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Zeitschrift
für
franzôsische Sprache und Litteratur
unter besonderer Mitwirkung ihrer Begründer
Dr. 6. Kerting ma Dr. E. Koschwitz
Professor a.d. Universität z. Kiel Professor a.d. Universitätz.Greifswald
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens,
Professor an der Univepität zu Giessen.
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PUN NOIR ON RO TR CNN
Band XVII.
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Berlin.
Verlag von Wilhelm Gronau.
1895.
Zeitschrift
für
franzôsische Sprache und Litteratur
unter besonderer Mitwirkung ihrer Begründer
Dr. 6. Kerting na Dr. E. Koschwitz
Professor a.d. Universität z. Kiel Professor a.d. Universität z.Greifswald
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XVII.
Erste Hälfte: Abhandlungen.
Berlin.
Verlag von Wilhelm Gronau.
1895.
Zeitschrift
für
franzüsische Sprache und Litteratur
unter besonderer Mitwirkung ihrer Begründer
Dr. 6. Kerting una Dr. E. Koschwitz
Professor a.d. Universität z. Kiel Professor a.d. Universität z.Greifswald
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XVII.
Erste Hälfte: Abhandlungen.
Berlin.
Verlag von Wilhelm Gronau.
1895.
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INHALT.
ABHANDLUNGEN. Seite
Behrens. D. Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. . . . . 129
Foerster, W. Friedrich Diez. . . . . 237
Freymond, E. Beiträge zur Kenntnis der altfranzösischen Artus-
romane in Prosa. . . 1
Koerting, G. Die Entwickelung des Suffxes - -arius im ‘Fran-
zösischen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188
= FRE ——
Beiträge zur Kenntnis
der altfranzösischen Artusromane in Prosa.
Die cyklische Tendenz, die für die altfranzösische Nationalepik
charakteristisch ist, kommt auch, wenngleich nicht in so ausgedehntem
Masse wie dort, in altfranzösischen Texten zur Geltung, die zum
höfischen Sagenkreise der matière de Bretagne gehören, freilich
weniger in den allgemein bekannteren Artus- und Gralsepen als in
den zur Artus- und Gralsage gehörenden Prosaromanen. Die Cyklen-
bildung wurde hier in erster Linie dadurch veranlasst, dass zwei
Sagenkreise verknüpft wurden, die ursprünglich nichts mit einander
zu thun hatten. — Schon Robert von Boron hatte einen Gedichts-
cyklus geplant; wie weit er denselben ausgeführt hat, lässt sich nicht
mit Bestimmtheit sagen. Bekanntlich ist uns nur der ganze erste
Teil dieses Cyklus, der Joseph von Arimathia, ferner der Anfang
des zweiten Teiles Merlin im Original erhalten, dagegen besitzen
wir vullständige Prosabearbeitungen dieser beiden Teile und in der
Didot'schen Handschrift folgt auf diese beiden Teile ein Perceval-
roman in Prosa, der trotz mannigfacher Bedenken allgemein für die
Bearbeitung eines verlorenen dritten Teiles des Gedichtscyklus Robert’s
anzesehen wurde, bis Nutt,!) namentlich aber Heinzel?) gewichtige
Kriterien gegen diese Auffassung vorbrachten. Mag dem nun sein,
wie es will, das Manuskript Didot enthält den Cyklus Joseph
von Arimathia, Merlin, Perceval. Ein anderer Cyklus wird durch
den leider nicht vollständigen codex Huth repräsentiert. Derselbe
umfasst die beiden ersten Teile des auch im Manuskript Didot ent-
haltenen Cyklus, d. h. den Joseph von Arimathia und den Merlin;
anstatt des Perceval aber findet sich darin eine nur in dieser Hand-
1) A. Nutt. Studies on the legend of the Holy Grau. London 1888.
Ss. 89T. 94.
?, R. Heinzel. Über die französischen Gralromane. Denkschriften
d. kaia. Akad. d. Wiss. in Wien. Philos.-histor. Kl. Bd. XL. Wien 1891.
S 118ff. Vor Nutt und Heinzel hatte schon Martin darauf aufmerksam
gemacht, dass es nicht entfernt wahrscheinlich, geschweige denn erwiesen
sei. dass dieser Prosa-Perceval direkt oder indirekt auf Robert von Boron
zurückgehe; s. A. f. d. A. u. d. L. V. 1879. S. 86f.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII: 1
Beiträge zur Kenntnis der allfransôs. Artusromane in Prosa. 3
sprochen worden sind,!) noch will ich mich darüber äussern, dass
diese Romankette keine ununterbrochene ist, bezw. dass wahr-
scheinlich weitere Glieder derselben verloren gegangen sind,?) sondern
ich möchte zunächst in diesem ersten Beitrag eine Inhaltsangabe
jener bisher wenig bekannten Version des Livre d’Artus mitteilen,
mit welcher ich mich bereits in einem Aufsatz in Gröber’s Zeitschrift
beschäftigt habe.?) Der Analyse schicke ich einige allgemeinere
Bemerkungen über die beiden Versionen des Livre d’Artus voraus, in
denen ich unter anderem zu zeigen versuche, dass der Zusammenhang
zwischen den ZLais bretons und den Erzählungen von Artus und
seinem Hof kein so loser ist, wie wiederholt behauptet worden ist.
Abgesehen von P. Paris, der den Inhalt der in mehreren
Handschriften und in Incunabeln erhaltenen Version, also den Inhalt
der Vulgatat) des Livre d’Artus wiedergegeben hat,°) hat sich in
neuerer Zeit kurz über diesen Roman geäussert G. Paris (Merlin,
Bd. L S. XXLHIf.). Nach G. Paris sollte der Livre d’ Artus die Lücke
ausfüllen, die sich zwischen den Gliedern Merlin uud Lancelot ein-
stellen musste, als der Lancelot und seine Fortsetzungen an die
Stelle des Perceval traten; es handelte sich darum, die weiteren
Schicksale Merlin’s und die Geschichte des Artus darzustellen, die
letztere bis zu dem Punkte fortzuführen, wo der Lancelot beginnt,
wo Lancelot’s Jugendgeschichte, sein Erscheinen an Artus’ Hofe etc.
geschildert wird. Der unbekannte Verfasser, der sich dieser Aufgabe
im Livre d’Artus entledigte, habe — so meint G. Paris mit Recht —
für sein Werk bestimmte Hinweisungen im Prosa-Lancelot verwertet
und weiter ausgeführt, er habe ferner die Historia regum Britanniae
des Gottfried von Monmouth, den Perceval Robert’s von Boron be-
nützt und endlich einzelne Episoden verschiedenen Quellen ent-
noımmen, die G. Paris leider nicht näher angiebt.
Während G. Paris schon mit diesen Worten dem Livre d’ Artus
eine hervortretendere Originalität abspricht, will Foerster demselben
eine für die Bearbeitungen der Artussage erhebliche Bedeutung bei-
messen. In seiner Kritik) von G. Paris’ Geschichte der alttranzö-
sischen Litteratur, desgleichen in der Einleitung seiner Zrecausgabe’”)
1) s. P. Paris. Komans V352fl., ferner G. Paris in der Einleitung
der Merlin-Ausgabe und in seinem allen Romanisten unentbehrlichen Buche
La littérature française au moyen-äge. 2e édit. Paris 189%. 3. 98f.
3, s. G. Paris Merlin, Bd. I, Ss. XXII. P. Paris I. c. II. 2%6f.
3, Bd. XVI. 90—127.
°; Diesen von G. Paris { Merlin, Bd. I. S. XXV) vorgeschlagenen
Terminus behalte ich bei.
5) Romans. 11, 101f.
6) Literaturblatt f. germ. u. rom. Philol. 1890. c. 268f.
5. Christian v. Troyes sämtliche Werke. III. Erec und Enide. Halle
18:0. XXXVllf.
1*
Beiträge zur Kenninis der alifranzôs. Artusromane in Prosa. 5
So weit Foerster; seine interessanten, mitunter m. E. zu
extremen aber stets anregenden Auseinandersetzungen werden in
einigen Punkten modifiziert werden müssen;!) immerhin bin auch
ich davon überzeugt, dass in diesen Prosaromanen, wenigstens im
Livre d’ Artus und in der Mort d’Artus, älteres Sagengut ver-
borgen steckt neben vielen relativ jüngeren Elementen, die zum
Teil auf die Artusgedichte zurückgehen oder aus denselben Quellen
berstammen, aus denen die Artusdichter schöpften.
Bevor ich die Richtigkeit dieser Hypothese durch ein oder
zwei Beispiele zu stützen versuche, wenden wir uns zunächst noch-
mals speziell dem Livre d’Artus zu.
Dieser Prosaroman zerfällt in zwei Teile, von denen der erste
allen Handschriften und Incunabeldrucken gemeinsam zu sein scheint.
Auch die noch dem XIII. Jahrh. angehörende Handschrift Bibl. Nat.
f. f. 337, die ich im folgenden mit P bezeichne, hat diesen
ersten Teil, wenn auch mit im grossen und ganzen nicht erheb-
lichen Änderungen und Erweiterungen. Nahezu zwei Fünftel der
übrigens nicht vollständig erhaltenen, durch P repräsentierten
Version sind nichts anderes als eine Überarbeitung des ersten Teils
des Livre d'Artus. Die Übereinstimmung mit der Vulgaia reicht in
P bis zu f 115 r°, d. h. bis zu dem Punkte, wo Lot und seine
Söhne zu den Artus nicht anerkennenden Baronen gesandt werden,
um dieselben zur Versöhnung mit Artus zu veranlassen;?) von diesem
Punkte an weichen die beiden Versionen völlig von einander ab. —
Was nun zunächst den ersten Teil des Livre d’Artus be-
trifft, so glaube ich, von P ausgehend, schliessen zu dürfen, dass
dem Vertasser desselben fast alle Glieder der grossen Prosaroman-
kette (teilweise vielleicht schon in einer Kompilation) bekannt
waren; jedenfalls habe ich in meiner vorhin bereits genannten Ab-
handlung?) zu zeigen gesucht, dass der Verf. von P folgende Glieder
gekannt hat: einen Merlin- vermutlich denjenigen Robert's v. Boron
oder die Prosabearbeitung desselben, einen Prosa-Lancelot, eine Queste,
die Mort d’Artus. Es ist schlechterdings unmöglich anzunehmen,
dass der Verf. von Teil I der Vulgata zugleich der Verfasser der
ganzen genannten Romankette sei; denn schon für die einzelnen
eben angeführten Glieder dieser Kette haben wir sicherlich gar ver-
schiedene Verfasser anzunehmen. \Will man ihm aber die Rolle
eines Kompilators zusprechen, so ist darauf hinzuweisen, dass er ein
!, Ausführlicher habe ich mich über Foerster's und Zimmer's Aus-
einandersetzungen in meinem Beitrag zu Vollmöller's Jahresbericht aus-
gesprochen.
3) vgl. P. Paris, Romans. II, 271.
3) Zs. f. r. Ph. XVI, 96f.
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 7
grossen Entscheidungsschlacht die Rede ist; er wird vermutlich aus
diesem Grunde diesen Punkt fortgelassen haben und dadurch von
seiner Vorlage abgewichen sein. Im übrigen finden sich in den oben-
genannten Episoden so viele nahezu wörtliche Übereinstimmungen,!)
dass meiner Überzeugung nach eine direkte Verwandtschaft nicht
geleugnet werden kann.
Schon im zweiten Teil der Vulgata tritt im Vergleich zum
ersten Teil das historische oder historisch sein sollende Element
— die Kämpfe gegen die Sachsen und gegen Brittenkönige, die
Artus nicht anerkennen wollen — etwas in den Hintergrund, um
dem Abenteuerlichen mehr Raum zu lassen. In noch weit höherem
Masse ist das im zweiten Teil von P der Fall; dieser zweite
Teil von P ist inerster Linie ein Abentenerroman. Viele der
darin enthaltenen Abenteuer sind als schablonenhaft zu bezeichnen;
sie sind mit geringen Medifikationen in Artusgedichten häufig anzu-
treffen, gehen ganz vereinzelt auf Crestien de Troyes zurück, der darum
nicht der Erfinder derselben zu sein braucht, oder sie sind durch
den Prosa - Lancelot und seine Fortsetzungen veranlasst. Anderer-
seits finden sich neben solchen bekannten und verbreiteten Abenteuern
andere interessante, die m. W. nur in dieser Version P vorkommen.
Diese ausschliesslich in P vorkommenden Abenteuer werden nur
ausnahmsweis als Erfindungen des unbekannten Verfassers von P zu
betrachten sein. Er ist es jedenfalls nicht gewesen, der die echt
mittelalterliche Variante der Medusensage, das Abenteuer der Laide
Semblance,?) mit dem Artuskreise in Verbindung brachte. Diese
Verknüpfung war, wie sich aus dem folgenden Passus ergiebt, schon
dem Verfasser des ersten Teils des Livre d’ Artus bekannt; ja, wenn
wir dem Wortlaut der Stelle Glauben schenken wollen, handelt es
sich um eineSage, die von altenLeuten mündlich verbreitet
wurde. Die betreffende Stelle findet sich in der Schilderung der
Schlacht bei Neblaise, in welcher Artus wiederholt dem König Rion
kämpfend gegenübersteht. Rion stellt sich Artus mit folgenden
Worten vor: er sei [P f0 65 d] Rions dirlande la grant qui tient toute
la terre iusqua la terre des pastures. ct oltre fust ele moie encores se
len i poist passer. mais nus ni passera iamais tant que la laide sem-
blance sera ostee du flun que iudas machabeus i gita. et ce fu unes
de ses bornes [Hs. bonnes] por mostrer as genz que iusquilec auoit la
terre conquise. et li ancien home dient. que ia si tost la figure
ne sera ostee. que les auentures du roiaume de logres co-
menceront. et si couendra que cil qui lengitera lemport u goufre de
!, man vergleiche P. Paris. Romans. I, 339ff. mit Gottfried
ron Monmouth Buch IX, Kap. 15f.
2) s. dazu die unten folgende Analyse von P $ 121f.
Beiträge zur Kenntnis der altfranzôs. Artusromane in Prosa. 9
P U das Monstrum durch Greu aus dem Fluss entfernt, durch
Merlin aber in den Golf von Satellie versenkt wird. Alle diese
Widersprüche zeigen, dass der Verfasser des ersten Teils eine Version
des Abenteuers kannte, die sicher wenigstens in Einzelheiten von
der in P II enthaltenen Episode verschieden war. Der Verfasser
des ersten Teils des Livre d’Artus giebt über den weiteren Verlauf
des Abenteuers nichts Näheres an, auch nennt er nicht den Helden,
der die hässliche Erscheinung entfernte; es lässt sich also nichts
Bestimmtes darüber sagen, ob gleichwie in P auch in der ihm be-
kannten Version des Abenteuers Greu der Hauptheld desselben war.
Doch sei bemerkt, dass er den m. W. in der Artusepik nicht vor-
kommenden Namen Greu kennt. Unter den 42 Rittern, die sich
im Kampfe Artus’ und Leodegan’s gegen Rion’s Heer besonders aus-
zeichnen, wird auch [P f0 29 r°] ganz kurz angeführt Greu li nies
a la dame de la forest sanz relor;!) nach P II (s. weiter unten die
Analyse $ 128) heiratet Greu, der prädestinierte Held des Abenteuers,
die Nichte der sage dame de la forest auentureuse. Die Möglichkeit
erscheint also nicht ausgeschlossen, dass auch dem Verfasser des
ersten Teils Greu als Held des Medusenabenteuers bekannt war;
aber sicher ist das keineswegs und es lässt sich anderseits ebenso
wenig bestimmt eruieren, ob der Verfasser von P Einiges, beziehungs- _
weise was er in seinem Bericht des Abenteuers hinzugedichtet hat.
Ebenso wie in diesem Falle wird es auch sonst schwer sein,
das genauer zu bestimmen, was als das eigene Gut des Verfassers
von P zu bezeichnen ist. Seine Arbeit war hauptsächlich die eines
Kompilators, der eine ganze Reihe von Quellen verschiedener Art
verwertet zu haben scheint. Ab und zu kommt es ihm nicht darauf
an, längere Stücke aus anderen Werken in seinen Roman aufzu-
nehmen; so scheint er einen Abschnitt aus dem Grand Saint Gral
abgeschrieben zu haben, weiter giebt er eine vollständige Uber-
setzung der Gesta Pilati?) Gar manche der von ihm gebrachten
Abenteuer scheinen, wie man aus meinen Anmerkungen zur Inhalts-
angabe ersehen kann, direkt durch den Prosa-Lancelot inspiriert zu
sein. \Vie aus der oben S. 7 f. zitierten Stelle hervorgelit, behält
unser Verfasser die im ersten Teile sich tindende Berufung auf eine
1, P. Paris giebt folgende Form des Namens an: Grevi, neveu de
la riche dume de la foret sans retour, s. Romans IT, 144f. Anm. Nach
allem zu urteilen, was in P von Greu erzählt wird, galt Greu für einen
der wackersten Ritter an Artus’ Hof. Merkwürdig ist nun. dass dieser
Name Greu in den altfranzösischen Artusgedichten, so weit ich dieselben
kenne, nicht vorkommt. Könnte man ihn vielleicht mit dem in der
ksmrischen Erzählung Kulhwch und Olwen mehrfach genannten Krieger
Arturs Greit, dem Sohne Eris, zusammenbringen? (3. J. Loth, Les
Mabinogion. Paris 1889. Bd. I. 5. 202 u. s. w.)
2) 3. oben S. 6, Anm. 1 und $ 204 der Inhaltsangabe nebst Anm.
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 11
von seiner Königswahl an vorausgehen sollten, während der Zivre
@ Artus doch unmittelbar nach Artus’ Königswahl zu erzählen beginnt.
Ich weiss nicht, ob es je möglich sein wird, die beiden Versionen
des Lirre d’Artus genau zu datieren. G. Paris setzt in seinem
Grundriss der altfranzösischen Litteraturgeschichte S. 251f. die Con-
tinuation de Merlin — worunter er zuvörderst den ersten Teil des
Lirre d’ Artus versteht, um das Jahr 1230, ferner um das Jahr 1250
die letzten Redaktionen der Prosaromane, die von der Tafelrunde
erzählen. Mag dem nun sein wie es will, jedenfalls teile ich die
Überzeugung von G. Paris, dass die erhaltenen oder bisher bekannten
Versionen des Livre d’Artus zu dem Zweck verfasst wurden, um
zwischen Merlin und Prosa-Lancelot das fehlende Mittelglied zu
bilden. Wenn der Livre d’Artus somit als eine relativ junge Kom-
pilation zu bezeichnen ist, so ist daraus allein selbstverständlich
kein Schluss auf das Alter der in diesem Werke verwerteten Stoffe
und Episoden zu ziehen. Der Livre d’Artus enthält vielmehr,
wie das VW. Foerster sehr gut erkannt hat, relativ alte Sagen-
züge, von denen man einige auch schon ohne Heranziehung des
gesamten handschriftlichen Materiales herausfinden kann. —
Ein Zug sei hier als besonders prägnant hervorgehoben, nämlich
die Rolle, welche Kei im Livre d’Artus zugedacht ist. Kei
ist besonders im ersten Teil des Livre d’Artus einer der tüchtigsten
Streiter in Schlachten sowohl wie im Kampfspiel. In der Schlacht
von Bedingan!) führt er das erste Treffen; schon vorher war er auf
Lebenszeit zum maistre confannonier des Reiches und zum Träger
des von Merlin geschaffenen Drachenzeichens ernannt worden. In
dem zu Ehren Ban’s und Bohor’s an Artus’ Hof gegebenen Turnier
zeichnet sich Kei derart aus, dass ihm der erste Preis zuerkannt
wird?) Neben seinem Vater Antor, dem Erzbischof Dubrice, Urfin
und Bretel gehört Kei dem conseil prive Artus’ an, er ist ein Ver-
trauter des Königs. Kurz, es wird ihm eine Rolle zugedacht,
dievon derjenigen inden Artusgedichten sehr verschieden
ist und an diejenige erinnert, welche er in der welschen
Sage gespielt zu haben scheint.?)
1) Pf912r0.
?) In diesem Turnier verteidigt sich Kei wacker gegen mehrere der
gefährlichsten Gegner. bis Giflez ihm zu Hülfe kommt. Diesen Dienst
vergass Kei dem Gefährten nie [f? 8c]: si pense en son coraige que ceste
bonte li uoudra il encore querredoner se il en puet uenir en leu. et ıl si
fist ne demora mie lonc tans. si com li contes le uos deuisera ca auant. et
el autresi lu. et porce sentracompaignerent il li uns de lautre et acointe-
rent premierement et amerent de grant amor toz les iorz de lor uies.
3) vgl. hierzu die interessanten Ausführungen Zimmer’s, Gött. Gel.
Anz. 1890. 5171. 525, 830 und diese Zeitschrift XIII, 27f. Anm.
Beiträge zur Kenninis der altfranzds. Artusromane in Prosa. 13
ce ju de lohout le fil du roi artus que il ocist par enuie en la grant
forest perilleuse. einsi com li contes le uos deuisera ca auant molt
loing. quant la matire mi amerra. Mais tant en dit ore li contes ici
endroit que par perceual le galois en fu il acusez a cort. issi come li
hermites le reconta a la cort qui li auoit ueu ocirre. . ...
Abgesehen von dem an Lohot verübten Verrat wird also Keiens
sonstige Loyalität und seine Tüchtigkeit hervorgehoben; an den beiden
angeführten Stellen wird Kei als einer der tapfersten Ritter hin-
gestellt; es wird auch seiner Schmähsucht gedacht, aber zugleich
versucht, dieselbe zu entschuldigen. — Man kann m. E. daraus er-
sehen, dass sich der Verfasser des Livre d’ Artus bei der Charakteristik
Kei’s in einem gewissen Dilemma befand; seinen Quellen gemäss
musste er Kei als einen der Haupthelden beibehalten; da
er aber zu einer Zeit schrieb, in der Kei’s Charakter in
zahlreichen Artusgedichten wesentlich anders geschildert
worden war, musste er diesem Umstand Rechnung tragen. —
Es sei mir im folgenden noch gestattet, auf eine, wie mir
scheinen will, in verschiedener Beziehung interessante Episode ein-
zugehen.
Im ersten Teil der Vulgata und in P ist wiederholt von
Guiomar oder Guionmar die Rede, der als Verwandter Leodegan’s
und dessen Tochter Guenievre bezeichnet wird. |
Pf058v° hat Guionmarz, ein Jüngling von 15 Jahren, in
Leodegan’s Namen eine Botschaft an Artus, Ban und Bohor auszu-
richten.!) Um Guionmar’s willen, so heisst es, hatten das Königreich
Logres und die Ritter der Tafelrunde viel zu erdulden por le deuoil?)
que guenieure sa cousine li fist des amors morgant la fee suer au roi
artus. qui tant lama de grant amor. por cuj Guenieure fu puis si
meslee a luj. que cele li aleua de si granz blasmes com li contes le
wos deuisera ca auant . ..
Ferner P f°104a: Als nach seiner Hochzeit Artus nach Logres
aufbrach, nahm seine Gattin unter anderen Guionmar, ihren Vetter
Sohn des Artus und der Guenievre, im Livre d’Artus aber Sohn des Artus
und der Lisianor, Tochter des Grafen Senain, Pf? 17d; vgl. P. Paris,
Romans II. 121f.. auch die interessante Anmerkung ibid. Ill, 333f., wo
P. Paris von den Erzählungen in der France bretonnante spricht.
Y, vgl. dazu Romans IL, 187; hier wie auch S. 1%, 243, 250, 2691.
schreibt P. Paris den Namen stets Guiomar. Diese Form wird ihm jeden-
falls vorgelegen haben; mir ist dieselbe Form Guiomar nur vereinzelt in
P !t°187 b]. öfters aber in der Darmstädter Hs. n° 2534 des Livre d’Artus
so f°137a, 137d, 140d, 170) begegnet, die ich leider nur ganz kurze
Zeit benützen konnte und auf welche ich durch die Mitteilungen von
A Schmidt in Gröbers Zeitschrift XIV, 521f. aufmerksam wurde.
7, deuoil, Entdeckung, Enthüllung möchte ich für das deuos der
Handschrift einsetzen.
live tl
Beiträge zur Kenninis der alifranzôs. Artusromane in Prosa. 15
estoient ale. si gitoit son enchantement . . . einen Zauber ohne Gleichen.
un ior se porpensa morganz que ele corroceroit la roine et la table
roonde et feroit tant quelle rauroü son ami Guionmar en sa baillie
tout maugre suen. et sil auoit chevalier nul en la cort que ele amast
ele li toudroit en tel maniere que iamais nu reuerrot. Morgan ging
an dem festen Schloss Escalon le tenebreus vorüber an den Saum des
Forstes Sarpenic, den schönsten Punkt der Umgegend. In dem dort
befindlichen Thale, von welchem aus ein \Veg nach Sorelois, der
andere nach dem Schmerzenturm (dolereuse tor) führte, erbaute
Morgan eine wunderbare Kapelle und verzauberte sie so, dass alle
Ritter und Damen, die in der Liebe gefehlt hätten, einmal hinein-
gekommen, nicht mehr herauskonnten, bis derjenige kommen würde,
der zeitlebens in der Liebe treu gewesen sei u. s. w. Dies Tal
hiess val sanz retor und die Lösung des damit verbundenen Zaubers!)
war erst nach dem Bestehen anderer wunderbarer Abenteuer möglich;
vorher musste nämlich das Abenteuer am Schmerzenturm gelingen,
es mussten die Leichen der beiden Liebenden aus dem Wasser geholt
werden und endlich musste die Dunkelheit, in die das Schloss Escalon
gebannt war, gehoben sein.?)
Alle diese Abenteuer werden im Prosa-Lancelot ausführlich
beschrieben und von den Titelhelden überwunden. Im Prosa-Lancelot
wird auch die Einrichtung des val sans retor besprochen und zwar,
wie P. Paris hervorhebt, etwas anders als in unserm Text?); auch
von dem Ursprung von Morgan’s Hass auf Guenievre ist im Prosa-
Lancelot — nach P. Paris’ Analyse zu urteilen®) — nochmals die Rede.
Wahrscheinlich ist nun, dass der ganze oben aus P angeführte
Passus, gerade so wie manch anderer, durch eine Version des Prosa-
Lancelot inspirirt ist; möglich ist dann freilich, dass diese Quelle eine
Version repräsentiert, die von der geläufigen, mir leider nur durch
P. Paris’ Analyse bekannten Version wenigstens in Einzelheiten ab-
wich.?) Letzteres anzunehmen erscheint mir unter anderem dadurch ge-
1) Eine matte Reminiscenz dieses Zaubers findet sich in dem epigonen-
haften Artusgedicht Claris und Laris; die beiden Helden finden in Morgan's
Feenschloss Aufnahme, aus welchem sie, wie Morgan meint, nicht mehr
herauskommen sollten. s. V. 3662ff.
2) s. zu alledem die folgende Inhaltsangabe $ 102.
5) vgl. Romans IV. 238ff., besonders 239 Anm.
#) s. 1. c. 292f. Der Name Bertolais, den P. Paris dort in der An-
merkung als denjenigen von Morgan’s Geliebten anführt, dürfte auf einem
Versehen beruhen.
8) Diese Vermutung habe ich bereits in meinem Aufsatz Zs. f. r.
Ph. XVI 98 ausgesprochen. Ebendaselbst teilte ich eine Stelle aus P
f 82 v° mit. die — je nachdem man interpungiert — verschieden erklärt
werden kann und event. mit dem durch P. Paris bekannten Lancelot in
Widerspruch stehen würde. Es handelt sich darum, ob Lancelot nach
Beiträge zur Kenntnis der alifranzös. Artusromane in Prosa. 17
in Verbindung gebracht wurde. Der durch lateinische und altfran-
zösische Stellen belegte Glaube, dass auf diese Zauberinsel Avalon
Männer von Feen, so von Morgan, entrückt wurden, ist, wie Zimmer
überzeugend nachgewiesen hat, speziell unter den aremorikanischen
Bretonen verbreitet gewesen!); desgleichen hat Zimmer gezeigt, dass
die Fee Morgan der welschen Sage überhaupt unbekannt, dagegen
eine echt aremorikanische Sagenfigur ist. — Derselbe Gelehrte hat
in einem weiteren Aufsatz in dieser Zeitschrift?) unter anderem auf
folgende uns hier interessierende Stelle im Erec Crestien’s aufmerk-
sam gemacht, in der von Morgan die Rede ist. Unter den lehns-
pflichtigen Fürsten, die von Artus entboten, an seinen Hof kommen,
figuriert neben Graislemiers de Fine Posterne dessen Bruder Guingomars.
Erec. 1954. Et Guingomars ses frere à vint;
De l'Isle d’ Avalon fu sire.
De cestui avons où dire
Qu'il fu amis Morgain la fee,
Ei ce fu verites provee.
Dieser Gwingomars ist nach den trefflichen Untersuchungen
Zimmer’s identisch mit Guingamuer, Guingamor und Guigemar, die
alle in verschiedenen bekannten altfranzösischen Texten mit dem-
selben Sagenmotiv verknüpft werden (Aufenthalt eines Sterblichen
bei einer Fee in einem Wunderland).
Von dieser Person ist nun der in unserem Prosaroman auf-
tretende Guwionmar°), für den Morgan das Zauberthal val sans retor
gründet, um ihn bei sich zu behalten, nicht zu trennen. Denn es
thut nichts zur Sache, dass in P hierbei der Name Avalon nicht
genannt ist, ferner dass das Zauberland keine Insel?) ist; im Lai
1) 8. diese Zeitschrift XII. 238.
3) Bd. XIII. 2 und 7ff.
3) An mehreren Stellen unseres Textes — so P f° 227d, 239a, 242d
und 243c wird neben Guionmar dessen Bruder Sadoine kurz angeführt;
an der erstgenannten Stelle wird Sadoine bezeichnet als chastelains de caro-
aise en thamelide. Ich erinnere mich nicht, diesem Namen in den Artus-
epen begegnet zu sein; wohl aber ist der an den beiden letztgenannten
Stellen angeführte Guivret de Lambale bekannt, der als Vetter der beiden
Brüder Guiomar und Sadoine figuriert; im Prosatristan ist mehrfach von
ihm die Rede. Der Name Guivret begegnet auch sonst, abgesehen von
Guivret dem Kleinen im Erec, noch ein Guivres im Guinglain und im
Meraugis de Portlesguez; welche Rolle ihm in diesen beiden Gedichten zu-
kommt, kann ich gegenwärtig nicht konstatieren. Ist es reiner Zufall,
dass das Lambale in der Namensform von Guiomar's Vetter Guivret de
Lambale, an Lanval erinnert? In einer Handschrift des Prosatristan
findet sich dafür le comte de Lambale, was freilich nach Löseth auf einem
Verseben beruhen soll. (s. Löseth I. c. S. 485 und 521f.)
#) Dass Avalon auch als Name eines Tales vorkam, lässt sich aus
zwei Stellen in Roberts von Boron Joseph von Arimathia erschliessen,
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII! 2
Beiträge zur Kenntnis der.altfraneös. Artusromane in Prosa. 19
Prosa-Lancelot dafür bald der Name val sans retour, bald der Name
val des faux amants gebraucht wird.!)
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass 1. nach den Ausein-
andersetzungen Zimmer’s Guingamor und Guigemar identisch sind,
2. dass dieselbe Person in unserem Livre d’Artus mit der Namens-
form Gwiomar oder Guionmar auftritt, die den ältesten belegten
Formen dieses Namens näher steht; 3. dass die (@ruiomar - Episode
im Zävre d’Artus eine Sage enthält, die uns aus mehreren der
wenigen erhaltenen Zais bretons?) bekannt ist und die in diesen
Lais zum Teil mit den gleichen Personen in Verbindung gebracht
ist: so liegt in alledem ein m. E. nicht abzuweisendes Argument
gegen die mit Heftigkeit verfochtene These vor, dass die
lais bretons mit den Erzählungen von Artus und seinen
Rittern nichts zu thun haben.
Damit will ich keineswegs sagen, dass die Artusgedichte oder
die Prosaromane insgemein auf Lais zurückgehen, aber ich sehe
nicht ein, warum das nicht wie in dem vorliegenden Fall für
einzelne Episoden zugegeben werden kann. Man wird hier nicht
den Einwand vorbringen können, dass die Anknüpfung an Artus
oder vielmehr an ihm nahestehende Personen erst nachträglich in
die in Betracht kommenden Lais eingeführt worden ist; hier handelt
es sich nicht allein um einzelne Namen, sondern auch um den den
betreffenden Lais hauptsächlich zu Grunde liegenden Stoff.
Dass die Verfasser des Zivre d’Artus die betreffende Episode
nicht direkt den genannten erhaltenen Lais entlehnt haben, ergiebt
sich zur Genüge schon aus den trotz der Gleichheit des Grundmotivs
erheblichen Abweichungen in Einzelheiten. Aber dasselbe Sagen-
motiy kann noch zu anderen heute verlorenen Lais verwertet worden
sein. Man vergesse nicht, dass uns doch nur wenige Lais erhalten
sind. Andererseits ist nicht ausser Acht zu lassen, dass die er-
haltenen afz. Lais keine Originalschöpfungen sind; sie gehen doch
auf verlorene in bretonischer Sprache verfasste Lais zurück, die von
den doppelsprachigen Bretonen den Franzosen vermittelt wurden und
vereinzelt auch nach England gelangten. Häufig wird der Inhalt
dieeer Lais auch mündlich in Prosa verbreitet worden sein, sei
es dass schon ein doppelsprachiger bretonischer Sänger seinen des
, 8. Romans IV. 238.
?) Ausser dem Lai de Guigemar und dem Lai de Guingamor sind
noch der Lai de Graelent und der Lai de Lanval in Betracht zu ziehen.
Nach Zimmer kommt in diesen verschiedenen Lais die landschaftlich ver-
schiedene Herkunft der bretonischen Sage zum Ausdruck. Die beiden
erstgenannten Lais repräsentieren die in der Landschaft Leon heimische
Variante der Sage, während die Graelent-Version aus Cornouaille und
endlich die Zanval-Version wahrscheinlich aus Vannes (Département Mor-
bihan) stammt. S. diese Zeitschrift, XIII. 16.
2%
Beiträge zur Kenntnis der akifranzôs. Artusromane in Prosa. 21
Zwecke der betr. Untersuchungen gearbeiteten Auszug enthalten.
Wenn ich dies seinerzeit unterliess, so geschah es, weil G. Paris
die Version P für die Société des anciens textes francais heraus-
zugeben gedenkt. Herr G. Paris teilte mir auf meine Anfrage mit,
dass diese Ausgabe vorderhand anderer Arbeiten wegen nicht so
bald erscheinen wird, und in liebenswürdigster Weise erklärte er
sich mit der von mir beabsichtigten Inhaltsangabe einverstanden.
Ich spreche.dem hochverehrten Gelehrten hier dafür meinen besten
Dank aus. — Meine Inhaltsangabe würde geschmackvoller und durch-
sichtiger ausgefallen sein, wenn ich dazu etwa Heinzel’s eben ge-
nannten Auszug von Orendel zum Muster genommen hätte Ein
Hauptmangel des Livre d’Artus besteht darin, dass kaum irgend
eine Episode fortlaufend erzählt wird; mehrere Handlungen gehen
stets nebeneinander her und die Erzählung der einzelnen Episoden
wird fortwährend unterbrochen. Es hätte somit bei der Analyse
dieses Textes geboten erscheinen können, Zusammengehörendes zu-
sammenzufassen. Allein ich zog es vor, diesem Modus nicht zu
folgen, zumal wir bereits für einen ansehnlichen Teil des Textes
eine derartig angelegte Inhaltsangabe, diejenige von P. Paris be-
sitzen, dann aber vor allem deswegen, weil ich den Charakter des
Romans besser wiederzugeben glaubte, wenn ich mich genauer an
die überlieferte Reihenfolge hielt. Die Episoden und Episodenteile
habe ich beziffert, um durch Verweise Zusammengehörendes zu kenn-
zeichnen. Die Anmerkungen, die unter anderem zeigen, dass eine
Reihe von Episoden und Hinweisen in P durch den Lancelotroman
inspiriert sind, machen keinen Anspruch auf Vollständigkeit; eine
solche zu erreichen, ist mir nicht möglich, da mir gegenwärtig
ein grosser Teil der bekanntesten Ausgaben und Werke nicht zu-
gänglich sind. —
Schliesslich sei bemerkt, dass ich im folgenden den Inhalt
des ersten Teils von P, der sich, wie schon ôfter gesagt wurde,
im grossen und ganzen mit dem ersten Teil der Vulgata des Livre
d’Artus deckt, kürzer wiedergebe als denjenigen des zweiten Teiles.
I.
Inhaltsangabe der Version P des Livre d’Artus.
(Bibl. Nat. f. f. 337.)
a) Teil I!)
Als Artus, [da er das Schwert aus dem Stein?) hatte heraus- 8 1.
1) vgl. P. Paris, Romans II 102—271. ibid. 102 wird mit Recht
bervorgehoben, dass der Anfang des Livre d’Artus mit dem Schluss des
Merlin in Widerspruch steht.
2) 8. ibid. 86ff. Merlin-Huth I 135ff.
Beiträge zur Kenninis der altfransüs. Artusromane in Prosa. 23
Merlin, der von Zeit zu Zeit verschwindet, um Blaise!) ing 8. [f°:
Northumberland über die geschehenen und bevorstehenden Ereignisse
zu dem Zweck zu berichten, damit dieser dieselben aufschreibe,
gelangt dann auf wunderbare Weise rasch nach der Bretagne, weist
sich bei Leonce durch einen Ring als Abgesandten Ban’s aus und
geleitet das von Leonce zusammengebrachte Heer nach Bedingran
in Grossbritannien, wo Artus mit einem Heer stand. Die von Artus
geschlagenen 6 brittischen Fürsten, denen sich noch Herzog Escaus s. 8 1.
von Cambenic, König Tradelinant von Norgales, König Brangorre
von Estregorre, König Clarion?) von Northomberlande, endlich der
König der 100 Ritter, Aguigens, anschlossen, hatten nämlich unter-
dessen in ihren Ländern starke Truppen aufgeboten und waren gegen
Artus gezogen, den sie mit Leichtigkeit zu besiegen hofften; bei
Bedingan werden sie aber in einer blutigen Schlacht geschlagen.
Auf Merlin’s Rat sieht Artus von einer weiteren Verfolgung der 8 4. [PP
Feinde ab. Merlin weist Artus einen Schatz, durch dessen Verteilung
die Krieger reichlich beschenkt werden. Die Heere werden entlassen;
nach Merlin’s Aussage würden nämlich die Britten Artus einstweilen
nichts anthun können; denn Iren und Sachsen hatten die Abwesenheit
der brittischen Fürsten benützt, um in deren Länder einzufallen und
dieselben zu verwüsten; vor Vandebere in Cornouaille hätten sie
sich festgesetzt.
Artus, Ban und Bohor bleiben noch eine Zeit lang in Bedingran, 8 5. [f°
wohin Merlin, der vorher plötzlich wieder einmal verschwunden und
zu Blaise gegangen war, als gemeiner Mann verkleidet zurückkommt.
Artus hat grosse Mühe, ihn zu erkennen. — Lisianor, die Tochter?)
des verstorbenen Grafen Senain, kommt um Artus zu huldigen. Artus
findet Gefallen an ihr und zeugt mit ihr Lohot, der später eines
der tüchtigsten Mitglieder der Tafelrunde werden sollte.
Gegen Mittfasten machen sich Artus, Ban und Bohor aufg 6. [ff
Merlin’s schon vorher erteilten Rat hin mit geringer Begleitung nach
Carmelide zu König Leodegan auf, um diesem einige Zeit im Kriege
1) Blaise ist bekanntlich im Merlinroman jener prudhomme, der Rat-
geber und Beichtvater Merlin's, der — wie es heisst — auf Merlin’s Wunsch
die Geschichte Joseph's von Arimathia, Alain’s und seiner Genossen auf-
schreiben sollte. Vgl. Merlin-Huth Bd. I, S. XIV; ferner ibid. 30f., 46ff,
U, 139. Dieselbe Rolle ist ihm auch im Didot’ schen Perceval zugeteilt.
(Birch- Hirschfeld, Sage v. Gral, S. 177.) — S. ferner Kölbing, Arthour & Merlin
CXII und San Marte's Vermutung (Zs. f. d. Philol. XXII, 448).
?) Statt des sonst üblichen Namens Clarion findet sich an dieser
Stelle die Namensform Panderai.
#) Sie war, so heisst es, in Comperorantins geboren, d. h. in Quimper-
corentin; vgl. dazu P. Paris, Romans II. 3331., Anm
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 25
durch die Ritter der Tafelrunde!) unterstützt, namentlich auch durch
seinen wackeren Seneschall Cleodalis, der seinem Herrn treu blieb,
obwohl dieser ihn hintergangen und seiner Frau Gewalt angethan
hatte. Mit ibr hatte Leodegan eine Tochter gezeugt, die gleichfalls
Guenievre genannt wurde wie Leodegan’s rechtmässiges Kind. Leodegan
hielt Cleodalis’ Frau späterlin jahrelang gefangen, um jedes Zusammen-
sein mit ihrem Gatten zu verhindern?). Die beiden Halbschwestern,
die beide den Namen Guenievre tragen, hatten an einem und dem-
selben Tage das Licht der Welt erblickt.
In einer furchtbaren Schlacht vor Taroiaise werden Leodegan’s 8 10. [f
Feinde, Sachsen und Iren, grossenteils Riesen, geschlagen, besonders
infolge der Heldenthaten des Artus und seiner Gefährten; zu letzteren
gehört auch Merlin, der mit seinem flammenspeienden Drachenzeichen
den Feinden Schrecken einjagt und Leodegan in Staunen versetzt. —
Rion, von der Niederlage unterrichtet, lässt aus seinem Lande Däne-
mark Hülfe kommen; mit einem gewaltigen Heer belagert er Nablaise,
Artus, Ban, Bohor und ihre Leute werden von Leodegan sehr ge-
ehrt. Artus und Guenievre, die rechtmässige Tochter Lecdegan's,
finden Gefallen aneinander und Leodegan giebt schon zu erkennen,
dass er Artus, auch wenn dieser von geringerer Herkunft wäre,
gern zum Schwiegersohn haben würde. Merlin erzählt von dem
Zuge der jungen Neffen Artus’ und von ihren Erfolgen. 8.88.
Inzwischen hatte Tradelinant de Norgales, von Aguinier unter- 8 11. [f°
stützt, bei La Roche und Arondel über die Sachsen einen Sieg 87.3.
davongetragen; desgleichen kämpfte Aguiscant bei Vandeberes, wo
er ohne Urien’s Hülfe geschlagen worden wäre. Urien besiegte dann
noch eine feindliche Abteilung bei Sorhaut. Seine Söhne Yvain le
grant und Yvain l’avoutre gehen ohne Wissen ihres Vaters nach
Logres, um sich von Artus den Ritterschlag geben zu lassen. Neutre
komischen Bemerkung veranlasst sieht: [f° 26d] . mais tant en deuise li
contes que au tens qui lors estoit faisoit len de .V. homes un millier. et li
milliers qui ore est a noz tens feist au tens de lors. II. M.
1) In unserem Text f° 2v° sagt Merlin, die Tafelrunde sei von Uter-
pendragon, Artus’ Vater, eingerichtet worden; die Mitglieder derselben seien
aber wegen der an Uter’s Hofe aufkommenden Treulosigkeit zu Leodegan
von Carmelide gegangen. Hier wird also die Translocierung der Tafelrunde
rm motivieren versucht; vgl. dazu G. Paris, Merlin-Huth. Bd. I, XXVI. —
Za den verschiedenen Tafelrunden s. noch P. Paris, Romans. II, 63ff.
Merlin-Huth. 1, 94 ff. Il, 61ff. Queste d. St. Gral, (Birch-Hirschfeld 1. c. 41),
Didot’s Perceval (ibid. 171) Lôseth. Prosatristan, $ 311. Ariosto, Orl. fur.
IV, 53 kennt zwar eine nova und eine vecchta tavola, unterscheidet aber
nicht genauer. —
7 Wenig verändert wiederholt sich diese Episode in unserem Text
F36v° und zwar auf Urien und die Frau des Seneschalls de Gorre über-
tragen; mit ihr zeugt Urien Yvain l'avoutre, während Yvain le grand
Urien’s legitimer Sohn ist.
Beiträge zur Kenninis der alifranzös. Artusromane in Prosa. 27
und Truppen den beiden Yvain zu Hülfe eilt. Yder kämpft unter-
dessen mit ungleichem Erfolg. Dagegen erlangen die vereinigten
Heere der Jünglinge in der Gegend zwischen Driaigue und Bedingan
einen grossen Sieg über die Sachsen, welche von Sorjonde, Morgalant,
Pignvriz und anderen geführt werden. Die Besiegten ziehen nach
Vandeberes. — Nur kurze Zeit bleiben die Jungen in Bedingan; denn
bald kommen sie, dazu aufgefordert, der von Errant angegriftenen
Stadt Arundel zu Hülfe. Hier wären sie aber der feindlichen Über-
macht unterlegen, wenn sie nicht von edelen Altersgenossen aus der
Stadt, durchweg Verwandten Lot’s und Brangorre’s, Beistand erhalten
hätten. Auf den Rat des wiederum verkleideten Merlin ziehen sie
sich dann nach Arundel zurück.
König Lot war unterdessen durch häufige Sachseneinfälle hart 8 16. ff
bedrängt worden, sodass er es bitter bereut, Artus seiner Zeit nicht
anerkannt zu haben; wegen Artus hatten ihn seine Söhne verlassen. 8.81.
Um nun seine Frau und seinen jüngsten (vermeintlichen) Sohn
Mordret zu retten, will Lot dieselben nach Glacedon bringen, allein s. 8 7. A
er wird unterwegs von Sachsen überfallen, seine Frau wird von
Taurus entführt und misshandelt, bald aber von Gavain befreit,
der durch den als Knappen verkleideten Merlin auf ihre Gefahr
hingewiesen worden war. In Arundel, wohin der kleine Mordret
gebracht wird, erholt sich Gavain’s Mutter bald, und sie begiebt
sich darauf mit ihren Söhnen nach Logres, wo Gavain von Do de
Carduel darüber aufgeklärt wird, dass derjenige, der Gavain unter
verschiedenen Gestalten mehrfache Ratschläge erteilt habe, keins. 8 12,
anderer als Merlin sei.
Merlin hatte inzwischen bei Blaise Bericht erstattet und geht 8 16. [f
dann ins Königreich Benoyc auf den Continent, um Leonce, den 38.82.
Vetter Ban’s, auf die bevorstehenden Kämpfe mit Claudas und Con-
sorten vorzubereiten. Bei diesen Gelegenheiten flicht Merlin Prophe-
zeiungen ein, die sich z. T. auf ihn, Merlin selbst, beziehen. Die
Länder Ban’s und Bohor’s waren durch Claudas und den König von
Gaule, dem Claudas gehuldigt hatte, bedroht; noch andere Verbündete
standen diesem zur Seite, nämlich die Römer unter Ponce Antoine
und Deutsche unter Führung des Herzogs Frollo. Merlin rät Leonce
sich an einem bestimmten Tage mit einem Heer im Walde von
Darnances zu verbergen und dort ruhig abzuwarten.
Merlin begiebt sich dann in die Nähe des Forstes von Briosque 8 17. ff
auf das Schloss des Dyonas, eines Lehnsmanns Ban’s. Diane, die
Königin von Sezile, hatte ihrem Patenkind Dyonas ehedem ver-
sprochen, dass die erste Tochter, die ihm geboren werden würde,
dereinst den weisesten Mann zur Liebe entflammen und sich unter-
würfig machen würde. Diese Tochter war Niniane; sie zählte
12 Jahre als Merlin, in einen Jüngling verwandelt, zu ihr kam.
Beiträge zur Kenntnis der alifransös. Artusromane in Prosa. 29
Artus erbeutet Rion’s Schwert Marmiadoise.!) Aber auch Leodegan
kämpft wacker und wird von seinem Seneschall Cleodalis so treu 3.89.
unterstützt, dass er diesen wegen seines früheren Vergehens gegen
ihn um Verzeihung bittet. — Unter Merlin’s Mithülfe werden die
Feinde endlich besiegt, aber auf seinen Rat nicht verfolgt. Die
Sieger ziehen in Taroiaise ein.
Bohor geht nicht mit ihnen, sondern begiebt sich nach dem 822, [t
ihm seiner Zeit von Uter geschenkten Schloss Charroc. Diesen
westlich von Rion’s Reich liegenden Platz Charroc hatte ehedem
König Uter dem Amant entrissen, der nicht sein Lehnsmann werden
wollte. Bohor hatte Charroc seinem Bruder Guinebaut zur Obhut
übergeben. Während nun Bohor im Gefolge Leodegan’s durch die
Kämpfe gegen Rion in Anspruch genommen war, wollte Amant mit
seinen Verwandten Guingambresil, Brandelis, Grinomelant wieder in
den Besitz Charroc’s gelangen; allein sie werden von einem Heer
angegriffen, das unter der Leitung des mit Rion verbündeten Königs
Glaalant steht. Amant erleidet grosse Verluste; er muss seinen Plan,
Charroc zu nehmen, aufgeben, um so mehr als er erfährt, dass Bohor
dort eingetroffen ist.
Artus’ Hochzeit, deren baldige Feier Leodegan wünscht, wird 8 28. [1
auf Merlin’s Rat noch verschoben, da Artus vorher noch in Benoyc
eine Aufgabe lösen solle. Bohor wird mitgeteilt, dass er in Bedingan
zu Artus stossen solle.
bezeichnet als rois de la terre as jaanz et de la terre des pastures ou nus
nose habiter, tant ı auiennent merueilles et main et soir. Auch in unserem
Texte heisst es von Rion. dass er sich aus den Bärten seiner Gegner einen
Mantel füttern oder säumen liess. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf
eine Stelle in P. Paris, Romans, V, 45, hinweisen, wo Lancelot einem
Knappen begegnet. Derselbe, so heisst es, hatte lex cheveux coupés sur
les oreilles, comme tous les exiles bretons, car les gens du pays exigeaient
leurs tresses.
1) Von diesem Schwerte Marmiadoise [P f?64b] dit li contes des
estoires quele fu hercules qui mena iason en lisle de colquos por querre
la toison du mouton qui toute estoit [f°61c] dor. et dicele espee ocist
hercules maint iaiant en la terre ou iascn enmena medea qui tant lama.
mais li failli ıl la ou hercules li aida par sa grant deboneirete cui pitie
dl emprist. puisque iason lot querpie et laissiee. et li contes dit que uulcans
la fia [wohl foria zu lesen] qui regna au tens adrustus le roi de grece.
et ot cele espee maint ior en son tresor. et icele espee ot tydeus li filz au
duc de calidoine le ior quil fist le mesage a ethiocles le roi de thebes. por
pollinices son serorge. et puis ala tant lespee de main en main et doir en
or que or la li rois qui ‚u du lignage hercules ..... et lespee auoit
sun par son droit non mal mi adoises. Vgl. P. Paris, Romans, II, 192 f.
Ich führe diese Stelle an, weil aus ihr hervorgeht, dass unser Verfasser
doch auch Darstellungen des antiken Sagenkreises kannte. Die Stelle
enthält am Schluss eine Reminiscenz aus dem Roman de Thèbes. Siehe
Vonstans’ Ausgabe, Paris 18%. I, V. 1557 ff.; ferner ibid. Il, S. 58, V. 1683 ff.
Beiträge sur Kenninis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 31
ihm den Ritterschlag zu empfangen. Nachdem sie ihre Namen ge-
nannt haben, nimmt sie Artus hocherfreut in sein Gefolge auf und
ehrt besonders Gavain. In Logres, wo Artus nach langer Trennung
seine Schwestern, die Frau Lot’s und die gelehrte Morgan wieder-
sieht, werden die Jünglinge zu Rittern geschlagen; Gavain wird
mit dem trefflichen Schwert Escalibor umgürtet. Bei der glänzenden
Feierlichkeit zeigt sich Artus sehr freigebig. Von allen Seiten
strömen ihm Anhänger zu.
Damals unterrichtete Merlin Morgan vielfach in seinen Zauber- 827. [fe
künsten. Gavain dankt Merlin, da er erfahren hatte, dass dieser
ihm in mannigfacher Verkleidung öfters beigestanden und ihm Rat-s.815,
schläge erteilt habe.
Nach wenigen Tagen brechen auf Merlin’s Rat Gavain, dann 828. ff
Artus, Ban, Bohor mit ihren Heeren auf, um den bedrohten Ländern
Benoyc und Gaunes zu Hülfe zu kommen. Die Flotte verlässt Doure s. $ 2:
und landet in La Roche. In Benoyc hatte Leonce, in Gaunes Pharien
gemäss den Anweisungen Merlin’s Sicherheitsmassregeln getroffen.
Die Feinde unter Ponce Antoine, Claudas, Randoles, welch letzterer 8.81
die Truppen des Königs von Gaule führte, belagerten die Stadt
Trebe, wo sich Helaine und Evain, die Frauen Ban’s und Bohor’s
befanden. Leonce, Pharien und der Seneschall Antiaume!) treffen
sich mit ihren Heeren im Walde von Darnances. Gavain rückt bis
zur Loire vor; es folgen die Abteilungen unter Ban, Bohor und
Artus. Wenige Tage vor St. Johannis kommt es bei Trebe zu
einer furchtbaren Schlacht, in welcher zuerst Gavain’s Heer dem des
Herzogs Froille, dasjenige Ban’s dem des Claudas, dasjenige Bohor’s
dem des Ponce Antoine, endlich die Truppen Artus’ denen Randol’s
gegenüberstehen. Dann wird die Schlacht allgemeiner. Das von
Kei getragene Feldzeichen mit dem feuerspeienden Drachen?) jagt
den Feinden Schrecken ein. Da treffen Antiaume, Gracien de Trebes,
Pharien und Leonce mit ihren Truppen ein. Heftig wütet der
Kampf auf allen Seiten®). Viele sterben den Heldentod infolge von
Claudas’ Treulosigkeit#). Artus, Gavain, Ban, Bohor, die, um sich
za erholen, den Kampf einige Zeit aussetzen, werden von Merlin
gerügt und angespornt. Merlin ergreift, da die Feinde vorgerückt
1) Antiaume ist vermutlich mit dem Seneschall Aleaume des Prosa-
Lancelot identisch, der durch Claudas bestochen, zum Verräter wird.
Vgl. P. Paris, Romans, III, 6.
?, Vgl. hierzu die Zs. f. r. Phil., XVI, 99 f., angeführte Stelle.
3) Es heisst da f°8iC: Ilec ot grant bataule et fier. ilec norent
mestier li coart gengleor qui le soir se uont uantant as cheminees. qui nont
mie le cuer ne le hardement desgarder cels ne lor proesces. qus por pris et
por honor conquerre ont laissiees lor terres et lor pais.
$) 8. die Zs. f. r. Phil, XVI, 98 aus f°82 v° mitgeteilte Stelle.
Beiträge zur Kenntnis der alifranzôs. Artusromane in Prosa. 33
aber war argwöhnisch und suchte nach Mitteln und Wegen, um sich
vor ihm zu hüten. Nach achttägigem Aufenthalt bei Niniane kehrt
Merlin zu Artus zurück.
Nachdem auch Gavain dem Claudas viel Schaden zugefügt 881. [f
hatte, brechen Artus und die Seinen nach Gaunes, von da nach
La Rochelle auf. Hier besteigen sie die Schiffe, weiche sie nach
Britannien fahren. Merlin hatte ihnen noch geraten, nach nur zwei-
tägigem Aufenthalt in Logres mit einer auserlesenen Schar nach
Carmelide zu gehen.
Merlin geht nach dem Wald von Romenie, wo Julius Caesar g 82, [1
Kaiser war, derselbe, den später Gavain in der Schlacht bei Lengres
tötete!). In einen Hirsch verwandelt, auch in Gestalt eines Wald-
menschen überzeugt Merlin nach einer Reihe von Abenteuern?) den
durch einen Traum geängstigten Kaiser davon, dass ihn die Kaiserin
hintergeht. Sie hielt sich zwölf als Mädchen verkleidete Jünglinge,
welche nach der Entdeckung mit der Kaiserin verbrannt werden.
Auf Merlin’s Rat heiratet der Kaiser Avenable, ein Mädchen, das
ihm in Männertracht unter dem Namen Grisodoles wesentliche Dienste
geleistet hatte und des Kaisers Seneschall geworden war. Avenablens
Vater, der Herzog Mathan von Soaue, erhält das ihm seiner Zeit
von Frollo geraubte Erbe wieder; sein Sohn Patrice, also Avenablens
Brader, heiratet des Kaisers Tochter.®) — Nachdem sich Merlin noch
dem Kaiser zu erkennen gegeben hatte, war er zu Blaise geeilt, um
diesem über seine Erlebnisse in Romenie, sowie über die Versammlung
der brittischen Könige in Lenezerp zu berichten. 8. 8 18
Die brittischen Fürsten ordnen ihre Reihen und einigen sich 888. [f°
dahin, den Sachsen vor der Stadt Clarence eine Schlacht zu liefern.
Obgleich der Kampf zeitweise zu ihren Gunsten ausfällt, werden
sie doch und zwar mit grossen Verlusten zurückgeschlagen; sie be-
schliessen, ein jeder solle in sein Land gehen, um dasselbe gegen
etwaige Angriffe zu verteidigen. Die Sachsen aber hausen und ver-
wüsten, wohin sie kommen,
1) In der Vulgatafortsetzung des Livre d’Artus wird erzählt, dass
Gavain den Kaiser in der Schlacht bei Langres tötete, vgl. P. Paris,
Romans Il, 358; aber der Kaiser heisst hier Lucius.
7) Einige dieser Abenteuer Merlin's sind derart, wie sie auch in
anderen Texten von diesem Zauberer erzählt werden. Merlin nimmt ver-
schiedene Gestalten an, lacht bei dieser oder jener Gelegenheit und nach
dem Grunde seines Lachens befragt, macht er auf Dinge aufmerksam, die
anderen verborgen oder unbekannt geblieben waren.
3) Diese ganze Episode ähnelt dem Schluss des Roman de Marques
d. Rome (ter. v. A Alton, Stuttgarter litterar. Verein, No. 187. Tübingen 1889),
ohne demselben jedoch so nahe zu stehen, wie dies P. Paris, Romans II, 213
vermutet. Alton ist dies entgangen; immerhin verweise ich auf seine An-
merkung zu 94b1. S. 175.
Ztsehr. f. frz. Spr. u. Litt. XVIl!. 3
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 35
der Vespergottesdienst statt und darauf wird das Ehebett gesegnet.
Guenievre, Artus’ Braut, wird von der bestochenen Dienerin in den
Garten geführt und von den Verrätern, welche die falsche Guenievre
unterschieben wollen, festgenommen. Da stürzen sich Urfin und
Bretel aus Verstecken hervor; sie töten 5 der Verräter; die übrigen
entkommen. Die Dienerin wird vom Felsenufer in die Tiefe geworfen,
die falsche Guenievre aber wird in ihres Vaters Haus geführt; Urfin
und Bretel wollen die ganze Sache geheim halten. — Merlin, der
ohne dabei gewesen zu sein, den Verlauf der geschehenen Dinge
wohl kennt, rät Leodegan, seiner Tochter drei Jungfrauen ins
Brautgemach zu schicken. Leodegan, darüber erstaunt, erfährt von
Merlin den Sachverhalt. Er begiebt sich zu Guenievre, die er an
einem Körpermal als seine legitime Tochter erkennt. — Nachdem
Leodegan das Gemach verlassen, wird Artus nunmehr mit seiner
Frau vereinigt. — So wird der verräterische Plan der Verwandten
des Seneschalls Cleodalis vereitelt. — Durch die falsche Guenievre
aber und durch den Verräter Bertolais sollte später über Artus,
seine Gattin und sein Land schweres Unglück einbrechen.!)
Dieser Bertolais hatte lange Zeit Leodegan treffliche Dienste 888. [f°
geleistet. Einer seiner Vettern war von einem anderen Ritter getötet
worden. Anstatt sich bei Leodegan zu beschweren und von ihm
Strafe des Schuldigen zu verlangen, will sich Bertolais selbst
Recht verschaffen. Am Abend nach Artus’ Hochzeit tötet er jenen
Ritter. Die falsche Guenievre, deren Vaterschaft Cleodalis leugnet,
wird von diesem auf Leodegan’s Wunsch ausser Landes geführt und
in einer einsamen Abtei untergebracht, wo sie später mit Bertolais
zusammen lebt. Bertolais, dessen That bald Leodegan bekannt
wurde, wird enterbt und verbannt; er denkt daran, sich später
furchtbar an Leodegan und Artus zu rächen.
Nur eine Woche bleibt Artus nach seiner Hochzeit in Taroiaise.g39, [t°1(
Er schickt Gavain mit der grossen Mehrzahl des Gefolges nach
Logres, um dort alles zu einer reichen Hofhaltung auf St. Magdalena
vorzubereiten. Dann bricht er selbst mit Guenievre auf, die sich
einige ihrer Getreuen, unter anderen Guionmar, mitnimmt.
Im Walde von Sarpenic lauert auf sie der durch Spione 8 40. [fo
orientierte König Lot, der Guenievre entführen will; Artus und 8.836
die Seinen hätten der Übermacht weichen müssen, wenn nicht Gavain
und Kei?), welche Artus entgegengehen wollten, hinzugekommen
wären. (ravain kämpft, ohne ihn zu erkennen, mit seinem Vater Lot.
1) Ich verweise hierzu auf die Zs. f. r. Ph., XVI, 96 f., mitgeteilte
Stelle, in welcher auf Episoden angespielt wird, die im Prosa-Lancelot
ausführlich erzählt werden. Vgl. P. Paris, Romans IV, 97 ff., 147 f.
7?) Hier findet sich die oben S. 12f. angeführte Charakteristik Keiens.
3%
Beiträge zur Kenntnis der al{franzsüs. Artusromane in Prosa. 37
zurückgekehrt, schwindelte er und behauptete, einen oder zwei Ritter
erschlagen zu haben.
Zwischen den Rittern der Tafelrunde und den chevaliers de la 848. [fı
reine findet ein Turnierspiel statt. Vor Beginn desselben versichert
Gavain Artus auf dessen Wunsch, nach Kräften dafür sorgen zu
wollen, dass der Kampf nicht ernst werde und kein Unglück ent-
stehe. Allein Gavain durchschaut den Neid der Gegner, welche
diese Gelegenheit benützen wollen, um die seinerzeit erlittene Schlappe s. 8 37
wieder gut zu machen. Als sie sich im Nachteil sehen, suchen sie
sich dadurch zu helfen, dass sie sich scharfer Lanzen bedienen; an
die ihnen deswegen gemachten Vorstellungen kehren sie sich nicht;
Gavain und seine Gefährten ergreifen daher auch scharfe Waffen und
das Turnier artet in einen blutigen Kampf aus. Gavain, der Artus
von der Treulosigkeit der Gegner unterrichten lässt, meint, da er
stets trotziger und ungestümer wird, weder der König noch die
Königin sollten sich um den Streit kümmern; er achtet auch nicht
auf die versöhnenden Worte Nascien’s und Hervis’, sondern er kämpft
wie ein Wütender. Endlich wird der Kampf durch Artus, Lot und
andere beigelegt. Erst nachdem die Ritter der Tafelrunde Gavain
demütig um Verzeihung gebeten, willigt dieser in die Versöhnung.
Seitdem galt Gavain für den Herrn und Meister aller Gefährten,
Fortan sollten die Genossen nie mehr einander im Kampfe gegenüber-
treten, es sei denn jeweils Einer gegen Einen, an anderem Orte und
unerkannt, in der Absicht, durch die Thaten in die Gemeinschaft
der Tafelrunde aufgenommen zu werden. Damals gab es 250 Ritter
der Tafelrunde; 400 aber waren es, bevor die Gralsuche beendet
war, durch welche sie viel auszuhalten hatten.
Damals verbreitete sich das Gerücht, dass sich im Lande 844. ff
Logres befänden: der Gral, in welchem Joseph von Arimathia das
Blut Christi sammelte, als er und Nicodemus ihn vom Kreuze
nahmen, ferner das heilige Gefäss,!) welches vom Himmel in die Stadt
Sarraz kam, in welchem Christi Blut und Fleisch zum ersten Mal
durch den Bischof Joseph geopfert wurde, endlich die heilige Lanze,
1) Die in Pf? 113b, wie es scheint, nicht tadellos überlieferte
Stelle lautet folgendermassen: voirs fu cune nouele sespandi par la terre
du roiaume de logres. que li saintismes graals en quoti ioseph darimathie
auoit recoillu le degout du sanc du coste de ihesucrist. quant ıl le despendi
de la seintisme crois entre luj et Nicodemus. et li saintismes vaissiaus qui
wint du ciel en larche en la cite de sarraz en quoi il sacrefia premierement
son sanc et sa char par son euesque ioseph. que il sacra de sa main propre.
& la saintisme lance de quoi ihesucrist ot trespercie le coste. estoient en la
terre de logres areste. que ioseph x auoit aportez . . .. Der Verfasser
nimmt also, abgesehen von der heiligen Lanze, zwei verschiedene Gefässe
an; das zweitgenannte wird mit der in mehreren Graltexten vorkommenden
patene zu identificieren sein; vgl. Heinzel, Gralromane, S. 7 ff. 122.
38 E. Freymond,
welche einstmals Christi Seite durchbohrt hatte. Niemand aber
wusste, an welchem Orte diese heiligen Gegenstände lagen. Nach
einer Prophezeiung sollten diese Wunder durch den besten Ritter
der Welt gefunden werden. Um nun zu wissen, wer dieser beste
Ritter der Welt sei, machten sich die Ritter auf die Suche, sie
nahmen an Turnieren teil, folgten Rittern, die sie rühmen hörten,
ein Jahr und einen Tag, ohne sich länger als eine Nacht am gleichen
‚Orte aufzuhalten. Dann kehrten sie heim und ihre Abenteuer wurden
niedergeschrieben. So wurden die Suchen (questes) eingerichtet.
fe113v°] Die Ritter der Tafelrunde waren über ihre Niederlage doch
s.$43 sehr gedrückt; sie suchten häufig die Gelegenheit, den Rittern der
Königin einzeln gegenüber zu treten, namentlich Gavain, Yvain,
Sagremor, bevor diese selbst zur Tafelrunde gehörten.
$ 46. Als sich Artus nach dem Mahle mit den drei Künigen Lot,
L Ban und Bohor im Garten erging, riet ihm Ban, für die Zukunft
nie mehr Turniere seiner Ritter untereinander zuzugeben; diese sollten
sich vielmehr mit den Rittern aus der Umgegend im Turnierspiel
üben, Artus billigt diesen Rat. Lot macht dann Artus auf das
. Unglück aufmerksam, welches die fortwährenden Einfälle der Sachsen
über das Land brächten. Auf Bohor’s Vorschlag soll Lot mit seinen
Söhnen zu den christlichen Königen gehen und behufs gemeinsamer
Bekämpfung der Landesfeinde einen zeitweiligen Vertrag mit ihnen
schliessen. Lot ist dazu gern bereit. Als sich Gavain von Guenievre
verabschiedet und seine Gefährten dem Schutze der Königin an-
empfiehlt, verspricht sie ihm, dass, solange die Sachsen noch im
Lande wären, keine Turniere am Hofe stattfinden sollten.
47. [i114ve.] In der folgenden Nacht geben sich Guionmar, Guenieyrens
Vetter, und die wollüstige, gelehrte Morgan!) der Liebe hin. Dies
Verhältnis blieb lange unbemerkt, bis die Königin davon erfuhr und
das Paar trennte. Aus Hass darüber fügte Morgan der Königin
später viel Leid zu.
1) 8. oben 8.13 ff. Auch in Robert’s von Boron Merlin, wenigstens
in der Prosabearbeitung dieses Textes, ist von dieser gelehrten Zauberin
die Rede, welche besonders in astrenomie und fisike bewandert ist; vgl. die
‚Ausgabe von G. Paris & J. Ulrich, I, 120; sie wird dort Morgue genannt
und von ihrer an Neutre verheirateten Schwester, die den gleichen Namen in
der Form Morges trägt, wohl unterschieden. Das zeigt schon m. E. ein
merkwürdiges Durcheinander der an a anknüpfenden Episoden. Nicht
besser steht es damit in der im ms. Huth enthaltenen Fortsetzung des
Robert'schen Merlin. Hier ist Morgue nicht die Frau Neutre's, sondern
diejenige Urien’s; ihr Sohn ist Yvain. Manche der der Zauberin Morgan
sonst zugeschriebenen Künste und Verhältnisse sind auf diese Gattin
Urien’s übertragen. 8. Merlin-Huth, 1, 266 fl, II, 168, 179 #. In unserem
Texte P lautet der Name der Zauberin fast durchweg Morgant; nach P
‚heisst ferner Neutre's Gemahlin Blaasine, endlich diejenige Urien’s Hermesan,
Beiträge zur Kenntnis der alifraneôs. Artusromane in Prosa. 39
b) Teil II.
Die Erzählung schweigt jetzt von alledem, wovon vorher die 848. [f°
Rede war und kehrt zu Artus zurück, ferner zu Gavain’s und seiner
Genossen Versöhnung mit den Mitgliedern der Tafelrunde. Bei dieser s. 8 43
Versöhnung wurden Gavain und seine Gefährten in die Tafelrunde
aufgenommen, und Gavain wurde von diesem Zeitpunkt an Meister
und Herr aller Gefährten der Tafelrunde genannt.!) Während
grosse Freude an Artus’ Hof herrschte, traf die Nachricht ein,
dass Hardagrauans und die Sachsen die Stadt Clarence belagerten,
welche sich an Artus um Hülfe wandte. Artus macht sich mit
seinem Heere auf und kommt in die Nähe der Stadt. Gavain über-
fällt mit einer Schar das Sachsenlager, er vernichtet zahlreiche
Feinde, muss sich aber zurückziehen. — In der Schlacht bei Clarence
zeichnet sich unter anderen Artus aus. Merlin setzt die Feinde in
Schrecken durch das Drachenzeichen, welches er Kei nimmt. Die
Sachsen erbitten sich Hülfe von Vandeberes.
s. 8 33
Die brittischen Fürsten, die schon vorher bei Clarence ver- 849. [f°
einigt gegen die Sachsen vorgehen wollten und die sich nunmehr
an der Schlacht beteiligen, beklagen sich an einem Ruhetage bei
Merlin, dass Artus und die Seinen ihnen in der Not nicht zu Hülfe
gekommen seien. Merlin rät ihnen wiederholt aber vergebens, sich
mit Artus zu versöhnen. — Gavain schneidet den Sachsen die von
Vandeberes kommende Zufuhr ab; Artus macht ihm mehrmals Vor-
würfe, dass er unvorsichtig sich in Gefahren begebe, worauf Gavain
erwidert, man müsse dem Feind stets zu schaden suchen. — Die
Einwohner von Clarence eignen sich die von Artus gemachte Beute
an. Artus, darüber erzürnt, schickt Galetcondet zur Stadt mit dem
Auftrag, die Beute zurück zu verlangen. Jeconias antwortet, man
würde dieselbe nur dem König Urien herausgeben.
Infolge eines durch Merlin hervorgerufenen Staubwirbels ge- 850. [f‘
lingt es Artus, in Clarence einzuziehen. Er schenkt die Stadt dem
Galeschin und entschuldigt sich förmlich bei Yvain, dass er Galeschin
so auszeichne; er sagt dafür Yvain den Besitz von Vandeberes zu,
Yvain verspricht Jeconias, der die Stadt Clarence so lange verteidigt
hatte, das Amt eines Seneschalls von Vandeberes; Yvain und Jeconias
waren mit einander verwandt und wurden seither die zwei Freunde
genannt. — König Urien grollt, weil Artus die Stadt Clarence ver-
geben hatte. — Auf Merlin’s Rat sucht Artus die brittischen Könige
persönlich auf, um eine Versöhnung herbeizuführen; die Sachsen
1) Der Veriasser von Teil II giebt also keine Fortsetzung der
Episode (vgl. $ 46), in welcher Lot und seine Söhne den Auftrag erhalten,
die brittischen Fürsten aufzusuchen und sie zur Versöhnung mit Artus
aufzufordern; vielleicht hatte er eine Fassung vor sich, die diese Episode
nicht enthielt.
Beiträge zur Kenntnis der alifraneös. Artusromane in Prosa. 41
begleitet sei und ihm helfen solle. Gosengos ist darüber hocherfreut;
denn die Angemeldeten sind Verwandte von ihm. Er geht zu Artus,
um sich über die Richtigkeit der Meldung zu vergewissern und wird
von Artus und Guenievre freundlich empfangen. Gosengos findet
Gelegenheit, der Königin Guenievre eine Liebeserklärung zu machen,
die nicht ungern aufgenommen wird.!) Merlin lobt Artus und einigen
anderen gegenüber den König Alain, der es mit Artus gut meine,
nicht so seine Verwandten Giromelant, Guinganbresil und Greoreas,
die neidisch und auf die Thaten der Artusritter neugierig seien. —
Merlin schreibt dann für den nächsten Morgen die Aufstellung und
Leitung der Schlachtreihen vor. Artus geht König Alain entgegen
and führt ihn in den für ihn zurecht gemachten Palast. Nach dem
Festmahl wird Alain der von Merlin ausgesonnene Schlachtenplan
mitgeteilt; Alain billigt ihn. — Auch auf gegnerischer Seite wird
die Schlacht vorbereitet.
s.8 25
Am nächsten Tage beginnt der furchtbare Kampf um Van- 854. [f%ı:
deberes. Gosengos zeichnet sich durch seine Thaten aus und wird
ven der zuschauenden Guenievre beobachtet. Zum Siege tragen
hauptsächlich Gavain und einige andere Mitglieder der Tafelrunde
bei. Die Sieger ziehen in die Stadt; ihre Thaten werden am Abend
viel besprochen; die Ritter der Tafelrunde werden gepriesen. Merlin
bemerkt dazu, dass, solange nicht Neid und Verrat unter ihnen auf-
komme, es mit ihnen gut stehen werde. Am folgenden Tage wird
nicht gekämpft; die Stadtthore werden tagsüber offen gelassen; die
Helden erholen sich und spazieren auf den Mauern der Stadt herum.
Inzwischen denken die Sachsen daran, ihre Niederlage wieder gut
zu machen; sie beschliessen, dass am nächsten Tage vor allem die-
jenigen Truppen in den Kampf gehen sollten, die sich bisher nicht
daran beteiligt hätten. So wird am nächsten Morgen die Schlacht
wieder aufgenommen. Im ersten Treffen stehen die Genossen der
Tafelrunde. Merlin blendet die Feinde durch einen Staubwirbel, den
er aufgehen lässt. Schon sind 6 sächsische Treffen vernichtet, da
erscheinen Brannague und Magaat mit frischen Truppen; sie werfen
die Christen bis an die Stadt zurück.
Sagremor kämpft wie ein Wütender; die Könige Brannague 8 66, [f°
1) Nach einem Passus der Liebeserklärung zu urteilen, hätte
Guenievre schon vorher mehrere Verehrer gehabt, aber nicht beachtet; die
Stelle lautet f°133c: et id [Gosengos] dist quil ne sauoit dame que il
auiretant peust amer come luj. ne que il tant uolsist seruir. se ele mestier
auoit de son seruise. mais uos estes fait il tant riche dame. que uos nauez
mais cure de cels qui amee uos ont ca en arriere. (Gosengos wird wohl
mit Gasozein de Dragôz in der Kröne Heinrich's von dem Türlin zusamınen
zu bringen sein; freilich liebt Gasozein Ginover, ohne Gegenliebe zu finden.
Zu Gosengos sei noch auf $ 97 verwiesen.
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 43
dass Kei dem Gaheriet zur Wiedervergeltung einen gleichen Schlag
versetze. Gavain bittet, die Angelegenheit am nächsten Tage zu
regeln; Artus solle Kei streng verbieten, anderen die tüchtiger als
er seien, Spottnamen zu geben.
Schliesslich kündigt Gavain mit seinen Brüdern Artus die Ge- 856. [f°
folgschaft; wer sein Freund sei, solle ihm folgen; wer mit Gaheriet
kämpfen wolle, solle in die Ebene kommen. Sagremor schliesst sich
Gavain an; er werde, so sagt er, Kei noch bestrafen, weniger um
die ihm persönlich zugefügte Beleidigung zu rächen, als vielmehr
darum, weil Keiens wegen Gavain und andere treffliche Ritter sich
von der edelsten Gesellschaft trennen und die Gunst der edelsten
Dame (Guenievre) verlieren sollten. Das erfüllte sich später; denn
an einer Furt zerschmetterte Sagremor Kei den linken Arm; dieser
wäre ohne Sagremor’s Hülfe ertrunken.
Gavain, seine Brüder und Sagremor verlassen den Hof. 8 57.
Guenievre eilt ihnen nach und bittet darum, sie mitzunehmen; ver-
gebens versucht sie, Gavain versöhnlich zu stimmen. Merlin macht
inzwischen Artus bittere Vorwürfe wegen seines Verhaltens; er
solle Kei strafen, ihn nach etwaigen weiteren Schmähungen ein-
sperren lassen und den Beleidigten Sühne verschaffen; thue Artus
das nicht, so werde er noch alle seine Genossen verlieren.
Das Gerücht von diesem Streit gelangt zu Urien, der sich8 58. s.
darüber freut und Spione ausschickt, um noch genaueres darüber zu
erfahren.
Antor schilt seinen Sohn Kei und rät ihm, um Entschuldigung $ 59. [f°
zu bitten und die Versöhnung herbeizuführen; allein Kei schweigt.
Lot, die beiden Yvain, Galeschin und andere gehen zu Gavain, um
sich von ihm den ganzen Streit erzählen zu lassen; nach seinen
Absichten befragt, erklärt Gavain, unter anderem Namen zu Galahot
des isles lointaines gehen zu wollen, um diesem zu dienen; Lot solle
bei Artus bleiben. Die beiden Yvain und andere sind bereit, Gavain
zu folgen. Guenievre nimmt sich alles dies sehr zu Herzen. Am
nächsten Morgen soll aufgebrochen werden; vorher will sich noch
Gavain in Logres von seiner Mutter verabschieden.
Inzwischen treffen die Sachsen, welche die gefallenen Könige 8 60. [f°
hatten beerdigen lassen, die anderen Leichen aber verbrannt hatten, 8.55
Vorbereitungen zu weiteren Kämpfen. Die Nachricht vom Zank
an Artus’ Hof erfreut König Aminaduf. 8. 8 52
Artus, der über Merlin’s Worte nachdenkt, wird am Abend $ 61. s.
von schweren Sorgen heimgesucht!); alsdann berunuhigt ihn folgender
Traum: er sieht, wie sein Sohn Lohot am Tage, da er den Ritter-
1) An dieser Stelle findet sich eine naive Hyperbel. Artus weinte
so que len poist ses mains luuer soz son menton.
Beiträge zur Kenntnis der allfranzös. Artusromane in Prosa. 45
Artus begiebt sich, von den Königen Ban nnd Bohor begleitet, 865. [1°1:
nach Logres und bereitet für Pfingsten ein, Fest vor. Ban und
Bohor verabschieden sich von ihm; sie setzen über das Meer und
landen in La Rochelle in Poitou; sie reiten dann nach Gaunes, wo
sie ihr Heer entlassen; dann führt sie wieder ihr Weg über Tours
nach Trebe. Claudas befindet sich in Deutschland bei Verwandten s.$ 30
seiner verstorbenen Frau, die ihm einen zweijährigen Sohn Dorin
kinterlassen hatte. Ban und Bohor können sich somit ungestört
ihren Frauen widmen.
Auf die am Pfingstfest eintreffende Nachricht hin, dass Raolais, 8 66.
juger rote Ritter von Estremore, der Bruder Madoc’s des Schwarzen,
m Carmelide eingefallen sei und die Umgegend von Bedingan ver-
wüste, ziebt Artus mit einem Heere nach Estremore. Guenievre
geht nach Karduel en Gales, um den Truppen näher zu sein. In
der aw destroit de la roche stattfindenden Schlacht wird Galeschin, s.8 50
der im Kampfe einen Neffen des Raolais getötet hatte, gefangen
und soll am Galgen sterben. Artus unterhandelt persönlich mit
Raolais. Dieser stellt folgende Bedingungen: nicht mit Galeschin,
sondern mit Gavain, demjenigen Neffen Artus’, den dieser am meisten
liebe, wolle er, Raolais, einen Zweikampf eingehen; werde Gavain
besiegt, so müsse Galeschin hängen; siege Gavain, so wolle Raolais
Artus’ Lehnsmann werden. Gavain bringt Artus dazu, auf diese
Bedingungen einzugehen. Der Zweikampf soll nach vier Tagen
stattfinden.
Inzwischen entführte Urien Guenievre aus Karduel, während 8 67. [f‘
gerade ein Brand diese Stadt einäscherte. Merlin aber, der nach 8- $ 64
kurzem Aufenthalt bei seiner Geliebten Niniane und bei Blaise zurück- 3.817.30.
gekehrt war, benachrichtigte, als Bettler verkleidet, Artus von jener
Entführung'!). Urien wird verfolgt, weiss aber nach heftigem Kampf
mit Gavain zu entkommen. Guenievre wird immerhin gerettet und
Artus nimmt sich vor, sie fürderbin, ausser wenn er über das
Meer müsse, stets mit sich zu nehmen und in seiner Nähe zu be-
kalten. Merlin eilt zu Blaise, um ihm zu berichten. Dieser schrieb
alles Wort für Wort auf und durch ihn wissen wir es, wie das Meister
Gautier Mape bezeugt, der dies auf die Bitten des Königs Henri für
reichen Lohn aus dem Lateinischen ins Französische übertrug?).
1) Uber sonstige Entführungen Guenievrens s. G. Paris, Romania.
XII, 502 ff. Es ist nicht uninteressant, zu sehen, dass auch in P der
Entführer Urien der Erbauer gefährlicher Brücken ist; vgl. weiter unten
$ 113. — Meleaguant, GQuenievrens Entführer im Lancelot Urestien's de
Troyes ist der Sohn des Bademagus, Königs von Gorre (s. V. 637 ff.)
Nach unserem Text P 8 113 ist Bademagus der Neffe, Meleagant der
Grossneffe Urien's.
” Vgl. die Zs. f. r. Phi, XVI, S. 108 oben mitgeteilte Stelle.
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 47
der Mebrzahl befinden, werden sic mit schweren Verlusten in die
Flacht geschlagen. Auf Artus’ Fragen giebt sich die Dame als
Botin der Lore de Branlant!) zu erkennen; sie sollte an Artus’ Hof
einen Ritter dazu veranlassen, ihrer Herrin gegen Gaudin de Valesfroiz
beizustehen. Gaudin wollte Lore zur Ehe zwingen, um zugleich in
den Besitz ihres Landes zu gelangen. Artus erklärt, Gaudin, einen
Verwandten des Aguiscant von Schottland, recht wohl zu kennen;
er schätze ihn als wackeren Ritter, er werde aber nicht dulden,
dass man edelen Damen in seinen Landen Gewalt anthue. Gavain
erhält von Artus die Erlaubnis, das Abenteuer zu wagen. Die Botin.
berichtet noch auf Artus’ Frage, dass der Ritter, vor dessen Miss-
handlungen Artus sie habe befreien wollen und den dann Gavain
getötet habe, sie ehedem geliebt hätte; sie aber hätte ihre Liebe
einem anderen geschenkt, der dann von jenem vielfach verfolgt
worden sei. Die Botin ersucht Artus noch darum, ihre Herrin Lore
nicht zu vergessen; dieser Botin gegenüber behauptet Gavain, Daguenet
ke coart zu heissen. Letztere macht sich mit dem Zwerg auf den
Heimweg und meldet ihrer Herrin die bevorstehende Ankunft des
Daguenet (d. h. Gavain’s); sie verschweigt aber seinen Beinamen le
coart. Artus, der seine Wunden verheimlichen möchte, wird von
Yvain und Gavain, die darum wissen, zu Bett gebracht. Gavain
macht sich am nächsten Tage auf zu Lore de Braulant.
Urien, erbittert über seinen Misserfolg, sammelt ein Heer und 871. [f
belagert Clarence, das von den Brüdern Aces und Ales verteidigt 8. 3 67.
wird. Aces geht nach Karlion, um Hülfe zu holen; unterwegs wirft
er drei Ritter von Gorre, die ihn angreifen, von ihren Pferden und
verwundet sie. In Karlion werden Aces die nötigen Truppen zu-
gesagt, an deren Spitze Yvain und Galeschin gestellt werden; Artus
selbst kann sich seiner Wunden wegen nicht an dem Zuge be-
teiligen. Ales sieht die Hülfe nahen und benützt diese Gelegenheit,
um einen Ausfall aus der Stadt zu machen. Aus Liebe zu Yvain
will niemand dessen Vater Urien im Kampfe gegenübertreten; da
kämpft er selbst mit ihm, er nimmt Urien gefangen und zwingt
-ihn endlich dazu, Artus huldigen zu wollen.?) Inzwischen war
Artus, wiederhergestellt, auf Guenievrens Rat mit weiteren Hülfs-
trappen nach Clarence nachgekommen. Urien huldigt ihm und wird
Mitglied der Tafelrunde.
Gavain, gefolgt von seinem Knappen Eliezer, lässt diesen 872, [f°
warten, um mit drei riesigen Sachsen zu kämpfen, welche einer s.$ 70
1) Eine Person dieses Namens tritt auf im Conte del Gral V. 11669,
ferner im Chevalier as. II. espees. V. 3175. s. noch $ 75, Anm.
7) Ungeschickte Wiederholung der in $ 40 mitgeteilten Episode, die
mgleich das auch durch Lais hekannte Sagenmotiv vom Kampf zwischen
Vater und Sohn enthält.
Beiträge zur Kenminis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 49
Vorfall mit Guingambresil. Alain vermutet richtig, dass der Ritter,
der sich nicht habe nennen wollen, kein anderer als Gavain sei.
Alain ist über das Benehmen Guingambresil’s äusserst ungehalten;
dieser und seine Genossen wären zur Strafe gehängt worden, wenn
nicht Greoreas zu ihnen gehört hätte. Guingambresil schwört, sich
an dem, der ihn besiegt habe (Gavain) zu rächen und nach seinem
Namen zu forschen; er will ihm auflauern. Sobald er von seinen
Wunden geheilt war, verliess er den Hof Alain’s, an welchem er
viel geneckt wurde.
Nachdem Gavain und Elyezer bei einem Eremiten übernachtet 874. [f°14
haben, gelangen sie am folgenden Tage nach Branlant. Alles ist
in der Stadt besetzt; endlich finden sie ein Unterkommen bei einem
Fleischer, der ihnen auf Veranlassung seiner Frau eine Scheune
einräumt. Sie gehen alsdann in das Schloss, wo Lore gerade auf
Mittel und Wege sinnt, was gegen ihren Feind Gaudin de Valesfroiz s. 8 70
za machen sei. Als keiner ihrer Ritter für sie einzutreten wagt,
erbietet sich Gavain dazu. Lore aber ist enttäuscht, als sie den
von Gavain angenommenen Namen Daguenet le coart hört; sie meint,
Artas schätze sie nicht, dass er einen solchen zu ihr gesandt habe;
sie wird aber deswegen von ihrem Seneschall Brun de Branlant
getadeltt Man vergisst es, Gavain abends zum Mahle einzuladen;
dieser lässt in seiner Wohnung ein grosses Essen herrichten, zu
welchem er Arme, Bettler, Spielleute und Huren bitten lässt. Das
laute heitere Treiben lockt auch Ritter heran, die absichtlich von
Gavain nicht beachtet werden. Brun de Branlant wirft.Lore ihr
Versehen Daguenet gegenüber vor und erhält den Auftrag, die
Sache möglichst wieder gut zu machen. Am nächsten Tage wagt
es Gavain mit Eliezer allein gegen 40 eintreffende Feinde, Leute
Gaudin’s, zu kämpfen. Die meisten derselben werden getötet. Als
Gavain auf der Verfolgung nahe daran ist, in einen Hinterhalt zu
fallen, wo noch mehr Feinde liegen, reiten ihm unter Brun’s Leitung
Ritter zu Hülfe. An dem sich darauf entspinnenden Kampfe be-
teiligt sich Gavain erst wieder, als die Ritter Lorens trotz der
Tüchtigkeit des sie führenden Seneschalls zum Rückzug gezwungen
sind. Die Feinde werden alsdann besiegt. In die Stadt zurück-
gekehrt, verschenkt Gavain die von ihm erbeuteten Pferde und lässt
auf den Abend Ritter und Bürger zum Schmause einladen. Loren
und Brun, die ihn aufsuchen, lässt er sagen, er schlafe. Kaum
and diese fort, so wird das Essen aufgetragen, an dem sich so viele
Ritter beteiligen, dass nur vier auf dem Schloss bei Lore zurück-
bleiben. Lore und der Seneschall, der in Dagnenet richtig Gavain
vermutet, gehen nochmals zu dem Beleidigten und bitten ihn um
Verzeihung. — Gaudin erneuert am folgenden Tage mit vermehrten
Kräften den Kampf. Gavain verhilft zum Sieg. Als Brun mit
Zteebr. £. frz. Spr. u. Litt. XVII. 4
Beiträge zur Kenntnis der allkfranzüs. Artusromane in Prosa. 51
Als er dann, von Arcais begleitet, fortgegangen war, trifft879. [f1*
er alsbald mit den ihm auflauernden Verwandten Guingambresil’s s. 8 73
zusammen, nämlich mit Illesgaleron!), Greoreas und Brandeliz.
Gavain besiegt dieselben und Alain, zu dem sie von Arcais ge-
bracht werden, lässt sie einsperren; sie sollen sterben, falls Guin-
gambresil und Guiromelant, die nach ihrer Aussage immer noch in
einem Hinterhalt liegen, um Gavain zu überfallen, Gavain ein Leid
zufügen würden. Guingrambresil wird davon benachrichtigt, und
bedauert, nun nicht gegen Arcais kämpfen zu können. Arcais hatte
sich aufgemacht, um Gavain’s Namen zu erfahren.
Gavain und Elyezer gelangen an ein befestigtes Schloss in 8 80. [f°
einem dichten Walde und werden dort, weil sie aus Logres von
Artus’ Hof kommen, freundlich aufgenommen; denn die in dem
Schloss gefangene Dame ist Guingambresil’s Schwester, die Gavain s.8 72.
liebte, ohne ihn je gesehen zu haben. Gavain, der sich auch hier
den Namen Daguenet beilegt, verspricht ihr, ihre Neigung dem von s. 8 74.
ihr Geliebten mitzuteilen, der sie alsdann aufsuchen würde. Und
in der That, Gavain kam später nochmals zu ihr und zeugte mit
ihr einen Sohn. Deswegen hasste ihn Guingambresil nur um so mehr
und kämpfte mit ihm vor Artus im chastel de la marche. Guin-
gambresil’s Schwester stellte sich mit ihrem Kinde zwischen die
Kämpfer.
Philipp Colin wird (s. Schorbach's Ausgabe c. 572, 36 fl.) Gringelens als
Sohn Gawan's und der Schwester Brandelin’s bezeichnet. In unserem Text
ist Floree zwar nicht Brandeliz’ Schwester, aber Brandeliz lebt am Hofe
ihres Vaters. — Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf einige Ahnlich-
keiten zwischen dem oben Erzählten und Episoden im Conte du Gral hin-
weisen. Schon Crestien spricht von dem Hass Guingambresil’s auf Gavain,
aber er motiviert ihn anders als unser Kompilator; vgl. oben $ 72, 53,
ferner 8 81 mit Conte du Gral V. 6133 fi. Ahnlich wie weiter oben $ 80
Guingambresil’s Schwester ihr Kind zwischen die Kämpfenden, Bruder
und Geliebten, stellt, thut das Brandeliz’ Schwester im Conte du Gral
V. 17905 ff. Brandeliz sucht im Zweikampf mit Gavain den Tod seines
Bruders Morre de Lis und seines Vaters Melian de Lis zu rächen;
s. ibid. 17455 ff. (vgl. hierzu Histoire littéraire XXX. 192. Anm. 2, wo
gkichwie in Seiffert's Namenbuch zu den afz. Artusepen S. 38 darauf auf-
merksam gemacht wird, dass im Conte du Gral diese Geschichte Gavain’s
und seiner Geliebten zweimal und zwar mit einigen Abweichungen erzählt
wird. Nach unserem Text P heiratet jene Floree Meleant delis. Man
sieht aus alledem, dass die Ahnlichkeiten deutlich irgend einen Zusammen-
bang verraten, die Verschiedenheiten aber derart sind, dass die Annahme
einer direkten Abhängigkeit des einen Textes vom anderen unzulässig ist.
1) Zs. f. r. Ph. XVI. 116 vermutete ich, dass das Vorkommen
dieses Namens vielleicht durch eine dunkle Reminiscenz von Ille et Galeron
des Gautier d’ Arras veranlasst sei. Ich kann nicht constatieren, ob unser
Dlesgaleron, der übrigens in P eine nur sekundäre Rolle spielt, mit
Galleron de Galway zusammengebracht werden kann (s. zu diesem Histoire
ktiéraire XXX. 97, und Löseth, Le Roman en prose de Tristan, S. 277).
4*r
8.8 21°
52 E. Freymond,
[f176v°.] Guingambresil-gab seinen Groll gegen Gavain nicht auf; um
seinetwillen verlor er seine Ansprüche auf Alain’s Tochter Floree.
Diese heiratete später den tüchtigen Meliant delis, Guingambresil’s
Schwester aber ward die Frau des Meliant le gai.
$ 82. 5,871. Nachdem Artus in Clarence mit Freuden aufgenommen worden
war, trifft dieNachricht ein, dass Brandus im Lande Raubzüge ver-
anstalte. Dieser Brandus besass einen Hafenplatz Chaneviere am
Hombre, ferner eine Festung Neuwe ferte, die auch la dolereuse
chartre oder dolereuse garde hiess, weil Brandus dort Artus’ Leute,
die er in seine Hände bekam, einkerkerte!). Brehus sans pitié rät
seinem Vetter Brandus, den Sachsenführer Oriot, der in Karadigan
eingefallen war, um Hülfe zu bitten und ihm Gefolgschaft zu ver-
sprechen. Das geschieht; Oriot giebt dem von Brandus abgesandten
Brehus bedeutende Truppen mit, mit denen dieser dem Artus, der am
Hombre lagerte, in den Rücken kommt, Für den nächsten Tag
wird eine Schlacht vorbereitet und Brandus wird verständigt.
883. [11770] Nachdem sich Gavain, ohne seinen Namen zu nennen, von
5.880. Guingambresil’s Schwester verabschiedet hatte, schickt diese einen
Knappen an Artus’ Hof, um die Ritter daselbst kennen zu lernen,
884 Gavain war in eine morastige Gegend geraten, durch welche
nur ein Pfad führte; hier lauern auf ihn Guingambresil und
Giromelant, die sich mit je 5 Rittern in einiger Entfernung von
einander aufgestellt hatten. Gavain wappnet sich und schickt einst-
weilen seinen Knappen Elyezer voraus, der das ehedem Guingam-
bresil gehörende Pferd führt. Es kommt zum Streit, in welchem
Gavain zunächst Guingambresil mit seiner Begleitung, darauf
Giromelant mit den anderen 5 Rittern besiegt. Elyezer führt die
erbeuteten Pferde mit. Am Abend treffen Gavain und sein Knappe
in Bedingan in der Mark Cornoaille ein. Gavain wird hier geehrt;
er vernimmt, dass sich Urien mit Artus versöhnt habe und dass
Artus mit seinen Genossen in der Richtung gegen Karlion aus-
gezogen sei. In Karlion angelangt, lässt Gavain hier seinen Tross
zurück und folgt dann Artus nach,
885, [f°179v°.] Am 5. Tage trifft er vor der dolereuse garde ein. Über der
Freude des Wiedersehens wird ganz daran vergessen, die nötigen
Wachen auszustellen. Durch aufregende Träume erschreckt, lassen
Artus und Gavain ihre Leute alarmieren; dazu hört man eine
laute Stimme, die zu den Waffen ruft. Es ist diejenige Merlin's,
der von Blaise in Northumberland hergeeilt war und auf den bevor-
. stehenden Überfall der Sachsen aufmerksam macht. Auf Gavain's
Geheiss wird Guenieyre in Sicherheit gebracht; Elyezer führte sie
1) Die mauvaise coustume dieses Platzes wurde später durch Lancelot
beseitigt. Vgl. P. Paris, Romans II. 154 fi. 194 ff.
Beiträge zur Kenntnis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 53
durch eine Furt. An diesem Orte, der seitdem gue la roine hiess,
besiegte später Lancelot den Alibon, bevor er das schwierige Aben-
teuer an der dolereuse garde bestand!). Die Feinde, die Artus in den
Bücken fallen wollten, werden mit starken Verlusten geschlagen;
auf der Flucht ertrinken ihrer nahezu 20000, im Hombre. Da
stürzen neue Feinde aus der dolereuse garde hervor; Merlin macht
auch auf diese Gefahr aufmerksam, und auch diese Scharen werden
besiegt. Artus lässt Guenievre durch Galetcondet den Sieg verkünden
and sie zurückholen. Die Freude im Lager ist gross; darin ist
man einig, dass das Heer ohne jene geheimnisvolle Stimme, die zu
den Waffen gerufen hat, verloren gewesen wäre. Man kann
nicht erfahren, von wem sie gekommen ist; denn Merlin war in-
zwischen wieder zu Blaise und von da zu seiner gelehrigen Ge-
liebten gegangen. — Nachdem Artus die Beute verteilt hatte, wird
beschlossen, die Belagerung des sehr stark befestigten Kastells auf-
zubeben, dagegen in den umliegenden Marken gute Wachen zurück-
zulassen, um feindliche Plünderungszüge zu verhindern.
Artus zieht nach Logres, wo zu Ostern eine glänzende Hot- 8 86. [f°
kaltung stattfinden soll. Boten mit Einladungen dazu werden
heramgeschickt, so an König Karados?) von Estregor, an Belinant
von Sorgales, an Tradelinant von Norgales u. s. w. Nach Benoyc
werden Bretel, Jordain und Urfin gesandt; sie treffen unterwegs zu
ihrer Freude Kalogrenant, einen Ritter der Königin und Mitglied
der Tafelrunde, der in der Bretagne einen Vetter, einen Lehnsmann
des Herzogs Clinarant von Bretagne, aufsuchen wollte. Kalogrenant
schliesst sich ihnen an; sie landen in Poitou, kommen dann an den
Forst von Breceliande, wo sich die Boten von Kalogrenant trennen.
Inzwischen führte Merlin bei Niniane*) ein angenehmes Leben; $ 87.
sie zeigte sich ihm nur darum go geneigt, weil sie so viel vonihm lernte; s. 8 67
denn jedesmal, wenn er sie berührte, versetzte sie ihn in einen tiefen
Schlaf. Wenn Merlin sie alsdann verlassen hatte, wurde es ihm klar,
1) Vgl. die Episode im Prosa-Lancelot, P. Paris, Romans II. 152 f.
Nach dem Merlin-Huth verdankte der gué de la reine seinen Namen einer
anderen Begebenheit, bei der es sich gleichwohl auch darum handelte,
Guenievre vor Feinden in Sicherheit zu bringen.
3) Statt des handschriftlichen Karaquados wird man wohl Karados
sus einzusetzen haben.
5) Ich gebe absichtlich die folgenden Episoden, in welchen die
Gründung der Wunderquelle und Kalogrenant’s Abenteuer an derselben
geschildert werden, ausführlich wieder. Zur wenig motivierten, aber
vielfach vorkommenden Identificierung Ninianens mit der Dame du lac
verweise ich auf Rajna, Fonti deli’ Orlando furioso, 113, Anm.; ferner
auf G. Paris, Merlin Bd. I. S. XLV f. — s. noch ibid. II. 136 f. Das
Liebesverhältniss zwischen Merlin und Niviene ibid. IL. 139 ff. Niviene
ist hier Tochter des Königs von Northumberland.
Beüräge sur Kenntnis der allfraneös. Artusromane in Prosa. 55
Kalogrenant erschrickt beim Anblick des Waldmenschen, geht888, [118
aber auf ihn zu. Auf die an ihn gerichteten Fragen antwortet 8-8 86.
Merlin, er sei der, der er sei, Herr dieses Forstes, dessen Tiere ihm
aufs Wort gehorchen und wenn er es wolle, an einer in der Nähe
befindlichen Quelle getränkt werden. Diese Quelle werde von einem
No. 1548. f°18b; No. 1608. f°52b; No. 1609. f?20d; No. 1822. f°157a;
No. 2173. f°21a; No. 2177. fo 14v°; No. 2480. fo 39v°; No. 14964. fo41v0.
Den Abschnitt über Indien aus der Image du monde hat übrigens Le Roux
de Lincy in seinem Livre des légendes, Paris, 1836. S. 207, abgedruckt;
ferner sei verwiesen auf Gossonin’s Prosaversion der Image du monde,
Bibl. Nat. f. f. 574. f°52d; No. 25344. f°46a; auf die kürzere Prosa-
version, Incunabeldruck o. D. u. J., Bibl. Nat. D. 3782. f°C1., endlich
auf Le Mirouer du monde nouuellement imprime a Genesue 1517, fo, IV. v°.
(ber alle diese Monstren berichtet auch Jean de Preis, dit d'Outremeuse,
rs des histors ed. Borgnet. I. 283; ferner kurz Schedel’s Buch
D ronde iken und Geschichten, Nürnberg, 1498, Blatt XII. Einzelnes
davon findet sich in der Alexandersage und in der Brandanlegende.
8. übrigens auch Suchier, Denkmäler provensalischer Litt. u. Spr. I. 344
und 564; ferner F. Liebrecht, Zur Volkskunde. Heilbronn 1879, S. 90 f.;
dann den unedierten Artusroman Rigomer (s. Histoire littéraire XXX. 90);
den italienischen Prosaroman Fortunato (Florenz, Btbl. Nazion. Ms
Ponciatich. 36. f°78ff. XV. Jahrh.) auf den mich Herr P. Rajna auf-
merksam machte, desgleichen wie auf den Ugone d’Avernia des Andrea
da Barberino (her. von Zambrini & Bacchi della Lega. Scelta di curiositä
letterarie... CLXXXVIU. Bologna 1882). In diesem Roman wird (s. S. 232)
von dem Riesen Marabus eine Schilderung gegeben, die einigermassen an
die obige Schilderung Merlin's erinnert. Im weiteren Verlaufe des Romans
kommen allerlei Monstra vor; s. die bisher nur auf den ersten Band ge-
diebene Ausgabe S. 308 ff.; ferner die von mir benützte Hs. des Romans,
Bibl. Nas. Cod. Magliabechiano. Cl. VI. 81, P. UI. No. 59 f°47 f.
Specieller die Rede von diesen Monstren ist in dem Roman des monstres
d'hommes en Orient et en Inde (Bibl. Nat. f. f. 15106). Von denen, deren
Füsse wie diejenigen Merlin's nach hinten gerichtet sind — Isidorus nennt
sie Antipodes — heisst es da, sie lebten fortwährend in Streit und Hader;
mit ihnen werden in dem Gedicht diejenigen verglichen, die, anstatt geordnet
zu leben, sich in Wirtshäusern und Bordellen herumtreiben und dort streiten.
Dieser Roman bringt also die aus verschiedenen Quellen entnommenen Schilde-
monströser Völkerschaiten, um mit ihnen allerlei Sünder zu ver-
gleichen. Es handelt sich hier um ein moralisierendes Gedicht, das eine
Reihe von scharfen Ausfällen gegen die Geistlichkeit und gegen Rom
enthält. Nach meinem Dafürhalten haben vielleicht an diesem Gedicht, das
1810 paarweis gereimte Achtsilbner zählt, zwei verschiedene Autoren ge-
arbeitet. Ich benütze schliesslich noch diese Gelegenheit, um darauf hin-
zuweisen, dass ähnliche monströse Vorstellungen wie die oben genannten
such in der echten walisischen Sage vorkommen; vgl. die Erzählung von
Kulbwch und Olwen, wo (s. Les Mabinogion I. 219) ein gewisser Gwevyl
auftritt, der, wenn er traurig war, die eine seiner Lippen bis auf den
Nabel 'herunterhängen liess, während die andere über seinem Kopf gleich-
sam eine Kapuze bildete. Von Ähnlichem weiss schon Isidor zu erzählen;
s L c. CXLIX. r°: Aliae[gentes]labro superiore adeo prominenti ut in
sois ardoribus totam ex eo fuciem contegant dormientes. — Auf alle diese
Dinge werde ich in einer besonderen Untersuchung zurückkommen.
2 2-7 7027
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 57
nannte; über der Quelle erbaute sie eine Kapelle, sie setzte den
Stein hin, brachte das Becken an und verzauberte den Ort derart,
dass sich jedesmal, wenn ein fahrender Ritter Wasser aus dem
Becken auf den Stein goss, ein furchtbares Gewitter erhob; Brehus
aber sollte dann jedesmal kämpfen und des Gegners Pferd fort-
sehmen; würde Brehus besiegt werden, so sollte der Sieger mit ihm
anfangen was er wollte. So führte Lunete diesen Brauch an der
Quelle ein, der alle Zeit Gültigkeit haben sollte.
Brandus, niedergeschlagen wegen der Besiegung der Sachsen,890.s.888
die ihm helfen sollten, will den Abzug Artus’ dazu benützen, um
seinen Vetter und dessen Geliebte in der Bretagne aufzusuchen.
Nachdem er sein Schloss der Obhut eines Onkels überlassen hatte,
führt er seinen Plan aus und findet bei seinem Vetter Brehus
freundliche Aufnahme. Lunete bittet Ninianen zu sich, um ihr den
Gast zu zeigen. Niniane verliebt sich in Brandus und belehrt ihn
in ihren Künsten. So oft aber Merlin bei Niniane weilte, ver-
kehrte Brandus mit seinem Vetter und beide gaben sich dem Jagd-
vergnügen hin.
So lebten die beiden Vettern lange fröhlich und vergnügt mitsg 91.
den beiden Cousinen. Um sie zu trennen, schickte Merlin den Kalo- 8.888.
grenant zur Quelle; denn er wusste wohl, dass dieser das Abenteuer
berumsprechen würde. Merlin durchschaute recht gut Ninianen, die
ihm seine Liebe schlecht vergalt!); trotzdem konnte er nicht von
ihr lassen. Um ihretwillen sollte er dereinst schwere körperliche
Qualen erdulden; allein den Geist?) Merlin’s wollte Gott nicht ver-
derben lassen; Merlin sollte daher von einem keuschen, getreuen
Spross aus dem Geschlechte David’s befreit werden, wie das noch
berichtet werden wird, wenn Walter Map mit Gottes Hülfe die auf
Bitten des Königs Henri begonnene Übersetzung aus dem Lateinischen
so weit gefördert haben wird.?)
Die drei Boten, die Ban und Bohor zu Artus’ Hofhaltung ein-892, [f° 1!
laden sollten, waren nach Gaunes gelangt. Bohor’s Unterthanen 3 86.
waren gegen ihren Herrn aufgebracht, weil er seinen langjährigen
Connetable Pharien seines Besitzes enterbt hatte. Es geschah dies
aus folgendem Grunde: Pharien’s Onkel liebte eine Dame, die noch
1) S. dazu Merlin-Huth II. 193 fi.
*) In den Prophéties de Merlin (Berner codex 388) frägt die dame
du lac Merlin, nachdem sie ihn im Grabe eingeschlossen hatte, wie lange
sein Geist noch im Körper leben werde. Merlin antwortet [f°76a] li chars
desor moi sera porrie ains que .I. mois soit passes. mais mes esperit ne
faudra de parler a tous cex qui ci venront. Vgl. dazu noch Ariosto, Orl.
fer. UL 8 ff. Merlin's Grab enthält co! corpo morto il vivo spirto.
8. hierzu schon oben 8 67; vgl. Zs. f. r. Ph. XVI 108 ff.; ferner
Nutt, tes on the legend of the holy Grau. 119.
Beiträge sur Kenninis der alifransüs. Artusromane in Prosa. 59
Kalogrenant ergreift seine Waffen und besteigt sein Pferd. Im
Kampfe reisst der Sattelgurt und Kalogrenant wird, den Sattel
zwischen den Beinen, abgeworfen; sein Pferd wird von dem
Gegner fortgeführt.
So muss Kalogrenant zu Fuss fortgehen; gegen Abend ruht 8 95. [f°
er etwas aus; da sieht er eine starke gewappnete Schaar daher-
kommen, die von Pharien geführt wird. Pharien hatte soeben s. 8 92.
mit Leonce einen Waffenstillstand geschlossen. Er erkennt Kalo-
grenant, ist sehr erstaunt über dessen Abenteuerbericht und be-
stimmt Kalogrenant dazu, wenigstens eine Nacht bei ihm im Schlosse
desus Arsie zu rasten. Auf Kalogrenant’s Vorschlag, mit an Artus’
Hof zu kommen, vermag Pharien, da er Claudas Lehnstreue ge-
schworen hat, nicht einzugehen, er bittet aber seinen Gast, sich
gegebenenfalls seiner zu erinnern.
Kalogrenant macht sich am nächsten Morgen auf nach Burgund $ 96.
zu seinem Vetter, dem Lehnsmann des Herzogs Clinarant!), Von s. 8 86.
da begiebt er sich wieder nach Britannien.
Guenievre ist traurig darüber, dass an der bevorstehenden, 8 97. [f°
glänzend vorbereiteten Hofhaltung ihr Vater Leodegan krankheits-
halber fehlen muss, noch mehr aber schmerzt sie, dass Gosangos
ausbleibt, dem sie ihre Liebe zugesagt hatte. Gosangos hatte ge- s. 8 68.
schworen, bevor er Artus’ Hof wieder betrete, an Gavain Rache dafür
zu nehmen, dass er seine Freunde (Guingambresil u. s. w.) verwundet s.8 84.
habe. Gosangos und Guenievre waren später eines Tages nahe daran,
ihre Liebe ganz.zu geniessen, allein Gavain überraschte nnd trennte
sie. Der heftige Streit, der damals zwischen Gosangos und Gavain
entstand, wurde durch die Mitglieder der Tafelrunde geschlichtet.
An der Hofhaltung Artus’ nehmen auch Alain von Escavalon 8 98. s.
und Arquais teil. Dieser hatte Gavain erkannt und somit seine $ 721.
Suche vollendet; doch veranlasst er Alain dazu, einstweilen Gavain s.8 79.
gegenüber nichts davon merken zu lassen, weil dadurch Gavain’s
Thaten, die dieser gern verheimliche, bekannt würden. Während
des glänzenden Festes werden 500 Jünglinge zu Rittern geschlagen.
Nach der Messe produzieren sich Spielleute aller Art. Da ersclıeint
plötzlich Kalogrenant, der mit um so grösserer Freude aufgenommen
wird, als er lange vergebens gesucht worden war. Nach dem Malle
unterhalten sich die Festgenossen durch Mitteilung von Erzählungen
1) Der Schreiber von P schreibt die Namen gar sehr verschieden;
neben dem zweimal vorkommenden Clinurant findet sich auch die Namens-
form Elinant. Bemerkt sei bei dieser Gelegenheit, dass ich in meiner
Inhaltsangabe auf eine Uniformierung der Namensformen kein Gewicht
gelegt habe, vielmehr absichtlich hie und da die verschiedenen Graphien
für ein und denselben Namen angebe: so Guiromelant neben Giromelant,
Gosenges neben Gosangos u. s. f.
60 E. Freymond,
u. dergl. Artus fordert Gavain dazu auf, seine Abenteuer zu be-
richten. Gavain thut dies, nachdem er geschworen, nur Wahres
zu erzählen. Als er geendet hat, springen Alain und Arquais auf
ihn zu, um ihm ihre Freude und ihren Dank auszusprechen; sie
machen ihm Vorwürfe, dass er sich bei ihnen so verstellt habe,
— Die erzählten Abenteuer werden von den Clercs wörtlich nieder-
geschrieben; doch brachten diese in ihren Berichten nichts davon,
dass Gavain das Lager Floreens, der Tochter Alain's, geteilt hatte.
Dies kam erst später heraus, als sie ein Kind gebar, und dann
glaubte man an das Abenteuer,
8. $ 94. Dann berichtet Kalogrenant auf Artus Wunsch seine Er-
lebnisse an der Quelle im Walde von Breceliande. Die Zuhörer
sind darüber nicht wenig erstaunt und sprechen den Wunsch aus,
das Abenteuer zu versuchen; Yvain versichert, dass er, so wahr
ihm Gott helfe, hingehen wolle, wenn auch nur, um das zu sehen.
3100. [1° 187.] Acht volle Tage dauern die Festlichkeiten. In dieser Zeit
kommt Guionmar viel mit Artus’ Schwester Morgant zusammen),
einer der heissblütigsten Frauen von ganz Grossbritannien; willig
giebt sie sich dem schönen Jüngling hin, bis das Paar von
Guenievre überrascht wird. Die Königin fürchtet für ihren Vetter
den Zorn Artus’ und sie zwingt Guionmar, ihr zu schwören, dass
er sich Morgant in dieser Weise nie mehr nähern werde; sie müsse
sonst Artus davon in Kenntnis setzen. Morgant, traurig darüber,
packt ihre Habe und ihren Schmuck zusammen, und verlässt heim-
lich den Hof, um sich in den Forst von Sarpenic zu begeben. Hier
bittet sie Gott, ihr Merlin als Berater zuzusenden.
8101. Merlin kommt auch hin und belehrt sie, sodass Niniane bald
».$91. von seinen Künsten nicht mehr weiss, als Morgant. Um ihretwillen
vernachlässigt Merlin Niniane und diese letztere fesselt ihn nur,
wenn sie ihn zu lüngerem Verweilen beschwört. Merlin findet an
Morgant eine so gelehrige Schülerin, dass sie bald alles weiss und
fertigbringt?).
8 102. Lange Zeit nachdem Merlin verschollen war, errichtete Morgant
herrliche Wundersäle, wie sie noch niemand gesehen hatte. Eines
Tages dachte sie daran, die Königin Guenievre und die Mitglieder
der Tafelrunde zu erzürnen und soweit zu bringen, dass sie
ihren Geliebten Guionmar bei sich hätte; Ritter, welche von der
Königin geliebt wurden, wollte Morgant ihr auf Nimmerwiedersehen
entführen. Sie ging noch über Escalon le tenebreus hinaus in ein tief-
gelegenes Thal, das vom Walde von Sarpenie begrenzt war. Von
?) S, zu alledem oben S. 13 ff.
2) Alles dies wird auch im Prosa-Lancelot erzählt. Vgl. P. Paris,
Romans IV. 292 f.
Beiträge sur Kenninis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 61
diesem Thal aus führte ein Weg nach Sorelois, der andere nach dem
Sehmerzenturm (dolereuse tor). In diesem schönen Thal, dort wo die
Wege auseinandergingen, liess sie eine Kapelle erbauen und sie ver-
zauberte sie so, dass alle Ritter und Damen, die je in ihrer Liebe
gefehit hätten, einmal hineingelangt, nicht mehr heraus konnten, so
lange bis derjenige hinkäme, der nie in seiner Liebe gefehlt hätte.
Jungfrauen, Knappen und Ritter, die nie geliebt hatten, konnten frei
ausgehen, sie konnten aber die Gefangenen nicht befreien. Dort
blieb Morgant lange. Oben auf dem Hügel liess sie ein Kreuz an-
bringen, mit einer Weisung an die Vorübergehenden: Der Wanderer
solle den Weg wählen, der ihm passe; wolle er schwere Abenteuer
meiden, 80 solle er den Weg rechts gehen, der ihn nach Sorelois
führen werde; der mittlere Weg leite zum Schmerzenturm und der
links zum va! sanz retor, den noch keiner, der in der Liebe gefehlt
hätte, zurückgekommen sei. Derjenige, der das Abenteuer des Thales
nicht bestehen würde, werde auch nicht über dasjenige beim Schmerzen-
turm obsiegen, noch aus dem Wasser bei der Klippe!) die beiden
keuschen Liebenden herausholen. Derjenige, der ohne das Aben-
teuer bei Escalon le tenebreus bestanden zu haben, ins val sanz retor
komme, werde darin bleiben müssen, bis endlich der Befreier er-
scheinen werde, der zugleich der Sohn des vor Schmerz gestorbenen
Königs und der Königin mit den grossen Schmerzen sein werde?).
In der Zeit da Merlin viel mit Morgant verkehrte, liebte ein$ 108. [f?
Ritter in der Herrschaft Escalon*) die Tochter des Schlossherrn und
wurde von ihr wiedergeliebt. Sie konnten nicht zu einander kommen.
An einem Ostermittwoch, als die Tenebrae gefeiert wurden, pflegten
sie, nachdem die Lichter verlöscht waren, in der Kirche der Liebe.
Das bemerkte ein frommer Mann; entsetzt, bat er in seinem Zorn
Gott darum, Schloss und Kirche in tiefste Finsternis zu versetzen.
