5f, 6 bis 8. Alle Zensuren mit Ausnahme der Gesamtzensur 
sind Schätzungen und können im praktischen Betrieb auch wohl kaum 
anders gefunden werden. Selbst bei diesen zensierten Gebieten, den relativ 
sicherer und gleichmäßiger zu wertenden Abteilungen, fehlen arithmetisch 
verrechenbare Unterlagen. Wie sollte beispielsweise eine derartig bestimmte 
Basis für la, die sachlichen Einzelheiten, gefunden werden? Sie müßte 
in einer genauen Summe von Beobachtungsdaten für jedes der sieben 
Bilder bestehen, und für jedes der Daten müßte eine Zahl (oder mehrere) 
aus einer nicht zu umfangreichen Skala angegeben sein, die die Güte, 
den Wert der Beobachtung für die Entwicklung der Handlung, den Schwie¬ 
rigkeitsgrad ihrer Auffindung und schließlich den Grad ihrer rein sachlichen 
Entwicklung berücksichtigte. Letzterer würde sich wieder eng mit der 
stilistischen Form berühren. Würde die Wertung der einzelnen Beobach¬ 
tung bei verschiedenen Versuchsleitern oder Examinatoren nicht ausnahms¬ 
los eine verschiedene werden und damit eine objektive, zwingende Skala 
der Beobachtungen nach Richtigkeit, Entwicklungsgrad, Wert für die 
Handlung und Wert für die Schätzung der Beobachtungsschärfe des Prüf¬ 
lings ganz außerhalb des Bereichs der Möglichkeit bleiben, ganz abgesehen 
von der Schwierigkeit der praktischen Benutzung ? Die in den Ausführun¬ 
gen über den „Allgemeinen Befund“ als „die beiden, den Gang der Hand¬ 
lung wesentlich bestimmenden Hauptangaben“ angegebenen Einzelheiten, 
das Offenlassen der Karre und das Nichtabsträngen der Pferde, bieten 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


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hierfür schlagende Beweise. Sind diese beiden Angaben die einzigen? 
Sind sie gleich wichtig? Sind sie gleich schwer bzw. leicht aufzufinden 
und dementsprechend in der Wertungsskala gleich anzusetzen? Ebenso 
leicht wäre nachzuweisen, wie auch 2a, die Deutung der Beobachtungs¬ 
einzelheiten nach Art und Grad, kaum zu einer von allen Versuchsleitern 
gleich anerkannten Grundlage führen kann. Und dann erst die noch ver- 
wickelteren Erscheinungen im Bereich der Phantasie 1 Daß Orthographie, 
Grammatik und Interpunktion nicht zensiert wurden, sondern nur als 
Plus- bzw. Minuswerte (in der Praxis fast nur als charakteristische Minus- 
werte) auf traten, hat seinen Grund darin, daß man von den relativ äußerlich¬ 
sten, überdies in zwei anderen eigentlichen Aufsätzen zensierten sprach- 
technischen Seiten möglichst absehen wollte. Daß bei lb, 2a, 2e, 3a und 6f 
eine andere Einordnung der bezeichneten kritischen Einstellung möglich 
war, sei nur angemerkt. Auch eine Einteilung nach reproduktiven, produk¬ 
tiven und technischen Tätigkeitsrichtungen hätte sich wohl durchführen 
lassen. Im Phantasieleben spielen Vorstellungskraft und intellektuelle 
Leistungen bei der Entstehung, Wahl und Entwicklung der geschauten 
und erdachten Phantasieeinheiten eine ähnlich umfängliche Rolle, wie 
bei allen Beobachtungsleistungen. Unter 4 „allgemeine Richtung und 
Energie des Gedankenverlaufs“ sollten die bei dem Gesamtverlauf der 
Arbeit erkennbaren menschlichen Typen, ihre Gefühlsäußerungen, Energie¬ 
erscheinungen und bevorzugten Stilrichtungen, gekennzeichnet und ge¬ 
wertet werden. Dies erschien um so wichtiger, als es sich bei dieser Prüfung 
nicht nur um eine einfache Arbeitszensur handelte, sondern um die eventuelle 
Zuführung zu einem schwere und hohe Anforderungen während und nach 
der Ausbildungszeit stellenden Lebensberuf. Zu den Energieerscheinungen 
gehören beispielsweise die Art und Zähigkeit der Durchführung einer als 
richtig erkannten Einstellung, viele Einzelheiten des Stils, die Grund¬ 
rhythmen der ganzen Arbeit oder größerer Teile, rhythmische Wechsel 
bei ruhig erzählenden Partien und dramatisch erregten Szenen. In diesem 
Zusammenhang wäre auch einer Bewertung der Schrift zu gedenken, 
nicht als ästhetischer, sondern als Energieerscheinung unter Benutzung 
graphologischer Wegweisungen. Gruppe 8 ist ein Versuch, die Arbeiten 
unter berufspsychologischer Einstellung zu betrachten, und die angeführte 
Einstellung auf eine erkennbare Lust am Erzählen und Erzählgeschick 
nur eine von vielen. 

* 4. Allgemeines Ergebnis. 

Im Hinblick auf die geringe Zahl derer, die von den nahezu 200 Prüf¬ 
lingen aufgenommen werden konnten, empfahl sich im ganzen eine scharfe 
Zensierung. Es entfielen auf die Zensur: 

1: 0 2—3 : 32 3—1: 45 4—6 : 6 

1—2:0 3:47 4:42 6:0 

2:26 _ _ _ 

25 Arbeiten 79 Arbeiten 87 Arbeiten 6 Arbeiten 

Von den 198 Arbeiten wurden also 26 als gut, 79 als genügend, 87 als mäßig 
und 5 als schlecht bezeichnet. 


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O. Melchior und H. Penkert 


Von den Prüflingen hatten sich 6 für Klasse 3, 22 für Klasse 4, 168 für 
die unterste Klasse, Klasse 5, gemeldet. Als schriftliches Gesamtzeugnis 
für diesen Test haben „genügend“ oder „gut“ erhalten 66% % der ersten 
Gruppe (4 Arbeiten), 66 % der zweiten Gruppe (12 Arbeiten) und 26 % 
der dritten Gruppe (44 Arbeiten). Trotzdem das Zeugnis besser als 2 war, 
wurden drei der ersten Gruppe, eine der zweiten Gruppe und vier der 
dritten Gruppe nicht aufgenommen, dagegen eine der dritten Gruppe, 
trotzdem das Zeugnis für den Test 4—6 war. Das erklärt sich leicht daraus, 
daß eine ganze Reihe von anderen Zeugnissen zunächst eingesetzt wurde. 
Die Testzeugnisse wurden als bemerkenswerte Angaben gern gehört, fielen 
aber nur in Zweifelsfällen und bei besonders markanten, besonders guten 
oder schlechten Leistungen schwerer ins Gewicht. In Klasse 6 waren 
unter 23 Aufgenommenen 10 mit einer 2 im Testzeugnis, 12 mit 2—8 
oder 3 und 1 mit 4—6 im Test. Wenn man die einzelnen Teilzensuren 
mit der Gesamtzensur vergleicht, so finden sich die geringsten Differenzen 
zwischen Stilzeugnis und Gesamtzeugnis, die größten zwischen dem Zeugnis 
für die Beobachtungsleistung und der Schlußzensur, oft ein deutlicher Be¬ 
weis dafür, daß die Verfasserinnen fast ausnahmslos mehr „literarisch“ 
als „beobachtend“, mehr auf sprachliche Formung als auf sachlichen 
Reichtum, sachliche Genauigkeit und Freude am Bild eingestellt waren. 

6. Kritische Anmerkungen. 

1. Zu diesem Münchner Bilderbogen als Test überhaupt. 

Da die Betrachtung von Bildern wie die Verfolgung von Handlungen 
das Kind wie den Erwachsenen ganz allgemein und immer wieder interes¬ 
sieren, so ist der Bilderbogen sehr wohl geeignet, auf Grund des starken, 
doppelten Interesses, das er erweckt, die Versuchspersonen nach vielen 
Richtungen ihrer Begabung und ihrer Bildung zu reicher und offener und 
deshalb beobachtbarer Tätigkeit zu bringen. Dazu kommt, daß in der 
vorliegenden Form durch das Weglassen der Überschrift und des Textes 
ein dem Rätselraten verwandter Vorgang eintritt und so reproduktive 
und produktive Neigungen aufs angenehmste miteinander geweckt und 
verknüpft werden. Deshalb erscheint dieser Test zunächst dort aufs beste 
geeignet, die Intelligenz und persönliche Art der Versuchsperson erkennen 
zu lassen, wo: 

a) die Handlung als rein-reizvoll empfunden wird, ohne kritische Bedenken 
zu wecken, also bei schüchter, naiver Auffassung; 

b) wo das Erkennen dieser Handlung aus der Bilderfolge bei der Versuchs¬ 
person nicht erst einer von außen kommenden Anregung und Förderung 
bedarf, sondern einer eigenen Fragestellung unmittelbar entspringt. 

c) wo die sprachlich-technische Seite dem Erkannten keine äußeren 
Hindernisse in den Weg legt, handele es sich um eine mündliche oder 
schriftliche, zusammenhängende oder stückweis erfolgende Wiedergabe. 

d) wo die Bilder an sich dem Betrachter eine Quelle reiner Freude sind. 

Die Einfachheit der Handlung in ihrer drollig übertriebenen Steigerung 

und Katastrophe, die ebenso einfache und gleichfalls drollige Gegensätze 
und Übertreibungen wählende Art der zeichnerischen Darstellung und 
die sprachlich leichte Erzählbarkeit weisen sicher auf ein früheres Alter 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden nsw. 


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als das der Prüflinge hin, eher auf 6—9jährige Kinder als auf 15—16jährige 
junge Mädchen. Diese stehen gerade in der ersten Kulmination ihrer 
Bildung, am Abschluß ihrer Elementarschulbildung. Ganz andere Bilder 
aus Natur und Kultur drängen sich an solchen Examensmorgen unter der 
Schwelle ihres Bewußtseinsfeldes, und solch einfaches, heiteres Geschieht- 
chen und Bilderbesehen ist ihnen wohl einer der komischen und unerwar¬ 
teten Momente im Prüfungsbetrieb gewesen. Trotzdem war ja denkbar, 
daß gerade infolge der Einfachheit der Handlung desto sicherer und 
erfolgreicher sich die Versuchsperson einstellen würde auf erhöhte Ele¬ 
ganz und Prägnanz des Stils, überlegen-humoristische Stellung zur Hand¬ 
lung, vertiefte, feine Beobachtungsdetails der Bilder und auf bewußt-kri¬ 
tische Stellung zu Handlung und Zeichnung. So hatte die Wahl dieses Tests 
wohl Grund und Hecht. Die Aufsätze zeigen auch tatsächlich diese Richtung, 
wenngleich—wohl zum Teil infolge Zeitmangelsund unscharfer Einstellung— 
gerade die dem Erwachsenen so besonders naheliegende Freude an den 
vielen kleinen humorvollen, witzigen Feinheiten der mit wenigen Strichen 
skizzierten Zeichnungen nicht recht zum Ausdruck gekommen ist, ebenso 
wenig wie alle bewußt-kritischen Gedankenrichtungen. So war der Test 
für eine schlichte, naive Behandlung zu leicht und für eine kritische, zeich¬ 
nerisch-ästhetisch geschulte noch zu schwer. Von hier aus beurteilt, wäre 
eine Bilderfolge richtiger gewesen, die eine ernster zu nehmende, be¬ 
deutendere Handlung geboten hätte, vielleicht in einer geringeren und 
dadurch die Enträtselung erschwerenden Zahl von technisch nicht skizzen¬ 
haft, genial - humorvoll hingeworfenen, sondern im ganzen mehr aus¬ 
gearbeiteten Bildern. Immerhin zeigt dieses Beispiel, welchen Reiz es hat, 
einen Test einmal nicht für die ursprünglich gedachte Altersstufe zu ver¬ 
wenden und nun zu verfolgen, welchen Einfluß diese Verschiebung deB 
eigentlichen Testzentrums auf die Bearbeitung hat. Wohin wendet sich das 
auf diese Weise sozusagen wider Erwarten frei gewordene Plus an seelischer 
Energie ? Hat auch die ursprünglich zentral stehende Lösung erkennbare 
Förderung erfahren infolge der höheren Reife der Versuchsperson? Nur 
erscheint dafür nicht eine Prüfung als der rechte Ort. 

2. Zu der besonderen Einstellung, in der der Test geboten wurde. 

Die besondere Einstellung liegt in den einführenden Worten 1. „recht 
anschaulich“, 2. „so wie die Geschichte auf den sieben Bildern dargestellt 
ist“, zu erzählen. Die Forderung geht also über die ursprüngliche einer 
Erkennung und Wiedergabe der dargestellten Handlung hinaus. An 
SteHe einer schlichten, vielleicht eher nüchternen, kahlen Darstellung soll 
eine anschauliche treten, also eine zu deutlicher eingehender Vorstellung 
zwingende. Diese erheischt sachlich manche aus den Bildern ersehene 
Einzelheit, hie und da eine Vertiefung des gegebenen Moments hinsichtlich 
des Rhythmus der Handlung, wie hinsichtlich aller solcher Einzelheiten, 
die der Zeichner nicht hat geben können: die Hinzufügung von Farben, 
Vorgeschichte, Gedanken, Motiven der Einzelnen, Gesprächen. Außerdem 
bedarf eine anschauliche, zu deutlichem Vorstellen anregende Darstellung 
einer Reihe stilistischer Momente, wie eines lebendigen, das Miterleben 
bekundenden Rhythmus, der in der Wahl der Worte und Wortfolgen, wie 

Zeitschrift f. pftdagog. Psychologie 8 


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O. Melchior und H. Penkert 


in der Bildung der Sätze und der geschickten Gegenüberstellung epischer 
Ruhe und dramatischer Bewegung zum Ausdruck kommt. Die zweite 
Bestimmung, dem einzelnen Bilde gemäß zu erzählen, will anhalten zu 
einer steten Betrachtung der Bilder und zur Vertiefung in ihre Fein¬ 
heiten, die Beobachtungsgabe stärken und eine bei lebendiger Erzählung 
gar leicht üppig wuchernde Phantasietätigkeit in Zaum und Zügel halten. 
So wollen die einführenden Sätze allseitig anregen und aufreizen, die Lust 
am Beobachten, am Erzählen, am Vertiefen des Gesehenen steigern und 
nur eine rücksichtslose Außerachtlassung der Vorstellungen des Zeichners 
verhüten. Da Intelligenz hach W. Stern „allgemeine geistige Anpassungs¬ 
fähigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens“ ist, die Auf¬ 
gabe fraglos unerwartet und neu war, die Einstellung allseitig anregend 
und anspornend wirkt, so muß dieser Test ein allseitig bezeichnendes Bild 
der Intelligenzstufe der Versuchsperson ergeben. Aber ist nicht die Zahl 
der geistigen Tätigkeitsrichtungen eine so große und der Gegenstand ein 
so relativ kleiner, unbedeutender und die Zeit von 1 Yt Stunden (die Zeit 
für die „Reinschrift“ eingerechnet!) eine so kurze, daß das Bild wohl viel¬ 
seitig und interessant, aber nicht vielseitig zuverlässig sein muß ? Wurde 
oben darauf hingewiesen, daß bei dem ersten Feld der kritischen Analyse, 
der Beobachtungsleistung, kaum eine Einigung zu erzielen sein dürfte über 
die Wertung und Gruppierung der einzelnen Beobachtungsdaten, so muß 
hier abermals erschwerend hinzugefügt werden: entscheiden nicht oft 
Zeitmangel und Zufall mehr über die Aufnahme und eine der Wichtigkeit 
entsprechende stilistische Form der einzelnen Beobachtungen als Unver¬ 
mögen und Mangel an Einsicht? Beispielsweise fehlen die beiden oben 
wiederholt genannten für den Gang der Handlung wesentlichen Beobach¬ 
tungen über die Vernachlässigung der Sicherung von Backwerk und 
Wagen in den guten Arbeiten fraglos intelligenter Prüflinge. Anderseits 
sind sie vorhanden in mäßigen Arbeiten. In einer verschwindend kleinen 
Anzahl von Arbeiten sind beide angegeben; unter ihnen ist keine einzige 
gute und eine nicht genügende. Überhaupt scheint die Zahl der angegebenen 
Einzelheiten — immer solcher Einzelheiten, die über einen ganz groben 
Auffassungs- und Deutungsgrad hinausgehen — in keinem sicheren Ver¬ 
hältnis zur Entwicklungshöhe zu stehen, auch im Vergleich mit Arbeiten 
von weit jüngeren Schülerinnen. Und doch muß sich an der Art des Bild- 
betrachtens, an der Zahl beobachteter Feinheiten, an der Wertung der 
Beobachtungen, zeichnerisch und im Hinblick auf die Entwicklung der 
Handlung, der Intelligenzgrad, die Tiefe und Nachdrücklichkeit der An¬ 
passung aussprechen und also auch nachweisen lassen. Wie kommt es, 
daß oft bei offenbar intelligenten Prüflingen hie und da unbegreifliche 
Lücken in der Anpassung aufzufinden sind? 

Ähnliche Rätsel gibt nach derselben Seite hin die im engeren Sinne intel- 
lektuale Leistung auf. Auch hier nur ein Einzelproblem zur Beleuchtung 
der Unsicherheit des Zeugnisses, das sich oft genug dem Zensor mehr 
intuitiv als Niederschlag einstellt, dessen Berechtigung sich aber nicht 
zwingend beweisen läßt bis ins Einzelne hinein. Unter den Arbeiten sind 
Typen vertreten, die scheinbar bewußt Vorgehen auf ihrem Wege. Sie 


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Über dio Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


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sind durchaus sachlich eingestellt im Gegensatz zu den am Stilistischen 
in erster und letzter Linie interessierten Schreiberinnen. Sie unterscheiden 
sich dagegen in ihrer Stellung zum Gesehenen. Die einen beschränken 
sich vorsichtig und peinlich genau auf das mit Sicherheit Richtige, die andern 
äußern sich leicht und reich ohne viele Hemmungen und Skrupel, sind aber 
weit leichter stilistischen und inhaltlichen Fehlerhaftigkeiten ausgesetzt. 
Sind diese Arbeiten echte und in ihren Grundzügen richtige, die Natur der 
Verfasserin charakteristisch wiedergebende Abbilder oder sind es Zufalls¬ 
gebilde, die nur einer unsicher und unrichtig gefaßten Einstellung ihre 
Gestalt verdanken? Würden sie etwa von einem anderen Rezensenten, 
der sie individuell faßt, sie also in ihrer Einseitigkeit gelten läßt, — und 
vielleicht mit einigem Recht — viel günstiger beurteilt werden, als bei 
dem vom Referenten als maßgebend angesehenen, Allseitigkeit erwarten¬ 
den Standpunkt ? 

Ebenso geht es auch den voll Interesse und Schwung phantasievoll dem 
Zuge ihrer Gedanken folgenden Schreiberinnen, die zu Anfang wohl die 
Bilder angesehen haben, um den Gang der Geschichte zu erfassen, dann 
aber, ohne gerade den Bildern zu widersprechen, aber auch ohne sich weiter 
in sie zu vertiefen, die Handlung voller Lebendigkeit und mit einer ange¬ 
nehmen Leichtigkeit und Überlegenheit wie eine kleine Tragikomödie 
vor dem interessiert folgenden Leser aufsteigen und zergehen lassen. 

Sosiehtdie Beobachtungsleistung der meisten eigentümlich mangelhaft aus, 
die der Vorsichtigen, der Spekulierenden, der Literarischen und der Phan¬ 
tasievollen. Und manche, die sich bewußt einseitig eingestellt hat, schnitt 
schlechter ab, als sie zu verdienen schien, wenn man von der gewollten 
einseitigen Helle und Güte der Arbeit auf ihre allgemeine Intelligenz schloß. 

Und für alle diese das gleiche Schema ? Hätten sie sich nicht vielleicht 
anders verhalten, wenn sie es gekannt hätten, dies alle vor denselben unbe¬ 
kannten Richterstuhl fordernde, kalte, unpersönliche, halb theoretisch 
gewonnene Gebilde ? Ja, wenn sie es genau gekannt hätten, und sich in 
allem hätten nach ihm richten können 1 Beides ist nicht absurd. Wer geprüft 
wird, kann verlangen, daß er die Forderungen, an denen sein Wissen und 
Können gemessen wird, genau kennt, um sich ihnen eben, so sehr es seine 
Natur zuläßt, anpassen zu können. Weil aber die Einstellung nur eine 
allgemein anspornende war, nur übermäßige Phantasie dämpfte, so 
mußte überhaupt bei der Kürze der Zeit und der verführerischen Leichtig¬ 
keit der Kernaufgabe (Erkennen der Handlung) bald diese, bald jene Rich¬ 
tung der wohl vorhandenen Begabung, bald des Schauens, bald des ver¬ 
tiefenden Bedenkens, bald der stilistischen Qualität in trügender Weise 
unausgebaut bleiben. Auch bei Kenntnis des Schemas hätten die Prüf¬ 
linge ihm nicht allseitig genügen können. Zeit und allgemeinmenschliche 
geistige Begrenztheit hinderten es. So interessant deshalb die Leistung 
als eine der unerwarteten Prüfungsarbeiten sein mag, so unsicher erscheint 
ihre Bewertung als Test. 

Deshalb scheinen dem Ref. für einen Test und dazu Prüfungstest, außer 
dem sicher immer ein oder mehrere eigentliche Aufsätze geschrieben werden, 
spezielle Einstellungen zweckdienlicher und gerechter, Einstellungen, 

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O. Melchior und H. Penkert 


die bald die Fülle und Einheit der Beobachtung, bald eine logisch einwand¬ 
freie, lückenlose, wenngleich nüchterne und kahle Entstehung der Handlung, 
bald eine phantasievoll bereicherte, endlich eine stilistisch schöne Leistung 
allein oder in erster Linie fordern und die andern Qualitäten nach Möglich¬ 
keit ausschließen oder außer Beurteilung lassen. Sache des Versuchs¬ 
leiters ist es, durch präzise Formulierung des Themas und einige geschickte 
Einführungssätze die Einstellung dem Prüfling deutlich zu machen. Ref. 
hat als einen ersten Versuch auf diesem Gebiet die Ostern 1917 auf¬ 
genommenen 23 Zöglinge folgende neun Einstellungen ausführen 
lassen: 

1. Kurze, kühle Erzählung der Handlung; 

2. lebendige Darstellung der Handlung im engen Anschluß an die 
Bilder; 

3. kühle, sachliche Beschreibung eines Bildes; 

4. lebendige Darstellung des Handlungsmomentes eines Bildes ohne 
engen Anschluß an das Bild; 

6. mehrere Überschriften; 

6. Beurteilung der Handlung; 

7. Beurteilung der zeichnerischen Darstellung; 

8. ein gut geformter „Aufsatz“ nach eigener Wahl; 

9. die Geschichte des Bilderbogens als Erzählung für eine Fünfjährige. 

Es ist leicht zu ersehen, daß beispielsweise bei 1 und 3 Phantasie und stili¬ 
stische Fülle und Feinheit ausgeschaltet sein sollen, bei 8 die Beobachtungs¬ 
fülle, bei 2 und 4 die Phantasie eingeschaltet wird, aber bei 2 vertiefend und 
ergänzend, bei 4ergänzend und darüber hinaus gegebenenfalls neue umfang¬ 
reiche Gedankeneinheiten schaffend. Bei 6 und 7 könnte man auf die Satz- 
bildung verzichten und sich mit Ellipsen begnügen. Solche Einstellungen 
werden jene intelligenten Naturen leichter aufdeeken und richtiger werten 
helfen, die stilistisch unbegabt, unentwickelt oder uninteressiert sind. Die 
neunte Einstellung ist eine pädagogisch bedeutungsvolle. Die Bearbeitung 
dieser neun Themen ist nicht nur ein interessanter psychologischer Versuoh, 
sondern zugleich eine methodisch leicht zu rechtfertigende, wertvolle 
Maßnahme. Mag sich auch später eine als der Natur entsprechende Stilart 
festlegen, dem sich Entwickelnden und Abhängigen wird eine stilistische 
Elastizität häufig von Vorteil sein, oft schon innerhalb einer und derselben 
Anstalt, die von verschiedenen Fachvertretern auch verschiedene Stilideale 
gefördert und gefordert sieht. Bezeichnenderweise wurden die verschie¬ 
denen Einstellungen und Umstellungen im allgemeinen gern, wenn auch 
von Fall zu Fall verschieden gern ausgeführt. Die einzelnen Formungen 
differieren nach Inhalt und Stil bei elastischen und komplexen Naturen 
in auffallendem Maße. Immerhin ist die in diesen neun — die Zahl ließe 
sich leicht vergrößern — Einstellungen bewiesene Schmiegsamkeit sicherlich 
nur eine Seite der Intelligenz. Es handelt sich für den intelligenten Menschen 
nicht nur um die Benutzung der Wegweiser und um die Auffindung der 
richtigen Straßen, sondern auch um die Zahl und den sachlichen Wert der 
Güter, die er die Wege führt und auf den mannigfachen Wegen zu fördern 
weiß. Da mag denn sogar die geschickte Ein- und Umstellung als ein not- 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


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wendiges, aber im Vergleich mit der Gesamtleistung fast mehr äußerliches 
Moment erscheinen. Sonst möchten die schnellen, geistig gewandten, 
geistesgegenwärtigen Naturen über Gebühr als Ideal des intelligenten 
Menschen erscheinen, und die schweren, langsameren, aber auf alle Fälle 
gründlichen Naturen, die anfänglich eher Unsicheren und erst im Verlauf 
Zuversichtlichen gar zu tief unter jenen zunächst glücklicheren und erfolg¬ 
reicheren Naturen stehenbleiben. 

3. Zur Korrektur des Tests. 

Käme es nur auf die schlichte Wiedergabe der Handlung an, so wäre 
die Korrektur eine einfache. Man würde die Entwicklung der Handlung in 
etwa 10 Momenten festlegen und die Zensur nach der Zahl der in der Arbeit 
aufgefundenen Momente bestimmen. Die besonderen Einführungssätze, 
die durch die Einfachheit der Handlung und ihrer Wiedergabe veranlaßt 
wurden, verlangen aber Beobachtungsfeinheiten und eine lebendige Wieder¬ 
gabe, die sich in stilistischer Hinsicht, im Rhythmus wie in der Wortwahl 
und Satzformung, einem gewissen Einfühlungsgrad und einer erkennbaren, 
phantasievollen Belebtheit aussprechen muß. Daneben .verlangt die Auf¬ 
findung einer Überschrift und die reifere, alles untereinander verknüpfende 
Art der Darstellung, die man bei dem Alter der Prüflinge voraussetzen 
muß, ein deutliches Maß logischer Schulung. Gerade die auf diese Weise 
hinzukommenden Analysengebiete entfernen sich aber von einem ein¬ 
fachen, als Norm festgelegten mit einer bestimmten Zahl konkreter Daten 
ausgefüllten Schema sehr weit. Daß auf diese Weise schon auf dem kon¬ 
kretesten Gebiet, der Beobachtungsleistung, an die Stelle einer arith¬ 
metischgenauen, unbedingt gleichmäßigen und gerechten Verrechnung 
eine Schätzung eintreten mußte, wurde oben schon dargelegt. Noch 
viel schwieriger gestaltet sich aber die Auffindung eines solchen zu¬ 
verlässigen, gerechten und brauchbaren Schemas auf dem Gebiete der 
logischen Leistungen, der Phantasie und des Stils. Wie undeutlich ist und 
bleibt die Vorstellung einer mittleren, „normalen“ Arbeit, einer „3“ in 
der Zensur, von der aus doch erst die übrigen über die Norm sich erheben¬ 
den und unter die Norm sich senkenden Werte aufgefunden werden können. 
Wie viel undeutlicher müssen sie sein, so sicher auch der „kritische In¬ 
stinkt“ die 2 und 4 wählen mag; insbesondere gilt dies für die wohl an¬ 
sprechenden, aber doch nicht guten und für die wohl nicht mehr ganz 
genügenden, aber doch nicht schlechten Arbeiten. Und doch muß zum Test 
die Auffindung eines sicher funktionierenden Schemas und einer aus ihm 
sich ergebenden Skala gehören, die ihr Leben nicht nur in dem durch die 
Praxis geschärften Instinkt eines einzelnen führen darf. Als Ref. erkannte, 
daß schon auf dem Gebiet der Beobachtungsleistung die Auffindung einer 
brauchbaren Skala zur Unmöglichkeit wurde — die Ausführung eines 
Bild für Bild und Person für Person usw. Felder schaffenden Schemas 
führte, ins Unendliche und erst recht die Bewertung der Einzelheit —, 
versuchte er einen Längsschnitt zu ziehen durch ein einziges Moment aus 
dem Gebiete der Phantasieleistung, um hier wenigstens auf einem schmalen 
Ausschnitt eines noch komplizierteren Gebiets die Auffindbarkeit eines 
Schemas zu versuchen und seine Brauchbarkeit für die Zensierung aus- 


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O. Melchior und H. Penkert 


zuprobieren. Er wählte die Wirtshausszene aus Bild 4, also ein (Jebiet, 
das wegen der Skizzenhaftigkeit der Zeichnung der Phantasietätig¬ 
keit ein eben so offenes und weites, wie gegen alles übrige abgeschlossenes 
Feld bot, und hat nach Durchsicht sämtlicher Arbeiten als mittleres, 
stilistisch neutrales Schema einige Sätze zusammengestellt. Diese Sätze 
bieten sachlich etwa das, was sich an nicht sonderlich auffallenden Einzel¬ 
heiten an den Arbeiten findet, denen die Wirtshausszene zu einer als selb¬ 
ständiges Motiv gefaßten Phantasieeinheit wurde. Er nahm die Gedanken 
heraus, von denen er annahm, daß wohl auch alle andern, wenn sie dasselbe 
Motiv bearbeitet hätten, auf diese Gedanken gekommen wären. Die Sätze 
waren folgende: 

„Die beiden treten in die kleine (kühle) Wirtsstube, begrüßen einige 
Bekannte, setzen sich am Fenster nieder und tauschen beim Glase Bier 
manche Erinnerung an die Jugend aus und manchen Gedanken über 
Bekannte und Ereignisse des Tages (Staat und Regierung). In froher 
Stimmung stoßen sie mehrmals auf ihr gegenseitiges Wohl an.“ 

Von dieser mittleren Leistung aus wäre zu werten. Aber auch schon 
in dieses vorsichtig und fast tastend gefundene Schema mischen sich sub¬ 
jektive Momente, wie das Ganze schon mehr eine Konstruktion ist, als daß 
es gerade in dieser. Form gefunden wäre. Stellt nun dies nicht ohne einige 
Mühe gefundene Schema wirklich das unanfechtbare „Mittlere“ an Leistung 
dar? Und dürfte man aus der jeweiligen Gestalt dieses Motivs in den 
Arbeiten einen sicheren Rückschluß auf Maß und Art der Phantasie eines 
Prüflings tun, aus einem Plus in diesem Falle auf ein Plus von Phantasie 
im allgemeinen und aus einer in diesem Falle erkennbaren Richtung auf 
konkret Hinzuerschautes oder abstrakt Hinzuerdachtes, auf eine gleiche 
Richtung überhaupt? 

So erscheint dem Ref. überhaupt ein solcher Test, aus Bildbetrachtung, Er¬ 
zählung einer Handlung und rein stilistisch zu bewertenden Elementen mit 
vielen möglichen Bereicherungen bzw. Lücken aus Gründen der kritischen 
Bearbeitung zu kompliziert, um als experimentell-psychologisches Quellen¬ 
material für massenpsychologische Theoreme leicht gebraucht werden zu 
können. Es sei denn, daß man je nach den Umständen abstrahierte vom 
Stil, von der Beobachtungstreue und -fülle oder von der Wiedergabe der 
Handlung usw. und dadurch einseitiger, aber genauer zu werten imstande 
wäre. 

Besser wäre aber in solchem Falle, man hätte von vornherein die Ein¬ 
stellung eingeengt. Der Prüfling hätte den Vorteil erhöhter Konzentrations¬ 
möglichkeit und der Kritiker den eines weniger umfangreichen und einheit¬ 
licheren Untersuchungsgebiets. 

Schließlich handelt es sich noch um die Bewertung der einzelnen Abteilun¬ 
gen untereinander. Wie manches erscheint unter allen Umständen verblaßt 
und verwischt im Gesamtzeugnis! Auf welche verschiedene Weise }comint 
es schließlich doch oft genug zu der häufigen, gutmütigen 2—3! In der 
vorliegenden Versuchsanordnung wurden alle Teilzeugnisse gleich gerechnet. 
Verschöbe sich die Zensierung von diesem neutralen Standpunkt zugunsten 
einer höheren Bewertung des beobachteten sachlichen Materials, so müßte 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


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als engstes Gebiet ein Zeugnis für die genau festzulegenden Entwicklungs¬ 
stufen der Handlung gegeben werden, als nächstes eins für die diese Ent¬ 
wicklung ermöglichenden Hauptbeobachtungen, ein drittes für die nach 
Möglichkeit zu bewertenden nebensächlichen, aber als Beobachtung 
interessanten Einzelheiten und ein viertes für die Qualität der zwischen 
den einzelnen Bildern hergestellten logischen Verknüpfungen, so daß die 
Beobachtung vierfach gewertet würde. Ähnliche Varianten ließen sich 
finden für den Fall einer höheren Bewertung aller spezifisch logischen 
Qualitäten, der Phantasieleistung usw. In der vorliegenden Form tritt 
die Stilleistung, was immerhin eine etwas grobe Einschätzung ist, als 
Ganzes in eine Linie mit Beobachtungsfülle und -güte, Deutungsgrad und 
-güte und Bewertung der gefundenen Überschrift, und damit treten einzelne 
Denkakte, wenngleich besonderer Konzentration, als gleichwertig neben die 
dauernd geübte Wahl und Formung von Wort und Satz. Die sachliche 
Fülle und Güte der Phantasiedaten tritt zurück gegen die der Beobachtungs¬ 
daten, also gerade das, was sicher in höherem Grade Eigentum der Persön¬ 
lichkeit ist, das im engeren Sinne produktive Element gegen das objektiv 
vorliegende, vom Zeichner persönlich geformte. Als deutliches subjektives 
Unbehagen, ja als sachliche Ungerechtigkeit empfand der Ref. häufig 
genug diese einfache und theoretisch berechtigte ungefähre Gleichstellung 
von Beobachtung, Phantasie und Stil. Der praktische, pädagogisch tausend¬ 
fach geübte Instinkt zensierte in manchem Einzelfall anders, als die er- 
rechnete und nie modifizierte Endziffer angab. Zum guten Teil lag dies 
darin, daß die stilistische Leistung als die in der Arbeit dauernd vorhandene, 
von der Verfasserin jahrelang geübte, in tausend Einzelfällen sich bekun¬ 
dende Fähigkeit des sprachlichen Ausdrucks nach Schärfe und Geschmack, 
nach Wahl und Konstruktion vorlag, wogegen beispielsweise die Beobach¬ 
tungstreue und -fülle als eine nur relativ sporadisch verlangte und geübte 
und deshalb mehr vom Zufall, vom Moment abhängige Leistung erschien, 
die nur zeitweise von Bedeutung wurde und sicher nicht in allem Wort¬ 
gestalt annahm. So erschien ihre Zensierung im Vergleich mit der Stil¬ 
zensur bald anormal hoch, bald als voreilig und ungerecht. Dazu trat 
noch folgende Beobachtung. Es erschien häufig dies und jenes der angege¬ 
benen Phantasiedaten an sich als bedeutend, persönlich besonders charak¬ 
teristisch, und doch stand es verglichen mit der Erzählung der Handlung 
gleichsam am Rande, als Mitläufer auf einem äußern, wenngleich konzen¬ 
trischen Kreise. Sicherlich müßten größere, von innerem Schauen, logischer 
Begabung und Reflexion zeugende Phantasieeinheiten ebenso hoch, ja 
vielleicht höher eingeschätzt werden als so manche Beobachtungseinzelheit, 
die eher besser gewertet wird, weil sie besser zu fassen ist, im Schema von 
vornherein angegeben war und der im Bilde dargebotenen Handlung näher 
verknüpft zu sein schien. Zu allem kommt, daß bei weitem nicht sämtliche 
kritischen Daten entweder ganz richtig oder ganz falsch sind. Beobach¬ 
tungen sind oft ungenau, nur angedeutet, unsicher, unvollständig, nicht 
in ihrer Wichtigkeit erfaßt; die Deutungen ärmlich, ohne persönliche 
Einfühlung, gewagt; Phantasiezutaten unbedeutend, albern, nichtssagend, 
allgemein, unglaubhaft, störend, widerspruchsvoll. Hierzu gesellen sich 


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O. Melchior und H. Penkert 


die stilistischen Vorzüge und Mängel, die den sachlichen Kern durch gün¬ 
stige Formulierung über Gebühr wertvoll oder durch Ungeschick unberech¬ 
tigt falsch erscheinen lassen, so daß die Wertung leicht sachlich zu gering 
und stilistisch zu hoch sein kann und umgekehrt. 

So bietet auch die Abschätzung der einzelnen Teilleistungen gegen ein¬ 
ander eine Fülle von Schwierigkeiten und Problemen, die der Einzelne für 
sich löst als absoluter Monarch seiner kleinen pädagogischen Provinz, indem 
er die gordischen Knoten nur unbefriedigend oder gar nicht lösbarer Pro¬ 
bleme zerhaut, um zum Schlüsse zu kommen. Aber wer findet die eine, 
allgemeingültige, jeden Experimentator zum gleichen Resultat führende 
Lösung ? Oder bleibt es bei allen höhere seelische Leistungen experimen¬ 
tell angreifenden Fragen bei der Gleichberechtigung vieler Lösungen, da 
die Psyche des Versuchsleiters den ersten und letzten Entscheid gibt, und 
wird häufig nur die genaue Analyse des Weges zu den Einzellösungen die 
einzige reife Frucht sein bei der Einbeziehung höherer, komplexer Geistes¬ 
tätigkeiten und Arbeitsformen in die Kreise experimentell psychologischer 
Forschung? Das Eine scheint Ref. das für die Vp. wie für den Versuchs¬ 
leiter Vorteilhaftere zu sein: handelt es sich um Massenuntersuchungen und 
-bewertungen reiferer Vp. durch komplizierte Arbeiten wie Aufsätze, so 
empfiehlt es sich, die Aufgaben so eng und genau umschrieben wie nur 
möglich zu stellen, eher dieselbe Aufgabe mehrfach mit wechselnder Ein¬ 
stellung lösen zu lassen, als einmal mit vielseitig anregender Einstellung. 

6. Einzelmaterial zu den vorstehenden Ausführungen. 

Aufsatztext 1. 

Die verhängnisvollen Brote. 

Herr Müller, ein kleiner, dicker Bäcker, ist unterwegs, um seinen Kunden die 
knusprigen, frischen Brote in das Haus zu bringen. Leicht wird es ihm bei seiner 
Behäbigkeit nicht, den kleinen Wagen mit dem Brot zu schieben. Da bemerkt er an 
der Ecke, an der eine gemütliche Gastwirtschaft steht, seinen Freund Schmidt, 
den Milchhändler, der vergnügt auf dem Bock sitzt und seinen Milch wagen fährt. 
Schon von weitem begrüßen sich die beiden Bekannten durch laute Zurufe. Ihre 
Gesichter strahlen. Sie haben sich ja so viel zu erzählen und sich so lange nicht gesehen! 
Der Wagen hält. Die Freunde schütteln sich freudig die Hände. „Wie geht's, Herr 
Müller ? Immer noch auf den Beinen ?“ „Oh, Herr Schmidt, ich hab* Ihnen furchtbar 
viel zu sagen. Denken Sie mal, ich habe —“, und damit hält der kleine, dicke Bäcker 
seinen Daumen in die Höhe und will eifrig weiter erzählen. „Lassen Sie uns in die 
Wirtschaft gehn, da is es gemütlicher“, unterbricht ihn der lange, dünne Milchhändler. 
Sofort willigt Müller ein. Er hat schon den ganzen Morgen die Karre geschoben 
und ist müde und recht durstig geworden. Ein Kümmel und ein Glas Bier tut gut, 
und was hat er nicht alles zu sagen! Einträchtig gehen die beiden Freunde in die 
Gastwirtschaft. Eine Viertelstunde können sie ja wohl klönen, die Pferde werden 
schon ruhig bleiben. Es wird sich wohl auch niemand an den Broten vergreifen. 
Kaum aber haben die beiden den Rücken gekehrt, als die Pferde anfangen, begierig 
in der Luft herum zu schnuppern. Wie riecht das gut! Woher kommt wohl nur dieser 
Duft ? Sie strecken ihre Hälse aus und bemerken die knusprigen Brote in dem Bäcker¬ 
wagen. Neugierig kommen sie näher. Oh, wie duftet das. Es wäre ein guter Bissen 
für sie. Schon reckt das eine Pferd seinen Hals und fängt an zu futtern, während 
Herr Schmidt und Herr Müller gerade fröhlich mit ihrem halben Liter anstoßen und 
auf ihr gegenseitiges Wohl trinken. — Doch jetzt wird es Zeit aufzubrechen. Die 
Kunden warten auf sie. Großmütig bezahlt Herr Müller noch die kleine Zeche. Als 


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er aber — immer noch in rosiger Stimmung — die Tür öffnet, stürzt er voller Schrek- 
ken die Stufen hinunter. Er fliegt förmlich. Aber er kommt zu spät. Die Brote sind 
verschwunden. Bestürzt steht Herr Schmidt noch immer an der Tür und faßt sich 
verlegen an den Kopf. Endlich steigt er langsam die Stufen hinab. Da wird er aber 
liebenswürdig angeschrien: „Geben Sie mir meine Brote wieder, oder ich zeige Sie 
an!“ Scheu stehen die Pferde zur Seite. „Ich, ich soll Ihnen das Brot wieder geben ?! 
Ich?! Tu ich mein Lebtag nich,“ fällt ihm jetzt der lange Milchhändler ins Wort. 
,,Warum gehen Se denn kneipen! Passen Se doch auf!“ Heftig streitend stehen sich 
die beiden eben noch so innig Befreundeten gegenüber. Ihr Lärm hat die anderen Gäste 
an das Fenster gelockt. Sie ziehen ihre Glossen über die Zankenden. Bei denen 
bleibt es aber nicht allein bei einem Wortwechsel. Sie werden handgreiflich und ver- 
.prügeln sich tüchtig. Da nehmen die schon scheu gewordenen Pferde Reißaus! Die 
Kannen stürzen von dem Wagen hinunter auf die Erde, und die schöne Milch fließt 
in Bächen die Straße entlang! Die Zuschauer brechen in ein schallendes Gelächter 
aus und amüsieren sich über die nun beide angeführten Streitenden. 

Der scherzhaften Überschrift entsprechend, erzählt V. innerlich amüsiert 
in angeregtem, rhythmisch angenehm bewegtem Stil. In den ruhigeren 
Teilen meist längere, vielfach geschmückte und gut geformte Sätze. In 
den mehr dramatisch gefaßten Teilen wechselt der Rhythmus. Die Sätze 
werden kurz und schmucklos, aber stark gefühlt und lebhaft interpunktiert. 
Einige absichtlich gewählte gewöhnliche, scherzhaft unterstreichende 
Ausdrücke und einige Witze. Mehrfach Beweise einer über eine ruhige, 
rein-sachliche Deutung hinausgehenden Einfühlung und phantasie vollen 
Belebung, so bei Bild 3 und 6. Die Gespräche sind lebendig erfunden, 
inhaltlich allgemein und arm, aber in Wortwahl und Tonfall charakteristisch. 
Logische Verknüpfung der Handlungsmomente vorhanden, wenngleich 
nicht gerade tief. Die beiden wichtigsten Einzelbeobachtungen (Offen¬ 
bleiben der Karre, Nichtabsträngen der Pferde) fehlen! Auch sonst 
wenige feinere Beobachtungseinzelheiten. Sogar eine deutliche Abweichung: 
der Zeichner gibt dem Bäcker, nicht dem Milchmann, den Einfall, ins Wirt¬ 
baus zu gehen. V. hat ohne Skizze und Kladde gleich die Reinschrift 
gearbeitet. 

Auf Bewegung und Leben, nicht auf ruhige Betrachtung, „literarisch“ 
eingestellter, rhythmisch elastischer Typ. 

Aufsatztext II. 

Durch Unachtsamkeit können gute Freunde zu Feinden werden. 

An einer Straßenecke vor einem Wirtshause begegnen sich ein Bäckermeister und 
ein Milchhändler. Der Bäcker ist klein und außergewöhnlich dick; er schiebt eine 
offen stehende Karre, so daß man das Brot sehen kann. Der Milchhändler sitzt auf 
dem Kutecherbock; er hält die Peitsche in der Hand und zieht die Zügel stramm. 
An den Beinen der beiden Pferde kann man sehen, daß sie den Wagen zum plötzlichen 
Halten bringen. Der Milchhändler ist lang und dünn. Beide Männer freuen sich, 
einander begegnet zu sein; sie haben ein heiteres Gesicht und heben einen Arm hoch. 

Jetzt stehen beide zwischen der Karre und den Pferden; sie reichen sich die Hände 
zum Gruß. Nach den Gesichteausdrücken zu urteilen, will der Kutscher den andern 
zu einem Trünke überreden. 

Beide haben sich geeinigt; umschlungen stehen sie in der Tür. Im selben Augen¬ 
blick haben die Pferde angezogen. Mit weit vorgestreckten, aufgeblähten Nüstern 
und großen Augen gehen sie auf das Brot zu. 

Durchs Fenster erblickt man die Herren, sie haben die Seidel erhoben und stoßen 
an. Draußen machen sich die Pferde über den gefundenen Bissen her. 


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Mit erhobenen Armen stürzt der Bäcker schon die Treppe herunter. Das Pferd, 
welches ihm am nächsten ist, hat den Kopf wild zurückgeworfen; das andere frißt 
ruhig weiter. In der Tür steht der sprachlose Kutscher. Verlegenheit malt sich auf 
seinem Gesicht, eine Hand hält er hinter den Kopf. 

Der Beraubte lehnt sich mit gespreizten Beinen gegen die Karre. Mit wütendem 
Gesicht scheint er den inzwischen Nähergetretenen zu beschuldigen; denn letzterer 
zeigt auf sich, und seine ganze Haltung ist angstvoll. Am Fenster der Wirtsstube 
schauen die Gäste lachend auf das Bild. Die Übeltäter drücken sich scheu zur Seite. 

Der kleine Bäcker hat sich wütend auf seinen Gegner gestürzt und ihn zu Fall 
gebracht. Die Zuschauer im Wirtshause belustigen sich über den Vorfall. Unter¬ 
dessen haben die Pferde den Wagen gewendet; sie galoppieren um die Ecke. Die 
Milchkannen fallen dabei um oder fliegen in hohem Bogen vom Wagen. 

V. reiht ohne erkennbare Teilnahme in ruhigen, kurzen, stilistisch 
reizlosen Sätzen Beobachtung an Beobachtung, ohne die einzelnen Bilder 
zu verknüpfen. Vorsichtig in der Deutung (vgl. Bild 2 und 6) und meist 
ohne jede über das Bild hinausgehende Deutung und Motivation (vgl. 
Bild 1, Schlußsatz). Beobachtet sicher, aber fast ganz ohne erkennbaren 
Sinn für Feinheiten, und doch fraglos intelligent und energisch. 

Beispiel einer zäh durchgeführten, einseitig auf vorsichtige Beobachtung 
ausgehenden Einstellung. 


Aufsatztext III. 

Erst Freund, dann Feind. 

Der Bäckergeselle vor seiner geöffneten Karre, aus der viele Brötchen einladend 
hervorsehen, und der Milchmann auf seinem hohen Kutscherbock begrüßen einander 
freudig vor einer Wirtschaft. Sie scheinen sich gegenseitig ein lautes „Hallo, guten 
Tag, Freund“ zuzurufen. Nur mit Mühe bändigt der Milchmann seine feurigen 
Pferde. 

Beide Männer haben jetzt ihr Gefährt verlassen und drücken sich fest, kamerad¬ 
schaftlich die Hand. Mit nicht mißzuverstehender Gebärde weist der kurze dicke 
Bäcker auf die Wirtschaft. Der lange dünne Milchmann scheint sehr einverstanden 
mit dem Vorschlag zu sein. Es ist doch auch zu schön, sich von der Wagenfahrt durch 
einen kühlen Trunk zu erholen. Innig umschlungen verschwinden Bruder Bäcker 
und Bruder Milchmann in der Wirtschaft. Verlassen stehen die Karre und der Milch¬ 
wagen da. Die Pferde scheinen das Alleinsein gut ausnutzen zu wollen, denn sie recken 
lüstern ihre Hälse nach den gewiß lieblich duftenden Brötchen, die locken doch auch 
gar zu sehr! 

So, endlich haben die Tiere die Brotkarre erreicht. Das eine Pferd taucht noch 
seinen langen Hals in die Karre, während das andere schon munter schmaust. Keine 
Störung aus ihrem herrlichen Mahle scheint ihnen beschieden zu sein, denn hinter 
den Scheiben der Wirtschaft sieht man die Umrisse der beiden Freunde, die sich 
gerade andachtsvoll zuprosten und gewiß an kein Unheil denken. Aber ach, kein 
Glück ist ungetrübt auf Erden! 

Endlich scheinen die Männer das Unheil doch bemerkt zu haben, welch ein Anblick 
bietet sich jetzt unsem Blicken dar! Trotz seiner Dicke scheint der Bäcker auf seine 
bedrohte Karre und die beiden bösen Pferde zu fliegen. Ganz entsetzt breitet er 
seine kurzen dicken Ärmchen aus. Eine drohende Falte liegt auf seiner Stirn. Der 
lange Milchmann kratzt sich in großer Verlegenheit den Kopf. Trübselig hängt sein 
Bart über seine Lippen. Er steht noch an der Wirtschaftetür und sieht mit Entsetzen 
auf die augenblicklich noch munter schmausenden Pferde. 

Jetzt wird‘s aber Ernst! Mit finsteren Blicken zeigt der geschädigte Bäcker auf 
den Milchmann und bedeutet ihm so, daß er die Mahlzeit der Tiere bezahlen soll. 
Ganz verdutzt macht der Kutscher mit der Hand so, als wollte er sagen: „Was, 
ich soll bezahlen, das kann doch nicht wahr sein ?“ Die beiden Pferde stehen eng 


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aneinander gedrückt, wie Kinder nach einem bösen Streich. Sie wagen nur verstohlen 
auf die beiden Erzürnten zu sehen, bei denen es jetzt nicht nur bei Worten bleibt, 
nein, was ist denn das ? 

Wirklich, da liegen ja die beiden sonst so guten Freunde und prügeln sich weidlich. 
Der dicke Bäcker hat natürlich die Oberhand, er erdrückt den spindeldürren Kutscher 
fast. Die Pferde scheinen keinen Zwist zu lieben, denn sie geben Fersengeld, sie sausen 
wild um die Ecke des Wirtshauses. Die Milchkannen poltern lustig durcheinander 
und springen teilweise auf die Erde, aus einer Kanne ergießt sich ein breiter Strom. 
An dem Fenster der Wirtschaft stehen die Gäste, die mit lachenden Gesichtem auf 
die sich vor der leeren Karre balgenden Männer blicken. Ja, ja, Schadenfreude ist 
die reinste Freude. 

Beispiel einer guten doppelten Einstellung auf lebendige Erzählung und 
engen Anschluß an die Bilder. Im Gegensatz zu den Beispielen I, IV, V und 
Via—d schließen sich Beginn und Schluß der einzelnen Abschnitte innerhalb 
der Arbeit an die einzelnen Bilder an. Bei den andern Arbeiten sind die 
Abschnitte gebildet nach inneren Momenten des Handlungsfortgangs oder 
der Erzählung. Manche Beobachtungsfeinheit (vgl. Bild 6). Gute wech¬ 
selnde Übergänge von Bild zu Bild. Trotz guter Beobachtungsgabe fehlen 
beide Haupteinzelheiten! Phantasiebegabung nach dem Aufsatz geringer, 
ob aber überhaupt? 


Aufsatztext IV. 

„Tages Arbeit, abends Gäste . . .“ 

Vor einem Wirtshaus steht Bäckermeister Müller mit seiner Brotkarre; er hat 
den Deckel der Karre aufgeklappt und war sehen die schönen frischen Brote darin, 
die er seinen Kunden bringen will. Da kommt um die Straßenecke ein Wagen gefahren, 
der mit zwei schönen Pferden bespannt ist. Auf dem Wagen stehen viele Milchkannen, 
und auf dem Bock sitzt der Milchwagenkutscher Hagen, Bäcker Müllers Freund. 
Hagen erkennt Müller, steigt schnell vom Bock herunter, und die beiden Freunde 
begrüßen einander herzlich. „Wie schön“, sagen sie, „daß wir uns gerade hier vorm 
Gasthaus begegnen, nun wollen wir doch auch einen Schluck Bier miteinander trinken 
und etwas plaudern.“ Sie liebten beide einen guten Trunk. Beim Bäckermeister 
verriet das schon die kleine, fast kugelrunde Gestalt. So gingen sie also recht ver¬ 
gnügt und innig umschlungen wie rechte Freunde ins Wirtshaus, und etwas später 
sehen wir sie drinnen mit gefüllten Bierseideln anstoßen. Was draußen vorgeht, 
kümmert sie jetzt nicht. 

Den beiden Pferden steigt unterdessen der schöne Duft der frischen Brote recht 
verlockend in die Nase, und da sie schon recht hungrig geworden sind auf dem weiten 
Weg vom Dorf in die Stadt — Milchwagenpferde müssen schon so früh an die Arbeit 
— ist es kein Wunder, daß sie versuchten, die Brotkarre zu erreichen, die nur zwei 
Schritte weit vor ihnen stand. Und siehe da! Es ging besser als sie gedacht hatten; 
denn Hagen hatte diesmal in der Eile sogar vergessen abzusträngen. So gut hatte 
es den beiden Braunen lange nicht geschmeckt, und so reichlich hatte ihr Herr ihnen 
die Mahlzeit lange nicht bemessen. Sie fraßen die Karre ganz leer. Das rechte Pferd 
verzehrte gerade das letzte Brot, und das linke hatte den Kopf tief in die Karre 
gesteckt, um zu sehen, ob das köstliche Mahl wirklich zu Ende sei, da kam Bäcker¬ 
meister Müller aus dem Gasthaus heraus und hinter ihm Freund Hagen. Müller sieht 
die Pferde an seiner Karre, begreift die ganze Sache, stürzt hinaus, um zu retten, was 
noch zu retten ist. Aber — welch ein Schreck — die Karre ist leer. Und Hägens 
Pferde hatten ihm das angetan. Seine freundschaftlichen Gefühle verwandelten sich 
im Augenblick in blinden, wilden Haß gegen den Besitzer der Pferde, und er machte 
dem Kutscher die bittersten Vorwürfe, gab ihm allein die Schuld an dem Unglück 
und verlangte das Geld von ihm, das er von seinen Kunden für die Brote bekommen 
hätte. Natürlich verweigerte Kutscher Hagen das Geld und wies die Schuld auf 


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den Ankläger zurück. So stritten sie hin und her. Die Wirkung des Bieres machte 
sie noch heftiger. Statt einer Einigung über den Schaden endigte der Streit in einer 
Prügelei. Aber das war nicht das schlimmste Ende. Außer den lachenden Wirts¬ 
leuten waren noch zwei Zuschauer da, die beiden Braunen vor dem Milchwagen. Ob 
ihnen der Anblick ihres geschlagenen Herrn so schrecklich war, oder ob sie gern schnell 
nach Hause wollten, weiß ich nicht. Jedenfalls machten sie plötzlich kehrt und 
liefen eilig davon. Bei der schnellen Wendung polterten die gefüllten Milchkannen 
herunter, und der wertvolle Inhalt floß auf die Straße. Die Pferde fühlten ihre 
Freiheit und schossen wild dahin. Die beiden Betrunkenen, die einander schlagend 
auf der Straße lagen, sahen nicht, welch größeres Unheil sie durch ihre blinde, un¬ 
besonnene Wut anrichteten. 

Ruhige, tüchtige Arbeit. Nach keiner Seite hin irgendwie auffallend 
begabt oder eingestellt, weder reich an Beobachtungen (es fehlt z. B. 
jeder Hinweis auf das Offenbleiben der Bäckerkarre), noch an Phantasie¬ 
zutaten, noch an Motivierung der einzelnen Momente und Handlungs¬ 
weisen, auch nicht stilistisch prägnant, und doch als Ganzes wohltuend 
durch die stilistisch abgerundete, in der Gedankenfolge lückenlos geschlossene 
Art der Erzählung, die dazu mehr den Anschein einer pflichtmäßigen 
Lösung hat als den einer elementaren Freude an der Sache selbst. 

Gute Lösung auf Grund einer natürlichen, glücklichen in sich „harmo¬ 
nischen“ Geistesverfassung, keiner besonderen Einstellung. 

Aufsatztext V. 

Skizze: 1. Mit dem Ort der Handlung und den beiden handelnden Personen 
bekannt machen. 

2. Der Entschluß, aus alter Kameradschaft miteinander und voneinander zu 
sprechen, führt sie in die Wirtschaft. 

3. Das Pflichtvergessene veranschaulichen: der Bäcker läßt seine Karre offen 
stehen, der Kutscher vergißt den Wagen zu riegeln. 

4. Als Höhepunkt: die Bestürzung beim Gewahrwerden des Geschehenen. 

ö. Die Streitfrage und der Zank. 

6. Als Ausgang: die Strafe, die dem Kutscher wurde, durch das Davonrennen der 
Pferde mit dem Wagen. 

Text: Eine kleine Geschichte für meine Hortjungen, wenn sie wieder einmal 
„Kutscher“ spielen und in ihrem Spiel nie vergessen, in eine Wirtschaft einzukehren! 

„Bitte, bitte, eine Geschichte, eine lustige heute!“ „Nun gut, wir wollen sehen» 
ob es heute recht lustig wird. Aber eine „wirkliche“ Geschichte erzähle ich euch! 
Kennt ihr die Wirtschaft von Kruse ? Habt ihr auch einmal auf dem Schild am Haus 
das große Bierseidel gemalt gesehen ? Es war einmal am Vormittag. Herr Müller, 
der Bäcker, hielt mit seiner zweirädrigen Handkarre, in der er seine Rundstücke zu 
den Kunden fuhr, vor dieser Wirtschaft. Er hatte noch seinen Anzug an, als käme 
er grad aus der Backstube mit seiner mehligen Schürze und der Bäckermütze. Eben 
hatte er den Deckel seiner Karre gehoben, die bis oben mit Rundstücken angefüllt 
war, als sein Freund aus der Schulzeit, Hans, auf seinem Milchwagen sitzend, und, 
wie es schien, auch den Gedanken hatte, bei Kruse einzukehren. „He, Corl!“, rief er, 
da er den Bäcker auch gleich erkannte, „das trifft sich ja ganz famos!“ Dann verfiel 
er wieder in seine plattdeutsche Sprache: „Ick gew ok enen ut! Kummet du mit rin? 
Wi besökt uns’n ollen Frund, Hein Krus’.“ Inzwischen war er vom Bock herunter- 
gestiegen und hatte bei seinen Worten den Bäcker mit seiner festen Hand auf die 
Schulter geklopft, der neben diesem langen Milchmann aussah, wie ein Rundstück 
neben einem Feinbrot. 

Der Bäcker hebt seinen runden Daumen: „Enen giv’s du ut,“ ein Glas Bier meinte 
er damit, „ja, un denn lat ick noch eenmal inschenken! Mehr Tid hew ick abers nich/ 
„Iö good“, erwiderte der Milchmann, und einmütig gehen sie die drei Stufen hinauf. 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


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Skizziert gut (Beobachtungen gut und gut bewertet; Sinn für Steigerung 
im Erzählen). Beispiel einer gut durchgeführten pädagogischen Einstellung, 
leider nur an Bild 1 und 2. 

Die folgenden unter Via—VId aufgeführten Arbeiten stammen von ein 
und derselben Verfasserin, nämlich von einer der 27 Aufgenommenen, 
die die auf S. 126 angegebenen neun Einstellungen im Laufe von etwa 
acht Wochen ausgeführt hat. 

Aufsatztext Via. 

Während Bäcker und Milchmann ein Wiedersehen bei einer Flasche Wein feiern, 
fressen die Pferde des Milchmanns, die vor dem Kruge stehen, die Semmel des Bäckers 
auf. Hierüber entspinnt sich zwischen den zurückkehrenden Freunden ein Streit, 
der schließlich zu Tätlichkeiten übergeht. Der Milchhändler wird von dem Bäcker zu 
Boden geworfen. Durch den lauten Wortwechsel der beiden scheu gemacht, galoppieren 
die Pferde des Milchhändlers davon; die Kannen werden vom Wagen geschleudert, 
und die Milch ergießt sich über das Pflaster. 

Aufsatztext VIb. 

„He“, denkt Bäcker Müller, der eben die schönsten Weißbrötchen zur Wirtin 
gebracht hat, „he, ist das nicht der lange Miller, der dort um die Ecke biegt ?“ Richtig, 
er iat’s! Mit lautem Peitschenknall kommt der Milchmann auf seinem Wagen daher¬ 
gefahren. Da hat er auch schon den Bäcker erkannt. Voller Freude springt er eilends 
herab vom Wagen, und dann gibt’s ein herzliches und anhaltendes Händeschütteln 
zwischen den beiden alten Freunden. Hei, wie lacht ihnen die Freude aus dem Ge¬ 
sicht! Nach einer so langen Trennung gibt es imendlich viel zu erzählen. Das geht 
aber schlecht mit einem trockenen Hals. Auch haben beide schon ein gut Teil ihrer 
Morgenarbeit geschafft. Da sie sich gerade vor dem Kruge des kleinen Städtchens 
getroffen haben, kann der Bäcker nicht länger widerstehen, und er lädt seinen langen 
Freund zu einem gemütlichen Frühschoppen ein. Arm in Arm, wie es sich für zwei 
gute Freunde geziemt, sehen wir sie in der Tür des Kruges verschwinden, und bald 
sind sie im eifrigen Gespräch über die „welterschüttemdeu“ Ereignisse ihres Städtchens. 

Der Herr läßt sich’s wohl sein, aber seine armen Tiere hat er gänzlich vergessen. 
Auch sie sind doch gewiß von der Fahrt zur Stadt ermattet. Mit einem vorwurfs¬ 
vollen Blick sehen sie ihrem fröhlich davon gehenden Herrn nach. Aber was ist denn 
das 7 Groß reißen sie ihre Augen auf. Wirklich, der Bäcker hat vergessen, den Deckel 
seiner Karre wieder zuzuklappen, und nun liegen die schönsten Semmeln und Wei߬ 
brote vor den Blicken der Pferde. Hungriger Magen — und ein paar Schritte vor ihnen 
steht die noch ziemlich gefüllte Karre des Bäckers! Ist’s da zu verwundern, daß ihre 
Augen immer begehrlicher blicken, daß ihre Hälse sich immer weiter vorstrecken ? 
Noch ein langer Blick gleitet zum Fenster des Wirtshauses, hinter dem die beiden 
Freunde sitzen. Die laben sich aber noch immer an dem köstlichen Apfelwein der 
Krugwirtin. Ihr fröhliches Lachen und Gläserklingen klingt hinaus bis auf den 
Marktplatz, und sie achten nicht der Pferde. Da ziehen diese an, und gleich darauf 
sehen wir sie heißhungrig die Semmel verzehren, ohne die Frage, wie es ihnen nachher 
ergehen mag, wenn die beiden Freunde zurückkommen. 

Aufsatztext VIc. 

„Was herrscht denn auf dem Markte für ein Lärm ?“ „Ist Feuer ?** „Nein, aber ’s 
raufen sich zwei!“ Soklingt’s durch die noch eben so morgenstillen Straßen des kleinen 
Städtchens, und allerlei Neugierige kommen auf den Marktplatz. Was für ein Bild 
bietet sich ihnen! Vor dem Kruge liegt der hagere Miller und auf ihm kniet der Müller 
und bearbeitet seinen „lieben Freund“, wie er ihn vor einer Viertelstunde noch selbst 
nannte, mit seinen Fäusten und Füßen. Verzweifelt versucht Miller sich von den 
unbarmherzigen Püffen zu befreien. Umsonst. Immer eifriger wird der Bäcker. 
Seine Mütze hat er schon verloren. Immer wütender wird er aussehen; seine kleinen 


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Äuglein, die in seinem runden dicken Gesicht fast verschwinden, funkeln immei 
feindseliger. „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über“, und so fliegen auch 
grobe Scheltworte zwischen den Streitenden hin und her. Bis jetzt haben die Pferde, 
die vor Milchmann Millers Wagen gespannt sind, ruhig gestanden, die Köpfe tief 
zu Boden gesenkt, denn sie fühlen, daß sie hier die Hauptschuldigen sind. Hätten 
sie nicht, wie sie es leider getan haben, die Brote in der Bäckerkarre aufgefressen, 
so hätten die beiden Freunde, die sich nach langer Zeit wiedersahen, eine ungestörte 
Wiedersehensfreude gehabt. Als nun aber die Stimmen der beiden Erregten immer 
lauter werden, da halten sie’s nicht mehr aus. In sausendem Galopp jagen sie auf 
dem Markte herum, den Wagen hinter sich her ziehend, der bald hier, bald dort gegen 
einen Stein stößt. Mit lautem Krach stürzen die Milchkannen vom Wagen, und ihr 
Inhalt ergießt sich über die Straße. Keiner wagt sich ihnen entgegen zu stellen. 
Sie jagen in eine Nebengasse hinein. Wie der Wirt und die Neugierigen sehen, daß 
sich zu dem ersten Ünglück noch ein zweites gesellt, fühlen sie doch Mitleid mit 
dem armen Kerl, dem Miller. Viele Hände versuchen nun die Streitenden auseinander 
zu bringen. Miller hat bald mit Bitten, bald mit immer ärgerem Schelten versucht 
sich zu befreien. Der Müller aber hat dagegen geschrien: „Mein Geld gibst mir für 
die Brötchen, du! oder ich schlag’ dir die Knochen im Leib zusammen. Anzeigen tu 
ich dich, du . . ., du!“ Wut und Zorn erstickten seine Stimme. Endlich gelingt es 
dem Schmied, die beiden voneinander los zu bringen. Am ganzen Leibe zitternd, 
keuchend und stöhnend vor Schmerz, erhebt sich der Miller. Unter dem begütigenden 
Zureden seiner Freunde geht der Bäcker mit seiner leeren Karre in sein am Markte 
gelegenes Haus. Noch oft, ehe er hinter der Haustür verschwindet, blickt er sich um 
und hebt drohend die Faust: „Aber zahlen sollst mir, du!“ Hinkend sucht der Milch¬ 
mann seine umherliegenden Kannen zusammen und geht dann auf die Suche nach 
Beinen Pferden, von ein paar Freunden begleitet, denen er immer wieder versichert: 
„Ich zahl’s nicht, ich nicht.“ Bald liegt der Marktplatz wieder ruhig wie zuvor, 
nur die Sonne ist höher gestiegen und lacht und lacht über die kleinen dummen 
Menschen mit ihren Kleinlichkeiten, und freut sich über das nun wieder ruhige Bild, 
das sich ihr darbietet. Doch das soll nicht mehr lange dauern. Nach einer kurzen Weile 
trifft die ganze Katzengesellschaft des Städtchens auf dem Markte zusammen, und 
es wird ein Fest abgehalten mit dem schönsten Konzert. Ein jeder kann so viel 
Milch trinken, wie er mag; ’s ist wie im Schlaraffenland. — So geht’s! Wenn zwei 
sich streiten, freut sich der dritte! 

Aufsatztext VId. 

Wenn du mit der Eisenbahn ganz, ganz weit fort fährst von hier, so kommst du 
in eine kleine Stadt. An dem Markte dieser kleinen Stadt wohnt der dicke Bäcker¬ 
meister Müller. Jeden Morgen geht er mit seiner Karre fort, in der er seine Ware 
hat. Dann geht er zu seinen Kunden und bringt ihnen zu ihrem Kaffee die schönsten 
knusprigen Semmeln. Das ist immer eine Freude, wenn der Bäcker Müller kommt! 
Aber du mußt nicht denken, daß sich die Leute nur freuten, weil er ihnen so etwas 
Feines , zu essen brachte, nein, über ihn selbst freuten sie sich auch. Immer hat er 
eine wunderhübsche, weiße Schürze vor, und auf dem Kopfe trägt er eine große 
Mütze, die so rund ist wie ein Teller. Weil er aber auch selber so gerne die schönen 
frischen Semmeln ißt, sind seine Backen so dick geworden, daß man seine Augen gar 
nicht mehr sieht. Die meisten Semmeln brachte er immer der Krugwirtin, und darum 
ging er dort auch immer sehr gerne hin, denn er verdiente dabei ja viel Geld. Er 
ging nun auch wieder an dem Morgen zu ihr, von dem ich dir erzählen will, denn 
da passierte ihm eine schlimme Geschichte. Wie er aus dem Wirtshause heraus¬ 
kommt, hört er laute Rufe: „He, Freund Müller, guten Tag, wie geht’s ?“ Da hat er 
auch schon den Rufer bemerkt und erkannt. Es ist sein lieber guter Freund Schmidt, 
den er nun nach langer Zeit einmal wiedersieht. Lustig knallt Milchmann Schmidt 
mit der Peitsche, um die Liese und den Hans, so heißen seine beiden Pferde, zu 
schnellerem Lauf zu ermutigen. Lustig klappern die Kannen auf seinem Wagen, die 
alle blitzen, so blank hat Frau Schmidt sie gescheuert. Ein „Prrr!“, und die Pferde 
stehen vor der Karre des Bäckers still. Der Milchmann legt Peitsche und Zügel aus 


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Über die Anwendung zweier psychologischer Methoden usw. 


127 


der Hand und springt herab vom Wagen und nun schütteln sie sich die Hände und 
.erzählen und lachen und staunen sich dann wieder an: „Ach Müller, du bist ja wohl 
noch *n bischen dicker geworden. Bald muß dir der Schneider wohl besonders weite 
Schürzen anfertigen!“ „Na Schmidt“, sagt da der Bäcker, „und du bist ja wohl noch 
dünner geworden.“ Ja, so lang wie der Schmidt war, das kannst du dir gar nicht 
vorstellen! Wenn er dem Bäcker die Hand auf die Schulter legen wollte, so mußte 
er sich ganz tief herunter beugen. Sie erkundigten sich nun beide, wo sie her kämen 
und wo sie hin wollten, was das Geschäft mache, wie’s im Hause stände und anderes 
mehr. Schließlich meinte der Bäcker, ein Wiedersehen düi ften sie doch nicht so trocken 
feiern. Darum fragte er den Milchmann: „Sag mal, Freund Schmidt, hast du schon 
jemals den Apfelwein unseres Städtchens probiert? Nicht?! Na, dann komm 
nur mit. Wir stehen ja doch gerade vor dem Wirtshaus. Bei einem Glas Wein erzählt 
es sich noch mal so gut.“ Der Milchmann ging gerne mit dem Bäcker hinein, denn 
er trank auch gerne mal ein Gläschen. Der dicke Bäcker reckte sich ein wenig. Der 
lange Milchmann bückte sich ein wenig, und dann konnten sie Arm in Arm ins Wirts¬ 
haus gehen. 

Die erste „kurze, kühle Erzählung der Handlung“ übergeht Bild 1—3, 
offenbar in dem Bestreben, nichts als die eigentliche Handlung zu bringen. 
Die zweite, als „lebendige Darstellung der Handlung im engen Anschluß 
an die Bilder 1 bis 4“ geschriebene Arbeit zeigt eine deutliche Umstellung 
in bezug auf den Rhythmus, die Sprachbehandlung und die mit guter 
Einfühlung und unverkennbarer Teilnahme ausgeführte Vertiefung in 
die einzelnen Momente der Handlung, die außerdem eine Reihe phantasie¬ 
voller Ergänzungen erfahren, bald konkreter, bald abstrakter Art. Ähnlich 
ist die dritte, auf die Bilder 6 und 7 bezügliche Arbeit, die eine „lebendige 
Darstellung der Handlung ohne engen Anschluß an die Bilder“ sein will; 
gegen die zweite deutlich gesteigert durch Einfügung größerer Phantasie¬ 
einheiten zu Beginn und in der zweiten Hälfte. Die vierte Einstellung ist 
eine pädagogische, „die Geschichte als Erzählung für eine Fünfjährige“. 
Sie ist im ganzen, nicht in allen Einzelheiten geglückt. Die dem Märchenstil 
abgesehene Einführung nach Art und Ort ist ebenso erfreulich wie die 
sprachliche Form. Die meist kürzeren, immer übersichtlichen Sätze der 
Erzählung selbst, die niedriger gehaltene Zahl schmückender Beiworte, 
mehrere mit Geschick gefundene Ergänzungen, die eingefügten Namen für 
Leute und Pferde, die auf das kleine Kind bezugnehmenden, erklärenden 
Einfügungen, die ihre eigene Anteilnahme mehrfach unmittelbar bekun¬ 
dende Erzählerin: alles deutliche Beweise einer dazu willkürlich bezeugten 
pädagogischen Beanlagung. Interessant ist, daß die fraglos intelligente 
Versuchsperson auch nach längerer Beschäftigung mit dem Bilderbogen 
von den beiden wichtigen Beobachtungseinzelheiten in keiner der vier 
Einstellungen beide nennt und das Offenbleiben der Bäckerkarre nur ein¬ 
mal (in VI b). _ 

Die psychologischen Schüleruntersuchungen zur Aufnahme 
in die Berliner Begabtenschulen. 

Von Walther Moedeund Curt Piorkowski. 

Vom Berliner Stadtschulrat, Herrn Dr. Reimann, erging die Anfrage 
an uns, ob wir in der Lage wären, auf Grund wissenschaftlicher Prüfungs¬ 
methoden eine Auslese unter den von den einzelnen Schulen Berlins 


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Walther Moede und Curt Piorkowski 


gemeldeten Zöglingen durchzuführen, damit für deren endgültige Über- ! 
Weisung auf eine höhere Schule eine exakte Grundlage vorhanden wäre. 
Ihm waren die guten Erfahrungen nicht unbekannt, die das Militär mit 
der Einführung der von uns ausgearbeiteten Prüfungsmethoden für Militär¬ 
kraftfahrer gemacht hatte, deren einheitliche Durchführung bei allen 
Kraftfahr-Ersatzabteilungen in mannigfachster Weise wesentliche Vorteile 
mit sich brachte. Wir erklärten uns sofort bereit, und unser Untersuchungs¬ 
programm sowie dessen leitende Grundsätze erhielten auch die volle 
Zustimmung der hohen Schulbehörde. 

Das Untersuchungsverfahren war durch die Art des vorliegenden 
Problemes fest vorgeschtieben. Da zunächst die volle Verantwortung des 
Psychologen für seine Auslese als selbstverständlich vorausgesetzt wurde 
und diese Verantwortung eine recht erhebliche ist, entscheidet doch der 
Befund über das Lebensschicksal der Kinder, so konnte nur eine ein¬ 
gehende, systematische Untersuchung der geistigen Fähigkeiten der Kinder 
nach einheitlichen Gesichtspunkten in Frage kommen. 

Nur die systematische Funktionsprüfung nach wissenschaftlichen Prin¬ 
zipien konnte als einheitlicher Maßstab in Betracht kommen, der es 
gestattet, unter den Kindern eine sachliche Auslese zu treffen, derart, 
daß wirklich nur die bestbeanlagten Schüler und Schülerinnen einer 
gehobenen Ausbildung überwiesen werden können. Da die Kinder von den 
mannigfachsten Schulen kamen, so konnte man eine Begabungsschätzung 
eines oder mehrerer Lehrer nicht zugrunde legen, ganz abgesehen von den 
imaginären Grundsätzen solcher Bangierung. Auch eine Statistik der 
Schulleistungen war nicht zu verwerten, da die Zensuren so ziemlich alle 
gleich gut waren. Eine Probelektion endlich durch eine bewährte Lehr¬ 
kraft würde ebenfalls vorwiegend auf die Leistungen und Kenntnisse Acht 
haben und konnte unmöglich eine hinreichend scharf abgestufte Bang¬ 
reihe der Kinder exakt ableiten lassen, für die auch der bewährteste Prak¬ 
tiker kaum eine Verantwortung zu übernehmen geneigt sein dürfte. Bliebe 
nur noch als farbloses und ganz neutrales Verfahren die Auswahl nach 
dem Los oder Alphabet. Solche Zufallsauslese aber wäre denn doch zu hart, ' 
wo gute andere Wege gangbar sind. 

Lediglich die wissenschaftliche Auslese kann sachlich einwandfrei genannt 
werden, sofern sie analytisch systematisch und exakt vorgeht. Dann 
lautet das Problem sehr einfach: Es sind eingehende Untersuchungen 
vorzunehmen, die das Bewußtsein und seine Funktionen gründlich prüfen 
und die es erlauben, die systematisch und einheitlich abgeleiteten Unter¬ 
suchungsbefunde zu einer Rangordnung zu verarbeiten. Wir mußten also 
Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Urteilsfähigkeit und andere Funktionen 
systematisch nach experimentellen, Maß und Zahl verwendenden Methoden 
untersuchen und nun auf Grund der Leistungsmaßzahlen eine mittlere 
Rangordnung berechnen, die dann besagt: In allen untersuchten Leistungen 
schnitt im Mittel Schüler A am besten, B am zweitbesten usw. und schlie߬ 
lich N am schlechtesten ab. Sind nun eine begrenzte Anzahl von Plätzen 
verfügbar, so ist es nicht schwer, sie an diejenigen Prüflinge zu verteilen, 
die laut Untersuchung die besten geistigen Fähigkeiten aufweisen. 


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Psychol. Schül eruntersuchtmgen z. Aufnahme in die Berliner Begabtenschulen 129 


Wir haben also die einzelnen Funktionen möglichst rein für sich zu 
prüfen, auf Grund der Prüfung Kangreihen aufzustellen und nun aus 
allen Rangordnungen mittlere Rangplätze für alle Schüler zu berechnen, 
wie dies nach dem anerkannten Prinzip der Auswertung nach dem arith¬ 
metischen Mittel allgemein üblich ist. 

Die analytische Auswertung der Anlage hat in großzügiger Weise 
zuerst Alfred Binet beschritten, wie leider viele seiner Nachahmer und 
Nachfahren ganz vergessen zu haben scheinen. Wir gehen bewußt über 
seine willkürliche Yierheit der intellektuellen Funktionen, der compröhen- 
sion, invention, direction, censure, die nach ihm das Wesen der Intelligenz 
ausmachen sollen, durchaus hinaus und streben eine möglichst umfassende 
Untersuchung des Bewußtseins an. Wir stützen uns dabei nicht auf eine 
willkürliche Theorie der Intelligenz oder Ansicht von dem Wesen der Be¬ 
gabung überhaupt, geschweige denn eine Meinung von dem Wesen der 
Höchstbegabung, — und wir können dies mit gutem Grunde, da wir nicht 
das Problem der Höchstbegabung lösen wollen —, sondern legen den Schwer¬ 
punkt auf intellektuelle Hauptleistungen des Bewußtseins und ihre exakte 
Auswertung. 

Zur Ergänzung der experimentellen Untersuchung der intellektuellen 
Fähigkeiten, die einzeln und der Reihe nach angeführt werden, so daß 
ein Irrtum nicht unterlaufen kann, wird die Beurteilung der moralischen 
Qualitäten der Schüler durch den Lehrer mit herbeizuziehen sein. Außer¬ 
dem konnten wir durch systematische Beobachtung der Kinder in dem 
von Herrn Direktor Dr. Hildebrand geleiteten Schülerheim in Wandt- 
litzsee bei Berlin selbst ein Urteil über das Gesamtverhalten des Schülers 
bilden, das in aller Muße gewonnen wurde. 

Unser Untersuchungsprogramm umfaßt im wesentlichen folgende Seiten: 


Untersnchungsschema analytischer und synthetischer, einfacher and 
zusammengesetzter Hauptfunktionen des Bewußtseins. 

I. Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit bei 
unmittelbarem und reproduktivem Material. 
Dauerspannung. 

Ablenkbarkeit und Mehrfachhandlung. 

Ermüdbarkeit. 

II. Gedächtnis. 

A. Zuführung neuen Gedächtnismaterials. 

a) Gedächtnis für sinnlose Stoffe bei verschiedener Art der 
Darbietung und verschiedenen Abnahmezeiten. 

b) Gedächtnis für sinnvolles Material bei gleichen Gesichts¬ 
punkten. 

B. Bestand der vorhandenen Dispositionen, seine Bereitschaft und 
Abwicklung. 

III. Kombination. 

A. Anschauliche Kombination. 

Zeitschrift f. pttdagog. Psychologie. 9 


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Walther Moede und Curt Piorkowski 


B. Intellektuelle Kombination. 

a) gebundene K.: Ergänzen von Textlücken. 

b) freie K.: Finden aller möglichen sinnvollen Beziehungen 
zwischen drei gegebenen Begriffen. 

IV. Begriffsbereich. 

A. Bestand an vorhandenen Begriffen und seine Flüssigkeit, 

B. Stiftung neuer begrifflicher Beziehungen. 

a) Heraussuchen des Wesentlichen unter gegebenen Elementen. 

b) Finden des Gemeinsamen zwischen mehreren Gegebenheiten. 

c) Erfassen funktionaler Beziehungen zwischen mehreren Merk¬ 
malsreihen. 

V. Urteilsfähigkeit. 

A. Allgemeine Beurteilungen auf Grund 

a) sachlicher Wertung der Umstände, 

b) seelischer Einfühlung, 

c) sachlich-psychologischer Wertung des Tatbestandes. 

B. Beurteilung von Sonderfällen. 

a) Erfassen des Wahrscheinlichsten bei gegebenen Umständen. 

b) Auffinden des Zweckmäßigsten in einer gegebenen Situation. 

VI. Anschauung und Beobachtungsfähigkeit. 

A. Anschauungsfähigkeit im Wirklichkeitsversuch und bei sprach¬ 
licher Darbietung. 

B. Beobachtungsschärfe und Ergiebigkeit bei kategorischer Ein¬ 
stellung. 

a) Aussagen über Dinge und Merkmale im Bildversuch. 

b) Erfassen von Relationen in der Wahrnehmung bei Analysen 
und Synthesen. 

Die Durchführung des Programms erforderte erhebliche Zeit, verhieß 
aber sehr bald, zu einem befriedigenden Ziele zu führen. Die Sitzungen 
wurden an je drei Nachmittagen von 4 bis 7*4 durchgeführt, wobei nur 
kleine Pausen eingestreut wurden. Den Vorsitz bei den Prüfungen führten 
Herr Stadtschulrat Dr. Reimann und Gymnasialdirektor Gihlow vom Köll- 
nischen Gymnasium, in dessen Räumen auch die Untersuchung stattfand. 
Es hatten sich erfreulicherweise, aber auch leider, eine recht ansehnliche 
Anzahl von Zuschauern bei der ersten Sitzung eingestellt, die aber, wie be¬ 
sondere Kontrollversuche ergaben, die Abnahme wenig beeinträchtigt haben. 

Die Auswertung der einzelnen Leistungen zum Zwecke der Ableitung 
von Rangordnungen mußte hinreichend scharf sein, um die teilweise 
recht einschneidende Auslese objektiv durchführen zu können; galt es 
doch z. B. von den gemeldeten 180 Mädchen nur 60 für die vorhandenen 
Plätze auszuwählen. 

Die Bewertung selbst war quantitativ und qualitativ. Ihre Gesichts¬ 
punkte wurden unmittelbar aus dem erhaltenen Material heraus gewonnen. 
Die einzelnen auf Grund der quantitativen Bestimmung erhaltenen Rang- 


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Psychol. Schüleruntereuchungen z. Aufnahme in die Berliner Begabtenschulen X31 


reihen in den einzelnen Leistungen wurden zu einer mittleren Rang¬ 
ordnung verarbeitet und danach die Scheidung durchgeführt. Eine (Jewichts¬ 
skala für die einzelnen Punktionen wurde nicht eingeführt, etwa um 
die Ergebnisse einer schon vorher gebildeten Intelligenztheorie anzupassen, 
sondern an dem Grundgedanken der gesamten Untersuchung festgehalten, 
mittlere Leistungsmaßzahlen auf den angeführten Seiten des Bewußt¬ 
seins zu erhalten, die der endgültigen Rangreihe zugrunde gelegt wurden. 
Nur so kann bei dem heutigen Stande des experimentellen Wissens eine 
gerechte und objektive Untersuchung durchgeführt werden. 

Die Eichung der Untersuchungsmethoden erübrigte sich daher von 
selbst. Nur insofern waren Vorversuche nötig, als man sich darüber ver¬ 
gewissern mußte, daß hinreichend abgestufte Lösungen erhalten werden 
konnten, daß also mit anderen Worten die geforderten Leistungen nicht 
zu leicht und nicht zu schwer waren. Diese Hauptprobe haben unsere 
Methoden, auch die sogenannten stummen Prüfungsverfahren, trefflich 
bestanden. Den beliebten Zirkel einer transzendenten, nicht immanenten 
Eichung der Methoden ebenfalls zu begehen, lag für uns gar kein Anlaß 
vor. Mit welchem Rechtsgrunde sollten wir erst eine imaginäre Rangierung 
der Begabung durch Schätzung einführen, da der Erfahrung nach angeb* 
bare und auf zählbare, einheitliche und vergleichbare Maßstäbe für die 
Schätzung des Praktikers nicht gegeben sind, wo unser Problem dies gar 
nicht erforderte, und warum sollten wir erst auf eine unsichere Reihe 
hin Methodenauswahl und Gewichtsskala der Auswertung zum Zwecke 
einer erstrebten Übereinstimmung vornehmen ? Da die geprüften Leistun¬ 
gen des Bewußtseins angegeben sind und diese Seiten für die Beurteilung 
der intellektuellen Fähigkeiten allein in Betracht gezogen wurden, kann 
ein Irrtum in der Rechnung nicht enthalten sein. 

Der analytische Grundgedanke bei gleicher Wertigkeit der untersuchten 
Funktionen wurde somit rein durchgeführt. 

Eine Nachkontrolle des Untersuchungssystems durch Rektor Schmidt von 
der 65. Gemeindeschule ergab den Korrelationskoeffizienten q = + 0,91 
zwischen Lehrerschätzung der Oberklasse und experimentellem Befunde 
nach unserem System. Der wahrscheinliche Fehler betrug wFj = ± 0,021 
und kann vernachlässigt werden. 

. Die Untersuchung wurde in Gruppenprüfung durchgeführt. Diese ist 
zwar nicht das Ideal einer Untersuchung überhaupt, war aber durch die 
gegebenen Umstände durchaus gefordert. Gewiß wird, wie uns eingehende 
Erfahrungen und experimentelle Studien über Gruppenpsychologie gelehrt 
haben, durch die Gruppe auch bei den an Klassenarbeit gewöhnten Schülern 
neben Anregung auch Hemmung der intellektuellen Betätigung bewirkt, 
aber diese Umstände mußten hingenommen werden und werden hingenom¬ 
men werden müssen, solange es keine hauptamtlichen Schulpsychologen 
gibt, die hinreichend Zeit haben, die gründlichen Untersuchungen und 
Berechnungen, ganz abgesehen von der Aufstellung neuer Methoden, haupt¬ 
amtlich durchzuführen. Irgendeine Aufteilung des Programmes an eine 
größere Anzahl von psychologisch interessierten Versuchsleitern, die zu 
diesem Zwecke besonders zu instruieren wären, schien uns vor der Hand 

9 * 


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W. Moede u. C. Piorkowski. PsychoL Schüleruntersuchungen usw. 


keinesfalls ratsam, da dann die Vergleichbarkeit der Befunde sowie die 
Frage der Verantwortung für das Ergebnis erheblichen Schwierigkeiten 
begegnet. Schon die Berechnung an eine Kommission aufzuteilen, schien 
uns nicht ratsam. 

Zum andern aber bot die Gruppenuntersuchung auch erhebliche sach¬ 
liche Vorteile. Wir konnten bei einiger Vorsicht erreichen, daß die einzelnen 
Schüler nicht miteinander in Verbindung traten und die Lösungen der Auf¬ 
gaben kannten, noch ehe sie gestellt waren. Dies aber wäre bei Einzel¬ 
untersuchung bei den gegenwärtig gegebenen Umständen nicht zu ver¬ 
meiden gewesen. Freilich kann der Schulpsychologe, der jahrelange Er¬ 
fahrung hinter sich hat, auch dann noch Bat schaffen, falls der Sachverhalt 
es erfordert und er zu einem reinlichen Ziele kommen will. 

Unsere Ergebnisse lehren, daß der von uns eingeschlagene Weg durchaus 
fruchtbar ist. Im allgemeinen fanden wir treffliche intellektuelle Leistun¬ 
gen, konnten aber trotzdem den beträchtlichen Abstand feststellen, der 
den entwickelten normalen vom jugendlichen, gut beanlagten Intellekt 
trennt. Überschauen wir den eingehenden Befund der analytischen und 
systematischen Untersuchung, so kann es dem Fachpsychologen nicht 
schwer fallen, die Verantwortung für sein Urteil zu übernehmen, das auf 
guter wissenschaftlicher Grundlage abgeleitet wird 1 ). 


1 ) Inzwischen ist eine ausführliche Darstellung in Buchform erschienen: Moede- 
Piorkowski-Wolff: Die Berliner Begabtenschulen, ihre Organisation und die experi¬ 
mentellen Methoden der Schülerauswahl. Herrn. Beyer u. Söhne. Langensalza 1918. 

Literatur. 

Binet: Lea idöes modernes sur les enfants. Paris 1913. 

Meumann: Abriß der experimentellen Pädagogik. Leipzig 1913. 

Moede: Untersuchung und Übung der Gehirngeschädigten nach experimentellen 
Methoden. Langensalza 1917, Beyer und Söhne. 

— Die Massen- und Sozialpsychologie im kritischen Überblick. Zeitschrift für päda¬ 
gogische Psychologie. 

— Der Wetteifer, seine Struktur und sein Ausmaß. Zeitschrift für pädagogische 
Psychologie. 

Piorkowski: Beiträge zur Methodologie der wirtschaftlichen Berufseignung. 
Leipzig 1915, Barth. 

— Untersuchungen über die Kombinationsfähigkeit bei Schulkindern. Leipzig» 
Pädagogisch-psychologische Arbeiten des Lehrervereins, Bd. 4. 

Stern: Die Intelligenzprüfung. 2. Auflage. Leipzig 1916, Barth. 


Die Methode der Auslese befähigterVolksschüler in Hamburg. 

Von William Stern. 

r 1. Grundsätze der Auslese. II. Der Beobachtungsbogen. III. Liste der Tests. 

I. Grundsfitze der Auslese. 

Der Hamburgische Staat hat soeben eine Ausgestaltung seines Schul¬ 
wesens beschlossen, die auf die pädagogische Reformbewegung in Gesamt¬ 
deutschland eine starke Rückwirkung ausüben dürfte: Die Einführung 


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William Stern, Die Methode der Aaslese befähigter Volksschüler in Hamburg 133 


von Volksschulen mit neun Schuljahren. Diese sind fUr Kinder 
bestimmt, die eine über die Ziele der achtstufigen Volksschule hinaus¬ 
führende Bildung erwerben sollen und für ihren späteren Beruf die 
Kenntnis fremder Verkehrssprachen nötig haben. Sie sollen zwar 
keineswegs alle begabten Kinder den achtstufigen Schulen entziehen, 
doch muß ein Kind, um in den neunstufigen Zug übergehen zu können, 
sich bis dahin in der Schule bewährt haben und in sprachlich-logischer 
Hinsicht gut befähigt sein. 

Ostern 1918 sollen bereits die Anfänge dieser Reform ins Leben treten. 
Sowohl diese pädagogischen Maßnahmen selbst wie das zu ihrer Ver¬ 
wirklichung eingeleitete Verfahren der Auslese, mit dem wir soeben be¬ 
schäftigt sind, unterscheiden sich in wesentlichen Punkten von der 
Berliner Veranstaltung. 

In Hamburg verbleibt die ganze Förderung der Begabten zunächst 
noch ganz innerhalb des Rahmens der Volksschule, gewinnt aber hier 
ein weit größeres Ausmaß als irgend wo anders. Nach dem vierten Schul¬ 
jahr wird die Volksschule gegabelt in einen deutschen Zug (D-Zug), der 
weitere vier Jahre umfaßt, und einen für die oben bezeichneten Schüler 
bestimmten Zug, der zwei Fremdsprachen treibt, fünf Jahre umfaßt und 
in seinen Lehrzielen ungefähr der preußischen Mittelschule entsprechen 
soll (Fremdsprach-Zug oder F-Zug). Für das hier hinzukommende neunte 
Schuljahr sind im Bedürfnisfalle Unterrichtsbeihilfen vorgesehen. Die 
Möglichkeit eines Überganges von dem F-Zug zur Realschule, eventuell 
auch zur Oberrealschule und zum Studium, ist durch Übergangsklassen 
gegeben. Durch diese Maßnahme ist die Gefahr einer durchgängigen 
Akademisierung der Begabten vermieden 1 ); denn die weitaus meisten 
von ihnen werden nach Absolvierung des F-Zuges in den Beruf ein- 
treten; für diesen sind sie gründlicher vorgebildet als die Schüler des 
Normalzuges. 

Es sollen nun zu Ostern dieses Jahres 22 Anfangsklassen des F-Zuges 
geschaffen werden, vierzehn Knaben- und acht Mädchenklassen. Da 
die Klasse 45 Schüler enthalten soll, gilt es, aus den Kindern des 
vierten Schuljahres, also den zehnjährigen — es gibt deren in Ham¬ 
burg ungefähr 20000 — 990 gut befähigte auszulesen. Erfreulicher¬ 
weise war der Leiter des Hamburgischen Volksschulwesens Schulrat 
Umlauf (bekannt als Vorsitzender des Deutschen Bundes für Erziehung 
und Unterricht) sofort davon überzeugt, daß eine so umfassende päda¬ 
gogische Aufgabe der Mitwirkung der Psychologie bedürfe; und gern 
hat das Psychologische Seminar in Hamburg die Aufgabe übernommen, 
die Grundsätze dieser Mitwirkung auszuarbeiten und ihre Anwendung vor¬ 
zubereiten. Schneller als ich es zu hoffen wagte, konnte so eine wich¬ 
tige Forderung meiner vor l‘/j Jahren erschienenen Programmschrift 2 ) 
verwirklicht werden. Dabei ergibt sich von selbst eine organisatorische 
Verbindung zwischen der Schule und dem psychologischen Institut, 
sodaß sich auch hier die Kulturnotwendigkeiten des Tages als stärker 


1) Vgl. hierzu meine Programmschrift: Jugendkunde als Kulturforderang. Zeitschrift f. päd. 
Psychol. XVn. S. 289. Sonderausgabe S. 39/40. 

Z) A. a. O. S. 293. Sonderausgabe S. 48. ff. 


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William Stern 


erweisen denn alle theoretischen Prinzipienstreitereien. 1 ) Während 
in Berlin vorläufig noch Psychologen, die außerhalb des Schul¬ 
dienstes stehen, von Fall zu Fall filr die Begabtenauslese zugezogen 
werden — ein Verfahren, das nur als Provisorium haltbar ist — wurde 
in Hamburg ein psychologisch gründlich geschulter Volksschullehrer, Herr 
R. Peter, der ein langjähriger Mitarbeiter des Psychologischen Seminars 
ist, von der Schulbehörde an das Seminar bis auf weiteres beurlaubt, 
um seine Zeit und Kraft ganz in den Dienst der neuen schulpsycholo¬ 
gischen Aufgaben, insbesondere der Begabtenauslese, zu stellen. Natürlich 
wirken auch noch andere Lehrer und Lehrerinnen, welche Mitglieder 
des psychologischen Seminars sind, an der umfassenden und so schnell 
zu erledigenden Arbeit mit. Die ganze Organisation des Auslese- und 
Aufnahmeverfahrens liegt in der Hand eines Ausschusses, dem der Schul¬ 
rat, Schulinspektoren, einige Rektoren, Lehrer und Lehrerinnen sowie 
Psychologen angehören. 

Die psychologische Mitarbeit an der Begabtenauslese hatte ich schon 
früher folgendermaßen abzustecken versucht: „Sie hat die psychogra- 
phische Beobachtung des einzelnen Zöglings zu regeln durch Beob¬ 
achtungsanweisungen; sie muß eine von der Beobachtung unabhängige 
exakte Fähigkeitsprüfung durch experimentelle Hilfsmittel („Tests“) 
schaffen“. 2 ) Diesem Plane gemäß wird in Hamburg (ebenso auch in 
Breslau) verfahren, während man in Berlin allein die Testprüfung aus¬ 
schlaggebend sein ließ. 

Ich sehe in dieser Beschränkung auf die Experimentaluntersuchung 
den Hauptmangel des Berliner Ausleseverfahrens (das im übrigen — 
namentlich mit Rücksicht darauf, daß es den ersten Schritt auf ganz 
neuen Wegen darstellt — viel Gutes enthält und allen Nachfolgern wert¬ 
volle Anregungen gibt). 3 ) Die Schwereder Verantwortung bei der Begabten¬ 
auslese ist eine außerordentlich große, sowohl den Individuen gegen¬ 
über, deren ganzes Lebensschicksal durch die Zuweisung zu einer 
Begabtenklasse eine neue, in ihren Folgen nicht zu übersehende Wendung 
erhält, wie der Gesamtheit gegenüber, deren zukünftige Wohlfahrt davon 
abhängt, daß die wirklich Tüchtigen zu einer möglichsten Entfaltung 
ihrer Anlagen gelangen. Diese Schwere der Verantwortung hat gewiß 
zur Folge v daß man dem Lehrer allein nicht die endgültige Bestimmung 
anheim stellen kann, welcher Schüler seiner Klasse in die Begabten¬ 
klasse gehöre; aber ebensowenig sollte der Psychologe allein seiner 
Prüfungsmethode, mag sie noch so exakt sein, die schwere Entscheidung 
aufbürden. Prüfungen sind niemals ganz frei zu machen von den 
Imponderabilien des Augenblicks, von Indisposition, Examensangst und 
Ähnlichem; und wie deshalb auch anderwärts, z. B. beim Abiturium, 
neben dem bloßen Prüfungsausfall die sonst bekannte Leistungsfähig¬ 
keit des Prüflings mit in Betracht gezogen werden soll, so auch hier. 

Eine weitere Schwäche des nur-experimentellen Verfahrens scheint 
mir der Berliner Bericht zu verraten: es 1 ist zu einseitig rechnerisch- 

1) A. &. O. S. 303. Sonderausgabe S. 69. 

3) A. a. 0. S. 294. Sonderausgabe S. 60. 

8) In Zukunft sollen nun auch in Berlin außer den Testprüfungen Beobachtungsbogen ver¬ 
wandt werden. Vgl. die Mitteilung von Rebhuhn am Schluß des Heftes. 


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Die Methode der Auslese befähigter Volkssehüler in Hamburg 


136 


mechanisch. Jeder Schüler erhielt dort für jeden von ihm erledigten 
Test eine Wertziffer; aus der Gesamtheit dieser Wertziffern wurde ein 
Totalwert für den Schüler errechnet, und nach diesen Totalwerten wurden 
sie in eine Rangordnung gebracht Die 60 ersten dieser Rangordnung 
wurden dem Gymnasium überwiesen, die übrigen waren von der Begabten* 
förderung ausgeschlossen. Der Zifferunterschied zwischen dem 60. und 
61. der Reihe mag vielleicht ein ganz unbedeutender sein, aber das 
starre Prinzip der Rechnung verlangte, daß ihre Lebenswege eine ganz 
verschiedene Richtung erhielten. Man wird also wohl verlangen müssen, 
daß zum mindesten an der unteren Grenze der Auszuwählenden ein 
breiteres Gebiet der zweifelhaften Fälle anerkannt werde und 
daß bei diesen zweifelhaften die Entscheidung erst unter Hinzuziehung 
aller zugänglichen Hilfsmittel, vor allem der Lehrerbeobachtung 
gefällt wird. Es ist die wahrere Exaktheit, wenn man sich hier nicht 
allein auf den mathematischen Ziffemwert verläßt, sondern individua¬ 
lisiert und qualitative Analyse treibt. 

Ein weiterer Gesichtspunkt kommt hinzu. Die Lehrerschaft hat das 
Recht, zu verlangen, daß ihre langjährige und vielseitige Kenntnis der 
Kinder mit verwertet werde. Dies geschieht ja freilich schon in hohem 
Maße dadurch, daß sie die Vorauslese zu treffen hat; sie muß die Kinder 
präsentieren, unter denen dann die endgültige Auswahl zu treffen ist; 
Kinder, die sie nicht vorschlägt, kommen erst gar nicht in die engere Wahl. 
Aber bei dem Argwohn, mit dem die Praktiker unsere Tätigkeit als Ein¬ 
griff in ihre Gerechtsame zu betrachten geneigt sind, muß auch der Schein 
vermieden werden, als ob der Psychologe sich an die Stelle des Päda¬ 
gogen setzen wolle. Und deshalb soll auch bei jener engeren Wahl 
neben dem Testausfall die Fülle der Beobachtungen mitsprechen, die 
der Lehrer früher über den Schüler hat sammeln können. 


Unter Berücksichtigung dieser methodischen Gesichtspunkte und zu¬ 
gleich der praktischen Schwierigkeiten, die durch die große Zahl der 
Auszulesenden (fast 1000) bedingt sind, sind wir zu dem folgenden 
Ausleseverfahren gekommen, das in eine Vorauslese durch die 
Lehrerschaft und eine Nachauslese durch eine Aufnahmekommission 
zerfällt. 

Die Auslese hat aus den Kindern der vierten Volksschulklasse (viertes 
Schuljahr) zu geschehen. Um die neu zu schaffenden Klassen des F- 
Zuges genau zu füllen, würden aus jeder vierten Knabenklasse vier, 
aus jeder Mädchenklasse zwei auszuwählen sein. Da aber die Begabungen 
auf die Schulen nicht gleichmäßig verteilt sind, und damit zugleich für 
die endgültige Auslese ein Spielraum gegeben ist, wurden die Lehrer 
aufgefordert, aus einer Knabenklasse „bis zu sechs“, aus einer Mädchen¬ 
klasse „bis zu drei Kindern“ vorzuschlagen („Vorauslese“). Die Schüler, 
welche in erster Linie empfohlen werden, sind durch Unterstreichung 
zu kennzeichnen. Natürlich muß die Zustimmung der Eltern zu dem 
Übergang in den F-Zug mit seiner um ein Jahr verlängerten Schulzeit 
eingeholt werden. 

Zum Vorschlag kamen ungefähr 1400 Schüler und Schülerinnen, aus 
denen die Nachauslese die schwächsten 30% auszuscheiden hat. Die 


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William Stern 


Lehrer erhielten für jedes der von ihnen vorzuschlagenden Kinder 
einen psychologischen Beobachtungsbogen. Der Bogen ist 
in unserem Seminar unter meiner Leitung und mit Berücksichtigung 
früherer Versuche ähnlicher Art ausgearbeitet worden; den Haupt¬ 
anteil an der Arbeit hat die Lehrerin Fräulein Martha Muchow. 
Er enthält, neben einigen Fragen nach häuslichen Verhältnissen und 
Schulleistungen, Fragen nach psychischen Eigenschaften des Kindes, 
und zwar nur nach solchen, die für einen etwaigen Eintritt in eine Schule 
mit erhöhten Anforderungen von Bedeutung sind. Die psychologischen 
Fragen beziehen sich auf folgende Hauptgebiete: Anpassungsfähigkeit, 
Aufmerksamkeit, Ermüdbarkeit, Wahrnehmungs- und Beobachtungs¬ 
fähigkeit, Gedächtnis, Phantasie, Denken, Sprache, Arbeitsart, Gemüts¬ 
und Willensleben, besondere Interessen und Talente. Der Lehrer soll 
nicht etwa den ganzen Bogen ausfüllen, sondern nur diejenigen Punkte 
beantworten, über welche ihm eindeutige und sichere Beobachtungen 
vorliegen. Zur Erleichterung seiner Arbeit sind die möglichen Antworten, 
sowie die Hauptgelegenheiten zur Beobachtung der betreffenden Eigen¬ 
schaften hinzugefügt. 

Vor Ausgabe der Bogen wurden die beteiligten Lehrer und Rektoren 
zu einer Versammlung einberufen, in der sie genau über die Gesichts¬ 
punkte der Auslese, sowie über den Zweck und die Benutzung des 
Bogens orientiert wurden. Für die Ausfüllung der Bogen stand diesmal 
leider nur die knappe Zeit von vier Wochen zur Verfügung. (In späteren 
Jahren ist eine bedeutend längere Beobachtungszeit vorgesehen). 

Nun folgte die Testprüfung, die bei der großen Zahl von Prüflingen 
besondere technische Schwierigkeiten bot. Zu meinem Bedauern mußte 
auf Einzelprüfungen gänzlich verzichtet werden; damit fiel auch die 
Möglichkeit für die Benutzung der sogen, stummen Tests fort (In 
einer gewissen Modifikation ist einer von diesen, die Ordnung von 
Begriffsreihen, auch im Gruppenversuch zu benutzen). Immerhin ließ 
sich mit Hilfe der im Anfangsaufsatz dieses Heftes beschriebenen Tests 
eine Prüfungsordnung zusammenstellen, die mannigfach genug ist, um 
von der Fähigkeit der Prüflinge ein vielseitiges Bild zu geben. Daß unsere 
Tests grade die sprachlich-logischen Fähigkeiten bevorzugen, ist für die 
Hamburger Auslese angemessen, da der F-Zug sich vornehmlich durch 
den Betrieb der Fremdsprachen von dem Normalzug unterscheidet. Die 
Prüfung dauerte etwa vier Stunden, die auf zwei aufeinander folgende 
Vormittage verteilt waren. Die Hauptschwierigkeit bestand darin, daß 
sämtliche etwa 1400 Prüflinge gleichzeitig geprüft werden mußten, 
damit keine Weitererzählung über die erhaltenen Aufgaben von einem 
zum andern stattfinden konnte. Deshalb wurden 60 Gruppen von je 
20—25 Prüflingen gebildet; die hierzu nötigen 60Prüfer und Prüferinnen, 
die sich aus der Lehrerschaft zur Verfügung stellten, erhielten vorher 
eine gedruckte Instruktion, in der jedes Wort, jede Weisung, jede Einzel¬ 
handlung jede Zeitdauer vorgeschrieben war; diese wurde mit ihnen 
Punkt für Punkt durchgesprochen, ihre bedingungslose Befolgung aufs 
eindringlichste eingeschärft. 

Die 60 Gruppenprüfungen wurden in 11 Schulgebäuden abgehalten, 
in denen sonst kein Unterricht stattfand. In jeder Schule fungierte 

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Die Methode der Auslese befähigter Volksschüler in Hamburg 137 


ein genau informierter Mitarbeiter des psychologischen Seminars als 
Prüfungsleiter. Das Verfahren konnte ohne Störungen durchgeführt 
werden; auch darf man nach den getroffenen Vorkehrungen annehmen, 
daß die Prüfungsbedingungen für sämtliche Prüflinge in hohem Maße 
gleichartig und gleichwertig waren — trotz der Vielköpfigkeit des 
Prüferkollegiums. 

Nicht minder schwer ist die nun folgende Aufgabe der Bearbeitung, 
die binnen wenigen Wochen völlig abgeschlossen sein muß. Es müssen 
einerseits die Beobachtungsbogen ausgezogen, andererseits die 8 x 1400 
Testleistungen korrigiert und beziffert, die Prädikate für jeden Schüler ver¬ 
einigt werden. Auch hierfür stellten sich zahlreiche Helfer zur Verfügung, 
die in 8 Arbeitsgruppen unter psychologisch geschulter Leitung tätig sind. 

Nunmehr tritt eine engere Aufnahmekommission (4 Pädagogen und 
der Referent) in Tätigkeit. Sie hat auf Grund des gesamten, für 
jeden Schüler vorliegen den Materials, nämlich des Zeugnisbogens, 
des Beobachtungsbogens, des Testausfalls und der etwaigen (durch Unter¬ 
streichung gekennzeichneten) besonderen Empfehlung zu entscheiden, ob 
er in den F-Zug aufgenommen wird oder nicht. Dies Urteil wird für die 
große Mehrheit der Fälle sehr schnell gegeben werden können, nämlich 
dort, wo die genannten Wertungen gleich günstig lauten, oder wo sie 
alle oder mehrere von ihnen weniger günstig sind. Jene sind aufzu¬ 
nehmen, diese auszuscheiden. Der Rest aber muß einer mehr indi¬ 
vidualisierenden Behandlung unterworfen werden; es wird im ein¬ 
zelnen zu prüfen sein, worauf etwa der ungünstige Ausfall, z. B. der 
Tests beruhe, oder wodurch die geringeren Ziffern der Zeugnisse be¬ 
dingt seien, da doch die anderen Instanzen für den Schüler sprechen. 
In Ausnahmefällen wird auch noch eine persönliche Äußerung des 
Lehrers, oder eine nochmalige Prüfung des Schülers herbeizuführen sein. 

Auch die» Verfahren wird nicht vor Irrtümern und gelegentlichen Mi߬ 
griffen schützen; aber es ist immerhin das beste, das zur Zeit empfohlen 
werden kann. Und es wird umso besser werden, je mehr die Lehrer¬ 
schaft sich darauf einstellt, daß schon bei der Vorauslese nicht der bloße 
äußere Leistungseffekt, sondern die wirkliche Fähigkeit dei intellektuellen 
und Willenssphäre in Betracht kommt, je mehr sie ferner geschult wird, 
den Beobachtungsbogen zu benutzen, und je mehr die anzuwendenden 
Testmethoden durchgearbeitet und dem besonderen Zweck angepaßt 
sein werden. 

Ausführlichere Berichte sowohl über den Beobachtungsbogen und seine 
Anwendung, wie über die Ergebnisse der Testprüfung werden später 
erfolgen; zur Zeit müssen wir uns damit begnügen, den Wortlaut des 
Bogens und das Verzeichnis der Tests wiederzugeben. Bei Wieder¬ 
holung der Auslese in künftigen Jahren wird der Beobachtungsbogen 
vermutlich auf Grund der diesmaligen Erfahrungen einige Änderungen 
erfahren. Die experimentelle Prüfung muß selbstverständlich in jedem 
Jahr mit ganz andersartigen Tests arbeiten, damit keine Einübung 
möglich ist 

Daß das gewonnene Material, auch abgesehen von seiner praktischen 
Bedeutung, einen großen Wert für die jugendkundliche Forschung ge¬ 
winnen kann , sei doch zum Schluß noch hervorgehoben. 


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138 


William Stern 


II. Der Beobachtungsbogen 

für die Auslese befähigter Hamburger Volksschüler des vierten Schuljahres. 

Vorbemerkung. Der Beobachtungsbogen ist im psychologischen Laboratorium zu Hamburg unter 
meiner Leitung und unter Mitwirkung anderer Seminarmitglieder von der Lehrerin Frl. Martha 
Muchow ausgearbeitet worden. 

Erleichtert ist die Ausfüllung des Bogens durch zwei methodische Hilfsmittel: 

1. Allen Fragen ist eine Reihe möglicher Antworten beigegeben, doch stets in genügend 
großer Mannigfaltigkeit, um Suggestionswirkung auszuschließen. 2. Es sind die Gelegenheiten 
genannt, bei denen der Lehrer Beobachtungen über die erfragten Eigenschaften machen kann. 

Näheres über die Anwendung des Bogens, der in seiner Urform auf Folio reichlichen 
Schreibraum aufweist, enthält der vorangehende Bericht Die „Erläuterungen“ wurden den Lehrern 
zusammen mit dem Bogen eingehändigt. 

Erläuterungen. 

1. Für die Ausfüllung genügen die in der Klammer angegebenen möglichen Antworten oder 
ähnliche. Die Mitteilung weitergehender, detaillierter Beobachtungen und konkreter Belege 
für die einzelnen Urteile in der Abteilung „Bemerkungen“ unter Verweis auf die Ziffern 
des Schemas ist sehr erwünscht, aber nicht unbedingt erforderlich. 

2. Es sind nur die Fragen zu beantworten, für die eindeutige Beobachtungen vorliegen. Im 
Zweifelsfalle verzichte man auf die Angaben oder füge ein Fragezeichen bet 

3. Die Grad urteile sind möglichst im Vergleich mit den Altersgenossen festzulegen. 

4. Die Aufzeichnungen dürfen nicht nach einer einmaligen Beobachtung gemacht werden. 
Sie müssen sich vielmehr gründen 

1. auf schon früher wiederholt gemachte Beobachtungen, über die sichere Er¬ 
innerungen vorliegen; 

2. auf neue wiederholte Beobachtungen, die während der noch zur Verfügung 
stehenden Zeit gesammelt werden. 

6. Es ist nicht erwünscht, daß zur Feststellung der erfragten Eigenschaften besondere Proben 
oder Experimente veranstaltet werden. In den Beobachtungsbogen sollen nur Aufzeichnungen 
über das natürliche und spontane Verhalten des Kindes aufgenommen werden. 

6. Die Eintragungen sind in der Regel vom Klassenlehrer zu machen. 

7. Die hinter den Fragen angegebenen möglichen Antworten und die in Spalte 2 aufgeführten 
Beobachtungsmöglichkeiten sind als Beispiele aufzufassen. Sie machen keinen Anspruch 
auf Vollständigkeit. 

8. Es sei noch besonders darauf hingewiesen, 1. daß für die Zwecke des Beobachtungsbogens 
die Angabe jeder, auch scheinbar unwesentlichen Beobachtung (z. B. über Spielereien in der 
Stunde und ähnl.) von Bedeutung ist; 2. daß auch negative, absprechende Urteile über den 
Schüler positiven Wert haben können, also deshalb nicht umgangen werden dürfen (s. B. 
unregelmäßige Schwankungen des Arbeitstempos und der Qualität — IV. 9 b —: die Angabe 
könnte mangelhafte Prüfungsergebnisse erklären). Außerdem bedeuten negative Eigenschaften 
keineswegs immer einen Mangel (z. B. IV. 9a: Langsamkeit des Arbeitstempos, wenn es durch 
eingehende Vertiefung bedingt ist; oder IV. 10 a: Gleichgültigkeit, wenn der Grund zu geringe 
Inanspruchnahme der Kräfte, zu große Leichtigkeit der Aufgaben ist; u. a.) 

9. Die Kinder, die der Schule besonders geeignet erscheinen, in den F-Zug aufgenommen 
zu werden, sind durch Unterstreichung des Namens zu kennzeichnen. 

10. Für weitere mündliche Auskünfte finden im Psychologischen Seminar, Domstraße 8, Sprech¬ 
stunden statt, und zwar an jedem Mittwoch von 5—6 Uhr. 

Beobachtungsbogen. 

I. Name des Kindes; Geburtsjahr und -tag: 

H. Das Elternhaus: 

Beruf des Vaters? 

Werden die Schulleistungen des Kindes durch die häuslichen Verhältnisse gefördert oder 
gehemmt? (Gewerbliche Arbeit der Mutter, des Kindes u. a.) 

111. Leistungen: 

Hat das Kind in allen Fächern gleichmäßig gute Leistungen aufzuweisen oder nur in 
einzelnen? 

Welche sind das? 


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Die Methode der Auslese befähigter Volksschüler in Hamburg 


Bestehen auf bestimmten Leistungsgebieten Schwächen? 

Welche Gebiete sind das? 

Sind die hohen Leistungen vorwiegend ein Ergebnis seines Fleißes oder hoher Allgemein- 
begabung bezw. Sonderbegabung für die betreffenden Fächer, oder sind Fleiß und Be¬ 
gabung einigermaßen gleichmäßig daran beteiligt? 

IV. Beobachtungen Aber die seelische Eigenart des Kindes: 


Frage 


Gelegenheiten 
zur Beobachtung 


1. Anpassungsfähigkeit: 

Findet das Kind sich langsam oder schnell in neue Lehrstoffe 
und Aufgaben, neue Lehrer und neue Lehrweisen, neue 
Situationen und neue Einrichtungen? (Schnell; weder auf¬ 
fallend schnell noch auffallend langsam; langsam, weil vor¬ 
sichtig ; langsam, weil schwerfällig; auffallend langsam; u. a.) 

2. Aufmerksamkeit: 

a) Ist die Aufmerksamkeit des Kindes leicht erregbar? (Sehr 
leicht; X bemerkt jede Veränderung in seiner Umgebung; 
bemerkt alles Hervorragende und Ungewöhnliche; X ist 
unfähig, dgl. zu bemerken: Übersieht und überhört leicht 

etwas; u. a.) 

b) Ist das Kind imstande, seine Aufmerksamkeit längere Zeit 
intensiv auf denselben Gegenstaud zu richten, oder ist es 
leicht ablenkbar? (X hat in hohem Maße die Fähigkeit, 
seine Aufmerksamkeit zu konzentrieren; muß, wenn es 
sich in etwas vertieft hat, mehrfach beim Namen gerufen 
oder angestoßen werden, ehe es abgelenkt wird; X wird 
durch das geringste Geräusch oder Unbehagen gestört: u. a.) 

c) Wie ist die Aufmerksamkeit des Kindes beim Unterricht 
zu beurteilen? (Folgt dem Unterricht mit gespannter, tätiger 
Aufmerksamkeit; passiv; wechselnd; gleichmäßig usw.) 

Ist sie für alle Fächer gleichmäßig? 

3. Ermüdbarkeit: 

a) Ermüdet das Kind leicht? (Ja; zuweilen; bei Hitze; bei 
längerem Schreiben; beim Kopfrechnen; beim Turnen; nein.) 


b) Äußert sich die Ermüdung in einer Verschlechterung oder 
Verlangsamung der Arbeit? (X arbeitet schlechter; lang¬ 
samer; langsamer und schlechter.) 
c) Erholt sich das Kind schnell oder langsam? (Schnell; nicht 
auffallend schnell oder langsam; langsam.) 

4. Wahrnehmung und Beobachtungsfähigkeit: 

a) Hat das Kind in seiner Umwelt zahlreiche und viel¬ 
seitige Beobachtungen gesammelt? (Sehr vielseitig; nicht 
mehr als der Durchschnitt der Altersgenossen; wenig; ein¬ 
seitig auf technischem, hauswirtschaftlichem usw. Gebiete.) 

b) Ist es zu genauer Beobachtung von Gegenständen und 
Vorgängen fähig? (Ja; in besonders hohem Maße; nein; 
auffallend wenig.) 

Sind seine Beschreibungen von Gegenständen und Vor¬ 
gängen der Wirklichkeit entsprechend? (Ja; stets; bei 
starker Erregung zuweilen nicht; nie; beschreibt stets 
ungenau.) 

c) Beobachtet es selbständig? (Ja; nein; sehr viel; fast 
gar nicht; nur auf den Gebieten seines besonderen 
Interesses.) 


Bei der Einführung neuer 
Stoffe, Spiele; bei Verände¬ 
rungen der Klassenordnung, 
der Klassenämter, bei Lehrer¬ 
wechsel. 

Bei Veränderungen in der 
Klasse; beim Betrachten von 
Bildern, Modellen, Pflanzen; 
auf Schulausflügen. 

Bei Störungen in der Klasse; 
beim Aufrufen des Kindes; 
bei Spielereien im Unterricht. 


Im Unterricht. 


Bei längerem Kopfrechnen; bei 
schriftlichen Arbeiten; gegen 
Ende der Stunde, des Tages, 
der Woche, des Halbjahrs. 
Beim Kopfrechnen, bei Dik¬ 
taten, Aufsätzen. 

Nach der Pause; nach Ferien. 


Bei Aufsätzen; in der Unter¬ 
haltung: in den Realien; an 
seinen grammatischen Bei¬ 
spielen. 

Im naturkundlichen Unter¬ 
richt, im Zeichenunterricht. 

Bei Aufsätzen; bei Berichten 
über gemeinsame Erlebnisse 
der Klasse (z. B. über Ausflüge). 

Im natur- u. heimatkundlichen 
Unterricht; bei Aufsätzen; in 
der freien Unterhaltung. 


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William Stern 


5. 


Frage 


Gelegenheiten 
lurBeobaehtnn 


ff 


Gedächtnis: 

a) Lernt das Kind schnell oder langsam? (Sehr schnell; 
ziemlich schnell; nicht auffallend schnell oder langsam.) 

b) Lernt es vorwiegend verstandesmäßig oder mechanisch? 
(Vorwiegend verstandesmäßig; vorwiegend mechanisch; 
nicht festzustellen.) 


c) Ist sein Gedächtnis dauerhaft? (Ja; nein; sehr wenig.) 

d) Ist sein Gedächtnis treu? (Ja; nein; sehr.) 

e) Hat es ein besonderes Gedächtnis irgendwelcher Art ? (Für 
Zahlen, Nameq, Farben, Formen, Personen, Begebenheiten, 
sprachliche Zusammenhänge u. a.) 


Bei der Einprägung von Lern¬ 
stoffen, Gedichten,' Regeln, 
Prosastücken, lxl. 

1. an sinnvollen Fehlern, 
selbständigen Veränderun¬ 
gen des Wortlauts bei der 
Wiedergabe v. Gelesenem; 

2. an sinnlosen Fehlem; am 
Festhalten am Wortlaut. 

Bei Wiederholungen nach 
längeren Zwischenräumen. 
Bei Wiederholungen von Me¬ 
morierstoffen. 

Im Unterricht. 


6. Phantasie: 

a) Hat das Kind eine lebhafte oder stumpfe Phantasie? (Leb¬ 
haft; X pflegt bei der Wiedergabe von Gelesenem oder 
Gehörtem phantasievolle Zusätze zu machen; malt gern 
bis ins Kleinste aus; stumpf.) 

b) Wie betätigt sich seine Phantasie? (Basteln, Bauen, 
Zeichnen, Rollenspiel, Erdichten und Fabulieren; Erfindung 
neuer Spiele usw.) 


Beim Aufsatz; beim Spiel; 
im Zeichenunterricht; beim 
Wiedererzahlen. 

Beim Spiel; bei Spielereien 
in der Stunde; an der häus¬ 
lichen Beschäftigung. 


7. Denken: 

a) Faßt das Kind schnell oder langsam auf? (Schnell; X eilt 
zuweilen schon voraus; langsam; mittelmäßig.) 

b) Stellt das Kind selbständig sinnvolle Fragen? (Ja; häufig; 
X versucht stets der Sache auf den Grund zu kommen; neigt 
zum Weiterdenken; selten.) 

Äußert es eigene Gedanken? (Ja; oft; verallgemeinert, 
schließt, vergleicht selbständig.) 

Auf welchen Gebieten? (Naturkunde, Geschichte u. a.) 

c) Erfaßt es rasch die Hauptsache, den Zusammenhang, oder 
beachtet es mehr die Einzelheiten und Teile und studiert 
diese genau ? (Möglichst dnrch Einzelbeispiele zu belegen.) 

d) Neigt es zur Kritik und zum Zweifel, oder nimmt es fremde 
Urteile ungeprüft hin? (X zeigt starke Neigung zur Kritik; 
verrät Oppositionsgeist; verteidigt hartnäckig seine Meinung; 
bezweifelt, was es nicht selbst gesehen hat; X nimmt alles, 
was der Lehrer sagt, hin, ohne zu kritisieren.) 

Bemerkt es schnell Fehler? (Ja; nein.) 

Widersteht es Suggestionen? (Ja; nein.) 

e) Ist es zur Selbstkritik fähig? (Ja; nein; nur auf Anregung; 
überprüft schriftliche Arbeiten oft vor dem Abgeben; hat 
ein ziemlich sicheres Bewußtsein, ob die gelieferte Arbeit 
gut oder schlecht geraten u. a.) 

8. Sprachlicher Ausdruck: 

a) Ist seine Sprache reich an Wörtern und Ausdrücken, oder 
werden dieselben Ausdrücke und Wendungen beständig 
wiederholt? (Zu unterscheiden zwischen mündlichem und 
schriftlichem Ausdruck.) 

b) Schafft das Kind zuweilen aus Eigenem neue Ausdrücke 
und Wendungen? (Möglichst BelegeI) 

c) Wie ist seine mündliche und schriftliche Darstellung? 
(Fließend; zusammenhängend; schwerfällig; ungelenk). 


Bei der Darbietung neuer 
Stoffe. 

Oberall im Unterricht; in der 
freien Unterhaltung. 


Bei der Besprechung von 
Fabeln, biblischen Geschich¬ 
ten, Gedichten u. a. 

Im Unterricht; im Umgang. 


Bei der gegenseitigen Korrek¬ 
tur; bei Suggestionsfragen. 
Bei der Selbstkorrektur von 
Kladdearbeiten; an der Art 
der Arbeit bei Klassenarbei¬ 
ten; auf moralischem Gebiete. 

Beim Vortrag; beim Aufsatz; 
im Umgang. 


Im Unterricht; beim Spiel; 
im Umgang. 

Bei mündlichen und schrift¬ 
lichen Darstellungen. 


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Die Methode der Auslese befähigter Volksschüler in Hamburg 


141 


Frage 


Gelege nhelten 
zur Beobachtung 


9. Arbeitsart: 

a) Pflegt das Kind im Vergleich zu seinen Altersgenossen schnell 
oder langsam zu arbeiten? (Schnell; auffallend langsam 
oder schnell; langsam; mittel.) 

Ist die Langsamkeit durch die Anwendung besonderer Sorg¬ 
falt auf Schrift, äußere Form usw. der Arbeit, durch eingehende 
Vertiefung in den Stoff, durch Schwerfälligkeit oder durch 
äußere Gründe, z. B. Sinnesfehler, zu erklären? Hat das 
schnelle Arbeitstempo Oberflächlichkeit zur Folge, oder ar¬ 
beitet das Kind auf Grund seiner eigentümlichen Begabung 
schnell? (Bereitschaft des Wissens, Urteilsschnelligkeit, 
Obersicht, Dispositionsfähigkeit u. a.) 

b) Sind das Tempo und die Qualität der Arbeit gleichmäßig, 
oder schwanken sie ? (Ziemlich gleichmäßig; gegen Mittag, 
nach Turnstunden, nach Rechenstunden u. a. nimmt beides 
ab; nach den Ferien haben beide zugenommen; unregel¬ 
mäßige Schwankungen.) 

c) Welchen Einfluß hat das Zusammenarbeiten mit den Klassen¬ 
genossen auf die Arbeitsart des Kindes? (Erhöht die Lei¬ 
stungen; der Wetteifer stört das Kind; keinen Einfluß.) 

d) Ist das Kind imstande, eine Arbeit richtig anzugreifen und 
die Teiltätigkeiten richtig zu verteilen? (Ja; nein, muß immer 
angeleitet werden; unpraktisch.) 


Bei schriftlichen Arbeiten; 
Handarbeiten; beim Zeichnen. 


Zu verschiedenenTageszeiten; 
nach Turnstunden, Pausen, 
Ferien, Krankheiten; bei gro¬ 
ßer Hitze, Kälte usw. 

Beim Arbeiten in der Klasse. 


Bei der Anlage von Aufsätzen; 
bei eingekleideten Aufgaben; 
bei der Erledigung von Auf¬ 
trägen (richtige Ausnutzung 
der Zeit). 


10. Gemüts- und Willensleben: 


a) Ist das Kind rege und tätig oder gleichgültig und phleg¬ 
matisch? (Rege; phlegmatisch; wird durch den gewöhn¬ 
lichen Schulbetrieb nicht genügend angeregt; drängt sich 
immer vor.) 

b) Ist ea auch bei Schwierigkeiten beharrlich oder gibt es die 
Bemühung bald auf? (Sehr beharrlich; läßt nicht nach, 
bis die Aufgabe gelöst ist; gibt bald die Anstrengung auf.) 

c) Welche Motive bestimmen vorwiegend sein Handeln? (Vorteil, 
Vergnügen, Mitgefühl, Pflichtgefühl, Gehorsam, Kamerad¬ 
schaftsgefühl, Wißbegierde, Ehrgeiz, Trieb zur Selb¬ 
ständigkeit) 

d) Ist das Kind aufrichtig und ehrlich? 

e) Sind intellektuelle Gefühle, Freude an der Arbeit, an großer 
Anstrengung, am Gelingen oder Niedergeschlagenheit beim 
Mißlingen beobachtet worden? 

f) Handelt es vorsichtig und überlegt oder leichtsinnig, sorglos 
und unbedacht? (Vorsichtig; impulsiv; sorglos; oft unbe¬ 
dacht und voreilig.) 

g) Ist es imstande, in neuer Lage rasch zweckmäßige Ent¬ 
scheidungen zu treffen? (Ja; zeigte Proben von Geistes¬ 
gegenwart [Belege]; nein.) 

h) Ist organisatorische Begabung beobachtet worden? (Ja 
[Belege]; nein.) 

ft Ergreift es beim Spiel und im Unterricht oft die Initiative? 
(Ja; nein; im Spiel nicht u. a.) 

Ist es Führer der Klasse oder neigt es zur Ein- oder Untere 
Ordnung? 

fc) Wie verhält es sich gegen seine Klassengenossen ? (Freund¬ 
lich, verträglich, hilfsbereit, zänkisch, streitsüchtig, herrisch 

UfcW.) 


Im Unten icht; beim Spiel u.a. 


Besonders in Fächern, in 
denen es weniger Gutes 
leistet 

Im Umgang; im Unterricht. 


In den angegebenen Fällen 
bei mündlichen und schrift¬ 
lichen Arbeiten. 

Bei Urteilen, Aussagen u. a. 


Beim Spiel; bei Unglücks¬ 
fällen in der Klasse oder auf 
dem Hofe u. a. 

Beim Spiel. 

Im Spiel; in freien Aus¬ 
sprachen; bei schwierigen 
Aufgaben und Fragen. 

Im Umgang mit den Klassen¬ 
genossen. 


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142 


William Stern 


Frage 


Gelegenheiten 
zur Beobachtun 


ff 


11. Besondere Interessen und Talente: 

a) Sind bestimmte Schulfächer beliebt oder unbeliebt? 
Welche ? 

Liegen für diese Vorliebe oder Abneigung besondere Gründe 
vor? (Sonderbegabung, sachliches Interesse, persönliche 
Beziehungen zum Lehrer u. a.) 

b) Hat das Kind besondere Neigungen und Interessen außer¬ 
halb der Schule ? (Handarbeit, Technik, Natur, Halen und 
Schiffahrt, Musik, Gartenbau, Tierzucht u. a) 

Wie bekunden sich diese Neigungen? (Basteln, Spielen, 
Wandern, Sammeln, Kinobesuch, Lektüre u. a.) Liest das 
Kind aus eigenem Antriebe ? (Ja; nein; viel; wenig.) Was 
liest es? (Schundliteratur, Märchen, Indianergeschichten, 
Kriminalgeschichten, belehrende Bücher usw.) In welcher 
Weise betreibt es diese Lektüre? (Verschlingt wahllos, was 
es erreichen kann; liest dasselbe immer wieder; spielt oder 
schafft nach, was es gelesen hat u. a.) 

c) Hat das Kind Sonderbegabungen? (Für Zeichnen, Malen, 
Bauen, Basteln, Musik u. a.) 


Im Umgang. 


Im Umgang; gegebenenfalls 
durch Befragen der Eltern 
festzustelieo. 


Gelegentlich im Unterricht. 


UL Verzeichnis der angewandten Tests. 

(Bei den ersten 6 Tests wurde den Kindern an Beispielen erläutert, wie die Aufgabe gemeint ist.) 


Erster Prüfungstag: 

A) Begriffsreihen ordnen (s. dieses Heft S. 94). Die zu ordnenden Begriffe waren nicht auf 
Einzelkarten geschrieben, sondern in falscher Abfolge auf einem Zettel vorgedruckt; sie 
mußten in richtiger Folge darunter geschrieben werden. Die Vorlagen lauteten: 

1. Waffenstillstand — Schlacht — Kriegserklärung — Friedensschluß — Ausmarach der 
Truppen — Sieg. 

2. Arzt — Fußballspiel — Heilung — Verband — Beinbruch — Besserung — Sturz. 

3. Sinkendes Schiff — Landung — Nebel — Rettungsboote — Leck im Schiff — Schiffs- 
Zusammenstoß. 

B) Erklärung von Begriffen (s. dieses Heft S. 81). Gewählt wurden die Begriffe: Mut, Beute, 
Onkel, Neid. 

C) Lückentext, in dem die Konjunktionen zu ergänzen sind, nach Lipmann (s. dieses Heft S. 70). 

D) Dreiwort-Methode (s. dieses Heft S. 87). Die Vorlagen lauteten: 

1. Reise — treuer Hund — Freude. 

2. Soldaten im Lager — sternlose Nacht — große Verwirrung. 

3. Stehengebliebene Uhr — geschehenes Eisenbahnunglück — Freude. 

E) Die Lehre von 2 Fabeln finden (s. dieses Heft S. 84). Vorgelegt wurden: 

1. Rübezahl und der Fuhrmann. 

2. Der Holzfäller und die Waldfee. 

Zweiter Prüfungstag: 

F) Kritiktest: Herausfinden der in eine Geschichte eingestreuten Sinn Widrigkeiten (s. dieses 
Heft S. 77). Vorgelegt wurde der etwas geänderte Text 1. (8. 79.) 

G) Aufsatz über eine Bilderfolge (s. dieses Heft S. 73). Da es nicht möglich war, einen 
Münchener Bilderbogen in genügender Menge zu beschaffen, wurden den Kindern zwei zu¬ 
sammengehörige Ansichtskarten vorgelegt, die eine einfache Geschichte darstellten. Der 
Text der Karten („Wie Du mir“ — „So ich Dir“) war entfernt Die Prüflinge hatten die 
Geschichte niederzuschreiben und eine Oberschrift dazu zu finden. 

H) Merkfälligkeitstest. Einige nicht ganz leichte Sätze wurden den Kindern gezeigt; Jeder war, 
nachdem er im Chor von den Kindern gelesen worden war, sofort aus dem Gedächtnis 
niederzuschreiben. Deutlich trat der Unterschied hervor zwischen dem mec h a n ischen Ge¬ 
dächtnis, das einige Bruchteile des Wortlauts ohne sinnvollen Zusammenhang wiedergab, 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


143 


nnd dem intelligenten Gedächtnis, das bei oft bedeutender Veränderung des Wortlauts doch 
den geforderten oder einen ähnlichen sinnvollen Zusammenhang reproduzierte. Die Sätze 
lauteten: 

1. Der gemeine Neid über den von Jahr zu Jahr wachsenden Handel Deutschlands hat 
England bewogen, uns fast alle Völker auf den Hals zu hetzen. 

2. Durch seinen ruhmvollen Sieg in Masuren hat Hindenburg den andrängenden russischen 
Massen so erhebliche Verluste beigebracht, daß er ihnen für immer die Lust am Wieder¬ 
kommen benahm. 

3. Wir erhoffen den Sieg dprch unsere U-Boote, weil der täglich größer werdende Mangel an 
den notwendigsten Lebensmitteln England früher oder später zum Frieden zwingen wird. 


Kleine Mitteilungen zum Begabungsproblem. 

Breslauer Begabtenauslese. In Breslau wird Ostern 1918 an einer Knaben- 
und an einer Mädchenmittelschule je eine Sonderklasse eingerichtet, in der 
hochbegabte Volksschulkinder nach Besuch der vorletzten Volksschulklasse 
(etwa 12. Lebensjahr) ans Ziel der Mittelschule gebracht werden sollen. 
Kindern, die sich in dieser Klasse bewähren, will die Stadt später den Weg 
zu weiterer, ihren Anlagen entsprechender Ausbildung ebnen. Für die Be¬ 
gabtenauslese hat die städt. Schulverwaltung die Hilfe des Fachpsychologen 
in Anspruch genommen. Unterzeichneter hatte zunächst einen psychogra- 
phischen Fragebogen auszuarbeiten, mit dessen Hilfe die Lehrer gegen¬ 
wärtig Begabungspsychogramme der nach ihrer Meinung in Frage kommenden 
Kinder herstellen. Dieser Bogen ist neben einem in amtlicher Rektorenkonferenz 
gehaltenen Erläuterungsvortrag in Nr. 51 (Jahrgang 1917) der „Schles. Schulztg.“ 
erschienen; SonderabdrQcke der Erläuterungen gingen allen in Betracht kommen¬ 
den Lehrpersonen zu. Nach Eingang der Psychogramme sollen die vor¬ 
geschlagenen Kinder noch einer Testprüfung unterworfen werden. In Vor¬ 
versuchen, bei denen mich Herr Rektor Rüpprich unterstützte, ergaben sich 
als für unsere Absichten zweckmäßig, folgende von Stern in diesem Hefte 
behandelten Tests: Bindewortergänzungstest (Minkusscher Test), Kritiktest, 
Begriffserklärungen, Dreiwort-Test, Fabeltest, Begriffsordnung (im Massenver¬ 
such) und Farben-, Figuren-, Bilderbogenlegen (im Einzelversuch), ferner ein 
Gedächtnistest, über den später Genaueres berichtet werden mag. Da die 
Stadt unter Umständen für den ganzen Ausbildungsgang der ausgewählten 
und sich bewährenden Kinder sorgen will, so erscheint es möglich, den Ent¬ 
wicklungsgang dieser jungen Menschen bis zum Eintritt in einen Beruf (viel¬ 
leicht noch weiter, da doch vielleicht manche dann in städtische Dienste 
treten werden), psychologisch zu verfolgen: eine theoretisch und praktisch 
wichtige Aufgabe für einen schul- oder stadtpsychologischen Dienst. 

Breslau. Alfred Mann. 


Förderung begabter Kleinstadt- und Landschüler. Ein sehr beachtens¬ 
werter Aufsatz von H. Wermbter (Hildesheim) 1 ) weist auf die Gefahr hin, die 
aus der bisher rein großstädtischen Behandlung der Begabtenförderung er¬ 
wachsen kann. Denn es handelt sich um eine gesamtstaatliche Aufgabe, 

*) Der Aufstieg der Begabten nnd die Verschiedenheit der Volksscholen in Stadt und Land. 
Dtsch. Philologenblatt 25. Jhrg., Nr. 45/46. Dez. 1917. — Vgl. auch die kurze Notiz zu dem- 
**lben Thema .Förderstunden für Begabte“; Ztschr. f. pädag. PsycboL, Bd. 18, S. 240, 1917. 


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144 


Kleine Beiträge und Mitteilungen 


die nicht zum Objekt städtisch-partikularistischer Bestrebungen gemacht werden 
dürfe. „In den Mittel- und Kleinstädten sowie auf dem Lande werden zweifel¬ 
los auch hochbegabte Kinder geboren, deren Förderung zu höherem Aufstieg 
hinauf nicht hinter derjenigen hochbegabter Kinder aus Großstädten zurück- 
gesetzt werden darf, und dieses um so weniger, als im allgemeinen der 
Gesundheits- und Kräftezustand der Kleinstadt- und Landkinder besser ist als 
der der Großstadtkinder.“ W. durchmustert nun daraufhin das nicht-gro߬ 
städtische Volksschulwesen und stellt fest, daß hier die Möglichkeiten des 
ungezwungenen Übergangs der Begabten auf Mittel- und höhere Schulen 
außerordentlich ungünstig seien, weil die weitaus meisten dieser Volksschulen 
nur aus wenigen Klassen bestehen. Um so nötiger ist die Schaffung beson¬ 
derer Einrichtungen und eine Zentralisierung derart, daß sie allen Befähigten 
aus Dorf und Stadt ohne Unterschied zugänglich ist. Daher sieht W. als die 
geeigneten Träger dieser Veranstaltungen die Provinzen an. Wie die 
Provinzialverwaltungen die Fürsorge für die geistig und körperlich Minder¬ 
begabten in Händen hätten, sollten sie auch diejenige für die Höherbegabten 
übernehmen; nur dann sei die Möglichkeit gegeben, daß „die unbemittelten 
Begabten au8 allen Gemeinden gleichmäßig im ganzen Staate erfaßt 
und ihnen die Wege zu den höchsten Stufen der Ausbildung und dement¬ 
sprechenden Lebensstellungen eröffnet werden.“ 

Entwurf eines psychographischen Beobachtungsbogens für begabte Volks¬ 
schüler in Berlin. Für die Vorauslese der Begabten an den Berliner Gemeinde¬ 
schulen hat die „Arbeitsgemeinschaft für exakte Pädagogik“ (Wissenschaft!. 
Leiter Dr. Otto Lipmann) einen von mir verfaßten Entwurf eines Beobachtungs¬ 
bogens der städtischen Schuldeputation eingereicht. An der Hand dieses 
Bogens sollen mit Zustimmung der Schuldeputation in Zukunft alle Schüler 
beobachtet werden, die durch hervorragende Begabung und ausgezeichnete 
Leistungen auffallen. Die Beobachtungen sollen sofort beginnen, sobald die 
Begabung bemerkt wird, also vielleicht schon vom zweiten Schuljahr an. Der 
Beobachtungsbogen enthält folgende Abteilungen: 1. Körperliches und Sinne, 
2. Auffassung, 3. Aufmerksamkeit, 4. Gedächtnis und Lernen, 5. Denkfähig¬ 
keit, 6. Gefühle und Affekte, 7. Wille und Arbeitsverlauf, 8. Stellungnahme, 
9. Begabungen, 10. Stellung in der Gemeinschaft, 11. Allgemeines Verhalten. 
Um die Ausfüllung zu erleichtern, sind in einem Anhang Erläuterungen bei¬ 
gegeben sowie Beispiele und Beobachtungsgelegenheiten angeführt. Der Ent¬ 
wurf wird im Wortlaut veröffentlicht in der Zeitschrift für angewandte Psychologie 
Bd. Xm, Heft 5/6, 1918. 

Berlin. H. Rebhuhn. 


Drtiek von J. B. Hirschfeld (August Pries) in Leipzig. 


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Kindergartenfragen nach dem Krieg. 

Von Aloys Fischer. 

1 . 

Im 14. Jahrgang dieser Zeitschrift (Seite 11 f) habe ich einige Grund¬ 
fragen der Entwicklung des Kindergartenwesens aufgeworfen; seitdem 
haben sich die Dinge schnell und vielseitig verändert. Eine beträcht¬ 
liche Anzahl von Arbeiten aus deutschen, österreichischen und ungarischen 
Kindergärten läßt einen erheblichen Fortschritt in Einrichtung und Aus¬ 
stattung der Kindergärten erkennen, stärkere Anknüpfung an die vom 
Kinde selbst mit- und entgegengebrachten Interessen, eine reifere Durch¬ 
bildung der Methodik der Kleinkindererziehung. Die von außen her 
an das Kind herangebrachten Spiele nnd Gaben — gewiß nicht ent¬ 
behrlich, aber mit Vorsicht anzuwenden — treten zurück zugunsten 
der Anknüpfung an die lebendige Gelegenheit; die absichtlich ersonnenen, 
vielfach von bestimmten Theorien über das geistige Wachstum des 
Menschen aus konstruierten, deshalb nicht selten überlehrhaften, sind 
nicht mehr richtunggebende Schablone. Überall wird selbständig ver¬ 
sucht und geändert, und wenn sich auch noch kaum die Erfahrungen 
zu etwas wie einer neuen Tradition verdichten lassen, dies suchende 
Leben selbst ist wertvoll, Vorstufe einer bald anbrechenden Zeit der 
Erneuerung im ganzen. 1 ) 

Unter dem Drucke des Krieges hat sich die Zahl der Kindergärten 
vergrößert, mit freiwilligen Hilfskräften ist es aller Orten möglich ge¬ 
worden, neue zu errichten. Auch unmittelbar nach dem Krieg werden 
diese Verhältnisse noch andauern. Die vorher schon angebahnte Be¬ 
wegung, die den Kindergarten aus einer Armenanstalt in eine von allen 
Schichten der Bevölkerung gesuchte und geschätzte, aus individuell eu- 
dämonistischen und sozialen Gründen gleich wertvolle organisatorische 
Hilfe für die Früherziehung der Kinder umwandelt, ist gewachsen, weil 
im Krieg vielfach auch aus solchen Familien und Haushalten, die sich 
vorher sehr wohl der Kinder annehmen konnten, Zuwanderung kam, 
überhaupt wie die Erwachsenen so auch die Kinder näher aneinander 
rückten. 

Für den Fortgang, die gedeihliche Zukunftsentwicklung des Kinder¬ 
gartenwesens ist nun die maßgebendste Voraussetzung und Bedingung 
die Auslese und Vorbildung der Kindergärtnerinnen. Auf 
die darin beschlossenen Probleme möchte ich kurz die Aufmerksam¬ 
keit lenken. Ich gehe von zwei Gruppen von Tatsachen aus: von der 

*) Zar Erläuterung des Gesagten möchte ich auf das vor wenigen Monaten erschienene Buch 
„Ein Jahr Kindergartenarbeit* von A. Huth hinweisen (als Band Vlll der von Oskar Messmer 
und mir herausgegebenen Sammlung „Pädagogium“. Leipzig 1917, J. Klinkhardt). 

Zeitschrift f. pfidagog. Psychologie 10 


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Aloys Fischer 


bisherigen Auslese und Vorbereitung für den Beruf der Kindergärtnerin 
und von den Erfahrungen mit freiwilligen, schnell und kurz oder gar 
nicht eingeschulten Hilfskräften in der Kriegszeit. Von diesen Ausgangs¬ 
punkten her möchte ich einige Wege aufzeigen, die zu einer kommenden, 
allgemein als unvermeidlich gefohlten öffentlichen Kindergärtnerinnen¬ 
bildung führen, und mittelbar gegen eine andere Möglichkeit Stellung 
nehmen, deren Motive ich wohl verstehe, in der ich jedoch gleichwohl 
den Keim fOr eine Gefährdung der Kindergartenarbeit selbst erblicken muß. 

Freilich läßt sich die Besprechung der Bildungs- und Standesfragen 
der Kindergärtnerin nicht ganz von der Gesamtwürdigung des Kinder¬ 
gartens selbst trennen; deshalb mag es gestattet sein, die spezielle Auf¬ 
gabe des Kindergartens im Rahmen der planmäßigen Kinderfürsorge 
wenigstens andeutend zu umreißen. Erst wenn uns Sinn und Ziel des 
Kindergartens als einer Kleinkinderfürsorgemaßnahme deutlich geworden 
ist, können wir auch alle Anforderungen klarlegen, die an eine Kinder¬ 
gärtnerin gestellt werden dürfen. Ich möchte dabei vom Boden der 
Zeitgeschichte aus nochmals auf die Wandlung des Kindergartens hin- 
weisen, die ich früher von allgemeinen soziologischen Erwägungen 
aus gekennzeichnet habe. 


2 . 

Nicht nur als Christenpflicht der Barmherzigkeit gegen Arme und 
Schwache, auch nicht bloß als soziale Maßregel zum Ausgleich des 
Geburtenrückgangs, als politische Forderung von größter Tragweite, 
als Gebot der allgemeinen Notwehr Deutschlands um seinen Bestand 
und seine Geltung sind Säuglingsschutz und Kleinkinderfürsorge jetzt 
in unserem Bewußtsein lebendig. Über die Richtlinien ihres Ausbaues 
wird jetzt verhandelt und entschieden; deshalb mag es gestattet sein, 
auf einige mit Säuglingsschutz und Kleinkinderfürsorge eng zusammen¬ 
hängende pädagogische Fragen aufmerksam zu machen, die in Gefahr 
sind, übersehen bezw. falsch eingeschätzt zu werden, unter ihnen vor 
allem auf den Sinn des Kindergartens. 

Wenn wir von der soziologischen und bevölkerungspolitischen Seite der 
Kinderfürsorgefragen absehen, bleiben hauptsächlich zwei Richtungen für 
die Arbeit: die hygienische und die pädagogische. Auf dem Gebiet des 
Säuglingsschutzes scheint alles an der hygienischen Fürsorge zu 
liegen. Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit ist in erster Linie 
Sache der Ärzte und ihrer Hilfsorgane: der Säuglingspflegerinnen, Ammen, 
Kinderwärterinnen, ferner Sache der Aufklärung der Eltern, besonders 
der Mütter, und endlich Sache der materiellen Mittel zur Beschaffung 
genügender Nahrung von Mutter und Kind, entsprechender Kleidung 
und Wohnung, zur Bezahlung von Arzneistoffen. Seit wir einen genaueren, 
auf Morbiditäts- und Mortalitätsstatistiken gegründeten Einblick in die 
Feinde des Säuglingslebens besitzen, sind auch gesundheitspolizeiliche 
Maßnahmen, wie Impfzwang, Anzeigepflicht für bestimmte infektiöse 
Krankheiten als segensreiche Abwehrmaßregeln sei es schon eingeführt 
und erprobt, sei es wenigstens vorgeschlagen und empfohlen worden. 
Allerdings hat der Kampf gegen die Säuglingssterblichkeit einzelne Ma߬ 
nahmen mit sich gebracht, die selbst wieder zur Gefahr werden; so ist 


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Kindergartenfragen nach dem Krieg 


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z. B. die Krippe ein Hauptherd für Säuglingsinfektionen; überdies ist 
der SSuglingsschutz noch nicht durchgebildet genug, keineswegs unserer 
genauen Kenntnis über die Verteilung der einzelnen Todesursachen auf 
die verschiedenen Monate des ersten Lebensjahres, auf die Jahreszeiten 
usw. so angepaßt, wie er es werden könnte. Aber sicher scheint, daß 
die Aufgaben des Säuglingsschutzes rein ärztlicher, hygienischer und 
gesundheitspolizeilicher Natur seien, daß also für das Gebiet des Säug¬ 
lingsschutzes pädagogische Bestrebungen, erziehungskundliche Kennt¬ 
nisse, pädagogische Schulung und Ausbildung der Mütter, Ammen, 
Wärterinnen, Pflegerinnen nicht erforderlich seien. 

So gewiß die hygienische Seite im Säuglingsschutz überwiegt, so un¬ 
richtig scheint es mir, ihn ganz auf die gesundheitliche Fürsorge ein¬ 
zuengen. Auch das Säuglingsalterist eine Zeit der Erziehung. Die Ordnung 
und strenge Gewöhnung des Kindes an bestimmte Zeiten des Trinkens 
und Schlafens, die aus gesundheitlichen Gründen gefordert wird, ist 
zugleich eine primitive Erziehung und Vorbereitung der Charakter¬ 
entfaltung. Die Pflege der Bewegungsorgane, der Sinne steht keineswegs 
ausschließlich im Dienst der leiblichen Gesundheit, sondern auch im 
Dienst des Vorstellungs- und Kenntniserwerbs, des Anreizes zu ein¬ 
facher geistiger Tätigkeit. Vollends ist das ganze persönliche Verhältnis 
von Säugling und Pflegepersonen der Brutboden für die Frühregungen 
des Gefühlslebens. So gewiß für die Dauer der ersten zehn bis vierzehn 
Lebensmonate der Säuglingsschutz vorwiegend unter der Jurisdiktion 
des Arztes und Hygienikers steht, so wenig wäre doch ein Ausschluß 
pädagogischer Gesichtspunkte aus seiner Organisation berechtigt. Im 
Gegenteil gehören die faßlich dargestellten Grundsätze einer gesunden 
Früherziehung auch schon des Säuglings mit zu den besten hygienischen 
Schutzmaßnahmen, die es gibt. Deshalb ist es durchaus notwendig, daß in 
der Ausbildung der Mütter, Hebammen, Ammen, Kindermädchen, nament¬ 
lich auch der öffentlich angestellten Säuglingspflegerinnen neben dem 
Arzt und seinen Gesichtspunkten der Erzieher das Wort hat, daß in den 
Stätten des Säuglingsschutzes (Milchküchen, Krippen, Beratungsstellen) 
auch für eine elementare pädagogische Aufklärung und Anweisung Sorge 
getragen wird. 

Für das Kleinkind dreht sich das Wichtigkeitsverhältnis des hygieni¬ 
schen und des pädagogischen Teils der Schutzbestrebungen geradezu um. 
Allerdings steht nach den jüngsten, sorgfältigen und verdienstvollen 
Untersuchungen von M. Pfaundler, L. Seiffert') und anderen fest, daß 
nicht nur die Säuglingssterblichkeit allein am Wachstum unserer Volks¬ 
ziffer nagt, sondern daß auch die Sterblichkeit des Kleinkindes eine 
beträchtliche Höhe aufweist. Mögen die Krankheiten, denen das Kind 
im Spielalter zum Opfer fällt, auch andere sein als diejenigen, die den 
Säugling bedrohen, so sind nach Seiffert die Sterblichkeitsverhältnisse 
des Kleinkindesalters doch als sehr bedenklich zu bezeichnen. Ins¬ 
besondere die Infektionskrankheiten fordern viele Opfer. In Preußen 
kommen, auf 1000 Lebende berechnet, im Zeitraum 1900—1901 206 Todes¬ 
fälle der Altersstufe 0—1 Jahr, 23,9 der Altersstufe 1—5 Jahr, in Bayern 


*) Q. Seiffert: Das Kleinkind und seine gesundheitliche Fürsorge. München 1916. E. Reinhardt. 

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Aloys Fischer 


für den gleichen Zeitraum 258,5 Todesfälle im Säuglingsalter, 20,7 ira 
Spielalter. 

Die gewaltigen Verluste an Menschen auch noch im Spielalter lassen 
es (gerade nach diesem Krieg) als dringend notwendig erscheinen, 
die KleinkinderfUrsorge auch nach der hygienischen Seite hin auszu¬ 
bauen. Und wenn auch gewiß nicht alle Kleinkinder einer hygienischen 
Fürsorge bedürftig sind, weil viele von gesunden Eltern stammen und 
in guter Familienpflege sich befinden, das öffentliche Interesse am 
Nachwuchs erfordert doch grundsätzlich eine Gesundheitskontrolle für 
jedes Kleinkind, und je nach dem Ergebnis dieser Kontrolle die Über¬ 
nahme der gefährdeten, mangelhaft versorgten und aufsichtslosen Kinder 
in öffentliche Gesundheitsfürsorge. Wir müssen es der deutschen Ärzte¬ 
schaft zu Dank wissen, daß sie mit immer neuem Nachdruck das Augen¬ 
merk auch auf den gesundheitlichen Kleinkinderschutz lenkt und noch 
während des Krieges bei den gesetzgebenden Körperschaften und höchsten 
Reichsbehörden die hier liegenden Aufgaben so vordringlich darzustellen 
wußte, daß die Anregung zur „Deutschland-Kinderspende“ die Mittel 
für eine großzügige Fürsorge flüssig zu machen verspricht. 

Nach diesen Darlegungen wird mir wohl der Vorwurf erspart bleiben, 
ich verkännte Notwendigkeit und Bedeutung des gesundheitlichen 
Momentes im Kleinkinderschutz, oder ich unterschätzte die Mitarbeit 
des Arztes auf diesem Gebiet der Bevölkerungspolitik, wenn ich nun 
dazu übergehe, zu zeigen, daß die Kleinkinderfürsorge wohl mit hygie¬ 
nischen Maßnahmen beginnen und dauernd durchsetzt sein müsse, aber 
in der Erziehungsfürsorge für das Kleinkind gipfele. Wie ich 
an anderer Stelle l ) ausgeführt habe, ist die Zahl der Kinder, der geborenen 
und am Leben erhaltenen, nicht das einzig ausschlaggebende Moment 
im Aufbau des Volkes; es kommt ebenso sehr auf die Qualität, die 
Leistungsfähigkeit und die Bildungshöhe des Nachwuchses an. Unter 
diesem Gesichtspunkte gewinnt der Kindergarten eine neue, vertiefte 
Bedeutung, er ist nicht bloß als eine Wohlfahrtseinrichtung für die minder¬ 
bemittelten Kreise und als Ersatz ganz oder teilweise fehlender Familien¬ 
erziehung sinnvoll, sondern berufen, der Mittelpunkt der öffent¬ 
lichen Kleinkinderfürsorge zu werden. Es läßt sich leicht zeigen, 
daß der Kindergarten die beste Möglichkeit der Gesundheitskontrolle 
gibt, daß sich auch die gesundheitliche Fürsorge und Beratung am besten 
nach den in ihm gemachten Erfahrungen und Beobachtungen durch¬ 
führen läßt. Darüber hinaus bietet der Kindergarten, wenn er den 
Vorurteilen entrückt, möglichst gleichmäßig von den verschiedenen 
Ständen beschickt wird und einigermaßen gut ausgestattet, vor allem 
mit Spielplätzen versehen ist, eine die häusliche Enge und Armut, 
Einseitigkeit und Nüchternheit wohltätig ergänzende Lebenssphäre eigener 
Art und Ordnung, eine Fülle von Anregungen des geistigen Lebens von 
Spielen und Freuden, die Gelegenheit zu lebenswichtigen sozialen Ge¬ 
wöhnungen, eine vorzügliche Schule körperlicher Übung und Abhärtung 
einen unauffälligen Weg zur Verbreitung vernünftiger Erziehungsgrund¬ 
sätze m den Kreisen der Elternschaft. Die im Krieg begonnene Ver- 

') A. Fischer: Aufgabe und Entwicklung des deutschen Schulwesens nach dem Krie* fLeiMis 
1916. J. Klinklurdt) Seite 26 u. L (uelprl * 


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Kindergartenfragen nach dem Krieg 


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mehrung der Kindergärten wird sicher weiter andauern, die innere Um¬ 
bildung und Verbesserung der Einrichtungen und des Betriebes nicht 
Stillstehen. Alle Parteien, die Sinn für die Aufgaben der Bevölkerungs¬ 
politik als des grundlegenden Momentes der Sozialpolitik besitzen, 
werden für Schutz und Pflege der Kindergärten Mittel flüssig zu machen 
trachten, die mittleren und großen Städte, vor allem in den Industrie¬ 
gegenden geradezu gezwungen sein, dem Ausbau der Bewahranstalten 
und Kleinkinderschulen erhöhte Fürsorge angedeiben zu lassen. Sobald 
der Gedanke des Kindergartens als Mittelpunktes der öffentlichen Fürsorge 
für das Kleinkind richtig begriffen ist, werden auch die Vorurteile zer¬ 
gehen, die bisher seine Entwicklung aufgehalten haben. 

Die erste Folge der neuen Lage wird eine schärfere Differenzierung 
im Kindergartenwesen selbst sein. Heute besteht noch in weiten Kreisen 
das Bedenken, daß durch den Kindergarten die Kleinen zu früh und zu 
lang der Familie entzogen würden. In den Kreisen des mittleren 
und gehobenen Bürgertums scheut man sich, die Kinder womöglich 
ganztägig außer Haus zu geben; den ganz armen Schichten, die Mann 
und Frau und ältere Kinder gleichmäßig ins Erwerbsleben schicken 
müssen, ist dagegen mit einem Kindergarten nicht gedient, der die Kinder 
nur 2—3 Stunden beherbergt, sie vor allem nicht verpflegt. Solange nur 
ein Kindergarten oder ein Typ von Kindergärten vorhanden ist, müssen 
einzelne Gruppen der Besucher notwendig enttäuscht werden. Die Zu¬ 
kunft wird demgemäß bewußt zwischen Kindergärten im engeren Sinn 
unterscheiden, die von den Spielkindem höchstens 2—3 Stunden am 
Tag besucht werden, zu Spiel- und Erziehungzwecken, während 
das Kind in der übrigen Zeit der Familie bleibt, zum Essen, Schlafen, 
Spazierengehen, Spielen, und zwischen Kindertagesheimen, Einrich¬ 
tungen, die nach Räumen, Personen und Hilfsmitteln eine Verbin¬ 
dung von Kindergarten, Kinderspeiseanstalt und Hort darstellen, den 
Kindern zu ganztägigem Aufenthalt offen stehen, ohne sie natür¬ 
lich den ganzen Tag in der gleichen Weise zu beschäftigen wie während 
der 2—3 Kindergartenstunden. Leistungsfähige Stadtgemeinden sollten 
sich mit dem Gedanken von Kinderheimen oder Kinderhäusern großen 
Stils vertraut machen, mit der Schaffung zweckmäßiger Bauten, in denen 
neben den Kindergarten- und Bewahrräumen mit ihren Spielplätzen auch 
Horte und Werkstätten, Lesesäle und Arbeitszimmer für die aufsichts¬ 
losen Schulkinder, eine Speiseanstalt für die Armen, Schlechtversorgten, 
Bäder und Turngelegenheiten für die Körperpflege untergebracht wären. 
Wie die Differenzierung und Zusammenfassung im einzelnen sich aus¬ 
gestalten ließe, ist weniger Sache grundsätzlicher Überlegung, als der 
örtlichen Bedürfnisse, Möglichkeiten, Mittel; nur auf den Grundgedanken 
kommt es hier an, die Einordnung des bisher isoliert stehenden Kinder¬ 
gartens in das System der öffentlichen Kleinkinderfürsorge, und die 
damit verbundene Verschiedengestaltung der Kindergärten selbst. 

Die zweite Folge ist m. E. die Verbindung der heute meist in das 
Sprechzimmer von Kinderärzten verlegten Beratungsstellen mit dem 
Kindergarten. Eine ärztlich geleitete Kleinkinderberatungsstelle ist auch 
in Zukunft unerläßlich; es genügt nicht, daß die Mutter ihr Kind behält 
und Zeit für seine Pflege hat; sie muß auch etwas davon verstehen 

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Aloys Fischer 


und in Zweifelsfällen sich Rat holen können. Aber wie ich ausgefübrt 
habe, es sollte sich die Beratung nicht auf die. pflegerische Seite be¬ 
schränken; für das Spielalter ist auch eine Erziehungsberatung unerlä߬ 
lich. Stellen, die dieser pädagogischen Aufgabe sich widmen, gibt es 
heute höchstens vereinzelt. Eine durchgreifende Besserung ist m. E. 
am leichtesten zu erzielen, wenn an die Kindergärten neben die ärzt¬ 
liche auch die pädagogische Beratungsstelle verlegt wird. Die Leitung 
der Kindergärten, die vielen in ihnen arbeitenden Kräfte werden 
imstande sein, die Aufgaben der Erziehungsberatung zu übernehmen; 
der Kindergarten bietet selbst schon eine Art Anschaungsunterricht für 
die Anregung, Behandlung, Leitung der Kinder, zeigt die Spiele und 
Hilfsmittel für die Beschäftigung des Kleinkindes. Daß wir auf päd¬ 
agogische Beratungsstellen in der Kleinkinderfürsorge nicht mehr ver¬ 
zichten können, beweisen die vielen Stimmen, die eine w Gesellschaft 
zur Förderung der häuslichen Erziehung“') begrüßen, beweisen die Eltern¬ 
abende und Sprechstunden unserer Schulen, wissen nicht zuletzt die 
Kinderärzte, denen mangelhafte und falsche Erziehung im Spielalter als 
Ursache vieler Kinderkrankheiten, namentlich der Kindemervenkrank- 
heiten nur zu bekannt ist. Vielleicht ist der Ausdruck: Verbindung 
einer Erziehungsberatungsstelle mit dem Kindergarten ein Pleonasmus, 
vielleicht lebt sich der Kindergarten selbst als diese Beratungsstelle ein; 
es kommt nur darauf an, daß die an ihm wirkenden Kräfte willig und 
geschult sind, die neuen Aufgaben zu übernehmen, und daß Ärzte und 
Behörden auf diese Seite der Kindergartentätigkeit die öffentliche Auf¬ 
merksamkeit lenken. 

Daß sich die Gesundheitskontrolle über die 7—8 Millionen Kleinkinder 
des Deutschen Reiches am einfachsten mit den Kindeigärten verbinden 
läßt, habe ich schon gesagt. Man braucht nur die Aufnahme eines 
Kindes in den Kindergarten von einer vorhergehenden Vorstellung des 
Kindes beim Arzt abhängig zu machen, braucht nur die ärztliche Beratungs¬ 
stelle (mit der pädagogischen) in ihn zu verlegen. Soweit das Eltern¬ 
haus nicht in der Lage ist, die entsprechende Pflege selbst durchzuführen, 
wäre in den Kinderheimen die beste und wirksamste Fürsorge für das 
leibliche Wohl schon geschaffen. 

Eine letzte, aber keineswegs bedeutungslose Folge der Eingliederung 
des Kindergartens in das Ganze der öffentlichen Kleinkinderfürsorge 
ist die Vermehrung der Mittel, Kräfte und Versuche zur inneren Aus¬ 
gestaltung. Schon die Räume des Kindergartens sind, wie Einzelversuche 
zeigen, einer zweckmäßigen Veränderung und Vermehrung fähig; nach 
den besten Erfahrungen, von denen ich die des Berliner Pestalozzi-Fröbel- 
hauses und des Münchener Versuchskindergartens vor allem hervorheben 
möchte, muß ein Kindergarten an gesonderten Räumen mindestens um¬ 
fassen : einen Warteraum für Angehörige, eine Kleiderablage mit Hand¬ 
waschgelegenheit, das oder die eigentlichen Spielzimmer, auch diese 
nach Möglichkeit differenziert in Spiel-Lernzimmer und Spiel-Turnzimmer, 
einen Spielplatz im Freien mit Gartengelegenheit. Zu diesen Tages¬ 
räumen des Kindergartens müssen in den Anstalten, die den Kindern 


*) Siehe diese Zeitschrift 1916 u. 1917 (bes. S. 503). 


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Kindergartenfragen nach dem Krieg 


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ganztägig zur Verfügung stehen, ein Eßraum, ein Sehlafraum für den 
Nachmittagsschlaf und ein Baderaum zur Verfügung stehen. In ge¬ 
schlossenen Kinderheimen hat sich in der letzten Zeit nach dem muster- 
giltigen Vorgang des Viktoria-Augusta-Hauses in Berlin ein eigener 
Raum für ansteckungsverdächtige Kinder neben den Krankenzimmern 
als äußerst vorteilhaft erwiesen. Im übrigen bemerke ich ausdrücklich, 
daß diese Angaben nur Hinweise sein sollen auf die Richtungen, in 
denen die Örtlichkeit des Kindergartens einer Verfeinerung, Vermehrung, 
zweckmäßigen Durchbildung unterworfen werden kann, daß sie weit davon 
entfernt sind, das hier Mögliche zu erschöpfen. Während die Raum¬ 
gliederung und Hygiene der Krippen und Kinderheime beständig fort¬ 
schreiten , lassen die Kindergärten in beiden Hinsichten sehr viel zu 
wünschen. Als „Armenanstalten“ glaubt man sie vielfach auch so anm- 
selig als möglich halten zu sollen, nach Raum und Einrichtung, und 
übersieht dabei die Gesundheitsgefahren der Nachlässigkeit, des Schmutzes, 
der Raumknappheit. Wie die räumlichen Momente, können auch die 
Einrichtung und Ausstattung, Mobiliar, Fußbodenbelag, Wandbehang, 
Anschauungs-, Beschäftigungs- und Spielmittel vermehrt, verfeinert 
werden. Im letzten Jahrzehnt hat es nicht an ausgezeichneten Versuchen 
gefehlt, mit Hilfe kinderpsychologischer und kinderphysiologischer Er¬ 
fahrungen die dinglichen Mittel des Kindergartens zu veredeln und zu 
vertiefen. Namentlich wurde Bildungsgehalt und geistige Ergiebigkeit 
der Spielgaben gesteigert. Wer heute einen guten Kindergarten besucht 
und Erfahrungen vor 30 Jahren damit vergleicht, staunt über die Mannig¬ 
faltigkeit kindergärtnerischer Arbeitsmittel und die Freibeweglichkeit des 
einzelnen Kindes. 

Auch die schwierige, zwischen Haus und Kindergarten, Kindergarten 
und Schule strittige Frage des „Stoffes“ ist in ein neues Stadium der 
Erörterung getreten. Wir lernen immer genauer unterscheiden, was 
der intimsten Erziehungssphäre, dem Gemeinschaftsleben von Mutter 
und Kind im Schoß der Familie Vorbehalten werden muß, was erst die 
strengere Arbeitsgemeinschaft der Schule in Angriff nehmen soll. Aller¬ 
dings ist auf diesem Gebiet des „Lehrplans“ der Kindergärten noch 
vieles im Fluß; eine allgemeine Hebung der Einrichtung kann nur von 
Nutzen sein auch für diese innere Arbeit. 

3. 

Der Gedanke, den Kindergarten in den Mittelpunkt der öffentlichen 
Kleinkinderfürsorge zu stellen, kann nicht vollständig verstanden und 
durchgeführt werden ohne Lösung einer anderen, seit Jahren brennen¬ 
den Frage: nach der Vorbildung, Stellung und Lebenshaltung der Kinder¬ 
gärtnerin. Die Bildung der Kindergärtnerin ist eine der Voraussetzungen 
eines guten Kindergartens, wie umgekehrt das Ansehen der ganzen 
Einrichtung, Kindergarten genannt, eine der Voraussetzungen der Standesr 
hebung der Kindergärtnerin ist. Es ist unrichtig und aussichtslos, deq 
Kindergärtnerinnen stand heben zu wollen — etwa durch eine neuo 
Studienvorschrift —, wenn der Kindergarten als ganze Einrichtung mit 
dem Makel Armenangelegenheit behaftet bleibt; es ist unrichtig, aus 
bloßen Standesrücksichten die Gedanken zur Lösung des Bildungsproblem? 



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Aloys Fischer 


der Kindergärtnerin zu entwickeln, ohne auf die soziale und pädagogische 
Aufgabe des Kindergartens selbst hinzuschauen. 

Daß in der öffentlichen Schätzung, der Stellung und Besoldung der 
Kindergärtnerin heute vielfach geradezu unanständige Motive und 
Tendenzen zum Ausdruck kommen, ist bekannt In der Familie wird 
sie mitunter dem häuslichen Dienstboten hart nahegerückt, in der öffent¬ 
lichen Erziehungs- und Schulverwaltung fast ausnahmslos unter die 
Aufsicht und Amtsgewalt anderer, meist der Kleinkindererziehung und 
Kinderftirsorge fernstehender Behörden gestellt. Die Kindergärtnerin 
kämpft deshalb einen Kampf, ähnlich dem der Volksschullehrerschaft 
wenn auch die Fronten verschieden sind, und sie führt diesen Kampf 
mit ganz entsprechenden Mitteln. Wie die Volksschullehrerschaft meint 
Und hofft, durch Beseitigung ihrer gesonderten Vorbildung, durch den 
Zugang zur höheren Schule und Hochschule, durch Hebung ihrer Vor¬ 
bildung also, die Unterschiede in Ansehen und Besoldung zu überwinden, 
die sie heute noch vielfach von den wissenschaftlichen Lehrern der 
höheren Schulen trennen, so ist auch in den Kreisen der Kindergärt¬ 
nerinnen der Glaube lebendig, durch eine Bildungsauslese das Ansehen 
und die Erwerbsbedingungen ihres Standes zu verbessern. Bei der un¬ 
leidlich äußerlichen Art der Schätzung nach Schulen und Berechtigungen, 
bei der unsachlichen Trennung von Mensch und Aufgabenkreis, an der 
wir Deutschen leiden, ist diese Richtung des Kampfes der Kindergärt¬ 
nerinnen verständlich; ob sie im Interesse des Kindergartens selbst liegt, 
darf fraglich erscheinen. Für alle Erzieher und Lehrer kann das 
Bildungsproblem im Grunde nur lauten: „Welche Vorbildung und Berufs¬ 
bildung ist die sachlich zweckmäßigste?* Freilich ist eine Lösung der 
schwebenden Fragen von diesem Standpunkt aus eigentümlich abstrakt; 
sie übersieht geflissentlich, daß sich Erziehungseinrichtungen im Gesamt¬ 
leben einer bestimmten Gesellschaft geschichtlich entwickelt haben, und 
daß vom Boden bestehender, gesellschaftlicher Anschauungen aus die 
rein sachlichen Forderungen doch unsachlich werden können, wenn sie 
nämlich nicht zugleich dem Stand die für seine Erziehungsaufgabe er¬ 
forderliche Autorität gewährleisten. Man wird deshalb gut tun, vorher 
zu untersuchen, wer sich ändern soll: die bestehende traditionelle 
Schätzungsweise oder die Bildungseinrichtungen. In der Bildungsfrage 
der Kindergärtnerinnen werden wohl beide Teile umlemen müssen, die 
Gesellschaft im ganzen und der einzelne Stand der Kindergärtnerinnen. 

Als Symptom und zugleich Weg dieser geforderten Gesinnungsänderung 
möchte ich gerade die Umbildung des Kindergartens selbst nochmals 
betonen, seine Entwicklung aus der Abgeschlossenheit einer bloßen 
Wohlfahrtseinrichtung für Arme in den Mittelpunkt der öffent¬ 
lichen Kleinkinderfürsorge. Es kann nicht mehr verkannt werden, daß 
Kleinkinderfürsorge und alles, was mit ihr zusammenhängt, sich steigen¬ 
der Wertschätzung erfreut, und es muß nun dafür gesorgt werden, im 
öffentlichen Bewußtsein den Kindergarten als den wichtigsten Hebel 
dieser Fürsorge festzulegen, um auch dem Ansehen der Kindergärtnerin 
den gewünschten Aufschwung zu geben. Dieser Weg zur Hebung des 
Standes der Kleinkindererzieherin scheint mir erfolgreicher als Erhöhung 
ihrer Vorbildung. 

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Kindergartenfragen nach dem Krieg 


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Selbstverständlich ist damit nicht gesagt, daß die bisher übliche Aus¬ 
bildung der Kindergärtnerinnen in jedem Betracht genügend und gut 
ist; wie der Kindergarten selbst ist auch die Ausbildung für die in ihm 
tätigen Personen veränderlich; es lohnt sich wohl,'über die Anforderungen 
nachzudenken, die der Kindergarten der nächsten Zukunft an Leiterin 
und Gärtnerin stellt, und das Problem der Ausbildung unter diesem Ge¬ 
sichtswinkel kurz zu betrachten. 

