Google
This is a digital copy of a book that was prcscrvod for gcncrations on library shclvcs bcforc it was carcfully scannod by Google as pari of a projcct
to make the world's books discoverablc online.
It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books
are our gateways to the past, representing a wealth of history, cultuie and knowledge that's often difficult to discover.
Marks, notations and other maiginalia present in the original volume will appear in this flle - a reminder of this book's long journcy from the
publisher to a library and finally to you.
Usage guidelines
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to
prcvcnt abuse by commercial parties, including placing lechnical restrictions on automated querying.
We also ask that you:
+ Make non-commercial use ofthefiles We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for
personal, non-commercial purposes.
+ Refrain fivm automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machinc
translation, optical character recognition or other areas where access to a laige amount of text is helpful, please contact us. We encouragc the
use of public domain materials for these purposes and may be able to help.
+ Maintain attributionTht GoogXt "watermark" you see on each flle is essential for informingpcoplcabout this projcct and hclping them lind
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it.
+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are lesponsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can'l offer guidance on whether any speciflc use of
any speciflc book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search mcans it can bc used in any manner
anywhere in the world. Copyright infringement liabili^ can be quite severe.
Äbout Google Book Search
Google's mission is to organizc the world's Information and to make it univcrsally accessible and uscful. Google Book Search hclps rcadcrs
discover the world's books while hclping authors and publishers rcach ncw audicnccs. You can search through the füll icxi of ihis book on the web
at|http: //books. google .com/l
Google
IJber dieses Buch
Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Realen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfugbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde.
Das Buch hat das Uiheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch,
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist.
Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin-
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat.
Nu tzungsrichtlinien
Google ist stolz, mit Bibliotheken in Partnerschaft lieber Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nie htsdesto trotz ist diese
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch
kommerzielle Parteien zu veihindem. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen.
Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien:
+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche Tür Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden.
+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials fürdieseZwecke und können Ihnen
unter Umständen helfen.
+ Beibehaltung von Google-MarkenelementenDas "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht.
+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein,
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben.
Über Google Buchsuche
Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppcn zu erreichen.
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|http: //books . google .coiril durchsuchen.
i 05-
i.-
Tri
» •
%
s..
i or
£•
Tri
» •
%
i or
i.-
Tri
» •
m
%
I .
Zeitscluiffc
für
französische Sprache und Litteratur
unter besonderer Mitwirkung ihrer Begründer
Dr. G. Kcerting und Dr. E. Koschwitz
Professor a. d. Akademie sn Mfinster i. W. Professor a. d. ünWersitfct in Oreifiiwald
herausgegeben
von
Dr. D. Behrens ^nd Dr. H, Kcerting^
Privatdosent a. d. UniTorsität su Greifs wald. Professor a. d. UniTersitfct sn Leipsig.
Band XL
Oppeln nnd Leipzig.
Eugen Franck's Buchhandlung
(Georg Maske).
1889.
INHALT.
Abhandlungen.
Seite
G. Bornhack. Zola als Dramatiker 29 — 40
J. ten Brink. Moderne französische Romanschriftsteller . 41 — 64
E. Dannheisser. Zur Geschichte des Schäferspiels in
Frankreich • . 65—89
J. Frank. La Satyre des Satyres et la Critiqae desint^ressäe 1 — 22
E. Guglia. Antoine RivaroFs Plan einer Theorie du corps
politique 266—264
A. Haase. Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des
XVII. Jahrhunderts 203—237
W. Knörich. Zur Kritik des Preziösentums 167—176
R. Mahrenholtz. Bemerkungen über die Correspondance
philosophique, litt^raire et critique (1747 — 93) . . . 90 — 104
. Thörese Levasseur 177—187
Ph. Plattner. Personal- und Gentilderivate im Neufran-
zösischen 106—166
W. Ricken. Grundzüge der Entwickelung des e sourd.
Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage: Wie sind
die französischen Verse zu lesen? 238 — 255
E. Ritter. Le programme du prix proposä par l'Acadämie
de Dijon et remportä par Jean-Jacques Rousseau . . 23 — 28
-■ . La Correspondance de Sainte-Beuve 188 — 202
MiSZELLEN.
J. Aymeric. Evolutions de la langue fran^aise .... 267 — 269
Lohmann. Ein Roman Victor Cherbuliez* 270—272
R. Mahrenholtz. Die Bildnisse Moliäre*s 266-266
* » ♦ ^ >
Druck von Erdmaim Baabe in Oppeln.
La Satyre des Satyres et la Critique dösintöressee. ^)
So lauten bekanntlich die Titel zweier Satiren, die Boileau
und Moli^re in schärfster Weise angreifen, nicht nur in ihrer
Eigenschaft als Dichter, sondern auch in ihrem Privatcharakter.
Sie werden in der Regel dem Abb6 Cotin zugeschrieben; doch
gilt seine Autorschaft (wie man sehen wird) durchaus nicht als
unbestritten, und wir werden uns mit dem Beweismateriale für
und wider noch eingehend zu befassen haben, um schliesslich
(so hoffen wir) Cotin als Verfasser der beiden Satiren sicher zu
stellen. Bevor wir aber auf die Erörterung dieser Streitfrage
näher eingehen, müssen wir uns mit den gegenseitigen Beziehungen
der drei genannten Schriftsteller und mit dem Inhalte der beiden
in Rede stehenden Schriften etwas näher vertraut machen.
Moli^re und Boileau waren bekanntlich intime Freunde.
Innere Wahlverwandtschaft hatte sie zusammengeführt, in erfreu-
licher Übereinstimmung hatten sie den Kampf gegen das Preziösen-
tum gewagt und im schönen Gleichtakte ausgeführt, ebenso wie
die Talentlosigkeit Gotin's als Dichter und seine niedrige Denkungs-
^) Die Hauptanregung und das wichtigste Hilfsmittel zu diesem
Aufsatze bot der als XII. Bändchen der Nouveüe Coüeciion Molieresque
erschienene Neudruck : La Satyre des Satyres ei la Critique desinidressee
sur les satyres du iemps par Tabbö Cotin avec une notice par le
bibliophile Jacob. Paris, 1883. Librairie des bibliophiles, rne Saint-
Honor^, 338. Die Vorrede Jacob's (bekanntlich Pseudonym für Paul
La er o ix) gibt eine gedrängte Zusammenstellung der im Molieriste
durchgefochtenen Streitfrage, die aber, wie uns scheint, einer weiteren
Kontroverse noch immer Baum lässt. — Wenn dieser unser Aufsatz
ein Verdienst für sich in Anspruch nehmen darf, so ist es das, auf den
Text der beiden Satiren gewissenhafter eingegangen zu sein und aus
demselben für die Frage der Autorschaft weitere Aufschlüsse gesucht
zu haben. Wir bemerken gleich hier, dass wir uns im Verlaufe dieser
Arbeit für Satyi'e des Satyres der Abbreviatur „S. d. S." und für la
Critique desinteressee „l. Cr. des.^ bedienen werden.
Zscbr. f. fT& Spr. u. Litt. XIi. i
2 /. Frank,
art zwischen ihm und den Genannten frühzeitig eine hohe Scheide-
mauer errichtete. Cotin war ein Habituö des Hotel Rambouillet,
in dem die Unnatur und der forcierte Geistesreichtum, das stiss-
liche Wesen und die falsche Sentimentalität hypertrophischer
Herzen einen zweideutigen Verkehr mit den Musen pflegten.
Boileau hatte zwar ebenfalls eine Zeit lang in diese hureaux
d^esprit seinen Fuss gesetzt,^) aber bald wiederum die richtige
Fährte aus denselben gefunden, er hatte diese poetische Ver-
irrung bald überwunden und wie eine abgestreifte Schlangenhaut
hinter sich liegen lassen, ja sogar seiner tiefen Abneigung
gegen diese Richtung^) in seinen Satiren rücksichtslosen Ausdruck
verliehen. Auch die SteUung Moli^re's gegenüber dieser poetischen
Bewegung war vermöge seiner geistigen Eigenart genau vor-
geschrieben und man weiss, wie tötlich er dieselbe getroffen hat.
Diese prinzipiellen Gegensätze verschärften sich immer mehr und
spitzten sich zu persönlichen zu, da Gotin von jener zänkischen
Eitelkeit erfüllt war, die das verräterische Brandmal aller Schrift-
steller ist, denen die Geltendmachung der lieben Persönlichkeit
höchster Zweck ist. Cotin war seinen Gegnern an Schärfe
nicht gewachsen, und so scheute er sich nicht, obzwar er sich
als felsenfester Streiter des Herrn und Bewahrer des Heiligtums
der Gesinnung gebärdet, in den beiden Satiren zu den ehrlichen
Geistes Waffen erbärmliche Angebereien und Verleumdungen
hinzuzufügen, von denen wir noch ausführlich zu sprechen haben
werden. Begreiflicherweise stieg dadurch auch die Erbitterung
der beiden Angegriffenen; besonders Boileau nahm Gotin auch
weiter scharf aufs Korn und machte ihn in seinen Satiren zum
ewigen Stichblatt seines Spottes. Mit der ihn auszeichnenden
Feinfilhligkeit und dem starken Unterscheidungsvermögen zwischen
der wahrhaften Poesie und der affektierten, koketten Empfindelei,
zwischen den Schöpfungen von dauerndem und denen von nur
ephemerem Werte, mit dem frohen Mute des Reformators hatte
er neben anderen litterarischen Gecken und Götzen auch Gotin
von seiner hohen Stellung herabgerissen, jenen Cotin, der wie *
alle Schriftsteller, die ganz und ausschliesslich nur ihrer Zeit
angehören, mit den oberflächlichen Salondamen ein zwar in-
brünstiges, aber nur kurz anhaltendes Liebesverhältnis einge-
1) Er achreibt selbst an Le Verrier: J^ai une espece de confusion
davoir emphyä quelques hewres ä faire des vers damouretle ei d^itre
iombe moi-mime dans le ridicule doni faccuse les autres,
^) Ceite disposiüon Wesprit ei ceiie humeur semblaieni faire de
Boileau Vennemi naiurel de ces riens galanis, de ce grand fin, de ce fin
des choses, de ce fin du fin eic. (Nisard, Hisi, de la litt, fr,, II. Bd.
S. 290.)
La Satyre des Satyres et la CriHque ddsinieressäe. 3
gangen war. Man muss es Boilean's damaliger Jagend zu Oute
halten, wenn er im Eifer des Gefechtes zuweilen über den Strang
schlägt und nicht nur den Bannerträger des Preziösentnms and
Dichter, sondern auch den Kanzelredner Cotin hart mitnimmt,
der den immer mehr gelichteten Reihen seiner andächtigen Zu-
hörer in seinen Predigten ein wahres Pastoralopium verabreichte.^)
Den vernichtenden Schlag gegen Gotin aber hatte Moli^re geführt,
indem er mit einem Kernhiebe Cotin's Reputation vollkommen
totschlug. Er stellte ihn nämlich in seinen Femmes savantes als
Trissotin auf die Bühne, eine Figur, in der jedermann das
Original wiedererkennen musste und in der Cotin's Gelehrten-
dünkel und Rechthaberei, seine Selbstgefälligkeit und Scheelsucht,
seine Pedanterle und Schalheit als Dichter einem unauslöschlichen
Gelächter preisgegeben waren. Dieser Hieb sass so fest, dass
sich der Betroffene seit dieser Zeit kaum mehr öffentlich zeigte
und auch litterarisch mundtot gemacht war.^) Selbst der Um-
stand, dass er 1655 in die Akademie aufgenommen worden war,
konnte ihn bei der Nachwelt vor dem Fluche der Lächerlichkeit
nicht bewahren. Übrigens machte ihm selbst der Abb6 de
Dangeau, der ihm in der Akademie nachfolgte, kaum einige Elogen.
1) Si Von rCest plus au large assis en un fesiin,
Qu'aux Sermons de Cassagne, ou de tarne Cotm. (Sat III.)
Dieselben Verse wiederholt Boileau auch anführend in der IX. Bat.
in der er auch ironisch sagt, er wolle, am niemanden zu verstimmen,
von nun an schreiben:
Cotin ä ses sej'mons iratnant toute la terre
Fend les flots d'audiieurs pour aller ä sa chaire.
2) Man hat sogar behauptet, dass der Kummer, den Cotin über
diese Behandlung empfunden, ihn zum Grabe geführt habe, und sogar
Voltaire hat sich dazu hergegeben, dies Gerücht zu wiederholen. Cotin
starb jedoch erst 1682, erst 10 Jahre nach der Aufführung des Stückes,
im Alter von 78 Jahren. L*on voit, que si c*est au chagrin qu'il faut
aitrihuer sa mort, ü fut pour Im comme le caf4 pour Fonteneile, un
poisonlent (Tascherau, S. 44.) (Lion, Les Femmes Sav. S. 74, A. 721.)
— Übrigens fand diese Aufführung nicht wie es bei Lacroix (La SaU d. S.
et la Crii. des. S. VII) heisst, am 12. M'ärz, sondern am 11. d. J. 1672
statt. — Wir fügen hier noch die vortreffliche Schilderung hinzu, die
Moliere {Femmes sav. I, Sz. 8) von Trissotin gibt,
La consianie hauteur de sa pre'somption
Cetle intre'pidite de bonne opinion
Cet indolent etat de confiance extrSme
Qui le rend en tout temps si content de soi-mSme,
Qui faitf qu*ä son esprit incessamment il rit,
Qu'ü se sait si hon gre de tout ce qü'il ecrit^
Et qu'il ne voudrait pas changer sa renomniäe
Contre tous les honneurs d'un g^ne'ral d^armee.
4 J* Frank,
Betrachten wir nun den Hauptinhalt der beiden in Rede
stehenden Satiren, in denen Cotin (wir nehmen vorgreifend seine
Autorschaft als erwiesen an) seine vergifteten Pfeile gegen seine
beiden Gegner abschnellt, etwas näher. Nicht, als ob diese
beiden an und für sich ziemlich wertlosen Machwerke der Mühe
eines näheren Eingehens lohnten, auch nicht, weil Cotin, diese
noch nicht einmal durch ihr Alter ehrwürdig gewordene litterarische
Ruine, an und für sich ein wichtiges Objekt des litteraturgeschicht-
liehen Studiums bilden kann, sondern weil sie auf zwei so be-
deutende Männer wie Moli^re und Boileau starke Streiflichter
werfen und eine Lösung der Autorfrage ohne die Kenntnis des
Inhaltes nicht gut möglich ist. Es sind nun zunächst Aus-
stellungen mehr ästhetischer Natur, die in der 8. d. S, und in
der Crit dis, gegen Boileau ^und Moli^re erhoben werden, und
der erstere ist es besonders, der nach dieser Seite hin angegriffen
wird. Er wird als Plagiator schlimmster Sorte hingestellt, der
bei den alten grossen Satirikern die unverschämtesten Anlehen
mache, der in willkürlicher Weise wie ein Beherrscher des
Parnasses seinen Freunden den poetischen Lorbeer reiche, und
einen Moli^re zu einer litterarischen Grösse aufblähe, obzwar er
doch nur ein gewöhnlicher Possenreisser sei; Boileau könnte keine
Zeile schreiben,^) wenn er nur seine eigenen Gedanken nieder-
schreiben sollte, und doch wage er es, bewährte Dichter zu ver-
spotten. Es wird uns da besonders in der Crit. dis. neben
mancher wohl richtigen, aber stark an den Gemeinplatz erinnernden
theoretischen Ansicht Cotin's über die Satire vieles Schiefe vor-
geführt, das dem Satiriker sein bestes Recht arg verkümmern
möchte. In die Kategorie des letzteren gehört, wenn Cotin
fordert, der Satiriker müsse sich einer besonders hoben Geburt
und eines besonderen makellosen Lebenswandels berühmen können,
um seines Amtes walten zu dürfen; er dürfe nur die angreifen,
die ihm persönlich etwas zu Leide gethan; der Satiriker dürfe
nur die Spitzen der Gesellschaft treffen, nicht aber in die
Niederungen der mittleren und unteren Klassen hinabsteigen.
Wenn Cotin die These aufstellt, der echte Satiriker werde zu
stolz sein, um sich über seine Armut und sein Elend zu beklagen
und die Welt unter dem Gesichtswinkel seines persönlichen Ge-
schickes zu betrachten, so wird man wenigstens die Motivierung
vUgnorant pas quon n*a point veu encore la Science mendier son
pain sehr brüchig finden dürfen und zugeben, dass ohne den Be-
*) Si le bon Juvenal estoU mori sans ecrire
Le malin Desprdaux n'eusi poini faii de satyre,
Et, s'ü ne disait rien que ce que vieni de luy,
ß ne pourroii jamais rien dire conire autrut/. (S. d. S.)
La Satyre des Saiyres ei la Criiigue desinieress^e, 5
sitz gewisser Mittel selbst der Beste ein gefesselter Mensch ist;
wenn er meint, die Satire dürfe nie dem Neide nnd der persön-
lichen Feindschaft entspringen, so wird sich dagegen nichts ein-
wenden lassen, ohne dass darum die Plattheit dieses Gedankens
geringer wird. Er wirft Boilean vor, die Vernunft verspottet zu
haben und sie absetzen zu wollen, weil dieser den Gedanken
aussprach, dass der alles kritisch prüfende und analysierende
Verstand zuweilen in die höchste Freude und Verzückung einen
Wermutstropfen träufle und dass der am meisten Denkende nicht
immer der Glücklichste sei. Boileau (so meint Cotin)^) müsse
wie ein rasendes Tier behandelt werden, da er der Vernunft
entsagt habe! Die wahre Satire kämpfe gegen das Laster und
die Narrheit an, um der gesunden Vernunft zum Siege zu ver-
helfen, bei Boileau aber sei das Umgekehrte der Fall! — Während
Martial die von ihm gegeisselten Individuen nur mit fingierten
Namen benenne, habe Boileau niemanden geschont und sogar
die Regierung und die üeligion angegriffen, wobei die Verhüllung,
unter der er seine Geschosse abgesendet habe, niemanden irre
führen werde. Man müsse, nach dem Vorbilde des Horaz, nicht
bloss das Beste, sondern auch das Mittelmässige loben und die
Anerkennung müsse den Tadel überwiegen. Auch, dass sich
Boileau einmal mit Ludwig XIV. verglichen habe, sei litterarisch
unzulässig und es wird in sophistischer Weise eine haarspalterische
Distinktion ausfindig gemacht, dass es etwas ganz anderes sei,
wenn Ähnliches Virgil öfter gethan habe. Wie in der ganzen
Crit dSs,, herrscht besonders in diesem Teile eine pedantisch
schwerfällige Manier vor und ein serviler Sinn, der die Livree
für das einzig richtige Staatskleid der Menschheit ansieht und
an gewisse Dichter erinnert, die wie die Hunde sich stets krumm
legen und nicht ohne einen Herrn leben können.
Wenn sich die bisherigen Vorwürfe Cotin's besonders dahin
erstreckten, Boileau habe ganz das Objekt der Satire verfehlt,
so folgt weiter die Anschuldigung, er habe sich in der Art, den
Stoff zu behandeln, arg vergriffen. Er habe (so peroriert
Cotin weiter) anstatt der für die Satire allein geeigneten Sprache
1) Meitez-lm le frein en boitche de peur qu'ü n'approche de vous
ruft in rohester Weise der honnite ecclesietstique in der Crit das. (bei
Lacroix S. 19), hinter den sich Cotin steckt, wenn er für seine Beden
nicht die Verantwortung übernehmen will. Diese ganze Philippika
gegen Boileau basiert Cotin auf des ersteren IV. Satire, aus der er
die Stelle:
Souveni de ious nos maux la raison est le pire
aus dem Zusammenhange reisst, um Boileau als einen Verächter der
Vernunft auszurufen. Wer diese Satire gelesen hat, weiss, wie ent-
stellt bei Cotin ihr wahrer Sinn wiedergegeben wird.
6 /. Frank,
nüchterner mhiger Sachlichkeit den klassischen Hahnentritt des
falschen Pathos gewählt und schlürfe, blühenden Unsinn sprechend,
auf dem Kothurn einher.^) Boileau's Verse seien von Wulst und
Schwulst überwuchert; dass sie den Regeln des Reimes Hohn
sprechen, komme (meint er ironisch) bei so genialen Feuergeistem
nicht weiter in Anschlag, und auch Grammatik und Orthoepie
dürfe man von so einem grossen Dichter, der über den Regeln
der Kunst stehe, nicht verlangen; trotzdem aber sticht Cotin in
echt klein- und schulmeisterlicher Manier die geringfügigsten
Kleinigkeiten auf, um sich geistig überlegen zu zeigen. Der
Satiriker müsse mit feinem Hohne, aber nicht mit burleskem
derbem Spotte arbeiten, er dürfe nur sticheln, aber nicht stechen
und (so meint Cotin in einer bei ihm seltsamen Anwandlung von
Kühnheit und im Widerspruche zu seiner früher geäusserten
unterduckenden Gesinnung) dürfe selbst „vor den Göttern der
Erde^ vor „Tiaren und Diademen^ nicht Halt machen.^) Es
folgt schliesslich eine Standrede gegen das Schauspiel und die
Schauspieler, die mit dem vorigen nur lose zusammenhängt und
besonders (wie es scheint) ein Sträusschen für Moli^re enthalten
soll, während die bisherigen Ausstellungen sich besonders auf
Boileau bezogen. Es wird da in der bekannten Weise gegen
den schnellen häufigen Szenenwechsel auf der Bühne und die
Störungen in der poetischen Illusion durch die groben Ver-
^) Cela firise U Gaiimathias; mais cela est beau pourtant, sagt er
einmal spöttisch über ihn (Grit des., S. 46 bei Lacroix) und an einer
anderen Stelle (ibid. S. 45) . . . . des meiaphores gvindees dhm poSte
qui monte sur des e'chasses pour se faire voir.
*) Je dy conire les premieres iesies du monde, conire les plus vains
et les plus süperbes espriis, conire les faux phüosophes et contre les
JHeux de la terre, suivant la pensee des Soges, que Tadmiration des
t Mar es et des diadSmes est quelque/bis une marque de nostre foxblesse
plütost que de leur grandeur, La Satyre Mönipp^e, le Catholicon
d'Espagne en fait foy, et cet autre raiUeur qui joüe de son temps tous
les potentats de VEurope etc. (Grit, des., S. 58 bei Lacroix.) — Und doch
hat derselbe Cotin es an einer anderen Stelle als ein crimen kesce
majestatis hingestellt, dass Boileau im Discours au Roy geschrieben hat :
Quand ton öras, o Louis, des peuples 7*edouid,
Va la foudre ä la main restdblir Üequite',
Et retient les me'chants par la peur des suppüces,
Moy, la plume ä la main, je gourmande les vices
und ruft emphatisch aus:
Tant cet audacieux mesle mal-ä-provos
Les loüanges d!un fat ä celle d'un neros,
und: Triomphant ä souhait dans une autre satyre,
II se fait ä son prince egal comme de cire.
Es ist doch eine schöne Sache um die Konsequenz 1
La Saiyre des Saiyres ei la Critique de'sinteressee. 7
sündigungen gegen die Wahrscheinliehkeit und materielle Möglich-
keit zu Felde gezogen und daraus der Unwert der Bühnen-
darstellungen überhaupt gefolgert.
Doch ist diese ganze ästhetische Eannegiesserei, die
sich besonders in der Crit dis, breit macht, wie man leicht sehen
kann, für Cotin die Nebensache, und die Hauptsache sind ihm
die persönlichen Ausfälle gegen Boileau und Moli^re. Man
hat schon in unserer gedrängten Inhaltsangabe der mehr auf die
Theorie bezüglichen Bemängelungen Cotin's solche persönliche
Invektiven wahrnehmen können, doch verschwinden sie gegen
die folgenden, und Cotin eröffnet gegen seine Widersacher ein
wahres Rottenfeuer von Injurien. Er stellt sie als vom Spiel-
dämon besessene Schlemmer und Prasser hin, als schmarotzende
Lustigmacher, die den Reichen für die Tafelabfölle ihre Kapriolen
vormachen.^) Ihre Angriffe gegen die Grossen entspringen bloss
dem Neide und dem Ärger darüber, dass sie die Machthaber nicht
favorisieren. Ein andermal gibt sich Cotin den Anschein souveräner
Verachtung, ja des Mitleids für seine Oegner, um sie als arme
Narren, als eine verlumpte, aber gute Haut und deren Werke
als blosse Jugendeseleien hinzustellen, mit denen man nicht all
zu strenge ins Gericht gehen dürfe.^) Dann sind sie ihm wieder
die Cyniker, die weit entfernt von dem edlen Eifer, die aus den
Fugen gekommene sittliche Welt ins Rechte zu bringen, am
Schmähen Wohlgefallen finden und sich an das Heiligste heran-
wagen. Am empörendsten sind aber die handgreiflichen Ver-
leumdungen und Angebereien Cotin's. Es treibt dem Leser
die Zomesröte ins Gesicht, wenn Cotin mit der Miene heuchlerischen
Wohlwollens für Boileau recht besorgt thut und fürchtet, der
König könnte diesen für seine vermessene Sprache züchtigen,
*) Wir wollen hier nur eine Stelle aus der CHt. des. (S. 46 bei
Lacroix) anführen: Ce joüeur desespere, gu*ü faui (bei Lacroix heisst es
irrtümlich fait) mettre ä la chaisne, de peur que, comme un autre
Capanee ou comme un auire Typhon, ü n^aiiaque Jupiter mesme,
Qu*on le lie, ou je crains, ä son air furieux,
Que ce nouveau Titan n'esccdade les cieux,
Ce geant iiisensä de la jouante Academie und so geht das Geschimpfe
weiter. Damit man die ganze Niedertracht dieser Schmähungen kennen
lerne, zitieren wir dazu aus Nisard, a. a. 0. S. 294: Au milieu de ces cupides,
de ces avares, il (Boileau) eut lesmcBurs des solitaires de Port-
Roy al und {ib, o. 317): La säverite de moßurs de Boileau, ses scrupules
de religion, sa probite peut-itre tres-exiyeante etc.
^ Cest au moins un honneste voluptueux ei un faceOeux debauchä.
11 ^empörte peut-esire un peu trop, mais ü faut excuser sa tendre Jeunesse,
il n*a encore que trenie ans. (Crit. des., S. 24 bei Lacroix.).
8 /. Frank,
dabei aber indirekt den König dazu auffordert.^) Wenn Boileau*B
Verse (das kann auch Cotin nicht leugnen^) von grosser Wirkung
und bestechend seien, so sollte man ihm erst recht das Handwerk
legen. Auch der Hof werde doch an diesen himmelstttrmenden
Worten nicht etwa Gefallen finden und doch nicht vergessen,
wie Übel Boileau ihm in seinen Satiren mitgespielt und welche
Bilder er von ihm entworfen habe ; er mUsste denn von einer ganz
ausserordentlichen Langmut und christlichen Nächstenliebe er-
füllt sein,^) wenn er diese Backenstreiche ruhig hinnehmen
könnte. Überhaupt scheint es Cotin angethan und seine Eitelkeit
tief verwundet zu haben, wenn er daran denkt, Boileau könnte in
den höheren Kreisen Schützer finden, und Cotin will einen
solchen Gedanken gar nicht aufkommen lassen; Boileau möge
nur auf den Rang eines Dichters Verzicht leisten, denn nach
Horaz sei der Satiriker gar kein Dichter.*) Wenn der König
einmal Boileau poetische Begabung zugesprochen und ihm nur
eine unglückliche Hand in der Wahl seiner Stoffe vorgeworfen
habe, so habe ein Höfling dem Herrscher richtig geantwortet,
Boileau könne nur alles besudeln und begeifern und er werde
schliesslich, wie Leute seines Gelichters, mit der Reitpeitsche
behandelt werden.
Dies sind im allgemeinen und in gedrängtester Kürze die
in den beiden Satiren niedergelegten Gehässigkeiten gegen Boileau
und Meliere. Während in der 8. d, S. die prinzipiellen Be-
trachtungen ganz hinter den persönlichen Beschimpfungen zurück-
1) En ceiie ridicttle comparaison que le moderne Satyrique fmt de
ses vers avec la justice du Roy, combien de fois ay-je craini pour
luy, iant je luy veux peu de mal, que la massuH de cet Hercule
ne vint ä escraser ce pigme'e. (CriL dds. S. 40 bei Lacroix.)
2) IJne seconde raison pourquoy le criiique du Censeur n'a pas tort
d'avoir aüeaue les vers sonn ans et magnifiques de son ennemy etc,
(Grit, des., S. 42 bei Lacroix) und (üf. S. 53): .... que le Censeur se flatte
des applaudissements qü'ont donne ä ses pompeuses Satyres les raffinez
de la Cour. Ces loüanges de heaux et de grands vers etc. etc. und
qu'il a affecte de mauvaises rimes dans ses vers si riches ei si magnifiques
a'ailleurs (ib. S. 50.)
^) si elk loüe les vers du Censeur favoüe que la Cour
est treS'Chrestienne, qiCeüefait le bien contre le mal etc. (Crit des.
bei Lacroix S. 56.)
*) Bien hin d^estre le premier des poetes, vous n^estes pas poeie
seulenient etc. (Crit. des. bei Lacroix S. 70); und doch hat Boileau diesen
Eigendünkel nie gehegt und er sagt z. B. in der VII. Sat.:
Je sais coudre une rime au bout de quelques mots
Souvent fhabiUe en vers une maligne prose
Cest par la que je vaux, si je vaux quelque chose —
und gerade Cotin hat als Ideal eines Satirikers aufgestellt: ü parle en
vers comme nous parlerions en prose (Crit des. S. 44). ^ -
La Saiyre des Saiyres ei la Critique desinteresse'e, 9
treten, werden in der Grit dh. Untersuchungen über das Wesen
der Satire angestellt, um aber nicht aus dem Eontexte zu kommen,
stets wieder der Weg in das Fahrwasser der Angeberei und
Verschwärzung gesucht und gefunden. Während die Ä d, S.
auch gegen Moli^re mehrere ganz offene und einige kaum ver-
hüllte Ausfälle enthält, beschäftigt sich die Crit des. fast nur
mit Boileau.
Nun zur Autorfrage! Es hat nicht an wissenschaftlichen
Stimmen gefehlt, die die Autorschaft Cotin's für keine der
beiden Satiren anerkannten^) und ihn selbst als den unschuldig
Verfolgten hinstellten, während Boileau und Moli^re (man verzeihe
den trivialen Ausdruck) das Karnickel gewesen sein sollen, das
angefangen hat. Besonders ein Moli^reforscher hat unter der
Devise Le Provincial (auch wir wollen ihn ferner so nennen)
diese Ansicht mit merkwürdiger Zähigkeit verfochten. Es hat
ihm an der verdienten Abfertigung nicht gefehlt und wir werden
die Hauptargumente, die er vorgebracht und die Widerlegung,
die er erfahren hat, zu würdigen und unsere eigenen Wahr-
nehmungen in dieser Streitfrage darzulegen versuchen.
Wenn (wie wir gesehen haben) die beiden Satiren ihre
Spitze fast ausschliesslich gegen Boileau und Moli^re richten,
so wird selbst der oberflächliche Leser den ersten Verdacht der
*) Wenigstens sagt Lacroix in den Pre'face zu seinem Neudrucke der
beiden Satiren (S. IV): Le Provincial ne $e rendaii pas et persisiaii
ä se faire le champion de Colin, quUl declarait innoceni des deux
Saures anonymes, qui avaieni motive les repressaiUes de la comedie
des Femmes savantes. Den Wortlaut der Auseinandersetzungen des
„Provincial", die im Molierisie niedergelegt sind, konnten wir leider
nicht einsehen, da uns diese Zeitschrift nicht zugänglich war, doch
glauben wir uns über seine Meinung durch die Auszüge Lacroix und
durch ein R^sumö im Moliere- Museum (V. Heft, 1883, S. 161) genügend
informiert zu. haben. — Zur bibliographischen Orientierung zitieren
wir Lacroix (der in seiner Pre/ace sagt) : Nous ne croyons pas que la
Satyre des Satyres existe dans aacune autre biblioiheque publique que
Celle de V Arsenal, Ceiie piece imprimee secretemeni ä Paris en 1666,
comme le prouveni Vexamen des car acter es italiques de Vimpression et le
ßeuron qui figure en tHe de la page 3, forme 12 pages peiii in- 8^ sans
nom de Heu ni de libraire. Öest une rdponse fr es violente, en vers,
ä la sortie assez dddaigneuse que Boileau avaii faxte, dans sa iroisieme
Satire, contre Tabhe Colin et ses sermons» On sait que le pätissier
Mignot, ayant ä se venger de Boileau, qui V avaii iraite d^empoisonneur,
fit imprimer ä ses frais la Satire de Colin, quHl distribuaii au public, en
se servani de Vimprime pour envelopper ses biscuits. On ne s^explique
pas comment ceiie Satire est aussi rare et aussi inconnue, puisqu^elle fui
re'pandue de la sorte ä grand nonibre d^exemplaires. Nach Nisard (aist,
de la Hit, fr.^ Bd. H S. 320) hatte Mignot seine Waren in die Crii, des.
einwickeln lassen, wie man überhaupt eine Verwechselung der beiden
Satiren auch anderwärts findet.
10 J. Frank,
Autorschaft dieser beiden Schmähschriften nach dem bekannten:
Cui prodestf gegen eine Persönlichkeit richten, die von den
genannten Schriftstellern bestgehasst werde und annehmen, dass
dieselben eine Art Wiedervergeltung für erlittene Unbilden sein
mögen. Nun ist aber thatsächlich Cotin so recht der Prügel-
junge Boileau's in seinen Satiren und das ganze Wesen des
Verspotteten musste in gewaltige Gährung kommen, wenn er
solche Urteile über sich las. Es war also ebensowohl ein
prinzipieller wie persönlicher Antagonismus, der die beiden zu
den schärfsten Gegnern machte. Bei Moli^re liegen die äusseren
Momente und Anlässe seiner Feindschaft mit Cotin allerdings
nicht so klar zu Tage; desto unleugbarer ist, dass sie in ihren
litterarischen Tendenzen geradezu Antipoden waren: während der
eine die leere Ziererei und die raffinierte Empfindelei als den
Gipfel der Poesie ansah, war der andere ein Feind jedes un-
wahren hohlen Wortes und jeder unnatürlichen Wendung in der
Dichtung; aber auch Spuren äusserer Friktionen zwischen Cotin
und Meliere fehlen nicht so ganz, wie der Provincial glauben
machen möchte, wenn auch die betreffenden Meldungen, wie so
vieles bei den Biographen Moli^re's, nicht mit der wünschens-
werten Sicherheit verbürgt sind. So ist doch schon das so in-
time Freundschaftsverhältnis zwischen Boileau und Moliöre Grund
genug für Cotin gewesen, den Freund seines Totfeindes nicht zu
lieben und es wird sogar die Vermutung nicht allzu kühn sein,
dass Cotin, der von der Kanzel herab für sein Schriftstellertum
Propaganda machte, in seinen Predigten gegen seine beiden be-
deutendsten Gegner ankämpfte^) und seine Zuhörer von seinen
litterarischen Herzensangelegenheiten unterhielt. Cotin war es
auch, der den Herzog von Montausier gegen Moli^re aufhetzte,^)
^) Auch de Vis^ weiss zu erzählen, dass Meliere acht Jahre
vor der Aufführung der Femmes savantes (das wäre also schon
1664!) mit Cotin Streit gehabt habe! (Mercure galant I, S. 64.)
^ So heisst es in den Analyses ou Remaraues historicrues et
criiiques Voltaire's zu Moliäre's Werken (abgedructt im MoL-museum
Schweitzer*8, März 1884, VI. Heft) in der Anmerkung zum Misantrope:
On sait que les ennemis de Moliere voulurent persuader au duc de
Montanster fameuoc par sa vertu sauvage, que c'etoit lui que Moliere jouoit
dans Iß Misantrope. Le duc de Montausier alla voir la Pibce, et dit en
sortant, qu*il auroit inen votdu ressembler au Misantrope de Moliere,
Noch charakteristischer aber ist Voltaire's Notiz zu den Femmes sav.
fa. a. ö. S. 42): . . . . Tous ceux qui sont au fait de rhistoire litteraire
de ce tems-lä savent que Menage y est jouS sous le fwm de Vadius et
que Trissotin est le fameux abbe Cotin, si connu par les satires de
Vespreaux. Ces deux hommes e'toient pour leur malheur ennemis
de Molihre; ils avoient voulu persuader au duc de Montausier,
que le Misantrope dtoit fait contre lui, quelque tems apres
La Satyr e des Satyres ei la Critiqve desinteressee. 11
indem er dem ersteren die Meinung beibrachte, der AlceBte-
Misanthrope sei nach seinem Modell gearbeitet und der Umstand,
dass der Herzog, nachdem er das Stück gesehen hatte, den
Wunsch aussprach, dem Misanthrop ähnlich zu sein, ändert nichts
an Cotin's böser Absicht. Wenn der Provincial zwischen Cotin
und Moli^re sogar eine Art Bundesgenossenschaft und Einigung
zum Kampfe gegen das PreziÖsentum und gegen Manage er-
blicken will, so ist das eine durch die thatsächlichen Verhältnisse
geradezu widersprochene Annahme, denn der Wechsel im Verhalten
Cotin's gegen die Preziösen,^) die mit ihm früher Abgötterei ge-
trieben hatten, bedeutet bei ihm keine Umkehr der Geschmacks-
richtung, sondern ist lediglich eine Seite seines niedrigen Cha-
rakters. Denn Cotin wurzelte mit seinen Dichtungen immer
im Lager der Preziösen, eher als M6nage, der dem jüngeren
PreziÖsentum wirklich abhold war. Die Annahme Lacroix', dass
in einer Stelle der Mdnagerie Cotin ebenfalls gegen Moli^re
Partei nehme und dass sogar die Vermutung nahe liege, das
bekannte Madrigal Mascarille's in den PrScieuses ridicides sei von
Cotin, konnten wir auf ihre Bichtigkeit hin nicht kontrollieren.^)
So viel aber geht aus dem Gesagten hervor, dass schon vor dem
Erscheinen der 8. d. S. und der Grit. dSs,, also vor dem
ils ai^oieni eu chez Mademoiselle, fille de Gasion de France,
la scene si hien rendue dans les Femmes Savantes. Le
malheureux Cotin e'crivoii egalement contf*e Menage, contre MoHere ei
contre Despre'avx; les Satires de Despre'aux Vavoient de ja couvert de
honte, mais Mpliere Vaccabla, Trissoiin e'toit appeüe aux pr emier es
Representations Tricotin. LActeur qui le representoit avoii affecte, autani
qu'il avoit pu^ de ressembler ä V Original par la voix et par le geste.
Es folgt nun noch eine Beurteilung, ob Moliöre zu einer solchen
moralischen Justifikation Cotin's berechtigt war, bei der man, wenn
man sich erinnert, dass sie von Voltaire ausgeht, an das Gracchi de
seditibne qucerentes denken muss, die aber doch ernst gemeint zu sein
scheint.
*) So spottet er in der Grit. des. (auch hier wieder durch eines seiner
Echos, un des plus galands ei des plus polis seigneurs de la Cour): Au
nom des muses, Monsieur, ou si vous taimez mieux, au nom de iS/***
la marquise de Rambouillet et de M^ Desloges, rendez-mcy, s'il
vous plaisi etc, elc, fCrit dds, bei Lacroix 8. 74.)
2) Weil wir weder die Menagerie noch den Moli^riste uns ver-
schaflfen konnten! Wenn aber Cotm im Jahre 1666 in der Grit, des,
(bei Lacroix S. 74) einen Höfling zu sich sagen lässt: Je ne sgay comment
je pourray vous sauver des comediens, ils menacent de vous joüer ä la
farce etc., so möchte man, da gebrannt Kind das Feuer fürchtet, daran
glauben, Cotin sei schon vor den Femmes sav. von Moliöre mit einem
Streifschusse bedacht worden. Da er eine dramatische Züchtigung in
seiner Grit des. sich mit solcher Bestimmtheit voraussagen l&sst (und
alles spricht dafür, dass er sie von Möliöre erwartete!) SQ muss er
Letzterem gegenüber ein schlechtes Gewissen haben!
12 J. Frank,
Jahre 1666 nicht nur zwischen Ootin und Boileau, sondern
auch zwischen Cotin und Moli^re eine sehr gereizte Stimmung
bestand und dass schon dieser Umstand, die beiden Satiren als
eine Revanche Cotin's anzunehmen, nahe legen wird.
Dass diese Gegnerschaften sich in der Folgezeit immer
yergrösserten, weiss man mit Sicherheit. Nicht nur kam Boileau
immer wieder auf Cotin zurück, sondern Moli^re hat an ihm,
wie wir oben schon kurz erwähnt haben, in seinen Femmes sav.
eine wahre Exekution vorgenommen, er hat ihn moralisch und
poetisch hingerichtet. Wenn nun der Provindal einmal die
Bitte stellt, ihm doch eine einzige Beschwerde zu nennen, die
Cotin gegen Moli^re hätte erheben können, und in der Annahme,
dies werde nicht gelingen, weiter deduziert, Cotin stehe der
Urheberschaft der beiden Satiren ferne, so kann man ihm diese
(wie wir übrigens schon gezeigt haben) haltlose Einwendung
auch durch die Gegenfrage zurückgeben: was hätte wo Hl
Moli^re veranlasst, Cotin derartig dramatisch anzu-
nageln und in der Figur des Trissotin zu stigmati-
sieren, was hätte ihn veranlasst, Cotin's ganze Rach-
sucht zu entfesseln und herauszufordern, wenn er nicht
von Cotin provoziert worden wäre? Also schon diese Er-
wägung wird uns nach einer Streitschrift suchen lassen, in der
Moli^re mit argen Schmähungen überhäuft wird^) und wenn wir
*) Wir finden in der S, d. S. folgende Artigkeiten gegen Moliäre :
J*ai veu de mauvais vers sans blämer le poSte;
Tai leu ceux de Mo Her e ei ne Tay point siffiä ....
Iha's donnant ä ses vers une digne maiihre,
Comme un des ses heros il (Boileau) encense Mo Her e . . .
Je ne puis (Tun farceur me faire un demy-dieu ....
Despreaux sans argent, crotie jusq%Cä Veschine,
Sen va chercher son pain de cuisine en ciiisine
San Turlupin fassiste, et joüant de son nez
Chez le sot campagnard gagne de hons disnez:
Despreaux ä ce jeu repona par sa grimace.
Et faÜ, en basieleur, ceni tours de passe-passe'^
P^iis ensuite, enyvrez et du öruii et du vin,
L' un sur Vautre iombant, renversent le festin.
On le promet tous deux quand on faxt chere entiere,
Ainsi que Von promet Tartuffe et Molihre etc
// faui comme ä Vunique en piete sur terre,
Inviter votre muse au grand , Festin de pierre* ....
A ces vers empruniez la Bejar applaudit
11 regne sur Parnasse, et Mo Her e V a dit.
Selbst jene Stellen, wo Molihre nicht ausdrücklich genannt ist,
lassen die Anspielung auf ihn schon durch den Zusammenhang aus-
La Satyre des Satyres ei la CrUique dSsinieressee. 13
eine solche thatsächlich finden sollten, so wird uns eine sehr
leichte Kombination auf Cotin als Verfasser raten lassen.
Ein solches Pasquill ist aber besonders die S, d. S. und einen
Kritiker, der wie der Provincial in derselben nichts gegen Moliöre
hat entdeken können, sollte man wegen seiner ganz unglaub-
lichen Flüchtigkeit gar nicht mehr ernst nehmen. Allerdings hat
sich der Provincial dann hinter der Ausrede verschanzt, die
S, d. S. sei ja gar nicht von Cotin! Hat er doch sogar die Autor-
schaft Cotin's für die Crtt dSs. geleugnet! Doch werden wir
hoffentlich nachweisen können, dass diese seine Behauptung ebenso
hinfallig ist, wie seine meisten anderen.
Bevor wir aber diesem Beweise nachgehen, müssen wir
noch erwähnen, dass es (seltsam genug) noch Moli^risten gibt,
die es in Zweifel ziehen, dass Moli^re in Trissotin habe Cotin
abkonterfeien wollen. Man bedenke dagegen nur: die Femmes
sav, hiessen früher Trissotin oder eigentlich ursprünglich
Tricotin,^) worin also der Name Cotin ganz ausgeprägt ist;
die Szene mit dem Sonnette: A la princesse Uranie beruht auf
Wahrheit, Cotin hatte nämlich ein Sonnett für Madame de Nemours
gemacht und da er es eben Madame de Montpensier vorgelesen
hatte, kam Manage und fand es elend, da er den Autor nicht
kannte; die beiden von Trissotin vorgelesenen Gedichte sind
thatsächlich ein Produkt Cotin's und seinen (Euvres galantes ent-
nommen; die Minagiana sagen genau, Trissotin könne nur Cotin
sein und berichten, Moliöre habe dem Darsteller der Rolle ein
Gewand Cotin's gekauft, um ja keinen Irrtum aufkommen zu
lassen; femer berichtet de Vise, Cotin habe sich von einer
Audienz, die die Vertreter der Akademie im März 1672 (in dem-
gemacht erscheinen. Zum Überflusse sei bemerkt, dass sich das
Schimpfwort /ar{7£?wr für Moliöre, auch bei Saumaize (der auch zuerst
das Stichwort „Plagiator" für Meliere ausgegeben , das später ein
Embatterion aller Moli^refeinde wurde) und dem Jansenisten Rochemond
wiederfindet (vgl. Schweitzer's MoHh-e- Museum IV. Heft, 1882, S. 2).
Auf den Turlupin kommen wir noch zurück. Wie man aber nach
obigen Sottisen Cotin's gegen Moliöre es noch nötig erachtet, es zu
entschuldigen, dass Moli^re im Trissotin Revanche genommen hat, ist
uns unbegreiflich.
1) La comedie des Femmes savantes ftit d!ahord iniiiuUe Trissotin ;
ce qui donnerait ä penser que ce personnage y avaii un role plus developpd
que celui que MoUere lui a laisse, M^^ de Sevignd dit, dans une lettre
datee de Livry, 9 mars 1672. Nous tächons ^amuser noire carditial (de
Retz). Corneille lui a lu une comedie, qui sera joue'e dans quelque temps
et qui fait souvenir des anciennes. moliere lui iira samedi Trissotin
qui est une fort plaisante Piece! Cette piece representde le 12 du mime
mois (wir finden sonst überall den 11.!) est mentionnee aussi sous le
titre de Trissotin dans le registre de Lagrange, (Lacroix, Pref, S. XII,
Anm.)
14 /. Frank,
selben Monate und Jahre wurden die Femmes sav. das erste Mal
aufgeführt) bei Ludwig XIV. nahmen, ferngehalten, damit man
nicht sage, er komme, um Moli^re für den ihm jüngst gespielten
Streich zu verklagen; Perrault erzählt,^) dass Cotin nach sehr
langer Unterbrechung im März 1672 wieder auf die Kanzel stieg,
so dass es wahrscheinlich ist, er habe sich für den ihm von
Moli^re angethanen Tort rächen wollen. Hält man nun alle diese
Umstände zusammen, so kann man nicht begreifen, wie man über
die von Meliere beabsichtigte Identität von Trissotin und Cotin
noch irgendwie im unklaren sein kann^) und die zwei Tage vor
der AufifÜhrung gethane Versicherung Moli^re's, er habe in Trissotin
und Vadius keine Porträts zeichnen wollen, wiegt so federleicht,
wie wenn er beteuert, er habe in seinen Fricieuses ridicules nur
die Entartung des Preziösentums angreifen wollen! Beides
glaubt man ihm nicht. Mit Vadius verhält sich die Sache indes
etwas anders. Es unterliegt zwar auch keinem Zweifel, dass
Meliere bei der Schöpfung dieser Figur an M6nage gedacht habe ;
es fehlte auch in diesem Falle nicht an inneren Gründen, die
Moli6re so handeln Hessen. Da aber diese Opposition eine
weniger persönliche als grundsätzliche war, so hat Moli6re nicht
so mit dem Finger auf ihn gewiesen und seinen Charakter nicht
so bösartig gezeichnet. Es ist also erwiesen, dass Möllere gegen
Cotin einen besonders tiefen Groll hegen musste und als Ursache
derselben ergibt sich uns am ungezwungensten dessen Autorschaft
der beiden Satiren, deren eine besonders Moli6re förmlich mit Kot
bewirft.
Suchen wir nun nach direkten Beweisen, die über die
Autorschaft der beiden Satiren Aufschluss geben können. Der
Provincial führt zu seinen Gunsten an, dass weder beim Abb6
d'Olivet in der Geschichte der Acadimie frangaise^ noch bei Mor^ri
ein anderes als die Crit, dis. unter den Werken Cotin's ange-
1) Wir entnehmen dies der Pref. Lacroix', S. VII.
2) Vgl. auch Taschereau S. 43 und 44. Wenn Mahrenholtz
in seiner sonst so trefflichen Biographie Molifere's (Heilbronn, 1881,
S. 275) sagt, dass für die Porträtierung Cotin's durch Meliere „die
Motive um so weniger zu Tage liegen, als Cotin ein Bundesgenosse des
Dichters im Kampfe gegen das Preziösentum war und als auch die
Anspielung auf Möllere in der Satire des satires nichts
weniger als unzweideutig ist,** so ist es erstens mit dieser
Bundesgenossenschaft nicht weit her, noch weniger aber wird irgend
Jemand, der die S. d, S. gelesen hat, die zahlreichen (oben zitierten)
Schmähungen gegen Moli^re zweideutig finden können und daher nach
den Motiven Moli^re's erst suchen müssen. Es ist also ganz überflüssig,
mit Mahrenholtz anzunehmen, dass hierzu „Boileau habe den Aufhetzer
spielen** müssen, (a, a, 0, S. 277.) Vgl. auch unsere obige Anmerkung
mit dem Zitat aus den Remarques Voltaire 's zu den Femmes sav.
La Saiyre des Satyres et la CriUque desmieressee. 15
führt sei und folgert daraus siegestrunken, dass die 8> d. 8.
also nicht von Cotin herstammen könne. Nun hat aber der Pro-
vincial ja (wie man oben gesehen hat) auch die Crit d4s. als
nicht von Cotin geschrieben ausgegeben, während an die Ver-
fasserschaft Cotin's für dieses Werk ausser ihm niemand zweifelt
und wir werden bald in der Lage sein, zu beweisen, dass, wer
das Eine zugibt, das Andere nicht in Abrede stellen kann. Da
ist zunächst auf eine Notiz von Boileau's eigener Hand hinzu-
weisen, der da schreibt:^) II avoit icrit contre moi et contre
Möllere,' ce qui donna ocassion ä Moliere de faire les Femmes
savantes et d'y toumer Cotin en ridicule. Auch diese Stelle
schon scheint sich mehr auf die S. d. S. zu beziehen, da die
Crit dis. nur ganz beiläufig von Moliere spricht, während die
erstere von Insulten gegen Moliere strotzt. Um aber ja keinen
Zweifel darüber zu lassen, wie Boileau's Worte gemeint sind,
sagt sein berufener, in seine Privatverhältnisse eingeweihter und
von ihm inspirierter Interpret Brossette:^) Fier et pr^somptueux,
comme il itoity Cotin ne put souffrir que son talent pour la chazre
lui fUt contestS. Pour s'en venger, il fit une mauvaise 8atyre
contre M, DesprSaux dans laquelle ü lui reprochoit, comme un
grand crime, d'avoir imiti Horax^ et JuvSnal,^) Cotin ne s^en tint
pas lä: il publia un libelle en prose, intituU: La Critique d6s-
int6ress6e sur les Satyres du temps, dans lequel ü chargeoit
notre auteur des injures les plus grossih'es, et lui imputoit des
crimes imaginaires, II s'atnsa encore, maUieureusement pour lui,
de faire entrer Moliere dans cette dispute, et ne tipargna pas
plus que M, Despriaux. Celui-d ne s'en vengea que par de nou-
velles raillerieSf comme on le verra dans les 8atyres suivantes;
mais Molih'e acheva de le ruiner de reputation en Vimmolant, sur
le tkedtre, ä la risSe publique, dans la comSdie des Femmes
savantes, sous le nom de Tricotin quü changea dans la suite
1) Hier ist auch eine Notiz des Libraire au lecieur zur IX. Sat.
Boileau's zu erwähnen (S. 65 der Ausgabe Sainte-Beuve's): .... Quel-
ques libelle 8 diffamatoires, que Vabb^ Kautain ei plusieurs
autres eussent faxt imprimer contre lui, ü s'en tenoit assez vengä par le
me'pris que taut le monde a fait de leurs ouvrages, qui rCont M lus de
personne, ei que Vimpression mtme n^a pu rendre publics. Dies würde
auch erklären, warum die S. d, S. trotz der krampfhaften Anstrengungen
des pätissier Mignot keine rechte Publizität gewinnen konnte und auch
heute so selten geworden ist.
2) Wir entnehmen diese Stelle Lacroix iV^/*. S. XII, wo es auch
heist: Brossette caracierise et de'signe bien la Satyre des Satyres
en disani que ce fut Boursauli qui la fit impnmer sur une copie manuscrile
que Tanteur avait fait mottrir. (Oben hiess es, der pätissier Mignot habe
aas Geld dazu hergegeben.)
8) Vgl. oben S. 4, Anm. 1.
16 /. Frank,
en celui de Trissotin. Wen alles das noch nicht überzeugen
sollte, der kann durch eine Vergleichung der beiden Satiren
(vorausgesetzt, dass er sich überhaupt überzeugen lassen will)
überführt werden. Denn die Critique disintiressie ist thatsäch-
lieh nichts anderes, als eine prosaische Paraphrase-^) der S, d. S.:
in beiden ist der Tenor derselbe; in beiden konunen dieselben
Beschimpfungen und die läppischen Rekriminationen vor, Boileau
habe die Vernunft; entthronen^) und die Leidenschaften für
souverän erklären wollen, er habe das Majestäts verbrechen be-
gangen, sich mit dem Könige zu vergleichen, in beiden werden
Boileau und Moli^re als zwei verkommene tellerleckende Spass-
macher und Weinschwelger hingestellt.®) Zwar wird in der Orit.
dis. anscheinend gegen die S. d. S. polemisiert, aber der Tadel
ist so zahm und gelinde, die Aussetzungen sind meist so täppisch
und schwächlich, und dagegen wird das Lob mit so vollen
Händen gespendet, dass man nicht in die Falle gehen kann und
leicht merkt, dass es selbst bei jenen Bemänglungen, die wirk-
lich von Belang sein könnten, mehr auf eine verschämte ver-
hüllende Form der Nachkorrektur, als auf eine wirkliche Kritik
abgesehen ist. Ja man kommt beinahe auf den Gedanken, der
Autor habe nachträglich die Schwächen dieses seines ersten
Libells herausgefühlt und habe in dem zweiten hauptsächlich nur
der Eventualität, dass er vielleicht doch als dessen Verfasser
bekannt werden könnte, vorbeugen und zeigen wollen, dass er
dessen Fehler gekannt und so selbst über seinem eigenen Werke
gestanden habe. So verteidigt er z. B. den Autor der Sai.
d, 8at. auch gegen den Vorwurf zu zahlreicher Zitate aus Boileau's
Satiren damit, dass er ihm nachrühmt, er habe die bezeichnendsten
charakteristischsten Stellen herausgehoben und also gut zitiert!
Nun ist dieser Vorwurf um so berechtigter, als der Autor der
Bat d. S. nicht nur Boileau da brandschatzt und plündert, wo
*) Sehr richtig sagt Lacroix in der Preface zu seinem Neudrucke
der beiden Satiren: mais encore dans la Critique de'sinie'ressee,
qui n'est que le corollaire en prose de la Satire en vers,
^) Sehr bezeichnend für Cotin's Selbstgefälligkeit und Hochmut
ist es, wenn er als Beweis dafür, Boileau „entthrone die Vernunft"
den umstand anführt: Vous (so spricht nämlich der honnSte ecclesiastique
zu Cotin) Monsieur qui sgavez les loix, quelle antinomie! Vous qti'il
traitte de predicateur d'aujovrd'hui, ^uoy que vous ayez cesse de prescher
avani qu'il commengast d'ecfHre, die, Quintiliane, colorem (Crit. des.
bei Lacroix S. 20.)
8) Wir verweisen hier auf unsere obigen Zitate aus der S. d. S.
und fügen nur noch aus der Crit. d^s. die Stelle hinzu, wo mit deut-
lichem Hinweise auf Boileau (S. 20 bei Lacroix) von demselben gesagt
wird: .... qui se creve tous les jours de vin et de bonne
chere n' est qu^un pourceau etc.