Das geschah und dies Dunkel währte lange an‘).
!) Desos la falaise. Falaise ist übrigens bekanntlich der Name
einer Stadt in Calvados. Die interessante Episode, die in Einzelheiten
an mehrere weitverbreitete Sagen erinnert, wird im Prosa- Lancelot erzählt;
s. P. Paris, Romans IV 307 ff. Der Stoff, ein echter Laistoff, ist kurz
folgender: Ein Ritter ertränkt aus Eifersucht den früheren Geliebten
seiner Frau. obgleich letztere die Treue nie verletzt hat; ihr (Gatte
selbst unterrichtet sie von dieser That; darauf stürzt sie sich ins Meer,
nachdem sie Gott gebeten, ihr zu verzeihen und sie nach ihrem Tod für
ihre eheliche Treue durch eine Vereinigung mit dem immer noch geliebten,
ins Meer Versenkten zu belohnen. Die Bitte wird erhört.
3) Es ist das Lancelot, der dem Zauber des val sans retour ein
Ende bereitet; s. P. Paris, Romans IV. 284 fi. Vgl. ausserdem noch
ibid. 236 ff.
3) Vgl. zu dieser Episode die Darstellung ibid. 229 ff.
*) Bis Lancelot den Zauber löste; s. ibid. 279 ff.
Beiträge zur Kenninis der altfranzôs. Artusromane in Prosa. 63
tolgendes Abenteuer ein: Sein Schloss wird von einer doppelten Mauer
umgeben. Am Thor der ersten Mauer muss jeder dahin gelangende
Ritter mit 10 der besten Gegner, dann mit Karacados kämpfen.
Bei dem zweiten Thor führt ein schmales, schwankendes Breit
über einen tiefen Graben. Am Ende des Brettes steht demjenigen,
der bis dahin alles glücklich ausgeführt hat, ein schwerer Kampf
bevor, zuerst mit einem, dann mit zwei u. s. w., endlich mit 5 Rittern,
schliesslich muss derselbe noch einen neuen Kampf auf Leben und
Tod mit Karacados eingehen. Ist auch dies überstanden, so ist der
Sieger Herr des Schlosses und des Schmerzenturmes; in diesem
letzteren werden alle diejenigen eingekerkert, welche ohne Erfolg
das Abenteuer hatten versuchen wollen.
Nachdem es bekannt geworden war, dass Morgant den Hof$105. [f° 189
verlassen hatte, lässt Artus sie überall suchen. Guenievre lässt sich 3-8 100.
von Guionmar eidlich versichern, dass er nichts über ihren Aufenthalt
wisse; Guionmar will aber nicht eher ruhen, als bis er näheres darüber
erfahren haben werde.
Während der Hofhaltung in Logres zu Ostern werden neue$ 106.
Sachseneinfälle gemeldet. Der Herzog von Cambenic, König Aguis-
cant und Ydier von Cornoaille gehen heim, um ihre bedrohten Länder
zu verteidigen. Artus, der in Logres verbleibt, verspricht ihnen,
nötigenfalls Hülfe zuzusenden.
Bald darauf meldet Banin, der Sohn des Gracien von Trebes, 8 107. s. 8 9!
im Namen Leoncens, dass Claudas den Waffenstillstand gebrochen
habe, den Leonce mit Pharien geschlossen hatte; sein Bundesgenosse,
der König von Gales!) sei in die Touraine eingebrochen, Pharien be-
kriege die Bretagne und unternehme Raubzüge bis in die Nähe
von Gaunes.
Bohor und Ban verlassen Logres. Ban belehnt unterwegs die $ 108. s.8 9
von ihm geliebte Nichte des Herrn des Mares mit den Schlössern
Charrot und Oeleuant bei Karadigan. Artus, der ihnen das Geleite s. $ 25.
giebt, billigt das. — Nach glücklicher Meeresfahrt landen die Brüder
Ban und Bohor, ferner Antor in La Rochele. Bohor bleibt in Gaunes,
Ban geht nach Benoyc, Antor nach Trebes und von da nach Tours.
Claudas wird von Antor besiegt und sein Land wird verwüstet.
Claudas zieht mit einem neuen Heer vor die Stadt Trebes, wo sich
die Königin Helaine befand. Ban eilt zu Hülfe und macht reiche s. $ 29.
Beute. Inzwischen rückt Bohor vor und brandschatzt das Land
Claudas' geren Monlaus hin. Der vernichtende Krieg dauerte 4 Jahre
lang; schliesslich zogen Ban und Bohor dabei den kürzeren. Sie
waren alt, Bohor auch gichtleidend, und sie konnten das Reiten nicht
mehr vertragen. Claudas ward Lehnsmann des Königs von Gaule
N) Es wird Gaule zu lesen sein.
Beiträge sur Kenntnis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 65
wenigstens nach dem Tode mit ihm vereint zu sein und hat schon
einen steinernen Sarg für sie beide vor dem Altar der Kapelle bereit-
stehen.
Maduc der schwarze, der Lorens Lehnsmann geworden war, 8 111. s.
richtet auch seinerseits einen schlimmen Brauch ein: jeder zu ihm
kommende Ritter muss, ob bewaffnet oder nicht, mit ihm kämpfen;
siegt Maduc, so schlägt er jenem das Haupt herunter, lässt es auf
eine Stange stecken und alsbald wird ein neuer Pfahl errichtet.
Häufig überlistet er die zu ihm Kommenden. Er hielt nämlich
stets ein Essen bereit; kam nun ein Ritter, der lange nichts zu sich
genommen hatte und löste er seinen Helm, um seinen Hunger zu
befriedigen, so trat Maduc hinterlistig hinzu und tötete den Ahnungs-
losen. So richtete Maduc grossen Schaden an.
Während Artus in Logres weilt, werden wieder Einfälleg 112. [F
von Sachsen gemeldet; die Ritter der Tafelrunde versichern dems-58110.
König ihre Hülfe. Als das die Leute erfahren, welche Artus und
seinen Rittern übel wollen, führen sie allerlei üble Bräuche ein, die
jenen schaden sollen.
Zuerst thut dies Urien, der, in sein Land zurückgekehrt, 8118. s.
auf Mittel und Wege sinnt, um dasselbige zu befestigen und
zu bevölkern. Er berät sich zu diesem Zweck mit seinem Neffen
Bademagu, dem er die Verwaltung seines ganzen Landes über-
geben hat. Bademagu besitzt aus erster Ehe eine Tochter, aus
zweiter Ehe einen Sohn Namens Meleagant. Auf Bademagu’s
Rat errichtet Urien zwei Brücken), um den Eintritt in das
Königreich Gorre zu erschweren. Die eine, die Schwertbrücke (ponz
de lespee), führt bei der Stadt Sorhan über einen breiten, schwarzen
und tiefen Fluss. An seinen beiden Ufern wird je ein Eichen-
stamm eingerammt; auf ihnen ruhen die Enden einer aus Eisen und
Stahl zusammengeschweissten Metallplatte, die einen halben Fuss
breit war, und zwar wird diese Metallplatte so angebracht, dass
ihre so scharf wie ein Rasiermesser geschliffenen Schneiden nach
oben und unten liegen. Am Brückenende, das der Stadt zunächst
liegt, halten zwei wunderbare kupferne Löwen Wache, die lebendig
zu sein scheinen. Hinter ihnen hat ein Ritter seinen Stand, mit dem
ein jeder, der weiter will, kämpfen muss. Die Besiegten und die-
jenigen, die nicht über die Brücke wollen, müssen schwören, in der
Stadt, die man die Stadt der Verbannten nennt, wie Gefangene zu
bleiben, bis ein Retter erscheine. Dasselbe Schicksal trifft diejenigen,
1) Mehrere der oben mitgeteilten Züge sind aus Crestien’s Lancelot
and aus dem Prosa-Lancelot bekannt; ich verweise auf P. Paris, Romans
IV 138 ff. V. 27 f.: ferner G. Paris, Romania XII, 467 f., 473 f., 502 ff,
508 ff; Hast. litt. XXX. 84; Baist, Zs. f. r. Ph. XIV. 159 f. S. auch
noch oben S. 45, Anm. 1.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII. 5
Beiträge zur Kenninis der alifraneös. Artusromane in Prosa. 67
gegen Galaot, aber ohne Erfolg; denn Gloier starb. Galaot war
darüber betrübt und sorgte für die kleinen Kinder des Verstorbenen,
— Darauf wandte sich Galaot gegen seinen Vetter, den König der
100 Ritter, der ihm bald sein Land übergab und Seneschall wurde.
Ia Orkanie wurde noch Lac Galaot’s Lehnsmann.
Danach betrat Galaot das Reich Alain’s, des Bruders derg 117. fi
Könige Pellinor und Pelles von Corbenic; ihr Vetter war Pellinor,
der reiche Fischerkönig, der am Schenkel durch die rächende Lanze
verwundet war. Dieser konnte nicht reiten; er musste sich auf
einem Schiff fahren lassen, wenn er Unterhaltung suchte oder zum
heiligen Gefäss unseres Herrn gelangen wollte, um dem Gottesdienst
beizuwohnen. Diesen Gottesdienst hielt dort täglich der heilige
Geist selbst ab und er gab denen, die an der Tafel sassen, das
Sakrament, welches der Menschen Herz und Geist erquickt. In
dieser Zeit sassen an jener Tafel nur Pellinor, dessen Sohn Perceval
damals erst ein halbes Jahr alt war, und der gleichfalls durch die
Lanze verwundete König Alain, ferner der kranke König, von dem
ausführlich im Anfang der Erzählung berichtet worden ist, Mordrain
von Sarraz, der sich nur von der Hostie nährte, welche ihm täglich
ein Engel reichte. Das Gefäss hütete ein Mädchen von 5 Jahren
und die noch jüngere Tochter Pellinor’s. Alles dies wird noch be-
richtet und erklärt werden, wenn von der Suche der umbher-
wandernden Ritter die Rede sein wird!).
Als Galaot das Land, in welchem sich dies Heiligtum befindet, 8 118.
zu zerstören beginnt, erhebt sich ein furchtbares Unwetter, welches
einen Monat andauert und Galaot nachdenklich macht. Da er-
scheint ihm Merlin als Eremit verkleidet und macht ihm Vorwürfe,
dass er Gott, der ihm so viele Güter gegeben, entehre; er werde
das, was er begonnen, nicht vollenden. „Denn® — so fährt Merlin
fort — „der wunderbare Leopard ist geboren, der dich an der
Vollendung deines Unternehmens hindern wird durch die Macht des
dir Unbekannten, dem du in deinem Traumgesicht dein Herz als
Nahrung darbotest.*?) Als Merlin Galaot’s Gedanken, die dieser
1) Diese Stelle, die ich vollständig Zs. f. r. Ph. XVI 105 wieder-
gegeben habe, beweist, dass die Compilation auch eine Queste du Gral ent-
ten sollte; ob dieselbe mit der Walter Map zugeschriebenen identisch
war, ist um so fraglicher, als an der erwähnten Stelle Perceval nicht
Pelleban’s Sohn ist, sondern als Sohn Pellinor’s bezeichnet wird, d. h.
geradeso wie im Merlin-Huth und in der portugiesischen Demanda do
Santo Graall. Vgl. hierzu 1. c. 95 Anm. und Merlin-Huth Bd. I. S. LVIII.
Zu diesen Namen vgl. noch Heinzel, Gralromane. S. 65 f. Anm.
?) Der wunderbare Leopard ist hier wie auch anderwärts (s. oben
% 29 und Anm.) Lancelot, der vor kurzem zur Welt gekommen war
vgl. 8 109). Im Prosa-Lancelot wird bekanntlich davon erzählt, dass
lot Galaot dazu veranlasst, den Krieg gegen Artus aufzugeben und
5*
Beiträge zur Kenntnis der alfframeös. Artusromane in Prosa. 69
der König getötet werden. Das Gleiche kann dich treffen, wenn du
noch weiter vordringst“. Das Vorausgehende behauptet Merlin aus
Mitleid für Galaot’s Volk mitgeteilt zu haben, welches mit ihm zu
Grunde gerichtet werden würde. Als Beweis für die Wahrheit des
Gesagten werde der Sturm und das Blitzen andauern, solange Galaot
noch an diesen Orten verweile. Das Unwetter würde von Tag zu
Tag schlimmer werden; endlich würde Galaot mit all’ den Seinen
vom Blitz erschlagen werden. Nachdem Merlin noch Galaot Gott
empfohlen, verschwindet er und geht zu Blaise nach Northomber- s. 867
lande, um diesem Bericht zu erstatten. — Galaot will die Mit-
teilangen des Eremiten (Merlin), die ihn nachdenklich machen, auf
ihre Richtigkeit hin prüfen; er bleibt noch drei Tage dort, muss
aber des mehr und mehr zunehmenden Unwetters wegen weiter-
ziehen; zuletzt hatte es rote Steine geregnet. Er lagert am Fluss
Saverne, bittet Gott wegen der Prüfung um Gnade und begiebt sich
dann nach Sorelois.
Zum Schutze gegen das Wasser lässt Galaot dort einen Damm $ 119.
errichten, an dessen Ende er einen hohen steinernen Turm erbauen
lässt. Einer seiner tüchtigsten Ritter hat denselben gegen hinzu-
gelangende Abenteurer zu verteidigen; wird er besiegt, so muss
der Gegner alsdann 10 Kämpen entgegentreten; werden auch diese
überwunden, so ist der Sieger so lange zur Verteidigung des
Turmes genötigt, bis ein neuer Ritter und 10 neue Kämpen, von
Galaot abgesandt, ihn ablösen. Versucht einer das Abenteuer
obne Erfolg, so wird er ins Gefängnis geworfen. Ausserdem baut
Galaot noch ein versteckt gelegenes, stark befestigtes Schloss mit
zwei Drehbrücken, in welchem er sich gern aufhält, ferner — er
verhehlt, zu welchem Zweck — gründet er an der Grenze seines
Stammlandes ein weiteres Schloss mit grossem Säulensaal. Galaot
begiebt sich in das erste Schloss, welches die „verlorene Insel“ heisst.
Er bekriegt seine Nachbarn, die er sich alle unterwerfen will;
auch Artus wünscht er mit Krieg zu überziehen. 28 Könige be-
siegt er; er will sich erst krönen lassen, wenn er sich 30 Könige
anterthänig gemacht haben würde. So denkt dieser unternehmende
Mann. Meister Walter Map erzählt an dieser Stelle nichts mehr s.8 11t
von ihm.
Am Tage nach Himmelfahrt kommt eine Jungfrau, die Nichteg 120. [f°
der weisen Dame vom abenteuerlichen Walde, an Artus’ Hof und 5.8 11!
verlangt einen von ihr zu nennenden Ritter der Tafelrunde zu ihrem
Herrn und Gatten; sollte dieser ihre Werbung abweisen, so wünsche
sie die Hülfe irgend eines anderen Ritters, um ihr Land zu befreien,
dessen Eintritt durch die laide semblance versperrt werde.
Es handele sich um eine sehr schwierige Aufgabe: derjenige, der 8 121.
diesscheussliche \Vesen glücklich erreiche, müsse es sorgfältig mit einem
Beiträge sur Kenntnis der altfransös. Artusromane in Prosa. 71
Artus will den sehr ehren, der dies Abenteuer ausführt. Auf g 122.
seine Fragen giebt die Jungfrau dann Greu, den Sohn des Königs
von Aleine, ihres Nachbarn, als ihren Auserwählten an. Artus ist mit
dieser Wahl einverstanden. Greu weist die Jungfrau nicht zurück,
aber er meint, sie müsse noch eine Zeit lang warten; er wolle sich
nicht so rasch an eine Frau binden und habe einstweilen ein anderes
Unternehmen vor. Artus sagt daraufhin, er könne auf Greu keinen
Zwang ausüben; er fordert die Jungfrau auf, eine Zeit lang am
socem in aëre audivit: „Quod pariet, suo intuitu omnia conspecta perdet et
consumet! Post novem menstum decursum miles aperto cumulo caput
reperit, a cujus facie se semper avertit, et cum hostibus illud ostendebat,
eos statim cum urbibus perdebat. Tandem in mari navigans, in gremio
amasiae obdormivit, quae clanculo clavem scrinsi, in quo repositum erat
caput, subripuit, et cum stulta speculatrix caput ‘respexerat , statim obiit.
Erpergefactus miles, re comperta doloreque tactus, caput ererit et ab
erecto vultu conspectus, cum nave pertit. Hinc tradunt in capite septennii
caput faciem ad superiora vertere, et hoc periculum in mari navigantibus
generare. Vgl. noch die von Liebrecht 1. c. S. 93 citierte Stelle aus
Roger von Hoveden, an welcher Gorgo nicht erwähnt wird. Nach
Roger's Darstellung hieb ein Soldat das gefährliche Haupt seinem
Sohne ab, den er mit der toten, vom Satan besessenen Yde gezeugt
hatte. Mit Hülfe des unseligen Hauptes brachte der Soldat seinen
Gegnern den Untergang. Nachdem er geheiratet hatte, wünschte seine
Gattin hinter sein Geheimnis zu kommen; in seiner Abwesenheit ent-
deckte sie das scheussliche Haupt und warf es in den Golf von Satalia.
Et dicunt nautae quod, quandocunque caput ülud fuerit resupinum,
commotus est gulfus ille adeo quod nulla navis potest transire illum; et
t supinum est, tunc potest navis transire illum. Mandeville,
auf den Liebrecht gleichfalls aufmerksam macht, bringt die Sage kürzer
und seine Fassung ähnelt im Ganzen mehr der Darstellung des
Gervasius als derjenigen Roger's; doch erwähnt auch er nicht den
Namen Gorgo. Ich teile die Stelle nach dem Berner Codex No. 125 mit;
f!100b ist von der Insel Rhodus die Rede, dann heisst es f° 100c: Et
passe len(t) en alant vers cypre par le goufre de sathalie ou il souloit
auoir une bonne ylle et une belle cite qui auoit nom sathalia. laquelle cite
& pays estoient perdus pour la folie dun iouenceau lequel amoit vne
damoiselle belle et fetisse laquelle mourut soudainement et fut mise en vng
de marbre et pour la grant amour que le teunes homs auoit a
k ıl ala de nuit a sa tombe et louurit et iut auecques ly et puis sen parts.
d quant il vint au chief de . IX. mois si venoit une voix a ly et ly dist.
va a la tombe de celle femme et leuure et regarde ce que tu as engendre
en ly et gardes bien que tu ne le laisses. car 8e tu ny vas mal ten vendra.
lequel y ala et ouurit la tombe dont il sailli hors vne teste moult deffiguree
d hideuse a veoir. laquelle teste remira la cite et le pays et tantost
fondi iusques en labisme. et la il y a [f? 1004] moult perilleux passaige.
Im vorletzten Satze wird remira zu lesen sein, obgleich der Grundstrich
des ÿ mit einem Häkchen versehen ist und dem folgenden r ganz gleich
ist; vgl. die in der italienischen Version an der entsprechenden Stelle sich
findenden Worte la qual [testa] subito che ebbe riguardata la città.
Aus den beiden anderen Berner Handschriften des Mandeville liess sich
für dies Wort nichts ersehen; denn cod. 58 hat das verderbte remuyonna
Beitrüge zur Kenntnis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 713
Kalogrenant dazu bereit erklärt: er habe ja erst vor kurzem eine
so hässliche Gestalt!) erblickt. Artus billigt das Vorhaben Kalo-
grenant's, da er (Artus) der Jungfrau Hilfe zugesagt hätte; nur
wünscht er, dass nicht mehr als ein Ritter mit ihr gehe.
Kalogrenant reitet also der Jungfrau nach; als sie behauptet, 123. [f°
nicht an den Fluss in Libe zu wollen, trennt er sich von ihr. Er
kommt an den Fluss, sieht die hässliche Erscheinung und macht sich
das Tuch zurecht, um damit das Wesen einzuhüllen, sobald er es
erreicht haben würde. Allein der Fluss beginnt zu rauschen, Wellen
za schlagen und er wächst an. Der Ritter sieht das Wesen mit
den grossen, schwarzen Augen, mit dem grossen Haupt, an welchem
ein armdicker roter Zopf hängt; die Angst überkommt den Abenteurer,
er wendet sich zur Flucht; allein das Wasser steigt immer mehr
und reicht ihm bereits bis zum Leib. Immer grösser werden die
Wogen; da gelangt er endlich über einen Hügel und ist durch
diesen vor dem Anblick des Scheusals gerettet; wäre er seinen
Blicken noch länger ausgesetzt gewesen, so wären er und sein
Pferd ertrunken. Im Thale angelangt, trocknet er sich und sein
Ross, das er, neben ihm hergehend, weiterführt, damit es sich
erwärme. Noch einmal blickt er hinter sich und er sieht, dass das
Wasser wieder seinen alten Lauf nimmt. Da steist er zu Pferde
und er wünscht die Erscheinung zum Teufel, von dem das Un-
gehener abstamme. Er kehrt dann an Artus’ Hof zurück.
Die Jungfrau war inzwischen zu ihrer Tante, der weisen 8 124.
Dame vom abenteuerlichen Walde zurückgekehrt und erzählt ihr
ihre Erlebnisse. Als diese erfährt, dass Greu’s Lieblingsbeschäftigung
die Jagd ist, richtet sie, um ihn davon abzubringen, Adler ab, die
sich auf Greu’s Jagdfalken herabstürzen und dieselben töten. Greu
giebt die Vogeljagd auf, um nunmehr auf Hasen und wilde Tiere
zu pirschen. Allein auch dies wird ihm verleidet, denn Jagdwölfe,
welche die weise Dame dressiert hatte, vernichten ihm seine schönen
Hunde. Traurig begiebt sich Greu wieder an Artus’ Hof, wo bald
darauf auch Kalogrenant eintrifft. 8.81
Auf die Abenteuerberichte des letzteren versuchen mehrere g 125.
Ritter der Tafelrunde das Abenteuer der laide semblance, aber sie
alle ohne Erfolg. Endlich wünscht Greu selber das Wunder zu
sehen. So macht er sich denn auf. Je mehr er sich dem Scheusal
nähert, um so höher steigt das Wasser. Er muss zurück und will
sich, da auch ein zweiter Versuch missglückt, den wilden Thieren
im abenteuerlichen Walde preisgeben. Tagelanges Fasten ermattet
ihn derart, dass er schliesslich leblos hinfällt; in diesem Zustande
3) Das ist Merlin; 3, oben & 87 f.
Beiträge zur Kenntnis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 75
voll Wundersalbe und sie rät ihm folgendes: wenn er den Hügel
erreicht hätte, von dem aus man den Fluss und das Monstrum sähe,
solle er vom Pferde steigen, sich entkleiden und seinen ganzen
Körper einsalben; dann die Waffen wieder anlegen, sich nochmals
Kopf und Hals salben und etwas von dem Wundermittel in die
Nasenlöcher und in die Ohren stecken; darauf müsse er auch das
Pferd einsalben, dann dreizehnmal gegen Osten hin niederknieen,
sich an die Brust schlagen, beten und dreimal die Beschwörungs-
formel hersprechen. Mit einer Binde, die sie ihm giebt, solle er dem
Pferde die Augen verbinden, dann eiligst auf die laide semblance
losreiten, sie ergreifen, ihren Rücken an seine Brust drücken, rasch
das Tuch über ihren Kopf ziehen und ihren ganzen Körper damit
einhüllen. Dann müsse er möglichst rasch dorthin, wo er die Tonne
gelassen, zurückkehren und die laide semblance mit dem Kopfe
zuerst in die Tonne stecken, dabei müsse er darauf achten, dass
das Tuch recht fest gebunden sei und nicht herabgleite; nachdem
auch dies vollbracht, solle er dann endlich ohne irgendwelchen
Aufenthalt, ohne zu essen noch zu trinken, zu ihr, der weisen
Dame, zurückkommmen. Am nächsten Morgen bricht Greu auf.
Er hefolgt aufmerksam die Vorschriften der weisen Dame und
achtet der Wogen des Flusses nicht, die noch höher gehen wie
die ersten beiden Male, als er das Abenteuer wagte. Er reitet
gerade auf die hässliche Erscheinung zu, wirft ihr das Tuch über
den Kopf und hüllt sie ein. Als er das Scheusal von ihrem bis-
herigen Aufenthaltsorte entfernt, scheint es ihm, als ob die gesamten
Wassermassen in einen Abgrund stürzen; dazu herrscht ein Tosen,
ein Durcheinander von grässlichen Stimmen, dass Greu beinahe seine
Fassung verloren hätte. Allein die Genugthuung, das Monstrum in
seinem Besitz zu haben, giebt ihm den nötigen Mut, eiligst zurück-
zareiten. Die Überschwemmung tritt zurück und Greu erreicht
glücklich den Hügel, wo er die Tonne zurückgelassen hatte. Er
steckt die sorgfältig verhüllte hässliche Erscheinung in die Tonne
und nimmt seinem guten Pferd die Binde von den Augen. Darauf
reitet er, ohne sich durch das heftige Unwetter, das sich plötzlich
erhebt, behelligen zu lassen, weiter zurück und hält die Tonne
immer vor sich. Nach langem Ritt trifft er endlich ganz erschöpft
bei der weisen Dame wieder ein, die ihn mit Freuden empfängt.
Drei Tage lang wird er gebadet und er erholt sich bald vollends
von seinen Strapazen. Die Dame verschliesst die Tonne in einen
festen, von breiten Eisenbändern umgebenen Eisenschrein, der in
einen unterirdischen Raum geschafft wird. Von der Dame dazu
aufgefordert, heiratet dann Greu deren Nichte. Die Hochzeitsfeier
wäre noch glänzender ausgefallen, wenn nicht weithin das furcht-
bare Unwetter angedauert hätte.
Beiträge sur Kenninis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 77
der Nähe befindlichen Schiffen den Untergang bereitet. Das ist gar
gut bekannt, namentlich in jener Gegend. Merlin kehrt dann noch
vor seinen Begleitern an Artus’ Hof zurück.
Als diese, von Greu und dessen Frau begleitet, sich auf der 8 182,
Heimkehr befinden, merken sie an der Abnahme des Unwetters,
dass Merlin die Aufgabe gelöst hatte. Gavain würdigt Merlin’s
Verdienste; das Land und sie selbst seien eben in grosser Gefahr
gewesen; Merlin habe sie davor bewahrt; wenn dieser nicht so ein
Ehrenmann wäre, würde er [Gavain] sagen, dass ein Teufel den
anderen in die Hölle gebracht hätte. Man müsse Merlin lieb haben,
der sich um das Land und um Artus grosse Verdienste erworben
habe. Greu und seine Frau, die hinter den drei Vettern herreiten,
singen unterwegs schöne Lieder. Gavain will auf sie warten,
allein Galeschin meint, man solle das Paar nicht stören. So kommen
sie bei Hofe an, wo sie mit Freuden aufgenommen werden. Greu’s
Berichte werden aufgeschrieben.
Im Gespräch erfährt Artus von Merlin, dass er es war, der 8 138. s.
seinerzeit vor Neuue ferte auf den bevorstehenden Angriff der sieben
Könige durch seinen Alarmruf aufmerksam gemacht hatte, ferner,
dass er ihm auch in Estremore die Entführung Guenievrens durch
Urien mitteilte. Artus dankt ihm für alles und bedauert, es ihm
nicht erwidern zu können. Neckend fordert Merlin Artus auf,
Gavain zu fragen, wer Floree, die Königstochter von Escavalon,
bedient habe. Gavain meint, derjenige sei ein Thor, der etwas vor
Merlin verbergen wolle. So plaudern sie und Merlin prophezeit,
dass Gavain von Floree einen Sohn haben werde, der ein tüchtiges
Mitglied der Tafelrunde werden würde. Floree werde oft Hülfe
brauchen; man solle sie nicht vergessen und solle sie mit Meliant
delis verheiraten. Guingambresil und seinem Geschlecht müsse man
misstrauen, seine Schwester werde um ihrer Liebe zu Gavain willen
viel zu ertragen haben; sie solle Meliant's le gai Frau werden.
Gavain verspricht, ihr beizustehen trotz des Hinterhalts, der ihm
durch einen von Guingambresil dazu beauftragten Ritter gelegt wird.
8. 8 67
8.8 78
r.8 81
Merlin geht zu Blaise und berichtet ihm auch über zukünftigeg 134. [f®
Dinge, da er ahnt, dass er bald nicht mehr werde zu ihm kommen 3.8 13
können. Wie die Erzählung berichtet, schreibt Helye!), solange s.8 12
Merlin bei Hofe weilt, dessen Prophezeihungen auf. Helyens Buch
heisst: Propheties de Merlin. Auch Blaise fügt sie dem von ihm
1) Vgl. hierzu Zs. f. r. Ph. XVI. 114, ferner G. Paris, Merlin- Huth.
Bd. I. XXXII. Anm. In der Berner Handschrift der, Propheties (cod.
N° 388) ist übrigens, gleichwie in der italienischen Übertragung, der
Name des Eremiten, der Perceval Merlin’s Prophezeihungen mitteilt, ge-
pannt; er heisst Helyans li hermites de la forest darnantes.
Beiträge zur Kenntnis der altfransös. Artusromane in Prosa. 79
Hirsch; da werden sie von heftigem Sturm und Regen überrascht,
der bis zum Abend andauert. Und bald sollten ihnen drei Furcht
erregende Abenteuer begegnen!): Das eine war der Schrei in
der Luft, durch den viele Leute starben oder die Besinnung ver-
loren?). Das andere war das Feuer, das man hoch oben in dem
Palast anzündete, wo die umherziehenden Ritter häufig Schande er-
fahren; bevor sie nämlich dort die gewünschte Unterkunft und Er-
holung fanden, mussten sie mit einem Ritter kämpfen. Das dritte
Abenteuer war der Krieg im Lande der Gräfin von Orofaise, das
von einem Riesen heimgesucht wurde, weil ihn die Gräfin nicht
zum Mann nehmen wollte. — Die Strasse, auf welcher Artus, Gavain
und Sagremor einherreiten, teilt sich in drei Wege. Eine auf einem
Kreuz angebrachte Inschrift besagt, dass die auf diesen Wegen
zu <rreichenden Abenteuer nur von mutigen Rittern bestanden
werden können, dass sie aber grossen Ruhm und reiche Ehren ein-
bringen werden. Der Weg links führe dahin, wo der grosse Schrei
zu hören ist, der jedem Menschen, er sei denn Königs- oder Kaisers-
sohn, die Sinne verwirre. Der zweite Weg leite in das Land Orofaise,
dessen verwittwete Herrin von einem Riesen bedrängt werde. Auf
dem dritten Wege würden die daherkommenden Ritter getäuscht
und betrogen, und zwar durch den Verrat des Sachsen Aminaduf,
der diese drei Abenteuer eingerichtet habe, um die Gefährten der
1) So umschreibe ich die Worte: et lors lor auindrent .III. auen-
tures qui molt faisoient a douter. Der Text scheint an dieser Stelle und
im folgenden nicht immer ganz richtig überliefert zu sein, oder vielleicht
hat der Verfasser selbst die verschiedenen, allerdings verwickelten Aben-
teuer etwas durcheinander geworfen. Nach der Inschrift auf dem Weg-
weiser sollen die drei Abenteuer (Schrei — Feuer — Krieg im Lande der
Gräfin) vom Sachsen Aminaduf eingerichtet worden sein. Weiter unten
88 145— 147 ist von drei Abenteuern (Schrei — Gebell zweier Riesen —
Zaubergarten) die Rede, welche Oriol's Mutter, das ist Aminadufs Frau,
einführte. 8 242 sind ausführlich die Motive angegeben, welche Oriol's
Mutter, die Dame von Dänemark, zur Gründung zweier dieser mauvaises
coutumes (Zaubergarten — Schrei) veranlassten. Das $ 145 genannte
Abenteuer (Schrei) ist nun dasselbe, wie das oben an erster Stelle ge-
nannte. Dadurch, dass man an der oben wiedergegebenen Stelle statt
Aminaduf etwa femme Aminaduf setzen würde, wären die Schwierig-
keiten nicht gehoben. Mag dem nun sein wie es will, vermutlich wird
sich das, was auf der Inschrift über den dritten Weg (Täuschung der
Abenteurer) gesagt wird, eher auf das $ 147 erwähnte Abenteuer vom
Zaubergarten als auf das oben vorhergenannte Abenteuer von dem im
Palaste brennenden Feuer beziehen, denn dies letztgenannte Abenteuer
ist, wie bald darauf 8 148 auseinandergesetzt wird, von Helaes auf den
Rat ihres Onkels Meleager eingerichtet worden.
*) Auch anderwärts ist noch die Rede von einem ähnlich wirkenden
Geschrei, so in der Queste de St. Gral und in Strickers Daniel (s. Birch-
Hirschfeld, Sage vom Gral S. 39 und Hist. litt. XXX. 137).
8.863,
Beüräge sur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 81
er sie um Gegenliebe gebeten; sie sagte ihm dieselbe unter der
Bedingung zu, dass er an drei Rittern Rache nehme, die einen ihrer
Onkel getötet hätten. Sie hoffte, ihn auf diese Art hinzuhalten bis
ein Ritter, etwa Gavain, Yvain, Sagremor oder Galeschin, käme,
der ihr Land von den Heiden befreite. Die Dame mit der Harfe
führt Oriol mit sich auf ein Schloss und pflegt ihn drei Monate
lang, bis er von seinen im Kampfe mit Agloval erhaltenen Wunden
völlig geheilt ist.
Agloval wäre inzwischen im Kampf gegen die zehn Ritter 8144. s.
unterlegen, wenn ihm nicht fünf Mitglieder der Tafelrunde, nämlich
Aiglin des vals, Galescondet, Blioblieris, Kalogrenant und Helys li blois
zu Hülfe gekommen wären, welche den Kampf siegreich beenden.
Sie freuen sich dann sehr, als sie Agloval erkennen, der ihnen seine [f 206
Erlebnisse mitteilt. Einer der verwundeten Gegner muss die Ge-
schichte Oriol’s, des Königssohnes von Dänemark erzählen: derselbe
bekriegte die schöne Helaes, die Schwester Clapor’s des Reichen und
Nichte Meleager’s des Roten, wurde aber dann von Liebe zu ihr
ergriffen. Sie sagte ihm Gegenliebe zu, wenn er Gavain als Ge-
fangenen an ihren Hof brächte und mit ihm kämpfte. Daher passte
Oriol diesem auf; Oriol’s Vater und seine Freunde aber, die für ihn
fürchteten, schickten ihm stets zehn Ritter nach, die ihm im Notfall s. 8 14
helfen sollten. Nach diesem Bericht wird der Verwundete unter
der Bedingung freigelassen, dass er, sobald seine Wunden geheilt
wären, zu Guenievre an den Hof gehe, sich im Namen der sechs
Artusritter bei ihr stelle und sein Erlebnis berichte. Agloval
giebt dem Verwundeten auf dessen Wunsch seinen Namen an.
Dieser macht Agloval noch auf drei in der Nähe befindliche Aben-
teuer aufmerksam: als Oriol’s Mutter die Pläne ihres Sohnes er-
fahren hatte, dass sich dieser nämlich, um sein Liebesziel zu er-
reichen, an den Wegen aufstellte und die daherkommenden Ritter
abpasste, sei sie hierher gekommen, um am Ende dieses Waldes
ihren ständigen Aufenthalt zu nehmen; sie hätte dann drei Aben-
teuer hingezaubert, und noch keiner, der dieselben versucht habe,
sei zurückgekehrt.
Das eine ist der furchtbare Klageschrei, der hoch aus der 8 145.
Luft kommt; wer ihn hört, erbleicht und fällt bewusstlos zu
Boden.
Das zweite ist das an einem Kreuzweg ertönende Gebell, das 8 146.
zwei Riesen hören lassen, sobald ein fahrender Ritter vorbei-
kommt; keiner, der dahin ging, kam lebend zurück.
Das dritte ist ein verzauberter Garten, den die Eintretenden $ 147.
nicht mehr verlassen können, sobald sie von der Frucht eines darin
stehenden Apfelbaumes gekostet haben. Drei Männer werden diesen
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII. 6
Beiträge sur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 83
Ritter, so werde er ein Unterkommen finden und sogar das Lager
der Schlossbesitzerin teilen; werde er aber von diesem Ritter besiegt,
so werde er auf der Wange ein Brandmal, rot wie eine Erdbeere,
davontragen, daran man ihn allezeit erkennen werde; ausserdem müsse
er im letzteren Falle seine Waffen und sein Pferd abgeben. Nachdem
sich Gavain vergewissert hat, dass sein Gegner nicht dem Hofe
Artus’ angehört, erklärt er sich zu dem Kampfe bereit.
Es gelingt ihm, den Gegner vom Pferde zu stossen; dieserg 151. [f°
fällt ins Feuer, wird aber glücklich herausgezogen und zu Bett
gebracht. Gavain wird nun, da er die ihm gestellte Bedingung
erfüllt hatte, im Palast aufgenommen. Beim Mahle sitzt Gavain
neben der tief verschleierten Dame!); zu essen giebt’s genug, doch
za trinken bekommt er erst etwas, nachdem er seiner Nachbarin
versprochen hatte, ihr jederzeit zu folgen, wohin sie ihn führen
würde. Gavain lässt es sich gut schmecken, er denkt mehr an
die Abenteuer dieses Tages als daran, dass er noch das Lager der
Schlossherrin teilen sollte. Gegen das Ende des Mahles holt die
Dame ihre Harfe berbei und entlockt den Saiten wunderbare Weisen.
Gavain hört zunächst aufmerksam zu; bald aber fröstelt er in
seinen nassen Kleidern, er setzt sich daher ans Feuer und dort
schläft er, ermattet wie er war, ein. Helaes kommt dann zu ihrer
Cousine, der Dame mit der Harfe, und die beiden halten sich über
den schlafenden Gavain auf. Bevor sich Helaes zur Ruhe begiebt,
bittet sie ihre Cousine, ihrer zu gedenken, da es sich um ihre Ehre
handele. Die Dame mit der Harfe ermahnt ihrerseits Helaes,
sich mit dem Ritter (Gavain) nicht zu vergessen; denn die Aufgabe,
die sie von ihm erwarte (die Befreiung von Oriol), werde er lieber
vollenden, wenn er sie mit ungestillter Sehnsucht verlasse. Sobald
der Ritter bei ihr liegen und sie ganz werde besitzen wollen, solle
sie die Glocken am Bett läuten, darauf werde der Zwerg, der in
ihrem Auftrag wachen werde, ein Horn blasen und sie (die Dame
mit der Harfe) werde erscheinen, um Gavain an sein Versprechen
zu erinnern?). Sie möchten wissen, wer der fremde Ritter eigent-
lich ist und mutmassen richtig, dass er der Tafelrunde angehören
müsse, weil er sich, bevor er auf den Kampf mit dem ihm gestellten
Gregner einging, danach erkundigte, ob dieser ein Mitglied der Tafel-
runde wäre.
s. $ 14:
Die Dame mit der Harfe führt dann Gavain an Helaes’ Bett 8 152.
und sagt ihm, dass er der erste Ritter sei, der das Abenteuer soweit
durchgeführt habe; von jetzt an würden hinzukommende Ritter
1) Die verschleierte Dame ist, wie sich das aus dem folgenden er-
giebt, die Dame mit der Harfe; vgl. $ 143.
2) d. b. um Gavain aufzufordern, ihr seinem Versprechen gemäss
zu folgen.
G*
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 85
Schläge und schilt den Gegner, dass er halbtot den Kampf mit ihm
gewagt habe. Da ergreift die verschleierte Dame die Zügel von
Gavain’s Pferd und dieser ergiebt sich ihr auch auf ihre Aufforderung.
Der Verwundete reitet zu den Zelten.
Gavain verspricht, demnächst mit einem gesunden Ritter zu 8 155.
kämpfen, sei es mit dem, der sie eben verlassen hat oder mit irgend
einem anderen. Er war inzwischen mit den beiden Damen und dem
Zwerg in ein schön ausgestattetes Zelt getreten, wo er gewaschen
wird. Gavain bedauert, des Schleiers wegen das Antlitz der Dame,
der er sich ergeben, nicht sehen zu können. Nach dem gemein-
schaftlich eingenommenen Mahl legt sich Gavain in das mittlere der
drei im Zelt aufgeschlagenen Betten. Als er schläft, begeben sich
auch die Damen zur Ruhe; die Dame mit der Harfe hatte sich nicht
vollständig entkleidet aus Furcht vor dem Ritter, der ihr schon
lange nachstellte und sie mit Gewalt zu seinem Weibe machen wollte.
Nach Mitternacht weckt der Zwerg die Dame mit der Harfe 8 156.
und meldet ihr das Herannahen einer Reiterschaar, geführt vom
rous de la faloise. Gavain hört wohl ihr Angstgeschrei und die
Worte, mit denen sie ihn um Hülfe bittet, allein schlaftrunken er-
wacht er erst völlig, als der Eindringling die Dame an den Haaren
aus dem Zelte gezogen und sie entführt hatte. Gavain will ihr
nach. Helaes erinnert ihn nochmals an das ihr gegebene Ver-
sprechen; sie gestattet ihm, ihre Cousine zu befreien, dann aber
solle er zu ihr zurückkehren. Gavain wappnet sich rasch, eilt
dann zu Pferd den schon ziemlich weit entfernten Räubern nach,
die sich in drei Abteilungen getrennt hatten. Der Trupp an der
Spitze führt die Dame in seiner Mitte. Endlich erreicht Gavain
die letzte Schaar; er kämpft mutig und tötet den grossen Ritter,
ihren Führer. Glücklich schlägt er sich auch durch die zweite Ab-
teilung hindurch, erreicht die Dame aber erst in der Stadt, in
welche man sie geschleppt hatte; er war nahe daran, sie zu be-
freien, da stürzt er, von den Bürgern der Stadt angegriffen, mit
seinem Pferd. Doch rasch erhebt er sich, er lässt sein Pferd stehen
and folgt, rechts und links wuchtige Hiebe austeilend, der ent-
fiehenden Dame in einen starkbefestigten Turm, den er hinter sich
verschliesst.
s. 8 15!
[fo 213
Er steigt die Treppe hinauf und erblickt im Mittelstock eine $ 157.
schöne Dame, die sich mit einem elfenbeinernen, mit Gold verzierten
Kamm ihr Haar kämmt!); vor ihr kniet ein Mädchen mit einem
Spiegel in der Hand, ein anderes steht hinter ihr, kämmt und
schnückt sie. Gavain ist von der Schönheit der Dame ergriffen.
Sie will ihn willkoınmen heissen, wenn er nicht der Ritter sei, der
1) Vgl. hierzu P. Paris, Romans III. 293.
Beiträge zur Kenntnis der altfrangös. Artusromane in Prosa. 87
hüten; denn sie entstamme dem verräterischen Geschlecht Giromelant’s.
Von diesem Tadel will Gavain Guinganbresil’s Schwester ausge-
nommen wissen. 8.880.8
Durch einen geheimen Gang verlässt die Dame den Turm und 8 158.
die Stadt; sie eilt dann zu Helaes, die rasch Gavain eine Truppe
von 500 Mann unter der Leitung ihrer Cousine zu Hülfe schickt.
Sagremor') hat, nachdem er sich von Artus und Gavaing 159. s.!
getrennt hatte, mehrfach Gelegenheit, Opfer des furchtbaren
Geschrei’s zu sehen, welches die Menschen, die es hören, in Angst
und Schrecken versetzt, sie ihres Verstandes und ihres Gedächtnisses
beraubt, sodass sie schliesslich sterben. Ein auf der Flucht be-
eriffener Mann giebt Sagremor über die furchtbare Erscheinung die
nötige Aufklärung. Sagremor hört dann selbst das scheussliche Ge-
schrei, das von einem unerträglichen Gestank begleitet ist; doch er
erträgt das und reitet unverdrossen weiter, bis er in das Thal kommt,
an dessen Ausgang er in der Höhe ein wohlbefestigtes Schloss
erblickte Er nähert sich einem schönen Zelt, aus welchem ihm
lautes Klagegeschrei entgegentönt; im Zelte findet er eine jammernde
Dame, Senehaut, die ihm, nachdem er ihr zu helfen versprochen,
erzählt, sie sei hier von ihrem Geliebten Blios in unschuldigem
Zusammensein mit einem ihrer Vetter angetroffen worden; Blios
habe diesen, der keine Waffen bei sich trug, übel zugerichtet und
ihr geraten, sich binnen Monatsfrist einen Ritter zu suchen, der
für sie im Kampfe mit ihm eintreten solle: siege der Fremde, so
dürfe sie frei auszehen; im anderen Falle werde er sie töten.
[f° 216
Nachdem Sagremor noch erfahren, dass Blios in jenem in der 8 160.
Höhe liegenden Schlosse wohnt, reitet er hin, um diesem sein Be-
tragen Senehaut gegenüber vorzuwerfen. Es kommt zum Zweikampf,
in welchem Blios von Sagremor besiegt wird; Blios muss versprechen,
dass er Senehaut, falls diese es wünsche, um Verzeihung bitten
werde. Sagremor teilt dies der Dame mit, allein diese zweifelt an
der Richtigkeit seiner Aussagen und sie wünscht als Wahrheits-
beweis Blios’ Schwert zu sehen. Sagremor verlangt dasselbe erfolg-
los von seinem Gegner, der in einem zweiten Kampfe unterliegt
und nun sein Schwert Sagremor aushändigt. Der Sieger über-
giebt dasselbe Senehaut. Senehaut reitet nun in Sagremor’s Be-
gleitung zu Blios und mitleidig redet sie diesem zu, die Niederlage
nicht zu schwer zu nehmen. Blios schwört, sich nach Sagremor’s
Fortgang in dessen Namen mit Senehaut bei der Königin Guenievre
1) Gelegentlich der nun folgenden Abenteuer Sagremor’s sei bemerkt,
dass sich in der Vulgata des Livre d’Artus (vgl. P. Paris, Romans II,
372 f.) ein Verweis auf ein besonderes Buch über diesen Helden und
seine Gefährten vorfindet; das wird nicht ganz aus der Luft gegriffen sein.
[f° 216
Beiträge sur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 89
fesselten teilen; wolle er das Abenteuer nicht erst wagen, so müsse
er, da er das Eingangsthor bereits überschritten habe, dem Brauche
gemäss seine Waffen und sein Pferd abgeben. Sagremor wagt das
Abenteuer. Er macht die ersten 6 Gegner kampfunfähig, olıne sein
Schwert gezogen zu haben. Die gefesselten Gefangenen, die das
sehen, bitten Gott, er solle dem wackeren Streiter weiterhin Kraft
verleihen. Nun gilt es, die zweite Gruppe der Gegner zu be-
kämpfen; zwei von ihnen stehen am Eingang, die beiden anderen
am Ausgang des grossen Saales. Auch hier bleibt Sagremor Sieger;
er reitet durch den Saal und gelangt in den Garten, wo ihn schon
zwei andere Ritter zum Kampfe erwarten; der eine wird bald
schwer verwundet, der andere stürzt mitsamt seinem Pferde.
Sagremor steigt rasch ab, reisst dem unter dem Pferde Liegenden
den Helm vom Kopte und wirft denselben mit aller Macht in einen
Bach, sodass die am Ufer sitzende Geliebte Greomar’s ganz bespritzt
wird uud laut aufschreit; Greomar, der sich wappnet, hört sie.
Sagremor will an dem baarhäuptigen Ritter Gnade üben, wenn er
sein Gefangener werden wolle. Dieser ist darüber erfreut, auf diese
Weise sein Leben zu retten und er rät Sagremor, sofort wieder
sein Pferd zu besteigen und sich zum Kampfe gegen den grausamen
Greomar, den Bruder des Outredoute, zurecht zu machen. Sagremor
befolgt diesen Rat und reitet dann zur Geliebten Greomar’s, um sie
zu begrüssen; sie wagt es nicht, seinen Gruss zu erwidern, wünscht
ihm aber leise Gottes Beistand. Da kommt Greomar hinzugesprengt;
er tadelt Sagremor, dass er seine Geliebte angesprochen habe;
Sagremor wirft Greomar sein Verhalten gegen die Gefangenen vor,
die doch Christen seien und ihm nichts zugefügt hätten. So kommt
es zwischen den beiden zu einem äusserst heftigen Kampfe. Während
einer Pause macht Sagremor einen Vermittelungsvorschlag: er,
Sagremor, wolle Greomar überall hin folgen unter der Bedingung,
dass dieser alle seine Gefangenen frei lasse und mit ihm zu König
Artus komme. Greomar lehnt dies ab, weil Gavain seinen (Greomar’s)
Vetter, den Bruder des Karacados, getötet habe; Sagremor solle als
Mitglied der Tafelrunde nicht das Loos der am Turm gefesselten
Ritter teilen, sondern den hungernden Löwen vorgeworfen werden,
die sonst mit den in seiner Veste getöteten Rittern gefüttert
würden. Der Kampf wird also fortgesetzt; endlich siegt Sagremor
und er tötet Greomar, der noch einen furchtbaren, in der ganzen
Umgegend hörbaren Schrei ausgestossen hatte. (rreomar’s Geliebte
Helyap erzählt nun Sagremor, sie sei von Greomar zur Liebe ge-
zwungen worden, in Wirklichkeit sei sie die Geliebte eines der ge-
fesselten Ritter. Greomar habe sie ihm fortgenommen, weil sie ihm
besser als die anderen Damen, die dorthin gekommen seien, gefallen
habe. Sie macht Sagremor noch auf einen anderen grausamen von
[f9 22U
[fo 221
s. 88 10
[fo 22%
Beiträge zur Kenntnis der allfranzös. Artusromane in Prosa. 91
machte. Sie aber wies dieselben zurück, weil sie ihn nicht für
ebenbürtig hielt. Dafür verursachte ihr Securades später viel
Kummer; denn sie hatte niemand, der Securades im Kampfe zu
trotzen wagte, bis Gavain hinkam und mit Securades kämpfte!).
Am frühen Morgen zieht Alyer, wohlbewaffnet, ganz allein$ 167. 8.$
aus und reitet in das feindliche Lager, wo er niederschlägt was ihm f° 224
in den Weg kommt. Auf diese Weise werden die Sachsen anf den
bevorstehenden Angriff durch das Heer vorbereitet. Das von Helys
von Roestoc geführte erste Treffen kann der feindlichen Übermacht
gegenüber nichts ausrichten und es hat starke Verluste. Da fallen
auch die vierzehn tapferen Söhne Alyer’s vor den Augen ihres
Vaters, der ihnen nicht zu Hülfe kommen kann; auch der Führer
Helys stürzt tötlich verwundet zu Boden. Alyer sucht den Tod
seiner Söhne zu rächen und thut unerkannt Wunder der Tapferkeit.
Das war ein heftiger Kampf am pui de Malohaut, an derselben $ 168.
Stelle, wo später die grosse Schlacht zwischen Artus und Galaot
ausgefochten wurde und die Gefährten der Tafelrunde so viel zu
erdulden hatten?). — Den Christen, die schon zu weichen angefangen [f? 225
hatten, setzt noch Oriol besonders zu, bis sie endlich durch ein-
undzwanzig Gefährten der Tafelrunde?) wirksame Hülfe erhalten.
Alyer giebt sich denselben zu erkennen und wird vergeblich gebeten, [f? 226
sich zu schonen; er tötet Soryonde, wird aber selbst verwundet
und muss von den Gefährten in die Stadt Malohaut getragen werden.
Nach heftigem Kampfe werden die Sachsen endlich geschlagen und
bis zur Nacht verfolgt.
Die Ritter der Tafelrunde, die so noch zu rechter Zeit wackere $ 169.
Hülfe geleistet hatten, werden alsdann von Clarion und Escaut
herzlich begrüsst und geehrt; am nächsten Tage aber schon setzen
sie ihre Suche nach Artus, Gavain und Sagremor fort. Der schwer- 8. $ 14!
verwundete Helys von Roestoc übergiebt vor seinem Tode sein Land
der Obhut seines Bruders, des Zwerges Mobonagrain; zugleich trägt
erihm anf, für seine Frau und für eine Nichte zu sorgen*). — Alyer
überwies, nachdem er von seinen Wunden geheilt war, seinen kleinen
Sohn der Dame von Roestoc; er selbst aber wurde Einsiedler im
Walde zwischen Norgales und Sorelois®).
1) Dieser Zweikampf wird im Prosa-Lancelot erzählt; 8. P. Paris,
Romans Ill. 307 ff.
?) Der Sauerne-Fluss war durch das viele hineinfliessende Blut
länger als einen Tag ganz rot gefärbt.
3) Zu ihnen gehören nicht weniger als sechs verschiedene Yvain,
nämlich ausser Yvain dem Grossen, Urien’s Sohn, und ausser Yvain dem
Bastard (s. oben S. 25 Anm. 2) noch yuains lesclains, yuains du cinel,
yuains du lionel, ins as blanches mains.
#) S. dazu P. Paris, Romans III. 294 ff.
5) Im Prosa-Lancelot ist noch von Alyer die Rede; 8. L c. IV. 7.
Beiträge eur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 93
Die Sieger freuen sich darüber, der Gefahr so glücklich ent- 8 175.
gangen zu sein. Gaheriet erzählt ihnen und Guenievre und Lorete,
wie er und seine Brüder in die Gefangenschaft Arrant’s gelangt
sien. Keiner weiss etwas näheres über den Verbleib Artus’,
Gavain’s und Sagremor’s. Guivret erzählt den anderen, was ihm
von den Einfällen der Feinde unter Oriol, Soryonde und Agrippa
bekannt war: dass nämlich Oriol das Land der Helaes beunruhige s. 8 14:
und dass alle dorthin kommenden Ritter daselbst bleiben müssen, dass
Soryonde in der Umgegend von Roestoc grossen Schaden anrichte s. 8 16!
(der oben erzählte Kampf war damals noch nicht ausgefochten s. 8 16:
worden) und endlich dass König Agrippa das Land der Mutter s.8141
Agloval’s verwüste. Wenn König Artus davon wüsste, thäte er
gut daran, hinzugehen. Kei, Guionmar, Guivret beratschlagen dann,
was nun zu thun sei; sie kommen zunächst überein, Guenievre nach
Bedingan zu führen; hier angelangt, wird auf Kei’s Vorschlag be-
schlossen, Abgesandte nach Clarence zu Alon, ferner zu Neutre, s. 8 71.
Ydier und noch zu anderen zu senden, um sie zu schleuniger Hülfe 106.
aufzufordern, da man Arrant’s Truppen, so lange dieselben noch
nicht vereinigt wären, leichter besiegen könne. Während sie noch [f? 231
so Rat pflegen, meldet ein Bote die Belagerung Karadigan’s durch
Arrant. Die gewünschten Hülfstruppen der brittischen Könige langen
an und werden in Treffen eingeteilt. Kei will die Truppen von
Logres führen und das königliche Banner tragen, wie ihm das s.8.1:
zukomme.
Nachdem sich Artus von Gavain und Sagremor getrennt hatte,8 176. s. £
wurde auch er von dem heftigen Regenwetter überrascht; er kam
gegen Abend in eine Einsiedelei und fand daselbst gute Aufnahme.
Als er bei Tagesanbruch erwachte, sah er hinter der Einsiedelei [f? 232
eine Dame daherreiten; diese beklagte laut ihre Schwester, für
welche sie vergeblich an Artus’ Hofe hätte Hülfe holen wollen und
die daher von dem Tyrannen, der ihr Land verwüstete, nicht würde
befreit werden. Die Dame stieg von ihrem Maultier und setzte
sich unter einen Baum. Vier Räuber, die ihre Klage gehört hatten,
stürzten auf sie zu, beraubten sie ihrer Kleider und wollten ihr
Gewalt anthun.
Da kam ihr Artus zu Hülfe, dem der Eremit beim Anlegen 8 177.
der Waffen behülflich gewesen war; er besiegte und tötete die vier
Räuber, welche an einer Eiche aufgehängt wurden. Ihre Pferde
überliess er dem Eremiten. Die Dame erzählte ihm, dass alle Ritter
sich von Artus’ Hof entfernt hätten, um Artus, Gavain und Sagremor s. 8 14(
zu suchen; ihre Schwester wäre die Gräfin von Orofoise, sie würde
von einem Riesen aus Hanguis’ Geschlecht bedrängt. Dieser Riese
besässe in geringer Entfernung von Orofoise ein Schloss und lebte
vom Raube. Das Land ihrer Schwester und ihr eigenes hätten
Beiträge sur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 95
Artus traf dann gegen Abend mit seiner Begleiterin 12 Räuber 8 180.
bei einem Gelage an; sie setzten sich mit an den Tisch. Die Räuber
ängstigten die Dame durch die Bemerkung, dass sie nun ja auch
das, was ihnen noch gefelilt, zur Verfügung hätten, nämlich eine
Frau. Artus hörte dies, liess es sich aber trotzdem gut schmecken;
er behauptete, die Zeche später bezahlen zu wollen; als er aber ohne
weiteres den Krug des Räuberhauptmannes auf einen Zug geleert
und dies, wiewohl es ihm verwiesen wurde, wiederholen wollte,
kam es zu einem Streit. Der Räuberhauptmann ergriff einen
ledernen \Veinschlauch, der gefüllt war, und wollte Artus damit
schlagen; Artus wich geschickt aus und auch die Brotstücke und
das Geschirr, mit dem die anderen Räuber nach ihm warfen,
schadeten ihm nichts. Artus hatte wohlweislich seine Waffen nicht
abgelegt und tötete acht der unbewaffneten Räuber; die zwei übrig-
bleibenden entflohen, wurden aber von Artus erreicht und gleich-
falls niedergemacht. Artus schonte einen Jüngling, der dann die
Pferde besorgte und für Artus und die Dame das Lager herrichtete,
Die Leichen der Räuber wurden ins Feuer geworfen. In dieser
Nacht und in den folgenden teilte Artus das Lager der Dame.
Am nächsten Morgen wurden die Pferde mit einem Teil der Habe
der Räuber bepackt, die in einem unterirdischen Raum aufbewahrt
war; das übrige erhielt der Jüngling.
[fo 23:
Artus brach dann mit der Dame auf und sie erreichten nach$ 181. s.:
8 Tagen Orofoise, wo sie mit Freuden aufgenommen wurden. Die L[f? 236
Dame berichtete ihrer Schwester, der Gräfin von Orofoise, ihre
Erlebnisse. Dem Riesen wurde, da Artus seine Hülfe in Aussicht
gestellt hatte, für den nächsten Tag der Entscheidungskampf angesagt.
Nachdem Artus in der Nacht nochmals mit seiner Dame der Liebe
gepflogen,!) rüstete er sich am nächsten Tage für den Kampf, den
er erst Nachmittags aufnehmen wollte. Er verabschiedete sich von der
Geliebten und liess sich von ihr für die kommende Nacht ein Quartier
angeben, da er stets nur eine einzige Nacht an ein und demselben
Orte zubrächte; er beschenkte sie mit der den Räubern abgenommenen
Habe und verwies sie, die ihn später wiedererkennen oder sich
nach ihm erkundigen möchte, auf seine Waffen. Darauf hatte Artus
noch eine Unterredung mit der Gräfin von Orofoise; auf seine
Frage, ob sie ihr Land zu eigen oder als Lehen hätte, erwiderte sie,
sie wäre Artus’ Lehnsmännin?); als solche hätte sie an Artus’ Hof um
Märchen von dankbaren Tieren und Verwandtes. Heidelberger Diss.
Stuttgart 1889. S. 56 ff.
1) S. dazu Zs. f. r. Ph. XVI. 115, wo ich bez. der durch Artus’
Wunden entstandenen Blutflecken auch auf Crestien’s Lancelot (vgl. Romania
All, 478) hätte verweisen können.
*) Es ist doch merkwürdig, dass die Gräfin ihren Lehnsherrn, der
vor ihr steht, nicht kennt oder nicht erkennt.
[f 237
Beiträge sur Kenntnis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 97
Artus teilte Ydier mit, er plane an einen Ort zu gehen, wo 8 188.
2 Grafen und 2 Herzöge alle ihnen bisher entgegen getretenen
Ritter besiegt hätten. Ydier erklärte, Artus begleiten zu wollen,
vorher aber wollten sie am Kampfe gegen Arrant teilnehmen, [f? 240
wo sie gewiss Gefährten der Tafelrunde finden würden; Artus wollte
dabei unerkannt bleiben.
Am fünften Tage begegneten Artus und Ydier zwei wohlbe- 8 184.
waffneten Rittern, mit denen sie sich alsbald in einen Kampf ein-
liessen; die beiden Ritter waren niemand anders als König Neutre s. 8 1. 7
von Garlot und König Urien; der erstere kämpfte mit Artus, Urien 71. 114
mit Ydier. Da Ydier, der kleiner war als sein Gegner, zu unter-
liegen schien, schlug Artus vor, mit den Gegnern zu wechseln.
Ydier wollte davon nichts wissen und so wurde denn fortgekämpft;
Artus kämpfte besonders wacker. Urien wunderte sich über die Güte
des Schildes Artus’, das alle Schläge aushielt!). Er frug Artus nach
seinem Namen; dieser antwortete, er wäre ein Abenteuerritter; doch
die Erkennung liess nicht lange auf sich warten. Neutre und Urien [f? 241
schlossen sich Artus und Ydier an und sie zogen gen Karadigan.
Auch dort wollte Artus noch unerkannt bleiben; denn er wollte noch
mit Ydier das Abenteuer auf der sich drehenden Insel bestehen,
welche auch die Goldinsel der vier Ritter genannt wurde. Neutre
und Urien wollten sich auch an diesem Abenteuer beteiligen; die
vier ritten also zusammen, machten vier Meilen vor Karadigan in
einem Kloster Halt und blieben dort bis zu dem Tage der Schlacht;
unterdessen liessen sie sich ihre Waffen ausbessern.
In der Schlacht bei Karadigan, in welcher Arrant’s Heer deng185. s.
Truppen der Begleiter Guenievrens gegenübersteht, trägt Kei das
Banner im ersten Treffen. Die vier Helden Artus, Ydier, Neutre
und Urien kommen unkenntlich in die Nähe des Schlachtfeldes,
wollen sich aber erst im Notfalle mit frischen Kräften beteiligen.
Sie bewundern die Thaten Keiens, Agravain’s, Guerrehier’s und
Gaheriet’s. Ausser diesen zeichnen sich noch andere besonders aus.
Bei Guenievre, die in Bedingan geblieben war, hatten sichg 186. [f°
inzwischen Blios und seine Geliebte eingestellt, die Sagremor’s Grüsses. $$ 172.
ausrichten; gleich darauf meldeten sich bei der Königin die Ritter s. 8 15
und Damen, welche Sagremor aus den Händen Greomar’s befreit s.8 16
hatte. Gmuenievre schickt alle Ritter nach Karadigan zur Schlacht.
An dieser nehmen nun auch Artus, Ydier, Neutre und Urieng 187. s.!
teil. Artus tötet die Könige Gorhan und Arrant und wird an
seinem Schwert von Giflet erkannt. Artus verleugnet sich ihm
gegenüber nicht; er erhält auf seine Fragen Auskunft über die
1) Es war das der Schild, den Artus dem Riesen fortgenommen
hatte. S. 8 181. Der Schild war mit Schlangenhaut überzogen.
Ztecbr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII. 1
Beiträge zur Kenntnis der alifranzös. Artusromane in Prosa. 99
genesen. Auf seine weiteren Fragen erfährt Agloval noch, dass
nieht nur das umliegende Land, sondern auch die Nachbarländer
unter der Verwüstung durch Agripe, den Onkel des Königs Rion,
stark gelitten hätten; in der Nähe ihres wunderbaren Schlosses
8. 8 21.
wäre zwar Giromelant, aber der wolle nicht helfen, sondern wünsches. 88 157
den Untergang aller seiner Nachbarn ; auf den nächsten Tag seien
sonst alle Nachbarn aufgeboten. Den Abend verbringt Agloval
mit seinen 14 Brüdern, die alle jünger waren als er.
19. 53.
Als König Agripe am nächsten Morgen die Übergabe derg 192. [f°
Stadt verlangen lässt, stürzen sich die 14 Brüder Agloval’s, ohne
diesen zu wecken, mit 4000 Mann hinaus in den Kampf, werden
aber hart bedrängt. Agloval und seine Gefährten erwachen infolge
des Lärmes; sie waffnen sich rasch und reiten hinaus; allein die
14 Brüder werden getötet!). Agloval sucht den Tod seiner Brüder
zu rächen, doch er vermag wenig gegen die feindliche Übermacht;
er wird verwundet, kämpft aber weiter und lässt sich auch durch
die Bitten seiner Gefährten nicht davon zurückhalten. Da erhält
er von verschiedenen Seiten Hülfe, zunächst durch eine grosse Schaar
von Landleuten, dann durch 10 herumziehende Ritter. Unter diesen
befinden sich Yvain der Grosse, Urien’s Sohn, Yvain der Bastard,
Yvain mit den weissen Händen, ferner Ales von Raguindel, Meraugis
de Portlesguez. Zum Glück kommen dann noch weitere 17 herum-
ziehende Ritter zu Hülfe, nämlich Kei, Raolais d’Estremore, der
rote Ritter, Laudon de Gamelide, der Enkel des Seneschalls
Cleodalis u. a., auch Nascien, der Sohn der schönen Dame von der
weissen Wolke, der dem Geschlecht Joseph’s von Arimathia an-
gehört.
8.8 68.
Dieser letztere hütete lange den heiligen Gral, den er von 8 198.
Sarras, der christlich gewordenen Stadt, nach Logres gebracht hatte.
Diese Stadt Sarras verliess der gequälte König und er gab sein Erbe
und sein Königtum auf; an den Felsen wurde er oft vom Teufel
in Frauengestalt versucht und auch er kam später in das König-
reich Logres, wo der heilige Gral gehütet wurde, dessen man sich
beim heiligen Sakramente bediente. Magdrain, der einer Sünde wegen
krank war, fristete 400 Jahre lang sein Leben allein mit der Hostie,
die ihm ein Engel täglich brachte; er starb schliesslich in den Armen
des glorreichen Ritters, der die Gralabenteuer bestand, wie das
noch erzählt werden wird. Zu diesem Geschlecht gehörte Nascien,
der so gottesfürchtig war, dass er himmlische Thaten verrichtete.
Er gab später, wie ihr noch hören werdet, im besten Mannesalter
das Rittertum auf.
1) Das erinnert an die 8 167 erzählte Episode, in welcher von dem
Tode der 14 Söhne Alyer’s die Rede ist.
76
Beiträge zur Kenntnis der al{franzôs. Artusromane in Prosa. 101
der du bis jetzt König der gaste forest soutaine hiessest, sollst
fortan Fischerkönig (rois peschierres) heissen; denn nur wenn du
dich auf dem Flusse befinden wirst, wirst du einige Linderung
deiner Schmerzen empfinden. An demselben Tage, an dem dein
Vetter Pellinor gesunden wird, wirst auch du gesund werden und
alsbald sterben. Deines Zweifels wegen wird dein Sohn Perceval
den Gral erst nach dem Tode von Pelles’ Enkel hüten dürfen, nicht
vorher.* Nach diesen Worten verschwand die Lanze. Da Pelinor
so schwer verwundet war, dass er sich nicht zu helfen wusste,
wurde seine Frau vom ganzen Volke die Wittwe vom Walde genannt.
Agloval kommt wieder zu sich; man verbindet seine Wunden,8 197. s.
legt ihn auf eine Bahre und bringt ihn seiner Mutter, die ihre
Klagen mit Rücksicht auf Agloval unterdrückt. Sie lässt es sich
angelegen sein, die Ritter der Tafelrunde in gebührender Weise zu
ehren. — Als Pelinor den Tod seiner 14 Söhne erfuhr, wollte er 5.819
sicht mehr in seinem Schlosse weilen; er nahm seinen Aufenthalt
im Wunderschloss, wo er mit Artus’ Mutter!) zusammen war, die
Merlin dorthin gebracht hatte. Das wusste niemand ausser den
Gralhütern. Auf seinem Schiffe fuhr Pelinor oft bis zum Schlosse
Corbenic und bis zum Schlosse Alain’s.?)
Am dritten Tage nach der Schlacht verabschieden sich dieg 198. s. £
Ritter der Tafelrunde von Agloval und dessen Mutter. Von Agloval
nach ihren Absichten befragt, antworten sie, sie wollten Gavain und
Sagremor suchen; denn betreffs Artus hätten sie durch Giflet er- 8. 8 18
fahren, dass er den König Arrant getötet habe und mit drei
Begleitern nach der sich drehenden Insel gegangen sei. Agloval
verspricht an Artus’ Hof zu kommen, sobald er wieder imstande
sein werde, Waffen zu tragen.
Die Gefährten der Tafelrunde (es sind ihrer 42) gehen direkt 8 199.
in der Richtung von Galaot’s Land; in einem Walde erscheint ihnen
ein grosser, weisser Hirsch, der ein rotes Kreuz auf der Stirn hat;
zwei Kerzen brennen auf seinem Geweih, auf dem Rücken trägt er
ein mit einem wertvollen Tuch bedecktes Gefäss. Hinter dem Hirsch
läuft ein weisser Hund, der von Zeit zu Zeit leise bellt; dem Hunde
folgen zwei kleine weisse Tiere, die man nicht recht erkennen kann;
sie werden von einem jungen, schönen Mädchen an silbernen Ketten
geführt. Hinter dem Mädchen ziehen vier kleine Pferde eine Bahre,
auf welcher ein Ritter liegt, der laut klagt. In den Lüften er-
tönen helle Stimmen; von dem, was diese Stimmen singen und
1) In der ersten Fortsetzung von Crestien's Conte d. Gral kommt
Garain in ein Schloss, in welchem sich Artus’ Mutter befindet, s. V. 10859;
vgl. noch Heinrich’s v. d. Türlin Kröne V. 20380 ff.
7, Hier folgt noch die von mir Zs. f. r. Ph. XVI. 106. Anm. 3
mitgeteilte Stelle.
Beüräge zur Kenntnis der alifranzös. Artusromane in Prosa. 103
Nascien reitet allein dahin, in Gedanken versunken über den 8 202.
Gral, über die Schlechtigkeit der Welt u. s. w. Nach langem
Umherirren gelangt er zu einem greisen Einsiedler, der ein härenes
Gewand trug und sich seit zwanzig Jahren ausschliesslich von
Früchten genährt hatte. Nascien nennt sich ihm und berichtet
über seine Herkunft, ferner über das Gralwunder, das er kürzlich
gesehen habe. Der Eremit fordert Nascien dazu auf, alle Thorheiten
zu unterlassen, seine Sünden zu beichten um dereinst zu den Gral-
hütern zu gehören. Nascien erklärt sich dazu bereit und giebt zu,
vom christlichen Glauben, vom Leiden Christi, von dessen Liebe
zu Joseph von Arimathia nie die ganze Wahrheit gehört zu haben.
Der Eremit will ihn darüber aufklären und ihm die Beichte ab-
nehmen, sobald Nascien gehörig ausgeruht zei. Die ganze Nacht
überlegt der Greis, wie er den Jüngling am besten auf den
richtigen Weg führen könne.
Als der Eremit am nächsten Morgen wie gewöhnlich deng 208. [f
(Gottesdienst abhält, sieht Nascien, wie eine weisse Hand über dem
Altar dem Eremiten fortwährend behülflich ist; der Jüngling wird
davon tief ergriffen. Er unterzieht sich dann der Beichte und er-
hält die Absolution. Der fromme Greis belehrt ihn dann über die
göttliche Herkunft Christi, über seine Geburt; er berichtet ferner
von der Anbetung durch die drei Könige, vom Neid des Herodes,
vom Kindermord, von den Wundern Christi als Kind, und fängt
darauf wörtlich zu erzählen an von der heiligen Woche, gleichwie es
im Evangelium geschrieben steht.
Es folgt eine Übertragung des Evangelii Nicodemi!). 8 204.
nach Edyope, wo König Alain wohnte; weiter führte 4. ein Weg nach
dem Schloss der Jungfrauen, 5. einer nach dem Lande der Weiden (terre
des pastures), der sechste leitete nach Corbenic, der siebente endlich in
das Königreich Noargue.
1) Diese Übersetzung des Evangelii Nicodemi reicht von f° 251—f? 254,
dann von f°287—f9 290v°. Es sind nämlich die folgenden Lagen unserer
Handschrift, worauf moderne Verweise aufmerksam machen, falsch ge-
bunden; die richtige Reihenfolge ist folgende: f? 287—294; f° 279-_ 286:
f? 271—1° 278; f9 255—270.
Ich habe es für unnötig gehalten, den Inhalt unserer Version des
Erangelii Nicodemi wiederzugeben. Folgendes sei über dieselbe immerhin
: die vorliegende Version enthält beide Teile des Evangelii Nicodemi
vollständig, d. h. bis zum XXVIIL Kapitel incl.; es fehlen nur die beiden
letzten Sätze dieses Kapitels (in Thilo's Ausgabe: Codex apocryphus novi
testamenti . .. opera et studio J. C. Thilo. Lipsiae 1832. S. 795). Diese
beiden Sätze fehlen auch im Hallenser Codex der lateinischen Version.
Der erste Prolog (s. Thilo S. 491 ff. und Tischendorf’s erste Ausgabe der
Erangelia apocrypha. Lipsiae 1853. S. 312 f. Die zweite Auflage,
1876 erschienen, war mir nicht zugänglich.), desgleichen der in mehreren
Handschriften an den Text hinzugefügte Brief des Pontius Pilatus an
Beiträge zur Kenntnis der alifranzös. Artusromane in Prosa. 105
geben; Nascien sei dazu bestimmt, zu den dreizehn zu gehören,
die in ihrem Leben erleuchtet sein und nach dem Tode ewige Freude
haben würden.
Nascien bekehrt sich und wird Einsiedler; er empfing noch $ 206.
weitere Belehrung durch den Eremiten, sodass er sehr weise wurde
und dass Gott durch ihn grosse Wunder geschehen liess, so (davon
wird noch berichtet werden), als er Artus den Traum deutete und
ihm einen guten Rat erteilte, zur Zeit, da dieser mit Galeot Krieg
führte !).
Er war es auch, der Galaat, Lancelot’s Sohn, den späteren 8 207.
Gralhüter, erzog?).. Dort, wo Nascien wirkte, erstand später ein
treffliches Kloster, in das zahlreiche Männer des Landes eintraten.
Die Erzählung kehrt nun zu Gavain zurück. Die Dame mitg 208. [f°
der Harfe war zu ihrer von Gavain geliebten Cousine, zur Dame 5. $ 151
von Limos?) geeilt, um dort Hülfe zu holen. Am folgenden Tage
wird der im Turm gefangene Gavain durch das frische Grün und
durch den Gesang der Vögel an seine Liebe erinnert; er wünscht
advocans Jesum dixit ei Quid faciam tibi? Dicit Jesus Pilato Sicut datum
et. Dicit Pilatus Quomodo datum est? Dicit Jesus Moyses et prophetae
praeconizaverunt de morte et resurrectione mea. Audientes autem haec
Judaes dicunt Pilato .... Pilatus liess also die Juden hinausgehen und
spricht mit Jesus; die Juden hören das; wie und durch wen, wird nicht
gesagt. Unser Text lautet an dieser Stelle f° 252v°: Quant pilates oi ce
x mena thesum dune part. si li dist. Je ne sai que ge face a toi. et ihesus
h dist einsi com sl est destine a moi et a toi. et moyses et li prophete
profecierent de ma passion et de ma surrection. quant pilates loi. si
nunca as iuis totes les paroles de ihesu. et tantost distrent tuit li
if a pilate .... Statt des blossen audientes des lateinischen Textes
weisen die griechischen Hss. eine Reihe von Varianten auf; Tischendorf
entschliesst sich (s. S. 221) für maeıorognoavres de où "Tovdaioı zal axovaartes.
Ob unsere altfranzösische Prosaversion mit einer der von Wülcker
(Das Evangelium Nicodemi in der abendländischen Literatur. Pader-
born 1872, S. 27) angetührten afz. Prosaversionen identisch ist, vermag
ich nicht zu sagen; jedenfalls scheinen diejenigen Versionen, deren An-
fang Wülcker mitteilt, mit unserer Version direkt nichts zu thun zu
haben. Dass endlich die Vorlage unseres Textes mit den Vorlagen der
drei afz. Versionen in Versen (Trois versions rimées de l'évangile de
Nicodème par Chrétien, André de Coutances et un anonyme p. p. G. Paris
& A. Bos. Paris 1885. Publikation der Soc. d. a. t. fr.) nicht näher
verwandt ist, ergiebt sich daraus, dass die letzteren im Gegensatz zu
unserem Text das XX VIII. Kapitel nicht enthalten, wohl aber den oben
schon erwähnten Brief.
1) Darüber findet sich nichts an den entsprechenden Stellen bei
P. Paris, Romans d. |. t. r.
”) Nach der Walter Map zugeschriebenen Queste du St. Gral wurde
Galaad in einem Nonnenkloster erzogen. Vgl. Birch-Hirschfeld, Sage vom
Gral, S. 36. — Duch vgl. Arthour and Merlin, ed. Kölbing, V. 8906.
3%) So wird Helaes, die Geliebte Gavain’s, von jetzt ab genannt.
Beitrüge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 107
Leute, im Hinterhalt zu bleiben und ihm im Notfalle zu helfen.
Gavain erhält durch einen von der Gräfin abgeschickten Boten die
Nachricht vom bevorstehenden Kampf. Die Dame mit der Harfe
lässt ihrerseits Cladinas diesbezügliche Ordre zugehen. Gavain,
der in Begleitung der Dame mit der Harfe das Zelt verlassen hatte,
sieht Oriol mit der Gräfin von Limos, er glaubt, seine verschleierte
Geliebte wiederzuerkennen und will auf sie zueilen; allein Oriol
verbietet ihm das und so kommt es zwischen den beiden Rittern
zum Zweikampf, in welchem Gavain siegt. Bald aber kommt Oriol
eine grosse Schaar zu Hülfe. Gavain verteidigt sich tapfer und [f° 294
schlägt mit seinem trefflichen Schwert Escalibor zahlreiche Gegner
nieder. Es war inzwischen Mittag vorüber; Gavain’s Mut war daher
doppelt so gross als vordem. Oriol feuert seine Leute an, die nun
Spiesse und Lanzen nach Gavain werfen. Dieser hätte schliesslich
trotz seines ihn schützenden doppelmaschigen Panzerhemdes unter-
liegen müssen; da erscheint der Connétable Cladinas mit seiner
Truppe und verhilft zum Sieg. Oriol weicht eine Zeit lang dem
Kampfe aus; er sieht nun ein, dass ihn die Gräfin von Limos
hintergangen hat, er schimpft auf die Falschheit der Frauen und
schwört, dass er die Gräfin, wenn er sie je in seine Hände bekäme,
als Gefangene in sein Land führen und sie allen Trossknechten
überliefern würde. Inzwischen kämpft Gavain unermüdlich weiter,
bis endlich die Sachsen, obwohl sie in der Mehrzahl sind, in die
Flacht geschlagen werden. Der schwerverwundete ÖOriol muss
mit Gewalt durch die Seinen vom Kampfplatz fortgeführt werden.
Gavain wird von den Damen geehrt; seine Geliebte entschleiert
sich und beide versichern sich ihre Liebe. Die Gräfin verspricht,
ihm ganz anzugehören, sobald sie in ihrem Schloss angelangt sein
werden.
Am nächsten Morgen wird dorthin aufgebrochen. Fünf Tageg 211. [f°
bleibt Gavain bei der Geliebten, die sich ihm ganz hingegeben hat.
Am sechsten Tage verabschiedet sich Gavain. Er irrt tagelang um-
her und reitet schliesslich in der Richtung des Gartens, den die
Königin von Dänemark durch Zauberkunst mit Luft umgeben hatte!).
Daselbst giebt es nur einen Eingang und einen Ausgang.
Da Gavain so lange vom königlichen Hofe fernbleibt, macht 8 212.
sich auch sein Knappe Eliezer auf, um ihn zu suchen. Er durch-s. 88 72 fi
streift viele Länder und erkundigt sich überall vergeblich nach 84 f
seinem Herrn. Eines Tages wollen ihn in einem dichtem \Valde
drei Raubritter seiner beiden Pferde berauben. Eliezer protestiert
vergebens und bittet, ihm wenigstens eins zu lassen. Davon wollen
!\ Hierzu sei auf die Episode der joie de la cort in Ürestien’s Frec
verwiesen, V. 5739 ff.; s, dazu U. Paris, komania XX. S. 152 ff.
Beiträge zur Kenntnis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 109
Die Thränen treten ihr bei diesen Worten in die Augen. Eliezer
versichert, seine Suche am nächsten Morgen fortzusetzen. Die
Gräfin übergiebt ihm Geschenke für Gavain und trägt ihm Grüsse
und die Bestellung auf, Gavain solle sobald als möglich wieder zu
ibr kommen. Sie frägt Eliezer dann nach Namen und Herkunft.
Der Jüngling nennt sich den Sohn des Königs Pelles vom Schlosse
Corbenic!). Hätte die Gräfin früher seine vornehme Abkunft ge-
kannt, so hätte sie Eliezer noch mehr geehrt.
Am nächsten Tage verabschiedet sich Eliezer von der Gräfin. 8 216.
Er irrt mehrere Tage umher, bis er zum esplumeor?) Merlin’s ge-
langt, wo die Jungfrauen die Fragen hinzukommender Ritter un-
beantwortet lassen. Eliezer schreit laut, ohne Auskunft zu er-
halten, bis ein Ritter, der Hüter des esplumeor, hinzutritt, der des
Knappen Pferd verlangt; er wiederholt seine Forderung um so
nachdrücklicher, als er erfährt, dass Eliezer Gavain sucht. Obgleich
sich Eliezer selbst als Knappen bezeichnet und die Bemerkung
macht, dass es für den Ritter nicht ehrenvoll sei, sich mit ihm ein-
zulassen, will jener auf ihn losschlagen; allein Eliezer reitet auf
seinem trefflichen Renner davon, ohne von dem Ritter eingeholt
werden zu können.
Nach acht Tagen trifft er in einem Walde zu seiner grössten 8 216.
Freude seinen Herrn Gavain, der eben fünf Ritter in die Flucht
jagt und vier andere getötet hat. Eliezer erzählt, was seit
Gavain’s Fortgang vom Hofe Guenievre passiert war, ferner was
er von Artus und seinen Begleitern Urien, Neutre und Yrien weiss,
dass nämlich diese nach der sich drehenden Insel wollten. Von
Sagremor kann er nur so viel sagen, dass sich in dessen Namen
eine Anzahl Ritter und Damen bei Hofe gestellt haben. Endlich
berichtet er noch seine eigenen Erlebnisse. Auf Gavain’s Wunsch
begiebt sich Eliezer an den Hof, um dort mitzuteilen, dass Gavain
sobald als möglich heimkehren werde. Bald darauf verlässt Eliezer
den Hof wieder und macht sich auf den Weg nach der sich
drehenden Insel; denn dorthin wollte sich Gavain, wie er ihm mit-
geteilt hatte, begeben, nachdem er noch eine andere Angelegenheit
würde besorgt haben.
8. $ 18
8. $ 18
[f9 282
Gavain, der mit Eliezer das Pferd gewechselt hatte, war auf 8 217.
dem Gringalet den fünf Rittern nachgeritten, die vordem im
Verein mit den vier schon von ihm getöteten Rittern sein Pferd
and seine Waffen verlangt hatten. Er besiegt die fünf Gegner
1) Deuers la terre foraine.
3) Es muss auffallen, dass in unserem Texte, in welchem Merlin
doch wahrlich keine untergeordnete Rolle spielt, vorher von diesem ge-
heimen Aufenthaltsorte des Zauberers nicht die Rede ist.
Beiträge zur Kenninis der alifransüs. Artusromane in Prosa. 111
Gegend gehört; darum hatte er sich aufgemacht, denn er hoffte
immer Gavain zu treffen, der sich, wie er wusste, gerühmt hatte,
dass er seine Schwester besuchen würde. Die Vettern erkennen
Gavain und vermuten, dass er von Guingambresil’s Schwester komme;
nur Yllesgaleron nimmt Gavain in Schutz und er erklärt, nicht
gegen ihn kämpfen zu wollen. Guingambresil schmäht ihn deshalb.
Dann ruft er höhnend Gavain zu, dass er gar früh aufgestanden
sei; die Hure, bei der er gewesen, werde es nicht hindern können,
dass er vor ihren Augen als Verräter gehenkt werde und dass sie
selbst lebend mit seiner Leiche begraben werde. Über den ihm
gemachten Vorwurf des Verrats ist Gavain empört; trotzdem bleibt
er ruhig; er frägt Guingambresil nach seinem Namen und bestreitet,
ihm anders als im Zustand der Notwehr Übles zugefügt zu haben.
Kurz, es kommt alsbald zum Kampfe, in welchem Gavain zunächst
Brandeliz, dann Giromelant zu Boden schlägt. Gavain fordert nun
Yllesgaleron zum Kampfe heraus; es solle sich nun zeigen, ob
Yllesgaleron sein einst gegebenes Versprechen, nie mehr gegen
Gavain kämpfen zu wollen, halten werde. Yllesgaleron versichert,
dass er seinem Worte stets treu geblieben sei und nie Übles gegen
Gavain im Sinn gehabt habe. Er habe bisher zu seinen Verwandten
halten müssen, allein wenn es ihm nicht gelänge, ihnen ihre Thorheit
auszureden, so werde er die Gemeinschaft mit ihnen aufgeben.
Gavain verspricht, Yllesgaleron diese Gesinnung noch vergelten zu
wollen. Guingambresil, der die erneuten Versicherungen der Treue
von Seiten Yllesgaleron’s gehört hatte, schmäht diesen und nennt
ihn einen Feigling. Er reitet dann Gavain, der sich langsam ent-
fernt, nach und höhnend fordert er ihn zum Kanıpfe heraus. Die
abermals ruhigen Worte Gavain’s beantwortet Guingambresil mit
Schmähungen. Endlich reisst Gavain die Geduld; er stürzt auf
Guingambresil los, verwundet ihn und bringt ihn mitsamt dem Pferde
zu Fall. Unterdessen hatte Greoreas versucht, Gavain von hinten
beizukommen, allein auch er liegt bald am Boden. Der Sieger
reitet darauf ohne Aufenthalt fort. Yllesgaleron ist nun dem
schwerverwundeten Guingambresil behülflich, erntet aber dafür keinen
Dank, vielmehr verbietet ihm Guingambresil fortan jeden Verkehr
mit ihm. Yilesgaleron verlässt seine Vettern. Die Verwundeten
besteigen mit Mühe ihre Rosse, um sich in das Schloss zu begeben,
in welchem Gavain die Nacht zugebracht hatte. Sie stossen
noch allerlei Drohungen gegen Yllesgaleron aus; sie wollen ilım
sein ganzes Land nehmen 0. 8. w. Im Schlosse hatte Guingambresil’s
Schwester von ihrem Bruder viel zu leiden. Nachdem die vier
Vettern von ihren Wunden geheilt waren, bekämpften sie Yllesgaleron
und fügten ihm grossen Schaden zu. Dieser aber verteidigte sich
wacker. Guingambresil brachte dann seine Schwester in ein Schloss
[f° 285
Beüräge zur Kenninis der altfraneüs. Artusromane in Prosa. 113
nun von Dank gegen Sagremor erfüllt und fassen neuen Mut.
Sagremor nennt dann Sebilen auf deren Frage hin seinen Namen.
Sie hatte viel von ihm und den Artusrittern gehört und bedanert
sur, dass dieselben einen anderen Glauben hätten; Sebile ist nämlich
Heidin, Baruc dagegen ist Christ. Als Sagremor dies hört, meint
er, das erkläre ihr Unglück. Sie will nun, wenn alles glücklich
ausgeht, die Taufe empfangen und sich und ihr Land Sagremor
übergeben. In der Nacht nähert sich Sebile Sagremor’s Lager;
Sagremor erwidert die Liebesbezeugungen Sebilens, wehrt aber ihre
Küsse auf den Mund ab; denn sie sei noch Heidin und er wolle
keine Sünde begehen. Da ergreift sie schliesslich einen mit Wasser
gefüllten Kelch, sie macht das Zeichen des Kreuzes darüber und
bespritzt sich dreimal mit dem Wasser zum Zeichen der Taufe.
Sagremor lacht laut auf, als er dies sieht; er meint aber, es fehle
zur richtigen Taufe noch das Salz und die Salbe). Sebile ver-
sichert, den wahren Glauben in sich zu haben; sie werde sich
später noch richtig taufen lassen und werde, da schon der grössere
Teil ihrer Unterthanen Christen seien, mit Leichtigkeit auch die
übrigen dem Christentum zuführen. Sagremor lässt das endlich
gelten und beide pflegen der Liebe.
Am nächsten Tage kämpfen die beiden Heere mit einander.g 222, [f°
Sagremor schlägt mutig zu und vernichtet viele Feinde, sodass sich
ihm endlich Baruc selbst entgegenstellt; allein Sagremor verwundet
ihn und als Baruc sieht, dass seine Leute weichen, sucht auch er
sein Heil in der Flucht. Sagremor verfolgt ihn wohl vier Meilen
weit bis zur Brücke des Schlosses Trion. Hier stürzt zunächst
Baruc’s Pferd, dann auch dasjenige Sagremor’s. Die beiden Ritter
kämpfen nun zu Fuss auf der Brücke. Sagremor, der durch Leute
aus dem Schlosse und durch hinter ihm herkommende Feinde um-
zingelt zu werden fürchtet, nimmt alle Kraft zusammen und schlägt
Baruc zu Boden. Schon wollen ihn die Feinde ergreifen, da fasst
er Baruc und stürzt sich mit ihm von der Brücke ins Wasser
herab. Sagremor zieht Baruc ans Ufer, wo Sebilens Leute den
beiden vollends heraushelfen. Baruc wird entwaffnet und zu Sebilen
geführt. Sagremor besteigt ein Pferd und beteiligt sich wieder an
der Schlacht, die alsbald siegreich zu Ende geführt wird. Zahlreiche
Feinde werden ins Wasser geworfen und ertrinken. Wer sich
nicht ins Schloss Trion retten kann, oder sich nicht ergeben
will, wird ohne weiteres niedergemacht. Die Gefangenen werden
ins Lager geführt. Sagremor wird gepriesen und geehrt. Sebile
geht Sagremor entgegen, kniet vor ihm nieder und preist Sagremor
und den Gott der Christen; sie verspricht aus Liebe zu ihrem Retter
1) Sel et cresme.
Ztechr. £ frz. Spr. u. Litt. XVII. 8
[f° 274
Beiträge zur Kenninis der altfranzös. Artusromane in Prosa. 115
Eilends besteigt (raheriet dann sein Ross und setzt eine der 8 226.
Damen vor sich, während die andere das zweite Pferd besteigt;
sie wollen in das nicht weit entfernte Schloss der Damen reiten.
Allein der Ritter, dessen Besitz sie eben verlassen hatten, verfolgt
and erreicht sie. Ein heftiger Zweikampf entspinnt sich. Gaheriet
haut schliesslich dem Gegner den linken Arm ab und bringt ihn zu
Fall. Da sich der Schwerverwundete auf die Bedingungen, die ihm
Gaheriet stellt, nicht einlassen will, wird ihm das Haupt abgeschlagen.
Die Damen freuen sich, von diesem ihrem Feinde befreit zu sein und
reiten mit Gaberiet in ihr Schloss, wo sie ihren Retter ehren.
Gaheriet setzt seinen Weg am nächsten Tage fort; er findetg 227. [f°
bei einem mächtigen Ritter freundliche Aufnahme, kommt dann an
einen befestigten Turm, in dessen Nähe eine Dame um ihren ge-
fangenen Geliebten klagt. Sie erzählt Gaheriet, dieser Turm heisse
chastel de la mort, weil alle darin Gefangenen stürben; sie sei eines
Tages mit ihrem Geliebten hier vorbeigeritten, da sei Kaol über
sie hergefallen, er habe ihren Geliebten im Kampfe bezwungen und
in jenen Turm einsperren lassen. Gaheriet ist bereit, ihr zu helfen;
sie begeben sich daher an das Schloss, dessen Besitzer alsbald
gewaffnet heransprengt. Auch hier hat Gaheriet einen blutigen
Strauss auszukämpfen, endlich aber hat er Kaol besiegt. Er tötet ihn,
da Kaol lieber mit Ehren sterben, als in Unehren leben will. Der [f? 278
Gefangene wird befreit und erhält von Gaheriet Kaol’s Schloss
als Lehen von Artus. Am nächsten Morgen verlässt Gaheriet
das Schloss.
Die Erzählung wendet sich nun wieder zu Gavain. Von derg 228. s.&
Einsiedelei aus hatte sich Gavain direkt nach der sich drehenden s. 8 21.
Insel aufgemacht, wohin sich auch, wie er wusste, sein Oheim Artus mit
Ydier, Urien und Neutre gewandt hatte. Er begegnet nach einigen
Tagen einem Zwerg, der ihn gering schätzt uud nicht für fähig
hält, den Weg erfolgreich fortzusetzen. Vergebens drängt Gavain
in ihn, die in der Nähe befindlichen Gefahren zu nennen. Er
verlässt daher den Zwerg und reitet furchtlos weiter. So kommt
er an ein Zelt und erfährt dort von einer schönen Dame, dass
dasselbe einem Ritter gehöre, der mit allen Rittern kämpfe, welche
die von ihm aufgestellten Schranken betreten. \Ver dieselben nicht
betrete, könne unangefochten weiter ziehen; gegenwärtig halte der
Ritter den Agravain gefangen, den er auf ihre Bitten am Leben ge-
lassen habe. Gavain ist von dem \Vunsche beseelt, seinen Bruder zu
befreien; er vernimmt, dass der Ritter im Zelte mit dem Gefangenen
Schach spiele. Die Dame hält es für überflüssig, in Gavain’s Auftrag
die Ankunft eines neuen Kämpfers zu melden; denn sobald jemand
die Schranken überschritten habe, erscheine der Ritter von selbst.
Gavain betritt den begrenzten Raum und alsbald stürzt der wohl-
8”
Beiträge zur Kenntnis der alifranzüs. Artusromane in Prosa. 117
und von neun anderen Rittern der Tafelrunde!) erkannt, welche alle
hier nach dem Genuss der Frucht ihre ursprüngliche Aufgabe ver-
gessen hatten, nämlich Artus, Sagremor und Gavain zu suchen.
Gavain entfernt sich immer mehr von Logres und kommt ing 281. s.8
eine wenig bewohnte, wilde Gesend, deren Bewohner eine schwer
verständliche Sprache haben. Von einem Ritter, der ihn bei sich
aufnimmt, erfährt er, dass seit dem Bestehen der Tafelrunde bis vor
kurzem kaum drei Ritter in dies entfernte Land gekommen seien;
Tags zuvor aber seien 4 Ritter vorbeigeritten, die sich direkt nach
der zwei Tagereisen entfernten, im Westen gelegenen Insel im
Meere begeben wollten. Dort kämpften Formiz d’armes?) und vier
andere Ritter mit allen, die hinzukämen und setzten diese gefangen.
Die sich drehende Insel ist vierzehn Tagereisen von derjenigen
entfernt, wohin, wie die Erzählung früher berichtet, Nascien von
Orberique in einer Wolke gebracht wurde. — Es folgt nun eine lange
physikalische Erörterung über den Ursprung, die Lage und die
Ausdehnung der Insel.) Schliesslich gewann die Insel unter dem
Einfluss der in den Tiefen ruhenden Magneten an Festigkeit, sie
pahm an Grösse zu und die Drehungen hörten auf.
| Die Insel war lange unbewohnt, bis zur Zeit, da Abinor, 8 282,
Herzog von Schottland und Island, mit Uterpendragon Krieg führte.
Uterpendragon erlitt grosse Verluste und bat Merlin um Rat, der [f° 268]
ihm zum Siege verhalf. Der Herzog von Schottland und Island
wünschte nun, Merlin in seine Gewalt zu bekommen und ihn zu
ı Es : sind das Kalogrenant, Galescondet, Osenains cors hardiz, Li
laiz bardiz, Estors li fils Ares, Gornains Cadruz, Meraugis, Lucans li
boteilliers, Giflez li filz Do. Ydier, der in der Handschrift an dritter
Stelle genannt ist, ist zu streichen; er befindet sich ja in Artus’ Be-
br za und kommt erst später in den Garten; s. $ 188 und 8 233. — |
r Zaubergarten, der von der Königin von Dünemark geschaffen ist
242), ist ufenbar derselbe wie der schon oben $ 211 genannte;
Mach ist hier 8 230 das dort hervorgehobene Charakteristikum nicht
erwähnt, da.s nämlich der Garten von Luft, oder sagen wir lieber, von
einem zauberhaften Nebel umgeben ist. Auch in Crestien's Zrec V. 5739 ff.
spielen in der Episode der Jote de la cort oder des Clos de la Nue
's Romania XX. 155.) Zauberfrüchte eine gewisse Rolle; auch dort macht
ihr Genuss ein Entkommen aus dem Garten unmöglich. Es handelt sich
dabei um eine alte, weitverbreitete Sage; vgl. G. Paris, Romania VII.
%f. Zauberäpfel, deren Genuss von gleichen oder anderen merkwürdigen
Folgen begleitet ist, kommen öfters vor, so in der Chanson d'Esclarmonde
is. Schweingel's oben S. 72 Anm. erwähnte Diss. S. 46); 8. ferner Zimmer,
Ze. f. d. A. u. d. L. Bd. XXXIII. S. 168. 263. Zu dem Zaubergarten
gl Bojardo, Orlando innamorato I. X. 72 f., XII. 37 ff.
?) Der Name wird für griechisch ausgegeben: et autant ualt cist
sons a dire en yreu formiz darmes come cremuz as armes en franceis.
5) Diese Schilderung und Erörterung (f° 2564—f° 257d) stimmt mit
der im Grand St. Graal enthaltenen überein; s. P. Paris, Romans I. 218 ff.
Beüräge zur Kenntnis der altfran.zös. Artusromune in Prosa. 119
aus dem Kampf zurückgekehrt seien. Als sie erfahren, dass es sich
hierbei um ein durch Zauberkunst eingerichtetes Abenteuer handelt,
sehen sie ein, dass sie noch manches zu ertragen haben würden, bis sie
dasselbe zu Ende führen könnten und dass sie dabei Gefahr liefen,
das Leben oder die Freiheit zu verlieren. Sie übernachten in der
Klause und machen sich am nächsten Morgen wieder nach der Insel
auf. die man übrigens darum zu Pferde erreichen konnte, weil
Merlin seinerzeit durch Bauern vom Festlande bis zur Insel einen
langen Damm hatte errichten lassen. Der Damm war durch eine
Brücke mit der Insel verbunden. Als Artus und seine Gefährten
die Brücke betreten wollen, kommen ihnen schon die vier Ritter vom
vorhergehenden Tage entgegen. Artus zeigt beim nunmehrigen
Zusammentreffen weit mehr Ausdauer als seine Genossen, die gegen
Mittag den Kampf unterbrechen müssen, sodass Artus eine Zeit
lang den vier (regnern allein gegenübersteht.
Gavain empfahl sich frühmorgens von dem Ritter, der ihm 508234. [8
freundliche Unterkunft geboten hatte, und ritt eilig in der Richtung
der Insel. Geren Mittag trifft er bei dem Klausner ein und erfährt
von ihm, dass Artus und seine Gefährten die letzte Nacht bei ihm
zugebracht haben und den unentschieden gebliebenen Kampf haben
fortsetzen wollen. Gavain lässt sich den Weg zeigen und bittet Gott, ihm
die nötige Kraft zu verleihen, um noch zu rechter Zeit dorthin gelangen
zu können. Der Gringalet trägt ihn im Galopp zum Kampfplatz. Hier [f? 2
waren Urien, Neutre und Ydier bereits so matt, dass sie nur mühsam
zu Atem kommen konnten und schier zu erliegen schienen. Artus
that sein Mörlichstes, um ihre Schwäche auszugleichen. Er hatte
seinen Schild fortgeworfen, sein treffliches Schwert mit beiden Händen
erfasst und focht wie ein Wütender. Allein er sollte den Kampf
ohne die Hülfe des besten Ritters nicht zu Ende führen. Da kommt
Gavain herangesprengt und nähert sich bereits der Brücke, als ihm
ein Ritter entgegenrennt. Nach heftigem Kampfe durchbohrt ihn
Gavain und stürzt ihn mitsamt dem Pferd von der Brücke herab.
Dann steigt (ravain ab, zieht sein Schwert Escalibor und tötet
alsbald zwei andere Gegner. Artus, über die unerwartete Hülfe
hocherfreut, erkennt seinen Neffen schliesslich an seinem Schwert.
Endlich siegen Artus und die Seinen dank der kräftigen Hülfe
Gavain’s. Nachdem sie die Brücke und das Thor überschritten haben,
kommen ihnen fünf grössere und stärkere Ritter entgegen; drei reiten
voraus, die beiden anderen hinterher. Urien, Neutre und Ydier
vermögen ihren Platz nicht zu behaupten; allein Artus und sein
Neffe verhelfen zum Siege. Als die Sieger nun weiter vordringen,
tritt ihnen eine von Formiz gesandte Jungfrau mit der Weisung
entgegen, dass der Kampf für diesen Tag ein Ende habe; die Ritter
(Artus, Gavain u. s. w.) sollen Brücke übernachten,
Beiträge zur Kenninis der altfransös. Artusromane in Prosa. 121
darauf seinen Gegner und dieser ergiebt sich ihm auf Zureden
Formiz’. Endlich müssen sich auch die drei anderen Gefährten
Formiz’ für bezwungen erklären. Die zehn Ritter begeben sich
sun zusammen in den Hauptturm, wo ihnen die Dame und ihre
Gefährtinnen freundlich begegnen, weil sie wissen, dass sie den
besten Ritter und den Solın Uterpendragon’s vor sich haben und
dass nun der Zauber von der Insel gewichen sei. Die Damen ver-
binden den Rittern die Wunden und waschen ihnen Kopf, Hals und
Hände. Die Fremden erscheinen nun den Damen jung und schön;
Gavain ist der jüngste von ihnen, Urien der älteste. Doch auch
Formiz und seine Genossen sind schöne, kräftige Menschen. Nach
Tisch probieren die Ritter ihre Kräfte, indem sie einen Stein zu
heben versuchen; gar mancher Ritter und mancher Knappe hatte schon
vergebens dies Kraftstück versucht. Nach Formiz müht sich Ydier
damit ab!). Gavain’s Leistung setzt die anderen so in Erstaunen,
dass Formiz wissen möchte, wen er vor sich hat; er bittet Gavain
ım seinen Namen. Die Ritter stellen sich einander vor. Formiz
erkundigt sich nach Merlin, dem er zu grösstem Dank verpflichtet
sei, weil er durch ihn mit seiner Geliebten vereinigt worden wäre.
Artus sagt, er habe Merlin noch vor einem halben Jahr gesehen.
Formiz wünscht, Merlin vor dessen Tode nochmals wiederzusehen,
ferner Guenievre kennen zu lernen. Er verspricht, mit seinen vier
Gefährten an Artus’ Hof zu kommen; dort wollen sie dann Hochzeit
feiern. Die Leute in der Umgegend freuen sich, dass der Zauber
geschwunden und dass die Insel nunmehr jedermann zugänglich ist.
Nach acht Tagen freudigen Zusammenseins brechen Artus und seine
Gefährten auf. Die Ritter der Insel geben ihnen das Geleit bis
zum Hause des Ritters, bei welchem Gavain auf dem Hinwege
Aufnahme gefunden hatte. Artus und seine Gefährten wollen direkt
nach Logres, trennen sich aber nach drei Tagen, und zwar so, dass
Artus und Gavain zusammen reiten, während Urien, Neutre, Ydier
einen anderen Weg einschlagen.
8.8 23
[f° 263
s. $ 23
Sagremor blieb bei Sebile, bis alle ihre Unterthanen getauftg235?).s.
waren. Als er sich zu ihrem grössten Leidwesen verabschieden
will, um, wie er sagt, dorthin zu gehen, wo der grosse, Tod bringende
Schrei zu hören ist, teilt ihm Sebile mit, dies durch einen
Zauber hervorgerufene Abenteuer sei, seitdem Sagremor das Land
betreten habe, verschwunden; der Schrei sollte unterbleiben, sobald
1) An dieser Stelle muss in der Handschrift einiges ausgelassen sein,
*) Unsere Handschrift scheint im XIV. Jh. im Besitz oder in
Händen eines Francoprovenzalen gewesen zu sein; ich schliesse das aus
zwei in dieser Zeit geschriebenen Randbemerkungen f° 218 v° und f° 263 v°,
von denen die letztere folgendermassen lautet: Cant Sagremors no volc
mangier del pom. que mudava los coratges dels caualliers.
s.813
Beiträge sur Kenntnis der alifranzös. Artusromane in Prosa. 123
Stücke gerissen werden. Nach drei Tagen müsse er sich ent-
schliessen, ob er diese Aufgaben wagen oder lieber den Apfel essen
wolle. Er erfährt noch, dass die Zahl der Gegner nicht steige,
wenn er selbst Hülfe erhielte, freilich dürften ihm nicht mehr als
vier Ritter beistehen; alle Abenteuer müssten an demselben Tage
bestanden werden. Sagremor wagt den Kampf, streckt aber bis
zur Vesperstunde nur einen der zehn Gegner nieder. Vergebens
reden ihm die Gefährten zu, von dem Apfel zu essen. Sagremor
nimmt nach dem Mahle an allerlei Unterhaltungen teil und über-
nachtet im Zelt nahe bei dem Apfelbaum.
[f0 265
Artus und Gavain reiten eine Zeit lang zusammen, bis sie an$287. s.$
einem Scheideweg angelangt ein lautes Gebell von drei Jagdhunden
zu hören meinen. Sie warten auf die Tiere, allein vergebens, und
doch nimmt das Gebell mehr und mehr zu. Gavain, den Artus
bittet, baldmöglichst zurückzukehren, will zusehen, was die vermeint-
lichen Hunde verfolgen; er sieht aber drei hässliche Riesen, die
mächtige Keulen tragen und die Aufgabe haben, mit allen vorbei-
kommenden Rittern zu kämpfen. Gavain steigt auf den Sattel
Gringalet’s und stösst den ersten Riesen zu Boden; er steigt nun
ab, um ihn zu töten, allein die beiden anderen Riesen hauen auf
ihn ein. Es gelingt ihm jedoch nach schwerem Kampfe, zwei der
Gegner zu töten; dem dritten hat er schon beide Arme abgeschlagen,
da stösst dieser Gavain mit dem Fusse, sodass der Getroffene weit
wegfliegt und zu Boden fällt. Der Riese will nun Gavain zertreten,
allein dieser erhebt sich, behend wie er ist, und tötet den Riesen.
Gavain wäscht sich dann an der Quelle, die am Kampfplatz vorbei-
rauscht und kehrt nach dem Ort zurück, wo er Artus verlassen hat.
[fo 266
Eine auf einem Maultier dahersprengende Dame hatte sich $ 238.
inzwischen Artus genähert und hat ihm, als sie auf ihre Fragen
erfährt, dass er der Tafelrunde angehöre, erzählt, dass Sagremor im
verzauberten Garten einen Kampf mit 20 Rittern auszufechten habe,
weil er sich weigerte, den ihm dargereichten Apfel zu essen. Auf
seine Bitten führt die Dame Artus bis zum Eingang in den Garten.
Artus überschreitet denselben und reitet bis zu dem Zelt, wo sich
Sagremor gerade waffnet. Seine Gefährten hatten ihn so lange
als möglich hingehalten und hatten ihn zu überreden versucht, doch
den Apfel zu kosten. Artus steigt ab und wird von den Gefährten
der Tafelrunde mit Jubel empfangen. Die Jungfrau reicht ihm im
Namen der Königin von Dänemark einen schönen Apfel und die
Gefährten der Tafelrunde reden Artus zu, denselben zu kosten; er
will eben hineinbeissen, da springt Sagremor hinzu, schlägt ihm die
Frucht aus der Hand und erklärt ihm den Zauber. Artus will nun
mit Sagremor davonreiten, allein es treten ihnen 10 Ritter zum
Kampf entgegen, dem sie nicht ausweichen.
s. $ 238
Beiträge eur Kennitnis der alifranzüs. Artusromane in Prosa. 125
Herrscher geblieben und sie würde das Reich und die schöne
Guenievre ihrem Sohn Oriol übergeben haben; denn Artus habe ihr s.814
in den Schlachten bei Vandeberes, Clarence und Karadigan grossen s. 4 48
Sehaden zugefügt. Wäre Artus kämpfend im Garten besiegt worden, 54. 1
so hätte sie sein Haupt ihrem Gemahl, dem König von Dänemark
zugesandt. Sagremor meint, es wäre richtiger, der Alten jetzt
gleich den Kopf vom Rumpfe zu trennen. Er frägt sie noch nach
dem Wesen des grossen Schreies. „Es war dies“, so sagte sie,
‚ein Feind, der durch die Lüfte dahinfuhr und allen, die sich ihm
näherten, durch das Entsetzen, das er erregte, und durch den Ge- [f° 268
stank, der ihn begleitete, den Untergang brachte; nur ein Kaiser-
sohn konnte ihn vertreiben“. Sagremor rät der Alten, sich
schleunigst zu entfernen, sonst würde sie ihren Kopf verlieren.
Auf ihre Frage nennt er seinen Namen Sagremor le desree. Sie 3. $ 55
giebt demjenigen Recht, der ihm den Beinamen desree zugeteilt habe.
Als sie dann noch erfährt, dass Artus und Gavain vor ihr stehen,
findet sie ihre einstige Prophezeiung bestätigt. Darauf entfernt sie
sch, um in ihr Land zu gehen.
Auf den Vorschlag der entzauberten Ritter überlässt Artus $ 248.
das Schloss der Alten den Jungfrauen, die dort ihre Geliebten ver-
loren hatten und im Zaubergarten geblieben waren. Es sind ihrer
mehr als 100, die weinend herbeikommen. Artus hat Mitleid mit
ihnen und trôstet sie!). Sie huldigen Artus und das Schloss heisst
seitdem das Jungfrauenschloss (chastiaus des puceles).) An diesem
Abend hält Artus grossen Hof ab.
Am nächsten Morgen bricht er mit den Gefährten der Tafel- $ 24.
rande auf und sie kommen nach kurzer Zeit in eine Gegend, die
Sagremor als das einstmals Greomar gehörende Gebiet wieder- s. $ 16
erkennt. Eine Dame kommt ihnen laut klagend entgegengeritten
und erzählt, dass Outredoute das ehemalige Schloss Greomar’s be- 8. $ 21:
lagere und vermutlich bald zur Übergabe zwingen werde; endlich
erwähnt sie, dass sie Sagremor suche. Als sie hört, dass dieser
zugegen ist, bittet sie ihn im Namen der Belagerten um Hülfe.
Sagremor erzählt Artus, wie grausam Greomar gegen die Ritter
1) Die Art und Weise, wie er dies thut, ist etwas merkwürdig;
der König sagt nämlich zu den Jungfrauen, sie sollten die Trauer lassen,
sie würden noch genug Liebhaber finden.
?) Ein château des pucelles kommt in mehreren Artus- und Gral-
wxten vor; so im Conte du Gral V. 36553 f.; im Yder (s. Hist. lit.
IXX. 202); in der Queste de St. Gral (s. Birch- Hirschfeld, Sage vom Gral
8. 39); in der Lanceloteompilation (s. P. Paris, Romans V. 114 fi) Doch
schon weit früher begegnen wir diesem Namen, nämlich bei Gottfried
r. Monmouth} } 7 castellum puellarum und demgemäss bei Wace, Brut
1564 ME.
}
Beiräge sur Kenntnis der altfraneös. Artusromane in Prosa. 127
führen wollen. Es sind das Agravadain des vals de Galorre,
Adragais der Braune, Abaholais von Estremore und Guivret de
Lambale. Outredoute will sich die Ritter nicht entgehen lassen,
allein diese verteidigen sich wacker.
Die beiden Damen hatten sich inzwischen nach der belagerten 8 248.
Burg aufgemacht, um dort die Gefahr, in welcher die vier Ritter
schwebten, zu melden. Sie begegnen vier anderen Rittern, die sich
gerade an einem Kreuzweg trennen und nach Logres reiten wollen.
Die Damen veranlassen sie, jenen von Outredoute’s Leuten an-
gegriffenen vier Rittern zu Hülfe zu eilen. Sie sind dazu bereit
und lassen sich von der einen Dame zum Kampfplatz führen,
während die andere ihren Weg fortsetzt, um Artus in der Burg zu
benachrichtigen. Die vier von der ersten Dame geführten Ritter
sind Dodinel le sauvage, Greu dalenie, Guionmar de Tharmelide
und Minoras. Als sie zum Kampfplatz kommen, fechten zwei der
vier Gefährten der Tafelrunde schon zu Fuss, während die anderen
beiden sie zu schützen suchen. Die neu Hinzugekommenen helfen
non den beiden wieder auf ihre Pferde und die acht Ritter leisten
wackeren Widerstand. Doch hätten sie schliesslich unterliegen
müssen, wenn nicht Artus, Gavain und bald darauf die anderen
Gefährten der Tafelrunde hinzugekommen wären. Sobald Outredoute
Gavain erblickt, stürzt er auf ihn zu, allein er wird abgeworfen.
Doch seine Leute kommen ihm zu Hülfe. Gavain schlägt mutig
drein und tötet einen Vetter Outredoute’s. Schliesslich gewinnen
Artas und die Seinen die Oberhand. Outredoute selbst wird schwer-
verwundet von seinen Leuten fortgeführt, von denen wohl 200 auf
dem Schlachtfelde liegen bleiten. Die übrigen ergreifen die Flucht
und erreichen unter schweren Verlusten einen Wald, der sie vor
weiterer Verfolgung schützt.
[fo 270
Artus kehrt mit den Seinen zur Burg zurück, wo die acht 8 249.
Ritter, welche sich mit ÖOntredoute’s Truppen so tüchtig herum-
geschlagen hatten, hochgeehrt werden. Letztere sind hocherfreut,
die Gefährten der Tafelrunde wiederzusehen. Artus befiehlt, die
gesamte Beute in die Burg zu bringen, das Schloss solle stark be-
festigt werden und solle den Namen chastel des dames führen!).
Eines Morgens sieht Gavain vom Fenster aus, wie drei Ritter 8 250.
eine Dame und ihren Ritter verfolgen. Er waffnet sich schnell,
besteigt den Gringalet, befiehlt seinem Knappen, niemand etwas von
seinem Plan zu sagen, und reitet den Bedrängten zu Hülfe Er
1) f9270 scheint lange das letzte Blatt der falsch gebundenen
Handschrift gewesen zu sein; die Schrift ist auf dem verso derartig ver-
blasst, dass sie stellenweis ganz unleserlich ist.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch.
Nachdem H. E. Scriba!) und E. Stengel?) auf die freundschaftlichen
Pezirhungen zwischen Fr. Diez und Carl Ebenau hingewiesen hatten, hat
uns W. Foerster durch seine Veröffentlichung eines grossen Teiles des
Diez-Ebenau’schen Briefwechsels?) einen Einblick in die gegenseitigen Be-
ziehungen der beiden Freunde ermöglicht. Als „ein schönes Denkmal
edler erhebender Freundschaft“ wird dieser Briefwechsel mit Recht von
seinem Herausgeber bezeichnet; für den Diez-Biographen ist er von be-
sonderem Wert deshalb, weil aus anderen Quellen wenig Zuverlässiges
aus der Jugendzeit des Altmeisters bekannt geworden ist. Eine nicht
wnwichtige Ergänzung dessen, was die Briefe an biographischem Material
enthalten, bilden die Tagebuchaufzeichnungen Ebenau’s, die ich im folgenden,
soweit sie auf Diez Bezug haben, zum Abdruck bringe*).
„Carl Friedrich Ludwig Christian Ebenau aus Florstadt in der
Wetterau, studiert Theologie und Philologie, logiert bey H. Syndykus
Dr. Oeser“, so lautet Ebenau’s eigenhändiger, am 12. Mai 1813 gemachter
Eintrag in das Album der Giessener Universität?) Aus demselben Jahre,
in dem Ebenau’s Aufnahme in die Reihen der akademischen Bürger in
Giessen erfolgt, datiert wohl auch dessen erste Bekanntschaft mit Diez.
Das Tagebuch enthält einen „Bruchstücklichen Nachtrag aus der Ver-
é bis sum Februar 1815“, worin Diez’ unter dem Jahre 1813
ram ersten Mal gedacht wird, mit den Worten: „Der Herbst naht heran...
1) Biographisch-literärisches Lexikon der Schriftsteller des Gross-
kerzsogtums Hessen im neunzehnten Jahrhundert. 2. Aufl. Darmstadt,
Jonghaus. 1848. S. 852.
, 3) Erinnerungsworte an Friedrich Diez. Marburg, Elwert. 1883.
& 104.
5) Freundesbriefe von Friedrich Diez. Bonn, Georgi. 1894.