Der bisher übliche Bildungsgang der Kindergärtnerin war in den ver¬ 
schiedenen Bundesstaaten des Reiches verschieden. In Preußen 1 ) 
z. B. waren seit der Neuordnung des höheren Mädchenschulwesens (durch 
die Verfügungen des Unterrichtsministeriums vom 6. Febr. 1911, erschienen 
in der Februarnummer 1911 des „Zentralblatts für Unterrichtsverwaltung“ 
und vom 16. Aug. 1911) vorzugsweise zwei Wege gangbar: der Besuch 
eines anerkannten Fachseminars (Kindergärtnerinnenseminars) mit l‘/a- 
jähriger Dauer und staatlicher Abschlußprüfung oder der Besuch einer 
Frauenschule mit angegliederten anerkannten Kursen zur Ausbildung 
von Kindergärtnerinnen. Die Dauer dieses Bildungsgangs betrug zwei 
Jahre. Die Vorbildung für den Eintritt in ein Kindergärtnerinnenseminar 
war m. W. nicht einheitlich geregelt; es mußte nur bei der schulwissen¬ 
schaftlichen Aufnahmeprüfung (Vorprüfung) der Nachweis einer ent¬ 
sprechenden allgemeinen Bildung geliefert werden; wo sich die Be¬ 
werberin diese Bildung erworben hatte, ist m. W. nicht in den Zulassungs¬ 
bedingungen normiert. Eine neunstufige Mittelschule, eine höhere Mädchen¬ 
schule, ein Lyzeum waren gleichmäßig als Vorbildung zulässig; auch der 
Fall, daß sich die Bewerberin nach Erfüllung der Volks- und Fort¬ 
bildungsschulpflicht und geeigneter Selbstvorbereitung oder privater 
Ergänzung ihres Bildungsgangs zu dieser Vorbildung meldete, war nach 
dem Wortlaut der Bestimmungen und den Gewohnheiten der Praxis 
nicht ausgeschlossen. Vorgeschrieben war nur die Altersgrenze (voll¬ 
endetes 16. Lebensjahr) und die Vorprüfung selbst. In Bayern bestand 
vor Einrichtung der Frauenschulen keine einheitliche Regelung; es gab 
einige städtische und private Kindergärtnerinnenseminare, meistens von 
früheren Schülerinnen höherer weiblicher Unterrichtsanstalten besucht; 
Kindergärten in Verbindung mit Klöstern bildeten ihre Gärtnerinnen selbst 
aus. Die Ministerialbestimmungen vom 8. April 1911 regeln das höhere 
Mädchenschulwesen im allgemeinen nach zwei Wegen: der eine führt 
von dem gemeinsamen Unterbau der allgemeinen höheren Mädchen¬ 
schule über realgymnasiale oder humanistische Kurse zur Universität, 
der andere über die Frauenschule zur Ausbildung in bestimmten weib¬ 
lichen Berufen, namentlich dem der Kindergärtnerin und Erzieherin. 
Die Abzweigung der Gymnasialkurse beginnt am Schlüsse der dritten 
Klasse der höhere Mädchenschule (vollendetes 13. Lebensjahr); sie sind 
auf sechs Jahre berechnet; ihre Reifeprüfung verleiht den 19jährigen 
Schülerinnen im Prinzip die gleichen Berechtigungen, wie die Reifeprüfung 
der neunklassigen höheren Schüler der männlichen Jugend. Die Ab- 


*) Zusammenstellung der wichtigsten Vorschriften über den Bildungsgang der Kindergärtnerin 
bietet Marie Wandel: Auskunftsbuch für Lehrerinnen mit Einschluß der Kindergärtnerinnen. Aus¬ 
gabe n für Kindergärtnerinnen. Braunschweig und Leipzig 1913. H. Wollermann. 


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zweigung der Frauenschule beginnt nach der sechsten (Schluß-) Klasse 
der höheren Mädchenschule, nach dem vollendeten 16. Lebensjahr; die 
Dauer der Frauenschule ist auf zwei Jahre festgesetzt; sie umfaßt eine 
allgemeine, hauswirtschaftlich eingestellte Abteilung, eine Abteilung für 
Kinderpflege, eine Abteilung für Kindergarten und Kindererziehung. 
Während das erste Jahr, die allgemeine Abteilung, keine Berufsausbildung 
vermittelt, sondern auf die Stellung der Mädchen als Hausfrauen bzw. 
auf den Eintritt in ein Hauswirtschaftslehrerinnenseminar oder in eine 
Fürsorgeschwesternausbildungsanstalt vorbereitet, sind mit den beiden 
anderen Fachabteilungen Prüfungen verbunden, nämlich das Kinder¬ 
gärtnerinnenexamen bzw. die Erzieherinnenprüfung. 

Ihrem Stoff und Inhalt nach umfaßt die Ausbildung der Kindergärtnerin 
bisher außer einer Reihe sogenannter allgemeiner Bildungsfächer (Religion, 
Deutsch, Geschichte, Bürgerkunde, Zeichnen, Handarbeit, Musik) vor 
allem theoretische Pädagogik, Kindergartenpraxis, Beschäftigungslehre 
für den Kindergarten, Kindertumen und Turnen und Kindergartenliteratur. 
Der Schwerpunkt liegt überall in der praktischen Anleitung zur Arbeit 
im Kindergarten selbst. 

Eine erste Erhöhung der Bildung über diesen hier in einem Durch¬ 
schnitt gezeichneten Stand bedeutet die preußische Trennung der Jugend¬ 
leiterin von der Kindergärtnerin. Die Jugendleiterin ist berechtigt zur 
Leitung mehrgliederiger Kindergärten, Horte, Kinderheime und ähnlicher 
Anstalten zur Pflege und Erziehung der Jugend außerhalb der Schulzeit, 
vor allem aber auch seit der Kriegsentwicklung zur Mitarbeit in der 
öffentlichen Jugendpflege. Ein Urteil über die praktische Bewährung 
dieser erst kurz wirksamen Unterscheidung ist noch kaum möglich; 
ihre Aufnahme in den beteiligten Kreisen ist eine geteilte, sie schafft 
im Stand der Kindergärtnerinnen eine Art Gegenstück zu der norddeutschen 
Trennung von „Lehrern“ und „Oberlehrern“. 

An sich fordert die Leitung eines Gesamtkindergartens, namentlich 
in Großstädten, oder die eines vollen Tagesheims für Kleinkinder gewiß 
manche Charaktereigenschaften, Kenntnisse und Erfahrungen, die in der 
bisherigen Kindergärtnerinnenausbildung gar nicht oder nur gelegentlich 
gepflegt worden sind. Und ganz außer allem Zweifel steht, daß die 
Aufgaben der Jugenpflege, die freilich selbst noch immer schwankend 
sind, nicht von einer Kindergärtnerin im bisher üblichen Sinn bewältigt 
werden können, schon aus dem einfachen Grunde, weil die Jugend¬ 
pflege sich vorzugsweise an das volksschulentlassene Alter wendet 
Anlässe zur Differenzierung der Kräfte, die auf dem Gebiet der Klein- 
kindererziehung, Kleinkinderfürsorge und Gesundheitspflege arbeiten, 
bestehen gewiß und reichlich; die Differenzierung der Personen ist in 
Zukunft ebenso notwendig wie die der Anstalten selbst und ihrer Räume. 
Als ein Teil in diesem Vorgang mag auch die Unterscheidung zwischen 
Kindergärtnerin und Jugendleiterin verstanden und gewürdigt werden. 

Die Vorbildung einer Jugendleiterin besteht nach den preußischen 
Plänen im Besuch einer neunklassigen höheren Mädchenschule, einer 
Frauenschule mit Kindergartenabteilung bzw. eines Kindergärtnerinnen¬ 
seminars, und mindestens vierjähriger Praxis im Kindergarten. Die 
Lehrpläne zur Ausbildung selbst sind m. W. noch nicht einheitlich; im 


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Kindergartenfragen nach dem Krieg 


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allgemeinen muß die künftige Jugendleiterin noch ein Jahr in einem 
Fachseminar studieren; die preußischen Vorschriften betonen als Lehr* 
Stoffe: Pädagogik, Berufskunde, Gesundheitslehre, Jugend- und Volks¬ 
literatur, Unterrichtslehre, Modellieren, Ausschneiden und Zeichnen, 
Handfertigkeit. Als unterste Altersgrenze für die Zulassung zur Jugend¬ 
leiterinnenprüfung ist das vollendete 19. Lebensjahr festgelegt. 

Aus der Erörterung der Trennung von einfacher Kindergärtnerin und 
Jugendleiterin einerseits, aus den vorher schon wirksamen Bestrebungen 
auf Hebung des Standes der Kindergärtnerinnen anderseits sind die 
neueren Forderungen hervorgewachsen: allgemein soll in Zukunft der 
Besuch einer neunklassigen höheren Mädchenschule die schulwissen¬ 
schaftliche Vorbildung für Kindergärtnerinnen bilden. In Frauenschulen 
und Fachseminaren für Kindergärtnerinnen soll dann ein zwei- bis drei¬ 
jähriger Berufsbildungsgang folgen. 

Die generelle Regelung der Kindergärtnerinnenbildung in diesem Sinn 
würde eine Reihe von Konsequenzen für die künftige Zusammensetzung 
des Standes einschließen. Die Kosten einer höheren Mädchenschule 
würden die Auslese zugunsten der bemittelten Schichten beschränken. 
Es fehlt nicht an Stimmen, die darin gerade einen Vorteil und Segen 
für den Kindergarten erblicken. Die höhere Haustochter mit ihrer durch¬ 
schnittlich guten Kinderstube, ihren besseren Manieren, ihrer reineren 
Sprechweise soll im Kindergarten gerade um dieser Eigenschaften willen 
vorzüglich amPlatz sein, jedenfalls den Vorzug vor d em Mädchen verdienen, 
das mit einfacher oder gehobener Volks- und Fortbildungsschulbildung 
durch langjährige Mitarbeit rein praktisch in den Beruf der Kinder¬ 
gärtnerin hineinwächst. Führende Persönlichkeiten stehen nicht an, 
ausdrücklich zu gestehen, daß ihnen eine Hebung des Standes der Kinder¬ 
gärtnerinnen nur möglich scheint, wenn die Schicht, aus der er sich 
rekrutiert, nach oben rückt; das Mittel, dies zu erreichen, ist in ihren 
Augen der Pflichtbesuch einer neunklassigen höheren Mädchenschule 
als Vorbedingung für den Eintritt in das Kindergartenseminar. Ohne 
die Erhöhung oder Vertiefung der Kindergärtnerinnenbildung selbst an¬ 
greifen zu wollen, möchte ich diesen Erwägungen doch zwei Bedenken 
in den Weg legen: das erste rein soziologischer Natur, das zweite päd¬ 
agogischer Erfahrung entsprungen. Wir lernen seit Jahrzehnten mit einer 
wachsenden Zahl von Mädchen rechnen, die aus guten Kreisen stammend, 
namentlich aus Familien von höheren Beamten, höheren Angestellten 
in der Privatwirtschaft, keine Aussicht haben, in Ehen versorgt 
zu werden, oder auf die Versorgungsehe verzichten. Das Bestreben 
der gehobenen Stände, für ihre Haustöchter befriedigende Berufe zu 
schaffen und womöglich zu privilegieren, ist die verständlichste Schutz¬ 
maßnahme. In diesem Kampf um anständige, befriedigende und ge¬ 
nügend entlohnte Berufe für die höhere ledige Haustochter haben in 
der letzten Zeit auch die pädagogischen Berufe der Frau an Breite ge¬ 
wonnen; die Statistik über die Herkunft der Volksschullehrerin gibt 
darüber fast eindeutige Aufschlüsse. Als kaufmännisch Angestellte 
ist nicht jeder Haustochter die standesgemäße Arbeit und Behandlung 
sicher; für akademische Studien und die freien akademischen Berufe 
bestehen vielfach noch Schranken, außerdem ist der akademische Weg 


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zur beruflichen Selbständigkeit für ein Mädchen lang, kostspielig, mit 
Unsicherheiten behaftet. Es wird in solchem Zusammenhang verständ¬ 
lich, wenn die Kindergärtnerin als ein Berufsziel auch für die Tochter 
der höheren Stände immer mehr an Beliebtheit gewinnt Die Arbeit 
der Kindergärtnerin ist der weiblichen Anlage und Interessensphäre 
gemäß; in gemeindlicher oder staatlicher Anstellung kann ihr auch die 
wünschenswerte wirtschaftliche Sicherheit gewährleistet oder geschaffen 
werden. Ist erst der Stand nach seiner Zusammensetzung einigermaßen 
gesellschaftlich auf der Höhe, so kann ein ernsthaftes Bedenken, die 
höhere Haustochter als Kindergärtnerin zu versorgen, nicht wohl mehr 
bestehen. 

Unbefangene Beurteiler der Entwicklung unserer Frauenberufe konnten 
sich seit längerer Zeit dem Eindruck nicht entziehen, daß an der Neu¬ 
regelung der Kindergärtnerinnenbildung auch derartige Standeswünsche 
und gesellschaftliche Bedürfnisse ihren Anteil besitzen, zumal sie von 
seiten der Kindergärtnerinnen selbst nicht abgelehnt oder zurückgewiesen 
werden. Die Frage, ob gehobene soziale Herkunft und bessere wissen¬ 
schaftliche Schulbildung die Neigung, sich mit dem Kleinkind, gerade 
mit dem armen, vernachlässigten Kleinkind abzugeben, fördern, ob sie 
die Gesinnung der Kindergärtnerin zu erzeugen vermögen, trat dabei 
doch merklich in den Hintergrund. Und doch wird niemand, der die Arbeit 
des Kindergartens nicht bloß aus gelegentlichen Besuchen, sondern genau 
kennt, im Zweifel darüber sein, daß die Erziehung der Kleinkinder 
namentlich in den öffentlichen Anstalten außer fachlich • technischer 
Schulung vor allem reine Liebe zu den Kindern, zu der Erziehungsarbeit 
als solcher, Opferkraft, physische Leistungsfähigkeit und — ich kann 
es nicht unterdrücken — eine gewisse Bescheidenheit der Ansprüche 
an das Leben geradezu fordert. Ich leugne die Vorteile nicht, die eine 
gute Abstammung einer Kindergärtnerin geben können, aber ich glaube 
immer wieder beobachtet zu haben, daß sich Mädchen solcher Vorbildung 
und Herkunft leicht „zu gut“ für die tägliche Arbeit des Kindergartens 
dünken und nach ein paar Jahren über sie hinausstreben. Allenfalls 
scheint ihnen die L e i t u n g eines Kindergartens mehr zu entsprechen. Mit 
ihrer Vorbildung stehen ihnen ja auch andere Wege offen, Wege zu unab¬ 
hängigerem, reicherem und angesehenerem Erwerb. Es ist selbstver¬ 
ständlich begrüßenswert, wenn der weibliche Nachwuchs auch der höheren 
Stände in die Kindergartenarbeit geht, aber es wäre m. E. ein Unglück, 
wenn den Mädchen aus einfachen Verhältnissen der Weg zu ihr über¬ 
mäßig erschwert oder gar verlegt würde. Das ist der erste Punkt, auf 
den ich mit allem Nachdruck bei der Erörterung der Vorbildungsfrage 
immer wieder aufmerksam zu machen für meine Pflicht halte. 

Dazu kommt ein zweiter Gesichtspunkt: Während der Kriegszeit 
mußte vielerorts mit freiwilligen Hilfskräften gearbeitet werden; ich 
Überblicke selbstverständlich nicht alle dabei gemachten Erfahrungen; 
die Auslese für diesen Hilfsdienst in Krippen, Horten, Kindergärten ist 
auch nicht überall gleich gewesen. Aber im großen scheint mir doch 
eines festzustehen, daß Mädchen mit Volksschulbildung und praktischer 
Erfahrung eine für Pflege- und Erziehungsberufe geradezu bewunderns¬ 
werte instinktive Anstelligkeit gezeigt haben. Ihre frühe Vertraut- 


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heit mit den Wirklichkeiten des Lebens gleicht die Mängel theoretischer 
Vorkenntnisse leicht aus. Auch ist der Abstand zwischen ihrer und 
der Welt ihrer Schutzbefohlenen kein so großer; sie können die häus¬ 
lichen Verhältnisse sowohl leichter überblicken, verstehen und berück¬ 
sichtigen als auch beeinflussen. Der pflegerische und pädagogische 
Genius steckt nicht in der Erkenntnis, auch wenn er ihrer nicht ent- 
raten kann. Ich glaube deshalb, daß wir auch in Zukunft nicht darauf 
verzichten sollen, tüchtigen Mädchen der einfachen Schicht mit guter 
Schulbildung den Weg zur Arbeit im Kindergarten durch praktische 
Mitarbeit, durch eine Art Lehrzeit also, offen zu halten; daß wir dies 
tun sollen weniger im Interesse der Versorgung dieser Mädchen, als im 
Interesse der Kinder und Kindergärten selbst. Das pädagogische Talent, 
Lust und Liebe zu den Kindern, Anstelligkeit und Opfergesinnung und 
die oben berührte Bescheidenheit derLebensansprüche machen auch ohne 
viel „wissenschaftlichen Unterricht“, ohne Fremdsprache, Physik, Chemie, 
Verwaltungsrecht und Bürgerkunde aus diesen Mädchen tüchtige Kinder¬ 
gärtnerinnen. - 

Will man diese uns notwendigen Naturgaben nicht ungenutzt ver¬ 
kümmern lassen, so gilt es, die Frage der Vorbildung und Berufsbildung 
der Kindergärtnerin möglichst vielfältig durchzuführen und insbesonders 
zwischen der Kindergärtnerin als solcher, der Leiterin eines Kinder¬ 
gartens, der Vorsteherin eines Tagesheims für Kinder, der Aufsichts¬ 
kraft und der Jugendpflegerin schärfer zu unterscheiden. 

Die geschilderte Ausbildung innerer Unterschiede der Einrichtungen 
für die Pflege und Erziehung des Kleinkindes, sowie für die außerhäusliche 
Betreuung auch noch der Schulkinder wird künftig dazu zwingen, auch 
in der Ausbildung der dafür sich vorbereitenden Kräfte Unterschiede 
zu machen. Die Kindergärtnerin wird wohl noch der namengebende, 
aber nicht mehr einzige Typ sein; die Kindergartenleiterin, die Gärtnerin, 
die Aufsichtskraft im Kindertagesheim, die Tagesheimleiterin, die Jugend¬ 
pflegerin, vielleicht auch die Schulpflegerin werden sich auf den Grund¬ 
lagen der Kindergärtnerinnenausbildung nach und nach einbürgern, 
mindestens in der Kleinkinderpflege der großen und mittleren Städte. 
Und ist einmal der vereinheitlichende Schritt von der Erziehung zur 
Fürsorge, von der pädagogischen Einrichtung: Kindergarten zu dem um¬ 
fassenden Ganzen: organisierte Kleinkinderpflege gemacht, so stehe ich 
nicht an zu erwarten, daß auch die für ländliche Verhältnisse gedachten 
Wanderpflegerinnen, Kreispflegerinnen, Fürsorgeschwestern (oder wie 
die öffentlichen Helferinnen der Kinderpflege sonst heißen mögen) eine 
pädagogische Ausbildung ungefähr wie Kindergärtnerinnen und Hort¬ 
nerinnen anstreben und nutzen werden. 

Hält man sich die mannigfachen Bedürfnisse der Gesellschaft vor 
Augen, denen die Kleinkinderpflege gerade auch nach der Erziehungs¬ 
seite genügen soll, denkt man an die großen Zahlen der dafür erforder¬ 
lichen vorzubildenden Kräfte, und ist man schließlich davon überzeugt, 
daß die Kleinkinderpflege künftig stärker als bisher unter staatliche 
Vereinheitlichung, Regelung und Förderung kommen muß, so bleibt für 
die Frage der Kindergärtnerinnenbildung nur ein Weg aussichtsreich: 
die Schaffung staatlicher Kindergartenseminare. 


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Der augenblickliche Zustand der Dinge erinnert lebhaft an jene Zeiten, 
in denen auch die Ausbildung des Volksschullehrers uneinheitlich, un¬ 
gleich und im Ganzen dürftig war, weil der Staat seine Aufgaben auf 
dem Gebiet der Lehrerbildung noch nicht begriffen hatte. Wie wir 
über die Zustände der Voraufklärungszeit hinauswachsen mußten und 
namentlich staatliche Lehrerseminare nötig hatten, um die Volksschule 
zu bekommen und den staatlichen Schulzwang vom Papier der Verord¬ 
nung in die Wirklichkeit des Volkslebens überzuleiten, so wird auch 
der Ausbau der Kleinkindererziehung erst dann den wünschenswerten 
Schritt annehmen, wenn die Erzieherin des Kleinkindes in staatlichen 
Anstalten ihre zweckmäßige Berufsbildung suchen und erhalten kann. 
Ich stelle diese Forderung hier nicht, um die bestehenden Einrichtungen 
herabzusetzen; ihre Verdienste sind unbestreitbar, ihre Art kann viel¬ 
fach benutzt werden zum Aufbau des Kommenden. Die Forderung ist 
begründet in den völlig anders gewordenen gesellschaftlichen Verhält¬ 
nissen und in den Aussichten, denen Deutschland entgegenwächst, in 
dem Wunsch, auch dem Stand der Kindererzieherinnen die Würde und 
Lebenshöhe zu sichern, ohne die ihre Arbeit durch die Gleichgültigkeit, 
das Mißtrauen, die Erwerbsrücksichten um ein gut Teil des Erfolges 
gebracht wird. Der Staat kann sich m. E. nicht länger mehr der Ver¬ 
pflichtung entziehen, das Kindergartenwesen als wichtigen Bestandteil 
der Kleinkinderpflege in seine Fürsorge zu nehmen. Ein Zwang zur 
Errichtung von Kindergärten, zur Beschickung derselben kann selbst¬ 
verständlich nicht befürwortet werden; ein Kindergartenzwang nach Art 
des Schulzwangs wird dauernd (aus Gründen der Familienpolitik, der 
Erziehungsrechte des Hauses und anderen Überlegungen) abzulehnen 
sein. Aber wohl ist es denkbar, daß wir im Interesse der einmal vor¬ 
handenen Kinder und genötigt durch die Wirtschaftsverhältnisse, die 
eine Familienerziehung oft ausschließen oder erheblich einschränken, 
größeren Gemeinden, Gewerbebetrieben, Fabriken und anderen Wirt¬ 
schaftseinheiten die gesetzliche Verpflichtung auferlegen, für die Kinder 
ihres Verwaltungsbereiches ein Mindestmaß erzieherischer Fürsorge zu 
schaffen. Von dem Zeitpunkt an, in welchem der Staat den Kindergarten 
als eine Maßregel der Kleinkinderpflege in seine Hut nimmt, erwächst 
ihm Recht und Pflicht, auch für die Kindergärtnerinnen in seinem Dienst 
zu sorgen, ihre Bildung, Stellung und Einkommens Verhältnisse zu regeln. 
Und geht einmal der Staat hier mit seinem Beispiel voran, so werden 
die Gemeinden und Familien nachfolgen müssen, die auf die Anstellung 
von Kindergärtnerinnen, Bonnen, Kinderfräulein usw. nicht verzichten 
können. 

Ich glaube mit den angedeuteten Zusammenhängen gezeigt zu haben, 
daß der Staat Pflichten hat gegenüber dem Kindergarten und wie er 
durch Gründung eigener Anstalten für die von ihm direkt eingerichteten 
oder überwachten Kindergärten die gesamten Probleme der Wirtschafts¬ 
und Standesfragen der Kindergärtnerinnen fördern kann. 

Die nächste Frage ist die: Auf welcher Grundlage soll das staatliche 
Kindergartenseminar aufgebaut sein? Zur Zeit ist das ganze Kinder¬ 
gartenbildungswesen von den Leitgedanken und Beispielen des deutschen 
Fröbelverbandes beherrscht; auch die Regierungen, die sonst gern freie 


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Kindergartenfragen nach dem Krieg 


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Hand und selbständige Initiative bewahren, zeigen sich in den Grund¬ 
sätzen zur Regelung des Kindergartenbildungswesens wesentlich unter dem 
Einfluß dieses großen und verdienstvollen Verbandes. Da der Fröbel- 
verband an der höheren Töchterschulbildung als unerläßlicher Vorbe¬ 
dingung für den Eintritt in das Kindergärtnerinnenseminar festhält, so 
haben auch die Regierungen diese Bedingung festgehalten oder über¬ 
nommen. Ist diese Bedingung sachlich ganz gerechtfertigt? Ich erinnere 
an die Bedenken, die ich oben gegen diese Regelung geltend gemacht 
habe; ich füge noch deutlichere Einwände hinzu. In Bundesstaaten, 
in denen Absolventinnen der höheren Töchterschule andere Bildungs¬ 
wege als das Kindergärtnerinnenseminar offen stehen (z. B. Studienan¬ 
stalt, Lehrerinnenseminar, Gymnasial- oder Realgymnasialabteilung einer 
bayrischen höheren Töchterschule) schwenken erfahrungsgemäß vorzugs¬ 
weise Mädchen in das Kindergartenseminar ab, die nach ihrer bisherigen 
schulischen Entwicklung nicht als bestbegabte und geschickteste gelten 
können. Wer einigermaßen Aussicht hat, noch mehr „lernen“ zu können, 
strebt weiter. Es kann jedoch nicht im Interesse des Kindergartens 
liegen, die Kräfte an sich zu ziehen, denen zu anderen, angeblich 
höheren Zielen die erforderliche Tüchtigkeit mangelt. Die bestehende 
Vorschrift wirkt also nicht notwendig günstig auf die Auslese für den 
Stand der Gärtnerinnen. Dazu kommt als wichtiges Moment, daß die 
höhere Tochter infolge ihrer Beanspruchung durch die Schule wenig 
Zeit hat, im ausgiebigen Umgang mit Geschwistern die für die Behand¬ 
lung des Kleinkindes so wichtigen Früherfahrungen zu sammeln. Wie 
mir mein an H. Gaudigs Anstalt wirkender Freund Otto Scheibner mit¬ 
teilt, haben Umfragen über den Umgang der Schülerinnen mit ihren 
Geschwistern enttäuschende, ja traurige Befunde gezeigt. Die höhere 
Schule läßt wenig, mitunter erschreckend wenig Zeit dazu. Ich möchte 
meinerseits noch mehr auf ein drittes Moment hinweisen: die fremd¬ 
sprachliche Bildung (Französisch und Englisch) ist in der Berufsarbeit 
und Lebensform der Durchschnittskindergärtnerin, namentlich der öffent¬ 
lich angestellten, verlorene Mühe gewesen, während große Gebiete der 
Sachbildung, die für die kindergärtnerische und kinderpflegerische Arbeit 
wünschenswert sind, zu kurz kommen oder überhaupt nicht mehr nach¬ 
geholt werden können. 

Ich weiß, daß gerade dieser fremdsprachliche Einschlag wie überhaupt 
die sogenannte allgemeine höhere Bildung besonders verteidigt wird. 
Man weist daraufhin, daß die gesellschaftliche Stellung der Kindergärtnerin 
in der Familie mit davon abhängig ist, ob sie mit der Frau des Hauses 
wenigstens streckenweise die Bildung teilt oder nicht. Der Fröbelverband 
bildet in seinen Anstalten ja einen großen Teil der Hauserzieherinnen, 
Kinderfräulein, Bonnen usw. aus und legt wohl mit Rücksicht auf deren 
Fortkommen und Stellung solchen Nachdruck auf die Vorbildung durch 
eine höhere Mädchenschule. Aber einmal hindert nichts, daß für die Aus¬ 
bildung der Hauserzieherinnen nach wie vor private Unternehmungen 
wirken können, die an den bisherigen Aufnahmebedingungen festhalten 
mögen; ich verkenne nicht, daß für das Fortkommen im Dienst der Haus- 
erziehung namentlich der vornehmen Kreise, wie heute die Dinge gelagert 
sind, die beste gesellschaftliche Vorbildung durchaus eine Empfehlung ist 


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Aloys Fischer, Kindergartenfragen nach dem Krieg 


— aber ich bestreite, daß dieser Umstand irgend etwas mit der besonderen 
beruflichen Aufgabe zur Kindergärtnerin zu tun hat, bestreite auch, daß 
diese Vorbildung von den Familien mit Rücksicht auf die Kinder gefordert 
wird. Die Gründe liegen in ganz anderen Richtungen und Rücksichten. 

Überläßt man die Ausbildung des vornehmen Kinderfräuleins den be¬ 
stehenden höheren Mädchenanstalten und den auf sie aufgebauten Semi¬ 
naren, dann bleibt dem Staat die Möglichkeit unbenommen, für seine 
Kinderpflege Schwestern und Kindergärtnerinnen auf einer anderen 
Grundlage auszubilden, nämlich auf jener der allgemeinen Volksschule. 
Das staatliche Kindergärtnerinnenseminar schwebt mir nach Vor¬ 
bedingungen und Dauer durchaus als Seitenstück zu den staatlichen 
Lehrerseminaren vor. Vor allem müßte mit der (nicht durch die Sache, 
sondern eben durch den Zwang des Besuches einer höheren Mädchen¬ 
schule) bedingten Kürze der kindergärtnerischen Ausbildung gebrochen 
werden. Denken wir uns Mädchen mit gutem Abgangszeugnis von der 
Volksschule, mit natürlichem Interesse für Kinderpflege und Erziehung 
in einem mindestens fünfjährigen Lehrgang theoretisch und praktisch 
für die Kindergartenarbeit befähigt, so haben wir nicht nur eine zweck¬ 
mäßig zureichende Vorbildung für Kindergärtnerinnen geschaffen, son¬ 
dern zugleich, um ein Schlagwort des Tages zu gebrauchen, eine neue 
Möglichkeit des Aufstiegs der Begabten eröffnet, noch dazu — was m. E. 
sehr ins Gewicht fällt — für das weibliche Geschlecht. Es ist hier nicht 
angebracht, einen förmlichen Lehrplan eines solchen fünfstufigen Kinder¬ 
gärtnerinnenseminars zu entwerfen; dazu müßte außer der pädagogischen 
Wissenschaft vor allem die Erfahrung der Praxis selbst zu Rate gezogen 
werden. Nur einige Andeutungen über das Grundsätzliche seien gestattet: 
die zeitliche Trennung der allgemeinen Bildung und Fortbildung (Deutsch, 
Religion, Natur- und Kulturkunde usw.) von der Fachbildung dürfte un¬ 
zweckmäßig sein; vom Anfang an und für die ganze Dauer der Aus¬ 
bildung soll vielmehr die engste Verbindung und Durchdringung der 
allgemeinen und der beruflichen Bildungsfächer dem Lehrgang das Ge¬ 
präge geben. Noch wichtiger aber ist das richtige Verhältnis zwischen 
„theoretischem“ und „praktischem* Unterricht, genauer gesagt zwischen 
der schulmäßigen Unterweisung in den theoretischen Grundlagen der 
ganzen Kindergartenarbeit und der anleitenden Einführung in sie. Der 
Übungsschule am Lehrerseminar müßte ein Übungskindergarten am 
Kindergartenseminar entsprechen. Die Einzelheit der Unterrichtsfächer 
könnte, wie gesagt, nur nach den Bedürfnissen und den Erfahrungen 
der Praxis festgelegt werden. 

Die Ausbildung im fünfstufigen Kindergartenseminar würde die Schülerin 
bis zur praktischen Mithilfe am Kindergarten führen. Nach ein bis 
zwei Jahren Arbeit als Helferin würde sie die nötige Selbständigkeit 
erwerben haben, um einen Kindergarten kleinen Umfangs, eine Abtei¬ 
lung eines mehrstufigen Kindergartens selbst zu führen. 

Das staatliche, auf die Volksschule aufbauende Kindergärtnerinnen¬ 
seminar scheint mir berufen, die in steigendem Maß in der städtischen 
wie ländlichen Kleinkinderpflege erforderlichen Kräfte auszubilden. So¬ 
weit das Haus, insbesondere die gehobenen und begüterten Schichten, 
weiterhin Kinderfräulein verwenden, 6oll deren Ausbildung im großen 


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Henriette Goldschmidt, Vom Kindergärten zur Hochschule für Frauen 161 


und ganzen im Rahmen der bisherigen Privatanstalten vor sich gehen, 
zugleich auf der höheren Töchterschulbildung aufbauen und nach der 
pädagogischen Seite vertieft werden. 

Soweit für die leitenden Stellen größerer Kindergärten, städtischer 
Kinderheime und allenfalls auch noch für die Mitarbeit in der Jugend* 
pflege eine andersartige Bildung erforderlich ist, soll sie den bewährten 
Kindergärtnerinnen, gleichviel mit welcher Vorbildung, nach zehn Jahren 
praktischer Arbeit offen stehen in eigenen, staatlich eingerichteten und 
überwachten Kursen für Leiterinnen, deren Dauer mindestens zwei 
Jahre betragen und deren Stoff sich vor allem auf die sozialgeschicht¬ 
liche, verwaltungsrechtliche, organisatorische Seite der ganzen Kinder¬ 
fürsorge und Kinderpflege zu erstrecken hat. Ich will freilich nicht ver¬ 
schweigen, daß ich die augenblicklich erstrebte Verbindung von Klein¬ 
kinderfürsorge mit der (weiblichen) Jugendpflege sachlich nicht für 
zweckdienlich und ersprießlich halte. Die Kindergärtnerin ist durch 
Vorbildung und Erfahrung auf ganz andere Erziehungsaufgaben ein¬ 
gestellt und vorbereitet, als sie in der Jugendpflege zu lösen sind. Es wird 
auf die Dauer nichts anderes übrig bleiben, als eigene Wege und Ver¬ 
anstaltungen zur Ausbildung der Jugendpflegekräfte zu suchen nnd zu 
gehen. Die Jugendlichen sind in leiblicher, psychischer, sozialer Hin¬ 
sicht ganz verschieden vom Kleinkind, ihre Erziehung geht andere 
Bahnen als sie in Kindergarten und Schule beschlossen sind, deshalb 
könnte ich in der Verwendung von Kräften, die ursprünglich vorzugs¬ 
weise für das Kindes- und Schulalter ausgelesen und vorgebildet 
worden sind, nur eine durch die Not entschuldigte Ausnahme, nicht 
eine Regel erblicken. Auch die höhere Bildung macht nicht an sich 
zur Jugendpflege geeignet, dies tut nur eine spezifische Bildung. Sie 
muß freilich erst noch geschaffen werden. 

Durch diese Vorschläge wird die Bewerbung um die leitenden Stellen 
den beiden Gruppen möglich, durch die Bedingung einer genügend langen 
praktischen Zeit wird dem Mißstand gesteuert, daß die leitenden Stellen 
mit Kräften besetzt werden, die trotz ihrer höheren Bildung dem ganzen 
Betrieb des Kindergartens und der Kleinkinderpflege fernstehen. 

Selbstverständlich sollen die gemachten Vorschläge nur die allgemeine 
Linie der wünschenswerten Entwicklung kennzeichnen; diese wird un¬ 
streitig dadurch bestimmt werden, daß der Kindergarten aus der eigen¬ 
tümlichen Selbständigkeit heraustritt und im Rahmen der Maßnahmen 
einer allgemeinen öffentlichen Kinderpflege seine Wiedergeburt erlebt. 


e 


Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen. 

Ein Rückblick auf die Anfänge der deutschen Frauenbewegung 
und das Erziehungswerk Friedrich Fröbels. 

Von Henriette Goldschmidt. 

Zu den wenigen Frauen gehörend, die in den sechziger Jahren des vorigen 
Jahrhunderts die Initiative für die Frauenfrage ergriffen und sie den Zeitgenossen 
zur Beantwortung vorgelegt hatten, ward es mir nicht schwer, auch für den 

Zeitschrift f. pSdagog. Psychologie. H 


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Henriette Goldschmidt 


Gedanken einer Hochschule für Frauen das sympathische Interesse weiterer 
Kreise zu finden und ihn zur Verwirklichung zu bringen. Man brachte mit 
Recht die Hochschule in Zusammenhang mit der Frauenbewegung, die ja be¬ 
kanntlich von Leipzig ihren Ausgang genommen hat. Als der einzigen noch 
Lebenden jener Frauen, die zaghaft und doch mutig die ersten Schritte für 
diese Bewegung unternahmen, möge es mir vergönnt sein, sie in Kürze zu 
zeichnen. 

Wie jede neue Erscheinung, die sich bedeutsam für unsere Entwicklung 
erweist, im geistigen Leben der Menschen lange vorbereitet sein muß, so war 
es auch die Frauenfrage. Sie ist ein Kind jener Zeit, die in den vierziger Jahren 
des vorigen Jahrhunderts auf allen Gebieten unseres Kulturlebens die Gemüter 
mächtig bewegte und im Jahre 1848 sichtbar in die Erscheinung trat. Das tolle 
Jahr nannten es viele — als ein bedeutsames Jahr für das politische und soziale 
Leben Deutschlands ist es historisch anerkannt. Wer es erlebt hat, weiß, daß 
es ein Jahr der Befreiung, der Erlösung war, ein Jahr der Wiedergeburt neuer 
Hoffnungen. 

Im Jahre 1848 hatte die Frau, die später, im Jahre 1865, Deutschlands Frauen 
zu einer öffentlichen Konferenz nach Leipzig berief, in der über die Stellung 
der Frau beraten werden sollte, die erste politische Zeitung für Frauen gegründet 
mit dem Motto: „Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen“. 

L uise Otto, die Tochter eines Justizbeamten in Meißen, hatte in Gemein¬ 
schaft mit einigen Gesinnungsgenossinnen,- zu denen auch Auguste Schmidt 
gehörte, das Wagnis unternommen. Es fand kein nennenswertes Echo in der 
Frauenwelt; doch führte die Konferenz in Leipzig zur Gründung des „All¬ 
gemeinen Deutschen Frauenvereins“. 

Fast zu gleicher Zeit rief der damalige Handelspräsident Lette in Berlin einen 
„Verein zur Förderung der weiblichen Erwerbsfähigkeit“ ins 
Leben. Das Prinzip dieses Vereins ist einfach und deutlich erkennbar. Die 
Notlage des weiblichen Geschlechts bestimmte einsichtige und wohlwollende 
Menschen zur Hilfeleistung. 

Der in Leipzig gegründete Allgemeine Deutsche Frauenverein war in gleicher 
Weise von der Notlage des weiblichen Geschlechts bedingt. Sein Programm 
sprach es deutlich aus: „Der Verein erklärt die Arbeit als die Grundlage unserer 
modernen Kultur für die Pflicht und Ehre des weiblichen Geschlechts. Er will 
bestrebt sein, alle Hindernisse zu beseitigen, welche ihr im Wege stehen“. 

Es ist unschwer zu erkennen, daß beide Vereine von verschiedenen Gesichts¬ 
punkten ausgehen. Der Letteverein will der Notlage durch erhöhte Erwerbs¬ 
fähigkeit abhelfen; der Allgemeine Deutsche Frauen verein bezeichnet die Arbeit 
als Ehre und Pflicht der Frau, er stellt die Frau in die Arbeitsgemeinschaft aller 
ein. Arbeit ist nicht nur ein Mittel für die Erwerbsfähigkeit des einzelnen, sie 
ist Bedingung unserer gesamten Kultur. Inzwischen haben beide Vereine mit 
Befriedigung auf eine fünfzigjährige Wirksamkeit zurückblicken können. 

Der Allgemeine Deutsche Frauen verein hatte zunächst die agitatorische Tätig¬ 
keit als die ihm gemäße ins Auge gefaßt. Er hat eine Zeitschrift ins Leben ge* 
rufen: „Neue Bahnen“, die sich bis jetzt trotz der Fülle von Zeitschriften 
für die Frauenfrage behaupten konnte, und er bediente sich des wichtigsten und 
wirksamsten Agitationsmittels, des gesprochenen Wortes in öffentlichen Ver- 


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Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen 


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Sammlungen. Unter dem Vorsitze seines Vorstandes fanden alljährlich in einer 
der größeren oder mittleren Städte Frauentage statt. Frauen sprachen dort zu 
Frauen und erörterten alle Seiten der Frauenfrage; die Stellung der Frau als 
Persönlichkeit und im Zusammenhänge mit dem Familien-, Gemeinde- und 
Staatsleben. Diese von Frauen geleiteten und von Frauen ausgeführten Tagungen 
machten die Zuhörerinnen zu Mitkämpfern für diese ihre eigene Angelegenheit. 
Nicht nur das Verständnis wurde geweckt, der Wille zur Betätigung für die Arbeit 
aller, für Rechte und Pflichten der Frau, ergriff die Gemüter. In den Frauen¬ 
tagen liegt die Wurzel der Frauenbewegung. 

So verlockend es für mich wäre, den Werdegang dieses Agitationsvereins 
nach allen Richtungen eingehend zu schildern, so muß ioh mir das versagen. 
Unsere Hauptaufmerksamkeit wandte sich zunächst dem Mädchenschulwesen 
zu. Vor 50 Jahren gab es keine Fortbildungsschule für Mädchen — weder für 
Volksschülerinnen, noch für Schülerinnen der höheren Töchterschule. Die 
einzige Bildungsstätte über das Ziel der höheren Töchterschule hinaus war das 
Seminar für Lehrerinnen. 

Die erste Tat der sogenannten Frauenrechtlerinnen war die Gründung einer 
Fortbildungsschule in Leipzig für Töchter unbemittelter Familien. Die Frauen¬ 
tage schlossen fast immer, anstatt mit der Fassung von Resolutionen, mit der 
Gründung eines Frauenbildungsvereins, der es für seine vornehmste und erste 
Aufgabe hielt, Fortbildungsschulen für Mädchen zu errichten. 

Neben dieser unteren Stufe eines bildenden Unterrichts beschäftigte uns 
die Möglichkeit des Studiums der Frauen an der Universität, zunächst das 
medizinische und pädagogische Studium. Nach einem zwei Jahrzehnte wäh¬ 
renden Kampf öffneten sich die Pforten der Universität den Frauen. 

In den letzten fünfzig Jahren sind eine Fülle von Schulen entstanden, die 
sich teils aus Fortbildungsschulen zu Fachschulen erweiterten, teils gleich als 
solche eingerichtet wurden. Eine Erscheinung auf pädagogischem Gebiete, 
die vor 50 Jahren dem allgemeinen Verständnis der offiziellen Pädagogik fremd 
war, wurde von den damaligen Führerinnen der deutschen Frauenbewegung zwar 
wohlwollend betrachtet, in ihrer Bedeutung für die Bildung der weiblichen Jugend, 
für den Erziehungsberuf der Frau, kaum beachtet. Ich meine „das Frö- 
belsche Erziehungswerk“. 

Dem schöpferischen Geiste Friedrich Fröbels war es Vorbehalten, Grund¬ 
lagen für eine Erziehung des kindlichen Alters und Bildungsmittel für das 
jungfräuliche Alter zu finden, die im Zusammenhang miteinander stehen, so 
daß man nicht nur von einer pädagogischen Theorie, sondern von einem Er¬ 
ziehungswerke sprechen darf. Fünfundzwanzig Jahre vor der ersten Konferenz 
deutscher Frauen in Leipzig, im Jahre 1840 hat Fröbel in einer öffentlichen 
Versammlung in Blankenburg deutsche Frauen und Jungfrauen zur Grün¬ 
dung eines deutschen Kindergartens aufgerufen. Er sagte ihnen: „Gott hat 
das leibliche und geistige Bestehen des Menschengeschlechts durch die Blind¬ 
heit in das Frauenherz und -gemüt gelegt. Es ist die Eündheits-, es ist die 
Frauenwürde, die Würde des häuslichen, des Familienlebens, die wir begründen 
wollen.“ Im Jahre 1851 ist in Hamburg von Frauen, die für Fröbels Ge¬ 
dankenwelt reif waren, neben den Kindergärten eine Hochschule für Frauen er¬ 
richtet worden, die leider nach kurzem Bestehen der Reaktion zum Opfer fiel. 

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Henriette Goldschmidt 


Noch deutlicher und umfassender als in den genannten Anstalten, bereits 
im Jahre 1836, spricht Fröbel seine Gedanken über weibliches Wesen und Sein 
aus. Über Erneuerung des Familien- und Volkslebens stellt der einsame Denker 
seine Betrachtungen an, und in der Neujahrsnacht 1835/36 kam ihm der 
Gedanke, es sei das Charakteristische der Zeit, das weibliche Geschlecht 
seines instinktiven, passiven Seins zu entheben, und es von seiten seines Wesens 
und seiner Menschheit pflegenden Bestimmung als Glied der Menschheit zu der 
ihm gebührenden Höhe und Anerkennung zu bringen. 

Dieses Wort, vor beinahe einem Jahrhundert ausgesprochen, ist ein propheti¬ 
sches gewesen. Unleugbar hat die erste öffentliche Konferenz deutscher Frauen 
am 18. Oktober 1865 in Leipzig die Prophezeiung zu erfüllen begonnen. Die 
Frau tat den ersten Schritt, sich von ihrem instinktiven, passiven Sein zu be¬ 
freien, sie forderte ihr Recht, in die Kulturarbeit ihres Volkes einzutreten und 
hat während der Dauer eines halben Jahrhunderts für dieses Recht gelitten, 
gestritten und es siegreich erkämpft. Unsere Zeit, die gewaltige, grausame Kriegs¬ 
zeit hat bewiesen, daß dieser friedliche Kulturkampf bedeutsame Kräfte der 
Frau gezeitigt hat und daß ihr die organisierende Fähigkeit, die man unserem 
Volke nachrühmt, nicht fehlt. Ohne die Vorarbeit von Jahrzehnten wäre 
die Gestaltung des nationalen Frauendienstes unmöglich gewesen. Aber deut¬ 
licher als je zuvor hat der Krieg auch gelehrt, daß die Natur nach ewigen, ehernen 
Gesetzen jedem Geschlechte die Grenzen zieht, und so zeigt der Krieg die Be¬ 
währung der Manneskraft in Schlacht und Kampf, während die Frau die erhal¬ 
tenden, heilenden, pflegenden und erziehenden Kräfte, die sie schon im Frieden 
übte, bewähren muß. 

Seine Urkräfte betätigt der Mensch immer der Kulturstufe gemäß, die er 
errungen, und ehe er eine Kulturstufe erreicht hatte, instinktiv. Längst aber 
erfordert jeder Beruf des Mannes eine Vorbereitung, eine Schulung, der Kriegs¬ 
dienst selbst dann, wenn er ihn nicht als Berufssoldat ausüben sollte. Daß die 
Urkräfte der Frauen gleich denen des Mannes einer Kultivierung bedürfen, ist 
von dem Augenblicke an selbstverständlich, wo es ausgesprochen wird. Niemand 
hat das klarer ausgesprochen als Fröbel. Er schaut in die Seele des Weibes wie 
keiner vor ihm. Er fand den Quell und Keimpunkt ihres Gemüts- und Seelen¬ 
lebens und zeigte den Weg ihrer Entwicklung von diesem Keim punkte aus. 
Die der Frau selbst nicht bewußte seelische Kraft hat er ihr offenbart und sie 
ihrer Menschen pflegenden Bestimmung bewußt werden lassen. Zum erstenmal 
ist der Ruf an sie ergangen, mittätig zu sein an einem die Menschheit umfassenden 
Werke. Der Ruf: „Kommt, laßt uns unseren Kindern leben!“ war ein Weckruf 
aus dem Herzen, aus dem Gemüt der Frauen. Wie sollten die Frauen diesen 
Ruf nicht verstehen ? Sie haben ihn verstanden, sie haben ihm Folge geleistet. 

Einen Kindergarten will er errichten, dessen Pflege er ihnen anvertraut. 

Der Kindergarten bildet den Grundstein des Fröbelschen Er¬ 
ziehungswerkes. Wir sehen hier die Erzieherin der Kindheit als natumot- 
wendig, als innerlich bedingt. Die erziehende Kraft der Frau ist in Tätigkeit 
gesetzt. Nicht nur als Erzieherin ihrer eigenen Kinder, sie fühlt ihre Aufgabe 
im Dienste der Volksfamilie, ihre Menschheit bildende Bestimmung. „Der 
Erziehungsberuf ist der Kulturberuf der Frau.“ (H. Goldschmidt.) 
Die Notwendigkeit einer Schulung der Vorbereitung für diesen Beruf wird er* 


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kennt. Konnten und können die bestehenden Anstalten für die weibliche 
Jugend benutzt werden? Heutzutage ist dies eine müßige Frage. Es hat 
sich im Laufe der Zeit die Eigenart Fröbelscher Bildungsanstalten derartig 
herausgearbeitet, daß wir sie eine schöpferische Tat Fröbels nennen können, 
die im engsten, innersten Zusammenhänge miteinander stehen und Neu¬ 
schöpfungen sind. 

Diese den geheimnisvollen Tiefen menschlichen Geisteslebens entkeimten 
Schöpfungen haben aber vielfach in einer Weise Gestalt gewonnen, die eher ge¬ 
eignet war, die Idee, der sie dienen sollten, zu verbergen, als sie zu offenbaren. 

Der Kindergarten fand als Volkskindergarten die Teilnahme von Menschen¬ 
freunden; er war Wohltätigkeitsanstalt wie die Bewähranstalt und bezog sich, 
wie man meinte, nur auf die ärmere, notleidende Bevölkerung. Daß hier die 
gesamte Kindheit, die Erziehung des frühen Kindesalters System und Methode 
erhielt, da9 zeigte sich nur zufällig demjenigen, der Augen zu sehen und Ohren 
zu hören besaß. 

Viel schwieriger war es, Bildungsstätten für Kindergärtnerinnen zu errichten. 
Nicht die Not der armen Mutter, die, um das tägliche Brot für dis Familie zu 
schaffen, verhindert ist, ihren Kindern die nötige Pflege und Sorgfalt zu widmen, 
eine andere Not, die Erwerbsfrage für die heranwachsenden Töchter des gebil¬ 
deten Mittelstandes kam hier zu Hilfe. 

Ich habe im ersten Teil meiner Darlegungen darauf hingewiesen, daß die 
Frauenfrage als Erwerbs- und Brotfrage für die weibliche Jugend Zustimmung 
und Anerkennung selbst bei denen fand, die ihr als Kulturfrage gleichgültig 
oder feindlich gegenüberstanden. Und so verhielt es sich auch bei der Einführung 
der neuen Bildungsanstalten. Nicht der Gedanke, die weibliche Jugend vertraut 
zu machen mit dem A-B-C der Erziehungskunst und Wissenschaft war das 
Motiv zur Gründung der Seminare für Kindergärtnerinnen und deren schnelle 
Verbreitung. Man entdeckte in ihnen eine Erwerbsquelle für das weibliche 
Geschlecht, die nicht zu unterschätzen war. 

So bemühten sich unberechtigte und berechtigte Elemente, Kindergärtnerinnen 
auszubilden, noch bei Lebzeiten des Meisters. Unbekümmert um diese ihm 
fern liegenden Motive arbeitete Fröbel selbst an beiden zueinander gehörenden 
Anstalten und an ihrer inneren Einheit. In dem festen Glauben an seine Mission 
erblicken wir ihn in Bad Liebenstein, unbeirrt davon,daß die damals dort anwesen¬ 
den Kurgäste ihn einen alten Narren nannten, der mit barfüßigen Kindern auf der 
Wiese herumspringt. Eher aber wollte es einer jener Zufälle, die wir providentiell 
nennen dürfen, daß eine Frau in Fröbels Lebenskreis trat, eine ihm kongeniale 
Natur,Frau vonMarenholtz-Bülow. Sielernteihn in seiner Tätigkeit in beiden 
Anstalten kennen und ward mit voller Begeisterung, ja, mit apostoli&ohem Eifer 
für seine Lehre erfüllt; sie wurde ihre Verkünderin nicht nur in Deutschland, 
sie trug sie in alle Länder des Auslands bis nach Amerika. 


Es ist bekannt, daß Fröbel bereits sein System, seine Methode, seine Be¬ 
schäftigungsmittel ausgearbeitet, bei Kindern angewendet hatte und keinen 
Namen für seine Anstalt wußte. Bewahranstalt, Spielschule, Beschäftigungs¬ 
anstalt für Kinder, alle diese Bezeichnungen konnte er nicht brauchen. 


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Henriette Goldschmidt 


Auf einem Spaziergang in den waldigen Thüringer Bergen mit seinen Freunden 
rief er plötzlich aus: „Ich habe den Namen für mein jüngstes Kind gefunden, 
Kindergarten soll es heißen.“ Mit diesem Namen hatte er sein Werk 
gerettet, hatte er es dem Bereiche der Not enthoben und die Einheit zwischen 
Natur und Kind poetisch und deshalb herzgewinnend bezeichnet. Nomina 
sunt omina. — 

Der Allgemeine Deutsche Frauenverein betrachtete die Frauenfrage als Kultur* 
frage, und so fand mein erster öffentlicher Vortrag 1867 in Leipzig unter dem 
Titel „Die Frauenfrage eine Kulturfrage“ statt. Es war besonders die Stellung 
der Frau innerhalb der bürgerlichen Gemeinde, die ich behandelte. Ich wies auf 
die Nichtbeachtung der Kräfte der Frau hin und bezeichnete die Sachlage mit 
den Worten: Wir haben wohl Väter der Stadt, wo aber sind die Mütter 7 

Wo sind die Mütter 7 Hier ist der Schlüssel für meine Stellung in der deutschen 
Frauenbewegung, der ich in allen ihren Bestrebungen während 40 Jahren nach 
meinen bescheidenen Kräften gedient, und für die Arbeit, die ich im Dienste 
des Fröbelcchen ErziehungsWerkes geleistet habe. 

Fröbel, der die Frau zur Hilfeleistung für eine Kulturaufgabe rief, hat ihr 
auch die Mittel gebracht, sie für diese vorzubereiten. 

Der von mir im Jahre 1871 gegründete „Verein für Familien* und Volks¬ 
erziehung“ (der in seinem Namen seine Aufgabe bezeichnet) eröffnete zunächst 
einen Volkskindergarten, dem bald das Seminar für Kindergärtnerinnen folgte. 
Bereits im Jahre 1874 richteten wir wissenschaftliche Vortragsreihen für 
Damen ein, die von Universitätslehrern gehalten wurden und die auch mir 
Gelegenheit gaben, Fröbel einem gebildeten Frauenkreise als den Pädagogen 
der weiblichen Jugend bekannt zu machen. Diese Vorträge waren die Vor¬ 
läufer des 1878 gegründeten Lyzeums, einer Anstalt, in deren Mittelpunkt wie 
im Seminar Fröbelsche Erziehungslehre und -präzis stand. Den Plan gestaltete 
ich nach der aus Fröbelschen Schriften gewonnenen Einsicht im Zusammenhang 
mit der Methode und Praxis des Kindergartens. Ein großer Teil der Lehrgegen- 
stände war damals noch in keinen Lehrplan der höheren Mädchenschulen auf¬ 
genommen. Raum* und Formenlehre, Volkswirtschaftslehre, Bürgerkunde, Er¬ 
ziehungslehre, Geschichte der Erziehung, Psychologie, Gesundheitslehre, künst¬ 
lerische Übungen im Zeichnen, Modellieren, Gesang und Gymnastik sind 
obligatorische Fächer, sie gehören zur Praxis im Kindergarten. 

In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es noch keine geschulte 
Lehrkraft für die Fröbelsche Erziehungslehre, und so mußte ich diesen Unterricht 
selbst erteilen. Ich hatte demnach ausgiebig Gelegenheit, den Einfluß kennenzu- 
lemen, den unsere Schulen auf die weibliche Jugend ausübten. Waren auch 
die wissenschaftlichen Stunden getrennt, je nach der Vorbildung der Schüle¬ 
rinnen, — der Kindergarten vereinigte alle im gemeinsamen Spiel. Wohl mehr 
als 1000 Schülerinnen aus den verschiedenen Gesellschaftskreisen, verschiedenen 
Bildungsstufen, verschiedenen Alters (von 15—30 Jahren), allen war es, als 
hätten sie hier den natürlichen Boden gefunden, aus dem sie Nahrung für 
ihr Geistes- und Gemütsleben erhielten. Schülerinnen, die sich gesträubt, in 
den Kindergarten zu gehen, und die nur an dem wissenschaftlichen Unter¬ 
richt teilnehmen wollten, verließen die Anstalt als begeisterte Kindergärtne¬ 
rinnen. 


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So bestätigte die Erfahrung, was mir durch die Schriften Fröbelß Überzeugung 
geworden war, daß es keinen besseren Lehrgang für die Entwicklung des Weibes 
gibt als den von Fröbel gefundenen. 

Und von dieser Überzeugung geleitet, hatte ich den Mut, dem Kuratorium 
des Lyzeums, hervorragenden Lehrern der Universität, die Idee einer Hochschule für 
Frauen vorzutragen und sie zu bitten, das Kuratorium für sie zu übernehmen. 
Mit ihrer Zustimmung und der eines Ehrenvorstandes, gebildet aus Lehrern der 
verschiedenen deutschen Universitäten, Vertretern der staatlichen und städti- 
sehen Behörden, einer Anzahl bekannter Persönlichkeiten, ist der Aufruf zur 
Gründung einer Hochschule für Frauen im Oktober 1911 veröffentlicht worden. 

Wie einst Fröbel durch den Namen Kindergarten sein Werk der Not- 
und Brotfrage enthob und es als Erziehungsanstalt für die gesamte Kindheit 
rettete, so wollte ich durch den Namen Hochschule die Bedeutung Fröbels 
für die gesamte weibliche Jugend retten und sie aus dem engen Bereich 
der Not* und Erwerbsfrage in das lichte Reich der Wissenschaft führen. Nomina 
sunt omina. 

Die Hochschule soll uns die noch fehlende Ausgestaltung des Fröbelschen 
Erziehungswerkes bringen, eine neue Stufe in der erzieherisch-unterrichtlichen 
Tätigkeit der Frau: die Lehrerin für die Bildungsanstalten von Kinder* 
gärtnerinnen. Für diese Lehrerinnen ist noch keine Schule vorhanden; auch 
6ie muß naturgemäß organisch aus dem Keime, dem Kindergarten, heraus¬ 
wachsen und sich entfalten. So soll die Hochschule die Wissenschaft für den 
mütterlich erziehlichen Beruf der Frau bringen. 

Je mehr ich mich in die Pädagogik Fröbels vertiefte, die Größe und Weite 
seines Geistes* und Gemütslebens erkannte, den Zusammenhang, in dem sie 
mit Philosophie und Psychologie, mit Mathematik und Naturkunde, mit Religion 
und Kunst aufgefaßt sein will, desto klarer wußte ich, daß diese Pädagogik zu 
lehren, ein Studium bedeutet. Die Anzahl der Lehrkräfte, die ein solches Studium 
leiten können, besitzt zwar die Universität, doch beruht das Universitätsstudium 
auf anderer Voraussetzung. Wohl kann die Universität auch einer Hochschule 
für Frauen eine freundliche und hilfreiche Alma mater sein; aber ersetzen kann 
sie sie nicht. Kein Abiturium, keine Real- noch höhere Töchterschule führt zu 
ihr. Sie beruht auf der Vorbereitung durch die Fröbel-Anstalten, und die Aus¬ 
gestaltung des Fröbelschen Erziehungswerkes ist ihre erste Aufgabe. 

Der Keim, den wir Fröbel verdanken, hat sich entwickelt und zu Neubildungen 
geführt. Neben den Kindergärten und scheinbar ganz unabhängig von ihnen 
entstanden und entstehen Schutzanstalten für Kindheit und Jugend: Hilfs¬ 
schulen für Schwachbefähigte, Nichtvollsinnige, für Gebrechliche und Krüppel, 
für sittlich gefährdete Kinder und Jugendliche, Fürsorge für Kinder gegen Mi߬ 
handlung in ihrer eigenen Familie. Hier ist soziale Arbeit kein kleines und ein 
sehr wichtiges Feld für weibliche Betätigung. Der Weg von der erzieherischen 
sozialen Aufgabe ist nirgends in so folgerichtiger, so logischer Weise gebahnt, 
wie in den Fröbelschen Bildungsanstalten. Das hat die Erfahrung länget be¬ 
wiesen. Kindergärtnerinnen sind für diese Aufgaben begehrte Helferinnen. 

Lange bevor die Frauen das Wort „soziales Gewissen“ kannten, lange bevor 
die Frauenvereine für freiwillige Hilfstätigkeit existierten, bekundeten die 
Frauen ihr mütterliches Gefühl in liebevoller Sorgfalt für Arme und Schwache. 


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Henriette Goldachmidt 


Lange bevor den Frauen ein Studium gestattet war, hatten sie sich bemüht, 
Wandel zu schaffen, fühlten sie den Trieb, über den Kreis der Familie hinaus 
ihre Kraft in Wirksamkeit umzusetzen, innerhalb des bürgerlichen Gemeinlebens 
die ihnen gebührende Stellung zu finden. Sehr zögernd öffneten die Väter der 
Stadt den Müttern die Tore. Doch der gewaltige Krieg hat gezeigt, daß die Hilfe- 
kraft der Frau zur Gesamtkraft des Volkes gehört und nicht entbehrt werden kann. 

Wie die erzieherische, so ist auch die soziale Tätigkeit der Frau nicht an das 
Studium der Universität gebunden, doch ist für die Ausübung in fast allen Ge¬ 
bieten : Wohnungspflege, Armenpflege, Gefängniswesen und in zahllosen anderen 
Gebieten wissenschaftliche Kenntnis notwendig. Neben diesen zwei, dem inner¬ 
sten Bedürfnis des weiblichen Wesens entkeimten Trieben der Betätigung, gibt 
sehr früh ein dritter Beruf Kunde von dem Bedürfnis der Frau, ihre helfende, 
pflegende, erhaltende, menschliche Bestimmung zu erfüllen, die Kranken¬ 
pflege. 

Die Erziehungsaufgabe ist wie die Krankenpflege zunächst in instinktiver 
Weise von den Frauen ausgeübt worden; wir dürfen wohl mit Sicherheit an¬ 
nehmen, daß das Verhältnis zwischen Mutter und Kind die erste Triebfeder zur 
Krankenpflege bot. Noch bis zur Stunde ist jedes weibliche Mitglied der Familie, 
die Gattin, Tochter, Schwester usw. die Pflegerin in Krankheitsfällen. 

Sehr früh ist die Krankenschwester über den Kreis der eigenen Familie hinaus 
im Gemeindeleben tätig gewesen, auch im Staatsleben. Mit dem Manne 
zieht die Krankenschwester ins Feld; auch sie bedarf des Mutes, der Tapferkeit, 
der Selbstüberwindung, auch sie erfüllt die staatsbürgerliche Dienstpflicht; 
sie erfüllt sie ihrer Natur gemäß im Heilen der Wunden. Für eine Schulung 
der Krankenschwester ist außer der Vereinstätigkeit auch der Staat bemüht; 
es fehlt jedoch die wissenschaftliche Schulung für die Oberin als Lehrerin für 
Krankenschwestern. Diese wissenschaftliche Schulung ist auch wie die der 
Lehrerin an den Seminaren für Kindergärtnerinnen eine eigenartige und beruht 
auf anderen Voraussetzungen als das Studium an der Universität; sie gehört 
zu den Aufgaben einer Hochschule für Frauen. Lehrerinnen für Kranken- 
und Gesundheitspflege in der Familie sind eine Forderung der Zeit. Die rein 
instinktive Ausübung einer so wichtigen Aufgabe der weiblichen Mitglieder 
der Familie entspricht nicht der Erkenntnis, daß der Instinkt geleitet werden 
muß, daß auch die häusliche Krankenpflegerin eines vorbereitenden Unterrichts 
bedarf. 

Indem wir die Lehrerinnen für die Berufsausbildung der Krankenpflegerinnen 
schaffen, schaffen wir auch die Lehrerinnen für Gesundheits- und Krankenpflege 
zum Hilfedienst in der Familie. 

Diese drei Gebiete, in denen die Frauen ihre erziehende, er¬ 
haltende, pflegende Kraft bekunden, bilden ein einheitliches 
Ganze für die Erhaltung der Volkskraft; sie sind ein wesentlicher 
Teil des Volkstums. 

Aus diesem Gedanken ist die Hochschule für Frauen hervorgegangen. Die 
Zusammenfassung der dem weiblichen Wesen innewohnenden Urkräfte und 
ihre Betätigung gemäß der Kulturstufe, die wir erreicht haben, rechtfertigt ihren 
Namen. Sie in ihrer Totalität zu verwirklichen war nur möglich, wenn die 
äußeren Bedingungen dazu vorhanden waren. 


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Die drei Abteilungen: die Pädagogische, die Soziale, die für Lehrerinnen 
von Krankenschwestern sind jede ein Ganzes für sich und doch Glieder eines 
Ganzen, durch innere Zusammengehörigkeit von universaler Bedeutung. 1 ) 

Eine besondere Gunst des Schicksals fügte es, daß zwei nebeneinander liegende 
Häuser Raum für die vielgliedrige und doch einheitliche Schule boten. 

Die Idee der Hochschule ist nicht beschränkt auf die Entwicklung der dem 
weiblichen Wesen entsprechenden Seelenkräfte. Die Frau hat Anteil an dem 
gesamten Kulturgut ihres Volkes, und sie will in Beziehung zu ihm bleiben. 

Die Hochschule soll belebend und fördernd auf alle geistigen Kräfte der Frau 
wirken — so gehört in ihren Studienplan eine vierte Abteilung: Allgemein¬ 
bildung. Diese ist jeder Frau zugänglich und erhält den Zusammenhang mit 
den genannten drei Abteilungen; sie hebt die Einseitigkeit auf, die jeder Fach¬ 
bildung anhaftet. 

Ich bin mir bawußt, die Fülle von Erwerb3möglichkeiten nicht betont zu 
haben, die aus den drei Berufsarten hervorgehen. So gewiß der Idealist Fröbel 
mehr für die Erwerbsmöglichkeit des weiblichen Geschlechts getan hat als 
irgendein Wohltäter oder ein klug berechnender Realpolitiker, so gewiß bleibt 
das Wort zu Recht bestehen, das er über den Wert und die Würde mensch¬ 
licher Arbeit sagte: „Erniedrigend, nur zu dulden, nicht zu verbreiten, ist 
die Meinung, als arbeite und schaffe der Mensch nur um seiner leiblichen Be¬ 
dürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnung) willen. Nein, der Mensch schafft, 
damit das Göttliche, das Geistige in ihm zur Entfaltung, zum Dasein gelange. 
Das ihm dadurch zukommende Brot, Kleid und Haus ist Zugabe.“ 

Die Hochschule besteht sechs Jahre. Nur drei Jahre hat sie im Schutze des 
Friedens an ihrer Ausgestaltung arbeiten können. Der Krieg brach aus und 
mit ihm alle die Schwierigkeiten, die in seinem Gefolge sind. Trotz der Kriegs¬ 
zeit hat die junge Anstalt ihre Arbeit auf den gegebenen Grundlagen aufrecht¬ 
erhalten, sowie die Verhandlungen mit der Königlich sächsischen Regierung wegen 
staatlicher Anerkennung. 

Am 29. Oktober 1916 ist diese erfolgt. 

Die Hochschule für Frauen ist eine selbständige Stiftung mit eigener Ver¬ 
waltung. 2 ) Der Verein für Familien- und Volkserziehung, der sie gegründet und 
den Unterbau für sie geschaffen hat, arbeitet weiter in seinen Anstalten und 
gibt in seinen Kindergärten und Schulen die beste Vorbereitung für die wich¬ 
tigste Aufgabe der Hochschule: für das Studium des Erziehungsberufes 
der Frau. 

Ich habe keine pädagogische Abhandlung über das Fröbelsche Erziehungs¬ 
werk zu schreiben beabsichtigt, auch keine pädagogische Studie über das System 
und die Methode seiner Lehre; ich habe es hinstellen wollen als einen lebensvoll 
pulsierenden Teil in unserem Volkstum. Es hat seine Wurzel in dem geheimnis- 

*) Die dritte Abteilung mußte in ihren Lehrplan „Naturwissenschaften“ auf¬ 
nehmen, die jetzt eine selbständige Abteilung bilden. Ein „Frauenberuf“ der 
Lehrerin an Haushaltungsschulen, der ganz besonders naturwissenschaftlicher 
Kenntnisse bedarf, ist in Aussicht genommen. 

*) Der Geheime Kommerzienrat, Herr Henry Hinrichsen-Leipzig, hat dem Verein 
für Familien- und Volkserziehung 2 Häuser und deren Einrichtung als Schenkung 
zur Gründung der Hochschule überwiesen. 


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Henriette Goldschmidt 


voll und doch sich fortdauernd offenbarenden Leben der Natur und des Geistes, 
es erklärt sich selbst in seiner folgenreichen Entwicklung. Ein halbes Jahr¬ 
hundert in seinem Dienste stehend, hat es für mich in unserer inhaltsohweren 
Zeit eine neue Bedeutung gewonnen. 

In dieser Kriegszeit ist von allen den schweren Sorgen, die uns bedrücken, 
von all den Problemen, die auftauchen, vielleicht das Schwerste: der Rückgang 
der Geburten, die Erhaltung unseres Volkes. 

Lange Zeit vor dem Kriege wurde die Tatsache von der Zunahme der Ehelosig¬ 
keit und die Uberhandnahme von außerehelich geborenen Kindern als ein be¬ 
denkliches Symptom für eine gesunde Entwicklung unseres Volkstums erkannt. 

Im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts ging ein Aufruf von der 
radikalen Seite der Frauenbewegung aus, der das Interesse, namentlich 
der Frauenwelt, auf die Benachteiligung der ledigen Mütter und ihrer außer¬ 
ehelich geborenen Kinder lenkte und in so leidenschaftlicher Weise Sympathie 
für diese Kinder kundgab, daß er in dem bekannten Schrei nach dem Kinde 
ausklang und eine berechtigte Bewegung in Mißkredit zu bringen drohte. 

Die Zeiten ändern sich. Dieser Schrei ist zum Notschrei geworden; er ertönt 
aus dem Munde von Staatsmännern, von Volkswirtschaftslehren!; patriotisch 
gesinnte Frauen und Männer geben ihm Gehör. In einem unserer besten Frauen¬ 
blätter finden wir den Schrei nach dem Kinde in den Willen zum Kinde 
gewandelt und als patriotische Pflicht von den Frauen gefordert. 

Der Wille zum Kinde ist eins mit dem Willen zur Familie. Und wer kann 
leugnen, daß unsere Kulturentwicklung den Weg genommen hat, diesen Willen 
in Frage zu stellen. Der auflösende Einfluß, den die Industrie, das Fabrik- und 
Maschinenwesen, der Handel auf die Vereinzelung der Familienglieder, auf die 
Zersetzung des Familienganzen, ausübt, ist bekannt. Von jeher bildeten aber 
die weiblichen Mitglieder einen Halt für das Familienganze. Wie ja auch die 
Sprache das Verhältnis zwischen Bruder und Schwester als geschwisterlich be¬ 
zeichnet, die Brüderlichkeit aber ohne Verhältnis zur Familie feststellt. 

Die Frauenbewegung hat einen Kulturfortschritt von so großer Bedeutung 
errungen, daß er nicht frei sein kann von den Schatten, die alle unsere Fortschritte 
begleiten. Das Bild der neuen Zeit, die Selbständigkeit der Frau, zeigt sich be¬ 
reits in dem 16 jährigen Mädchen nach Verlassen der Schule. Nicht zurück in die 
Familie, sondern dem jungen Manne gleich, hinaus in die Welt richtet sich der 
Blick. Alle Wege sind offen; auch sie will sich ihre Stellung in der Welt erringen. 
Daß sie Ehelosigkeit, Kinderlosigkeit wählen kann, wie der Mann, ist ihr gutes 
Recht. 

Unberechenbar wäre die Schädigung, die sich vollzogen hat, wenn der lebendig 
wirkende Geist der Menschheit nicht neue Quellen entdeckte, aus denen wir 
frische Nahrung für Erneuerung unseres Seelenlebens schöpfen können. 

Ein Entdecker solch einer neuen Quelle istFröbel gewesen. Er ist bei seinem 
Denken und Sinnen über Erneuerung des Familien- und Volkslebens nicht an 
der Frau vorbeigegangen. Er hat an ihre Menschheit pflegende Bestimmung 
gedacht und die Urkraft des weiblichen Geschlechts, die mütterliche Liebe, als 
Keimpunkt, als wesentlichen Teil der Volkskraft erkannt. Den Willen zum 
Kinde hat er in jedem normalen weiblichen Wesen vorausgesetzt und diesen Willen 
zu einem Grundpfeiler seiner Lehre gemacht. „Kindheitsleben und Frauenleben 


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sind so innig eins, daß der Menschheit Heiligstes in ihm seine Stätte findet.“ 
(F. Fröbel.) 

Ich habe in meinen Darlegungen in Kürze auf den Einfluß hingewiesen, 
den eine gut organisierte Fröbelsche Bildungsanstalt auf die weibliche Jugend 
auszuüben vermag. 

Im Jahre 1871 sprach ich in einem öffentlichen Vorträge die Forderung aus: 
Ein Freiwilligenjahr für die weibliche Jugend einzurichten, zur Vorbereitung für 
den Dienst gegen die inneren Feinde des Volkstums. 

Zwanzig Jahre später ist der gleiche Gedanke, wenn auch in anderer Form, 
ausgesprochen worden. Bei Beginn unseres Volkskrieges und während desselben 
hat er durch die Bezeichnung „ein Dienstjahr für Mädchen“ festere Ge¬ 
stalt gewonnen. 

Bestimmte Normen für die Einrichtung dieses Dienstjahres sind bis jetzt 
noch nicht gefunden. Und doch bleiben oft Fragen ungelöst, während die Lösung 
bereits vorhanden ist. „Es gibt keinen anderen Mangel, als nicht zu benutzen, was 
da ist“ (Pestalozzi). Das Dienstjahr für die weibliche Jugend sei ein Lehrjahr 
in einer gut geleiteten Fröbelschule! 

Das Prinzip, das dem Freiwilligenjahr für die männliche Jugend zugrunde 
liegt, beruht auf einer Vorbereitung für den Krieg gegen die Feinde nach 
außen. Das Dienstjahr der weiblichen Jugend gelte den Feinden im Inneren des 
Volks tum8. 

Unsere Kultur hat so viele Bindemittel verloren, die den Zusammenhang 
innerhalb der einzelnen Glieder der Familie festhielten, sie hat so viele Lockmittel 
geschaffen, die den Blick der Jugend nach außen lenken und das Innenleben 
beeinträchtigen: so begrüße man dankbar eine Stätte, die das Sinnen und Denken 
der Jungfrau auf das Familienleben zurückführt und dem Lebensalter zuführt, 
das, wie kein anderes, uns das Geheimnis des Seins und Werdens offenbart. 
Hier, im Kindergarten, ist die Stätte, namentlich im Volkskindergarten, wo der 
Wille zum Künde in der keuschesten Weise in den jugendlichen Gemütern erweckt 
wird und das mütterliche Gefühl in einer unserer Kultur gemäßen Weise sich 
betätigt. Nicht an die Mutterschaft gebunden erweist die Kindergärtnerin mütter¬ 
liche Liebe als natürliche Regung ihres weiblichen Wesens allen Kindern; hier 
hat die weibliche Jugend durch den Verkehr mit den Kindern des Volkes die 
beste Gelegenheit, unser Volk kennen und achten zu lernen und als Helferin 
mit an dem Ausgleich zu arbeiten, der die verschiedenen Stände verbinden soll 
und so zur Lösung der sozialen Frage beizutragen. 

Das Dienstjahr ist bereits im Gange. Die zuerst von Preußen, dann von den 
anderen deutschen Staaten eingerichteten Frauensohulen haben begonnen, 
die Fröbelsche Erziehungslehre (Theorie und Praxis) in ihre Lehrpläne aufzu¬ 
nehmen. Diese Schulen könnten durch einen auf das Dienstjahr sich beziehenden 
Lehrgang zu obligatorischen Fortbildungsschulen gestaltet werden. 

Die Vorbereitung für den Erziehungs beruf der Frau gehört zur Dienstpflicht 
der weiblichen Jugend in Krieg und Frieden. 

Der Stand der Kindergärtnerin ist anerkannt und ihre mütterlich erziehende 
Bedeutung für die Volksfamilie wird gewürdigt. 

Gemeingut der Frauenwelt ist Fröbels Vermächtnis aber noch nicht ge¬ 
worden ; sie hat die Erbschaft noch nicht angetreten. „Die Liebe zur Menschheit 


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172 Henriette Goldschmidt, Vom Kindergarten zur Hochschule für Frauen 


soll dem weiblichen Geschlecht zum Kultus in der Pflege der Kindheit werden, 
in der Pflege des Gottesfunkens, den die Kindesseele birgt“ (B. v. Marenholz- 
Bülow). 

Einer Erneuerung des Familien- und Volkslebens hat Fröbel nachgesonnen, und 
von dem innerlichsten, einheitlichsten Verhältnis, dem Verhältnis zwischen 
Mutter und Kind, von dem mütterlichen Liebesgefühl, erhofft er diese Erneuerung. 

Wohl niemals seit Menschengedenken war die Sehnsucht nach Erneuerung 
des Menschengeschlechts so groß wie jetzt, wie in unserer Zeit. Die Züge des 
Weltbildes sind durch Haß, Neid und Zorn, durch alle schlechten Leidenschaften 
verzerrt, durch Gram entstellt. Nur eine Grenze gibt es für die in Wut und 
in Selbstmord geratenen Völker: die Kinder der Feinde. Das Antlitz des Kindes 
zeigt das Urbild des Menschen, den Stempel des Göttlichen. Es sei uns Trost 
und Ermutigung. 

Und wem es beschieden sein wird, die Zeit des Friedens zu erleben, der wird 
die Friedensboten, die der Genius Deutschlands an alle Völker gesandt, die 
Kindergärten, bei allen feindlichen Völkern finden. 

Wenn der Haß unserer Feinde sie taub gemacht hätte für die Geisterstimmen 
eines Kant, eines Schiller und Goethe, der deutsche Geist wird durch die 
Stimmen ihrer Kinder sich vernehmlich machen und ihnen zurufen: „Hier ist die 
Grenze für Euren Haß! Diese Grenze zeigt Euch den Weg zur Rückkehr, zur 
Erneuerung des Lebens.“ 

Ein Trost und eine Hoffnung für unsere Zukunft sei uns die neue Generation. 
Der kleine Kinderarm werde der Hebearm für eine Wiedergeburt, für eine Er¬ 
neuerung des Menschengeschlechts! 


Zur Forderung einer Psychotechnik der Beobachtung. 

Von W. J. Ruttmann. 

Es gibt kaum eine Betätigung, die in dem gewaltigen züchtenden Kampfe 
um die Wertung des Einzelnen im ganzen Volke eine größere Rolle spielt, 
als die des Beobachtens. Der schlichten Beobachtung des Landmannes, die 
auf Beachtung und Wirksamkeit mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrender 
und fast traditionell gewordener Erscheinungen gerichtet ist, hat sich im Volks¬ 
geiste ungleich mächtiger an die Seite gestellt die Beobachtung des Kaufmanns, 
der an der Hand kaleidoskopisch wechselnder Erfahrungen seine Handels¬ 
maßnahmen trifft und die Beobachtung des Technikers, der auf Grund der 
beobachtenden Leistungen des Entdeckers, Erfinders und Forschers die Volks¬ 
kraft zu wirtschaftlichen Höchstleistungen anreizt. Das Kriegserlebnis schuf 
eine besondere Kombination der Beobachtungsleistung, die zwischen der des 
Entdeckers, Forschers, Technikers, Wissenschaftlers und des „Indianers“ auf 
der anderen Seite variiert. 

Daß sowohl unsere psychologische Forschung wie auch damit das gesamte 
Erziehungs- und Bildungswesen die Beobachtungsleistung bis in die jüngste 
Zeit hinein nicht genügend beachtete und damit auch nicht systematisch 
züchtete, muß eigentlich wundemehmen. Dennoch darf nicht vergessen 
werden, daß die psychologische Forschung längst über lehrbuchmäßige Be¬ 
griffe hinausgewachsen ist und tatsächlich schon aus zahlreichen Einzelunter- 


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W. J. Ruttmann, Zur Forderung einer Psychotechnik der Beobachtung 173 


Buchungen Unterlagen fOr eine Psychotechnik der Beobachtung und Be¬ 
obachtungsfehler entnommen werden können. Wenn auch noch keine syste¬ 
matischen Ergebnisreihen dazu vorliegen, wenn auch die Kriterien da und 
dort noch nicht geordnet und zuverlässig erscheinen, so hat deswegen die 
Psychologie nicht das Recht, mit ihrer vorläufigen Sachkenntnis zurückzu- 
halten. Der Praktiker beurteilt die Brauchbarkeit wissenschaftlicher Ergeb¬ 
nisse ganz anders wie der Theoretiker und verpflichtet den letzteren, ihm 
gegenüber weder mit Geheimniskrämerei noch mit übertriebener Vorsicht zu 
verfahren. Auch im Arbeitsfelde der deutschen Psychologie ist vonnöten, 
aus der zuwartenden Vorsicht herauszugehen und auch Teilergebnisse der 
Praxis zur Verfügung zu stellen. Diese müßte ja lange warten und sicher¬ 
lich größere Irrwege ohne als mit der Theorie gehen, wollte sie allein arbeiten. 
Die Vorbilder, wie sie Ernst Meumann oder Hugo Münsterberg gegeben, eben¬ 
so wie die Arbeitsforderung des deutschen Pfadfinders der angewandten 
Psychologie, W. Stern, jene in ihrer Großzügigkeit, dieser in der Sicherheit 
seiner Forschungsweise, müssen anreizen, innigere Beziehungen zwischen der 
wissenschaftlichen Forschung und der Praktik der Lebensgebiete aufzunehmen. 
Die psychotechnischen Grundlagen der Beobachtungsleistung mögen hier als 
Beispiel hingenommen werden, das um so wichtiger erscheint, als die augen¬ 
blicklich mit allen Mitteln der Forschung betriebene Erkundung der Berufs¬ 
eignung schließlich ja nur ein grundlegendes Kapitel davon bildet. 

Beobachten scheint trotz der Planmäßigkeit und des Zielbewußtseins, die 
ihm dienen, an sich keine besonders hohe geistige Leistung zu sein, denn 
die, Beobachtungsgabe“ ist in der Tierwelt in vielen Abstufungen zu finden. 
Wir wissen aber, daß diese Art des Beobachtens in der besonderen biono¬ 
mischen Beschaffenheit jeder Tiergattung begründet liegt. So reagiert die 
Katze auf Bewegung; ich kann lange das Gewehr auf sie anlegen, ohne daß 
sie die in der Bewegungslosigkeit bestehende Gefahr erkennt. Die geringste 
Bewegung verscheucht sie, obwohl damit keine direkte Gefahr verbunden ist 
Hans Volkelt 1 ) hat den Begriff der Angepaßtbeit bezw. Unangepaßtheit für 
die Tierseele formuliert und damit auch eine Erklärung der tierischen Be¬ 
obachtungsleistung geboten. Daß die menschliche Beobachtungsleistung von 
ganz anderer Art ist, vermag aber nicht nur die vergleichende oder die Ent¬ 
wicklungspsychologie darzutun, sondern auch die Geschichte des menschlichen 
Denkens und Schaffens selbst. Meumann sagte gelegentlich: „Die Geschichte 
der Wissenschaften zeigt uns, daß die Menschen jahrhundertelang sich lieber 
mit Reflexionen über die Wirklichkeit beholfen haben, als daß sie zu ihrer 
Beobachtung schritten, und im täglichen Leben kommt vielleicht auf hundert 
und mehr Menschen, die sich lieber am grünen Tisch eine subjektive Meinung 
über die Dinge bilden, einer, der seine Meinungen von genauen Beobachtungen 
der Wirklichkeit abhängig macht.“ Dem mehr wissenschaftlichen Interesse 
an der „phylogenetischen“ Entwicklung der Beobachtungsleistung tritt ungleich 
wichtiger zur Seite die Frage, wie es um ihre Entfaltung beim Einzelwesen 
steht, insbesondere, welche Begabungskomponenten und Umweltsreize voraus¬ 
gesetzt werden können. Wir deuten damit ein Problem der psychotechnischen 
Voraussage nur an, an dessen Bewältigung aber zunächst nicht gedacht wer¬ 
den kann. 


*) VgL H. Volkelt, Über die Vorstellungen der Tiere. Leipzig 1917. S. 125. 


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174 


W. J. Ruttmann 


Beobachten erfordert in erster Linie Sinnesleistung, womit die Sinnes¬ 
beschaffenbeit zur einfachsten und grundlegenden Voraussetzung wird. Die 
Sinnesbeschaffenheit kann untersucht werden in bezug auf ihr normales bezw. 
krankhaftes Verhalten, weiterhin auf Umfang, Unterschiedsmerkmale der ein¬ 
zelnen Empfindungsarten, auf ihre Anpassungsfähigkeit und Einteilung zu 
mehrsinniger Leistung. Damit wird die gesamte Sinnesphysiologie zur Grund¬ 
lage einer Analyse des Beobachtungsvorganges. Die Übergänge von den 
sinnesphysiologischen Tatsachen zu den psychologischen der Empfindung und 
Wahrnehmung sind durch die glänzende Entwicklung der Psychophysik ge¬ 
währleistet. Hier vermag die in Forschungen von Weber, Fechner und Helm- 
holtz bis auf Wundt breit und in mühseliger Kleinarbeit sich dehnende Un¬ 
summe von theoretischer Erfahrung bereits einen nur des Absteckens harrenden 
Baugrund für psychotechnUche Gesichtspunkte zu bieten. 

In inniger Verbindung mit den Ergebnissen der Sinnes- und Empfindungs¬ 
forschung steht die Erforschung der Reaktionsformen. Die Reaktion darf 
als die elementarste Ausdrucksform der Beobachtungsleistung betrachtet werden. 

Die in der neuen Psychologie so überaus fleißig untersuchte Art zu reagieren 
ist ohne weiteres Psychologie der Beobachtungsleistung, die Tatsachen der 
Reaktionszeit, der erkannten Reaklionstypen, der Reizschwellen, die gesamten 
Ergebnisse über die sogenannten einfachen Reaktionen finden weiterhin eine 
Bereicherung der psychotechnischen Möglichkeiten durch die Untersuchung 
und Prüfung von Akten der Unterscheidung, der Wahl, der Kenntnis. Ihnen 
schließt sich an die Beurteilung der Reaktionen assoziativer und intellektueller 
Art. Vergleich, Täuschung, Augenmaß bilden endlich einen Komplex von 
Tatbeständen und Leistungen, der bereits Psychotechnik des Beobachtens be- j 
deuten kann, wenn die nicht geringe Anzahl von Einzelergebnissen aus fast 
fünfzigjähriger Entwicklung der physiologischen Psychologie praktische Ordnung 
erhält. So ergibt sich aus der Überschau des psychologisch-physiologischen 
Arbeitsfeldes die grundlegende Kenntnis der Beobachtungstechnik. 

Damit meinten wir nun zunächst den apparativen Teil der Voraussetzungen, 
wenn man bei Leistungen des lebendigen Organismus überhaupt in diesem 
Bilde sprechen darf. Dazu kommt die besondere Art der höheren Funktionen, 
die sich aus den Betätigungsrichtungen des Vorstellungs- und Willenslebens 
wie aus der Intelligenzleistung aufbauen. Auch hier sind normalerweise die 
allgemeinen psychologischen Erkenntnisse als Voraussetzung zu erachten, 
in ungleich höherem Maße kommt nun aber, um der Kompliziertheit der 
psychischen Funktionen willen, die individuelle Entfaltung in Betracht Es 
weisen die Beschaffenheiten der sensorischen und motorischen Apparate an 
sich schon individuelle Eigentümlichkeiten auf; letztere steigern sich aber, 
wenn es sich um den Ausbau ihrer Glieder handelt. Wenn man die durch 
die Erblichkeitslehre versuchte Beweisführung von der außerordentlichen 
Variabilität der Keimesanlage und die durch ungeheure Variation des Lebens 
wechselnde persönliche Erfahrung beachtet, erkennt man die vielseitige Kon¬ 
struktion der Persönlichkeiten und ihre besonderen Leistungen. Dennoch 
heben sich hier grundlegende Betätigungen des Geistes, auf Anlagemerkmalen 
beruhende Sonderheiten ab, die sich zu typischen Verhaltungsweisen ordnen 
lassen. Solche hat die Psychologie insbesondere im Bereiche des Vorstellens, 
Lernens, Denkens und Aufmerkens erforscht, und sie können «inn in etwas 
geringerem als Führer dienen durch die individuelle Äußerung der Beobachtungs- 


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Zur Forderung einer Peychotechnik der Beobachtung 


175 


leistung. Die Erkundung der Leistungstypen nach der psychischen Seite darf 
indessen zwei Besonderheiten der individuellen Regung nicht vergessen, welche 
durch die allgemeine Analyse des Seelenlebens noch nicht erfaßt werden. 
Das ist zunächst die individuelle Suggestibilität, Impressionabilität, Dissozia¬ 
bilität. Suggestive Einflüsse machen sich leicht geltend, wo die Gruppen¬ 
leistung in Frage kommt. Die Impressionabilität vermag es, dem Beobachter 
gleich im ersten Reize ohne intellektuelle Prüfung das Urteil abzuringen, und 
die Dissoziabilität pflegt eine Verwirrtheit zu disponieren, die sich schon unter 
den einfachsten Umständen bemerkbar macht. Alle diese individuellen Be¬ 
sonderheiten sind letzten Endes abhängig von der Art, wie sich die „Nerven* 
den an sie gestellten Anforderungen anzupassen vermögen. Endlich ist An¬ 
passungsfähigkeit überhaupt eines der bedeutsamsten Merkmale. 

Zu alledem ist zu rechnen die Fülle ökologischer Faktoren. Es sind zu¬ 
nächst die engeren menschlichen Umstände, welche die Beobachtungsleistung 
beeinflussen, nämlich Arbeitsort und Arbeitskreis, weiterhin die natürlichen, 
welche mit Hellpach unter die Formel von den geopsychischen Erscheinungen 
gebracht werden können. 

Bei einer Oberschau der bisher angedeuteten Gesichtspunkte ergibt sich, 
daß trotz der Fülle von möglichen Einzelergebnissen eine Unterscheidung der 
Beobachtungsarten damit noch nicht erreicht wird. Die Analyse der Beobach¬ 
tungsart hat nämlich zur Voraussetzung die Kenntnis des Beobachtungsmotives, 
den Zweck der Beobachtungsleistung oder auch nur ihren Sinn. Aus einer 
Anzahl psychologischer Vorarbeiten treten uns als praktische Möglichkeiten 
entgegen: Führerbeobachtung, Spurenbeobachtung, physikalische und biolo¬ 
gische Beobachtung. In diesen Hauptarten ist nur die physikalische Beobach¬ 
tung so weit erforscht, daß die Psychotechnik direkt aus dem Arbeitsbereiche 
wissenschaftlicher Erfahrung entlehnen kann. Sie ist die Methode der exakten 
Wissenschaften und hat deshalb nicht nur eine gewaltige Anwendung gefunden, 
sondern auch eine sorgfältige Kritik ihres Erfolges. Sie ist bereits im Stadium 
angelangt, die Beobachtungsfehler eingehend zu erforschen. Die deutsche 
Wissenschaft hat in Feldmeßkunst, Astronomie, wie in zahlreichen Sonder¬ 
gebieten der messenden Naturwissenschaft längst begonnen, die Meß- und 
Schätzungsfehler, welche durch die persönliche Leistung entstehen müssen, 
festzustellen, und Aufgabe der Psychologie ist, ihre Kriterien der Psychotechnik 
dienstbar zu machen. Die ungeahnte Entwicklung der physikalischen Be¬ 
obachtung im Kriege mit den vielgestaltigsten Hilfsmitteln der optischen und 
akustischen Beobachtung machen die Aufgabe noch eindringlicher, soll nicht 
die Psychologie die Position wieder verlieren, welche ihr dank dem Fleiße 
glänzender Forscher allerwärts geworden ist. 

Wir haben bis jetzt die Möglichkeiten angeführt, welche eine Wegweisung 
zu psychotechnischer Grundlegung der Beobachtungsleistung bieten möchten, 
dürfen aber endlich nicht übersehen, daß damit nur der erste Teil der Be¬ 
obachtungsleistung erfaßt wird; allerdings der grundlegende. Die Beobachtungs¬ 
leistung gliedert sich gewissermaßen in ein Bereich des Eindruckes und in 
ein solches ihrer Ausdrucksform; sie muß in einer Sprache wiedergegeben 
sein, die dem anderen Menschen verständlich ist, sei es nach rein sprach¬ 
licher, nach graphischer oder mimischer Richtung. Jeder Eindruck auf unser 
geistiges Leben kann sich unmittelbar zum Ausdruck verhelfen oder erst nach 
einer sozusagen kulturell an- oder eingeschulten Art den Ausdruck gestalten. 


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176 W. J. Ruttmann, Zur Forderung einer Psychotechnik der Beobachtung 


Hiervon interessiert uns psychotechnisch nur die letztere Frm Die Psycho- 
logie hat sich in unserer Zeit fleißig mit der Kritik der Beobachtungsaussage 
befaßt und kann hier der Psychotechnik mit Voraussetzungen dienen. Das 
Zeitalter der Technik tet aber zugleich ein Zeitalter der denkenden und re¬ 
denden Hand geworden. Die Kriterien der schriftlichen Ausdrucksform 
wie die Beachtung der zeichnerischen Typologie und deren Fehlerquellen 
müssen deshalb auch durch die psychologische Forschung Vertiefung und 
wissenschaftliche Ordnung erfahren. 

Eine Anbahnung psychotechnischer Grundlagen der Beobachtungsleistung 
ist an sich für die aktuelle Fragestellung der Berufseignung durchaus nichts 
Neues; doch fehlt auf der einen Seite die Nutzung der sehr zerstreut liegen¬ 
den Unterlagen und auf der anderen gewissermaßen das amtliche Bindeglied 
zwischen der Kenntnis der Dinge und ihrer Beurteilung, amtlich hier wort¬ 
wörtlich genommen. Man beruft sich zu viel auf Erfahrung, Bewährung, 
Auslese, Ausscheidung usw. Die Berufung auf Erfahrung insbesondere bringt 
doch nur allzuleicht traditionelle oder gar dogmatische Forderungen, deren 
Erfüllung dann entweder „sinnenlos“ erfolgt oder ohne Verständnis ihrer inne¬ 
ren Zweckmäßigkeit geschieht. 1 ) 


Ergänzung von Stichworten zu einer ganzen Geschichte, 
eine Nachprüfung der Ergebnisse E. Meumanns auf Grund 
seiner „Kombinationsmethode“. 

Von Georg Weiß. 

I. 

Im 13. Bande der „Zeitschrift für pädagogische Psychologie und experi¬ 
mentelle Pädagogik“ berichtet E. Meumann S. 145 ff. „Über eine neue Methode 
der Intelligenzprüfung und über den Wert von Kombinationsmethoden“. 2 ) 
Die von ihm ausgebildete Kombinationsmethode, deren Ergebnisse ich an 
zwei Klassen der Übungsschule des Pädagogischen Universitäts-Seminars zu 
Jena nachprüfte, „besteht darin, daß eine mehr oder weniger leicht faßliche 
Geschichte mit deutlich hervortretender Pointe auf wenige Stichworte reduziert 
wird. Diese werden den Kindern diktiert, und sie bekommen die Instruktion, 
aus den Worten eine Geschichte aufzubauen. Diese Instruktion muß sehr 
genau gegeben werden, und jüngeren Kindern muß die Aufgabe zunächst an 
einem oder mehreren Beispielen klargemacht werden. Die Methode ist einer 
sehr großen Variation fähig. Zunächst ist darauf zu achten, daß die relative 
Bedeutung der Stichworte für das Verständnis des Zusammenhangs der Er¬ 
zählung genau berücksichtigt wird. Mit Recht hat Ziehen darauf aufmerk¬ 
sam gemacht, daß es ein besonderer Prüfstein der Intelligenz ist, ob ein 
Individuum diesen relativen Wert der gegebenen Vorstellungen für den Auf¬ 
bau der Erzählung zu erkennen vermag.“ (S. 155). 

•) Der Verfasser wird in einer demnSchst erscheinenden Schrift über „Beobachtung und Be- 
obachtungsfehler in Beruf und Heeresdienst* eingehend auf das kurz umrissene Thema surück- 
kommen. 

*) Vgl. auch: Meumann, Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik. II* S.446ft 


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Georg Weiß, Ergänzung von Stiohworten zu einer ganzen Geschichte usw. 177 


Von den zwei angegebenen Erzählungen wurde die zweite verwendet An 
die Tafel wurden die Worte geschrieben: „Winternacht — Soldat — Kälte — 
erstarrte — Ablösung — Tod.“ Angestellte Fragen ergaben bei den zehnjährigen 
Schülern, daß das Verständnis für die Bedeutung der Stichworte vorhanden 
war; bei den dreizehnjährigen unterblieb eine solche Nachprüfung. Außerdem 
wurde allen Kindern ausdrücklich gesagt, daß das Wort Tod das Dingwort und 
darum Tod geschrieben sei. Weiter wurden die Worte von einem Schüler laut 
vorgelesen, darnach von der ganzen Klasse im Chor. Nun bekamen die Kinder 
die Aufgabe gestellt: »Aus diesen Worten macht nun jeder für sich eine Ge¬ 
schichte.“ 

Die Versuchspersonen waren zwei Klassen, ein 4. Schuljahr und ein 7. Schul¬ 
jahr, und zwar die ganzen Klassen, jede Klasse für sich. Den jüngeren Schülern 
war die Aufgabe einige Tage zuvor an dem anderen, von Meumann angegebenen 
Beispiele: »Haus brannte ab — Kind allein — kluger Affe — Eltern dankbar — 
Belohnung“ klar gemacht. Die älteren schrieben ohne jede Vorbereitung. Es 
war der erste derartige Versuch, der mit ihnen gemacht wurde. Das, worauf 
es mir ankam, war lediglich, festzustellen, ob auch von meinen Schülern 
keiner die Pointe der zweiten Erzählung begreife und den erfaßten. 
Sinn sprachlich klar wiederzugeben vermöchte, wie das bei Meumann 
und seinen Versuchspersonen der Fall war. 


II. 

A) Ergebnisse bei den zehnjährigen Schülern: 


1. Fritz Sch.: „ln einer Wintemacht stand ein Soldat auf Posten. Es war 
eine Kälte. Er erstarrte ganz, aber bald kam die Ablösung. Da war er Tot.“ 

2. Walter S*chn.: „Es war eine kalte Winternacht. Ein Soldat stand auf 
Posten. Die Kälte war so groß, das er erstarrte. Als die Ablösung kam, fand 
man ihn Tod auf.“ 

3. Willi W.: „Es war in einer Winternacht. Da mußte ein Soldat Posten 
stehen. Aber ganz steif stand er da. Es war eine strenge Kälte. Und als 
er so dastand, da kam die Ablösung. Aber als er dann in das Quartier kam, 
war er bald Tod.“ 

4. Herbert Z.: „In einer Wintemacht stand ein Soldat Posten im Schützen¬ 
graben. Es war bei strenger Kälte und der Soldat erkältete sich und er er¬ 
starrte und war ganz kalt. Endlich kam die Ablösung, daß er nicht krank 
wird. Nach ein paar Tagen war er schwer krank und der Tod faste ihn.“ 

5. Walter E.: „In einer kalten Wintemacht stand ein Soldat Wache. Es 
war so eine Kälte, das er erstarrte. Aber bald kam die Ablösung. Aber der 
Tod kam bald.“ 

6. Clemens W.: „Es war in einer Wintemacht. Im Felde mußte ein Soldat 
Wache stehen. Und es war eine große Kälte. Der Soldat erstarrte denn es 
kam kein(e) Ablösung und bald kam der Tod.“ 

Diese sechs Arbeiten sind die besten von den sechzehn, die angefertigt 
wurden. (Die Klasse zählt zwanzig Schüler, vier fehlten an diesem Tage 
wegen Krankheit, bezw. weil sie keine Schuhe hatten.) Manche Annäherungen 
<ui die richtige Lösung kommen vor. Die meisten scheitern daran, daß sie 
Tod als Substantiv nicht festzuhalten vermochten. Richtig ist die Lösung allein 
hei 6. Die Analogie zwischen der Ablösung des Soldaten durch die Wache und 

ZeiUolirift f. p&dagog. Psychologie. 12 


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178 


Georg Weiß, Ergänzung von Stiehworten 


der Ablösung durch den Tod im Sinne des Sterbens wurde durchaus richtig er¬ 
faßt Das brachte zu voller Deutlichkeit die Befragung. Als der Schüler 
sein Blatt abgab, ließ ich mir von ihm die Arbeit vorlesen und fragte: „Wo 
war denn der Soldat, als der Tod kam?“ Antwort: „Da stand er noch auf 
Posten und guckte, ob die Feinde kommen.“ „Du schreibst aber: es kam 
keine Ablösung.“ Antwort: „Die richtige nicht, aber der Tod.“ 


B) Ergebnisse bei den 13jährigen Schülern: 

1. Hans B.: „Es war eine stürmische Winternacht. Die Russen schienen 
einen Angriff zu planen. Der Soldat Max Wehner mußte Wache stehen. 
Viele sprachen unter einander: „Bei dieser Kälte möchten wir aber keine 
Wache stehen.“ Wehner rückte nun aus. Als seine zwei Stunden bald um 
waren, wurde es schneidend kalt. Es kam so weit, daß seine Glieder erstarrten. 
So kam denn die Ablösung. Wehner wurde ins Feldlazarett gebracht, wo er 
im Kampf mit dem Tod unterlag.“ 

2. Hermann D.: „Es war eine kalte Wintemachb Rauh blies der Wind. 
Kein Mensch war bei diesem Wetter aus dem Haus. Es war alles still. Nur 
die Sternlein blinkten. In dieser Nacht stand ein Soldat auf Posten. Er hatte 
die Hände in den Taschen, den Kragen emporgeschlagen und das Gewehr 
unterm Arm. So schleuderte er auf seinem Platze hin und her. Seid einer 
Stunde war er nun schon auf Posten. Es schien ihm eine Ewigkeit Ach 
hätte er doch ein Schluck warmen Krog oder Kaffee. Er konnte nicht mehr. 
Die Glieder schienen ihm wie Bleiklumpen. Da nahten Schritte. Die Ab¬ 
lösung nahte. Vor ihr brach er zusammen. Man rief nach Hilfe. Aber als 
diese kam, war es zu spät Rasch hatte der Tod den Menschen angetreten.“ 

3. Walter S.: „Es war in einer kalten Winternacht in Frankreich. Rings¬ 
umher waren Berge, hinter denen die deutschen Soldaten ihre Aufstellung 
hatten. Auf den Bergen standen Vorposten. Einer der Vorposten hatte einen 
ganz besonderen Stand. Dieser Stand war auf einem sehr hohen Berge. 
Auf dem Berge war großes Schneegestöber. So kam es, daß der Soldat, der 
auf Wache stand, von Schnee überdeckt wurde. Nach langer Arbeit gelang 
es ihm sich durch den Schnee hindurchzuarbeiten. Als er sich hindurch¬ 
gearbeitet hatte, war er fast erstarrt Nicht lange darauf kam die Ablösung. 
Zwei Soldaten wollten ihn ablösen, aber der Soldat hatte den Tod gefunden.“ 

4. Fritz H.: „Eine kalte Winternacht war es. Hell schienen die Sterne. 
Im Dickicht lag ein Soldat. Eine Kugel hatte ihn am rechten Oberschenkel 
getroffen. Er hatte einen verlorenen Posten gestanden. Die Kälte biß an 
seiner Wunde. Ruhig mußte er alles über sich ergehen lassen. Jetzt kam 
eine Gestalt auf ihn zu. Schwarz, ganz verhüllt. Er dachte, jetzt würde 
wohl seine Ablösung kommen. Aber wie war er plötzlich erschrocken als 
er angefaßt wurde; es war auch die Ablösung, nämlich der Tod. Am andern 
Morgen fand ihn eine Patro(u)ille vor Kälte erstarrt vor.“ 

Von den 15 Schülern (die Klasse zählt 18 Schüler, 3 fehlten wegen Krank¬ 
heit, bezw. waren zu häuslicher Dienstleistung für diese Stunde beurlaubt) 
hat sich ein Teil bemüht, der Geschichte einen versöhnlichen Ausgang zu 
geben und haben drei die Aufgabe sachlich gelöst, in vorzüglicher Weise vor 
allem der letzte mit Rücksicht auf die Form der Darstellung. Manche An¬ 
näherung an die richtige Lösung kommen auch hier vor (Type 1). 


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Hans Rupp, Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 17 9 


in. 

Die Nachprüfung der Ergebnisse, zu denen E. Meumann gekommen ist, an 
den Schülern der Übungsschule des Pädagogischen Universitäts-Seminars zu 
Jena, die nach ihrer Organisation im Grunde eine Volksschule ist, führte zu 
einem Resultat, das von dem MeumannB ganz erheblich abweicht Und dies, 
Obwohl er ungleich umfangreichere Erhebungen angestellt hat oder anstellen 
ließ (vgl. a. a. 0. S. 147.). Wie läßt sich nun diese beträchtliche Abweichung 
erklären? 

1. Aus der Ungleichheit der Begabung nicht. Die Annahme, daß 
die Jenaer Kinder begabter sein sollen als die Leipziger, hat so viel Unwahr¬ 
scheinlichkeit gegen sich, daß sie gar nicht in Betracht kommen kann. Auch 
kann von einer Auslese der Begabten keine Rede sein. Es wurden 
ja die ganzen Klassen als Versuchspersonen verwendet. Auch für die Zu¬ 
sammensetzung der Klassen kann davon keine Rede sein. Denn die Schüler 
werden jeweils aufgenommen, sobald sie schulpflichtig werden und verbleiben 
fast vollzählig in der Schule, bis sie ihrer obligatorischen Volksschulpflicht 
von acht Jahren genügt haben. Es kann sich also nur um eine ver¬ 
schiedene geistige Entwicklung der Kinder handeln. 

2. Von Einfluß darauf scheint, vor allem für die älteren Schüler, die Zeit, 
in der sie heranwachsen. Das Erlebnis des Krieges mit seinem großen 
Sterben spielt entschieden mit. Aber daraus allein dürfte es auch nicht 
zu erklären sein; auf keinen Fall möchte ich darin die Hauptursache sehen. 
Ich kann das um so eher sagen, da sie mehr oder weniger unter meinen 
Augen herangewachsen sind und ich ihre Entwicklung übersehen konnte. 

3. Mitwirken dürfte ebenso Behr die Art des Aufsatzunterrichts, der 
ihnen, von einer Unterbrechung abgesehen, im ganzen zuteil geworden ist. 
Hier kam vor allem der freie Aufsatz zu seinem Rechte, ohne ihn allein 
maßgebend sein zu lassen. 

4. Die H au ptursach e läßt mich eine in fast zehnjähriger praktischer Arbeit 
gewonnene und auf methodischer Beobachtung beruhende Erfahrung in der 
Anwendung des sogen, entwickelnd-darstellenden Unterrichts¬ 
verfahrens sehen, das sich der Grenzen seiner Verwendungsmöglichkeit 
stets bewußt bleibt, dessen Wirkung ganz wesentlich gefördert wird durch 
einen Aufbau des Lehrplans, wie er der Unterrichtsarbeit der Übungs¬ 
schule des Pädagogischen Universitäts-Seminars als eine in immer größerer 
Deutlichkeit herauszuarbeitende Aufgabe vorschwebt. 


Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik, 

Von Hans Rupp. 

(Fortsetzung aus dem Jahrgang XV u. XVI.) 

HI. Gruppe: Gehörawahrnehmungen, insbesondere musikalische 

Auffassung. 1 ) 

Der elementare Psychologie- und Pädagogikunterricht dieses Gebietes 
muß einige physikalische Erscheinungen erläutern. Er muß auf das 

*) Ausführlicher suche ich die meisten hierher gehörigen Probleme und Ver¬ 
suche zu besprechen in der Abhandlung „Über die Prüfung musikalischer Fähig- 
ketten“, Zeitsohr. f. angewandte PsyohoL Bd. IX, 1914. 

12 * 


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180 


Hans Rupp 


Phänomen der Schwebungen hinweisen und ihre Verwendung beim 
genauen Einstimmen und beim Eiehen von Tönen zeigen. Er muß die 
Resonanz erläutern, namentlich solche Resonatoren, die durch die Größe 
ihres Hohlraumes auf einen bestimmten Ton abgestimmt werden. Von ge¬ 
ringerer Bedeutung dürfte für den elementaren Unterricht und für pädago¬ 
gische Untersuchungen die Interferenz sein. Dagegen wird der Unterricht auf 
die mannigfaltigen Arten zusammengesetzter Schwingungen hinweisen 
müssen, er wird erläutern, daß unsere Instrumente an Zahl und Stärke 
der Obertöne sehr verschieden sind, und wird die Obertöne durch Schwebungen 
oder Resonanz oder durch direktes Heraushören aufzuzeigen suchen. 

Das Hauptinteresse ist den Empfindungen und den sich daran knüpfenden 
Leistungen zugewendet. 

. Zunächst sind die Eigenschaften und Auffassungen eines einzelnen 
Tones zu studieren. Hohe Töne erscheinen nicht allein hoch, sondern 
auch hell, ferner spitz, dünn; tiefe Töne nicht allein tief, sondern auch 
dunkel, breit, voluminös. Diese Eigenschaften werden vielleicht vom Kind 
leichter und früher erfaßt als die Höhe. Die Vokale der Sprache erscheinen 
verschieden hoch, hell etc. Reiches Material für die Beobachtung bieten 
die verschiedenen Klangfarben: voll, leer, weich, reich, näselnd, scharf 
u. s. f. Es ist eine sehr anregende und lehrreiche Übung für Schüler 
und Lehrer, verschiedene Klänge, z. B. verschiedene Vokale oder Instrumente, 
in solcher Weise zu charakterisieren. — Analoge Übungen habe ich früher 
bei den Farben besprochen. 

Wir können Töne unterscheiden, insbesondere ihrer Höhe nach. Wer ein 
feineres Gehör besitzt, erkennt feinere Unterschiede, kann einen Ton genauer 
einstimmen. Ebenso können wir Töne ihrer Höhe nach absolut, ohne 
Anhaltspunkte erkennen, z. B. als a oder d, oder wir können einen bezeichneten 
Ton, etwa c aus dem Gedächtnis singen oder einstimmen. Wer ein feineres 
absolutes Tonbewußtsein besitzt, bezeichnet den Ton genauer, trifft ihn 
genauer. — Eine gewisse Feinheit des Unterscheidens ist für den Musiker 
unerläßlich. Dagegen gibt es viele Musiker, die nur ein mangelhaftes 
absolutes Tonbewußtsein besitzen. 

Die Hauptrolle in der Musik spielen aber nicht diese, an einzelnen Tönen 
zu beobachtenden Eigenheiten, sondern die Eindrücke, die sich an eine 
Folge von zwei oder mehr Tönen oder an einen Zusammenklang derselben, 
also an simultane und sukzessive Intervalle, an Melodie und Har¬ 
monie anschließen. Dabei kommt es nicht nur auf die Tonhöhen an, 
sondern auch auf die zeitlichen und Stärkeverhältnisse, auf den zeitlichen 
und dynamischen Rhythmus. 

Von den vielen möglichen Intervallen in der stetigen Tonreihe wählt 
die Musik wenige Schritte aus. Wir empfinden sie als rein, die Abweichungen 
als unrein, falsch, verstimmt. Zum Teil mögen wir uns die Schritte einfach 
gemerkt haben, zum Teil aber benützen wir besondere Kriterien. Eines 
derselben ist relativ leicht zu beobachten: die Verschmelzung, deren 
Entdeckung und Würdigung wir Stumpf verdanken. Konsonantere Inter¬ 
valle verschmelzen inniger; Quart, Quint und vollends die Oktave er¬ 
scheinen uns daher „leer“. Andere Kriterien sind schwer zu fassen. Es er- 


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Probleme and Apparate zur experimentellen Pädagogik 


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soheint daher aussichtlos, die Wirksamkeit dieser Kriterien, die Entwicklung 
des Verständnisses für dieselben beim Kinde direkt zu verfolgen. 

Dagegen kann man ohne weiteres feststellen, wie groß die einzelnen 
Intervalle gewählt werden, welche Intervalle rein erscheinen. Wir suchen 
zunächst das Ideal festzustellen, indem wir die besten Musiker prüfen. 
Diese Intervalle stimmen nicht genau mit den physikalisch „reinen“ 
Intervallen (Vs, V» usw.) überein; ferner dürften je nach dem Zusammen¬ 
hang in der Melodie und Harmonie etwas verschiedene Intervalle als ideal 
rein erscheinen. Endlioh besteht für jedes Intervall ein gewisser „Umfang“; 
es kann innerhalb gewisser Orenzen variieren, während es doch immer noch, 
auch dem besten Musiker, rein erscheint 

Mit dem so gewonnenen Ideal vergleichen wir die Einstellungen von 
Unentwickelten und von Unmusikalischen oder Halbmusikalisohen. Ergeben 
sich größere Schwankungen (Umfänge) oder auoh deutliche Abweichungen 
des Mittels? 

Diese Versuche wie auch die früher erwähnten zur Prüfung der Unter¬ 
scheidungsfähigkeit und des absoluten Tonbewußtseins dürften zugleich zur 
Erziehung, zur Bildung des Gehörs sehr förderlich sein. Die päda¬ 
gogische Bedeutung ist eine ähnliche, wie sie die Farbenversuche besitzen, 
die ich in Gruppe I besprochen habe: Man verwendet Apparate, die 
ein hinreichend feines Einstimmen ermöglichen und zugleich 
technisch sehr leicht zu bedienen sind, so daß sich alle Kraft auf 
das Hören, auf die Verfeinerung des Gehörs konzentrieren kann. 

Gehen wir von einfachen Intervallen zu ganzen Melodien und Harmoni¬ 
sierungen über, so treten neu die Kegeln hinzu, welche unsere Melodie 
und Harmonie beherrschen. Ein Intervall in diesem Zusammenhänge kann 
rein sein, aber doch nach unseren Regeln unmöglich, es paßt nicht an 
diese Stelle. So kann z. B. eine Melodie nie mit der Sekunde enden, so 
sind Quintenparallelen verpönt usw. 

Ich spreche in diesem Falle von „Unmöglichkeit“. Davon za unterscheiden 
ist die „Unrichtigkeit“. Ein Ton kann in eine Melodie passen, also möglioh und 
rein . sein, dabei aber doch unrichtig sein, sofern ich nämlich eine bestimmte 
Melodie im Auge habe, in der an dieser Stelle eben ein anderer Ton steht. Man 
muß also dreierlei scheiden: Reinheit, Möglichkeit und Richtigkeit. 

Auch hier wird sich die Pädagogik wohl darauf beschränken müssen 
einfach festzustellen, ob und welche Abweichungen von den Kegeln früher, 
welche später befolgt werden;' und man wird darnach, wenn diese Unter¬ 
suchung vorliegt, das Entwicklungsstadium des Geprüften oder seine musi¬ 
kalische Begabung einschätzen. 

Derselbe Weg ist endlich für den Rhythmus vorgeschrieben. Wir bestimmen 
das Ideal, die Kegeln, die die besten Musiker befolgen. Spielen sie z. B. 
die Taktteile gleichlang oder wird der betonte Teil ein wenig länger genommen? 
Damit vergleichen wir die Unentwickelten und Unmusikalischen. Kommen 
neben feineren Abweichungen auch gröbere Taktfehler vor ? Wann und durch 
welche Übungen wird der Schüler kritischer, taktsicherer? 

Wenn hier von einem Ideal die Rede ist, so ist natürlich nur das Ideal 
unserer Musik gemeint. Sie ist nicht die einzig existierende oder gar die 
einzig mögliohe. Andere Systeme haben andere Intervalle, Melodiegesetze usw. 


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Hans Rupp 


Alle diese Prüfungen gehen auf gutes Spiel oder auf Erkennung eines 
guten Spieles. Um Mißverständnisse zu vermeiden, muß ausdrücklich her¬ 
vorgehoben werden, daß das musikalische Empfinden damit nicht er¬ 
schöpfend klargelegt ist. Wir prüfen sozusagen nur die äußere Wirkung. 
Aber es ist vorläufig die klarste Seite, an der wir anfassen können, und 
ob ist ein außerordentlich großes und fruchtbares Feld. 


Ich führe nun eine Reihe einfacher Apparate an. Viele Versuche sind 
ohne Apparate auszuführen. Bei anderen sind jedoch fein abstimmbar» 
und genau geeichte Apparate nötig. 

Mr.i, 2 kleine Stimmgabeln von 400—600 Schwingungen, mit Lauf¬ 
gewichten (Mechaniker Marz, Berlin). Millimeterteilung für die Laufgewichte; 
kein Resonator. 

Wenn man die Gabeln mittels der Laufgewichte etwas gegeneinander 
verstimmt und gleichzeitig ertönen läßt, kann man Schwebungen demon¬ 
strieren und die Abhängigkeit der Schwebungsfrequenz von der Verstimmung 
zeigen. 

Durch Aufsetzen des Stiels z. B. auf den Tisch wird der Ton so 
verstärkt (Resonanz), daß ihn ein ganzes Auditorium hört. 

Wenn man die Millimeterskala eicht, d. h. bestimmt, welche Töne bei jeder 
Stellung der Laufgewichte erklingen, so besitzt man in den Gabeln einen 
(sehr konstanten) Tonmesser. 

Vor allem dienen die Gabeln zu Versuchen über Unterschiedsempfind¬ 
lichkeit. Man verstimmt z. B. die eine Gabel gegen die andere so lange, 
bis man den Unterschied eben merkt oder eben nicht mehr merkt» und 
stellt die Differenz durch Schwebungen fest. 

2 kleine Stimmgabeln von 5—800 Schw., mit Laufgewiohten 
(Mechaniker Marz, Berlin). Ausführung und Verwendung wie oben. 

Mit den beiden Paaren Nr. 1 u. la zusammen lassen sich Intervalle innerhalb 
der Oktave 400—800 einstellen. Wie und wie genau stimmen Musiker, Un¬ 
entwickelte und Unmusikalische die Intervalle ein? 

Man kann die Gabeln auf bestimmte, ausgezeichnete Intervalle eichen 
und ähnliche Demonstrationen ausführen, wie sie, allerdings in wesentlich 
einfacherer Form, mit den Intervallapparaten Nr. 9—12 auszuführen sind. 

Nr.L Starktönende Gabel ohne Reso.nanzkasten zur Demonstration 
der Interferenz (Mechaniker Marz, Berlin). Von jeder Zinke geht eine 
Tonwelle aus. Dreht man die Gabel um ;ihre Längsachse, so werden die 
Wellen gegeneinander verschoben und interferieren. Man hört also den 
Ton abwechselnd schwächer und stärker. 

Nr-a Zungenpfeife von 100 [Schw. (Mechaniker Marz, Berlin; Spindler k 
Hoyer, Göttingen). Sie hat viele und Starke Obertöne und ist daher für 
die Demonstration der Obertöne besonders geeignet. Man kann dieselben 
durch Resonanz verstärken (vgl. Nr. 6) oder durch Schwebungen nachweisen 
(z.B. mittels der Gabeln Nr. 1 u. la). Man kann sich aber auch einüben, sie 
direkt herauszuhören. 

Nt. 4. Handgebläse zum Anblasen der Pfeifen Nr. 3, 5, 7, 8, 9, 11, 14 (7 u. 14 

werden meist mit dem Munde angeblasen). 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


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Obertonapparat, 8 Zungenpfeifen (Mechaniker Marx, Berlin; Spindler Nr.*. 
& Hoyer, Göttingen). Der Apparat enthält die Zungen 100, 200, 300 usw. 

- bis 800. Die Töne 2—800 sind als Obertöne in der Zunge 

■ j f -' 100 enthalten. 100 ist ungefähr Gis der großen Oktave; ich 

TH7-*~~ 4 schreibe der Einfachheit halber Obertöne von G in Noten an. 

3 Die Zungen sind in ähnlicher Weise nebeneinander ungeord¬ 
net wie bei einer Mund- oder bei einer Ziehharmonika. An¬ 
geblasen werden sie durch das Gebläse Nr. 4. Will man eine 
Zunge zum Tönen bringen, so zieht man den zugehörigen 
Knopf heraus. Der Apparat dient dazu, die Obertöne vorzuführen, und ge¬ 
stattet zugleich, sich im Heraushören derselben zu üben. Hat man nämlich 
vorher die dem Oberton entsprechende Zunge gehört, so ist man auf den 
betreffenden Ton vorbereitet, „eingestellt“, und hört dann meist auch den 
Oberton leichter heraus. 

Ausziehbare Resonatoren nach Schaefer, vereinfacht (Mechaniker N*.a 
Marx, Berlin). Die Resonatoren bestehen im wesentlichen aus 2 überein¬ 
ander gesteckten Rohren. Das Ansatzstück am engeren Rohr dient dazu, 
den durch den Resonator verstärkten Ton ins Ohr zu leiten, oder auch dazu, 
einen Ton mittels eines Schlauches, in den Resonator zu führen. 

Der größere der 2 Resonatoren resoniert auf die Töne 200—400 Schw., 
der kleinere auf 400—800. Läßt man die Zunge 100 (Nr. 3 oder 5) ertönen und 
hält den Resonator ans Ohr, so kann man durch Verstellen desselben der 
Reihe nach verschiedene Obertöne verstärken und deutlich hörbar machen. 

Ähnlich kann man die Resonanz einem Auditorium demonstrieren, in¬ 
dem man eine Gabel von der Öffnung des Resonators schwingen läßt oder 
einen Ton gleichmäßig stark singt, und dabei den Resonator verstellt. An 
einer gewissen Stelle wird der Ton stärker. (Zugleich ändert sich seine 
Klangfarbe, er wird breiter, dumpfer). 

Die Verstärkung der Obertöne durch Resonanz läßt sich bekanntlich auch am 
Klavier zeigen. Man wählt z. B. das O der großen Oktave (etwas weniger als 
100 Schw.) als Grundton und schlägt ihn an, nachdem man die Tasten der Ober* 
töne vorher leise, ohne die Saiten anzuschlagen, niedergedrückt hat. Die Ober¬ 
töne des Grundtons bringen die freiliegenden Saiten zum Mitschwingen; diese 
klingen weiter, wenn man die Grundtontaste losgelassen hat, und sind dann 
deutlicher zu hören, weil sie vom Grundtone nicht übertönt werden. 

Vokalröhre (Mechaniker Marx, Berlin; Spindler & Hoyer, Göttingen). Nr.7. 
Sie besteht aus einer Zungenpfeife mit einem ausziehbaren Resonator. Durch 
Verstellen des Resonators werden verschiedene Obertöne verstärkt. Dabei 




ändert der Klang seine Farbe in drastischer Weise. Wählt man den Re¬ 
sonanzraum erst groß, dann immer kleiner, verstärkt man also erst die tiefen 
dann immer höhere Teiltöne, so wird der Klang immer schärfer und dünner; 
er scheint auch deutlich in die Höhe zu gehen. Manche Klangfarben haben 
Ähnlichkeit mit einigen unserer Vokale. 

Das Instrument ist auch dadurch lehrreich, weil es, wenn auch in sehr 
unvollkommener Weise, erläutert, wie wir selbst die verschiedenen Vokale 


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184 


Hans Rapp 


hervorbringen. Wir erzeugen durch Bewegen des Kiefers, der Zunge und 
der Lippen verschiedene Kesonanzräume im Mund und verstärken dadurch 
die für die Vokale charakteristischen Teiltöne. 

Um verschiedene Klangfarben zu erzielen, ist es wohl am einfachsten» ver¬ 
schiedene Instrumente zu benutzen. Man spannt z. B. auf der Geige eine Darm¬ 
und eine Metallsaite auf und stimmt sie auf denselben Ton ein, oder man streicht 
dieselbe Saite einmal nahe am Steg, einmal weiter davon entfernt an; man spielt 
einmal mit, einmal ohne Dämpfer, ferner vergleiche man damit das Klavier .oder 
das Harmonium. Das letztere bietet in seinen verschiedenen Registern selbst eine 
oft sehr reichhaltige Sammlung von Klangfarben. Nimmt man endlich die ver¬ 
schiedenen Vokale der menschlichen Stimme oder verschiedene Stimmen und 
auoh das Pfeifen hinzu, so verfügt man über eine stattliche Anzahl verschiedener 
Klangfarben, an welchen man die Beobachtung vortrefflich üben und schärfen kann. 


Nr.s Dreiklangapparat, 12 Zungenpfeifen, nach Stumpf, etwas vereinfacht 
(Mechaniker Marz, Berlin; Spindler Sc Hoyer Göttingen). Der Apparat 




•v. 


-iVr 


Nr.a 


7Vi fcr ähnlich g e baut wie der Obertonapparat Nr. 5. 

- V j y t-fl— —— Er enthält außer den 8 Zungen dieses Apparates 

(cp w ■] noch die Zungen 150, 250, 450 und 750 (= 1 %, 

* 254, 4 1 /. und 7‘/. X 100). 

Man kann zunächst alle Versuche des Oberton¬ 
apparates ausführen. 

Ferner kann man mittels der hinzugefügten 
Zungen die Differenztöne des Dur- und Moll-Dreiklangs zeigen. Der Dur¬ 
dreiklang 400, 500, 600 enthält deutlich hörbar die Differenztöne 100, 200, 
300 (vgl. die Noten), also lauter konsonante, zum Dreiklang passende Töne. 
Der Molldreiklang dagegen, z. B. 500, 600, 750 (10 : 12 : 15) enthält die 
Differenztöne 150, 250, 400 und 450, von denen 400 mit 750 eine große 
Septime, also eine scharfe Dissonanz ergibt. Auf diese dürfte das Schärfere 
dieses Dreiklangs zurückzuführen sein. 

Der Apparat enthält in der Oktave 400—800 alle gewöhnlich vorkommen¬ 
den Intervalle in natürlicher physikalischer Stimmung: kleine Sekunde 15:16 
(750 : 800), große Sekunde 8 : 9 (400 : 450), kleine Terz 5 : 6 (500 : 600), 
große Terz 4:5 (400: 500), Quart 3:4 (600 : t 800), Tritonus 4: 7 (400:700), 
Quinte 2 : 3 (400 : 600), kleine Sexte 5 : 8 (500 : 800), große Sexte 3 : 5 
(450:750), natürliche Septime 4:7 (400: 700), große Septime 9:16 (450:800), 
große Septime 8 : 15 (400 : 750), Oktave 1 : 2 (400 : 800). 

Man kann z. B. die Verschmelzungsstufen der einzelnen Intervalle demon¬ 
strieren, oder prüfen, wie oft bei verschiedenen Intervallen die Töne von 
Unmusikalischen überhaupt nicht mehr geschieden werden, der Zweiklang 
also für einen Einklang gehalten wird. 

Intervall apparat, 16 Zungenpfeifen, nach'Stumpf, etwas vereinfacht 
(Mechaniker Marx Berlin; Spindler & Hoyer, Göttingen). Der Apparat 
soll verschiedene Intervalle in physikalischer, enharmonischer und temperierter 
Stimmung demonstrieren. Die Noten zeigen die Töne, welche der Apparat 






L - | i . b » 


. . * $ • M# 


fcp 


tp tp tp 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


185 


enthält. Das Zeichen tp unter einigen Noten bedeutet temperierte Stimmung. 

Die übrigen Töne sind physikalisch (nicht psychologisch!) „rein“ gestimmt. Die 
Vorschläge zeigen an, auf welchem Wege der betreffende Ton gewonnen ist: 
z. B. ist bei gis erst die reine Terz gh und von dieser die reine kleine Terz nach 
unten, bei as die reine Quart gc, dann die reine große Terz nach unten genommen. 

Der Apparat enthält folgende Intervalle: 2 enharmonische kleine Sekunden 

24 : 25 (400 : 416 2 /s; g : gis), 15 : 16 (400 :426 J /s; g:as); dazwischen die tem- 
12 

perierte 1 : yiT (400 : 423,8; g : gis [tp]); große Sekunde 8 : 9 (400 : 450; 

12 _ 

g : a); kleine Terz 5 : 6 (400 : 480; g : b); temperierte kleine Terz 1 : y2* 

(400 : 475,7; g : b [tp.]) große Terz 4 : 5 (400 : 500; g : h); temperierte große 
12 _ 

Terz 1 : V 2< (400 : 504,0; g : h [tp.]); Tritonus 5 : 7 (500 : 700; h : ft); 

18 _ 

Quinte 2 : 3 (400: 600; g : d); temperierte Quinte 1 : y 2’ (400 : 599,3; g: d 
[tp.]); kleine Sexte 5 : 8 (500 : 800; h : g); natürliche kleine Septime 4:7 
(400 : 700; g : fi); 2 enharmonische kleine Septimen 9 : 16 (400 : 711 1 /*; 
g : fu) und 6 : 9 (400 : 720; g : fm); große Septime 8 : 15 (400 : 750; 
g : fis); Oktave 1 : 2 (400 : 800; g : g). Ferner sind die beiden Sexten 
und die Quarte in reiner und temperierter Stimmung enthalten als Um¬ 
kehrungen der entsprechenden Terzen und Quinten. 

Der Apparat zeigt, daß zwischen den einzelnen Stimmungen z. T. sehr 
deutliche Unterschiede bestehen. So sind gis und as deutlich verschieden; 
zwischen beiden liegt die temperierte kleine Sekunde. Bei den Terzen und 
Sexten sind die temperiert gestimmten Intervalle ebenfalls deutlich von 
der reinen verschieden. Bei der Quinte und Quarte stimmen beide fast genau 
überein. Die 3 kleinen Septimen sind wieder ein drastisches Beispiel, wie 
verschiedene Töne man durch reine und enharmonische Stimmung erhält; zu¬ 
gleich erkennt man den höheren Verschmelzungsgrad der natürlichen Septime, 
obwohl diese subjektiv nicht rein, sondern entschieden zu klein erscheint. 

Da der Apparat viele Töne des vorigen enthält, liegt es nahe, ihn mit 
diesem zu kombinieren; ein solcher Apparat würde die Funktionen des Ober¬ 
ton-, Dreiklang- und Intervallapparates vereinigen (21 Zungen). 

Intervallapparat, Metallophon, nach Stumpf, etwas vereinfacht Mr.io. 
(Mechaniker Marx, Berlin). Dieselben Intervalle wie in Nr. 9 werden hier 
durch Anschlägen von Metallstäben erzeugt. Nur 
sind die Töne um eine Oktave höher, sie gehen 
also von 800—1600 Schw., da tiefere Stäbe nicht 
so gut klingen. Man braucht kein Gebläse. Der 
Ton hält freilich nicht gleichmäßig an wie bei den Zungen, sondern klingt 
allmählich ab, wie bei den Stimmgabeln. (Vgl. die Abbildung zu Nr. 13.) 

Intervallapparat für kleinste Intervalle, 16 Zungenpfeifen, Nr.u. 
nach Stumpf, etwas verändert (Mechaniker Marx, Berlin; Spindler & Hoyer, 
Göttingen). Der Apparat ist als Zusatz zum Apparat Nr. 9 gedacht. Es 
sind 8 Töne um 400, 8 um 800 Schw. hinzugefügt, u. zw. um 400 die 
Töne 388, 392, 396, 398, 402, 404, 408, 412, um 800 die Töne mit doppelt 
so großen Schwingungszahlen. Mit ihnen kann man die Unterschiedsem- 



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Hans Rapp 


pfindiicbkeit und Intetvallenipfindlicltkei'fc prüfen. Mali spielt bald 


eine 

größere, bald eine felsiiöeie. Differenz vor uod »teilt für jede test/ tp w.Uvial 
°jo der Fälle sie richtig beurteilt wird. Ebenso spielt mau durch Htnzu- 
nehmeü der Zungen voö Nr. B bald Jibysikanäch bald veratitumte 

Intervalle und laßt entscheiden, ob sie subjsthtvyAem^rächeiheft oder Biehtr 
Mao erkennt ae, 'welcheIntervalle; ift) Durebsöhmtt reih erscheinen, und 
kana zugleich die Streuung, dhn Ünriian,g \ierselbeis fesisteUen. 

Der-Apparat entbiUt öut ö kombiniert 32 Zungen * Man kann ihn aber 
außerdem'' mit ft itu'4 S hömhtniefen und erhält dann einen ziecolioh viel¬ 
seitigen Apparat von 87 Zungen 

Met&ITophon, nach 


ioteivanapparftt für kleiöstn toteryalfe* 

Stumpf, etwas verändert (Mechaniker Marx, Berlin). Wie der vorige, nur 
mit Metallstäben und., mit doppelt So großen Schwingungszahlett, Der 
Apparat ist als Zusatz zu Nr. 10 gedacht. 

Siamesische und JavauUehö Tonleiter, Metallophon, nach 

Stumpf (Mechaniker Marx, 'Berlin). 1 

der Oktave 800—1600. 


^ v rr^*‘ , Leitern in 

—___J \Yi r hören leicht unsere Intervalle 

hinein und übersehen die Verstimmung. Je nach dem Zusammenhang hören 
wir yerselxiedene Intervalle hinein. So erscheiat piie siamesische Septime 
beim Hioanfspielen der Ton* 
leitetv ala ^große, beim Zurück- 

^ ' ■ 

Man kann -i oder 3 Pfeifchen ^ , 





rSPfll 


wMim 

& -•»>**■*• -■!> -IE 

JlO^nMiTT 1 l— — W , . mjj 













Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


187 


benutzen und zugleioh anblasen. Sie werden auf ein kleines Gehäuse auf¬ 
gesetzt, das so eingerichtet ist, daß sich der Luftstrom gleichmäßig auf 
alle 3 Pfeifen verteilt. Will man nur 1 Pfeifchen oder die Pfeifchen hinter 
einander anblasen, so braucht man das Gehäuse nicht vorzusetzen. 

Der Apparat ist vielseitig. Man kann Schwebungen und Differenztöne 
demonstrieren. Man kann die erwähnte Skala eichen und besitzt dann 
einen Tonmesser, mit dem man andere Töne bis auf 2 Schwingungen genau 
messen kann (vgl. auch Nr. 1). Man muß nur darauf achten, daß man das 
Instrument immer mit gleicher Stärke anbläst. 

Endlich kann man Versuche über Unterschiedsempfindlichkeit und Inter¬ 
vallempfindlichkeit anstellen, letztere auch bei simultanen Intervallen. Usw. 

Dichord nach Spearman (Mechaniker Köhler, Leipzig). Über die Stege 
I und II bezw. m u. IV sind Klaviersaiten gespannt. Zwischen diesen 
Endstegen sind 4 verschiebbare . 

Stege 1—4 eingesetzt. Sie können 

an jeder Stelle festgeschraubt und * 

die Saiten an ihnen eingeklemmt 
werden. Dadurch erhält man für 
jede Saite 3 unabhängig von¬ 
einander schwingende Stücke. Man 

benutzt nur die 2 äußeren, und hat so im ganzen 4 Töne, deren Höhe 
man innerhalb gewisser Grenzen beliebig einstellen kann. Die Stellung 
der Stege kann an einer Millimeterteilung mittels Nonius abgelesen 
werden. Außerdem geben Schwingungszahlen die Töne an, welche jede 
Saite bei den betreffenden Stegstellungen gibt. Das setzt aber voraus, daß 
die Saite vorerst genau auf den Grundton eingestimmt ist. 

Die Saiten lassen sich in den mittleren Tonlagen bis auf Bruchteile einer 
Schwingung genau einstellen. Der Tonumfang des Instruments reicht bei¬ 
läufig von 160 bis 4000 Schw. Die Saiten werden mit einem Stift gezupft» 
ähnlich wie die Metallsaiten der Zither. 

Tontabellen nach Stumpf-Schaefer (Verlag A.Barth, Leipzig). 9 Tabellen, 
die man bei Versuchen und Übungen fast stets zur Hand haben muß, um 
die Schwingungszahlen der Töne und die Verhältnisse der Intervalle nach¬ 
zusehen. Sie geben die Schwingungszahlen der Töne unserer Leiter in 10 
Oktaven von Cj bis c 7 und zwar der Töne in natürlichen, temperierten und 
in den wichtigsten enharmonischen Stimmungen. Ferner sind alle diese 
Töne in 3 verschiedenen Stimmungen des ganzen Systems gegeben: 1) in 
der heutigen internationalen Normalstimmung a 1 = 435; 2) in der älteren 
Normalstimmung a 1 — 440; 3) in der für Berechnungen bequemeren physi¬ 
kalischen Stimmung, in welcher C 2 — 16, c l = 256, a 1 = 430,54 ist. Die 
temperierten Leitern sind in Dezimalbrüchen, die reinen und enharmonischen 
in Dezimal- und in gewöhnlichen Brüchen angegeben. 

Exzelsior-Phonograph mit Beiseverpackung (Photozentrale des Kolonial¬ 
kriegerdankes, Berlin). Wieder Phonograph bei Aufnahmen von Gesängen primi¬ 
tiver Völker und von Volksgesängen unentbehrlich geworden ist, so dürfte er 
auch für die Pädagogik Bedeutung gewinnen. Man kann mit bloßem Ohr grobe 
Fehler in Ton und Takt hinreichend sicher feststellen. Will man aber genauer 



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Nr. A 


Nf.lfc 


Nr. 17. 


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Hans Rapp 


untersuchen, wie intoniert wird, wie Kinder, Halbmusikalische und wie 
andererseits die besten Musiker spielen, so ist das Ohr ganz unzuverlässig. 
Man vergleiche z. B. das subjektive Hineinhören verschiedener Intervalle, 
welches bei der siamesisohen Tonleiter zu beobachten ist (vgl. Nr. 13). 

Der Phonograph gibt Tonhöhe und Takt genau richtig wieder; nur die 
Klangfarbe ist verändert. Man kann das phonographierte Stück beliebig 
oft reproduzieren und die Tonhöhe mittels eines Tonmessers (vgl. Nr. 1 und 
Nr. 14) bestimmen. Dadurch lassen sich die angeführten Probleme exakt 
untersuchen. 


Die zur Untersuchung des Rhythmus dienenden Apparate könnten ebenso 
wie der Phonograph auch bei den zeitmessenden und zeitregulierenden Appa¬ 
raten (Gruppe VIII und IX) angeführt werden. Um aber die Zusammenstellung 
akustischer Apparate zu vervollständigen erwähne ioh hier wenigstens die 
Aufnahmeapparate. 

nt. le. 4 Elektrischer Taster (Mechaniker Marx, Berlin). Man klopft auf ein 
Brettchen, ähnlich einer Klaviertaste. Das Brettchen schlägt sofort nach 
dem Niederdrücken auf einen Stift auf, wodurch ein Strom geschlossen wird. 
Durch das Aufschlagen entsteht ein scharfes Geräusoh, ein kurzer Schlag, 
welcher dem Spielenden als Kontrolle des Rhythmus dient. Durch das 
Schließen des Kontaktes wird in bekannter Weise auf einen Kymographion 
oder Chronograph eine Marke geschrieben; es lassen sich die Zeiten zwischen 
den Kontakten messen. 

Nr.iS. Taster für Luftübertragung (Meohaniker Marx, Berlin). Das Brettohen 
des Tasters drückt hier auf eine Lufttrommel; der Druck wird in bekannter 
Weise auf einen Schreiber übertragen. Dieser schreibt nicht nur den Beginn 
und die Dauer des Druckes, sondern auch die Stärke, den Anstieg und Abfall 
auf, freilich nicht so, daß z. B. bei doppelt so starkem (doppelt so tiefem) 
Niederdrücken genau die doppelte Exkursion gezeichnet würde. Aber dem 
stärkeren (tieferen) Druck entspricht doch eine stärkere Exkursion. 

Wenn man mit dem Finger klopft, so hört man kaum das schwache, 
dumpfe Geräusch, das durch das Aufschlagen entsteht. Der Taster eignet 
sich also für Versuche, bei welchen eine akustische Kontrolle vermieden 
werden soll. Will man aber Geräusche haben, so kann man z. B. einen Finger¬ 
hut über den Finger steoken oder mit einem Stab auf das Brettchen klopfen. 


IV. Gruppe: Wahrnehmungen der übrigen Sinne, abgesehen 
von ihren Raumwahrnehmungen. 

Die Lehre von den 5 Sinnen ist längst aufgegeben. Sicher festgestellt 
sind bis jetzt 11 Sinne; vielleicht sind es aber wesentlich mehr. Nicht 
berücksichtigt sind bei diesen 11 Sinnen die Empfindungen, die uns über 
den Zustand im Inneren unseres Körpers berichten: Hunger, Durst, Ekel, 
die mannigfachen Empfindungen bei Erkrankungen. Ferner sind nur die 
Schmerzempfindungen der Schmerzpunkte der Haut berücksichtigt; vielleicht 
gibt es andere Arten von Schmerzempfindungen, vielleicht auch Lust¬ 
empfindungen — ganz abgesehen von Lust- und Unlust-Gefühlen. 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


189 


Jeder Sinn kann für die experimentelle Pädagogik Interessantes bieten. 
Wir haben bei den Farben gesehen, wie die Klassifikation, die Ordnung in 
ein System auf Grund der Ähnlichkeit, die Unterscheidung der verschie¬ 
denen Eigenschaften eine Aufgabe ist, an weloher sich die Beobachtungs¬ 
kunst messen und üben kann. Eine ähnlich reizvolle Aufgabe dürften die sehr 
verwickelten Geruchs- und Geschmacksempfindungen bieten. Leider ist die 
Technik solcher Versuche etwas umständlich, so daß ich vorläufig von 
Apparaten für solche Versuche abgesehen habe. Auch wird die Pädagogik 
Gebiete vorziehen, die zugleich größeres praktisches Interesse besitzen, als 
es bei Geruch und Gesohmaok (wenn man von einigen speziellen Berufen 
absieht) der Fall ist. 

Eine zweite Aufgabe, die sioh bei allen Sinnen durchführen läßt, ist die 
der absoluten und der Unterschiedssohwelle. Aber auch hier wird 
die Pädagogik sich solche Sinne und solche Aufgaben herausgreifen, die zu¬ 
gleich größere praktische Bedeutung haben; so hat z. B. die Unterschieds¬ 
schwelle gewisser Gelenkempfindungen für das Schätzen von Gewichten 
praktischen Wert. 

Eine dritte, vielleicht die interessanteste Aufgabe, bildet die Untersuchung 
von Erscheinungen, ähnlich der der Gedächtnisfarben. So lösen z. B. 
dieselben Gelenkempfindungen beim Heben eines Gewichtes den Eindruck eines 
schweren Gewichtes aus, wenn das Gewicht kleiner ist; sie werden besser 
„ausgenützt“. Wir haben also eine Anpassung an die Wirklichkeit vor uns, 
die nicht weniger bewunderungswürdig und nicht weniger praktisch wert¬ 
voll ist, als die anologe Erscheinung der Gedächtnisfarbe. Solcher Er¬ 
scheinungen gibt es noch eine ganze Reihe. 

Einige weitere Erscheinungen, wie das Objektivieren der Empfindungen, 
das kunstvolle Zusammenwirken verschiedener Empfindungen usw., finden 
bei der speziellen Besprechung der einzelnen Sinne Erwähnung. 


A) Tastsinn. 

Unter Tastsinn im strengen Sinne des Wortes verstehen wir nur die 
Druckpunkte der Haut. Wenn man mit einer Spitze die Haut abtastet, 
so empfindet man die Berührung einzelner Punkte als warm, andere 
Punkte als kalt, wieder andere als schmerzhaft. Wieder andere endlich er¬ 
geben eine indifferente Berührungsempfindung. Das ist der eigentliche 
Tastsinn. 

Gewöhnlich werden ausgedehntere Stellen, also viele Punkte gereizt; 
freilich findet dabei der Reiz nicht überall, sondern meist nur an den 
Rändern statt, wo die Haut gedehnt wird. 

Bei stärkerem Druck wird nicht nur die Haut gereizt, sondern auch die 
tieferen, unter der Haut liegenden Partien; wir spüren Muskel, Einochen 
u dgL Man spricht auch von innerem T.astsinn, gegenüber dem 
äußeren Tastsinn der Haut. 

Die Empfindungen des äußeren und inneren Tastsinnes werden von uns 
in mannigfacher Weise verarbeitet. Wir vergleichen und schätzen die 
Intensität des Druckes. Dementsprechend bestimmen wir die absolute 


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Schwelle und Unterschiedsschwelle: wir prüfen, ob sich gewisse Standard¬ 
gewichte, namentlich unsere Maßeinheiten eingeprägt haben; wir untersuchen, 
wie feine Unterschiede zwischen Gewichten noch richtig erkannt werden; 
wir vergleichen auch Unterschiede von Gewichten, stellen z. B. fest, ob der 
Unterschied zwischen 50 und 60 g ebenso groß erscheint, wie der zwischen 
10 und 20 g; wir können versuchen, zu einem Gewicht ein zwei-, drei-.... mal 
so schweres zu bestimmen, u. s. f. 

Wie genau urteilt in allen diesen Fällen der Erwachsene, wie das Blind! 
wie der Intelligente, wie der weniger Intelligente oder Schwachsinnige? Wie 
weit läßt sich die Fähigkeit üben? durch welche Übungen kann sie schnell, 
mühelos gesteigert werden? 

Wir können die nackte Druckempfindung an sich spüren. Wir können 
sie aber auch auf unseren Körper lokalisieren, und wir können sie in den 
berührenden Gegenstand verlegen; im letzteren Falle empfinden wir unmittel¬ 
bar eine Schwere oder Leichtigkeit des Gegenstandes. 

Ähnlich schreiben wir den Körpern auf Grund unserer Berührungs¬ 
empfindungen Härte und Weichheit zu; ebenso, namentlich wenn er über 
die Haut hin bewegt wird, Glätte und Rauheit. 

Unterscheidet auch das Kind diese Eigenschaften richtig? Kann es der 
Geistig-Zurückgebliebene? 

Derselbe Druck, dasselbe Gewicht erzeugt auf verschiedenen Stellen der 
Haut verschiedene Empfindungen; die Druckpunkte liegen verschieden dicht, 
die Haut ist bald gröber, bald zarter, u. dgl. m. Ein Gegenstand kann mit 
einer breiten Fläche auf der Haut aufliegen, oder mit einer Kante oder 
gar Spitze drücken; die Empfindungen sind wieder sehr verschieden. Dies 
alles, obwohl das objektive Gewicht stets genau dasselbe ist. Haben wir 
nun, den verschiedenen Empfindungen entsprechend, den Eindruck ver¬ 
schiedener Gewichte? Oder ziehen wir die Verschiedenartigkeit der Reizung 
in Betracht, nützen den Reiz verschieden aus? 

Eine andere, für Leben und Schule interessante Ausnützung habe ich 
schon früher erwähnt. Wenn derselbe Druck einmal von einem kleineren, 
einmal von einem größeren Gegenstand herrührt, so besteht der größere 
Gegenstand aus einer leichteren Masse, er hat, wie die Physik es ausdrückt, 
ein kleineres spezifisches Gewicht, geringere Dichte 1 ). 

Das Leben hat uns gelehrt, neben dem absoluten Gewicht auf das Material, 
auf die Masse zu achten. Sie bleibt dieselbe trotz verschiedener Größe, 
ähnlich wie die Farbe dieselbe bleibt trotz verschiedener Beleuchtung, die 
Größe dieselbe trotz verschiedener Entfernung, Die Massigkeit wird un¬ 
mittelbar empfunden, das eine Extrem als massig, bleischwer, das andere als 
federleicht. Diese Eigenschaft ist sinnfällig gegeben wie die Gedächtnisfarbe. 

Dies alles ist schon beim passiven Druck zu beobachten. Es tritt viel¬ 
leicht deutlicher hervor bei aktiver Hebung, von der unter Punkt B die 
Rede ist. Es ist möglich, daß wir beim passiven Druck, wenn wir das 

*) Mit demselben Problem beschäftigt sich eine von Herrn Friedländer im 
Berliner Psychologischen Institut durchgeführte Untersuchung, die auf eine Reihe 
dieser Fragen näher und quantitativ eingeht. Sie wird in der „Zeitschrift L Psy¬ 
chologie“ erscheinen. 


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Gewicht, das absolute wie das relative, recht deutlich fühlen wollen, die 
Empfindungen beim aktiven Heben hineinerinnern. 

Wie bei Gedächtnisfarben und scheinbarer Größe fragen wir auch hier: 
Wie groß ist die Ausnützung? Geht sie so weit, daß wir das reine spezi¬ 
fische Gewicht empfinden, d. h. daß Gegenstände aus gleichem Material 
uns gleich massig, gleich spezifisch schwer erscheinen, auch wenn sie ver¬ 
schiedene Größe und daher verschiedenes absolutes Gewicht besitzen? Zu¬ 
nächst ist zu betonen, daß wir — zum Unterschied von Farben und 
Größen — auch das absolute Gewicht beurteilen können. Je nach den 
Umständen des Vergleichs und je nach Willkür scheint bald das absolute, 
bald das spezifische Gewicht hervorzutreten. Wenn wir aber uns ganz auf 
das spezifische Gewicht einstellen, wird es dann ideal wahrgenommen? 
Erzeugt der größere Körper den Eindruck derselben Massigkeit, obwohl er 
verschieden schwer ist? (Dabei ist natürlich vorausgesetzt, daß man die 
gleiche Masse nicht am Aussehen des Körpers erkennen kann.) Vermutlich 
wird der absolut schwerere Körper auch seinem spezifischem Gewichte nach 
wenigstens etwas schwerer erscheinen. Die Ausnützung ist dann nicht ideal, 
sie bleibt hinter der objektiven Wirklichkeit etwas zurück. 

Bekannt ist, daß auch das Umgekehrte gilt, daß das spezifische Gewicht 
das absolute beeinflußt. Zwei gleich schwere aber verschieden große Ge¬ 
wichte erscheinen, wie schon erwähnt, verschieden schwer, auch wenn man 
auf das absolute Gewicht achtet. 

Vielleicht können wir es durch Übung dahin bringen, beide Eindrücke 
besser zu isolieren, so daß unser Urteil den objektiven Verhältnissen sich 
mehr nähert. Ähnlich wie bei der Perspektive wird es wohl auch hier 
Kniffe geben, die diese Trennung erleichtern. 

Die verschiedene Größe muß natürlich wahrgenommen werden; auf Grund 
dieser Wahrnehmung findet ja verschiedene Ausnützung statt. Der Grad 
der Ausnützung wird nun auch davon abhängen, ob die Größenverhältnisse 
richtig erkannt werden. Ein doppelt so hohes Prisma mag doppelt so groß 
erscheinen. Wie aber bei Kugeln, bei Würfeln usw.? Wie bei 5 mal oder 
10 mal so großen Körpern? Findet die Ausnützung auch dann statt, wenn 
vir die Körper nicht sehen, sondern nur betasten? 

Die Erscheinung ist für die Schule von praktischer Bedeutung. Der 
Physik unterricht wird, wenn er die Begriffe Masse, Dichte, spezifisches 
Gewicht erläutert, nicht von Definitionen ausgehen, sondern sich zuerst auf 
die lebendige Empfindung stützen; er wird sie durch Versuche und Übungen 
zum klaren Bewußtsein bringen. Das dürfte leicht zu erreichen sein, da 
jene Begriffe vermutlich schon im Kinde entwickelt sind. Indem der 
Unterricht die weitere Frage aufwirft, wie jene Eigenschaft zu messen ist 
wird sich spielend die physikalische Definition ergeben, der Schüler wird 
sie vielleicht selbst entdecken. Wenn wir dagegen mit der Definition be¬ 
ginnen, bringen wir Fremdes hinein, das vielfach nur mechanisch gelernt 
wird. Das eigentlich Belebende, der sinnfällige Eindruck verschiedener 
Massigkeit fehlt, oder vielmehr es fehlt der Zusammenhang derselben mit 
der Definition. Das Kind wird nicht den Eindruck haben, daß das, was 
die künstliche Definition sagt, auf dasselbe oder fast dasselbe geht wie jene 


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bekannte Empfindung. Demonstrationsversuche mit Wägen auf dem Katheder 
nützen wenig. Die Massigkeit kann man nicht sehen, man muß sie spüren! 

Die Versuche, die unten angegeben sind, dienen einerseits dazu, 
die Feinheit der Schätzung zu heben. Das setzt aber zugleich die 
andere, für die Schule wichtigere Aufgabe voraus, daß man sich 
die Eindrücke des absoluten und spezifischen Gewichtes klar zum 
Bewußtsein gebracht hat. Es ist der ernsten Erwägung-und prak¬ 
tischen Erprobung wert, ob der Physikunterricht nicht mit der¬ 
artigen einfachen Versuchen beginnen soll. (Auf eine andere 
Art, die Masse durch lebendige Empfindungen zur Anschauung zu 
bringen, komme ich in Punkt B zu sprechen). 

Haarästhesiometer nach v. Frey (Mechaniker Zimmermann, 
Leipzig), zur Bestimmung der absoluten Schwelle für Druckreize, 
namentlich wenn einzelne Druckpunkte gereizt werden. Das Prinzip 
dieses bekannten Instrumentes ist folgendes: Ein Haar wird aus 
einer feinen Röhre mehr oder weniger weit hervorgeschoben. Drückt 
man das Haar jedesmal so stark auf die Haut, daß es sich eben 
durchbiegt, so ist die Druckstärke der Länge des Haares umgekehrt 
proportional. Die Länge des vorstehenden Stückes ist an einer 
mm-Teilung abzulesen. Man muß beim Gebrauch darauf achten, 
daß das Haar nicht durch Unvorsichtigkeit eine Knickung erfährt. 
Je nach Bedarf kann man ein stärkeres (Pferde-) oder schwächeres 
(Frauen-) Haar einsetzen. Da die Schwelle von der Schnelligkeit 
der Berührung abhängt, so muß man sich einüben, immer mit der¬ 
selben Schnelligkeit zu berühren. 

Einfaches Gewichtsästhesiometer nach Rupp (Mechaniker 
Marx, Berlin). Der vertikale, oben die Gewichte tragende Stab 
gleitet sehr leicht in der Gabel, welche an einem Griffe gehalten 
wird. An das untere Ende des Stabes, das auf die Haut aufgesetzt 
wird, können Stücke mit größerer oder kleinerer Berührungsfläche 
aufgesetzt werden. Sie sind aus schlecht die Wärme leitendem 
Material gearbeitet, um die störenden Kälteempfindungen zu vermeiden, und 
sind alle gleich schwer. 

Oben können beliebige Gewichte bis zu 100 g aufgesetzt werden. Sie 
sind in der Mitte durchgebohrt und werden auf den Stab aufgesteckt, so daß 
sie nicht herabfallen können und zugleich zentriert sind. Man muß 
darauf achten, daß der Stab immer vertikal drückt. Ebenso 
muß man den Apparat stets mit gleicher Geschwindigkeit auf 
die Haut herabsenken. 

Man kann die Unterschiedsschwelle und die absolute Schätzung 
prüfen; kann Gewichte auf verschiedenen Hautstellen oder Ge¬ 
wichte von verschiedener Druckfläche vergleichen lassen. Meistens arbeitet 
man mit 2 Instrumenten, damit man die Vergleichsreize unmittelbar hinter¬ 
einander aufsetzen kann. 

Das berührte Glied liegt hier, wo es sich um den Tastsinn handelt, passiv 
auf. Andernfalls würden zum Tastsinn noch die durch das aktive Halten 




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auftrctemlon Empfindungen hinzukommen. Die Probleme und Versuche 
würden mcIi aber für diesen Fall genau wiederholen (vgl. B). 

Gewi eli tschalen nach Rupp (Mechanik 1 '! 1 Marx, Berlin). Der Apparat Nr.s. 
dient für ähnliche Versuche wie der vorige, nur ist die 
drücken, de Fläche größer. Sie besteht aus einer flachen 
Schale von ca. 5 cm Durchmesser. In der Mitte erhebt sich 
ein Stab, auf den wird; r die Gewichte gesteckt werden; zu¬ 
gleich dient er zum Aufa' en des ganzen Apparates. Schale 
und Stab wiegen genau so viel wie Stab und Aufsatzstück beim 
vorigen Apparat, die Schale ist auf der Unterseite mit Tuch 
belegt, um Kalt ’empfindungen zu vermeiden. Die Gewichte sind auch für 
die Versuche mit aktiver Hebung verwendbar (vgl. B). 

Serie von spezifischen Gewichten der Größe 20 cm*, nach Rupp Nr.4. 
(Mechaniker Marx, Berlin). 30 Gewichte von 5—100 g, erst von 5 zu 5 g 
abgestuft, später von 10 zu 10 g, jedes Gewicht doppelt. Alle haben gleiche 
Größe und Form und sind gleich angestrichen. Es sind runde Platten von 
ca. 5 cm Durchmesser und genau 1 cm Höhe; ihr Kubikinhalt beträgt genau 
20 cm». Die Masse ist bei allen Gewichten möglichst gleichmäßig über die 
ganze Form verteilt. Um die Gewichte auch für gewisse Versuche, die unter 
B beschrieben werden, verwertbar zu machen, sind sie oben in der Mitte 
mit einem Häkchen versehen, an dem man sie aufhängen kann. 

Die Serie kann zunächst zur Bestimmung der Unterschiedsschwelle ver¬ 
wendet werden. Man läßt die Gewichte paarweise vergleichen oder man 
läßt sie ordnen, und bestimmt die Fehler und die Zeit. Das Ordnen stellt 
zugleich eine anregende, spielende Beschäftigung dar und kann zur Erziehung 
verwendet werden. Ferner kann man absolute Schätzung üben: man läßt 
die Gewichte von 10, 20, 50 g bestimmen. Ferner: Welches Gewicht er¬ 
scheint doppelt so schwer wie ein gegebenes? Erscheint der Unterschied. 

50 und 60 ebenso groß wie 10 und 20? Endlich kann man die objektiv 
richtige Schätzung an der Hand unserer Serie üben. Der Schüler muß sich 
dabei ganz anf die Schwerempfindung stützen, da er sonst keinerlei Anhalts¬ 
punkte hat. 

Serie von spezifischen Gewichten der Größe 50 cm 8 und 100'cm 8 vr.su.e. 
nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Die Gewichte unterscheiden sich 
von denen der Serie 4 dadurch, daß sie 2 1 / 2 - bezw. 5mal so hoch sind. Die 
spezifischen Gewichte sind dieselben. 

Der Hauptzweck dieser Serien ist, in Verbindung mit der Serie 4 zu prüfen, 
inwieweit das spezifische Gewicht trotz verschiedener Größe und absoluter 
Schwere wiedererkannt wird. Man gibt ein Gewicht aus einer Serie vor 
und läßt aus den andern das Gewicht von gleicher Massigkeit, gleichem spe¬ 
zifischem Gewicht suchen. Wird es richtig bestimmt? Wie vom Erwachsenen, 
wie vom Kinde? 

Serie von Gewichten der Größe 20 cm» aus einigen wichtigen Nr,7. 
Materialien, äußerlich kenntlich, nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). 

Form und Größe der Gewichte wie bei 4; es fällt nur der Anstrich fort, so 

Zeitschrift f. pädagog. Psychologie. 13 

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daß das Material an dem Aussehen erkennbar ist. Die Materialien sind: 
Gips, Aluminium, Eisen, Messing, Blei mit den spezifischen Gewichten 1 , 2,7, 
7,2, 8,4, 11,4. 

Für den Physikunterricht, namentlich für manche Berufszweige, hat es 
Wert, einige spezifische Gewichte einzuprägen. Sicher wird man sich die 
lebendigeren Gewichtsempfindungen besser merken als die toten Zahlen. — 
Natürlich kann man nach Bedarf beliebige andere Materien hinzufügen. 

Man kann die Einprägung leicht prüfen. Man gibt ein Gewicht bei ge¬ 
schlossenen Augen vor und läßt das Material bestimmen; oder man läßt aus der 
Serie 4 das Gewicht suchen, das z. B. dem des Eisens am nächsten steht; 
und ebenso für die anderen Materialien. 

Nr s. Serie von Gewichten von gleicher Dichte, aber verschiedener 
Größe nach Bupp (Mechaniker Marz, Berlin). Die Gewichte sind zylindrisch, 
haben dieselbe Grundfläche wie die der Serie 4; die absoluten Gewichte sind 
ebenfalls die gleichen wie bei Serie 4. Aber das Material ist überall das 
gleiche, und die Höhen verhalten sich also proportional den Gewichten. Das 
spezifische Gewicht ist gleich 1. 

Man lernt durch diese Serie das absolute Gewicht beurteilen. Waren die 
Serien 4—7 Serien von reinen spezifischen Gewichten, so ist 8 eine reine 
Serie absoluter Gewichte. Subjektiv ist freilich nicht immer der Eindruck 
gleicher Dichte oder Massigkeit vorhanden. Aber es wird doch durch die 
verschiedene Größe der Eindruck verschiedener Dichte zurückdrängt. 

Man kann also dieselben Versuche wie mit Serie 4 anstellen, nur unter 
der Bedingung, daß jetzt vorwiegend absolute Gewichte beurteilt werden. 
Wie verhält sich die Unterschiedsschwelle T Welches Gewicht scheint uns, 
wenn wir auf absolute Gewiohte eingestellt sind und bei der Schätzung die 
Augen schließen, doppelt so groß wie ein gegebenes? Wir können aus Serie 
Nr. 4 ein Gewicht von anderer Dichte vorgeben und das absolut gleichschwere 
Gewicht aus 8 bestimmen lassen. Wir sehen dadurch, ob wir uns vom 
spezifischen Gewicht ganz frei machen konnten. Endlich können wir an der 
Hand der Serie die Vergleichung üben; dadurch, daß die Höhen selbst sinn¬ 
lich gegeben sind, mag sich besser einprägen, was z. B. ein doppelt so schweres 
Gewicht ist. 

Nr. ti 2 Gewichte zur Demonstration der bekannten Gewichtstäuschung- 
2 Messingkugeln von gleichem absoluten Gewicht, aber sehr verschiedener 
Größe; die kleinere erscheint absolut und spezifiech schwerer. Die Kugeln 
werden an Schlingen gehalten, oder auf gleich schwere und gleich große Unter¬ 
sätze gelegt und diese auf die passiv gehaltene Hand aufgelegt. 

< r io. 2 Bücher zur Demonstration der bekannten Gewichtstäuschung, 
nach Friedländer (Mechaniker Marz, Berlin). 2 nicht bedruckte Bücher, das 
eine aus leichtem Papier und ziemlioh dick, das andere aus schwerem Papier und 
ungefähr halb so dick. Das erstere ist dem absoluten Gewicht nach etwas 
schwerer; es erscheint aber deutlich leichter, analog wie bei den Gewichten Nr.9. 

n. Serie von Sandpapieren (Mechaniker Marz, Berlin), von fast glatten 
bis zu sehr rauhen, grobkörnigen Papieren. Sie sollen zeigen, wie feine 
Unterschiede in der Rauhigkeit gemerkt werden. Man läßt die Papier® 


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entweder paarweise vergleichen oder läßt sie ihrer Rauhigkeit nach ordnen. 
Aus der Zahl der Fehler und aus der Zeit, die zur Lösung der Aufgabe ge¬ 
braucht wird, kann man die Empfindlichkeit erkennen. 


B. Gelenkempfindungen. 

Gewichte beurteilen wir meist durch aktive Hebung. Es liegt nahe, zu 
glauben, daß wir sie auf Grund von Muskelempfindungen beurteilen. Allein 
den Hauptanteil haben G3lenkempfindungen. Bei schweren Gewichten werden 
die Einochen fester in die Gelenkkapseln gedrückt und dadurch Reizungen 
erzeugt. In untergeordnetem Maße mögen sich auch Muskel- und Sehnenemp¬ 
findungen beteiligen. 

Die Probleme der Gewichtsschätzung sind hier zum Teil dieselben wie beim 
passiven Druck. Die Prüfung der S eh welle fällt fort; es müßte denn der 
Tastsinn vorher unempfindlich gemacht worden sein. Dagegen bleiben die 
Fragen der Unterschiedsempfindlichkeit, der absoluten Schätzung und der 
Vergleichung von Gswichtsunterschieden. Ebenso wie die Tastempfindung 
wird die aktive Giwichtsempfindung verschieden objektiviert, bald in unseren 
Körper, bald direkt in den gehobenen Gegenstand als sein Gewicht verlegt. 

Ebenso oder besser als dort können wir durch aktives Tasten Härte, 
Weichheit, Rauhigkeit, Glätte und die Reibung spüren. Dazu kommen 
beim aktiven Tasten die interessanten Eindrücke der Elastizität, der 
Biegsamkeit und Sprödigkeit. Wenn wir auf die Biegsamkeit achten, 
müssen wir die Dicke und die Größe der gebogenen Fläche berücksichtigen. 
Wenn die gebogene Fläche größer ist, oder wenn sie dicker ist (z. B. ver¬ 
schieden große und dicke Papiere oder Bleche), ist mehr Kraft zum Biegen 
nötig. Das Material als solches wird darum nicht steifer. Wir schreiben 
ihm eine konstante, spezifische Biegsamkeit zu, ähnlich wie ein spezifisches 
Gewicht. Geschieht dies auch schon in der Empfindung, im sinnfälligen 
Eindruck? Ziehen wir z. B. die Größe des gebogenen Papieres in Betracht, 
wenn wir seine Steifheit schätzen? 

Wie wir früher das Problem besprochen hatten, ob dasselbe Gewicht, 
auf verschiedene Hautstellen drückend, gleich schwer erscheint, ergibt sich 
hier die Frage, ob dasselbe Gewicht, mit verschiedenen Gliedern gehoben, 
gleich schwer erscheint. Wir können z. B. einen Korb am Henkel mit dem 
Finger, mit der Mittelhand oder mit dem Arm heben. Immer sind Empfin¬ 
dungen anderer Gelenke beteiligt. Ebenso können wir die Finger mit dem 
Rücken nach oben oder nach unten halten. Dabei können wir auf die 
Empfindungen in den Fingern [achten oder uns auf die Empfindungen 
z. B. im Ellbogengelenk stützen. Ferner können wir die hebenden Glieder 
schlaff oder stramm angespannt halten. Also eine Fülle verschiedener 
Eindrücke, die alle von dem gleichen Gewicht ausgelöst werden. Es wäre 
eine schlechte Anpassung an die Wirklichkeit, wenn das scheinbare Gewicht 
alle diese Variationen mitmachen würde. In wie weit haben wir also ge¬ 
lernt, die Reize trotz ihrer Verschiedenheit in gleicher oder ähnlicher Weise 
auszunützen? 

Ein sehr schöner und reiner Fall verschiedener „Ausnützung“ derselben 
Empfindung ist zu beobachten, wenn wir dasselbe Gewicht, z. B. einen Korb, 

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auf verschiedene Stellen des Unterarmes hängen. Wenn er weiter vom 
Drehpunkt, also vom Ellbogen entfernt ist, ist eine größere Kraft nötig. 
Haben wir dementsprechend den Eindruck einer größeren Schwere? Oder wird 
der längere Hebel in Betracht gezogen und der sinnfällige Eindruck 
eines leichteren Gewichtes erzeugt? Nach einigen orientierenden Versuchen, 
die ich angestellt habe, findet eine solche Ausnutzung in der Tat statt, 
analog wie bei Gedächtnisfarben und scheinbarer Größe: Wir haben zwar, 
wenn der Korb weiter vom Gelenk abgerückt wird, den Eindruck, daß die 
Schwere zunimmt, aber sie nimmt lange nicht so stark zu, wie es nach 
den Hebelgesetzen zu erwarten wäre. Ich gebe unten die einfachen Versuche 
an, durch die man die Erscheinung prüfen kann. (Man sollte glauben, 
die Druckempfindung, welche auf verschiedenen Stellen des Armes ungefähr 
dieselbe ist, würde leicht den Fehler vermeiden lassen. Allein sie scheint 
wenig beachtet zu werden.) 

Wie schon erwähnt, kehrt beim aktiven Heben die Unterscheidung 
zwischen absolutem und spezifischem Gewicht wieder. Es gelten 
genau dieselben Fragen und Versuche. 

Jedoch kommen hier zur Beurteilung der Masse neue Wege hinzu. Ich 
kann Gewichte verschiedener Masse z. B. an Fäden aufhängen und ihre 
Masse dadurch vergleichen, daß ich sie in Schwingung bringe und den 
Widerstand beurteile. Ich kann verschieden große Körper verwenden, 
ähnlich wie bei Serie 8, oder Körper gleicher Größe und verschiedener 
spezifischer Gewichte. Im ersteren Fall verlege ich die Empfindung als 
absolutes Gewicht in den Gegenstand, im zweiten als spezifische Masse, als 
Dichte; also die analogen Eindrücke wie beim absoluten und spezifischen 
Gewicht. Ich fühle zugleich, wie der Widerstand von der Schnelligkeit 
abhängt, die ich erzielen will. Ich muß von ihr absehen und sie konstant 
halten, um die Massen vergleichen zu können. Die Bedeutung dieses Ver¬ 
suches (zu dem es natürlich manche analoge gibt) für die Physik liegt auf 
der Hand. Es sind dieselben pädagogischen Grundsätze geltend zu machen 
wie beim früheren Versuch: erst lebendige Erfahrung, die hier in den 
Gelenkempfindungen besteht; dann Versuch, die so gewonnenen Begriffe 
messend zu bestimmen, woraus sich von selbst und ganz natürlich, nicht 
gekünstelt, immotiviert, die physikalische Definition ergeben dürfte. 

Wir können weitergehen und den Eindruck der absoluten oder relativen 
Masse, den wir bei diesem letzten Versuch gewinnen, mit dem beim früheren 
Versuch vergleichen. Sind sie subjektiv überhaupt vergleichbar? Können 
wir zu einer Masse, die an einem Faden hängt und die wir stoßen, die 
gleiche spezifische Masse aus einer Serie Gewichten, die wir heben, be¬ 
stimmen ? 

Wenn wir Gewichte schätzen, namentlich bei absoluter Schätzung und 
beim Heben mit verschiedenen Gliedern, muß auch die Schwere des heben¬ 
den Gliedes berücksichtigt werden. Bei leichteren Gewichten würde es 
eine außerordentliche Fälschung bedeuten, wenn diese Berücksichtigung nicht 
eintreten würde. Darin liegt also eine neue Leistung. 

In ähnlicher Weise können wir das Gewicht einer Unterlage, z. B eines 
Tellers, auf dem der zu beurteilende Körper liegt, in Betracht ziehen. Wir 


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scheiden also Brutto- und Netto-Gewickt. Wie vollkommen ist diese Ver¬ 
arbeitung ausgebildct? 

Wir können ein Gewicht mit zwei Händen heben 1 ); jede Hand hat dann 
halbe Arbeit zu leisten. Addieren sich diese zwei geringeren Empfindungen 
zu derselben Gesamtempfindung, zu dem gleichen, in den Körper lokalisierten 
Gewichtseindruck, wie wenn wir den Körper mit einer Hand heben würden? 

Drücken wir eine Feder mit Daumen und Zeigefinger zusammen, so 
haben wir zwei Empfindungen. Haben wir denselben Eindruck der Federkraft, 
wie wenn wir die Feder nur mit einem Finger gegen eine Unterlage drücken? 

Endlich sei noch auf eine Leistung unseres Sinnes hingewiesen. Wir 
spüren, ob ein Körper homogen schwer ist, oder ob sich die Masse in 
manchen Teilen konzentriert, während er im anderen Teil hohl ist. Wir 
bewegen den Körper instinktiv und haben in kürzester Zeit die Verteilung 
der Masse erkannt. 


Ich gehe nun zur Besprechung der Apparate über. Zunächst wären die 
Apparate 3—11 auch hier anzuführen mit allen früher besprochenen Ver¬ 
suchen. Der Unterschied besteht nur darin, daß jetzt die Gewichte aktiv 
gehoben, die Sandpapiere aktiv mit gewissem Druck betastet werden. 

Die Serien 4—8 sind mit Häkchen versehen, so daß man sie aufhängen 
kann. Das dient für die Versuche mit hängenden Gewichten. Man bestimmt 
z. B. zu einem Gewicht der Serie. 4 das gleich massige Gewicht der Serie 
5 oder 6, indem man die Masse nach dem Widerstand, den sie dem Stoß 
bietet, beurteilt und die Größe berücksichtigt. Oder man sucht zu einem 
Gewicht der Serie 4, das nicht die Dichte 1 besitzt, das gleiche absolute 
Gewicht aus Serie 8. 

Gewichtsvariator nach Gallus-Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Während Nr.12. 
bei den Gewichtserien eine Reihe diskreter Gewichte vorhanden ist, gibt 
dieser Apparat, wie jeder „Variator“, die Möglich¬ 
keit, innerhalb gewisser Grenzen jeden Reiz, jedes 
Gewicht herzustellen, das Gewicht aho kontinuierlich 
zu variieren. Der Apparat besteht aus einem ein¬ 
armigen Hebel, der an dem freien Ende (in der Figur links) gehoben wird. Die 
Variation des Gewichtes wird dadurch erreicht, daß man ein Reitergewicht auf 
dem Hebel hin- und herschiebt. Die mm-Teilung gibt die Gewichte an; sie 
gehen von 550—1000 g, jeder Millimeter bedeutet 1 g. Am linken Ende 
des Hebels sieht man ein zweites, festes Gewicht. An diesem wie am 
Reitergewicht können Zusatzgewichte angeschraubt werden, falls man eine 
kontinuierliche Reihe schwererer Gewichte herstellen will. Der Hebel wird 
mittels eines bügelartigen Griffes gehoben. 

Man kann mit dem Apparat vor allem bequem die Unterschiedsempfind¬ 
lichkeit bestimmen. Ferner kann man das absolute Gewicht schätzen oder 
ein bestimmtes absolutes Gewicht hersteilen lassen, ebenso Unterschiede 
von Gewichten schätzen oder einstellcn lassen. 

Universalgewichtsvariator nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Nr. is. 
Das vorige Instrument ist durch kleine Zusätze und Änderungen so erweitert, 

') Auf dieses Problem hat mich Herr Friedländer hingewiesen. 



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daß es auch für eine Reihe anderer Versuche verwertbar ist. Der Griff 
ist vergrößert, so daß man den Arm in den Bügel stecken kann. Wie 
schwer erscheint dasselbe Gewicht, wenn es auf verschiedenen Stellen des 
Armes hängt? Wie weit wird der Hebel in Rücksicht gezogen? Da der 
Griff größer ist, kann man auch mit beiden Händen zugleich heben. Erscheint 
das Gewicht leichter? Ein wie großes Gewicht erscheint gleich schwer wie 
ein mit einer Hand gehobenes? 

Der Bügel läßt sich entfernen und an seine Stelle eine gleich schwere 
Gurtschlinge einhängen, die für manche Zwecke bequemer ist als der starre 
Griff. 

Der Apparat sollte auch für Zug z. B. nach unten verwertbar sein. Zu dem 
Zwecke wird ein Stab mit einer sehr leicht spielenden Rolle angeschraubt, 
der Bügel abgenommen und durch eine Schnur ersetzt, die erst nach oben 
über die Rolle, dann nach unten geführt wird; an dem unteren Ende dieser 
Schnur wird entweder der Bügel oder der Gurt befestigt. 

Wie schwer erscheint ein Gewicht, wenn es in dieser Weise gezogen wird, 
gegenüber einem gehobenen Gewicht? Wird die Empfindung in das über 
die Rolle gezogene Gewicht verlegt? Wie schwer erscheint das Gewicht, 
wenn man mit verschiedenen Gliedern zieht, oder wenn der Zug an ver¬ 
schiedenen Stellen desselben Gliedes, z. B. des Unterarmes ansetzt? — Zum 
Vergleich des gehobenen und des gezogenen Gewichtes muß man sich zweier 
gleicher Apparate bedienen. 

Man kann von der Rolle aus auch seitlich in horizontaler Richtung ziehen 
und den Gewichts- oder Masseneindruck beurteilen lassen. 