La Satyre des Satyres et la Criiique ddsinteresse'e. 17
er dies mit dem Scheine einiger Berechtigung thut (da er die
Zitate als solche anfuhrt) um gegen sie zu polemisieren,^) sondern
auch da mit Boileau^s Kalbe pflügt, oder auf das von ihm ge-
pflügte Land säet, wo dies für den unkundigen Leser nicht er-
kennbar ist.^) Wo er etwas Kräftiges in der 8atyre des Satyres
^) Die ganze Heachelei Cotin's und die unehrlichen Waffen, deren
er sich in seiner Polemik bedient, kann man nur verstehen, wenn man
seine Crit. d^s, liest. Einmal entschlüpft ihm ein für seine Moral sehr
bezeichnendes Wort und er sagt mit naiver Unverschämtheit in hof-
meisterlichem Tone gegen den Autor der S, d. S. (also gewissermassen
sich selbst darüber einen Verweis erteilend, dass er einmal ehrlich ge-
wesen!): // se faui hien garder d'exciier Vadmiration pour un
ouvrage conire qui l on veut- exciter ou Vhorreur ou le
me'pris; aber, meint er weiter, den Autor der S. d. S, (also sich selbst)
für seine zu grosse Noblesse rechtfertigend, er habe eigentlich dabei
doch eine dolose Absicht gehabt, da in der Satire die wohlklingenden
Verse nicht die besten seien u. s. w. (La Crit. des,, bei Lacroix S. 43.)
Ein andermal (S. 61, iöid.J sagt er vom Autor der S, d, S. sehr aner-
kennend : II fait ailleurs galantiser son komme dans une estrange posture,
le toiirnant en ridictUe ä un point qu*il fait pitie. La ftgure du damoiseau
y est tout ä fait hurlesque et Von a quelque plaisir ä voir un nouveau
Censeur qui ne peui plus avoir que Vesprit et non Peffet de la dehauche,
.... Le style satyrique doit aonc estre clair et' inteüigible par tout.
Lautheur de la Satyi-e des Satyres nous en pourroit donner quelques
exemples. 11 s^ait assez comment on sHnsinüe dans les esprits et dit
assez nettement ce qu*il veut dire. fibid., S. 64.) . ... La description
quHl a faite de la maniere d^agir du Censeur, de sa vie austere et regle'e
n'cst pas mal plaisante (ibid., S. 68). Wir wollen diese Zitate nicht noch
vermehren und müssen den Leser auf die Lektüre der Crit. des. selbst
verweisen.
2) Solche wenigstens in dem Neudrucke bei Lacroix in der S. d. 8,
nicht mit dem Zeichen der Anführung versehene Boileau
wörtlich entnommene oder ganz gering veränderte Stellen sind:
bei Boileau: Je ne puis rien nommer, si ce vÜest par son nom;
Tappeüe un ckat un chat et Holet un fripon
(Sat. L)
in der S. d. S,: Je dis mon sentiment, je ne suis point menteur
J'appelle Horace Horace et Boileau traducteur;
bei Boileau: Et mile, en se ventant sop-mSme ä tout propos
Les louanges d*un fat a Celles d'un he'ros
(J)isc.auRoi.J
in der S. d. S. : Tant cet audacieux mesle mal ä propos
Les louanges d*un fat ä ceUes d'un ndros;
bei Boileau : Tandis que CoUetet, crotte jusqu'ä Teschine,
S'en va chercher son pain de cuisifie en cuisine ....
(Sat. L)
in der S, d, S. : Bespreaux sans argent, crotte jusqu'ä Ce'schine,
S*en va chercher son pain de cuisine en cuisine.
Wenn man nun weiter sieht, dass der grösste Teil der S. d. S.
aus als solchen angeführten Zitaten aus Boileau besteht und dass Gotin
Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. Xl^. o
18 - J. Frank,
sagt, hat er sicherlich Boileau in Kontribution gesetzt! — Für
die Lösung ' unserer Frage ist sehr bezeichnend, dass in der Crit
dis. überhaupt der 8, d, S. eine so sorgfältige Beachtung geschenkt,
dass die erstere nur der letzteren wegen geschrieben zu sein
scheint. Nicht nur nimmt die Grit dds, an der S. d. 8, Nach-
besserungen vor, die als solche ersichtlich gemacht sind und
die oft wirklich lächerliche Subtilitäten betreffen,^) sondern sie
weist auch in den Zitaten aus der 8. d, 8, kleine Eskamotagen
aus Eigenem so wenig bestreitet, so ergibt sich daraus am besten
desselben poetische Sterilität. Boileau scheint auch darauf anzuspielen,
wenn wir bei ihm folgendes Epigramm finden (Sainte-Beuve's Ausgabe
S. 281): Sur une satire tres-mauvaise que Cabhe Coiin avoii faiie, ei
qu'il faisoii courir sous mon nom (1670).
£n vain par miUe ei milie ouirages
Mes ennemis dans leurs ouvrages
Coiin pour decrier mon siyle.
Oni crv me rendre affreiix atix yeux de Tunivers.
A pris un chemin plus facile:
C*esi de m'aiiribtier ses vers.
Obzwar uns die Beziehung des Titels des Epigramms nicht be-
kannt ist, scheint uns doch die oben gegebene Auslegung der letzten
Verse desselben richtig zu sein, und doch rühmt sich Cotin in der
S. d. S.:
Je n'ay pas comme luy (Boileau) pour faire satyi^e,
JPUlä dans les auiheurs ce que favois ä direl
Auch in der Crii. des» arbeitet Cotin fort mit Zitaten aus Boileau,
wie man sich leicht überzeugen kann.
1) So heisst es in der Crii, des. (S. 61 bei Lacroix): Ceiie faqon
de parier rC est pas fran^aise chez Vauiheur de la Satyre des Satyres:
Luy que Con ne connoisi qu'ä cause de son frere
Luy comme ü dii luy-mesme accable de misere,
Luy qu'on ne connoisi poini dans le sacre valon,
Veni trancher du Phebus ei faire CAppollön.
car ce luy veut iient un peu de Vallemand, parce qu'ü esi si
eloignd. Ce veut trancher du Phebus et faire TAppoUon dit deux fois
la mesme chose. 11 falloii meiire:
Ce jeune komme, inconnu dans le sacre vallon,
En ddpii des neuf soeurs, iranche de rApoUon,
Vauieur de la Saiyre continüe ce luy en siyle de declamaieur, ce
qui esi une auire faute. — Weiter heisst es (bei Lacroix S. 62): Ces
deux vers de la contre-saiyre ne sont pas encore irop bien iournez:
Theophile jamais n'a dii ce mechani moi,
Ei s*il paya ses vers de deux ans de cachoi.
11 falloii meiire, ei si il paya ses vers, ou bien ainsi:
Quand il paya ses v>ers de deux ans de cachoi.
La Saiyre des Saiyres ei la Criiique däsinieressäe, 19
des ursprünglichen Textes auf, die selbst ein Gotin sich nur
gegen sein eigenes Geistesprodukt gestattet haben dürfte. So
heisst es im Texte der Crit des. (S. 5 bei Lacroix):
Le censeur sans argeni, crotte ßtsqu'ä Feschine,
S*en va chercher son pam de cuisine en cuisine:
Le FrarUaupin Vassiste, ei, joüoni de son nez,
Chez le soi campagnard gagne de bons disnez
Le censeur ä ce Jeu repond par sa grimace
Ei faisi en hasieletar ceni iours de passe passe;
Puis ensemble enyvrez ei du bruii ei du vin
Uun sur Vautre iombani, renverseni le fesiin:
On les donne ä Paris quand on fait chere eniüre,
Comtne on donne ä la Cour et Tariuffe ei Moliere u. s. w.
Vergleicht man nun diesen Wortlaut mit den (oben S. 12
Anm. 1) zitierten aus der 8. d. S.y so bemerkt man zahlreiche
Wir ersehen zunächst, dass auch hier Cotin sich die Freiheit
des falschen Zitierens und des Nachbesserns unter der Hand
herausnimmt, denn in der S, d, S. lautet die erstere Stelle:
Luy qu^on ne voidjamais dans le sacr^ vallon
Veui irancher du Phebus ei faire TApollon;
Luy, que Von ne connoisi qu'ä cause de son frere,
Luy, comme il dii luy-mesme accäble de misere etc.
Silbenstecherei üben und dabei den Text des Rezensionsobjekts
falsch zitieren, das wagt (wie bemerkt) selbst ein Cotin nur unter den
von uns angenommenen Umständen. Und wenn es wahr wäre (wie
Cotin glauben machen will), dass er nur aus dem Gedächtnisse zitiert,
so spräche das erst recht dafür, dass er der Autor der S. d, S, sei^ denn
ein fremdes Gedicht würde er doch nicht ohne Notwendigkeit auswendig
gelernt haben. — In dasselbe Kapitel gehört folgende Nachkorrektur.
Das Oracle am Schlüsse der S. d. S. lautet:
Le desiin de ces freneiiques
Que Von appeüe Saiyriques,
Cesi de monrir le cou cass4
Ei vivre le coude percd.
Haec a te non multum abludit imago. (Hör.)
Darauf heisst es in der Crii. des.: Quelques delicais, pensant rafftner
ei ne s^chani ny la reparlie de M. D. G, ny U proverbe, ont esie
choquez de ce que V Oracle de la Satyre des Satyres avoii mis „mourir''
devani „vivre"; mais ^u^ils s'en prenneni ä nos majeurs, lesquels Voni
voulu ainsi, ei qu*üs Vtnterpretent benigemeni, comme nous Vavons iniet*-
preie\ Ce neanmoins, pour le salis faire, fay d'office iourne
le proverbe ainsi:
Cesi le sori de ces phreneiiques
Que Von appeUe saiyriques.
De vivre le coude peixe
Ei de mourir le cou casse. (Bei Lacroix S. 60.)
Nun, diese von uns hervorgehoben und gesperrten Worte scheinen
uns allein schon vollkommen zu beweisen, dass Cotin (der sich mit
diesen Worten verraten hat) in der S. d. S. sein eigenes Opus verteidigt!
20 /. Fi'ank,
Verändernngen: Zunächst ist anstatt des oben genannten Boilean
hier nur von Le censeur die Rede; aus dem Turlupin wird ein
Frantawpin'^ der sot campagnard ist zu einem bon campagnard
gemildert; aus ensuite wurde ensemble; aus promet wurde donne.
Weiter heisst es in der 8. d. 8.:
Et ne m'as jamais veu m'entreiemr (Cauiruy
Qu*ä dessein dapprouver le bien qu'on dxt de luy;
On ne nCa jamais veu d*un esprit incommode:
Je permeis que chacun se gouverne ä sa mode;
Dans ce quun auire fait je prens peu dHnterest,
Et laisse volontiers ie monde comme ü est;
in der Crit. dis. hingegen (S. 65 bei Lacroix) zitiert er:
On ne m'a jamais veu m^entreienir d'autrug
Q'ä dessein d^approuver le bien qu^on dit de luy;
Je rCay jamais este d'un esprit incommode;
Je permets que chacun se gouverne ä sa mode:
Aux affaires d'auiruv je prend peu dinierest.
Et laisse vohnliers le monde comme il est
Allerdings thut Cotin, als zitiere er aus dem Gedächtnisse
(ü commence ainsi, ce me semble) und als wolle er für die Ge-
nauigkeit nicht einstehen; wenn man aber bedenkt, dass er
andererseits gegen die 8. d. 8, eine Zärtlichkeit und Aufmerksam-
keit beweist, die man für fremde überdies als verfehlt hinge-
stellte Schöpfungen nicht zu haben pflegt, wenn man überdies
seine Unaufrichtigkeit und Heimlichkeit erwägt, so wird man zur
Überzeugung kommen, die 8. d. 8. müsse sein eigenes miss-
rathenes Kind sein, das er aus mehrfachen Gründen nicht aner-
kennen will, das er aber doch vor gänzlicher Verdammnis retten
möchte, indem er dessen Vorzüge herausstreicht und dessen
Schwächen liebevoll zu verhüllen sucht. Der von ihm selbst
erhobene Tadel soll in uns nur die Entdeckung hintanhalten,
Cotin, der doch im starken Verdachte stehen musste, sei dessen
Vater, eipe Entdeckung, die er aus Eitelkeit ja nicht auf-
kommen lassen möchte.^) Dass er sich dagegen mit allen
1) So verteidifirt er (mit Eutrüstung) die Akademiker (und er
selbst war ja ein solcher) gegen die Möglichkeit, einer von ihnen könnte
dieses Büchlein geschrieben haben, comme s^ils ignoroient le beau tour
du vers et le genie de letir langue (bei Lacroix 8. 63). — Ferner thut
er, als habe er keine Ahnung, wer die S. d. S. geschrieben habe: J
la v&ite, Vautheur de la Satjre des Satyres quel qu'il puisse
estre ne däcrie ny le Parlement, ny le siede, ny la Religion, ny TEstat etc.
(bei Lacroix S. 31.)
La Saiyre des Saiyres ei la Critigue desinieress^e, 21
Ejräften währt, kann unsere Überzeugung nur bestärken. Es
wird keinen Kundigen irre fahren, wenn Gotin, der ehrsüchtige
Mann, der auf den leisesten Atemzug und den schwächsten
Pulsschlag der öffentlichen Meinung lauscht, in der Grit, dis, so
thut, als sei ihm der Sinn für Lob und Tadel erstorben und als
lebe er nur in stiller Beschaulichkeit an dem Werke der Selbst-
erziehung rastlos arbeitend, wie ein Heiliger von antikem Zu-
schnitte;^) es wird ihm niemand glauben, dass er mit der Aussen-
welt nur durch einige wenige Personen verkehre und Jedermann
erkennt in diesen mit ästhetischer Kleie ausgestopften Leder-
puppen, die er als wahre Tugendrepositorien mit allen nur mög-
lichen Vorzügen angefüllt hat, seine Fiktionen.^) Nach alledem,
glauben wir behaupten zu dürfen, ist kein Zweifel mehr gestattety
Gotin sei der Autor der beiden Satiren.
^) Auch diese Komödie, wie die fingierten Mittelspersonen, die
ihm als Sprachrohr dienen, hat Gotin wie die ganze Geheimthuerei
der Saiyre MMppäe entlehnt, die er nach einer (oben zitierten) Stelle
aus der Crit. des. gekannt haben muss. Danach beurteile man, was
davon zu halten ist, wenn er sich als „Eremiten*' hinstellt (die Crit,
des. endet mit den Worten:
Chez rBermiie de Baris,
Ä la CorrecHon fraterneUe,)
3) Diese seine Kreaturen lässt er auch ohne Angabe der Quellen
aus der S, d S. zitieren, abermals ein Beweis, dass er sich mit dem
Verfasser derselben identisch fühlt. Ein solches Zitat findet sich z. B.
bei Lacroix S. 22:
Le Marais en convieni, et dit sans passion
Qu^un tel effori d'esprit etc.
Josef Frank.
Le Programme du prix propose par TAcadömie de
Dijon et remporte par Jean-Jacques Rousseau.
Diderot ayant pabli6 la Lettre sur les Äveugles, ä Vusage
de ceux qui voient^ il fut arr§t6, et conduit au chäteau de Vin-
cennes, ä la fin du mois de juillet 1749. Apr^s @tre demeurö
pendant vingt-huit jours enfermö dans le donjon, il vit son em-
prisonnement s'adoucir, et il eut la libert6 de se promener dans
le parc. Dans le courant de novembre, il fut 61argi et revint
ä Paris.
Pendant que Diderot ötait ainsi k Vincennes, Jean-Jacques
Rousseau, jeune encore, inconnu, et qui 6tait son ami, alla le
voir maintes fois pour le consoler et le distraire.
Cette ann^e 1749, dit Rousseau, V4t4 fut d'une chaleur ex-
cessive. On compte deux Heues de Paris ä. Vincennes. Peu en
^tat de payer des fiacres, ä deux heures apres midi j'allais ä pied
quand j'ltais seul, et j'allais vite pour arriver plus t5t. Les arbres
de la route, toujours ^laguäs, ä la mode du pays, ne donnaient
presque aucuue ombre ; et souvent, rendu de chaleur et de fatigue,
je mätendais par terre, n'en pouvant plus. Je m'avisai, pour mo-
dörer mon pas, de prendre quelque livre. Je pris un jour le Mer-
eure de Fi'ance, et tout en marchant et le parcourant, je tombai
sur cette question proposöe par l'Acadömie de Dijon pour le prix
de rannte suivante: Si le progres des sciences et des aris a con-
inbue ä corrompre ou ä epurer les mceurs.
Si jamais quelque cnose a ressemblä ä une inspiration subite,
c'est le mouvement qui se fit en moi ä cette lecture : tont ä coup
je me sens Tesprit äbloui de mille lumiäres; des foules d'id^es
vives s'y präsentent ä la fois avec une force et une confusion qui
me jeta dans un trouble inexprimable ; je sens ma tSte prise par
un ätourdissement semblable ä, Tivresse. Une violente palpitation
m'oppresse, soulöve ma poitrine; ne pouvant plus respirer en
marchant, je me laisse tomber sous un des arbres de Tavenue, et
j'y passe une demi-heure dans une teile agitation, qu'en me rele-
vant j'aper9U8 tout le devant de ma veste moaill^ de mes larmes,
sans avoir senti que j'en r^pandais.
24 E, Ritter,
Arrivant ä. VincenneB, j'ätais dans nne agitation qui tenait
du dälire. Diderot raper9ut; je lui en dis la causOf et lui lus la
prosopop^e de Fabricius, ^cnte au crayon sons un ch^ne. II
m'exhorta de donner l'essor ä. mes idäes et de concourir au prix.
J'ai combin6 dans ces citations las deux r6cits que Rousseau
a faits de cette anecdote, dans une lettre k Malesherbes du
12 janvier 1762, et dans le Livre VIII des ConfessionSy qui fut
6crit quelques ann6es plus tard.
On Salt que Marmontel, et son oncle par alliance, Tabb^
Morellet, ont donn6 dans leurs Mimoires, de la conversation de
Diderot et de Bousseau snr le programme de TAcad^mie de
Dijon, un r^cit tout autre que celui de Jean -Jacques. Ils le
tenaient de Diderot, et sans doute ils Favaient plus d'une fois
entendu raconter au merveilleux causeur.
Le r6cit du neveu et celui de l'oncle concordent en g6-
neral, comme on va le voir. Tous deux ont 6te Berits plus de
quarante ans aprös T^vönement.
MSmoires de Marmontel, livre VIL J'ätais (c'est Diderot qui
parle) j'^tais prisonnier ä. Yincennes; Rousseau venait m'y voir.
II avait fait de moi son Aristarque, eomme il Ta dit lui-mSme.
üu jour, nous promenant ensemble, il me dit que TAcad^mie de
Dijon venait de proposer une question interessante, et qu*il avait
envie de la traiter. Cette question ätait: Le re'iablissement des
sciences et des arts a-t-ü cofttribue ä epurer les nuBurs? Quel parti
prendrez-vous? lui demandai-je. II me räpondit : Le parti de ^affir-
mative. — C'est le pont aux ä.nes, lui dis -je; tous les talents mö-
diocres prendront ce cbemin-lä, et vous n'y trouverez que des iddes
communes, au lieu que le parti contraire präsente k la pbilosophie
et a IMloquence un champ nouveau, riebe et fäcond. — Vous avez
raison, me dit-il aprös y avoir röflöchi un moment, et je suivrai
votre conseil.
Memoires de Mor eilet, chapitre V. Voici ce que j'ai appris
de Diderot lui-m^me, et ce qui passait alors pour constant dans
toute la sociäte du baron d'Holbach, oü Rousseau n*avait en-
core que des amis, Arrivä ä Vincennes, il avait confiö ä Diderot
son projet de concourir pour le prix, et avait commencä m§me k
lui dävelopper les avantages qu'avaient apportäs ä la sociätä hu-
maine les arts et les sciences. Je Tinterrompis , ajoutait Diderot,
et je lui dis särieusement : Ce n'est pas \k ce qu^il faut faire: rien
de nouveau, rien de piquant, c'est le pont aux änes. Prenez la
tb^se contraire, et voyez quel vaste champ s'ouvre devant vous: tous
les abus de la sociätä ä. signaler; tous les maux qui la däsolent,
suite des erreurs de Tesprit; les sciences, les arts, employäs au
commerce, ä la navigation, ä la guerre, etc., autant de sources de
destruction et de misäre pour la plus grande partie des hommes.
L'imprimerie , la boussole, la poudre ä canon, l'exploitation des
mines, autant de progr^s des connaissances humaines, et autant
de causes de calamitäs, etc. Ne voyez -vous pas tout l'avantage
que vous aurez k prendre ainsi votre snjet? Rousseau en convint,
et travailla d'apräs ce plan.
Le frogramme du prix propos^ par VAcademie de Dijon etc.
25
Quant i Diderot, apr&s qn'il ent 6t6 gravement offeii»6
par Rousseau (1758), il s'^pancha sur son compte en termes
amers; k plus d'une reprise, dans ses lettres et dans ses öcrits,
notamment dans les paragraphes LXI k LXVII du livre premier
de V Essai sur les rlgnes de Claude et de Niron: c'est \k seule-
ment qu'il a dit quelques mots de cette fameüse conversation
qu'il eut un jour avec Rousseau, k Vincennes:
Lorsque le programme de VAcaddmie de Dijon parut, il vint
me consalter sur le parti qn'il prendrait. Le parti que vous pren-
drez, lui dis-je, c'est celui que personne ne prendra. — Vous avez
raison, me ripliqua-t-il.
Les deux interlocuteurs paraissent avoir ^t6 seuls, et nous
ne savons que par eux-m^mes ce qu'ils ont pu se dire. On a
souvent opposö leurs t6moignages Tun k l'autre; je vais dire
comment j'estime qu'il les faut combiner.
On sait que Diderot et Rousseau avaient des moments
d'^motion chaleureuse, de sensibilit6 expansive; mais ils ne
s'6chauffaient pas toujours en m^me temps, et Diderot quelque-
fois restait calme pendant que Jean-Jacques ötait tout transportö.
On le voit, par exemple, lors de la premi^re visite que fit le
philosophe de Oen^ve au prisonnier de Vincennes:
Je Yolai, disent les Coftfessions, dans les bras de mon ami.
II n'^tait pas seul: d'Alembert et le tr^sorier de la Sainte-ChapeUe
dtaient avec lui. En entrant je ne vis que lui; je ne fis qu'un
saut, un cri; je coUai mon visage sur le sien, je le serrai ätroite-
ment sans lui parier autrement que par mes pleurs et mes sanglots;
j'^touffais de tendresse et de joie. Son premier mouvement, sorti
de mes bras, fut de se tourner vers l'eccläsiastique et de lui dire:
Vous voyez, monsieur, comment m'aiment mes amis. Tout entier
ä mon Emotion, je ne r^flächis pas alors ä cette maniäre d'en tirer
avantage.
Reprenons nos deux groupes de röcits, et essayons de re-
Gonstruire la sc^ne en les ajustant beut k beut. Rappelons-nous
seulement ce que Marmontel a tr6s bien dit, ä la fin du m@me
Livre VII de ses Mimoires: „L'un des beaux moments de Di-
derot, c'6tait lorsqu'un autre le consultait sur son ouvrage. n
fallait le voir s'en saisir, s*en p6n^trer, et d*un coup d'ceil d6-
couvrir de quelles richesses et de qnelles beaut6s il 6tait sus-
ceptible."
Apr^s r^blouissement que Rousseau raconte, et qu'il n'a
pas Sans doute invent^, on le voit arriver k Vincennes tout
^chauff^. Quand Diderot se fut fait expliquer de quoi il s'a-
gissait: „Eh! sans doute, a-t-il dd s'^crier, le parti de Taffirma-
tive, c'est le pont aux änes. Avec la thfese contraire, voyez
quel vaste champ s'ouvre devant vous!^' Et dans la suite de
rentretien, Diderot^ s'animant k son tour^ et s'appliquant k coii-
26 E. Bitter,
vaincre Jean-Jacques, comme si celoi-ci n'6tait pas da m^me avis,
aura plaid6 devant Ini, pour le persnader qu'il fallait montrer
combien le r^tablissement des sciences et des arts avait cor-
rompn les moeurs. Qui sait si dös le soir meme, en repensant k
son entretien avec Rousseaa, Diderot ne s'est pas dit, en sou-
riant avec satisfaction: ^Je lui ai donn6 an bon conseil! Sans
moi, il allait prendre le mauvais parti.'^ — Qu'il ait dans la suite
parlö en ce sens k ses amis, cela est tout simple.
Sans doate 11 faat soUiciter les textes pour les äccorder
ainsi; mais ces textes ne sont pas paroles d'l^yangile: la trace
de Tart s'y laisse sentir; et dans cet ^tat de choses, nous n'a-
vons k chercher qne le vraisemblable. Or il n'est pas vraisem-
blable qne Tun des deux philosophes ait menti da tout au tont.
Quoiqu'il en seit, 11 y a quelque int6r^t k lire le texte
m^me de ce Programme acadömique, qui frappa Rousseau si
fort, et lui donna tant d' Emotion:
Programme de FAcademie des Sciences et Beiles Lettres de Dijon
pour le Prix de Morale de 1750.
L'Academie, fond^e par M. Hector Bernard FousBier, Doyen
du Parlement de Bourgogne, annonce k tous les Sfavans qoe le
Prix de Morale pour Tannäe 1750 — coneistant en une Medaille
d'or, de la valenr de trente pistoles, — sera adjugä ä celui qui
aura le mieux r^solu le Probleme suivant:
Si le retahlissement des Scienees ei des Arts a contribue' ä epurer
les nuBurs.
II sera libre k tous ceux qui voudront concourir d'äcrire en
Fran^ois ou en Latin, observant qne leurs Ouvrages soient lisibles,
et que la lecture de chaque Memoire remplisse et n'excäde point
une demie heure.
Les Mämoires francs de port (sans quoi ils ne seront pas re-
tir^s) seront adressäs k M. Petit, secretaire de rAcadämie, rue du
vieux Marchä k Dijon — qui n'en re^evra aucun aprös le premier
Avril.
Comme on ne scauroit prendre trop de pr^cautions, tant pour
rendre aux S9avans la justice qu'ils m^ritent, que pour ^Carter
autant qu'il est possible les brigues, et cet esprit de partialit^ qui
n'entrainent que trop souvent les suffirages vers les objets connus,
ou qui les en d^tournent par d'autres motifs ^galement irreguiiers,
l'Academie d^clare que tous ceux qui ayant travaillä sur le sujet
donnä seront convaincus de s'^tre fait connaitre directement ou
indirectement pour Auteurs des Mämoires, avant qu'elle ait däcidä
sur la distribution du Prix, seront exclus du concours. — - Pour
obvier k cet incony^nient, chaque Auteur sera tenu de mettre au
bas de son Memoire une Sentence ou Devise, et d'y joindre
une feuille de papier cachetäe, sous le dos de laquelle sera la
m^me sentence, et sur le cachet son nom, ses qualit^s et sa de-
meure, pour j avoir recours k la distribution du Prix. Les dites
Feuilles, ainsi cachetäes de fa9on qu'on ne puisse y rien lire k tra-
vers , ne seront point ouyertes avant ce temps lä, et le secretaire
Le yrogramme du prix proposä par VAcad4rme de Dijon eic, 27
en tiendra un R^gistre exact. — Ceux qui exigeront un Räc^pissä
de lears ouvrages le feront expedier sous un autre nom que le
leur — et dans le cas ou celui qui auroit us^ de cette pr^caution
auroit obtenu le Prix, 11 sera obligä, en chargeant une personne
domicili^e k Dijon de sa Procuration pardevant un Notaire et
l^galisäe par le Juge, d'y joindre aussi le Rdcdpissä.
Si celui k qui le Prix sera adjugä n'est pas de Dijon, il
enverra pareillement sa Procuration en la forme susdite: et s'il
est de cette ville, il viendra le recevoir en personne le jour de la
distribution du Prix qui se fera dans une Assembläe publique
de l'Acadämie, le Dimanche 23 Aoüt 1750.
(Le Mercure parle ensuiie du prix adjugd par CAcademie de
Dijon, dans, sa seatice du 24 aoüi 1749, ä M. IHnot, medecin, sur le
sujei de FElectricite,)
C'est k l'aimable obligeance d'une dame anglaise, madame
Friderika Macdonald, que je dois la copie du texte qu'on vient
de lire. Je suis heureux d'^tre le premier sur le Continent k
annoncer au public Fouvrage que madame Macdonald prepare,
sur la vie de Jean-Jacques Rousseau. On aura sans doute beau-
coup k j apprendre. On sait combien de recherches appellent
encore les probl^mes qui se posent sur tant de points obscurs
de la carri^re du philosophe genevois.
Le Programme du concours ouvert par TAcad^mie de Dijon
parut dans le Mercure de France^ num6ro d'octobre 1749. En
supposant m^me que ce num6ro alt paru dans les demiers jours
du mois de septembre, on voit que ce n'est pas au gros de
r6t6 (comme on le croirait d'aprös le röcit des Confessions)
mais k la fin de la belle saison, que se place ce moment d6-
cisif de la vie de Rousseau, oü 11 vit, dit-il, un autre univers,
et devint un autre homme.
EüGÄNE Ritter.
Zola als Dramatiker.
Zola hat bereits vor Jahren den Versuch gemacht, auch die
franz($sische Bühne als Ästhetiker und Dramatiker umzugestalten
und auf eine naturalistische Grundlage zu stellen. Er hasst, wie
er in dem Artikel Provdkon et Courbet (s. Mes Haines. Causeries
littiraires et artistiques etc. 2me ed. Paris, 1880) sagt, die Mittel-
massigen, die sich auf eine Idee steifen, um ihrem Götzen die
grosse menschliche Wahrheit zu opfern. Er hasst die Spötter
und die Fröhlichen, welche keine Thräne haben, die Thörichten,
welche behaupten, dass unsere Kunst und Litteratur stirbt, die
Schulfüchse, welche uns belehren, die Langweiligen und Pedanten,
weil sie alle aus der Wahrheit von gestern die Wahrheit von
heute machen wollen. Daher bewundert er in einem Kunstwerk
nur den Künstler und behauptet, dass z. B. ein grosser Maler
einen anderen nicht geradezu nachahmen werde. Denn er sucht
in demselben nur die Naturwahrheit und den schöpferischen
Künstler. Als Quellen der Kunst gelten ihm das Studium des
Menschen und die Achtung vor der Wirklichkeit (Le Naturalisme
au tMdtrej S. 40). Es ist eine notwendige Folge dieser An-
schauungen, wenn er geschichtliche Stoffe aus der Dichtung ver-
bannt wissen will. Die Geschichte der Vergangenheit ist ihm
ein Rätsel, er kann die Jungfrau von Orleans nicht verstehen,
noch die Geschichte Ägyptens (s. den Artikel ü£gypte ü y a trois
müle ans). Er verwirft deshalb antike und mittelalterliche Stoffe
und verlangt zeitgemässe, welche sich jeden Tag vor unseren
Augen abspielen (Le Naturalisme au tMdtrey S. 194). Die
Dramatiker der romantischen Schule missfallen ihm nicht bloss
ihrer mittelalterlichen Stoffe wegen. Denn sie setzen der einen
Rhetorik eine andere entgegen^ das Mittelalter dem Altertum, die
Erregung der Leidenschaft der Erregung der Pflicht, die Personen
30 G. Bomhak,
bleiben Marionetten, nnr anders gekleidet; nichts ward verändert
als der äussere Anblick und die Sprache {das. S. 13). Darum
soll an die Stelle des Dramas der Klassizisten und Romantiker
das naturalistische treten, welches eine Handlung enthält, die
sich in ihrer Lebenswahrheit entwickelt und bei den Personen
der Leidenschaften und Gefühle anhebt, deren genaue Zer-
gliederung das einzige Interesse des Stückes sein würde.
Die Forderung, dass das Drama Lebenswahrheit enthalten
soll, ist nicht neu, aber nicht jede Lebenswahrheit eignet sich
zur dramatischen Darstellung und es ist deshalb eine passende
Wahl zu treffen. So werden z. B. unbedeutende Lebens-
erscheinungen der Gegenwart kein dramatisches Interesse ge-
währen können. Daher geht der dramatische Dichter bei seiner
Arbeit von einer bestimmten Idee aus, nach welcher er seinen
Stoff gestaltet. Zola verwirft zwar die Idee, weil sie die Lebens-
wahrheit trübe, geht aber, ohne es sich selbst zu gestehen, bei
allen seinen dichterischen Arbeiten von einer solchen aus, näm-
lich das Leben in seinen schwärzesten Zügen zu malen. Und
wenn er in einem Kunstwerke die Lebenswahrheit und den
Künstler bewundert, was kann das anders heissen, als dass er
die naturwahre Durchführung der künstlerischen Idee anerkennt?
Denn ohne die Idee würden die einzelnen Teile des Werkes ohne
Einheit, ohne Zusammenhang sein. Zola lebt ferner nur in der
Gegenwart, die Erfahrungen der Vergangenheit gelten ihm nichts,
und doch sind dies ebenfalls Lebenswahrheiten, die man nicht
ungestraft missachtet. Nicht alle Sitten und Lebenswahrheiten
der Vergangenheit finden sich in der Gegenwart durch andere
ersetzt, viele haben sich als lebenskräftig erhalten und es wird
dem einzelnen nicht gelingen, sie ohne weiteres über Bord zu
werfen und somit gegen den Strom seiner Zeit zu schwimmen.
Nicht eine Theorie, sondern die politischen und sozialen Zu-
stände, unter denen ein Volk lebt, bestimmen seine Sitten und
Gewohnheiten, und mit ihnen muss der dramatische Dichter
rechnen, wenn die von ihm vorgeführte Handlung vom Publikum
als wahrscheinlich anerkannt werden soll. Endlich will Zola
die geschichtlichen Stoffe aus dem Drama verbannt wissen, weil
sie der Gegenwart unverständlich seien. Wenn dies in Wahr-
heit sich so verhielte, so wäre auch das Studium der Geschichte
überflüssig. Es ist aber eine Hauptaufgabe echt menschlicher
Bildung, die Geschichte der Vergangenheit zu studieren, um aus
ihr die Gegenwart zu begreifen. Wenn es nun auch nicht die
Aufgabe des dramatischen Dichters ist, Geschichte zu lehren,
so hat er doch das Recht und die Pflicht, die grossen Thaten
der Vergangenheit zu feiern und in der trüben Gegenwart zu
Zola als Dramatiker, 31
ähnlichen anzuspornen. Unmöglich kann man hierbei an den
dramatischen Dichter die Forderung stellen, er solle das Leben
der Vergangenheit gerade so schildern, wie es gewesen. Das
kann selbst der Geschichtsschreiber nicht, da die Überlieferung
nie ein vollständiges Bild gewährt. Vielmehr werden beide, der
Dichter wie der Forscher, aus dem ihnen vorliegenden Stoffe
eine Idee gewinnen, nach der sie denselben gestalten, wozu sich
unwillkürlich moderne Anschauungen und Urteile gesellen. Auch
das ist naturgemäss, denn der Mensch der Gegenwart kann sich
wohl die Handlungen historischer Personen aus den Anschauungen
der Vergangenheit erklären, sich dieselben aber, sofern sie mit
seiner Zeit nicht übereinstimmen, nicht zu eigen machen, ohne
mit dem Geiste seiner Zeit in Widerspruch zu geraten.
Zola bestreitet eine besondere dramatische Begabung des
Dichters, obwohl er im allgemeinen ein Talent voraussetzt Wenn
man eine solche dramatische Begabung annähme, so würde dies
zwei Folgen nach sich ziehen, denn es würde erstens in der
dramatischen Kunst ein Absolutes geben und zweitens würde der
damit Begabte unfehlbar sein. Mittelmässige Stücke hätten oft
Erfolg unH vortreffliche, wie Racine's PhMre wurden ausgepfiffen.
(Le Naturalisme S. 28.)
Diese Theorie ist gewissermassen eine oratio pro domo.
Denn, wenn auch verschiedene französische Dichter mit Erfolg
auf dem Gebiete des Romans und des Dramas gearbeitet haben,
so ist Zola nicht das gleiche Glück zu teil geworden; seine
Dramen sind, wie er selbst bekennt, ausgepfiffen worden. Daher
nimmt er für sich ein allgemeines dichterisches Talent in An-
spruch und bestreitet die besondere dramatische Begabung.
Das Urteil der anerkannten Dramatiker ist ihm unangenehm.
Die Geschichte der Litteratur beweist, dass nicht jedes dichterische
Talent zugleich eine dramatische Begabung besessen habe.
Lafontaine war gewiss ein dichterisches Talent, für das Drama
aber hatte er keinen Beruf, obwohl er sich in demselben ver-
suchte. Wenn Zola sich in seinem Geschick mit der Thatsache
tröstet, dass auch dem grossen Dramatiker Racine ein Stück
ausgepfiffen wurde, so weiss jeder, der die Sache kennt, dass
dies Urteil ein gefälschtes war und auf einer Intrigue beruhte.
Er erkennt nur die Thatsachen an, die ihm passen, die anderen
aber nicht.
Er erkennt auch die Überlieferung in der theatralischen
Technik nicht an, da sie die Lebenswahrheit vernichte. Gegen-
wärtig sei das Leben eine andere Sache als das Theater. Wenn
man jetzt ein Schauspiel machen wolle, müsse man das Leben
vergessen und seine Personen nach einer besonderen Taktik in
32 G, Bornhak,
Bewegung setzen, deren Regeln man zu lernen habe. Daher
gebe es keine originalen Stücke. Er hält deshalb einen jungen
Mann, der niemals seinen Fuss in ein Theater gesetzt, für viel
fähiger, ein Hauptwerk zu schaffen, als einen anderen, der den
Eindruck von hundert Vorstellungen empfangen hat (das. S. 37).
Er überschätzt damit geradezu die Kräfte des Talents.
Das Theater kann nicht das Leben selbst darstellen, son-
dern nur ein Bild desselben gewähren. Die Bretter der Bühne
bedeuten zwar die Welt, sind aber nicht die Welt selbst. Der
Dramatiker hat die Aufgabe, in uns die Täuschung hervorzurufen,
dass wir Zeugen einer sich vor uns abspielenden Handlung sind,
wie sie sich in Wirklichkeit zuträgt, und dazu bedarf er be-
stimmter Mittel, welche die Erfahrung gelehrt Der Baum und
die Zeit des Theaters sind in enge Grenzen gebannt und ent-
sprechen den räumlichen und zeitlichen Verhältnissen der Wirk-
lichkeit durchaus nicht. Wie kann also der dramatische Dichter
oder Schauspieler der anerkannten Technik entbehren, um uns
über diese Unwahrscheinlichkeiten hinweg zu helfen, wenn die
vorgeführte Handlung den Eindruck der Lebenswahrheit in uns
hervorrufen soll? Wie Zola ein besonderes dramatisches Talent
nicht anerkennt, so begreift er auch nicht die Notwendigkeit von
Regeln in der dramatischen Kunst, welche sich auf die Erfah-
rung stützen. Denn alle Überlieferung ist ihm widerwärtig.
Ebenso missfällt ihm die Kritik, welche von einer Theorie
ausgeht. Die Wissenschaft des Schönen ist für ihn eine Narr-
heit, die von den Philosophen zum grössten Vergnügen der
Künstler erfunden worden ist. Den Kritikern ruft er zu: „Wir
verlangen eure Eindrücke nicht zu wissen; jeder von
uns hat die seinigen, welche ebenso viel gelten als
die eurigen und welche nichts mehr beweisen als
die eurigen. Ihr habt die Aufgabe, in einem Werke
einen bestimmten Zustand des menschlichen Geistes zu
studieren; ihr müsst alle künstlerischen Äusserungen
mit einer gleichen Liebe aufnehmen, wie der Arzt alle
Krankheiten aufnimmt, denn in jeder dieser Äusse-
rungen werdet ihr einen Gegenstand für die Analyse
und das Studium in physiologischer und psychologischer
Beziehung finden." Und von sich selbst sagt er als Kritiker:
„Ich stelle mir nicht die Aufgabe, zu loben oder zu
tadeln; ich begnüge mich, das Werk und den Schrift-
steller zu analysieren, zu zergliedern, und ferner zu
sagen, was ich gesehen habe.^ (S. den Artikel Les
Chansons des rues et des hois.) Dagegen verlangt er bei der feilen,
abhängigen Kritik in der Beurteilung der Dramen eine bestimmte
Zola als Dramatiker. 33
Methode und erklärt deshalb die Theorie von der Souveränetät
des Pablikams, das durch sein Urteil den Kritiker beeinflusse,
für eine der grössten Thorheiten. In der Litteratur könne keine
andere Souveränetät bestehen als die des Genies. Dies allein
treibe vorwärts und bilde wie ein weiches Wachs die Erkenntnis
der Bevölkerung um. (Le Naturalisme, S. 55 flf.)
Es sind dies dieselben Grundsätze, wie sie V. Hugo bei
abfälligen Beurteilungen seiner Werke geäussert. Die Werke
des Genies sind nur zu bewundern, nicht zu beurteilen, und weil
das Publikum oft anderer Ansicht sein kann als der dramatische
Dichter, so hat sich der Kritiker gar nicht nach jenem zu
richten, sondern das Drama mit einer gewissen Ehrfarcht zu
studieren und zu zergliedern. Das Genie ist unfehlbar, die
Menge hat sich vor demselben zu beugen und wie weiches Wachs
umbilden zu lassen. Eine solche Knechtung der Geister hat
selbst Napoleon I. in seinen berüchtigten Zensuredikten nicht
versucht.
Betrachten wir hiernach den Inhalt der drei Zola'schen
Dramen: Thir^se Raquin, Drama in 4 Akten, zuerst aufgeführt
am 11. Juli 1873 im Thedtre de la Renaissance; Les Hiritiers
Rabourdin, zuerst aufgeführt am 3. November 1874 im Theater
Cluny; und Le Bouton de Rose, zuerst aufgeführt am 6. Mai 1878
im Theater des Palais Royal»
Das erste Stück beginnt mit einem höchst langweiligen Ge-
spräch über das Essen und die Wohnung zwischen Camille und
Laurent, der den ersteren abkonterfeit. Ein solches kommt wohl
auch im gemeinen Leben vor und mag demselben abgelauscht
sein, aber für die Bühne sind solche naturalistische Beobachtungen
nicht brauchbar. Dasselbe dient durchaus nicht zur Entwickelung
der Handlung, denn nur das Gemälde soll später eine Rolle
spielen, und dazu der Aufwand. Während Laurent malt und sich
weiter mit Camille über seine Malerei unterhält, sitzt Therese,
die Frau Camille Raquin's, und dessen Mutter fast teilnahmlos
daneben. Man fragt sich unwillkürlich: Wozu sind sie auf der
Bühne? Endlich ist das Bild fertig und Laurent soll dafür nach
der Bestimmung Camille's und seiner Mutter durch eine Flasche
Champagner und Kuchen belohnt werden. In der 5. Szene er-
fährt man plötzlich, dass Therese und Laurent, die allein sind,
sich heimlich lieben, aber Camille steht ihnen im Wege, „Wenn
Du doch Witwe wärest!" sagt Laurent. Mit diesen Worten
ist der Gang der nun beginnenden Handlung vorgeschrieben. Es
fehlt die dramatische Entwickelung der Leidenschaft, welche
wenigstens diesen Wunsch psychologisch erklärt haben würde.
Als Laurent gegangen, erscheint Camille mit seiner Mutter. Er
Zschr. f. firz. Spr. a. Litt. XV, q
34 C. Bomhak,
hat eben seine Frau ganz weiss wie ein Phantom gesehen und
glaubt, dass diese Nacht eine weisse Frau um sein Bett herum-
gehen wird, um ihn zu erdrosseln. Wie kommt er plötzlich zu
einem solchen Gedanken? Eine Vermittelung gibt es nicht; auch
würde diese Art von Ahnung in jedem anderen Drama weniger
auffallen als in einem naturalistischen. Hier dient es dem Dichter,
der in seiner Theorie vom Dramatiker nur die Darstellung der
Naturwahrheit verlangt, dazu, um das Publikum an dem dünnen
Faden festzuhalten, an welchem er seine Handlung anreihen will.
Auf den nächsten Sonntag wird eine Wasserfahrt beschlossen,
an welcher Laurent, Camille und Therese teilnehmen sollen, so
sehr sich auch die Mutter dagegen sträubt; denn Camille ist
schwach und kränklich. Laurent wirft Therese einen verständnis-
vollen Blick zu; man weiss jetzt, die Beseitigung Camille's ist
zwischen beiden beschlossene Sache. Die Unterhaltungen mit
den Hausfreunden Grivet, Michaud und dessen Nichte Susanne,
welche alle' Freitage zu erscheinen pflegen, um ein Spiel Domino
zu machen, ist ohne alles dramatische Interesse. Nur einmal
wird eine Anknüpfung mit der begonnenen Handlung gesucht, als
Michaud, der früher Polizeikommissar gewesen, von einem Morde
erzählt, dessen Urheber man nicht entdecken konnte, was Laurent
zu der Frage veranlasst: „Ihr meint also, dass viele Ver-
brechen ungestraft bleiben?'' und Therese ist der Ansicht:
„Was man nicht weiss, ist nicht vorhanden."
Im zweiten Akt, der gerade ein Jahr nach dem ersten
spielt, sind wieder alle Personen des ersten Aktes zu einem
Spiele vereinigt, nur Camille fehlt, denn Laurent hat ihn bei
jener Wasserfahrt in die Seine geworfen und ertrinken lassen.
Darum ist Mutter Raquin noch voller Betrübnis, denn sie kann
sich über den Verlust ihres Sohnes nicht trösten. Laurent und
Therese spielen die teilnehmenden Kinder. Sie bittet Laurent,
ihr aus ihrer Schlafstube einen Korb zu holen, in dem sich ihre
Wolle befindet. Als er zurückkommt, schwankt er wie ein
Trunkener und hat ein verstörtes Gesicht. Er glaubt den toten
Camille gesehen zu haben, den Korb aber hat er nicht gefunden.
Therese, welche ebenfalls von Gewissensbissen gequält wird und
dabei Trauer über den Verlust ihres Mannes heuchelt, erregt die
Teilnahme der Gesellschaft. Um sie von ihrem Trübsinn zu
heilen, rät Michaud, sie mit Laurent zu verheiraten. Der Vor-
schlag wird angenommen. Therese spielt dabei die trauernde
Witwe, die endlich scheinbar wider ihren Wijlen in diese Ver-
bindung willigt, da sie den toten Gatten nicht vergessen könne.
Auch Laurent gibt sich das Ansehen, als ob er mit seinem Ent-
schlüsse zu kämpfen habe.
Zola als Dramatiker. 35
Der dritte Akt beginnt mit dem Hochzeitabend. Therese
wird von Susanne entkleidet, wobei jene, von einem Schauder
ergriffen, zittert und über Fieber klagt. Endlich ziehen sich die
Frauen zurück, lassen Therese allein und Laurent erscheint.
Therese stösst ihn kalt zurück ; die blosse Erwähnung ihrer Hoch-
zeit ist ihr eine Marter, sie flieht die Erinnerung und, um die
bösen Gedanken zu verscheuchen, plaudert sie über das Wetter,
über die Kirche, wo ihre Trauung stattgefunden und auch eine
Leiche eingesegnet wurde, die aus dem Wasser gezogen worden
ist. Sofort sind die Erinnerungen an den Gemordeten wieder
wach. Als Laurent sich auf kurze Zeit entfernt, hört sie ein
Klopfen an der Thür; von Furcht gequält, wähnt sie, der tote
Gatte erscheine, um seine Rechte geltend zu machen. Der Ein-
tritt Laurents beruhigt sie etwas, aber nun beginnt dasselbe Spiel
wie vorher. Plötzlich richten sich Laurents Blicke auf das Bild
Camille's, das an der Wand hängt, und ein furchtbares Entsetzen
ergreift ihn und Therese. Er hält es für dessen Geist, denn er
behauptet zu sehen, wie sich seine Augen bewegen, obgleich ihn
Therese darauf aufmerksam macht, dass es nur das Bild sei.
Endlich reisst er es in einem Anfall von Wut herab, indem er
sagt: „Es ist abscheulich. Er steht gerade so da, wie
wir ihn ins Wasser geworfen." In diesem Augenblicke er-
scheint Frau Raquin und hört diese Worte. „Gerechter Gott,
sie haben mein Kind getötet! Mörder, Mörder!" ist
alles, was sie vorzubringen vermag. Damit ist der Übergang
zur fallenden Handlung und zur Katastrophe geschaffen.
Der vierte Akt beginnt mit einem Gespräch zwischen Therese
und Susanne über einen „blauen Prinzen", der zur Handlung in
gar keiner Beziehung steht, über die Frau Raquin, die seit jener
fürchterlichen Hochzeitsnacht die Sprache verloren, über Laurent,
der ausserhalb seiner Wohnung ein Atelier aufgeschlagen, wo
er verschiedene Bilder malt. Aber alle, Greise, Weiber, Kinder
haben eine Ähnlichkeit mit dem toten Camille, wie Susanne der
darüber entsetzten Therese berichtet, die mit ihrem Manne im
beständigen Streite lebt und von seinem Treiben ausserhalb des
Hauses nichts erfährt. Schrecklich ist die Erscheinung der Frau
Raquin. Sie ist stumm und gelähmt, nur ihre Augen sind voller
Leben, mit denen sie beständig die bleichen Mörder verfolgt und
quält. Die beiden Hausfreunde, Grivet und Michaud, stellen
darüber ihre besonderen Betrachtungen an. Endlich schreibt sie
mit dem Finger Buchstaben auf den Tisch. Michaud liest:
„Therese und Laurent haben" und fragt: „Was
haben denn die teuren Kinder?" Aber die unglückliche
Mutter begnügt sich, sich an dem Entsetzen der beiden Mörder
3*
36 G. Bornhak,
zu weiden. Dieselben werfen sich, als Grivet und Michaud ge-
gangen, in Gegenwart der Frau Raquin den Mord vor und wollen
davon dem Gerichte Anzeige machen, aber die Kraft zur Aus-
führung fehlt ihnen. Laurent sieht beständig den toten Oamille
vor sich und nirgends findet er Ruhe vor ihm. Zuletzt hält er
sich selbst in wahnsinniger Wut für Camille und will Therese
töten. Dieselbe ergreift ein Messer, um sich seiner zu ent-
ledigen, und dieser ein Flaschen mit Gift, um es in Theresen's
Glas zu schütten. Keiner will mit dem anderen mehr leben.
Und dieser ganzen Szene wohnte die unglückliche Mutter bei,
die, als sich Laurent auf sie stürzt, die Sprache wieder gewinnt
und ihm zuruft: „Mörder meines Kindes, versuch' es
doch, auch die Mutter zu töten!" Im höchsten Schrecken
ruft Therese: „Gnade, überliefert uns nicht dem Ge-
richt!" „Nein," erwidert sie ihr, „ich werde euch gegen-
seitig von Gewissensbissen zerfleischen lassen wie
wütende Tiere. Ihr seid mein und ich bewache euch."
— „Solche Straflosigkeit ist zu schwer; wir richten
und verurteilen uns selbst," sagt Therese, ergreift das Gift,
trinkt, und fällt tot zu den Füssen der Frau Raquin. Hierauf
ergreift Laurent das Gift, trinkt und sinkt leblos zusammen. „Sie
sind beide sehr schnell gestorben", meint Frau Raquin und setzt
sich ruhig nieder. Damit schliesst das Stück.
Dasselbe wurde, wie der Dichter in seiner Vorrede sagt,
gleich den anderen ausgezischt, weil das Theaterpublikum es
nicht liebe, in seinen drapaatischen Gewohnheiten gestört zu
werden. Denn in seinem Stücke herrsche Mangel an Intrigue,
Detailmalerei wiege vor, und ärmliche Personen niederen Standes
treten auf, woran sich das Publikum erst gewöhnen müsse. Der
Hauptgrund der üblen Aufnahme ist aber unstreitig der, dass die
Leidenschaft gar nicht gezeichnet ist, welche die ganze Handlung
bestimmt und schliesslich zum Verbrechen führt. Ferner begreift
man unter französischen Verhältnissen nicht recht, wie Camille, der
als körperlich schwach und geistig beschränkt geschildert wird,
ein Hindernis für die beiden Liebenden sein kann. Das Ver-
brechen ist durchaus nicht psychologisch erklärt. Dazu kommt
der Gegensatz: die grossartige und tief ergreifende Schilderung
von der Wirkung desselben. Dieser Mangel naturgemässen
Zusammenhanges erzeugt notwendigerweise in dem Zuschauer
eine Missstimmung, die ihn selbst beim Ausgang des Stückes
nicht verlässt. Denn Therese und Laurent töten sich nicht
etwa, um ihr Verbrechen zu sühnen, sondern weil sie das Leben
unerträglich finden. Nicht ohne Bedeutung ist femer, dass es
im ganzen Stücke fast gar keine tragische Verwickelung, keinen
Zola als Dramatiker. 37
Kampf um das erstrebte Ziel gibt; die Gelegenheit zur Be-
seitigung Camille's bietet sich von selbst dar. Dergleichen mag
der naturalistische Dichter wohl Öfter im Leben beobachtet haben^
aber nicht alle Lebenserfahrungen eignen sich zur dramatischen
Bearbeitung. Der Zuschauer erwartet die Darstellung der Regel,
und Regel ist im Leben der Kampf um ein erstrebtes Ziel.
Darum muss der dramatische Dichter eine wohl erwogene
Auswahl aus den Lebenserscheinungen treffen und ausserdem
alles vermeiden, was zur dramatischen Handlung in keiner Be-
ziehung steht. In einem Roman kann eine langweilige Schil-
derung oder Unterhaltung mit unterlaufen; der Leser quält sich
damit nicht und überschlägt sie; im Drama dagegen muss er
sie mit anhören. Hier geht alles vom Mittelpunkte eines
Kreises aus, über dessen Peripherie sich nichts entfernen darf.
Das alles sind Regeln, die auch ein naturalistischer Dramatiker
nicht unberücksichtigt lassen darf, da sie mit gewissen Lebens-
wahrheiten zusammenhängen, welche das Drama nicht ent-
behren kann.
Die beiden anderen Stücke erscheinen schon wegen
der vielfachen Übertreibungen und Intriguen unbedeutender als
das erste. In Les Heritiers Rdbourdin wird geschildert, wie
der ehemals reiche Rabourdin sich schon bei Lebzeiten den
grössten Teil seines Geldes von seinen dereinstigen Erben, Neffen
und Nichten, hat aufzehren lassen. Dennoch erwartet jeder von
denselben noch für sich eine reiche Erbschaft, eine ünwahr-
scheinlichkeit, die sofort in die Augen fallen muss. Rabourdin
hat in seiner Kasse kein Geld mehr, hat sogar das ihm an-
vertraute Vermögen seines Mündels Charlotte verbraucht und
entblödet sich nicht, indem er noch immer den reichen Mann
spielt, von dem Verlobten derselben, Dominique, 300 Francs
anzunehmen, obgleich ihm alle Aussicht zur Wiedererstattung
fehlt. Trotzdem überbieten sich die Erben in Schmeicheleien
und Geschenken, da jeder die ganze Erbschaft für sich zu ge-
winnen hofft. Daher Intriguen und Überraschungen, die Charlotte
wohl zu benutzen weiss, um ihr Geld und das ihres Verlobten
in der Form von Geschenken, die für Rabourdin bestimmt sind,
wieder zu gewinnen. Die Haupthandlung geht von dem Be-
streben der Erben aus, sich gegenseitig auszustechen, um Rabourdin,
der sich totkrank stellt und alle betrügen will, allein zu beerben.
Diese Schilderung zieht sich durch das ganze Stück hindurch
und muss für den Zuschauer bei den beständigen Wiederholungen
ungemein ermüdend sein. Nachdem Rabourdin seinen Tot hat
verkünden lassen, wird von seinen Nichten sein Testament ver-
lesen, in denen er ihnen nur seine Schulden hinterlässt. Bald
38 G. Bornhak,
darauf erscheint er wieder und wird von den Betrogenen' mit
Vorwürfen überhäuft. Voller Ingrimm nehmen sie ihre früheren
Oeschenke mit sich und verlassen ihn. Jetzt klagt er, dass er
keine Erben mehr hat, die ihm Geschenke bringen. Bald darauf
erscheinen dieselben wieder und bringen die Geschenke zurück,
um sich von neuem um den anscheinend kranken Oheim zu be-
mühen und seine Gunst zu erlangen, da sie alles Vertrauen bei
ihren Gläubigern verlieren würden, wenn sie nicht mehr für die
£rben des reichen Rabourdin angesehen würden. Charlotte aber be-
hält ihren Raub und bereitet sich zur Hochzeit mit Dominique vor.
Das Stück leidet ausser an den bereits erwähnten Mängeln
unter dem Eindrucke einer geteilten Handlung. In der Mitte
der einen steht Rabourdin, in der der anderen Charlotte, und
zwischen beiden Personen teilt sich das Interesse bis zum Schluss.