#; Frau Rechtsanwalt Jöckel in Friedberg, Tochter Ebenau’s, hat
mir freundlichst die Veröffentlichung dieser Mitteilungen aus dem Tage-
buche ihres Vaters gestattet, wofür ich derselben auch an dieser Stelle
meinen Dank ausspreche. Mein Dank gebührt ferner Herrn Prof. Ad.
Tobler, der mir die in seinem Besitz befindlichen von Diez selbst ge-
machten Aufzeichnungen über eine von den beiden Freunden gemein-
schaftlich ausgeführte Lahn- und Rheinreise bereitwilligst zum Abdruck
überlassen hat.
5) Vergl. über Ebenau Scriba I. c. S. 861 ff.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII: 9
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 131
laut, als wenn Du sie hören solltest; ich musste, ehe ich Dich wirklich
sehen und umarmen kann, noch einmahl mit Dir reden, dass diese kost-
bare edele Zeit, die noch zu der verflossenen gehört, in welcher ich nur
scheinbar, nicht wirklich von Dir getrennt bin, nicht leer und ungenützt
schwinde. Seit wir die letzten Rosen in Deinem Garten hohlten, hatte
ich keine gesehen, und ungeheuer war der Eindruck, den ein ganzer
Strauss auf mich machte, den mein Vater heute aus dem Garten brachte,
noch recht frisch erhalten und lieblich duftend. Tausend Erinnerungen
strömten mit ihrem Wohlgeruch mir durch die Seele; es waren freylich
Erinnerungen einer vergangenen Zeit; — doch es wird, wenn unsere
Herzen länger fortschlagen, nach einer langen trüben Nacht, wohl eine
ähnliche widerkehren, und uns Wonnen, wie die vergangenen, zuführen;
und dann schwebt mir noch tröstend und erhebend der Gedanke an die
seligen Wochen vor, die wir noch zusammen in süsser Freyheit, Poesie
und Liebe zu erleben haben. Diese Tage sollen eine Lust und Lebens-
würze seyn. O wie träume ich mich schon mit Dir an dem Rheine, auf
Bergen und Burgen, mit vollem Herzen hingegeben der prächtigen, er-
babenen, göttlichen Natur! Wie soll ihr Anschauen unsere Seelen stärken
und begeistern, wie will ich Dich lieben! — Vergiss ja nicht, noch recht
viel schönes und edeles mannichfacher Art für unsern Gebrauch zusammen
za bringen und in unsere Sammlung einzutragen, da Dir mehr zu Gebothe
steht, wie mir. — Gegen unseren Plan fand ich bey meinen Aeltern wenige
Einwendungen, am meisten von Seiten meiner Mutter. Die Schwierig-
keiten sind indessen glücklich überwunden, und wehrt es der Allmächtige
nicht, so bin ich in wenigen Tagen bey Dir. Er sey uns gnädig.
Dein K.
(nicht: „ewig treuer“, denn ich kann nicht mir selbst untreu werden).
An Herrn Studiosum Friederich Diez Wohlgeboren in Giessen in
den neuen Bäuen. frey.
Dieser Brief war ursprünglich nicht datiert. Von Diez’ Hand rührt
eice nachträgliche Bemerkung „(October 1815)“ her. Die Zeilen müssen
vor dem 6. Oktober geschrieben sein, denn an diesem Tage haben, wie
wir aus dem Tagebuch erfahren, die Freunde ihre gemeinschaftliche Tour,
von der im Briefe als einer beabsichtigten die Rede ist, bereits angetreten.
Von diesem Zeitpunkt ab sind mit Unterbrechungen die Tagebuchauf-
zeichnungen bis in das Jahr 1843, das Todesjahr Ebenau’s, fortgeführt.
Zur vorläufigen Orientierung schicke ich in chronologischer An-
ordnung eine Übersicht der wichtigeren auf Diez bezüglichen Angaben des
Tagebuches vorauf:
1815. October: Lahn- und Rbeinreise. Fouqué's Märchen. Ossian.
Heftiger Streit über die französische Sprache. Fouque’s Todesbund. ’)
1816. Mai. Diez giebt Ebenau seine Liederübersetzung.
Juni: Diez in Westfalen.
Juli: Zoëga. Diez übergiebt Ebenau ein Gedicht, welches er in
Westfalen an ihn gerichtet hat.
September: Lektüre von Axel und Walborg. Abschreiben in die
geweihte Sammlung. Diez und Pistor beschliessen die schnelle Abfassung
1) Ebenau’s Schilderung der Lahn- und Rheinreise bringe ich im
folgenden nicht zum Abdruck, da von Diez eine ausführliche Beschrei-
bung derselben Reise uns erhalten ist. S. oben pg. 129, Anm. Diez Auf-
zeichnungen lasse ich als Anhang den vorliegenden Tagebuch-Mitteilungen
9*
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 133
1827. Januar. Geschichte der Troubadours.
April. E. macht D. mit Platens Ghaselen bekannt. Reise auf
die Fra Messe. Schwenk, Welcker, Thudichum.
1829. Dez. Dies’ Troubadours.
1888. Oktober. Dr. Simrock überbringt E. einen Brief von D.
1839. September: D. auf der Bibliothek zu Darmstadt.
1815.
In Ebenau's Aufzeichnungen aus dem Wintersemester 1815/16 be-
gegnet „Fritz“ selten. Eine im Tagebuche angedeutete aber nicht weiter
motivierte Verstimmung war im Laufe des Winters zwischen den beiden
Freunden eingetreten. Am 4. November war E. auf die Universität
zarückgekehrt. Das Tagebuch berichtet:
Nov. 5: Misvergnügter Tag. Das neue spricht mir nicht an.
Herumlaufen nach den Freitischen etc. Abends kommt Fritz, wir
gehen in den Rappen und von allem bin ich geheilt. — 7.: Fritz
sehe ich selten. Der alberne Abend auf dem Einhorn den 11...
— 27.: Abends ein bischen bei Fritz. — 28.: Das Leibregiment
rückt ein. Jubel und Freude überall!). Die Landwehr ihm ent-
') Seinem Patriotismus hatte Diez im Jahre vorher dadurch den
schönsten Ausdruck gegeben, dass er mit einem Teil seiner Freunde dem
bessischen freiwilligen Jägercorps beigetreten war. Leider schweigt das Tage-
buch völlig über die Vorgänge im Jahre 1814. Über diejenigen im Herbst 1813
enthält es einen längeren Passus, der hier mitgeteilt sei: „Bald nachher
Reise nach Frankfurt. — Jetzt tritt Bayern zum deutschen Bunde. Durch
bayerische Zeitung erhalten wir in Frankfurt die ergötzlichsten Nachrichten
von an jedem Tage gelieferten und für die Franzosen völlig verlornen
Schlachten. Bei Berlin und ..... hatte der schwedische Kronprinz sie
schon vorher gehörig gezüchtigt. Jetzt kommen die Sieges-Nachrichten
von den am 16. 17. 18. October bei Leipzig und in der Gegend gekämpften
furchtbaren Riesenschlachten, dem ungeheuren Verluste und der völligen
Flucht der Franzosen durch das Fuldische. Oestreichische und Bayerische
Beere eilen ihnen voran und hemmen den Rückzug. Man erwartet jeden
Tag Deutsche an den Thoren von Frankfurt, das von einigen französischen
Regimentern noch besudelt ist. Diese halten die Thore, wie die abgetragene
Sechsenhauser Brücke mit Kanonen besetzt und stehen beständig schlachten-
lertig. Der . . . . [?] Franzose in Neuburg's, den ich mit den Kosacken-
Xachrichten so aufbrachte. Briefe meines Vaters, und Ungewissheit, wie
es in dieser Gegend, wo man vor den durchziehenden Heeren das kost-
larste verborgen hatte, ergehen und was Franzosen und Kosacken machen
würden, bestimmen mich im grössten Getümmel, Unruhen der Sachsen-
häuser etc., noch vor dem Einzug der sehnlichst erwarteten Deutschen
Frankfurt zu verlassen. Viel französisches Lumpengesindel begegnet mir
aut der Strasse, in nicht geringer Angst und Schrecken. Kein deutscher
Wagen, wie Post etc. ist mehr zu sehen. — Nach Bergen zu sehe ich
auf der Höhe französische Reiterei stehen. In den Dörfern umringen mich
die Bauern, um Nachrichten von den Zuständen in Frankfurt zu erhalten.
lh höre den Nachmittag schon heftig kanonieren nach Hanau zu. Bayern
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 135
auf. Abends mit Weidig!) und Freund), Zühl?), Lotheisen®), Fritz,
L. Dieffenbach wählt als Denkspruch:
Brüderlich verbunden
Für der Ehre Wort,
Reisst in Todeswunden
Sturm die Edien fort.
Auf in Ruhmes Flammen
Schlägt ihr Herz zusammen
Zu der Sonne dort.
Ach dem Vaterlande
Ist der Geist mir fern,
Ehrt in treuem Bande
Es als seinen Herrn.
Kühnen Stolzes schlagen
Freie Herzen, wagen
Dafür alles gern.
Giessen im December 1813. Dein treuer Freund
L. C. Dieffenbach.
So lang noch Frühling grünet,
Sich Liebe froh erkühnet,
Die Klage bricht hervor,
So lang noch Lieder schallen,
Des Herzens Flammen wallen,
Zum Gott des Lichts empor,
Und hohe Forscher, denkend,
Die ew’gen Wunder sehn,
Den Blick zur Sonne lenkend,
Zur Tiefe wieder senkend,
Wird deutscher Geist bestehn.
Denke Deines Karl Fohlen.
Giessen im November 1813.
Wahrer Muth zeigt sich nur in der Gefahr.
Dieses schrieb zum ewigen An-
denken Dein Dich liebender Freund
und academischer Bruder
Giessen, den 30. Novemb. 1813. E. P. E. Eysing,
Stud. theol. et philol. aus Hachenburg.
Symb.:
Religion, Vaterland, Freyheit.
Zum Zweykampf überwinden ist Gewinn,
Für's Vaterland zu siegen ewig Ruhm. v. Goethe.
Giessen, 30. Novbr. 1813. Zur freundschaftlichen Erinnerung
an Ihren Sie liebenden Freund
Karl Groos.
C. F. Schulz aus Giessen nennt sich Diez’ „Freund und Vetter“.
Er wählt als Denkspruch: „Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere
Reben“ und als Symb.: „Gut teutsch oder an Galgen!“ — Denselben
Geist atmen einige weitere Einträge aus dem Jahre 1814.
1) Unter dem 13. Mai 1813 inscribirten sich in das Album der
Universität Ludwig Weidig aus Butzbach und Ludwig Weidig aus Darm-
stadt. Zu letzterem scheint Diez in ein näheres Verhältnis getreten zu
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 137
Hause. — December 19.: Spaziergang in unsern Wald; süsse Er-
innerungen. Wehmüthiges Ausschauen der beiden +tze°).
1816.
9. Januar: Weidig hatte sich mit Heger vor der Stadt ge-
schlagen und eine starke Wunde über der Nase und ins rechte
Auge erhalten (vor Weihnacht), er ist sehr niedergeschlagen. Ich
besuche ihn in dieser Woche täglich häufig. Halsgeschwüre und
andere Schmerzen. Er leidet sehr. Guitarrespiel bei ihm und Ge-
sang. Böhm, Schulz®), Welker”), Fritz etc. sind häufig da.
So komm! Die Zeit ist reif! und schlag
Nur drein mit Deinem jüngsten Tag!
Giessen, im Mai 1818, Dein treuer Freund und Vetter
da wir schon 5 Jahre guter "Hofnung K. F. Schulz.
sind und immer noch Wehen haben.
Denkspruch des Dr. Luther:
Iss was gar ist,
Sag was wahr ist.
3) Johannes Freund, stud theol. aus Dorheim (Universitätsalbum
1811, Juni 11).
5) Carl Ludwig Zuehl aus Bingenheim, stud. jur. (Universitäts-
album 1813, Mai 14). Zuehl war Ebenau's Hausgenosse. Von seinen
freundschaftlichen Beziehungen zu Diez erfahren wir aus dem Stammbuch.
Z. wählt als Denkspruch:
Ans Vaterland, das theure schliess’ Dich an
Und halt es fest mit Deinem ganzen Herzen .....
Giessen, im Sept. 1816. Zum freundschaftl. Andenken
schrieb dies Dein wahrer Feund
Wahlspruch: und acad. Bruder C. Zuehl,
Teutsche Freiheit, d. R. B., aus Bingenheim,
Ehre, Treue. in der Provinz Hessen.
Memoriale:
Die berrlichen Commersnächte im Sommer 1815.
Der Spaziergang in den Kandanen durch mein
Zimmer, und viele andere Fidulitäten auf meiner
und Ebenau’s Stube.
*) Johann Friedrich Lotheissen aus Eichelsachsen, stud. jur. (Uni-
rersitätsalbum 1813, Mai 15) ist wohl identisch mit dem späteren Darm-
städter Hofgerichte- Präsidenten Friedrich Lotheissen, dem Vater des be-
kannten Litterarhistorikers Ferdinand Lotheissen.
s) Vergl. Foerster, Freundesbriefe S. 33, Anm. 1. Auch im
Tagebuch wird das Kreuz öfter erwähnt. S. unten p. 128 die +Kappe,
die hier in Verbindung mit dem schwarzen Leibrock erwähnt wird, also
wohl als Abzeichen der „Deutschen Gesellschaft“, der die Freunde an-
gehört haben, aufzufassen ist.
6) s. oben.
T) Gemeint ist kaum Friedrich Gottlieb Welcker. der bekannte
Lehrer und Gönner unseres Diez, der bis zum Herbst 1816 als Professor
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 139
ich laufe in den Lerchenwald, über den Tripp!), bis in die dunkle
Nacht, um mir Luft zu machen, und sehe weinend zu dem wolken-
überzogenen Himmel hinauf. Ach, dir bleibt doch nichts, rief ich
laut, alles woran dein Herz je mit Liebe gehangen, es ist dir unter-
gegangen, und da trat es mir nun alles vor die Seele, was ich im
Leben schon verloren, und wie mir alle Aussicht verschlossen sei,
in der Zukunft irgend grosses zu erringen. Täuschung schien es
mir, was ich kurz vorher von der hohen Bedeutung des Menschen-
lebens geglaubt; was ist denn, dachte ich, dein ganzes Streben,
wenn du kein liebendes Herz an deine Brust drücken kannst und
mit ihm und durch es das Ewige fühlen? — Wie losgerissen von
der ganzen Natur kehrte ich nun zurück; es zog mich zu Fritz bei
dem Vorbeigehen an seinem Hause. Ich trat in Fritz’ Stube, ein
bekannter, theurer Geist umwehte mich, alles wie vormahls. Fritz
kam und schien sich zu freuen über meine Gegenwart; wunderlich
ging es in mir herum, vertraulich und liebend sehen diese Bücher,
Bilder und Schmetterlinge?) auf mich herab, ich konnte nicht
reden vor Wehmuth. Fritz giebt mir seine Liederübersetzung®), in
denen ich noch spät lese. — Freitag Abend vor Pfingsten bringe
ich Fritz seine Lieder zurück. Sein Bruder Louis war gekommen;
ich verspreche Samstag, wo ich abreise, wieder noch einmahl zu
kommen, um Louis zu sehen.
Juni 11.: Fritz ist in Westphalen‘), und ich bin also wieder
ganz allein, wie vorher und da ich einmal schmerzvoll meinte, ein
böser Geist habe vielleicht unsere Herzen für immer geschieden, so
war mir das zum Theil erwünschter Zufall, ihn gar nicht am Fenster
oder an mir vorbeigehen zu sehen, wo mir denn meine Wunde
immer aufs neue blutete.
Ebenau beschäftigte sich in diesem Semester viel mit Botanik und
schloss sich an einen Studenten namens Busch an, der ihm nicht nur die
1) Der jetzt sogenannte „Trieb“ ist eine kleine Erhebung in unmittel-
barster Nähe von Giessen,
?) Als Schmetterlingssammler lernen wir Diez auch an anderen
Stellen des Tagebuches (s. unten S. 148, 151) kennen. In seinem Stamm-
bach befindet sich ein Blatt, das nur die Auischrift trägt: Zum Andenken
an Deinen Freund Carl Rullmann. Giessen, den 11. Uctbr. 1813. Um-
rahmt ist es von einigen Vergissmeinnicht, einer Raupe, einer Puppe,
einem Schmetterling und einigen Fangapparaten. Rullmann stammte nach
Ausweis des Inskriptionsbuches aus Erfurt und studierte Mathematik.
3) Gemeint sind wohl die 1817 im Druck erschienenen altspanischen
Romanzen. Vgl. übrigens E. Stengel, Diez- Reliquien, Marburg, Elwert
1894, S. 1ff. Eine Diez-Hs. aus dem Jahre 1816.
*) Wahrscheinlich bei seinem Oheim Richter, der, wie uns ein von
ihm herrührendes Stammbuchblatt aus dem Jahre 1814 lehrt, in Olpe
(Westfalen) lebte.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 141
ich zuverlässig, würde er nicht gekommen sein; auch hatte er mir
es selbst deutlich genug ausgesprochen. Schmerzlich ergriff mich
dieser Gedanke jetzt wieder, wie mich der Freund, den ich so innig
liebte, nun auch verlassen, und die steife Begegnung, wenn er nun
kommen und wie von einem Fremden weggehen würde! Und von
dieser Umänderung konnte ich keinen Grund auffinden. Ach! Ich
sscht ihn nur in mir, mit meinem unseligen, getrübten Wesen, der
gewichenen Unbefangenheit, in welchem traurigen Zustand ich oft
anders erscheinen mochte, als ich wirklich bin. Selbst Fritz war
also in mir irre geworden, und hatte mein gutes Herz verkannt,
das ich ihm lang geöffnet? — Er kam, blieb lange, ich führte
manches Vergangene jetzt zufällig in die Rede zurück. Fritz er-
wiederte es mit Wärme, er war wenige Stunden in Cölln gewesen,
hatte die 7 Berge gesehen, was er mir feurig erzählte, und wie
ihn der Anblick hingerissen und zum Gedichte begeistert. Wohl
konnte ich dies glauben und begreifen! Ich zeigte Fritz, womit ich
bisher mich beschäftigt, dann gab er mir das Gedicht!), das ihm in
Westphalen bei der Ansicht der Rheingegend und der süssen Er-
innerungen dabei entquoll, und er an mich gerichtet hatte und ent-
fernte sich. Ein nie erlebtes Ueberraschen durchbebte schon beim
Aufschlagen mein ganzes Wesen. Da standen die schönen Zeichen
unseres Bundes?) oben an, grün und blau daneben; ich las und
stand erstaunt und beschämt vor meinem Wahne, und konnte nur
bereuen, dass ich meinen lieben Fritz so verkannt hatte. Fest
stand die heilige Stunde unserer Liebe in seinem treuen Herzen,
mit warmer Innigkeit rief er mir in seinem schönen Gedicht die
edel vergangenen Tage zurück und war noch ganz unverändert der
vorige.
Ebenau’s Studienzeit ging mit dem Sommersemester 1816 zu Ende,
Im Tagebuch heisst es unter dem
20. Sept.: Keine Vorlesungen mehr, und darum viel bei Fritz
in diesen bänglichen Tagen des Abschieds. Wir lesen noch viel
zusammen, eines Morgens den herrlichen Axel und Walborg?) etc.
Abschreiben in die geweihte Sammlung) etc.
21.: Pistor®) ist oft bei Fritz. Sie beschliessen die schnelle
ï) Dasselbe ist wahrscheinlich verloren gegangen, wenn es nicht
mit dem von Stengel Erinnerungsworte S. 32 f. mitgeteilten Gedichte
sich identificieren lässt.
2) Vgl. oben S. 137, Anm. 5. :
3) Trauerspiel des dänischen Dichters Adam Gottlob Ohlenschläger.
*) Vgl. 8. 149.
5) Ernst Theodor Pistor, aus Bickenbach, stud. theol. (Universitäts-
album 1811, Okt. 30\. Vgl. über ihn Scriba |. c. I, 304 f., II, 562 f.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 143
lärmenden, wilderen Umgebung. Das Giessner Treiben hängt mir
noch fest an, einen kräftigen, nährenden Umgang vermisste ich sehr,
za Fritz konnte ich nicht gehen wenns Abend wird, das machte
eine harte Lücke in meiner Zeit. . ..
Am 30. September macht sich E. von Florstadt auf nach Frank-
fart, um dort mit Diez zusammenzntreffen, nachdem er ihn Tags zuvor
von seinem Vorhaben brieflich benachrichtigt hat. Er sucht ihn in Frank-
fart im Löwen und als er ihn dort nicht findet, erwartet er ihn und
Pistor bei seinem (Diez) Bruder Louis. Nachdem er sie getroffen, „Spazier-
durch die Stadt und Alleen, Einkehren und Trinken im Schwanen.
ider Plan mit dem schnell erzeugten Buche war gescheitert. Ich scheide
von Fritz in dem Hirschgraben, und verspreche, ihn bis nach seiner Zu-
rüäckkunft von Bickenbach hier zu erwarten“. Bickenbach, ein Dorf einige
Km. südlich von Darmstadt, ist Pistor's Heimatsort. Am 3. Oktober trifit
Diez von dort wieder in Frankfurt ein, während E. in der Zwischenzeit im
Verkehr mit Frankfurter Bekannten nur teilweise Ersatz für den Umgang
mit seinem „warm liebenden Fritz“ gefunden hatte. Im Tagebuch heisst
es unter dem 2. und 3. Oktober: ,... Ein Brief von Fritz wird mir ge-
bracht, er erregt in mir durch den Gegensatz, den er mit den gegen-
wärtigen läppischen gemeinen Stunden und Herabstimmung meines Wesens
stand, ein wahrhaîft widriges Gefühl. Spaziergang. Lesen in der Staël.
N. treffe ich nicht mehr an, erst Abends bei seinem Vater. Wir essen
aus dem Haus [?]; Unterhaltung über unsere Litteratur, Schlegel, Tieck [?],
mit welchem Hess sehr bekannt ist. Spät nach Hause. — Beschäftigung
mit Staël Teutschland, dann bei Neuburg, mit ihm in B...[?] Hause.
Die schönen englischen Caricaturen. Langer Spaziergang um die Stadt.
Gehörige Unterhaltung mit dem verständigen und kenntnissreichen Neu-
. Wohl finde ich in solcher und ähnlicher Umgebung nicht die Be-
friedigung, die der warm liebende Fritz meinem Herzen und Geiste ge-
‚ aber, wenn ich auch diesen ferner missen müsste, so fühlt ich
doch, dass mir wenigstens ein tüchtiger Umgang, dem ich mich gegenüber-
stellen od. anfügen könnte, wo ich meine Kräfte anwenden müsste, nm
mich zu behaupten, mir nöthig sei um die Schnellkraft des Geistes nicht
berabzuspannen und schlaffer zu werden. Unmuth und Unzufriedenheit
mit diesem unnatürlichen Zustand verknüpft, hatte ich in der Zeit, wo
mir jener mangelte, bäufig und bitter empfunden.... Sogleich nach der
Oper eile ich in die Schurgasse, erst zu Kluge, um Fritz, welcher an-
gekommen ist, zu sehen... .“
4.: Um neun Uhr zu Fritz, mit dem ich ein Paar Stunden
durch die Gassen zum Buchhändler etc. laufe. Friüz kauft Werner
24. Febr.!), den Sintram?) etc. Er ist missmuthig über seinen Auf-
enthalt in Frankfurt und unleidlich. Ich verlasse ihn bald.
Am selben Tage hat noch eine Begegnung der beiden Freunde
statt, bei der die Tags darauf anzutretende Heimreise näher erörtert wird.
Das Tagebuch bringt dann eine eingehende Schilderung der gemeinschaît-
lieben wanderung:
1) Fr. Ldw. Zach. Werner, der 24ste Februar. Tragödie in 1 A.
Leipzig 1815.
2) Frdr. Baron de la Motte Fouqué, Sintram und seine Gefährten.
Eine nordische Erzählung nach Albr. Dürer.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 145
kalte Hütte. Die Eltern haben kein Holz um Feuer zu machen —
es ist der 24. Feb., wo der alte Schweizer gegen seinen Vater
zärnend, von diesem mit seinen Nachkommen einst verflucht ward.
— Sie halten den Unbekannten für einen Räuber, sein Geld durch
Unrecht erworben, scheint sie aus dem Elend retten zu können, sie
morden, um den Schrecken ihrer Lebensnacht zu vollenden, den
Sohn im Schlafe.
6.: Wir besuchen das höchst erbärmliche Museum, das grössten-
theils aus ungeborenen Kindern und ähnlichem besteht, hierauf
die französische und holländische Kirche. Um 12 Uhr bezahlen wir
and brechen auf. Schöner, aber warmer, ermüdender Tag. In den
nächsten Dörfern erfragen wir den Weg, den wir nicht kennen und
kommen so richtig bis gegen Eichen, wo uns aber, wie man ung
gesagt hatte, das über die Wiesen ausgetretene Wasser den Weg
gänzlich abschneidet. Wir müssen wieder zurückgehen und ver-
sachen nun, nach einem weiten Umweg vor dem freiliegenden Walde
ber, von der anderen Seite ins Dorf zu kommen; aber das Wasser,
das von allen Seiten her das Dorf weit hin umströmt, drängt uns
immer weiter in das sumpfige Dickicht des Waldes, von dem Dorfe
ganz ab, so dass wir ganz ohne Weg garnicht wissen, wohin wir
uns wenden sollen. Nach länger als 2stündigem Umherirren finden
wir im Walde einen Pfad, dem wir folgen, und der uns an dem
angeschwollenen Fluss hinunter gegen das Dorf führt, das uns
Eichen scheint, und uns nun schon weit links im Lücken lag. Bald,
als hätte ihn ein tückischer Waldgeist täuschend hingezaubert, ver-
liert sich der verfluchte Pfad wieder, dem wir folgen, wir laufen
den nach allen Richtungen sich schlängelnden Fluss entlang, ge-
rathen immer mehr in Koth und Wasser, bis an die Waden, sehen
nun links das Dickigt wieder, wo wir vor länger als 2 Stunden ge-
wesen, finden uns abermals mitten im unübersehlichen See, ab-
geschnitten vom Dorfe durch den Bach, ohne allen Ausweg... [?]
den Grimm der Noth noch zu vermehren. Zum Unglück war es
auch gerade Sonntag, und so im ganzen Felde auch keine mensch-
liche Seele zu sehen, die uns in der verfluchten Lage hätte Rath
ertheilen können. Der Abend rückte heran in dieser unbekannten
Gezend ohne Aussicht, ein Dorf zu erreichen, dabei auch ohne Geld,
um daselbst zu übernachten. Zurück musste nun wieder gegangen
werden in den alten Wald und ein anderer Weg gesucht werden.
Um den schrecklichen Umweg am Ufer des Baches her zu ver-
meiden, sollte grade durch den Wiesensee durchgewadet werden.
Muthig wird ein Stück zurückgelegt, aber schon standen wir bis
an den Knien im Wasser, bei jedem Schritt mussten wir fürchten,
in einen Graben zu versinken, die Hoffnung, hier über zu kommen,
musste aufgegeben werden. Jetzt hörten wir Menschenstimmen vom
Zischr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII. 10
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 147
konnte, eine peinigende Gewissheit hatte. Es blieb nichts übrig,
als dem verfluchten Fahrweg, den uns der Satan vorgezeigt zu
haben schien, zu folgen. Bald erblickten wir unten Licht und
unterschieden bei der Helle der Nacht auch Häuser, Wiesengrund
und rechts hinziehenden Wald. Um Florstadt herum mussten wir
doch sein, und so konnte meinem Wahn nach das Licht nur in
Wickstadt gebrannt haben und wir waren eine halbe Stunde zuweit
seitwärts gelaufen. Bald fand sich auch ein Fusspfad, der in
kurzem Wald her durch Baumstücke zog und dem Wickstädter
Weg eben ähnlich war. Immer noch hoffend, wir würden vielleicht
die Nidda, oder die bekannte Umgebung von Florstadt sehen, gingen
wir mit starken Schritten vorwärts, aber eine völlig unbekannte
Gegend erschloss sich nun immer mehr, durch Felder und Wiesen-
gründe waren wir schon wieder gekommen und standen nun vor
einem dicken schwarzen Waldberg. Schon drittehalb Stunden waren
wir von Höchst weg und in der Nacht gelaufen, seit morgens nichts
genossen und nicht geruht und auf mannigfach sich kreuzenden
Fusswegen hier vor das Labyrinth geführt worden, von wo wir alle
Richtung verloren und keine Hoffnung hatten, nur irgend Menschen
zu treffen; es war begreiflich, wenn der frühere Aerger nun Wuth
und Erbitterung wurde. Ergrimmt über unsere Unklugheit, dass
wir nicht gleich erst in jenem Dorf uns hatten bestimmt zurecht-
weisen lassen, wurde nun zuvörderst umgekehrt um jenes Licht
wieder zu suchen. Nach einer guten halben Stunde gelangten wir
im Dorf an; es war Bönstadt, und nun noch eine gute Stunde
von Florstadt. Wir rannten zum Pfarrer und baten ihn, uns bis
Wickstadt einen Boten zu besorgen. Ein Trunk Wasser’s war
Alles, was wir bei der Abspannung des Körpers und Geistes ge-
niessen konnten. Von da kamen wir dann endlich durch Sumpf
und Dickigt um Bönstadt herumgeleitet über Wickstadt nach 9 Uhr
Abends ziemlich erschöpft hier an. Fritz schien verlegen und un-
muthig, dass er so spät und schmutzig in ein unbekanntes Haus
gehen sollte.
7.: Ein Paar träge leere Tage. Heute ruhen wir noch von
den gestrigen Anstrengungen. Pantoffeltag. Wir fangen den Ariost
von Gries zu lesen an. Fritz ist unten meist verlegen und still.
Wir bringen daher die meiste Zeit oben zu.
8.: Köhler kehrt zurück nach Höchst. Wir begleiten ihn bis
da, wo der Fahrweg nach Höchst und Altenstadt sich scheidet, und
gehen nach Altenstadt. Da war es sehr unleidlich, Bauern etc. Wir
sind meist oben bei Fritzens Schwester, lesen im Ariost, brechen
aber bald nach dem Essen mit d. Friedberger Nuss [?] auf nach
dem Engelthaler Wald, wo wir oben an der Waldecke, vor uns das
Lindheimer, Altenst. etc. Thal, mehrere Gesänge lesen und dann
10*
«
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 149
11.: Ausgang in den botanischen Garten und durch die Stadt.
Abschreiben der geliebtesien Lieder in das geweihte Erinnerungs-
büchlein. Wir sprechen auf der Parade die meisten gegenwärtigen
Stadenten, Weidig etc., auch den hessischen Officier Neidhard. Der
Pfarrer Lauer bleibt lange da und wir essen erst spät um 2 Uhr.
Weidig kommt und macht wie gewöhnlich viele Spässe. Lauer
eröffnet einen Briefwechsel mit einer Berlinerin, deren Geliebter in
Wetzlar gestorben und mit welcher er seitdem in schriftlichem
Verkehr stand, und zeigt die in der That schönen, rührenden Briefe.
Auch Weidig liest einen, macht wieder Narrenspossen, wir lachen
und fahren oben in dem Beiseyn des Pfarrers, während er seine
Antworten verliest, im stillen fort. Lauer verstummt plötzlich.
Weidig ahnt, dass er über unser Lachen ergrimmt sei, und so war
es. Im Regen bricht er, höchst erzürnt, bald nachher auf und erklärt
sich bei Fritzen’s Mutter für sehr beleidigt. Ich besuche Abends
noch Neidhard. Weidig isst Abends mit und erzählt und windbeutelt
viel spasshaftes. Lustiger Abend.
12.: Wieder Abschreiben und Lesen in Fritzes Stube.
Quetschenkuchenfrass bei dem Bäcker Noll. Wir laufen noch einmal
in unsern Wald und sehen nun für diese Zeit zum letzten Male
zusammen den geweihten Baum und unsere theuren Plätze in dem-
selben. Nachmittags schon spät hohlen wir Wein bei Seip und
wandern auf den Kleiberg!).. Herrlichkeit und Würde der alten
Feste mit der gewiss selten schönen hinreissenden Umgebung, der
getreuen entsprechenden Bruderburg, mit dem hoch und schwarz
dastehenden Dünsberg und der hinter ihm, die wilde Perspective
schliessende Königsberg. Rings die glänzende Lahn und dann
Giessen tief unten, wie an seinen schwarzen, geliebten Tannenwäldern
anliegend, die Fülle der schönen Natur, die wir viel schöner sahen,
die Bilder der vergangenen Zeit, die ... in seliger Wemuth
uns schwebend zurück leiten in die holde Vergangenheit und dann
wieder zurückkehren aus dem süssen Traume zur Gegenwart, und
dem Erkennen, wie das nicht mehr ist, und wie das Grosse und
Kleine was da war, hingesunken ist, und wie diese starken Burgen,
die so ernst und mahnend dastehn, durch deren verfallne Fenster,
wie starre hinaussehende, geheimnissvolle Augen, jeder Wind
Lieder zu singen scheint, und wie das Gras und der Epheu an den
alten Mauern so ganz anders wispert, so schauerlich leise, absichtlich,
1) Der Gleiberg, ein 313 m hoher Basaltkegel, ist mit seiner. Burg-
ruine einer der beliebtesten Ausflugsorte in der Umgebung von Giessen,
von wo er in einer guten Stunde zu Fuss zu erreichen ist. Etwa eine
halbe Stunde westlich vom Gleiberg erbebt sich der 308 m hohe Vetzberg
mit der „getreu entsprechenden Bruderburg“, hinter beiden der annähernd
500 m hohe, von keiner Burgruine gekrönte Dünsberg.
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 151
vergangene und gegenwärtige sich noch einmal gewaltsam in mir
zusammen drängte! — Fyitz las noch einige Stellen aus dem Kampaner-
al!) vor, dann gingen wir.
13.: Sonntag. Wieder Abschreiben einiger Lieder. — Ich
bin recht heimisch und wohlgemuth bei den guten Leuten, sie be-
schämen mich oft — besonders Fritz Mutter — mit Güte. Grössten-
theils sind wir zu Hause. Viel Langeweile. Nachmittags Spaziergang
um die Schor, dann lange bei Zühl. Lachen und Scherzen, dann
noch eine Zeitlang auf der Strasse herum. Weidig wird auf die
Wache abgeholt. Laubhüttenfest. Wir gehen zu einigen Juden,
sie haben aber keine Guten. [?] Weidig?) kommt nach dem Essen.
Seine Laute wird gehohlt, ich spiele und singe den grössten Theil
des Abends. Auch der erst heute angekommene Freund ist noch
einen Augenblick da.
14.: Ich rüste mich zum Aufbruch. Fritz giebt mir Schmetter-
linge?) mit, seine Mutter schenkt mir die Urania für Lottchen.
Letztere füllt meine Flasche mit Bischoff und ich scheide ungern
von den guten Leuten, die mich auch gern noch länger zurück-
gehalten hätten. Es war ein schöner Tag. — Ueber Weges ent-
wickel# sich noch ein sehr heftiger Streit über die Weise der beiden
Schlegel swischen uns. Schon um 12 Uhr waren wir in Münzenberg.
Unten im Wirthshaus hielten wir Mittag und zogen dann hinauf
auf die Burg. Es war bestimmt, dass wir hier uns trennen wollten
für ungewisse lange Zeit. Nur bis 2 Uhr konnten wir verweilen.
Ich war so beklommen, dass ich kaum reden, noch weniger etwas
von unsern liebsten bei Ossian und der Sammlung lesen konnte.
Wir umgingen die Burg, sahen nach der Gegend von Giessen noch
einmahl hin, versuchten an der vorderen Wand der Burg nach dem
Wald zu ein + einzuhauen, aber der Stein war undurchdringlich.
Ein vergänglicheres wurde in einer Halle schnell eingegraben. Es
ward mir entsetzlich bang, als die schwere Stunde immer näher
rückte, eine wahre Schwäche durchzog mein ganzes Wesen, als
sollte ich von mir selbst geschieden werden. Jetzt so lange un-
unterbrochen bei dem theuren Friedrich, eben darum jetzt so ganz
eins mit ihm geworden, wenn es auch nicht immer schön, und nun
ganz losgerissen von ihm! — Wohl musste meine ganze Seele bluten,
als wir uns unter heissen Thränen den Scheidekuss gaben und mir
nun dieser schöne Stern des Trostes und der Lust am Himmel meines
Lebens untergegangen, und ich nun im eignen Herzen, das ich mit
1) Jean Paul Fr. Richter, Das Kampaner-Thal, od. die Unsterblich-
keit der Seele. Erfurt 1798.
3) 5. oben 9. 135 f.
3) s. oben S. 139.
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 153
Er bestellt mich am Mittwoch nach Münzenberg. Ich konnte mich
im Augenblick des Wiedersehens nicht freuen, so war ich zerrissen
in meinem ganzen Wesen.
3.: Den ganzen Tag brachte ich in peinlicher Spannung hin;
ich hoffte durch Goethe’s Leben gefesselt werden zu können, aber
schmerzlich unstät riss es mich aus mir selbst heraus. Ich sehe
dem grossen ergreifenden Tage, mit Ungeduld und Unruhe entgegen.
4. Juni: Früh Morgens nach Münzenberg. Der Himmel bedeckt,
and die Hitze recht gross. Es drängten sich die Gefühle mir in
meiner Brust, je näher ich der befreundeten Burg kam. Ich kam
heran und sah Fritz oben auf der Mauer. Brennend stürmte ich zu
ihm hinauf — mir war als träumt ich, als ich ihn da wiederfand,
wo ich von ihm geschieden, mich alles wieder umgab, wie vor
8 Monaten, als wäre die ganze Zeit nicht gewesen. Er war nicht
verändert; wir sprachen gar viel von unserem Treiben in der ver-
gangenen Zeit, es war ein reicher Tag, der mir viel wiedergab, was
mir weit weggeschwunden war; der grosse Schatz der Seele, den
ich neben Fritz in Jahren gesammelt, die schöne Welt der Poesie
und himmlischen Liebe, die sich nur in unserm Bunde erschlossen,
ging mir in diesen Tagen seiner edlen Gegenwart wieder in der
ganzen oft empfundenen Fülle und innigen Wahrheit auf, ich fand
mich selbst mit meiner Natur ganz wieder. In Scherz und Lust
löste sich der Drang der Stunden auf, wir kamen voller Freude hier
an. Fritz wollte nach Darmstadt ins Museum, ich hätte ihn gern
begleitet, um in seiner Nähe die längst ersehnten Schätze doppelt
zu geniessen und zu verstehen.
5.: Morgens schlappern wir im Garten herum, den Nachmittag
bringen wir sehr anmuthig im Walde hin. Gleich nach unserer Rück-
kehr nach Hause kommt die Muhme von Oberwetz mit ihren Mädchen
und Karls Braut. Wir waren dadurch gestört, und auch die Aussicht
auf Darmstadt mir damit abgeschnitten. Der Spätabend und die
Nacht war nun noch unser. Fritz erzählte mir noch viel, wir
sprachen noch lange manches von dem Schönsten und Edelsten des
Lebens, und fühlten das recht reich und kräftig. Ach! dass mir
die Wärme solcher Stunden nimmer erkaltete, dass ich sie festhalten
könnte die grossen kräftigen Gefühle und das Bewusstsein meiner
selbst, die mir der Drang anderer Begebnisse so leicht wieder nimmt
und mit ihm meinen Frieden!
6. Juni: Fritz geht bald weg, ich begleite ihn nebst Heinrich
bis Wickstadt . . ..
12. Juni: Mittags, als meine Eltern schon weg sind, kommt
Fritz von Darmstadt zurück. Eben als wir den Tasso lesen, und
einige schöne Stunden gewinnen wollten, kam der unleidliche Pfarrer
Freuer [?], und zerstört die Aussicht auf den ganzen Tag . . . —
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagehuch. 155
irdischen, das ich ahndete, meinen Frieden und das Bild des Lebens
und meines Ich's, das mir vorschwebte, hier finden könne. Fritz
hat mich dem Himmel wiedergewonnen, die Ideale, der ich aus
Liebe zu den Menschen und der Wirklichkeit, mich fast entschlagen,
um den Widerstreit und Anstoss zu enden, in welchen ich so oft
mit ihr stand, und mich lieber auch der Gemeinheit oder Alltäglich-
keit zu ergeben, als den Zwiespalt länger zu ertragen. Durch die
Liebe des Ewigen, gestärkt und hinaufgezogen, Herr zu werden
über die Härten des Lebens, und nicht von ihnen sich umstricken
und fangen lassen, das Idol nur zu umfassen, d. .. mit Ruhe und
Hast vorübergehen seiner eigenen Grösse sich bewusst, das erkannte
ich als das wahre weite Ziel meines Strebens, welchem ich immer
näher zu kommen betend und vertrauend hoffte, und einer schönen
goldenen Zukunft entgegensah.
25.: Wir gehen nach Staack, mit Ossian und Gocthe's Eugenie.
An dem freien Platz am Teiche, die Landschaft vor uns, lesen wir
Darthula. Ich folgte in die Felsen-Gegenden, und hörte das
Brausen des Windes um mich her, wie ein herrlicher Traum lag
die Reise auf den Feldberg vor mir. Im Gebüsch fingen wir auch
die Eugenie an, brachen aber um 12 Uhr ab, und eilten nach Alt-
stadt. Als wir Nachmittags schon weggegangen, begegnete uns
auf dem Wege nach Engelthal noch Holzapfel, und nimmt uns
wieder mit zurück. Zu Hause giebt er uns die Wege an, die wir
auf den Feldberg machen sollen; wir verweilen bis gegen Abend,
Habicht kommt noch, und wir gehen nach Engelthal oben an den
mir so werthen Platz, und endigen da die Eugenie, deren ge-
bildete, ruhige Darstellung bei der schönen Sprache mir einleuchtete.
Es war schon Nacht, als wir durch den Wald zogen. Der Mond
berann zu scheinen. Die Erinnerung so mancher hohen Empfindung,
die ich durch diesen Wald getragen, kehrt mir jetzt recht lebhaft
zurück, ich empfand alles in vielfacherem Masse wieder in der Nähe
dessen, dem ich so viele schöne Lebensstunden verdankte.
26.: Früh um 4 Uhr brachen wir auf, herrliches Wetter, ganz
heiterer Himmel weissagte einen glücklichen Tag. Die Fülle des
Sommers quoll mir in diesen Tagen besonders merklich entgegen,
ich fühlte mich so leicht und glücklich! Durch die Saatfelder zogen
wir an Friedberg vorbei nach Rossbach, wo man uns den Weg nach
Köppern wies. Anklänge alter Ritter- und Geisterzeit regten sich
in uns hier in der unbekannten waldigen, felsigen Gegend. Es ging
immer höher, wilder und unbestimmter wurde die Natur, mit den
einzelnen Dörfern; in Köppern kehrten wir bei dem Pfarrer ein,
der uns einen besseren Reiseplan machte, und uns mit einem Fern-
rohr versah. In Dornholshausen halten wir Mittag, voll schöner
Hoffnung betrachten wir den Berg aus dem Fenster der Wirthsstube
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 157
27.: Wir essen noch die übrige Milchsuppe und Brot und be-
steigen etwa um 6 Uhr nochmals den Feldberg. Sehr warm, wir
lesen mehrere Ossian-Gesänge am Brunhildenstein. Reifenberg und
das vielfach durchkreuzte und gespaltene Gebirge, mit Felsen und
Gesträuch unter uns. Der Gedanke der nahen Hünengräber mit
dem alten römischen Mauerwerk erfüllte mit geheimnissvollen Bildern
unsere Seele. Wir brechen auf nach dem Altkönig und gehen nach
dem Hüuengräberthal, am Fusse desselben, tief hinunter den Feld-
berg. Die Auflösung war prosaisch genug, es waren weit neben
einander gestellte Wellen. Die Hitze wurde immer grösser, wie
unser Durst, und kein Wasser rundum, ausser dem Thau, den wir
aus dem Grase leckten. Wir erreichten den riesenhaften Altkönig,
an Höhe dem Feldberg fast gleich. Die Burgen Falkenstein und
Königstein traten jetzt hervor, wir lagerten uns, Fritz las einige
Stellen aus dem Faust. An der römischen Mauer und Strasse zogen
wir hinunter, bis wir gegen Mittag in Falkenstein ankamen, durch
dunkle Wälder und Schattengänge. Dort erfrischten wir uns an
Milch, bestiegen die Burg, wo wir mehrere Stunden theils wachend,
theils schlafend verweilen, um Nachmittags nach Oberursel zu gehen.
Deberall ungemeine Gegend. Dante,....[?Jetc. Hinter Ursel besuchen
wir den Kupferhammer. Cyclopenhafter Eindruck. Ankunft in Hom-
burg im Engel. Freundliche anmuthige Stadt. Wir bestellen Zurbuch,
der uns besonders mit Geld unterstützen soll, das uns zu Ende ge-
gangen war. Er kommt gegen Abend. Wir schlafen, indem durch
grosse Gesellschaft, die den Feldberg besteigen wollen, alles besetzt
ist, in der Wirthsstube.
28.: Zurbuch führt uns in dem schönen Landgräflichen Garten
herum und berleitet uns dann durch den Wald von Homburg. Wir
kommen durch das schöne neue Friedrichsdorf, beobachten die
französisch redenden Kinder!), oder reden sie an. In Köppern be-
gegnen wir dem Pfarrer vor dem Dorf, und halten erst in Nieder-
rossbach an. Von da nach Friedberg gehen wir häufig unrichtige
Wege. Gegen Abend kommen wir in Florstadt an. Die lang ge-
hoffte Lust war vorüber, und wir waren nicht ganz befriedigt.
Thudichum war da, ging aber nach dem Essen wieder weg.
29.: Fritz war auffallend unruhig und beklommen, er suchte
häufig allein zu sein und machte mich ebenfalls bang und unmuthig.
Wir sassen im Garten zusammen, während man dem eben be-
grabenen Eidam des Försters in der Kirche das Totenlied sang, das
auf mich nicht minder als auf Fritz einen ungewöhnlichen Eindruck
machte. Fritz sprang plötzlich auf, und bat mich, ihn kurze Zeit
auf meiner Stube allein zu lassen. Ich war sehr erschreckt, be-
1) Vergl. diese Zs. XIII. S. 255 i.
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 159
Sept. 15.: Ich schrieb an Fritz!), dass er kommen möge, um
mit nach Darmstadt zu reisen.
Sept. 20.: Der erwartete Fritz kommt nicht, vergebens gehe
ich ihm bis Dorheim?) entgegen.
Sept. 22.: [in Frankfurt]. Ich erhalte einen empfindlichen
Brief von Fritz?).
Vom 22. Sept. 1817 bis zum 20. Mai 1818 enthält das Tagebuch
keine auf Diez bezügliche Notiz. Ebenau hatte in dieser Zeit eine An-
stellung in Rödelheim an der Privatschule des Dr. Hofmann erhalten‘).
1818.
Mai 20.: Abends kommt Fritz von Giessen, um nach Darmstadt
zu rein, und übernachtet bei mir.
: Chocolade-Frühstück bei Röder, nacher ein lustiger Morgen
mit rats in der Stadt Frankfurt; Mittagessen in dem elenden
Kaffeehause; nachmittags bei dem Architecten Rumpf°), bei dem ich
1) Dieser Brief ist verloren gegangen.
3) 8. oben S. 158.
3) W. Foerster, Freundesbriefe No. 7 (hier ist statt Erfurt Frfurt
d i. Frankfurt su lesen).
4) Vgl. W. Foerster I. c. No. 8.
5) Ich vermute in Rumpf jenen „ehedem so hoch gehaltenen Freund‘,
dessen Diez in einem einige Tage vorher (15. Mai 1818) gerichteten
Briefe an Ebenau (s. Foerster I. c. No. 9) in etwas mysteriüser Weise
Erwähnung gethan hatte, indem er schreibt „Damals, als ich von Dir
mich getrennt hatte bei Rödelheim, erlebte ich noch einen seltenen Abend
mit einem elıdem so hochgehaltenen Freunde, der aus dem Bezirke seines
xtzigen Lebens, über dem eine Todeswolke schw ebt, wesshalb er mich
gewaltig zu sich binüberzieht, mich auf die herrlichen Auen erster Jugend-
last zurückführte. Es war ein wunderbarer mondlicher Abend zu Born-
heim! Wie die Vergangenheit ihre unvergesslichen Bilder mit der Zauber-
laterne herüberwarf, wie die Schatten der Zukunft uns nebelhaft um-
wandeln, so stieg Lust und Schmerz abwechselnd auf der Wagschale bis
zu den Sternen, die uns geleiteten. Das ganze sonst so poetisch laute
Leben dieses Freundes hat ein entsetzliches Verhängnis, ein blosser Zu-
fall in die Brust zurückgedrängt, aus der es immer noch in Umrissen
bervorquillt, die sich am liebsten und reinsten in bildender Kunst dar-
stellen... .* Rumpf (1795—1867) hatte mit Diez zusammen das Giessener
Pädagog besucht. Ein vom 9. Juni 1809 datiertes Gedenkblatt von Diez
befindet sich in R.’s Stammbuch. Eine handschriftliche Selbstbiographie
Rumpf’s befindet sich bei den vom Senator Dr. Gwinner gesammelten
Materialien zu einer Kunst- und Künstlergeschichte d. St. Frankfurt a. M.
Hier einige Notizen daraus. die ich Herrn Dr. Holzapfel verdanke:
Friedrich Rumpf ist geboren den 1. März 1795 zu Frankfurt a. M.,
woselbst sein Vater Tapezier war, auch mehrere städtische Ehrenämter
bekleidete. In seinem achten Jahre kam er zu seinem Oheim, dem
Professor Rumpf, nach Giessen und hesnchte daselbst bis zum fünfzehnten
Jahre das Gymnasium. Ein Versuch, den er aus freiem Antrieb im
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 161
schatteten Bank. — Wir fühlten uns recht innig gestärkt und ge-
läutert, wie schmerzlich empfand ich den Verlust meiner ehemals
so freien Zeit, wie gern hätte ich ungestört und ununterbrochen
der holden Empfindung nachgelebt, und in der reinen Welt mich
erhalten! Abends begleitete ich Fritz in die Stadt und besuchte
ohne ihn Fiesko, welchen aber ein eckelhafter Gastspieler Stein
verkümmerte, und überhaupt aus dem Ganzen wenig Genuss für
mich quoll. — Fritz begegnete mir nach dem Theater noch am
Tbor, als ich hinaus wollte, und liess sich bestimmen, nach einem
kurzen Nachtessen im Rosse mit nach Rödelheim zu gehen.
1. Juni: Fritz kehrt zurück nach Darmstadt.
2.: Ich schreibe an Fritz!) und schlage ihm vor, hierher nach
Rödelheim zu kommen, und bei uns einige Zeit zu leben.
4.: Brief von Fritz!), worin er mir seine und seiner Eltern
traurige Lage weitläuftiger erzählt; er versprach halb, oder wies
wenigstens den Vorschlag, hierher zu ziehen, nicht gerade ab; ich
hoffte ihn zu bestimmen, und für ung beide einen edleren Sommer
za gewinnen. Ich gab Adrian den Brief, auch er wünschte sehr
theilnehmend Fritz hierher.
4—5.: Ich rannte noch um 7 Uhr Abends in die Stadt, Fritz
wollte heute kommen; ich fragte bei seinem Bruder, aber er war
nicht da.
7.: Fritz kommt schon früh aus der Stadt, wir beschliessen,
da Adrian zu Hause bleibt, auf den Königstein?) zu gehen.
Drückende Hitze, erquickende Milch in Heckstadt°) manche
schöne Stelle begegnet uns, und rief alte Gefühle herauf, so das
milde Wiesenthal mit dem sanft sinnig umschatteten Bache, und
von Kronenburg nach Königstein hinauf an dem Baumbewachsenen
Abhange. In Königsberg brachten wir den Nachmittag oben auf
der Burg zu; wir wollten den Götz von Berlichingen lesen, aber es
wollte nicht recht gelingen. Lustige Stunde unten im Wirthshause,
als das letzte Geld aufgewendet wurde. Halb unsinnig taumeln wir
Abends nach Hause; die volle hochblühende Wiege nach Kronenburg,
wo ich kurze Zeit lagerte.
8.: Der Doctor‘) zurück [von Florstadt], doch ohne meine
Aeltern gesprochen zu haben. Die Mutter in Büdingen. Ich schrieb
an Thudichum, und meldete ihm die Anwesenheit Jean Paul's.
1) Die beiden hier erwähnten Briefe fehlen in Förster's Sammlung.
‚ *) Städtchen im Taunus, überragt von den Trümmern der Bergfeste
8) Hochstadt?
*) Dr. Hofmann, Vorsteher des Instituts.
Ztschr. £. frz. Spr. u. Litt, XVII. 11
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 163
iha nochmals während seiner Anwesenheit zu besuchen. Fritz be-
gleitete mich noch ein Stück nach Rödelheim, wo wir schieden.
15.: Schreiben an Fritz!), dringende Aufforderung hierher zu
kommen, Erklärung warum ich es auch für ihn wohlthätig glaube.
Ich hoffte, dass wir einen edleren Sommer uns hier schaffen würden.
July 13.: Nach langer Zeit wieder ein Brief von Fritz?),
Antwort auf meine wiederhohlte Bitte, hierher zu ziehen. Sein
eckiger Griesgram, und leibliche wie geistige Schwerfälligkeit hoffte
ich hier an einem regsameren Leben zu mildern. Er erwiederte
mir darauf nach seiner Art in schwerem, nichts bedeutendem Ernst,
und schlug es aus, hierher zu kommen. Er wollte im Odenwald
wohnen auf unbestimmte Zeit.
25.: Abends kam Fritz von Mainz, wir sprechen von den
weiten russischen Aussichten®). — Der Garten wird mit farbigen
Lampen erleuchtet, der lange Gang glänzte recht schön, das Feuer-
werk wurde abgebrannt, an der Hofseite des Hauses Lichter an die
Fenster gestellt; wir blieben aber zusammen oben und nahmen an
allem wenig Antheil. Fritz war wieder finster und ungeniesbar.
26.: Schönes helles Wetter. Im Garten lasen wir Göthe’'s
. Fritz kam in dieser Woche täglich, gewöhnlich Abends
und blieb Nachts bei mir. Ich that noch weniger als sonst, und
auch die Zeit, die Fritz hier war, verdarb oft genug sein Unmuth
und Eigensinn. Der Sonntag wurde auf meiner Stube verfaulenzt,
und in dummen Spässen herumgebracht. — Dienstag Abend Fritz
wieder hier, wir sind Abends unten bei Adrian zusammen, Schweitzer
kam auf ein Paar Augenblicke, und hoffte, im Frühling oder Herbst
noch Italien zu besuchen. Wie ein Blitz fuhr es, als dieser weg
war, durch uns, den Sommer noch nach einigen Wochen durch die
Schweiz nach Genua abzureisen. Wir berechneten Weg, Zeit,
Geld genau, nichts hatte Schwierigkeiten. Adrian und ich wollten
4 Wochen Freizeit vom Doctor verlangen, und ganz entschieden
darauf bestehen, und sollte er nicht einstimmen, lieber brechen als
diese beseligende Reise unserer 3, ziemlich gleichgesinnten auf-
geben. Ich sah das Meer an dem herrlichen Golf von Genua, an
den die göttliche Stadt sich anschmiegt, lang hinaus in die unend-
liche Fläche, Italien, Mailand, Schweiz in so kurzer Zeit, eine
Himmelssonne, ein Paradies ging in dem herrlichen Gedanken auf.
Auch war diess denn auch gleichsam nöthiges Vorspiel von der weiten
Reise in die Welt, was wurde da erst noch gesehen und erfahren,
1) s. Foerster 1. c. No. 10.
?) Dieser Brief befindet sich nicht in Foerster's Sammlung.
3) Ebenau.
11*
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 165
and eckig, welches manchen Kampf und Tadel veranlasste. Im
Garten wurde zum Beispiel ein ganzer Morgen in solchen Reden
über unser gegenseitiges Verhältniss und Streben und Wollen ver-
gesprochen, wo ich seine finster launenhaften Grundsätze zu be-
siegen hoffte. Einen schönen Abend liess er ungetrübt, es stieg
lebendig warm Erinnerung der vergangenen, zusammen verlebten
Träume herauf, die Töne der Laute, die schöne warme, sternenhelle
Nacht rief das schwärmerische Zusammensein in Giessen zurück. Es
war eine Lebenszeit und Empfinden, die so nimmer wiederkehrte und
die wehmüthig mild aus der Ferne in die Gegenwart blickte. Oft
badeten wir Nachts zusammen, wenn es, wie meist, hell und warm
war, oder sassen mit Adrian zusammen, wo Pläne zu Büchern,
Stellen etc. entworfen wurden. Adrian wollte bald nach Basel [?]
bald nach Göttingen, Italien!), Darmstadt. Wegen letzterem musste
Fritz dahin an Schleiermacher schreiben. Ich hoffte noch auf Russ-
land, konnte auch nach Schwaben, Ludwigsburg gehen, aber nach
Söden, nach dem Meer hin, war doch aller Sinn gestellt, nach
Italien, wohin ich durch Adrian kommen konnte Mit Schwenk’s
Abzug aus Utrecht wurde auch da eine Stelle offen; eine aesthetische
Zeitschrift beschäftigte die beiden besonders lang, ihr Erscheinen be-
simmte Fritzens Verweilen in Rödelheim od. Frankfurt, doch wollie
ken Buchhändler darauf eingehen. — Montag gegen Abend ging
ich mit mehreren Grossen in die Stadt, um Don Carlos zu sehen,
wo der edle Löwe als Marquis Posa zum letzten Mahle auftrat.
Es wurde von allen gut gegeben, Becker als Don Carlos war sehr
liebenswürdig, wie gewöhnlich, Patzkowcka, als seine Mutter war
freilich nicht reitzend genug. Löwe trat seltener auf, weil man
seine Rolle auch noch abgeschnitten, war aber vollkommen der edle
Marquis. Auch Weidner stellte mit vieler Kunst den König dar.
Spät kamen wir nach Hause. — Ich schrieb an Thudichum, den ich
die ganze Zeit vergebens her erwartet hatte, und der nicht kam
and nicht antwortete. — Tasso’s Leben und Fischer’s Reiseaben-
thener neben der Mythologie in der Vorlesestunde. — Ueber die
letzte Theaterkritik war in Frankfurt grosser Lärm entstanden,
Adrian hatte die schlechte Wahl des Stückes besonders gerügt,
Sauerländer war in Verzweiflung. Es wurde beschlossen, nächsten
Sonntag auf den Feldberg zu gehen, ich und Fritz. Mares und
Joung gingen weg, 2 neue Engländer, Morten mit [?] kamen. In
der lateinischen Stunde las ich mit Labouchère den Virgil, den
dieser ins französische übersetzt. Es wurde mir erst in dieser Zeit
einleuchtend, dass Virgil ein grosser Dichter sei, die alten wurden
mir immer lieber, erschienen mir immer grösser, wahrer, herrlicher.
ı) Adrian war 1819 in Italien. S. Scriba 1. c. I.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 167
16.: Ein langer, eckelhafter Aufsichtstag. Abends kam Fritz
wieder, wir lasen andern Morgens Calderons Leben ein Traum, das
ich von Frankfurt mitgebracht.
17.: Abends kam Fritz wieder aus der Stadt hierher und
börte die Neuigkeit!), wir hatten einen heiteren Abend bei Adrian.
Der Mittwoch morgen war leer, Fritz blieb bis gegen Mittag, ich
konnte ihn für mich nicht anwenden, und mit Fritz war nichts an-
zufangen.
24.: Fritz begegnete mir noch nach dem Theater; er war zu
bedauern in seinen unseligen Launen, die ihn unerträglich machten;
er nahm einen frostigen Abschied und wollte anderen Tages nach
Darmstadt abreisen.
Sept. 6.: Unterwegs begegnete mir Fritz, der im Odenwald ge-
wesen war, und der den Sonntag über hier blieb. Nachmittags kam
Prof. M... [?] zu Adrian (v. Würzburg), wir sassen in dessen
Stube zusammen, ich hatte eben die Aufsicht und musste im Haus
berumlaufen. — Fritz schlief bei mir und ging Montags wieder
nach Mainz.
Am 10. erhielt ich einen Brief von Fritz?), indem er mich an
den herrlichen herbstlichen Rhein lud, nach Mainz etc. Sonntag
sollt ich kommen. — Leider musst ich eine abschlägige Antwort
geben. — Savigny war auch gegenwärtig. —
Oct. 13.: Fritz hatte schon gestern von Frankfurt aus ge-
schrieben, und zu kommen versprochen; ich eilte um 11 Uhr in die
Stadt, unter andern, ihn dort abzuhohlen. ... . Fritz, den ich bei
seinem Bruder fand, und letzterem einen Brief an den Vater mit-
gab, begleitete mich nach Rödelheim. Morgens der verfluchte Un-
fall auf dem verbothenen Weg . .. Fritz schied noch vor Tische,
doch konnte er es nicht ohne Bitterkeit und grundlose widrige Kälte.
Nachgetragen im Feb. 19.—May 19. [Florstadt.]
..... Ich machte Pläne, eine unbestimmte Anzahl Jahre mich
in der Welt herumzutummeln . . .. Fritzens Aufforderung zu der
Stelle nach Holland gab eine Aussicht, ich arbeitete vorbereitend
mancherlei und nichts ins Blaue hinein... .
1819. Nach dem 12. Januar).
... In der andern Woche kam eines Tages Fritzens Vater, mit
einem kurzen Schreiben*) von jenem wegen Holland . . . Ich schrieb
ı) Ebenau hatte eine Auseinandersetzung mit dem Dr. Hofmann
gehabt und seine Absicht, die Anstalt zu verlassen, zu erkennen gegeben.
r, Dieser Brief fehlt in Foersters Sammlung.
3) Ebenau befindet sich wieder im Elternhause in Florstadt.
4) 8. Foerster, Freundesbriefe No. 13.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 169
signalisieren zu lassen, diess schickte ich an Fritz, der mir bis zum
Samstag einen Pass besorgte. . . .
April 27.: Kommt unvermuthet Fritz. Ich war nicht wohl,
aber er war mir eine belebende, theure Erscheinung. Er schien
keiter und verändert seit dem halben Jahre, in welchem ich ilın
nicht gesehen. Wir sahen dem Zusammentreffen in Giessen mit
vieler Sehnsucht entgegen.
28.: Morgens schied er wieder, weil Vater und ich der
Darmstädter Reise wegen nach Höchst gingen.
Rückblick (geschrieben Jan. 1821).
„hukdigen und sagen, dass er nach Hofe müsse. Ich esse in dem nahen
Schwanen, um ihn bei dem Einsteigen in den Wagen zu sehen. Ver-
gebens. Ein Unterofficier hohlt mich zur Polizei, wo man ınich um die
Absicht meines Hierseins, und tiber meinen Wunsch, Goethe zu sehen,
keiragt. Ich solle mein Anliegen an Goethe schriftlich hier abgeben, weil
unpässlich sei. Bald nachher werde ich des Passes wegen nochmal
echoßlk Ich merkte, dass die Kotzebue-Begebenheit dies leider ver-
ursacht. Ich brach sogleich — Nachmittags — nach Jena auf. Hell und
warm. Einkehr in Hohlstädt. Unten liegt Jena, hinter dem Schnecken-
berg. Viele kahle Spitzen, mannigfach wechselnd.
Jena, Montag d. 5. Ich besuche Vogt, der mich eingeladen, um
mit ihm die Stadt und ibre Merkwürdigkeiten zu besehen. Das minera-
lische Cabinet, wo ich Goethe's Bildniss gemahlt an der Wand fand. Es
war vor mehreren Jahren gemahlt. Welche göttliche Bildung! und ich
darf Deine lebendige Gestalt nicht sehen, Du hoher Mensch! die Töne
Deines Mundes nicht hören, das Feuer Deiner Seele nicht aufnehmen in
meine Seele, und bin Dir so nah! — Dann auf den hohen Kirchthurm,
der die ganze mannigfaltige Umgegend Jena's übersehen liess; in der
Kirche war der messingne Luther merkwürdig. Bei Vogt sah ich des
Griechen Pepadopolos Uebersetzung der Iphigenie ins neugriechische, das
dem alten sehr gleich ist. Die Griechen, fast die einzigen, die noch
gegenwärtig, schienen mir den. . [?) ähnlich. — Nach Tische, wo
die Baireuther mir viel von J. Paul erzählt, zurück nach Weimar.
Windiger Weg.
Weimar. Der schöne Park. O hier den Frühling aufblühen zu
sien es ist war, ich bin in dem heiligen Weimar, ich bin wirk-
; 1
Morgens zu Jagemann, 30. Ich sehe sein grosses Kirchenstück
sach Karlsruh, d. an die Figuren Leonardo's erinnert. Wir sprachen viel
und gedachten Goethe’s, dessen letzt gemalıltes, in der Zeitung erwähntes
Gemählde er mich sehen liess. Wie alle seine Portraite war es sehr
sprechend und lebendig, doch gar ein anderes Bild, als das Jenaer. Weisse
Haare, alte Züge, nur noch die stille Glut des schönen Auges. Auch die
Durchzeichnung Bossi’s der Figuren Leonardo’s sah ich hier. Ich erzählte
meine Geschichte mit Goethe, und er erstaunte, dass ich es sei, dem jenes
geschehen. Er versprach, Goethen selbst darüber zu sprechen, und ilım
za erzählen, was ich ihm von mir und meiner vereitelten Hoffnung gesagt.
Er hatte offen gestanden, dass die Kotzebue-Ermordung Ursache sei, dass
ich nieht zu Göthe gelassen worden.
Mit schwerem Herzen an Göthe’s Wohnung vorüber das Erfurter
Thor hinaus,
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 171
gefangen hielt. Ich ritt bis Rockenberg, wo ich den alten Diez mit
Versteigerung der Effecten des Prälaten beschäftigt fand, und sandte
das Pferd zurück. Von da gings zu Fusse, und zwar mit wunden,
gedräckten Füssen an Obberhof einer schönen Wiesen und Erlen-
bsche nach, an Steinfurt vorbei nach Hause, wo ich Nachts 11 Uhr
eintraf.
Wenige Tage nachher kam Fritz ganz spät Abends, um von
hier weiter nach Utrecht zu reisen; er blieb einen Tag, an welchem
wir Nachmittag weit bis über Engelthal von der rechten Seite den
Wald durchstreiften bis oben an die. .... bank und weiter vor
sach Eichen hinunter. Oben an der Bank vor Engelthal wurde
Tasso gelesen und Abends erst zurückgekehrt. — Ich fühle mich
um diese Zeit schon unwohl, düster und unkräftig zu Leben und
Arbeit. —
1822.
Die grosse Lücke in den Aufzeichnungen des Tagebuches wird in
etwas ausgefüllt durch die erhaltenen Freundesbriefe. S. Foerster 1. c.
No. 27—34.
Rückblick ins Jahr 1822.
Januar: .... Da war ich wieder in Giessen. Fritz hatte
mich nicht mehr erwartet. Es war entschieden, dass Frig mit dem
Frühling nach Bonn ging, um dort an der Universität eine Lehrer-
delle su bekleiden. Er bereitete sich auf Dante vor, übersetete für
die Zwickauer Ausgabe Scott’s Kloster. —
Ich tauschte mit Fritz meinen Dante gegen den Koran von
Boysen!), nachdem ich bisher getrachtet.
Wir besuchten noch Fr. v. Metttingh?), welche als Fr. Freundin
1) Der Koran, oder Gesetz für die Muselmänner durch Muhamed .. .,
übers. von F. C. Boysen. Halle 1773. 2. Aufl. 1776.
Philippine von Mettingh, Tochter des fürstl. Sayn-Wittgenstein-
schen heimen Rates v. M., Verfasserin einer Anzahl Novellen und
Romane (Des Schicksals Tücke, Quedlinburg 1818; Opfer des Zeitgeistes
ib. 1821 u. s. w.). S. Scriba L c. II, 482 f. Ein nicht datiertes Blatt
in Diez’ Stammbuch trägt von ihr die folgende Aufschrift:
Seit einst Psyche niedersank
Aus des Himmels Auen,
Sehnt sie sich Aeonenlang
Wieder aufzuschauen;
Und dem Flügel, den sie regt,
Den sie, ach zerknickt, bewegt,
Mag sie nimmer trauen.
Möge Ihrem regen Streben, Ihrem rühmlichen Durst nach Kennt-
nissen volle Befriedigung werden, und müge ein günstiges Geschick alle
die reichen Gaben Ihnen spenden, welche Ihnen wünscht
hre
ergebene Freundin und Cousine
P. v. Mettingh.
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 173
August 15.: Er [Ludwig Thudichum] bringt einen Brief von
Fr. Diez, an Thudichum geschrieben mit, verspricht einen nahen
Besuch in Büdingen.
16.: Schreiben an Thudichum auch wegen Fritz, und dass er
mich in Nidda besuchen könne.
1824.
Ebenau war in diesem Jahr zur Kräftigung seiner sehr angegriffenen
Gesundheit längere Zeit zur Kur in Ems. Das Tagebuch enthält nur
«ine auf Diez bezügliche Notiz unter dem 30. Juni: „Schreiben an Fritz
sach Bonn. Frage, ob ich ihn nicht vielleicht in Coblenz sehen könne“.
Dieser Brief ist erhalten und von Foerster I. c. unter No. 41 zum Ab-
ärack gebracht. Die Begegnung der Freunde scheint nicht stattgefunden
sa baben.
1825.
April 14.: Fritz D. war dagewesen!), zu meiner Ueberraschung
and Betrübniss. Ich schrieb sogleich an ihn?), um einen zweiten
Besuch bittend, da ein Wiedersehen hier vortheilhafter schiene.
Bestimmung auf den nächsten Mittwoch, wo ich bis Butzbach fahren
und ihn mit hernehmen wollte.
18.: Wieder kein Brief von Diez, sowie den 19. Doch bleibt
die Fahrt beschlossen, da er auf blosse Nachricht dahin kommen
za wollen dem Vater zugesagt hatte.
20.: Noch immer rauhes und unfreundliches Wetter zur Fahrt.
Nittag in Butzbach; wir essen bei Zühl®). Vergebens frage ich in
der Post nach Diez; daher ich nach Tische weiter gen Giessen
wandere, fahrend bis gegen Grossenlinden; Regen und kalter \Vind.
Ich begegne Zühl auf der Höhe vor Giessen. Einkehr im Löwen,
wohin ich Diez berufe. Er kommt und es erklärt sich, dass seine
Antwort auf meinen Brief unterwegs liegen geblieben sein müsse).
Zasammensein den Abend im Löwen, wo ich zu übernachten be-
schliesse. Diez hat sich wenig verändert im Aeussern, doch schien
er noch älter und trockener geworden. Ach, wie war es sonst
gegen jetzt! Doch öffneten wir uns gegenseitig und näherten uns.
21.: Bei Adrian, nachdem Fritz mich nach seinem Hause ab-
gehohlt hatte. Ein über Erwarten angenehmes Wiedersehen. Adrian
war unverändert, noch liebenswürdiger und gediegener, schien mir,
wie sonst. Seine Wohnung und ganze Umgebung freundlich und
behaglich. Nachmittags trafen wir im Buschgarten zusammen, wo
ich mir ein paar schöne Stunden versprochen hatte, die aber in der
1) In Florstadt.
9) s. Foerster, Freundesbriefe No. 42.
#) 3. oben 8. 137.
‘) s. Foerster, Freundesbriefe No. 43.
Müitieilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 175
neuen Ghaselen Platens, mit dem ich Diez erst bekannt mache,
werden wiederhohlt mir zur wachsenden Lust, gelesen, auch mancherlei
Gedichte, Aphorismen und dergl. Aeusserungen von mir. Ich er-
fahre, dass Schwenk (unter dem Zeichen LI.) in der Iris mitarbeitet.
.... So kam der Mittwoch, an dem ich Thudichum entgegen, nach
Lindheim zu fahren zugesagt. Diez entschloss sich zu bleiben und
diese abzuwarten.
25.: Wir fuhren über Altenstadt!), wo Diez bis zur Rückkehr
blieb. Minchen begleitete mich, Georg und L. erwarteten in Jordans.
So kamen wir am Abend zusammen nach Florstadt. Ich entwerfe
einen Plan gemeinsamer Reise in die Messe, welcher andern Mittags
ausgeführt wird.
26.: Die Doctoren gehen zu Fusse, L. und ich fahren nach
der Chaussee. Bald fällt und plagt uns ein heftiger, bis Ilmstadt
anhaltender Regen, dass wir ziemlich durchnässt, in N. Wöllstadt
zu den andern, auch Ludwig, der von Rödelheim gekommen war,
treffen. Ueber Vilbel, wo Menschen und Pferd sich erquicken, gegen
Abend nach Frankfurt, in welches Diez und ich einziehen, während
die andern mit dem Fuhrwerk weiter nach Rödelheim ziehen. Un-
arten des Pferdes, welche L. und besonders um ihretwillen auch
mich, beunruhigen. Freundlicher Empfang bei Hinkels; Winkler
und Frl. Koch, waren noch in der Stadt.
27.: Umherschlendern in der Messe die folgenden Tage, einzelne
Einkäufe: Salzfässchen, Butterschale ... J. Paul’s Bildniss, Stroh-
decken, Leuchterchen und dergl., sonst wenig erhebliches begegnet.
Mit L. und den andern nachdem wir uns zusammengefunden, in
dem naturhistorischen Kabinet etc. . . . An Jügel’s Laden, wo
Bôrne's Bildniss?), der interessante, schlechtgekleidete Mensch. Im
Kasino die Bruchstücke von Jean Paul.
28.: Um Diez, welcher abzureisen Sinnes war, zu finden,
suche ich Schwenks Wohnung auf, und treffe dort, sehr überrascht,
ausser Thudichum und Diez auch Prof. Welker. Sein freundlich.
Entgegenkommen und theilnehmend Wesen, war mir, in der Ärt,
so unerwartet, als meine Freude ihn wiederzusehen, und der ganze
Eintritt in diesen Kreis; obgleich die Schwäche der Unterhaltung,
der Urtheile (über Platen, dessen Lobpreiser und Verkündiger,
eigentlich ich und Thudichum erst wurden) mir auffallend und
merkwürdig war. Mir bestätigte sich der Glaube, wohin das
eigentlich gelehrte Handwerk führe, zu Pedantismus, Trockenheit,
Nüchternheit; keine rechte Frische des Lebens begegnete mir, ob-
gleich hier lauter geist- und kenntnissreiche Leute waren; ich fülılte,
1) In A. wohnte Diez’ Schwager Holzapfel.
3) s. oben S. 130.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 177
Auf einer Lahn- Rhein- und Main-Reise.
Herbst 18151).
[Von Friedrich Diez).
Auf der Reise.
St. Goar, den 16. Octbr. 1816.
I.
Es war bei dem fröhlichen Klingen der Becher, als wir eine
Reise an den Nieder-Rhein zu unternehmen übereinkamen. Dieses
herrliche Vorhaben unterhielt uns mit seinem Reiz die ganze zweite
oder sinkende Hälfte des Sommers, wir betrachteten es als den
Hafen, worin unsre verbundenen Schiffe nach einer Fahrt durch
das Meer des Entzückens, die Welten des Höchsten und Heiligsten,
die prachtvoll im Abendroth scheinenden Klippen des Ungeheuren
landen möchten — die Krone, welche unser Kreuz schmücken und
verherrlichen sollte.
Den 23. Septbr. 1815, Samstags Abends schieden wir, um uns
nach wenigen Tagen, den 4. Octbr. wieder zu vereinigen; den 6.
wurden alle Anstalten getroffen, und dann die Fahrt begonnen.
(Den 6. nach Weilburg. 71/, Stunden).
OÖ, wie wohl wollte uns der Himmel, wie liess er seine Lüfte
uns umspielen, seine Erde unter uns grünen, seine ach schon halb
vom herbstlichen Hauch gebleichten Eichen säuseln, und seine hohe
goldne Krone im azurnen Felde ihre ewigen Lichter ausgiessen.
Ihm wollte es gefallen, uns die ganze Reise im himmelblauen gold-
gestickten Hintergrunde darzustellen.
Die heimathlichen Berge begannen uns glückwünschend Lebe-
wohl zu sagen, noch einen Blick in die schönen freundlichen Thäler:
denn Wezlar erschliesst uns seine Pforten. Dort traf uns Auten-
ried?) bei einer Flasche Wein und begleitete uns unter mancherlei
Gesprächen eine gute Strecke. Das erste was uns nun Herrliches
erschien, wie ein Vorspiel, eine Andeutung des noch Erscheinenden,
war Braunfels, welcher hohe Ort, wie ein Hort, gebieterisch, doch
freundlich in die Gegend blickt. Welche unermüdende herrliche
Abwechselang von Berg und Thal, welche Fülle der Wälder. Wir
betraten einen heiligen erhabenen Buchwald, wo unser
„Windes Rauschen, Gottes Flügel
Tief in dunkler Waldes-Nacht“
wie ein gothischer Tempel uns umfieng. Am Ausgang erblickten
wir am Felsen liegend Weilburg, zu seinen Füssen der ersehnte
1) S. oben pag. 129, Anm. 4 und pag. 131, Anm. 1.
*) Franz Friedrich Autenried aus Wetzlar, studiert die Rechte...
(Cniversitätsalbum 1813, Nov. 13).
Zteebr. £ frz. Spr. u. Litt. XVII. 12
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 181
Das Rathhaus ist gothisch artig. Das Bild von Rubens, die Kreuzi-
gung St. Peters hat mir eine wahrhafte Vorstellung von ächter
Kunst erregt: dieser Ausdruck des Schmerzes und des verklärten
Trostes im Gesichte des Märtirers: denn ein Engel reicht ihm Krone
und Palme: die grinsenden Gesichter der Schergen, die ganze Anord-
nung der Gruppe ist hinreissend. Man hat diess Gemälde der Räuber-
höle Paris entrissen und den 18. wird es wieder in die Peterskirche
gebracht. Die übrigen Gemälde sind nicht der Erwähnung werth.
— Lange Weile, Ankunft des Königs von Preussen. Feierlicher
Empfang. Mittags im Rheinberg. Abgegangen um 4 Uhr. Unter-
wegs trafen wir einen lustigen Schiffer an. Wersling. Neue
Morgengluth prachtvoll.
(Den 13. nach Hunf [Honnef]. 5 Stunden.)
— und diess genug für heute: denn der Jahrestag der Völker-
schlacht ist herangerückt, und alle Zeit sei seiner Feier geweiht.
IV.
Frankfurt, d. 20. Octbr.
Da siz ich nun in der hochgepriessenen teutschen Bundes-
Stadt, und überdenke die Lehrheit der beiden vorigen und noch
kommenden Tage. So elend dachte ich den 18. nicht zu feiern.
Sollte dies vielleicht eine ahnende Andeutung eines schlechten
Friedens sein? — wovor Gott uns schirmen wolle, so sehr auch
jezt der böse Feind darauf arbeitet! Mit einem immer noch
schimmernden Stern der Hoffnung und des Trostes fahr ich weiter fort.
Fröhlich brechen wir von Wersling auf, im Geiste die Bilder
des heutigen aufsteigenden Tages. So trafen wir zu Bonn!) ein,
wo wir einige schöne Strassen fanden, den Wein aber furchtbar
tbeuer bezahlen mussten. Die Ueberfahrt auf das rechte Ufer
kostete 11}, Kr. Königswinter, mit welchem Namen wir durch
mannigfache Veränderung Spass trieben, liegt am Fusse des Drachen-
felsen und ist klein doch artig. Dieser aber ragt mit seiner un-
geheuren Höhe wie eine Säule des Himmels, ein Denkstein oben
drauf des alten teutschen Ruhmes, siegprangend über seine Brüder
in das Blau des Himmels. Die Burg ist mit undenklicher Adler-
Kühnheit auf die schroff herausstarrenden Felswände gefügt: diess
vermochten nur die geharnischten Geister des teutschen Ritterthumes,
kühn erkohren sie sich zum Horst diese allem Sturm trozenden Felsen-
Nester, wohl wissend, dass dem Ungeheuren Ungeheures ziemt. Welche
1) Ebenau schreibt unter dem 13.: Schmutzig, wie Tags vorher;
in einem nahen Dorfe lässt Fritz sich Schnürstiefel, die ihn drücken, in
Schuhe umwandeln. Wir erfrischen uns ein bischen in Bonn in einer
Weinkneipe, werden geprellt und prellen sogleich auch gebührender Massen
(die 24 Stüber).
Mitteilungen aus Carl Ebenau's Tagebuch. 183
Koblenz. Moselbrücke. Herrliche Gegend bei Lahnstein, einem
Schloss an der Mündung der Lahn, rechts und links alte Burgen.
Ankunft im Städtchen Rens, wo wir unsere Kleider trockneten.
Nicht einladendes Nachtlager.
V.
Ortenberg in der Wetterau, den 23. Octbr.
(Den 16. nach St. Goar. 6 Stunden).
Anfangs schmuziges Wetter. Städtchen Poppert [Boppard].
Glorreiche Entfaltung der Gegend. — Und nun ruf ich euch her-
vor, ihr ungeheuren Bilder des Vergangenen, 80 sehr mir der Geist
schauert in freudig-tiefer Versenkung, wenn ihr an ihm vorbeizieht
mit all eurer stillen Pracht. Eine unendliche Rührung umfängt
ihn mit . .[?], wie durch die Einklänge eines aus den tiefen Hallen
der Erde steigenden Liedes. Und was bist du anders, du stolzer
Rbeinstrom, als ein altergrauer ruhmherrlicher teutscher Helden-
sang: Deine Wasser winden sich, wie Klänge aus den bemoosten
Runensteinen; Du magst es allein deuten, was vom Urbeginn an
Wahres, Geheimnissvolles in ihnen verschlossen liegt: wie seelig
fühlen sich die eisernen Geister deiner Burgen, die im Morgengolde
glühen, oder gleich Nebelsäulen im Monde heraussteigen, wie trozig
und still horcht ihre Riesenseele dem aufsteigenden Brausen!
„Diess sind die alten Klänge,
Helden- und Klaggesänge
Aus ferner Riesenzeit“.
O was liegen wir Thoren auf dem Grabe der Vorzeit und
klagen und sehnen uns nach der untergegangenen: Hierher den
kranken Blick gerichtet, und er wird gesunden, der Geist muss auf-
leben, und eine herrliche Blume des Wahren und Göttlichen treiben.
Hier ist es, wo die kühnen Nibelungen den Thron ihrer Herrlich-
keit hatten, hier, wo der adeliche Siegfrid und der wackre Dietrich
ihre Kämpfe durchfochten. Hier ist es, auf dem Drachenfelsen, der
Wolkenburg, Reineck, Ehrenfels, Sonneck, Hammerstein, wo die
Alten über den listigen Drachen unsrer Freiheit siegprangend ihre
Ehremberge schwangen, hier, wo auch Sickengrad [?] und Bernhard
den alten Ruhm aufhielten! O du edle Pflanze des Teutschen Ruhmes,
wie hast du wieder glorreich dein adlig stolzes Haupt in den reinen
Aetherhimmel erhoben; wie strahlst du prächtig in den Diamanten
der auf dich geweinten Thränen, wie purpurn aber auch in den
Rabinen des dir geopferten Blutes: Dein Haupt mit einer stolzen,
über den Bliz erhabenen Sternbinde geziert: Deine Knospen Kronen,
deine Blätter Tafeln des Ruhmes, deine Zweige Sprossen, die den
Himmel stürmen. Aber hier, an den Ufern des Rheinstromes steigt
dein Stamm aus den Felsen, sie sind deiner Festigkeit Grundsäulen,
Bürgen deiner ewigen Dauer.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 185
der unendlichen Fläche des Stromes, das sich zulezt in den
Mond auflöst; darunter der Donner der Kanonen, der den 18. Octbr.
andeutet, und alles diess in der Hülle des nächtlichen Schweigens.
So kamen wir zu Rüdesheim an, wo uns die Bilder des Tages, wie
betäubende Lieder seelig in Schlaf wiegten.
(Den 18. nach Mainz. 6 Stunden).
Frühmorgens erstiegen wir den Niederwald, wo uns die
Försterin durch die armseeligen Schrecken der Zauberhöhle führte,
an deren Ausgang ein Häuschen steht, durch deren drei Fenster
man durch den lichten Strahl, der in die Bäume gehauen ist, drei
verschiedene Burgen oder Örter sieht. Von der nachgekünstelten
Burg hat man einen prächtigen Anblick von Bingen, und den Um-
gebungen. So gross die Tiefe ist, so hörbar rauscht dennoch das
Loch. Prächtige Aussicht vom Tempel über den ganzen Strom bis nach
Mainz — und hiermit nehmen die Schönheiten ihren Abschied.
Durch die Weinberge und verbotene Wege zurück nach Rüdesheim.
Städtchen Ellenfeld. Zu Wallof fuhren wir über den breiten
Strom. Oesterreicher. Kanonendonner. Musikalischer Wald. Mainz.
Pässe. Schöne Strasse. Die Bleiche. Nach langem Suchen wiess
uns ein Bürger in das Gasthaus zum goldnen Rädchen.
„Ei du Mainz mit dem goldnen Rädchen!“ Der Erzherzug
Karl im Theater, wo Hermann und Thusnelda sammt dem Titus
schlecht gegeben wurde, so schön auch die Bühne erleuchtet war.
Auch viele Häuser der Stadt waren erleuchtet. Vergeblich suchten
wir auf der Rheinbrücke nach dem Kranz der Freudenfeuer: nur
zwei oder drei leuchteten mehr traurig herüber. Leer, wehmüthig
legten wir uns nieder.
(Den 19. nach Frankfurth. 7 Stunden).
Regen. Der Dom eine Fruchtniederlage. Kampf. Trauriger
Tag. Hochheim: guter Wein. Höchst. Bolongarisches [7] Haus.
Prachtvolle Abendrôthe vor Frankfurth. Eingekehrt im golduen
Löwen, wo ich den Abend mit Ludwig zubringe.
(Den 20. zu Frankfurth).
Mit Karln und Ludwig die Stadt durchstrichen. Dom erstiegen
und betrachtet. Russen. Zurbuch!), Zeile, Buchhändler, Fouqué’s
Todesbund. Abends in den theuern und schlechten Kaffeehäusern.
Unterhaltung mit Ludwigs Nachahmungskunst. Traurige Empfindungen
im Bette.
(Den 21. nach Altenstadt. 6 Stunden).
Den Todesbund ausgelesen. Abschied von Ludwig. Abschied
1) 8. oben 8. 136, 142.
Mitteilungen aus Carl Ebenau’s Tagebuch. 187
Da muss ich denn ewig zurückkommen auf meine geliebten
Zeilen, die wie eine ferne Musik durch das Leben klingen:
„Ich besass es doch einmal,
Was so köstlich ist,
Dass man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergisst!“
Und so sei es denn:
„Es ist ja unser, mag das stolze Wort
Den lauten Schmerz gewaltig übertönen“.
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Franeösischen. 189
Bei oberflächlicher Betrachtung kann es scheinen, als ob die
Entwickelungsgeschichte der lateinischen Nominaldeclination im Ro-
manischen ein höchst einfaches Ding sei, das sich etwa mit den
Worten abthun lasse: „Von den lateinischen Casus leben in den gegen-
wärtigen romanischen Sprachen nur noch der Accusativ und (aber
bloss innerhalb sehr enger Grenzen) der Nominativ beider Numeri
fort; alle übrigen Casus sind bereits in vorromanischer Zeit abge-
storben*. Fügt man dem noch hinzu, dass im Altfranzösischen und
im Altprovenzalischen der Nominativ noch in verhältnismässig weitem
Umfange vorhanden war (wenn auch zum grossen Teilnurin analogischer
Neubildung) und dass infolge dessen in diesen Sprachen eine Zwei-
casusdeclination, wenigstens für einen grossen Teil der Nomina, be-
stand, so kann man glauben, im wesentlichen alles gesagt zu haben,
was über das Schicksal der latein. Declination im Romanischen sich
überhaupt sagen lässt. Es ist dies aber eine grundverkehrte An-
schauung, grundverkehrt mindestens, wenn man vom Standpunkte
der geschichtlichen Grammatik oder — was hier anf dasselbe
hinauskommt — von demjenigen der Sprachgeschichte aus urteilt.
Die praktische Sprachlehre freilich mag mit Recht von dem Schwunde
des lateinischen Genetivs, Dativs, Locativs und Ablativs reden. Die
wissenschaftliche Grammatik vermag nur anzuerkennen, dass diese
Casus verhältnismässig früh (aber doch viel später, als man gemein-
hin glaubt) aufgehört haben, als solche zu fungieren, nicht jedoch, dass
sie schlechthin und spurlos verschwunden seien. Wie sollte man
auch ein solches Verschwinden erklären können? Kein Sachver-
ständiger wird leugnen wollen, dass die lateinische Declination bis
tif in die Kaiserzeit hinein, also bis nahe an die Schwelle der
romanischen Zeit!), voll lebendig war, und zwar lebendig nicht nur
1) Für die sprachwissenschaftliche Betrachtung bilden Lateinisch
und Romanisch eine unlösbare Einheit: Romanisch ist nichts anderes, als
die letzte der verschiedenen, geschichtlich aufeinanderfolgenden Er-
scheinungsformen des teils in Italien teils in den römischen Kolonial-
ändern gesprochenen Lateins. Die Entwickelung des Lateins zu der
nten romanischen Stufe ist durchaus allmählich und organisch
verlaufen, kein sprachgeschichtliches Ereignis lässt sich nachweisen,
welches als epochemachend betrachtet und demnach als ein zeitlicher
Grenzpunkt zwischen dem Latein (im gewöhnlichen Sinne des Wortes)
ud dem sogenannten Romanisch angesehen werden könnte. Selbst der
Einwirkung des Germanischen auf das Latein, welche mit der Besitz-
ergreifung der römischen (namentlich der weströmischen) Provinzen durch
de Germanen zwar nicht begann — denn das war bereits geschehen,
sitdem Römer und Germanen in nähere, teils kriegerische teils fried-
liche, Beziehungen zu einander getreten waren —, aber doch erst damals
in nachhaltiger Weise erfolgte, selbst dieser Einwirkung lässt eine der-
ige Bedeutsamkeit sich nicht beimessen. Die Scheidung zwischen
Latein und Romanisch besitzt lediglich eine praktische Berechtigung, diese
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Franeösischen. 191
oder als Accusative oder auch in beiden Eigenschaften fungieren,
gar manche sich befinden, welche ursprünglich Genetive oder Dative
oder Locative oder endlich auch Ablative waren. Und derartige
Fälle werden ja in der That von der neueren Forschung mehr und
mehr nachgewiesen. Man denke z. B. daran, dass die französischen
Städtenamen Cambrai, Douai, Vitry, Clugny, Beauvais mit grosser
Wahrscheinlichkeit als Locative Sing., bezw., was Beauvais anlangt,
als Locativ Plur. erkannt worden sind (Cameraci, Duaci, Victoriaci,
Chmiaci, Bellovacis).‘!) So lebt, einigermassen wenigstens und gleich-
sam in versteckter Weise, die Vielformigkeit der lateinischen Casus-
bildung im Romanischen fort. Wer aber dieser Thatsache sich be-
wasst ist, dem wird damit nicht selten die erwünschte Handhabe
geboten zur lantlichen Erklärung romanischer Nominalformen, welche
als lautregelwidrig gebildet erscheinen, so lange als man in ihnen
die Fortsetzung lateinischer Nominative oder Accusative erblickt.
Die Geschichte der lateinischen Declination oder — wie hier
richtiger zu sagen sein dürfte, da es sich nicht so sehr um die
Casusfunctionen, als um die Casusbildung handelt — der lateinischen
Casusformen im Romanischen ist demnach bei weitem nicht so ein-
fach, wie man gewöhnlich glaubt, sie ist im Gegenteile recht ver-
wickelt und bedarf noch gar sehr der Aufhellung. Man darf mit
vollem Rechte behaupten, dass die Geschichte der lat. Declination
im Romanischen schwerer zu erkennen und darzulegen sei, als die-
jenige der Conjugation, denn die Entwickelung der letzteren liegt
weit offener zu Tage, als die der ersteren. Die methodische Auf-
deckung der Declinationsgeschichte ist eine der wichtigsten Aufgaben,
welche die romanische Philologie zn lösen hat. Von der darauf hin
gerichteten Forschung ist zu erwarten, dass sie nicht nur morpho-
logische, sondern auch syntaktische, namentlich aber lautgeschicht-
liche Probleme entwirren werde.
Wer irgend eine Frage der romanischen Philologie behandelt,
wird von dem ausgehen müssen, was Diez darüber gedacht und, sei
es auch nur andeutungsweise, gesagt hat. Das gebietet die Ehr-
furcht, welche jeder Romanist dem Begründer seiner Wissenschaft
1) Diese Annahme ist allerdings mit beachtenswerten Gründen be-
stritten worden und darf noch nicht als gesichert gelten. Will oder kann
man aber an das Fortleben des Locativs in frz. Ortsnamen nicht glauben,
so sind sonstige gleichsam versteinerte Casus in frz. (und überhaupt in
romanischen) Orts- und Flussnamen genug nachweisbar (so z.B. frz. Namen,
welche Casus obliqui auf -ain darstellen, vgl. G. Paris, Romania XXITI,
321) Man erinnere sich auch der Namen der Wochentage (mardı =
Martis dies etc.) und an so manche andere Wortgruppen.
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 193
basiam; pr. fai, pg. feio, sp. hecho von factus, c in : aufgelöst“.
Ergänzt werden diese Angaben, bei denen das Französische ganz
unberücksichtigt geblieben war, durch eine weitere Bemerkung
(I* 182, im Abschnitte über die lat. Vocale im Hiatus): „Wenn
auf r die tonlosen Sylben sus, ia, ium folgen, woraus die Formeln
an, eri, ori, uri(us) entstehn, so wird + entweder von dem Tonvocale
angezogen und macht einen Diphthong mit ihm, an welchem Verfahren
fast alle Sprachen teilnehmen, oder i wird consonantiert oder es
wird ausgestossen. Bei der Formel ari weichen die Darstellungen
am meisten ab: aus ari wird air, eir, er, ter, wie dies auch zum
Teil bei s geschieht. Das Walachische enthält sich aller dieser
Formationen. Ital. ari mit Diphthongbildung: argentiere (-tarius),
cavaliere, primiero. Sodann j für 3 nach ausgefallenem r, eine speci-
fsche Form dieser Sprache, analog dem span. 5 für 4: argentajo,
carbonajo, pajo (Pareo), vajo (varius). Ferner Elision des # in
carbonaro, varo. — — — Im Span. wird die Formel ars selten
durch air, wie in donaire (donarium), gewöhnlich durch er aus-
gedrückt, d. h. der Diphthong ai, den die Vergleichung des Por-
tagiesischen vorauszusetzen rät, hat sich, wie in andern Fällen, in e
vereinfacht: caballero, carcelero (-cerarius), enero (januarius), primero.
— — Im Port. ist die Attraction sehr wirksam. Formel ar:, altpg.
air, vgl. adversairo, F' Torr. 616, avessayro F' Guard. 437, contrayro
F Sant. 574, notairo F Torr. 614, salayro F' Guard. 437, vigairo
(vice) F Mart. 603, F' Ros. II 298, neupg. ei: cavalleıro, Janeiro,
primeiro, era (area). — — — Prov. cavalier, primier, favieira
(fabaria), Daire (Darius), vaire. — — Franz. chevalier, premier,
rivière (riparia), aire (area), contraire.“
Diese Aufstellungen können für uns Neuere, die wir an eine
ganz andere Behandlung lautgeschichtlicher Fragen gewöhnt sind,
our noch ein geschichtliches Interesse haben. Kritik an ihnen üben zu
wollen, wäre ebenso zwecklos wie pietätslos. Nur eine Bemerkung
sei gestattet: Die Diez’sche Darlegung erscheint, vom Stand-
pankte der jetzigen Lautwissenschaft aus betrachtet, als überaus
lückenhaft, — denn es wird in ihr z. B. die ital. Gestaltung von
arius > -ieri (cancellieri u. dgl., vgl. Zischr. f. rom. Phil. IX 521)
nicht erwähnt, die Frage nach der Erklärung des frz. ie in chevalier
und dgl. wird nicht einmal aufgeworfen, obwohl sie doch sehr nahe
lag (denn gerade nach Diez’ Angaben müsste man erwarten, dass
caballarius frz. *chevalair, *chevaler [nicht aber chevalier] ergeben
hätte) u. A. m. —, diese Darlegung erscheint überdies als sehr
anbeholfen, und einzelne in ihr gebrauchte Ausdrücke (wie z. B.
# macht einen Diphthong mit ihm [nämlich mit d]*) muten uns
altväterisch an, aber diese lückenhafte und unbeholfene Darlegung
enthält nichtsdestoweniger eine bündige Zusammenfassung der
Ztscbr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII: 13
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 195
Diphthong ie (mit offenem e) hervorgegangen (also 4 > ai > ae
> ie). Selbstverständlich muss Ascoli für den ital. Ausgang -ajo
eine andere Erklärung suchen.
Thomsen (1876, Mém, de la soc. de ling. III 123) behauptete,
dass das a in -arium durch eine Art Umlaut („une espèce d’umlaut“)
unmittelbar zu (offenem) e geworden, also nicht, wie Ascoli wolle,
durch ai hindurch gegangen sei, denn dagegen spreche das prov. ei
und ‘ei; aus dem (offenem) e aber habe sich weiterhin der Diphthong
se entwickelt; übrigens sei nach dem Wandel des a zu e dem r
zunächst als Nachwirkung des # ein palatales Element verbunden
geblieben, so dass dem lat. primarius ein urromanisches *primero
(mit palat. r) entspreche. Diese letztere Bemerkung muss als eine
sehr feinfühlige bezeichnet werden. Unberechtigt dagegen ist Thomsen’s
Widerspruch gegen Ascoli, denn aus at konnte sehr wohl ein ei
(mit off. e) und aus diesem wieder ei hervorgehen. Sieht man
übrigens von diesem Punkte ab, so trifft Thomsen's Erklärung mit
derjenigen Ascoli’s, wie dieser sie zuerst gefasst hatte (A. G. I 484),
zusammen.
Ueber eine im Jahre 1877 (Romania VI 324 Anm. 3) gemachte
Ausserung Havet’s bezüglich des Suftixes -@rius s. unten S. 197 Anm. 2.
Neumann erstattete in seinem 1878 erschienenen Buche „Zur
Laut- und Flexionslehre des Altfrz.“ p. 34 Bericht über Ascoli’s
und Thomsen’s Ansichten, stellte fest, dass sie in ihrem Kernpunkte
zusammenfallen, und erklärte sich auch seinerseits damit einver-
standen; überdies fügte er interessante Beobachtungen über die
Gestaltung von -arius in altfrz. Sprachdenkmälern hinzu.
Ten Brink in seiner gedankenreichen und anregenden Schrift
‚Dauer und Klang“ (1879) p. 13, suchte Ascolis und Thomsen's
Behauptungen in der Art mit einander zu vereinigen, dass er nicht
unmittelbaren Uebergang (Umlaut) des a zu offenem e, sondern eine
auf partieller Attraction beruhende Zwischenstufe a’ annahm (pri-
marius > primatryo). Ten Brink kehrte also zu Schuchardt’s
Annahme zurück, übrigens ohne sich dessen bewusst zu sein.
Einer ausführlichen Erörterung wurde die Frage von W. Förster
unterzogen in jenem Aufsatze „Umlaut (eigentlich Vocalsteigerung) im
Romanischen“ (1879, Ztschr. f. rom. Phil. III 481), welcher für den
Ausbau der romanischen Lautlehre so bedeutungsvoll geworden ist.
Förster nimmt an (p. 510), dass -arium schon in sehr alter: Zeit
durch Vocalsteigerung zu -erium (mit off. c) sich gewandelt habe.
Für das Ital., Prov. u. Frz. ist ihm dies zweifellos, aber auch für
das Span. u. Ptg. ist er geneigt, an die gleiche Entwickelung zu
glauben. Freilich ist, wie mir scheinen will, seine Beweisführung
in dieser Richtung hin, nicht ganz klar. Er behanptet die parallele
Entwickelung von ministerium > *menesterio*, *misteiro u. primarium
13*
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Fransüsischen. 197
aber bilden wieder diejenigen, in denen dem -ario ein i (od. e) vorausgeht
(2 B. *riridiarium, *extranearius), eine wichtige Gruppe für sich.
Aus -ario sei nun -Giro (varius > vairo) u. weiterhin -air (vairo >
vair), endlich da, wo -arius als Suffix empfunden wurde, -er (primarius
> primer) entstanden; ebenso aus -iario zunächst -iairo (* viridiarium
> *viridiairo), daraus aber „par la pression de l’a entre deux
yod* — eine Angabe, welche, nebenbei bemerkt, nicht recht ver-
ständlich ist — -ier, u. nun sei durch Analogiewirkung dieser Aus-
gang (ter) auf diejenigen Worte übertragen worden, denen ursprüng-
lich nur -er zukam, also z. B. premier für *premer nach Analogie
etwa von (altfrz.) légier, estrangier u. dgl., nur contraire habe sich
der analogischen Umbildung entzogen, weil ein *contrier lautliche
Sehwierigkeiten dargeboten hätte!).
Wie man aus diesem Berichte ersieht, berücksichtigte G. Paris
nur das Französische, er glaubte aber, dass seine Theorie sich un-
schwer auch auf die anderen romanischen Sprachen anwenden lassen
würde.
Indessen nicht einmal für das Französische ist G. Paris’ Hypo-
these annehmbar, wie er selbst bald erkennen musste, Vising erhob
in der Nordisk Tidskrift for Filologi (Ny Räkke VI 234) das Be-
denken, dass -iario zu -ieir und schliesslich zu -ir hätte werden
müssen. G. Paris gestand die Berechtigung dieses Einwandes zu
und erklärte, seine Anschauung aufgeben zu müssen (1884, Romania
XIII 472 Anm.). Es hätten sich übrigens gegen dieselbe auch an-
dere Gründe geltend machen lassen.
Gröber in der Einleitung zu seiner hochverdienstlichen Arbeit
über die vulgärlateinischen Substrate romanischer Wörter (1884,
Archiv f. lat. Lex. I 225 ff.) sprach die Ansicht aus, dass für -arius
in der Volkssprache -erius eingetreten sei, und zwar nicht infolge
einer Lautentwickelung, sondern eintach durch Suffixvertauschung?).
1) Das Französische hat indessen Worte auf -trier genug (z. B. trier,
meurtrier, arbaletrier etc., so dass ein *contrier durchaus keine Ungeheuer-
lchkeit darstellen würde.
3) „Hierher — [nämlich zu den Fällen, in denen das Volkslatein
eigene Wege in der Wortbildung eingeschlagen hat] — sind zu rechnen
drei Fälle nur durch den Consensus der romanischen Sprachen dokumentierter
sg. Suftixvertauschung, deren wichtigster die Ersetzung der Endung
-arius durch -erius ist“. — Gegen diese Annahme hatte sich übrigens
vorahnend bereits Havet (Romania VI [1877] p. 324 Anm. 3) aus-
gesprochen, indem er sehr richtig bemerkte: „Le traitement de cerasea,
; donne cerise. ciriegia, montre que le traitement du suffixe -arıum
doit étre expliqué par voie phonétique et non écarté sous prétexte de con-
fusion avec le suffire -erium“. — Neuerdings hat Gröber in einigen An-
merkungen zu einem Aufsatze Marchot’s (Ztschrft. f. rom. Phil. XIX,
61 ff.) seine Annahme durch Hinweis auf Eigennamen — einerseits
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Franeôsischen. 199
Zur lautlichen Erklärungsweise des Problems kehrte Seelmann
zurück, indem er in seinem bedeutsamen Buche „Die Aussprache
des Latein‘‘ (1885) p. 172 sich folgendermassen darüber äusserte:
‚Wir nehmen keinen Anstand, diesen Einfluss — [nämlich den Ein-
flass eines mediopalatalen ? auf die Verschiebung des a zu e) —
auch auf die Entwickelung des a im Suffixe -arium auszudehnen,
nur dass hier kein reines i, sondern ein aus älterem r + 2 erwachsenes
jtaziertes r (oder, was dasselbe sagen würde, ein : wie im deutschen
den, während dessen Articulation die Zunge wie beim r vibriert) die
ısimilierende Wirkung ausgeübt hat. Sicher ist die Entwickelung
nicht als bereits lateinisch nachweisbar: kein Inschrifts- oder
Grammatikerzeugnis zeigt hier das vielfach als vulgärlateinisch an-
genommene -erium. Die analoge romanische Entwickelung aber
kann nur auf einen gleichen Keim, auf gleiche physiologische und
historische Vorbedingungen schliessen lassen, nicht aber beweisen
wollen, dass diese letzteren schon in vorromanischer Zeit in Action
getreten sein müssten“.
Zu loben ist an Seelmann’s Bemerkung ihre lautphysiologische
Bestimmtheit und Schärfe, wobei namentlich auch anzuerkennen ist,
dass S. die — von den Anderen meist ausser Acht gelassene —
Einwirkung des à auf das vorausgehende r hervorgehoben hat. Da-
gegen ist in sprachgeschichtlicher Hinsicht S.’s Ansicht nicht ein-
wandsfrei. \Venn die von ihm angenommene Lantentwickelung von
ris wirklich stattgefunden hat, so muss das doch eben bereits
in lateinischer Zeit geschehen sein, denn sonst hätte diese Ent-
wickelung nicht in allen romanischen Sprachen nachwirken können.
Seelmann gesteht das übrigens selbst ein, indem er sich in etwas
mystischer Weise auf das Vorhandensein eines „gleichen Keimes“
und „gleicher Vorbedingungen“ beruft, denn das besagt trotz alles
Vorbehaltes im Grunde doch nichts Anderes, als dass die fragliche
Entwickelung bereits in vorromanischer Zeit begonnen habe.
Meyer -Lübke hat im Verlaufe seiner ergebnissreichen laut-
geschichtlichen Forschungen die Geschichte des Suffixes -arius zu
wiederholten Malen besprochen. Zuerst that er dies in Gröber’s
Grundriss (1886, Bd. I [Lieferung 2] p. 373). Etwas wesentlich
Neues brachte er freilich nicht bei; er begnügte sich vielmehr damit,
Grôber's Hypothese zu wiederholen mit der Bemerkung: „Als weitere
Quelle [für die Verbreitung von -Erius] wären noch die s-Stämme zu
erwähnen, vel. temperies. * Jugerium (ptg. geiro).“ Übrigens erachtete
er trotzdem -erius neben -arius für noch unerklärt. Anderweitige
s0 lange nicht die Palatalisierung des lat. c z. B. in frz. vachier auf anderem
Wege erklärt worden ist, wozu allerdings, wie ich glaube und weiter
unten näher begründen werde, die Möglichkeit vorliegt.
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Franzsüsischen. 201
sie vorbringt: ,Die alten Texte, wie die seneser Statuten, die
peruginer Chroniken u. w., belehren uns ja, dass zu -ajo der Plural
ursprünglich -ari lautet, woraus mit Nothwendigkeit folgt: -arii
giebt -ars, nicht -ieri, und -ajo geht auf -arium zurück. Damit
erklärt es sich, weshalb die Monatsnamen nur Formen auf -ajo haben.
Bei A.’s Auffassung muss man sich fragen, weshalb nirgends in der
Toscana *genniere gesagt wird. Was das prov. hordi beweist, kann
ich nicht entscheiden; orge kommt daneben vor, und wie sich dieses
ordi aus vulgärlat. ordit /m] mit den prov. Auslautgesetzen verträgt,
ist mir nicht klar, da ja doch aufri ein ganz anderer Fall ist.“
Man kann nicht sagen, dass M.(-L.)’s Polemik sonderlich zutreftend
sei. Denn abgesehen davon, dass er keine Erklärung des ital. -iere,
frz. ter giebt, so sind seine Einwendungen gegen Ascoli's Annahme
ihrerseits keineswegs einwandsfrei. Die Plurale auf -ari beweisen
sicht viel und brauchen durchaus nicht auf -arii zurückzugehen,
können vielmehr analogische oder auch gelehrte Bildungen sein.
Und selbst wenn -ari nur = -arü angesetzt werden könnte, würde
daraus nimmermehr folgen, dass -ajo — -arium sein müsse. Der
Ausgang -ajo bei Monatsnamen erklärt sich leicht aus dem häufigen
Gebrauche dieser Worte in ablativischen Zeitangaben (Januario und
dgi.) Das Vorhandensein von prov. ordi lässt sich nicht leugnen,
und es widerstreitet übrigens keineswegs den prov. Lautgetzen,
wenn man es als aus lat. “ordi = *ordii/m] entstanden betrachtet;
ja, eine andere Auffassung ist kaum möglich, und eben das ist eine
Stütze für Ascoli's Anschauung.
Auch Horning hat mehrfach die -arius-Frage behandelt. Zuerst
im Jahre 1887 in der Einleitung ($ 21 III p. 10) zu dem ebenso
bekannten wie verdienstlichen Handbuche ,Za langue et la littérature
française etc.“ Er spricht sich dahin aus, dass noch keine be-
friedigende Lösung des Problemes gefunden worden sei, denn die bisher
aufgestellten Annahmen hätten das Bedenken gegen sich, dass sowohl
rum als auch -iarium nur (-ieir) -ir hätten ergeben können. Eben
darauf machte im gleichen Jahre auch Waldner (Archiv f. das
Stud. der neueren Spr. Bd. 78 p. 444) aufmerksam.
Schwan hat ebenfalls wiederholt Grelegenheit genommen, die
Frage des Suffixes -arius zu behandeln. Freilich aber begann er
damit in recht unglücklicher Weise, indem er (1888, Ztschr. f. rom.
Phil. XII 194) sich als Anhänger der Gröber’schen Hypothese
bekannte, ohne doch irgend etwas zu deren Stützung beizutragen.
In der 1888 erschienen dritten Lieferung des ersten Bandes
von Gröber’s Grundriss haben mehrere hervorragende Romanisten ihre
Anschauung über die Entwickelung von -arius ausgesprochen. Baist
erklärte (p. 695, Z. 2 v. unten) span. -ero aus -arium durch Attraction,
ohne weiter auf die Sache einzugehen: Cornu bemerkte (p. 718)
Die Entwickelung des Suffires -arius im Franeösischen. 203
Forschung nachhaltige Förderung verdankt. Aber auch ein so aus-
gezeichneter Mann ist dem allgemein menschlichen Loose des Irr-
tams unterworfen. Und in dem vorliegenden Falle hat d'O. sich
zweifellos arg geirrt. Die Annahme, dass ital. -iere dem Französischen
entlehnt sei, ist durchaus haltlos. Mögen immerhin vereinzelte Sub-
stantiva, wie arciere u. cavaliere Gallicismen sein!) — bei cavaliere dürfte
übrigens nur die Schreibweise mit einfachem ? (nach chevalier) auf
französischem Einflusse beruhen, nicht aber das Wort an sich, welches,
wenn französischen Ursprunges, doch wohl *cevaliero lauten würde?),
— die grosse Masse der hierher gehörigen Nomina ist ganz gewiss
gut u. alt italienisch. D’O. selbst bekennt, dass es schwer falle,
z. B. für pensiero, forestiero, straniero, preghiera, leggiero fremden
Ursprung anzunehmen. Freilich wohl fällt eine solche Annahme
schwer, denn sie schliesst Unmöglichkeiten in sich ein. Wie sollten
z. B. die Italiener von den Franzosen pensiero entlehnt haben können,
da doch ein frz. *pensier (= *pensarium) nicht vorhanden ist ?®)
oder warum erhielt sich altfrz. estrangier, wenn es in das Ital.
übernommen wurde, nicht als *estrangero? D’Ovidio erblickt in dem
Schwanken zwischen den Ausgängen -iere, -ieri, -iero ein Anzeichen
fremder Herkunft. Aber sollte man nicht gerade im Gegentheile
glauben, dass, wenn das frz. Suffix -ier italianisiert worden wäre,
es durchweg zu -iero gestaltet worden sein würde ? Es hätte dies doch
jedenfalls am nächsten gelegen, und es ist gar nicht abzusehen, wie die
Sprache dazu gekommen sein sollte, zwischen verschiedenen Aus-
gängen zu schwanken, wobei noch dazu es ganz rätselhaft bliebe,
vermöge welcher seltsamen Entwickelung neben -tere ein -ieri ent-
standen sein könnte. Nein, d’Ovidio’s Annahme ist in bestimmtester
Weise abzulehnen. Zugestehen kann man nur, dass unter den Worten
auf -tero sich gar manche Lehnworte befinden, welche allerdings für
italienische Ohren einen fremdartigen Klang besitzen, nicht aber
ihres Suffixes, sondern ihrer sonstigen Lautgestaltung wegen.
1) Eine Anzahl solcher Worte führt Meyer-Lübke auf, Gramm. der
rom. Spr. II p. 509. Ueber einzelne kann man allerdings anderer Meinung
sein. M.-L. hält übrigens gleichfalls (p. 508) das Suffix -1ero und wohl auch -iere
für dem Französischen entlehnt („Noch häufiger [als -ajo] findet sich -tere
oder seltener mit dem masc. -0 versehen -iero, das nach der Qualität der
Beispiele, in denen es erscheint, sich deutlich als Entlehnung aus frz. -ier
zu erkennen giebt“).
*) Die Annahme, dass cavaliere einem frz. Dialecte entlehnt sein
könne, in welchem c vor a als Guttural erhalten bliebe, scheint mir zu
kühn, jedenfalls aber unbeweisbar zu sein.
3) Man kann ja nun allerdings annehmen, dass das fremde Suffix
ser an italienische Stämme angefügt worden sei. Aber gerade dann muss
eine Bildung, wie pensiero, erst recht ais befremdlich erscheinen, denn
man beachte die Bedeutung des Wortes!
Die Entwickelung des Suffices -arius im Französischen. 205
gehenden i-haltigen Konsonant, als auch durch die Rückwirkung
des folgenden # entstanden sein. In escuieirs, messeirs, vineirs, meneire
ist das offene e graphisch durch ei dargestellt, wie dieses ei ja gerade
in ebenderselben Urkunde noch in anderen Formen gerade so auf-
zufassen ist: bein — bien ibid. 6, 15, 19 etc. Wandel von te zu ?
wäre in escuyr Perr. CXXIII zu beachten, wenn man nicht vorzieht,
einen Schreib- oder Druckfehler anzunehmen. In den Noei erscheint
-aria stets als -eire, u. -arium als ai — off. e mit abgefallenem r:
borgeire W. I 3, chaumeire W. III 9, ligeire W. III 21, borgei W.
1 3, velantei W. VI 30 etc.“
Mit der ostfranzösichen Gestaltung von -arius beschäftigt sich
aach Horning in seinem lesenswerten Aufsatze „Zur Lautgeschichte
der ostfrz. Mundarten® (1891, Zischr. f. rom. Phil. XIV 386 f.).
Er bestreitet sehr mit Recht Görlich’s Aufstellungen, indem er
bervorhebt, dass die Ausgänge -er, -ere, welche die eigentlich
dialektischen seien, sich nimmermehr aus dem Einflusse der gelehrten
Bildungen, wie confraire, erklären lassen, und dass die in Betracht
kommenden Patois von einer Vermengung zwischen dem vermöge
des Bartsch’schen Gesetzes aus lat. 4 entstandenen ie und dem aus
lat. a in offener Silbe hervorgegangenen e bis auf den heutigen
Tag nichts wissen. Die lothringisch-burgundische Grundform von
arius ist nach Horning’s durchaus zuverlässiger Angabe ey/r),
e/y]r (beide mit off. e) [der Bernhard giebt -er neben -ier]; Weiter-
bildungen dieser Grundform sind æ, im Metzischen :, in Bourberain
ay, auch in Tannois bei Bar-le-Duc sagt man premay (daneben lay
= lectum etc.). Dieses lothr.-burg. -ey, -eir aber glaubt Horning
nur aus dem von G. Paris vorgeschlagenen -iarium (s. oben S. 196)
erklären zu können: es sei daraus zunächst -ieir entstanden, das
sich zu eir vereinfacht habe.
(Cregen diese Annahme ist ein Bedenken zu erheben. Da
francisches (gemeinfranzösisches) -ier nicht aus -ieer = iarium ent-
standen sein kann (s. oben S. 197), so würde das Ostfranzüsische,
wenn sein -eir = -iarium ist, eine Sonderentwickelung eingeschlagen
haben —, ist das wohl wahrscheinlich? Man wird die Frage schwerlich
bejahen dürfen; wer das aber doch thun will, dem liegt die Pflicht
ob, zu erklären, weshalb das Ostfranzôsische seinen eigenen Weg
gegangen sei, und diese Erklärung dürfte nicht leicht gegeben
werden können.