Endlich sollte der Apparat auch zur Erzeugung von Druckreizen dienen. 
Zu dem Zweck wird wieder der Bügel entfernt und durch einen nach unten 
stehenden Stab ersetzt, an welchen verschiedene Endstücke angeschraubt 
werden können. Diese Endstücke sind verschieden groß, aber selbstver¬ 
ständlich alle gleich schwer. Man legt nun z. B. den Arm entweder passiv 
unter das Endstück und senkt dieses mit konstanter Geschwindigkeit auf 
den Arm herab. Oder man hält den Arm aktiv, aber ruhig und läßt wieder 
das Gewicht herabsinken. Oder endlich man hebt mit dem Arm das 
Gewicht empor, ähnlich wie beim Versuch mit dem Bügel oder dem Gurt. 
Man kann so die Versuche mit passivem Druck oder mit aktiver Hebung 
ausführen, beide unter Berücksichtigung der Größe der Druckfläche, und 
mit den hier gegebenen größeren Gewichten. 

Will man den Druck auf verschiedenen Stellen vergleichen, so ist es, 
ähnlich wie oben, nötig, 2 gleiche Apparate zu verwenden. 

Mit 2 Apparaten kann man auch Gewichte simultan heben oder drücken 
lassen und die Unterschiedsempfindlichkeit unter dieser Bedingung prüfen. 

Serie verschieden dicker Papiere und Bleche der Größe 3x5 cm 
nach Rupp (Mechaniker Marz, Berlin). Jedes Blech und Papier ist doppelt 
vorhanden. Man klemmt sie an der schmalen Kante ein (z. B. in einem 
Buch) und sucht durch Drücken die Steifheit zu bestimmen und zu ver¬ 
gleichen. Wie feine Unterschiede werden richtig und sicher erkannt? Man 
kann sie auch verschieden weit vorstehen lassen, ein Blech z. B. 2 cm, ein 
zweites, gleiches Blech 4 cm. 


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Erscheinen sie ungefähr gleich steif? Wird also die Länge des vorstehenden 
Stückes berücksichtigt? 

Serie verschieden dicker Papiere und Bleche der Größe lxö Nr. u. 
und 5x5 cm nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Die Streifen haben 
also die gleiche Länge wie die der Serie 14, aber die einen sind wesentlich 
schmäler (1 cm), die andern wesentlich breiter (5 cm). Jeder Streifen ist 
nur lmal vorhanden. Mit dieser Serie und der Serie 14 kann man prüfen, 
ob die Breite der Fläche bei der Schätzung der Steifheit berücksichtigt 
wird. Man sucht zu einem Streifen irgendeiner der 3 Serien die gleichen 
Streifen aus den beiden anderen Serien. 

Serie von Gewichten mit verschieden -verteilter Masse, nach Rupp Nt.io. 
(Mechaniker Marx, Berlin). In Röhren von gleioher Größe sind eine Reihe 
von Kugeln eingelegt, aber so, daß die Masse in den Röhren verschieden 
verteilt ist, bald mehr an einem Ende, bald in der Mitte, bald an beiden Enden, 
bald gleichmäßig u. s. f. Das Gesamtgewicht ist überall das gleiche. Durch 
Verwendung verschieden schwerer Kugeln läßt sich dies leicht erreichen. 

Man soll entscheiden, wie in jedem Falle die Masse verteilt ist. Ist auch 
das Kind dazu imstande? 


T. Gruppe: Raumwahrnehmungen außer denen des Auges. 

Nicht alle Sinne sind für die Erkennung der äußeren Räumlichkeit von 
Bedeutung. Es kommen in Betracht: das Ohr, der äußere und innere Tast¬ 
sinn, Gelenkempfindungen und der statische Sinn. Ob Sehnen- und nament¬ 
lich Muskelempfindungen nennenswerten Einfluß haben, ist zweifelhaft. 

Für die Raumwahrnehmung des Gehörs sind vorläufig keine Apparate vor¬ 
gesehen. Es lohnt sich kaum für die Pädagogik, schallperimetrische Unter¬ 
suchungen anzustellen. Man wird sich zum Zwecke der Demonstration damit 
begnügen, z. B. mittels zweier Geldstücke an verschiedenen Stellen um den 
Kopf herum kurze Geräusche zu erzeugen und jedesmal die Stelle von dem 
Beobachter, der natürlich die Augen geschlossen hält, angeben zu lassen. Es 
ergibt sich dabei, daß in der Medianebene des Kopfes oft ganz falsch und un¬ 
sicher, in den seitlichen Partien leidlich gut lokalisiert wird. 

In einem interessanten Zusammenhang stehen Entfernung und Intensi¬ 
tät. Das schwächere Geräusch wird häufig in größere Entfernung verlegt. 
Umgekehrt scheint aber das Geräusch einer Tonquelle, die man in größerer Ferne 
sieht, nicht so schwach zu sein, wie es tatsächlich an das Ohr dringt. Es 
wird vielmehr infolge der größeren Entfernung besser ausgenützt, wird stärker 
gehört, analog wie ein ferner Gegenstand größer gesehen wird, als es seinem 
Netzhautbild entspricht. Leider sind die Versuche ziemlich schwierig aus¬ 
zuführen, so daß von ihnen hier abgesehen werden muß. 1 ) 


*) Über diese Erscheinung, über die ich hier das erste Mal berichte, ist irn 
Psycholog. Institut der Universität Berlin eine Arbeit eben zum Abschluß ge¬ 
bracht. Sie wird in der Zeitschrift f. Psychologie erscheinen. 


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Hans Ru pp 


A. Tastsinn. 

Sehr dankenswert und auch von praktischem Interesse ist die genauere 
Untersuchung, d.-r Rauimvv.hrneh'mmgcn des Tastsinnes und der mit ihm zu- 
.sammenwirkenden Gelenkeinplindung« n. Ich bespreche zuerst den Tastsinn. 

Die bekannteste Untersuchung ist die Bestimmung der Rauinscliwellc. 
Wie weit müssen 2 Berührungen voneinander entfernt sein, damit man die 
Zweiheit merkt? Wie weit in der Längs-, wie weit in der Q ierrichtung eines 
Gliedes? Wie weit an verschiedenen Körperstcllcn? Leider ist die Unter¬ 
suchung fast immer bei gleichzeitigem Aufsetzen von 2 Spitzen ausgeführt 
worden. Die Sukzessivschwelle ist mindestens ebenso wertvoll; sie liefert 
feinere Schwellen und zeigt uns die äuß.rste Grenze unseres Unterscheidungs- 
■ 'Vermögens. Bei der Simultanschwelle spielt eine Art Irradiation und Ver¬ 
schmelzung der 2 Eindrücke mit hinein, welche die Schwelle vergrößert. 
f Diese Irradiation und Verschmelzung ist freilich selbst wieder von Interesse. 
Prüfen wir beide Schwellen, so können wir sowohl die Unterscheidung wie 
auch die Irradiation feststellen. 

Auf 2 Hautstellen, deren Schwellen verschieden sind, sind auch die über¬ 
schwelligen Werte verschieden. Sie scheinen zunächst sogar in gleichem Ver¬ 
hältnisse verschieden zu sein. Zwei solche Taststrecken erscheinen also dann 
gleich, wenn sie gleichviel Schwellen enthalten — ein für die Theorie des 
räumlichen Sehens fundamentaler Satz. Der Satz gilt aber nicht uneinge¬ 
schränkt. Je größer die Strecken und je mehr Gesichtsempfindungen der 
berührten Körperteile hirfzutreten, desto mehr nähert sich die scheinbare 
Größe der Wirklichkeit. Wir sehen daran deutlich den Einfluß der Erfahrung, 
welche die ursprünglichen Empfindungen korrigiert. Tritt diese Korrektur 
auch beim Kinde auf? und wie nahe kommt die Modifikation den objektiven 
Verhältnissen? Sind manche Stellen der Haut besser korrigiert? — Alle 
diese Fragen sind bis jetzt nur an Erwachsenen und mit simultaner Berührung 
untersucht. Interessant wäre es auch, Blinde daraufhin zu prüfen. 

Bei passiver Haltung des Gliedes ist wegen der großen Simultanschwelle 
das Erkennen von Formen sehr mangelhaft und hat auch wenig praktisches 
Interesse. Instinktiv geht man immer zum aktiven Tasten über. Dagegen 
scheinen die Eindrücke der Spitzigkeit und Stumpfheit, von scharfen und 
spitzen Schneiden der Beachtung wert. Sie gründen sich wohl auf die Größe 
und Form der Berührungsfläche. Sofern freilich die spitzeren und schärferen 
Gegenstände auch Schmerz erzeugen, ist der Eindruck nicht mehr ein rein 
räumlicher. 

Neben der Erkennung von Größen und Formen gehört zum Tastsinn noch das 
Erkennen der Lage eines berührten Punktes auf der Haut, ob er 
z. B. an diesem oder jenem Finger, auf der Dorsal- oder Volarseite liegt usw. 
Die Lage des Fingers selbst muß dabei außer Betracht bleiben; nur die Lage 
auf der Haut, die „relative Lokalisation“, gehört dem Tastsinn an. 

Verbunden mit diesen Leistungen des Tastsinns tritt eine Objektivierung 
des Eindruckes auf. Ebenso wie die Härte, das Gewicht usw. in den JJagen* 
•stand verlegt wird als seine Eigenschaft, so verlegen wir auch die räumlichen 
Beziehungen, die Form, Größe, Spitzigkeit usw. in den Gegenstand, nehmen 
sie meist unmittelbar an ihm, nicht an unserem Körper wahr. 

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Probloino und Apparate zur experimentellen Pädagogik 

Ich bespreche nun einige einfache Apparate, deren man eich zu den ge¬ 
sagten Untersuchungen b du t;<. n kann. 

Ästhesiometer nach Spir.uvi (M‘ch.auik-r Köhler, Leipzig). Das In- >:m. 
strunu'iit ist so bekannt und v clr itet, da!.) eine. B seVvibung kaum nötig 
ist. Die nach unten st de >1 n Spitzen dierum für Versuch? mit gleichzeitiger 
Berührung, die schräge für V r nc' \ wo jedesmal nur 
eine Spitze aufgesetzt wird. Da; b, tm ent Dt aus 
Aluminium gearbeitet, sehr leicht und handlich. 

Man kann die Simultan- und S ikz '-•uvschwelle be¬ 
stimmen, kann überschwellig- Distanzen vergleichen lassen, namentlich solche 
auf verschiedenen Kö"p >” t ih n. 

Man achte, auf gleich schnelles und gleich starkes Aufo-tzm der Spitzen, 
bei simultaner Berührung vor allem auf genau- Gl ic-hz Öligkeit. 

Serie von Spitzen und Serie von Schneiden nach Ru pp (Mechaniker Nr.g. 
Marx, Berlin). Sie worden auf die Ilaut aufgesetzt- und dabei nach ihrer 
Spitzigkeit bezw. Schärfe beurteilt. Man kam sie paarweise vergleichen oder 
sie ordnen lassen. 

Serie von Kanten verschiedener Länge. (Mechaniker Marx, Berlin). Nr.s. 
Pappstreifen, 2 cm breit, mit den Längen 1—5 cm, in mm ab gestuft. Sie 
•werden mit der Längskante auf die Haut aufgesetzt und ihrer Länge nach 
bsurteilt. Pappstreifen haben den Vorzug, daß sie keine störenden Kälte¬ 
empfindungen erzeugen wie M;tallstreifen. 

Man kann die Unterschiedscinpfindlichkoit für Linien bestimmen und kann 
Linien auf verschiedenen Körperstellen vergleichen. Auch die absolute Schät¬ 
zung und die Vergleichung mit gesehenen Strecken haben Interesse. 

B. Gelenkempfindungen. 

Gelenk-, vielleicht auch Sdmonempfindungen zeigen uns die Lage und 
die Bewegungen unserer Glieder an, auch wenn wir die Augen geschlossen 
halten. Mit der Erkennung der Lage, b'i vollkommen ruhenden Gliedern ist cs 
vielfach schlecht bestellt; aber wir brauchen nur das Glied ein wenig zu 
bewegen, so tritt die Lage deutlich hervor. 

Ich sagte vom Ta-b-inti, daß er nur die Lage ein-s berührten Punktes 
auf der Haut, auf dem Körper vermitteln könnte. Treten Gel nkempfin- 
dungen hinzu, so kann auch die Lage dr Haut, des Körperteiles berück¬ 
sichtigt werden. Die Lokalisation wird aDo voll tänd g>r. War sie früher 
nur relativ, so kann man sie jetzt als absolut bezeichnen. In demselben 
Sinne war beim Auge von absoluter und relativer Lokalisation die Rede. 

Diese absolute Lokalisation d-r Berührung ermöglicht uns, durch Umfassen 
oder Umfahren die Form, Größe und Lage eines Gegenstandes zu 
erkennen. In dem populären Ausdruck ,.Tastsinn“ wird auch diese absolute 
Lokalisation, das aktive Bet.vtm, mitgemeint. 

Zu dieser Erkennung ist nicht nötig, daß wir uns die Lage der beteiligten 
Glieder vorstellen. Wir haben vielfach keine Ahnung, welche Finger und 
welche Steilen derselben wir in jedem Augenblick benützen; ganz unmittelbar . 
gehen wir auf das Ziel los, nehmen direkt den Gegenstand in seinen räum- 



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Hans Hupp 


liehen Eigenschaften wahr. Das gilt auch, wenn wir mit einem Stäbchen 
betasten. 

Wie genau sind die Raum Wahrnehmungen, die durch Hinzutreten der Gelenk* 
empfindungen entstehen? 

Zunächst fragen wir nach der Schwelle. Welches ist die kleinste Bewegung, 
die wir überhaupt merken können? Wir denken uns dabei ein Glied sehr 
vorsichtig durch einen Gehilfen bewegt. (Auf die kleinste aktive Bewegung 
komme ich später zu sprechen. Bei ihr spielen motorische Fähigkeiten hinein, 
nicht bloß die Bewegungsempfindungen.) Ähnlich fragen wir nach der Unter¬ 
schiedsempfindlichkeit für Lagen. Wie genau können wir die Lage eines 
Gliedes wiederholen? wie feine Abweichungen merken wir? 

Wie genau können wir betastete Strecken, Flächen, Körper vergleichen, in 
Größe und Form? Wie genau erkennen wir Verhältnisse? Haben wir uns 
normale Größen, Maße eingeprägt? Erkennen wir auch die absolute Lage, 
ohne binzusehen, richtig? Können wir z. B. einen Stab genau vertikal halten 
oder einen drehbaren Stab so einstellen, daß er genau vertikal steht? Trifft 
es das Kind ? Die Fragen, die bei dem Gesichtssinn aufgeworfen worden sind, 
kehren hier wieder. 

Wir können einen Gegenstand, z. B. einen Stab, in verschiedener Weise 
betasten: Wir fahren mit einem Finger an ihm entlang, wir umspannen ihn 
mit Zeigefinger und Daumen usw. In jedem Fall sind andere Glieder und 
Gelenke beteiligt. Bei welcher Art erkennen wir die Länge richtiger? Gibt 
es eine natürliche Art des Betastens? Wie verhält sich das Kind? 

Auf einen interessanten Fall von Ausnützung hat schon E. H. Weber hin¬ 
gewiesen. Wenn man eine Strecke einmal mit dem Finger abtastet, einmal 
mit einem Stab, indem man jedesmal z. B. den ganzen Unterarm im Eli- 
bogengelenk bewegt, so ist im zweiten Fall eine kleinere Exkursion auszu¬ 
führen, um so kleiner, je länger das Stäbchen ist. Ist das Stäbchen z. B. 
so lang wie Unterarm und Hand, so ist ungefähr die halbe Exkursion nötig. 
Der Erwachsene hat aber nicht den Eindruck einer halb so großen Strecke, 
vielmehr wird die Exkursion, die Gelenkempfindung besser ausgenützt. Das 
ist staunenswert, da wir relativ selten mit Stäben betasten. Wie groß ist 
die Ausnützung? Kommen wir den objektiven Verhältnissen nahe? Zeigt 
sich die Ausnützung Bchon beim Kinde? Ist sie auch beim Blinden ent¬ 
wickelt? Das Problem ist ganz analog dem der Ausnützung des Gesichts¬ 
winkels bei verschiedener Entfernung. 

Ich bespreche die Apparate. Es lassen sich eine Reihe früher bespro¬ 
chener Apparate verwenden: Die Kantenserie Nr. 4, aus den Apparaten über 
Raumwahrnehmung der Augen (Gruppe II) die Stäbchenserie 7a, die 
Scheibchenserie 21, die Zylinder- und Streifenserie 31, endlich zur Ver¬ 
gleichung und absoluten Beurteilung von Neigungen der Neigungsapparat 37. 
iir. 4 . Serie verschieden dicker Drähte nach Rupp (Mechaniker Marx, 
Berlin). Die Dicke soll durch bloßes Betasten beurteilt werden. Man läßt 
die Drähte paarweise vergleichen oder man läßt sie ordnen. 

Nr.s. Rechteckserie zur Bestimmung des scheinbaren Quadrates (Me¬ 

chaniker Marx, Berlin). Rechtecke aus Karton oder Blech. Die Grundlinie 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik. 


203 


ist immer 3 om. Die Höhen gehen von 2—4 cm, in mm abgestuft. Man 
soll das scheinbare Quadrat durch Betasten herausfinden. 

Prismenserie zur Bestimmung des scheinbaren Würfels (Mecha- * 
niker Marx, Berlin). Die Prismen haben den Querschnitt von 3 cm im Qua¬ 
drat und die Höhen von 2—4 cm, in mm abgestuft. Man soll den schein¬ 
baren Würfel durch Betasten herausfinden. 

Fühlstrecken-Apparat, Modell I nachRupp (Mechaniker Marx, Berlin). ni.7_ 
Auf einem mit Millimeterteilung versehenen Lineal sind 2 Reiter zu ver¬ 
schieben. Die durch sie begrenzte Distanz 
Sj wird betastet und beurteilt. Man kann 
Strecken sukzessiv vergleichen, sie absolut 
schätzen lassen, oder zu einer betasteten 
Strecke nachher bei offenen Augen die gleich¬ 
große, gesehene Strecke einstellen lassen. 

Ferner sind dem Apparat einige Stäbchen verschiedener Länge bei ge geben, 
mit denen man die Web it- ohen Stäbchen versuche quantitativ durchführen kann. 

Fühlstreckenapparat, Modell II, nach Rupp (Mechaniker Marx, Ber- Nr.a 
Jin). Die zu beurteilenden Distanzen werden hier durch kleine Höcker (Knöpfe) 
gebildet, die auf dem Lineal zu verschieben sind. Der Apparat ist äh) lieh 
dem einfachen Perlendistanzvariator in Gruppe II, Nr. 14; nur das mecha¬ 
nische Prinzip mußte hier anders gewählt werden. 

Man kann mehrere Knöpfe verwenden und die beiden zu vergleichenden 
Strecken nebeneinander auftragen, eine Strecke halbieren, dreiteilen lassen 
usw., eine ausgefüllte Strecke mit einer leeren vergleichen, ein Verhältnis in 
größere oder kleinere Dimension übertragen lassen. 

Bewegungsmesser nach Goldscheider (Mechaniker öhmke, Berlin; Mecha- Nr.», 
niker Spindler und Hoyer, Göttingen). Er dient für die oben besprochene 
Bestimmung der Bewegungsschwelle bei passiver Bewegung eines Gliedes. 

Ein mit Leder überzogenes Brettchen wird an das Glied fest angelegt. Von 
dem Brettchen hängt ein Pendel frei herab. Eine Kreisteilung, an der das 
Pendel spielt, wird so eingestellt, daß das Pendel zunächst auf 0 steht. Aus 
dieser Lage heraus bewegt man vorsichtig das Glied so lange, bis die Be¬ 
wegung bemerkt wird. Das Pendel zeigt in Graden die Größe der Bewegung 
an. Der Apparat kann sowohl für Biegung und Streckung, wie auch für 
Drehung eines Gliedes verwendet werden. 



C. Statischer Sinn. 

Im Ohrlabyrinth befinden sich neben der Schnecke die Bogengänge und die 
Otolithen. Sie geben uns Nachricht über jede Beschleunigung oder Ver¬ 
zögerung einer Bewegung des Kopfes und damit auch des ganzen Körpers; 
und zwar sowohl einer drehenden Bewegung wie beim Tanzen, im Karussel, 
als auch einer Progressivbewegung wie in der Bahn, im Fahrstuhl, im Schiff. 
Dauert die Bewegung mit konstanter Geschwindigkeit an, ist also die Beschleu¬ 
nigung oder Verzögerung gleich Null, so hört der Reiz auf, wir spüren keine 


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Hans Rupp 


204 


Bewegung mehr. B'i stärkerer Verzögerung oder beim Anhalten der Bewegung 
tritt einige S‘künden du- Eindruck einer Gegenbewegung auf, ein Art negatives 
Nachbild. Von diesen Er eh'immgen kann man sich leicht überzeugen: für 
Progrossivbawegung'm auf d >r Bahn oder im Fahrstuhl; für Drehbewegung 
mittels eines Dp h tuliles oder noch einfacher dadurch, daß man sich ein 
paar Mal um die Läugsach ;e dreht und dann plötzlich anhält. Die Ver¬ 
suche sind b *i geschlossenen Aug 'n auszuführen. S‘hr instruktiv ist fol¬ 
gender einfach r Versuch: Wenn man z. B. beim plötzlichen Anhalten den 
Kopf neigt, so ändert sieh mit der Kopflage der Sinn der scheinbaren nega¬ 
tiven Naciibew'gung. D r Versuch beweist, daß die Nacliempfindung im 
Kopf erzeugt wird. 

Der statische S rin soll uns auch über die Lage Auskunft geben. Wenn 
Kopf oder Körper geneigt worden erkennen wir mehr oder weniger richtig 
die Lage. Das brauchen wir, um uns z. B. beim Schwimmen unter Wasser 
zu orientieren, vor allem aber, um das Gleichgewicht beim G dien, Stehen, 
Bilanzieren zu halten. Ob die Erkennung der Lage durch dieselben Sinne 
erfolgt wie die Erkennung dm Bewegung, und ob sie ganz ohne B’wegnng 
erfolgen kann, ist wohl noch nicht endgültig entschieden. Jedenfalls be¬ 
steht das Problem, ob und wie gut wir Lagen erkennen. 

Es tritt eine bekannte Täuschung auf: die Neigung des Körpers wird 
überschätzt; neigen wir den Körper allmählich bis zur Horizontalen, so 
scheint er uns schon längst vorher in horizontaler Lage zu sein. An 
jedem Reck kann man sich davon überzeugen. Zur genaueren Untersuchung 
hat man Drchbrctter konstruiert. Für unseren Zweck der Demonstration 
reicht die folgende einfache Vorrichtung aus. 

Apparat zur Bestimmung der schein¬ 
baren Körperneigung nach Rupp (Mecha¬ 
niker Marx, Berlin). An ein mit Tuch be¬ 
spanntes Plättbrett ist unten ein Querbrett 
zum Aufsetzen der Füße angescliraubt. Der 
B'obachtcr stellt sich auf das Brett und 
lehnt sich mit dem ganzen Körper flach an 
dasselbe an. Dann neigen zwei Gehilfen all¬ 
mählich des Brett, indem sie an der in der 
Zeichnung zu sehenden Querleiste anfassen. Wann 
hat der B:obachtcr den Eindruck, horizontal zu 
liegen, wann unter 45° ? Erkennt das Kind die 
Neigung, kann cs dieselbe zeigen? Ein kleines 
Pendel mit einer Kreisteilung gibt die wirkliche Neigung an. 

(Fortsetzung folgt.) 



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Literaturbericht 


Literaturbericht. 

Dr. phil. Ottmar Dittrich, Prof, an der Universität Leipzig. Individualismus, Univer¬ 
salismus, Personalismus. Berlin 1917. Roulher & Reichard. 36 S. 1,00 M. 

Dittrich hatte unter dem Eindrücke des Weltkrieges „Neue Reden an die deulscke Nation* 

(Vertag Quelle & Meyer in Leipzig) den breiten Schichten unserer Gebildeten vorgelegt. Die 
philosophischen Grundlagen dieses wirkungsvollen und mit viel Beifall aufgenommenen Buches 
finden nunmehr in dem vorliegenden Schriftchen eine gelehrte Darstellung. Sie ist in so straffer, 
fast leitsatzförmiger Fassung gehalten, daß eine Kennzeichnung des Inhaltes, dessen Gliederung im 
Titel ersichtlich wird, zu wörtlicher Übernahme führen müßte. 

Leipzig. Rieh. Tränkmann. 

Max Verworn, Prof, au der Universität Bonn, Die Frage nach den Grenzen der Erkenntnis. 
Ein Vortrag. Zweite durchgesehene und verbesserte Auflage. Jena 1916. Fischer. 52 S. 1,20 M. 

Verworn zergliedert den Begriff Erkenntnis und versucht alsdann nachzuweisen, wie vor 
einer konditionalen Betrachtungsweise der Welt die beiden Grenzen verschwinden, die Du Bois- 
Reymond dem menschlichen Erkennen als unüberschreitbar gezogen sieht. „Wenn uns die Er¬ 
fahrung zeigt, daß alle Dinge in gesetzmäßigen Abhängigkeitsbeziehungen stehen, dann müssen 
auch alle Dinge erkennbar sein.* Es empfiehlt sich, die kleine Schrift zugleich mit einer anderen 
des Verfassers: „Kausale und konditionale Weltanschauung* durchzudenken. 

Leipzig. Rieh. Tränkmann. 

Dr. phiL et med. A. Pfeifer, Das menschliche Gehirn.. Nach seinem Aufbau und seinen 
wesentlichen Leistungen gemeinverständlich dargestellt. Mit 83 Abbildungen im Text. 2. Aufl. 
Leipzig 1917. Engelmann. 103 S. 4,20 M. 

Die erste Auflage dieses vorbildlich ausgestatteten Buches, das wir seines Inhaltes und seiner 
Darstellung wegen erneut dem Seminarunterricht empfehlen, hat bei den zuständigen Fachmännern, 
so u. a. bei dem Frankfurter Gebirnanatomen Edinger, durchweg Beifall gefunden So blieb 
wenig zu verbessern. Die späteren Auflagen werden wohl manches aus neuen Erkenntnissen 
und Befunden, die in den Kriegslazaretten gewonnen wurden, in angemessener Auswahl berück¬ 
sichtigen, wie ja schon in der gegenwärtigen Gestalt bei der Beschreibung der Sehstörungen 
bildliches Material von Schußverletzungen, die lnouye aus dem russisch-japanischen Kriege wissen¬ 
schaftlich bearbeitete, Verwendung gefunden hat. Uns selbst und anderen Schulmännern hat 
sich die Schrift in der unterricht!ichen Verwendung aufs Beste bewährt, wobei bemerkt sei, daß 
der weitaus größte Teil des Lehrstoffes der Gebimkunde nicht der Psychologie, sondern der 
Anthropologie und vergleichenden Zoologie zu überweisen ist. Der Wunsch, dem sich von 
psychologischer Seite auch Meumann anschloß, daß den gehirnanatomischen Unterlagen der 
Sprache eine mit anschaulichem Material durchsetzte Darstellung gewidmet werde, hat die 
zweite Auflage zureichend und recht geschickt erfüllt. Vielleicht, daß sich späterhin auch noch 
ein besonderer Abschnitt über die Entwicklung des kindlichen Gehirns einfügen läßt. 

Leipzig. Otto Scheibner. 

Moede, Walther, Die Untersuchung und Übung des Gehirngeschädigten nach 
experimentellen Methoden. Beiträge zur Kinderlorschung uud Heilerziehung, Heft 135. 
Beyer & Söhne, Langensalza. 1916. 4,50 M. 

t Auf Moedes Schrift, die experimentelle Psychologie in den Dienst der Untersuchung und 
Übung zu stellen, paßt Münsterbergs bedeutungsvolles Wort, das jedem Psychologen und Nicht¬ 
psychologen stets vorschweben sollte: „Versagt die wissenschaftliche Psychologie ihre Hilfe, s & 
nimmt das Leben mit vorwissenschaftlichen Beobachtungen vorlieb. Da kann es doch unmöglich 
den Interessen der Kultur entsprechen, wenn die Psychologie darauf besteht, ihr nichts zu geben, 
weü sie ihr noch nicht alles geben kann.* (Münsterberg, Psychotechnik p. 21.) Welche Wissen¬ 
schaft vermöchte das ? Und es ist durchaus nicht so wenig, was die experimentelle Psychologie 
heute schon zu bieten vermag. So gestattet sie eine genaue Feststellung des Status praesens 
des Patienten und zwar nicht nur in qualitativer, sondern auch in quantitativer Hinsicht, ist also ' 
auch von Bedeutung für die Diagnose des Arztes; sie ermöglicht nicht nur, sondern sie fordert 
eine Übungstherapie geradezu, indem sie infolge ihrer quantitativen Feststellungen objektive * 
Anhaltspunkte über den Erfolg der eingeschlagenen Behandlung gibt; sie erleichtert aus dem-' 
selben Grunde die Rentenfestsetzung, zumal die experimentellen Methoden auch einen Einblick T 
in die Arbeitsfähigkeit des Patienten erlauben, sie bietet insofern auch die beste Grundlage für* 


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206 


Literaturbericht 


eine etwa notwendig werdende Berufsberatung. Im zweiten Kapitel entwickelt M. genauer die 
Übungstherapie, ausgehend vom Wesen der Übung, die eine Eigenschaft alles Organischen ist, 
also jeder Zelle zukommt, weshalb die Übungstherapie auch aut alle Bewußtseinsfunktionen ana- 
gedehnt werden kann. Nachdem wir mit den Begriffen und Methoden der psychophysischen 
Messung bekannt gemacht worden sind, führt uns M. die wichtigsten Apparate vor, deren er sich 
bei der Untersuchung und Übung der einzelnen Sinnesgebiete und Bewußtseinsfunktionen bedient. 
Die hauptsächlichsten sind handlich in einem Arbeitskasten zusammengestellt. Die angeführten 
Apparate und Methoden dürften den Lesern dieser Zeitschrift bekannt sein. Neu schien mir, 
wenigstens in der Art der Anwendung, sein Tremometer, eine Metallplatte mit Löchern und 
Schlitzen von verschiedener Richtung und Weite, wodurch die Treffsicherheit und Zitterbewegungen 
der Hand genau festgestellt werden können, da Platte und Stift in einen Stromkreis eingeschaltet 
sind. — Es wäre vielleicht angebracht gewesen, wenn M. in die Darstellung der Methoden aus 
seinen gewiß reichen Erfahrungen einige Beispiele eingestreut hätte, die den Erfolg der Übung 
illustrierten. Dennoch dürfte gerade in medizinischen Fachkreisen erhöhtes Interesse für die 
Anwendung experimenteller Psychologie erregt worden sein. 

Bonn. Oskar Kutzner. 

Blüher, Hans, Die Intellektuellen und die Geistigen. Verlag H. Blüher, Tempelhai- 
Berlin. 30 S. 1.— M. 

Die Intellektuellen und die Geistigen unterscheiden sich in ihrer Stellung zur Idee. Während 
die Geistigen dicht am Urerlebnis der Idee stehen bleiben und sich so die Ursprünglichkeit ge¬ 
wahrt haben, stellen die Intellektuellen mehr die geistigen Handwerker dar und sind darum auch 
nicht die eigentlichen Vertreter der Kultur, sondern nur die der bürgerlichen Bildung. Sie zer¬ 
fallen in zwei Typen, den technologischen Typ und den Gelehrten. Auch die Philosophieprofessoreil 
vermögen die Situation nicht zu retten, denn sie haben die Philosophie zu dem gemacht, was 
sie niemals sein kann, „harmlos* (14) und weiter oben heißt es: „zur Dienstmagd der Theologie 
und damit der herrschenden Klassen* (14). Auch bei den Geistigen bestehen zwei Typen: der sakrale 
und der politische. Da B. überzeugt ist, daß sein Schrei nach Kultur von den älteren Jahrgängen 
zwischen 30 und 70 nicht mehr gehört wird, wendet er sich an die Jugend. Hoffentlich geht 
es ihm dabei nicht wie den Philosophieprofessoren, die, „da sie jahraus jahrein, Woche für Woche 
mit halbernsten Seminarzöglingen beiderlei Geschlechts erkenntnistheoretische Quisquilien dreschen, 
keine Geistigen sein können* (15). Die le'.zte Stelle möge zugleich eine Probe des Tons sein. 
In dem der Autor sein Thema zu erörtern für notwendig erachtet 

Bonn. Oskar Kutzner. 

Ladislaus Nagy, Ergebnisse einer Umfrage über die Auffassung des Kindes vom 
Kriege. Autorisierte Übersetzung aus dem Ungarischen von K. G. Szidon. Sonderabdruck aus 
Z. f. angewandte Psychologie Bd. XII, 1916. J. A. Barth, Leipzig. 63 S. 

Die ungarische Gesellschaft für Kinderforschung veranstaltete im Herbst 1914 eine Unter¬ 
suchung nach der Fragebogenmethode, deren Ziel es war, die Wirkung des Krieges auf das Kind 
festzustellen. N. hat zwei Fragen daraus berausgegrffen, um an den Antworten die geistige und 
sittliche Entwicklung des Kindes zu verfolgen. Die beiden Fragen waren: 1) Was ist die Ur¬ 
sache des Krieges? 2) Was gefiel am besten unter den Ereignissen des Krieges? Die 1661 Ant¬ 
worten gestatteten eine Gruppierung in subjektiv-typische (charakterisiert durch Phantasie und 
einfache Reproduktion der Gedanken Erwachsener), in objektiv-konkrete (Kind stützt sich auf 
reales Wissen) und abstrakt-typische Antworten (Kind sucht nach inneren Motiven für den Aus¬ 
bruch des Krieges); diese letzteren treten erst vom 12. LA. häufiger auf, gleichzeitig nimmt 
die Gefühlsbetonung der Antworten ab. Da sich diese Erhebungen über das 8.—19. LA. er¬ 
streckten, konnten auch entwicklungspsychologisch interessante Zusammenhänge festgestellt werden. 
8o lassen die konkreten und abstrakten Geistesfunktionen im Kindes- und Jugendalter den mathe¬ 
matischen Mittelwert der Antwort fast umgekehrt erscheinen (9.—14. LA. Objekt-konkr. Typus 
77,2°/o, abstrakt. Typus 18%, 15.—18. LA. 25°/o und 75°/©). Verfolgen wir speziell die Entfaltung 
der abstrakten Geistesfunktion, so ergibt sich folgendes BUd: LA. 9 —13 Periode der Vorbereitung, 
LA. 18—15 Periode der rapiden Entwicklung, LA. 16—18 der Blütezeit, mit LA. 19 beginnt die 
Denkweise wieder realer, konkreter zu werden. (14). — Für die Beantwortung der zweiten Frage 
muß berücksichtigt werden, daß sie in die Zeit vom Nov. 1914 bis Anfang März 1915 fällt. Hat 
der Krieg die Stimmung und Lebensbetätigung der Kinder herabgesetzt oder gesteigert? In 93% 
der Antworten war eine erhebende Wirkung festzustellen. Die in Tabelle 4 wiedergegebene Kurve 
zeigt ihre Höhepunkte im LA. 11—13, dann allmähliches, aber im Ganzen geringes Sinken von 
100% auf 80% im LA. 19. Was die sittliche Wirkung des Krieges anlaogt, kommt N. zu dem 


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Literaturbericht 


207 


Ergebnis, daß der Krieg auf die sittlichen Gefühle der Kinder die größte Wirkung ausgeübt hat 
und ihm darum ein wichtiger, sittenerzieblicher Wert zuzuschreiben ist. (25). Es würde den Rahmen 
eines Referates überschreiten, wollte man sich in eine ausführliche Kritik einlassen, die vielmehr 
Gegenstand einer selbständigen Arbeit sein müßte; dennoch seien einige kritische Fragen gestattet. 
1) Ob N. den Begriff sittlich nicht etwas zu weit gefaßt hat, 2) ob nicht bei der Beantwortung 
obiger Frage über die sittliche Wirkung des Krieges die Dauer desselben sehr zu berücksichtigen 
ist? Würden nicht heute nach drei Jahren Krieg die Antworten anders ausfallen? 3) ob über¬ 
haupt gerade die Kriegszeit geeignet ist, als Grundlage zu einer Untersuchung über die geistige 
und insbesondere sittliche Entwicklnng des Kindes zu dienen? Man könnte zunächst meinen, daß 
doch im Krieg eine Verstärkung der Gefühle gesetzt wird, weshalb ihr Auftreten leichter zu er¬ 
kennen, ihre Entwicklung besser zu verfolgen wäre. Mir scheint aber nicht nur eine Intensitäts- 
Steigerung der Gefühle vorzuliegen, sondern auch eine qualita ive Änderung namentlich bei dem 
Suggestionen so zugänglichen Kinde; dann aber würden die Ergebnisse einer solchen Umfrage 
einen beschränkteren Wert haben für die allgemeine Entwicklung des kindlichen Seelenlebens, 
dafür einen umso höheren für den Einfluß des Krieges in massenpsychologischem Sinne. Es 
sei daher aus dem Folgenden nur auf Einzelheiten hingewiesen. In den Antworten der Kinder 
treten folgende Momente besonders hervor: Sieg, Kampflust, Eigentum im Recht, Ehre, Religion, 
Vaterlandsliebe, altruistische Gefühle. Das Interesse für den Sieg nimmt bis LA 12 unablässig 
zu, dann ab. (Das scheint mir sehr abhängig zu sein von der jeweiligen strategischen Lage 
und der Einsicht des Schülers in dieselbe, vergl. folgende Niederschrift eines 19jährigen: „Nach dem 
Ausbruch des Krieges verkündeten wir mit lauter Stimme, daß wir mit den Schweinehirten sehr 
bald fertig werden, und dann jagten sie unser Heer aus Serbien heraus.“ (24).) Die instinktiven 
kriegerischen Gefühle (z. B. Freude an der Vernichtung des Feindes) nehmen fast 
unablässig zu bis LA. 14, dann rasches Sinken, während die sekundären kriegerischen Gefühle 
(Tapferkeit, Mut) bis LA. 18 fast regelmäßig ansteigen. Auch bei der Vaterlandsliebe unter¬ 
scheidet N. eine primäre und sekundäre Komponente; die erste steigt rapide vom 8—11 LA., um 
dann stufenweise zu fallen bis zum 17 LA, während die sekundäre Komponente bis zum LA. 13 
nur wenig ausgeprägt ist, dann aber in zwei Etappen die primäre überflügelt. „Der wahre, reine 
Altruismus beginnt, obschon auch nur instinktiv, erst im LA. 10 — 11“ (51). Am Schlüsse der 
Abhandlung stellt N. allgemeine Lehrsätze der sittlichen Entwicklung auf, von denen nur folgen¬ 
des hervorgehoben werden soll: LA. 3—8 ist vom sittlichen Standpunkte aus passiv; im 9. LA. 
setzt eine erste aktive Periode ein bis zum LA. 12; sie ist die Zeit des sittlichen Instinkts, da¬ 
rauf folgt LA. 13—14 eine Störung der vorher instinktiven, aber zuverlässigen Sittlichkeit durch 
den Wandel der intellektuellen Kräfte und die Empfindungen der Pubertät, die dann LA. 15—16 
von einer mehr passiven Periode abgelöst wird, an die sich vom LA. 17 — 19 wieder eine solche 
gesteigerter Aktivität anschließt — Die vorliegende Arbeit dürfte jedenfalls zur Nachprüfung des 
so komplizierten, aber für den Pädagogen bedeutungsvollen Problems Anregung geben. 

Bonn. Oskar Kutzner. 

Dr. Willi Warstat, Oberlehrer in Altona-Ottensen, Die Sohulzeitsohrift 

und ihre Bedeutung für Erziehung, Unterricht und Jugendkunde. 

Heft 13 der Säemann-Schriften für Erziehung und Unterricht. Leipzig 1915. 

Teubner. 95 S. 2,40 M. 

Schülerzeitschriften, besonders die geheimen, sind ergiebige Fundgruben für 
den Jugendkundler. So ist z. B. der sich so jugendlich, allzujugendlich ge¬ 
bärdende „Anfang 44 , der im Schatten Wynekens wucherte, ein höchst begehrens¬ 
wertes und gesuchtes Stück für jugendkundliche Sammlungen. Warstat aber 
geht in seiner Arbeit über die Schülerzeitschrift nicht auf psychologische Aus¬ 
beute aus, wiewohl er zwischendurch und in einem kurzen besonderen Ab¬ 
schnitte einige Funde vorzeigt. Er hält vielmehr eine pädagogische Einstellung 
fest und verfolgt die Absicht, den Lehrern die Schülerzeitschrift in ihrem Werte 
für den Unterricht und das gesamte Bildungsleben der Schule darzustellen und 
zu empfehlen. Er selbst gibt als „Lehrerberater 44 die Monatshefte des Altonaer 
Reform-Realgymnasiums heraus, deren Schriftleitung aus den Schülern der An¬ 
stalt besteht, und dieser Erfahrungsbereich gibt seinen Ausführungen über die 
Schulzeitschrift im Dienste der Gemeinschaftserziehung, in ihrem Verhältnis zur 
Schulkritik, in ihrer Unterstützung der Unterrichtsvertiefung, in ihrer Geschäfts¬ 
führung und Einrichtung u. s. f. einen sicheren Boden. Am meisten gewinnt die 
Darstellung, wie die Schulzeitschrift dienen kann, die heute so eifrig erörterte 


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208 


Literaturbericht 


freiere Gestaltung des Unterrichts zu unterstützen. Es sei hier ergänzt, daß da¬ 
bei auch daran zu Henken wäre, in der Schülerzeitschrift einen Ort für die Ver¬ 
einigung der arbeitsteilig in der Klasse behandelten Stoffe zu suchen. 

In Amerika und England soll cs kaum eine höhere Anstalt geben, an der 
nicht eine Schul- oder Schülerzeitschrift besteht. Bei uns im Lande der Schulen 
ist sie bisher etwas Ungewöhnliches. Und uns will scheinen, als sei sie dem 
Geiste deutschen Schul- und Schülerlebens innerlich fremd, ln den letzten Jahr¬ 
zehnten war es nachgerade bedenklich geworden, wie überseeisches Erziehungs¬ 
gut bei uns fast massenhaft eingeführt wurde. Der Krieg hat uns auch hier 
Besinnung gegeben. Und wenn vielleicht die Schulzeitschrift sich weit harmloser 
ausnimmt als Koedukation, Schülerselbstverwaltung u. s. f., so will doch sehr 
ernstlich geprüft und erprobt sein, ob wir ihrer für die Dienste, zu denen sie sich 
empfiehlt, in unserer alten deutschen Schulkultur auch wirklich bedürfen. 

Leipzig. Otto Scheibner. 

E Meirowsky, Geschlechtsleben der Jugend, Schule und Elternhaus. 

4. Auflage. Leipzig 1915. J. A. Barth. 80 S. 0,90 M. (Flugschriften der 

Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten, Heft 12.) 

Die Schrift enthält sehr reiches, für alle an der Erziehung Beteiligten im 
hohen Grade beachtenswertes Material über das Geschlechtsleben der Jugend» 
ferner wohldurchdachte Ratschläge, die durch das Beobachtungsmaterial nahe¬ 
gelegt werden. Beigegeben ist ein „Merkblatt für Eltern“ („Wie erzieht man seine 
Kinder zu einem gesunden und sittlichen Geschlechtsleben? 44 ) 

Gießen. August Messer. 

Dr. P. Brohmer, Seminarlehrer in Eilenburg, Sexuelle Erziehung im Lehrerseminar. 

Schriften des Deutschen Ausschusses für den math. und naturw. Unterricht. ID. Folge. Heft 3. 

Mit 11 Abb. Leipzig 1917. Teubner. 28 S. 0,80 M. 

Nach Darlegung des Grundsätzlichen Ober die Aufnahme der Sexualpädagogik in die Bildungs¬ 
arbeit der Lehrerseminare legt Brohmer — bekannt als der Weiterbildner der Schmeilschen 
naturwissenschaftlichen Lehrbücher — einen bis zur unterrichtlichen Thematisierung ausgear¬ 
beiteten Plan vor, der zeigt, wie in den biologischen Belehrungen allüberall vorbereitende Arbeit 
geleistet werden kann für die dann unmittelbar den schwierigen Stoff ergreifenden Bestrebungen 
in verschiedenen anderen Fächern: so in der Menschenkunde, in dem Deutschen, nicht zuletzt 
in der Psychologie, der Unterrichts- und Erziehungslehre und den Besprechungen, die im An¬ 
schluß an die Tätigkeit in der Übungsschule erfolgen. Daß dabei die sexual pädagogische Ein¬ 
wirkung mehr als anderes unterrichtliche und erziehliche Tun auf die Persönlichkeit des Lehrers 
gestellt bleiben muß, wird von Brohmer nicht verkannt. Seine praktischen Vorschläge ver¬ 
dienen, daß sie von den Fachleuten des Seminars durchdacht und erprobt werden. 

Leipzig. Otto Scheibner. 

Dr.med. Martin Chotzen, Die Notwendigkeit einer häuslichen sittlichen Erziehung. 

Breslau 1914. Koebner’sche Buchhandlung. 23 S. 0,80 M. 

Die kleine Schrift, die auf einen Vortrag vor dem Ausschuß des Berliner Vereins für Fragen 
dar Volkssittlichkeit zurückgeht, beschränkt sich auf die sexualpädagogische Frage, ohne aber 
zu dem viel behandelten und mißhandelten Thema, das vor einem Jahrzehnt geradezu pädagogische 
Mode war, wesentlich Neues sagen zu können. Geleitet von der Anschauung, daß die erziehliche 
Einwirkung in früher Jugend schon einsetzen müsse und durch den ganzen Werdegang der Jugend¬ 
lichen hindurch in einer der jeweiligen Entwicklungsstufe sich immer von neuem anpassenden 
Form fortzuführen sei, ruft es vor allem das Haus, ohne aber die Schule entlasten zu wollen, 
zu seinen Erzieherpfiichten auf. Erforderlich erweist sich ihm eine Anleitung der Eltern. Als 
gangbare Wege empfiehlt Ch. dazu die Einrichtung von Vortragsreihen für Väter und Mütter und 
die Veranstaltung von Elternabenden durch die Schule, die hier das Wort dem Schularzt geben mag. 

Chotzen hat sich seit langem in Wort und Schrilt bemüht, in dem Sinne, wie es das kleine 
Heft anregend darstellt, die häusliche Erziehung zu beeinflussen; er hat auch ein Elternmerkblatt, 
„Wie erzieht man seine Kinder zu einem gesunden und sittlichen Geschlechtsleben?“ heraus¬ 
gegeben, das in großen Massen verbre tet ist. Genugsam bekannte Erscheinungen der Kriegszeit 
dürften ihn und die Öffentlichkeit veranlassen, seinen Bestrebungen erhöhten Nachdruck zu geben. 

Leipzig. Otto Scheibner. 


Druck von J. B. Hirschfeld (August Pries) in Leipzig. 


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K—? Ä IVILi-i .-iLi ^ i ^ i U ^ ^, J ^ ^^ -V, L ■ ^ L| ^ J* 1 V * - *.*J»UiJMlU m ..,'». 



0 d>uln>ifytnf(4>ofUi<f)e und föulproftiföe $andbü<f)ee 
tkuerfdbtinungen und ttcuauflagtn den öeriages non 


€ rnjt öjundedid), £rip 3 ig,Rogplob J 4 


Dic$kma warte auf ter.Bugro'mit temPrttfg litt grate teigig <ntagi?3ei4jne« 


jfllt^emefne pädagogi!« 

Seifert, Dr. SlidjöTd, D (t Uftlirric^tsUftion als biöaftifdje 
Kunftform. prBttiidic RöildjIäge ünö pro&m für &ie flUtagsarteit mib für 
Cr^rprnbcn. 4. »rrmrli’rte flüflag,«. TR. 3,40. ijduitibft» TU. 4.2Ö. 

£obften, SKors, Die $-&npe ii'cu bet Sdjüler. m. \.Mf 

$ofmann, 3-« unb W6lHn$, 21., Beitrage jur biböftiftf?em 

(Eedjnif, Stunöentppen, fefUonsjdtemata liaö tedjni|d|r Ijüfen'aus brr 
öolfsjdjulpraiis. ITT \.—, geburtten 2R. I .tif». 

?JrÜ)ur, unb Söerfel, iturt, t) \ s Rr b e ii s f dj u fe, :«§»£fffffe 
roenbigleil unferet 5eif t Betradjtungen über bie (Entnritfrlimg unft bas 
tDefen tet ftrbrits|<fjul«. ITt 2.20. grbuftten m. 3.10. 

Segfert, Dr. Uliifjötb« djefammeüe fluffäi>e. ftt»s; te* ©«iffaen 

Sdjulprap«. IW 4 40, qrtnitttet!1H. 5.40. 

fiüttge, ifcrttji, "Das beut{dye BilbungsUvcat. m. i.4o 

Sbijfetf, Dr. SBidjafd, Die päbagogifdye 3bec in if)r« aÖ* 
■gemeinen Bebeutung. . fti. ^-.so. 

— IDas uns allen öie Doifsfrfyuie jein (oll. 2. ftufiaqt. 

m. 1 . 80 , gebupörn'm. 2 . 6 Ö, 

SBotgaff, ^eintidb» (feanje Ittenfdjen! €in jojioipätegoqijtiier ö«t. 
iu(ff. 5. laufteb. nt. 1.40’. gtfeünöen m. 2.40. 

Segfert, Dr. Wdrjarb, Born beuifdyen EDefen ndä> bem Kriegt. 


<£in flErjicbungsbürf) 


« • « • * •«» »»«»»« « «*.•« 4 * j*f* * * 


„Wan Aotf *e mit onUcm. IHdyt aueffirttften: nne Mt pettagfrfinruj £ro?l touni5i«rU4> auf 
ötn 0fl<f)trmarft hrinßi. Dtrdlen t om vt>rnh*r*ln t Vädytoeg. jfluf Arm pöö.-mett)- 
ift Alefelbr AU tritt, Alt o*t dos ötftt, tffttiife 

rutüt $*ötfe?>e e ^ö($ftUutta, U- itr* 5*>. 


M 











üerlag (Ernft EDunberlid), £etp 3 ig, Bofcplat} 14 


1 


ßiittge, (Ernft, EDie leiten mir unfere Sdjüler im Unter* 
richte 3Um felbftänbigen Arbeiten an? Anregungen unö 
Cf>efid)tspunfte. 3. erweiterte Auflage. Hl. —.80 

Süttner, (Öeorg, 3m Banne bes fogifdjen <5roanges. tiEtbifd^c «Brunö. 

fragen in erfenntnisfritifdjer Beleuchtung, nebft einem päöagogijchcu unfc> 
religionsptitIofopt)i|dieti flusbtuf. HI. 4.40, gebunben IT?. 5.20. 

ftref}fd)tnar, Dr. 3otjs., (Entwirf lungspfqdjologie unb (Er* 

3iebungsa)iHcnfd)aft. 4ine päbagogifche Stubie auf enttoicflungs* 
tbcoretifcher, etbnoIogijdKr unb tulturtjiftorifdjer (Brunblage. 

m. 3.40, gebunben Hl. 4.40. 

2>i*, fturt SB alter, Kinbesfunbe als Unterrichtsfach in Ittäbchen* 

jdjulcn. nt. 1.—, gebunben nt 1 80 

ftöfter, #erm. £., Das ®e{d}led)tUd)e im Unterricht unb in ber 
3ugenbleftüre. m. —.80. 


£aitg, $nul, Be 3 opftc pöbagogif. 

3rrgängc ber t)oltsfd)ulpäbagogtT. 


Kritijdje Betrachtungen über 
nt. 1.80, gebunben'm. 2.60. 


$>anfd)mann, Sruno, päbagogifche Strömungen an ber IDenbe bes 
3al)rl)unberts im (bebiete ber Dolfsfdjulc. nt. —.80. 

fifier, 91., Die Dol!sjd)uler 3 tel)ung im Zeitalter ber So 3 ialreform. 
SojialpäbagogjJdje Stubien. nt. 3.40, gebunben nt. 4.20. 

ftootftra, 3*» Sittliche (Erziehung. m. l.80, gebunben m.2.60. 

©rauer, Dr. phil. Otto, Die Beziehungen 3 toifchen Kants 
ÖE11)if unb {einer Pöbagogif. nt. i.—. 

ffieber, Dr. (Ernft, Die päbagogifchen<Beöanfen bes jungen 
nietf(d)e im öufammenfiang mit feiner EDelt* u. Cebens* 
anfdfjauung. m. 2.20, gebunben m. 3.10. 

®4>ercr, Sd)ulrnt (befdjichte ber pöbagogif unb ihrer 
f)ilfsa)i{fenfchaften. nt. 2.80, gebunben m. 3.40. 

ftraufe,(|3aul, Dreißig 3oh rc „Deutfdje Schulpraxis". 3nhaits»er3e«hnis 
bet Jahrgänge 1881 — 1910. TU. —.80. 

.©äftolb, 9B., 3ur Schuloerfaf f u ng. Anregungen unb (Befichtspuntte 
jur IPeiterentroicflung bes beutjdjen Dolfsfchultoefens. Ht. 1.40, geb. ttt. 2.20. 

6ei)fert, Dr. ©tdjarb, Dorfdjläge 3 ur Reform ber £ef)rer = 
bilbung. m. i —. 

ftreifdjer, 9R. £>., £et}rerbilbung unb neuere Sprachen. 

m. t—. 

£>ofmattn, Die allgemeine obügatorifd)e RTöbchen* 

fortbilbungsfdiule. nt—.60. 

üueifter, Julius, Die ITTäbdjenfortbilbungsfchule. in. —.60. 


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Original fiw 
/ERSITZ OF Ml 


CHIGAN 












üerlag (Ernjt IDunbetlid}, £eip 3 ig, Kojjplat* 14 


Segfcrt, Dr. Wdjarb, Die Ausbildung für Öen $ortbiI = 
bungs* und (Beroerbef d)Uldien|t. Umfd)au unb Anregungen 
für Beworben, £efjrcr unb £cf)rerimien, lft.1.—-. 

— Die (Er^ieljung der Jünglinge aus dem Dolle. m. —.60. 

2 Bolgoft r £einrtd), Die Bedeutung der Kunftfüröie (Erjieljung. 

m. —. 60 . 

Uöcbet, Dr. ©tnft, ßftfyetil als päbagogifdjc (Brundroiffenjdjaft. 

m. 4.40, gebunden IR. 5.20. 

6<f)Ul5ea$er0l)Of, ^aul, Sdfiller und die Kunfte^ietjer. 

Itl. 2.20, gebunden TU. 3.10. 

SBttfe, IRtdjarb, ITTufifalifdje <Ir3ief)ung und Arbeitsfluß. 

m.2.20, gebunden m.3.10. 

5>äntfd}, Dr. Ä., IjerbartspäbagogifdfeKunft unb non päöa* 
gogifdjer Kunjt überhaupt. (Ein Beitrag 3 um Kampfe um Ijerbart unb eine 
(Einfüljrung in bas Studium feiner päbagogif. in. 1.40, geb. IR. 2.20. 


Pfydjologic* 

91 ment, SBilfyefm, DieflEntroidlung oonSpredjen und Den = 
len beim Kinde, mit 5 Kuruen und 4 Kinberjeidjnungcn. Iteubrud» 
1912. . IR. 2.80, gebunden IR. 3.^0. 

Sinet, SHfreÖ, Die neuen (Bebanlen über das Sdjullinb. 
Autorifierte beutfrfje Bearbeitung burd) Dr. ©eorg Anfdjiifj u. ID. 3. Ruttmann. 
mit einem Bildnis Bincts. m. 4.40, gebunden m. 5.40. 

3)is, Aurt UBafter, Körperliche und geiftige (Hntroirflung eines Kindes. 
An der fjand eines biograptnjetjen {Tagebudjes. 

1. fjeft: Dic3nftinltbecDegungen dev erften Kindheit. 

Rlit einer ttafcl 3 um legt. IR. 1,40, gebunden ITT. 2.20. 

2. fjeft: Die Sinne. IRit54Kinber3eid)nungen. m. 2.20, geb. ITT. 3,10. 

3. fjeft: Den len, Urteilen und Sd) liefen des Kindes. 

m. 2.20, gebunden IR. 3.10. 

3n Kür 3 e erjdjeinen: 

4. fjeft: ©efütjlslcbcn des Kindes. 5. 6. Qeft: Die Sprache 
des Kindes. 

©gger, (£., Beobachtungen und Betradftungen über die (Ent* 
toicflung der 3ntelligen3 und der Sprache bei den Kindern, überfegt 
non Hildegard (Bapner und mit einer «Einleitung non Dr. pliil. 0). Ament. 

IR. 1.40, gebunden m.2.20. 

$ei)m, Dr. 9R., Die Behandlung der $d)toacf)finnigcn in der 
Dollsfdfule, m. —.60. 

£offmami r S., Pfpdfologifdjes £efebutf). m. 2 . 20 , geb. m.3.-. 


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>••••••• •••••••••••• •••••••••••• •<•••••••••••••••••••••••••••«•••♦«•••••••••••••••••••••• 


ücrlog (Ern|t XDunöerlid), £eip 3 ig, Hofeplatj 14 


ftraufe, fpanl, Die (Enttoicflung eines Kinbes non 6er ©eburt bis 3 um j 
(Eintritt in öie Sd)ule. Wit 3 at)lreid)en Abbilbungen im «eft. : 

ITT. 1.40, gebunben ITT. 2.40. ; 

Oppenheim, 9tatfyan, Die (Enttoicflung 6es Kinöes. Derer« j 

bung unb Umtoelt. Überlegt oon Berta ©afjner uni» mit Dorbcmer* ; 
hingen oon Dr. TD. Ament. « ITT. 3.40, gebunben ITT. 4.40. ; 

Oueprat, 3fr.» DasDenlenbeimKinbe unb feine Pflege, überlegt '• 

oon Paul Kraufe. Hl. 1.40, gebunben llt. 2.20. | 

Wuttmann, SB. 3 ., Die (Ergebniffe ber bisherigen Unterfudjungen j 
3Ur pfl)d)o!ogie bes 3eid)nens. mit 3 iuei «eftfiguren unb oier : 
©anjtafeln. m. 1.—. : 

— Die fjauptergebniffe ber mobernen Pfpd)oIogie. mit : 

Stguren im «eft. m. 5.—, gebunben m. 6.—. : 

Schilling, Sllbert Sari, ©rapt)i|cf)e Darfteüungen 3 ur Pfpcfjologie. : 

m. 1.—, gebunben ITt. 1.80. : 

SuIIp, Dr. 3«, Unterfud}ungen über bie Kinbfyeit. Bearbeitet : 
oon Dr. 3ojeph Stimpfl. mit 130 flbbilbungen im «eft. Dritte oerbe|ferte ; 
Auflage. m. 4.40, gebunben m. 5.40 « 

— f) anbbud} berPjpdfologiefür £ef)rer. 2., oott|t. umgearbeitete j 

Auflage, mit 3 ai)lr. flbbilbungen im «eft. m. 6.40, geb. m. 7.20. • 

Xrncp, Dr. ft., unb Stimpfl, Dr. 3*» Pji)(f)oIogie ber Kfrtbheit. j 
(Eine ©efamtbarfteDung ber Kinberpft)d)o(ogie für Semtnariften, Stubierenbe • 
unb Cefjrer. mit 69 Abbilbungen im lieft. Dierte oerbefferte Auflage. • 

m. 2.20, gebunben m. 3.—. j 

Sepfert, Dr. Kidjarb, Die £anb|djafts|cf)ilberung. «in fadj. : 

* roiffenjdjaftlidjes unb pji)djogcncti|<fjcs Problem, bargejtcHt an ber Heimat- : 
funblidjen Citeratur oon $ad)fen. ITT. 1.80, gebunben ITT. 2.60. ; 

£el>rplone» 

©er fieprplon im fiidfjte ber ftonjentration ((Djeorie unb präzis), j 

Don ber «i)emniger Ce^rplantommiffion. ITt. 1.40, gebunben ITT. 2.20. j 

Sapig, IR.» unb Sinfe, 91., (Tätiger ©eift unb gefc^icite Ejanb. : 
«in Beitrag 3 ur Schulreform. 3m An|d)luf( an ben Celjrplan für alle 8 Sd)ul> : 
jaf)re bearbeitet, mit 94 Bilbfeiten. m. 3.40, gebunben m. 4.40. • 

Seinig, 0., Die rebenbe ff anb. tDegroeifer 3 ur (Einführung bes IDerf» f 
unterrid)ts in Dolt$|d)uIe unb Seminar, mit 49 Abbilbungen unb 2 «abeilen. * 
2./3. Auflage. m. 2.80, gebunben Bl. 3.60. j 

Sang, S., £etjrplan für bie 2—8flaffige einfache Dolfsfchule. j 
I. ©eil: Religionsunterricht. M. 3.20, gebunben m. 4.—. j 

9teligions*£ehrpIan für bie eoangeltfcpe Soltsfdfule, bearbeitet j 
oon Dr. fl. Reufauf. 3n Bb. II oon Reufauf unb fjepn, ©oan* : 
gelifcher Religionsunterricht. Rtethobit bes eoangelifchen Religions* | 
Unterrichts oon ID. Bittorf. 2. oerm. Aufl. m. 3.—, gebunben m. 3.80. jj 









Derlög (Ernft tDunberlicf}, £eip 3 tg r Kofeplat} 14 


Seifert, Dr. *Rtd)arb, Der gefamte CeTjrftoff bes naturfunb« 

Iidjen Unterrichts. (Eine DarfteDung 6er ©lieberung un6 Bcfjanblutig 6cs ge* 
famten naturfunMidjen Unterrid]t$ in (Entwürfen unö planen für einfadje 
unö geglieöerte üolfsjdjulen. Pieite nenn. Auflage. TU. 3.40, geb. TH. 4.20. 

6d)roebcr, 2lb., £ehrplan für ben ©efdjichtsunterricht. 

Preisgefrönt. Itt. —.60. 

Seifert, Dr. *Rtd)ari>, £ef)rplan für ben beutfdjen Sprach* 
unterrid)t. 3. oermehrte Auflage, preisgefrönt. TU.—.80. 

$riiU, iKtmnnn, Der flnfdjauungs« unb Sprachunterricht 
für bie Unterftufe. Präparationen unb Kon 3 entrationsburd)|chnitte. 
2. nermetjrte Huflage. Dl. 2.20, gebunöen Dl. 3.10. 

^örfter, ffllorifj, IDegtueifer für ben ©efangunterrid)t in 
2 — 8 flajfigen Doifsjchulen. mit Ctfjrplänen. nt. 4.40, gebunöen 17t. 6.20. 

9Bolf, Srriebr. Gfyrift., praftifdje ©eometrie für ben Schul» 
Unb Selbftunterricht. Ittit 169 in Öen tTeyt gebrueften $iguren unb £ö* 
fungen. £et)rgang mit bem erjten preife gefrönt. £ehrerau$gabe. 2. »erb. 
Auflage. 11t. 2.20, gebunben 11t. 3.10. 

Pas Ttrbeftsprfn^ip Im ®cfamtunterrf<f)t. 

3Tr$t, Strthur, unb SBccfel, Äurt, DieHrbeitsfcljule, eine ITot* 
roenbigteit unferer 3eit. Betrachtungen über bie CEntmicfclung unb bas 
IDefen 6er Hrbcit$fd)u(e. DT. 2.20, gebunöen Dl. 3.10. 

£üttgc, Crnft, IDie leiten toirunfere Schüler im Unterrichte 
3um felbftänbigen Arbeiten an? Anregungen unb ©efidjts* 
punfte. 3. erweiterte Auflage. 11t. —.80. 

tßled)Ct f £)On$, PabagogifbertTat. Beitrüge 3 ur praftifthen CBeftat* 
tung bes Arbeitsprinjipes in ber Dolfsjdjule. tltit 81 5<guren im ffejt. 

Hl. 2.80, gebunben m. 3.60. 

IR., unb fiiltfe, £T., (tätiger ©eift unb gefdjicJte fjanb. 

(Ein Beitrag jur Schulreform. 3m Anfd)Iufj an ben £ef)rplan für ade 8 Schul« 
jahre bearbeitet. Ittit 94 Bilbfeiten. nt. 3.40, gebunben Itt. 4.40. 

Riecher, $ans, Das flrbeitsprin 3 ip in Dolls* unb 

bilbungsfchule. Ittit befonbererBerücffichtigung berlttün<hnerSdjul* 
organifation. Itt. 1.40, gebunben 11t. 2.20. 

9Bol)trab, ©. Aus ber prajis ber ärbeitsfchule. Ittit 

31 Abbilbungen im tLejrt unb 1 bunten (Eafet. 11t. 1.80, gebunben Itt. 2.60. 

Seitfter, $ans, Schaffen unb £ernen. 

I. ©eil: ©h*orie unb prajis bes tDerf Unterrichts ber Unter« unb 
UTittelftufe. 1.—4. Schuljahr. Ittit einem ©eleitroort oon Prof. 
Dr. A. pabft unb einer Abhanblung oon $eobor Cinbemann, nebft 59 Abbil« 
bungen unb (Eafeln im Ce£t. 3roeite oermehrte unb oerbefferte Auflage. 

Itt. 4.40, gebunben Itt. 5.40. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Perlag <Ern[t IDun&erlid), £etp 3 tg, Hofjplalj 14 

••»»•••»*»••*•••»%*•***•««•••••••**•••«• 

II. XEcit: itfjeorie unb Praxis bcs EDerfunterridjts ber CD ber ft ufe. 

5.—8- Sdjuljafjr. mit 58 Abbildungen im Heft unb einer Abhandlung oon 
Seodor Cindemann. 1TI. 4.40, gebunden HI. 5.40. 

|>egtoang, (Ernft, Die flrbeitsfchulibee in bet eintlaffigen 

ö 01 f S f d) u I e. IHit 12 Abbildungen im Heft. ITt. 2.80, geb. m. 3.60. 

Seiltig, 0., Die rebenbe l^anb. IDegmeifer jur (Einführung des Hier!« 
Unterrichts in Dolfsfchule und Seminar, mit 49 Abbildungen und 2 Habellcn. 
3roeite und dritte Auflage. !H. 2.80, gcbun.den m. 3.60. 

— prajis bes (Bebäd)tnis 3 eid)nens (tEppenjeidfnen). Samm» 
hing 3 eid|nerifd)en Übungs« und mernorierftoffs für £ehrer. 3toeite Auflage. 

m, 1.40, gebunden HI. 2.20. 


Da* ^trbciteprin3ip im Clementarsmterrtyt 

Springer, Spannes, Hus ber Praxis bes mobernen (Elemen* 
tarunterridjtes. Sfij 3 cn aus dem ®efamtarbeitsunterri<ht einer £tip» 
3 iger Derfud^selementarllaffe. m. 2.20, gebunden nt. 3.10. 

SBagner, {Hid)QtJ), Spielenbes fernen. (Ein Dorfutjus im (Elementarunter« 
rid)t. Auf modern.pfgd)ologifd(er Grundlage ausführlich dargeftedt. mit 
34 Abbildungen im lieft. IH. 1.40, gebunden IH. 2.20. 

SBofjIrob, (E. #., Die Jahresarbeit einer (Elementarflaffe. 
Daserjtc Schuljahr einer jä<hfi|chenüoltsfihuleffi 33 enmäf)igausgefuhrtnaihden 
ffirundjägen der Arbeitsfd|ule. mit einem Begleitioort oon Schulrat Dr.K.Heu» 
deefer. 2. oermehrte und oerbefferte Auflage, mit 33 Abbildungen im Heft. 

m. 2.20, gebunden HI. 3.10. 

— ntein 3 t»eiles Sdjuljoljr. Had) Art feiner „3ahrcsarbeit «‘"er 
CElementartlaffc“ ff^enmäfjig ausgeführt, mit 21 Abbildungen im Heft. 

m. 2.20, gebunden ITt. 3.10. 

— 3urn brüten $d)Uljal)r. Hach Art der 3al)resarbeit ft^enmäfjig 
ausgeführt. mit 36 Abbildungen im Heft. m. 2.80, gebunden m. 3.60. 

®efpget, SW. Die Unterflaffe einer 3toeifIaffigen üolfs* 
jdjule int £id)te ber flrbeilsibee. mit 50 Abbildungen im Heft. 

m. 3.20, gebunden m. 4.—. 


Religionsunterricht. 

{Reu tauf, Schulrat Dr. 91., Religionsunterricht unb Sdjutpolitit. 

Betradjtungcn über die $rage der fonfejjionellen ®ejtaltung der üoltsjdmle. 

m. 1 . 20 . 

{Richter, {fJrof. Dr. {Raoul, pf>ilofopf)ie unb Religion, m. —.50. 

Scherer, Religionstoiffenfctjaft. m. l.80, gebunden m.2.40. 

— Religio ns* unb RToralunterridjt. m. 2 .— , gebunden m.2.80. 

£>et)n, (Stuft, Berber unb bie beutfdje djriftlicfje (Begenroart. 

Husjprüd)c aus f)erfcm tl)eologijd}€n Sdjrifien. IH. 2.20, gebunben PT. 3.10. 









X 


üerlag (Ernft IDunöerlicf), £eip 3 ig, Bojjplatj 14 


Rtppolb, fjtiebrid), Das beutfdje (Eljriftuslieb bcs 19. 3alp> 
tjunberts. 24 Bogen ftorf. Bl. 3.40, gebunben Hl. 4.60. 

$aul, SRa*, 5ür er 3 unb (Bemüt ber Kleinen. Sedisunbfünfeig 
biblifd)e ®efdjtd)ten für bie erften ölet Sdjuljaffre. Auf (brunb H)unbtfd)ec 
Pfi)d)ologie. 11. bur<f}gefel)ene Auflage. Hl. 3.40, geb. ITT. 4.60. 

SBinller, Georg, Biblifdfe (Bef Richten für bie Unterftufe ber 
Dolfsfdjule ( 2 . bis 4. Schuljahr) in entu>ictelnb«barftellenber 5orm. 

Hl. 2.80, gebunben Ilt. 3.60. 

Gang, 6., Das £eben unferes ßeilanbes. 5&r s^uie unb ffaus 
im Wortlaut ber Coangelien bargefteut. mit einem (Eljriftusbilb, 3toeite 
enoeiterte Auflage. Dt. —.80, gebunben tlt. 1.20. 

— Das£eben3efuin hiftoriffypragmatifcher Darjteüung. 

I. (Eeil m. 1.40, gebunben Hl. 2.20. 

II. ICeil m. 1.80, gebunben Hl. 2.60. 

— Kinberftimmen aus bem Unterricht im £eben 3*fu. 

Hl. 1.80, gebunben Hl. 2.60. 

— Das £eben 3 c f U. Seine unterri^tli^e Beljanölung in ber Dolts« 
fdjulobertlaffe unb tn ber 5<>rtbilbung$fd|ule. 6. oermefjrte Auflage. 

Hl. 2.80, gebunben 1H. 3.60. 

— Katedjetifche Bau ft eine ju chriftojentrifcher Betfanblung bes 
I. fjauptftüdes. 3. burd)gefef)ene Auflage. Hl. 1.80, gebunben Hl. 2.60. 

— 3ur Reform bes Katechismusunterridjts. 2 . »ermetprte 

Auflage. Hl. 1.40, gebunben HL 2.—. 

Reutauf, Dr. unb £>et)n, tßrof. ©., (Eoangelifdjer Religionsunter« 
riebt. (Brunbiegung unb Präparationen. 

(Brunbiegung für £el)rplan unb tttethobe. 

Banb I: Dr. R. Reutauf, Dibalttt bes eoangelifdfen Religions« 
Unterrid)tS. 3. umgearbeitete Auflage. Hl. 5.20, gebunben HL 6.—. 

Banb II: tD.Bittorf, ünetljobit bes eoangelifdfen Religionsunter« 
rid^ts nebft flntfang: Religions«£ehrpIan, bearbeitet oon Dr. R. 
Reutauf. 2 . oerbefferte Auflage. Hl. 3.—, gebunben Hl. 3.80. 

tjanbbüdfer für bie Unterftufe. 

Banb III: a) 3- fjofmahn, 3cfusgefd)id)ten unb b) tD. Bittorf, 

©rjoSter gef «bitten. 9. oermeljrte unb oerbefferte Auflage. 

Hl. 3.—, gebunben Hl. 3.80. 

$ür bie tTUttettlaffen. 

Banb IV: (Buftao Bauer, Urgefrfjidjten, tttofe«, 3ofua« unb 
Ridftergefdfidften. 7. oerbefferte Auflage. Durd)gefel)en unb teil« 
«seife umgearbeitet oon Dr. A. Reutauf. Hl. 4.20, gebunben Hl. 5.—. 

BanbV: ©erharb (Bitte, <Befd)id)ten oon ben Röntgen unb 

GtOp^eten3staeU. 5./6. oerbeff. Aufl. Hl. 4.—, geb. Hl. 4.80. 

Banb VI: (Buftao DöH, (5efdF)trf)tcn aus bem Beben 3cfu« 

5. unb 6. oerbefferte Auflage. Hl. 6.40, gebunben Hl. 7.20. 



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üerlag <Ern[t tDunberlid), £eip 3 ig, Kofjplat} 14 


£)anbbücf)er für bie (Dberflaffen. 

BanbVIl: (Ernft fjeqn, ©cfd)icf)te bes alten IBunbes. Dritte 
oerbefferte Auflage. nt. 4.40, gebunben nt. 5.20. 

Banb VIII: (Ernft fjeijn, ©efd)id)te 3 c f u * 6. »erbeff. Auflage. 

m. 6.—, gebunben nt. 7.20. 

Banb IX: fl. Reufauf unb fj. IDinjer, ©efd)id)teber Sipo ft el 
3. nerbefferte Auflage. nt. 5.40, gebunben nt. 6.20. 

Banb X, Ausgabe B: (5ür Dolfs« unb flTittelfdjulen.) 
Dr. A. Reufauf, Airdjengefdjidjte. 2. oerbefferte Auflage. 

nt. 3.60, gebunben nt. 4.40. 

BanbX, Ausgabe A: l.Jjälfte: (Ernft fjetjn, Äit<f)engefcl)t<f)te. 
bis 1500. nt. 3.60, gebunben UI. 4.40. 

Banb X, 2. fjälfte: (Ernft fjeqn, 5Hrd)engef(f)id)te oon 1500 

bis 5Ur ©egentoatt. Abfd)Iief)enber Katecf)i$musunterrid)t. 

nt. 5.60, gebunben tlt. 6.40. 

Da 3 u erfcfjien: 

A. Reufauf unb (E. fjeqn, £efebu<f) 3 ur Kircffengefd)i<i)tt- 
Ausgabe A. 5ür f)öl)ere £ei)ranfta(tcn unb 3 um Selbftftubium. 

1. Banb: Bis 3ur Reformation, nt. 1 . 40 , gebunben nt. 2 . 20 . 

2. Banb: Reformation. nt. 1 .—, gebunben nt. 1 . 80 . 

3. Banb: R e u 3 e i t. nt. 1 . 20 , gebunben nt. 2 .—. 

Dr. A.Reufauf, ©uangetifcfje 3ugenMeI>re. 1. tEeil: Unfer 

df riftenglaube. (Eine f)anbreid)ung für ben Religionsunterridjt 
auf ber (Dberftufe bet Doltsfdjule unb ben Konfirmanbenunterridjt. 

2. (Teil: (Efjriftlidje £ebensfüffrung. 3 ent.i. 80 ,geb.nt. 2 . 80 . 
3u weiteren (Einführungen feien befonbers empfohlen: 

{Reufauf, Dr. 91., unb &et)n, tprof. ©., (Eoangelifcffe Religionsbüdjer 
für bie Sdfüler. 

Mehrteilige größere Ausgabe für Dolfsfdfulen: 

(Teil I: Biblifdje ©efchidften für bie Unter« unb Rtittelftufe. 

Ausgabe A: ntit einer Karte oon paläftina. Anfang: (Erftes tjaupt« 
ftüd unb erfter Artifel. 7. Auflage. 115 Seiten. ©eb. nt. 1.—• 
Da 3 u: Die Propheten Israels unb bie 3>K>ifd}e ©emeinbe. $üt Wittel* 
fd)ulen. 3. Auflage. 32 Seiten. nt. —.40. 

Ausgabe D: (Enthält Biblifctjc ©efd)id)te unb Cebensbilber aus ber 
Apoftel» unb Kird)engefd)id)te. — Anfang: <ErbtunbIid)es oon pala* 
ftina, ©ebete, 1. unb 2. Ejauptftüd, Daterunjer, (Drbnung bes ©ottes» 
bienftes, Kird)enjal)r. 2. Auflage. ®.eb. nt. 1.80. 

Ausgabe E: ©ejt roie in Ausgabe A, aber mit Bud)fd)mud unb 25 B«I< 
bern oon Sdjnorr o. (Earolsfelb unb R. Scbmaut. 118 Seiten. 

©eb. nt. 1 . 60 . 


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Detlag <Ern|t IDunöetlid}, £eip 3 tg, Bo&plajj 14 


©eil II: £efebutf| aus 6cm Alten TEeftament. : 

Ausgabe B: mit gefd)id)tlid)en unb geograpt)ifd)en (Ergdnjungsftoffen. j 
Anfang: (Erftes Efauptjtüct unb etftec Artitel. 93 S. (beb. m. —.80. : 

©eil III: £e(ebud| aus bcm ITcucn ©eftament. j 

Ausgabe B: fjilfsbuch 3 um Heuen Gejtament, enthalten** (Eejtangabe : 
bet 3 U lefenben Bibelabjdjnitte in metl)obif<her (Mieberung mit reli« • 
gionsgejdjic^tlidjen j(Ergän 3 ungs(toffen. Anfang: 3n>eite$ bis niertes • 
^auptftficf, Bibelfunbe, Spruch jd)atj. 71 S. (beb. HI. —.80. • 

TCeil IV: £efebu<h 3 ur Kird)engefchiihte. i 

Ausgabe C: für einj&i)nge Kurfe. Anfang: 3eittafel, Überfidjt über j 
bie d|ri|tli<tjen Kirdjen, bie eoangelifd)en <Blaubensbetenntni|fe, bie i 
Unter|<f)«it>ungslet)ren, bie d)riftlid}en Setten, bie (Drbnung bes eoan> : 
gtlifd)en ©ottesbienftes, bas Kirdjenjatpr. 5. Aufl. 161S. (beb. HI. 1.40. • 

Ausgabe D: Büber aus bet Kird)enge(d)id)te für ijalbjäijrige Kutfe. : 
Anfang wie Ausgabe C. 80 Seiten. (beb. nt. —.80. • 

(Einteilige Heinere Ausgabe: : 

(Einheitliches Religionsbud), entfialtenb: Biblifdje ©efdiidjten | 
bes Alten unb Reuen tfejtaments nebft Bilbem aus ber Kird}engejd)i<t}te; : 
geograpl)ifd)c unb ge|d)id)tlid)e <Ergän 3 ungsftoffe unb Über|id)t*n ba 3 u; • 
D. mattin £utl;ers Kleinet Katechismus mit Sprudjbud). 287 Seiten, j 

m. 1.20, gebunben m. 1.60. : 

Über bie Reiigions» unb Ijtlfsbfidjer für höhere Schulen non R e u t a u f unb 5 
tjepn jtefjt befonberes Derjeichnis 3 U Dienften. i 

tßatufd)ta, Hl., Unterrebungen über bas I.—Hl. Ijauptftücf. 5 

(Ein fyuibbud) für CeE)ter an Doltsfd)ulobertlaffen unb $ortbi(bungsfd)ulen. • 

m. 3.40, gebunben m. 4.20. J 

Sailer, Äarl, Kleine Kirchengefchichte für eoangel. Spulen. : 

m. —.30. s 

©cflnnungsunterridp. 

Scherer, £>., Reiigions» unb RToralunterricht. j 

m. 2.—, gebunben Dt. 2.80. : < 

Schilbeder, Hilbert, ©efinnungsbilbung für Schule unb fjaus | 

tf}eoreti|cf) unb praftifd) bargefteüt. m. 2.80, gebunben m. 3.60. : 

$iemefch, Äarl £etnrich, Der ©efinnungsunterricht. Doifs. : 

märeben als ©efinnungsftoffe im elften Sd]uljat)r (Präparationen). 2. »er* : 
befferte Auflage. ITT. 1.20. • 

— DieHobinfonerjählutigals©efinnungsftoffinberDolfsfdjule. : 

m. i.—. j 

ÄOOiftra, 3., Sittlidje (Erjiehung. Aus bem Rleberlänbifcben über» | 
fegt oon Pfarrer Cbuarb müller. m. 1.80, gebunben m. 2.60. i 

^offmaitn, S., (Ethifches £efebu«h. m. 1.80, gebunben m. 2.60. I 

/lnfd)auung6untcrdd)t 

(Hifler, HUtoin, Stoffe für ben Anfchauungsunterricht. j 

Beobachtungen ber Kinber in mett)obifd)en (Einheiten. 2./3. ergän 3 te Auflage. : 

Hl. 1.80, gebunben HI. 2.60. • 


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Oerlag (Ernft IDunbetlid), £etp3tg, Bofjplatj 14 


(Sichler, 2Ua>in, Die UormallauMnethobe. Anfdiaucn, 3eid)nen, 
£e|en un& Schreiben in organijdjer Derbinbung. HIeti}obijd}e (Einheiten unb 
ausgefü^rte Ceftionen. HI. 2.20, gebunben HI. 3.10. 

^Jriill, Hermann, Der flnfdjauungs* unb Sprachunterricht 
für bic Unterftufe. Präparationen unb Kon 3 entrationsburd)jd)nitte 
3u>cüe petmetyrie Huf läge. HI. 2.20, gebunben Hl. 3.10. 

ftrei), IBernhart», IDastörofjftabtfinberfehen. Anregungen 3 U 
heimathinblidjcn Beobachtungen unb Auflagen/ HI. —.80, gebunben ITT. 1.40. 

f>dmatfunöe. 

tBrinlmann, 21., fjeimatfunbe unb (Erbfunbe auf roerftätiger 
©runbtage. <£in Beitrag 3 ut Prajis bcs crbtunblidjcn Arbeitsunterridjts, 
praftifd) öargeftellt an bet fjeimatfunbe oon Dortmunb unb einigen Beijpielen 
aus bet weiteren OErbfunbe, Hlit 75 Abbildungen im Heft. ITL2.20, geb. HT.3 10. 

3od)en, 3Rax, ©fjeorie unb prajris ber fietmatf unbe. 

budj für ben tjeimatfunblid^en Untcrrid)» auf allen Klajjenftufen. mit 6 (Tafeln 
unb 1 ffeimatfartc, nebjt Ijeimatfunblidjcm Cefcbudj. ITt. 2.20, geb. ITt. 3.10. 

tßofyle, ^ßaul, Don ber f?eim atfunbe 3ur (Erbfunbe. (Ein Bei. 
trag 3 ur jp« 3 «Uen JTlethobit bcs etbfunblidjcn Unterridjtes. mit 6 Sfi 33 en 
unb 2 Biibern im Icjt, (omic 28 Sf^en unb ©äblers Sdjulfianbtarte im 
Anfänge. m. 2,20, gebunben m. 3.10. 

fßrftU, Die fjeimatfunbe als ©runblage für ben 

Unterricht in ben Realien auf allen Klaffenftufen. Ausgeführt in 
20 £e!tionen. Ausgabe A. 5-/6. ermeiterte unb oerbe|fcrte Auflage. 

m. 1.80, gebunben HI. 2.60. 

ftregtag, Crnft 3tid)arö, Sadjfcns gefchichtlith^geographifth« 
Sprichwörter unb geflügelte IDorte. m. t.80, gebunben m. 2.60. 

Untere ©rojjftaötjugenö in glur unb SBalb. Schülerioanberungen. 

fjerausgegeben pam Herein für üolfst|t)glene, £cip 3 ig* HI. 1.80, geb. TH. 2.60. 

Seifert, Dr. IRicharb, £anbfd)aftsfd)ilberung. <Ein fadjmiffen. 
jdfafilicbes unb pfqthogenettfdjcs Problem, bargeftellt an ber hdmatfuubltd)en 
£iteratuc über bas Königreich Sadjjen. HI. 1.80, gebunben HI. 2.60. 

5iir bie Ejanb ber Schüler: 

£eimathinMid)es fiefebud) für 3toicfau II. f}* rau sgegcben oon btr Set« 
tion für fjeimatfunbe. 2. Auflage. ©ut gebunben m. — .80. 

IßrüU, |>., fjeimatfunbe oon Cljcmni%. Ausg. b. 2.Aufi. m. — .35. 

— ©efcf)i<hte oon ©htmnitj. 2. Auflage. m. —.50. 

CrMundt. 

Scheret, ©eograplfie als IDiffenfchaft. m.i.80,geb.m.2.60. 

— ©eographieunterridft. m. 2 . 20 , gebunben m. 3 .—. 

(Brinfmann, SRotthias, Beobachtung unb Derfuch im erb* 

funblidjen unb toetterfunblichen Unterricht. (Ein Beitrag 3 ur Seibft> 
betätigung bes Schülers, mit i 7 Abbilbungen unb einem angefügten TDetter. 
blatt. m. ].—. 


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Derlag (Ernft tDunberltdj, £eip 3 tg, Kofjpldj 14 


Srtnfmonn, 91., Ejeimattunbe unb (Erbtunbe auf teert! eiliger 
(Brunblage. (Ein Beitrag 3 m Praxis bes erbtunbtichen Arbeitsunterridjts, 
prattifdj bargeftellt an ber tjeimattunbe oon Dortmunb unb einigen Bei« 
fpielen aus ber »eiteren (Erbtunbe. Mit 75 Abbitbungen im lejt. 

M. 2.20, gebunben M. 3.10. 

$räU, Hermann, 5önf Hauptfragen aus ber ITTetfyobif ber (Beo« 
graphie. M. 1 .—. 

— Deutfdjlanbin natürlichen £anbfcbaftsge&ieten, aus Karten unb 
tEqpenbilbern bargefteDt. Dritte oermeljrte Auflage. M. 220, geb. M. 3.10. 

— (Europa in natürlichen £anbfcf)aftsgebieten, aus Karten unb tippen« 
bilbern bargefteOt. 3»eite oerbefferte nnb permebrte Auflage. 

M. 2 . 20 , gebunben M. 3.10. 

— Aus ber Ejimmels* unb £änbertunbe. Die augereuro* 
päifdfen (Erbteile. Ita<h fo 3 ialpotitifd|en (Befid)tspuntten auf bem Boben ber 
pt}qjifd)en (Beographie bearbeitet. 3meite oermetjrte unb oerbefferte Auflage. 

M. 2.20, gebunben UL 3.20. 

Xifdjenborf, 3**!«# f?ilfsbüd)er für ben geograpffifdfen Unterricht. Bei« 
träge 3 ur nationalen CErbtunbe. 

— Das Deutfcbe Daterlanb. ßitfsbud) für ben erften Unterricht 
in ber (beographie oon Deutfchlanb. 23. Auflage. Mit Abbitbungen im tEe|t. 

M. 3.—, gebunben M. 4.—. 

— Das Deutfdfe Reich. Mit Abbitbungen im tEejt. 21 . Auflage. 

M. 3.—, gebunben M. 4.—. 

— (Europa. Mit 33 AbbilbungenimtEe|t. 22 . AufL M.3.20,geb.M.4.—. 

— ftmerita, flfien, flfrita unb fluftralien. Mit 37Abbitbun« 

gen im tEejt. 1914. 19. Auflage. M. 3.60, gebunben M. 4.40. 

— Das Königreich Sachfen. {fiifsbuch für ben erften Unterricht in ber 
Datertanbstunbe. Mit 25 Abbilbgn. im tEejt. 7.Auft. M. 2.20, geb. M. 3.—. 

9ücet, ß. nationaler Unterricht in (Erbtunbe unb (Berichte. 

M. 1.-. 

SBeigelbt, $aul| £ettüre}ur (Erbtunbe aus geographifchen Meifter« 
merten. M. 2.20, gebunben M. 3.10. 

Sang, ßeopolb, Die (Brunbbegriffe ber fjimmelsfunbe. 

Mit einer Stemlarte unb 47 Spuren. M. 2.20, gebunben M. 3.10. 

tßrfill, ^ermann, Aus ber tjimmels» unb £ünbertunbe. 
Die augereuropäif^en (Erbteile. 3»eite oermehrte unb oerbefferte 
Auflage. M. 2.20, gebunben M. 3.20. 

cpeologie. 

$el), tflfreb, Die (Beologie ber Qeimat. Mit i53eichnungen unb 
3 !ithographif<h<it tEafetn. M. 1.20, gebunben M. 1.80. 

— (Beologie bes Königreichs Sachfen ingemeinoerftänblitherDar¬ 
legung. Mit 121 Spuren unb einer Karte. M. 3.40, gebunben M. 4.20. 


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üerlag (Ern[t tDunberlicf), £eip3ig, Kojjplat} 14 


Sdjmiebcr, tprof. Dr. 3*» Quellen 3ur ©efcfyidfte nebft Abrifc bet ©e. 
jdjidite öes bc3€td)ncten 3eitraums. 

I. Ieil: Don 6er germanifdjen Urseit bis 3 um Aus¬ 
gange 6er Regierung 5ric6rid)s 6es (Broten. 

HI. 2;80 f gebunben HI. 3.60. 

II. ©eil: Don 6er fran3öfifd}en Reoolution bis 3 ur ©egen* 

Uiart. m. 2.20, gebunben ITL 3.10. 

III. ©eil: Quellen 3 ur ffiefdjidjte 6es Altertums.' 

nt.i20, gebunben HT. 3.10, 

— Quellen 3 ur Sädffifcfjen ©efdjidjte. n^2.40, geb. nt.3.40. 

— Quellen 3 ur ©efcf)i<f)te 6es Deutfdjen IPeltfrieges. 

Ban6 I: Bis Anfang 1916. m. 2 . 80 , gebunben nt. 3.60. 

£eftüre 3 ur ©efd}i elfte aus RTeifterroerlen beutfcfoer ©efdfidjt 
fdjreibung. \ 

I.KEeil: Don 6 er germanifdfen IXr 3 eit bis 3 u\r fran 3 ö* 
fifdjen Reoolution. nt. 1 . 80 , gebunben nt. 2 . 60 . 

II. ©eil: Das 1 9. 3 a I? r t) u n 6 e r t. nt. 2 .—, gebunbe* nt. 2.80. 

III. ©eil: £efture 3 ur ©efdjidfte 6es Altertums. 

nt. 1.40, gebunben^ltt. 2.20. 

ftranfe, XI)., Praftifdjes £ef)rbudj öer beutfcfyen ©efcbidfte in anwh-wiidj' 
ausführlichen 3ejt. unb Cebensbilbern. 1 

I. ©eil: IXr3e 1! unb Rtittelalter. Dierteoerbefferteunboel 

Auflage. nt. 4.20, gebunben 

II. ©eil: l?eU3eit. 4.uerbeff. u. oermet)rte flufL ITT.6.40, gebb 

III. ©eil: Der Deutle EDeltfrleg. Das erfte Kriegsfall. 

nt. 3.40, gebunben nt/4.20. 

— Praftifdjes £el)rbucl} 6cr fäd)fifd)en ©ef dfidjte. 3 W»t* 

oerbefferte Auflage. TTt. 2.20, gebunben nt.]f.-- 

— Prattifdfes £efjrbud) alten ©efdfidfte in anfchauiWt* 

ausführlichen Seit- unb Cebensbilbern. nt. 1.80, gebunben Itt. 2.J0- 

— neu3eitlid)e IDeltgefdfidjte 6er D3eltmäd)te. (Ein BeitrJ 

3 um Derjtänbnis ber ©egemoart. JH. 2.20, gebunben tlt 3. IG, 

Siemon, 3»^., ntoöerner ©efdjidjtsunterrid)t in präpara-M 

tionen für bie (Eichung bes Kinbes 3 um bcutfd)en Staatsbürger unb ©egen- \ 
roartsmenjd)en. '■ 

I. ©eil: Don ber XXr 3 eit bis 3 ur Stäbtegrünbung. nt. 1 . 80 , geb. nt. 2 . 80 . 
S©crer, ©efd}id}tsioiffenfd}aft. nt. 2 . 20 , gebunben nt. 3 .—. 

— ©efd)id)tsunterrid)t. nt. 2 . 20 , gebunben nt. 3 .—. 

Sdjroeber, 216., £ef}rplan für ben ©efchichtsunterrid)t. 

Pteisgetrönt. nt. — 30 . 

SBeigelbt, $aul, unb £übe<f, £ugo, ©efcf)icf}ts 3 al)len für bie Dolfs* 
jdjule. Räumlich au f 3eitab|chnitte oerteüt. nt. —.30. 



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UNIVERStTT 



namal frcm 


TCHIGAN 











Detlag (Etn|t IDunberlid), teipsig, Rofjplatj 14 


Hatur», Arbeite» und ttUnfcfjentunde. 

SSutil^, Ißaul, Das £ebcn ber Pflanßen. Bilberausber Pflanzen« 
toeit. Unter BerU<f|id)tigung bes Cebens, bet Üertoenbung unb bet <bejd)id)te 
ber Pflan 3 en für Sd)ule unb fjaus bearbeitet. 

Banb I: 3m ED a I b e. 3roeite umgearbeitete Auflage. mit 197 5iguren 
im (Eeft. m. 4.40, gebunben Ul. 5.20. 

Banb II: D a S 5 CI b. mit 9 Slguren im ttejt. m. 1.80, gebunben.m. 2.60. 

Banb III: H U f b e m 5 e I b C. mit 37 $ig.im Heft. m. 4.40, geb. m. 5.20. 

Banb I V: 3m ® e ID ä f f C r. mit 123 5ig. tm ttejt. m. 2.20, geb. m. 3.10. 

Banb V: Auf EDiefe unb fjang. mit 116 Siguren im Heft. 

m. 2.20, gebunben ITC. 3.10. 
Banb VI: 3 m © 6 ft g a r t e n. mit 92 $ig. im tteft. m. l .80, geb. m. 2.60. 

Banb VII: 3n oorgefcfpchtlicher 3eit. mit 106 $ig. im ttejt. 

m. 1.80, gebunben m. 2.60. 

Xurieljatifen, Obo, Der naturgef<f)id)tU<f)e Unterricht in 
ausgefüf)rten£eftionen. Ausgabe A. 5 (teile, je ca. 19 Bogen. 


©eil I: Unterftufe. 9.Aufi. 
m II: ItTittel|tufe.9. Aufi. 
n III: ©berftufe. 6. Aufi. 


(TeilIV: (Ergänjungsbanb. 4./5. Aufi. 
V: Utineralogie unb ©h cm ' c * 
3. oerbefferte Auflage. 

3«ber Heil foftet m. 3.20, gebunben m. 4. — 
tteil III foftet m. 4.20, gebunben tlt. 5.—. 

Xmiebaufen, Obo, Kleine pil3funbe. (Eine f)anbtei<hung für Celjter 
3 ur unterridjtlidjen Betjanbluncj ber betannteften efjbaren unb giftigen 
Sd)toämme. m. 1.20, tart. m. 1.80. 

— Der naturgef(f)id)ttid)e Unterricht in ausgeführten £e!tionen. Aus» 
gal>e B für einfache Schuloerhältniffe. 

©eil I: B o t a n i f unb Iftineralogie. 2. oerbefferte Auflage. 

„ II: 3oo(ogie. 2. oerbefferte Auflage, 
i 3*bet (Teil, 20 Bogen jtarf, m. 3.40, gebunben ITT. 4.20. 

tBartfy, Srtiebrid), fjanbbud) bes ©bft» unb Gartenbaues. 

(EI}eoretijd)«prattifd)e Anleitung unb päbagogifd)e Dermertung bes (Dbft» 
unb Cbartenbaues für £ei)rer unb <Er 3 iet)er. mit 45 Abbilbungen im ttejt. 

m. 3.40, gebunben ITl. 4.20. 

$rinftnanit, SOtatthias, BeobachtungunbDerfuchim erbfunb» 
liehen unb toetterfunblichen Unterricht. (Ein Beitrag 3 ur Selbjtbetätigung 
bes Sd)Ü(ers. mit 17 Abbilb. u. einem angefügten IDetterblatt. preis nt. 1. —. 

Gürtler, 2lrno, Kinbertümliche uftfft 33 cn für ben natur« 
funblichen Unterricht in ber Dolfsjchule. 

1. fjeft, 2. Auflage: Utineralien, ©ienoelt unb Anhang: IDinfe für 
Anfänger. m. i.—. 

Z. fjeft: Pflan3enroelt. 2. Auflage. m. 2.40, gebunben m. 3.60. 


13 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 









üerlag <£rnjt TDunbetltd}, retp^ig, Rofjplalj 14 


Segfert, Dr. 9ttri)ari> ? Die ftrbeits!unöe in öerDoüs* unb 
5 O r t b t [ 6 U n g S f ä) U l e. <Ein Dorfdjlag 3 ur DereinhettUdjung 6er Ito* 

turlehrc, Chemie* BTineralogie, ttedjnologie ujro. 6./7. permehrte unb per* 
bewerte Auflage. BI. 3.40, gcbunöen BT. 4.20. 

— Der gefamte £et)rjtoff öes naturfunblidjen Unterrichts. <Eine 

DarjteUung ber GBieberung unb Betjanblung bes gefamten naturfutt&lichen 
Unterrichts in (Entwürfen unb planen für einfache unb geglieberte Dolfs* 
fdjulen. Dierie oermchrte Auflage, BI. 3.40, gcb. BI. 4.20. 

— Itaturbeobacfjtungen. Aufgabensammlung unb Amoeifung für plan¬ 
mäßige naturbecfcadjtung in 6er DoUsfd|ule. Picrte, perbejferte Auflage. 

BT. 1.40, gebunben BI. 2.20, 

— Aufgaben!ammlungl für ©berjtufe, flufgabenfammlungll 
für Untcrftufc. 3e nt. —.40. Beobad) tungsbefte für ©berftufe ITt. —.30, 

für Unterftufe BT. -.20. 

— ITtenfcffenfunbe unb <5efunbf)eitslehre. Präparationtn. Dierte 

nerbefferte Auflage. BI. 2.20, gebunben Bl. 3.10. 

pt)yßtalif<f)cr und ci)cmif<i)cr /Itbeitö- 
unterri^t. 

3 rt« 0 f 0., p Ijn fif alif <f) er Rr bei ts unterricht. «in üorfd)iag 3 « 
Umqeftaltung bes UntffTtid)ts auf btt Unterftufe. BTit 30 5iquten im Seft. 

BT. 2.20, gebunben BT. 3.10. 

— pf)l)fifalifcf)e Sd)ulerÜbungen. £eljrgang für bie ©berftufe, 
anqejdqloffen an einen einljeitlidjen flpparatcnjat}. BTit 38 $iguren im lieft. 

BT. 2.20, gebunben BI. 3.10. 

— EDellpappatbeiten. (Ein £el)r<jang für einen pt)t)Jtfalifd)en flrbcits» 
unterricht im £cl)r 3 immer. BTit 59 flbbilb. im «ejt. ITT. 2.20, geb. BT. 3.10. 

3obft, Paul, DerUnterridftin ber Chemie mit Sdjülerübungen. 

Bilber unb Sfi 33 en aus ber Unterrid)tspra;is. BTit 16 ftbbilbungen im «egt. 

Bl. 1.40, gebunben BI. 2.20. 

ftöhler, Dr. p., Der (tlfemieunterrict)! mit Schüleroerfuchen. 

ITItt Pier Stuten im Heft. Bl. —.80. 

ftreifcl, Piaxtmüian, Das flrbeitsprinjip im (Eljemieunter. 
ridft ber Dolfsfdfule. BT. —.80. 

‘Paul, 2B., Praftifche Schülerübungen in ber (Effemie. mit 

bejonberec Berü<ffid]tigung einfacher Sd|ulperi)ältni|fe. BI. —.80. 

Setjfert, Dr. 9li<harb, Die Rrbcitsfunbe in ber Dolls* unb 
5ortbiIbungsfd)Ule. «in Uorfd)lag 3 ur Dereinfjeitlidjung ber Baturlebre, 
«fyemie, mincralogic, «edjnologie ujoj. 6,/7. nermeljrte unb uerbefferte flufl. 

BT. 3.40, gebunben BI. 4.20. 

@dj)uma<f)er, R., (Einführung in bie IDetterfunbe unb in bas Der« 
itänbnis ber IDetterfarten. mit 44 $iguren, 3 «afeln im «egt, 8 IDetter. 
farten, 1 Sd)ula>etterfartenformular unb 1 EDettertartenformulae für bie 
Sdjület. m. 2.20, gebunben m. 3.10. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 


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Pcrlag <Ern|t XDunberlid), teipjig, Kofcplatj 14 i 

5ür biefe neue Beljanblung 6er IDetterfunöe erfcfften nacf)fte^en6 • 
auf geführtes Äartenmateri al: : 

1. S^utoetterfartenformular. ffirö&e 90:90 cm. preis nii.—. j 

2. EDettertartenformulare für bie Schüler, ffiröfje 21 :20 cm. : 

Preis für 100 Stütf nt. 8.-. • 

3. Kartenferie: „IDie bie EDettertarte entfielt". 5 Karten in bet ©rö&e j 

oon 90:90 cm. Preis ber 5 Karten 3 ufammen nt. 6.—. • 

Deutle ©Sprache. 

Das ©an 3 c bes Deutfd)unterrid)ts. I 

Segfert, Dr. 9Ud)arb, tehrplan für ben beutfdjen Sprach* • 
U n t e r r i df t. 3. oermehrte Auflage. nt. —.80. f 

fröhlich, Sfrtbur, tEIfeorie unb prajis bes Spradfbilber* : 

budjes. Beiträge 3 um„Sd)affenbenfernen*imbeutjdjenSprachunterricht, j 

nt. 2.20, gebunben nt. 3.—. i 

ßüttge, (Etnft, Dibaftifdje Spradjfunft als äjtfjetifdje SelbftbarfteHung j 
ber Cehrerperfönlichfeit. nt. 2 . 80 , gebunben nt. 3.60. • 

— Beiträge 3 ur ©h« o rie unb Pragis bes beutftfjen Sprach» j 

Unterrichts, ©ine Sammlung oon Auf jätjen über alle 3tocige biefes Seht« : 
gegenftanbes. 2./3. burchgefehene unb erroeiterte Auflage. • 

ttt. 1 1.80, gebunben nt. 2.60. * 

— Die nt ünblidje Sprachpflege als ©runblage eines einheitlichen : 
Unterrichts in ber ÜTutterfprache. 2. bebeutenb erroeiterte Auflage, • 

nt. 2.80, gebunben tft. 3.60. t 

Stabotpb, ©uftao (Dr. 9tub. Schubert), Der Deutfchunterricht. : 

©ntroürfe unb ausgeführte fehrproben für einfache unb geglieberte Doltsf chulen. : 

1. Abteilung: Unter» unb ITtittelftufe. 4./5. Auflage. • 

ttt. 2.20, gebunben nt. 3.10. : 

II. Abteilung: ©berftufe. 3.oerm.Aufl. nt. 2 . 20 , gebunben nt. 3 . 10 . : 
IIL Abteilung: EDortfunbe im Anfchlufj an ben Sachunter» : 

rieht, ntaterialien 3 U einer elementaren ©nomatit unb Phrafeologie. • 

2. oerbefferte Auflage. nt. 2.20, gebunben nt. 3.10. : 

SBagtter, IRtcharb, (Einführung in bas Stubium ber beutfehen Sprache. : 

nt. 4.40, gebunben nt. 5.20. : 

Sprachlehre unb Hcc^tfd^rcibutig. ! 

Soct, Otto, Deutfche Sprachlehre, ©inßtlfs>, tnieberholungs» unb • 
Übungsbuch mit Berüctfichtigung bes frembfprad)Uchen Unterrichts. 10. oer» : 
befferte unb oermehrte Auflage. nt. 1.—, gebunben nt. 1.40. : 

£üttge, ©rnft, Sprachlehre als Anleitung 3 ur Sprachbeobachtung. j 
Ratfehläge 3 ur Sichtung unb ©eftaltung bes Cehr» unb Übungsftoffes nach : 
ben Bebürfniffen ber Kinberfprache. nt. 2.80, gebunben nt. 3.60. : 

— 3ur Umgeftaltung bes Unterrichts in ber Rechtfchrei» : 

bung. 2. oeränberte Auflage. nt. 1.20. j 


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UMIVERSITY OF MICHIGAN 








üerlag <Ern|t tDunberlid), £etp 3 ig, Ko&platf 14 


fiüttge, Stuft, Die Prajis bes Red)tf<hreit>unterri<hts auf 
pt)Onetifd)er tBrunbiage. DoUftänöiger £et)rgang in Unterridjtsbtifpielen, 
nebjt Dittaten in Auffatjform. 4./5. oerbeff. Auflage. HT. 2.80, geb. nt. 3.60. 

Staat, fßaul, Sprachliche 5otmiibungen in £ebensgemeinf<f)aften. 

m; 1.80, gebunben m. 2.80. 

Sepfett, Dr. {Richard, Übungs* .unb £ernftoff für bie neue 
beutjdje Hed)tfd)reibung in ben erjten 4 Schuljahren. 4. burdjge» 
feljene Auflage. HX. —.40. 

Zoll, ®., fieichtfafjliche 3nterpun!tionslel)re unb ifyre fln* 
toenbung in ber Praxis auf (brunb 3 at)lreict)er mett)o6ifc^ georbneter 
Beifpiele. 2. oerm«t)rte unb oerbefferte Auflage. m. 1.20. 

Spiegel, Otto, (Ein ©riff ins £eben! Diltatftoffe aus bem cErfah* 
ruugstreife ber Kinber 3ur Dorbereitung auf bie freien Auffä|e. Iteuauflage 
in Dorbereitung. 

graute, Ih«, Rieberfchriftenim flnfchlufjan£efeftücfe. 3ur Übung 
ber Red)tfd)reibung unb Pflege bes Ausbructs. ITT. 2.20, gebunben ITl. 3,10. 

fiüttge, Stuft, Übungsbuch für Redjtfdjreibung unb IDortbilbung. 

I. fjeft: Unter* unb fltittelftufe. 2. Auflage. nt. —.50. 

II. £>eft: CDberftufe. 2. Auflage. nt. —.50. 

^etmann, tßaul Xf). t Diltatftoffe I. 3ur<EinflbungunbBefeftigungber 
neuen beutfd)en Redjtfdjreibung. 635 Dittate. 17. oerbefferte Auflage. 

ITt. 2.80, gebunben nt. 3.60. 

— Diltatftoffe II. 3ur (Einübung unb Befeftigung ber beut jd)en Satjlefjre. 

450 Dittate. 8. uerbefferte Auflage. fit. 2.20, gebunben nt. 3.—. 

fiüttge, Stuft, £ et) r plan für fjör* unb Sprechübungen 3 ur Pflege 
einer guten flusfprache. nt. —.50. 

Ilärtig. {Richard, DiePhonetif unb ber Dolfsfdjulletfrer. 

nt. 1.40, gebunben IR. 2.20. 

Cejen unb Sprechen. 

fiüttge, Stuft, £ef)rptan für fjör» unb Sprechübungen 3 ur 
Pflege einer guten Ausfprad)e. m. —.50. 

IBtüggemann, S. 21., Derer ft e£efeunterrid)t nach phonetifdjen 

©runöfätjen. 2. enoeiterte Aufl. tferausgegeb. oon (Ernft Cüttge. UL — .80. 

— £efebud)fÜrbaserfteS^uliahr. nad)pl)onetif<f)en©runbffl$en. nt. —.80. 
Sichler,, 21 (min, Anleitung 3 ur richtigen £autbilbung als 

(Einführung in ©efang unb Sprache, ins £efen unb Schreiben. 2 ., oon. 
Jtänbig umgearbeitete Huflage. ITt. 1.80, gebunben ITt. 2.80. 

— Die normaIIaut*nietf)OÖe. Hnjdjauen, 3eid)nen, £ejen unb 

Schreiben in organi^er Derbinbung. ITTettjobijdje (Einheiten unb ausgefüljrte 
£eftionen. ITT. 2.20, gebunben ITt. 3.10. 

Ott, Die£autbef)anblung unb bas £autbilb in ber Dolfs* 
fd)ule. (Ein Beitrag 3 ur £öjung ber 5^ c if^ge unb 3 ur Hebung ber Hus« 
jpradje im Spredj«, £ejc- unb ©ejangunterrubt. ITtit 42 Siquxtn im ttert. 

ITt. 1.—. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Derlag (Ernft IDunbetlid), £eip 3 ig, Kofepldij 14 


fiefym, Äurt, IDic id) meine Kinber bas £efen lehre. mit 
76 5 > 9 uren im (Eejt. m. 2.20, gebunben ITT. 3.—. 

{Reger, 2BiH)., (Brunblagen bes erften £efens. Beiträge 3 Ueiner 
rationellen fteftaltung 6 es £cfcunterrid)tes im Rahmen ber jdjulreformato» 
rifdjen 3bee. RR 1.—. 

$ärtig, {Rtt^arb, Diepfjonetif unb ber Dolfsjdjullehrer. 

m. 1.40, gebunben IR. 2.20. 

9teid)el, Dr. SBalther, <E ntrourf einer beutjdjenBetonungs* 
Xe l) re für Schulen. m. 1.80, gebunben m. 2.60. 

Darenberg, ©., Die Ballabe als Kleinbrama. (Ein Beitrag 
3 ur £öfung öcr toic öem tlajfijd)cn Drama in unfern Dolfsjdjulen 

eine fjeimftätte bereitet roerben fann. IR. 1.80, gebunben ITI. 2.60. 

ftfttflr (£., Schillers Cell. (Eine fdfulgemäfje <Erläuterungsfcf)rift für 
TRittelfd)uIen unb nennanbte Bilbungsanftalten. IRR einem Anfänge unb 
40 Dispofitionen 6310 . Sternen 3 U Auffätjen unb nicberfdjriften. 

preis IR. 1 .—. 

— ffioetfyes f)ermann unb Dorothea. (Eine fdjulgemäfje (Erläuterungs« 
fdjrift für mitte(fd)u(en unb uertDanbte Bilbungsanftalten. IRit einem An« 
hange non 20 Dispofitionen unb fernen 3 U Auffätjen unb Ilieberfdiriften. 

IR. 1 .—. 

SdfRtaf), Sranj, Der Dramatifer Stiller. DarfteHung feines tDerbens 
unb IDefens burd) einljeitlidj-oergleidjenbe Betrachtung unb äftt)etifd)e (Er« 
tlärung feiner Dramen. lUit 26 Bilbbeigaben auf Kunftbrudpapier. 50 Bg. 
Umfang. IR. 8.80, gebunben IR. 10.50. 

Der 3nf)alt bes (Befamtroerfes gelangt gletdfteitig in ben folgenben 
ÜEinjelljeften 3 ur Deröffentlid)ung: 

1. fjeft: SdjiDer unb unfere 3eit. mit einer Sd)iller 3 eid)nung oon Karl 

Bauer. RI.—.80. 

2. „ ITTetffobifcfje (Einführung. (Erfte bramatifefje Derfudje. Die 

Räuber, mit brei Bilbbeigaben. RI. 1.40. 

3. „ Die Derfd)toörung bes $iesfo in (Benua. mit l SdiiBerbilbnis. 

m. —.so. 

4. „ Kabale unb £iebe. mit 3 roei Bilbbeigaben. m. —.80. 

5. „ Don Kariös, mit 3 mei Bilbbeigaben. m. —.80. 

6 . „ EDaHenftein. mit oier Bilbbeigaben. m. 2 . 20 . 

7. ' „ Rtaria Stuart, mit 3 roei Bilbbeigaben. ITT. —.80. 

8 . „ Die 3ungfrau oon ©rleans. mit 3 toei Bilbbeigaben. m. —.80. 

9. „ Die Braut oon RTeffina. mit 3 n>ei Bilbbeigaben. m. 1 .—. 

10. „ EDilf)elm ©eil. piäne. (Entwürfe. Demetrius. mit 3 toei 

f}anbfd)riftcnproben unb 4 Bilbniffen. m. 1.60. 

fifittge, (Ernft, Die prajris ber £efebud)bel)anblung als Rn« 
leitung 3ur Selbftbilbung burd) £eftüre. Reuauflage in Borbereitung. 

tpied)er, $an$, Streif 3 üge burd) bas £efebud)- ftusf^nitte 
aus bem Sd)udeben nad) bem <brunbfa| bes fd)affenben Cernens. 

m. 5.40, gebunben IR. 6.20. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Hetlag <Ernjt tDunöerlid), £eip 3 ig, Kofjplatj 14 


fßlecßer, &an$, Diebeutfdjc Di<f)tung in öer Dolfsfd}uIe, 

HI. 3.40, gebunben Hl. 4.20. 

— 3m (ßetfte öer großen Seit Beifpiele aus öem Deutfd)unterrid}t. 

m. 2.20, gebunben IR. 3.10. 

9Baltf)er, ©uftao, Deutle £efejtütfe, £eljrproben unö {Entmürfe. 

in. 3.20, gebunben m. 4.—. 

aufföfc« unö Stitbilbung. 

Segfert, Dr. fKidjarö« Der Auf f a% im Cicfyte öer £efjrplan* 
iöee. Dritte oennetjrte Auflage. ITt. 1.—. 

Alaßre, Üluöolf, <Ein fidjrer EDeg 3 ut Selbftänöigleit im 
Stil jomie im Denfen überhaupt. m. 2 . 20 , gebunben m.3.10. 

ßiittge, ©rnft, Der ftiliftifdje Anfd)auungsunterrid)t. 

I. (Teil: Anleitung 3U einer planmäßigen ©eftaltung öer crften Stil* 
Übungen auf anfcbaulicber ©runölage. 7./8. burchgelehene Auflage. 

ITT. 1.80, gebunben Dt. 2.60. 

U. Ceil: Der Auffaßunterridjt als planmäßige Anleitung sum 
freien Auffaße. 7. uermetirtc Auflage, nt. 3.—, gcb. m. 3.80. 

fttanfe,Ilj.,ttieöer|cf)riftenimAnfdjlußan£efcftücfe. 3urÜbung 
ber RcdRjdircibung unb Pflege bes Ausbruds. in. 2.20, geb. DT. 3.10. 

©rambcrg, $reic Auffäße oon Berliner Kinöern. 

IR. 1.40, gebunben tlt. 2.20. 

germanit, ipaul Xt)., Deutfctj« Auffäße. 

TEeil l: 5ür öic oberen Klaffen öer Dolfsfcßule unö für ntittelfcfjulen- 

280 Aufjäge. Siebente oerbejfertc Auflage, m. 3.20, gebunben Hl. 4.— 

(Teil II: 5ür öie mittleren unö unteren Klaffen öer Dolfsfdjule. 

600 Auf|ägc. Siebente uerbefferte Auflage. IR. 3.20, gebunben IR. 4.— 

TEeillll: Die Schulung öes perfönlidjen Stils litt. ÖTof* 
fenunterrid)t. (Brunblagen, Ridjtlinien unb Arbeitsftoffe für einen 
3 citgemäf)en Auffagunterridit in Dolfs* unb lRittet|d)ulen. 

IR. 3.20, gebunben HI. 4.— 

ft raufe, fßaul, Der freie Auffaß (TEßeorie unö prajis) in Öen 
Unterflaffen. 2./3. enueiterte Auflage. RT. L—, gebunben 1H- )-60- 

— in Öen Ati ttelf laffen. m. 1 .— , gebunben IR• t60. 

— in Öen ©berf laffen. 2./3. burdjgefefjene Auflaae. , n 

IR. 1.80, gebunben ITt 2.60. 

ßore«3en, (Erttft, Kinöer uom £anöe. Sreie Aufläge. 2 . Auflage. 

IR. 1.80, gebunben ITT. 2.60. 

afttetß, Sernßarb, 5 re * c Auffäße für öie HTittelftufe. 3 w>eite«r- 

roeitertc Auflage. ITT. 1.40, gebunben IR- 2.ZU. 

^Jcterfcti, Bieter, Kinöerausüoröfdjlesroig. 5 reicAuf|äg« 
non Dorffinbcm. IR. 1.—, gebunben IR- T-6U. 

SBolf, SllfreÖ, S r<f i e Kinöerauffäße aus öem 3 ., 4 ., 5 . unö7.Sd>ul* 

jal)re. Sroeitc Auflage. Rfit einer 3etd?nung: IRcnfd] unb Pftan 3 « ca” 
(Brirom. ITT. 1.80, gcbunöen HI. 2.»' * 


18 




Derlag (Ernft XDunberlid), £eip3tg, Hofjplaij 14 


ftttylii), Ätttfur, (Theorie unb Prajis bes Spradfbilber* 

budjCS. Beiträge 3 um „Sdjaffenbtn fernen" im beut|d}en Sprad}unter. 
rid)te. Dt 2.20, gebunben ITl. 3.—. 

—;AUS ciferner 3cit. Sreie Kritgsauffäfce. RT. 1.80, gebunbenRT.2.80. 

$ttntde 6prad)tiu 

D8U, ©., !Ttetf)obif<!|e Anleitung' 3 ur leisten Aneignung einer 
guten fran 3 öfijd)en flusfpradje. nt. —.50. 

Areiftfyer, SR.$., £ef)rerbilbung unb neuere Sprayen, m. i.—. 

Ztmtt, Weftorit, 5ron3öfifd}e unb englifdje Spraye. (Stirer, 
$üf}rer unb Ratgeber, T). 9.) Rt. 1.80, gebunben m. 2.80. 


Ktd)ntn» 

©3f)ts, 5t., unb fifitfe, ©., Kriegs.Redjenbud}. 3 . oerm. Rufi. 

m. 1 . 40 . 

9teif)ig, 9t., ITeue ©efid)tspuntte fürbie tttetlfobit bes Dolfs* 
fdjultedjnens. RT. 1.80, gebunben im2.60. 

Siemon, 3o$s., Prajis besRecf)enunterri(bts. Der3at|ienraum 1 — 10 . 

ITl. 1.80, gebunben HI. 2.60. 

SBagner, Dtai, 3ifferntafel „Unerfdföpflic^". Rnmeifung für ben 
£et)rer. 2. oeränberte Ruflage. RI. —.80. 

für bie ffanb ber Sdfüler. 30. (taufenb. RI. —.05. 

(Emil, Algebraif cf)e Aufgaben für bie Doltsföule. 
$fir bie Qanb bes £e!)rets. 2. oer belferte unb nerme^rte Huflage. Itt. —.80. 

$e*mefcfc» 

tfreg, D., ©eometrifdjer Arbeitsunterridjt. mit 3 aijireid}en 
Siguren im Heft unb 5 (Tafeln. RI. 1.40, gebunben RT. 2.20. 

9BoIf t gt. ttfct., Prattifc^e ©eometrie für ben Sdjul» unb 
Selbftunterridft. Rlit 169 in ben (tejt gebrudten $iguren unb Cdfungen. 
£ef)terausgabe. 2. Ruflage, preisgetrönt. m. 2.20, gebunben RI. 3.10. 


5ür bie fjanb ber Sd)üler: 


— Praftifdje ©eometrie. 

§eft I mit 30 5<9uren. 9. Ru| 
tjeft II mit 92 Siguren. 7./8. Ru' 
lieft III mit 47 Spuren. 5. flu 


läge. 

Tage. 

Tage. 


RI. —.40. 
RT. —.60. 
RI. —.60. 


9o<t, Otto, unb 6 d)ul 3 e, Dr. 9t 

Hedjenaufgaben. 2. oerbefferte Ruflage. 
£öj ungen 


©., ©eometrifdfe Konjtruftions* unb 

m. —.50. 

m. —.60. 


Seifnern 


©81)1, lf>., £ef)rgefpräd)e im 3eid)enunteuid)t. «in Beitrag 3ur 

PerrDertung ber neueren 3been im 3eid)enunterrtd;t. Rlit 23 (tafeln. 

m. 1 .—, gebunben m. 1.80. 


19 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 







Herlag (Ernjt IDunb erlief}, £etp 3 ig, Kofjplaij 14 


ftappler, £ans, Präparationen für ben 3ei<f)enunterrid)t an 3 toci- 
unb oierflaffigen Dolfsfdjulcn. mit 29 (tafeln. m. 2.20, geb. m. 3.—. 

6einig,0., Die Praxis bes ©ebäd)tnis 3 eid)nens. tEi)pen 3 eidjnen. 
2. Huf läge. HI. 1.40, gebunden ITT. 2.20. 


6cfang» 


ftörfter, IDiorif), IDegiDeifer für ben ©efangunterridjt in 
2 — 8flaffigen Dolfsfdjulen. nt. 4.40, gebunben m. 5.20. 

Schöne, $einrid), Sd)ulgefang unb <Er 3 ief)ung. (Ein offenes 
U)ort an alle (E^ictjer. ITT. —.80. 

üBide, Otidjarb, Ittufif alifdfe (E^ieljung unb flrbeitsfdjule. 

HI. 2.20, gebunben HI. 3.10. 

turnen* 

(öreten, ftriebrid)* 5ünf (Eurnjaf}re. Ausgefüljrte Cettionen mit 
143 im (Lejt. HI. 3.20, gebunben HI. 4.—. 

— Die uolfstümlidjcn Übungen für Sdjule unb 3ugenbpflege. 
mit 82 Abbilbungen im ttejt. m. 1.80, geb. m. 2.60. 

9llbert, Krieg$fpieleber3ugenb. Ausbilbung unb Beifpiete 
auf päbagog.<pft)d}Olog. (Brunblage. mit einem Dorroort oon ptofeffot 
Dr. Alois $i|d}er. m. 2.20, gebunben m. 3.10. 


$ortbi(dun06f<bnle. 


tßatufdjfa, 91., linderrebungen über bas I.—III. fjauptftüd bes 
lutl)erifd)en fleinen Katedfismus. mit f)eroor{)ebung fo 3 ialpolitifdjen 
Cefjrftoffcs. 20 Bogen. HI. 3.40, gebunben HI. 4.20. 

Etueiöer,3ul«»Dieinäbd)en»5ort&übungsfd}ule. Dortr. m.— . 60 . 
$ofmann, 3*» Die öligem. Sortbilbungsfdjule. m. — .60. 
6äurid)' tp., Die Biologie ber Pflan 3 en. Banb III: flufbem 
Selbe. Bei)anbe(t bie Kulturpflanjen. m. 4.40, gebunben tlt. 5.20. 

Segfert, Dr. 9Udjarb, Dieflrbeitsfunbeinber Dolfs« unb 5°rt' 

bilbungsfdfule. (Ein t)orfd)(ag 3 ut Dereinfjeitlidjung ber naturlef|re, Chemie, 
mineralogie, (Eedptologie ufn>. 6./7. oetmet)Tte unb oerbefferte Auflage. 

m. 3.40, gebunben flft. 4.20. 

— Dieflusbilbung für ben Sortbilbungs» unb ©eroerbefdfulbienft. 
Umfd)au unb Anregungen für Bcijörben, teurer unb £et)rerinnen. m. 1.—. 

Xifdjenborf, 3m unb SRarquarb, 91., Präparationen für ben 
Unterricht an Sortbilbungsfdjulen. 

I. Sd)ufja()r. 3. Auflage. m. 3.20, gebunben m. 3.80. 

II. Sdjutjat)r. 2. Auflage. HI. 2.80, gebunben m. 3.40. 

m. Sd)uljat)t. 2. Auflage. m. 3.20, gebunben m. 3.80. 

©taatebörgcrlM)* ^ie^ung* 

Riecher, £>ans, Dieförunblagenber ftaatsbürgerlidjen Ziehung 
in ber Dollsfdfule. m. 1.—. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 










Derlag <Ern|t tDunberlid), £eip 3 tg, Kofjplaij 14 


*£örfter, $rof. Dr. «Paul, Deutf d)e Btlöung, öeutfcher (Blaubc, 
beutle (Er3tef)ung. nt. l.so, gebunben m. 2 . 60 . 

yßilftt Chltil, BeroufttesDeutfchtum. tDeg 3 utbobenft&nbigenKultur. 
Baufteine unb Streiflichter. BT. 1.60, gcbunben ITt. 2.40. 

^ugenbpjlegc und ^ugendfürforge. 

£>ttth, Sllbert, Kriegsfpiele öer 3ugenb. nt. 2 . 20 , gebunben nt. 3 . 10 . 
Sepfert, Dr. 9üd)arb, 3ur (Er 3 iei)ung öer 3ünglinge aus öem 

Dolfe. nt. —.60. 

Äfittgers, Seoerin, Die Blumen öes Bojen. (Eine Rebe über bie 
Schundliteratur. HI. —.80. 

Pfeifer, ft* Oscar, ITC eh r flufjid)t, mehr Sitte! toetfrufe unb 
IDinfe 3 ur $örderung der 3ugend. HI. —.60. 

Greten, ftriebrich, Die oolfstümlichen Übungen für Schule 
unö 3ugenöpflege, ntit 82flbbilbungen im Heft. IR.1.80, gebunben nt.2.60. 
Hnfere föroftftabtjugenb in 3lur unb SBalb. Schülertoanberungen. 

f)erausgegeben non der Ortsgruppe Ceipßtg des Deutfd)en Dereins für Dolts* 
hqgiene. Hl. 1.80, gebunden Hl. 2.60. 

9lgal)l>, Äonrab, ®eu)erblicf)e Kinberarbeit in (Erjie^ungs- 
a.njtalten. (Eine Reform im Sinne des Keichsgefehes betr. Kindejrarbeit 
in gewerblichen Betrieben. Hl. 1.—. 

^ugtndfchrfßenlrftif. 

SBolgaft, Heinrich, Das (Elen5 unferer 3ugenbliteratur. (Ein 

Beitrag 3 ur fünftlerijchen Ziehung der 3ugend. 4. Ruf läge. 

HL 2.80, gebunden Hl. 3.60. 

3ur ^4gettbf(f)ttftcnftoge. Don den Bereinigten deutjehen prüfungsaus* 
fchüfjen. Ruf jä$e, Urteile und dharatteriftifen über 400 gute 3u9^ndfchriften. 
2., oermehrte Ruflage. Hl. 1.80, gebunden Hl. 2.60. 

Sang, tßaul, 3 u 9 c nöj^rift unö (Eenben 3 . (Ein Beitrag 3 ur 
dheorie der 3u9*ndlettüre. HT. 1.80, gebunden Hl. 2.60. 

Monographien jur ^ugcnöfchriftenfragc: 

5>öner,©nibo,l}ans<Ehrijtianflnöer fen unb feine ITtärchen. nt. —. 80 . 
Sturm, ft. 3 ., Robert R ei nid öer Kinberbid)ter. nt.—.60. 

ftöfter, $ernt. £., Kritifche Betrachtungen über fjaus« 
lehrerbe ft rebungen unö RUersmunöart. nt. —.60. 

6d)rÖde, Dr. fturt, RT ä r d) C n unö Kinö. (Eine päbagogifrf)e Stubie. 

nt. 1 .—. 

$ilb, Otto, Die 3ugenÖ3eitfchrift in ihrer gefd)id|tlid)en (Ent« 
roidlung, erjieljli^en Schäblichfeit unö fünftlerifdjen Unmöglichfeit, 
lltit einer Kritit ber gangbarften gegenwärtigen 3ugenÖ3eitfdjriften. nt. 1.40. 

ftöfter, $erm. £., Das (Befchlechtlidje im Unterricht unö in öer 
3ugenöleftüre. nt. —.80. 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 








Uerlag <Ern|t tDunöcrlid), £eip 3 ig, Bofjplat* 14 


£ang, $öul, Das beutfdje Sdjullefebud} unb (njrijiopt) non 
Sd)mib. (Eine fritijdfc Stubie als Beitrag 3 ur Cefebud)« unb 
jdjriftcnfrage. HI. 2.20, gebunben Itl. 3.10. 

Äüttgcrs, Scoetin, Die Blumen bes Bojen. (Eine Rebe über bie 
Sdjmiöliteratur, ITT. —. 80 . 


^ugenöfdjrißetu 


Sd)tniei>et, tßtof. Dr. 3*» Dr. HIartin £u11)er. «in« $cftfdjnft jui 

400jäl}rigen 3ubelfeicr. Retdjer Bilöfd|mucf. IR. 2.80, gebunben RI. 3.60 

fronte, Dcutfd^es Rinqen im Oeltlrieg. 

1. t)*ft ITT. 1.-. gcbunöen m. l.bO. 3. f}cft HT. 1.—, gtbunben HI. 1.60. 

2. fjeft RI. V.-~, gebunben HI. 1.40. 4. tjeft TH. 1.20, gebunben IR. 1.80, 

Schmiedet, *4$rof. Dr. 3 m Der H>cltfrieg. I. Banb. mit ouien 

Bilbern unb Karten, ttt. 2.80, gebunben IR. 3.60. 


Stegert, £>ans, Sagen bes Sadjfenlanöes. 

Titulier. 


mit ocidjnungen oon Eöolb. 
IR. 1.8(3, gebunben IR. 2.60. 

UtJdCÖe, *|$CUÜ r flm fjer3en ber Hatur. piaubereicn oon Kmöer* 
freube unb mit Bud)jd)mucf oon £. Burger. 

IR. 2.80, gebunben IR. 3.60. 

— Sd)ÖU ijt bie Jugcnb. Bilber unb (Bemalten aus bes £ebens$rüt}Ungs* 

tagen. IRit Budjfdnnucf oon ID. Sdjeffcl. IR. 2.80, gcb. RI. 3.60. 

— fjermann Rof}, ber Baf)nCDärterjunge. (Ein Ceben an bet Sdjienem 

jtrufte. mit gan 3 |ettigen Bilbern. IR. 2.20, gebunben IR. 3.10. 

Hjeuctmeifter, 9t. f 3tr niärdjenlanbe. <|jejd)id}tcn für jüngere 
Kinöct. IRit 11 ganjjeitigen Bilbern. RT. 2.20, gebunben IR. 3.10. 

— Dom £uftballon 3Um 5eppelin! (Ein St.fttf RTcnjctienarbeit, 

öen Kinbcrn er 3 äl)lt. RI. 2.20, gebunben IR. 3.10. 

Sräunlicf), Ülcftot Otto, perlen beutjd)er Didjtung. 3ur Be¬ 
lebung öes liieraturfunblidjen Unterrid)ts unb 3 uw Selbjtftubium. 

IR. 3.40, gebunben RI. 4.20, <£cjd)enfausgabe IR. 4.60 

£>ei)ioang, ©rnft, fTünfäig üierlieber für bie Kleinen. 2farbiger ürud 

RI, 1. —, gebunben Zit. 1.80. 

Iiergcfd)id)teu uon DT. d. <Ebuer*(Ejcf}enbad), IDibmamt, Kipling u. a. 

6; r3et}rttaufenö. fterausgegeben oom Hamburger 3 u 9 c nb(ttirifteu>Rusjd)u6. 

(bebunben RI. 1.80. 

Xfermard)en oon flnberfen, (Brimm, Bedjftein, ITIörife, f). Seibcl u.p.a. 

fjerausgegeben oom Hamburger 3ugc!TÖfdvriften«flu$fd)u[j. 7. 3et)ntanfenö 

(Bebunöen IR. 1.80 

Atnbenpclt. flus neueren beutjdjcn Didjtem ausgcroäljlt oom Hamburger 
3ugenbjd>ciften*Ru5fd>nfi.<Er3ät)lungen unb SÜ 33 en oon Ij. B6l)lau,T).o.£iIicn* 
cron, ffty, Riefe, Fjelcne Doigt ujro. 21.—25. ffaufetib. (beb. IR. 1.80. 

$l)cuenndfter, SR., Don Steinbeil unb Urne, ßefdjiditcn aus ber 

Ur 3 eit. $üt jüngere Kinber. RTit Scidjnungen oon £. Bcder. 3u?cite, 
oermd)rte Ruflage. RT. 1.80, gebunben RT. 2.60. 

£>e<fer # SBl v Don (Thüringen bis nad) Jtälien. (Eine Reife mit 
bem 5aiRrabc. IRit 18 Rbbilbungcn im dert unb einem oierfarbigett (Eitel« 
bilb. RI. 2,20, gebunben IR. 3.10.. 


22 


riginäl from 


:HfGAN 


Go gle 


tlSLSl 


Irl 





Coongdifc^ce Kdtgionebud) 


| 9tu3gabe für b^bete Knaben» unb “gRäbcbenftfrulen 


Dr. 91. Stcnfauf 

odjufrat utib 1>ireftor btt ftäbtifdjen 
Hdmlen in CEofrura 


von 

unt> 


^rof. ff. >3et>n 

Oberlehrer an b. realfwmn. GtubienanUatt 
(Sopi)itnfd)u(ei in fe^nnoocr. 


Unterftufe. 

Seil I, 3luögabe A. Bibtifcbe ©eicbidjten. 3)2it einer Sporte »on poläffina. 
ülnbang: l.unb 2. Äauptftücf. ©ebcte unb "Pfalmen. 7.9lufl. 116 Setten. 

©ebunben 1 3)2. 

91uegabeE. Biblifcbe ©efcbitbten. Seft n>ie 91u4gabe A, aber mit Bu<b* 
fcbntucf unb Silbern t>on Sdjnort »on ßarolSfelb unb 92. Sdjmauf. 
118 Seiten. ©ebunben 1.60 9)2. 

9)2ittclftufe. 

Seil II, Slmsgabe A. fefcbud) au« bem 9llten Seftament. $JHt 91nbang: 
©efd)i«bte be$ Bolteä 3#rael 1. ‘öauptftiicf unb 1.91rtitet. Bibelfunbe 
bcs'2Ufen'Seftamentef. ©otteäbienftorbnung unb SSirtbenjabr. 3. u. 4.9iufl. 
126 Seiten. ©ebunben —.90 3)2. 

21u#gabe C. ijüf^budj aum 9llten Scftament. Sertangabc ber SMbel- 
abfrbnitte in metbobi'd^er ©lieberung mit gefd)id)ft. unb erbt. Crgän^ung«» 


ftoffen, im 
funbe be$ 


91nfd>lufi Vebcnsbilber ber biblifdjen ^erfönlidtfciten, Bibel» 
9lUen Seftamentä. 54 Seiten, ©ebunben —.60 9)2. 

Seil III, Sluägabe A. Vcfebud) aus» bem 92euen ^eftomeitt. 3)2it 'llnbaitg: 
@efd)i<bte 3*1« unb ber 91poftet$cit. BibeUunbe bees 92cuen Seftainent«. 
1—5. Aouptftücf. Äird>enjabc unb ©ottcesbienftorbnung. 3.91ufl. 178 Seiten. 

©ebunben t .50 9H. 

•2lu<fgobe C. ,$Uf£bu<$ jum 9ieueti Scftament. Sejrtangabe ber “Bibel» 
abfdmitte in metbobifeber ©lieberung mit qefcbicbtl. unb erbt, ffrgänjungo» 
ftoffen, im 9lnfcfclufj ffbarafterbitb be« ^auluS, Bibelfunbc bcs -Jieuen 
Seftatnentef. 80 Seiten. ©ebunben —.90 9J2. 

Seil IV B, Äleinc 9lu8gabe. Befehlt© jur Si’irtbengcicbiebtc mit 9lbrtft bet 
ftlrcbengctcbidjte. QueUcnlefebutb: 232 Setten. "Jlbrift: Seite 233 bi« 377. 
■Jlnbang; 3cittafcl; jufammett 383 Seiten. 3. 9lufl. ©ebunben 3.80 9)2. 
-21u«gabeC. Bcfebticb *ur Ältcbengcfcbtcbtc. Slnbang: ff(mft l i<!>c Äirrftc, 
enangelifcbe ©laubenebetenntniffe, Untetfd)eibungslebren, Älcinere d)rift» 
lict>e ©laubenefgemcinftbaften, ©otteebienftorbnung, jfirtbenjabr. 5. Auf¬ 
lage. 162 Setten ©ebunben 1.40 932. 

Oberftufe. 

Seil V. Btbelfunbe bcö 9Uten unb 92euen Seftamentei in gefcbicbtltdjem 
9lufbau,angcfd)loffen an einen 9lbrift berÖefcbidbte 3*rodtf, ber ©efrbitbte 
3efu unb ber ©efebiebte ber 9lboftetyeit. 148 Seiten, ©ebunben 1.60 3)2. 
Seil IV B. ©rofje -Jluegabe. 1. Seil. Befehlt© but &Hr©enqcfd)i©te. 

ÖucUenbu©. 9lnbang: 3eittafel 419 Seiten. ©ebunben 3.80 332. 

Slbtijj ber $?ir©engcf©i©tc. Sonberbrurf. 154 Setten, ©ebunben 1.80 “302. 
Seil VI. 1. ioälfte vluägabeA. ©iaubenelebre auf ©runb beö gcfcbicbtltcben 
9ReUgione(unterricbtiäi. 148 Seiten. ©ebunben 2.40 9J2. 

Seil VI, 2. Äälffe. Sittenlebre. 3« Borbereitung. 


23 


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riginal fr 











»#A *’*»* ##«* ***»+«*»«*+♦ •?#* 

* 

Dertag (Ernft EDunöetlidj, £etpjig, Kofcptatj 14 f 

Dec £d>ra öle Didier. 

fvtcmcfif), Aatf §elntt^, Deuffdje £d)rerbidjter über (Erj«> ; 
(jung unb $<f/Ulreform. (Eineflntljofogie aus ttnfer« Seit ITTit Bciifikj« | 
oon K, (EMgrtbaTd, (Dtto <Einft, poui Keuer, p, Öü. HtÖndfc, EOiiIjeltu Mo#r ; 
©uftap Siljultx, tErtift lüebcr, 3 ioeromberg, Ml. © (Ionrad, f). ^djamlmant • 
THaj Drcqer, { 7 . Sotjnreij u ». a. i? Bogen |t<>ef- IH. 2 -.—■, gtbUMdin ITT, - '. 

iihigeüjtVrt, Äarl, (barten bet (Göttinnen, ; 

3»ws auf tem tttege jum tDrjcu. Bf. 2.20, gcburtbeit ttt 3.4y 

(£Ofl?ab, f iHrUlhiö6< Kiub unb Celjier, ©edanhn au* Beruf uöo 
H eben. nt. MO. gebunben Bi j£$t 


3ei)cm Cetfrcc jei empföhlen 



U^adjenblott für Praxis, und (Literatur Aer Crjicbuug 

und Ae* Unterricht®. 

©rahsbeHagen: pätidgdgi jdjet 5ü*i«r (jährlich 8 Itrn.j, pä6agogifd!« 
pft)ä) 0 (agifqr Stuöint (t2 Itru.) und Hefjt.mi tteljdjau (3 ITr«.). 
fferausgebef Sdvulrot Dr. R. Scyfert, Seminarbiitfior in 3fd}opau L Sa. 
Begründet burd) €tnfl fDunderlidj. 

»918. 38. 3i>tiVgai(ig. tirfdjeint jtbeti Sonntag. OievtetiätjrWdj Hl. 2 —. 
Probcnunimetn unenigelllid). 

3ii dir M Dfi»it)4)cn $ä)htprriFU“ findet ö*f jfreb|ame S> Jyrtr afies 6*iianirncn, u><i8 it)n in 6«i Stonä 
fefcf, mit 6ft pfibugogijilieit lümpidUung $djHrt 3 « »jnlteffr Das bflfrip jtH 1*8). 3rH T 

£fcJtir«v» 6 p»; <»< 6 er ptf frajjogifdje n ttHffr nfcfyaf t suf öeta lauf?nö«n blflb«« «MU, 
t)u( **in 3nf*ir*ft«, 6 *i 3 frVt»e 311 lcfert> Di« „Dviuui^ Stt]B(prari>‘ < tja» an öfm fUubaa fc*r 


Sdfiite miUjtüjbtilPi. uot> ffc übPifjebi Hdj o»ci?>i tit .fa$£]jj» w auf ol* fftäft putthtr j 

.«tue, ridjtig* fttege fyat !u%fc IjplftH. u <ij i n 6 * r KtU 9 <$e\\ fj<r»fi* äfr imoihiclbartn S^ularbett ; 
nad) Kräftc.ujtbfr* 1 * Unfe ^ mUl 6 as ©ciicr tun tm 6 oamU ullr 6 ic önwrcn Saäi^eimngcii j 

Don 6crt ftüber*M> roerfc*«; forotlt her ciciin^e üotrat : 

reicht, abgc^ufDcn; : 

3a()f gang 1885-1890pni Pteife oan je Pt, 4.—, gebunöett Pt. 6.-. ■•;■• 
^aljrgang 1891-190i jum Pceife oon je Pt 6.~, gebunöen PT, 8.-^. { 
5906-1913 jum Preijc von je Pt. 6.40, gebunien PT. 8.50- j 
3«fjrgang I9l4-19!83um preifeoon jeTP, 8. ■■■■■■■,gebunbeh Pt. 10-50 ; 

3n(j«Hsuer3etdjn(5 öer „Dettpdjen ©djulpraiHs i v ] 

3a!yrg.l-XXX0 88t--iOlO). Bearbeitet oon Pau 1 Kraufe. preis 1U.—80 \ 
€mjetne .Pttiwmet« öev ,,Oeutfd)cn S<t)v»PWfis w fteljen, fotoett ned} oottatig, j 

oon ITT. —,40 für 6ie. nuimiur. }ut üerfügung. ; 

. T .— - -- i r i ,.-. , -1 n i -'-. r u . ■ ■ - ■ ■■ - -.-■■-■'■ ■.:. . . ... - . ■ | -. r . i — ♦ 

Die Pr elf* der JPttfe atupten um einen Cell Aet oertnrbeten SeifsOfaften rrMW : 
weröe«, mr au<6 die liefernde Budthandtung bertcf)tig« ifl, einen Ctuevunga- J 
.tufdjlag oon 10 % ju beregnen. 

Die IDerte find durd) alle 6ud>bandlungen dee Jn» und 8u*l«ndr* 3 a be^ielftfl- ■ 

»4 Prud uön iDitat Branbfieütr tn teip 3 ig. 


Go. gle 







Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen 

Universitäten. 

Gutachtliche Äußerungen zu der Pädagogischen Konferenz im Preußi¬ 
schen Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten am 

24. und 25. Mai 1917. 

Erste Reihe. 


Von 

Dr. Erich Becher, o. Pro!, d. Philo«., Direktor des psychol. Instituts a. d. Univ. München. 

Dr. Jonas Cohn, ao. Prof. d. Philos., beauftragt mit der Vertretung der Pädagogik a. d. Univ. 

Freiburg i. B. 

Dr. Rudolf Lehmann, Prof. d. Philos. u. Pfidag. a. d. Kaiser-Wilhelm-Akademie in Posen. 

Dr. Paul Natorp, Geh. Reg.-Rat, o. Prof. d. Philos. u. Pfidag., Direktor d. philos. Seminars 

a. d. Univ. Marburg. 

Dr. William Stern, Prof. d. Philos., Psychol. u. Pfidag., Direktor des philos. Seminars und des 
psychol. Laboratoriums am allgem. Vorlesungswesen in Hamburg. 

Anhang; Die Leitsfitze für die pfidag. Konferenz im preußischen Ministerium, aufgestellt von 
Geh. Regierungsrat Prof. D. Dr. Ernst Troeltsch in Berlin, von Prof. Dr. Julius Ziehen in Frank¬ 
furt a. M., von Prof. Dr. Eduard Spranger in Leipzig. 


Vorbemerkung. 

Schon seit langem ist von Gelehrten und Erziehern dafür gekämpft worden, 
daß die Pädagogik als selbständiges Forschungs- und Lehrgebiet an den Universi¬ 
täten vertreten sein müsse; aber die Regierungen und Universitäten hatten bis vor 
kurzem keine allzu große Neigung gezeigt, diesem Wunsche Folge zu leisten. 
Bisher gibt es unseres Wissens in Deutschland nur vier etatsmäßige ordentliche 
Professuren für Pädagogik, nämlich in Leipzig, München, Jena und Frankfurt 
am Main; an einigen anderen Universitäten sind außerordentliche Professoren 
der Philosophie beauftragt, sich der Pädagogik besonders anzunehmen. Im 
allgemeinen aber wird die Pädagogik nur als ein nicht eigens betontes Teil¬ 
gebiet des Lehrauftrages für Philosophie angesehen, und es hängt ganz von 
dem persönlichen Interesse des Professors ab, ob er den Vorlesungen und 
Übungen zur Pädagogik eine eingehendere oder geringere Pflege widmet. 

Nunmehr ist zu hoffen, daß eine Änderung dieses Zustandes in absehbarer 
Zeit eintreten wird; denn das Kultusministerium des führenden Bundesstaats 
hat durch Veranstaltung einer geschlossenen Tagung die Frage ins Rollen ge¬ 
bracht Der preußische Kultusminister hatte für den 24. und 25. Mai 1917 
zu einer „Pädagogischen Konferenz“ eingeladen, an der 28 Herren teilnahmen. 
Es waren dies: drei Universitätslehrer, die schon jetzt Professuren für Päda¬ 
gogik inne haben (F. J. Schmidt-Berlin, Spranger-Leipzig, Ziehen-Frankfurt), 
acht Philosophieprofessoren (Braun - Münster, Ettlinger-Münster, Frischeisen- 
Köhler-Halle, Hönigswald-Breslau, H. Maier-Göttingen, Rehmke-Greifswald, 
Troeltsch-Berlin, Vierkandt-Berlin), zwei Theologieprofessoren (Hamack-Berlin, 

Zeitschrift f. pfidagog. Psychologie 14 


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210 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


Mausbach-Münster), drei Schulräte (Borbein-Berlin, Siebourg-Berlin, Wasner- 
Magdeburg), drei Gymnasialdirektoren (Erythropel-Düsseldorf, Goldbeck-Berlin, 
Schroeder-Charlottenburg), vier Oberlehrer (Kranz-Charlottenburg, Kuckhoff- 
Essen, Litt-Köln, Poske-Berlin). Die vornehmlich psychologisch orientierte 
Richtung der Pädagogik (Kinderpsychologie, Jugendkunde, experimentelle Päda¬ 
gogik) war auf der Konferenz nicht vertreten. 

Hauptreferenten waren die Herren Troeltsch und Ziehen, deren jeder für 
die Besprechung eine Reihe von Thesen aufgestellt hatte; außerdem wurde 
noch von Herrn Spranger eine Thesenfolge vorgelegt. Der Kultusminister und 
der Vortragende Rat im Kultusministerium Professor Becker nahmen an der 
Besprechung teil. Ein Gesamtbericht ist vom Kultusministerium herausgegeben 
worden unter dem Titel: „Pädagogische Konferenz im Ministerium der geist¬ 
lichen und Unterrichtsangelegenheiten am 24. und 25. Mai 1917“. 

Bei der außerordentlichen Wichtigkeit der Frage erscheint es nun erforder¬ 
lich, dem dankenswerten Vorgehen des preußischen Kultusministeriums weitere 
öffentliche Besprechungen des Gegenstandes folgen zu lassen und insbesondere 
jenen sachverständigen Persönlichkeiten, die auf der Konferenz nicht anwesend 
waren, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Wir erbaten daher von 
einigen Herren gutachtliche Äußerungen, mit deren Abdruck wir heute be¬ 
ginnen. Eine solche zwanglose Aussprache dürfte bewirken, daß gewisse 
Grundgedanken der Konferenz durch allseitige Zustimmung gesichert werden, 
daß andere, dort vielleicht zu kurz gekommene Gedankenreihen die gebührende 
Hervorhebung finden, und daß durch Beibringung neuer Gesichtspunkte das 
Bild ergänzt und vervollständigt wird. So wird hoffentlich der Boden vor¬ 
bereitet, auf dem die akademische Pflege der Erziehungswissenschaft und die 
berufliche Vorbereitung der Jugenderzieher zur vollen Entfaltung kommen kann. 

Die Schriftleitung. 

1. Über Ordinariate für Pädagogik in den philosophischen Fakultäten. 

Von Erich Becher. 

Ein gedruckter Verhandlungsbericht gibt Auskunft über die «Päda¬ 
gogische Konferenz im (preußischen) Ministerium der geistlichen und Unter¬ 
richts-Angelegenheiten am 24. und 25. März 1917“, auf der über Universitäts¬ 
professuren für Pädagogik beraten wurde. „Die Sache marschiert“, erklärte 
der damalige preußische Kultusminister, und es wird dahin kommen, daß 
jede Universität ihre Pädagogik-Professur hat (S. 27). Die Freude über 
diese Aussicht und über die Förderung der Angelegenheit, die jene Kon¬ 
ferenz gebracht hat, möge man sich nicht durch einige Einseitigkeiten und 
Unstimmigkeiten trüben lassen, die bei den gehaltvollen Verhandlungen zu¬ 
tage traten, umsoweniger, als sie innerhalb der Versammlung alsbald be¬ 
seitigt und ausgeglichen winden. Im ganzen und in der Hauptsache herrschte 
fast mehr Übereinstimmung, als man bei einer so wichtigen, schwierigen 
und vielseitigen Frage erhoffen durfte. 

Vor allem zeigten die Erwägungen, daß wissenschaftliche Auf¬ 
gaben für die Pädagogik-Professuren in Fülle vorhanden sind. Noch 
immer begegnet man bei Fakultätsberatungen dem seltsamen Einwand, 
Pädagogik sei eine Kunst, jedoch keine Wissenschaft. Gewiß ist Erziehen 
eine Kunst, eine hohe Kunst fürwahr; aber das schließt eine Wissenschaft 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe, 1. Becher 


211 


von der Erziehung keineswegs aus. Auch das Heilen ist ja eine Kunst, und 
doch gibt es eine reiche, weitverzweigte, blühende medizinische Wissen¬ 
schaft. Alle die großen Gebiete des geistigen, staatlichen, praktischen Lebens 
finden ihre gründliche akademische Pflege; Religion, Kunst, Wissenschaft, 
Staat, Heerwesen, Recht, Volkswirtschaft, Landwirtschaft, Technik, Handel 
werden durch eigene Professuren, Fakultäten oder ganze Hochschulen ver¬ 
treten ; das Erziehungswesen aber wird ganz stiefmütterlich in unserem Hoch¬ 
schulbetriebe behandelt. Es gibt nur sehr wenige Ordinariate für Pädagogik, 
beispielsweise nur ein einziges in Preußen. Unsere philosophischen Fakul¬ 
täten haben z. B. ihre Ordinariate für Geschichte der bildenden Künste, und 
das ist gut so; sollte da die reiche Geschichte der Erziehung und des 
Schulwesens unwürdig einer Vertretung an diesen Fakultäten sein? Hier 
liegen gewaltige echt wissenschaftliche Aufgaben, die um so dringender 
sind, als sie bisher wenig bearbeitet wurden, eben weil es an Pädagogik- 
Professuren fehlte. 

Neben der Vergangenheit aber ist die Gegenwart zu erforschen. 
Das gegenwärtige Recht, die gegenwärtige Verfassung und Verwaltung, die 
gegenwärtige Wirtschaft werden an unseren Hochschulen sorgsam und ein¬ 
dringend behandelt; verdient nicht auch unser Erziehungs- und Schul¬ 
wesen solche Behandlung? Hier steht wiederum eine große wissenschaft¬ 
liche Aufgabe vor uns, deren theoretische Berechtigung und praktische Be¬ 
deutung nicht wohl bestritten werden können. 

Die Geschichte der Erziehung und die allseitige Erforschung 
unseres gegenwärtigen Bildungswesens repräsentieren pädagogische 
Tatsachenwissenschaften. Die pädagogische Wissenschaft soll aber 
nicht nur feststellen und erklären, was war und ist. Sie soll auch die be¬ 
stehenden Erziehungsverhältnisse wissenschaftlich bewerten, soll Ideale 
und Forderungen aufs teilen, soll uns helfen, Verfehltes als solches zu 
erkennen und durch Gutes zu ersetzen, das Gute aber durch das Bessere 
zu verdrängen. Sie soll für die Erziehungsverhältnisse leisten, was die 
wissenschaftliche Hygiene für die gesundheitlichen Verhältnisse leistet In¬ 
dessen die Aufgaben der pädagogischen Wissenschaft reichen hier weiter. 
Während die Ziele des hygienischen Tuns im wesentlichen feststehen, sind 
die der Erziehung vielfach strittig. 

Es gilt also zunächst, die Erziehungsziele wertend zu bestimmen. 
Der Kampf um diese pädagogischen Wert- und Zielprobleme aber führt mit 
Notwendigkeit auf die allgemeinen Fragen nach den letzten, höchsten Werten 
und Zielen, nach der Rangordnung der Werte, kurz auf die Fragen der 
philosophischen Werttheorie zurück. So ist das Grundproblem der werten¬ 
den Pädagogik in der philosophischen Werttheorie zu verankern. 
Diese fundamentale Bedeutung der Philosophie für die pädagogische Wissen¬ 
schaft ist auf der preußischen Ministerialkonferenz in den Begrüßungsworten 
des Ministers, dem Referat Troeltschs und den weiteren Beratungen mit 
Recht sehr stark betont worden. Troeltsch fordert kulturphilosophische, 
F. J. Schmidt ethische Grundlegung der Pädagogik. Diese Forderungen 
decken sich mit den unsrigen wohl im wesentlichen. 

Man kann nun freilich gegen die philosophische, werttheoretische Be¬ 
gründung der Erziehungsziele den Einwand erheben, daß die in Frage 
kommenden philosophischen Grundlagen selbst sehr unsicher und 

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212 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


umstritten seien. In der Tat handelt es sich hier um ebenso schwierige 
wie wichtige Probleme; unser ganzes Kulturleben leidet schwer unter der 
Unsicherheit und Zerfahrenheit der Wertungen und Zielsetzungen. Um so 
wünschenswerter ist es, daß auch von der Pädagogik her ein Antrieb zur 
Bearbeitung der Werttheorie sich ergibt. Die pädagogische Wissenschaft 
kann einen starken Einschlag schwieriger, umstrittener philosophischer Pro¬ 
bleme aufnehmen, ohne sich in unsichere Spekulation zu verflüchtigen, 
da sie in ihren tatsachenwissenschaftlichen Teilen einen festen 
empirischen Halt besitzt. 

Zu den tatsachenwissenschaftlichen Grundlagen gehört nun auch die 
Psychologie. Sie ist keineswegs nur für die Wissenschaft von den Er¬ 
ziehungsmitteln, für die Methodik und die Didaktik wichtig, sondern auch 
für die Theorie der Erziehungsziele unentbehrlich. Denn um zu wissen, 
welche als wertvoll erkannten Ziele.durch die Erziehung des Menschen ver¬ 
wirklicht oder gefördert werden können, muß man den Menschen und ins¬ 
besondere seine Seele kennen. Das wertvollste Ziel ist pädagogisch be¬ 
deutungslos, wenn seine Verwirklichung oder Förderung durch Erziehung 
psychologisch unmöglich ist. 

Wiederum ist die Psychologie unentbehrlich, wenn es gilt, die Mittel 
zur Erreichung der als wertvoll und psychologisch möglich erkannten Er¬ 
ziehungsziele festzustellen. Man muß den Menschen, das Kind und seine 
Seele kennen, um sie im Sinne der Erziehungsziele beeinflussen und leiten 
zu können. Darum sind Psychologie und Jugendkunde sicherlich 
unentbehrliche Grundlagen der pädagogischen Wissenschaft Leider trat 
auf der Berliner Konferenz zuweilen eine starke Abneigung gegen die 
Psychologie als Grundlage der Pädagogik zutage. Erythropel meinte: 
„Die auf Psychologie gegründete Pädagogik, wie sie bisher geübt wurde, 
hat großes Unheil angerichtet, wenn sie jetzt aber in der Kulturphilosophie 
verankert werden soll, so wird der Gewinn groß sein“ (S. 19). Es war sehr 
verdienstlich, daß Braun den „konstruierten Gegensatz zwischen Psycho¬ 
logie und Kulturphilosophie als Hilfswissenschaften der Pädagogik“ 
(S. 21) ablehnte, daß Ettlinger sich ihm anschloß und auch den Wert der 
wissenschaftlich betriebenen experimentellen Psychologie hervorhob, daß 
Poske unter Hinweis auf Höflers Verdienste die Bedeutung der Psychologie 
und Jugendkunde betonte, daß Reinhardt Philosophie, Psychologie und 
Jugendkunde nebeneinanderstellte. Bemerkenswert war, daß ein Schulmann, 
Borbein, entgegen den Thesen Troeltschs ein Ausgehen von der Einzelseele, 
nicht von der Kulturphilosophie, forderte. 

Es besteht Gefahr, daß hier Einseitigkeiten, Neigungen und Abneigungen 
einer großen Sache schaden. Die wissenschaftliche Pädagogik braucht gleich 
notwendig Wertphilosophie und Psychologie. Wie würde Herbart, 
der größte Vertreter der wissenschaftlichen Pädagogik, die Unstimmigkeiten 
zwischen Philosophie und Psychologie, die völlige oder teilweise Verdrängung 
der Psychologie aus der Pädagogik bekämpft haben! Je exakter die Er¬ 
kenntnis der einschlägigen Tatsachen gestaltet werden kann, um so besser 
für die Pädagogik. Darum sollte auch die experimentelle Methode 
als Hilfsmittel pädagogischer Wissenschaft nicht verfemt werden. Gewiß 
sind Übertreibungen und Mißgriffe in der experimentellen Pädagogik und 
der pädagogischen Psychologie vorgekommen; aber fehlen sie etwa in der 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 1. Becher 


213 


philosophischen Pädagogik, bei Plato z. B.? Sie fehlen keiner Wissen¬ 
schaft ! — 

Nach alledem muß man die Frage: Ist Pädagogik als Wissenschaft 
möglich? durchaus bejahen. Es ist Raum fQr eine solche Wissenschaft 
vorhanden, es fehlt weder an Tatsachen, noch an Problemen. Es sind alle 
Tatsachen des Erziehungs- und Schulwesens zu 'erforschen, von der „Mutter¬ 
schule“ bis zur Fachschule, von der Volksschule bis zur Hochschule, vom 
Kihdergarten bis zur Jugendbewegung. Zu den Tatsachen der Gegenwart 
kommen die der Geschichte, zur pädagogischen Tatsachenwissenschaft kommt 
die wertende, normierende pädagogische Theorie, die in philosophischer 
Werttheorie verankert ist und sich auf Psychologie und Jugendkunde stützt, 
auch Staats- und Gesellschaftslebre, Hygiene u. a. als Hilfswissenschaften 
braucht. 

Bei der Art unseres deutschen Forschungsbetriebes setzt das Gedeihen 
einer Wissenschaft ihre Pflege an unseren Hochschulen voraus. Die 
pädagogische Wissenschaft fügt sich, wie auch Troeltsch darlegt, ungezwungen 
ein in den Rahmen der philosophischen Fakultät. Sie hat enge Be¬ 
ziehungen zur Philosophie, Psychologie und Kulturgeschichte. In den philo¬ 
sophischen Fakultäten erhalten ja auch die zukünftigen Lehrer der höheren 
Schulen ihre wissenschaftliche Ausbildung. 

Das Gebiet der pädagogischen Wissenschaft ist sehr groß. Darum sind 
eigene, im Hauptamt angestellte Professoren erforderlich. 'Nebenher 
mögen, wie bisher, Philosophen, Philologen, Theologen und Schulmänner an 
unseren Universitäten die Pädagogik fördern; das bleibt dankenswert, genügt 
aber allein nicht. Auch die im Hauptamt angestellten Pädagogik-Professoren 
werden das gewaltige Gebiet nicht gleichmäßig beherrschen können; der 
einzelne mag als Forscher hauptsächlich sich der philosophischen Grund¬ 
legung, dem psychologischen Aufbau, der Schulorganisation, der Geschichte 
widmen. Eine entsprechende Spezialisierung ergibt sich ja auch in den 
anderen Fächern. Nur darf nicht eine Richtung, etwa die philosophische 
oder die psychologische, einseitig gezüchtet und bei den Berufungen 
bevorzugt werden. 

Die Besetzungsfrage liegt nicht einfach, würde aber mit der Zeit 
leichter werden. Mit den o. Professoren werden die Privatdozenten der 
Pädagogik kommen. Diese müssen gründlichen Einblick in die Schulpraxis 
gewinnen. Besuche in den verschiedenen Schulen (die nicht zu Revisionen 
werden dürfen) werden den Universitätslehrern von Erythropel mit Recht 
empfohlen. Für eine Anzahl von Lehrstühlen wären auch gegenwärtig ge¬ 
eignete Gelehrte zu finden. Mit Troeltsch meinen wir: «Woher ressortmäßig 
der Mann kommt, ist gleichgültig“ (S. 24). Man sollte aber recht hohe 
Ansprüche an seine wissenschaftlichen Qualitäten stellen und lieber 
auf einen Lehrstuhl verzichten als ihn mit einem Herrn besetzen, der — 
so bewährt er auf anderen Arbeitsfeldern sein mag — nicht ein bedeuten¬ 
der Forscher ist Man bedenke, daß es sich um eine werdende Wissen¬ 
schaft handelt, die um ihre Anerkennung ringen und sich ihre eigene 
Arbeitstradition schaffen muß. 

Von der wissenschaftlichen Bedeutung ihrer Vertreter wird in erster Linie 
die Stellung abhängen, die die Pädagogik an der Universität sich erwirbt. 
Ein als Forscher und Dozent tüchtiger Pädagogik-Professor wird bald starken 


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214 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


Einfluß auf die Studenten, die künftigen Lehrer, ausüben. Ihr In¬ 
teresse für wissenschaftlich vertiefte Pädagogik ist groß. Eine philosophisch, 
werttheoretisch begründete Lehre von den Erziehungszielen aber kann die 
Studenten „in Ideale und Ethik des Lehrerberufes einführen* 
(S. 22), worauf ich mit Becker sehr großes Gewicht legen möchte. Diese 
Ideale fehlen den Studenten unserer Fakultät, auch den tüchtigen unter ihnen, 
nur zu oft, und das ist verständlich, solange die Pädagogik auf der Uni¬ 
versität hinter der Philologie, Mathematik usw. und hinter deren Forschungs- 
idealen ganz zurücktritt. Daraus ergibt sich dann im späteren Berufe die 
Überschätzung der Fachkenntnisse gegenüber der Erziehung; man nimmt 
„von der Universität eine falsche Berufsethik mit ins Leben“ (Becker S. 22). 
Eine philosophisch vertiefte Pädagogik kann hier Wandel schaffen; sie kann 
die Ideale darbieten, die der zukünftige Lehrer in den empfänglichen Jahren 
des Studiums in sich aufnehmen sollte. Dazu gehört aber, daß die päda¬ 
gogische Wissenschaft vollwertig neben den anderen Universitätswissen¬ 
schaften steht. * 

Was die Gestaltung ihres Wirkens angeht, so sollte man den Pädagogik- 
Professoren weitgehende Freiheit lassen. Eine werdende Wissenschaft 
bedarf erst recht der akademischen Freiheit zu gedeihlicher Entfaltung. Die 
Professoren müssen selbst herausfinden, wie sie ihre Vorlesungen, Seminare 
oder Institute am besten einrichten und ausbauen. Verfehlte Versuche werden 
auch hier nicht ausbleiben, aber sie werden verschwinden, und das Gute 
wird sich durchsetzen. 4 

2. Thesen über pädagogische Professuren. 

Von Jonas Cohn. 

1. Maßgebend für die Beurteilung der Notwendigkeit und der 
Art pädagogischer Professuren ist das Bedürfnis der Studenten 
als künftiger Lehrer. 

Ernst Troeltsch geht bei seinen Thesen von der „Gesamtidee der philo¬ 
sophischen Fakultät“ aus. Gewiß soll sich das neue Glied der alten Gemein¬ 
schaft einfügen, aber diese Gemeinschaft und ihre „Idee“ ist selbst geschicht¬ 
licher Wandlung fähig, vielleicht bedürftig. Notwendig ist der Professor der 
Erziehungslehre nicht für seine Kollegen, sondern für die Studierenden. 
Wenn ich von deren Bedürfnissen rede, so meine ich nicht, was sie zum 
Examen sich einprägen müssen, nicht einmal, was sie gerne und mit Hin¬ 
gebung zu treiben pflegen, sondern was sie für ihren Beruf wirklich brauchen. 

2. Der künftige Oberlehrer soll durch Wissenschaft erziehen. 
Das kann er nur, wenn er die Wissenschaft, deren Anfangs¬ 
gründe Gegenstand seines Unterrichts sind, durch Teilnahme an 
ihrer forschenden Arbeit sich innerlich zu eigen gemacht hat. 
Aber da nicht die Wissenschaft als solche, auch nicht ihre freie 
Mitteilung sein Beruf ist, sondern Erziehung durch Wissenschaft, 
so bedarf er einer Einstellung und Vorbereitung, die mit dem 
Einleben in seine Wissenschaft noch nicht gegeben ist. 

Ich berücksichtige nur den künftigen Oberlehrer, da die vielumstrittene 
Frage, ob und in welchem Umfange Volksschullehrer zur Universität zu¬ 
gelassen werden sollen, mit der Errichtung pädagogischer Professuren nicht 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 2. Colin 


216 


notwendig zusammenhängt. Vielmehr sind solche Lehrstühle schon durch 
das Bedürfnis künftiger Oberlehrer dringend genug gefordert. Der Volks¬ 
schullehrer, der ja auf dem Seminar pädagogisch ausgebildet ist, wird auf 
der Universität in erster Linie Vertiefung in eine besondere Wissenschaft 
suchen, in zweiter Linie volles wissenschaftliches Bewußtsein über den Zu¬ 
sammenhang seiner mehr praktisch-pädagogischen Kenntnisse. Daß päda¬ 
gogische Vorlesungen auch dem künftigen Verwaltungsbeamten, Jugendrichter, 
Kinderarzt, Geistlichen nützlich sein können, werde nebenher erwähnt. 

Die strenge einzelwissenBchaftliche Ausbildung des Oberlehrers darf 
nicht geschmälert werden, obwohl sie seinem Berufe hier und da besser 
angepaßt werden könnte. Die pädagogische Belehrung wird daher nicht 
übermäßig Kraft und Zeit beanspruchen dürfen. Sie wird das nicht brauchen, 
da es sich wesentlich um eine richtige Einstellung des Geistes handelt. Der 
eigentlich praktische (technische) Teil der Ausbildung bleibt der Schule selbst 
(dem Seminar- und Probejahre) Vorbehalten. Aber mit großem Unrecht 
vernachlässigen wir auf den Universitäten die Theorie dieser Praxis. Wir 
fordern von dem Kandidaten nach seinem Examen eine neue Einstellung, 
auf die er in keiner Weise vorbereitet ist. 

3. Erziehung ist ein Ganzes, dem sich wieder der wissen¬ 

schaftliche Unterricht als Teil einzuordnen hat. Ein Ganzes 
soll die Erziehung jedes Einzelnen bilden, ebenso aber auch die 
Erziehung aller Glieder eines Volkes. Den Geist des Lehrers 
auf seinen Beruf einstellen, heißt, ihm die Möglichkeit geben, 
jede einzelne Unterweisung oder Maßregel in diese beiden Ganz¬ 
heiten einzugliedern. * 

Diese Sätze gelten unbedingt in einer Zeit, in der das Ganze der Er¬ 
ziehung, wie das Ganze des Lebens überhaupt, nicht selbstverständlich über¬ 
liefert wird. Wir leben in einer Periode der Kritik, der Anregungen und Ver¬ 
suche; dabei geht der Urteilende oder Vorschlagende vielfach von einem 
einzelnen Bedürfnis aus, auch der Lehrer ist geneigt, sein „Fach“ für das 
allein wesentliche zu halten. Der Lehrer muß gegenüber den Anfechtungen 
der Kritik ein sicheres Bewußtsein seines Berufes erringen, er muß es auch, 
so sehr er Fachmann ist, verstehen, den „Ressort-Patriotismus“ seines Faches 
der Liebe zum Ganzen, zur Persönlichkeit des einzelnen Schülers wie zum 
Gesamtleben des Volkes unterzuordnen. 

4. Auf der Universität, als auf einer wissenschaftlichen An¬ 
stalt, ist dieses Gesamtbewußtsein als wissenschaftliches zu 
gewinnen. Die so geforderte Wissenschaft bedarf, wie jede 
Wissenschaft, des einigenden Gedankens und des mitteilbaren 
Stoffes. Der einigende Gedanke muß philosophisch Bein, den 
Stoff der Wissenschaft geben Geschichte und Psychologie. 

Die einzige Art, in der die Universität den Geist des künftigen Lehrers 
auf die Erziehung einstellen kann, trifft zusammen mit einer Forderung, 
die unsere Zeit, als in welcher das Vereinigende so wenig selbstverständlich 
ist, an uns stellt. Die Erziehung ist nur Einheit, wenn ein einheitlicher 
Geist sie beherrscht, und dieser muß heute bewußt sein. Der Lehrer, wenn 
er mit Überzeugung lehren soll, muß sein Tun vor sich selbst rechtfertigen 
können, er muß in dem Streite um Erziehung und Schule Stellung nehmen 
können. 


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216 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


Die pädagogische Wissenschaft wird zusammengehalten durch den ein¬ 
heitlichen Zweck der Erziehung. Dieser aber ist nur zu bestimmen von 
einer Überzeugung über den Sinn des menschlichen Lebens und der mensch¬ 
lichen Gemeinschaft her. Zu solcher Überzeugung zu führen, ist Haupt¬ 
aufgabe der Philosophie. Der einigende Gedanke der Pädagogik muß also 
philosophisch sein 1 ). 

5. Philosophie als Streben nach einem einheitlichen, be¬ 
gründeten Wert- und Kulturbewußtsein beherrscht und vereinigt 
die Lehre von der Erziehung. 

Philosophie ist nicht als vollendetes Ganzes gegeben, philosophische 
Besinnung kann daher an jeder zentralen menschlichen Tätigkeit einsetzen. 
Die Probleme der Erziehung bieten auch dem philosophisch noch weniger 
Geschulten einen geeigneten Ausgangspunkt zu tieferem Eindringen. Die 
philosophische Haltung und Begründung der Pädagogik sichert dem künftigen 
Lehrer das Gesamtbewußtsein von seinem Berufe und dessen Aufgaben. Die 
von Tröltsch beklagte Einengung der Philosophie auf eine besondere Art 
von Spezialistentum ist durchaus im Schwinden, zudem kann gerade die 
Pädagogik zu einer stärkeren Betonung auch der Ethik, Geschichte- und 
Kulturphilosophie im akademischen Unterrichte führen. Der philosophisch 
gerichtete Pädagoge wird sich gewiß nicht auf Pädagogik allein einschränken 
lassen, sondern jene mit der Erziehungslehre so eng verbundenen Gegen¬ 
stände ebenfalls behandeln wollen. 

6. Nur aus der Geschichte ist die Gegenwart verständlich, 
das gilt für die Erziehungsideale wie für die Erziehungsan¬ 
stalten. Erziehen ist eine geschichtlich gerichtete Tätigkeit: 
für diese geschichtliche Lage und mit Hilfe dieser geschichtlich 
gewordenen Anstalten und Mittel soll erzogen werden. Er¬ 
ziehungslehre bedarf also der Geschichte überall; aber nur 
wenn die Geschichte unter den Auswahlprinzipien des dauernd 
und des für t die Gegenwart Wertvollen steht, kann sie Leben 
wecken. 

Es gilt, die Geschichte der Erziehung und der Erziehungslehre nicht als 
Sammlung unverbundener Notizen, auch nicht als bloßen Gegenstand ge¬ 
schichtlicher Einseiforschung vorzutragen, sondern sie dem allgemeinen 
Ziele pädagogischen Universitätsunterrichts, der Erweckung eines wissen¬ 
schaftlich begründeten Berufsbewußtseins der künftigen Lehrer unterzuordnen. 
Geschichte der Erziehungslehre und Geschichte der Erziehung hängen auf 
das innigste zusammen, gerade die Wechselwirkung zwischen Wirklichkeit 
und Idealbildung ist lehrreich. Der Studierende, besonders der pädagogisch 
interessierte, pflegt auf die Gegenwart allein sein Interesse zu richten; es ist 
die Aufgabe geschichtlicher Vorlesungen (oder des geschichtlichen Einschlags 
in nicht geschichtlichen) ihm die Notwendigkeit einer historischen Vertiefung 
klar zu machen. Philosophische und historische Pädagogik hängen eng 
miteinander zusammen: die philosophische Besinnung entwickelt sich in 
einer Reihe geschichtlich verbundener Gestalten, sie geht aus von der wirk¬ 
lichen Erziehung und beeinflußt diese ihrerseits. Die Geschichte ist nicht 

l ) Dies« Einsicht ist wieder weit verbreitet. Lange aber hat fast allein Paul Natorp sie 
energisch vertreten. Mit Bedauern vermißt man ihn unter den Teilnehmern an der Berliner 
Konferenz. 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 2. Cohn 


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: ohne Philosophie verständlich, und die Philosophie bleibt ohne Geschichte 
3- abstrakt und inhaltarm. 