Das dritte Stück: Le Bouton de Rose, spielt im Gasthause
zum roten Hirsch, dessen Eigentümer der unverheiratete Ribalier
und der sich eben mit Valentine verheiratende Brochard sind,
von deren Hochzeit sich Ribalier gerade ermüdet weggestohlen
hat, um sich zur Ruhe zu begeben. Einer seiner Gäste, Chamorin,
erscheint, um sich über seine Frau Hortense zu beklagen, die
ein geheimes Liebesverhältnis mit Ribalier unterhält. Er möchte
sie gern bei einer Untreue überführen und dazu soll ihm Ribalier
behilflich sein. Denn während er selbst beständig auf Abwegen
geht und dabei stets von seiner Frau ertappt wird, ist es ihm
bisher niemals gelungen, dieselbe zu überraschen. Nachdem
Chamorin gegangen, erscheint Hortense, um sich Ribalier anzu-
bieten und von ihm zurückgewiesen zu werden. Eine widerliche
Szene ohne alle Begründung. Raum ist er eingeschlafen, so kommt
Brochard, um ihm anzuzeigen, dass er in seiner Hochzeitsnacht
nach Le Maus reisen will, um Kapaunen für die gemeinsame
Wirtschaft einzukaufen. Seine neuvermählte Frau überlässt er
zur Überwachung seinem Freunde Ribalier. Valentine, die alles
gehört, erscheint; Brochard verabschiedet sich von ihr und über-
reicht ihr zum Andenken eine Rosenknospe, die sie bis zu
seiner Rückkehr bewahren soll. Hierauf kommt Chamorin noch-
mals, um sich über die Untreue seiner Gattin zu beklagen, wes-
halb er von Brochard hart angelassen wird, dann Jules, der
Neffe Ribalier's, eine alte Liebschaft Valentinens, mit dem die-
selbe einen Plan entwirft, um sich an ihrem Mann und Ribalier
für die Überwachung zu rächen. Nun beginnt das Intriguenspiel.
Valentine schweift trotz aller Überwachung im Gasthause umher,
näht einem alten Bekannten, einem Kapitän, einen Knopf an und
lässt sich zum Dank dafür von demselben umarmen. Selbst bei
Ribalier versucht sie die Künste ihrer Verführung, aber er wider-
Zola cUs Dramatiker, 39
steht, wenn auch nicht ohne Schwanken. Eine Gesellschaft von
Offizieren hat sich zum Gelage niedergelassen, die Valentine be-
kannt sind. In ihrem Auftrage hat Jules einen Kapitän, einen
Lieutenant und einen Sergeanten bestimmt, ihr nach einander den
Hof zu machen und sich der von ihr empfangenen Gunstbezeu-
gungen zu rühmen, wenn Ribalier zugegen ist. Dies geschieht
zu dessen grösstem Erstaunen. Alle Offiziere umringen sie; sie
singt ihnen ein Trinklied und alle singen den Refrain dazu, in
den auch Ribalier einstimmt, nachdem man ihn trunken gemacht
hat. Als er endlich mit Valentine allein ist, bedeckt er sie mit
Küssen und wird dabei von Jules überrascht. Ehe sie sich in
ihr Schlafzimmer zurückzieht, verspricht sie, Ribalier in demselben
zu erwarten, da sie sich bei Nacht fürchte. Jules bestimmt
Hortense, sich an die Stelle Valentinens zu begeben und so die
lange erwartete Genugthuung zu erhalten. Ribalier geht in die
Falle. Bei der nächtlichen Zusammenkunft glaubt er keine andere
Dame vor sich zu haben, als Valentine, da sie nicht spricht.
Als er aber stark an der Thür klopfen hört, meint er, Brochard
sei zurückgekehrt und entflieht durch eine Nebenpforte, wobei
er seinen Fingerring verliert. Darüber gerät er in die grösste
Bestüreung. Er erwägt die Folgen seines Handelns und bittet
Jules, ihn aus dieser Verlegenheit zu befreien. De)rselbe lässt
jedoch das von ihm und Valentine angezettelte Komplott sich
weiter entwickeln. Brochard erscheint in Wut, denn seine Reise
ist vergeblich gewesen. Sein Geschäftsfreund in Le Maus hat
ihn betrogen und er lässt nicht undeutlich durchblicken, dass er
auch von Ribalier betrogen worden sei, da er die Rosenknospe,
die er seiner Frau vor seiner Abreise zur Aufbewahrung über-
geben, an Ribaliers Hut bemerkt, wohin sie Jules gesteckt hat.
Der von Gewissensqualen gepeinigte Ribalier gesteht endlich, dass
er in der vergangenen Nacht in Valentinens Schlafzimmer ge-
wesen, und erklärt sich bereit, dem beleidigten Gatten mit den
Waffen in der Hand Genugthuung zu geben. So weit lassen die
Verschworenen die Sache kommen. Dann tritt Hortense mit
ihrem Gemahl ein, um sich zu verabschieden. Sie trägt den Ring
Ribaliers an ihrem Finger und sagt: „Ich werde ihn zu
Eurem Andenken tragen." Brochard begreift sofort den
ganzen Zusammenhang, über welchen ihn ausserdem noch Chamorin
belehrt, und sagt lachend: „Man hat sich also über mich
lustig gemacht?" und Valentine entgegnet ihm: „Ja, mein
Freund, man lässt die Frauen nicht bewachen. Die
Frauen bewachen sich alle allein." Auch die von Brochard
beklagten Kapaunen kommen plötzlich an; die Freundestreue ist
also gewahrt und alles andere vergessen. Ehre und Segen
40 (7. 'Bornhak, Zola als Dramatiker,
dem Gasthans zum roten Hirsch. Damit schliesst das
Stück. —
Wenn es ein Vorrecht der Posse ist, die Wirklichkeit zu
übertreiben, zu karikieren, so hat dasselbe doch auch seine be-
stimmten Grenzen. Denn jedes Eunstmittel, und das ist die
Karikatur, verfolgt einen bestimmten Zweck. Wenn Ribalier und
Brochard karikiert werden, so hat das den bestimmten Zweck, sie
in ihrem Unternehmen, eine Frau zu überwachen, lächerlich zn
machen. Was soll man aber zur Karikatur Yalentinen's sagen?
Sie ist erstens für die Tendenz des Dichters zwecklos und
zweitens widerlich. Man denke sich eine eben verheiratete Frau,
die sich von allen Männern, die ihr in den Weg treten, den
Hof machen und abküssen lässt und hinterher die treue, tugend-
hafte Gattin spielt, weil sie einer anderen Dame ihre Stelle bei
einem verabredeten Rendezvous überlassen hat. Ihre Behauptung:
„Die Frauen überwachen sich alle allein!*^ ist damit
nicht bewiesen. Sie musste im Gegenteil, wenn der Dichter
seinen Zweck erreichen wollte, als treue, tugendhafte Gattin ge-
zeichnet werden, die durch ihre Haltung alle Bestrebungen der
Überwachung lächerlich machte. So ist sie ein Zerrbild, das
gerade das Gegenteil von dem beweist, was der Dichter be-
weisen wollte.
G. BOBNHAE.
Moderne französische Romanschriftsteller.
Jori8 Karl Hnysmans.
I.
Di
y^Je fais ce que je 4)o%s, ce que je
vis, ce que je sens, en Vecrivani le
moins mal que je puis. Si c*est lä
le naturalisme, tant mieux.^
'ie Familie HuysmanB stammt aus Holland. Der Vater des
Romanschriftstellers J. K. Huysmans, Godfried Huysmans, war Maler
und stammte aus Breda. In Paris, wo er Rue Suger 11 wohnte, wurde
ihm von seiner Frau, der Tochter eines Ministerialbeamten Görard, ein
Knabe geboren, der die Namen Joris Karl erhielt. Durch Abstam-
mung und Geburtsort ist Hiiysmans somit ein französischer Nieder-
länder oder ebensogut ein niederländischer Franzose. Beide Nationali-
täten spiegeln sich in seinen Eunstprodukten wider, die stets die Neigung
verraten, mit Worten zu malen und über Maler zu sprechen. Mehrere
seiner Vorfahren waren Maler. Ein Oheim gab Unterricht im Zeichnen
und Malen in Breda und Tilburg. Unter seinen Ahnen steht auch
Cornelis Huysmans, von dem das Louvre Gemälde aufzuweisen hat.
Huysmans' Romane und Novellen selbst erzählen uns, welch alt-
modische klassische Bildung er in seiner Jugend erhalten hat. Er be-
suchte eine jener Schulen, in denen man jahrelang nichts als Lateinisch
lernt, und wo die spes patriae in grosser Anzahl sich zusammenfindet,
um sich an den armen pions (den Aufsehern über die Schularbeiten
der Knaben) für die Langeweile der endlosen Schulstunden zu lachen.
Huysmans, der in jedem seiner Romane, in allen seinen Novellen etwas
aus seinem eigenen Leben, aus seinen Träumen und Leiden erzählt,
hat uns den Aufenthalt in der Schule in seinem Roman En manage
geschildert.
Sehr anschaulich beschreibt er da, wie er in seinem achten
Lebensjahre weinend in .die Schule eintritt; wie ihn seine Eltern
Sonntags von dort abholen, während andere, die keine Angehörigen
haben, in den einsamen Schullokalen unter Aufsicht des mürrischen
pion zurückbleiben, der sie nicht einmal aus dem Zimmer gehen lässt,
wenn sie den Finger in die Höhe streckten um zu fräsen: „Esi-il per-
mis de soriir?^ Er erzählt uns, wie der Gedanke, abends wieder in
die Schule zurückkehren zu müssen, ihm stets seinen freien Sonntag
verdorben habe. Schon bei Tische sah man nach der Uhr. „Tummle
Dich", sagte die Mutter, „es wird bald Zeit!" Die Mahlzeit war erst
42 Jan ten Brmk,
halb za Ende, da steckte man ihm sein Dessert in die Tasche, — ein
eiliger Abschied — dann bi*achte ihn das Dienstmädchen in die Schule
zurück. Wie unangenehm berührten ihn die belebten Strassen. Voll
Neid sah er die Kinder der Armen sich frei herumtreiben. Er schielte
nach den grossen Anschlagzetteln der Theater, und ärgerte sich, dass
er zurück in die Schule musste. Er wäre gern langsam gegangen,
aber die Magd trieb zur Eile, sie hatte Ausgangstag.
In der Schulstube war alles dunkel. Man glaubte in einen Keller
zu kommen. Als das Dienstmädchen fort ging, wäre er beinahe in
Thränen ausgebrochen. Sein Weg ging in den Schlafsaal. Der pion
drohte mit Strafe, wenn man beim Treppensteigen zu hart aufbrat.
Der Eindruck, den das Schulleben in Huysmans zurückgelassen
hat, ist ein bleibender. Es bildet sich geradezu Hass gegen die pions
in ihm aus, obgleich er einsieht, dass das Leben dieser Unglücklichen
keineswegs beneidenswert sei. Dann beklagt er sich über die schlechte
Kost, die in steter Regelmässigkeit abwechselnd, immer dieselbe bleibt:
fettes Hammelfleisch und Möhren mit warmem Wasser Montags ;
Kalbfleisch und schlechter Käse Dienstags; Rüben mit brauner Sauce
und Sauerampfer Donnerstags, lauter Speisen, die ihn krank machten;
Makkaroni ohne Käse, ungeniessbare Erbsensuppe und in verbranntem
Fett gebackene Kartoffeln.
Er äussert sich sehr bitter über die kalten Schlafzimmer, deren
Fenster par raison dhygiene beständig offen blieben; dessenungeachtet
herrschte im Sommer eine dumpfe ekelerregende Atmosphäre. Früh
um sechs rief der Stiefelputzer die armen Jungen wach. Freilich
klagt er auch in echter Knabenungerechtigkeit, wie er sich Jahr aus,
Jahr ein an den „plumpen Witzen des Horaz und den dummen Auf-
schneidereien des Homer ^ hätte erlustigen müssen. Diese Worte zeigen,
dass Huysmans schon als Knabe die krankhaft unzufriedene Stimmung
kannte, die im Anfang des 19. Jahrhunderts die Welt beherrschte, und
die man in Deutschland „Weltschmerz^, in England „Spleen^ zu nennen
pflegt, eine Stimmung, die den späteren Philosophen höchst wichtige
Bausteine für ihre Theorien über den Pessimismus geliefert hat; em
Zug der Zeit, der sich unter dem einförmigen russischen Himmel und
unter dem Zusammenwirken von traurigen, historischen Ereignissen zu
dem trostlosen Prinzip des Nihilismus entwickelt hat.
Der arme Junge klagt ferner, dass er Racine und Virgil, Cicero
und Boileau auswendig lernen muss, dass er dagegen nichts Nützliches
lernt; dass er Montags voll Verzweiflung die lange Woche begann, dass
erst Donnerstag ein Hoffnungsschimmer m ihm erwachte, endlich werde
doch wieder Sonntag kommen. Seine einzige Freude war die grosse
Ferienzeit im Juli, und die Vorfreude darauf, wenn die Jungen mit
ganz ausserordentlicher Ungeduld sich anstrengten, wie sie über die
unglückseligen pions ein Strafgericht ergehen lassen konnten.
Was auch in diesen Klagen übertriebenes sein möge, sicher ist
es doch, dass Huysmans keine glückliche Jugend hatte. Er erfuhr nur
allzufrüh, dass die Leiden der Armut die Kinder unbemittelter Eltern
schwer niederdrücken. Seinen Vater scheint er früh verloren zu haben.
Nachdem er die vorgeschriebenen Examen abgelegt hatte , gab er Unter-
richt an Kinder begüterter Familien. Eine Erbschaft, die ihm ein
Bruder seiner Mutter hinterliess, rettete ihn aus der tiefsten Bedrängnis.^)
1) Man lese darüber seinen Roman En mdnage^ Paris, 1881.
Charpentier. S. 42 — 54.
Moderne französische Romanschrifisieller. 43
Der junge Huysmans war beim Beginn des deutsch-französischen
Krieges zweiundzwanzig Jahre alt. Er trat als Freiwilliger in die
französische Armee ein, wie er dies uns selbst in der Novellensamm-
lung Les Soire'es de Medan in der Erzählung Sac au dos schildert.
Sie fängt so an: „Als ich meine Schulzeit absolviert hatte, suchte
ich auf den Wunsch meiner Familie den gefürchteten grünen Tisch
auf, um den mehrere alte Herren sassen, die voll Eifer untersuchten,
ob ich genug von den toten Sprachen wisse, um zu dem Rang eines
bachelier zugelassen zu werden.
„Ich legte ein gutes Examen ab. Ein gemeinschaftliches Mahl
versammelte die ganze Familie um mich her; man sprach über meine
Zukunft, und entschied sich dahin, dass ich Jurisprudenz studieren sollte.
„Bald stand ich vor meinem ersten akademischen Examen. Ich
verkehrte viel im Quartier laiin, woselbst ich die Bekanntschaft von
Studenten machte, die alle Abende bei einem Glas Bier ihre politischen
Meinungen austauschten. In dieser Zeit las ich die Werke von Georges
Sand und Heine, von Edgar Quinet und Henri Murger.
„So verlief ein Jahr. Die allgemeinen Wahlen vor dem Zu-
sammenbruch des zweiten Kaiserreichs (Mai 1869) Hessen mich kalt.
Da ich weder einen Senator, noch einen Ausgewiesenen Vater nannte,
musste ich mich ja unter jeder Regierung dem Zustande von Dürftig-
keit und Entbehrung, in dem meine Familie schon lange lebte, unter-
werfen.
„Meine juristischen Studien machten mir wenig Freude. Mir war,
als hätte man die Gesetzentwürfe absichtlich so schlecht geschrieben,
um gewissen Leuten genügende Gelegenheit zu kleinlichem Streite über
dies oder jenes Wort zu geben, und noch heute steht es bei mir
fest, dass ein deutlich formulierter Satz niemals Gelegenheit zu vielerlei
Deutungen geben kann.
„Ich dachte über diesen oder jenen Beruf nach , den ich ohne
inneren Widerstreit hätte ausüben können, als mir plötzlich der Kaiser
selbst einen verschaffte: die Ungeschicklichkeit seiner Politik machte
mich zum Soldaten."
Der Exkaiser Napoleon III. starb am 9. Januar 1873 zu Chisle-
hurst. Huysmans' Novelle, oder besser gesagt, Lebensgeschichte aus
den Jahren 1870 und 1871 erschien gegen 1880. Die düstere, nieder-
geschlagene Stimmung — aus der Armut und Entbehrung seiner
Knaben- und Jünglingsjahre erzeugt — spricht deutlich aus dem Anfang
des Sac au dos.
Huysmans wurde Soldat, obgleich er sich für den Krieg durchaus
nicht begeistern konnte. Er wurde der garde mobile de la Seine zu-
geteilt, ging fortan in dunkelblauer Jacke und hellblauer Hose mit
breitem, roten Streifen, und zog an einem gewitterschwülen Jaliabend
mit einem schweren Ranzen auf der Schulter an die bedrohten Grenzen.
Vorläufig musste er in Chälons bleiben, woselbst die jungen Soldaten
an allem Mangel litten, wo nichts geordnet war; keine Kantine, kein
Stroh, keine Mäntel, keine Waffen; nichts war da.
Schon nach Verlauf einiger Tage machte ihn die Feuchtigkeit
seines Zeltes krank. Man bringt ihn in eine überfüllte Ambulance,
gibt ihm einen grauen Mantel mit Kapuze, eine rote Hose und eine
weisse Schlafmütze. Der Lazarettarzt zeigt sich gegen seine Patienten
als unerträglichen Tyrannen. Noch nicht vollständig wieder her-
gestellt, muss Huysmans die Uniform wieder anziehen: die Preussen
nähern sich Chälons. Noch sehr schwach, litt er ganz ausserordentlich
bei der Eisenbahnfahrt. Wenn er es nicht selbst erzählte, würde man
44 Jan ten Brink,
kaum glauben, dass französisclie Soldaten unterwegs die Büffets fran-
zösischer Bahnhöfe plünderten. Immer noch leidend kam er, ohne
sich daselbst aufhalten zu können, in Paris an; weiter ging es nach
Arras, wo er Aufnahme im städtischen Hospital fand, nicht im Hotel
des Erzbischofs, der seine Gastlichkeit nur Verwundeten, nicht aber
Kranken angedeihen Hess.
Die ganze Kriegszeit hat Huysmans in Hospitälern und Ambu-
lancen zugebracht ; am längsten war er in Evreux. Nachdem der Krieg
und das Leid der Kommune vorüber waren, widmete er sich endlich
der litterarischen Thätigkeit.
"Von seinem weiteren Leben bleibt nur wenig zu berichten.
Huysmans verstand die Kunst nicht, Kapital aus seinen Arbeiten zu
schlagen, arbeitete auch mit wenig Leichtigkeit ; so stellte es sich bald
heraus, dass er von seiner Feder nicht leben konnte. Glücklicherweise
fand er eine Stellung im Ministerium des Innern; heute hat er es bis
zum sotis-chef-de bureau gebracht.
Von 1874—1887 veröffentlichte er:
1874. Le Drageovr aux epices. Paris. Dentu, (Erste Auflage ver-
griffen, zweite Auflage, Paris, Maillet, 1875, ebenfalls.)
1876. Marthe. Brüssel. Jean Gay. (Vergriffen.) Zweite Auflage
unter dem Titel: Marthe, histoire d*une fille. Avec une eau- forte
impressioniste de J.-L. Forain. Paris. Derveaux. 1879.
1879. Les sceurs Vatard. Paris. G. Charpentier. (Fünf Auflagen.)
1880. Croquis Parisiens, (Eaux-fortes de Forain et Rafa^Ui.) Paris.
Henri Vaton, (Prachtausgabe auf Büttenpapier mit roten An-
fangs- und Schlussvignetten, sowie Initialen.) Vergriffen.
Zweite Auflage : Imprime dans le format presque perdu de quel-
ques eucohges, Nouveüe Edition, augmentee aun certain nomhre
de püces et (Tun portrait, Paris. Läon Vanier, fiditeur des
Modernes, 1886.
1881. En Menage, Paris. G. Charpentier. (Vier Auflagen.)
1882. A veau feau. Brüssel. Kistemaeckers. Vergriffen.
1883. L*Art moderne. Paris. G. Charpentier.
1884. A Rehotvrs, Paris. G. Charpentier & C*^
1886. En Rade. Roman, erschienen in der Revtte indäpendante
1886—1887.
Femer schrieb Huysmans:
1880. Sac au dos, in Les soirees de Me'dan. Paris, Charpentier, 1880.
Zehn Auflagen.
1881. Pierrot sceptique, avec dessins en couleur de Cheret. Mit Läon
Hennique. Paris. Rouveyre. (Vergriffen.)
1887. Vn dilemme. Paris, Tresse & Stpck.
IL
Alle Werke Joris Karl Huysmans' einer sorgfältigen Analyse
und gründlichen Kritik * zu unterwerfen , liegt nicht im Kahmen der
Zeitschrift.
Die seine Eigenart am meisten charakterisierenden sind Marthe,
die Croquis Parisiens, En Manage und zumal A Rebours.
Als Huysmans 1874 das Gebiet der Litteratur betrat, hatte eben
^mile Zola durch seine fünf ersten Romane aus dem Zyklus der
Rougon- Macquart die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im
Moderne französische Romanschrifisteüer, 45
Jahre 1874 war gerade einer seiner besten Romane: La Faute defabbe
Mouret erschienen. Zola hatte seiner Kunstrichtung den Namen Natu-
ralismus gegeben; es war dieselbe Richtung, die bereits Henri Beyle,
Honor^ de Balzac , Gustave Flaubert eingeschlagen und zur Anerkennung
gebracht hatten.
Huysmans hat den Kampf zwischen den als Naturalisten neu-
erstandenen Realisten und der alten Garde der Romantik, welch letztere
oft durch die Sauvegarde des Klassizismus verstärkt wurde, redlich
mitgekämpft. Die Wechselfälle des Pariser Lebens brachten ihn in
Zola's Kreis und in Verbindung mit dem Pariser Verleger George Char-
pentier. Das ist der Grund, warum man ihn, was er auch geschrieben
hat, als Naturalisten beurteilt. Das wäre noch kein Anlass, ihm voll
Antipathie entgegenzutreten; im Gegenteil, Huysmans hat das Recht
zu verlangen, dass man ihm ausserhalb des Zola'schen Ejreises und der
Neunaturalisten als ursprünglichen Künstler betrachte.
Die Dichtung ist eine göttliche Kunst, deren Aufgabe es ist,
das Leben der Menschen zu adeln und sie im täglichen Daseinskampfe
zu stützen. Mögen andere Musen und deren Priester und Priesterinnen
ebenfalls Schönes schaffen, man wird es gern anerkennen; aber be-
geistert sollte man immer hinzufügen, dass trotz des immer mehr zu-
nehmenden Niederganges unter Schriftstellern, Dichtern und Kritikern,
die Dichtung doch immer und vorzugsweise ein Herzens-
trost ist.
Als man Huysmans einst fragte, ob er zu Zola's Schule und zu
den Bekennern der naturalistischen Lehre gehöre, antwortete er:
„Je iwus rdponds iout simplement que je fais ce qiie je vois, ce
que je vis, ce que je sens, en fecrivant le moins mal que je puis. Si
c'esi lä le naturalisme, iani mievx. Au fond, U y a des e'crivains, qtU
ont du talent et d'autres qm h*en oni pas, qu*ils soient naturalistes , ro-
maniiqites, decadents, ioui ce que vous voudrez, fa fn*esl egal! 11 s^agii
pour moi d*avoir du talent, et voilä tout})
Man glaube durchaus nicht, dass dieses Wort so einfach sei, wie
der praktische Beweis des Columbus, dass ein Ei auf der Spitze stehen
könne. Talent zu haben ist ja das Alpha und Omega der litterarischen
Kunst. Manche glauben zwar, dass kein Schriftsteller Ruhm erwerben
könne, wenn er nicht eine bestimmte philosophisch-ästhetische Richtung
vertrete ; dass man von einem Romanschriftsteller absolut sagen müsse,
ob er eine klassische, romantische, realistische, naturalistische, mystische,
impressionistische oder nihilistische Überzeugung habe. Besser als all
dies ist sicher die Göttergabe des Talentes, die Fähigkeit, es zu zeigen.
Es gibt Leute, die von dem sehr gefährlichen Grundsatz ausgehen, dass
Schriftsteller reiferen Alters stets von jüngeren übertroffen werden
müdsten, dass die jüngeren gewöhnlich die neuen Zukunftsbahnen frei
fegen. Besser als jung sein, und solchen Hirn^espinnsten nachzuhängen
ist die Göttergabe des Talentes, die Fähigkeit, es zu zeigen.
Huysmans, der Mann mit grossem Talente, beweist dies durch
sein Beispiel.
Wir übergehen seine ersten kurzen Skizzen, wie zum Beispiel
Le Drageoir aux äpices, und erwähnen sein merkwürdiges Buch : Marthe,
histoire d^une füle, mit dem er darthat, dass er einst ein bedeutender
Schriftsteller sein würde. Über den Inhalt des Buches haben wohl manche
^) Les hommes d'aujourd^hui, von A. Meunier, 6. Band, No. 263,
Paris, Vanier, Quai Saint Michel, 19.
46 Jan ien Brink,
den Kopf geschüttelt. Huysmans war jedoch durchaus nicht der erste,
der ihn in die französische Litteratur einführte. Schon im Jahre 1622
hat Charles Sorel mit seiner Bistoire comique de Fraficion nach dem
Vorbild eines Aleman und Quevedo eine Art Schelmenroman ge-
schrieben, worin Gaudiebe und abenteuerliche Frauen vorkommen, die
ihre Zuchtlosigkeiten mit beispielloser Unverschämtheit verkündigen.
Scarron schlug 1650 in seinem Roman Comique keinen anderen Ton
an; seine herumziehenden Komödianten sprechen und bewegen sich
ganz im Geist der spanischen Picaros. Dasselbe gilt von zahlreichen
untergeordneten Schriftstellern, wie du Lannel (Roman Saiyrique, 1624),
Mareschal (ChrysoUte, 1627), Fran^ois Tristan l'Hermite (Le paae dis-
gracid^ 164S) und Antoine Furetiäre (Le Roman botirgeois, 1666).^
Im achtzehnten Jahrhundert ist Le Sage zu nennen, und es gab
der Abbä Pr^vost eine hiMoire de fiUe, als er 1732 die Histoire de
Manon Lescaut et du Chevalier des Orieux vollendete.
Mit diesem Buche fängt der psychologisch -erotische Roman an,
den Restif de la Bretonne weiter püegt in Le pied de Fanchette ou
Corfeline fran^ise, histoire interessante et morale, 1769, und ihn auf Henri
Beyle (Le Rouge et le Noir, 1831) verpflanzt; der in unseren Tagen
vom jüngeren Dumas (La Dame aux cametiasj, von Georges Sand, von
Flaubert (Education sentimentale), von den Gebrüdern de Goncourt und
einem ganzen Heer mittelmassiger Nachfolger weiter bebaut wird.
marthe von Huysmans hat am meisten Verwandtschaft mit Ed-
mund de Goncourt's La fille ,Elisa. Vhisioire d'une fiüe erschien am
12. September 1876, La ßle Elisa am 20. März 1877. Das geistige
Band, das Huysmans und de Goncourt verknüpft, ist leicht nachzu-
weisen. Beide sind durch und durch Künstler, beide sind begeistert
von Malerei, Bildhauerkunst, Kupferstechkunst.
Huysmans vergleicht Marthe mit Saskia, Rembrandt's erster
Frau; er lässt seine Marthe eine Kopie von Jordaens Dreikönigs-
fest bewundern, und sie gedankenvoll vor einem Stich nach Hogarth
(das dritte Blatt von The Rakes I^ogress^ still stehen. Marthe, die
Tochter aus der unglücklichen Ehe zweier elender Abenteurer, zeigt
dabei so viel Geschmack, dass sie ihn nicht von ihren Eltern geerbt
haben kann. Ähnliches kommt bei fast allen Personen des Buches vor.
Weder Marthe, noch Elisa, noch Nana sind die ersten unter den
weissen Sklavinnen, die einem Romanschreiber zum Modell gedient
haben.9) Der jüngere Dumas hat seiner Marguerite Gauthier eine ge-
wisse Berühmtheit zu verschaffen gewusst, <Se nach Verdi's D'aviata
noch zunahm. Schon Manon Lescaut gehört der Kaste an, die der
Niederländer Bredero „die grosse Gilde" nannte.
Man darf Huysmans nicht wegen seines Stoffes über die Achseln
ansehen. Ein spanischer Dominikanermönch, Andreas Perez, genannt
Ubeda, schrieb 1605 einen Roman: La Picara Justina, der, wie La Tia
fingada von Cervantes, die spanischen weissen Sklavinnen mit viel
^) Man vergleiche H. Koerting: Geschichte des französischen
Romans im XVIL Jahrhundert, Bd. II: Der Realistische Roman,
2) Marthe, zweite Auflage, S. 68—70.
8) Ary Prins, der einen sehr guten Artikel über Huysmans schrieb
(Nietiwe Gids, 1. Juni 1886) ist daher im Unrecht, wenn er sagt: In
der Marthe hat Huysmans zuerst unter allen modernen Roman-
schreibern die gefallene Frau ohne alle Sentimentalität, in ihrem vollen
Elend mit all mren guten und schlechten Eigenschaften gezeichnet.
Moderne französische Romanschriftsteller. 47
weniger Vorsicht und Decenz vorführt, als der Abb^ Er^vost, DumaR,
Huysmans, de Goucourt oder Zola es thun.
Von mehr Gewicht ist der Vorwurf, dass HuyRmans seinen
Gegenstand in einer gewählten, künstlerischen Sprache behandelt, von
der die Wirklichkeit, das schmutziggraue Kolorit seines Stoffes, sehr
auffällig absticht. Warum er in schillernder Künstlerlaune das gefähr-
liche Wagstück unternahm, beschreibt er selbst, wenn er die Grübeleien
Leo's schildert, des Schreibers bei einem Journalisten, der Marthe im
Ihe'ätre de Boimo hat singen hören, nnd ihr nun mit gutgemeinten,
schlechten Sonetten huldigt.
Da Huysmans jedem seiner jungen Helden einen Teil seiner
eigenen Individualität verleiht, findet man ihn auch an Leo (in Marthe)
teilweise wieder. Leo ist sehr früh selbständig geworden, hat seine
Freiheit missbraucht und ist das Opfer seiner Leidenschaften geworden.
Sein schriftstellerisches Talent, das die Künstler zwar sehr hoch stellen,
das aber alle ehrbaren Philister mit Entsetzen erfüllt, hatte ihn ver-
leitet, von seiner Feder, d. h. in Hunger und Entbehrung zu leben.
Es gab AugenblickOi in denen er seine Künstlerträume in geniale Prosa
zu kleiden verstand, in eine Form verwandt mit den fremdartigen
Schemen, die das wilde Talent Goya's ins Leben gerufen hatte. Auf
die Tage des Schaffens folgten dann Tage tiefster Niedergeschlagenheit,
in denen er keine vier Zeilen schreiben konnte.
Seit einem halben Jahrhundert beherrscht die französischen
Kunstkreise eine ganz wunderbar erscheinende Verehrung für den
Spanier Goya. Wie der Maler Goya, wie der Romanschreiber Hoffmann,
so hiess es schon zu Zeiten Thdophile Gautier's und G^rard de KervaPs.
Und einmal in die Mode gekommen, verschwanden beide Ausländer
nicht wieder von der litterarischen Bühne. Später kommen noch
Shelley, Edgar Allan Poe und de S^nancourt dazu, nnd was die all-
gemeine Meinung einmal als genial gestempelt hatte, das blieb lange,
ja bis zum heutigen Tage ein Geffenstand tiefster Verehrung.
Wir kehren zu Huysmans Helden Leo zurück. Um den Ge-
mütszustand des Verfassers noch deutlicher hervortreten zu lassen,
berichten wir noch, dass dieser in seinen Träumereien, die aus einer
zu starken Überreizung seiner Nerven geboren sind, beständig das
Bild einer idealen Geliebten vor sich schweben sieht, einer von
Rembrandt gemalten Frau, einer Frau von wunderbarer Pracht der
Schönheit, deren Augen in der unbeschreiblichen Glut, in der melan-
cholischen Lebenslust du chefd^cßuvre du Van Rhm, la femme du saion
caj-re au Louvre leuchten.
Die letzten Worte, die wir hier unübersetzt wiedergeben, zeigen
mit ihrem dreimaligen du^ mit dem wunderlichen Namen Van Rhin
allein schon das Unfertige, Unreife in diesem ersten Buch, und der
Verfasser war selbst der erste, der die Mängel seiner Arbeit einsah.
Marthe erschien 1876 in Brüssel und wurde von der französischen
Regierung in den Index aufgenommen. Es ging damit, wie mit dem
Prozess über Flaubert's Madame Bovary, es ist die alte Geschichte
vom Splitter und Balken. Das Verbot stellte sich übrigens als ganz
überflüssig heraus. Erst im Jahre 1879 erschien eine zweite Auflage
der Marthe in Paris bei Derveaux mit einer impressionistischen
Radirung von Forain, die ich, mit Erlaubnis gesagt, abscheulich finde.
Huysmans gesteht es in einem Avant-propos zur zweiten Auf-
lage selbst ein, dass seine Marthe ein roman naturaliste und sein
Stil tourmente ist. Er gibt das Buch jedoch auch zum zweiten Male,
wie es eben ist, avec ses defauts et ses audaces de jeunesse.
48 Jan ien BHnk,
Wir bleiben nicht länger bei diesem Erstling seiner Muse stehen.
Huysmans hat uns noch andere Proben seines Talentes gegeben. Das
zeigt schon sein zweites Buch Les soeurs Vatard.
Ein kurzes Wort über den Inhalt vorweg. Huysmans erzählt
die Geschichte der Schwestern Vatard, die in einer Pariser Fabrik, in
den aieliers de satinage et de brochure de la maison De'bonnaire ^ C
beschäftig sind. C^une und D^sir^e sind die Töchter eines Arbeiters,
der in seinen alten Tagen von einem sehr ärmlichen Jahrgehalt lebt.
Die älteste ist ein verlorenes Geschöpf, die jüngste führt sich tadellos
auf. Ein junger ouvrier macht ihr den Hof, aber der alte Vatard
will seine Tochter nicht hergeben, er hat sie im Haushalt nötig. Sie
spart ihm die Kosten einer Putzfrau. D^sir^e kann ihren Geliebten
nur sehr selten sprechen. Die Liebe wird schwächer und schwächer.
D^sir^e wird krank. Schliesslich heiratet sie einen braven Arbeiter,
der zu seinem Schwiegervater ins Haus zieht. Der Hauptschauplatz
der Erzählung ist die Fabrik von Döbonnaire & C**. Ein wüstes
Durcheinander von hässlichen Menschen und hässlichen Dingen ist da
zusammengebracht. Die ouvrieres, arme Frauen in schmutzigen Lumpen,
leben in einer ungesunden Atmosphäre, die der Geruch von nassem
Papier, Stärke und wer weiss was noch verdirbt.
Die meisten Pariser Blätter fielen den Roman mit grosser Er-
bitterung an. Nur zuweilen sprach ein Freund oder Geistesverwandter
zu seinen Gunsten. Huysmans' Meister, Zola, beurteilte die Dichtung im
Voltaire sehr günstig. Er preist die Wahrheit in der Zeichnung der
armseligen Arbeitsleute und deren dürftigen Wohnungen im fünften oder
sechsten Stock. Dass der Roman keine Verwicklung hat, nicht einmal
fesselnd erzählt ist, wird charakteristisch genannt. Toni Cari moderne
est lä.^) Die gewissenhaft gezeichnete alte Vatard und seine beiden
Töchter gereichen dem Verfasser zur Ehre. Schlechte und brave Arbeiter-
kinder wie Coline und D^siräe kommen im Pariser Leben täglich vor. Die
lang genährte und endlich getäuschte Hoffnung D^sirde's, ihre melan-
cholischen Spaziergänge und Unterhaltungen mit dem braven Arbeits-
mann, verdienen unbedingt das ZoWsche Lob. Eine solche Liebe auf
der Strasse rührt um so mehr, je mehr sie mit der Wirklichkeit über-
einstimmt, je öfter sie auf dem Boulevard oder Faubourg beobachtet
werden kann.
Huysmans konnte sich kein liebenswürdigeres Urteil wünschen
als das Zola's. Ich selbst stelle mich auf einen vollständig neutralen
Standpunkt, ohne jedes Für noch Wider inbezug auf den ästhetischen
Grundsatz der beiden Schriftsteller ; mein Urteil über Les sceurs Vatard
lautet abweichend von dem Zola's. Als Studie, als Beitrag zur Kenntnis
der Arbeiterfamilien ist das Buch vortrefflich. Das von Zola selbst in
seinem L Assommoir gegebene Beispiel hat den jungen Romanschrift-
steller begeistert. Aber er hat übersehen, dass ein Sujet, wie das im
Assommoir gewählte, einen erschütternden Eindruck machen muss, und
dadurch manchen Einwand entkräftet. Trunksucht, die Totsünde des
armen Arbeiters — auch anderer Menschen — zum Thema für einen
Roman aus dem Volksleben gewählt^ das ist ein Gegenstand, der
Tausende von Lesern, litterarisch gebildete und unlitterarische fesselt.
Dazu kam noch, dass Zola mit einer ausserge wohnlichen plastischen Kraft
jede einzelne Gestalt seines Buches sich vor der Phantasie seiner Leser
^) ämile Zola, Le Roman expermental (Paris 1886 bei Charpentier),
S. 242.
Moderne französische Romanschriftsteller. 49
handelnd bewegen Hess. Dieses plastische Talent ist einem Roman-
schriftsteller, der den Beifall eines grossen Leserkreises erringen will,
unumgänglich notwendig. Huysmans aber ist kein Plastiker; er ist
nur Maler, vielleicht sogar weniger als das. Er skizziert mit Kohle,
und übertrifft in zierlichen Kunsteffekten manchmal selbst Zola, aber
seine Gestalten überwinden niemals das Skizzenhafte und Unbestimmte
von Kohlenzeichnungen.
III.
Von diesen Holzkohle -Skizzen kenne ich keine vollendeteren
als die Croguis Parisiens, kurze Gedichte in Prosa, zweimal aufgelegt,
mit Einschaltung einiger Skizzen aus der ersten Sammlung Drageoir
aux Epices. Dies Buch zeigt deutlicher als irgend ein anderes, dass
Huysmans durch und durch ein Künstler ist. Diese kleinen Gedichte
sind voll überraschender Züge, und schon die Titel der Skizzen sprechen
es aus, dass Huysmans Gedichte in Prosa schreibt, wie weiland Aloysius
Bertrand und der nun wieder hochgepriesene Charles Baudelaire, der
Verfasser der Petits poemes en pi'ose. Huysmans überschreibt nämlich
eine seiner bizarrsten Skizzen Ballade en prose de la chandelle des
six; eine andere: Le poeme en prose des viandes cuites au four. Das
Gedicht von den „Kerzen, sechs aufs Pfund", umfasst sechs Strophen,
die alle auf denselben Refrain enden:
0 chandelle des six^ gräsiUante chandelle.
Die hübscheste Strophe dieses Prosagedichts ist die vorletzte,
sie lautet:
„Wenn du, vom Petroleum und anderem Kunstlichte vertrieben,
nicht einmal mehr von den Armen gebraucht wirst, so bist du doch
gefeiert, mehr als eine Königin je gefeiert worden ist, du qualmende
Kerze! Rembrandt, Gerard Dou, Schalken haben dich in unsterblichen
Werken gefeiert; sie haben dich den rosigen Schnee der Wangen und
Busen verklären lassen und die flatternden Locken der schönen
vlämischen Frau, die mit der Hand deine Flamme vor dem Luftzug
schützt, 0 chandelle des six, gresiUante chandelle. "^
Ich lasse ein anderes folgen, das der Dichter Ritournelle nennt:
„Ihr verstorbener Mann, der Vater ihrer drei Kinder, schlug sie,
80 lange er lebte, und starb elend, an übermässigem Absinthgenusse."
„Seitdem watet sie durch den Schlamm der Strassen ihrem Hand-
wagen nach und kreischt mit gellender Stimme: Schöne Waare! Kauft!"
„Sie ist unbeschreiblich hässlich. Sie ist ein Scheusal, mit einem
feuerroten Kopf auf dem Halse eines Athleten; ihre Augen sind blut-
unterlaufen, ihre mit Schnupftabak gefällte Nase ist eine wahre
Habichtsnase."
„Ihre drei Kinder hungern; für sie durchwatet sie den Schlamm
der Strassen, für sie schiebt sie den schweren Handkarren und schreit :
Schöne Waare! Kauft!"
„Ihre Nachbarin ist gestorben."
„Der verstorbene Mann der letzteren, der Vater ihrer drei Kinder,
schlug sie, so lange er lebte und starb elend, an übermässigem Ab-
sinthgenusse.
Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XH. 4
50 Jan ien Brink,
„Das hässliche Scheusal hat die drei verwaisten Kinder zu sich
genommen!^
„Die sechs Kinder hungern ! Sie muss doppelt so viel arbeiten !
Ohne Rast und Ruhe durchwatet sie den Schlamm der Strassen, schiebt
ihren Handkarren und kreischt mit gellender Stimme: Schöne Waare!
Kauft!«
Der Vorzug dieser Prosaidyllen ist, dass Huysmans hier häufig
feiner und akkurater zeichnet, dass er die Holzkohle auf die Seite
legt und zur Radiernadel greift.
Die zwei grössten Stücke aus Croquis Parisiens sind in der That
wie mit dem Grabstichel entworfen ; es sind Les Folie s- Berger e und Le
Bai de la Brasserie europe'enne. Man erinnere sich der sorgfältig aus-
geführten Aquarellen in Zola's üne Page d^amour. Es sind Ansichten
von Paris; Paris im wechselnden Tageslicht, bei Sonnenschein, bei
Sturm und Regen. Huysmans malt in gleicher Weise das Innere der
Häuser. Er radiert den früher allgemein besuchten Vergnügungsort
Les Folies- Bergere, und als Seitenstück dazu einen Soldatenball in
Grenelle, einem der abgelegensten Viertel von Paris.
Die Seiltänzerkünste zweier Akrobaten, eines Engländers mit
seiner Frau, die an Trapezen hängen und sich hoch an der Decke des
Darstellungsraumes hin und her schwingen, während das opalfarbige
elektrische Licht sie mit einem silbernen Nimbus umgibt, diese Künstler,
von denen einer am Schluss unter plötzlichem Verstummen der Musik,
nach einem heftigen Knall das Trapez loslässt , um von dem anderen
aufgefangen zu werden und in ein grosses Netz zu fallen, — diese in
unserem Jahrhundert so hoch bewunderte Muskel Virtuosität, diesen
kindischen Genuss eines Haufens von Müssiggängem und Tagedieben
beschreibt Huysmans meisterhaft in dem glänzendsten Französisch,
das man sich nur denken kann. Der Jubel des Publikums, wenn das
halsbrecherische Stück gelungen ist, das Erscheinen der Luftspringer
nach dem Hervorruf, die Verbeugungen des Mannes, die Kusshände
der Frau, und der kurze, kindische Trab, in dem sie die Bühne ver-
lassen , — nichts ist vergessen.
Noch ausführlicher und nicht weniger genial ist der Soldaten-
ball in der Brasserie europeenne geschildert. Huysmans sitzt unweit
zweier Bürgerfrauen, Madame Haumont und Madame Tampois. Man
tanzt auf Asphalt unter einem Glasdach, das eiserne Pfeiler stützen.
Unteroffiziere und Soldaten aller Waffengattungen treten auf dem
Tanzplatz auf. Die Tänzerinnen sind zum grösstenteil sehr ruhig. Sie
sind meistens in Gesellschaft von Verwandten, die eben so ruhig auf
rings an der Wand hinlaufenden Bänken sitzen und dem Ball be-
wundernd zusehen.
Zahlreiche Personen in strenggezeichneten Typen, zwei oder
drei freche Tänzerinnen, lärmende Schlächter aus dem Abattoir von
Grenelle, Kürassiere und Artilleristen, wogen durcheinander. Dichte
Staubwolken steigen vom Boden auf; das schmetternde Dröhnen der
Musik übertönt jeden anderen Laut. Eine stickende Atmosphäre erfüllt
den Saal, gar mancher möchte dem Gedränge entrinnen. Unter dem
Tanzsaal ist eine Kaffeeschänke , die überfüllt ist von Soldaten. A,n
den Wänden hängen allerlei Waffen und neben Helmen mit schwarzen
oder roten Pferdeschweifen Schakos und rote Käppis. Der Lärm ver-
mehrt sich. Es wird tapfer getrunken, es wird sehr reichlich soupe
ä roignon bestellt. Schon wirft man drohende Blicke um sich her.
Bald beginnen Schlägereien.
Moderne französische RomanschrifisteUer, 51
„(7a devient ignohle, allons!** sagt M™" Lampois, und verlässt den
Bai de la Brasserie europeenne; ein gleiches thut der Künstler selbst.
Die Fra^e nach der Wichtigkeit einer so geschilderten Szene
gehört nicht hierher. Die litterarische Arbeit Huysmans' kann neben
die Arbeit jedes genialen Badirers gelegt werden. Wir haben die ge-
treue Zeichnung eines ganz speziellen Ortes und eines ganz speziellen
Publikums vor uns. Es kommt hier nur auf die Zeichnung, nicht auf
das Modell an. Das kann man jedoch nicht von allen anderen Skizzen
sagen. Huysmans' Types de Paris, sein Conducieur d'omniöus, Bein Marchand
de marrons, sein Coiffeur, sind mittelmässige Stücke ohne höheren
Kunstwert. Hier und da ist ihm eine Landschaft aus der Umgebung
von Paris besser geglückt; uuter seinen Faniaisies et peiits coins sind je-
doch einzelne, die beim Lesen mehr Verwunderung als Bewunderung
erwecken. So verraten seine Studien über Le gousset und Vetiage ent-
schieden Mangel an gutem Geschmack. Was hat eine Beschreibung
von des odeurs suspecies, (qne) certains quartiei's de Paris laborietix de-
gagent, lorsonion sapprocJie, Nie, d'un aroupe, mit der Litteratur zu
schaffen? Und welcher sonderbare Einrall brachte Huysmans zur Ver-
gleichung der hustes de femme sans Utes et sans jambes, wie sie in
manchen Läden zum Ausstellen von Kleidungsstücken gebraucht werden,
mit Göttinnenbildern des Altertums? Der Vorteil dieser bustes ist, dass
sie ce charme subsidiaire de la femme^ la gorae, besser zur Anschauung
bringen, als Marmorbilder. Der Verfasser scheint an einer augenblick-
lichen ümdüsterung der Sinne zu leiden, wenn er ausruft: Combien
superieurs aux momes statues des Venus, ces manneguins si vivants des
couturiers!
Der 1881 erschienene Roman En Menage bietet ein talentvoll
zusammengesetztes Ensemble. Wir brauchen nicht zu wiederholen,
dass die grossen Bomanschreiber früherer Perioden — zumal Georges
Sand — zu wiederholten Malen den Versuch gewagt haben, den Ehe-
bruch zu idealisieren. Französische kirchliche und gesellschaftliche
Zustände, einige romantische Kühnheiten, ein gewandtes Propaganda-
machen für die Wiedereinführung der Ehescheidung, das alles erklärte
ehemals, obgleich es auch damals keine Entschuldigung dafür gab,
diese fortwährenden Schläge auf ein und denselben Ambos, — den
Ehebruch.
Huysmans betritt den entgegengesetzten Weg. Er materialisiert
den Ehebruch und lässt den betrogenen Ehemann mit bewunderns-
werter Buhe in einer Szene auftreten, die trotz des Scheines voll-
kommener Bichtigkeit, doch die Unwahrscheinlichkeit selbst ist. Der
Held des Romans, Andrä Jayant, Litterat und Künstler, ein Mann mit
sehr reizbaren Nerven, ist so höflich, den Dieb seines Eheglücks sehr
ruhig zur Thüre hinaus zu führen, und ihm die Treppe hinunter zu
leuchten. Darauf verlässt der Betrogene ebenfalls seine Wohnung und
lebt nun wieder als Junggesell.
Dass eine solche Handlungsweise ebenso cynisch ist, wie der
Ehebruch selbst, hat noch kein französischer Kritiker zu sagen gewagt.
Eine solche philosophische Ruhe beweist eine unsittliche Gleichgiltig-
keit, die niemand zur Ehre gereicht. Das in der fi'anzösischen Nation
so äusserst fein entwickelte Gefühl persönlicher Würde und persön-
licher Ehre kann eine solche Darstellung nicht billigen.
Dass sich der Held nach der Trennung einsam fühlt, vergebens
anderswo Trost sucht, und sich schliesslich mit seiner Frau wieder
versöhnt, war nach einem solchen Anfang nicht anders zu erwarten.
Und doch wäre es unbillig, nicht einzugestehen, dass Huysmans gerade
4*
52 Jan ien Brmk,
in der feinen Analyse kleiner Leiden, kleiner Schmerzen, kleiner Qualen
Vorzügliches leistet. Das Leben des betrogenen Gatten, — eine Kette
unbedeutender Leiden und erschlaffender Täuschungen — ist der
Hauptinhalt des Buches; diesem alle Kräfte seines Geistes zu opfern,
Zug für Zug mit peinlicher Sorgfalt und ganz ungewöhnlicher Auf-
merksamkeit auf Stil und Schreibweise zu behandeln, das ist der
Triumph des Verfassers.
Als der Meister der naturalistischen Schule im Jahre 1881 seine
Kritik über En Menage im Figaro schrieb, zog er folgendes Resum^,
das wir mit seinen eigenen Worten wiedergeben:
Liiterature morbide, dira-i-on. Oui^ peut-Sire. 11 y a lä une
recherche du cas paihologiqud, un goüt pour les p/aies humaines. Mais
ce que personne ne veut voir, c*esi que, si le romancier va a la bSie dans
V komme, rartiste est un sensiiif des plus delicais et un merveilleux ouvrier
de la languey)
IV.
Im Jahre 1884 überraschte Huysmans die litterarische Welt mit
seinem bedeutendsten Werke, A Bebours,
Eine litterarische Revolution ist im Geiste des Verfassers vor
sich gegangen. Das Auge immer auf das Sonderbare und Ausser-
gewöhnliche gewandt, voll Hass gegen das Alltägliche und Platte,
hatte er bei seinen realistischen Untersuchungen durch Übermass von
Studium, durch Auftröseln der unbedeutendsten kleinen Leiden des
menschlichen Lebens, gegen die anständige klassische Lehre gesündigt :
ne ^uid nimis. Er hatte immer nach dem Unbekannten, dem Fremd-
artigen und Wunderbaren gesucht; hatte immer leidenschaftlich nach
dem Raffinement gestrebt. In seinem Buch über die lebenden Meister
(L*art moderne^ 1883), einer Saemmlung von Kritiken über die Pariser
Salons (1879 — 82), lässt er deutlich erkennen, wie sehr seine über-
müdeten und gefolterten Sinne nach dem Anblick von etwas Ausser-
gewöhnlichem streben. Diejenigen Künstler, die nach dem Urteil der
Menge sich eines unbestrittenen Talentes erfreuen, finden vor seinen
Augen keine Gnade, weil sie malen, wie man eben gewöhnlich malt.
Um Huysmans zu gefallen, muss man Ungewöhnliches leisten, die wirren
Träume eines Opiumrausches mit breiten, zusammenhanglosen Zügen —
das erscheint ihm als der Gipfelpunkt aller Kunst. Französische Meister
wie Carolus Düran, Lefebvre, Landelle, Harpignies, Bonnat (zumal dessen
Porträt von Victor Hugo), belgische Meister wie Verhas und de Jonghe,
werden mit der äussersten Geringschätzung beiseite geschoben, wäh-
rend er Herkomer und Mesiflag hoch erhebt — was diese Beiden frei-
lich auch verdienen; — ebenso Bastian Lepage, Raffaelli, den
wunderlichen Maler der Lumpensammler und Landstreicher, Degas,
der Tänzerinnen und Clowns malt ; Forain, der sich das Publikum der
Folies- Berger e zur Darstellung erkoren hat, Zandomeneghi und endlich
Odilon Reden, der Gespenster- und Geistererscheinungen auf die Lein-
wand bringt.2)
1) fimile Zola, üne Campaane, 1880—81, Paris 1882, S. 256.
^ Wie Odilon Reden malt, schildert Huysmans selbst in seinem
Art moderne, S. 276. Man vergleiche seine Beschreibung einer Zeich-
nung Redon's: Un osil Uanc roule dans un pan de te'nebres, tandis
Moderne französische Romanschriftsteüer. 53
Diesen Eigentümlichkeiten seines Geschmacks in einem litterarischen
Kunstwerk eine greifbare Gestalt zu geben, scheint ihm Anleitung zum
Schaffen des A Hebours gegeben zu haben. Auf dem Titelblatt schreibt
er: 11 faut que je me rejouisse au-desstts du lemps . . . ., quoique le
monde aii korreur de ma Joie, et que sctgrossihrete ne sacke pas ce que
je veux dire. Er entnimmt diese Worte Ruysbroeck, radmircwle.
Man fühlt sogleich, dass sich der Verfasser in eine für ihn be-
stimmte, vollständig abgesonderte Welt zurückziehen wird, wo ihn die
brutalen Dummheiten der gewöhnlichen Menschen nicht hindern. Es
liegt meiner Meinung nach etwas Ungesundes darin, wenn der Künstler
aus zu grossem Eingenommensein mit sich selbst sich so hoch über
seine Zeitgenossen erhebt. Es sprach nicht eben für die Billigkeit
und Bescheidenheit des niederländischen Dichters Bilderdjk, wenn
dieser an seinen Freund Tydeman schreibt: „Ich kann in dieser ver-
fluchten Welt nicht leben; wenn ich weiterexistieren soll, muss ich eine
Welt ä pari haben."
Und solch eine Welt will Huysmans in A Rehours uns vorführen.
Es tritt nur eine Person in diesem Buche auf, der Herzog Jean
des Floressas des Esseintes. Er ist dreissig Jahre alt, schwach, nervös,
blutarm; er ist der letzte kränkliche Spross eines alten Geschlechtes;
sehr bewandert im Lateinischen, weil er in einer Jesuitenschule seine
Erziehung genossen hatte; er ärgert sich über die Welt und ihre
Freuden, da er sich nach seiner Mündigkeitserklärung durch un-
mässigen Gebrauch den Magen daran verdorben hat. Des Esseintes
hat vergebens danach gestrebt, eine Erholung in litterarischen Kreisen
zu finden — er findet in denselben nur Scheinheilige und Dummköpfe.
Da fasst er den Plan, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und dort
den Rest seines Vermögens zu verzehren. Er kauft sich nicht weit
von Fontenay-aux Roses ein Haus, ein ganz abgelegenes Landhans, in
welchem ihn niemand stören wird. Dieser neue Wohnort wird nun
in einem ganz exquisiten Geschmack eingerichtet. Der Einsiedler, der
die Welt aus Überm ass von Sinnengenuss verlässt, will den ganzen
Luxus der Welt in seiner einsamen Klause um sich haben.
Der Beschreibung dieses Luxus, dem in eigenartig schönem Stil
geschriebenen Protokoll über des Esseintes Beobachtungen in der Ein-
samkeit, ist das ganze Buch gewidmet. Ehe ich mich über die wirk-
lich arme Erfindung ausspreche, muss ich bekennen, dass A Rehours
die Arbeit eines wirklichen, ernstdenkenden Künstlers ist. Blatt für
Blatt spricht von einer Feinheit, sowohl der Analyse des psychologischen
Zustandes, als auch der Beschreibung des ausgesuchten Luxus Des
Esseintes* — die stets den tüchtig gebildeten, wissenschaftlichen Schrift-
steller verrät.
Es ist sehr schwer, die kunstvoll stilisierten französischen Sätze
entsprechend zu übersetzen, dennoch wage 'ich den Versuch, um
mein Urteil über Huysmans durch einige Stellen seines wunderlichen,
aber ausgezeichnet geschriebenen Buches zu begründen. In dem
ersten Kapitel erzählt uns Huysmans ausführlich , wie Des Esseintes
seine Klausnerhütte einrichtete. In den besten Tagen der Romantik
qu^emerge Wune eau souterraine ei glaciale, un Stre bizarre, un amour
vieüü de Prud^hon, un fcßtus du Correge, macere dans un bain d*alcool,
lequel nous regarde, en levant le doigi, ei plisse sa bauche en un mysierieux
et enfantin sourire.
54 Jan ten Blink,
hat Th^ophile Gautier's reiche Phantasie uns orientalische Pracht
und orientalischen Glanz in seiner bekannten Novelle Fortunio ge-
schildert. Huysmans versucht es, all das Gold und Silber, all das
funkelnde Krystall, all die glänzenden Kronleuchter der romantischen
Soupers, wie sie le öon Theo beschreibt, mit den verborgenen Schätzen
zu überstrahlen, die Des Esseintes um sich her ausbreitet.
Vor allen Dingen lebt Des Esseintes nur in der Nacht. Er
frühstückt Nachmittags um fünf Uhr, speist Nachts elf Uhr zu Mittag
und nimmt früh fünf Uhr ein leichtes Abendbrot ein.
Ferner hat er sich eine Art kleiner Kajüte bauen lassen, in der
ihm seine beiden Bedienten die Tafel herrichten. Sehr merkwürdig
ist seine Studierstube und die ausgewählte Bibliothek, die er dann
zusammengebracht hat. Alle seine Bücher sind Muster der Buch-
binderkunst und alle kostbaren Ausgaben gehören zu ein und der-
selben Art — es sind lauter lateinische Bücher und zwar aus der spät-
lateinischen Periode. Seine Vorliebe fürs Lateinische, das er einst in
der Schule der Jesuiten gepflegt, hatte ihn zu dieser Wahl bestimmt.