In seiner Grammatik der romanischen Sprache, deren erster,
hier vorzugsweise in Betracht kommender, Band im Jahre 1890
erschien, behandelte Meyer-Lübke die Geschichte des Suffixis -arzus
an drei verschiedenen Stellen. Zunächst gah er I $ 235 ff. einige
aphoristische Bemerkungen über die Gestaltungen des Suffixes im
Frz., Prov. und Katal. ($ 235: „Eine Stellung für sich nimmt [im
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Fransösischen. 207
des r ist specifisch toscanisch, die anderen Mundarten, die südlichen
sowohl wie die nördlichen, verlieren ©. Man könnte annehmen, dass
4j, -ari konsequent zu -aro, -ari ausgeglichen worden und dann
auch r in den anderen Fällen an Stelle von ri getreten sei. Das
ist jedoch nicht wahrscheinlich, vielmehr zeigt sich in dem Kampfe
zwischen r und y in den anderen Provinzen r fester. Im Norden
aber, im Venezianischen und Mailändischen, wird -area zu -era,
-arius zu -er. Zwischenstufe ist -aira, -airu. Vor dem Tone zeigt
auch das Toscanische r: ariuolo etc.“ — (I $ 522) „Im Französischen
werden die Sachen etwas verwickelter: -arius wird über -arie zu
aire, worin das alte ai behandelt wird wie offenes e ($ 150). e
fällt infolge des vokalischen Auslautgesetzes. Dagegen blieb -arya
länger, erst als dann a zu e abgeschwächt wurde, trat auch hier
Attraction ein: aire, und dieses junge ai wird nun zu e, nicht mehr
zu ie. So erklärt sich der Gegensatz zwischen -aire und -ier,
zwischen heur (augurium) und foire (forea). Als Suffix hat -ier
auch das Feminin -iere nach sich gezogen, umgekehrt folgt vair
dem Femininum, pair ist erst von paire aus neugebildet. Die
Attraction im Femininam ist im Altfranzösischen noch nicht vollzogen.
Im Provenzalischen verhält es sich ähnlich: auch hier entsteht aus
-arius: air, woraus weiter -eir, -ieir und dazu das neue Femininnm:
ara. Vom Provenzalischen und Französischen dringt das Suffix ins
Italienische, von da ins Friaulische.* (Vgl. hiermit Bd. II $ 467:
‚Im Italienischen tritt zuweilen -aro auf: marinaro, porcaro, somaro
neben marinajo etc., die vom Plural aus gebildet sein könnten,
wahrscheinlicher aber einem Dialecte entstammen, da -ajo < -arıu
auf Toscana beschränkt ist. Noch häufiger aber findet sich -iere
oder seltener mit dem masc. -o versehen -iero, das nach der Qualität
der Beispiele, in denen es erscheint, sich deutlich als Entlehnung
aus frz. -ier zu erkennen giebt“.
Die Ausführungen M.-L.’s entbehren der wünschenswerthen
Klarheit und Bestimmtheit. Man irrt indessen wohl nicht in der
Annahme, dass nach seiner Anschauung die masculine Singularform
-arius einen dreifachen Entwickelungsweg eingeschlagen hat, nämlich:
1. -ariu/s] (mit Verdrängung des r) > ajo (Toscana); 2. -ariu/s/
(mit Verdrängung des à) > -aro (nichttoscanisches Italienisch), -ar
(Rum.); 3. -ariu/s] (durch Attraction des à in die Hochtonsilbe)
> -airo, woraus -eiro, -ero und (mit Diphthongierung des aus at
entstandenen offenen e) -ier (im Frz.), bezw. -ieir (im Prov.).
Wie es gekommen sei, dass -arius im Romanischen eine der-
artig verschiedene Gestaltung angenommen habe, lässt M.-L. uner-
klärt. Auch über manches Einzelne schweigt er sich leider aus.
So namentlich über die Entstehung von prov. -ier. Zu diesen Un-
vollständigkeiten der Darstellung tritt nun noch hinzu die grund-
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 209
für die Suffixsilbe als Anlaut fungierte) zu -ar/um/) entpalatalisiert
worden sei. Nachdem also auf diesem Wege in allen den zahlreichen
Fällen, in denen dem Suffix ein palataler oder :-haltiger Stammaus-
laut vorausging, -arium zu -ier geworden war, wurde diese Gestaltung
des Suffixes analogisch auch auf diejenigen Worte übertragen, deren
Stammauslaut weder palatal noch s-haltig ist (wie z. B. prim-arius).
Wie man sieht, berührt sich Cohn’s Hypothese nahe mit derjenigen,
welche G. Paris aufgestellt hatte (vgl. oben S. 196), u. hat folglich
auch die wider diese geltend gemachten Bedenken gegen sich.
Befremden muss es übrigens, dass ein so umsichtiger Forscher, wie
Cohn, geglaubt hat, die Frage nach der Entstehung des frz. -ier
ohne Berücksichtigung des ital. -iere lösen zu können. Oder soll
man etwa meinen, dass auch Cohn ital. -sere für dem Frz. entlehnt
hält? Schwerlich, denn Cohn erklärt für das Prov. eine solche An-
nahme für bedenklich, und dann musste sie ihm für das Ital. als noch
viel bedenklicher erscheinen.
Schwan in seiner inhaltsreichen Recension des Cohn’schen
Baches (1891, Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XIII 192 ff.) verwarf,
wie selbstverständlich, Cohn’s Annahme u. versuchte sie durch einen
eigenen Deutungsversuch zu ersetzen, der aber freilich nicht eben
ein glücklicher war. Im Volkslatein sollen — so vermutet Schwan —
die beiden Suftixe -arjus u. -erjus (mit off. e) neben einander u. in-
folge ihrer gleichen Verwendung auch bei denselben Worten unter-
schiedlos in Gebrauch gewesen sein, allerdings in der Weise, dass
rjus im Rückgang sich befunden u. auf die Bildung von Sub-
stantiven sich beschränkt habe, während -erjus zur Bildung sowohl
von Substantiven wie von Adjectiven diente. Zu -arjus u. -erjus sei
nan als ein drittes Suftix noch hinzugekommen -arus, entstanden
ans Contamination von -ürius u. -Aris. Dies -arus habe das ital.
-aro ergeben. Im Französischen hätten sich aus den drei Suffixen
drei verschiedene Suffixe entwickeln müssen: aus -arju *air; aus
Pfalatal] Ÿfarju mit Dissimilation -ier u. ohne dieselbe (ausser im
Osten, wo auch hier -ier entstehen musste) *-ir; aus -aru -er (z. B.
bacheler), aus Pl[alatal] faru -ier, (z. B. cuillier), aus dem, wie aus-
geführt, häufigen -erju -ier u. (ohne Dissimilation) -ir, ebenso aus
Plalatal] f-erju. Der Ausgleich dieser Formen wäre im vorlitte-
rarischen Französisch in der Weise vollzogen worden, dass das
häufigere -ier das seltenere -air u. -ir verdrängt hätte, welches in
gleicher Verwendung dafür vorkäme. So würde es sich auch er-
klären, warum die Palatale sich entwickelt haben, wie die Palatale
VOrG..... Im Prov. wäre nun -arjus (ausser in einigen Dialecten)
allgemein durch die Producte von -erjus (-ier u. -ieir) verdrängt worden.
Unter diesen — nicht immer recht klar ausgedrückten — Auf-
stellungen Schwan's ist recht beachtenswert der Hinweis auf die
Ztschr. f. frz. Spr.u.Litt. XVII", 14
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 211
durchweg behauptet, ausgenommen nach palatalem und palatalisiertem
Cons !) Man würde sich in einem Kreise herumbewegen, wenn man
diese Verschiedenheit der Entwickelung daraus erklären wollte, dass
der Infinitivausgang -ier immer auch -er neben sich hatte und also
von diesem angezogen werden konnte, während der nominale Aus-
gang -ier das ursprünglich neben ihm stehende -er völlig verdrängt
habe und dadurch dem Einflusse einer rückwirkenden Analogie-
bildung entzogen worden sei. Denn dann müsste man ja immer
wieder fragen, warum der Infinitivausgang -ter nicht ebenso gut,
wie das Nominalsufix er, das ihm gegenüberstehende -er habe
verdrängen und, nachdem ihm dies gelungen sei, in seiner Allein-
berrschaft sich habe erhalten können. Nein, der Grund, weshalb
das eine -ier wieder schwand, das andere aber (ausgen. nach Pala-
talen) dauernd verblieb, muss darin gesucht werden, dass jedes der
beiden -ier verschiedenen Ursprung hat. Es werde das, was ich
damit meine, kurz angedeutet. Das ie im -ter des Infinitivs ist,
um so zu sagen, ein rein phonetisches oder, noch genauer, ein
phonetisch bedingtes ie, d. h. ein te, welches aus einfachem e
(< lat. a) durch Einwirkung eines ihm vorausgehenden (palatalen
bezw. palatalhaltigen) Lautes entstand, also eben nur unter ganz
bestimmten Bedingungen entstand und folglich nicht entstand, wenn
solche Bedingungen nicht vorlagen. Eine Analogiewirkung dieses
isog. Bartsch’schen) ie hat nie und nirgends stattgefunden. Wenn
nun das ie des Suffixes -ier (< -arius) den gleichen phonetischen,
d.h. in vorausgehendem Palatal etc. begründeten Ursprung besässe,
s müsste man folgerichtig annehmen, dass es ebensowenig, wie das
er des Infinitivs, analogischer Wirkung fähig gewesen wäre. Es
hätte dann also ein premier für *premer nach Analogie von z. B.
conseillier niemals eintreten können, denn es ist niemals etwa ein
tchantier (= cantare) nach Analogie von z. B. vengier gebildet
worden. Man sieht, wie durch diesen Vergleich Schwan’s Annahme
hinfällig wird. Weil dies aber so ist, so muss für das Suffix -ier
eine andere Deutung erstrebt, es darf sein Diphthong nicht aus dem
Einflusse eines vorausgehenden Palatals geklärt werden. Wir werden
mithin zu dem Schlusse gedrängt, dass die Entstehung des :e im
1, Z. B. conseiller, berger, vacher, étranger etc. Meyer-T.übke
Gr. d. rom. Spr. 11 $ 464, nimmt für derartige Fälle Suffixvertauschung
an i-ter — -ärtus vertauscht mit -er — -ärıs). Das ist aber eine nicht nur
annötige, sondern auch eine unwahrscheinliche Annahme. Unnötig, weil
sich ja der Wandel z. B. von bergier > berger ebenso rein lautlich erklären
lässt, wie z. B. der von mangier > manger. Unwabrscheinlich. weil zur
Zeit, als z. B. berger für bergier eintrat, das Suffix -er (= -aris) schon
in weitem Umfange durch -ier verdrängt und folglich — so sollte man
wenigstens glanben — der Fühigkeit zur Analogiewirkung beraubt
worden war.
14*
Die Entwickelung des Suffices -ürius im Französischen. 213
hat, sonst aber durch das an den | Masc. -ar angebildeten Ausgang
Plur. angebildete -ar/«/ verdrängt | -ara verdrängt worden ist. —
worden ist. — b) ital. -@o, da- | b) ital. -aja, daneben in An-
neben das an den Plur. angebildete | bildung an das Masc. -aro auch
070, -are. -ara.
Nom. Plur. Masc. -ari, daraus a) rum. -ari, b) ital. ebenfalls
-ar, daneben aber auch -ai in Anbildung an den Sing. -ajo.
Neben dem ital. -ajo (-aro), -ari (-ai) erscheint nun aber auch
sero, -iere, Pl. -ieri. Wie verhält es sich mit diesen Ausgängen ?
Nan, „tout simplement": auszugehen ist von dem Plur. -ieri, welcher
aus lat. ri (= -érii) enstanden ist u. an den sich dann die Singular-
formen -iere, -iero (auch das Fem. -iera) angebildet haben. Es ist
in der That ganz herrlich einfach! Nur ist zu bedauern, dass neben
“ere auch -teri vorhanden ist. Davon schweigt Marchot weislich.
Mit dem Spanischen, Portugiesischen und Provenzalischen
macht Marchot kurzen Prozess. Warum auch nicht? Die in diesen
Sprachen vorhandenen Ausgänge (-ero, -eiro, *-ieirs, -eirs, -iers etc.)
beruhen seiner Ansicht nach ja samt und sonders auf Vertauschung
von -Grius mit -ériws. Die Fragen, ob das Suffix -érius jemals im
Lat. (ausserhalb der bekannten wenigen Worte, wie ministerium etc.)
wirklich lebendig war und wie es in so erfolgreichen Wettbewerb
mit -Ariss eintreten konnte —, diese Fragen machen Marchot keine
Sorgen. Wer wird sich auch um solche Lumpereien kümmern!
Marchot krönt in würdigster Weise sein Werk, indem er für
das Französische das nachstehende unvergleichlich schöne Declinations-
schema aufstellt:
Sing. Cas. rect. -arjs, -airs und -ars, -ers
Cas. obl. -arj, -air und -ar
Plur. Cas. rect. -arj, und -ar (im 9. Jahrh. -er)
Cas. obl. -arjs, -airs und -ars.
Marchot selbst scheint zu glauben, dass diese Declination zu
schön gewesen sei, als dass sie hätte am Leben bleiben können,
denn nach seiner Meinung ist auch im Franz. -arius durch -erius
verdrängt worden.
Ist Marchot’s Essai vielleicht als eine Humoreske, als ein
sprachwissenschaftlicher Scherz aufzufassen? Ich möchte es glauben,
denn ich kann mir garnicht vorstellen, dass ein durch eine gute
Sehule gegangener Romanist, wie Marchot, derartige Wunderlichkeiten
ernsthaft gemeint habe. Ich vermag das um so weniger zu glauben,
als ich weiss, dass Marchot methodischer und gründlicher Arbeit
sehr wohl fähig ist und bereits mehrfach Tüchtiges und Verdienst-
liches geleistet hat. Nun, auch dem Besten hann es geschehen, dass
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 215
und Wortgeschichte gerichteten Forschung bezeichnet werden. Gerade
aber weil dem, was Bianchi gethan hat, so hohe Anerkennung gebührt,
empfindet man zwei Mängel seiner Schrift um so schmerzlicher.
Erstlich den Mangel an Klarheit und Durchsichtigkeit des Ausdruckes.
Es handhabt nämlich Bianchi, wie das häufig die Art tiefdenkender
Schriftsteller ist, die Sprache in einer sehr ungefälligen Weise:
er baut langatmige Satzreihen mit verschlungenen Wortfügungen
und erschwert dadurch seinem Leser ungemein die rasche und sichere
Erfassung des Inhalts. Harte Arbeit darf nicht sich verdriessen lassen,
wer zum vollen Verständnisse der Gedankengänge Bianchi’s hindurch-
dringen will. Freilich ist man nun wohl nicht befugt, einen Autor
darob zu schelten, dass er die goldenen Früchte seines Denkens auf
rauh geformter Schale darbietet, aber der Sache förderlich ist es
doch, wenn wertvolle Gedanken in ein leicht überschaubares Sprach-
gewand gekleidet und dadurch bequemer erfassbar gemacht werden.
Eine zweite Klage — nicht Anklage — gilt dem Inhalte. Bianchi
berücksichtigt in seiner Abhandlung, wie schon deren Ueberschrift
besagt, im wesentlichen nur das Italienische. Das ist ja an sich
sein gutes Recht, bedauerlich aber ist es immerhin, dass der geniale
Forscher seine Untersuchung nicht grundsätzlich auf alle romanischen
Sprachen ausgedehnt, sondern alles, was ausserhalb des Italienischen
liegt, nur in einigen beiläufigen Bemerkungen gestreift hat. Freilich
zeigt sich in der Beschränkung der Meister, aber ein Meister, wie
Bianchi, vermag sein Wissen und Können auch auf einem aus-
gedehnten Arbeitsfelde zu bethätigen.
Im folgenden werde der Versuch gewagt, die Hauptergebnisse
der Untersuchung B.’s, soweit sie auf die Geschichte des Suffixes
rss sich beziehen, in kurzen Sätzen übersichtlich darzustellen!).
A. Der Nom. u. Acc. Sg. Masc. -arius und das Neutr. (Sg.) -arium.
1. Ein nachtoniges auslautendes langes ® beeinflusst den Vocal
der vorangehenden Hochtonsilbe. In Sonderheit erzeugt ein solches
sin der Verbindung d + Cons. + ? (z. B. -ari) nach dem a ein ;,
welches mit dem a zu ai sich verbindet, woraus ein ae (d. h. offenes e)
sich ergiebt, also -dri > diri > diri > aeri (= eri mit offenem e).
Gegen diesen Satz an sich ist weder lautphysiologisch noch
lautgeschichtlich ein Einwand zu erheben, es bildet vielmehr der
dadurch behauptete Lautvorgang eine allgemein anerkannte Einzel-
erscheinung der gemeinhin als „Umlaut“ bezeichneten Entwickelung
1) Meyer-Lübke hat neuerdings (Ztschrft. f. roman. Phil. XIX 131 fi.)
einzelne der von Bianchi aufgestellten Hypothesen einer sachkundigen
and einschneidenden (meist ablehnenden) Beurteilung unterzogen, leider
aber üabei die Annahmen Bianchi’s bezüglich des Suffixes -arius nicht be-
sprochen.
Die Entswickelung des Suffixes -arius im Fransüsischen. 217
latinis is -iS pro -ius el graecis in -ıc, -ıv pro -ıoc, ıov terminaltis,
in: Curtius’ Stud. III 147 (nimmt Contraction von -ius zu -is an);
Streitberg in Paul's und Braune’s Beiür. Bd. XIV p. 200 („in dieser
Abhandlung wird wahrscheinlich gemacht, dass im Uridg. neben -10-
io eine Tiefstufenform +, -i- lag, im Nom., Acc., Voc. Sg., vgl. z. B.
lat. alis, fili, osk. medici-m“. Brugmann, Griech. Gramm. [Iw. Müller’s
Handbuch II] p. 92 Anm., vergl. desselben Verfassers Grundriss der
vgl. Gramm. der idg. Spr. II p. 116 Anm., vgl. endlich auch Kremer
in Bezzenberger’s Beir. VII 60).
Ein geschichtlicher Zusammenhang der altlateinischen Formen
auf -is, -im = us, -ium und dem von Ascoli und Bianchi an-
genommenen -ari aus -ariu/s), -ariu[m] besteht übrigens keineswegs.
Man muss vielmehr glauben, dass das (eben nur im Altlatein nach-
weisbare) Cornelis und dergl. längst wieder durch Cornelius und
dergl. verdrängt war, als in der Volkssprache z. B. argentari für
argentariu/s], -[m] aufkam!). Immerhin aber sind die altlat. Formen
beweisend für die Möglichkeit, dass im Lat. 8 und -im für -ius
und -iss eintreten konnte.
c) Durch das Vorhandensein einerseits von ital. Ortsnamen
auf +, welche lateinischen Namen auf -ium entsprechen, z. B. Brindisi
= Brundisium, Chiusi — Clusium, Assisi — Assisium, Spoleti =
Spoletium neben Spoleto = Spoletum)?); andrerseits von ital. Ap-
pellativen auf -, welche lat. Worten auf -arius, -arium, -érium gegen-
überstehen, z. B. cancellieri — cancellarius, cavalieri = caballarius,
mestieri = ministerium.
Das Vorhandensein solcher auf -i ausgehenden Worte °) ist,
wie ich glaube, von entscheidender Wichtigkeit, denn man bedenke
erstlich, dass ein cancellariu/s], -/m/, wenn iu nicht in ? zusammen-
gezogen wurde, nur eine cancellario, cancellajo ergeben konnte. Und
sodann erwäge man, dass der Ausgang -i das kennzeichnende Merk-
1) Bianchi (Arch. glott. IX 380) sagt allerdings: „Il fenomeno che
« oxserva in „Clodis“ ecc. continua, cioe, nel basso lutino, si fissa in nomi
latini di luogo, e seguita a viver e in nomi comuni. Abbiamo difatto,
presso Firenze, ,$. Salri: da Salvius etc.“ Aber kann Salvi nicht als
(renetiv (pagus S. Salrii) verstanden werden? Freilich sollte man dann
S. Vincenzi statt S. Vincents erwarten. aber man kann in Vincenti, da
es sich hier ja um einen Heiligennamen handelt, wohl eine halbgelehrte
Wortiorm erblicken. Worte, welche der kirchlichen Sphäre angehören,
entziehen sich ja vielfach der regelmässigen Lautentwickelung.
2) Der Gedanke liegt nahe, derartige Namen für ursprüngliche
Locative zu haben (Brindisi = Brundisii), aber Brindisii, Assisii, Spoletii
hätten Brindisci, Assisci, Spolezi ergeben müssen, vgl. Bianchi, Arch.
gott. IX 379.
3) Sie finden sich besonders in den Mundarten vun Siena, Pisa und
Livorno, vgl. Hirsch, Ztschrft. f. rom. Phil. IX 531. Vgl. auch Bianchi,
Arch. giott. IX 383.
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 219
kam, so lauteten — nach Abfall der Endconsonanten -s u. -m u.
nach Zusammenziehung von is (im Nom. u. Acc. Sg.), te (im Voc.
Se.) u. # (im Gen. Sg., Nom. Voc. Dat. u. Abl. Pl.) in langes ? —
sämtliche Casus der Nomina auf -arius u. -arium entweder auf -i
oder auf -o aus, nämlich einerseits z. B.:
Nom. Sg. argentariu/s] > argentari, Gen. Sg. argentarü >
argentari, Acc. Sg. argentariu[m] > argentari, Voc. Sg. argentarie
> argentari, Nom. Voc. Pl. argentarii > argentari, Dat. Abl. argen-
taru[s] > argentari,
Andererseits z. B.:
Dat. Abl. Sg. argentario, Acc. Pl. argentariö/s]').
Es wurde also die Declination z. B. von argentarius auf zwei
Formen herabgemindert: argentar: und argentario, von denen die
erste (nach No. 2) zu argentaeri, die zweite (nach No. 3) zu argen-
tarjo sich entwickelte.
5. Sowohl argentari als auch argentario war seiner Entstehung
aus verschiedenen Casus gemäss ursprünglich eine mehrfacher Function
fäbige Casusform (argentari Nom. Acc. Voc. Gen. Sg., Nom. Voc. Dat.
Abl. PL; argentario Dat. Ab]. Sg., Acc. PL). Die innere Entwickelung
der Sprache bedingte es, dass diese Functionsmehrheit vereinfacht,
dass jede der beiden Casusformen auf je eine Casusfunction be-
schränkt wurde. Zunächst dürfte der Sprachgebrauch dahin sich
entwickelt haben, dass argentaeri = argentieri als Nominativ Sg.
und Pl., argentarjo = argentajo als Accusativ ebenfalls Sg. und PI.
fungierte. Aber auch dieser Zustand war nicht haltbar: erstlich,
weil die beiden Casusformen (argentieri und argentajo) in der Laut-
beschaffenheit ihrer Endungen zu verschieden waren, und sodann
weil der Verlauf der Sprachentwickelung auf Festsetzung nur
einer Casusform innerhalb eines jeden Numerus (z. B. Sg. muro,
PL muri, Sg. forte, Pl. forti) lhindrängte. Infolge dessen wurden
argentieri und argentajo nicht mehr als zusammengehörige Casus
eines Substantivs, sondern als zwei gesonderte Substantiva, als zwei
Ableitungen aus demselben Wortstamme empfunden. So rückte nun
einerseits argentajo in die Function auch des Nominativs ein, indessen
nur für den Sing., da der Ausgang -o den Wert einer masculinen
Singularendung erlangt hatte (muro), als Pluralform wurde zu
argeniajo ein argentaji, argentai auf analogischem Wege neu gebildet.
Andrerseits wurde argentieri, obwohl es (namentlich in bestimmten
Mundarten) noch geraume Zeit auch als Singularform sich belıauptete,
doch wegen seiner Endung -i, welche es mit muri, forti etc. in
1) Der Accus. Pl. gehört indessen wohl richtiger zur ersten, d. h.
zur -äri-Gruppe, denn argentariös musste *argentariôis ergeben (s. unten
Nr. 6) und daraus *argentarioi/[s], endlich, weil ot — ti, *argentarii,
argentari sich entwickeln, vgl. argentärias > urgentaje (8. unten B 4).
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 221
8. Wie im italischen, so gestaltete sich auch im gallischen
Volkslatein -ari (aus ariu/s/, -ariu/m/ zu -aeri u. weiterhin zu -teri,
also z. B. primariu/s], -[m], > primaeri > premieri!). Daraus hätte
nach der Eigenart der französischen Lautentwickelung *premieir u.
endlich *premir entstehen müssen. Dies Letztere (*premieir >
*premer) ist indessen nicht geschehen (oder doch nur mundartlich
geschehen) u. zwar aus folgendem Grunde. Das Suftix-ar/i]s -ar/em]
wurde im Frz. regelrecht zu -ers, -er?). So standen nebeneinander
Nomina auf (-ieri. bezw. -ieir), -ieir (z. B. premieir) und solche auf
-er (z. B. sengler = singularem). Die zwischen beiden Wortgruppen
bestehende Verwandtschaft der begrifflichen Function sowie die Laut-
ähnlichkeit der beiderseitigen Ausgänge (-teir u. -er) gaben Anlass,
dass diese letzteren sich gegenseitig beeinflussten. Dies geschah in
zweifacher Richtung, indem erstlich für -teir als Accusativausgang
ser eintrat und indem sodann dieses -ier allmählich das alte -er
(= -Grem) verdrängte. Der zweite Vorgang, kraft dessen z. B.
bacheler mit bachelier, sengler mit sanglier (gleichsam * singularius)
vertauscht wurde, interessiert uns hier nicht weiter. Dagegen muss
auf den ersten etwas genauer eingegangen werden?).
Kennzeichnend ist, wie bekannt, für das Altfranzösische (und
ebenso für das Altprovenzalische) das Streben nach formaler Unter-
scheidung zwischen Casus rectus u. Casus obliquus. (z. B. Sg. Cas.
r. murs. Cas. obl. mur, Pl. Cas. r. mur, Cas. obl. murs) Zu einem
Teile waren die erforderlichen Scheideformen aus dem Lateinischen
ererbt worden. Zu einem anderen Teile aber musste die Scheidung
neu vollzogen werden, nämlich überall da, wo der lat. Nom. u. Acc.
lautlich zusammengefallen waren, oder wo der Nom. überhaupt ge-
schwunden war u. nur der Accus. (bezw. der Wortstamm) noch
fortlebte (wie z. B. bei den Stämmen auf -ni, wie mont-, amant- etc.).
Die Nomina anf -aris nun traten mit Nom. und Acc. Sg.
in das Französische ein, denn z. B. singwWarj/i/s > senglers und
singular/em] > sengler. Die Nomina auf -arius dagegen brachten
für Nom. und Acc. nur eine Form mit, denn z. B. prumarius
und primarium waren bereits im Lateinischen im primaeri
zusammengefallen, und folglich war das daraus hervorgegangene
® premier, *premieir zugleich Nominativ (und zwar selbstverständlich
ein s-loser) und Accusativ. Um nun die Doppelung der Casus herzu-
Er
1) Den Wandel des à zu e in der ersten Silbe haben wir hier nicht
zu erklären.
?) Die Entwickelung von -äris zu äri/s] is. oben No. 7) war eben
auf das Ital. beschränkt.
3) Man wolle beachten, dass ich im folgenden zunächst eben
Bianchi's Anschauung zum Ausdruck bringen will, nicht meine eigene,
diese letztere wird erst auf S. 222 vorgetragen.
Die Entwickelung des Suffires -arius im Französischen. 223
so scheint mir, das nachtonige ? spurlos schwinden, denn wie hätte
es Palatalisierung das r in solcher Stellung bewirken können. Es
gestaltete sich also premieri zu premier (vgl. heri > hier, und nicht
> *kier > *hir)!). Da nun aber die zweite Entwickelung ungleich
häufiger war, als die erste — deun die grosse Mehrzahl der frz.
Nomina besitzt consonantischen Anlaut —, so war premier die weit
üblichere und wurde infolgedessen die alleinherrschende Form).
Auf empire < impéri (= imperiu[m], maislire = magislerium
and avollire < *abulieri (adulteriu]m]) darf man sich nicht berufen).
In diesen hat allerdings -eri > ieri > teir > ir sich entwickelt,
aber die Thatsache, dass sie auf -e und nicht auf -r auslauten
(empire, nicht *empir), lehrt, dass hier eine etwas andere Entwickelung
stattgefunden haben muss, als bei *premieri. Vermutlich stand neben
volkstümlichem *empieri, das zu *empir hätte werden müssen (vgl.
ministerium > mestir), ein halbgelehrtes *empierio (d. h. Verquickung
von *empieri mit imperiu/m/}), welches, da (eben des halbgelehrten
Charakters des Wortes wegen) das auslautende o als e sich erhielt,
zu *empieire, empire sich gestalten konnte).
Nach meiner Annahme ist also premier aus *premieri
(= *primaeri) durch Abfall des nachtonigen à (zunächst vor nach-
folgendem consonantischen Anlaut) entstanden. Ich werde weiter
unten noch einmal auf die Frage zurückkommen u. dann auch noch
eine andere Möglichkeit erörtern (s. auch die Anm. ?) auf dieser
Seite).
Ein Nebenumstand ist hier zu erörtern, damit aus ihm nicht
etwa ein Einwand nicht nur gegen meine, sondern auch gegen Ascoli’s
und Bianchi’s Theorie abgeleitet werde.
Bekanntlich wird lat. c vor a zu ch palatalisiert, vor hellem
Vocale (e, i) dagegen zu ç assibiliert. Demnach sollte man erwarten,
dass z. B. ein lat. *vaccaeri = *vaccarius (v. vacca) sich im Frz. als
1) In mestir und mestier — mifnifstérium sind beide Gestaltungen
erhalten: mestir ist — *mestieir (aus — mestieri = mestier), das in der
Verbindung mit nachfolgendem est häufig gebraucht wurde), mestier ist
= mestier[i] mit abgefallenem auslautenden «.
?) Ueberhaupt scheint auslautendes nachtoniges z im Frz. früh ge-
schwunden zu sein, da sich (abgesehen von dem eigenartigen tuit, viell.
auch is — *fesi und vin -s -— veni) keine Spur von einer Einwirkung
desselben auf den Hochtonvocal zeigt.
”, Die Worte griechischen Ursprungs monastire, cimetire und
battistire lasse ich absichtlich bei Seite, da die Erürterung der Frage,
von welchem Lautwerte des griech. > (noranı jeıor etc.) auszugehen sei,
mich zu weit führen würde.
*) Man beachte, dass auch die zweifellos gelehrten Worte. wie
bastiaire, lapidaire, auf e und nicht auf r auslauten.
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Französischen. 225
feminine Gegenstück zu dem masculinen -ajo darzustellen, trat auch
sei es statt sei es für -aira aus -arla (s. No. 1) ein u. wurde —
da auch -ari aus -äriae (s. No. 3) sich nicht zu halten vermochte —
zar Femininform des Sg. schlechthin, erhielt aber freilich eine Mit-
bewerberin in der (neben -ieri, bezw. -iero u. -iere tretende) Analogie-
bildung era.
Gegen diese Annahme Bianchi’s ist zu bemerken, dass wohl
besser -aja einfach als Analogiebildung zu -æo aufzufassen sein
därfte, denn dass ein aus dem Abl. -aria hervorgegangenes -aja alle
übrigen Singularformen zu beseitigen vermocht habe, ist nicht eben
sehr glaublich!).
3. Der Ausgang -ariae (Gen. Dat. Sg., Nom. Voc. Pl.) musste
(nach Bianchi’s Annahme) im Ital. -ari ergeben, vgl. die Ortsnamen
Atri < Atriae, Anagni < Anagniae, Capri < Capreae, Mandri <
Mandriae u. a. m. (Firenze ist = Florentias), es würde also -ari
aus -Griae zusammengefallen sein mit -ari- aus -ari?/s] (Dat. Abl. PI.)
Es ist leicht begreiflich, dass der Ausgaug -ari, der für den Pl. Masc.
(Nom.) kennzeichnend war, sich nicht zu behaupten vermochte, es
trat dafür im Nom. Pl. das accusativische -aje (s. No. 4) ein.
4. Der Ausgang -ärläs musste im Ital. (nach A 6) -arläts,
äriai/s] und endlich, da ai zu e monophthongiert wurde, -aje ergeben.
Dieser, ursprünglich nur accusativische, Ausgang trat dann auch für
das nominativische -ari (s. No. 3) ein, ein Vorgang, der durch den
Umstand befördert werden musste, dass der Ausgang -ae überall
da, wo nicht (wie in arlae) ein ! ihm voranstand, zu e sich ent-
wickelte (rosae > rose).
5. So ergaben sich im Ital. für den Sing. Fem. der Ausgang
Ja, für den Plur. Fem. der Ausgang -aje; diesem traten zur Seite
die Analogiebildungen -tera (Pl. -iere) und -ara (Pl. -are).
6. Im Französischen musste der Ausgang -Aarla ebenfalls, wie im
Ital., (-aira), dann -aire (woraus in der Aussprache -ere init offenem e
in der ersten Silbe) ergeben, vgl. area > aire. Im Fem. Sg. ist
diese Gestaltung des Suftixes durch die Analogiebildung auf -iere
verdrängt worden (s. No. 7), behauptet hat sich nur vaire > varia,
wozu dann das Masc. vair (statt *vier) neu gebildet wurde. (Oder
soll man vatr, vaire = *varum, *vara ansetzen? Aber dann müsste
man im Altfrz. die Schreibung ver, vere erwarten, vgl. cler, -e,
= darum, -a). Dagegen hat sie sich in einzelnen neutralen Pluralen
erhalten: parla > paire (pair ist = par), dotaria > douaire, sudarla
> suaire, luminaria > luminaire, (laraire > lararium ist selbst-
1) Allerdings ist aja aus area beachtenswert, da bei ihm (weil ein
entspr. Masc. fehlt) Entstehung durch Analugie ausgeschlossen ist.
Ztschr. 1. frz. Spr. u. Litt. XVII. 15
Die Entwickelung des Suffixes -arius im Fransüsischen. 227
meine eigene Auffassung der Sache im Zusammenhange darzulegen.
Ich werde dies auf wenigen Seiten thun können, da ich zu einem
guten Teile mich einfach auf das berufen darf, was ich im Verlaufe
dieser Untersuchung bereits gesagt habe.
Die Wortausgänge -ari/s] u. -ariu/s] stehen im Latein seit
den ältesten Zeiten neben einander u. berühren einander nahe in
ihrer beiderseitigen Bedeutungsfunction!), gleichwohl scheint ein
unmittelbares Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihnen nicht obzu-
walten. Denn weder die (von Ritschl vertretene) Annahme, dass
ris aus -arius gekürzt sei, noch diejenige, dass umgekehrt in
-eriss eine Erweiterung von -aris vorliege, lässt sich irgendwie er-
weisen, es hat vielmehr jede von beiden die gewichtigsten (Gründe
gegen sich. Die Beziehung von -arius zu -äris dürfte eine nur
mittelbare sein. Das Suflix -ari ist durch Dissimilation aus -ali
(talis, qualis, aequalis liberalis etc. etc.) dann entstanden, „wenn im
Worte schon ein } vorhanden war“ (Brugmann, Grundriss ITS. 275),
x. B. alaris, palmaris, militaris, lunaris etc. etc. Die Neutra der-
artiger Adjective traten zum Teil in substantivische Function ein,
z. B. columbar{e}, altare, exemplar/e] etc. Indem nun von diesen
Substantiven mittels des Suffixes -%0 (vgl. Brugmann a. a. O. I
p. 115, besonders p. 118 unten) wieder Adjectiva abgeleitet wurden
(z B. columbarius, eremplärius)?), so ergab sich der Wortausgang
-ariu/s/), welcher also aus zwei Bestandteilen (-ar/i] fio) sich zu-
sammensetzt und folglich als ein secundäres Doppelsuffix bezeichnet
werden darf?).
Die Lautbeschaffenheit dieses Wortausganges gab die Ver-
anlassung, dass er zu einer weit über die ursprünglich gegebene
Möglichkeit hinausgehenden Verwendung gelangte. Durch das hoch-
tonige a u das darauf folgende r nämlich wurde -arius in lautliche
Verbindung mit den Verben auf -are gebracht, u. eben dieser Um-
stand liess -@rius als besonders geeignet erscheinen zur Ableitung
einerseits von Adjectiven, welche die Beziehung zu einer Handlung
ausdrücken (man vgl. z. B. auxiliari u. auxiliarius, honorare u.
honorarius), andrerseits von Substantiven zur Angabe der Person,
des Werkzeuges oder des Raumes, von welcher, durch welches oder
in welchem eine Thätigkeit vollzogen wird, (vgl. z. B. aurare ver-
1) Wie sich das umbrisch-oskische -äsius zu lat. -ärius verhält
(vgl. osk. sakrasias mit lat. sacrariae), darf hier dahingestellt bleiben.
Stolz (Histor. Gr. d. lat. Spr. I 280) ist geneigt, zwei von Haus aus
verschiedene Suffixe, -ärio und -äsio (aus *ässio) anzunehmen, und dagegen
lässt sich mindestens ein zwingender Gegengrund nicht vorbringen.
?) Die Schriftsprache kennt (oder vielmehr braucht) von eremplarius
allerdings nur das substantivierte Neutrum.
3 Vgl. auch Gröber, Arch. f. lat. Lex. I 225.
10*
Die Emtwickelung des Suffixes -arius im Franeüsischen. 229
(od. #) + à + Voc.“ ein romanisches „Hochtonvocal (+ à) + palat. 7
(oder palat. #) + Voc.“ entspricht oder doch zu entsprechen scheint, so
muss man erwarten, dass dem lat. „Hochtonvocal + r + à + Vocal“
ein romanisches „Hochtonvocal (+ à) + palat. r (= ry) + Vocal“ ent-
spreche, also dem lat. -ario, -aria ein roman. -aryo (bezw. -ary, airy)
und -arya (bezw. -arye) gegenüberstehe. Diese Erwartung bleibt
aber nahezu unerfüllt, denn palatales r erscheint überhaupt nur
im Rumänischen und auch da nur mundartlich. Man muss daraus
schliessen, dass die romanischen Sprachen gegen palat. r (ry) von
vornherein eine entschiedene Abneigung besassen, vermöge deren
dieser Laut entweder überhaupt nicht zur Entwickelung gelangte
oder doch, wo dies geschah — (und geschehen ist es jedenfalls
mehrfach, auch ausserhalb des Rumänischen) —, frühzeitig wieder
entpalatalisiert wurde. Das kann auffällig erscheinen in Anbetracht
dessen, dass palatales ? und n# einen so breiten, über das ganze
romanische Gebiet sich erstreckenden Raum gewaunen. Die Sache
dürfte sich indessen daraus erklären, dass lat. r als entschiedenes
Zungen-r (vgl. Seelmann a. a. O. p. 307, wo es als ,Knarrton“
bezeichnet wird) der Palatalisierung eigenartige Schwierigkeiten
entgegenstellte.
Wenn aber die Palatalisierung des r in -ario, -aria nicht er-
folgte, so war entweder Verhärtung des nachtonigen Hiatus-? zu
consonantischem j (das sich dann weiter zu palatalem g entwickeln
konnte) oder aber Attraction des à in die Vorsilbe (primario, -a >
primairo, -a) möglich.
Die Verdichtung des à zu 5 liegt vor im ital. (*-arjo >) -ayo.
Der hier erfolgte Schwund des r deutet auf die Abneignng der
Sprache gegen die Verbindung des r mit einem Palatallaute hin. Da
non im Ital. -ajo das (doch wohl häufiger gebrauchte) -iere (-ieri) neben
sich hat und da die übrigen romanischen Sprachen nichts Ent-
sprechendes darbieten (es fehlt z. B. ein frz. *premarge und ein
span. -arje)!), so muss daraus gefolgert werden, dass ital. -ajo seine '
Entstehung einer Lautbedingung verdankt, welche eben nur in der
dem Ital. zu Grunde liegenden Gestaltung des Volkslateins erfüllt
wurde: der Bedingung nämlich, dass ein dem 3 nachfolgender langer
Vocal (0) seine Quantität bis in späte Zeit bewahrte, wodurch das ?
vor der Attraction geschützt und ihm die Möglichkeit zur Verdichtung
in 7 gewährt wurde. Man darf demnach der Annahme Ascoli’s und
Bianchi’s, dass -ajo aus ario hervorgegangen sei, beistimmen.
Wenn andrerseits -ario durch Attraction zu -airo ward, so
musste daraus, indem das à auf a umlautend einwirkte, ein -eiro
1) Frz. cierge und serorge künnen ihrer Vereinzelung wegen hierbei
nicht in Betracht kommen.
Die Entwickelung des Suffizes -arius im Französischen. 231
auf -0, -a angezogen werden mussten (vgl. tristo f. triste), als um-
gekehrt. Und sodann steht neben -iere das Fem. -iera, dass doch
sicht gebildet worden wäre, wenn man -iere zu den eingeschlechtigen
Adj. auf -e hätte hinüberführen wollen. Selbst aber dann, wenn
man über diese beiden Bedenken sich hinwegsetzen zu dürfen glaubt,
bleibt immer noch das - in -iers zu erklären übrig —, wie aber
will man das erklären?
Als Auskunftsmittel ist in dieser schwierigen Lage in Vorschlag
gebracht worden, die ital. Nomina auf ere für Entlehnungen aus
dem Französischen, beziehentlich für Neubildungen nach französischem
Muster zu erklären. Diese mehr als kühne Hypothese ist schon aus
sachlichem Grunde einfach unannehmbar. Denn unter der grossen
Masse der ital. Nomina auf -iere befindet sich eine stattliche Zahl
solcher, deren Bedeutung es verbietet, sie für entlehnt zu erachten,
so z. B. pensiero (vgl. oben S. 203, vgl. auch Ascoli, Arch. glott.
XIII 463). Überdies sprechen sprachliche Gründe dagegen. Erstlich:
hätten die Italiener das frz. Suftix -ier sich entlehnt, warum gaben
sie ihm nicht die Endung -0, was doch sicherlich (schon wegen -4jo)
am nächsten lag? Und ferner: warum heisst es da z. B. cavaliere
(mit dem ganz unfranzösischen Anlaute ca) und nicht *cevaliere
oder vielmehr *cevaliero? Endlich: wie erklärt sich die Endung -ieri?
Es kann also ital. -tere, -ieri weder aus -airo abgeleitet noch
auch als Gallicismus betrachtet werden.
Nun wäre es freilich möglich, für das ital. -zere, -ieri irgend
welche andere Erklärung zu suchen, für das frz. (und prov.) -ier
dagegen bei der Annahme von -air/o/ zu verbleiben. Indessen
glauben zu sollen, dass jede der beiden Sprachen auf verschiedenem
Wege zu demselben Ergebnisse gelangt sei, das heisst, uns, zwar
nicht etwas Widersinniges, aber doch etwas Schweres zumuten.
Wenn daher eine für das Italienische und Französische (Prov.)
gleich ausreichende Erklärung geboten werden kann, so wird sie
mit Dank entgegenzunehmen sein, falls sie nur mit den Grundsätzen
methodischer Sprachwissenschaft nicht unvereinbar ist.
Eine derartige Erklärung scheint mir nun in der That von
Ascoli und Bianchi gegeben worden zu sein. Freilich hat die An-
nahme, dass primariu/s] und primariu/m/ zu *primärti zusammen-
gezogen worden und daraus dann durch Umlaut *primaeri,
endlich durch Diphthongierang das ae (= off. e) “*primieri ent-
standen sei, diese Annahme also hat zunächst etwas sehr Be-
fremdliches an sich und mag leicht als ein abenteuerliches
Phantasiegebilde erscheinen. Nichtsdestoweniger aber ist sie,
wie oben (S. 216f.) gezeigt wurde, zur genüge gestützt und vermag
kritischer Prüfung Stand zu halten. Freilich ein Bedenken lässt
sich nicht gänzlich beseitigen: wenn *primari > *primaeri wurde,
Die Entwickelung des Suffires -arius im Franeösischen. 233
vor. Aus “*primieri konnte, nach gewöhnlicher Annahme, nur
premieir (dazu das im Prov. vorhandene Fem. premieira), premir
entstehen. Aber ist diese Annahme notwendig? hier aus here spricht
dagegen (vgl. auch fragendes u. also betontes où aus wbi), cuir und
dortoir (lt. corium u. dormilorium) sprechen nicht unbedingt dafür.
Man bedenke auch Folgendes: ein urfranzösisches *premieri war
zugleich (weil — primarius u. primarium) Casus rectus u. Casus
obliquus. Nun aber strebte das Frz. naclı formaler Unterscheidung
beider Casus. Wenn dies auch, wie man zu glauben nicht umhin
kann, bei *premieri der Fall war, so muss bereits sehr früh, d. h.
als das auslautende i noch lebendig war, ein Cas. rect. *premieri-s
gebildet worden sein. Daraus konnte nur premiers entstehen. Nach
dem Muster von premiers aber musste auch das als Cas. obl. ge-
brauchte *premieri, aus dem sonst allerdings (mindestens vor Vocal)
*premieir, *premir hätte entstehen müssen (mundartlich auch wirk-
lich entstanden ist), zu premier sich gestalten. Als Casus rectus war
*premieri jedenfalls eine so abnorme Form, dass sie so rasch, als
möglich, irgendwie beseitigt werden musste, bevor noch das aus-
lautende epenthetisch in die Vorsilbe eintrat. Das Französische
(u. bereits das nordgallische Volkslatein) war von vornherein eine
nach Gleichförmigkeit innerhalb der einzelnen Wort- u. Wortformen-
grappen trachtende Sprache: eine solche konnte einen Casus rectus
*premieri nicht lange ertragen. Es wurde also in der Function
des Cas. rect. *premieri mit analogischem Nominativ -s versehen,
noch ehe es (in Hiatusstellung) zu *premierj geworden war, woraus
*premieir hätte werden müssen, mundartlich auch (nebst dem Fem.
premieira, -e) wirklich geworden ist.
Aber auch eine andere Erklärung von frz. premier scheint
mir statthaft zu sein.
Wir haben besten Grund zu der Annalıme, dass im gallischen
Volkslatein — sehr im Gegensatz zu dem (eigentlich) italischen
Volkslatein — auslautende lange Vocale sehr früh gekürzt wurden.
Wenn dem so war, so trat für (Dat. Abl.) primario ein *primario,
u. wie aus primäria durch Attraction *primaira, *premaire entstand
(vgl. varia > vaire), so aus primario *primairo, dann (indem nach
Analogie von muro > mur das auslautende o schwand) *primair,
daraus premer (mit off. e in der Tonsilbe), schliesslich premier, welche
Form dann auch auf den Cas. rect. übertragen worden ist. In der-
selben Weise würden etwa corio (v. cörium, woraus im Nom. u.
Acc. *cört) zu *coiro > cueirfo] > cuir u. dorfmijiorio (v. dor-
[miltörium'!), woraus im Nom. u. Acc. *dortori) > *dur/miJtoiro
1) Die Herleitung von cuir, (dortoir) aus dem Dat. Abl. cörıö
(dorfmiltôrio) kann befremden, da ja cuir im Frz. zunächst als Casus obl.,
Die Entwickelung des Suffixes -ürius im Franeösischen. 235
eine Form besitzen. Da nun der Ausgang -aire in vaire < varia
und paire < pariä, vielleicht auch in douaire und suaire (wenn <
dotäriä und sudäria) auf lat. -Griä beruht, so kann man versucht
sein, in conéräire etc. ursprüngliche Feminina (con/rariä etc.) zu
erblicken. Im Ernste wird man aber doch zu einer solchen Annahme
sich nimmermehr verstehen können. Es würde dabei ja ganz und
gar unbegreiflich sein, weshalb diese vermeintlichen Feminina in die
Function auch der Masculina (*confrier etc.) eingetreten seien.
Gemeinhin erklärt man die Adjectiva auf -atre als gelehrte
Worte. Das ist an sich auch ganz gewiss richtig: sie sind, verglichen
mit denen auf -ier, wirklich gelehrte Worte. Aber damit ist doch
die Endung -aire noch nicht erklärt, nicht erklärt, warum diese
Endung auch dem Masculinum zukommt, während man für dieses
doch *-air (z. B. *primair) erwarten müsste.
Ich erblicke in confraire, primaire ursprünglich adverbial
gebrauchte Ablative : (e) conträrio „im Gegenteil“, primario, erstlich“,
Ausdrücke, welche der Natur der Sache nach vornehmlich in gelehrter
und halbgelehrter (z. B. gerichtlicher, bureaukratischer, geistlicher)
Rede gebraucht wurden, aber doch von vornherein ihrer häufigen
Anwendung wegen eine gewisse Volkstümlichkeit erlangten und in-
folge dessen zu einem Teile auch volkstümliche Lautgestaltung
sanahmen. Darf man nun, wie zweiffellos, annehmen, dass das 0
des adverbialen Ablativs zu © sich kürzte — man erinnere sich des
kurzen o der Instrumentale #0d0 und c#o! —, so gelangt man zu
contrario und von da aus zu *confrairo, contraire, dessen aus-
lautendes e demnach die Fortsetzung des lat. o ist. Wäre das Wort
kein halbgelehrtes gewesen, so würde nun das e abgefallen sein,
aber eben durch den halbgelehrten Charakter des Wortes wurde es
erhalten. Aehnlich verhält es sich ja auch mit dem ausl. e in
empire, vielleicht auch mit dem in suwaire und douaire (s. oben
S. 226 Anm. 2).
Auf diese Weise!) also glaube ich contraire und primaire
erklären zu können und nehme an, dass nach Analogie des ersten
1) Eine andere Erklärung giebt Clédat ı Revue de philologie frçse
e prov. III 23). Nach ihm sind contraire uud douaire, suuire später in
das Frz. eingetreten, als vair, besassen infolge dessen zur Zeit, als die
Urthographie sich festigte, noch ihr (im ursprünglichen Vorausgehen eines
palaten r, z. B. contraryo) begründetes Stütz-e und behielten es dann bei.
Aber das ist doch eine nur, um so zu sagen, halbe Erklärung. Denn es
bleibt ganz unbegründet, weshalb diese Worte später, als vair, in die
Sprache eingetreten sein sollen. Uebrigens stösst eine solche Annahme
auf eine sprachgeschichtliche Schwierigkeit. Wenn zu einer be-
stimmten Zeit zunächst varius (in der Entwickelung vario > varyo >
satre > vair) und dann so und so viele Jahre (oder Jahrzehnte oder auch
Jahrhunderte) später contrursus aus dem Latein in das Frz. eintrat. 80
Friedrich Diez‘).
Amtliche Schriftstücke des Kgl. Ministeriums der geistlichen, Unterrichts-
und Medizinal-Angelegenheiten in Berlin (M),
des Kgl. Universitäts-Curatoriums (X),
und der philosophischen Fakultät (F'), der Universität Bonn.
(K) I.
Hochwohlgeborner Herr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Regierungsrath!
Ich halte mich in doppelter Hinsicht verpflichtet, bey der Er-
ledigung der Lehrerstelle für die südlichen Litteraturen und Sprachen
bey der hiesigen Universität, Ew. Hochwohlgeboren auf einen jungen
Mann aufmerksam zu machen, der zu einem solchen Posten mir in
seltenem Grade qualificirt zu seyn scheint, und ausschliessend dazu
sich vorzubereiten gesucht hat. Er heisst Friedrich Diez, ist
aus Giesen, und hält sich auch gegenwärtig dort, bey seinem Vater,
auf. Es sind jetzt 6—7 Jahre, dass er in Giesen ausstudirt hatte.
Nachher machte er einen Feldzug mit, setzte darauf in Göttingen,
ohne Collegia zu besuchen, seine Studien über ein Jahr lang fort,
brachte eine kurze Zeit in Darmstadt zu, wo er einige Hoffnung erhalten
hatte, bey der Bibliothek angestellt zu werden, nahm später eine
Hauslehrerstelle in Utrecht an, und gab sie wieder auf, weil seine
Gesundheit, besonders seine Augen gelitten hatten. In diesem Augen-
blick ist er um eine passende Anstellung verlegen, indem seine
Bildung und die Art seine[r] Kenntnisse ihn auf eine kleine Anzalıl,
woraus ihm eine zufallen müsste, wenn er nicht seine begeisterte
Vorliebe für die neueren Sprachen und ihre Poesie aufgeben soll,
beschränken. Er ist übrigens auch in den alten Sprachen wohl-
1) Vergl. wegen der hier vorkommenden Personen und Verhältnisse:
‚Freundesbriefe von Friedrich Diez“ ihgg. von W. Foerster), Bonn 1894.
und „Friedrich Diez“, Festrede, gehalten zur Feier des 100. Geburtstages
wo W. Foerster (Bonn 1894). — Was ich sonst noch von dem Brief-
wechsel Diezens habe sammeln können, wird unmittelbar im Druck folgen.
Friedrich Diez. 239
auszuschliessen befohlen hat, 80 bin ich beauftragt worden, einen
tächtigen Mann für die italienische, spanische und portugiesische
Sprache u. Litteratur in Antrag zu bringen.
Eine Wohllöbliche philosophische Facultät ersuche ich daher,
um baldgefällige Aufstellung Ihrer Vorschläge zur Wiederbesetzung
dieser Lehrfächer.
Bonn, den 6. August 1821.
Der Königl. ausserordentliche Regierungs-Bevollmächtigte
Rehfues.
An
die Wohllöbliche philosophische
Facultät hier.
No. 1561.
No. 2.
Meine hochzuverehrende Amtsgenossen belieben aus beiliegendem
Schreiben des Herrn Reg.-Bevollmächtigten zu ersehen, dass die
phil. Fac. aufgefodert wird, Vorschläge zur Besetzung der durch
die Entfernung des H. Prof. Freudenfeld von seinem hiessigen Lehr-
amt vacant werdenden Lehrstelle der italienischen, spanischen und
portugiesischen Sprache zu machen.
Da an möglichst schneller Besetzung dieser Stelle gelegen ist,
so bitte ich meine Hochverehrtesten Herrn Amtsgenossen, welche
einen tüchtigen Mann vorzuschlagen wissen, denselben möglichst
bald in Vorschlag zu bringen.
Bonn, den 10. Aug. 1821. Diesterweg.
Der Auffoderung unseres verehrten Herrn Decans bin ich zu
entsprechen im Stande, indem ich die Ehre haben werde, der Facultät
einen Mann für die bezeichneten Sprachen zu nennen, der die Er-
fordernisse, um zum Lehrer derselben auf einer Universität angestellt
zu werden, mir in so vorzüglichem Grade zu besitzen scheint, dass
ich die hochgeehrtesten Herrn Collegen gehorsanıst ersuchen will, selbst
dann, wenn sie etwa einen anderen vorzuschlagen wissen, doch auch
jenen ja nicht unberücksichtigt zu lassen. Er heisst Friedrich
Diez, ist aus Giessen gebürtig, und hält sich dort gegenwärtig
wieder auf, bey seinem Vater dem Commiss.-Rath Diez. Ein heftiges
Augenübel nöthigte ihn vor mehr als einem Jahre eine Hauslehrer-
stelle in Utrecht aufzugeben. Vorher hatte er sich einige Zeit in
Darmstadt aufgehalten, um bey der Hofbibliothek daselbst beschäftigt
zu werden. Ein Jahr lebte er in Göttingen, während der Zeit als
ich dort war, seinem Lieblingsstudium. der Litteratur der südlichen
Sprachen, indem er, ohne Collegia zu besuchen, die Bibliothek auf
das fleississte benutzte. Studirt hat er 3—4 Jahre lang in Giessen,
indem er sich nur kurze Zeit mit Jurisprudenz befasste, übrigens
Friedrich Diez. 241
der von Herrn Professor Welcker empfohlene Herr Diez aus Giesen,
Beweise gegeben habe oder geben könne, dass er tüchtige grammatische
Kenrtniss und gehörige Fertigkeit im Schreiben und Sprechen dieser
Sprachen besitze, um Solchen, die Beides von ihm lernen wollen,
darin ganz Genüge leisten zu können. Da Herr Diez niemals selbst
in Italien gewesen ist, und die fraglichen lebenden Sprachen sich blos
aus Büchern bekannt gemacht hat: so muss [man] wenigstens zweifeln
dürfen, ob die Universität einen eigentlichen Maitre dieser Sprachen
in ihm erhalten werde, und ob nicht die durch den Abgang von
p. Freudenfeld erledigte Stelle abermals in Gefahr kommen könne,
durch die Anstellung des Empfohlenen einen ihr selbst fremden,
dem Zweck aber wenig gedeihlichen Charakter anzunehmen. Ich
wünsche, dass diese Zweifel zu heben seyn mögen: bis dies ge-
schehen seyn wird, kann ich für die unbedingte Empfehlung des
Herrn Diez mich nicht erklären und muss bitten, dem Herrn
Regierungsbevollmächtigten am Schluss des diesfälligen Facultäts-
berichts die hier von mir geäusserte Ansicht wörtlich vorzulegen.
Heinrich.
Die Zuschrift des Herrn Reg.-Bevollmächtigten spricht aus-
drücklich auch von der italiänischen, spanischen und portugiesischen
Literatur, und ich sehe also das, was mein Herr Vorgänger vermisst,
nämlich eine in Italien selbst erworbene Bekanntschaft mit der
Sprache dieses Landes, keineswegs als so bedeutend an, dass ich
mich dadurch abgehalten fände, der Äusserung des Herrn Professors
Delbrück beizutreten. Der Zweck derjenigen, die auf deutschen
Universitäten italiänisch erlernen ist doch zumeist auf Bekanntschaft
mit der italiänischen Literatur gerichtet. Und selbst von einem
Italiäner wird man in Deutschland die Sprache nicht so erlernen,
dass man beim Eintritt in Italien nicht als Fremder sollte erkannt
werden. Münchow.
Ich weiss niemand vorzuschlagen und scheint mir der Vor-
schlag des Herrn Collegen Welcker sehr der Berücksichtigung werth.
Näke.
Wie die Herrn Collegen Delbrück, Hüllmann, v. Münchow
und Naeke. Es soll allerdings ein Lehrer der südlichen Litteratur
zugleich in der Person eines Lectors angestellt werden, wie aus
dem hohen Ministerialrescript erhellt. . . .1) Windischmann.
Es scheint mir der Vorschlag des Herrn Prof. Welcker ganz
annehmend und erwünscht zu seyn. Wir bedürfen allerdings einen
wissenschaftlich gebildeten Mann zum Lehrer dieser Sprachen. Ob
—
1) Die hier und weiter unten ausgelassenen, mit Punkten be-
zeichneten Stellen haben mit Diez in keiner Weise etwas zu schaffen.
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII!. 16
Friedrich Diez. 243
mischen Studien beendigt hatte, sich zum Theil in Darmstadt, noch-
mals über ein Jahr in Göttingen, um die dortige Bibliothek zu be-
nutzen, später als Hauslehrer in Utrecht aufgehalten, und lebt
gegenwärtig wieder in Giessen. [Wir wollen nicht übergehen,
dass es einem Mitgliede der Fakultät wünschenswerth geschienen
hat, dass Herr Diez die Sprachen, die er lehren soll, in Italien und
der Pyrenäischen Halbinsel selbst erlernen und eine hinlängliche
Fertigkeit, sie zu sprechen und zu schreiben documentirt haben
möge. Bey der grossen Schwierigkeit, alle Wünsche und Fode-
rangen zugleich realisirt zu sehen, hat die Facultät ihren Antrag
durch diese Bemerkung zu beschränken, sich nicht gedrungen ge-
sehen]. Dem Charakter und Lebenswandel des Herrn Diez wird
das vortheilhafteste Zeugniss gegeben. Diesterweg.
(K) III.
Giessen d. 20. Aug. 1821.
Hochwohlgeborener,
Hochzuehrender Herr Geheime-Regierungsrath!
Wenn ich mir die Ehre nehme, Ew. Hochwohlgeboren um
eine Gefälligkeit zu bitten, so fürchte ich wenigstens nun nicht
mehr, als ein Ihnen völlig Unbekannter vor sie zu treten, da ich
überzeugt bin, dass mein verehrter Gönner und Freund, Herr Ober-
appellations-Gerichtsrath von Herff, falls er zu Darmstadt anwesend
war, und meinen Brief erhalten konnte, sein Urtheil über mich vor
Ihnen ausgesprochen, und Herr Prof. Welcker d.Ä. zu Bonn Ihnen
mein Gesuch hinsichtlich der Lehrstelle für süd-europäische Sprache
and Litteratur vorgetragen hat. Da ich weiss, dass Sie ernstes
wissenschaftliches Streben für diese wie für jede Richtung der ge-
lehrten Bildung neben geziemendem Betragen in der sittlichen wie
politischen Welt einzig berücksichtigen, so verfehle ich nicht, wegen
des Letztern mich auf das Urtheil des hiesigen Herrn Kanzlers
Arens zu berufen, von dem Ersteren aber erlauben Sie mir weniger
seine innere Entwicklung, als vielmehr einige äussere Schicksale
und Ergebnisse anzuführen.
Wie sehr es mich schon auf hiesigem Pädagog anzog, die
ersten Dichter des neuern Italiens nicht allein zu lesen, nein auch
in strenger Versform deutsch nachzubilden, das könnte mein damaliger
Leirer H. Prof. Welcker bezeugen, der mir u. A. Unterricht im
Italiänischen ertheilte. Nicht weniger fesselte mich, als ich 1811,
sechzehn Jahre alt, die hiesige Universität bezog, das Studium des
Spanischen und Portugiesischen: Versuche, einzelne Stellen aus
1) Der zwischen Klammern stehende Abschnitt wurde später ge-
strichen, indem der Votant. dessen Ideen hier wiedergegeben werden,
ein eigenes Separatvotum der Fakultätseingabe beigelegt hat.
16*
Friedrich Diez. 245
eine Erzieherstelle in Utrecht an, dieich nach fünfvierteljährigem Auf-
enthalt daselbst verliess, da ich eingesehen, wie nachtheilig Holland
auf meine Gesundheit wirkte. Beinah vollendet hatte ich dort meine
„Altenglischen und altschottischen Balladen aus Percys, W. Scott’s
und Jamiesons Sammlungen‘, welche um künftige Weinacht er-
scheinen können. Letztverfiossnen Winter gab ich endlich die
„Alspanischen Romanzen, besonders vom Cid und den Paladinen,
Berlin bei Reimer“ heraus mit einer Abhandlung über Entstehung
und Fortbildung dieser Dichtungsart, die ich nach äussern und be-
sonders innern Gründen gegen die Annahme neuerer Litteratoren
dem 14. und besonders 15. Jahrh. zu vindiciren suchte; Ihre Ansicht,
Hochgeehrtester Herr Geheime Regierungsrath, würde mir, da Sie
Spanien so umfassend geschildert haben, besonders auch in diesem
Panct äusserst schätzbar sein. Ferner habe ich das merkwürdige
Poema del Cid, das älteste Denkmal spanischer Poesie vorzüglich
auf A. W. v. Schlegels mündliche Ermunterung deutsch zu geben
versucht — eine Probe meiner Verfahrungsart dabei liefern die
Romanzen. Endlich habe ich ein grösseres Werk „über die Sprache
und Poesie der Troubadours‘‘ begonnen, dessen erster Band metrische
Uebersetzungen mit angehängten Originalen enthalten soll: denn
nar auf diesem Weg lassen sich, wie mir dünkt, Geisteswerke aus
alter Zeit und fremde Sprachen mit gehöriger Anschaulichkeit in
die Gegenwart einführen; der zweite Band soll die Grundlinien der
Grammatik, und sodann eine Darstellung des intellectuellen Lebens
der Länder enthalten, worin die Langue d’oc blühte, sammt einem
Abschnitt eigentlicher Litterärgeschichte. — Mehr dem Zufall
gehört die Entstehung einer Uebersetzung von Lord Byron’s „Siege
of Corinth‘“ die eben unter die Presse kommt. Ausserdem habe
ich für den Buchhändler Hendel zu Halle die Verdeutschung des
vierten Bandes von R. Mengs Werken übernommen.
Ew. Hochwohlgeboren werden gewiss nicht verkennen, dass,
wie zerstückt auch meine Arbeiten erscheinen, durch den Zwang
äusserer Umstände, ich es wenigstens ernstlich nahm mit dem
Stadium einer Litteratur, die wie sie äusserst eigenthümliche
Richtungen und Anlagen des Menschengeistes offenbart, schon um
desswillen auf einer Gesammtschule vorgetragen zu werden verdient,
wie auch die erleuchteten Einsichten der K. Preussischen Staats-
regierung erkannten, welche von dem Grundsatz wahrhafter Bildung
ausgehend alle Einseitigkeit verschmäht. Ich habe mich zu Giessen
als einer kleinern Universität, dem Lehramt noch nicht widmen
können, daher auch noch die Annahme der philosophischen Doctor-
Würde verschoben; da ich nun aber irgendwo als Lehrer auf-
zutreten wünschte, so bin ich hier um Promotion eingekommen, die,
wie man mich versichert, ohne Anstand binnen vierzehn Tagen er-
Friedrich Diez. 247
Letzteres darf ich mich vor Euer Excellenz auf das Urtheil so be-
deutender Männer berufen, wie des hiesigen Herrn Regierungs-Be-
vollmächtigten Arens, und des Hn. Geheimraths und Prälaten Schmidt
— ob und wie weit ferner das Erstere bei mir stattgefunden habe,
in der Hinsicht unterstehe ich mich, Ihrem mir durchaus verehrungs-
werthen Urtheil Einiges aus der Geschichte meines Studiums vor-
zulegen, und schmeichle mir, Sie werden mir das Zeugniss ertheilen,
dass, wie zerstückt auch meine Arbeiten durch äussere Verhältnisse
erscheinen, ich es wenigstens ernstlich nahm mit dem Studium
einer Litteratur, die so eigenthümliche Anlagen und Richtungen des
Menschengeistes offenbart.
Nachdem ich schon auf hiesigem Pädagog unter Anleitung
eines geschickten Lehrers die besten Dichter der Italiäner mit Vor-
liebe gelesen hatte, ergriff ich, als ich im Jahr 1811 die hiesige
Universität bezog, das Studium sowohl der italiänischen, wie
spanischen und portugiesischen Litteratur und Sprache mit doppeltem
Eifer: schon damals unternahm ich unter andern eine metrische
Uebersetzung von der Zusiade des Camæs, wovon einige Zeit-
schriften Proben enthalten; dabei versäumte ich keineswegs das
Stadium des classischen Alterthums, wozu ich im hiesigen philo-
logischen Seminarium Anleitung erhielt. Im Jahr 1814, nachdem
ich eine Zeitlang durch einen Feldzug nach Frankreich gestört
worden war, begann ich, Altdeutsch und Englisch zu studieren, da
ich mehr und mehr einsah, wie nur die Uebersicht aller Litteraturen
eine gründliche Beurtheilung einzelner möglich mache. Dem Um-
gang mit einem jungen Italiäner, dem Sohn des bekannten Archäo-
logen Zoega, den ich beinah drei Jahre lang in der deutschen
Sprache unterrichtete, verdanke ich es allein, dass ich geläufig
italiänisch reden lernte; ihn begleitete ich im October 1816 nach
Göttingen, wo unser Verhältniss fortbestand. Dort arbeitete ich
ausschliesslich für südliche Litteratur; in der Bibliothek sammelte
ich unter andern eine Reihe altspanischer Romanzen, welche
Dichtungsart in Deutschland so viel wie gar nicht bekannt war:
denn was Herder im Cid geleistet, das konnte doch nur Gelegen-
heit zu falscher Beurtheilung geben; ferner legte ich den Grund
zu einer neuen Geschichte der spanischen Litteratur, da ich längst
die unstatthaften Lücken bei Bouterwek und Sismondi erkannt
hatte. Im Sommer 1817, nach meiner Rückreise von Göttingen,
gab ich auf 4 Bogen eine ,, Probe altspanischer Romanzen. Frank-
fart.“ heraus, die günstiger beurtheilt wurden, als ich erwarten
konnte; ausserdem liess ich mehrere Recensionen über ähnliche
Werke in die Heid. Jahrbb. einrücken. Eine Beförderung an die
Hof-Bibliothek zu Darmstadt, zu welchem Zweck ich mich den
nächsten Herbst und Winter mit den semitischen Sprachen be-
248 W. Foerster,
schäftigen musste, entzog mich vor der Hand der Ausarbeitung der
Geschichte der span. Litt. Zu Anfang 1818 trat ich die Stelle zu
Darmstadt an; da mir aber die Aussicht auf Besoldung zu sehr ins
Ungewisse verschoben wurde, und da ich ferner die gar zu mecha-
nische Arbeit nicht wohl ertragen konnte, so kehrte ich im Nach-
sommer nach Giessen zurück, und studierte zuvörderst die
provenzalische Sprache nach dem neu erschienenen Werk: Choix des
poésies orig. des Troubadours par Raynouard, und den Observations
ete. par A. W. Schlegel; eine damals von mir eingegebene, aber
erst 1820 abgedruckte Anzeige beider Werke in den Heidelbb,
Jahrbb. zeugt wenigstens von dem Interesse, das ich an der Sache
nahm. Erst in der Folge studierte ich die Sprache und Poesie
der Troubadours genauer, und ein nächstens von mir erscheinendes
Buch „Ueber die Sprache und Dichtkunst der Provenzalen“ wird
meine Bemühungen dem Publicum vorlegen. Der erste Band soll
metrische Uebersetzungen enthalten mit angehängten Originalen;.
der zweite liefert die Grundlinien der Grammatik, eine Darstellung
des intellectuellen Lebens der Länder, worin die Langue d’Oe blühte,
und einen Abschnitt Litterärgeschichte, Aus dem Anfang des
Jahres 1819, eh ich als Erzieher nach Utrecht abging, rührt noch
eine Reihe von Recensionen her, in den Heid, und Jenaischen Litt.
Zeitungen, meist über Uebersetzungen des Ariosto, Tasso, Petrarca,
Calderon u. A. Da ich bald einsah, wie nachtheilig Holland auf
meine Gesundheit wirkte, so verliess ich es im September 1820
nach fünfvierteljährigem Aufenthalt, nachdem ich ein neues Buch:
„Altenglische und Altschottische Balladen“ zum Theil dort vollendet
hatte. Letztverflossnen Winter erschienen endlich meine „Alt-
spanischen Romanzen, besonders vom Cid etc.“ bei Reimer in Berlin
1821, mit einer Abhandlung über Ursprung und Fortbildung dieser
Dichtungsart. Sofort werde ich auch eine Verdentschung des merk-
würdigen Poema del Cid herausgeben, des ältesten Denkmals der
spanischen Sprache — vorzüglich auf A. W. v. Schlegels Ermunterung.
Mehr dem Zufall gehört die Entstehung einer Uebersetzung von Lord
Byron’s The Siege of Corinth, welche nächstens die Presse verlässt.
Mit einer längeren Darstellung meines wissenschaftlichen
Lebens durfte ich Euer Excellenz nicht aufhalten: Sie ersehen
ohnehin, wie ich, eine sichre äussre Lage entbehrend, mehr an-
zulegen und zu entwerfen, als auszuführen vermochte, Wollten
Euer Excellenz durch gnädige Mitwirkung meinem Streben mehr
Sicherheit und Befriedigung von Aussen verleihen, so würden Sie
mich stets zur lebendigsten Dankbarkeit verpflichten und meinen
Eifer nicht wenig beseelen, unter Ihrem Schutz der Geschichte der
neueren namentlich der südlichen Litteratur wie auch der Forschung
im Gebiet der betreffenden Sprachen fernerhin zu leben — einer
Friedrich Dies. 249
Wissenschaft, die durch die grossmüthige Unterstützung der er-
leuchteten Preussischen Staatsregierung neben den andern Zweigen
gelehrter Bildung fortblüht: denn was allein Berlin für süd-europä-
ische und altdeutsche Litteratur hervorgebracht hat, möchte leicht
die Leistungen des gesammten übrigen Deutschlands überwiegen!
Um so glücklicher würde ich mich schätzen, im Sinn der um-
fassenden Einsichten einer mir stets verehrungswerthen Regierung
zu arbeiten. Die Beschränktheit unsrer Universität erlaubte mir
bisher nicht, als öffentlicher Lehrer hierselbst aufzutreten; ich ver-
säumte daher auch, die philosophische Doctor-Würde anzunehmen;
da ich aber nun auf einer auswärtigen hohen Schule aufzutreten
wünschte, so wird die Promotion in einigen Tagen vorgehen.
Indem ich mich Ihrer mir unschätzbaren Gewogenheit
empfehle, habe ich die Ehre, mit allem Respect zu verharren
Euer Excellenz
unterthäniger Diener
Friedrich Diez
zu Giessen.
VI.
(Es folgt der Bericht des Curators an das Ministerium über
Diez, wobei über Prof. Heinrichs Separatvotum, das auch auf Diezens
von Welcker in s. Schr. erwähnte Augenkrankheit hingewiesen hatte,
gehandelt wird. Dann heisst es:) Indess schien mir die Bedenk-
lichkeit des Prof. Heinrich rücksichtlich einer frühern Augenkrank-
heit des p. Dietz wichtig genug, um hierüber nähere Erkundigungen
einzuziehen. Ich wendete mich daher an den H. Kanzler und Reg.
Bevollmächtigten Arens in Giessen, um so eher als es mir nöthig
schien, wegen der frühern, auf dieser Universität stattgefundenen,
Untriebe Gewissheit darüber zu erhalten, das der p. Dietz von dieser
Seite rein geblieben ist. Das abschriftlich anliegende Schreiben des
p. Arens vom 12. Sept. gibt über beyde Punkte alle Beruhigung,
und ich glaube daher bey Ew. Exc. darauf antragen zu dürfen, dass
der p. Dietz zum Lector der drey süd-europäischen Sprachen mit
dem Gehalt des Prof. Freudenfeld an hiesige Univ. berufen werden
möchte . . ..
VIL.
Ew. x. geehrtestes Schreiben habe ich zu erhalten die Ehre
gehabt. Von Herrn Dietz ist mir durchaus nichts bekannt, was
mich zu der Ueberzeugung oder auch nur zu der Vermuthung be-
rechtigen könnte, dass er an demagogischen Umtrieben irgend einer
Art Theil genommen habe. Er hat zwar mit dem Herrn Professor
Gottlieb Welcker.von jeher in näherem Umgang gestanden, hat auch,
w viel ich weiss, bey demselben in Göttingen gewohnt; allein die
Friedrich Dies. 251
IX.
An
den ausserordentlichen Regierungs-
Bevollmächtigten
Herm Geheimen Regierungs-Rath
Rehfues
Hochwohlgeboren
in
N. 12994. Bonn.
Giessen, d. 14. Decbr. 1821.
Hochwohlgeborner,
Insonders Hochzuehrender Herr Geheime-Regierungsrath!
Ew. Hochwohlgeboren bitte ich für Ihre wohlwollende Unter-
stützung bei meiner Anstellung an der Rhein-Universität meinen
ergebensten Dank zu genehmigen, und meine förmliche Erklärung
zu empfangen, dass ich, da mein Wunsch, in Bonn aufzutreten,
immer noch derselbe ist, die mir gnädigst übertragene Stelle als
Lehrer der italiänischen, spanischen und portugiesischen Sprache
mit Vergnügen annehme, und mich bestreben werde, dem Zutrauen,
dessen ich mich von Ihrer Seite schmeicheln darf, und den Er-
wartungen des Königlichen Ministeriums zu entsprechen. Zugleich
babe ich die Ehre, Ihrer Auffordrung gemäss, folgende Vorlesungen
für künftiges Sommerhalbjahr anzugeben:
1. Geschichte der neuen Literatur, und zwar von Frankreich,
Italien, Spanien und Portugal im Sommersemester, von
England, Deutschland u. s. w. im künftigen Winterhalbjahr.
2. Ueber Dante’s divina Commedia.
3. Unterricht im Italiänischen, Spanischen und Portugiesischen.
Ew. Hochwohlgeboren haben mir zwar die Zeit meines Eintritts
selbst anzugeben überlassen, dabei mich aber bald zu erscheinen
eingeladen. Sie erlauben mir gütigst die Bemerkung, dass es für
nich nicht wenig drückend sein würde, die Stelle vor Ablauf der
ersten sechs Wochen anzutreten, da ich gegen den Schluss des
Semesters aller extraen Einnahmen entbehren, dagegen wahrscheinlich
eine Wohnung, die ich hier bereits für ein halbes Jahr gemiethet,
dort um weniger Wochen willen nochmals für halbjährig bezahlen,
endlich auch den Unterricht, den ich hier ertheile, plötzlich abbrechen
müsste. Wollte man mir dagegen verstatten, in diesem ohnehin
halb verflossenen Semester meinen Unterricht noch nicht zu beginnen,
& wäre diess eine Vergünstigung, durch welche meine Vorlesungen
im nächsten Sommerhalbjahr nicht wenig gewinnen würden, da ich
als dann ungestört an meinen Heften arbeiten könnte. In diesem
Fall würde ich zu Anfang des März zu Bonn eintreffen, bei einem
Freund mich aufhalten, und die letzten Wochen vor den Ferien zu
Friedrich Dies, 253
auf Thatsachen gegründet seyn, und zu solchen könnte man ge-
langen, wenn man vernähme, was und wie er in Vorlesungen vor-
trägt. Dass er Docententalent habe, kann ich kaum glauben, nach
der Weise, wie er sich im Gespräche darstellt. Ich setze voraus,
dass ein einseitiger Bericht des Herrn Decanus abgeht und der
Bericht von den Mitgliedern der Facultät im Entwurf vorher ge-
nehmigt und vorschriftmässig unterschrieben werde. Heinrich.
Mir ist Herr Diez gänzlich unbekannt. Diesterweg.
Auch mir. Delbrück.
Ebenso. Freytag.
Desgl. Sturm.
Desgl. Goldfuss.
Ich habe nie von Herrn Dr. Dietz etwas gesehen noch gehört.
Gust. Bischof.
Ich habe mich nie bemüht, etwas von dem Docententalent des
Herrn Diez zu erfahren, kann also nichts darüber äussern.
Nees v. Esenbeck.
Auch ich kann von der Wirksamkeit des Herrn D. D. nichts
sagen. Näke.
Weder die Wirksamkeit noch die Person des Herrn Dr. Dietz
kenne ich. Noeggerath.
Mehrere meiner Zuhörer, namentlich Dr. Hengstenberg, haben
mir Herrn Dr. Diez’ Vorträge über Dante’s Divina Comedia sehr
gerühmt. Näher bekannt ist mir Dr. Diez nicht. Brandis.
Ich habe zwar niemals eine Vorlesung von Heırn Dr. Diez
besucht, und kann daher nicht sagen, wie sein Vortrag beschaffen
ist. Ich kenne ihn aber persönlich, ich habe mich öfter über litte-
rarische Gegenstände mit ihm unterredet, und mich dadurch über-
zeugt, dass er von der Italienischen und Spanischen Sprache und
Litteratur in der That eine sehr gelehrte und gründliche Kenntniss
besitzt. A. W. v. Schlegel.
Ich kenne Herrn Dr. Diez weder persönlich, noch nach seiner
Lehrwirksamkeit. Windischmann.
Ebenso Münchow.
Herr Dr. Diez hätte allerdings nicht unterlassen sollen, sich
den sämmtlichen Mitgliedern der Facultät zu präsentieren. In
Ansehung seiner Kenntnisse und der Gründlichkeit seiner Studien
muss ich die Bemerkung des Herrn Collegen von Schlegel bekräftigen.
Was seinen Vortrag betrifft, so habe ich seinen Ersatzstunden
nie beygewohnt, muss aber aus seinem Reden und Schreiben ver-
Friedrich Dies. 255
unterlassen hat, Charten abzugeben, indem er sie verfellte) — und
indem die subjective Meynung eines einzelnen Mitgliedes dem Be-
richt der Majorität nur in ganz besonderen Fällen beygefügt zu
werden pflegt. Mehr aber als Vermuthung hat auch Herr Prof.
Heinrich gegen die Lehrfähigkeit des D. Diez nicht ausgesprochen.
F. G. Welcker.
Für den Entwurf Delbrück.
— — — — Freytag.
- — — — Noeggerath.
-— — — — A. W. v. Schlegel.
- — — — Näke.
— — — — - Sturm.
Wie Herr College Welker Nees von Esenbeck.
Wie Herr College Welcker Goldfuss.
Für den Entwurf Gust. Bischof.
— — — — Brandis.
Dass bei weiten die Fakultätsmitglieder den Herrn Diez gar
nicht kennen, beweist auf der einen Seite allerdings, dass Hr. D.
keine Lebensart bat; auf der andern beweist es aber auch, dass die
Facultät, als solche, über den Herrn D. eigentlich nicht urtheilen
kann. Ich habe das Recht, von dem jedes Mitglied der Facultät
in allen Fällen Gebrauch machen kann, meine Urtheile über den
Herrn D. in einem Separatvotum dem Berichte beizufügen, sowie
auch Herr Prof. Welcker selbst seine Vorurteile über ihn bei dieser
und andern Gelegenheiten sagen darf. Ich mache aber gewöhnlich
nur in wichtigern Fällen von meinem Rechte (rebrauch, und rechne
diesen nicht dazu. ÜUebrigens scheint Hr. College Welcker auf das
was er meine Vermuthung nennt, ein zu grosses Gewicht zu legen,
wenn er, obgleich ohne Grund, dagegen streitet, dass es zur Notiz
der höhern Behörde komme. Heinrich.
Doctor Diez.
Den vorliegenden Bericht über den Dr. Diez haben von fünfzehn
Stimmenden vierzehn unbedingt genehmigt. Ich ersuche daher um
gefällige Unterzeichnung der Reinschrift.
B., 27. April 23.
Ich habe unterschrieben Hüllmann.
— — — — Diesterweg.
_— — — — Windischmann.
_ _— — — Noeggerath.
_— — — — Delbrück.
Friedrich Dies. 257
Der p. Dietz ist nun seit Ostern vorigen Jahres hier in
Thätigkeit und hat seinen Beruf bis dahin mit Eifer, Fleiss und
Erfolg ausgeführt. Die öffentlichen Urtbeile über seine schrift-
stellerische Thätigkeit sind ihm über diess sehr günstig ausgefallen,
so dass seine Beförderung bey der Univ. und dem wissenschaftlichen
Publicum gewiss als gerechtfertigt erscheinen würde. Da ich ihm
in Folge von Ew. Exc. Autorisation zu einer baldigen Beförderung
Hoffnung gemacht habe, und besondre Gründe hier vorliegen, die
dieselbe wünschenswert machen, so habe ich meinen Antrag durch
das Gutachten der philos. Facultät zu insinuiren gesucht.
Indem ich Ew. Exc. das letztere in der abschriftlichen Anlage
einreiche, kann ich nicht verhehlen, dass ich dasselbe befriedigender
erwartet hätte. Die meisten Mitglieder der Facultät wollen gar
nichts von dem p. Dietz wissen, und die Vermuthung scheint nicht
za gewagt, dass der Grund hiervon in einiger Ungeschicklichkeit
liegt, womit derselbe hier aufgetreten ist, und die ihn den Fehler
begehen liess, nicht sämmtlichen Mitgliedern der Facultät seine Be-
suche zu machen. Diesem Versehen liegt indess weder Mangel an
gesellschaftlicher Bildung noch eine Gesinnung zu Grunde, die
sich über dergl. Rücksichten wegsetzen zu dürfen glaubt, sondern
mehr ein Maass von Eifer, sich schnell seines academischen Wirkungs-
kreises zu bemächtigen, das ihn diese Formalitäten so lange ver-
schieben liess, bis sie nicht mehr mit gutem Anstand erfüllt werden
konnten. Da die Facultät Ihr Gutachten überhaupt nur von Einer
Seite gefasst hat, so ist auf eine dessfallsige private Bemerkung
von mir noch das abschr. beygeschlossene Schreiben vom 11. d. M.
eingegangen, wodurch dasselbe einigermassen vervollständigt wird.
In Rücksicht daher, dass es zur Aufmunterung, ja zur Auf-
richtung dieses, bis zur Ängstlichkeit bescheidenen Mannes dienen
würde, wenn er dem Prof. Strahl, dessen wissenschaftlicher Werth
den seinigen gewiss nicht übertrifft, in äusseren Ehren gleichgestellt
würde; und in der vollsten Ueberzeugung, dass der p. Dietz durch
die Reinheit und Staats-Gemässheit seiner (sesinnungen Hochdero
Wohlwollen vollkommen würdig ist, wage ich bey Ew. Exc. darauf
anzutragen, dass es Hochdenenselben gefallen möchte, den Dr. Dietz
zum ausserordentlichen Professor in der philos. Facultät zu er-
nennen. R.
(K) XV.
Bonn, den 12. Juni 1823. Ex off. No. 1273.
An ein h. Ministerium der Geist].
pp. Angelegenheiten
Berlin.
Den Dr. Dietz betr.
Nachträglich zu m. Bericht vom 24. Mai wage ich Ew. Exec.
Ztscbr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII. 17
Friedrich Dies. 259
Rindfleisch, theol. ev.
v. Mylius, jur.
v. Heinsberg.
(F) XVI.
Das Ministerium macht der philosophischen Fakultät hiedurch
bekannt, dass es den Dr. Diez zum ausserordentlichen Professor
in derselben und zum Lektor der südwestlich-europäischen Sprachen
ernannt hat.
Berlin, den 12. July [1823].
Ministerium der Geistlichen-, Unterrichts- und Medizinal-
Angelegenheiten.
In Abwesenheit Sr. Exzellenz
Nicolovius.
(F) XVII.
An
die philosophische Fakultät
der Königlichen Universität
zu
No. 17. Bonn.
Euer Magnificenz und den hochlôblichen academischen Senat
babe ich zu benachrichtigen die Ehre, dass das hohe Ministerium
der Creistl. etc. Angelegenheiten den bisherigen Privat-Docenten und
Lector der südwestlich-enropäischen Sprachen, Herrn Dr. Diez mittelst
Beschlusses vom 12. Juli c. zum ausserordentlichen Professor in der
philosophischen Facultät der hiesigen Universität ernannt. hat.
Ich ersuche Dieselben die philosophische Fakultät hiervon in
Kenntniss zu setzen, und zu veranlassen, dass der Dr. Diez die
Habilitations-Leistungen innerhalb der vorgeschriebenen Frist erfülle.
Bonn, den 31. Juli 1823.
Der Königl. ausserordentliche Regierungsbevollmächtigte.
gez. Rehfues.
An
des Herrn Rectors Magnificenz
a. den hochlöhlichen academischen
Senat. No. 1641. Hier.
Abschriftlich an den Dekan der hochlöbl. philosophischen
Facultät Herrn Prof. Dr. Hüllmann, Ritter etc. Hochwohlgeboren,
hier. Bonn, den 24. August 1823. Der Recter der König]. Rhein-
Universität: v. Münchow.
(K) XVIII.
Kurzes Dankschreiben Diezens an Rehfues für das ihm er-
wiesene Wohlwollen gelegentlich seiner Ernennung zum Extra-
ordinarius. (2. August 1823).
11*
Friedrich Diez. 261
Deutschen und Italiäner geübt hat, ja dass sie zum Theil, in Bezug
auf Form und Inhalt die Wurzeln der alten lyrischen Poesie jener
Völker enthält, dass also durch ein umfassendes Studium derselben
manche gewiss nicht unbedeutende Gegenstände der Litteratur-
geschichte in ein helleres Licht gesetzt werden können. Hinsicht-
lich der deutschen Poesie könnte diese Behauptung auffallend er-
scheinen, allein man wird sich leicht mit ihr versöhnen, wenn man
erfährt, dass die meisten, vielleicht sämmtliche Lieder unseres Minne-
sängers Rudolf von Neuemburg wörtlich aus dem Provenzalischen
des Folquet de Marseille übersetzt sind, hundert andere Belege
nicht zu erwähnen. Eben jene Bedeutung der Litteratur der
Troubadours reizte mich, eine kritische Geschichte derselben zu
entwerfen, worin nicht allein die wichtigeren Werke jener Dichter,
ihre Minne-, Lob- und Rügelieder hervorgehoben und erklärt, sondern
auch ihre Lebensweise und die Art ihrer Kunstübung erörtert, vor-
züglich aber das Verhältniss ihrer Litteratur zu auswärtiger nach-
gewiesen werden sollte Wirklich hatte ich die Arbeit auf einen
gewissen Punkt ausgeführt, als gerade die neuen Auslegungen, die
sich im Lauf der Untersuchung ergeben, vorzüglich in Betreff der
Kunstübung der Troubadours, ihrer Metrik und der Minnegerichte,
Gegenstände, welche die gründlichsten Belege erheischten, die Über-
zeugung in mir weckten, dass jene Gründlichkeit und mithin der
Werth der Untersuchung von dem Studium aller hierhergehöriger
Quellen und Denkmäler abhängig sei. Allerdings hat uns Raynouard
in seiner Choir des poésies originales des Troubadours treffliche Hülts-
mittel zum Verständniss jener Litteratur geliefert, allein die (etwa)
500 Gedichte, welche er herausgegeben, können dem Litterator un-
müglich die Stelle der übrigen — man rechnet überhaupt 4000 —
vertreten, welche die Handschriften enthalten. Ich habe ausserdem
noch zu bedauern, dass in seinem Werk die Lesearten ganz fehlen,
welche zur Feststellung des Sinnes nicht selten unentbehrlich sind,
ferner, dass der Herausgeber die sehr inhaltreichen Novellen und
didactischen (iedichte ausgelassen hat, welche auf manche Ver-
hältnisse der Zeit und der Dichter insbesonder — z. B. die An-
leitungen zur Dichtkunst — ein helles Licht werfen müssen. Alle
angeführten Mängel und Lücken jenes Werkes würde ich nirgends
besser berichtigen und ausfüllen können, als in Paris, wo sich 12
hierhergehörige Handschriften vorfinden, zugleich würde ich Ge-
legenheit haben, selbst noch eine Nachlese zu Raynouard’s Werk
herauszugeben, von bedeutendem Vortheil würde es aber für mich
sein, die altfranzösische bis jetzt noch wenig bekannte Liederpoesie
zu studieren, um das Verhältniss der provenzalischen und französischen
Lyrik zu bestimmen, endlich würde mir die Benutzung mehrerer
in Deutschland schwer aufzutreibender Bücher schätzbar sein; ein
Friedrich Dies. 263
Wie es aber auch Ew. Excellenz gefallen mag, mein Gesuch
zu erwiedern, ich verharre ehrfurchtevoll
Ew. Exellenz
unterthänigster
Bonn, Fr. Diez,
d. 5. April 1824. (Dr. u. auss. Prof. an der
Rheinuniversität).
Dreimonatlicher Urlaub und eine ausserordentliche Remuneration
von 125 Th. wird vom Ministerium bewilligt. 24. April 1824.
(X) XXII.
Diez bittet den Curator, einen beiliegenden Bericht über die
wissenschaftliche Reise nach Paris dem Ministerium einzusenden.
(12. November 1824.)
(An den Herrn Minister Freih. von Altenstein)!).
N. 23973. Hochwohlgeborner Freiherr, ad N. 23973.
Gnädigster Herr Staatsminister! 3473.
Die gnädige Rücksicht, welche Eure Excellenz meinem vor
einigen Monaten Hochdenselben übergebenen unterthänigen Gesuche
gewährten, indem Eure Excellenz mir zu einer wissenschaftlichen
Reise nach Paris einen dreimonatlichen Urlaub nebst einer verhält- .
nissmässigen Remuneration bewilligen wollten, wofür ich mich nicht
nur von dem lebhaftesten Danke durchdrungen, sondern auch durch
das von Hochdenselben noch vor der Leistung mir geschenkte Zu-
trauen wahrhaft geehrt fühle — macht es mir zur Pflicht, Euer
Excellenz den Erfolg meiner Reise ehrerbietigst darzulegen.
Folgendes waren diejenigen Punkte, welche ich bei meinen
Untersuchungen besonders berücksichtigen zu müssen glaubte:
1. Die Spuren des Einflusses, den die provenzalische Poesie
auf die französische, deutsche und italiänische des Mittelalters geübt
zu haben schien, so weit als möglich zu verfolgen. In Bezug auf
die mittelhochdeutsche Poesie, die mir bekannt genug war, sammelte
ich aus romanischen Handschriften noch manche neue und merkwürdige
Stellen, welche mir das unwiderlegliche Resultat lieferten, dass sich
namentlich die Metrik unserer Minnesänger grossentheils auf jene
der Troubadours gründet, vielleicht indessen durch das Mittel der
altfranzösischen Liederkunst. Letztere hätte ich also genau prüfen
müssen, allein die Kürze der Zeit vergönnte mir nur die Einsicht.
einer einzigen franz. Handschrift, welche mir, wenn auch zur Ent-
scheidung der berührten Frage nicht zulänglich, zur Kenntnis der
noch wenig bekannten altfranzüsischen Liederpoesie von grossem
Vorteil war. Nicht minder wichtig schien mir -die Prüfung der
1) Ohne Datirung.
Friedrich Dies. 265
in Paris. Leider wurde die kônigl. Bibliothek bereits den letzten
August streng geschlossen: dennoch glaube ich durch zweimonatliche
Arbeit meine Absicht genügend erreicht zu haben. Allein eine grössere
Menge von Materialien würde ich allerdings haben sammeln können,
wenn mir gleich Anfangs die Erlaubniss zu Theil geworden wäre,
Handschriften mitnehmen zu dürfen, und so eine kostbare Zeit zu ge-
winnen. Allein alle meine zu Erreichung dieses Zieles gemachten
Versuche scheiterten an der Unbeugsamkeit des Conservateurs der
zur neuen Litteratur gehörigen Manuscripte: denn Herr Dacier hat
den Grundsatz nichts auszuleihen; und so musste ich mich lange
mit vierstündiger Arbeit täglich begnügen. Erst in den letzten drei
Wochen änderte sich diess zu meinem Vortheil, seitdem Hr. Abel-
Rémusat an des verstorbenen Langlé’s Stelle als Conservator der
urientalischen Handschritten angestellt wurde, und zugleich die
Stelle seines Amtsgenossen im Fache der neuen Litteratur, weil
dieser das Cabinet des manuscrits nur selten besucht, zu vertreten
hatte. Diesem verdienten Gelehrten verdanke ich die ununter-
brochene Benutzung der wichtigsten Handschriften, die ich zuletzt
noch ausfindig machte, so dass ich mit reichern Schätzen, als ich
hoffen zu dürfen glaubte, hierher zurückkehrte.
Die gesammelten Materialien wünschte ich nun in folgenden
Schriften und Schriftchen zu verarbeiten:
1. Ueber die Minnehöfe. Beitrag zur Cultur- und Litteratur-
geschichte des Mittelalters — wovon ich bereits oben Ew. Excellenz
zu reden mir erlaubt hatte.
2. Ueber den Verfall der lateinischen Sprache, und ihren Ueber-
gang in die romanische. Hierin werde ich versuchen, die Gesetze
aufzustellen, nach welchen sich die verschiedenen romanischen Mund-
arten mit Hülfe des Germanischen aus dem Lateinischen gebildet
haben; und unter andern ausführen, dass das Provenzalische den
Übergang vom Lateinischen zum Französischen, nicht aber von dem-
selben zum Italiänischen, Castilianischen und Portugiesischen (wie
andre behaupten) gebildet habe.
3. Anthologie aus den Werken der Troubadours mit Wort-
verzeichniss und Anmerkungen.
4. Geschichte der provenzalischen Poesie besonders in ihrem
Verhältniss zu auswärtiger dargestellt. Dies Buch werde ich, soweit
sich dies jetzt schon bestimmen lässt, in folgende Abschnitte theilen:
I. Bisheriges Studium — Werth desselben. Älteste Denkmäler.
IL Ursprung der Kunst- und Hofpoesie des Mittelalters. III. Lebens-
weise und Kunstübung der Troubadours. IV. Einfluss ihrer Poesie
auf auswärtige und Rückwirkung. V. Übersicht ihrer Werke.
VL Biographien derselben. -— Ich gedenke dieses Buch um so ge-
Friedrich Dies. 267
verwenden kann, da er durch seine äusseren Umstände genöthigt
ist, neben seinen Lehrstunden seine Zuflucht zu einer litterarischen
Erwerbquelle zu nehmen, die jenem anziehenden Studium fremd ist,
ja, die bei Jedem, der etwas besseres kennt, den Geist niederdrückt.
Sein Gehalt besteht in 300 Th., wovon ihm, nach Abzuge der
pflichtmässigen Beiträge zur Wittwen- und Waisen-Versorgungs-
anstalt, 268 Th. 15 Gr. übrig bleiben!).
An eine verehrliche Fakultät wende ich mich daher mit dem
angelegentlichen Gesuch, die vorgesetzte Behörde um Auswirkung
einer angemessenen Gehaltszulage für ihn zu bitten, damit er den
übrigen ausserordentlichen Professoren gleich gestellt werde.
Bonn, 4. Jan. 26. Hüllmann.
Den Herrn Professoren unserer Facultät beehre ich mich in
der Anlage einen Antrag unseres Herrn Collegen Hüllmann zur ge-
fälligen Abstimmung vorzulegen.
Bonn, den 7. Jan. 1825. v. Münchow. [Dekan.]
Einer Verwendung zum Besten des Hrn. ausserordentlichen
Professors Diez werde ich meinen Beitritt nicht versagen, wenn
ich mir gleich über die zur Unterstützung bemerkten Gründe meine
Ansicht vorbehalten muss, und lieber wünschte, dass sie von der
amtlichen Wirksamkeit hergenommen werden könnten.
Heinrich.
Durch den Antrag unsers Herın Collegen Hüllmann werde
ich, bey dem freundschaftlichen Antheil, den ich an Prof. Diez
nehme, um so angenehmer überrascht, als ich die Gründe desselben
in der Wahrheit und Billigkeit, auch ganz abgesehen von jenem
Interesse, vollkommen begründet finde. Ich muss aber hinzufügen,
dass das Verdienst, in einem Sprachgebiet, worin auf den meisten
Universitäten, auch wenn eigene Lehrer dafür angestellt sind (wie
z B. in Göttingen Prof. Bunsen) Vorlesungen nie oder fast nie zu
Stande kommen, regelmässig mehrere Collegien und privatissima
gleichzeitig bisher gelesen zu haben, in dem Antrag an das Künigl.
Ministerium allerdings besonders herausgestellt werden dürfte.
F. G. Welcker.
Ohne mir selbst ungetreu zu werden, kann ich nicht unbedingt
beytreten, so lange die wiederholten Gesuche der Facultät zu (tunsten
des Herrn Coll. Calker unerfüllt bleiben, da durch Anträge, wie den
vorgeschlagenen die Gewährung derselben erschwert wird.
Delbrück.
1) Dieser Abzug war eine Folge seiner Ernennung zum ausser-
ordentlichen Professor.
Friedrich Dies. 271
schaftlichen (rebiets die Mit-Bestimmung der Universitäten ausmache.
Zunächst in Beziehung hierauf haben wir gewagt, den Beweggrund
zu unserem gehorsamsten Antrage von den angegebenen Bestrebungen
des Professors Diez her zu nehmen. Wir können aber hinzufügen,
dass er auch als Lehrer für die Universität mit vielem Erfolge
thätig ist. Namentlich in diesem Winter beträgt die Zahl seiner
Zuhörer: im Don Quirote 3, in der spanischen Grammatik 4; über
Divina Commedia 12, in der italienischen Grammatik 20: welche Vor-
träge er freilich alle unentgeltlich hält.
Bonn, 9. Febr. 26. Philosophische Facultät.
An
den königl. Regierungsbevollmächtigten
Herrn Geheimen Regierungsrath Rehfues.
Hochwohlgeboren.
(F) XXV.
praes. 17. Mai 1825.
Die theilnehmende Verwendung der Wohllöblichen philosophi-
schen Facultät für eine, dem Herrn Professor Diez auszuwirkende,
Besoldungs-Zulage habe ich mit wahrem Vergnügen zu einem über-
einstimmenden Antrage bey dem Königl. Ministerio der Geistlichen-
Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten geltend zu machen gesucht.
Wenn nun gleich die, mir hierauf zu Theil gewordene Antwort
vom 19. v. Mts. noch zu keinem entscheidenden günstigen Resultat
geführt hat, so berechtigt mich doch der Inhalt derselben zu der
Voraussetzung, dass die gedachte hohe Staatsbehörde den Wünschen
des Herrn Diez im Allgemeinen sehr geneigt ist und dieselben sobald
es die Verhältnisse gestatten, berücksichtigen wird. Das einzige
Hinderniss weshalb dieses nicht schon jetzt geschehen ist, liegt
lediglich in dem finanziellen Zustande der Universitätsfonds. Das
hohe Ministerium hat sich deshalb den Beschluss in der Sache vor-
behalten, bis der nächste, für das Jahr 1826 zu entwerfende Etat
eine klarere Einsicht in die disponiblen Mittel gestatten werde.
Ich werde es mir zur Verpflichtung rechnen, das Interesse
des Herrn Diez zu seiner Zeit wieder in Anregung zu bringen, und
stelle Wohlderselben anheim, ihm einstweilen von der günstigen
Disposition des hohen Ministeriums und der beruhigenden Aussicht
für die Erfüllung seiner Wünsche in Kenntniss zu setzen.
Bonn, den 13. Mai 1825.
Der Königl. ausserordentliche Regierungsbevollmächtigte
Rehfues.
An
die Wohilöbliche philosophische Facultät
No. 649. Hier.
Friedrich Diee. 213
die Mittel erlaubten, meine Lage verbessert werden sollte. Seit
mir diese Hohe Entscheidung mitgetheilt wurde, ist indessen fast
wieder ein Jahr dahingegangen, ohne dass sich meine Verhältnisse
geändert haben.
Ich erlaube mir daher, mich an Ew. Hochwohlgeboren zu
wenden, und Sie geborsamst zu bitten, bei dem Hohen Königl.
Ministerio um eine Gehaltszulage für mich antragen zu wollen.
Ich beziehe mich hierbei zuvörderst auf meine academische Wirk-
samkeit. Es liegt in der Natur der Umstände, dass sich diese Wirk-
samkeit auf einen geringeren Kreis von Zuhörern beschränkt, eben
darum muss es mir zum Vortheil gereicheu, wenn meine Thätigkeit
als academischer Lehrer niemals gestockt hat, wenn während der
acht Semester, welche ich bis jetzt gelehrt habe, meine Vorlesungen
und Unterrichtsestunden fast sämmtlich zu Stande gekommen und
mit Fleiss besucht worden sind. Ich beziehe mich ferner auf den
erwähnten Antrag der hochlöbl. philosophischen Facultät, welche
bereits eine Anerkenntniss meiner academischen Thätigkeit voraus-
setzt — endlich auf die von dem Hohen Ministerium in Bezug auf
jenen Antrag erlassene gnädigste Entscheidung. Hierzu glaube ich
noch anführen zu müssen, dass ich, unter besseren öconomischen Ver-
hältnissen bei dem daraus entspringenden Zeitgewinn, auch für die
Universität noch thätiger sein könnte, indem ich über gewisse Gegen-
stände aus dem Gebiete der Sprache und Litteratur, über welche
ich schriftstellerische Arbeiten zu liefern pflege, auch Vorträge
halten würde, deren Ausarbeitung mir nun jene um des Erwerbes
willen unternommenen Uebersetzungen unmöglich machen.
In der Hoffnung, dass Ew. Hochwohlgeboren meine Bitte be-
rüäcksichtigen und unterstützen wollen, habe ich die Ehre, mit der
ausgezeichneten Hochachtung zu verharren
Ew. Hochwohlgeboren
gehorsamster
Dr. F. Diez,
ausserord. Profess. in d. philos. Facultät.
Bonn, d. 12. März 1826.
(K) XXVIL.
An Bonn, den 14. März 1826.
ein h. Ministerium der Geistl. pp. ad No. 392.
Berlin.
Den Prof. Dietz betr.
Der Prof. Dietz hat mich in der anlieg. Orig.-Eingabe er-
sucht, Ew. Exc. seine dringenden Verhältnisse vorzustellen, und ihm
eine Verbesserung derselben auszuwirken. Ich habe daher die Ehre,
Hochdenenselben folgendes ehrerbietigst vorzutragen:
Zischr. f. frz. Spr.u.Litt. ” 18
Friedrich Dies. 275
Unerachtet er selbst nicht um Beförderung zum Ordinarius in
seiner Facultät gebeten hat; indem die Bescheidenheit dieses Mannes
nie weiter geht, als ihn die Ausserste Bedrängniss dazu nöthigt, so
kann ich doch meinen Wunsch nicht unterdrücken, dass ihm diese
Aufmunterung zu Theil werden möchte. Indess fühle ich selbst,
dass ich mir, nachdem ich Ew. Exc. Theilnahme vorzugsweise für
die ökonomische Verbesserung des p. Dietz in Anspruch genommen
babe, einen förmlichen Antrag hierauf nicht erlauben darf. Nur
glaube ich, bemerken zu müssen, dass Fächer, wie die dieses Lehrers
sind, welche nicht zur nothwendigsten Ausstattung der academischen
Bildung gehören, eine besondere Berücksichtigung für ihre Docenten
verdienen, damit der Glauben, als ob man auch von Seiten des
Staats auf diese Disciplinen einen geringen Werth setze, nicht unter
den Studirenden um sich greifen und festsetzen könne.
Hiernach bitte ich Ew. Exc. um eine günstige Entscheidung
über das ehrerbietigst angebogene Gesuch. R.
(Durch h. Ministerialerlass vom 28. April 1826, N. 5,263,
wird eine Besoldungszulage von 100 Thalern bewilligt und Diez
unter Bezeigung der besondern Zufriedenheit des Ministerii mit
seinen bisherigen Kenntnissen von derselben in Kenntniss gesetzt.
Auf die beantragte Beförderung desselben zum ord. Professor wolle
das Ministerium bei einer andern sich darbietenden schicklichen
Gelegenheit Bedacht nehmen).
(K) XXVIII.
Auszug
aus dem Kuratorial-Bericht vom 28. März 1828. No. 633.
PP- PP.
Prof. Diez hat zwar am 28. April 1826 eine Zulage von
100 Thir. erhalten. Allein ich glaube, die Lage dieses Mannes nicht
weiter entwickeln zu dürfen, wenn ich vom 1. Juli an um eine Zu-
lage von 100 Thir. für ihn bitte. Er braucht sie nôthiger als irgend
einer, wenn seine (resundheit nicht bald den unmässigen Anstrengungen
für schriftstellerischen Erwerb erliegen soll; er verdient sie so sehr als
irgend einer, durch die Meisterschaft in seinen Doctionen, und
Prf. v. Schlegel erklärt sein Werk über die Poesie der Troubadours
für eins der bedeutendsten, welche dieses Fach aufzuweisen habe.
PP. pp.
gez. Rehfues.
Durch Min.-Erlass vom 12. Mai 1828 No. 7866 ist dem
Professor Diez eine Gehaltszulage von 100 Thir. vom 1. Juli 1828
ab bewillixt worden.
18*
Friedrich Dies. 277
die sorgenfreye Existenz zu wünschen, die es ihm möglich macht,
sich ganz allein, neben seinem nächsten Berufe, blos solchen
Arbeiten zu widmen, durch die sein wissenschaftlicher Kreis weiter
gefördert wird.
Ich habe Ursache zu glauben, das die Ernennung zum ord.
Professor für die Geschichte der mittlern und neuern
Literatur dem p. Dietz am angenehmsten und befriedigendsten
lauten würde, und bin so frey hierauf noch besonders aufmerksam
zu machen. KR.
(&) XXXI.
Ernennung des Diez ,zum ordentlichen Professor in der philos.
Facultät und zwar für die Geschichte der mittlern und neuern
Litteratur* durch allerhöchste Kabinets-Ordre vom 24. v. Mts.
(Min.-Schr. vom 10. April 1830, No. 5,876 Il).
(F)
Das Ministerium macht der philosopbischen Facultät der König-
liehen Universität hiedurch bekannt, dass auf seinen Antrag des
Königs-Majestät durch die Allerhöchste Kabinets-Ordre vom 24. v. Mts.,
den bisherigen ansserordentlichen Professor Dr. Dietz, zum ordent-
lichen Professor in selbiger, und zwar für die Geschichte der mittlern
und neuern Litteratur, zu ernennen geruht haben.
Berlin, den 10. April 1830.
Ministerium
der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten.
Altenstein.
Pr. den 25. April.
Die wohllöbliche philosophische Facultät habe ich auf den
Grund eines Rescripts des Königlichen Ministerii der geistlichen-
Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten vom 10. d. M., zu
benachrichtigen die Ehre, dass des Königs Majestät mittelst Aller-
höchster Kabinetsordre vom 24. März c. den bisherigen ausserordent-
lichen Professor Herrn Dr. Diez zum ordentlichen Professor in Wolıl-
derselben Mitte, und zwar für das Fach der Geschichte der mittleren
und neueren Litteratur zu ernennen geruht hat.
Wohlderselben stelle ich hiernach wegen Einführung dieses
neuen Mitgliedes das Weitere anlıeim.
Bonn, den 20. April 1830.
Der Königliche ausserordentliche Regierungsbevollmächtigter
Rehfues.
An
die wohllöbliche philosophische
Facultät der Universität
847. Hierselbst.
Friedrich Dies. 279
eine seit elfthalb Jahren geübte Enthaltsamkeit, die neben den viel-
seitigen von hier ausgehenden Ansprüchen gewiss nicht zu meiner
Förderung beitragen konnte, mir auch nun, wo ich davon abzugehen
genöthigt bin, zur Empfehlung gereichen werde.
Die Ursache, welche mich veranlasst, Ew. Hochwohlgeboren
geneigte Fürsprache zu suchen, ist kürzlich diese. Seit längerer
Zeit fühle ich, der ich bereits in das 38. Jahr getreten, das Be-
dürfniss einer bestimmten häuslichen Niederlassung, und ich gestehe
Ew. Hochwohlgeboren, dass ich bereits ein darauf zielendes Ver-
hältniss eingegangen habe. Allein zur Verwirklichung desselben
sind meine Mittel — denn mein Gehalt beträgt nur 500 Thl. —
nicht ausreichend, wiewohl ich mich auch nur mit einem bescheidenen
Auskommen begnügen würde. Meine gehorsamste Bitte an Ew. Hoch-
wohlgeboren geht also dahin, mich bei dem Hohen königlichen
Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegen-
heiten zu einer verhältnissmässigen Gehaltsverbesserung gütigst
empfehlen zu wollen, wobei ich zur Motivirung meines Gesuches
noch einiges anzuführen mir erlaube.
Ich weiss, dass Ansprüche sich auf Leistungen gründen müssen;
allein ich glaube ohne Unbescheidenheit sagen zu können, dass es
meinen Leistungen, den amtlichen sowohl wie den schriftstellerischen,
nie an dem gebührenden Ernst und Eifer gefehlt hat. Die letztern
haben eine über meine Erwartung günstige Aufnahme gefunden,
und wenn, was die erstern anlangt, ich mich auf keine grossen Hör-
säle berufen kann, so wissen Ew. Hochwohlgeboren den Stand des
mir anvertrauten Faches der mittlern und neuern Litteratur zu wohl
zu würdigen, um meine Bestrebungen nach der Zahl der Zuhörer
zu beurtheilen. Ich glaube in dieser Beziehung eine Thatsache an-
führen zu dürfen, welche die Vernachlässigung dieses Zweiges des
academischen Unterrichtes von Seiten der Studirenden ins Licht zu
setzten geeignet ist. Vor mehreren Jahren kündigte ein hiesiger
Lehrer, dessen Ruf in dieser Wissenschaft europäisch ist, Geschichte
der neuern Litteratur an und fand zwei Zuhörer, sodass die Vor-
lesung unterbleiben musste. Gleichwohl darf ich auch den Erfolg
für mich anführen: ich darf sagen, dass ohne meine hiesige An-
stellung mehrere in sich gewiss nicht gehaltlose Gegenstände aus
dem Cyclus unserer Lehrvorträge ausgefallen sein würden. Meine
Vorlesungen, deren Umfang ich künftig zu erweitern suchen werde,
erstreckten sich bis jetzt über mittlere und neuere Litteraturgeschichte,
über neuere Dichter verschiedener Nationen, so wie über altdeutsche
Sprache. Letztere trage ich seit einer Reihe von Jahren Semester
für Semester privatim, gewöhnlich freilich, was indessen hier nicht
zu weni ist, nur vor 4 bis 5 Zuhörern vor, indem ich meinen Vor-
trägen abwechselnd das Nibelungenlied, den Iwein oder Walther
Friedrich Dies. 281
Zeit ist seinen Fächern, den romanischen Sprachen und ihrer Literatur
nicht günstig, und weder die Vorlesungen noch eine sonst sehr er-
folgreiche Schriftstellerei könne jene Einnahme bedeutend verbessern.
Ein eheliches Band, das er mit einer Tochter des Prof. Bernd knüpfen
will, wartet nur auf eine ökonomische Verbesserung seiner Lage,
und es wird vielleicht eine Hülfe für zwei Männer sein, wenn Prof.
Diez eine Zulage von 300 Thl. bewilligt wird... .
PP- PP.
gez. Rehfues.
Durch Min.-Erlass vom 16. Mai 1833, No. 8008, ist dem
Professor Diez eine Gehaltszulage von jährlich 200 Thl. vom 1. Juli 1833
ab bewilligt worden.
(K) XXXV.
Bonn, den 11. Jan. 37.
An Ex off. No. 102.
ein H. Min. der geistlichen pp.
Berlin.
Untersuchungen über politische Verbrechen.
Ew. Excellenz glaube ich ungesäumt nachstehende, ehrerbietigste
Meldung machen zu müssen.
Gestern kam der Ober-Prucurator Hr. Berghaus hieher, um
den p. Prof. Dietz über seine Mitwissenschaft um den Zweck eines
heimlichen Aufenthalts zu vernehmen, welchen der, nunmehr in
Amerika befindliche, an dem Frankfurter Attentat betheiligte,
Breidenstein, von Hessen-Homburg um Ostern 1833, bei seinem (des
Dietz) Bruder, in Giessen gemacht hat. Der p. Prof. Dietz hatte
zu jener Zeit seine gewöhnliche Ferien-Reise in das elterliche Haus
nach Giessen gemacht. Er hatte um den heimlichen Aufenthalt des
p. Breidenstein gewusst, von seinem Bruder aber keinen andern Grund
desselben erfahren, als dass er wegen eines Duells flüchtig sei, und
diese Zuflucht und den ihm gewährten Schutz um so natürlicher
gefunden, da der p. Breidenstein mit der Schwester von Beiden
versprochen war.
Der Eindruck, welchen diese Sache auf den Prof. Dietz ge-
macht hat, war so stark, dass sie ihn nahe zu auf das Krankenlager
geworfen hat. Es kann daher nicht genug bedauert werden, dass
seine Vernehmung nicht durch einen, mit seinen Verhältnissen näher
bekannten, Beamten vorgenommen worden ist, um ihm eine Reihe
von Fragen zu ersparen, die eine oberflächliche Kenntniss seiner
Verhältnisse überflüssig gemacht hätte Es ist unmöglich, sich
weniger um politische Angelegenheiten und überhaupt um Dinge,
die nicht in den Kreis seiner Sprachforschungen gehören, zu be-
kümmern, als dieser harmlose Gelehrte. Die ganze Abwechslung,
Friedrich Dies. 283
(K) XXXVII.
Bonn, den 5. Febr. 1873.
An ex officio No. 226.
den pp. Minister.
Den Pr. Dr. Diez betr.
Von mehreren Seiten ward mir mitgetheilt, dass dem Professor
Dr. Diez seine Miethwohnung gekündigt sei, dass es ihm bisher
nieht möglich gewesen, für einen von ihm zu erschwingenden Mieth-
preis eine andere geeignete Wohnung zu finden und dass der im
achtzigsten Lebensjahre stehende hochberühmte Gelehrte in einer
Art von Verzweiflung über das Missgeschick, welches ihn betroffen,
im Begriff stehe, Vorkehrungen zu treffen, um sich nach Giessen,
seinem Geburtsort zurückzuziehen.
Ich nahm davon Veranlassung, ihm heute einen Besuch zu
machen und kam grade zur rechten Zeit, um ihm zuzureden, eine
mir bekannte geeignete, aber etwas theuerere Wohnung, die ihm
am gestrigen Tage angeboten worden, zu miethen. Er versprach,
das noch heute zu thun. In der Unterredung verwahrte er sich
ausdrücklich dagegen, als wenn seinen Velleitäten, Bonn zu verlassen,
irgendwie Unzufriedenheit mit seiner hiesigen Stellung zum Grunde
läge; im Gegentheile, er sei von tiefem Dank für alles gute erfüllt,
welches ihm Ew. Excellenz Ministerium habe zu Theil werden lassen,
und sei es ihm namentlich nicht eingefallen, eine Verbesserung seiner
pecuniären Lage erreichen zu wollen oder nur für möglich zu halten.
Dann theilte er mir mit, wie er im nächsten Semester seine Vor-
lesungen einzurichten gedenke; er hoffe, dass er bis zum letzten
Athemzuge seine akademische Thätigkeit werde fortsetzen können.