ö 7. Die Bedeutung der Psychologie für den Lehrer beschränkt 
z sich keineswegs auf die Dienste, die sie—bes. durch die neueren 
exakten Forschungen — der Didaktik leistet. Vielmehr schärft 
psychologische Schulung den Blick für das seelische Geschehen, 
lehrt auf sonst übersehene Möglichkeiten achten und an die 
: unbeabsichtigten Folgen jeder Maßregel auf das ganze Seelen¬ 
leben denken. Der Lehrer soll stets als ganzer Mensch auf 
a den Schüler als ganzen Menschen wirken. Die so geforderte 
* Haltung ist gewiß von der sachlichen Kühle des psychologischen 
3 Beobachters grundverschieden; aber sie wird, zumal Personen 
gegenüber, deren Art von der eigenen stark abweicht, durch 
? psychologisches Wissen sehr erleichtert. Besonders die Ent- 
> Wicklungsgeschichte des Seelenlebens und die Lehre von den 
' individuellen Unterschieden sind wichtig. Bei dem engen Zu¬ 
sammenhang von Leib und Seele ist die Psychologie des jugend- 
: liehen Menschen als Teil der Jugendkunde zu behandeln. 
i Es ist bemerkenswert, daß in der Berliner Konferenz gegenüber der 
t ablehnenden Haltung der Thesen von Tröltsch und Ziehen einige Praktiker 
t (Borbein, Goldbeck, Poske) für die Psychologie eingetreten sind. Gerade 
weil ich Gegner jedes Psychologismus und fest überzeugt bin, daß Ziele nie 
aus der Psychologie (sowenig als aus einer andern Seinswissenschaft) ge- 
:■ wonnen werden können, weil ich ferner die stellungnehmende, miterlebende 
Haltung des echten Lehrers von der beobachtenden, aller Wertung sich ent¬ 
haltenden des Psychologen streng trenne, möchte ich um so entschiedener 
hervorheben, daß die Psychologie dem Lehrer unersetzliche Hilfe zu bieten 
hat Man wird nun vielleicht fragen: welche Psychologie — und darauf 
ist zu antworten, eine recht vielseitige, an Gesichtspunkten der Betrachtung 
reiche. Die exakte Methodik des Experiments lehrt die rein psychologische 
Auffassung, die affektfreie Selbst- und Fremdwahrnehmung; übrigens aber 
ist das, was man als „experimentelle Pädagogik“ bezeichnet, nur ein zu¬ 
fälliger und schlecht begrenzter Ausschnitt aus dem Erforderlichen. Die ein¬ 
seitige Richtung auf sie verführt dazu, an Rezepte zu glauben, die die Psycho¬ 
logie geben könnte. Weit wichtiger ist es, daß die Eigenart jedes Alters, 
die Bedeutung jeder Entwickelungsstufe im Ganzen der Entwickelung vorge¬ 
führt wird, daß die Verschiedenheit der Individuen, die Notwendigkeit, auf von 
dem eigenen ganz abweichende Typen zu rechnen, sich dem Geiste einprägt, 
daß die Beobachtung des Seelischen geschult wird. Nicht zu vergessen sind 
die Entwicklungsstörungen, die abnormen Fälle. Der Lehrer soll nicht Arzt 
I spielen wollen, aber er soll aufmerken, ob er nicht einen pathologischen 
Fall vor sich hat, um rechtzeitig den Arzt zu Hilfe zu rufen. Körperliche 
und seelische Entwickelung sind unlöslich verbunden, der Erzieher hat stets 
den ganzen Menschen, nicht die Seele vor sich — : so muß auf das Ganze 
seine Aufmerksamkeit gerichtet sein. Vielleicht ist daher das Wort „Jugend¬ 
kunde“ dem Aiisdruck „Psychologie der Jugend" vorzuziehen. Die Psycho¬ 
logie wie die Jugendkunde ist reine Tatsachenwissenschaft, kein Werturteil 
darf die vorurteilslose Beobachtung und Theorie beeinflussen; aber die Aus¬ 
wahl dessen, was der Professor der Pädagogik behandelt, ist durch die Be- 


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218 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


dürfnisse des Lehrers bestimmt. Nur sollen diese nicht allzu eng technisch- 
didaktisch begrenzt werden. 

8. Der Professor der Pädagogik soll ein Mann der Wissen¬ 
schaft sein, kein bloßer Praktiker; aber er soll mit der Praxis 
des Schulwesens Fühlung halten. 

Das geht aus seiner Aufgabe hervor. Ob die Fühlung dadurch erreicht 
wird, daß er eine Zeitlang praktisch tätig war, oder dadurch, daß er Ge¬ 
legenheit erhält und wahrnimmt, die Schulen dauernd zu besuchen und zu 
beobachten, Verkehr mit Schulmännern zu pflegen, ist nicht entscheidend. 
Jedenfalls sollte er kraft seines Amtes die allgemeine Erlaubnis haben, in 
allen Schulen dem Unterrichte beizuwohnen. — Es könnte gegen die Er¬ 
richtung von besonderen Professuren der Pädagogik eingewendet werden, 
daß die Gegenstände dieser Wissenschaft allzu mannigfaltig, teils philosophisch, 
teils psychologisch, teils historisch sind. Aber sie werden durch einen 
Geist und ein Interesse zum Ganzen verbunden. Daß nicht jeder einzelne 
Vertreter der Erziehungswissenschaft in allen Zweigen dieser Wissenschaft 
gleichmäßig als Forscher tätig sein wird, ist wahrscheinlich. Aber auch der 
Physiologe pflegt entweder vorwiegend sinnesphysiologisch oder chemisch¬ 
physiologisch usw. zu arbeiten. Es genügt, wenn der Professor der 
Pädagogik auch dort, wo er nicht als Forscher tätig ist, doch die Arbeiten 
anderer mit selbständigem Urteil verwertet. Das Urteil aber und der Geist 
des Ganzen ist in der Pädagogik notwendig durch Philosophie bestimmt. 
Philosophische Geistesrichtung und Bildung ist also unerläßlich, um so mehr 
da sie sich weit schwerer als Einzelkenntnisse nachträglich erwerben läßt. 

9. Den infolge der „Jugendbewegung“ hervortretenden päda¬ 
gogischen Eifer zu pflegen, erscheint wichtiger als die Vorbe¬ 
reitung auf pädagogische Prüfungen. 

Da der Lehrer der Pädagogik den begrenzten Wert aller Prüfungen her¬ 
vorheben muß, da er den Blick des Lehrers auf die innere wesentliche 
Förderung des Schülers zu richten hat, so darf seine eigene Lehre nicht in 
Prüfungs-Drill ausarten. Wenn er Forderungen in bezug auf die Lehramts- 
Prüfungen stellt, so soll er dabei nur von dem Bedürfnis der Lehrer und 
Schüler, nicht von dem seines Faches ausgehen. Die liebsten Hörer müssen 
ihm immer die freiwilligen und begeisterten sein. Daß der Professor der 
Pädagogik in jedem Semester dasselbe Kolleg lesen müßte, wie Tröltsch 
meint, ist auch dann unrichtig, wenn für das Examen nur das Hören eines 
Kollegs verlangt wird. Es kann nur gefordert werden, daß jedes päda¬ 
gogische Kolleg für sich verständlich ist. Die dürftigen Examenleute werden 
wenigstens von einer Seite auf pädagogisches Nachdenken hingewiesen, die 
besseren Studierenden erkennen die Ergänzungsbedürftigkeit der gehörten 
Vorlesung und setzen ihre Studien fort. Wir müssen zu der Urteilsart der 
Fichte und Schleiermacher zurückkehren, die bei ihren Vorschlägen stets an 
die Tüchtigen dachten, im Gegensatz zur Gewohnheit der jüngsten Ver¬ 
gangenheit, überall die Schwachen zu hätscheln. 

10. Die Promotion mit einer pädagogischen Dissertation sollte 
möglich aber schwierig sein. Vor allem ist Prüfung in Philo¬ 
sophie als Hauptfach unbedingt zu fordern. 

Möglich muß die Promotion sein, weil so ein Stab geschulter wissen¬ 
schaftlicher Arbeiter gewonnen wird. Schwierig muß sie sein, damit nicht 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 3. Lehmann 


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das neue Fach d*zu dient, die Eitelkeit bequem zu befriedigen. Wirklich 
fruchtbringende pädagogische Arbeiten sind selten, der Wust überschüssigen 
bedruckten Papiers ist gerade in der Pädagogik erschreckend. Wissenschaft¬ 
licher Pädagoge ist niemand, der nicht auch philosophische'Studien getrieben 
und philosophische Bildung erworben hat. 

Zur Gestaltung des pädagogischen Universitätsunterrichts im einzelnen 
Stellung zu nehmen, versage ich mir, da meiner Ansicht nach hier vorläufig 
jeder seinen Weg einschlagen soll — erst allmählich wird sich eine allge¬ 
meine Übung ausbilden. Das gilt besonders von den pädagogischen Semi- 
narien. Die Einrichtung großer Seminarien, an denen Lehrer, nicht Studenten 
teilnehmen, nach dem Vorschläge Frischeisen-Köhlers, halte ich für 
sehr erwägenswert. Es sollte mindestens an einer Stelle einmal ein Versuch 
damit gemacht werden. 


3. Pädagogikprofessuren. 


Von Rudolf Lehmann. 

Ich darf das Verdienst in Anspruch nehmen als einer der ersten, etwa 
neben W. Rein und mit W. Münch, die Errichtung von pädagogischen Pro¬ 
fessuren gefordert zu haben, und ich bin seitlVi Jahrzehnten immer wieder 
in der Öffentlichkeit für die Sache eingetreten. Daher bin ich auch jetzt 
nicht in der Lage, eigentlich Neues zu der Frage beizubringen. Es muß 
mir gestattet sein, kurz zusammenzufassen, was ich an anderen Stellen aus¬ 
führlich dargelegt habe. 

Die Forderung entspricht ebensowohl einem theoretischen wie einem 
praktischen Bedürfnis. Die Geschichte der Erziehung, wenn sie wissen¬ 
schaftlich erfaßt wird, ist ein integrierender und wichtiger Zweig der Geistes¬ 
geschichte überhaupt. Die Pädagogik als Normwissenschaft steht in innerem 
und unmittelbarem Zusammenhang mit den übrigen Wertwissenschaften, ins¬ 
besondere der Ethik. Die Jugendkunde endlich bildet heute unbestritten 
einen Teil der psychologischen Wissenschaft; ihre Bedeutung, nicht nur für 
die praktische Normgebung, sondern auch für das pädagogische Denken 
überhaupt ist so unmittelbar, daß auch von dieser Stelle her die Erziehungs¬ 
wissenschaft einen notwendigen und natürlichen Anschluß an die Univer¬ 
sitätswissenschaften findet. Will die Hochschule ihren Charakter als Uni¬ 
versitas Litterarum bewahren und den Zusammenhang der Geisteswissen¬ 
schaften im ganzen Umfang umfassen, so darf sie die Pädagogik nicht 
länger beiseite lassen. 

Wenn diese sehr einfache Wahrheit zur allgemeinen Anerkennung in 
unseren Fakultäten gelangen würde, so wäre damit viel, ja alles gewonnen. 
Der Hochschuluntericht braucht sich hier ebenso wenig wie bei anderen Ge-: 
bieten um praktische Wirkungen zu bekümmern. Seine Aufgabe ist und bleibt 
das theoretische Verständnis und die Fähigkeit zur Erfassung wissenschaft¬ 
licher Zusammenhänge zu vermitteln, und diese Aufgabe fiele ihm zu, auch 
wenn die Pädagogik gar keine Bedeutung für unser praktisches Leben hätte. 
Erziehen und Unterrichten zu lehren, ist keine Verpflichtung der Universität, 
kann es nicht sein, solange die philosophische Fakultät ihren jetzigen Charakter 
wahrt. Pädagogische Universitätsseminare haben zu geisteswissenschaftlicher 
oder psychologischer Forschung auf dem Gebiete der Pädagogik anzuleiten, 


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220 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


nicht zum Unterrichten und wenigstens unmittelbar auch nicht zum Erziehen. 
Übungsschulen braucht man nicht, und wenn in Jena eine solche Einrichtung 
besteht, die darauf ausgeht, die theoretische Vorbildung der angehenden Lehrer 
mit der praktischen Ausbildung zu verbinden, so ist das eine besondere Eigen¬ 
heit der dortigen Organisation, die, auch wenn man ihren Wert nicht verkennt, 
nicht als vorbildlich und verbindlich für die übrigen Hochschulen zu betrachten 
ist Etwas anders steht es mit den Versuchsschulen, die vielfach von den 
Psychologen gefordert werden. Sie dienen immerhin wissenschaftlichen Zwecken, 
nicht der praktischen Einübung. Gleichwohl scheinen mir aus äußeren und 
inneren Gründen die Wissenschaft sowohl wie die Schule besser dabei zu fahren, 
wenn die Schule nicht in die Universität, sondern die Universität, soweit sie 
dessen bedarf, in die Schule kommt, d. h. wenn solche Schulen nicht an den 
Hochschulbetrieb angeschlossen werden, sondern wenn eine oder mehrere der 
in der Universitätsstadt vorhandenen Schulen den Psychologen für ihre Zwecke 
zugänglich gemacht werden. Die Entwicklung der Münchner Versuchsschule, 
die zu Forschungszwecken begründet, doch in die der städtischen Verwaltung 
unterstellte Organisation eingereiht worden ist, scheint mir ein Beleg dafür 
zu sein. — 

Welche Bedeutung nun aber hat ein solcher rein theoretischer Betrieb für 
die Praxis der Schule und der öffentlichen Erziehung überhaupt? Die Praxis 
hat ihre eigenen Bedürfnisse und Ziele. Sie entwickelt und gestaltet sich, 
wie das Leben überhaupt, im wesentlichen unabhängig von der wissenschaft¬ 
lichen Theorie, immittelbar aus sachlichen Notwendigkeiten und vielfältigen 
Überlieferungen. Um erfolgreich zu unterrichten, um sein Pensum bewältigen 
zu können, bedarf der Lehrer keiner geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkte 
(soweit er nicht etwa auf der höheren Stufe Geisteswissenschaft zu lehren hat). 
Er braucht auch keinen Einblick in die psychologischen Grundlagen der 
Methoden, nach denen er verfährt; wenn er diese aus einer bewährten Über¬ 
lieferung übernimmt und verständig an wendet, wenn er ausreichende Kenntnisse 
seines Gegenstandes damit verbindet, so genügt das, um eine brauchbare 
Lehrkraft, einen tüchtigen Lehrbeamten aus ihm zu machen. Verlangt man 
freilich, daß der Lehrer zugleich ein denkender Erzieher sei, soll seine Tätig¬ 
keit aus einer persönlichen Gesamtkultur erwachsen und über die Einprägung 
vorgeschriebenen Wissens hinaus sich auf die Persönlichkeit seiner Schüler 
erstrecken, soll er mit selbständigem Urteil an der Entwicklung des Bildungs¬ 
und Erziehungswesens mitarbeiten, so wird man ein tieferes und umfassen¬ 
deres Verständnis zu den Bedingungen solcher Wirksamkeit rechnen müssen. 
Er muß dann in die richtunggebenden Probleme der Erziehung überhaupt 
einen Einblick gewinnen. Er muß die Organisation des gesamten nationalen 
Bildungswesens in ihrem Zusammenhang überblicken und die treibenden 
Kräfte ihrer geschichtlichen Entwicklung kennen. Er muß endlich das leben¬ 
dige psychische Gebilde und seine wirkenden Gesetze in seinen Schülern 
erblicken und achten lernen, sie nicht nur als Köpfe betrachten, deren leere 
Räume er zu füllen hat. Diese Bedürfnisse sind im allgemeinen auch von 
der Schulverwaltung anerkannt; in Preußen ist seit langem den Lehrerbildungs¬ 
anstalten, und nach der im vorigen Jahre erschienenen Neuordnung des Aus¬ 
bildungswesens auch den Gymnasialseminaren, die Aufgabe zugewiesen, unter 
den angedeuteten Gesichtspunkten die praktische Ausbildung durch die theo¬ 
retische zu ergänzen. Wenn das in echt wissenschaftlichem Geiste geschieht, 

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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 3. Lehmann 


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wenn auch in den Gymnasialseminaren der genügende Nachdruck auf diese 
Seite der Vorbildung gelegt wird, so werden diese letzteren, wie es schon jetzt 
wenigstens im Prinzip die Lehrerbildungsanstalten anstreben, die erforder¬ 
liche Vermittlung zwischen Theorie und Praxis schaffen, und man braucht 
die Universitäten ebenso wenig für die durchschnittliche pädagogische Aus¬ 
bildung der künftigen Studienräte in Anspruch zu nehmen, wie für die der 
Volksschullehrer, wenn es auch wünschenswert ist, daß einige Vorlesungen 
allgemeinen Charakters schon dem Studenten eine Übersicht über das ge¬ 
samte Gebiet verschaffen. 

Die grundlegende Bedingung nun aber für die geforderte Wirksamkeit der 
Seminare ist, daß die Schulverwaltung über die erforderliche Anzahl von 
Direktoren und sonstigen Lehrkräften verfügt, die imstande sind, in einem 
wissenschaftlichen Geiste und aus einer gründlichen theoretischen Einsicht 
heraus pädagogische Bildung zu vermitteln. Das ist heute in den Lehrer¬ 
bildungsanstalten nur teilweise, in den Gymnasialseminaren noch viel seltener 
der Fall. Mit dieser Feststellung soll gegen die Seminarleiter und -lehrer 
nicht im geringsten ein Vorwurf erhoben werden; es bemüht sich gewiß ein 
jeder nach dem Maße seines Wissens und Könnens, seine Aufgabe zu erfüllen; 
aber wo die nötige Vorbildung fehlt, da genügt der gute Wille allein nicht, 
zumal bei Männern, die mit Amtsgeschäften anderer Art überhäuft sind. 
Diese Vorbildung aber kann nur auf der Universität erworben werden, und 
hier ist das praktische Bedürfnis begründet, das die Errichtung von päda¬ 
gogischen Lehrstühlen und Einrichtungen erforderlich macht. Was die Universität 
für die Vorbildung von Seminarleitem und -lehrem der Pädagogik zu tun 
hat, steht durchaus in einer Reihe mit dem, was sie für die Vorbildung 
wissenschaftlicher Lehrer überhaupt tut: sie soll ihnen die Grundlage geben, 
aus der späterhin ihrem Unterricht ein wissenschaftlicher Geist erwächst. 

Auf diesen Zusammenhang weist die preußische Neuordnung hin, indem 
sie die Pädagogik als „Zusatzfach" in die wissenschaftliche Prüfung einführt. 
Damit ist ein Weg gewiesen, der sehr wohl zur Hebung des gerügten Mangels 
zu führen vermag. Wenn die Schulverwaltung bei der Ernennung von Direktoren 
solche Schulmänner bevorzugt, die sich die Lehrbefähigung für das Zusatz¬ 
fach erworben haben, wenn sie Oberlehrern, die sie für Direktorenstellen und 
Serainarleitungen ins Auge faßt, durch Urlaube oder Stundenverminderung 
die Möglichkeit gibt, das Zusatzfach nachzuholen, so wird sie bald in der Lage 
sein, über eine genügende Anzahl wissenschaftlich gebildeter Kräfte zu ver¬ 
fügen, und auch für die Zukunft wird diese Einrichtung ein Sporn sein, der 
ständig eine Anzahl von Studenten zu wissenschaftlichem Studium der Päda¬ 
gogik treibt. 

Ein solches Studium aber ist nur möglich, wenn an den Universitäten die 
geeigneten Einrichtungen geschaffen werden. Mit Lehraufträgen im Neben¬ 
amt und ein paar allgemeinen Vorlesungen ist es nicht mehr getan. Nach 
dem Grundsatz, den unser gesamtes Universitätsleben beherrscht, brauchen 
wir akademische Lehrer, deren eigenstes Forschungs- und Wissensgebiet die 
Pädagogik ist und die ihre Hörer und Schüler zu selbständig eindringender 
Arbeit anzuleiten vermögen. Solche Männer dürfen dann aber auch eine 
Stellung für ihre Wissenschaft fordern, die ihrer Bedeutung entspricht: die 
Möglichkeit, zum Ordinariat zu gelangen für die Dozenten, das Recht zu promo¬ 
vieren für ihre Schüler. 


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222 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


Man hört nicht selten den Einwurf, daß es an geeigneten Vertretern der 
Pädagogik, besonders in der geisteswissenschaftlichen Richtung fehle und man 
daher pädagogische Lehrstühle nicht würde besetzen können. Aber es ist ja 
auch keineswegs nötig, daß an allen Universitäten mit einem Schlage Pro¬ 
fessuren oder gar Ordinariate errichtet werden. Wenn wir auch nur an drei 
oder vier Universitäten solche Lehrstühle hätten, so wäre zunächst einmal 
dem dringendsten Bedürfnis Genüge geschehen, und die Auslese einer solchen 
Anzahl läßt sich ohne Schwierigkeiten treffen. Nur darf man sich dabei nicht 
ausschließlich, vielleicht nicht einmal hauptsächlich an die Kreise junger 
Akademiker und Privatdozenten halten. Denn solange es keine pädagogischen 
Lehrstühle gibt, kann es auch keinen akademischen Nachwuchs in diesem 
Fach geben, und, wenn man auf einen solchen warten will, kommt man aus 
dem Zirkel nicht heraus. Man muß vielmehr geeignete Oberlehrer heran¬ 
ziehen: eine solche Erweiterung des Kreises liegt wahrlich nahe genug und 
ist auch im sachlichen Interesse des Lehrbetriebes. Wir brauchen Ordinariate, 
damit die Möglichkeit gegeben wird, einen Nachwuchs zu schaffen, mit dem 
man dann eine größere Anzahl von Lehrstühlen besetzen kann. Diese mögen 
zunächst außerordentliche Professuren sein, das weitere Endziel bleibt frei¬ 
lich die durchgehende Begründung von Ordinariaten. Es kann nur allmählich 
gelingen, der pädagogischen Wissenschaft diejenige Stellung an den Universitäten 
zu schaffen, die ihr ihrem theoretischen Rang nach gebührt und zugleich dem 
Bedürfnis unseres Bildungswesens entspricht, aber es ist an der Zeit, nunmehr 
einen entschiedenen Anfang mit dieser notwendigen Entwicklung zu machen. 


4. Thesen betreffend die Pflege der Erziehungswissenschaft an der 

Universität. 

Von Paul Natorp. 

1. Die Aufgabe der Menschenbildung oder Erziehung erstreckt sich an sich 
unterschiedslos auf alle Seiten des Menschentums: sie umfaßt gleichermaßen 
das theoretische, praktische, ästhetische und religiöse Bewußtsein, in seiner 
vollen Aktualität ebenso wie im zeitlichen Rück- und Vorausblick, zuletzt in 
der überzeitlichen Einheit seiner Gesetzesgrundlage. Daher sind an der wissen¬ 
schaftlichen Grundlegung zum Gesamtwerke der menschlichen Erziehung — 
der theoretischen Pädagogik — alle Wissenschaften, die irgendeine Seite 
des Menschenwesens berühren, das heißt alle, vor allen aber die Wissen¬ 
schaften beteiligt, welche gegenüber der Mannigfaltigkeit der Richtungen 
und Dimensionen die unteilbare Einheit des menschlichen Wesens zu ver¬ 
treten haben: Philosophie als universale, analytische Prinzipienlehre, 
Psychologie als nicht minder universale, synthetische Darstellung des Be¬ 
wußtseinsgehalts in der Totalität wie inneren Ungeteiltheit (Individuität) des 
Erlebens. Jede Sonderwissenschaft liefert von ihrer Seite eine Stütze für die 
universale, theoretische Grundlegung zur Erziehung; Philosophie und Psycho¬ 
logie beziehen sich als ganze auf ihr Ganzes. Das menschliche Wesen er¬ 
kennen will man zuletzt, um es in beständiger Selbsterhöhung von Geschlecht 
zu Geschlecht zu überliefern, d. h. um der Menschenbildung, um der Erziehung 
willen. 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 4. Natorp 


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2. Indessen ist keine der genannten Wissenschaften an sich Erziehungs¬ 
wissenschaft. Jeder von ihnen ist ihre Aufgabe aus rein sachlichen Gesichts¬ 
punkten gestellt, zunächst ohne Rücksicht auf ihren Anteil am Erziehungswerk. 
Um sie für dieses auch nur im theoretischen Sinne fruchtbar zu machen, 
bedarf es noch einer besonderen, auf die Praxis der Erziehungsarbeit als solche 
gerichteten, gleichwohl selbst theoretischen Erwägung. Diese hat die Regeln 
aufzustellen für die Zurückbeziehung der rein sachlichen, gesetzlich allgemeinen 
Feststellungen der je auf ihren Gegenstand gerichteten Wissenschaften auf 
die bestimmt gegebenen Bedingungen, die zu Gebote stehenden Kräfte, Ge¬ 
legenheiten und Hilfen jeder Art, mithin (da diese nicht von selbst bereit¬ 
stehen, sondern planmäßig immer neu bereitzustellen sind) auf die bestimmten, 
vorhandenen oder zu fordernden Organisationen vielseitig ineinandergreifender, 
bildender Tätigkeit zuletzt Einzelner an Einzelnen in singulär bestimmter Lage. 
Folglich bedarf es, gegenüber allem, was die reinen Sachwissenschaften zur 
Grundlegung der Erziehung im bloß theoretischen Sinne beitragen, noch einer 
eigenen, technisch gerichteten Bildungs- und Erziehungslehre: Pädagogik im 
engeren Sinne, praktische Pädagogik. Diese darf auf den vollen Rang 
einer Wissenschaft Anspruch erheben, nicht bloß sofern sie auf Wissenschaft 
und zwar, der Idee nach, auf der Gesamtheit der Wissenschaften fußt, son¬ 
dern auch, sofern das Technische der erziehenden Tätigkeit selbst einer weit¬ 
ausblickenden, vielseitigen theoretischen Oberlegung, im gleichen Sinne wie 
jede andere Technik und, ihrer allumfassenden Bedeutung wegen, mehr als 
jede andere, bedarf. 

3. Die gesamte wissenschaftliche Grundlegung zur Technik und Praxis der 
Erziehung findet ihre natürliche Stätte an der Universität. Erstens, als 
wissenschaftliche Grundlegung ist sie auf die Mitarbeit nicht bloß der oder 
jener, sondern aller Wissenschaften angewiesen, deren Gesamtheit nur an der 
Universität zulänglich vertreten ist. Zweitens, als Grundlegung zur Praxis der 
Erziehung gehört sie zur Berufsausbildung aller derer, die am Werke der Er¬ 
ziehung in irgendwie selbstverantwortlicher Stellung beteiligt sind. Für diese 
Berufsausbildung aber, also vor allem die der Lehrer jeder Kategorie, vom 
Volksschullehrer bis zum Hochschullehrer, ist, da sie auf Wissenschaft fußen 
muß, die Universität verpflichtet. 

4. An der theoretischen Grundlegung der Erziehung sind (nach These 1) 
in genau berechnetem Zusammenwirken zu beteiligen: die Philosophie, die 
Psychologie und die Einzelwissenschaften; die beiden enteren, um für das 
Gesamtwerk der Erziehung die ihm wesentliche Einheit der Grundlage sicher¬ 
zustellen und jede einzelne ihrer Leistungen auf ihr hohes einheitliches Ziel 
genau gerichtet zu halten; die Einzelwissenschaften, damit auch den Sach¬ 
forderungen jedes Sonderfachs in einer den Erfordernissen der Wissenschaft 
voll genügenden Weise entsprochen wird. In welcher Art und Umfassung 
und mit welchem Erfolg dies geschehen kann, dafür hat die von Felix Klein 
organisierte Zusammenarbeit der Mathematiker zur methodischen Bearbeitung 
des mathematischen Unterrichts ein Beispiel aufgestellt, hinter dem die üb¬ 
rigen Fächer des Unterrichts, und zwar alles Unterrichts von der Volksschule 
bis zur Universität, nicht Zurückbleiben dürfen. 

&• Es mag auf den ersten Blick scheinen, als ob nicht ebenso immittelbar 
die praktische Seite der Erziehungslehre der Universität nahe liegen müsse. 
Dennoch sieht auch sie sich, im gleichen Interesse beider, auf die Universität 


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224 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


zwingend hingewiesen. Selbst Wissenschaft (s. These 2), tritt sie in nicht 
bloß äußerer Nebenordnung den reinen Saehwissenschaften zur Seite, sondern 
durchdringt sie alle und gibt ihnen die gemeinsame neue Wendung auf den 
für sie keineswegs äußerlichen, sondern mit ihnen selbst notwendig gesetzten 
Zweck der menschlichen Bildung. Diese neue Zweckbeziehung aber fordert 
im Organismus des Bildungswesens eine eigene, besonders geartete Vertretung, 
an der es bis dahin fehlt. Diese wäre nicht gegeben durch eine eigene 
Professur für praktische Pädagogik an der Universität, oder selbst durch eine 
den übrigen nebengeordnete neue, pädagogische Fakultät. Erforderlich ist 
vielmehr eine besondere, in gewissem Maße selbständige, weder der Organisation 
der Universität noch denen der praktischen Erziehung schlechthin eingefügte, 
sondern gewissermaßen zwischen beiden stehende Institution. Diese muß 
einerseits mit der Universität in einer solchen Verbindung stehen, daß sie 
ihrer vollen Mitarbeit sicher sein darf, andererseits aber mit der praktischen 
Erziehungsarbeit jeder Art und Richtung in lebendiger, wechselseitig befruch¬ 
tender Berührung bleiben. Das Zentrum dieser Institution würde ein Seminar 
mit Arbeitsräumen und Bibliothek bilden, als Mittelpunkt ebensowohl für alle 
auf die Praxis der Erziehung zielenden wissenschaftlichen Untersuchungen, 
wie für deren Befruchtung mit den Anregungen der Praxis und wiederum 
Rückwirkung auf diese. 

6. Die Organisation des gedachten, etwa als Pädagogische Akademie zu 
bezeichnenden Instituts würde in der Hand eines Ausschusses liegen, an 
welchem Theoretiker und Praktiker gleichmäßig beteiligt sein müßten. Die 
Oberleitung aber würde einem eigenen Vertreter der praktischen Pädagogik 
als ganzer zufallen, der der Universität gegenüber unabhängig sein müßte, 
wenn auch etwa zugleich als Honorarprofessor ihr angehören dürfte. Er 
müßte mit der Praxis durch eigene reiche Erfahrung vertraut sein, zugleich aber 
in vollgewichtigen Leistungen pädagogischer Theorie wissenschaftliche Schulung 
und Schöpferkraft bewiesen haben. 

7. Als nächstliegende, dringlichste Aufgabe würde der gedachten pädago¬ 
gischen Akademie die praktisch-pädagogische Ausbildung der Schullehrer 
jeder Stufe und jedes Fachs obliegen. Diese müßte außerhalb des Rahmens 
der rein fachlichen Ausbildung stehen, die besonders für die künftigen Lehrer 
höherer Schulen durchaus keine Abkürzung verträgt. Sie müßte daher jeden¬ 
falls für diese erst nach abgelegter Fachprüfung einsetzen (würde also in 
Preußen an die Stelle des jetzigen Seminar- und Probejahrs treten). Allen¬ 
falls würde eine vorläufige Einführung in die Unterrichtspraxis in mehr nur 
rezeptiver Beteiligung zulässig sein. Die volle aktive Teilnahme an der Schul¬ 
arbeit fordert den Einsatz der ganzen Kraft und kann nicht bloß wie auf 
Probe nebenher abgemacht werden. Aufgabe der pädagogischen Akademie 
würde es weiter sein, alle historischen und aktuellen wie auch ferneren Zukunfts¬ 
fragen der Schulpädagogik und Schulpolitik fest im Auge zu behalten, die 
nötigen und möglichen Reformen theoretisch vorzubereiten und, soviel an ihr 
liegt, praktisch anzubahnen. 

8. Zu ihrem Arbeitsfelde gehören aber ebensosehr die weitverzweigten Auf¬ 
gaben der nationalen Erziehung, die außerhalb des Rahmens der Schule fallen: 
die Aufgaben der häuslichen Erziehung und, wo diese zerstört oder verkümmert 
ist, des tunlichen Ersatzes für sie: Kinderpflege, Kindergarten, Kinderhort, 
Jugendfürsorge, körperliche Ausbildung und Gesunderhaltung der Jugend, 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 5. Stern 


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Fortbildung der Schulentlassenen, freie, nichtschulmäfiige Bildungspflege der 
Erwachsenen, jeder Art und Richtung; die erziehenden Kräfte der einzelnen 
Berufe, die besonderen erziehlichen Forderungen und erziehlichen Werte des 
Handwerks, der Fabrik, des Handels usw., des Heeresdienstes, der kirchlichen 
wie außerkirchlichen religiösen Ordnungen, der freien Vereine und Verbände 
überhaupt jeder Art und Sonderheit, unter diesen besonders der Jugendver¬ 
bände; die bildende Wirkung der Tagespresse, der Presse überhaupt, daher 
Buchvertrieb und Bücherei hinsichtlich ihres bildenden Einflusses; Heimat¬ 
pflege, Wohnungswesen, Festfeier, künstlerische Lebensgestaltung aller Art, 
volkstümliche Kunst- und Musikpflege, Theater, Kino. Die systematisch theo¬ 
retische Bearbeitung und praktische Förderung dieses weiten Komplexes 
„sozialpädagogischer“ Aufgaben erfordert gleichermaßen Weite des Um¬ 
blicks, Vertrautheit mit den Gesellschaftswissenschaften (Wirtschafts-, Rechts¬ 
und Staatslehre) wie organisatorische Befähigung, sicheren Blick für das 
zunächst Dringliche und Erreichbare, Takt in der praktischen Behandlung der 
Dinge und Menschen; Eigenschaften, die sich gewiß nicht leicht in einer Person 
vereint finden, aber am ehesten dann sich herausbilden würden, wenn das 
Ganze dieser Aufgaben nicht nur Einzelnen und vereinzelt Bleibenden obläge, 
sondern einer vielseitigen Zusammenarbeit von Theoretikern und Praktikern, 
wie sie in gedachter Akademie organisiert wäre, unterstände. 

9. Ist es für jetzt nicht zu erreichen, daß die so gedachte pädagogische 
Akademie von seiten des Staats ins Leben gerufen wird, so bleibt möglich 
und ist es um so dringlicher, daß einstweilen die Universitäten von sich aus 
mit den für sie erreichbaren Praktikern zu freien Vereinigungen zusammen¬ 
treten, um von den genannten Aufgaben wenigstens die, welche unter den 
gegebenen Bedingungen für sie lösbar sind, «auf sich zu nehmen. Uneinge¬ 
schränkt gilt dies für den rein theoretischen Unterbau der Pädagogik; bedingt 
aber auch für die gesamte Lehrerbildung wie auch für die praktische Förderung 
mancher einzelnen Zweige der sozialen Erziehung besonders in den (ja meist 
mit Universitäten versehenen) Großstädten. Eine gemeinsame, große, gesamt¬ 
deutsche Organisation müßte diese „pädagogischen Universitätsaus¬ 
schüsse“ vereinigen und sich mit allen schon bestehenden und neu ins 
Leben tretenden Verbänden verwandter Absicht (zunächst dem Deutschen 
Ausschuß für Erziehung und Unterricht) in Verbindung setzen, um gemeinsam 
mit diesen auf die volle Durchführung des Planes der pädagogischen Akademie 
hinzuwirken. 

Anmerkung: Die nächste bei gegebener Lage erreichbare Vorstufe wäre die Verallgemeinerung 
des an der Universität Halle eingeschlagenen Weges: Zusammenwirken von Universitätslehrern 
(der Philosophie und Psychologie wie der wesentlich in Betracht kommenden Einzelwissenschaften) 
mit Schulmännern, unter Leitung je eines hervorragenden, zugleich wissenschaftlich erprobten 
Praktikers, zunächst zur praktisch-pädagogischen Ausbildung der künftigen Oberlehrer. Nähere 
Ausführung darüber darf ich unterlassen, weil sie von anderer Seite prwartet werden darf. 


5. Pädagogik als Universitfitsfach. 
Von William Stern. 


Die philosophischen Fakultäten der Universitäten nehmen in der Gesamt¬ 
heit unserer Hochschuleinrichtungen eine geradezu einzigartige Stellung ein. 
Alle anderen Veranstaltungen: die übrigen Universitätsfakultäten, die Ab¬ 
teilungen der technischen Hochschulen, die Fachhochschulen verschiedener 

Zeitschrift f. pftdmgog. Psychologie 15 


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226 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


Art haben die Aufgabe, die Vorbildung für bestimmte höhere Berufe auf 
wissenschaftlicher Grundlage zu geben — die philosophische Fakultät ist 
ihrer Idee nach der reinen Wissenschafts-Pflege und -Obermittelung um ihrer 
selbst willen gewidmet Das ist ihre Größe, von der ihr nicht ein Deut ge¬ 
raubt werden darf, es ist aber zugleich ihre Schwäche, die beseitigt werden 
muß. Denn Berufsvorbildung ist auch für die Hörer der philosophischen 
Fakultät nicht bloß eine banausische, unter dem Gesichtspunkt des künftigen 
Erwerbs stehende Angelegenheit; sie bedeutet die Wahrung der geistigen 
Volkskraft und der wertvollen Bildungsguter, und damit die Förderung der 
Volkszukunft auf dem Kulturgebiet der Erziehung; sie soll den einzelnen 
für die Lebensaufgabe tüchtig machen, zu der er innerlich „berufen“ ist 
und ihn nicht nur in die Gnosis, sondern auch in das Ethos dieser seiner 
künftigen Bestimmung hineinführen. 

Daher darf die Arbeit der philosophischen Fakultäten nicht weiterhin unter 
der Fiktion stehn, als ob sie lauter künftige Privatdozenten heranzubilden 
haben. Natürlich soll die Gründlichkeit der Fachausbildung und die Ein¬ 
führung in echt wissenschaftliche Betrachtungsweise der philologischen und 
mathematisch-naturwissenschaftlichen Sachgebiete in keiner Weise verkürzt 
werden; aber sie muß eine Ergänzung durch den pädagogischen Gesichts¬ 
punkt erfahren. Die beinahe ängstliche Scheu, mit welcher die meisten 
Vorlesungen und Übungen der philosophischen Fakultät die Beziehung auf 
die spätere Verwertung des behandelten Stoffes in der Jugendbildting ver¬ 
meiden oder mit Bewußtsein ausschalten, hat nirgends in der Vorbereitung 
zu höheren Berufen ihresgleichen. Und so kommt es, daß kein Berufs¬ 
anwärter ahnungsloser in die Praxis seiner Tätigkeit hereintritt,als der junge 
Oberlehrer. Er hat auf der Universität wohl die Begeisterung für sein Fach, 
nicht aber die Liebe für seinen Erziehungsberuf erhalten; ja er bringt leicht 
eine gewisse Geringschätzung für die bloß schulmäßige, elementare Behand¬ 
lung seines Gebietes mit, das er bisher lediglich von der hohen Warte 
wissenschaftlicher Forschung aus betrachtet hat. Er hat nicht gelernt, das 
Kulturgebiet der Erziehung in seiner Gesamtheit zu überschauen und in 
seiner philosophischen und sozialen Bedeutung zu würdigen, in seiner Be¬ 
deutung, die es dem Kulturgebiet der reinen wissenschaftlichen Erkenntnis 
gleichwertig an die Seite stellt. Er hat in den drei bis vier Studienjahren 
kaum je Gelegenheit gehabt, sich zu vergewissern, ob er überhaupt für den 
Beruf, den er sich gewählt, Neigung und Eignung mitbringt — Vorbe¬ 
dingungen, ohne die er zu jahrzehntelangem freudlosen Berufsbetrieb ge¬ 
nötigt ist; denn die Leistungsfähigkeit in Mathematik oder Philologie besagt 
nichts über seine erzieherischen und unterrichtlichen Gaben. Er hat die 
sachlichen Inhalte, die er als Lehrgegenstände zu übermitteln hat, aufs 
gründlichste kennen gelernt, steht aber um so unerfahrener den persön¬ 
lichen Bedingungen seines Wirkens, dem Wesen der Kindheit und Jugend, 
gegenüber. 

Daß hier ein Wandel nötig ist, wird schon seit Jahren von Sch ulmänn ern 
und Hochschullehrern, von pädagogischen Vereinen und Kongressen betont; 
aber fast noch wichtiger erscheint mir, daß sich das Bedürfnis nach der 
fehlenden pädagogischen Einstellung und Ausbildung in der Studenten* 
Schaft selbst mächtig regt In den letzten Jahren vor dem Kriege,gab es 
die unerwartete Erscheinung, daß sich an vielen Orten „pädagogische Gruppen 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 5. Stern 


227 


der Studentenschaft“ auftaten, die sich neben dem Fachstudium eifrig mit 
Fragen des Schulwesens und der Schulorganisation, der Erziehungsreform, 
der sozialen Jugendpflege usw. beschäftigten. Es waren Akte der Selbst¬ 
hilfe, da eben die offiziellen Bildungsstätten diesem ihrem Bestreben gegen¬ 
über stumm blieben; und nur die private Teilnahme einzelner fiochschul- 
lehrer konnte hier und da diesen starken und ursprünglichen Interessen 
beratend und fördernd zur Seite stehen. Es ist nicht zu bezweifeln, daß 
nach dem Krieg unsere studentische Jugend in noch höherem Maße die 
Größe und Schwere der Erziehungs- und Volksleitungsaufgabe empfinden 
•wird, zu der sie sich vorbereitet; es wäre schmerzlich, wenn die Univer¬ 
sitäten solchen Bedürfnissen und Bestrebungen nicht gerecht würden. 

Wie läßt sich nun diese Forderung mit dem alten historischen Wesen der 
philosophischen Fakultät, an dem wahrlich nicht gerüttelt werden soll, ver¬ 
einigen? Dies Wesen besteht in der Pflege wissenschaftlicher Lehre 
und Forschung; als Wissenschaft ist daher auch die Pädagogik in ihren 
Rahmen aufzunehmen. Es kann sich also nicht darum handeln, den künf¬ 
tigen Oberlehrer in die Erziehungs- und Unterrichtspraxis unmittelbar durch 
praktische Arbeit einzuführen; Übungsschulen, ja selbst nur allzu eingehende 
Behandlung der Didaktik der einzelnen Lehrfächer, scheinen mir nicht auf die 
Universität zu gehören, dafür sind ja die beiden auf das Staatsexamen 
folgenden Ausbildungsjahre bestimmt Wohl aber müßte „die ganze Theorie 
der Praxis“ — wie es Spranger einmal treffend ausdrückt — auf der Uni¬ 
versität ihren Platz finden. 

Wenn von Gegnern dieses Gedankens geltend gemacht wird, daß die 
Pädagogik noch nicht den Charakter einer ernsthaften Wissenschaft ge¬ 
wonnen habe, so ist zweierlei zu erwidern. — Erstens: man hat ihr dies ja 
eben dadurch so schwer gemacht, daß man die Stelle, wo eine solche 
methodische Ausgestaltung zur Wissenschaft möglich gewesen wäre, nämlich 
die Universität, verschloß, und hat dadurch ihre Bearbeitung zum Teil 
eifrigen und wohlmeinenden, aber kritisch ungeschulten Kräften preisgegeben. 
Zweitens: wenn Pädagogik auch noch keine fertige Wissenschaft ist, so ist 
doch ihre wissenschaftliche Aufgabe und Problemstellung oder vielmehr das 
ganze wissenschaftliche System dieser Problemstellungen bereits deutlich zu 
erkennen; jetzt gilt es zu deren Bearbeitung die schon in der Entwicklung 
begriffenen Forschungsmethoden pädagogischer Erkenntnis auszubilden und 
anzuwenden; hierzu aber bedarf es der wissenschaftlichen Persönlichkeiten 
und wissenschaftlichen Lehr- und Forschungsstellen. 

Es ist an dieser Stelle vielleicht nicht unnötig, zu betonen, was die Uni¬ 
versitätspädagogik nicht sein soll. Man darf sie nicht in den engen Rahmen 
der sogenannten „Gymnasialpädagogik“ (genauer „Pädagogik des höheren 
Schulwesens“) spannen wollen, sondern muß sie als Lehre vom gesamten 
Erziehungs- und Bildungsleben unseres Volkes als einer einheit¬ 
lichen, wenn auch in sich mannigfach differenzierten Kulturtatsache auf¬ 
fassen. Dies ist zunächst deshalb nötig, weil auch der Oberlehrer die Be¬ 
deutung und Aufgabe seiner speziellen Schulgattung und seiner Sonderfächer 
nur würdigen kann, wenn er ihre Stellung im System des nationalen Bil¬ 
dungswesens überhaupt, vor allem auch im Verhältnis zu Volksschule, Fort¬ 
bildungsschule, Jugendpflege usw. kennt Sodann aber ist ja die Pädagogik¬ 
professur nicht ausschließlich der Oberlehrerfortbildung gewidmet; sie ist 

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228 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


der Mittelpunkt wissenschaftlichen Pädagogikbetriebes überhaupt; sie ist auch 
mit bestimmt für den Volksschullehrer, der wissenschaftliche Fortbildung an¬ 
strebt und solche an Universitäten, sei es als Hospitant, an einigen auch 
schon als Student der Pädagogik, erlangen kann; sie soll auch die Schul¬ 
verwaltungsbeamten heranbilden helfen, deren künftige Arbeit vornehmlich 
der Volksschule gilt; sie soll schließlich das Interesse für die Pädagogik auch 
in den Angehörigen anderer Fakultäten wecken, die als Schulärzte, als 
Jugend- und Vormundschaftsrichter, als Verwaltungsbeamte, als Geistliche usw. 
mit Volkserziehung zu tun haben. 

Es ist eines der Hauptverdienste der vorjährigen Ministerialkonferenz, das 
wissenschaftliche „Heimatrecht der Pädagogik an den Univer¬ 
sitäten", wie es der preußische Kultusminister ausdrückte,. erwiesen zu 
haben. Aber die Thesen der beiden Hauptreferenten, Troellsch und Ziehen, 
bedürfen doch einer Ergänzung, damit die Beziehung der Pädagogik zu den 
Wissenschaftsgebieten nicht einseitig aufgefaßt werde. Beide betonen vor 
allem die Beziehung der Pädagogik zur Philosophie, insbesondere zur Kultur- 
philosophie und Wertlehre, wie auch die zur Kulturgeschichte; Ziehen 
legt außerdem noch auf die Eingliederung des Erziehungswesens und seiner 
Organisation in die Gesamtheit des staatsbürgerlichen und Berufslebens be¬ 
deutenden Wert Diese Zusammenhänge sind in den Thesen und an¬ 
schließenden Besprechungen so ausführlich und vielseitig erörtert worden, 
daß es unnötig ist, nochmals darauf zurückzukommen. Es ist auch meine 
Überzeugung, daß die Behandlung der Erziehungs-Ideale im Zusammen¬ 
hang mit der Ethik, die der Bildungsguter im Zusammenhang mit 
der Kulturgeschichte, die der Unterrichts- und Erziehungs-Veranstal¬ 
tungen im Zusammenhang mit der Staatswissenschaft zu den wesent¬ 
lichen Aufgaben der pädagogischen Wissenschaft gehört. Aber sie bilden 
nicht die einzige Aufgabe; nicht minder wichtig ist die Berücksichtigung 
der Erziehungsobjekte im Zusammenhang mit der Menschenkunde, ins¬ 
besondere der Psychologie. Denn Erziehung ist nicht bloß die Sicherung 
und Erweiterung objektiver Kulturgüter, sondern die Hineinbildung dieser 
Güter in lebendige Menschenseelen und die Heranbildung der Kindheit und 
Jugend unseres Volkes zu wertvollem Sein und Tun. Darum müssen wir 
die Kindheit und Jugend kennen, in der inneren Gesetzlichkeit ihrer 
seelischen Entwicklung, in der Beeinflußbarkeit ihres Intellekts und Charakters 
durch die äußeren Eindrücke und Einwirkungen, in ihrer Fähigkeit, die 
objektiven Forderungen der Erziehung und des Unterrichts zu erfüllen, in 
ihrer Differenzierung nach Geschlechtern und sozialer Schichtung, nach Be¬ 
gabungen, Gemüts-und Willenseigenschaften. Und so tritt denn die psycho¬ 
logisch orientierte Jugendkunde der ethisch und staatswissenschaftlich 
orientierten Kulturkunde als die zweite Grundlage wissenschaftlicher Päda¬ 
gogik gleichberechtigt zur Seite. Die Abneigung gegen die psychologische 
Pädagogik, wie sie durch die Ausführungen einiger Redner hindurcb- 
Bchimmert, ist wohl verursacht durch das Übermaß von Ansprüchen, mit 
denen diese junge Wissenschaft im ersten Übereifer hier und da aufgetreten 
war, durch die Behauptung, als sei die ganze Pädagogik nichts als ein 
psychologisches Problem, durch die imglücklichen Bezeichnungen „experi¬ 
mentelle Pädagogik“ und „experimentelle Didaktik“, die den Anschein 
erweckten, als sollte eine neue, der Naturwissenschaft entlehnte Methode 


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Gutachtliche Äußerungen, Erste Reihe. 5. Stern 


229 


alles Bisherige Aber den Haufen werfen und auf den Kopf stellen. Das 
waren Kinderkrankheiten, die fiberwunden sind, und es wird heute kaum 
mehr irgendein ernsthafter Vertreter der Jugendkunde zu finden sein, der 
noch zu solchen Ansichten neigt. Um so nachdrücklicher müssen wir uns 
aber dagegen wenden, daß nun der Jugendkunde die ihr und der 'Päda¬ 
gogik so notwendige Entwicklung bei der Einrichtung der Lehrstühle ver¬ 
kümmert werden soll. Die Fragen, welche heute von der Jugendkunde 
bearbeitet werden, beschränken sich nicht mehr, wie Troeltsch anzunehmen 
scheint, auf die „technischen“ Angelegenheiten des Unterrichtsverfahrens, 
sondern sie ergreifen das gesamte Seelenleben des Kindes und jungen 
Menschen; die Jugendkunde beschränkt sich auch nicht mehr auf die eine 
Methode des Experiments, sondern sie läßt daneben andere Methoden, die 
Biographie, die Statistik, vor allem aber die uralte und doch ewig junge 
Methode der natürlichen Beobachtung, wieder zu ihrem Recht kommen. Sie 
will auch nicht die jugendliche Seele naturwissenschaftlich zergliedern, bis 
sie ein bloßes Aggregat von einzelnen Bewußtseinsinhalten und Leistungen 
geworden ist; sondern sie will uns befähigen, die jugendliche Persönlichkeit 
in ihrer Einheit und ihrer Besonderheit, in ihrer Ursprünglichkeit und ihrer 
Bedingtheit zu verstehen. 

Und gerade das letzte scheint mir für den akademischen Unterricht von 
der grundsätzlichsten Bedeutung zu sein. Es kann sich nicht darum handeln, 
den angehenden Lehrer zu einem Experimentalpsychologen zu machen, der 
künftig imstande sein soll, an seinen Schülern wissenschaftlich psycho¬ 
logische Studien anzustellen. Wohl aber soll er die verstehende Ein¬ 
stellung auf das jugendliche Seelenleben gewinnen; soll zu nach¬ 
erlebendem Einfühlen befähigt werden; sein Interesse soll geweckt und sein 
Blick geschärft werden für das knospende und werdende, dem seinen oft 
so fremde und doch von eigenem Reiz und eigenem Recht getragene Innen¬ 
leben des Schülers. Ich selbst habe Universitätsvorlesungen über Kindes- • 
und Jugendpsychologie oftmals gehalten und weiß daher aus eigener Er¬ 
fahrung, was diese veränderte Einstellung für die künftige Berufsauffassung 
und -freudigkeit bedeuten kann. So mancher ehemalige Hörer bezeugte mir, 
daß er auf Grund jener psychologischen Interessen dazu gekommen sei, 
seinen Beruf nicht als Wissensübermittelung, sondern als Seelenführung an¬ 
zusehen und lieb zu gewinnen. 

Aber auch als wissenschaftliches Forschungsgebiet darf die Jugend¬ 
kunde beanspruchen, aus ihrer bisherigen Heimatlosigkeit erlöst zu werden. 

Denn die Aufgaben, die ihrer als angewandter Wissenschaft in Zukunft harren, 
sind von größtem Umfang — es sei nur beispielshalber erwähnt, daß die Pro¬ 
bleme des Begabtenaufstieg8, des Berechtigungswesens, der Jugendpflege, der 
Berufsberatung, sowie der Reform bestimmter Lehrmethoden und Schulorgani¬ 
sationen ohne jugendkundliche Grundlage gar nicht befriedigend gelöst werden 
können. Darum würde es auch gar nicht genügen, wenn man den bestehen¬ 
den Professuren für Psychologie nahelegen wollte, mehr als bisher jugend¬ 
psychologische Fragen zu bearbeiten — dazu ist das Gebiet der Psychologie 
selbst zu umfangreich geworden; vielmehr wird zu verlangen sein, daß an 
gewissen Universitäten die Pädagogikprofessur in die Hände von Persönlich¬ 
keiten komme, die nicht nur als Kenner, sondern als Forscher auf dem 
Gebiet der psychologischen Jugendkunde wirken. 


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230 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


Dies führt uns zu dem Gesichtspunkt der notwendigen Arbeitsteilung. 
Die Pädagogik ist, als wissenschaftliche Disziplin, so umfassend, daß ihre all¬ 
seitige gleichmäßige Pflege die Kräfte eines einzelnen weit übersteigt. Man 
wird zum mindesten vier Haupttypen von Pädagogikprofessoren zu unter¬ 
scheiden haben: den „Philosophen“ im engeren Sinne (Ethiker, Kultur- und 
Sozialphilosophen), den „Didaktiker“ — hierher gehören die meisten Männer, 
die aus der Schulpraxis zur Pädagogikdozentur übergehen — den Sozial- 
und Staatswissenschaftler (wie er insbesondere von Ziehen gefordert wird) 
und den „Jugendkundler“. Da zurzeit nicht daran zu denken ist, daß 
mehrere ordentliche Professuren für diese Zwecke an einer Universität er¬ 
richtet werden, so ist wenigstens dies zu fordern, daß an verschiedenen 
Universitäten verschiedene Typen zur Geltung kommen. Sowie 
man sich früher mit Recht gegen den Anspruch wandte, daß die Pädagogik 
überall durch „experimentelle Pädagogen“ vertreten würde, so muß man sich 
jetzt dagegen wenden, als ob die „Kulturphilosophen“ die einzigen Anwärter 
auf die neuen Lehrstühle sein dürften. Hier muß sich vielmehr die Mannig¬ 
faltigkeit deutschen Universitätslebens wieder einmal bewähren. Überall 
aber wäre dann dafür zu sorgen, daß diejenigen Gebiete der Pädagogik, die 
dem Fachvertreter auf Grund seiner besonderen Interessen fernliegen, durch 
Heranziehung der anderen Fakultätskollegen, der Philosophen, Psychologen, 
Philologen, Naturwissenschaftler, sowie durch Mitwirkung jüngerer Hilfskräfte 
ebenfalls zu ihrem Rechte kommen. 

Zugleich müßte der Pädagogikprofessor eine nicht gering zu achtende Auf¬ 
gabe darin sehen, die oben erwähnten spontanen Interessen der Studenten¬ 
schaft an den Fragen der Volkserziehung und des Bildungswesens zu fördern 
und mit den Bestrebungen der studentisch-pädagogischen Gruppen persön¬ 
liche Fühlung zu nehmen. 

I 

Anhang. 

Die Leitsätze für die Pädagogische Konferenz im preußischen Ministerium. 

A) Geheimer Regierungsrat Professor D. Dr. Ernst Troeltsch in Berlin. 

1. Vom Standpunkte oder der Gesamtidee der Philosophischen Fakultät aus ist bezüglich der 
pädagogischen Lehrstühle zu fordern, daß sie eine rein theoretische Wissenschaft vertreten. Nur 
eine solche fügt sich der Idee einer wissenschaftlichen, d. h. theoretischen Bearbeitung des Globus 
intellectualis ein, während eine Mischung von Unterrichtsgeschichte, Probeschule, Vorlesungen 
über Unterrichtstechnik und pädagogisch verwertbarer Psychologie kein Ganzes in sich ist und 
zwischen halber Wissenschaft und halber Praxis schwankt, ein ähnlich unorganisches Anhängsel 
an die Philosophische Fakultät, wie die sog. praktische Theologie es an die Theologische ist 
Als rein theoretische Wissenschaft ist sie Wissenschaft von der Volkserziehung auf der Grundlage 
einer bestimmten Anschauung von Volk und Gesellschaft, von Berufsgliederung und ethischer 
Persönlichkeitserziehung, von der Organisation der Erziehung in allen Stufen und Arten. Damit 
entspricht sie durchaus dem Wesen der Philosophischen Fakultät, die ja in naturwissenschaftlich¬ 
mathematischen, philologischen, historischen und philosophischen Fächern das l*ehrgut zusammen¬ 
trägt, das der Anwendung und Anpassung auf die Volkserziehung harrt. 

2.. Bei solcher Auffassung steht die Pädagogik zunächst allen Disziplinen der Philosophischen 
Fakultät gleich nahe, indem sie deren Stoffe als Bestandteile des Lehrgutes betrachtet und deren 
Verwertung für die in ihrer historischen Entstehung und soziologisch-politischen Bedingtheit 
verstandenen Schulorganisationen deutlich macht Am notwendigsten ist freilich dafür der Besitz 
einer einheitlichen Synthese dieser verschiedenen Bestandteile des Lehrgutes zu einer wenigsten« 
relativ einheitlichen Kulturidee, die dann den verschiedenen Schulgattungen in der durch ihre 
Sonderzwecke nuancierten Besonderung, aber doch als wesentliche geistige Einheit zugrunde 


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Leitsätze von Troeltsoh 


231 


gelegt werden kann. Dieser Begriff einer Synthese rückt nun aber die Pädagogik sehr nahe an 
die Philosophie heran, deren Aufgabe ja unter allen Umständen and bei jeder besonderen Art 
ihrer Begriffewelt die Synthese des geistigen Gehalts und Sinnes der gegenwärtigen Kultur ist, 
wie eine jede zu jeder Zeit sich diese Aufgabe gestellt hat. Die Pädagogik muß insofern auf 
philosophischer Grundlage, cL h. auf der von der Philosophie her entwickelten und begründeten 
Geschiehts- und Kulturphilosophie oder Ethik, begründet sein oder selber sich eine solche Syn¬ 
these philosophisch erwerben. Da aber für eine solche Arbeit die völlige Beherrschung der philo¬ 
sophischen Grundprobleme erforderlich ist, so wird sie in dieser Hinsicht von der Philosophie 
her bedingt sein und in enger Gemeinschaft mit der Arbeit der Philosophen stehen. 

3. Das setzt freilich eine Gestaltung der philosophischen Lehrtätigkeit und noch mehr der 
philosophischen Problemstellung selbst voraus, die zwar an sich im Wesen der Philosophie liegt, 
die aber in der gegenwärtigen Verfassung der Philosophie nicht ohne weiteres gegeben ist. Zu 
allen Zeiten ist es die Aufgabe der Philosophie gewesen, den geistigen Besitz der Zeit in einer 
letzten Synthese zu erfassen und zu begründen, wodurch sie sowohl für Ethik und Geschichts- 
philosophie als für Staats- und Erziehungstheorie die Unterlage bildet. Das aber ist heute teils 
durch die Spezialisierung der philosophischen Fächer, teils durch das Übergewicht der Rück¬ 
sichten auf die Naturwissenschaften, teils durch eine gewisse Mutlosigkeit und vornehme Kon¬ 
fliktscheu der Philosophie sehr erschwert. Die Philosophie ist heute wesentlich Psychologie 
sodann Logik- und Erkenntnistheorie und schließlich Geschichte der Philosophie, welch letztere 
zum Selbstzweck oder, was dasselbe ist, zum Examensgegenstand geworden ist Ihre-Wirkung 
auf die Studenten, d. h. auf die zukünftigen Volkserzieher und Volksführer, ist daher im all¬ 
gemeinen nicht viel mehr als eine gewisse Beruhigung darüber, daß die moderne Naturwissen¬ 
schaft bei philosophischer Umsicht und Vorsicht nicht materialistische Konsequenzen nach sich 
zu ziehen braucht. Aber eine positive Kraft der Weltanschauungsbildung entfaltet die Philo¬ 
sophie selten und hält sie geradezu vielfach für nicht zu ihrer Aufgabe gehörig. Eben deshalb 
treten auch Geschichtsphilosophie, Ethik und Kulturphilosophie in ihrer Lehrtätigkeit sehr 
stark zurtick. Unter diesen Umständen fehlt der Pädagogik größtenteils der philosophische 
Anschluß und bleibt günstigsten Falles nur der Anschluß an die Psychologie, wobei dann für 
die Pädagogik lediglich technische Hilfsmittel, aber kein Bild der staatlichen Gesellschaft und 
des ethisch-kulturphilosophischen Unterrichtszieles sich ergeben. Eine derartige Angliederung 
bleibt daher in ihrem Ergebnis ziemlich mager und gibt der Pädagogik keine rechte Einstellung 
in die Zentralinteressen der philosophischen Fakultäten. Eine solche wird erst möglich werden, 
wenn die Philosophie wieder zu ihren alten, weiteren und weniger fachmäßigen Problem¬ 
stellungen zurückkehrt. Eine solche Rückkehr ist aber die Voraussetzung für die Schaffung 
lebendig wirksamer Lehrstühle für Pädagogik. 

4. Nimmt man nun aber e inmal an, die Philosophie vollziehe eine derartige Rückkehr, wofür 
in dem Geiste der jüngeren Generation manches spricht, und sie pflege neben Psychologie und 
Logik auch eine auf beide aufgebaute Kultur- und geschichtsphilosopbiscbe Begriffsbildung, so 
ist immer noch die Frage, wem die Aufgabe der Pädagogik in die Hand zu geben ist, ob dem 
Philosophen selbst oder einem gründlich philosophisch gebildeten Spezialisten für Pädagogik. 
Das erster© wird unter Umständen möglich sein, wofür etwa die Beispiele von Paulsen, Natorp 
und Sprenger genannt werden können. Allein solche Philosophen mit derartiger Spezalisierung 
auf die Pädagogik werden selten sein, und die Größe der rein philosophischen Aufgabe wird 
selten den Raum übrig lassen für eine genügend breite Entfaltung der Pädagogik. So wün¬ 
schenswert es ist, daß Philosophen gelegentlich Pädagogik lesen, so wird doch die eigentliche 
Pädagogik eine besondere und ganze Kraft verlangen, die den historischen, den politisch-sozio¬ 
logischen, den philosophischen, den schulgeschichtlichen und den unterrichtstechnischen Teil 
ihres Stoffes gleichmäßig beherrscht. Es würde sich also um die Schaffung einer selbstän¬ 
digen, neuen und umfassenden Wissenschaft handeln, für die man erst ein paar begabte Ver» 
treter haben müßte, um durch sie Tradition, Grundriß und Nachwuchs dieser Forschung aus¬ 
bilden zu lassen. Die Aus- und Durchbildung des Faches müßte dann der weiteren Entwicklung 
überlassen bleiben. 

5. Es handelt sich also um eine selbständige und umfassende Wissenschaft vom staatlichen 
Schulwesen, seiner Geschichte und seinen Zielen, wobei natürlich das gesamte Schulwesen ein¬ 
schließlich der Volksschule zu umfassen ist. Das bedeutet eine Zusammenfassung verschiedener 
und weitverzweigter empirischer Kenntnisse mit einer philosophisch-geklärten und begründeten 
Anschauung vom Wesen unseres geistigen Besitzes, soweit er von der Schule jeder Art realisiert 
werden kann. Das ist dann zugleich eine wissenschaftliche Unterlage für die Lehrer-Seminare, 
eine Information für die Schulpolitik und eine Zusammenfassung des praktischen Zweckes der 


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232- Über die zukünftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


philosophischen Fakultät, an der es bisher sehr gefehlt hat, schließlich eine Einführung der 
Studenten in Ideale und Ethik des Lehrerberufes. Nur darf in letzter Hinsicht nicht übersehen 
werden, daß das die Pädagogik nicht allein kann und soll, sondern hierin von den Vertretern 
der Einzelfächer grundsätzlich und bewußt unterstützt werden muß. Die Begeisterung für den 
idealen Erziehungs- und Bildungsgehalt des Lehrgutes muß in erster Linie von den Vertretern 
der Einzelfächer geweckt und gepflegt werden. Die Pädagogik wird ihrerseits in dieser Hin¬ 
sicht sich an den Lehrerberuf als Ganzes und an die Bedeutung dieses Ganzen für Staat» Ge¬ 
sellschaft und Geistesleben zu halten haben. 

6. So voll beschäftigender Stoff sich für einen solchen Lehrstuhl aufzeigen läßt, so schwierig 
ist die Frage der ihm zuzuweisenden Zuhörer und der Entwicklung eines Vorlesungsprogrammes 
für ihn. Der Student soll ja nicht Fachwissenschaftler der Pädagogik werden, und die Päda¬ 
gogik darf nicht in fremde Stoffe tibergreifen, etwa unter dem Vorwände philologische und 
historische Stoffe schultechnisch zu behandeln. So könnte der Student normalerweise nur zu 
einem einzigen Kolleg über Pädagogik verbunden werden. Das aber würde für den Lehrer 
bedeuten, daß er jedes Semester dasselbe Kolleg zu lesen, und in diesem seinen ganzen Stoff 
zusammenzudrängen hat. Das aber ist sowohl für den Gelehrten als für seinen Stoff eine mi߬ 
liche Lage. Dazu kommt, daß die Pädagogik etwas Ganzes doch nur ist, wenn sie die Volks- 
erziehung als Ganzes, also auch die Volksschule miteingeschlossen, behandelt. Von da aus 
ergäbe sich natürlich eine Erweiterung und ein Wechsel des Hörerkreises, aber nur unter der 
Bedingung, daß auch die zukünftigen Volksschullehrer oder doch wenigstens eine gewisse Aus¬ 
wahl aus ihnen an diesen Kollegien beteiligt würden. Das aber ist nun wieder eine sehr 
schwierige Frage, die zwar bereits an manchen Orten akut geworden, aber für die eine befrie¬ 
digende Lösung bis jetzt nicht gefunden worden ist 

7. Unter diesen Umständen ist die Schaffung pädagogischer Lehrstühle immerhin ein ver¬ 
wickeltes Experiment, das allerhand Voraussetzungen macht, die nicht ohne weiteres als erfüllt 
gelten dürfen. Immerhin könnte diesen Voraussetzungen von der Unterrichtsverwaltung nach¬ 
geholfen werden, und die zu geistiger Selbstbesinnung und Konzentration mahnende Zeit drängt 
die gelehrte Arbeit von selbst in diese Richtung. Insofern wäre an einer oder ein paar 
größeren Hochschulen ein derartiges Unternehmen möglich. Es ist zunächst und zuerst eine 
Personenfrage. Ist die geeignete Person gefunden, so wird sie das Fach von selbst durchsetzen 
und andere Personen erziehen, die die Aufgabe fortsetzen und verbreitern können. Die Frage 
des Bedürfnisses selbst zu entscheiden, steht dabei den praktischen Schulmännern zu. Vom 
Standpunkte der Philosophischen Fakultät kann es sich nur darum handeln, dem Fach die ans 
seinem Wesen und aus den Verhältnissen der Fakultät heraus mögliche Eingliederung in ihre 
Arbeit abzustecken, womit ja der inhaltlichen Erfüllung dieses Gebietes durch die etwaigen 
zukünftigen Fachvertreter nicht vorgegriffen ist. 

B) Stadtrat Prof. Dr. Julius Ziehen in Frankfurt a. M. 

1. Durch die Universitätsvorlesungen und -Übungen über Pädagogik soll den mit der zwei¬ 
jährigen praktischen Ausbildung der Lehramtskandidaten verbundenen Aufgaben in keiner 
Welse vorgegriffen werden. Die Behandlung solcher Stoffe, die nur im Zusammenhang mit 
praktischen Lehrversuchen in ihrer vollen Tragweite erfaßt werden können, hat daher zu 
unterbleiben. Eine Obungsschule ist für die pädagogische Ausbildung auf der Universität nicht 
einzurichten. Auch die sogenannte schulwissenschaftliche Behandlung der Lehrfächer ist abzu¬ 
lehnen. Durch das Studium der Pädagogik darf das fachwissenschaftliche Studium in keiner 
Weise beeinträchtigt werden. 

2. Die erste Aufgabe der pädagogischen UniversitätsVorlesungen und -Übungen geht dahin, 
die Studierenden ein klares Verständnis dafür gewinnen zu lassen, wie auf dem Boden der all¬ 
gemeinen Kulturentwicklung das Erziehungs- und Schulwesen seinen heutigen Stand erreicht 
hat und welche grundsätzlichen Zusammenhänge zwischen der allgemeinen Kulturentwicklung 
und dem Erziehungs- und Bildungswesen bestehen. Die Pädagogik muß dabei als Teilgebiet 
einer allgemeinen Volkserziehungswissenschaft behandelt werden. 

8. Die Geschichte der pädagogischen Theorien ist mit steter Bezugnahme auf die Verhält¬ 
nisse der Gegenwart zu behandeln. Im Vordergrund der Betrachtung hat die Geschichte der 
Erziehungsideale und das Maß ihrer Verwirklichung in den verschiedenen Zeiten und Ländern 
zu stehen. 

4. Die Geschichte der Schulorganisation hat auszugehen von dem Bilde der Entwicklung, 
die das Lehrgut der Völker im Laufe der Zeiten genommen hat. Die Erörterung über das 
Verhältnis des Lehrgutes zu den Forderungen des staatsbürgerlichen und des Berufslebens 


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Leitsätze von Ziehen und Sprenger 


233 


hat die Abstufung und Nebeneinanderstellung verschiedener Schularten in ihrer inneren Berech¬ 
tigung zu erweisen. 

5. Die Organisation der Schulverfassung und Schulverwaltung ist auf Grund der historischen 
Entwicklung zu betrachten. Das Verständnis für diese Entwicklung ist durch eingehende Inter¬ 
pretation besonders wichtiger erziehungs- und schulgesetzlicher Bestimmungen zu fördern. Durch 
Heranziehung geeigneten biographischen Stoffes ist die Geschichte der Schulverfassung und 
Schulverwaltung zu beleben. 

6. Das Verständnis für die Erziehungs- und Schulpraxis ist durch die geschichtliche Betrachtung 
des Erziehungs- und Schulwesens vorzubereiten« Dabei ist an der Hand biographischen Stoffes 
einerseits das Lehrerberufsideal zum Verständnis zu bringen und andererseits die Wirkung der 
Erziehungs- und Schularbeit auf die Jugendlichen zn veranschaulichen. 

7. Bei der Behandlung aller hier aufgeführten Stoffe ist unter tunlichster Selbsttätigkeit der 
Studierenden auf die quellenmäßige wissenschaftliche Erarbeitung der Kenntnisse das Haupt¬ 
gewicht zu legen. Der bloßen Aneignung des Stoffes aus Quellen zweiter und dritter Hand ist 
mit besonderem Nachdruck entgegenzuwirken. 


C) Prot Dr. Eduard Spranger in Leipzig. 


L Gegenstand der Pädagogik als Wissenschaft, die allein an die Universität gehört, ist der 
Bildungavorgang als eine alle Gebiete der Kultur durchziehende Erscheinung. An diesem 
Bildungsvorgang sind als grundlegende Seiten zu unterscheiden: das Bildungsideal, die 
Bildsamkeit, der Bildner (Erzieher) und die Bildungsgemeinschaft (z. B. Schule). 

a) Die Bildungsideale der Vergangenheit müssen aus dem kulturellen Zusammenhang 
ihrer Zeit: den religiösen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, künstlerischen, sozialen und poli¬ 
tischen Motiven verstanden werden. Das Bildungsideal der Gegenwart beruht selbst großenteils 
auf Bildung8gütern, die von vergangenen Kulturepochen erarbeitet worden sind. Eine 
weitere Analyse hat die in ihm gebundenen Bildungswerte herauszuheben, d. h. die spe¬ 
zifisch wirkenden Elemente, wodurch einzelne Lehrgegenstände, Geistesprozesse oder Kultur¬ 
einrichtungen einen sich entwickelnden Geist zur Erzeugung entsprechender objektiv wertvoller 
Leistungen in Tätigkeit setzen. 

b) Die Bildsamkeit des Zöglings ist wesentlich Gegenstand der pädagogischen Psycho¬ 
logie. Diese ist einerseits Kinder- und Jugendpsychologie, sei es Lehre von der psycho-physischen 
Entwicklung des Kindes, sei es von den Typen der kindlichen Individualität (Differentielle 
Psychologie). Andrerseits untersucht sie die psychischen Wege, auf denen Unterricht und Er¬ 
ziehung wirken, die seelischen Anknüpfungspunkte und Hebel absichtlicher Beeinflussung, vor 
allem auch die normalen oder krankhaften Grenzen der Plastizität (Bildsamkeit). 

c) Der Bildner hat wie jeder schöpferische Mensch seine besondere Geistesstruktur. Das 
Wesen des pädagogischen Eros muß zum Bewußtsein erhoben werden, und zwar in seinen 
beiden Gestalten als Liebe zu den Kindern, wie sie in A. H. Francke und Pestalozzi gipfelt, und 
als Liebe zu den objektiven Werten, zur Idee des Menschentums und dem Göttlichen, das in 
Jugendliche Seelen hineingearbeitet werden soll. Die Lehre vbn den Bildungsmethoden hat 
das Gesetz des Jeweiligen Sachgebietes und der psychischen Entwicklung aneinanderzuknüpfen 
(Erziehungslehre und Didaktik). 

d) Die Bildungsgemeinschaft ist teils eine freie, wie sie aus der Zweckverwebung des 
Lebens überall von selbst entsteht, teils eine organisierte, also Schule, speziell staatliche und 
kirchliche Schule. Hier ist der Zusammenhang mit Verfassungsgeschichte, Soziologie und Rechts¬ 
wissenschaft anzustreben. Im Vordergrund steht die Beziehung des nationalen Staates zu Schule 
und Bildung, sowie die Pflicht der Schule gegen den Staat (staatsbürgerliche Erziehung). Be¬ 
rücksichtigung des ausländischen Bildnngswesens ist wünschenswert 

II. Für die Universitätsvorlesung ist diese systematische Einteilung nicht zweckmäßig. Ober¬ 
wiegend werden die entwickelten Gesichtspunkte an der Geschichte der Erziehung zur Dar¬ 
stellung zu bringen sein. Doch darf eine systematische Zusammenfassung nicht fehlen. Liegt 
eine Gesamtauffassung der Betrachtung zugrunde, so muß der Geist des Ganzen schon dem 
Hörer einer Vorlesung gegenwärtig werden. Die mißliche Verpflichtung zum Besuch des 
ganzen Turnus (die ja auch in der Philosophie nicht besteht) fällt fort. 

HI. ln Leipzig hat sich folgende Einrichtung bewährt: 

Pädagogik I: Philosophische Grundlegung und Geschichte der Erziehung vom Altertum bis 
Rousseau. 3 stündig. 

Pädagogik H: Pädagogische Theorien und Erziehungswesen von Rousseau bis zur Gegenwart. 
3 stündig. 


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Aloya Fischer 


Pädagogik III: Systematische Pädagogik (Erziehungslehre und allgemeine Didaktik) mit einem 
Abriß der Kinderpsyohologie. 4 stündig. 

Außerdem Geschichte der deutschen Schulgesetzgebung und Schul Verfassung. 2 stündig. 
Erziehungsfragen der Gegenwart I 
Universitäten und Universitätsstudium > publice, 
usw. i 


Über das Bauen und die Bauspiele von Kindern. 

Von Aloys Fischer. 


Will man das Bauen der Kinder untersuchen, eine der allgemeinsten Formen 
frühkindlicher Tätigkeiten, die in den weiteren Zusammenhang der von K. Groos 
sogenannten Konstruktionsspiele hineingehören, so muß von vornherein das 
Baumaterial genau bekannt, im Hinblick auf psychologische und päda¬ 
gogische Absichten eventuell planmäßig ausgewählt und gestaltet werden. 

Im allgemeinen lassen sich vier Gruppen von Baumaterialien unterscheiden: 

a) Solche Klötzchen und Steinformen, die durch Gestalt und Be¬ 
malung einen inneren Hinweis auf bestimmte Baugestalten ent¬ 
halten. Die Verschiedenheit des Stoffes, ob Stein, Rohholz oder bemaltes 
Holz ist dabei auch nicht ganz gleichgültig. Am eindeutigsten weisen solche 
Klötzchen auf „Häuser“, „Kirchen“, „Scheunen“ hin, welche aus Holz her- 
gestellt und durch die Farbe und Oberflächenzeichnung als „Dach“, 
„Dachstück“, „Wand mit Fenstern“, Wand mit Tor“ eindeutig gekennzeichnet 
sind. „Der kleine Schwede“ und der „Münchner Kindl-Baukasten“ mögen 
als Repräsentanten genannt sein. Die als Dachteile in Betracht kommenden 
Klötze sind hellrot gestrichen, die Wandteile weiß; auf ihnen ist deutlich die 
Zeichnung von Fenstern, Türen erkennbar. Weniger eindeutig sind die natur¬ 
farbenen Klötze. Unter ihnen sind wieder die Steinklötze (mit braunroter oder 
graugrüner Materialfarbe) den rohen Holzklötzen an hinweisender Kraft über¬ 
legen. Einen letzten Grad solch inneren Bausinnes haben alle regelmäßig 
geformten Klötze überhaupt; die Anklänge an Quader und Ziegel, die Mög¬ 
lichkeit der Schichtung und Verbindung mögen Zusammenwirken, um diesen 
BauBinn zu begründen. Dominosteine, die gar nicht für Bauspiele im eigent¬ 
lichen Sinne erdacht sind, aber vom jungen Kind so verwendet werden, mögen 
diese unterste Grenze des im Material steckenden Hinweises auf bauliche 
Formgebung repräsentieren. 

Eine zweite Gruppe von Materialien des Bauspiels stellen b) die an sich 
relativ gestaltlosen, aber im höchsten Grade formbaren, ohne an¬ 
deres Werkzeug als die Hände gestaltbaren Stoffe Sand, Lehm, 
Schnee, Ton, Wachs, die künstlichen Modellierstoffe dar. In diesen 
Stoffen schlummert nur der allgemeine Anreiz zur Gestaltung; sie können eben¬ 
sogut in darstellender Absicht (das „Modellieren“ von Schneemännern, Wachs¬ 
figuren, Tontieren usw.) verwendet werden wie zu* tektonischer Gestaltung, 
zum Formen und Bauen im engeren Sinne. Es hängt von Begabung, Umwelt, 
Muster, Anleitung und anderen Faktoren ab, ob das Kind sich dieser Mate¬ 
rialien in erster Linie als plastischer Materialien oder als Baustoffe bemächtigt, 
ob es eventuell beide Seiten sieht, eventuell auf eine beschränkt bleibt. Das 
Bauen in Sand und Schnee mindestens, in der Regel als Gesellschaftsspiel 
an die Arbeitsverkettungen der Kollektivschöpfung gebunden, dürfte doch so 


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Über das Bauen und die Bauspiele von Kindern • 


235 


allgemein verbreitet sein, daß eine Psychologie des kindlichen Bauens an ihm 
nicht vorübergehen darf, daß eine Beschränkung auf das Bauen mit fertigen 
Klötzen und Steinen die Gefahr einseitiger Schlußfolgerungen bedeutet. Ins¬ 
besondere müssen, wenn das gleiche Kind zufällig in beiden Materialien bauen 
sollte, die Einflüsse des verschiedenen Materials auf die Formgebung ermittelt 
werden, denn es ist gewiß, daß das Bauen mit Klötzchen als „Zusammen¬ 
setzen“ zu anderen Produkten führt, als das Bauen mit Sand oder Schnee, 
das notgedrungen etwas vom „Formen“ behält. 

Von den bisher betrachteten Gruppen der Baumaterialien scheidet sich die 
dritte dadurch ab, daß sie c) solche Stoffe umfaßt, die gerade noch 
für bauende Tätigkeiten verwendbar sind, aber sowohl eines inneren 
Bausinnes, wie einer unbedingten Formbarkeit entbehren. Ich denke an das 
oft phantasievolle Bauen mit Steinen, Tannenzapfen, Zweigen im Wald, das 
durch Eigentümlichkeiten des Bodens oder allgemeine Waldstimmungen an¬ 
geregt wird. So habe ich bei 6—8jährigen Knaben häufig beobachtet, daß 
ihnen die verwitternden Baumstümpfe als Ruinen, weiterhin als „Burgen“ er¬ 
schienen, mit Zacken,“Zinnen und Türmen, und daß sie mit Rindenstücken ' 
und aufgelesenen Feldsteinen Festungsmauem um solche Bürgen bauten, 
gepflasterte Wege zu ihnen über den Moosboden des Waldes anlegten und 
anderes in solchem Zusammenhang Mögliche, wie Brücken, Wachttürme erbauten. 
Oder die dem Zweck nach so verschiedenen, der Art nach so verwandten 
„Bauten“ am fließenden Wasser, der Bau von Stauwehren, von „Weihern“ 
mit Steiner)! Straßenkot, Holzstückchen, Lumpen und anderen, meist dem Zu¬ 
fall verdankten Abfällen. Bei einem 7jährigen Knaben beobachtete ich der¬ 
artiges Bauen monatelang; er hatte in dieser Zeit die ungleichen und ungleich¬ 
verwitterten Baumstümpfe einer kleinen Blöße allmählich in ein ganzes, am 
Fuß und unterm Schutz einer hochragenden Bing liegendes Dorf mit Kirche 
und Straßen und Umfassungsmauer umgeschaffen, zu dem drei, trotz aller 
Unbilden der Witterung immer wieder hergestellte Wege, ein Moosweg, ein 
Stein weg, ein Prügelweg in Längen von 15,12 und 9 m hinführten. Zugleich 
wurde das „Burgdorf“ der Mittelpunkt von „Erzählungen“, in denen Gehör¬ 
tes und Erfundenes sich zu schauerlichen Kampfszenen und behaglichen 
Schilderungen aus dem Leben der Handwerker, besonders der Schmiede, 
Sägemüller und Bäcker vereinigten. 

Als letzte Gruppe müssen wir d) echte Baumaterialien ins Auge fassen. 
Sie werden keineswegs nur am Ende der Kindheit, von Jugendlichen verwandt, 
sondern (unter ländlichen Verhältnissen z. B., oder unter dem Einfluß des 
väterlichen Handwerks) auch schon von Schulkindern. Zu diesen echten 
Baumaterialien rechne ich in erster Linie Bretter, Stangen und Laubzweige, die 
zu Hütten verarbeitet werden, Ziegel, Feldsteine und Mörtel und ähnliche Dinge. 
Das Bauen wird mit solchem Material auch noch in der Zweckhinsicht ernster: 
es kommt zur Herstellung wirklicher Unterschlupfe, von Laubhütten und 
Zelten, von gemauerten Feuerherden, von Taubenschlägen, Vogelkäfigen, 
Kaninchenställen, Hundehütten usw. Für diese letzte Art des Baumaterials 
und das dadurch bedingte Bauen ist wichtig, daß der Bau einen realen Zweck 
wirklich befriedigen soll, mag dieser die Unterkunft des bauenden Knaben 
selber sein, wie bei den Hütten, die unsere „Wandervögel“ bauen, oder die 
Unterkunft eines Tieres, die Aufbewahrung eines Besitzes. Demgemäß müssen 
Material und Bearbeitung haltbar, dauerhaft sein; beide nähern sich dem 


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echten Bauen, ja gehen (bei der Herstellung von BlockhSuschen oder Feuer¬ 
herden) in die primitiven Formen desselben unmittelbar Ober. 

Eine Reihenfolge in der Benutzung dieser Materialgruppen ist kaum er¬ 
kennbar; die Hilfsmittel der sozialen Schicht, welcher das Kind entstammt, 
sind von größerem Einfluß darauf als die Entwicklungslinie der konstruktiven 
Begabungen. Im allgemeinen werden auf jeder Altersstufe, für die das Bauen 
noch charakteristisch ist, mindestens die drei zuerst genannten Materialien 
nebeneinander verwendet. Nur die Benutzung echter Baumaterialien ist den 
späteren Schuljahren Vorbehalten, aus zwei Gründen, soviel ich sehe, weil 
dann erst die erforderliche Körperkraft, Handgeschicklichkeit und technische 
Übung vorhanden ist, ohne welche ein Arbeiten mit solchen Materialien schlecht 
gelingt, mindestens ebensosehr aber auch, weil die Schaffung von Zweck¬ 
bauten für reale Benutzung ohne einige Reife nicht zum Ziel 4er Bauspiel¬ 
tätigkeit werden kann. 

Es ist bekannt, daß es neben den hier gekennzeichneten Materialien auf 
dem Spielwarenmarkt noch andere gibt, besonders die sog. Bau- und Modellier¬ 
bogen. Bei ihnen handelt es sich zunächst um Ausschneidearbeit, die Stücke 
weitlen dann zusammengebogen, verleimt oder ineinandergesteckt zu dünnen 
Papphäusem. Diese Materialien lasse ich hier absichtlich beiseite, weil - sie 
sozusagen überdeterminiert sind; ein eigentliches Bauen ist mit Ihnen nicht 
mehr möglich, alles Bauliche steckt schon in den Vorlagen. Freilich wären 
bei älteren Kindern Erhebungen über Raumphantasie mit Hilfe dieser Vor¬ 
lagen möglich, aber dann müßten diese anders, allgemeiner gehalten und 
gestaltet werden, als es bei den jetzt im Handel befindlichen Exemplaren der 
Fall ist. 

Außer der Art ist die Menge des Materials von erheblicher Bedeutung. 
Die frühen Kinderjahre werden durch die Menge des Materials anders beein¬ 
flußt als die späteren. Die Zahl der Klötzchen muß überschaubar sein, sonst' 
kommt es entweder zu keiner oder wenigstens zu keiner vollständigen Aus¬ 
nutzung deB Materials in Bauten. Die formlosen Materialien Sand, Schnee 
usw. beeinträchtigen dagegen durch ihre Quantität die Bautätigkeit nicht; 
offenbar weil das Kind weiß, daß es sich vom „Haufen“ jeweils die Menge 
wegnehmen kann, die es zu bewältigen vermag oder deren es bei seiner 
Aufgabe gerade bedarf. Bei älteren Kindern, namentlich solchen mit aus¬ 
schweifender Phantasie und nur beschränkter Konstruktionsbegabung ist 
Knappheit des Materials ein Hemmnis; sie brauchen die Sicherheit, immer 
noch über Massen von Material verfügen zu können. 

Neben der Menge ist derReichtum an unterschiedenen Einzelformen 
je nach Alters- und Begabungsstufe ein Hindernis bezw. ein Vorteil. Man 
kann am Material mit reichen Formunterschieden insbesondere die Entwick¬ 
lung bestimmter Abstraktionen, des methodischen Denkens und Arbeitens 
studieren. Was Köhn ’) beim Kombinieren ebener Figuren aus gegebenen Teil¬ 
stücken ausgezeichnet und erschöpfend festgestellt hat, das läßt sich auch 
beim Bauspiel beobachten: die Kinder unterscheiden sich dadurch voneinander, 
ob sie ihr Material (im Hinblick auf einen bestimmten „Bau“, den sie machen 
wollen, oder nur allgemein zum Bauen) vorher „sortieren“ oder nicht, ob 
das „Sortieren“ vollständig oder unvollständig, planmäßig oder zufällig erfolgt. 


’) Experimentelle Beitrage zum Problem der Intelligenzprüfung. Leipzig 1913. Quelle & Meyer. 


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Über das Bauen und die Bauspiele von Kindern 


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ob sie im weiteren Arbeitsverlauf die Erleichterungen und Hilfen auszunutzen 
verstehen, die sortiertes Material ihnen gewährt oder ob sie auf diese Hilfen 
wieder verzichten. Die Frühstufen der baulichen Leistung, die wir später 
zusammenfassen, das richtungslose und das bestimmt gerichtete An- und Auf¬ 
setzen der Klötzchen, das Legen von Reihen und symmetrischen Ordnungen 
haben in der Sortiertätigkeit sowie in der Gleichartigkeit der sortierten Stücke 
eine ihrer psychologischen Wurzeln. Reihungen und Ordnungen sind oft 
nichts anderes als Entfaltung der durch Sortieren gefundenen Gleichheiten 
des Materials. Die „Formlosigkeit“ der Materialien Sand, Schnee äußert ihre 
Wirkung u. a. auch darin, daß die rein formalen Vorübungen für die Her¬ 
stellung von Baugliedern und den Verband solcher keine nennenswerte Rolle 
spielen. 

Für eine Psychologie der Bauspiele knüpfen sich an die vorstehend 
skizzierten objektiven Eigenschaften des Baumaterials wichtige Fragen. Ich 
hebe als solche (für Mitarbeiter an diesen Problemen auch als Fragestellungen 
ihrer Beobachtungen und Versuche gedacht) die folgenden hervor: 

• 1. Wann, in welcher Reihenfolge, mit welchen Hilfen erfaßt das Kind nach 
und nach die in den Formen der Klötzchen enthaltenen Hinweise auf bauliche 
Verwendung? Anders ausgedrückt: wie entwickelt sich das Verständnis für 
die in den Klötzchen steckende Funktionsidee? 

Zur Durchführung von Versuchen, welche sich speziell mit der Beantwor¬ 
tung dieser Fragen beschäftigen und begnügen, mache ich einen methodischen 
Vorschlag: man verwende bei dem gleichen Kind an zwei verschiedenen, aber 
nicht allzu getrennt liegenden Versuchstagen zwei verschiedene Ausführungen 
derselben Bauklötzchen, etwa zwei Exemplare des „Kleinen Schweden“') oder 
zwei solche des „Münchener Kindl-Baukastens“. Das eine Exemplar soll in 
der Weise bemalt und bezeichnet sein, wie es bei den käuflichen Exemplaren 
der Fall ist; das Kind hat dann in der roten Farbe ein Hilfsmittel zur Er¬ 
kennung der Dachteile, in der weißen ein solches für die Mauerteile, in 
den aufgemalten Fenstern und Türen gleichfalls eindeutige Hinweise. Das 
andere Exemplar soll alle Klötzchen in der Naturfarbe des Holzes aufweisen; 
als Moment, das auf eine bestimmte Verwendung im baulichen Zusammenhang 
hinweist, bleibt dabei lediglich die Form erhalten. Man lasse jedes Kind an 
jedem Versuchstag zwei Aufgaben lösen: „Baue, was du willst“, „Baue diese 
Vorlage nach.“ In der Reihenfolge ist abzuwechseln, um etwaige Einflüsse 
der Lage auszugleichen. Von jedem Kind würden wir insgesamt acht Lösungen 
an vier Versuchstagen erhalten. Beispielsweise: 

1* Tag. Es wird mit dem farblosen kleinen Schweden begonnen (7 Elemente!) 

1. Bau nach eigenem Gutdünken. 

2. Bau der nebenstehenden, in den farbigen Klötzchen ausgeführten 
Vorlage. 

2. Tag. Material: Farbiger Münchner Kindlkasten (Zahl der Elemente min¬ 
destens 20). 

1. Bau nach eigenem Gutdünken. 

2. Bau der nebenstehenden Vorlage. 

3* Tag. Material: Farbloser Münchner Kindlkasten. 


*) Aussehen und Verwendung des „Kleinen Schweden“ hat Otto Scheibner in dieser Zeit¬ 
schrift 1916, Seite 29 1 . beschrieben. 


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1. Bau nach Vorlage. 

2. Bau nach Gutdünken. 

4. Tag. Material: Kleiner Schwede in farbiger Ausführung. 

1. Bau nach Gutdünken. 

2. Bau nach farbiger Vorlage. 

Wenn man die Ergebnisse dieser Versuche vergleicht, so wird sich mit einer 
gewissen Leichtigkeit und Sicherheit der Fortschritt in der Erfassung des Bau¬ 
sinnes der Materialien nachweisen lassen, insofern schließlich nur die Form 
als Stütze desselben in Betracht kommt. 

2. Wann fängt das Kind beim freien Bauen an, die in den vorgegebenen 
Klötzchen steckenden Formbestimmtheiten und Hinweise als Hindernis für 
seine eigenen Bauabsichten zu spüren und das Material unter diesem Gesichts¬ 
punkt zu kritisieren oder abzuändem? 

Manche selbstgestellten Aufgaben werden mit bestimmtem Material nicht oder 
nur schlecht lösbar sein; es ist sicher anzunehmen, daß die Kinder allmählich 
hinter die Grenzen des Materials und die Erschwerungen durch dasselbe 
kommen und sich zurVerwendung entweder formloser oder echter Baumaterialien 
gedrängt fühlen. 

3. Mit welchem Grade der Genauigkeit und Sicherheit vermag das Kind 
eine Vorlage zu analysieren und die zu ihrer Ausführung nötigen Stücke 
aus dem Vorrat der Klötzchen herauszusuchen? 

Die Durchführung dieses Versuches bietet zwei Möglichkeiten, je nachdem 
man von'einer Vorlagezeichnung oder von einem Vorlagebau ausgeht. In 
beiden Fällen bezeichnet man der Versuchsperson mit dem Finger eine be¬ 
stimmte Einzelheit, ein bestimmtes Stück und fordert es auf, dasselbe aus 
seinen Klötzen herauszusuchen; die Umkehrung besteht darin, daß man ein 
isoliertes Klötzchen vor das Kind legt, und es mit dem Finger zeigen läßt, 
welchem Stück der Vorlagezeichnung oder des Vorlagebaues dieses Stückchen 
entspricht. Je nach der Altersstufe fordert man noch eine mündliche Er¬ 
läuterung, Begründung, weshalb das Stück nach der Meinung des Kindes an 
diese Stelle gehört. Aus dieser erklärenden Aussage sind manchmal Auf¬ 
schlüsse zu entnehmen über die Anhaltspunkte beim Vergleich von Formen 
und der Analyse von Ganzen, auf die der Erwachsene sich nur noch aus¬ 
nahmsweise stützt. 

Die Hauptaufgabe der Psychologie der Bauspiele besteht jedoch darin, die 
Entwicklung der bauenden Tätigkeit selbst klarzulegen, und zwar 
unter Berücksichtigung aller Komponenten, die sie umschließt: der Bauabsicht 
und der antizipierenden Vorstellung eines Raumes, der durch das Bauen erst 
entstehen soll bzw. des Mangels einer solchen Absicht und der Surrogate der 
Zielvorstellung, der fortschreitenden Kenntnis und sachgemäßen Ausnutzung 
der Materialien und ihrer Unterschiede, der etappenweisen Verwirklichung des 
Bauplanes, der Korrekturen und Arbeitshilfen, der zusammenfassenden Charak¬ 
teristik der von Kindern und Jugendlichen gestalteten Räume in ihren „Stil“- 
unterschieden gegenüber aller Raumgestaltung der Erwachsenen, auch der 
primitiven, der Beziehungen der Bautätigkeit zu allgemeinen geistigen Funk¬ 
tionen, namentlich zur Intelligenz und zu Spezialtalenten, ihres allmählichen 
Rückganges bzw. Überganges in beruflich zugespitzte Formen und Leistungen 
gegen das Ende der Jugendzeit. 

Die weiteren Erhebungen, die heute noch erforderlich sind, lassen sich am 


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über das Bauen und die Bauspiele von Kindern 


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verständlichsten im Anschluß an die vorläufig erkennbaren Fortschritte des 
Bauens angliedern; deshalb mag zunächst die Darstellung der Stufen, wie 
sie sich einstweilen zusammenfassen lassen, folgen. Sie sind bisher nur am 
Bauen mit Klötzchen festgestellt. 

Das Bauen mit Klötzen zeigt eine deutlich gegliederte Entwicklung, die 
auch durch die Unterschiede des Klötzchenmaterials nicht verdeckt werden 
kann. 1 ) Als erste Stufe lassen sich die formalen Vorübungen für das 
Bauen herausheben. Es sind solche Tätigkeiten, durch die das Kind erst¬ 
mals die Herrschaft, die Verfügungsgewalt über die Klötzchen erwirbt, den 
Baumaterialcharakter derselben entdeckt, dies innewird, daß sie sich heben, 
verschieben, aneinanderreihen, aufeinanderlegen lassen. Innerhalb dieser Stufe, 
die im allgemeinen schon im Kindergartenalter verlassen wird, bestehen noch 
große Unterschiede, bedingt sowohl durch das Alter, wie insbesondere den 
Begabungsgrad der Kinder. Zu ihr gehört noch das Kind, das mit den Klötz¬ 
chen einfach hantiert, sie — wirklich oder scheinbar ziellos — aufhebt, weglegt, 
hin- und herschiebt, zu Häufchen vereinigt, auseinanderstreut, dabei auch 
gelegentlich allerlei an Figuren und Bauten anklingende Zufallsprodukte fertig 
bringt und* diese nachträglich deutet, und gehört ebenso das Kind, das sein 
Klötzchenmaterial erst planmäßig sortiert, in Häufchen gleich großer, gleich 
geformter Elemente vor sich aufschichtet und dann eine wohlgegliederte Reihe 
mit ihnen legt. So groß die Abstände der Leistung zwischen dem wahllosen 
Haufen und einer streng gegliederten Reihe aus einer Folge von z. B. je zwei 
kleinen und einem großen Kötzchen sind, beide Äußerungen gehören doch 
noch insofern zusammen, als sie vom eigentlichen Bauen, von der Um¬ 
schließung von Räumen mit dem gegebenen Material, nichts erkennen lassen. 
Im Gegenteil, es beweist die nachträgliche Deutung solcher Produkte (etwa 
als eines Eisenbahnzuges mit einer Lokomotive daran oder als einer 
Person), daß dem hantierenden Kind noch nicht einmal der Charakter des 
Baumaterials als solchen eindeutig und einleuchtend aufgegangen ist; es legt 
seine Produkte nach Analogie seiner zeichnerischen und plastischen Versuche 
als „Darstellungen“ aus, mit einer manchmal noch verständlichen Ähnlichkeit, 
oft auch mit einer — für den Erwachsenen wenigstens — vollkommenen 
Unverständlichkeit. 

Eine gewisse Verwandtschaft dieser Stufe mit der Kritzelstufe auf dem Ge¬ 
biet der zeichnerischen Entwicklung oder Lallstufe auf dem Gebiet des Sprach- 
erwerbs ist unverkennbar. Auch die Kritzelsstufe dient, teleologisch gewendet, 
der formalen Vorübung, dem Erwerb der Handgeschicklichkeit, der Herrschaft 
über Stift und Papier, dem Erwerb der grundlegenden Erfahrung, daß man mit 
Stiften und Farben „zeichnen“ und „malen“ kann, sowie der allmählichen 
Anbahnung einer Darstellungsabsicht. Die nachträglichen Deutungen des Ge¬ 
kritzels sind in dieser Richtung zu interpretieren. 

Auch die Anfänge der plastischen Gestaltung lassen sich bis auf eine solche 
Stufe der Vorübung zurückverfolgen, sie wird durch das Kneten, Rollen, Drücken 
der Formmasse bezeichnet. Aber die primitiven Produkte dieser Tätigkeit 
enthalten für die kindliche Auffassung prägnantere Hinweise auf bestimmte 
Objekte („Ball, Wurst, Wurm, Schlange“) und demgemäß ist es bei der Deutung 


*) Vergl. dazu Walther Krötzscb: Beobachtungen Ober die Entwicklung des Kindes beim Bauen 
fflit Bausteinen. Diese Zeitschrift 1912, S. 421 f; „Die Arbeitsschule* 1912, S. 188. 


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plastischer Anfangsleistungen oft zweifelhaft, wie weit sich schon während 
des Hantierens mit Ton und Wachs die Vorstellung von darstellbaren Ob¬ 
jekten geltend macht und die Stufe der Vorübung in den ersten Versuch der 
schematischen Darstellung fließend übergeht. 

Auf die erste Stufe des Hantierens mit Klötzchen und der Entstehung von 
Bauabsichten folgt als zweite Stufe die Umschließung von Flüchen 
mit Ausdeutungen im Sinne der Grundrißschematen. Das Kind legt 
* seine Klötzchen z. B. in einer unregelmäßigen oder regelmäßigen, in sich 
zurückkehrenden Linie derartig an, daß von ihnen wie von einer Mauer, 
einem Zaun, eine Binnenfläche umschlossen wird. Diese Binnenfläche wird 
als „Stube“, als „Haus“, als „Stall“, „Garten“, gelegentlich auch als „Platz* 
und „Straße“ bezeichnet. Wesentlich an dieser Stufe ist dreierlei: daß ein 
Umschließen von Flächen stattfindet, daß diese Umschließung nur horizontal, 
in der Ebene erfolgt, im Grundriß, und daß es, wenn vielleicht zum Auf¬ 
bauen, doch- niemals zum Überbauen kommt Selbstverständlich umfaßt 
auch diese Stufe wieder die größten Unterschiede der Begabung und des 
Reichtums an Sonderbildungen; das Kind, das gerade noch einen ungefähr 
rechteckigen Grundriß zu umschließen vermag und ihn als Stab deutet, steht 
ebenso auf der Grundrißstufe wie dasjenige, welches den Plan einer ganzen 
Straße mit seinen Steinen legt und innerhalb des Grundrisses der Häuser 
auch die der Zimmer abteilt, vielleicht sogar einzelne Einbauten noch markiert 

Über die umschlossene, gegliederte Fläche, die als Grundriß, als Fußboden¬ 
ebene eines Baues phantasierend gedeutet wird, unter mehr oder minder 
sicherer Imagination der Seitenwände, der Deckenabschlüsse, vielleicht auch 
ohne jedes Bewußtsein der fehlenden Stücke, gelangt das Kind auf die dritte 
Stufe hinaus, die als Stufe des Aufbaues und allseitigen Raumab¬ 
schlusses bezeichnet werden kann und durch das immer glücklichere 
Streben nach dem Einzelhaus beherrscht wird. Die Erkennung dieser 
Stufe kann durch das Material erschwert werden; eine zu geringe Anzahl 
von Elementen, die außerdem noch so geformt sind, daß sie sich nur zu einem 
massiven Block zusammensetzen lassen (wie es beim „Kleinen Schweden“ und 
bei Münchner Kindl-Baukasten der Fall ist) erlauben uns nur, den Fortschritt 
im Auf bauen, Aufsetzen und Überbauen zu verfolgen. Stellt man dagegen 
dem Kind viele Elemente zur Verfügung, so zeigt es sich deutlich, daß es 
vom Grundriß zunächst zum Maueraufbau sich wendet, dann durch Verbindung 
von zwei oder drei Mauern zum Bau von Ecken, halboffenen Häusern, allmäh¬ 
lich zum geschlossenen Haus, d. h. zum vierseitigen, aufragenden, über¬ 
dachten, aber eines hohlen Inneren entbehrenden Hausblock; und nur sehr 
allmählich gelingt den immer geschickteren Fingern die Umschließung und 
Überdachung eines Innenraumes. Aber oft genug ist der Versuch, die oberen 
horizontalen Abschlüsse aufzusetzen, die Ursache des Einsturzes, wenigstens 
der Winkelverschiebung der senkrechten Träger. Der so umschlossene Innen¬ 
raum ist selbst nicht weiter abgeteilt, weder in „Zimmer“ noch viel weniger 
in „Stockwerke“; er entspricht dem ursprünglichen Gesamtraum der Block¬ 
häuser, der Eß-, Wohn-, Schlafzimmer und Küche zugleich ist. 

Die nächste vierte Stufe erfolgt nun nicht etwa in der Richtung auf die 
Ausgestaltung des Innenraumes, sondern kann bezeichnet werden als der 
Fortschritt zur Häusergruppe, bzw. zum Dorf- und Städtebau. In 
gewissem Sinn ist diese Stufe eine Synthese der zweiten und dritten. Kann 


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über das Bauen und die Bauspielo von Kindern 


das Kind einmal einzelne Bauten herstellen, so hindert nichts, daß diese als 
Einheiten gefaßt in ähnlicher Weise in Grundrißstellungen angeordnet werden, 
wie" es auf der zweiten Stufe die einzelnen Bausteine wurden. Und auf die 
Form dieser Aufstellung ganzer Häuser hat natürlich die Erinnerung an Straße, 
Platz, Dorf ebenso fühlbar Einfluß wie die Tendenz zu einfacher Reihung, 
symmetrischer Gruppierung und verwandten geometrischen Figuren. Wenn 
O. Scheibner 1 ) beobachtet, daß die Schulneulinge gerade noch bis zur Gruppe 
in ihrer Bauleistung kommen (bei 5 von 59 sechsjährigen Mädchen wurden 
solche festgestellt), so möchte ich zu diesem Befund bemerken, daß er nicht 
bloß durch die geringe Anzahl der verwendeten Bausteine, sondern zweifellos 
auch durch das Geschlecht mit bedingt ist; nach meinen Erhebungen jg 
Kindergarten und in vielen Familien geht der begabte Knabe durchschnittlich 
mit dem 5. Lebensjahr zur Anlage von Gruppen über, ja oft ist die Häuser¬ 
gruppe zu beobachten, ehe die Herstellung des Einzelhauses (im Sinne eines 
vollständig umschlossenen Innenraumes) gut gelingt. Sicher dagegen ist auch 
noch Scheibners Beobachtung, daß die Höhe der Begabung für die Anlage 
von Baugruppen maßgebend ist. 

Über die geschilderten Stufen kommt das vorschulpflichtige Kind beim Bauen 
mit Klötzchen überhaupt nicht hinaus. Im Schulalter, und zweifellos unter 
dem Einfluß des Unterrichts, wird bei einer größeren Zahl, die noch spontan 
sich mit Bauspielen beschäftigt, eine fünfte Stufe erreicht: der Ausbau 
des Innenraumes, wenigstens die Abteilung in Zimmer. Die Ansätze 
dazu, die Einteilung des Grundrisses, haben wir auf der zweiten Stufe kennen 
gelernt. Aber das Problem der Überdeckung von Räumen mit starren Bau- 
gliedem ist so schwierig, daß diese Anfänge zunächst keine Fortsetzung er¬ 
fahren. Es vollzieht sich vielmehr die Entwicklung des Hausbaues einerseits, 
der Einrichtung und Ausgestaltung von Zimmern andererseits getrennt. Die 
Kinder spüren die darin steckenden Probleme sehr wohl. In Puppenzimmern, 
Puppenküchen, Werkstätten wird die Ausgestaltung der Innenräume selbst¬ 
ständig fortgeführt, aber diese Einrichtungen sind räumlich offen; es fehlen 
Decke und Vorderwand, oder wenigstens eines von beiden. Auf der im Schul¬ 
alter erreichten Baustufe kommt es nun zu Zimmern, meist zu vereinfacht 
eingerichteten Zimmern im Haus, in vereinzelten Fällen, bei genügend reichem 
und geeignetem Baumaterial, auch zur Stockwerkausgestaltung. Die Nieder¬ 
schläge des heimatkundlichen Unterrichts sind dabei deutlich zu erkennen. 

Bei der vorstehenden Stufenbildung des Bauens mit Klötzchen ist als leitendes 
Merkmal die fort schreitende Fähigkeit, ganze Räume zu umschließen, 
verwendet worden. Ich muß nun hervorheben, daß wir zu einer etwas anderen 
Stufung der Bautätigkeit kommen, wenn wir die Durchbildung der ein¬ 
zelnen Bauglieder in Betracht ziehen. Beobachtungen dazu sind freilich 
nur an farblosem Material möglich. Da läßt sich im allgemeinen feststellen, 
daß anfangs Wand teile und Dach teile, Säulen und Blöcke ruhig gemischt, durch¬ 
einander verwendet werden, wenn sie nur aufeinander stehen bleiben; all¬ 
mählich dienen die auffälligen Formen nicht mehr zur Aufrichtung der Wände, 
sondern zum Abschluß derselben, zu Vorbauten, zu Verzierungen, und schlie߬ 
lich erreicht das Kind eine sachgemäße Disposition über das Baumaterial, 
die jeden Baustein form- und funktionsgemäß verwertet. Freilich sind es 


') 0. Scheibner, Mitteilungen über das kindliche Bauen mit Klötzchen. Diese Zeitschr. 19(6. S. 28. 


ZdUehrift f. pädagog. Psychologie 

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nach meinen Beobachtungen nur noch wenige, die am Bauspiel bis zu dieser 
Reife festhalten, und diese wenigen stehen meistens unter dem Einfluß häus¬ 
licher Anregungen und Hilfen. ~ 

Die Stufen der Bautätigkeit mit formlosem Material weichen von den bis¬ 
her betrachteten erheblich ab. Eine den formalen Vorübungen entsprechende 
Stufe läßt sieh nicht feststellen. Das Wühlen, Graben, Scharren in Sand undSchnee 
ist ein, meist mit phantasievollen Auslegungen unterfüttertes Spiel eigener Art; 
es bildet einen Teil bestimmter Rollenspiele; „Huhn“, „Gärtner“, „Bauer“ sind 
einige der Rollen, die sich bei den ersten Sandspielen zu entwickeln pflegen. 
Als erste Stufe, die deutlich den Charakter von Bauspielen aufweist, muß 
das Graben von Höhlen bezeichnet werden. Die Kinder wühlen Löcher in 
aen Sandhaufen, verstecken Spielsachen, namentlich Puppen und Tierfiguren. 
' darin, und begleiten diese Tätigkeit mit Reden, aus denen die Auffassung solcher 
Höhlen als „Haus“, „Stall“ unzweideutig hervorgeht. Wie ersichtlich, wird 
die Stufe des vollständig umschlossenen Raumes beim Bauen mit formlosem 
Material sehr früh erreicht; sie ist die erste, früheste, weil durchaus material¬ 
gemäße Gestaltung. 

Als zweite Stufe, deren Anfänge übrigens gleichzeitig mit dem Graben 
von Höhlen beobachtet werden, hebt sich die Umschließung von Grund¬ 
rissen mit Mauern (Sandmauern, Schneemauern) heraus. Nur vereinzelt 
baut das Kind eine „Mauer“ allein; in' der Regel werden gleich annähernd 
quadratische, rechteckige, runde, ovale, später auch unregelmäßige und aus¬ 
gedehntere Grundrisse ummauert, d. h. Sand oder Schnee werden mit den 
Händen zu kleinen Wällen aufgeschichtet und zusammengeklatscht, mit meistens 
dreieckigem Querschnitt; bei Materialien, die in feuchtem Zustand geformt 
werden und nachher verhärten, wird auch die Form der unverjüngten Mauer 
eingehalten. Die Mauern erfahren, je nach Altersstufe und Hilfsmaterial, reiche 
Ausgestaltung durch eingebrochene Türen und Fenster, durch ausgezackte 
Zinnen und Gesimse, hier und da auch durch Sockelstreifen; sie werden mit 
kleinen Kieseln, mit Holzstückchen, Erbsen, Obstkemen, Glasperlen, Staniol- 
plättchen verziert, mindestens in einfacher Reihung solcher Zierate mit be¬ 
stimmten Abständen, häufig mit hübschen Mustern, die daraus gebildet werden. 

Eine dritte Stufe ist erreicht mit dem Fortschritt zu unterabteilendcr 
Gliederung der Grundrisse, mit der Anlage von ganzen Dörfern und 
Städten, die durch Wege geteilt, von „Baumgruppen“ belebt, von „Wäldern“ 
umgeben sind. Der Fortschritt führt nicht bloß zur Vermehrung und Ver¬ 
bindung von umschlossenen Grundrissen, sondern auch zur Verwendung von 
Hilfsmaterialien, Stäbchen, Tannenzweigen usw., die, in Sandhäufchen gesteckt, 
bald eine „Anlage“ in der Stadt, bald ein „Wald“ in ihrer Nähe sind; ins¬ 
besondere ist aber für diese Stufe der Wegbau charakteristisch; vielverschlungen 
laufen die Furchen und Rinnen, die zu Wegen erhoben sind, durch das ganze 
Sandfeld, und oft gibt es auf dieser Stufe mehr Wege als Bauten, die durch 
sie sowohl verbunden als getrennt werden. 

Die letzte Stufe des Bauens führt auch hier über die Grenzen des Materials 
hinaus; sie wird erreicht mit der Oberwölbung des Raumes, mit dem 
geschlossenen Bausystem; aber um dies zu ermöglichen, sieht sich das 
Kind genötigt, Muscheln, Steine und Stöcke zu Hilfe zu nehmen, oder den 
Sand wenigstens vorübergehend zu nässen. Alle diese Momente zusammen 
nähern den Bau schon den Zweckbauten an, die sich auf der Mittelstufe der 


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Über das Bauen und die Bauspiele von Kindern 


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Schule einstellen und ohne aufzuhören, Bauspiele zu sein, doch eine grund¬ 
sätzlich andere Orientierung des Kindes miterkennen lassen. 

Überblickt man nämlich die Äußerungen des Bäutriebes im Ganzen, 
so lassen sich auch dabei gewisse Stufen erkennen, die vom vollendeten dritten 
Lebensjahr bis in die späte Jfinglingszeit hinein reichen, freilich mit abnehmen¬ 
der Allgemeinheit des Vorkommens. 

Als erste Stufe läßt sich das zufällige Bauen, das spielende Hantieren mit 
Baumaterialien, das zufällige Gestalten und nachträgliche Deuten der Ergeb¬ 
nisse hervorheben. Die zweite Stufe ist charakterisiert durch das „Bauen¬ 
wollen“ und die Wirksamkeit einer mehr oder minder deutlichen Zielvorstel¬ 
lung, die durch die Bautätigkeit realisiert werden soll. Diese Vorstellung eines 
Zieles kann frei vom Kind konzipiert sein, aus einer Vorlage stammen, durch 
die Spielsituation nahegelegt sein; es ist auch nicht ausgeschlossen, daß sie 
im Verlauf der bauenden Tätigkeit sich verschiebt, ja verschwindet und das 
schließliche Resultat nichts mehr mit dem anfänglich Gewollten gemein hat. 
Eine dritte Stufe ist als planmäßige Lösung von Bauaufgaben zu be¬ 
zeichnen und tritt schon in mehr oder minder deutliche Beziehung zu Lebens¬ 
interessen des Kindes. Die vierte Stufe stellt endlich das Bauen im Dienst 
einer praktischen Zweckidee dar. Die Materialien werden dabei in 
steigendem Maß vergrößert, die Technik jener der Erwachsenen, der Hand¬ 
werkstradition angenähert. Die Herstellung des Zweckbaues steht, der inneren 
Erlebnisform nach, an der Grenze zwischen Spiel und „Ernst“betätigung; das 
Produkt kann tatsächlich benutzt werden und hat eine Ober das Spiel hinaus¬ 
reichende Dauer. 

Wenn Wehrkraftjungen, z. B. bei einer Übung im Gelände, Laubhütten und 
Unterstände bauen, so entspringt ihr Tun, obgleich es im weiten Sinn noch 
Spiel bleibt und den Selbstausbildungszweck aller Spieltätigkeit teilt, doch 
einer völlig anderen Einstellung, als sie bei dem mit Klötzchen bauenden Kind 
vorliegt. Es ist nicht nur die Vorstellung eines zu schaffenden Baues für die 
Einzelheiten ihrer Arbeit wegeweisend, nicht nur ein Bauwille spürbar; das 
ganze psychische Getriebe wird durch einen realen Zweck in Bewegung ge¬ 
setzt; die Laubhütte soll wirklich Unterschlupf geben, Verdeckung gegen feind¬ 
liche Sicht, dabei so angelegt sein, daß Überblick über das Vorgelände möglich 
ist usw. Es ist ein ziemlich verwickelter, in der Instruktionsstunde vorher 
durchgesprochener und zergliederter Funktionszusammenhang, der durch den 
Bau verwirklicht werden soll: die ganze Arbeit steht unter der fortwährenden 
Kontrolle durch den Zweck, dem ihr Ergebnis zu dienen hat Und wenn die 
Übung beendet ist, mag die Hütte, der Unterstand fortbestehen, bis Wind 
und Wetter oder Menschenhände sie wieder zerstören; solange diese Spiel¬ 
bauten aber Bestand haben, können sie verwandten Zwecken auch anderer 
Menschen als ihrer Erbauer dienstbar sein oder dienstbar werden. 

Wir haben bisher das Bauen und Bauspiel als eine allgemeine Kinderleistung 
ins Auge gefaßt; irgendwie und irgendwann treffen wir Spuren davon in jeder 
Entwicklung. Es hat uns als beherrschende Frage die innere Stufenfolge in 
der Entfaltung des Bauspiels interessiert, ihr Zusammenhang mit Alter und 
allgemeiner Begabung. Diesem Weg von unten auf begegnet ein solcher 
von oben her. Wenn wir vom erwachsenen Menschen ausgehen, so ist nichts 
gewisser, als daß Bauen und Bautätigkeit nur von einer kleinen Zahl sowohl 
spezifisch begabter wie ausdrücklich vorgebildeter Menschen ausgeübt zu 

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Aloya Fischer 


werden pflegt. Wir lassen dabei freilich zwei große Erfahrungstatsachen außer 
Betracht: den architektonischen Dilettantismus und die rudimentär gebliebenen 
oder wieder verkümmerten Anlagen all der Erwachsenen, die nicht Architekten 
von Beruf geworden sind. Man muß sich bewußt sein, daß die Berufsübung 
als Baukünstler nicht notwendig ein Kriterium entsprechender Begabung ist. 
und umgekehrt, daß architektonische Talente sehr wohl in Menschen vor¬ 
handen, sogar wirksam sein können, die nicht Häuser bauen, sondern z. B. 
Prozesse führen oder biologische Forschung treiben. Allein diese sehr schwierigen 
Fragen mögen hier auf sich beruhen. Wir nehmen an, daß im Großen und 
Ganzen die Lebensleistung des Erwachsenen aus seiner Begabung hervorblflht; 
wir nehmen weiter an, daß auch die Architektur und Tektonik spezifische 
Begabungen erfordern. Vom Boden dieser Annahme aus ergibt sich dann 
die interessante Frage nach den Frühformen baukünstlerischer Tätigkeit, 
nach den ersten Proben des Talentes, nach den Vorläufern und Ankündigem 
eines solchen. Bei der Verfolgung dieser Frage treffen wir zweifellos wieder 
auf das Bauspiel jetzt nicht mehr als eine generell psychologische, sondern 
als eine differentialpsychologische Frage. Soweit uns die Jugend- und 
Ausbildungszeit großer Architekten zugänglich ist, wissen wir, daß nicht nur 
die Zeichnung von Bauten, sondern auch das Modellieren und Konstruieren 
solcher eine mehr oder minder bedeutende Rolle darin gespielt hat; wenn wir 
den Weg der Architekten heute verfolgen, durch die höhere Schule, Hochschule, 
die Bauämter und Bauunternehmungen hindurch, können wir uns gleichfalls 
von dem Wert der Bauspiele überzeugen. Freilich muß bei der reiferen Jugend, 
wie sie die akademische Stufe darstellt, das Spielen etwas anders verstanden 
werden: die zweckfreie Imagination von Räumen und ihre Gestaltung im 
Modell, .aus keinem anderen Grunde als dem, eine aufsteigende Idee so weit 
sichtbar zu machen, daß über ihren künstlerischen Wert und ihre Ausführbar¬ 
keit ein Urteil möglich, gehört noch zu den Äußerungen des Spieltriebs. Auf 
der anderen Seite sind die Einschläge von „Ernst“ in solchen Arbeiten unver¬ 
kennbar: die gestellte Aufgabe selbst ist ein Ernstfaktor, die Dynamik, die 
sie über das Spiel der Einfälle ausübt, die selektorische Wirkung desgleichen, 
statische Kenntnisse und baugeschichtliche Erfahrungen, die auch beim spie¬ 
lenden Bauen nicht vergessen werden dürfen, ein dritter. 

Wenn es einmal gelungen sein wird, für alle Stufen des Bautriebs die 
nötigen Einsichten zu formulieren, dann ist der Zeitpunkt da, aus den jeweils 
früheren Studien seiner Entwicklung bei einem konkreten Individuum auf 
den notwendigen Fortgang zu schließen, dann wird es möglich sein, aus Probe¬ 
leistungen über die Größe und Entwicklungsfähigkeit einer baukünstlerischen 
Anlage mit mehr als mutmaßender Sicherheit zu urteilen und die Ergebnisse 
der Forschung für die praktische Aufgabe der Berufsberatung nutzbar zu 
machen. Freilich muß, wie bei allen Anwendungen der Psychologie, offen 
gelassen werden: daß kein Mensch verpflichtet ist, das zu werden, wozu 
die natürliche Begabung ihm die besten Voraussetzungen böte, daß Beruf und 
Schicksal des Menschen, Ziele freier Entschließung, sehr häufig in anderer 
Richtung gesucht werden, als die ist, in welche vollendete Selbsterkenntnis 
weist oder weisen müßte. Es ist auch ein Menschenrecht, mit dem, was man 
wirklich ist, hat und kann, nicht zufrieden zu sein und im Leben zu versuchen, 
ob man nicht anderes auch zu erringen vermag. Eine Seite unserer Frei¬ 
heit besteht auch im Verzicht auf unsere Vorzüge und Stärken, sei es, weil 


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Über das Bauen und die Bauapiele von Kindern 245 


wir sie nicht genau kennen oder weil wir uns den Verpflichtungen, die sie 
auferlegen, entziehen wollen oder weil wir uns hier im Vergleich mit anderen 
Persönlichkeiten nicht hoch genug werten und unserem sozusagen leeren 
Wollen Schöpferkraft Zutrauen, die Fähigkeit, aus nichts etwas zu machen. 
Das Ergebnis einer Testdiagnose zwingt den Menschen nicht, das zu werden, 
was er werden kann; es verhindert auch nicht den Versuch, etwas anderes 
werden zu wollen; sie ist nichts als ein Hilfsmittel für den, der im Prinzip 
entschlossen ist, das zu werden, was im Rahmen und Bereich seiner Begabungen 
und Interessen liegt, der sich nur über diese selbst nicht klar zu werden 
vermag. Es wird sicher einmal möglich sein, wie für alle Spezialtalente und 
allgemeinen Funktionen des Geistes, so auch für die baukünstlerischen An* 
lagen eine Reihe von Symptomen festzustellen, bei deren successiver, im 
Lauf der Kindheit und Jugend eintretender Gegebenheit die Lebenswahl eines 
Architekten wenigstens in dem Punkt nicht verfehlt ist, der in der persön* 
liehen Eignung und Leistungsfähigkeit besteht. Ein Gesetz aber, daß dem 
für einen Beruf Geeigneten und Leistungsfähigen materiellen und 
moralischen Erfolg garantiert, die Anerkennung der Zeitgenossen und 
Nachwelt, die persönliche, dauernde Zufriedenheit mit dem gewählten Beruf 
und Wirkungskreis, ein solches Gesetz gibt es nicht. Es ist keineswegs aus* 
geschlossen, daß man auch in einem Beruf, für den man geradezu geboren 
ist und den man mit heller Einsicht in die persönliche Eignung ergriffen hat, 
nicht die Anerkennung der Zeitgenossen und Gleichstrebenden findet, wirt¬ 
schaftlich Schiffbruch leidet, infolge der Misere und Erfolglosigkeit und trotz 
a.Uer Selbstgewißheit seiner Begabung und Leistung zu nörglerischer Unruhe 
und Glticklosigkeit getrieben wird und so innerlich zugrunde geht. Ich hebe 
diese Möglichkeit deshalb hervor, weil sie deutlich zeigt, daß persönliche Be¬ 
gabung und Eignung allein das Lebensglück im Beruf nicht zu stabilisieren 
vermögen und daß deshalb sehr wohl auch andere Faktoren bei der Berufs¬ 
wahl eine Rolle spielen dürfen. Trotzdem: für den Durchschnitt der Menschen 
wird d i e Quelle des Lebensmißerfolges häufiger sein, die aus der Unkenntnis 
der persönlichen Leistungsart und Leistungsfähigkeit fließt, und deshalb mag 
für die durchschnittliche Ordnung menschlicher Dinge das Streben nach recht¬ 
zeitiger Selbsterkenntnis ein wertvolles und berechtigtes bleiben. Unsfere 
ganze psychologische Forschung muß sich deshalb auf die Anwendung zu¬ 
spitzen, d. h. auf Ergebnisse und Reihen, die wir für die Prüfung einer erst 
noch werdenden Persönlichkeit fruchtbar zu machen berechtigt sind. Bei 
Talenten, zu denen auch das des Baukünstlers gehört, ist der Versuch sicher 
aussichtsreich, wenn ihn nur genügend viele, sachlich Vorgebildete und wissen¬ 
schaftlich Besonnene in Angriff nehmen. 

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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik. 

Von Hans Rupp. 

(Fortsetzung.) 

VI. Gruppe: Motorische Leistungen. 

Wenn wir eine Bewegung ausführen oder unsere Glieder aktiv in einer be¬ 
stimmten Lage erhalten, so entstehen als Folge davon eine Reihe von Empfin¬ 
dungen, die uns die Kenntnis der Lage und Bewegung vermitteln. Ihre Tei¬ 
stungen sind in der vorigen Gruppe besprochen worden. 

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Hans Rupp 


/ 

Von diesem sensorischen Vorgang ist der motorische Vorgang, das Halten 
und Bewegen selbst, wohl zu scheiden. Der sensorische geht von den Sinnes¬ 
organen, die den äußeren Reiz empfangen, nach innen zum Gehirn. Beim moto¬ 
rischen wird im Gehirn oder Rückenmark ein Reiz erzeugt, der nach außen 
wirkt und die Muskeln in Tätigkeit versetzt. 

Auf dem motorischen Vorgänge beruhen alle unsere äußeren Handlungen, 
unser äußeres Gebaren und vor allem unsere technischen Fertigkeiten, vom 
Sprechen und vom Gehen, wie es das Kind schon im ersten Jahre lernt, bis zu 
den Kunstfertigkeiten und Sportleistungen der Erwachsenen. 

Die experimentelle Pädagogik hat hier ein weites, fruchtbares Feld. 1 ) Man 
kann die Aufgaben in zwei Gruppen trennen: 

A. Die eine Gruppe untersucht die motorische Leistungsfähigkeit im 
allgemeinen. Weloher Schüler ist motorisch begabter, welche weniger begabt? 
Was leisten Knaben, was Mädchen? Wie steigt die Leistung mit dem Alter 
(z. B. Einfluß der Pubertät)? Welchen Einfluß haben Krankheiten, Alkohol, 
welchen Ferien, Stadt-und Landleben ? Usf. Ferner: Was leisten verschiedene 
Glieder, z. B. verschiedene Finger, die rechte und die linke Hand, der Arm ? 
Welche Bewegungen sind von Natur begünstigt, welche weniger leistungs¬ 
fähig? Ferner ist die Übung und das Lernen zu studieren: Wie erreichen wir 
die besten Fortschritte? Gibt es ähnliche Gesetze wie beim Lernen geistigen 
Stoffes (vgl. Gruppe VII)? 

ln den motorischen Leistungen äußern sich auch psychische Eigenschaften: 
Stärke der Konzentration, Ausdauer des Willens, ja auch Intelligenz; man 
hat vielfach die körperlioh Leistungsfähigeren als intelligenter befunden. Welchen 
Einfluß üben umgekehrt motorische Übungen auf psychische Eigenschaften, 
auf Willen, Selbstbewußtsein, Sicherheit, Mut usf.? 

Um diese Fragen entscheiden zu können, suchen wir, ähnlich wie bei den 
sensorischen Vorgängen, die einzelnen Teile oder Seiten der motorischen 
Fähigkeit sorgfältig zu trenaen. Und wir suchen zweitens nach Methoden, 
nach geeigneten motorischen Leistungen, durch die wir die einzelnen Teile oder 
Seiten möglich getrennt prüfen können. 

Handelt es sich nicht um eine einmalige Untersuchung (etwa über Einfluß 
des Alters oder gewisser Turnübungen), sondern um die immer wiederkehrende 
Beurteilung eines einzelnen Schülers, so müssen Durchschnittsleistungen von 
Sohülem dieses Alters bekannt sein, und es muß die Prüfungsmethode genau 
dieselbe sein wie diejenige, für die das Durchschnittsmaß bestimmt worden ist. 
Man muß sich also, wie auch auf den anderen Gebieten, für Normaltesta 
einigen. Dasselbe ist nötig, wenn Untersuchungen in Städten und auf dem 
Lande, in verschiedenen Ländern usw. vergleichbar sein sollen. Uber geeignete 
Normaltests vergleiche man z. B. Whipple, Manual of mental and physical Tests, 
1910. 

Neben der Prüfung der motorischen Fähigkeit durch bestimmte Methoden 
beobachtet man auoh das allgemeine Gebaren, endlich das allgemeine Ver- 

‘) Das Hauptinteresse dürfte sich auf die willkürlichen Bewegungen »»einigen. 
Die Untersuchung der unwillkürlichen Bewegungen (wie Atmung, Verdauung«- 
bewegungen) fällt wohl ganz in das Gebiet des Schularztes. Umgekehrt hat aber der 
Arzt Interesse an den hier erwähnten Untersuchungen. 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


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halten bei speziellen Fähigkeiten: Sind die Bewegungen des Einzelnen im all- 
gemeineh lebhaft, gewandt, leioht, träge, ungeschickt, zappelig; stellt er sich 
bei Fertigkeiten geschickt, tollpatschig; ist er zaghaft, bedächtig oder schneidig, 
tollkühn usw. T Hierbei besteht die Aufgabe, eine genaue Richtschnur für die 
Beobachtungen zu geben, damit klare Beschreibungen geliefert werden. 

B. Die zweite Gruppe von Aufgaben geht auf einzelne bestimmte Fertig¬ 
keiten, z. B. Schreiben, Zeichnen, Singen, Spielen von Instrumenten, Schießen 
usf. Hier will man vor allem wissen, was zu jeder Fertigkeit gehört (zum 
Zeichnen u. a. Augenmaß, zum Violinspielen u. a. feines Gehör usf.), welohes 
die günstigte Art dör Ausführung ist (z. B. die richtige Haltung, die richtigen 
Bewegungen, der beste Fingersatz), und welches die besten Lernmethoden sind. 

Wenn in solcher Weise eine bestimmte Fertigkeit im allgemeinen Untersucht 
ist, ist es leicht, an die differentiellen Fragen heranzugehen. Wer ist für diese 
Fertigkeit begabt, wer nicht? Eignen sich für verschiedene Typen oder ver¬ 
schiedene Altersstufen verschiedene Lernverfahren oder Lernmethoden besser? 

Methoden und Apparate zur Prüfung spezieller Fertigkeiten bespreche ich 
im Folgenden nicht. Jedoch ist vieles, was bei den Methoden zur Prüfung der 
motorischen Fähigkeit im allgemeinen angeführt ist, für die Untersuchung spe¬ 
zieller Fertigkeiten verwertbar. 

Zu A. loh stelle eine Reihe von Methoden zusammen, die mir geeignet er~ 
scheinen, die motorische Leistungsfähigkeit im allgemeinen nach 
ihren verschiedenen Richtungen zu untersuchen. Im Gegensatz zu 
den meisten technischen Fertigkeiten (z. B. Instrument-Spielen) sind es Auf¬ 
gaben, die wohl jeder schon von Kindheit auf übt oder die im Turnunterricht 
allgemein geübt werden. 

' Von den Apparaten spreche ich erst am Schluß, um den Zusammenhang nioht 
zu stören. Viele Experimente können übrigens ohne Apparate ausgeführt werden. 
Insbesondere la3sen sich mancherlei Turnübungen für unseren 
Zweck verwerten. Man muß nur die Ausführung genau vorschrei¬ 
ben und überwaohen (s. unten) und die Ergebnisse notieren. Solche, 
regelmäßig in bestimmten Zeitabschnitten wiederholte stati¬ 
stische Aufnahmen würden wertvolle und zuverlässige Aufschlüsse 
über den Entwicklungsgang des einzelnen Schülers und ganzer 
Klassen, über den Einfluß des Turnunterrichts u. dgl. geben. Die 
Statistik könnte, wenigstens in höheren Schulen, von den Schülern selbst geführt 
werden; dadurch würde das Interesse an den Übungen und an dem Fortschreiten 
gesteigert, nebenbei auch der Sinn für exakte Messungen und statistische Zu¬ 
sammenstellungen gefördert. 

a) Es wird die einmalige maximale Kraftleistung des Schülers fest¬ 
gestellt. Man läßt z. B. eine Feder zwischen Fingern und Daumenballen so stark 
wie möglich zusammendrücken; die Feder zeigt den Druck an. Da eine einzelne, 
namentlich die erste Bewegung leicht mißlingen kann, läßt man den Versuch 
besser 2 oder 3mal ausführen und nimmt das Maximum. Wer hat mehr Kraft? 
Wie steigt die Kraft mit dem Alter ? Wie wirken regelmäßige Tymübungen ? Usf. 

So einfach die Aufgabe scheint, so gibt es doch verschiedene AusführungB- 
weisen. Man kann schnell oder langsam, bedächtig drücken, kann den Arm nach 


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Hand Kupp 


vorn halten oder nach unten, wie wenn man mit der Wycht des ganzen Körpers 
mithelfen würde,, u. dgl. m. Je nach dem Verfahren kann das Ergebnis sehr 
verschieden ausfallen. Man muß also das Verfahren genau vorschreiben. 

Aus einem kräftigen Druck in der Hand darf man nicht auf allgemeine Kraft 
schließen. Andere Bewegungen mögen schwächer entwickelt sein. Es hat für 
den Turnlehrer wie für den Arzt Interesse zu wissen, welche Muskeln besser, 
welche schlechter ausgebildet sind. Man muß also auch andere Bewegungen 
prüfen. Ich gebe am Schluß zwei weitere Kraftmesser an. Man kann auch 
prüfen, ein wie schweres Gewicht vom Schüler noch gehoben werden kann. 
Natürlich ist auoh in diesen Fällen, wie oben, auf die Ausführungsweise zu 
achten. 

Auch aus einem anderen Grunde lohnt die Untersuchung verschiedener Be¬ 
wegungen. Verschiedene Muskeln und verschiedene Glieder sind von Natur aus 
nicht gleich stark. Ferner: wenn wir die Hand oder den Arm nach verschiedenen 
Richtungen bewegen, merken wir sofort, daß manche Bewegungen schwerer 
fallen, nicht so sehr, weil sie weniger geübt sind, sondern weil sie durch den 
anatomischen Bau benachteiligt sind. Die Prüfung gibt in allen Fällen ein 
genaues Maß der verschiedenen Leistungsfähigkeit. 

Wollte man die Kraft verschiedener Muskeln vergleichen, so wäre der anatomische 
Bau genau in Rechnungzu ziehen: ob der Muskel mit ganzer Kraft oder nur mit einer 
Komponente wirkt, an welchen Punkten der Hebelarme Muskel und Last angreifen, 
welche Muskeln Zusammenwirken usw. Das Problem ist sehr verwickelt. Die oben 
gestellte Frage ist einfacher; sie beschränkt sich darauf, die praktisch vorkommenden 
Bewegungen zu untersuchen, gleichgültig, wie sie anatomisch zustande kommen. 

b) Man bestimmt Ermüdung und Ausdauer in Kraftleistungen. Wer 
die stärkere einmalige Leistung aufweist, muß nicht auch größere Ausdauer 
besitzen. Wer hält besser aus ? Wie hält man nach geistiger Anstrengung aus ? 
Wie kräftige, wie schwächliche Kinder? Dabei sind wieder verschiedene Aus¬ 
führungsweisen möglich. Man kann, zwischen ihnen wählen. 

a) Man läßt die maximale Leistung in bestimmtem Tempo wieder¬ 
holen und beobachtet das Nachlassen. Bei schnellerem Tempo ermüdet mau 
schneller; das Tempo ist also genau vorzuschreiben. Ferner achte man darauf, 
wie hoch das Maximum der Kraftleistung gewählt wird. Wer sich bei jeder 
einzelnen Bewegung sozusagen mit äußerster Kraft hinein wirft, wird sich bald aus¬ 
gegeben haben. 

ß) Man läßt die maximale LeistungAusführen und beobachtet 
das Nachlassen. Auch hier ist auf die Hohe des Maximums zu achten. 

y und 6) Man läßt eine bestimmte, untermaximale, aber anstren¬ 
gende Leistung in bestimmtem Tempo wiederholen oder dauernd 
ausführen und beobachtet das Nachlassen. Die erwähnte Unbestimmtheit des 
Maximums fällt hier fort. 

Gewöhnlich beschränkt maft sich auf das Heben eines Gewichtes mit einem 
Finger (die klassischen Ergographversuche). Es ist wünschenswert, auch andere 
Leistungen heranzuziehen. Tuntübungen geben Gelegenheit: Wie oft kann ein 
schweres Hantel gestemmt werden? Wie oft gelingt der Klimmzug am Reck? 
Wie oft die Kniebeuge? Wie oft das Strecken der bekannten Streckapparate? 
Oder als dauernde Leistungen: Wie lange kann der freie oder beschwerte Arm 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 249 


seitwärts, das B in vorgestreckt gehalten werden ? Usf. Es ist geringe Mühe, 
die Bewegungen zu zählen oder die Zeit mit der Uhr zu bestimmen und so eine 
genaue und zuverlässige Statistik zu führen. Natürlich ist auch hier zu be¬ 
achten, ob es nicht verschiedene Arten der Ausführung gibt, die das Ergebnis 
beeinflussen. 

c) Bei vielen Fertigkeiten kommt es nicht so sehr auf Kraft wie auf Schnellig¬ 
keit an. Beide gehen nicht immer zusammen; man muß daher beide prüfen. 1 ) 

Wir prüfen zunächst die maximale Geschwindigkeit einer einmaligen 
Bewegung. Man wird auch hier den Versuch besser ein- oder zweimal wieder¬ 
holen lassen und das Optimum verwerten. Man kann das Glied frei bewegen 
oder zugleich ein Gewicht heben lassen. Die freie Bewegung kann leicht oder als 
kräftiger Schlag oder Stoß ausgeführt werden. Man vergleicht die Schnelligkeit 
verschiedener Glieder (z. B. rechte, linke Hand, verschiedene Finger) und ver¬ 
schiedener Bewegungen desselben Gliedes (z. B. Armbewegung nach verschie¬ 
denen Richtungen). Selbstverständlich hängt die Schnelligkeit von der Länge 
des bewegten Gliedes ab, ob z. B. die Hand oder der ganze Arm bewegt wird. 

d) Wir prüfen Ermüdung und Ausdauer in schnellen Bewegungen. 
Wir lassen eine Bewegung entweder möglichst schnell oder in einem bestimmten 
untermaximalen, aber schnellen Tempo wiederholen, z. B. trillern, stoßen, ein 
Rad drehen. 

Es scheint, daß wir dadurch eine weitere Seite der Bewegung prüfen können, 
nämlich die Leichtigkeit. Eine einmalige Bewegung kann auch durch Kraft 
schnell ausgeführt werden. Bei Wiederholung würde sich jedoch sehr schnell 
Ermüdung und Versagen einstellen. Nur eine Bewegung, die wir spielend leicht 
ausführen, kann lange und schnell wiederholt werden. Beim Trillern kann 
man diese Beobachtung leicht machen. Durch welche Übungen oder welche Ver¬ 
fahren erreichen wir, daß eine Bewegung leicht, „frei“ wird? 

e) Wie schnell kann eine vorher verabredete Bewegung auf ein 
Kommando hin ausgeführt werden ? Wir prüfen also die Schnelligkeit der 
Reaktion, die Bereitschaft der^Bewegung. 

Die Schnelligkeit hängt u. a. von der Art der Vorbereitung ab: so kann die 
Hand, die z. B. auf einen Taster drücken soll, schon vor dem Kommando ge¬ 
spannt zum Losschlagen bereit gehalten werden (motorische Einstellung) oder 
sie kann schlaff daliegen. Ergeben verschiedene Bewegungen, verschiedene 
Glieder verschiedene Reaktionszeiten? Wie bei freien Bewegungen und wie, 
wenn eine'Arbeit zu leisten, z. B. ein Gewicht zu heben ist? 

f) Bisher wurden im wesentlichen Kraft, Leichtigkeit und Bereitschaft der 
Bewegung geprüft. Die folgenden Methoden gehen auf Genauigkeit der 
Beherrschung. Es bedarf kaum des Hinweises, daß Kraft und Genauigkeit 
nicht vereinigt sein müssen, vielleicht sogar selten vereinigt sind. Wie genau b?- 

*) Wenn man eine Bewegung wiederholt, z. B. dauernd klopfen läßt, so kann mail 
vielfach neben dem maximalen auch ein optimales Tempo feststellen; es ist dem 
Klopfenden am angenehmsten, liegt zwischen hastigem und langweilig langsamem 
Tempo. Stern vermutet, daß jeder Mensch ein bestimmtes psychisches Tempo, eine 
bestimmte psychische Lebendigkeit hat, durch die auch das Klopftempo bestimmt 
wird, und daß umgekehrt das allgemeine psychische Tempo durch das angenelimste 
Klopftempo bestimmt worden kann. 


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Hans Rupp 


herrscht der Einzelne seine Bewegungen ? Wie Kinder, wie Erwachsene ? Zeichnen 
sich manche Bewegungen oder Glieder durch Kraft, andere durch Genauigkeit aus? 
Gibt es besonders wirksame Übungen, um Genauigkeit zu üben? 

Zuerst (f) prüfen wir die einmalige minimale Bewegung (moto¬ 
rische Schwelle). Man kann die kleinste, die langsamste Bewegung und den 
leisesten Druck (z. B. auf einer Briefwage) bestimmen, ferner die leiseste Ände¬ 
rung eines vorhandenen Druckes. Man muß die genannten Fälle scheiden, es 
lohnt aber nicht, alle zu prüfen. 

Man kann hinsehen oder die Augen schließen. Im ersteren Falle kontrollieren 
wohl meist die Augen die Bewegung, im letzteren Falle die Gelenkempfindungen. 
Was ist für den Fortschritt ^besser ? Welchen Grad der Vollkommenheit er¬ 
reicht der Blinde? 

Die motorische Schwelle ist von der sensorischen, die in Gruppe VB besprochen 
wurde, zu scheiden. Die sensorische, bei der das Glied passiv von einem anderen 
bewegt wird, ist im allgemeinen feiner. 

g) Wir bestimmen Ausdauer und Ermüdung in minimalen Bewegungen. 
Wir können die Aufgaben f in bestimmtem Tempo wiederholen (a) oder sie 
kontinuierlich fortsetzen lassen (ß). Wir lassen z. B. mit einem Stift fort¬ 
schreitend kleinste Rucke zeichnen oder so langsam als möglich einen Strich 
ziehen. Im letzteren Falle sollen keine Rucke oder Stockungen Vorkommen. 
Der Geiger wird sich an die lehrreiche Übung erinnern, den Bogen so langsam 
wie möglich zu ziehen, aber doch so, daß der Ton ohne Unterbrechung fortklingt. 
Die Bewegung kann mit freier Hand oder gegen einen Widerstand (z. B. Gewicht) 
ausgeführt werden. 

Man kann auch einen aktiven Druck so langsam wie möglich zu- oder abnehmen 
lassen. Ferner könnte man, ähnlich wie in früheren Fällen, an Stelle der minimalen 
Bewegungen bestimmte überschwellige, aber doch kleine Bewegungen vorschreiben. 

h) Verwandt der Bewegungsschwelle ist die Schwelle für Ruhe. Ein Glied 
soll möglichst ruhig, aber natürlich aktiv, gehalten werden. Wie groß sind die 
feinen Schwankungen, die dennoch auftreten? Wie bei verschiedenen Indivi¬ 
duen, bei verschiedenem Alter? bei Ermüdung, Alkoholgenuß, Krankheit? bei 
freiem und bei belastetem Glied ? bei verschiedenen Gliedern und Haltungen ? 
ferner bei geschlossenen und offenen Augen? Wer hält länger und besser aus? 
Gibt es wirksame Übungen, um ruhige Haltung zu erzielen? 

In der Medizin bezeichnet man diese Schwankungen als „Tremor“. Der 
Tremor ist für manche Geistes- und Nervenkrankheiten ein charakteristisches 
Symptom. Das Zittern und Zucken nervöser Personen ist bekannt. Für manche 
Beschäftigungen und Berufe ist eine ruhige Hand unerläßlich. Die Untersuchung 
hat also praktischen Wert. 

Neben der Schwelle für Ruhe (Geschwindigkeit =» 0) könnte man auch die Schwelle 
für die Gleichförmigkeit von Bewegungen (Geschwindigkeitsänderung = 0) prüfen. 
Man stellt die Aufgabe, eine bestimmte Bewegung möglichst gleichförmig aussu- 
führen. Und dies für verschiedene Geeschwindigkeiten und verschiedene Bewegungen. 

i) Bei den Methoden f bis k war von der Genauigkeit schwelliger Bewegungen 
und der Ruhe die Rede. Um bei überschwelligen Bewegungen von Genauig¬ 
keit sprechen zu können, muß, wenn es sich nicht gerade um Wiederholung 
einer eben ausgeführten Bewegung handelt, ein Ziel gegeben sein, dem die Be- 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


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wegung mehr oder weniger genau angepaßt ist. Schwelle und Ruhe sind eindeutig 
bestimmt. Eine überschwellige Bewegung, eine überschwellige Kraftleistung 
kann großer oder kleiner sein. Erst durch das Ziel wird sie klar definiert, wird 
aus den vielen möglichen Bewegungen eine bestimmte herausgegriffen. Wie genau 
können wir die Bewegung dem Ziele anpassen, welche Fertigkeit hierin haben 
wir erreicht ? Wie können wir sie steigern ? Usf. In der Genauigkeit der Be¬ 
herrschung, der Anpassung an bestimmte Ziele prüfen wir vielleicht die wich¬ 
tigste und schwierigste Seite der motorischen Fähigkeit. 

Ich führe einige Beispiele an. Wenn wir nach einem Gegenstand greifen oder ihn 
abwehren wollen, wenn wir einen Ball fangen oder ihn mit Hand oder Fuß parieren 
wollen, so müssen Kraft, Schnelligkeit, Ausmaß und Ort der Bewegung genau abge¬ 
paßt sein. Wenn wir Konturen nachziehen, ausschneiden, ausstechen, wenn wir in 
schnellen Zügen eine Gerade, einen Kreis oder sonstige Formen in bestimmter Größe 
schreiben oder zeichnen wollen, so muß wieder der zeichnende Stift genau der be¬ 
absichtigten Linie folgen. Ebenso muß der Klavierspieler, der die Rechenmaschine 
oder Schreibmaschine Bedienende die richtige Taste treffen, und noch mehr der 
Geiger die Finger an haarscharf bestimmter Stelle aufsetzen. 

Besonders schwierig mögen auf den ersten Blick Fertigkeiten erscheinen, bei denen 
wir die Bewegung oder Haltung ihren räumlichen Eigenschaften nach nicht gut 
beachten können, sondern auf einen fernerliegenden, durch die Bewegung er¬ 
zeugten Erfolg gerichtet sind, wie beim Werfen nach einem ferneren Ziel oder beim 
Singen, Pfeifen, Sprechen. Auch liier müssen wir lernen, die Bewegung genau dem 
oft ganz andersartigen Ziele anzupassen. 

Um die genaue Beherrschung von Bewegungen im allgemeinen zu prüfen, 
muß man Methoden suchen, die die prinzipiell verschiedenen möglichen Fälle 
darstellen. Zugleich Bollen sie möglichst auch praktisch wichtigen Fertigkeiten 
zugrunde liegen. Es scheinen mir folgende einfache Methoden geeignet: 

o) Von einem Ausgangspunkte schnell zu einem Zielpunkt mit 
der Hand (oder einem anderen Gliede) hin fahren. Wie genau löst die 
gesehene Lage des Zielpunktes die Bewegung aus? Die Bewegung muß in 
einem Zuge erfolgen; es wäre keine Kunst, durch nachträgliche Korrekturen 
„ zum Ziel zu kommen. 

Die Aufgabe läßt mehrere Variationen zu. Ich kann von mir aus auf einen 
Punkt hinstoßen, der in größerer oder geringerer Entfernung, in dieser oder 
jener Richtung liegt. Oder es sind auf einer normal orientierten Zeichenfläche 
zwei Punkte gegeben und ich fahre von einem zum anderen;.Entfernung und 
Richtung der Punkte sind wieder variabel. Oder ich habe die Aufgabe, Linien 
von bestimmter Länge und Richtung zu ziehen, uaf. 

ß) Eine Bewegung, eine Haltung, einen Druck unmittelbar dar¬ 
nach bei geschlossenen Augen wiederholen. Hier leitet nicht das Auge, 
sondern die Erinnerung an die eben dagewesenc Empfindung die neue Bewegung. 
Man kann die Bewegung in einem Zuge ausführen lassen oder Korrekturen ge¬ 
statten. Das erstere ist schwieriger. 

r) Um Ausdauer und Ermüdung zu prüfen, läßt man die Bewegungen o 
wiederholen, aber jedesmal mit neuem Ziel. So zeichnet man unregelmäßige 
Haufen von Punkten oder geradlinige Reihen von Punkten in unregelmäßigen 
Abständen, in welchen die Punkte nacheinander zu treffen sind. Unregel¬ 
mäßig soll die Anordnung sein, damit bei jeder neuen Bewegung neu gezielt 
werden muß. Das Tempo ist vorzuschreiben. 


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6) Den Methoden <* und y verwandt ist die Aufgabe, Konturen nachzü- 
ziehen. Wie genau trifft man? Wie bei längerer Fortsetzung, wie bei verschie¬ 
dener Schnelligkeit? Die Aufgabe kommt in der Praxis oft vor: beim Nach¬ 
ziehen von Konturen, beim Pausen, beim Bemalen einer vorgezeichneten Figur, 
beim Ausschneiden usf. 

e) Ähnlich wie die Aufgabe a kann man auch die Aufgabe ß längere Zeit 
hindurch wiederholen lassen, so z. B. gleiche Striche schreiben, eine Wellen¬ 
linie zeichnen lassen, usf. 1 ). 

£) Bei den Aufgaben er, y, d ist die Bewegung im wesentlichen räumlich 
bestimmt; bei dieser Aufgabe muß sie vor allem in Stärke dem Ziel angepaßt 
sein. Man läßt z. B. einen Ball bis in eine bestimmte Entfernung werfen 
oder schieben. Wie genau paßt sich die Stärke des Stoßes dem Ziel an? 

>/) Weitere prinzipiell verschiedene Methoden zur Prüfung der Genauigkeit wären 
noch folgende: Eine Bewegung an Tonhöhen anpassen, sei es räumliche Be¬ 
wegungen, wie wenn man ein Lied auf einer Saite spielt, sei es intensive Bewe¬ 
gungen wie beim Singen. Oder Anpassung an Tonstärken, z. B. verschiedene 
Stärken genau nachsingen. Allein, abgesehen von der Umständlichkeit der Messung 
würden diese Proben zu sehr von der musikalischen Begabung und Betätigung abhängen 
und sich daher kaum für Proben der motorischen Fähigkeit im allgemeinen eignen. 

k) Bisher war stets von Bewegungen die Rede, die jeder Mensch bis zu einem ge¬ 
wissen Grade beherrscht. Eine neue Seite der motorischen Leistung ist es, Bewegungen 
zu lernen, die man bis dahin überhaupt noch nie gekannt hatte. Ich führe Beispiele 
an, mehr zur Demonstration des Problems wie als Prüfungsmethode: 

Manche, namentlich Kinder, können die Ringfinger nicht isoliert bewegen; es fällt 
ihnen ebenso schwer wie uns allen das isolierte Bewegen einer mittleren Zehe. Wie 
bekommen wir die Bewegung in unsere Gewalt ? Zweierlei muß nun erreicht werden. 
Erstens müssen wir es dahinbringen, daß die gewünschte Bewegung überhaupt aus* 
geführt wird, zunächst natürlich rein zufällig. Wir müssen eben so lange probieren, 
bis sie zufällig gelingt. Die künstliche Bewegung des Gliedes durch die nicht be¬ 
schäftigte Hand mag dabei förderlich sein. Zweitens müssen wir trachten, diesen 
zufälligen Erfolg, sowohl die motorische Bewegung wie die sensorische Empfindung, 
festzuhalten und einzuprägen. Wir halten die Finger in Spannung oder suchen die 
Bewegung sofort zu wiederholen, was vielfach gelingt, und prägen uns gut ein, was 
wir dabei spüren. Wenn wir diese Übung oft wiederholen, gelangen wir allmählich 
zur Herrschaft über die Bewegung. 

Ähnlich geht es bei vielen neuen Fertigkeiten, wo wir die Bewegungen erst ent¬ 
decken müssen: bei Turnübungen, beim Pfeifen usw. Zunächst haben wir keine 
Ahnung, tappen auf gut Glück drauf los. Treffen wir das Richtige, so wissen wir, daß es 
Zufall war. Und auch hier trachten wir instinktiv, die richtige Bewegung, wenn wir 
sie zufällig getroffen haben, festzuhalten und einzuprägen. 


Nr. 1. 


Ich führe nun einige Apparate an, die bei verschiedenen Versuchen verwendet 
werden können. 

(Hand-Druck-)Dynamometer nach Collin. Die ellipsenförmige Feder 
soll in der Hand so stark wie möglich zusammengedrückt werden (Methode a). 



Der Zeiger gibt die Stärke des Druckes an. Da er beim 
Nachlassen des Druckes zurückgeht, würde das Ablesen 
des Maximums schwierig sein. Darum ist ein zweiter 
Zeiger angebracht, der mit der Feder nicht verbunden 
ist. Er wird vom ersten Zeiger vorgeschoben und bleibt 


in der äußersten Lage stehen. 


J ) Auf diese Übung hat mich Herr Dr. Lipmann aufmerksam gemacht. 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 253 


Wie kräftig kann man einmal drücken? Bleibt Zeit zum Ableaen oder läßt 
man den Apparat so halten, daß man dauernd ableaen kann, so kann man auch 
die Abnahme des Druckes bei fortgesetzter Wiederholung oder bei dauernder 
Ijeistung feststellen (Methode b, « und ß). 

Der Apparat wird in zwei Größen geliefert. 

Zug-Dynamometer nach Hupp (Mechaniker Marx, Berlin). Um auch die 
Kraft anderer Bewegungen messen zu können, stellte ich folgenden einfachen 
Apparat zusammen. An beiden Enden einer Zugfederwage 
werden direkt oder mit Zwischenschaltung verstellbarer |[~~ ^-— 

Riemen Griffe befestigt. Man faßt den Apparat ähnlich 
an wie die bekannten Streckapparate und sucht die Griffe so stark als möglich 
auseinander zu ziehen. Wie beim Collinschen Apparate schiebt der mit der Feder 
verbundene Zeiger einen zweiten vor sich her, der in der äußersten 
Lage stehen bleibt. Man kann eine Wage für leichtere oder eine 
solche für schwerere Gewichte einsetzen. 

(Hand-Druck-)Dynamograph nach Smedley (Stoeltung Co., 
Chicago). Verwendung wie bei 1, nur andere Konstruktion. Man 
umfaßt die zwei Griffe mit der Hand und drückt den inneren, beweg¬ 
lichen Steigbügel gegen den äußeren. Entfernung der Griffe ver¬ 
stellbar; Griffe handlich; Skala außen, so daß bequem abgelesen 
werden kann. 

Man kann die Bewegungen durch Laftübertragung auf ein Ky- 
mographion aufzeichnen (daher „Dynamograph“); zu dem Zwecke wird oben 
ein Schlauch angesetzt. Dies verwendet man hauptsächlich für die Versuche 
b, a und ß. 

(Zug- und Druck-)Dynamometer nach Sargent (Stoel- 
ting Co., Chicago). Man stellt sich auf das Fußbrett, nimmt 
die Griffstange mit beiden Händen und zieht sie so stark als 
möglich nach oben. Das kann durch Beugen der Arme, 
durch Aufrichten des vorher vorgebeugten Oberkörpers oder 
durch Strecken der vorher etwas gebeugten Knie geschehen. 

Die Länge der Kette wird entsprechend geregelt. 

Ferner kann die Kraft gemessen werden, mit der die seit¬ 
lichen Knöpfe zusammengedrückt werden können. ' 

(Hand-Druck-)Dynamograph nach Weyler (Sendtner, 

München). Der Griff des Apparates besteht aus zwei über- 
einandergreifenden Teilen; er soll so stark wie möglich zu¬ 
sammengedrückt werden. Am Ende des Griffes • ist eine Dose angesetzt, die 
einen Registrierapparat enthält. Mah legt auf der oberen Seite der Dose 
eine der beigegebenen, mit konzentrischen Ringen versehene 
Scheibe ein. Auf dieser wird durch darübergelegtes Kopier¬ 
papier registriert. Über der Scheibe bewegt sich nämlich bei 
jedem Zusammendrücken ein Schreiber in radialer Richtung; die 
Länge des Radius zeigt den Druck an. Beim Aufhören des 
Druckes dreht sich die Scheibe automatisch ein wenig weiter. 
Der beim nächsten Druck gezeichnete Radius ist also etwas verschoben. 

Der Apparat dient vor allem für die Versuche ba. 





Nr. 1 


Nr. 


Nr. 4. 


Nr. 5. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY OF MICHIGAN 





Er.gograpl« nach Moaso (Mechaniker Spindler und Hoyi*r, Güttingen). Ih?r 
Apparat dient vor allem für die Voran ehe. b, y und fi. und zwar für Bewegung 


l irtefi nmliwrhu Fingers; Er is t so ln-kannt, 
bouubigMV 1 ^.. 

An Steile des umstiimlHoheii Ar«!' und Hjmdlager« kann «las einfachere Haml- 
lagoi 4os fofgi'ndvn Apparates verwendet werden. •’Setart, >n<öi au Steile d<?B <fo- 
wichte* das Zug-Dynamometer Nr. 2, so kann auch dir- •nwwchnftlp Leistung 
geniesten werden (Versuche b, d oder fl). Faßt man den Schlitten des Schreib- 


»s genügen wird, Abbildung» 


b, •* o«ler /?). Faßt man den Schlitte 
apparates, der dm Feder trägt, mit der Hand, :k» kann man die langsamste oder die 
gleichmäßige Bewegung aufzeiehrien und untersuchen (Versuche f. g und h Anvn.). 

Ergogcaph nach Duhoi* (Mechaniker Ziwimermann, IwipzigL Für dietwlbt n 
Versuche b, a ß * 6 wie der vorige Apparat/. Die Hand umfaßt einen Zapfen, 
»'in Finger hebt das Gewicht. Der Stjhreibopparat ist so konstruiert, daß kein 






Kyntographion notig »sf wie beim vorigen Apparat. Die mm. Gewicht. laufende 
Schum nimmt einen vertikalen Bleistift mit, der auf dem darunter liegenden 
Papicmf-wäfeh- einen der Hubhöhe, entsprechenden Strich schreibt, Nach jeder 
Hebung wird «!ss. Papier automatisch ein wenig weiter geschoben (ähnlich wie 
bei Nr. äh 

K bin t Akt br e it f üi S ti\xvi v 1 ügkyt t s w css ftp ge» nach Hupp (Mechaniker 
Mars. Berlin), zur fk>*ft.».rnniuftg der maximalen. Ge&ehwmdigkeit einer Bewegung 

(Versuch c|. Längliches Brett, die geschrafften Teile tue- 
tallikch. p;doöb irt einer Ebene mit dem rmttieren Teil des 
; Omi Brettes; Alan streicht iuit. einem Aiotalhtift oder «*ft 
einet" Fihgcrhut möglichst schnell von *iwer Seite ra£ 
atutcreü. Die Zeit zwischen dyn zwei Kontakten wird am Chronographen (vgl 
Gruppe VH {. Nr. ö — 10) germ^son. Je kürzer die Zeit, desto schneller w»t 






Trobieme und Apparat« xur experimentellen Pädagogik 2f>5 

Orientiert man das Brett verschieden, so kann man verschiedene Bewegungen 
prüfen. Um Ausdauer in schnellen Bewegungen zu prüfen (.Versuch d), kann 
man dauernd hin und her streichen lassen. 

Der Apparat läßt «ich auch in der Weise des Apparates Nr. 11 verwerten/ 
Ringkontakthrett für Sehne Ui gke.it&mcssnn gen, 
nach Rupp (Mechaniker -Marx,. Berlin), vn« die Bewegungen 
von einem Punkto aus hach verschiedenen Richtungen hin¬ 
sichtlich ihrer m&xitoafeft - l&htfeliigkirit bequent vergleichen 
zu können^ Vei Wendung, wiebei 

Tasterklavier (Me 0 nä»i|«'r Marx, Berlin}'. Tasten einer 
oder zweier Oktaven, genau wie beim Klavier. Beim Nieder¬ 
drücken jeder Taste entsteht hin Kontakt, durch den auf dem Chronographen. iX '.;' 
(Gruppe VHI, besonders Nr. 7) eine Marke gezeichnet-wird. LVr Apparat dient 
vor allein, für die Versuche d: Wie schnell .kann getrillert werden? wie hei län¬ 
gerer Fortsetzung! wie. mit verschiedenen. Fingern ? 

Auch für sonstige Versuche, z. Th übet den Fingersatz oder über den Rhythmus 
bum (stummen) Klftvierspteferi. dürfte der Apparat, gute Dienste leisten. 

Man % r f-rg(eiche auch die Tester Nr. 18 und 10 in (truppe 1TI, mit denen man die 
Schnelligkeit de« wiederholten Tosten* auf diieeeJhe Taste prüfen kann. 

Klnpfbrctt (tappingboord.) nach Whipple (Mf-Aiainlter Stoeltung C*>.. Sr u. 
f.'lticagu), zur lYüfnnj» der Sehnelligköit de« Klopfens. Der Apparat sieht ähnlich aus 
wie Nr. 8, nur sind die itetallplatten aufgelegt., nicht eingelassen. Bei Prüfung rlcr 
rechten Hand liegt der Btlbogen oin rechte» Ende, die Hand mit dom Kontaktstift 
link« über der JVIetaUpfatte; bei tYüfung der linken Hand umgekehrt. Daher die 
2 Metallplatton. Für «len gleiche«« Zweck läßt sieh natürlich «las Kontaktbrett Nr. 8 
vorwerte». ' ‘ . ' ' ■ 1 

Kontaktapparat für BchtneUvgkeit&lnessuiigen nach Lipniann (Me- '■> V* 

Afar.v, Berlin)/ Man /bewegt ««'men Kontakt-. 

Stift, den man In der Hand hält, möglichst schnell 
xmKebeit den zwei vertikale« Böcken |ln und her (siehe- 
ho daß man .'jedesmal an diosefbeü anschlägt 
und Kontakte erzeugt. Die Entfernung der Böcke kann variiert werden. 

Wie schnell gelingt die Übung, wie mit- der rechte«, wie mit <j|er : jtink<rqrt-: 
Han«]? Wie mit der Hand, wie mit «jeip ganzen Arni? Wie bei verschieden«»? 
Entfernung der Böcke? ■ ' ' '■ fe; ■' ; V 

Kon takfcfS ngerhüte und K «intaktstAlt*? (Mechaniker Marx, Berlibj Jaihi t.» 

Klopfen auf eine metallische Unterlage, statt der Taster. Man kann an mehrere 
Finger passende Hüte stecken und verschiedene Tri tkriihangen ausfuhre«. 

Kytnograph nach Mionemann (Mecbaoiknr Marx, Berlin).. Auf dem Reiß- v h 
brett wird ein nicht zu dickes Rapier befestigt. Uutct demselben wird durch die 
Reibung dar Rollen rr ein von der Roll« R kom¬ 
mender PapierstTcifeji vorbejge zogen. Zwischen Z«;i- 
chenpapier und. Streifen rat Kopierpapier befestigt 
so daß sich die Zeichnung auf dem Streifen ah 
drückt, und zwar um kömehr ausrüiander gezogm. 

je langsamer gezeichnet und je schneller der Streifen bewegt wird. Die Be¬ 
wegung dee Streifens wird durch die Hand oder durch cihni Motor bewirkt, 
der an der einen Rolle r angreift (durch Gewicht angedc«itet)v 











256 


Hans Rupp 


/> 


v\ 

1 

\ 


<1 


I« » » > 


Man kann die langsamste Bewegung (f, g), die gleichmäßige Bewegung 
(h Anm.) und das schnellste Hin- und Herbewegen (d), endlich die Genauigkeit 
prüfen, mit der dieselbe Bewegung wiederholt wird (i ß). Die Bewegung muß 
senkrecht zum Streifen ausgeführt werden. 

Nr ,- Tremograph nach Vierordt-Rupp (Mechaniker Marz, Berlin). Er dient zur 
Aufzeichnung des Tremors (h), ferner zur Bestimmung der kleinsten Bewe¬ 
gungen (f, g). Der zeichnende Stift steckt in einer Hülse, 
/f\ aus der er durch eine leichte Spiralfeder nach außen 

/ J \ gedrängt wird. Das hat den Zweck, daß er die Schreib- 

/ i fläche (berußte Glas- oder Metallplatte) auch berührt, 

/ 1 \ wenn er schräg gehalten oder etwas zurückgezogen wird. 

Es werden nur die Schwankungen in den zwei Dimen¬ 
sionen der Schreibplatte aufgezeichnet. 

Ich ließ den Apparat so einrichten, daß er für ver¬ 
schiedene Bewegungen verwendbar ist. Um z. B. die 
Schwankungen der Hand zu zeigen, wird er an einen 
geeigneten Fingerhut oder an eine an der Hand angebundene Platte geschraubt; 
für Schwankungen des Kopfes oder des Körpers oder Gewehres beim Zielen an 
einer am Kopf, am Körper oder Gewehr zu befestigenden Platte; usf. 

Nr 1(i A _ i Ruheprüfer (steadiness tester) nach Whipple (Mechaniker 

Stoelting Co., Chicago). Die Metallplatte hat neun Löcher, deren 
Durchmesser immer kleiner werden. Man führt eine Nadel in ein 
Loch und soll sie einige Zeit (z. B. l / t Min.) ruhig halten, ohne 
den Rand des Loches zu berühren. Geschieht das letztere, so ertönt eine Glocke 
oder es wird eine Marke auf dem Chronograph gezeichnet. 

Nr . 17 . Zieltafel (target blank) mit Halter nach Whipple (Me¬ 
chaniker Stoelting Co., Chicago). Das nahezu quadratische 
Papier von ca. 20 cm Seite mit 10 Kreuzen wird auf dem 
Halter befestigt. Der Apparat ist aufgehängt und kann je nach 
der Größe des Schülers höher oder tiefer gezogen werden. Der 
Schüler steht gerade davor, z. B. so, daß er die Tafel bei 
ausgestrecktem Arm gerade berührt, und fährt mit einem Blei¬ 
stift schnell auf die Kreuze hin. Wie groß sind die Fehler ? 

Ni. h. Zieltafel für radiale Bewegungen nach Rupp (Mecha¬ 
niker Marx, Berlin). Ein quadratisches Papier von ca. 50 cm 

Seite wird in einen Rahmen gespannt. Es trägt einen größeren 
oder kleineren Kceis von 12 Punkten. Man soll vom Mittel¬ 
punkte aus nach verschiedenen Randpunkten schnell hin¬ 
fahren. Welche Punkte werden genauer getroffen? Wie bei- 
verschiedener Haltung des Armes? oder verschiedener Orien¬ 
tierung der Tafel (vertikal, horizontal) ? Man zeichnet entweder 
direkt auf das Papier mit den Zielpunkten oder, um dieses zu 
schonen und für mehrere Versuche verwenden zu können,, auf ein darunter aus¬ 
gespanntes, leeres Papier, indem man Kopierpapier zwischenlegt und mit 
einem stumpfen Holzstift zeichnet. 

Man kann auch die Aufgabe stellen, möglichst gerade Radien zu ziehen. 
Welche gelingen besser? Wie bei verschiedener Schnelligkeit? 



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UNIVERSETY 0F MICHIGAN 






Problome and Apparate zur experimentellen Pädagogik_ 267 

Kontaktspalt (tracing board) nach Bryan (Mechaniker Stoelting Co., Kr - 19 
Chicago). Man fährt mit einem Metallstift mit vorgeschriebener Geschwindig¬ 
keit den Spalt entlang, vom breiteren Ende beginnend. Stößt 
man an den Rand, so ertönt eine Glocke oder es wird ein 
Zeichen auf dem Chronograph notiert. Wie weit kommt 
man ohne Fehler? Wie bei verschiedenen Richtungen? 

Kontaktspalt nach Bolton -Rupp (Mechaniker Marx, 

Berlin). Drei parallele Spalte von verschiedener Breite. Wie 
oft stößt man an, wenn man den Spalt entlang fährt? Man 
kann die Übung länger fortsetzen, indem man im bestimmten 
Tempo hin und her fahren läßt. Wer hält besser aus? 

Ring-Kontaktspalt nach Rupp (Mechaniker Marx, Ber- Nr 21 
lin). Drei Platten, jede mit drei verschieden großen Ring¬ 
spalten, jedoch jede Platte mit anderer Spaltweite. Zum 
Unterschied von Apparat 20 ist hier, namentlich bei den 
kleineren Ringen, die Richtung fortwährend zu andern. Man 
kann dauernd im Kreise herumfahren lassen. Das Loch in 
der Mitte kann für dieselben Versuche verwendet werden wie 
Apparat 16. 

Außer diesen Apparaten sind noch an anderen Stellen beschriebene Apparate 
für Versuche dieser Gruppe verwertbar. Der Bewegungsmesser nach Gold- 
scheider, den ich bei Besprechung der passiven Bewegungsschwelle erwähnte 
(Gruppe V B Nr. 9), dient auch zur Bestimmung der aktiven Schwelle (Ver¬ 
such f); für die Klopfversuche eignen sich, wie schon erwähnt, die Taster, die 
in Gruppe III unter Nr. 18 und 19 beschrieben wurden. Für Reaktionsver¬ 
suche , bei denen die Zeit bis zum Beginn der Reaktionsbewegung gemessen 
werden soll, sind eine Reihe der in Gruppe VTII zu beschreibenden Anordnungen 
verwendbar. 





Zur Geschichte der Kinderpsychologie und der 
experimentellen Pädagogik. 

Von Hermann Götz. 

»Die größte methodische und zugleich materiale Neuerung, welche die 
experimentelle Pädagogik mit sich brachte, ist die, daß wir alle 
Probleme der Pädagogik vom Kinde aus zu entscheiden 
suchen.“ 1 ) Als formale Neuerung kommt die Anwendung des Experiments 
als Mittel pädagogischer Forschung hinzu. Wollte Meumann sagen, daß 
die Vertreter der experimentellen Pädagogik sich energischer, zielbewußter 
als frühere Pädagogen um die Erkenntnis der kindlichen Psyche bemühten, 
so kann man mit seinen Worten einverstanden sein, aber unberechtigt wären 
sie, wenn sie den Sinn haben sollten, daß erst mit der experimentellen Päda- 


') Meumann, E., Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik. Bd. I, S. 32. 
Vgl 2. AufL, Bd. I, S. 46, 47. 


Zeitschrift L pftdagog Psychologie 

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17 

Original fro-m 

UNIVERSITY 0F MICHIGAN 






. 258 Hermann Götz 


gogik die Erkenntnis gekommen sei, das Vertrautsein mit den Besonderheiten 
des kindlichen Innenlebens sei die unerläßliche Bedingung der Pädagogik, 
Im Jahre 1753 erschien in Berlin ein Buch unter dem Titel: „Versuch einer 
Theorie von dem Menschen und dessen Erziehung.“ Der Verfasser, 
Friedrich Engel, war Hauslehrer bei dem Grafen Heinr. Adrian von Borcke, 
dem er sein Werk gewidmet hat. Engel ist von dem französischen Ästhetiker 
Charles Ratteux*) beeinflußt Er betrachtet gleich diesem die schönen Künste 
als Nachahmungen der Natur. Sie ist als die weiseste Verfassung keiner Ver¬ 
besserung, wohl aber einer Verschlimmerung fähig. Aufgabe der Kunst, 
natürlich auch der Erziehungskunst, ist es, durch die in der Natur gegründeten 
Mittel die Verschlimmerung zu verhüten. „Kein Mensch ist das, was nach 
der Anlage der Fähigkeiten aus ihm hätte werden können.“ Es gelingt der 
Natur niemals, ihren Zweck völlig zu erreichen. 2 ) Diese Gedanken begegnen 
uns später extrem und schroff in den Sätzen, mit welchen Rousseau seinen 
„Emil“ beginnt: „Alles ist gut, wie es hervorgeht aus den Händen des Urhebers 
der Dinge; alles entartet unter den Händen des Menschen.“ 3 ) Wie Kant, so 
ist auch Engel der Meinung, daß die Erziehung ihrem innersten Wesen nach 
nicht Beeinflussung, sondern Lenkung, Leitung ist „Die Eindrücke von den 
auswärtigen Dingen bestimmen ein Kind nicht in seinem Verhalten, sondern 
diese sind nur Veranlassung, sich nach seinem inneren, in der Natur gegrün¬ 
deten Plan zu bilden (§ 85). Die besten Obungen werden von der Natur 
veranlaßt Das Kind erwartet nur Beistand, den wir schlecht leisten werden, 
wenn wir seine Natur nicht kennen. „Die große Regel der Weisen: Folge 
der Natur, verbindet uns auf die dringendste Art, uns in eine nähere Be¬ 
kanntschaft mit einem Kinde einzulassen, um die Natur eines Kindes, dafür 
wir jetzt die nötigen Beschäftigungen wählen sollen, kennen zu lernen, weil 
auf dieser Kenntnis das ganze Glück der Wahl und zugleich der Erziehung 
beruhet.“ 4 ) Die Vorzüge des Menschen sind Vernunft und Freiheit Zu beant¬ 
worten hat deshalb der Erzieher die Frage: Was Bind Vernunft und Freiheit 
bei einem Kinde? 5 ) „Es ist falsch, von allen Menschen auf ein Kind zu 
schließen.“ Man kann das so wenig, „als wir von dem, was die Menschen 
wirklich sind, auf das, was sie sein können, einen Schluß machen können. 
Desto richtiger und bündiger aber ist der Schluß, den man von Kindern auf 
die Menschen macht und vielleicht besteht das einzige Mittel, den Menschen 
nach einem aus der Natur hergeleiteten Begriff recht kennen zu lernen, darin, 
daß man mit Kindern durch einen näheren Umgang bekannt wird.“ 6 ) „Daß 
ein Philosoph ein Kind nicht kennte, das kann man ihm vergeben, daß er 
aber seinen Schlüssen, die er von dem Menschen, wie er wirklich ist, auf 
die menschliche Natur und auf ein Kind macht, soviel zutrauet, das kann man 
ihm nicht vergeben.“ 7 ) „Vernunft, Klugheit, Verstand, Scharfsinnigkeit des 
Geistes, diese Vorzüge wirklich großer Männer, dadurch sie der Welt, sowohl 
als sich selbst in allen Umständen so nützlich werden, müssen in ihren ersten 
Zügen, ihrer Anlage nach, in der Seele eines Kindes, ob zwar gleichsam als 
eingewickelt liegen.“ „Diese Fähigkeiten eines Kindes, sowohl als ihr Ver- 


‘) Geb. 1718 in Allandhuy b. Vousiers, gest. 1780 in Paris. Hauptwerk: Coura de beiles- 
lettres. 5 Bde. 

*1 Vergl. a. a. O., § 1, 19, 20, 95, 22. *) Obers, von E. von Sallwfirk. Bd. I, S. 9. 