Dem klassischen Latein aus dem grossen Zeitalter eines Cicero und
Horaz konnte er keinen Geschmack abgewinnen, da ihm das feierliche
Geklapper gleichklingender Adjektiva und Substantiva zu sehr an
die Gemessenheit der französischen Schriftsteller aus Ludwig's XIV. Zeit-
alter erinnert. Er hat Widerwillen vor Virgil, weil ihn die Schul-
meister den „Schwan von Mantua" nannten, und weil er aufge-
putzte Schäfer nicht leiden mag, weil es ihn verstimmte, dass er
Orpheus mit einer klagenden Nachtigall verglich, weil er Aristaeus über
tote Bienen weinen, und Aeneas wie ein chinesisches Schattenbild
vom Anfang bis zum Ende des Epos herumlaufen sah. Aber selbst die
würdevollen Dummheiten dieser Marionetten hätte er mit Geduld er-
tragen; er würde übersehen haben, dass Vergil Homer bestiehlt, und
nicht diesen allein, sondern auch Theokrit, Ennius und Lucrez;
er würde es entschuldigt haben, dass der Dichter im zweiten Buche
der JEneis, wie Macrobius nachgewiesen hat, aus einem Gedichte des
Peisandros^) borgt; aber er kann die Hexameter mit ihrem Geklapper
wie von Blechtrommeln, wie von leeren Kochtöpfen nicht ertragen;
er kann die immer gleichmässig wiederkehrende Zäsur nicht leiden, er
kann es nicht ausstehen, dass jeder Vers mit der langweiligen Auf-
einanderfolge eines Daktylus und eines Spondeus schliesst.
Es stört ihn überdiess, dass dies monotone Metrum so viele
nichtssagende Flickworte zulässt, dass die homerischen Epitheta so oft
der Kraft, der Plastik, der Farbe entbehren.
War daher seine Bewunderung für Virgil mehr als geteilt, seine
Achtung vor den naiven Ausdrücken des Ovid nur sehr massig, so
war sein Widerwille gegen Horaz geradezu ohne Grenzen.
Er verglich die verzweifelten Anstrengungen dieses Dichters,
anmutig zu scheinen, mit den Bemühungen eines Elephanten, Polka zu
tanzen; er wollte das unverständige Geschwätz dieses Stümpers nicht
^) Ambrosins Theodosius Macrobius hat (etwa 450 nach Christi)
in seinen Saiurnalium conviviorvm Hört Septem (1868 von Eyssenhardt
herausgegeben) auf die Autorität des Servius, des bekannten Kommen-
tators von Virgil hin bewiesen, dass der Stoff zum zweiten Buche der
^neis einer epischen Dichtung des Peisandros entlehnt ist; dieser
Dichter stammt aus Rameiros auf Rhodus, und lebte um 648 vor
Christi oder etwas später.
Moderne französische Romanschriftsteller. 55
anhören, er sah geringschätzig auf diesen weiss angestrichenen Clown
herab.
Inbezug auf die Prosa hatte des Esseintes ebenso wenig Wohl-
gefallen an der bilderreichen Sprache, den unnötigen Metaphern und den
wirren Auseinandersetzungen des Cicero. £r war durchaus unzufrieden
mit des Mannes geschraubten Sätzen, mit dem Überfluss seiner
patriotischen Überschwenglichkeit, mit dem Bombast seiner Reden, mit
der SchwerföUigkeit seines Stils, in dem er weder Mark noch Bein fand ;
mit der unerträglich langen Reihe ebenso langer Beiwörter am An-
fang der Sätze; mit dem stets wiederkehrenden Formmotiv seiner ge-
reckten Perioden, das eine Reihe verbindender Worte nur sehr gebrech-
lich unter sich in Verbindung bringt. Der durch seine Kürze bekannte
Cäsar flösste ihm gerade um des Gegenteils willen keine grössere Be-
geisterung ein; seine Sparsamkeit im Ausdruck, seine Trockenheit ver-
letzen ihn.
Mit einem Wort, weder die genannten, noch alle übrigen Schrift-
steller, die die Wonne der sogenannten Gelehrten sind, waren nach
seinem Geschmack. Sallust, der vielleicht weniger farblos war als
die anderen, gefiel ihm nicht; ebenso wenig der sentimentale und feier-
liche Livius; der bleiche, aufgedunsene Seneca; der wässerige und
kränkliche Sueton ; auch nicht Tacitus, der in seiner Kürze kräftigste,
schärfste, energischste von allen. Auch die Dichter liessen ihn kalt;
so Juvenal trotz einzelner vortrefflicher Verse, und Persius trotz
seiner mysteriösen Anspielungen. Tibull und Properz, Quintilian
und die beiden Plinius, Statius und Martialis von Bilbilis schob er bei
Seite, und konnte sich selbst nicht mit Terenz und Plautus einverstanden
erklären, trotz des netten Jargons voll Archaismen bei dem letzteren.
Die lateinische Litteratur wurde für Des Esseintes erst bedeutend mit
Lucan.
Lucan, der gewöhnlich wegen des übertriebenen Pathos seiner
rharsalia willen nicht besonders hoch angeschrieben steht, gefiel ihm.
Der Aufputz der Lucanischen Verse und das Schillernde seiner Epitheta
füllten für ihn die Leere des Inhalts aus und liessen ihn die Gedanken-
armut des Dichters übersehen; aber den meisten Vorzug gab er doch
Petronius. Seine feine Beobachtungsgabe, seine gewissenhafte Analyse,
seine wunderbar schönen Schilderungen, ganz ohne jede Parteilichkeit,
des täglichen Lebens in Rom, liessen ihn immer wieder mit neuem
Genuss das Satyricon zur Hand nehmen.
Des Esseintes sah in diesem realistischen Roman etwas, woran
er ebensoviel fand, wie an den wenigen französischen Romanen, die
ihm zusagten. Er fand hier wie dort Schilderungen nach dem Leben
ohne jede weitere Nebenabsicht, und, wie sehr man dem auch wider-
sprechen möge, auch ohne Satire. Er fand eine Geschichte ohne Hand-
lung, die Schilderung von den Abenteuern einiger Galgenstricke, ohne
eigentlichen Schluss und ohne Moral. Er fand vollkommene Neutralität
des Schriftstellers, der niemals seine Meinung äussert, ob er nun die
Thaten oder Ansichten seiner Personen gutheisst oder tadelt, der uns
alle Verkehrtheiten einer verjährten Civilisation, eines sich auflösenden
Staates vorführt.
Er betrauerte es tief, dass Eustion und Attnitia, die beiden Werke
des Petronius, von denen Planciades Fulgentius spricht, verloren ge-
gangen sind.i) Aber er tröstete sich als Liebhaber seltener Bücher
^) Es ist vollkommen richtig, dass der afrikanische Grammatiker
Fabius Planciades Fulgentius, in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts
56 Jan ien Btink,
durch den Beltenen Druck des Satyricon aus dem Jahre 1585 von Janas
Dousa in Leyden herausgegeben, den er besitzt.*)
Ausser Petronius enthielt die Bibliothek Des Esseintes* noch ver-
schiedene Werke aus dem ^weiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung.
Fronto, dessen trockener Stil voll Archaismen ihn verletzte, und Anlas
Gellius, dessen Attische Nächte ihn langweilten, waren aus seiner Samm-
lung verbannt ; den Ehrenplatz nahm Apulejus ein ; Des Esseintes besass
eine editio princeps in Folio, gedruckt 1469 in Rom, von dessen Werken.
Dieser Afrikaner gefiel ihm. Das Latein seiner Metamorphosen
hatte für ihn etwas Neues, Anziehendes. Seine Neologismen, die für
die Umgangssprache in einem römischen Winkel Afrika's erfunden zu
sein schienen, entzückten ihn. Der joviale Apulejus bildete einen er-
götzlichen Gegensatz zu dem christlichen Apologeten desselben Jahr-
hunderts, zu dem ermüdenden Minutius Felix, zu Tertullianus u. a.,
die er alle nur wegen der schönen Drucke seiner Exemplare behielt.
Obgleich Des Esseintes sich ziemlich viel um Theologie bekümmert
hatte, Hess ihn doch der Kampf der Montanisten gegen die christliche
Kirche, und der Widerstand der letzteren gegen die Gnostiker ziemlich
kalt, so dass er Tertullianus' Apologeticus und Abhandlung über die Ge-
duld, trotz ihres höchst eigenartigen Stils, der sich durch Kürze und
Doppelsinnigkeit der Ausdrücke auszeichnet, beinahe nie zur Hand
nahm, sondern nur zuweilen ein paar Seiten aus seiner Abhandlung
De cultu feminarum las, worin TertuUian die Frauen dringend beschwört,
sich doch nicht mit edlen Steinen und kostbaren Stoffen zu überladen,
sich doch nicht mit Schminke zu bedecken, in der Absicht, dadurch
die Natur verbessern und verschönern zu wollen.
Da diese Ideen den seinen gerade entgegengesetzt, machten sie
ihm Vergnügen ; er fand auch, dass Tertullian als Bischof von Karthago
manche Absonderlichkeiten hatte. Er stellte also den Menschen über
den Schriftsteller.
Tertullianus lebte in einer sehr stürmischen Zeit, unter Caracalla,
unter Macrinus, unter dem wunderlichen Hohenpriester von Emesa,
Heliogabalus. Dabei fuhr er ruhig fort, seine Predigten auszuarbeiten,
während das römische Reich in seinen Grundvesten erzitterte und die
aus Asien Einzug haltende Sittenverderbnis mit Jubel begrüsst wurde.
Mit der grössten Gemütsruhe predigte er Keuschheit, Massigkeit, Ein-
fachheit der Kleider, während Heliogabalus auf Silberstaub und Gold-
sand wandelte, sich das Haupt mit den priesterlichen Tiaren deckte,
ein geistliches Gewand mit Edelsteinen ganz übersät trug, umgeben
von seinen Eunuchen Frauenhandarbeiten ausführte und sich Kaiserin
nennen Hess
Des Esseintes sah mit Befriedigung diesen Widerspruch ; er hatte
auch seine Freude daran, wahrzunehmen, wie das bei Petronius auf der
nach Christi, über zwei verloren gegangene Werke des Petronius ge-
sprochen hat. Aber schon Lipsius hegte, um manches Rätselhaften
der Sache willen, Zweifel. Bernhardy, in seiner bekannten Geschichte
der lateinischen Litteratur, will nichts von Petronius wissen; er hält
das Satyricon für ein Volksbuch, ohne bekannten Verfasser. Mit
Sicherheit lässt sich nicht darüber entscheiden. Man sehe den Aufsatz
von A. Wellauer in Jahn's Archiv, X. Band, 1844, S. 194--229.
^) Der thätige Leydener Dousa ist der erste niederländische
Herausgeber des Petronius; 1743 gab Petrus Burman eine sehr voll-
ständige Aussähe seiner Werke; die am meisten gebrauchte Ausgabe
unserer Zeit ist die von F. Bücheier aus dem Jahre 1862.
Moderne fratizösische Romanschriftsteller, 57
Höhe seiner Entwickelung stehende Latein sich langsam veränderte.
Die christliche Litteratur verdrängte die altrömische und brachte mit
ihrem neuen Gedankenkreis auch neue Worte, neue Wendungen, die
vorher im Lateinischen fast ganz unbekannt gewesen waren, da sie
abstrackte Begriffe auszudrücken hatten. TertuUianus war einer der
ersten, der das Beispiel dazu gab.
Dieser Übergang von dem klassischen ins christliche Latein hatte
nicht viel Erfreuliches, als nach Tertullian*s Tode seine Schüler,
St. Cyprianus, Arnobius und der weichliche Lactanz sein Werk fort-
setzten. Es war eine teilweise Auflösung der Sprache ; zuweilen traten
noch ciceronische Wendungen ohne den eigenartigen Duft des vierten
Jahrhunderts und der folgenden auf, — des Duftes, den das Christen-
tum der heidnischen Sprache gegeben hat, des Duftes, wie von edlem
Wild, das erliegt, gleich der Civilisation der alten Welt und der
beiden Kaiserreiche, die der Gewalt der andringenden barbarischen
Völker erlagen.
Nur ein einziger christlicher Dichter, Commodianus von Gaza,
repräsentiert das dritte Jahrhundert in der Bibliothek Des Esseintes'.
Das Carmen apohgeticum aus dem Jahre 259 ist eine Blumenlese von
Ermahnungen, die in Acrosticha künstlich zusammengefügt, und in
Hexametern ohne jegliche Sorge um die Quantität der Sprache und
mit reichlichen Hiaten, ja oft selbst in Reimen geschrieben sind, wie
wir unter den Dichtungen der christlichen Kirche später noch so viele
finden werden.
Aber diese wilden, ungeglätteten Verse mit den rohen Strassen-
ausdrücken flössten ihm grösseres Interesse ein, als der vermoderte
Stil eines Ammianus Marcellinus und Aurelius Victor, eines Symmachus
oder Macrobius; er zog Commedianus selbst dem Claudianus, Rutilius
und Ausonius vor, die noch regelmässige, klassische Verse schrieben.
Diese Dreizahl stand damals an der Spitze der lateinischen
Dichter; sie erfüllten das zusammenstürzende Kaiserreich mit ihren
Namen ; so der christliche Ausonius mit seinen Hymnen auf Born, seinen
Strafreden gegen die Juden und die Mönche ; seiner Beschreibung einer
Reise von Rom nach Gallien, worin er sein grosses Talent zu
Schilderung und Beschreibung an den Tag legt, und mit freier
Beobachtungsgabe der Natur ein liebevolles Auge schenkt. So schildert
er die Spiegelung der Landschaft im Wasser, den Zug der Nebel um
die Spitzen der Berge.
Claudianus, ein wiedererstandener Lucanus, beherrscht das ganze
vierte Jahrhundert mit dem Metallklang seiner Verse; seine Hexameter
sind grossartig, sie ziehen mit stolzem Pompe daher, während das
westliche Kaiserreich untergeht und die Barbaren schon vor den Thoren
stehen. Claudianus lässt zum letztenmale das klassische Altertum
wieder aufleben ; er besingt den Raub der Proserpina und wir erstaunen
über die glänzenden Farben seiner Zeichnung.
Claudianus ist der letzte grosse Dichter der altklassischen Schule ;
auf ihn folgen nur geistliche Schriftsteller: der spanische Priester Pau-
linus, Ausonius' Schüler; Juvencus, der eine Versparaphrase der Evan-
gelien gibt; St. Burdigalensis, der dem Vergil nachzustreben versucht,
und noch eine ganze Reihe von Kirchenvätern und Kirchenheiligen:
Hilarius von Poitiers, der Athanasius des Occidents; Ambrosius, der
langweilige christliche Cicero; Hieronymus, der Verfasser jeuer Bibel-
übersetzung, die zur Grundlage der Vulgata gedient hat, und endlich
im fünften Jahrhundert Augustinus, der Bischof von Hippo.
Des Esseintes kannte Augustinus, den Begründer der christlichen
58 Jan ten Brink,
Orthodoxie, aus Beinen Schuljahren her ; er las deshalb nur selten seine
Bekenntnisse und De Civitate Lei. Dagegen durchblätterte er zuweilen
die Psychomachia des Prudentius, des Schöpfers des allegorischen Genres
in der Poesie, oder die Werke des Bischofs Sidonius Appolinaris, der
den heidnischen Olymp mit geistreicher Wehmut bekämpft.
V.
Wir gaben einen möglichst getreuen Bericht von den Aussprüchen
Huysmans* über Des Esseintes' Bibliothek. Dass dieser wunderliche
Ner venleider ein gründlicher Kenner der lateinischen Litterat nr ist,
kann ohne parteilich erscheinen zu wollen, durchaus nicht geleugnet
werden. Nun tritt plötzlich Hujsmans auch als ein Mann der klassischen
Bildung auf, und zeigt eine Belesenheit in der lateinischen Litteratur
von sechs Jahrhunderten, wie wir sie nur selten bei den Vorkämpfern
der neuesten litterarischen Helden finden.
Das Kapitel über die Des Esseintes'sche Bibliothek bietet eine
so merkwürdige Probe von Gelehrtheit, wie wir sie bei dem Verfasser
von Marthe, von Croquis Parisiens, von En Menage gewiss nicht erwartet
hätten. Aber in einer Hinsicht überrascht uns Huysmans* Urteil über
die lateinische Litteratur durchaus nicht. Nach seiner Meinung müssen
alle Schriftsteller, die bis jetzt allgemein für Meister gehalten wurden,
als böse Buben aus dem Vorhof des Tempels gejagt werden.
Vergil wird als Plagiator an den Pranger gestellt, Horaz wird
ein Stümper genannt, Cicero als aufgeblasener Grosssprecher beiseite
geschoben. Huysmans — denn Huysmans und des Esseintes sind hierin
ganz identisch — findet Geschmack an Lucanus, weil dieser Dichter
durch die wunderlichste Wahl seiner Ausdrücke sein Publikum kitzelt;
vor allen liebt er Petronius und Apulejus, weil sie die einzigen Roman-
schreiber des Altertums sind, weil ihr Realismus vor nichts zurück-
schreckt.
Es geht damit, wie mit seinem Urteil über die Malerei. Was
allgemeine Anerkennung findet, weist er weit von sich ab. Was die
verflossenen Jahrhunderte unter Zustimmung aller Autoritäten für
schön hielten, nennt Huysmans hässlich. Es muss nach seiner Mei-
nung ein Ende gemacht werden mit der Herrschaft früher beweih-
räucherter Schriftsteller ; die Götter müssen von dem Altare gestürzt und
die Halbgötter darauf erhoben werden. Der unter den Malern be-
gonnene Bildersturm muss mit den lateinischen Dichtern und Prosa-
schreibern fortgesetzt werden.
Was für ein wunderliches Buch A Rehours ist, zeigt deutlich
dies geistreich geschriebene Kapitel über die Geschichte der lateinischen
Litteratur, das nur geschrieben ist, um den eigenartigen Seelenzustand
Des Esseintes' zu schildern. Mit solchen ausführlichen Einschiebseln
ist der Roman ganz und gar überladen. So kauft zum Beispiel jener
moderne Einsiedler bei Chevet im Palais -Royal eine Schildkröte, und
lässt die Schale des Tieres vergolden und mit kostbaren Steinen ver-
zieren. Bei der Auswahl dieser Steine fügt er eine ausführliche Stelle
über Edelsteine ein, die wiederum eine ungewöhnliche Kenntnis und
ein ganz besonderes Interesse an fabelhaffcer Pracht ä la Tausend und
eine Nacht oder ä la Fortunio verrät. Diese Vorliebe für orientalisch-
romantische Pracht begleitet Des Esseintes in allen Augenblicken seines
einsamen Lebens. Der Thee, den er trinkt, wird durch besondere
Moderne französische Romanschriftsieller. 59
Karawanen aus China nach Bussland gebracht, und hat die allerselt-
samsten Namen : Si-a-Fayoune, Mo-you-taun und Ehansky; diese gelben
Theesorten sind für jeden gewöhnlichen Sterblichen unerreichbar.
Ebenso geht es mit seinen Likören. Er geht dabei von der Idee
aus, jeder Likör erinnere an den Ton eines Musikinstrumentes. Des
Esseintes buvaii une goutie ici, lä, . , (ei) arrivaii ä se procurer, dans le
fosier, des sensations analogues ä ceües que la musique verse ä VoreiUe,
)er CuraQao erinnert seiner Meinung nach an die Klarinette, der
Kümmel an die Hoboe, der Anisette an die Flöte, Eirschbranntwein
an die Trompete, Whisky an die Trombone, Cognac an die Tuba, Rum
an die Altviole, reiner und alter Bitterer an — den Kontrabass. . . .
Solche beinahe kindische Wunderlichkeiten sind durch das ganze
Buch verbreitet; besonders bemerkenswert unter denselben ist eine
Abhandlung über den Geruch und allerlei Riech werk. Die Einsamkeit
und seine wunderliche Lebensweise hat ihn überreizt, dies ruffc allerlei
Halluzinationen der Sinneswerkzeuge hervor. Zuerst tritt die Hallu-
zination des Geruchs auf. Der Geruch einer gewissen Mischung wohl-
riechender Spezereien quält ihn ; nun sucht er durch andere Riechwasser
diesen Duft zu vertreiben, da er in der science du ßair sehr bewandert
war; da er die Produkte aller berühmten Odeurfabrikanten eifrig
untersucht hatte, konnte er selbst eine Geschichte der Parfümerien
zusammenstellen. Er besass eine Sammlung aller möglichen und
unmöglichen Odeurs, selbst /^ veriiable haume de la Mecque aus Arabia
petrsea, dessen Monopol der Sultan hat.
Die schönsten Seiten in A Rehours sind der Beschreibung der
Kunstwerke gewidmet, mit denen sich Des Esseintes zum Schmuck
seiner Einsamkeit umgeben hat. Dies verschaffte dem Verfasser die
Gelegenheit, ein vorzügliches Kapitel über den Maler Gustave Moreau
zu schreiben. Seine Beschreibung von Moreau's Saiome ist ein sti-
listisches Meisterwerk. Das Gemälde tritt durch jedes Wort deutlicher,
greifbarer, lichter hervor. Man höre:
Der Yierfurst Herodes sitzt auf hohem Throne, der den ehr-
furchtgebietenden Formen des Hauptaltars einer Kathedralkirche gleicht;
an den Seiten stützen ihn Pfeiler, ihn ziert bunter Schmuck von
Lapis lazuli und rotem Sardonix. Ober seinem Haupte schwebt eine
Priesterkrone, die Hände legt er breit ausgestreckt auf die Kniee. Sein
Antlitz ist gelb, pergamentfarbig, runzlig; sein weisser Bart schwebt
wie eine weisse Wolke über den kostbaren Steinen seines Gewandes
von Goldbrokat. Wie um die bewegungslosen Götter der Hindus, wird
um ihn Rauchwerk verbrannt, von dem feine blaue Wolken emporsteigen.
Saiome erscheint, und ihr Bild ist von so glänzender Farbe,
dass wir hier Huysmans selbst das Wort geben müssen.
„Elle commence la danse qui doit re'veiller les sens assoupis du
vieil Herode; ses seins onduleni et, au froitement de ses coüiers qui tour-
billonnent, leurs houis se dressent; sur la moiteur de sa peau les dia-
manis attache's sciniiUent; ses braceleis, ses ceintures^ ses bagues, cracheni
des itincelles; sur sa rohe iriomphale, couturSe de perles, ramage'e d'ar-
geni, lame'e d'or, la cuirasse des orßvreries dont chaqtte maille est une
pierre, entre en conUmstion, croise des serpenieaux de feu, grouüle sur
la chair mate^ sur la peau rose the, ainsi que des insectes splendides aux
elyires e'blouissanis, marbräs de carmin, ponciues de jaune aurore, diapre's
de bleu d^acier, tigres de verl paon.**
Man muss gestehen, dass diese seltene Farbenpracht mit glän-
zendem Stift gemalt ist. Huysmans steht hier als Stilist unmittelbar
neben FlaubeiH;, de Goncourt und Zola, während einzelne Züge auch
60 Jan ten Brmk,
an Th^ophile Gautier erinnern. Noch höher steigt sein stilistischer
Schwung, wenn er ein Aquarell Gustave Moreau's beschreibt ; gleichsam
eine Fortsetzung des Gemäldes.
Wieder wird uns der Palast des Uerodes vorgeführt, diesmal
aber als maurische Alhambra, von goldenen und silbernen Säulen ge-
tragen, deren Fussboden schimmernde Perlmutter ist. Das abge-
schlagene Haupt des Täufers ruht auf einer Schüssel. Salome sieht
es sich erheben in lichtem Glänze, den ihre Edelsteine leuchtend wider-
spiegeln. Wieder lassen wir die Schilderung von Salome's Bild mit
den Worten des Prosadichters folgen:
„Eäe estpresque nue; dans Vardeur de la danse, les volles se sont
defaits, les brocarts oni crotäe; eile rCesi plus vetue qiie de matieres or-
fevries et de mmäraux lucides; un gorgerin lui serre de mime qu'un
corselet la iaille, et, ainsi qti*une agrafe superhe, un merveiUetiX joyau
dar de des dckdrs dans la rainure de sesdeux seins; plus has, aux hanches,
une ceiniure Ventoure, cache le haut de ses cuisses que hat une gigantes-
que pendeloque oü coule une riviere d'escarbouiles et d'äm&audes ; enfin,
sur le Corps reste' nu entre le gorgeinn et la ceinture, le venire bombe,
creuse d*un nombril dont le trou semble un cachet grave d'onyx, aux
tons laiteux, aux teintes de rose Wongle,^
VI.
Huysmans hat in A Rebours sein Meisterstück geliefert. Sein
Werk bietet eine eigenartige Erscheinung. Huysmans, der zu der
kleinen Schar der jüngeren Naturalisten zu gehören schien, lehnt sich
mit diesem Werke gegen die Schule auf, zu der er gehört. Für seine
Soeurs Vatard hatte er all die dunklen Farben und die unangenehme
Atmosphäre des armen Fabrikpersonals von Paris mit erstaunlichem
Fleisse studiert, in A Rebours macht er sich mit dem in Düften und
Likören und Kunstwerken schwelgenden Des Esseintes vertraut.
Die Erklärung für diesen eigentümlichen Entwickelungsgang ist
leichter, als es scheinen möchte. Huysmans zeigt in allem, was er vor
A Rebours geschrieben hat, eine eigenartige Gemütsstimmung. Seine
Wültbetrachtung führt ihn zur Entzauberung.
4)er Roman En Menage ist vom Anfang bis zum Ende nur fort-
laufende Entnüchterung. Er sagt von sich selbst, er sei ecceure par
Pignominieuse mufflerie du present siede, Unzufriedenheit und Gering-
schätzung für die Kreise, für die Gesellschaft, in der er lebt, sprechen
aus jedem Worte. In A Rebours will Des Esseintes einen zufällig am
Wege aufgelesenen sechszehnjährigen Knaben sittlich zugrunde richten.
Er gibt ihm reichlich Geld und treibt ihn zur Ausschweifung an, will
ihn absichtlich ins Verderben stosseu. Und er tröstet sich mit den
Worten : faurai conttibue' dans la mesure de mes ressources, ä cräer un
gredin, un ennemi de plus pour cetie hideuse socie'te qui nous rangonne.
Es klingt aus diesen Worten ein bis zum Hass herangewachsener
tiefer Missmut. Die Welt entspricht nicht den Erwartungen des jungen
Künstlers. Talente zweiten Ranges, Octave Feuillet, Andrä Theuriet,
Georges Ohnet u. a. werden vom Publikum auf den Händen getragen.
Von Ohnet's Maitre de Forge sind 234 Auflagen erschienen, seine Com-
tesse Sarah erlebte 152. Selbst Zola konnte mit fAssommoir und Nana
nicht eine solche Popularität erringen. Huysmans hat im kleinen
Moderne französische Romanschriftsteller, 61
Finger mehr Talent, als Ohnet in der ganzen Hand, aber HuysmanB
bleiot unbekannt, wird wenigstens nicht gelesen.
Darin liegt der Grund zu Unruhe und Entrüstung. Wie seine
Helden Andr^, Cyprien und Des Esseintes sieht auch er voll Ekel herab
^ auf alle geistigen und materiellen Genüsse, die ihm das Leben bieten
kann. Alles Bestehende ist wert, dass es zugrunde geht. Die Litteratur
der Gegenwart und Vergangenheit, die Malerei ebenfalls, bieten nur
sehr ausnahmsweise ein wirkliches Kunstwerk dar. Diese Meinung
' kann durch eine Menge Stellen in Huysmans Werken bewiesen werden.
In diesen Zustand der Verbitterung tritt bei Huysmans' noch die
eigentümliche Erscheinung auf, dass er sich trotz seines wundervollen
- französischen Stils nicht als Franzose fühlt, sich *nur schwer in fran-
zösische Zustände schickt. Seine Antwort auf die an ihm gerichtete
Frage, ob er ein guter Patriot sei, lautete:
r^Tout ce que je puis votts dire, c^est ceci: je hais par dessiis tout
'* les gens exuberants. ör ious les Meridionaux auetUent, ont un accent
f qui m'horripüe, et par-dessus le marchä, ils fönt des g est es, Non,
entre les gens qui ont de Vasiracan houcle sur le cräne . . . et de grands
flegniatiques et silencieux AÜemands, mon choix n^est pas doutetuc. Je
me sentirai toujours plus d'affinite's pour im homme de Leipzig que pour
un homme de Marseille, Tout, du reste, tout, excepie le Mtdi de la
France, car je ne connais pas de race qui me soit plus particuäerement
odieuse.^^)
In dieser Antwort steckt etwas HollUndisches.
Huysmans kann die lautsprechenden Franzosen mit ihren leb-
haften Gebärden nicht ausstehen; er hat auch holländische Landsleute,
die mit ihm gleicher Meinung sind. Fassen wir alle seine Meinungen
über Land, Kunst, Litteratur etc. zusammen, so sehen wir, dass er in
beständiger Feindschaft mit den herrschenden Zustanden lebt, und das
macht seine philosophische Weltanschauung natürlich pessimistisch.
Und gerade in diesem Punkte liegt der grosse Unterschied zwischen
!, Huysmans und Zola. Zola hat als Schriftsteller einen ernsten Krieg
gegen einige der herrschenden, litterarischen Anschauungen geführt,
aber er hat doch Ehrfurcht vor dem neunzehnten Jahrhundert und
seine mächtigen Errungenschaften auf wissenschaftlichem Gebiet. Seine
Rougon- Macquart werden mit ihren zwanzig Teilen ein Gedenkbuch der
r bürgerlichen Gesellschaft in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahr-
fi hunderts sein.
Es fallt sogleich auf, dass sich Huysmans in A Rebours von
den eigentlichen Naturalisten loslöst, da er in der Geschichte Des Es-
ii seintes wieder eine jener histoires ä dormir debout geschrieben hat, vor
denen ihr Meister sie so oft gewarnt hatte. Durch den wunderbaren
r Zirkellauf des litterariscben Lebens kehrt er zur Wertherstimmung
und zu der verzweifelten Weltanschauung des R6n6 zurück.
Es ist natürlich, dass jemand, der von der ignominieuse mufflerie
du pre'sent siede und von der hideuse societe qui nous ran^onne spricht,
keinen Gefallen an dem gründlichen Studium dieser selben Gesellschaft
) finden kann. Er schleudert die Feder weg, mit der er seine Croquis
, Pafisiens geschrieben hat und entwirft A Rebours. Er geht jetzt einen
ganz anderen Weg. Er stellt sich an die Seite derer, die sich jetzt
gegen ihre Zeit aufgelehnt haben, wie Charles Baudelaire, dessen
1) Meunier , Les hommes d'aujourd^hui. /. - K, Huysmans, Vol. 6,
No. 263,
62 Jan ten Brink,
Fkurs du mal (1857) trotz des genialen Flages des Verfassers, ein ent-
ehrendes Urteil traf. Und da Baudelaire die Contes extraordinaires
und die (Jonies grotesques des berühmten Amerikaners Edgar Allan
Poe übersetzt hat, wurden Baudelaire und Poe seine litterarischen
Hausgötter, neben die mit der Zeit noch andere ältere oder jüngere
gestellt wurden: Louise Ackermann, Barbey d'Aurävilly, Paul Verlaine,
Ernest Hello und Villiers de dlsle-Adam.
Der Verfasser von A Rehours lebt in der Stimmung, wie sie die
Vorläufer der Romantik empfanden; er steht nicht weit entfernt von
Henri Beyle, wenn es sich um die dauerndsarkastische Stimmung seiner
Seele handelt, und nähert sich der Romantik Th^ophile Gautier's und
G^rard de Nervales,' was seine Vorliebe für fremdländische Pracht und
raffinierten Luxus betrifft. In der Bewunderung für das überirdisch-
geheimnisvoll Spukhafte, wie es der Maler Odilen Redon und der
Dichter Edgar Allan Poe zum Ausdruck bringt, steht er auf einem
Niveau mit der französischen Romantik von 1830. Ein Deutscher,
der gerade damals in Paris ein gewisses Aufsehen erregte, war unver-
schämt genug, Hoffinann zu bestehlen und unter seinem noch ganz
unbekannten Namen, Loewe-Veimars, Le Violon de Cremone heraus-
zugeben. Als dieser litterarische Betrug herauskam, zeigte Loewe-
Veimars durchaus keine Verlegenheit, sondern gab bald darauf seine
Contes d^ Hoffmann heraus, die dieselbe Bedeutung für G^rard de Nerval
und Thöophile Gautier haben, wie Edgar Allan Poe für Baudelaire und
Huysmans.^)
Es herrscht in diesem Punkte zwischen Huysmans und den
eifrigsten Vorkämpfern der jungen Romantik von 1880 — 1850 eine auf-
fällige Übereinstimmung. Die Jugend von 1830 freilich war voll Lebens-
lust und Hoffnung. Die Jugend von 1880 dagegen scheint durch Un-
lust und Langeweile von einem Extrem ins andere getrieben worden
zu sein. Die politischen Zustände von 1815 — 1830, die damit verbundenen
gesellschaftlichen Leiden, enttäuschten manchen jungen Schwärmer, da
man doch von der neuen Ordnung der Dinge nach der grossen Revo-
lution die herrlichsten Folgen erwartet hatte.
Schon das Kaiserreich zeigt ein solches Beispiel von Enttäuschung
in fitienne Pivert de Sönancour; geboren zu Paris 1770, von allen Leiden
einer schwächlichen Jugend verfolgt, nach der Schweiz ausgewandert,
schrieb er nach anderen Vorläufern seines Talentes sein Hauptwerk,
den psychologischen Roman Obermann (1804), in welchem er ein ähn-
liches Einsiedlerleben beschreibt, wie Huysmans in A Rehours. Diese
äusserliche Übereinstimmung ist bemerkenswert. De Sänancour gehört
dem achtzehnten Jahrhundert an und steht unter den verzweifelten
Franzosen seiner Zeit obenan, die als Emigrierte den Lauf der Be-
gebenheiten in der Fremde mit heftigster Entrüstung abwartend ver-
folgen. Man hat ihn mit recht den Schöpfer des französischen
Werther genannt. Aber in einem Punkte weicht Obermann ent-
schieden von Werther ab ; das Buch de Sänancour's erzählt keine Liebes-
geschichte, dagegen gibt es wie Werthei* gefährliche Anleitung zum
Selbstmord. Wie A Rehours für Überreizte und Übersättigte, so war
^) Über Lcewe-Veimars gibt Maxime du Camp in seinen Souve-
nirs litt&aires (1882), Tome I, p. 397 — 401, wichtige Mitteilungen. Es
thut mir leid, Herrn Ary Prins (Nieuwe Gids I, 220, 1886) widersprechen
zu müssen, wenn er sagt, Huysmans stehe ganz und gar nicht unter
dem Einflüsse der Romantik.
Moderne französische Romanschriftsteller, 63
Obermann für Unglückliche geschrieben.^) Der Held Obermann führt
ein Eremitenleben wie Des Esseintes, die Phasen seines Seins sind aber
von den Lebenszuständen der Goethe'schen Gestalt gänzlich verschieden.
Obermann scheut sich davor, einen festen Wirkun^^skreis anzunehmen,
weil er dadurch seine Freiheit verliert ; des Esseintes hat zuviel ge-
nossen von den Freuden dieser Welt, als dass für ihn noch etwas
anderes bliebe, als die ausgesuchteste Pracht für ihn allein in der
Einsamkeit. Die Einsamkeit Obermann's ist weniger kompliziert als die
Des Esseintes"; er schweift hoch in den Spitzen der Alpenriesen herum,
dort begegnet ihm kein anderes lebendes Wesen, als der furchtbare
Geier der Berge, der mit unheimlichem Schrei in die Tiefe taucht.
Denkt man an die Persönlichkeit beider Schriftsteller, so wird der
Unterschied zwischen beiden noch augen^lliger. De S^nancour war
aus politischen und persönlichen Gründen — sein Vater hatte ihn in
ein Seminar stecken wollen — nach der Schweiz geflüchtet; dort ver-
heiratete sich der gebrechliche Jüngling, verlor aber früh seine Frau.
Sein Lebenlanff bewahrte er Jean -Jacques Rousseau warme Bewun-
derung. Er selbst war ein tief melancholisches, unglückliches Wesen.
Die romantische Zeit schwärmte für seinen Obermann, dessen feine,
psychologische Züge man verstand und würdigte. Bei seinem Er-
scheinen, 1804, hatte das Buch kein besonderes Aufsehen gemacht,
nach 1880 ist es für die ausgewählten Geister der Romantik ein Lieb-
lingsbuch geworden.
Uuysmans wird seinen Des Esseintes schwerer verteidigen können,
als S^nancour seinen Obermann. Die Misanthropie in A Rebom*s ist
nur durch den tiefen Missmut zu erklären, der, wie in den Werken
Baudelaire's, in einem chronischen Nervenleiden wurzelt.
Kein litterarischer Pessimismus, kein Verlassen seiner Meister
Flaubert, de Goncourt, Zola führt ihn zu seiner neuesten Vorliebe für
Baudelaire und Edgar Allan Poe. Vielleicht ist es ihm ein Dorn im
Auge, dass die jungen Naturalisten nur gar zu schnell mit ihren
eigenen Arbeiten zufrieden sind und ihren Vorbildern ohne Selbst-
prüfang nachfolgen. Da er einen Widerwillen vor allem hat, was
nicht sorgfältig und gründlich durchgearbeitet ist; da er zu seiner
Entrüstung vielen modernen Schriftstellern ohne Farbe und Charakter
eine grosse Popularität zuteil werden sieht, strebt er nach etwas ganz
Eigenartig -Besonderem und kommt zur Bewunderung des Fremden,
des Ungeheuerlichen, wenn dieses nur von dem allgemein Anerkannten
und Gepriesenen abweicht.
In dieser Gemütsstimmung kehrt er sich selbst unbewusst zu
der pessimistischen Richtung zurück, und stellt neben Werther, Rena
und Obermann seinen Des Esseintes als nächsten Geistesverwandten.
Er teilt mit den beiden krankhaft angelegten Naturen, G^rard de
Nerval und Charles Baudelaire, deren Melancholie zuweilen an Wahn-
sinn grenzt, die Sucht nach dem Ungewöhnlichen, den Hass für das
alltägliche. Gärard de Nerval schwärmte für Hoffmann, der, wie schon
gesagt, in Frankreich durch Loewe-Veimars' Übersetzung bekannt ge-
worden war; Charles Baudelaire's Held war der Amerikaner Edgar
Allan Poe, den er selbst ins Französische übersetzte.
Es ist ein tief beklagenswerter Umstand, dass diese vier grossen
^) Mau vergleiche Georg Brandes, Die Litteratur des XIX. Jahr-
hunderts in ihren Hauptströmungen, I. Band, Emigrantenlitteratur,
S. 59—75.
64 Jan ien Brink, Moderne französische Romanschriftsteller,
Künstlernaturen, de Nerval, Baudelaire, Hoffmann und Poe verhältnis-
mäseig so früh ihrem Wirken entrissen worden; ausser Hoffmann
gingen sie alle in der Umnachtung des Wahnsinns aus der Welt. Das
Dämonische ist allen eigenstes Element. In ihrem Leben ist ein Zug,
der an wandernde Zigeuner mahnt. G^rard de Nerval verschleuderte
ein kleines Vermögen in Blumen seltener Art, die er alle Abende einer
Künstlerin, Jenny Colon, darbrachte, in Opernguckern und Stöcken,
wie wunderlich dies erscheinen möge. Mit diesen Stöcken brachte er
ihr klopfend allabendlich seine Huldigung dar. Baudelaire lebte in
beständiger Feindschaft mit seinem Stiefvater, dem Oberst Aupick,
den er einst bei einem Diner zu erwürgen gestrebt hatte, so dass ihn
dieser nach Mauritius sandte. Dort lernte er Englisch. Als er später
die Erbschaft seiner Mutter durchgebracht hatte, ruinierte er seine
Gesundheit durch steten Opiumgenuss. HoömanUf der anl^nglich in
Posen und in Warschau ein ungeregeltes Leben führte, wurde später
Kapellmeister eines kleinen Orchesters, und verlor nun vollends alles
Mass in seinem Leben. Er schrieb um zu trinken, und trank
um zu schreiben, sagt Eichendorff. Edgar Allan Poe, der Sohn
•armer unglücklicher Schauspieler, die bei ihrem frühen Tode ihn im
tiefen Elend zurückliessen, wurde durch die Grossmut eines reichen
Kaufmanns, John Allan, aus dem Staube emporgehoben und erzogen,
aber auch durch masslose Zärtlichkeit verdorben. Seine Unmässigkeit
und seine Spielsucht verschlossen ihm alle amerikanischen Universi-
täten, kein Mittel, ihn zu bessern, half; so verlor er endlich die Gunst
seines Wohlthäters und zweiten Vaters und war genötigt, seinen Unter-
halt mit litterarischer Arbeit zu -verdienen. Er führte, was die Eng-
länder a hand-to-mouth life nennen, bis er schliesslich in einem Hospital
zu Baltimore im Wahnsinn starb.
Viele grosse Künstler sind früh gestorben; aber in dem Leben
dieser vier liegt eine ganz besondere Tragik. Grosses Talent, ausser-
gewöhnliche Begabung, vortreffliche geistige Schöpfungen, verlorene
Illusionen, und zum Schluss der Tod in der Blüte des Lebens — das
war ihr Los. Das Krankhafte und Singulare ihrer Persönlichkeit in
Verbindung mit der Flamme des Genies, die ihre Seele entzündete,
erzeugte jenes eigentümliche Aroma, das Des Esseintes so gerne ein-
atmete. Huysmans ist ruhiger als seine gegenwärtigen Vorbilder,
Baudelaire und Poe. Das holländische Blut in ihm spricht oft noch
recht vernehmlich, wenn auch die Pariser Erziehung, die er genossen,
eine gewisse Unruhe und Verzagtheit hineingebracht hat, die ihn ver-
hindert, mit echt holländischer Ruhe zu handeln und zu denken.
Er hat mit A Rebours seine künstlerische Charakteristik am
klarsten dargelegt. Da wir noch viel von seiner Feder .zu erwarten
haben, steht uns noch kein Endurteil über ihn zu. En Rade, sein in
der Revue independante erschienener Roman, ist bereits A Rebours
gefolgt.
(Antorisierte Übersetzung Ton ^ ^
Lina Schneider-Köln.) JAN TEN DRINK.
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich.
§ 1. Tasso und Guarini.
Wir haben eine Geschichte der französischen Pastorale,^)
ein Werk; das, wenngleich nicht ganz zaiänglich,^) doch von
dem liebevollsten Eingehen auf ein Gebiet der Litteraturge schichte
zengt, bei dem sich andere Gelehrte nur so lange aufhielten,
als es unbedingt notwendig war. Es ist auch ein eigenes Ding
um jene Salonschäfer, wie sie Tasso, Guarini und Bonarelli in
die Welt geschickt, als beglaubigte Sendboten jener ächten
arkadischen Schäferliebe, für welche das dahingeschwundene
Zeitalter der ungesuchten und ungezügelten Leidenschaft das
goldene bedeutete. Warum aber sollten wir nicht untersuchen,
ob in der „Verrücktheit" der Schäferpoesie nicht auch etwas
„Methode" war? Die Hirtenflöte hat von jeher eine besondere
Anziehungskraft ausgeübt, auch auf die Leute von der Stadt —
aber jeder belebte bei ihrem Klange das Thal mit den Bildern
seiner eigenen Phantasie. Warum wirft man gerade der Pastorale
am meisten Mangel an Lokalfarbe vor? War es im 16. und
17. Jahrhundert mit der Tragödie in dieser Beziehung besser
bestellt? War das nur ein Fehler der Pastoraldichtung oder
der ganzen poetischen Produktion jener Zeit? Nur auf diesem
Wege konnte Weinberg zu dem Schlussergebnis seines Buches
kommen, die Pastorale sei eine „notwendige Verirrung" gewesen.
Hätte das Weinberg von den italienischen Pastoralen auch be-
haupten mögen, von Aminta und dem Pastor fidof Und doch
sucht Weinberg nachzuweisen, wie besonders diese Dichter die
französische Litteratur an den Schäferstab gebracht hatten.
*) Weinberg, Das französische SchäferspieL Frankfurt a. M., 1884.
2) Vgl. LittU. f. germ, w. rom, Phil, 1885, Sp. 248.
Zsclir. 1 frz. Spr. u. Litt. XIi. 5
66 E. Dannheisser,
Zuerst, von unbedeutenderen Vorgängern zu schweigen, er-
zählte Tasso sein Hirtenmärchen, eine Idylle in Dialogform. Die
spröde Jägerin Sylvia, der liebeskranke Schäfer Aminta, der
wollüstige Satyr, die altkluge Dafne mit ihrem Geistesverwandten
Tirsi — das sind die Charaktere, an denen die Pastorale ihre
Kräfte prüfte. Der Überfall des Satyrs und der Selbstmord-
versuch Aminta's, die einzigen dramatischen Vorgänge, werden
nur erzählt, wie die Entstehung von Aminta's Leidenschaft
auch erst einer langen, aber reizvollen Erzählung bedarf. Da-
zwischen sorgt an geeigneten Stellen der Chor für lyrische Er-
bauung.
Die Entstehung des Pastor fido ist weltbekannt. Guarini
hatte mehr dramatisches Verständnis als Tasso. Dass er sich
auch theoretisch mit der Pastorale beschäftigt hatte, beweist der
VerratOf^) worin er die Entstehung der Pastorale aus der antiken
Ekloge bespricht. Das Werk Tasso's reizte ihn zur Nach-
ahmung, zur Negation, zur Erweiterung, Vertiefung und Ver-
menscblichung der darin enthaltenen Motive. Im Gegensatze zu
TaBso begrenzte er die Handlung durch Zeit und Ort, indem er
ihr das antike Arkadien zum Schauplatze gab. Der Konflikt
bekommt einen religiös -politischen Ausgangspunkt; denn die
Heirat der Amaryllis mit Silvio, den sie nicht liebt, wird ve^n
dem StaatBwohl gebieterisch gefordert. Schade nur, daas dieser
echt tragische Konflikt nur auf der Oberfläche bleibt und bei
Amaryllis nicht zum Seelenkonflikte werden kann. Ein hoher
sittlicher Ernst geht durch das ganze Stück im Gegensatze zu
der Moral Tasso's. Daher die vielen Sentenzen bei Guarini.
AI» dramatische Motive und Charaktere sind von Guarini dem
Äminta entlehnt worden: die spröde Geliebte, der liebes-
bedttrftige Schäfer, der weltkluge Vertraute, die Entstehungs*
geachichte der Liebe, der erste Kuss und die sehlieasliche Ver-
einigung der Liebeapaare. Und doch ist auch hier die dramatische
Auffassung grundverschieden. Sylvia ist spröde aus Tempera^
ment, denn ihrer ehelichen Verbindung mit Aminta steht nichts
im Wege. Die Sprödigkeit der Amaryllis indes&en hat in der
klagen Berechnung ihren Grund. Sie weiss, dass sie niobt
Myrtiirs Weib werden kann, zu seiner Geliebten aber wiU sie
sich nicht bekennen. Unkeuschheit und Untreue worden in
Arkadien mit Tod bestraft, und die Schäferinnen wussten, dats
das Geständnis ihrer Liebe notwendig dazu führen musste.
Woher sonst das Lob des goldenen Zeitalters, wo der Begriff
onore noch nicht bekannt war? Allerdings hatte Amaryllis viel
1) // Ferrato, S. 285.
Zur Geschickie des Schäferspiels in Frankreich. 67
weniger zu befttrchten als Sylvia; denn Myrtili ist nicht so sinn-
lieh wie Silvio, dessen grösster Kammer es ist, dass Sylvia ihm
das nicht freiwillig aus Dankbarkeit gewährt hatte, was sich ohne
ihn der Satyr ertrotzt hätte. Bei Tasso läuft die ganze Handlang
darauf hinaus, Sylvia zum Geständnis ihrer Liebe zu bringen. Als
einziges Mittel dazu dient das Mitleid. Bei Guärini kommt es
noch darauf an, die Möglichkeit einer ehelichen Verbindung
herbeizufahren. Schon aus diesem Grande musste von Guarini
ein grösserer dramatischer Apparat in Bewegung gesetzt werden*
Es galt, eine Intrigue zu schaffen, neue Personen einzuführen.
Hier musste sich das dramatische Naturgesetz geltend machen,
die einzelnen Charaktere dureh ihre Gegensätze grell zu be-
leuchten. Der liebesbedtlrftige Myrtili hat sein Widerspiel in
dem brutalen Silvio, die spröde Amaryllis tritt in Gegensatz zu
der feurigen, aufdringlichen Dorinda; Gorisca, deren Herz ein
perpetuum mobile zu sein scheint, lenkt die naiven Naturen der
Schäfer und Schäferinnen wie Marionnetten. Fühlte Guarini die
Überfeinerung in den von Tasso seinen Personen geg^beüen
Empfindungen heraus, so schuf er seinerseits die beiden Natur-
kinder Dorinda und Silvio, welche für die Entwickelung der
Haupthandlang nicht notwendig sind. Eine Liebesver Wickelung,
wie sie in der VI. Idylle des Moschus angedeutet und mehrfach
von andern Pastoraldichtem nachgeahmt worden ist, findet sieh
bei Guarini nicht. Eine Anlehnung Guarini's an das Altertum
braucht also für die Gestaltung der obigen zwei Charaktere nicht
angenommen zu werden. Anders verhält es sich mit der Lösung
des Knotens. Das im Altertum so beliebte Wiedererkennen
(ital. Ricognizione) ist auch von Guarini benützt worden, obwohl
er ausdrücklich darauf hinweist,^) dass nach Aristoteles das
Wiedererkennen im Drama nicht unbedingt notwendig sei. Diese
Behauptung ist insofern interessant, als man sieht, welche Be-
deutung man dem Wiedererkennen doch noch beilegte. Woher
es eigentlich in die Pastorale kam, hat schon Sorel eingesehen,
und diese vermeintliche Unsitte fatid denn auch von seiner Seite
die gebührende Abfertigung*^)
1) 11 Verrato, S. 187.
^ Cesie kisioire merite hien d^estre accompagnee de Celle des
amours de Daphnis ei Cloe. Lautheur fait ces ietines gens si sois ei si
advisez ioui ensemhle gv'il n*y a rien de vray semblaöle mais ee q%d me
mei en colere principalemeni, c'esi gue ie eroy qite ce Uwe a donne suiet
ä plttsieurs d*en vatUotr aussi faire aauires de bergeries et ie vöus asseure
gü'ils Font si hien imiitf qn*ils foni ious qne leurs hergers ne connoissoieni
ny leur pere ny leur mere ainsi que Daphnis ei Che el qu*eslans peiiis
enfans, ils avoieni esie emporiez avec leur berceau par quelqud des^
5*
68 E, Dannheisser,
Dadurch, dass Guarini seine Personen mit ihren Eltern,
Freunden etc. in Verbindung brachte, gab er der Pastorale neue,
mehr äussere Eonfliktsmomente, stellte er sie auf einen realeren
Untergrund, gestaltete er sie mit einem Worte ungleich dra-
matischer als Tasso. Der Chor, welcher bei Tasso im allge-
meinen die nämliche Rolle wie im antiken Drama spielt, wird
von Guarini an den Schluss der einzelnen Akte yerwiesen und
dient eigentlich nur noch dazu, einen Stimmungsbericht zu geben.
Eingeführt wurde auch von Guarini nach dem Vorgange des
Poliziano das Echo und das Motiv der Eifersucht. Nehmen wir
dazu die Sprache Guarini's, die noch nicht bis zur Sättigung mit
Pointen durchsetzt ist, so wird uns der beispiellose Erfolg des
Pastor fido begreiflich. Guarini's Werk musste mehr zur Nach-
ahmung reizen als das Tasso's. Auch die in jeder Beziehung
rätselhafte Fiüi di Sciro von Guidobaldo Bonarelli vermochte
nicht gegen den Pastor fido aufzukommen. Dieser blieb haupt-
sächlich der Typus des Pastoraldramas. Diese Erkenntnis ist
für die Geschichte der Schäferspiele in gewissem Sinne ver-
hängnisvoll geworden. Noch Weinberg scheint, wenigstens ihrem
Inhalte nach, die italienische und die französische Pastorale in
einen Topf zu werfen und stellt so (S. 29) das Schema eines
regelrechten Schäferspiels auf, das mit gleichem Rechte in einer
italienischen Litteraturgeschichte stehen könnte. Er setzt gleich-
sam das Programm des Schäferspiels a priori fest, ohne im Ver-
lauf seines Buches darnach zu fragen, wie es durchgeführt wurde.
Dass dabei jede innere, durch individuelle und nationale Eigen-
tümlichkeit bedingte selbständige Entwickelung des französischen
Schäferspiels ausgeschlossen ist, versteht sich von selbst. Es
ist das eine fühlbare Lücke in dem sonst reichhaltigen Buche.
Einige Andeutungen werden genügen, um diese Thatsache fest-
zustellen.
§ 2. Hardy.
Es ist nicht zu verwundern, wenn schon im 16. Jahrhundert
die italienische Pastorale wie jede italienische Litteraturgattung
sich der Beachtung und Nachahmung der Franzosen aufdrängte.
Ein Spiel des Zufalls ist es sicher auch nicht, dass gerade die-
jenigen dramatischen Dichter, welche an der Schwelle und im
hordement de riviere ieüement qu'Hs avoieni este trotwez par quelque
komme gut les avoit faict eslever, Regardez si Bapiiste Guarini dans
sofi Berger fideüe rCest pas si soi guM use de la mesme inveniion ei si
une infinite dautres ne, le sont pas encore comme si cela estoit de Pessence
de la Bergetie d'avoir este perdu en enfance, (Sorel, Berger extravagant,
Rouen, 1646, t. II, Livre XVIII, S. 80.)
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 69
Anfange des 17. Jahrhunderts als die allerdings schon bedenklich
wankenden Säulen des Gamier'schen Klassizismus betrachtet
wurden — ich meine Montreux und Montchrestien — , sich des
Schäferspiels bemächtigten. Es muss mindestens zu Montchrestien's
Zeiten das Schäferspiel bei der kleinen Gemeinde der litterarisch
Gebildeten schon in grossem Ansehen gestanden sein; denn für
die breite Masse des Volkes schrieben diese Dichter ja nicht.
Was Montchrestien betrifft, so scheint er das Schäferspiel für
eine Abart der Komödie gehalten zu haben , sonst hätte er das
seinige wahrscheinlich nicht in Prosa geschrieben. Montreux
führt uns ein Märchen im Gewände eines Schäferspiels vor. Die
Zauberei steht im Vordergrunde, sonst trägt das Stück (AthlUe)
schon den ausgeprägten Typus der italienischen Pastorale trotz
der gegenteiligen Behauptung Weinberges (S. 18). Die Zauberei
ist den bedeutendsten italienischen Pastoralen fremd. Nur
im Aminta wird einmal vorübergehend erwähnt, der verliebte
Schäfer habe sich an den weisen Mopso wenden wollen. Hier
haben wir gleich einen grossen Unterschied zwischen der
italienischen und französischen Pastorale, schon auf der ersten
Stufe ihrer Entwickelung. Die Anregung zur Verwendung der
Zauberei mag vom Amadisroman oder vom klassischen Alter-
tum ausgegangen sein — sicher ist, dass künftig die meisten
französischen Schäferspieldichter sich ihrer bedienen, selbst die,
welche sich, wie Montchrestien, eng an die Italiener anschliessen.
Schon bei Montchrestien wird die italienische Intrigantin durch
den Intriganten ersetzt, und die besten französischen Pastoral-
dichter haben hier Montchrestien • nachgeahmt — eine zweite
Abweichung vom Tjrpus der italienischen Pastorale. Die durch
den Pastoralroman geförderte Tendenz, die weiblichen Charaktere
zu idealisieren, hat hier vielleicht bestimmend mitgewirkt. Über
die Aufführung von Montreax's und Montchrestien's Pastorale ist
nichts bekannt.
Hardy hat auf das Schäferspiel den nämlichen Einfluss
ausgeübt wie auf alle dramatischen Dichtungsarten — er machte
sie auf seinem Theater der grösseren Masse eines ziemlich un-
kritischen Publikums zugänglich. Er zog alles in den Bereich
seiner dramatischen Thätigkeit — warum hätte er der Pastorale
fernbleiben sollen? Sicherlich legte er Wert auf seine Schäfer-
spiele, sonst hätte er sie nicht durch den Druck veröffentlicht.