Ew. Excellenz habe ich das Obige ganz gehorsamst zu be-
richten mich verpflichtet gehalten, in der Hoffnung, dass es möglich
sein werde, dem p. Diez, welcher jetzt als Professor 1500 und als
Lektor 300 Th. bezieht, eine Gehaltszulage von 200 Th. zu ge-
währen. Es handelt sich darum, einem der grössten unter den jetzt
lebenden deutschen Gelehrten, dessen Bescheidenheit und Selbstlosig-
keit nicht genug gepriesen werden können, am Abend seiner Tage
den Beweis zu geben, dass der preussische Staat ihm jede Unruhe
über die unvermeidliche Erhöhung seiner Jahresausgaben ersparen
möchte.
D. W. Curator.
B(eseler).
Professor Diez hat nachträglich vom 1. Januar 1873 ab
200 Thaler Gehaltszulage erhalten.
284 W. Foerster,
(K) XXX VIII.
Bonn, den 29. Mai 1876.
An ex off. No. 1217.
den pp. Minister.
Das Ableben des Pr. Dr. Diez betr.
Ew. Excellenz bin ich in der Lage ganz gehorsamst : zu melden,
dass der Begründer der romanischen Sprachwissenschaft Prof. Dr. Diez
heute früh nach schwerem Todeskampf!) gestorben ist. B(eseler).
(K) XXXIX.
Abschrift.
Min.-Erlass v. 12. Juni 1876. U. I. 3246.
In Folge des mir von Ew. Hochwohlgeboren unter dem
29. v. Mts. — No. 1217 — gemeldeten, von mir tief bedauerten
Ablebens des Prof. Dr. Diez beauftrage ich Sie, die dortige philo-
sophische Facultät zur baldigsten Einreichung von Vorschlägen für
die Wiederbesetzung der von dem Verstorbenen bekleideten akademi-
schen Aemter zu veranlassen.
1) Nach Mitteilungen von Personen, die damals in Diezens Haus-
halt lebten, ist er schmerzlos gestorben.
Zeitschrift
für
französische Sprache und Literatur
unter besonderer Mitwirkung ihrer Begründer
Dr. 6. Korting una Dr. E. Koschwitz
Profsesor a.d. Universität z. Kiel Professor a.d. Universität a. Greifswald
herausgegeben
Dr. D. Behrens,
Professor an der Universität zu Giessen.
Band XVII.
Zweite Hälfte: Referate und Rezensionen.
Berlin.
Verlag von Wilhelm Gronau.
1898.
INHALT.
—
REFERATE UND REZENSIONEN.
Arnould, L. Anecdotes inédites sur Malherbe. (G. Steffens.)
Benecke, A. Französische Schulgrammatik. (J. Block.)
Bets, L. Heine in Frankreich. (J. Sarrazin.) .
Bibliothèque française. (R. Kron.) .
— — (6. Carel.)
Breymann, H. Die neusprachliche Reform-Litteratur. (0. Mielck.)
Brunetière, F. Les époques du Théâtre français. (1636—50.)
(J. Sarrazin.) nee
Dieckmann, O. Französische “und englische Schulbibliothek.
(G. Soldan.) . . . .
Doumic, R. De Scribe & Ibsen. (J. Sarrazin.) .
Erzgraeber, G. Elemente der historischen Laut- und Formenlehre
des Französischen. (D. Behrens.) . .
Faust, R. Taine, Voyage aux Pyrénées. (I. Sarrazin.) . .
Franz, @. Ausgewählte Novellen von François Coppée. (C. Fries-
land.) . . .
Gasquet, Am. Lectures sur 1a Société française ı au 17 et 18. siècle.
(J. Sarrazin.) .
Génin, L. et Schamanek, J. | Conversations françaises sur les te-
bleaux d'Ed. Hölzel. (0. Mielck.) . .
Görlich, E. Materialien für freie französische Arbeiten. (0. Miele)
Gw. Tante Joujou. (R. Mahrenholtz.) .
Hartmann, K. A. Martin. Napol&on Bonaparte. (R. Kron. )
— — Die Anschauung im neusprachlichen Unterricht. (0. Mielck.)
— — Chénier-Studien. (J. Ellinger.) .
Hengesbach, J. D'Hérisson. Journal d'un officier d'ordonnance.
(E. Dannheisser.) . . .
— — Histoire de France de 4061328 von Lamé- Fleury.
(G. Carel.) .
Hölzels Wandbilder für den Anschauungs- und Sprach-Unterricht.
Handausgabe. (0. Mielck.)
Huquet, E. Étude sur la Syntaxe de Rabelais ‘comparée à celle
des autres prosateurs de 1450 à 1550. (L. Fränkel.) .
Jacot, A. Vingt ans après. (R. Mahrenholtz.) . . . . . .
179
168
121
Slapfer, P. Montaigne. (J. Frank.) :
Stein. Lehrgang der französischen Sprache à im Anschluss an die
Lehrpläne vom Jahre 1891. (K. Roeth.)
Strien, G. Cing-Mars. (J. Ellinger.) en
Foretssch, C. Die französische Heldensage. (W. Golther.)
Wagner, E. Mellin de Saint-Gelais. (G. Steffens.) . .
Wehrmann, K. Der erziehliche Wert der französ. und engl. Lektüre.
(E. Uhlemann.) .
Wolter, E. Frankreich. Geschichte, Land und Leute. (Block.)
Zatdli, D. La deuxième année de grammaire. (J. Ellinger.)
Zimmermann, E. Die Geschichte des lateinischen Suffixes -arius in
den romanischen Sprachen. (G. Körting.) .
Zola, E. Lourdes. (E. Netto.) on
MISZELLEN.
Abeck. Die 43. Versammlung deutcher Philologen | und Schulmänner.
Andrae, A. Zum Volksliede.
Fränkel, L. Césaire Villatte + . . .
Johansson, A. Ein Fall des Konjunctivs : in indirekten Fragenktzen
im Französischen.
Körting, G. Das Perfect im Romanischen.
Koschwitz, E. Ferienkurse in Greifswald 1895.
Mahrenholtz. Die Memoiren des General-Baron von Marbot.
Bouc des tomes de ia region Gpsconme. .
Ritter, E. Question.
Rossmann, Ph. Wie lehrt man in Frankreich die deutsche Sprache?
Rousselot, P. Le Cours de Vacances de Greifswald.
Weyhe, E. Boileaus sechste Epistel in freier Nachbildung. .
NOVITÄTRNVERZEICHNIE. . en... 47 130. 197.
—EEREDIE —
Referate und Rezensionen.
Schneegans, Heinrich. Geschichte der grotesken Satire. Mit 28 Ab-
bildungen. Strassburg. J. Trübner. 1894. XV. 523 S.
18 Mk.
Schneegans hat sich die schwierige Aufgabe gestellt, die
Geschichte einer sehr eigentümlichen aesthetischen Modifikation,
des Grotesken in der Poesie zu schreiben, und man wird sagen
därfen: er hat diese Aufgabe innerhalb der von ihm selbst ge-
zogenen Grenzen glänzend gelöst.
Die moderne Forschung neigt sich wieder mehr und mehr
der Ansicht zu, dass die Künste aus der Nachahmung der Natur
entsprungen seien. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass die
Künste nur in der Nachahmung der Natur bestehen; deun jeder
weiss, dass der Künstler auf sehr vielen Wegen sehr weit über das
Naturvorbild hinausgehen kann. Das äusserste Extrem einer solchen
Emancipierung und Entfernung von der Natur ist aber das Groteske.
Der Ausdruck „grotesk“ bezieht sich eigentlich auf eine Art
von Ornament. Man fand zur Zeit der Renaissance in den „grotte“
der Titusthermen antike Wandmalereien von seltsam abenteuer-
lichem Charakter, deren letzter Ursprung wohl im Orient zu suchen
st. Es waren hier, wie Vitruv sagt, monstra potius quam ex rebus
finitis imagines certae zur Ausschmückung von Wand und Decken
verwendet worden. Solche Verzierungen, die man bald eifrig nach-
ahmte, nannte man grotesk. Der Begriff des Grotesken hat nun
mit der Zeit diese engere Bedeutung zersprengt; er ist zu einer
allgemeinen aesthetischen Kategorie geworden, deren Umfang, ja
deren Wesen freilich etwas unbestimmt geblieben ist, sodass sich
Sch. genötigt sieht, vor allem eine neue Definition zu versuchen,
ehe er an seine historische Aufgabe herantritt. Ich gebe den Ge-
dankengang dieses Versuches zunächst rein referierend wieder und
werde erst am Schluss meiner Besprechung einige kritische An-
merkungen dazu machen.
Als wesentliches Merkmal des Grotesken wird von manchen
das Phantastische, Ungeheuerliche und dabei behaglich
Heitere angeführt, von anderen das Karikierende. Sch. kommt,
indem er drei als grotesk bezeichnete Beispiele untersucht, zu dem
Resultat, dass beide Ansichten vereinigt werden müssen.
Zisehr. £ frz. Spr. u.Litt. XVII®, 1
Heinrich Schneegans. Geschichte der grotesken Satire. 3
Kontraste aufwies, musste eine Satire herausfordern, die gleichfalls
ins Kolossale und Ungeheuerliche ging, d. h. eine groteske Satire.
Sogar der groteske Stil entspricht dem Charakter der Zeit in seinem
fast atemlosen Dahinstürzen, seiner wilden Willkürlichkeit, aber
auch in seiner übersprudelnden Lebensfülle.
Den höchsten Punkt in der Entwickelungskurve der grotesken
Satire nimmt Rabelais ein. Sch. teilt daher seine Untersuchung
in drei Abschnitte: die Zeit vor Rabelais, Rabelais selbst und die
Zeit nach Rabelais. Auf die Antike geht er nicht ein, sondern be-
ginnt das erste Kapitel des ersten Teils mit dem Mittel-
alter. Infolge seiner Definition hält er den „Ulk mit dem Heiligen“
in den Mysterien für burlesk, nicht für grotesk. Wenn z.B. der
Erzengel Gabriel Gottvater zuruft: Père éternel, vous avez tort | et
devriez avoir vergogne | Votre fils bien aimé est mort | et vous ronfles“
(59), so haben wir hier ein Herabziehen des Objekts, keine Über-
treibung. Dagegen sind manche scherzhafte Behandlungen des Ge-
betes grotesk, z. B. das Credo des Wüstlings, dem sich sogar
auf dem Totenbette das Gebet in Lästerung verwandelt. Den
breitesten Spielraum für groteske Übertreibungen bietet aber schon
bier die Kirche. In dem Tradatus Garsiae Tholetani Canonici de
Albino e& Rufino (69) wird die Macht der heiligen Märtyrer Albinus
und Rufinus (des Silbers und des Goldes) in grossartigen Kari-
kierungen verhöhnt. Man kann, wenn man nur „Reliquien“ dieser
Märtyrer nach Rom bringt, einfach alles erreichen; denn der Papst
kann nie genug davon bekommen: „Bringt mir her“, ruft er, „was
Ihr findet, de renibus Albini, de visceribus Rufini, de ventre, de
stomacho, de lumbis, de ungue, de humeris, de pectore, de costis, de
cervice, de cruribus, de brachüs, de collo, quid plura? de omnibus
membris duorum martirum! Bei Rutebuef (78), der auch über
die Unreinlichkeit der Bauern, die Schlauheit der Weiber und die
Quacksalberei der Ärzte loszieht, finden sich toll gehäufte Wort-
spielereien als Merkmal des grotesken Stils. In anderen Satiren
wird die Prahlerei der niederen Spielleute, die -Ruhmredigkeit der
Engländer und Bretagner, die Feigheit der Freischützen Karls VII.
a s w. durch groteske Übertreibungen lächerlich gemacht. Und
im Dit d'aventures (93) liefert uns schon das 13. Jahrhundert eine
echt groteske Verspottung der Abenteuerromane; hier tritt neben
haarsträubenden Übertreibungen auch schon die komische Über-
genauigkeit in Zahlenangaben auf, der man später auf Schritt und
and Tritt begegnet.
In dem zweiten und dritten Kapitel wendet sich die
Untersuchung der italienischen Renaissance zu, wo Sch. die
satirische Ritterdichtung und die macaronische Poesie
unterscheidet. In Beziehung auf die Ritterdichtung ist in erster
1*
Heinrich Schneegans. Geschichte der grotesken Satire. 5
Zweck mit der Hôlle, die ihm aus Dank für geleistete Dienste
ihre verstossenen Engel gern zur Verfügung stellt. In der Unter-
redung zwischen den Abgesandten des Himmels und seiner Gegner
bringt es der groteske Humor des Dichters zu grossartigen Contrast-
wirkungen.
Wir gelangen nun in dem zweiten Teil zu dem genialsten
Vertreter der grotesken Satire, zu Rabelais, in dem sich diese
eigentümliche poetische Gattung zu klassischer Höhe erhebt.
Sch. hat hier sehr mit Recht einen Unterschied zwischen der Ver-
spottung der Ritterromane und der Geisselung anderer
Schäden der Zeit gemacht; denn jene bildet, zusammen mit der
fröhlichen Trinkerstimmung, die durch das Werk geht, gleichsam
den urkräftigen Stamm des Ganzen, von dem sich als reichbelaubte
Äste die Satiren der verschiedenen Gesellschaftsklassen abzweigen.
— Bei der Verspottung der Ritterromane (erstes Kapitel des
zweiten Teils) handelt es sich, abgesehen von dem eigentlichen
Gargantua und Pantagruel auch noch um Les grandes et inesti-
mables Chroniques du grand et énorme géant Gargantua (174) und
um Les Chroniques admirables du puissant Roy Gargantua (193),
zwei Satiren, die schon dem Rabelais selbst zugeschrieben worden
sind. Sch. ist der Meinung, dass die erstere nur von Rabelais be-
arbeitet, die letztere eine von fremder Hand unternommene rohe
Compilation der ersten Chronik und des Pantagruel sei. — Rabelais
steigert mit übermütiger Laune die Grösse, Kraft und Geschicklich-
keit seiner Ritter ins Unmögliche, wenn z. B. Pantagruel nur seine
Zunge herauszustrecken braucht, um sein ganzes Heer vor dem
Regen zu schützen oder wenn von ihm erzählt wird, dass die Pfeile,
mit denen er schiesst, so enorm sind wie die Brückenpfeiler zu
Nantes und Saulmur, und andrerseits, dass er mit diesen Pfeilen
auf tausend Schritte die Austern in der Schale aufmacht, ohne auch
nur die Ränder zu streifen, oder ein Licht schnäuzt, ohne es aus-
zulöschen (207). Dabei wirkt dann sogar die ungeheuere In-
konsequenz grotesk, mit der Rabelais dieses Monstrum an Grösse
doch wieder unter gewöhnlichen Menschen wie unter seinesgleichen
verkehren lässt (189). Auch die Rührseligkeit der Helden und die
übergrosse Genauigkeit in Grössen- und Zahlenangaben gehört zu
der Verspottung der Ritterromane. Für letzteren Zug führt Sch.
ein Beispiel an, das den Dichter in seiner ganzen Schelmerei zeigt.
Von der Keule des Riesen Werwolf heisst es: „Sie war 9700 Centner
und ®/, Pfund schwer, aus Chalybes Stahl geschmiedet und hatte
am dicken Ende 13 diamantene Stacheln, von denen der kleinste
sw gross wie die grösste Glocke von Notre Dame war. Na, viel-
leicht um eines Nagels oder höchstens eines Ohrlöffelrücken Breite
kleiner, — denn lügen möcht ich nicht, aber grösser war der Unter-
schied auf keinen Fall“ (191).
Heinrich Schneegans. Geschichte der grotesken Satire. 7
von dem ja Rabelais auch sonst (Kap. XVII) nicht eben günstig
denkt. Jedenfalls ist es schade, dass sich Sch. nicht eingehender
mit dieser problematischen Natur beschäftigt hat.
Das dritte Kapitel ist Rabelais’ Stil gewidmet. Die durch
den grotesken Inhalt erzeugte Form ist hier wohl zum erstenmal
auf Grund eines grossen Materials im Zusammenhang entwickelt
worden. Die satirische Übertreibung steigert sich zur Lust am
iben als solchem; das zeigt sich z. B. an den unerhörten
Folgen des Mispeljahres (248) und an der Beschreibung der furcht-
baren Hitze bei Pantagruels Geburt (die übrigens doch indirekt —
als Erklärung seines Durstes — zur Satire gehört. Auch die
groteske Ausdehnung mancher Begriffe (die Schulden, das Leihen)
ist hier anzuführen. Weitere Eigentümlichkeiten des grotesken Stils
zeigen sich in der überwuchernden Fülle des Satzbaues: Die Häufung
von Synonymen (les serfs, varlets et appariteurs, leurs maistres et
seigneurs), die endlosen Aufzählungen (die 215 Spiele, die Gargantua
— übrigens nicht „als Kind“, S. 261, sondern als Student in Paris
. — spielt), die neuen "Wortbildungen, die onomatopoetischen Spielereien,
die Gleichklänge und Wortspiele, durch die die Erzählung gleich-
sam ein beständiges Schellengeläute hören lässt.
Ich wende mich nun dem dritten Teil zu. In dem ersten
Kapitel werden zunächst die äusserlichen Nachahmer des
Rabelais behandelt, die nur darauf ausgehen, es ihm abzusehen,
„wie er sich räuspert, wie er spuckt“; unter ihnen ist Beroalde
am glücklichsten. Von höherem Interesse ist Rabelais’ Einwirkung
auf die bildende Kunst. Zwölf Jahre nach dem Tode des Dichters,
1565, erschien ein kleiner Band mit 120 Holzschnitten: Les songes
drolatiques de Pantagruel (291). Die bei Sch. wiedergegebenen
Proben werden den Leser überzeugen, wie vollständig hier die
zeichnerische Kunst den Anregungen der poetischen gefolgt ist.
Das zweite Kapitel betrachtet die von Rabelais beeinflusste
französische Satire. Neben einzelnen Ansätzen des grotesken
Stils bei Antonius de Arena und Desperiers (312, 317) ist
hier besonders Theodor von Beza (322) zu nennen, der in seiner
Epistola magistri Passavantii (1553) den Abt Pierre Lizet und die
ganze katholische Kirche in echt groteskem Stil verhöhnt. Gleiches
gilt von dem Livre des marchands (329), dessen Verfasser sich als
prochain voisin du seigneur de Pantagruel bezeichnet, und in den
Satiren der päpstlichen Küche (331). Am geistvollsten aber unter
allen diesen hugenottischen Satiren ist des Marnix de Ste. Alde-
gonde Tableau des differens de la religion, worin scheinbar zum
Lob der katholischen Kirche die gräulichsten Dinge berichtet werden.
Im dritten Kapitel tritt uns der berühmteste Nachahmer
des Rabelais entgegen: Fischart, auch ein Vertreter der neuen
Heinrich Schneegans. Geschichte der grotesken Satire. «9
läufern der grotesken Satire und des grotesken Stils. In
Italien entstand die „pedanteske“ Poesie (Verspottung des
pedantischen Humanismus), die schon im 15. Jahrhundert durch
Pontano’s Charon vertreten war (429), durch Francesco Belo,
Pietro Aretino und Giordano Bruno weiterentwickelt wurde
und dann in Camillo Stroffas Gedichten zu voller Blüte gelangte.
Einen breiteren Raum nahm aber die lustig weiter gedeihende
macaronische Dichtkunst ein (436); Bartholomaeus Bolla
(bes. de casci stupendis laudibus, ein groteskes ,Käselob“), Orsini,
Zanclaio sind hier zu nennen. Ausserdem ragt Girolamo
Amelunghi (480) durch echt groteske Schilderungen von Riesen
und Zwergen hervor. In Deutschland tritt uns das erste Beispiel
macaronischer Poesie in der Floia (1593, S. 447) entgegen, die aber
nur einzelne groteske Züge enthält. Das Gleiche gilt von der etwa
50 Jahre später beginnenden macaronischen Studentendichtung
(448) von den Rhapsodien ad Brautsuppam (451) und von der
Curiösen Inaugural- Disputation (450), in der die lustigen Verse stehen:
Trinkite cum gansis et ne quid bleibat in Humpis,
In Naglum Daumi postremam giessite guitam!...
Rufite juch juch hei! cum Degis kritsite fig faz,
Donec frühmorgens tandem post Betta gehatis !
Sic ergo vobis commendo Lusticitatem !
Ein echt grotesker deutscher Dichter ist endlich Andreas
Gryphius, dessen Horribilicribrifax und Daradiridatumdarides Sch.
nur nebenbei, an Scarron anknüpfend bespricht, sodass er im
Inhaltsverzeichnis unter die Franzosen zu stehen kommt. — In
Frankreich findet sich eine groteske Überbietung macaronischer
Poesie in der Histoire macaronique de Merlin Coccaie (454).
Scarron’s Typhon und Aeneis sind nicht grotesk, sondern burlesk;
dagegen gehören seine Bouiades du Capitaine Matamore (463)
anserer Kunstform an. — In Spanien ist der Don Quixote ein
glänzendes Beispiel grotesker Satire (470), obwohl der groteske Stil
dem Cervantes fehlt (ich glaube, nach Sch. eigener Definition nur
die Verspottung der Lesewut des Helden grotesk nennen zu dürfen,
während seine Abenteuer doch mehr dem Burlesken angehören).
Somit ist hier nur die mefrificatio scolastica des Matias de Retiro
(472) und einzelnes bei Quevedo (470) grotesk. — Unter den Eng-
ländern endlich bespricht Sch. zunächst Dunbar und Skelton
(473 f.); bei letzterem ist der Stil oft echt grotesk, so in der ge-
langenen Schilderung des Predigers (475): He cryeth and he creketh,
| He pryeth aud he peketh, | He chydes aud he chatters, | He prates
and he palters, | He clytters and he clatiers, | He medles and he
smatiers, | He gloses and he flatters. Bei Shakespeare (476) finden
sich ausser grotesken Witzen und Bildern auch einzelne groteske
Heinrich Schneegans. Geschichte der grotesken Satire. 11
heimlichen, Dämonischen vereinigen und hier Wirkungen
hervorrufen, die dem Grotesk-Komischen vollkommen ebenbürtig
sind. Dieses Doppelantlitz des Grotesken erklärt sich sehr einfach
aus seiner Natur; denn es ist einleuchtend, dass das Ungeheuerliche
je nach der Beleuchtung, in die es tritt, erheitern oder erschrecken
kann. Es ist daher ein glücklicher Umstand, dass Sch. sein Buch
eine Geschichte der grotesken Satire genannt hat. Er hätte es
seiner Definition nach ebensogut als Geschichte der grotesken
Poesie bezeichnen können. Dann würde er aber seine Aufgabe
nur halb gelöst haben; denn es bliebe noch das grosse Gebiet des
Unheimlich-Grotesken zu behandeln, wobei wohl in erster Linie die
Bomantik — ich nenne nur Victor Hugo — zu betrachten wäre.
Aber ich habe noch zwei weitere Einwände zu machen, bei
denen es vielleicht mehr auf subjektive Ansichten ankommt. Mir
scheint nämlich ferner die Definition von Sch. auch innerhalb
des Grotesk-Komischen zu eng zu sein. Muss denn das Komische
satirisch sein, um grotesk zu wirken? Es seien nur einige Bei-
spiele aus dem Buche selbst herausgegriffen, die mir das Gegenteil
wahrscheinlich machen. Sch. setzt das Burleske in einen sehr
deutlichen Gegensatz zum Grotesken (vgl. 0.) Dennoch sagt er, die
macaronische Poesie sei zwar eine der Tendenz nach burleske
Erscheinung und nicht satirisch (141), wirke aber durch ihre
Masslosigkeit grotesk, ja gebe (140) ein nahezu vollständiges
Bild des grotesken Stils. Ist hier nicht die Annahme sehr
naheliegend, dass das Groteske gar nicht satirisch zu sein braucht?
Auch bei der Abbildung aus den „songes drolatiques“ S. 306 habe
ich den Eindruck des Grotesken, obwohl das Satirische fehlt. „Nicht
die Satire“, sagt Sch., „sondern die zügelloseste und abenteuerlichste
Fieberphantasie hat sie eingegeben“; das scheint mir aber gerade
auf einen grotesken Eindruck hinzuweisen. Ähnlich verhält es sich
bei manchen mittelalterlichen Skulpturen, die zwar nicht satirisch,
aber doch gewiss grotesk sind (vgl. 60, Anm. 4). Am deutlichsten
tritt aber wohl die Richtigkeit meiner Auffassung bei der Be-
sprechung von Rabelais’ und Fischart’s Stil hervor. „Der groteske
Satiriker“, heisst es S. 248 f., berauscht sich in seinem eigenen Werke.
Allmählich verliert er die Satire aus den Augen. Die Über-
treibungen, welche er selber zuerst in vollem Bewusstsein hat dahin-
strömen lassen, schwellen immer höher und höher, bis sie ihm über
den Kopf wachsen, und wie ein wilder Strom alles, was ihnen in
den Weg kommt, überfluten und überschwemmen“. „Wir fühlen
sehr wohl, dass das Satirische dabei keine Rolle mehr
spielt, vielmehr die tolle Lust an grossartigen Über-
treibungen hier allein massgebend ist“. „Solche von Über-
treibungen strotzende und der Satire entbehrende Beschreibungen
Sigmund Scholl. Die Vergleiche in Montchrestiens Tragödien. 13
wonach das Schöne nur die wertvollste Provinz in dem viel
weiteren Reiche des Aesthetisch-Wirksamen bildet.
GIESSEN. KARL GROOS.
Voretzsch, Carl. Die franeösische Heldensage. Akademische An-
trittsrede an der Universität Tübingen, gehalten am
25. Jan. 1894. Heidelberg, Carl Winter’s Buchhandlung
1894. 89, 32 S. Preis 80 Pf.
Der Vortrag giebt eine klare, übersichtliche Darstellung vom
Wesen der frz. Heldensage, deren Verhältnis zum Heldenepos be-
stimmt wird. Die Geschichte der Heldensage fällt dem Gebiet der
Altertumskunde, die des Heldengedichtes der Litteraturforschung zu.
Beide sind freilich enge und unlöslich verknüpft, weil das Gedicht
oft allein die Heldensage überliefert und nur eindringende litterarische
Untersuchungen die eigenen Zuthaten der Dichter vom älteren über-
kommenen Stoff zu scheiden vermögen. Ich pflichte dem Redner
aus voller Überzeugung bei, wenn er eine wissenschaftliche Sonder-
behandlung der frz. Heldensage nach dem Vorbilde der deutschen
wünscht. Es giebt ja treffliche Vorarbeiten von G. Paris, Pio Rajna,
Kristoffer Nyrop, Godefroid Kurth, aber noch kein zusammenfassendes
eignes Werk. Der Heldensage sind höchstens einzelne Abschnitte
in den Litteraturgeschichten gewidmet. Eine kritische, wohl ge-
sichtete Sammlung der Zeugnisse, woran sich Grundzüge der Ent-
wickelungsgeschichte schlössen, wäre ein sehr verdienstliches Unter-
nehmen. Die frz. Heldensage ist der regen Teilnahme der germanischen
Altertumskunde sicher, nicht blos weil beide stoffliche Berührungs-
punkte haben, sondern auch weil eine umfassend angelegte, gründ-
lich ausgearbeitete französische Heldensage methodologisch, über
Ursprung der Heldensage aus der Geschichte, sehr lehrreich wäre.
MÜNCHEN. WOLFGANG GOLTHER.
Scholl, Sigmund. Die Vergleiche in Montchrestiens Tragödien.
Inaugural-Diss. d. philos. Facultät z. München. Nördlingen,
Beck, 1894, 68 S. 8°.
Verf. bespricht zunächst die Quellen über Montchrestiens Leben
and die neueren ihm gewidmeten Darstellungen, wobei er eine
ziemlich scharfe, aber keineswegs unberechtigte Kritik übt. Sodann
giebt er eine ausserordentlich vollständige Übersicht der Vergleiche
und Bilder in M’s dramatischen Arbeiten. Die Vergleiche sind dem
14 ‚Referate und Rezensionen. R. Mahrenholte,
organischen und unorganischen Naturreiche, dem menschlichen Leben,
der Geschichte und Sage und dem Alltagstreiben entnommen, meist
von grosser Phantasiebegabung des Dichters zeugend, nur selten
gesucht oder geschraubt. Viele Gleichnisse sind aus Robert Garnier's
Tragödien, manche andre aus Homer, der von M., wie Verf. über-
zeugend nachweist, nach der Salelschen Übersetzung (Par. 1754)
benutzt ward, andre aus Vergil entlehnt, Dass Trissinos Sophonisbe
oder deren Bearbeitung durch Melin de St. Gelais von M. ausgenutzt
sei, ist nach Verfassers Ausführung ebensowenig nachweisbar, wie
Entlehnungen aus André de Rivaudeaus Tragödie Aman. M. ist in
der gleichbetitelten Tragödie, ebenso wie in seinem David, der alt-
testamentlichen Vorlage treu gefolgt. Den Stoff zur Tragödie
Lacènes hat M. dem Plutarch, den zur Sophonisbe aus Livius ent-
nommen. Bilder und Vergleiche konnten ihm beide nicht herleihen.
Verf, weist darauf hin, dass die 2te Ausg. d. Tragödien M.'s
vom J. 1604 eine vollständige Umarbeitung und Verbesserung der
vom J. 1601 sei und dass in derselben auch die Metaphern und
Bilder eine Vervollkommnung nach der ästhetischen, wie logischen
Seite hin erfahren haben.
Im Schlussabschnitte vergleicht Verf. die Tragödien Ms mit
denen Corneilles und Racines. Bei M. überwiegt das lyrische und
epische Element, seine Dramen leiden an Mangel der Handlung,
das Geschehene wird nur erzählt, die Dichtungen sind mit geringen
Ausnahmen nichts andres, als dialogisierte Geschichte. Desto reicher
und schöpferischer waltet seine Fantasie, desto mannigfaltiger und
schillernder sind seine Gleichnisse und Bilder. Bei Corneille und
Racine tritt die Charakteristik der Personen und die dramatische
Handlung in den Vordergund, Bilder und Vergleiche sind sparsamer
und tragen ein konventionelles Gepräge. Die Redeweise und Bilder-
sprache bei M. entspricht nicht den Situationen und Characteren,
man hört nur den Dichter, nicht seine Personen. Alle
schwungvoll, pathetisch und antikisierend. Darin folgte er dem
Geschmacke seiner Zeit.
Verf. hat durch seine auf gründlichen Quellenstudien und
umfassender Kenntnis aller neueren Bearbeitungen ruhende Ab-
handlung jedenfalls eine Lücke der Forschung und Darstellung
ausgefüllt und durch Zusammenfassung der gewonnenen Resultate
an den Schlussstellen der einzelnen Abschnitte die Übersicht erleichtert.
Auch sein höchst sorgsames und erschöpfendes bibliographisches
Verzeichnis ist unbedingt dankenswert.
R. MAHRENHOLTZ.
7
Karl Schmidt. Die Gründe des Bedeutungswandels. 17
ziehungen, da des Philosophen Besuch in Gotha (Sept. 1763) auf
eine sehr ungünstige Zeit fiel, denn der Hof dachte an Übersiedlung
nach Altenburg. Als Rousseau 1765 aus Motiers vertrieben wurde,
lad die Herzogin ihn nach Gotha ein, obwohl sie ihn sonst wenig,
wie das ihrer Voltaireschen Geistesrichtung entsprach, liebte. In
philosophischer Hinsicht hielt Luise an den Grundlehren Voltaires
fest, bekannte sich daher zum Gottes- und Unsterblichkeitsglauben
und mochte von Grimms unbedingteın Sceptizismus nichts wissen.
Die Schriften Voltaires bewunderte sie rückhaltlos, doch fand sie
dessen Urteile über Corneille (in dem Kommentar zu dessen Werken)
zu streng. Wie der Alte von Ferney, beobachtete sie äusserlich
die sprachlichen Formen und wusste mit der Orthodoxie, die in Gotha
durch den Konsist.-Vicepräs. Cyprian vertreten war, sich leidlich
sıstellen. Für Erziehungsideale schwärmte sie mit dem Aufklärungs-
æitalter. Rousseaus Emile erschien ihr als Chimäre (genau so wie
Voltaire und Grimm), dagegen erzog sie ihren Sohn nach den Grund-
sitzen Wolffscher Moral. Unbedingte Anhängerin der Glaubens-
freiheit, nahm sie sich der mährischen Brüdergemeinde in Dietendorf
gegen das Gothaer Konsistorium an. Jedenfalls war sie eine höchst
edle, vielseitig gebildete, für die grossen und kleinen Interessen der
Menschheit empfängliche Frau. Ihre Beziehungen zur Aufklärung
üchern ihr einen Ehrenplatz in der Litterargeschichte Frankreichs
ınd Deutschlands und geben der langersehnten, fleissigen Biographie
üeser Fürstin wohl begründeten Anspruch auf Erwähnung in dieser
R. MAHRENHOLTZ.
Schuidt, Karl. Die Gründe des Bedeutungswandels. Ein semasiologischer
Versuch. Berlin. Druck von A. W. Hayn’s Erben. (1894 Pro-
gramm). 44 S. 4°.
In vorliegender, auf Grund reicher lexikalischer Hilfsmittel und
aller nennenswerten Arbeiten über Semasiologie unternommenen Dar-
sellung hat der Verfasser versucht, die Gründe des Bedeutungswandels
esschöpfend zu behandeln. Wie weit ihm dies gelungen und ob die durch-
gelährte Einteilung vom Standpunkte der Logik empfehlenswert erscheint,
wird wohl am besten aus ciner anfmerksamen Betrachtung der ver-
schiedenen Teile hervorgehen.
Der Verfasser führt als Gründe des Bedeutungswandels an:
I. Bedürfnis mit den Unterabteilungen: A. Kulturwandel. a) Neue
Dinge b) Aenderung vorhandener Dinge. c) Aenderung der Verhältnisse
und Sitten. d) Neue Begriffe, Kulturverfall, Klassensprachen. B. Lücken-
büsser (Stellvertreter). a) Zu kurze oder klanglose Wörter. b) Unbildsam-
keit oder unregelmässige Flexion. c) Klarheit. d) Rücksicht. e) Verlust
Bedeutungswandel. f) Verlust der Worte.
JI. Bequemlichkeit. — III. Nachahmungstrieb. — IV. Beeinflussung.
— V. Sinnliche Kraft des Ausdrucks. — VI. Dentlichkeit. — VII. Zart-
Zischr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII? 2
Karl Schmidt. Die Gründe des Bedeutungswandels. 21
polstar. Nebenvorstellung wird hier zur Hauptvorstellung. S. hierüber
Darmesteter la vie des mots S. 86. & 42.
4. Eine Thätigkeit wird genannt nach dem dazu erforderlichen
Werkzeug; lingua Zunge — Sprache; Stilus Griffel — Schreiber; eau-
forte Scheidewasser — Radierung; it. pugno Faust — -schlag. Um-
gekehrt: Zirkel; poinçon Piriem von punctio das Stechen. Eine Spezialität
Bedeutungsgesetzes der Kausalität. Ebenso
5. Man bezeichnet das Objekt oder das Resultat einer Thätigkeit
oder Gesinnung nach dieser: Arbeit — opus; venatio Jagd — Wildbret;
tonsionem Schur — toison Schaffell, das Essen — diner, déjeuner, souper.
6. Personen und Gegenstände erhalten ihren Namen von ihrer
Thätigkeit oder dem Verhältnis, dem sie angehören; frz. Jeunesse, témoin
(aus testimonium), service (auch Geschirr), ordonnance (auch Bursche).
Auch hier liegt causale Association vor.
7. S. 24. Der Grund wird aus der Folge bezeichnet (also Kausal-
verbindung): snventio Erfindung -- Erfindungskrait; parole Rede — Sprech-
fähigkeit, — Sprache, discours. Umgekehrt it. tosto schnell, ursprüng-
lich heiss.
8. Der Name des Thätigkeits- oder Lebenskreises wird übertragen
auf Thätigkeit oder Gesinnung; ménage Haushalt — Sparsamkeit; engl.
kind, Un zu Art, to like, heimisch. (Kausalverbindung).
ie Eigenschaft wird nach dem betr. Stoffe benannt: Scharlach,
Purpur, carmesino, vermiglio. Hier liegt ebenfalls Kausalverbindung vor.
10. Zugeliöriges nach der Hauptsache oder dem Träger: trastement
Behandlung — Gehalt; entrée auch Eintrittsgeld, action auch Schein über
Beteiligung an kaufmännischen Unternehmen; devise Abteilung — Ab-
zeichen; dôme Kirche — Kuppel und pavillon Zelt — Flagge (das zuerst
und bis zuletzt sichtbare. Wirksam sind hierbei die Associationen nach
Über-, Neben- und Unterordnung, sowie der unabhängig existierenden
simultanen Vorstellungen. Umgekehrt wird ein Gegenstand (Person) nach
einem Merkmal benannt: grisette Stoff — Grisette; sp. verdugo Rute —
Henker; Fähnlein, Reiter.
11. Ein Gegenstand, eine Darstellung oder Abbildung wird nach
dem Urheber, Ereignis, dargestellten Gegenstand benannt; ein Cicero,
Raphael, Apollo, Silhouette, mannequin (Kausalverbindung).
Aber auch umgekehrt: afz. histoire Erzählung — Vorfall; memoria
(Gredächtnis — Ereignis; religio auch Gegenstand der Verehrung.
12. Man bezeichnet nicht das Einzelwesen, sondern die Klasse, in
die es gehört: Kamerad, Frauenzimmer, Bursche; frz. recrue Nachwuchs —
Rekrut; pendant Gehänge (— d’oreillee) — Gegenstück (umgekehrt Paar:
lat. par das mit einem anderen zusammengehörende, dann beide zusammen-
gehörende). (Association eines Teiles zu einem Ganzen).
13. S. 25. Man überträgt bei Gegenständen oder Personen, die
in einem Verhältnis zu einander stehen, eine Bezeichnung, die nur für
den einen passt, auch auf den andern: „billiger“ Preis ist ein zu billigender,
gerechtfertigter Preis — billiger Gegenstand; ebenso reeller Preis -- reelle
Waare, reelles Geschäft, reeller Kaufinann, infestus gefährdet — gefähr-
lich, caecus, surdus, mutus u. &., it. lanterna ciega, Îrz. gar lanterne sourde;
blindes Glas, blinder Passagier, taube Nuss; engl. deaf. — unfruchtbar;
— Vertrauen; apprendre lernen — lehren; afrz. detteur Schuldner
und Gläubiger. Es ist dies einer der merkwürdigsten Fälle des Be-
deutungswechsels. Denn hier findet bei den Eigenschaftswörtern eigent-
lich Beeinflussung durch das Substantiv statt, mit welchem das ihnen
verbundene im Verhältnis steht und eine Kausalbeziehung ist es, welche
den Wandel hervorruft. In manchen Füllen, wie taube Nuss, engl. deaf
Karl Schmidt. Die Gründe des Bedeutungswandels. 23
17. Auch durch den Gegensatz kann ein Wort ein anderes beein-
flussen; marätre. ursprünglich „Stiefmutter“ hatte die Bedeutung „Raben-
mutter“ angenommen, daher setzte man belle-mere „liebe Mutter dafür“;
so ist wohl compendium nur verständlich als Gegensatz zu dispendium,
ebenso concretus-abstractus, Kapital Hauptsumme gegenüber den kleinen
Posten der Zinsen; grand-son u. s. w. verdanken ihre seltsamen Namen
ihrem Gegensatz grand-father u. s. w., wie andererseits petit-enfant gegen-
über grand-pere.
18. S. 33. Auch die emphatisch gebrauchten Worte führen zum
Bedeutungswandel, indem hier das Pathos der Aussprache, die Betonung,
der Klang der Stimme dahin führen, dem Worte eine andere Bedeutung
su geben. Unter günstigen Verhältnissen giebt dann ein Wort die ur-
prüngliche Bedeutung ab, nämlich, wenn ein anderes Wort existiert, das
sie übernehmen kann, und behält nur die gesteigerte, z. B. Gewitter,
mhd. gewitere: Wetter, Unwetter; vgl. tempus-tempestas. Erfolg, succès,
réussir; étre de famille, personne de qualité. An einen hervortretenden
Vertreter einer Klasse, oder einen hervortretenden Teil eines Objektes
heftet sich eine solche Beschränkung noch leichter: urbs = Rom, campus
(Martius), i} torso (scil. des Herkules von Belvedere), it. pellegrino, frz. robe,
irre. Dazu wird noch S. 34 bemerkt, dass die Entscheidung, in welche
Bedeutung ein solches Wort übergehe und wie es sich spezialisiere, in
erster Linie von dem vorhandenen Sprachbestand (Lücken) und der Kraft
der Verbindungen (ilırer Beliebtheit) abhänge. fortuna Zufall — Glück,
aber fatum Geschick — Verderben; prov. astre (estirn: benastruc glück-
lich, malastruc unglücklich, astruc glücklich, adastrar beglücken.
Hier könnte vielleicht auch noch Platz finden, was H. Paul S. 158
—59 seiner Prinzipien der Sprachgeschichte sagt, nämlich, dass eine
Bedeutangserweiterung des Grundwortes oder des dem Sprachgefühl als
solches erscheinenden Wortes sich leichter der Ableitung mitteile, als
umgekehrt eine Bedeutungserweiterung der Ableitung dem Grundwort.
Ferner, dass ein Name sich nach Richtuñgen hin entwickeln könne, nach
denen es dem Verbum zu folgen unmöglich sei, und dass für das Ad-
verbium manche Bedeutungsentwickelungen möglich werden, die dem
Adjektivum unmöglich sind.
Unter V. Sinnliche Kraft des Ausdruckes.
19. S. 36. Die Bezeichnungen starker Gefühlskraft schwächen
sich darch vielen Gebrauch zur Verstärkung ab: sehr, wenig; jlingeren
Datums: furchtbar (lachen), fürchterlich (reich sein).
20. VI. Deutlichkeit. S. 37. Wörter, welche mehrere Bedeutungen
haben, so dass Missverständnis dadurch möglich wird, schränken den
Kreis ihrer Bedeutungen ein, sobald sich ein geeignetes Wort, auf das
ein Teil der Bedeutungen übertragen werden Kann. findet, z. B. orteil
frz. — Gliedchen, Finger. Zehe; da aber doigt Finger existiert, wurde
orted auf die Bedeutung Zehe beschränkt.
21. S. 38. Ein Wort, das eine spezialisierte Bedeutung angenommen
hat, lässt die allgemein fallen, wenn dafür Ersatz vorhanden ist; z. B.
fromm, Witz, engl. wit, Hochzeit, Ehe, Urlaub, frz. loisir, répit, Mut,
courage.
22. S. 38. Benutzung vorhandener Doppelformen ist ein Mittel,
Klarheit zu erreichen; z.B. irz. chaire — chaise; engl. conjure — conjüre;
mänkind — mankind. Dazu gehürt auch Aenderung der Flexion, Trennung
der Geschlechter oder Aenderung des (seschlechts; Vor- oder Nachstellung
gewisser Adjektive im Franz., Zuhilfenahme von Prae- und Suffixen.
23. S. 39. VII. Zartgefühl. Will man ein Wort meiden, so tritt
hierfür gewöhnlich eine vox media ein; hierher wären auch die Namen
24 ‚Referate und Rezensionen. K. Morgenroth,
zu rechnen: Metze aus Mechthild u. a. Oder man umschreibt das
miedene Wort dadurch, dass man nur aussagt, das betr. Wesen oder fie
Eigenschaft oder Thätigkeit gehören in eine gewisse Klasse, welche die
Art im einen charakterisiert: vitium, stuprum, schänden; die Be-
zeichnung der Art der Klasse, kann Sup wegbleiben: „das ist eine Sorte*,
„est une espèce", créature, Geschüpf, Person, Mensch; dadurch, dass
man nur das äussere nennt, so implicite andeutend, es fehle nennenswerter
Inhalt: scortum, Balg, Faulpelz; oder man verneint die entsprechende
Tugend; Unzucht, unverschämt, nichtswürdig; — oder man nennt die
Erscheinung euphemistisch: ,bemitleidenswerté: elend — por. fee
ee pr Cr à et ler man
emdworte: appartement, Kloset, Diarrhie, Prostituierte, Idiot, borniert;
— oder endlich, man wählt sogar edle Worte, welche dann also doppelt
sinken: Eumeniden, ‚ri, fanaticus, beat, bonhomme, benêt, saint.
24. 8. 42, Höflichkeit und Eitelkeit. Dreifacher Art sind
Höhe des Kulturstandes, auch wenn dieser wächst;
oben hin höhere Titel nötig werden, müssen jene Titel sinken,
verhältnismässig; z. B. Hauptmann, in alter Zeit — oberster Fe h
wurde nach und nach überragt und verdrängt durch Major (der
sil. als der his dahin Höchste) und Oberst (der über das Ganze gesetzt
ist); oder der alte Titel behielt seinen alten Wert, relativ genommen,
und steigt so mit der Entwickelung des Kulturlebens, z. B, pere
Leiter — Feldherr — Kaiser, Auch der Fall kommt vor, dass ver-
breiteter Titel einer Persönlichkeit so gefällt, dass sie ihn für sich vor-
behält, andere davon ausschliesst: Sanctitas war in alter Zeit vieler
geistlicher Würdenträger; seit dem 14 Jh, haben ihn die Pabste lür
sich reserviert.
Aus den unter Kulturwandel verzeichneten Klassen lassen sich noch
folgende Gesetze herausheben:
25. 8.8. Wenn sich vorhandene Dinge ändern, bleiben ihre
Namen, z, gt ie en ville aus Se cadran aus
quadrans. El où bei lungen: re wügen — len.
26. 8.9. c. Aenderung der Verhältnisse und Sitten: Eigentum
und Besitz beginnen zuerst im Hirtenleben, also an der fahrenden
später, sobald Ackerbau entspringt, wenden sie sich auf die liegende,
den breiten Grund und Boden.
27. Nene Begriffe. S. 11 d. Haben neue Begriffe einmal moralische
Bedeutung gewonnen, so halten sie an ihnen fest, die Worte sind ge-
heiligt, profanem Gebrauch entzogen. Dasselbe beobachtet man mit Bezug
auf das geistige Gebiet überhanpt. à
28. 8. 11d. Äussere Begleiterscheinungen von nr werden
zur Bezeichnung dieser selbst gebraucht: gt. gariudjo Erröten — Scham-
haftigkeit, wéfos Flucht — Furcht; It. lor u. 8. W.
29. & 12. Sinnliche Dinge oder Verhältnisse bezeichnende Wörter
werden auf innerliches übertragen: mhd, Kumber Zorn, It. horrere Schrecken,
Entsetzen; angoisse; abattu — niedergeschlagen, animus, spirilus,
areögua, pue
Hlerfer gehört auch die Schaffung der Redeleile: der Su!
aus den Adjektiven; der Adverbien, Prüpositionen, Konjunktionen ans
Nominibus u. s. w. Ebenso das hreben der Konjunktionen der
in Konjunktionen des Grundes: weil, da, sintemal, cum, puisque, öre U. &
und der Übergang der Demonstrativ- und Interrogativpronomina in Kelativ-
Domenico Zatelli. La deurième année de grammaire. 27
lassen sich recht wohl andere Gründe hierfür auffinden als das blosse
Dekretieren, das hier unter „Willkür“ verstanden wird.
Schliesslich wäre noch des ethischen Fortschrittes als eines Grundes
des Bedeutungswechsels zu erwähnen, wie er sich namentlich in Aus-
bildung der ethischen Begriffe und deren Umwertung zeigt. Als inter-
essante Beispiele der letzteren trefien wir hier S. 12 „Demut“, eigentlich
Knechtgesinnung, vgl. raneıroyeoourn ZU Tameıvos armselig, gering,
gt. hauneins zu haunjan, ahd. hönjon schmähen, also = Selbstschmähung,
Selbsterniedrigung; vgl. humilis, — raneıvo;, für den Römer einen Tadel
ausdrückend, gegenüber frz. humble bescheiden, demütig, ein Lob aus-
sprechend (vgl. den Gegensatz dazu in avrapxeux (Epikur) — fz. suffisance,
engl. self - sufficieney). Sehr belehrend in dieser Hinsicht ist auch Lecky
in seiner History of European Morals.
K. MORGENROTH.
Zatelli, Domenico. La deuxième année de grammaire. Programm der
Scuola reale superiore Elisabettina von Rovereto. 1894. 54.
Zur Orientierung der Leser dieser Zeitschrift wollen wir mitteilen,
dass Französisch nur in den drei obersten Klassen der italienischen Ober-
realschulen Jsterreichs (also in der V., VI. und VII. Klasse) gelehrt wird
und dass dieser Sprache in jeder dieser Klassen nur drei wöchentliche
Stunden eingeräumt sind. Der grammatische Lehrstoff im Französischen
verteilt sich, wie wir den Schulnachrichten des obigen Programmes ent-
nehmen, folgendermassen auf die einzelnen Jahrgänge: V. Kl.: „Regole
della pronuncia e del leggere, compresa la teoria degli accenti; teoria
delle parti flessibili del discorso, compresi i verbi irregolari, che più fre-
e occorrono; regole sintattiche necessarie all’intelligenza dei piu
facili componimenti in prosa“; VI. Kl.: „Riepilogo e completamento
della materia spiegata l’anno antecedente; teoria dei verbi
irregolari distints in gruppi secondi à vari mutamenti fonetici; parti in-
flessibils del discorso; nozioni generali sulla formazione dei vocaboli;
sintassi delle variè parti del discorso; uso degli ausiliari; teoria dei tempi
e dei modi; reggimento del verbo‘‘ ; VII. Kl.: ,,Completamento dellu sintassi;
regole sui participi; il periodo e le proposizions elittiche‘‘.
Nachdem der Verfasser in seiner Programmarbeit vom Jahre 1892
Il primo capitolo di un corso di lingua francese per le scuole (siehe diese
k ft, XVI®, p. 185 f.) gezeigt hat, wie er sich den franzüsischen
Unterricht im ersten Jahre (d. h. in der V. Kl. seiner Anstalt) denkt,
entwirft er nun einen Plan für den französischen Unterricht in der nächst
höheren Klasse. In seiner „La deuxième année de grammaire“ betitelten
Arbeit veröffentlicht er vorläufig eine ausführliche Lautlehre. der spüter
ählte Kapitel aus der Formenlehre und Syntax folgen sollen.
Unter den Werken, die der Verfasser für seine Abhandlung benutzt hat,
führt er auch die Zeitschrift für das Realschulwesen an. Er meint wohl
die Aufsätze des Referenten Zur Bindung in der frunzösischen Lectüre
(Zeitschrift f. d. R. XV, 317—334) und Uber die Aussprache des
1 unbetontien e in consonantischer Umgebung (ib. XVII,
65— 78), die in den 8% 18—20 (Le son e sourd) und 44—-46 (Prononciation
des consonnes dans la liaison des mots) ausgiebig verwertet erscheinen.
In der Behandlung der „liaison“ weicht er vom Referenten darin ab, dass
er sagt, dass nicht nur die Verbalendung -t, sondern auch die
Verbalendung -s in der vertraulichen Unterhaltung ge-
bunden werde (p. 53). Glaubt er aber wirklich, dass ein Franzose
Dr. Wilh. Ricken. Neues Elementarb. d. fre. Spr.f. Gymn. ec. 29
in der Auffassung und Anordnung abhandelt, welche die Schüler später
in der Grammatik des Verfassers wiederfinden werden, sammelt allen
hierher gehörigen Stoff, den die Lektüre bietet, in klarster Darstellung.
S. 89 bis 106 geben eine „Schule des Ubersetzens ins Französische“,
welche den wertvollsten Teil des Buches bildet. Zwar hält auch der
Referent das Übersetzen ins Französische auf den ersten Unterrichtsstufen
für eine Thätigkeit, welche den erwarteten Erfolg selten einbringt und
die Ergebnisse des übrigen Unterrichts oft genug schädigt; der neue
Lehrplan der badischen Realschulen verdrängt diese Übungen auch ganz
aus den untersten Kursen: wo indessen die Lehrplän derartiges noch
fordern, wird man an das Muster dieser Ricken’schen Übersetzungsschule
sich mit Nutzen halten können, da sie in hervorragender Weise zeigt,
wie das an der Lektüre Erlernte für neue und interessante Inhalte ver-
wertet werden kann. Ein tabellarischer Überblick über die gesamte Con-
jagation und sorgfältige Vokabularien schliessen das Buch, das für fünf
Schulhalbjahre Stoff bietet.
Die Grammatik kann im Anschlusse an das Elementarbuch gebraucht
werden; sie eignet sich aber für alle Lehrstufen, denen die Durchnahme
einer ausführlichen Grammatik nach einem elementaren Vorkursus obliegt.
Über Aussprache finden wir weder im Elementarbuche noch in der Grammatik
eine Mitteilung; diese Kapitel sprechen ja in der Regel mehr zum Lehrer
als zum Schüler. Die Grammatik bebandelt zunächst die Formenlebre,
welche mit dem Zeitworte beginnt. Hier werden zwei ,lebende* Con-
jegstäonen (porter, punir) und eine „tote (abgestorbene)“ angesetzt. Zur
sind ausser den Verben in re auch die nichtinchoativen in ir
gezogen. Damit ist die Anordnung nach den Infinitivendungen durch-
brochen. Dagegen ist kein wesentlicher Einwand zu erheben. Es wäre
dann nur erforderlich, dass für die Gruppierung der sogenannten unregel-
mässigen Zeitwörter augenfällige Merkmale anderer Art den Einteilungs-
grand abgäben. Das ist aber bei Ricken nicht durchaus der Fall. Die
eränderung des Stammvokals im Präsens charakterisiert hierfür nicht
genügend, wie schon der Umstand zeigt, dass dabei vouloir und valoir in
verschiedene Klassen gereiht werden müssen. Sonst ist die Behandlung
auch dieses Teiles der Grammatik sehr gut. Historische Grammatik wird
sparsam, aber immer mit guter pädagogischer Einsicht herangezogen
(vgl. S. 18). Der Abschnitt über das Pronomen zeigt, wie in allen
französischen Grammatiken, das didaktische Geschick des Verfassers. Wir
möchten hier nur die Frage aufwerfen, ob man nicht besser thäte, beim
Interrogativpronomen nicht vom Geschlecht zu reden, das der Fragende
ja doch nicht weiss, und die Formen so anzusetzen: für die persönliche
Frage Nomin. qui? Acc. qui? — für die sachliche: Nomin. que? Acc. que?
Dadurch würde der Unterschied vom Relativum, bei welchem qui für beide
Nominative, que für beide Accusative gilt, deutlicher werden. Etwas zu
umständlich sind vielleicht die Regeln über die Wortstellung, sehr gut
aber die Regeln über die Stellung des attributiven Adjektivs, die von der
Betonung ausgehen. Auch die unpersönlichen Zeitwörter werden
hübsch behandelt. Der Verfasser nimmt dabei Rücksicht auf das Deutsche,
was nur zu billigen ist. Dabei hätte wohl eine Bemerkung einfliessen
können darüber, dass in Sätzen wie „es liebt die Welt, das Strahlende zu
schwärzen“ nur Satzfüllung mittels „es“ vorliegt, aber kein Impersonale.
Gleiches Lob verdient die Tempuslehre. Wir würden aber nicht sagen,
dass das Präsens für die ‚in der Gegenwart verlaufende“ Handlung ge-
braucht werde. Es kommt hier nur darauf an, dass der Sprechende die
Handlung als gegenwärtig „sich vorstellt“, womit das sentenziöse und das
historische Präsens ebenfalls erklärt sind. Die Moduslehre ist durchaus
Arnold Ohlert. Deuisch- Französisches Übungsbuch. 31
7) müssen, sollen, dürfen, brauchen, verdanken. 8) Eigentümliche, vom
Deutschen abweichende Volkskonstruktionen. 9) Vermische Beispiele für
den Gehrauch des Konjunktivs. 20) Partizipium des Perfekte.
Über den Wert des Übersetzens aus der Muttersprache in die fremde
gehen die Meinungen der Fachgenossen ja noch immer weit auseinander.
Da sind auf der einen Seite die Anhänger einer extremen Richtung.
welche den Gebrauch der Muttersprache aus dem fremdsprachlichen Unter-
ricbte möglichst ganz verbannen wollen und ein fortwährendes Vergleichen
der beiden Sprachen mit einander für schädlich halten. Freie Ubungen
in der fremden Sprache sollen an Stelle des Übersetzens treten. Einer
der bekanntesten Vertreter dieser Richtung ist Klinghardt. — Andere
gen nach wie vor grossen Wert auf das Hinübersetzen und verlangen,
dass der Schüler imstande sei, selbst schwierigere Stücke, ohne Anlehnung
an ein fremdes Original, womöglich deutsche Klassiker, in die fremde
Sprache zu übertragen. Zwischen diesen und jenen giebt es eine ver-
mittelnde Richtung, welche das Hinübersetzen in der Weise zulässt, dass
der Schüler sich zuerst ganz eng an den fremden Text anlehne und erst
nach und nach von demselben entferne, bis er schliesslich vor die Aufgabe
gestellt wird, auch ganz freie deutsche Stücke, die jedoch leichten Inhalts
sind und keine „grammatischen Fussangeln“ enthalten, zu übertragen.
Auf diesem Standpunkt steht der neue preussische Lehrplan; auf ihn hat
sich auch Ohlert gestellt und er hat durch sein Ubungsbuch seinen franz.
Lehrbüchern ein recht brauchbares Hilfsmittel hinzugefügt.
Im Vorwort kennzeichnet der Verfasser in richtiger Weise seinen
Standpunkt. Er bemerkt, dass es ohne Übungen im Hinübersetzen un-
möglich ist, das eine von dem Lehrplan vorgeschriebene Ziel des fremd-
sprachlichen Unterrichts zu erreichen, nämlich die Fähigkeit des Schülers,
bei der Abgangsprüfung einen freien deutschen Text in das Französische
zu übertragen. Diese Fertigkeit kann nicht mit einem Male erlangt
werden. sondern muss während der ganzen Unterrichtszeit allmählich aus-
gebildet werden. Nur soll man nicht allzufrüh mit derartigen Übungen
beginnen; man lasse erst den Schüler ein wenig in die fremde Sprache
eindringen und sich einen gewissen Vorrat von Vokabeln und Rede-
wendungen ancignen, ehe man aus dem Deutschen zu übersetzen beginnt;
frühestens geschehe das im letzten Vierteljahr des Anfangsunterrichts; ja,
ich meine, man kann diese Übungen sogar noch länger hinausschieben,
ohne den Unterricht zu schädigen.
Die zweite Frage ist die, ob man dem Schüler nur zusammen-
hängende Stücke zum Übersetzen bietet, oder auch Einzelsätze. Ich
stelle mich auch hier auf Ohlerts Standpunkt: im allgemeinen gebe man
zusammenhängende Stücke, zunächst im Anschluss an (Grelesenes, später
freie Stücke, und nur zur Einübung bestimmter grammatischer Regeln
greife man zu Einzelsätzen, welche «die betreffende grammatische Er-
scheinung illustrieren, welche jeıuch auch vorzugsweise aus dem I.csestoff
genommen werden mügen. Zu diesem Zweck hat Ohlert Einzelsätze zur
Einübung des Verbums in sein Buch aufgenommen.
Mit Recht bezeichnet der Verf. es als „ungemein schwierig“, beiden
Forderungen dcs Lehrplanes gerecht zu werden, nämlich den Schüler dahin
zu bringen, dass er bei der Abgangsprüfung ein Stück aus dem Deutschen
ins Franz. übersetzte und auch die fremde Sprache in nicht geringem Masse,
schriftlich wie mündlich, beherrsche. Die Einheitlichkeit der Unterrichts-
methode leidet bedenklich unter dieser doppelten Forderung und die Er-
folge, die sonst der Unterricht bei einer konsequent durchgeführten
Reforminethode aufweisen könnte, werden auf diese Weise bedeutend ein-
geschränkt. Dazu kommt noch das unglückselige Schlagwort der „sprach-
H. Rahn. Lesebuch f. d. franz. Unterricht etc. 35
zum Nutzen eines französischen Unterrichts mit ausgesprochen praktischer
Tendenz zu bezeichnen. Wir wünschen dem Buche recht guten Erfolg
in der Heimat des Verfassers. Die Ausstattung ist gut.
K. RoETu.
Bahn, H. Lesebuch für den fransösischen Unterricht auf der unteren
und mittleren Stufe höherer Lehranstalten zur Einführung in
Land, Art und Geschichte des fremden Volkes. Ausgabe für
Mädchenschulen. Dritte Auflage. Leipzig. Reisland. 1894.
Preis Mk. 2.40; gebunden Mk. 2.70. X und 3538.
Die ersten beiden Auflagen dieses Buches, das wegen seiner wohl-
darchdachten Anordnung und der zweckentsprechenden Stoffauswahl in
einer ausführlichen Besprechung (in Band XIV dieser Zeitschrift) empfohlen
warde, waren durch ungewöhnlich viele Druckfehler entstellt. Die jetzt
vorliegende dritte Auflage ist, wie der Verfasser in der Vorrede sagt, auf
das sorgfältigste durchgesehen. In der That ist jetzt der Text erheblich
korrekter geworden. Das Wörterverzeichnis ist um anderthalb Seiten ge-
wachsen; im übrigen ist das Buch völlig unverändert geblieben. Weiterer
Verrollkommnung ist es immerhin noch fühig, teils dadurch, dass einzelne
weniger gute Stücke durch geeignetere ersetzt werden, wovor der Verfasser
sich gewiss aus praktischen Gründen noch gescheut hat, teils durch Ver-
besserung von Einzelheiten, wie die folgenden. S. 124 en fut content zu
bessern in s'en fut content (— s'en alla c.) — S. 164, Z. 9 püt statt pui,
Z. 13, dîner, Z. 16 entre autres statt entre autre; 8. 189, Z. 8 laissée;
8. 214, Z. 2 frappée, Z. 4 et de Chrimhild; S. 219, Z. 16 meurtre; S. 220
de statt ne; S. 207, Z. 11 v. u. carrosse; S. 183, Z. 6 v. u. Petit-Senn,
Z. 3 chansonnette; S. 179, 42 réveil.
FELIX KALEPKY.
3%
Missellen. 37
eines Neumethodlers hätten gelten können. Es seien hier hervorgehoben
die Stunden, denen ich bei Monsieur Schweitzer im Lycée Janson-de-
Sailly, bei Monsieur Cart im Lycée Henr. IV. und bei Mademoiselle
Rissler in der Ecole alsacienne beiwohnen durfte.
Zuerst konnte ich garnicht begreifen, wie man bei so geringer
Stundenzahl solches erreichen könne. Doch bald bin ich hinter das Ge-
beimnis gekommen: Lehrer und Schüler stehen hier unter günstigeren
Verhältnissen ala in Deutschland. Der französische Professor lehrt nur
in dem einen Fache, in welchem er sein examen d’agregation bestanden
hat; überdies unterrichtet er wöchentlich nur 15 Stunden, während der
deutsche Oberlehrer wöchentlich bis zu 24 Stunden in 2 bis 5 Fächern zu
geben hat; ausserdem hat sich der Franzose durch lüngeren Aufenthalt
in Deutschland — zum Zwecke ein- bis zweijährigen Anfenthaltes im
Auslande stehen zahlreiche Stipendien zur Veriügung — eine Sicherheit
in der Beherrschung der fremden Sprache angeeignet, wie man sie bei
anseren deutschen Kollegen selten findet und durch die eine sichere Hand-
babung der neuen Methode wesentlich erleichtert wird. Ich rede hier nur
von der Sprachbeherrsch und weiss sehr wohl, dass sich manche Fran-
sosen nicht an den deutschen Tonfall gewöhnen können. Aber auch der
französische Schüler ist dem deutschen gegenüber im Vorteil; er hat
weniger Fächer als der deutsche Gymnasiast und im ganzen wöchentlich
aur 20 Stunden: infolge dessen ist er frischer und hat mehr Interesse am
Lernen. Neulich fragte ich einen französischen Kollegen, der die deutschen
Sehulen kennt, welchen Eindruck ihm die deutschen Schüler im Vergleich
zu den französischen machten, worauf er mir antwortete: „Die deutschen
Jungen machen mir immer den Eindruck, als ob sie sehr müde und er-
schöpft seien“. Sollte eine solche Beobachtung wirklich richtig sein, so
müsste sie uns, die wir so viel für Hygiene thun wollen, zu ernster Re-
form gemahnen.
Was also Leistungen, sowie Methode im Sprachunterricht anlangt,
so haben unsere westlichen Nachbarn in der letzten Zeit gewaltige Fort-
schritte gemacht‘). Ja, wie in Deutschland nehmen auch schon in Frank-
reich einzelne Pädagogen und einzelne Schulen ihre Spezialitäten in der
neuen Methode für sich in Anspruch. Ich will hier nur die Ecole alsacienne
erwähnen, in der man das Deutsche mit siehen jährigen Knaben beginnt,
die mit Hilfe von Anschauungsbildern, Unterhaltungen aus dem Alltags-
jeden, Spielen und Erzählungen zunächst in imitativer Weise bei zwei
Standen täglich in der Sprache geübt werden, während die Grammatik
für später aufbewahrt bleibt.
Eine Methode jedoch, die ich Gelegenheit hatte, nach Theorie und
Praxis genauer kennen zu lernen, unterscheidet sich in ihren Zielen und
Grundsätzen, sowie in ihrem Betrieb ganz wesentlich von den verschiedenen
Spezialitäten der sog. neuen Methode und verdient deshalb besondere Be-
achtung. Ich meine die Methode Gouin, die unseren Lesern wenigstens
dem Namen nach bekannt sein dürfte. Gouin, der in seinen Jugend-
!) Man vergleiche Twight’s Aufsatz Les langues vivantes en France
(Die Neueren Sprachen II, S. 76 f. u. S. 294 f.), welcher einen guten Ein-
blick in die Organisation der französischen Schulen betreffs des Betriebs
der lebenden Fremdsprachen giebt. Ich erlaube mir hier zu S. 81 die
Bemerkung, dass die von T. beklagte Aufhebung der schriftlichen Prüfungs-
arbeit im Deutschen (oder Englischen) sehr rasch allgemein als ein Rück-
schritt erkannt wurde und dass man jetzt schon wieder eine schriftliche
tzung ins Deutsche (Englische) verlangt.
Miszellen. 39
Dies die fünf Grundsätze, die ein kluger Kopf im Streben nach
Besserem nach unermüdlichen vieljährigen Studien und Versuchen aus sich
selbst heraus so scharfsinnig zusammengestellt hat. Gouin wurde in seinem
kühnen Aufschwung nicht wie unsere deutschen Reformer gefördert durch
gegenseitigen Gedankenaustausch in Wort und Schrift. Um so
grössere Achtung verdient seine Geistesarbeit.
Wir sehen mit Freude, dass er in vielem zu denselben grund-
liegenden Ansichten gelangt ist wie wir. Was seine Methode jedoch von
allen anderen Methoden neuer Art unterscheidet, das sind die Grundsätze
4 und 5, insbesondere Grundsatz 4, durch den zugleich das Ziel bestimmt
wird, das sich Gouin steckt. Er verzichtet auf das Studium der Litteratur-
sprache und will nur die Umgangssprache eines zwölfjährigen Kindes
ihren. Diese Aufgabe aber sucht er gründlich zu lösen. Bis jetzt ist
leider nur der erste Teil seines lei ich „Lehrgangs Les Séries
domestiques et champêtres") erschienen; so viel ich jedoch höre, sollen nach
vorliegenden weiteren Entwürfen den Schülern in etwa 300 Stunden im
ganzen eine solche Menge von Wendungen und ein so reicher Wortschatz
beigebracht werden, dass m. E. jeder Erwachsene, der mit diesem Rüstzeug
versehen ist, sich ohne allzugrosse Schwierigkeit im Auslande bewegen
kann. Die höher Strebenden aber, nämlich die, welche auch die Litteratur-
sprache lernen möchten, können aufj jenen Besitz leicht und sicher aufbauen.
Die Grammatik spielt nach Gouin nur die Rolle einer dienenden
Magd. Das Mass derselben bleibt dem Lehrer überlassen, und die Art
ihrer Behandlung richtet sich nach der Vorbildung des Lernenden. Der
Gang des Unterrichts ist ziemlich einfach und aus meinen Bemerkungen
zum 5. Grundsatz klar zu erkennen.
Diejenigen, welche die Methode theoretisch oder praktisch ver-
vollkommnen möchten, haben vor allem bei dem 4. Grundsatze einzusetzen.
Dabei würde es sich etwa handeln um die Einführung von Satzperioden,
die Behandlung von abstrakten Stoffen der Umgangssprache, Konversationen
und Erzählungen, ebenso um die Beseitigung zu fern liegender Stoffe und
die Möglichkeit grösserer Abwechselung im Unterrichtsgange. Versuche
kierzu sollen bereits im Entwurfe vorhanden sein. Die Einführung des
Moments der Anschauung in dem Sinne, wie wir diese bekanntlich als
Unterrichtsmittel verwerten?), widerspricht jedenfalls Gouins viertem Grund-
satze, welcher der ganzen Methode den Stempel der Originalität aufdrückt.
Auf die verschiedensten Richtungen der deutschen Neumethodler kann
immerhin das nähere Studium von Gouins Methode, wozu ich hierdurch
anregen möchte, sehr fruchtbringend wirken. Wie ich erfahre, wird die
Zeitschrift Die neueren Sprachen (Bd. III, Heft 1 u. ff.) eine ausführliche
Darlegung der Methode Gouin In der Theorie und in der Praxis
. Verfasser der Abhandlung ist Oberlehrer Dr. Kron in Quedlin-
; derselbe beschäftigt sich seit zwei Jahren sehr eingehend mit der
Methode und bat sich in London auf Grund eines praktischen Ausbildungs-
karsus mit Lehrversuchen, sowie durch Hospitieren an mehreren englischen
Lehranstalten einen tiefen Einblick in das eigenartige Gouinsche Lehr-
system verschafft
1) F. Gouin, Langage objectif. Les Séries domestiques et cham-
pêtres, fascicule I, Paris, Librairie Fischbacher, 33, Rue de Seine, 1894,
à fr. 60.
?) Rossmann u, Schmidt, Lehrbuch der franz. Sprache. Velhagen
wnd Klasing. 5. Aufl. 1896.
Missellen. 41
elle a écouté avec indifférence les voix qui criaient à la profanation et
elle a laissé faire; bien plus, elle n’a pas refusé son suffrage au promoteur
du Cours des vacances, qui briguait l'honneur de la gouverner. C'est
dunc le Recteur même de l'Université de Greifswald qui a ouvert les
portes du sanctuaire aux étrangers accourus de tous les points de l’Alle-
de la Suède, de l'Angleterre, de la Finlande, de la Russie et
même de l'Amérique du Nord, anx étudiants et à une centaine de Greifs-
mmioisos (filles et femmes de professeurs) avides de profiter d'une faveur
H
#
Le programme était bien conçu et ne manquait point d’attrait : il
faisait une part raisonnable au travail et au repos des vacances. Cinq
jours de suite étaient occupés, de 9 heures à 1 heure, par les cours; le
reste de la journée et deux jours entiers, le samedi et le dimanche, étaient
réservés pour les vacances. Toutes les questions qui préoccupent le plus
particulièrement les maîtres de français (la prononciation, la grammaire,
la conversation, la diction, l'histoire, la géographie, les institutions, les
voyages d'études) devaient être abordées: tous les agréments de Greifs-
wald (bains de mer, excursions dans les iles et dans les environs) &taient
promis avec des facilités spéciales.
D'après le témoignage unanime, ce double programme a été rempli
au delà de toutes les espérances.
Le cours a duré quatre semaines, du lundi 9 juillet au vendredi
3 août. C'est le temps des vacances pour les enseignements secondaire et
dans l'Allemagne du Nord. J’ai su depuis que les vacances plus
tardives de certaines régions avaient empêché bien des maîtres de se rendre
à Greifswald. L'Université restait ouverte jusqu’au 4 août; elle pouvait
donc fournir ses locaux et ses professeurs. . .
La phonétique et la prononciation ont occupé une grande place dans
le Cours vacances... . 1 le Professeur Oberbeck, directeur de l'In-
stitut de phyaique, a résumé dans une conférence les principes physiques
du son et de la parole. Les nombreux appareils dont il s’est entouré ont
singulièrement facilité l'intelligence de ces données assez nouvelles pour
des philologues. M. le Professeur Landois, de la Faculté de médecine
et directeur de l'Institut physiologique. a exposé dans deux conférences
k mévanisme de la parole et les éléments constitutifs du timbre. Ses
ns nettes et précises ont été saisies par tous, et ses démonstra-
tions faites à l’aide de projections, d'appareils achématiques, etc., ont vive-
ment intéressé. Je dois une mention spéciale à la série de tuyaux d'orgue
dont il se sert pour la synthèse des voyelles, et à ses moulages de la
bouche qui, placés comme des pavillons de résonnance audessus d'un tuyau
d'orgue quelconque, font entendre la voyelle pour laquelle la bouche était
. M. le Dr Siebs, alors Privat-Docent, aujourd'hui professeur de
ilologie germanique, a traité de la phonétique générale. Ce cours, bien
préparé, fait avec beaucoup de méthode, a été très goûté des personnes
initiées, les seules dont j'ai recueilli les appréciations. Ses huit leçons
ont été réparties sur les quatre semaines. Peut-être eût-il mieux valu les
grouper au début. Les observations de M. Koschwitz et les miennes au-
raient été mieux comprises, si elles avaient suivi, au licu de précéder
(comme cela eat arrivé souvent) cet exposé méthodique. Ce serait à essayer.
M. Siebs ne s’occupait des sons du français que transitoirement.
M. Koschwitz. professeur de philologie romane, leur a consacré huit leçons
sous le titre d’Orthoepie française. Il en a fait une étude détaillée, partant
des descriptions physiologiques de Beyer (Französische Phonetik), passant
ensuite aux règles pratiques de Platz (Systematische Darstellung der
Missellen. 45
Les leçons données à l'Université, ne furent pas les seuls moyens
d'instruction que trouvèrent à Greifswald les auditeurs du cours de
vacances. MM. Wellmann et Brendel leur firent visiter l'observatoire;
M. Schmitz, le jardin et les collections de botanique; M. Preuner, le musée
ue. Les collections de zvologie leurs furent ouvertes également.
Enfin M. Schœne fit pour eux une exposition de tous les instruments de
travail dont il dispose dans l'école superieure de jeunes filles qu'il dirige.
Pour ce qui me concerne, cette exposition m'a vivement intéressé, et j'ai
déploré tout bas l'indigence des écoles françaises que je connais. Les
tableaux pour les lecons de choses, de langue et d'arts, les cartes géo-
graphiques, les collections pour l'histoire naturelle, doivent faire gagner
un temps considérable, et donner de tout ce qui s’apprend par les yeux
des idées parfaitement nettes .
Mais je n'ai dit que la moitié de ce qu'était le Cours de vacances.
Il me reste à parler des vacances elles-mêmes et des distractions qui
furent offertes aux étrangers. Le directeur général des parties de plaisirs
était M. le Dr. Schmitt.
Les distractions variées que présente Greifswald, concerts. commers
d'étudiants, promenades à Wieck, à Eldena, à Neuenkirchen, à Hanshagen,
bains de mer, excursions dans l'ile de Vilm, dans celle de Rugen, à Gæren,
Sessnits, Stubbenkammer, Lauterbach, sur la côte de Poméranie, à Herings-
dorf, à Swinemunde, à Stralsund, ctc., remplirent tout le temps laissé libre
par les études. Souvent, on partait à quatre heures du matin et l'on ren-
trait à minuit. Un petit livret, préparé par MM. Credner et Stærk, donnait
tons les renseignements désirables. D'autre part, toutes les précautions
avaient été prises par M. Schmitt pour que rien ne manquät au plaisir,
pas même, quoique l'on fût en pleine saison, celui de l'avoir à bon marché.
Des journées entières d’excursion ne revenaient, tout compris (moyens de
transport et nourriture), qu'à 3 ou 4 marcs (3 fr. 75 ou 5 francs).
Je n’entrerai pas dans les détails de cette seconde partie du pro-
gramme. Qu'il me suffise de dire que plusieurs lui seront redevables de
ouces amitiés et d'utiles relations, que même une jeune fille de Greifs-
wald, sur le point de se noyer, a été sauvée par une baigncuse du Cours
de vacances. . .
P. ROUSSELOT.
Ferienkurse in Greifswald 1895.
In der Zeit vom 3. bis 31. Juli wird in Greifswald folgender
Kursus abgehalten werden: Französischer Kursus. Phonétique expéri-
mentale, Prof. Dr. Rousselot, zweimal wöchentlich. Orthoepische Ubungen,
Prof. Dr. Koschwitz, zweimal wöchentlich. Traduction d'auteurs alle-
mands, Lic. Génevois, zweimal wöchentlich. Composition française, l.ic.
Genevois, zweimal wöchentlich. Recitationen dramatischer und lyrischer
Texte, Baron Grivot de Grandcourt und Ch. Marelle, einmal
wöchentlich. Landeskunde von Frankreich, Prof. Dr. Credner, einmal
wöchentlich. Uber Studienreisen in Frankreich, Prof. Dr. Koschwitz,
einmal wöchentlich. L'établissement de l'enseignement libre; l'organisation
de Penseignement général; le mouvement politique des partis en France; le
mouvement littéraire contemporain, Prof. Dr. Kousselot, wöchentlich je
ein Vortrag. Ein Kapitel aus der französischen Litteratur des 19. Jahr-
hunderts, Prof. Dr. Koschwitz, einmal wöchentlich. Geschichte der Philo-
Novitätenverzeichnis,
Catalogue des manuscrits de la bibliothèque de la ville de Compiègne;
par le comte de Marsy. In-8° 47 pages, Paris, impr. Plon, Nourrit
et Ce. [Extrait du rt général des manuscrits des bibliothèques
publiques de France (e. 24
— des manuscrits de la ibliotèque de l’Arsenal. T. 9. 3° fascicule. Table
nérale des archives de la Bastille (L-Z); par Frantz Funck-Brentano.
n-8°, pages 641 à 983. Paris, Plon, Nourrit et C°. [Catalogue générale
des manuscrits des bibliothèques publiques de France. — Ministère de
l'instraction publique et des beaux-arts].
— général des manuscrits des bibliothèques publiques de France. Dépar-
tements. T. 24. (Rennes, Lorient, Lannion, Vitré, Montreuil-sur-Mer,
Etampes, Clermont-de-l'Oise, Senlis, Gien, Fontainebleau, Château-
Thierry, Epernay, Blois, Loches, Neufchâteau, Bonrbonne, Condom, Bar-
le-Duc, Nevers, Compiègne, Mont-de-Marsan.) In-8°, 769 p. Paris, Plon,
Nourrit et C°. (1894). [Ministère de l'instruction publique et des
beaux-arts
— général des manuscrits des bibliothèques publiques de France. Dépar-
tements. T. 27: Avignon; par M. L. H. Labande. T. ler, In-8°, cxu-649
p. Paris, Plon, Nourrit et C°. [Ministère de l'instruction publique et
des beaux-arts].
Catalogue et Analyse des thèses latines et françaises admises par les
facultés des lettres, avec index et table alphabétique des docteurs;
par M. Ath. Mourier, et M. F. Deltour. Année scolaire 1893-1894.
In-8°, 48 pages. Paris, Delalain frères. 1 fr. 50.
Claudin, A. — Les Origines de l'imprimerie à Sisteron, en Provence
(1513); les Pérégrinations d'un imprimeur (1507-1513); Imprimerie
établie à Servoules, commune de Sisteron, pendant la Révolution. In-8°,
. Paris, Claudin. (1894). [Extrait du Bulletin du bibliophile. Tiré
à 100 exemplaires non mis dans le commerce].
— Les Débuts de l'imprimerie à Poitiers; les Bulles d’indulgences de
Saintes; Jean Bouyer, Saintongeais, prototypographe poitevin. In-8°,
20 p. Paris, Claudin. (1894). [Extrait de la Revue de Saintonge et
d’Aunis. Tiré à 100 exemplaires non mis dans le commerce].
Lhote, A. — Histoire d'imprimerie à Châlons-sur-Marne. Notices biographi-
ques et bibliographiques sur les imprimeurs, libraires, relieurs et li-
tographes (1488-1894), avec marques typographiques et illustrations;
Grand in-4°, XII-234 p. avec gravures, vignettes et planches. Paris,
Claudin.
Novitätenverzeichnis. 49
I löste Fragen zum Florimont. — C. Breul, Le Dit de Robert
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Mélanges Julien Havet, Recueil de travaux d’erudition dédiés à la mémoire
de J. H. Paris Leroux. Darin u. a.: Couraye du Parc, Recherches
sur la chanson de Jean de Lanson; Huet, La première édition de la
consolation de Boëèce en néerlandais; G. Paris, La légende de Pepin
le Bref; Picot, Aveu en vers rendu par Regnault de Pucy à Pierre
d° Orgemont (1415); Raynaud, Une édition de Froissart projetée par
Christoph Plantin. (1563—1565.]
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et augmentée par Prof. Dr. Otto Schanzenbach. 8°. (XVI, 574 S.)
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Cours élémentaire d'orthographe, ou Dictées et Exercices préparatoires au
cours intermédiaire ou de première année; par les Frères des écoles
chrétiennes. Livre de l'élève. In-18, 72 p. Tours, Mame et fils. Paris,
Ch. Poussielgue.
Desfretières. — Grammaire française conforme aux derniers programmes
officiels. Second cours, accompagné de nombreux exercices d'orthographe
et de rédaction (certificat d’études primaires). In-16, 258 pages. Paris
Bloud et Barral.
Elementarbuch der französischen Sprache. I. Teil. Für das 1. Schulj.
(Alter von 8—9 Jahren.) Nach dem durch e. Kommission des Lehrer-
konvents der Realanstalt in Stuttgart aufgestellten Programm bearb.
v Eu Assfahl. 4. Aufl. gr. 8° (IV, 79 8.) St., J. B. Metzler’s
er. 1.—.
Feichtinger, Eman., Lehrgang der französischen Sprache f. Gymnasien.
I. Thl. (Für 2 Jahrescurse zu je 2 Stunden in der Woche.) gr. 8°.
(VI, 265 S.) Wien, A. Hölder. 2.20; geb. 2.
Fleischhauer, W., Praktische französische Grammatik. Nebst einem Be-
gleitwort. Leipzig, Rengersche Buchhandlung VI, 95 1. 8°.
Franke, I., Phrases de tous les jours. l° édition. Leipzig, OÖ. R. Reisland.
—.80; kart. M. 1.—.
Génin, Lucien, et Jos. Schamanek, conversations françaises sur les tableaux
d’Ed. Hoelzel. 9 cahiers, gr. 8°. (Hft. 1—8 à 12 S. m. je 1 farb. Bild.)
Wien, E. Hölzel —.50; in 1 Bd. geh., ohne Bilder, 3.—. 1. Le Prin-
temps. — 2, L'Été. — 3. L’Automne. — 4. L'Hiver. — 5. La Ferme.
— 6. La Forêt. — 7. La Montagne. — 8. La Ville. — 9. Supplément.
La grammaire enseignée par des exemples. (24 S.)
Goerich, Ew., Materialien f. freie französische Arbeiten. Ein Hilfsbuch
f. den französ. Unterricht an sämtl. höheren Lehranstalten. gr. 8°.
(XIV, 338 8.) L., Renger. 5.—.
Konjugationstafeln, französische, nach Kennformen u. Ableitungen zu-
sammengestellt. kl. 4°. (56 S.) Passau, R. Abt. —.30.
Lange, Helene, l.eitfaden f. den Unterricht in der Geschichte der franzö-
sischen Litteratur. (Précis de l’histoire de la littérature française.)
8°. (VIII. 144 S.) B., L. Oehmigke's Verl. 1.40; kart. 1.60.
Libonis, L., Les Styles français enseignés par l’exemple. In-4°, 368 dessins
accompagnés de notices. Paris, Laurens. (1894.)
4*
Novitätenverseichnis. 53
Schmitt, Ob.-Lehr. a. D. E., französische Grammatik f. die oberen Klassen
höherer Lehranstalten. Br. 8. (VL, 351 S.) Strassburg, Strassburger
Druckerei u. Ver
Ser, Geo., Lehrbuch der Französischen Sprache f. höhere Mädchenschulen.
Nach den Bestimmungen des Königl. preuss. Unterrichts - Ministeriums
vom 31. Mai 1894 bearb. 1. TI. Unterrichtstoff für die 6. Klasse. 8°.
(XX, 120 8.) Leipzig, F. A. Brockhaus. Kart. 1.50.
Verret, E., La Composition française des classes supérieures, des bacca-
lauréats classique et moderne, des grandes écoles et du brevet supérieur;
100 plans méthodiques, 640 sujets proposés aux plus récents examens.
In-16, vın-309 p. Paris, Poussielgue. [Alliance des maisons d'éducation
chrétienne.]
Walter, E., Stoffsammlung für französische Dictate mit kurzer Einleitung.
Pr Ansbach. 1894. (40 S.) 8°.
Weil, ts, französische Gesprächs- u. Wiederholungs-Grammatik. Voll-
kommene Schulg. im Französischen auch ohne Lehrer in 30 Gesprächen
m. dem Schüler. Methode Dunker-Bell. (In 30 Lfgn.) 1—11. Lfg.
(1. GE Gespräch.) gr. 8. (S. 1—460.) Stettin, Herrcke & Lebeling.
Weitzenböc, Georg, Lehrbuch der französischen Sprache. Prag, Wien,
Lei ‚F. Tempsky. G. Fre I. Teil um IT. Teil, mit 21 Ab-
bildungen und Karten, 189. is des 1. Teils geb. 90 Kr., des 2.
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L. Becq de Fouquières et enrichies de 15 compositions de Bida, gravées
à l’eau-forte par Courtry, Champollion, Monziès, et des portraits de
Marie Cosway et de Fanny, gravés à l’eau-forte par F. Desmoulin
d'après Richard Cosway et David. In-4°, XXIV-511 p. Paris, Char-
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Moncrif et le P. Ducerceau. In-16, 212 pages. Paris, Le Vasseur et
C°. [Les Conteurs galants des XVII: et XVIII: siècles, ornés de 149
grav. par Duplessis-Bertaux (t. 1°").]
Bibliothèque française. 63. Bd. 12°. Dresden, G. Kühtmann. 63. Histoire
d'un petit homme. Ouvrage couronné par l'académie française par
Marie Rob. Halt. In Auszügen m. Anmerkgn., Fragen u. e. Wörter-
buch zum Schulgebrauch hrsg. v. Prof. Dr. C. Th. Lion. (VI, 206 u.
83 8.) 1.50.
Bibliothek gediegener u. interessanter französischer Werke. Zum Gebrauche
höherer Bildungsanstalten ausgewählt u. m. den Biographieen (der
betr. Klassiker ausgestattet v. Ant. Goebel. Fortgesetzt v. Johs. Brüll.
59—62 Bdchn. Erläuterndes Wörterverzeichnis. 12°. München, Theissing.
59—62 Boissier, Cicéron et ses amis. (30 S.) —.30.
dagogischer Klassiker. Eine Sammlg. der bedeutendsten pädagog.
hriften älterer u. neuerer Zeit, hrsg. v. Frdr. Mann. 12 Bd. gr. 8°.
Langensalza, H. Beyer & Söhne. 12. Michel de Montaigne. Auswahl
pädagogischer Stücke aus M.’s Essays, übers. v. Ernst Schmid. 2. Aufl.
(V, 72 S.) —.50; geb. 1.10.
Bossuet. — Sermons sur l'honneur du monde et sur l’ambition. Texte
revu sur les manuscrits de la Bibliothèque nationale, publié avec une
introduction, des notices, des notes et un choix de variantes par Alfred
Rébelliau. 3° edition. Petit in-16, XXII-63 p. Paris, Hachette et
Ce. ‘75 cent. [Auteurs français désignés pour l'épreuve de la lecture
expliquée du brevet supérieur (années 1894, 1895 et 1896).
Buffon. — Œuvres. (Classe de seconde moderne. 5° année.) Notice,
analyse et extraits par L. Haudié. In-18 jésus, 120 pages. Paris,
Delagrave. 1 fr. (1894.) [Petite Bibliothèque des grands écrivains.]|
Chateaubriand de. — Itinéraire de Paris à Jérusalem. Grand in - 8°,
367 p. avec grav. Tours, Mame et fils. (1894.) [Bibliothèque des familles
et des maisons d’edncation.]
Corneille. — Chefs-d'œuvre. (Le Cid; Horace; Cinna; Polyeucte.) Préface
et notes par F. Brunetière, de l'Académie française. Illustrations par
J. Dubouchet. In-8°, XXXIV-295 p. Paris, Hetzel et C°. 7 fr.
[Bibliothèque d'éducation et de r&cr&ation.]
Extraits choisis des auteurs classiques. Molière. (Sténographie Aimé Paris.)
In-12, 95 p. Cempuis (Oise). Paris, 9, rue de Vaugirard. 75 cent.
— d'auteurs français prescrits pour les classes de troisième, seconde et
rhétorique, publiés sous la direction du R. P. V. Delaporte, S. J. (Les
Chroniqueurs : Montaigne; Pascal, Provinciales, 1, 4, 13; Lettres du
Novitätenverseichnis. 63
Schulbibliothek, franzôsische u. englische. Reihe A: Prosa. 86., 89. und
%. Bd. 8°. L. Renger. 86. Picciola par Saintine. Auswahl. Mit
1 Kartenskizze.. Für den Schulgebrauch erklärt v. Bernh. Lengnick.
(XUI, 120 S.) Geb. 1.20. —%. Histoire de ma jeunesse v. Dominique
François Arago. Für den Schulgebrauch erklärt von Otto Klein.
(IX, 108 S.) 1.20.
— dasselbe. Reihe C: Für Mädchenschulen. Prosa u. Poesie. 13—16.
Bd. 8°. Ebd. Kart. in Leinw. 13. R£&seli aux roses. Bastien ct
Franceline. Aus: Courts récits par Johanna Spyri. Für den Schul-
gebrauch bearb. v. Dr. Clem. Klöpper. (84 S.)n.n. —.80. — 14. Contes
r Mme. Carraud. Für den Schulgebrauch bearb. v. Dr. Clem. Klöpper.
188 S.) n.o. —.80. — 15. La jeune Sibérienne par Xavier de Maistre.
Für den Schulgebrauch bearb. v. Prof. Dr. Jos. Sarrazin. (VII, 118$.)
n. 1. — 16. Récits de la vie réelle par J. Girardin. Für den
Schulgebrauch bearb. v. Bürgersch. - Rekt. Karl Zwerg. (IV, 92 S.)
n.n. —.80.
— fransôsischer u. englischer Prosaschriften aus der neueren Zeit. . Mit
besond. Berücksicht. der Fordergn. der neuen Lehrpläne hrsg. v. L.
Bahlsen u. J. Hengesbach. I. Abtig.: Französische Schriften. 16. Bdch.
gr. 8. B., R. Gaertner. Geb. 16. Du coeur par Edmondo de Amicis.
Ausgewählt für den Schulgebrauch, hrsg. u. erklärt v. Gust. Strien.
(VII, 112 S.) n. 1.20; Wörterbuch. (38 S.) n. —.40.
Textausgaben französischer u. englischer Schriftsteller f. den Schulgebrauch,
hrsg. v. Prof. Realgymn.-Oberlehr. Osk. Schmager. 22.—24. Bd. 12°.
Dresden, G. Kühtmann. Geb. 23. Histoire de trois ouvriers frangais:
Palissy—Jacquard—Richard-Lenoir. Ausgewählt u. bearb. v. Prof. Dr.
F. J. Wershoven. (VI, 109 S.) n. 1.—; Wörterbuch dazu (59 S.) n.
—40. — 24. Contes choisis d'auteurs suisses 1. partie. Combe, les
bonnes gens du Croset. Trolliet, dans la montage. Hrsg. v. Prof. Dr.
K. Sachs. (IV, 136 S.) n. 1.—; Wörterbuch. (25 S.) n.n. —.25.
Trümper, K., Sammlung französischer Gedichte, nebst kurzgefasster Vers-
lehre, litteraturgeschichtl. Bemerkgn. u. Hilfe f. die häusl. Vorbereitg.
(I. Ti. besonders f. Tertia u. Sekunda.) 8°. (67 S.) Duderstadt, F. Wagner.
Voltaire, Histoire de Charles XII. Extraits précédes d’une étude sur la
vie et les œuvres de Voltaire, avec une analyse et des commentaires
sur l'Histoire de Charles XII par Olivier Billaz. In-18 jesus XIX-131
p. Paris, Garnier frères. [Enseignement secondaire moderne. ]
— Siècle de Louis XIV; Chapitre des beaux-arts, publié avec une intro-
duction et des notes par Emile Bourgcois, maitre de conférences à
l'Ecole normale supérieure. 3° edition, Petit in-16, XXXIX p. et p.
621 à 647. Paris, Hachette et C°. 1 fr.
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Referate und Rezensionen.
qe
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II. Band: Formenlehre. Leipzig, O. R. Reisland, 1894.
XX, 672 S. 89 Preis 19 Mk.
Referent beabsichtigt auf den folgenden Blättern nicht eine
allseitige Beurteilung der M.’schen Grammatik zu geben, sondern
eine Anzahl Randbemerkungen zu veröffentlichen, die er sich bei
dem Studium des vorliegenden zweiten Bandes machte!). Der Verf.
hat es verstanden, ein überaus reiches und weit verstreutes Material
zu einem Gesamtbilde im allgemeinen geschickt zu vereinigen und
sich dadurch um die romanische Sprachwissenschaft ein grosses Ver-
dienst erworben. „Zum Studieren und Nachschlagen, nicht zum
Lesen“ ist die Grammatik bestimmt, wie M. selbst einmal irgendwo
geäussert hat. In der That dürfte es unter den auf dem Gebiet
der roman. Sprachwissenschaft in den letzten Decennien erschienenen
Büchern wenige geben, die in gleicher Weise wie M.’s Grammatik
zu weiterem Studium fruchtbare Anregung bieten. Gewiss ein Ver-
dienst, das nicht hoch genug gewertet werden kann. Seinem weiteren
Zweck, als Nachschlagebuch zu dienen, dürfte dagegen M.’s Werk
mit Rücksicht auf die Verlässlichkeit und Vollständigkeit der darin
gemachten Angaben in der vorliegenden Gestalt noch nicht ent-
sprechen. Liegt es mir ganz fern, dem Verf. einen Vorwurf daraus
machen zu wollen, dass er das umfangreiche, in zahlreichen Wörter-
büchern, Grammatiken, Monographien etc. niedergelegte Material für
seine Darstellung nicht gleichmässig verwertet hat und manches,
was Beachtung verdiente, noch unbeachtet liess, so vermag ich doch
den Wunsch nicht zu unterdrücken, dass er, weit öfter als es ge-
schehen ist, im Verlauf seiner Arbeit angegeben hätte, auf welche
Quellen seine Angaben jedesmal zurückgehen und inwieweit letztere
im einzelnen Falle das Ergebnis eingehenden Studiums auf Grund
des in der Einleitung verzeichneten Materials wirklich sind, inwieweit
sie andererseits einer solchen Grundlage entbehren. Verf. hätte auf
1) Zum 1. Bande vgl. diese Zeitschrift XII, S. 67—89.
Zeschr. £. frz. Spr. u. Litt. XVII, 5
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 67
Cenire, der moime in der Bedeutung le plus Jeune, le plus petit mit
dem Zusatz „se dit en Morvand“ verzeichnet, dessen Angabe aber
auf dem Vorkommen jenes Wortes in der genannten Version der
Parab. de l'Enf. prod. beruhen dürfte!. Wie dem auch sei, aus
dem Gesagten wird zur Genüge hervorgehen, dass moime = minimu
im Pat. morv. zweifelhaft und der Wunsch, dass Vf. die Quelle, der
er seine Angabe entnommen, angegeben hätte, kein unberechtigter
ist. — S. 130 führt M. aus: „Die Bewahrung von quem teilt es
[das Rumänische] mit dem Westen... ., und mit einem Teil Frank-
reiches, vgl. kae in Vionnaz, ke in Albertville, ke in Freiburg, ke
in Neuenburg und so auf dem ganzen südöstlichen Sprachgebiete,
überall, so scheint es, mit dene, rem reimend, also quem, nicht qui
als Grundlage verlangend . . .“ M. äussert sich hier mit einer ge-
wissen Reserve, wenn er ein „so scheint es“ einfügt. Und dennoch
möchte man wissen, worauf seine Angabe, dass auf dem genannten
Gebiete die behandelten pronominalen Bildungen mit bene und rem
überall zu reimen scheinen, sich stützt. In Vionnaz z. B. hat nach
Gilliéron, Pat. de la commune de Vionnaz S. 28 bene zwar bdë aber
rem ré ergeben, in Albertville ist nach Fr. Brachet, Dictionn. S. 176
bene bin (be), rem aber (S. 197) ré geworden. Ebenso haben, wie
sich leicht nachweisen liesse, vielerwärts sonst auf franco-provenz.
Gebiet beide Wörter verschiedene Entwickelung eingeschlagen?). —
1) Jaubert verweist unter moime auf peucot, das in demselben
Verse der Parab. vorkommt und bemerkt unter diesem Worte ausdrück-
lich ‚Se trouve dans la traduction en morvandiau de la parabole de /’Enf.
prodigue“.
3) Vgl. z. B. noch Gauchat in Grüber's Zs. XIV, S. 425 f. Un-
verständlich ist mir daher auch M.’s Bemerkung S. 115 „Im Nord- und
Südostfranzösischen lautet rem durchaus rie“. Es liegt auf der Hand,
dass, wenn auch M.'s Vermutung, wonach jene pronominalen Formen
überall mit den modernen Entsprechungen von bene und rem reimen,
richtig wäre, dies noch nicht zu dem Schluss berechtigen würde, welchen
er daraus zieht. Um schliessen zu können, das „quem nicht qui‘ den
betreffenden Furmen zu Grunde liegt, bedürfte es auch noch des weiteren
Nachweises, dass ihnen qui + Nas. als Grundlage nicht genügt. M. lässt
unbeachtet, dass z. B. in Vionnaz kae auch -d€E = inu zur Seite steht
und dass dem Fem. von kä& kaina genau -aina = -ina in dodaina —
Claudina entspricht, dass in Albertville vekinu zu veze (Brachet schreibt
resin, dazu das Femininum vezena), lima zu le-ma (linma Brachet) etc.
geworden ist, also wohl auch hier die Gleichung ke = qui-Nas. möglich
ist, dass im patois broyard (Freiburg) neben ke f. K’eina als Repräsentanten
der Entwickelungsprodukte von ? + Nas. le — linu, ve — vinu und,
dem Fem Xeina entsprechend, leima — lima etc. stehen. Vgl. Häfelin,
Jahrb. N. F. III, S. 154 und zu den neuenburger Mundarten Kuhn's
Zeitschr. XXI, S. 309 ff, 513 f. Westfrz. quein, queine bleiben noch näher
zu untersuchen. Vorläufig vergleiche man über die Behandl. von ? + Nas.
in westfranzös. Mundarten Meyer Gramm. I, $ 33 und dazu Zs. f. frans.
5*
Wilhelm Meyer-Liübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 69
Tagliamentogebiet, ferner in Buchenstein, Colle, Zaldo, im Gebiet
der Zelline in Cimolais und an der Livenzaquelle in Pulcenigo!). —
Ebenda bemerkt Vf. über die 3. Plur. des Präsens Ind. von esse:
„Endlich die 3. Plur. ist von Fassa bis Enneberg durch die 3. Sing.
ersetzt, vergleiche S. 165, während sie im Rheinthal von der 3. Sing.
aus mit -n gebildet wird: en, vergl. ital. enno $ 119; überall sonst
lautet sie regelmässig son, sun“. Auch hier sind nur Gartner’s An-
gaben Rätor. Gramm. 8. 150 (nicht auch ib. S. XXXIV) zu Grunde
gelegt und es wäre ein darauf bezüglicher kurzer Hinweis für den
Vf. eine geringe Mühe, für die Orientierung des Benutzers seines
Buches von Nutzen gewesen.
Zu manchen anderen Angaben M.’s liesse sich dasselbe be-
merken. Das Angeführte mag genügen, um meinen vorhin geäusserten
Wunsch als berechtigt erscheinen zu lassen.
8 60. Wenn es mit Bezug auf die Geschlechtsbildung
der Adjectiva heisst, dass das Neuprovenzalische ganz auf dem
französischen Standpunkt stehe, so hätte u. A. der Behandlung eines
Teils der Adjectiva auf -au (-alem) in der Mundart von Béarn als
einer Ausnahme gedacht werden können. Tau (talis), quoau (qualis)
werden hier noch heute fast immer auch als Fem. in alter Weise
verwendet, und auch sonst finden sich beachtenswerthe Reste älteren
Gebrauchs. ?)
8 65. Mais (magis) als Steigerungswort ist auch nord-
französischen Mundarten noch heute nicht ganz fremd. Vergl. De
Chambure Gloss. du Morvan s. v. md: al ö mä mailaide = il est
plus malade.
8 66. Organische Komparative. Es hätte sich bemerken
lassen, dass viele Mundarten im Vergleich zu den Schriftsprachen
die Zahl der organischen Komparative noch weiter reduciert haben.
So sagt man in Uriménil (Hailland, Essai III, S. 13) pus p’tit =
moindre, im Normannischen (Moisy, Dictionnaire S. LXVI) plus bon
neben meilleur, plus bien neben mieux. Vgl. auch Siede, Syntactische
Eigentümlichkeiten der Umgangssprache weniger gebildeter Pariser S. 6 f.
— Ursprüngliche Komparative begegnen in der Function des Positivs
und sind wieder der Steigerung durch plus fähig: Pu méyæ Saint
Pol (Faubourgs) (Rev. des pat. g.-r. I, 107). Moindre in der Be-
deutung „mittelmässig, schwach“ begegnet heute auf weitem Gebiet.
Vgl. z. B. für Berry Jaubert, Glossaire S. 445, für Morvan de Chambure,
1) Der von M. $ 133 hervorgehobene sehr beachtenswerte Zu-
sammenhang zwischen der Form der Endung des 1. Pl. Präs. Ind. der
Verba 1.—3. Konjugation und der 1. PI. Präs. Ind. des Verbum Sub-
stantivum wird durch diese genauere Abgrenzung des sumus-Gebietes nur
um so eclatanter. Vergl. dazu Gartner, Rätor. Gramm. $ 158.
?, S. Lespy, Gramm. bearn? S. 214 ff.
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 71
eine nähere Angabe erforderlich gewesen. Wenn es dann weiter
heisst, „das heutige je, das sich schon im XII. Jh. findet, erklärt
sich als tonlose Form“, so liegt wohl ein Versehen vor, da doch je
in gewissen Hss. des XII. Jh.’s bereits ganz gewöhnlich ist!). —
Wenn von dem Gascognischen gesagt wird, dass dort als Casus obl.
der 1. Person in betonter Stellung mi ausschliesslich begegne, so
trifft das für die moderne Mundart nicht zu. — Wo findet sich ein
Beleg dafür, dass das Provenzal. „seit dem XIII. Jh.“ ieu auch als
betonten Obliquus gebraucht? Diez Gramm.? Il, 98 bezeichnet diese
Verwendung ausdrücklich als neuprovenzalisch und, soweit ich sehe,
haben auch spätere Forscher, die sich mit der Frage beschäftigt
haben, diesen Gebrauch nicht als alt zu erweisen vermocht?). —
Wäre nicht auch zu sagen gewesen, dass dem Spanischen die Ver-
wendung des Nom. als Obl. nicht unbekannt ist (Todos contra yo,
yo contra todos etc.)? — Aus französ. Patois sei noch angemerkt,
dass in La Hague heute neben unbetonten nous, vo/s], vous betonte
noues, voués stehen, s. Fleury (Essai S. 61, 269): I nous veit, i nous
pröche aber I pröche à nouès, Aimües nôuës). Eigenartig sind mèfu,
tètu, sètu, vuètu im Patois des Depart. Creuse (A. Thomas, Arch. des
missions scient. 3. Série V (1879), S. 458, Anm. 4), ferner lès auées,
das im Wallonischen heute an Stelle von vos autes (vous autres)
treten kann und dann vor dem Verbum durch die 2. Sg. des persön-
lichen Pronomens wieder aufgenommen wird (tes autes, ti freus çoula!
vous, vous feriez cela. (Delaite, Essai de gramm. wallonne II, 1896,
8. 67).
8 76. Betonte Personalpronomina der 3. Person. Das
mundartl. prov. elses erklärt sich so, dass in els das s als stamm-
haftes empfunden wurde, und dann ein neuer Plural mittelst -es in
der von M. $ 39 (S. 55) angegebenen Weise gebildet wurde: els —
eises wie cors — corses. Diese Erscheinung ist in der Languedoc
nicht selten. Vf. selbst erwähnt $ 96 noch aquelses, totses. Mehr
giebt Chabaneau, Rev. d. 1. r. V, S. 439 und XI, S. 24 (calses, quauses,
tauses, eusses = oculos, pelses — pilos etc.) $S. ferner Vayssier, Dict.
pat. franç. du dep. de l'Aveyron S. XXXIX nous (nodus) — nouses.
— Loralti in Pistoja und loret in Barbania (Val Canavese) vergleicht
sich Zeus autes im Wallonischen. S. Delaite !. c. pg. 68. — Der in
französ. Patois weit verbreiteten Formen mit e im Anlaut des be-
tonten persönlichen Pronomens der 3. Person: zewr, selles etc. hätte
gedacht werden können. Vergl. Zs. f. rom. Phil. XIII, S. 406.
1) Z. B. Oxforder Psalter LXXII, 21 e je a neient demené sui.
Ib, 22. Sicume jumenz faiz sui envers tei, e je tutes ores ensembl'ot tei.
7) Vgl. Elsner, Ueber Form und Verwendung des Personalpronomens
im Altpruvensal. Kieler Diss. 1886. W. Bohnhardt, Das Personalpronomen
im Altprov. Marburger Diss. 1888. Chabaneau, Rev. d. I. r. V, 451.
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 73
pronominale Bildungen sich gegenseitig in der Form beeinflussen
können, ist dabei vorausgesetzt.
Dass in der 3. Plur. das Masc. im Altfrz. gelegentlich an
die Stelle des Fem. elles getreten ist, vermag ich nicht für besonders
auffällig zu halten; war doch auch für die 1. und 2. Person eine
verschiedene Form für Masc. und Fein. nicht vorhanden. Heute
gebraucht man i, il als Fem. (neben e und elle) in Blois und wohl
noch anderwärts. S. A. Thibault, Glorsaire du Pays Blaisois S. IX.
Im Anschluss hieran sei bemerkt, dass in franz. Patois auch das
betonte Objektspronomen elles auf weitem Gebiete durch die Reflexe
us masc. illos verdrängt worden ist (s. Thibault 2. c. S. 148. Adam
l. ©. px. 75).
Zu den „südöstlichen Mundarten“ bemerkt Meyer u. A., dass in
der 1. Plur. nur Vionnaz die Abschwächung zu ne kenne. Beachte
aber auch ne St. Maurice-de-l'Exile (Isère) (Clédat’s Revue II, 278),
wu ebenfalls die 3. Singl. (où, oùlle, alle) bemerkenswert ist. —
Dass auch im Lyounesischen die 1. Plur. des Verbums das
Pronomen der 1. Sing. erhält, ist zu beachten. (Vgl. Puitspelu,
Dictionnaire S. CXVII je venons etc.) Nach Burgass, Darstellung
des Dialects im XIII. scl. in den Departements ,Seine-Inférieure und
Eure (Haute-Normandie) (Halle 1889) S. 69 begegnet 5’ auch an
Stelle der 2ten Pers. Plur. des persönlichen Pronomens, doch sind
die von ihm dafür gegebenen, L. Favre Parab. de l’enf. prod.
S. 89 entnommenen beiden Belege wohl nicht einwandfrei.
8 83. Tonlose Objectspronomina der 3. Person. Zu der
bekannten Erscheinung, dass im Französischen das Ortsadverb y in
pronominaler Function für den Dativ des persönlichen Pronomens
begegnet, vergl. u. a. auch A. Haase, Syntax d. 17. Jahrhund. S. 18 f.
und Siede, Syntactische Eigentümlichkeiten S. 17. Siede dürfte auch
die zutreffende Erklärung für die pronominalen Bildungen lözi (lozi,
lezi) gegeben haben. y (ibi), das die Stelle des Singulardativs lui
(li) vertreten konnte, wurde später als wesentliches Kennzeichen
des dativischen Verhältnisses aufgefasst uud dann verstärkend an
den Plural leur angefügt: on a beau leur y dire. Dass vor y leur
fehlt, kommt vor, aber wohl nur dann, wenn durch den Zusammen-
hang der Rede ein Zweifel über die Beziehung ausgeschlossen ist.
Was das Verbreitungsgebiet der in Frage stehenden Bildungen an-
geht, so sei noch hingewiesen auf Adam, Pat. lorr. S. 78 f., der
lesi Ge lési ons raconté celè nous leur avons raconté cela), lisi, lausi,
bsi, lousi, läsi aus lothringischen Ortschaften nachweist!), und auf
1) Ob lis, les, die auch ohne die Verstärkung durch : als Dative
vorkommen, hier etymol. — :llos sind, demnach den Accus. an Stelle des
Dativs repräsentierten, oder ob sie etymol. stlis wiedergeben, liesse sich
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 75
zuverlässige Deutung dieser ü-Formen liesse sich nur anf Grund
einer eingehenden historischen Untersuchung geben. Dass der
Ausgangspunct für dieselben das Subjectspronomen der 2. Pers. Singul.
ist, sei hier mit allem Vorbehalt als Vermuthung geäussert.!) Wer
es unternimmt, den genannten Formen weiter nachzugehen, wird
auch auf die Verwendung von lü, das ausser in Nominativfunction
(c’est /3) und nach Präpositionen (por lü) bedingungsweise als Objects-
pronomen abhängig von einem Imperativ (donne-lö = donne-le und
donne-la) erscheint, sein Augenmerk zu richten haben und wird
endlich das adjectivische Possessivum notrü, das nur in wenigen
Verbindungen wie notrü-dame, notrü-pere auftritt und hier die
wallonisierte Form des schriftfranzösischen notre darstellt, nicht
ausser Acht lassen dürfen.
8 98. Neutralformen der Pronomina. In $ 564 sagt
Vf., von den lateinischen Demonstrativen fehle hic ganz. Das ist
doch nur richtig mit der Einschränkung, dass das Neutrum hoc, von
dem die verstärkten Formen ital. ciö, frz. co, prov. so, aisso etc.
erwähnt worden, auf weitem Gebiet sich erhalten hat. Irgendwo
hätte erwähnt werden müssen, dass auch das nicht verstärkte hoc
als Objektspronomen deutlich erkennbare Spuren sowohl in der langue
d’oce als auch in der langue d'ouil?) zurückgelassen hat. — Wenn
M. sagt, „für tonloses neutrales Object“ besitze das Altbéarnische
a, ac, ag, so kann das die Vorstellung erwecken, dass der heutige
Dialect von Béarn diese Bildungen nicht mehr kenne. Es ist aber
at auch dem Neubéarnischen ganz geläufig und ac, ag begegnen
ebenfalls, wenn auch weniger oft, in dem heutigen Patois (s. Lespy,
Gramm.?2 S. 309 u. 310). Was die Herleitung dieser Bildungen an-
geht, so möchte Meyer dieselben auf :llu zurückführen, was mehr
Wahrscheinlichkeit für sich hat als Chabanean’s Rom. IV, 346 ver-
suchte Deutung aus hoc oder Lespy's Annahme (!. c. S. 309), ac sei
aus dem gleichbedeutenden aco gekürzt. Zu dem Lautübergang
von -Ü in -4, -g vergl. auch Lespy !. c. pg. 74 f.: bellu -- be
und Ddeg, collu -— cot und cog etc. Was mir für Meyer’s Her-
leitung namentlich noch zu sprechen scheint, ist, dass in Orthez
ec statt ac, at begegnet: prenez ec — prenez cela. [Lespy, der
diese Thatsache constatiert, weist Z. ec. S. 310 aus der älteren
Sprache auch het, heg und hec (dieses im Censier d’Ibos, Luchaire,
Études S. 291) nach. Neben dem neutralen Objectspronomen af, ac,
ag, ec, (het, heg) besitzt das Béarnesische ein masculines und
feminines Subjectspronomen ef (ille), ere (illa), Plur. etz, eres, das ich
(nach Lespy !. c. S. 284) hier nicht nur deshalb anführe, weil es
1) Vergl. dagegen zu wall. jJü Wilmotte Romania XVIII, S. 216.
7, S. jetzt G. Paris Romania XXIII (1894), S. 174 ff.
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 77
lo on put tirer ch’l’ekielle (Astrologue Picard, 1845). Man vergl.
damit die Versionen der Parab. de l'enf. prod. (ed. Favre) aus Cambrai,
Arras, Mons etc., desgl. die in der Rev. des pat. g. r. I, 98 ff. 107 ff.
abgedruckten pikardischen Text. Der Gegenstand verdient eine ein-
gehende Untersuchung.
Wenn Vf. S. 128 ausführt: „Ganz vereinzelt steht Nizza mit
lu la, Plur. lü li, wo li wohl phonetisch aus las enstanden und là
zu Is nach tu: tü (8 97) gebildet ist“ so ist dazu zu bemerken, dass
in 8 97 &ü (toti) für Nizza nicht nachgewiesen wird (nach Mistral
Trés. 8. v. töuti sagt man in Nizza nicht tü, sondern loui), dass lü
als Pluralform des männlichen Artikels nicht ausschliesslich in Nizza,
sondern auf weiterem Gebiet vorkommt (s. Mistral L. c. s. v. li und
Clédat in seiner Revue I, 91) und dass es auch als masculine Form
des Artikels im Singular sich findet (8. Chabaneau Rev. d. 1. r. V,
464 und Clédat !. c.).
8 207. PraesensIndicativivon esse. Der ausserordentliche
Formenreichtum der neulateinischen Idiome tritt vielleicht nirgends
mehr in die Erscheinung als in der Flexion des vielgebrauchten
Verbums esse. Vf. giebt eine wahre Musterkarte von Formen und
doch wäre es ihm wohl ein Leichtes gewesen, noch einmal so viele
anzuführen, hätte er eine irgendwie erschöpfende Behandlung des
Gegenstandes beabsichtigt. Ich habe zu einzelnen seiner Angaben
in $ 209 oben S. 68 einige Bemerkungen gemacht und schliesse
hier ein paar weitere Notizen an: $ 210 ist neben neap. songo etc.
auch sog in Nordsardinien und Korsika zu beachten (Arch. glott. II,
S. 135) und ferner sugn in Mondovi (Piemont; s. Biondelli, Dialetti
S. 553) anzumerken. Wenn ib. von der Ausdehnung des es- und
ses-Gebietes in Italien gehandelt und dabei ses als die piemontesische
Form, ei als die emilianische ohne jede Einschränkung angegeben
wird, so enspricht das nicht den Thatsachen. Was das Emilianische
angeht, so giebt Ad. Mussafia Darstell. d. romagn. Mundart S. 70
3% (in einigen Untermundarten si) an und aus den bei Biondelli, Dia-
letti abgedruckten Versionen der Parab. vom verl. Sohn lässt sich
entnehmen, dass se (si) in Pavia, Mantua, Rimini, Lucca, Ravenna,
und sonst besteht (dagegen e, i od. ie in Bologna, Parma, Modena,
Ferrara etc.). In Piemont spricht man nach derselben Quelle &, &
in Corio, Azeglio, Alessandria, Vercelli, Bistagno und anderwärts
(ses in Turin, Asti, Cuneo, etc.), so dass sich mit demselben Recht
wohl auch die umgekehrte Behauptung aufstellen liesse, wonach in
Piemont es, in der Emilia dagegen ses die Form der 2. Pers. Singl.
Praes. Ind. des Verbums esse wäre. — & 211. In franzüs. Patois
begegnet eine 1. Pers. Sg. mit auslautendem ? in Anlehnung an die
ursprünglich auf t auslautenden Formen des Paradigmas. S. er, d.
pat. g.-r. 1, 105 in einem Texte im Patois von St. Pol (Pas de
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 79
provenzalischen sei bemerkt, dass hier französ. suis entsprechende auf
-s auslautende Formen der 1. Sg. Pres. Ind. nicht unbekannt sind.
Chabaneau weist Rev. d. I. r. XXXIIf. ein vereinzeltes sos aus einem
altprovenzalischen Texte nach und bemerkt, dass heute in Ardèche
und Isère sous und sious vorkommen. M. giebt an, dass im Prov. auch
ein selteneres so, son sich findet und bemerkt dazu weiter, dass das-
selle noch jetzt in der Languedoc gebräuchlich ist. Meine Quellen
für die heutige Mundart kennen soun (soum, sou), woneben auf kleinerem
Gebiet so vorzukommen scheint, das ausser für gewisse Districte der
Languedoc auch für einen Teil desangrenzenden gascognischen Gebiets
von Luchaire, Les idiomes pyrénéens S. 253 bezeugt ist. Überhaupt
scheint mir Vf.’s Darlegung der neuprov. Formenverhältnisse in
$ 212 keine sehr glückliche zu sein. Ein näheres Eingehen auf
seine Ausführungen muss ich mir hier versagen.