*) Engel a. a O., § 95. ») A. a. O., § 42. •) A. a. 0., § 43. A. a. O., $ »>• 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 



Zur Geschiohte der Kinderpsychologie u. der experimentellen Pädagogik 269 


hältnis zu seiner Bestimmung müssen wir von einem Kinde selbst lernen.“ 1 ) 
Engel beschränkt sich nicht auf allgemeine Forderungen, sondern er ist be¬ 
müht, eine Analyse des kindlichen Seelenlebens zu geben. Alle Handlungen 
des Menschen sind aus „der einzig wirkenden Kraft der Seele“ herzuleiten, 
nicht von drei Seelen. Es gibt nur eine Seele mit einer gewissen starken 
und schwachen Seite, mit gewissen Ober- und Unterkräften. Die Aufmerk- 
• samkeit ist das erste Merkmal des Verstandes, wie Engel bemerkt. Er zeigt, 
wie sie durch Empfindungen bestimmt Wird. Dann behandelt er die Neigung 
des Kindes, zu gefallen, seinen Nachahmungstrieb, seine Wißbegierde, seinen 
Geschmack, der nach Engel unter allen Fähigkeiten die erste Stelle einnimmt. 
Die Kinder sind „individuell verschieden“. Der Geschmack ist es, der durch 
seine verschiedenen Grade die Gaben eines Kindes unterscheidet und auf 
den die ganze Bildung des Geistes und des Herzens ankommt.“ 2 ) „Der Irr¬ 
tum, den der Mensch in der Wahl des Guten und Bösen begehet, ist ihm 
gar nicht natürlich, am wenigsten aber einem Kinde, weil sich die Empfindung 
allezeit weniger irret als die Vernunft.“ „Wir haben also nicht nötig, einem 
Kinde die Wahl und die Unterscheidung des Guten und Bösen durch fremde 
Mittel zu erleichtern“. Der Mensch weiß seine Gedanken zum Vorteil seines 
Handelns zu drehen, weiß sein Tun zu beschönigen, „das gilt besonders von 
einem Kinde“. 2 ) Die Bedeutung der Sprache für die geistige Entwicklung 
des Kindes hebt Engel ganz besonders hervor. Von einem unrichtigen Aus¬ 
druck eines Kindes dürfen wir nach ihm nicht auf eine mangelhafte Vor¬ 
stellung schließen. Es ist also falsch, ein Kind nach seinen Ausdrücken zu 
beurteilen. Man bedenke, wie schwer es selbst für den Erwachsenen oft ist, 
für einen richtigen Gedanken das ganz richtige Wort zu finden. 4 ) Die erste* 
Handlung, welche auf die höhere Bestimmung des Kindes hinweist, ist die 
lallende Nachbildung gehörter Laute, die sich auch bei Geschöpfen der nied¬ 
rigsten Art findet. Höher steht die Bildung nichtgehörter Laute. Gedächtnis, 
Witz und Geschmack bedingen die Bildung der Kindessprache. 1 ) Das Kind* 
lernt leichter eine vollkommene als eine unvollkommene Sprache. Man darf 
es nicht nach vorausgesetzten und vorher bekannt gemachten Regeln unter¬ 
richten. Übungen der Sprache sind zugleich Übungen des Verstandes. Die 
Worte sind Zeichen unserer Gedanken. Beide haben notwendige Beziehungen 
aufeinander, darum müssen die Regeln der Sprache zugleich Regeln der Ver¬ 
nunft sein. 6 ) Das Seelenleben des Kindes wird zunächst durch Gedächtnis 
und Einbildungskraft beherrscht. 7 ) „Aus dem Auswendiglernen ein besonderes 
Geschäft machen, heißt nichts anderes, als dasjenige, was ein Kind notwen¬ 
dig und mit Lust verrichtet, einem unnatürlichen Zwang unterwerfen.“ Wenn 
der Unterricht interessant gestaltet wird, tut das Gedächtnis von selbst, ohne 
Zwang seine Schuldigkeit. 8 ) Eine höhere Fähigkeit als die Einbildungskraft 
und das Gedächtnis ist der Witz, mit dessen Hilfe das Kind schon die Ähn¬ 
lichkeit zwischen den beiden ersten Tönen entdeckt. Während er bei dem 
Here keiner Erweiterung fähig ist, sind bei dem Kinde immer höhere Grade 
möglich. Auf dem Witz beruhen alle großen Eigenschaften des Geistes. Er 
befähigt das Kind, „bloß aus dem Grunde der Ähnlichkeit, von der Beschaffen- 


') A. a. O., § 115. *) Vgl. a. a. O. §§ 63—80. 

4 ) Vgl. a. a. 0., g 87, 88. J ) Vgl. a. a. O., 8 »6. 97. 

’) Vgl. a. a O., 8 116- ®) A. a. 0., 6 121, 128. 


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3 ) 88 88, 86, 86 a. a. 0. 
e ) Vgl. a. a. O., 8 111, 112. 

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Original from 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 



Hermann Götz 


260 


heit ganzer Arten, Gattungen und Geschlechter richtig zu schließen und also 
von einem Ding alle anderen, die unter einen allgemeinen Begriff gehören, 
zu lernen.“ „Es ist grausam, ein Kind mit trockenen Lehren unterhalten, die 
es selbst erfinden wjjl, erfinden kann, erfinden muß.“ Die Natur hilft, zeigt 
dem Kinde „die Ähnlichkeiten in den Verhältnissen zwischen Ursache und 
Wirkung, Mittel und Zweck und zwischen dem Ganzen und seinen Teilen. 
Ein Kind findet, so klein auch der Bezirk seiner Erfahrungen ist, daß in 
einerlei Umständen immer einerlei erfolget, daß jede Wirkung eine Absicht, 
ein Mittel zu einer höheren Absicht sei, dadurch alles um ihn in einer Ver¬ 
knüpfung erscheinet Das große Warum? das ein Kind, fast sobald es die 
Augen öffnet, unaufhörlich und unendlich oft wiederholet, beweiset, daß es 
von einer Welt, die mit seinen Bedürfnissen übereinstimmen und für ihn ge¬ 
macht sein soll, Ordnung, Zusammenhang und Übereinstimmung erwarte.“ 
„Ein Kind setzet voraus, daß alles seinen zureichenden Grund haben muß.“ 1 ) 
„Die Aufmerksamkeit ist eine Anwendung der Vorstellungskraft auf einen 
äußeren Gegenstand, deren Grad jedesmal nach dem Grade der Vollkommen¬ 
heit, die sich in dem Gegenstände befindet, bestimmt wird.“ Der Verstand 
denkt nur insoweit richtig, als er von dem guten Geschmack geleitet wird, 
der alle Vorzüge des Geistes und Herzens in sich begreift. „Der Geschmack 
macht auch die inneren Beweggründe und wahren Triebfedern aus, dadurch 
der Geist in einer beständigen Wirksamkeit erhalten wird; er ist die Kraft, 
durch die sich der Geist, durch sich selbst, zu seiner Vollkommenheit auf 
die richtigste Art ausbildet.“ Belohnung und Strafe sind äußere Beweggründe, 
aber sie können, weil sie nicht natürlich sind wie der Geschmack, großes 
Unheil anrichten. Beschäftigungen, gegen die ein Kind beständig Unlust äußert, 
müssen unnatürlich sein. 2 ) Im Kinde werden große Empfindungen durch wohl¬ 
getroffene Schilderungen eines edlen Charakters allzeit erweckt. Die guten 
Muster wählt sich ein Kind selbst. Eigensinn, Schalkheit, Unlust zu nützlichen 
Beschäftigungen sind schon bei kleinen Kindern, oft in nicht geringer Stärke 
anzutreffen. „Der Eigensinn ist ein Wille, der Bich bloß durch das Gegenteil 
dessen, was angeraten oder befohlen wird, bestimmt, es mag an sich gut oder 
böse sein, nach dem bekannten Satze: Nitimur in vetitum, temper capimusque 
negata. Quellen des Eigensinns sind: Mißtrauen gegen Andere und allzu¬ 
großes Vertrauen auf sich selbst; Verbote, die dem Kinde mißfallen, Ton und 
Mienen bei Befehlen und Verboten können das Mißtrauen des Kindes erwecken. 
Mit dem Mißtrauen aber gegen andere wächst das Vertrauen zu sich selbst. 
„Wenn man nun vom Eigensinn alles das absondert, was durch eine schlechte 
Erziehung dazu kommt, nämlich Mißtrauen gegen andere und allzu großes 
Vertrauen zu sich selbst, so bleibt nichts übrig als ein gewisser Widerstand 
im Gemüt, der den Eindrücken von außen das Gegengewicht hält, daß sie 
nur nach dem Grade des Guten und dadurch sich die Dinge unterscheiden, 
auf das Gemüt wirken. Und in dieser Betrachtung ist der Eigensinn die 
schönste Eigenschaft des Kindes.“ „Unterdrückt man diesen Eigensinn, so 
raubt man einem Kinde nicht nur alles Verdienst, sondern macht es auch, 
durch den unausbleiblichen Erfolg, entweder zu einer Maschine oder zu einem 
Bösewicht.“ Die Triebe zeigen sich bei verschiedenen Kindern in sehr ver¬ 
schiedener Stärke. Gegen Neigungen und Leidenschaften ist bei Kindern mit 


«) A. a. 0., § 1*6, 127, 128. *) Vgl. a. a. O., 131—133. 


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Original fru-m 

UNIVERSETY OF MICHtGAN 



Zur Geschichte der Kinderpsychologie u. der experimentellen Pädagogik 261 


Vernunftschlüssen wenig auszurichten, da sie Vorurteile des Herzens und da¬ 
mit stärker und gefährlicher als die Vorurteile des Verstandes sind. Kinder 
haben solche Vorurteile des Herzens nur so weit, als sie ihnen nach einer 
festgesetzten Gewohnheit beigebracht werden. An sich hat ein Kind ein 
richtiges Gefühl für das Gute, wie für das Böse. Die bösen Neigungen des 
Kindes sind entweder feindselige, d. i. solche, die eine Beleidigung zum Grunde 
haben. Und dann ist das einzige Mittel, sie zu unterdrücken, daß man jene 
unterläßt und das Kind mit den sanften Gefühlen bekannt macht, oder sie 
sind töricht, „d. i. solche, die aus dem Irrtum, welchen wir in Absicht unseres 
Wertes begehen, indem wir solchen zu hoch oder zu niedrig setzen oder ihn 
aus falschen Gründen bestimmen. Diesen Irrtum begeht ein Kind niemals, 
wenn wir nicht gegen es gebieterisch strenge, oder ängstlich zärtlich oder 
niederträchtig gefällig sind und dadurch seinen Wert zu weit heruntersetzen 
oder zu sehr über sein Verdienst erhöhen, wenn wir nicht selbst Verehrer 
von den Dingen sind, die Geiz, Wollust und Ehrsucht vergöttert haben und 
es dadurch veranlassen, seinen Wert aus falschen Gründen zu bestimmen.“ 1 ) 

Längere Zeit galt in Deutschland, nachdem die Franzosen Michelan und 
P6rez auf seine Verdienste hingewiesen hatten, der nicht unbedeutende Anti¬ 
kantianer Diedrich Tiedemann als Begründer der Kinderpsychologie, 2 ) bis 
Theodor Fritzsch nachwies, daß Tiedemann „nur ein Glied in der großen Reihe 
der Forscher auf dem Gebiete der Pädologie in der zweiten Hälfte des 18. 
Jahrhunderts ist“. 3 ) Nun haben wir gezeigt, daß Friedrich Engel nicht nur 
die Notwendigkeit der kinderpsychologischen Forschung und ihre Bedeutung 
für die Grundlegung der Pädagogik erkannte, daß er sie nicht nur entschieden 
forderte, sondern daß er es auch unternahm, die Entwicklung des kindlichen 
Seelenlebens darzustellen. Mithin dürfen wir, solange nicht ein früherer Ver¬ 
treter derselben gefunden wird, die Anfänge der Kinderpsychologie 
in Deutschland bei Friedrich Engel, ihren Anfang also um das 
Jahr 1750 suchen. 

Elf Jahre später als das Werk Engels, erschien eine klar und leicht ver¬ 
ständlich geschriebene Psychologie des Verstandes und des Willens. 4 ) Ihr Ver¬ 
fasser war David Nikol. Schönfeldt, Pastor an der deutschen Marienkirche zu 
Bergen in Norwegen. Er sagt: „Die Erziehung der Kinder und die Regie¬ 
rung anderer Menschen wird niemals recht von statten gehen, wenn man 
die Gemüter, die regiert und gebessert werden sollen, nicht recht erkennet.“ 3 ) 
Aber wie erlangt man diese notwendige Erkenntnis? Es ist bedeutsam, wie 
der Verfasser, der nur an wenigen Stellen auf die Eigentümlichkeiten des 
kindlichen Seelenlebens eingeht, diese Frage beantwortet. Er meint, die Er¬ 
fahrung 6ei die Hauptsache in der Seelenlehre. Da fast gar keine fremden 
Erfahrungen und Versuche hinterlassen worden seien, hätten einige Gelehrte 
gewisse Meinungen und Grundsätze angenommen. Leicht sei die Einbildung 
entstanden, daß die Erfahrung damit übereinstimme. Dem Mangel an Er- 


') Vgl. a. a. O., § 150 bis 161. 

*) Geb. 1748 zu Bremervörde b. Bremen, gest. 1803 zu Marburg. Er veröffentlichte a. a. „Be¬ 
obachtungen über die Entwicklung der Seelenfähigkeiten bei Kindern/ erschienen 1787 in den 
„Hessischen Beiträgen zur Gelehrsamkeit und Kunst/ Bd. II, Stück 2 und 3. 

*) Die Anfänge der Kinderpsychologie und die Vorläufer des Versuchs in der Pädagogik, Zeitscbr. 
f. päd. Psych., Path. u. Hygiene, 1910, S. 14'*. 

4 ) Der Titel lautet: „Anweisung zur Erkenntnis seiner selbst nach der natürlichen Beschaffenheit 
seiner Seele/ Bützow u. Wismar 1764. 5 ) A. a. O, S. 8. 


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fahrungen müsse abgeholfen werden. Die Großen, welche die Sozietäten der 
Wissenschaften stiften und regieren, müßten die Seelenlehre zu einer Haupt¬ 
klasse ihrer gelehrten Gesellschaft machen. Außer den Erfahrungen seien 
besondere Versuche notwendig. Durch ausgesetzte Belohnungen soll man 
„andere fähige Köpfe, vornehmlich solche, die mit der Unterweisung und 
Erziehung, der Kinder zu tun haben, ermuntern, sich um die zur Erkenntnis 
der Seele, besonders der Kinder, dienenden Erfahrungen genauer zu bekümmern 
und was sie nützliches entdecken, zum allgemeinen Besten kundzumachen/ 
Die Lehre von der Seele ist einer der allerwichtigsten und schwersten Teile 
der Naturlehre. Darum sind bei der ersteren wie bei der letzteren mehr 
Erfahrungen und genauere Versuche notwendig. Hier finden wir, vielleicht 
zum ersten Male, die Forderung, die kindliche Psyche durch Ver¬ 
suche zu ergründen. Gleichzeitig verlangt ein Aufsatz, der im Berlinischen 
Magazin erschien (in, 583), eine Geschichte von allem, „was in der Seele 
eines Kindes von der ersten Empfindung oder vielmehr von der ersten Be¬ 
wegung seines Lebens an bis zum ersten Gebrauch, den es von seiner Ver¬ 
nunft gemacht, vorgegangen ist.“ Dadurch werde ein helleres Licht üb« 
das Wesen der Seele verbreitet als durch alle Lehrgebäude, welche, die 
Philosophen von Anfang der Welt aufgeführt haben. Im Jahre 1769 erschien 
in Berlin Christian Garves *) Preisschrift „Ob man die natürlichen Neigungen 
vernichten oder welche erwecken könne, die die Natur nicht erzeugt hat“ 
Der Verfasser knüpft mit „großer Vorliebe an die ersten Regungen der 
Kindesseele an“. „Die Beispiele zeichnen sich durch die vom Kindesalt« 
ausführlich handelnde genetische Betrachtung aus.“ 2 ) Der namhafte Philolog 
Christian Gottfried Schütz 3 ) übersetzte 1770 Bonnets „Essai analytique* und 
begleitete ihn mit eigenen wertvollen Bemerkungen. „Im einzelnen verlangt 
er Untersuchungen über den Ursprung der Fähigkeiten und Neigungen in 
den Kindern, ferner eine genauere Erforschung verschiedener außerordent¬ 
licher Seelenzustände. Nun erst sind als Freunde und Vertreter der Kind«- 
psychologie die Philanthropisten und Männer, die ihnen nahestanden, zu 
nennen. Theodor Fritzsch führt besonders auf 4 ) Sneedorf, einen Verwandten 
Basedows, Johann Karl Wezel, 6 ) „der eine ganze Theorie der pädagogischen 
Beobachtung entwickelt“, Christian Heinrich Wolke, 6 ) Emst Christian Trapp, 7 ) 
dessen noch heute wertvoller „Versuch einer Pädagogik“ von Fritzsch neu 
herausgegeben wurde, die Erziehungsrevisoren, Karl Philipp Moritz, 8 ) der das 
„Magazin zur Erfahrungsseelenkunde“ herausgab (1783—1793), den Württem- 
bergischen Theologen Immanuel David Mauchart (1764—1826,) der ein „All¬ 
gemeines Repertorium für empirische Psychologie und verwandte Wissen¬ 
schaften“ leitete (1792—1801), und den schon erwähnten Dietrich Tiedemann. 9 ) 

Das Interesse für die Kinderpsychologie bleibt auch weiterhin. Wir be- 


‘) Geb. 1742 zu Breslau, gest daselbst 1798. 

*) Max Dessoir, Gescb. der neueren deutschen Psychol., 2. Aull., S. 151, 262, 264. 

*) Geb. 1747 zu Dederstedt im Mansfeldischen, gest. 1882 in Halle. 

*) A. a. O., 8. 150 ff. 

*1 Geb. 1747 in Sondershausen, gest. 1819 ebenda. 

•) Geb. 1741 zu Jever, gest 1825 in Berlin. 

T | Geb. 1745 zu Drage b. Itzehoe, gest. in Wolfenbüttel 1818. 

•) Geb 1757 in Hameln, gest 1793 als Prof, der Altertumskunde bei der Akad. d. bild. Künste 
zu Berlin. 

®) Geb. 1748 in Bremervörde b. Bremen, gest. als Prot, der Philos. zu Marburg 1803. 


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Zur Geschichte der Kinderpsychologie u. der experimentellen Pädagogik 263 


gegnen ihm, und das ist nicht allzu verwunderlich, bei einer Anzahl mehr 
oder minder bedeutender Pädagogen. Pestalozzi führte über sein Söhnlein 
Jaqueli vom 27. Januar bis zum 19. Februar 1774 ein Tagebuch, das erst 1828 
veröffentlicht wurde. 1 ) Friedrich Heinrich Christian Schwarz 3 ) schickt dem 
dritten Bande seiner Erziehungslehre, in dem er das System der Erziehung 
behandelt, einen Abriß der physiologisch-psychologischen Entwicklung des 
Kindes voraus. 3 ) Er betrachtet I. Das werdende Kind: 1. Lebensanfang. 

2. Embryo. 3. Perioden seiner Entwicklung. 4. Einfluß der Mutter, n. Die 
Jugend. 1. Periode: Die Kindheit: 1. Das neugeborene Kind. 2. Neuer Zu¬ 
stand des Organismus. 3. Die wichtigsten Erscheinungen in dem menschlichen 
Lebensprozesse in ihrer Beziehung auf das Geistige: a) Das Atmen, b) Das 
Gähnen, c) Das Seufzen, d) Die Beklemmung und Bangigkeit, e) Das Weinen, 
f) Das Lachen, g) Das Schreien (vagitus. Wimmern), h) Das Zittern, i) Der 
Takt Die erste Kindheit. Der Säugling: a) Erste Lebenswoche. Es wird 
Licht, b) Die ersten fünf Monate. Das Chaos scheidet und formt sich, c) Vom 
6. Monate bis zum 10. oder bis zum Ende des 12. Die Vollendung der Kind¬ 
heit. Das laufende und sprechende Kind bis zur völligen Entwicklung des 
Selbstbewußtseins d. h. bis gegen das Ende des 3. Jahres, a) Körperliche 
Entwicklung, b) Geistige Entwicklung. 1. Der Sinne. 2. Des inneren Sinns. 

3. Der Seele bis zum Selbstbewußtsein. 4. Der Gefühle und Neigungen. 
5. Der Sprache. 6. Obersicht. 2. und 3. Periode: Das Knaben und Mädchen¬ 
alter. Der Jüngling und die Jungfrau: I. Wachstum des Körpers. II. Entwick¬ 
lung des Geistes. 1. In der Sinnestätigkeib 2. In der Denkfähigkeit. 3. In 
dem Fühlen und Begehren. Der erwachsene Mensch. — Angeregt durch Schwarz, 
gibt Bernhard Gottlieb Denzel 4 ) dem ersten Teile seiner Erziehungs- und 
Unterrichtslehre auf Seite 1—75 eine psychologische Einleitung, in welcher 
er u. a. behandelt: Entfaltungsgang der menschlichen Natur: Die Kindheit 
Das Knaben- u. Mädchenalter. Das Jünglingsalter. Hauptperioden der geistigen 
Entwicklung*). Namentlich die Psychologie der kindlichen Fehler und Tugen- 


') Mitgeteilt bei Fritzscb, a. a. 0., S. 159. 

>) Geb. 1766 in Gießen, gest ala Prot d. Theologie 1887 za Heidelberg. *) 8. 96—828. 

4 ) Geb. 1773 zu Stuttgart, gest 1888 als Rektor and Inspektor des evangeL Seminars za E߬ 
lingen. 

•) Anmerkung: Denzel beruft sich unter anderem auf ein Buch Joh. Christian Aug. Groh- 
raanns, der Professor der Philosophie in Hamburg war: »Die Psychologie des kindlichen Alten, 
Hamburg 1812. Das Bach erschien erweitert, wohl 1816 und scheint viel gelesen worden zu 
sein, da 1824 eine wohlfeile Ausgabe verbreitet wurde, welche den Titel trügt: „Ideen zu einer 
Geschichte der Entwicklung des kindlichen Alters.“ Im Vorworte sagt der Verfasser: „Erziehungs¬ 
lehre, das war das Ganze, was man glaubte aus dem Kinde machen and nehmen zu müssen. 
Und doch studierte man selbst in dieser Hinsicht weniger die kindliche Natur, als daß man die 
kindliche Natur nach der Erziehungslehre formte, nicht wissend, ob dasjenige, was man aus der 
Natur nahm, Wahrheit oder Einfall war.“ Gr. will dazu beitragen, daß es anders wird. Er ist 
angeregt von Moritz und Mauchart, weicht aber von der Methode seiner Vorgänger bewußt ab. 
Er ist überzeugt, „daß sich der Mensch nach eben den Gesetzen aasbilde, nach welchen sieb 
das Menschengeschlecht bildet“ (V., auch VI.). „Das Kind ist der kleine Naturmensch, der Natur¬ 
mensch das großgewordene Kind“ (41.). Das will er zeigen in einer auf Erfahrung gegründe¬ 
ten Entwicklungsgeschichte der kindlichen Psyche. Er unterscheidet drei Entwicklungsstufen. 
1. Die animale, auf welcher die niederenTriebe vorherrschen, 2. die humane, auf weicher sich 
die spezifisch menschlichen Neigungen entwickeln, 3. die intellectuelle and moralische. Auf 
Jeder Stufe werden betrachtet „Begehrungsvermügen“, „Empfindungsvermögen“, „Erkenntnis¬ 
vermögen“ Der Verfasser besitzt Geist, er hat scharf beobachtet, aber sein au sich sehr in- 


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den findet verständlicherweise die Beachtung bedeutender Pädagogen. Tief¬ 
gehendes Verständnis für die Eigenart der kindlichen Psyche, namentlich fQr 
die tadelnswerten Regungen derselben, verrät bekanntlich Christian Gotthilf 
Salzmann in seinem „Krebsbüchlein“. 1 ) Als trefflicher Kinderpsycholog er¬ 
weist sich auch Aug. Herrn. Niemeyer, 3 ) der hervorragende Kanzler und 
Rector perpetuus der Universität Halle in den folgenden vorzüglichen Aus¬ 
führungen, die in seinen Grundsätzen der Erziehung und des Unterrichts 
enthalten sind: 3 ) Ausartende Lebhaftigkeit. Natürliche Trägheit der Kinder, 
Untugenden aus Trägheit. Aufrichtigkeit und Lügenhaftigkeit. Überstarke 
und schwache Reizbarkeit der Kinder im früheren Alter. Untugenden aus 
zu starker Reizbarkeit: Empfindlichkeit, Eigensinn, Geist des Widerspruchs, 
Trotz, natürliches Wohlwollen der Kinder, Bekämpfung übelwollender und 
feindseliger Neigungen. Über Selbstsucht, Neid, Eigennutz, Gewinnsucht. 
Über Einbildung, Stolz, Ehrgeiz. Behutsamkeit in der Schwächung selbst¬ 
süchtiger Triebe. Beförderung des Triebes zu gemeinnütziger Tätigkeit. 
Vaterlandsliebe. Einfluß der Erziehung auf Familie und Freundschaftssinn. 
Einfluß der Erziehung auf Geschlechtsliebe. Auch vorher begegnen wir da 
und dort guten Ausführungen Niemeyers über psychische Eigentümlichkeiten 
des Kindes. Zahlreiche psychologische Einstreuungen, die Fehler, Tugenden 
und andere innere Wesensbesonderheiten des Kindes zum Gegenstand haben, 
finden sich in der Erziehungs- und Unterrichtslehre Friedrich Eduard Benekes 4 ) 
und bei Tiuskon Ziller 5 ), in dessen „Vorlesungen über allgemeine Pädagogik“ 
und in seiner „Grundlegung vom erziehenden Unterricht“. Auch den be¬ 
deutendsten Denker Herbartscher Richtung, Ludwig Adolf von Strümpell, 6 ) 
müssen wir hier nennen. Es sei hingewiesen auf seine Schrift „Die Ver¬ 
schiedenheit der Kindernaturen“ von 1844, deren Neudruck mit Nachwort 
1894 erschien. Dem Interesse Strümpells an der Psyche des Kindes ver¬ 
danken wir die grundlegende „Pädagogische Pathologie oder die Lehre von 
den Fehlern der Kinder“ (1890). Wie klar er sich des Zusammenhanges 
zwischen der Kinderpsychologie und der Pädagogik bewußt ist, bezeugt er 
selbst, wenn er sagt: „Unter der psychologischen Pädagogik verstehe ich die 
Wissenschaft, von der geistigen Entwicklung des Kindes bezogen auf die 
Zwecke, welche die Erziehung des Kindes durch die Erwachsenen im An¬ 
schluß an die Individualität desselben zu erreichen strebt“ 7 ) So dürfen wir 
sagen, daß in Deutschland das Interesse an der Kinderpsychologie spätestens 
um 1750 n. Chr. erwachte und daß es nicht wieder erlosch, bis dann die 
Vorläufer und die eigentlichen Vertreter experimenteller Pädagogik die 
Kinderforschung energisch in die Hand nahmen. 

Wehden wir uns nun zur formalen Neuerung der experimentellen Päda¬ 
gogik, zur Anwendung des Experiments in der pädagogischen Forschung. 

I 

teressantes Buch liest sich nicht gut, da die Darstellung schwülstig ist und blutige, völlig un¬ 
nötige Wiederholungen aultreten Wo dem Verfasser die Beobachtungen fehlen, konstruiert er. 
Auf den von ihm hervorgehobenen Parallelismus weist er nur anfangs an wenigen Stellen hin. 

*) Geb. 1744 zu Sömmerda, gost. 1811 zu Schnepfenthal. 

*) Geb. 1764 zu Halle, gest. 1828 ebenda. 

3 ) Herausgegeben von Rein, 2. Abt. Bd. I, S. 125 bis 282. 

4 ) Geb. 1798 in Berlin, gest. 1864 daselbst. 

5 ) Geb. 1817 in Wasungen, gest. 1882 in Leipzig. 

•) Geb. 1812 in Schöppenstedt, gest. 1899 in Leipzig. 

7 ) Psychol. Pädagogik, Leipzig 1890, S. V. 


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Zur Geschichte der Kinderpsychologio u. der experimentellen Pädagogik 265 


Nach Max Dessoir bezeichnete man seit dem 16. Jahrhundert mit langsam 
wachsender Einsicht als die Aufgabe wissenschaftlicher Psychologie: Den 
ursächlichen Beziehungen nachzuspüren, die einerseits zwischen außen und 
innen, anderseits zwischen den Elementen des Seelenlebens selbst bestehen; 
die Naturgesetze der Seele aufzufinden; die Methoden der naturwissen¬ 
schaftlichen Beobachtung und des Experiments, der Messung und mathe- 
mathischen Berechnung anzuwenden.•) Der Tübinger Professor Georg Bern¬ 
hard Bilfinger, 2 ) ein Wolffianer, fordert in seinem Hauptwerke: Dilucidationes 
philosophicae de Deo, anima humana, mundo et generalibus rerum affectionibus 
(Tübingen 1725), man solle die psychischen Erscheinungen durch sorgfältige 
Beobachtungen und Versuche erforschen, die Tatbestände vergleichen und 
daraus gewisse Regeln ableiten und die so gefundenen Kräfte zu einer all¬ 
gemeinen Idee vereinigen. 3 ) Reichlich ein Vierteljahrhundert nach der viel 
gelesenen Schrift Bilfingers erschien: „Versuch einer Experimentalseelenlehre“ 4 ), 
von Johann Gottlob Krüger 5 ), der Professor der Medizin in Halle und Helm- 
städt war. Er will sich nur an die Erfahrung halten. Erfahrungen sind so¬ 
wohl Wahrnehmungen als Versuche. Die Absicht, Experimente auzustellen, 
ist ihm „nicht bloßer Scherz“. Zum Experimentieren mit der Seele braucht 
man „nicht Instrumente aus der Kammer des Naturforschers“. Man kann 
die Seele nicht durch die Sinne wahrnehmen, aber durch das Verbundensein 
der Seele mit dem Leibe „wird der Körper ein Spiegel, darin sich die Seele 
selber erblickt“ (S. 7.). Es ist natürlich, „von dem, was in dem Leibe Ver¬ 
änderliches vorgeht, auf die Veränderungen der mit ihm verbundenen Seele 
einen Schluß zu machen“ (S. 11). Beim Experimentieren „versetzen wir die 
Seele in Umstände, darein sie sonst nicht gekommen sein würde und da¬ 
durch wir die Natur zwingen, uns das zu zeigen, was sie sich vorgesetzt 
hatte für unsere Augen zu verbergen“ (S. 15). Ins „Innere der Natur“ kann 
niemand dringen, aber die Experimente haben uns ihr ein gutes Teil näher 
gebracht, darum muß man zur besseren Erkenntnis der Seele eine Experi- 
raentalseelenlehre begründen, die einen Teil der empirischen Psychologie 
bilden wird“ (S. 17). Die Experimentalseelenlehre soll ihre Hände nicht mit 
Menschenblut besudeln, obwohl es um große Missetäter nicht schade wäre. 
Eb lassen sich Versuche mit Tieren anstellen, und bei zahlreichen Krank¬ 
heiten experimentiert die Natur von selbst, indem sie außergewöhnliche Ver¬ 
änderungen des Leibes hervorruft. Die Ärzte können da viel wertvolles Ma¬ 
terial sammeln (S. 20). Krüger hat nicht selbst psychologische Experimente 
angestellt. Er behandelt die Wirklichkeit der Seele, das Erkenntnisvermögen, 
die Empfindung, die Einbildungskraft, das Dichtungsvermögen, Wachen, 
Schlafen und Träumen, Gedächtnis, Verstand, Witz, Vernunft, Gleichgültig¬ 
keit, Lust und Unlust, die Gemütsbewegungen, die Freiheit, die Vereinigung 
des Leibes und der Seele, die Seelen der Tiere. Krüger ist von dem Wolffianer 
Baumeister in seinen Anschauungen beeinflußt. Er trägt sie mit Witz und 
Humor vor, die ihm regelmäßig da helfen müssen, wo er ein Problem nicht, 
oder doch nicht restlos zu lösen vermag. Von den Berichten, welche er 
seiner Seelenlehre zu ihrer Erläuterung und Begründung anfügt und welche 


V Gesch. der neueren deutsch. Psychol., 2. Aull., S. 22. 

2 ) Geb. 1693, gest 1760. 3 ) Vgl. dazu Dessoir, a. a. 0., S. 83. 

4 ) Halle u. Helrostädt 1766. B ) Geb. 1715, gest. 1769. 


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er in geringer Zahl auch im Texte benutzt, ist auch uns der über den von 
Cheseldon 1729 operierten Blindgeborenen bekannt. Von den übrigen er¬ 
wecken die meisten, obwohl sie von seinerzeit berühmten Medizinern stammen, 
unsere Heiterkeit, so z. B., wenn wir von einem Kranken lesen, der acht 
oder wohl gar sechzehn Wochen lang an Stricken in der Schwebe gehalten 
worden sei, da ein Grind von einem Zoll Dicke den ganzen Körper des Leiden¬ 
den bedeckt und ihm das Stehen, Sitzen und Liegen gSnzlich unmöglich ge¬ 
macht habe. Doch dem sei wie ihm wolle, das Verdienst muß man Krüger 
zubilligen, daß er die Notwendigkeit einer Experimentalpsychologie ganz in 
modernem Sinne begründet hat. Kurz nach dem Erscheinen seines „Ver¬ 
suches einer Experimentalseelenlehre“, 1764, verlangte Dav. Nie- Schönfeldt, 
wie schon erwähnt wurde, die Erhebung der Seelenlehre zu einer Haupt¬ 
klasse der Beschäftigungen der Gesellschaften der Wissenschaften und bezeicb- 
nete es — zum ersten Male — als notwendig, daß Pädagogen zu Experimenten 
mit Kindern ermuntert würden. Durch das hervorragende Werk „Philoso¬ 
phische Versuche über die menschliche Natur und ihre Entwicklung“ ] ) wurde 
Johann Nicolaus Tetens der größte empirische Psycholog Deutschlands in der 
vorkantischen Zeit. Er sagt, er habe sich folgender Methode bedient: „Die 
Modifikationen der Seele so nehmen, wie sie durch das Selbstgefühl erkannt 
werden; diese sorgfältig wiederholt und mit Abänderung der Umstände 
gewahrnehraen, beobachten, ihre Entstehungsart und die Wirkungsgesetze 
der Kräfte, die sie hervorbringen, bemerken; alsdann die Beobachtungen ver¬ 
gleichen, auflösen und daraus die einfachsten Vermögen und Wirkungsarten 
und deren Beziehung aufeinahder aufsuchen. Dies sind die wesentlichsten 
Verrichtungen bei der psychologischen Analysis der Seele, die auf Erfahrungen 
beruhet. Diese Methode ist die Methode in der Naturlehre und die einzige, 
die uns zunächst die Wirkungen der Seele und ihre Verbindungen unter¬ 
einander so zeiget, wie sie wirklich sind.“ Das meiste bei der beobachtenden 
Methode beruhet auf einer richtigen Beobachtung der einzelnen Wirkungen, 
ihrer Zergliederung und dann besonders auf ihrer Vergleichung, wodurch 
einzelne Sätze zu Allgemeinsätzen der Erfahrungen erhoben werden. Jede 
dieser Operationen hat ihre Hindernisse. Es gibt bei dem inneren Sinn wenn 
nicht mehrere, so doch ergiebigere Quellen zu Blendwerken, als bei dem 
äußern, wogegen ich kein Mittel weiß, das wirksam genug wäre, um sich da¬ 
für zu verwahren, als die Wiederholung derselbigen Beobachtung sowohl unter 
gleichen, als unter verschiedenen Umständen, und jedesmal mit dem festen 
Entschluß vorgenommen, das, was wirklich Empfindung ist, von dem, was 
hinzu gedichtet wird, auszufühlen und jenes stark gewahr zu nehmen.“ Doch 
Tetens beschrieb nicht nur die Methode der Naturlehre, die experimentelle 
Methode, sondern er wendete sie auch'an. Zunächst gab er dem Begriffe 
der Empfindung, der zu seiner Zeit ein sehr verworrener war, fast durchaus 
die Prägung, die heute als die richtige anerkannt ist. „Er weist die Haupt¬ 
schuld der sogen. Sinnestäuschungen in den Wahrnehmungen selber nach“ 
und geht so weit, auch die scheinbare Größe eines sich entfernenden Gegen¬ 
standes auf eine Modifikation der Empfindung zurückzuführen. Er verbessert 
den ehedem unklaren Begriff der Nachempfindungen, indem er sie richtig 

*) 2 Bde, 1777. In vorzügl. Ausstattung 1913 neu herausgeg. von der Kantgesellschaft bei 
Reuther & Reichard in Berlin. 

*) Qeb. 1736 in Tettenbfül in der Landschaft Eiderstidt, gest. 1807 in Kopenhagen. 


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Zur Geschichte der Kinderpsychologie u. der experimentellen'Pädagogik 267 


auf die Dauer des Reizes bezieht. Er verweist auf die schnell bewegte glühende 
Kohle, die nur infolge der Nachempfindung den Schein eines ganzen Licht¬ 
kreises hervorbringt, und er behauptet sogar, durch Versuche, die er leider 
nicht näher beschreibt, die Dauer der Gesichtsnachbilder auf 6—7 Terzen, 
das Abklingen akustischer Wahrnehmungen auf etwa 5 Terzen festgestellt zu 
haben. Selbst die Nachempfindungen des Getastes hat Tetens experimentell 
untersucht und zwar ebenso wie 70 Jahre später der Physiolog Valentin." 1 ) 

Um dieselbe-Zeit, in welcher Tetens seine „Philos. Versuche über die mensch¬ 
liche Natur und ihre Entwicklung" veröffentlichte, kehrte die Forderung Schön- 
feldts wieder, daß Pädagogen mit Kindern Experimente anstellen sollten. Die 
PhilanthropiBten gingen bei ihren Untersuchungen von dem Gedanken aus, 
daß durch die Beobachtung von Kindern „in das Innere des menschlichen Geistes 
eingedrungen und seine eigentümliche Gestalt aufgedeckt" werden könnte. 

Die Sammlung von solchen Beobachtungen ist deshalb eine wichtige Aufgabe, 
die sich das Organ des Dessauer Philanthropins („Pädagog. Unterhandlungen" 

1777 ff.) gestellt hat.“ 2 ) Man beginnt, sich der Tagebuchmethode zu bedienen, 
welche pädagogische Beobachtung durch genaue chronologische Aufzeichnungen 
festhfilt. Ernst Christian Trapp ist damit nicht zufrieden. Wie Joh. Gottfr. Herder 
klipp und klar den Gedanken ausgesprochen hatte: „Meines Erachtens ist 
keine Psychologie, die nicht in jedem Schritte bestimmte Physiologie sei, 
möglich“ 3 ), so forderte Trapp, der von Tetens beeinflußt ist, ebenso die ex¬ 
perimentelle Psychologie. Er klagt: „Das Studium der menschlichen 
Natur ist zurzeit noch das schwerste unter allen, teils wegen der Beschaffen¬ 
heit derselben, teils, weil noch so wenig darin vorgearbeitet ist, und teils, weil 
aus Mangel einer Experimentalpsychologie so wenig darin getan werden kann." 

„Wir haben keine Experimentalpsychologie, so wie wir eine Experimental¬ 
physik haben. Daher können manche Zweifel in der Psychologie nicht so gut 
aufgelöst werden, als manche der Naturlehre.“ 4 ) Trapp fordert auch das Ex¬ 
periment in der Pädagogik. So z. B.: „Man gebe mehreren Kindern von einer¬ 
lei Alter verschiedene Gegenstände, Spielzeuge, Bücher, Modelle, Gemälde usw. 
und lasse sie darin nach Belieben schalten und walten. Nun gebe man acht 
auf die Verschiedenheit ihrer Äußerungen, Empfindungen, Handlungen, Er¬ 
findungen usw. Man sehe, welche Gegenstände sich dieser, und welche sich 
der wählt, wie bald er ermüdet, wie lange er bei einem Gegenstände aus- 
halten kann. Man zähle, wieviele und welche Ideen, Empfindungen und da¬ 
durch veranlaßte Äußerungen und Handlungen in einer gewissen Anzahl von 
Minuten und Sekunden in den Kindern entstehen und zum Vorschein kommen. 

Man mache dies Experiment mit Kindern von zwei bis sechzehn Jahren und 
Doch weiter." „Man führe das Experiment durch alle mögliche Kombinationen 
von Alter der Kinder, von Zahl, Beschaffenheit, Verschiedenheit der Kinder 
und der Gegenstände durch." 5 ) Fritzsch weist darauf hin, daß die philan- 
thropistische Pädagogik zur Forderung besonderer Versuchsschulen kommen 
mußte und daß das Philanthropin zu Dessau mit der ausgesprochenen Absicht 
gegründet worden ist, eine „Experimentalschule" zu sein, „in welcher neue • 
Versuche und immer wieder neue Versuche zur Abschaffung der vielen Mängel 


*) M. Dessoir, a. a. O., 8. 846. Vgl. Tetens a. a. 0., S. 31 ff. Der ausgez. Physiolog Gabriel 
fast Valentin wurde geb. 1810 au Breslau u. starb 1881 an Bern. *) Fritzsch, a. a. 0., S. 160. 
*) Vom Erkennen und Empfinden. 1778. Sämtliche Werke, herausg. v. Suphan, Bd. VIII, 8. 
4 ) Versuch einer PBdagogik, herausgeg. ton Th. Fritzsch, S. 8.36. *) A. a. O., S. 36, 37. 


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Hermann Götz, Zur Geschichte der Kinderpsychologie usw. 


des Schulwesens angestellt“ werden sollten (Päda g. Unterhandlungen 1. J., 1. Stück 
S. 23 u. 125). „Diese Versuche bezogen sich auf die physische, moralische und 
wissenschaftliche Erziehung.“ 1 ) DerGedankeder „Experimentalschule“ warKant 
sehr sympathisch. Er sagt: „Erst muß man Experimentalschulen errichten, 
ehe man Normalschulen errichten kann.“ „Man bildet sich zwar insgemein 
ein, daß Experimente bei der Erziehung nicht nötig wären, und daß man schon 
aus der Vernunft urteilen könne, ob etwas gut oder nicht gut sein werde. 
Man irret hierin aber sehr und die Erfahrung lehrt, daß sich oft bei unsem 
Versuchen ganz entgegengesetzte Wirkungen zeigen von denen, die man er¬ 
wartete. Man sieht also, daß, da es auf Experimente ankommt, kein Menschen¬ 
alter einen völligen Erziehungsplan darstellen kann. Die einzige Experimental¬ 
schule, die hier gewissermaßen den Anfang machte, Bahn zu brechen, war 
das Dessauische Institut. Man muß ihm diesen Ruhm lassen, ungeachtet der 
vielen Fehler, die man ihm zum Vorwurf machen könnte; Fehler, die sich 
bei allen Schlüssen, die man aus Versuchen macht, vorfinden, daß nämlich 
noch immer neue Versuche dazugehören. Es war in gewisser Weise die ein¬ 
zige Schule, bei der die Lehrer die Freiheit hatten, nach eigenen Methoden 
und Plänen zu arbeiten, und wo sie unter sich sowohl, als auch mit allen Gelehr¬ 
ten in Deutschland in Verbindung standen.“ 2 ) Die Forderung, die kindliche Psyche 
durch Experimente zu erforschen, die wir schon 1764 nachweisen konnten, 
geriet in Vergessenheit. Als aber E. H. Weber den Versuch in die Psycho¬ 
logie einführte 3 ) und als G. Th. Fechner 4 ) und Wilhelm Wundt 5 ) die experimentelle 
Methode mit Erfolg'anwandten und ausbauten, da fand sie auch bei der 
Kinderforschung und bei der experimentellen Pädagogik eine Wirkungs¬ 
stätte. 

So haben wir nachgewiesen, daß die Grundgedanken der experimentellen 
Pädagogik bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts ausgesprochen wurden, 
das ist erheblich früher als E. Meumann annahm, da er die Worte schrieb: 
„Die experimentelle Pädagogik ist ebenso wie ihre geistige Mutter, die experi¬ 
mentelle Psychologie, nicht auf einen Schlag entstanden. Wissenschaftliche 
Neuerungen entstehen nie mit einem Male, und sie sind nie etwas absolut 
Neues, sondern sie erscheinen bei genauerer Betrachtung stets als allmähli che 
Weiterbildungen früherer Gedanken.“ 6 ) 

Literaturbericht 

Abhandlungen aus der Zeitschrift für angewandte Psychologie, 

Bd. 11 u. 12. 

Von W. J. Ruttmann. 

Die im Kriege mit einem Male wirklich praktisch in den Vordergrund tretende 
Personenfrage hat weite Gebiete der angewandten Psychologie völlig neu erschlossen 
oder klarer orientiert. Dazu gehört in erster Linie die Frage der Berufseignung 
und Berufsberatung. Die Zeitschrift für angew. Psychol. hat Bich in großzügiger 

f ) A. a. O., 8.156.157. 2 ) J. Kant, Über Pädagogik, herausg. von Th. Vogt, 8. Aufl. S. 78.79. 

*) Der Tastsinn u. d. Gemeingefühl 1849. 

4 ) Elemente der Psychophysik 1860. ln Sachen der Psychophysik 1877. Revision der Haupt- 
pnnkte der Psyebophysik 1882. 

ft ) Grundz6ge der physiologischen Psychologie. 1. Aufl., 1874. 

•) Vorlesungen zur Einf. i. d. exp. Päd., 2. Aufl, Bd. I, S. 2. 

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Literaturbericht 


269 


Weise als Sammelstätte der Untersuchungen und Bestrebungen dazu eingerichtet. 
Nachdem hierüber in der Z. f. p. Paych. gesonderte Berichterstattung schon mehr¬ 
fach erfolgte und weiterhin erfolgen wird, bleibt für unsere Berichterstattung nur 
<l3r Teil übrig, der sich auf andere Fragen bezieht. 


Bd. 11, Heft 1. 

W. Stern, Der Intelligenzquotient als Maß der kindlichen Intelligenz, insbesondere 
der untemormalen. S. 1—18. 

Gegenüber der Differenzmethode (Intelligenz-Rückstand oder Intelligenz-Vor¬ 
sprung) empfiehlt Stern als Maß der Intelligenz den Intelligenzquotienten, der aus 
Intelligenzalter und Lebensalter zu gewinnen wäre. Er scheint etwa vom 7. bis 
zum 12. Jahre annähernd konstant zu sein. Alsdann fällt er und verliert rasch 
seinen rechnerischen Sinn. Das Intelligenzalter beträgt für noch außerhalb des 
Schwachsinns stehende Kinder durchschnittlich über 0,80, bei Debilen etwa 0,76 und 
bei Imbezillen unter 0,70. Er ist bei Kindern einer bestimmten Altersstufe um 
so höher, je höher die Klasse ist, in der sie sich befinden. Seine prognostische 
Bedeutung für die Art über die Intelligenz-Entwicklung hinaus wird erst klar, wenn 
die Beziehungen der Entwicklungswerte zur Entwicklungshöhe (Intelligenz-Stillstand) 
einmal genauer bestimmt sind. 

F. E. Otto Schultze, Eine neue Weise der Auswertung der Intelligenzteste (Methode 
der Intelligenzzensur). 6. 19—28. 


Die Methode, einen Intelligenzkoefizienten (= 


E (100—H b ) 
E (100—Hp) 


wobei H b =jedes H, 


dessen Aufgabe bestanden ist und Hp jedes H, dessen Aufgabe überhaupt dem betr. 
Kinde gestellt ist und die zu einem klaren Ergebnis geführt hat) zu bestimmen, 
hat gegenübar der B.-S. Methode den Vorteil einfacher Handhabung, weiterhin ist 
die bestimmte Anzahl Tests für eine Altersstufe ausgeschaltet, wozu noch einige 
theoretische Vorteile kommen, unter denen uns besonders wichtig erscheint, daß auch 
die Umwelteinflüsse zahlenmäßig einigermaßen ausgedrückt werden können. 

W. Stern, Über Alterseichung von Definitionstests. Eine methodologische Unter¬ 
suchung auf Grund der Massenverauche von A. Gregor. S. 90—96. 

Die Auswertung Sterns an dem Gregorschen Material ergibt für Knaben und 
Mädchen, daß Halbabstrakta (soziale, politische Begriffe) nicht vor dem VI. Schul¬ 
jahre, reine Abstrakta (logische, ethische Begriffe) nicht vor dem VII. Schuljahr 
reif werden. „Für jene Begriffsgruppe ist das VI. und VII. Schuljahr, für diese 
das VII. und VIII. das eigentliche Eichungsgebiet.“ 


Heft 2 und 3. 


S. Koväcs, Untersuchungen über das musikalische Gedächtnis. S. 113—135. 

Der Verfasser weist auf die Bedeutung des musikalischen Lesens hin. Vor¬ 
bedingung dazu ist: 1. ein durchgebildetes äußeres wie inneres Gehör und 2. ein 
umfassender technischer Vorrat. 

H. Schüßler, Das unmusikalische Kind. S. 136—166. 

Nach einer literarischen Studie über die musikalische Veranlagung folgen sta¬ 
tistische Untersuchungen, wonach es nur ungefähr 5—10°/o unmusikalische Menschen 
gibt. Von den Unmusikalischen erreichen nach Sohüßlers Material nur 41 °/o, von 
den Halbmusikälischen 57 % und von den Musikalischen 79 °/° das Schulziel, und 
die Arbeitsleistung der Musikalischen ist im Durchschnitt um 15°/o, die der Halb¬ 
musikalischen tim 6,6 °/o höher als die der Unmusikalischen. 

S. Bernfeld, Über Schülervereine. S. 167—213. 

Ein interessanter Beitrag zu dem selten erörterten Problem der Entwicklung 
des sozialen Bewußtseins, der insbesondere für die Analyse der praktischen Jugend¬ 
pflege, der von Erwachsenen geleiteten und durch die Jugend selbst gewollten, 
Ausblicke bietet. 

Heft 4 und 5« 

A. Jaederholm, Untersuchungen über die Methode Binet-Simon I. S. 289—340. 

Die Arbeit bildet einen Anzug aus dem zweibändigen Werke über Intelligenz- 


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270 


Literaturbericht 


forschung und Intelligenz prüf uug, das der schwedische Gelehrte 1914 veröffentlichte. 
Sie bringt eine Art Fortschritt in der mathematischen Auswertung der Intelligenz- 
Prüfung nach Binet- Simon, indem sie die Gültigkeit der Gaußschen Fehlerkurve 
für die Intelligenzstufen zu beweisen sucht. Dazu kommt die errechnete Tatsache, 
daß die Zunahme der Leistungsfähigkeit in einzelnen Intelligenztests (in der Alters¬ 
periode 0—12 Jahre) linear im Verhältnis zum physischen Alter vor sich geht und 
eine Bestätigung von Binets Berechnung mit einer kleinen Revision. Der praktischen 
Erprobung empfiehlt sich die Jaederholmsche Tabelle der Intelligenzkoordinaten 
nach der Minimalmethode. 

AnnaWiese, Zur Frage nach den Geschlechtsdifferenzen im akademischen Studium. 

Ergebnisse einer Studentenenquete.- S. 341—401. 

Nach den Befunden unterscheidet sich das akademische Studium beider Ge¬ 
schlechter in einem für die Frauen ungünstigen Sinne. 

E. Warschauer, Rechtspsychologische Versuche an Schulkindern. S. 402—412. 

Eine vorläufige Mitteilung, die in Beziehung gesetzt werden muß zu den Arbeiten 
Levy-Suhls und M. Schaefers. 

Heft *. 

G. Heymansund E. Wiersma, Verschiedenheiten der Altersentwicklung bei männ¬ 

lichen und weiblichen Mittelschülern. S. 441—464. 

Die bekannte Umfrage des Verfassers fördert auch in der neuen Teilbearbeitung 
eine Fülle von Ergebnissen. Die Mädchen zeigen ein entschiedenes Maximum in 
Verhaltungsweisen, die auf inneres Gleichgewicht, Selbstbeherrschung, Widerstands¬ 
fähigkeit gegen äußerliche Reize, auf Liebe und. Hilfsbereitschaft, Wahrhaftigkeit, 
Ehrlichkeit, Sittsamkeit, auf Eifer, Interesse, Schulleistungen sich beziehen im 
Alter von 16 Jahren, wogegen sich beim 17- bezw. 18 jährigen Mädchen in den be- 
zHchneten Richtungen ein Minimum bemerkbar macht. Bei unerwünschten Eigen¬ 
schaften liegt das Minimum bei 15 Jahren, das Maximum bei 16 Jahren. Beim 
Knaben finden wir mit 15 Jahren kein Maximum, dagegen mit 17 Jahren dann, 
wenn es sich um Eigenschaften des Temperaments handelt. Für SchulverstöBe gilt 
das U rngekehrte. Die Oszillationen der Entwicklung müssen in künftigen Unter¬ 
suchungen in Parallele zu den physiologischen Erkenntnissen über das Alter ge¬ 
bracht werden, wozu die Verfasser bereits Anregung geben. 

H. Schüßler, Ist die Behauptung Meumanns richtig: Kinder können im allgemeinen 

vor dem 14. Lebensjahre nicht logisch schließen ? S. 480—497. 

Für die 4 Schlußfiguren, welche der Verfasser in seiner Untersuchung anwandte, 
ergab sich, daß unter 50 Mädchen im Alter von 11—14 Jahren keines war, das 
alle Schlüsse richtig ziehen konnte. Bei der ersten Figur waren */*, bei der 2. V* 
richtig; nach der drittenkonnten unterZurechnung vonUnsicherheiten etwa 1 /•schließen. 
Den vierten Schluß vollzog nur ein einziges Kind. 

Band 12, Heft 1 und 2. 

L. Nagy, Ergebnisse einer Umfrage über die Auffassung der Kinder vom Kriege. 

S. 1—63. 

Die Untersuchung wurde vorgenommen auf Grund einer Datensammlung der 
Ungarischen Gesellschaft für Kinderforschung (Herbst 1914), die die Wirkung des 
Krieges nach der sittlichen Richtung erkunden sollte. Der Umfang der Umfrage 
vermindert ihre natürlichen Fehlerquellen. Über zwei Fragen berichtet Nagy ein¬ 
gehend: 1. „Was ist die Ursache der Krieges ?“ 2. „Was gefiel am besten unter 
den Ereignissen des Krieges ? Warum?“ 

Unter den Beantwortungen ergaben sich folgende Gruppen: subjektiv-typische, 
objektiv-konkret-typische und abstrakt-typische. Die Verteilung der Typen ergibt 
bei 9—14jährigen 4,8%, 77% und 18%, 

„ 15—18 „ — , 25% „ 75%. 

Während im ersten subjektiven Entwicklungsabschnitt die Geistesarbeit der 
Phantasie vorherrscht, ist der zweite durch reflektive Geistesfunktionen gekenn¬ 
zeichnet. Der Prozentsatz der gefühlsmäßigen Antworten zeigt folgende Zahlen¬ 
bewegung : 


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J 



Literaturbericht 


271 


Lebensalter 


8 

27,5 | 


9 

10 

11 

12 

13 

14 

16 

16 

17 

18 

18 

14.1 

10,4 

28,4 

26,3 

28,3 

41,7 

51,4 

61 

45 


19 

33,3% 


Besonders reichhaltig ist Nagys Untersuchung an Ergebnissen über die sitt¬ 
liche Entwicklung, wo er eine Parallele zwischen dem 8. bis 9. und dem 18. bis 19. 
Lebensjahre findet. 

M. Lobsien, Einfluß des Tempos auf die Arbeit der Schulkinder, S. 64—98. 

Verhältnismäßig spät wird in der Schülerkunde, trotz der Anregungen durch 
Ebbinghaus und Meumann, das Tempo der Arbeit in Beziehung zu ihrer Leistung 
gebracht. Die Gegenüberstellung von Einzelleistung und Gruppenleistung drängt 
geradezu auf das Problem hin. Lobsien benutzt Kopfrechnungen und Diktate über 
Gleichschreibung. Aus den Rechen versuchen geht hervor, daß Tempos teigerung 
geradezu verheerend wirken kann, namentlich bei der Subtraktion; dagegen zeigen 
die Rechtschreibversuche keine Einheitlichkeit der Fehlersteigerung. Der psycho¬ 
logischen Betrachtung des Verfassers über die inneren Zusammenhänge der Fehler¬ 
quellen können wir nur teilweise folgen. 

Heft 1. und 4. 


A. Franken, Bilderkombination. Ein Beitrag zum Problem der Intelligenzprüfung. 

S. 173—229. 

Neben dem Ausbau der Auswertung der mehr oder weniger anerkannten Test¬ 
serien dürfen jene Versuche nicht unbeachtet bleiben, die Einzelteste namentlich 
in bezug auf bestimmte Sorten der Intelligenz erproben. Durch eine recht prak¬ 
tisch angewandte Aufgabe der Bilderkombination kommt Franken neben zahlreichen 
anderen Teilergebnissen zn folgender Entwicklungsreihe der Kombinationsfähigkeit: 


Alter 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

Trefferprozente 

4,6 

7 

9,2 

16,6 

27,4 

39 

36,6 

47 

Fehlerprozente 

34 

23,2 

28,4 

22,4 

25,8 

27,2 

26,4 

26,4 

Form der Arbeit in % 

11,9 

23,6 

24,6 

42,5 

51,6 

68,7 

58,1 

64 


„Der korrelative Zusammenhang zwischen Trefferprozenten und Kombinations- 
treue, Unterrichts- und Testleistung prägt sich mit dem Alter immer deutlicher aus.“ 
H. J. und W.A. Pannenberg, Die Psychologie des Zeichners und Malers. S.230—276. 
Vergl. den nächsten Sammelbericht zur „Psychologie des Zeichnens l 44 

Heft 5 und (, 


O. Lipmann, Die Entwicklung der grammatisch-logischen Funktionen S. 347—371. 

„Erkennt das Kind, in welchem logischen Verhältnis einzelne Teile des Satzes 
und einzelne Sätze zueinander stehen und vermag es diese Beziehungen durch das 
richtige Wort (Bindewort) zu bezeichnen ? 44 Diese Frage wurde durch eine Arbeits¬ 
gemeinschaft untersucht, wozu Lipmann in einer vorläufigen Mitteilung folgende 
Sonderfragen stellt, die auch anderweitig nachgeprüft werden könnten: 

„1. Welche der Lücken (Einfügung des richtigen Bindeworts) sind am schwersten 
auszufüllen? In welchem Zusammenhänge steht die Schwierigkeit der richtigen 
Ausfüllung einer Lücke zu der betr. logischen Funktion ? 

2. Werden die einzelnen Lücken besser von Knaben oder Mädchen ausgefüllt, 
d. h. bei welchem Geschlecht sind die betr. sprachlich-logischen Fähigkeiten besser 
ausgebildet ? 

3. Wie entwickeln sich diese sprachlich-logischen Fähigkeiten mit wachsendem 
Lebens- und Schulalter bei jedem der beiden Geschlechter ? In welcher Beziehung 
steht diese Entwicklung zum Lehrplan ? 

4. In welchen der an den Versuchen beteiligten Schulen sind die sprachlich- 
logischen Funktionen am besten entwickelt, in welchen am schlechtesten ? Steht 
diese Rangordnung der Schulen in Beziehung zu der Bevölkerungsschicht, aus der 
sie ihr Schulmaterial bezieht? 

5. Welche Worte der deutschen Sprache werden, wenn Worte gleicher Bedeu¬ 
tung zur Verfügung stehen, bevorzugt ? Evtl. Hinweis auf dialektische Besonder¬ 
heiten. 

6rln welcher Beziehung steht die von einem Kinde gelieferte Textergänzung zu 
seinen sonstigen Leistungen, besonders in Deutsch, und zu seiner Intelligenz? 


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272 


Literaturbericht 


Ein Beispiel der Ergebnisse sei durch die nachfolgend beigegebene Reihe einer 
Untersuchung geboten. Die ausführlichen Tabellen der Arbeit selbst können aber 
allein nur eine wissenschaftliche Vergleichsmöglichkeit bieten, worauf deshalb aus¬ 
drücklich hingewiesen sei. 


Lücke 
(Bindewort) 

3. 

in f 

4. 

m f 

5. 

m f 

e. 

m f 

7. 

m f 

8. Schul¬ 
jahr 
m f 

Stu¬ 
denten 
m f 

„oder" 

44; 89 

61; 62 

61; 98 

61; 88 

90; 88 

88; 88 

9696 % 

„da" 

14; 22 

29; 35 

38; 71 

41; 66 

51; 78 

54; 63 

8990 % 

weder - noch“ 

24; 45 

44; 59 

66; 85 

69; 89 

84; 75 

88; 86 

96 100*/, 

„als" 

15; 35 

61; 46 

59; 63 

69; 82 

81; 87 

90; 84 

100 100»/, 

„während" 

1; 1 

l; l 

3; 16 

2; 25 

15; 19 

33; 26 

70 90 % 

„aber" 

24; 23 

57; 52 

42; 60 

63; 80 

75; 77 

86; 73 

92 100% 

„denn" 

24; 30 

61; 57 

69; 75 

74; 66 

86; 92 

100; 93 

100 100V 


G. Deuchler, Über die Bestimmung von Rangkorrelationen aus Zeugnianoten. 
S. 306—439. 

Die schon mehrfach angeregte statistische Nutzung der Zeugnisnoten baut 
Deuchler ähnlich seinen den Lesern der Z. f. p. Psych. längst bekannten mathe¬ 
matischen Versuchen zu einer praktischen Auswertung aus. Das praktische Er¬ 
gebnis der Überlegungen bezieht sich in der vorliegenden Arbeit auf Rangkorrela¬ 
tionen zwischen Begabung, Aufmerksamkeit, Fleiß, Betragen und häuslichen Ver¬ 
hältnissen bei 31 10/1 ljährigen Volksschülerinnen. Die Noten gewann der Lehrer 
unter sorgfältiger Beachtung der in Betracht kommenden Faktoren.) 

Sammelberichte sind enthalten in Band XI u. XII über: gerichtl. Psychol. 
(Lipmann), Schlaf und Traum (H. Keller), Psychol. d. neuspraohl. Unterrichts 
(HansKeller), Spuren interessebetonter Erlebnisse und ihrer Symptome (Lipmann), 
Krieg und Schule (H. Keller), Entwicklungspsychologie (E. Rothacker), Psychoana¬ 
lyse (Friedländor, Norgall, Fürstenheim, J. H. Schultz). 


Ein Preisausschreiben 

zum Problem der Begabtenansleee 

erläßt der „Verein zur Förderung des mathematischen und naturwissenschaftlichen 
Unterrichts" in seinem Organ, den „Unterrichtsblättern für Mathematik u. Natur¬ 
wissenschaften" (Jahrg. XXIII, Nr. 4). Es lautet: „Im Hinblick auf die künftig 
noch mehr als bisher erforderliche Auslese der Begabten erscheint das Rechnen 
als ein besonders geeignetes Mittel zur Prüfung der Intelligenz der Schüler. Es 
soll dargelegt werden, wie die Aufnahmeprüfung für Sexta zu handhaben und wie 
der Rechenunterricht in den Klassen Sexta bis Quarta zu gestalten ist, damit 
dieses Ziel in möglichst vollkommener Weise erreicht wird." — Von den Be¬ 
arbeitern wird erwartet, daß sie Kenntnis von den Methoden und den Ergeb¬ 
nissen der neueren Begabungsforschung haben. Die Bewerbungsarbeiten müssen 
in gut lesbarer Schrift geschrieben sein und sind bis zum 31. Dezember 1918 an 
den Vorsitzenden des Vereins (zurzeit Professor Dr. Poske, Berlin -Liohter- 
felde W, Friedbergstr. 6) einzusenden. Sie müssen mit einem Kennwort versehen 
sein; in einem verschlossenen Umschlag, der mit demselben Kennwort bezeichnet 
ist, sind Name und Anschrift des Verfassers anzugeben. Der Preis beträgt 300 M. 
Das Veröffentliohungsreoht geht mit der Zuweisung des Preises an den Verein 
über. 


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Uber die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen 

Universitäten. 

Gutachtliche Äußerungen zu der Pädagogischen Konferenz im Preußi¬ 
schen Ministerium der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten am 

24. und 25. Mai 1917. 

Zweite Reihe. 

Von 

Dr. E. R. Jaensch, Prot, der Philosophie an der Universität in Marburg, 

Karl Mothesius. Schulrat, Seminaidirektor in Weimar, 

Anton Sickinger, Geheimrat, Stadtschulrat in Mannheim. 

Leitsfitze zur Hochschulvertretung der Pädagogik. 

Von E. R. Jaensch. 

Von Herrn Geheimrat Natorp aufgefordert und von der Leitung der Zeit¬ 
schrift ermächtigt, fasse ich meine Anschauungen über die Hochschul¬ 
vertretung der Pädagogik in folgenden Sfitzen zusammen: 

Die BerlinerThesen, insbesondere dievonTroeltsch, weisenauf 
einen Mißstand hin, der aber nicht durch Begründung eines neuen 
Faches, sondern nur durch den Ausbau des bestehenden zu be¬ 
heben ist. Förderung schon in Gang befindlicher Entwicklungen 
wird hier auf natürlichem Wege Abhilfe bringen. 

1. Zuzugeben ist, daß es an Persönlichkeiten fehlt, die fähig sind, unserem 
Bildungssystem, damit aber der Gegenwartskultur, Ziel und Richtung zu 
weisen. Diese Aufgabe wurde in älterer Zeit für das Gesamtgebiet von 
Kultur und Bildungswesen von Männern wie Aristoteles, Leibniz oder Goethe 
gelöst, in neuester Zeit nur für Einzelgebiete der Kultur von hervorragenden 
Fachgelehrten — wie von Bonitz, Harnack, Klein oder Suess — in Angriff ge¬ 
nommen. Ein ausreichender Befähigungsnachweis für diese Aufgabe ist weder 
die von dem Pädagogikprofessor geforderte historische Kenntnis von Kultur- 
ond Bildungssystem, noch die von ihm erwartete Freiheit von jener „Mutlosigkeit 
ond vornehmen Konfliktscheu“, die die gegenwärtige Philosophie, angeblich 
unvorteilhaft, unterscheidet Unserm Bildungssystem die Richtung zu weisen, 
sind nur solche befugt, in denen die schaffenden Kräfte der Gegenwarts¬ 
kultur und -Wissenschaft selbst wirksam sind. Nur dem Selbstschaffenden 
kommt die Kultur- und Bildungsintention der Zeit, damit aber der Weg, der 
der aufstrebenden Generation gewiesen werden muß, zu voller Klarheit. Nur 
Persönlichkeiten, die sich selbst zu hoher Warte erhoben haben, würden die 
Von Troeltsch gestellte Aufgabe lösen können. 

2. Vorbildlich für die Behandlung der Gesamtaufgabe ist das auf engerem 
Öebiet bereits Geleistete. Das Unterrichtswerk der Mathematiker zeigt, daß 

Zeitschrift f. pfldagog. Psychologie 13 

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274 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutsohen Universitäten 


nicht nur die Einzelfragen der speziellen Didaktik, sondern auch die prin¬ 
zipiellsten Probleme des Unterrichtszieles nur durch souveräne Beherrschung 
des gesamten Lehrguts zu lösen sind. 

3. Daß wir aber im Gegensatz zu frGheren Zeiten nur auf Einzelgebieten 
der Kultur Führer besitzen, liegt an der Entfremdung und Spannung zwischen 
Philosophie und Einzelwissenschaft, in der die jetzt führende Gelehrtengene¬ 
ration aufgewachsen ist. Indes schon bei ihr ist zu bemerken, wie die zu¬ 
nehmende Annäherung zwischen Einzelwissenschaft und Philosophie die Dis¬ 
kussion der Bildungsfragen von dem Standort im Einzelgebiet aus auf eine 
immer höhere Warte hebt. Dieser allmählich und # ohne Begründung neuer 
Fächer zum Ziel führende Entwicklungsgang wird gefördert durch eine der 
Wichtigkeit des Gegenstands angemessene und der gekennzeichneten Lage 
entsprechende Vertretung der Philosophie an den Universitäten. 

4. Vor allem aber wird diese Entwicklung dadurch gefördert, daß nicht 
nur die Fachmänner der Philosophie und Psychologie sowie geeignete Prak¬ 
tiker, sondern auch Vertreter der Einzelwissenschaft sich in einem pädago¬ 
gischen Seminar, wie in Halle, zusammenschließen. Nach Erfahrungen, die 
Verf. bei der Vertretung des einen philosophischen Ordinariats in Halle ge¬ 
macht hat, schien sich diese — auch in Marburg erstrebte — Organisation 
zu bewähren. Auch eine Gelehrtengeneration, die philosophischen Fragen 
wieder näher steht, wird die pädagogische Auswertung des Lehrguts nur in 
gemeinsamer Arbeit vollziehen können. 

5. Erfahrene Schulmänner von Ansehen und Rang führen lebhaft Klage, 
daß die Thesen gerade den Schwierigkeiten, mit denen der Praktiker am 
schwersten ringt, nicht Rechnung tragen. Nicht wie das Unterrichtsziel zu 
bestimmen sei, sondern wie man Zugang zum Geist des Zöglings finde, sei 
die dringendste Frage des Praktikers. Die moderne Psychologie, durch die 
Arbeit von Dilettanten, und durch voreilige praktische Reformen zuweilen 

* diskreditiert, wird, wenn durchweg fachmännischen Händen anvertraut, diese 
Aufgabe in zunehmendem Maße lösen. Täglich mehr liefert sie den Beweis, 
daß das Seelenleben der Kinder und Heranwachsenden ein uns unbekanntes 
Land ist, das sich nicht dem intuitiven Blick und dem einfühlenden „Ver¬ 
stehen“, sondern nur methodischer Tatsachenforschung erschließt. Das für den 
Lehrer allerdings unerläßliche einfühlende „Verstehen“ dieser neuen Welt 
und der Blick für sie wird erst erzogen durch Beschäftigung mit der wissen¬ 
schaftlichen Psychologie, wie sich ja auch in der Geschichte das „Verstehen“ 
in Diltheys Sinn erst über gründlicher Tatsachenforschung erhebt. Die Förde¬ 
rung der Psychologie ist auch die unerläßliche Voraussetzung für die Lösung 
der unter 1.—4. erwähnten Fragen, da die Zerrissenheit unserer Kultur, ins¬ 
besondere der fast ständige Konflikt zwischen Natur- und Kulturwissenschaft, 
von der späten Erforschung des vermittelnden Zwischengebietes, eben des 
psychologischen, herrührt Wie sehr die Psychologie, für die ein unerläßliches, 
wenn auch keineswegs das einzige Hilfsmittel das Experiment ist, in Preußen 
noch der Förderung bedarf, das zeigen eindringlich die Angaben G. E. Müllers, 
dessen psychologisches Institut, ungeachtet seiner unzureichenden Ausstattung, 
seit Jahrzehnten einen wichtigen Anziehungspunkt der Universität Göttingen 
bildet (vgl. Bericht über den VI. Kongreß für experimentelle Psychologie in 
Göttingen 1914. Leipzig 1914. S. 106 ff.). 


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Gutachtliche Äußerungen, Zweite Reihe. Muthesius 275 


Zur Frage der Lehrstühle für Pfidagogik an den Universitfiten. 

Von Karl Muthesius. 


Aus der großen Zahl von Fragen, die in der pädagogischen Konferenz im 
Kultusministerium verhandelt worden sind, möchte ich zwei herausheben: 
1. Die Einbeziehung der Volksschulpädagogik, 2. Die Übungsschule. 

1 . 

Troeltsch hat in seinem Leitsatz 6 hervorgehoben, daß die Pädagogik 
nur etwas Ganzes sei, wenn sie die Volkserziehung als Ganzes, also die Volks¬ 
schule mit eingeschlosseti, behandle. Und in feinem Schlußwort erkläit er 
es für „selbstverständlich“, daß die Volksschule in die Universitätspädagogik 
einbezogen werden müsse als Gegenstand ihrer Forschung. „Es handelt sich 
ja gerade um die Gesamtheit des nationalen Unterrichtswesens und um die 
Spezifikation eines einheitlichen Geistes nach den verschiedenen Schulgattungen 
und Schulstufen hin.“ 


Die Einheitlichkeit der Pädagogik ist damit treffend zum Ausdruck gebracht 
worden. Die Tragweite dieses Urteils erstreckt sich weiter als es auf den 
ersten Blick scheinen mag. Wird anerkannt, daß Volksschulpädagogik und 
Pädagogik der höheren Schulen nicht zwei grundsätzlich verschiedene Dinge 
sind, so müssen alle die bis in die neueste Zeit wiederholten Behauptungen über 
die grundsätzlich verschiedene Lehrweise an beiden Schulgattungen aufgegeben 
werden, es kann dann auch nicht bestritten werden, daß es grundlegende 
Richtlinien für eine gewisse Einheitlichkeit in der Ausbildung der beiden 
Lehrergattungen gibt. Die pädagogische Konferenz hat also dadurch, daß sie 
sich zu der Einbeziehung der Volksschulpädagogik in die Universitätspäda¬ 
gogik bekannte, dem Bestreben nach innerer Vereinheitlichung des gesamten 
Schulwesens und seiner Lehrerschaft einen wesentlichen Dienst geleistet. 

Die nächstliegende Folgerung aus ihrer Stellungnahme hat zwar die Kon¬ 
ferenz nicht umgangen, es aber dann doch nicht zu einer widerspruchslosen 
Meinungsäußerung über sie gebracht: über die Zulassung von Volksschullehrern 
zur Universität. Zwar hatte Ziehen nicht ganz unrecht, wenn er behauptete, man 
habe zu dem Streben der Volksschullehrer nach der Universität nicht Stellung 
zu nehmen, sondern „lediglich die Frage der inneren Konstituierung der 
Pädagogik als Universitätsdisziplin zu erörtern“. Aber ein innerer Zusammen¬ 
hang zwischen beiden Dingen besteht zweifellos. Für wen soll denn Volks¬ 
schulpädagogik an der Universität gelehrt werden, wenn nicht für diejenigen, 
welche in der Volksschule arbeiten? Gewiß liegt es in der Auffassung des 
Bildungswesens als einer Einheit, daß auch andere Studierende, die künftigen 
Oberlehrer, einen Überblick über das Gesamtgebiet, in dem die Volksschul¬ 
pädagogik einen notwendigen Teil bildet, erhalten, aber die eigentliche Ver¬ 
tiefung in das Sondergebiet wird doch von denen erwartet, die ihr Sonder- 
Beruf zu ihm in die lebendigste Beziehung setzt. So hat denn auch Troeltsch 
von allem Anfang an das hier vorliegende Verhältnis aufgefaßt. Schließe 
man, sagt er in Leitsatz 6, die Volksschule in die Volkserziehungswissenschaft 
ein, so ergäbe sich von da aus „eine Erweiterung und ein Wechsel des Hörer¬ 
kreises, aber nur unter der Bedingung, daß auch die zukünftigen Volksschul¬ 
lehrer oder doch wenigstens eine gewisse Auswahl aus ihnen an diesen 
Kollegien beteiligt würden“, ln vorsichtigerer Form erklärte er dann in seinem 
Schlußwort, er wage nichts darüber zu sagen, wie weit aus der Einbeziehung 


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276 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


der Volksschule in den Gegenstand auch eine irgendwie geartete Beteiligung 
von Volksschullehrern als Hörem gefolgert werden solle und müsse. Ihre 
Forderangen würden jedenfalls in Zukunft gesteigert auftreten, es scheine 
ihm aber genügend, wenn die Kontaktstelle vorhanden sei, an die später 
etwaige Verbindungsschnüre angelegt werden könnten. 

Zwischen Leitsätzen und Schlußwort Troeltschs liegen eine Anzahl Äuße¬ 
rungen, die in verschiedener Abschattierung zu der Frage des Studiums der 
Volksschullehrer Stellung nehmen. Ziehen zollt diesem Streben nach Weiter¬ 
bildung höchste Anerkennung und hält es für erwünscht, wenn den einzelnen 
Volksschullehrera Gelegenheit gegeben wird, als £Jas&örer auch den Vor¬ 
lesungen über Pädagogik an der Universität beizuwohnen; die Behandlung 
der Disziplin dürfe aber natürlich durch diesen Kreis von Zuhörern keinerlei 
Änderung in ihrem grundsätzlichen Charakter erfahren. „So verlockend es 
für den Universitätslehrer der Pädagogik sein mag, den mächtigen Resonanz¬ 
boden fruchtbar zu machen, den der deutsche Volksschullehrerstand mit 
seinem rühmlichen Streben nach Weiterbildung ohne Zweifel darstellt, so 
unverbrüchlich muß auf der andern Seite daran festgehalten werden, daß 
die Pädagogik als Universitätsdisziplin in bezug auf die Hochhaltung ihres 
wissenschaftlichen Charakters keinerlei Zugeständnisse machen darf.“ 

Den gleichen Vorbehalt machte auch Kuck ho ff. Es sei gegen das Studium 
„Hochqualifizierter“ nichts einzuwenden, nur dürfe „dasNiveau der Vorlesungen 
um ihretwillen nicht niedriger gehalten werden“. Heinrich Maier be¬ 
hauptete, in Tübingen hätten die Volksschullehrer zu den eifrigsten Hörern 
gehört, aber nicht auf der erforderlichen Bildungshöhe gestanden. Völlig ab¬ 
ablehnend verhielt sich Oberlehrer Litt. Die zu wünschende Kulturpädagogik 
setze einen Einblick in die Kulturzusammenhänge voraus. „Einen solchen 
Einblick in das Wesen einer Kultur zu gewinnen, ist aber dem Volksschul¬ 
lehrer seiner ganzen Bildung nach versagt, also ist ihm die Teilnahme an 
diesen Vorlesungen nicht zu gestatten.“ Unmittelbar nach ihm kam Spranger 
zum Wort, der auf Grund seiner Leipziger Erfahrungen berichtete, daß dort, 
wo die Volksschullehrer seit 1865 zum Studium der Pädagogik zugelassen 
seien, das Niveau durch sie keineswegs herabgezogen werde. „Ja ihre Teil¬ 
nahme wirkt belebend auf die Diskussion ein, da die Lehrer aus der eigenen 
Praxis berichten können.“ Für den Dozenten ergebe sich allerdings leicht 
die Gefahr politischer Abhängigkeit, die aber schwinde, wenn man sich rein 
auf den akademischen Ton einstelle. 

Unter den Volksschullehrern ist vielfach die Meinung verbreitet, die Uni¬ 
versitäten würden sie, wenn nur die Regierung die nötigen Anordnungen 
erlasse, mit offenen Armen aufnehmen. Sie mögen aus den Verhandlungen der 
pädagogischen Konferenz von neuem ersehen, wie irrig das ist. Selbst so offen¬ 
kundige Freunde der Volksschullehrer wie Ziehen machen ihre Zustimmung 
von Vorbehalten aller Art abhängig, die Ansicht, daß die Volksschullehrer „nicht 
auf der erforderlichen Bildungshöhe“ stünden, .ist verbreiteter, als man in 
Lehrerkreisen glaubt, und die von Litt mit so apodiktischer Sicherheit hin¬ 
gestellte Behauptung: „Einen solchen Einblick in das Wesen einer Kultur zu 
gewinnen, ist dem Volksschullehrer seiner ganzen Bildung nach versagt“, 
spiegelt mit ihrer ohne jede Einschränkung gezogenen Folgerung, daß dem 
Volksschullehrer die Teilnahme an den Vorlesungen nicht zu gestatten sei, 
das durchschnittliche Urteil der Oberlehrerschaft Norddeutschlands wieder. 


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Gutachtliche Äußerungen, Zweite Reihe. Muthesius 277 


Eins ergibt sich jedenfalls mit zwingender Sicherheit aus den Verhandlungen: 
Der Zusammenhang zwischen Volksschullehrerbildung und Universität kann 
nur dadurch hergestellt werden, daß zunächst e inm al eine Auswahl „Höchst¬ 
qualifizierter“ zum Studium zugelassen wird. Erst wenn diese, wie es in 
Sachsen geschehen ist, den Beweis erbracht haben, daß ihnen keineswegs die 
„erforderliche Bildungshöhe“ mangelt und deshalb die Befürchtung unbegrün¬ 
det ist, daß sie „das Niveau herabdrücken werden“ 1 ), erst dann werden sich 
die Pforten der Universität weiter öffnen. Man mag darin nicht die letzte 
Lösung der ganzen Frage sehen, man mag darin mehr nur eine Station auf 
dem Wege nach dem Hauptziele erblicken: ohne diese Übergangszeit ist es 
überhaupt unmöglich, in der Frage vorwärts zu kommen. Sie ist vor allen 
Dingen deshalb nicht auszuschalten, weil in ihr erst einmal die Lehrerbildungs¬ 
anstalten mit akademisch gebildeten Lehrkräften, die aus dem Volksschullehrer¬ 
stande stammen, versorgt werden müssen, wodurch allein ihre Lehrweise und 
ihre Leistungen so ausgestaltet und gesteigert werden können, daß alle Zweifel 
an der wissenschaftlichen Zulänglichkeit schwinden. Die Volksschullehrer 
aber haben mit dem gänzlich unvermittelten Verlangen, sofort allen den Zu¬ 
gang zur Universität zu gestatten, nur die Widerstände gesteigert und damit 
selbst die Entwicklung gehemmt. 


2 . 

In der Ablehnung von Übungsschulen waren die Mitglieder der Konferenz 
einig; wenigstens wurde von keiner Seite ein Wort für sie eingelegt. Zwar 
forderte man zur Ergänzung der Vorlesungen pädagogische Seminare, aber 
so erklärte z. B. Frischeisen-Köhler: „Da die Anleitung zur Erziehungs¬ 
praxis und zum Unterricht nicht Aufgabe der Universitätspädagogik sein kann, 
kann das pädagogische Seminar nur ein Seminar für theoretische Pädagogik 
sein; die praktische pädagogische Einführung ist dem Gymnasialseminar aus¬ 
schließlich Vorbehalten.“ Zu dieser dürfe, meinte Troeltsch, an der Uni¬ 
versität „keine Dublette geschaffen werden“. 

Mir scheint, es liegt hier zum mindesten eine recht einseitige Auffassung 
vom eigentlichen Wesen der pädagogischen Bildung vor. 

Pädagogik ist nicht nur Wissenschaft, sondern auch Kunst, und wie es im 
Wesen jeder wahren Bildung liegt, daß sie nach Betätigung, nach Produktivität 
geradezu hindrängt, so namentlich im Wesen der pädagogischen Bildung. 
Für alle großen Erzieherpersönlichkeiten ist der Drang nach pädagogischer 
Betätigung kennzeichnend; Pestalozzi ist ein typisches Beispiel hierfür. Die 
Pädagogik als bloße Theorie betreiben, heißt sie blutleer machen. Überall 
verfällt die Theorie der Verdörrung, wenn sie nicht fortlaufend in ein leben¬ 
diges Ver hä l tni s zur Praxis gesetzt wird. Zugestandenermaßen ist es der Vor¬ 
zug der ärztlichen Berufsbildung, daß hier die Organisation eine befruchtende 
Wechselwirkung, ein vollständiges gegenseitiges Durchdringen von Theorie 
und Praxis gewährleistet Würden wir nicht den Vorschlag, die Kliniken von 
der medizinischen Fakultät zu trennen, als ganz undurchführbar empfinden ? 
So werden auch pädagogische Lehrstühle an den Universitäten nur eine tiefere 
Wirkung hervorbringen können, wenn sie in irgendeiner Weise mit päda- 


’) VergL Pädagogische Blätter 1911, S. 43 u. 328: Die Erfolge der sächsische« 
Studieneinriohtungen für Volkssehullehrer. 


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278 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


gogischen Beobachtungs- und Übungsfeldern verbunden werden, so daß sie 
fortlaufend das Bild der Verwirklichung neben sich haben. 

In dem Satze Sprangers: „Gerade dies ist die Seelennot des Ordinarius, 
daß ihm die Berührung mit der ganzen Breite der pädagogischen Praxis fehlt”, 
ist das Bedürfnis in Rücksicht auf den Dozenten überzeugend ausgesprochen, 
und auch Ettlinger hat darauf hingewiesen, daß es „vielleicht für den Lehrer 
der Pädagogik selbst” einer Übungsschule bedürfe. Ist es aber nicht ein 
Widerspruch, das Bedürfnis mit so eindringlichem Wort zuzugestehen und 
doch die Verwirklichung abzulehnen? Als gleichen Widerspruch empfinde 
ich es, wenn z. B. Kuckhoff fordert, die pädagogische Psychologie solle dem 
Hörer die Mittel an die Hand geben, die verschiedenen Begabungen zu er¬ 
kennen, in einem Atem damit jedoch erklärt: „Eine Übungsschule aber ist ab¬ 
zulehnen”. Wo soll der Hörer Gelegenheit finden, Begabungen zu erkennen, 
wenn nicht an lebendigen Kindern? 

Erythropel rät von der Errichtung einer Übungsschule mit. der Be¬ 
gründung ab: „Die Technik des Unterrichts ist noch lange nicht das Wesent¬ 
liche“. So wahr dieser Satz an sich ist, so muß doch mit allem Nachdruck 
betont werden, daß die Einübung der Unterrichtstechnik eben nicht als das 
Wesentliche einer Übungsschule angesehen werden darf. Diese mag getrost 
den Gymnasialseminaren als deren eigentliche Aufgabe Vorbehalten bleiben. 
Hier handelt es sich zunächst um etwas anderes und weit Wertvolleres: die 
Begründung der rechten pädagogischen Gesinnung. Das kann nur geschehen 
in lebendigem Umgang mit der Jugend. Goldbeck beklagt es bei aller An¬ 
erkennung des Eifers und des Wohlwollens der Lehrer, daß ihnen „das Ver¬ 
ständnis für die kindliche Seele, die Fähigkeit des Sicheinfühlens” fehle. Dem 
Mangel kann aber auf keine andre Weise abgeholfen werden, als daß der 
Lehrer gleich beim Beginn seiner Berufsbildung in ein inniges Gemeinschafts¬ 
verhältnis zur Jugend gesetzt wird. Mit warmen Worten hat Becker auf 
die tiefer liegenden Werte der pädagogischen Berufsbildung hingewiesen. 
Wenn Troeltsch in seinen Leitsätzen gleichsam als Nebenaufgabe der neuen 
- Pädagogik erwähnt habe, die Studenten in die Ideale und in die Ethik des 
Lehrerberufs einzuführen, so müsse er mit Entschiedenheit betonen, daß hierin 
gerade das Allerwesentlichste enthalten sei. Im allgemeinen werde von den 
Lehrern der einzelnen Fächer jede Beziehung auf die Schule, d. h. auf ihre 
erziehlichen Zwecke, abgelehnt, die Studenten würden zu Gelehrten, aber nicht 
zu künftigen Lehrern erzogen und nähmen deshalb von der Universität eine 
falsche Berufsethik mit ins Leben. „Diese Dissonanz zu lösen, den beiden 
großen Gefahren der Intellektualisierung und der Spezialisierung zu begegnen, 
ist die neue pädagogische Professur vor allem berufen: sie soll ausgleichen 
und verbinden, soll schon auf der Universität den Studenten mit dem, Ideal 
seines künftigen Berufes ganz durchdringen.” Sehr gut gesagt. Meint man 
aber, derartige Wirkungen zu erzielen, wenn man die Studenten bloß an¬ 
redet? Ein in seiner Tiefe erfaßtes Ideal drängt mit der Macht der Natur¬ 
notwendigkeit nach Verwirklichung, nach Betätigung; es verblaßt wieder, wenn 
diese Betätigung auf fernere Zeiten verschoben wird. Nur im eigenen Tun 
findet es* Nahrung, nur in der unmittelbaren engen Berührung mit der Jugend 
kann das Berufsideal des künftigen Lehrers gedeihen. 

Das Bedürfnis nach irgendwelcher Beziehung zur Praxis ist in der Kon¬ 
ferenz namentlich von mehreren praktischen Schulmännern wiederholt aus- 


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Gutachtliche Äußerungen, Zweite Reihe. Sickinger 


279 


drücklich hervorgehoben worden. Borbein fordert die praktische Berührung 
mit der Jugendbewegung; Reinhardt erhofft eine gegenseitige Befruchtung 
von Theorie und Praxis davon, daß der Professor der Pädagogik den Sitzungen 
der Gymnasialseminare, dem Unterricht, den Prüfungen am Schluß der prak¬ 
tischen Ausbildung beiwohnt. Das alles sind aber nur notdürftige Ersatz¬ 
mittel für den Dozenten, gelegentliche, flüchtige Annäherungen an die 
Wirklichkeiten des pädagogischen Lebens, die noch lange nicht die Gewähr 
bieten, daß dieses Leben mit allen seinen flutenden Erscheinungen in dem 
Universitätsunterricht seine befruchtenden Wirkungen ausübt. Aber was die 
Hauptsache ist: der Hörer geht dabei vollständig leer aus, er soll künstlich 
von jeder Gelegenheit, sich selbst irgendwie zu betätigen, ja auch nur mit 
eigenen Augen zu beobachten, abgesperrt werden. 

Das ist unnatürlich, und deshalb unhaltbar. Errichtet man pädagogische 
Professuren mit pädagogischen Seminaren, so werden Professor und Studenten 
bald von innen heraus dazu gedrängt werden, die Verbindung mit der päda¬ 
gogischen Wirklichkeit aufzusuchen, es werden aus innerer Notwendigkeit heraus 
Einrichtungen entstehen, die für Lehrer und Hörer die Möglichkeit bieten, 
in irgendeiner Form pädagogisches Empfinden und Denken in Tun umzu¬ 
setzen. Sie brauchen durchaus keine Dubletten der Gymnasialseminare zu 
sein, es lassen sich Organisationen denken, die eine Vorwegnahme der Auf¬ 
gaben jener vermeiden. Die Technik des Unterrichts bis zu einem erheblichen 
Grade der Fertigkeit einzuüben, ist nicht ihr Zweck, wenn sie auch zu den 
ersten Lehrversuchen Gelegenheit bieten mögen. Sie sollen vor allen Dingen 
dem künftigen Lehrer in planmäßigen Veranstaltungen Gelegenheit geben, in 
ein enges Gemeinschaftsverhältnis zur Jugend zu treten. Nur dadurch kann er 
in die rechte pädagogische Temperatur versetzt werden, nur dadurch kann in 
ihm die Stimmung rege werden, daß der Lehrer etwas anderes ist als ein 
Stundenhalter und Sklave des Uhrzeigers, nur dadurch kann sich in ihm alles 
das entfalten, was man in den Ausdruck pädagogisches Berufsideal zusammen¬ 
fassen mag. 

Schließlich noch eine kurze allgemeine Bemerkung. Borbein machte dar¬ 
auf aufmerksam, daß der Name Herbarts kaum genannt worden sei. Das 
ist überhaupt das Kennzeichen der Konferenz: sie hat das Problem in seinem 
ganzen Umfange ab ovo behandelt, sie hat (mit Ausnahme eines kurzen Hin¬ 
weises durch Ziehen) unbeachtet gelassen, daß die Frage der pädagogischen 
Professuren anderwärts bereits gelöst ist, daß insbesondere 'auch die beiden 
Einzelfragen, auf die wir die Aufmerksamkeit lenken wollten, ihre Geschichte 
haben: die Zulassung von Volksschullehrern zur Universität und die Errichtung 
pädagogischer Seminare mit Übungsschulen. Vielleicht hätte es doch zur 
Klärung der Anschauungen beigetragen, wenn man dieses ganze Erfahrungs¬ 
und Tatsachengebiet nicht so ohne weiteres als nicht vorhanden betrachtet hätte. 

Zum Begriff der Hochschulpädagogik nach den Bedürfnissen 
der Jugend* und der Volkserziehung. 

Von Anton Sickinger. 

„Die Welt soll nicht so rasch zum Ziele als wir denken und wünschen. 
Immer sind die retardierenden Dämonen da, die überall dazwischen- und 
überall entgegentreten, so daß es zwar im ganzen vorwärts geht, aber sehr 
langsam.“ Dieses Goethewort trat mir in den Sinn, als ich nach der Lektüre 


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280 tJber die zukünftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


der Thesen und des Verhandlungsberichts der im preußischen Ministerium 
der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten am 25. u. 26. März 1817 
abgehaltenen Pädagogischen Konferenz die zurückliegenden 50 Jahre in 
Gedanken durchwanderte, in denen mir nacheinander als Schüler der Volks¬ 
schule und des Gymnasiums, als Student der klassischen Philologie, als 
Gymnasiallehrer (zugleich Lehrer des Turnens) und seit 23 Jahren auf 
einem leitenden Posten mit weittragender Verantwortung reichlich Gelegenheit 
geboten ward, die ganze Tragweite des pädagogischen Problems passiv und 
aktiv zu erleben und so an mir selbst und dazu an ungezählten anderen, 
die am Erziehungswerke in den verschiedensten Stellungen tätig sind und 
mit denen ich Erfahrungen austauschte, einen Maßstab für das, was in 
der Sache nottut, zu gewinnen. Ja, es ist langsam, aber mit Genugtuung i 
sei es gesagt, es ist vorwärts gegangen. In scharf ausgeprägter Form 
kommt diese erfreuliche Tatsache in den vom Minister zum Beginn und 
zum Beschluß der Verhandlungen gesprochenen Sätzen zum Ausdruck: die i 
alte Pädagogik sei reformbedürftig und müsse auf eine neue Basis gestellt 
werden. Die Universitäten und Fakultäten müssen den praktischen Be¬ 
dürfnissen Rechnung tragen. Da die Universität die Lehrer vorbildet, so habe 
sie auch die Oberlehrerschaft mit dem Geist der Pädagogik zu erfüllen. 
Schon auf der Universtät müsse dies geschehen — in diesem Geiste der 
Pädagogik sei das Schönste des Lehrerberufs beschlossen. Unserer 
Oberlehrerschaft fehle es noch daran. Es müsse dahin kommen, daß der 
nicht als volles Glied des Standes gelte, der nicht eine Stellung zu den großen 
N kulturphilosophischen Fragen zu finden suche und in ihnen lebe. Dies Ziel 
müsse erreicht werden, wenn wir die Schule auf die notwendige Höhe heben 
wollen. Das sind unzweideutige und im Munde des Kultusministers des 
führenden Staates besonders bedeutsame Worte, auf denen sich ein Neues 
wohl aufbauen läßt. Schade, daß für das Neue nicht schon in den der 
Aussprache zugrunde gelegten Leitsätzen, die nach außen hin als die Willens¬ 
meinung der Konferenz gelten, die genügend breite Basis gewählt worden 
ist. Die neue Hochschulwissenschaft wurde nämlich in den Leitsätzen nicht 
nach den praktischen Bedürfnissen (vgL die Worte des Ministers), sondern 
in erster Linie nach formalen Rücksichten, der Einfügbarkeit des Neuen in 
den Rahmen der philosophischen Fakultät und weiterhin mit dem Zuschnitt 
auf die Tragfähigkeit einer Person, des neuen Professors der Pädagogik, 
abgegrenzt und.als die selbständige und umfassende Wissenschaft vom gesamten 
staatlichen Schulwesen einschließlich der Volksschule, seine Geschichte und 
seine Ziele gekennzeichnet. Gewiß, die wissenschaftlich historisch philo¬ 
sophische Bearbeitung der tatsächlich bestehenden nationalen Schuleinrich¬ 
tungen ist eine Aufgabe der neuen Erziehungswissenschaft Darin waren 
die Konferenzteilnehmer einig, und insofern geben die Leitsätze die Anschauung 
der Konferenz wieder. Allein das nationale Schulwesen ist doch nur ein Teil 
der pädagogischen Wissenschaft, von der unser Volk durchgreifende Förderung 
erwartet. In ihren Begriff fallen sämtliche Institutionen der Volkserziehung 
und der Volksbildung, die der Mündigen so gut wie die der Unmündigen, 
sie alle mit der einheitlichen Zielrichtung, in umfassender Menschenökonomie 
die ungeheuren quantitativen Verluste des Volkskörpers an gesundem Leben, 
an Menschengeist, Kultur- und Wirtschaftskraft qualitativ dadurch zu ersetzen, 
daß auf dem Wege des organisierten Zusammenwirkens der in Familie, Schule, 


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Gutachtliche Äußerungen, Zweite Reihe. Siokinger 


281 


Staat und Gesellschaft wirkenden Erziehungsmächte jede im Volksnachwuchs 
schlummernde Einzelkraft durch die richtigen Mittel zunächst zu dem 
erreichbaren Höchstmaß individueller Kultur und sozialer Leistungsfähigkeit 
entwickelt, sodann zur Erzeugung entsprechender Kultur- und Gebrauchswerte 
am rechten Platze in die nationale Gesamtwirtschaft eingeordnet und mög¬ 
lichst lange produktiv eihalten wird. Wenn je, so gilt für uns heute und 
künftighin das Wort: „die Nation lebt nicht von der Vergangenheit, sondern 
von der Zukunft". Nur die gekennzeichnete, in die Tiefe und in die Weite 
greifende Mitarbeit an der Kultur des kostbarsten Besitzes der Nation ent¬ 
spricht der Würde und der in großer Vergangenheit wurzelnden Tradition 
der deutschen Universitas. Nur der aus solcher Auffassung geborene Geist 
der Pädagogik wird bewirken, daß die Lehrenden ihren Blick über den engen 
Rahmen der Schule hinauslenken und die grundsätzlichen Zusammenhänge 
einerseits ihres Sondergebietes mit den übrigen Gebieten der Jugenderziehung, 
andererseits der Schulerziehung mit der Volkserziehung und der Volkswohl¬ 
fahrt klar erkennen, wodurch ihr Verantwortlichkeitsgefühl, aber auch ihre 
Befriedigung an der eigenen Arbeit gesteigert wird, indem sie sich als Ver¬ 
walter und Mehrer der idealen und damit auch der wirtschaftlichen Güter 
unseres schwer ringenden Volkes fühlen lernen und aus dieser Gesinnung 
heraus ihre Arbeit möglichst ertragsreich zu gestalten bemüht sind. 

Indessen ist, und damit komme ich auf den Kern meiner Ausführungen, die 
ertragsreiche Berufsaus Übung auf irgendeinem Posten des Erziehungswesens 
nicht schon sicher gestellt durch eine klare und gehobene Berufsauffassung 
als Frucht der Einführung in die sachlichen Inhalte einer kultur- und staats¬ 
politisch orientierten Hochschulpädagogik, sondern mindestens ebenso wich¬ 
tige Vorbedingung dafür ist die Vertrautheit mit den Forderungen, die sich 
für die erzieherische und unterrichtliche Tätigkeit, für Lehrkunst und Lehr- • 
handwerk aus der physischen und psychischen Natur des zu erziehenden 
und zu bildenden Menschen als unbedingt zu beachtenden Normen eigeben. 
Denn die Natur läßt sich nicht vergewaltigen. Wir meistern die Natur nur, 
wenn wir ihre Gesetze befolgen. Die höchste Weisheit der Pädagogik 
ist deshalb, der Natur getreu zu verfahren. In der unzulänglichen 
Beachtung dieser Grundnorm aller Erziehung wurzeln in der Hauptsache die 
Mißerfolge der alten Pädagogik. Der von Troeltsch hervorgehobene Umstand, 
die heutige Schule sei in Inhalt und Methode dem modernen Menschen 
vielfach nicht ganz angepaßt (Verhandlungsberichts. 24), der tief eingewurzelte 
Irrtum, die Aufgabe des Oberlehrers erschöpfe sich im Gegensatz zu der des 
Volksschullehrers im Lehren, und wer eine Wissenschaft gut verstehe, sei 
auch schon imstande, sie andern gut zu lehren, ferner die starken Mißgriffe 
nicht bloß bei Behandlung des Lehrgutes (Verhandlungsbericht S. 12 und 25), 
sondern auch bei der Behandlung der Schüler, das leider so häufig gespannte 
Verhältnis zwischen Lehrern und älteren Zöglingen, die nicht zur Ruhe kommen¬ 
den Klagen der Überbürdung und die Häufigkeit der Einstellung von Haus¬ 
lehrern selbst bei Schülern, die bei verständigerem Betrieb auf eigenen Füßen 
stehen könnten, „die noch immer herrschende Neigung der Lehrer zu ganz 
schematischer Beurteilung der Schüler, die zuweilen geradezu menschenmordend 
wirkt" (Verhandlungsbericht S. 22), weiterhin' das Versagen gegenüber der 
Notwendigkeit der gegenseitigen Rücksichtnahme bei den an die Schüler der 
gleichen Klasse zu stellenden täglichen Arbeitsforderungen, die geradezu un- 


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282 über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


sinnigen Stofforderungen, die hier und dort fttr die neu einzurichtenden Über¬ 
gangsklassen gestellt worden sind, die verhältnismäßig geringe Einwirkung 
der Schule aufs Elternhaus (Verhandlungsbericht S. 26), die befremdende 
Unkenntnis der Lehrer hinsichtlich der außerschulischen Interessen und Be¬ 
tätigungen der Schüler, die ablehnende Stellungnahme gegenüber dem Erlaß 
des Ministers, durch den auch den Lehrern der höheren Schulen die Berufs¬ 
beratung der Schüler zur Pflicht gemacht wird — diese und andere dem 
mit der Praxis Vertrauten wohlbekannten Erfahrungstatsachen erweisen zur 
Genüge: das Hauptstück des auf der Hochschule zu legenden theore¬ 
tischen Unterbaues der Pädagogik hat die Einführung in die Forschung 
und die Forschungsergebnisse der physio-psychologischen Jugend¬ 
kunde zu bilden. 

Im Hinblick auf das Gewicht dieses menschenkundlichen Bestandteils 
der Pädagogik, der in den Leitsätzen entschieden zu kurz gekommen ist, sei 
noch auf einiges besonders hingewiesen. 

Die bisherige einseitige Ausbildung der Studierenden zu Philologen, Mathe¬ 
matikern hat gar leicht eine Überschätzung des Stofflichen, zumal seiner quanti¬ 
tativen Seite und die Trübung des Blicks für die Unteilbarkeit des Erziehungs¬ 
objektes zur Folge. Dafür ein sprechender Beleg aus der Praxis. Zur Zeit 
der Einführung der dritten Turnstunde wurde im Gymnasiallehrer-Verein einer 
unserer größten Städte folgende These einstimmig gutgeheißen: „Die Delegierten¬ 
konferenz erblickt in der immer mehr sich steigernden Berücksichtigung der 
Körperpflege im Schulbetrieb ein Hindernis zur Erreichung der in den Lehr¬ 
plänen festgesetzten Ziele." Dieser vom Standpunkt des Ganzen der Er¬ 
ziehung befremdenden Stellungnahme liegt die Befürchtung zugrunde, durch 
die stärkere Betonung der körperlichen Seite der Erziehung gingen unsere 
• Schulen ihres geschichtlichen Charakters, Pflegestätten des Geistes, Übungs¬ 
stätten für gründliches Lernen zu sein, verlustig. Diese Befürchtung ist nichtig. 
Einmal ist die Körperübung zugleich auch eine Übung des Geistes, insofern 
mit jedem bewußten Üben der Muskeln ein Üben des nervösen Zentralorgans 
parallel geht und von den Leibesübungen Wirkungen auf den Intellekt, das 
Gemüts- und Willensleben ausgehen, die in ihrer Eigenart durch nichts an¬ 
deres ersetzt werden können. Sodann ist Gründlichkeit und Ergiebigkeit des 
Lernens nicht gleichbedeutend mit systematischer Vollständigkeit der Lern¬ 
stoffe. Diese alte Weisheit hat zu Anfang des Krieges durch einen die Sich¬ 
tung und Kürzung des Geschichtsstoffes betreffenden Erlaß des preußischen 
Unterrichtsministers eine bemerkenswerte Bekräftiguug erfahren. Wenn daher 
durch Abbau der überkommenen Lernstoffe die rein geistigen Arbeitsleistungen, 
die zu einem guten Teil reine Gedächtnisleistungen sind, eingeschränkt werden 
und dafür WUsen, Können und Wollen in einer gesunden Körperlichkeit 
verankert werden, so bedeutet dies eine wertvolle Steigerung der der Gesamt¬ 
erziehung zum Ziele gesetzten Lebenstüchtigkeit des Individuums. Es 
ist deshalb verständlich, daß der angeführte Beschluß des Lehrervereins von 
hygienischer Seite') eine scharfe Verurteilung erfahren hat: „Ein schrecklicher 
Gedanke, daß eine solche Anschauung gerade in den Kreisen Raum gewinnen 
und gebilligt werden konnte, welchen das Höchste und Kostbarste unseres 
Volkes, unsere Jugend, lange Jahre zwangsweise anvertraut ist. Der jugend- 

*) Qeneraloberarzt und stellv. Korpsarzt Dr. Leu, „Die Lebenslehre“, Berlin 1907. 


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Gutachtlich« Äußerungen, Zweite Reihe. Siokinger 


283 


liehe Körper soll sich nicht nach den Lehrplänen modeln. Vielmehr müssen 
sich die Lehrpläne dem in der Entwicklung begriffenen Organismus 
anpassen, damit*er keinen Schaden nimmt und untauglich für das schaffende 
Leben wird.“ In der Tat: der gesundheitliche, der biologische Gesichts¬ 
punkt, der verlangt, daß der jugendliche Mensch zu dem. der individuellen 
Anlage erreichbaren Höchstmaß von Gesundheit im prägnanten Sinn, 
d. i. zur vollen leiblichgeistigen Leistungstüchtigkeit heranreift, muß in der 
deutschen Erziehung stärker als bisher zum Ausdruck kommen und zwar 
dadurch, daß alle erzieherische Betätigung bewußter unter die Idee der 
richtigen Betätigung gestellt wird — richtig im Sinne von physischer, 
physiologischer und psychologischer Gemäßheit, die ebenso ein zu leicht 
und zu wenig, wie ein zu schwierig und zu viel der Anforderungen ausschließt. 
Diese aus der fortgeschrittenen Erforschung der kindlichen Natur und ihrer 
Wachstumsbedingungen hervorgegangene Forderung ist in der Neuzeit zuerst 
mit Nachdruck für die physische Seite der Erziehung erhoben worden. 1 ) 
Während früher das Turnen als Bewegungsschule und die körperliche Aus¬ 
bildung als Aneignung bestimmter Fertigkeiten aufgefaßt wurde und man 
dementsprechend den aufsteigenden Altersstufen den vielgestaltigen Übungs¬ 
stoff des deutschen Turnens nach der Schwierigkeit der Ausführung zuordnete, 
erblickt man heute — entsprechend der eigentlichen Bedeutung von „Bildung“ 
als vollendeter Ausgestaltung des in einem Lebewesen angelegten Formprinzips — 
die Aufgabe der körperlichen Ausbildung darin, alle im heranwachsenden 
Kinde vorhandenen Wachstumsanlagen zur bestmöglichen Entfaltung zu bringen, 
und ordnet zu diesem Zwecke den einzelnen Altersstufen die Übungen so 
zu, wie sie dem physiologischen Übungsbedürfnis der Altersstufen entsprechen. 
Der Physiologie kommt also heute bei Aufstellung der Turnlehrpläne das 
entscheidende Wort zu, und die Turnlehrer sind mit der physiologischen Eigen¬ 
art der kindlichen Entwicklungsstufen und ihrer Bedürfnisse vertraut zu machen. 

Das gleiche biologische Gesetz gilt nun auch für das seelische Wachstum. 
Wie jedes andere Organ erreicht auch das Gehirn seine vollendete Ausbildung 
und damit die höchsterreichbare Qualität der Leistung nur dann, wenn bei 
der Bildungs- und Unterrichtsarbeit Art und Maß der Betätigung mit der 
individuellen Funktionsfähigkeit des Denkorgans in Einklang stehen. Nur unter 
dieser Vorausetzung kommt es zum selbsttätigen Erwerb der Bildungsstoffe, 
der allein die Entwicklung der intellektuellen Kräfte gewährleistet. Andernfalls 
kommt es, da die Fähigkeit des geistigen Verdauens so wenig wie die des 
leiblichen erzwungen werden kann, höchstens zur Anhäufung gedächtnis¬ 
mäßigen Wissens, das Steine statt Brot bedeutet, denn das vom Gehirn nur 
mechanisch Aufgenommene stärkt nicht nur nicht die Erkenntnisfähigkeit, 
sondern schwächt die Kräfte der Anschauung und des Urteils. 

Wirksame Entwicklung des Intellekts als Folge des richtigen Verhältnisses 
zwischen Leistungsforderung und Leistungskraft ist aber selbst wieder Vor¬ 
aussetzung der Entfaltung des Gemüts- und der Erstarkung des Willenslebens; 
denn nur aus der innerlichen Verarbeitung der Kenntnisse und ihrer Um¬ 
setzung in geistige Kraft erwächst das für die Bildung des Charakters so 
wichtige Selbstvertrauen und in dessen Gefolge Arbeitslust und Arbeitsfreude 


') Vgl. insbesondere F. A. Schmidt „Physiologie der Leibesübungen“ und „Das Schulkind nach 
seiner körperlichen Eigenart und Entwicklung*. Leipzig, R. Voigtllnders Verlag. 


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284 Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


und hieraus hinwiederum das Verlangen nach weiterer Betätigung und die 
Kraft des Beharrens, die unversiegliche Nährquelle für die Erstarkung des 
sittlichen Willens, das Endziel aller erzieherischen Beeinflussung. 

Mit diesen aufbauenden Wirkungen der zwischen Sollen und Können 
harmonisch abgestimmten, d. i. psychologisch richtigen Erziehungsarbeit ver¬ 
gleiche man die niederhaltenden Wirkungen ihres Gegenstücks nach der zutreffen¬ 
den Schilderung Meumanns:') „Unser ganzes pädagogisches und didaktisches 
System krankt an einem fundamentalen Obel. Es gibt noch immer zahlreiche 
Pädagogen, die keine Ahnung davon haben, wie außerordentlich wichtig die 
Behandlung des Gemüts- und des Willenslebens der Kinder für alle ihre 
intellektuellen Leistungen und ihren gesamten geistigen Fortschritt ist. Jeder 
falsche Tadel, jede Versäumnis zur Aufmunterung des Kindes, jedes unberechtigte 
Mißtrauen, alle Art ironischer und spöttischer Behandlung der Kinder, jede 
falsche Beurteilung ihrer Leistungen, jedes Nichtverstehen ihrer Individualität 
und ihres Begabungstypus, jede Zurücksetzung hinter andere vermag bis aufs 
einzelne Wort, das der Erzieher oder Lehrer spricht, in dem Gemüts- und 
Willensleben des Kindes eine Hemmung oder Depression zu verursachen, durch 
die es die nachhaltigste Schädigung davon trägt. Die ganze Pädagogik der 
Demütigung, der Depression, der Schädigung des Selbstbewußtseins, der Unter¬ 
drückung oder Nichtentwicklung der Selbsttätigkeit der Kinder ist ein Ver¬ 
brechen an der Kindesseele; an ihre Stelle muß die Pädagogik des Vertrauens, 
der Aufmunterung, der Aufmunterung um jeden Preis, der Belebung, der 
Selbsttätigkeit und Selbständigkkeit, des gründlichen Eingehens auf die In¬ 
dividualität und Begabung der Kinder, der Einfühlung in ihre Entwicklungs¬ 
stufe und des vertieften Verständnisses der gesamten kindlichen Eigenart treten*. 

Die Pädagogik des .gründlichen Eingehens auf die Individualität 
und die Begabung der Kinder, .die Einfühlung in die Entwick- 
lungs- und Wachstumsgesetze und des vertieften Verständ¬ 
nisses der gesamten kindlichen Eigenart — ja, das ist die leben¬ 
weckende Pädagogik, die an die Stelle der alten Pädagogik zu treten hat, 
die nach den Worten des Ministers reformbedürftig ist und auf eine neue 
Basis gestellt werden muß." Darnach bestimmt sich innerhalb des Gesamt- 
begriffs der Hochschulpädagogik die Bedeutung der „psychologischen* Päda¬ 
gogik, die lehrt, was in Erziehung und Unterricht erreicht werden kann, 
neben der „philosophischen* Pädagogik, die lehrt, was erreicht werden soll. 
Es ist kein Zufall, daß sich die mit den lebendigen Bedürfnissen der Schule 
vertrauten Konferenzteilnehmer in ihrer übergroßen Mehrheit für erstere 
mit Nachdruck eingesetzt haben, daß vor allem auch Reinhardt, der Verfasser 
der gehaltvollen Erläuterungen zu der Ordnung der Prüfungen und zu der 
Ordnung der praktischen Ausbildung für das Lehramt an höheren Schulen 
in Preußen, Psychologie und Jugendkunde in eine Reihe mit der Philosophie 
gestellt hat und daß auch von den Universitätslehrern immerhin eine starke 
Minderheit dem menschenkundlichen Faktor in der pädagogischen Berufslehre 
gerecht geworden ist. Dies sei ausdrücklich festgestellt, um der Auffassung 
entgegen zu wirken, daß die in den Leitsätzen und noch mehr in deren Be¬ 
gründung sich kundgebende Auslegung, die Psychologie komme im wesent¬ 
lichen nur für die Technik des Unterrichtens in Betracht und falle deshalb 


*) Vorlesungen II, 421. 


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Gutachtliche Äußerungen, Zweite Reihe. Sickinger 


285 


vornehmlich dem Praktiker, d. i. dem Leiter des 2jährigen praktischen Vor¬ 
bereitungsdienstes zu, der Standpunkt der Konferenz gewesen sei. 

Für das Bedürfnis einer vollkräftigen Auswirkung des psychologischen 
Einschlags der Pädagogik auf der Hochschule selbst sprechen auch gewisse 
- tatsächliche Feststellungen aus dem akademischen Lehrbetrieb der Gegen¬ 
wart. Einmal das auf der Konferenz von Frischeisen-Köhler hervorgehobene 
starke Interesse bei den Studierenden an der Jugendkunde sowie an den 
großen Erziehungsproblemen und Reformbewegungen der Gegenwart, während 
nur sehr wenige Studierende „Geschichte“ der Pädagogik ohne Rücksicht 
auf das Examen hören. Sodann eine auf den Vorlesungsverzeichnissen für 
das Winterhalbjahr 1917/18 beruhende Zusammenstellung darüber, wie zur 
Zeit die Pädagogik als Gesamtbegriff an den 22 deutschen Universitäten in 
die Erscheinung tritt.’) Darnach ist die Geschichte der Pädagogik mit 
25 Kollegien vertreten, allgemein pädagogische Themen (Unterrichtslehre, Er¬ 
ziehungslehre, Spezialfragen) werden in 25 Vorlesungen und Übungen be¬ 
handelt Die Psychologie dagegen ist mit 70 Veranstaltungen aufgeführt, 
dazu Psychopathologie mit 11, experimentelle Pädagogik mit 3, Hygiene 
mit 4, Jugendfürsorge mit 1 Veranstaltung. Nach den Fakultäten geordnet 
wurden pädagogische Fragen behandelt: von 21 Dozenten der theologischen, 
24 der philosophischen, 32 der psychologischen, 22 der medizinischen und 
2 der wirtschaftlichen Fächer: ein zahlenmäßiger Beweis dafür, daß eine 
dem Leben zugewandte Pädagogik sich nicht fakultätsmäßig einhegen 
läßt, sondern ihre Wurzeln auch in benachbartes Erdreich schickt, wenn 
sie dort assimilationsgerechte Nahrung findet. Auf diesen freieren lebens¬ 
volleren Begriff der Pädagogik weisen auch zwei Bemerkungen Ziehens: 
die Anregung, es möge zugunsten der staatsbürgerlichen Belehrung die 
Rechtskunde in irgendeiner Form als Zusatzfach für die Oberlehrerprüfung 
hinzugenommen weiden, sodann der Hinweis darauf, wie wertvoll auch für 
die Theologen und die in der Schulverwaltung tätigen Juristen die Universi¬ 
tätsvorlesungen über Pädagogik seien. Ziehen hätte hinzufügen dürfen: 
auch für die zukünftigen Richter, die Ärzte und nicht zuletzt für die Offiziere, 
denn sie alle sind zur * Mitarbeit an der Fülle volkserzieherischer Aufgaben 
berufeh. 

Dem freieren Begriff der pädagogischen Disziplin entsprechend wird ihr 
organisationBmäßiger Ausbau an den einzelnen Hochschulen ein verschiedenes 
Bild gewähren. Daraus erwächst kein Nachteil, denn die Vollständigkeit der 
Teilgebiete wird durch die gegenseitige Ergänzung der Hochschulen erreicht. 
Das Hauptbestreben muß darauf gerichtet sein, daß an allen Hochschulen ein¬ 
schließlich der technischen und Handelhochschulen haupt- oder nebenamtliche 
Vertretung der Pädagogik mit entsprechenden Pflege- und Übungsstätten einge¬ 
richtet werde und daß die Studierenden des Lehrfaches unter allen Umständen 
schon auf der Hochschule und nicht erst im praktischen Vorbereitungsdienst in 
die Grundfragen der die Physiologie und Psychologie der Jugendlichen umfassen¬ 
den Jugendkunde in möglichst anregender Form eingeführt werden. Weiterhin 
ist mit allen Mitteln anzustreben, daß die großen Städte, die der Hochschulen 
entbehren, wenigstens psychologische Forschungsinstitute (in natürlicher Ver¬ 
bindung mit den überall zum Bedürfnis gewordenen Berufsberatungsämtern) 


’) Frankfurter Schulzeitung 1918, Nr. 12. 

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Über die künftige Pflege der Pädagogik an den deutschen Universitäten 


ins Leben rufen. An diese schließen sich ungezwungen Vorträge über päda¬ 
gogisch-psychologische Zeitfragen an, für die das gebildete Publikum durch 
ihre Behandlung in der Presse angeregt steigendes Interesse zeigt. Natürlich 
sind alle für pädagogisch-psychologische Zwecke bestehenden Einrichtungen 
auch den im Dienst befindlichen Lehrern aller Schulgattungen nutzbar zu 
machen; außerdem sind für die Lehrerschaft besondere Vortragsreihen mit 
entsprechenden Vorführungen sowie Ferienkurse zu veranstalten. 

Die pädagogisch-psychologische Wissenschaft wird unter dem unserem Volke 
auferlegten Zwange der größtmöglichen Ausnutzung jeder Energie und der 
größtmöglichen Ersparnis an Kraft, nachdem nunmehr von ihr der tote Punkt 
überwunden ist, in der Vergangenheit Versäumtes in rascherem Tempo nach¬ 
holen. Dafür können zahlreiche Tatsachen angeführt werden. Ich begnüge 
mich hier mit zwei Hinweisen aus meinem eigenen Erfahrungskreis. An der 
technischen Hochschule in Karlsruhe wurde vor Kurzem auf Antrag des 
Senats einem Dozenten Lehrauftrag für Psychologie unter Einschluß der 
Arbeits- und Wirtschaftspsychologie und der Pädagogik erteilt, und an der 
Handelshochschule in Mannheim ist in diesem Jahre eine Wilhelm Wundt- 
Professur für Philosophie, Psychologie und Pädagogik errichtet worden. 


Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik. 

Von Hans Rupp. 

(Fortsetzung.) 


VH. Gruppe: Gedächtnis. 

Das Gedächtnis ist eine der elementarsten Fähigkeiten des Gehirns und der 
Seele. Kein Urteil, keine Willenshandlung ist ohne Gedächtnis möglich; schon 
bei Wahrnehmungen wirkt es mit. Ja, man vermutet in dem Gedächtnis di e oder 
wenigstens eine Grundfunktion alles Lebendigen überhaupt; bis zu sehr ein¬ 
fachen Lebewesen hinab sind Gedächtniswirkungen beobachtet. 

Die Psychologie sucht die Gesetze und Bedingungen dieser elementaren Fähig¬ 
keit zu erforschen. Auch für die Pädagogik haben diese Probleme hohe Be¬ 
deutung. Verschiedene Schüler haben verschiedenes Gedächtnis; und in dem¬ 
selben Schüler kommt den einzelnen Sinnen verschiedene Gedächtniskraft zu. 
Ruht die Verschiedenheit in den Grundfähigkeiten ? und in welchem der Gesetze, 
in welcher der Bedingungen? 

Leider können wir heute nur in wenig Fällen diese Fragen sicher beantworten. 
Die Eindrücke, die auf uns wirken, die wir einprägen sollen, sind nicht einfach, 
sondern sehr zusammengesetzt — man denke an ein Bild, eine Situation, an ein 
Gedicht; und selbst wenn einfachere Eindrücke wirken, so werden sie doch von 
uns in der mannigfaltigsten Weise verarbeitet — man erinnere sich an die Ge¬ 
dächtnisfarben, an die räumliche Apperzeption. Es ist heute in den meisten 
Fällen unmöglich, aus dem Labyrinth von Kräften und Wirkungen das Ver¬ 
halten der Grundkraft des Gedächtnisses herauszuschälen. 

Die angegebenen Probleme sind aber auch durchaus nicht die einzigen, welche 
Psychologie und Pädagogik interessieren. Können wir der Grundkraft schwer 


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Hans Rupp, Probleme und Apparate sur experimentellen Pädagogik 287 


beikommen, so können wir doch die Gesetze und Bedingungen des praktischen 
Lernens untersuchen. Wir nehmen die komplizierteren Eindrücke und Stoffe, 
so wie sie eben in der Praxis einzuprägen sind, und suchen nach den Gesetzen und 
Bedingungen des Lernens, gleichgültig, wie dieselben durch Zusammenwirken 
elementarer Kräfte zustande kommen mögen. Darauf zielen wohl die meisten 
Untersuchungen. Zugleich ergibt sich oft Gelegenheit, Unterschiede zwischen 
Individuen, Alters- und Entwicklungsstufen festzvisteilen, die für die Pädagogik 
von Wert sind, auch wenn sie nicht die elementare Bedeutung haben wie die oben 
besprochenen Unterschiede. 

Ich erläutere das Gesagte durch einige Beispiele, die zugleich die Mannigfaltig¬ 
keit der Fragen zeigen sollen. 

Es gibt sehr verschiedene Arten von Lernstoffen. Man halte z. B. neben¬ 
einander: das Alphabet, ein (gedieht, Geschichtsdata, Atomgewichte, eine geo¬ 
graphische Zeichnung, ein Landschaftsbild (z. B. zur Orientierung beim Wan¬ 
dern), ein Musikstück, die Bewegungen bei verschiedenen Fertigkeiten (z. B. 
Sprechen, Zeichnen, Klavierspiel, Schreibmaschine, Tanz). Es ist fast selbst¬ 
verständlich, daß so verschiedene Stoffe auch verschiedene Lemverfahren zur 
Einprägung verlangen, so z. B. von der bloßen lebhaften Vergegenwärtigung, 
vom lebendigen Erleben (Anschauungsunterricht, Verständnis, Erarbeiten) 
durch die mannigfaltigen mnemotechnischen Hilfsmittel bis zum stumpfen me¬ 
chanischen Wiederholen eines wenig Anhaltspunkte liefernden sinnlosen Lern¬ 
stoffes. 

Vielfach genügt gründliches Verstehen, lebhaftes Erleben zur Einprägung. Manche 
wollen in solchen Fällen, selbst wenn die Absicht der Einprägung besteht, noch 
nicht von „Lernen“, ja nicht einmal von „Gedächtnis“ sprechen. Die experimentelle 
Gedächtnislehre rechnet dagegen auch diese Verfahren zu den Lern- und Gedächtnis¬ 
verfahren. Sie sucht das sinnvolle Lernen immer mehr in den Kreis ihrer Unter¬ 
suchungen zu ziehen. 

Nicht nur der Lernstoff kann sehr verschieden sein, sondern auch die Art 
der Darbietung und die Aufgabe oder das Ziel des Lernens. Ein Gedicht 
kann laut oder leise gelesen oder vorgesprochen werden, ein Musikstück in Noten 
gegeben oder vorgespielt werden. Verschiedene Ziele sind z. B.: Wörtliches 
Lernen oder Einprägen dem Sinne nach, momentanes oder dauerndes Einprägen; 
Vokabeln, Atomgewichte sind bloß paarweise zu lernen, das Alphabet, die Härte¬ 
grade, Geschichtsdata in ihrer ganzen Reihenfolge, usf. Wie paßt sich das Lem¬ 
verfahren diesen Verschiedenheiten der Darbietung und des Lemzieles an? 

Die experimentelle Pädagogik sammelt nun die verschiedenen Arten von 
Stoffen, Darbietungen und Aufgaben und sucht die für das Lernen wesentlichen 
Unterschiede derselben herauszuarbeiten. Sie sammelt vor allem die verschie¬ 
denen Lemverfahren, die bei den einzelnen Stoffen usw. angewendet werden 
können, sucht auch nach neuen Verfahren. Sie prüft dann, welches Verfahren 
für diesen, für jenen Stoff das beste ist, ob es vielleicht allgemeine Regeln (z. B. 
über Verteilung der Wiederholungen, Lernen im Ganzen oder in Teilen, Lernen 
mit und ohne Rezitieren) gibt. Das sind die Probleme der Technik und Öko¬ 
nomik des Lernens. 

Zugleich untersucht sie, ob verschiedene Schüler, Altersstufen usw. verschie¬ 
dene Stoffe oder auch alle Stoffe verschieden leicht lernen, ob sie aus freien 
Stücken verschiedene Verfahren wählen, und ob nicht für den einen dieses, für 


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Hans Rupp 


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den anderen jenes Verfahren vorteilhafter ist (z. B. für den einen visuelles, für 
den andern akustisch-motorisches Lernen). Das sind die Fragen der differen- 
ziellen Psychologie des Lernens. 

Die Gedächtnisexperimente werden auch zur Untersuchung anderer Fähigkeiten 
als der des Gedächtnisses verwertet. Wenn eine Reihe von Wörtern mit bestimmten 
logischen oder sachlichen Beziehungen, bestimmteBilder, Gegenstände besser gemerkt 
werden, so ist es wohl ein Zeichen, daß das Verständnis für sie besser entwickelt ist. 
Wenn an Bildern besonders die Farben oder besonders die Formen gemerkt werden, 
ist es ein Zeichen, daß der Lernende (dauernd oder momentan) besonders auf Farben 
oder Formen achtet. Endlich, wenn ein Schüler sich in neue Lernstoffe schnell hinein- 
lebt, wenn er bei neuen Aufgaben rasch das günstigste Lemverfahren herausfindet, 
ist es ein Zeichen von Intelligenz, Anpassungsfähigkeit. Man kann also durch Ge¬ 
dächtnisleistungen (wie durch manche andere Leistungen) auch Aufmerksamkeits- 
richtung, Verständnis, Intelligenz u. dgl. m. prüfen. 


Wenn man prüfen will, wer ein besseres Gedächtnis hat, welches Lemver¬ 
fahren vorteilhafter ist, muß man sich schlüssig werden, was man unter besserem 
Gedächtnis und besserem Verfahren verstehen will, und muß nach Methoden 
suchen, sie exakt prüfen und messen zu können. Die experimentelle Ge¬ 
dächtnislehre hat eine Reihe solcher Maße entwickelt; sie gehen zum Teil auf 
verschiedene und unabhängige Seiten der Gedächtnisleistung. Ich führe die 
wichtigsten an. 

Das bessere Gedächtnis, das bessere Verfahren erkennt man vor allem an 
dem besseren und längeren Behalten. Ferner nennt man ein Gedächtnis, 
ein Verfahren besser, wenn es weniger Anstrengung beim Lernen verlangt 
oder wenn es mehr Freude beim Lernen bereitet. 

Anstrengung und Freude sind schwer objektiv zu prüfen. Man wird sich auf 
den subjektiven Eindruck stützen, wenn er deutlich ausgeprägt ist. 

Dagegen gibt es für das Behalten eine Reihe objektiver Meßmethoden. Zwei 
Hauptmethoden sind zu scheiden. Die eine geht auf die Reproduktion, auf 
die Fähigkeit, den Stoff auswendig wiederzugeben. Die genaueren Maße gehe 
ich noch an. Vielfach sind wir aber zur Reproduktion nicht mehr imstande, 
während doch eine Gedächtniswirkung noch vorhanden ist. So liegt uns oft ein 
Name „auf der Zunge“, ohne daß er uns einfällt, d. h. ohne daß er reproduziert 
werden könnte. Bei solchen schwächeren Einprägungen prüft man entweder 
das Wiedererkennen: man kann den Namen sofort erkennen, wenn er vor¬ 
gesagt wird, und man erkennt, wenn ein anderer Name genannt wird. Oder man 
prüft die Einprägungsfähigkeit beim Wiederlernen: wenn eine Erinnerung 
zurückgeblieben ist, geht da3 Wiederlernen leichter und schneller. Man spricht 
im Gegensatz zur Reproduktion von besserer Disposition oder Aufnahmefähig¬ 
keit (Suszeptibilität). 

Innerhalb beider Hauptmethoden gibt es wieder verschiedene Maße. Die 
Reproduktion kann verschieden genau sein, z. B. bei Wiedergabe eines Tones, 
einer Farbe, einer Bewegung, oder von komplizierten Gebilden, wie eines Bildes, 
einer Geschichte, eines Musikstückes (Genauigkeit). Bei zusammenge¬ 
setzten Stoffen besitzt man oft ein bequemes und klares Maß in der Anzahl der 
richtig behaltenen Teile, z. B. Anzahl der Vokabeln, der Wörter oder der richtigen 
Aussagen in einem Bericht (Menge des Behaltenen, Trefferzahl). Dazu 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


280 


kommt als drittes Maß die Schnelligkeit der Reproduktion (Trefferzeit). Der 
Schüler antwortet z. B. beim Vokabelabfragen prompt oder zögernd, er sagt 
däs Gedicht fließend oder stockend. — Dieselben Maße der Genauigkeit, Treffer¬ 
zahl und Trefferzeit gibt es beim Wiedererkenpen und selbstverständlich auch 
bei der Reproduktion nach dem Wiederlernen. 

Statt das Behalten, wie es eben vorhanden ist, zu messen, kann man auch 
einen bestimmten Grad des Behaltens .vorschreiben, z. B. so lange 
lernen lassen, bis der Stoff (wenigstens für den Augenblick) richtig wiedergegeben 
werden kann, und die Lernzeit oder die Zahl der Wiederholungen, die zum vor* 
geschriebenen Ziel, in unserem Beispiel zum Erlernen, nötig war, messen. 
Wenn ein Verfahren, ein Individuum mehr Zeit brauoht, ist das Behalten 
schlechter. — Den gleichen Weg gibt es beim Wiederlemen. Man mißt die Zeit 
oder Wiederholungszahl, die z. B. zum Wiedererlemen nötig ist; je kleiner sie 
ist, je mehr man im Vergleich zu einem neuen Lernen spart, desto besser war 
die Einprägung. 

Alle diese Methoden sind zu scheiden von solchen, die die Art des'Lernens, 
das Lemverfahren bestimmen, z. B. das verschiedene Tempo, die Beteiligung ver¬ 
schiedener Sinne, das Heranziehen von Hilfen. Unsere Methoden untersuchen nioht 
das Lemverfahren, sondern messen das Behalten. 

Die Prüfungen sollten öfter ausgeführt werden, damit man die Dauer des 
Behaltens erfährt (Abfallskurve, Kurve des Vergessens). Es genügt nicht, wenn 
ein Schüler schnell lernt; er soll auch lange behalten. (Die zuletzt erwähnte 
Methode des Erlemens z. B. prüft nur das augenblickliche Können unmittelbar 
nach dem Lernen.) 

Wo der Stoff zusammengesetzt ist, können verschiedene Teile, ver¬ 
schiedene Verknüpfungen getrennt geprüft werden. Welche Teileeines 
Gedichtes, einer Vokabelreihe (Anfang, Mitte, Ende) sitzen erfahrungsgemäß 
bessert Sind die Verbindungen von der fremden zur deutschen Vokabel oder 
die in umgekehrter Riohtung fester ? Und vieles andere. 

Wenn die experimentelle Pädagogik verschiedene Maßmethoden angibt, so 
ist es nicht so aufzufassen, daß es gleichgültig wäre, ob man dieses oder jenes Maß 
anwendet, daß man sich also das jeweils bequemste heraussuchen könnte, als 
ob jedes Maß das (als einfache Funktion gedachte) Gedächtnis prüfen würde. 
Die verschiedenen Maße beziehen sich vielmehr auf verschiedene Wirkungen, 
Seiten des Gedächtnisses, die häufig unabhängig voneinander sind. Wer 
z. B. schneller lernt, brauoht nioht länger zu behalten; ein Schüler, der mehr 
kann, braucht nicht auch schnellere Antworten zu geben; ein Schüler, der weniger 
reproduzieren kann als ein anderer, hat vielleicht viel mehr Wissen latent, in 
Bereitschaft, so daß er beim Wiedererkennen oder nach Auffrischen viel mehr 
leistet als der andere. 


Die Apparate, die man bei Gedächtnis versuchen verwendet, dienen teils 
mr Beobachtung des Lemvorganges (wenn z. B. das verschiedene Tempo beim 
Lernen registriert wird), teils zur Prüfung der Gedächtniswirkungen nach den 
verschiedenen Methoden, wie sie eben beschrieben wurden, teils endlich dazu, 
den Lernstoff zu erzeugen (Töne, Farben) oder ihn in bestimmter Weise darzu¬ 
bieten (z. B. in bestimmtem Tempo). 

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Zeitschrift f; pgdagog. Psychologie 

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Hans Rupp 


Als Gedächtnisapparate im engeren Sinne des Wortes bezeichnet man 
solche, durch die man Reihen von Silben, Wörtern usw. in gleichmäßiger Ge¬ 
schwindigkeit beliebig oft vorführen kann. Ich beschreibe diese Apparate unter A. 

Die übrigen Apparate, die man zu Gedächtnisversuchen verwenden kann, sind 
in anderen Gruppen beschrieben. So können zur Untersuchung des Gedächt- 
nisses für Farben, Größen und Formen, Töne, Bewegungen mancherlei Apparate 
und Serien der Gruppen I bis VI, zur Messung der Besinnungszeit die unter 
Gruppe VIII beschriebenen Apparate für Reaktionsversuche, zur Registrierung 
des Tempos, der Atmung usw. Chronographen und Kymographien derselben 
Gruppe verwertet werden. 

Unter B führe ich Reihen an, die als Lernstoffe verwendet werden können, 
und zwar wieder hauptsächlich solche, die den Apparaten A angepaßt sind. 
Bezüglich weiterer Stoffe und Tests muß auf die Sammlung des Instituts für 
angewandte Psychologie verwiesen werden (siehe Einleitung). 


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A. Gedächtnisapparate (im engeren Sinne des Wortes). 

kt ! Gedächtnisapparat nach Lipmann-Marx (Mechaniker Marx, Berlin). Der 
Apparat dient dazu, Reihen von Silben, Wörtern, Zahlen usw. in beliebigem, 

meßbarem Tempo vorzuführen. Die Silben 
werden auf einen Papierstreifen geschrieben 
und der Streifen mittels eines Gummi¬ 
bändchens auf einer Trommel befestigt. 
Die Trommel wird durch einen Federmotor 
gedreht, und zwar ruckweise, so daß bei 
’edem Ruck eine neue Silbe in dem Aus¬ 
schnitte des davorstehenden Schirmes er¬ 
scheint. Der Mechanismus ist aus der Skizze 
ersichtlich. Die Ruckbewegung erfolgt 
sohnell, ohne Zittern und fast geräuschlos. Ein Tourenzähler an der Schmal¬ 
seite des Apparates zählt die Umdrehungen der Achse mit den Mitnehmer- 
Stiften s s, aus denen sich leicht die Umdrehungen der Trommel, die Wieder¬ 
holungen der Reihe berechnen lassen. 

Der Streifen wird so befestigt, daß die Silben den außen an der Trommel an¬ 
gebrachten Ziffern entsprechen. Die Silben stehen dann genau in der Mitte des 
Schirmausschnittes, und man kann, was „für Trefferversuche“ (analog dem 
Vokabeläbfragen) wichtig ist, bald diese, bald jene Silbe in den Ausschnitt 
bringen. 

Eis sind zwei Trommeln vorgesehen, eine für 14, eine für 20 Rucke, entsprechend 
den unter B angeführten gedruckten Lemreihen. Durohmesser und Breite sind 
ebenfalls der Normalgröße dieser Reihen angepaßt. 

Der Federmotor läuft sehr konstant, nicht wie bei den gewöhnlichen Kymo- 
graphien erst schneller, am Ende langsamer. Geschwindigkeit kann durch eine 
Bremsvorrichtung bis auf ein Viertel der vollen Geschwindigkeit reduziert werden. 
Ferner kann man einen der zwei Mitnehmerstifte s s zurückschieben, so daß sich 
die Ruckfolge nochmals auf die Hälfte verlangsamen läßt. 

Der Apparat ist mit anderen Apparaten zu kombinieren. Durch das Episkop 
Nr. 7 kann man die Silben projizieren, also einer größeren Zahl von Be- 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


291 


obachtern zum Zweck von Demonstrationen votführen. Für den unten (Nr. 5) 
beschriebenen Expositionsapparat sowie für das Pendeltachistoskop Gruppe IX 
Nr. 4 dient der Apparat als Träger der zu exponierenden Silben, Wörter usw., 
sofern die Größe der Felder geeignet ist. 

Der sehr konstante Motor kann zum Betrieb der Chronographen Gruppe IX 
Nr. 6 und 7 verwendet wer4en. 

Gedächtnisapparat nach Lipmann ohne Motor (Mechaniker Marx, Nr 2 
Berlin). Der etwas kostspielige Motor ist fortgelassen; das Bad mit den Mit- 
nehmerstiften wird durch irgendeinen getrennten Motor, über den man gerade 
verfügt, getrieben. Auf Wunsch wird ein Tourenzähler mitgeliefert. 

Gedächtnisapparat nach Müller-Schumann (Mechaniker Marx, Berlin). Nr .3 
Wie 1, nur ohne den Mechanismus zur Ruckbewegung; die Trommel wird kon¬ 
tinuierlich gedreht. Die Dimensionen sind (zum Unterschied von den ursprüng¬ 
lichen Müller-Schumann-Apparaten) den Normalstreifen angepaßt. 

Derselbe ohne Motor (Mechaniker Marx, Berlin). Nr. 4 


Für größere Streifen kann man die Kymographien, Gruppe VIII, Nr. 8, 10—12, ver¬ 
wenden. Man achte jedoch darauf, ob die Konstanz der Rotation ausreioht. 

Zu 1—4: Einfacher Expositionsapparat nachRupp (Mechaniker Marx, Nr. & 
Berlin). Hinter dem vor der Trommel stehenden Schirm mit rechteckiger Öffnung 
ist ein kleines Schirmchen angebracht, das zunächst die Silbe verdeckt, durch 
Druck auf einen Hebel aber weggeschleudert wird, so daß die Silbe plötzlich 
sichtbar.wird. Gleichzeitig wird ein Kontakt geöffnet. 

Der Apparat dient zur Messung der Besinnungszeit bei Versuchen analog dem 
Abfragen von Vokabeln, sowie zu sonstigen Reaktionsversuchen. 

Gedächtnisapparat nach Schulze (Mechaniker Petzold, Leipzig). Um die Nr.e 
Trommel des Studentenkymographions nach Petzold (vgl. Gruppe Vin, 

Nr. 8) wird ein Mantel aus Kaliko gelegt, welcher 17 oder 33 Taschen trägt, 
in die Taschen werden Papiere oder Kar¬ 
tons mit den zu exponierenden Wörtern 
usw.gesteckt. Bei der Drehung des hori¬ 
zontal in einem Kasten befestigten Kymo- 
graphions fällt eine Tasche nach der anderen 
herunter, so daß die Wörter ruckweise 
exponiert werden. Vor dem Fallen wird 
jede Tasche durch den Anschlag a eine 
zeitlang zulückgehalten, um dann um so 
plötzlicher herabzuschnellen. Die Kontakte 
bei a und b dienen für Zeitmessungen 
(Fallzeiten, Pausen zwischen den Rucken, 

Reaktionszeiten). 

Es werden auch doppelseitige Taschen 
geliefert, bei denen man auf der Vorder- 

und auf der Rückseite ein Papier einstecken kann. Dadurch können bei 
jedem Ruck zwei übereinander stehende Wörter exponiert werden. 

Die Taschenzahlen 17 und 33 sind berechnet für 16- bezw. 32-gliederige 
Reihen. Zwischen je zwei Wiederholungen der Reihe wird eine Pause von 
einem Ruck eingeschaltet. 



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Original from 

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292 


Hana Rupp 


Über andere Konstruktionen von Gedächtnisapparaten vgl. den Katalog des Me¬ 
chanikers Spindler und Hoyer (Göttingen). Ich glaube sie hier übergehen zu dürfen, 
da sie mir alle, auch der Apparat von Ranschburg, durch die hier beschriebenen 
Modelle an Einfachheit übertroffen zu werden scheinen. 

Nr.7 Episkop nach Schmidt und Haensch (Optische Werkstätten Schmidt & 

Haensch, Berlin). Projektionsapparat für episkopische Projektion. Seine 
Vorzüge sind folgende: man kann den gewöhnlichen elektrischen Lichtstrom 
verwenden; der Apparat ist klein, leicht in der Hand zu tragen und ent¬ 
wickelt keine unangenehme Hitze. 

In seiner ursprünglichen Form wird er auf ein horizontal liegendes Buch 
oder Papier, dessen Schrift oder Zeichnung man projizieren will, aufgesetzt. 
Siehe die 1. Figur, jedoch ohne Unterteil für Diaskopie. 



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Ich ließ den Apparat ein wenig umbauen, so daß er auch zur Projektion 
der vertikal stehenden Wörter der Gedächtnisapparate 1—4 verwertet werden 
kann. Siehe die 2. Figur. 

Bei episkopischer Exposition ist das beleuchtete Objekt selbst die Licht¬ 
quelle. Es kann nur so stark beleuchtet werden, als es das Papier ver¬ 
trägt. Die Beleuchtung reicht daher nur für mittelgroße Bäume aus. Auch 
ist nötig, durch gute Verdunklung das Auge an Dunkelheit zu gewöhnen 
(z. B. nicht gegen etwaige helle Spalten an den Fenstern sehen, die Episkop- 
lampen gut abblenden!). 

Das episkopische Bild darf nicht glänzend sein; ebenso darf keine Glas¬ 
platte darüber gelegt werden. 

Nr. 8 Epidiaskop nach Schmidt und Haensch (Optische Werkstätten Schmidt 

& Haensoh, Berlin). Das eben beschriebene Episkop wird auf einen Kasten 
gestellt, in dem eine Projektionslampe eingesetzt ist. Siehe 1. Figur, unterer 
Teil. Diese Lampe wird ebenfalls durch den gewöhnlichen Lichtstrom ge¬ 
speist. Ihre Stärke ist so berechnet, daß die diaskopisch projizierten Bilder 
ebenso hell sind wie die episkopisch projizierten. Zwischen dem erwähnten 
Kasten und dem Episkop werden Bahmen eingeschoben, in die sowohl die 
diaskopischen, wie die- episkopischen Bilder gelegt werden können. Man 
kann abwechselnd nach Bedarf beide Arten von Bildern projizieren. Bei 
der diaskopischen Projektion werden die Episkoplampen ausgelöscht. 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


203 


B. Lernstoffe. 

180’sinnlose Silbenreihen mit ungeradzahligen Treffersilben nach Nr. 1 
Müller-Schumann, herausgegeben von Rupp (Mechaniker Marx, Berlin; Me¬ 
chaniker Spindler und Hoyer, Göttingen). Die Reihen sollten einen Stoff bilden, 
der in seinen Gliedern und namentlich in seinen Verbindungen möglichst fremd 
ist. Bei sinnvollem Stoff bestehen bereits vielerlei Beziehungen, die das Lernen 
unkontrollierbar beeinflussen. Will man wissen, welche Lerngesetze für relativ 
einfache Verhältnisse bestehen, so muß man zu sinnlosen Reihen greifen. 

Die Silben bestehen aus Anfangskonsonant, Vokal oder Diphthong und End¬ 
konsonant (z. B. lap). Jede Reihe hat 12 Silben. Vereinzelt kommt eine sinn¬ 
volle Silbe vor (z. B. reich); jedoch sind sinnvolle Folgen (z. B. reich mir) ver¬ 
mieden. 

Neben der vertikalen Silbenreihe ist eine zweite Reihe mit den ungeraden 
Silben (1., 3. bis 11.) gedruckt, aber nicht in natürlicher, sondern in bunt wech¬ 
selnder Folge. Diese Silben dienen für das Abfragen; 
es soll jedesmal die folgende Silbe aus dem Ge¬ 
dächtnis genannt werden. 

Die Reihen werden in Streifen oder in Heften ge¬ 
liefert. Die Streifen sind den oben beschriebenen 
Gedächtnisapparaten angepaßt. Unter den 12 Silben 
sind zwei Felder frei, damit zwischen je zwei Wieder¬ 
holungen eine Pause von zwei Rucken eingeschaltet 
wird. Daher sind die Trommeln für 14 Rucke kon¬ 
struiert. In den Heften ist neben den Reihen ein Raum für Notizen frei. 

Näheres über den Aufbau der Reihen siehe im Katalog des Mechanikers Spindler 
und Hoyer in Göttingen. 

Mit solchen Reihen sind die meisten grundlegenden Versuche angestellt worden: 
über das Lernen im Ganzen und in Teilen, über Häufung und Verteilung der 
Wiederholungen, über die Wirkung der einzelnen Wiederholungen, über Tempo, 
über die Bedeutung des Rezitierens, über den Unterschied optischer und aku¬ 
stischer Darbietung, usf. Sie werden auch in Zukunft vielfach Dienste leisten- 

Manche dieser Versuche lassen sich in Übungen im Massenversuch wieder¬ 
holen, ohne daß viel Zeit benötigt würde: so über die Wirkung der einzelnen 
Wiederholungen (wie viel Silben werden nach 1, 2, 

• - . Wiederholungen gemerkt?), über die Bedeutung 
verschiedener Tempos, über die Wirkung des Rezi¬ 
tierens, der optischen und akustischen Darbietung. 

Zugleich lassensich Beobachtungen über Lokalisation, 

Zusammenfassen, sinnvolle Hilfen, über die senso¬ 
rische Art des Lernens anstellen. 

48 sinnlose Silbenreihen (Mechaniker Marx, 

Berlin). Ähnlich wie 1, nur etwas andere Regeln 
und andere Anordnung. So sind sinnvolle Silben ver¬ 
mieden. Keine Treffersilben. Anordnung wie das 

Schema zeigt; sie hat den Vorzug, daß man auch längere Reihen (bis zu 24 Glieder) 
verwenden kann. Die Silben sind sorgfältig geschrieben und vervielfältigt. 

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994 


Hans Rupp 


Nr.'s 40 Reihen ein- und zweisilbiger Wörter (Mechaniker, Marx, Berlin). 
Die Wörter sind so gewählt, daß sie auch Kindern geläufig sind. Anordnung 
ähnlich wie bei 2, nur 10 statt 12 Reihen nebeneinander. 

Sie dienen zu ähnlichen Versuchen wie 1 und 2. Für Übungen haben sie den 
Vorzug, daß sie schneller gelernt werden, also weniger Zeit erfordern. 

Man kann das Lernen der Reihen 2 und 3 vergleichen und den Unterschied 
studieren. Bei Wörtern treten z. B. häufig (nicht immer) Sach Vorstellungen hinzu. 

48 sinnlose Silbenreihen mit gerad- und 
ungeradzahligen Treffersilben (Mechaniker 
Marx, Berlin). Aufbau der Reihen wie bei 2. 
Anordnung wie Schema zeigt. Gerade und ungerad¬ 
zahlige Treffersilben in bunter Folge. Trefferreihen 
neben den Lernreihen. 

Man läßt in Paaren, trochäisch oder jambisch 
lernen. Beim Abfragen wird bald eine betonte, bald 
eine unbetonte Silbe gegeben. Läßt man stets die 
folgende nennen, so vergleicht man die Verbindung 
der Silben eines Taktes mit der Verbindung der auf¬ 
einanderfolgenden Silben zweier Takte („Takt- 
schonung und Taktlösung“). Stellt man die Aufgabe, immer die andere 
Silbe desselben Taktes zu nennen, so vergleicht man die zwei Repro¬ 
duktionsrichtungen innerhalb eines Taktes. Welche Verbindung ist 
stärker? Wie bei jambischem, wie bei trochäischem Rhythmus? 

Nr. 5 24 sinnlose Silbenreihen für Wiedererkennungsversuche (Mecha¬ 

niker Marx, Berlin). Anordnung wie für 4, nur 12 statt 6 Silben in der Prüfreihe. 
Erst wird die links stehende Lemreihe mehrmals gelesen. Dann werden die 
Silben der rechtsstehenden Prüfreihe vorgeführt. Bei jeder ist zu entscheiden, 
ob sie in der Lernreihe vorhanden war oder nicht. Die Prüfreihe enthalt 2—6 
Silben der Lernreihe, ferner 2—4 ähnliche Silben, und zwar solche, die 2 Buch¬ 
staben gemeinsam haben, während der Rest aus fremden Silben besteht. 

Stellt man zum Vergleich Versuche an, in denen die behaltenen Silben aus¬ 
wendig wiederzugeben sind, so erhält man ein Bild, um wie viel das Reproduzieren 
schwerer ist als das Wiedererkennen (auch für Übungen geeignet). 

Nr. s—8 24 sinnlose Silbenreihen mit Reimpaaren, 24 mit Alliterations- 

paareD, 24 mit vokalgleichen Paaren (Mechaniker Marx, Berlin). Anord¬ 
nung wie bei 2. Bei den Reihen 6 haben je zwei aufeinanderfolgende Silben 
gleiohen Vokal und Endkonsonant, bei 7 gleichen Vokal und Anfangskonsonant, 
bei 8 nur gleichen Vokal. Vergleicht man das Lernen dieser Reihen mit dem 
der Reihen 2, so erhält man ein Bild von der Wirkung von Reim, Alliteration und 
gleichem Vokal. 

Nr.» 10 Reihen von Paaren: Wort — sinnlose Silbe (Mechaniker Marx 
Berlin). Anordnung wie 3, nur links Wort, rechts sinnlose Silbe; man benützt 
also zwei Felder nebeneinander. 5 Reihenpaare nebeneinander. 

Die Aufgabe ist ähnlich der Aufgabe des Vokabellernens. Man kann die Auf¬ 
gaben 4 mit diesem Lernstoff wiederholen. 



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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


296 


Statt der sinnlosen Silben kann man natürlich auch Worte einer fremden Spraohe 
wählen. Nur dürften mehr Ungleichmäßigkeiten (Aussprache, durch Fremdwörter 
bekannte Vokabeln) vorhanden sein als in den künstlichen Reihen. 

10 Reihen von Paaren: Wort — Zahl (Mechaniker Marx, Berlin). Au- Nr 10 
Ordnung ähnlich wie bei 9, nur statt der Silben dreistellige Zahlen. Man kanneine 
oder zwei Ziffern abdecken und erhält dann zwei- oder einstellige Zahlen. 

Die Aufgabe ist ähnlich den praktischen Aufgaben, zu Geschichtsdaten oder 
Peisonennamen Jahreszahlen, zu Städten Einwohnerzahlen, zu Bergen Höhen¬ 
zahlen, zu Stoffen Atomgewichte oder spezifische Gewichte zu lernen, usf. 

Man k ann zu unseren Versuchen Parallelversuche mit den eben erwähnten 
praktischen Stoffen anstellen. Bestehen Unterschiede? 

10 Reihen Konkreta, 10 Reihen Abstrakta (Mechaniker Marx, Berlin). Nr. ii 
Aul der linken Hälfte des Bogens oben und unten je fünf Reihen Konkreta, auf 
der rechten Hälfte die Abstrakta. Welche Reihen werden leichter gelernt? Bei 
verschiedenen Altersstufen? Man achte auf Unterschiede im Lemverfahren! 

Je 10 Reihen von Paaren: über- und untergeordneter Begriff Nr. t 2 -ie 
(z. B. Möbel — Schrank), nebengeordnete Begriffe (z. B. Schrank — Bett), 
Ganzes und Teil (Armee — Regiment), Art und Individuum (Stadt — 

Berlin), Paare mit sonstigen Beziehungen (Sonne — Wärme, Tinte — 

Feder) (Mechaniker Marx, Berlin). Anordnung wie bei 9. Welche Paare werden 
leichter gelernt? Man kann nach zwei Richtungen abfragen; welche liefert mehr 
Treffer ? 

Die Reihen sind auch zu folgenden Versuchen verwertbar: Man läßt zu einem Be¬ 
griff einen untergeordneten nennen, ohne daß der in der Reihe angegebene Begriff 
vorher eingeprägt worden ist. Welche der verschiedenen Aufgaben ist leichter ? Wie 
spielt sich der psychologische Vorgang ab ? Das sind nicht mehr Gedächtnis-, sondern 
Denkversuche. 

24 Reihen von je 36 Ziffern und von je 36 Konsonanten (Mecha- Nr-w.w 
niker Marx, Berlin). Anordnung wie Schema. Man 
kann den Bogen in Streifen schneiden und im 
Gedächtnisapparat exponieren; jeder Streifen tun- ; 
faßt 6 nebeneinanderstehende Ziffern oder Buch- ; 
staben. Durch Abdecken kann man auch weniger > 
exponieren. » 

Welche Vorstellungen (akustisch, optisch usw.) < 
werden beim Lernen benützt? Welche Gruppen \ 
werden gebildet (durch Hersagen von hinten leicht »' 
zu erweisen) ? Welche arithmetischen oder sonstigen " 

Hilfen werden herangezogen? Wie bei simultaner 
Darbietung des ganzen Streifens und wie bei suk¬ 
zessiver im Gedächtnisapparat? Wie bei monotonem und wie bei rhyth¬ 
mischem Vorlesen ? usw. 

Endlich kann man die sogen. Gedächtnisspanne prüfen. Man liest erst drei 
Elemente vor; auoh die jüngeren Schüler können sie nachsprechen. Dann liest 
man vier (natürlich andere) vor, dann fünf, sechs üsf., bis der Schüler nicht mehr 
imstande ist, die Gruppe richtig nachzusagen. Die Anzahl, die er noch nach¬ 
sagen konnte, ist die „Spanne“; so viel kann er umspannen. Man aohte auf kon- 



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396 


Hans Rupp 


Sr. 19 


Nr. 30 


Nr. *1 


Nr. 22 


stantes Tempo (z. B. Va Sekunde) und auf den Rhythmus (am besten gleich¬ 
mäßiges Vorlesen ohne jegliche Betonung). — 

Ich führe noch einige Reihen an, die nicht in Verbindung mit den erwähnten 
Gedächtnisapparaten verwendet werden, die aber den besprochenen Reihen ganz 
verwandt sind. 

12 sinnlose Silbenreihen auf Kartons, ca. 15x30 cm, für Massen- 
versuche nach Pohlmann (Mechaniker Marx, Berlin). Auf jeden Karton ist 
eine Silbe geschrieben. Man zeigt die Kartons der Reihe nach in bestimmtem, 
z.B. Zwei-Sekunden-Tempo vor. 

Mit solchen Reihen zeigte Pohlmann u. a., daß vorgezeigte Silben besser 
gelernt und behalten werden als (deutlich) vorgesprochene. Die Versuche eignen 
sich auch für Übungen. 

4 Reihen von Wörtern auf Kartons ca. 15 X30 cm nach Pohlmann (Me¬ 
chaniker Marx, Berlin). 

Nach Pohlmann werden in dieser Weise vorgezeigte sinnvolle Wörter nicht- 
besser behalten als vorgesprochene Wörter. 

4 Reihen von Gegenständen nach Pohlmann (Mechaniker Marx, Berlin). 
Die Gegenstände entsprechen den Wörtern Nr. 20. 

Mit den Reihen 20 und 21 kann man, auch in Übungen, die interessanten 
Versuche Pohlmanns wiederholen, nach denen Gegenstände besser gemerkt 
werden als vorgezeigte oder vorgesprochene Wörter. Der anschauliche Stoff ist 
eben eindringlicher. 

Mit den Materialien 19, 20 und 21 läßt sich auch folgende praktische Frage 
untersuchen. Beim Vokabellemen kann entweder der Gegenstand selbst gezeigt 
und mit der Vokabel (oder der sinnlosen Silbe) verbunden werden, oder es 
wird bloß die Bezeichnung, das sinnlose Wort genannt oder gezeigt. Ist 
zwischen beiden Fällen für das Lernen öin Unterschied? 

8 sinnlose Silben reihen zur Prüfung des Rin¬ 
flusses der Lokalisation nach Pohlmann (Mechaniker 
Marx, Berlin). Jede Reihe ist auf vier Kartons ca. 45 X 30 cm 
verteilt, wie das Schema zeigt. Die vier Kartons I bis IV 
werden nacheinander gezeigt, aber einmal alle an derselben Stelle (A), einmal 
nebeneinander (B). 

Nach Pohlmann wird im Falle B besser gelernt, offenbar, weil die Silben infolge 
der verschiedenen Lokalisation in der Erinnerung leichter auseinander gehalten 
werden. Auch diese Versuche eignen sich für Übungen. 



Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächem. 

(Aus dem päd. Seminar der Universität Tübingen.) 

Von Karl Köhn. 

I. Frühere Untersuchungen; die Problemstellung der vorliegenden. 

Untersuchungen, welche die Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichts¬ 
fächern zum Gegenstand haben, wurden schon in ziemlich großer Zahl durch- 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


297 


geführt. Die erste dieser Art stammt von Marx Lobsien 1 ); wichtiger geworden 
ist dann die folgende, die W. Stern veranlaßt hat 2 ); auch wurde das gewonnene 
Material von ihm bearbsitet. Verschiedene zusammenfassende Darstellungen 
geben einen Überblick über die Art und die Ergebnisse der auf Sterns Unter¬ 
suchungen folgenden Erhebungen 2 ). Es kann aus diesem Grunde unterlassen 
werden, auf sie im einzelnen einzugehen. 

Gemeinsam ist einer Reihe von ihnen — man darf dazu den größten Teil der 
Arbeiten zählen — das, daß sie in Beziehung gesetzt werden zu Darlegungen über 
dasinter esse der Schulkinder; viele gehen sogar soweit, daß sie in den Beliebt¬ 
heitsuntersuchungen geradezu Interesse Untersuchungen sehen. Waise mann 4 ) 
z. B. tut dies in seiner Schrift über „das Interesse“, Hoffmann übei 1 - 
schreibt sein Sammelreferat „Da3 Interesse der Schüler an den Unterrichts¬ 
fächern“ 4 ). Stern und nach ihm auch Brandeil*) bilden die Gleichung Interesse 
= Beliebtheit, d. h. die Fächer sind beliebt, für welche die Kinder InteresBe be¬ 
sitzen. Diese Gleichung läßt sich nach ihren Ausführungen auch umkehren. 
Auch Meumann neigt zu dieser Auffassung. Er reiht in seinen „Vorlesungen“ 
die Untersuchungen über die Beliebtheit der Unterrichtsfächer da ein, wo er von 
der Untersuchung des kindlichen Interesses sprioht. Er führt dort u. a. aus, daß 
die Bsbebtheitsuntersuchungen auf eine „aufsteigende Interessenentwicklung“ 
hin weisen 7 ). Der Grundgedanke ist hier immer: Untersucht man die Aus¬ 
sagen der Kinder über die Beliebtheit der Unterrichtsfächer, 
dann gewinnt man Einblick in die Interessenrichtungen der Schul¬ 
kinder. Ob dies tatsächlich der Fall ist, aus welchen Gründen dies zutreffen 
könnte, das wurde dabei nicht weiter erörtert; ob das, was man mit Interesse 
bezeichnet, sich deckt mit dem, was die Beliebtheit eines Faches bedingt, das 
wurde dabei ganz aus dem Auge gelassen. 

Es ist ein Verdienst von O. Pommer, auf dieses Problem aufmerksam gemacht 
zu haben. Er sagt, „daß nicht der Lehrstoff als solcher allein, sondern nur mit 
der Methode und den Anforderungen zusammen dem Schulfach sein Gepräge 
gibt, und daß nicht das gegenständliche Interesse die einzige psychische Disposi- 


*) M. Lobsien, über Kinderideale, Zeitechr. für pädag. Psychologie, V, 1903» 
8. 323 ff. 

*) W. Stern, Über Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer, Zeitschrift für 
pädag. Psychologie, VII, 1905, S. 267 ff. 

a ) H. Keller, Beliebtheit und Unbeliebtheit der Unterrichtefächer, Zeitschrift 
für angew. Psychologie III, 1910 und P. Hoffmann, Das Interesse der Schüler an den 
Unterrichtsfächern, Zeitschrift für pädag. Psychologie, XII, 1911, S. 458—470. 
*) Waisemann, Das Interesse, 2. Aufl., 1907. 

') Hoffmann führt z. B. S. 459 aus: „Bei der Erforschung des geistigen Lebens 
ist es nun gewiß eine wichtige Aufgabe, in Erfahrung zu bringen, in welchem Verhält¬ 
nis der Schüler zu dem Lehrstoff steht, der ihm in den verschiedenen Fächern darge¬ 
boten wird, oder kurz: sein Interesse an den Unterrichtsfächern kennen zu lernen.“ 
Auch bei E. Seekel, Über die Beziehungen zwischen der Beliebtheit und der 
Schwierigkeit der Schulfächer, Zeitschrift für angew. Psychologie IX, 1915, S. 268 
bis 277 weisen manche Ausführungen darauf hin, daß sie dieselbe Gleichung macht. 

*) G. Brandeil, Das Interesse der Schulkinder an den Unterrichtsfächern. 
10. Beiheft der Zeitschrift für angew. Psychologie. 

f ) E. Meumann, Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik. 
1911, Bd. I, 8. 661. 


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298 


Karl Köhn 


tion ist, welche von dem Schulbetrieb dieses Faches in Anspruch genommen wird“ 8 ). 
Er weist ferner darauf hin, daß „ziemlich oft trotz lebhaften gegenständlichen 
Interesses das Schulfach entschieden als unbeliebt bezeichnet wurde** 9 ). Nach 
ihm kann also die Gleichung Interesse = Beliebtheit oder umgekehrt nicht gelten. 
In dieselbe Richtung weisen auch Aussagen, die von einer Reihe von Schülerinnen 
bei meinen Versuchen gemacht wurden. Es wurde angegeben, ein Fach sei beliebt, 
„weil man in diesem Unterricht sprechen und lachen dürfe“, oder „weil man das 
gut könne**, oder „weil man sich nicht anstrengen müsse**, oder weil man das, 

. was man dort lerne, „fürs Leben brauchen könne**. Diese Beispiele könnten noch 
beträchtlich vermehrt werden. Man sieht hier sofort, daß die angegebene Glei¬ 
chung nicht gilt. Daß sie nicht stimmen kann, das leuchtet auch sofort ein, wenn 
man das Problem etwas allgemeiner faßt und fragt, ob Personen, oder Gegenstände, 
die uns interessieren, auch beliebt sein müssen (oder: gerade deshalb auch 
beliebt sein müssen). Man wird sofort einwenden, daß wir uns für Personen oder 
Dinge interessieren können, die wir nicht nur nicht lieben, die wir sogar hassen, 
-(in Frankreich z. B. interessiert man sich für unsere Ernte 1916*), für unseren 
Heeresersatz usw., das geschieht sicher nicht aus Liebe zu uns, auch nicht aus der 
Beliebtheit, die wir dort genießen). 

Aus dem Dargelegtcn ergibt sich eine Aufgabe für das Folgende. Ehe an eine 
Erörterung der Ergebnisse der Beliebtheitsuntersuchuug gegangen werden kann, 

• muß dreierlei geklärt Bein: 1. ist zu untersuchen, was man damit meint, wenn man 
von Inter esse spricht, 2. ist festzustellen, was man unter bei ie bt bzw. Be 1 ie bt- 
heit versteht, 3. ist das, was über das Interesse festgesetzt wurde, in Beziehung 
zu setzen zu dem, was man mit Beliebtheit meint. 

1. Wir sagen, diese Nachricht interessiere uns, sie errege unser lebhaftes 
Interesse. Dann steht sie mit früher erlebten Ereignissen, mit bestimmten Wün¬ 
schen und Erwartungen in Beziehung. Wir wenden uns dieser Nachrioht zu, 
suchen, sie so vollständig als möglich zu erfassen, sie mit unseren Vorstellungen 
und Erwartungen in Beziehung zu setzen. 

Ein Vortrag interessiert uns, er weckt unser Interesse. Wir haben vielleicht 
bestimmte* Vorstellungen über den zu behandelnden Gegenstan d, w ir haben 
vielleicht schon gewisse Erfahrungen gemacht, die sich auf denselben beziehen; 
nun möchten wir mehr darüber hören, möchten die vom Redner vertretenen An¬ 
schauungen mit unseren in Verbindung bringen. 

Eine Person interessiert uns.' Wir haben schon dies und jenes von ihr gehört, 
vielleicht auch schon manches mit ihr erlebt, wir haben uns gewisse Vorstellungen 
über sie gebildet. Wir wenden uns nun ihr zu, wir wünschen, von ihr noch mehr 
zu erfahren, sie noch genauer kennen zu lernen. 

Wir hatten, solange wir die Schule besuchten, Interesse für einen bestimmten 
Unterrichtsgegenstand, sagen wir für Mathematik. In diesem Fall besaßen 
wir Kenntnisse und Fertigkeiten in Mathematik. Ein Mitschüler konnte sie in 
demselben Maß besitzen; er interessierte sich nicht für das Fach. Bei uns waren sie 
eben in besonderer Weise in der Mannigfaltigkeit unserer Erlebnisse ausgezeichnet, 

*) u. *) O. Pommer, Die Erforschung der Beliebtheit der Unterrichtsfächer, Jahres¬ 
bericht des k. k. Staatsgymnasiums XVIII in Wien, 1914, S. 31. 

*) Die Abhandlung wurde Sommer 1916 niedergeschrieben; die Erhebungen 
dagegen waren bereits Frühjahr 1916 abgeschlossen. 


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t 

Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterriohtsfäohern 299 

daraus ergab sich bei uns ein besonderes Verhalten der Mathematik gegenüber, 
das in dem "Wunsch gipfelte, weiteres Wissen in diesem Fach zu erwerben. 

Charakteristisch bei diesen Interesseerlebnissen ist also, daß ein gewisses 
Wissen vorhanden ist, das in irgendeiner Beziehung mit dem uns interessieren¬ 
den Gegenstand steht, daß dieses Wissen inbesonderer Weise in der Mannig¬ 
faltigkeit der Erlebnisse ausgezeichnet und herausgehoben ist, 
daß daraus sich ein inneres Zuwenden zu dem neuen Gegenstand 
ergibt, womit zugleich das Streben (u. a. auch der Wunsch) nach 
weiteren Wissensinhalten verbunden ist. 

Pommer weist darauf hin, daß dieser Wunsch „meist begleitet ist von einer 
phantasiemäßig nacherlebten Lust an vorhergegangenen Akten des Wissens über 
diesen Gegenstand (<1 ). Er hält dies aber nicht für einen notwendigen Inhalt 
des Interesseerlebnisses. Daß dies zutrifft, wird durch folgendes bewiesen: Ein 
Offizier hatte eine Verwundung am linken Oberarm erhalten (ein Granatsplitter 
war bis auf den Knochen eingedrungen und hatte diesen zerrissen), die Heilung 
machte durch Hinzutreten von Rotlauf usw. langsamen Fortschritt, die Übungen 
im mediko-mechanischen Institut waren sehr schmerzhaft. Er interessiert sich 
nun für alle ähnlichen Verwundungen. 

Ebenso darf nicht in die Begriffsbestimmung aufgenommen werden, daß der 
Interessierte dem zu erwerbenden Wissen besonderen Wert — abgesehen vom 
Wissenswert — zuschreibt. Es kann ihm wertvoll sein, er kann aber auch 
ein Verhalten einnehmen, das ganz frei ist von einer Wertung. 

Der Umkreis dessen, was unter den Begriff des Interesses fällt, ist damit keines¬ 
wegs erschöpft; die Erörterung genügt aber für die folgende Betrachtung. 

2. Bei der Analyse des Beliebtheitserlebnisses gehen wir von den Tat¬ 
beständen des Gernhabens und Gemtuns aus. 

Ich arbeite gerne, das bekundet sich in mehreren Riohtungen. Die Tätigkeit 
des Arbeitens habe ich schon wiederholt ausgeführt und dabei Lustgefühle verspürt. 
Denke ich an die Arbeit, wird mir eine besondere Arbeit aufgetragen, so erfüllt 
mich das mit Freude; bei der Verrichtung der Arbeit erlebe ich als Grundzug-das¬ 
selbe, schließlich schätze ich auch die Arbeit als solche. 

Ich ging gerne in die Schule. In der ersten Zeit des Schulbesuches konnte 
ich nichts in dieser Richtung aussagen. Als ich bestimmte Erfahrungen gemacht, 
eine Reihe von Gefühlen erlebt hatte, kam es zu einer Wertung; ich besuchte nun 
mit einer bestimmten Haltung die Schule, das Schulleben kam in der Haupt¬ 
sache diesen Erwartungen entgegen, das Leben in der Schule wurde mir wertvoll. 

Kaum verschieden hiervon ist die Wendung: der Lehrer ist beliebt. Das 
Kind hat eine Reihe von Erfahrungen im Zusammensein mit dem Lehrer gemacht; 
eine besondere Haltung ihm gegenüber hat sich gebildet, eine Werthaltung; das 
Zusammensein mit ihm wird vom Schüler positiv gewertet. 

Ein Unterrichtsfach ist beliebt. Der Schüler hat vielleicht in diesem 
Fach sich Kenntnisse und Fertigkeiten erworben, eine besondere Haltung ihm 
gegenüber hat sich herausgebildet, die urteilsmäßig formuliert zur Wertung 
führt; damit verbindet sich sehr leicht der Wunsch, noch mehr zu erfahren, das 
Unterrichtsfach wird nun dem Schüler wertvoll. Aber diese selbe Haltung, wenn 

*) A. a. O. 8. 13. 

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300 


Karl Köhn 


auch mit etwas anderer „Färbung“, kann sich auch ohne besondere Beziehung 
zum Lebensinhalt des Faches herausbilden, und sie kann ohne den Wunsch, mehr 
zu erfahren, bestehen. 

So viel zum Verständnis des Beliebtheitsbegriffs im Gegensatz zum Begriff 
des Interesses. 

3. Man sieht, beide, das aktuelle Interesse und die Beliebtheit, haben manche 
Seitengemeinsam. In beiden Fällen ist unser Inneres einem Gegenstand zugewendet, 
wir sind ihm zugewandt. Aber a) beim Interesse drängt diese Zuwendung zu 
weiteren Erfahrungsinhalten, bei der Beliebtheit bleibt sie beim Ge¬ 
genstand, der durch einen auszeichnenden Erlebnischarakter aus den 
übrigen herausgehoben und zu anderen in einen, wenn auch latenten 
Gegensatz gesetzt wird. Das ist eben der Akt der Wertung. 

b) Diese Gegensätzlichkeit fehlt beim Interesse; es findet ebenfalls 
Heraushebung statt; an der Stelle des Entgegengesetzten steht das Indiffe¬ 
rente, das zum Interessierenden im Verhältnis des Unterschiedes steht. 

c) Etwas Unbeliebtes ist ein negativ Gewertetes. Das Nichtinteressierende ist 
das Indifferente; es kann sich natürlich darauf auch ein negatives Werturteil 
bauen wie auf das Interessante ein positives. Eine Wertung kann das Interesse¬ 
erlebnis gleichsam umhüllen, in diesem Fall ist es aber dann eigentlich 
kein Interesseerlebnis mehr, sondern ein Beliebtheitserlebnis. 

Daraus folgt: Untersuchungen über die Beliebtheit der Unterrichtsfächer 
geben nicht ohne weiteres Aufschluß über die Interessenrichtungen des 
Schulkindes, sondern zunächst eben bloß über Wertungen, die das Schulkind 
dem Begriff der Beliebtheit bzw. Unbeliebtheit unterordnet. 

Nun kann auf das Problem der folgenden Arbeit eingegangen werden. Es handelt 
sich um die Untersuchung der Beliebtheit und der Unbeliebtheit 
von Unterrichtsfächern. Dabei soll neben der tatsächlichen Fächer¬ 
wahl vor allem auf die Konstanz des Beliebtheits- bzw. des Unbeliebt¬ 
heitsurteils geachtet werden. Damit dies möglich wird, sind die Versuche in 
einem Zeitraum von 1 y 4 Jahren in derselben Form (je mit einer etwa y A jährigen 
Unterbrechung) in derselben Klasse durchgeführt worden. 

Herrn Dr. Deuchler, dem Dozenten der Pädagogik an der Universität Tü¬ 
bingen, der durch eine Reihe von Anregungen diese Arbeit förderte, sei auch an 
dieser Stelle herzlich gedankt 1 ). 

II. Die Versuchspersonen und die Durchführung der Versuche. 

1. Die Versuchspersonen. 

Versuchspersonen waren Schülerinnen der evangelischen Volksschule in Gmünd 
(Württemberg), sie waren im Frühjahr 1914 im 6., seit 1. Mai 1914 im 7. Schuljahr. 

Am 1. Februar 1914 waren die Ältersverhältnisse die folgenden: 


Durchschnittsalter 

Alter 

der ältesten 

1 

sweitj üngsten 

jüngsten Schülerin 

i _ --—- 

12; 8 Jahre 1 ) 

13; 1 

12; 2 

11; 7 


*) Vgl. auch G. Deuchler, Der gegenwärtige Stand der Beliebtheitsuntersuchun¬ 
gen; Die Lehrerfortbildung II, Heft 1—3. 

*) 12; 8 Jahre = 12 Jahre 8 Monate. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


301 


Die soziale bzw. gesellschaftliche Schicht, aus der diese Schülerinnen kommen, 
läßt sich aus den Berufen erschließen, denen ihre Väter angehörten. Es waren 



1» Industriearbeiter (Gold-, Süberarbeiter, Fässer, Gürtler, 

Ringmacher usw.). 15 

2. Gewerbetreibende (Schneider, Schreiner, Kühler, Maler, 

Bäcker, Friseur, Monteur, Wirt) . 11 

3. Niedere Beamte (Schutzmann, Aufseher, Kasernen- und 

Bahnwärter). 6 

4. Ungelernte Arbeiter (Taglöhner, Fuhrleute, Packer) . . 6 

6. Landwirte.. . 3 

Zusammen 41 


Eine größere Anzahl der Schülerinnen hat Beziehungen zu den Berufen, die mit der 
Edelmetallbearbeitung Zusammenhängen (die unter 1. genannten). Zeichnen, Ent¬ 
werfen, Beurteilungen auf künstlerischen Wert oder Unwert spielen hier eine große 
Rolle. Dieser Einfluß macht sich im Zeichenunterricht geltend. 

Von den 41 Mädchen, die an den Versuchen teilnahmen, wohnten 38 in der Stadt 
Gmünd selbst (23 000 Einwohner), 3 wohnten auf dem Land in der Nähe der Stadt 
(%—% Stunden davon entfernt). 

Das sittliche Verhalten der Schülerinnen war durchaus gut; über mangelnden 
Fleiß konnte nicht geklagt werden. Mit Rücksicht auf die Begabung müssen be¬ 
zeichnet werden: 



Will man drei Grade der Begabung unterscheiden, dann müssen 16 als gut, 16 als 
mittel und 9 als schwach begabt bezeichnet werden. 

Die körperliche Entwicklung war im allgemeinen eine normale; nur einige Mäd¬ 
chen waren etwas schwächlich. 

Man sieht, daß die für die Versuche zur Verfügung stehende Klasse eine ganz 
normale genannt werden kann. 