Ob nun auch die vornehme Welt Hardy's Pastoralen sehen
mochte? Warum nicht? Musste ja selbst Ebert zugeben,
dass Hardy's Publikum manchmal doch etwas gewählter war, als
man bis jetzt noch allgemein geneigt ist, anzunehmen. Im
zweiten Dezennium des 17. Jahrhunderts pflegten auch die jungen
70 E. Damiheisser,
EdeUeute in Hardy's liieater zu geben. Das wissen wir be-
stimmt, sowohl von Racan^), als auch vom Abbö de MaroUes.^)
Ob indes überhaupt, und dann inwieweit dieser Teil des Publi*
kuma mit der Aufführung und dem Erfolge von Hardy's Pastoraiea
im Zusammenhange steht, ist eine Frage, die noch nicht beant-
wortet werden kann. Doch dtirfte gerade die teilweise Umbildung,
welche das Schäferspiel durch Hardy's Hand erfuhr, darauf hin-
deuten, dass, wie alle seine Stücke, so auch seine Pastorale«
dem Geschmacke seines Alltagspublikums angepasst waren.
Der Dichter bezeichnet zwar selbst (Weinberg S. 52) das
italienische Schäferspiel, als sein Vorbild, was übrigens jeder
auf den ersten Blick sieht, aber er hatte den Geschmack seiner
Landsleute studiert und schuf dem entsprechend neue Charaktere«
Die übertriebene, unnatürliche Sprödigkeit der Hauptheldinnen ist
in den besten Pastoralen Hardy's kein Hindernis für die Ver-
bindung des Liebespaares mehr. Die Schäferinnen lieben, ent-
gegen dem italienischen Pastoraltypus, auch als Hauptheldinnea
des Stüokes gerade so offen und warm, wie die Schäfer, und
Hardy hat sogar, wie man bei Weinberg (S. 34 u. 35) nachlesen
kann, überraschend glückliche Ausdrücke für die Darstellung der
reinen, uneigennützigen Mädchenliebe. Dass durch diesen einzigen
ZfUg die Pastorale dem Nebel eines falsch verstandenen Idealis-
mus entrückt und wieder dem Sonnenblicke des warmen realen
Lebens zugekehrt wurde, ist klar. Auch in technisch-dramatischer
Beziehung wurde dadurch viel gewonnen. Der Charakter der
Hauptheldin ist nicht mehr scheu in sich selbst zurückgezogen,
sondern tritt keck an das Tageslicht und reizt dadurch die ihm
widerstrebenden Kräfte zur Reaktion — das Gegenspiel der
Leidenschaften kann beginnen.
Wir möchten damit nicht behaupten, dass es Hardy ge-
lungen wäre, die beinahe krankhafte Sprödigkeit der Schäferinnen
vom Schlage einer Sylvia oder Amaryllis von der Bühne zu ver-
drängen — hat er sich doch selbst nicht davon zu befreien ver-
mocht — sondern nur, dass er in diesem Punkte den Dichtem
der gesund sinnlichen Arthinice und Sylvie ein nachahmenswertes
Beispiel giüb. Geradezu bahnbrechend wirkte Hardy in anderer
*) 11 (sc. Eaean) dit que les comedies de Hardy qxi'il voyoit repre-
senter ä VRdUl de Bourgogne oü ü enirait sans payer, Fexcitoieni fori,
(Tallemant des Bäanx, üisiorieties, £dit Monmerque, t. II, S. 129.)
3) Je ne sais pas öü il (sc. Du Lion) prenoit le fond de toute la
depense qu'ü faisoÜ, mais il en avoU toujours de reste pour de neiits
fesiins qu^ü aimoit extrSmement, pour le paume ei pour la Cornea^ oü
ü noHS menoii quelque fois, hrsmie ceiie fameuse Come'dienne appetäe
La Porte monioii encore sur le T&eatre, (MaroUes, Memoires, Amster-
dam, 1755 { t. I, S. 58, Jahr 161^.)
Zur Geschichte des Sehaferspiels in Frankreich. 71
Richtung. Wir haben gesehen, wie bei Gnarini die Verwickelung
einen religiös -politischen Hintergrund hat: der, wenn auch nur
verhaltene Wille der Amaryllis stösst weniger auf prinzipiellen
Widerstand von Seite ihres Vaters — dieser beruft sich auf die
gebieterischen Forderungen des Gemeinwohls. Nichts von alle*
dem bei Hardy. Die Väter in seinen Pastoralen lassen sich
von durchaus persönlichen Rücksichten leiten, die meistens auf
einer sehr materiellen Grundlage beruhen — der Geldsaok spielt
hier eine grössere Rolle als die Politik. Der Konflikt hat bei
ihm kein öffentliches, sondern nur ein privates Interesse im
Auge, er spielt sich nicht, zwischen Individuum und ^taat,
sondern zwischen Individuum und Familie ab. Die Figur
des habsüchtigen, eigensinnigen, derben, aber im Grunde gut-
mütigen Vaters ist oft sehr wirksam der nur ihrer Leidenschaft
lebenden Tochter gegenübergestellt Das ewige Lied von Reich-
tum und Liebe, den beiden feindlichen Mächten, ist von Hardy
in zwei seiner Pastoralen (Alcie und La Triomphe Samour)
variiert worden, während die Figur des polternden Alten sich
auch in Alph^e findet. Bei Guarini sind die Väter ganz andere
Gestalten — schattenhafte Wesen, ohne Fleisch und Blut. In
Hardy's Pastoralen wirken jene urwüchsigen Alten um so er-
frischender, als sie auch nicht die gezierte Sprache der Schäfer
reden. Kurz, es sind bereits die komischen Alten Moli^re*s, die
Vertreter der Komödie in der Pastorale. Schon im Pastor fido
wird einmal der Ton der Komödie angeschlagen; ihrer eigen-
tümlichen Begabung gemäss mussten die Franzosen das Komödien-
hafte in der Pastorale mehr hervortreten lassen als die Italiener.
Hardy zuerst ging hier so weit, dass er sogar den Ausgangs-
punkt des Konflikts, den Gegensatz zwischen reich und arm, der
Komödie entnahm und dadurch der italienischen Pastorale in
Frankreich erst das Bürgerrecht verschaffte. Hüten wir uns in-
dessen, mit Weinberg (S. 142) das Schäferspiel als einen Vor-
läufer der bürgerlichen Komödie des 18. Jahrhunderts insofern
zu betrachten, als darin die sozialen Gegensätze auf dramatischem
Wege ausgeglichen werden. Das ist nur in der Sylvie der Fall.
Bis dahin und auch noch nachher musste die Ricognizione zur
Lösung des Knotens herhalten. Der Zauberei räumt auch Hardy
einen grossen Platz ein, getreu den Traditionen Montreut' und
Montchrestien^s. Auch der Verleumder findet sich bei Hardy,
öfter freilich noch die Verleumderin. Sonst entfernt sich Hardy
in nichts von dem Tjrpus der italienischen Pastorale, ausser
durch die Derbheit, auch wohl Gemeinheit seiner Sprache.
Merkwürdig ist, dass gerade Hardy's letzte Pastoralen, d. h.
diejenigen, welche er zuletzt drucken Hess — denn die Zeit
72 E. Dannheisser,
ihrer Aoffübning ist ja unbekannt — seine schwächsten sind.
Gering war die Zahl derer, weiche mit Hardy in der Pastorale
wetteiferten — es sind Des Croix^ Gallardon und Coign6e de
Bourron. Auch bei ihnen erscheint die italienische Pastorale im
Sinne Uardy's modifiziert: die Schäferinnen sind nicht spröde,
die Verleumderin wird oft zum Verleumder. Auch die Komik
Hardy's fehlt nicht, wohl aber dessen Heldenvater.
Die Pastoralen Hardy's beherrschen durchweg die Zeit bis
zum Auftreten Racan's, wie ja Hardy auch die anderen Arten der
dramatischen Litteratur beherrschte. Er hatte sich ein Publikum
herahgebildet, das in gewissem Sinne Tout Paris war. Die vor-
nehme Welt hatte nicht mehr genug an dem Getänzel der mytho-
logischen Hofballette, und Hardy verstand es auf irgend eine
Weise, sich bei ihr in Achtung zu setzen. Es war allerdings
noch nicht die Zeit gekommen, wo man die trefflichste Ode fttr
ein gutes Theaterstück leichten Herzens hingab: die Theater-
dichter verbargen ihre Namen; denn diese hatten in der vor-
nehmen Welt keinen Klang, und das Volk fragt nie darnach.
Ballettdichtungen erschöpften die Phantasie der höfischen Dichter,
und höfisch waren sie alle. Der gute Ton erlaubte es wohl,
Hardy^s Schöpfungen zu sehen und zu beklatschen, nicht aber,
mit ihm zu wetteifern. Doch in aller Stille bereitete sich die
Wandlung vor. Drei Bände der AsMe waren 1620 bereits er-
schienen. Sie legen beredtes Zeugnis davon ab -- und das ist
hier für uns von besonderer Wichtigkeit — dass D'TTrf6 die
Schäferspiele der Italiener für seine Aatrie gründlich studiert
hatte. Auch fttr die Schule Malherbe's ist die Vorliebe fttr das
italienische Schäferspiel charakteristisch; ist ja doch bekannt,
dass Malherbe selbst fttr Tasso's Aminba schwärmte. Marie
de'Medici war, wie wir aus der interessanten, aber für Deutsche
leider noch nicht zugänglichen Vorrede D'ürf^'s zu seiner ein-
zigen Pastorale: Süvanire ou la Morte Vive ersehen können, be-
strebt, diese der italienischen Pastorale günstige Strömung zu
fördern, und die Astree selbst war ja in hervorragender Weise
dazu geeignet, die Phantasie der Franzosen zur Erzeugung und
Aufnahme der Pastorale in die richtige Stimmung zu versetzen.
Die Kriegsjahre 1620 — 23 waren zu wenig aufregender Natur,
um die französische vornehme Damenwelt aus dem Halbschlaf
der „Schäferei'^ aufschrecken zu können. Im Jahre 1622 schien
die Thätigkeit Hardy's erlahmen zu wollen, und 1623 soll er gar
schon ganz von der Bühne zurückgetreten sein. Über die Gründe
seines Rücktritts ist nichts bekannt. Um dieselbe Zeit ungefähr^)
i) Das Druckprivileg für D'ürfö's Schäferspiel ist vom 2. April 1625.
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 73
studierte D'Urf6 die Gesetze der italienischen Pastorale genauer,
auf allerhöchsten Befehl hin war er gezwungen, sie nachzuahmen,
wie er selbst in der Vorrede zu seiner Süvanire sagt Er,
der Dichter der Astr^e, schien jedenfalls der Berufenste za
sein, die Pastorale in einer Weise zum Drama zu gestalten, dass
auch die französische vornehme Welt sich und ihren Geschmack
in höherem Grade darin wiederfand, als es in den Pastoralen
Hardy's der Fall war. Wir werden sehen, wie D'ürfö seine
Aufgabe löste. Vorerst müssen wir der dramatischen Wirksam-
keit Th^ophile de Viau's gedenken, unter dem Vorbehalte a^er-
dings, dass für dessen einziges Theaterstück, Pyrame et Tkishi^
eine Tragödie, die Abfassungszeit noch nicht genau bestimmt
werden kann. Warum entzog gerade er sich dem Zuge der Zeit
nach der Pastorale? Die näheren Umstände, unter denen Pyrame
et Thishe in die Litteratur eintrat, sind unbekannt. Thöophile,
der Dichter der vornehmen Welt, schreibt eine Tragödie, viel-
leicht gar zu einer Zeit, als Hardy noch nicht seine letzte Szene
geschrieben hatte. Wenn wir nur wttssten, wo das Stück zuerst
aufgeführt wurde! Einem Manne, wie Th^ophile, können wir
wohl die Kühnheit zutrauen, dass er mit Verachtung aller gesell-
schaftlichen Rücksichten als dramatischer Dichter im Wettkampf
mit dem von ihm so aufrichtig bewunderten Hardy aufzutreten
wagte. Ton und Stil des Pyrame sind zwar offenbar auf das
vornehme Publikum berechnet, aber dieses nämliche Publikum
konnte auch Hardy noch Geschmack abgewinnen, als Jean
de Mairet's Pastorale Sylvie zum erstenmale aufgeführt wurde
(1626). Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass, was schon
Ebert (Entwickelungageschichte, S. 194) behauptete, Thöophile
auf Anregung Hard/s für dessen Bühne schrieb. Als Pyrame
im Jahre 1625 oder 1626 bei Hofe aufgeführt wurde, traf er,
wenigstens dem Inhalte nach, nicht den Geschmack des Hof-
publikums, das damals im Theater nur angeregt, nicht aufgeregt
oder gar bis zu Thränen gerührt sein wollte.^) Als Thöophile
das Stück aber schrieb, war die vornehme Welt vielleicht noch
mehr an die kräftigere dramatische Kost Hardy's gewöhnt. Wir
können also daraus nicht schliessen, dass Th^ophile mit Absicht
dem Geschmacke seines Publikums an der Pastorale keine Rech-
nung getragen habe; denn wir wissen nicht, ob die Pastorale
überhaupt schon Modeschauspiel war, als er seine Tragödie
schrieb, die vielleicht immer eine crvac für den Geschichtschreiber
des französischen Theaters bleiben wird.
^) Vgl. den Brief Thdophile's an Vall^e in AUeaume, (Euvres de
Theophile, t. II, p. 422.
74 E. Dannheisser,
§ 3. Racan. (Gegen 1624.)
Auf den ersten Blick mnss es nns befremdlich erscheinen,
dass aus der Schale Malherbe's ein so bedeutender Dramatiker
wie Racan hervorging. Denn weder Malherbe noch sein Schüler
Maynard hatte irgend welches Verständnis flir die Erfordernisse
eines Dramas. Noch in späten Jahren hat Racan erzählt, welche
vortrefflichen Ratschläge ihm Malherbe nnd Maynard gegeben
hätten.^) Zum Glück fiel es ihm nicht ein, dieselben zu befolgen.
Deip Zuge der Zeit nach der Pastorale hat sich indessen Mal-
herbe nicht verschlossen. Bezeichnender Weise wählte er die
Form der Ekloge, um seine platonische Liebe zn Madame
de Rambouillet zum Ausdruck zu bringen.^) Er liebte nicht bloss
die paetorale Lyrik, sondern auch das pastorale Drama, den
Aminia. Racan brauchte nur seinem Meister zu folgen, um dahin
zu gelangen, wohin ihn auch seine individuelle Begabung wies,
zur Schäferpoesie. Die Gesellschaft, die ihn umgab, war von
Idyllensucht angekränkelt, dagegen erhob selbst ein Balzac ver-
gebens seine warnende Stimme.^) Es war wieder Friede im
Lande. Zudem wusste Racan eine hübsche Hofgeschichte ,^) es
galt, bekannte Persönlichkeiten poetisch zu verherrlichen. Dazu
wählte er aber nicht mehr, wie D'ürf6 und Gombaud, die Form
des Romans, sondern die des Dramas. Da die Komödie da-
mals aber noch nicht ihre Auferstehung gefeiert hatte, bot sich
die Pastorale als einzig mögliche dramatische Form dar. Znm
zweitenmale hatte sich, nach Th^ophile's Vorgange, ein durch
seine sonstigen poetischen Werke berühmter Mann der drama-
tischen Muse angenommen. Wann aber drangen die Bergeries
^) Malherbe et Maynard estoieni cPavis de couper le sens des vers
de suiie de quatre vers en quatre vers; mais moy, qui me suis toujours
öppose iant que fay pu aux gesnes oü Ton votuoit meiire noire poe'sie,
je rCy ay jamais su consenUr et me sembloit que ce seroÜ faire des
stances et non des vers de suite» (Brief Racan's an Chapeiain vom
25. Oktober 1654. Tenant de Latour, (Euvres rftf Racan, t. L, p. 352) und:
Vous proposätes aussy ä M, Chapeiain si Fon estoit oblige, aux vers de
tkeätre eomme aux €tutres vers de suite, de fermer le sens avec la ryme,
M. de Matherbe m*ordonnoit de le fermer de quartre en quatre, mime en
ma pastareUe, Cette grande justesse me sembloit ridicule quand festois
ohUge de de'crire des passions violentes et desordonne'es. (Brief nacan^s
an Manage vom 17. Oktober 1654. Latour I, p. 856.)
^ Vgl. meine Studien zu Jean de Mairefs Leben und Wirken,
Münchener Dissertation, 1888. S. 74 ff.
8) Brief Balzac's an Bacan, 8. September 1628 (?), Folio-Ausgabe
der Werke Balzac's, t. I, p. 108,
^) Üeber Zeitbestimmung und Entstehung der Bergeries vgl. meine
Mairei-Studien, S. 67 ff.
Zur Geschichte des Sehafisrspiels in Frankreich. 75
Racan's zum ersten Male vom H<tfe, für den das Stüok ^esohrieben
wurde, in die Stadt? Das» an dem Tage, wo die Bvrgeiries oder
Th^ophile's Tragl5die zum erstenmale auf einer öffentliehen Pa-
riser Bühne aufgeführt wurde, der Name des Dichters aneh auf
dem Theaterzettel stand, ist nattirlieh; denn er zog. 8orel, der
die hier angedeutete Thatsaohe erwähnt, sagt, das sei g^en
1625 gewesen. Diese Stelle ist bis jetzt von fast allen Litterar*
historikem angeführt worden,^) ohne dass man hervorgehoben
hätte, inwieweit die von Sorel gegebene Jahreszahl 1625 von
den bisher für die in Rede stehenden Werke angenommenen
Daten (1617, 1618, 1621 ete.) abweicht Kann aneh die An-
gabe Sorel's keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit machen,
so ist deren annähernde Richtigkeit eine schwerlich mehr zu be*
streitende Thatsache. Mit den Bergeries (1623 oder 1624) beginn
eine neue Epoche für das französische Theater. Ob der Rück-
tritt Hardy's zu dieser Wendung der Dinge in irgend einer Be-
ziehung, dann in welcher, der von Ursache oder Wirkung, steht,
wird schwerlich festgestellt werden können. Ebensowenig iässt
sich die Behauptung Ebert's erweisen, dass Raoan das „Reich
Hardy's erschüttert habe^. Denn die Prodnktionskraft Hardy's
war schon gelähmt, als Raoan die Bühne betrat (1628 oder 1624),
und nach der jetzt üblichen Zeitbestimmung der Bergeries (1618)
hätte ja Hardy noch fUnf Jahre nach Racan's Auftreten die Btthne
beherrscht Zweifellos wurden noch einige Jahre nach der ersten
Aufführung der Bergeries Hardy's Stücke auf der nämlichen
Bühne gern gesehen, wo Racan's Bergeries gespielt wurden. Das
bestätigt nicht bloss Jean de Mairet, ^) sondern auch Georges de
Scudery in der Com^die des OomSdiens. Wir haben gesehen^
welche Form die Pastorale unter Hardy's Hand angenommen
hatte. Kann es uns auch nicht einfallen, die Bergeries , ihrer
künstlerischen Gestaltung nach, mit den Pastoriüen Hardy's zu
vergleichen, so müssen wir doch andererseits darauf hinweisen,
dass die Bergeries ihrem Inhalte nach den Einfluss Hardy's
nicht verleugnen können. Racan nennt in seinem Briefe an Mal-
herbe,^) dem einzigen seiner Art, die Italiener seine Meister, die
er nicht erreichen könne, und die Nachahmung Guarini's bemerkt
auch der allerflüchtigste Blick: der Hymnus auf das goldene Zeit-
alter, die Jeremiade über die strengen Gesetze der Ehre, die
aufdringliche Liebhaberin, der Satyr, das Wiedererkennen des
durch eine Überschwemmung verlorenen Sohnes — Racan hätte
^) Ebert, Entwickelungsgeschichte, S. 187, führt sie wörtlich an.
^ Epistre famüiere sur le Cid. Parfaict, Eüsi. du iheätre franc.,
t. IV, 288.
*•) (Euvres, ed. Latour I, p. 16.
76 E. Dannkeisser,
wahrlich nicht erst zu sagen brauchen, dass er die Italiener ge-
lesen. Aber Arth^nice ist nichts weniger als eine spröde Ama-
ryllis, sie lässt sich nur zu sehr den Hof machen. Die erheuchelte
oder wirkliche Sprödigkeit der Schäferinnen hat Racan, ebenso
wie Hardy, aus seiner Pastorale verwiesen. Entgegen dem Ge-
brauch der hervorragendsten Italiener dient auch bei Racan die
Zauberei dazu, die Verwickelung herbeizuführen, wobei der Sinnen-
kitzel nicht vermieden wird. Die Verleumderrolle spielt auch
bei Racan ein Mann, denn auch Racan versucht, alle Frauen-
gestalten möglichst sympathisch erscheinen zu lassen. Das Motiv
des Konflikts ist bei Racan eigentttmlicherweise ein doppeltes.
Zuerst bildet die Habsucht des Vaters, später ein religiöses Be-
denken das Hindernis, welches sich der ehelichen Verbindung
der liiebenden entgegenstellt. Die Eigenart Guarini's ist hier
mit derjenigen Hardy's so verquickt, dass die Schärfe der Gha-
rakterzeichnung unbedingt Not leiden musste. Der Vater der
Arthönice ist bald der habsüchtige Komödienvater Hardy's, bald
wieder, besonders am Schlüsse der Bergeries, sympathisch, wie
Titiro oder Montane im Pastor fido. Der von Sil6ne hie und
da angeschlagene derbe Ton erinnert an Hardy's ürwttchsigkeit,
während in der Art der GefOhlsschilderung Racan entschieden
den Italienern näher kommt als Hardy. Bezeichnend ist, dass
Racan sein Stück gar nicht drucken lassen wollte, er fürchtete
die Kritik des pays latin (Brief an Malherbe), und es war ja nur
für die Aufführung geschrieben, vorerst nur für den Hof und
die dortige Gesellschaft geschrieben (Brief an Malherbe) — ein
modernisiertes Odi profanum vtdgus. Können wir auch nicht
zugeben — besonders mit Hinblick auf Hardy's Pastoralen —
dass, wie es jetzt Mode zu sein scheint, anzunehmen, die Pastorale
das Privileg der vornehmen Klassen der Gesellschaft gewesen
sei, finden sich sogar bei Racan Ausdrücke, welche nicht auf
diese Klasse des Volkes berechnet zu sein scheinen — Racan
hat nach eigenem Geständnis seine Pastorale nur für. die vor-
nehmen Klassen geschrieben. Für den Inhalt seines Werkes
war Racan durch die litterarische Tradition gebunden, der Ton,
den er wählte, war der aller anderen Litteraturgattungen — die
Gesellschaft verstand und liebte ihn. Für den Gelehrten vom
Schlage eines Balzac war die Pastorale ein Unding — sein Ideal
war die antike Tragödie. Racan sei der rechte Mann für eine
Reform des Theaters, schreibt Balzac^), obwohl er kein Latein
kenne, wenn er sich nur entschliessen würde, die ganze Schäferei
an den Nagel zu hängen. Auf diese Weise wollte Balzac den
1) Brief an Racan, Folioausgabe I, S. 108.
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 77
Erfolg Racan's, den er yoraussab, aasnützen. Aber Balzac's
Beformgedanken fielen auf unfrucbtbaren Boden. Bis gegen 1627
blieb die Pastorale der Qualität nach die Beherrscherin der
Bühnen. Quantitativ konnte sie es allerdings nie werden, was
die flüchtigste Statistik der in dieser Zeit erschienenen Theater-
stücke beweisen könnte. Racan's Beispiel konnte nicht be-
sonders anregend wirken. Neue Stoffe bot die Pastorale wenig
und, was die Art der Behandlung betrifft, so werden sich wenige
berufen gefühlt haben, mit dem gefeierten Schriftsteller in die
Schranken zu treten. Daher wohl die Unfruchtbarkeit auf dem
Gebiete der Pastorale in dieser Zeit (1623—27). Dass sowohl
Oombauld als auch D'Urf6, die beide in inniger Beziehung zum
Hofe gestanden, sich auch auf dem Gebiete des Pastoraldramas
versuchten, ist ein Beweis für die Beliebtheit desselben in jenen
Kreisen. Das pastorale Element hatte nun alle Zweige der Lit-
teratur durchsetzt — von der Astrie war man zu den Bergeries
gekommen, d. h. in den Schriftstellerkreisen, welche die Poesie
nicht wie Hardy als Handwerk betrieben. Aber welcher Unter-
schied zwischen der Astrie und den BergerieSy ein grösserer
Unterschied noch als die Eigentümlichkeit der beiden Dichtungs-
arten bedingt: schon D'Urfi6 sah ein, dass auch, dem Inhalte
nach, ein Pastoraldrama anders beschaffen sein müsse als ein
Pastoralroman. Hardy's Schäferspiele sagten ihm das noch ein-
dringlicher als die der Italiener. D'Urfö's Süvanire ist teilweise
nach Hardy's Rezept gearbeitet. Es sind echte Bauern, die hier
vorgeführt werden, keine verkappten Königssöhne und Aristo-
kraten, wie in der Astrie. Die Sprödigkeit der Astrie findet
sich in den besten französischen Pastoralen nicht, und nach der
Gestalt des Hylas sucht man bis 1627 auch vergebens. Die
unbedingte Herrschaft des Weibes über den Mann konmit wohl
in der Haupthandlung der Astrie zum Ausdrucke, nicht aber in
dieser Ausdehnung im Pastoraldrama, wobei ich nur an den
Typus der aufdringlichen Liebhaberin zu erinnern brauche. Dem
Bestreben, eigene Erlebnisse oder wenigstens Ereignisse der
eigenen Zeit darzustellen, begegnen wir, wie in der AsMe^ auch
im Pastoraldrama (z. B. der ersten Redaktion der Bergeries), aber
auch schon vor Erscheinen der Astrie, schon bei Montchrestien
(Weinberg S. 22) und Guarini. Damach sind die von Weinberg
S. 17 und 59 gemachten Angaben über den Einfluss der Astr^
einzuschränken. Sodann kamen die in der Astrie enthaltenen
Stoffe eigentlich viel mehr der Tragikomödie als der Pastorale
zu statten; denn rein pastoralen Charakter tragen in der Astrie
besonders die Haupthandlung, ausserdem aber nur noch die Ge-
schichte von Cilion et Bilinde und die in jeder Beziehung ver-
78 E, Dannheisser,
dltohtige Oesehichte der SilvanirOi Die beinahe in jeder Litte -
rattufgeschiehte angefahrte Äa&serung von Segrais^) enthält eine
arge Über^eibung und verleitet zn der Ansieht, alle aus der
Astr^e genommenen Stoffe seien zu Pastoralen verarbeitet worden.
Auch die dort angegebene Art der Nachahmnng ist eine Ver-
keiBnoitg der Sachlage. Trotzdem kann der Einfluss der Astree
auf das französisebe Sehäferspiel nieht hooh genug angeschlagen
w^den, nur ist er nicht in Äusserlichkeiten zu suchen« Die
Veredelung des Tones in der Pastorale ist sicherlich nicht allein
auf Racan's poetische Individualität zurückzuführen , und erst
durch die Astrie wurde das französische vornehme Publikum für
das Sehäferspiel empfänglich gemacht. Wenn Bacan den Schau-
platz der Handlung nicht mehr nach Arkadien, sondern nach
Frankreich verlegt, entgegen dem sonstigen Gebrauch der Pasto-
raldichter, so mag vielleicht hier die AsMe auch bestimmend
eingewirkt haben. Aber das französische Schäferspiel im ersten
Stadium seiner Entwickelung, auch noch bei Hardy muss schon
aus ohronologischen Gründen als unabhängig von der Astree
bezeichnet werden. Racan hat, wie die italienischen Schäfer-
spieldichter, in richtiger Selbsterkenntnis nur eine einzige Pasto-
rale geschrieben, ebenso wie Gombaud, der gefeierte Dichter des
Endpmion. Mit der Amarardhe Gombaud's (1625?) hält erat der
raffinierte Guitorismus seinen Einzug in das Schäferspiel, während
Racan^s Sprache noch verhältnismässig natürlich ist. Was vom
Inhalt der Amaranthe bekannt ist, lässt vermuten, dass das Stück
den T3rpU8 der französischen Pastorale nicht verleugnen kann.
Hatte Racan vermittelst des Schäferspiels einmal dem aus der
vornehmen Welt hervorgegangenen oder in ihr aufgegangenen
Dichterkreise die Pforten der Bühne geöffnet, so mussten diese
Dichter bald das Bestreben verspüren, auch die übrigen drama-
tischen Dichtungsarten in den Bereich ihrer Thätigkeit zu ziehen.
Aber hier zeigte sich so recht die dramatische Iitipotenz der
Racan'schen Dicfatergeneration. Nach 1625 bleibt alles wieder
stumm wie zuvor^ selbst Hardy hatte die Bühne verlassen.
§ 4* Mairet.
Da kam Jean de Mairet, als rettender Geist, wie Malherbe,
jung, ohne Dichterruf, ehrgeizig, voll Scharfsinn für die Bedürf-
nisse seiner Zeit — er hatte einen Hauch von Th6ophile's Geist
1) Pendant pres de 40 ans an a iird presque ious les sujeU des
pieces de Thääire de /'Asträe et les Föetes se contentoient ordinairement
de meitre en vers ce gue M, D^TJrfe y fait dire en prose aux person-
nages de son Roman, Ces pieces-& s*appeloient des Pastorales aux-
queües les Cptn^ies suecäderent, (Segraisiana, Paris, 1721. S. 145.)
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 79
yerspQrt. Mit richtigem Blick oder Gefühle erkannte er, dass
nunmehr. Dank Racan nnd Th6ophiie, der junge Dichter seine
ersten Lorheeren auf der Bühne holen konnte, das» Oden 2U
diesem Zwecke nicht mehr so nötig waren wie früher« Er wagte
es, sich gleich anfangs dem Publikum als Theaterdichter voran-
stellen. Da er im Dienste eines so hoch angesehenen Eldelmanns
stand, wie es der Herzog von Montmorencj war, brauchte er
nicht zu fürchten, in sozialer Beziehung mit dem alten Hardy
verwechselt zu werden. Die Vorliebe des Herzogs für das
Theater — widmete ihm doch Hardy den ersten Band seiner
Werke — mag vielleicht anch nicht ohne Einfluss gewesen sein«
Kurz, Mairet war, nach Hardy, wieder der erste Dichter, der
gleich von vornherein seinen Ruhm einzig und allein
dem Theater verdankt. Diese Thatsache ist bis jetzt noch
nicht genügend hervorgehoben worden. Dass Mairet sich nicht
mit einer Pastorale, sondern mit einer Tragikomödie (Chrisüde
et Arimant) einführte, ist bezeichnend für seine hervorragende
dramatische Begabung, vielleicht auch für seine kluge Berechnung.
Nach dem grossen Erfolg der Bergeries konnte Mairet als An-
fänger nicht hoffen, mit einer Pastorale gleich durchzudringen.
Er versuchte, das vornehme Publikum nun auch für eine Tragi-
komödie zu gewinnen, indem er, wie alle seine Zeitgenossen,
den Ton des Marinismus anschlug. Der Erfolg scheint hinter
den Erwartungen zurückgeblieben zu sein; denn Mairet Hess die
GhrisSide erst spät selbst drucken. Aber einmal von der Hoff-
nung auf Theatererfolge berauscht, versnobte Mairet zum zweiien
Male das Glück der Bretter mit einer tragi-comSdie-pastoralef
der Sylvie (1626). Den ungeheueren Erfolg dieses Stückes be-
zeugt noch Rotrou^)« Die Bedeutung der Sylvü für die Ge-
schichte des Schäferspiels liegt schon in diesem Erfolge; wir
haben nach den Gründen desselben zu forschen. Der geistreiche
Saint- Marc -Girardin sagt, die Mischung von amnntigen nnd er-
habenen Szenen sei das Neue an dem Stücke gewesen.^) Schon
sein Titel musste etwas Neues bedeuten, denn die Bezeichnoftg
tragt -comidie-pastorale, finden wir vor der Splvie in keinem
französischen Drama von irgend welcher Bedeutung. Dass
von Mairet eher als von Racan der Ausspruch Balzac's gilt, er
sei zu pathetisch für die Pastorale, ersehen wir aus seiner
ChrisSide, War des Dichters erstes Werk keine Pastorale,
so ist es interessant, zu beobachten, wie er sich in seinem
*) Je faisois Amaranthe ou Chris ou Sylvie,
Et de mes aciions la cour esioit ravie.
(Rotrou, Naufrctge Heureux, A. III, Sz. 8.J
3) Cows de lectures dramatiffses, t. III S. 237 ff.
80 E. Dannheisser,
zweiten Werke mit dem dramatischen Oenre der Pastorale ab-
findet. Inwieweit er die Italiener studiert hat, lässt sich für die
Sylvie nicht erweisen, wohl aber, dass dieses Werk sich in vieler
Beziehung an Racan und Th^ophile's Drama anlehnt. Der Typus
der von Hardy geschaffenen, und von Racan weiter entwickelten
und zu grösseren Ehren gebrachten französischen Pastorale
ist auch von Mairet beibehalten worden; denn der Verleumder
und der urwüchsige Vater finden sich auch in der Sylvie, und
die Hauptheldin hat trotz aller Naivität einen Anflug von welt-
männischer Klugheit wie Arth^nice. Keine der auftretenden
Personen, selbst der diplomatische Kanzler nicht, wagt es, die
echte, wahre Liebe auf die falsche Wage der Vernunft zu legen.
Die Sprache des Stückes bedeutet den Bergeries gegenüber
sogar einen Rückschritt, denn die Zahl der Pointen ist bei
Mairet viel grösser. Und doch, trotz teilweisen Festhaltens an
der litterarischen Tradition, welch gewaltiger Fortschritt vom
dramatischen Standpunkte aus! Das vernichtende Urteil Par-
faict^s über die Sylvie kann nur der gutheissen, welcher die
Litteraturgeschichte zum Paradefelde ästhetisierender Gemein-
plätze macht. Mairet hat, bewusst oder unbewusst, darnach ge>
strebt, die Pastorale durch Zuführung von neuen stofflichen
Elementen wieder mit frischer Lebenskraft zu erfüllen. Ein
Prinz liebt eine echte Schäferin, nicht eine verkleidete oder
später als Aristokratin wiedererkannte Schäferin. Der Gegen-
satz zwischen Hof- und Landleben dient in der Sylvie nicht
mehr, wie bei den vorhergehenden Pastoraldichtern, bloss
zur Koloratur, sondern er bildet den Grundton und das
Leitmotiv des Stückes, den Ausgangspunkt der Verwickelung.
Th61ame will von den Damen seines Hofes nichts wissen und
liebt ein echtes Bauernkind. Den Gegensatz von Th6lame's
Schicksal zu dem Florestan's hebt das Grundmotiv in recht
dramatischer Weise hervor. Florestan hat das Glück, dass seine
Geliebte eine Königstochter ist und gibt seiner Freude darüber
Ausdruck:
Pmsqu*eüe est comme moy, dCune royaie iige,
Uhonneur ä la servir davantage nCoUige. (I, 1.)
Und doch kann er erst dadurch zum Ziele seiner Wünsche ge-
langen, dass er den auf Th^lame lastenden Bann des Schicksals
löst, ein Zug echter poetischer Gerechtigkeit. Das Wiederer-
kennen, wie es bei Guarini, Hardy und Racan zur gewaltsamen
Lösung des Knotens verwandt wird, hat Mairet in rühmenswerter
Weise in der Süvie sowohl als in der Sävanire verschmäht —
auch ohne dasselbe kommt die Liebe zu ihrem Ziele. Selbst
die Wahl der teilweise ländlichen Szenerie entspringt aus dem
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 81
Grundmotiv des Stückes — der Fürstensohn mnss seine Liebe
verbergen und seine Schäferin in den abgelegensten Ecken ihres
Thaies aufsuchen. Wie in allen französischen Pastoralen
spielt auch in der Sylvie die Zauberei eine grosse Rolle, nur
mit dem Unterschiede, dass sie bei Mairet dem bisherigen Ge-
brauche entgegen, nicht dazu dient, um die Verwickelung,
sondern die Versöhnung der widerstrebenden Interessen herbei-
zuführen. Die Verwickelung andererseits geht in einer Weise
vor sich, wie sie anmutiger, poetischer und dramatischer nicht
gedacht werden kann. Zugleich ist diese Szene die einzige in
in der Sylvie, welche echt pastoralen Charakter trägt, ohne
aber nach der herkömmlichen Schablone ausgearbeitet zu sein
(III, 2). Natürlich hat auch Mairet wie Hardy und Racan darauf
verzichtet, die Sprödigkeit der Hauptheldin den Italienern nach-
zumachen. Sylvie sagt Thi61ame, dass sie ihn liebt, sie weiss
auch, dass er ein Fürstensohn ist. Niemals hat vor Mairet ein
Pastoraldichter versucht, das Glück zweier einander angehörenden
Seelen zu schildern, geschweige denn so zu schildern, wie Mairet
es gethan. Selbst bei Racan wird nur von Liebesleid, nie aber
von Liebesglück gesprochen. Arth6nice tri£ft mit ihrem Geliebten
Alcidor überhaupt nicht zusammen, bevor die List des Lucidas
den Bruch herbeigeführt hatte. Ebenso ist es bei den Italienern;
denn der Schmerz ist leichter darzustellen, als die Freude. Die
Empfindungen und Gedanken, welche auf die ihres Geliebten
harrende Sylvie einstürmen, sind der Ausdruck des reinsten Ge-
ftthlsoptimismus, ein Stimmungsbild von vorher im Pastoraldrama
nie gekannter Wahrheit. Diese Szene gehört zum besten, was
Mairet je geschrieben (Sz. I, 2). Woher Th61ame's Liebe zu
Sylvie kommt, brauchen wir nicht zu wissen, die einfache That-
sache genügt. Während uns in den bedeutendsten italienischen
Pastoralen und auch noch bei Racan mit unbarmherziger Aus
führlichkeit die Entstehung der Liebe erzählt, ja gewissermassen
motiviert wird, geht Mairet von dem Standpunkte aus, dass die
Leidenschaft keinerlei Legitimation oder Heimatsscheins bedarf.
Ebensowenig braucht sich Th^lame durch eine besonders ver-
dienstvolle That seine Sylvie erst zu Dank zu verpflichten, um
ihrer Liebe sicher zu sein — Notzucht und Satyr haben deshalb
in der Sylvie keinen Sinn. Schon die Verbannung des Satyrs
aus der Pastorale — auch in der Süvanire kommt er nicht vor —
wäre eine verdienstvolle That Mairefs gewesen, die ihm allein
einen Platz in der Geschichte dieser Dichtungsart sichern würde.
Auch in der Charakterzeichnung macht sich gegen Racan ein
Fortschritt bemerkbar. Sylvie ist naiv und optimistisch, aber die
kluge, durch fremden Schaden gewitzigte Hüterin ihrer Jung-
Zschr. f. firz. Spr. u. Litt. Jlh t^
82 E, Dannheisser,
fräulichkeit, obwohl sie weiss, dass Th^lame mehr möchte, als
Worte der Liebe. Auch mag die List Phil^ne's ein Stachel des
Misstrauens in ihr zurückgelassen haben. Mit ihrem Geliebten
verkehrt sie, wie wenn er ihres Standes wäre — die Liebe
macht die Menschen einander gleich. Erst nach der List Philöne's
redet sie Th^lame mit voua an, aber nicht lange. Gegen ihre
Eltern ist sie voll Achtung, ohne die Rechte ihres Herzens des-
wegen aufzugeben. Sobald sie sich in ihrer Liebe betrogen sieht,
kennt sie keine Zurückhaltung oder Verstellung mehr, wie
Arth6nice — sie nennt ihre vermeintliche Nebenbuhlerin j^cour-
tisane.^ Später jedoch stellt sie sich gegenüber Th^lame, als
ob ihre Eifersucht nur erheuchelt gewesen sei, ein Zug, welcher
das Charakterbild entstellt. Auch Dorise gegenüber, auf die sie
doch eifersüchtig sein muss, weiss sie sich klug zu verstellen.
Überhaupt ist hier anzumerken, dass sich die Eifersucht in
der Pastorale beinahe immer nur derjenigen Person gegenüber
Luft macht, wegen der, nicht aber derjenigen gegenüber, auf
die man eifersüchtig ist. Höchst liebenswürdig und anziehend
ist der Charakter der Mac6e, Sylvie's Mutter, gezeichnet. Kein
Pastoraldichter vor Mairet hat uns die Gestalt einer älteren Frau
so sympathisch zu machen gewusst, wie er. Meistens gut ge-
lungen ist Mairet auch der Ton der Ironie, der in dieser Weise
in der Pastorale zum ersten Male auftritt. Selbst der alte, ur-
wüchsige Dämon wird ironisch, und Sylvie straft den heim-
tückischen Phil^ne nur durch ironische Bemerkungen. Wir
könnten uns fast in die Charakterkomödie versetzt glauben, wie
ich überhaupt der Ansicht bin, dass in einer Geschichte der
Komödie die Sylvie auch ein Plätzchen verdient, denn der
pastorale Teil der Sylvie ist mit ebensoviel Recht als komödien-
haft zu bezeichnen, wie Corneille's Melite, die Ebert eine zur
Komödie geratene Pastorale nennt. Der Fortschritt, den die
Sylvie für die Charakterzeichnung bedeutete, führte die Pastorale
mehr gegen die Richtung der Komödie als gegen die der
Tragödie. Hat auch Mairet noch alle Unarten des Mariuismus
beibehalten, ist es ihm auch nicht gelungen, alle Glieder seiner
Pastorale zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen, so ver-
dankt doch die Pastorale der Sylvie zum allermindesten die
Befreiung von dem Satyr und dem Chor, den Racan noch als
unvermeidliches Anhängsel mit sich schleppen musste. Die Em-
pfindungen werden bei Mairet auch nicht mehr in Liedern, wie
bei Racan, sondern in Monologen ausgedrückt. Die einzig lyrische
Partie in der Sylvie ist das Zwiegespräch zwischen Phil^ne und
Sylvie, dessen kreuzweise gereimte Verspaare und widerlich ge-
spreizte Sprache es sofort als Ekloge erkennen lassen, was weder
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 83
von BizoB Doch von Weinberg bemerkt worden ist. Diese Ekloge
mnss bei ihrem Erscheinen Aufsehen gemacht haben. Man hielt^)
Mairet nicht für fähige etwas so Ausserordentliches zu schreiben,
und Fontenelle gedenkt später noch lobend dieses Gedichts.
War die Sylvie das Werk eines wenigstens nach stoff-
licher Selbstständigkeit ringenden Geistes, so mnsste, da sich
erfahrungsgemäss der litterarische Nachahmungstrieb mit Vorliebe
der stofflichen Seite der Produktion bemächtigt, gerade die Sylvie
von grösstem Einflüsse auf die Gestaltung der Pastorale werden.
Die Annäherung an das stoffliche Element der Tragikomödie
seitens der Pastorale bedeutet das Aufgeben ihrer litterarischen
Selbstständigkeit, den Beginn des Auflösungsprozesses, den die
Sylvie angebahnt. Wir brauchen nicht mit Fonmel (La LätSra-
iure inddpendante S. 227) anzunehmen, dass gerade der Berger
extravagant von Sorel die Pastorale zu Fall gebracht habe.
Zuerst äussert sich der Einfluss der Sylvie in der Beliebt*
heit, deren sich die Bezeichnung Tragi- coToedie-pastor ah erfreut
zu haben scheint. Vor der Sylvie war diese Bezeichnung wenig
gebräuchlich, nach 1626 wenden sie De la Croix und Pichou
ohne Bedenken an, auch da, wo sie gar nicht entsprechend ist, wie
bei Pichou's Filii de Scire. Auch das unzüchtige Werk Veron-
neau's (Weinb., S. 129) nennt sich tragi-comidie-pastorale, wäh-
rend Du Rocher (ih,) sich in der Bezeichnung pastorale comiqtie
gefällt. Selbst Tasso's Aminta muss sich in der Bearbeitung
Rayssiguier's tragi-comedie-pastorale nennen lassen. Die unmittel-
bare, organische Verbindung der Schäferwelt mit dem Hofe, das
Charakteristikum der Sylvie, tritt zuerst in der bedeutendsten der
auf Sylvie folgenden Pastoralen, der Climhie von De la Croix
hervor. Dieses Stück erscheint, wie schon Weinb. S. 117 her-
vorgehoben, auf den etsten Blick als Nachahmung der Sylvie,
Dass wir es hier, ebenso wie in der nachher zu erwähnenden
Cleonice nicht mit geborenen Schäfern und Schäferinnen zu thun
haben, beweist, dass, Mairef's. Thüame ein kühner GriflF war,
den man nicht ganz genau nachahmen konnte oder wollte. Aber
die Hauptwirkung der Sylvie bleibt ungeschwächt — die Pasto-
rale segelt im Fahrwasser der Tragikomödie fort. Der Satyr
kehrt nach der Sylvie in den besten Pastoralen nicht mehr wieder
— D'ürfö's Silvanire ist ja vor Sylvie verfasst. Auch der Chor
ist überflüssig geworden — Climhie sowohl als auch OlSoniee
gaben, wie Sylvie, einen Teil des Pastoralt jpus auf. Diese Er-
scheinung hat auch Parfaict, wenngleich nicht ganz klar, hervor-
*) Re'ponse de *** ä ***. Vgl. Corneille, CEuvres, p. p. Marty-
Laveaux t. III, S. 72.
84 E, Dannheisser,
gehoben, ohne aber einen Erklärungsversuch za wagen (IV, 401).
Weinberg registriert nur das Urteil seines Gewährsmannes. Er
nimmt auch an, Climhne sei eine Nachahmung von Mairet's
Silvanire. Ist aber die von Parfaict für Climhie angegebene Jahres-
zahl richtig, was allerdings noch zu erweisen ist, so werden wir
in Climhie eine Nachahmung der D'Urf6'schen Pastorale zu
suchen . haben, worauf auch die Oestalt des verrückten Schäfers
Lindas hinweist, der mit dem tollen Adraste DXM6'8 manches
gemeinsam zu haben scheint. Gegen Ende der zwanziger
Jahre hatte die Pastorale ihre bühnenbeherrschende
Stellung eingebüsst. Als rein litterarisches Produkt (im
Gegensatz zu den Schäferspielen Hardy's) hatte sie demnach, von
162 3, dem frühesten Zeitpunkte des Erscheinens der Betgeries,
an gerechnet, nur ein halbes Dezennium im Mittelpunkte der
Theatergeschichte gestanden. Rotrou, Corneille, Scudery und Du
Ryer schrieben keine Pastoralen mehr, wenngleich sich hie und
da noch der Einfluss des Schäferspiels in ihren Werken nach-
weisen lässt. Aus Weinberg's Arbeit könnte man den Eindruck
gewinnen, als ob das Schäferspiel ungefähr dreissig Jahre lang auf
der Bühne allmächtig gewesen sei; aber Weinberg hat es leider
unterlassen, die Machtstellung der Pastorale den anderen Abarten
der dramatischen Poesie gegenüber zu beleuchten, es fehlt seinem
historischen Bilde also der Untergrund. Dabei dürfen wir uns
aber nicht der Täuschung hingeben, als ob die Pastorale nach
der Climhie y deren Aufführungszeit wir überdies nicht genau
wissen, ohne Sang und Klang von der Bühne verschwunden sei.
Das gewiss nicht.
§ 5. Die Silvanire Mairet's und die italianisierende
Pastorale.
1627 erschien endlich D'ürfö's Silvanire im Drucke. Das
Stück hat gedruckt jedenfalls grösseres Aufsehen gemacht als
auf der Bühne, auf die es vielleicht nie gekommen war. Es
hatte den klar ausgesprochenen Zweck, den Franzosen das
Muster einer getreu nach italienischen Vorbildern gearbeiteten
Pastorale zu bieten; es war ein theoretisches Experiment, das,
vom ästhetischen Standpunkte aus betrachtet, wohl die Gering-
schätzung verdient, die es gefunden — Weinberg z. B. gönnt
dem Stücke nur eine Anmerkung. Um so interessanter ist das
Stück für die Entwickelungsgeschichte des Schäferspiels. Gegen
die Mitte der zwanziger Jahre scheint man in Hofkreisen — und
diese waren damals schon wie auch später, massgebend — die
Empfindung gehabt zu haben, als sei eine französische Pastorale
Zur Geschichte des Schäfej'spiels in Frankreich. 85
ein ganz anderes Ding wie eine italienische. Vielleicht hatten
gerade Racan's Bergeries, welche, trotz ihrer beinahe ostentativen
Annäherung an den Pastor fido, doch den Charakter des national-
französischen Schäferspiels nicht verleugnen konnten, diese That-
sache erst recht zu vollem Bewusstsein gebracht. Zwischen der
Abfassung und Veröflfentlichung von D'ürf6's Süvanire liegt der
Erfolg der Sylvie, welcher die Klufk zwischen der französischen
und italienischen Pastorale als nicht ttberbrttckbar erscheinen
lassen musste. Die Veröffentlichung von D'Urf6*8 Süvanire war
die erste Wirkung oder die Ursache zur Reaktion gegen die
Strömung, welche die Pastorale der Tragikomödie und Komödie
unwiderstehlich zutrieb. Es kam dabei nicht in Betracht,
dass D'Urf^'s Nachahmung der Italiener sich zumeist an
Äusserlichkeiten (z. B. den Vers) klammerte, und sein Werk
dem Inhalte nach in einigen Punkten unwillkürlich der franzö-
sischen Pastorale entsprach. Von 1627 ab war und blieb
das Lager der Pastoraldichter gespalten. Reichtum und
Neuheit der Handlung, wie in der Tragikomödie einerseits, Ab-
schwenkung nach der Richtung der reinen italienischen, in stoff-
licher Beziehung wenig mannigfaltigen Pastorale andererseits,
bildete das Charakteristikum der beiden Parteien, welche sich
in Bezug auf die Form ihrer Werke wohl auch wieder nahe
kamen. Der italianisierenden Richtung gehörten Rayssigaier,
Mar^chal, Du Cros und Baro an, zu der französischen Richtung
schlugen sich nach dem Vorgange Mairet's: De la Croix, der
anonyme Verfasser der CUonice, du Rocher und De Veronneau,
während Pichou sich nach beiden Seiten hin neigt. Es ist
übrigens vorauszusehen, dass die Nachtreter DTrf6*s, wie dieser
selbst, schon um des Erfolges willen, der französischen Schule
auch mit Rücksicht auf den Stoff einige Zugeständnisse machen
mussten. Dahin rechnen wir zunächst ihre Vorliebe für die
Filii di Sciro, welche der französischen Anschauungsweise viel
mehr entsprach als der Pastor fido oder Amintay und zweitens
das jetzt erst auftretende direkte Zurückgehen auf die Haupt-
charaktere der AstrScj die, wenn auch nicht immer nach fran-
zösischen Mustern entworfen, doch wieder echt französische Züge
aufweisen. Besonders bezeichnend ist die Vorliebe für den
Charakter des Hylas, die wohl auf die unmittelbare Einwirkung
D'Urf6's zurückzuführen sein dürfte. Am deutlichsten zeigt
VAminte du Tasse von Rayssiguier, wie wenig genau man es
mit der Nachahmung der Italiener nahm. Es sollte eine Über-
setzung von Tasso's Meisterwerke sein, zugleich aber auch ein
Stück für die französische Bühne. Die Veränderungen, welche
an der Pastorale Tasso's von Rayssiguier vorgenommen ¥nirden,
86 E. Danhheisser,
sind geradezu charakteristisch fUr die zentrifagale Wirkung^
welche das italienische Schäferspiel auf das französische ausühte.^)
So musste das italienische Schäferspiel in ästhetischer Be-
ziehung erst herabgewürdigt werden, ehe es die französische
Btthne betreten konnte. In diesem neuen Oe wände musste es
aber die Sympathie der Gebildeten verlieren. Da nun auch die
gegen und in sie dringende Tragikomödie und Komödie die
ganze Gattung des Schäferspiels zu einem blossen, leicht ent-
behrlichen Beiwerk erniedrigte, konnte die Pastorale von keiner
der beiden Parteien dem Untergange entrissen werden. Das
Interesse an den einfachen Stoffen der Pastorale war ein für
allemal verloren — die Wirkung dieser Thatsache hätte auch
die reinste Wiedergabe, die getreueste Nachahmung des italienischen
Schäferspiels nicht abwenden können. Das einfache Kleid der
Pastorale erschien nunmehr dem Franzosen langweilig, im reichen
Faltenwurf der Tragikomödie konnte sie sich aber nicht mit An-
mut bewegen. Deshalb verschwand sie aus der Sphäre des
künstlerischen Interesses. Und Mairet nach dem Erfolge seiner
Sylvie (1626)? Er mag eingesehen haben, dass auf dem mit der
Sylvie betretenen Wege keine Lorbeeren mehr zu holen seien.
Es vergingen zwei Jahre, bis er wieder für die Btthne zu arbeiten
begann. Vielleicht auch wusste Mairet bei der Zerfahrenheit der
damaligen Theaterverhältnisse nicht, welchem dramatischen Genre
er sich zuwenden sollte. Auf einmal erscheint auch er von dem
Strome der Reaktion gegen die von ihm selbst hervorgerufene
Strömung in der Pastorale ergriffen — mit seiner Sävanire (1630)
hatte er sich dem italianisierenden Schäferspiel in die Arme ge-
1) Tasso Akt I = Rayssiguier Akt I. Prolog und Chor fallea
weg. Die Worte des Chors bei Tasso legt Rayssiguier verschiedenen
Personen in den Mund.
Tasso II, 1, 2, 3 = Rayssiguier II, 3, 4, 5. Hinzugedichtet ist
von Rayssiguier in diesem Akte: 1) Szene 1: Dialog zwischen Ergaste
und Elpin. 2) Die Liebe Elpin's zu Närine, die ihn wegen seiner
Armut verachtet. Elpin's Schicksal ist die Darstellung eines Er-
eignisses aus des Dichters eigenem Leben. Also fügte Rayssiguier drei
Szenen hinzu.
III. Akt. Das Baden der Sylvie und der Oberfall des Satyrs
werden nicht, wie bei Tasso bloss erzählt, sondern in Szene gesetzt.
IV. Akt Rayssiguier'«. Entspricht im ganzen der Vorlage.
V. Akt Rayssiguier's. Die Erzählung des Nunzio bei Tasso wird
in Szene gesetzt und liefert den Stoff zu drei Auftritten. Hinzu kommt
die Klage der Sylvie über den Tod Aminta's. Es entsprechen sich also :
Tasso III, 1 = Rayssiguier's ganzer dritter Akt.
« III, 2 = „ IV, 1, 2.
« IV, 1 = „ IV, 3.
„ IV, 2 = „ V, 1 und 2.
n V, 1 = « V, 3, 4, 5, 6.
Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich. 87
worfen. Der innere Widerspruch löst sich leicht. Mairet war
(162J7) mit den vornehmen Kreisen in gesellschaftliche Verbindung
getreten. In diesen Kreisen wird man es besonders schmerzlich
empfunden haben ^ dass die Pastorale aus der Art geschlagen
war und nach Form und Inhalt ihre Abstammung verleugnete.
Der Graf von Carmail und der Kardinal de La Vallette hielten
den Dichter der Sylvie für den geeigneten Mann, dem Verfalle
der Pastorale zu steuern. Wahrscheinlich selbst durch D'Urfe's
Süvanire angeregt, bestimmten sie Mairet, eine Pastorale nach
den Regeln der Italiener zu schreiben.^) Dabei wurde wahr-
scheinlich nicht ausgesprochen, dass die erwünschte Pastorale
auch inhaltlich den italienischen Vorlagen entsprechen solle —
vorerst sollte nur die Form dieselbe sein und dadurch sollten
die litterarischen Feinschmecker wieder fUr das Schäferspiel ge-
wonnen werden. Äusserliche Mittel wurden also vorerst und
vornehmlich zur Regeneration in Aussicht genommen. Um so
besser, wenn es Mairet zugleich auch verstand, durch den Stoff
des Stückes die Wirkung desselben zu erhöhen. Dass Mairet
dem an ihn gestellten Ansinnen Folge leistete, ist kein Beweis
für seine künstlerische Abhängigkeit — seine Muse war eben zu
lange für ihn unfruchtbar geblieben. Ich möchte aber fast be-
zweifeln, ob er mit Lust und Liebe an die Arbeit ging. Wohl
muss ihn die gehobene Stimmung eines Reformators ergriffen
haben; denn vor ihm hatte kein Pastoraldichter der italiani-
sierenden Richtung es versucht, den Schwerpunkt des Interesses
in die Form zu legen. Mairet that aber des Outen zu viel.
Er kam dem ihm zu teil gewordenen Auftrag pünktlich, aber
auch wörtlich nach, wie einer, der eben nur seine Pflicht und
nicht mehr thun will. Das Irrlicht der dramatischen Theorien
tanzte vor ihm her, und so verlor er den Weg zum Herzen seiner
Zuhörer. Dass es ihm gar nichts galt, auch stoffliches Interesse
zu erwecken, wird schon durch die Wahl des Stoffes bewiesen,
der ja seinen Zuhörern, sei es aus der ÄstrSe, sei es aus D'ürf6's
Pastorale bekannt sein musste. Allerdings erlaubte sich Mairet
einige Abstriche. Der Satyr wurde von Mairet ebensowenig auf
die Bühne gebracht, wie der verrückte Adrast. Die Nachahmung
der Italiener wird auch durch die Bezeichnung tragi- comedie-
pastorale angedeutet, die sich bei D'Urf6 nicht findet und die,
besonders wenn man die Sylvie betrachtet, ebensowenig Berechti-
gung für Süvanire wie für den Pastor fido hat, denn beide haben
mit der Tragikomödie nichts gemein.* Was half es Mairet, dass
er D'ürf6*8 versi sciolti durch den Alexandriner ersetzte, dass
^) Vorrede zur Süvanire Mairet's.