8 226. Die Verba des Gehens. Wenn Vf. S. 266 zum
Neuprovenzal. bemerkt „die Verteilung der zwei Stämme ist dieselbe,
wie in der alten Sprache, ausser im Gascognischen, wo wie im
Spanischen der Plural bam, bats lautet“, so ist dazu zu bemerken,
dass für einen Teil des gascogn. Gebietes, nämlich für das Depart.
Gers und die angrenzenden Districte der Dep. Landes, Hautes-
Pyrénées und Tarn et Garonne, also im alten Armagnac, anam und
anatz angegeben wird!), während andererseits von vadere gebildete
1. und 2. Plur. ausser im Gascognischen auch im Limousinischen
heute begegnen?). — Aus französ. Mundarten, zu denen M. bemerkt,
dass wenig Material vorliege, wäre mir manches beachtenswert er-
schienen. So die 1. Pl. Präs. Ind. vors in Haut-Maine (De Montesson
Vocab. S. 471) in Riceys (Aube; s. Tarbé, Rech. S. 151) und den
Vouthons (Meuse, s. Labourasse, (rlossaire S. 61). Beachte jetzt
auch Bulletin de la Soc. des Parlers de France I (1894), S. 149, wo
j vö (nous allons) aus dem Patois von Doulevant-le-Châtean (Cham-
pagne) verzeichnet ist. M. erwähnt S. 265 lothring. nolé, eine be-
Moivrons (s. Adam ?. c. pg. 136), 2. Sg. ete (étaient s. Küppers L. c. S. 54)
im Patois von Perche (Dép. Orne). 3. Pl. oto (otons Jaclot, Vocabul. S. 58)
im pat. messin, 3. Pl. et& (etant, de Montesson Vocabul. S. 209) in Haut-Maine.
1) S. Luchaire, Étude 8. 242. Umgekehrt bezeichnet M. & 262 die
dem Dialecte von Armagnac angehürige 1. Sg. Imp. Ind. von esse eroi
allgemein als gascognisch. während sie doch dem grössten Teil des gas-
cognischen Gebietes fremd sein dürfte (s. Luchaire S. 236). Es entgeht
mir nicht, dass Mistral Trés. I, 1072 eroi ebenfalls schlechthin als gas-
cognisch verzeichnet, es dürfte sich aber doch empfehlen, Mistrals
Paradigmen zur Formenlehre an der Hand tüchtiger Specialuntersuchungen,
soweit solche vorhanden sind, zu kontrollieren.
3) S. Mistral, Tresor I, S. 92 lim. vau va vai van va van und dazu
Chabaneau Rev. d. !. r. VI, S. 196 van va vai vam va vu and vun.
Wilhelm Meyer-Libke. Gramm. d. rom. Sprachen. 81
zugewendet. Zu einem abschliessenden Urteil wird sich freilich
gerade in Bezug auf die hier einschlägigen Probleme in vielen
Fällen heute noch nicht, z. T. überhaupt nicht, gelangen lassen.
Was M.'s Darstellung anlangt, so stehe ich, um dies vorweg zu
nehmen, namentlich seinen Ausführungen auf S. 426 f., wo über
die gegenseitige Beeinflussung von Reimwörtern gehandelt wird,
sceptisch gegenüber. Es liegt auf der Hand, dass, wenn ein Wort
ein anderes im Genus beeinflussen soll, es in der Seele des Sprechenden
die Vorstellung des anderen wachrufen, zu ihm in eine bestimmte
Beziehung treten muss. Eine solche Beziehung kann geschaffen
werden durch den begrifflichen Inhalt der betreffenden Wörter,
durch den begrifflichen Inhalt und die äussere Form oder auch
darch die äussere Form allein. Durch bloss formale Übereinstimmung
wird eine zur Angleichung führende Beziehung in der Vorstellung
des Sprechenden im allgemeinen nur dann hergestellt werden, wenn
ein Wort einer Gruppe gleich oder ähnlich lantender Wörter an-
gehört. So wahrscheinlich es a priori erscheinen mag, dass fons,
mons, pons, frons sich gegenseitig beeinflussen, so schwer wird es
mir, mit M. anzunehmen, dass z. B. frz. huile nach dem einen Worte
tuile oder friaul. sef (sebu) nach plef (plebe, sich gerichtet habe.
Zugegeben, friaul. sef habe sich im Geschlecht plef angeschlossen,
wie ist da nprov. (agénais) seu f. zu erklären, dem ein Reimwort
pleu nicht zur Seite steht? Vielleicht liesse sich hier ein anderes
Reimwort finden, nach dem sich seu gerichtet haben könnte, wie sich
denn auf diese Weise der Geschlechtswechsel in zahlreichen Wörtern
leicht — nur zu leicht — erklären liesse. Nach M. hätte sich
blen. {raf (trabe) m. nach kaf (caput) im Geschlecht gerichtet. Zu
beachten ist aber, dass auch alt- und neuprov. frau m. (und f.),
venez. {rave und bravo (dem cao = caput zur Seite steht) m., ital.
trave m. (und f.), sicil. éravu m., lothring. {re (Meyer $ 378) m. be-
gegnen, für die andere masc. Reimwörter zu suchen wären. Lothr.
tre hätte sich nach M. blé, gré, gue angeschlossen, ähnlich könnte
sich das sic. iravu nach cavu (Höhlung, Höhle), das prov. trau nach
fau (die Buche) etc. gerichtet haben, was mir alles nicht sehr
wahrscheinlich erscheint. Eher noch würde ich annehmen, um eine
andere Deutungsmöglichkeit zu erwähnen, frabs sei durch das be-
grifflich verwandte /ustis beeinflusst worden. Wenn M. bemerkt,
sard. nie (nive) m. sei durch die (die) beeinflusst, so ist dazu zu be-
achten, dass auch bellun. nei (Arch. yl. II, 440) Mask. ist. Wenn
gredn. pert (partu) nach pert (parte) Fem. geworden sein soll, 80
bleibt auffällig, dass ebenda ert (arte) trotz pert Masc. geworden ist!).
| 1) Hier noch einige weitere Bemerkungen zu M.'s Angaben in 8 478:
Neben prov. und frz. front Mask. stehen gredn. früent m. (Gartner, Die
Ztscbr. f. frs. Spr. u Litt. XVII®. 6
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 83
der Züchter und Kaufleute), brava (Forez), amaie (wallon.), corbine
and chevrille (Morvan), taouro (Creuse). Vergl. E. Rolland, Faune
populaire. Einwände liessen sich ebenso gegen andere Ausführungen
dieses Abschnittes erheben, so gegen die Angabe lat. gallus — gallina
seien nur im Rumän. und Franz. nicht beibehalten oder gegen die
unter lat. anser gemachte Annahme: „frz. jars oie, sonst aucus auca“.
— In $ 365 sei ngvæ — f. neves’ in Seraing angemerkt (s. Horning,
Zs. S. r. Phil. IX, 494).
8 368. Vereinzelt auftretende Suffixe zur Feminin-
bildung. -toria als Fem. zu -tore begegnet nicht ausschliesslich
im Piemontesischen (und Waldensischen): Vgl. Mistral Trésor s. v.
pagadou, pecadou, sauvadou, trahidou und Chabaneau Rev. d. I. rom.
V, 445; XI, 25. Beachte auch neupr. -ouno als Fem. zu -ou(r):
sauvadou —sauvadouno, pecadou —pecadouno, (Mistral, Tresor), ein
Seitenstück zu franz. -eu(r) -euse: chanteur -chanteuse etc.
8 372ff. Geschlechtswechsel infolge von Suffixgleich-
heit, Ausgangsähnlichkeit, Ausgangsgleichheit etc. Recht
ansprechend ist, was M. S. 422 über die Geschlechtsänderung der
aus der Schriftsprache aufgenommenen Wörter auf -e/ in den Mund-
arten bemerkt. Was blais. (hotel (s. Talbert, Le dial. blais S. 266)
angeht, so fragt es sich, ob nicht das von Vf. $ 383 erwähnte
gleichbedeutende ofé f. in der Franche-Comté im Zusammenhang
damit zu betrachten ist. Beachte noch autel f. im Patois der
normannischen Landschaft Bray (s. Decorde, Dictionnaire S. 14). —
S. 420 sei zu ital. dazio gredner. dafs Masc., bologn. dazi m. an-
gemerkt. — S. 423 auch altgen. la ventra (Arch. glott. X, 158) und
franz. la ventre (bleu etc. s. Molière, Ausgabe der Gr. Ecriv. VIII, 468).
— Seigle ist Fem. in Puybarraud (Charente), s. Rev. d. pat. g.-r. II,
S. 57. — Auch im Nprov. begegnet force m. (neben f.), s. Mistral,
Trésor s. v. — Neben sard. filige m. beachte auch bergam. falec m.
und span. helecho m., neben rum. salce (salix) f. auch altfrz. sauce,
saus etc. f. (u. m.), neuwall. sa fem. etc., s. M. $ 381. — S. 424.
Neben sard. pulige m. stellt sich puliza f. in Sassari. — Wenn für
afrz. souriz f. Angleichung an raiz (radice) Fem. vermutet wird,
so ist unterengad. (Münsterthal) Su9rS f. nicht unbeachtet zu lassen.
Angemerkt seien auch friaul. soriS f. etc. (s. Gartner in Gröbers
Grundriss I, 467) und Terramo (s. Savini La gram. ed il lessico del
dial. teramano S. 187) sorghe (*sorica, s. Meyer $ 410) f. — S. 425.
Unter lat. aris ist bergam. (Tiraboschi, Vocab. S. 34) as m. an-
zumerken; unter floris mittelrhät. flu etc. f., prov. flor fem.; unter
picis logud. pighe m.; unter fussis Nizza touis (Mistral !. c.) m. —
8 379 ff. Geschlecht durch die Bedeutung bedingt
Mit Sicherheit zu bestimmen, welche Factoren für den Geschlechts-
wechsel einzelner Wörter oder Wortgruppen jedesmal ausschlag-
6*
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm.'d. rom. Sprachen. 85
Dict., den Sprachgebrauch einer einheitlichen Mundart oder den
Sprachgebrauch verschiedener Mundarten betreffen. — Wenn $S. 427
angenommen wird, honneur sei Masc. geblieben, weil es mit bonheur
reime, so darf daran erinnert werden, dass auch nprov. ounour Masc.
(und Fem.) ist, obwohl ihm ein Reimwort bonour nicht zur Seite steht.
Nicht behandelt wird in dem Abschnitt über Genusbildung
das Geschlecht der Postverbalia und gewisser zusammengesetzter
Wörter (rouge-gorge etc.), worüber man Vf.’s Ausführungen in $ 399
und in $ 544 nachsehe.
8 396. Nominalbildung durch Ableitung. Wenn M.
in der Darstellung der Lehre von den Nominalsuffixen den umfang-
reichen Stoff nicht nach der Function der Suffixe gliedert, sondern,
wie es Diez gethan hatte, nach der Form derselben, so wird man
das in Anbetracht des Umstandes, dass über die Verwendung der
Suffixe in zahlreichen Mundarten brauchbare Vorarbeiten noch nicht
vorhanden sind, nur billigen können. Selbst was die Behandlung
der einschlägigen formalen Fragen angeht, dürfte sich nach gründ-
licerer Durchforschung der einzelnen Mundarten später manches
anders darstellen. Vorläufig aber haben wir allen Grund uns über
das vom Vf. Gebotene zu freuen. Ich habe einzelne seiner Angaben
nachgeprüft und bin dabei nicht immer zu demselben Ergebnis ge-
langt wie er. So in $ 455, wo es heisst „Unus, -a ist auf den
Westen [Span. Portg.] beschränkt“. Gehören denn prov. (s. Mistral,
Tresor) cabruno, chabruno (auv.), cabrun; cavalun (mars.); auv.
pourchuno (l'espèce porcine), vachun etc. nicht hierher? -unus, nicht
men, liegt vielleicht auch vor in nprov. ratun (engeance des rats
odeur des rats etc.) Erwähnen lassen sich noch nprov. feruno,
furuno Wild, fennun u. a. Eine definitive Entscheidung wird freilich
erst möglich sein auf Grund einer eingehenderen Untersuchung. —
In 8 489 wird gehandelt von dem Suffix -tor, -türem: cantator,
andıtor etc. Bekanntlich wird -@ior im Provenzalischen zu -aire.
Verf. ist nun der Ansicht, dass dieses -aire vom Provenzal. aus in
die Dauphiné und nach Lyon eingedrungen ist und z. B. in lyon.
amolairo Schleifer, patairo Lumpensammler, pinairo Hanfkrempler,
sarrairo und seitairo Säger erscheint. . Die Lyoner Beispiele finden
sich in Puitspelu’s Dictionn., aus dem sich noch ersehen läst, dass
-airo phonetisch heute = ero (in einigen Ortschaften -ero) ist. Zu
vergleichen ist E. Philipon, der in Clédats Rev. des pat. I, 280 aus
dem eine Stunde von Lyon entfernten Saint Genis les Ollieres u. a.
mitteilt: patero Lumpensammler, pinèro Hanfkrempler, mänyero Esser
(dazu das Femininum manjeri), sayero Schnitter (Fem. sayèri), amolero
Scheerenschleifer, regrolero Schuhflicker. Was die Herkunft des
Suffixes angeht, so steht fest, dass es in der Mundart von Lyon
nicht aus -afor sich entwickeln konnte, das -ore ergeben hätte, aber
Wilhelm Meyer-Lübke. Gramm. d. rom. Sprachen. 87
jüngeren Fällen im Französischen abgesehen“ dieses Suffix „stets“
Mask. wäre. Über das Alter der mit diesem Suffix zusammen-
gesetzten Bildungen wird sich freilich in jedem einzelnen Falle
schwer Klarheit schaffen lassen, zu bezweifeln ist aber nicht, dass die-
selben recht oft auch weiblichen Ausgang zeigen. Erwähnt seien nur
béarn. boucote (kleiner Mund), camote, hemnote, manote, pastourote
und so immer (nach Lespy Gramm.? S. 236), wenn in dieser Mundart
das Suffix an ein weibliches Substantiv tritt. Dann ital. casotta
npr. #oto u. 8. w.
8 560. Dass die vigesimale Zählmethode dem Pro-
venzalischen wohl bekannt ist, dafür fehlt es an Zeugnissen nicht.
So steht in Savinian’s Grammaire provençale (sous-dialecte rhodanien)
9. 26 neben vuelanto auch quatre vint angegeben, und Mistral Trésor
s. v. vint kennt nicht nur quarte-vint, sondern auch tres-vint, tres-
rints (1) = 60, sieis-vint, Irege-vint — 260, dès-e-ndu-vint = 380, cènt-
vint. Lespy, Gramm.? S. 259 führt neben oeytante quoate-bingte an
und Vayssier !. c. bemerkt s. v. bint:tres bints soixante. Sièys-bints
six vingts, ou cent vingt, ainsi de suite jusqu’à dosonou-bints trois
cent quatre-vingts. Dass auch auf franco-provenzalischem Gebiet
diese Zählmethode nicht unbekannt ist, kann man jetzt aus Duret’s
Gramm. savoy. (ed. Koschwitz) S. 25 ersehen: les habitants du
bassin de l’Arve disent fréquemment: dou ven deux vingts — 40,
dou vent-e-dis = 50... si ven six vingts = 120. S. ib. pg. 24 Anm.!)
— Mit span. milenta vergl. ital. millanta, altfranz. (Godefroy) milante,
nprov. (Mistral) milanto und milantasso.
8 561. Ordinalzahlen. Wie in anderen Abschnitten der
M'schen Grammatik, so ist auch hier das Provenzalische allzu
stiefmütterlich behandelt. So erfahren wir nichts über das schon
für die alte Sprache bezeugte Auftreten des französ. Ordinalsuffixes
und die weite Verbreitung desselben in den lebenden provenzalischen
Mundarten, nichts über das Fortbestehen der ersten 6 lateinischen
Ördinalzahlwörter, die z. T. noch heute in ihrer ursprünglichen Ver-
wendung begegnen, nichts auch darüber, dass in den Bildungen mit
-en, -eno diese Endung auf weitem Gebiete durch -en(c), -enco heute
verdrängt ist. Vgl. Savinian !. c. S. 26: lou tresen, la tresenco;
lou trento-e-unen, la trento-e-unenco und Mistral Tresor 8. v. unen,
dousen, tresen etc.
8 564. Pronominalbildung. Demonstrativa. Auf lat. iste
wird span. und portug. [?] ese zurückgeführt und dazu auf Bd. I,
1) Was die neufranz. Schriftsprache betrifft, so findet sich six-vingts
bei Autoren des 17. Jahrhunderts noch häufig (s. Haase, Syntax S. 80).
Aus den Patois seien die Angaben de Montesson's (Haut-Maine). Vocab.S. 469,
und diejenigen Jauberts, Glossaire du Centre s v. vingt, angenerkt.
Hugo Pipping. Die Lehre von den Vokalklängen. 89
lehnung aus dem Italienischen an. Vergl. indessen Gartner, Rütorom.
Gramm. S. 10.
Altfrz. quant (= nfrz. combien) begegnet noch heute in gleicher
Verwendung. Z. B. Malmedy: kwantes varlets ont do pan à l’abon-
dince d’vin l'mâhon du m’pere! (Enf. prod. ed Favre S. 8).
D. BEHRENS.
Pipping, Hugo. Die Lehre von den Vokalklängen. Neue Unter-
suchungen mit dem Hensen’schen Sprachzeichner. [Zei-
schrift für Biologie, Bd. XXXI, N. F. XIII].
— — Über die Theorie der Vokale. Acta Societatis Scientiarum
Fennicae. Tom. XX. No. 11. 1894.
Unter den wenigen Philologen, die an die Lösung der äusserst
schwierigen Frage nach der Natur der Vokalklänge mit Erfolg heran-
getreten sind, steht Pipping in vorderster Reihe. Seine äusserst
gründlichen Untersuchungen verdienen, wie schon aus der hoch-
interessanten Abhandlung Auerbach’s in dieser Zeitschrift, Bd. XVI,
über die physikalischen Grundlagen der Phonetik hervorgeht, unsere
besondere Beachtung.
Pipping gründet seine Lehre von den Vokalklängen auf Unter-
suchungen mit dem Hensen’schen Sprachzeichner. Mit Hermann ge-
langt er zu der Ansicht, dass die von Helmholtz aufgestellte Theorie
richtig ist, wonach die Vokale durch feste, oder in sehr engen
Grenzen sich verschiebende Töne charakterisiert werden, oder, wie
Hermann sich ausdrückt, dass jeder Vokal einen oder zwei
feste Formanten hat.
Das Charakteristische des Vokals einseitig in Verhältnis-
grössen der Partialtöne finden zu wollen, wie verschiedene Forscher
dies gethan haben, ist darnach nicht länger zulässig. Inwieweit
ausser absoluten Tonhöhen auch diese relativen Verhältnisse für den
Vokal massgebend sind, bleibt unserer Ansicht nach eine offene
Frage. Es ist bekannt, dass Auerbach die gemischte Theorie ver-
tritt, nach welcher sowohl absolute als relative Partialtöne bei der
Erzeugung der Vokale eine Rolle spielen.
Wenn Pipping in seiner Auffassung von der Natur der Vokale
im wesentlichen mit Hermann übereinstimmt, so unterscheidet er sich
doch von diesem dadurch, dass er die auf die Note des Formanten
eingestellte Mundhöhle nur die nächstliegenden Partialtüne des
Stimmklanges resonatorisch verstärken lässt, dass er also in den
Vokalen lauter harmonische Teiltüne findet, während Hermann
Hugo Pipping. Die Lehre von den Vokalklängen. 91
Klavier Stehende die gesungenen Vokale nicht mehr hôren und
trotzdem den Vokalcharakter genau erkennen könnte. Dann wäre
allerdings bewiesen, nicht nur dass die Vokale, physikalisch ge-
sprochen, Sinusschwingungen mit fortschreitenden Phasen enthalten,
sondern, dass das spezifisch vokalische Element des Klanges sich aus
solchen Schwingungen zusammensetzt, da andernfalls der von den
Saiten zurückgegebene Schall den Vokalcharakter verlieren würde.
Von besonderer Wichtigkeit für den Gesamtklang ist die
Bedeutung des Grundtones. Pipping kommt hier zu dem
Schlusse, dass ein Klang von der Schwingungszahl n empfunden
wird, sobald eine hinreichende Anzahl von Teiltönen vorhanden ist,
deren Schwingungszahl gerade Vielfache von n sind, dass ferner
kein Teilton an und für sich genügt, um eine sichere Höhen-
empfindung hervorzurufen. Als Beweis führt Pipping an, dass die
Obertône zur sicheren Wahrnehmung der Klanghöhe beitragen, dass
ferner die Höhe eines einfachen Tons von unserem Ohr nur sehr
unsicher geschätzt wird, und dass der Grundton für die Hervor-
bringung einer sicheren Klanghöhenwahrnehmung entbehrlich ist.
Letztere Behauptung suchte Pipping dadurch nachzuweisen, dass er
zunächst einen beliebigen Klang in ein Klavier hineintönen liess,
während die Dämpfer gehoben waren. Das Klavier antwortete mit
einem in jeder Beziehung ähnlichen Klang. Darauf wurde der
Versuch so wiederholt, dass nur die Saiten vom zweiten Teilton an
von ihren Dämpfern befreit wurden, während alle diejenigen Saiten,
die durch den Grundton des hineintönenden Klanges in Mit-
schwingung versetzt werden konnten, gedämpft blieben. Trotzdem
hier in dem aus dem Klavier heraustönenden Klange der Grundton
fehlte, blieb die Höhe des Klanges intakt. Wir hegen gegen diesen
Versuch ausser dem schon oben genannten Bedenken, dass der Hörer
von dem aufgesprochenen Klange zu sehr beeinflusst ist, noch den
Zweifel, ob die Dämpfer imstande sind, einen Ton gänzlich aus-
zulüschen. In Beziehung auf Vokalklänge wäre es jedenfalls von
grüsstem Interesse, Untersuchungen darüber anzustellen, inwieweit
bei den einzelnen Vokalen der Charakter derselben noch deutlich
wahrnehmbar ist, wenn der Grundton ausgelöscht wird. Es ist nicht
anzunehmen, dass alle Vokale sich hier gleich verhalten. Am
ehesten darf wohl bei dem durch viele Obertöne sich auszeichnenden
I der Grundton fehlen, ohne dass der Vokalcharakter beeinträchtigt
wird, während z. B. O bei Weglassung des Grundtones mit U ver-
wechselt werden dürfte. Der Grundton wird allerdings in einem
Klange nie ganz fehlen, weil er stets als Differenzton von jedem
beliebigen Paar benachbarter Teiltöne auftritt.
Als Anhänger der Theorie von den festen Resonanzhöhen ist
Pipping ein Gegner der Lehre von den typischen Articulationsformen.
Hugo Pipping. Die Lehre von den Vokalklängen. 95
volle Oktave geschätzt; der Maximalpunkt des höheren Gebiets liegt
bei d?, und der Umfang desselben ist etwa eine Quarte.
Auch dieser Vokal zeigt zwei Verstärkungsgebiete. Als
charakteristische Tonhöhe des unteren Gebiets wird durchschnittlich
d! angegeben, seine Breite umfasst eine knappe Oktave; das obere
Gebiet umfasst kaum eine halbe Tonstufe und zeigt etwa die Höhe ct.
Die Tonhöhe für À ist etwa h!, die Breite des Gebiets ist
jedenfalls grösser als beim O und umfasst über eine Oktave.
Möglicherweise stellt sich das breite Verstärkungsgebiet bei späteren
Analysen als zweigipfelig heraus.
À
Dieser Laut zeigt sicher zwei Verstärkungsgebiete. Die ver-
schiedenen Analysen geben für die maximale Verstärkung für das
untere Gebiet g?, für das obere etwa fis®; das erstere ist höchstens
eine Quarte breit, das letztere eine Septime.
0.
Auch hier sind zwei Verstärkungsgebiete. Das eine umfasst
die ganze eingestrichene Oktave und hat f! als maximalen Resonanz-
ton, das höhere Gebiet zeigt eine Breite von einer Quarte, als
Maximalpunkt der Tonhöhe wird fis? oder g? angegeben.
Q.
Das breite ® unterscheidet sich vom Ö dadurch, dass das
untere Verstärkungsgebiet viel höher und viel enger ist, das obere
dagegen etwas tiefer und breiter. Für das erstere kann durch-
schnittlich e?, für das obere dis? als Centrum angegeben werden;
die Breite beider beträgt ungefähr eine Quinte.
Sieht man davon ab, dass Helmholtz die Bedeutung des Grund-
tones etwas überschätzte, die Verstärkungsgebiete dagegen zu wenig
berücksichtigte, so können die von Pipping gewonnenen Resultate
als eine Bestätigung der Helmholtz’schen Vokallehre angesehen
werden. Kein Physiologe oder Sprachforscher, der sich inskünftige
mit Vokalklängen beschäftigt, kann die Untersuchungen Pipping’s
unbeachtet lassen. Wir empfehlen das Studium derselben der grossen
Zahl von Lehrern, die sich gegenwärtig mit Phonetik beschäftigen,
aufs angelegentlichste. \Wenn sie auch in ihren Ansichten in manchen
Punkten von Pipping abweichen, so werden sie doch in der Er-
kenntnis der Natur der Vokalklänge wesentlich gefördert werden.
Wir heben noch besonders hervor, dass es sehr angenehm berührt,
wie Pipping auf gegnerische Einwände eingeht und keine Mühe
scheut, sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen, und dass er seine Stellung
stets in ruhig objektiver Weise zu verteidigen sucht.
REUTLINGEN. PH. WAGNER.
Alfr. Schulze. Predigten d. heiligen Bernhard ttc. 97
Konsonanten ist } zu $ vokalisiert. Ich würde auch enseure 13040
schreiben, denn heute heisst es yvur’ (Zeligeon, Lothringische Mund-
arten im Jahrbuch der Gesellschaft für lothr. Geschichte u. Altertums-
kunde. 1889. I. Ergänzungsheft. $ 133), ebenso enseuons, enseuent,
enseuivet u. 5. w., vgl. ensuons 9773, suient 9711. Die Formen sind
wohl vom Inf. neu gebildet, denn qu wird zwischen Vokalen in
unserer Mundart zu w (vergl. meine demnächst erscheinende Arbeit:
Die altfrane. Predigten des Hi. Bernhard in Vollmöller's Roman.
Forsch. IX. 2. 8 105). 14811 desrouet statt desrovet ist im Wort-
verzeichnis verbessert.
Was den Gebrauch von w anbelangt, so ist auue durch awe
wiederzugeben (vgl. meine erwähnte Arbeit $ 17a, deren erster Teil
als Dissertation [Bonn 1895] gedruckt vorliegt). Ebenso ist in der
sogenannten Hiatustilgung in nouuellon 815, couuardement 21615,
couue 9019 w zu schreiben, da diese beiden % einen dunkeln Nach-
klang bezeichnen, der zum Halbvokal # = w werden kann. Anderer-
seits ist wohl vuels (und nicht weils) 10ss, 1936, 11955, 28818, vuell
1720, 294, 3bb1, 35817, 37845 vues 28357 zu drucken, denn sonst
liefert unser Text kein Beispiel für die Verkürzung von betontem
Né zu €.
Das Trema ist meiner Meinung nach vom Herausgeber an
mehreren Stellen unrecht gesetzt worden; repäut für repaut 5734 ist
wohl Versehen, denn plait 18658 wird in den Berichtigungen in plauwt
verbessert; cröes 10553 ist wohl eher croez für croiz (vgl. soet für
soit 3204, resoevre 3459, 35472) für creoiz, denn die 2 pl. Praes. Ind.
wird bei den Verben auf re stets auf oiz gebildet. 862, 17655, 3726
wohl puent für pueent (vgl. atempreiment 5513, acustumeiment 35816,
nos — nausea 26733) und nicht püent, das eine in unserem Texte
nicht belegte Tonverschiebung von ué zu üe voraussetzen würde.
Das Part. Perf. von seure ist als seut anzusetzen 2077, 2684,
conseut 2783, 31834, 3218,10, 3282, denn das Fem. ist enseute F. 59s.
Auch würde ich licber roine statt roine 22629, 2948, 3398, 340ıs,
34231, 3667 u. s. w. schreiben, denn die Grundform reine ist doch
durch rei, roi beeinflusst worden, die beiden Vokale zu ei zu ver-
binden und mit diesem zu oi zu wandeln.
Im einzelnen hätte ich noch folgendes zu bemerken: 4sı derisons
kann doch wohl kaum Umstellung sein. Es ist Schreibfehler. —
10655 resucreccion ist vom Kopisten verschrieben und also zu ver-
bessern. — 15530 enerchement ist in encerchement zu ändern. Oder
ist enerchement nur ein Versehen des Setzers? — 15712 seit statt
soû ist offenbar ein Schreibfehler und folglich zu ändern. — 2211
voluntrive statt voluntruie (vgl. volentrif 33017, voluntris 32218, 33017)
— 249%s hätte ich bafistle beibehalten. Vgl. Baptistle F. 10419. —
29415 ist Bibelstelle (Joh. 45,8) und gesperrt zu drucken. — 29749
Zischr. £. frz. Spr. u. Litt. XVII. 7
Alfr. Schulze. Predigten d. heiligen Bernhard etc. 99
bahaller 864 = balare ist wohl nur Schreibung für baler, weil
im Lothringischen die Vokale lang gezogen werden (Romania I 335).
Vgl. bei F. beeste 148ss, liiez (laetus) 5228, Moyises 16312, oyit 16256.
chuer. peüst chuer = cribraret 5733.
chazier wäre doch als Inf. zu chazat 14813 anzusetzen; chazier
ist aber cha/l)chier, denn für ch wird oft s geschrieben (essaper 18238,
dessirier 2784, pessier 26531, essiele = scala 24% u. 8. w.) und 8
und 3 wechseln. Vgl. auch 2204 chalchie.
enfagniez 349ı = infangatos. Godefroy hat nur die Form
mit ng enfangier.
engenuir. Praes. Ind. 3s. nos engenuist om = generamur.
Praes. Cunj.3s. engenuisset 34«=pariat. Perf. Ind.3s. engenuil = genuit.
330,16, 34326. Part. Perf. engenuit 8320, 22631, 28547, 33015. engenuie
20901. (F. engenuist 4312. engenuïsset 17735 Perf. engenuit Tıe, 394.
enmeute 22040 ist lautlich esmeute.
enumbrier. enumbriat 232: (zweimal). Godefroy hat nur enombrer.
favirgier. qui l'homme avoit favirgiet = fabricator hominis 10238.
favergivent = fabricarent 62ı3 für favergievent, vgl. travillivent 13476,
tesmognivet 25165, ensignivel 2266, aparillivet 32147.
de feccion 29743 ist vielleicht d’efeccion = d’afeccion zu lesen.
feintes = stercora 32720. nfr. fiente = *fimila von fimus.
fieiee 32112 ist doch wohl = fieie. Das zweite e ist falsch
angesetzt gerade wie in pocene 32350.
jeuse 301sı = mazxilla (F. 152%, 17615). In der jetzigen
Mundart 2æy die Wange. Vgl. meine Arbeit: Die altfranz. Pre-
digten des h. Bernhard in Vollmöllers Rom. Forsch. IX. Heft 2.
IV. Lexikalisches unter geuse.
osses 1009, 16640, 18661, 3283.
raviskir. Praes. Conj. 30. raviskisset 28445. Part. Perf. ravisquiz
9552, 10764. S. auch veskir.
rul. Dass ruz und ruïf dasselbe Wort ist, beweisen folgende
Stellen: N. sing. li ruz de ces penses = torrens cogitationum 17013,
li ruz undanz = torrens inundans 30683.
Obl. sing. del rut de son deleit = torrente voluptatis 211105.
pris cinq pieres el rut = de lorrente 30521. cel ruit de deleit =
lorrentem voluptalis 21085. de cel rut de delcit = torrente voluptatis
21010. del rut de deleit = voluptatis torrente 3654.
Obl. plur. sentiens les ruz de cel fluve = stillicidia 33%.
veskir Impf. qui charnelment veskivent = carnalıbus carnis
opera fuerunt victus 37735. S. auch raviskir.
Berichtigungen und Zusätze: S. 438 zu 12931 puist 171so,
puissent 20672 dürfte wohl nicht als Beleg für das parasitische à
berangezogen werden, denn sie sind nicht = peüsf, peüssent, sondern =
puis, puissent. pooir bildet im Bernhard ein à Perf. Vyl. poisses 193111,
7*
Karl Reissenberger. Des hundes nôt. 101
Das Gedicht ist zuerst 1816 von Mailath und Köffinger in
dem Kalocsaer Codex altdeutscher Gedichte, dann von J. Grimm in
seinem Reinhart Fuchs (1834) herausgegeben worden. Für seine
Neuausgabe hat Reissenberger die beiden Hss. von neuem collationiert,
resp. collationieren lassen. Der Text bringt gegenüber Grimm zahl-
reiche Besserungen, in metrischer Hinsicht wie in vielen Einzelheiten;
vor allem behält R. häufig die Lesart der Hs. bei, wo Grimm um
glatte Verse zu machen geändert hatte.
Bezüglich des Handschriftenverhältnisses beharrt der Heraus-
geber gegen Schönbaclı, Sprenger und Bahder auf seinem schon bei
der Ausgabe des Reinhart Fuchs (1886) geltend gemachten Stand-
punkt, dass die Kalocsaer Hs. (K) nicht eine blosse Abschrift der
Heidelberger (P), sondern mit dieser aus einer gemeinsamen Quelle
herzuleiten sei. In prari hält sich R. in erster Linie an P., hie
und da auch an K. Zeitlich weist er das Gedicht in die ersten
Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts, aber hinter das Jahr 1218; örtlich
nach Mitteldeutschland; Verfasserschaft des Strickers wird abgelehnt.
Dem Text gehn zusammenhängende Betrachtungen über Stil, Metrik
und Sprache voraus; textkritische Erläuterungen bilden den Schluss.
Das sind alles Dinge, welche der Beurteilung der Fachgermanisten
unterliegen. Nur zu v. 154 (ick wi dir sagen waz dû tuo) möchte
ich darauf hinweisen, dass die Verwendung der 2. pers. imp. anstelle
des Conjunctivs im abhängigen Satz auch im altfrz. geläufig ist,
wie Tobler (Z. f. R. Ph. 1877, S. 14 — Verm. Beitr. zur franc.
Gram. S. 25) gezeigt hat, welcher seinerseits schon auf den analogen
Gebrauch im Germanischen (Scherer, Z. Gesch. d. d. Sprache S. 196;
Paul, Mhd. Gram. $ 368.) verweist.
Speciell für den Romanisten besitzt der Text ein besonderes
Interesse, weil eine ganz ähnliche Geschichte im Roman de Renart
(Br. XI, 760 — 1369) erzählt wird. Jacob Grimm — und ebenso
sein Bruder Wilhelm — war wie es scheint der Meinung, der
deutsche Dichter habe das franz. Gedicht zur Quelle gehabt. Dagegen
hat schon K. v. Bahder (Germania XXXI, 105ff.) protestiert, die
Selbständigkeit der deutschen Bearbeitung betont und deren Herkunft
aus der mündlichen Überlieferung erwiesen. In seiner Einleitung
nimmt R. diese Untersuchung auf grund vermehrten Materials wieder
auf, um den Weg, den die mündliche Überlieferung genommen, und
den Ort ihres Ursprungs aufzudecken. Das gewonnene Resultat ist,
bei dem Verhältnis der beiden Texte zu einander, für die Renart-
branche von gleicher Bedeutung wie für das deutsche Gedicht: beide
Verfasser haben aus der mündlichen Überlieferung geschöpft, die als
gemeinsame Quelle dienende Erzählung ist ursprünglich in Indien
zu Hause und hat sich auf mündlichem Wege nach Europa verbreitet,
wo sie seit dem 11. Jahrhundert bekannt gewesen, nur hat der
Karl Reissenberger. Des hundes nôt. 103
Caldah und Dimnah; sudanesisch (Marno)!); hottentottisch (Bleek);
siebenbürgisch (Haltrich- Wolff No. 18); russisch (Gerber 13); finnisch
(Schreck S. 189).
III. Kombination von I und II, wobei der Vierfüssler, welchem
der Vogel Essen u. s. w. verschafft, die Rache gegen den Fuchs
übernimmt, der des Vogels Junge gefressen: hierher gehört die
Mehrzahl der übrigen Varianten, namentlich Branche XI des Roman
de Renart, die bretonische und eine gascognische, die esthnische,
verschiedene russische und eine südslavische Variante.
Ha. (Weiterentwicklung von III). Der Feind des Vogels
in IT und der Freund des Vogels in I sind dieselbe Person,
der Vogel verschafft dem Fuchs Essen etc. um ihn vom Raub
seiner Jungen abzuhalten und dafür zu entschädigen: eine
gascognische Variante, ferner russische (Gerber 12, Sadovnikov?),
siebenbürgisch (No. 21).
Eine solche Übersicht, vielleicht mit kurzen Inhaltsangaben
der betr. Varianten, die ja dem Leser wohl nur in den seltensten
Fällen sämtlich zu Gebote stehen, hätte dem, welcher die Unter-
suchung verfolgen will, das Verständnis gewiss sehr erleichtert.
Zudem wäre dabei auch von vornherein deutlich geworden, wie
nahe sich die indischen und deutschen Versionen stehen, insofern
gerade sie die Kombination mit dem anderen Märchen (II) nicht
vorgenommen haben: gewiss ein Beweis für das relativ hohe Alter
der deutschen Versionen sowie dafür, dass das Märchen nicht bereits
in der kombinierten Form nach Europa gekommen sein kann.
Reissenbergers Untersuchung ist gleichzeitig und unabhängig
von Sudre’s Buch Sur les sources du Roman de Renart (Paris 1893)
entstanden, welcher das Thema im Anschluss an die XI. Renart-
branche behandelte Wenn nun beide in der Hauptsache zu dem
gleichen Ergebnis kommen, so ist das ein erfreulicher Beweis für
die Richtigkeit der jetzigen Anschauung, dass unter den Quellen für
das mittelalterliche Tierepos das Märchen eine bedeutende Rolle
beanspruchen darf.
1) Hier wären noch nachzutragen die verschiedenen von Leo Reinisch
in seinen Grammatiken mitgeteilten Versionen aus Nordafrika: Ze Nuba-
sprache (Wien 18791 S. 213: Texte der Sahoxprache (Wien 1889) S. 234;
Bilinsprache S. 231.
?) Dieses Märchen endet damit. dass der Fuchs von der Nachtigall
das Fliegen lernen will. sie nimmt ibn mit in die Höhe, lässt ihn dann
aber fallen. sodass er stirbt. Die: Motiv begegnet sellmtändig in einem
finnischen Märchen : Schrerk S. 238. von Furl und Krauich; ähnlich auch
von Fuchs (Schakai) und Marabu im ägyptischen Sudan (Marno No, 4).
Entfernter verwandt ist Puntschatantra 1, 3 (Beufey II. S. 59). wo der
Kranich Wassertiere auf seineu Rücken steigen lässt. sie dann aber von
oben auf einen Felsen wirft und verspeist.
Karl Reissenberger. Des hundes nöt. 105
unter Einfluss der griechischen Fabel vollzogen? Ferner die zweite
Form (repräsentiert durch das Siebenbürg. Märchen) ne faisant figurer
que Toiseau et le renard et ayant emprunté à une autre Série de
contes le tableau des soins donnés par un animal à un autre, wie hat
sie sich aus der Fabel des Directoriums entwickelt? Sudre erklärt
es selbst für unursprünglich, dass hier das vom Vogel gespeiste Tier
zugleich sein Feind statt sein Begleiter ist. Gleichwohl erblickt er
in diesem Typus eine der beiden Urformen, durch deren Mischungen
die übrigen Varianten entstanden sind. Ist da die Erklärung nicht
natürlicher, dass diejenigen Versionen, welche aus dem Feind des
Vogels hier und aus seinem Begleiter dort eine einzige Person
machen, erst abgeleitet sind aus jenen, wo drei Tiere, nämlich der
Vogel, sein Freund der Hund und sein Feind der Fuchs einander
gegenüberstehen ?
So muss ich Reissenberger auch bzgl. der deutschen Märchen
Recht geben, die den Fuchs gar nicht kennen, sondern nur von
Freundschaft zwischen Vogel und Hund berichten. Nach Sudre sind
es Verstümmelungen aus der combinierten Märchenform. Aber weder
in diesen Märchen noch — was noch wichtiger — in dem durch
sein Alter ehrwürdigen mhd. Gedicht deutet irgend etwas darauf
hin, dass der Fuchs hier jemals eine Rolle gespielt oder dass diese
Gruppe die Einleitung mit der Drohung des Fuchses gegen den Vogel
gekannt hätte. Es sind eben die allernächsten Verwandten der
indischen Erzählung von Schakal und Rebhuhn, die wir hier vor
uns haben und die sich hier noch in der ursprünglichen Selbständig-
keit erhalten haben, während anderwärts die Combination durch-
geführt wurde.
Zweifelhaft kann man darüber sein, welche Bedeutung man
der äsopischen Fabel und im Zusammenhange damit dem slovenischen
Märchen einräumen will. In den combinierten Formen unserer Er-
Zählung handelt es sich um die Freundschaft zwischen Vogel und
Fachs und um den Bund zwischen Vogel und Hund zur Bestrafung
des Fuchses. Dieses Nebeneinander von Vogel, Fuchs und Hund
kann selbständig einfach dadurch entstanden sein, dass die beiden
Erzählungen combiniert wurden und hierbei der Freund des Vogels
in I die Rache an dessen Feind in II übernahm. Aber eigentümliclı
ist es doch, dass der so entstehende neue Typus in den Grundzügen
schon in der äsopischen Fabel vorgezeichnet ist: Hund und Hahn
reisen zusammen, bei einbrechender Nacht sucht der Halın seine
Lagerstätte oben auf einem Baume, der Hund in einer Höhlung am
Fusse desselben. Am Morgen kommt der Fuchs, durch das Krähen
des Hahns herbeigelockt, und sucht den Hahn durch Schmeicheleien
zum Herabkommen zu bewegen. Der Hahn weist ihn an den Pförtner,
dieser (der Hund nämlich) springt hervor und zerreisst den Fuchs.
Albert Benerke. Fransüsische Schulgrammatik. 107
deutend klären würde. Im Gegenteil, häufig genug giebt eine nene
Variante nur wieder neue Rätsel auf.
Jedenfalls aber hat die Untersuchung der tiergeschichtlichen
Stoffe, wie sie von der modernen Forschung inauguriert worden ist,
den rechten Weg eingeschlagen, mag auch im einzelnen Fall ein
volles Einverständnis nicht zu erzielen sein. Für unsere Geschichte
hat der Herausgeber von „des hundes nôt“ die Grundzüge der
Wanderung und Veränderungen des Stoffes klar und in der Hauptsache
überzeugend gezeichnet, wofür ihm auch der Dank der Romanisten
so gut wie der Germanisten und der Märchenforscher gebührt.
TUEBINGEN. CARL VORETZSCH.
Benecke, Albert. Französische Schul-Grammatik. Ausgabe B. Kurz-
Befnestes Lehrbuch. Erster Teil. Dritte revidierte Auflage.
otsdam, Aug. Stein, 1894.
Wenn man in Erwägung zieht, dass diese Grammatik erst im
verflossenen Jahre in einer „revidierten“ Ausgabe neu erschienen
ist, und wenn man dieselbe dann auf ihren Inhalt prüft, so weiss man
in der That nicht, was den Verfasser oder den Verleger veranlassen
konnte, uns mit diesem Buche zu beschenken. Hat doch selbst Plütz es
für nötig erachtet, seine Lehrbücher ein wenig den modernen An-
schauungen anzupassen, hier aber, bei Benecke, haben wir noch die
schönste, unverfälschteste alte Plötz’sche Methode von reinstem Wasser,
und es scheint, als wenn für Benecke die letzten Jahre mit ihren viel-
fachen neuen Errungenschaften auf dem Gebiete der Methodik unseres
fremdsprachlichen Unterrichts einfach nicht existiert haben! Es genügt,
einige Punkte hervorzubeben, um ein Bild von dieser Grammatik zu geben.
Recht unzweckmässig ist die Bezeichnung der Aussprachen der
Buchstaben ($ 1) durch deutsche Buchstaben, besonders für 9 — J,
deren Aussprache folgendermassen angedeutet wird: g lautet wie die erste
Silbe des Wortes ,.genieren‘‘, j wie die Mittelsilbe von „logieren‘“. Fast.
könnte das ja bedeuten, dass g=, zwei verschiedene laute be-
zeichnen. In der folgenden Aussprachelehre geht Vf. immer nach alter
Sitte vom Buchstaben, anstatt vom Laute aus, und verstösst damit schon
gegen einen Hauptgrundsatz des gegenwärtigen Anfangsunterrichtes.
8 4 heisst es: „Jedes französische Wort wird auf der letzten
vollen Silbe betont“, obwohl es doch bekannt genug sein dürfte, dass
Gesetz viele Einschränkungen erleidet, die meistens ihren Grund
- m der stärkeren Betonung des betreffeuden Wortes haben. Eigentlich
darf man doch überhaupt von französischen Accent gar nicht reden, ohne
zwischen expiratorischem und musikalischem Accent zu unterscheiden, doch
gebe ich zu, dass diese feine Unterscheidung für den Elementarunterricht
noch verfrüht sein mag.
Auf S. 5 erscheinen die ersten Uebersetzungsbeispiele, natürlich auch
mach dem alten Schema in Einzelsätzen folgenden geistreichen Inhaltes:
La dame regarde Amélie. La mère regarde les perles de la reine etc. etc.
Der Vf. behauptet sogar im Vorwort, dass diese Einzelsätze sich auch
Benecke. Französische Schulgrammatik. 109
hätte ferner genügt, einige Musterverba übersichtlich
n könnten die zahlreichen übrigen genannten Verben
atteler — cacheter) der Lektüre überlassen bleiben.
ich in der ganzen Darstellung der sogen. unregel-
e klare Uebersicht.
Jouer und tuer (nous jousons, tuions) (S. 52, no. 4)
Mlüssig, ebenso auch die für die Substantiva auf ou, asl
3 Plurale les ciels und die Unterscheidung zwischen les
(8 58). Wozu den Schüler mit grammatischem Ballast
ır sum grössten Teil niemals in der Lektüre antrifft und
tisch zu gebrauchen hat?
* (8 64) wird gesagt, dass Présent und Imparfait dieses
äuchlich sind; wozu sind diese Formen aber dann über-
and Konditional würde ich nicht als zusammengesetzte
(8 65), da dieselben für den Franzusen durchaus einfach
zer Entstehung nach zusammengesetzt sind, ist eine
es Frederic deux statt second heissen.
ativ des Passivs sois choisi etc. (8 70) könnte gestrichen
über die Stellung zweier persönlicher Fürwörter bei
könnte viel einfacher so gefasst werden: Der Akkusativ
cunächst; lui und leur vor dem Verb verdrängen den
nem Platz (vgl. Kühn, Französ. Schulgrammatik®, S. 92).
Imdungen wie attendez-y-moi, obwohl grammatisch richtig,
n sind (8 76), so brauchen sic auch nicht aufgeführt
Anmerkung zu $ 82, 3 erscheint mir vollkommen über-
3 der Einübung der Pronomina die Vergleichung mit
überhaupt möglichst vermeiden wird, der Schüler also
danken kommen dürfte, de cheval-là statt ce cheval-là
Lie Behandlung dieses Kapitels kann man nur immer
rorzügliche Methode als Muster hinweisen, deren sich
amidt in ihrem F’runzös. Lehrbuch bedienen, welche das
Umformungen geeigneter Sätze aus der Lektüre, ohne
Deutschen, üben.
on als Genetiv des persönlichen Fürworts der dritten
5 Dativ desselben aufgefasst. Ich würde lieber sagen:
mit einem Subst. oder Pron., und y statt a + Subst.
in dem Satze: L'avare a de l'or et n'y touche pas, wird
als Dativ erklären künnen.
cb sind die als Lesestücke S. 158 f. angeführten Prosa-
rerer Fabeln von Lafontaine, denen auch einige im
de folgen; freilich ist es einseitig, dass ausser Lafontaine
en Dichter vertreten sind. Die folgenden Anekdoten
ælen zur Zeit des Herodes, im Orient und zu Athen;
nd den Franzosen findet sich nichts.
k f. (8 12) genannten defektiven Verben hätten, da sie
verkommen, auf ein Minimum beschränkt werden können.
sammenhängenden Stücke, welche zur Einübung der un-
wben dienen sollen, sind wiederum mit Vorliebe aus dem
nen (Xerxes bei Abydos, Theseus, Julius Cäsar, Damon
hilipp von Macedonien und Aster, Iphikrates, Divnysius
ichorus und die Einwohner von Himera, Philopömen),
Abschnitt eine in Italien spielende Erzählung in iranzôs.
Albert Benecke. Franzüsische Schulgrammatik. 109
überhaupt gilt. Es hätte ferner genügt. einige Musterverba übersichtlich
aufzuführen, dagegen könnten die zahlreichen übrigen genannten Verben
(achever — sécher, atieler — cacheter) der Lektüre überlassen bleiben.
Ueberhaupt vermisse ich in der ganzen Darstellung der sogen. unregel-
mässigen Verben eine klare Uebersicht.
Die Regel für jouer und tuer (nous joutons, tu$ons) (S. 52. no. 4)
erscheint mir überflüssig, ebenso auch die für die Substantiva auf ow, au
und al, sowie’ die Plurale Les ciels und die Unterscheidung zwischen les
sulz und les als (3 58). Wozu den Schüler mit grammatischem Ballast
beschweren, den er zum grössten Teil niemals in der Lektüre antrifft und
kaum jemals praktisch zu gebrauchen hat”?
Bei raıncre (8 64) wird gesagt, dass Présent und Imparfait dieses
Verbs wenig gebräuchlich sind; wozu sind diese Formen aber dann über-
haupt angeführt?
Das Futur und Konditional würde ich nicht als zusammengesetzte
Zeiten aufführen ($ 65), da dieselben für den Franzosen durchaus einfach
sind; dass sie ihrer Entstehung nach zusammengesetzt sind, ist eine
andere Sache.
8 68 muss es Frédéric deux statt second heissen.
Der Imperativ des Passivs sois choisi etc. (8 70) könnte gestrichen
en.
Die Regel über die Stellung zweier persönlicher Fürwürter bei
dem Verb ($ 74) könnte viel einfacher so gefasst werden: Der Akkusativ
steht dem Verb zunächst; lui und leur vor dem Verb verdrängen den
Akkusativ von seinem Platz (vgl. Kühn, Franzôs. Schulgrammatik?, S. 92),
Wenn Verbindungen wie attendez-y-moi, obwohl grammatisch richtig,
doch zu vermeiden sind ($ 76), so brauchen sic auch nicht aufgeführt
za werden. Die Anmerkung zu $ 82, 3 erscheint mir vollkommen tiber-
füsuig, da man bei der Einübung der Pronomina die Vergleichung mit
dem Deutschen überhaupt möglichst vermeiden wird. der Schüler also
kaum auf den Gedanken kommen dürfte. le cheval-là statt ce cheval-là
zu sagen. Für die Behandlung dieses Kapitels kann man nur immer
wieder auf die vorzügliche Methode als Muster hinweisen, deren sich
Rossmann und Schmidt in ihrem Frunzös. Lehrbuch bedienen, welche das
Pronomen durch Umformungen geeigneter Sätze aus der Lektüre, ohne
Vermittlung des Deutschen, üben.
8 83 wird en als Genetiv des persönlichen Fürworts der dritten
Person, und y als Dativ desselben aufgefasst. Ich würde lieber sagen:
es steht statt de mit einem Subst. oder Pron., und y statt à + Subst.
Pron.. denn z. B. in dem Satze: L'arare a de l’or et n'y touche pas, wird
man y schwerlich als Dativ erklären können.
Recht hübsch sind die als Lesestücke S. 158 f. angeführten Prosa-
n mehrerer Fabeln von Lafontaine, denen auch einige iın
poetischen Gewande folgen; freilich ist es einseitig, dass ausser Lafontaine
keine anderen Dichter vertreten sind. Die folgenden Anekdoten
. 167168) spielen zur Zeit des Herodes. im Orient und zu Athen;
von Frankreich und den Franzosen findet sich nichts.
Die 8. 194 f. ($ 12) genannten defektiven Verben hätten, da sie
im ganzen selten verkommen, auf ein Minimum beschränkt. werden können.
Die deutschen zusammenhängenden Stücke. welche zur Einübung der nn-
regelmässigen Verben dienen solle erum mit Vorliebe aus dem
Altertum genommen (Xerxes bei . us, Jnlius Cäsar, Damon
wand Phintiss, Philipp von Maced +, Iphikrates. Dionysite
Philoxenus. Sterichorus und dis
) UM n Hiünera. Philepimen),
während der 3. Abschnitt eine is le Erzählnng in iranzüs,
Stein. Lehrg. d. frs. Spr.i. Anschl. a. d. Zehrpl. v. J. 1891. 111
Hätte die Reformbewegung in die Kreise der beteiligten Lehrer so schnell
Eingang gefunden und hier zu einem Unterricht auf solcher (trundlage
wie in dem vorliegenden Buche Anlass gegeben, so hätte die Regierung
nicht nötig besondere Kurse zu veranstalten wie gegenwärtig in Frank-
fart am Main. Ferner aber kommt dazu, dass der franzüsische Unter-
richt an Gymnasien infolge der Maximalstundenzahl-Verfügung jetzt mchr
als früher von Nicht-Fachlehrern erteilt werden muss, welche weder Zeit
noch Lust haben, sich die erforderlichen Übungen selbst zusammen-
zustellen. Sollen dieselben wirklich zweckentsprechend sein und den
Lebrstoff möglichst vielseitig verarbeiten, so kann man dieselben nicht,
wie der Verfasser zu glauben scheint (s. Vorrede), bei jeder Gelegenheit
mähelos aus dem Armel schütteln. Wir sehen es deshalb als einen be-
sonderen Vorzug z. B. des auch sonst trefflichen Elementarbuches von
Ricken an, dass der Verfasser durch solche und andere Beigaben dem
Lehrer den Unterricht wesentlich erleichtert hat. Übrigens widerspricht
Stein selbst, dem oben aufgestellten Grundsatz, wenn er hier und da
„mündliche Übungen‘ bringt. Die Daseinsberechtigung derselben in seinem
Buche vermögen wir um so weniger einznsehen, als sie recht dürftig und
von solcher Art sind, dass sie auch der ungeschickteste Lehrer ohne Mühe
und ohne Buch anstellen könnte Eine Hauptarbeit freilich nimmt auch
Stein demselben ab, nämlich die Umformung der französischen Stücke
zum Zweck der Übersetzung aus dem Deutschen ins Französische. Diese
Stücke sind recht sorgfältig und zweckmässig ausgearbeitet. Ob sie aber
schliesslich „mit leichter Mühe ohne Stocken und freudig von den Schülern
bewältigt werden“ können, möchten wir doch bezweifeln, da sie auf der
Verarbeitung eines Lehrstoffes beruhen, zu dessen Bewältigung nahezu
2000 (!) Wörter und Redensarten im festen Besitz des Schülers sein müssen.
Vergleichsweise führen wir hier an, dass das für Gymnasien und Real-
gymnasien bestimmte Buch von Ricken mit etwa 825 auskommt. Werden
noch Hölzel'sche Bilder benutzt, so mag der Wortvorrat auf etwa 1000
Heizen, und das ist für das erste Jahr vollkommen ausreichend. Dabei
n die von Stein gewählten Stücke sprachlich nicht geringe An-
forderungen an das Auffassungsvermügen der Schüler, sie lassen ein
stufenmässiges Fortschreiten wenig erkennen, und schon die ersten ent-
kalten so complicierte Sprachformen, dass cin Anfänger seine liebe Not
danit haben wird.
Betrachten wir schliesslich die Stücke nach ihrem Inhalt, so mügen
dem Verfasser bestimmte Grundsätze bei der Auswahl vorgeschwebt haben;
wir haben uns vergebens bemüht dieselben aufzufinden. Nach einigen
Skizzen aus dem Schul- und Alltagsleben des Schülers folgt in No. 4 eine
Fabel und allerlei vom Gesichts- und Gehürsinn der Tiere. No. 5 be-
kandelt die Frage, wieviel ein Kind seinen Eltern kostet. No. 6 enthält
ea längeres Stück über die Schwalbe, No. 7 bringt cine Fabel. No. 8 den
Brief eines Knaben an seinen älteren Bruder in Paris, No. 9 eine Anekdote,
No. 10 die Knochen des menschlichen Skeletts (!) und Robert Bruce und
de Spinne u. 8. w., kurz ein Kunterbunt von Stoffen, das dem so oft
grügten Kunterbunt von Einzelsätzen der früher gebrauchten Lehr-
bicher in nichts nachsteht. Hier sollten doch in Ermangelung eines so
n sagen idealen Prinzips die Forderungen der neuen Lehrpläne mass-
sein, also ein Lehrstoff gewählt werden. der auf die Klassen
bis Untertertia, resp. Obertertia verteilt, die typischen Formen
md (regenstände des Alltagslebens umfassen, ferner neben geeigneten
dichten Stücke anekdotenhaften und erzählenden Charakters bringen
kässte, um dann mit Stücken in strengerem historischen Stil abzuschliessen,
etztere möglichst dem Leben und der Geschichte des französischen Volkes
Plôtz-Kares. Schulgrammatik d. frane. Spr. in kurzer Fassung. 113
Text mitunter verstösst (je place le nom statt J'ai inscrit le nom
nous vous expédions statt expedierons oder avons expédié (S. 7) hinzu-
zufügen. Nicht recht verständlich ist das vereinzelte Auftreten des Binde-
striches _, der wohl ursprünglich zur Bezeichnung der Aussprache
dienen sollte?
Tu. DE BEAUX.
Plötz-Kares. Schulgrammatik der franz. Sprache in kurser Fassung.
2. Auflage. Berlin, Herbig.
La critique a déjà fait ressortir les qualités de cette nouvelle
grammaire et les avantages qu'elle a sur l'ancienne, dont elle n'est, au
ut du compte, que le vernissage, si je puis m’exprimer ainsi. Personne
cependant n’a encore, que je sache, relevé les imperfections qu'elle contient
au point de vue du francais. Si j'entreprends de le faire moi-même, les
auteurs me le pardonneront certainement et profiteront, si bon leur semble,
de mes observations pour une nouvelle édition. Je crois, en tout cas,
rendre service à mes collègues qui, comme moi, se servent de ce livre.
La deuxième édition n'a,' du reste, ni changement ni amélioration au point
de vue de la langue.
Je vais donc prendre ce volume page par page et noter ce qui
me parait demander une retouche quelconque.
Page 124, ligne 6, il faut une virgule après le mot permission.
Page 133, 1. 24: Vespasian antwortete (imp.) und fuhr fort (imp.) ...
Ces deux verbes ne doivent pas être à l’imparfait, mais bien au passé défini.
Page 135, 1. 17: Veuillez m'indiquer le chemin, monsieur. Bien
que correcte, cette phrase ne veut rien dire et ne saurait être usitée dans
la pratique. Quel chemin? On ne saurait, en effet, donner une réponse à
une pareille demande.
Page 136, I. 10: aber er kam zu spät... L'élève ne peut que
traduire: il vint trop tard, puisque, deux leçons auparavant, on lui a appris
que kommen signifie venir; et pourtant ici il faut traduire: il arriva trop
tard. P. 136, 1.6: „Le roi Jean s’assıt sur le trône de France ...“ C'est
kB une expression bien malheureuse; er setzte sich auf dem Thron...
Pourquoi ne pas dire monta sur le trône? Dans la même page, se trouvent
quatre lignes qui sont encore bien plus schoking. Elles me rappellent une
boutade du journal satirique ,Ulk“ No. 50, et intitulée: Der entsittlichende
Einfluss der franz. Grammatik von Plütz. Je ne juge pas à propos de
citer les exemples choisis par ce journal.
Page 139, 1.20: „Wollen (franz. werden) Sie sich nicht einen Augen-
blick setzen?“ On peut sans doute employer le futur; mais la vraie traduction
de cette phrase serait: Ne voulez-vous pas vous asseoir un instant? P. 140,
L 1: après les mots verstehen würde, il faudrait indiquer le subjonctif,
puisque les auteurs le font avant d'arriver à la lecon qui traite de ce
mode. P. 140, 1. 4: „Die Franzosen mussten die Niederlande räumen“.
D'après les vocables correspondant à la leçon, il faut traduire räumen par
vider, ce qui n’est pas francais; le terme propre serait évacuer. P. 141,
L 21: „Verkauft man auf dieser Station ein direktes Billet für Paris?“
Aux vocables correspondant & la lecon, il est dit: verkaufen, vendre.
C'est du pur allemand. En France, on dit: Delivre-t-on (donne-t-on) un
billet direct pour Paris? P. 142, I. 16: „Piron schrieb (imp.) nur Lust-
spiele“. Ce verbe doit être au passé défini. P. 144, fin: „En Allemagne,
la givre est fréquente ... elle est produite .. .“ Je m'étonne qu'on n'ait
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII®. 8
Pltz-Kares. Schulgrammatik d. frane. Spr. in kurzer Fassung. 115
sans parler allemand. P. 275, 1. 21: „Da warf er sich in seinem Bette
herum ...‘‘ Ce n’est point se rejeter qu'il faut dire, mais se retourner.
Et dans la même phrase: Den Zorn Gottes auf seine Kinder herabrufen;
auf serait mieux rendu par sur que par contre. P. 286, 1. 8: „Straff an-
gezogene Fäden... .‘“ ce ne sont pas des fils bien serrés, mais bien tendus.
P. 292, L 29: „Ganz Rom...‘“; il est clair, d'après un exemple de la
meme lecon, que les auteurs veulent faire traduire par tout Rome, ce qui
ne peut pas aller ici; il faut dire: Rome tout entiere; ou bien: toute la
ville de Rome. P. 301, 1. 15: „Ich weiss, dass Du nicht eine (einzige)
Stunde zu verlieren hast“. On dit: je sais que tu n'as pas une minute
à perdre. P. 308, fin: ... Wir wünschen uns Geld auf [eine] bequeme
Weise zu verschaffen. Pourquoi ne veut-on pas faire traduire eine? On
ne saurait dire autrement que: d'une maniere... A la page suivante, on
traduit le mot Puit par pupitre; c'est secrétaire qui serait juste; le pupitre
est Kirchenpult. P. 311, 1. 4: „Seit langer Zeit hatte ich nicht ein solches
Vergnügen genossen“. Dans une remarque, les auteurs disent: Die zweite
Negation fällt aus. Mais ce n'est pas du tout nécessaire, et les para-
graphes 2 et 3 de la page 261 devraient être redressés. Je puis par-
faitement dire: Il y a deux nuits que je n'ai pas dormi; il ne sait pas
ce qu'il veut. P. 312, 1. 14: „Sie liess mehr Wein auftragen . .‘‘ On a fait
traduire, à la page 384, dans les vocables de la leçon 84: (noch) mehr
par davantage, Comment l'élève se tirera-t-il d’embarras? On ne peut
dire ni davantage, ni plus; le mieux serait, je crois: elle fit apporter
encore du vin. P. 313, 1. 18: „Die Verwundeten wurden in einer Hütte
untergebracht .. .‘‘ Ce n'est pas établir, mais bien transporter, conduire,
amener que peut vouloir dire ici unterbringen.
„Endlich erblickten die Spanier die Stadt, welche auf (sur) der
Insel eines grossen Sees lag...“ lit-on à la page 315, ligne 33. Pourquoi
sur l'ile? Né fallait-il pas là ce qu'on trouve page 306, ligne 16: „auf
(dans) der Insel Guanahani?“ Et puis die Insel eines Sees ne donnera
que du mauvais francais; on dirait mieux l'ile formée par un lac.
„Montezuma kam ihnen entgegen‘ est rendu par vint à leur devant. On
emploie venir quand celui qui parle se trouve à l'endroit où l’on vient;
je traduirais: alla à leur devant. P. 317, 1.15: „Er gewährte den beiden
Matrosen die Freiheit...“ Dans une note, les auteurs font traduire die
par un possessif. Or, c'est précisément la phrase allemande qui serait
ici française.
A la p. 323, on fait traduire mit dreister Miene par d'un air assuré.
Sans doute, je ne saisis pas bien l'allemand, sans quoi je traduirais par
insolent. P. 334. 1. 5: Die [sie] ertragen musste...“ On doit effacer la
thèse, car sie doit être traduit. Deux lignes plus loin: „dessen
Namen und Stand sie nicht kannte‘‘ sera difficilement traduit par un élève,
car il faut dire: dont elle ne connaissait ni le nom ni le rang (dignité).
P. 337, 1. 4: „Bei diesen Soldaten stand ein gewisser Cook ...‘ On ne
doit pas dire se tenait, mais se trouvait. P. 402, 1. 14: Weihen zu =
consacrer ; il faut dire seulement sacrer, et traduire: (Richelieu) fut sacré
évêque de Luçon.
C'est dans l'intérêt des élèves et des études que j'ai cru devoir
redresser ces quelques erreurs qui déparent un livre excellent. Il y en a
bien encore d'autres, mais elles sont moins frappantes. Je termine ces
observations; en profitera qui voudra.
JOS. AYMERIC.
gr
Otto E. A. Dickmann. Frans. u. engl. Schulbibliothek. 117
schwierigeren Ausdrücke. Wenn man es für wünschenswert erachtet,
Redensarten und Ausdrücke zu erklären, wie: faire de l'esprit XXII, 13, 7,
premier plan XXII, 22, 19, à ce sujet XXII, 43, 29, comment cela? XXII,
54, 4, exercer des droits XXIII, 46, 2/3, faire de la peine XXII, 71, 2, so
hätte doch wohl a fortiori die gleiche Behandlung eintreten sollen bei
Wendungen wie: je n'y reviens que pour mémoire ‚45, 1, qui a terre
a guerre XXII, 71, 12, me suis-je fait tirer l'oreille? XXIII, 9, 24, à pans
coupés XXIII, 56, 2, agissant aux poursuites et diligences XXIII, 79, 35,
le marquis de Carabas XXIII, 89, 24, voir dire XXIII, 80, 27, bien des
mercis LXIX, 34, 5, un pays LXIX, 34, 7, und dgl.
k Zu den gegebenen Erläuterungen selbst habe ich folgendes zu be-
merken:
Le Gendre de M. Poirier, S. 12, 2.13. Dont tu me diras des nou-
velles wäre besser übersetzt mit: über den du staunen, an dem du deine
Freude haben wirst, statt: „des nouvelles, deine Ansicht‘.
S. 14, Z. 29. Un pas de clerc bedeutet nicht nur hier sondern
überhaupt: Missgriff, Schnitzer.
S. 15, Z. 14. Bei papa-gâteau wäre zu erwähnen gewesen, dass
bei der Bildung des Wortes nicht nur gäter, sondern auch gäteau (Kuchen)
mitgewirkt hat.
9. 43, Z. 1. Die Erklärung von faire nouvelle lune durch: „seine
Vo sorgfältig verbergen (der Neumond ist am Himmel nicht sicht-
)* halte ich nicht für richtig. Ich würde sagen: sich in neuer Gestalt
zeigen, durch die Neuheit der Erscheinung Effekt machen.
S. 51, Z. 18 (Anhang). In der Beschreibung des Pikettspiels ist
die zweite Hälfte des letzten Satzes nicht richtig. Man kann auf sehr
verschiedene Arten in einem Spiel bis auf hundert kommen, auch ohne
sämtliche Asse zu haben.
S. 62, Z. 16. Ich bezweifle, dass C’est bien hier von Verdelet
ironisch gemeint ist.
Mademoiselle de la Seigliere. S. 82, Z. 16 (Anhang). Im Sinne
des Marquis steht allerdings hier manant — Bauer, im Gegensatz zu
gentilhomme — Edelmann. Es hatte aber hinzugefügt werden sollen, dass
manant heutzutage fast ausschliesslich die Bedeutung: Flegel, Rüpel hat.
Conteurs modernes. Jean le F'lö, S. 20, Z. 3 (Anhang). Man kann
nicht sagen, dass nach der jetzigen französischen Verfassung der Senat
über der Chambre des Députés steht. Konstitutionell haben beide Ver-
sammlungen bezüglich der Gesetzgebung gleiche Befugnisse: ein Gesetz
wird erst rechtskräftig, wenn es von beiden Häusern angenommen worden
ist. Faktisch aber ist eher die Chambre des Députés das einflussreichere
Haus, da es stets die Priorität für die Budgetberatung hat, welche im
Senat meist sehr summarisch abgethan wird.
Bei der Erzählung: l'Anarchiste, S. 61 ff. wären einige Worte über
den Verfasser Eugène Moret am Platze gewesen.
Druck und Papier der Ausgaben sind gut, Druckfehler selten.
Auf zwei derselben sei hier aufmerksam gemacht. weil sie leicht in
späteren Auflagen stehen bleiben könnten. Nicht 1790, wie es im An-
hang zu Le Gendre de M. Poirier, Anmerk. zu S. 31, Z. 16 heisst,
sondern in der Nacht vom 4./5. August 1789 wurde der Verzicht auf die
Privilegien geleistet. Sodann Conteurs modernes, Anmerk. zu S. 31 (An-
bang): Das Fest des heiligen Nicolaus fällt auf den 6., nicht den 5. Dez.
Endlich ist es Schade, dass in Mademoiselle de la Seigliere die Einband-
decke durch den Druckfehler comèdie verunziert ist.
BASEL. G. SOLDAN.
Georges Ohnet. La dame en gris. 119
sich aufnimmt, was die Hunderte von badenden Kranken an Eiter und
Blut, Charpie und Schorf, Hautfetzen und Verbänden zurücklassen (S. 175).
Und der Glaube der Priester taucht selbst einen Todten hinein, und die
Menge schreit: „Herr! erwecke ihn!“
Mit ausserordentlicher Gestaltungskraft hat Zola dieses überreiche
Gewirr gegliedert und zu einem lebensvollen Bilde zusammengefasst. Mit
noch grösserer Kunst hebt er die Gestalten seines Romans von dem Hinter-
grunde ab. Es versteht sich bei seinem psychologischen Scharfblicke von
selbst, dass er die Zustände in Lourdes sich in hundert Geistern und Ge-
mütern wiederspiegeln lässt und all’ ihre Eindrücke scheinbar objektiv
erzählt. Mitunter wird man an den früher beliebten Vorwurf der Gemälde
erinnert, in denen um den grünen Tisch der Spielhölle die verschiedensten
Charaktere ihre Physiognomien zum besten geben. So lässt er hier
Frömmigkeit und Fanatismus, Sehnsucht nach Gesundheit und Verachtung
des Lebens, mystische Verschwommenheit und Scepticismus, Selbsttäuschung
und Verzweiflung und vieles Andere noch dicht neben einander treten.
Zwei Personen stehen im Mittelpunkte der Handlung und des Inter-
esses, Marie de Guersaint und Pierre Froment. Sie waren zwei Nachbars-
kinder; als Kinder liebten sie sich. Ihn bestimmte seine fromme Mutter
zum Geistlichen. Sie wurde durch einen Sturz vom Pferde in ihrer Ent-
wickelung gehemmt, gelähmt. Und da er sie nie besitzen konnte, legte
er die Gelübde ab. Und dann verlor er seinen Glauben; und sie weiss
das. So unternehmen sie Beide die Wallfahrt; sie, um ihre Gesundheit,
er, um seinen Kinderglauben durch ein Wunder wieder zu erlangen. Er
hofft, dass, wenn sie geheilt wird, Gott auch zu ihm gesprochen habe, für
ibn. Und doch weiss er auch, wie ein junger, genialer Arzt ihm gesagt
hat, die Krankheit sei nur Autosuggestion, der Glaube würde ihr helfen,
blitzartig würde ihre Heilung sein, in einer Exaltation ihres ganzen Wesens
würde Lähmung und Schmerz schwinden. So kommen sie zur kerzen-
fimmernden Grotte. Sie betet mit der Inbrunst ihres ganzen Seins für
ihn, für sich. Und da das heilige Sacrament im Sonnenglanze strahlend
vorüberzieht, da wird sie blitzartig ergriffen, da steht sie auf und wandelt;
und aus Tausenden von Kehlen schallt es: , Magnificat anima mea Do-
minum!‘‘ Aber Pierre's Zweifel halten stand; aus dem Reiche der Ver-
nunit giebt es keinen Weg rückwärts zum Glauben, selbst nicht durch
Wunder. Und wieder sieht das Marie, und sie fühlt, was ihm das Herz
zerreisst: sie jetzt nicht besitzen zu dürfen, und doch die trennenden Ge-
lübde nur für Aberglauben zu halten. Und auf der Rückfahrt, nächtlich,
flüstert sie ihm zu: „Ich habe mich der heiligen Jungfrau geweiht. Nie
werde ich mich vermählen.“
Mit wunderbarer Zartheit hat Zola dieses Seelendrama durchgeführt.
Die Nacht vor der Grotte, im Gebet, angesichts des flammenden Pilger-
zuges, im berauschend, süssen Dufte unsichtbarer Rosen, von fern her
klingen die Töne frommer Weisen herüber — das gehört zu dem Schönsten
und Innigsten, was Zola je geschrieben hat.
GIESSEN. E. NETTO.
Ohnet, Georges. La dame en gris. Paris; Ollendorff; 1895. Preis 3,50 fr.
Der Verfasser hat seinem neuesten Werke einen etwas stark ge-
würzten Stoff zu grunde gelegt, diesen dann aber in künstlerisch voll-
endeter Weise so gemodelt, geschliffen und facettiert, dass dem Leser ein
packender und bis zur letzten Seite spannender Roman geboten wird, der
Auguste Jacot. Vingt ans après. 121
Auguste Jacot, curé de Fèves. Vingt ans après. Strassburg, Trübner
1894, 91 u. IX p.
Der um seiner reichstreuen Gesinnung willen von den Pariser Tages-
zeitungen verläumdete Pfarrer schildert die augenblicklich in Lothringen
und im Elsass herrschenden politisch-sozialen Zustände als sehr günstige.
Er weist darauf hin. wie in den beiden Reichslanden Handel und Gewerbe
blühen, Pressfreiheit und religiöse Duldsamkeit herrschen, auch die ge-
sellschaftlichen Gegensätze der französisch redenden und der deutschen
Bevölkerung sich sehr abgeschliffen haben. Doch giebt er zu, dass auch
die mit der neuen Ordnung versöhnten Kreise, in politischer Hinsicht sich
sehr zurückhaltend zeigten. Ausserdem rückt er mit einigen „Destideratis“
bervor. Er verlangt, dass die französ. Sprache, wie früher, die herrschende
bleibe und auf den elsässisch-lothringischen Schulen besonders gepflegt
werde, ferner, dass der Einfluss der katholischen Geistlichkeit auf diese
Schulen noch eine Verstärkung erfahre. Jacot hängt nämlich mit seinem
Herzen, wie er selbst sagt, noch an Frankreich und spricht kein Wort
Deutsch, ausserdem ist er ein Anhänger der Zentrumspartei. Den kathol.
Klerus der Reichslande sucht er als durchaus reichstreu hinzustellen, wie
es denn nach seiner Ansicht tberbaupt keinen ,Protestler“ mehr gäbe.
Das Festhalten am Reiche sei schon nötig, um der anwachsenden religions-
losen Sozial-Demokratie entgegen zu wirken. Darum begrüsst er den von
ihm vorausgesagten verhältnismässig günstigen Ausfall der letzten Reichs-
tagswahlen in Elsass-Lothringen mit unverhohlener Freude, schildert
gleichfalls den Besuch Kaiser Wilhelms II und die dabei stattgefundenen
patriotischen Kundgebungen mit Begeisterung.
Es wäre gewiss wünschenswert, wenn alle Elsässer und Lothringer
franzôs. Abstammung ebenso verständig und reichstreu urteilten, wie der
hochehrenwerte Pfarrer von Feves, aber nicht zu verkennen bleibt, dass
für sein Festhalten am deutschen Reiche der Hass gegen die kirchen-
feindliche 3. Republik Frankreichs ein Hauptmotiv ist. Ausdrücklich
hebt er hervor. dass der Katholizismus in dem protestant. Deutschland
mehr geehrt werde, als in dem „sehr christlichen“ Frankreich. Seine
Forderung die Schule der kathol. Geistlichkeit auszuliefern und seine
Schwärmerei für den verstorbenen Windhorst und die Centrumspartei
zeigen überdiess, dass er mit den politischen Vorurteilen keineswegs die
kirchlichen aufgegeben hat. Wir wollen sein mannhaftes Auftreten gegen
die chauvinistische Verhetzung ihm um so höher anrechnen, als er in seinem
Herzen Franzose geblieben ist.
R. MAHRENHOLTZ
Miseellen. 123
Der Umstand aber, dass die begriffliche Scheidung zwischen Transitivis
und Intransitivis im Lat. eine wenig scharfe war und im Roman. eine
wenig scharfe blieb, musste ein Schwanken im Gebrauche der beiden
Umschreibungen veranlassen, d. h. die Möglichkeit bieten, dass habeo +
Part. Praet. auch bei Intransitivis, sum + Part. Praet. auch bei Transitivis
zur Anwendung gelangte. In letzterer Richtung konnte als förderlich
sich erweisen der weitere Umstand, dass die Umschreibung des activischen
Perfecti praesentis (sum +4 * venutus) formal zusammenfiel und begrifflich
sich nahe berührte mit der Umschreibung des sog. passivischen Praesens
2. B. sum amatus). Diese Berührung mag übrigens überhaupt dem
Aufkommen der Perfectumschreibung mit sum günstig gewesen sein.
In dem Wettbewerbe der beiden Perfectumschreibungen hat sich
diejenige mit habeo — wofür im Portug. das synonyme teneo eingetreten
ist — als die stärkere erwiesen, denn in den pyrenäischen Sprachen und
im Rumänischen ist sie alleinherrschend, in den übrigen rom. Sprachen (Ital.,
Frz., Prov.) aber vorherrschend geworden, indem sie entweder als allein
üblich oder doch als neben derjenigen mit sum üblich auch auf einen Teil
der Intransitiva ausgedehnt worden ist (z. B. im Frz. einerseits auf
courir, marcher etc., andrerseits auf monter, descendre etc... Um so be-
fremdlicher muss es erscheinen, dass im Ital,, Frz. u. Prov. die reflexiven
Verba das Perfect mittelst esse umschreiben. Um dies verstehen zu können,
ist Folgendes zu erwägen.
Ein reflexives Verbum ist, weil ein (mit dem Subject begrifflich
identisches) Object von ihm abhängt, stets mindestens formal ein tran-
sitives Verb, und um desswillen gebührt ihm theoretisch die Umschreibung
mit habeo. In der That scheint diese auch ursprünglich auf dem Gesamt-
gebiete des Romanischen möglich gewesen zu sein, denn im älteren Ital.,
Frz. u. Prov. sind Belege für solche Perfectumschreibungen nicht eben selten.
Wenn nun aber eine Handlung an ihrem eigenen Subjekte zum
Vollzuge gelangt ist (z. B. ‚sie hat sich gewaschen“), so wird das Snb-
ject dadurch in den gleichen Zustand versetzt, in welchen es auch dann
versetzt worden sein würde, wenn die Handlung nicht von ihm selbst,
sondern von einem anderen Subjekte zum Vollzuge gebracht worden wäre:
ob das Kind sich selbst gewaschen hat oder ob z.B. die Mutter das Kind
gewaschen hat, und also das Kind von der Mutter gewaschen worden ist,
ist in Bezug auf den Erfolg gleichgültig, denn in dem einen wie in den
anderen Falle ist das Kind gewaschen. Es sind also die Ausdrucksweisen
infans se habet lavatum (-am)
frz. l'enfant * s’a lavé (-e)
und infans est lavatus (-a)
frz. V’enfant est lavé (-e)
einander gleichwertig und konnten folglich neben einander herlaufen,
liefen jedenfalls auch neben einander her. Nicht auffällig aber kann es
sein, dass in den Sprachen, welche wenigstens bei einem grossen Teile
der Intransitiva die Umschreibung mit esse festhielten, bei den Reflexiven
die Umschreibung mit habeo und diejenige mit sum sich mischten und
dass als Product solcher Mischung sich ergab
infans se est lavatum (-am)
frz. l'enfant s'est lavé (-e).
Nicht erst der Bemerkung bedarf es, dass das Objectspronomen in
dieser Verbinduug logisch unberechtigt ist: seine Setzung wird aber leicht
verständlich aus der Neigung aller idg. Volkssprachen, die innere Be-
ziebung einer Handlung zu ihrem Subjekte anzudeuten.
G. KÖRTING.
Missellen. 125
Der eine wohnt nicht weit den Twuilerien;
Zum andern muss ich bald nach Passy ziehen.
Ein Schwätzer will dann wiederum mich quälen:
„Weisst Du, was sich die Herrn bei Hof erzählen?
Ja, gegen Dich ist alles zornerfüllt;
Man spricht davon, wie jetzt der Kamm Dir schwillt.
Dem König hinterbringt man böse Sachen.“
„Nun, und der König“? „Er fing an zu lachen.“ —
Pradon greift Dich und andre heftig an,
Und manche Gegner siehst Du auf dem Plan.
Auf Krämerdüten wird man es noch lesen,
Wes Geistes Kind Herr Despr&aux gewesen!
Ein Witzwort hat Dir manchen Feind gemacht;
Du bist der Mann, der alle Welt verlacht.
Ein bös Pamphlet hast unlängst Du geschrieben;
Die Antwort ist man Dir nicht schuldig blieben.“
„Was“?! „Ich erfuhr es im Palais Royal;
Dort hast Du Feinde, Feinde ohne Zahl.
Es wird sich alles wider Dich empören,
Satirenschreibern gute Sitte lehren! —
Zwölf Jahre sind’s, seit ich das Bändchen schrieb,
Dem Drucker und den Lesern allzulieb.
Der Thoren Reden über mich ergehen.
Verblendet muss ich oft die Menge sehen,
Wie sie mir zuschreibt, was ich nicht geschrieben ;
Die Wahrheit ist mein schwacher Schutz geblieben.
Was ein Spassvogel der Provinz gemacht,
Das wird in bälde nach Paris gebracht.
Ob es auch fade, dumm und ungesalzen,
Es kommt zum Drucker, bald wird man es falzen.
Mit meinem Namen zur Provinz zurück
Kehrt es und täuscht des biedern Landmanns Blick.
Und Zeugen über Zeugen muss ich suchen;
Doch kein Beteuern hilft, es hilft kein Fluchen.
„Man kennt die Wendungen; man kennt den Stil.
Ein Meisterstück; es kostet Arbeit viel.“
„Zu solchem Werk hab’ ich ınich nicht erdreistet.
So schüne Verse hab’ ich nicht geleistet.“
„Der Spott steht Ihnen gar nicht übel an;
Wer selbst sich lobt, der ist kein braver Mann.“
Da also stets der Arger mich bedrückt,
Was Wunder, wenn ich gern, der Stadt entrückt,
Die Musen will im Wald, auf Fluren pflegen,
In Einsamkeit, in Büschen und Gehegen.
Es flieht Apollo vor dem Lärm der Stadt;
Er kommt nicht rasch wie ein geheimer Rat.
Wenn der Minister rasch ihn will citieren ;
Phöbus Apollo will uns selbst regieren!
„Siegreich dringt unser mut’ger König vor;
In Cambrai öffnet sich alsbald das Thor.
Im März ward Valenciennes mit Sturm genommen:
O Feinde, was soll Euer Trotz Euch frommen ?
Philipp hat es bei Cassel Euch gelehrt.
Dass sich der Franken Heldenmut bewährt.
Miszellen. 127
Beredsamkeit hat immer ihre Stellen;
Der Kund’ge wird ein rechtes Urteil fällen.
Das Ansehn der Gesetze sei vermehrt;
Dem Trotz der Feinde werde streng gewehrt.
Dem Vaterlande schuldest Du die Gaben,
Die Gott Dir lieh, Du wirst die Armen laben.
Den Witwen und den Waisen hilfsbereit,
Bist Du ein Hort und Helfer jederzeit.
Ich bin ein Träumer, der nur wohl sich fühlt,
Wenn Waldesschatten seine Stirne kühlt.
Ich kann mich an Lutetia nicht gewöhnen;
Mit ihrem Lärm kann ich mich nicht versöhnen.
Doch wenn erst der Oktober wiederkehrt,
Wenn man den frohen Gott der Trauben ehrt,
Wenn sich Pomona an den Früchten freut
So komm’ ich in die Stadt zur rechten Zeit.
Dann werd’ ich vor der Hauptstadt nicht erschrecken,
Und in dem Wald werd’ ich mich nicht verstecken.
Wir sehn uns in Paris, in Bäville drauf;
Bald such’ ich Dich in freien Stunden auf.
Wenn Themis ihm gelassen Mussestunden,
Hab’ ich noch allzeit meinen Freund gefunden.
Dann siehst Du mich als Neuling, hoch zu Ross;
Wenn Du ausreitest, bin ich Dein Genoss.
Auf grünem Rasen lassen wir uns nieder,
Um anzustimmen unsrer Jugend Lieder.
Auch ernste Reden werden uns erfreun;
Doch düstre Sorge soll uns nicht zerstreun.
Was ist das Gut, das alle Weisen zieret,
Das nie der Thor im innern Herzen spüret?
Was ist das wahre und das höchste Gut?
Wie zähmen, wie bezwingen wir das Blut?
Was kann dem Manne grössre Ehre geben,
Ein reiches Wissen, oder strenges Leben?
Das ist es, Lamoignon, was dort mich hält.
Wohl uns, wenn es den Schwätzern nicht gefällt,
Uns schonungslos die Zirkel zu zerstören.
Denn wie der Hydra Köpfe, die sich mehren,
Stellt oftmals eine Legion sich ein.
O welche Qualen, welche Höllenpein!
Wenn wir in Bäville einen Freund erwarten,
Kommt unversehn’s die Schwätzerschaar zum Garten.
Belagert seh’ ich schon das grosse Thor;
Ein halbes Dutzend Stutzer steht davor.
Lass uns in eine Höhle dann entweichen,
Dass uns die seichten Spässe nicht erreichen!
E. WEYHE.
Zum Volksliede.
1. Französische Version eines Slämischen Volksliedes.
Die Musikbeilage zum Figaro vom 1. Juni 1892 brachte die wohl-
gelungene Übersetzung eines flämischen Tanzliedes, welche folgender Samm-
lung entnommen war: Chansons populaires flamandes des XVe, XVIe,
Miszellen. 129
Die Spröde bleibt aber den Geschenken gegenüber ungerührt (des rubans,
un mouchoir, une bague, un tablier etc. à vous présenter). Erst bei dem
Verse: un beau garçon à vous présenter, üfinet sich die Thür.
Das Tanzmotiv klingt auch in Herders volkstümlicher Ballade:
-Erlkünigs Tochter“ an, aber ernst und schwermütig. Die Geschenke,
zwei goldene Sporen, ein Hemd von Seide, ein Haufen Goldes vermögen
Herrn Oluf nicht mit der Königstochter zu tanzen, was er mit dem Tode
büssen muss.
2. Shakespeare und das Tagelied.
Man hat schon mehrfach auf die Ahnlichkeit zwischen der Braut-
nachtscene im Romeo (III,5) und dem Tagelied hingewiesen (so Heyne-
Göttingen in seinem Kolleg: Gesch. d. deutsch. lyrischen u. Spruchdichig.
tm Mittelalter. Fränkel in einem Vortrag: Das germanische Tagelied und
„Romeo und Julia“ III, 5, vergl. Shakespeare- Jahrbuch 1891, 8. 129.
Das aus diesem Vortrag hervorgegangene Buch Frinkels Shakespeare und
das Tagelied. Ein Beitrag zur vergleichenden Litteraturgeschichte der
germanischen Völker, Hannover 1893 hat mir nicht vorgelegen). Die
Liebenden werden am frühen Morgen durch den Ruf der Lerche, welche
gleichsam die Rolle des Wächters übernommen hat, aus süssen Träumen
aufgeschreckt. Die Scene trägt in der That den Duft und Glanz jener
mittelalterlichen Dichtungsart an sich. Diese Ähnlichkeit nun bemerkt auch
A. Theuriet in seinem bekannten Buche Sous bois (S. 253). Der Dichter
ist auf der Suche nach einem einst gehörten Volksliede, welches er auch
so glücklich ist zu finden. Die vorletzte Strophe dieser alten chanson du
jardinier lautet:
Ils ne foreni pas le quart d’une heure ensemble
Que P e chanta le jour.
— Belle alouette, belle alouette,
Tu as menti!
Tu as chanté la pointe du jour,
Il n'est que minuit.
Dieselbe Situation hier wie dort: die Lerche waltet ihres Wächteramts
und mahnt die Liebenden durch ihren Gesang zum Aufbruch.
Vielleicht bietet dieses französische Seitenstück, welches eben das
weitere vorkommen jener volkstümlichen Situation zeigt, einen Anhalt zu
der Annahme, dass Shakespeare bei Abfassung seiner Scene ein derartiges
Lied vorschwebte, und dass in derselben so zu sagen ein dramatisiertes
Tagelied vorliegt.
Und wenn weiterhin in dem Stücke (IV, 4, 5) Graf Paris am
Hochzeitstage frühmorgens mit den Gästen unter Sang und Klang in das
Leben und Treiben in das Capulet’sche Haus einzieht und die Braut tot
— wenn auch nur scheinbar — vorfindet, so ist das wieder eine volks-
tümliche, an das Volkslied erinnernde Situation; man lese doch nur den
Schluss jener Herder’schen Ballade:
Frühmorgens und als es Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitsschaar.
Sie schenkten Meth, sie schenkten Wein.
„Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein?“
Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Oluf, und er war tot.
A. ANDRAE.
Ztachr. £ frz. Spr. u. Litt. XVII. 9
Novitätenverzeichnis. 131
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diverses, Industries spéciales aux ménagères; Commerce: Morale;
Civilité; Souvenirs historiques; Grands Hommes et Femmes cèlèbres).
4. édition. In- 12, 396 pages avec 400 grav. Paris, Larousse. 1 fr. 40.
Ohlert, Töchtersch.-Oberlehr. Arnold, französische Gedichte f. die Oberstufe
d. höher. Mädchensch. gr. 8°. (VIII, 80 S.) Hannover, C. Meyer. — .7à.
Prosateurs modernes. VII. u. VIII Bd. 8°. W'olffenbüttel, N. Zwissler.
VII. Lettres de famille, par Mme. 7. Carraud. Für den Schulgebrauch
bearb. v. H. Bretschneider. (126 u. Wörterbuch 35 S.) n. 1.—; kart.
1.20. — VIII. Confidences d'un joueur de clarinette par Erckmann-
Chatrian. In gekürzter Form f. d. Schulgebrauch bearb. v. H. Bret-
schneider. (1V, 90 8.) —.60; kart. —.80.
Racine. Athalie. tragédie. Précédée d'une étude et accompagnée de notes
historiques, grammaticales et littéraires par E. Anthoine, agrégé de
ire. À l'usage des classes d'enseignement secondaire. In-16,
V-100 p. Paris, Hachette et C°. 1 fr. 26.
Referate und Rezensionen.
Mussafla, A. Über die von Gautier de Coincy benutzten Quellen.
Wien, Tempsky 1894. 4° 58 S. [Separatabdruck aus
B. XLIV der Denkschriften der kaiserlichen Akademie in
Wien. Philos.-histor. Classe].
Altfranzösische Prosalegenden aus der Hs. der Pariser National-
bibliothek, fr. 818. Herausgegeben von A. Mussafia und
Th. Gartner. I. Theil. Wien, W. Braumüller 1896.
Die Untersuchung Mussafias über Gautier de Coincy’s Quellen
steht in engem Zusammenhang mit seinen Studien zu den mittel-
alterlichen Marienlegenden. Die von Gautier seinen eigenen An-
gaben zufolge benutzte lateinische Mirakelsammlung von Soissons
ist leider verschollen, es gilt daher seine Quelle, oder Quellen, aus
der grossen Zahl uns überkommener bislang aber noch wenig durch-
forschter lateinischer Mirakelsammlungen zu ermitteln. Für sieben
Mirakel Gautiers war das bereits geschehen. Mussafia will es für
die 47 übrigen thun. Er teilt dieselben nach den in Frage kommenden
Hss. in sieben Gruppen, von denen die erste allein elf Stücke um-
fasst. Für die den beiden letzten Gruppen zugezählten neun Mirakel
hat M. die Quelle Gautier’s nicht sicher oder gar nicht ermitteln
können, da die Sammlung Q der Pariser Hs. lat. 18134, welche hier
zunächst oder allein in Frage kommt, wahrscheinlich selbst auf
Gautier beruht. Reichliche Mitteilungen aus den Mirakelsammlungen,
zum teil unter Gegenüberstellung von Gautier’s Text ermöglichen dem
Leser sich eine klare Vorstellung über die recht selbständige Art
und Weise, in der Gautier seine lateinischen Vorlagen verwertet
hat, zu bilden und lassen den Wunsch nach einer neuen Ausgabe
seiner Dichtungen um so lauter werden. Das Thatsächliche der
lateinischen Berichte bleibt in ihnen, wie M. einleitend ausführt,
zwar unverändert, doch begegnen wir einer sehr ausführlichen Dar-
stellung, die durch ihre Lebendigkeit anziehend wirkt, aber oft von
Weitschweifigkeit nicht freizusprechen ist. Gerne lässt Gautier die
handelnden Personen reden. Der Stil ist mannigfaltig, behende und
E. Spirgatis. Verlob. u. Vermähl. i. afr. volkst. Epos. 139
artige Neubearbeitung unternimmt, auf zweierlei sein Hauptaugen-
merk zu richten haben: auf eine sorgfältige chronologische und
lokale Bestimmung des der Untersuchung zugrunde gelegten
epischen Materials und auf eine eingehende Berücksichtigung alles
dessen, was uns aus anderen Quellen über Eheschliessungs-Recht
und Eheschliessungs-Brauch bekannt ist. Eine solche Untersuchung
wird des Interesses auch dann nicht entbehren, wenn sich — was
a priori als wahrscheinlich bezeichnet werden darf — herausstellt,
dass sich das, was sich uns aus den Litteraturdenkmälern ergiebt,
in den seltensten Fällen verwerten lässt, um die Ergebnisse aus
anderen Quellen aufzuhellen, wohl aber der Aufhellung durch diese
in den meisten Fällen bedürftig bleibt. Dem Verf. darf die An-
erkeunung nicht versagt werden, dass er wenigstens insoweit be-
müht war, seinem Stoff in der angegebenen Weise gerecht zu
werden, als er das, was aus den Rechtsquellen über Verlobung und
Vermählung im Mittelalter bekannt geworden ist, in mehreren
Punkten für seine Darstellung verwertet hat, wenngleich er auch
bier des Guten wohl viel mehr noch hätte thun können und dem-
jenigen manches zu thun übrig gelassen hat, der nach ihm das
sleiche Thema nochmals zu behandeln sich zur Aufgabe machen
sollte. So ist ein wichtiger Punkt, der die Kanonisten viel be-
schäftigt hat, die Bedeutung der copula als Eheschliessungsfaktor,
von Sp. überhaupt nicht berührt worden, obwohl das von ihm durch-
suchte epische Material ein näheres Eingehen hierauf nahegelegt
hätte. Bekannt ist, dass — sehen wir von der Raubehe als der
ältesten Eheschliessungsform ab — das Eheschliessungsrecht der
Römer wie der Germanen mit dem Frauenkauf beginnt!) und dass
eine fortschreitende, auf Anerkennung der rechtlichen Stellung des
Weibes drängende Civilisation die Kaufidee allmählich zurücktreten,
dagegen die übereinstimmende Willenserklärung (consensus) der Ehe-
schliessenden immermehr als conditio sine qua non für das Zustande-
kommen eines rechtskräftigen Ehebündnisses in den Vordergrund
treten liess. In den Litteraturdenkmälern, die für uns hier in
Frage kommen, spielt denn auch der Consensus als wesentliches
eheschliessendes Moment eine wichtige Rolle, wenn auch in ihnen
ältere Rechteauffassung, nach der dem Mundwalt, so namentlich
dem Könige, wenn er als oberster Lehnsherr diese Befugnis übt,
unbedingtes Verfügungsrecht über die Hand des Mädchens oder der
1) Vgl. hierzu und zu den folgenden Ausführungen namentlich
E. Sehling, Die Unterscheidung der Verlöbnisse im Kanonischen Recht.
Leipzig 1887. Ferner u. a. L. Desforges, Etude historique sur la
formation du mariage en droit romain et en droit français. Paris,
A. Rousseau 1887. A. Colin, Des fiançailles et des promesses de mariage.
Paris, A. Rousseau 1887.
E. Spirgatis. Verlob. u. Vermähl. à. afr. volkst. Epos. 141
Iugies en droit, li clerq de cest pais,
Laissies vos dont crestienté honir!
— Trestuit se taissent li grant et li petit
Car molt redoutent li fort roi Loeys.
Beatrix hat den Bernier geheiratet. Der König Ludwig will
von dieser Ehe nichts wissen und Beatrix dem Erchambaut von
Pontois zur Frau geben, wogegen dieselbe Protest erhebt, indem
sie die Auffassung vertritt, dass der noch nicht stattgehabte
coneubitus als ein berechtigter Einwand gegen die Rechtsgültigkeit
ihrer Ehe mit Bernier nicht geltend gemacht werden könne. Der
Text ist wohl sicher um eine Zeit entstanden, in der Hincmar seine
Copula-Theorie bereits entwickelt hatte. Nur im Zusammenhang
damit und mit den Streitigkeiten, die sich daran angeschlossen
haben, ist die Stelle verständlich. Beachtenswert sind auch die
weiteren Ausführungen in demselben Epos. Nachdem Bernier eines
Tages tod gesagt war, und dann Beatrix die Ehe mit Erchambaut
einzugehen genötigt wurde, lässt sie sich von einem fremden Arzte
ein Mittel geben, welches dem neuen Gemahl den Vollzug der
copala unmöglich macht und stellt sich damit gewissermassen
auf den von ihr vorher bekämpften Standpunkt, wonach erst die
copula die Ehe existent macht. — Galt nach der in der galli-
canischen Kirche herrschenden Auffassung der Satz: ohne copula
keine Ehe, oder ohne copula wenigstens keine sacramentale, un-
lösbare Ehe, so war dabei selbstverständlich vorausgesetzt, dass
in der copula der auf die Ehe gerichtete beiderseitige Wille aus-
gesprochen sein musste, dagegen die durch List oder Gewalt herbei-
geführte copula ehewirkende Kraft nicht hatte. Letzteren Fall be-
handelt eingehend der Verf. des Anseis von Karthago. Ysoré's
Tochter Letise weiss durch List den König Anseis dahin zu bringen,
dass er, ohne es zu wissen und zu wollen, mit ihr den Beischlaf
vollzieht, indem sie dabei sich der Hoffnung hingiebt, den für das
Zustandekommen des von ihr angestrebten Bundes erforderlichen
Consens nachträglich zu erwirken:
847 ff. „Mais par chel dieu, ki maint en Trinite
A mon cier pere dirai la verite,
Ke li rois a le mien cors ahonte
Ei vers lui a fause sa loiaute;
Vilainement li moustre s’amiste.
Ei quant mes pere en sara la verte,
Cheli menra ariere en son regne,
Pais faira tant au nouvel corone,
K’il me prendra, si seront acorde*.
Ensi devise la soie voulente.
Der Plan misslingt. Die Ehe wird nicht geschlossen. Doch
E. Spirgatis. Verlob. u. Vermähl. à. afr. volkst. Epos. 143
Baudouin von Flandern, der sie zur Wiederverheiratung drängt,
antwortet:
I. S. 157. Frères .. qu'est-ce ore que tu dis?
Ancor n’a gaires que monsignor perdis,
N’a pas un mois que fut en terre mis...
Trestos li mons devroit de moi laidir
Se je, si tost, avoie baron pris.
Es ist wohl nicht blosser Zufall, wenn der Dichter hier die
Frist eines Monats erwähnt. Wenigstens fehlt es in den Rechts-
quellen nicht an Bestimmungen (z. B. cap. 21 der Aachener Synode
a. 817), wonach der Witwe eine Wartezeit von 30 Tagen zur
Pflicht gemacht wird, nicht als ob damit die Kirche der zweiten
Ehe ihre Sanction hätte erteilen wollen, sondern weil sie dem
weltlichen Gesetz machtlos gegenüberstand und mehr nicht er-
reichen konnte (s. Freisen, Geschichte des canonischen Eherechts
S. 658 f.).. Bemerkenswert ist nun, dass im Lothringer-Epos gleich-
wohl die Vermählung der Helissent mit ihrem zweiten Mann un-
verzüglich stattfand und mehr noch, dass, wie uns geschildert wird,
auch der priesterliche Segen nicht fehlte:
N’ ot nul terme, né jor n’i ot assis:
Mais maintenant au mostier sunt quenchis;
Clers et provoires i ot au benéir,
Espouse sunt; dou mostier sunt partis.
Man wird nicht wohl anzunehmen haben, dass der Verf. des
Epos hier seiner Phantasie freien Lauf gelassen hat, sondern dass
in der gallikanischen Kirche zeitweilig eine laxere Praxis geübt
worden ist und darf darin eine Bestätigung der Richtigkeit des
Resultates sehen, zu dem Freisen ?. c. pg. 674 auf Grund einer
Untersuchung der Rechtsquellen gelangt ist, wenn er bemerkt:
„Hincemar von Rheims erklärt ausdrücklich, dass nur eine virgo,
sowohl bei der professio wie auch bei der Ehe eingesegnet werden
dürfe... Es scheint jedoch diese Praxis erst später ein-
geführt zu sein, da das alte Sacramentarium gallicanum
(vor dem 9. Jahrh.) ein Formular für Einsegnung der
zweiten Ehe hat. Benedict Levita III. 389 beruft sich auf das
Sacramentarium bezüglich Einsegnung der ersten Ehe und muss
somit um jene Zeit dasselbe geändert worden sein“.
Als man im 11. Jahrhundert anfing, für das Frankenreich
das römische Recht zu recipieren, taucht hier auch die römisch-
rechtliche Bestimmung auf, wonach der Witwe ein Trauerjahr vor-
geschrieben war!) Aus dem volkstüml. französ. Epos lässt sich in
ee es
1) Vergl. Freisen 1. c. pg. 659.
E. Spirgatis. Verlob. u. Vermähl. i. afr. volkst. Epos. 145
wird, dessen Frau Beatrix zu alsbaldiger Wiederverheiratung zu
drängen. Nach der Auffassung eines Canonisten aus dem Beginn
des 13. Jahrhunderts (Tancred, Summa de matrimonia. S. Freisen
I. c. pg. 369) macht, wenn ein Mann gegen die Sarazenen gezogen
ist oder auf einer weiten Reise sich befindet, der Eid jener
Personen, welche von seinem Tode Kunde haben, die zweite Ehe
erlaubt. Nach canonischem Recht wäre dann die andere Ehe direct
erlaubt gewesen, während nach weltlichem Recht nach geleistetem
Eide noch ein Jahr gewartet werden musste!).
Ich lasse jetzt noch einige Bemerkungen zu einzelnen Aus-
führungen des Verfassers folgen. Nach einer kurzen Einleitung
rechtshistorischen Inhalts beginnt derselbe seine Darstellung mit
einer allgemeinen Bemerkung über die Auffassung vom Wesen der
Ehe, wie uns dieselbe im volkstümlichen Epos entgegentritt. Nach
ihm wären die Helden der Chansons de geste in der Regel wenig
geeignet, die Rolle des zärtlichen Liebhabers zu spielen und hegen
dieselben „von der Frau geradezu eine geringe Meinung, betrachten
sie fast wie eine Ware und sehen die Ehe lediglich als ein Ge-
schäft, als ein Mittel an, ihre Stellung gegenüber ihren Feinden
zu verbessern“. Mögen diese Ausführungen im allgemeinen das
Richtige treffen, so wäre es doch wohl angebracht gewesen, die-
selben unter Hervorhebung namentlich solcher Stellen, an denen
altfrz. epische Dichter über den Ehezweck speciellere Angaben in
ihre Darstellung einfliessen lassen, näher zu begründen. Zweck
der Ehe ist nach der Auffassung der ritterlichen Gesellschaft des
Mittelalters, wie uns dieselbe im volkstümlichen Epos entgegentritt:
1. Befriedigung des (ieschlechtstriebes: Querrez moi fame, mes cors
1) Verlassen wir das Gebiet der nationalen Epik und halten wir
Rundschau auf dem Gebiet der übrigen altfranzüsischen Litteratur, so
bietet sich uns eine Fülle von Material, das in diesem Zusammenhange
sich verwerten lässt. Vgl. G. Paris, La légende du mari aux deux
femmes (Académie des inscriptions et des belles lettres, 1887, S. 571—586)
und W. Foerster, Ille et Galeron, Einleitung. Wenn wir, wie in der
bekannten Geschichte des Grafen von Gleichen, die G. Paris 1. c. zum
Ausgangspunkt für seine Betrachtungen macht, den Papst ein weit-
gehendes Dispensationsrecht in Eheschliessungssachen üben
sehen, indem er dem Grafen gestattet, gleichzeitig mit zwei Frauen in
legitimer Ehe zu leben, so fällt mir dabei eine Stelle der 2ten Branche
von Cour. Loois ein. 388 ff. sagt der Papst zu Guillaume:
Vei ci saint Pere, qui des anmes est guarde:
Se por lui, sire, fais ui cest vasselage,
puez mangier les jorz de ton eage
Et feme prendre tant come il t’iert corage.
Allerdings braucht man hier nicht notwendig an bigamia simultanea
zu denken.
Zischr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII®. 10
E. Spirgatis. Verlob. u. Vermähl. i. afr. volkst. Epos. 147
Worauf dieser erwidert:
Oil, certez, ja ne vous ert véé,
Car je wiel et otroi que vous soiez mon pere.
Hierauf bekräftigen beide den Vertrag durch gegenseitigen Eid:
Iluec li a li enfes fiancie et jurée,
Et Ganor sor sez diex sa fiance livrée.
S. 110 werden weiter dem Guy die Worte in den Mund gelegt:
Ganor aura ma dame, car je li ai donnée.
Als dann G. bemerkt, er wünsche sich nunmehr zunächst des
Consenses der von ihm zur Frau Begehrten zu versichern (je weil
savoir de lui le cuer et la pensée), antwortet Guy:
Mon seignor, si soi com vous agree;
Vos ne la poez perdre quant la vous ai donnée.
S. 11. Wenn Vf. bemerkt ,dem Herrscher steht aber nicht
allein das Recht der Bestätigung und Versagung zu; er kann über
die Hand der Tochter eines Vasallen nach eigenem Ermessen ver-
fügen. Daher hat er als Verlober sogar den Vortritt vor ihrem
natürlichen Vormund“, so scheint mir das hierfür angezogene Bei-
spiel Loh. II. S. 69 deshalb nicht gut gewählt zu sein, weil hier
Milon aus freien Stücken ausdrücklich darauf verzichtet, die Ver-
lobung seiner Töchter mit Garin und Begues zu vollziehen. S. 68
übergiebt M. seine Töchter dem Könige mit den Worten:
Tenez mes files, biaus sire rois Pepins,
Metez les si qu'à bien puissent venir.
Weiter heisst es dann:
Il (der König) les embrasse soz son mantel hermin,
Ei les pucelles li font parfont enclin.
Die Stelle scheint mir vielmehr bemerkenswert vor allem des-
halb, weil hier der König, bevor er den Verlobungsact vornimnit,
die beiden Töchter Milons förmlich unter seinen Schutz, dessen
Symbol der Mantel ist!), nimmt.
9. 22 ff. handelt Vf. von der traditio puellae am Tage der
Vermählung und erwähnt die dabei üblichen Ceremonien. Bemerkt
sei dazu, dass in Raoul de Cambrai Berniers Gemahlin Beatrix
mehrere Ringe trägt:
Dist la pucele: Merci, biax sire rois.
N'a encore gaires que B. li cortois
M'a espousée: les aniax ai es dois.
1) Vergl. Grimm, Deutsche Rechtsaltertümer S. 160: „Bei der
adoption und legitimation wurden die Kinder unter den Mantel ge-
nommen, sie hiessen Mantelkinder‘ etc. und auch G. Tamassia, Il diritto
nell' epica francese dei secoli XII e XIII (In: Rivista italiana per le
science giuridiche 1, S. 230), wo unsere Stelle erwähnt ist. Ueber den
Mantel als Recht ® yınbol bei der Verlobung s. Weinhold, Die deutschen
Frauen? I, 341. 10*
148 Referate und Rezensionen. Eugene Ritter,
Die Stelle ist vom eherechtlichen Standpunkte bemerkenswert,
weil die Auffassung vertreten wird, dass mit den Formalitäten der
sponsalia de praesenti, auch ohne nachfolgende copula (s. oben S. 141),
die Ehe existent ist. Wenn dabei von les aniax im Plural die Rede
ist, so darf das vielleicht dahin gedeutet werden, dass neben dem
Trauring hier der Verlobungsring als Symbol der eingegangenen
Verbindung: figuriert? — Wenn Vf. ib, über die Form des Trau-
rings sagt „Im Gegensatz zu dem hente üblichen einfachen goldenen
Reif, war der Trauring damals mit Edelsteinen verziert und sollte
wohl auch geheimnisvolle Kräfte besitzen, um im Notfalle als wirk-
samer Talisman zu dienen“, so bin ich zwar nicht in der Lage,
dies zu widerlegen, meine aber, dass durch die von Sp. erwähnte
eine Stelle aus Aye d’Avignon!) seine Behauptung nicht als all-
gemein gültig sich erweisen lässt und will nicht unbemerkt lassen,
dass Colin in seiner rechtshistorischen Abhandlung Des fiançailles
et des promesses de mariage S. 123 genau die entgegengesetzte An-
sicht ausspricht: De fer qu'il (l'anneau de fiançailles) était chez les
premiers Ilomains, il devient d'or pur. Il est parfaitement rond pour
montrer que l'engagement qu'il représente ne doit avoir aucune fin;
il ne doit être enrichi ni de pierreries, ni de ciselures auquelles les
inombrables superstitions populaires, longtemps vivantes n’eussent pas
manqué d'attribuer un effet magique. — Liüsst sich der Ring als die
hänfigste Form bezeichnen, welche die arrha angenommen hat, so
begegnet doch daneben im Epos einige Male noch der solidus et
denarius (esposer de l'argent et d'or mier) in gleicher Verwendung,
Vergl. dazu ausser Spirgatis pg. 23 noch diese Zs. XV, S. 1992)
D. BEHRENS,
Merveilles advenir en cestuy an vingt et sis. Pronostication
satirique pour l’année 1526. Collection des bibliophiles
genevois Nr. 1. Genève, librairie Jullien, 1893. 42 pages 8%,
Prix: fr. 6.
Ce petit poème de trois cents vers, oeuvre d'un auteur inconnt,
a été imprimé à Genève en 1526. Un seul exemplaire en était resté;
il appartenait à M, le comte de Lignerolles. A la mort de ce riche
1) Vergl, noch Godefroy 1. c, Table alphabétique s. v. anneau.
*) Ich benutze hier die Gelegenheit, um einen Irrtum zu be
richtigen, in welchem ich mich bei der Abfassung der Zs. NV ab-
gedruckten Besprechung von Altons Ausgabe des Anseis von =
befand und auf den Herr Professor Suchier a aufmerksam zu
die Freundlichkeit hatte: es hat das 2. c. pg. 196 erwähnte
in gente coumaine mit commune nichts zu ae Das Richtige
‚Romania IX, 8. 173.
Merveilles advenir etc. 149
amateur, il a été vendu; le libraire qui l'a acheté 400 fr., l'offre
dans ses catalogues au prix de 600 fr. M. Alfred Cartier a fait la
description de cet exemplaire dans les Mémoires de la Société d'histoire
de Genève (tome XXIII, pages 547 à 551).
M. Théophile Dufour, déjà connu par un intéressant travail
bibliographique!) a donné de ce curieux poème une réimpression faite
avec beaucoup de soin. Il se divise en trois parties; dans la première,
le poète se représente enlevé par les Dieux au milieu de sa promenade:
Ung bien matin, par le travers des blés,
Ainsi qu'errant je passoye chemin,
En contrehault tenant les yeulx bendes,
Vois recognoistre Mars el Juno levés,
Ceres, Palas, ....et Bachus, dieu de vin,
Par sus les nues, avec grande assemblée
De moy sans faulte ds firent une emblee.
EH pour autant qu'ainsi ravi m'avoient
Pour réveller leurs secretz et propos,
J'heus celle charge . ...
Viennent ensuite de plaisantes pronostications pour chaque
mois de l’année: l’auteur y fait une caricature de ces prophéties
qui remplissaient les almanachs de cette époque, à la grande satis-
faction de leur public:
En juing, vous verres sur pocriers
Pätez, conis, feisans et tartres . ...
Puis, en juillet, l'arc pluvial
Sera chargé de junes dames . .
Et en aoust, pleuvront materas
Remplumes jusques à la teste . ...
Le poème se termine par un épilogue, où l'auteur, parlant
plas sérieusement, rappelle que l'avenir appartient à Dieu seul, et
que l'homme n’est pas en mesure de le prévoir d'après le cours
des astres:
Sainct Jherosme, ce docteur vénérable,
En a escript .
Et la Sibille appelée Érithée,
Vaticinant de Dieu tout éternel,
Comme celle qu'estoit illuminée, . .
1) Notice bibliographique sur le Catéchisme et la Confession de foi
de Calvin (1537) et sur les autres livres imprimés à (ienève et à Neuchâtel
dans les premiers temps de la Réforme (1533—1540) par Th. Dufour.
Genève, lib. Georg. 1878.
Ernst Winfrid Wagner. Mellin de Saint-Gelais. 151
Souhaitons qu'elle se poursuive, et que pendant les années prochaines,
les amateurs voient s'en succéder les fascicules avec quelque régularité.
EUGÈNE RITTER.
Wagner, Ernst Winfrid. Mellin de Saint-Gelais. Eine litteratur-
und sprachgeschichtliche Untersuchung. Ludwigshafen a. Rh.
1893. Heidelberger Promotionsschrift. 149ss. 8°.
Lebensgang, gesellschaftliche Stellung und Geschmacksrichtung
machten M. de Saint-Gelais naturgemäss zu einem Nachbildner der
Italiener in Inhalt und Form. Steht er rücksichtlich beider in
starkem, wenn auch nicht unbedingtem Abhängigkeitsverhältnis zu
ihnen, so bewahrte er sich jedoch nationale Eigenart und grosse
Selbstständigkeit in der Verwendung des sprachlichen Materials und
Ausdrucks. Dass der Verf. genannter Abhandlung auf diesen Punkt
so grosses Gewicht gelegt hat und so ausführlich darauf eingegangen,
ist sehr anerkennenswert. Er beginnt mit einer allgemeinen Ein-
leitung (S. 3—8), an welche sich eine Biographie (S. 9—17) schliesst,
worin er neue Ergebnisse zwar nicht aufweisen kann, aber die
Angaten seiner Vorarbeiter aufs sorgfältigste prüft und die kargen
autobiographischen Anspielungen in St.-G’s Gedichten chronologisch
aneinanderreiht. Absch. II A bringt (S. 18—23) eine Zusammen-
stellung der Nachrichten über Veröffentlichungen der Werke des
Dichters und eine kritische Besprechung der Ausgaben bis auf die
jüngste von Blanchemain (1873), welche aber nicht abschliessend
ist, obwohl sie mit Kritik gemacht und auch die zwei erhaltenen
Hss. (S. 21) und die Bemerkungen der Kommentatoren (S. 23)
heranzieht. Die Klassifizierung der bemerkenswerteren Werke M. de
St.-Gelais’ (II. B. S. 24—38) nach den Dichtungszattungen scheint
mir insofern wenig glücklich, als in den wenigsten Fällen der Dichter
selbst den Inhalt seiner Gedichte zu deren Form in eine bestimmte
Beziehung gesetzt hat. So sah sich der Verf. genötigt, teils auf
den Abschnitt über die Metrik hinzuweisen, teils dort manches zu
wiederholen. Das Bild der dichterischen Thätigkeit St.-G’s. aber
verliert dadurch, dass inhaltlich zusammengehöriges an einer ganzen
Anzahl von Stellen zerstreut steht, nur noch mehr an Einheitlichkeit.