Die Auswahl der Versuchspersonen könnte eine einseitige genannt werden, insofern 
als nur Mädchen einer Altersstufe in Betracht kommen. Die Auswahl wurde 
mit Absicht so getroffen. Für die ins Auge gefaßten Konstanzuntersuchungen sollten 
die Verhältnisse so einfach als möglich gewählt werden. Dies wurde dadurch 
erreicht, daß nur Versuchspersonen eines Geschlechtes und einer Altersstufe gewählt 
wurden, daß eine Klasse gewählt wurde, in der der Klassenlehrer während der Versuche 
nicht wechselte, in der neben dem Klassenlehrer nur wenige Fachlehrer und Fach¬ 
lehrerinnen unterrichteten. Dazu kam noch ein nicht zu unterschätzender Umstand; 
es wurde die Klasse gewählt, in der der Verfasser selbst über die Dauer der Ver¬ 
suche Klassenlehrer war. 

2. Die Aufgaben. 

Die Aufgaben, die gestellt wurden, waren folgende: 

1. welches Fach treibst (hast) du am liebsten; 

2. welches Fach kommt dann (treibst du am zweitgernsten); 

3. welches gefällt dir am wenigsten; 

4. welches treibst du auch noch ungern, aber nicht so ungern wie das unter 

3. genannte (kurz: am zweitungemsten) ? 


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Karl Köhn 


Jede Frage wurde vorgeeprochen und sofort schriftlich (von allen Schülerinnen) 
beantwortet. Zu jeder Nennung sollte die Begründung angegeben werden; es wurde 
daher jeder Frage beigefügt: Schreib, warum du das Fach gern (oder ungern) treibet! 
Waren alle Schülerinnen mit der Beantwortung der ersten Frage (samt Begründung) 
fertig, dann wurde die 2. vorgesprochen, dann folgte die 3. usw. 

Bei der Nennung der Fächer hatten die Schülerinnen so weit Freiheit, daß sie nur 
ein Fach jeder Gruppe nennen durften, wenn sie glaubten, kein zweites Fach mehr 
nennen zu können; wenn also ein Mädchen erklärte, es könne kein zweitbeliebtee 
Fach nennen, dann unterblieb eben die Nennung eines solchen; dasselbe gilt auch von 
der Unbeliebtheit. Von,dieser Freiheit wurde öfter Gebrauch gemacht und zwar bei 
den unbeliebten Fächern häufiger als bei den beliebten, von gut und mittel begabten 
Mädchen häufiger als von schwach begabten. 

Es sollten vier Fächer, zwei beliebte und zwei unbeliebte, genanht werden. Daß 
man sowohl beliebte als auch unbeliebte Fächer nennen ließ, das bedarf keiner Begrün 
düng mehr. Darauf muß hingewiesen werden, warum je zwei derselben Art genannt 
werden sollten. Es hat sich nämlich gezeigt, daß es dem Schüler oft schwer geht, das 
beliebteste Fach zu nennen. Es sind meist mehrere Fächer, die an erster Stelle ge¬ 
nannt werden könnten. Darf nur ein Fach genannt werden, dann entsteht die Gefahr, 
daß eben irgendeines dieser Fächer genannt wird; eine Zusammenstellung dieser 
Fächer und die daraus gezogenen Schlüsse werden dann nicht immer den tatsächlichen 
Verhältnissen entsprechen. Man wird denselben näher kommen, wenn man je zwei 
Fächer nennen läßt. 


3. Die Versuchstage. 

Die angegebenen vier Aufgaben wurden viermal gegeben. Die Versuchstage waren 


L Versuch 

IX Versuoh 

III. Versuch 

IV. Versuch 

20. Januar 1914 

7. April 1914 

2. Dezember 1914 

9. April 1916 

Zahl der Schülerinnen, die am Versuch teilnahmen: 

36 

40 

37 

38 


Die erste Beantwortung erfolgte zwei Monate nach Übernahme der Klasse durch 
den Verfasser, die zweite am Ende des 6. Schuljahres, die dritte vier Monate nach Aus¬ 
bruch des Krieges, die vierte kurz vor Austritt der Schülerinnen aus der Schule, kurz 
vor ihrer Konfirmation. 

Es ist dies das erstemal, daß dieselbe Aufgabenreihe über Beliebtheit und Unbeliebt¬ 
heit von Fächern viermal denselben Schülern zur Beantwortung aufgegeben wurde. 
Nun ist es möglich, auf Grund dieser Aussagen Aufstellungen über die Konstanz 
des Beliebtheits- und Unbeliebtheitsurteils zu machen, die Ursachen aufzu¬ 
zeigen, die eine Änderung in der Wertung herbeiführten. 

Auf zwei Gesichtpunkte mehr allgemeiner Art muß noch hingewiesen werden. 

1. Auf das Verständnis für die gestellten Fragen. Meumann schließt aus 
den teilweise starken Abweichungen der Ergebnisse bei den verschiedenen Versuchen, 
daß die Fragen nicht richtig verstanden worden seien. Er sagt: „Ich vermute, die 
Schüler haben die Fragestellung wohl* oft nicht richtig auf gef aßt. . . Unter „Beliebt¬ 
heit“ konnte der Schüler ebensowohl das verstehen, was ihm am bequemsten ist, was 
am wenigsten anstrengt, als auch das, was im höheren Sinne ihn sachlich interessiert 
und ihm wertvoll erscheint.“ 1 ) Dem ist entgegenzuhalten, daß sowohl das Verhalten 


') E. Meumann, Vorlesungen usw., 1911, Bd. I, S. 661. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


303 


der Schülerinnen bei der Beantwortung der Aufgaben als auch die Antworten selbst 
durchaus den Eindruck machen, daß die Fragen verstanden worden sind. Mädchen 
in diesem Alter verstehen sicher, was damit gemeint ist. Versuche in anderen Klassen 
haben gezeigt, daß man mit dieser Fragestellung sogar ziemlich weit (bis ins 3. und 
4. Schuljahr) heruntergehen kann und daß man immer noch verstanden wird. Die 
Verschiedenheit der Ergebnisse hat andere Ursachen. Meumann weist darauf hin. 
Der Umkreis dessen, was die Beliebtheit oder Unbeliebtheit eines Unterrichtsfaches • 
bestimmt, ist sehr groß, viel größer als man bisher angenommen hat. Alles das, was 
Meumann anführt, kommt bei der Wertung in Betracht. Daß dies tatsächlich der 
Fall ist, folgt aus den späteren Ausführungen. Diese Tatsache beweist nun aber nicht, 
daß die Frage nicht richtig aufgefaßt wurde, sondern sie zeigt, daß eben der Belieb t- 
heitsbegriff von den Forschern zu eng gefaßt worden ist, daß man keine 
Interessenuntersuchung durchführt, wenn man nach der Beliebtheit fragt; will man 
dies, dann muß man anders fragen. Hat man dies eingesehen, dann versteht man, 
weshalb die Ergebnisse verschiedener Versuche nur noch im großen ganzen überein¬ 
stimmen können: bei einem Versuch stehen die einen, bei einem andern die andern 
Gesichtspunkte der Wertung mehr im Vordergrund. Die Vielgestaltigkeit der Ur¬ 
sachen der Wertung führt zu einer Vielgestaltigkeit der Wertung. 

2. Man hat bisher volle Anonymität für die Antworten der Schüler ver¬ 
langt 1 ) und hat sich gegen die Angabe des Namens gewendet. Dies läßt sich für ge¬ 
wisse Verhältnisse begründen. Hier war dies durchaus nicht notwendig. Das Verhält¬ 
nis, das sich zwischen Lehrer und Schülerinnen herausgebildet hatte, war das des gegen¬ 
seitigen Vertrauens. Die Schülerinnen scheuten sich nie, ihre Ansicht zum Ausdruck 
zu bringen auch dann, wenn sie der des Lehrers entgegenstand. Dafür lassen sich nicht 
bloß Beweise aus dem Schulleben anführen, das beweisen auch andere psychologische 
Versuche, in denen sie ihre Meinung sehr offen aussprachen, das zeigen auch die später 
folgenden Beispiele aus den Beliebtheitsversuchen selbst. Die Schülerinnen wußten / 
auch — darauf wurden sie wiederholt hingewiesen —, daß sie nicht nach ihren Angaben 
eingeschätzt wurden. Es war also kein Grund vorhanden, von der Namensangabe ab¬ 
zusehen. Es wurde jeder Schülerin ein Heftchen übergeben, das den Namen derselben 
trug; dorthin wurden alle Antworten für diese und ähnliche Versuche geschrieben. 
Dieses Vorgehen hat manche Vorteile; so nur ist es z. B. möglich, die Konstanz des 
Beliebtheitsurteils beim einzelnen Kind durch die vier Versuche hindurch zu 
bestimmen« Auf weitere Vorteile, die noch daraus folgen, soll später hingewiesen 
werden. 


III. Die Ffteherwahl. 

Ein Einblick in die Fächerwahl im Verlauf der vier Versuche soll durch eine 
Auswahl typischer Beispiele gegeben werden (Tafel 1). 

Hier sind die in der 1. Zeile genannten Fächer die beliebtesten, die in der 2. die 
an zweiter Stelle beliebten, die in der 4. Zeile die unbeliebtesten, die in der 3. die 
zweit imbeliebtesten. M t treibt also im 1. Versuch Geschichte am liebsten, Kon* 
firmandenunterricht am zweitliebsten; Diktat hat sie am wenigsten gern, dann 
kommt Lesen. Entsprechendes gilt für den 2., 3. und 4. Versuch und für M 9t 
Ifso usw. 

Von den früher angegebenen Problemen der Beliebtheitsuntersuchung lassen 
sioh im Anschluß an diese Haupttabelle zwei besprechen, das der tatsächlichen 
Fächerwahl und das der Konstanz, bzw. der Variabilität der Fächerwahl. Von 
beiden ist das letztere das interessantere, wichtigere, bisher noch nicht behandelte; 
ihm wenden wir uns zunächst zu. 


*) O. Pommer, a. a. O., S. 23. 


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UNIVERSITY 0F MICHIGAN 



Mädchen (Schülerin) des Klassenplatsee 1; M, = . . . des Klaeaenplatces 3 uaw. 


304 


Karl Köhn 


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Geschichte 

Konfirm.- 

Unterricht 

Natur¬ 

geschichte 

Diktat 

Aufsatz 

Lesen 

Diktat 

Ge¬ 

schichte 

Konfirm.- 

Unterricht 

1 

Diktat 

Zeichnen 

Lesen 

Schön¬ 

schreiben 

Repe¬ 

titionen 

Aufsatz 

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Naturlehre 

Repe¬ 

titionen 

Ge- 

schiohte 

Lesen 

1 

Diktat 

Rechnen 

Handarbeit 

Aufsatz 

Rechnen 

Naturlehre 

• 

Handarbeit 

Diktat 

Lesen 

Rechnen 

Handarbeit 

Ge¬ 

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m. 

Naturlehre 

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schreiben 

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Aufsatz 

Konfirm.- 

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(Kopf)-' 

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schichte 

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Diktat 

Lesen 

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Erdkunde 

(Kopf)- 

Rechnen 

Repe¬ 

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Konfirm.- 

Unterricht 

Lesen 

P 

Aufsatz 

Diktat 

Lesen 

Schön¬ 

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Naturlehre 

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Handarbeit 

Geschichte 

Diktat 

Aufsatz 

Handarbeit 

Singen 

p 

Rechnen 

Diktat 

Singen 

Erdkunde 

Rechnen 

Diktat 

Konfirm.- 

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Zeichnen 

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Naturlehre 

Geschiohte 

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Original from 

UNIVERSITY 0F MICHIGAN 


Tafel 1. Beispiele für die Fächerwahl. 











Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


306 


1. Konstanz und Variabilität der Fächerwahl. 

Die Konstanzbetrachtung kann von zwei verschiedenen Standpunkten aus ge¬ 
macht werden: ich kann mich als Beobachter und Erzieher der einzelnen Schü¬ 
lerin gegenüber stellen, ich kann die Werturteile auf die einzelne Schülerin be¬ 
ziehen, ich kann Individualpsychologie treiben. Ich kann aber auch die Urteile 
auf die ganze Klasse beziehen, ich kann fragen, wieviel mal etwa Rechnen 
positiv, bzw. negativ gewertet wird bei den einzelnen Erhebungen von der Ge¬ 
samtheit der Schülerinnen, wie ausgebreitet die Tendenz zu einer bestimmten 
Wertung in der Klasse ist. Als Gruppenpsychologe frage ich nach dem bestimmten 
Willens- und Wertungsrelief oder Willens- und Werthaltungsgepräge der Klasse 
als eines Ganzen, das sich aus der Verarbeitung der Angaben der Schülerinnen 
ergibt. Beide Betrachtungsweisen können dasselbe Ergebnis zeitigen. Dies ist 
aber nicht notwendig, das Willens- und Wertungsgepräge kann in allen diesen 
Versuchen konstant sein, während die Werthaltung der einzelnen Schülerin völlig 
wechseln kann. Wollte man in diesem Fall Schlüsse ziehen auf Grund der gruppen- 
p 3 yohologischen Betrachtungsweise, dann würden diese nicht ganz den Tatsachen 
entsprechen. Eine wichtige Ergänzung wird hier durch die individualpsycholo¬ 
gische Betrachtungsweise geliefert; sie ist aber nur möglich, wenn man die Anony¬ 
mität der Antworten beiseite läßt; nur in diesem Fall ist es möglich, dieAntworten 
derselben Schülerin zusammenzustellen. 

Wir stellen uns nun 

a) auf den Standpunkt des Individualpsychologen. 

1. Auf die Konstanz der Fächerwahl wird in Tafel 1 aufmerksam gemacht. 
Dort sind die Fächer, die während der 4 Versuche von derselben Schülerin wie¬ 
derholt entweder als beliebt oder als unbeliebt genannt wurden, im Druck her¬ 
vorgehoben. M t z. B. nennt als beliebtes Fach viermal nacheinander Geschichte, 
als unbeliebte Fächer zweimal nacheinander Rechnen und zweimal (diesmal aber 
nicht nacheinander) Lesen; M& nennt als beliebtes Fach zweimal Schönschreiben, 
als unbeliebtes Fach dreimal nacheinander Diktat. 

Diese Konstanzfälle sind nun in der folgenden Tafel zusammengestellt (Tafel 2). 


Tafel 2: Konstanz der Fächerwahl. 


Art der Wertung 


nach¬ 
einander 

überhaupt 
noch 

Beliebtheit ( | Summe der 
Konstanz¬ 
fälle 

Zahl der 
möglichen 
Fälle 

Zeitschrift f. pädagog. Psychologie. 

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Dasselbe Fach wurde genannnt 
4 mal I 3 mal I 2 mal 


58 


3 

4 


80 


Zusammen 


30 36 

26 30 

56 |! 66 

151 

II 

20 

Original frorn 

UNIVERS1TY OF MICHIGAN 



Karl Köhn 


306 


Art der Wertung i 

Dasselbe Fach wurde genannt 

| Zusammen 



i 

4 mal | 

3 mal 1 

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1 



nach¬ 

einander 

2 

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I 

22 

33 



überhaupt 5 


1 

5 

i 

! 9 

14 



noch 



Unbe- 1 


Summe der 




* 

liebtheifc 


Konstanz¬ 

fälle 

2 

14 

1 

i 31 

| 

47 



Zahl der 
möglichen 

28 

60 

105 

__ 



Fälle 


1 




Hier sind in der 1. (wagerechten) Zeile die Fälle zusammengestellt, in denen 
vier, drei-, zweimal nacheinander dasselbe beliebte Fach genannt wurde, in Zeile 2 
stehen die noch übrigen Fälle, in denen dasselbe Fach mehreremal (nun nicht mehr 
nacheinander) als beliebtes genannt wurde; in Zeile 3 sind diese Fälle zusammen¬ 
genommen. Entsprechendes gilt für die Unbeliebtheit. Bei ist also ein Fall 
zu zählen, in dem dasselbe Fach — Geschichte — viermal nacheinander als 
beliebtes genannt wurde, ein Fall, in dem ein Fach — Rechnen — zweimal nach¬ 
einander unbeliebt war und ein Fall, in dem ein Fach — Lesen — eben zweimal 
(diesmal nicht nacheinander) als unbeliebtes genannt wurde. Entsprechendes gilt 
für die übrigen Schülerinnen. 

Die absolute Zahl der Eonstanzfälle läßt keine Schlüsse zu; ja sie würde geradezu 
auf falsche Schlüsse hinführen; man könnte z. B. schließen, daß die Konstanz bei 
der positiven Wertung eine größere ist als bei der negativen, dort sind es 66, 
hier 47 Fälle; wir werden später sehen, daß das Gegenteil gilt. Es muß dazu kom¬ 
men die Angabe der möglichen Fälle. Diese Zahlen findet man auf Tafel 2 in 
Zeile 4 und 8. Diese Zahlen erhält man durch einfaches Auszählen. Man wird 
vermuten, daß für die einzelne Kategorie (viermal dasselbe Fach, dreimal usw.) 
die Zahl der möglichen Fälle der Beliebtheit gleich ist der Zahl der möglichen Fälle 
der Unbeliebtheit; tatsächlich sind es aber für die Kategorie viermal dasselbe 
Fach dort 58, hier 28 mögliche Fälle. Die Zahlen für dieselbe Kategorie weichen 
bei den verschiedenen Wertungen (positiv und negativ) stark voneinander ab. 
Die Ursache ist aus Tafel 1 leicht zu erkennen: man beachte etwa die Angaben von 
dieses Mädchen hat viel mehr Angaben für die Beliebtheit als für die Unbe¬ 
liebtheit. Diese Eigentümlichkeit geht durch. Es sind weniger mögliche Fälle bei 
der Unbeliebtheit als bei der Beliebtheit, da dort weniger Urteile abgegeben wur¬ 
den als hier. 

Setzt man nun die Zahlen, welche die Konstanzfälle im einzelnen angeben, ins 
Verhältnis zur Zahl der jeweils möglichen Fälle, dann erkennt man, daß die Zahl 
der Konstanzfälle verhältnismäßig gering ist im Vergleich zu der Zahl der mög- 

3 17 1 56 1 

liehen Fälle; denn man erhält für die Beliebtheit —— ^ 


*> 


— — soll bedeuten: — ist beinahe — —. 

58 17 58 17 


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Original fro-m 

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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern. 


307 


für die Unbeliebtheit — ~~ —; — ~ —- ~-; man ersieht hieraus, daß die 

28 14 60 4 105 o 

Konstanz verhältnismäßig gering ist. Wir dürfen also behaupten: 

1) die Konstanz des Beliebtheits- und Unbeliebtheitsurteils ist 
bei der einzelnen Person innerhalb größerer Zeiträume verhältnis¬ 
mäßig gering. 

Man kann nun auch eine Vergleichung zwischen den Konstanzfällen der 
Beliebtheit und denen der Unbeliebtheit vornehmen; dabei darf man aber 
nicht bloß nach den absoluten Summenzahlen sehen. Ein besseres Bild geben die 
oben angegebenen Verhältnis(Bruch-)Zahlen. Die absolute Summe dieser Brüche 
ist nun beinahe gleich (0,48 gegen 0,52); die Konstanz ist demnach beinahe dieselbe 
bei der Beliebtheit und bei der Unbeliebtheit, bei letzterer etwas größer als bei 
ersterer. Daß sie bei der Unbeliebtheit tatsächlich größer ist als bei der Beliebtheit, 
das sieht man sofort, wenn man die Konstanzfälle im einzelnen betrachtet. Ein 
Konstanzfall, bei dem dasselbe 'Fach dreimal genannt ist, ist höher zu bewerten 
als ein solcher, in dem dasselbe Fach nur zweimal genannt ist; diese Wertung er¬ 
reicht einen noch höheren Grad, wenn die Nennung dreimal nacheinander erfolgt. 
Entsprechendes gilt für viermalige Nennung. Wendet man diese Betrachtung 
auf die Konstanzfälle an, dann sieht man : der Unbeliebtheit fallen mehr höher¬ 
wertige Konstanzfälle zu als der Beliebtheit, dort sind es die Verhältniszahlen 


— für viermalige, — für dreimalige Nennung, hier sind die entsprechenden Zahlen 
14 4 

i bzw. ~; dort wurde dasselbe Fach in 2 Fällen viermal nacheinander und in 

1 *7 1 1 # 


• Fällen dreimal nacheinander genannt, hier in 3, bzw. 3 Fällen. Es folgt 
daraus: 


2) Die Konstanz in der Werthaltung der Fächer ist größer auf 
der Seite der unbeliebten Fächer als auf der der beliebten^)» mit 
andern Worten: die Abneigung gegen ein bestimmtes Fach ist im 
allgemeinen ausgesprochener und anhaltender als die Zuneigung. 

Endlich ist noch eine Vergleichung möglich zwischen den verschiedenen Be¬ 
gabungsgraden. Wir wählen zu diesem Zweck nur gut begabte und schwach 
begabte Schülerinnen und achten auf die Verhältnisse zwischen diesen beiden 
extremen Begabungsgraden. Von den 9 Schwachbegabten Schülerinnen ziehen 
wir nur diejenigen in den Rahmen der Betrachtung, die alle 4 Versuche mitgemacht 
haben, es sind dies 5, nämlich M&, M&, M& und M i0 ; es bedarf wohl kaum 

einer Begründung dieses Vorgehens. Dieser Tatsache entsprechend wurden eben¬ 
falls 5 Schülerinnen guter Begabung gewählt, welche alle 4 Versuche mitgemacht 


') Die Konstanz verhält sich in beiden Fällen ungefähr wie 32:23. Setzt man näm¬ 
lich den Konstanzgrad bei viermaligem Auftreten gleich 100%, den bei dreimaligem 
gleich 67%, den bei zweimaligem gleich 33% und den bei nur einmaligem, d. h. bei 
ständigem Wechsel gleich 0%, so erhält man aus obigen Zahlen für die Beliebtheit 23%. 
für die Unbeliebtheit 32%. Anm. von Dr. Deuchler. 

20 * 


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308 


Karl Köhn 


haben, es sind dies M v Af 2 , M 3 , M 7 und M 3 . Die Konstanzfälle sind die folgenden 
(Tafel 3). 


Tafel 3: Konstanzfälle extremer Begabungsgrade. 


Begabungs- 

Beliebtheit 


Unbeliebtheit 

grad 

1 4 mal 3 mal 

2 mal 

4 mal 

3 mal 

2mal genannt 

gut ! 

begabt j 

i 

i i i 

i 

4 

0 

2 

5 

schwach j 
begabt 

i | 

! i i o 

i i 

10 

i 

1 

4 

4 


Man sieht, die Konstanz ist größer bei schwach begabten Schülerinnen als 
bei gut begabten; dies zeigt sich in den Summen; für die schwach begabten 
Schülerinnen haben wir bei der Beliebtheit 11, bei der Unbeliebtheit 9 Konstanz¬ 
fälle, bei den gut begabten dort 6 und hier 7, in beiden Fällen sind es also auf der 
Seite der schwach begabten Kinder mehr Konstanzfälle; dasselbe folgt auch aus 
der Betrachtung der Konstanzfälle im einzelnen. Bei der Beliebtheit kommen auf 
die viermalige Nennung desselben Faches je ein Fall, bei der dreimaligen bei den 
gut begabten einer, bei den schwachen 0 Fälle, dieser Abmangel wird aber durch 
die zweimalige Nennung reichlich ausgeglichen; denn dort sind es 4, hier 10 Fälle. 
Noch bestimmter als bei der Beliebtheit liegen die Verhältnisse bei der Unbeliebt¬ 
heit (s. die Tafel). Daraus folgt: 

3) Das gut begabte Kind ist in der Wertung, bzw. Wahl eines Un¬ 
terrichtsfaches viel veränderlicher als das schwach begabte. 

Die Ursache liegt in der größeren und reicheren Entwicklungsfähigkeit des gut 
begabten Kindes. Ein Beispielsoll dies zeigen. itf 41 , das Mädchen auf dem letzten 
Klassenplatz, hat nur 3 Versuche mitgemacht (s. Tafel 1). Es nannte als unbe¬ 
liebtestes Fach dreimalDiktat, das ist begreiflich, denn es konnte selbst im 7. Schul¬ 
jahr nur leichte Wörter fehlerlos schreiben; es nannte zwei mal Lesen als beliebtestes 
Fach; das kann es noch verhältnismäßig gut. Können und Nichtkönnen heben 
sich bei schwach begabten Schülerinnen scharf voneinander ab. Anders ist dies 
bei üf, oder M* (Tafel 1). Die Fertigkeit ist im allgemeinen in verschiedenen Fä¬ 
chern beinahe gleichgroß; wechselnde Einflüsse bestimmen hier das Urteil und 
rufen Veränderungen in der Fächerwahl hervor. 

2. Zur bisherigen Konstanzbetrachtung möge ergänzend eine Überlegung über 
die Variabilität der Wertung hinzutreten. 

Aus Tafel 1 ist bei genauer Betrachtung eine Eigentümlichkeit in der 
Wertung zu erkennen 1 ). Bei M 1 z. B. ist Lesen zunächst zweitunbeliebtes, dann 
zweitbjliebtes, schließlich wieder zweitunbeliebtes Fach. Dieser Umschlag der 
Wertung von der positiven Seite zur negativen oder umgekehrt ist auch bei M s , 
Af*o, Afjo usw. zu bemerken. Eine Zusammenstellung dieser Fälle gibt die fol¬ 
gende Tafel (4); sie gibt einen Überblick über die Schwankung des Urteils, 
bzw. der Wertung bei derFächerwahl. 

') Leider ließ sie sich im Druck nicht deutlicher machen, da Pfeilo in die Tafel 
schwer einzusetzon sind. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


309 


Tafel 4: Variabilität der Wertung. 


Die Wertung schlug um 

Lesen 

j Rechnen 

i Diktat 

! 

1 Geschichte 

Erdkunde 

1 

r 

j Naturlehre 

Aufsatz 

Singen 

i - 

i 

1 zusammen 

1 

von zu 

1. beliebt — 1. unbeliebt 

_ 

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1. „ — 2 . 

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6 

beliebt — unbeliebt 

3 

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2 

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1 


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i 

15 

1. unbeliebt—1. beliebt 

1 

— 

1 

1 

— 

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3 

1 • » — 2. „ 

1 

— 

1 


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1 

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unbeliebt — beliebt 1 

i 

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1 

l 

12 

zusammen 

8 

7 

5 

2 

2 

1 

i 


27 

Am häufigsten trat d 

iie „1 

Jmwe 

rtung 

ei] 

n beim Lesen, 

dann 


folgt Rechnen — bei diesem Fach allerdings nur einseitig —, 
ihm schließt sich an Diktat, in einigem Abstand folgen Ge* 
schichte, Erdkunde usw. Überall ist — mit Ausnahme von Rechnen, — 
weniger bedeutend auch bei Naturlehre und Singen — der Umschlag häufiger von 
der negative^ zur positiven Seite als umgekehrt, man darf daher wohl behaupten: 
die Beliebtheit der Unterrichtsfächer nimmt im großen ganzen 
mit dem wachsenden Alter der Schülerinnen zu. 

Als Motive, die eine Umwertung herbeiführen, kommen nach den Beobachtun¬ 
gen des Klassenlehrers in der Klasse und nach den Aufzeichnungen der Schülerin¬ 
nen in Betracht: 

1) Beim Lesen z. B. die besondere Art des dem Unterricht zugrunde liegenden 
Lehrstücks und die Form seiner Verarbeitung; sie erregen Lustgefühle oder auch 
Unlustgefühle, nach denen sich die Wertung richtet. Waren die Lesestücke lang, 
unter haltend — besonders voll Humor — und wurden sie nur einmal gelesen, 
dann gefiel dieses Fach, andernfalls mißfiel es; damit ist der doppelte Umschlag 
im Lesen bei M 1 zu erklären. 

2) Wurden die Anforderungen in einem Fach gesteigert, dann trat ein Umschlag 
ins Negative ein. Dies war zu beobachten im Rechnen, besonders im Kopfrech¬ 
nen, so bei M 30 , wo ein intensiverer Betrieb dieses Faches und schwierigere Auf¬ 
gaben die Ursache zur Umwertung wurden; beim Rechtschreiben, bei Jf 18 , wo 
durch die unvorbereiteten Diktate — bisher waren sie vorbereitet — die An¬ 
forderungen wuchsen. 

3. Sobald sich mit zunehmendem Alter ein Können entwickelte, schlug die Wer¬ 
tung ins Positive unn Dies war im Rechtschreiben besonders bei gut begabten 
Schülerinnen, z. B. bei M 6 , zu beobachten. 


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310 


Karl Köhn 


4) Tritt Freitätigkeit, besonders freie Wahl des Gegenstandes, mit dem man sich 
zu beschäftigen hat, an Stelle des Zwangs, des Vorgeschriebenen, so kann ein 
Umschlag vom Negativen ins Positive eintreten. Diese Freitätigkeit trat besonders 
als Wahlfrciheit in der Auswahl der Themen im Aufsatz („freier Aufsatz“) auf, 
darauf ist der Umschlag zurückzuführen bei M w und M n . 

5) Endlich kann die Umwertung erfolgen auf Grund der erkannten stärkeren 
oder schwächeren Beziehungen des Unterrichtsfaches zur Heimat oder zum Leben 
des Kindes, besonders in Geschichte und Erdkunde. Bei Mn z. B. war die Wer¬ 
tung der Erdkunde zunächst eine positive, wurde dann negativ und dann wieder 
positiv und blieb auch im 4. Versuch positiv. Beim 1. Versuch wurde Asien be¬ 
handelt, es wirkte aber neben der Neuheit des Gegenstandes das kurz vorher be¬ 
handelte Europa herein; beim 2. Versuch handelte es sich immer noch um Asien, 
dem aber um diese Zeit wenig Beziehungen zur Heimat abgewonnen werden 
konnten; beim 3. Versuch wurden die deutschen Kolonien in Afrika und Afrika 
selbst, beim 4. deutsche Wirtschaftsgeographie behandelt; je bestimmter die Be¬ 
ziehung zur Heimat (und zum Leben) wurde, desto bestimmter war die positive 
Wertung. 

Fassen wir die einander ergänzenden Betrachtungen über Konstanz und Variabi¬ 
lität der Fächerwahl bzw. der Wertung zusammen, dann dürfen wir sagen: Die 
Fächerwahl, bzw. die Wertung derselben zeigt verhältnismäßig 
große Schwankungen im Gesamtverlauf der Versuche. Die Ursache derselben 
ist in der Vielgestaltigkeit der Motive begründet, welche die Fächerwahl, 
bzw. ihre Wertung bestimmen. 

b) Wirnehmen nun den Standpunkt des Gruppenpsychologenein und fragen 
nach dem Willens- und Wertungsgepräge der Klasse als eines 
Ganzen, bzw. nach der Konstanz desselben. 

Der Einfachheit halber ist zur Bestimmung dieser Konstanz die Methode 
der Rangkorrelationen benützt. Es wird dabei in folgender Weise vorge¬ 
gangen : auf Grund der Nennungen’kann für jeden einzelnen Versuch eine Häufig¬ 
keitstafel aufgestellt werden, sowohl für die an 1. Stelle als beliebt genannten 
Fächer als auch für die zweitbeliebten; ebenso für die unbeliebten. Es können aber 
auch die Nennungen für das 1. und 2. beliebte Fach zusammen genommen 
werden, ebenso die für das 1. und 2. unbeliebte 1 ). Man erhält auf diese Weise 
für den 1. Versuch für die Beliebtheit für Rechnen 16, für Lesen 11, für Konfirman¬ 
denunterricht 10,. . . für Zeichnen und Singen je 5 Nennungen usw.; für die Un¬ 
beliebtheit im Rechtschreiben 14, in Erdkunde 10 usw. Nennungen. Die Beliebt¬ 
heitsfächer lassen sich für jeden Versuch nun nach ihrer Häufigkeit in eine Reihe 
bringen, diese Reihe lautet beim 1. Versuch: 1. Rechnen, 2. Lesen, 3. Konfirman¬ 
denunterricht, 4. Erdkunde, 5 und 6. Zeichnen und Singen, 7. usw.; beim 2. Ver¬ 
such: 1. Lesen, 2. Rechnen usw. Auf diese Weise erhält man vier Reihen für die 
Beliebtheit der Fächer, auf dieselbe Weise erhält man auch vier Reihen für die 
Unbeliebtheit. (Die aus den absoluten Zahlen gewonnenen Prozentzahlen, 
naoh denen sich diese Reihen bilden lassen, finden sich auf Tafel 9.) Eine 
Zusammenstellung, in der die jeweilige Stellung des Faches in der betreffenden 
* Versuchsreihe angegeben ist, findet sich auf der folgenden Tafel 5. 

l ) Für die Begründung dieses Vorgehens sind auf S. 318 Gesichtspunkte ange¬ 
geben. 


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UNIVERSUM 0F MICHIGAN 



Tafel 5: Häufigkeitsordnung der Wertungsurteile. 

1. .Beliebtheit 


Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 311 


1 

2 uoi8jiey 

15-19 

17 

13 19 

9 10 

2 uoShiig 

11—19 

13—19 

11—19 

7—10 

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312 


Karl Köhn 


Das Vorgehen bei der Bestimmung der Korrelationskoeffizienten ist vor 
Deuchler auseinander gesetzt und begründet worden 1 ). Es kann daher unter¬ 
lassen werden, zu zeigen, wie die Werte gewonnen werden. Die Werte selbst sind 
in der folgenden Tafel 6 zusammengestellt. 


Tafel 6: Korrelation der Fächerwahl. 
1. Beliebtheit. 


Reihe 

i-ii 

1 

I—III 

I—IV 

II—III 

II—IV 

III—IV 

Durch¬ 

schnitt 

Streu¬ 

ung 

Korrelations- 
Wert 81 = 

4 0.57 

4-0,32 

4' 0,34 

4-0,48 

4-0,43 

-4 0,26 

40,40 

± 0,10 


2. Unbeliebtheit. 


■ Reihe 

i—ii 

I—III 

I—IV 

n—m 

__ 

II-IV 

III—IV 

Durch¬ 

schnitt 

Streu¬ 

ung 

Korrelations¬ 
wert 81 = 

40,44 

4-0,57 

+0,40 ! 

1 

1 

+0,43 

+ 0,37 

+ 0,45 

+ 0,44 

+ 0,08 


Die angegebenen Korrelationswerte sind ein Maß für die Konstanz der Häufigkeit 
des Vorzugs- bzw. Ablehnungsurteils der Klasse, diese als Ganzes betrachtet. 
Sie besagen folgendes: wäre die Korrelation gleich + 1 oder nahe bei + 1, so hieße 
das, die Beliebtheit, bzw. die Unbeliebtheit haben bei denselben Fächern eine 
konstante Häufigkeitsordnung — bei den einzelnen Schülern kann dabei iriimer 
noch eine Änderung in der Bevorzugung oder Ablehnung der Fächer eintreten —, 
dies würde sich in der oben angegebenen Tafel 5 oder Häufigkeitsordnung der 
Werturteile darin zeigen, daß die beiden aufeinander bezogenen Häufigkeits¬ 
ordnungen, etwa I und II, dieselben oder nahezu dieselben wären. Sind die Werte 
kleiner als 4-1, dann folgt daraus, daß das Beliebtheits-, bzw. Unbeliebtheits¬ 
urteil von einem zum andern Versuch sich ändert, daß also das Willens- und 
Wertungsgepräge der Klasse von einem zum andern Versuch e ; n anderes wird, 
daß es sich auf andere Fächer bezieht, daß also die Häufigkeitsverteilung eine 
andere wird; mit solchen Fällen haben wir es in Tafel 5 und 6 zu tun. 

Die in Tafel 6 angegebenen tatsächlichen Werte sagen nun: 

1) daß die Häufigkeitsrangordnung in den aufeinander folgenden Versuchen 
zwar nicht in besonders hohem Maße gleich bleibt, sonst müßte der Korrclations- 
koeffizient dem Wert -f-1 nahe kommen, daß sie sich aber auch nicht nach 
Belieben ändert, denn sonst müßte 91 im wesentlichen — 0 sein, sondern daß 
eine gewisse Konstanz vorhanden ist, sowohl in Beziehung auf den 
Fortschritt von einem Versuch zum andern, das zeigen die Extremwerte + 0,57 
und + 0,26, als auch im großen ganzen, darauf weisen die Durchschnittswerte 
von 4- 0,40 und 4- 0,44 hin; diese Konstanz ist eine solche von nahezu 


*) G. Deuchler, Über die Methoden der Korrelationsrechnung in der Pädagogik 
und Psychologie. Zeitschrift für pädag. Psychologie, XV. Jahrgang, 1914, S. 146 ff- 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


313 


mittlerem Grad; anders ausgedrückt: das Willens* und Wertungs¬ 
gepräge der Klasse als Ganzes ändert sich nicht beliebig im Ver¬ 
lauf der Schulzeit, sondern weist einen gewissen konservativen 
Zug, eine Konstanz von nahezu mittlerem Grade auf. 

2) Diese Konstanz wird eine geringere, sobald bedeutende, vonein¬ 
ander verschiedene Ereignisse aufs Schulleben einwirken. Dies 
zeigt sich in der Beliebtheitsreihe I—III, hier ist der Krieg die Ursache, daB 
9t nur gleich 0,32 wird, ebenso bei I—IV; hier ist’s die Konfirmation mit ihrem 
Drum und Dran, und bei III—IV, hier kommt der Wettstreit der Ereignisse Krieg 
(Versuch III) und Konfirmation in der Höhe 9t = 0,26 deutlich zum Ausdruck. 

3. Es scheint auch charakteristisch zu sein, daß das (positive) Vorzugs¬ 
arteil veränderlicher ist als das negative. Darauf weist Verschiedenes 
hin: Der Durchschnittswert der Korrelationskoeffizienten ist bei der Beliebtheit 
gleich 0,40, bei der Unbeliebtheit gleich 0,44; ebenso sind die Koeffizienten dort 
mehr verschieden (0,57 und 0,26) als hier (0,57 und 0,37),. was sich in der größeren 
Streuung + 0,10 gegen + 0,08) ausdrückt. . 

Dies ist gut verständlich: für das positive Vorzugsurteil kommen mehr 
Faktoren in Frage als für das negative. Ich nenne nur die Neuheit 
sowohl des Unterrichtsfaches, etwa des Konfirmandenunterrichtes, als auch des 
Lehrers, der Geistliohe im neu beginnenden Konfirmandenunterricht. Diese 
Faktoren sind bei dem Wechsel viel stärker unterworfen als die 
das negative Urteil bestimmenden. Dies zeigt sich wieder an der Neuheit; 
sobald der Konfirmandenunterricht nicht mehr neu ist, wechselt auch die Wer¬ 
tung ; dasselbe zeigt die* Wertung der Handarbeit: im 3. Versuch wirkte der Krieg 
und seine Folgen als neues Ereignis herein, die Wertung wurde positiv, im 4. Ver¬ 
such war nichts mehr von Neuheitswirkung zu bemerken, die Wertung 
wechselte. 

Wir fassen das Ergebnis der Konstanz- und Variabilitätsbetrachtung zu¬ 
sammen: die Fächerwahl bzw. die Wertung derselben weist innerhalb 
größerer Zeiträume eine verhältnismäßig große Schwankung, 
bzw. eine Konstanz von nicht ganz mittlerem Grade auf; dies gilt 
sowohl für die Werthaltung der einzelnen Schülerin — Standpunkt der 
Individualpsychologie — als auch für das Willens- und Wertungs¬ 
gepräge der Klasse als Ganzes — Standpunkt der Gruppenpsychologie. 


2. Die tatsächliche Fächerwahl und ihre wahrscheinlichen 

Ursachen. 

Einen Einblick in die tatsächliche Fächerwahl gibt Tafel 1. Auf Grund der voll¬ 
ständigen Tafel, der diese Beispiele entnommen sind, läßt sie sich zahlenmäßig 
darstellen. Man kann nun in zweifacher Weise Vorgehen. Man kann in eine Tafel 
die Anzahl der Nennungen des 1. beliebten, 2. beliebten usw. Faches aufnehmen. 
Diese Tafel der Rohwerte gestattet aber nur einen Vergleich innerhalb desselben 
Versuchs, da ja die Zahl der Versuchspersonen von Versuch zu Versuch wechselte. 
Will man Häufigkeitswerte, die einen Vergleich durch alle Versuche und schlie߬ 
lich auch mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen gestatten, dann muß 
man Prozentzahlen berechnen. Man kann dabei so Vorgehen, daß man die Zahl 
der Nennungen des Faches in der betreffenden Wertkategorie (1., 2. beliebtes usw.) 


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314 


Karl Köhn 


ins Verhältnis setzt zur Summe der Nennungen dieses Faohes in der betreffenden 
Wertkategorie und diese Verhältniszahl mit 100 vervielfacht; man erhält also 

Zahl der Nennungen des Faches einer Wertkategorie _ _ 

-- - ——-j—=— -:- ... --- — -— X100 1 ). Verrechnet man 

Summe der Nennungen des Faches emer Wertekategone 

so, dann erhält man als Häufigkeitszahlen die Werte der Tafel 7. 

Es sollen einige Bemerkungen zu dieser Tafel folgen: 

a) Die Fächerwahl erstreckt sich auf vier Wertungskategorien. 
Die Hauptfrage, die sich mit Hilfe dieser Tafel losen läßt, ist: Welches ist 
das beliebteste, das imbeliebteste,usw. Fach? 

a) Das beliebteste Fach ist hier besonders ausgezeichnet. Die Häufigkeits- 
zahlen für dieses Fach sind im I. Versuch 30, im II. 17%, im III. 64%, im IV. BO. 
In den anderen Kategorien bleiben die Häufigkeitszahlen im großen ganzen unter 
diesen Werten. Innerhalb der Kategorie bleiben die übrigen Häufigkeitswerte — 
ausgenommen ist der II. Versuch — beträchtlich unter denen für das beliebteste 
Fach. Die Nennungen häufen sich also innerhalb dieser Wertungskategorie 
stärker als in anderen um ein bestimmtes Fach. Bezieht man dies auf die Klasse, 
dann kann man sagen: 

1) In der Klasse ist zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Fach als 
beliebtestes in der Gesamtheit der Fächer deutlich herausgehoben. 

Dieses Maximum wird im I. Versuch im Rechnen, im II. neben dem Rechnen 
auch im Aufsatz, im III. in der Handarbeit und im IV. vom Konfirmandenunter¬ 
richt erreicht; es findet also ein Wechsel zwischen verschiedenen Fächern statt; 
man darf daher wohl annehmen: 

2) die Heraushebung eines Faches als beliebtestem wechselt 
innerhalb größerer Zeiträume zwischen verschiedenen Fächern. 

Die Häufigkeitswerte beim erstbeliebten Fach schwanken beim I. Versuch 
zwischen 0 und 30%; die Nennungen sind dabei auf 11 Fächer verteilt; beim 
II. Versuch wird das Maximum schon bei 17 %% erreicht, es sind diesmal 15 Fächer 
genannt. Es ist also beidemal eine verhältnismäßig große Zahl von 
Fächern und eine verhältnismäßig geringe Schwankung. Dies wird 
anders beim III. und IV. Versuch. Beim III. Versuch liegt das Maximum bei 
64%% (Handarbeit), die Zahl der genannten Fächer hat sich nun um mehr als 
die Hälfte verringert, sie ist auf 7 gesunken, was auf Einwirkungen besonderer 
Art hinweist. Es ist der Krieg, der gesteigert und gesammelt hat. Ähnlich 
ist es beim IV. Versuch. Hier wird das Maximum bei 50% erreicht bei einer Ver¬ 
teilung auf 11 Fächer. Auch hier machen sich Einflüsse geltend, die die Schülerin¬ 
nen in besonderer Weise in Anspruch nehmen: die in näher Zukunft stehende Kon- 


*) Diese Art der Verrechnung weicht von der bisher gebräuchlichen ab. W. Stern 
z. B. führt aus (Zeitschrift für pädag. Psychologie, VII, 1905, S. 272): Die Berechnun¬ 
gen „sind stets prozentuell: die absolute Zahl der Vorzugs- (-f) oder Ablehnungs- (—) 
Urteile wurde ins Verhältnis gesetzt zu derjenigen Schülerzahl, die in dem Fach unter¬ 
richtet wurde.“ Diese Art der Verrechnung hat einen Sinn, wenn die Schüler alle ein 
bzw. zwei, bzw. vier Urteile abgegeben haben. Bei den durchgeführten Versuchen 
hat mm eine größere Zahl von Schülern nur drei bzw. zwei Urteile in einem Versuch 
abgegeben. Bei dieser Art der Verrechnung würde die Summe der Prozentzahlen beim 
zweitunbeliebten Fach beim I. Versuch gleich 45, beim IV. sogar nur 37 l / 4 sein. Sollen 
ea Prozentzahlen sein, dann muß die Summe jedesmal gleich 100 werden. Dies wird 
erreicht bei der durchgeführten Verrechnung. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 



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316 


Karl Köhn 


firmation bindet einen bedeutenden Teil der geistigen Energie und lenkt sie in 
eine bestimmte Richtung, wodurch sie einer Reihe von anderen Unterrichtsfächern 
entzogen wird. Beachtenswert ist bei beiden Fächern, daß sie in normalen Zeiten 
in der Wertung ziemlich tief stehen: bei der Handarbeit sind es 0,2 %,64 %,0% ; 
beim Konfirmandenunterricht 3,5,0,50%. Daß die Steigerung auf 50 und 64%% 
nicht durch Kräfte herbeigeführt werden kann, die aus dem Unterricht entsprin¬ 
gen, leuchtet durchaus ein. 

Im Hinblick auf die geschilderten Verhältnisse darf behauptet werden: 

3) verhältnismäßig geringe Schwankungen in der Häufigkeit der 
Nennung, Verteilung der Nennungen auf eine verhältnismäßig 
große Zahl von Unterrichtsfächern ist typisch für normale Unter¬ 
richtsverhältnisse, normale Begabungsverteilung und normalen 
Unterrichts betrieb. Ist die Verteilung eine andere, dann muß man erwarten, 
daß es irgendwo fehlt; dann sind gewisse äußere Verhältnisse vorhanden, die aof 
das Schulleben hereinwirken, dann ist die Klasse einseitig begabt oder ist der 
Unterricht des Lehrers kein gleichmäßiger, d. h. dann bevorzugt er — als Klassen¬ 
lehrer, der beinahe in allen Fächern unterrichtet — manche Fächer, während er 
andere vernachlässigt. 

ß. Beim zweitbeliebten Fach liegt das Maximum beim I. und II. Versuch 
bei 25, beim III. bei 16%, beim IV. bei 13%%; die Nennungen sind auf 11—13 
Fächer verteilt. Auf eine Eigentümlichkeit muß hier besonders aufmerksam ge¬ 
macht werden: beim III. Versuch wird das Maximum von zwei, beim IV. sogar von 
vier Fächern erreicht, beim I. und beim II. Versuch erreicht beidemal ein 2. Fach 
beinahe das Maximum. Man darf behaupten: 

4) Ein einzelnes zweitbeliebtestes Fach läßt sich in der Klasse 
als Ganzem kaum aufzeigen. 

y) Beim erstunbeliebten Fach schwanken die Häufigkeitswerte zwischen 
39 und 0 %, die Maxima liegen hier zwischen 25 und 39 %. Beim beliebtesten Fach 
liegen sie zwischen 17% und 64%%. Man erkennt daran die geringe Höhe der 
Maxima beim erstunbeliebtesten Fach. Die nächstniederen Häufigkeitswerte 
liegen zwischen 18% und 25%; die Verteilung erstreckt sich auf 7—11 Fächer. 
Daraus folgt: die Nennungen sind um ein Fach gehäuft, die Häufigkeit ist in 
allen vier Versuchen beinahe dieselbe; es finden um einige andere Fächer herum 
ebenfalls Häufungen statt, die von geringerem Grade sind, relative Maxima. Es 
darf demnach behauptet werden: 

5) Ein bestimmtes Fach wird als unbeliebtestes aus der Reihe 
der Unterrichtsfächer herausgehoben; diese Heraushebung ist 
beim unbeliebtesten Fach keine so deutliche wie beim beliebtesten. 

Man kann hier wieder nach dem Wechsel innerhalb der Fächerreihe fragen. 
Das unbeliebteste Fach des I. Versuches ist Erdkunde (25%), darauf folgt Recht¬ 
schreiben (19 %); im II. Versuch ist es Rechtschreiben (31%), im III. Rechnen 
(36%), dann folgt wieder Rechtsohreiben (25%), im IV. wieder Rechtschreiben 
(39 %): 

6) Ein Wechsel innerhalb der Fäeherreihe, tritt beim unbeliebte¬ 
sten Fach überhaupt nicht oder nur selten ein innerhalb größerer 
Zeiträume. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


317 


£) Beim zweitbeliebteu Fach werden die Maxima zwischen 18 und 46% 
erreicht; die nächstniederen Häufigkeitswerte liegen zwischen 10% und 21%%, 
die Maxima sind also ziemlich deutlich zu erkennen: 

7) Das zweitunbeliebteste Fach wird also ziemlich deutlich aus 
der Reihe der Fächer herausgehoben. 

Fassen wir diese Darlegung über das beliebteste bzw. unbeliebteste Fach zu¬ 
sammen: das beliebteste Fach ist in jedem Versuch deutlich zu erkennen, 
es ist Rechnen (I), Rechnen bzw. Aufsatz (II), Handarbeit (III), Kon¬ 
firmandenunterricht (IV); weniger deutlich, aber doch noch bestimmt 
hebt sich das unbeliebteste Fach heraus, es ist Erdkunde (I), Rechtschrei¬ 
ben (II und IV), und Rechnen (III); auch ein zweitunbeliebtestes kann man 
noch mit einiger Sicherheit nennen; am wenigsten bestimmt ist das 
zweitbeliebteste Fach. 

Die bisherige Betrachtung läßt sich ergänzen. Wir haben bisher die Häufigkeit 
dsr Nennungen für das einzelne Fach berücksichtigt. Wir können nun auch Sum¬ 
men bilden und die Summen für die einzelnen Kategorien usw. miteinander ver¬ 
gleichen. Dabei läßt sich die bisher benützte Tafel 7 nicht mehr verwenden, da 
wir ja dort Prozentwerte haben. Wir gewinnen diese Summenzahlen am besten 
aus der Tafel der Rohwerte (Beispiel hiervon s. Tafel 1). Damit sich die Werte 
vergleichen lassen, berücksichtigen wir nur die Fälle, in denen die Schülerinnen 
sämtliche vier Versuche mitmachten. Zählen wir nun alle Nennungen einer 
Kategorie in allen vier Versuchen zusammen, so erhalten wir: 


Tafel 8: Summe der Vorzugs-, bezw. Ablehnungsurteile 


Wertung (H-) de ?o£u. 

i 

Wertung (—) 

Anzahl 
der Urteile 

1. beliebtes Fach . . 1 116 

2. beliebtes Fach . . . j 116 

!| 1. unbeliebtes Fach . . 1 

jj 2. unbeliebtes Fach . . 

110 

59 

Beliebt (zusammen) j 232 

j Unbeliebt (zusammen) ! 169 


Sieht man in der Anzahl der abgegebenen Urteile ein Maß für die Schwierig¬ 
keit der Urteilsbildung, dann kann man sagen: 

8) Es fällt dem Schüler verhältnismäßig leicht, das beliebteste 
bzw. zweitbeliebte Fach zu nennen, schwerer ist für ihn das un¬ 
beliebteste, am schwierigsten das zweitunbeliebte Fach zu nennen; 
denn dort wurden je 116, hier 110 bzw. 69 Urteile abgegeben. 

Man kann nun auch die Summenzahlen für die Vorzugsurteile mit denen für die 
Ablehnungsurteile vergleichen, es sind 232 und 169; dort sind es bedeutend mehr 
als hier. Kommt darin die gemütliche Wirkung des Unterrichts bzw. des Schul¬ 
lebens auf das Schulkind zum Ausdruck, dann darf man behaupten: 

9) Die Gemüts- bzw. Gefühlswerte, die dem Schüler aus dem Sohul- 
leben mit seiner Unterrichtsgestaltung fließen, sind mannigfalti¬ 
ger auf der positiven als auf der negativen Seite. 

Endlich kann man die Verteilung der Vorzugs- bzw. Ablehnungsurteile auf die 
verschiedenen Begabungsgrade berücksichtigen. Es genügen für unsere Zwecke 
die beiden extremen Begabungsgrade, gut und schwach begabt. Wir berücksich- 


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818 


Karl Köhn 


tigen die Verhältnisse bei M v M t , M a , M 7 und M 6 einerseits und M u , M#, 
M x und M t o andererseits. Es sind dieselben Schülerinnen, die wir früher schon 
(S. 308) zum Vergleich herangezogen haben. Die Zusammenstellung der Urteile 
gibt Tafel 9. 


Tafel 9: Zusammenstellung de; Urteile gut begabter und schwach begabter 

Schülerinnen. 


Gut begabt© Schülerinnen 

Schwach begabte Schülerinnen 

Wertung 

Anzahl 
der Urteile 

Wertung 

AnttM 
der Urteile 

1. beliebtes Fach . . 

20 

1. beliebtes Fach . . . 

20 

2. beliebtes Fach . . 

i 

20 

: 

2. beliebtes Fach . . . 

20 

1. unbeliebtes Fach . . 

19 

! 1. unbeliebtes Fach 

i 20 

2. unbeliebtes Fach . . 

11 

2. unbeliebtes Fach . . 

16 

1 t 


Über die beliebtesten Fächer sind von beiden Gruppen gleichviel Urteile ab¬ 
gegeben worden. Uber die unbeliebten Fächer wurden von den schwach begabten 
Schülerinnen mehr Urteile abgegeben als von den gut begabten; die schwach be¬ 
gabten Schülerinnen lehnen also mehr Fächer ab als die gut begabten. Damit 
stimmen sonstige Erfahrungen bei diesen Versuchen überein. Das gut begabte 
Mädchen M a z. B. erklärte, es könne kein zweitunbeliebtes Fach, überhaupt kein 
unbeliebtes Fach nennen, es „treibe alle Fächer gern“; schwach begabte dagegen 
hätten gern eine ganze Reihe von unbeliebten Fächern genannt. Sieht man hierin 
wieder ein Zeichen für die verschiedene Gemütswirkung des Unterrichts, dann 
darf man behaupten: 

10) Die gut begabten Schülerinnen erfahren durch den Unter¬ 
richt weniger Gemütshemmungen als die schwach begabten. 

b) In den folgenden Befrachtungen beziehen wir die Fächerwahl nicht 
mehr auf vier, sondern nur noch auf zwei Wertungskategorien, auf die 
Kategorien beliebt und unbeliebt. 

Dadurch werden die folgenden Zusammenstellungen einfach und übersichtlich. 
Dies ist notwendig. Man könnte dies dadurch erreichen, daß man nur das erst¬ 
beliebte und erstunbeliebte Fach berücksichtigen würde und die übrigen fallen 
ließe. Man sieht aber aus Tafel 7, daß da9 nicht der richtige Weg wäre. Beide, 
das erstbeliebte und das zweitbeliebte Fach, entsprechend auch die unbeliebten 
Fächer, ergänzen einander, und werden daher zweckmäßigerweise zusammen 
genommen. Darauf weisen auch Bemerkungen der Schülerinnen hin; sie sagten 
häufig: „Das zweite Fach treibe ich eigentlich so gerne wie das erste“. Man 
könnte nun so vorgehen, daß man in Tafel 7 die Häufigkeitswerte von je zwei ent¬ 
sprechenden Kategorien (1. und 2. beliebtes, bzw. 1. und 2. unbeliebtes Fach) 
für jedes einzelne Fach zusammen nimmt. Dann erhält man aber keine Prozent* 
zahlen. Will man diese erhalten, dann muß man noch durch zwei teilen; denn 
die Summe der Prozentzahlen für zwei Kategorien ist 200. 

Man kann natürlich diese Prozentzahlen auch aus den Summenzahlen der 
tatsächlichen Nennungen eines Faches berechnen, man hat dann zu rechnen 

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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


319 


Summe der Nennungen eines Faches in zwei Kategorien 


X 100. Diese Art der 


Summe der Nennungen aller Fächer dieser Kategorien 
Verrechnung ist der andern vorzuziehen, da sie genauere Werte gibt; denn in 
Tafel 7 wurden die Zahlen auf- bzw. abgerundet. Man erhält auf diese Weise 
die Werte von Tafel 10 1 ) (S. 320). 

Diese Tafel bedeutet in mancher Hinsicht einen Fortschritt gegen Tafel 7. 
Das verschieden große Gewicht, das dort einer Nennung in den verschiedenen 
Kategorien bei verschiedenen Versuchen zukommt, hat für die Erörterungen, die 
sich an diese Tafel anschloß, keine nachteiligen Folgen. Für die nun folgenden 
Darlegungen könnte es bedeutsam werden. Durch die große Zahl der Nennungen 
wird dies nun ausgeglichen; nun ist das Gewicht jeder Nennung für jeden Fall 
beinahe dasselbe. 

Wir können nun in dieser Tafel ein Abbild des Willens- bzw. Wertungsgepräges 
der Klasse als eines Ganzen erblicken; darauf haben wir früher schon hingewiesen. 
Wir können sie aber auch so ansehen, daß sie zum Ausdruck bringt, welche 
Fächer mit Gefühlen behaftet sind, in welcher Weise und dgl. 

a) Mit Hilfe von Tafel 10 läßt sich für jeden Versuch eine Betontheitsreihe 
aufstellen. Wir gehen dabei so vor, daß wir die Prozentzahlen für die Beliebtheit 
und für die Unbeliebtheit zusammenzählen und wieder durch zwei teilen. Nach 
der Höhe dieser Zahlen lassen sich dann die Fächer in eine Rangordnung bringen. 
Wir geben einen Ausschnitt aus dieser Zusammenstellung. 


Tafel ll 2 ): Ausschnitt aus einer Betontheitsreihe. 


Versuch 

Recht- 

schreiben 

Rechnen 

Lesen 

Aufsatz 

Turnen 

Sprach¬ 

lehre 

" 

T 

16V« 

15 

13 

4 

IV. 

0 


(!•) 

(6.) 

(30 

(8.-9.) 

(11.-19.) 

(11.—19. 

i 

11 

12V« 

12‘/, 

11 v. 

8 3 /« 

3‘/. 

0 

(2.) 

(10 

3. 

(60 

(10.—11.) 

(19.) 

III 

14'/, 

14 

7 

i 7»/« 

IV« 

1‘/« 

(2.) , 

(30 

j (60 

(ö.) 

(12.-14.) 

(12.—14.) 

IV 

15*/, 

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i 9‘/« • 

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(1.) 

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(9.-10.) 

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j 

(17.) 

Durch¬ 
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14 V, 

14*/« 

1 

9 

l 

7 V, • 

i 

IV* 

i 

! v. 

i 


Es ist hier Rechtschreiben ein mittel bis stark betontes, Rechnen ein mittel 
betontes, Lesen und Aufsatz ein schwach betontes und Turnen und Sprachlehre 
ein unbetontes Fach. Die Berechtigung dieser Bezeichnungen folgt aus späteren 

1 ) Man könnte im Zweifel über die Berechtigung dieser Verrechnung in den Fällen 
sein, in denen ein Fach nur in einer Kategorie genannt ist statt in zwei. Es handelt 
sich, wie aus früheren Ausführungen folgt, nur um die Unbeliebtheit. Hier ist eben die 
eine Nennung als zweifache Nennung aufzufassen. Denn man denkt sich eben die Lage 
so, daß die Unbeliebtheit so ausgedehnt ist, daß dieses Fach an 1. und an 2. Stelle zu 
stehen kommt. 

*) Die in Klammer gesetzten Zahlen geben die Stellung innerhalb der Unbeliebt- 
heitsreihe für den betr. Versuch an. 


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Original fro-m 

UNIVERSITY 0F MICHIGAN 








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Karl Köhn 


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UNIVERSITY OF MICHIGAN 


Tafel 10: Prozentuelle Häufigkeitszahlen der Fächerwahl 

auf zwei Wertungskategorien verrechnet. 









Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


321 


Darlegungen. dürfen also behaupten: Die Gefühlsbetontheit, bezogen 
auf die Klasse als Ganzes, ist am meisten ausgebreitet beim Recht¬ 
schreiben und beim Rechnen, weniger beim Lesen und Aufsatz, 
hierher ist auch Geschichte, Erdkunde zu rechnen; keine oder kaum 
eine Gefühlsbetontheit ist zu verzeichnen bei Turnen, Sprach¬ 
lehre, Naturgeschichte, Naturlehre, Schönschreiben, Memorieren, 
Religionsunterricht, Biblischer Geschichte. 

ß) Die bisherige Betrachtung soll durch eine weitere ergänzt werdeD, die 
etwas andere Wege einschlägt. 

Diese knüpft zunächst an Ausführungen W. Sterns an. Die Beliebtheits¬ 
und Unbsliebtheitsurteile scheiden sich deutlich in vier Gruppen. Die erste Gruppe 
wird gebildet durch die Fäoher mit,weit überwiegender Beliebtheit: „positive 
Fächer“; die letzte Gruppe durch diejenigen mit weit überwiegender Unbeliebt¬ 
heit: „negative Fächer“. Dazwischen stehen die „indifferenten Fächer“, welche 
weder starke Bäliebtheits- noch starke Unbeliebtsheitswerte zeigen und die „bi¬ 
polaren Fächer“, welche sowohl starke Beliebtheits- wie Unbeliebtheitswerte 
zeigen ... Zu den eindeutigen Fächern (Gruppe 1 und 4) rechnete ich stets die¬ 
jenigen, bei denen die vorherrschende Richtung mehr als 5% und mindesten^ den 
doppelten Wert der entgegengesetzten Richtung betrug... Zu den indifferenten 
rechnete ich alle Fächer, bei denen keine Richtung mehr als das doppelte des 
andern betrug und keine den Wert von 10 % überstieg. . Bipolar dagegen ist das¬ 
jenige Fach, das nach einer Seite mehr als 10 % und nach der andern mehr als 
die Hälfte der überwiegenden Seite zeigt“ 1 ). 

Man erkennt sofort die Willkürlichkeit der Bestimmungen, die Zufälligkeit des 
Maßes. Besser wird dies, wenn man den Maßstab aus den gegebenen Verhältnissen 
heraus folgerichtig gewinnt. Eine solche Ableitung kann gegeben werden*). 

Man nimmt an, es seien s = 100 Schülerinnen; diese Annahme macht man, weil 
man ja mit Prozentzahlen, also mit 100 fingierten Schülerinnen rechnet. Vorhalten 
sich diese s Schülerinnen gegen die f Fächer imentschieden, geben aber der Forderung 
entsprechend ein Urteil ab, so wären die einzelnen Nennungen Zufallsergebnisse. 
Würde man unter dieser Voraussetzung den Versuch genügend oft wiederholen 
(theoretisch u = oo oft), so würde die Häufigkeit der Nennung für jedes Fach schließ-' 
Uch gleichgroß werden. Als Gesamtzahl der Nennungen für alle Fächer hätten wir 


0 • u und für jedes einzelne Fach 


»• u 

T 


als Häufigkeit. 


Als Durchschnittsgröße für einen 


t-tt 8 100 

Versuch erhalten wir J = — = - = —7-. Diese Größe kann man als Zufalls- 

/•« f t 

bereich oder Unbetontheitsbereich betrachten. In den vorliegenden Versuchen 
ist nun // = 18 (da in diesem Versuch die Repetitionen nicht mitgezählt werden 
dürfen); fu-iv = 10 (vom H. Versuch ab sind die Repetitionen bekannt). Es ist also 

J/ = = 6,5; Ju—iv — -jg- = 6,3. Der Zufallsbereich beträgt also im I. Ver¬ 


such 6,6%; i m II.—IV. Versuch 5,3%. 

Nun kann eineEingliederung der zahlenmäßig oharakterisiertenErgebnisse (TafellO) 
in ein System qualitativ unterschiedener Begriffe erfolgen. 


l ) W. Stern, Über Beliebtheit und Unbeliebtheit der Schulfächer, Zeitschrift für 
pädag. Psychologie, VII. Jahrgang, 1906, S. 275. 

*) loh folge nun Entwicklungen von Herrn Dr. Deuchler (Tübungen). Vgl. auch 
seine Ausführungen darüber in der Zeitschrift für pädag. Psychologie, Bd. 17, S. 13 ff. 


Zeitschrift f. pfidagog. Psychologie. 

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Original fro-rn 

UMIVERSITY OF MICHIGAN 




322 


Karl Köhn 


1) Wenn die Prozentzahl der Nennungen der einzelnen Fächer p ^ J ist, bei + 
oder —, so haben wir ein (-f oder —) unbetontes Fach. 

Ist p > J, so haben wir ein gefühls- oder wertbetontes Fach. 

2) Ist p einseitig (+ oder —) größer als J , so haben wir ein einseitig betontes Fach 
und zwar ein positives oder ein negatives. 

Bei diesen Fächern kann nun mit Hilfe von J auch der Grad der Betontheit 
ausgedrückt werden. 

Ist J < p ^2 J 9 so ist das Fach schwach positiv, 

,, 2J<pf£3t7, „ ,, ,, ,, mittelstark ,, , 

.»» 3«/ ^ p ^ ,, ,, ,, ,, stark ,, , 

„ P > 4 J, „ „ „ „ überstark „ 

Entsprechendes gilt für die negativen Fächer. 

3. Ist p beiderseitig größer als «7, so haben wir es mit zweiseitig betonten 
Fächern zu tun, diese sind a) gleichseitig betont, wenn 1. beide p >«7 und 2. inner¬ 
halb des gleichen Vielfachen von J sind. Sie können wieder abgestuft werden nach den 
vorhergehenden Festsetzungen in gleichseitig schwach, mittelstark, stark und über¬ 
stark betont; 

b) ungleichseitig betont, wenn 1. beide p>J und 2. der Unterschied beider p 
mehr als J ist. Die Ungleichseitigkeit kann sein positiv oder negativ, je nachdem 
Pb > Pu oder umgekehrt ist und sie kann wieder bloß schwach, mittel, stark oder über¬ 
stark sein, je nachdem beide p um 1,2 3 und mehr als drei Vielfache von J auseinander¬ 
liegen. 

Nun haben wir ein absolutes Maß, das von Willkürliclikeiten frei ist. Dieses 
gestattet nun aber auch, da die Zahl der in Betracht kommenden Fächer darin 
enthalten ist, einen Vergleich der Ergebnisse auch der Versuche, in denen die 
Fächerzahl nicht dieselbe war. Dies war bisher nicht möglich. 

Wir wenden nun diese Festsetzungen auf die Ergebnisse unseres I. Versuches 
an. Wir erhalten dann aus Tafel 10: 


Tafel 12: Gefühlsbetontheit der Unterrichtsfächer des 1. Versuches. 


Grad der 
Betontheit 

unbetont 

einseitig betont 

zweiseitig betont 

0 

positiv 

negativ 

1 

1 

1 

positiv 

negativ 



+ 

— 

= 

<-> 

<+>«) 

0. Grad 
(unbetont) 

Religion. Memo¬ 
rieren, Bibi. Ge¬ 
schichte ; Aufsatz, 
Sprachlehre; Natur- 
gesehiehte, -Lehre; 
Turnen, Handarbeit 

[Memo¬ 
rieren, Bibi. 
Geschichte, 
Turnen] 

[Natur- 

gesch.] 

[Religion, 

Handaroeit, 

Sprach¬ 

lehre, 

Aufgats] 



1. Grad 
(schwach) 


Singen 

Schön¬ 

schreiben, 

Geschichte 

Zeichnen 

Lesen 


2. Grad 
(mittelstark) 

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Konfir¬ 

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Rechnen 

Erd¬ 

kunde 

3. Grad 
(stark) 


i 

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4. Grad 
(überstark) 

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1 

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Recht¬ 

schreiben 





*) Bei den zweiseitig positiven und negativen Fächern wird nicht der Grad 
der Betontheit, sondern der Grad der Ungleichseitigkeit angegeben. 


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UNIVERSfTY OF MICHIGAN 



Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 323 


Es fällt ohne weiteres die große Zahl der unbetonten Fächer in die Augen; 
es sind 9, also die Hälfte aller in Betracht kommenden Fächer. Darunter sind 
drei Religionsfächer — alle Religionsfächer mit Ausnahme von Konfirmanden¬ 
unterricht—, zwei Sprachfächer, die beiden naturwissenschaftlichen Fächer und 
zwei technische Fächer. Von den übrigen erreichten 5 den 1., 3 den 2. und nur 
eines den 4. Grad der Betontheit. Man darf daher behaupten: die Zahl der 
Gefühls- oder wertbetonten Fächer ist im allgemeinen niedrig, 
ein großerTeil der Fächer ist unbetont, verschiedene sind schwach, 
manch* mittelstark betont, nur eine ganz geringe Zahl von Fä¬ 
chern erreicht einen höheren Grad der Betontheit; es scheint, daß 
diese vor allem in die Reihe der negativ betonten Fächer gehören. 


Nun wenden wir uns den in Tafel 12 gebildeten Fächergruppen und den 
einzelnen Fächern des I. Versuches zu. 

1) Die unbetonten Fächer: Wir haben hier vor allem Fächer, die nur 
gelegentlich oder nur in wenigen Wochenstunden erteilt werden. 
Sprachlehre soll nur gelegentlich erteilt werden, sie ist nach dem Lehrplan für die 
württembergischen Volksschulen kein selbständiges Unterrichtsfach; für Memorie¬ 
ren und Biblische Geschichte stehen zusammen nur 2 Wochenstunden zur Ver¬ 
fügung, Turnen wurde in höchstens einer, Religion zurzeit des Versuchs ebenfalls 
in einer Wochenstunde erteilt; Naturgeschichte und Naturlehre werden halbjährig 
im Wechsel je in zwei Wochenstunden erteilt. Für Handarbeit stehen vier, für 
Aufsatz zweieinhalb Stunden zur Verfügung. 

Daraus läßt sich aber die Unbetontheit nicht vollständig erklären. Wir achten 
noch auf den jeweils behandelten Stoff u. a. 

a) Daß der Religionsunterricht des Geistlichen keine besonders tiefe 
lebendige Wirkung erzielte, zeigt die gänzliche Unbetontheit. Dies ist um so auf¬ 
fälliger, als dieser Unterricht von einem Fachlehrer, in diesem Fall also von einem 
„fremden“ Lehrer erteilt wurde und als im allgemeinen ein Fach, das von einem 
„fremden“ Lehrer erteilt wird, häufigere Betonung und zwar meist eine positive 
erhält als eines, das der Klassenlehrer erteilt, der Reiz des Neuen, Außergewöhn¬ 
lichen liegt über einer solchen Unterrichtsstunde. Die Art des Unterrichts, be¬ 
sonders auch der etwas „strenge Ton“, der in diesen Stunden üblich ist, die Pro¬ 
bleme, zu denen wohl nur wenige ein persönliches Verhältnis erhalten, lassen keine 
Betontheit entstehen. 

b) Im Memorieren werden an den Fleiß zu Hause einige Anforderungen ge¬ 
stellt; daher entsteht keine positive Wertung. Da es sich während der Versuche 
nur um die Wiederholung schon gelernter religiöser Sprüche und Lieder handelte, 
kam es auch zu keiner negativen. Das Memorieren machte den Schülerinnen keine 
besonderen Schwierigkeiten, die schwächsten Mädchen durften nur einen Teil des 
für die übrigen in Betracht kommenden Stoffes lernen; diese Aufgabe konnten 
sie bewältigen. Eine Vorliebe für das Auswendiglernen religiösen Stoffes war 
kaum zu bemerken; so kam es zu keiner Betontheit. Nur ein einziges Mädchen 
hatte eine Freude am Aufsagen (Betonen!). 

o) In der Biblischen Geschichte wurde das Leben Jesu (nach Matthäus) 
behandelt. Die Schülerinnen konnten sich nicht einleben in den Stoff, dazu war 


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324 


Karl Köhn 


die Zeit (je etwa % Stunde) zu kurz, sie wurden nicht warm, daher fehlt die Be- 
tohtheit. Die Aufmerksamkeit wurde nicht so lange und teilweise auch nicht so 
stark in Anspruch genommen wie in anderen Fächern — es wurde viel gelesen —, 
daher kam es auch nicht zu einer negativen Wertung. . 

Zusammenfassend darf man wohl von den religiösen Fächern sagen: Unter¬ 
richtsstoff und häufig auch die Unterriohtsform bahnen kein 
persönliches Erleben, kein Verhältnis zum Ich des (verhältnismäßig 
jungen) Kindes an, und daher bleiben diese Fächer unbetont. 

d) Im Aufsatz wurden bis zu der Zeit, in der der I. Versuch gemacht wurde, 
vorwiegend „gebundene“ Aufsätze geschrieben. Für manche Kinder ist es eine 
Erleichterung (hierher gehören mittel und schwach begabte), wenn der Stoff ge¬ 
boten wird; nacherzählen können sie schon etwas, selbständig bearbeiten kaum; 
andere sind in Sorge, sie könnten etwas vergessen, etwas anders schreiben als 
gewünscht wird; sie negieren bei der Fächerwahl. Im großen ganzen wirken aber 
weder Unterrichtsform noch Themenwahl,'die meist dem kindlichen Denken 
wenig entspricht, wertbetonend auf das Band. 

e) In der Sprachlehre wurden in dieser Zeit die verschiedenen Wortarten und 
Satzteile behandelt, der Unterricht wurde etwas formalistisch, logizistisch 
gegeben. Dem Stoff konnten kaum Beziehungen zum Schüler, seiner Umgebung 
und seinem Leben abgewonnen werden. Für logische Unterscheidungen und Be¬ 
stimmungen lassen sich Kinder in diesem Alter, besonders Mädchen, kaum 
erwärmen. 

Diese beiden Sprachfächer blieben also indifferent, weil die Beziehung dea 
Unterrichtenden zur Schülerin und zu ihrem Leben fehlte. 

f) Naturgeschichte wurde in dem Zeitraum, in dem der I. Versuch durch¬ 
geführt wurde und der ihm unmittelbar voranging, nicht erteilt. Darin liegt eine 
Ursache für die Unbetontheit. Die Stoffe, die vorher behandelt worden waren, 
gruppierten sich um den Wald. Diese Lebensgemeinschaft liegt den Gmünder 
Mädchen etwas fern. Die Beschreibung, die hier wohl stark überwog, faßt die 
Kinder nicht; sie sind mehr für biologische Verhältnisse zu haben. Aber auch 
dann, wenn man darauf eingeht, wird dieses Fach sich keiner besonderen Betont- 
heit erfreuen; das Beobachten liegt den Mädchen nicht; die Beziehungen zum 
Leben derselben fehlen häufig. 

g) Natur lehre wurde erteilt. Es handelte sich um das spezifische Gewicht, 
den Luftdruck usw., also um Dinge aus der Statik und Dynamik. Es sind meist 
unanschauliche oder dooh wenig anschauliche Dinge, die eine streng logische 
Behandlung erfordern. Dafür haben Mädchen in diesem Alter kaum Sinn. An¬ 
ders würde die Wertung wohl ausfallen, wenn mit anschaulicheren. Din gen, etwa 
mit magnetischen und elektrischen Vorgängen und Einrichtungen, die darauf be¬ 
ruhen, begonnen würde. 

Wir sehen: die naturwissenschaftlichen Fächer sind indifferent — bei 
Mädchen — wegen des teilweise trocken-beschreibenden — Natur¬ 
geschichte —, teilweise unanschaulich-logizistischen Betriebs 
Naturlehre —, dem häufig die Beziehung zum Schüler und seiner 
Umwelt fehlt. Anders könnte die Wertung wohl bei Knaben ausfallen. 

h) Das Mädchenturnen mußte im Klassenzimmer erteilt werden. Das brachte 
manche Unzuträglichkeiten.- Der Unterrichtsstoff war dadurch sehr beschränkt. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


325 


es mußte häufig dieselbe Übung gemacht werden. Es wurde zwar nach Abwechs¬ 
lung gesucht; die Hälfte durfte z. B. singen, die andere turnte darnach, es wurden 
Übungen im Gleichtakt gemacht; durch das alles konnte aber keine positive 
Betontheit erzielt werden. 

1) Handarbeit wurde in wöchentlich vier Stunden erteilt. Es scheint, daß 
ein so umfassend erteiltes Fach ohne tiefergehende Aufgaben allmählich imbetont 
wird, daß sich die Schülerinnen ihm gegenüber allmählich gleichgültig verhalten. 
Ferner scheint es auch, daß der methodische Unterricht mit seinem Zwang, mit 
dem gleichförmigen Fortschreiten der ganzen Klasse, mit den doch zum Teil mehr 
theoretischen Betrachtungen das sicher Gefühlsbetonte des Tätigseins neutralisiert. 
Dazu kommt wohl, daß die Gmünder Mädchen, die zum großen Teil Arbeiter¬ 
familien entstammen, keinen Sinn für praktische „häusliche“ Arbeiten haben. 

Die Einreihung dieser beiden technischen Fächer in die Gruppe der indifferen¬ 
ten steht mit Ergebnissen anderer Untersuchungen im Wider¬ 
spruch. Die Ursache davon mag zum Teil in den besonderen Verhältnissen 
Gmünds liegen, teilweise ist sie in den Eigentümlichkeiten der Volksschule, viel¬ 
leicht der Württembergs im besondem, begründet. 

2) Die einseitig betonten Fächer: Hierher gehören zwei technische Fächer, 
ein sprachliches, ein religiöses Fach und Geschichte, zusammen also fünf Fächer. 
Es sind verhältnismäßig viele Fächer, die einseitig betont sind. 

a) Singen ist positiv. Dies hat verschiedene Ursachen: das Stimmenmaterial 
war ein gutes, ebenso das musikalische Gedächtnis; es konnten daher viele Ge¬ 
sänge eingeübt und in ansprechender Form zum Vortrag gebracht werden. 
Eingeübt wurden vor allem weltliche Lieder; in den Hintergrund traten die metho¬ 
dischen Übungen und die Choräle. Die Umgebung der Schülerinnen ist meist 
musikalisch; es wird in Gmünd sehr viel Musik getrieben; sie erfreut sich im Eltern¬ 
haus einer gewissen Wertschätzung. Dies alles wirkt wertbetonend. 

b) Konfirmandenunterricht wurde neu erteilt von zwei Geistlichen, also 
Von „fremden“ Lehrern. Der eine davon erzählte viele Geschichten. Schülerinnen 
anderer Klassen und anderer Anstalten beteiligten sich an diesem Unterricht. 
Es ist also vor allem das Neue, das positiv wirkt. Dazu kommt der anekdotische 
Einschlag des Unterrichts; man genießt mehr, als daß man produktiv tätig ist. 
Die große Schülerzahl — 73 — ist die Ursache, daß die einzelne Schülerin nicht 
sehr häufig zum Antworten kommt, daß sie nicht scharf beaufsichtigt werden 
kann, daß sie sich gehen lassen kann. Auch dies macht das Fach beliebt. 

c) Zu den negativ betonten Fächern gehört Schönschreiben. Hier ist es vor 
allem das Lateinschreiben, das das Fach unbeliebt werden läßt. Das-Lateinschrei- 
ben setzt erst im 4. Schuljahrein. Die Ubungim Deutschschreiben ist eine größere, 
man schreibt deutsch im Aufsatz, im Rechtschreiben usw. Schwächeren Kindern 
macht daher das Lateinschreiben auch im 6. Schuljahr noch Schwierigkeiten. 
Dazu kommt noch: Im Schönschreiben müssen die vorgeschriebenen Formen, 
Wörter und Sätze peinlich genau abgeschrieben werden; dies wirkt hemmend. 

d) Auch Geschichte ist negativ. Eine Ursache liegt im Unterrichtsstoff. Es 
handelte sich in dieser Zeit um die Ereignisse etwa von 1793—1809. Es sind Stoffe, 
die den Schülerinnen etwas fern liegen, deren Bedeutung sie nicht ganz erfassen. 
Dazu kommt, daß in diesem Fach die Schülerinnen die ganze Stunde hindurch 
aufmerken mußten, daß sie nicht abschweifen, nicht ihren Gedanken nachhängen 


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326 


Karl Köhn 


durften; jeden Augenblick kann ein Abscbweifen an den Tag kommen. Das wirkt 
nicht positiv auf die Wertung. 

p) Im Rechtschreiben wird der höchste Grad der Betontheit erreicht. Nur ein 
Teil der Schülerinnen überwand die Schwierigkeiten, die um diese Zeit neu auf¬ 
traten: die Zeichensetzung mußten die Schülerinnen selbst finden, schwierigere 
Wortformen kamen vor. Es wurden von vielen Schülerinnen Fehler gemacht, 
sie erhielten durch die Verbesserung der Fehler vermehrte häusliche Arbeit, die 
Minderleistung kam häufig und deutlich zum Ausdruck, das Gefühl des Nicht- 
genügens entstand, und aus dem allem folgte eine entschiedene Ablehnung dieses 
Faches. 

Es sind also unter den einseitig betonten Fächern zwei positiv betonte, die ihre 
positive Betonung ihrer Neuheit und den geringen Forderungen, die 
sie an die Leistungsfähigkeit des Schülers stellen, und der Anregung 
aus der Umgebung des Schülers verdanken; es sind drei negativ-betonte 
Fächer, in denen besondere Anforderungen an Aufmerksamkeit und 
Fleiß gestellt werden. 

3) Gleichseitig betont ist Zeichnen. Auch hier kommt die Umgebung 
in Betracht. In manchen Häusern erreicht die künstlerische Durchbildung eine 
bedeutende Höhe. Der Vater fertigt zu Hause Entwürfe, macht Zeichnungen usw. 
Daraus erhält das Kind Anregungen. Es sieht, daß man das Zeichnen wertet, es 
schätzt dieses Unterrichtsfach ebenfalls. Es sieht aber auch, daß seine Leistung 
hinter der des Vaters zurückbleibt. Technische Schwierigkeiten, das Mischen der 
Farben usw. kommen dazu und hemmen ebenfalls. Dagegen trägt wieder die 
Auswahl der Unterrichtsgegenstände — Gebrauchsgegenstände, Monogramme — 
zur Wertschätzung bei. So kommt es denn zu einer zwiespältigen Wertung. 

4) Zweiseitig ungleichseitig betont sind drei Fächer. Alle drei stehen 
in der Betontheitsreihe weit voran. 

a) Lesen ist positiv. Es ist besonders bei schwach begabten Schülerinnen be¬ 
liebt. Die Fertigkeit des Lesens haben sie sich im Lauf der Schulzeit angeeignet; 
das ist etwas, das sie können. Bei gut begabten Schülerinnen spielt der Inhalt 
des Stückes und die Behandlung desselben eine Rolle. Sie möchten durch das 
Lesen Neues, womöglich „etwas zum Lachen“ erfahren; lesen kann man, das 
ist ihre feststehende Meinung, man liest nicht mehr, um das Lesen zu lernen, das 
haben höchstens die Schwachbegabten nötig; man liest, um sich zu unterhalten; 
das wird erreicht, wenn ein Lesestück ein-, höchstens zweimal gelesen wird; muß 
man es öfters lesen, dann ist man verstimmt. 

b) Rechnen ist ebenfalls positiv. Ausgeführt wurden einfache Zinsrechnungen. 
Diese sind verhältnismäßig leicht verständlich; die Beziehung zum Leben ist sehr 
deutlich. Sie ließen in einer Reihe von Schülerinnen das Gefühl des Gelingens, des 
Könnens entstehen. Sie werteten positiv. Es gibt aber auch eine Anzahl Nicht¬ 
mathematiker, die auch den einfachen Schlüssen, die bei den Zinsrechnungen 
gemacht werden müssen, keine Evidenz abgewinnen können. Sie lehnten das 
Fach ab. Zu ihnen kamen noch diejenigen, welche Rechnen als Kopfrechnen ab¬ 
lehnten. Ihnen fehlte der Blick für die Vereinfachung der Rechnung, durch die 
sie für das Kopfrechnen leicht wurde; ebenso das Gedächtnis und die notwendige 
Konzentration, daß die Ergebnisse der Teiloperationen schließlich zum Schlu߬ 
ergebnis zusammengefaßt werden konnten. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


327 


c) Erdkunde ist das einzige zweiseitig negativ betonte Fach. Behandelt wurde 
Asien. Die Schilderungen von Land und Leuten, das Fremdländische, das in 
mancher Richtung Anschauliche (durch die Karte unterstützt) erregte in manchen 
Schülerinnen Zuneigung. Die wenigen Beziehungen, die dieser Stoff in der da¬ 
maligen Zeit für die Heimat der Schülerin hatte, bewirkte eine Ablehnung bei 
andern. Dazu kamen die straffe Form des Unterrichts, die bedeutenden Anfor¬ 
derungen an Aufmerksamkeit und Gedächtnis, alles das trug bei zur Ablehnung. 


Unsere weitere Betrachtung bezieht sich nun wieder auf alle vier Ver¬ 
suche. 

Wir gliedern nun auch die in Tafel 10 für die Versuche II—IV gegebene zahlen¬ 
mäßig charakterisierten Ergebnisse in unser System qualitativ unterschiedener 
Begriffe ein. Wir erhalten dadurch Tafel 13. 


Tafel 13: Übersicht über die Betontheit der Fächer in den 4 Versuchen *) 


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Die in Klammern gesetzten Ziffern bezeichnen den Grad der Betontheit bzw. der 
Ungleichseitigkeit. 


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328 


Karl Köhn 


Es folgen zunächst einige allgemeinere Bemerkungen über diese Tafel. 
Es sind vier imbetonte und ein negativ einseitig betontes Fach, in dem in der Art 
der Wertbetonung keine Änderung eingetreten ist. Dies sind verhältnis¬ 
mäßig viele Fächer. Bei den übrigen Fächern ist ein Wechsel in der Betont- 
heit im Verlauf der Versuche eingetreten. Wir stellen die Fälle in Tafel 14 zu¬ 
sammen. 


Tafel 14: Konstanz und Wechsel in der Betontheit der Fächer. 1 ) 


Betontheit 

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Anzahl der 
Fächer 

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4 

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1 


Es sind zwölf Fälle, in denen die Betontheit zwischen zwei , es ist ein Fall, in 
dem sie zwischen drei, und es ist ein Fall, in dem sie zwischen vier verschiedenen 
Gruppen wechselt. Man darf daher behaupten: In der Art der Wertbeto¬ 
nung der Fächer treten im Lauf der Zeit nur verhältnismäßig 
geringe Änderungen ein. 

An Graden der Wertbetonung kommen in Betracht überwiegend der 0., sehr 
häufig der 1., seltener der 2., nur in außerordentlichen Fällen der 3. und 4. Grad. 
Die Werthaltung der Fächer ist also in der Klasse im allgemeinen 
nur'in niederem Grade ausgeprägt.. 

Über die Verteilung der Betontheitskategorien in den vier Versuchen gibt 
die folgende Zusammenstellung Aufschluß (Tafel 15). 


Tafel 15: Verteilung der Betontheitskategorien in den 4 Versuchen. 


Versuch 

0 

+ 

— 

= 

<+> 

<-> 

I 

9 

2 

3 

1 

2 

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7 

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2 

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I 

Zusammen 

36 

11 

14 

7 

4 

' 3 


Von den 75 möglichen Fällen Mt beinahe die Hälfte den unbetonten zuzuzählen, 
ein Drittel davon entfällt auf die einseitig betonten und nur ein schwaches Fünftel 
gehört zu den zweiseitig betonten Fächern. Die Mehrzahl der Fälle gehört 
also den unbetonten oder einseitig betonten Fächern an. 

Die Art der Verteilung ändert sich von Versuch zu Versuch .we¬ 
nig. Im II. Versuch ist die Zahl der einseitig negativ betonten Fälle verhältnis¬ 
mäßig groß (6); die Ursache davon ist wohl die gesteigerte Anforderung, die nun 
an die Leistungsfähigkeit der Kinder gestellt wurde. Im III. Versuch fällt die 
Zahl der unbetonten Fächer auf (11). Die Ursaohe davon liegt in der Einwirkung 
des Krieges. Handarbeit erreichte den 4. Betontheitsgrad; nun sind einer Anzahl 

*) 0: + bedeutet: Wechsel zwischen Unbetontheit und einseitig positiver Betont¬ 
heit; die andern Zeichen sind entsprechend zu deuten. 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


329 


von Fächern die positiven Nennungen, teilweise auch die negativen entzogen, die 
Folge davon ist das Anwachsen dieser Häufigkeitszahl. 

Nun wenden wir uns noch den einzelnen Fächern zu. 

l) # Die unbetonten Fächer. 

a) In Memorieren änderten sich die Verhältnisse über die Versuchszeit nicht. 
Das Neulemen, um das es sich beim III. Versuch handelt, bringt keine Änderung 
in die Wertung. Es macht den Kindern auf dieser Altersstufe keine größere Mühe 
als das Wiederholen von schon Gelerntem. 

b) Im Religionsunterricht des Geistlichen blieben Lehrart und Problem¬ 
stellung dieselben. Daß sich der Unterricht dem Neuen Testament zuwendet 
und Fragen bespricht, die durch diesen Unterrichtsstoff angeregt wurden, hat 
für die Wertung keine weiterreichende Bedeutung. 

c) Die Stellungnahme zur Sprachlehre blieb dieselbe. Daß vom Bedeutungs¬ 
wandel, vom Bildergehalt der Sprache, von Orts- und Personennamen usw. ge¬ 
sprochen wurde und daß häufig der Humor zu seinem Recht kam, das führte schlie߬ 
lich bei einigen Schülerinnen zu einer Bevorzugung; diejenigen Nennungen im 
III. und IV. Versuch erreichten aber keine solche Höhe, daß das Fach in die Gruppe 
der positiv betonten Fächer hätte eingereiht werden müssen. 

d) Naturgeschichte wurde in der Zeit, in der die Versuche durchgeführt 
wurden, nie erteilt. Dies ist ein Grund, weshalb es zu keiner Betontheit kam. Wäre 
das Fach erteilt worden, dann hätte die Betontheit wohl auch keinen hohen Grad 
erreicht, denn Stadtmädchen verhalten sich diesem Unterrichtsfach gegenüber 
wohl meist indifferent. 

2. Das einseitig negativ betonte Fach ist Rechtschreiben. Hier erreicht die 
Betontheit durchgängig den höchsten Grad. Die Schwierigkeiten werden auch 
im 7. Schuljahr nicht kleiner (Fremdwörter!), die Leistungen bleiben hinter den 
Forderungen des Lehrers und der eigenen zurück, die Minderleistung wird deutlich 
auch von schwach begabten Schülerinnen erkannt; alles dies führt vor allem bei 
schwach begabten, aber auch bei einigen gut begabten Schülerinnen zu einer star¬ 
ken Ablehnung des Faches. 

3) Die unbetont-betonten Fächer. 

a) Der Umschlag nach der positiven Seite trat ein 

o) in der Biblischen Geschichte im II. Versuch. In allen übrigen Versuchen 
war dieses Fach unbetont. Die Gefühlswirkung war im großen ganzen also gering. 
Der Umschlag nach der positiven Seite ist zu erklären teilweise aus dem Unter¬ 
richtsstoff.—Die Leidensgeschichte Jesu, die in dieser Zeit behandelt wurde, ver¬ 
fehlte bei einigen Mädchen ihre Wirkung auf das Gemüt nicht, — teilweise aus dem 
Abflauen des Interesses am Konfirmandenunterricht. M& z. B. nannte beim l.Ver- 
such Konfirmandenunterricht als beliebtestes Fach, im II. Versuch war dies die 
Biblische Geschichte, im III. Handarbeit (Krieg!), im IV. wieder Konfirmanden- 
unterricht (zur Zeit der Konfirmation). Beide Fächer treten wohl zeitweise in 
Wettbewerb. 

ß) In die Handarbeit brachte der Krieg eine neue sehr stark nach der positiven 
Beite gerichtete Wertung. Die Bedeutung dieses Faches für die Unterstützung der 
kämpfenden Soldaten wurde sofort erkannt, teilweise auch von der Schulleitung 
hervorgehoben, die Schülerinnen fühlten sich in diesem Fach als Mitkämpfer; 
der Zwang des methodischen Unterrichts fiel weg, der einzelnen Schülerin wurde 


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II 




330 


Karl Köhn 


mehr Freiheit eingeräumt. Beim IV. Versuch war der Betontheitsgrad ein be¬ 
deutend niedrigerer als bnm III., die ab3chleifende Wirkung des nun schon längere 
Zeit dauernden Kriegsbetriebes machte sich geltend; der Konfirmandenunterricht 
trat nun in Wettbewerb mit diesem Fach und nahm eine Reihe positiver Nennun¬ 
gen weg; immerhin ist noch eine Nachwirkung der durch den Krieg bewirkten Ein¬ 
stellung zu bemerken. 

y) Konfirmandenunterricht ist im I. und IV. Versuch positiv von ziemlich hohem 
Grad. Während für den I. Versuch die Neuheit des Unterrichts und des Lehren 
von größter Bedeutung ist, kommt für den IV. die Nähe der Konfirmation in 
Betracht. Das Einkäufen, Zurichten, Anprobieren der Konfirmationskleider, 
das Beschenken der Freundinnen mit Andenken, das Einladen der Paten, das 
Austeilen der Konfirmationsfragen nimmt um diese Zeit das Mädchen voll in 
Anspruch, hebt und belebt die im Unterricht betonte Bedeutung des Konfirma¬ 
tionsaktes, mit dem diese Handlungen ja alle telisch verknüpft sind. Daß diese 
Dinge für die Wertung von besonderer Bedeutung sind, folgt daraus, daß in der 
Zeit, in der kein Unterricht erteilt wurde (III. Versuch), auch kein Vorzugsurteil 
gefällt wurde — der Unterricht war also von keiner besonders naohhaltigea Wir¬ 
kung — und daß in der Zeit, in der dieser Unterricht nichts „Neues“ mehr war, 
nur wenige Beliebtheitsstimmen abgegeben wurden, obwohl in diesem Fach noch 
unterrichtet wurde. 

3) Singen ist in drei Versuchen positiv. Es wäre wohl im III. Versuch auch posi¬ 
tiv, wenn nicht durch den Krieg eine Anzahl Stimmen der Handarbeit zugewendet 
worden wären, z. B. bei Af u , M u , M n . Daß in der Stadt „des Singens und Gei¬ 
gens“ (man vergleiche J. Kerner, Der Geiger zu Gmünd) dieses Fach positiv 
gewertet wird, ist leicht zu verstehen. Ob die Betontheit in anderer Umgebung 
dieselbe ist, kann durch diese Versuche nicht entschieden werden; daß sie nicht 
dieselbe ist, darf aber wohl angenommen werden. 

b) Ein Umschlag naoh der negativen Seite fand statt: 

d) im Turnen; dieses Fach ist dreimal unbetont und einmal negativ. Der Um¬ 
schlag trat im II. Versuch ein, weil das Turnen intensiver als beim I. betrieben wuide. 
Manche Mädchen fühlten nach dem Turnunterricht eine gewisse Ermüdung, 
Schmerzen in den Gliedern usw. Die körperliche Anstrengung wurde von den etwas 
weichlichen Mädchen unangenehm empfunden, so entstand die Ablehnung. Diese 
Verstimmung hielt nicht an. Im III. und IV. Versuch war der Turnunterricht 
eingestellt, nun wurde das Fach wieder unbetont. 

ß) Repetitionen, d. h. Prüfungsaufgaben vor allem in Erdkunde und Ge¬ 
schichte, waren den Schülerinnen beim I. Versuch noch nicht bekannt. Sie durften 
daher dort auch nicht gezählt werden. Beim II. Versuch hatten sie stark einge¬ 
setzt. Die Leistung der einzelnen Schülerin war nach der Zahl der richtig gelösten 
Aufgaben leicht zu beurteilen; sie blieb oft hinter den Erwartungen zurück. Die 
Vorbereitung auf die Prüfung brachte manche Arbeit und Aufregung. Alles dies 
machte die Repetitionen unbeliebt. Beim III. Versuch waren sie etwas Gewohntes, 
sie kamen nicht mehr so zahlreich, beim IV. hörten sie ganz auf; nun wurde die 
Einstellung eine indifferente. 

y) In der Naturlehre wird aus der ursprünglichen Gleichgiltigkeit eine Ab¬ 
lehnung. Die großen Anforderungen, die durch dieses Fach an die Aufmerksam¬ 
keit gestellt werden, das anhaltende logische Durchdenken dieser Sache machen 


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Über Beliebtheit und Unbeliebtheit von Unterrichtsfächern 


331 


das Fach unbeliebt. Diese Unbeliebtheit verschwindet, wenn durch den Unter¬ 
richtsstoff (elektrische und magnetische Erscheinungen) das gegenständliche 
Interesse erregt und der Anschaulichkeit mehr Rechnung getragen wird. 

4) Im Schönschreiben wird die anfängliche negative Wirkung zur indifferen¬ 
ten. Man sieht an dem Umschlag der Wertung deutlich, wie die Fertigkeit im 
Lateinschreibait immer mehr zunimmt und schließlich als vollständig genügend 
empfunden wird. 

c) Zu gleichZ3itig betonten wurden zwei Fächer. 

а) Zeichnen wurde beim II. Versuch indifferent. Die Schwierigkeiten, die durch 
das Mischen der Farben, die Wahl des zu zeichnenden Gegenstandes usw. ent¬ 
standen, waren nun übsr wunden; die negativen Stimmen fielen weg. Das längere 
Verweilen bei demselben Gegenstand oder bei ähnlichen wirkte andererseits ver¬ 
stimmend; von den positiven Stimmen fielen auch welche weg. Beim III. Versuoh 
hatte das perspektivische Zeichnen eingesetzt. Das brachte für manche Schwierig¬ 
keiten, für andere Neues, das reizte; der Krieg ließ die auseinanderstrebende 
Stimmung nicht voll zum Durchbruch kommen. Beim IV. Versuch war die 
bindende Wirkung des Krieges nicht mehr so stark. Es durften nun selbstgewählte 
Gegenstände (patriotische u. a.) gezeichnet werden. Diese Probe auf das Können 
führte zu einer verhältnismäßig häufigen, aber auseinandergehenden Wertung. 

ß) Im Aufs atz kommt es nach dem I. Versuch zu einer gleichbleibenden gleich¬ 
seitigen Betontheit vom 1. Grad. Ohne Zweifel ist dies die Folge des „freien 
Aufsatzes“. Nun handelt es sich nicht mehr bloß um Wiedergabe, sondern um 
Gestaltung eines Stoffes, um eine gewisse Selbsttätigkeit und Freitätigkeit. Dies 
ist manchen Schülerinnen erwünscht, andere aber empfinden die neuen Schwierig, 
keiten und sind verstimmt. Der „freie Aufsatz“ versucht also die Betontheit, 
er trennt aber auch in der Wertung. 

4) Das einzige von negativ zu positiv ungleichseitige umschlagende Faoh 
ist die Geschichte. Dieses Fach ist in drei Versuchen negativ. Den Mädchen sind 
Kriegsgeschichte (vor dem Krieg), Kulturgeschichte mit Bürgerkunde verhaßt; 
sie sehen keine Beziehungen zum Leben, fühlen sich zu sehr durch den Unterricht 
angestrengt. Der Krieg bringt in diese Wertung eine Änderung; auch der Unter¬ 
richtsstoff, der Krieg 1870/71 trägt dazu bei. Beim IV. Versuch hat der Krieg 
seine umwertende Kraft verloren, der Konfirmandenui Erricht nimmt positive 
Nennungen weg, der Unterrichtsstoff nimmt das gegenständliche Interesse nicht 
mehr gefangen; es kommt wieder zur negativen Wertung. 

5) Im Rechnen wird vom III. Versuch an die negative Betonung herrschend. 
Man sieht daran, wie allmählich die Anforderungen steigen, die Leistungen.ent¬ 
sprechend geringer werden. Dies hängt mit der Art der Aufgaben zusammen. 
Die Teilungs- und Vielsatzrecbnungen sind eben viel schwieriger als die (leichteren) 
Zinsrechnungen. 

б) Drei Betontsheitsgruppen gehört Lesen an. Die Betontheitszahl nimmt im 
allgemeinen mehr und mehr ab. Die Schüler wenden sich im III. und IV. Versuch 
anderen Fächern zu. Im II. Versuch ist die positive Betontheit von ziemlich hohem 
Grad; es werden eben lange Lesestücke nur ein- bis zweimal gelesen. 

7) Vier Betontheitsgruppen gehört die Erdkunde an. Sie ist im II. Versuch 
nicht mehr so stark betont wie im I., denn der behandelte Gegenstand, Asien, hat 
seinen Reiz der Neuheit und das Abschreckende der Unbekanntheit und Schwierig- 


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332 


Erich Stern 


keit verloren. Im III. Versuch tritt eine Steigerung der positiven Nennungen ein; 
der Krieg hat die Augen geöffnet für die Bedeutung der Erdkunde; die deutschen 
Kolonien werden als Heimatkunde im weiteren Sinn aufgefaßt; das Hemmende 
wird nioht so empfunden wie biim II. Versuch. Beim IV. handelt es sich um Wirt¬ 
schafts-, Verkehrs- und mathematische Geographie, das sprichtMädchen nicht an, 
das liegt ihnen nicht, dazu kommt noch die Konfirmation, dieabienjct, so kommt es 
schließlich zu einer negativen Wertung. 


« 


Bemerkungen zur Frage der „Begabtenauslese“. 

Von Erich Stern. 

Es liegt im Interesse einer jeden Gemeinschaft, daß jede Stellung mit einem 
geeigneten Menschen besetzt wird, und daß ein jeder zu einer seinen Kräften 
und Fähigkeiten entsprechenden Stellung gelangen kann: die Tüchtigsten und 
Befähigtsten müssen zu den höchsten und verantwortungsreichsten Stellen 
empordringen können. Nim ist aber gerade für die höheren Berufe auch 
eine besondere Schulbildung erforderlich, und auch das Fortkommen in man¬ 
chem anderen Beruf, so vor allem in Industrie und Technik, hängt in hohem 
Maße von den auf der Schule erworbenen Kenntnissen ab. Es muß daher 
durchaus begrüßt werden, daß eine Reihe von Städten besondere Einrichtungen 
getroffen haben, um den begabten Volksschülem den Aufstieg zu ermöglichen. 
Die Wege, die zu diesem Zweck eingeschlagen worden sind, sind verschieden 
Handelt es sich in Berlin darum, die Kinder in das Gymnasium oder in die 
Realschule überzuführen, so sollen sie in Hamburg nur in eine neunklassige 
Volksschule, in der sie in den fremden Sprachen unterrichtet werden, unter¬ 
gebracht werden. Dafür ist die Zahl der für die Begabtenschule in Hamburg 
in Betracht kommenden Kinder «ine wesentlich größere als in Berlin. Auf 
die näheren Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. 

Es war von vornherein zu erwarten, daß die Anzahl der Bewerber die 
Zahl der verfügbaren Stellen bei weitem überschreiten muß: in Berlin kann 
nur ein sehr geringer Prozentsatz der Kinder aufgenommen werden, in Hamburg 
ist es so geregelt, daß 2 /a der gemeldeten Kinder der erweiterten Volksschule 
zugeführt werden. Daß man sich bei der Auswahl der Kinder nicht lediglich 
auf das Urteil der Lehrer verlassen kann, haben Moede und Piorkowski 
und ebenso auch Stern gezeigt; aber es erwies sich auch als nicht angängig, 
die Aufnahme lediglich von einer gewöhnlichen Schulprüfung abhängig zu 
machen. Nun hat sich die experimentelle Psychologie schon lange, seit 
Binet und Simon besonders, damit beschäftigt, Methoden zur Untersuchung 
der Intelligenz auszuarbeiten und es erschien daher als das Gegebenste, bei 
der Auswahl der zuzulassenden Schüler sich dieser, von der experimentellen 
Psychologie ausgebildeten Methoden zu bedienen. Soweit bisher bekannt 
geworden ist, haben sich die angewandten Prüfungsverfahren in Berlin (Moede 
und Piorkowski) aufs beste bewährt, und die Kinder, welche in der auf 
Grund der Prüfungsergebnisse aufgestellten Rangordnung die ersten bezw. 
letzten Plätze einnahmen, kamen auch in der Schule am besten bezw. am 
schlechtesten mit, und damit ist der Beweis für die Brauchbarkeit der an- 


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Bemerkungen zur Frage der „Begabtenaualese“ 


833 


gewandten Methoden erbracht. Allerdings ist die Zeit, die zwischen der 
Prüfung und den Angaben der Lehrer über die Leistungen der Kinder liegt, 
noch zu kurz, um ein abschließendes Urteil zu gestatten. Wir wollen uns 
aber in den folgenden Erörterungen auf den Standpunkt stellen, daß die 
Moede-Piorkowski’schen Methoden sich auch bei weiteren Nachprüfungen 
voll bewähren. Trotzdem kann man nicht umhin, einige prinzipielle Einwände 
nicht so sehr gegen ihre Methode als gegen das ganze Problem der Begabten- 
auslese überhaupt zu machen. 

Vergleicht man zunächst die Methoden von Moede und Piorkowski mit 
denen von Stern, so scheint mir der durchgreifendste Unterschied darin zu 
bestehen, daß Stern ein bedeutend größeres Gewicht'auf die Beobachtungen 
der Lehrer, welche die Kinder bis dahin unterrichtet haben, legt als die beiden 
anderen genannten Autoren. Geschieht das nun mit Recht? Die Berliner 
Untersuchungen wurden an drei aufeinander folgenden Tagen angestellt, man 
kann also sagen, daß die Kinder, selbst wenn sie am ersten Tage befangen 
und aufgeregt waren, sich an den folgenden Tagen den Verhältnissen der 
Prüfung angepaßt haben müßten. Das erscheint aber nicht ganz berechtigt. 
Wer selbst Examina gemacht hat, die sich über viele Tage, ja Wochen hin¬ 
zogen, weiß, daß die Spannung durchaus nicht abzunehmen braucht, ja 
sich sogar steigern kann. Es sind nicht immer die schlechtesten Schüler, die 
wenigst Begabten, die bei Prüfungen versagen. Das Seelenleben des Menschen 
verläuft, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, nicht in einer geraden Linie; 
gewisse klinisch beobachtbare psychische Störungen (ich denke hier vor allem 
an die zyklotomen Seelenstörungen) stellen nur die ins Pathologische gestei¬ 
gerte Verlaufsform des normalen Seelenlebens, das bei allen Menschen starken 
Schwankungen unterliegt, dar. Was jede psychologische Untersuchung er¬ 
gibt, ist ein Querschnitt, und da wir ja die Dispositionen (und um solche 
handelt es sich doch bei der Untersuchung der Befähigung) nie direkt unter¬ 
suchen, sondern immer nur aus den vorliegenden Leistungen erschließen 
können, so entspricht das Bild, das wir uns von der Befähigung eines Schülers ^ 
nach der Prüfung machen, in gewissem Sinne stets seinen momentanen 
Leistungen. Diese sind aber nicht nur durch die für sie speziell maßgeben¬ 
den Dispositionen bedingt, vielmehr gehen in sie auch eine ganze Reihe an¬ 
derer psychischer Funktionen mit ein, so vor allem affektive Momente, die 
sich einer experimentellen Prüfung so gut wie vollkommen entziehen. Gerade 
bei besonders begabten Menschen sind mm oft die Schwankungen des Gefühls¬ 
lebens sehr stark ausgeprägt — ich erinnere nur an Goethe, der ausgesprochen 
zyklotym veranlagt war — und wenn wir nun ein Kind in einer mehr 
depressiven Phase (womit nicht gesagt sein soll, daß diese krankhaft sein 
muß) untersuchen, so werden seine Leistungen schlecht sein, wir werden 
uns von seiner Leistungsfähigkeit ein ganzes falsches Bild machen, trotzdem 
das Kind gut, ja hervorragend veranlagt sein kann. Aus diesem Grunde er¬ 
scheint es durchaus notwendig, auch die Beobachtung der Lehrer, die das 
Kind monatelang, oft jahrelang kennen, mit heranzuziehen. Allerdings er¬ 
gibt sich hier die Schwierigkeit, wie man die Ergebnisse dieser Beobachtungs¬ 
bogen zahlenmäßig verwerten soll. Das erscheint aber auch durchaus nicht 
erforderlich; vielmehr halte ich es nur für notwendig, die Aufzeichnungen 
dieses Beobachtungsbogens in den Fällen mit heranzuziehen, wo sich auf¬ 
fallende Unterschiede zwischen dem Ausfall der Prüfung und den früheren 


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334 


Erich Stern 


Schulleistungen ergeben. Moede und Piorkowski haben sich über die 
Kinder dadurch ein eigenes Urteil zu verschaffen versucht, dafi sie längere 
Zeit mit ihnen in dem Schülerheim Wendlitzsee verbrachten; ob diese Be¬ 
obachtung ausreichend ist, möchte ich hier nicht entscheiden; sie wird aber 
nicht in allen Fällen durchführbar sein. Übrigens sollen, wie Stern mitteilt, 
in Zukunft auch in Berlin neben den Testprüfungen Beobachtungsbogen ver¬ 
wandt werden. 

Von größerer Bedeutung scheint mir ein zweiter Einwand zu sein, der sich 
mehr gegen die Begabtenauslese ganz allgemein richtet. Ein französischer 
Schriftsteller hat einmal gesagt, es sei doch auffallend, daß es in Paris so viele 
kluge Kinder und so wenig gescheite Erwachsene gebe. Diese Bemerkung 
ist meines Erachtens von prinzipieller Bedeutung. Man erlebt es ja nicht 
allzu selten, daß Kinder, die sich früh entwickelt haben, die zu den Wunder¬ 
kindern rechneten und von denen man sich ganz besonders viel versprach, 
plötzlich nachlassen, versagen und auf den Durchschnitt oder unter den Durch¬ 
schnitt herabsinken. Das Alter, in dem die untersuchten Kinder stehen, ist 
noch zu jung, um irgendwelche sicheren Schlüsse auf die ganze spätere 
Entwicklung zuzulassen. Mit dem Eintritt der Pubertät macht der mensch¬ 
liche Organismus gewaltige Veränderungen durch, die auch auf das psychische 
Verhalten und die Leistungsfähigkeit nicht ohne Einfluß sind. Das Pubertäts¬ 
alter ist zweifellos, und zwar bei beiden Geschlechtern, ein gefährliches Alter, 
•ine Klippe, an der mancher hoffnungsvolle junge Mensch scheitert. Worin 
die Ursache für diesen Umschwung des Näheren zu suchen ist, das entzieht 
sich einstweilen unserer Kenntnis, möglich, daß es sich um Einflüsse irgend¬ 
welcher innersekretorischer Stoffe auf das Zentralnervensystem handelt; so 
viel steht aber mit Sicherheit fest, daß zur Zeit der Pubertät eine tiefgreifende 
Wandlung des ganzen psychischen Verhaltens auftreten kann und in nicht 
wenigen Fällen auch auftritt. Wohl jedem von uns sind aus der. eigenen 
Schulzeit her Mitschüler in der Erinnerung, die bis zu einer gewissen Stufe 
N zu den ersten gehörten, um dann plötzlich zu versagen; mancher wurde dann 
noch gerade so von Klasse zu Klasse mitgeschleppt, mancher aber kam über¬ 
haupt nicht mehr Vorwärts und mußte schließlich die Schule verlassen. Hervor¬ 
gehoben sei, daß sich auch auf dieser Altersstufe ausgesprochene geistige 
Störungen entwickeln können, so vor allem die Dementia praecox, eine häufige, 
in das ganze Wesen der Persönlichkeit tief eingreifende, sie erschütternde 
Erkrankung. Andererseits kann man es aber auch nicht selten erleben, daß 
Kinder, die schlecht gelernt haben, kaum mitgekommen sind, mit dem Eintritt 
der Pubertät, die auch den Eintritt neuer Motive in das seelische Leben be¬ 
deutet, einen bis dahin nie bewiesenen Eifer, ein Streben zeigen, das nun 
auch ihre Anlagen, die bis dahin durch die Stumpfheit und Trägheit ver¬ 
deckt waren, zum Vorschein kommen. Ich führe alle diese Dinge an, nicht 
weil ich zeigen will, daß eine Auslese der Begabten falsch ist — ich möchte 
nicht mißverstanden werden — sondern nur, um darauf hinzuweisen, daß 
dieser Begabtenauslese schwere Mängel anhaften, die man kennen muß, wenn 
man später nicht enttäuscht werden will; und das wird meiner Ansicht bei. 
manchen der für die Begabtenschule ausgelesenen Kinder zweifellos eintreten. 
Andererseits möchte ich darauf hinweisen, daß doch manchem Kinde Unrecht 
geschieht, und daß auch für das spätere Alter noch Möglichkeiten eines Auf¬ 
stiegs geschaffen werden müssen, etwa in der Art, daß man auch den Fort- 


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Bemerkungen zur Frage der „Begabtenauslese“ 


336 


bildungsschulen Förderklassen angliedert, welche besonders befähigten Hand¬ 
werkslehrlingen und Gesellen die Möglichkeit verschaffen, sich auf den Be¬ 
such von technischen Lehranstalten vorzubereiten, damit gerade der Technik 
möglichst viele hervorragende Kräfte zugeföhrt werden, die ein Handwerk 
von Grund auf verstehen, und mit diesen und besonderen wissenschaftlichen 
Kenntnissen ausgerüstet, unseren Handel und unsere Industrie fördern können. 

Und damit komme ich auf einen weiteren Einwand gegen die Begabten- 
auslese. Es werden viel zu sehr allgemein logische Funktionen geprüft, und 
viel zu wenig die besonderen Begabungen der Kinder. Zwar haben auch 
Moede und Piorkowski einige Tests eingeschaltet, welche die technische 
Begabung der Kinder zu beurteilen gestatten. Aber einmal verschwinden 
diese gegenüber der großen 4 nz& hl der anderen Tests, und dann wurde 
ihnen eine besondere Bedeutung für die Beurteilung einer speziellen Befähigung 
nicht beigemessen. Außerdem ist für das Fortkommen im Leben, und das 
dürfen wir doch nicht vergessen, daß es sich in letzter Linie darum handelt, 
nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische Intelligenz erforder¬ 
lich. Deshalb sollte die Prüfung durch Methoden ergänzt werden, die auch 
eine Beurteilung dieser ermöglichen. Derartige Tests können aber so gewählt 
werden, daß sie gleichzeitig einen gewissen Einblick in die technische Be¬ 
gabung der Kinder gewähren; weitere Tests müßten diese besonders zum 
Gegenstand der Untersuchung machen. Es ist ja doch bekannt, daß manche 
Kinder absolut keine Sprachen lernen können und deshalb in unseren höheren 
Schulen vollkommen scheitern, daß sie aber ein ausgezeichnetes technisches 
Verständnis besitzen. Solche Kinder könnte man dann frühzeitig besonderen 
Schulen überweisen, die ihnen Gelegenheit geben, gerade diese Seiten ihrer 
Befähigung weiter zu entwickeln. Das würde von allergrößter Wichtigkeit 
sein; hier läge auch eine besondere Aufgabe von Förderklassen, welche den 
gewerblichen Fortbildungsschulen anzugliedern wären. Gerade jetzt nach dem 
Kriege wird der Bedarf an tüchtigen Technikern besonders groß sein, und 
die Bedingungen des Fortkommens sind hier sicher günstigere wie in den 
meisten akademischen Berufen. Und diesen Gesichtspunkt dürfen wir nicht 
unterschätzen. 

Je mehr sich die Berufspsychologie, die ja gerade jetzt im Kriege, nicht 
zum mindesten auch durch die Verdienste von Moede und Piorkowski 
einen ungeahnten Aufschwung genommen hat und weiter nehmen wird, je 
mehr wir ein Verständnis davon gewinnen, welche psychischen Funktionen 
für bestimmte Berufe erforderlich sind, um so mehr können wir bei der Aus¬ 
bildung differenzieren. Allerdings wird diese Differenzierung immer erst in 
einem späteren Alter einzutreten haben, wenn die ganze Entwicklung der 
Persönlichkeit schon in festere Bahnen gekommen ist. Dann werden die Erfolge 
steigen; so viel aber steht fest, daß wir trotz aller Mängel, die der Begabten- 
auslese heute noch — und teilweise vielleicht überhaupt — anhaften, auf 
dem einmal beschrittenen Wege fortfahren müssen. Wir wollen aber darüber 
nicht die Sorge für die Minderbefähigten vergessen, die unserer Hilfe bedürfen. 
Auch hier ist, wie ich an anderer Stelle zu zeigen hoffe, noch manches zu 
bessern, und auch hier leistet uns die experimentelle Psychologie wertvolle 
Dienste zu einer gerechten Beurteilung und zu einer richtigen Beratung und 
Fürsorge, die in gleichem Maße im Interesse des Staates sowie des Indi¬ 
viduums liegt. 


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336 


Literaturbericht 


Literaturbericht. 


Die kindliche Phantasie. 

Sammelbericht. 

Von Ingeborg Schönfeld. 

Das Problem der kindlichen Phantasie wird behandelt in Verbindung mit dem 
Gesamtseelenleben des Kindes bei Ernst Meumann 1 ), Paola Lombroso*), William 
Stern 3 ) und Karl Groos 4 ). Als besonderes Kapitel der schöpferischen Phantasie 
bespricht Ribot 1 ) die Phantasie des Kindes. Queyrat 9 ) weist den Anteil auf, den 
die Phantasie am kindlichen Spiel hat. Valentiner 7 ) und Lobsien 9 ) prüfen die 
Phantasie des Kindes auf Grund seines Aufsatzes. Über die Methoden zur Er¬ 
forschung und Beschreibung der Phantasie finden sich Angaben bei A. Fischer 9 ) 
und in der oben erwähnten Arbeit von Meumann. 

Material aus neuen Untersuchungen und spezielle Problemstellungen findet 
man in der Zeitschrift Kind und Kunst 10 ), bei Dyroff 11 ) und bei Giese**). Endlich 
sei noch genannt Meumann: Neuere Ansichten über die Phantasie des Kindes* 9 ) 
als eine Auseinandersetzung des Verfassers mit der Auffassung, die Wundt in seiner 
Völkerpsychologie von der Phantasie vertritt. 

Meumann zeigt in seinem Aufsatze u ), daß im heutigen wissenschaftlichen Ge¬ 
brauche das Wort „Phantasie“ in zyei Bedeutungen gefaßt wird. Für eine Gruppe 
von Psychologen wird Phantasie fast synonym mit Vorstellung überhaupt, so daß 
Phantasie für sie jede Art von gestaltender und bildender Tätigkeit ist, die über 
das passive Reproduzieren von Sinneseindrücken herausgeht. „Für diese 
Psychologen steht es dann von vornherein fest, daß die Abgrenzung eines spezielleren 
Phantasiebegriffs, durch welche wir eine besondere Gruppe oder Klasse geistiger 
Vorgänge innerhalb der übrigen intellektuellen Prozesse unterscheiden können, 
unmöglich ist.“ Gerade um die Abgrenzung des Phantasiebegriffs zur Schaffung 
eines wissenschaftlich brauchbaren terminuB technicus bemüht sich die andere 
Gruppe. Damit hängt der verschiedene Bedeutungsgrad zusammen, den die Psycho¬ 
logen den kindlichen Phantasieleistungen zubilligen. Die einen neigen dazu, alle 
Äußerungen des kindlichen Seelenlebens als Phantasie aufzufassen und dement¬ 
sprechend der Phantasie die Hauptrolle im Seelenleben des Kindes zuzuschreiben. 
Sie bezeichnen das Kindesalter geradezu als das Alter der Phantasie und sprechen 
von der Unbegrenztheit und Fülle der kindlichen Phantasie, die die der Erwachsenen 
weit übertreffe. Andre Forscher sind der Meinung, daß das, was man gemeinhin 
Phantasie des Kindes nennt, nicht als Phantasieleistung anzusprechen sei, daß die 


*) E. Meumann: Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik 
und ihre psychologischen Grundlagen. Bd. I. Leipzig 1907. 

s ) P. Lombroso: Das Seelenleben der Kinder; deutsch von Helene Goldstein. 

3 ) W. Stern: Die Psychologie der frühen Kindheit. Leipzig 1914. 

4 ) Karl Groos: Das Seelenleben des Kindes. Berlin 1911. 

*) Th. Ribot: Die Schöpferkraft der Phantasie (LTmagination Cröatriee) Bonn 1901. 

•) Queyrat: Le Jeu des Enfants. Paris 1906. 

7 ) Th. Valentiner: Die Phantasie im freien Aufsatze der Kinder und Jugend¬ 
lichen. Beihefte zur Zeitschr. f. angewandte Psychologie. Leipzig 1916. 

9 ) M. Lobsien: Über die Phantasie des Blindes. Pädagogisches Magazin, Heft 393, 
Langensalza 1910. 

°) A. Fischer: Methoden zur experimentellen Untersuchung elementarer Phan- 
tasieprozesse. Zeitschr. f. pädagogische Psychologie. Leipzig. 

10 ) Kind und Kunst. Illustrierte Monatshefte, Bd. 1—3. Berlin 1906—1909. 

**) A. Dyroff: Über das Seelenleben des Kindes. 2. Aufl. Bonn 1911. 

Ia ) Giese: Das freie literarische Schaffen bei Kindern und Jugendlichen, 2. TeiL 
Beihefte zur Zeitschr. f. angewandte Psychologie, Leipzig 1914. 

1S ) Zeitschrift für experimentelle Pädagogik, VT. Bd. Leipzig 1908. 

,4 ) a. a. O. S. 111. 


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Literaturbericht 


337 


kindlichen Phantasievorstellungen im echten und engeren spärlich und dürftig 
seien, wenn auch — das wird stets eingeräumt — die Phantasie alle übrigeriSeelen— 
tatigkeiten des Kindes in hohem Maße beeinflußt. Gewöhnlich findet man beide 
Auffassungen mit und nebeneinander. 

Meumann grenzt in seinen Vorlesungen 1 ) den Bereich der Phantasie ab von 
der Sphäre des Erinnerungslebens. Die Phantasievorstellungen unterscheiden 
sich von den Erinnerungsvorstellungen dadurch, daß sie 1. nicht dem Zwecke der 
Erinnerung dienen, 2. nicht den Charakter des beziehenden Denkens besitzen. 
Sondern es kommen ihnen, positiv gewandt, folgende Merkmale zu: 1. Der Vor- 
stellungs- und Denkinhalt interessiert als solcher. 2. Der Vorstellungsinhalt ge¬ 
winnt Wirklichkeitscharakter. 3. Die Phantasietätigkeit geht darauf aus, gegebene 
Vorstellungs- und Denkverbindungen zu lösen und neue kombinatorisch aufzubauen. 

Um die kindliche Phantasie zu beschreiben, stellt Meumann verschiedene Arten 
der Phantasiebegabung zusammen, wobei er betont, daß die Unterschiede relativ 
und fließend sind. Teils treten sie beim selben Individuum als verschieden be¬ 
dingte und verschieden verlaufende Phantasieprozesse auf, teils sind sie bei einzelnen 
Menschen graduell verschieden. Die Phantasie kann sein: 

aktiv (planmäßig) passiv (relativ planlos) 

anschaulich abstrakt 

lebhaft stumpf 

kombinatorisch-produzierend reproduzierend 


determinierend 
reich-produktiv 
subjektiv 
nüchtern-kritisch 


abstrahierend 
arm-unproduktiv 
objektiv 

phantastisch-unkritisch. 


Die Phantasie der Kinder ist nach Meumann mehr passiv, anschaulich, sub¬ 
jektiv, phantastisch-unkritisch. Daher ist sie scheinbar produktiv und lebhaft. 
Dieser scheinbare Vorzug ist aber Schwäche. Er ist bedingt durch den kindlichen 
Mangel an Kritik, Beurteilung und Bewertung des Phantasiegebildes, Unterordnung 
unter Wahrnehmung und Erinnerung. Daher kann man sagen, daß das Kind mehr 
phantastisch als phantasiebegabt ist. Aus Mangel an Hemmungen wird die Phan- % 
tasie der Kinder leicht zur Lüge. Diese ist deshalb nicht stets zu verstehen als 
Mangel an sittlichem Können und sittlicher Einsicht, sondern sie hängt zusammen 
mit Mangel an Kritik und Urteil, an Stärke der Richtung der Aufmerksamkeit auf 
das, worauf es beim Bericht ankommt, mit Laune, Suggestibilität, besonders mit der 
Absicht, durch Nachgiebigkeit ... (Gefallen erregen zu wollen) und Gedächtnis¬ 
schwäche. 

Die kindliche Phantasie ist mehr reproduktiv-nachahmend, denn sie betätigt 
sich fast ausschließlich im Anschluß an Gehörtes, Gelesenes, Gesehenes, 
Erlebtes. Als besonderes Merkmal kommt ihr die große und naive Bereitschaft 
zu, alle Objekte der Umgebung mit Phantasiegehalt zu erfüllen. Daher spielt die 
Personifizierung eine große Rolle, so wie die Einfühlung der Kinder und die Er¬ 
füllung der ihrer Erfahrung entrückten Dinge mit freien Zutaten, die zusammen¬ 
geht mit der Ärmlichkeit der Vorstellungen, so daß diese Phantasiezutaten durchweg 
Analogien aus dem engen Kreis der kindlichen Erfahrungen darstellen. 

Wenn auch die höhere Aktivität dem kindlichen Phantasieleben fehlt, so besitzt 
es dafür die niedere Aktivität, den reproduktiven Tätigkeitsdrang, der sich besonders * 
deutlich im Spiel kundtut. Hier zeigt sich dann auch ein allmählicher Fortschritt 
zur produktiven, selbständig schaffenden Phantasie in der Einfühlung, Belebung 
und Gestaltung. 

Auf dem gleichen Standpunkte steht Paola Lombroso. Sie geht davon 
aus, daß der Selbsterhaltungstrieb die treibende Grundkraft aller Äußerungen des 
kindlichen Seelenlebens sei. Dieser Selbsterhaltungstrieb äußert sich 1. in einem 
instinktiven Ausweichen vor Arbeit, Mühe, Qual, Unbequemlichkeit, Schmerz, 

2. in einer wahrhaft genialen Fähigkeit, aus allen Dingen Freude und Genuß zu 


■) S. 239 ff. 

Zeitschrift f. pttdagog. Psychologie. 


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schöpfen. Was wir Phantasie nennen, ist oft nichts als diese erste Betätigung 
des Seilesterhaltungstriebes. Kinder haben nur eine sehr geringe Phantasie. Wir 
nehmen mit Unrecht an, daß zum Beispiel die Märchen deshalb von Kindern so 
geliebt werden, weil ihre Phantasie gereizt würde von den wunderbaren und aben¬ 
teuerlichen Geschichten. Diese erschienen den Kindern ganz einfach und natürlich» 
um nichts wunderbarer als alle Geschehnisse der Wirklichkeit. Ihre Leichtgläubig¬ 
keit sieht, in Verbindung mit der kindlichen Trägheit, die sie mit dem geringsten 
Schein von Analogie mit dem, was sie schon kennen, von Logik und Vernunft* 
sich befriedigen läßt, wenn sie nach Erklärung suchen, in den Märchen eine Antwort 
auf viele Fragen. Und die Kinder wollen aufgeklärt sein über alles, wollen gern 
alle Dinge klar und deutlich sehen, denn jeder Zweifel und jede Unsicherheit 
quält sie. Diesen Wissensdrang befriedigen Märchen leichter und besser als alle 
wissenschaftlichen Erklärungen es tun könnten. Märchen deuten eine Menge von 
unbegreiflichen Naturgeschehnissen für kindliche Begriffe überraschend einfach 
und natürlich, schon weil der Anthropomorphismus des Märchens der kindlichen 
Tendenz zum Anthropomorphisieren entgegenkommt, die den Kindern deshalb so 
tief eingewurzelt ist, weil sie eben die leichteste Art und Weise ist, sich die Natur¬ 
erscheinungen zu deuten. 

Die Phantasie spielt dagegen eine Rolle beim Spiele der Kinder. Sie befähigt 
die Kinder, sich aus allen Dingen ein Spielzeug zu schaffen, und alle Erlebnisse, 
die sie gehabt oder die sie gehört haben, alle Geschichten, die sie kennen, nach¬ 
zuerleben und darzustellen. Und so ist das Spiel eine Quelle der Freude für die 
Kinder und zugleich eine mühelose Vorbereitung auf eine künftige, ernste geistige 
Tätigkeit. 

Auch Stern 1 ) betont, daß die einzelne Phantasievorstellung der Kinder unklar 
und arm an Inhalt ist. Gerade dieser Mangel aber fördert die Unbekümmertheit, 
mit der die Kinder darauflos phantasieren. Stern versteht unter Phantasie kein 
selbständiges, also abgrenzbares, Seelenvermögen. „Wäre die Phantasie, wie man 
es wohl früher annahm, ein selbständiges Seelenvermögen, das sich scharf gegen 
die anderen Vermögen der Anschauung und der Erinnerung abgrenzte, dann würde 
natürlich jedem Vorstellungsinhalte sofort seine Zugehörigkeit zu diesem oder 
jenem Seelenschubfach anzumerken sein; es würde die Phantasievorstellung ala 
subjektiver Schein, die Wahrnehmung und Erinnerung als Zeichen für objektive 
Tatbestände erlebt werden/ 4 Doch ist die Durchdringung von Wirklichkeitsleben 
und Phantasie eine Fundamentaltatsache des Seelenlebens. Jedoch kommen der 
Phantasie bestimmte Eigenschaften zu, die sie nicht mit anderen Seelenvermögen 
gemein hat: Jede Phantasievorstellung ist konkret und gleicht darin der Erinnerung 
und der Anschauung, unterscheidet sich dadurch aber vom Denken mit seinen 
abstrakten Inhalten. Die konkrete Bildhaftigkeit ist aber nicht wie bei Anschauung 
und Erinnerung Wirkung oder Nachwirkung von Eindrücken, sondern Ergebnis 
einer inneren Verarbeitung. Also ist ihr eigentümlich der Zug der Spontaneität 
Dm Schöpferische besteht aber nicht im Neusohaffen, sondern in der Verwendung 
gegebener Elemente. Nach dem Grade, in dem die Lösung und neue Verknüpfung 
gelingt, bestimmt man die „Beweglichkeit“ der Phantasie. Die „Anschaulichkeit“ 
richtet sich nach der Sinnfälligkeit der Phantasievorstellungen. Verschieden ist 
ferner die „Reizbarkeit“ der Phantasie durch Sinneseindrücke. Verwechslung von 
Phantasievorstellungen und wirklichem Erleben findet auch beim Kind nicht statt, 
41 wenn auch der Unterschied von Schein und Sein nicht immer so deutlich bewußt 
ist wie bei den Erwachsenen. Das Illusionsbewußtsein ist schon früh vorhanden. 
Je stärker die Illusionsfähigkeit der Phantasie ist, desto stärker ist die Lust, die 
das Kind empfindet, da mit der Illusion das Gefühl des Befreitseins von Hemmungen 
wächst, denen das Kind im wirklichen Leben überall unterworfen ist. 

Die unterste Stufe der kindlichen Phantasie ist das mechanische Assoziieren 
von Vorstellungen an gegebene Vorstellungs- und Sinnesreize, das durch die relative 
Dürftigkeit des vorgestellten Inhalts gefördert wird. Eine höhere Stufe ist das 
Symbolbewußtsein, d. h. das Kind hat ein Bewußtsein von der Diskrepanz zwischen 

*) Kap. XVI S. 184 ff. 


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Phantasievorstellung und dem Phantasiereiz, läßt sich aber dadurch nicht in seiner 
Illusion stören. Auf dieser Stufe „bedeutet“ das Objekt das Vorgestellte, sinkt 
lediglich zum Symbol herab. Der höchste Grad der Unbekümmertheit liegt dort 
vor, wo die Phantasie überhaupt auf ein gegenständliches Äquivalent verzichtet 
und geradezu der Halluzination ähnliche Leistungen ermöglicht. In der Spiel¬ 
phantasie ist eine besondere Nuance des halluzinatorischen Zuges enthalten, das 
„Hantieren mit dem Nichts“. (Stern gibt in seinem Werke eine große Menge von 
Beispielen zur Erläuterung seiner Darlegungen.) Durch die Unbekümmertheit 
ist die kindliche Phantasie grundsätzlich geschieden von der ästhetischen Phantasie 
des Künstlers und des Kunstgenießenden. „Denn zum Ästhetischen gehört, daß 
die Phantasievorstellung eine adäquate objektive Darstellung finde. Und weil eben 
für dieses Zusammenstimmen von innerem Gehalt und äußerer Gestalt dem kleinen 
Kinde noch ganz das Organ fehlt, ist das eigentliche Prinzip der Kunst ihm noch 
wesensfremd. Das muß hervorgehoben werden gegenüber einem Ästhetizismus, 
der womöglich schon um diese Zeit die „Kunst im Leben des Kindes“ kultivieren 
will. Die wahre Ähnlichkeit der kindlichen und der künstlerischen Phantasie 
liegt nicht auf dem Gebiete der Form, sondern auf dem der Illusionsfähigkeit» 
des spielenden Sich-Hinwegsetzens über Zwang und Enge der Wirklichkeit. Der¬ 
artige Phantasiebetätigungen sind aber, wie wir sehen, in den frühen Jahren ge¬ 
rade nur durch die Unbekümmertheit um die äußere Darstellung möglich; wird 
diese daher unterbunden, so findet leicht eine unerwünschte Beeinträchtigung 
der Phantasie statt.“ . 

Bei der Untersuchung, wie sich die einzelnen Phantasievorstellungen zu Phan- 
taaieketten zusammenschließen, fällt zunächst etwas Negatives auf: das Fehlen 
einer beherrschenden und zusammenfassenden Synthese im Gegensatz zum Vor¬ 
handensein einer „determinierenden Tendenz“ bei der Phantasie der Erwachsenen, 
besonders des Künstlers. Die kindliche Phantasie ist rein assoziativ bedingt und 
sprunghaft. Im Gegensatz dazu scheint ein anderes Merkmal zu stehen, das der 
Perseveration. Es gibt Phantasieketten, die in der eintönigen Wiederholung der¬ 
selben Glieder bestehen. Doch auch hier fehlt die Synthese. Erst mit steigendem 
4Jter wird das zu Leistende als Aufgabe antezipiert, und die Determination wird 
eine längere Zeit lang festgehalten, so daß nun zusammenhängende Phantasie¬ 
komplexe zustande kommen. Diese wachsende Fähigkeit hängt aber nicht nur 
von der eigentlichen Phantasieanlage ab, sondern ist letzten Endes bedingt durch 
die Stärke des Willenslebens. Außer der determinierenden Tendenz gibt es noch 
eine andere Bedingung, welohe allmählich größere Zusammenhänge in die kindliche 
Phantasietätigkeit bringt: die dauernde Einstellung. „Es können gewisse Bewußte 
seinsinhalte für einige Zeit eine Überwertigkeit gewinnen und daher in den ver¬ 
schiedensten Situationen als richtunggebende Zielvorstellungen wirksam sein. Das 
verbreitetste Beispiel hierfür ist die Auffassung der Puppe als einer bestimmten 
Individualität.“ 

Das Fabulieren zeigt uns in paradigmatischer Schärfe alle oben besprochenen 
Eigenschaften der kindlichen Phantasieketten. Zunächst hat das Kind eine rein 
stoffliche Freude an der Fülle und dem Wechsel anschaulicher Vorstellungen, die 
.es an sich vorüberziehen läßt. Das Interesse an Wahrheit und Unwahrheit und 
am logischen Zusammenhang tritt znnächst ganz zurück. Innerhalb der kindlichen 
Fabuliererzählungen kann man mehrere Gruppen unterscheiden, 1. die fremd- . > 
bezüglichen, die nichts mit der Person des Erzählers zu tun haben und die sich 
durch Zeitlosigkeit des Inhaltes auszeichnen (z. B. erfundene Märchen, Tier- und 
Puppengeschichten.) Diese Zeitlosigkeit verschwindet bei den egozentrischen 
Konfabulationen, die auf die Lebenszeit des Kindes in Vergangenheit, Gegenwart 
und Zukunft bezogen sind. Das Ausmalen künftiger Freuden ist jedem Fände 
eigen, beginnt aber erst mit dem 5. und 6. Jahre und bezieht sich meistens auf 
die nächste Zukunft. Werden die Konfabulationen auf die Gegenwart bezogen, 
so haben wir es mit dem eigentlichen Spiel zu tun. (Stern behandelt das Spiel 
in einem besonderen Kapitel XVIII.) Die auf die Vergangenheit bezogenen Phan¬ 
tasieerzählungen wirken der Form nach wie Aussagen über tatsächlich Erlebtes, 

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sind aber trotz des unwirklichen Inhalts nicht für Aussagefälschungen und Lügen 
zu halten, denn es fehlt ihnen der Charakter des Ernsterlebnisses. Sie sind Spiel. 
Eine illusionäre Spielrolle wird als vergangen erlebt. Über die Traumphantasie 
kann man wenig aussagen, da man auf die Kinderträume nur schließen kann au» 
dem Verhalten der Kinder während des Träumens, also nur aus Angstzuständen. 
Rufen, Nachtwandeln usw. Aus den Erzählungen der Kinder über ihre Träume 
kann man kein Material gewinnen, da die Erzählungen meistens in hohem Grade 
verquickt sind mit Konfabulationen. 

Was Groos vom Wesen der Phantasie sagt, beruht auf seiner Scheidung des 
Seelenlebens in die Vorstellungsseite und die Wertungsseite. Im Vorstellungs¬ 
leben ist zu unterscheiden das Material und die Synthesen des Materials. Das 
Material sind die sensorischen und die reproduktiven Daten. Letztere können 
selbständig als \ orstellungen im engeren Sinne auftreten und unselbständig in 
Verwechslung mit sensorischen Daten, die uns in den Sinnesempfindungen gegeben 
sind. Vorstellungen teilt er ein im Gegensatz zu der gewöhnlichen Unterscheidung 
von Erinnerungs- und Phantasiebildem in Vergangenheitsbilder, Zukunftsbilder 
und freie Imaginationen. Die Synthesen des Materials teilt Groos ein in zwei 
Gruppen, die er Verknüpfungen und Verwachsungen nennt. „Dieser Unter¬ 
scheidung 1 ) liegt die fundamentale Tatsache zugrunde, daß die in einem Bewußt¬ 
seinsfelde vereinigte Mannigfaltigkeit zeitlich-räumlich auseinandergehalten sein 
kann. Wo dies der Fall ist, wo also das Mannigfaltige in einem Feld des Bewußt¬ 
seins vereinigt und doch zugleich räumlich oder zeitlich gesondert ist, sprechen 
wir im Anschluß an Külpe von Verknüpfungen.“ „Es gibt auch Synthesen, die 
sich als die Einheit eines nicht zeitlich oder räumlich gesonderten Mannigfaltigen 
darstellen. Weil diese Sonderung fehlt, handelt es sich hierbei um viel engere 
Verbindungen. Wir wollen sie .... Verwachsungen nennen. Die Verwachsung 
scheint für das naive Bewußtsein gar nichts Mannigfaltiges zu enthalten, während 
die aufmerksame, auf Analyse gerichtete Beobachtung entweder tatsächlich ver¬ 
schiedene Inhalte an ihre Stelle treten sieht, oder doch mittelbar zu dem Schluß 
gelangt, daß Inhalte, die gesondert erlebt werden können, hier zu einer einheit¬ 
lichen Gesamtwirkung ineinandergefügt sind.“ „Es ist einleuchtend, daß auch die 
Verknüpfungen und Verwachsungen nur in der Abstraktion zu trennen sind Jede 
Verwachsung schaltet sich dem zeitlichen Verlauf des Erlebens und damit zeit¬ 
lichen Verknüpfungen ein; ebenso enthalten die Teile einer Verknüpfung immer 
Verwachsungen. Eine weitere Art von Synthesen existiert auf der Vorstellungs¬ 
seite nicht.“ 

Die Phantasie des Kindes umfaßt die Illusionsfähigkeit und die Kombinations¬ 
fähigkeit. Die kombinatorische Phantasie besteht in Verknüpfungen reproduktiver 
Daten. Die Phantasie kann von jeder der oben erwähnten drei Gruppen repro¬ 
duktiver Daten Gebrauch machen. Es ist möglich, ein Idealbild der Vergangenheit 
zu entwerfen, aber das Hauptgebiet der kombinatorischen Phantasie ist bei den 
freien Imaginationen und den Zukunftsbildern zu suchen. Die Kombinations¬ 
fähigkeit ist ermöglicht durch die Gesetze der Assoziation. Das ordnende Prinzip 
ist die Nachwirkung oder „Sekundärfunktion“ der „Obervorstellungen“. Was Groos 
damit meint, führt er an anderer Stelle aus*). „Auch wenn eine Vorstellunga, auf 
welche assoziativ eine zweite Vorstellung b gefolgt ist, für das Bewußtsein ver¬ 
schwindet, so wird der ihr zugrunde liegende Erregungsprozeß doch nicht sofort 
zur Ruhe kommen. Es bleibt vielmehr für kürzere oder längere Zeit eine Nach¬ 
erregung (Sekundärfunktion) bestehen, deren Vorhandensein bei absichtlich fort¬ 
gesetzten Assoziationsketten durch das nicht seltene „unmotivierte“ Wiederauf¬ 
tauchen der Ausgangsvorstellungen erwiesen wird. (Wenn beim Experiment die 
Assoziationen ins Stocken kommen, kann man das sehr häufig beobachten.) Diese 
Nacherregung a wird nun nicht ohne Einfluß sein, wenn von b aus verschiedene 
Wege offen stehen. Nehmen wir z. B. an, es seien drei Möglichkeiten c 1 , c*, c* ge- 

Ä ) S. 34—35. 

*) Otto Groß: Die cerebrale Sekundärfunktion. 1902. 


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geben, die an sich alle eine gleiche Reproduktionstendenz besitzen würden, sofern 
nur b in Betracht käme, von denen aber c 1 auch in einem Berührungsverhältnis 
mit a steht, so ergibt sich von da aus die Begünstigung von c 1 . Und wenn wir 
uns von da aus weiter Möglichkeiten d 1 , d 2 , d 3 vorstellen, so wird die Nacherregung 
von a, b und e 1 abermals diejenige unter ihnen begünstigen, die in derselben 
Richtung liegt.* 4 Auf solche Weise wird die schöpferische Tätigkeit der Phantasie 
erst möglich gemacht. 

Die Leistungen der Phantasie sind 1. das Vergrößern und Verkleinern, analog 
5 k** Erinnerungstäuschungen von quantitativem Charakter, das bis zur bewußten 
Übertreibung geht. 2. Das Ablösen einzelner Eigenschaften von einem Komplex 
und ihre Übertragung auf ein anderes Ganzes. 3. Die assoziative Vereinigung von 
ganzen Vorstellungskomplexen, die noch nicht oder nicht so vereinigt waren, als 
Hauptleistung der kombinatorischen Phantasie. Auch Groos unterscheidet wie 
Stern als erste Gruppe die reagierenden Assoziationen. Dann folgt das Kom¬ 
binieren mit Attraktionszentrum, nach einer Idee, einem Einheitsprinzip. Auch 
Groos geht hier auf den Unterschied der kindlichen Phantasie von der des Künstlers 
ein 1 ). „Und wenn beim Künstler eine solche Idee nur ein schwach umrissener 
Aufbau von Vorstellungen zu sein pflegt, der sich während der Ausarbeitung viel¬ 
fach verändert, so ist das hier bei dem Kinde , noch viel deutlicher zu erkennen. 
Renn der Künstler arbeitet doch in viel höherem Maße aktiv und planmäßig, 
während die Phantasie des jüngeren Kindes passiver ist und leichter die Richtung 
ändert.** Aus der Fähigkeit so zu kombinieren, entwickelt sich bei manchen Kindern 
eine Fertigkeit des Erzählens. „Andere Kinder knüpfen an eine beliebige Ge¬ 
schichte oder an einen dem Leben entnommenen Gedankenkreis an und 
spinnen das Thema in einsamen Träumereien selbständig weiter, ohne ihre Er¬ 
findungen dem Papier anzuvertrauen. Ein solches Naohträumen, das der künst¬ 
lerischen Produktion näher steht, als das Träumen im Schlafe, ist vermutlich ver¬ 
breiteter als man weiß. Die meisten Menschen, Kinder wie Erwachsene, verschließen 
dieses verschwiegene Walten tief in der Brust, und manche mögen ihr Leben lang 
in dem innigsten Verkehr der Liebe oder Freundschaft stehen, ohne je durch ein 
Wort die geheime Traumwohnung zu verraten, in die sie sich täglich zurückziehen 
und deren Schlüssel sie niemals ausliefem. Hier stoßen wir auf.... relativ ab¬ 
geschlossene Erlebnissphären.** Um so kecker zeigt sich eine andere Phantasie¬ 
leistung der Kinder am hellen Tageslicht? nämlich das Lügen, Als Phantasieleistung 
kommen weder die „heroische** noch die „Partei**lüge oder die „egoistische** Lüge 
in Betracht, sondern die „phantastische** und die „pathologische** Lüge. 2 ) „Die 
phantastische Lüge umfaßt die mancherlei Einbildungen und partiellen Selbst¬ 
täuschungen, die in den Spielen des Kindes überall so deutlich hervortreten: das 
Kind gibt vor, ein Bär, ein Soldat zu sein etc. Eine letzte Gruppe ist endlich 
durch die pathologische Lüge vertreten, welche von der krankhaften Neigung 
zum Prahlen und der Lust, Aufsehen zu erregen, bis zu der eigentlichen „Lügen¬ 
sucht** reicht, die als ein unwiderstehlicher Trieb alle Motive der Klugheit und 
des Interesses überwindet.“ Eine Abart der phantastischen Lüge erblickt Groos 
im „erklärenden Mythus“, einer phantasiemäßig erfundenen Geschichte zur Er¬ 
klärung einer sonst unerklärbaren Tatsache. 


Bei der Illusionsfähigkeit hat man es zu tun mit Verwachsungen sensorischer 
und reproduktiver Daten. Nicht in Betracht kommt hier diejenige Art von Illusion, 
die in einem wirklichen Getäuschtwerden besteht und keine Phantasieleistung 
darstellt, sondern die „bewußte Selbsttäuschung“, bei der sich außer der unrich¬ 
tigen Apperzeption auch die richtige Auffassung im Bewußtsein geltend macht. 
Die Illusion bedeutet hier einen um seiner selbst willen freudebringenden Zustand, 
„den man als ein Spiel der Phantasie bezeichnen kann“, ein Aufgehen in dem 
phantasiemäßig Erlebten, wobei die objektiv richtige Auffassung auf dem Grunde 


l ) S. 161. 

) Die Einteilung übernimmt Groos von Stanley Hall: Ausgewählte Beiträge 
zur Psychologie und Pädagogik. Deutsch von Stimpfl 1902. 


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der Seele liegt und ihre Wirkungen ausübt. Solche Annahmen nennt Groos nach 
Meinong „Phantasieurteile“, die mit gewöhnlichen Urteilen in allem übereinstimmen, 
außer im Punkte der Überzeugung. Einen Unterschied, den Meinong dem analog 
zwischen wirklichen Gefühlen und Phantasiegefühlen als etwas bloß Gefühlsartigem 
aufstellt, will Groos jedoch nicht gelten lassen und verweist auf Meinongs Schüler 
Witasek, der meint 1 ): „Vielleicht aber lassen sich die erfahrungsmäßig vorliegenden 
Unterschiede zwischen ... Phantasie- und Ernstgefühl nur lediglich darauf zurück¬ 
führen, daß jenes Annahmen, dieses Urteile zur Voraussetzung hat.“ Die Be¬ 
dingungen für die bewußte Selbsttäuschung sind nicht zu starke und nicht zn 
schwache Nachwirkung der richtigen Auffassung und eine nicht zu große Ähnlich¬ 
keit zwischen dem Dargebotenen und dem wülkürlich Aufgefaßten. Bei der be¬ 
wußten Selbsttäuschung kann man einen Unterschied machen zwischen dem, was 
Groos der Halluzination in der unbewußten Selbsttäuschung analog nennt, 
und der Illusion im engeren Sinne. Der Halluzination entspricht das Anhören 
und Lesen von Märchen und anderen Erzählungen, d. h. der äußere Anlaß der 
Phantasievorstellungen (Stimme des Erzählers, gedrucktes Papier) kommt nicht 
in Betracht. „Geht nun hierbei der Hörende oder Lesende so Völlig in dem In¬ 
halt des Erzählten auf, daß die reale Umgebung in seinem Bewußtsein immer mehr 
zurücktritt, während die von dem Bericht erregten Vorstellungen, begleitet von 
verschiedenartigen Wertungen und unterstützt durch hinzutretende Organempfin¬ 
dungen, das Feld beinahe für sich allein behaupten, so nähert sich sein Zustand 
unverkennbar den Halluzinationen eines Hypnotisierten an, nur daß sich die voraus- 
gegangene und wiederkehrende Auffassung der realen Umgebung in der für die 
bewußte Selbsttäuschung charakteristischen Weise geltend macht.“ Hierher ge¬ 
hört auch das naive ästhetische Genießen. Mit Illusion im engeren Sinne haben 
wir es bei den eigentlichen Illusionsspielen zu tun. „Ob nun die unbestimmtere 
sinnliche Auffassung oder eine weitergehende Verengerung des Bewußtseins oder 
die damit zusammenhängende schwächere Nachwirkung der objektiv richtigen 
Apperzeption den Hauptgrund bildete: jedenfalls haben wir hier eine Erscheinung 
vor uns, die zu dem oftgehörten und in Hinsicht auf die Kombinationsfähigkeit 
irrigen Ausspruch berechtigen kann, daß das Kind „mehr Phantasie“ habe als der 
Erwachsene.“ Bei der bewußten Selbsttäuschung im Spiel handelt es sich um ein 
doppeltes: Nicht nur die äußere Gestalt des Vorgestellten wird in beliebige Ob¬ 
jekte hineingesehen, sondern es findet aAch ein Hinein verlegen psychischer Vor¬ 
gänge in den toten Gegenstand statt. 

In seinem Werk über die schöpferische Phantasie behandelt Ribot die pro¬ 
duktive Phantasie der Kinder im Zusammenhang mit der Entwicklung der Phan¬ 
tasie. 1 ) Der Zeitpunkt, in dem die schöpferische Phantasie beim Kinde auftritt, 
ist nicht*genaii zu bestimmen, denn sie löst sich ganz allmählich von der produk¬ 
tiven Tätigkeit des Geistes los. Gleichwohl ist aus organischen und psychologischen 
Gründen ihre' Entwicklung eine ziemlich späte. Die organischen Gründe liegen 
in der erst später erfolgenden Isolierung und Differenzierung der Sinnes- und 
Assoziationszentren. 3 ) Die psychologischen Gründe leuchten ein, wenn man sieh 
erinnert, daß die Phantasie eine Bildung dritter Ordnung ist. „Sie setzt ein 
Erstes (Empfindungen und einfache Erregungen) und ein Zweites (die Bilder und 
ihre Assoziationen, gewisse logische Elementaroperationen usw.) voraus.* 4 Das 
Kind muß nun erst volle Sicherheit erlangt haben in der Ausübung der primären 
und sekundären Operationen, ehe die schöpferische Phantasie möglich ist. Ribot 
sagt dann weiter: „Mit Baldwin kann man vier Epochen in der geistigen Ent¬ 
wicklung beim Kinde unterscheiden: 1. die affektive (rudimentäre Sinnesempfindung, 
Lust und Schmerz, einfache motorische Anpassungen), 2. und 3. die objektive* in 
der der Verfasser zwei Stadien unterscheidet: im ersten Erscheinung der besonderen 
Sinne, des Gedächtnisses, der Instinkte, besonders zu Verteidigungszwecken, der 


*) Grundlinien der Psychologie, Leipzig 1908. S. 331. 

*) S. 72. 

a ) Ribot stützt sich hier auf Flechsig: Gehirn und Seele, 1896. 


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Nachahmung, im zweiten ein kompliziertes Gedächtnis, komplizierte Bewegungen, 
aggressive Aktionen, rudimentärer Wille. 4. Die subjektive oder endgültige Epoche 
(bewußte Gedanken, fester Wille, ideale Gefühle). Wenn dies Schema der Wirk¬ 
lichkeit entspricht, muß die Entstehung der Phantasie in die dritte Epoche (d. h. 
das zweite Stadium der objektiven Epoche) verlegt werden, welche die für ihre 
Entstehung und Entwicklung notwendigen und ausreichenden Bedingungen erfüllt.“ 
Hei der Entwicklung der kindlichen Phantasie lassen sich wiederum vier Haupt¬ 
stadien unterscheiden, deren zeitliche Reihenfolge natürlich nicht unabänderlich 
feststeht. Das erste Stadium ist charakterisiert durch die langsame Entwicklung 
der produktiven Phantasie aus der reproduktiven. Ihr Haupttyp ist die Illusion, 
eine Zwischenform, die, ohne Schöpfung im eigentlichen Sinne zu sein, aus Er¬ 
innerungsbildern bestehende Konstruktion ist. Ihren wirklichen Charakter zeigt 
die schöpferische Phantasie im zweiten Stadium, in der Form des Animismus, 
der Belebung aller Dinge, die auf einer Art Autosuggestion beruht und etwas 
Wirkliches als Stütze braucht, so gering es auch sei, das der Phantasievorstellung 
Objektivität gibt. Das dritte Element des Animismus ist der Glaube, d. h. die 
auf rein sübjektive Gründe gestützte Bejahung des Geistes, die abhängt von den 
motorischen Elementen unserer Organisation. Vollständig ist diese Bejahung nicht, 
denn es liegt keine Verwechslung von Phantasie und Wirklichkeit vor. Das dritte 
Stadium fällt zeitlich mit dem zweiten zusammen, das Spiel, das eine Kombination 
von Bewegungen und Büdern darstellt. Es beginnt mit Nachahmen und entwickelt 
sich zu kühneren Versuchen, Ideen, die dem Kinde vorschweben, zu verwirklichen. 
Im vierten Stadium tritt die romantische Erfindung auf, die rein innerlich und 
nur mit Bildern arbeitend, ein größeres Verständnis erfordert. Sie erwacht im 
dritten'oder vierten Lebensjahre. Die Freude der Kinder an Geschichten und 
Erzählungen ist ein Vorspiel zur Schöpfung, ein halb passiver, halb aktiver Zu¬ 
stand. Die ersten Versuche sind mehr Nachahmungen als Neuschöpfungen. „Die 
Phantasie arbeitet in zwei Richtungen. Die eine, hauptsächliche, ersinnt Spiele, 
erfindet Erzählungen und bereichert die Sprache. Die andere, nebensächliche, ent¬ 
hält den Keim eines Gedankens und wagt eine chimärische Erklärung der Welt, 
die noch nicht aus abstrakten Begriffen und Gesetzen verstanden werden kann.“ 

Queyrat schreibt in seinem Buche über das Spiel der Kinder in Überein¬ 
stimmung mit Ribot der kindlichen Phantasie folgende Tätigkeiten zu: I. das 
phantasiemäßige Aufnehmen von Sinneseindrücken (perception illusoire), das be¬ 
steht 1. in der Deutung von Sinneseindrücken nach dor Erfahrung (einen Ton als 
Glockenton), 2. im Deuten von Formen in Formlosem, 3. in der Umformung der 
Wirklichkeit, 4. in der Üertreibung und Umformung auf Grund ungenauer Erfah¬ 
rung, H. die Belebung aller Dinge, die stattfindet 1. im Glauben an überall ver¬ 
breitete Naturwesen, 2. in der Personifikation von Sachen, 3. in der Personifikation 
von Abstraktionen, HI. das Spiel, dem die Hauptausführungen des Buches ge¬ 
widmet sind; IV. in der romantischen Erfindung, die auftritt a) als Belebung der 
wirklichen Welt mit Personen, die das Kind aus Geschichten kennt, b) als Vor¬ 
stellung einer ganzen Begebenheit nach Anreiz eines Wortes, einer Erzählung, c) als 
Selbsterfindung von Erzählungen, sei es, daß die Kinder nachdenken über das, 
was ihnen auf fällt und es sich zu erklären suchen, oder daß sie Gehörtes weiter¬ 
spinnen oder ganz selbständig Geschichten erfinden. 

Queyrat kommt im Verlaufe seiner Darlegungen über das Spiel noch einmal 
auf die kindliche Phantasie zu sprechen und zeigt den Anteil, den die Illusion 
am Spiele hat. Zunächst ist dem Kinde, so meint er, die Illusion bewußt. Dann 
Vergißt es, daß es „eine Rolle spielt“, und scheint ganz in der Wirklichkeit zu 
leben. Daher sind die Kinder gekränkt, wenn die Illusion geBtört wird, wenn z. B. 
ein Fremder dazukommt, oder wenn andere Kinder nicht imstande sind, sich in 
die gleiche Rolle zu versetzen. Es gehört zu dem Wesen der Illusion, daß 1. ein 
Vorstellungskomplex in dem Kinde vorhanden ist, daß 2. eine noch so geringe 
Unterstützung von Seite der Wirklichkeit stattfindet, daß 3. der Glaube an die 
Illusion vorhanden ist. Die Stärke der Illusion erklärt Queyrat auch dadurch, 
daß Vernunft, Erfahrung und Kenntnis der Naturgesetze noch nicht stark genug 


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Literafcurbericht 


sind, um die Illusion zu zerstören. Doch verhindern andererseits die Umstände 
des Spiels selbst und das Bewußtsein seiner eigenen Tätigkeit, daß das Kind sich 
nicht völlig täuschen läßt. 

Lobsien und Valentiner untersuchen die Phantasie des Kindes auf Grund 
seines Aufsatzes. Valentiners Untersuchung zeichnet sich durch ein besonders 
reiches Untersuchungsmateried aus. Er läßt die Kinder eines von fünf Themen 
wählen und darüber einen freien Aufsatz schreiben, nachdem er einen Anfangs¬ 
satz gegeben hat, und untersucht die einzelnen Phantasievorstelllungen des vor- 
liegenden Materials auf ihre typische und symptomatische Bedeutung hin und sucht sie 
zu begreifen in Beziehung auf eine größere Einheit, eine besondere Schaffensart und 
einen besonderen Schaffensgegenstand der Phantasie. Bei diesem Verfahren — 
Valentiner nennt es selbst das synoptische — erhält er eine Anzahl typischer Büder, 
die jeweüs einen Abschnitt aus der gesamten Phantasieleistung zusammenfassend 
darstellen. Diese Bilder erscheinen einmal als geistige Produkte einer größeren 
Anzahl von Schülern, die nach Alter, Geschlecht, Begabung zusammengehören. 
Weiter aber erscheinen sie auch als Komplexe von Phantasieleistungen einer be¬ 
stimmten Schaffensart. Es ergab sich nämlich, daß das eigentlich Charakteristische 
in der Regel drei verschiedenen Typen angehört, dem Kindheitsty p(9—13 Jahre), 
dem jugendlichen (14—15 Jahre) und dem Typ der über lß Jahre alten Kinder. 
Ferner ^rgab sich, daß die Phantasie der Kinder in drei Erscheinungsformen auf¬ 
trat: 1. sie vermenschlicht leblose Dinge und Tiere, 2. sie verknüpft das Ich und 
Ichbestimmungen mit Vorstellungsgrenzen, die ohne diese Beziehungen lediglich 
Reproduktionen wären, 3. sie erschafft Bilder, Situationen, Szenen, ganze Erzäh¬ 
lungen. Dazu kommen noch andere Phantasieleistungen, die mit den genannten 
Zusammenhängen. Am einfachsten veranschaulicht vielleicht das folgende Schema 
die Art und die Ergebnisse von Valentiners Untersuchung. Es gibt zugleich eine 
Übersicht über die Quellen der Phantasie. (S. Tabelle S. 345.) 

Löbsien schreibt fünf Worte an die Tafel und läßt darüber freie Aufsätze 
schreiben. Er untersucht das Material auf die Qualitäten der Phantasie hin, wie 
sie sich in den einzelnen Gedanken äußert. Er gebraucht zur Vereinfachung der 
Feststellung ein Schema, dem die von Meumann 1 ) aufgestellten Eigenschaften der 
Phantasie zugrunde liegen in Verbindung mit einem anderen Einteilungsprinzip, 
auf das auch Meumann hinweist und das sich nicht ergibt aus dem Wesen der 
Phantasie, sondern sich bezieht auf die Gegenstände und Richtungen der Phan¬ 
tasie. „Darunter*) sind zwei Hauptgruppen zu unterscheiden, die Phantasie kann 
gerichtet sein auf das intellektuelle Gebiet und auf Werte. Innerhalb des ersten 
Gebiets ist ihre Tätigkeit gerichtet entweder auf die Lösung und Kombination 
rein sinnlich anschaulicher Momente oder auf abstrakte Gedankenreihen. Innerhalb 
der Werte kann die Phantasie gerichtet sein auf praktische, ethische, ästhetische 
oder religiöse.“ 

„Offenbar lassen sich zwischen diesen beiden Einteilungen, der psychologischen 
und der objektiven, mancherlei Beziehungen herstellen; denn die eine weist die 
Ziele, die andere die Art der Phantasietätigkeit auf. Weil aber die Form der Phan¬ 
tasiebetätigung doch auch von ihrer Richtung abhängig ist, lassen sich bei einer 
Vereinigung beider Schemen mehrere der formalen Bestimmung en streichen. In 
Frage kommen die Bezeichnungen: anschaulich-abstrakt, und ab B trahierend-deter¬ 
minierend, d. h. für das intellektuelle Gebiet der Phantasiebetätigung; für das 
andere behalten sie natürlich ihren Wert. Demnach bleiben zweimal sechs und 
vier mal acht, zusammen achtunddreißig Möglichkeiten verschiedener Phantasie¬ 
betätigung bestehen, bezw. sechsundsiebzig — eine sehr große Anzahl! Die 
Schwierigkeit wächst noch besonders dadurch, daß die Unterschiede alle relativer 
Natur sind. Ist schon nicht einmal leicht, für die schriftliche Arbeit eines Schülers 
die Abwertung vorzunehmen, so steigert sich die Schwierigkeit noch erheblich* wo 
es darauf ankommt, die einzelnen Schüler gegeneinander abzuschätzen.“ Immer- 


l ) Siehe oben. 
■) S. 23. 


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346 


Literaturbericht 


hin kommt Lobsien zu folgenden Hauptergebnissen: 1 ) „Die Phantasietätigkeit hat bei 
keinem der Prüflinge ganz versagt, sie ist überall nachweislich. Als typisch gilt 
für alle untersuchten Prüflinge» mit geringer Ausnahme, daß die Phantasietätigkeit 
gerichtet ist auf intellektuelle Dinge und unter diesen nach der Seite der An¬ 
schauung, Abstrakta finden wir nie, Werte höchst selten bestimmend. Das trifft 
sowohl bei armer wie bei reicher Phantasiebegabung zu. Die Art und Weise der Be¬ 
tätigung muß als nüchtern charakterisiert werden.“ 

Phantasie. 


Intellektuell 


Richtungen 


aktiv 

lebhaft 


anschau¬ 

lich 


abstrakt 


prak¬ 

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kombinatorisch-produk¬ 

tiv 

reich 

subjektiv 

phantastisch 

* anschaulich 

* abstrahierend 
passiv 
stumpf 

reproduzierend 

arm 

* determinierend 
objektiv 

nüchtern-kritisch 


Wert 


ethisch 


ästhe¬ 

tisch 


religiös 


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„Vergleicht man die einzelnen Gruppen untereinander, dann wird man zwar 
sagen dürfen, daß, je umfangreicher die Phantasiebegabung ist, auch die Art ihrer 
Betätigung im allgemeinen mannigfaltiger wird, man sieht sich genötigt, zur Charak¬ 
terisierung des Individuums immer mehr Bezeichnungen zu wählen, immer mehr 
Mischformen zu konstatieren Größere qualitative Mannigfaltigkeit und Umfangs- 
erweiterung quantitativer Art gehen durchweg Hemd in Hand. Den Grundein¬ 
schlag bildet trotz aller Umfangserweiterung die anschauliche Richtung der Phan¬ 
tasietätigkeit, und diese Anschaulichkeit der Richtung ist wohl auch die Haupt¬ 
grund läge für die nüchterne Art der Betätigung.“ 

„Hier und dort konnte die Phantasiebetätigung als phantastisch charakterisiert 
werden. Das äußerte sich teils in sprunghaften, unvermittelten Übergängen, im 
Anfügen von Glückszufällen, im Drang in die Feme und Weite — oft war es 
nicht zu entscheiden, ob diese Betätigung eine natürliche oder durch Lektüre von 
Märchen und Sagen angelernte Eigenart war. Doch war im allgemeinen die Neigung 
zu Phantastereien in sehr geringem Maße vorhanden. 

Ethische und ästhetische Richtungen der Phantasiebegabung waren nur in 
einzelnen Fällen auffindbar und nur bei reicher Phantasiebegabung.“ 

Wir haben in den oben besprochenen Arbeiten schon mehrere Methoden kennen 
gelernt, die zur Erforschung der kindlichen Phantasie führen können. Die Mehr¬ 
zahl der Forscher benützt die phänomenologische Methode. Sie beschreiben und 
deuten die ihnen vorliegenden Tatsachen, die sie auf Grund von Beobachtung an 
sich selbst oder Kindern festgestellt haben oder die sie aus Erzählungen und Be¬ 
richten anderer entnommen haben, eine Methode, die stets die wichtigste Aufgabe 
bei der Erforschung der Phantasie zu lösen haben wird. Die beiden letzten Ver¬ 
fasser haben die experimentelle Methode angewandt, indem sie zum Zweck der 
Untersuchung Bedingungen schufen, die die Betätigung der kindlichen Phantasio 


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4 ) S.. 41—42. 

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Literaturbericht 


347 


zur Folge hatten. Beide gehören zu der Gruppe, die A. Fischer in seiner Be¬ 
sprechung der Methoden 1 ) Methoden der Erfindung nennt. Die Methode der Er¬ 
findung besteht in der Stellung von Aufgaben, deren Lösung nicht ohne Kom¬ 
bination oder Antizipation möglich ist. Fischer schlägt folgende Arten der Methode 
als brauchbar vor: Die Stichwortmethode (wie sie Lobsien angewandt hat) besteht 
darin, daß den Kindern ein oder mehrere Wörter gegeben werden, über die sie 
einen Aufsatz schreiben sollen. Oder man gibt ihnen einen „Anfang“, eine Ausgangs¬ 
situation (wie Valentiner), da es den Kindern bekanntlich am schwersten wird, 
einen Anfang zu finden, so daß mitunter die ganze Phantasietätigkeit durch diese 
Schwierigkeit gehemmt wird. Oder „man erzählt 3 ) den Kindern ein Märchen, eine 
Sage oder Geschichte bis zu einem bestimmten Punkt bzw. man liest sie vor, 
vielleicht bis mitten in die Verwicklung hinein, oder bis die Katastrophe in Sicht 
tritt. Dann wird abgebrochen mit der Instruktion, den Schluß zu finden.“ Oder 
das Kind wird veranlaßt, zu einer Geschichte, deren Schluß ihm nicht behagt, 
einen neuen Schluß zu finden. Eine Variante dieser Methoden ist die Methode 
der Parallelerfindung, d. h. „Kindern wird eine Geschichte erzählt mit einer be¬ 
stimmten Lehre oder einem gewissen Schlußeffekt und daran die Aufforderung 
geknüpft eine ähnliche Geschichte zu erfinden. Ein andermal ist der Ausgangs¬ 
punkt eine zyklische Zeichnung wie in unseren Witzblättern oder bei Busch, und 
die Versuchsinstruktion verlangt vom Kinde eine ähnliche Szenenfolge. Die Methode 
läßt viele Anwendungen zu, wenn man die Aufgaben enger und weiter faßt, das 
Gebiet, auf dem sich die Parallelerfindung bewegen soll, bereits festlegt oder offen 
läßt, die Methode erlaubt die Verwendung auch im Klassenexperiment.“ Grüne¬ 
wald 3 ) hat diese Methode angewandt, indem er eine Anzahl Kinder im Anschluß s 
an Geschichten aus dem Lesebuche ähnliche Erzählungen nachbilden oder frei er¬ 
finden ließ. Man wird bei diesen Experimenten nie reine Phantasieleistungen er¬ 
halten. Jedenfalls darf man aber eine starke Beteiligung der Phantasie der Bänder 
voraussetzen. Fischer empfiehlt ferner die Analyse der Träume, speziell der Wach¬ 
träume für das Studium der Phantasie, obwohl der Traum auch keine reine Phan¬ 
tasieleistung ist, sondern wesentlich eine unwillkürliche Assoziation von Büdem 
und Einfällen. 

Um festzustellen, wie stark eine Reproduktion vom Originaleindruck abweichen 
muß oder welcher Art, wenn sie den Charakter der Phantasie annehmen soll, dienen 
die Reproduktionsmethoden. „Der Methode der Reproduktion stehen heute die 
günstigsten Anwendungsmöglichkeiten offen. Man kann entweder einen einzelnen 
Eindruck als Reiz verwenden, diesen verschieden nach dem Sinnesgebiet und dem 
Grade der Zusammengesetztheit wählen, oder man kann kürzere und längere, nach 
einem bestimmten Prinzip aufgebaute Reihen von Eindrücken als Material ver¬ 
wenden. Variiert man Länge, Einprägezeit, Abstand, so können die einzelnen, 
ursächlichen Momente einigermaßen isoliert werden.“ 

Meumann empfiehlt in seinen Vorlesungen 4 ) als brauchbar außer den Repro¬ 
duktionsmethoden „die Untersuchungen der Aussage des Kindes zur Kontrolle des 
Verhältnisses von Phantasie, Wahrnehmung, Erinnerung, Urteil, sowie jede wirk¬ 
liche Kombinationsmethode“. Dazu gehört die Methode von Ebbinghaus, die darin 
besteht, den Kindern Sätze zur Ergänzung vorzulegen, bei denen Wörter und 
Silben ausgelassen sind. Meumann ändert diese Methode dahin ab, daß er die 
doppelte Aufgabe stellt, 1. die Auslassungen in einem Text einmal auszufüllen, 

2. die Ausfüllung mehrfach, mit synonymen Worten vorzunehmen. Er will damit 
die sprachlichen Fähigkeiten der Bänder von ihrer Ergänzungsgabe für seine Leistung 
trennen. Ferner kommt in Betracht das Verfahren von Heilbronner 6 ), der stufen- 


l ) Siehe oben. *) S. 500. 

a ) Versuch einer Prüfung der kindlichen Phantasietätigkeit. Pädag.-psycho 1. 
Studien 1900. S. 67 ff. 4 ) S. 250 ff. 

# ) Karl Heilbronner, Zur klinisch - psychologischen Untersuchungstechnik, 
Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie von Wemicke und Ziehen, XVII. 
Heft 2, S. 115 ff. 

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348 


Einzelbesprechungen 


weis aneinandergereihte, allmählich an Vollständigkeit zunehmende schematische 
Zeichnungen wiedererkennen und interpretieren läßt. 

Als Ergänzung zu den beiden Arten der Methoden, der phänomenologischen 
und der experimentellen, erwähnt Fischer noch ganz kurz andere Möglichkeiten, 
die zur Erforschung der Phantasie in besonderen Zusammenhängen dienen, die 
biographische Methode, die besonders die Entwicklung der Funktion der Phantasie 
in einzelnen Individuen verfolgt, die charakterologische, welche Stellung und Be¬ 
deutung im Zusammenhang eines Begabungs- und Charaktertypus studiert, die 
völkerpsychologische, die auf den Anteil der Phantasie an den Schöpfungen der 
Kultur abzielt. 

Bei einer Feststellung dessen, was wir positiv von der kindlichen Phantasie 
wissen, ergibt sich folgendes: 

Die kindliche Phantasie ist verschieden von der Phantasie der Erwachsenen, 
besonders des Künstlers. Sie nimmt im kindlichen Seelenleben eine hervorragende 
Stellung ein, da sie verquickt auftritt mit Wahrnehmung und Gedächtnis, und auf 
das Erleben und die Handlungen des Kindes einen großen Einfluß hat. Trotz dieser 
großen Rolle, die die Phantasie spielt, darf man nicht jede Äußerung des Kindes 
als Phantasieleistung ansprechen. Auch muß man die große Unbekümmertheit, 
mit der das Kind darauf los phantasiert, nicht für einen Vorzug, sondern für eine 
Schwäche halten. Das Kind ist mehr phantastisch als phantasiebegabt. 

Die einzelnen Phantasievorstellungen sind dürftig und arm an Inhalt. Typus 
der „nüchternen Phantasie“. Die Phantasie des Kindes tritt auf als Lösen und 
Verknüpfen eines gegebenen Materials. Die kindliche Phantasie hat mehr einen 
reproduktiven als produktiven Charakter, doch kann man auch beim Kind von 
schöpferischer Phantasie reden. Sie ist beim einzelnen Kinde verschieden nach 
Anschaulichkeit, Beweglichkeit, Reizbarkeit. 

Die Leistungen der kindlichen Phantasie zeigen sich im Spiel, im Erfinden und 
Ausmalen von Geschichten, im Wach träum und erweisen sich als die Fähigkeiten 
der Übertreibung und Fälschung, Vermenschlichung, Belebung, Beseelung, Ein¬ 
fühlung und der freien Erfindung. 

Die Phantasieergebnisse sind gekennzeichnet durch die Uneigentlichkeit der 
Erlebnissphäre. Die Kinder verwechseln Phantasie nicht mit Wirklichkeit, sondern 
sind sich der Illusion bewußt. 

Die Phantasie wächst mit zunehmendem Alter, mit der Bereicherung des 
Vorstellungslebens, der Erstarkung von Intelligenz und Wille. 


Einzelbesprechungen. 

Albert Huth. Ein Jahr Kindergartenarbeit Sammlung Pädagogium. Bd. VIII. Leipzig 19t 7. 

Klinkbardt. 156 S. 4,50 M. 

Huth übte seine Tätigkeit im Kindergarten des Vereins Versuchsschule aus, der verschiedene 
Fragen der Schulreform untersuchen will, und faßt die Ergebnisse seiner Arbeit und seines 
Denkens in einem theoretischen Teil — Kindergartenlehre — und einem praktischen Teil — 
Beispiele aus dem Kindergarten — zusammen. 

Die Grundidee, die Huth leitet, ist freie Selbstbetätigung der Kinder, Eingehen 
auf das Wesen der Kleinen unter Vermeidung geisttötenden Drills. Huth sucht seinen Weg 
aus eigenem Forschen und Beobachten heraus, stützt sich aber auch auf Kenntnis der we¬ 
sentlichen einschlägigen Literatur. Doch läßt sich das Gefühl nicht ganz unterdrücken, als 
wenn der Verfasser in die andrerorts geleistete praktische Arbeit nicht so tief eingedrungen 
oder in seinem Urteil zum mindesten einseitig geblieben sei. Er bringt zwei Namen in merk¬ 
würdige Parallele; Seite 5 seines Buches sagt er: „Durchaus neue Wege zu beschreiten haben 
bisher nur zwei Pädagoginnen gewagt: Marielly Hitler in München und die römische Ärztin 
Dottoressa Maria Montessori“. Die Montessori- Methode wird von Huth gänzlich abgelehnt, 
wobei er sich hauptsächlich auf das in den meisten Punkten treffende Urteil Saffiottis l ) stützt. 