88 E. Dannheisser,
er, wie D'ürf6, die von Hardy und seinen Vorgängern einge-
führten echt französischen Zuthaten zur Pastorale beibel^ielt?
Kaum halten wir es für möglich, dass der Dichter der Sylvie
so verschwommene Gestalten schaffen konnte, wie sie sich in der
Silvanire finden. Da fehlt jede energische Charakteristik. Alt-
klugheit tritt an die Stelle der Leidenschaft, unnatürliche Sprödig-
keit an die Stelle warmer Hingebung. Zum ersten Male hat
hier Mairet den Chor angewandt und zwar in der allerödesten,
mattesten Weise. Das ganze Stück ist langweilig, selbst der
Charakter des liebenswürdigen Hylas verschwindet in einem Meer
von Gemeinplätzen. Für welches Publikum die Silvanire be-
rechnet war, erhellt aus der einen Thatsache, dass sie ohne die
Kenntnis der Astrie nicht zu verstehen ist. Dieses Publikum
begnügte sich aber nicht mit einem Stücke, dessen einziges Ver-
dienst auf dem Gebiete der Kunsttheorie zu suchen war — die
Silvanire hatte keinen Erfolg, und Mairet entsagte der Pastorale
für immer. Nichtsdestoweniger ist das Stück von hoher Be-
deutung für die Entwickelungsgeschichte Mairef s. In dem Be-
streben, auch in ihrer Ausdrucksweise den Italienern möglichst
nahe zu kommen, reinigt sich Mairet von der Pointensucht,
welche noch für die Sylvie charakteristisch ist. Weinberges Be-
hauptung (S. 115), Mairet habe sein in der Vorrede zu Silvanire
gegebenes Versprechen, die Pointe zu meiden, nicht gehalten, ist
nur bedingungsweise richtig. Welchen Abstand in dieser Be-
ziehung zwischen Sylvie und Silvanire! Die Geschichte von
Mairet' s Silvanire wirft ein hübsches Streiflicht auf die damaligen
Theaterverhältnisse. Da die Pastorale auch in der Form der
Silvanire nicht mehr zog, war es kein Wunder, wenn die mit
Rotrou^) beginnende, heranwachsende Dichtergeneration sich nicht
mehr um sie kümmerte. Freilich finden sich in der Tragikomödie,
ebensowohl wie in der Komödie Züge der Schäferspieldichtung,
die zu sammeln eine dankbare Aufgabe wäre. Fassen wir zu-
sammen: Nachdem Mairet durch seine Sylvie der Pastorale einen
neuen Inhalt gegeben, gab er ihr durch seine Silvanire eine
wenigstens neu erscheinende Form. Der von der Tragikomödie
erborgte Reichtum der Handlung in Sylvie sowohl, als die durch
die dramatische Form bedingte Armut der Handlung in Silvanire
— beides musste zum Verfall der Pastorale, als selbständige
Gattung des Dramas beitragen, ihn kennzeichnen. Aber die
scheidende Pastorale hinterliess ein Danaergeschenk — die
*) Die in der Comedie des Comediens von Scud^ry enthaltene
kleine Pastorale : VAmour dache par VAmour ist wohl kein von Scudäry
ernst gemeintes Werk.
E. Dannheisser, Zur Geschichte des Schäferspiels in Frankreich, 89
Theorie der dramatischen Einheiten. Von Silvanire bis zu
Sophanisbe scheint der Weg weit zu sein — an der Hand der
Regeln ist er bald zurückgelegt. Die Tragödie brauchte sich
nur in das zurückgelassene Gewand der Pastorale zu kleiden.
Wer möchte also letztere mit Weinberg eine ^notwendige Ver-
irrung" nennen?
E. Dannheisser.
Bemerkungen über die Correspondanee philo-
sophique, litUraire et critique (1747—1793).
INachdem uns der Text der von dem Historiker Raynal
begonnenen, von Grimm fortgeführten, von dessen Sekretär, dem
Schweizer Litteraten Meister, beendeten Korrespondenz von M.
Toumeux vollständig bis Mai 1793 gegeben ist, und manche
Arbeiten, wie namentlich E. Scherer's Biographie Grimmas, das
Verhältnis der Redakteure zu jenem Unternehmen in der Haupt-
sache festgestellt haben, möge uns eine Art Nachlese des früher
Gesammelten gestattet sein.
Handschriftliche Korrespondenzen für einen Kreis vertrauter
Abonnenten, unter der Voraussetzung der Verschwiegenheit, waren
in einer Zeit, wo die Zensur, auch wenn sie mit der liebens-
würdigen Rücksicht des Philosophenfreundes Malherbe's gehand-
habt wurde, oft das beste streichen musste, wo die Verfolgungen
der Geistlichkeit und Polizei den Autor wegen jedes freien
Wortes für seine persönliche Freiheit zittern Hessen, dringend
geboten. Besonders waren sie für diejenigen vornehmen und
feingebildeten Kreise, welche durch die von schwer durchdring-
lichem Geheimnis umgebene Form der Francma9onnerie sich sowohl
gegen die blindgläubige Menge, wie gegen die noch am alten
Herkommen hängende geistliche und weltliche Aristokratie ab-
schlössen, ein sehr geeignetes Mittel des Gedankenaustausches.
Die wenig entwickelte und von Rücksichten mannigfacher Art
beeinflusste Presse, die erschwerte Zirkulation der Bücher,
Broschüren und Zeitschriften hätten die neuesten Nachrichten
über Litteratur, Gesellschaft und Staatsleben ohnehin unvoll-
kommen und langsam in die Hände der auf alles, was in Paris
geschah, emsig lauschenden Geistesaristokratie der ausserfranzö-
sisehen Hauptstädte gelangen lassen, auch der eifrig gepflegten
brieflichen Korrespondenz durfte man aus Rücksicht auf das
R, MahrenhoUz, Bemerkungen über die Correspond, philosophique eic, 91
schwarze Kabinet der Post nicht zu viel anvertrauen. Hier trat
ergänzend die handschriftliche Korrespondenz ein, welche in be^
stimmten Zwischenräumen (etwa von vierzehn zu vierzehn Tagen)
versandt wurde, bei grösserem Umfange weniger eine peinliche
Kontrolle gestattete, als Briefe und Zeitungsannoncen, aber auch
grosse Vorsicht, namentlich in der Anführung persönlicher Ver-
hältnisse und in der Besprechung politischer Dinge, beobachten
musste.^) Die letzteren Rücksichtnahmen treten uns in der
Korrespondenz, deren Besprechung Gegenstand dieser Abhandlung
ist, von Anfang an entgegen. Namen werden häufig nur durch
Anfangsbuchstaben angedeutet, persönliche Anspielungen so be-
hutsam gegeben, dass selbst der Scharfsinn eines Tourneux sie
nicht immer ermitteln konnte, das wenige, was von Tagespolitik
überhaupt verraten wird, ist so korrekt und zaghaft, dass es dem
eifrigsten Zensor keine Gelegenheit zu LFnterdrückungen gegeben
hätte. In dieser Hinsicht ist zwischen den Berichten des rück-
sichtsloser schildernden Raynal, des feinen Hofmannes Grimm
und des mehr ungeniert naturwüchsigen Meister, kein wesentlicher
Unterschied. So ist die ganze Korrespondenz, vom Jahr« 1747,
wo sie von Raynal begonnen wurde, bis zum Jahre 1789, wo
die grosse Revolution die Grundlagen des ancien regime zerstörte,
zwar ein treues Abbild der Litteratur und Gesellschaft, doch ein
sehr undeutliches und gefärbtes der Politik und der kirchlichen
Richtungen. Als dann mit dem Jahre 1789 ein weit schlimmerer
Despotismus, als der des ancien regime, jede politische, kirch-
liche, soziale und selbst rein litterarische Äusserung hemmt,
die nicht in das Schema der liherti und egaliti sich fügte,
wird die politische Seite der Korrespondenz noch weit dürftiger
und zurückhaltender. Von den Ereignissen der bewegungsvollen
Jahre 1789—1793 schildert uns Meister zwar die Eröffnung der
Nationalversammlung und das Jahresfest des Bastillen sturmes in
sehr eingehender, lebendiger Weise, aber den Bastillensturm
selbst) die Beschlüsse der Augustnacht, den Zug nach Versailles,
das Märtyrertum des Königs, die Septembergräuel (1792), über-
haupt die politischen, kirchlichen und sozialen Wirren erwähnt
er nur gelegentlich bei Besprechung von Schriften der Tages-
litteratur, den Prozess und die Hinrichtung des Königs übergeht
er ganz. Nur sehr indirekt kann somit die Korrespondenz der
1) Wurde auch die Korrespondenz auf amtlichem Wege durch
die Gesandten vermittelt, so fehlte es doch an IndiskretioD nicht.
M"® GeofFrin schärft dem Polenkönige Stanislas Poniatowski deshalb
die Geheimhaltuug sehr nachdrücklich ein, als sie um seinen Beitritt
wirbt, und die unrechtmässige Publikation vom Jahre 1812 zeigt, wie
wenig geheim die handschriftlichen Berichte blieben.
92 R. Mahrenfioltz,
Jahre 1789 — 1793 als ein Abbild der politischen Umwälzung
angesehen werden, and wären nicht fast alle in ihr besprochenen
Schriften und Theaterstücke von dem Geiste jener Tage durch-
lebt, so würden wir über das wichtigste und bedeutendste kaum
etwas erfahren. Anders steht es mit den Berichten über die
vorhergehenden zweiundvierzig Jahre (1747 — 1789). Damals war
die Litteratur, vor Allem die Philosopliie, die tonangebende Macht,
die Gesellschaft stand mehr im Vordergrunde, als das Staats-
leben, und da die Schilderung beider nicht so grosse Vorsicht
erheischte, als die politische Diskussion, so konnten hier die drei
Redakteure, Raynai, Grimm und Meister, sich mit behaglicher
Breite über wichtiges und unwichtiges ergehen.
Wir haben die Korrespondenz zunächst als ein Ganzes auf-
gefasst und dies um so mehr thun können, als die Anschauung
und Darstellungsweise Grimmas und seines Redaktionsnachfolger
Meister sehr viele Berührungspunkte haben und selbst Raynai,
der eigentliche Begründer der Korrespondenz, manches mit den
beiden Nachfolgern gemeinsame zeigt. Aber es ist doch wichtig,
zunächst das Verhältnis der drei Männer räumlich und zeitlich
abzugrenzen und die Verschiedenheiten in der Chefredaktion,
welche jeder Wechsel mit sich bringt, hervorzuheben.
Die Korrespondenz, welche Raynai mit dem 29. Juli 1747
begann, war zunächst nur für die freisinnige und feingebildete
Fürstin Louise Dorothea von Sachsen - Gotha bestimmt, und für
sie allein scheint sie auch bis zum Juli 1755 fortgeführt worden
zu sein, allerdings vom Mai 1753 ab nicht ohne Lücken und
Unterbrechungen. Mit dem Jahre 1753 erweitert sich der Kreis
der Abonnenten und dehnt sich allmählich auf alle diejenigen
Fürsten und Fürstinnen aus, welche ausserhalb Frankreichs die
Zwecke der Aufklärung förderten und zum Teil wenigstens durch
das Band der Francma9onnerie von der kirchlich - gläubigen, wie
von der profanen Welt sich abschlössen.^) Es fragt sich nun,
war dieses von Grimm 1753 begonnene Werk ein Konkurrenz-
unternehmen zu dem Raynal's oder nur eine Fortführung und
Erweiterung mit Zustimmung des ersten Redakteurs. Für die eine
Annahme spricht ebenso vieles, wie für die andere. Auffallend
ist es freilich, dass neben Grimmas für einen weiteren Kreis
1) Abonnenten waren ausser der Herzogin von Gotha: der Herzog
von Zweibrücken, die Erbprinzessin von Darmstadt, Prinz Georg von
Darmstadt, die Prinzessin von Nassau-Saarbrück ; später erst (nach 1763)
traten Friedrich d. Gr., Katharina IL, der Polenkönig, Ulrike von
Schweden, Friedrich's II. Schwester, und noch andere bei. Wahrschein-
lich ist es auch, dass man höhergestellte Adlige zuliess, wennschon
nicht ganz sicher bezeugt.
Bemerkungen über die Correspondance philosophigw etc. 93
bestimmten Berichten die von Raynal fttr die Gothaer Fürstin
geschriebenen noch etwa zwei Jahre hergehen, aber die freund-
liche Art und Weise, in welcher der sonst persönlichen Regungen
sehr zugängliche Grimm von seinem Vorgänger und Mitbewerber
spricht, lässt nicht auf eine litterarische Konkurrenz schliessen.^)
Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass Kaynal, von der Last
einer umfangreichen vierzehntägigen Korrespondenz überwältigt
und in den Vorstudien für seine späteren historisch-philosophischen
Arbeiten in unerwünschter Weise gestört, die schwere Arbeit auf
die Schultern eines andern zu wälzen suchte, gerade wie Grimm
im Jahre 1773 die zu drückend werdende Last auf die Schultern
des jüngeren, durch andere Mühen und Arbeiten weniger abge-
zogenen Meister legte. Um den Verpflichtungen gegen seine
edelmütige Gönnerin nachzukommen, hat dann Raynal das über-
nommene Werk noch ungenügend und widerwillig eine Zeit lang
fortgeführt, bis auch die Gothaer Fürstin in den Kreis der
Abonnenten der Grimm'schen Korrespondenz eintrat. Die Kosten,
welche ein solches Unternehmen auch bei grösster Uneigen-
nützigkeit der Redakteure und Mitarbeiter forderte, wurden auf
die Dauer für einen Abonnenten zu hoch, hat doch späterhin
(1774 — 1775), als die Zahl der Abonnenten sich erweitert hatte,
die Zarin Katharina IL 720 Rubel für zwei Jahresbeiträge zahlen
müssen.^) Soweit wir sehen können, ist Raynal nicht nur Redakteur,
sondern auch im Wesentlichen der Verfasser jener auf so viele
Einzelheiten sich erstreckenden Korrespondenz gewesen, mögen
auch befreundete Autoren ihm Material und Notizen geliefert
haben. Da er nun weder ein schnell und gewandt arbeitender
Schriftsteller war, wie das seine grösseren Geschichtswerke be-
weisen, noch auch, nach der Korrespondenz selbst zü urteilen, die
redaktionelle Mache nicht sonderlich verstand, so sind die Mängel
seiner Redaktion und Berichterstattung erklärlich genug. Es ist
ein kleinlich mäkelnder Ton, eine einseitige, der höheren, zu-
sammenfassenden Gesichtspunkte entbehrende Auffassung, welche
seine Korrespondenz tief unter die Grimm's und des geistesver-
wandten Meister stellt. Die einzelnen Werke und Persönlich-
keiten, welche er schildert, sind daher aus dem Zusammenhange
der allgemeinen Ideen gerissen, oft nach vorübergehenden Tages-
stimmnngen, nach Sympathie und Antipathie beurteilt, und der
gesellschaftliche Klatsch, den Raynal gern einstreut, wirkt auf
die Dauer ermüdend.
1) Raynal war übrigens Grimm persönlich befreundet.
2) Andere zahlten allerdings weniger, z. B. der Polenkönig
Stanislas.
d4 R MahrenhoUz,
Raynal war damals ein noch wenig bekannter und namhafter
Litterat, denn die Werke, welchen er seine litterarhistorische
Stellung verdankt, gehören einer späteren Zeit an; auch stand
er der religiösen und politischen Aufklärung, deren Yerkttnder
und Märtyrer er geworden ist, noch ferner. Rücksichten auf
die politischen und kirchlichen Machthaber und auf seine geist-
liche Stellung als dbhi mussten sein Urteil beeinflussen und es
ist daher kein Wunder, dass Voltaire nicht nur als Charakter,
sondern auch als Schriftsteller von ihm ziemlich ungünstig, stellen-
weis gehässig beurteilt wird. Montesquieu dagegen, der die
Jugendschärfe seiner Persischen Briefe mit einer massvollen,
sachlichen Kritik vertauscht hatte, ist für Raynal der bahn-
brechende Vertreter der neuen Zeit, an dessen Schriften nur
einzelne stilistische Mängel tadelnd hervorgehoben werden.
Was für uns die Ko'n'espondenz RaynaFs, nicht minder aber
auch die Grimmas und Meister's, ermüdend macht, ist die aus-
führliche Besprechung und Schilderung so vieler Schriften und
Schriftsteller, die, schnell vergessen, heute nur noch für den
Spezialforscher existieren. Aber gerade in dieser Hinsicht ist
sie charakteristisch für eine Zeit, welche einen Piron neben
und sogar über Voltaire stellte, in welcher die Talente zweiten
und dritten Ranges selbst in der Auffassung der Höhergebildeten
und Freidenkenden neben bahnbrechende Geister, wie Montesquieu,
Voltaire und Rousseau, traten, und ihr Einfluss in tiefere Schichten
der litterarischen Gesellschaft drang. Die eigentliche Blütezeit
der Aufklärung, die Zeit, in welcher Voltaire und sein Antipode
Rousseau sich um die Führerschaft der aufgeklärten und halb-
aufgeklärten Welt stritten, beginnt erst nach den Jahren, welche
Raynal's Korrespondenz schildert. Für diese gab Montesquieu
den Ton an, Voltaire stand noch in zweiter Linie, hatte sich
seit 1750 überdies der Pariser Gesellschaft durch den Aufenthalt
im Auslande entfremdet und die Tage d'Alembert's, Diderot^s,
der Enzyklopädisten und des seinen eigenen Weg gehenden
Rousseau dämmerten erst am litterarischen Horizonte. Darum
fehlt den Schilderungen Raynal's die höhere Bedeutung und das
vielseitigere Interesse der Grimm'schen Korrespondenz ^ es fehlt
ihr auch der einheitliche Mittelpunkt, den die Philosophie als
Beherrscherin der Religion, Politik, Gesellschaft, Dichtung und
Kritik in der eigentlichen Aufklärungsperiode bildete. Der Hof
und die in seinen Strahlen sich sonnende höfische Gesellschaft
mit ihren schöngeistigen, oberflächlichen Interessen, ihrem litte-
rarischen Dilettantismus, ihrer Neuigkeitskrämerei und Klatschsucht
treten daher selbst für die ernste Auffassung eines gründlichen
Forschers und tieferen Denkers, wie Raynal, in den Vorder-
Benwknngen über die Correspondance philosophique eic, 95
grnnd. Eins aber zeichnet seine Korrespondenz vor der Grimmas
und Meister's aus: er fühlte ganz als Franzose, während der
Deutsche und der Deutsch-Schweizer in den beiden andern stets
unter der französischen Hülle hervorlugen. Völlig in dem Be-
wusstsein nationaler Grösse lebend, zu den Schöpfungen des
siede de Louis XIV wie zu unerreichten Idealen emporblickend,
mag er Voltaire die wohlberechtigte Auflehnung gegen die
klassische Tradition, die freilich sehr , äusserliche und flüchtige
Anglomanie und Shakespeare -Würdigung, die scharfe Verspottung
der Schwächen des französischen Volkscharakters nicht verzeihen.
Wie seinem grossen Ideale, Montesquieu, ist ihm selbst der letzte,
schwache Abglanz des alten Klassizismus, der in die misslungenen
Dichtungen des Corneille - Nachahmers Cr^billon hineinschimmert,
angenehmer, als das neue, grelle Licht, welches Voltaire als
Dichter und Philosoph ausstrahlte.
Ein anders angelegter, vielseitiger und ganz in den Auf-
klärungsideen lebender Mann war sein Nachfolger Friedrich
Melchior Grimm. Im väterlichen Pfarrhause zu ßegensburg er-
zogen und auf der Leipziger Universität gebildet, hatte er sich
mit den Vorstellungen jener künstlichen Nachblüte des Humanis-
mus erfüllt, welche damals unser deutsches Vaterland in einen
wohlgepflegten Ziergarten voll exotischer, schön blühender Blumen
verwandelte, der nur den obersten Zehntausend geöffnet war,
ohne doch dem hungernden Magen des von kleinen Tyrannen
vielgeplagten, in geringfügigen Sonderinteressen aufgehenden Volkes
mit sättigenden P>üchten zu füllen. In langem Schlafe hatten
die klassischen Studien seit dem sechszehnten Jahrhundert hier,
wie in dem westlichen Nachbarreiche, Frankreich, gelegen,
weder die pedantischen, schlecht bezahlten Grammatiker hier,
noch die feiner gebildeten, aber nur für Kirchenzwecke arbeiten-
den jesuitischen Dressierer dort konnten und wollten ihre Zög-
linge mit Liebe zu dem griechisch-römischen Altertum erfüllen,
sie in den Geist jener ewig jugendfrischen Vergangenheit ein-
führen. So zeitigte die Menge der Lehrstunden, welche man
den lateinischen Autoren vorzugsweise zuwandte, ohne in deren
Urquell, die hellenischen, tiefer einzudringen, nur Treibhaus-
blüten und tote Früchte, die sächsischen Fürstenschulen allein
verstanden es, das Knochengerüste der Grammatik mit dem
warmen Leben der Kunst und Litteratur zu erfüllen. Wer daher
mit seinem Bildungsgange in die ältere Zeit hineinreichte, oder
auf Schulen gebildet war, die im alten Geleise verharrten, wusste
die römischen Litteraturschätze nur wenig, die griechischen fast
gar nicht zu heben und half sich oft mit französischen Ver-
dolmetschungen und Nachbildungen. Herder und Schiller kämpften
96 R. MahrenhoUz,
noch in späteren Lebensjahren mit den Anfängen der griechischen
Grammatik, der letztere konnte seinen Lieblingsautor , Virgii,
nar in französischer Übersetzung lesen. In Frankreich fehlten
den bedeutendsten Antoren oft die nötigen Vorkenntnisse zum
Studium der antiken Litteratur. Qninault, obwohl Mitglied der
französischen Akademie , und deren Sekretär, der vielbelesene
Conrart, verstanden kaum Latein und Griechisch, der berühmte
Dichter Regnard, bekannte seine Unwissenheit in beiden Sprachen
offen und ehrlich, Voltaire gesteht, dass er vom Latein nur den
Eirchenjargon und ein bischen Horaz wisse und mit dem
Griechischen war er so wenig vertraut, dass er den Plural von
ßaffdeb^ in ßcunXdl wandelte. Die Dichtung Griechenlands war
ihm daher, wie seinem grossen Zeitgenossen Friedrich IL, in
dessen Studienplan die alten Autoren keine Aufnahme gefunden,
weil sie nach seines Vaters Dafürhalten „gar nichts taugten^,
^ur aus französischen Übertragungen mangelhaft bekannt. In
Deutschland hat gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts
Emesti den Grund zu jener klassischen Gymnasialbildung und
znm tieferen philologischen Studium gelegt, an deren Zersetzung
unsere Zeit wieder nach Kräften arbeitet und aus seiner Schule
ist ausser Lessing, dem gediegenen Kenner des Altertums, auch
unser Melchior Grimm hervorgegangen. Neben Latein und
Griechisch herrschte aber das Französische bis über das Ende
des vorigen Jahrhunderts hinaus in unveränderter Macht, die
klassische Dichtung des Zeitalters Ludwigs XIV. wurde neben
der französischen Sprache und Konversation noch eifrig geschätzt
und gepflegt, als bereits Lessing sein kritisches Richterschwert
geschwungen hatte. Ausser dem griechisch-römischen Altertum
blieb daher das such de Louis XIV. der Bildungsquell, aus dem
auch'Grimm schöpfte und neben Emesti's philologischer Forschung
auch Gottsched^s halb französische Poetik und Dramaturgik für
seine Lebensanschauung massgebend. In Gottsched's Formalis-
mus ist sein erster dramatischer Versuch, die Banise, gehalten,
gerade wie Lessing's Erstlingsdichtungen neben dem Vorbilde
Moli6re's und seiner Epigonen auch die Lehren Gottsched's
deutlich erkennen lassen. An diesen Jugendeindrücken hielt
Grimm noch fest, als er von dem Einflüsse der französischen
Aufklärung, die zugleich mit dem alten Herkommen in Staat
und Kirche die griechisch-römische und die französisch-klassische
Tradition über den Haufen warf, schon ganz erfüllt war. Neben
den Dichtem des Hellenentums waren die grossen Meister aus
Ludwig's XIV. Zeit, namentlich Racine und Moli^re, für ihn hohe,
der skeptischen Kritik entrückte Vorbilder, nur dem altmodischen
Corneille und mehr noch dessen unglücklichen Nachahmer, dem
Bemef^kungen über die Correspondance phüosophique etc. 97
Siteren Cr6billon, mochte er nicht den Lorbeer des Dichterruhms
reichen. Auch Boileau bedentete, trotz Voltaire's absprechender
Kritik, für ihn fast dasselbe, wie für das siebzehnte Jahrhundert,
und Montesquieu, der tiefe Erforscher und beredte Dolmetscher
römischer Grösse, galt ihm im ganzen als unumstössliche Autorität,
gerade wie seinem Vorgänger in der Redaktion der KorrespondenZy
dem Abb6 Raynal. Aber zu diesen anerzogenen Anschauungen
traten für ihn eine Fülle neuer Eindrücke, als er Paris 1749
betrat und in die litterarischen Kreise eingeführt wurde, in welchen
d'Alembert, Diderot und Rousseau den Ton angaben. Am
wenigsten Einfluss gewann auf ihn der erstere, dessen mathe-
matische Schulung und doktrinäre Schärfe, wie moralische Ehr-
barkeit den vielseitig aus- und abschweifenden, allem Abstrakten
und rein Theoretischen abgeneigten, den Freuden des Lebens
wie der Liebe huldigenden Grimm zurückstiessen. Bedeutungs-
voller ward Diderot für ihn. Den religiösen Skeptizismus neben
politischem Indifferentismus, die naturwissenschaftliche Grund-
richtung alles Philosophierens, das Verständnis für die Um-
wandlung der überlebten klassischen Tragödie und Komödie
Frankreichs in die Tragisches mit Komischem vermischende
„bürgerliche Tragödie", deren Hauptschöpfer Diderot selbst war,
die gerechte Würdigung der englischen Litteratur des XVIIL Jahr-
hunderts, die schon Gottsched, der Nachahmer Addison's, an-
gebahnt hatte, diese und manche andere Eigenheiten, welche für
die Korrespondenz massgebend wurden, verdankt Grimm den
Einwirkungen seines intimen Freundes. Auch Rousseau's Genius
riss den empfänglichen Sinn des Deutschen fort. Mochte auch
Grimm schon in Deutschland sich mit einer Vorliebe für die
italienische Musik, die damals im deutschen Süden auf der
Opernbühne herrschte, erfüllt haben und nur, um in Paris nicht
Anstoss zu erregen, noch einem Rameau Bewunderung zollen,
erst des Genfers Musiktheorien und Musikkritik haben jene
lebendige Abneigung gegen die französische Oper in ihm ent-
wickelt, die seine Satire, der Prophet von Bö'hmischbroda, offen
kundgibt. Aber der Gegensatz beider Naturen, des höfischen,
lebensklugen Strebers, der selbst unwürdige Schmeicheleien und
unlautere Mittel nicht verschmähte, um aus der niederen Stellung
eines Informators und Vorlesers zu Ehren, Titeln und Vermögen
zu gelangen, und des über alle Rücksichten und Schranken hin-
wegstürmenden Schwärmers für den Naturzustand und die heiligen
Volksrechte, rief, durch persönliche Zwistigkeiten verstärkt, bald
eine Entfremdung, dann offene Feindschaft hervor.
Seitdem Rousseau mit Diderot gebrochen hatte, konnte er
auch Grimm's Freund nicht bleiben, und sein tödlicher Zwist mit
Zschr. f. frz. Spr. a. Litt. XI^. 7
98 Ä. MahrenMiz,
Grimm's Maitresse, der Marquise von Epinay, bei dem die Schuld
keineswegs allein auf des Genfers Seite gewesen zu sein scheint,
machte selbst eine äusserliche Freundschaft beider Männer un-
möglich. Voltaire, der sich bald nach Grimm's Ankunft in Paris
seinem Vaterlande entzog und später in dem Exil von Ferney
vergrub, hat auf Grimm nie den nachhaltigen Ernfluss Diderot's
geübt, trotzdem Grimm mit ihm in Korrespondenz stand, eifrig jede
kleine Broschüre aus der „Manufaktur von Ferney" las und den
Patriarchen in seiner Jura-Einsamkeit aufsuchte. Der Charakter
Voltaire's, so verwandt er auch dem des höfischen Grimm war,
stiess ihn ab, wie denn Gleichartiges sich so oft abstösst. Für
ihn galt Voltaire, den wir als den eigentlichen Propheten der
Aufklärung betrachten, als ein auf halbem Wege stehen gebliebener,
weil er in der Philosophie sich dem Materialismus Diderot's ent-
gegenstellte, Kunst und Dichtung für unvergänglichere Güter
hielt, als die exakte Naturwissenschaft, und vor allem, weil er,
in seinen für die Öffentlichkeit bestimmten Schriften wenigstens,
sich zum Deismus bekannte. Er rede über Gott und das Jen-
seits wie ein liebenswürdiges Kind, so lautete Grimm's Urteil.
Hätte er, wie wir, die etwa 11000 Briefe gekannt, in denen
Voltaire so oft vertrauten Freunden sein wahres Ich enthüllt, er
würde den sehr unbestimmten Deismus des Philosophen und seine
erbaulichen Deklamationen gegen Atheismus und Materialismus
wohl auf ihren richtigen Wert zurückgeführt und auch die vielen
Rücksichten, welche der Schlaue, Vielgewandte auf die Macht-
haber des Staates und der Kirche nehmen musste, besser ver-
standen haben.
Mit der aufrichtigen Freundschaft für Diderot war eine
volle Hingebung för das von jenem begonnene Riesenwerk der
Enzyklopädie von selbst geboten und Grimm's teilweise Abneigung
gegen d'Alembert und Voltaire erklärt sich auch daraus, dass
ersterer, der ewigen Verfolgungen und Belästigungen müde, sich
bald von jenem Unternehmen zurückzog, der letztere sich über-
haupt in kühlerer Feme hielt und später ein Konkurrenzwerk,
das Dictionnaire phüosophtque, jenem grösseren Lexikon an die
Seite stellte. Diderot's Einfluss machte ihn den extremen An-
sichten eines Helv6tius und Holbach geneigt, die doch ihr Bestes
den Anregungen und der direkten Mitwirkung des uneigennützigen
Diderot verdankten. Wo Diderot nicht liebte, da glaubte Grimm
hassen zu müssen. Der französischen Akademie hat er es nie
verziehen, dass sie sich dem kühnen Freigeiste verschloss, auch
der Comedie frangaise es nicht vergeben mögen, dass sie sich
der neuen Dichtungsweise seines Freundes, trotz des glänzenden
Erfolges des Ph*e de famüley nie recht hingeben konnte.
Bemerkungen über die Correspondance phüosophique eic.
99
In dem Verkehr mit Diderot und den gleichgestimmten
Freunden ist Grimm fast völlig zum Franzosen geworden, war
ihm doch diese Metamorphose eine leichte, da in seiner süd-
deutschen Heimat der französische Einfluss noch ganz anders
wirkte, als im Norden Deutschlands. Hätte er diese Zweiheit der
Nationalität und Sprache, wie später Heinrich Heine, ausgenutzt,
um ein Dolmetscher des deutschen Geistes in Frankreich zu
werden, so würden wir ihm hohen Dank schulden, aber das hat
er doch nur in sehr geringem Maasse gethan. Anfangs zwar
schrieb er für den Mercure Briefe über deutsche Litteratur, die
auf die Dauer sehr klärend und befruchtend hätten wirken
können, begann auch die Redaktion des im Dienste der deutschen
Litteratur arbeitenden Journal itranger, aber diese Arbeiten traten
schnell hinter jener französisch angehauchten Korrespondenz
zurück. In dieser hat die deutsche Litteratur, obwohl sie da-
mals in Frankreich durch Übersetzungen und Besprechungen
heimischer wurde, eine verschwindend geringe Stellung, lächerlich
wenig weiss er über Lessing's bahnbrechenden Einfluss zu sagen,
auch Klopstock und Gessner, die sogar den Franzosen durch
Verdolmetschung zugänglich waren, berührt er ganz nebenbei.
Die englische Litteratur der Zeit tritt weit mehr in den Vorder-
grund, aber sein Urteil über Shakespeare, den Ducis und Letour-
neur nach Voltaire's Vorgange in Paris einzubürgern suchten,
leidet an allen Vorurteilen und Einseitigkeiten der Voltaire'schen
Kritik. Wenn Grimm vieles an der französischen Sprache und
Litteratur und namentlich an der französischen Tonkunst auszu-
setzen weiss, wesswegen sein Biograph Scherer ihm das Fran-
zosentum abspricht, so begeht er keine schlimmere Versündigung,
als sie vor und neben ihm bereits Voltaire, d'Älembert und
Rousseau gewagt hatten. An einem Erbteil des väterlichen
Hauses hat der Pfarrersohn aber sein Lebenlang festgehalten:
an der warmen Liebe zum deutschen Protestantismus. Während
d'Alembert, so weit bei ihm von einer Sympathie für Kon-
fessionsunterschiede die Rede sein kann, nie von der Ein-
wirkung der katholischen Erziehung sich ganz freimachte und
auch Voltaire den Protestantismus noch feindseliger beurteilte,
als den Katholizismus, fällt für Grimm das Luthertum mit der
Volksaufklärung und selbst mit der Toleranz ziemlich zusammen,
die katholische Volksbildung ist ihm ein Mittel der Verdummung.
Mit dieser protestantischen Grundanschauung hängt auch die
Begeisterung für Preussen und für Friedrich den Grossen zu-
sammen, mit dem er seit 1759 etwa in Korrespondenz trat.
Hätte Grimm freilich gewusst, wie der preussische Herrscher in
einem vertrauten Privatbrief über sein aufdringliches Strebertum
7*
100 Ä Mahrenkohz,
urteilte, so würde der Ton seiner Huldigung vielleicht ein
kühlerer geworden sein. Friedrich dem Grossen zu Liebe geht
auch Orimm in seiner sonst der Politik vorsichtig abgewandten
Korrespondenz näher auf die Ereignisse des siebenjährigen
Krieges ein und tadelt mit rückhaltloser Schärfe die unnatür-
liche Allianz des Versailler Hofes mit dem habsburgischen Erb-
feinde. Der Stamm seiner Abonnenten gehörte ohnehin der
preussischen Partei in Deutschland an, schon die Klugheit gebot
es also, seine Vorliebe für Preussen und Friedrich stark hervor-
treten zu lassen. Diese allgemeinen Gesichtspunkte geben uns
einen Wegweiser durch die vielverschlungenen Pfade der Grimm-
schen Korrespondenz, welche über die Jahre 1753 bis 1773 sich
ausdehnt und in Toumeux' Ausgabe etwa acht stattliche Bände
füllt. Wir staunen über die nie ermüdende Arbeitskraft und
Schreibfertigkeit des vielunterrichteten Litteraten, umsomehr, als
er, ähnlich wie Raynal, fast der einzige Mitarbeiter war. Aller-
dings darf Diderofs indirekte und direkte Mitwirkung nicht unter-
schätzt werden. Nicht nur die vielgerühmten Kunstkritiken der
Salons und einige andere längere Artikel sind dessen Werk,
auch in der Besprechung mancher naturwissenschaftlicher und
philosophischer Arbeiten, die dem Dilettantismus Grimm's ferner
lagen, wird man die Beisteuer des stets hilfsbereiten Freundes
erkennen. Vorübergehend hat er, namentlich im Jahre 1769,
als Grimm einige Zeit in Deutschland weilte, sogar die Redaktion
übernommen, aber allzusehr dürfen wir die Mitarbeit des viel-
beschäftigten Herausgebers der Enzyklopädie und Verfassers so
vieler anderer Schriften nicht zur Entlastung des Grimmschen
Kontos heranziehen. Nun standen Grimm neben Diderot noch
mancherlei indirekte Förderer und Hilfsarbeiter zu Gebote. Viele
noch ungedruckte Briefe und poetische Kleinigkeiten flössen ihm
zu, die oft langen Exzerpte minderwertiger Schriften haben ihm
wohl seine Sekretäre, welche auch das Original - Manuskript für
die einzelnen Abonnenten kopieren mussten, geliefert, auch sonst
mag ihm neben den eingesandten Schriften zuweilen gleich die
fertige Besprechung zugegangen sein, ohne dass wir deren Ur-
heber immer kennen. Völlig aber als Grimm' s eigenstes Werk
sind die eingehenden, sorgfältigen litterarhistorischen Übersichten
und Zeitschilderungen anzusehen, welche er den Jahresanfängen
namentlich vorausgehen lässt, und sie allein würden uns von
seiner Belesenheit, Schreibgewandtheit und Auffassungsgabe eine
hohe Meinung geben. Zudem konnte Grimm nicht seine ganze
Arbeitskraft dem Unternehmen widmen. Waren auch seine
eigenen (von Tourneux Bd. XVI gesammelten) Arbeiten nach
dem Jahre 1753 von geringerem Umfange, mag auch sein
Bemerkungen über die CotTespondance philosophique etc. 101
nur lückenhaft erhaltener Briefwechsel grossenteils der Zeit an-
gehören,^) wo er die Redaktion an Meister abgegeben hatte und
als litterarischer Reporter besonders fiir Katharina IL wirkte,
immerhin war seine Aufmerksamkeit eine geteilte. Mag er auch,
wie Scherer hervorhebt, in der Weise vielbeschäftigter Redak-
teure manche nur flüchtig besprochene Schrift ebenso flüchtig
oder garnicht gelesen haben, schon die Zusammenstellung und
Ordnung des über alle Gebiete der Litteratur zerstreuten Materials
und die Hindernisse einer Sprache, die nicht seine Muttersprache
war, machten einen grossen Aufwand an Zeit und Kraft nötig.
Und wenn auch Grimm die redaktionelle und journalistische Mache
besser als sein Vorgänger Raynal verstand, so sind seine grösseren
Artikel doch tiefdurchdacht, gründlich erwogen und sorgsam
stilisiert.
Gern glauben wir ihm daher, dass er schon lange vor
deflnitiver Aufgabe seiner Redaktion an Arbeitsüberdruss litt,
und entschuldigen aucü die üngleichmässigkeit und die Lücken
mancher Jahresberichte.
Bei diesen Vorzügen, welche seine mehr als neunzehn-
jährige Korrespondenz in quantitativer und qualitativer Hinsicht
hat, dürfen wir deren Schwächen, Einseitigkeiten und selbst Un-
billigkeiten nicht übersehen. Die ungerechte Beurteilung
d'Alembert's, die sich auch in Meister's Korrespondenz forterbte,
erwähnten wir schon, allzugrell sticht dagegen das den geist-
vollen, zündenden, aber oft mit blitzartiger Schnelle hingeworfenen
Arbeiten Diderot' s gespendete Lob ab. Von Rousseau werden
mehr die einseitigen Übertreibungen, als die grossen für die Zeit
bahnbrechenden Ideen hervorgehoben. Voltaire's Beurteilung ist
oft eine kleinlich- mäkelnde und der tiefergehenden Gesichts-
punkte entbehrende, wenngleich sie vieles Richtige trifft und da
auch von unverkennbarer Sympathie zeugt, wo Grimm und Voltaire
zusammen gegen Kirchenglauben und die überlebte Philosophie
eines Descartes Front machen konnten. Die zahlreichen Gegner
und Neider des grossen Mannes kommen daher ziemlich schlecht
fort, wennschon Grimm die langweiligen Publikationen eines
Guyon, Larcher, Nonnotte u. A. schwerlich eines genaueren
Studiums gewürdigt hat.
Als Dichter und namentlich als Schöpfer unvergleichlich
1) Aus der Zeit vor 1773 teilt Tourneux nur vierundzwanzig
Briefe an die Herzogin von Gotha und ihren Sohn Ernst, 'sechs an den
berühmten Schauspieler Garrik, einen an Friedrich IL und sieben Briefe
an verschiedene Adressaten (die Gräfin Houdetot, Rousseau's Freundin,
den Grafen Schomberg, seinen Gönner, zwei an Voltaire u. s. w.) mit,
Natürlich ist die Sammlung nicht entfernt vollständig.
102 R. Mahrenholiz,
witziger und feBselnder Romane und Novellen hätte Voltaire viel
wärmere Anerkennung verdient, das über den Historiker und
Philosophen gefällte Urteil mag im Lob und Tadel der Wahrheit
nahe kommen. Von den Geistern zweiten Ranges ist Marmontel
der Verfasser des epochemachenden Büisaire zu wenig, La Harpe
vielleicht über Verdienst gewürdigt, dagegen sind zahlreiche,
heutzutage vergessene, aber für damalige Zeit bedeutungsvolle
Dichter und Schriftsteller schwerlich mit voller Objektivität be-
urteilt. Beaumarchais' geniale Bedeutung trat erst nach 1772
ganz hervor, konnte also von Grimm nur wenig gewürdigt werden.
Das öfter ausgesprochene Urteil Grimmas, dass die Zeit
Ludwigs XV. in Dichtung und Kunst nur eine künstliche Nach-
blüte des Sude de Louis XIV sei, ist zwar dem Bewnsst-
sein der Zeit entsprechend, wird aber auf Männer wie Voltaire
angewandt, ein entschieden unbilliges. Auch die oft apodiktische
Kritik Über die Comidie frangaise und über Künstlerinnen, wie
die Clairon lässt die sehr einseitige Antipathie Grimmas ebenso
durchblicken wie seine Parteinahme für die italienische Buffooper
und für Gr6try eine zu parteiische Sjrmpathie verrät Die
Philosophie des Aufklärungszeitalters konnte der ganz in ihren
Ideen lebende Mann nur in ihrer Lichtseite, nicht in ihrem
dunklen Reflexe schildern, aber sein eigener Standpunkt kommt
über den flachen Epikuräismus des Weltmannes und den wohl-
feilen Skeptizismus des nicht gründlicher geschulten Schöngeistes
kaum hinaus. So sehr auch Grimm mit Diderot die natur-
wissenschaftlich-experimentelle Forschung betont und Voltaire
(im vollen Gegensatz zu unserem Dubois-Reymond) die Kenntnisse
des Naturforschers ganz abspricht, ist es doch ein gewaltiger
Unterschied, wie er oder wie Diderot und d'Alembert diese Grund-
aufl^assung zu vertreten wissen. Seine Abneigung gegen alle
Theorien, denen die unmittelbare praktische Bedeutung und An-
wendbarkeit fehlt, macht ihn ungerecht gegen die volksbeglückenden
Ideen eines Vauban, d'Argenson und des älteren Mirabeau.
Aber auch in diesen Einseitigkeiten und Vorurteilen ist
seine Auffassung nur der treue Wiederschein der Zeit und Tages-
meinung und seine Korrespondenz daher ein historisches Doku-
ment von unbestreitbarem historischem Werte.
Mit dem März 1773 tritt nun Meister,^) ein frühzeitig ge-
reifter Litterat, der bereits seit einem Dezennium die Feder ge-
führt, schon mit 14 Jahren Joumalartikel geschrieben, und soeben
1) Über seine perBönlicben Verhältnisse vergleiche H. Breitinger's
Mitteilungen in der Zeitschrift, Supplementbeft 1885, und Meister's
eigene Angabe bei Tourneux XVI, 213 A. 4.
Bemerkungen über die Correspondance phüosophique elc. 103
darch eine ketzerische Schrift religiösen Inhaltes den Zorn der
Behörde seiner Vaterstadt Zürich und den Beifall Friedrich's des
Grossen erregt hatte, an Grimmas Steile als Redakteur ein. Zog
aber damit Grimm sich völlig von der Leitung zurück? Wir
möchten das kaum annehmen. In den nächsten Jahren zwar
Hess ihn sein zweimaliger Aufenthalt in St. Petersburg (1773
und 1776) und eine längere Reise nach Italien (1775 — 1776)
wenig zu thätiger Mitwirkung kommen, aber als er nachher das
rauhe Klima Russlands und die gefährliche Gunst Eatharina's
mit dem ruhigen Wohlleben von Paris vertauscht hatte, fehlte es
ihm trotz der Korrespondenz mit der Zarin über französische
und ausserfranzösische Angelegenheiten der Litteratur, Gesellschaft,
und seit 1789 auch über Politik, keineswegs an Zeit und Ruhe.
Und das ganze Gepräge der folgenden zwanzig Jahre, während
welcher die Korrespondenz ungestört fortging, zeigt allzusehr
Grimm's Einfluss. Dichtung und Kunst, Philosophie und soziale
Fragen, alles wird im Ganzen so aufgefasst und geschildert, wie es
Grimm selbst gethan, fast dieselben Sympathien und Antipathien,
Vorzüge und Einseitigkeiten kommen zum Vorschein. Nur der
Schweizer Lokalpatriotismus Meister's macht sich geltend, wenn
z. B. Gessner's Tod zu einem längeren Nekrolog Anlass gibt,
Friedrich' 8 IL Hinscheiden dagegen ganz kurz berührt wird, aber
sollte es ganz zufällig sein, dass der Streit der Gluckisten und
Piccinisten mit sichtlicher, wennschon verhüllter Parteinahme für
den mit Racine verglichenen Italiener beurteilt wird? Sollte die
fortgesetzte ungünstige Auffassung d^Alembert's, die unverminderte
Wärme für Diderot, die wenig veränderte Beurteilung Voltaire*s
nicht eine direkte Ein- und Mitwirkung Grimm's voraussetzen
lassen? Der empfindungsvolle Nachruf an Diderot und der
ebenso kalte Abschied von d'Alembert und Rousseau verrät doch
Grimm's Feder, und wenn Diderot nach wie vor die Kunstkritiken
schrieb, was zu bezweifeln kein hinreichender Grund vorliegt, so
dürfen wir in Grimm wohl den unausgesetzt thätigen Musik-
referenten suchen.
Der Abstand in der Redaktion war freilich ein bemerkens-
werter. Die allgemeinen Einleitungen und Übersichten, das
Lesenswerteste an der Korrespondenz, schrumpfen immer mehr
zusammen, die Berichte werden zuweilen kürzer und oberfläch-
licher, schon am 20. September 1775 klagt Katharina, dass
Meister kein Grimm sei. Und entschuldbar genug ist diese Un-
ebenbürtigkeit des Nachfolgers, der mehr noch, als der Vor-
gänger, sein einziger Mitarbeiter gewesen zu sein scheint. Denn
ihm strömten kaum so viele Einsendungen von Büchern und
Notizen zu, wie Grimm, und die Zeit war überdies den groggou
104 JR. Mahrenholiz, Bemerkungen über die Cotrespondance phiios. etc.
Interessen der früheren Dezennien entfremdet, die bedeutendsten
Geisteshelden tot oder an der Schwelle des Lebens, Oper,
Schauspiel, Gesellschaftstand und Salonklatsch herrschten neben
der an Überraschungen und Vorbereitungen der kommenden Um-
wälzung reichen Tagespolitik, welcher aber Meister nicht sorg-
fältiger nachgehen konnte oder wollte. Darum schwindet das
Interesse für uns, sobald Grimm die Chefredaktion abgibt und es
erwacht nur vorübergehend mit dem grossen Jahre 1789, da
Meister den Wandlungen der Revolution nicht tiefer nachforscht
das damals so gefährliche eigene Urteil möglichst vermeidet und
Andere gern statt seiner reden lässt. Zudem ist die Bericht-
erstattung über die Jahre 1789 — 1792 dürftiger und lückenhafter
als die bedeutungsvolle Zeit es verdient hätte, wie denn die
Jahre 1791 und 1792 zum Teil fehlen und das Vorhandene
knapp genug ist. Die Septembergräuel 1792 und die immer
mehr zunehmende Unsicherheit in Paris haben Meister zu einer
Flucht nach England bestimmt, wo er schon Anfang 1792 mehrere
Monate geweilt hatte, die Nachrichten vom November dieses
Jahres^) bis Mai 1793 sind daher von befreundeter Hand ihm
zugesandt worden. Mit dem Jahre 1794 nahm er von der Schweiz
aus mit Hilfe seiner Pariser Korrespondenten das Unternehmen
wieder auf und weilte auch nach dem Ende des Terrorismus
kurze Zeit (September 1795) in der frauzösischen Hauptstadt.
Bis zum Januar 1813 schwebte dann die Korrespondenz noch
zwischen Leben und Tod, aus ihr sind uns von Tourneux nur
einzelne Bruchstücke mitgeteilt worden. Die unbefugte Publi-
kation eines Teiles jener Geheimschrift, die Sorge wegen der
Unannehmlichkeiten, welche die Enthüllung so mancher persön-
licher und vertrauter Dinge zur Folge haben musste, der Tod
der alten Abonnenten und die immer mehr zusammenschwindende
Zahl und abnehmende Teilnahme der neuen haben dem Werke
den Todesstoss gegeben. R. Mahbenholtz.
1) Am 30. September 1792 war er noch in Paris, wie die Be-
sprechung einer an diesem Tage stattgefandenen Opernaufführung zeigt.
Personal- und Gentilderivate im Neufranzösischen.
Die nachfolgende Sammlung von Adjektiven und Adjektiv-
Substantiven, welche von Personen- oder Ortsnamen abgeleitet
sind, erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; vor allem ent-
hält sie nur solche Wörter, welche in dem grösseren Wörterbuch
von Sachs sich nicht finden. Vollständigkeit ist hier überhaupt
nicht zu erreichen, weil solche Namen zu wenig häufig sich
finden (was hier gegeben wird, ist das Ergebnis mehr als fünfzehn-
jährigen Sammeins) und weil Neubildungen fortwährend auftauchen.
Das ist besonders bei den Derivaten von Personennamen der
Fall, und der Laune des Schriftstellers ist hier der weiteste Spiel-
raum gelassen. Schon weil sich bei diesen Namenadjektiven so
viel individuelles Belieben einmischt, sind sie von geringer
Wichtigkeit; eine sehr umfängliche Berücksichtigung derselben
in einem Wörterbuch würde nur zu einer lexikalischen Super-
fötation führen, etwa wie die Aufnahme sämtlicher Romposita,
die persönliche Liebhaberei mit Hilfe der Präfixe ex, hyper,
ultra u. a. zustande bringen kann. Dass sie trotzdem nicht un-
wichtig sind, mag folgende mir zufällig neu aufstossende Stelle
aus einem Roman von Jules Claretie beweisen. Der Sinn des
Personaladjektivs wird vielen, die nicht in der Kunstgeschichte
etwas bewandert sind, unklar bleiben: Le pettt Japonais , , , de-
mandait ä une jeune Anglaise preraphailite pourquoi die ne
dansaU pas, — Parce que je dighre! repondait la podtique miss
d^une voix mourante.
Von weit höherem Interesse sind die Gentilien im weiteren
Sinne, d. h. die von Länder- oder Landschafts-, Städte-, Berg-
oder Flussnamen abgeleiteten Wörter. Bei ihnen lassen sich
synonymische unterschiede auffinden; die Zahl der zur Verwen-
dung gelangenden Ableitungsendungen ist eine grössere; die Bil-
dung der Wörter reicht in ältere Zeit zurück; vielfach ist eine
106 Ph. PiaUner,
Form an die Stelle einer anderen, jetzt veralteten oder alternden
getreten; oft ist der Kampf zwischen zwei Formen noch nicht
entschieden, so dauert der beim Verb längst abgeschlossene
Widerstreit von oi und ai vielfach noch fort; femer sind diese
Wörter nicht Erzeugnisse der Laune eines Schriftstellers, sondern
Gemeingut, wenn auch vielleicht nur der Einwohner eines be-
stimmten Ortes und seiner Umgebung; endlich ist es für die
Lautlehre nicht uninteressant nachzuforschen, ob bei diesen Bil-
dungen nicht gewisse Gesetze massgebend gewesen sind, warum
bei einzelnen Namen eine volkstümliche Bildung unmöglich war,
so dass sie entweder ganz unterbleiben oder durch eine aus dem
lateinischen Etymon hergeholte hybride Bildung ersetzt werden
musste und wie von Ortsnamen, besonders nichtfranzösischen, ein
zugehöriges, aber nicht nachweisbares Adjektiv auf dem Wege
der Analogie zu bilden wäre. Mit aufgenommen wurde eine Zahl
von Landschaftsnamen. Die französische Geschichte und Geo-
graphie sind überreich an solchen Namen, die zum grossen Teil
immer noch trotz aller Verschiebungen in der administrativen
Einteilung des Landes wachgehalten werden als notwendige Zu-
sätze bei den zahlreichen Orten gleichen Namens, besonders den
von Heiligennamen gebildeten Benennungen. Diese Landschafts-
bezeichnungen verdienten eine eingehendere Untersuchung. In
den angeknüpften Bemerkungen endlich sind ausser den auf-
geführten Namenadjektiven auch die bei Sachs verzeichneten mit-
berücksichtigt.
In dem Wörterbuch der Akademie sind diese Bildungen
so gut wie nicht berücksichtigt; auch Littr^ bietet äusserst wenig
und nur für Adjektive von Länder- und VÖlkemamen; einzelnes
ist in den Addenda und später vermehrt im Supplement^) hinzu-
gekommen. Sehr verdienstlich war es daher, dass Sachs diese
Wörter eingebend berücksichtigt hat, doch ist es auffallend, dass
das CompUment du Dictionnaire de V Acadimie FrariQaise^) von
Barre und Landois sich unter seinen Quellen nicht befunden
zu haben scheint. Die Sammlung von Sachs und mehr noch die
des CompUment leidet hauptsächlich deshalb an Unvollständigkeit,
weil eigentlich nur historisch bekannte Namen berücksichtigt
wurden. Der Courrier de Vaugelas^) hat an zwei verschiedenen
*) Im Nachfolgenden ist diese Quelle mit Z. S. bezeichnet.
2) Mit C. bezeichnet. Es ist hier das 1839 in Brüssel erschienene
Werk gemeint; Sachs führt das drei Jahre später in Paris veröffent-
lichte Complemeni von Barr^ auf.
8) Mit CdV. bezeichnet. Ausserdem sind öfter zitiert: Aroux, E.,
les Mysteres de la chevaierie. Paris, 1858. Gautier, Th^ophile, ffisi, de
Cari dramatiqtte en France. 6 vol. Leipzig, äd. Hetzel, 1858 — 1859.
Personal- und GentäderivaU im Nnufranzöstschen. 107
Stellen Gentilienlisten gegeben, auf welche häufig verwäesen
werden muaste. Leider gibt er weder Quelle noch Beispiele;
besonders das Fehlen der letzteren ist sclir störend, da es von
vornherein durchaus nicht feststeht, ob dieselbe Form sowohl als
Adjektiv wie als Substantiv und sowohl fUr die Bezeichnung des
Gebiets wie flir die Bezeichnung der Bewohner gebraucht werden
kann oder sebräuchlicb iBt.
Abrahamien (0.) gleiche Bed. wie Abrakamite (Sekte).
Abrahamiqne (L, S.}. Lex »omieniVs ahTahamiques (Lacordaire.)
Antonin auch als Adj. üblich: Les seulplures myst^rü
(sc. portf) decorent sont, ä ■mon avis, (fime tout aut!re ipoque
qut l'6poqve ontnnine (Lamartine, V. en Or. 153).
Ariostin (L. 9.)
1. AriBtophanesque. Cette revue, qui, dang les mains d'un
poefe Ott d\n philosophe, pnurrait prendre des proportiona
aristophanesques et devenir la vraie com^dh de l'epugue, eonsiste
dans un ramassis de hanalües et de plaisanteries vieilles de
onze moia et demi (Th. Gautier IV, 380 f.). Meme dans lex
Flaideurs, revaitche aristophanesqut des ennuia d'un proeis, la
piaisatiterie n'est pos enjouie (Geruzez II, 255 f.) Sauf erreur
ou Omission, on connatt mainienant tous les octeurs, figuraitts
et comparaes de ce drame menippien, dans lequel une verve
qui ne se lasse pas prodiyue ä fotson un sei tout aristophanesque
(Aroux 199).
2. Anstophanique. Ou bien ne faul-il voir lä qu'une fantaisie
aristnphanique oit serait personnifii un ierivain rCune ciUbritS
incontestabh et me'rite'ef (Th. Gautier V, 52). Voiei un vaude-
ville qui a la pretention d'etre ariatophanique, et qui lajustiJU,
au moins sous le rapport de la personnaliti (Ib. VI, 22), Ijes
revuea, avec leura prüentions aristopkaniquea , ont-ellea agiti
la HOciHe juaque dana ses fondemenf-sf (Ib. VI, 45.)
I. bezeichnet eine Manier, eine Darstellungsweise, 2. eine
litterarische Gattung, wobei 2. in die Bed. von 1, übergreifen
kann, aber nicht umgekehrt.