Vielleicht hat der Verf. das auch gefühlt und daher einen Abschnitt
‚Zur Charakteristik M. de St.-G’s“, welcher besser ganz am Ende
stünde und dann die gewonnenen Resultate zusammenfasste, hier
angefügt. Wollte er jedoch das in II B eingeschlagene Verfahren
rechtfertigen, so hätte er in III St.-G’s Charakter als Gelegenheits-
dichter ausdrücklich betonen und näher darauf eingehen müssen,
was er da überhaupt zu thun versäumte. Ebenso möchte ich ihm
F. Brunetière. Les époques du théâtre français (1636—50). 153
anzusehen sein. — In seiner Annahme, den substantivierten Infinitiv
auf italienischen Ursprung zurückzuführen (S. 123) geht W. fehl,
da sich dieser afr. bereits sehr häufig findet, ja sogar derart, dass
durch Beifügung des Adjektivs oder durch unmittelbare Vorsetzung
des direkten Objektes, welches dann keinen Artikel hat, der Infinitiv
von seinem Artikel getrennt ist. — Die Vorlage für das Gedicht
D'un eslongement hätte der Verf. sich die Mühe geben können, bei
Ariosto aufzusuchen, es ist Capitolo IX Qual son’, qual sempre fui
tal esser voglio und hätte ferner (ebenfalls S. 130), statt die immerhin
vorsichtige Angabe der Herausgeber zu Vol. III 154 zu einer festen
Thatsache zu stempeln, diese abweisen müssen. Übrigens hat Mellin
die kleineren Gedichte Ariosto’s noch öfter benutzt, so ist, um nur
eines anzuführen, für Nuif d'amour (Vol. III 99, bei Wagner S. 36)
jedenfalls dessen Capitolo VI O pit che’l giorno a me lucida e chiara
das Muster gewesen.
Wäre der Druck übersichtlicher angeordnet, wichtigeres heraus-
gehoben und weniger wichtiges in Anmerkungen, von denen ein
allzubescheidener Gebrauch gemacht ist, verwiesen, auch Satzungeheuer
(wie z. B. ein 14 zeiliges auf S. 12) vermieden worden, so wäre
das der sonst fleissigen und. tüchtigen Arbeit nur zu statten ge-
kommen.
MARBURG. GEORG STEKFFENS,
Brunetière, F. Les époques du théâtre francais (163650).
Paris, 1893, Calmann Levy. 373 S., 80. Preis fr. 3,50.
Jeden Donnerstag finden am staatlich unterstützten Odéon-
theater matinées classiques statt, in erster Reihe für die studierende
Jugend. Der Aufführung geht ein litterarischer Vortrag über das
Stück voraus. Brunetières 15 Vorträge erstrecken sich über
250 Jahre der dramatischen Litteratur und wollen an besonders
typischen Beispielen die Höhenzüge der Entwickelung des französi-
schen Dramas beschreiben. Drei Corneille’sche Stücke ,Cid“,
„Menteur“ und ,Rodogune“ erôfinen den Reigen. Es folgen paar-
weise abwechselnd Ecole des femmes und Tartuffe einerseits,
Andromaque und Phèdre andrerseits. Das 18. Jh. hebt an mit
Turcaret, der ersten Schilderung von Geldmenschen; dann kommt
Marivaux neben Voltaires Nationaltragödie Zaire, hierauf das
bürgerliche Drama und Figaro. Vom 19. Jh. sind ausser dem
romantischen Drama nur Scribe und Musset zu finden.
Von lebenden Dramatikern sieht Brunetière ganz ab: Si j'en
avais dit trop de bien, j'aurais été, je vous aurais paru suspect de
Hippolyte Parigot. Le Théâtre d'hier etc. 155
den richtigen Platz in der Entwickelung des zeitgenössischen
Dramas an.
FREIBURG ı. BR JOSEPH SARRAZIN.
Parigot, Hippolyte. Le Théâtre d'hier, Etudes dramatiques, littéraires
et sociales. Paris, Lecène, Oudin et Cie., 1893. XLIII und
448 S. — Preis 3,50 fr.
Da Brunetière’s gesammelte Vorträge Les Epoques du théâtre
francais mit dem Jahr 1850 die übersichtliche Betrachtung des
neueren Dramas der Franzosen abschliessen, so kann Parigot’s
Buch als Fortsetzung willkommen geheissen werden. Im raschen
Fluge durchmustert der Vf. die Hauptmomente der bedeutungsvollen
Entwickelung des zeitgenössischen Dramas, die mit Augier anhebt
und mit H. Becque einen vorläufigen Abschluss gefunden zu haben
scheint.
In der That ist der Ruhepunkt, welchen Ref. bei Veröffent-
lichung seiner Studien zum modernen Drama der Franzosen kon-
statierte (1888), noch immer vorhanden. Noch immer befindet sich
die dramatische Litteratur in der Periode unsicheren Tappens und
Tastens, bis vielleicht das Geschlecht, welches die Kriegsjahre
1870—71 zum Leben heraufriefen, die erlösende Kunstform findet.
Einstweilen kommen auch uns selbst die von Augier geschaffenen
Gestalten beim elektrischen Licht der modernen Bühnensäle etwas
ältlich und abgeblasst vor.
Den Haupteinwand, der gegen Parigots Darstellung sich sofort
darbietet, hat R. Doumic bereits erhoben (Revue d’hist. litt. I, S. 2).
Sie besteht aus kunstvollen Einzelbildern, etwa wie ein Lustspiel
Meilhac-Halévys. Der Verfasser hat sich der Mühe enthoben, dem
Werdegang des modernen Sittendramas nachzuspüren und die
einzelnen Etappen zu bezeichnen, welche innerhalb desselben jeder
der Hauptdramatiker zurückgelegt hat. Dies geht schon aus der
Anordnung des Stoffes hervor: Augier, Dumas fils, Pailleron,
Labiche, Meilhac-Halövy, Sardou, Becque. Richtiger wäre
Sardou zwischen Dumas und Pailleron einzureihen, sodass mit
Labiche eine neue Etappe anhebt, auf welcher Meilhac-Halévy
weiter wandern. Auch Zola verdient, wenigstens als Theoretiker,
ein Plätzchen in einem Überblick der vorliegenden Art.
Parigot verfügt über einen flotten Stil, und er weiss es auch.
Daher gleicht wohl die eine oder die andere Studie, welche er hier
den hervorstechendsten Dramatikern widmet, einer Plauderei in
einem Salon des monde où l'on s’amuse, und zwar in einem Salon,
dessen Gäste den betreffenden Dramatiker und seine Hauptwerke so
R. Doumic. De Scribe à Ibsen. 157
wartet nicht, bis man ihm das bekannte Solve senescentem zuruft.
Der halbe Erfolg der Souris hat ihn belehrt, dass die Zeit be-
schaulicher Ruhe da ist, noch mehr derjenige der Cabotins.
Beim Lesen der Skizzen über Labiche (291 ff.), Meilhac-
Halevy (315 ff), Sardou (347 ff.) wird Ref. den Eindruck
nicht los, als ob gerade hier der Vf. über den Mangel an tief ein-
dringenden Studien habe täuschen wollen. Die behagliche breite
Charakteristik Sardous zeigt jedoch starke Anklänge an Doumic’s
wenig bekannten Aufsatz im Correspondant vom 10. Oktober 1890.
Andererseits ist mit Genugthuung der Versuch zu begrüssen,
dem vereinsamten und verbitterten Henry Becque in einer wohl-
abgerundeten Studie (S. 399 ff.) den Platz anzuweisen, welcher
innerhalb der dramatischen Evolution unserer Tage ihm gebührt.
Der Dichter der Corbeaur ist mitten in einer Zeit glänzenden
Schaffens stehen geblieben und infolge seiner endlosen Polemiken
gegen strenge und vermeintlich ungerechte Kritiker — namentlich
Sarcey — verrufen und unterschätzt. Aus Becques Souvenirs d’un
auteur dramatique, die nach Parigots Buch ans Licht kamen und
daher seine Angaben vielfach ergänzen, ist zu ersehen, dass der
Dichter immer noch an seinem Lebenswerk Les Polichinelles arbeitet,
in welchem er die Moralverwirrung der modernen Pariser geisseln
will. Mit einem humorsprudelnden Stück (L'enfant prodigue) hatte
Becque seine Dramatikerlaufbahn begonnen, hierauf in Michel Pauper
den erbarmungslosen Feldzug Dumas’ gegen das Ewigweibliche fort-
geführt, bis er in Les Corbeaux mit allen konventionellen Gestalten
and mit allen Scribe’schen Bühnenkunststückchen brach. Becque ist
der Standartenträger des naturalistischen Dramas, der französische
Ibsen; aber diesem Feldherrn fehlen die Soldaten. Daher der selbst-
quälerische Zug in seinem ganzen Wesen und allgemein die gegen
ihn herrschende Antipathie.
Es geht aus obiger Inhaltsskizze hervor, dass Parigot recht
schätzenswertes Material zur Geschichte des neuzeitigen Dramas
der Franzosen beibringt. Eine sorgfältige Überarbeitung des Ganzen
würde zweifellos den inneren Zusammenhang zwischen den einzelnen
Entwickelungsphasen schärfer hervortreten lassen.
JOSEPH SARRAZIN.
Douinie, R. De Scribe à Ibsen. Causeries sur le théâtre contemporain,
Ouvrage couronné par l’Académie française. — Paris, Paul
Delaplane [1893]. XVI und 352 Seiten, Preis fr. 3,50.
Eine Sammlung von kurzen Theaterbesprechungen mit einer
trefflichen und bündigen Einleitung legt R. Doumic unter obigem
158 Referate und Resensionen. Joseph Sarrazin,
Titel vor. Die einzelnen Skizzen sind geschickt gewählt, ebenso
geschickt gruppiert und behandeln zum Teil Autoren der aller-
jüngsten Zeit, — Doumie meint, Scribe sei der Vater des heutigen
Dramas, weil alle Neuerungen aus Oppositionsstreben gegen seine
Mache erwachsen seien. Aus Scribes seichter Behandlung der
Charaktere sei das théâtre d'analyse hervorgegangen und logischer-
weise auch das jetzt noch im Werden begriffene théâtre d'idées,
bis schliesslich Ibsen als Ideal der Jugend dastand. Diese Be-
hauptung muss auf Widerspruch stossen. Jene langsame Evolution
von Aussen nach Innen ist nicht beim Drama allein zu finden,
sondern bei allen Kunstformen, insbesondere beim Roman; sie ist
demnach eine Folge des Milieu und der veränderten Weltanschauung
der Zeitgenossen.
Auf die Erörterung von Seribe’s dramatischer Bedeutung folgt
eine treffende Skizze von Musset's Comédies et proverbes, ins-
besondere von Fantasio. Als Vertreter des romantischen Dramas
erscheinen hierauf Al. Dumas père, dann Aug. Vacquerie und
Flauberts wenig bekannter Freund Louis Bonilhet. Die folgenden
Seiten besprechen Dumas fils Demi-Monde, die Aufnahmsrede
Freyeinets als Nachfolger Augiers, alsdann Sardous Famille Benoiton
und Thermidor, neben Froufrou und La Petite Marquise der Ge-
schäftsfirma Meilhac und Halévy. Alles ist richtig gesehen und
geistvoll wiedergegeben, obwohl nicht immer sonderlich neu.
Der zweite Teil entschädigt dafür, indem er weniger oft be-
sprochenen Autoren sich zuwendet, Zunächst Barrière und sein
Mitarbeiter Capendu (S. 135 ff.); dann nach einem wenig inhalt-
reichen Exkurs über Labiche der vielsprechende Jules Lemaitre
mit Révoltée und Le député Leveau, der Lyriker Jean Aicard mit
dem kühnen Père Lebonnard (1889) und eine Reihe von jüngeren
Dramatikern, die ihr letztes Wort noch zu sprechen haben: z. B. der
bittere H. Lavedan (Ze Prince d’Aurec, 1892), der durch das
Théâtre-Libre wohlbekannte François de Curel, — eine sehr
fesselnde kraftvolle Schriftstellererscheinung, — hierauf der rasch
berühmt gewordene Georges Ancey, dann Jean Jullien, ferner
Zolas einstiger Jünger Henry Céard und das von H. Becque aus
gehende Dioskurenpaar Guinon und Denier (Les Jobards, 1892).
Einen würdigen Schluss giebt der alte Ibsen ab, dessen Dramen in
Graf Prozors Übersetzung auch in Paris die verdiente Aufnahme
fanden (1891 ff).
Alle diese Skizzen und Charakteristiken sind wertvolle Bau-
steine zu einer Geschichte der dramatischen Dichtung unserer Tage.
Man kann also Doumic's Buch als Fortsetzung zu dem oben be-
sprochenen von Parigot ansehen, welches wiederum die Vorträge
Brunetières fortsetzt. Die drei Werke geben zusammengenommen,
Louis P. Betz. Heine in Frankreich. 159
einen Überblick über die Hauptabschnitte und die Hauptautoren des
neueren französischen Dramas.
JOSEPH SARRAZIN.
Betz, Louis P. Heine in Frankreich, eine litterarhistorische Unter-
suchung. Zürich, Albert Müller, 189. XII und 464 S.
— Preis 6 Mk.
Seine überaus fleissige und dankenswerte Arbeit teilt Betz
in fünf Abschnitte ein: I. Das Milieu. II. Heine im Lichte
der fzös. Kritik. III. Heines Kenntnis der fzös. Sprache;
IV. Heines fzös. Übersetzer. V. Heines Einfluss. Ohne mit
dem Vf. über Zweckmässigkeit dieser Einteilung zu rechten, die
Ungleichwertiges als gleichberechtigt nebeneinanderreiht, wird Ref.
den Inhalt eines jeden Abschnitts kurz skizzieren.
Der erste Abschnitt giebt ein schönes Bild vom geistigen
Leben in Paris von Anno 1831, vom berauschenden Taumel fessel-
loser Hugo’scher Romantik, führt die Hauptpersonen der damals
siegenden Litteraturrichtung vor und bespricht kurz Heines Stellung
zu den Romantikern, sowie die glänzende litterarische Aufnahme,
die dem Heimatlosen zuteil ward.
Viel neues und überraschendes steckt im folgenden Abschnitt
„Heine im Lichte der französischen Kritik“. Um dem Vf. überall
folgen zu können, müsste Ref. die erwähnten und erörterten Aufsätze
alle zur Verfügung haben. Den Reigen eröffnet der allzeit liebens-
würdige Saint-René Taillandier, dessen Arbeitskraft Heine so
eigensüchtig auszunutzen verstand, um auch als französischer Schrift-
steller zu glänzen. Kühn ist das vom Sonderling Barbey d’Aure-
villy gezeichnete Heinebild, richtiger dasjenige des vornehmen
Armand de Pontmartin, aber am eigenartigsten die Skizze
Hennequins in den Écrivains francisés, worunter er die aus-
ländischen Schriftsteller versteht, die in Frankreich Anklang und
Nachahmung fanden. Hieran schliesst sich die ausführliche Be-
sprechung der Heinestudien von Montégut und von Louis Ducros,
alsdann diejenige der Einleitungen zu Heines Werken in französischer
Sprache (8. 114 ff.), hierauf ein Überblick über das, was französische
Memoiren und Souvenirs über den Dichter bringen, und zuletzt eine
bunte Zusammenstellung gelegentlicher, oft recht wertloser Urteile
über ihn (S. 136—158) nebst französischen Äusserungen über die
leidige Standbildpolemik.
Besonders interessant für die Leser dieser Zeitschrift werden
die S. 164 ff. gegebenen Aufschlüsse über Heines französische Sprach-
160 Referate und Rezensionen. Joseph Sarrazin,
kenntnisse sein. Sollte wirklich der alte Thiers das grosse Wort
ausgesprochen haben, der gewandteste französische Schriftsteller
jener Zeit sei ein Deutscher, und zwar Heine — später soll das
Gleiche über Heines Stammesgenossen Albert Wolff geäussert
worden sein, — so wäre dies ein neuer Beweis von seiner ver-
trauensseligen Kurzsichtigkeit. Er kannte wohl Heine als Mitarbeiter
der Revue des deux Mondes und ahnte nicht, dass der eitle Poet
hinterrücks die französischen Übertragungen seiner Werke yon
Freundeshand anfertigen, oder wenigstens überarbeiten liess. Aus
dem von Betz gesammelten Material geht die unzweifelhafte That-
sache hervor, dass Monsieur Henri Heine ein recht bedenkliches
Französisch schrieb und nach fünfundzwanzigjährigem Aufenthalt in
Paris nicht einmal einen französischen Brief ohne Sprach- und
Schreibschnitzer fertig brachte. Der geistsprühende Causeur sprach
sogar das Französische, — wie Aug. Barbier bezeugt, — mit
einem accent germanique très prononcé et fort désagréable. Und so
wenig Sprachgefühl hatte der Halbpariser, dass die hilfsbereiten
Freunde oft die grösste Mühe hatten, ihm klar zu machen, die und
die von ihm hartnäckig festgehaltene Wendung sei nicht französisch.
„Il s’obstinait“, schreibt Grenier S. 270 seiner Souvenirs, ,à vouloir
faire passer dans le français des audaces de mots, des
étranges que l'allemand peut se permettre, mais que la langue française,
cette „gueuse fière“ comme on l'a dit, ne peut accepler à aucun prix...
TI tenait à ses mots et s’y cramponnait en désespéré. Kein Wunder,
dass Heines bekannte Freundin von einem ,texte panaché de
barbarismes* spricht.
Im vierten Abschnitt beschäftigt sich Betz mit Heines zall-
reichen französischen und schweizerischen Übersetzern, den berufenen
und den unberufenen. Zu dem einen, Max Buchon aus Salins
(8. 194 ff), kann Ref. mehreres nachtragen. Er ist nicht so obskur,
wie Betz annimmt. Seine ersten Versuche stammen aus dem Jahr
1839; er wird mit Recht von Champfleury (Ze Röalisme, Paris 1857)
als einer der ersten realistischen Lyriker Frankreichs gepriesen.
Volksbeliebt in Ostfrankreich war seine von Schann in Töne ge
setzte Hymne La Soupe au fromage, die in der Franche-Comté
noch bisweilen ertönt, ebenso sein behagliches Metzelsnppenlied
Le Cochon. Max Buchon hat nicht bloss die von Betz
deutschen Lieder übersetzt, sondern auch Berthold Auerbach's
Dorfgeschichten, die Volkserzählungen von Jeremias Gotthelf
(neu herausgegeben 1876, mit Einleitung von Ch. Thuriet) und
fünfzehn alemannische Gedichte Hebels im Anhang zu seinen herz-
gewinnenden Poésies franc-comtoises. Die neueste Ausgabe mit Ein-
leitung von Champfleury ist 1878 bei Sandoz-Fischbacher verlegt
worden und leicht en
E a
Louis P. Betz. Heine in Frankreich. 161
Der wichtigste und am meisten durchgearbeitete Abschnitt
des ganzen Werkes behandelt Heines Einfluss. Nach vortreff-
lichen einleitenden Betrachtungen über deutschen Einfluss auf
französische Litteratur und Geistesarbeit (S. 269 ff. und 312 ff.),
spürt Betz bei den Zeitgenossen und bei Späteren den leisesten
Heineschen Einflüssen nach. Ihm auf Schritt und Tritt zu folgen,
erfordert eine tiefere Kenntnis Heine’scher Dichtung und Prosa, als
diejenige des Referenten ist. Es muss daher Kundigeren überlassen
bleiben, die einzelnen Ergebnisse nachzuprüfen, obschon das über
die Parnassiens, sowie über Goncourt und Bourget beigebrachte
durchaus überzeugend erscheint.
Das in Form und Inhalt gleich erfreuliche Werk von L. Betz
— es wurde von Prof. Morf als Doktordissertation angenommen —
schliesst mit einer reichen Bibliographie und einem Register. Es
reiht sich in seiner Eigenart würdig dem grösseren Werk von
Th. Süpfle an, welches die von Deutschland nach Frankreich
führenden geistigen Brücken befestigen und reichlicherem Verkehr
zugänglich machen möchte.
Zum Schluss noch die bei Kritiken unvermeidliche Desiderien-
liste, die hier etwas kleinlich sich ausnehmen mag.
Paul Louis Courier schreibt sich immer noch mit einem r
(vgl. S. 14); dass ihn seine Bauern erschlugen, ist wohl eine Stil-
blüte. Über den schlichten Thatbestand vgl. meine Anmerkung zu
Kreyssig Litt.-Gesch. II, S. 218. Ferner ist S. 17 Jocelyn zu lesen.
Wenn S. 19 von Scribes erstem Lustspiel Davis die Rede ist, so
dürfte damit der mit Germain Delavigne geschriebene schwache
Einakter Les Dervis gemeint sein; aber Scribes Erstlingswerk ist
nach dem Catalogue Soleinne der unter dem Pseudonym Antoine auf
die Bühne gebrachte Einakter Le Pretendu par hasard, ou l’occasion
fait le larron (13. Januar 1810 am Varietestheater aufgeführt und
später mit dem Autornamen A. E. gedruckt). Auch ist es ungenau,
von 200 vor 1831 geschriebenen Vaudevilles und Operntexten zu
reden (vgl. die Liste bei Victor Moulin, Scribe et son theüre,
Paris 1862). Ebenso ist ungenau angegeben der Titel von Guizot's
geschichtlichem Hauptwerk (S. 19).
Von Gérard de Nerval wäre S. 35 der viel prosaischere
wirkliche Name zu nennen gewesen, zumal es bei Valbert und
beim litterarischen Strauchdieb Eugène de Mirecourt geschieht
(S. 45). Die Mémoires d’un bourgeois de Paris hatten nicht vier
(S. 34), sondern sechs Bände, wie aus der Vorrede der letzten von
L. Veron selbst überarbeiteten Ausgabe ersichtlich. Beim dritten
Cénacle (S. 26) fehlt die Jahreszahl 1836; es wäre leicht gewesen,
die Namen dieser Weihrauchstreuer Hugo’s beizufügen. Kühn ist
die Behauptung S. 22, Victor Hugo habe bereits vor der Juli-
Ztecbr. £ frz. Spr. u. Litt. XVI. 11
K. À. Martin Hartmann. Chenier-Studien. 163
leicht zu bestimmen ist und übrigens schon von den bisherigen
Herausgebern und Kritikern des Dichters angegeben wurde. Nur
in Bezug auf die chronologische Reihenfolge der letzten in Saint-
Lazare geschriebenen Gedichte weicht der Verfasser von seinen
Vorgängern etwas ab. Es handelt sich nämlich um die Gedichte,
die auf zwei verschiedenen Papierstreifen vom Dichter nieder-
geschrieben wurden; auf dem einen Streifen stehen ausser zwei
dramatischen Fragmenten die Gedichte 1. Quand au mouton bölant,
2. J'ai lu qu'un batelier, 3. On vit, on vit infäme, auf dem anderen
das aus 88 Versen bestehende Gedicht Comme un dernier rayon
und einige kurze Prosaskizzen mit eingestreuten Versen. Dem Ver-
fasser scheint nun das Gedicht Quand au mouton bélant eine viel
grössere Resignation und Hoffnungslosigkeit auszudrücken als das
oft citierte Comme un dernier rayon; er vermutet daher, dass
der an erster Stelle genannte Papierstreifen vom Dichter später
beschrieben wurde als der zweite. Doch sagt er selbst p. 26: „Von
einer wirklichen Sicherheit aber kann hier nicht die Rede sein“.
Hieran schliesst sich ein zweiter Teil (p. 27—58), in welchem
der Verfasser auch die Entstehungszeit anderer Gedichte, die keine
festen Anhaltspunkte zur Datierung bieten, wenigstens annähernd zu
bestimmen versucht. Seine Angaben betreffs der Elegien De Pange,
ami chéri (p. 27), Souvent le malheureux sourit parmi ses pleurs
(p. 29), O nécessité dure, ö pesant esclavage (p. 49), der Elegien auf
Camilla (p. 57), des Hymnus À la justice (p. 30) und des lyrischen
Gedichtes O mon esprit (p. 43) stimmen im grossen und ganzen mit
den Ausführungen des Referenten in seiner Programmarbeit „Andre
Chenier’s Gedichte, ein Bild seines Lebens“ überein. In Bezug auf
das Elegiefragment Partons, la voile est préle glaubt der Ver-
fasser p. 29, dass es nicht, wie der Ref. sagt, an den Anfang der
italienischen Reise des Dichters zu setzen sei, sondern dass es dieser
während seines Aufenthaltes in Italien geschrieben habe, „zu einer
Zeit, wo er noch bestimmt hoffen konnte, die Reise bis nach
Konstantinopel fortzusetzen“. Doch könnte wohl die Redewendung
‚a voile est prête“ als eine kühne poetische Anticipation angesehen
werden, die so recht die Ungeduld des Dichters, seine Geburtsstadt
Byzanz zu sehen, ausdrücken würde.
Sehr ausführlich und gelungen sind die Erörterungen des
Verfassers über die Entstehungszeit des langen Gedichtes Z’Invention
(p. 32—36) und des dramatischen Fragmentes Bataille d’Arminius
(S. 5055), das er auch auf den zwei letzten Seiten seiner Arbeit
abdruckt. Darnach dürfte das erstere, das eine Art Prolog zu dem
gross angelegten, aber unvollendet gebliebenen epischen Gedichte
Hermès bildet, jedenfalls nach der Rückkehr des Dichters aus Italien
entstanden sein; das andere, das abgesehen von einigen wenigen
| 11*
E. R. Zimmermann. D. Gesch.d. lat. Suffixes -arius i. d.rom. Spr. 165
Tomel, Le pavé parisien p. 61; Mendès und Missa p. 115; Pouvillon,
Bernadetie de Lourdes p. 48 (noch einmal auf p. 70 erwähnt);
manchmal sind nur Name und Titel gegeben. Andererseits sind
kritische Bemerkungen der verschiedensten Art eingestreut, mit
denen man sich im ganzen einverstanden erklären kann; eingehender
sind sie bei Lenötre p. 36, Ribaux p. 122 und besonders bei Zula.
Recht dankenswert sind bei jüngeren Schriftstellern Hinweise auf
früher erschienene Werke, sowie sonstige orientierende Bemerkungen
über Leben und Persönlichkeit des Dichters. Dagegen muss hervor-
gehoben werden, dass der Stil stellenweise zu wünschen lässt;
namentlich sind es die kritischen Bemerkungen, und von diesen be-
sonders die im dramatischen Teile, die zu Ausstellungen Anlass
geben. Als wirklich falsch ist anzuführen: „er kniete sich nieder“
p. 36, Z. 17 v. u. „Die Enttäuschung kann nicht ausbleiben, und
diese wirft den armen Krüppel auf’s Krankenbett, wo er beim
Angelusläuten stirbt und die Mutter in wilde Klagen gegen
Gott ausbricht“ p. 45. Verstorbene im Jahre 1894 = Im
Jahre 1894 Verstorbene p. 132. Als Stilblüte sei erwähnt: „Diese
Wunde unserer Zeit tritt in hundert Formen auf, in Politik, Kunst,
Litteratur, sogar in Herzensangelegenheiten“ p. 118, Z. 7. An
Schreib- resp. Druckfehlern ist folgendes zu verbessern: S. 103,
Z. 13 Gläubiger = Schuldner. S. 116, Z. 4 v. u. sie — es. S. 116,
Z. 12 u. S. 128, Z. 15 v. u. nun = nur.
G. KRAUSE.
Zimmermann, E. R. Die Geschichte des lateinischen Suffires -arius
in den romanischen Sprachen. Darmstadt, 1895. VI, 958. 8°.
(Heidelberger Doctor-Dissertation).
Die vorliegende Dissertation ist, wie der Verf. im Vorworte
berichtet, aus einer Preisschrift hervorgegangen, welche von der
philosophischen Facultät der Universität zu Heidelberg gekrönt.
worden war. Die Arbeit hat eine solche Auszeichnung wohl ver-
dient, denn sie zeugt nicht nur von dem hingebenden Fleisse,
sondern auch von den gründlichen Kenntnissen ihres Verfassers
und von seiner guten Vertrautheit mit philologischer Methode.
Sehr angenehm berührt auch die Bescheidenheit, mit welcher der
Verf. die Anschauungen Anderer beurteilt und seine eigenen An-
nahmen vorträgt.
Die Arbeit gliedert sich in zwei Hauptteile: in dem ersten
wird die lautliche Entwickelung des Suftixes -arius in den ver-
schiedenen roman. Sprachen eingehend erörtert; in dem zweiten
E.R. Zimmermann. D. Gesch.d.lat.Suffires -arius i. d.rom. Spr. 167
geschrieben haben, sorgsam zusammengestellt und sachkundig be-
sprochen hat, schweigt er über Bianchi’s Theorie sich vollständig
aus. An zwei Stellen wird allerdings Bianchi’s Name genannt,
aber es handelt sich da um nur nebensächliche Dinge. Mir ist
dieses Verfahren einfach unbegreiflich. Mag sein, dass der Verf.
mit Bianchi’s Anschauung sich nicht zu befreunden vermocht hat,
dass sie ihm als phantastisch erschienen ist —, aber besprechen
musste er sie doch jedenfalls, um so mehr, als sie, mag man sonst
über sie urteilen, wie man will, durch die interessante Beobachtung
Kluge's bezüglich der Declination der got. Subst. auf -areis ge-
stützt wird. Dem Verf. scheint freilich Kluge’s kleiner, aber
wichtiger Aufsatz (Zischr. f. roman. Phil. XVII 561) nicht bekannt
geworden zu sein; er hätte ihn sonst auf S. 29 sicherlich erwähnt.
Durch die Nichtberücksichtigung der Hypothese Bianchi’s ist in
den ersten Teil der Zimmermann’schen Arbeit eine Lücke hinein-
gebracht worden, die schwer empfunden wird. Möchte sie der Verf.
doch dadurch ausfüllen, dass er bald einmal bei passender Gelegen-
heit die Besprechung der Aufstellungen Bianchi’s nachholt! Der
Verf. ist ein viel zu gründlicher Forscher auf dem Gebiete der
-arius-Frage, als dass man auf sein wohlerwogenes Urteil über
Bianchi’s Hypothese verzichten möchte.
Der zweite Teil der Arbeit hat mir weniger, als der erste,
gefallen wollen. Ich erkenne sehr gern den Fleiss an, den der
Verf. auf seine Aufstellungen verwandt hat, aber es scheint mir,
als ob die Durcharbeitung des Stoffes zu wünschen übrig lasse.
Wollte der Verf. die Zusammensetzung von -ärius mit anderen
Suffixen besprechen, so durften Angaben, bezw. Untersuchungen
über die verhältnismässige Häufigkeit der betr. Wortbildungen und
über die Zeit ihres ersten Auftretens in den Einzelsprachen nicht
fehlen. Was über die Bedeutung des Suffixes gesagt wird (p. 73 ff.),
halte ich für sehr unzureichend, die dabei zu Grunde gelegte Ein-
teilung aber für verfehlt. Der Verf. unterscheidet nämlich ein
-arius adjectivus, ein -arius medialis oder anceps und ein -arius
verbalis, ist aber unvermögend, eine jede dieser drei Klassen von
den beiden anderen abzugrenzen. Er hätte ganz anders vorgehen
sollen. Diez und Meyer-Lübke oder auch Brugmann (im Grundriss
der vergl. Gramm. der idg. Sprachen) konnten ihm die Wege weisen.
Wozu aber vollends in aller Welt die unglickseligen lateinischen
Benennungen ? Ist denn die deutsche Sprache so arm, dass man mit
ihren Mitteln nicht einmal einige Kunstausdrücke schaffen kann?
Der Verf. treibt übrigens auch sunst Missbrauch mit dem Latein,
wendet er doch gelegentlich sogar lateinische Kapitelüberschriften
an (S. 51 -arius cum aliis suffixis, S. 58 alia suftixa cum ario)!
Das ist doch so geschmacklos, wie möglich.
Edmond Huguet. Étude sur la Syntaxe de Rabelais etc. 169
blieb es, dass jene Forschungen sich beim Sammeln, Aufzeichnen
and Anordnen der einzelnen Erscheinungen vielfach ins Kleine ver-
loren. Der letzte Absatz jenes Kollektivreferats!) hub daher an:
„Am Ende spreche ich den Wunsch aus, dass ein verständnisvoller
Sachkenner einmal den gesamten Stoff der Rabelais’schen Grammatik
eingehend und lichtvoll geordnet vorführe.“ Dass dieses desiderium
durch Edmond Huguet’s Étude des Epithetons pium entlastet werde,
dünkt mir kein ganz billiges Verlangen; allerdings scheint es der
Haupttitel zu verheissen, aber dessen einschränkenden Nachsatz
sollte doch niemand vergessen, wenn er gerecht heissen will; Meyer-
Lübke und Schneegans haben es jedoch gethan, und deshalb erhält
man bei ihnen, vor allem bei Schneegans, von Huguet's Unter-
nehmen nur den Eindruck eines vollständigen Fiaskos. Indem ich
also Meyer-Lübke’s grundsätzlichen Einwänden durchaus nicht ent-
gegentrete, Schneegaus’ umsichtige Korrekturen und Ergänzungen
sogar freudig bewillkommne, vermag ich beider Auftreten keines-
wegs zu unterschreiben, sondern bitte, den von mir heute erstatteten
Bericht als Partner zu jenen beiden aufzunehmen. Vorausschicken
will ich dabei noch, dass ich bei dem principiellen Tadel, den die
beiden Recensenten Huguet’s unhistorischer Ansicht von der Aus-
schlag gebenden ,Regelmässigkeit‘ der Gegenwart widerfahren lassen,
und in ähnlichen Fällen natürlich unbedingt an ihrer Seite stehe.
Ich streiche hier wie im Folgenden überhaupt alle Zahlen- und
sonstigen näheren Angaben, die man bei meinen beiden Vorgängern
schon findet, aus meinem ursprünglichen Manuskripte, da derartige
Wiederholung doch überflüssig ist, und verweise dafür nachdrücklich
auf die sehr wertvollen Glossen jener.
Will man vor allem die Fortschritte hervorheben, so muss
man zunächst die Ausdehnung auf die Gesamtheit der syntaktischen
Erscheinungen betonen. Allerdings ist diese nicht genügend und
besonders nicht gleichmässig durchgeführt. Die bisherigen Studien
griffen nur ein Kapitel oder wenige angrenzende heraus, und zwar
mit Vorliebe Adjektiv, Pronomen, Numerale, und erledigten diesen
Vorwurf im Hinblick auf den Promotionszweck mit löblichem
Sammeleifer, der aber meist über statistische Listen, teilweise sogar
ergänzungsbedürftige, nicht hinausgelangte. Die zusammengescharrten
Beispiele unter grössere Rubriken zu ordnen, generalisierende
Gesichtspunkte aufzustellen und das Ganze in einen historischen
1) Dass Schneegans es in seinem genannten \Verke bei bestimmter
Gelegenheit nicht erwähnt: hat, monierte ich a. a. O.: in dem Rückblick
auf Huguet’s Vorarbeiten, der seine Kritik einleitet, hätte er meine be-
queme Uebersicht notieren dürfen, die wobl auch Meyer- Lübke augen-
blicklich nicht im Gedächtnis hatte, ebenso Huguet.
Edmond Huguet. Etude sur la Syntaxe de Rabelais etc. 171
weichung nicht in erster Linie hier liegt. Satzbau, Kongruenz der
Redeteile und ‘ähnliches machen den Gegensatz der Ausdrucksweise
des gewaltigen Satirikers zu dem modernen auf dem siècle de
Louis XIV. fussenden Stile weit prägnanter und müssen darum im
Vordergrunde stehen. Diejenigen Litteraturprodukte, die vergleichs-
halber ausgezogen wurden, sind: Les Cent Nouvelles Nouvelles, L’ Hystoire
et plaisante Cronique du petit Jehan de Saintré et de la jeune Dame
des Belles Cousines, die Mémoires des Philipp de Commynes, Le
Romant de Jehan de Paris, J. le Maire de Belges ZüUlustrations de
Gaule et Singularitez de Troye, Calvin’s Institution de la Religion
chrétienne, der Königin Margaretha !’Heptameron, Bonaventure des
Periers’ Werke samt denen des Noël du Fail, Blaise de Monluc’s
Commentaires. Der Kenner der französischen Prosa im Reformations-
zeitalter wird diese Auswahl durchaus billigen.
Die obbezeichneten Schranken zu ziehen, war für den Ver-
fasser nicht blos ein Gebot der Notwendigkeit, wenn er seine
Forschungen in absehbarer Zeit und auf einem vorbestimmten
Raume zu Ende führen wollte, sondern auch eins praktischer Klug-
heit. Fortlaufender Einschub altfranzösischer Parallelen sowie
solcher aus dem Boden des Klassicismus und des modernsten Ge-
brauchs, wie man erwarten sollte, hätte ja gewiss dem vergleichenden
Zweige der Wissenschaft eher zur Freude gereicht, aber die Be-
nutzung für die starke Mehrheit der Fachleute erschwert. Üeber-
sichtlichkeit ist fast überall zu loben, die dann durch die allerseits
glänzende Ausstattung — Hachette kann sehr vielen deutschen
Verlegern philologischer Bücher darin ein Muster sein — ins-
besondere das vorzügliche typographische Arrangement in Absatz
und Letternwechsel kräftig unterstützt wird. Die Redeteile selbst
bilden die Grundlage der Disposition, und so ist’s besser als künst-
lich Motive der sog. philosophischen Grammatik aufzupfropfen.
Namentlich auf die letzten drei Abschnitte sei noch hingewiesen:
De laccord et de la syllepse, De l'ordre des mots, De la construction
de la phrase. Sie liefern nämlich auch dem Litterarhistoriker,
Sprachphilosophen und Ästhetiker eine Menge Material; auch
Schneegans würde bei Ausarbeitung des Kapitels Der Stil Rabelais
in seinem gediegenen genannten Werke S. 248—270, bes. S. 258 ff.,
diese Erörterungen gewiss mit Vorteil verwertet haben. Die stil-
zergliedernde Methode erhält hier einen neuen Beitrag. Für
Rabelais stellt sich Wichtiges heraus. Er, der Meister der
Neologismen und lexikalische Autokrat!), trifft in der Syntax,
ebenso in archaisierendem uud latinisierendem Streben, wesentlich
1) Vgl. meine Anzeige von Klett's einschlägigen Beiträgen, Literatur-
blatt f. germ. u. rom. Philol. XIII Sp. 92.
G. Erzgraeber. Elemente d. histor. Laut- u. Formenlehre i. Fre. 173
die Litteraturgeschichte dankbar einstreicht. Huguet hat ja einen
ausserordentlichen Eifer an den Tag gelegt. Hätte er aber jenem
weiteren Ziele zugestrebt, dann würde er sich seinem Pariser
Promotionsgenossen P. Besson!) würdig zugesellen, der für Rabelais’
grössten und verwandtesten Nachahmer, Joh. Fischart, grammatische
Fixa aufstöberte, an die?) anknüpfend Anton Englert?) geschickt
Kriterien abstrahierte, um anonyme Drucke, die sonst dazu passen,
dem Strassburger Satiriker zuzuweisen. Dass Huguet’s Boden
litterarhistorisch sicher ist, beruht wohl mit darauf, dass für die
bezügliche Erkenntnis Rabelais’ die zwei feinsten Specialisten
Frankreichs, J. Fleury und P. Stapfer, seine Gewährsmänner und
Leiter sind.
MÜNCHEN. LUDWIG FRÄNKEL.
Erzgraeber, G. Elemente der historischen Laut- und Formenlehre des
Hranzössschen. Berlin 1895. R. Gaertners Verlagsbuchhandlung.
IV, 528. 8°.
Das vorliegende Büchlein verdankt. wie Vf. im Vorwort bemerkt,
einem Bedürfnis der Schulpraxis seine Entstehung: „Wir wollen dem
Schüler ein Verständnis dafür beibringen, was es heisst, wenn man die
französische Sprache eine Tochter der lateinischen nennt. Wir wollen
dem Schüler die Gesetze lehren, nach denen das Französische seine Wörter
aus der lateinischen Grundform gebildet hat, oder richtiger, wir wollen
ihn die Gesetzmässigkeit in den Veränderungen erkennen lassen, welchen
das Latein im Munde der Bevölkerung Frankreichs und im Laufe der
Zeit sich hat unterwerfen müssen. Wir wollen dem Schüler ferner zeigen,
wie weit einerseits die französische Flexion sich unmittelbar an das
Lateinische anschliesst, wie weit sie andrerseits ihren eigenen Weg ge-
gangen ist, und durch welche Analogien sie sich ctwa auf diesem Wege
hat leiten lassen.“ Die hierin ausgesprochene Tendenz verdient um so
mehr unsere volle Anerkennung, als heute eine starke Strömung dahin zu
gehen scheint, dem französischen Unterricht an unseren Schulen rein
praktische Ziele zu stecken. Leider können wir mit der Art und Weise,
wie Vf. sein Vorhaben zur Ausführung gebracht hat. nicht in gleichem
Masse uns einverstanden erklären. „Kollegen und Studenten“ hofft E.
mit seiner Arbeit einen Dienst zu erweisen. Es ist das wohl nicht dahin
za verstehen, dass dieselben aus seinem Büchlein die Elemente der
historischen Laut- und Formenlehre des Französischen erst erlernen sollen,
sondern dahin, dass Vf. ihnen Belehrung darüber geben will, welche
Thatsachen der Laut- und Formenlehre im Schulunterricht zur Behandlung
kommen sollen. Es liegt auf der Hand, dass in einem derartigen Com-
pendium nur die allerwichtigsten und absolut feststehenden Ergebnisse
der Forschung zur Darstellung gebracht werden können und demnach für
1) Étude sur Jean Fischart. Paris, Hachette, 1889.
2) Und an Vilnar, Zur Literatur Fischarts, 1865, für das Biblio-
graphische.
Zur Fischartbibliographie: Alemannia. XIX. 111—132.
K. À. Martin Hartmann. D. Anschauung i. neusprachl. Unterr. 175
Das Angeführte mag genügen, um zu zeigen, dass Vf. sich mit den
Ergebnissen der historischen Grammatik nicht hinreichend vertraut zeigt.
Es ist das nicht der einzige Einwand, der gegen die Verwendbar-
keit seines Buches in der vorliegenden Fassung zu erheben ist. Da es
nicht sowohl darauf ankommen kann, den Schüler mit zahlreichen Einzel-
heiten der historischen Grammatik bekannt zu machen, als vielmehr darauf,
ihm einen Einblick in den Organismus und den Entwickelungsgang einer
Sprache im allgemeinen zu gewähren, so musaste sich Verfasser grösst-
möglicher Schärfe und Klarheit in der Formulierung der Lautregeln be-
fleissigen. Wie soll aber der Schüler von dem Leben der Sprache eine
richtige Vorstellung gewinnen, wenn ihm (S. 16) gesagt wird: „Diesem
Gesetz [dem Gesetz, wonach .in lateinischen Proparoxytonis der mittlere
Vokal fällt‘) zuliebe hat das Neufranzösische die altfranz. Wörter (Fremd-
wörter) angele, imagene, virgene durch Abwerfung der Schlusssilbe in ange,
image, vierge verwandelt‘, oder wenn ihm vorgetragen wird (8. 17):
„3, Z wurden altfranz. t3, d? gesprochen“ oder (8. 22) „s vor Konsonanten
schwindet, meist mit Hinterlassung eines Accents auf dem vorher-
gehenden Vukal‘ ?
D. BEHRENS.
Hartmann, K. A. Martin. Die Anschauung im neusprachlichen Unter-
richt. Vortrag, gehalten am 16. April 1895 auf der Jahres-
versammlung des sächsischen Gymnasiallehrervereins zu Chemnitz.
Wien, Verlag von Ed. Hölzel. 1895.
Immer nachdrücklicher wird in neuerer Zeit auf die Wichtigkeit
des Gebrauchs von Anschauungsbildern im neusprachlichen Unterricht hin-
ewiesen. Seit Rossmann und Schmidt in ihrem Lehrbuch der französischen
prache auf Grundlage der Anschauung die aclıt Hölzel’schen Bilder ver-
wertet haben, ist eine Reihe von weiteren Bearbeitungen dieser Bilder
erschienen, die dem Lehrer zeigen wollen, wie dieselben im englischen
und französischen Unterricht zu behandeln seien. Es ist wünschenswert,
dass jeder Neusprachler zu der Frage, inwieweit der fremdsprachliche
Unterricht auf Anschauung gegründet werden kann, Stellung nimmt.
Die vorliegende Schrift unterrichtet in klarer und trefflicher Weise über
den Gegenstand und ist der Beachtung der Lehrer der neueren Sprachen
dringend zu empfehlen. Die Wichtigkeit des Gegenstandes rechtfertigt
wohl ein genaueres Eingehen auf den Inhalt der Abhandlung.
Nach einem kurzen Rückblick auf die Entwickelung des neusprach-
lichen Unterrichts innerhalb der letzten fünfzehn Jahre, eine Entwickelung,
auf welche besonders die Verbreitung der Herbart'schen Pädagogik, die
zu strengerer Prüfung der psychologischen Grundlagen des Unterrichts
nötigte, und das Aufblühen der lautphysiologischen Wissenschaft von
Einfluss waren, bezeichnet der Verfasser die beiden Methoden, die
sich der alten einseitig grammatischen Lehrweise gegenüberstellen, als
Lesebuchmethode und Anschauungsmethode und verbreitet sich nun über
Wesen und Bedeutung der letzteren. Sie hat nicht von Anfang an auf
dem Programm der Reform gestanden. Quousque tandem berührt sie nur
flüchtig und kann sich nicht dafür erwärmen. Seitdem hat sie aber mehr
und mehr Anhänger gefunden. Sie strebt dahin, die Aneignung der
fremden Sprache durch das sinnfällige Mittel der Anschauang kräftig zu
unterstützen und zugleich eine geeignete Grundlage für Sprechübungen
zu schaffen. Die unmittelbare Anschauung, von der zunächst die Rede
Hand-Ausgabe von Hölzels Wandbildern etc. 179
etwa, ausser geographischen Wandkarten, Städteplänen und -Bildern, ge-
schichtliche und kulturgeschichtliche Bilder gute Dienste leisten.
Endlich ist noch auf zwei wichtige Punkte hingewiesen: Die neue
Methode stellt erhöhte Anforderungen an die Leistungsfähigkeit des
Lehrers. Möglichste Beherrschung der Sprache, sowie sorgfältigste Vor-
bereitung auf die einzelne Stunde ist bei dem Lehrer, der nach dieser
Methode unterrichtet, unbedingt notwendig, wenn günstige Erfolge erzielt
werden sollen. Auch nimmt die Korrektur der freien Ausarbeitungen
natürlich ungleich mehr Zeit in Anspruch als die der thèmes. Daraus
ergeben sich zwei Forderungen. 1. Den Neusprachlern müsste seitens der
Behörde oder des Staates die Möglichkeit geboten werden, sich die er-
forderliche praktische Kenntnis der Sprache anzueignen. Die kürzlich in
Preussen ins Leben gerufene Einrichtung von Ferienkursen und die Ver-
leihung von Reisestipendien ist ja als ein Schritt auf diesem Wege zu
bezeichnen. Doch müsste in dieser Beziehung noch mehr geschehen.
Unerwähnt lässt der Verfasser, dass es auch Sache des Universitätsunter-
richts wäre, in grösserem Umfange als bisher neben den rein wissen-
schaftlichen Zielen die praktischen Bedürfnisse der künftigen neu-
philologischen Lehrer zu berücksichtigen. 2. Eine Verminderung der
Pflichtstundenzahl wäre erwünscht. Ein ordentlich erteilter Unterricht
kostet viel Kraft und Zeit, und doch muss auch noch Zeit zur wissen-
schaftlichen und pädagogischen Weiterbildung bleiben. Der Verf. schliesst
mit den Worten: „Hoffen wir, dass namentlich die neuphilologische
Lehrerschaft Deutschlands durch intensive Arbeit im Dienste der neuen
Aufgaben, vor denen sie jetzt steht, recht bald das Bedürfnis nach einer
Herabsetzung der Pflichtstundenzahl allgemein empfindet und zum Aus-
drucke bringt.‘
Auf Grund der in der Hartmann’schen Abhandlung niedergelegten
theoretischen Erwägungen und an der Hand der verschiedenen praktischen
Anleitungen zum Gebrauch der Anschauungsbilder im französischen und
englischen Unterricht werden hoffentlich immer mehr Lehrer sich bewogen
fühlen, mit der Methode einen Versuch zu machen. Wünschen wir, dass
der Hauch frischer Begeisterung, der das Schriftchen durchweht, den
darin entwickelten Ideen mehr und melır Anhänger zuführen möge.
LEIPZIG. OÖ. MIELCK.
Hand-Ausgabe von Hôlzels Wandbildern f. d. Anschauungs-
und Sprach- Unterricht. Inhalt: Frühling, Sommer, Herbst,
Winter, Bauernhof, Gebirge, Wald, Stadt. Wien. Ed. Hölzel.
Preis 1.40 M.
Die Veröffentlichung dieser Hand-Ausgabe der acht Hölzel’schen
Bilder entspricht einem entschiedenen Bedürfnis. Denn es ist wünschens-
wert, dass die Schüler den im Unterricht behandelten Anschauungsstoff
zu Hause noch einmal überblicken künnen; überdies sind viele Einzel-
heiten auf den grossen Wandbildern für entfernt sitzende Schüler nicht gut
erkennbar. Die Bilder sind in Farbendruck und im Massstabe 19:29 cm
hergestellt und sind auch einzeln zum Preise von je 18 Pf. zu haben.
Von den kleinen nicht farbigen Nachbildungen, die in verschiedenen
Büchern über die Hölzel’schen Bilder zu finden sind, unterscheiden sie
sich vorteilhaft, weil alle Einzelheiten fast ebenso deutlich zu erkennen
sind, wie auf den grossen Wandbildern. Die Hand-Ausgabe wird überall,
wo die Bilder in Unterricht verwendet werden, willkommen sein.
0. MIELCK.
12*
Rudolf Taæpffer. Nouvelles genevoises. 181
ordentliche Grammatik nicht ersetzen. Die Einteilung und Benennung
der Fürwörter ist ctwas eigentümlich und weicht von der herkömmlichen
in unseren (Irammatiken ab, lässt sich indes verteidigen. In dem Kapitel
Ds pronom sind überhaupt nur Pronoms personnels aufgeführt; die 1
davor ist zu streichen, weil weitere Unterabteilungen nicht vorhanden
sind. Das nächste Kapitel umiasst die Pronomina, die zugleich ad-
jektivische Funktion haben können, unter der Ucherschrift: Adjectifs
determinatifs (zum Unterschied von Adjectifs qualificatifs) et pronoms, mit
vier Unterabteilungen. Nicht in diese letzteren fügen sich die Pronoms
relatifs, die rein pronominaler Natur, und die Adjectifs numéraux, die
adjektivischer Natur sind; deshalb sind wohl die Ueberschriften zu beiden
schwächer und kursiv gedruckt. — Die leider sehr zahlreichen, über das
ganze Buch verbreiteten Druckfehler sind in einem übrigens nicht ganz
vollstandigen Drackfehlerverzeichnis am Ende des Bandes aufgeführt.
— Allc Lehrer, die Anschauungsunterricht nach Hölzel’s Bildern erteilen,
werden sich der Conversations françaises mit Vorteil bedienen. Sollten
die Verfasser sich bei einer neuen Auflage, in der sicher auch die Druck-
fehler ausgemerzt werden, zu einer Vereinfachung des Stiles und der
Darstellung in dem oben angedeuteten Sinne entschliessen können, 80
würde das jedenfalls noch zur Verbreitung des nützlichen Werkes bei-
tragen. Sollte sich nicht auch die Beifügung eines alphabetischen Wörter-
buches empfehlen ?
OÖ. MIELCK.
Nouvelles genevoises par Rudolf Tepffer. Für den Schulgebrauch
bearbeitet von Dr. F. Kalepky. Mit Wörterbuch. Dresden,
Verlag von Gerhard Kühtmann. 1894. 1218. 8°. (Bibliothèque
française Bd. 58).
Der Herausgeber hat die vier Erzählungen: Le Col d’Anterne, le
Lac de Gers, la Vallée de Trient und La Peur aus den Genfer Novellen
ausgewählt und mit seiner sehr sorgsamen, soweit ich sehe von Druck-
fehlern ganz freien Ausgabe, die französische Schullektüre um einen Band
bereichert, deın hoffentlich die allseitige Beachtung, die er verdient. nicht
fehlen wird. Die Anmerkungen bieten das Erforderliche an sachlichen
und sprachlichen Erklärungen und, wenn ich auch hier über die inne-
zubaltende Grenze zuweilen anderer Ansicht bin als der Herausgeber,
einiges vermisse, anderes für überflüssig halte, so bin ich mir wohl be-
wusst, dass, wenn man überhaupt die Zugabe von Anmerkungen billigt,
man nicht annehmen darf, es werde sich in diesem Punkte ein allerseits
befriedigendes Mass finden lassen. Mit dieser Einschränkung wolle der
Herausgeber meine diesbezüglichen Bemerkungen aufnehmen; vielleicht
dass er doch in «diesem oder jenem Punkte mir zustimmen kann. Am
Schlusse findet sich, wie in allen Bänden der in dem Kühtmann'schen
Verlage erscheinenden Bibliothèque française, ein Questionnaire und be-
sonders geheftet ein Wörterbuch, zwei Zugaben, die vielleicht die Mühe,
die ihre Anfertigung erfordert, nicht aufwiesen. Ein Spezialwörterbuch
kann auf dem ihm knapp zusemessenen Raum entweder nur die üblichste
oder die an einer bestimmten Stelle gerade passende Bedeutung geben,
und da kann es nicht fehlen, dass es fehlerhafte Ucbersetzungen oder,
was nuch schlimmer ist, eine falsche Vorstellung von der Grundbedentung
Dr. W. Kasten. Naturwissenschaftliche Abhandlungen. 185
nar nach der ästhetischen Seite hin, auch vom sprachlichen Standpunkte
aus ist D'Hérisson wohl kaum zu überschätzen. Das Buch bebt nur so
vom Pulsschlage der Zeit. Die Wendungen sind echt modern, Konkreta
und Abstrakta in glücklichster Legierung. Da ist alles echt französisch,
Gedanke, Form und Empfindung, nur dass die lauterste Vaterlandsliebe
an die Stelle des gassenhauerischen Chauvinismus tritt. Da bekommt
der Schüler unverfälscht französischen Sprachgeist zum empfinden. Ich
sage absichtlich nicht zum „begreifen“; denn ich gehöre zu den Reformern,
welche der Schüler durch die schüchternste Nachempfindung des Sprach-
geistes befriedigen kann. Die Schwierigkeiten des hier gebotenen Lektür-
stoffs sind nur scheinbar. Keine schwierigen Satz- oder Gedanken-
konstruktionen sind hier zu überwinden. Nur die Vorliebe des Verfassers
für konkreten plastischen Ausdruck mag dem Schüler anfangs ungewöhnt
vorkommen. Ich meine, jeder einsichtige Lehrer wird heutzutage ein
solches Hindernis mit Freuden nehmen. Giebt es ihm doch Anlass, im
Wortschatze des Schülers die klaffenden Lücken auszufüllen, welche eine
uns immer noch ein bisschen im Fleische sitzende Sucht nach dem Ab-
strakten gelassen hat.
Die meisten Kapitel sind ein in sich vortrefflich abgerundetes
Ganzes.
Im Texte habe ich nur zwei Druckfehler bemerkt: p. 72,16 lies
des paniers statt de; p. 87.36 lies en avant für ne.
In der angeführten Karte von Paris könnte gar manches weg-
gelassen sein, was nur für Vergnügungsreisende Wert hat.
In der zielbewussten Betonung der sog. Realien bleibt der Heraus-
geber mit seinen Anmerkungen nicht hinter der mit dem offiziellen Amts-
siegel versehenen Moderichtung zurück. Aber der deutsche Stil! Bei
Gott, das schmeckt nach Notizbuch und Urkonzept! Darf man denn
unser angestammtes Deutsch so malträtieren? Das ist an dem sonst
reizenden Buche ein hässlicher Flecken, den der Herr Herausgeber wohl
nicht bis in die nächste Auflage durchschlagen lassen wird.
LUDWIGSHAFEN A. RH. ERNST DANNHEISSER.
Naturwissenschaftliche Abhandlungen (Traités d’ Atmospherologie)
der Revue des Deux Mondes im Auszuge entnommen und für
den Schulgebrauch erklärt von Dr. W. Kasten. Berlin 1894.
[Schulbibliothek franz. u. engl. Prosaschriften, herausgeg. von
Bahlsen u. Hengesbach).
Das vorliegende Bändchen der Schwlbibliothek enthält drei Ab-
handluugen naturwissenschaftlichen Inhalts: 1. L’air et la vie, par Henry
de Varigny. 2. Les ballons et la navigation aérienne. D'après
publications de J. Jamin et J. Fleury. 3. Les aurores boréales. Par
Antoine de Saporta. In der ersten Abhandlung werden die Haupt-
bestandteile der Luft, Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure besprochen;
dann wird die Bedeutung der atmosphärischen Luft für das Leben der
organischen Wesen klar gemacht sowie der Einfluss des Luftdrucks auf
Menschen und Tiere und schliesslich auf die Rolle hingewiesen, welche
der Wasserdampf und verschiedene kleine feste Körper (wie Ueberreste
kleiner Tiere und Pflanzen, Mikroben und mannigfache unorganische Stoffe)
in der Luft spielen. Die ganze Natur ist im Grunde genommen nichts
anderes als verdichtete Luft, welche sich fortwährend verwandelt und von
Dr. W. Kasten. Naturwissenschaftliche Abhandlungen. 187
Bahlsen und Hengesbach gehört in dieser Beziehung sicherlich zu den
besten Schulausgaben. Der Herausgeber des besprochenen Bändchens,
Dr. Kasten, hat es sich angelegen sein lassen, das Verständnis des Textes
nach der inhaltlichen wie auch der formellen Seite durch genaue An-
merkungen zu erleichtern, zu denen ich nur folgendes hinzufügen möchte:
S. 2 Anm. 4 könnte vielleicht noch bemerkt werden, dass Boussingault
1887 gestorben ist. S. 5 Zeile 22 hätte wohl noch eine Anmerkung
zu Pettenkofer zugefügt werden können.
S. 13 Anm. 8 ist falsch übersetzt. Es muss heissen: „So entzieht
bei der alkoholischen Gährung der Zuckerstoffe der Mikrobe (nämlich der
Hefenpilz) dem Zncker einen Teil des Sauerstoffs, aus dem er besteht,
nnd zersetzt ihn dadurch in zwei Teile, nämlich in Kohlensäure, welche
sich verflüchtigt, und in Alkohol.“
Der Zersetzungsprozess lässt sich durch folgende chemische Formel
ausdrücken:
Ce His Os = 2 | C, o|+ 2C0,
Zucker. Alkohol. Kohlensäure.
S. 15 Anm. 4 ist die wörtliche Erklärung der Redensart „au
premier chef“ — gegen das erste Haupt unverständlich,
S. 20 2. 8 ist wohl besser zu übersetzen: „dass ich fast aus dem
Sattel zur Erde sank“.
S. 32 Anm. 2: jauger heisst nicht verdrängen, sondern ent-
halten. |
Ein Druckfehler ist mir S. 5 Z. 11 aufgefallen, wo es con-
siderables heissen muss, und S. 20 Anm. 7, wo zu lesen ist: „Störungen
des Blutumlaufs und der Nerventhätigkeit“.
Das Register am Ende des Buches enthält ein vollständiges Ver-
zeichnis der im Texte vorkommenden Namen mit Hinweis auf die be-
treffende Seite und Zeile.
Es ist an und für sich gewiss ein glücklicher Gedanke, unseren
Schülern einmal einige Proben aus der Revue des Deux Mondes zu bieten,
welche sich durch mustergiltige Sprache und interessante Aufsätze aus-
zeichnet, und es entspricht auch den Forderungen der neuen preussischen
Lehrpläne, dass der Schüler nicht nur Stoffe geschichtlichen Inhalts,
sondern auch Aufsätze über Fragen aus anderen Gebieten des mensch-
lichen Wissens liest, namentlich Abhandlungen aus dem Gebiete der
Naturwissenschaft, deren Studium in moderner Zeit so grosse Triumphe
gefeiert hat. Freilich setzt eine solche Lektüre voraus, dass der Schüler
schon einigermassen mit den Elementen der Physik und der Chemie ver-
traut sei; es wird daher das vorliegende Buch sich nur für die Prima
einer Realanstalt eignen.
Eine andere Bedingung ist, dass auch der Lehrer, welcher diesen
Stoff behandeln will, den Naturwissenschaften nicht ganz fremd gegenüber-
steht. Aber ausserdem fürchte ich, dass die Lektüre der drei besprochenen
Abhandlungen hintereinander ermüdend wirkt, da der wissenschaftliche
Stoff an sich sowie die grosse Menge technischer Ansdrücke und Zahlen
das Verständnis nicht immer ganz leicht macht, besonders in einer fremden
Sprache. Das Hauptgewicht bei unserer fremdsprachlichen Lektüre, auch
auf Realanstalten, wird doch immer auf die erzählende Litteratur ge-
legt werden müssen, die allerdings gelegentlich durch andere Stoffe unter-
brochen werden mag, und so dürften aus unserem Büchlein ausgewählte
Paul Schmid. Horace. 189
Der Notenapparat muss, wie aus obigen Ausstellungen ersichtlich,
anders gestaltet werden, wenn er gerechten Anforderungen genügen soll.
Des Hgb. Fleiss soll indessen hiermit gern anerkannt werden.
FREIBURG IM BR. JUSEPH SARRAZIN.
Schmid, Paul. Horace, tragédie par Corneille. Für den Schul-
gebrauch erklärt. Leipzig. Renger, 1893. XXX und 64 S.
Otto E. A. Dickmann, Fransösische und englische Schul-
tbliothek, Reihe B. Poesie. Band XXI.)
Nachdem Professor Dr. P. Schmid im 17. Band dieser Schulbi-
bliothek den Cinna herausgegeben hat, bietet er uns auch eine neue Aus-
gabe des Horace, in der er selbstverständlich die stattliche Zahl der bisher in
Deutschland und Frankreich erschienenen kommentirten Schulausgaben dieses
Dramas gewissenhaft zu Rate gezogen hat. Das Büchlein enthält folgende
einleitende Abschnitte: 1. eine „ iograplusche Einleitung“ (Seite VI—VIII),
2. eine „Einleitung zu Horace“ (S. VIII—XIX), in welcher der Verfasser
die als Quelle des Horace bekannte Stelle aus Livius (Buch I, c. 23—26)
in der Uebersetzung mitteilt und daran eine Betrachtung über die Art
und Weise, wie Corneille diesen Stoff dichterisch verarbeitet hat, sowie
eine gelungene Charakteristik der Hauptpersonen des Stückes anschliesst ;
3. eine „metrische Einleitung“ (8. XX—XXV) und 4. „Sprachliche Be-
merkungen (3. XXV— XXX). Was der Verfasser im dritten Abschnitte
8. X über das e sourd sagt, kann vom Standpunkte der Phonetik nicht
durchweg als richtig bezeichnet werden. Wenn er z. B. in V. 123 Les
causes, comme à vous, m'en semblent fort obscures und V. 316 Il semble
qu' à ces mots notre discorde expire die Silben ble und tre, obwohl beide
vor einem konsonantisch anlautenden Worte stehen, D und tr’ (also mit
verstummtem e) lesen will, so befindet er sich im Widerspruch mit der
Regel, die er gleich darauf selbst aufstellt und die folgendermassen lautet:
„Das e ist mehr oder weniger mit dem dumpfen ö-Laute hörbar in den ein-
silbigen Wörtern Je, me, te etc., ferner nach muta cum liquida und wenn
die Natur des folgenden Konsonanten eine deutliche Aussprache des e nötig
macht“. Uebrigens befriedigt uns diese Regel nicht ganz, denn abgesehen
davon, dass die Unterscheidung zwischen dem unbetonten e in einsilbigen
und dem in mehrsilbigen Wörtern nicht wissenschaftlich ist, soll es richtiger
statt „nach muta cum liquida® heissen „nach jeder zusammengesetzten
Konsonanz vor folgender Konsonanz“. Was die sprachlichen Bemerkungen
anlangt, so ist dem Referenten die Bemerkung auf S. XXVI: „Pleonastisch
steht en V. 829 J’en espère beaucoup, puisqu’ il est differe‘ aufgefallen,
da sich dieses en sehr leicht auf das im vorhergehenden Verse stehende
Les Dieux beziehen lässt. (Sieh die Ausgabe des Horace von W. Wagner
im Théâtre français publié par Schütz, Velhagen & Klasing, Bielefeld und
Leipzig, 1879, S. 49). Ferner hätte der Verfasser auf S. XXVII zu den
Beispielen, in denen de statt des heutigen à vor dem Infinitiv vorliegt,
auch V. 129 Essayes sur ce point à le faire parler als ein Beispiel für
den entgegengesetzten Fall erwähnen sollen. Zu dem auf S. XXVIII
gegebenen Verzeichnisse der lexikalischen Eigenheiten Corneilles und seiner
Zeit möchte der Referent bemerken, dass er der alphabetischen Aufzählung
der hieher gehörigen Ausdrücke eine Scheidung der Ausdrücke, die bei
Corneille noch die altfranzösische Bedeutung hatten, wie z. B. change —
changement, étonnement —= stupeur, heur — bonheur, von bewussten La-
Bibliothèque française. 191
Dorf beschäftigt, am nächsten Morgen soll der Abstieg erfolgen. In der
Nacht aber hat sich ein heftiger Schneesturm eingestellt, infolgedessen
François genötigt ist, zuerst seine Herde eiligst hinabzutreiben, um sodann
seinen Vater und sein Sühnchen, denen er eine Ziege zurücklässt, auch
zu holen. Das letzte aber gelingt ihm nicht, da die Schneemassen stetig
zugenommen haben. So müssen denn die beiden mit ihrer Ziege über drei
Monate lang in der Hütte ausharren, abgeschlossen von jeder Verbindung
mit der Aussenwelt und bis an die Schornsteinspitze im Schnee vergraben.
Mit genauer Not fristen der Enkel und die Ziege ihr Leben, der Gross-
vater indess siecht kurz vor der erfolgenden Rettung an Altersschwäche
dahin. In höchst anschaulicher Weise lässt der Verfasser den Jungen in
Tagebuchform erzählen,. welche Entbehrungen und Schwierigkeiten die
Unglücklichen in ihrem unerwarteten Gefängnis zu überwinden hatten.
Jeder wird das Bändchen mit Spannung lesen, wenn auch die „geistig-
erziehliche Bedeutung des Inhalts‘ (Münch, Zur Förderung etc. 2. Aufl.
S. 69) zu wünschen lässt. Mit den Kürzungen des Hrsg. kann man sich
einverstanden erklären. Bezüglich der Behandlung des Textes, der An-
merkungen, der Fragen und des Wörterbuchs verfährt Lion ebenso wie in
den anderen von ihm herausgegebenen Bändchen dieser Serie, von denen
ich einige in dieser Zeitschrift (Band XV, Heft 2, S. 192 £.) besprochen habe.
Der Kürze halber verweise ich auf meine dortigen auch für dieses Bändchen
zutreffenden Ausführungen. Zu dem Druckfehlerverzeichniss auf S. IV
füge man noch hinzu: S. 37, Z. 17 mérité statt merite; S. 81, 2. 16:
le malade statt la malade, S. 144, Frage 30: Qu'est-ce statt Ou'est-ce.
Madame de Pressense's Maison blanche ist als leicht verdauliche
Schullektüre ebenfalls nicht ungeeignet; der Inhalt passt: sich dem Gemüte
des jugendlichen Lesers insofern gut an, als darin in der Hauptsache der
Entwickelungsgang einiger eine Pariser Privatlehranstalt besuchenden Pro-
vinzialen unter Einflechtung von allerhand interessanten Details geschildert
wird. Jedoch scheint mir die Erzählung, die trotz starker Kürzungen
noch 160 Seiten Text umfasst, ihrer etwas moralisierenden Durchführung
nach in erster Linie für Mädchenschulen zu passen. Der Stil ist gewandt,
die sprachlichen Schwierigkeiten nicht bedeutend. Die Ausgabe ist nach
dem Plane des erstgenannten Bändchens durchgeführt, weshalb auch
hierfür auf meine oben angezogene Besprechung in Bd. XV dieser Zeit-
schrift verwiesen wird. Folgende Druckfehler sind dem Verzeichnis auf
S. IV noch anzufügen: S. 24, Z. 13 ist que hinter pensa zu ergänzen;
S, 36, Z. 22: peu statt peut; S. 58,1: description statt discription.
QUEDLINBURG. R. KRON.
Miszellen. 193
1870, hat Villatte nur kleinere litterarische Arbeiten für Schulzwecke ge-
wagt, ausserdem das interessante Experiment, Schillers , Wallenstein“ in
französische Jamben zu übersetzen. Zum französisch-deutschen Teile des
seit 1869 erscheinenden klassischen Werkes lieferte er zahllose Beiträge
aus der Umg sprache; den zweiten dagegen, den deutsch-französischen,
dessen Ur-Handschrift der Verfasser, Professor Karl Sachs in Branden-
burg, aus äusserlichen Ursachen sechs Jahre lang liegen lassen musste,
hat er fast allein zu verantworten: zunächst fügte er die mittlerweile
aufgehäuften schier unendlichen Manuskript-Nachträge ein und redigierte
das Ganze gleichmässig durch, allmählich griff er selbständig ein, von
seiner noch lebenden Gattin unterstützt, die das druckfertige Manuskript,
nachdem sie die gleichsam als Bausteinchen dienenden Millionen von
Zettelchen geordnet hatte, zum Setzen abschrieb. Sonach schuldet man
für diese H ihm die Hauptsumme der praktischen Brauchbarkeit dieser
wohl für lange unerreichbaren Monumentalleistung. Würdig steht neben
dem grossen Wörterbuche die auf dessen Grundlagen aufgebaute Hand-
und ÖSchul- Ausgabe (86. Aufl. 1895), das weitestverbreitete Hilfsmittel
seiner Gattung in deutschen Landen. Endlich genoss er noch die Freude,
das mit Aufgebot der letzten Kraft des Alters fertiggestellte F'rranzösisch-
deutsche Su ent-Lexikon (Berlin 1894), das beider Männer — es ward
der Ueberschrüt zufolge „unter Mitwirkung von Professor Dr. Césaire
Villatte von Dr. Karl Sachs“ herausgegeben — erstaunliche Lebensarbeit
als würdigor Schlussstein krönte, auf dem Büchermarkt freudig bewill-
kommnet zu sehen: vgl. meine (anonyme) Anzeige Blätter für litterarische
Unterhaltung, 1894, Nr. 23 S. 366b.
Mit dem letztgenannten nah verwandt sind zwei höchst wertvolle
Ergänzungen, die allein aus Villatte's Feder hervorgingen. Erstlich
Purisismen. Wörterbuch des Pariser Argot mit deutscher Uebersetzung.
Ein Supplement zu allen französisch-deutschen Grammatiken und Wörter-
büchern (1881; 4. Aufl. 1894), in dem anderweitigen Nebentitel Alpha-
betisch geordnete Sammlung eigenartiger Pariser Ausdrucksweisen genauer
bestimmt. Es ist ein gründliches Wortverzeichnis der Pariser Mundart
nach ihrer lexikologischen Seite, für dessen älteste Fassung Villatte’s
Vorläufer in der Erfassung und Fixierung des hauptstädtischen Dialekts,
Delvau, Larchey, Rigaud, das Hauptkontingent boten. Die Neuauflagen
zeigten ihn mehr und mehr unabhängig, als er auf anfänglichen eigenen
Lesefrüchten und direkten Mitteilungen vieler Sachkenner fusste. Sodann
der Teil III des Notwörterbuchs der französischen und deutschen Sprache
für Reise, Lektüre und Konversation. Zwar entstammt dies ganze
Werkchen (1884, 4. Aufl. 1894) Villatte’s Feder, aber die beiden ersten
Bändchen, die das auf den Augenblicks- und Tagesbedarf, namentlich des
Reisenden, zugeschnittene eigentliche Dictionnaire enthalten, besitzen
etwas Originelles höchstens in der glatten Wiedergabe des fremdsprach-
lichen Terminus durch ein, blos in seltenen Fällen zwei Schlagwörter.
Diese mit Schärfe verquickte Knappheit zeichnet auch jenes dritte aus,
ein Sachwörterbuch (Land und Leute in Frankreich), das Leben und
Treiben nebst sonstigen Alltagsrealien bei den heutigen Franzosen ge-
drängt, aber fesselnd und verlässlich nach dem Abc geschickt gewählter
Stichwörter (343 Seiten) und in einer dialogisch trefflich durchgeführten
Voyage à Paris (93 Seiten) schildert und zur Auffassung staatlicher wie
kultureller — nicht blos socialer — Verhältnisse vielerlei überraschende,
förderliche Gesichtspunkte beisteuert. Beide, wie alle Veröflentlichungen
Villatte’s in dem unausgesetzt rührigen Langenscheidt’schen Reform-
verlage erschienen und dessen wohlerwogenen durch Jahrzehnte erprobten
und verfeinerten System eingepasst, bekunden nicht nur aufs schönste seinen
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt XVII. 13
Novitätenverzeichnis,
Baudrier. — Bibliographie lyonnaise. Recherches sur les imprimeurs,
libraires, relieurs et fondeurs de lettres de Lyon au XVIe siècle.
je série, ornée de 50 reproductions en fac-similés. Grand in-8°, 468 p.
Lyon. Brun. 16 fr.
Meer, G., Das Dictionnaire der französischen Akademie. Ein biblio-
graphischer Versuch zum 200jährigen Jubiläum. [In: Centralblatt für
Bibliothekswesen XII, S. 173—180.]
Porcher, R., Notice sur les imprimeurs et libraires blésois du XVI° an
XIX® siècle. 2° édition, revue, corrigée et angmentée. In-16, 294 p.
Blois, imp. Migault et C*®.
Collaborateur des érudits et des curieux, recueil bimensuel, artistique,
historique, littéraire, bibliographique, de documents et de recherches
destinés aux bibliophiles, aux gens de lettres, aux chercheurs et aux
collectionneurs d’autographes, de manuscrits, de gravures, d'ex-libris
et de curiosités en tous genres. Questions et réponses, demandes et
renseignements rédigés par les abonnés. Ir année. N°1. 1°" juillet 1895.
In-8° à 2 col. 16 p. Paris, 35 bis, rue des Saïints-Pères. Abonnement:
Paris et départements, un an, 20 fr.; six mois, 11 fr.; étranger, port
en sus. Un numéro, 1 fr
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besond. Berücksicht. des mündl. u. schriftl. freien (Gedankenausdrucks
bearb. 2 TI 3. Aufl. gr. 8°. (VIII. 424 S.) Frankfurt a. M.
C. Jügel’s Verlag. 3 M.
Durand, L., u. M. Delanghe, Konversationsunterricht im Französischen.
Für die französ. Konversationsstunde nach Hölzels Bildertafeln im
genauen Anschluss an „Lessons in English conversation by E. Towers-
Clark“ bearb. 2 Bd. gr. 8%. Giessen, E. Roth. 2. Stadt, Wald, Hoch-
gebirge, Bauernhof. (La Ville, la Forêt, la Chaine des Alpes, la Ferme).
(36, 26, 27 u. 24 S. m. 4 Bildern.) 1.20 M.
Etude sommaire des conjugaisons du verbe. In-16, 16 p. Tours, imp.
Mame, Paris, 27, rue Oudinot.
Fischer, Otto, Französisches Lehrbuch f. kaufmännische Fortbildungs-
Schulen. 3. (Schluss-) Tl. m. den Hauptregeln der Syntax. 8°. (48 8.)
München, M. Kellerer. 1 M.
Grammaire abrégée de la langue française; par les Frères des écoles
chrétiennes. Ouvrage extrait littéralement de la Grammaire complète
Novitätenvereeichnis. 201
Schulse, G., Der jetzige Lehrplan des französischen Gymnasiums. Pr.
Berlin 1895. 41 8. 4°.
Zichen, J., Der französische Anfangsunterricht und der Frankfurter Lehr-
plan. [In: Neue Jahrb. für Phil. u. Pädg. 152. Bd. 8. 202—207.)
Amalfi, G., Zwei orientalische Episoden in Voltaires Zadig. [In: Zs. d.
Vereins f. Volkskunde V, 71—80.]
Andrieu, J., Excentriques et Grotesques littéraires de l’Agenais. In 8°.
63 p. Paris, A. Picard et fils.
Andrieu, G., Rabelais: son temps, sa vie, ses œuvres, In-8°. 27 pages.
Paris, imprimerie Bolbach, 50 cent.
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Solier (1601—1655), sa famille, sa vie, ses œuvres (thèse). In 8°,
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La descente de saint Paul en enfer, poème francais composé en Angleterre.
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Le Pelerinage de vie humaine de Guillaume de Deguilleville. Editet by
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Une tragédie antique sur la Passion, avec études littéraires et critiques;
par l'abbé M. de La Rousselière. In-18 jésus, 279 p. Paris, Retaux.
Racine, Théâtre choisi de Raciné. Avec une notice biographique et litté-
raire et des notes par E. Géruzez. In-16, x-688 p. Paris, Hachette
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Sévigné, Mme de, Lettres. Nouveau Choix de ses lettres les plus remar-
quables sous le rapport du style et de la pensée; par E. de Corgnac.
Grand in-8°, 240 p. avec portrait. Limoges, Ardant et C*.
— Lettres choisies. T. 2. In-32, 191 p. Paris. Berthier. 25 cent.
[Bibliothèque nationale, n° 175.)
Taine, H., Les Origines de la France contemporaine. Le Régime moderne.
T. ie. 10° édition. In 8°, III-454 p. Paris, Hachette et (*. 7 fr. &).
— La Fontaine et ses fables. 13° édition. In-16, VI-351 p. Paris,
Hachette et Ce. 3 fr. 50. [Bibliothèque variée.]
Théâtre classique, contenant: le Cid, Horace, Cinna. Polyeucte, de P. Cur-
neille; Britannicus, Esther, Athalie. de J. Racine; Mérope, de Voltaire:
le Misanthrope, de Molière. Avec les préfaces des auteurs, les examens
de Corneille, les variantes, les principales imitations et un choix de
notes. Nouvelle édition, revue sur les meilleurs textes par Ad. Regnier.
Petit in-16, VI-680 p. Paris, Hachette et U. 3 fr. [Classiques
francais.)
Voltaire, Œuvres eomplètes. T. 30: Mélanges (suite). In-16, 414 pages.
Paris, Hachette. I. fr. 25.
Fleischhauer, W.. Methodisches französisches Lese- und Übungshuch.
Nach den neuen Lehrplänen bearbeitet. I. Teil. Leipzig, Rengersche
Buchhandlung. 196 S. 8°.
Frings, M. J.. leichte (französische u. deutsche) Gespräche f. das tägliche
Leben junger Mädchen. Zum Gebrauche in Töchterschulen. Durch-
gesehen u. verb. v. Dr. Max kuttner. 9. Auf. 8°. (VIII. 108 8.)
A, W. Hayn's Erben. Geb. in Leinw. 1,20.
Kahle, W. französiches Lesebuch f. Lebrer- u. Lehrerinnen-Seminare ın.
erklärenden Anmerkungen und biographischen Notizen. 3 T'hle. gr. 8°.
Referate und Rezensionen.
Mystères provençaux du X Ve siècle, publiés pour la première fois
avec une introduction et un glossaire par A. Jeanroy et
H. Teulié. Toulouse, E. Privat, 1893. (Bibliothèque
méridionale 1. série tome III) — ZL’Ascension Mystère
prov. du XVe 8. p. p. L. p.f. p. A. Jeanroy et H. Teulie.
Toulouse, Privat. 1895. (Extrait de la Revue de Philologie
franc. et prov. IX. 1895. S. 81—115.) Pr. 2 Frs.
Eine interessante Publikation — das zweit angeführte Werk-
chen bildet nur die Ergänzung des ersten —, interessant schon dem
Titel nach. Stellt es uns doch gleich eine grössere Anzahl süd-
französischer Dramen des 15. Jh’s in Aussicht, während deren bis-
her nur wenige bekannt geworden waren, und wird doch zugleich
damit die Hoffnung auf weitere Funde dieser Art neu gestärkt. So
gut wie alles, was wir heut zu tage von der älteren dramatischen
Poesie der Provenge wissen, ist in der That erst in den letzten
30 Jahren zu Tage getreten. Die litterargeschichtliche Einleitung
zu Bartsch’s 1855 erschienenem provençalischen Lesebuch übergeht
das Drama noch gänzlich mit Stillschweigen. Durch eine Reihe von
glücklichen Funden waren nach und nach folgende Stücke bekannt
geworden: 1. Aus dem 13. Jh. kurze Bruchstücke eines Mystères
von dem Mord der unschuldigen Kinder, 2. aus dem 14. Jh. a) das
wichtige Mirakel von der heil. Agnes, b) ein Mystere über die
Heirat Marias und Geburt Christi in 2 Hss., c) das noch unver-
öffentlichte, angeblich gascognische Mystere von der Passion Christi,
von dem Bruchstücke zweier weiterer catalanischer Hss. erhalten
sind (vgl. Chabaneau in d. Rev. d. 1. r. XVII 303, XXXII 344 f.),
und in welches ein älterer Planh der Maria, der auch sonst erhalten
ist (vgl. eb. XXVIII 57 f.), aufgenommen wurde (was Wechssler
Rom. Marienklagen S.79 unbekannt geblieben ist), 3. aus dem 15. u.
Anfang des 16. Jh. a) ein Bruchstück aus dem Zudus sancti Jacobi,
b) eine Gruppe von fünf alpinischen Mirakeln über den h. Pontius,
die h. Peter und Paul, den h. Eustachius, den h. Andreas und den
Ztschr. f. frz. Spr.u.Litt, XVII: 14
A. Jeanroy et H. Teulié. Mystères provençaux du X Ve siècle. 211
der ersten Stelle ergiebt übrigens keineswegs, dass hier nur un écho
lointain du texte original vorliegt. Unserem Kompilator sind aus
seiner Lektüre nicht nur quelques expressions éparses im Gedächtnis
geblieben. Statt seiner 35 Zeilen bietet die Hs. Didot allerdings
nur 26, aber nicht alle 9 überschüssige Zeilen sind, wie bereits an-
gedeutet, als freie Erfindung unseres Kompilators anzusehen, und
auch die übrigen entfernen sich gar nicht so schrecklich weit von
den Originallesarten. Dass der Text und namentlich der Versbau
unter den Händen des sorglosen Redaktors arg gelitten und einen
ganz verwahrlosten Eindruck macht, lässt sich freilich nicht be-
streiten. Von einer négligence jusque là sans exemple möchte ich
aber dennoch nicht sprechen und will darum nur an zwei ähnliche
monstrueux compromis entre les vers et la prose erinnern, nämlich an
den Cheltenhamer Galien (vgl. S. XLIX f. meiner Ausg.) und an die
Zusätze des Miracle vom h. Genesius (vgl. Ausg. u. Abh. XCILI).
Der Verfasser unserer Kompilation beabsichtigte offenbar einen
Passionscyklus, ähnlich dem in Nordfrankreich zu gleicher Zeit ent-
standenen, zu Stande zu bringen. Erhalten sind uns folgende 10
(od. 9) Einzelteile: 1. Creatio, 2. Geschichte vun der Samariterin,
3. Erweckung der Todten nach Christi Tod (fehlt in beiden Inhalts-
angaben), 4. Moralität betitelt Jutgamen de Jesus, 5. Erweckung
des Lazarus, 6. Mahlzeit bei Simon, 7. Auferstehung Christi, 8. Joseph
v. Arimathia (fehlt in beiden Inhaltsverzeichnissen), 9. Himmelfahrt
Christi, 10. Jüngstes Gericht (fehlt in beiden Inhaltsangaben). Be-
unserer Kompilation (K) mit der Passion von Arras (A) zugeben und bemerke
nur, dass die vorstehend ausgesprochene Ansicht über das Verhältnis der
Hs. Didot zur Vorlage unserer Kompilation durch die neue Beobachtung
eine willkommene Bestätigung erhält: A 8894—8925 — K 1628-1753,
A 8926-49 — K 1754—83, A 8950-9032 — K 1827—1882, A W33—
9058 = K 1784—1811, A 9069-9197 — K 1883—2092 (weicht völlig
iab), A 9198-200 — K 2093—2106, A 9201—2 = K 2107—8 (fast wört-
2ch identisch, K S. 285, 1—4 weichen stärker ab), A 9203—249 = K
1109—2199 (K S. 286, 5—286, 31 weichen stärker ab), A 9242—50 —
K 2200—221, A 9251—74 = K 2222-307 (K 2305 — K S. 286, 36 —
D in R.d. |. r. 28, 7 Anm. 4, 2) A 9275-92 = K 2308-395 (weicht
ab, auch von K S. 286, 39—49 u. D I. c. 4—15). — Mahlzeit bei Simon:
A 10006—14 — K 2396—400, A 10104—14 = K 2401— 2442. — A 10125 —
10146 = K 2465-70 (=D I. c. 28, 8 Z. 1—12), A 10147—-51 = K
2471—86 (= D I. c. Z. 13—23), A 10152—188 = K 2487-2522. — A
10231—282 — K 2523—72. — A 13705—780 = DI. c. 32. S. 343—345.
(Vergleiche hierzu Greban 22198—393 u. Myst. du XV s. ed. Jubinal II
S. 211—216). — Der Planh Nostra Dona in D (l. c. 28, S. 58, bei
Wechsler S. 79: Catal. I) fehlt A vollständig. — A 20899—955 = K
2729— 2766. — A 21030—55 = K 2767 —%. — A 21078—91 = K 2791 —97.
— Die grösstenteils strophischen Partien von D = K 2840—3120 weichen
wiederum stark von A 21729—22024 ab, ebenso zeigt die folgende Scene
(Emaus) nur wenige wörtliche Anklänge in beiden Texten.
14*
A. Jeanroy et H. Teulie. Mystères provençaux du X Ve siècle. 213
Version von No. 5 steht die entsprechende Stelle, etwas abweichend
Z. 2106—7. Nach der Ansicht des Verfassers der Anmerkung sollen
also nicht nur die Verse 1628—2105, welche die Eingangsscenen
zu No. 5 enthalten, wegfallen, sondern auch das Folgende durch
eine neue, wesentlich kürzere und der mehrfach erwähnten Passion
der Hs. Didot entnommene Version ersetzt werden. Auf weitere
Theatervermerke gehe ich hier nicht ein.
Hervorragendes Interesse beansprucht die neue Mysteriensamm-
lung wegen ihrer Text- und Sprachverhältnisse. Jeanroy nimmt an, dass
die erhaltene Hs. die Originalniederschrift des Kompilators enthält
und zwingende Umstände sprechen für diese Annahme, doch hat.
dem Kompilator jedenfalls für die der alten Passion entnommenen
Stellen ein bereits genau oder nahezu gleich entstellter Text als
Vorlage gedient. Dafür spricht z. B. die irrtümliche Voraufnahme
von 2945 Que Dieu que fes la terra he la mar hinter 2939 in ganz
gleich entstellter Fassung. (Der Schreiber wurde offenbar durch den
gleichen Ausgang von 2939 und 2944 zu seinem Irrtum verleitet.)
In der Hs. Didot lautet die Zeile richtig: Car Dieus que fe terra e
mar. Die Passion-Vorlage unseres Kompilators weist ihrerseits auf
eine weitere verlorene zurück, welche sich mit dem Passion-Bruch-
stück von Palma (P) ziemlich eng berührt haben muss, ohne indessen
mit ihm identisch gewesen zu sein. Das ergiebt eine Vergleichung
der Varianten aus P, welche Chabaneau (Rev. d. I. r. XX VIII S. 54 f.)
zu einer Stelle aus D verzeichnet hat, mit den entsprechenden Les-
arten der Kompilation (K). Ich teile die entscheidenden Varianten
mit: K 2465 vertadier, P ver deus, D dieus vers. — K 2466 Senher tu
qui es mon senhor, P Senyor tun val en secor, D Senher tum val em
acor. — K 2466-8 = P, in D 2467, 2468, 2466. — K 2468 Se/n]her
he veray Creator, P Senyor veray criator, D Senher e ver creator. —
K 2469 perdonayre = P, perdonador D. — K 2470 Que me perdones,
P Que me perdons, D Tum perdonas. — K 2471 qui es nascut, P
que nasquet, D que es nat. — K 2472 —3 = P, 2473, 2472 in D. —
K 2474 De far senher ton talen, P Que en puesca fer ta volentat,
D Co pusca far (a) ton talent. — K 2477 Quar quant l’iey vist, P
Qu'en cant ley vist, D Qui an co lauist. — K 2479 He dis que es,
P E diu qu’es, D Dis que et es. — K 2482 toquat, P tocat, D
torquat. — K 2498 cosi lin pres, P com els a pres, D con el es
proos. — K 2499 Hel se volc, P Ei el volia,D El vol s’en trop. —
K 2517 lavar = P, D onchar. — K 2518 Mas aquesta femna, P
Mes aquesta femna, D Ma aqueste. — Natürlich haben K oder seine
Vorlage oder beide, wie P zeigt, an dieser alten Version (y) starke
Änderungen vorgenommen, y und D gehen auf eine gemeinsame
Quelle (x) zurück, die als das Original des Dichters gelten kann,
A. Jeanroy et H. Teulié. Mystères provençaux du X Ve siècle. 215
und Formen verzeichnet werden, die im Lexique roman fehlen.
Glücklicher Weise hat J. wenigstens für die Verbalformen eine
Ausnahme gemacht.
Nun zum Einzelnen. Zu S. XXXff. 1. sei bemerkt, dass
auch D an oder a, nicht o hat, vgl. auch den Reim ortola : esta D
(zu K 3032). — 2.a — unbet. e; D hat meiste, so für davalat 2985,
sostarat 2984, aber auch a: benazit (zu K 2909). — eb. Warum
soll in benurat 1602 (ebenso 2956, 7178) ein e und nicht ein a ge-
schwunden sein? 2909 steht noch benaürate, wofür D schwerlich
richtiger benasit vos liest, denn 2956 liest gerade D bonaürate.
Die viersilbige Form stammt also offenbar aus z. — eb. Auch den
Schwund des prothetischen e vermeidet D: en escrig (zu K 3026). —
3. y für i ist D seltener, doch aysi (zu K 2905). — 6. iei für ay
bei habeo und im Fut. ist K eigentümlich, weil D und x gänzlich
unbekannt. Vgl. den Reim: mostrariey (D: -ray) : may 2866. —
13. f im Anfang, natürlich nur nach vokalischem Auslaut, z. B. de
ho ffa 3671, per ma ffe 7269. Ebenso erkläre ich del ly 5326
(Abs. 39) und ähnlich en naut R 127 = en aut (s. Abs. 18). —
14.. Schreibweise g% selten in D, z. B. desliguat zu K S. 286,36,
-remangua zu K 2432, digats st. diguate K 2911; st. agatz 2898 hat
D ajatz. — 15. Unetym. k in D selten, häufig nur hieu = ieu 2866,
auch iheu zu K 2913, einige Mal: he, so zu K 2428. — 16. Für vokal.
lin aut und aufra begegnen in K zahlreiche Belege. — 17.anb 2934,
3070, 3119, amb 3066 = ab D (vgl. 18). — eb. Anm. Zu den falschen
Worttrennungen an bel, an baytant (welche übrigens im Texte still-
schweigend berichtigt sind, vgl. 1816, 3066, 3119; 2934, 3070) sei
auf ähnliche im gleichzeitigen nordfranz. S. Genis (vgl. Ausg. u.
Abh. XCIII Anm. zu Z. 279) verwiesen. — 18. rn euphonisch an-
gefügt in an aquels? Warum nicht an = ab (Abs. 17), wie an
vus 5150, an nos 3196, am lagremas 2520, an gran dolor 2986?
A vor Vokal lautet as (s. Abs. 21), wird aber 2493 in D auch durch
ab ersetzt. — eb. n vor Kons. schwindet auch D: redem = K 2883. —
eb. dana. D hat dafür immer dona, das auch K 2928 stehen ge-
blieben ist. — 19. Einschub von p unterbleibt D, z. B. ensemps 2916,
2920 = D ensems. — 20. Umgestelltes r kennt D, so crubat (st.
cobratz) = vestetz K (S. 286, 38). Vereinfachtes rr vermeidet aber
D, so corrent = K 2923 coren. Schwund des r vor auslautendem
s kennt D hier und da, so cos = K 2990 cos, aber trachors = K
2961 traidos. Schwund des auslautenden r scheint D zu meiden, so
ubrir = K 2890 ubri. — 21. s nicht euphon. in as sondern dies-az.
K ersetzt gern tönendes z von D durch s, so vesem 2894, susari
2918, lausat 2925, pausat 2932. Cresatz 3025, 3089 hat auch D.
Auch vereinfachtes ss meidet D, vgl. zu: laselas 2935, fasa 2989, 2991,
216 Referate und Resensionen. E. Stengel,
2916, 2920, umgekehrt schreibt K te st, s, so jocts 6081 und nament-
lich st t in D: anatz 2880, diguatz 2872, platz 2845, prelz 2872,
siate 2877 u. s. w. — 26. Subst. Deklination in D noch dentlicher
vorhanden. Die Spuren in K stammen also aus x. — 28, dolenta
ist kein analogisches Feminin, ebenso begegnet trista 2991 schon D,
aber statt tala 3073 hat D noch tal. — 30. Zu den männlichen
Plur. auf -es in K gehört auch comeses 7873. — 31. Die angelehnten
Formen der Pronomina m, t, 1, s, ns, us, welche D noch kennt, hat
K grundsätzlich beseitigt. Vgl. me 2510, 2930, 89, 91, 3001, 55
te 2845, lo 2931, 82, 3017, se 2922, nos 2846, 3094, no 2869, vos
2851, 81, 82, 3019, 46, 49, 54, 81, 97. — aquel ersetzt 3021,
75, 3103 cel von D. — 33. Die dritte Pl. endet D auf -on, so zu
K 2922, 23, aber auch auf -an, so zu K 2493; K hat noch van
R. 38. — 34, Erste s. pre. i. auf -i kennt auch D schon hier und da, so
pregui zu K 2988, prometi 2424 (gegen promet 2418), sonst hat nur
K diese längeren Formen, so pregui 3019, 54, 81 — D pree, desiri
3052 = D desir, sabi 5005 = D say, vesi 3000 = D vey, podi
2931, 2973 — D puse. Ähnlich zweite s. veses 2513 — D ves. — 35. -em.
-etz im pl. impf. i. noch K :erem 502, 2940, eretz 481. — 36. Junge,
Perfektformen zeigt nur K, so forec 2902, 32, 55, 57, 84, 85 = })
Jo, vegui 3102 — D vi, daneben hac K 2497 = ac D. Sol von D
ersetzt K 2942 durch solia. — Analogische Konjunktive kennt D
nur wenige, so guarde = K 2851, sehr viele aber K, so ajudes
2895 — D ajut, done 2851, 81 82 — D do, layse 2933 = D
layhs, doch kennt auch K noch sa! 2943, ajut 3011. — 37. Für
die Inchoativform temisquatz 2897 hat D temiatz, — 38. Bei
gardar verzeichnet das Glossar keinen Beleg für den zweiten
Konditional (Plusquamp. Ind). Vgl. noch degra 2982, fora 2978,
valgra 2976 =D valria. — Sekundäre Verbalformen sind: moririey
2971 =D moray, anarem 3118 =D irem, nascut 2471 = D P nal,
— Das Adv. aras 2510 lautet D ara. — 42. Die hiäufigere Ver-
wendung der Personalpronomina in K ergeben 2903, 2990, 3062,
wo in D das Pronomen fehlt. Der umgekehrte Fall 2491, während
2909, wo K benaüratz siatz in D durch benazit vos siatz ersetzt ist,
K einmal die Lesart æ getreuer als D bewahrt hat. Nos autres,
vos a. kennt zwar schon D, so zu K 2511, doch treten sie in der
That in K viel häufiger auf, so 2527, 2898, 2900, 2918, wo D nos,
vos bietet. — 45. Das Hilfswort esser bei voler 2946 hat auch D,
bei anar 2940 steht in D aber aver. — 54, Der adverbialen Wendung,
de bon mati in K 2908, 3031 entspricht in D einfaches bon mali,
umgekehrt hat aber K 2923, 3068, 3076 ben coren für D de corrent,
Statt der Stellung von pas nach dem Verbum in K 2905 el no es
pasar 3013. — 22. te im Auslaut ersetzt D oft durch s, so totz
h
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 217
pas hat D noch el pas no es. — Insbesondere erscheint in K gegen-
über D der Wortschatz verjüngt; speziellere Ausdrücke sind durch
vagere und banalere verdrängt: so werden ersetzt aldir durch poder
2891, mercader d. merchant 2850, mon d. monde 2467, plazer .d. voler
2427, poder durch potestat 2746, vas d. tombel 2890, greu 2475 d.
gran 2968, 2977, vers d. vertadier 2465, 2509, d. veray 2468, aquct
d. aquel 2904, esta d. aquela 2482, ta d. tant 2962, 63, 77, enant
d. avant 2897, prop d. pres 2983 (umgekehrt allerdings 3030), mentre
d. quant 3100, ab sol que d. He cresi que 2911, acostar d. aprochar
3046, 51, 55, aueir d. escotar 2487, crubat d. vestez S. 286, 38, dar
d. donar 2512, 2874, 3010, 3081, desliguat d. destaquats S. 286, 36,
s’esperar d. se pausar 3047, flairar d. odorar 2868, 69, pauzar,
prometre, tocar d. dire 2490; 2418, 24; 2491, querre d. demandar
2409, 2901, d. serquar 2987, remaner d. demorar 2432, 3119, sufrir
d. sostener 2892, d. suffertar 2731, 3043, tolre d. ostar 2746, 2882,
bens pagam d. no non chaut 2869. Die Zahl dieser neuen Ausdrücke
wird sich bedentend vermehren lassen, wenn der Text von D
erst vollständig zur Vergleichung herangezogen werden kann, ihre
Einführung bildete jedenfalls einen wichtigen Faktor bei der Ver-
wilderung des Versbaues in unserer Sammlung. — Durch Druck-
versehen ist S. L u. LI der Einleitung verstellt. Unter den Ver-
besserungen vermisse ich den Hinweis auf die mehrfachen Zählfehler,
so ist vor 2950 u. 2995 je eine Zeile unberücksichtigt geblieben.
E. STENGEL.
Le mystère de la Passion, texte du manuscrit 697 de la biblio-
thèque d’Arras publié par Jules-Marie Richard, ancien
archiviste dn Pas-de-Calais. Arras, Société du Pas-de-
Calais 1893, 40, XXXVI un. 297 S.
Vorstehend angeführte Ausgabe der Passion von Arras scheint
bereits 1891 erschienen zu sein, denn diese Jahreszahl steht auf
dem Titelblatt, während der Umschlag 1893 zeigt. Aus der Ein-
leitung erfahren wir, dass der bereits vor 10 Jahren begonnene
Druck nur mit wiederholten längeren Unterbrechungen beendigt
werden konnte. Der Herausgeber ist kein Romanist und lässt der
von ihm hergestellte Text daher recht viel zu wünschen übrig.
Gleichwohl werden wir Herrn Richard unsern Dank für die Gabe
nicht vorenthalten, da das Mystere ohne ihn voraussichtlich noch
lange Zeit ungedruckt geblieben wäre. R. hat auch eine manche
nützliche Angabe enthaltende Einleitung und ein Glossar dem Text-
abdruck beigegeben.
Jules-Marie Richard, Le mystère de la Passion. 219
diese Worte wie folgt zu deuten: „N’est ce pas dire qu’ Eustache
Mercadé avait composé jadis un premier mystère de la Rédemption ?
Et n'est-il pas vraisemblable de lui attribuer le drame du ms. d'Arras,
où sa Vengeance fait suite à la Passion?“ Jedenfalls hätte der
Copist, wenn er den Namen des Autors beider Mysterien am Schlusse
des Bandes nennen wollte, die Passion dabei doch nicht ganz un-
erwähnt gelassen. Die Hs. besagt aber lediglich: C’est la vengeance
Jhesucrist Laquelle composa et fist Ung clerc .. S'eult nom Ustasse
Mercadé. Die weiteren Gründe, die für Mercadé als Antor der
Passion sprechen sollen, sind direkt hinfällig: 1. In beiden Dramen
sollen sich nicht gerade zahlreiche Pikardismen verstreut finden.
Es tinden sich in der Passion sogar ziemlich viele durch Reim und
Silbenzahl gesicherte ostfranzösische Sprachformen (t’ = tu, no,
co = nostre, vostre; cheir, veir, vir, seir, sir = cheoir, veoir, seoir.
ententieu : lieu 1956; Dieux : ententieux 13882, lieux : soutieux 7778;
mesaise : b(r)evraige 20780; s = z im Auslaut; die Endung -tesmes =
-iens, -ions u. 8. w.), die der Herausgeber gar nicht anführt. Sind
sie, wie andere Reimeigenheiten und metrische Gewohnheiten unserer
Passion genau ebenso in der Vengeance nachzuweisen? Darüber be-
lehrt uns R. nicht im mindesten. 2. Beide Dramen sollen nach ihm
keine Rondeaux aufweisen. \Vie so? Die Passion hat nach meiner
Beobachtung nicht weniger als 18 Triolets (1683, 2153, 3213, 3665,
4019, 4283, 4914, 5254, 7682, 11526, 14086, 14332, 14355, 14570,
14677, 14996, 15049, 20994), zwei 11zeil. Rondels (Refr. abb 14019,
16116), drei 16zeilige (2331, 4003, 10642) und ein 21zeiliges (Refr.
aabba 2792), im ganzen also 24 Rondels. Steht es mit der Vengeance
ähnlich? 3. Auch das Vorkommen von Prosastellen in beiden Stücken
will nicht viel besagen. Siege d’Orleans hat nach 11294, ebenso
die Destruction de Troye nach 23386 je eine derartige Stelle und
dennoch ist Jaques Milet darum noch keineswegs der Verfasser auch des
erstgenannten Dramas, wie Tivier aus anderen Gründen behauptet
hatte. Auch Guillaume Flamang flocht ja in seinen S. Didier (S. 284)
ein ähnliches Prosadokument ein, was schon Petit de Julleville
(Mystères I, 237) angemerkt hat. Es muss darum vorläufig noch
völlig dahingestellt bleiben, ob Eustache Mercadé als Verfasser der
Passion von Arras anzusehen ist. Dagegen glaube ich allerdings,
dass dieses Gedicht vor der Mitte des Jahrhunderts abgefasst ist,
d. h. vor der Passion von Arnould Greban, der unser Mystere, wenn
auch nur sehr frei, benutzt hat. In letzterer Beziehung hat sich
R. viel zu unbestimmt ausgedrückt. Dass Greban unser Mystère,
allerdings unter grundsätzlicher Ausscheidung der apokryphen
Scenen?!), verwertet hat, ergiebt schon die vielfach übereinstimmende
1) Für die Geschichte des Aberglaubens sehr interessant ist cine
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 221
gar keine Rondels vor und doch zitiert er sogar selbst entsprechende
Stellen (2153, 2331, 3213, 10642, 14677, 14996), in denen er nur
die Rondelform nicht erkannt hat. Es begegnen weiter folgende
strophische Gebilde:
aa b mit Refrain BA : 8-Silbn. : 11158 (3 Strophen).
aab bc D:8-5.: 2752 (3 Str.).
aab aab:6-S. : 1257 (11 Str.), 4408 (4 Str.), 4900 (1 Str.).
aab aab:B-, 4-, 83. : 20899 (1 Str.).
aab aab bba bba : 8-S. : 1087 (3 Str), 3987 (1), 4373 (1),
11833 (1), 16884 (2).
aab aab bba bba : ï-, 3-, 7-S.: 1993 (1).
aab aab bba ba : 8-S. : 11641 (zweimal wiederholt 11689 und
11721), 11660, 11700, 11732 (je 1).
a ab aab ba bba : 8-3. : 2855 (4), 16776 (2).
aab aab ba ba: 8-8. : 4484 (1). — 6-S. 1093 (1).
aab aab bc bbc:8S.:6621 (1), 9011 (2), 10125 (2),
17838 (5).
aab aab be be: 85. : 6611 (1), 1047 (1), 5965 (1).
aab abb cbc: 8-8. : 1233 (3).
ab ab:8<S.:1512, 1913, 2130, 2368, 2389, 3999, 4393,
4821, 4868, 5878, 6169 u. s. w. (je 1 Str.), 6136, 6292 (je 2),
24444 (12).
ab ab bc bbc:8-3.: 1354 (1), 149 (2), 2104 (1), 2372 (1),
3942 (5), 4364 (1), 6210 (1).
ab ab be be: 3-S.:83 (6), 1103 (1), 1225 (1), 1242 (1),
1340 (1), 1406 (5), 1821 (1), 1907 (1), 2088 (2) u. s. w.
ab ab Bcb:8-8.: 1250 (1).
ab ab bbèccd cedde de : 8-3. : 2931.
ab &b b Pb'ceb C:10S. : 3912 (3).
ababccddcdE :10-. : 2286 (3).
ab a a bd baa :8-S.: 4503 (1).
ab aab bee: 88.:17182 (1)
ab aab ba bba ccdd:8-5.: 6425 (1).
abaabbcebc:8-5.:4494 (1), 4803 (2), 6173 (1).
a bd aab che: 8-8.: 2947 (1).
ab aab bebe dede effe : 8-S. : 6021 (2).
abba : 8-8. : 7483 (1).
Sonst herrscht ausnahmslos das 8-silbige Reimpaar, mit Aus-
nahme einer Stelle, wo kurz hintereinander in drei Fällen je ein
8-Silbner durch einen 4-Silb., der aber mit dem folgenden 8-Silb.
reimt, ersetzt wird, mit Ausnahme ferner der einreimigen 3-Zeilen
(9756, 10552, 10585, 14269, 17015, 18058, 18251, 19557), der zahl-
reichen Waisen (1675, 2393, 2496 u. s. w., im ganzen cirka 40) und
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 223
11641—51 kehren sogar dreimal wieder). Die Verwendung der
Anaphora (z. B. 17498 ff., 18471 ff. 18618 ff), grammatischer Reime
(z. B. 13395 ff., 17065 ff.) und ähnlicher Wortspielereien (z. B.
3951 ff., 5657 ff, 11064 ft, 12684 ff.) ist keine für unseren Dichter
charakteristische Erscheinung, denn derartiger Künsteleien bedienten
sich die französischen Dichter bereits seit Ausgang des 12. Jh’s, um
Kraftstellen schärfer hervortreten zu lassen. Immerhin wird auch
in dieser Hinsicht Arnould Greban lediglich in die Fusstapfen seines
Vorgängers getreten sein und noch manches andere ilım bisher zu-
gesprochene Verdienst bei Dramatisierung des Passionsstoffes wird
mit grösserem Rechte dem anonymen Verfasser unseres Mystères zu-
erkannt werden müssen. Dahin rechne ich insbesondere auclı die
Behandlung der Teufelszenen. Ein abschliessendes Urteil ist aber
aus den bereits angedeuteten Gründen vorläufig noch nicht möglich.
Über seine Thätigkeit als Herausgeber spricht sich R. S. XXIII
sehr bescheiden aus. Nur eine getreue Wiedergabe des Textes der
vielleicht nicht sehr korrekten Hs., nicht eine Besserung desselben,
habe er beabsichtigt. Leider hat er sich auch dieser beschränkten
Aufgabe nur unvollkommen gewachsen gezeigt. Das bekunden
mancherlei recht auffällige Lesefehler. So « für n und n für u
(acoute 20608, acoutes 20636, couchier 11395, escouser 9516, 20582,
vous f. nous 21456, conés 20815, soubtiente 9484), y f. n (toy 1174),
v f. b (gaver 22244, viel 14662, a vergier f. abregier 1667), b f. I
(doubs 20307, 20611), 2 f. h (Alors 7911), s f. f und f f. s (desinant
894, sera 11945, sus 20478; Tefale 19831), 5 f. c (je 569, 3906),
ef. 1 (Jef. Il 13984), a f. o u. of. a (abasmé 7019, caiement 12463,
congnay 17841, faison 8399, au 897, pau 21313, paux : faux 14297,
sauldars 12811, sauldee 5498, sauviengne 5467; porra 3731, mois 15539,
vroiement 18099). Vgl. ausserdem die nachstehenden Besserungen zu
317, 648 f., 778. 1377, 1497, 1671, 7907, 10878. Das bekundet die
inkonsequente und üfters gewiss irrige Auflösung der handschriftlichen
Abkürzungen, die, weil äusserlich nicht kenntlich gemacht, nur zu
erraten ist. So nostre 41 und notre 473, 2773 u. s. w., pris 14646
st. pres, trecerie 20790 st. tric-, que 5565 st. qui, 1125, 6940 st. qu'a,
puer 9367 st. pueur, languer 9555 st. langueur. Sehr oft ist die
Abkürzung für n gänzlich unbeachtet geblieben (so: esco/n]sera 9441,
enfa/n/con 3613, aifn]sné 3910, mai/n]sné 3909, Qu’e[n] 20225,
meres 15838 |. me rens), ebenso fehlt r in ouv/r/ez 2606, 3214,
5254, est/rJine 14632 (umgekehrt c(r)eens 5011). Das bekunden die
zahlreichen falschen \Vorttrennungen oder Zusammenfügungen (89:
de Maux 23204, 23383 st. d’Emaux, a tant 24765, en joing 24661,
en coururent 21630, en hardir 24218, en orguillirent 21243, l'outre
largesse 24399. Vgl. ausserdem die Besserungen zu 648, 832, 1497,
224 ‚Referate und Resensiomen. E. Stengel,
3804, 14604), die sehr unzulängliche Verwendung von Apostroph
(2. B. Qui 195, 309 u. s. w. st. Qu'i, ebenso ny 4656, si 1901, sa
6542, se = s'est 13740, luy = Ti 14710) und Akzenten (z. B,
Scariothés : mes 7514, moitié 13556 st. moitie). Die gänzlich ver-
wilderte Interpunktion lässt man bei der Lektüre am besten ganz
ausser Acht. Auch die typische Einrichtung der Ausgabe ist un-
geschickt. Die unpraktische Zeilenzählung von 10 zu 10 hat ver-
schiedene Zählfehler veranlasst (z. B. vor 50, 1770, 2610, 5240,
6110 und besonders 14570), die strophischen Partien sind äusserlich
nicht kenntlich gemacht, ebenso wenig ist konsequent angedentet, wenn
innerhalb der Rede einer Person ein Szenenwechsel eintritt, der
Schluss der Rede also an eine neue Adresse gerichtet wird (z. B. 483),
Abgesehen von den bereits erwähnten oder bei einzelnen Zeilen
noch zu erwähnenden Fällen der Textverderbnis, welche dem Heraus-
geber zur Last fallen, haben schon die beiden Schreiber, wie auch
R. andeutet, sich viele Nachlässigkeiten und Entstellungen des
Mystertextes zu Schulden kommen lassen. Dahin rechne ich die
bereits erwähnte grosse Zahl von Waisen und 3-Zeilen, dahin die
willkürliche Umgestaltung vieler Rondels, dahin ferner die Zer-
störung oder Verdunkelung zahlreicher Reime. So 90: peris sexil,
b. peril. Ähnlich 7166 esbatemens : gra/cJieusement, b. esbatement,
13740 nommé : ferré(r) 13740. Umgekehrt sind Assonanzen will-
kürlich in reine Reime verwandelt: 5113 bien dire l'ode (st. ose 1244):
Herode, 13109 trahitre : mictre (st. mire 9607), prevos (N. 8.) : tos/t]
13964, tranchans (b. -ant Obl. S. F.) : champs (Obl. Pl.) 19835, oder
es sind Reime für das Auge durch umgekehrte Schreibungen her-
gestellt: 5778 plest : me(s)t, 13048 maistre : reme(s)tre, 20296 amis:
revis (st. ir), 20366 espris : espris (st. -i). Hier und da sind aber
auch die Assonanzen unangetastet geblieben: 16871 amere : cruëlle,
18050 trouvez : amander, 18376 souffrir : amy.— 869 plaisi(e)r :pourveir
und umgekehrt 6731, chaudi[ere : maniere, 22462 vëi/e]smes : poiesmes,
oder 16464 septi(e)sme : haultiçe)sme. Vgl. ausserhalb des Reimes:
cri(es)me 16000, deschi(e}re 7912, engien 9437, plaisi(e)r 10012,
eschi(e)vé 5451, si(e)vir 3749 und somi(e)rement 808. — 1794 mlav/ijez
abregiez, 4763 eviter : abregier b. d. Umstell.: Pour eviter cy ce danger,
6227—9 deniee : provee ersetze d. refuse : p., 9551 empirees : vies
b. empiries, 12849 expediée ; contrarie b. expediie. Sonst ist -ide stets
zu -ie geworden. — 4749 desir/ier]: droicturier (vgl. 3572). Ähnlich
22662 * encanterie : diable[rie]. — 7059 m(o)y : ainsy und 11936 m(o)y:
iey. Sonst begegnen im Reim gesichert sowohl moy 3411
wie my 1409 und ebenso toy 805, ty 585; neben soy 7739 ich
allerdings kein sy bemerkt. Auch die Doppelformen veoir
ver 3146, pourveir 870, voir 3274, vir 5268 (pourvir 8089), sévir
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 225
7131, sir 4063 (assir 9999), chéoir 21594, choir 5362, cheir 6942
(decheir 12629) sind von den Kopisten nicht durcheinander geworfen.
— 8292 vesquirent : morurent b. morirent. — 11048 espendu : humblement
b. espent. — 12827 plus : Annas b. pas. — 13041 vray : ravoir
b. wir. — 14341 plaisir : pance b. plaisance (vgl. 17245). — 13082
Fouldre, tempeste et tonnoire (: feste), b. durch Umstellung: F. tonn.
et tempeste. — 13982 (a messeigneurs entres dedans (: parler), b. d.
entrez. — 15920 Que je ne puis aler avant (: passer) b. avant aler.
— 18022 Qu vorront tenir de Jhesus (: abstenir) b. de J. tenir. —
22556 sans plus parler (: tenus) b. s. parler plus. — 23714 que
suis esbahis (: apparus) b. q. e. suis.
Auch die richtige Silbenzahl der Verszeilen hat unter der Hand
der Schreiber vielfach gelitten. Reine Schreibfehler werden wir bei
den Verdoppelungen zu erblicken haben (vgl. 1119*). Eine Anzahl
Fehler sind ähnlich wie bei den Reimen durch veränderte Wortstellung
entstanden (vgl. 2257 *, 4071 *, 4763 *, 7539 *, 7747*, 13981 *, 16409 *),
andere durch Einsetzung von Pluralformen mit s statt der erforder-
lichen Singulare (vgl. 2375*). Wieder andere durch Beseitigung
oder Einführung des vom Dichter oft geduldeten und oft ge-
miedenen Hiates: 1. zwischen zwei Worten, insbesondere bei que (das
oft qu’ geschrieben wird, während es que lautete, so 13645, 16597,
oder que geschrieben wird, während es qu’ lautete: 14133, 18212)
und dem Pron. le (dessen Elidirung meist unangedeutet bleibt, su
13638, 18481). Auch qui und lui werden öfter mit folgendem vokalischen
Anlaut verschliffen (so qu’ 175, 1538, 5270 und qui 8092, 11425,
22995, lui 8626, dagegen ist qu/i] 4963, 21194 zu lesen). 2. Im
Innern der Worte: a) e unmittelbar vor dem Tonvokal //e/esse 4087 *,
v[eJir 16164-5, v(e)ir 15633, pourv(e)oir 18976. Geschrieben wird
unsyllabisches e noch meist vor #, mit dem es, wie die Reime zeigen,
oft zu eu zusammengezogen wurde (z. B. asseur : meilleur 5745,
: cuer 5166, 5435, aber auch ve : jeu 6401, wobei jeu — ju [vgl. fu:
fu 5529 : tu 5296]). Einsilbiges eu findet sich z. B. in boneurez
1964, seurs 13463, eussiez 4261, deusse 19650, perceut 1312 (gegen
boneürez 944, seürs 9553, eüssies 4263, perceü 4415, deuisse 19529,
pleuist 89). Vor anderen Vokalen wird verstummtes e konsequent
unterdrückt, ausgenommen in Jehan (1silb. 7208, 2silb. jedoch 7225),
meismes (2silbig 62045), in dem erwähnten veir 15633 und in den
sehr häufig 1silbig gebrauchten Formen vees 2271, 3258, 3570, 7434,
7761, 8510 u. 8. w., creez 2014, 8018, 8638, 8673 und seez 4069,
5253, 10109 ff. Sonst hat e immer Silbenwert. Vgl.: empereeur
1720, 17420 gegen empereur 1735, reonde 607 gegen ronde 1522,
eage (Dr. le age st. l’eage) 3705 gegen age 1088, aige 4681, veismes
2561 gegen vismes 2048. Andere unbetonte Vokale vor dem Ton-
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt XVII, 15
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 227
bessere her(e)mite 7223, mauvais(e)te 14923*, 16689 und um-
gekehrt f/e/ray 4910, 6018 und f/e/rir 17779, p/ejrilleux 19793,
bol{e]vart 20891, derfe]niere 24193 (vgl. 24487). Ausser in angeles
1747 ist angles stets 2silbig, so 845, 921, bessere ang(e)les 1964.
Konsequent zu tilgen ist e in ord(e)nes 842, 920, 923, 1108, 1946,
7133, 15741, 20009, ebenso orgh(e)nes 10572, can(a)ve 14301*.