*) Zeitschrift für päd. Psychologie 1914. 


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Einzelbesprechungen 


349 


Aber um einer Persönlichkeit wie Montessori gerecht zu werden, müssen auch Stimmen genannt 
werden, die sich lobend aussprechen. Es seien nur erwähnt: 

Lisa Jaffäe in: Zeitschrift für Schulgesundheitspflege. XXVII. 1914 und in: Deutsche 
Schulpraxis 1914. 

K. Wilker in: Die deutsche Schule. XVIL 1913. 

Stern in: Die Umschau. XVIII. 1914. 

E. v. SallwÜrk in: Pädagogisches Magazin 543. 

Meines Erachtens verfällt auch Huth in den Fehler so vieler andrer, Montessori zu einseitig 
nach ihren Sinnesübungen zu beurteilen, die hoffentlich niemals einen deutschen Kindergarten 
ganz ausfüllen werden. Ihr Buch enthält aber noch sehr viel* Treffendes und Gutes, daß es 
hätte erwähnt werden müssen. Es ist hier nicht der Platz, selbst weiter darauf einzugeben. 
Albert Huth, der mit vollem Recht die Verfrühung des Schreib-Lese-Unterrichts bei Montessori 
verurteilt, hätte sich hier auch nicht die Gelegenheit entgehen lassen sollen, den gleichen Fehler 
zu rügen, der im Kindergarten des Vereins Versuchsschule begangen wird, umsomehr, als die 
dort übliche Methode des Buchstabenlottos mir weit unpsychologischer als Montessoris Versuch 
erscheint. Dankbar wären ihm außerdem viele gewesen, hätte er hier auch ein kräftiges Wort 
gefunden gegen das noch immer in diesem Kindergarten gepflegte Englischlernen. Das nur 
nebenbei. 

Jedenfalls ist Montessori eine wissenschaftlich ernst zu nehmende Persönlichkeit, die auf 
Grund eingehender Studien einen eigenen, wenn auch vielleicht falschen Weg beschriften hat. 
Wir können ruhig ihr außerordentlich fein durchdachtes System der Sinnesübung fallen lassen 
und auf die überdies reichlich kostspielige Anschaffung des stark nach der experimentell- 
psychologischen Seite gravitierenden Materials verzichten — dauernd Wertvolles bleibt bestehen. 
Neben der sozialen Bedeutung ihres Werkes müssen wir auch bei objektiver Beurteilung Maria 
Montessori dankbar sein, daß sie mit Wort und Tat gegen die Erstarrung und Mechanisierung 
des Kindergartenbetriebs gearbeitet hat. Die Richtigkeit der Idee der Sinnesübung im frühen 
Kindesalter wird kein Psychologe leugnen und den Wert eigner selbständiger Kinderarbeit kein 
Pädagoge verkennen. Gerade ihr Vorwurf, daß die Kindergärtnerin zuviel gibt, zuviel beauf¬ 
sichtigt, zuviel befiehlt, statt zu beobachten und daraus zu lernen, trifft leider nur allzu häufig 
zu. Auch A. Huth ist davon vielleicht nicht ganz frei zu sprechen, wenn er, allerdings aus 
dem edlen Motiv aufopfernder Kinderliebe, nicht wie die meisten andern aus stumpfsinniger 
Schulpedanterie heraus, dem Kinde zuviel sich widmet In dieser Hinsicht möchte ich Ellen 
Key’s Wort verstanden wissen: »Das Kind nicht in Frieden zu lassen, das ist das größte Ver¬ 
brechen der gegenwärtigen Erziehung gegen das Kind.“ Die Freiheit innerhalb der Betätigung, 
die Huth konsequent und mit viel Verständnis für die Kinderseele betont, tut’s nicht allein. 
Im Kindergartenbetrieb liegt die große Gefahr, daß die Kleinen, ähnlich wie unter der Obhut 
einer Mutter, die immer mit ihren Kindern spielt und arbeitet, zur Bequemlichkeit des Sich- 
Führen-Lassens erzogen werden, daß zarte Keime zum Selbstbeschäftigen, Selbstfinden in ihnen 
durch die zu sehr im Vordergrund stehende Kindergärtnerin frühzeitig ersticken. 

Auf alle Fälle hat Montessori versucht, der pädagogischen Welt etwas Ganzes und etwas 
Neues zu geben. Das dürfte bei Marielly Hiller doch nicht der Fall sei. So nett einige ihrer 
Versuche sind, so gut sie als erfahrene und geschickte Kindergärtnerin den Kinderton zu treffen 
sucht und weiß, so wenig Geschlossenes und Positives bleibt Übrig, wenn man das abzieht, 
was Hut sehr treffend an *lhrer Arbeit aussetzt. Wer durch viele Kindergärten beobachtend 
gewandert ist, wird Überall solch persönliche Ansätze gesehen haben, wo die Leiterin eben 
pädagogischen Instinkt besitzt. Mit demselben Recht, wie Huth M. Hiller als neue Pädagogin 
nennt, müßten dann alle jene tüchtigen Kindergärtnerinnen erwähnt werden, deren Arbeit ich 
im Pestalozzi-Fröbelhaus, in Leipzig, Frankfurt u. a. und nicht zuletzt im Münchner Seminar¬ 
kindergarten beobachtet habe. Die Artikel Hillers über den „Reformkindergarten“, den ich als 
solchen nicht anerkenne, mögen manchen unkritischen Leser bestochen haben. 

Umsomehr Anhänger wird Huth mit seiner Forderung finden, daß Kindergärten „über den 
Standpunkt von Bewahr- und Beschäftigungsanstalten zu erheben sind“ (S. 16). Vielen wird 
er zu optimistisch erscheinen in der Verfechtung seiner Idee. Im wahren Kindergarten sieht 
er ein „Stück der vaterländischen Einheitsschule 4 ’ (S. 154) — ob er damit Recht behält, kann 
nur die Zeit lehren. Er berührt damit die alte Streitfrage, ob der Kindergartenbesuch obliga¬ 
torisch gemacht werden soll oder nicht; ich halte die Entwicklung der nach psychologischen 
Gesichtspunkten orientierten Kindergartenerziehung noch" nicht für so weit gediehen, um die 
angeschnittene Frage nach irgendeiner Seite bestimmt zu beantworten. 

Eine reine Freude bereitet Huth dem Leser durch die psychologisch und pädagogisch 
begründete Auswahl des Stoffes, den er dem Kindergarten zu weist. Anschauungs-Arbeitsunter- 


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360 


Einzelbesprechungen 


rieht, unterstützt durch viele Beobachtungsspaziergange, Sprechunterricht, Gemütsbildung, Zahlen, 
außerordentliche Mittel der Vorstellungsbildung durch sogenannten „Gelegenheitsunterricht*, 
Körperbildung — und das alles dienstbar gemacht der gesamten Charakterbildung, das sind 
Dinge, die wohl jedermann gerne im Kindergarten gelten lassen wird, zumal Huth eine Fülle 
von Ausführungen und Anregungen dazu gibt. Drei Stoffkreise läßt er im Kindergarten neben¬ 
einander herlaufen: Kindliches Leben — vom Nahen zum Entfernten — Was das Jahr bringt 
Die Grundsätze, die heute im allgemeinen maßgebend sind für die Stotfauswahl, laufen zum 
Teil herzlich weit auseinander: Die einen — ich nenne sie Jünger des mißverstandenen Fröbel 
— schwören auf den technischen Stufengang und sind stolz, wenn die Kinder eine fabelhafte 
Gewandtheit im vielgepriesenen Karton-Ausnähen, im Falten, Flechten usw. erreicht haben; ob 
damit wertvolle Erkenntnis gewonnen, Gemüt und Wille gebildet wird, ist Nebensache. Albert 
Huth geißelt diese Richtung mit erfrischender Offenheit. Gegenüber einer anderen Tendenz, das 
kindliche Interesse mit formalen Begriffen, losgelöst von jeglichem Wirklichkeitsunterricht, zu 
befriedigen, betont Huth die Notwendigkeit des Einheitsstoffes; denn die Hauptaufgabe des 
Kindergartens ist, „in den Kindern Gegenstandsbegriffe des »täglichen Lebens, der realen Um¬ 
welt wirklich klar werden zu lassen. 14 (S. 25.) Dafür bringt Huth nun eine Reihe trefflicher 
Belege; das Wertvollste daran erscheint mir seine Forderung nach einem zweckmäßigen Ganzen, 
das aus der gemeinschaftlichen Arbeit der Kinder erstehen solL Damit deckt Huth einen 
Fehler auf, dem fast alle Kindergärten .verfallen sind: soviel Kleinzeug, soviel Nichtigkeiten, 
soviel Zusammenhangloses. Will man Anfänge zu sozialer Gesinnung im Kindergarten legen, 
so muß man eben dem Kinde reichlich Gelegenheit zu Arbeiten bieten, die ein Ganzes sind, 
entstanden aus der Tätigkeit [vieler Einzelner. So erzählt uns Huth, wie er durch Gruppen¬ 
beschäftigung z. B. eine Straße entstehen läßt. Die Einheitsstofte, die Huth nennt, sind fast 
durchwegs lebensfriscb, nicht um jeden Preis ausgequetscht bis zum letzten Tropfen und in 
der praktischen Durchführung sicher noch individueller zu gestalten, als sich dies in einem 
Buch darstelten läßt. Allerdings werden sich manche der genannten Arbeiten nur mit großer 
Aufopferungsfähigkeit einer Kindergärtnerin durchführen lassen, die in ihrem Beruf sich frisch 
erhält und stets sich fortzubilden bemüht ist. Möchten Huth’s Anregungen, die besonders auch 
dem „Gelegenheitsstoff* in seiner großen Bedeutung gerecht werden, allen jenen in die Hand 
kommen, die bereits im Besitz des „Einheitsstoffes 14 sind und ihn in unglaublichem Schema¬ 
tismus dahin auslegen, daß man sich für ungefähr einen Monat mit einem Stoff zu versehen 
habe — ob das Kind gerade daraufhin eingestellt ist, erscheint nebensächlich — und daß man 
innerhalb dieses Rahmens nun dem technischen Stufengang mit rührender Engherzigkeit gerecht 
zu werden sucht. Der Kindergarten muß sich unbedingt frei halten von jeder Angleichung an 
die Sdhule, stofflich, didaktisch und methodisch. 

Die Unterrichtsgänge und Tagesausflüge, die Huth vornimmt, bringen nicht nur Freude 
und Abwechslung ins Kinderleben, dienen nicht nur dem gesundheitsfördernden Aufenthalt in 
frischer Luft, sie sind auch planmäßig zusammengestellt zur systematischen Erweiterung des 
kindlichen Vorstellungskreises. Wege nicht nur zu gehen, sie auch kennen zu lernen — wenn 
man das Planzeichnen, selbst in Huth’s primitiver Art, auch als etwas früh betrachten mag — 
bedeutet eine wichtige Aufgabe der ersten Heimatkunde. Trotzdem darf auch hier nicht des 
Guten zu viel getan werden; Kinderleistungen im Wandern, wie Huth sie erzielt, gehen hart 
an die Grenzen der Übermüdung. 

Sehr viel Beherzigenswertes bringt Huth in seinen Bemerkungen über Singen, Spielen und 
Turnen. Mit Recht wendet er sich gegen die noch weit verbreitete Sitte des zeilenmäßigen 
Eindrillens eines Gedichtes, das dadurch jede Kindertümlichkeit verliert. Auch die gesonderte 
Darbietung von Text und Melodie verwirft Huth. Die Wirkung eines Liedes auf das Kinder 
gemüt beruht sicher vor allem auf der Sangesweise; deswegen aber muß beim Einprägen dera- 
Kind ja nicht immer beides zugleich gegeben werden. 

Aus Huth’s Ausführungen geht klar hervor, daß Kindervers und Lied, Märchen und Er¬ 
zählungen ihren Eigenwert im Kindergarten behalten müssen, daß sie nie lediglich Mittel der 
Sprachpflege sein dürfen, soll nicht das Kindergemüt verflachen und verkümmern. Daß eine 
Sprachförderung für das Kind sich daraus von selbst ergibt, ist natürlich. Mit Recht verweist 
nun [der Verfasser die reine, gewollte Sprachpflege in den Sprechunterricht, der die Mundart 
des Kindes allmählich ins Hochdeutsche überführen soll. Seine praktischen Beispiele (S. 118 ff.) 
lassen jedoch dieses Bestreben nicht klar erkennen; sollte wirklich die Tätigkeit des Erziehers 
sich darin erschöpfen, daß er selbst hochdeutsche Fragen stellt, die Kinderantworten weiter 
aber nicht auswertet? Die wichtige Aufgabe der Sprachpflege im Volkskindergarten wird 
meines Erachtens heute noch stark vernachlässigt; abgesehen vom Schreien und Leiem, das 
gern durch die Masse großgezogen wird, klagt manche Mutter, mancher Lehrer mit Recht, daß 


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Einzelbesprvchungen 


361 


der Kindergarten die Sprache verbildet statt gebildet hat. Die Notwendigkeit rein phonetischer 
ßbungen — natürlich in kindlicher Weise vorgenommen — wird in den meisten Volkskinder- 
gärten gegeben sein. Das Kapitel Kindersprache und ihre Pflege umspannt ja ein weites und 
umstrittenes Gebiet. Mit den Bestrebungen Berthold Ottos kann ich mich nicht solidarisch 
erklären, wie der Verfasser dies tut Kinder wollen gehoben werden und fordern nicht vom 
Erwachsenen ihre eigene Sprache, er braucht deshalb noch lange nicht reines Hochdeutsch zu 
sprechen, seine Redewendungen müssen vor allem einfach sein. In den Erzählbeispielen, welche 
Huth gibt und die an Lebensfrische nichts zu wünschen übrig lassen, vermisse ich jeden An¬ 
satz zur langsamen Sprachhebung; die Kindersprache, die anfangs und in besonderen Fällen 
auch Sprache des Erziehers sein muß, soll doch die Tendenz der Entwicklung zeigen; nur so ist 
eine allgemeine Hebung möglich. Erwähnen möchte ich da die feine Unterscheidung von Kl. Groth, 
nach welcher Dialekt nur die Sprechweise, die verschiedene Aussprache desselben Wortstoffes 
ist, Mundart dagegen die Sprechart, die Verschiedenheit des Wortsioffes. Selbst wenn Huth 
die Anwendung der Altersmundart fordert, wäre ein Dialekt in dem Ausmaß, wie er ihn in 
seinen Beispielen zeigt, wohl zu weitgehend. Eine eigene Sache ist es um das Verbindlichen 
der biblischen Geschichten; auch hier kann man in erster Linie den Vorwurf nicht unter¬ 
drücken, daß Huth zu weit gegangen ist. Die prinzipielle Frage wird wohl jeder seinem 
Gefühl nach anders beantworten. 

München. Frieda Scherinan. 

Dr. Thomas Lenschau: Deutschunterricht als Kulturkunde. Leipzig 1917, Quelle 
& Meyer. 94 S. 2,56 M. 

Als der Bestand unseres Volkes bedroht war, als in den weitesten Kreisen noch nicht das 
Bewußtsein des starken Eigenwertes unseres Völkstums hinter den grauen Sorgen des Alltags 
zurückgetreten war, da regten sich überall Stimmen, die unser gesamtes Bildungswesen auf 
eine völlig neue, vermeintlich allein völkische Grundlage gestellt wissen wollten. Zu dem 
Zwecke wurden geradezu revolutionäre Änderungen verlangt, und es war wieder einmal das 
humanistische Gymnasium, das am meisten herhalten mußte. Besonnene Schulmänner aber 
legten sich die Frage vor, ob sich die notwendige Verstärkung der nationalen Bildungselemente 
in unserem höheren Schulwesen nicht auch ohne Revolution erreichen ließe. Konkret aus- 
gedrückt heißt das: Kann man den deutschen und den geschichtlichen Unterricht in seinen 
Wirkungen verstärken, ohne an den bewährten Grundlagen unseres Bildungswesens allzusehr 
zu rütteln? Da haben wir nun für den deutschen Unterricht einen schönen Lösungsversuch 
in dem vorliegenden Buch. Hier liefert ein erfahrener Schulmann, der sein Gebiet mit erstaun¬ 
licher Gelehrsamkeit beherrscht, einen wertvollen Beitrag zur Lösung dieses Problems, einen 
Beitrag, der den Vorzug hat, ohne Umsturz verwirklicht werden zu können. 

Schulfragen regen die öffentliche lifeinung eigentlich nicht auf. Höchstens finden einmal 
temperamentvolle Angriffe auf unser Bildungswesen jenen lauten Widerhall; auf den revolutionäre 
Schriften immer rechnen können; aber durchgearbeitete Reformvorschläge erfordern Nachdenken, 
das der moderne Leser von Zeitungsartikeln und kurzen Druckschriften nun einmal nicht liebt. 
Und aufregend ist dieses Büchlein wahrhaftig nicht, aber, was unendlich viel besser ist, in 
hohem Maße anregend. Und darum könnte es außerordentlich viel Segen stiften, wenn es 
nicht nur in dem engeren Kreise der Fachlehrer gründlich studiert würde, sondern auch die 
Beachtung aller derer fände, die an deutscher Erziehung mitwirken sollen und wollen. 

Das Buch will praktische Arbeit leisten. Aber es ist kein Präparationsbuch für die einzelnen 
Stunden, sondern es zeigt dem Lehrer, wie riesengroß das Gebiet ist, das er zu durchackem 
hat, und gibt ihm auch Anleitung, wie er seinen Stoff auswählen und für jede Stufe fruchtbar 
machen kann. Indessen zeigt es uns die Einführung in das deutsche Kulturleben der Ver¬ 
gangenheit und Gegenwart nicht nur von ferne; es ist gerade darin eine echt philologische 
Leistung, daß es, wie Goethe will, die Andacht zum Kleinen erweckt und in der Betrachtung 
des Naheliegenden, des täglichen Lebens und seiner Sprache, der Namen, Sprichwörter imd 
Redensarten, die von Mund zu Mund gehen, unserem heranwachsenden Geschlecht gezeigt 
wissen will, wie unsere Väter gedacht und gearbeitet haben. Bewußter Gebrauch der Mutter¬ 
sprache soll das Ziel der deutschen Sprachbildung sein, dazu gehört aber nicht nur ortho¬ 
graphische und grammatische Richtigkeit und stilistische Gewandtheit in ihrem Gebrauch, dazu 
gehört auch die Einsicht, wie das gesamte Leben der Vergangenheit auf den Sprachgebrauch 
eingewirkt hat und noch viele Jahrhunderte nach seinem Absterben in ihm fortlebt. Aus der 
Wortkunde läßt sich die ganze Geschichte der deutschen Kultur mit all ihren Verästelungen 
und Verzweigungen entwickeln. So wird die oft als langweilig verschrieene deutsche Gram¬ 
matik zu einem höchst lebensvollen und für die nationale Bildung fruchtbaren Unterrichtszweig. 


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352 


Einzelbesprechungen 


Und je weiter diese zunächst zwanglose Betrachtung zu der Einführung in die GesetzmäßfeUk 
der Sprachentwicklung fortschreitet, desto mehr leistet sie das, was keine Übermittelung 
Normen und Regeln leisten kann, nämlich Erziehung zu verständnisvollem Gebrauch dir* 
Muttersprache und Einsicht in ihr organisches Letten. Jeder Unterricht aber, der nicht In 
lebendige Gegenwart hineinführt, ist überflüssig und daher schädlich. Biologie, Lebenalehfli, 
wollen die Naturwissenschaften sein, und darauf beruhen ihre Lehrplanerfolge in den 
Jahren. Wie das Kulturleben der Gegenwart geworden ist, das sollen und müssen auch die 
sogenannten geisteswissenschaftlichen Fächer aufweisen, und darin liegt auch die besondere* 
nationale Aufgabe des deutschen Unterrichts. Als Glied des schaffenden Volkes soll sieh 
Schüler fühlen und einordnen lernen, die Verpflichtung, das Erbe der Väter zu bewahren 
fortzubilden, muß ihm in Fleisch und Blut übergehen. 

Doch der deutsche Unterricht ist nicht nur Sprachlehre. Freilich gilt es, hier am m< 
die bessernde Hand anzulegen, weil abgesehen von den lateintreibenden Schulen hier 
eine gar zu große Belastung mit lediglich formalen Bildungselementen vorliegt. Hierfür 
die Muttersprache eigentlich zu schade und auch viel weniger geeignet als die Fremdspi 
Den Mittelpunkt soll vielmehr die Lektüre bilden, die von immer umfangreicher werdi 
Lesestücken schließlich zu großen einheitlichen Kunstwerken übergeht Deutsches 
Denken und Fühlen der Vergangenheit und der Gegenwart spiegelt sich in ihnen, und 
liegt der Hauptton bei der Behandlung und nicht etwa auf der Herausarbeitung von Dlspositi« 

Je wirkungsvoller aber die Darstellung des Lebens ist, desto höher ist der Kunstwert, 
hier liegen die ästhetischen Aufgaben des deutschen Unterrichts. Er muß zeigen, wie 
Künstler das Leben darslellt und es zugleich erhöht. 

So führt das schöne Büchlein durch das ganze Arbeitsgebiet dieses wichtigsten Unterricht*: 
faches hindurch, überall reiche Anregung spendend. Schließlich zeigt es die Notwendigkeit, 
und die Möglichkeit einer zusammenhängenden Geschichte des deutschen Geistes an der Hand 
seiner hervorragendsten Erzeugnisse bis in die Gegenwart hinein. Und der Verfasser beschränkt 
sich nicht auf die Dichtung, er will auch für die Betrachtung der bildenden Künste und da 
Musik einen Platz in diesem großen Zusammenhang schaffen, und er tut recht daran. Denn 
auch diese Gebiete sind Auswirkungen des deutschen Geistes und zeigen deutsches Leben uni 
Streben. Den Sinn dafür muß also auch der deutsche Unterricht erschließen. 

Aber wehe, dann haben wir ja wieder das Schreckgespenst d et verrufenen allgemein«! 
Bildung mit ihrem enzyklopädischen Notizenwissen! Gemach, den organischen Zusammenhang 
bringt schon die Kunst des Lehrers hinein, wenn er selbst nur gute Augen für die Entwickelung 
und Offenbarung des deutschen Geistes hat. Aber es wäre zu wünschen, daß auch die Uuir 
versitfitslehrer nicht achtlos an diesem Büchlein vorbeigingen; sie könnten daraus ersehen, wi£, 
sie dem künftigen Deutschlehrer in sein Lehramt mitgeben müßten, und hier wären noch visllr, 
Mängel abzustellen. 

Berlin-Steglitz. Gottfried Brunner. 

Dr. phil. August Graf v. Pestalozza, Aufgabe der< geschichtlichen, Darstellung^ 
der Pädagogik. Langensalza 1917. Beyer & Co. 29 S. 0,60 M. 

Pestalozza führt zwei methodologisch unterschiedene Gruppen von geschichtlichen Darstd* ' 
hingen der Pädagogik an literarischen Beispielen vor: die diskursive und die intuitive. 

Die diskursive Methode unternimmt den Versuch, die Entwicklung des pädagogischen Denken* 
darzulegen. Sie ist evolutionistisch. Die innere und äußere Organisation des Erziebungsweaen» 
tritt bei solchem Verfahren als das Mittel entgegen, das der Realisation der pädagogischen Ide* 
dient. Die diskursive Methode wird daher letzthin reflektierend. In dem geschichtlichen TeÖ , 
von Rosenkranz* * Pädagogik als System“ (1848) wird von Pestalozza ein Beispiel dieses Vsf*« 
fahrens untersucht. Dagegen stellt sich nun die intuitive Methode darauf ein, den zutage treteo-Gf 
den Äußerungen des pädagogischen Denkens nachzugehen. Sie bringt die Tatsachen der 
Ziehungsgeschichte zur Anschauung, ist also nicht erörternd, sondern beschreibend. Es wird vc« v 
Pestalozza der Nachweis geführt, daß die historisch-pädagogische Literatur fast ausschließlich 
die intuitive Methode, die besser als deskriptive zu benennen wäre, angewandt hat. 

Über das Verhältnis beider Verfahren deutet Pestalozza an, daß keine der anderen entrah 
könne: Die diskursive Methode würde in leeres Worttum ausarten, wenn sie ablehnen woll ^ 
sich von der intuitiven Methode das Material reichen zu lassen, und hinwiederum bedarf dÜj 
letztere der ersteren als des Kompasses, wenn sie nicht ziellos und ratlos umherschweifen 

Stollberg. Paul Ficker. 


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UNIVERSETY OF MICHIGAN 
































Von der Denkverfassung der deutschen Seele in der Zeit 

der großen Krisis. 

Von Hugo Gaudig. 


Im folgenden gebe ich etwas über die Denkverfassung der deutschen 
' Seele, wie ich sie in der Zeit der großen Krisis, in der Zeitstrecke von 
unserer Bitte um Waffenstillstand bis zur Erklärung der sozialen 
Republik, schaute und vermutungsweise erschloß. Es war eine Zeit, 
die an die Seele des deutschen Volkes die nachhaltigsten Denk¬ 
forderungen stellte und zugleich die Erfüllung der Forderungen aufs 
äußerste erschwerte. Das deutsche Volk erlebte in dieser Zeit Schicksals¬ 
wandlungen wie selten in seiner schicksalsreichen Geschichte; Wand¬ 
lungen, die durch ihr Zeitmaß das Denken zu atemloser Hast aufriefen; 
Wandlungen, denen die Zusammenhängigkeit, die Kontinuität, fehlte und 
die so dem Denker besonders schwere Aufgaben stellten; Wandlungen, 
die den Geist zum Weiterdenken in die Zukunft hinein zwangen und 
ihm so die Forderung des vermutenden, ahnenden Denkens, so z. B. der 
Schätzung latenterjKräfte, auferlegten; Wandlungen aber vor allem, die 
das Gemüt aufs tiefste erregten und so dem Denkwillen und dem 
Streben nach Erkenntnis alle Hemmungen der starken Gemütsbe¬ 
wegungen, der positiven und der negativen, in den Weg warfen; end¬ 
lich noch: Wandlungen, die zu schwerwiegenden Wertungen, zu grund¬ 
legenden Wertentscheidungen fortrissen, so unsicher solche Wertungen 
Ausfallen mußten. Mir aber war diese Beschäftigung mit der Denk¬ 
verfassung der deutschen Seele, der deutschen Menschen, ein harter 
Zwang, dem ich mich fügte, weil mir das Achten auf diese Denkver¬ 
fassung namentlich bei den Bewegungen des öffentlichen Lebens seit 
Jahren eine Lebensgewohnheit war, auf die ich nicht verzichten durfte 
— jetzt, wo es so schwer geworden ist, über das Denken des deutschen 
Volkes zu denken. 

Die Ereignisse, die schicksalsschwer unseren Zeitraum füllen, sind 
sich in einem solchen Zeitmaß gefolgt, daß sie vielfach den Geist der 
Volksgenossen betäubt und denkunfähig gemacht haben. Vielen war 
es bei den einzelnen Phasen des Geschehens, als verlören sie den 
Boden der Wirklichkeit unter den Füßen; sie büßten die Orientierung, 
die Möglichkeit sich zurechtzufinden, ein; es war ihnen und ist ihnen 
noch oft, als sei die Wirklichkeit ein Traum. Umgekehrt mag es denen, 
die die Zeit der Erfüllung gekommen glauben, bei ihrem Denken so 
sein, als wären Träume zu Wirklichkeiten geworden. Bei denen, die 
das Wirklichkeitsbewußtsein und das Wirklichkeitsgefühl verloren haben, 

Zeitschrift f. pädngog. Psychologie. 23 


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354 


Hugo Gaudig 


konnte selbstverständlich der Denkwille, wenn er sich überhaupt regte, 
nur schwer sich durchsetzen. 

Naturgemäß stand die Denkverfassung der Zeitgenossen in unserer 
Zeit unter dem starken Einfluß des bis in seine Tiefe aufgeregten Ge¬ 
fühlslebens. Wie war unser Leben doch bestimmt durch die Spannungs¬ 
und Lösungsgefühle der Erwartung, der Hoffnung, der Ungeduld,' der 
Enttäuschung, der Überraschung, des Zweifels; welche Unsumme 
seelischer Marter haben deutsche Herzen erlitten, ehe sie zu der Ge¬ 
wißheit kamen, daß unsere Widerstandskraft erschöpft war; welches Auf 
und Ab von Hoffnung und Furcht; wie oft haben wir die Linie krampf¬ 
haft festgehaltener Gewißheit, quälenden Zweifels, bitterer Enttäuschung 
durchlaufen! Und dann wirlrten auf unsere innere Gesamtverfassung 
neben, in und mit den Spannungsgefühlen dank unserer Einfühlung 
in unser ringendes Heer die Kraftgefühle: „die Gefühle des Gelingens, 
des Vorwärtskommens“, „der Erhobenheit* — und ihr Gegenteil: „die 
Gefühle des Mißlingens, des Zurückmüssens“, des „Abgeschlagenseins.“ 
Weil aber unseres Volkes Ehre unsere Ehre, sein Schwert unser Schwert 
ist, so war unsere Seele dem nationalen Ehrgefühl und dem nationalen 
Schmachgefühl weit geöffnet. Vor allem aber erweckte doch, was ge¬ 
schah und geschieht, unsere Zu- und Abneigung, unsere Liebe und 
unseren — Haß, unsere Achtung und Verachtung, unser Vertrauen und 
Mißtrauen, unsere Verehrung und unsere Abscheu, unsere Mitfreude 
und vor allem unser Mitleid. Und diese Gefühle ergriffen unsere Seele 
nicht vereinzelt und sauber geschieden, wie sie ein psychologisches 
Lehrbuch scheidet, sondern in Verbindungen, in denen sich die gesamte 
Gefühlserregung zu hohen und höchsten Graden steigerte. Naturgemäß 
hatten die Gefühle an sich den Charakter der Affekte; auch die ge¬ 
fühlsträgste Seele wird an sich erfahren haben, was diese „Chok- 
gefühle“ zu besagen haben, die Stärke- und Schwächeaffekte: Zorn und 
Wut, Angst und Schrecken, Trauer und Kummer. Für unsere gesamte 
Gefühlslage aber war kennzeichnend, daß die Gefühle den Mittelpunkt 
unseres Ich, unserer Persönlichkeit angriffen und sich zu einer ausge¬ 
sprochenen Gefühlslage, einem stark fühlbaren Lebensgefühl aus¬ 
breiteten. In unserer Sorge, unserem Kummer, unserer Verzagtheit, 
unserer Verzweiflung erlebten wir Stimmungen, „die das Ich in seiner 
Tiefe berühren“ 1 ). 

Gegenüber diesem Überdruck der Gefühle konnte sich in den Seelen 
der Zeitgenossen der Denkwille oft nur schwer durchsetzen. Ja hier 
und da dürfte die Forderung, die der Denkwille erhob, daß das Sub¬ 
jekt „reines Subjekt des Erkennens“ werde, als ein Unrecht gefühlt 
sein: Denken ein Unrecht, weil die Zeit das Gefühl forderte. 

Vielfach aber konnte es ja gar nicht anders sein, als daß die Zeit¬ 
genossen trotz aller Inanspruchnahme des Gefühlslebens dem von allen 
Seiten auf sie eindringenden Antriebe zum Denken Raum gaben. 
Dann aber blieb zumeist ihr Denken unter der Herrschaft ihrer Gefühle: 
ihre Auffassung des Geschehenden, die Auswahl dessen, was sie be¬ 
achteten, das Maß der Wahrscheinlichkeit, das sie den Nachrichten 


*) Vergl. A. Messer, Psychologie, S. 292 fg. 

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Von der Denkverfassung der deutschen Seele in der Zeit der großen Krisis 355 


beim aßen, ihre Stellungnahme zu Ereignissen, Personen, Ideen, ihr 
Werten, ihr Ja und Nein war abhängig von ihren Affekten, ihren 
Stimmungen. Nur die Gedanken kamen auf, die in der Richtung ihrer 
Stimmung lagen. Daher auch die auffällige Erscheinung des starken 
Wechsels im Urteil, besonders auch im Werturteil über Menschen und 
Dinge, ein Wechsel, der immer wieder die Unruhe der Gefühlslage ver¬ 
stärkte. Infolge der Schwankungen zwischen optimistischer und pessi¬ 
mistischer Stimmung wurde das Denken bei der Auffassung der Lage 
zwischen grellen Gegensätzen hin- und hergeworfen. Nicht selten 
begegnete allerdings auch ein Denken, das dauernd unter dem Einfluß 
einer unüberwindlich erscheinenden pessimistischen Grundstimmung 
stand, während die Fälle optimistischer Auffassung mehr den Charakter 
des Gewollten, gesteigert bis zum Krampfhaften, aufzuweisen schienen; 
es war ein Nichtsehnwollen, ein Weglenken der Aufmerksamkeit von 
den Momenten der Gesamtlage, die außerhalb der Richtung der be¬ 
jahenden Lebensstimmung lagen. 

Vor dem Beginn des Krieges stand bei uns als eine bedenkliche Ver- 
fallerscheinung das Ästhetentum in Blüte. Der Krieg mit seiner 
furchtbar harten Realität hatte dem Ästhetentum, wie es schien, ein 
Ende bereitet. Am wenigsten erschienen die Tage, in denen wir uns 
zu der Erkenntnis, nicht siegen zu können, durchringen mußten, ebenso 
die Tage, in denen sich ein Kulturwandel ohnegleichen vollziehen 
will, als ein Zeitraum, der für die Art des Ästheten, die Welt zu schauen, 
günstig war. Eine reine Anschauung im Stil des Ästhetizismus mag 
auch zu den Seltenheiten gehört haben. Und doch habe ich, wenn 
ich recht gesehen habe, mindestens die Sehnsucht nach einer ästhe¬ 
tischen Betrachtung des gewaltigen Zeitverlaufs beobachten können. 
Da regte sich eine „ekstatische Lust“ an der Bewegung, an der unge¬ 
heuren Fülle erregter Kräfte, an den aufwühlenden Schicksalsverläufen, 
denen das deutsche Volk, die europäischen Völker, die Menschheit 
unterworfen ist; eine ästhetische Lust, eine Lust, wie man sie „genießt“, 
wenn man im Parkett Zuschauer einer Tragödie ist. „Wenn man nur 
nicht drin stäke“, hörte ich aber dann wohl klagen; die Ästheten¬ 
stimmung konnte sich nicht behaupten. Jedenfalls waren Menschen, 
die zu dieser Richtung neigten, in keiner guten Denkverfassung. Ein 
sittlicher Entschluß, denken zu wollen, weil die denkende Erfassung 
der Zeit sittliche Pflicht ist, konnte in ihnen ebenso wenig aufkommen, 
wie ein lauteres Erkenntnisstreben, das seine Kraft aus dem Bewußt¬ 
sein der Erkenntniswürdigkeit zieht, die dem großen Geschehen unserer 
Zeit eigen ist. Es wird also zur Abneigung gegen das Denken, viel¬ 
leicht zur Denkflucht kommen. 

Denkflucht konnte aber auch bei einer ganz anderen Stellungnahme 
zu den Zeitereignissen eintreten als der des Ästheten. „Ach könnt’ 
ich fliehen!“ — diese Sehnsucht, aus der Wirklichkeit, die uns bannt, zu 
entrinnen, mag in vielen Herzen stark gewesen sein. Menschen dieser 
Art empfanden, zumal wenn sie nicht ganz unmittelbar in die Zeit¬ 
ereignisse verflochten waren, die zurückstoßende Gewalt der Gegen¬ 
wart; mancher aber entfloh aus der Welt der Tatsachen in die Welt 
des Schönen nicht aus ästhetischer Sensationslust wie die Ästheten, 

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Hugo Gaudig 


sondern weil sie, die Welt des schönen Scheins, jenseits der Welt der 
harten Wirklichkeit liegt, oder auch in die Welt des Oberirdischen, die 
erhaben ist über die Welt der menschlichen Irrungen und Wirrungen, 
oder aber auch in die Enge der Familie, die sich gegen den Sturm „da 
draußen“ zu stiller Ruhe abgrenzt. Alle diese Jenseitigen brachten 
nicht den Denkwillen auf, der entschlossen ist, die wirkliche, die dies¬ 
seitige, die große Welt der Wirklichkeit zu meistern. 

Die starke Seite des deutschen Bürgers war vordem das Denken über 
politische Dinge nicht; er überließ das Denken am liebsten seiner 
- Zeitung und seinen Vertretern. Als nun unsere Zeit mit ihren heftigen 
Denkanstößen auf uns Deutsche wirkte, ließ sich, wenn ich recht sab, 
sehr viel der Mangel an Denkgewöhnung spüren. Nicht gewöhnt, 
größere, umfänglichere Ganze im öffentlichen Wesen mit dem Denken 
zu umspannen, wurde nur einzelnes in dem Gegenwartsbilde zum Gegen¬ 
stand der Aufmerksamkeit und der denkenden Erfassung; man gab 
sich kaum die Mühe, den allerdings weiten Schauplatz der Ereignisse 
in seinen verschiedenen Teilen zu übersehen, trotzdem z. B. das Geschehen 
auf den verschiedenen Kriegstheatern im engsten Zusammenhang stand. 
Ging das Denken so nicht in die Weite, so anderseits nicht in die Tiefe; 
es drang nur bis zum Vordergründe vor, etwa bis zu dem „Anstoß* 
der Ereignisse, während es den Kräften, die durch die Anstöße aus- 
gelöst wurden, den inneren Dispositionen der miteinander ringenden 
Mächte auch nicht einmal mit den allerdings sehr durch die Unzu¬ 
länglichkeit der Bekundung erschwerten Versuchen des Erkennens gerecht 
zu werden suchte. So blieb man denn bei den äußeren Symptomen 
des Geschehens hängen und ermüdete leicht bei den Vorstößen zu¬ 
gunsten einer tieferen Auffassung. So geriet man auch leicht in ein¬ 
seitige Auffassungs- und Bewertungsrichtungen, wie sie besonders 
auch das Gefühls-, Affekt- und Stimmungsleben nabelegte (s. o. S. 354); 
z. B. in eine Betrachtung einseitig unter dem Gesichtswinkel des 
Tragischen oder in die leidige Sucht, überall Schuld zu suchen, oder 
in das Streben, überall den „Unsinn“ aufzudecken. 

Mangelhafte Denkverfassung stellte sich auch dar in keckem, schnellem 
Hineindenken in den großen und komplizierten Zusammenhang der 
Dinge, einem Denken, dem die Achtung vor der Schwierigkeit des 
Gegenstandes gebrach. Mit den Mißerfolgen dieses Verfahrens, die 
strenge Selbstkontrolle hätte aufdecken müssen, stand aber gern im 
Widerspruch das Selbstgefühl, das in dem Kehrreim: „Das habe ich 
gesagt“ bei gelegentlichen „Treffern“ zum Vorschein kam. Als ein 
Zug minderwertiger Denkverfassung wollte mir auch das „spielende* 
Denken, wie ich es nennen möchte, erscheinen; da wo es auftrat, spielte 
das Denken mit dem Wirklichkeitsstoff, ohne seiner Schwere und seiner 
unerbittlichen Härte, ohne dem natürlichen Gewicht, der Schwerbeweg¬ 
lichkeit der Dinge gerecht zu werden; die Phantasie arbeitete mit dem 
Wirklichkeitsstoff, als gälte es zu dichten und nicht zu denken; die 
Schnellfertigkeit, mit der man „Möglichkeiten“ hinstellte, ohne ihre 
Wahrscheinlichkeit ernstlich zu zeigen, ließ dieses Denkspielen besonders 
in die Erscheinung treten. Eine wertvolle Denkverfassung, wie sie die 
Zeit fordert, muß vor allem auch das Streben nach geschichtlicher Er- 



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Von der Denkverfassung der deutschen Seele in der Zeit der großen Krisis 357 


fassung des Gegenwartsgeschehens als wesentlichen Zug aufweisen. Viel* 
fach fehlte aber dieses Streben nach geschichtlicher Auffassung in der 
Denkverfassung der Zeitgenossen; das Geschehende wurde in seiner 
Gegenwärtigkeit genommen, als habe es kein Vorher und kein Nach¬ 
her; was wunder, daß die Zusammenhängigkeit des Geschehens nicht 
erkannt wurde. Dies gilt namentlich von den eingreifenden Ereignissen 
auf sozialpolitischem Gebiet. Um einen gesellschaftlichen Zustand 
richtig analysieren zu können, bedarf es ferner klarer und deutlicher 
Begriffe der wirkenden Kräfte; aber eben an dieser Klarheit und Deut¬ 
lichkeit dieser Bauelemente des Denkens gebrach es sehr viel, so daß 
vor allem ein gemeinsames Denken schwer möglich war und die Ge¬ 
sprächführenden aneinander vorbei statt miteinander redeten. Mau 
versteht z. B. vom Sozialismus nichts, wenn man seine Idee der Ver¬ 
gesellschaftung der Produktionsmittel nicht klar und deutlich in ihren 
Merkmalen und in ihren Zusammenhängen mit dem gesamten sozia¬ 
listischen Begriffssystem erkannt hat. Wie oft aber stieß man hier 
bei den Zeitgenossen auf Undeutlichkeit und Verworrenheit der Be¬ 
griffe, ohne die man in einer Streitverhandlung über moderne Ge¬ 
sellschaftsfragen nicht auskommen kann. So machten Gespräche 
nicht selten den Eindruck, daß sich ungeklärte Vorstellungsmassen 
gegeneinander bewegten. Die Begriffe des Gesellschaftslebens aber 
zeigten ihre Natur hierbei besonders auch insofern, als in sie „unser 
Eigenstes, unser Gefühlsleben“ leicht und stark eindringt und so 
sich „der Einfluß der individuellen Variation“ aufs stärkste geltend 
macht 1 ). Bei dieser Unklarheit der Begriffe versteht man eine andere 
Erscheinung im Denkleben unserer Zeit, das Auftreten der schiefen 
Analogie. Da die Auffassung der Dinge nach der Analogie eine 
scharfe Scheidung der sonstigen zwischen ihnen bestehenden Ver¬ 
schiedenheit und dem, worin sie zu vergleichen sind, fordert, so kann 
man ermessen, wie leicht bei der überhasteten Denkweise unserer Zeit 
und dem Mangel an klaren Begriffen die Schiefheit der Analogie ein¬ 
trat; Beispiel sei das Analogieschließen von Bolschewismus auf Sozialis¬ 
mus und umgekehrt 

Die Denkverfassung mußte umso wertvoller erscheinen, je mehr sie 
sich von dem fälschenden Einfluß der Gefühle und Affekte, von der 
Einwirkung „drastischer Anschauungen“, von schiefen Analogien, von 
Zufallsansichten, von ungeschichtlicher Betrachtungsweise frei hielt 
Kennzeichnend für unsere Zeit als Objekt des Erkennens ist außer der 
großen Gefühlsbetonung der Geschehnisse die Breite des Gesichtsfeldes 
und vor allem die Verschlungenheit der Fäden; das enge Verflochten¬ 
sein des eigenartig politischen und sozialen Geschehens ist geradezu 
ein Charaktermerkmal der großen Krisis, in der wir stehen: ein Krieg 
mit auswärtigen Mächten ruft nicht nur die stärksten politischen Wand¬ 
lungen, sondern auch allem Anschein nach die wesentlichsten Ver¬ 
änderungen in der Struktur der Gesellschaft hervor. So erwuchs hier 
dem Denker die Aufgabe des Entwirrens der Fäden, die sich in dem 
Gewebe des Zeitgeschehens verknüpften, besonders aber des Nach- 


*) Vergl. B. Erdmann, Logik I, S. 230 (2. Aufl.). 

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Hugo Gaudig 


weises der Stellen, an denen sich die Fäden verschlangen und ver¬ 
knoteten. Beobachter des Denklebens unserer Zeit mögen urteilen, ob 
dieser Forderung des Auseinanderhaltens und Verknüpfens die Zeit¬ 
genossen im allgemeinen entsprochen haben, ob sie nicht vielfach infolge 
der scheinbaren Wirrnis des Geschehens verwirrt zuschauten. Ein 
Merkmal des Zeitgeschehens war auch die sinnverwirrende Fülle, die 
sinnlich drastische Natur des Geschehens. Es handelte sich ja um 
Ereignisse auf dem „theatrum mundi“, um gewaltige Massenbewegungen, 
um Haupt- und Staatsaktionen erster Ordnung. Die Versuchung, an 
der Außenseite hängen zu bleiben, war mithin groß. Umso wertvoller 
war die Denkverfassung, die durch die anschauliche Außenseite hin¬ 
durch auf den Kern, von den Bewegungen auf die bewegenden Kräfte 
vorzudringen gestattete. Man wird nicht sagen dürfen, daß unsere 
Zeit nicht bemüht war, Prinzipien zu entdecken. Nicht zuletzt waren 
die Feinde Deutschlands bemüht, Prinzipien aufzuweisen, uns und sich 
selbst als Vertreter großer Kulturprinzipien hinzustellen. Nur leider 
hat man bei diesem Aufweis der Prinzipien nicht den Eindruck der 
Klarheit und Wahrheit; im wilden Kampf der gegen uns gekehrten 
öffentlichen Meinungen wurden Prinzipien aufgestellt wie das Prinzip 
des Militarismus, um damit breite Komplexe von Wirklichkeiten zu 
bezeichnen, die eine sorgfältige Auflösung in ihre sehr verschieden¬ 
artigen Kräfte forderten. Hinter dem aber, was unsere Gegner als 
Prinzipien ihres Handelns hinstellten, mußte man ein Vielerlei von 
»Motiven“ vermuten, das mindestens nur zum Teil durch die Prinzipien 
(Freiheit der Völker usw.) gedeckt wurde. 

Ein sehr schwerer Denkgegenstand ist unsere Zeit durch die Natur 
des Kräftespiels; welche Fülle von Kräften, welches Durcheinander! 
In der Schätzung der Kräfte erwies sich die Denkverfassung als wert¬ 
voll, die sich als kritische Besonnenheit, als Mäßigung und Zurück¬ 
haltung kennzeichnet. Immer wieder von neuem erfuhr übereiltes Ein¬ 
schätzen der »Kräfte“ nach ihrer Größe und Stärke, ihrer elementaren 
Zusammensetzung, ihren Angriffspunkten, der Richtung ihres Wirkens, 
vor allem aber nach ihrer Auslösbarkeit schwere Rückschläge. 
Die Notwendigkeit der Zurückhaltung konnte erlebt werden bei dem 
Urteil über mechanische nnd psychische Kräfte. Die jähe Erkenntnis 
falscher Einschätzung, der Zwang zum plötzlichen Umdenken brachte 
vielen z. B. die Erklärung der Obersten Heeresleitung, die Beendigung des 
Krieges ohne Sieg sei eine Notwendigkeit. Andere konnten hier die 
wenn auch schmerzliche Genugtuung richtiger Schätzung erleben. Eine 
Frage schwerwiegender Art, bei der es sich hauptsächlich um die Mög¬ 
lichkeit der Auslösung noch vorhandener Spannkräfte handelte, war die 
Frage, ob das deutsche Volk die Kraft zu einem letzten Entscheidungs¬ 
kampfe aufbringen werde. Wir wiesen schon darauf hin» wie sehr die 
Denkverfassung der Zeitgenossen durch die Plötzlichkeit der mit dem 
Charakter von Explosionen eintretenden Ereignisse unserer Zeit be¬ 
einflußt wurde: der Zusammenbruch des Kriegswillens in weiten Kreisen 
des Volkes und des Heeres, die Parlamentarisierung und Demokrati¬ 
sierung, die Abdankung der Herrscher, die Einführung der sozialistischen 
Republik — das alles waren Tatsachen, bei denen die wenigstens 

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Von der Denkverfassung der deutschen Seele in der Zeit der großen Krisis 359 


scheinbare Plötzlichkeit vielfach die Denkfäden zerriß. Da wo man 
aber tiefer in die Zusammenhänge der Dinge, in die in der Tiefe 
schaffenden bejahenden und verneinenden Mächte eingedrungen war, 
wich die anfängliche Gedankenstarre sehr bald dem Bekenntnis, daß 
es sich hier nicht um etwas wunderhaft und unvermittelt aus dem 
Schoß der Gegenwart Emporschießendes, sondern um den Abschluß 
einer weitzurückreichenden Vorgeschichte handelte, der zum Teil durch 
äußere Geschehnisse ausgelöst wurde. So stellte sich dann schnell 
.das Bewußtsein des geschichtlichen Zusammenhangs (der Kontinuität 
des Geschehens) wieder her. Diese Einsicht wurde umso tiefer, die 
Denkfreiheit des Geistes umso größer, je weiter die Linien zurückver¬ 
folgt wurden, je weiter man etwa die Vorbereitung des Sozialismus 
auf eine Lage zurückverfolgte, in der er die Herrschaft in die Hand 
nehmen konnte. Je weiter die Rückschau (Rückwärtsperspektive), um 
so freier und sicherer bewegt sich das Denken. Neue Freiheit erwächst 
dem Denken auch, wenn es sich nicht auf Vergangenheit und Gegen¬ 
wart beschränkt, sondern auch (umsichtig vorschließend) in die Zu¬ 
kunft vordrängt. Dann wird auch eine Denklage verhindert, die einer 
freien geistigen Bewegung sehr ungünstig ist — die einseitige Ein¬ 
stellung. So könnte z. B. das Denken in dem Gegensatz der bisherigen 
bürgerlichen und der sozialistischen Gesellschaftsordnung befangen 
bleiben. Für den seine Denkfreiheit behauptenden Kopf wird hier 
neben der Möglichkeit scharfer Antithese und der Möglichkeit bedingungs¬ 
loser Zustimmung die Möglichkeit schöpferischer Synthesen auftauchen, 
etwa einer Synthese, die dem Gesellschaftssystem der Zukunft die Kräfte 
einer individüalistischen Organisation erhält, die „Verantwortungs¬ 
losigkeit“ der privatkapitalistischen Wirtschaft aber aufhebt und durch 
gesellschaftliche Einrichtungen die Verantwortlichkeit des einzelnen 
gegenüber der Gesellschaft sichert. Die kulturellen Anschauungen 
sollen nach der Meinung der meisten „transzendenzlos“ sein; dieser 
Meinung steht die Denkrichtung entgegen, die auch für das Kultur¬ 
denken das Forschen nach den transzendenten Hintergründen fordert. 
Daß dem Kulturdenken durch das Suchen nach dem letzten „Sinn“ des 
Geschehens ein bedeutsamer Zwang zum Tiefdenken erwächst, kann 
nicht zweifelhaft sein. 

Das Denken, zu dem uns die Zeit zwang, war zum guten Teil werten¬ 
des Denken. Besonders die Proklamierung der sozialistischen Republik 
zwang und zwingt die Anhänger der bürgerlichen Gesellschaft zu Wert¬ 
vergleichen. Die Denkverfassung für solche Wertvergleichungen war 
und ist umso günstiger, je weiter dies Denken ausgreift und je mehr 
es sich, alle Nebenfragen beiseite schiebend, auf die großen Prinzipien¬ 
fragen sammelt. Leider verweilt das Denken derZeitgenossen vielfach 
im Vordergrund als echtes „Vordergrundsdenken“. Die Denkverfassung 
aber ist umso günstiger, je mehr man sich auf die Würdigung 
kultureller Gesamtzustände einstellt, je mehr man alle Kulturgebiete, 
nicht nur das politische und wirtschaftliche, ins Auge faßt, je mehr 
man die Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Lebensgebieten 
und die Lebensgestaltungen beachtet, die der alte und der neue Zu- * 
stand ihrer innersten Natur nach hervorbringen. Vor allem wird man 


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Hugo O&udig 


die beiden großen Gesellschaftsformen dynamisch, d. h. auf das ge¬ 
samte Kraftsystem hin, studieren, mit dem sie arbeiten. Ebenso wird 
man sich darüber klar sein müssen, daß es sich bei einem Kulthr- 
wechsel vor allem um das Maß handelt, in dem das menschliche Dasein 
rationalisiert, die menschliche Seele gewandelt werden kann. Eine 
wichtige Denkrichtung wird auch sein die Einwirkung der Einrichtungen 
auf die Menschen und der Menschen auf die Einrichtungen usw. 

Zum Schluß unserer Bemerkungen noch eins: Für die gesamte Denk¬ 
verfassung derZeitgenossen war von großer Bedeutung die Stellungnahme 
des Ich zu dem Volke. Als Grenzformen, die aber als reine Formen 
schwerlich vorgekommen sein mögen, indes doch wichtige Bewegungs¬ 
richtungen erkennbar machen, seien genannt: 1. die „egozentrische*, 
in der auch unsere ungeheuere Zeit und das gewaltige Volksschicksal 
das denkende Subjekt nicht dazu vermocht hat, aus seinem Ichbewußt¬ 
sein herauszutreten und sich mit den Volksgenossen im Wir-Bewußt- 
sein zusammenzufasssen und 2. die „ichlose“ Form, bei der das Ich 
ohne Bewußtsein seiner selbst lediglich objektiv dachte. Das Wir-Bewußt- 
sein war stark und bestimmt beim Beginn des Krieges; das Ende des 
Krieges mit seiner entscheidenden Krisis gefährdete auf beiden Seiten, 
auf der der Bürgerlichen und der der Sozialisten, das Einheitsbewußt¬ 
sein. Es ist die große Frage der Zukunft, ob die beiden großen 
„Parteien* sich auf irgend einer Grundlage zum Einheitsbewußtsein 
zurückfinden. Viele Bürgerliche mögen das Einheitsbewußtsein mit 
der Volksgemeinde in ihrer empirischen Form eingebüßt und sich viel¬ 
leicht in den Gedanken einer „unsichtbaren* Gemeinschaft gerettet haben. 


Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charakter¬ 
eigenschaften und als Erziehungsziele. 

Von F. E. Otto Schultze. 


Die Erziehungsziele sind praktisch und theoretisch von der größten Bedeutung, 
da sie bei allen Erziehungsmaßnahmen entscheidenden Einfluß gewinnen. Ob 
wir einen Zögling loben oder strafen, ob wir ihm etwas vorsagen oder ihn 
zu selbständigem Denken führen wollen, ob wir einen Lehrplan ausarbeiten 
oder eine Lehrstunde vorbereiten, ist dabei gleichgültig, stets muß einem mit 
mehr oder minder großer Deutlichkeit das Erziehungsziel vor Augen stehen. 
Fühlt man sich während der Durchführung einer Aufgabe unsicher, so kann 
das Denken an die Ziele klärend wirken; hat man seine Aufgabe erfüllt und 
prüft sie nachträglich auf ihren Wert, so werden einem Fehler und Mängel 
klar, an die man vorher gar nicht gedacht hatte. Und bleiben wir bei der 
Festlegung der allgemeinen Erziehungsziele stehen, so ist es gleichgültig, ob 
wir ein kleines Kind oder einen Studenten, den Schüler eines Gymnasiums 
' oder einer Realschule, ja ob wir einen Knaben oder ein Mädchen, einen 
Deutschen oder Franzosen, einen Amerikaner oder einen Neger vor uns haben! 


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Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften usw. 36 X 


Es ist darum von grundsätzlicher Bedeutung, daß man sich immer und immer 
wieder überlegt, wieweit man zumal in den Augenblicken, wo man bei seinem 
Zögling Widerstand spürte, in Widerstreit mit dem Ziel der Erziehung ge¬ 
kommen ist. Man muß wiederholt im Laufe des Schuljahres jedem einzelnen 
Zögling gegenüber seine Arbeit an dessen Leistungszielen prüfen und sich 
vor allem darüber klar werden: was hast du getan, um deine eigenen Zög¬ 
linge, den Karl, den Fritz usw. zu einem ganzen Menschen heranzuziehen? 

Mit dem Wort Persönlichkeit ist die Richtung bestimmt, in der das Erziehungs¬ 
ziel, obgleich noch verschwommen, in der Ferne liegt Es bedarf keines langen 
Nachweises, daß es geradezu verwerflich wäre, die Aufgabe des Lehrers 
lediglich in dem staatlich verlangten Unterrichts-Pensum zu sehen. Bedenken 
wir z. B., daß von den 24 Stunden des Tages (fas Kind 10 Stunden schläft, 
14 Stunden bleiben dann übrig, und von ihnen gehören 5 im Durchschnitt 
der Schule, einschließlich der Schularbeiten mögen 6 oder 7 herauskommen, 
d. h. 30, 40 oder 50°,' 0 des Wachlebens gehören im größten Teil des Jahres 
der Schule. Wenn nun unser Leben überhaupt charakterbildend wirkt, so 
muß der Einfluß der Schule, der gerade in die bildsame Jugendzeit einströmt, 
von größter. Bedeutung werden. Daß es sich nicht nur um Unterrichts-, also 
um Wissenseinflüsse handelt, die wir in der Schule empfangen, zeigt auch 
die Tatsache, daß ein schlechter Lehrer einem für das ganze Leben umfassende 
Wissensgebiete verleiden und geradezu verekeln kann; daß einem andererseits 
eine gute Arbeitsschule eine nie versiegende Freude an wissenschaftlichen 
Stoffen zu schaffen vermag, die sich sonst überhaupt nicht entwickelt hätte. 
Nicht minder deutlich sind die Einflüsse der Schule auf scheinbare Äußerlich¬ 
keiten,'wie Sauberkeit in der Schrift und Buchführung, sowie Peinlichkeit 
und Gründlichkeit in der Arbeit, also auf Gesamtmerkmale des Denkens und 
Handelns, die weit über solche des einfachen Wissens hinausgehen. Schlie߬ 
lich sei noch auf den Unterschied der weltgewandten, eleganten Jesuiten- 
erziehung und des nüchternen, aber soliden preußischen Schulmeistertums 
hingewiesen, um verschiedene Weisen zu charakterisieren, in der man Arbeiten- 
Anfassen lernen kann. Es dürfte eigentlich nicht nötig sein, auf diese Frage 
näher einzugehen, aber die Zahl der Männer, die grundsätzlich der Schule 
den Unterricht, dem Hause aber die Erziehung zuweisen wollen, ist nicht gering. 

Für den Praktiker ist es nun von der größten Bedeutung, daß ihm die 
Ziele des Unterrichts und der Erziehung in möglichst präziser und hand¬ 
licher Form zur Verfügung stehen, damit sie in seinem Lebenswerk wirksam 
und fruchtbringend werden können. Versuche in diesem Sinne sind oft ge¬ 
macht worden. Ich erinnere nur an die Begriffe des guten und schönen 
Menschen bei den Griechen, an die Kardinaltugenden der Römer, an die 
Gelübde der mittelalterlichen Mönche, an den homo sapiens atque eloquens 
des Humanismus, an den Gentleman des Engländers und die zahllosen Wahl¬ 
sprüche der Erziehung und des Lebens, die wir in der Literatur, an Gebäuden 
und auf Wappen verstreut finden. 

Es ist eine historische Notwendigkeit, daß sie von Volk zu Volk, von 
Periode zu Periode wechseln. Sie können auch richtig und falsch, ja gefähr¬ 
lich sein. Eins der schlimmsten Schlagwörter ist in diesem Sinne das von der 
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit geworden. Ja wir sollten frei sein; es 
wäre schön, wenn wir Brüder wären, aber ich glaube, es wäre trostlos, wenn 
wir gleich wären, und undurchführbar wäre es, wollten wir uns gegenseitig 


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F. E. Otto Schultze 


gleiche teilen.' Die Zeitlage machte es verständlich, daß man so begeisternde 
Worte in die Welt hinaus rief, aber der Nachteil aller Schlagwörter haftete 
ihnen an. Die tiefen historischen und philosophischen Voraussetzungen, unter 
denen allein diese Worte Wert bekommen, konnten nicht mit ihnen ausge¬ 
sprochen werden. Was sie als Bildungsgrundlagen von Lebensgemeinschaften 
tatsächlich gebracht haben, kann man darum in seiner Zerrform in mancher 
modernen romanischen Republik sehen. Freiheit ist dort Hemmungslosigkeit, 
jeder glaubt machen zu dürfen, was er mag, von Brüderschaft ist nicht viel 
zu spüren; Oligarchien und Günstlingswesen herrschen. Die straffen preußischen 
Begriffe Pflicht und Unterordnung sind als Grundlagen von Staatsgebilden 
wertvoller als die begeisternden Ideale Freiheit, Gleichheit und Brüderlich¬ 
keit, denn aus ihnen entwickeln sich Freiheit und Gerechtigkeit gleichsam 
Von selbst. Der Praktiker braucht darum Worte, die nicht so schweren 
Mißverständnissen ausgesetzt sind. — Auf Grund von Lebenserfahrungen, 
philosophischen, psychologischen und biologischen Überlegungen habe ich nun 
versucht, diesem Bedürfnis entgegenzukommen und die Merkmale der Per¬ 
sönlichkeit festzulegen, die mir für die Erziehung und das Leben am wich¬ 
tigsten zu sein scheinen. Das hochklingende Wort Persönlichkeit, das in der 
modernen Erziehung eine so enorme Rolle spielt, läßt sich schwer bestimmen, 
es ist verwaschen und unklar und hat nicht viel mehr Wert, als die Worte 
gut oder wertvoll. Das schlichte Wort tüchtig, das bekanntlich von taugen 
herkommt und mit dem Wort Tugend zu tun hat, schiene mir noch besser 
für die Praxis zu passen. Immerhin ist mit der Forderung von Persönlich¬ 
keiten oder tüchtiger, Werte erzeugender Menschen ein brauchbarer An¬ 
fang gemacht. Gleichzeitig ist aber auch ein neues Problem gesetzt, das 
des Guten oder Wertvollen, und wir werden dadurch zu der schwierigen 
Scheidung realer und normativer Probleme gedrängt. Wir werden dieser 
Schwierigkeiten am besten Herr, wenn wir uns überlegen, wie das seelische 
Leben sich realiter in einem unserem Ziele entsprechenden Menschen ge¬ 
staltet, wie in ihm Werte entstehen und wie es in ihm zur Aufstellung von 
Normen kommen kann. 


Die seelischen Vorgänge der Werterzeugung. 

Mehrere Grundgedanken müssen uns leiten, wenn wir uns über die Vor¬ 
gänge der Werterzeugung vom psychologischen Standpunkte aus klar werden 
wollen. 

1. Der Mensch bildet, vom biologischen Standpunkte aus gesprochen, eine 
scharf abgegrenzte Einheit von Lebenskräften. Leib und Seele sind in ihm 
untrennbar vereint. Der Leib besteht aus einer Anzahl von Organen, aus 
Lunge, Herz, Nieren usw., ynd auch bei der Seele müssen wir eine ganze 
Anzahl von Organen — ich halte absichtlich an diesem Ausdruck fest — unter¬ 
scheiden, gleichviel ob wir dafür die hirnanatomischen Grundlagen finden 
oder nicht. Das Hauptorgan ist das Bewußtsein, dessen Eigenart an dieser 
Stelle nicht näher erörtert werden kann, sondern als bekannt vorausgesetzt 
werden muß. Seine Arbeit wird dadurch möglich, daß andere „Organe“, wie 
Sinnlichkeit, Geist, Gemüt und Wille im Bewußtsein und im Körper in streng 
gesetzmäßiger Weise Veränderungen hervorrufen. (Die Namen, die wir für 
diese Funktionen wählen, sind verhältnismäßig gleichgültig, wenn wir sie nur 
zur gegebenen Zeit psychologisch richtig bestimmen.) 


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Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften usw. 363 




2. Auf Grund der Reize der Außenwelt, der Veränderungen im Körper und 
der Tätigkeit von Sinnlichkeit und Geist treten Sinneswahrnehmungen auf, 
die wir mit gutem Rechte als „Produkte* dieser Vorgänge bezeichnen können. 
Von den Sinneswahmehmungen bilden sich Gedächtnisspuren, die zu gegebener 
Zeit „reproduziert* werden können und als frühere Erfahrungen den Be¬ 
wußtseinsverlauf bestimmen. Infolge des Zusammenwirkens neuer Eindrücke, 
früherer Erfahrungen und angeborener und erworbener Anlagen treten — aber¬ 
mals als „Produkte* dieser Vorgänge — Gedanken in den verschiedensten 
Formen auf: Einfälle, Möglichkeiten, Wünsche, Hoffnungen, Absichten, Pläne 
usw. In dem bunten Wechsel solcher mehr oder minder verschiedenartiger 
seelischer Gebilde greifen schließlich die Gemütsbewegungen mehr oder 
weniger tief ein und verleihen den einzelnen Bewußtseinsinhalten ihren Wert¬ 
charakter. Die Dinge der Außenwelt sind an sich keine Werte; sie werden 
es erst durch den Menschen. Ohne Repräsentation im Menschen und ohne 
Fühlen gibt es keine Werte; in ihnen aber tut sich die ganze Persönlichkeit 
mit ihrem Für und Wider kund. — Werden die so entstandenen Produkte 
der Seele stark genug, so beeinflussen sie unseren Bewußtseinsverlauf und 
unseren Körper und mit seiner Hilfe gegebenenfalls die Außenwelt. 

3. Ergänzend zum eben Gesagten sei folgendes ausgeführt: Die menschliche 
Seele erweist bei diesen Vorgängen die wunderbare Fähigkeit, gewissermaßen 
die Außenwelt in sich aufzunehmen. Es treten die Reize von außen an sie 
heran, und 'in ihr entwickeln sich Bilder von den Dingen und Gegenständen 
der Umgebung, die in ihrer inneren Struktur und ihren relativen Verhältnissen 
irgendwie Ähnlichkeit mit den Dingen haben müssen, die sie darstellen, ohne 
daß sie jedoch mit ihnen identisch wären. Dauernd strömen solche Eindrücke 
auf uns ein. Von den Eindrücken werden Gedächtnisspuren gebildet, mehr 
oder minder lange bewahrt und bei neuen ähnlichen Eindrücken wieder ver¬ 
wertet Aus ihnen als Bewußtseinsgrundlage bilden sich in uns Begriffe oder 
Repräsentanten von den Dingen, mit deren Hilfe wir die Welt beherrschen 
lernen. Unter diesen Repräsentanten sind die wichtigsten diejenigen, in denen 
sich unsere Mitmenschen uns darstellen. Darum besitzt jeder Mensch von 
den vielen Menschen, die er kennt, ebenso viele, mehr oder weniger 
entwickelte Begriffe. Mit ihrer Hilfe nimmt er zu ihnen Stellung und 
beeinflußt sie. 

4. Alle diese Vorsätze laufen streng gesetzmäßig und automatisch ab. 
Wie wir das Flackern und Wabern der Flamme, so unberechenbar es uns 
im Augenblick erscheint, stets als Äußerung strengster Naturgesetze auffassen 
und auf Vorgänge der Oxydation, Wärmestrahlung und Lichtentwicklung 
zurückführen, so reduziert sich für uns das seelische Leben auf das Spiel 
der der Seele und dem Körper innewohnenden Kräfte. Daß sich nun Werte 
im Menschenleben herausbilden, ist vom naturwissenschaftlichen Standpunkt 
gleichfalls als ein kausaler Vorgang aufzufassen. Ich brauche an dieser Stelle 
nicht von den vielen Arten von Werten zu sprechen, da sie sich alle auf 
Gefallen oder Mißfallen seitens des Wertträgers zurückführen lassen. Nur 
die spezifisch menschlichen Werte müssen besonders hervorgehoben werden. 
Wie zu den Dingen der Umwelt nehmen wir auch zu unserem Nebenmenschen 
mit Sympathie und Antipathie, Liebe und Haß, Stolz und Verachtung Stellung. 
Der eine kommt leichter zu Bewunderung, zu Zuneigung, zu Achtung oder Ver¬ 
achtung seines Mitmenschen als der andere. Der Weitherzige hat für fremdes 


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F. E. Otto Scholtze 


Leben mehr Sinn als der Engherzige; er kann leichter lieben und schwerer 
hassen als sein Gegenpart . Angeborene und durch das Leben weiter ge¬ 
bildete Anlagen, die wir, ohne uns auf besondere psychologische Theorien 
zu verlegen, als Anlagen einer mehr oder minder großen sozialen Phantasie 
und des GefQhlsreichtums bezeichnen können, beeinflussen so den Vorgang 
der Wertung des Mitmenschen in entschiedener Weise. 

5. Nehmen wir so in den Wertungsvorgängen Stellung zu unserer Umgebung 
und zu unseren Mitmenschen, so sind es in den WertungsvorgSngen selbst 
wieder die Gefühle, die uns entscheidend bestimmen. Wenn es auch nicht 
stets lebhafte und vollständig entwickelte Gefühlserscheinüngen sind, die 
hierbei auftreten, sondern teilweise nur Gefühlstendenzen, deren Nachweis 
nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist, so kann ihr maßgebender Einfluß 
doch nicht abgestritten werden. Er besteht darin, daß sie unter den vielen 
Einfällen, die in unserem Bewußtsein auftreten, die gleichgerichteten verstärken, 
die entgegengesetzten abschwächen oder unterdrücken. Der Weitherzige neigt 
deshalb z. B. dazu, in seiner Mitfreude die Wünsche und Begehrungen des 
gleichfalls auf Freude eingestellten Mitmenschen zu fördern und zu heben, 
der Engherzige will sie dagegen angreifen und unterdrücken, denn er ver¬ 
mag ihn nicht zu dulden und zu hegen. Ihm fehlt die Toleranz dazu; er 
gönnt dem anderen nicht den Platz an der Sonne. Er ist sogar eher fähig, 
sich seines Mißgeschickes zu freuen, weil die Beschränkung seines Seins der 
eigenen Beschränktheit gemäß ist. 

Dieser Mechanismus der Wirkung von Gefühlsreaktionen auf Begehrungen 
und Wünsche ist als biologisch-psychologischer Prozeß strenger Gesetzmäßig¬ 
keit unterworfen. Ober ihm als Grundlage kann sich nun ein besonderer 
seelischer Vorgang abspielen, eine Spiegelung des Geschehenen im Urteile des 
Handelnden selbst. Dieser kann sich über den sozialen Wert der in ihm 
ablaufenden Vorgänge klar werden und so zu einem Werturteile über sich 
selbst und seine Leistungen kommen. Der Wertungsvorgang wird um so 
umfassender, auf je mehr andere Menschen er Rücksicht nehmen muß; oft 
genug zieht ja das Handeln das Geschick anderer Menschen in Mitleidenschaft 
Je mehr nun die Forderungen anderer in unserer Seele berücksichtigt werden, 
umso höherwertig ist unser Handeln, um so mehr Kulturwert bekommt es, — 
mindestens in sozialer und rein menschlicher Hinsicht. Die Begriffe „gemein¬ 
nützlich, gemeinschädlich und gemeingefährlich“ bekommen so auch durch 
bestimmte seelische Mechanismen ihren Sinn. 

Die in den letzten Zeilen gestreifte Gruppe reflektierender Vorgänge kann 
abermals in Beziehung zu dem in der Seele gegebenen Bestände treten. Hier¬ 
durch kommt es zur Entstehung von Begehrungen. Auch deren Wert kann 
gleichfalls nach dem Maße allgemeiner Menschlichkeit gemessen werden. 

6. Diese Vorgänge sind es, die wir als Reaktionen der Persönlichkeit be¬ 
zeichnen und in denen sich ihr ganzer Besitz in mehr oder weniger vollem 
Umfange geltend macht. Oft gebrauchen wir, um ihren Einfluß zu bezeichnen, 
nicht das gleiche Wort. Wenn wir z. B. urteilsmäßig solche Reaktionen und 
ihre Wirkungen antizipieren, so pflegen wir damit gegebene Leistungen dem 
Willen zuzuschreiben, der jedoch nichts ist als die Persönlichkeit, von einer 
bestimmten Seite aus betrachtet, nämlich von der der Energieentwicklung aus. 

Die zahllosen Vorgänge der Reaktionen, Reflektionen und Antizipationen 
laufen bei dem einen spielend, tief- und weitgreifend ab, bei dem anderen 


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Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften usw. 365 


bleiben sie kümmerlich und mühsam. Je leichter diese Mechanismen arbeiten» 
um so freier ist der Mensch oder — wie wir auch gelegentlich sagen — 
unser Wille. Vorbild, Obung, Gewohnheit und natürliche Anlage haben solche 
Überlegenheit geschaffen. So ist der freie Wille kein konstantes und kau¬ 
salitätsloses Gebilde, sondern er besteht in einer mehr oder minder um¬ 
fassenden Einheit seelischer Faktoren, die in sich verwickelte Beziehungen 
auf weisen und mit ungeheurer Feinheit und Leichtigkeit, aber stets automa¬ 
tisch den gesamten seelischen Haushalt beeinflussen. Eine nicht allzutief ein¬ 
dringende Analyse von Einzelfällen würde auch sehr bald zeigen, dafi die 
mit dem Worte „Willen* bezeichneten wirksamen seelischen Faktoren von 
Fall zu Fall wechseln, und daß so bald diese, bald jene Seite der Persön¬ 
lichkeit als Glied des Willens wirksam wird. 

Es ist an dieser Stelle, wo es sich nur um Grundgedanken handelt, natürlich 
ausgeschlossen, Einzelheiten näher darzustellen. Es sei nur ausdrücklich darauf 
hingewiesen, dafi das Handeln, wertloses wie wertvolles, so gut wie aus¬ 
schließlich automatisch im engsten Sinne abläuft, und daß in unserem All¬ 
tagsleben der freie Wille in dem Sinne eines bewußt wägenden und wählen¬ 
den nur sehr selten wirksam wird. 

7. Ob eine Handlung gut oder böse ist, finden wir nicht durch ihre psycho¬ 
logische Analyse heraus. Gute und schlechte Handlungen sind als seelische 
Vorgänge voneinander so wenig verschieden, wie englische und deutsche 
Kreidefelsen als physische Gegenstände. Gut und böse sind keine immanenten 
oder konstitutiven und darum auch keine psychologischen Merkmale, sondern 
relative Eigenschaften. Gut heißt: passend zu den sozialen Entwicklungs¬ 
tendenzen des Menschengeschlechtes oder der menschlichen Würde; schlecht 
heißt dem widersprechend. Ein gutes Handeln ist dem psychologischen 
Mechanismus nach dann gegeben, wenn seine Endglieder oder seine Folgen 
solchen Forderungen entsprechen. Fraglich bleibt noch: Wie wird solches 
Handeln möglich? Infolge des Spieles unserer Phantasie können sich die in 
den Begriffen des Menschen liegenden Forderungen zu mehr oder weniger 
klaren Bewußtseinsinhalten in uns entfalten und unser Handeln bestimmen. 
Je weiterblickend und je tiefer mitfühlend der Handelnde ist, und je mehr 
er die Forderungen seines Mitmenschen hinsichtlich dessen materiellen Vor¬ 
teils, seines inneren Wertes und seiner Würde berücksichtigt, um so mehr 
gewinnt sein Handeln an Wert. Das Maß der Bewußtheit ist dabei für die 
psychologische Struktur eines wertvollen Handelns nicht entscheidend, sondern 
allein der Umfang, in dem es den eigenen Forderungen und denen der Natur 
der Mitmenschen gerecht wird. Weitherzigkeit und Weitblick sowie Ein¬ 
stellung auf kulturelle Entwicklung sind deshalb die wichtigsten psycholo¬ 
gischen Vorbedingungen wertbildenden tüchtigen Denkens und Handelns. 


Die erzieherisch wichtigen Gesamtmerkmale der Vorgänge der Wert¬ 
erzeugung. 

Die soeben entwickelten sieben Grundgedanken gehören im wesentlichen 
dem Gebiete der Psychologie an, da sie Tatsachen erklären. Auf ihnen als 
Grundlage bauen wir nun weiter und fragen, was soll der Mensch tun, der 
wertvoll genannt sein will. Auch für diese Frage gibt uns die Biologie die 
Tatsachengrundlage. Wenn wir die Entwicklung des menschlichen Geschlechtes 
hernehmen, so wissen wir, daß es sich aus Tierformen herausgebildet hat und 


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F. E. Otto Schultze 


in einer zwar unendlich langen, aber in wunderbarer Stetigkeit der Entwick¬ 
lung zu der Höhe gelangt ist, die es jetzt einnimmL Entfaltung; Evo¬ 
lution ist das Grundprinzip dieses Vorganges: die in der Natur schlummern¬ 
den Kräfte werden zur Ausbildung gebracht. Das Einzelleben ordnet sich 
diesem Entwicklungsgänge unter; beim Gebildeten unterliegt es deshalb dem 
normativen Gesetz, bewufit den in ihm liegenden Schatz von Nat*i~- 
kräften zur höchstmöglichen Blüte zu bringen. Die Grundfrage bei 
der Formulierung der Erziehungsziele lautet daher: Wie kann ich die in d -"i 
Zögling schlummernden Kräfte durch meine Maßnahmen zu möglichst hoher 
Entfaltung bringen? 

Die Bestimmung dieses Zieles ist noch zu allgemein, um im Einzelfalle 
schnell zu klaren Ergebnissen zu führen. Es müssen gewisse Gesamt¬ 
charaktere deutlich hervortreten, die die Einzelleistung besitzen soll. 


I. Selbständigkeit 

Abermals sind es biologische Analogien, die uns fördern. Das Leben ist 
ein Kampf. Zwar scheint dieser Satz manchem in glücklicher Stellung Leben¬ 
den als platte Redensart; derjenige aber, der Geld verdienen muß — und 
das ist doch bei weitem die größte Anzahl von Menschen, die wir zu erziehen 
haben — fühlt stets mit mehr oder weniger großer Deutlichkeit das Lastende 
und Aufreibende des Lebenskampfes. Mag er es nun mit dem Neid von 
Gleichgestellten, mit der Willkür oder Herrschsucht von "Vorgesetzten zu'tun 
haben, mag der Kampf hart und leidenschaftlich geführt worden sein, ( t>der 
langsam und allmählich den Ringenden zermürben und zerreiben, stets ist 
eine widerstandsfähige Natur nötig, um ihn auszuhalten. Wir brauchen des¬ 
halb Menschen, die nicht bei dem ersten Widerstand, den sie finden, erschlaffen, 
zusammenbrechen oder beim ersten Sturmeshauch gar wie ein Kartenhaus 
umfallen. Wir brauchen selbstsichere Persönlichkeiten, die auf ihren Beinen 
fest stehen, die ihre eigene Meinung, ihren eigenen Willen, eigenen Geschmack, 
sicheres Gefühl, festes Gewissen besitzen. Die innere Schwächlichkeit des 
Denkens, wie sie sich im hochgradig suggestibelen Menschen zeigt, ist uns 
verächtlich. Gibt es doch Fürsten, von denen man sagt, jeder der zuletzt 
bei ihm ist, hat bei ihm Recht! Was nützt ein Mensch in noch so hoher 
Stellung, der dem Gerede seines Friseurs und seiner Dienstboten zugänglicher 
ist, als dem der fachlich Untergebenen. Darum ist es nötig, daß der M<wch 
es lerne, sich eine Meinung zu bilden. Er muß selbständig sein im Dltncen. 
Er muß wissen, wie man für seine Ideen die Voraussetzungen suct i 
findet, wie man aus Voraussetzungen Schlußfolgerungen ableitet, wie nian 
sich über diese Ergebnisse und ihre Entstehung Rechenschaft gibt urd sie 
gegen falsche Auffassungen verteidigt und sichert. Die sq erzielte Selbständig¬ 
keit ist kritisch. Sie ist für den Gebildeten unentbehrlich und vermag ’ueh 
die natürliche Charakterschwäche der Meinungsbildung bis zu einem gew issen 
Grade zu beheben. — Die Selbständigkeit des Denkens hat noch eine d adere 
Voraussetzung, die wir vom Gebildeten erwarten müssen. Es ist die Selbst*'ndig- 
keit des fachlichen Wissens. Jeder muß die nötigen Fachkenntnisse haben, 
mag es sich um Erscheinungen des Alltagslebens handeln, in denen fae’ -liehe 
Beschlagenheit nicht erst stets durch hohe Studien begründet zu werden 
braucht, oder mag es sich um spezifisch wissenschaftliche Kenntnisse hahdeln. 
Blaustrumpfwissen ist um so gefährlicher, je verantwortlicher die Stellung 


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Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften usw. 867 


seines, Besitzers ist. Ein Kopf ohne Wissen ist — wie Napoleon sagt — eine 
Festung ohne Kanonen. . 

Wie mit der Selbständigkeit des Denkens steht es mit der Selbständig¬ 
keit des Fühlens. Den Dingen der Umgebung gegenüber erweist sich unser 
Gefühl als leistungsfähig im Geschmack. Der Geschmack aber kann und muß 
efgogen werden. 'Zwar findet sich Selbständigkeit dieser edlen menschlichen 
Fähigkeit selten. Dies ist jedoch nur eine Folge unserer einseitigen Er- 
zjgjiung. Die meisten Menschen brauchten in ihren Gefühlen durchaus nicht 
Sw konventionell zu sein, wie sie es fast stets sind. Sie haben es nicht ge¬ 
lernt, auf die Stimme ihres Gefühles zu horchen, und bleiben so abhängig 
von dem, was sie hören. Gute Gefühlserziehung kann aber schon von früher 
Jugend an einsetzen und in strenger Folgerichtigkeit das ganze Leben hin¬ 
durch weitergeführt werden; sie hat dann' sicher erfreulichen Erfolg. 

Was von den Gefühlsreaktionen den Dingen gegenüber gesagt wird, gilt 
in gleicher Weise von unserem Fühlen den Mitmenschen gegenüber. Dieses 
Fühlen erscheint der oberflächlichen Betrachtung von jenem so verschieden, 
daß der Sprachgebrauch dafür ein anderes Wort gebildet hat und von Gemüt 
redet. Nur gelegentlich sagen wir z. B.,. daß jemand in der Auswahl seines 
Verkehres guten Geschmack beweist; aber dann meinen wir schon wieder 
etw is anderes als das Fühlen von Mensch zu Mensch. Über der Erziehung 
von Geschmack und Gemüt steht das große Wort von Schopenhauer: „Man 
muß vor einem Kunstwerk stehen wie vor einem Könige und warten, bis es 
einer, anspricht.“ Es treten dann Regungen in uns auf, die rein durch die 
Sache bedingt und zu starker ursprünglicher Wirkung fähig sind; erst sie 
weisen den Dingen in unserer Seele die Stellung an, die sie ihrer Natur nach 
verdienen. Lernt man das Fühlen vielleicht besonders gut an Kunstwerken, 
so heißt es doch vor allen Dingen dem Mitmenschen imbefangen und mit 
voller Hingabe gegenübertreten und spüren, was in ihm an Wert und Un¬ 
wert liegt. Die Gefühle sind keine bloße Konvention, wenn sie auch von 
Sitte und Rede auf das Stärkste beeinflußt werden können. Für den, der 
sich von beiden frei zu machen versteht, sind sie das feinste und sicherste 
Reagens der Seele auf die Eindrücke, die an sie herantreten; ja, im Grunde 
sind sie eines Irrtums nicht fähig! Am deutlichsten zeigt sich das auf. 
einem Gebiet seelischen Lebens, das besonders empfindlich ist, im Gewissen, 
das nur eine, aber die feinste Gruppe von Bedingungen seelischer Reaktionen 
ins ..Jge faßt. Allgemein läßt sich sagen: tritt ein positives Wertgefühl * 
in . auf, so sagt es uns, der neue Eindruck findet Übereinstimmung mit 
uns«. :m Innern; tritt ein negatives Gefühl ein, so liegt ein Widerspruch 
vor. . Urteilsfehler können nur da zustande kommen, wo nicht alle Seiten 
des betrachteten Gegenstandes und alle in uns liegenden Anlagen zur Sprache 
komr pn. 

Dit,^dritte Seite der Selbständigkeit ist die höchste. Sie hat die des Denkens 
und Fehlens zur Voraussetzung und setzt ein neues Moment hinzu, die Selb¬ 
ständigkeit der Energie, es ist die Selbständigkeit des Willens. Die Alten 
habei.. die Tapferkeit so hoch gestellt, weil sie die Selbständigkeit des Willens 
in der wichtigsten Lebensaufgabe, in der Selbstbehauptung im Kampfe sahen. 
Es scueint aber, daß Tapferkeit im Wettkampfe leichter zu bewähren ist als 
Mut in dem unblutigen stillen Existenzkampf des Alltagslebens, der nichts 
mit Schwertern und Kugeln zu tun hat. Es scheint, daß der innere Mut, für 


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F. E. Otto Schnitze 


den Bismarck den kräftigen Namen Zivilkurage gefunden hat, eine seltenere 
Tugend ist als der äußere, physische. Psychologisch ist das nicht unverständ¬ 
lich, denn im Kampfe herrscht der Affekt, und die Gefahr ist groß; in solcher 
Lage Energie aufzubieten, ist leichter als in der ruhigen Überlegung, wo der 
Trieb der Leidenschaft fehlt und die Macht nachteiliger Folgen für Besitz, 
Ehre und Vorteil sich leichter, nachhaltiger und stärker geltend machen können. 
Sophokles hat sehr treffend gesagt: „Auch der Freigeborene wird in der Nähe 
des Königs schnell zum Sklaven.* 

II. Sachlichkeit 

In der Selbständigkeit erweisen sich die seelischen Leistungen als trieb¬ 
kräftig und widerstandsfähig. Triebkräftig folgen sie dem inneren Drang und 
den äußeren Anreizen, und widerstandsfähig müssen sie sich den störenden 
Reizen des eigenen Innenlebens und den Hemmungen und Stürmen der 
Außenwelt gegenüber bewähren. Ist die Selbständigkeit hierbei ein formales 
Gesamtmerkmal der Leistungen, so kommt es nun darauf an zu sehen, welches 
die materialen Merkmale der seelischen Vorgänge sind. Zur Beantwortung 
dieser Frage müssen wir daran denken, daß der Mensch, wie bereits gesagt, 
auf Grund seiner Organisation in der. Lage ist, die Außenwelt gleichsam in 
sich aufzunehmen. Er bildet in sich Repräsentanten von ihr und verarbeitet 
mit ihrer Hilfe.die Gegenstände, oder wie der Sprachgebrauch sich ausdrückt, 
die „Sache*. Der materiale Inhalt wird deshalb von der Frage aus verständ¬ 
lich : wie können wir uns auf die Sache einstellen, wie können wir im vollsten 
Sinne sachlich sein, sachlich denken, fühlen und wollen? Welche Merk¬ 
male und Tugenden zeigt der Mensch, der sich am besten und vollsten der 
Sache widmet und ganz in ihr aufgeht? 

Die Antwort auf diese Frage finden wir gleichfalls vom Evolutionsprozesse aus. 
Die „Sache* muß zur höchsten „Entfaltung* gebracht werden! 
D. h. zunächst: alle Einzelheiten müssen herausentwickelt werden. Die 
Tugenden der Peinlichkeit, der Sorgfalt werden damit selbstverständlich als 
Tatsachen und Forderungen. Weiter ist es eine psychologische Notwendig¬ 
keit, daß wir bei der Verarbeitung des gegebenen seelischen Materiales aHe 
•Beziehungen hersteilen, die zwischen den Gegenständen selbst und zwischen 
ihren Teilen und Merkmalen bestehen. Aus diesen Relationen ergeben sich 
, jeweils neue Gedanken und Gefühle, bis schließlich alle Einzelheiten mehr 
oder weniger eng mit einander verwoben sind. Bilden sich dabei zunächst 
auch manche überflüssigen Einfälle, so sorgt doch die Fülle der Beziehungen 
dafür, daß Unnötiges abgestoßen wird, und daß die Beziehungen, die mehr¬ 
fach fundiert sind, mit besonderer Eindringlichkeit und Triebkraft sich heraus¬ 
heben. So eigibt sich ganz von selbst auf der einen Seite die Einfachheit 
und Schlichtheit als Merkmal hoher Leistungen, auf der anderen Seite ein 
Zug und ein Bedürfnis nach Wahrscheinlichkeit, Wahrhaftigkeit, Notwendig¬ 
keit, nach Logik, Stil und Pflicht. Für das Gebiet des Menschlichen hat 
auch hier der Sprachgebrauch besondere Begriffe geschaffen. Berücksichtigen 
wir die Forderungen, die die Mitmenschen auf Grund der ihnen innewohnen¬ 
den Eigentümlichkeiten und Merkmale an uns stellen, ihre Bedürfnisse und 
Rechte, ihre Pflichten, den in ihnen liegenden Wert und ihre Würde, so er¬ 
füllen wir damit von selbst die Pflichten der Liebe, Gerechtigkeit, Treue 
und Dankbarkeit. Dabei ist es gleichgültig, ob wir einen einzelnen Menschen 


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Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften uaw. 3(59 


oder Menschengruppen vor uns haben. Was vom Einzelnen gilt, gilt von der 
Einheit, der Familie, der Freundschaft, von der Arbeitsgemeinschaft, dem ge¬ 
schäftlichen Verkehr, von den Gemeindebildungen in Stadt, Staat und in der 
Welt Damit haben die zwar vagen, aber ungeheuer wichtigen und wertvollen 
Begriffe Menschlichkeit undHumanität ihren Sinn erhalten. Sie bezeichnen 
psychologisch bedingte Notwendigkeiten oder m. a. W. Tatsachen bezw. 
Forderungen, die sich unter der Voraussetzung voller Empfänglichkeit und 
Differenziertheit der menschlichen Anlage ganz von selbst ergeben. 

So wertvoll sich hiernach ohne weiteres die Organisation der menschlichen 
Seele als Grundlage hochwertiger Sachlichkeit erweist, so müssen wir doch 
auch in Rechnung ziehen, daß gleichzeitig der Trieb zur Macht in den ein¬ 
zelnen Individuen mit verschiedener Stärke entwickelt ist. Der Durchschnitts¬ 


mensch, wenigstens alle starken Naturen, setzen in die Sache, die sie ver¬ 
treten, ihre ganze Persönlichkeit. Diese muß sich geltend machen. Dies 
geschieht aber meist im Streben zur Macht Psychologisch — im Sinne der 
oben kurz entwickelten Lehre von den Begriffen — heißt das: der Begriff des 
Ichs soll und muß sich unter den zahllosen Begriffen, die jedes Individuum 
von anderen Menschen besitzt, innerhalb der Einzelseele zur Herrschaft er¬ 
heben. Der Grund dazu liegt darin, daß er sowohl von seiten der Sinnes¬ 
werkzeuge als von seiten des Gemüts und der mit diesem Worte mitbezeich- 
neten angeborenen Anlage am meisten Nahrung und Triebkraft erhält Es 
ist dies eine-der wesentlichsten Seiten in der psychologischen Grundlage dessen, 
was wir als Raubtiernatur des Menschen zu bezeichnen pflegen. Daß wir - 
körperlich Eckzähne haben, ist nicht so wesentlich, als daß wir Ellenbogen, 
Herrschsucht, Geldgier und Ehrgeiz besitzen. Das sind Organe oder Kräfte 
der Seele, Mächte, die bei vielen Individuen leider ungleich stärker wirksam 
sind, als die Sache im engsten Sinne. Um den enormen Einfluß dieser und 
ähnlicher subjektiver Momente zu kennzeichnen, müssen wir uns die Menschen 
vergegenwärtigen, in denen geringer seelischer Besitz und wenig differenzierte 
Eigenart mit hoch entwickelter Macht gepaart sind. — 


Der Typua des Feldwebels sei zunächst in diesem Sinne genannt Naturgemäß ist hier 
der Durchschnittsfeldwebel gemeint, wie ihn der Sprachgebrauch kennt. Die Tatsache, daß viele 
solcher Männer Väter der Kompagnie im besten Sinne des Wortes sind, und daß zumal dem 
preußischen Feldwebel eine ungeheure Sachlichkeit eigen ist, schließt eine wenig erfreuliche 
Häufigkeit der Zerrform des Machtgefühles nicht aus, wie sie vom großen Durchschnitt her 
bekannt sind. Die Neigung zum Befehlen und zu geringschätziger Behandlung, das Schikanieren, ‘ 
ja das Bedürfnis, die Leute zu schinden, liegt ungeheuer tief in derartigen Charakteren begrün¬ 
det Dazu kommen Gereiztheit, gewohnheitsmäßiges Schimpfen und unerzogene Rücksichts¬ 
losigkeit Naturgemäß finden sich derartige Züge auch in anderen Beamten- und Berufsstellen, 
denn hohe Organisationen der Seele sind selten, und unsere Ausbildung legt auf die Entfaltung 
der rein menschlichen Anlagen wenig Wert. Im Heeresdienst ist wegen der scharfen Arbeits¬ 
teilung und der besonders hohen Machtstellung des Vorgesetzten dieser Typus nur besonders 
ausgeprägt. Eine zweite Gruppe von Fällen von gewisser seelischer Armut und Unverhältnis- 
mäßig großer Macht ist in dem jetzt so bekannten Typus des Munitionsarbeiters und Empor¬ 
kömmlings überhaupt zu sehen. Auch hier darf natürlich nicht kraß verallgemeinert werden. 
Tausende von Menschen sind durch die Munitionsarbeit vorangekommen und haben durch ihre 
Sparsamkeit die Grundlage zu einem bescheidenen Wohlstände gelegt, aber ein beängstigend 
großer Teil ihrer Masse gibt sich so gut wie schrankenlos dem Lebensgenuß hin und denkt nicht 
einmal an die Gefahren der eigenen Zukunft, sonst wäre ja nichts selbstverständlicher, als daß 
man erst einmal sich selbst gegen diese Gefahren der Krankheit, des Alters und der Arbeits¬ 
losigkeit sicherte, anstatt daß man die eigenen Bedürfnisse in luxuriöser Weise befriedigte. Es 
bewährt sich damit die alte Erfahrung, daß derjenige, der keine Tradition in der Sparsamkeit 
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F. E. Otto Schultze 


und im Geldzusammenhalten kennt« das Sparen nicht allzu leicht lernt, und daß andererseits 
wohlhabende Familien« in denen die Sparsamkeit Gewohnheit ist, unverhältnismäßig einfacher 
leben, als etwa gleichgestellte Familien ohne solche Sitte. — Als dritte Gruppe von Fällen müssen 
wir an die Frau im allgemeinen denken. Bei ihr tritt die Sachlichkeit hinter dem Gemütsleben 
leicht zutück. Das Gefühl ist bei der Frau bekanntlich im großen und ganzen wesentlich reicher 
entfaltet als beim Manne. Die Frau ist lebhafter in Zuneigung und Abneigung, in Liebe und 
Haß, sie bringt leichter Opfer, ist aber auch viel leichter ungerecht, gehässig und überhaupt un¬ 
sachlich. 

Volle Sachlichkeit unterdrückt darum mit psychologischer Notwendigkeit 
die subjektiven Neigungen, mögen diese herkommen wo sie wollen; strenge 
Sachlichkeit ordnet sich der Sache vollständig unter und sieht in ihrer Ent¬ 
faltung die unbeugsame Pflicht. Sachlichkeit wird damit die Grundlage der 
inneren Freiheit, der höchsten sittlichen Forderung, die wir stellen können. 

DI. Frohsinn. 

Würden wir uns mit der Erfüllung der beiden Forderungen: Selbständig¬ 
keit und Sachlichkeit begnügen, so könnten wir es sicher leicht zu einer 
hohen Leistungsfähigkeit bringen. Es bleiben aber zwei grundverschiedene 
Lösungen des Lebensproblems möglich, die eine der puritanisch strengen 
Sittlichkeit und Härte, die andere der sieghaften, freiwilligen, frohsinnigen 
Kräfteentfaltung. Ja selbst eine finstere, harte, nüchterne Lebensführung 
wäre bei solchen Voraussetzungen nicht ganz ausgeschlossen. Von diesen 
Möglichkeiten scheint uns die zweite, die hedonistisch-optimistische Form, die 
wesentlich wertvollere zu sein, denn sie läßt das Leben nicht nur in sitt¬ 
licher, sondern zugleich auch in rein menschlicher Beziehung wertvoll er¬ 
scheinen. Dabei ist sie wesentlich leichter und angenehmer durchzuführen, 
als die andere. Weshalb soll man daher nicht den Frohsinn gleichfalls zu 
seinem Rechte kommen lassen? Ich weise auf sehr einfache Erlebnisse hin: 
Wenn man in monatelanger Pflichterfüllung die Tretmühle des Alltagslebens 
hat klappern lassen und dann an dem ersten schönen freien Tage seiner 
Ferien sorgenlos und hoffnungsfreudig in die langentbehrte Natur hinaus¬ 
wandert, wie atmet man dann aufl Man freut sich seiner Freiheit und der 
Schönheit der Welt und sagt schließlich: Warum nimmt man das Leben so 
nüchtern und ernst? Weshalb genießt man es nicht öfters? Und wie anders 
leistungsfreudig fühlt sich der Abgeschflffte nach einer wohlverdienten Arbeits¬ 
unterbrechung 1 Ja noch mehr: der Mensch braucht Feste zur rechten Zeit, 
wenn er sich jung und elastisch erhalten will; sie müssen auf unserem Lebens¬ 
programm stehen. Darum ist der Frohsinn nicht nur schön, sondern auch 
lebenswichtig. 

Abermals sind es die Gefühle, die mit der Forderung des Frohsinns ent¬ 
scheidende Bedeutung in unserem seelischen Haushalt gewinnen. 

Wir hatten gesagt, daß sich in uns rein gesetzmäßig Einfälle, Gedanken, 
Begehrungen und Absichten bilden. Wir können uns nicht verschweigen, 
daß unsere Gedanken oft wunderlich und nicht selten geradezu töricht sind. 
Darum muß zwischen ihnen eine Auswahl stattfinden. Am glücklichsten und 
erfolgreichsten wird sie sein, wenn sie durch Weitherzigkeit und Gefühle der 
Lust und des Glückes begünstigt wird. Dem Frohen und Weitherzigen wird 
es leichter als dem Engherzigen, dem Neidischen und Mißgünstigen, andere 
Menschen glücklich zu sehen und ihnen zur Freude zu verhelfen; dem Eng¬ 
herzigen dagegen wird es schwer, ja oft unmöglich; er ist darum gewissem 


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Selbständigkeit, Sachlichkeit und Frohsinn als Charaktereigenschaften ubw. 371 


maßen der Typus des Bösen: seine Freude ist Freude am Mißergehen und 
Unglück des anderen. Dieses negative Moment, das Mißgeschick und Un¬ 
glück des Anderen, darf nicht über unsere Seele Gewalt gewinnen. Seine 
Ausschaltung kann aber nur da erfolgen, wo Weitherzigkeit und die Fähig¬ 
keit, anderen Gutes zu tun, besteht. Das reichste Maß sich zu freuen und 
anderen Freude zu gönnen, ist also der Prüfstein höchster Leistungsfähigkeit 
auf menschlichem Gebiet. Der Engherzige ist in diesem Sinn ein beschränkter 
Mensch; er kann sich nicht mehr freuen, wo anderen dies noch in reichem 
Maße vergönnt ist. Könnte er das,-so stände er auf einer wesentlich höheren 
Stufe der allgemeinen Menschlichkeit. Reichtum an Freude ist somit 
neben Weitherzigkeit ßin Zeichen hoher seelischer Organisation 
und Grundlage für Liebe, Güte und Menschlichkeit 

Auch auf anderen Gebieten geben uns die positiven Gefühle einen Hinweis 
auf unsere innere Struktur. Der gesunde Mensch befindet sich wohl; er neigt 
dazu^ sein körperliches Befinden, soweit er sich darauf einstellt, angenehm 
zu spüren. Wer am Morgen wohlausgeruht erwacht und Herr seiner Kräfte 
ist, ist ein anderer als der, der sich am Abend übermüdet auf sein Lager 
wirft, jener ist glücklich, dieser gleichgültig oder unlustig. Die Kinder, die 
übermüdet sind, besitzen noch nicht die Hemmungen^ des Erwachsenen und 
weinen und schreien darum in der Übermüdung grundlos, ein nicht mißver¬ 
ständlicher Ausdruck ihres Mißbefindens. Gelingt es deshalb, unser Leben 
so zu gestalten, daß es körperlich und seelisch von glücklichen Gefühlen 
durchzogen und durchwoben ist, so ist damit die Gewähr gegen Griesgram, 
Neid, Mißgunst und gegen körperliche Leistungsherabsetzung geschaffen. Und 
so will es uns scheinen, daß der Mensch, der im Lebenskampf steht, sich immer 
und immer wieder zu prüfen hat, ob er körperlich und seelisch froh und 
glücklich ist. 1 ) Darum frage man sich von Zeit zu Zeit: 

Sag’, bist du froh? 

Und kann man nicht freudig ja sagen, so besinne man sich nicht lange, 
sondern spreche, sich selbst anspomend, weiter: 

Und bist du’s nicht, so sorge, daß du’s seist! 

Jean Paul bat diese Weisheit in einem unendlich feinen Spruch zum Aus¬ 
druck gebracht, als er sagte: „Heiterkeit ist der Himmel, unter dem alles ge¬ 
deiht, außer den Giften.“ 

Unser Gefühlsleben hat mannigfaltige Seiten. Lust und Unlust sind die 
bekanntesten und auffälligsten Momente, aber es gibt noch einen anderen 
Gegensatz der positiven und negativen Gemütsbewegungen, der damit nicht 


') Ein Mißverständnis muß an dieser Stelle sofort ausgeschlossen werden. Wir reden in diesem 
Aufsätze nur von den Zielen der Erziehung und nicht von ihren Wegen und Mitteln. Man kffnnte 
darum meinen, wir zielten auf eine Behandlung der Zöglinge ab, in der alles von Lustigkeit 
fiberströmt und in der alles Unangenehme erleichtert und alles Bittere überzuckert würde. Keines¬ 
falls i Sachlichkeit und Selbständigkeit müssen stets stark und hart sein können. In dieser Be¬ 
ziehung bleibt die preußische Willenskraft unentbehrlich. Die bekommt man aber nur durch harte 
Arbeit, straffe Zucht und Gewöhnung an Entbehrung. Man muß Hartholz bohren lernen I Oder 
um ein anderes Bild zu gebrauchen, sei es gestattet, eine Stelle zu zitieren, nach der Carneades 
von Cirene und nach ihm Montaigne die Bemerkung gemacht haben, daß die Fürstensöbne, unter 
deren Berührung sich alles binsenhaft biege und beuge, nur von den Pferden, die sie bestiegen, 
rücksichtslos abgeworfen würden und daher meistens nur das Reiten gründlich lernten. — Preußischer 
Drill ist bei jeder vollwertigen Erziehung unentbehrlich! 


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F. E. Otto Schultze 


gleich ist. Das Gefühl der Bewunderung und die Gefühle des Großen auf 
der einen Seite und das Gefühl des Kleinmutes und der Schwäche auf der 
anderen Seite stehen sich mit der gleichen Deutlichkeit wie jene gegenüber; 
beide Geftthlsreihen können unabhängig voneinander im Bewußtsein auftreten. 
Die sachliche Betrachtung der Welt und ihres Baues führt, je tiefer sie greift, 
ganz von selbst zu Gemütswirkungen. Wir freuen uns ihrer Schönheit, wir 
bewundern ihre Unendlichkeit und stehen still vor ihrer Macht Das Erklärungs¬ 
bedürfnis leitet uns' in der gleichen Richtung weiter und findet hinter der 
Welt, wenn auch nicht auf wissenschaftlichem Weg, so doch mit dem Glauben, 
noch etwas stehen, das zwar nicht der Verstand, wohl aber die Vernunft und 
das Gemüt erfassen kann. Durch Sachlichkeit und tiefes Gefühl kommen 
wir ganz von selbst zu einer religiösen Auffassung. Mag man das Göttliche 
im Sinne des alten Griechentums, des Christentums, des Islams oder philo¬ 
sophischer Spekulationen auffassen, der große Grundzug auf das Heilige i3t 
allen gemeinsam. Er ist wie alle Tugend eine psychologische Notwendig¬ 
keit vollster innerer Entfaltung und umfassender Verarbeitung der Welt und 
des Seins. 

Fügen wir unsere Überlegung zusammen, so erhebt sich von selbst als Ziel 
unserer Entwicklung und Erziehung das Bild eines Menschen von einfacher, 
klarer Gestaltung vor unseren Augen. Es ist uns fast gleichgültig, ob er 
intellektuell hochbegabt, mittelgut oder schwach veranlagt ist. Wichtiger 
ist, daß er gesund ist und seine Kräfte entfaltet, die die 'Natur und seine 
Umgebung von ihm fordern. Er ist kraftvoll und selbstsicher, läßt sich nicht 
von jedem Windstoß umblasen, ändert nicht von Augenblick zu Augenblick 
seine Meinung, hat einen ausgeprägten Geschmack und ein sicheres Mit¬ 
gefühl und besitzt einen starken zielsicheren Willen. Der Sache ordnet er 
sich unter, in welcher Gestalt sie kommen mag. Er verarbeitet sie gründlich, 
bis sie ihm einfach, klar und notwendig erscheint. Er bleibt ihr gegenüber 
mit seinem Gehirn nicht kalt stehen, sondern erfaßt sie auch gefühlsmäßig. 
Empfänglichkeit und Weitherzigkeit, Gesundheit und Tatkraft lassen ihn die 
an sich lebenskräftigen Seiten der Sache angreifen, denn diese entsprechen 
seinen gesunden Anlagen. Herrschsucht, Eitelkeit, Gehässigkeit und Gefühls¬ 
überschwang und schließlich all die kleinlichen Süchte kann er durch seine 
Sachlichkeit leicht unterdrücken. Dabei durchzieht sein ganzes Wesen ein 
alles versöhnender Frohsinn, und im Stillen schlummert und wacht stets ein 
tiefreligiöses Gefühl. 

Haben wir einen Menschen zu beurteilen, so fragen wir: Ist er selbständig? 
Ist er sachlich? Ist er froh? 

Haben wir einen Menschen zu erziehen, so richten wir an uns, so oft wir 
pflichtgemäß unsere Leistungen prüfen und unsere Aufgaben vorbereiten, 
Fragen wie diese: Was hast du bisher getan, um alle Kräfte, die in deinem 
Zöglinge liegen, zu entfalten? Hast du dazu beigetragen, ihn selbständig, 
sachlich und froh zu machen? — So führen wir langsam und sicher ihn und 
auch uns selbst zu den Zielen der Selbständigkeit, der Sachlichkeit und des 
Frohsinns. 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


373 


Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 

and die Einrichtung öffentlicher Spielzimmer und Beobachtungsstätten. 

Von Oskar Frey. 


Was mich veranlaßt, in dieser schwierigen, oft erörterten, kaum an¬ 
nähernd gelösten Frage das Wort zu ergreifen, sei zugleich Erklärung der 
Abgrenzung, die in der Aufschrift liegt und der besonderen, auf praktische 
Resultate zugespitzten Behandlung. 

Es ist leider eine merkwürdige Tatsache, daß wir eine fast unüberseh¬ 
bare Literatur über das Spiel und eine täglich wachsende Literatur über 
neue Spielmittel besitzen — besonders solche, die von Kindern selbst her¬ 
gestellt werden sollen —, aber keine entsprechende Organisation, die plan¬ 
mäßige Erfahrungen sammeln könnte über die Berechtigung der vielen aus 
biologischen und psychologischen Theorien abgeleiteten Beurteilungen der 
Spiele und Spielmittel. 

Die Kindergärten können nicht in Frage kommen, da sie nicht das 
ganze spielfähige Alter umfassen. Die Bestrebungen, das körperliche Spiel 
zu fördern, stellen berechtigte Forderungen der körperlichen Ertüchtigung 
so einseitig in den Vordergrund, daß nach Spieltrieb und seiner Berück¬ 
sichtigung fast nicht mehr gefragt und das Spiel in solchen Übungen von 
der Zielstrebigkeit derselben ganz erdrückt wird. 

Eine wichtige Bestrebung unserer Pädagogik trägt — aber wohl gegen 
den Willen der meisten Führer derselben — dazu bei, daß der Spieltrieb 
unserer Jugend in seinen edelsten und wertvollsten Äußerungen in den Dienst 
der geistigen Selbsterziehung gestellt wird. Ich meine die Bewegung zur 
werktätigen und auf eigenes Experimentieren hinstrebenden Ausgestaltung 
des naturwissenschaftlichen Unterrichts: die naturwissenschaftlichen Schüler¬ 
übungen der Höheren Lehranstalten und das, was sich'unter dem Schlag¬ 
worte „Arbeitsschule“ in der Didaktik des Sachunterrichts geltend macht. 

Es wäre eine verhängnisvolle Selbsttäuschung, wollten wir auf diesem 
Gebiete uns in den Gedanken einwiegen, daß wir’s schon „herrlich weit 
gebracht“ haben, da Lehrmittel für viele Experimente aus fast allen Diszi¬ 
plinen erfunden und handelsfähig gemacht sind, einige Schulen oder Schul¬ 
kategorien auch die neuen Forderungen in Einklang gebracht haben mit dem 
Kunstwerke ihrer Lehrpläne. Die Tatsache, daß mit diesen Arbeitsmethoden, 
mit dem Streben durch Eigenarbeit und Selbsterlebnis wirklich erzieherisch 
zu individualisieren, das organisatorische Rückgrat unserer Schulen, der 
Klassenunterricht mit seiner gleichmäßigen Bewältigung eines vorgeschriebenen 
Arbeitspensums zertrümmert wird, darf nicht übersehen werden.. 

Wollen wir aber wissen, was wir eigentlich an seine Stelle setzen 
können, so gilt es, unsere Erfahrungsgrundlage darüber, wie das Kind 
reagiert, wenn es nicht dem Zwange der Organisation gehorcht, sondern 
dem eigenen, wertvollen Triebe folgt, bedeutend zu erweitern und planmäßig 
zu vertiefen. 

Eine vielversprechende Möglichkeit solcher Kinderforschung scheint mir 
im kindlichen Spiel zu liegen. Ich weiß, daß damit kein neuer Gedanke 
ausgesprochen wird. Der Gedanke gewinnt aber erst Wert, wenn eine 


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374 


O. Frey 


brauchbare Organisation gezeigt wird, die zu einer wenigstens teilweisen 
Verwirklichung der Idee führen kann. 

Untersuchungen mit größerer Kinderzahl über Spiel und Spieltrieb sind 
nicht zu machen, ohne bestimmte Berücksichtigung der Spielzeugindustrie 
und ihrer Erzeugnisse. Soweit mir Ausführungen der pädagogischen Presse 
über die Bedeutung der Spielzeugindustrie bekannt sind, erschöpfen sie sich 
in der Kritik einzelner Spielmittel oder bestimmter Gruppen derselben. Das 
unendlich mannigfaltige Angebot der Spielzeugindustrie wird verurteilt und 
die Qualität der Spielmittel wird in Gegensatz gestellt zu den Forderungen 
der „Kunsterziehung“ usw. Ich bin weit davon entfernt, die Schwierigkeiten 
zu unterschätzen, die durch die ungeheure Vielgestaltigkeit des Angebotes 
in bezug auf seine pädagogische Beurteilung entstehen, will durchaus nicht 
den Schund als berechtigt hinstellen, bin aber der Überzeugung, daß dag 
Überbieten durch Abänderungen desselben Spielmittels und das Unterbieten 
im Preise und der Qualität notwendige Entwicklungsstufen der Spielzeug¬ 
industrie sind, über die sie in einigen Zweigen schon hinausgewachsen ist. 

Wir haben eine weltumspannende Spielzeugindustrie oder hatten sie vor 
dem Kriege. Die Vertreter derselben wissen sehr wohl, daß sie nach dem 
Kriege einen schweren Kampf zu kämpfen haben, um deutschem Spielzeuge 
den Markt wieder zu erobern, sie wissen ebenso, daß dies nicht möglich 
sein wird mit Marken, die das Urteil herausfordem: „billig und schlecht*. 

In der Spielzeugindustrie ist aber die Materialfrage, d. h. die Frage 
nach dem gediegenen Material und der materialgerechten Ausführung nicht 
die einzige Qualitätsfrage. Das Urteil über „gut und schlecht“ ist auch nicht 
nur von einer Steigerung der künstlerischen Qualitäten abhängig, wenn auch 
durch die Mitarbeit der Künstler eine allgemeine Veredelung des Angebotes 
erreicht worden ist. 

In gutem Spielzeug wird immer mehr oder weniger bewußt eine er¬ 
ziehende Kraft gesucht. Spielzeuge werden von den Eltern in allen Kultur¬ 
ländern — um einen brauchbaren Ausdruck der philanthropischen Pädagogik 
zu benutzen — als „Miterzieher“ gewertet. Die Spielzeugindustrie wird 
von der pädagogischen Befähigung der Erfinder mindestens ebenso abhängig 
sein wie von ihren Künstlern und Technikern. Man kann aber leider nicht 
sagen, daß sie sich nach modernen pädagogischen Ideen orientieren könnte. 
Selbst der allgemein Orientierte wird die Orientierung in pädagogischen 
Fragen verlieren, wenn er ein bestimmtes Spielmittel nicht nur allgemein 
beurteilen, sondern Gedanken zu seiner technischen und pädagogischen Ver¬ 
besserung äußern soll. 

Uns fehlt doch zu sehr die Kenntnis der Resonanzbedingungen, die das 
Spielzeug im Geistes- und Triebleben vor allen der höheren Altersstufen 
findet. Diese für die Spielzeugindustrie ebenso wie für die Pädagogik 
wertvollen Kenntnisse können nur durch planmäßige Beobachtungen ge¬ 
wonnen werden. 

Grundsätze einer Organisation, die solche Beobachtungen ermöglichen 
will, müssen natürlich unter vollwertiger psychologischer Beratung aufgestellt 
werden. Es darf aber die Absicht der Beobachtungen nicht den Charakter 
des Spieles zerstören. 

Die Beobachtung des einzelnen spielenden Kindes müßte mit der Beob¬ 
achtung von Spielgemeinschaften so verbunden werden, daß Vergleiche 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


375: 


möglich sind. Gleichaltrige verschiedener Familien und Lebensverhältnisse,' 
Geschwister verschiedener Altersstufen, verschiedenen Geschlechts müßten 
mit demselben Spielzeuge unter gleichen und planmäßig abgeänderten Be¬ 
dingungen spielen. 

Die Spielzeuge dürften auch nicht den Charakter von Apparaten für 
Reaktionsversuche annehmen. Trotzdem müßten die Spielbedingungen so 
beeinflußt werden, daß vergleichbare Resultate erwartet werden dürfen. 

Im einzelnen die Möglichkeiten aufzuführen, wie sich diesen Schwierig¬ 
keiten begegnen läßt, ist unmöglich. Hier hilft nur die Tat, und das Urteil 
wird zu fällen sein, wenn bestimmte Berichte vorliegen. 

In Leipzig, der Stadt der Spielzeugmesse, ist es gelungen, während der 
Kriegsjahre im Anschluß an das auch im Kriege entstandene Schulmuseum 
eine derartige Organisation zu gründen. Wir haben Spielzimmer eingerichtet, 
von der Industrie die dankenswerteste Unterstützung erhalten und bemühen 
uns, Knaben und Mädchen des schulpflichtigen Alters in besonders dafür 
eingerichteten Zimmern ein Spielparadies zu schaffen. Daß die Kinder, 
denen die Spielzimmer bis jetzt zugänglich gemacht werden konnten, diese 
Einrichtung als die schönste Frucht der Kriegszeit bezeichnen und ständig 
um die Erweiterung der bis jetzt möglichen Spielstunden bitten, ist aller¬ 
dings bisher das einzige Ergebnis, über das ohne Bedenken berichtet werden 
kann und das uns in der Überzeugung festigt, die Organisation sei in ihren 
Grundzügen gelungen. 

Die Vorarbeiten, die nötig waren, um die Bereitwilligkeit der Industrie 
und der Verwaltung des Schulmuseums zu erreichen, haben mich aber ver¬ 
anlaßt, das Angebot an Spielzeug, über das die Mustermesse einen einzig¬ 
artigen Überblick ermöglicht, zu prüfen und zu sichten. Die Ergebnisse 
scheinen mir wert, daß sie der Öffentlichkeit übergeben werden. In der 
bewußten Beschränkung auf die industriellen Spielmittel ist die Möglichkeit 
eröffnet, daß Elternbeobachtungen herangezogen werden können. Die Not¬ 
wendigkeit, eine gemeinverständliche Darstellung der psychologischen Auf¬ 
fassung zu geben, erschwerte jene Arbeit nicht unbedeutend, und ich kann 
mir die Bitte an die Kritik nicht versagen, daß jene doppelte Abhängigkeit 
dieser Psychologie des Spieles mit Spielzeug berücksichtigt werden möchte ')• 

I. Zur Psychologie des Spiels. 

„ Die Industrie unterscheidet konsequent Spiele und Spielzeug. Zu den 
Spielen gehören unsere Brett-, Karten-, Würfel-, Lottospiele, also alle jene 
Spielmittel, die nicht auf Erwecken oder Verstärken einer Spielillusion ein¬ 
gestellt sind, daher auch nicht eigentlich „Kinderspielzeug“ sind. 

Uraltes Kulturgut der Menschheit findet sich unter diesen Spielen. Um 
wenige gute alte Formen hat sich ein Gerank neuer Erfindungen geschlossen, 
die die alte Spielform nach irgendeiner Seite Übertreffen sollen. Im all¬ 
gemeinen stammen die Neuerungen selten von solchen, die Meister der alten 
Form sind. Eines dieser Spiele — und sei es nur eines der bekannten 


*) Zur Orientierung über die Probleme und die Hauptformen der Auffassung des Spieles 
als einer Erscheinung des kindlichen Seelenlebens kommen hauptsächlich in Frage: Karl Groß, 
Hie Spiele der Menschen. Jena, Gustav Fischer, 1898; W. Stern, Psychologie der frühen 
Kindheit Quelle & Meyer, 1914. 


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O. Frey 


Familienbrettspiele — gut spielen, heifit, sich angenehm und anregend 
unterhalten, bedeutet für viele Menschen Erholung und Sammlung. 

Was sind aber diese Spiele unseren Kindern? Ist es wirklich so, daß in 
den Brettspielen die nie versagenden Erzieher zu Scharfsinn, schnellem Urteil, 
Obersicht über komplizierte Zusammenhänge gegeben wären? Sind die 
kindertümlichen Formen der Kartenspiele wirklich die besten Rechenmeister, 
die nicht nur das Addieren bis zum halb unbewußten Mitzählen und gleich¬ 
zeitigem Ablauf mehrerer Reihen nebeneinander üben, sondern auch die 
wirklich wertvollen Grundlagen aller Wahrscheinlichkeitsrechnung? Sind 
die Brettspiele wirklich die unersetzlichen Obungsstätten' des Raumsinnes, 
die Karten-, Würfel-, manche Lottospiele die kindertümlichsten Formen für 
das Sichtummeln im begrenzten Zahlenraum? Wer Kinder verschiedenen 
Alters in ihrer Unterhaltung mit solchen Spielen beobachtet, wird wohl 
erstaunt sein, wie wenig zuverlässig das Urteil über die Begabung der 
Kinder ausfällt, das aus ihrem Auffassen und Beherrschen der Spielregeln 
sich ergiebt. Ein Sichversenken in das Spiel, die volle Konzentration der 
Aufmerksamkeit auf die in der Spiellage vorhandenen Möglichkeiten, ist bei 
Kindern recht selten zu finden. Das Kind achtet zunächst sehr auf den 
Mitspielenden, ist meist von der Richtigkeit seiner Maßnahmen z. B. beim 
Brettspiel durchaus nicht so überzeugt, wie es glauben machen möchte. Die 
Spiele könnten also den Erfolg erstreben, Sicherheit im Handeln nach Ober¬ 
zeugung zu wecken. Wäre das möglich, so wäre ihre erzieherische Be¬ 
deutung hoch anzuschlagen. 

Der Verlauf einer Entwicklung, wie ihn das Erlernen eines Spieles« 
darstellt, ist aber meist so, daß man feststellen muß, das Kind sucht die 
Spielregeln nicht nur zu erlernen, sondern sehr bald nach seinen Wünschen 
abzuändem. Kinder finden oft an dem Erfinden neuer Spielformen und 
Regeln mehr Vergnügen als an dem Sichmessen mit dem Gegner nach den 
Gesetzen der alten Regeln. 

Nur durch regelmäßiges Mitspielen der Erwachsenen kann das Spiel mit 
mit diesen Spielmitteln allmählich den Charakter einer anregenden Unter¬ 
haltung gewinnen. Unterweisung in möglichst raffinierter Ausbeutung der 
Spielregeln überschreitet offenbar die Grenzen der erzieherischen Bewertung. 
Wer aber solche Spiele kauft in der Erwartung, die Kinder würden sich 
nun ganz für sich recht angenehm unterhalten, verfährt so wie einer, der 
ein Wörterbuch kauft und erwartet, daß das Kind nun die Anfangsgründe 
der fremden Sprache aus Liebe zum neuen Buche selbst lernen werde. 

Spielmittel, die nur für Kinder erdacht und geschaffen sind und die 
ohne Erläuterung vom Kinde verstanden und benützt werden, bezeichnet die 
Industrie als Spielzeuge. 

So vielgestaltig die Welt der Spielzeuge ist, sie kennt nur drei Grund¬ 
formen, nämlich Puppen, Baukästen, Mechanismen. Diese Grundformen 
weist auch das Spielzeug alter Zeit und das primitiver Völker auf. Alle alt¬ 
eingesessenen Spielzeuge haben sich eine Menge von Mischformen geschaffen. 
Puppenstuben und eine Menge alles Puppenkrames sind die Baukästen des 
Puppenspiels. Das Soldatenspiel ist nicht mehr denkbar ohne die Bau¬ 
klötzchen, die das Gelände darzustellen erlauben und ohne die Mechanismen 
(Kanonen, Wagenpark usw.). 

Daß die Spielzeugindustrie trotz ihrer Bemühungen keine wesentliche 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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Erweiterung der Spielformen gefunden hat, Ist ein bündiger Beweis dafür, 
daß diese Grundformen in der Eigenart des kindlichen Geisteslebens und in 
der Entwicklung desselben eine Erklärung finden. Sie sind als Anpassungs- 
fonnen an das kindliche Ausdrucksleben, die kindliche Ausdrucksfählgkeit 
aufzufassen. 

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Formen, mit denen Kinder 
am liebsten spielten, nicht nur erhalten, sondern auch dem Zeitgeschmäcke 
entsprechend gewandelt. Aber ihr Einfluß auf das kindliche Geistesleben 
ist derselbe geblieben. Untersuchungen darüber, ob der Spieltrieb unserer 
Kinder ein anderer ist als der Kinder früherer Jahrhunderte, sind offenbar 
verfehlt, weil die Themenstellung unzulänglich ist 

Spielzeuge wenden sich vornehmlich an das Vorsiellungsleben. Es 
wäre also zu fragen, ob vom Spielzeug eine eigenartige Beeinflussung des 
Vorstellungslebens ausgeht und ob das kindliche Spiel auch in bezug auf 
den Zustand des Vorstellungslebens beim Spiel besondere Kennzeichen besitzt 

Man hat die Struktur des kindlichen Geisteslebens beim Spiel als Spiel- 
illusion bezeichnet^ Spielzeuge sind alle jene Dinge, die eine Spielillusion 
hervorrufen oder verstärken. Mit den Spielmitteln baut das Kind seine 
Scheinwelt auf, in der Beschäftigung mit denselben schließt es sich gegen 
die Außenwelt ab und arbeitet mit einem durch die Spielmittel charakteri¬ 
sierten VorsteUungsschatze. Die Tätigkeit, die das Kind im Spiel entfaltet, 
ist ein Nacherleben. 

So sehr der Vorstellungsinhalt bestimmend sein mag für die Wahl und 
Ausgestaltung des Spieles, es darf doch nicht übersehen werden, daß in 
dem Nacherleben nicht nur der Ablauf der Vorstellungsreihen und nicht 
nur der mit ihnen verschmolzenen Bewegungen und Tätigkeiten gegeben ist, 
sondern daß die innige Verbindung beider psychischer Äußerungen Voraus¬ 
setzung für den Zustand der Spielillusion ist. 

Das Kind erlebt im Puppenspiel alles das wieder, was als vorwiegend 
körperliches Erleben sein Vorstellungsleben stark beeinflußt, ja beherrscht. 
Es objektiviert mit seinen Puppen all den Zwang der frühesten körperlichen 
und geistigen Erziehung. Die Puppe muß genau so artig sein, muß ihr 
Süppchen essen, sich waschen und kämmen lassen, ruhig sitzen usw., wie 
das Kind es soll. An und mit den Puppen werden aber auch die Höhe¬ 
punkte des kindlichen Erlebens nachgekostet. Die Puppe soll das ganz feine 
Kleid anziehen,- soll in der Puppenküche die leckersten Bissen zubereitet 
bekommen, soll eine Puppenstube ihr eigen nennen, die alle Freude des 
Besitzes an gutem Hausrate nacherleben läßt. Und wenn das Nacherleben 
den Kreis der häuslichen Verhältnisse überschreitet, wenn Formen des Ver¬ 
kehrs nacbgebildet werden — Eisenbahn, Elektrische, Auto —, wenn die 
Mitspielenden selbst die Rolle von Puppen übernehmen, immer sind Puppen 
die imentbehrliche Voraussetzung, ohne die das Spiel nicht in Gang kommt. 

Mit zunehmendem Alter werden die äußeren Bedingungen des Nach- 
erlebens zahlreicher. Die Nachahmung muß vollkommener gelingen, wenn 
die Spielillusion erreicht werden soll. Je weniger sich die äußeren Be¬ 
dingungen meistern lassen, desto sorgfältiger werden die Nachahmungen 
verbessert, die offenbar für das Nacherleben, für das Zustandekommen der 
Spielillusion besonders wichtig sind: Bewegung und Sprache. Mimische und 
sprachliche Nachbildungen gelingen im Spiel den Kindern viel besser, als 


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wenn sie nach Aufforderung sich die größte Mühe geben, die im Zustande 
der Spielillusion vortrefflich gelungene Nachbildung zu wiederholen. In 
dieser Anregung, mimisch und sprachlich zu gestalten, ist jedenfalls die 
wichtigste und für alle Stufen des spielfähigen Alters bleibende Wirkung 
gegeben, die von Puppen ausgehen kann. Aus dem Streben, das Nach¬ 
erleben der Stufe der erreichten Beobachtungsfähigkeit anzupassen, entsteht 
ein Schaffen, das man als »Dramatisieren“ bezeichnen kann. Es ist nicht 
ein Dichten von Handlungen, sondern trägt den Charakter des Nacherlebens. 
In der Spielillusion ist aber ein Zustand der Konzentration, des Sichversenkens 
in eine Situation gegeben, der zum sprachlichen und mimischen Schaffen 
befähigt. Vom Spiel mit Puppen, wie man es bei älteren Mädchen beob¬ 
achten kann, bis zum Puppentheater ist nur ein Schritt, allerdings verbunden 
mit einer Einstellung auf eine völlig andre Technik, die Anweisung und 
wohl auch besondere Veranlagung verlangt 1 ). 

Die Eigenart der Spielillusion, wie sie das Puppenspiel braucht und 
weckt, erfährt eine interessante Beleuchtung durch die Tatsache, daß Tier¬ 
puppen sowohl als Puppen an sich behandelt werden können — anderen 
Puppen durchaus gleichwertig — als auch zu einem ganz anderen Spiele 
anregen können. Tierformen, wie sie die alten Häuser- und Tierschachteln 
anbieten, wie sie neuerdings für zoologische Gärten und Tierparke angeboten 
werden, veranlassen ganz andere Spielformen. 

Das Spiel mit Soldatenpuppen besitzt wieder seine Eigenheiten. Zu¬ 
nächst sind Soldaten immer als Massen angeboten worden. Der Einzel¬ 
soldat könnte höchstens Denkmalfigur werden. Das Aufbauen der Soldaten 
war und ist immer ein wesentlicher Bestandteil dieser Spielform. Die Dlusion 
steigert sich aber bis zur Lebhaftigkeit des Erlebens. Unentbehrlich scheinen 
dabei die Mechanismen des Soldatenspiels, Kanonen und Wagenpark usw. 
Im Spiel mit Zinnsoldaten wird immer mehr oder weniger bewußt das 
Soldatenspiel im Freien, das Wett- und Kampfspiel mit den Spielgenossen nach¬ 
erlebt. Spielsoldaten und Soldatenspiel sind die beiden Voraussetzungen für 
die Spielillusion. 

Das Heer der Baukästen ist mindestens ebenso groß und vielgestaltig 
wie das der Puppen. Von vornherein scheint es fraglich, ob beim Bauen 
mit den Baukästen das, was oben Spielillusion genannt wurde, überhaupt 
entstehen kann. Das Bauen kann nicht als Nachahmung der menschlichen 
Arbeit bezeichnet werden. -Das Kind vermag die Arbeitsvorgänge kaum mimisch 
nachzubilden, hat für die Zweckmäßigkeit in der Aufeinanderfolge der Be¬ 
wegungen kein Verständnis. Und doch kann wohl von einem Nacherleben 
gesprochen werden. 

Das Kind erschöpft in seinem Nacherleben den Gefühlsinhalt der Arbeit 
nach der Seite des Schaffens, des Bildens neuer Werte. Die Kausalität der 
Materialbewältigung bleibt ihm verschlossen, aber das Erlebnis des Entstehens 
neuer Werte wird nachgebildet. 

Baukästen scheinen doch in erster Linie Arbeitskästen zu sein. Die 
Technik ist auf die einfachsten Formen, die des Legens und Stollens, ge¬ 
bracht, die Materialfragen sind ausgeschaltet. Sowohl die Sorge um die 
Beschaffung des Materials als das mit der Bearbeitung verbundene Kennen- 


s. Stern, Psychologie der frühen Kindheit, S. 233 ff.. 


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Über Spielzeuge alä Erziehungsmittel 


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lernen eines bestimmten Materials fällt weg. Darin liegt offenbar ein wesent¬ 
liches Merkmal aller Baukästen. 

Ist nun das Bauen weiter nichts als das Nachahmen des im Bilde 
gegebenen Bauwerkes — der Vorlage — im Raume, ein Üben jener durch 
das Bild angeregten Raumvorstellungen? Wäre das. der Fall, so wären die 
geometrischen Baukästen die besten, ließe sich nur durch Bauklötzchen der 
Zweck des Spieles erreichen, die einen planmäßigen Aufbau der Raumformen 
enthalten. 

Viel wichtiger als jene Auffassung des ruhenden Raumes ist aber das 
Bauen, die Tätigkeit, das Ausfüllen der Raumform, und für diese Tätigkeit 
ist der Baukasten nicht nur deshalb ein geeignetes Mittel, weil er die ein¬ 
fachsten Techniken voraussetzt, sondern vor allen Dingen, weil er die Er¬ 
fahrungen mit Werkzeugen an bestimmtem Material ausschaltet. 

Gewöhnlich werden die Schwierigkeiten, die das Kind findet, wenn es 
gegebenes Material mit gegebenem Werkzeuge nach bestimmten Vorbildern 
bearbeiten soll, unterschätzt. Es wird nur auf jenen Vorgang geachtet, der 
sich in einer allmählichen Beherrschung des Werkzeuges, also in einer 
immer bestimmteren Herausarbeitung der beabsichtigten Form ausspricht. 
Die Bearbeitung auch eines leicht zu bewältigenden Materials ist aber für 
das Kind nicht nur die willkürliche Darstellung einer bestimmten Form,- 
Bondem gleichzeitig ein Zustand intensivster Aufmerksamkeit, gerichtet auf 
die beim Bearbeiten sich äußernden Eigenschaften des Materials. Das Be¬ 
arbeiten ist ein Kampf mit dem Material, und das Kind beobachtet instinktiv 
alle Äußerungen des zu bewältigenden Gegners. Vom Material geht eine 
suggestive Wirkung aus, die das Kind mehr als den Erwachsenen zwingt, 
auf das fortwährende Geschehen zu achten. 

Das liegt begründet in der Fähigkeit der kindlichen Psyche zur moto¬ 
rischen' Aufmerksamkeit, die als eines ihrer wesentlichen Merkmale doch 
meist in den fortwährend auftretenden Auswirkungen übersehen wird. Auf 
die Abhängigkeit der Sprachbildung von der Ausbildung der motorischen 
Organe wird immer hingewiesen. Das Kind findet sich aber bei allen Nach¬ 
ahmungen, bei all seinem Nacherleben im Spiel in ähnlichen Verhältnissen 
zum Erstrebten wie bei seinen Sprechversuchen. 

Jeder, der Kindern das Bauen mit einem Baukasten, das Formen mit 
plastischem Material, die Handhabung einfacher Werkzeuge gezeigt hat, wird 
das „Spannen“ der Kinder, diese Aufmerksamkeit, die zu höchst unzweck¬ 
mäßigem Anspannen dpr Muskeln des Körpers führt, beobachtet haben. Das 
Kind sieht nicht nur, wie etwas gemacht wird, es empfindet das mit seinem 
ganzen Körper. Und diese Spannung der motorischen Aufmerksamkeit ist 
die Wurzel der Spielillusion für alles Spiel mit Baukästen. 

Bei den ersten Schreibversuchen krampfen die Kinder nicht nur die 
Hände sehr unzweckmäßig zusammen, sie krümmen auch Bein- und Rücken¬ 
muskeln, arbeiten mit dem ganzen Körper und können in Schweiß geraten 
durch die Aufgabe, mit der leichten Feder einen bestimmten schwachen 
Linienzug nachzumachen. Auch an dem kleinen Baumeister, der seine 
Klötzchen recht genau aufeinandersetzen will, kann man beobachten, daß 
er die Beine anzieht, den Rücken krümmt, den Atem verhält, um die Ab¬ 
sicht zu erreichen. Jeder neue Angriff erzeugt die neuen Spannungsgefühle, 
und jede Erfüllung einer kleinen Teilaufgabe bringt die Lösung der Span- 


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nungen. Mit zunehmender Geläufigkeit der Bewegungen erstreckt sich der 
Wechsel der Spannung und Lösung auf ganze Gruppen von Bewegungen, 
und man geht wohl nicht fehl, wenn man in diesem durch Obung erzeugten 
Wechsel des Rhythmus der Gefühlswellen die Grundlagen des ersten ästhe¬ 
tischen Urteils sieht. Dafi eine Beziehung von Muskelempfindungen und 
bestimmten Vorstellungen bestehen und unter Umständen durch keine 
Willensanstrengung beseitigt werden kann,, hat neuerdings Graßberger, Wien 
durch seine Untersuchungen über die Wünschelrute bestätigt. Nach Aus¬ 
schaltung der Bewegungen seiner Schuller-Ellbogen-Handgelenke gelangen 
Graßberger schließlich Drehungen der Rute mit nicht sichtbaren kleinsten 
Bewegungen der Hände und der Nachweis, daß dabei ganz unscheinbare 
Fingerbewegungen entscheidend mitwirken. Triebhafte, ursprüngliche unbe¬ 
wußte Greifbewegungen riefen die Ausschläge hervor. Außerdem gelang 
der Nachweis, daß in den Fällen, in denen die Ausschläge der Rute ohne 
ersichtlichen Grund erfolgt waren, Vorstellungen, die im Unterbewußtsein 
geblieben waren, solche Kausalbeziehungen zum Sinne der Rutenausschläge 
hatten, daß man annehmen muß, diese Vorstellungen haben jene Ruten¬ 
bewegungen zu Willenshandlungen gemacht Das kindliche Vorstellungs¬ 
leben ist gekennzeichnet durch einen Mangel an logischem Zusammenhänge. 

'Das Kind ist aber den Erwachsenen überlegen in der motorischen Empfind¬ 
lichkeit. Dann liegt der Schluß nahe, daß im Spiel mit Baukästen alle jene 
Vorstellungsverbindungen sich ausleben wollen, die nur motorisch erfaßt 
sind und die einer sprachlichen Gestaltung zunächst gar nicht zugänglich 
sind. Das Bauen ist nicht nur ein Nachahmen von Bewegungen, sondern 
ein Nachahmen, ein Nacherlcben einer Kausalität, die als intuitive Kausalität 
bezeichnet werden kann. Die unendlich vielgestaltigen Verbindungen der 
Empfindungen und Vorstellungen, die hauptsächlich nach ihrem motorischen 
Gehalte aufgenommen sind, finden eine ihrer Kausalität entsprechende Aus¬ 
drucksform im Bauen. 

Baukästen sind im allgemeinen als erziehende Spielzeuge anerkannt 
worden. Die große Literatur über Bauen und Baukästen, die im Anschluß 
an die Arbeit im Fröbelschen Kindergarten mit den Fröbelschen Spielgaben 
entstanden ist, kann aber nur zum Teile als einschlägig gelten. Die Grund¬ 
anschauung, daß man durch eine geometrische Synthese des Raumes auch 
den kürzesten Weg für die Ausbildung des Raumsinnes angeben könne, daß 
die Sicherheit der pädagogischen Wirkung des Spieles mit Baukästen von 
einer normalen Gestaltung und Auswahl der Bauklötzchen abhinge, wird 
der oben gegebenen Auffassung von der Bedeutung des Spielmittels beim 
Bauen nicht gerecht. 

Ebenso liegt in jenen Bestrebungen, die das Bauen mit der Bildung 
des Geschmackes, mit einer ästhetischen Erziehung unmittelbar zu verbinden 
trachten, mindestens eine Unterschätzung der motorischen Elemente beim 
Zustandekommen einfachster ästhetischer Urteile. 

Sowohl die pädagogisch gerichtete als besonders die ästhetisch ge¬ 
richtete Kritik sind einig gewesen in der Ablehnung des mechanischen Spiel¬ 
zeuges. Man hat in allen Stanzartikeln billigen Schund gesehen, hat die 
Mechanisierung eine Erziehung zur Gedankenlosigkeit genannt. In dieser 
Ablehnung kommt aber nicht mehr zum Ausdruck als die Tatsache, daß die 
verbreitetsten Auffassungen über die Spielillusion und die unmittelbare Wirkung 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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des Spielzeuges auf das kindliche Geistesleben überhaupt keine Deutung 
eines Einflusses von Mechanismen auf die Förderung des Vorstellungslebens 
zulassen. 

Die Kritik, die jenen Standpunkt konsequent vertritt, wird durch die 
Entwicklung der Spielzeugindustrie in die sehr undankbare Rolle des Propheten 
gedrängt, der nur noch Klagelieder über die Verflachung anstimmen kann, 
aber keinen Anschluß findet und schließlich auf die Deutung des Fortschrittes 
verzichtet. 

Durch Vergleich mit den Spielformen und der Wirkung anderer Spiel¬ 
mittel ist die Spielillusion der Mechanismen nicht zu fassen. Man muß ihi; 
schon eine selbständige Existenz zuerkennen. Und nicht nur durch die 
Tatsache, daß die Spielzeugindustrie durch die Entwicklung der Technik in 
eine Art Notlage versetzt sei, die zur Herstellung mechanischen Spielzeuges 
zwinge, ist die stetige Zunahme des Angebotes zu erklären. Man muß an¬ 
erkennen, daß in dem einzigen Prinzip, das die Spielzeugindustrie für die 
weitaus meisten Neuheiten kennt, die Verkleinerung, das Handlichmachen 
und die Verbilligung von Nachahmungsformen dessen, was das Kind sieht, 
womit es in Berührung kommt, auch wenn man es als pädagogisch blind 
bezeichnet, die einzige Möglichkeit liegt, eine Anpassung der Spielmittel an 
immer neu entstehende Bedürfnisse zu versuchen. Dem Techniker, der seine 
Maschinen für Massenherstellung eines solchen Gegenstandes einstellt, muß 
die Freiheit des Künstlers zugesprochen werden, der, wenn er für Kinder 
kindertümliche Entwürfe macht, trotz aller Entwicklung der Kinderpsychologie 
doch in erster Linie auf seinen pädagogischen Takt, auf sein Mitfühlen mit 
dem Kindergemüt angewiesen ist. 

Es ist nicht leicht, den Begriff des mechanischen Spielzeuges in fe&e 
Grenzen einzuschließen. Ist nicht die Gelenkpuppe, sind die alten Häuser¬ 
schachteln mit beweglichen Windmühlflügeln und Wasserrädern, sind nicht 
alle Puppenwagen und -schaukeln, die Nachbildungen von Zeppelinen und 
Flugzeugen ohne Uhrwerk mechanisches Spielzeug? 

Gewiß, die Puppe mit den Schlafaugen kann wohl einmal das Spiel¬ 
mittel sein, an dem das Wunder eines geheimnisvollen Mechanismus erlebt 
wird. Der in der Luft pendelnde Zeppelin, an dem sich im Luftzuge die 
beweglichen Flügel drehen, kann den Mechanismus Vortäuschen. Der Unter¬ 
schied zwischen diesen Spielmitteln und der so sehr beliebten Eisenbahn 
mit Uhrwerk ist aber offensichtlich. Es muß aber ja nicht der geheimnis¬ 
voll eingebaute Federmotor im mechanischen Spielzeuge enthalten sein. Auch 
der Kreisel ist ein mechanisches Spielzeug. Man möchte sagen, ein echtes 
mechanisches Spielzeug. 

Berechtigte Angriffsflächen für eine Kritik scheint das Streben der In¬ 
dustrie zu geben, alle Nachbildungen mit Federmotor herzustellen. Die 
Eisenbahn, die mit Uhrwerk oder Elektromotor getrieben wird und doch die 
Nachbildung des Gestänges an den Rädern, die „Scheinzylinder" an der 
Seite besitzt, die für den Dampfantrieb nötig sind und diesen Vortäuschen, 
ist ja wohl der Gipfel des Humbugs, der auf diesem Gebiete üblich ist Eine 
ausgesuchte Art der Vorspiegelung falscher Tatsachen! — Eine bewußte Er¬ 
ziehung zur Unwahrhaftigkeit! 

S chlimm er als alle die neueren mechanischen Spielzeuge ist aber in 
dieser Beziehung die uralte Sandmühle. Ein Wasserrad, das mit Sand ge- 


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trieben wird, bewegt vier Flügel, und das Ganze täuscht eine durch den im 
Zimmer nicht vorhandenen Wind bewegte Windmühle vor. Ja, ist aber nich 
die Sandmühle ein köstliches Spielzeug? Ihre Rechtfertigung durch den 
Physiker wollen wir jetzt übergehen. Sie hat als eines der ältesten und 
verbreitetsten mechanischen Spielmittel ihre Existenz genügend gerechtfertigt 

Entscheidungen aller dieser Streitfragen sind nicht nur vom grünen 
Tisch des schriftstellemden Pädagogen aus möglich. Wenigstens muß _ er 
sich herbeilasscn, die Kinder beim Spiel zu beobachten und muß es über 
sich gewinnen, den pädagogischen Unsinn geschehen zu lassen, ohne hinein¬ 
zureden. ' 

Er muß außerdem noch verschiedene Kinder mit demselben Spielmittel 
spielen sehen, Kinder verschiedenen Alters und verschiedener Veranlagungen. 

Man kommt leicht zu der Meinung, daß eine Neigung zum Stumpfsinn 
befördert wird, wenn man sieht, wie die Kleinen mit einer Uhrwerkeisfen- 
bahn spielen. Sie kennen nichts Schöneres, als den Mechanismus immer 
wieder aufzuziehen und in Gang zu setzen, können nicht genug bekommen 
von dem Erleben des Wunders * daß die Eisenbahn lebendig wird, sobald 
man sie „aufgezogen“ hat. Unter „Aufziehen“ wird sich der Kleine zu¬ 
nächst sehr wenig vorstellen. Und wenn er schließlich erkannt hat, daß er 
mit dem Schlüssel eine Feder spannt, wird er immer noch nicht erklären 
können, wie es kommt, daß die Räder wie rasend laufen, wenn sie sich in 
der Luft drehen, wird aber ganz von selbst die Räder beim Aufziehen fest- 
halten und erst loslassen, wenn er die Maschine auf die Schienen gesetzt 
hat. .Das Spielzeug gibt durch seinen Mechanismus Anregungen zu Beob¬ 
achtungen. Es will richtig bedient sein und gibt dafür das Gefühl der 
Herrschaft über den Mechanismus 1 )* 

Damit ist aber die Wirkung des Mechanismus nicht erschöpft Von den 
Arbeiten an dem Maschinellen geht der Knabe über zu Arbeiten mit demselben. 
Eine Steigerung erfährt jenes Herrschergefühl offenbar, wenn es dem kleinen 
Ingenieur gelingt, seinem Maschinchen angemessene Aufgaben zu stellen, 
die es nach seinen Einstellungen erfüllen muß. Die Eisenbahn muß z. B. 
Bauklötze herbeischaffen, muß richtig rangieren, d. li. die auf verschiedenen, 
durch Weichen verbundenen Gleisen stehenden Wagen abholen. 

Dasselbe Spiel läßt sich auch mit Streichholzschachteln durchführen, die 
an Fäden über den Tisch oder die Diele gezogen werden. Es dürfte aber 
kaum ein Kind geben, das die Verwendung des Mechanismus nicht als Er¬ 
höhung der Spielillusion empfindet. 

All die Spiele mit der Eisenbahn sind in erster Linie ein Bauen mit 
den Elementen, die von der Industrie ausgearbeitet worden sind. Bei dem 
Aufbau steht aber im Hintergründe die Erwartung auf den Augenblick der 
Erfüllung, wenn das Maschinchen selbständig seine Arbeit tut. Darin liegt 
eine eigenartige Lösung der Spannungsgefühle, die durch den Aufbau erzeugt 
werden. Die oft nicht unbedeutende Reihe von Handgriffen und Über¬ 
legungen, die nötig sind, ehe die Spannung sich löst, gibt dem Gefühls¬ 
verlauf einen anderen Rhythmus. Was aber die Hauptsache ist, die Lösung 
der Spannung ist nicht direkt von dem Willen des Spielenden abhängig. 


') Stern «. a. O. S. 224 ff. 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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sondern eben vom Mechanismus. Nur wenn dieser richtig „geht“, ist ein 
normaler Verlauf des Spieles möglich. 

Die wichtigste Art des Spieles mit Mechanismen ist aber noch nicht 
gegeben, wenn das Kind den Mechanismus in seine Puppen- und Bauspiele 
eingliedert. Erst, wenn so viel Klötzchen aufgeladen werden, als die Eisen¬ 
bahn noch eben schleppen kann, wenn die Schienenbahn so schräg gelegt 
wird, daß sie eben noch fährt, ohne zu „trommeln“, ist die Aufmerksamkeit 
unmittelbar auf die Entscheidung gerichtet: wenn ich das und das tue, bleibt 
die Eisenbahn gewiß stehen. Es wird also probiert, welche Veränderungen 
der Bedingungen möglich sind, unter denen ein Ereignis eintritt. In diesem 
Sinne behalten die Mechanismen ihren Wert als Spielzeug weit über die 
Zeit hinaus, die man gewöhnlich als das spielfähige Alter bezeichnet. Durch 
Umfrage kann jeder Lehrer an höheren Schulen einmal feststellen, bis zu 
welchem Alter die 4 Schüler mit ihrer Eisenbahn spielen, wenn sie den 
Wunsch haben, daß der Uhrwerksbetrieb in elektrischen umgewandelt werden 
möchte, wenn sie selbst versuchen, solche Verbesserungen des Betriebes 
durchzuführen. Er wird nicht nur erstaunt sein darüber, bis zu welch reifem 
Alter dieses Probieren seine Macht über die Jugend behält, sondern auch,' 
welch selbstsicheres Urteil in solchen Fragen Schüler entwickeln, die bei 
ähnlichen Gelegenheiten im physikalischen oder überhaupt naturwissen¬ 
schaftlichen Unterrichte solche Urteilskraft vermissen lassen. 

Das Probieren zeigt offenbar alle Eigenschaften eines selbständigen 
Experiraentierens. Die Frage nach dem Warum ? ist nicht an den Valer oder 
den Lehrer gerichtet, sondern in jene Abänderungsversuche eingekleidet, und 
der Mechanismus gibt die Antwort darauf. 

In den physikalischen Schülerübungen können inhaltlich ganz dieselben 
Aufgaben auftreten, wie sie der Knabe in der oben angedeuteten Weise mit 
seiner Eisenbahn sich stellt. Der Lehrer kann an Spiralfedern und Gummi¬ 
fäden untersuchen lassen, bis zu welcher Grenze belastet werden darf, ehe 
die dauernde Deformation eintritt. Wenn er aber die Experimentiermittel 
ohne jede Erläuterung den Schülern in die Hand gibt, würden selbst reifere 
Kinder kaum andere Proben damit anstellen, als die Federn und Fäden aus¬ 
dehnen, bis sie verdorben sind. Auf keinen Fall aber würde von diesen 
Experimentiermitteln derselbe Reiz zum selbständigen Experimentieren aus¬ 
geübt wie von jenem Spielmittel. 

Durch diese Parallele soll ja nicht empfohlen werden, die Spielzeug¬ 
eisenbahn in den physikalischen Schülerübungen zu benützen. Wohl aber 
taucht die Frage auf, ob bei näherem Betrachten nicht schließlich die 
„Spielerei“ mit den mechanischen Spielmitteln eine wertvolle Unterstützung 
für den Unterricht werden könnte. Über diese Frage der experimentellen 
Hausaufgabe wird an anderer Stelle noch zu sprechen sein. 

Zunächst noch ein Wort über das Erleben am Mechanismus. 

Kein Deutscher wird den stolzen Augenblick vergessen, da er zum ersten- 
male die schlanke Form eines Zeppelin am Horizonte erscheiuen sah, als 
er erlebte, wie ein schweres Flugzeug nach kurzem Anlauf sicn von der 
Erde löste und flog. An diesen Ereignissen gemessen, verstehen wir erst 
den Eindruck, den die erste Lokomotive, ja alle epochemachenden Erfindungen, 
durch die unser technisches Zeitalter vorbereitet wurde, auf die Menschen 
jener Zeit machten. 


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Von den allermeisten Menschen werden und wurden diese Erfindung«! 
überhaupt nur in diesem Sinne des „Wunders der Technik“ erlebt. Und sie 
nehmen zu diesem Erleben wieder Stellung, wenn ihnen durch irgendwelche 
Erfahrungen die wirtschaftlichen Folgerungen dieser Erfindungen evident 
werden. Dann setzt die „rechnende“ Kausalität ein und verdrängt jenes Erlebnis. 

Das Kind erlebt in seinem mechanischen Spielzeuge alle jene Wunder 
der Technik und trotz der Kleinheit der Effekte vielleicht intensiver als der 
Erwachsene. An der kleinen Eisenbahn wird nicht nur das Fahren der 
kleinen Wagen auf der beschränkten Schienenbahn erlebt, sondern auch 
jene Freude, die beim Fahren auf der „richtigen“ Eisenbahn ausgelöst wurde. 

Diese Fülle des Erlebens muß berücksichtigt werden, wenn man den 
Wert des mechanischen Spielzeugs beurteilt. Wie feinfühlig ist dabei die 
motorische Aufmerksamkeit, das motorische Empfinden des Kindes! Wie so 
ganz anders ist das Erleben, wenn das stolze Segelschiff auf dem Teiche 
seine Bahn zieht, wenn der „Uhrwerkdampfer“ trotz Wind und Wellen die 
ihm durch das Steuer vorgeschriebene Reise vollendet! Welch eine neue 
Welt schließt der Mechanismus im Wasser aufl Wenn aber die Spielzeug¬ 
industrie nach dem Kriege den Mechanismus für die Bewegung in der Luft 
gemeistert haben wird, wenn also das Luftschiff und das Flugzeug in Formen 
auf dem Markte erscheinen werden, die dem großen Fortschritte entsprechen, 
den wir im Baue dieser Mechanismen im Kriege gemacht haben, dann wird 
sowohl die Zeit des spielfähigen Alters eine ganz andere Abgrenzung er¬ 
fahren, als auch die Anregung zum Probieren, zum Experimentieren mit 
den Dingen, die von der Spielzeugindustrie angeboten werden, viel inten¬ 
siver sein. Die notwendige Folge ist nach zwei Richtungen für die Schule 
bedeutungsvoll. 

Zunächst wird die Verbreitung dieser Spielmittel sehr viel größer werden. 
Es wird keinen Knaben geben, der seine Jugend ohne ein Flugzeugmodell 
und dem heißersehnten Spiel mit demselben „vertrauern* will. Die Schule 
hat daran nicht nur das Interesse, daß sie nachrechnet, wieviel Stunden die 
Kinder dadurch von ihrer eigentlichen Lebensaufgabe, z. B. dem Vokabel¬ 
lernen, abgehalten werden. Sie wird versuchen müssen, diese Zeit des Spieles 
durch Anregungen fruchtbar zu gestalten. Ja man wird von ihr erwarten, 
daß sie Mittel und Wege findet, Begabungen, die sich gerade im Spiel mit 
diesem Spielzeuge der Zukunft zeigen können, zu erkennen und entsprechend 
zu fördern. 

Außerdem entsteht aber überhaupt die Frage, ob mechanisches Spielzeug 
ein notwendiges Hilfsmittel ist, um das Ausdrucksleben unserer Kinder in 
Beziehung zu bringen zu den Erscheinungen, die nicht nur unser Verkehrs¬ 
leben beherrschen, sondern in ihrer Gesamtheit einen immer größer werdenden 
Einfluß auf unsere gesamte Lebensführung haben. Ist der große Unterschied, 
der zwischen der Auffassung, die Knaben im physikalischen Unterrichte für 
solche Fragen haben und dem völligen Versagen, das bei gleichaltrigen 
Mädchen zu beobachten ist, letzten Endes auf den Mangel an solchem Er¬ 
leben zurückzuführen, zu dem die Mädchen infolge unseres Urteils über 
Mädchenspielzeug bisher verurteilt sind? Steht das im Einklänge mit unserer 
Reform der Mädchenerziebung, die ja doch ohne entsprechende Steigerung 
dieser Urteilskraft öder Verbalismus bleiben muß? 1 ) 

*) Vgl. Stern, a 228/29, 231/32. 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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Und nicht nur die Frage nach der Bereichefung des persönlichen Er¬ 
lebens durch solche Spielmittel, sondern vor allen Dingen die Tatsache, daß 
durch das Spielzeug dieses Erleben in viel frühere Lebensalter verlegt wird, 
in denen eine auf logisches Verstehen der Vorgänge aufbauende schul- 
rnäßige Behandlung ausgeschlossen ist, gibt zu denken. Es entsteht die 
Frage, ob das Probieren mit solchem Spielzeuge in einem Alter, in dem 
das Abstraktionsvermögen nicht ausreicht, um die sprachliche Formulierung 
der für die unterrichtliche Behandlung notwendigen Begriffe durchzuführen, 
eine im besten Sinne des Wortes als Erziehung zum kausalen Denken zu 
bezeichnende Entwicklung angebahnt wird, die wir bei der Schularbeit und 
ihren modernen Zielen stillschweigend voraussetzen. Es ist so oft gesagt 
worden, daß vor allem die Kinder der Grofistadt dadurch im Nachteile sind, 
dafi sie nicht, wie die Kinder im kleinen Orte, die einfachsten, leichtver¬ 
ständlichen Arbeiten der Handwerker fortgesetzt beobachten können. Für 
die Lehraufgabe des Rechenunterrichtes wie für Aufgaben des naturwissen¬ 
schaftlichen Unterrichts ist das bedeutungsvoll. 

Ich habe schon viele Knaben kennen gelernt, die über die Zusammen¬ 
hänge, die im Ohmschen Gesetz aüsgesprochen sind, richtige Urteile an einem 
kleinen, ihnen vertrauten Mechanismus durch die Tat geben konnten (An¬ 
passung eines Widerstandes, Mittel zur Erzielung einer größeren Strom¬ 
stärke usw.), ohne daß ihnen bis dahin der einfache logische Zusammenhang 
oder die für die Formulierung notwendigen Maßbegriffe klar gewesen wären. 
Andrerseits kenne ich eine sehr große Zahl von Menschen, die das Ohmsche 
Gesetz „gelernt* haben und doch durch den einfachsten Anwendungsfall in 
Verlegenheit kommen. Ich kenne Betriebe, in denen der nichtstudierte 
Techniker für die Abnahme großer, komplizierter Maschinen unentbehrlicher 
ist als der leitende Diplomingenieur, habe versucht, solche technische Intelli¬ 
genzen über ihre Auffassung auszufragen und durchaus den Eindruck ge¬ 
wonnen, daß sie nicht das Bedürfnis haben, ihre persönliche Auffassung 
durch die wissenschaftliche Darstellung zu vertiefen. Sie fühlten sich 
durchaus der Situation gewachsen und bilden sich ihre eigene, meist auf 
Analogien beruhende Kausalreihe, wenn sie überhaupt das Bedürfnis einer 
logischen Formulierung ihres Könnens fühlen. 

Mit solchen Beispielen kann und soll natürlich der Wert der logischen 
Kausalität nicht herabgesetzt werden. Es ließen sich mindestens ebensoviele 
Beispiele aus der Geschichte der Technik finden, die da zeigen, wie ein 
Fortschritt nach langer Stagnation in einer Entwicklungsreihe erzwungen 
wurde, nachdem die logische Formulierung gelungen war. Andrerseits 
sprechen solche Beispiele doch für einen gewissen Wert der intuitiven Er¬ 
kenntnis, die aus dem Erleben gewonnen wird. In bezug auf das Ver¬ 
ständnis elektrischer Vorgänge und Mechanismen kann geradezu behauptet 
werden, daß das logische Erfassen auf der Stufe des leeren Begriffsschemas 
bleibt, wenn nicht voll empfundene Anschauung, subjektives Erleben des 
Vorganges hinzukommt. Und solches Erleben geben unsere Demonstrations¬ 
experimente, wie sie heute sind, nur zum kleinen Teil. 

Spielzeuge und die Beobachtung des Kindes beim Spiel sind von jeher 
die Hilfsmittel gewesen, mit denen die Eltern sich ein eigenes Urteil über 
■die Veranlagung ihrer Kinder zu bilden suchten. Zwei an sich richtige 
Gedanken kommen dabei mehr oder weniger bewußt zum Ausdrucke. Man 


Zeitschrift, t p&dagog. Psychologie 

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glaubt, im Spiel gibt sieb* das Kind, wie es ist, also unbeeinflußt durch seine 
Umgebung, und meint, wenn Oberhaupt Spuren von besonderen Kräften 
und Neigungen im Kinde schlummern, so müßten sie sich im unbeeinflußten 
Spiele verraten. Ohne Zweifel wird in unserer Zeit besonders das mecha¬ 
nische Spielzeug vielfach mit dem stillen Wunsche gekauft, dieses Spiel 
möchte im Kinde Neigung zur Beschäftigung mit Dingen wecken, die dem 
Kinde im Lebenskämpfe Vorteile sichern. Die Eltern formulieren ihre Über¬ 
zeugung gewöhnlich in die Worte: »wie anders wäre ich vorwärts ge¬ 
kommen, wenn ich als Kind solches Spielzeug gehabt hätte und wenn die 
Schule uns nachher die Sache näher erklärt hätte*. Sie fassen also das 
Lernen durch „belehrendes Spielzeug* als eine Vorstufe der Lernarbeit der 
Schule. 

Wären diese Schlüsse in dem Umfange richtig, wie sie gezogen werden, 
so müßten 90 Proz. unserer Jungens Ingenieure werden. Andrerseits wäre 
es unverständlich, wie das Spielzeug unserer Mädchen immer »mädchen¬ 
hafter* wird, während den Eltern doch sehr viel daran liegt, eine Neigung 
für irgendeine Berufsarbeit in ihnen zu entdecken. 

Und doch liegt in der Stellung, die gerade die nachdenklichen Eltern 
zum Spiel ihrer Kinder einnehmen, die wichtigste Wurzel für die Über¬ 
zeugung, daß Erziehung nach psychologischen Gesichtspunkten geregelt 
werden muß. Sowohl die Bestrebungen der Schule, mit den Eltern Fühlung 
zu bekommen und Aussprachen über Erziehungsfragen auf eine gemein¬ 
verständliche Basis zu stellen, als auch alle Stellen für Berufsberatung könnten 
aus dieser Tatsache Vorteil ziehen, wenn es gelänge, eine Psychologie des 
Spiels nicht nur in ihren Grundzügen zu geben, wenn wenigstens einige 
bestimmte Züge der Entwicklung der Spielfähigkeit unserer Kinder bis an 
die Grenze des spielfähigen Alters sich als typisch aufstellen ließen. 

Solche Versuche würden sicher nicht durch noch so tiefgründige Ver¬ 
gleichung der Spielformen aller Zeiten und Völker gefördert, sondern nur 
durch planmäßige Beobachtung des Spieles, wie es sich in der weitaus 
größten Zahl der Familien vollzieht, wie es also nach einer Seite begrenzt 
und charakterisiert wird durch das Angebot an Spielmitteln der Industrie. 

Soll aber für solche Versuche eine Art Arbeitsplan gewonnen werden, 
so ist eine gewisse Sicherheit über die Beurteilung des psychischen Zu¬ 
standes bei solchem Spiel Voraussetzung. Wenn auch nur ein Teil der 
vorausgegangenen Ausführungen über die Spielillusion vor der Kritik be¬ 
steht, so würde dieser Teil doch wahrscheinlich schon geeignete Grundlagen 
für die Organisation der Spielzimmer abgeben, das Beobachtungsmaterial für 
die Aussagen -über individuelle, schließlich auch typische Entwicklungsformen 
der Spielillusion oder der Spielfähigkeit der Kinder beiderlei Geschlechts von 
Kindern im schulpflichtigen Alter würde sich sichten lassen, die schwere 
Frage der Auswahl der Spielmittel wäre erleichtert. 

Ein Versuch, Gedanken über solche Entwicklungen zu geben, müßte 
sich eigentlich mit den wichtigen Problemen unserer Kinderpsychologie: 
Begabung und Begabungstypen einerseits, Entwicklung des NormaUrindes 
andrerseits auseinandersetzen. Aber auch ohne diese Klarstellung werden 
wohl folgende Ausführungen sich aus dem Gesagten ableiten lassen. 

Die Unterscheidung von Formen der Spielillusion in der Reihe: Puppen¬ 
spiel, Baukästen, Mechanismen als Spielen, Bauen, Probieren ist eine Ent- 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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wicklungsreibe. Die frühesten Formen einer Fähigkeit zur Spielillusion sind 
offenbar mit dem Puppenspiel gegeben. Im Puppenspiel haben wir die 
elementarsten Formen einer Ausdrucksfähigkeit der kindlichen Psyche zu 
erblicken. Die Puppe ist aber nicht nur ein Übungsmittel für die Greif¬ 
bewegungen, nicht nur ein Hilfsmittel für den erwachenden Intellekt, an 
dem und mit dem er die Erfahrungen seiner Sinneswelt objektiviert, lange 
ehe die Sprache weitere Möglichkeiten zur Vorstellungsarbeit gibt, sie bleibt 
während der ganzen Kindheit ein Ausdrucksmittel, das gegenüber allen 
anderen Formen, in und mit denen das kindliche Geistesleben sich äußert 
und entwickelt, gewisse Vorzüge besitzt. Wenn man das Puppenspiel als 
die anschaulichste Form der Ausdrucksmittel bezeichnet, so wird der 
Anteil der Vorstellungsarbeit zu sehr hervorgehoben. Wenn mit der Spiel¬ 
illusion ein besonderer Zustand des kindlichen Geisteslebens gekennzeichnet 
ist, so darf jedenfalls nicht übersehen werden, wie sehr beim Zustande¬ 
kommen desselben der von den motorischen Empfindungen stark abhängige 
Gefühlston der Vorstellungen ausschlaggebend ist. Was die Kinder weder 
durch Sprache noch durch Zeichnung auszudrücken vermögen, das stellen 
sie im Puppenspiel dar. Die wachsende Sprach- und Sprechfähigkeit ver¬ 
ändert Spielbedürfnis und Spielillusion. Die zunehmende Verfeinerung des 
motorischen Empfindens wirkt aber nach derselben Richtung. Die Ausdrucks¬ 
mittel müssen vollkommener gerade diesen Bedürfnissen der motorischen 
Empfindung entsprechen. Die Spielform des Bauens enthält in gewissem 
Sinne einen Verzicht auf die Illusion, die in der Vollständigkeit des Erlebens 
besteht (Puppenspiel) zugunsten einer Befriedigung der gesteigerten An¬ 
sprüche an den motorischen Gehalt der Ausdrucksmittel und des damit ver¬ 
bundenen Erfassenn kausaler Vorstellungsverbindungen. 

Wenn man das Bauen als eine Stufe der Ausdrucksfähigkeit des kind¬ 
lichen Geisteslebens faßt, so ist diese Steigerung des Kausalwertes der Vor¬ 
stellungsverbindungen der wichtigste Punkt für eine Abgrenzung gegen das 
Puppenspiel. Natürlich darf dann das Bauen nicht nur als die Beschäftigung 
mit dem Ankersteinbaukasten gelten. Das Kind baut auch mit seinen Puppen, 
kann umgekehrt die Bauklötzchen als Puppen werten. Aber wenn es baut, 
so drückt es ganz andere Zusammenhänge seines Vorstellungslebens aus, als 
wenn es „spielt“ (mit Puppen). Das Bauen bleibt auch eine besondere Form 
der Ausdrucksfähigkeit des kindlichen Vorstellungslebens. Wenn im Spiel 
mit den Baukästen nur die Beziehungen des Vorstellungslebens zum Raum 
(Raumvorstellen-Raumsinn) erblickt werden, so muß wenigstens hinzugefügt 
werden, daß unsere Raumvorstellung auf den motorischen Elementen des 
Vorstellungslebens in erster Linie fußt. 


Rückblick und Ausblick. 


SpielUlusion ist ein Zustand der kindlichen Psyche, den man, soweit er 
Sache des Vorstellungslebens ist, als Aufmerksamkeit bezeichnen kann. 
Wenigstens hat er mit dieser die Konzentration auf eine bestimmte Aus¬ 
wahl von Vorstellungen gemeinsam. Diese Aufmerksamkeit ist aber wesent¬ 
lich mitbestimmt durch die körperliche Disposition des Kindes. Die Ent¬ 
wicklung des motorischen Empfindungs- und Vorstellungslebens spiegelt sich 
ab in den Formen der Spielillusion, die bezeichnet werden können als ein 


Spielen, ein Bauen, ein Probieren. 


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Spielzeuge sind für das Zustandekommen der Spielillusion unerläßlich. 
Den Namen eines Spielzeuges werden diejenigen Gegenstände verdienen« die 
den Zustand der Spielillusion hervorrufen oder begünstigen. 

Der ersten und frühesten Form der Spielillusion entsprechen als Spiel¬ 
mittel die Puppen. Die Eigenart der Spielillusion alles Puppenspieles ist 
ein Nacherleben. Zur Totalität des Nacherlebens sind die Spielmittel unent¬ 
behrlich. 

Die Entwicklung der Spielillusion des Puppenspiels ist wesentlich ab¬ 
hängig von der Entwicklung der Sprachfähigkeit. Wie das Puppenspiel 
diese Entwicklung fördern kann, wird besonderen Untersuchungen Vorbe¬ 
halten bleiben. Sicher liegt in den mimischen Ausdrucksformen des Spiel» 
picht nur eine Ergänzung der jeweiligen Sprachfähigkeit, sondern eine Ver¬ 
tiefung, ein für das Erfassen der Muttersprache unentbehrliches Mitwirken 
des motorischen Bewußtseins. 

Die Vervollkommnung der mimischen und sprachlichen Ausdrucksfähig¬ 
keit durch das Puppenspiel läßt sich bezeichnen als eine wachsende Fähigkeit 
zum „Dramatisieren“. Das Nacherleben steigt von bloßen Formen der äußeren 
Nachahmung zu Formen, die den psychischen Inhalt des Erlebnisses dar¬ 
zustellen versuchen. 

Das Bauen, als Form des kindlichen Ausdruckslebens gefaßt, ist mehr 
als Nachahmung von Formen mit gegebenen Darstellungsmitteln. Beim 
Bauen stellt das Kind fortgesetzt einfachste Kausalbeziehungen her. Die 
Zweckmäßigkeit des Nebeneinander, Übereinander, des Legens, Stollens, aller 
jener einfachen motorischen Begriffe wird beim Spiel mit Baukästen erlebt 

Das Bauwerk ist nicht nur die nachgeahmte Form, sondern die in der 
Form bei ihrer Herstellung empfundene Zweckmäßigkeit. 

Die Spielillusion, die durch Bauen geweckt und gefördert wird, zeichnet 
sich aus durch ruhige Gleichmäßigkeit. Bauende Kinder zeigen nicht jene 
lebhafte Neigung zur sprachlichen Gestaltung wie diejenigen, die Puppen¬ 
spielen sich hingeben. Sie stellen Zusammenhänge dar, deren Kausalität 
empfunden, aber nicht sprachlich formuliert werden kann. 

Im Bauen mit Baukästen werden wichtige Seiten des Raumsinnes, so¬ 
weit er einer motorischen Wertung bedarf, ausgebildet. Von " ästhetischer 
Bildung kann zunächst nur gesprochen werden, als wiederholte Gruppen 
von Bauelementen als Einheit aufgefaßt, also die motorische Summe über 
eine größere Zahl von Einzelempfindungen gezogen wird. Die Auffassung 
der Symmetrie ist daher für den Bauenden eine Vereinfachung de3 Bau¬ 
werkes, ermöglicht eine höhere Art der Zweckmäßigkeit. 

Baukästen sind alle jene Spielmittel, durch welche die Ansprüche an 
Materialkenntnis und Werkzeugbeherrschung ausgeschaltet oder auf ein 
Mindestmaß herabgesetzt werden. 

Alle höheren Formen einer motorischen Kausalität leben sich aus und 
finden ihre Entwicklung im Spiel mit Mechanismen. Die dritte Form der 
Spielillusion ist als „Probieren“ bezeichnet worden. Darin liegt, daß das 
Kind im Spiel mit Mechanismen motorische Erfahrungen erwartet und macht, 
die durch die Bewegungen beim Spiel nicht entstehen, die aber mitklingen 
und für das Erfassen der Kausalität unentbehrlich sind. Solche mitklingen¬ 
den Empfindungskomplexe sind die in und am Wasser gemachten Erfahrungen, 


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Über Bpielzeuge als Erziehungsmittel 


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die motorischen Empfindungen, die durch das Fahren, Schaukeln, Schwingen 
u. a. auBgelöst werden. 

Die Mechanismen bedeuten für das Kind „lebendiges“ Spielzeug. Es 
ist wesentlich, daß das Kind den Zustand des Lebendigseins nach seinem 
'Willen hervorrufen und abfindern kann. Die suggestive Wirkung des Be- 
'wegungszustandes auf die Aufmerksamkeit, das Mitklingen der Empfindungs¬ 
komplexe gleicher oder ähnlicher Bewegungsvorgänge sind Ursache, daß 
fortgesetzt geändert wird. In dem Probieren ist ein Zustand der Spannung 
der Aufmerksamkeit eingeschlossen auf die Ereignisse, die den abgeänderten 
Bedingungen entsprechen» Das Probieren entwickelt sich zu einem elemen¬ 
taren Experimentieren. 

Spielzeuge sind nicht nur Anregung, sondern auch Beschränkung der 
Spielillusion. Man gibt den Kindern wenige, meist nach technischen Ge* 
sichtspunkten ausgewählte Hilfsmittel für ihr Spiel und will durch die Spiel¬ 
gaben erreichen, daß das Spiel der Kinder „stubenrein“ bleibt. Ganz allge¬ 
mein Wird in Elternkreisen die Grenze zwischen kindlichem Spiel und kind¬ 
licher Arbeit oder Beschäftigung so gezogen, daß man das Spiel als die 
salonfähige Arbeit auffaßt, und all die Beschäftigungen, bei denen Späne 
und Abfälle entstehen, in die Werkstatt verweist und als Anfänge einer 
znnftmäßigen Arbeit, als Nachahmungsformen der Handwerke hinstellt. 

Die Entwicklung des Handfertigkeitsunterrichtes ist ein fortwährender 
Kampf gegen diese Oberflächlichkeit gewesen. Man hat erkannt, daß alles Spiel¬ 
zeug arm sein und bleiben muß in seinen Möglichkeiten, eine gesunde 
Materialkenntnis zu vermitteln, und man hat weiter richtig gesehen, daß sich 
diese Materialkenntnis mit keinen anderen Mitteln als mit den Werkzeugen 
gewinnen läßt, die der Mensch erfunden hat. In der Auswahl von Werk¬ 
zeugen, wie sie in einer Tischlerwerkstatt zu finden ist, ist eine bewährte 
Ausstattung gegeben, um Kenntnis der Hölzer und ihrer zweckmäßigen Ver¬ 
wendung zu sammeln. Damit ist aber noch gar nicht gesagt, ob es nicht 
noch zweckmäßigere Auswahl von Werkzeugen, ob es vor allen Dingen 
durch entsprechende Wahl der Arbeiten eine Anpassung an die Bedflrfnisse 
des Kindes gibt. Ein Versuch, kindertttmlich auszuwählen, liegt offen¬ 
bar in den weitverbreiteten Bestrebungen, die Selbstanfertigung von 
Spielzeug in die Kurse aufzunehmen. Die Mechanismen, die gebaut wer¬ 
den, nehmen vielfach die Gestalt und den Charakter von physikalischen 
Apparaten an. 

Eine Frage, die gegenwärtig viel erörtert wird, ist die nach der Ab¬ 
grenzung der Werkzeuge und Hilfsmittel der Handarbeit nach der Seite der 
maschinellen Hilfe. Sind die sogenannten Werkzeugmaschinen in ihrer ein¬ 
fachsten Form, ist z. B. die Drechsel- und Drehbank kindertümlich, d. h. das 
ffir die Hand der Kinder und für das motorische Verständnis geeignete Hilfs¬ 
mittel? Ist es richtiger, für die Hilfsmittel den motorisch wertvolleren Fu߬ 
antrieb oder Motorantrieb zu wählen? 

Alle diese Fragen haben nicht nur Interesse für die Bestrebungen, die 
nach stärkerer Betonung des Handfertigkeitsunterrichts in den Schulen tätig 
sind. Aus den oben gegebenen Zusammenhängen geht wohl mit Sicherheit 
hervor, daß ein großer Teil dieser Fragen die eigentliche Domäne der Haus¬ 
erziehung, das Spiel mit Spielzeug, seine Beurteilung und Entwicklung 
betreffen. 


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O. Frey 


Das Bauen kann bei geeigneter Spielleitung unmittelbar abergehen in 
ein Schaffen mit Werkzeugen. Die in den Baukästen ausgedrückte Resig¬ 
nation in bezug auf Materialkenntnis und Ausschaltung von Werkzeugen 
muß ja dazu führen, daß der Gegensatz zwischen Spielbetätigung und zweck¬ 
mäßiger, zielsicherer Arbeit nicht nur am Unterschiede der Ergebnisse er¬ 
kannt wird, sondern daß man ein Schaffen mit Werkzeugen als die motorisch 
reichhaltigere, befriedigendere Tätigkeit empfindet. Spielzeuge sind Dinge, 
die überwunden werden wollen und sollen. Sie sind aber nicht überwunden T 
wenn die Fähigkeit der Spielillusion infolge zu starker Anstrengung des 
Geistes durch Schularbeit oder durch verfrühte Entwicklung de3 logischen 
Denkens eintrocknet. Sie werden in normaler Weise überwunden, wenn die 
Entwicklung des motorischen Empfindens, die durch das Spiel gefördert • 
wird, zum vollen Verstehen derjenigen Vorgänge führt, die wir als Arbeit 
bezeichnen. ' Dann wird oder ist der Tätigkeitstrieb in Bahnen geleitet, auf 
denen die Spielillusion ihre Bedeutung als Führer und Förderer der Selbst¬ 
erziehung unmöglich wird. Das logische Denken übernimmt die Führung. 