Geruzez, Eugene, Hist. de la litt, frani;. t vol. Paris, 1874. Guizot,
Htst. de la cimUsatioH ea France, i vol. PariB, 1859. Guizot, fUsl. äe
la civiHtation in Europe. Puris, I8T6. Jaubert, comte de, Glossare du
Venire de la France. 2 vol. Paris, s, a. Martin, Henri, äistoire de
France. 17 vol, Paria, 1861 — 62. Vermesee, Louie, Dicttonnaire du
patoU de la Flandre frangaise ou watlonne. Douai, 1867. Die Zitate
aus Zeitungen sind hinlänglich bezeichnet, die den Figaro entnom-
menen haben die Abkürzung Fig.
108 /%. Platiner,
Armenti^re. V Armentiere beaute faxt la guerre ä ses beaux
cheveux et se dechire le sein, ä ce quon dit (M™® de S6vign6
II, 100; 18 mai 1671). Näheres hierüber konnte ich nicht
finden; das Wort hat mit der Stadt Armenti^res (Nord) wohl
nichts gemein und scheint eher adjektivischer Gebrauch eines
Familiennamens, vielleicht mit der volkstümlichen Motion
solcher Namen zusammen. Vgl. Murinette,
Arnalesque^ in der Manier Arnal's, eines um die Mitte dieses
Jahrhunderts sehr bekannten Pariser Komikers, welcher
Tölpelrollen als Spezialfach hatte: La Situation exploitie par
les deux auteurs arnalesques est de Celles oil Von peut se trouver
soi-meme (Th. Gautier IV, 156).
Arthurien^ der Artussage angehörig: Le Chevalier ä la charrette
met en schie plusieurs des personnages des legendes arthuriennes
et leur conserve la physionomie que nous leur connaissons
(Geruzez, I, 75).
Averrholste^ dem Averrhoes angehörig: Ceci n'est plus du con-
ceptualisme y mais du realisme, et du pire, du realisme aver-
rhotste (H. Martin IV, 274).
Balzacien. Les Balzaciens, c^est-ä-dire les admirateurs de Balzac
(Paix, 22 mai 1887).
B^rengaxien (C), Anhänger von B^renger.
Berninesque^ in der Manier Bernini's: Ses (sc. de Paget) dis-
ciples fusserd promptement tomhis dans le style beminesque
(H. Martin XIII, 230).
Bismaxckien^ Bismarck angehörig: La feuille bismarckiennsj
(sc. la Gazette de VAllemagne du Nord, France, 25 f6vr. 1878.)
Boulangiste^ dem General Boulanger angehörig: Letat d'esprit
boulangiste (Paix, 10 juillet 1887). Les manifestations bau-
langistes — ce mot „ le boulangisme ^ fait desormais partie de
notre langue politique — ... (Ib. 12 mars 1888).
Catilinaire^ katilinarisch , kann nur von Reden gesagt werden,
was bei Sachs (s. v. I) angegeben sein könnte.
Charlemanesque (L. 8.) in der Weise Karl's d. Gr.
Chateaubrianesque (L. S.) in der Manier Chateaubriand's.
Clairvillien^ dem Vaudevilledichter Clairville angehörig: Le c6te
comique se compose d'un panier d^ceufs, qui a le don de ria-
liser les souhaits ä rebours. Vous disirez un bouquet de vio-
lettes; aussitdtj avec un bruit de ferraiüe, apparatt une voiture
de vendange- poste: ä ce fumetf vous reconnaissez rattieisme
clairvillien. (Th. Gautier VI, 30).
Cl^menciste, Anhänger von C16menceau; nach der Gazette de
France im Courier de Vaugelas (X, 11) angeführt und ver-
worfen, dafür cUmenceliste vorgeschlagen.
Personal- und Gentüderivate im Neufranzösischen, 109
Goburgien, dem Prinzen Ferdinand von Coburg angehörig: Le
parti Cohurgien (Paix, 14 sept. 1887).
Gonstantilly zu Konstantin d. Gr. gehörig: De plus, en ordonnant
quil se tienne tous les ans une assemhlee dans la dte Con-
stantine (sc. Ärles), nous croyons faire une chose non seule-
ment avantageuse au bien public, mais encore propre ä multi-
plier les relaüons sociales (Guizot, Civilis, en Eur. 47).
Dauphin 9 zum Dauphin gehörig. Bei Sachs (1. V. IV) fehlt
la port£ Dauphine (von Paris nach dem Bois de Boulogne
führend). Die frühere avenue Dauphine (von der avenue
d^Eylau ausgehend und in den Endpunkt der avenue du Bois
de Boulogne einmündend) heisst jetzt avenue Bugeaud,
DÖdal^n (z. B. le riseau dedalien des rues de Paris) heisst
nur labyrinthisch (nicht auch, wie Sachs angibt, dädalisch);
es ist von dem Appellativ le dSdale, nicht von dem Personen-
namen gebildet.
Diomödien (C.) dem Diomedes angehörig.
Don-juanesque^ den Don Juan spielend: Quant ä RibalUery il
est celihataire et don-juanesque malgri ses cinquante ans
(France, 8 mai 1878). Tous les hommes qui menent quelque
peu la vie don-juanesque aiment ä s^aventurer vers les femmes
fatales (A. Houssaye, France, 25 juin 1879). Ce qui paraitra
Sans doute singulier, cest qu'avec ces beaux projets machia-
viliques et don-juanesques, j^etais, au fond, le gargon le plus
tiwide du monde et le plus facile ä decontenancer (Sarcey, Le
piano de Jeanne 248). Don-juanesque verdrängt das gleich-
bedeutende don-juanique.
Don-quichottesque, den Unternehmungen Don Quixote's ähn-
lich: Le choix du nouveau ministre des affaires itrangeres
peut etre considere comme une preuve incontestable qu^il (sc.
Gambetta) n^est nullement engage, en ce moment, en des entre-
prises don-quichottesques au dehors{XlX^ Si^cle, 26 sept. 1880).
Eudoxien (C.) Eudoxianer, nach Eudoxius genannte Sekte.
Fabien heisst auch: nach Art des Fabius (Cunctator). Vannie
1536 futy apres celle de Marignan, la plus glorieuse de la
vie de Frangois I^: ä cette guerre toute fabienne, on ne re-
connaissait plus les tSmiraires aventuriers de Pavie (H. Martin
VIII. 244).
Figaresque» der Zeitung Le Figaro angehörig, ftir dieselbe be-
stimmt: Les bureaux du ministhre de Vintirieur ont eti plus
loin: ils ont grossi, ils ont exagire Vinconvenance et le danger
des deux telegrammes figaresque^ (France, 15 janvier 1878).
Figariste auch als Adj. M. Zola, en effet, sest enröle dans le
le bataillon figariste (XIX® Siöcle, 23 sept. 1880).
HO Ph. Plattner,
Qondowaldien, Anhänger des fränkischen Gegenkönigs Gondo-
wald: Les principaux chefs des Gondowaldiens obtmrent leur
pardon par V Intervention de Gregoire de Tours et de quelques
autres prelats (H. Martin II, 85).
H6racl^n (C); l) dem Herakles, 2) der Stadt Heraklea angehörig.
Hermipnite (C.) Nebenform zu hermien,
Hippocratien» dem Hippocrates angehörig (fehlt auch im G.):
üne circonstance pinihle vient de m^offrir Voccasion d'observer
les changements materiels qiia subis la gent hippocratienne
pendant ma longue absence (Jouy, Ilermite de la Guiane I, 46).
Hippocratique ist, wie schon die Endung an die Hand gibt,
mehr auf den gelehrten Gebranch beschränkt.
Hofi&nanique heisst auch: Hofifmann angehörig, bei Hofifmann
vorkommend. Über die von Sachs durchaus gleichgestellten
Formen hoffmanique und hoffmanesque vergleiche das bei
aristophanique Gesagte. Les Kreissler farouches, les musiciens
hoffmaniqu^s qui se croient savants parce quHls soni ennuyeux,
affectent de mipriser beaucoup la musique oü la rnModie pari
ä tire-cPaüe et s*elhve en chantant sans tours de force et sans
casse-cou (Th. Gautier H, 179).
niyricain (0.), Sekte, Anhänger von lUyricus.
Ingresque^ dem Vorbild des Malers Ingres folgend: TJecole glacee
de V Empire est remplacee par cette ardente gener atton de jeunes
peintres dont Eugene Delacroix est le chef. Cette ecole pro-
voque ä son tour la riaction ingresque (Th. Gautier IV, 389).
J^romiste vgl. bei Ludovicien.
Juvönalique, dem Juvenal angehörig: Venez peindre nos ridiades,
nos sottiseSy nos viceSj avec cette ironie amere, avec cette In-
dignation juvinalique qui vous ont si bien inspiri dans votre
jeunesse (Jouy, Hermite de la Guiane, I, 9). Über das Ver-
hältnis zu dem bei Sachs allein angeführten juvenalesque vgl.
bei aristophanique.
Laomödontien (C.), von Laomedon abstammend.
Lodoicien (C.), von Louis abgeleitet.
Loisellien (C.), dem Rechtsgelehrten Loisel angehörig.
Ludovicien^ Anhänger des Prinzen Louis (Bohaparte, Sohn von
Plön -Plön). Quant aua^ Jeromistes et aux Ludoviciens, ces
autres fractions du bonapartisme, on devine aisiinent quel
accueü üs riservent au manifeste de leurs ennemis (Paix,
12 juin 1885). Vgl. auch C.
Mac-mahonien, Anhänger Mac-Mahon's: Nous apprenons igale-
mevd que M, Bartholoni se prisentera dans le VII^ arrondisse-
ment de Paris comme conservateur et mac-mdhonien (Figaro,
22 aoüt 1877). Als Adj. (Mac-Mahon angehörig, von ihm
Personal- und Ge>
ausgehend): 7>a Tisisti
mentaire, la risistem
makoniens, n'est phts
Mansfeldois (C), Sekte,
Übertragung der zu d(
auf daa von dem gleict
Marächalesque (dem Ma
inae-mahonesque) : De
elections gitiirales, oii
combat Sans budget vc
{France, 12 d6c. 187'
Mazarin, Anhänger Mazai
nuit les principaux of_
Saint sacrement qu'on
soupQonnait ttBtre Mai
de plat £ipie (Voltair
C. und ebenda (s. v.
retirer ä la hdte.
Molißresque (L. 8.}, Mo
Endung ist nicht vorh
Hurinette. Aus dem
Murinette beattti est avi
1671). La Murinette
n'est pait de m&me poi
meint ist Anne -Marie
de Kernt an oder Cam
Ozanamite, Anhänger 0:
jeune komme destin^ si
qu'ä s'inntrmre (Arcus
Parnelliste, Anhänger P
leur groupe comptera d
au moins quatre-vingt
BaphaSlesqne, jetzt Ubli
StäTeniste (C), Sekte n
Turcarien, nach Art Ti
turcarienne anstocratx
g^neraliti voit g'Svanoh
g'althre snn respect de c... ...» ^>,„. .^„........^ ,... ^.-^..^...^.,
Babel IV, 132).
Victorien, Anhänger dea Prinzen Victor (Solin von Plon-PIon):
Ausgi eat-il prisumahle gue les Orlianiates, quelque envie qu'iU
en aient, feront froide mine au programme impirialiste et
qu'ils laisteront les Victoriens faire seuls leurs petäes manatuvres
ikctoToles (Paix, 12 juin 1885).
112 i%. Baitner,
Vitellien, dem Vitellius angehörig: Quelques cohortes vitelliennesj
renforciea par la jeunesse aristocratique d!Autuny disperserent
le ramas de paysans que le pretendu genie Celeste trainait
apres lui (H. Martin 1, 234).
Weymarien (weimarlen), Bernhard von Weimar angehörig: Des
ditackenients commandis par Ghiibriant et Ikirenne, gSndraux
qui se formaient ä ticole su6doise, vinrent renforcer les
Weymariens (Th. Lavallie, Hist. des Fran9ai8, III, 157). Le
duc de Longueville fut reconnu pour chef de VarTnie wey-
marienne (ib. III, 159).
Zoliste, in der Art von Zola: Nous repudions ces bonshommes
de rhStorique zoliste, ces sükouettes enormes j surhumaines et
hiscornues . . . (Paix, 20 aoüt 1887, Reproduktion aus dem
Figaro).
B. Von Ortsnamen abgeleitet.
Abbevillois^ zu Abbeville gehörig: Une hander ole sur laquelle
figure Vinscription: ^^8ur V initiative de V Abhevilloise^'' (Paix,
3 juillet 1885).
Abdöritain bedeutet bei La Fontaine (neben Abd^rite) den Be-
wohner von Abdera: Democrite et les Ahdeintains (VIII, 26).
1. Abyssin. 2. Abyssinien. 3. Abyssinique.
Littr6 (S.) kennt nur die beiden ersten Wörter und zwar nur
als Adj. (1. Qui appartient ä VAhyssinie: Tjidiome abyssin,
2. Qui est relatif ä VÄbyssinie: les poptdatians abyssiniennes).
Für „die Abessinier" bietet er keinen Ausdruck. — Das
CompUment kennt 1. als Adj. und Subst., 2. nur als Subst.
(d. h. substantiviertes Adj.) für die Sprache (das Abessinische),
3. nur als Adj. in dem Ausdruck les langues abyssiniques ;
2. und 3. würden sich zu einander verhalten wie römisch:
romanisch, deutsch: germanisch. — Ebenso Sachs, der jedoch
bei 3. keine weitere Angabe macht.
Zunächst ist sicher, dass les Abyssins die Abessinier
heisst; Beispiele sind unnötig, da man sie in jedem franzö-
sischen Lehrbuch der Geographie und augenblicklich in jeder
französischen Zeitung finden kann; zu bemerken ist, dass
les Abyssiniens sich findet, z. B. gerade in dem CompUment
(s. V. agadajy welches nur les Abyssins aufführt. Auch als
Adj. ist jetzt 1. das weitaus üblichste, wenn nicht das einzig
übliche Wort: Tigoulat qui fut autrefois le siege de tout
Vempire Abyssin (Cortambert, Cours de g6ogr. 555). C'est
un giniral abyssin^ Rassahda, qui est chargS de cette tdche
(Paix, 20 aoüt 1885). Les mahdistes seraient en mar che
contre la capäale abyssine (ib. 18 mars 1887). On assure
Personal- und Gentilderivale im Neuframösischen, 113
qvLune avant-garde de ti'oupes ahyssinnes (wohl Druckfehler)
etait partie pour secourir Kassala (ib. 10 sept. 1885).
Accitanien (C), Bewohner von Acci oder Accitum in Spanien.
Acerrain (C), Bewohner von Acerra.
AgönaiSy das Gebiet von. Agen. Sachs gibt (wie C.) nur Agi-
nois. H. Martin gebraucht nur die Form auf -ais (z. B.
III 490, IV 108, 348, V 80, 227), daneben noch häufiger
Ägenais (z. B. IV 104, 348, 559, 562, V 74). Auch für
die Bewohner gibt der CdV. (V, 82) Ägenais ou Agenois.
Mignet (z. B. Etudes bist. 174, 179, 212) gebraucht Agenois
und Agenois neben einander. Vgl. hierzu Rockdois neben
Rochellois. Die üblichste Form ist jedenfalls Agenais flir die
Bewohner sowohl wie für das Gebiet; für das erste finden
sich zahlreiche Beispiele aus französischen Zeitungen letzter
Zeit gelegentlich des Aufenthalts des Präsidenten Carnot in
Agen, für das letztere spricht der Ortsname Monclar-d'Agenais.
Aigues-Mortain (CdV. V, 82), Bewohner von Aigues-Mortes.
Aixois^ zu Aix (en Provence) gehörig: Ijes repvblicains aixois
se preparent ä feter dignement V anniversaire de la proclamaiion
de la premi^re Repuhllque (France, 20 sept. 1878). Le marcM
aixois est trls viveinent impressionnS (Paix, 12 janv. 1886).
Ajaccien, Bewohner von Ajaccio: Le prince NapoUon (Jeröme)
se prisente aux suffrages des Ajacciens (France, 25 juin 1879).
Aleman, alemanique^ Al(l)emanne, a(l)lemannisch schreibt Sachs
(wie C). Üblicher ist die Schreibung mit II, nn: Soixante-
quinze mille guerriers franks, allemanSy burgondes . . . (H. Martin
II, 25). Deux frlres appeles Bukhelin et Leuther, qui etaient
de sang alleman (ib.). Des bandes frankes et aüemanes (ib.
I, 342). Theudebert eut pour sa pari les hautes vaüies du
Rhone, du Rhin et de l'Inn habitees en partie par des popu-
lations allemanniques (ib. II, 20). Uhydre allemannique
(ib. I, 319). Guizot (Civilis, en Eur, 85) gebraucht sogar
die Form Allemand (wie er Bourguignon für Burgonde u. s. w.
setzt): On compte les lois des Bourguignons , des Francs- Sa-
lienSj des Francs-Ripuaires, des Visigoths, des Lombards, des
Saxons, des Frisons, des Bavarois, des AUemands, etc. — Ijes
Allemans (Cortambert 204).
Alezandrin^ Bewohner von Alexandrie (Egypte), vgl. bei Cairote.
Alr6en, Alrien, Bewohner von Auray (CdV. V, 82).
Alsatique^ Nebenform zu alsacien, die mehr auf gelehrten Brauch
hinweist: Ce qui est particulierement lottable dans les ouvrages
patriotiques et alsatiques de M. Leroy de Sainte-Croix, c'est
la modiration, la prudence, la sagesse de langage et d'esprä
qui les caracterise et les distingue (XIX® Si^cle, 14 nov. 1880).
Zschr. f. frs. Spr. n. Litt. XJi. g
114 i%. Piaitner,
Ambertois, Bewohner von Ambert (CdV. V, 82).
Amyclöen (C.)y zu Amycl^e gehörig oder da geboren.
AndaloUB. Sachs gibt an erster Stelle andalou mit dem f. an-
dalouse und dem pl. m. andalous und andaloux. Die Schrei-
bung des m. liegt ja sehr im Argen und für ^Andalusier^
(d. h. Pferd) findet man andalouy andalous und sogar andaloux
im sg. Littr6 (im S.) gibt nur andalous, ebenso gebraucht
Brächet (Gr. bist 51) nur V andalous (das Andalusische). Es
ist daher offenbar am besten, das Wort in der Form andalous
ausschliesslich anzusetzen, wodurch sich f. und pl. m. von
selbst ergeben, zugleich auch das Wort von den exotischen
hindou, 'oue, mandchou, -o^^e^ zoulouy zouloue losgetrennt wird.
Annonien^ Bewohner von Annonay (CdV. V, 82).
Aostain, Bewohner von Aoste (-a): Les Aostains ont grosses
questions avec leur evSquCy ä cause des excommuniements quüs
ne peuvent souffrir (Bonnet, R6cit8 du XVP si^cle, 50. Die
Stelle stammt aus dem Jahre 1535).
Appenzellois^ Bewohner von Appenzell. Die Form Äppemelöis
hat CoBckelberghe-Dutzele, Theorie compl. de la prononc. I 260.
Aptösien, zu Apt gehörig: Des voeux taut platomques pour les
succis Slectoraux des deux gloires de la democratie aptesienne
(Fig. 8 aoüt 1877).
Aquitain aquitanisch. Ausser diesem Adj. (das einzige von C.
aufgeführte) gibt Sachs aquäanien und aquitainique, für welche
ich keinerlei Belege beizubringen wUsste. Littre gibt auf-
fallenderweise weder ein Subst. noch ein Adj. Sachs fuhrt
das sehr übliche aquitanique nicht auf, und fast muss man
vermuten, dass sein aquitainique nur ein Druckfehler ist,
worauf schon die den Lautgesetzen Hohn sprechende Bildung
verweist. Les villes aquitaniques (H. Martin VIII, 385). La
cSte aquitanique (ib. 283). Le chef ou roi des Nitiobriges
amena au camp un gros de cavalerie gaelique et aquitanique
(ib. I, 171). La rebdlion aquitanique (ib. II, 215). Les
milices aquitaniques (ib. II, 316). Uarmie aquitanique (ib.
200, 202). Ebenso anglo- aquitanique y franco- aquitanique:
Varmee anglo - aquitanique (ib. V 260, 287). La suzeraineti
franco' aquitanique (ib. II, 351). Varmie franco-aquitanique
(ib. II, 330 f.). Für aquitain: Les seigneurs aquitain^
(ib. II, 248). VArvemiey le Limousine le Querci et quelques
autres cantons aquitains (ib. II, 4). Die Beispiele für letzteres
Wort sind nicht zahlreich genug, um einen Schluss zu er-
lauben ; aber beim Überblick kommt man zur Vermutung, dass
H. Martin der weiblichen Form aquitaine ausweicht und dafür
aquitanique verwendet. Vgl. bei Aleman,
Persotial- und Geniüderivaie im Neufranzösischen. 115
Arabique. Die Angaben von Sachs stimmen im ganzen mit dem
C, welches noch annee arabique und tables ardbiques zusetzt.
Langue arabique , was Sachs aufführt, ist durchaus veraltet.
La Touche (L'art de bien parier fran9ois, 7« 6d. 1760, II, 363)
sagt: Ort dit V Arabe pour la langue^ un mot Ärabe, des carac-
tlres Arabes, Weiterhin wirft er dem Pfere Bouhours vor, dass
er den Gebrauch von arabique für die Sprache nicht erwähnt
habe. Jetzt sagt man nur V arabe ^ la langue arabe, aber les
langues arabiques, wie das C. angibt und mit dem bei Abyasin
bemerkten Unterschied.
Araucan nach Sachs (und C.) nur von der Sprache, für das
Volk Araucanien, Vgl. Les Araucans de VAmirique occideniale
(Paix, 9 sept. 1887).
Arbosien, Bewohner von Arbois (CdV. V, 82).
Ard^chois^ Bewohner des D6p* de l'Ard^che: Les Ard^chois
habitant Paris sont insiamment pries de s'y rendre (France,
21 oct. 1878). Auch von über, Progr., Waidenburg, 1885,
verzeichnet.
Ardennais^ Bewohner des D6p* des Ardennes (CdV. VIII 185,
Cceckelberghe-Dutzele I, 260, über). Vgl. auch bei boulenois
das Zitat aus Fig. 16. 8. 77. Nach einer bei Stapper's
(Dictionn. synopt. d*6tymol. fr. 552) verzeichneten unhaltbaren
Annahme käme ardoise (Schiefer) von ardois = ardenois,
Armagnacoty Bewohner des Armagnac (CdV. VIII, 185). Ein altes
Armignagois (Anhänger der Armagnacs) ist im C. verzeichnet.
Armorique (C.) als Nebenform des Adj. armoricain,
Arnaute, Arnoute^ Arnaute, amautisch. So bei Sachs (im C.
nur erstere Form). Vgl. les Arnaoutes (Paganel, Hist. de
Scanderbeg, introd. 36), wobei zu bemerken ist, dass Paganel
sich in fremdartig klingenden oder geschriebenen Namens-
formen gefällt.
Aryaque» Nebenform von aryen. Brächet (Nouv. gramm. fr.
pr6face 18) zitiert la Separation des peuples aryaques ou indo-
europeens. Nach Littre (S.) wäre aryaque um eine Stufe älter
als aryen und bedeutete die gemeinsame Ursprache der Aryer.
Sachs thäte besser, die Schreibung arien (wie Littr6) auf die
Bed. Arianer zu beschränken.
Aspois^ Bewohner der vall6e d'Aspe (CdV. VIII 185).
Astesan^ Bewohner von Asti, aus Asti gebürtige Person: En
1268, le roi chassa tous le banquiers et changeurs lombards
et cahorsins, que n'avait pas arretes texemple des Astesans
(H. Martin IV, 286). Zwölf Jahre früher waren nämlich 150
aus Asti gebürtige Bankiers mit G Utereinziehung aus Frank-
reich vertrieben worden.
116 i%. Plaiiner,
Aubagnien. (Bewohner von Aubagne im D6p* des Bouches-dn-
Rh6ne.) Hier, ä deux heures, left Meridionaux venus ä Paris
pour preter leur concours aux Fefes du Soleil, donnies au
proftt des inondes du Midi, les Aubagniens en particulier, sont
allis donner unc aubade ä la Soeiete des Meridionavx, 6, boule-
vard Poissonnilre (Paix, 8 janv. 1887).
Augeron. Bewohner der vall6e d'Auge (CdV. VIII, 185).
Aunisien. Bewohner der Provinz Aunis (ib.).
Aurillaquois. Bewohner von Aurillac (ib. V, 82).
Autun(n)ois. Bewohner von Autun. Nach CdV. (V, 82).
AvtunoiSy Autunais, Les chistes bitumineux . . . s'exploitent
surtout dans VAutunois (Cortambert 249).
Auverpin (= Auvergnat), Unter der Form auberpin: Elle a
faxt Qaf — Pardinej puisque le petit auberpin rna tout däl
(Delacour et Thiboust, Paris qui dort, III, 4). Auverpin
findet sich Übrigens in dem Stück Avait pris femme le Sire
de Framboisy (I, 3) von denselben Verfassern.
Auzonnais, Bewohner von Auxonne (CdV. V, 82).
Avallonais^ nach CdV. (V, 82) Avalonnais,
Avejrronnais, Bewohner des D6p* de TAveyron (ib. VIII, 185).
Avignonais. Wenigstens sollte bei Sachs wie in andern Fällen
ein zweites n eingeklammert stehen. Ich zähle in 8 Fällen
avignonnais (bei H. Martin, Prosper Merim6e, Figaro, France,
Petit XIX® Si^cle), in zwei avignonais (Augustin Thierry, Th.
Lavallöe).
Avranchais, Bewohner von Avranches (CdV. V, 82).
Ayranchinais, Bewohner des Avranchin (CdV. VIII, 185)
und daher
Ayranchin, Gebiet, Umgegend von Avranches.
Bagnerais, Bewohner von Bagnöres (CdV. V, 82).
Bagnolais (C), Sekte, welche in der Stadt Bagnols entstand.
Balkanien^ Balk(h)anique dem Balkan angehörig. Les princi-
paiäes balkaniennes (Paix 22 sept. 1885). Les Etats baJ-
kaniques (ib. 11 nov. 1885). Les provinces balkaniques (ib.
20 sept. 1885). La peninsule balkamque (Ind^pendance Beige,
14 janv. 1886).
Bar-sur-Aubois (!), Bewohner von Bar-sur-Aube (CdV. V, 82).
Barrisien, nach CdV. VIII, 185. Bewohner der Landschaft
Barrois, Sachs dafür Barrois, So auch: La cavalerie
barroise et lorraine (H. Martin, VI, 187).
Barrois, Bewohner von Bar-le-Duc (CdV. V, 82).
Bayeusin, Bewohner von Bayeux (ib.); dazu als Landschafts-
name le Bessin (mit gleicher Etymologie wie. Bayeux: lat.
Bajocasses) bei Sachs und C.
PersoncU- und Gentilderivale im Neu französischen, 117
Bazadois (Sachs -ais), Provinz mit der Stadt Bazas (lat. Vasates).
Die Form mit -ois habe ich bei H. Martin viermal, die
mit -ais nur einmal bei J. Vinson (Revue critique 1880,
I 479) notiert.
Beaucairien, Beaucairois. Ersteres als Bewohner von Beancaire
bei CdV. V, 82. La faire gut fut instituee^ ä ce qu^on pre-
tendy par Raymond VI, comte de Toulouse, en reconnaissance
du zele que les Beaucairois avaient montri pour ses interets
pendant la guerre des Alhigeois (Quitard, Dictionn. des pro-
verbes 23). Ebenso Us Beaucairois bei A. Daudet, Lettres
de mon moulin 16.
Beauvaisis, Beauvoisis^ beide bei Sachs. Ersteres überwiegt
stark. Wie die Endung andeutet, stehen beide für die Land-
schaft, dafür alt auch Beauvoisin: PareiUement ä Reims . . .
et en Beauvoisin (Beauvaisis) , les vilains se rebdloient (H.
Martin V, 382), während die entsprechende neuere Form
Beauvaisin nur für die Bewohner steht.
Bedarrez, Gebiet von B^ziers (lat. Biterrae). H. Martin IV,
43, 109. Vgl. bei Sachs Biterrois,
Belfortain^ B6fortin^ Bewohner von Beifort: La population
bdfortaine (France, 19 avril 1878, ebenso Petit XIX« Si^cle,
18 aoüt 1883). Die zweite, der gewöhnlichen Aussprache
entsprechende Form wird vom CdV. V, 82 gegeben.
Beige. Zu den alten bei Sachs verzeichneten Adj. belgeois und
helgique kann noch belgicain gezählt werden, von dem Vermesse
(Patois wallen 24) sagt: Ne se dif ä Lille qu*en mauvaise pari.
Bellevillois^ Bewohner von Belleville, zu B. gehörig: Le
comite qui paironne, dans les deux circonscriptions beUevilloiseSy
la candidature de M, Gambetta . . . (Petit XIX® Siecle,
13 aoüt 1881).
Bellilois, Bewohner von Belle-Isle-en-Mer. (CdV. VIII, 185).
Bengali als Subst. wird von Sachs nur auf die Sprache bezogen
oder in der Zoologie (Bengalfink) gebraucht. Es tritt auch
für Bengalais ein: Le Bengali ne fait rien qu^ä regret et avec
une Sorte de langueur . . . Nous n'estimons pas qu'il y ait,
dans toute Varmee indiglne de la compagnie, cent Bengalis de
race pure (Macanlay, trad. d. MM. Joanne et Forgues, bei
Raffy, Lectures d'hist. de France, 570).
Bergamois (C.) alt für Bergamasque.
Berrichon ist nach Jaubert (Patois du Centre I 135) im style
noble durch Berruyer zu ersetzen. Berrichon (Vermesse 203
schreibt BSrichon) ist in der Litteratur trotzdem häufig
(Augustin Thierry, George Sand u.a.); H. Martin (z.B. II 74,
IV 31) schreibt nur les Berruyers,
118 Ph. Ptaiiner,
BdBSarabe, bessarabisch: LaRussie. . . dddommagerait pecuniaire-
ment la Roumanie de la perte du terrüoire bessarabe (France,
17 mars 1878). Sachs hat nur bessarabien,
B6thunoiSy zu B^thnne gehörig: Le Petit Biihunois Titel einer
dort erscheinenden Zeitung (Paix, 29 mars 1888).
Bigorrais neben Bigourdan, Bewohner der Landschaft Bigorre.
Sachs hat Bigo(u)rdan, Formen, die sich leicht belegen lassen.
Binchois der Stadt Bindre in Belgien angehörig: Anteneurementy
les confetti binchois se composaient d^ceufs frais (es ist vom
Confettiwerfen beim Karneval die Rede. France, 11 mars 1878).
Biterrois, Bewohner von B^ziers. Der CdV. (V, 82) gibt da-
neben Biterrais.
Blayais, Bewohner von Blaye (ib.).
Bocain, Bewohner der Landschaft le Bocage (ib. Vill, 185).
Bohäme für Zigeuner: 11 n'y a pas grand mirite^ voyez-vousy ä
itre une femme de bien quand on a ete ilevee dans une fa-
mille de braves gens . . . par une bonne mh'e . . . La mienne
Statt bohhne^ mais une vraie bohhmey une igyptienney qui jouait
la comidie dans Us granges de village (0. Feuillet, Seines
et prov. 192 f.). Par instants, il me semblait voir un de ces
campements fixes de Bohemes arrites dans les grandes clairieres
de la Valachie et vivant, comme les aiseaux, de ce que leur
donnent les bois (Souvestre im Musöe frang. 1851, 254).
Bönais, zu B5ne (Kreisstadt der Prov. Constantine) gehörig:
Le Petit Bönais, dort erscheinende Zeitung (Paix, 3 aoüt 1886).
Sachs nennt die Stadt Bone, das C. Bone, Bona. Nur die
Form mit Zirkumflex ist jetzt üblich.
Bonois? (wohl ältere Schreibung für beaunois, wie sich auch
baunois findet) : En 1718, ä Cologne, en Bourgogne et Bonois,
aux tles Agares . . . des hommes et des bestiaux furent tues
par la greü (Paix, 5 sept. 1886).
Bordelais. Zuzufügen (aus L. S.), dass bordelaise 1) ein in
Bordeaux übliches Fass, 2) eine Bordeauxflasche bedeutet. —
Die ofifenbar hierhergehörigen bourdelai(s), bourdelas, bourdelat
(Name einer Weintraube), welche Sachs gibt, fehlen bei Littre.
— Altere Form bourdelois: Les lois, coutumes et usances de
Bourdeaux et Bourdelois, Bazas et Bazadois, Aqen et Agenois
(H. Martin VI, 452).
Bouju, Bewohner des pays des Banges in Savoyen (CdV. VIII, 185).
Boulenois^ Boulon(n)ais^) werden von Sachs ganz gleichgestellt;
das C. thut dasselbe, denn es kann keinen Unterschied
*) Die Form mit nn ist ungleich häufiger, aber nur falsche
Analogie; n wird im Derivat zu einfachem n.
Personal' und Geniilderivate im Neufranzösischen. 119
machen, dass bei bottlenois kurzweg Boulogney bei boulonais
(sie) Boulogne-sur-Mer als Stammwort genannt ist; es werden
sich kaum Beispiele für ein anderes Boulogne finden. Ausser^
dem führt das C. Boulonais oder Boulenais (?) als Name
der in der älteren französischen Geschichte so vielgenannten
picardischen Landschaft an. — Die Formen houlenois, boulenais
(wenn letztere vorkommt) sind auf dieses Gebiet zu be-
schränken: Puis il (sc. Cisar) revint sembarquer au port
Itius (Wissant en Boulenots) (H. Martin I, 158). II (sc.
Edouard III) marcha droit ä Calais ä travers le Boulenois
(ib. V, 96). Jusqu'au traiti d*Arras, VAmienois^ le VermandoM,
le Ponthieu, le Boulenois avaient reconnu nominalement
VautoriU de Henri VI (ib. VI, 343). Des fortifications
construites par les Anglais dans Boulogne et le Boulenois
(ib. VllI, 348). Die neuere Form boulonnais ist das eigent-
liche Adj. zu Boulogne: II rCy a que 6 % (sc. parmi ces
chevaux) de provenance berrichonnej 1 % d^ardennaise, 1 % de
boulonnaise (Fig. 16 aoüt 1877). Ck fut aussitSt dans la
presse boulonnaise (B.-sur-Mer) . . . un concert de plaintes
et de lamentations (Fr. Sarcey, XIX® Si^cle, 13 sept. 1880).
Etienne . . . entra en campagne, en 1137^ avec ses mercenatres
brabangons et ses vassaux boulonnais et normands (H. Martin
III, 424). Vgl. endlich CdV. V, 82. Doch wird auch diese
Form für das Gebiet gebraucht: Le premier (sc. corps), com-
pos6 des gens d' armes du Boulonnais et du Ponthieu (H.
Martin III, 118). II (sc. le duc de Gnise) parcourut toutes
les places de frontitre frangavtCj depuis la Champagne jusque
vers le Boulonnais (Mignet, Charles- Quint 325). Plus tard,
. le Boulonnais forma un comte qui relevait du roi de France
(Petit XIX« Si^cle, 19 mars 1881). — Als Ergebnis:
boulon(n)ais ist die heute einzig übliche Form, doch wird zur
Bezeichnung des Gebiets in historischer Darstellung die alter-
tümliche Form boulenois vielfach bevorzugt.
Bourbonnais. Aufifallend ist, dass H. Martin (VI, 88) das Wort
mit nn, an einer anderen Stelle (XIII, 138) mit einfachem n
schreibt. Für die Bewohner des Bourbonnais gibt CdV.
VIII, 185) einzig:
Bourbonnichon. Jaubert (Glossaire du Centre, I 166) führt
das Wort gleichfalls an, verlangt aber für den style noble:
Bourbonnais,
Bourguignon wird von einzelnen Historikern, so stets von
Guizot, auch für die alten Burgunder (Bourgondes) gebraucht.
Das f. wurde früher häufig mit einfachem n geschrieben.
Bournaisien, Bewohner der Landschaft le Bonrnais (CdV, VIII^ 185).
120 Ph. Piaitner,
Bray, Name eines Landstrichs im D6p^ de la Seine -Införieure:
Goumay-en-Bray, Ort nordöstlich von Harfleur. Ein Be-
wohner dieses pays de Bray heisst
Brayon. (CdV. VIII, 185).
Brayau. Bewohner der Landschaft la Limagne (ib. 186).
Brenil, Name einer Landschaft: La Roche- en-Brenü (Paix,
9 janv. 1886).
Brasilien. Die Form brasUien findet sich bei Buffon ((Euvres
compl. III 265, (Euvres choisies II, 251): II itaU plus aise
d^en appeler un autre (sc. animal) renard amdricain^ que de
Im conserver son nom hrasilien tamandua-guacu.
BrianQOnnais. Dafttr CdV. V 82 hriangonnois,
Brivadois, Bewohner von Brioude (CdV. V 82).
Brugeois, alt hmgelin (C).
Brüxellois im Patois Brussdaire (Vermesse 106).
Bugeysien^ zu Bngey gehörig: De Ms nombreuses et tres im-
portantes commandes mennent cPetre adressSes ä notre fahrique
hugeysienne d' Stoffes de sote (France, 11 juill. 1878). Die
Wörterbücher kennen nur le Bugey, eine Landschaft westlich
von dem an der Genfer Grenze gelegenen Pays de Gex im
D6p* de l'Ain. Nach dem weiteren Wortlaut des angezogenen
Artikels muss auch ein Ort Bugey existieren: Des ordres
pressants ont iti donnis par les chefs de maisons de Lyon ä
leurs reprisentants de Bugey ....
Bulgarien ist zugunsten von huLgare^ le Bulgare so gut wie auf-
gegeben.
Burgonde^ Burgondion, Burgunder Burgundion (es ist kein
Grund vorhanden, diese Wörter nur im Plur. aufzuführen,
wie Sachs thut); die erste Form kann als die jetzt vor-
herrschende für die Bezeichnung dieses germanischen Volks-
stammes gelten. Auch le hurgonde för die Sprache: II n'y avait
point au cinquihne siecle de langue allemandeuniformSj mais autant
de dialectes divers (le francique^ le hurgonde, le gothique, etc)
que de trihus envahissantes (Brächet, Gramm, bist. 29).
Burgondien^ Adj. zu dem vorigen neben hurgonde: Ije chef
hurgonde pouvait aspirer au röle de Rikimer (H. Martin I,
394). Seconde par Godeghisel et par un parti hurgondien et
gallo-romain, ü (sc. Gondehald) vainquit Hilperic et Godomar
(ib.). II (sc. Ecdidus) avait envoyS ses serviteurs, ses ckevaux
et ses chariots parcourir les cites hurgondiennes voisines de
VArvernie (ib. 395). Es mag bemerkt werden, dass das Land
an den gleichen Stellen la Burgondie genannt wird.
Byzantin. Oft auch hysantin geschrieben (so z. B. von Prosper
M6rim6e). Vgl. Sarrazin neben dem üblichen sarrasin.
Personal- und Gentüderivtüe im ^eufranzösischen. 121
Gaeil(ll)ais, caönois stellt Sachs, caennais, caennois stellt der
CdV. (V, 82) neben einander; C. hat nur caenais. Ich habe
nur caennais notiert (Le Drapeau, 26 sept. 1885).
Gadurcien^ cahors(a)in bei Sachs; cahorsin, cadura'en bei dem
CdV. (V, 82). Cahorsin scheint das üblichste. Zuzufügen
ist cahorsin (= hanquier, usurier): Ij exploüation de la banque
et de Vusure passa des juifs ä une classe de banquiers appelis
cahorsins, parce que les habitants de Cahors s'dtaient, les
Premiers entre les chritiens, adonnis au commerce de banque
pour le Service de la cour de Borne (H. Martin IV, 256).
Vgl. auch bei Astesan. Im C. steht diese Bedeutung unter
der Form caordn (= Geldwechsler italienischer Abkunft)
verzeichnet.
Gairote^ Bewohner von le Caire: Les Alexandrins fuyani le cholera
viennent id; et les Cairotes les y regoivent sans difficuUe
(Petit XIX« Si^cle, 23 aoüt 1883).
Galabrais ist jetzt die üblichste Form; H. Martin (z. B. IV 119, 320)
gebraucht caldbrois,
Galaisis^ das Gebiet von Calais: Le Calaisis ou comte d^Oie
(H. Martin VIII,- 462). Des Conferences pour la paix s^etaient
ouvertes ä Marcq^ dans le Calaisis (ib. 440). Dls lors (1558),
le Calaisis j reuni au comte de Guines, prit le titre de pays
reconquis (Petit XIX« Siecle. 6 fevrier 1881).
Galaisien^ Bewohner von Calais; CdV. V, 82 gibt auch caUsien,
Gamarguais, Bewohner des Landstriches La Camargue (CdV.
VIII, 185).
Gambodgien^ zu Cambodge (-dje) gehörig: Dans tous les cas
oü il ny a pas de sujets cambodgiens en cause (Petit XIX® Sifecle,
3 mars 1881). La mission cambodgienne (Paix, 10 nov. 1885).
Les Cambodgiens (Cortambert, 510). Auch von über bemerkt.
Gambraisien. Sachs führt die Nebenform cambrisien (C: vieux
langage), aber nicht cambrisien auf: Le cambrelot ou cam-
bresien se parle dans le Cambresis {Verme^Be, intr. 16). Auch
von CdV. V, 82 bemerkt. Cambrelot ist also eine populäre
Nebenform, die vielleicht nur von der Sprache gebraucht wird.
Gambr^sis^ Gebiet vom Cambrai; daneben Cambraisis (H. Martin
I, 410), Cambresis (ib. VIII, 429), vgl. auch cambraisien.
Die Form cambresis fuhrt Sachs nur in Chdteau- Cambresis
auf, welches in dieser Form jedenfalls ungewöhnlich ist. Der
Ort heisst le Cdteau- Cambrisis oder le Cdteau (C), le Cateau-
Cambresis (Cortambert, 267); la paix glorieuse de Cateau-
Cambresis (Voltaire, ed. du centenaire 526); le congr^s se
rouvrit, au Cateau - Cambresis (H. Martin VIII, 475); iraüi
du Cateau- Cambresis (ib. XVII, 111). Die Qualität des e ist
122 Ph, PiaUne9\
also sehr schwankend; aber jedenfalls ist das pikardische c
für ch beizubehalten und am besten behält man auch den
Artikel bei, wogegen der Zirkumflex wegfällt. Vgl. auch
catisi^en.
Gambridgien, Bewohner (Studenten) von Cambridge: Au con-
traire, grdce ä leur famüiaritS intime avec Vantiquite, les
Cambridgiens ont su mettre ce denouement de la tragedie dans
un relief st saisissant . . . (XIX® Si^cle, 14 d6c. 1882).
Cantalien* Bewohner des D6p* du Cantal (CdV. VUI, 185).
GantonaiSy zu Canton gehörig. Dafür mir nur die Form mit nn
bekannt: Cantonnais (Coeckelberghe - Dutzele, I, 259), U Can-
tonnais (Name eines Schiffes. Paix, 25 avril 1886).
Garcassez, Gebiet von Carcassonne: le Carcassez (H. Martin
IV, 43, III 230). Nach dem C. dafttr auch Carcassois.
Garch^onien, zu Carch^don gehörig (C).
Garladez, Gebiet von Oarlat im jetzigen D6p^ du Cantal.
Vic-en-Carlades (nordöstlich von Aurillac), auch auf Karten
Vic-en-CartaUz oder Vic-sur-Chre genannt. Carlat ist ein
ganz unbedeutender Ort südöstlich von Aurillac.
Garrörois^ Garröriste. Bewohner von Carrieres, Dorf zwischen
Paris und Saint-Germain-en-Laye : Je connais les Carrerois ou
les Carriristes; ce sont des gens trop respectueux de la pro-
priete d'autrui pour tremper leurs mains dans le vol (Fr.
Sarcey, XIX« Sifecle, 26 mai 1880). Die zweite Form ist
offenbar nur scherzhafte Bildung.
Gastrais, Bewohner von Castres (CdV. V, 82).
Gatesien^ zu le Cateau (vgl. camhrisis) gehörig: TJne grh)e vient
de ce diclarer au Cateau^ dans le tisssage de la societe
catesienne (France, 8 f6vr. 1879).
Gaucasien^ caucasique. Das zweite Wort bezeichnet Sachs
als selten. Littrö gibt im Wörterbuch nur race caucasienne
(= race blanche), im S. dagegen race caucasique (= race
indo-europSenne). Das C. hat race caucasique ou caucasienne,
Cortambert sagt: La race blanche s*appelle aussi caucasique
(34). Ces cavaliers . . . dont Vaspect provoquait une question
relative ä leur origine semitique^ caucasique ou ethiopienne
(Temps, 30 dec. 1879). Le type caucasique (France, 9 sept.
1878). Les hommes du type caucasique ou mediterraneen
(CaucasienSy Basques, SSmites, Indo - Germains) (ib.) Und
ebenda sogar als Subst.: En outre, chez le caucasique ^ le
visage est droit et deforme ovale, plus large vers le haut que
vers le bas. Endlich sagt die Akademie (1878; 1835 fehlte
das Wort): La race caucasique ... On dit aussi: La race
caucasienne. Eigene Belege für letzteres fehlen mir.
Personal- und Geniüderivate im Neufranzösischen, 123.
Gauserans^ le, ein Teil der Gascogne (C. Gascogne).
Gerdanyol, Bewohner von la Cerdagne (CdV, VIII, 185).
Ges6nate, Adj. zu C6s6ne (C).
Gettois. Bewohner von Cette. (CdV. V, 82).
Ghabanais, von Coeckelberghe-Dutzele (I 260) ohne weitere
Angabe als chef-Ueu de canton aufgeführt.
Ghälonnais wird meist (wie bei Sachs) sowohl als Adj. zu
Chälons-sur-Marhe wie zu Chalon (-sur-Saöne) betrachtet. Für
letzteres ist besser chalonnais (Cortambert 335), obwohl es
auch für die erstere Stadt steht, so Petit Journal (10 avril
1884), offenbar fehlerhaft (in demselben Artikel steht auch
Chalon-sur-Marne, was unter allen Umständen unrichtig ist).
CdV. (V, 82) gibt Chalonnais oder Chdlonnois für Bewohner
von Chälons, ohne zu bemerken, welchen Zusammenhang der
Cirkumflex mit der Endung haben soll. Die Form auf -ois
ist mir weiter nicht vorgekommen.
Ghalossin, Bewohner von le Chalosse (CdV. VIII, 185).
Ghampenois , Bewohner der Champagne, dagegen champagneux
Bewohner der Champagne im Berry (Jaubert, Patois du
Centre I, 224).
Ghanan^n wird von Sachs mit cananeen als Adj. zu Cana
gleichgestellt. Nach dem C. gehört es zu Chanaan; dabei
wird eine Warnung vor Verwechselung aus dem Dictionn. de
Trevoux angeführt.
Ghäteauduneois, Bewohner von Chäteaudun (CdV. V, 82),
Vgl. Dunois.
Ghäteaulinais^ zu Chäteaulin gehörig: Äu fond de Vhorizon . . .
on apercevait Ja Ugne dicoupee des maigres vignöbles chäteau-
linais (Jules Mary, XIX« Siecle, 16 oct. 1880).
Ghätillonnais, Bewohner von Chätillon (CdV. V, 82).
Cherbourgeois, Bewohner von Cherbourg (ib.).
Chiojote. Bewohner von Chioggia: Tels sonL d peu de chose
pres que foublie peut-etre, les pecheurs venitiens; les Chiojotes
sont beaucoup plus braves (A. de Musset, 682).
Cisgang^tique, diesseits des Ganges gelegen (Stappers, 557).
Clazom^nien^ zu Clazom^ne gehörig (C).
Clermontais^ Glermontois^ zu Clermont (Ferrand) gehörig (Sachs).
Clermontais Bewohner von Clermont-Ferrand (CdV. V, 82). Ich
kenne nur die Form auf -ois, La societe clermontoise (Fig.
5 avril 1877). Nous croyons hon toutefois de puhlier Vextraordi-
naire proclamation adressee aux Clemwntout par les organisateurs
dela manifestation (Paix, 24 mars 1888). Entscheidend ist wohl,
dass in Clermont-Ferrand eine Zeitung mit dem Titel le Petit
Clermontois erscheint (Paix, 5 juillet 1885, 25 juillet 1886).
124 Ph. JPtaUner,
Glissonnais, Bewohner von Glisson (CdV. V, 82).
Glunisien, zu Cluny gehörig (L. S.).
Golmarien. Bewohner von Colmar: Bonne nuit ä toits mes eher 8
Colmariens (J.D., Le Fran^ais alsacien, 132). Auch CdV. V,82.
Golonais^ Adj. zu Cologne (Coeckelberghe-Dutzele I, 259).
Golum^rien, Bewohner von Coulommiers (CdV. V, 82).
Gommingeois. Bewohner von Comminges (CdV. VIII, 185).
Auch le Commingeois für das Gebiet (J. Vinson, Revue crit.
1880, I, 479).
Gomtadin, Bewohner des Comtat-Venaissin. Neben diesem Wort
gibt CdV. VIII, 185 auch Venaissinois, Vgl. Sachs venaissin,
Gomtois für frane-comtois wird auch von H. Martin hänfig ge-
braucht.
GongolaiSy dem Congo angehörig, scheint congois, congolan zu
verdrängen: Les Conferences congolaises war 1886 in der
Indipendance Beige eine stehende Rubrik (z. B. 24 janv.,
27, 28 fevr., 13 mars).
Gordouan, Adj. zu Cordoue (Cordova in Spanien), dagegen
Cordoves zu Cordova(8) in Argentinien: Uarrivee du con-
ducteur de chariots semblait Stre pour la veuve et sa fiUe un
evenement de grande importance; le jeune Cordoves en voulait
ä cdui'ci de ce qu^on eüt fait tant de frais pour le recevoir
(Th. Pavie in Mus6e fran9. 1851, 111 f.).
Gomouaillads^ Bewohner von la Comouaille (CdV. VllI, 185).
Gorr^zien, Bewohner des Departement de la Corr6ze (CdV.
VIII, 185). Auch von über bemerkt.
Gorsique für corse noch in einer neueren Schrift: Ils (sc. les
pirateB espagnols) allerent se jeter sur les plages corsiques
(Haur^au, Charlemagne et sa cour, 4® ed. 1877, p. 190).
Gorsican für corse: Tout ce que je sais c'est que le Souvenir de
cette majeste corsicane (d. h. aus Korsika stammend) s'est
perpitue en Corse, jusqu'ä nos jours, d Corhara notammenty
oü les Franceschini sont encore designes aujourd'hui sous le
nom de ^^amüle delle Turche^^. (Paix, 13 juillet 1885. Es
handelt sich um eine imperatrice Davia du Maroc aus der
korsischen Familie Franceschini.)
Gortinois, Bewohner von Corte auf Corsika: Les Cortinois, pre-
nant fait et cause pour leur camaradSj se sont armes ä levr
tour (Petit XIX« Siöcle, 24 juillet 1881).
Gosentin, zu Cosenza gehörig (C.)
Gotentinois^ Bewohner des Cotentin (CdV. VIII, 185). Da aber
Cotentin Adj. zu Contances ist (Gebiet von Coutances), so
mttsste Coientinois auch Bewohner von Coutances bedeuten
können. Vgl. coutangais.
Personal- und GeniüderivaU im Neufranzösischen. 125
Courbevoisien, Bewohner von Courbevoie (C, CdV. V, 82).
Sachs schreibt Courbevoye.
CoutaiLQais^ Bewohner von Coutances (CdV. V, 82),
Grimmen, zur Crim^e gehörig: La CrtmSenne (ein Miiitärmarsch.
Paix, 26 d6c. 1885).
Croisicais^ Bewohner von Croisic (CdV. V, 82).
Gubanais neben cuhain (zu Cuba gehörig) findet sich wohl nur
in Wörterbüchern.
Gum^n gehört (nach C.) zu Cumes en Italic, dagegen cuman
zu Cumes en l^olide als Adj.
Gyngalais^ (nicht cingalais), ist Littr^'s Schreibart.^) Er ver-
zeichnet daneben ceylanais,
Damasquin, Bewohner von Damas: Seuls parmi les Orientaux,
les Damasquins nourrissent de plus en plus la haine religieuse
et rhorreur du nom et du costume europiens (Lamartine, V,
en Or. 161). Sachs hat nur Damaschie,
Dignois, Bewohner von Digne (CdV. V, 72).
Dinanais, auch dinannais zu Dinan gehörig: V Union mahuine
et dinannaise (eine Zeitung von Saint-Malo oder Dinan. Paix,
7 mai 1885). Dinannais auch im CdV. V, 82. Sachs hat
nur dinandois,
Dodon, Landschaft in der Nordwestecke des Departement de
la Haute - Garonne. Le juge de paix de Lisle-en-Dodon se
renditpr?.s de luipour recevoir sa declaration (Paix, 7janv. 1886).
Dolois, Bewohner von Dol (CdV. V, 82). Der Name dieser
Stadt (Departement dllle-et-Vilaine) fehlt bei Sachs.
Dölois, Bewohner von D61e (CdV. V, 82).
Doi\jon bezeichnet zugleich das Gebiet der Stadt le Donjon
(Departement de TAllier); Neuilly-en- Donjon (Paix, 6 d6-
cembre 1885).
Dorien heisst auch Bewohner der vall^e de la Dore (CdV.
VIII, 185).
Douisien im Patois für douaisien (Vermesse, 202).
Doublaud^ Bewohner der Landschaft la Double im Departement
de la Dordogne (CdV. VIII, 186).
Draguignanais^ Bewohner von Draguignan (CdV. V, 82).
Dulcignote, Bewohner von Dulcigno (montenegrinische Küsten-
stadt): Les Dulcignotes sont sortis de cette entrevue plus
ohstines que jamais (XIX® Siöcle, 28 septembre 1880).
Dunois^ Bewohner von Chäteaudun: Le marickal de Mac-Mahon
est assure de rceevoir un excellent accueü des Dunois (Figaro,
15 sept. 1877). Puis, venaient la fanfare du rigimeat et
^) Man findet auch cynghalais.
126 Ph. Ratiner,
V Union dunoise gut faisaient entendre une marche de circon-
stance (XIX® Si^cle, 25 oct. 1880). Apr^s /.a retraite des
vaillants dSfenseurs de la dti dunoise (Paix, 22 oct. 1886).
Le duc austrasien Gonthramn-Bose armait les populations
de la Touraine et du pays de Dunois contre Theodebert
(H. Martin II, 54) , womit der geographischen Lage nach
nur das Gebiet von Chäteaudun gemeint sein kann. Sicher
aber ist dunois weit häufiger als chdteaudnnois (vgl. dieses).
Dunoison, Bewohner der Landschaft le Dunois (Departement
d'Eure-et-Loir)i) nach CdV. VIII, 186. Wegen des Anklangs
an oison kann das Wort unmöglich anders als scherzhaft ge-
braucht werden, vgl. Seine- et- Oispn,
Dyonisien, zu Saint- Denis gehörig: Ijes Flohertistes dyonisiens
(Paix, 11 juin 1886).
Eausan (auch Ausan), das Gebiet von Eauze (C).
Edessien^ Bewohner von Edesse (Michaud, V^ Croisade, edition
Lamprecht 85).
Eg^en, zu mer Eg^e gehörig: Le littoral £geen (Paganel,
Scanderbeg, introd. 40).
Embrunois, Bewohner von Embrun (CdV. V, 82). Sachs hat
nur Emhrunaisj Gebiet von E.
Emporitain, zu Empories gehörig (C).
£pidaurien, zu ^pidaure gehörig (C.).
Erymanthien, zum Erymanthe gehörig: Le sanglier Srymanthien
neben le sanglier d'Erymanfhe (C).
Eudois, zu Eu gehörig, Bewohner von Eu (CdV. V, 82). Le
Messager Eudois eine dort erscheinende Zeitung (XIX® Si6cle,
9 janv. 1883). Sachs: eusiois, ebenso C.
Eugllbin(es). Das C. hat die Nebenform eugubin,
Euphrat^sien, zum Euphrate gehörig; das C. hat nur euphratense,
Euscare baskisch: La langue euscare (H. Martin II, 100, 272,
359). Vgl. Sachs: Veuskara.
Euske bei Sachs nur Subst. Vgl. la race euske (euskarische,
baskische Rasse, H. Martin, II, 75).
Exddolien, Bewohner von Excideuil (CdV. V, 82).
Falaisien, Bewohner von Falaise (ib.).
Falisque^ zu Faleries gehörig (C).
Faudgneran. Bewohner von le Faucigny (CdV. VIII, 186).
F^ringeois. Bewohner der iles Feroe (Privat-Deschanel, Dictionn.
g6n. des sciences, I, 850).
Ferrarais verdient vor ferrarois den Vorzug.
1) In welchem Chäteaudun liegt. Also zugleich Beweis fiir die
vorausgehende Stelle.
Personal- und Gentüderivate im Neu französischen. 127
Fertois. Bewohner von la Fert6-Bernard (CdV. V, 82). Müsste
auch zu den übrigen Orten gleichen Namens bezogen werden
können.