Regelrecht fehlt es wie in der älteren Sprache im Futur und Kond.
der auf r und x ausgehenden Verbalstämme wie demourray 2282,
durra 10624, empirroit 13998, -rra 19261, parray 5417, tirrons 16108,
donray 158, pardonra 7056, menray 2240, bessere: dur(e)ra 133,
tir(e)rons 16141. Doch begegnet auch einmal durera 167, ebenso wie
laissera 6387 sich neben laira 6376 stellt. Auffällig sind Formen
wie tourra (= tournera) 15948, balroit 11257 neben bailleray 11310,
tcardra 18507 neben gardera 18508 und aftrapray 7049, gegen
eschapperas 20709.
Bei der Nominalflexion sind die ziemlich zahlreichen Spuren
der alten Flexion zu beachten, so begegnen ausser im Vokativ
als Nom. homs 1647, 7005, preudons 2046, sire (: dire)
13653, emperere 24470, doch auch als Obl. begegnet kom (: union) 978,
ebenso sire, (: desire) 3224, 24516, entstellt: hom(me) 12774, 16682.
Ferner findet sich noch cel 1213, cil qui 4631, cils qui 3649, cils cy
8674 und auch a cil qui 1635, entstellt cel(lwi) 3515. Erhalten ist
auch traylour (: -our). Die Doppelformen für die Personalpronomina
moy und mi, toy und ti wurden bereits bei den Reimungenauigkeiten
erwähnt. Das dialektische & (791) statt tu vor Vokal (1238) haben
die Schreiber oft beseitigt, so i(w) 1166, 17570, 2400, 2411, 5166,
6851-2, 17558, 20454. Die weiblichen Possessivpronomina lauten
vor vokalischem Anlaut m’ 420 oder mon 319, ® 4756 oder ton 400,
s’ 5550 oder son 10595, doch ist statt der älteren Form vom Schreiber
fälschlich öfter die jüngere gesetzt, so m(on) 763, 5015, 12961,
t(on) 14901, s(on) 11994. Neben nostre 41, vostre, begegnen no 34,
1377, vo 950, 3243, zu bessern sind: vo/stre/ 3110, 15198, no(stre)
24913.
Neben der sekundären Femininbildung der Adjektiva ist
noch teilweise die alte gebräuchlich, so griefve 7435, 13274, 16691,
24625, grief 7428, 15895, 17231, griefment 16771; briefve 6437,
12581, briefment 4361; forte 2209, forment 248; grande 1061,
grandement 745, grant 3533, gramment 11256; generalement 1923,
generalment 14145;, lealement 6243, leulment 3841; cruëlle 18265,
cruëlment 18289; subtille 14863, subtillement 12391, subtüment 9510;
evidentement 12149, evidemment 10730; negligentement 11193, presente-
ment 4057, instamment 254, deligamment 3317, paciemment 1695,
telle 74, tellement 1126, tel 764; quelle 9242, quelles 7908, quel 430:
15*
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 229
Die zahlreichen archaischen Perfektformen sind, wenigstens
was die Silbenzahl anlangt, von den Schreibern unverändert ge-
blieben. Dagegen ist in einem Falle wenigstens die eine Infinitif-
doppelform für die andere eingesetzt, nämlich querir 12311 für querre
(vgl. 1819, enquerre 3103, requerre 816 gegen querir 2584, requerir
1987); während für die bereits erwähnten Infinitifdoppelformen veoir,
veir eine derartige Verwechselung aus den Reimen nicht nachweis-
bar ist, ebensowenig für occire 4229 und occir 4979, 4652.
Fehler zeigen sich auch bei der Verwendung der Doppelformen
für eine Anzahl Adverbia, Praepositionen und Partikeln, so voir(e)
15054, or(es) 11181, or(e) 12112, encor(e) 7278*, desor[e]mais 13944,
avec{ques] 5551, 8600, avec(ques) 10890, jusqu/es], jusqu(es) 6610*,
com(me) 673, 8480, 10430, 10851, 10966, 12421, 15931, 16155,
16703, 18148, 20146, 23041. Auf gleicher Verwechslung beruht
Cayphas 12104 f. Cayphe (vgl. 12597, 13980 gegen Cayphas : Annas
13950), Emillion (3silb.) 22243, 22285 f. Emille (vgl. 22222, 22247
und Emillion 22065, 22229 u. s. w.), Asserie 1582 f. Assire, quoy 9686 f.
lequel; touche(ray) 4923, feray 5057 st. fais, monstrer[ay] 6973, ont
este 4221 st. furent, avez este 21185 st. estiez, avez dy 21799 st. oistes,
je suis 8878 st. j’ay este, commande 9889 st. a commandé. Bei den
Reimentstellungen wurde bereits erwähnt espendu st. espent.
Fälschlich eingesetzt sind Synonyme wie desir st. desirier,
plaisir st. plaisance, vray st. voir, plus st. pas, wodurch fehlerhafte
Reime entstanden, während die Silbenzahl gelitten hat durch Ein-
setzung von hauli[ain]e 1517, m(auv)ais 12744, 12929, aulcunes 5727
st. quelques, petit 839 st. peu u. umgekehrt 3425, iray 13429 st.
venray, entendre 2042 st. ouyr, [ajvenu 8300, [a]iouchiet 9631,
[a]pointiet 16372, 74, 86, 16422, [a]noncier 20477, (re)varray 11009,
qu’ 2171 st. com, [auljéant 2201, avec) 24019, par 1201 st. a,
[de]devant 6788, (delpar 3417, [de]piecha 10612, (depuis 10177,
[en]contre 9758, [ens] en 3630, 6255, 21186* (vgl. 18680, 20327), ha
6043 st. helas.
Zahlreiche Verfälschungen sind endlich durch Auslassung oder
Einfügung von syntaktisch oder dem Sinne nach oft entbehrlichen
\Vörtchen entstanden. Dahin gehören je 1641*, tu 21980, dd 169*,
nous 3667, vous 6100, 22680, me 10336*, le 240*, se 11552, nous
8635, 11405, vous 16038, mon, ma, sa 2349*, der Artikel 2772*,
9139*, ung 19793*, ce 16147*, en 4628*, y 1594*, cy 9660*,
doncques 10153, donc 15714, 19008, ens 3844, chier 3339*, grant
10928*, tous 4465*, tout 4521*, tres 12014*, bien 8388*, plus 15234,
23683, tost 857*, pas 6773, 7731, ja 12623, 19713, or 3044, ça
11297, 22205, 24645, si 3534, 18024, et 4734*, ou 1550, ne 6595,
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 231
1512. Mon pere (1. per, e) je le vous pardonne. — Maria
spricht zu Joseph. Vgl. 1436 *.
1594. Ou (y) a gent de mainte guise. Ebenso 3667*, 20856.
Umgekehrt [y] 16378.
1641. Mais vrayement (je) ne vorroi(e) mie. Ebenso (je) 2865,
6307, 7173, 7632, 14792, 22173. Umgekehrt [je] 2219, 3275, 9961,
13390, 18262.
1671. Des mains b. Les od. Ses m.
1675. Ergänze danach: Et son visage cateillier. Vgl. 1662.
1709. Je vouldray prendre mon chemin A aler a (b. Devers)
l’evesque de Cirin.
1761. noctorement, 1. notoere-. Vgl. notoirement 3513, devoet
5236, doet 647, moes 1466.
1804. Raccomandez m(oy)' a l'empereur. Ebenso: Laissiez
m{oi) un peu au roy parler 5255, 5378, 14977. Aber: Se laissiez
moy aller me pendre 5380, laissiez moy acoller Mon doule file 18503,
daher: Faites [moy] un peu meilleur chiere 2396.
1901. S'i vienge(nt). Ähnlich tiengne(nt) 2394.
2257. Qu'il croient estre (b. Qu'estre croient).
2349. Onques en (mon) vivant. Ähnlich en (ma) vie 4102,
en (sa) vie 17571, en (ma) voie 4834, ne (leur) povoir 22466; gegen
en ma vie 5234, en [ma] jonesse 9942, [mon] argent 11227, [son]
nom 7224.
2360. S'il vit = „Wenn er am Leben bleibt“. Abergläubischer
Vorhehalt, den schon die Chansons de Geste kennen, so EX Morant
point, sS’Ü vit, 4 ert prodom Girbert de Mes O 61 c, Co 'st Baldewin,
s'il vit (0: co dit), ki iert prodoem Rol. 296. Ähnlich Horn 45, 324,
736 und hier 2896.
2375. D'assembler richesse(s) et avoir. Ebenso aultre(s) esbate-
men[t] 7166, tenebre(s) et umbre 7367, quelque(s) enchantemen|t] 21435,
Jerme(s) et estable(s) 23952. Vgl. 3997*.
2418. Ahors de (b. le) murdre. Vgl. 4914, 4932 u. 8. w.
2772. Oi, sire — Dieu (le) tout puissant. Ebenso (la) 20385,
(les) 11183, 16434. Umgekehrt [les] 23627. — Ojÿ hier noch 2silbig
2689, 3042, 4043, : party 19443 u. 8. w. Nur in der Verbindung oy
certes 2650, 3661 scheint es bereits 1silbig geworden zu sein.
3044. [or] ça. (Vgl. 2650, 3646.) Ebenso [or] 5363, 6855, 13857.
3200. Mon mie b. Non mie. Vgl. 807, 3368, 3804*.
3339. Mon [chier] seigneur. (Vgl. 3269.) Ebenso [chier] pere
11658. Umgekehrt (chier) sire 13655.
3667. Il n'(y) a de quoy — Tant que (nous) poons. Ebenso
(nous) 16593; umgekehrt [nous] 3362, 3403.
3769. Quellque] part. Ebenso 16880, vgl. 3763, 4986.
Jules-Marie Richard. Le mystère de la Passion. 233
7682—92. Entstelltes Triolet. Tilge 7684, 87—9. Vor 76%
fehlt eine Zeile : -ous.
7747. Maintenant est devenue (b. M. d. e.) telle.
7907. Le murdre, du (b. au) sanglant larroncel.
8039. [Que] fu nous mettes en (pri de) debat. Vgl. 987*
und 19793*.
8388 ff. Toy, retourne [bien] prestement, Dis aux princes que
criammant (b. erramment) Leur plaise venir. Vgl. [bien] ainsy 13610,
moult [bien] 5416.
8717. Et amer de plus (fort) en plus fort.
8883. Avant [vers] lui.
9117. Pour aler les (b. toutes) voies seures.
9139. Les cures des) hommes plus muables. Vgl. les diables
d(e D’infer 20833.
9207. [Sire] je scay certainement. Ebenso 10161.
9660. vien [cy]. mon amy. Umgekehrt (cy) 17670.
10289 f. Ergänze Venir [tres grant et dur meschief Plus] grant.
10291. parles pas (b. bas).
10328. Quun)e femme nomee Marie. Ähnlich 19793*.
10336. Mieulx (me) vault que [ne vaulf] mon habit. Ahulich
(me) 8849. Umgekehrt [me] 10026, 19425.
10374. Jamais nul jour ne le l’arons (b. rarons).
10671. Que le temple est (di) ma mansion.
10878. Et mangier l’agniel aimable (1. anuable).
10928. (grant) honnesteté. Ebenso (grant) 13746, 15810, 16686.
12014. [fres] bien. Ebenso [tres] 7663, 8183, 9838, 13289,
13848. Umgekehrt (tres) 14301. Ahnlich (moult) 23847.
12787. Bailliesmes b. Baillies moy.
13328. Il n’y a riens que [de] redire.
13678. Marie (ma cousine) vo[stre bonne] mere.
13981. C’est bien, on le face (b. face on l')entrer ceans.
14019—30. Elfzeiliges Rondel. Tilge 14024 u. 28, setze 25
hinter 27 und wiederhole 21 nach 30.
14086—95. Triolet, Tilge 90 u. 93.
14300 f. Vecy un tres bon cacheron De canane (b. cama)ve =
chanvre) de (tres) bonne façon.
14332—7. Arg entstelltes und verstümmeltes Triolet.
14432. Il fault qu’il soit mis en hautois (b. haut dois).
14570—5. Triolet, doch ist der Eingangsrefrain irrig als
Theatervermerk gedruckt.
14604. T’enraste (b. Tenras !’) humais ce pot!
14620. Racquiez lequel [que] vous volez.
Paul Stapfer. Montaigne [Les grands écrivains français]. 235
auch Anlass zu mancherlei Besserungen und Ergänzungen, doch will
ich die so schon allzu umfangreiche Besprechung nicht auch noch
auf diesen Abschnitt ausdehnen.
E. STENGEL.
Stapfer, Paul. Montaigne [Les grands écrivains français].
Paris 1895. Librairie Hachette et Cie.
Jene Oberflächlichkeit, die in einigen Schlagworten das Herz
eines Jahrhunderts schlagen zu hören meint, wollte Montaigne mit
der blossen Bezeichnung als Skeptiker abthun und diese sich immer
mehr als Legende erweisende Charakteristik hat die feineren Einzel-
züge von dessen litterarischer Physiognomie so umsponnen, dass sie
beinahe verlöscht erscheint. Erst in Stapfer und kurz vorher in
Faguet sind Montaigne Biographen erstanden, die sich ganz in seine
Individualität versenken, die nach dem schönen Worte Sainte-Beuves
nichts weiter sein wollen, als in aller Bescheidenheit dienende Brüder
im Orden der biographes-moralistes und nach Lessings Rate nichts
anderes thun, als „das Beste aus schlechten Büchern herauskernen
und über den Idiotismen, Grillen, Verkehrtheiten urwüchsiger Naturen
nicht das Lebeusfähige, Dauernde verkennen, das sie neu- oder
wiederfinden“. Besonders das von Stapfer gezeichnete Bild dünkt
uns so sorgfältig, wie mit dem Silberstifte ausgeführt, so treu und
wahr, dass wir der Versuchung nicht widerstehen können, das
Wichtigste aus seinem Buche hier mitzuteilen.
Wenn man mit dem Skeptiker den hohlwangigen bleichen
Grübler, oder den egoistischen, willensschwachen, denkfaulen, jeder
gefesteten Überzeugung und aller Begeisterung baren Verächter
alles positiven Wissens versteht, der mit der wohlfeilen Begründung,
der menschliche Geist sei ein zu stumpfes Werkzeug, um sich seiner
als Sonde der Erkenntnis zu bedienen, sich bescheidet, so passt diese
Bezeichnung durchaus nicht auf M. Denn derselbe hat nicht nur
über viele Fragen des praktischen Lebens entschiedene Ansichten
ausgesprochen, sondern ein geradezu bis zum Enthusiasmus sich
steigernder Wissensdrang, eine bis zur Bewunderung gehende An-
erkennung willensstarker, heldenhafter Menschen sind ihm trotz
seiner eigenen Hinneigung zu einem quietistischen von grösseren Auf-
regungen freien Leben durchaus nicht fremd. Wahr ist nur, dass
er die starre einseitige bis zum Fanatismus gehende Verranntheit
in angebliche Überzeugungen, den Dogmatismus, von sich weist, dass
er, der sich rühmt, an allem und sogar an sich selber zu zweifeln,
_ eben der so bedeutenden Verschiedenheit der Meinungen wegen die
Paul Stapfer. Montaigne [Les grands écrivains français]. 237
Sein, hat er das bessere Teil ergriffen und sich bei der leichten An-
passungsfähigkeit seines fluktuierenden Geistes mit naiver Freudig-
keit der Autorität der Kirche unterworfen, in der Meinung (wie sie
Balzac einmal äussérte), die Ansicht des Einzelnen könne nie 80
vesund sein, wie der allgemein herrschende Glaube, gleichwie ein
Wassertropfen leichter verdirbt als der Ocean. Allerdings hat er
dabei seine Abneigung gegen den Dogmatismus nicht ganz auf-
gegeben und seine innere Freiheit nicht geopfert. Er hat besonders
seine sonnige an der Brust der Antike grossgezogene Lebens-
anschauung sich bewahrt, so dass man ihn mit Recht als einen
nur christlich übertünchten Heiden bezeichnen kann, der sich mit
den Grundsätzen der christlichen Lehre nur zur Not abgefunden hat
und der sich die Unbefangenheit des Kritikers nicht ganz rauben
lässt. Er hat nur die Scheu, aus seinem Denken, weil er dessen
Ergebnissen immer und immer misstraut, die letzten Consequenzen
zu ziehen und es in kräftigen, Conflicte hervorrufenden Thaten aus-
zulösen, sein Scepticismus (wenn man schon dieses Wort durchaus
gelten lassen will) ist durchaus kein seine Seele aushöhlender an
seiner inneren Ruhe nagender, sondern er verschafft ihm jene milde
versöhnliche Auffassung des Lebens, die alle stürmischen Kämpfe
fernhält. Sein Christentum ist ebenso ferne von dem Pascals, der
sich nach aufreibendem inneren Ringen mit seiner widerstrebenden
Natur zur Glut und Inbrunst des Glaubens siegreich durchgearbeitet
hat, als von dem Deismus Voltaires, der alle Confessionalität mit
der Säure seiner Satire zu zerstören sucht; es ist eine Art Opportunitäts-
religion des Lebenskünstlers, die ihm den dauernden Zustand des
Daseins erträglich macht und daneben noch einiges besitzen lässt,
was seine tiefste Seele befriedigt, die ihm einen sicheren Winkel
für den Aufbau seiner Hütte bietet, in der er auf dem weichen
Ruhekissen des Glaubens einen sanften Schlummer finden kann.
Denn des Menschen himmelstürmerisches Forschen nach dem Un-
erforschlichen sei sein Unglück und er sei darum weniger glücklich
als das Tier, weil ihm mehr Wissbegierde angeboren sei, als er zu
seiner Existenz notwendig habe und als er befriedigen könne. Man
darf sich nicht wundern, dass M. der Reformation gegenüber eine
feindliche Haltung einnahm; er hasste dieselbe, weil sie die für ihn
so verabscheuungswürdigen Religionskriege hervorrief, er missachtete
sie, weil sie dem Unberufenen das Recht der freien Bibelauslegung
einräumte, weil sie auf halbem kritischen Wege stehen blieb und
nicht zum wenigsten, weil sie dem classischen Altertum nicht sehr
gewogen war. Und doch war sein Katholicismus sehr anfechtbar,
da seine Anschauungen über die Erlösung und die göttliche Gnade,
die Erbsünde und die Güte der Natur, die Busse und die Unsterblich-
Paul Slapfer. Montaigne [Les grands écrivains français]. 239
halt an dem Medium tenuere beats fest. Er hält daran fest, es sei
das Beste, von einem guten und bequemen Platze aus das Leben zu
beobachten, ohne sich handelnd einzumischen, sich in seine schroffen
Widersprüche und klaffenden Risse hineinzufinden, sich stets jenes
Quantum von Illusionen zu erhalten, das zur Verhüllung des un-
leugbar hässlichen Lebenskerns nötig sei, sich möglichst gut mit.
Palliativen zu behelfen, um das grosse Defizit, das schliesslich doch
bei jeder menschlichen Existenz herauskommt, thunlichst hinaus-
zuschieben. Jedes unruhige Verlangen in sich müsse man nieder-
kämpfen und seine Wünsche so in Ordnung halten, dass das innere
Gleichgewicht keine Störung erleidet, dass man jene auch den
materiellen Verrichtungen der menschlichen Maschine zuträglichste
Verfassung der Seele erreiche, die aus jeder Begebenheit Vergnügen
zu schöpfen, jeden Schmerz in die Vollkommenheit des Universums
aufzulösen weiss. Einem vernünftigen Geniessen redet er das Wort,
indem man sich zuerst den Genuss verdient, dann ibn einteilt und
leicht gesättigt die letzte Hefe verschmäht, und er selbst lässt sich
öfter vom Schlafe aufschrecken, um sich dann auf die andere Seite
zu legen und mit Bewusstsein weiter zu schlafen.
Nun noch einige Worte über M. als Schriftsteller im engeren
Sinne. Seine geistigen Kinder gelten ihm mehr als seine leiblichen.
An ihm bewährt sich besonders der Ausspruch, die Schriften der
Alten seien für die Schriftsteller, die der Neueren für die Leser,
denn er dankt ersteren das Beste. Sie sind ihm eine Art Normal-
menschen im Leben und in der Litteratur; nur gegen Cicero hat er
eine bestimmte Abneigung wegen dessen angeblicher Mattherzigkeit.
und weil er seine besten Gedanken in einem Wortschwalle ersliufe.
Mit Goethe verabscheut er die das klassische Altertum zersetzende
bistorische Kritik und hat sogar eine Vorliebe für jene Erzithlungen,
die der Analogie aller Erfahrung, den allgemeinen Gesetzen und
Bedingungen des Geschehens widerstreiten, wenn sie ihm gefallen,
wenn sie ihn erbauen oder belehren, wenn sie seinen Überzeugungen
oder Anschauungen zur Stütze dienen. Die ihm sonst so sympathixche
Mittelmässigkeit lässt er bei den Dichtern nicht gelten. M. hat
schon im Verkehr mit Tasso das seit Aristoteles bis auf Wilhelm
Dilthey und Cesar Lombroso in den mannigfaltigsten Variationen
behandelte Thema von „Genie und Walınsinn® gestreift. Die
Litteratur muss unterhaltend sein. So sehr er selbst als Schrift-
steller alles Nebelhafte, Unklare abweist und Sätze von scharfer
epigrammatischer Kürze liebt, 80 sehr bewundert er an den grossen
Dichtern, dass sie es durch die Fülle ihres Genius immer neuen
Commentatoren ermöglichen, von den Vorgängern ungeahnte Schön-
heiten in sie hineinzuinterpretieren. Sein Stil ist aber auch poetisch,
Louis Arnould. Anecdotes inédites sur Malherbe. 241
schrumpfen, wenn man sich vor Augen hält, dass grosse Vorgänger
gänzlich oder nahezu im Schatten grosser Nachfolger verschwinden,
und dass das scheinbar Neue in seinen Schriften sich im Keime
auch schon zumeist in der antiken Litteratur vorfindet. Sehr fein-
sinnig ist die Bemerkung Stapfers, dass die Essays M’s ihre un-
reheuere Popularität auch dem Umstande verdanken, dass M., der
sich selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, in seinem
Werke als mit allen gewöhnlichen Fehlern und Schwächen behafteter
Durchschnittsmensch erscheint und jeder Leser sich einem so be-
rühmten Autor geistig verwandt zu fühlen geschmeichelt sehen muss.
Wie in gewissen Volkstheatern mit dem Entréebillet erwirbt der
Käufer mit dem Buche einen Batzenspiegel für seine Person und
die Beruhigung, viele Andere seien noch schlimmer als er. Denn
die Essays sind nach dem Goethe’schen Recepte gearbeitet: Willst
du dich selber erkennen, so sieh, wie die Andern es treiben, willst
du die Andern erkennen, so sieh in dein eigenes Herz, und der
Verfasser hat den gesammten Niederschlag des Gedachten, Erprobten
und Misslungenen sich zu eigen gemacht, um es in den Dienst des
unmittelbaren Bedürfnisses zu stellen. Sehr interessant ist auch
das Capitel, welches den Einfluss M’s auf die späteren grossen
Sehriftsteller schildert und die Thatsache illustriert, dass er so oft
die Büsche ausklopfte, wo Andere die Vögel fingen. Hier sei nur
daraus erwähnt, dass ihm Larochefoucauld und Rousseau vieles, Pascal
so ziemlich alles verdankten, obgleich Letzterer ihm dafür schlechten
Dank weiss und stets auf seine Besonderheit pocht. Auch Shakespeare
hat in seinem Sturm eine Stelle aus M’s Capitel „über die Cannibalen“
aufgenommen und desselben Hamlet entspricht vielleicht der Zeich-
nung M’s vom durchschnittlichen Menschentypus. Endlich soll auch
Lessing, „der ja ein Dreiviertelfranzose war“, seinen berühmten
Ausspruch, das Suchen der Wahrheit sei wertvoller als die Wahr-
heit selbst, einer sehr sinnverwandten Stelle bei M. entlehnt haben.
Wir möchten noch hinzufügen, dass der modernste Neukatholicismus
mit seiner Abwendung von der Wissenschaft, der seit Chateaubriand
keine so grosse Gemeinde gehabt hat wie im Jungfrankreich der
Gegenwart, sich sehr wohl auf M. zurückführen liesse. |
NIKOLSBURG. JOSEF FRANK.
Arnould, Louis. Anecdotes inédites sur Malherbe. Supplément de
la Vie de Malherbe par Racan. Publié avec une intro-
duction et des notes critiques. Paris. Picard et fils. 1893.
87 S. gr. 80.
Als Ménage eine Ausgabe der Werke Malherhe’s veranstalten
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII®. 16
Louis Arnould. Anevdetes inedites sur Malherbe. NS
Anmerkungen als in den, den Hauptteil der Einleitung biklenden
Beweismomenten für die Herkunft jener Zusätze sacht man einen
solchen vergeblich, man müsste denn den S. 22 ohne weiteres auf-
gestellten Satz me juste retenuc Ten ara empiche dafür halten
wollen. Ich verhehle nicht. dass unter den Beweismomenten —
nach S. 17 scheint es sogar, als teile der Her. beinahe meine
Meinung — die Heranziehung des „Tones der Erzählung“ mir miss-
lich vorkommt, so sehr auch die Schreibweise Racans, eines in den
Mémoires „languissani conteur“ za derjenigen der von Uonrart über-
lieferten Geschichtchen stimmen mag, denn diese zeigt sich gleich-
falls im ganzen als tranquille, trainanie, sourent naïve. Von den so-
dann herangezogenen (5!) „Redewendungen“ kann ich aber als
beweiskräftig nur die zu Ann. Nrr. 28 und 31 anerkennen, die
übrigen entbehren, und selbst die zu An. Nr. 33 (betr. das on di)
einer wirklichen tieferen Begründung. Herzlich mager nehmen sich
auch die (2!) „Zeugnisse der Zeitgenossen“ ans, von denen nur eben
das erste, das Ménage's, ein Stück, An. Nr. 223, rettet. Jacob
Bibliophile’s und Ed. Fournier’s Ansichten über die Quellen mit
heranzuziehen ist zwar respektvoll, fügt aber leider nichts be-
gründendes hinzu. \Vas gar an des ersteren, vom Hsg. S. 22 selbst
als ,inadmissible“ bezeichneten Vermutung betr. die Lösung der
Frage, warum die Conrart etwa mündlich berichteten Anekdoten
von Racan nicht eigenhändig in seinen Mémoires aufgezeichnet seien,
„ingenieuse“ sein soll, ist mir ganz unklar. Dieselbe ist völlig
widersinnig! Arnould’s auf S. 22—23 vorgebrachte Hypothese, dass
Gedächtnisfehler Racans hieran hauptsächlich schuld seien, dieser
aber gelegentlich sich später einzelner Züge aus Malherbe's Leben
erinnerte und dieselben ein paar Freunden, wie Ménage, Conrart,
Chapelain und Tallemant-des-Réaux erzählte, ist, wenn auch nicht
einwandsfrei, so doch recht annehmbar. Es könnte z. B. sofort der
Einwurf gemacht werden, dass gleichfalls durch Gedächtnisfehler
Racan's, oder durch Verwechselung, manches Geschichtchen, das
von einer anderen Person herrührte, auf Malherbe übertragen wurde,
weil es sich mit Leichtigkeit dem um ihn aufgehäuften Anckdoten-
schatze einfügte. Als ganz sicher von Racan stamınend verbleiben
daher nur Ann. Nr. 7, 14, 20, 24, 25, 31. Nr. 30 zu den als
‚wahrscheinlich‘ von ihm stammenden zu stellen, wäre mir auch
schon etwas gewagt.
Bei der Wiedergabe der Anecdotes hatte der Hag. sich nur
an Conrart zu halten, der sie schon passend zusammengestellt hatte.
Dass aber in einer Veröffentlichung, welche einen wissenschaftlichen
Charakter trägt, „necessairement“ ein Stück ausgemerzt wird „d cause
de sa arossiöret6,“ nötigt unwillkürlich ein Lächeln ab. Doch wir!
16*
H. Breymann. D.neusprachliche Reform-Litteratur v. 1876 —1893. 245
Stillstand gekommen. Dieses Gebahren, Kraft, Zeit und Tinte in un-
fruchtbarem Theoretisieren zu verschwenden, anstatt in stiller Arbeit die
methodischen Errungenschaften der letzten Jahre in praktische Thätigkeit
umzusetzen, hat schon von mehreren Seiten entschiedene Verurteilung er-
fahren. Gerade die Veröffentlichung der vorliegenden Bibliographie wird,
wie Br. hofft, die Wirkung haben, der Ueberproduktion auf pädagogisch-
methodischem Gebiete Einhalt zu thun, da ohne Zweifel der Mangel an
einem solchen Buche die Schuld trug, dass viele zur Feder griffen, ohne
eine Ahnung davon zu haben, wie oft dieselben Gedanken schon vor ihnen
ausgedrückt worden waren. Prof. Breymann ist seit Jahren der Ansicht,
dass auch dem Universitätslehrer die Aufgabe zufalle, die pädagogisch-
didaktische Behandlung des schulmässigen Unterrichtsstoffes hin und wieder
zu erörtern, damit der ins Schulleben eintretende junge Lehrer mit der
Entwickelung der Methode, mit der Art des Unterrichts an unseren höheren
Schulen, mit den Unterrichtsmitteln und Unterrichtszielen im grossen und
ganzen vertraut sei. Dieser Ansicht kann man nur beipflichten und
braucht deshalb noch durchaus nicht eine Schädigung oder Beeinträchtigung
der rein wissenschaftlichen Ziele, die sich die Universität steckt, zu be-
fürchten. Br. hat seit einer langen Reihe von Jahren an der Universität
München von Zeit zu Zeit derartige Dinge erörtert und veröffentlicht das
vorliegende Buch in erster Linie in der Absicht, seine Vorträge von dem
bibliographischen Material zu entlasten. In „weiter Linie soll das Buch
auch für jüngere Fachgenossen ein Ratgeber sein.
Im ersten Teile sind die theoretischen Schriften, chronologisch ge-
ordnet, aufgeführt. Dem Titel jeder Schrift folgt eine gedrängte Angabe
des Inhalts, sodann in kurzen Schlagworten Auszüge aus Rezensionen
mit Angabe der Quelle, endlich in Anmerkungen vielfach eigene knappe
Urteile des Herausgebers, dessen Belesenheit man bewundern muss. In
dieser Abteilung erstrebt der Verfasser möglichste Vollständigkeit. Dass
diese wirklich erreicht sei, bezweifelt er allerdings selbst. In einer zweiten
Abteilung durchmustert er die praktischen Lehrmittel, indem er sich hier-
bei auf das Französische beschränkt. Prinzipiell ausgeschlossen sind die
Grammatiken und Uebungsbücher, welche die phonetische Seite unberück-
sichtigt lassen. Auch dieses Verzeichnis wird ziemlich vollständig sein.
Ich vermisse namentlich Ploetz-Kares’ kurzen Lehrgang, der bereits vor
der Herausgabe der preussischen Lehrpläne begonnen wurde und 1893
schon in verschiedenen Ausgaben vorlag. Dann folgen Offizielle Ver-
ordnungen und Oeffentliche Verhandlungen mit bibliographischen Hin-
weisen. Der letzte Abschnitt, Rückblick betitelt, enthält verschiedenes:
Eine Darlegung von dem Plane des Buches, kurze Ausblicke auf die ganze
Reformbewegung, ihre Entwickelung nnd ihre Hauptergebnisse, ferner
auch einige persönliche Auseinandersetzungen mit anderen Methodikern,
die sich iiber Breymanns Stellung zur Reform geäussert haben. In dieser
Abteilung fehlt es nicht an trefilichen Bemerkungen; der Standpunkt des
Verfassers, eines gemässigten Reformers, der als einer der ersten den
neusprachlichen Unterricht auf phonetischer Grundlage aufgebaut wissen
wollte, ist aus seinen eigenen Unterrichtsbüchern bekannt. — Ausführliche
Personen- und Sachregister erleichtern das Zurechtfinden. Hoffentlich
erlebt das nützliche Werk bald eine zweite Auflage, in der dann die
Bibliographie bis auf die Gegenwart ergänzt ist.
LEIPZIG. 0. MIELCK.
Karl Wehrmann. D. ersiehliche Wert d. franz. u. engl. Lekt. 247
es zur Bedingung, dass der Schüler das Gebiet, aus dem der Aufsatz ent-
nommen ist, stofllich vollkommen beherrsche, so dass er seine ganze Auf-
merksamkeit der sprachlichen Form zuwenden kann. Daher hält G. auch
hier gründliche Vorbereitung für nötig. Die beiden letzten Abteilungen
geben eine sehr reiche und gute Auswahl geschichtlicher und litteratur-
geschichtlicher Aufsätze, ohne weitere Anleitung zur Bearbeitung. Nur
den ersten Nummern der historischen Aufsätze sind Questionnaires bei-
gegeben. Einige der geschichtlichen Abhandlungen sind dem Altertum
gewidmet, andere beschäftigen sich mit Karl dem Grossen, mit den Kreuz-
zügen, ihren Ursachen und Wirkungen, ferner mit verschiedenen Phasen
der deutschen und namentlich der französischen Geschichte bis in die
neueste Zeit. Manche Themata sind aus deutschen Aufsatzsammlungen
bekannt, wie z. B. No. 23: Faites voir comment au XVe siècle commence
la lode des temps modernes. Eingestreut sind noch eine grosse Ansabl
Themen mit blosser Titelangabe. Die Aufsätze aus der Litteratur befassen
sich hauptsächlich mit den Dramen von Corneille, Racine und Molière.
Auch zwei englische Stücke, die in den oberen Klassen gelesen zu werden
pflegen (Macbeth und Caesar) sind berücksichtigt. Alles was der Verfasser
bietet, ist durchweg original-französisch, nur einige Themen rühren von
ihm selbst her. Die Stoffsammlung kann jedem Lehrer, der freie französische
Arbeiten schreiben lässt, empfohlen werden.
LEIPZIG. OÖ. MIELOR.
Wehrmann, Karl. Der ersichliche Wert der französischen und eng-
lischen Lektüre. Wissenschaftliche Beilage zum Programm der
Realschule zu Kreuznach. Ostern 1895. 8°. 66 8.
Dem Verfasser dieser Abhandlung hat sich, wie wohl auch manchem
anderen, die Besorgnis aufgedrängt, die pädagogischen Bestrebungen der
(regenwart könnten dazu führen, auf mehr äusserliche Fertigkeiten einen
übergrossen Wert zu legen, in ihnen vielleicht sogar die Quintessenz des
neusprachlichen Unterrichts zu suchen. Er hält es daher für dringend
geboten — und man kann seinem Bemühen nur lebhaften Dank zollen —
wieder einmal mit allem Nachdruck den Inhalt der neusprachlichen
Lektüre zu betonen, ihren Bildungswert hervorzukehren und zu dessen
allseitiger Durchdringung und gründlicher Durcharbeitung mit den Schülern
aufzufordern. Anstatt immer neue Werke fiüchtig und oberflächlich heraus-
zugeben, sollten die Fachgenossen ihr Bemühen lieber einmal ernstlich
darauf richten, aus der Fülle des Gebotenen das auszuwählen, was
dauernden Wert hat, was Verstand und Gemüt der Jugend walırhaft zu
bilden und zu erheben geeignet ist. Dies stelle man dann in einem
Kanon zusammen, der für die Mittelklassen durchaus bindend sein müsste,
auf den oberen Stufen allerdings einen weiteren Spielraum gewähren
könnte (vergl. übrigens jetzt Münch-Glauning, Didaktik u. Methodik V, 43 fi.).
Der Verfasser selbst geht mit gutem Beispiel voran und untersucht
eine Reihe von Werken hervorragender Dichter, Geschichtsschreiber und
Romanschriftsteller auf ihren pädagogischen und ethischen Wert; auch
für John Stuart Mill wird dabei eine Lanze gebrochen.
Im Anschluss hieran wird dann ein Kanon für neusprachliche
Lektüre an Realschulen aufgestellt und begründet. Auch dieser Ver-
such verdient volle Beachtung, selbst wenn man einwenden könnte, die
Ziele seien etwas zu hoch gesteckt, was auch dem Verfasser nicht ent-
gangen ist.
Wilhelm Ricken. Lehrgang der französischen Sprache etc. 249
Gklassigen Anstalten empfohlen, selbst wenn für den Anfangsunterricht
das Neue Elementarbuch zu Grunde gelegt worden ist. Für Gklassige
Anstalten wird der Verfasser ausserdem statt des umfangreichen l.ese-
buches La France etc. eine kürzere mit Berücksichtigung des Uebungs-
buches getroffene Auswahl gesondert erscheinen lassen.
Auch die hier zu besprechenden beiden Abteilungen des Lehrganges
sind natürlich in genauem Anschluss an die neuen Lehrpläne und mit
gewissenhafter Berücksichtigung der als praktisch bewährten Ideen der
sogenannten neuen Methode algelasst.
Die französischen Texte decken sich zum grossen Teil mit den
schon im Neuen Elementarbuche abgedruckten, sind aber mit Rücksicht
auf die Schulen, für die die Bücher bestimmt sind, um ein beträchtliches
vermehrt. Der Auswahl und Form der Texte ist bei den verschiedenen
Besprechungen des Neuen Elementarbuches uneingeschränktes Lob ge-
spendet worden. Referent kann sich dem für den Lehrgang nur voll und
ganz anschliessen.
Auf die französischen Texte folgen in beiden Bändchen Uebungen
im unmittelbaren Anschluss an die französischen Sprachstoffe, deutsche
Uebungsstücke, Unterhaltungsfragen im Anschluss an die französischen
Sprachstoffe, Grammatik, ein franz.-deutsches Wörterverzeichnis als Prä-
paration für die einzelnen Stücke, ein deutsch-franz. alphabetisches Würter-
buch. Dazu kommen im 2. Bändchen als Anhang Les quatre saisons,
d. h. eine französische Besprechung der Hölzel'schen Bilder, und ein
Wörterverzeichnis zu diesem Anhang. Uebrigens soll nach einer Notiz
im Vorwort zum zweiten Bändchen für die Zukunft auch dem ersten
Bändchen der Text für das Winterbild und vielleicht auch das Frühlings-
bild angehängt werden.
Die Uebungen im unmittelbaren Anschluss an die französischen
Sprachstoffe, d. h. Anweisungen, wie aus der Lektüre die notwendigen
Regeln für Aussprache und Grammatik erarbeitet werden können und
sollen, sind reichhaltig und sehr sorgfältig gearbeitet und verraten überall
den erfahrenen Praktiker. Dem Einwande, solche Vorschriften seien ein
unbequemer Zwang, begegnet der Verfasser mit sehr zutreffenden Lründen
im Vorwort zum 2. Bändchen (S. III u. IV).
Die deutschen Uebungsstücke des 2. Bändchens umfassen zusammen-
hängende Texte, die sehr geschickt im Anschluss an die vom Schüler ge-
lesenen Stücke ausgearbeitet sind. Die deutschen Uebungen des ersten
Teils bestehen teilweise aus Formen oder aus kleinen einzelnen Sätzen.
Wo es sich aber erreichen liess, sind die Abschnitte, wenn auch als
einzelne Sätze numeriert, doch inhaltlich in nahe Beziehung zu einander
und zu eben gelesenen Texten gebracht. Der Verfasser ist grundsätzlich
für zusammenhängende Stücke, Referent gehört aber zu denen, die sich
darüber freuen, dass er nicht eigensinnig einen Grundsatz da durchführen
will, wo er zweckmässig durchbrochen wird (Uebungsbuch, Vorw. S. II).
Die „Unterhaltungsfragen“ geben reichhaltige Anleitungen zu Sprech-
übungen. Anstoss könnte man vielleicht nehmen an den in folgender
Form häufig eingestreuten Fragen: Minette est une chatte, n'est-ce pas?
wo die Antwort schliesslich nichts weiter sein kann als eine Wieder-
holung der Worte des Lehrers. Wenn man solche Fragen auch im Unter-
richt in deutscher Sprache verurteilen wird, so darf man sie in der Fremd-
sprache doch recht wohl im Anfangsunterricht zulassen, da es ja bekanntlich
für den Anfänger gar keine leichte Aufgabe ist, aus dem Munde des
Lehrers gehörte Worte einfach zu wiederholen, ganz abgesehen davon,
Alfred de Vigny. Cing-Mars. 251
Vor allem dürfte sich aber eine übersichtliche, nach praktischen
Gesichtspunkten geordnete Zusammenstellung der Unregelmässigen Verba
als Beigabe empfehlen. In den Uebungen u. s. w. des 2. Bändchens giebt
der Verfasser allerdings zunächst je nach Bedürfnis für die vorkommenden
Verba die Hauptformen. Von Stück 39 an erscheint aber mehrfach die
Forderung: „Konjugiere .... rire, conclure, vouloir, savoir ....“ ohne
weitere Angabe der Unregelmässigkeiten. Der Schüler soll sich offenbar
im Anhang Rats erholen. Folgen wir ihm dabei z. B. beim Aufsuchen
von savoir. Er findet saurai 8 43, su 44, sus 45, sais 49, Imper. sache 5:,
sachant 63, Konjunkt. sache 55. Eine solche Verteilung der einzelnen
Formen ist gewiss systematisch wohl berechtigt, sie ist aber doch für das
Lernen und Repetieren recht unbequem und zeitraubend.
Ausserdem ist auch die Art der logischen Gruppierung nicht ganz
einwandfrei. Die Präsentia werden darnach unterschieden, ob der Wechsel
der Betonung einen auffallenden Stamm wechsel veranlasst hat oder
nicht. Einem Realquartaner wird aber nicht ohne weiteres einleuchten,
warum darnach valoir, résoudre zur 2. Gruppe, mourir, savoir aber zur
ersten gehören sollen. Der Verfasser hat, wohl um die hier obwaltenden
Schwierigkeiten zu vermindern, S. 119—121 grammatisch historische Er-
örterungen eingefügt. Aber diese gehen sicher über den Horizont eines
11—12jährigen Schülers hinaus. Auch ist ihre Fassung nicht ganz zu
billigen, so z. B. wenn es S. 120 Anm. 2 am Schluss heisst: „Man hat
also, wenn man je vaux, tu vaux, il vaut spricht, im Stillen sich vals,
vals, valt zu denken‘.
Doch Referent muss abbrechen, um die Anzeige nicht über Gebühr
auszudehnen. Er fasst sein Urteil dahin zusammen: Alle drei ihm zur
Besprechung vorliegenden Bücher sind sehr tüchtige pädagogische und
wissenschaftliche Leistungen, die die volle Beachtung aller Fachgenossen
verdienen. Ihre Einführung in den Schulen wird nur erleichtert werden,
wenn sich der Herr Verfasser dazu entschliesst, den oben besonders über
die Behandlung der Grammatik vorgetragenen Wünschen in der Haupt-
sache Rechnung zu tragen.
E. UHLEMANN.
Cing-Mars, ou une conjuration sous Louis XIII par le Comte Alfred
de Vigny. Für den Schulgebrauch bearbeitet und erklärt von
Gustav Strien. Leipzig, 1893, Renger'sche Buchhandlung
Gebhardt & Wilisch, XI, 116 8. /Französische und englische
Schulbibliothek, herausgegeben von Otto E. A. Dickmann,
Reihe A, Bd. LXX }
Der berühmte Roman Cing-Mars, der hier zum ersten Male für
den Schulgebrauch herausgegeben wird, ist viel zu lang, als dass er ganz
in einem Semester gelesen werden könnte; daher hat der Herausgeber
mit weiser Beschränkung nur die letzten acht Kapitel (XIX—XXVI), und
auch diese mit starken Kürzungen, abgedruckt. Den Inhalt der aus-
gelassenen 18 Kapitel giebt er in der „geschichtlichen Einleitung“ vor
dem Texte (p. VIII—XI). Ausserdem geht noch eine ,biographische Ein-
leitung“ (p. VI f.) voraus, in der das Wissenswerteste über A. de Vigny’s
Leben und Werke zusammengestellt ist. Freilich erfährt darin der Schüler
von dem zu lesenden Roman nichts anderes, als dass Vigny in demselben
den Walter Scott nachahmte. Es hätte doch hervorgehoben werden müssen,
dass ,Cing-Mars“ der beste historische Roman der Franzosen vor dem
Am. Gasquet. Lectures sur la Société. 253
kanischen Kirche besonders die Unfehlbarkeit des Papstes angriffen
‘8. Heller, a. a. O., p. 49—57). Wenn es ferner der Verfasser für nötig
befunden hat, die Bedeutung des connétable (p. 33) zu erklären, welches
Wort übrigens schon p. 5 vorkommt, 80 hätten wir auch Bemerkungen zu
pair (p. 5), maître des requêtes (p. 87), des oubliettes (p. 90), des salines
(p. 28) erwartet; denn was das Wörterbuch zu diesen Ausdrücken sagt,
genügt nicht zum vollen Verständnis der Schüler. Auch vermissen wir
eine Anmerkung zu Fontrailles (p. 13), einem der Mitverschwörer von
Cing-Mars, umsomehr als der Herausgeber gerade die Stelle, die uns mit
diesem Manne näher bekannt macht, gestrichen hat. Doch diese Kleinig-
keiten thun der trefflichen Ausgabe des Cing-Mars keinen Eintrag; sie
sei zum Schulgebrauche bestens empfohlen.
TROPPAU. J. ELLINGER.
Meunier, Gg. Les Grands Historiens du 19. Siècle (Etudes et Extraits).
Paris, 1894, Delagrave, XXVIII u. 430 S. Preis cart. 3 Fr.
Eine recht brauchbare Chrestomathie aus den französischen Ge-
schichtsschreibern dieses Jahrhunderts, die etwas optimistisch insgesamt
als grands historiens bezeichnet werden. Vertreten sind Michaud (S. 1
bis 18), Sismondi (bis S. 61), Barante (70—80), Aug. Thierry, Guizot,
Mignet, Thiers, Michelet, Henri Martin, Quinet, I. Blanc,
Camille Roussel, Taine (leider nur S. 327—40), Fustel de Coulanges,
Duruy, Lavisse. Es lässt sich über die Zusammensetzung einiger-
massen rechten. Nach des Ref. Ansicht gehört Fustel de Coulanges
schwerlich in diesen Kreis popularisierender Historiker. Fand aber
Lavisse Aufnahme, so durfte ein Mann von Sorels Bedeutung nicht fehlen.
Die dem freilich etwas unfranzüsischen Taine zugewiesene Portion entspricht
dem inneren Werte seiner Geschichtschreibung nicht. Louis Blanc ist
allzu radikal, um ernstlich für einen grand historien zu gelten; aber den
jetzigen Machthabern entspricht wohl seine Richtung.
Jedem Historiker ist eine geschickte Lebensskizze vorausgeschickt.
Wann wird die deutsche Geschichtsschreibung, die wohl bedeutender
ist — Mommsen, Ranke und seine Schule etc. etc. —, auch einmal der
Schule zugänglich gemacht?
FREIBURG 1 BR. JOSEPH SARRAZIN.
Gasquet, Am. Lectures sur la Société française aux 17. et 18. siècle
Paris, Delagrave, 1894. 314 S. 12°. Preis gbd. Fr. 2.50.
Weder der Geschichtsunterricht, noch die französische Schullektüre
vermögen in das innere Leben, in die sozialen Verhältnisse des Zeitalters
Corneilles, Molières, Rousseaus und Voltaires einzuführen. Nur dic weit-
schichtige Memoirenlitteratur und der noch weitschichtigere Briefwechsel
hervorragender Persönlichkeiten legen uns diese hochinteressante Seite
des betreffenden Zeitabschnittes einigermassen klar.
Dem Amerikaner T. F. Crane gebührt das Verdienst, zuerst ein
handliches Quellenlesebuch aus dem 17. Jahrh. zusammengestellt zu haben.
Der wohlverdiente Beifall, welchen sein Buch ‚Lu Société française au
Bibliothèque française. 255
damit fesseln; für Tertia sind solche Stellen zu streichen. So schildert
er S. 3,25 die Erscheinung der Barbaren, für die er im Interesse der
römisch-gallischen Kultur gar nicht eingenommen ist, wie freilich gemein-
bin alle Franzosen, wenn sie vom Eindringen der Franken ins römische
Reich sprechen, nur widerwillig den doch so wirksamen Einfluss der
letzteren in der Bildung des neuen Volkes und Staates anerkennen; er
bespricht ihre Waffen und ihre Kleidung und schliesst S. 4,2: Le plus
souvent ils combattaient la tete nue, et une longue chevelure graissee de
beurre rance était à leurs yeux la plus belle de toutes les coiffures. S. 6,24
heisst es von den Königen: Leur seule distinction était de porter leurs
longs chereux graisses d'huile parfumée, au lieu du beurre rance dont sc
sertaient les autres Francs; et cette chevelure était la principale marque
de leur dignité, car, dès qu'elle était coupée, ıls perdaient toute autorité
sur leurs sujets. Der Verfasser, der kurz vorher den demokratischen
Charakter des germanischen Königtums richtig erklärt hat, will, wie
S. 6,30—31 ergiebt, den Begriff Rois chevelus erläutern; auf den Begriff
und die rechtliche und die symbolische Bedeutung der chevelure also
kommt es allein an. Daher würde der Beurteiler an der Stelle 4,2 ver-
kürzt haben: Le plus — tete nue, et une longue cherelure etait à leurs
yeux — coiffures. Ebenso S. 6, mit Auslassung von Z. 24—27: Leur
seule — Francs, in einem neuen Satze: Leur chevelure — sujets. Auch
hätte dieser Satz in den Anmerkungen eine sachliche Erklärung verdient,
weil sie der Verfasser unterlassen hat; wie der Herr Herausgeber zu der
irrigen Erklärung von Mérovig, S. 6,11—12, die richtige in den An-
merkungen S. 93 mit Recht hinzugefügt hat. — Nach einer ausführlichen
Schilderung der ‚bösen‘ Fredegunde schliesst der Verfasser S. 20,22- 25
also: Ainsi la Providence permet quelquefois que les grands coupables
tombent tout à coup dans ses mains redoutables, sans avoir eu le temps
de se repentir. Könnte einfach gestrichen werden.
Wünschenswert wäre bei einer neuen Auflage des Bändchens eine
Karte von Frankreich mit den von der Geschichte des Verfassers er-
wähnten Namen.
GEORGE CAREL.
Bibliothèque française. Verlag von G. Kühtmann, Dresden.
1. Thérèse ou l'enfant volé par A. E. de Saintes. Zwölfte
Auflage. Im Auszuge mit Anmerkungen und Fragen nebst
einem Wörterbuche neu herausgeg. von Prof. Dr. C. Th. Lion.
1893. 72 S. Text, 17 S. Fragen, 53 S. Wörterbuch.
Ein leichter und nicht uninteressanter Lesestoff, der zur Anfangs-
lektüre, Quarta bis Unter-Tertia, recht geeignet ist. In der Anlage des
Buches ist zu loben, dass breite Kommentare gemieden sind; bis auf die
Erklärung einiger Realien und wenige grammatische Notizen findet der
Schüler alles, was er braucht, in dem recht vollständigen Wörterbuch, das
diesmal mit Rücksicht auf den Anfänger „eher ein entbehrliches Wort zu
viel als eins zu wenig“ angiebt. Auch das verdient volle Billigung. So
wird das Spezialwörterbuch die richtige Vorschule für den späteren Ge-
brauch des grossen. Die Sprache bietet keine Schwierigkeiten; die Dar-
stellung ist der Altersstufe, für die der Hr. Herausgeber sie bestimnt,
angemessen. Auf das Buch sei daher zu einem Versuch in der Klasse
gezieınend aufmerksam gemacht,
Bibliothèque française. 257
Fussnoten gegebenen Uebersetzungen entbehrlich; £. B. S. 14, 15: „menu
d'anachorète“, „Klausmermahl®; S. 16, 10: „festin du regard", „Augen-
schmaus“; S. 16, 23: „en baissant la voir“, „mit gedämpfter Stimme“;
S. 34, 15: „abaisser“, „niederwerfen“; 8. 34, 7: „dans une anziete palpi-
tante“, „bebend vor Angst‘; S. 87, 4: „affaire de coeur“, „Herzens-
sache®, etc. — Zu den in den Anmerkungen gegebenen Uebersetzungen
möchte ich bemerken: S. 17, 11: „Quelle science de clairobscur“ übers.
„Welche Meisterschaft sm Helldunkel® oder „welch meisterhaftes Hell-
dunkel“ ; S. 66, 18: „un deuil éclatant du bonheur“, kürzer als die An-
merkung vorschlägt, „glänzendes Elend‘. S. 67, 16 ist die Rede von
altem Gemäuer, das bedeckt ist „d’une lèpre immonde“ ; lässt sich wörtlich
übersetzen „mit einem unreinlichen Ausschlag“. — $. 124, 4: bei ,battre
la breioque“, das passend übersetzt ist „irre reden“, fehlt die Erklärung,
warum das so zu übersetzen ist. Es ist die Rede von Fieberkranken im
Militärlazaret, die im Fieber zum Brotempfang trommelten; daher konnten
sie erst „irre reden“. — $. 13, 10 ist die Rede von Café, „den der Sohn
meiner Portiersfrau aus der Levante mitgebracht hat“; Anmerkung zu
„Levant“: „hier = Syrien (sonst: der ganze vorderasiatisch-aegypt. Raum)‘.
Unnötig. — S.15,15 wird zu „Louvre“ bemerkt: „das Louvre, ehemaliger
Königspalast‘“; unverständlich, da es sich um ein Oelgemälde handelt,
wenn nicht dazu bemerkt wird, dass das Louvre jetzt Gemäldegallerie ist. —
S. 20, 13: „faire observer“ heisst ,einwenden“. — Dankenswert ist es,
dass der Herr Herausgeber an einigen Stellen kurze Erklärungen und
Nachweise zu den im Text gegebenen Anspielungen gegeben hat; 80
S. 54, 11 zu Ajax und anderswo zur ,aurea mediocritas“ des Horaz. —
7u 54, 21 wäre zu bemerken, dass Ovid. Fast. 6, 88 den Junius nicht
von „Juno“, sondern von ,Ju-ve-nius = Junius“ ableitet.
566. Trente ans de Paris à travers ma vie et mes livres par
Alphonse Daudet. In Auszügen mit Anmerkungen zum
Schulgebrauch herausgegeben von Prof. Dr. C. Th. Lion. 1894.
83 S. Text, 4 S. Anhang.
Hier haben wir die für Ober-Sekunda und Prima zu wünschende
Textausgabe, mit ganz kurzen Noten, ohne Spezialwörterbuch; aber es
tritt auch hier sofort zu tage, dass von der richtigen Wahl des Schrift-
stellers alles abhängt! Es ist ein Wagestück, trotz fabelhafter Belesenheit,
trotz möglichst vollständiger Lektüre aller irgendwie beachtenswerten Bei-
werke, von Leipzig oder Berlin aus einen in Paris lebenden Schriftsteller
in seiner eigenen geistigen Entwickelung, in seinen Beziehungen zu den
Zeitgenossen richtig zu verstehen und zu interpretieren. Welch ein Stück
Arbeit, wenn man sich zu dem gleichen Zweck nur schon an einen
deutschen Schriftsteller macht! Wie unbedeutend erscheint daneben der
grammatische, reale und interpretatorische Kleinkram, der doch schon bei
der Erklärung nur eines Werkes oft Mühe genug macht, wenn man den
Schwierigkeiten nicht aus dem Wege geht! Und was man dann auf allen
möglichen Wegen, oft durch Zufall, ermittelt, kann man doch nicht in
kurzen Arvoir- u. étre-Noten auch jedesmal gleich für den Schüler zurecht
machen. Der Beurteiler hält Daudets Trente ans de Paris für keine
leichte Lektüre, meint auch, dass sie, wenige Ausnahmen abgerechnet, für
Primaner zum Interpretieren zu schwer ist; dass man sie kaum reiferen
Studierenden in die Hand geben sollte, und dann nur solchen, die nicht
blos eine schwache Bädeker-Kenntnis von Paris gewonnen haben, sondern
wirklich selbständig haben beobachten lernen, und die von der französischen
Litteratur und Geschichte etwa seit 1850 schon eine Menge wissen.
Ztschr. L frz. Spr. u. Litt XVlie 17
Bibliothèque française. 259
pas l'air de vouloir en finir“ ist zu übersetzen: „Er sieht nicht aus, als
wollte er ein Ende machen“. — S. 3, 11 und oft später: „Abdias* durch
„Obadjah” zu übersetzen, ist unnötig. Etymologisch bedeuten beide das-
selbe; beide sind biblisch, denn auch „Abdias“ findet sich bei Esra; auch
wird dem jugendlichen Leser wohl der Name Abdias z. B. aus einer Studie
mit gleicher Ueberschrift von Adelbert Stifter bekannt sein. Auch liegt
kein Grund vor, dem kreuzbraven, grundehrlichen und in seiner Art
tüchtigen „Abdias“, wie Combe ihn zeichnet, in einem gutmütig be-
schränkten Pantoffelhelden „Obadjah” ein unpassendes Gegenstück zu geben.
61. Pécheur d'Islande par Pierre Loti. Nach der 123. Auf-
lage des Originals für den Schulgebrauch bearbeitet von Ober-
lehrer Dr. Rahn. Mit Wörterbuch. 1894. 144 S. Text, 11 S.
Fragen, 26 S. Wörterbuch.
Lotis meisterhafte Schilderungen aus dem Leben des Seemanns
reiferen Schülern als Lesestoff zuzuführen, ist ein dankbares und dankens-
wertes Unternehmen. Bis auf eine Kürzung, Seite 102—103, die als
Unterbrechung im Rahmen des Ganzen kaum fühlbar wird, weil die Ent-
wickelung der Vorgänge melırfach Scenenwechsel erheischt, geben die
144 Seiten Text des Bandes eine zusammenhängende Geschichte, die uns
bald die kräftigen, wetterfesten, pflichttreuen Männer bei ihrer harten und
gefahrvollen Arbeit auf der See vorführt, bald die auf dem Lande zurück-
gebliebenen Mütter und Bräute schildert, in ihren Sorgen und Hoffnungen,
ihren Arbeiten und ihrem Verkehr. Kurz, eine empfehlenswerte Lektüre
für Prima. Demgemäss hat auch der Hr. Herausgeber in den Anmerkungen
passende Beschränkung eintreten lassen; das Wörterbuch zeigt zwar auch
auf seinen 26 Seiten Beschränkung auf nötigere Worte, aber Vokabeln
wie arme, avertir, blanchätre, cave, commun, consolation, déserteur, dessert,
escalier, fusil, stature, lit, sourd u. s. w., in den ersten und üblichsten
Bedeutungen, könnten fehlen, der Primaner überhaupt das Wörterbuch
entbehren. Es bleibt freilich für Liebhaber, denen die für Prima voraus-
gesetzte Vokabelkenntnis fehlt, eine nicht unangenehme Beigabe.
Zu den bei aller Sparsamkeit sorgfältigen Noten bemerkt der Be-
urteiler: S. 53, 11 zu monter quatre à quatre, das im Wörterbuch richtig
mit ,hinaufstürmen“ übersetzt ist, könnte in einer Fussnote gesagt werden
„mit jedem Schritt vier Stufen“, wodurch zugleich das quatre à quatre
erklärt wird, und die Vokabel im Verzeichnis könnte gestrichen werden.
Zeitersparnis. $S. 112, 16: elle avait déjà oublié ces épouvantes dressées
sur la route übersetze: „sie hatte schon jene Schrecknisse vergessen, die ihr
auf dem Wege entgegen starrten“, wie sich aus der ersten Bedeutung
von dresser mit Leichtigkeit ergiebt. — Sonst finden die grade auf die
adaequate Wiedergabe des Französischen hin geprüften Anmerkungen die
gebührende Anerkennung.
62. La Neuvaine de Colette par Jeanne Schultz. Für
den Schulgebrauch bearbeitet von Dr. Wilh. Reimann. Mit
Wörterbuch. 1894. 137 S. Text, 12 S. Qu., 36 S. Wrtb.
Für die oberste Klasse einer Töchterschule oder für reifere Schüler
als Privatlektüre wohl geeignet. Die zum grossen Teil in Tagebuchform
sreschriebene Geschichte eines eben der Pension entwachsenen Mädchens,
das in winterlicher Abgeschlossenheit auf dem Lande lebt, bietet in ihrer
naiven und im flottesten Konversationston gegebenen Darstellung einen für
die Töchterschule besonders nutzbaren Stoff, der nicht blos kurzweilig zu
17*
Schmagersche Textausgaben. 261
dessen von Voltaire geschriebene Geschichte immer noch viel von Tertia
und Sekunda gelesen wird. Warum, fragt er mit Recht, sollte da nicht
auch einmal der Biograph Oberlins zum Worte kommen, dessen ansprechende
(ieschichte der sonst unbekannte F. Bernard nach Daniel Ehrenfried Stöbers
Vie de J. F. Oberlin, pasteur à Waldbach au Ban de la Roche geschrieben,
und die hier als passende Lektüre für Unter-Sekunda geboten wird. Vor-
wort V finden wir eine Skizze des im Unter-Elsass, südwestlich von
Strassburg liegenden Teiles der Vogesen zwischen Mutzig, Urbach und
Barr, in welchem Oberlin hauptsächlich wirkte, eine für das Verständnis
der Lektüre dankenswerte Beigabe. Die 60 S. Text enthalten in zehn Ab-
schnitten in sehr gefälliger Darstellung und leichter Sprache die Geschichte
berlins, seine Erziehungsmethode, sein besonnenes, echt philanthropisches
erhalten während der Revolution 1791 und später, endlich ihm zum teil
gewordene Anerkennungen. In summa: ein recht empfehlenswerter Lesestoff
19. Histoire d’Attila par Amédée Thierry. In gekürzter
Fassung für den Schulgebrauch herausgeg. von Dr. Haellingk.
1894. V S. Vorwort, 78 S. Text, 5 S. Inhaltsverzeichnis.
Ein alter Bekannter der Schülerbibliotheken, häufig aber mehr dem
Namen nach gekannt als wirklich gelesen; denn der Verfasser ist oft un-
zuverlässig oder von mangelnder Schärfe in der Quellenkritik, oder von
ermüdender Breite der Darstellung. Diesen Fehlern nach Möglichkeit ab-
zuhelfen, ohne zu gewaltsame Aenderungen, passend zu kürzen und in
XVI Abschnitten doch ein zusammenhängendes Ganzes zu geben, unter-
nahm der neue Herausgeber. Das so nach kritischer Sichturg der That-
sachen und leichten Aenderungen des Textes hergestellte Bändchen ist
eine passende Lektüre für Unter-Sekunda, die zwar kein aktuelles Thema
behandelt, aber, wie der Herr Herausgeber (Vorwort IV—V) mit Recht
betont, allezeit gespannte Leser angenehm belehren wird.
21. Expédition de Bonaparte en Egypte par Thiers.
Herausgegeben von Johannes Leitritz. Mit 5 Karten. 1894.
V S. Vorwort, 104 S. Text in IX Kapiteln, Appendix.
Thiers’ klassische Darstellung der französischen Revolution ist für
die Schule zu umfangreich. Um für Unter-Sekunda einen der Semester-
lektüre dienenden Band herzustellen, hat der Herr Herausgeber einige
Kapitel aus der Histoire de la Révolution française und dem Schluss des
10. Buches der Histoire du Consulat et de l'Empire zu einem Ganzen
vereinigt, das der Uebersichtlichkeit halber in IX Kapitel zerlegt wurde.
Die dankenswerte Arbeit giebt in der klassischen Sprache des Autors
eine angelegentlich zu empfehlende Lektüre für reifere Schüler, denen
durch die Hinzufügung der Karten und Pläne die aufmerksame Ver-
folgung der Aktionen angenehm unterstützt und erleichtert wird. Ein
Fehler ist dem Beurteiler aufgefallen: S. 102, 7 muss es heissen: Sidney-
Smith, qui avait déjà reçu un commandement d'exécution, nicht com-
mencement.
In den letzten drei Bändchen sind Specialwörterbücher angezeigt,
die der Beurteiler nicht eingesehen hat.
CHARLOTTENBURG. GEORGE CAREL.
Gerhard Frans. Ausgewählte Novellen. 263
dorthin. Man vergleiche Daudet, Fromont Jeune et Risler Aine, Kapitel I.
wo es heisst: enswite (nach der Trauung) le déjeuner à la fabrique, la
promenade au bois. une concession faite à la belle-mère, madame Chèbe,
qui, en sa qualité de petite bourgeoise parisienne, n'aurait pas cru sa
mariée sans un tour du lac ni une visite à la cascade. — Zu S. 61, Z. 15
wird das Hospital Lartbossiere am Boulevard de la Chapelle als im Nord-
westen von Paris gelegen bezeichnet; es befindet sich jeduch im Norden
der Stadt; eine Linie, die man von der Notre-Dame nach Norden zieht,
lässt jenes Hospital sogar noch etwas östlich liegen. — Zu den Worten:
{ils ont) fait le tour du „pers“ au Bois de Boulogne auf S. 52, Z. 16 be-
merkt der Verfasser: faire le tour du persil heisst: promenieren, flanieren.
Das ist jedoch nicht richtig; letzteres heisst im Argot: aller persiller oder
faire son persil, und selbst angenommen, faire le tour du „persi“ hätte
jene Bedeutung, weshalb braucht der Dichter das Wort persil dann in
Anführungsstriche zu setzen? Persi/ ist eben hier ein Eigenname und be-
zeichnet nach Jean la Rue's Dictionnaire d’Argot „la partie la plus fre-
quentce du Bois de Boulogne“. Die Redensart heisst also: die „persil“ ge-
nannte Strecke im Bois de Boulogne entlang fahren. Ursprünglich ist
persil oder persillage: promenade d'une cocotte. Wie das Wort jene andere
Bedentung bekommen hat, ist leicht zu denken. — $. 53, Z. 8 wird Musset
mit den Worten citiert: moi-méme, qui suis né à Paris ct qui pourrais
me plaindre, comme Alfred de Musset, d'en connaître tous les pavés.
Die Stelle, auf die Coppée hier Bezug nimmt, hat der Herausgeber nicht
finden können. Vielleicht meint Coppée folgende Worte aus Mussets nach-
gelassenem XIV. Briefe (Oevres complètes X, 301): nous nous retrouverons.
Jespere, sur cet ennuyeux ct adoré pavé de la meilleure et de la plus
er&crable des villes.
CARL FRIESLAND.
Napoléon Bonaparte. Aus H. Taine: Les origines de la France
contemporaine.
1. In Martin Hartmanns Schuausgaben Nr. 16, mit
Einleitung und Anmerkungen herausgegeben von K. A. Martin
Hartmann. Leipzig 1894 Verlag von E. A. Seemann; XX
und 115 S. nebst Beiheftchen „Anmerkungen“, 48S. Preis geb.
1 Mk.
2. In Bahlsen-Hengesbachs Schulbibliothek 10. Bänd-
chen, ausgewählt und für den Schulgebrauch erklärt von Prof-
Dr. A. Schmitz. Berlin 1895. KR. Gaertners Verlagsbuch-
handlung; VIII und 144 S. Preis geb. 1,40 M
Diese beiden gleichzeitig und unabhängig von einander entstandenen
Ausgaben sind im Sommer v. Js. erschienen, die Hartmannsche im Mai.
die Schmitzsche im Juli 1894. Beide bilden eine dankenswerte Be-
reicherung des Lesestoffs für die Prima der Vollanstalten. Die Lektüre
dieser Charakterstudie über den gewaltigen Korsen. der zu Beginn unseres
Jahrhunderts so entscheidend in die Geschichte unseres Vaterlandes ein-
griff. wird das Verständnis für die deutsche Geschichte jenes Zeitabschnitts
in trefflicher Weise beleben und vertiefen. Eine Reihe wirtschaftlicher
und gesellschaftlicher Fragen, denen im Geschichtsunterricht der Ober-
Napoléon Bonaparte. 265
deren Ausschliessung ein triftiger Grund nicht vorlag; es sind die Stellen
Ss. 39 Z. 17 bis S. 40 Z. 28, 45, s0—» und 47, s—4, 3. Während
Hartmann mit dem zweiten Buche die Ausgabe abschliesst, lässt Schmitz
noch weitere 31 Druckseiten (S. 95—125) folgen!), die den von Napoleon
“eschaffenen neuen Staat und Napoleons Herrscherbestrebungen zum Gegen-
stande haben. Wenngleich es dieser Zugabe für die Charakteristik des
Kaisers nicht gerade dringend bedurfte, so ist sie doch ein dankenswerter
Beitrag, der das Bild weiter vervollständigt. Hartmann schickt dafür die
Vorreden, mit denen Taine die fünf von ihm herausgegebenen Bände der
Origines eröffnet, voraus; der Verfasser Taine zeigt sich in denselben
nicht nur von seiner historisch-philosophischen, sondern auch von der rein
menschlichen Seite, in seinen Anschauungen und in seiner Denkweise.
Denjenigen Lehrenden, welche das Originalwerk nicht besitzen*), dürfte
der Abdruck dieser Vorreden willkommen sein, die Mehrheit der Schüler
aber wird die Zugabe kaum gebührend zu würdigen verstehen, da sie zu
dem Lesestoff des Bändchens in keiner unmittelbaren Beziehung steht.
Aus diesem Grunde kann man geteilter Ansicht darüber sein, ob diese
Vorreden in einer Schulausgabe ihre Daseinsberechtigung haben.
Während Schmitz die Taine’sche Einteilung des Textes in zwei
grosse Abschnitte (von Schmitz entsprechend Taine mit chapitres, von
Hartmann mit livres bezeichnet) mit fünf bezw. sechs Unterabteilungen
beibehält, hat Hartmann aus dem ersten Abschnitt 34, aus dem zweiten
38 kleinere Abteilungen gemacht und diese mit zusammenfassenden Ueber-
schriften aus Taines Inhaltsverzeichnis versehen. Schmitz bringt diese
Ueberschriften als Kopfzeilen zu jeder ungeraden Seite. Die Hartmannsche
Anordnung hat den Vorzug grösserer Uebersichtlichkeit.
Abweichend von dem in Frankreich herrschenden Brauch hat Taine
seine Darstellung mit Anmerkungen am Fusse des Textes versehen. Die-
selben sind stellenweise recht umfänglich und zahlreich und dienen dazu,
die im Text selbst enthaltenen Urteile und Ausführungen zu begründen
und zu vertiefen; stellenweise geben die Anmerkungen kurze Quellen-
nachweise zu den vielen kunstvoll in den Text eingeflochtenen, durch
Anführungszeichen als solche gekennzeichneten Zitaten. Beide Heraus-
geber haben nicht verfehlt, dieses „tiefe Buschwerk, das einer Baumallee
zur Seite läuft“, dem Leser zugänglich zu machen, natürlich nur insoweit
es die Unterrichtszwecke rechtfertigen. Hartmann verweist diejenigen
Anmerkungen Taines, welche von grösserem Umfange sind, in das Bei-
heftchen zu seiner Ausgabe; nur die kurzen Quellenangaben zu den
Zitaten setzt er als Fussnoten unter den Text. Schmitz hat diejenigen
Taineschen Anmerkungen, welche ihm zur Aufnahme geeignet erschienen,
durchweg als Fussnoten abdrucken lassen; sein Notenanhang enthält nur
sachliche Erläuterungen. Auf Quellennachweise zu den Zitaten verzichtet
Schmitz, was an sich kein Unglück ist; nur hätte er n. m. M. dann in
vielen Fällen gleichzeitig auch auf die Anführungszeichen verzichten sollen,
da eine beträchtliche Anzahl Zitate von Taine so meisterhaft und natür-
lich mit dem Text verwoben sind, dass man sich verwundert fragen wird,
1) Da Schmitz nicht angiebt, wo die von ihm ausgewählten Ab-
schnitte in Taines Originalausgabe zu finden sind, so lasse ich die Fund-
orte hier folgen: S. 95 bis 98, :s der S.-schen Ausgabe ist Taine S. 191 ff. ent-
nommen, S. 98—125 findet sich im Original auf S. 311—325 und
3. 329—345 mit einer Lücke auf S. 343.
3) Les origines de la France contemporaine, 6 Bände in 8°. Jeder
Band broschiert 7 fr. 50. Paris, Hachette et Cie.
Napoléon Bonaparte. 267
Da die dem Kaiser beigelegte Eigenschaft eines officier de fortune (107, 2s)
mehrere verschiedenartige Verdeutschungen gefunden hat, so hätte Hart-
mann den Ausdruck nicht schweigend übergehen sollen. Ausser Taine
giebt auch Sandeau (in Mile. de la Seiglière III 1) dem Kaiser diese Be-
zeichnung. Mehrere Erklärer des Sandeauschen Stücks übersetzen die
Worte mit Sachs durch „Offizier, der von der Pike auf gedient hat“;
das ist aber hier nicht angängig, da Napoleon von der Kadettenanstalt
aus Offizier wurde. Hartmanns Ausgabe des Dramas verdeutscht die Stelle
durch „Offizier, der Glück gehabt hat“, die Sarrazinsche durch „Berufs-
offizier, der nur seinen Degen hat“. Alle diese Verdeutschungen treffen
j:.doch in der hier vorliegenden Gedankenverbindung, die da lautet: sur
le trôme, comme dans les camps, général, consul ou empereur, il reste
officier de fortune et ne songe qu'à son avancement, den eigentlichen
Sinn nicht. Auch der sich unmittelbar anschliessende Tainesche Passus
lässt über die Unzulänglichkeit dieser Uebersetzung keinen Zweifel: Taine
kennzeichnet den Kaiser darin als einen Mann, der, als ein Schosskind
des Glücks und dazu von ziellosem Ehrgeiz und beispielloser Thatkraft
beseelt, die höchsten Höhen politischer und militärischer Machtstellung
bereits erklommen hat, und dessen ganzes Dichten und Trachten dahin
geht, als ein halbgottähnliches, unerreichbares und unersetzliches irdisches
Wesen ohnegleichen von der Mit- und Nachwelt angestaunt zu werden.
Apres nous, le deluge! das ist nach Taine des Kaisers Wahlspruch. Wenn
nun Schmitz (87, ı) den Ausdruck officier de fortune durch „Glücksritter“
wiedergiebt, so deckt sich dieser Begriff nur mangelhaft mit dem, was
Taine hat sagen wollen. Ein Glücksritter (chevalier d'industrie) hascht
in erster Linie nach Glücksgütern materieller Natur; Ruhm und Un-
sterblichkeit sind ihm Nebensache. Bei Napoleon aber gilt das gerade
Gegenteil! Darum hat Taine das Wort officier nach meiner Auffassung
in bewusster Absicht gebraucht, um damit die Art des Strebens näher zu
bezeichnen und die Eigenschaften eines chevalier d'industrie dadurch von
vornherein als für Napoleon nicht zutreffend auszuschliessen. Der wahre
Offizier strebt nach idealen Zielen, nach Auszeichnung, Ruhm und Un-
sterblichkeit, und das ist eben auch die treibende Kraft in Napoleons
Bestrebungen. Ein ganz treffendes deutsches Wort für den Begriff officier
de fortune vermag ich zur Stunde nicht zu bieten, der Ausdruck ,Streber“
ist etwas zu schwach, obgleich er m. E. dem „Glücksritter“ immerhin
vorzuziehen sein dürfte. Auch das Wort „Zielmensch“ befriedigt nur teil-
weise. Vielleicht findet der eine oder andere Leser eine passendere Ver-
dentschung.
Ausser den von Hartmann auf S. 116 seiner Ausgabe berichtigten
Drackversehen sind mir noch einige andere aufgefallen. Es ist zu lesen:
S. XI, Fussnote 1 Maîtres; S. 10, Z. 8 je lai trace; 8. 59, Fussnote
nonagenaire. Im Beiheftchen: Anmerk. zu S. 7, Z. 20 religieuses; zu
S. 52, Z. 22 Vlissingen.
Der Kommentar zur Ausgabe von Schmitz ist ebenfalls mit
grosser Sorgfalt gearbeitet. Die sachlichen Erläuterungen hinter dem
Texte sind in treffender Kürze gehalten, und ich habe nur wenig dazu
zu bemerken. Zu S.7 Z. 19 spricht Sch. von der „Pariser Militärschule“,
was an sich zwar nicht unrichtig, aber zu allgemein ausgedrückt ist.
Unter Militärschulen sind sämtliche militärischen Erziehungs- und Bildungs-
anstalten, sowohl Kadettenhäuser als Kriegsschulen und Kriegsakademien,
zu verstehen. Die „Pariser Militärschule“, die sog. Ecole militaire, enthält
aber, wie oben bereits gesagt wurde, heute nur noch die letztere Bildungs-
anstalt, in die Napoleon als 15jähriger Kadett unmöglich anfgenommen
Napoléon Bonaparte. 269
Kaufmann sich auszudrücken pflegt — täglich „beigeschrieben“ werden, „in
denen alle Vorkommnisse bis auf den letztverflossenen Tag verzeichnet
sind“. Hartmann (50,.:) kommt dieser Bedeutung näher, wenn er tenus
à jour mit „auf dem Laufenden erhalten“ tibersetzt. — Den von Taine
zitierten Ausdruck Napoleons se f... hat Schmitz (93:26) passend durch
se moque ersetzt. In einem Schülerkommentar hätte Hartmann (114,)
auf Angabe des vollständigen Verbs foutre verzichten können; se ficher
hätte dieselben Dienste gethan. — Zu 9,6, vermisse ich die Unter-
scheidung zwischen stüreté (wirkliche S.) und sécurité (vermeintliche S.);
die üblichen Hilfsmittel geben darüber keine bündige Auskunft. Hart-
manns biographische Einleitung ist mustergiltig; die Schmitzsche ist
etwas dürftig und enthält neben einigen stilistischen Härten auch ein
paar chronologische Versehen, die weniger auf den Laien und Schüler,
als auf den Spezialforscher störend wirken.
Beide Ausgaben habe ich scharf unter die Lupe genommen, um
an meinem Teile möglichst objektiv zur weiteren Vervollkommung der
beiden interessanten Bändchen beizutragen. Mein über beide Ausgaben
günstig lautendes Gesamturteil wird durch die gekennzeichneten kleinen
Unebenheiten nicht herabgedrückt. Zwar ist die Schmitzsche Ausgabe
— wie Herr Prof. Dr. Behrens mir nachträglich bei der Korrektur
mitteilt — im Neuphilologischen Centralblatt vom Februar 1895 durch
G. Wenzei ziemlich absprechend beurteilt worden; die gemachten
Ausstellungen sind aber mit wenigen Ausnahmen recht geringfügiger
Natur, stellenweise sogar gänzlich unberechtigt. Es wäre sonach
ein Unrecht, wollte man die Schmitzsche Ausgabe zu einer minder-
wertigen stempeln. Es allen Recht zu machen ist eine ganz besondere
Kunst! Also noch einmal: Beide Bändchen gehören zum Besten, was
zur Zeit anf dem Gebiete der Schnlausgaben vorhanden ist.
QUEDLINBURG. R. Kron.
Miszellen.
Die 43. Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner,
die vom 25—28 September in Köln tagte, hat einen glänzenden Verlauf ge-
nommen. Aus allen Teilen Deutschlands und den benachbarten Ländern
waren über tausend Männer der Wissenschaft und der Praxis herbeige-
kommen, um sich in dem gastlichen Köln die Hand zu reichen, um in Ver-
sammlungen, Sektionen, und im kleineren Kreise ihre Gedanken aus-
zutauschen, um wissenschaftliche Fragen zu erörtern und für ihren Beruf
neue Anregung zu finden. Jeder Teilnehmer wird den Eindruck ge-
wonnen haben, dass die diesjährige Versammlung den früheren eben-
bürtig zur Seite tritt.
Mit berechtigtem Stolze kann die neuphilologische Sektion auf die
Kölner Tage zurückschauen. Sie konstituierte sich in der stattlichen, bisher
unerreichten Zahl von 128 Mitgliedern, unter denen sich zahlreiche
Vertreter der Hochschule, u. a. Baist (Freiburg), Kellner (Wien), Körting,
Koschwitz, Lindner, Morf, Morsbach, Schulze, Stengel, Suchier, Vollmöller')
und die hervorragendsten Männer der Praxis (eh. Reg.-u. Schulrat Dr. Münch,
Direktor Walter, Professor Kühn etc.) befanden. Auch Vorträge waren
so zahlreich angemeldelt, dass die Zeit, die für die Verhandlungen in der
Sektion bestimmt war, nicht ausreichte. In der konstituierenden Ver-
sammlung wurde daher vorgeschlagen, die Sektion in eine pädagogische
und wissenschaftliche (Französisch u. Englisch) zu teilen. Dagegen wurde
weltend gemacht, dass dadurch vielen Mitgliedern die Möglichkeit genommen
werde, alle die Vorträge zu hören, die für sie von besunderem In-
teresse seien. Man einigte sich schliesslich dahin, nur eine Sektion zu
bilden, und die Herren, welche Vorträge angemeldet hatten, zu bitten,
sie so zu kürzen, dass möglichst alle zu Worte kämen. Der Vorstand
(Professor Koschwitz und Oberlehrer Adeneuer, Köln) setzte die Reihen-
folge der Vorträge fest und schlug vor, am Mittwoch Nachmittag eine
ausserordentliche Sitzung anzuberaumen, womit die Versammlung sich
einverstanden erklärte.
Den ersten Vortrag hielt Oberlehrer Gundlach (Weilburg) über
den Reform-Unterricht in den oberen Klassen. Der Redner
wünscht, dass auch auf den oberen Klassen die Reform voll und ganz
durchgefübrt werde. Die Zielleistung eines Primaners müsse Fertigkeit
im freien, schriftlichen und mündlichen Gebrauche der französischen
1) Professor W. Förster, der sich als Vorsitzender des vor-
bereitenden Komitees um die neuphilologische Sektion grosse Verdienste
erworben hatte, war leider durch Krankheit verhindert, an den Ver-
handlungen teil zu nehmen.
Miszelion. ar
Sprache sein. Das könne nur erreicht werden, wen vs den Kadans
stets die fremde Sprache im Unterricht ungewendet wurde Haas rue tt,
steller, auch Molière und Shakespeare wmtlanten tu dur Doudou punis 44
klärt werden. Die Uebersetzuns ins Deutneho tres mu mutants.
stattfinden, denn sie erschwere di« lirloruung dos Bose oh len.
der Muttersprache nicht. Die fremadnprachliche Balnttaos 06.0 sun «an Bau-dissandbsehne
wie ein deutscher Schriftsteller. Jun hinngeanilans louun md ob bits
reichender Beweis dafür, dass der Schiller den Pehoitote es vorutuanke.n
habe. Auch bei der Lektüre sei immer zu bedenken, aus Be Kal.
der Sprache die Hauptsache sei. Fin online ongle bol “300 alas rl Id
oberflächlich gelesen werden.
Die Sprechübungen reien in den Olmaklaauı.n handen lieh un
die Lektüre anzusrhliessen und würden am hesien in Bude vont Dispo,
rede gekleilet. Nachaksmung «ei auch huies ae haste Mila), vn, in
Schülern einen vut«n Aü-lm:x zu erzielen
Als séñrifrli Le Arien var ik Kripo Varia.
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der Schüler Zeil DIT OLA ie men. an Des Rn
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Missellen. 273
sich letztere auch an erstere anschliessen. So werde durch die An-
knüpfung an Bekanntes es möglichst vermieden, dass hinter dem Namen
keine Sachanschauung stecke. Ganz sei das allerdings nicht zu ver-
meiden, da sich der Schüler ein Urteil, das auf umfangreicher eigener
Lektüre beruhe, nicht bilden könne.
Das Wichtigste sei, dass in dem Schüler das Verständnis geweckt
werde für die geistigen Strömungen bei den modernen Culturvölkern,
namentlich soweit sie auch in unserem Vaterlande von Einflussgewesen seien.
Bei der Lektüre der Schriftsteller sei von Anfang an auf die litte-
rargeschichtliche Belehrung in ähnlicher Weise Wert zu legen, wie auf
die grammatische; ebenso sei auch eine schliessliche Zusammenfassung
des Erarbeiteten nötig.
Redner weist dann im Einzelnen nach, wie sich die wichtigsten
litterargeschichtlichen Thatsachen im Anschluss an die Femmes Savan-
tes behandeln lassen. Es sei natürlich früher schon vieles besprochen
worden, das hier übergangen werden könne oder nur kurz erwähnt zu
werden brauche. Es komme ihm besonders darauf an zu zeigen, wie
schon aus der Lektüre eines Semesters sich das Wichtigste ergebe. Zu
berücksichtigen sei nicht nur die klassische Periode, sondern auch die
vorklassische, und die moderne Litteratur der Franzosen dürfe dem Schüler
nicht fremd bleiben. Selbst der Naturalismus dürfe in der Schule nicht mit
vornehmem Schweigen tibergangen werden, ebenso wenig wie man im
naturkundlichen Unterricht den Darwinismus unerwähnt lassen könne.
Es liege sonst die Gefahr nahe, dass die naturalistische Litteratur, gerade
weil sie in der Schule geächtet gewesen sei, später um so grössere An-
ziehungskraft austibe. Der Lehrer müsse dem Schüler auf diesem Ge-
biete ein unparteiischer Führer sein.
Neben der schon erwähnten Zusammenfassung, die sich am Schlusse
des Schuljahres eınpfehle, schlägt Redner vor, die Zeit zwischen der Reife-
prüfung und der Entlassung der Schüler zu zusammenhängendem Unter-
richt in der französischen Litteraturgeschichte, insbesondere des neun-
zehnten Jahrhunderts zu verwenden.
Zu dem Vortrage bemerkt zunächst der Vorsitzende, dass der
Redner dem Universitätslehrer manche schätzbare Winke für die Behand-
lung der Litteraturgeschichte im Anschluss an die Lektüre gegeben habe,
dass es ihm aber zweifelhaft erscheine, ob der vorgeschlagene Weg für
die Schule gangbar sei.
Kühn meint, dass sich der Unterricht in der Litteraturgeschichte
doch nicht ungezwungen an ein einziges Werk anschliessen lasse. Auch
er sei der Ansicht, dass dieser Unterricht an die Lektüre angeschlossen
werden könne und müsse, aber gedeihlich lasse sich das nur im Anschlusse
an die gesamte Lektüre machen. Insbesondere böten die mannigfachen,
den verschiedenen Sprachepochen entlehnten Stoffe des Lesebuchs die
beste Gelegenheit zu litterargeschichtlicher Belehrung. Mit dem Redner
sei er der Ansicht, dass eine Zusammenfassung notwendig sei.
Geheimrat Münch fasst den Vortrag nur als eine Lehrprobe auf,
die zeigen solle, wie sich tiberhaupt Belehrung in der Litteraturgeschichte
an die Lektüre, die doch den Mittelpunkt des gesamten Unterrichts
bilden solle, anlehnen könne. Dann tibergehend auf das Mass dessen,
was gefordert werden müsse, warnt Redner davor, sich mit dem äusseren
Beiwerke (Lebensbeschreibung) zu begnügen, dem Schüler müsse viel-
mehr Gelegenheit geboten werden, die hervorragendsten Schriftsteller aus
ihren Werken kennen zu lernen. Mit dem Vortragenden ist er der An-
sicht, dass solche kulturhistorische Erscheinungen, die zu Deutschland in
Ztschr. f. frz. Spr. u. Litt. XVII? 18
Miseellen. 275
3. Der Neuphilologe lehrt mehrere Fächer in den unteren Klassen,
Englisch und Französisch in den mittleren und unterrichtet in
den oberen Klassen nur sein Hauptfach.
4. Er erteilt wöchentlich höchstens 18 Stunden.
Diese Wünsche sollen auf dem nächstjährigen Neuphilologentage
nochmals besprochen und dann dem Minister unterbreitet werden.
Den ersten wissenschaftlichen Vortrag hielt Universitätsprofessor
Baist (Freiburg). Er bespricht das Verhältnis des Oxforder
Roland zum Carmen de proditione Guenonis und Pseudoturpin
gegenüber den vorherrschenden Anschauungen. Das “Carmen de
proditione’ kennt den Streit zwischen Roland und Ganelon, also
auch die mit ibm zusammenhängenden Episoden und ist jünger als
das 12. Jahrhundert; die freikürzende Behandlung des Stoffes entspricht
ganz der Art mittel-englischer Gedichte. Der Pseudoturpin ist das
4. Buch des ‘Liber Jacobi” und geht in allen Hss. auf dieses zurück. Das
‘Liber Jacobi’ ist zwischen 1137 und 1147 von einem Franzosen und
Spanier gemeinsam oder von einem Franzosen allein erfunden, nicht von
dem durch jüngere Hand in das erhaltene Originalms. eingeführten
Aymericus Picaudus; als Verfasser ist der Papst Calixt, ala Herausgeber
der gleichzeitige französische Cardinaldiacon Aimery untergeschoben.
Der Pseudoturpin erscheint als integrierender, tendenzgerechter Bestand-
teil der ganzen kirchlichen Fälschung, aus einem Guss, nicht aus ver-
schiedenen Schichten gebildet. Die Verarbeitung der Chanson zur "Passiv
Rotholandi’ wird inhaltlich nicht nur durch den Zweck, sondern auch
durch das bestimmt, was vorher erzählt war. Spanien ist vollständig
unterworfen, also auch Marsirius, und damit fällt die Botschaft des Blan-
candis; der König von Afrika mit seinen Völkern ist umgebracht. Beli-
gandus kann von dort nicht kommen. Um den Namen zu behalten,
wird er zum Mitregenten des Marsirius gemacht und verdrängt den Al-
galifen. Es liegt deshalb kein Grund zu der Annahme vor, dass der
Verfasser einen anderen Roland gekannt habe als wir, einer Annahme,
die schon durch das Datum der Fälschung unwahrscheinlich gemacht wird.
Die Gegensendung Ganelons ist im Roland für jeden Zeitgenossen
verständlich motiviert. Mit ihr ward durch früh interpolierte Verse die
Gesandtschaft Basans und Basilies in Parallele gebracht, während diese
ersten Boten die Kriegsdrohung zu überbringen hatten. Einige ähnliche
Missverständnisse, die Baligantepisode, und etwa ein Teil des Haupt-
kaınpfes, lassen sich aus der einzig erhaltenen Baligantredaktion aus-
scheiden. Die zurückbleibenden Hauptbestandteile des Gedichts sind zu
einheitlich durchgebildet, als dass wir eine ältere Form zu erschliessen
vermöchten.
Ueber ein bisher wenig beachtetes Testament sprach
Privatdozent Dr. Schulz (Berlin) und machte in Kürze folgende inter-
essante Mitteilungen. Auf der Kgl. Bibliothek zu Berlin befindet sich
unter der Signatur As 12916 ein Büchlein, 62 Seiten 8° umfassend, mit dem
Titelblatte: Le Testament de Jean Jaques (sic!) Rousseau, und der
Jahreszahl des Druckes 1771; es gelangte im Jahre 1836 in den Besitz
obiger Bibliothek. Auf die Existenz dieser Schrift, welcher man in keiner
Ausgabe von Rousseau’s Werken begegnet, hat zuerst der verdienstvolle
Rousseauforscher Albert Jansen in seinem Buche J.-J. Rousseau,
Fragments inédits, Recherches biographiques et littéraires,
1882, hingewiesen; der letztere bemerkt zugleich, dass er an keiner
anderen Bibliothek ein zweites Exemplar angetroffen habe.
Dass die Schrift echt sei, hat Jansen sehr wahrscheinlich gemacht
18*
Missellen. 277
ihrer Ueberzeugung dahin Ausdruck, dass keinem Unterrichtsfache aus-
schliesslich diese Bedeutung zukommt, dass vielmehr jeder Unterrichts-
zweig, welches auch seine Eigenart sei, dem gemeinsamen Zwecke alles
höheren Unterrichts dient, den Schüler nach Geist und Gemüt so zu er-
ziehen und heranzubilden, dass er als Mann in führender Stellung auf
allen Gebieten des menschlichen Lebens auch für die idealen Güter
unseres Volkes mit Begeisterung zu wirken vermag.“
Der Vorsitzende schliesst dann die Sitzungen mit dem Danke für
das rege Interesse, das von den zahlreichen Mitgliedern den Verhandlungen
entgegengebracht worden sei, und mit dem Ausdruck der Freude über
das harmonische und gedeihliche Zusammenwirken von Universität und
Schule. |
Direktor Steinbart dankt dem Vorsitzenden im Namen der Sektion
für die grosse Umsicht und hervorragende Sachkenntnis, mit der er die
Verhandlungen geleitet habe.
Die Mitglieder der neuphilologischen Sektion trennten sich dann
in dem Bewusstsein. dass sie kostbare Tage geistiger Anregung und
freudigen Schaffens zusammen verlebt hatten, und in der Ueberzeugung,
dass sich ganz besonders in den diesjährigen Verhandlungen die Lebens-
- kraft der neuphilologischen Wissenschaft bethätigt und gekräftigt habe.
KÖLN. Dr. ABECK.
Die Memoiren des General-Baron von Marbot!).
Der Bonapartismus hat zwar in Frankreich so ziemlich abgewirt-
schaftet, doch der Zauber, der Napoleons I. Person umgiebt, scheint dort
auch in den Kreisen der Höhergebildeten noch ziemlich ungeschwächt zu
sein. Denn Jahr für Jahr erscheinen neue, für diese Gesellschaftsklasse
berechnete Schriften von meist recht geringem wissenschaftlichen Werte,
aber pikant zugestutzt, fesselnd geschrieben und deshalb eifrig gelesen.
Die urteilslose Presse in und ausserhalb Frankreichs versäumt es selten,
geschickte Auszüge zu geben, pikante, effektvolle Stellen zusammen-
zutragen und so den Appetit nach weiteren Genüssen zu reizen. Sb er-
klärt es sich, dass Werke, wie der neuerdings erschienene Napoleon intime,
die nicht nur wertlos und grundverkehrt, sondern auch geradezu schäd-
lich sind, in Blättern, welche von verdienstvollen, wissenschaftlichen
Werken grundsätzlich keine Notiz nehmen, ihr Reclameplätzchen finden.
Zu den neuen Publikationen über Napoleon I., die nicht ganz auf einer
Stufe mit jenem Napoleon intime stehen, aber doch unverdiente Anpreisung
und Auflagenzahl erfahren (jetzt liegt schon die 24. vor) gehören auch
die Aufzeichnungen des Generals Marbot über die Jahre 1800—1815, in
denen er selbst an den Kämpfen des Schlachtenkaisers tapferen Anteil
hatte, ohne freilich dadurch besondere Rangerhöhung und Auszeichnung
zu erlangen. Seine Schilderung, die vorwiegend den eigenen, renommistisch
gefärbten Ruhmesthaten gewidmet und nebenbei ein pikantes Echo des
Lager-Anekdotenkrams ist, enthält aber über Napoleon kaum etwas er-
heblich Neues, giebt uns von ihm als Feldherrn, Politiker und Menschen
ein beinahe fleckenloses Idealbild und steht, schon weil sie bereits 1844
aufgezeichnet wurde, weit hinter dem Standpunkte der heutigen Er-
forschung und Beurteilung jener Zeiten zurück. Es wird unsere Aufgabe
sein müssen, dieses »cheinbar absprechende, mit den lärmenden Lob-
1) Mémoires du General Baron de Marbot, Paris, E. Plon, Nourrit
et Cie., T. II.
Miszellen. 279
Einzelheiten. Daher legt er unwichtigen Vorkommnissen übergrossen Wert
bei, rühmt insbesondere seine Schlauheit als Adjutant in übertreibender
Weise. Renommistischen Eindruck macht es sogar, wenn er die Eroberung
liegensburgs (1805) so schildert, dass er, der simple Lieutenant, die wohl-
verteidigte Stadt fast ohne jedes Menschenopfer eingenommen habe, nach-
den vorher mancher Tapfere sich in seinem Blute wälzen musste, vhne
nur zum Sturme zu gelangen. Man kann sich denken, dass sein Unter-
offiziers-Standpunkt — denn nur einen solchen nimmt auch der spätere
General und Pair von Frankreich wenigstens Napoleon gegenüber ein —
sich zu einer eigentlichen Kritik der politischen und militärischen Mass-
nahmen des Schlachtenkaisers nicht zu erheben vermag. Auch war er in
das Getriebe der Politik noch viel weniger eingeweiht, als in das der
strategischen Entwürfe. So erfahren wir denn nicht nur Unvollkommenes,
sondern auch Unwahres nach beiden Seiten hin. Moreau lässt er mit dem
Verschwörer Pichegru vollständig einverstanden sein, in die Ermordung
des ersten Konsuls einwilligen und nur deshalb sich gegen die Wieder-
hırstellung der Bourbonen aussprechen, weil er — der Ehrgeizlose —
selbst Herrscher Frankreichs werden wollte (I, 197/98). Die Schuld an
der Füsilierung des Herzogs von Enghien schreibt er auf Savary, den
Siindenbock Napoleons, der selbst alleiniger Urheber der Mordthat war
(I, 199). Der abenteuerliche Plan des Kaisers, von Boulogne aus nach
England überzusetzen, soll nur an der Unfähigkeit des Admirals Villeneuve
gescheitert sein, natürlich hat auch dieses zur Verzweiflung getriebene
Opfer der Hinterlist und Lügenhaftigkeit Napoleons die Niederlage bei
Trafalgar verschuldet. Für den Historiker von Fach bedarf es nicht erst
des Nachweises, wie irrig hier Marbots Schönfärbereien sind, für andere
sei auf Pierre Lanfreys eingehende, schlagende Schilderungen, deren
Beweisgründe aus Napoleons vielbändiger Korrespondenz zumeist ent-
nommen sind (in der Histoire de Napoléon I), hingewiesen. An den
ewigen Kriegen trägt nach Marbot nicht Napoleon, sondern England und
nebenbei Preussen oder Oesterreich die Hauptschuld. Selbst der aus
militärischen Zweckmässigkeitsgründen gemissbilligte Feldzug gegen Russ-
land habe nur den Czaren zur Erfüllung der Tilsiter und Erfurter Ab-
machungen zwingen sollen. Hier beruft sich der ganz unkritische Beurteiler
auf cine jener lügenhaften Aeusserungen, die Napoleon in St. Helena zu
seiner eigenen Schönfärbung gethan hat (III, 38). Zuweilen ist aber
Marbot geneigt, die Wahrheit einzugestehen. Z. B. erörtert er ganz naiv,
Napoleon habe durch die Annektierung Genuas den Krieg des Jahres 1805
veranlasst, um von der Lächerlichkeit des missglückten Planes gegen
England befreit zu werden. Auch dass die Kontinentalsperre undurch-
führbar war und von Napoleon nie ganz ernstlich durchzuführen versucht
worden ist, giebt er zu, irrt nur wieder in der Annahme, Frankreich
habe am meisten unter dem wahnsinnigen Plane des Kaisers gelitten
(Il. 37). Vielmehr hatte die ganze Kontinentalsperre den Zweck, nicht
nur Englands Handel lahm zu legen, sondern auch den Frankreichs durch
die reichlich erteilten „Licenzen“ auf Kosten Europas, besonders Deutsch-
lands und Italiens, zu fördern und den Vorwand zu räuberischen Geld-
erpressungen und willkürlichen Ländereinziehungen zu liefern. Marbots
Begeisterung für Napoleon ist aber nur eine Huldigung, die er dessen
Eriolgen darbringt. Sobald diese aufhören, wagt sich sein militärisches
Selbstbewusstsein hervor. An den Feldzügen vor 1812 hat er nur Einzelnes
zu tadeln gewusst und auch das nur in bescheidenster, fast schülerhafter
Form. So hebt er gelegentlich (I, 235) hervor, dass Napoleon i. J. 1805
ohne zwingenden Grund ein vereinzeltes Korps dem Verderben ausgesetzt,
Miszellen. 281
dem der Kaiser es nie recht verzeihen konnte, dass sein älterer Bruder
Adolphe ein schuldloses Opfer einer Verschwörung Bernadottes (1802) ge-
worden war und dass sein Vater treu an der Republik festgehalten hatte,
blieb seinem Kaiser noch in den Tagen des letzten, vergeblichen Ringens
treu, kämpfte bei Waterloo an seiner Seite und verteidigte ihn gegen die
Angriffe Rogniats in einer heutzutage vergessenen Schrift (1820). Aber
als echter Franzose schätzt er nur den Ruhm und den Erfolg. So hat er
er an der Führung des verunglückten russischen Feldzuges (1812) allerlei
Begründetes, wie Unbegründetes auszusetzen. Napoleon habe sich von
Oesterreich und Preussen zu wenig Truppen stellen lassen — als ob ihm
daran liegen konnte, die Zahl der unzuverlässigen Heereselemente noch
zu mehren — er habe den moralischen Stand der frz. Truppen geschwächt,
indem er ihnen Fremde einreihte, — was doch die Unsicherheit dieser
Fremden zur gebieterischen Notwendigkeit machte. Dann habe er seinem
unfähigen Bruder Jerome 60000 Mann anvertraut, durch deren ungeschickte
Führung der bereits abgeschnittene russische General Bagration gerettet
worden sei. Jérome war jedoch nur dem Namen nach Oberbefehlshaber
und wurde bald nach Hause geschickt. Treffender ist schon der Tadel,
dass Napoleon zugleich in Spanien und in Russland Krieg geführt habe,
doch hängt das in engerem oder entfernterem Sinne mit dem Allmachts-
streben des Kaisers zusammen, gegen welches die einseitig französische
Verblendung M’s kaum etwas einzuwenden weiss. Als weitere Missgriffe
Napoleons werden die ungenügende Sicherstellung der Rückzugslinie und
der Verbindungen, der Mangel an Dolmetschern und der zu lange Aufent-
halt in Moskau, die Folge der trügerischen Friedenshoffnungen, in welche
ihn Kutusow gewiegt hatte, hervorgehoben. Auch dass er den preussischen
und österreichischen Hilfstruppen eine Flügelstellung anwies, die den
späteren Abfall erleichterte, bleibt nicht ungetadelt. Da Marbot im Gegen-
satz zu dem schönfärbenden Gourgaud und den Nörglern Ségur und
Labaume eine wahrheitsgetreue Schilderung des russischen Feldzuges zu
schreiben sich vorgenommen hat, so gesteht er freimütig ein, dass der
Brand Moskaus den Kaiser nicht zum Rückzuge gezwungen habe, denn
in der Kremelstadt habe es noch hinreichend Obdach und Lebensmittel
gegeben und dass die erst spät und für russische Witterungsverhältnisse
nicht übermässig auftretende Kälte nicht Hauptursache des ganzen Elendes
gewesen sei. Wie an Napoleons Oberleitung, so hat M. auch an der
Heeresführung einzelner Marschälle z. B. Oudenots, Saint-Cyrs, Murats,
Marmonts dies und jenes auszusetzen. Im allgemeinen ist ihm natürlich
der Marschallsrang, dem cr selbst vergeblich nachstrebte, das höchste
Erdenglück. Besonders seinen Gönnern Augereau, Lannes, Massena hat
er in seinen Memoiren weihrauchduftende Nachrufe gewidmet.
Sehr vorurteilsfrei für einen Franzosen urteilt M. über die Polen.
Diese leicht aufflammende, aber unbeständige Nation hätte 1807 und 1812
die günstige Gelegenheit versäumt, sich freizumachen — indessen suchte
Napoleon das eher zu hindern, als zu fördern — sie hätte im Jahre 1812
für Frankreich weder Liebe noch Begeisterung gezeigt, vielmehr gefürchtet,
dass ihr Eigentum durch den Krieg zerstört würde. Letztere Sorge war
allerdings bei Napoleons Räuberhauptmannsgrundsatz: Der Krieg müsse
den Krieg ernähren, um so mehr berechtigt, als der rücksichtslose Auto-
krat Bundesgenossen nicht anders als die Feinde behandelte. Die
lithauischen Grossgrundbesitzer hätten den Russen Lebensmittel geliefert,
den Franzosen verweigert, weil sie von diesen eine Emancipation ihrer
unterthänigen Bauern befürchteten. Bei der Verwirrung des schrecklichen
Ueberganges über die Beresina hätten die Polen sich als Marodeure ent-
Missellen. 283
troffen hat (393). An der Katastrophe Napoleons ist nur die Treulosigkeit
Talleyrands, der dem Czaren vorzuspiegeln weiss, Frankreich ersehne die
Rückkebr der Bourbonen, Schuld (398 f.). Napoleon, meint Marbot, hätte
auch naclı der Uebergabe von Paris hinreichende Verteidigungsmittel ge-
habt (397\, vergisst dabei nur, dass die Treue einzelner Marschälle bereits
wankend war und auch die Bewohner der Provinzen infolge der von ihm
selbst eingehend geschilderten harten und willkürlichen Aushebungs-
massregeln (242 ff.) sich nach Befreiung von der Napoleonischen Zwing-
herrschaft sehnten.
Der Standpunkt M’s in der Beurteilung der deutschen Erhebung
von 1813 ist natürlich ein ganz einseitiger. Der Abfall Yorks, der Volks-
aufstand in Preussen, die Teilnahme Oesterreichs und der süddeutschen
Fürsten am Kriege gegen Frankreich — alles ist ihm nur ehrloser Verrat.
Trotzdem er anderswo den deutschen Volkscharakter als einen gutmütigen
bezeichnet und rühmend die Aufnahme hervorgehoben hat, welche die
elenden Flüchtlinge der grossen Armee 1812 in Deutschland fanden, gilt
ihm jede Rachethat an den Vaterlandsfeinden als Banditentücke und
Mordlust. Destomehr lobt er die Zweideutigkeit des Königs von Württem-
berg, der Napoleon von Bayerns Abfall und seiner eigenen notgedrungenen
Fahnenflucht benachrichtigt habe (321) und die Treue des Königs von
Sachsen, der von Napoleon als Geissel mit auf das Leipziger Schlachtfeld
geschleppt war (331). Den Abschied Napoleons von diesem treuen Bundes-
genossen, der schon im Mai 1813 sich gern zu Russland und Oesterreich
geschlagen haben würde, wenn nicht Napoleon drohend in seinem Lande
gestanden und Oesterreich mit der Kriegserklärung zu lange gezügert
hätte, wird von M. sehr melodramatisch verherrlicht (331). Ueberhaupt
geben die Ereignisse des Jahres 1813 unserem Autor besonderen Anlass,
den sinkenden Ruhm Napoleons und der französ. Armee in strahlendem
Glanze erscheinen zu lassen. Der Sieg bei Dresden wird sehr renommistisch
geschildert (272), bei Leipzig verrichten die Franzosen Wunderthaten,
trotzdem sie nur 157000 Mann gegen 350000 Feinde haben (307) — dein
Beispiele Napoleons folgend, giebt M. die Zahlverhältnisse gewöhnlich zu
Ungunsten des Gegners an — und lediglich der Mangel an Munition
zwingt sie, den Kampf aufzugeben. Trotz des fluchtartigen Rückzuges
der Franzosen wagen die Alliierten nicht, ihnen sogleich über den Rhein
zu folgen. Die Uneinigkeit, welche in dem lager der Verbündeten
herrschte und die auch 1814 noch dem Todeskampf Napoleons sehr ver-
langsamte, scheint M. nicht zu kennen oder nicht kennen zu wollen. Ja
wir in seiner Schilderung des Befreiungskrieges ein Stück echt napoleonischer
Legende haben, so ist es nur freudig zu begrüssen, dass der Autor auf
eingehende Darstellung des Feldzuges von 1815 Verzicht geleistet und
sich auf ein paar Lagerbriefe und einen 1830 geschriebenen Bericht über
seinen Anteil an der Schlacht bei Waterloo beschränkt hat. Marbot
urteilt als Militär und weiss daher auch Tapferkeit des Gegners hier und
da zu schätzen. So rühmt er Wellingtons Kriegführung, von der selbst
Franzosen einzelnes lernen Könnten. erkennt den nationalen Heldenmut
der Spanier trotz ihres fanatischen Franzosenhasses an, bewundert selbst
in dem preussischen Prinzen Ludwig Ferdinand den strammen Militär.
Auch Kricgslist weiss er am Feinde zu würdigen. Mit Wohlgefallen er-
zälılt er, wie der ungarische Oberst Blankenstein ihn selbst dupiert hat
und der Kapitulation entgangen ist (I, 255 ff.), tadelt auch nicht, dass
Kutusow den leichtfertigen Murat und den Kaiser selbst mit Friedens-
vorspiegelungen irreführt (III, 142—43 u. 145 f.). Im Kriegsleben herrscht
eben eine andere Moral, als im bürgerlichen. kn entschuldigen findet es
Miszellen. 285
beim Tode Durocs bewähren. Auch die Edelmutsszene, die er in Berlin der
Gräfin Hatzfeld gegenüber spielte, erzählt M. im Sinne der Napoleonischen
Legende, wobei er den Grafen Hatzfeld als preussischen Spion verdächtigt
(I, 312). Wie er Napoleons ärgste Bubenstücke, z. B. den Mord Enghiens,
beschönigt, erwähnten wir schon. Meist ist er in der glücklichen Lage,
diese verschweigen zu können, da er sich um politische Dinge wenig
kümmert.
Von einem Napoleonischen Offizier wird man eine parteilose, streng
geschichtliche Auffassung seines Kriegsherrn weder fordern noch erwarten.
Ueberflüssig aber ist es jedenfalls, den ohnehin grossen Wust der schün-
färbenden Memoiren durch die Publikation der Marbotschen Aufzeichnungen
zu vermehren und die letzteren wohlgefällig anzupreisen, nachdem Lanfrey
und Taine auch in Frankreich mit der Legende von St. Helena gründ-
lich aufgeräumt haben. Je fesselnder, pikanter und lesbarer solche Sachen
geschrieben sind, desto schädlicher sind sie für Laien und Dilettanten,
aus denen ihr Leserkreis zumeist besteht.
Marbots Charakter wird in einem Nachrufe Cuviller-Fleurys als
durchaus lauter geschildert (s. Bd. III, 421 u. 422) und wir haben keinen
Grund, daran zu zweifeln. Denn dieselbe Treue, welche er Napoleon auch
im Unglück bewies, zeigte er nach 1830 den Orl&ans. Als Adjudant des
ältesten Sohnes Ludwig Philipps und nach dessen plötzlichem Tode auch
des Grafen von Paris blieb er in steter Verbindung mit der Julidynastie
und nahm an den Kämpfen in Belgien und Algier mit Auszeichnung Teil.
Woblverdient war seine Ernennung zum General und zum Pair von
Frankreich (1845). Wenn er sein Festhalten an Napoleon i. J. 1815 mit
einer Verbannung büssen musste, die er in Deutschland zubrachte, so
kostete ihm sein Verhältnis zu den Orléans nach der Februar-Revolution
(1848) seine militärische Stellung. Am 16. November 1854 starb er.
Marbot ist einer von den vielen braven Offizieren, die Napoleon
in seinen Zauberkreis gebannt, deren gesundes Urteil und sittliches Be-
wusstsein er gelähmt hatte.
R. MAHRENHOLTZ.
Question.
Dans une note de la préface de Narcisse (1753) Jean-Jacques
Rousseau, parlant des nombreux écrits que ses adversaires avaient publiés
contre lui, cite quatre sermons allemands, dont l'un commence, dit-il, à peu
près de cette manière:
„Mes frères, si Socrate revenait parmi nous, et qu'il vit l'état
florissant où les sciences sont en Europe : que dis-je, en Europe? en
Allemagne; que dis-je, en Allemagne? en Saxe; que dis-je, en Saxe?
à Leipsick; que dis-je, à Leipsick? dans cette Université : alors. saisi
d'étonnement et pénétré de respect, Socrate s’assierait modestement parmi
nos écoliers; et, recevant nos lecons avec humilité, il perdrait bientôt
avec nous cette ignorance dont il se plaignait si justement.“
Il serait intéressant de savoir quel est l'auteur de ces quatre
sermons, le titre de son ouvrage, et le texte exact du petit morceau que
Rousseau n'a pas sans doute littéralement traduit. L'auteur de ces ser-
mons était allemand; mais a-t-il écrit en allemand ou en latin? Si les
sermons étaient en allemand, Rousseau, qui ne connaissait pas cette
langue, les a connus par Grimm, qui était alors son ami.
EUGÉNE RITTER.
Novitätenverseichnis. 287
suplément contenant les mots tecniques rarement usités, et d’un deu-
sième suplément contenant les racines. I“ fascicule. In-4°, p. XXV
à XL et p. 1 à 8. Paris, au siège de la Société, 20, boulevard Saint-
Michel; les principales librairies.
Godefroy (F.) — Dictionnaire de l’ancienne langue française. In-4° à 3
col. (T. 9.) 81° fascicule (Carrel-Chile), pages 1 à 80. Paris, Bouillon.
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u. Lit. XX, S. 57f.].
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2° quant a leur sens; 3° quant à la manière dont ils s'unissent pour
former des phrases, Livre de l'élève. (Ire année. Cours moyen des écoles
primaires.) In-16, 128 pages Paris, Colin et C°.
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d'enseignement grammatical, suivi de dictées données dans les examens.
12° édition, conforme à l'orthographe de la dernière édition du Diction-
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2 édition. In-16, 179 p. Paris, Hachette et C° 2 fr.
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und Hülfsmittel zur Erlernung dieser Sprachen. (Neue [Titel-] Ausg.)
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Novitdtenverseichnis. 291
Tornezy (A.). — Un bureau d'esprit au XVIII- siècle. Le Salon de Me
Geoffrin. In-18 jésus, 278 pages. Paris, Lecène, Oudin et C*.
Yocca, @. Stef., Saggio su l’Entrée de Spagne ed altre chansons de geste
medievali franco-ital. Roma, Ciotola. 58 8. 8°. L. 2,50.
‚ Das Epos von Isembard und Gormund. Sein Inhalt und seine
historischen Grundlagen nebst einer Dhersstng des Brüsseler Frag-
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Glossar. Leipzig. Reisland. Mk. 9.
Comptes des consuls de Montréal - du - Gers (1411, 1412, 1413, 1414),
par M. l'abb6 A. Breuils. I. Bordeaux, imper. G. Gounonilhou. In-4°,
79 p. [Extrait des Archives historiques du département de la
Gironde, t. XXIX].
er (A.) et Miégeville. — Chroniques romanes des comtes de Foix,
Com posées au XVe siècle par Arnaud Esquerrier et Miégeville, et pu-
bliées pour la première fois par Pasquier et Henri Courteault. In-8°,
XXVI1-196 p. et fac-similé d'une charte. Foix, Gadrat aîné. Toulouse,
Privat. Paris, Picard et fils. Pau, Ve Ribaut. 4 fr.
Histoire de Gaston IV, comte de Foix, par Guillaume Leseur. Chronique
française inédite du XV°, siècle, publiée pour la Soc. de l'histoire de
France, par Henri Courteault. Paris, Laurens, 1893—1896. 2 vol.
in-8.
Le livre et mistere du glorieux seigneur et martir Saint Adrien p.
d'après le ms. de Chantilly, avec introduction table et Rosaire par
Emil Picot. Imprim. pour le Roxburghe Club. XXXIV,
Meyer, P., Prière à la vierge en vers décasyllabiques accouplés [In:
Bulletin de la Société des anciens textes francais, 1895, 1.].
Branthôme. — Oeuvres complètes de Pierre de Bourdeilles, abbé et sei-
gneur de Branthôme. Publiées pour la première fois selon le plan de
l'auteur, augmentées de nombreuses variantes et de fragments inédits,
suivies des œuvres d'André de Bourdeilles et d'une table générale,
avec une introduction et des notes, par M. Prosper Mérimée et M.
Louis Lacour. 2 vol. In-16. T. 12, 440 p.; t. 13 et dernier, 332 p.
Paris, Plon, Nourrit et C* 6 fr.
Darmesteter, À, et À. Hatsfeld. — Morceaux choisis des principaux
écrivains en prose et en vers du XVI: siècle, publiés d’après les éditions
originales ou les éditions critiques les plus autorisées, et accompagnés
de notes explicatives. (Programme des classes de troisième et de seconde.)
6° édition, revue et corrigée. In-18 jésus, VII-384 pages. Corbeil, im-
primerie Crété. Paris, librairie Delagrave. (1896).
Sage., — Théâtre de Le Sage. Turcaret; Crispin rival de son maître.
In-32, 191 p. Paris, Pfluger. 25 cent. Bibliothèque nationale.
Michelet, J., — Oeuvres complètes. Histoire de France. Edition définitive,
revue et corrigée. T. 10: Henri IV, In-8°, 388 p. Paris, Flammarion.
Montaigne, Mich. de, L'Italia alle fine del secolo : giornale di viaggio
in Italia nel 1580 e 1581, Nuova edizione del testo francese ed
italiano con note ed un saggio di bibliografla dei viaggi in Italia a
cura del prof. A. d’Ancona. Città di Castello. IV, 719, 41 8. 16°, L. 10.
elais, F., — Oeuvres de Francois Rabelais. T. 5 et dernier. In-32,
191 p. Paris, Pfluger. 25 cent. Bibliothèque nationale.
Ritter, E., Lettres de Sainte-Beuve au professeur Gaullieur (1844—1862).
(In: Bulletin de l'Institut national genevois. XXXIII, S. 297—338].
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