An Stelle des Bedürfnisses nach Illusion tritt das Bedürfnis nach Wahrheit 
und Brauchbarkeit (Zweckmäßigkeit). 

Es scheint aber doch, daß nicht nur die Spielillusion des Bauens jener 
Entwicklung fähig ist und bedarf, sondern auch die des Probierens. Nicht 
nur die Sehnsucht unserer Jugend nach Beherrschung und Bewältigung des 
Stoffes muß erkannt und gefördert werden,- ebenso wichtig und wertvoll für 
Haus und Schule ist ihr Streben, durch Beschäftigung mit geeigneten Hilfs¬ 
mitteln Stellung zu nehmen zu den Vorgängen, die zunächst nicht als mensch¬ 
liche Arbeit erscheinen, in denen aber das Streben der Menschheit nach Be¬ 
herrschung der Naturkräfte, wenn nicht klar erkannt, so doch geahnt wird. 

Charakteristische Züge der Entwicklung unserer Spielzeug¬ 
industrie. 

Die Darstellung der Beziehungen des Spielzeuges zum Geistesleben 
unserer Kinder hat mehrfach Veranlassung gegeben, auf die Bedeutung des 
Angebotes der Spielmittel durch die Industrie hinzuweisen. Man muß sich 
vergegenwärtigen, welche Rolle im Gemütsleben de* Kinder die Weihnachts¬ 
freude spielt, wie sehr diese von der Freude am Spielzeuge abhängt, um zu 
ermessen, welche Summe von Kräften, die auf das Geistesleben des Kindes 
starken Einfluß ausüben, mit dem Spielzeuge gegeben ist. 

Die Spielzeugindustrie ist eine pädagogische Macht, deren Bedeutung in 
ihren Einflüssen auf das Geistesleben der Kinder aber noch nicht erschöpft 
ist. Sie schafft auch wichtige ideelle Werte durch die Freude der Eltern an 
der spielenden Kinderschar, durch die glücklichen Stunden, die im gemein¬ 
samen Spiel mit Puppen, Soldaten, Baukästen und mechanischem Spielzeuge 
verbracht wurden. Sie ist die pädagogische Macht, die viel mehr Zugänge 
zu den Herzen der Eltern besitzt als alle auf Elternaufklärung gerichtete Be¬ 
strebungen der Schule und als alle Organisationen, die Interesse an Erziehungs¬ 
fragen und eine Vertiefung des Verantwortlichkeitsgefühles der Eltern in 
irgendeiner Form erstreben. 

Die Spielzeugindustrie erfindet nicht nur immer neue Formen für die 
Anregung der Spielillusion, sie wertet durch ihr Angebot auch die Spielformen 
ständig um. Sie schafft Spielmoden, und kein Pädagog vermag durch noch 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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so tiefschürfende oder volkstümliche Aufklärung ein Spielzeug zu erhalten, 
■wenn es von der Industrie nicht mehr angeboten wird. Volkskundliche 
Forschung interessiert sich für die Spielmittel der Kinder vergangener Zeiten. 
Man hat den kulturgeschichtlichen Wert der Puppensammlung des Ger¬ 
manischen Museums sehr hoch eingeschätzt Es wäre wohl an der Zeit, die 
Bedeutung des Spielzeuges unserer Tage für unsere Jugend nicht nur zu 
erkennen, sondern die Mittel zu weitgehenderer Auswertung der erziehenden 
Kräfte anzugeben, die in unserem Spielzeuge schlummern. Spielzeug ist 
ein pädagogischer Volksschatz, der wie die volkstümliche Literatur ständig 
vermehrt und Zeitforderungen angepaßt wird, der aber auch in seinen 
bleibenden Teilen eine fortgesetzte Umwertung erfährt Im Spielzeuge offen¬ 
bart sich eine gewisse Seite der pädagogischen Produktivität eines Volkes. 
Die mit dem Spielzeuge gleichsam im Grundrisse gegebene Spieltradition ist 
Ausdruck sowohl der Spielfreudigkeit der Kinder, ihrer geistigen Regsam¬ 
keit, als auch der Erzieherfreudigkeit der Eltern. 

Ein noch so vollständiges Verzeichnis der industriellen Spielzeuge würde 
allerdings noch kein naturgetreues Bild der Spieltradition einer Zeit geben. 
Es fehlten die oft sehr wertvollen Spielmittel, die in der Familie erfunden 
werden, die besonders in gewerblichen Kreisen aus Elternhand hervor¬ 
gehen. In steigendem Mafie aber hat die Industrie solche Anregungen schon 
gesammelt und daraus handelsfähiges Spielzeug gemacht. Ob immer mit 
ganz glücklicher Hand, mag dahingestellt bleiben. 

Ein Versuch, wichtige Züge der Entwicklung unserer Spielzeugindustrie 
zu zeichnen, kann sich natürlich nicht mit der technischen und kauf¬ 
männischen Entwicklung befassen. Es läßt sich aber zeigen, daß in der 
durch die Konkurrenz geschaffenen Notwendigkeit, für jede Messe wenigstens 
«ine oder einige Neuheiten zu bringen oder vorhandene Spielmittel zu ver¬ 
bessern, nicht nur Änderungen des Angebots erreicht wurden, sondern Er¬ 
weiterungen und Vertiefungen der pädagogischen Wertung dieser Spielmittel. 

Die Puppenindustrie hat eine bedeutende Verbesserung der Qualität 
ihrer Erzeugnisse aufzuweisen. Eine große Zahl auserlesener Künstler hat 
sich bemüht, die Puppe lebensvoller, wahrer im Ausdrucke, richtiger in der 
Proportion und Beweglichkeit zu machen. Die Schlagwörte „Künstlerpuppe, 
Charakterpuppe“ haben ja in erster Linie kaufmännische Bedeutung. Es 
wäre aber böswillige Verkennung, wollte man diesen Begriffen, soweit sie 
bestimmte künstlerische Intuition bezeichnen, nicht die Bedeutung zuerkennen, 
daß sie zu pädagogischer Beurteilung der Puppenspielmittel anregen. 

Wertvolle Erweiterungen der Spielillusion versprechen die vielen künst¬ 
lerischen Durchbildungen der Tierpuppe, sowohl die wunderbar heraus¬ 
gearbeiteten Tierpuppen der Firma Steiff als auch die gut modellierten 
Formen der Tiere für zoologische Gärten, Tierparke usw. 

Interessant ist es, zu beobachten, wie das neue Puppenmodell auch 
Einfluß hat auf die seinem Charakter entsprechende Umgestaltung des zu¬ 
gehörigen Puppenkrams. Das Angebot auf diesem Gebiete hat sehr an Ge¬ 
diegenheit gewonnen. Wie die Spielzeugindustrie auf diesem Gebiete nicht 
nur Neuheiten schaffen, sondern auch dazu helfen kann, daß wertvolles 
Volksgut erhalten und Geschmack für landschaftliche Eigenheit schon im 
Kinde gebildet wird, zeigen die Puppenstuben der Dresdner und Darmstädter 
Werkstätten und deren Häuserbaukästen. Der Künstler hat z.'B. an Stelle 


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O. Frey 


des allgemeinen, charakterlosen Bauernhauses das typische niedersächsiache, 
hessische Bauernhaus, den Heidehof gestellt, hat den gedrungenen, malen sehet» 
Aufbau der heimatlichen Kleinstadt festgehalten. Darin sprechen sicfrudeezz 
aus, die alle Herstellerkreise zu weiterer Vertiefung ihrer Angebote zwingen 
und nicht nur in der Jugend, sondern auch in Elternkreisen den Sinn für 
Erhaltung wertvollen Volkstums wecken und fördern. 

Eine bedeutsame Wandlung der Puppenstube liegt in dem Angebot an 
Puppenkram für »Puppengesellschaften“, wie sie die grollen Spielwarenhand¬ 
lungen in ihren Weihnachtsausstellungen seit Jahren zeigen. In der großen 
Auswahl an Puppentypen gleicher Größe liegt eine Anregung zur Steigerung 
der Spielillusion nach der Seite des Dramatisierens. In derselben Richtung 
wirken die neuen Angebote an Puppen für Puppentheater, die neben dem 
Streben, von der schematischen Gestalt zur charakteristischen zu gelangen, 
auch Versuche erkennen lassen, das Puppentheater durch kindertümliche 
Typen zu bereichern. 

Die Kriegsjahre haben natürlich unsere Soldatentypen vollständig um- 
gebildet. Aber nicht nur die Notwendigkeit, mit anderem Material zu arbeiten, 
nicht nur die Umwandlung ins Feldgraue hat neue Typen ergeben, sondern 
auch die einzelne Figur ist vielgestaltiger geworden. Zusammengehörige 
Gruppen werden angeboten, die eine bestimmte Kampfhandlung oder Szenen 
des Verpflegungs- und Sanitätsdienstes sinngemäß darzustellen erlauben. 

Wenn man bedenkt, welcher suggestive Zwang für die Ausgestaltung 
des Spieles in diesen Änderungen gegeben ist, wird man sie vielleicht höher 
einschätzen als die geradezu wunderbare Durchbildung der zum Soldaten* 
spiel gehörigen Mechanismen: Kanonen, Fahrpark, Eisenbahnmaterial usw. 
Zur Würdigung der letzterwähnten Spielgaben muß aber hinzugefügt werden, 
daß sie nach anderer Richtung wertvolle Anregung geben. Die Vorstellung 
von der Kampfbandlung wird großzügiger, wenn die Knaben mit diesen 
Mitteln ihre Pläne aufbauen. Die räumliche Vorstellung gewinnt an Tiefe, 
das Bedürfnis, Terrain darzustellen, .die Kampfhandlungen zu begründen, 
wird geweckt. 

Die Neuheiten auf dem Baukastenmarkte haben in den letzten Jahren 
vor dem Kriege und noch im Kriege für die Beurteilung der Baukästen als 
Spielmittel eine ganz neue Lage geschaffen. Der Baukasten ist zum Spiel* 
mittel für die reifere Jugend geworden. Dieser Fortschritt ist sowohl in 
einigen Formen der Stein- und Holzbaukästen erreicht, die nicht nur durch 
Menge der Bausteine und Kompliziertheit der Vorlagenwerke zur Auffassung 
von Querschnitten zwingen, sondern durch neue, konsequent durchgeffihrte 
Aufteilung der Raumelemente erreichen, daß auch bei der Darstellung ein¬ 
facher Formen höhere Ansprüche an die Raumvorstellung erhoben werden. 
Der Richtersche Festungsbaukasten stellt z. B. Anforderungen, denen 13 bis 
14 jährige Knaben erst nach einiger Übung genügen. 

Die eigentlichen Repräsentanten des Fortschrittes sind aber die Kon¬ 
struktionskästen. Die Idee lebt schon in den vor Jahrzehnten auftauchenden 
Versuchen, Fachwerkhäuser, Holzbrücken, Puppengeräte aller Art, also Bau¬ 
werke der Zimmermannstechnik mit Stäbchen von gegebener Länge und 
gleichförmigem oder wenig verschiedenem Querschnitt nachzubilden. Der 
Kreis der nachzubildenden Gegenstände blieb aber klein, solange man sich 
auf starre Konstruktionen beschränkte. 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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Mit der Aufnahme der Achse als Bauelement wird die Zahl der Gegen¬ 
stände, die das Kind nachbilden möchte, riesengroß. Die Konstruktions- 
käste.^ sind deshalb so sehr begehrt, weil sie sämtlich Maschinenbaukästen 
sind. Sie ermöglichen den Übergang von der Spielform des Bauens zu der 
des Probierens, sie sind Baukästen und gleichzeitig mechanisches Spielzeug. 

Selbstgebaute Mechanismen werden in ganz anderer Weise «verstanden* 
als fertiggekaufte. Die Funktion der einzelnen Teile, ihr Zusammenhang 
wird, wenn er aus dem Vorbilde (Vorlage oder Wirklichkeitsform) noch nicht 
ganz erkannt wurde, beim Zusammensetzen erfaßt Das Zusammenfügen 
bedeutet meist nicht nur, daß Einsicht in den einzelnen Fall erlangt wird. 
Das Typische in der Lösung technischer Probleme wird wenigstens geahnt. 
Es bilden sich motorische Begriffe, auch wenn der technische Name dafür 
fehlt. Die Funktion wird als selbständiges Glied des technischen Zusammen¬ 
hanges empfunden, und damit gibt seine Schöpfung dem Knaben selbst die 
Antwort auf seine Fragen nach dem Warum? 

Man kann den Fortschritt, den der'deutsche Ingenieur durch die Aus¬ 
arbeitung dieser Spielmittel angestrebt hat, nicht leicht überschätzen. Ihre 
Eigenart wird in dem oben gekennzeichneten Sinne gefaßt, wenn man sie 
als belehrendes Spielzeug bezeichnet. Ihre Bedeutung für die Schulung des 
Raumsinnes in bestimmter Richtung wird vielleicht noch deutlicher erkannt, 
wenn der Aufbau von Maschinenmodellen in Beziehung gebracht wird zu 
den Aufgaben, wie sie in den technisch gegliederten Fortbildungsschulen 
auftreten. Technische Zeichnungen werden im allgemeinen nur von Modellen 
gemacht, die bis in ihre Einzelheiten bekannt sind. Das technische Zeichnen 
soll aber durch die verhältnismäßig wenigen Beispiele, die in der zur Ver¬ 
fügung stehenden Zeit „durchgezeichnet* werden können, die Fähigkeit 
wecken, Wirklichkeitsformen zu analysieren, deren Elemente zu erkennen. 
Der Aufbau soll schließlich zeichnerisch festgehalten werden. Dabei kann 
der Konstruktionskasten wesentliche Hilfe geben. Er ermöglicht jene Dar¬ 
stellung des räumlichen Nebeneinander, von der der Schüler eine richtige 
Vorstellung haben muß, wenn er einen Querschnitt wiedergeben soll. Der 
spielende Knabe wird kaum das Bedürfnis haben, das Verständnis für die 
erkannten Zusammenhänge durch Zeichnung zum Ausdruck zu bringen. Es 
genügt ihm, wenn das Maschinchen „geht*. Die Vorlagenhefte, die von den 
Firmen herausgebracht worden sind, enthalten aber auch dafür Anregungen 
und unterstützen wesentlich ein Wachstum der Ausdrucksfähigkeit auf einem 
Gebiete, auf dem der Anfänger Beschreibungen so auffaßt, als wären sie in 
einer ihm unverständlichen Sprache abgefaßt. Man hat der Spielzeugindustrie 
den Vorwurf gemacht, daß sie alles Spielzeug mechanisiere. Die Mechani¬ 
sierung des Baukastens wird man aber als berechtigt anerkennen. Die 
Spielform des Bauens erweitert den Kreis der Vorstellungen, die eine 
motorische Wertung besitzen, die erlebt sind. 

In derselben Richtung arbeiten mit ganz anderen Mitteln Bestrebungen, 
die einfache Techniken, die als Basteln bezeichnet werden, zur Selbst¬ 
herstellung von Mechanismen anregen. Diese Anregungen erscheinen in 
Form von kleinen Schriftchen, die den Gang der Herstellung eines Maschinchens 
so ausführlich beschreiben, daß der geschickte, mit der Handhabung der 
einfachsten Werkzeuge vertraute Knabe imstande sein soll, dasselbe nach 
den gegebenen Maßen und Grundrissen herzustellen. 


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O. Frey 


Eine Reihe von Finnen bieten die beliebtesten Mechanismen (Feder- 
und Gewichtsmotor, Dampfmaschine, Elektromotor) als Halbfabrikate in 
einer Form an, daß in der Hauptsache nur noch die Arbeit des Zusammen- 
bauens zu leisten ist 

So auffallend der erzieherische Wert oder die belehrende Absicht dieser 
Spielmittel übereinstimmt, so erfahren sie doch in Eltemkreisen noch eine 
ganz verschiedene Wertung. Die Industrie bezeichnet diese Dinge als „Spiel- 
und Lehrmittel“. Sie empfindet, daß mit diesen Dingen die Grenze für die 
Bezeichnung als Spielzeug in vielen Fällen überschritten wird. 

Eine ähnliche Grenzüberschreitung liegt in dem vor, was die Spielzeug¬ 
industrie als Experimentierkästen bezeichnet. Man hat versucht, für physi¬ 
kalische, auch für bestimmte Gebiete der Chemie Baukästen zu schaffen. 
Nach den Gliederungen, die diese Gebiete in bewährten Lehrbüchern erfahren, 
sind die Bausteine so ausgeführt, daß Nachbildungen bewährter Demon- 
strationsmittel zusammengestellt werden können. Das Bauen mit diesen 
Hilfsmitteln soll in die Technik des Laboratoriums einführen, soll aber gleich¬ 
zeitig Naturerscheinungen in der Art hervorrufen, daß dieses Erleben zum 
Erfassen der ihnen innewohnenden Kausalität führt Das erläuternde Wort 
des demonstrierenden Lehrers soll durch die gedruckte Anleitung ersetzt 
werden. 

Solche Versuche müssen zu unüberwindlichen Schwierigkeiten führen, 
sobald sie das Gebiet der Statik fester Körper verlassen. Schon die Dynamik 
fordert die Beobachtung des Geschehens in der Zeit. Das Spiel ist zeitlos. 
Die Zeit als Funktionsbegriff eröffnet sich dem motorischen Verständnis in 
den Arbeitsvorgängen. Würden die Bausteine der Experimentierkästen so 
gewählt, daß sie zur .Nachahmung solcher Arbeitsvorgänge anregen, deren 
motorischer Gehalt erfaßt werden kann, dann würde ein Selbsterarbeiten des 
Verständnisses in das Bereich des Möglichen rücken. Die sprachliche Formu¬ 
lierung des allgemeinen Falles, das Herausarbeiten des qualitativen Experi¬ 
mentes würde in vielen Fällen wegfallen, aber jeder ähnliche Fall, der im 
praktischen Leben beobachtet wird, würde aufs neue zum Probieren anregen, 
ein Beurteilen herausfordern. Es scheint nicht unmöglich, daß die Schwierig¬ 
keit, die der physikalische Unterricht von heute meist kaum überwindet (die 
quantitative Auffassung der Erscheinung, das immittelbare Schätzen der 
arbeitenden Kräfte), viel geringer wird, daß ein solcher Selbstunterricht 
eine intuitive Sicherheit in der Beobachtung und Beurteilung von Natur¬ 
erscheinungen leichter ausbildet als ein Unterricht, der auf dem Umwege 
über die logische Formulierung sich an das motorische Verständnis wendet. 
Mit dem Begriffe eines planmäßigen Unterrichts ist uns untrennbar ver¬ 
bunden das widerspruchslose Zusammenfügen der Erscheinungen, das Streben 
nach System. Systematisierung der Erkenntnisse ist nicht nur Ausdruck 
eines logischen Bedürfnisses, sondern auch eine ökonomische Forderung 
alles Unterrichtes. Will man Berechtigung und Wert der belehrenden Spiel¬ 
mittel gerecht abwägen, so muß man betonen, daß jene beiden Gründe für 
diesen Selbstunterricht des Spieles wegfallen. Das Spiel hat durchaus nicht 
darnach zu streben, daß in möglichst kurzer Zeit und auf bequeme Weise 
Erkenntnisse gewonnen werden, es würde sich mit solchen Grundsätzen selbst 
aufheben. Ihm kann es nur darauf ankommen, daß der Spielende sein 
persönliches Erleben mit diesen Erscheinungen verknüpft 


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Über Spielzeuge als Erziehungsmittel 


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Man kann auf dem Standpunkte stehen, daß solches Erleben zwecklos, 
eben eine Spielerei sei. Damit wird man aber die Tatsache nicht aus der 
Welt schaffen, daß das Bedürfnis nach solchem zwecklosen Erleben gerade 
in unserer Zeit sehr stark ausgebildet ist Ganz besonders gilt das von den 
elektrischen Erscheinungen. Die Sehnsucht nach elektrischem Spielzeug ist 
in unserer Jugend sehr lebendig. Das industrielle Angebot bevorzugt durch* 
aus solche Spielmittel, die für ein Verständnis der Zusammenhänge wenig Be¬ 
deutung haben, aber einzelne auffällige Erscheinungen zeigen. Induktions¬ 
apparat und Elektrisiermaschine sind die Kernpunkte, um die sich die 
Auswahl gruppiert. Geschickte Vereinfachungen der Apparatur für Funken¬ 
telegraphie, kleine Ausführungen der Hilfsmittel für Strahlungserscheinungen, 
die in eben noch erkennbarer Weise die überraschenden Effekte darstellen, 
sind die gesuchten Neuheiten. 

Die Nachfrage reguliert auch hier das Angebot. Das hauptsächlichste 
Verdienst der Spielzeugindustrie besteht darin, daß sie diese Hilfsmittel eines 
geistigen Genießens zu einem Preise anbietet, der erschwinglich ist. 

Pädagogische Vertiefung ihres Angebots ist noch nicht allgemeines 
Prinzip der Spielzeugindustrie. Wohl aber läßt sich zeigen, daß alle tief¬ 
gehenden Bestrebungen der pädagogischen Praxis sich auch in Anregungen 
für die Spielzeugindustrie ausleben. Die Parallele zwischen Kunsterziehung 
und künstlerischer Ausgestaltung des Puppenspiels und der Baukästen ist 
offensichtlich. Wenn die Umwertung, die sich in der Auffassung von Weg 
und Ziel des naturwissenschaftlichen Unterrichts vollzogen hat und noch im 
Werden begriffen ist, auch im Spielzeugangebot zum Ausdrucke kommen 
sollte, so müßten neben den physikalischen Spielmitteln solche der chemischen 
und biologischen Wissensgebiete entstehen. Die oben erwähnten chemischen 
Experimentierkästen können nicht als verheißungsvoller Anfang angesprochen 
werden. Die Technik des Photographierens bringt aber so vielseitige An¬ 
regungen , daß von ihrer Verbreitung viel erwartet werden darf. Die 
Dunkelkammer ist zwar ein einseitiges, aber jedenfalls das verbreitetste 
chemische Laboratorium. Mit den als Schülerkameras angebotenen Apparaten 
Ist der Jugend ein Werkzeug in die Hand gegeben, das zu selbständiger 
Naturbeobachtung reizt 


Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik. 

Von Hans Rupp. 

(Schluß.) 

VIII. Gruppe: Zeitmessung. 

(Chronoskopie, Chronographie, Kymographie.) 

Die Zeitmessung spielt in der experimentellen Psychologie und Pädagogik eine 
große Rolle. 

Wir brauchen sie, um den Verlauf psychologischer und physiologischer Vorgänge 
za beschreiben. Wie schnell entsteht ein Gedanke, wie sohnell reift ein Ent¬ 
schluß? Welche Zeit beanspruchen die einzelnen Teile, Stadien einer längeren 


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Hans Rupp 


Überlegung, Arbeit? Wie schnell oder langsam steigt ein Affekt an, wie schnell 
klingt er ab? Wie rasch führen wir Bewegungen aus, wie lange halten wir bei 
- Kraftleistungen aus? U. dgl. m. Zeiten in großem Maßstftbe brauchen wir, 
wenn wir Entwicklungsfortschritte im Laufe der Lebensjahre oder der Schul¬ 
jahre beschreiben, wenn wir das allmähliche Verblassen und Entschwinden von 
Erinnerungen verfolgen usf. „ 

Wir beschreiben den zeitlichen Verlauf nicht nur, um uns überhaupt einmal 
ein Bild von der Schnelligkeit eines Gedankens, eines Entschlusses, der Lösung 
einer Aufgabe zu machen, um festzustellen, wer schneller, gewandter denkt, schnel¬ 
ler arbeitet, schneller sich entwickelt, sondern wir suchen vor allem gesetzliche 
Zusammenhänge, suchen die Ursachen und Wirkungen verschiedener Schnellig¬ 
keiten. Unter welchen Bedingungen wird eine Aufgabe schneller gelost, welche 
Methoden der Lösung, des Arbeitens führen schneller zum Ziel? Oder umgekehrt: 
Welche Wirkung hat es, wenn man in schnellerem Tempo lernt, rechnet usw. ? 
Wieviel erfaßt man bei flüchtiger, wieviel bei längerer Betrachtung ? 

Diese Verwendungsweisen der Zeit sind uns aus dem täglichen Leben be¬ 
kannt. Wir halten eine Methode für besser, die eine schnellere Lösung der Auf¬ 
gabe bewirkt, oder die Aufgabe für leichter, die schneller gelöst wird; bei Eigen¬ 
schaften wie Gewandtheit, Schlagfertigkeit, Geistesgegenwart verlangen wir nicht 
nur richtiges, sondern auch schnelles Urteilen und Handeln. 

Die experimentelle Psychologie und Pädagogik gehen jedoch insofern über den 
Gebrauch der Zeit im täglichen Leben hinaus, als sie die Zeiten sorgfältig messen 
und dadurch oft zu Ergebnissen kommen, die der unmittelbaren Beobachtung ent¬ 
gehen, und insofern, als sie sich der Zeitmessung in ihren verschiedenen Formen 
(wie ich sie gleich besprechen werde) viel bewußter und in viel größerem Umfange 
bedienen. Nach den bisherigen Erfolgen kann man sagen, daß sich die Zeit¬ 
messung meistens lohnt, daß sie meistens neue und wertvolle Ergebnisse zutage 
fördert. 

Eine besondere Stellung nimmt die Zeitmessung ein bei der Untersuchung der 
subjektiven Zeit- und Bewegungseindrücke. Wir können Zeiten, 
Schnelligkeiten von Bewegungen und anderen Veränderungen subjektiv schätzen 
und vergleichen. Stimmt unser Urteil mit den wirklichen Verhältnissen überein ? 
Welche Zeiten und Schnelligkeiten nehmen wir unmittelbar wahr, welche er¬ 
schließen wir ? und auf Grund welcher Kriterien erschließen wir sie ? 


Von Zeitbestimmung handeln diese und die nächste Gruppe. In dieser Gruppe 
VIII bespreche ich solche Versuche, in denen die Vorgänge, wie sie sich < ben ab¬ 
spielen, in ihrem zeitlichen Verlauf bestimmt werden. Bei den Versuchen der näch¬ 
sten Gruppe werden die Zeiten künstlich geregelt, z. B. die Dauer oder das Tempo 
des Arbeitens vorgeschrieben oder ein bestimmter Takt, Rhythmus vorgegeben, 
oder Eindrücke von sehr kurzer Dauer, wie beim flüchtigen Hinblicken, erzeugt. 
Ich spreche im ersten Falle von Zeitmessung, im zweiten von Zeitrege¬ 
lung. Man kann oft dasselbe Problem auf beide Weisen untersuchen. 

Man kann drei Arten von Zeitmessung scheiden, die namentlich ihrer 
technischen Ausführung nach sehr verschieden sind. 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


397 


A. Wir bestimmen die Dauer eines einzelnen Vorganges oder 
einer einzelnen Pause, oder den Zeitpunkt eines einzelnen Vor* 
ganges. Nach den typischen Zeitinstrumenten.für diese. Zwecke, den Chrono* 
skopen oder Chronometern, kann man die Probleme als die der Chronoskopie 
oder Chronometrie bezeichnen. 

Hierfür gibt es viele Beispiele. Wie lange brauchen wir zur Erkennung 
von Farben, Tönen, Gewichten usw.? wie lange bei verschiedenen (z. B. 
selbständigen, ausgeprägten und unselbständigen) Farben ? Sind die Eindrücke 
der Gedächtnisfarbe, der „scheinbaren Größe“ und die analogen Eindrücke auf 
anderen Sinnesgebieten, die alle als Produkt geistiger Verarbeitung des immittel¬ 
bar gegebenen Reizes anzusehen sind, sofort vorhanden oder verursacht die Ver¬ 
arbeitung eine Verzögerung ? Wie beim Erwachsenen, wie beim Kinde ? Ähnliche 
Fragen ergeben sich für die räumliche Auffassung. Wird die zusammen* 
gesetzte Form (z. B. ein Gesicht) ebenso schnell erkannt wie* eine geometrisch ein¬ 
fache (z. B. eine Gerade) ? Ist die Plastik, die sinnfällige Tiefe eines Körpers, eines 
Stereoskopbildes sofort beim Hinsehen vorhanden oder entwickelt sie sich erst? 
Ähnlich bei Tast-, Gelenk-, Gehörsempfindungen, deren Lokalisation im Leben 
umgelernt (der optischen angepaßt) oder ganz neu gelernt werden muß. 

Natürlich ist in allen diesen Fällen wie auch in den folgenden Beispielen zu 
beachten, ob man hur die Zeit der Erkennung mißt, oder ob auch die Zeit der Be¬ 
nennung, z. B. des Findens der richtigen Farbennamen, enthalten ist. 

Wie nach Erkennung sinnlicher Qualitäten oder Eigenschaften, so kann man 
nach der Erkennung irgendwelcher Gegenstände fragen und wieder die Zeit 
messen. Wenn die Zeitmessung auch nichts über die Hauptfrage sagt, woran, 
au welchen Kriterien wir den Gegenstand erkennen, so macht doch die längere oder 
kürzere Erkennungsdauer darauf aufmerksam, ob eine Erkennung schwieriger, 
oder ob sie leichter, geläufiger ist. Die Frage ist noch wenig bearbeitet. 

Mehr Untersuchungen liegen vor über die Schnelligkeit des Lesens. 
Welche Buchstaben werden schneller, welche langsamer erk ann t ? Wie bei ver¬ 
schiedener Schrift (Fraktur, Antiqua) ? Wie bei verschiedener Größe, verschiede¬ 
ner Dicke der Linien, bei verschiedenen Maß Verhältnissen (Länge : Breite, 
Mittel- : Oberzeiler)? Wie — was man bisher kaum berührt hat — bei ver¬ 
schiedenen Handschriften? 

Aber nicht nur auf einzelne Buchstaben, auf das'Lesen der Wörter und Phrasen 
kommt es an! Braucht man zum Lesen eines Wortes von vier Buchstaben vier¬ 
mal so viel Zeit wie zu einem einzelnen Buchstaben ? Bei welcher Schrift werden 
die Worte und Phrasen schneller erfaßt ? 

Ähnliche Fragen wie über die Lesezeit bestehen über die Schreibezeit. 
Welche Schrift kann schneller geschrieben werden (bei gleicher Lesbarkeit!), 
einerseits in einzelnen Buchstaben, andererseits und vor allem in ganzen Wör¬ 
tern ? Welche Buchstaben oder Zusammensetzungen von solchen bieten besondere 
Schwierigkeit ? Diese Fragen haben besonders für die Stenographie praktische 
Bedeutung. 

In ähnlicher Weise kann man die Lesbarkeit und Schreibbarkeit von 
Zahlen prüfen. Man stellt die Zahlen durch Ziffern, im ersten Unterricht durch 
Punktgruppen dar. Welche Anordnung der Punkte ist günstiger, welche Anzahlen 
werden schneller erkannt? 


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Hans Rupp 


Übergehend zu zusammengesetzteren Vorgängen, sei zunächst auf die Messung 
der Lernzeit unter Anwendung verschiedener Lernmethoden und 
auf die Messung der Besinnungszeit (Trefferzeit) hingewiesen, die in der 
vorigen Gruppe (VII) besprochen wurden. 

Ferner hat die Zeitmessung bei Rechenaufgaben Wertvolles geleistet. 
Welche Aufgaben werden schneller gelöst, sind schwieriger (z. B. größere Zahlen, 
Addition mit Überschreiten eines Zehners)? 

Ähnlich kann man logische und grammatikalische Fragen stellen 
und die Schnelligkeit der Beantwortung bestimmen. Zum Beispiel: Welches 
Verhältnis besteht zwischen zwei vorgegebenen Begriffen (Unter-, Über-, Neben¬ 
ordnung, Ganzes — Teil, Art — Individuum, usw.) ? Welche grammatische Form 
hat ein vorgegebenes Wort (z. B. des Vaters)? Es ist zu einer Form eines Wortes 
(z. B. Singular oder Präsens) eine bestimmte andere Form (z. B. Plural oder 
Perfektum) anzugeben. 

Diese Fragen sind eindeutig. Vielfach stellt man ganz analoge Fragen mehr¬ 
deutig. Zum Erfassen der logischen oder grammatischen Kategorie kommt dann 
noch das Suchen des besonderen Falles hinzu. Man suche zu einem bezeichneten 
logischen Verhältnis ein Beispiel (Ganzes : Teil = x: y). Oder zu einem bezeichne¬ 
ten logischen Verhältnis und einem gegebenen Begriff einen zweiten Begriff, 
der zu dem ersten in dem bezeichneten Verhältnis steht (Ganzes : Teil = Baum: x). 
Oder man bezeichnet das gewünschte Verhältnis nicht abstrakt, sondern selbst 
wieder durch ein Beispiel (Baum : Wurzel = x:y; Baum : Wurzel = Haus :x). 

Ähnlich bei grammatikalischen Formen. Man suche zu einer abstrakt bezeich¬ 
neten Form ein Beispiel (Hauptwort schwacher Biegung). Oder zu einer kon¬ 
kreten Form (gehen) eine andere abstrakt bezeichnete Form desselben Wortes 
(Partizipium des Perfekts). Oder zu einem konkreten Formverhältnis ein anderes 
Beispiel derselben Art (Hauptwort mit ähnlicher Biegung wie: der Bär, des Bären). 

Ähnliche Aufgaben wie bei logischen und grammatikalischen Verhältnissen 
kann man bei sachlichen Verhältnissen (Ursache, Wirkung, äußerliche 
Ähnlichkeit, äußerlicher Zusammenhang, Verwandtschaft, usw.) stellen. Die 
Fragen können wieder ein- oder mehrdeutig sein. 

Endlich gibt es noch tausenderlei andersartige Fragen: Erraten von Gegen¬ 
ständen oder abstrakten Begriffen nach Beschreibungen, Andeutungen (Rätsel), 
Erkennen von Bildern aus unvollkommenen Formen, oder Aufgaben wie diese: 
Was könnte diese (unvollkommene) Form (z. B. Rechteck) alles vorstellen? 
Was würdest du in dieser oder jener Situation tun? Und vieles andere. 

Immer wird die Zeitmessung mehr oder weniger wertvolle Dienste leisten, 
indem sie auf Unterschiede in der Leichtigkeit oder Geläufigkeit der Aufgaben 
hinweist. Natürlich ist die Dauer, wie schon erwähnt, nur eine äußerliche Seite; 
sie sagt nichts darüber, wie die Lösung gefunden wurde, und nichts über die Güte 
der Lösung. Es sollten, soweit möglich, stets Selbst- oder Fremdbeobachtung, 
Studium der Fehler uff. hinzutreten. — 

Bisher war von Denkaufgaben die Rede. Zeitmessung kommt auch bei den 
gewöhnlichen Reaktionsversuchen vor, bei welchen auf ein Zeichen hin mit 
einer Bewegung zu antworten ist. Die Versuche sind in Gruppe VI (Punkt e) 
erwähnt worden. — 

Bei längeren Zeitstreoken messen wir vielfach nicht unmittelbar die Dauer, 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


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sondern den Zeitpunkt in einem festen Zeitsystem. So bestimmen wir das Alter, 
in dem die erste absichtliche Handlung, die erste Lüge, der erste Nebensatz, 
auftritt, u. dgL Wir halten uns an das Alter, Schuljahr oder Ealenderdatum._ 

B. Im Falle A konnte nur eine einzelne Zeit, die Dauer eines abgeschlossenen Vor¬ 
ganges bestimmt werden. Das hängt mit der technischen Natur der dort verwen¬ 
deten Uhren zusammen. Sie müssen nach Ablauf der Zeit angehalten und abge¬ 
lesen werden. Vor der neuen Messung sind vielfach noch vorbereitende Griffe 
(z. B. auf Null Zurückstellen der Uhr) nötig. Es vergehen also eine Reihe von 
Sekunden, ehe die neue Messung beginnen kann. 

Vielfach aber will manfortlaufend Zeiten messen. Dies ermöglichen die 
Chronographen, die natürlich auch einzelne Zeiten zu messen gestatten. Ich 
bezeichne die Probleme als die der Chronographie. 

Beispiele sind: Man bestimmt die Dauer der einzelnen Abschnitte einer Rech¬ 
nung oder anderer längerer und zusammengesetzter Denkaufgaben. Man mißt 
die Schnelligkeit, mit der die einzelnen Teile eines eingeprägten Stoffes (z. B. einer 
Silbenreihe) reproduziert werden. Man läßt eine größere Anzahl gleichwertiger, 
kleiner Aufgaben, z. B. kleine Additionen, ausführen, läßt fortlaufend lesen, 
schreiben und mißt, wie schnell anfangs, wie schnell später gearbeitet wird, 
um den Einfluß von Übung, Ermüdung usw. zu bestimmen. Oder man mißt 
beim Musizieren die Dauer der Töne und der Pausen, den zeitlichen Rhythmus. 
Oder man läßt möglichst schnell trillern und bestimmt das Tempo und das all¬ 
mähliche Nachlassen der Geschwindigkeit. .Und vieles andere. 

C. Bei den Versuchen B werden in der eindimensionalen Zeitlinie Marken ver¬ 
zeichnet. Was die Marken bedeuten, muß separat notiert werden. Die Versuche C 
bringen einen weiteren Fortschritt. Sie geben nicht nur Zeitpunkte, sondern 
auch den Grad einer Veränderung in den Zeitpunkten. So wird beim Heben von 
Gewichten nicht nur angegeben, wann gehoben wird, ob das Tempo z. B. allmäh¬ 
lich langsamer wird, sondern auch wie hoch, ja sogar wie schnell gehoben wird. 
Oder es wird beim Aufschreiben von Atem und Puls nicht nur das Tempo, sondern 
auch die Tiefe des Atems, die Stärke des Pulses bestimmt. Man erhält zwei¬ 
dimensionale Kurven: Die Abszissen geben die Zeitpunkte, die 
Ordinaten geben den Grad der Änderung an. Man bezeichnet die Pro¬ 
bleme am besten naohden Apparaten als die der Kymographie, der Wellen¬ 
oder Kurvenschreibung. 

Andere Beispiele sind: Wie schnell wird eine Linie in den einzelnen Teilen ge¬ 
zeichnet f Wie schnell werden die einzelnen Striche beim Schreiben eines Buch¬ 
stabens geschrieben, wie schnell die einzelnen Buchstaben ? wie schnell die Zahlen 
bei einer Rechnung? wie schnell die Teile einer Zeichnung? Wie stark ist der 
Druck der Feder oder des Stiftes bei den einzelnen Strichen eines Buchstabens 
(Schriftdruck)? wie beim Zeichnen? Usw. 

Eine Einrichtung für die Versuche C läßt sich natürlich auch für die einfacheren 
Aufgaben B und A verwenden. 


Ich bespreche nun die Apparate. Die Zeitmeßinstrumente für die Versuohe A 
heißen Chronoskope oder Chronometer oder auch einfach Uhren; die für 
B und C Chronographen und Kymographien. 


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Hans Rupp 


Bei den Versuohen A reichen für größere Zeitmessungen gewöhnliche Uhren 
aus. Vielfach aber sind Messungen auf Bruchteile von Sekunden (bis auf */ioo Se¬ 
kunden) nötig. Dazu sind natürlich feinere Instrumente erforderlich. Eine ähn¬ 
liche Genauigkeit wird gelegentlich bei B und C verlangt. 

Nicht nur das Zeitinstrument muß bei genauen Messungen Bruchteile von Se¬ 
kunden anzeigen, sondern es muß auch die Markierung der Zeitpunkte ent¬ 
sprechend exakt sein. Will man z. B. die Dauer der Lösung einer Aufgabe genau 
bestimmen, so muß die Uhr genau zu Beginn des Lösungsversuches anlaufen und 
genau am Ende der Lösung stehen bleiben. Bei den Chronoskopversuohen nach 
Axt der Reaktionsversuche, bei denen eine Aufgabe (Reiz) gestellt wird, mißt 
man die Zeit vom Stellen der Aufgabe an. Man verwendet Apparate, die zugleich 
die Aufgabe (möglichst plötzlich) stellen, z. B. ein Wort exponieren, und die 
Uhr (mechanisch oder elektromagnetisch) in Gang bringen. Sie heißen Reiz¬ 
apparate. Die Beendigung der Lösung muß sofort durch eine Bewegung (z. B. 
Drücken auf eine Taste) kundgegeben werden, durch die die Uhr angehalten 
werden kann. Die hierzu dienenden Apparate heißen Reaktionsapparate. 

Bei den Versuchen B und C sind Apparate nötig, die die zu registrierenden Be¬ 
wegungen aufnehmen und direkt oder mittels eines separaten Schreibers auf 
den Chronograph oder das Kymographion übertragen. Ich bezeichne sie als 
Aufnahmeapparate. Ferner sind, wie eben angedeutet, vielfach Schreiber 
erforderlich mit entsprechenden Stativen. Endlich Zeitmarkierapparate, 
die je nach Bedarf Minuten oder Sekunden oder Bruchteile von Sekunden auf- 
zeichnen (s. Gruppe IX). 


Zeitmeßinstr umente. 

Nr. i Stoppuhr für l / s , l / l0 , l / t0 oder »/ w Sekunden mit 1 Zeiger und 
1 Drücker. Wie der Sekundenzeiger der Taschenuhr alle Sekunden einen 
. Strich weiterrückt, so bewegt sich um Teilstriche der Zeiger der Stoppuhr 5, 10, 
20, 50 Rucke in der Sekunde weiter. Er wird dadurch in Gang geatzt, daß 
man auf den oben an der Uhr befindlichen Knopf drückt; er bleibt stehen, 
wenn man ein zwetes Mal drückt; er springt in die Nullstellung zurück, wenn 
man ein drittes Mal drückt. Die Uhr mißt die Zeit zwischen dem ersten und 
zweiten Drücken. 

n». 2 Man hält die Uhr sicher in der rechten Hand und drückt mit dem Zeigefinger 
oder Daumen. Der Finger liegt schon vorher auf dem Knopf und drückt ihn so 
weit, daß für die eigentliche Reaktion nur mehr da9 letzte Stück der Bewegung 
auszuführen bleibt (man „nimmt den Druckpunkt“). 

Doppelstoppuhr für 1 / 6 , 1 / l0 , 7 2 o oder Vto Sekunden mit zwei Zeigern 
und zwei Drückern. Man kann zunächst die zwei Zeiger zugleich laufen 
lassen, wie wenn man nur einen Zeiger und einen Druckknopf hätte. Der Apparat 
wird dann benützt wie der vorige. 

Oder man benützt beide Zeiger. Man kann dann zwei aufeinanderfolgende 
Zeiten messen. Beim Druck auf den einen Knopf beginnen beide Zeiger zu 
laufen, beim Druck auf den zweiten bleibt ein Zeiger, beim Drupk auf den ersten 
Knopf bleibt der zweite Zeiger stehen. 

Kr - 8 Hebeleinrichtung zur Doppel Stoppuhr (Tasterstoppuhr) nach 
Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Die Uhr ist auf einem Holzblock sehr 


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Probleme und Apparat« zur experimentellen Pädagogik 


Bieter gelagert. Aaf die zwei Druckknöpfe legen steh zwei Hebel HH. Man 
drückt weht direkt auf die Knöpfe, sondern auf die Hebel. Abgesehen davon, daß 
dies namentlich für ungelenkige 
Hände viel bequemer ist, können be* 

dieser Eiw'icbtimg vurschiedcne Per- |Lm|. 

Bnnen auf die. Dhr wirken. Wird z. 

durch Schlag 


B. von der einen 
auf den einen Hebel ein Schallrei* 

erzeugt, »o kann, die andere ihren Hebel als Reaktiorisinstriiment benutzen 
ußd reagieren, sobald eie de« Reiz hört. » 

Übt mau sich darauf ein, genau mit dem Äiisaprechen eines Wortes der» Hebel 
uiederztnirücken, so kann .man die vielen Reaktiojis^versuche mit sprachlichem 
Reia und sprachlicher 1 -teaktk.n anstelkn. 

• Dieselbe, mi t Kontakten (Knptakt-Tastcrstoppu.br) nachKupp(Me- 

vhanikt^ Murz, BwlinK im Augenblick, 
wo die Drücker auf di* feiger wirken,wird 
vin Kontakt gnschk’aasn. Pas hat i. B. 
;■ . fm! deA Yörk'i), daß man die llhrz<ut ndttels 

; 1 j»|| .eines €%öpographen kontrollieren karm, 

\ | MX ferner daß- thart ändere a& akustisch** 


nH^SreSItSi apparat. An eine® Dalgen hangen fcsrei 

_ Pendel vc«n etwas verlchivdener Lange. 

' ' ^W^jjmk um V^Ä.-karide. Jedes Pendel wird durch 

Druck Kiemen .Testet losgelaasen.. Der 

V ): . ***- v ^f| l'-l- eine Taster dient für den Retz, der andere 

’IJM ’ . für die .Reaktion': das erste Petids?* wird 

also im Augenblick «ies Kerres, das zweite 
i m Augenblick der Keaktfön foögelaasen, JÖ& aber däa eine /etwas Rchjwdler 
schwingt, so hott es nach einer Anzahl von Schwihgimgen das Zweite ein. Eine, 
•einfache Überlegung zeigt, daß die BcaktionsaeR so viel */ so Bekunden betragt, 
als man Schwingungen bis zum Einholen gezählt hat. (Näheres über Apparat 
und Harulhabung ist im Katalog des Mechonik*r* Spindler usid Hoyvz xi> finden). 

Das Eahleft der ^hwiiigtuigen ist hnietänditch und tnühaam, dät gesaiie Er¬ 
kennen des Eiuhptens erfordert Übung. Dennoch empfiehlt sich das Inätrumepf 
dtirob «eine Einfachheit, . , •. ■ , ’ • . 

Neben «len unter Nr.ß Angeftihrten Versuchen kann man auch optaseW Reihe; 
und Reizwörter sxjctnicrcm. An dem Kewtasher Ut ein Stab mit einem Schirrt» 
angebracht.. Drückt man auf den Taster,, so verschiebt sieh der Schiroj und 
bleckt ein dahinbiratehondes Wort, eine: Eeeheuatifgabe u. dgl. auf. 

2ettfrolit$ft A -.pitdngo^r \ 2(1 






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Hans Rupp 


Bandchronograph mit 2 Schreibern, nach Rupp (Mechaniker Marx, 
Berlin). Der Apparat ist ein typischer Apparat für die Versuche B. Die Kon¬ 
struktion ist ähnlich der bei den Morsetelegraphen. Der Apparat kann an den 
Li pmann •Gedächtnisapparat angeschraubt werden. Die Rolle B, welche das 
Band weiter zieht und welcher die Friktionsrolle r entgegen wirkt, wird durch den 
Motor des Gedächtnisapparates bewegt. Infolge der konstanten Geschwindigkeit 

dieses Motors braucht man für 
die meisten Fälle keine Zeitmarke. 
Die Abstände der aufgeßchrie- 
bsnen Marken sind genau den 
Zeiten, die zwischen den Auf- 
schreibungen lagen, proportional. 
Stellt man den Motor z. B. so 
ein, daß der Streifen in der 
Sekunde 5 cm zurücklegt, so be¬ 
deutet jeder mm */,<, Sekunde. 

Der Streifen kommt von der 
Spcicherrolle Sp, biegt ziemlich 
scharf um den Stab St, damit 
das Schreibrädchen T, das in ein Gefäß mit Tinte taucht, trotz seines relativ 
großen Durchmessers mit einem kleinen Teil seines Umfanges schreibt. 

Wenn man Reaktionszeiten bestimmen will, läßt man entweder den einen der 
zwei Schreiber den Reiz, den andern die Reaktion schreiben, oder man läßt einen 
beides aufzeichnen und verwendet den zweiten zum Schreiben einer Zeitmarke. 
Man braucht eigene Reiz-, Reaktions- bzw. Aufnahmeinstrumente, die elektrisch 
arbeiten (vgl. unten). 

k>-. 7 Bandchronograph mit mehr als zwei Schreibern, nach Rupp (Me¬ 
chaniker Marx, Berlin). Der vorige Apparat kann auch für mehr Schreiber ge¬ 
baut werden. Mechaniker Marx hat z. B. einen Apparat für 12 Schreiber gebaut. 
Die Konstruktion der Schreiber ist eine andere als bei No. 6. Man kann dann mit 
mehreren Personen zugleich Versuche anstellen, was für Übungen sehr vorteilhaft 
ist. Oder man kann die zeitlichen Verhältnisse beim Spielen einer Melodie auf¬ 
zeichnen, wenn jede Taste einen Kontakt erhält und mit einem Schreiber ver¬ 
bunden wird. U. dgl. ra. 

Kr s Studentenkymographion nach Petzold (Mechaniker Petzold, Leipzig). 
Einfaches Kymographion, vertikal und horizontal zu stellen, mit oder ohne Uhr¬ 
werk. Die Geschwindigkeit kann durch eine Regulierung des Federmotors oder 
durch Verschieben der Mitnehmerrolle an der Friktionsscheibe in üblicher Weise 
variiert werden. 

Damit die Schreiber nach einer Umdrehung der Trommel nicht wieder in die 
frühere Kurve hineinschreiben, muß man sie nach jeder Umdrehung, oder besser 
schon während der Umdrehung entsprechend verschieben. Dazu dient das Stativ 
mit Trieb Nr. 27. Dieses muß so aufgestellt werden, daß die Schreiber genau 
parallel zur Trommelachse verschoben werden. (Näheres über die Schreibung 
siehe im Hauptkatalog des Mechanikers Spindler & Hoyer, Göttingen.) 

Uber die Verwendung des Kymographions als Gedächtnisapparat vgl. Gruppe 
VII, Nr. 7. 



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Problem« und Apparate *ur experimentellen Pädagogik 


Foderkymographiön nach Schulze (Mechaniker Pefcsold, Leipzig), Den kr,« 
Grundbestandteil bildet das vorerwähnte Btudentenkfmographion, und «war 
da* ohne Uhrwerk. Dazu treten eine Bcbteöde.reinrichtung und verschiedene 
Kontakte. 

Eine Uhrfeder '5ist mit dem emeaEndc an der Tronmielachse befestigt, wählend 
das» andere gegen das 'Widerlager IF aufgeBatzt wird. Die Feder sucht «ich von 
dieser Lage aus ruckartig Mflammenroziehen 

und reißt dabet die Trommel einmal hemm. ~ .a I*..■- 

Zunächst ahm wird die Trommel in der Au»-. 
gangslage festgehalten durch den nach oben 

federnden Drucker F, der. einer. Einschnitt be- .. •< 

»itzti in dei! ein an der ITümmelachse befestigter 

Zahn. Z eingreift Drückt man also $ nieder, so ’r? S f 

wird die Troumiei frei und wird lim'eh die Bpi- 

rilfeder hemmgescldendcrt. Am Ende, einer .t'^| 

Umdrehung echnappt der Zahn Z wieder in 

Um die Spannung der Uhrfeder und damit • 

auch die SchneHigkeifc der Drehung^der Trommel 


nach Bedarf ändern 
nicht unmittelbar an der Achse befestigt, sondern ,1 , "SB 

an einer ßollci^, mit der sie um die Achse ge- 

dreht werden kann. Ein Sperr«! Sv halt die , .?£*■] Jp ,V 

Rolle in den einzelnen Lagen fest. Man regelt _ 

die Spannung der Feder, indem'>man die Rolle . 

Die durch die Feder wzeogte Bewegung der 
Trommel steigt schnell bä zum Maximum an und 
bleibt dann fast gleichmäßig während der ganzen Drheung, 

Unterhalb der Spiralfeder sind an der Achse zwei verstellbare Arme angebracht, 
die an dem äußeren Ende nach unten stehende Federn tragen. Die. Federn 
berühren Kanten .oder Streifen aus Metall, die auf dem Fuß des Apparates be¬ 
festigt sind; und erzeugen dadurch an bestimmten, beliebig zu wählenden Stel¬ 
lungen der Trommel kurze oder dauernde Kontakte, , 

Die Sohleodereinrichtiuig disilt zur Messung einzelner kurzer Zeiten, die klei¬ 
ner sind als die Dauer einer Trommsluimirehung. Sie die® t ahn für die Versuche A, 
vor allem ihr Reaktionsversccbß. ‘ 

Ala akustischen Reiz kann inan das Cfeiausoh; beim Loßlcösen der Trommel ver« 
wenden, Um dieses an v!UBtärke.rt,, kffinii Tr5ftn 


B. mit einem Fingerhut auf den 
Drücker F schlagen. Emen optischen Reiz kann man ebenfalls io einfacher Weise 
mit dem Apparat selbst erzeugen. Mari steckt z. B. oben an den TroMoielr&nd 
oine kräftige Klammer, die eine kleine schwarze Karte trägt, Davor wird em 
Weißer Schirm aufgcsteUt, in der Höhe der Karte einen, vertikalen Schlitz hat- 
Kurz nach Beginn der;ßtehüsigErscheint "hinter dem Schlitz die schwatze Karte 
ala optischer Reiz. Die Steilung des Auges soll dabei 
bedient aiölv z Ef des Kopfhalters Gruppe II, Ffr. 90. 

Die Reixmarke kann schon vor dem Versuch gezeichnet werden, da man 




404 


Hans Rupp 


Kr. 10 


die Ausgangslage der Trommel, bzw. die Lage, in welcher der Reizkontakt er¬ 
folgt, kennt. 

An Stelle dieser unmittelbar durch den Apparat zu erzeugenden Reize kann man 
die oben erwähnten Eontakteinrichtungen benutzen und durch die Kontakte 
Reize erzeugen, z. B. Telephonknalle oder elektrische Funken eines Induktors. 

Zur Reaktion verwendet man irgendeines der elektrischen Reaktionsinstrumente. 
Man kann auch Aufnahmeapparate mit Luftübertragung verwerten. Auf dem 
Kymographion schreibt ein elektromagnetischer oder Luftschreiber, der die 
Reaktionsmarke aufzeichnet. 

Die Geschwindigkeit der Drehung ist bei allen Versuchen, sofern an der Feder¬ 
spannung nichts geändert wurde, genau dieselbe. Es genügt also für alle unter¬ 
einandergeschriebenen Versuche (z. B. 40) eine einzige Zeitkurve (z. B. die l / i0 Sek.- 
Wellen der Feder Gruppe IX No. 8 oder die */s Sek.-Marken der Uhr No. 5). 

Bei jedem folgenden Versuch muß der Schreiber ein wenig nach oben oder unten 
verschoben werden, damit die nächste Kurve nicht die frühere überdeckt. Dazu 
dient das Stativ mit Zahntrieb No. 27. Die Reizmarken stehen dann alle genau 
untereinander (ein vertikaler Strich), die Reaktionsmarken zeigen übersichtlieh 
und anschaulich die Schwankungen der aufeinanderfolgenden Reaktionszeiten. 
Die Versuche sind für Übungen sehr zu empfehlen. 

Schul-Kymographion nach Rupp, mit Schleudervorrichtung nach 

Schulze (Mechaniker Marz, Berlin). 
Das Kymographion unterscheidet sich 
von No. 8 und 9 hauptsächlich da¬ 
durch, daß gewissermaßen das Stativ 
mit Trieb fest mit dem Kymo¬ 
graphion verbunden ist. Das ge¬ 
naue Einstellen des Stativs fällt daher 
weg, und es können keine Störungen 
durch Verschiebungen des Kymogra- 
phions oder des Stativs entstehen. 

Der zweite Hauptunterschied besteht 
darin, daß die Verschiebung*der Schrei¬ 
ber am Stativ automatisch gleichzeitig mit der Drehung der Trommel ausgelöet 
werden kann. 




1 

* 

■» 

i ■H 

11111 ■■ 

ii 






Die Trommel Tr wird durch einen getrennten Motor bewegt, der an der Stufen¬ 
rolle R x angreift. Von derselben Rolle aus wird durch zweifache Schnurübersetzung 
R % R a die Spindelachse Sp gedreht. Auf ihr und auf der Führungsstange St be¬ 
wegt sich der Schlitten Sch mit den Schreibern. Er kann frei mit der Hand ver¬ 
schoben oder durch die Spindel fortbewegt werden. Im letzteren Falle wird er je 
nach der gewählten Schnurübersetzung während einer Trommelumdrehung 
ca. 4—40 mm weitergeschoben. Die automatische Verschiebung durch die Spindel 
hat den Vorzug, daß man die Schreiber nicht beständig mit der Hand zu ver¬ 
schieben braucht, wie es z. B. beim Kymographion No. 8 nötig ist. 

Die Schulzesche Schleudereinrichtung 8 ist rechts an die Trommel angesetzt. 
Die Kontakthebel K reichen unmittelbar an die Trommel heran. Wenn man daher 
auf dem Rande der Trommel eine Zeitkurve, z. B. mittels der schwingenden Feder, 
Gruppe IX, No. 8, aufschraubt, so kann man die Hebel auf bestimmte Punkte der 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


405 


Zeitkurve einstellen und auf diese Weise Kontakte in bestimmten, bekannten 
Zeitabständen erzeugen. Diese Anordnung gehört zu den Versuchen der nächsten 
Gruppe. 

Der Apparat ist wie No. 8 außer für chronographische und kymographische 
Versuche auch für Gedächtnisversuche verwertbar (vgl. Gruppe VII, No. 7, 
Bemerkung). 

Zum Schulkymographion: Schirm zur Exposition sehr langer 
Reihen nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Man will manchmal sehr lange 
Reihen von Wörtern, Zahlen, Zeichen, kleinen Rechenaufgaben in bestimmtem 
Tempo nacheinander exponieren, z. B. um die allmähliche Ermüdung zu prüfen. 
Zu dem Zwecke schreibt man die Reihen entweder ähnlich wie bei Gedächtnis- 
Versuchen in mehreren getrennten Ringen oder spiralenartig fortlaufend um die 
Trommel herum auf (siehe Figur). Vor der Trommel wird ein Schirm mit einem 
horizontalen Schlitz 
aufgestellt, der nur eine 
Zeile sichtbar werden 
laßt. In dem Schlitz 
ist ein Schieber mit 
einem zweiten Schlitz 
zu verschieben, der von ' getrennte Ringe Spirale 

den verschiedenen Wör¬ 
tern einer Zeile nur eins herausgreift. Wird die Reihe in mehreren getrennten 
Ringen aufgeschrieben, so verschiebt man die Schieber nach jeder vollen Um¬ 
drehung mit der Hand bis vor den nächsten Ring. Verwendet man aber die spi¬ 
ralige Anordnung, so wird der Schieber an dem früher erwähnten Schlitten be¬ 
festigt und durch diesen allmählich verschoben. 

Die Wörter usw. bewegen sich bei dieser Anordnung in dem Schlitz mit gleich¬ 
förmiger Geschwindigkeit vorbei. Man sieht die Schrift sich bewegen. Will man die« 
vermeiden, so wird man zu Konstruktionen wie bei den Gedächtnisapparaten mit 
ruckweiser Bewegung geführt. Eine derartige einfache Konstruktion ist auch hier 
in Arbeit. 

Übrigens lassen sich die Gedächtnisapparate selbst für diesen Zweck verwerten, so¬ 
fern nur die Anzahl der Wörter usw., die die Trommel faßt, axisreicht. (Beim Apparat 
Gruppe VII, 1 oder 2, faßt die größere Trommel 40 Wörter.) Zur Not könnte auch nach 
Verbrauch eines Troramelstreifens jedesmal eine Pause eingeschaltet werden, um einen 
neuen Streifen aufzuziehen. 

Zum Schul-Kymographion: Expositionsapparat nach Duchessi- 
Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Der Apparat dient dazu, längere Reihen von 
Lese- und Rechenaufgaben u. dgl. zu exponieren, aber nicht wie beim eben 
beschriebenen (No. 11), m bestimmtem, gegebenem Tempo, sondern in der Weise, 
daß ein Gehilfe oder der Rechnende oder Lesende selbst durch Druck auf einen 
Taster die Exposition der nächsten | Auf gäbe bewirkt, sobald die vorhergegangene 
gelöst ist. Gleichzeitig mit jeder Exposition wird ein Kontakt erzeugt und auf 
eine Lufttrommel gedrückt, so daß man die Zeitpunkte auf einem Chronographen 
oder Kymographion aufzeichnen kann. 

An die Trommelachse des Kymographions ist ein Zahnrad von 32 (auf Wunsch 
auch mehr oder weniger) Zähnen angesetzt. Ein Gewicht sucht die‘Trommel in 
bestimmtem Sinne zu drehen. Eine einfache Sperrvorrichtung bewirkt, daß die 



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Kr. 1* 


Kr. 13 


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406 


Hans Rapp 


Trommel sich nur dann, wenn man auf einen Knopf drückt, weiterbewegt, und 
zwar jedesmal um einen Zahn. 

Die zu exponierenden Wörter, Zahlen usw. werden wieder (vgl. No. 11) ent¬ 
weder in mehreren getrennten Ringen oder spiralenartig um die Trommel herum 
aufgeschrieben. Und man verwendet Schirm und Schieber in denselben zwei Wei¬ 
sen, wie es unter No. 11 beschrieben ist. 

Zum Gedäohtnisapparat nach Lipmann-Marx (Gruppe VII, Nr. 1) hat Lewin Vor¬ 
richtungen für mechanisohe und für elektrische Auslösung der Rucke konstruiert 
(Mechaniker Marx, Berlin), so daß der Apparat auch für die eben erwähnten Versuche 
verwertet werden kann, sofern die Anzahl der Wörter, die auf die Trommel aufge¬ 
schrieben werden können, ausreicht. Zur Not könnte auch, ähnlich wie bei den unter 
Nr. 11 Anmerkung angeführten Versuchen, nach Verbrauch eines Streifens jedesmal 
eine Pause eingeschaltet werden, um einen neuen Streifen aufzuziehen. 

K& N Kymographion nach Minnemann (Mechaniker Marx, Berlin). Der Apparat 
ist bereits in Gruppe VI, Nr. 14, beschrieben worden. Außer den dort angeführten 
Versuchen lassen sich z. B. folgende Versuche mit ihm ausführen. Man läßt 
Buchstaben, Wörter, Sätze, Zahlen schreiben, während der Kymographstreifen 
unter dem Papier, auf dem geschrieben wird, vorbeizieht. Dann kann man aus 
dem Maße, in dem die Schrift auseinandergezogen wird, erkennen, welche Buch¬ 
staben oder Teile von Buchstaben schneller, welche langsamer geschrieben wer¬ 
den, an welchen Stellen des Wortes oder Satzes abgesetzt wurde u. dgl. m. 

Läßt mau eine Rechnung schreiben, so zeigt die Schreibung, bei welchen Ziffern 
länger nachgedacht wurde, welche schneller hingeschrieben wurden. Läßt man 
eine Zeichnung ausführen, so zeigt die Sohreibung, welche Teile zuerst, welche 
später gezeichnet wurden, wann eine Pause, wann eine Skizze eingeschaltet, wand 
nachgebessert wurde usw. 

Der Apparat wird meist für rohere Zeitmessungen verwendet werden. Für die¬ 
sen Zweck ist er außerordentlich vielseitig verwertbar. Er gehört ohne Zweifel 
zu den brauchbarsten und empfehlenswertesten Apparaten der experimentellen 
Psychologie und Pädagogik. 

Reiz-, Reaktions- und Aufnahme-Apparate. 

Nh t« Elektrischer Taster (Mechaniker Marx, Berlin). Der Taster ist bereits 
in Gruppe III, Nr. 18 angeführt worden. Er dient zur Reaktion bei Reaktion«- 
versuchen, zum Markieren von Zeitpunkten bei den Versuchen B (z. B. dazu, den 
Zeitpunkt der Lösung jeder Aufgabe oder Teilaufgabe zu markieren oder zur 
Registrierung eines geklopften Rhythmus). Er kann auch als Reizinstrument ver¬ 
wertet werden, entweder in der Weise, daß das Geräusch beim Niederschlagen des 
Tasters als akustischer Reiz gebraucht wird, oder so, daß man sich darauf einübt, 
genau gleichzeitig mit dem Aussprechen des Reizwortes oder der Aufgabe auf den 
Taster zu drücken oder den Taster loszulassen. 

Nr. >s Taster für Luftübertragung (Mechaniker Marx, Berlin). Unter dem 
Tasterhebsl ist eine Lufttrommel aus Gummi eingesetzt, welche beim Tasten ein¬ 
gedrückt wird und dadurch eine Bewegung des Luftschreibers (Nr. 26) auf dem 
Chronograph oder Kymograph bewirkt. Der Taster hat entweder einen festen 
Ansohlag, so daß der Schreiber immer um den gleichen Betrag ausschlägt (a). 
Oder er hat keinen Anschlag; dann ist der Ausschlag je nach der Stärke des 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


407 



Druokes verschieden (b). Der Taster dieser letzterere Art ist bereits in Gruppe III, 

Nr. 19 erwähnt worden. 

Elektrischer LippenschiüsBel nach Müller-Pilzecker (Mechaniker Spind- Nr. 1 « 
ler und Hoyer, Göttingen). Da? Instrumentchen dient für sprachliche Reize 
und Reaktionen bei den Versuchen A. Es 
wird an einem Stativ befestigt. Man drückt 
den unteren, mit einem auswechselbaren Bein- 
Mundstück versehenen Hebel mit der Unter- 
tippe nach oben und läßt ihn beim Sprechen 
wieder los. Beim Hinäufdrücken ist der Kon¬ 
takt b?i K t geschlossen, der bei K t geöffnet; 
beim Loslassen wird der erstere geöffnet, der 
letztere geschlossen. Man muß sich darauf 
einüben, genau gleichzeitig mit dem Sprechen' den Schlüssel loszulassen, und 
muß schnell, stoßartig sprechen, damit die Zeitmessung genau wird. Das Ver¬ 
fahren ist genauer und sicherer als das oben erwähnte Ver¬ 
fahren, gleichzeitig mit dem Sprechen einen Taster loszu¬ 
lassen. 

Einfacher elektrischer Zahnschlüssel nach Rupp Nr. « 
(Mechaniker Marz, Berlin). Der Zahnschlüssel wird ähnlich 
gebraucht und verwertet wie der Lippenschlüssel. Eine 
schraubenartig gebogene Feder drückt die zwei Hebel aus¬ 
einander. Man beißt diese bei ZZ mit den Zähnen zu¬ 
sammen und läßt sie beim Aussprechen des Reiz- oder 
Reaktionswortes los. Dabei wird der Kontakt bei K ge¬ 
öffnet. 

Das Instrument hängt lose an dem Griff Gr, damit man, 
während man es im Munde hält, nicht mittels des Griffes 
einen Druck ausübt und ein krampfhaftes Zusammenbeißen 
des Schlüssels hervorruft. 

Einfacher Zahnschlüssel für Luftübertragung 
nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Derselbe Apparat wie der vorige, nur 
ist an Stelle des elektrischen Kontaktes eine kleine Gummitrommel zwischen 
den Hebeln eingesetzt, welche beim Zusammen¬ 
beißen des Schlüssels eingedrückt wird und einen 
Ausschlag des Luftschreibers (vgl. Nr. 26) auf dem 
Chronograph oder Kjhnograph bewirkt. 

An Stelle der in den Mund zu nehmenden Lippen¬ 
oder Zahnachlüssel kann man auch Schallschlüssel 
verwenden, bei denen in einen Schalltrichter gesprochen 
-wird. Die Apparate sind empfindlich, weshalb ich sie 
hier nicht anführe. Eine sehr gute Form des Schall¬ 
schlüsse 1 b hat I.ewin konstruiert (Mechaniker Marx, 

Berlin). 

Einfacher elektrischer Expositionsschirm 
(Mechaniker Marx, Berlin). Das Objekt wird erst 

durch den Schirm 8 verdeckt, dann plötzlich durch Wegziehen desselben auf¬ 
gedeckt. Bei Beginn der Exposition wird ein Kontakt geöffnet, indem die 



Kr. LS 



Nr. 1» 


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Hans Rupp 


Feder F am unteren Rande des Schirmes, die vorher durch das Aufsetzt n des 
Schirmes auf den Tisch (u. dgl.) niedergedrückt war und den Kontakt bei K 
geschlossen hatte, nunmehr beim Wegziehen des Schirmes zurückschnellt. 

Je größer das Objekt, desto länger dauert die Exposition. Bei kleinen Objekten, 
z. B. bei dem kleinen Loch in einem Schirm des Nuancierungsapparates (Gruppei, 
Nr. 20 und 21), ist die Zeitmessung daher genau, bei Exposition von großen 
Bildern, plastischen Objekten ist sie ungenau. 

Elektrische Sehreibfeder nach Kraepelin - Rupp (Mechaniker Spindler 
und Hoyer, Göttingen). In der (stark gezeichneten) Griffhülse ist, um die Achse 

A drehbar, ein Doppel¬ 
et hebel eingesetzt, der 

joj vorne einen Bleistift (für 

, r 1 - Tastreize einen gebo- 

1 • \ genen' Hartgummistift) 

trägt. Die Feder F 
K* drückt den hinteren He¬ 

belarm nach oben. 

Drückt man aber, z. B. beim Schreiben oder bei einem Tastreiz, den Bleistift 
nieder, so wird der hintere Arm nach unten gedrückt und der Kontakt 1—2 ge¬ 
öffnet, der Kontakt 2—3 geschlossen. 

Der Apparat dient für Tastreize und für die Registrierung fortlaufender Schrift¬ 
marken. So kann man z. B. eine Reihe einfacher Rechenaufgaben vorlegen und 
nach Lösung jeder Aufgabe einen Strich machen, oder das Ergebnis hinschreiben 
lassen. Der Chronograph zeigt die Zeit des Striches oder des Schreibens. 

Telephon, als akustischer Reizapparat. Es gibt beim öffnen oder Schließen 
des Stromes ein schlagartiges Geräusch, das als akustischer Reiz für Reaktions¬ 
versuche verwendet werden kann. 

Schallhammer. Er dient wie das Telephon als akustischer Reizapparat. 
Ein kleiner Hammer schlägt, durch einen Elektromagneten angezogen, auf einen 
Amboß. Dabei wird ein Kontakt geschlossen, der zur Registrierung des Zeitpunk¬ 
tes des akustischen Reizes dient. Der Reiz ist stärker als im Telephon. 

Akustische Reize mit gleichzeitigem elektrischen Kontakt kann man auch einfach 
durch Aufschlagen eines Hammers auf eine metallische Unterlage erzeugen. Nur ist 
die Stärke auch bei guter Übung nicht so gleichmäßig wie bei elektromagnetisc h er 
Anziehung des Hammers. 

'Einfacher Pulsschreiber (Mechaniker .Petzold, Leipzig). Ein auf einer 
verstellbaren Feder sitzender Hartgummiknopf drückt auf die Pulsader am Hand¬ 
gelenk und folgt ziemlich genau den Hebungen und Senkungen der Haut. Durch 
Luftübertragung wird die Bewegung einem Luftschreiber (vgl. Nr. 26) mitgeteilt. 

Einfacher Atemschreiber (Mechaniker Zimmermann, Leipzig). Ein luft¬ 
gefüllter Schlauch wird um Brust' oder Bauch gebunden und mit einem Luft¬ 
schreiber gekoppelt. Wenn sich die Brust beim Atmen ausdehnt, wird der Schlauch 
zusammengedrückt und ein Ausschlag des Schreibers erzeugt. 

Über weitere Aufnahmeapparate zur Bestimmung des Schriftdruckes, von Augen¬ 
bewegungen (z. B. beim Lesen), der Stärke des Atems, der Volumänderung des Armes, 
infolge des Pulses, der Bewegungen beim Betasten von Strecken usf. vergleiche man die 
Kataloge der Mechaniker Marx-Berlin, Peizold-Leipzig, Spindler und Hoyer-Göttingen 
und Zimmennann-Leipzig. 


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Probleme und Apparate nur experimentellen Pädagogik 


40» 


• >> »16 Schreibvorrichtungen"u. dgl. 

Einfacher elektrischer Schreiber .(Mechaniker Petzold, Leipzig). Nr.» 
Einfacher Luftschreiber (Mechaniker Petzold, Leipzig), mit Marey- Nr.» 
Trommel für Luftübertragung. 

Stativ mit Zahntrieb (Mechaniker Petzold, Leipzig). Durch Drehen einer Nr. w 
Kordelschraube wird der Schlitten mit den Schreibern nach oben oder unten 
bewegt. Das Stativ ist so aufzustellen, daß die Verschiebung genau parallel 
zur Trommelachse erfolgt (vgl. den Hauptkatalog des Mechanikers Spindler und 
Hoyer, Göttingen). 

Berußung 8 einrichtung (Mechaniker Petzold, Leipzig). Nr.» 

Die Apparate zum Auslöeen oder unmittelbaren Schreiben von Zeitmarken (Minuten, 
Sekunden, V« Sekunden, l /tt Sekunden usw.) sind in Gruppe IX angeführt. 

Apparate anderer Gruppen, die auch hier verwertbar sind. 

Als optische Reizapparate für Reaktionsversuche sind folgende Apparate zu 
verwerten. 

Die Gedächtnisapparate mit Ruckbewegung, Gruppe VII, Nr. I, t 
und 6, sofern im Augenblick, wo der Ruck erfolgt und das Reizwort erscheint, 
ein Kontakt geöffnet oder geschlossen wird. Die Kontakteinrichtung ist bei allen 
Apparaten vorgesehen. 

Bei der Ruckbewegung sieht man das Wort in das Feld hineinrücken. Das,wird 
vermieden bei dem Expositionsapparat Gruppe VII, Nr. 5 zu den Gedächtnis- 
apparaten 1— 4. 

• Die in der letzten Gruppe IX zu beschreibenden Tachistoskope sind mit Kon* 
takten versehen, die im Augenblick der Exposition geschlossen oder geöffnet werden, 
sodaß die Apparate als Reizapparate dienen können. Die Exposition braucht dabei 
nicht tachistoskopisch zu sein; der Spalt kann meistens so weit gewählt werden, daß 
dauernd exponiert wird. 

Wie die Gedächtnisappate mit Ruckbewegung, so ist auch der oben erwähnte 
Expositionsapparat nach Duchessi - Rupp Nr. 12 als Reizapparat für optische 
Reaktions versuche zu verwerten. 

• Endlich gehört das Stereoskop für plötzliche Exposition nach Rupp, 
Gruppe II, Nr. 70 hierher, sofern man einen Kontakt anbringt, der bei der Ex¬ 
position geschlossen wird. 

Als Tast- und Gewichts-Reizapparate sind zu verwerten: 

;; Das einfache Gewichtsästhesiometer nach Rupp, Gruppe IVA, Nr. 2, und 
die Gewichtsvariationen, Gruppe IVB, Nr. 12 und 13, wenn man Kontaktvor- 
richtungen anbringt, die im Augenblick des Reizes geöffnet werden. 

An Reaktionsinstrumenten früherer Gruppen ist das Tasterklavier, Gruppe VI, 

Nr. 10 zu erwähnen. Man kann auf das Vorzeigen verschiedener Noten, Buchstaben, 

Ziffern usw. verschiedene Taster niederdrücken lassen (analog dem Klavier und analog 
der Schreib- und Rechenmaschine) und die Reaktionszeiten und ihre allmähliche Ver¬ 
kürzung studieren. Wie die einfachen Taster kann auch das Klavier mit elektrischen 
Kontakten oder für Luftübertragung eingerichtet werden. 

An Aufnahmeapparaten sind in Gruppe VI beschrieben: 

Dynamograph nach Smedley Nr. 3; Dynamograph nach Weyler Nr. 5, die 
Ergo graphen nach Mosso und Dubois, Nr. 6 und 7; die Kontaktapparate Nr. 8 
bi8 13 und 16 bis 21; endlich der Tremograph nach Vierordt Nr. 15. 

Auch der Phonograph Gruppe III, Nr. 17, gehört zu den kymographischen Auf* 
nahmeapparaten. 


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Hans Rapp 


410 


IX. Groppe: Zeitregelang. 

(Arbeitunterbrechende, reizunterbrechende oder tachistoskopische 

und Zeitsinn-Versuche). 

Bei der Zeitmessung werden die Vorgänge in den zufälligen Längen und 
Pausen, in denen sie sich elfen abspielen, gemessen. Hier wird, wie sehen früher 
auseinandergesetzt, die Zeit geregelt; man gibt z. B. eine bestimmte Zeit vor 
und prüft, was in dieser Zeit geleistet wird, oder prüft, wie diese Zeit beurteilt 
wird. Dort wird die Zeit, hier der Erfolg, die Arbeit, das Urteil bestimmt. 

Die Regelung der Zeit kann verschiedene Zweoke haben; ich führe die wich¬ 
tigsten an. 

1 . Früher bezeichneten wir diejenige Aufgabe als leichter oder geläufiger, welche 
in kürzerer Zeit gelöst wurde. Hier vergleichen wir die Aufgaben dadurch, daS 
wir die Arbeitszeit beschränken und frageD, welche Aufgabe in dieser Zeit gelöst 
wird, welche nicht; welche besser, welche schlechter gelöst wird; von welcher 
ein größerer, von welcher ein kleinerer Teil gelöst wird. In ähnlicher Weise wie 
die Aufgaben vergleichen wir Arbeitsmethoden, Individuen, Übung»- und Er¬ 
müdungsstadien, usw. 

Wir müssen die Arbeitszeit so beschränken, daß die Aufgaben im allgemeinen 
nicht vollständig gelöst werden; denn sonst würden die Unterschiede zwischen den 
Lösungen der Aufgaben wegfallen. Wir müssen vielmehr die Arbeit vor der Voll¬ 
endung unterbrechen. Ieh will die Versuche als Versuche mit Arbeits¬ 
unterbrechung bezeichnen. 

Bei kurzen Arbeiten, z. B. beim Lesen einzelner Worte, beim Auffassen einzelner 
Bilder, Gegenstände müßte der Vorgang durch sehr Bchnell und sicher wirkende ab- 
lenkende Reize künstlich unterbrochen werden. Die Technik solcher Versuche ist 
noch wenig entwickelt. 

So hat man in der Gedächtnislehre untersucht, welche Stoffe in einer bestimm* 
ten, gegebenen Zeit besser gelernt werden, welche Lemmethoden, welche Arten 
der Darbietung eine bessere Einprägung ergeben. Auch Individuen und verschie¬ 
dene Altersstufen hat man auf diese Weise verglichen. 

Die erwähnten Beispiele entsprechen den Versuchen A der vorigen Gruppe: 
es wird ein einzelner Vorgang unterbrochen. Ebenso gibt es zu den Versuchen B 
analoge Versuche in dieser Gruppe. Man unterbricht eine länger dauernde Arbeit 
oder eine Reihe gleichartiger Aufgaben (z. B. Rechnungen, Unterstreichen aller e 
in einem Text, Druckfehlerkorrektur) in bestimmten Zeitpunkten, etwa alle Minu¬ 
ten, und stellt den Erfolg in jeder Minute fest. Früher wurde bestimmt, wieviel 
Zeit die einzelnen n attir li chen Abschnitte der Arbeit beanspruchen. Hier werden 
künstliche Einschnitte gemacht, und es wird der Erfolg in jedem Abschnitt 
bestimmt. Man kann auch hierbei einigermaßen entnehmen, welche Teilaufgaben 
langsamer, welche schneller gelöst werden. Vor allem aber erfährt man, wie in¬ 
folge der Übung, des In-Zug-Kommens usw. in gleichen Zeiten allmählich 
mehr, zufolge Ermüdung, Abstumpfung usw. allmählich weniger Aufgaben gelöst 
werden. 

Die Versuche C sind für die zeitmessenden und zeitregelndcn Versuche meist gleich. 
Gewöhnlich wird nämlich bei den kymographischen Aufnahmen der Erfolg kontinuier¬ 
lich fortlaufend, also für jeden Zeitpunkt aufgeschrieben. In einer solchen Kurve 


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Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


411 


ist ebensowohl der Erfolg in künstlich gewählten Zeitpunkten (s. B. am Ende jeder 
Minute) wie in den natürlichen Abschnitten enthalten. — 

Sind solche Versuche mit Zeitregelung nicht überflüssig ? Ist es nicht einfacher 
und natürlicher, die Zeit jeder einzelnen Aufgabe und Teilaufgabe zu messen, 
also zeitmessende Versuche anzustellen? Dia-Versuche mit Zeitregelung bieten 
manche Vorteile, die ihre Verwendung neben den zeitmessenden Versuchen recht- 
fertigen. Man kann ohne Vermehrung der Apparate Massenversuche an¬ 
stellen; denn das unterbrechende Zeichen gilt für alle Beobachter, während bei 
Zeitmessung die zufällige Arbeitszeit jedes einzelnen Beobachters bestimmt wer¬ 
den muß* Zweitens ist die Technik insofern einfacher, als die Beschränkung 
der Arbeitszeit auch für verschiedene Versuche mit ein und demselben Be¬ 
obachter die gleiche bleibt, während die volle Arbeitszeit, die bei den zeit¬ 
messenden Versuchen bestimmt wird, beständig wechselt. 

Arbeitsunterbrechung kann auch andere als die oben angegebenen Zwecke 
haben. Man unterbricht einen geistigen Vorgang an verschiedenen Stellen, ledig¬ 
lich um die einzelnen Entwicklungsstadien besser beobachten zu können oder 
um aus den Fehlern auf die Stadien schließen zu können. Ferner kann die 
Unterbrechung bezwecken, den Vorgang zu erschweren und damit zu verzögern, 
so daß er wieder leichter zu beobachten ist. — 

2. Wie die Arbeit, so kann man auch den Reiz unterbrechen. Man kann solche 
Versuche als Versuche mit Reizunterbrechung bezeichnen; gewöhnlich 
nennt man sie tachistoskopische, d. h. Kurzseher-Versuche. 

Eine Farbe, ein plastischer Eindruck oder sonstige Eindrücke müssen eine ge¬ 
wisse Zeit wirken, damit sie erkannt werden. Ebenso muß ein Wort, eine Zahl, 
ein Bild eine gewisse Zeit gegeben sein, damit sie voll erfaßt werden'können. 
Je schwieriger, zusammengesetzter der Eindruck ist, eine je genauere Erfassung 
verlangt wird, desto länger muß der Reiz wirken. Man kann von Zeitschwelle oder 
von minimaler Reizdauer sprechen. 

Eine erste Aufgabe der reizunterbrechenden oder tachistoskopischen Versuche 
ist, die minimale Reizdauer zu bestimmen. Wir machen den Reiz syste¬ 
matisch länger und kürzer und suchen die kürzeste Dauer heraus, bei welcher 
der Reiz vollständig erfaßt wird. So hat man die Schwelle verschiedener Farben 
für Normal- und für Schwachsichtige bestimmt. 

Ähnlich könnte man bei Arbeitsunterbrechung verfahren, um die Zeitdauer einer Auf¬ 
gabe oder der einzelnen Teile einer zusammengesetzten Aufgabe zu bestimmen. M an 
müßte die Arbeit zu verschiedenen Punkten unterbrechen und die kürzeste Zeit 
suchen, bei welcher sie gelöst wird. Allein meistens steht liier der viel einfachere Weg 
zur Verfügung, daß man den Zeitpunkt, in dem die Arbeit vollendet ist, direkt markiert, 
e. B. mittels einer Reaktion, und so die Arbeitsdauer schon aus einem einzigen Ver¬ 
such bestimmt. Zur Bestimmung der minimalen Reizdauer ist dieses letztere zeit- 
messende Verfahren wegen dor kurzen Reizdauer nicht zu gebrauchen. 

Die wichtigste Aufgabe der reizunterbrechenden Versuche ist ganz analog der 
Aufgabe der unter 1 beschriebenen arbeitunterbrechenden Versuche. Man ver¬ 
gleicht verschiedene Aufgaben, Individuen usf., indem man die Reizdauer be¬ 
schränkt, so daß die Aufgaben im allgemeinen nicht vollständig gelöst werden. 
Diejenige Aufgabe ist leichter, geläufiger, die besser, mit weniger Fehlem, voll¬ 
ständiger, oder — bei Wiederholung derselben Aufgabe — die häufiger gelöst 
wird. 


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412 


Hans Rup)p 


Auf diese Weise kann man die Erkennbarkeit verschiedener Buchstaben, Wör¬ 
ter, Zahlen, von verschiedenen Schriften, Zahlenbildem (beim ersten Rechen¬ 
unterricht), Gegenständen, Bildern usf. vergleichen, indem man bestimmt, welche 
Objekte bei kurzer Exposition erkannt werden, welche nicht, welche besser erkannt 
werden, welche schlechter, welche bei Wiederholung der Versuche häufiger richtig 
erkannt werden, welche seltener. So konnte man feststellen, daß kurze Wörter 
bei ebenso kurzer Exposition erkannt werden wie einzelne Buchstaben, zwei- 
uAd dreistellige Zahlen in ebenso kurzer Zeit wie einstellige. Ähnlich werden 
Figuren, Gestalten vielfach bei ebenso kurzer Exposition erfaßt werden wie ein¬ 
fache Linien, die als Teile in ihnen Vorkommen usf. 

Reizunterbrechung kann, ähnlich wie die Arbeitsunterbrechijng, auch ledig¬ 
lich den Zweck haben, über die Natur des Vorganges der Erkennung usw. Auf¬ 
schluß zu geben, indem sie die Beobachtung erleichtert und charakteristische ' 
Fehler erzeugt. Wenn der Vorgang infolge des zu kurzen Reizes unvollkommen 
ist, kommen die Entwicklungsstadien klarer zum Bewußtsein, oder er wird 
länger auseinander gezogen, was wieder die Beobachtung fördert. Ferner ent¬ 
stehen Fehler, aus denen man auf die Entwicklungsstadien schließen kann. . 

Die reizunterbrechenden Versuche haben ebenso wie die arbeitunterbrechenden 
den Vorzug, daß man Massen versuche anstellen kann, und daß die Technik relativ 
einfachist. 

3. Die zeitregelnden Versuche werden vielfach zur Bestimmung des sogenannten 
„Umfanges der Aufmerksamkeit“ benützt. Man will feststellen, wieviel 
Arbeit, geistige Energie zu gleicher Zeit geleistet werden kann. 

Man hoffte durch einen fast momentanen Reiz auch eine fast momentane Arbeit 
zu erreichen. Was aber fast in einem Zeitpunkt geschieht, kann nicht aus mehreren 
aufeinanderfolgenden. Vorgängen bestehen; wenn also überhaupt mehrere Leistun¬ 
gen enthalten sind, müssen sie gleichzeitig nebeneinander herlaufen. 

Diese Folgerungen treffen allerdings nicht zu. Dem momentanen Reiz entspricht, 
namentlich bei chemischen Sinnen wie dem Auge, keineswegs eine ebenso momen¬ 
tane Empfindung; dazu kommt, daß der Eindruck durch das Gedächtnis fest¬ 
gehalten werden kann. Vor allem aber dauert die Verarbeitung, Auffassung, Be¬ 
nennung usw. wesentlich länger als der tachistoskopische Reiz. Es sind Fälle 
sicher beobachtet, wo ein Wandern der Aufmerksamkeit, ein sukzessives Durch¬ 
arbeiten verschiedener Teile stattgefunden hat. Immerhin kommt man dem 
Ziel näher als bei längeren Reizen. 

Es liegt nahe, die Arbeitsdauer statt der Reizdauer zu beschränken. Solche Vor* 
suche sind noch nicht ausgeführt; es fragt sich, ob es hinreichend sicher ablenkendo 
Reize gibt. 

Die üblichen Versuche zur Bestimmung des Aufmerksamkeitsumfanges werden 
so ausgeführt, daß man feststellt, wieviel Buchstaben, Ziffern u. dgl. bei sehr kurzer 
Expositionszeit (z. B. 1 cs = 1 / 100 Sek.) entweder deutlich gesehen oder gezählt 
oder gelesen werden können, indem angenommen wird, daß infolge der kurzen 
Exposition die Erfassung aller Buchstaben usw. gleichzeitig stattfindet. Die Zu¬ 
sammenstellung der Buchstaben soll sinnlos und ungewohnt sein, damit jeder ein¬ 
zelne Buchstabe für sich erfaßt werden muß. Es soll ja durch die Zahl der Buch¬ 
stabenerfassungen der Umfang der Energie gemessen werden. Man darf also 


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Probleme und App&rate qir cfxpenmentellen Pädagogik 


nicht sinn volle Wörter oder selbst ÄUssp-recttbArc Zuß^mfßcnatellöflgcti von Buch¬ 
staben wählen 

4, Zeitre^lndö Yersuchfe sind endlich tue Üntersuchiiung; des nötig. 

Mäh gibt Töne, Geräusche, Lichtreize usf. von Vec3efeje<h^nej‘ t)aüftr oder klopft 
oder gibt Liehthhtae in verscJueden Bchneller Folge und ladt Bauer nml Zeitfolge 
beurteilen und mit anderen vergleichen. Weitergehend kann man fortlaufende 
Tempi und kompliziertere Rhythmen beurteilen und vergleichen 'fassend Wer 
kann fester, richtiger bjurteilen, genauer vergleichen ? Von pfaktisch«n Wert 
sind auch Veroucbe mit längeren Zeiten von Minuten. Stunden, Tagen urf. 

Zu den Zsitsioxiyersucfen gehöre* auch die sog. TComplikatiortsversuche. 
& ist sxt bterteUert,- ob jzwei versebiedenartige licke gleichzeitig erfolgen oder 
nicht,, undi welcher früher kommt- IJie^nrctigangsbaohachtimgcn der Astronomen 
bietenein Beispiel .fe nachdem die Aufmerksamkeit mehr dem einen oder andern 
BtJÄ «ugeWeadet ist, entstehen Zeittäuschungen, Der mehr 'beachtete Reiz 
scheint früher m kämmen. 


Ich führe nun dieA pparsie an: Tacldst^ko^iKurz-Seherl, Kptit&ktapp&rate 
zur Herstellung von Zeiten verschiedener Längs?; Zeitmarkierer, 4fö fortlaufend 
Kontakte in schnellerem oder langsamerem Tempo crzCugim,z. B. ?iir dk-Zgitkurvo 
bei ehronoakopisebeti und kymographischen Versuchen. Ztmi Schluß einige Rßi*- 
»erien für bestimmte Versuch^. 

Einfaches FaHtÄchiafcoakop (Mechaniker Zimmermann, Leipzig). Das 
Prinzip des Apparates ist hinreichend bekannt. Maximale Feldgröße 
15 x6 ei». Größere .Äjtdcrttngßn der ße~ 
schwindigkeit des 'Fallschirmes 8 werdet» durch -Vv!' ^ 

entsprechende Gegengewichte G erzeugt, die 
fernere Regulierung 'durchVerengen und Kr EB&nra^ 

weitem dos Spaltes. D?« Klappe D dient dazu, V,C ; , , - ’ 

das Rcizohjekt zu verdecken, w&hroud der 
Fallschirm hoebgezoge» wird {z. B. vor Wie- Hl nuT yi 

derholüng eines yersneheä). KmUM 

SchuLFaiitaohietoskop(MechanikerZita- •• 
merinaun, Leipzig). Der vorige Apparat kt vor- : ' .>1^^ 

eiufacht. Fallschirm ohne Gegengewicht, Spalt 
Öffnung nicht verstellbar. Die Fall geeoh wie- , ' ‘ r i. , 

digkeit wirtl^darch eine Feder verändert, die f 

durch eine Reguiierschraube mit Ablesung , . . 

mehr oder weniger an den fällenden Schirm >* ,h 









Die taelmtoskopische Exposition wird dadurch bewirkt, daß die zwei 
Flügel F und N durch die Kraft des Gewichtes G an der Öffnung D vor* 

beibewegt werden. In der Ausgangslage 
deckt der untere Flügel N, in der End- 
• läge der obere, verstellhare Flügel F die 

'' ’l' ‘ ^fetor an 

’> • ' v.v•;• i g..*gcn'-ineiider verstellbare Sektoren 

: S»Sa. • Die Bewegung wird jedoch durch 
ein Übergewicht (geachrafffc) erzeugt, das 
die Sektoren in eine Pendel-Bewegung 
versetzt. Das zweite Gewicht (schwarz) hat nur den 2weck, das Gewicht 
des verstellbaren Sektors Sa auazuglciclien, so daß der Schwerpunkt des 
Pendels durch Verstohlen des Sektors 

nicht wesentlich verschoben wird: ^ ^ ^ 

In der Ausgangstage, wie sie die X \ ( 

Figur zeigt, deckt der untere Rand / \ _/ \ 

von Si die Öffnung eines davorste- / \ !- 

henden Schirmea und drm.it das Reia- / j\ - T^% .r ''4. 

objekt. Dieses letztere wird sichtbar, i * t j■ M »jX - I r: 

wenn das Pendel seitte tiefsta Lag«, i i - 

also die größte Geschwindigkeit—he- \ , Sf' • XX 

sitzt; Beim Weitsrschwingen deckt ! 

der zweite Sektor Sj das Objekt ab. I 

Nahezu ara Ende der Schwingung, ..I ,_, Jl.__1 

also wenn das Pendel fast still steht, !___1 L -1 

wird ea von einer federnde« Nase Pentfe/tecPijSosfop 6e(&Ght/t/'s&pp- 

aufgefangen. Man kann den Sektor 

Sa so weife nach unten schieben, daß er auch bei der Endlage des Pendels 
die Öffnung noch nicht verdeckt. 


In diesem Falle wird das Objekt nicht 
tachistösköpiaoh (d. h. kurze Zeit), sondern dauernd exponiert, wie bei 
den meisten Heizapparaten für Realctioösversuche (vgl Gruppe VII, Nr.: 5» 
Gmppe TUi, .Nr. Jä und 19). . ■ • - 

In den Momenten, in denen die Mitte des Objokfces Ö abgedeekt und ver¬ 
deckt wird, wird je ein Kontakt erzeugt. Dadurch kamt man die Exposi- 
tionszciten mittels eines Chroftograjdicij best-invmeo, ferner kann der erste 
Kontakt für Reaktionsvßrsucho veirwferbet werde« (»iit tachistöskopisoher 
oder Dauerexpoaition, vgl Gruppe VIDI 

Zu»? Unterschied von anderen Apparaten sind hier die Sektoren so ge- 



Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


416 


arbeitet, daß man sie dicht vor irgendwelchen Objekten vorbeischwingen 
lassen kann, ohne daß Teile des Apparates im Wege stünden. Insbesondere 
läßt sich der Apparat mit den Gedächtnisapparaten Gruppe VII, 1—4, ver¬ 
binden (vgl. die Figur). 

Die Sektoren sind weiß, damit beim Erscheinen der meist auf weißes 
Papier geschriebenen oder gedruckten Reizzeichen kein störender Lichtwechsel 
entsteht. 

Da das ursprüngliche Modell für pädagogische Zwecke zu teuer wäre, so ist ein 
einfacheres und dennoch für unseren Zweck ausreichendes Modell vorbereitet 
worden. 

Momentverschlu-ßtachistoskop nach Minnemann (Mechaniker Marx, 
Berlin). Der übliche Jalusieverechluß der photographischen Kamera ist in größe¬ 
ren Dimensionen ausgeführt, so daß ein horizontales Objekt von ca. 40 cm Breite 
und 10 cm Höhe exponiert werden kann. Kontakte ermöglichen die Messung der 
Expositionszeit mittels eines Chronographen. Der Jalusieverschluß funktioniert 
nicht so exakt wie die übrigen Tachistoekope. 

Vor den Tachistoskopen Nr. 1—3 hat der Apparat den Vorzug, daß er trotz des 
größeren Expositionsfeldes weniger Raum einnimmt und bequemer zu trans¬ 
portieren ist. 

Zum Gedächtnisapparat nach Lipmann-Marx (Gruppe VII, Nr. 1 und 2): 
Schleudertachistoskop nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Zwei inein- 
andergesteckte Kymographiontrommeln, an der 
rechten Seite offen; beide haben einen horizon¬ 
talen Schlitz von mehr als einem Viertelkreis 
Höhe. Der Schlitz der äußeren Trommel reicht 
von a bis o', der der inneren von i bis t. Die 
innere Trommel ist an der Achse A befestigt. 

Die äußere wird durch die innere getragen und 
kann um sie gedreht werden. Durch diese 
Drehung kann der Spalt a i weiter oder enger 
gemacht werden. 

Die Doppeltrommel wird durch eine Feder ganz ähnlich wie das Federkymo- 
graphion nach Schulze (Gruppe VII, Nr. 9) einmal herumgeschleudert. Dabei 
zieht der Spalt a * .vor der Trommel des Gedächtnisapparates innen vorbei und 
läßt Worte (u. dgl.) nur einen Augenblick sehen. - Damit nur ein Wort expo¬ 
niert wird, wird der Schirm des Gedächtnisapparates vor dem Tachistoskop be¬ 
festigt. Je nach der Größe des Spaltes a i' ist die Expositionszeit länger oder 
kürzer. Bei der größten Öffnung wird das Objekt dauernd exponiert. 

An der Achse t sind zwei verstellbare Stäbe angebracht, welche bei der Drehung 
Kontakte auslösen. Stellt man sie so ein, daß die Kontakte im Augenblick be¬ 
tätigt werden, wo das Objekt sichtbar wird bzw. verschwindet, so kann man die 
Expositionszeit für jede Spaltweite bestimmen. 

Einfaches Kontaktpendel nach Rupp (Mechaniker Marx, Berlin). Das 
untere Ende der Pendelstange schwingt an einem Kreisbogen vorbei, der mit einer 
Teilung versehen ist, und auf dem Kontakte an beliebigen Stellen aufgesetzt 
werden kann. Das Pendel löst beim Vorbeischwingen Kontakte aus. 

Die Schwingungsdauer des Pendels kann durch Verschieben des unteren Pendel- 



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Nr. & 


Nr. H 


Kr. 7 


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ge.wichtes 0 nach unten und des «feeren Gewichtes £' nach öfeÄft Ätftrfe verlängert 
werden. Sie ist bei gleicher Stellung der OewM5btc ec.hr konstant; wird auch (ia¬ 
hst ge dar relativ groti'u Masse Pendels} 

/ durch da» Auelöwo dtar fclehten Kontakte 

nicht merkbar beeinflußt- 

Matt bestimm t f nachdem man die Stellung 
de? Gewichte gewählt hat, die Zeitpunkte, 

: • >? m weichen das Pendel bei der Hin*, evtrnt. 

' auch Ructeehwingnng an mehrere»' Stellen 
des Bogen» voxbsifichwingt., indem man meh- 
■ph tere Kontakte auf den Bogen verteilt und .»« ■ 

;. \ -'vmit. einem ckktTomagmetjKchßii SchreiKrr 
. . »ine» nferonographen verbindet. Dmdh Inietv 
«4^? poSätion (am einfachsten «feiclmertfcb) <?r- 
kalt man auch für die übrigen Stellen der 

_ rr rg Z& < ' Kßsklgii’wfig; die Zmtjrtmkie,, und hat somit 

-’ ^3 ' die Teilung geeicht, . : .. 

■ , \ “ Man OßWt: ttt&iisifW.dtöjcii) enta$i&chgmiÖ& 

Einßtellen der Kontakte sofort jedes b?tiebige XiitiTitervai! zwischen zwei nder 
mehreren Kontakten herstellen, dipeh TelephOft*'oder Klfeigelkdeheb usw, ent- 
sprechende Reize geben und' die Zeiten und Rhythmen verglichen und b?> 
urh’ilen lassen,- . ; ; ~ r ; ‘1„'• . 

Einfacher Züs-at*' f ür. Komplikatioii«versnobe, nach .Rupp (Mt'cha* 
nike? Bulin)./' ■Unter dem Bogen mit der Kreisteihing wird ein ähnlich 

gebogener BleeUäifeife« mit einer deutjich sichtbare« Teilung befestigi. Davor 
•wird ©in Schirm aufgesteckt, welchtjr all©» tlfcrig© yerdgekh Ferne? wird an 
i U» Pendel ei« Zeiger befestigt» welcher vor der eben ©rMhntrn 'Teilung spielt; 
Man laßttum den Zeiger a« der l^itüng vorb'döchwinden und xu^leicb Äti irgend- 
©iner SMle. «inen Kontakt und durch vfeesed «in Klinge.Zeichen M. dgl »uslöden. 
.DerHeqbatfhfeir soll angebe«, bpi welchem Teilstrich der feiger warval? er das 
Zeichen horte 

Chronometer, nach Japiet. Der. Schreibheb»l d wird entweder alle Sekunden 
oder alle Vp'SekorjdenHfn- ‘ __ 

«in©« ©lektroöiftgnetische« vy‘ ■; 

Schreiber schreiben. 

Die Olir geht Kehr exakt und konstant etwa ß'Stunden, 

Die genauere: Besclpeifeung und Handhafeuttgsiehe iru Katalog des Mechanikers 
SpimUer und Hoyer (Qdttiiigeb), " *■ - < ’ ’■ • «. 

Kontaktmetronom 


Die Stift© Sft” tauchen arn Endt*. jeder Schwingung des 


Probleme und Apparate zur experimentellen Pädagogik 


417 


M^tronompendels in die der Höhe nach verstellbaren Quecksilbernäpfe Q. Man 
kann also nebin den gewöhnlichen M ?tronomschlägen auch elektrische Kontakte 
auslÖ3en und dadurch z. B. eine Zeitmarke auf einem 
Chronographen schreiben lassen. 

Man achte darauf, daß das Metronom nicht schräg 
steht und achte auf die Einstellung der Stifte und Queck¬ 
silbernäpfe. Nur so erhält man gleichmäßige Schläge und 
Kontakte. 

Das Metronom steht an Genauigkeit hinter Pendel 
und Chronometer zurück; die Schwingungen sind nicht 
so regelmäßig und werden allmählich langsamer. 

Signal- Uhr nach Fischer (Mechaniker Sendtner, Mün¬ 
chen). Wecker-Uhr, die alle Minuten ein Glockenzeichen 
gibt. 

Läßt mau z. B. bn längeren Arbsiten bei jedem Klingelzeichen einen Strich 
oder ein sonstiges Zeichen in das Heft, in das geschrieben wird, machen, so kann 
man verfolgen, wieviel jeder einzelne in jeder Minute geleistet hat. 

Schwingende Feder von 20 Schwingungen in der Sekunde (Mechani- Kr. 12 
ker Petzold, Leipzig), zur direkten Schreibung einer Zeitmarke auf dem Kymo- 
graphion. Die Feder wird mechanisch angeregt und schwingt daher nur kurze 
Zeit, reicht aber für Reaktionsversuche (z. B. mittels des Schulzeschen Feder- 
kymographions) aus. 



Zur Frage der Vertretung der Pädagogik an der Universität. 

Von Max Brahn. 


Ober die Frage, ob Professuren der Pädagogik an den Universitäten zu 
errichten sind, sollte eine Aussprache nicht mehr nötig sein. In keiner Be¬ 
ziehung hat die Pädagogik einen Anlaß, sich hinter die anderen Geisteswissen¬ 
schaften zu stellen, und wenn ihre Methoden noch nicht so entwickelt sind, 
so kann darin kein grundsätzlicher Einwand liegen. Auch darüber, ob es 
sich mehr um geschichtlich-systematische oder um psychologisch-empirische 
Professuren handeln sollte, dürften die Akten wohl geschlossen sein. Es 
haben sich so viel Stimmen dafür erhoben, daß beide Richtungen nötig sind, 
daß zwischen den beiden durchaus kein unauflöslicher Streit herrscht und 
daß es schließlich immer nur darauf ankommt, die richtigen Persönlichkeiten 
zu bekommen, um das Studium der Pädagogik fruchtbar zu machen. Sowohl 
die Dozenten wie die Studenten sind in ihrer Anlage darin grundverschieden: 
die Einstellung auf die pädagogischen Fragen ist bei dem einen mehr von 
gewissen Idealen, bei dem andern mehr von Tatsachen bestimmt, und jede 
Richtung muß zu ihrer Vertretung kommen, schon damit den verschiedenen 
Schülertypen Recht geschieht. Die Personenfrage kann unmöglich als ernstes 
Hindernis gelten. Nimmt man die beiden Richtungen zusammen, so dürften 
sich schon heute genügende Kräfte finden; sonst aber werden sie eben all- 

Zeitschrift f. piictagog Psychologie 27 


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418 Max Brahn, Zur Frag© der Vertretung der Pädagogik a. d. Universität 


mfiblich an den Stätten sich entwickeln, an denen heute Lehrkräfte vorhanden 
gind, und es kann ja nur eine Frage von wenigen Jahren sein, wann die 
Zahl der notwendigen Dozenten vorhanden ist 

Drängend aber wird die Frage, ob es weiterhin möglich ist, sich mit diesen 
beiden Richtungen zu begnügen, und ob nicht immer mehr an jeder Universität 
darauf gesehen werden mufi, daß die Pädagogik als Lehre von der Volks¬ 
erziehung und Volksbildung im weitesten Sinne vertreten ist Selbst die 
längsten Vorlesungen über Geschichte der Pädagogik, systematische Pädagogik, 
Uber Jugendkunde und Psychologie, über Didaktik und Methodik genügen 
heute diesem Bedürfnis nicht. Sieht man die Interessen der weitesten päda¬ 
gogisch interessierten Kreise, die ja nicht mehr nur Lehrerkreise sind, 
genauer an, so findet man, daß sie immer mehr in sehr vielen Strahlen nach 
der Seite der über die Schule herausgreifenden bildenden Erziehungseinflüsse 
gehen. Diese ganze Richtung, die sich heute noch nicht einmal mit einem 
Worte umschreiben läßt, die von dem Kindergarten und dem Hort über Jugend¬ 
fürsorge und Wandervogel zu Volksbibliothek und Volkstheater führt, bedeutet 
für Erziehung und Unterricht die umfassendsten und zukunftsreichsten Probleme. 
Die deutsche Universität darf sich die Führung in diesen für jeden wahren 
Pädagogen so schönen und wissenschaftlich so fruchtbaren Problemen nicht 
nehmen lassen. 

Am schwierigsten aber, wenn man die Frage Pädagogik an den Universitäten 
ganz ernst fassen will, ist die Organisation des pädagogischen Unterrichtens 
an der Universität selbst, und die richtige Einführung der Pädagogen in ihr 
Amt. Die Hochschulpädagogik ist ja viel behandelt worden, aber bisher ist 
das Lehren an der Universität selbst sozusagen ein wilder Beruf, für den 
es keinerlei Vorbildung gibt und für den auch keine verlangt wird. Zum Teil 
daher, geschichtlich aber natürlich auch aus anderen Quellen, stammt die viel 
schlimmere Tatsache, daß die Wissenschaften selbst an der Universität so 
gelehrt werden, daß ihre Übertragung auf das Lehramt dabei kaum berück¬ 
sichtigt wird. Die Mathematiker und Naturwissenschaftler haben sich der 
Frage bereits angenommen, und es gibt schon einige wenige Lehraufträge 
für Pädagogik der Chemie usw. In den Geisteswissenschaften wird dagegen 
so unterrichtet, daß irgend eine Rücksicht darauf, wie der Student das Lehr¬ 
gut später einmal als Lehrer braucht, nicht genommen wird. Als Beispiel 
dafür möchte ich nur die berüchtigt gewordenen Aufsatzthemata angeben, die 
in der Volksschule nicht viel Vorkommen, wohl aber in den höheren Schulen, 
weil der ganze germanistische Unterricht das Wort „Aufsatz 8 wohl gamicht 
kennt. Hier entsteht die schwierige Frage: Wie wird der Universitätsunter¬ 
richt selbst für den Pädagogen pädagogisch gestaltet? 


Kleine Beiträge und Mitteilungen. 

Die Vertretung der Psychologie und Pädagogik an den deutschen Uni¬ 
versitäten im Sommerhalbjahr 1918 1 ). Berlin: Mahling (theol. F.): Katech. 
Semin. (2). Förster (med. F.): Psychiatrie des Kindesalters (1). — Stier 

*) Erklärung der Abkürzungen: med. F. » medizinische Fakutfit, theol. F. — theolo¬ 
gische Fakultät. naturw. F. — natnrwissenschaftl. Fakultät, jur. F. — Juristische Fakultät 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


419 


(med. F.): Psychische und nervöse Störungen des Kindesalters (1). — Karl 
Schaefer (med. F.): Physiol. Psychol. (2). — Moeli (med. F.): Die Be¬ 
ziehungen gei8t. Abnormität zur Rechtspflege (1) — Jacobsohn (med. F.): 
Ober die Kriminalität der Jugendlichen, für Mediz., Jurist und Pädag. (1). — 
Grdmann: Psychologie (4). — Vierkandt: Allgem. Psychol. (2). — Ferd. 
Jakob Schmidt: Pädagog- Ethik.(4). Pädag. Sem.: Übungen über Fichtes 
Reden an die deutsche Nation (l’/j). — Wertheimer: Im psychol. Institut: 
Experiment, psychol. Übungen (2). Pädagog. Übungen (2). — Stumpf: Im 
psychol. Inst: Theoret. Übungen (1) — Sa. «= 24 'h Std. — Bonn: Lauscher 
(kath.theol. F.): Katechetik (4). Katech. Semin. (1). — Pfennigsdorf (ev.- 
theol. F.): Katech. Sem. (1). — Hübner(jur. F.): Forensisch-psychol. Praktikum 

(1) . — Störring: Psychologie (4). Im psychol. Laborat.: Selbst, experiment 
Arbeiten für Vorgeschr. gemeinsam mit Erismann und Kutzner. Täglich vor- 
und nachm. — Wentscher: Pädagogik (2). Im philos. Semin«: Grundpro¬ 
bleme der Pädagogik (1 ’/ 2 ). — Ensmann zus. m. Kutzner: Im psychol. Labor.: 
Einführungskursus in die experiment. Psychol. mit Übungen (2). — Kutzner: 
Ausgew. Kapitel aus der experiment Didaktik (1). Sa.« 17*/a, dazu die experim. 
Arbeiten bei Störring. Breslau: Steinbeck (ev.-theol. F.): Katech. Semin. 

(2) . — Schaeder (ev.-theol. F.): Hauptprobleme der Religionspsychol. (2).— 
Koenig (kath.-theol- F.): Kirchl. Pädag. und Rhetorik (2). — Baumgartner: 
Psychologie (4). — Hönigswald: Grundprobleme der Denkpsychol. und 
Phänomenologie (2). Kolloquium der philos. Pädag. (2). Im psychol. Sem.: 
Übungen zur Denkpsychol. und Phänomenologie (l'/i). — Miller: Das höhere 
Schulwesen im 19. Jahrh. und in der Gegenw. (2). Übungen über Organisation 
des höheren Schulwesens (1). Sa. = 18'/2. Erlangen: Caspari (theol. F.): 
Katechetik und Pastoraltheol. (4). Katechet. Behandlung der Grundbegriffe 
des Katechism. (2). Katech. Sem. (2). Pädag. Repetitorium (1). — Stählin: 
Gesch. der Erzieh, und des Unterr. von der Renaissance bis zur Gegenw. 
(4). — Leser: Pestalozzi und Herbart (1). — Sa. — 14. Frankfurt a. M.: 
Hahn (med. F.): Psychopathol. des Kindes (1). — Schultze: Gesch. der 
pädagog. Probleme (2). Grundfragen der modernen Erziehung (1). — Ziehen: 
Gesch. der preußischen Unterrichtsverwaltung von 1817 bis zur Gegenw. (2). 
Methodik des akadem. Studiums mit bes. Berücksichtigung der philos. Fakult. 

(1) . Pädag. Sem.: Übungen zur Einführung in das Verständnis der kommunalen 
Erziehungs- und Schulpolitik (1). — Schumann (naturw. F.): Experim.-psychol. 
Praktikum mit Gelb (2). — Henning (naturw. F.): Massenpsychologie (1). 
— Klumker (Wirtschafts- und sozialwissenschaftl. F.): Jugendfürsorge und 
Kinderschutz (1). Prakt. Übungen mit Anstaltsbesichtigungen (Mittw. nachm.). 
Pape (Wirtschafts- u. sozialwissenschaftl. F.): Grundzüge der Erziehungs¬ 
und Unterrichtslehre für Kandidaten des Handelslehramts (1). Sem. für Han- 
delsschulpädag. (3). — Lühr (Wirtschafts- und sozialwissenschaftl. F.): Ein¬ 
führung in die Handelsschulpraxis: Hospitierübungen und Besprechungen (3). 
Sa. = 14, außer Klumkers Übungen. Freiburg LB.: Künstle (theol. F.): 
Pädagogik (2). — Kehrer (med. F.): Physiol. Psychol. (1). — Cohn: Pädag. 
Zeitfragen (2). — Sa. = 4. Gießen: Sommer (med. F.): Experim. Psychol. 
und Psychiatrie (für Studierende aller Fakult.) (1). — Koffka: Psychol. Kollo¬ 
quium (1). — Sieb eck: Grundlinien der Didaktik und Methodologie des 
Unterrichts (2). — Strecker: Staat und Erziehung in Vergangenh. und Gegenw. 

(2) . Übungen über Fichte als Pädagogen (2). — Cermak: Physik. Hand- 

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420 


Kleine Beiträge und Mitteilungen 


fertigkeitspraktikum (3). — Sa. —11. Göttingen: Eicheberg (med. F.): Psycho- 
pathol. des Kindesalters (für Hörer aller Fakult.) (1). — G. E. Müller: PsychoL 
der Willenserscheinungen (2). Experim.-psychol. Arbeiten. — Baade: De¬ 
skriptive Psychologie und Psychographie (2). Übungen zur Psychologie des 
Denkens (1). — Rosenthal (med. F.): Schulgesundheitspflege für Lehramts* 
kandidaten (t). — Meyer (theol. F): Katechet. Übungen (1). — Windbaus: 
Chem. Semin. für Lehramtskandidaten (nach Verabredung). — Sa. — 8, außer 
den Übungen bei Müller und Windhaus. Greifswald: v. d. Goltz (theol. F.): 
Katechet. Semin. (2). — Rehmke: Psychologie (3). — Schwarz: Gesch. 
der Pädag. (2). Ethik und systemat. PSdag. (4). Philos. Semin.: Über Bildungs¬ 
probleme. (2). — Sa. “= 13. Halle: Eg er (theol. F.): Katechet. Abteilung (2). 

— Kauffmann (med. F.): Über psych. Veränderungen durch den Krieg (1). 

— Ziehen: Psychologie (4). Experimentelle psychol. Übungen (2). — Frisch- 
eisen-Köhlet: Das deutsche Unterrichtswesen der Gegenw. und die Grund¬ 
fragen der Schulorganisation (2). Pädag. und Politik (1). Übungen über 
Schleiermachers Pädag., in noch zu verabr. Stunden. — Menzer: Im pädag. 
Semin.: Ethik (2). — Lütgert (theol. F.): Im Pädag. Semin.: Übungen der 
systemat. Abteilung (B) des Theol. Semin. (2). —Wigand: Physikal. Hand¬ 
fertigkeitspraktikum (in noch zu best. Zeit). — Sa. — 16; außerdem die 
Übungen bei Frischeisen-Köhler und Wigand. Hamburg: Prof. Stern: Pädag. 
Psychologie des Schulkindes II. (1). — Übungen zur Jugendpsychologie. 
(2). — Werner: Einführung in die Völkerpsychologie (2). — Claßen: 
Weltanschauungsarbeit unter der reifenden Jugend (1). — Sommer: Ge¬ 
schichte des Seelenbegriffs (1). — Sa. »7. — Heidelberg: Niebergall 
(theol. F.): Modem-pädag. Fragen (2). — Frommel (theol F.) Katechet. 
Übungen überden Unterrichtsstoff der Oberst. (1). —Stadtschulrat Rohr hur st: 
Katechet. Übungen über den Unterrichtest, der Mittelsch. ( 1 */j). — Jaspers: 
Psychol. des abnormen Seelenlebens (2). Psycholog. Übungen über Nietzsche 
(2). — Rissom: Über Methodik und Systematik der Spiele, über Spielgeräte und 
Spielplatzkunde (8). Jugendpflege (4). — Baisch: Physiologie und Hygiene 
der Spiele und volkstüml. Übungen (6). — Hogenmüller: Prakt. Übungen 
und Lehrproben im Turnen (45). — Sa. = 26'/i, außerdem 45 Std. Übungen 
bei Hogenmüller. Jena: Staerk (theol. F.): Probleme der unterrichtl. Be¬ 
handlung des Alten Testam. (1). — Glaue (theol. F.): Katechetik (2.) — 
Thümmel (theol. F.): Katechet. Semin. (2). — Schultz (med. F.): Psycho¬ 
therapie (2). Was lehrt die Psychiatrie für die allgem. Psychologie (1). — 
Eucken: Allgem. Psychol. (im Umriß) (2). — Rein: Empir. Psychol. mit 
Beziehung auf die pädag. Probleme (2). Allgem. Didaktik (2). Mit Weiß: 
Pädag. Seminar. — Nohl: Einführung in die Gesch. der Pädag. (1). —Weiß: 
Begabung und Schule. (2) Ziel und Aufgaben der Jugendpflege (1). — Sa —18, 
außerdem Päd. Semin. bei Rein. Kiel: Baumgarten (theol. F.): Katechet 
Übungen (2). — Weinreich (theol. F.) Katechet. (2). —Martius: Psychol. 
Semin. (2). — Baron von Brockdorff: Die Anfangsgründe der Pädag. (1). 
Interpretation klassischer pädagog. Quellenschriften (2). — Sa. — 9. Königs¬ 
berg: Uckeley (theol. F.): Deutsches Volksschulwesen L Teil (Gesch. und 
Schulkunde) (2). Katechet. Semin. (1). — Falkenheim (med. F.): Hygiene 
des Kindes (1). — Ach: Psychologie (3). Experimentell-psychol. Übungen 
(2). — Kowalewski: Ethik (mit Anwendung a. pädagog. Probleme (2). 
Kolloquium über neuere Arbeiten auf dem Gebiete der pädag. Psychol. (1 l fi). 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


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— Sa.= 12'/2. Leipzig: Frenzel (theol. F.) Prakt. Theol. H (Katechetik und 
Poimenik) (4). Semin. für prakt. Theol., katechet. Abteilung (Religionsunterr. 
und relig. Erziehung) (2). Semin. für Pädag. für Studierende der Theol.: Prakt.* 
päd. Übungen und Besuche von Lehr* und Erziehungsanstalten (2). — 
Gregor (med. F.): Diagnose psychischer Störungen (1). Psychologie der 
Persönlichkeit. (1). — Lange (med. F.): Schulhygiene und Schulkrankheiten 
(1). — Bergmann: Gesch. der Psychol. im Überblick (1). — Krueger: 
Einführung in die Völkerpsychol. (Besprechungen und Übungen) (2). Psycho¬ 
logie der Gefühle (2). Experim. Übungen für Fortgeschrittene (mit Kirsch¬ 
mann) (2). Leitung selbständ. Arbeiten (mit zwei Assistenten) (21). Bespr. 
und Übungen zur Einführung in die Völkerpsychol. (2). — Wirth: Psycho- 
physik der Sinneswahrnehmung mit experiment Demonstr. (2). Übungen 
zur experiment Methode, zugleich zur Einführung in die Psychophysik (Zeit 
nach Vereinbarung). Leitung selbständ. Arbeiten (15). — Spranger: Pädag. 
II. Teil (Gesch. des Erziehungswesens und der päd. Theorien von Rousseau 
bis zur Gegenw. (3). Im philos. päd. Sem.: Pestalozzi, „Wie Gertrud ihre 
Kinder lehrt.“ Nur für Studierende der Päd. (2). Herbarts Pädag. (2). — 
Jungmann: Einführung in die Gesch. der Pädag. (2). Übungen im praktisch- 
pädag. Semin. mit Hünlich und Hartmann (4). — Brahn: Übungen zur ex¬ 
periment. Methode: Persönl. Begabung und Berufswahl (IV 2 ). Wissenschaft 
Arbeiten über experiment. Pädag. und angew. Psychol. (15). — Seydel: 
Pädagogisch-technische Korrektur von Sprachfehlern, Sprachgebrechen usw. 

(1) . — John: Die histör. und pädag. Grundlagen der landwirtsch. Unterrichts¬ 
anstalten (2). Theoret. Seminarübungen (2). Experiment. Vorbereitung für 
den Unterr. (2). Unterrichtserteilung in der Übungsschule (16). — Wagner: 
Chemische Übungen für Lehrer (Schulversuche, Analyse, Präparate) (44). 
Didakt. Bespr. der ehern. Übungen (1). — Sa. — 60'ji, außerdem 95 Std. Übungen. 
München: Götti er (theol. F.): System der Pädag. (4). Bayerisches Volksschul- 
wesen (2). Katechet. Praktikum (IV 2 ). — Mayer (theol. F.): Pestalozzi und 
seine Zeit (1). — Baeumker: Psychologie (4).— Rehm: Das höhere Schul¬ 
wesen Deutschlands in Vergangenheit und Gegenwart (3). Die polit Erziehung 
der deutschen Jugend (1). — Becher und Bühler: Psycholog. Kolloquium 
(nach Übereink.). Experiment.-psychol. Arbeiten (tägl. nach Bedarf) — 
Joachimsen: Methodik und Technik des Geschichtsunterr. (2). Foerster: 
Gesch. der Pädag. im Zusammenhang mit der allgem. Kulturentw. (4). Päd. 
Semin: Schulgemeinden und Selbstregierung der Schüler (2). — Fischer: 
Psychol. und Soziologie der Geschlechter (2). Über Psychologie und ihre 
Anwendungen (1). Bühler: Denken und Sprechen, eine philos. Einführung 
in die Geisteswissenschaften (2). Einführungskursus in die experim. Psychol. 

(2) . — Pauli: Psychol. der Empfindung (1). — Sa. = 36V2, außerdem Kollo¬ 
quium und Arb. bei Becher und Bühler. Münster: Smend (ev.-theol. F.): 
Katechet. Semin. (1). — Rosenfeld (jur. F.): Kriminalpsychol. (1). — Gold¬ 
schmidt: Grundfragen der Psychol. mit bes. Berücks. der Jugendkunde (4). 
Allgem. philos.-psychol. Übungen (nach Vereinb.) Spezielle psychol. Übungen 
(nach Vereinb.). — Koppelmann: Grundfr. der Psychol., Logik und Ethik 
in ihrem Zusammenhänge (3). — Braun: Gesch. der neueren Pädag. (3). — 
Sa. «9, außerdem Übungen bei Goldscbmidt. Rostock: Hilbert (theol. F.): 
Katechet. Semin. (2). — Erhardt: Psychologie (4). — Utitz: Psychol. der 
Lüge und Verstellung (1). — Schlick: Psychol. des Fühlens und Wollene (1). 


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422 


Kleine Beiträge und Mitteilungen 


— Sa. — 8. Straßburg: Naumann (ev.-theol. F.): Katechetik (3). Katechet. 
Semin. (1). — Schneider: Psychologie (3). — Spahn: Aufgaben und Prob¬ 
leme des Geschichtsunterr. (2). — Sa.—9. Tübingen: v. Wurster (ev.-theol. F.): 
Katechet. Semin. mit Übungen in der Volkschule (2). — Sägmüller (kath.- 
theol. F.): Prakt. Pfidag. (3). — Spitta: Psychologie (4). — Oesterreich: 
Religionspsychologie (2). Demonstr. zur Einführung in die experim. Psychol. 
(l'/a). — Deuchler: Wirtschafts- und berufspsychol. Fragen der Gegenw. (1). 
Psychol. Untersuchungen an Normalen und Hirnverletzten (1). Reform der 
höh. Schulen (1). Päd. Sem.: Übungen zur pädag. Psychol (2). — Sa. = 17'/2. 
Würzburg: Stölzle: Allgem. Erziehunglehre (1). Semin. zur Philos. und Päd. (1). 
Anleitung zu wissensch. Arb. in Philos. und Pädag. (nach Bedarf). — Marbe, 
mit Peters: Experiment. Übungen zur Einführung in die Psychol., Pädag. und 
Ästhetik (3). Anleitung zu wissensch., auch pädag. und ästhet. Arbeiten (48). 

— Peters: Psychol. und pädag. Besprechungen (1). — Sa. = 6, außerdem 
Arb. bei Marbe 48 Std., bei Stölzle nach Bedarf. 

Leipzig. Hermann Götz. 

Die Pädologische Abteilung im Niederländischen Museum für Eltern 
und Erzieher. Die Pflege der Jugendkunde hat sich neuerdings auch in 
Holland erfreulich entwickelt. So besteht u. a. eine eigene Zeitschrift für 
jugendkundliche Forschungen, und so ist seit 1911 ein „Museum für Eltern 
und Erzieher“ im Ausbau begriffen, wie ein solches früher schon Ladilaus 
Nagy für Ungarn begründet hatte. Seinen Sitz hat das Unternehmen in 
Amsterdam. Von Zeit zu Zeit aber tut es sich, zumeist nur in Teilen, in 
den größeren Städten des Landes auf. Diesen Wanderausstellungen bringt 
die Bevölkerung das regste Interesse entgegen. Vorwiegend werden sie von 
Vätern und Müttern der Arbeiter- und Bürgerkreise besichtigt. Während 
des November stieg z. B. in Harlem die Zahl der meist zahlenden Besucher 
auf 26800 Personen. 

Der Plan des Museums ist entworfen worden von der Freifrau Sandberg- 
Geisberg van der Netten in Assen, die in hingebender Arbeit sich auch an 
der Verwirklichung vornehmlich betätigt hat. 

Das Museum gliedert sich in folgende Abteilungen, deren jeder ein sach¬ 
verständiger Leiter mit einem Ausschuß vorsteht. 

1. Körperliche Entwicklung des Kindes. 2. Kleidung des Kindes. 3. Er¬ 
nährung des Kindes. 4. Umgebung des Kindes. 5. Kinderforschung und 
geistige Entwicklung. 6. Fürsorge für anormale Kinder. 7. Hilfe bei Un¬ 
fällen. 8. Spiel, Musik, Handarbeit. 9. Jugendschriften. 10. Kinderpflege 
in Indien. 11. Geschichtliche Abteilung. 12. Bücherei. 

Über die pädologische Abteilung berichtet ihr Vorsitzender A. J. Schreuder 
ausführlich in der Zeitschrift für Kinderforschung (XXIII. Jahrg., Heft 1, 
S. 31 ff.). Er verfolgt zum Teil die gleichen Aufgaben, die Joh. Prüfer 
dem „Institut für Erziehungserfahrungen“ in Leipzig gesetzt hat. 

Gegliedert ist die pädologische Abteilung folgendermaßen: 

1. Beobachtungen durch Erzieher. 2. Äußerungen von Kindern. 3. Jugend¬ 
erinnerungen. 4. Völkerkundliches. 5. Das Kind in der Kunst. 6. Die 
Kinderforschung. 

In der ersten Gruppe werden die Erfahrungen aus der Wirklichkeit des 


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Erziehens gesammelt. Es kommen in Betracht a) biographische Berichte über 
die gesamte geistige Entwicklung eines bestimmten Kindes oder von Ge¬ 
schwistern derselben Familie, b) fortlaufende Beobachtungen Uber eine 
einzelne psychische Erscheinung (Entwicklung des Sprechens, des Spieles, 
der Religiosität usw.), c) Aufzeichnungen über besondere Vorfälle und Aus¬ 
sprüche. Erwünscht sind u. a. besonders auch vergleichende Darstellungen 
von Geschwistern und Zwillingen. Anleitungen zum Beobachten, Aufzeichnen 
und Sammeln beabsichtigt das Museum noch auszuarbeiten. Wie in Leipzig so 
wurde auch in Holland die Erfahrung gemacht, daß die Eltern meist nur 
ungern ihre Aufzeichnungen der öffentlichen Sammlung überweisen, daß aber 
gelegentlich Material von hohem wissenschaftlichen Wert von den Erziehern 
zu erlangen ist. 

Die zweite Gruppe vereinigt a) Kindertagebücher und Gedichte von 
Kindern, b) freie Kinderbriefe, c) Kinderzeichnungen, d) Erzeugnisse kind¬ 
licher Handbetätigung. Das Museum verfügt u. a. hier schon über eine 
gute Reihe von Zeichnungen aus sechs aufeinander folgenden Volksschul- 
klassen, in denen ohne vorangegangene Einübung aus dem Gedächtnis 
gezeichnet wurden: ein Männlein, ein Weiblein, ein Knabe, ein Mädchen — 
ein Pferd, eine Katze, ein Hund — ein Haus, ein Baum, ein Schiff. 

Die dritte Gruppe will u. a. auch eine methodische Aufgabe lösen. Sie 
erstrebt die Entscheidung darüber, ob für die wissenschaftliche Forschung 
die Veröffentlichung von Jugenderinnerungen wirklich Wert hat, und in 
welcher Art sie dann erwünscht wäre. 

Die ethnographische Gruppe dient vor allem vergleichenden Betrachtungen. 
Sie stellt gegenüber die phylogenetische und ontogenetische Entwicklung, das 
Kind der niederen und der höheren Völker, das Kind der Gegenwart und 
früherer Zeiten. Aus den niederländischen Kolonien ist hier dem Museum 
schon viel vorzügliches Material zugeflossen, so z. B. die Sammlung von 
Prof. Jonker, die Märchen, Lieder und Erzählungen von der Insel Rotti 
umfaßt und die viele übereinstimmende Züge mit dem kindlichen Singen 
und Sagen aufweist. 

Die Gruppe „das Kind in der Kunst“ will mit ihrer Bildersammlung 
weniger wissenschaftlichen Zwecken als vielmehr der Unterhaltung dienen. 

Auf die Zusammenstellung der wissenschaftlichen Literatur über das Kind 
ist die fünfte Gruppe bedacht. Für sie hat Scheurmann ein fast voll¬ 
ständiges Verzeichnis der in niederländischer Sprache verfaßten Schriften 
und Abhandlungen angelegt und veröffentlicht. Es zählt auf 24 Seiten 
350 Nummern. 

Außer diesen sechs Gruppen besteht in der pädologischen Abteilung 
dann noch eine Sonderbücherei, die sorgfältig katalogisiert ist und bei 
jeder Ausstellung in einem Lesesaal zur Verfügung gestellt ist. 

Das Bayrische Schalarchiv für Zeichnen (Geschäftsstelle in München- 
Pasing) will der Förderung des Zeichenkunstunterrichts an allen Schulen 
aller Gattungen dienen und hofft damit in dem heran wachsenden Geschlecht 
die erhöhte Pflege des Gesclynacks zu fördern. Es stellt sich im einzelnen 
als besondere Aufgaben: vorbildliche Schüler-Arbeiten für eine Geschiobte 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


des neuzeitlichen Zeichenunterrichts zu sammeln, Lehrstoff für den Zeichen- 
und Kunstunterricht in Einzeldarstellungen zu liefern, eine Bücherei für 
das gesamte Fachschrifttum anzulegen, ferner durch Ausstellungen, Vorträge, 
Führungen durch Galerien, Sammlungen, Kunstwerkstätten, sowie Lichtbilder¬ 
vorführungen Sinn und Verständnis für Kunst und Handwerk bei der 
Schuljugend zu wecken und zu bilden und endlich die Verbreitung der 
besten Lehrmittel und bewährtesten Schuleinrichtungsgegenstände seines 
Gebietes zu fördern, sowie deren Anschaffung zu erleichtern. 

Das Archiv umfaßt vorerst folgende Abteilungen: 

I. Die Zeichen-Sammlung: Vorbildliche Schülerarbeiten aus Freihand-, 
Linearzeichnen und Schriftunterricht (gute Durchschnittsarbeiten, nicht nur 
Leistungen besonders Begabter) werden gesammelt für eine Geschichte des 
Zeichenunterrichtes; sie dienen auch zu kunstpädagogischen Studien, Unter¬ 
richts- und Ausstellungszwecken. 

II. Die Lehrstoffsammlung: Sie enthält kurze Abhandlungen und 
Monographien über Künstler, Kunst und Kunstgeschichte, Kunstgewerbe 
und Handwerk, Zeichen- und Schriftunterricht, ferner Aussprüche über 
Kunst, Zeichnen und Geschmacksbildung und endlich Reproduktionen nach 
Photographien, Gemälden und Zeichnungen, die die praktische Anwendung 
der Gesetze aus Perspektive, Projektions- und Schattenlehre zeigen, und 
speziell für Lehrzwecke Verwendung finden. Auch ist ihr eine Aufgaben¬ 
sammlung aus dem Gebiete des Freihand- und Linearzeichnens angegliedert. 

III. Die Vorbildersammlung: Hier werden Bilderreihen aus dem 
Gebiete der freien und angewandten Kunst angelegt (Gegenüberstellung 
von Beispiel und Gegenbeispiel). 

IV. Die Lichtbildersammlung: Vorführungen. 

V. Die Bücherei mit Leseraum: Sammelstelle der gesamten Fach¬ 
literatur, ferner einschlägiger Bilderwerke und Ausschnitte aus Zeitungen 
und Zeitschriften, die im Lesesaal zur Benützung aufliegen. 

VI. Die Modellsammlung: Sie umfaßt ausgewählte Natur- und Ge¬ 
brauchsgegenstände für Zwecke des Freihand- und Linearzeichnens. 

VII. Die Schulgerätsammlung: Geräte. 

VIII. Muster-Schulmuseum: Es gibt Richtlinien für die Ausgestaltung 
von Schulmuseen in Verbindung mit den Zeichenmodellsammlungen, wie 
deren Errichtung an größeren Anstalten in Aussicht steht. 

IX. Vermittlungsstelle: Sie erteilt Aufschlüsse und Auskunft in allen 
einschlägigen Fragen und übernimmt die Vermittlung von Aufträgen bei 
Anschaffung der in Abteilungen II, IH, IV, V, VI, VII und VHI genannten 
Gegenstände. 

X. Archiv-Ausstellung: In Wochenausstellungen sollen die Neu¬ 
erwerbungen der verschiedenen Abteilungen vorgeführt und belehrende Dar¬ 
bietungen aus den Abt. I, II und III veranstaltet werden. 

Ständige Fühlung mit allen Interessentenkreisen wird die vom Bayer. 
Schularchiv herausgegebene und von L. M. K. Capeller geleitete reiche 
illustrierte Monatsschrift (vierteljährlich 2,50 M.) «Zeichen-Archiv* aufrecht 
erhalten. 


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Die Ausbildung der weiblichen Jagend in der Säuglings* and Klein¬ 
kinderpflege wird in Preußen künftig nicht mehr ausschließlich der Vereins¬ 
arbeit überlassen bleiben, sondern unter der Mitwirkung der amtlichen Kreise 
erfolgen. Ein darauf gerichteter Erlaß des Ministers des Inneren (vom 3. Ok¬ 
tober 1916) besagt u. a. das Folgende: 

„Die Bekämpfung der Säuglingssterblichkeit und die Gesunderhaltung 
der heranwachsenden Jugend hat durch den infolge des Krieges entstandenen 
Verlust von Hunderttausenden blühender Männer größte Bedeutung gewonnen. 
Unter den zur Besserung dieser Verhältnisse erforderlichen Maßnahmen, die 
gegenwärtig von der Staatsregierung beraten werden, ist die Ausbildung der 
weiblichen Jugend in den Grundsätzen der Säuglings- und Kleinkinderpflege 
von besonderer Wichtigkeit, da gerade die mangelhaften Kenntnisse vieler 
Mütter hinsichtlich zweckmäßiger Ernährung und Pflege die Ursache für den 
Tod von Tausenden von Kindern bilden. Eines der Mittel, um hierin Wandel 
zu schaffen, ist die Belehrung der schulentlassenen weiblichen Jugend 
und der jungen Mütter durch öffentliche Vorträge und ähnliche Veranstaltun¬ 
gen, wie dies in vielen Orten schon vor dem Kriege mit Erfolg versucht 
worden ist. Angesichts des Ernstes der Stunde müssen diese Bestrebungen 
nunmehr ohne Zögern und in allen Bezirken aufgenommen und mit Nach¬ 
druck verfolgt werden.“ 

Sammmelklassen für schwerschwachsinnige Kinder wurden in Berlin 
durch die städtische Schulverwaltung eingerichtet. Sie stehen unter den folgen¬ 
den Bestimmungen: „Die Sammelklasse ist eine Hilfsschulklasse, vereinigt 
in sich aber nur schwer-schwachsinnige Kinder, die das Ziel der Unter¬ 
stufe der Hilfsschule nicht erreichen und deren Eltern sich zur Unterbringung 
in einer .Anstalt nicht entschließen können. An einer Hilfsschule soll nur 
eine Sammelklasse bestehen. Sie ist der Hilfsschulleitung mit unterstellt, 
nimmt aber zu dem Schulkörper der Hilfsschule eine selbständige Stellung 
ein. Die Überweisung eines Kindes in die Sammelklasse erfolgt in der Regel 
nach einem ergebnislosen zweijährigen Besuch der Hilfsschulunterstufe und 
auf Grund eines besonderen pädagogischen und psychiatrischen Gutachtens. 
In jedem Falle ist vor der Überweisung den Eltern die Zweckmäßigkeit der 
Unterbringung des Kindes in eine Anstalt klar zu machen. Nach der Über¬ 
weisung sind die Eltern anzuhalten, ihr Kind regelmäßig in den der Sammel¬ 
klasse angeschlossenen Hort zu schicken. Die bereits aus der Schulpflicht 
entlassenen und zurzeit im Eltemhause weilenden, noch nicht vierzehnjäh¬ 
rigen Kinder können auf Wunsch der Eltern in die Sammelklasse nach Maß.- 
gabe der vorhandenen Plätze aufgenommen werden. Bevor künftig ein Kind 
seiner großen geistigen Schwäche wegen von der Schulpflicht völlig ent¬ 
bunden ist, ist es, falls sich die Eltern nicht zur Aufnahme in eine Anstalt 
verstehen, einer Sammelklasse zu einem letzten Unterrichtsversuch zu über¬ 
weisen. Vom Besuch der Sammelklasse und damit auch der Schule über¬ 
haupt ausgeschlossen werden nur die völlig bildungsunfähigen oder dauernd 
pflegebedürftigen Kinder, für die dann unter Umständen auf Grund des Für- 
sorgeerziehungsgesetzes Anstaltszwang erwirkt werden müßte. Die Sammel- 
klasse soll höchstens 15 Kinder umfassen. Sie ist eine einklassige Schule. 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


Da die schwer-schwachsinnigen Kinder niemals so weit zu fördern sind, daß 
sie die im Deutschen und im Rechnen erreichbaren Fähigkeiten in den Dienst 
ihrer Person zu stellen vermögen, so wird auf diese Fächer in der Sammel¬ 
klasse nicht mehr das Hauptgewicht gelegt. Neben der Pflege des Gemütes 
wird die Entwicklung und Ausbildung der körperlichen Geschicklichkeit als 
das Hauptziel des erziehlichen Unterrichts angesehen und der körperlichen 
Betätigung des Kindes der breiteste Raum zugewiesen. Die Hälfte der täg¬ 
lichen Unterrichtszeit wird auf Handarbeitsunterricht verwendet und im 
übrigen dem Turnen und Spielen ein angemessener Raum gewährt. 

Das Begabungsproblem als Arbeitsthema in der Vereinigung für Kinder¬ 
kunde in Frankfurt. Die rührige Arbeitsgemeinschaft hatte für das laufende 
Jahr folgenden Plan aufgestellt: A. Kennzeichen der Begabung. 
1. Bericht über Stern, Die Jugendkunde als Kulturforderung. 2. Die Intelligenz¬ 
prüfungen bei Kindern und Jugendlichen. 3. Verhandlungsbericht des 3. Kon¬ 
gresses für Jugendkunde zu Breslau über die Begabungsunterschiede der 
Geschlechter. 4. Über das Verhältnis der Jugendbegabung zur Begabung Er¬ 
wachsener. 5. Genie und Talent und Schulbegabung. 6. Ist die Testdiagnose 
zur Ermittelung besonderer Begabung geeignet? 7. Einfluß der Herkunft und 
Kindheitsentwicklung auf die Begabung. 8. Jugendbegabung und Rasse. 
9. Das Wunderkind und das frübreife Kind. 10. Psychoanalyse und Begabungs¬ 
fragen. 11. Die Ausdrucksmöglichkeiten der jugendlichen Begabung. 12. Hand¬ 
schrift und Begabung. 13. Der Schulpsychologe. 14. Gehirnforschung und 
Begabung. 15. Eigene Beobachtungen über die Entwicklung hervorragend 
Begabter. — B. Förderung der Begabung. 16. Der Bildungswert der 
fremden Sprachen. 17. Die Förderung Begabter innerhalb der verschiedenen 
Schulgattungen. 18. Die Mädchenerziehung und der Aufstieg der Begabten. 
19. Arbeitsschule und Begabungsförderung. 20. Einheitsschule und Begabungs¬ 
förderung. 21. Das Berechtigungswesen und die Begabungsförderung. 22. Sind 
Vorschulen nötig? 23. Der psychologische Ertrag der Grafschen „Schülerjahre“. 
24. Neuere Schuleinrichtungen zur Förderung der Begabten. — C. Verwertung 
der Begabung. 25. Bericht über Petersen, Der Aufstieg der Begabten. 
26. Bericht über Münsterberg, Psychologie und Wirtschaftsleben. 27. Bericht 
über Münsterberg, Psychotechnik. 28. Bericht' über Piorkowski, Beiträge zur 
psychologischen Methodologie der wirtschaftlichen Berufseignung. 29. Die 
Begabungsverwertung im Handwerk. 30. Die Begabungsverwertung im Kauf¬ 
mannsstand. 31. Die Begabungsverwertung in der Technik. 32. Die Begabungs¬ 
bewertung in den gelehrten Berufen. 33. Begabungsverwertung und soziale 
Schichtung. 

Ein Fragebogen zur Pädagogik des Militärs wird von Dr. W. A. Lay der 
Öffentlichkeit unterbreitet Manche der darin aufgeführten Gesichtspunkte 
haben durch die Ereignisse der jüngsten Zeit die dringende Notwendigkeit 
ihres gründlichsten Durchdenkens auf Grund persönlicher Erfahrungen ver¬ 
loren. Es wird aber auch ihre Erörterung, wenn ihnen auch, als bereits über¬ 
holt, nunmehr keine unmittelbar praktische Bedeutung mehr zukommen kann, 
nicht ohne wissenschaftlichen Wert sein. Vieles aus der Fragenreihe aber 
muß in der Verarbeitung der Erfahrungen am alten System für die Neugestaltung 
der Dinge, gleichgültig wie sie sich wenden möge, von Nutzen werden. Grund- 


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satz für Lay ist, daß die soldatische Ausbildung nicht eine Unterbrechung, 
sondern eine Weiterffihrung der Jugendbildung darzustellen habe. Er bittet 
um Tatsachen und Gedanken für die folgende Fragenreihe: 

„A. Welche körperlichen und geistigen Fähigkeiten machen den Soldaten aus und bedürfen 
der Fort- und Ausbildung? 

B. Welche Sonderzwecke und Teilziele muß also die Militärpädagogik innerhalb der Gesamt¬ 
pädagogik verfolgen? 

C. Wie kann die Kaserne zu einer Lebensgemeinschaft gestaltet werden? 

D. Von dem oben gekennzeichneten erziehungswissenschaftlichen Standpunkte aus zeigt die 
heutige militärische Ausbildung sich nicht frei von Mängeln und Gefahren in Einrichtungen 
und Maßnahmen für die Pflege, Zucht und Unterricht: 

a) Welche Mängel kennen Sie? Schildern Sie die Mängel an typischen Einzelfällen. 

b) Welche Vorschläge machen Sie zugleich angesichts der angegebenen Mängel, damit die 
Militärbehörden ihre Ziele leichter und vollkommener erreichen? Beachten Sie jeweils 1. Pflege, 

2. Zucht, 3. Unterricht, und ordnen Sie Kritik und Vorschläge nach den Werten folgender 
Kulturgebiete: 

I. Hygiene: 1. Kräftige Menschen, leiblich und seelisch gesundes Volk; 2. Körperpflege; 

3. Verletzungen und Krankheiten durch Verschulden von Vorgesetzten, Soldatenkrank¬ 
heiten; 4. Geschlechtskrankheiten. 

II. Volkswirtschaft: Wie kann Kraft, Zeit und Geld gespart, der Sinn für Sparsamkeit im 
ganzen Militärwesen ausgebildet werden zur Wohlfahrt des einzelnen und des Vaterlandes? 
(Behandlung von Waffen, Geräten, Bekleidung usw.). Inwiefern kann Zeit gewonnen werden 
für Fortbildungskurse? 

IEI. Ästhetik: Wo und wie kann das Häßliche vermieden und der Sinn für das Schöne aus¬ 
gebildet und die volkstümliche Kunst gefördert werden? Eigene künstlerische Darstellungen 
und Aufführungen. Gelegenheit zu künstlerischer Weiterbildung. 

IV. Wissenschaft: 1. Welches sind die Mängel der militärischen Belehrung? (Instruktions- 
stunde.) 2. Pädagogisch-methodische Einführung in das Verständnis militärischer Gegen¬ 
stände, Vorgänge, Handlungen. 3. Anwendung der experimental-pädagogischen Forschungs¬ 
methode (Beobachtung, Statistik, Experiment) zur Auffindung der besten Methoden, zur 
Erlangung der einzelnen militärischen Fertigkeiten. 4. Militärpädagogische Versuchsstätten, 
geleitet von entsprechend vorgebildeten Offizieren (Lehroffizieren). 5. Herstellung der An¬ 
lagen für die einzelnen Waffengattungen und einzelnen militärischen Fähigkeiten und 
Fertigkeiten. 6. Gruppenbildung für ihre Einübung. 7. Wie kann Lust und Liebe zur 
Sache (statt Langeweile und Widerwillen) erzeugt und erhalten werden? 8. Experimental¬ 
pädagogische Feststellung und Ausscheidung der geistig Minderwertigen. 

V. Sittlichkeit (und Sozialethik): 1. Verstöße gegen die Idee des Volksheeres: Der Einjährige; 
Standeshochmut und Absonderung; „vornehme“ Regimenter 2. Protektion und Beförde¬ 
rung. 3. Die Macht der Unteroffiziere, insbesondere des Feldwebels; ihre Überwachung. 

4. Mißbrauch der Macht. 5. Mängel des Beschwerdeweges. 6. „Schmieren“. 7. Bös¬ 
willige „Schinderei“ und ihre Folgen. 8. Roheiten in Wort und Tat 9. Bedeutung, 
Grenzen und Gefahren des psycho-pbysischen Mechanismus („Drill“). 10. Schmutz und 
Schund in Heer und Marine. 11. Zersetzung gesunder Volkssitten und Volksgebräuche: 
„Aufklärung“. 12. Feststellung und Ausscheidung des sittlich Abnormen. 13. Massen¬ 
suggestion und Gemeinschaftsgeist. 14. Gute und schlechte Vorbilder, namentlich bei 
Vorgesetzten. Förderung des Pflichtbewußtseins; einer für den anderen, alle für das 
Ganze der Truppe, der Kaserne und für das Vaterland als Lebensgemeinde. 16. Befehle, 
die bis ins einzelne vorgeschrieben werden, und Aufgaben, die Interesse, Verständnis, 
Selbständigkeit, Verantwortlichkeit und Pflichtgefühl entwickeln. 17. Falsche Autorität und 
Disziplin und ihre Folgen: passiver Widerstand, innere Auflehnung, geheimer Groll und Haß. 

VI. Religion. 1. Wie entsteht religiöse Gleichgültigkeit beim Militär, und wodurch wird vor¬ 
handene gefördert? 2. Wie sind Verächter und Spötter der Religion zu behandeln? 3. Wie 
ist Ehrfurcht vor dem Unerforschlichen und Heiligen zu pflegen? 4 Wie gegenseitige 
religiöse Duldsamkeit? 5. Wie kann die Eigenheit deutscher Frömmigkeit in Heer und 
Marine gefördert werden? 

E. 1. Welche Anforderungen muß die zu begründende Militärpädagogik an die Offiziere und 
Unteroffiziere stellen? Abstammung, Anlagen, Vorbildung und militärpädagogische Ausbildung. 
2. Direkte Kurse für die Unteroffiziere. 4. Verwendung der pädagogisch gebildeten deutschen Lehrer.“ 


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Kleine Beiträge und Mitteilungen 


Nachrichten. 1. Als Nachfolger des verstorbenen Professors Theodor 
El senha ns ist der bisherige außerordentliche Professor der Universität München, 
Dr. Karl BQhler, zum ordentlichen Professor für Philosophie und Pädagogik 
an die Technische Hochschule zu Dresden berufen worden. 

2. Dr. Karl Roller, früher Privatdozent an der Technischen Hochschule 
in Dannstadt, seit 1. August 1917 Direktor der Höheren Mädchenschule (Lyzeum) 
zu Gießen, wurde als Privatdozent für Pädagogik in der Gießener philo¬ 
sophischen Fakultät zugelassen. 

3. Prof. Dr. W.Hellpach an der Technischen Hochschule in Karlsruhe hat 
einen Lehrauftrag für Psychologie unter Einschluß der Wirtschaftspsychologie 
und Pädagogik erhalten. Er liest im 1. Winterhalbjahr: Allgemeine Seelenkunde 
mit Übungen (3 Std.), die Grundfragen des höheren Unterrichts (1 Std.), im 
1. Sommerhalbjahr: Sozialpsychologie (2 Std.); im2. Winterhalbjahr: Psychologie 
der Arbeit und Wirtschaft, der Berufs- und der Betriebsführung, mit Übungen 
(4 Std.); im 2. Sommerhalbjahr: Allgemeine Erziehungslehre (2 Std.). 

4. Der Oberlehrer am Friedrich-Wilhelm-Gymnasium in Köln, Dr. Theodor 
Litt, ist zum a. o. Professor der Pädagogik an der Bonner Universität er¬ 
nannt worden. 

5. Der frühere Straßburger Universitätsprofessor Dr. Theobald Ziegler, 
der seine eifrige Arbeit im Gebiete der pädagogischen Wissenschaft bis in 
die jüngste Zeit weiterführte, ist auf einer Vortragsreise in einem Feldlazarett, 
71 Jahre alt, vom Tod ereilt worden. 

6. Oberstudienrat Georg Kerschensteiner wurde zum Honorarprofessor 
an der Universität München ernannt. 


Einzelbesprschtmgen. 

Max Verworn, Die biologischen Grundlagen der Kulturpolitik. 2. Aufl. 

Jena 1916. Gustav Fischer. 60 S. 1,20 M. 

Ziel dieser kleinen sehr interessanten Schrift ist: „die kulturgeschichtlichen 
Probleme, welche der Ausbruch des Krieges bei uns ausgelöst hat, vom Stand¬ 
punkte der Physiologie und Psychologie zu betrachten (3). Zunächst erörtert 
V. das Wesen der objektiven Erkenntnis, das in einer widerspruchslosen Über¬ 
einstimmung unsers Denkens mit den Objekten gelegen ist 4 * (6). Diese Über¬ 
einstimmung ist aber nur auf dem Wege einer fortschreitenden Anpassung zu 
erreichen, weshalb die Vervollkommnung des Denkens das oberste Ziel einer 
politischen Gemeinschaft sein sollte, auch die ethischen Begriffe und Handlungen 
werden dann immer mehr der Wirklichkeit angepaßt sein. Nach Erörterung 
des Begriffes Kultur wird die Frage aufgeworfen, ob der Krieg unvermeidlich ist 
und welche Bedeutung ihm für die Kultur zukommt. Prinzipiell sind Kriege 
nicht unvermeidlich, sie sind die direkte Form des Kampfes ums Dasein, aber 
in ihrer Bedeutung für die Förderung der Kultur der indirekten — der fried¬ 
lichen Konkurrenz der Individuen — bei weitem unterlegen, denn durch sie 
wird sowohl die Gesamtheit der inneren, wio die der äußeren Kulturwerte ver¬ 
ringert. Das einzige Rezept zur Vermeidung des Krieges ist die intensive und 
extensive Hebung des kritisch-experimentellen Denkens und eines widerspruchslos 
daran angepaßten Handelns (27). dann wird nämlich auch ein politisches System 
imstande sein, einzusehen, daß der Krieg ein durchaus untaugliches Mittel ist* 
den Konkurrenzkampf mit 'anderen aufzunehmen, wie es England in diesem 
Weltkriege versucht hat, daß ferner ein Weltreich mit Unterdrückung der 


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Einzelbesprechungen 


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nationalen Selbständigkeit — ebenfalls Englands Ziel — ein biologischer Wider¬ 
spruch ist, daß vielmehr ein solches Weltreich — ein Kulturorganismus dritter 
Ordnung — nur das Produkt einer sehr allmählichen organischen Entwicklung 
ist* zu der erst die Anfänge vorliegen. Auch in der inneren Politik zeige Eng¬ 
land Fehler im Denken. 

Bonn. Oskar Kutznor. 

Dr. Heinrich Schmidt, Geschichte der Entwicklungslehre. Leipzig 1918. Kroner. 
549 S. 12 M. 

Durch die Hand seines Schülers und Freundes, des Verwalters im Haeckelarchiv der 
Universität Jena, verwirklicht sich in diesem Werke eine Sehnsucht Ernst Haeckels: der Ver¬ 
such einer geschichtlichen Darstellung von dem Eindringen des Entwicklungsgedankens in alle 
Oebiete des menschlichen Denkens — eine Aufgabe, die angesichts des zu verarbeitenden 
ungeheuren Materials die Kraft des einzelnen Forschers wohl zu übersteigen scheint. So kann 
nur in gedrängter Darstellung eine Übersicht erwartet werden, zumal sehr wichtige Teilgebiete 
vorerst noch der erforderlichen monographischen Behandlung harren. Den Ausgang nimmt das 
Werk von der Schöpfungslehre. Es verfolgt dann, beginnend mit - altindischen Lehren, den Ent¬ 
wicklungsgedanken im philosophischen Denken und im besonderen die Herausarbeitung des Ent¬ 
wicklungsbegriffes. Damit ist der Boden bereitet, die Gebiete der Kosmologie, der Chemie, 
Geologie, Biologie und Anthropologie zu betreten. Es ist aus der Sache heraus verständlich, 
wenn dabei die biologischen Teilgebiete und Sonderfragen eine gründlichere Darstellung er¬ 
fahren haben. Psychologie und Pädagogik, für die der Entwicklungsgedanke von ganz ent¬ 
scheidender Bedeutung geworden ist, werden beide nicht behandelt; doch rückt das Vorwort 
weitere Bände in Sicht, in denen sie zu ihrem Rechte kommen sollen. • 

Wir sind zu unserem Bedauern aus äußeren Gründen gezwungen, uns nur mit dieser 
kurzen Anzeige des bedeutsamen Werkes begnügen zu müssen. Es mag aber eine ausführ¬ 
lichere Würdigung günstigeren Zeiten noch Vorbehalten sein. 

Leipzig. Rieh. Tränkmann. 

Deutsche Psychologie, herausgegeben von Fritz Glese. Verlag Wendt & Klauweil» 
Langensalza 1916—18: 1. Band. / 

Die stattliche Reihe fachpsychologischer Zeitschriften, die wir besaßen, hat im Laufe der 
Kriegsjahre eine bedeutende Verringerung erfahren und die noch erscheinenden Fachschriften 
sind an Umfang sehr schmächtig geworden. Das ist kein guter Stand für eine Wissenschaft 
die mehr als Je vom praktischen Leben in Anspruch genommen wird und auf einmal Dienste 
leisten soll, die sich im Frieden niemand im Traume zu erhoffen wagte. Um so freudiger muß 
man den nicht beengten Unternehmungsgeist des neuen Verlegers und Herausgebers der 
«Deutschen Psychologie 41 begrüßen. Es möge der Titel der Zeitschrift, die sich der reinen und 
angewandten Seelenkunde dienstbar macht, ein gutes Zeichen für die weitschichtige Entfaltung 
der im Kriege recht beträchtlich gewachsenen deutschen Psychologie sein. 

Der stattliche 1. Band, der abgeschlossen vorliegt, bringt eine Anzahl großer und wertvoller 
Arbeiten, die infolge ihrer gründlichen Durchführung größtenteils auch weitere Kreise inter¬ 
essieren werden. Insbesondere werden Pädagogen, Ärzte, Juristen nicht daran Vorbeigehen 
dürfen. Die gründliche Berichterstattung über Neuerscheinungen ist uns besonders lieb ge¬ 
worden, und die neue Art der Bibliographie zu den Hauptarbeiten erscheint sehr praktisch, 
insofern der Leser nicht durch die tausenderlei Anmerkungen gestört und der Forscher dort 
auf die ihn interessierenden Grundlagen der behandelten Probleme aufmerksam gemacht wird. 

Die psychobiologischen Grenzgebiete fanden durch eine Abhandlung Austens Berück¬ 
sichtigung „Über die Beeinflußung der arteigenen Entwicklung durch die Nervendrüsen und durch 
das Nervensystem 44 (S. 193ff.). Kretzschmar legt die Beziehungen zwischen «Psychologie 
der Kulturgeschichte und Völkerpsychologie 44 kritisch auseinander (S. 30 ff.). Die durchaus 
bündigen Anschauungen eines Ludwig Klages finden eine glänzende Zusammenfassung in 
seiner Arbeit über «Geist und Seele 44 und erläutern die Eindringung in das nicht leichte System 
des rasch namhaft gewordenen Charakterologen (S. 281, 361). Willi Neff bringt einen experi¬ 
mentellen Beitrag «zur Psychologie des unmittelbaren Behaltens und des Wiedererzählens 44 
(S. 109); Elso Voigtländer „über einen bestimmten Sinn des Wortes „unbewußt* 4 (S. 63). 
Die psychologisch-ästhetische Seite der Psychologie-Forschung ist durch Müller-Freienfels* 
Studie „zur Psychologie des Komischen 44 vertreten (S. 20, 145). Insbesondere widmet sich die 
Zeitschrift den okkulten Grenzfragen, worüber auch ln der Bibliographie Berichte gegeben sind. 


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Einzel besprech ungen 


Die „Kriegsfrömmigkeit“ analysiert A. Messer (S. 201). K. Jagow bringt interessante Auf¬ 
zeichnungen über „Fische im Aberglauben früherer Zeiten“ (S. 50). Mela Escherich stellt 
„das Visionenwesen in den mittelalterlichen Frauenklöstern“ dar (S. 163). Und schließlich muß 
der umfangreichen Studie des Erforschers der emotionalen Ichwelt und des Religionspsychologen 
K. Oesterreich über „den Besessenheitszustand, seine Natur und seine religions- und voiks- 
psychologische Bedeutung“ (S. 1, 123, 214, 441, 481) gedacht werden. Der experimental- 
pädagogische Reichtum des 1. Bandes ist in drei umfangreichen Untersuchungen begründet 
M. Kesselring bringt seine längst erwarteten Untersuchungen über „die Stellung der Schüler 
zu den Unterrichtsgegenständen“ (S. 313, 416), Frau Hösch-Ernst einen „Beitrag zur Psycho¬ 
logie der Schulkinder beim Betrachten von Bildern“ (S. 233) und J. Schrenk eine Unter¬ 
suchung über „die kategoriale Beschaffenheit der Schüleraussagen“ (S. 397). 

So ist aus dem Unternehmen eine vielseitige Beachtung des weiten Feldes ersichtlich, wie 
sie dem Fachpsychologen und insbesondere dem Praktiker und gebildeten Laien kaum besser 
in der Zeit der Papiernot geboten werden kann. Iu unseren periodischen Sammelberichten 
werden wir auf die pädagogisch wichtigen Arbeiten noch zurückkommen. 

Marktsteft i. B. W. J Ruttmann. 

Neudrucke zur Psychologie, herausgegeben von Fritz Giese. Verlag von Wendt & Klauwell. 
Langensalza 1917/18. 

1. Band: W. v. Humboldt, Ober den Geschlechtsunterschied. Ober die männliche und weib¬ 
liche Form. 

2. Band: Materialien zur Blindenpsychologie. Zusammengestellt und bearbeitet von Dr. Ferdi¬ 
nand v. Gerhardt. 

3. Band: Der Krieg und die komplementäre Kulturpsychologie. 

1. Heft: K. Wittig, Die ethisch minderwertigen Jugendlichen und der Krieg. 

Wie die „Deutsche Psychologie“, so wenden sich auch die im gleichen Verlage heraus¬ 
gegebenen „Neudrucke“ an Fachgelehrte und gebildete Laien zur Vertiefung des psychologischen 
Wissens. Die in neuerer Zeit eifrig gepflegte Sexualpsychologie, die bekanntlich O. Lipmann 
im ersten die jugendliche Seite zusammenfassenden Beitrag in seinen „Psychischen Geschlechts- 
untersebieden“ geliefert hat (Lpzg. 1907), findet eine eingehende historische Begründung in den 
verstreuten Einsichten W. v. Humboldts. Die bis in jüngste Zeit so vernachlässigte Psycho¬ 
logie des Minderwertigen wird durch den Sapimelband v. Gerhardts weitschichtig angeregt, 
sofern auf Probleme hingewiesen wird, die im allgemeinen (identisch dem Versuche Bürklens) 
nur durch die Blinden selbst aufgeklärt werden können. Die nicht weniger zeitgemäßen Be¬ 
richte und Urkunden des Strafanstaltslehrers Wittig geben einen wichtigen Eindruck von der 
Gefahr der Verwahrlosung in der Kriegszeit und tragen bereits zahlreiche pädagogische Keime, 
die der Praktiker hegen und entwickeln muß. Die Fortsetzung der komplementären Kultur- 
psychologie mit Bezug auf den Krieg wird die Zeitfragen des höheren und niederen Seelen¬ 
lebens in vielseitiger Weise zu erörtern suchen. Das Arbeitsziel Gieses und seiner Mitarbeiter 
darf als ein sehr wertvoller Beitrag zum Verständnis der dem Kulturmenschen von ehedem so 
unnatürlich scheinenden Ereignisse und Erscheinungen betrachtet werden. Die Beseitigung von 
ehemals unterbewußten und nunmehr sich aufdrängenden Schäden am Volkskörper kann durch 
wissenschaftliche Bloßlegung der Zusammenhänge nur gefördert werden. 

Marktsteft i. B. W. J. Ruttmann. 

Max Dessoir und Paul Menzer, Professoren der Philosophie an den Universitäten zu Berlin, 
und Halle, Philosophisches Lesebuch. 4. Aufl. Stuttgart 1917. a Enke. 321 S. 6,00 M. 

Das philosophische Lesebuch von Dessoir und Menzer, erstmals 1903 erschienen und in den 
folgenden Auflagen mannigfach verbessert und vor allem bereichert, will didaktischen Zwecken 
dienen, sowohl dort, wo mit ernstem Willen auf eigenem Wege der Zugang zu den großen 
Denkern gesucht wird, als auch in der geordneten Unterweisung auf den Universitäten, in 
der es mehr oder minder einer Ergänzung zu den Vorlesungen bedarf, die den Studenten an 
die philosophischen Klassiker führt. Auch an die philosophische Propädeutik in den höheren 
Schulen, was wir unterstreichen möchten, ist gedacht. Es heißt darüber bemerkenswert im 
Vorwort: „Wie die Dinge sich jetzt gestaltet haben, werden Elemente der Philosophie den 
Schülern der obersten Klassen zum Ersatz für andere, ihnen verlorene Bildungsbestandteile dar¬ 
geboten werden müssen; im Grunde kann nur fraglich sein, ob eine historische oder syste¬ 
matische Unterweisung vorzuziehen ist. Mit Hilfe dieses Werkcbens kann beides miteinander 
verbunden und das Selbstdenken des Jünglings, das hitzig zur Weltanschauung emporstrebt, auf 
die bestimmten Probleme hingeleitet werden. Selber denken lernt man am besten an einem 


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Einzelbesprechungen 


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Stoffe, der durch und durch Gedanke ist, und dieser Stof! kann nicht anders als durch Eigen¬ 
tätigkeit wahrhaft aufgenommen werden/ 4 

Auf solchen Zweck hin haben die Herausgeber 23 Philosophen der Vergangenheit, zeitlich 
geordnet, das Wort gegeben. Vielleicht fügt eine neue Auflage zu ihnen noch Lipps und Wundt. 
Die Auswahl der Texte ist teils nach geschichtlicher und sachlicher Wichtigkeit, teils nach 
schöner Darstellung und der kennzeichnenden Kraft geschehen. Vornehmlich sind neben er* 
kenntnisiheoretischen Grundfragen die allgemeinen Denkprobleme berücksichtigt; unter den 
fehlenden Gebieten dürfte die Psychologie besonders ungern vermißt werden. Wenn vor größerer 
Schwierigkeit nicht ausgewichen ist, so wird dies damit gerechtfertigt, daß eben Vertiefung in 
philosophische Texte eine ernste, kraftfordernde Angelegenheit sei und daß ein Lesebuch, das mit 
der Einstellung auf geistige Erholung diesen Sachverhalt verdeckt, nur schaden dürfte. Immerhin 
würde sich — besonders für die Verwendung im Schulunterrichte —, ohne die Höhenlage des 
Ganzen herabzudrückeo, die Auswechselung einiger besonders schwieriger Abschnitte empfehlen. 
Eine gewiß angebrachte Handführung ist übrigens durch nicht zu sparsam angefügte Erläute¬ 
rungen gegeben. Diese selbst aber rechnen auch schon mit einem nicht geringen Grade philo¬ 
sophischer Schulung; sie wollen wohl aber auch zumeist weniger Verständnishilfen geben, als 
vielmehr das Denken zu weiterem Ausgreifen ermuntern und anleiten. Die kleine Äußerlichkeit 
eines Verweises inmitten des Textes auf die jeweils betreffende Erläuterung würde den prak¬ 
tischen Gebrauch fördern, auf den sonst die äußere Form des Buches in jeder Weise, so durch 
Zeilenzählung, durch gelegentliche freie Einfügung von Überschriften, durch Übersetzung der 
fremdsprachigen Texte, durch Anwendung der jetzt geltenden Rechtschreibung und Zeichen¬ 
setzung vorsorglich Bedacht genommen hat. 

Im Lehrerinnenseminar haben wir in Ermangelung eines Lehrbuches, das sich auf die dort 
in Verbindung mit der Psychologie und Pädagogik* zu betreibende philosophische Propädeutik 
einstellt, versuchsweise das Dessoir-Menzersche Lesebuch in einzelnen Teilen benützt und 
schätzen gelernt Wir brauchen dort dringend ein eigens für die besonderen Zwecke der 
heute so bedeutend wissenschaftlich vertieften Lehrerbildung eingerichtetes Buch, das die 
Schwierigkeit etwas mindert und inhaltlich noch anders aus wählt. 

Leipzig. Otto Scheibner. 

W. Haas, Die Seele des Orients. Grundzüge einer Psychologie des orientalischen Menschen, 
Jena 1916. E. Diederichs. 46 S. 1,00 M. 

Eine derartig anerkennende Beurteilung der Studie zuteil werden zu lassen, wie es im 
Theol. Lit.-Ber. 1916, 11. Heft, S. 272 Simon-Barmen vermochte, ist mir leider versagt Das 
Buch ist im wesentlichen reinste konstruktive Psychologie, die mit der Wirklichkeit oft in 
härtestem Widerspruch steht Wenn man die Definition des okzidentalen Menschen-Typus, wie 
ihn der Verf. annimmt, nämlich als stetig apperzipierendes, die Mannigfaltigkeit der Eindrücke 
vereinheitlichendes Ich, in sein logisches Gegenteil verkehrt, ergibt sich der orientalische 
Menschentyp, wie ihn der Verf. schildert, so daß man den Eindruck gewinnt, der Verf. hat 
zum abendländischen Menschen das Gegenteil entwerfen wollen. Ein völlig vager, abstrakter 
Begriff des Orientalischen liegt so dem Buch zugrunde, das in der Wirklichkeit nicht von ferne 
eine derartige persönliche Vereinheitlichung zuläßt. Wie soll man in einem buddhistischen 
Mönch ein Beispiel für das orientalische Nebeneinander der seelischen Inhalte sehen können? 
Wie würde «wohl der Verf. die Polarvölker oder die amerikanischen Völker psychologisch ein- 
ordnen, da es doch eigentlich andere Menschheitstypen neben den beiden Haas'schen, wenn 
man sie akzeptiert, kaum geben dürfte? 

Insofern man aber von den Begriffen des Orients und Okzidents absieht, könnte man in 
des Verf.s Skizze die Ansätze zu einer allgemeinen Kulturpsychologie finden, insofern sich 
offenbar in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit eine immer größer werdende Intensität 
des seelischen Lebens nach Inhalt und Umfang herausgebildet hat. Diese größere Intensität des 
seelischen Lebens würde man mit der Terminologie des Verf. als die (okzidentalische) ver¬ 
einheitlichende Kraft des Ich bezeichnen können, während das Primitive die seelischen Inhalte 
mehr oder minder „unverknüpft“ nebeneinander zeigt Fernerhin finden sich neben vielen 
übertriebenen Sätzen auch manche brauchbare Bemerkungen, besonders über die indischen 
Religionsformen, die aber durchaus nicht neu sind. Trotz aller behaupteten einheitlichen Kon¬ 
zeption des seelischen Typus des orientalischen Menschen kann ich aber das Gefühl nicht los 
werden, daß dem Verf. bei den verschiedenen Abschnitten seines Buches verschiedene orien¬ 
talische Typen, allerdings recht anschaulich, vor Augen gestanden hätten; so z. B. bei der Schil¬ 
derung der verhaltenen Rache eben ein chinesischer Kuli, oder bei der Schilderung der orien- 


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Einzelbesprechungen 


tauschen Wörde ein Beduine, oder bei der Schilderung der Monotonie des Lebens ein 
Jogin oder ein buddhistischer Asket 

Leipzig. Rndolf Lehnuma. 

Max Verworn, Zar Psychologie der primitiven Kunst. Ein Vortrag mit SS 
bildungen im Text. Zweite Aull. Jena 1917. Gustav Fischer. 48 S. 1,00 
Max Verworn meint in seiner Schrift, daß die physioplastische Kunst d. h. die na 
Darstellungaweise der alten Mammut- und Bisonjäger der Renntierzeit wie diese an den 
röhmten nordspanischen und südfranzösischen Fundstellen, den Höhlen von Altamira, La 
Mouthe usw., zu beobachten ist, der historische Anfang der Kunst überhaupt seL 
zeption verkehrter Vorstellungen, wie der Seelenidee und der darauf beruhenden Spaltnqg 
menschlichen Wesens in Leib und Seele, hätten diese schöne und reine naturwahre KfmeT“ 
mehr und mehr zur ideoplastischen entstellt, so daß Schöpfungen einer zügellosen, b ttii ra s, 
auf Schritt und Tritt von Geisterfurcht erfüllten Phantasie schließlich daraus gefolgt wären, dis 
von der Natur sich völlig entfernt hätten. An den ideoplastischen Zeichnungen der Kinder wie 
fast aller heutigen Naturvölker, mit Ausnahme der Buschmänner Südafrikas, könne man dies* 
traurige Entwicklung, die nun zum Erbfehler der Menschen geworden ist, noch unmittelbar 
konstatieren. 

Dieser „entwicklungsgeschichtliche“ Versuch des als Physiologen berühmten Verfeinere 
ist eine weder psychologisch noch historisch haltbare Konstruktion. Erstens ist die Frage, ob 
die Kunst der einstigen Höhlenbewohner Südfrankreichs und Nordspaniens der Diluvialzeit Über¬ 
haupt als Anfang einer kulturgeschichtlichen Entwicklung angesehen werden darf, oder nicht 
viel mehr als der Abschluß einer vorausgehenden, unserer Kenntnis bis jetzt entzogenen Ent¬ 
wicklung. Damit wird das wichtigste historische Argument Verwoms völlig schwankend* 
Zweitens vergißt V. ganz und gar, daß das Zeichnen eine Kunst ist, die trotz aller angeborene« 
Fähigkeiten dazu erlernt bzw. geübt sein will. Nach V. müßte der Mensch als vollkommener 
Physioplastiker geboren werden, und je älter er wird und je mehr er Vorstellungen und Ge¬ 
danken bildet, um so mehr setzt er sich dann der Gefahr aus, der er auch wie V. im aä- 
gemeinen unterliegt, zum ideoplastischen, naturwidrigen Darsteller zu werden! Hier zeigt sieb 
die eigentümliche philosophische Auffassung des V. vom Seelenleben ebenso deutlich wie in 
dem Versuch, das Geheimnis des künstlerischen Schaffens durch Anatomie der Gehirn verginge 
zu löaen, wie er es S. 15 f. seiner Schrift unternimmt« 

Leipzig. Rudolf Lehmann. 

Paul Dubois, Professor an der Universität Genf, Ober den Einfluß des Geistes amt, 
den Körper. 7. Aufl. Bern 1918. A. Francke. 108 S. 1,80 M. 

Jeglicher Erörterung metaphysischer, psychologischer und physiologischer Fragen warn 
weichend, geht die Schrift auf die praktische Forderung einer geistigen Hygiene aus. Sie belg^' 
mit anschaulichen Beispielen — teils dem Alltag, teils der ärztlichen Praxis entnommen - 
bekannte Tatsache, daß sich viel körperliches und seelisches Mißbehagen von suggestiver Be¬ 
einflussung herleitet und daß ein fester und starker Wille zu leibgeistiger Gesundheit manchem 
inneren und äußeren Obel vorbeugt oder es verscheucht ln solcher Einstellung entpuppt sieb 
die Schrift schließlich entgegen den Vermutungen, die ihr Titel aulkommen lassen muß, als dg 
pädagogischer Vortrag in volkstümlicher Form. Verkündet sie in der Forderung einer auf das 
Gesunde, Frische, Herzhafte, Frohe zielenden Selbsterziehung auch keine neue Weisheit, so 
doch eine solche, die in der Stimmungslage unserer Zeit nicht oft genug gepredigt werden 
Leipzig. Otto Scheibnee, 

Prof. Dr. R. Zander, Vom Nervensystem, seinem Bau und seiner Bedeutung t 
Leib und Seele im gesunden und kranken Zustande. (Natur u. Geisteswelt Nr 
8. Aufl. Mit 27 Abb. Leipzig 1918. Teubner. 134 S. 1,50 M. 

Der Ausgang vom tierischen Nervensystem, die Ausmündung in gesundheitliche Ab¬ 
weisungen, die Einbeziehung psychologischer Gebiete, die Berücksichtigung von Nervenkranke 
beiten, ferner die fast überreiche Angabe von Quellenliteratur sind Vorzüge dieses Bändchens^ 
die es vor anderen volkstümlichen Darstellungen des wichtigen Gegenstandes nicht zurtftakf': 
treten lassen. Die bildliche Ausstattung macht nicht die üblichen Anleihen aus anderen Wackmfei 
ist aber unseres Erachtens zu spärlich. Tfr * 


Druck von J. B. Hirschfeld (A. Pries) in Leipzig. 


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