Fezensac als Ortsname fehlt bei Sachs. Das 0. gibt le comte
de FezensaCy aber le vicoTnti de Fezensague. Bei Mignet
(Etudes hist. 249) ist le Fezensac, le Fezensaget gebraucht:
11 (sc. Louis XI) confisqua, en 147 3 ^ sur la maison des
Armagnacs . . . VArmagnac, le PardiaCy VAstarac, le Fezensac,
le Fezensaget, le Eouergue.
Fid^nate, zu Fidenes gehörig (C).
Fiunois, bei H. Martin (11, 425) Zc« Finnois,
Fiumorbais. Bewohner von le Fiumorbo (CdV. VIII, 186).
Floridien, zu la Floride gehörig: Des grues floridiennes (Chateau-
briand bei Vinet, chrestom. 249).
Forez ist das Gebiet von Feurs (Cortambert, 291), die Endung
-ez steht der im Norden üblichen -is und der modern- und
gemeinfranzösischen Endung -ais für Gebietsnamen gleich.
Forez ist also ein substantiviertes Adjektiv, nähert sich aber
dem wirklichen Ländernamen (Substantiv), wie les montagnes
de Forez (Sainte-Beuve, Nouv. galerie, 236) zeigt, denn bei
Wörtern auf -is, -ais könnte der Artikel in diesem Falle
nicht fehlen.
Forezien^ zum Forez gehörig. Ich kenne nur Formen mit*
Accent (foreziev, foresien): Des bourgs lyonnais, foreziens,
hrefisans (H. Martin III, 236). Der CdV. (I, 14, VIII, 186)
und das C. schreiben foresien,
Forlivois, zu Forli gehtirig (Coeckelberghe-Dutzele, I, 261).
Franc fränkisch. Sachs führt noch (s. v. V) franque als allein-
stehende Form auf. Franc, franque (l. fränkisch, 2. abend-
ländisch, 3. levantiuisch) hätte doch niemals ein f. franche
haben können. In der Bed. fränkisch setzt man jetzt meist
frank, franke (H. Martin kennt nur diese Form): Les tribus
frankes (Aug. Thierry, Conquete de TAnglet. I, 35). La
conquete franke (Brächet, Gramm, hist. 22). Selten francique:
R (sc. Posthumius) avait composi son armee en grande partie
de troupes gauloises et franciques (Michelet, Pr^cis I, 57).
Letzteres Wort bezeichnet nur noch „fränkische Sprache,
fränkischen Dialekt.^
Francon, f. -onne gibt das C. neben franconien.
Fraaenbourgeois. Bewohner von Frauenburg (Petit XIX® Si^cle,
8 aoüt 1881).
Frioulain, le, das Gebiet von Frioul (Cahiers d'une 616ve de
Saint-Denis XII, 233). Sachs: frioulien, forlan,
Gabinien (zu Gabies gehörig) gibt das C. neben gdbien.
128 Ph. Plaiiner,
Galicien gehört sowohl zu Galice (Spanien) wie zu Galicie (Öster-
reich), in letzterer Verwendung auch gallicien (wie Gallicie).
Gallowien. Bewohner von Galloway (Marnier, Robert Bruce 93).
Gandin, zu Gand gehörig: Cette population brugeoise et gandine
(Fig. 21 mars 1877).
GapenQais, nach dem CdV. V, 82 Gapengois (Gapencois ist
Druckfehler), ebenso C. Ich kann nur -ais nachweisen, was
Sachs auch nur bietet.
Garonniens, les, altes Volk an der Garonne (C).
Gfttinais, sonst nur Name einer Landschaft in den Provinzen Ile-de-
France und Orl6anais, wird von CdV. VIII, 186 als Bewohner
von la Gätine (Landstrich im Dep* des Deux-S6vres) gegeben.
Gastinaisan. Bewohner von Le Gätinais (CdV. VIII, 186).
G^rosien, zu Gedrosie gehörig (C).
G^ras^nien, zu G^rase gehörig (C).
Gergithien, zu Gergis gehörig (C).
Germain, germanique. Wie unterscheiden sich beide Wörter,
' von denen das erstere immer noch im Wörterbuch der
Akademie fehlt? Littre erklärt: Germain^ qui appartient ä
la Germanie; germanique j qui appartient aux Germains,
Damit kommt man nicht weit. Sachs erklärt: Germain ne
se dit que des anciens Allemands; germanique se dit de toute
la famille des p&iiples appartenant ä cette branche des Indo-
Europeens, Das ist richtig und stimmt zu der Unterscheidung
von abyssin, abyssinique, arabe und arabique, Les langues
germaniques und ähnliches sind also stehende Ausdrücke.
Zufügen kann man, dass nur germanique von mittleren und
neueren Zeiten gebraucht werden kann. Daher Vempire
germanique^ la Constitution germanique, le corps germanique,
le droit germanique und so noch für die neueste Zeit Varmee
germanique: Visconti- Venosta avoit stipule une esplcc de traite
secrety le mois de mai, par lequel Varmie italienne devait opirer
une diver sion sur les flancs de Varmee germanique, du cSte de
Dijon ou vers le lac de Constance (France, 18 janv. 1878).
Ebenso: Je mentionnai la proposition faite par M, Gasparin
dans les feuilles suisses pour la neutralisation de VAlsace et
de la Lorraine Germanique (Fig. 31 oct. 1876). Endlich ist
nur germain Adj. und Subst. zugleich, germanique dagegen
lediglich Adj. (abgesehen von dem Ausdruck der alten Geo-
graphie la Germanique^) premilre u. s. w. sowie dem Namen
Louis le Germanique),
Wie verhalten sich germain und germanique also in
^) Wofür H. Martin ausschliesslich la Germanie gebraucht.
Personal' und GentÜderivaie im Neu französischen. 129
adjektivischer Verwendung zu einander? Da die weibliche
Form des ersteren sehr häufig ist, kann von dem bei aquitain
und vielleicht auch bei alleman vermuteten Unterschied nicht
die Rede sein.
1. Wo es sich um Personen handelt, ist nur germain
das richtige Wort: Les chritiens germains (H. Martin, II,
259). Les rehelles germains (ib. II, 219). Les seigneurs
germains (ib. II, 542). Plusieurs chefs germains {ih. I, 319).
Les Scabini germains (ib. I, 249). Les conquirants germains
(ib. II, 63). Les courses des harbares germains (ib. II, 200).
Les vassaux germains (ib. II, 270). Les leudes franco-
germains (ib. II, 210). Les auxiliaires germains (ib. I, 312).
2. Bei Kollektivbegriffen, mögen dieselben auch nur
Personen umfassen können, treten beide Wörter auf: Les
peuples germains (Lavall6e I, 139). ün peuple germain (H.
Martin I, 319). Tous les peuples germains (ib. 320). Les
peuples germaniques (Guizot, Civ. en Fr. I, 210, ebenso Acad.).
Les peuplades germaniques (Guizot, Civ. en Fr. I, 188).
Ches les peuples germaniques, comme chez les peuples ceUiques
(H. Martin II, 215). La race germanique (Lavall6e I, 49).
USUment germanique (Guizot, Civ. en Fr. I, 180). Ijes tribus
germaines (Brächet, Gramm, bist. 30; Lavall^e I, 319; Guizot,
Civ. en Fr. I, 189, 183). La bände germaine (ib. 221).
Les bandes germaniques (H. Martin, I, 306, II, 15, II, 21)
Les ligions fr anco- germaniques (ib. II, 215). Les masses
austro - germaniques (ib. II, 252). Varmde italo- germanique
(ib. II, .326). La sociiti germaine (Guizot, Civ. en Fr. I,
218, 188). La sociiti germanique (ib. I. 182). V aristocratie
germaine (Lavall^e I, 444).
3. Auch bei Abstrakten im weiteren Sinne finden sich
beide Adjektiva: Les victoires germaines (Petit XIX® Si^cle,
17 f6vr. 1881). L'invasion germanique (Brächet, Granmi.
bist. 30; Guizot, Civ. en Fr. I, 215). La domination ger-
manique (H. Martin, I, 356). La civüisation germanique
(ib. II, 315). Vesprit de la royauti germanique (ib. II, 57).
Ije paganisme germanique (ib. II, 208). Les mdls germains
(ib. II, 174.) Les concües gallo -germaniques (ib. II, 233).
Les mcßurs germaines (Guizot, Civ. en Fr. I, 208, 294). Les
mceurs germaniques (ib. I, 206). Les coutumes germaniques
(ib. I, 207; H. Martin II, 167). Les lois germaines (ib. I,
183). Les lois germaniques (ib. I, 223). Les traditions ger-
maniques (ib. I, 183). La minne germanique (H. Martin
I, 484). Ce demier trait si profondiment germanique (ib.
I, 417). 8es tendances anti-germaniques (ib. II, 250). Ijcur
Zschr. t tn. 8p. o. Litt. XIi. 9
130 Ph. Plaitner,
nom itait donc ^origine germanique (Guizot, Oiv. en Fr.
I, 259). Üh prSjugS germanique (ib. 1, 294).
Die Form germanique überwiegt hier demnach; ganz
besonders aber, wo es sich um Sprache handelt: La langue
et les mcßurs germaniques (H. Martin, II, 187). Le titre ger-
manique de cet officier (ib. 11, 59). Les dialectes germaniques
(Akad.). Doch auch un nom germain (H. Martin, I, 321)
und sogar les mots germains de la langue frangaise (Zitat,
dessen Quelle ich nicht notiert habe. Gerusez?).
4. Nur germanique ist am Platz bei reinen 8achnamen:
La vieille France germanique (H. Martin, I, 415, II , 317).
Les deux Provinces Germaniques (ib. I, 400). Leur empire
germanique (d. h. das rechtsrheinische Reich der Franken,
ib. II, 169). Les Kordes des forits germanique (ib. II, 21),
daher auch Vocian Germanique (jetzt mer du Nord). Com-
ment assigner avee pricision ce qui Statt vraim^nt germanique
et ce qui portait dijä une empreinte r omaine f (Guizot, Civ.
en Fr. I, 185). Sehr auffallend (und wohl nur durch das
dabeistehende romain herbeigeführt) ist daher: Totis les mo-
numents qui nous restent sur titat des Barbares avant Vin-
vasion, quelles que soient leur origine et leur nature, romains
ou germains f traditions, chroniques ou lois, nous entretiennent
de temps et de faits fort üoignis les uns des autres (ib. I, 184).
Möge man diese Ausführlichkeit entschuldigen, denn
vielleicht ist mir doch eine Scheidung entgangen, die ein
anderer finden mag; möglicherweise ist auch ein Anhalt ge-
geben für die Scheidungskriterien anderer Wörter (ceUe: cd-
tiqu£, alleman: allemanniquey aquitain: aquitanique u. s. w.), zu
welchen sich Beispiele nicht in solcher Zahl beibringen lassen.
Qerminois, Bewohner von Saint-Germain (CdV. V, 83).
G^rolsteinois, zu dem erdichteten Gerolstein gehörig: Le public
Gdrolsieinois (Indöpendance Beige, d6c. 1885 p. 6 der illu-
strierten Beilage).
Qerr(h)6eii, zu Gerra gehörig (C.)
G&te, Nebenform zu getique: La sensiblerie ä part^ ce deücut
etre une belle chose que ces lüttes acharnies oil les monstres
de VInde et de VAfrique se colletaient corps ä corps, oü les
griffes de la paniMre rayaient les flancs lustres dChuile du
hesUaire gUe ou sarmate dont les m^ins nerveuses lui dichi-
raient la gueule (Th. Gautier, I, 295).
Gezois, Bewohner des pays de Gex (CdV. V, 82).
Qiennois, Bewohner von Gien (ib).
Girondin gleichbedeutend mit bordelais gebraucht (Name der
Landschaft für den der Stadt): II va sans dire que Vaffaire
Persofuü' und Geniüderivaie im Neufranzösischen, 131
du Oirondin s^arrangea^ aprls le spectacU^ dans un souper;
vorher geht le Borddais (France, 22 sept. 1878).
Qlaronais schreibt Sachs, ebenso Cceckelberghe-Dutzele (im C.
fehlt das Wort); ich kann nur glaronnais belegen, was nach
Analogie offenbar das richtige ist.
Qortynien, zu Gortyne gehörig (C).
Gk)thique. J^crOure gothique für „deutsche^ Schrift: J^criture
gothique et latine (aus dem Plan d'^tudes pour T^cole nor-
male catholique de Fnlda. £. Renda, L'^ducation popnlaire
dans FAllemagne du Nord, 260).
Granyillads nach Sachs und CdV. V, 82; granviUots hat C.
Grassois, Bewohner von Grasse (CdV. V, 82).
Ghraylois, Bewohner von Gray (ib.).
Ghr^siyaudan, le (selten Oraisivaudan), Landschaft, die teils
zum d^p^ des Hautes- Alpes, teils zu dem de Fls^re gehört.
Fehlt bei Sachs.
Grison Graubündner, bei Sachs nur als Subst aufgeführt. Sollte
kein Adj. existieren, da gris (wie Sachs s. v. angibt) nur in
dem historischen les ligues grises vorkommt? In folgendem
Beispiel (vgl. den Ausdruck tOberland hemois) ist jedenfalls
grison ein Adj. und eher von dem Subst. zu trennen: La
neige s^eat meme montrie dans les valUes de VOherlandgrisony
comme on a pu le constater ä Ylanz (Petit XIX® Si^cle,
11 juin 1881).
Groyan^ Bewohner der Insel Groix (Morbihan. CdV. VIII, 186).
Ghriiy^rien, zu Gruyfere, Griers gehörig: Des soldats gruyiriens
(H. Martin VIII, 295).
Guat^malais, guatemalien zu Guatemala gehörig : Les bruyantes
lamentaUons des leaders de la sociMi guatimalaise crdhrent
des difficidtSs au gouvemement (XIX® Siöcle, 1^ d6c. 1880).
Les pertes des Gttatemaliens (Ouatemaliens^), ä la bataiüe de
Chalchuapa, ont Hi de 1,800 hommes (Paix, 21 avril 1885).
Die von Sachs bevorzugte Form Gruatimcda ist kaum zu finden.
Gu^randais, Bewohner von Gu6rande (CdV. V, 82).
Guingampois, Bewohner von Guingamp (ib.).
Guyana] S, Bewohner von Guyane: Les femmes sont parmi les
Gruyanais une vraie propriiti (Zitat bei Guizot, Civilis, en
France I, 200).
Guyennois, Bewohner der Guyenne (CdV. VIII, 186).
Haglienauien, zu Hagenau gehörig: fje politiden haguenauien
(Union de TAlsace-Lorraine, 9 sept. 1881).
Haut-alpin, Bewohner der Hautes- Alpes (CdV. VIII, 186).
H^liopolitain, zu H61iopolis gehörig (C); das von Sachs dafür
gegebene hüiopoliie hat nach derselben Quelle eine genau
133 i%. HaUner,
begrenzte historische Bedentang (9. und 10. ägyptische
Dynastie).
Hellespontiaque^ zum Hellespont gehörig (C, vgl. auch ebenda
unter Sibylle).
Hennuyer. Ausser der von Sachs aufgeführten Nebenform hai-
nuyer gibt das C. auch hannuyer. Der CdV. VIII, 186 gibt
Hanonien, welches mir sonst fremd ist.
H^raclfen, h^racl^te, beide nach dem C. auf H6raclee, ersteres
auch auf Hercule (Herakles) bezüglich. Les HiracUena fand
ich bei Poirson, Pr^cis de Thist. anc. 325).
Hercynie in adjektivischem (appositiven) Gebrauch: La foret
Hercynie (Sachs d'H.) (H. Martin I, 268).
Herz^govinien, zu Herz^govine gehörig: Les Herzigoviniens
(Fig. 15 nov. 1876). Les insurgis herzigoviniens (France,
11 mai 1878).
Hesdinois^ zu Hesdin gehörig. Von Über verzeichnet.
Hi^rapolitain, zu Hi6rapolis gehörig (C).
Hi^rosolymitain, Nebenform von jirosolymüain (C). Wird mit
Recht als besser bezeichnet.
Himalayen, zum Himalaya gehörig (L. S.).
Honfleurais, zu Honfleur gehörig: La ddmocratie honfleuraise
(Petit XIX® Sifecle, 9 sept. 1881). La Honfleuraise (ein
Verein; Le Drapeau, 26 sept. 1885).
Houatais^ Bewohner der Insel Houat bei Quiberon (A. Daudet
in Ind^pendance Beige, d6c. 1885, S. 3 der illustrierten
Beilage).
Hurepois^ Bewohner des Hurepoix (C).
Hyblöen, zu Hybla gehörig (C).
Hydaspien^ zum Fluss Hydaspe gehörig (C).
laccetain, zu lacca gehörig (C.)
Iguvinien, zu Iguvinium gehörig (C).
Indien, man vermisst bei Sachs Odan Indien,
Indoustan als Adj. (Hindoustan ist bei Sachs nur Subst.): La
langue indoustane (France, 24 mars 1878).
Irvillac? La ferme de KMsü en IrviUac (Paix, 31 oct. 1887).
Isl^bien, nur in der Kirchengeschichte übliches Adj. zu Isl^be
oder Eisleben (C).
Issorien, Bewohner von Issoire (CdV. V, 82).
Issoldunois gibt CdV. V, 82 als Nebenform zu Issoudunois.
Ithaden, zu Ithaque gehörig (C).
Ithom^en, zu Ithome gehörig (C).
Jalles (Jall^s?), Gebiet in der Gironde. Saint-Midardren-JaUes
(Paix, 11 aoüt 1887). Auf älteren Karten heisst der Ort
Saivt-Midard-en-JaUez; JaUez = Gebiet der Jalle (vgl. Forez
Personal- und Geniüderivate im Neufranzösischen. 133
u. a.); Jalle, Name eines FlÜBSchens, welches nördlich von
Bordeaux links in die Garonne mündet.
Jamalquain. Die üblichere Schreibung ist jetzt jamatcain:
Les Jamdicains (Paix, 8 mai 1885). Vgl. Schmager in dieser
Zeitschrift II», 235.
Jarret, Landschaft im d6p* de la Loire. Saint-Julien-en-Jarret
(C). Auf älteren Karten Scnnt-Julien-en-Jaresty in der Nähe
Saint- Paid-en-Jarest, Sairvt- Romain- en-Jarrest, La Tour-en-
Jaresty alle in der Nähe des Gier (Nebenfluss der Bhone).
Josas, Landschaft im d6p* de Seine-et-Oise. Jouy-en-Josas, be-
kannter Ort.
Josselinais^ Bewohner von Josselin (CdV. V, 82),
Juanais, Anwohner des golfe Jouan (Alpes -Maritimes. CdV.
VIII, 186).
E^fien, Bewohner von Le Kef: Les Kifiens (Petit XIX® Siöcle,
7 mai 1881).
Labradorien, zu le Labrador gehörig: Les rives labradoriennes
(Paix, 20 oct. 1885).
Lamballais, Bewohner von Lamballe: üne Lamhallaise (Sou-
vestre, Les dem. Bretons, II, 36).
Lam^, Gegend im d6p* dllle-et-Vilaine: Erc6-en-Lam6e (C).
Lanusquet, Nebenform von Landais: En giniral, le Landais ou
Lanusquet habite une cdbane isolie oü ü couche ä terre sur les
peaux de ses moutons noirs (Th. Barrau, La patrie 119).
Landavallois, Bewohner der Lande de Lanvaux (CdV. VIII, 186).
Landernien, Landerniste, Bewohner von Landerneau (CdV.
V. 82). Das zweite Wort kann nur scherzhafte Bildung sein.
Langrois, Nebenform langoine^ langone (C).
Lannionnais, Bewohner von Lannion: üne Lannionnaise (Sou-
vestre, Les dem. Bretons, II, 36).
Laodic^en, zu Laodic6e gehörig (C).
Laon(n)ais. Ausser bei Coeckelberghe-Dutzele (I, 259) fand ich
nirgends einfaches n: Louis jura de maintenir la chatte
laonnoise (H. Martin III, 252). CrSpi en Laonnais (ib. VIII,
305, 307). La foret de Samouci en Laonnois (ib. II, 255).
Laonnois, Thierrache, Rithelois (ib. I, 263). La petite rivilre
dAHette, qui sipare le Soissonnais du Laonnois (ib. I, 411).
Bievre ou Berrieux dans le Laonnois (ib. I, 148). Mons-en-
Laonnois (Paix, 8 nov. 1885). Dagegen La masse de la
Population laonnaise (H. Martin III, 256). Für Bewohner
gibt CdV. V, 82 laonnois und laonnais. Jedenfalls steht nur
erstere Form, wo es sich um das Gebiet handelt (historischer
Ausdruck).
Lariss^en, zu Larisse gehörig (C).
134 Ph. Ptattner,
Laiirag(u)ais, le, ist nach dem Ort Laurac le Grand (südlich
von Castelnandary, d6p^ de l'Aude, genannt
Lav^dan, le, ein Gebiet im döp^ 4es Hantes-Pyr6n6e8 (C).
Lavödanais, Bewohner von le Lavedan (ohne Accent; CdV.
VIII, 186).
Lectourois, Bewohner von Lectonre (CdV. V, 82).
LMonien, Bewohner von LonB-le-Saulnier (ib.).
L^nnais, l^nard, zu Saint -Pol- de -L6on (Bretagne) gehörig,
Bewohner der Stadt oder Gegend. Qudque taiUeur du Lion-
na%8 (Soavestre, Les dem. Bretons, II , 222). TrigorroiSj
LSonnais (H. Martin I, 464, 389). Les vicomtes de Lionnais
(ib. IV, 98). Le Lioncds (Gebiet. Sonvestre, Les dem.
Bretons I, 15, 2, beidemal unrichtige Orthographie). —
Lionnois neben lionnais gibt das C. — Lionais, Bewohner
des L6onais nach CdV. Vni, 186. Dagegen: BiStd du Leonard
(Souvestre, Les dem. Bretons, I, 8) und dasselbe als Adj.
Les s6nes Uonards et trigorrois forment comme Utemds
mSmoires (ib. I, 197).
L^pontieil, Nebenform von Upontin: Alpes Lipontiennes ocdden-
taleSy Alpes Lipontiennes orientales (Cortambert, 215 f. mehr-
fach). Im C. steht unter Alpes nur Alpes lipantines, dagegen
findet man unter dem Buchstaben L nur lipantien mit dem
Vermerk Alpes Upontiennes ou UponUnes,
Letidque, Nebenform von letton(ien) (L. S.).
Libanien, zum Libanon gehörig : La chatne libanienne (Lamartine,
V. en Or. 148). Ist das bei Sachs allein stehende Itbanais
zu belegen?
Libyque, libystique, Nebenformen zu lihyeuy ersteres bei L. S.
und C. (auch unter Sibylle), letzteres nur bei 0.
Ligure, Ligurer. Les Ligures (H. Martin I, 10).
Limousin ist nach Sachs nur das Adj. zu U Limousin. Es ge-
hört auch zu Limoges: La Patnote limousine Käme eines
Turnvereins, les Courriers limousin^s Name eines Brieftauben-
zuchtvereins, beide in Limoges (Paix 25. avril 1888). Doch
scheint man les Limousins fttr Bewohner der Stadt zu meiden.
Livradois, le, Gebiet um Ambert im D^p^ du Puy de Dome.
Livonmais, Nebenform zu livournin: ün juif livoumaiSy con-
fident de Mustaphay est arrivi ä Bdne aujourd%ui ä midi
(Petit XIX« Siöcle, 8 mai 1881).
Loangeois, zu Loango gehörig (C).
Lod^vois, Bewohner von Lod^ve (Über).
Londonien, londonnais, londinien. Das letzte Wort fehlt bei
Sachs und gehört nach C. zu Londinium, nicht zu JiOadres ;
bei dem ersten gestattet Sachs doppeltes n, das zweite ftthrt
I
Personal- und Geniilderivate im Neufranzösischen, 135
er nur in der von Littr6 gegebenen Form londinais auf.
Eigentlich üblich ist nur londonien,
Loretan, zu Lorette gehörig, nach LittrS und Sachs ohne Accent,
nach C. loritan und Nebenform laurStan,
Lorientais, Bewohner von Lorient (CdV. V, 82),
Losnois^ Bewohner von Saint- Jean-de-Losne (CdV, V, 83).
Loud^acien, Bewohner von Loud6ac (ib. V, 82).
Loudunois, zu Loudun gehörig, Bewohner von Loudun (C. CdV.
V, 82). In der Form le Lodunois (Gebiet von Loudun im
C. 8. V. Parageau). Nach Coeckelberghe - Dutzele I 260 lou-
dunais und so la citi loudunaise (Paix, 22 sept. 1886).
Lourdais, Bewohner von Lourdes: Ijcs Lourdais (France 12 sept,
1879).
Loz^rien, Bewohner des D6p* de la Lozfere (CdV, VIII, 186).
Lub, Ittbisch, lübecker : marcs lubs Lübecker Mark (Ren6, Taschen-
wörterbuch der kaufmänn. Ausdrücke etc. Mainz 1846. pag.
249.) Sonst nicht nachweisbar. — Dem von Sachs gegebenen
und jetzt üblichen Ivbeckois zieht das C. luhiquoie vor.
LuQonnois, zu Lugon gehörig (C).
Lusitane (statt wie Sachs: Lusitain) gibt das C. als Nebenform
zu iMsitanien,
Madril&ne ist jetzt allein üblich, gehört also vor madriUgne.
Das C. gibt noch letzteres allein.
Majorcain, majorquin nach Sachs; majorqmn, mayorquin nach
C. und lautlich mit letzterem stimmend: Les Maiorquains
(France, 1" sept, 1879), wofür besser Maiorcains oder Mator-
quins stände.
Malayen gibt L. S. als Nebenform zu malai, welches er der
Form malaisy -se vorzieht. Malaisien hat ausser Sachs auch
das C.
Malbadien» Maubeugeois, Bewohner von Maubeuge (CdV.
V, 82).
Malegache für das üblichere malgache: ün hSrotque aventurier
nommS LacasBi Q'^i avait pris un ascendant extraordinaire sur
les Mdkgaches (H. Martin XIII, 113).
Malien, Malier (C), da maliaque nur für den Golf üblich ist:
Les Maliens (Poirson, Pr^cis de Thist. ancienne, 325).
Maloin, Bewohner von Saint-Malo (CdV. I 92), vielleicht nur
Druckfehler, da ib. V, 83 das übliche Malouin steht.
Mamersien, Mamertin, Bewohner von Mamers (CdV. V, 83).
Manchdgue, zu la Mancha gehörig: Vdne espagnol a une tont
autre physionomiey Vdne mancMgue surtout (Th. Gautier III, 112).
Maransin, Bewohner des Landstrichs le Maransin im D6p* des
Landes (CdV. VIII, 186).
136 /*. Platiner,
Haraquais, Bewohner der Landschaft le Marais im D6p^ de
rEure (ib.).
Marchais, was Sachs neben marchois angibt, ist wohl kaum
üblich. Auch CdV. VIII, 186 hat nur letzteres.
Hariannais, zu den iles Mariannes gehörig (C): Les Mariannais
(Cortambert, 731).
Mamais, Bewohner des Dep* de la Marne oder de la Haute-
Marne (CdV. VIII, 186).
Marseillez, Nebenform von marseüLais (C.) als Bezeichnung für
Münze von Marseille.
Martegallais^ Bewohner von Martigues (CdV. V, 83). Dafür
Martiguois, (C.) und
Martigao, (Baumgarten, Elementargramm, p. 229).
Mauges, Landschaft im westl. Teil des Dep* de Maine-et-Loire :
Pin-en-Mauges (Paix, 25 oct. 1887). In der Gegend liegen
noch Saint-Quentin-en' Mauges f Saint-Phüibert-en- Mauges,
M^docain^ andere und wohl übliche Schreibung für das von
Sachs, C. und CdV. VIII, 186 gegebene mSdoquin, Le Medo-
cain (Name einer dort in der Stadt Lesparre erscheinenden
Zeitung. France, 22 aoüt 1879); ebenso J. Vinson, Revue
crit. 1880, I, 479.
M^garien, Nebenform von mSgar^en (C).
M^lantois, Gebiet im d6p* du Nord: Sainghin- en- MSlantois
(Paix, 2 juill. 1885).
Meldois, Meldien, Bewohner von Meaux (CdV. V, 83). —
Meldeuxf Auf älteren Karten steht der Ortsname Isles-les-
Meldeuses nordöstl. von Meaux.
Melunois, Bewohner von Melun (CdV. V, 82),
Mendois (C), Mendais (CdV. V, 83), Bewohner von Mende.
Mentonnais, Bewohner von Menton (Mentone): Les Mentonnais
(France, 23 mai 1879).
Mess^nien. Die Sammlung C. Delavignes heisst Messiniennes;
die Lieder seines Vorbilds Tyrtäus werden auch Messeniques
genannt (Übersetzung derselben von F. Didot, Paris 1831).
— Das C. gibt messinien flir beides und hat die Nebenform
messMaque (z. B. goJfe messiniaque),
Messinois, Nebenform Messinais: Les Messinais (H. Martin IV,
374).
Meusien, zu la Meuse gehörig: Vlndipendant meusien (in Verdun
erscheinende Zeitung. Gazette de Lorraine, 4 juin 1885).
Nach dem CdV. VIII, 186 auch Bewohner des D6p* de la
Meuse.
M&sin, Bewohner der Landschaft le Müzine im D^p* de la Haute-
Loire (CdV, Vffl, 186).
Personal- und Gentüderivate im Neufranzösischen, 137
UQanez, ältere Nebenform von Müanais (nur für das Gebiet);
Lacretelle, Eist, de la France I, 91. Ragon, Hist g6ii. du
XVIIP siecle, 47.
Minervois, LandBcbaft im bas Languedoc: Le marquis Claude
Ahrial de Pierrerue, en bas Languedoc, dans le pays minervois
(Ferd. Fabre, in En petit comite, 179). Les gentüshommes
du pays minervois (ib. 201). Quitter le Minervois (ib. 198).
— H. Martin (I, 464) führt eine in dortiger Gegend gelegene
alte Stadt auf: Ath^nopoliB (la ville d'Ath8n^ ou de Minerve).
Eine Stadt Minerve, die jetzt nicht mehr zu existieren scheint,
führt er IV, 193 an.
Mod^nais (Sachs) ist die übliche Form; modSnois hat C. und
les Modenois (ohne Accent): Est-ce que ton donnerait aux
Modenois le droit de s'administrer eux-memes sü y avait la
moindre apparence quils songeassent encore ä leur ancien duc?
(France, 5 mars 1878).
Moissaguais, Bewohner von Moissac (CdV. V, 82). Dagegen
moissaccais bei über.
Mon6casqiie als Nebenform zu Monegasque gibt OdV, V, 83.
Montalbanais, Bewohner von Montauban (CdV. V, 82 ; Coeckel-
berghe-Dutzele I, 259): Le travaÜ et la vaniti se partagent
la journie d^un Montalhanais (Jouy, THerm. en prov. I, 107).
MontbardoiSy Bewohner von Montbard (CdV. V, 83).
Montbrisonnais, Bewohner von Montbrison (ib.).
Mont^n^grin findet sich auch ohne Accente: Les troupes Mon-
tenegrines (Fig. 13 avril 1877).
Montivillon, Bewohner von Montivilliers (CdV. V, 82).
Montpelli^rain, Nebenform monspessulan (CdV. V, 83), das
dabeistehende montpeiliirain ist offenbar Druckfehler. Adrovts
ä tous les jeux d^exercice, le hallon^ le hattoir^ les houles et
le mail^ sont les jeux que priflrent les Montpdli^ains, (Jouy,
THerm. en prov, VI, 14).
Montreuillais, Bewohner von Montreuil (CdV. V, 82).
Morbihanais (Sachs) ist die richtige Form, aber weniger üblich
als dieselbe Form mit nn: Ce pauvre tnUage morbihannais
(A. Daudet, Ind^pendance Beige, d6c. 1885, p. 3 der illu-
strierten Beilage). Venchanteur Merlin^ lui-mime, n*itait-il
pas breton et morbihannais? (C*® d'Amezeuil, Lögendes bre-
tonnes, 246). Ebenso CdV. VIII, 186.
Morlaisien, Bewohner von Morlaix (CdV. V, 82 und über).
Morvandais^ zum Morvan gehörig: Cette petite ville morvandaise
(H. Martin, III, 473). Statt der Nebenform morvandau gibt
CdV. (VIII, 186) das offenbar richtigere morvandeau.
Moscovite (C. bezieht es zu Moscovie = Russie) heisst öfter russisch:
138 i%. EaUner,
ün ISger aecent moscmnte (Indöpendance Beige, d^c. 1885,
f. 6 der illustr. Beilage).
Mnlcien, Landschaft in der Gegend von Meaox: Jean Vaillcmty
prevöt de la monnaie, aUa se mettre ä la tete c^une bände de
Jacques ä Silli en Mulden^ et se dirigea de lä sur Meaux
(H. Martin V, 197).
Municliois, Nebenform municois: Eüe ne tarda pas ä gagner
le ccßur de tous les Municois (Paix, 7 juill, 1886). Vgl.
zuricois,
MuBsipontain, zu Pont-ä-Mousson gehörig: La popidation
mussipontaine (France, 12 döc. 1877.) Ebenso CdV, V, 83.
Nantais, die Nebenform nantois kann als aufgegeben gelten.
Nassovien, Nebenform zu nassauvien: Les Nassaviens (XIX*
Siöcle, 3 Nov. 1880).
Navarrais. Diese von Sachs gegebene Form finde ich bei
Brächet {le navarrais die Sprache), J. Vinson (in der Revue
crit.) für das Gebiet. Navarrois dagegen: les routiers navar-
rois (H. Martin IV, 45). Les gamisons navarroises (ib. V,
134). Les Navarrois (ib. II, 884; lü, 510; VIII, 4). CdV,
(Vm, 186) gibt nur diese Form.
NAouzan (N6bousan) le, Landschaft in dem westl. Teil des
Dep* de la Haute -Garonne. Hauptort derselben war Saint-
Gaudens.
N^-calMonien, zu la Nouvelle-Oal6donie gehörig: Les Nio-
Calidoniens (France, 9 sept. 1878 und 30 sept. 1878).
N^-h Aridais, Bewohner der Nouvelles- Hybrides (mehrfach
in der Illustration, z. B. 21 avril 1888).
Nicaraguais, zu Nicaragua gehörig: Le gouvernement nicaraguais
mettait temhargo sur les caisses £ armes (XIX® Si^cle, 1®'
aoüt 1880). La triation d'un canal nicaraguais (Ind6pen-
dance Beige, 9 d6c. 1885).
Nicopolitain, zu Nicopolis gehörig (C).
Niniviste für Ninivite: II (Jonas) avaü pridit aux Ninivistes
la faminey la peste, la ruine, les maux les plus effroyables,
et cela sous quarante jours . . . Mal lui en prit, car au hout
de quarante jours les Ninivistes se retrouv^rent sur leurs pieds,
frais et gaittards (Fr. Sarcey, XIX® Siöcle, 24 f6vr. 1880).
Niolin, Bewohner der Landschaft Niolo in Corsika (CdV. VIII, 186).
Nivemais gehört als Adj. sowohl zu Nevers als zu le Nivemais
(C), Sachs bezieht es nur zu ersterem. CdV. (VIII, 186)
gibt nur Nivemichon als Bewohner des Nivemais; über dieses
Wort sagt Jaubert (Glossaire du Centre II 105), dass man
es vermeidet und fügt zur Erklärung bei: „La ripugnance
ä se servir de la terminaison y^chon^^ ne peut s'expliquer que
Personal' und Geniüderivaie im Neufranzösischen, 139
pair ce faü qu'elle rappelle un fndt de la famiUe des cucur-
hitacies que le vidgaire a pria pour emblhne de la scitise,
Les Berrichans ont la mime susceptibüiti, mata ä un mamdre
degre.^^
Nivillaccais, Bewohner des Fleckens Nivillac in der Bretagne:
Les Nivillactais (C*® d'Amezeuil, L6g. bretonnes, 69).
Nogentais, Bewohner von Nogent-le-Rotrou (OdV. V, 83).
Es bezieht sich natürlich ebenso gut zu den übrigen Orten
gleichen Namens: La Nogentaise, Name einer Musikgesellschaft
in Nogent-sur- Marne. Ebenso: Cet incident exaspira les
Nogentais (Bewohner von Nogent-sur- Marne. Paix, 12 join
1886).^
Noirmoutin, Noirmoutrin, Bewohner der Insel Noirmoatier(8);
ersteres CdV. V, 83, letzteres ib. VIII, 186. Die zweite
Form scheint die richtige zu sein.
Nontronnais, zu Nontron (Dep* de la Dordogne) gehörig: Le
Noräronnais (Titel einer dort erscheinenden Zeitung).
Norrain (f. -aine u. -6ne), nur von der Sprache üblich, Neben-
form zu norvegien (L. S.).
Nuiton, Bewohner von Nuits (CdV. V, 83).
Oberlandais, zu Oberland (-Bernois) gehörig: Vesprü de Sahoua
faxt la chasse aux d^couvertes, comme les braeonniers ober-
landais fönt la chasse aux chamois (Souvestre, Les dem.
^ Bretons, ü, 147).
Oisans, Landschaft in der Südostecke des D6p* de Tlsöre,
die sich noch in das D^p* des Hautes- Alpes erstreckt. Etwa
ein Dutzend Ortsnamen haben den Zusatz en Otsans, die
bekannteste ist Ällemont-en- Oisans (Dortambert 328).
Oranais, zu Oran gehörig: Le Sahara oranais (Petit XIX®
Sifecle, 8 juin 1881).
Orth^zien, Bewohner von Orthez (CdV. V, 83).
Oscarois, Bewohner der Landschaft Ouche (OdV. VIII, 186).
Ossalais, Bewohner der vall6e d'Ossau (ib.).
Oaessantin, Bewohner der Insel Ouessant (ib.).
Pail, Landschaft im D6p* de la Mayenne. Pri-en-Paü (C).
Faillers, Landschaft im D6p^ de la Vend6e. Bazoges-en-Paü-
lers (Paix, 14 aoüt 1885).
Falatin als Subst. heisst auch Einwohner des Palatinat (PfiUzer) :
8ix mUle Hessois, trois miüe PalaUns, , , . se joignirent aux
troupes bavaroiseSj toujours soudoyies par la France (H^nault-
Michaud, Abr^g^ chronol. de Thist. de Fr. 372).
Faraguain, Nebenform von paragueen, paraguayen: Un officier
paraguain (Voltaire, 6d. du Centenaire, 73).
Farisis als Landschaftsname ist noch Zusatz bei Orten, z. B,
140 Ph. Plaitner,
CormeiUes'en'Parisis nord-westl. von Paris in der Oegend
von Argenteuil (Paix, 11 jnill. 1886).
Patron, Bewohner von Patras: Les Patriens (Paganel, Scan-
derbeg, 97). Das C. gibt nur patrensien,
Fergois alt für percheron (C).
F^rigordin für pMgourdm ist jetzt aufgegeben.
Ferpignanais, Bewohner von Perpignan (CdV. V, 83).
Fersan auch von der altpersischen Sprache: Lepersan moderne,
le persan ancien (Littr^, Hist. de la langue fr. I, 263). In
seinem Supplement und Addenda zum Wörterbuch erklärt er
allerdings selbst le persan für neupersische, le perse für alt-
persische Sprache.
Ferse als Adj. auch für neupersisch: Le geniral perse Taimur
Khan avec 4,000 hommes est entrS ä Atrumiah (XIX® Si^cle,
3 nov. 1880).
Fersique auch in dem Ausdruck ä la persique: Comme la scSne
se passe en Äste, il y a quelques pantdons, quelques manches
ä la persique et un certain nombre de honnets phrygiens (Th.
Gautier, II, 48).
FertuiBan, Fertuisien, zu Pertuis bei Avignon gehörig: La
municipalitS pertuisane (France, 21 juin 1878). Ijes Pertuisiens
(ib. 22 juin 1878).
Ficpucien» Mönch von Picpus: Notts ne croyons pas qtCun
citoyen sur cent voulM ^) lever la main en faveur des maristes,
oblats, bemardinSf picpucienSy cisterciens . . . (XIX® Si6cle,
7 sept. 1880).
Fignerol(l)ais, zu Pignerol gehörig: Les Pignerolais, exaspiris
par les vexations des soldats ... (F. du Boisgobey, Paix,
2 oct. 1887). üne troupe de gamins pignerollais (ib. 23 oct.
1887).
Fiombinien, zu Piombino gehörig: Nica . . . marquis de Capra-
nica . . . ancien major des armies lucquotses et piombiniennes
(Dennery, Oiseaux de proie I, 8).
Fleubian, Landschaft: im d^p* des C5tes-du-Nord : Saint- Jean-
en-Pleubian (Paix, 11 oct. 1885).
Floermelais, Bewohner von Ploermel (CdV. V, 83). Sonst
Plo6rmel geschrieben.
Foblanais, zu Pnebla gehörig: Bientßt, ou m^apporta, dans de
peixtes assiettes de fabrique poblanaise omies de fleurs vertes,
des ceufs frits^ de la viande grüUe ... (L. Biart, Paix, 9 aoüt
1885). Je ne pouvais exercer la midecine dans la province
^) Ein EonditionalsatK geht vorher.
Persomü- und Gentüderivate im Neufranzösischen. 141
de Vera-Cruz sans un dipldme de midedne poblanads (ib. 14
juill. 1885).
Foitevin, Pougeoise^ eine alte Münze , auch pite und poitevine
genannt (C.)*
Folletais, zu le Pollet gehörig, in allgemeiner Anwendung
(nach 0.) wird von Sachs (nach Littr6) auf die Bezeichnung
eines Fischerfahrzeugs beschränkt.
Polonais, mit der Nebenform pouirnuy z. B. des sotdiers ä la
poulaine, pouline (CdV. V, 109, 117), nach demselben (VII, 38)
von dem alten Poulogne (=^ Pologne) gebildet. Nach Liittr6
von Poullaine = Pologne, Poulanne = peau de Pologne,
Fonhier, Fohier, Bewohner von Foix (CdV. V, 83).
Font-audem^rois, Pont-audomar^n, Bewohner von Pont-
Audemer (Pontaudemer) (ib.).
Pontissalien, Bewohner von Pontarlier (ib.).
Pontiyien, Bewohner von Pontivy (ib.): Le Pontivien s'arrita
un instant pour reprendre haieine (Souvestre, Les dorn, Bre-
tons, I, 130).
Forden, Landschaft im Norden von R^thel. Chäteau-Porcien.
Chaumont-en-Porcien.
Fort -Boy allste, Angehörige von Port-Royal: Jai heaueoup
Studie les Port-Eoyalistes, ces Stoidens du Christianisme (Sainte-
Beuve, Notice sur M. Littre, 10).
Privadois, Bewohner von Privas (CdV. V, 83).
Provenisien (Sachs hat 6), zu Provins gehörig, ebenso C. CdV.
V, 83 hat Provinois, Provenisien, II (M, Ch, Lenient) parlcat
avec dignitd, avec tendresse, de la famüle d^artisans promnois
dont ü etait sorU (E. About. Petit XIX« Si^cle, 7 f6vr. 1882).
Psariote. Nebenform Ipsariote (C).
Fuysaye, le (nach Sachs; la nach C), Landschaft im d^p*
du eher.
Quercy, le, Landschaft im d6p* du Lot, die Gegend von Cahors
(beide Wörter haben gemeinsame Etymologie).
Quercinois, Bewohner von le Quercy (CdV. VIII, 186).
Quiberonnais, Bewohner von Quiberon (CdV. V. 83).
Quillebois, Bewohner von Quillebeuf (ib.).
Quimperl^en, Bewohner von Quimperl6 (ib.).
Quimperois, Bewohner von Quimper-Corentin (ib.). Les Quim-
pirois (mit Accent, was richtiger ist, F6val, Le bossu, I, 27).
Quintinois, Saint -Quentinois, Bewohner von Saint-Quentin
(CdV. V, 83): Les Saint-Quentinois (H. Martin, V, 219).
Bagusain, Nebenform Ragusais: Les Ragusais (Thiers, Voyage
dans les Pyr6n6es, 60).
Bambolitain, zu Rambouillet gehörig: Le Rambolüain (Titel
142 i%. Üattner,
einer dort erscheinenden Zeitung. Petit XIX® Si^cle, 18 ayril
1882). Auch CdV. V, 83.
Rasez, le (0. Eashs), Landschaft im d6p* de TAude, Umgegend
von Limoux (H. Martin, IV. 193, 196, Lavall6e, Eist, des
Fran9ais, I, 432).
B^mois. Als Nebenform gebraucht H. Martin rhimois, wenn das
Adj. sich auf die alten Remer (Rkemes bei H. Martin) be-
zieht: La vüle rhimoise de Bibrax (I, 148). Für die Franken-
zeit gebraucht er schon die Form ohne h: la Champagne
rimmse (Campania remensis, II, 30).
Beimais, welches Sachs (mit Recht?) als weniger gut ansieht,
hat offenbar über Reßnoü den Sieg davongetragen. CdV.
V, 83 führt nur Rennais an; Le Petit Eennais ist der Name
eines in Rennes erscheinenden Blattes (Paix, 3 sept 1885).
Bei Historikern freilich wird man nur Rennois finden.
B^olais, Bewohner von La R6ole (CdV. V, 82).
BeyermontoiB Bewohner der Landschaft le Revermont (d6p*
de rAin. CdV. VIU, 186).
Bhinsbourgeois, zu Rhinsbourg (Holland) gehörig (C).
Biomois, Bewohner von Riom (CdV. V, 83).
Boannais, Bewohner von Roanne (ib.).
Bochefortais, zu Rochefort gehörig: En terminant, il a remis
la cattae de la citi Rochsfortaise entre les mains de M, le
President de la Ripublique (Paix, 3 mai 1888). Sachs hat
nur rochefortin.
Bochelois, Bochelais (beide auch mit Uy was Sachs nicht
aufführt). Das Richtigere ist offenbar einfaches l, doch findet
man bei demselben Schriftsteller beiderlei Orthographie (und
Aussprache!), z. B. les Rochdois (H. Martin VI, 91) und les
Rochellois) (ib. VIII, 283). Les Rodidais (Lavall6e, Hist. des
Fran9ais II, 482, III, 109, 120) und les RocheUais (ib. II,
504). — Am besten ist les Rochelais; nur diese Form gibt
CdV. V, 82, ausserdem führt eine in la Rochelle erscheinende
Zeitung den Titel ^JÖcäo Rochelais (XIX« Si^cle, 13 janv. 1883).
Bochois, Bewohner von la Roche (Haute -Savoie): Les Rochois
(Temps, 16 oct. 1879).
Bomand, daneben ist roman üblich : En Savoie et dans la Suisse
romane, on appeUe encore ^^nants'''' les torrenis des Alpes
(H. Martin, I, 64).
Bonsdorfien, Sekte nach dem Städtchen Ronsdorf genannt (C).
Bouergois (nach Sachs auch Rouergeois), Nebenformen Rouergat
(CdV. VIII, 186) und rouergais: M. de Nayrouse, gentilhomme
rouergais (Ferd. Fahre, in En petit comit6, 103).
Bouin^ote, Bewohner der Roum61ie: Les Roumeliotes (Paix,
Personal- und Gentüderivaie im Neu französischen. 143
19 mai 1885, 26 sept. 1885). Le gouvemement raumeUote
(Knj^ Si^cle, 3 d^c. 1880). Das C. hat la Romölie und dazu
als Adj. romSIiste, ronUiote, romiote.
Boyans, Gebiet im d^p* de ris6re und dem de la Drdme findet
sich nur als Zusatz bei Namen z. B. Pont-en-RoyanSy Auberives-
en-Royans u. a. Die Landschaft selbst heisst le Royanez
(Cortambert, 327) oder le Royannais (Pais, 24 nov. 1885.)
Biissien für russe ist nach Vermesse 452 Ausdruck des patois
wallen. Dass durch Voltaire russe über russien gesiegt hat,
bemerkt Littr6 (C. S.), doch findet man auch bei Voltaire
(neben seinem häufigen moscomte) auch russien, so z. B.
Vinfanterie russienne und Vinfanierie russe in der Beschreibung
der Schlacht bei Poltava. Von älteren Zeiten sagt auch
H. Martin (III, 100): Jaroslaw, tzar des Russtens. Ptir die
Benennung von Provinzen (z. B. Kleinrussen) kann das Wort
noch Anwendung finden: Cette populaUon, dans laqueUe un
grand nomhre de Russes . . . sont milSs aux PetUs -Russtens
cosaques, est divisie, au point de vue militatre, en trois cati-
gories (Paix, l"juin 1887). Dagegen sagt Cortambert (179):
les Russes Blancs ou Krimtsches et les Petits Russes,
Ruthöne, was nach Sachs nur Ruthene, Kleinrusse heisst, ist
nach CdV. V, 83 auch Bewohner von R(h)odez.
Sablais, daneben gibt CdV. V, 82 auch das mir sonst un-
bekannte olonnais.
SabWsien, Bewohner von Sabl6 (CdV. V, 83).
Sagien, Salen, Bewohner von S6ez (ib.).
Sa'lgonnais, zu Saigon gehörig: Le Satgonnats (dort erscheinende
franz. Zeitung. Paix, 4 janv. 1886).
Saint-Flourien, Bewohner von Saint-Plour (CdV. V, 83).
Saint-galloiB, zu Saint-Oall (St. Gallen) gehörig: Le gouveme-
ment fidiral vient de demander d la RipuhUque Argentine
textradition äHun ex-employi saint-gallois (Ind6pendance Beige,
27 janv. 1886).
Saint-Lois, Bewohner von Saint-Lö^) (CdV. V, 83).
Saint-Mand^n, zu Saint -Mand^ gehörig: La Saint -MandSenne
(eine dort bestehende Musikgesellschaft. Paix, 8 nov. 1887.
Saintongeois wie Sachs haben C, CdV. VIII, 186 und Coeckel-
berghe-Dutzele I, 261. Ich fand die Form nur bei Lacre-
telle und H. Martin. Dagegen Saintongeais : La Chronique
Saintongeaise (Oautier, la Chanson de Roland, 369). L'avenir
^) Wenn, wie man annehmen kann, die Stadt nach samt Lo oder
Laud, Bischof des in der Nähe liegenden Coutances genannt ist, so
liegt ein weiterer Fall für das Suffix -ois bei Personennamen in der
Übertragung auf Ortsnamen vor.
144 i%. Baitner,
est bien inquiitant pour U vignoble saintongeais y en prisence
de la marche envdhissante du phylloxera (Fig. 24 oct. 1876).
C*est en effet^ si notis en croyona une vieille ligende sainton-
geaiaej au müieu du Xlir sihde, que furerU construits, pris
de la Rochelle y Ua premiers j^bouchots^ ou clötures pour les
moules (ib. 21 sept. 1877).
Saint-Quentinois, vergl. quintinois.
Saletin^ (nach Sachs), Bewohner von Sallee (Sal^) in Marocco;
nach C. SaUtain,
San-Ränois, zu San-R^mo gehörig: Les San-Remois (France,
17 d6c. 1878.)
SantorinoiB, zur Insel Santorin gehörig (C).
Sarthois, Bewohner des d6p* de la Sarthe (CdV. VUI^ 186):
Les republicains sarthois (Petit XIX® Siöcle, 16 juin 1883).
Saulnois, Znsatz von Ortsnamen, bei Chäteau-Salins z. B.
Fresnes-en- Saulnois.
Saumurois, Bewohner von Saumur, Saumunerij Zögling der
dortigen Offizierschule (Petit XIX« Siöcle, 27 et 28 oct. 1881).
Sauveterrien^ Bewohner von Sauveterre (Paix, 17 oct. 1886).
SaTOisien ist das üblichere Wort für Bewohner Savoyens, da
savoyard eine Nebenbedeutung hat (vgl. boheme neben bo-
himien): Oeci soit dit sans blesser la susceptibiliti des bans
habitants de cette contrie^ qui tiennent ä etre nommes Savoisiens
(Quitard, Dictionn. des proverbes, 36). Les Savoisiens re-
poussent une aUiance que Vanarchie rend affreuse (M°^« Roland
bei Raffy, Lectures d'hist. de Fr. 646). II y aura^ suivant
Voccurrencey des dtalages parisienSf lyonnais, jurassiens, sa-
voisiens et bressans (France, 7 nov. 1877). M. Suva, deputS
de la Savoie, paraU ä la tribune. Cet honorable montagnard
est indigni qu*on ait traite Victor Ummanicel d^usurpateur Sa-
voyard. M, Silva ne connatt pas les Savoyards, ü ne connatt
que les Savoisiens qui sont devenus JFVangais (Fig. 4 mai 1877).
Ce prince savoisien (nämlich Victor Emmanuel. France,
18 janv. 1878). Ces qualitis tout^ savoisiennes (Sainte-
Beuve, Nouv. Qalerie 88). Allerdings findet Savoyard sich
noch vielfach dafür, ausser bei Voltaire z. B. bei Thiers,
H. Martin, Th. Gautier u. a. Doch muss der Widerwille
gegen Savoyard schon alt sein, denn Robert Estienne ge-
braucht schon les Savoyens (nicht mehr üblich) für die Be-
wohner Savoyens (CdV. II, 94). Das von Littr6 (savoisien
Etym.) gegebene Savoyen ist offenbar Druckfehler für Savoyen.
Schwy(t)zoiS9 zu Schwy(t)z gehörig: Le peuple schwytzois
(XIX* Si^cle, 8 oct. 1888). Vavant-garde marchait sans prS-
voyance, de mime que les Schtvyzois, qui ne se doutaient pas
Personal' und Gentüderivaie im Neu französischen, 145
^6 U duc füt ddjä 8ur pied (Jean de Muller, trad. de Mon-
nard, bei Raffy, Lect. d'hist. de Fr. 9).
Scutarien, zu Scutari gehörig: La cavalerie sctUarienne (Paganel,
Scanderbeg, 83).
S^gestill» nach dem C. Sigestain,
Segr^ll; Bewohner von Segr6 (CdV. V, 83).
Seine (-et) -Oison, scherzhafte Bildung für Bewohner des D^p*
de Seine - et - Oise : Vous raisonnezy comment dirai-jef en Seine-
Oison, ainsi qvs le dit M, de Rochefort (Worte von M. de
Lasteyrie im S^nat. France, 16 juin 1879). On m'envoie
dans le dipartement de Seine -et- Oise, Espirons que la vue
des Seine ' et 'Oisons me digourdira (E. About, Petit XIX®
Siöcle, 7 aoüt 1881).
Semurien, Bewohner von Semur (CdV. V, 83).
Senan, Bewohner der tle de Seins (CdV. VIII, 186).
Septimanien, Septimanique, zu Septimanie gehörig: Les villes^J
septimaniennes (H. Martin II 192, 210). Les seigneurs septi-
maniens (ib. III, 468). Aber: Les plaines septimaniques (ib.
II, 510). Vgl. germain, germanique.
Sfaxien, Bewohner von Sfax in Tunis: Les Sfaxiens (Petit XIX®
Sifecle, 21 juin 1881).
Sind^tique, zu Sind gehörig (C).
Sindique, zu les Sindes gehörig (C).
Sinopien, zu Sinope gehörig (C).
Sittianien, zu Cirta gehörig, doch kommt das Adj. von einem
Personennamen Sittius (C).
SlaTOn nach Sachs altslavisch bes. inbezug auf die Sprache.
Des Slavonnes, Slavinnen, slavische Frauen (A. Daudet, Les
rois en exil, 287).
Smyrniste (?) Bewohner von Smyme: Quand notre aviso est
reiourni ä son mouiUagey les Smyrnistes se sont porUs sur
les quais (Petit XIX® Si^cle, 9 mai 1881). Blosser Druck-
fehler für Smyrniote (welches ib. 8 avril 1881 gebraucht ist)?
Solonais (Sachs: Solonois) Nebenform zu Sologneauy Solognot:
ün Solonais (Fr. Wey, Remarques sur la langue fr. II, 450).
Auch von L. Rollin, Neues Handb. der franz. Conversations-
spräche (S. 182) gegeben.
Sorbonnien, Angehöriger (Student) der Sorbonne (A. Houssaye,
France, 24 juill. 1879).
Soudanais, Nebenform zu Soudanien: Les Soudanais (Paix,
1) Es soll ausdrücklich hervorgehoben werden, dass ville hier
beidemale als blosser Wohnort, nicht im Sinne von Bürgerschaft,
Stadtbevölkerung genommen ist, was zu der bei germain gegebenen
Regel nipht stimmt.
Zschr. f. firz. Spr. q. Litt. XP. j^q
146 Pk. Plattner,
20 aoüt 1885 und in den Zeitungen der letzten Jahre sehr
häufig). Auch von Über bemerkt. In derselben Nummer
aber L'insttrreetion soudanierme. Auch: Des diserts oü rien
n'arrete la marche des Soudaniens (Petit XIX* Si^cle, 15 f6vr.
1884).
Souletin, Bewohner der Landschaft la Soule (CdV. YIH, 186).
Spetziote, Bewohner der Insel Spetzia (C). Man kann anneh-
men, dass das Adj. zu la Spezzfa (Italien) spezziote lautet.
Sphakiote, Bewohner von Sphakie (C.)
Spinalien, zu Epinal gehörig: Un jeune komme d^origine spina-
Henne (Paix, 24 sept. 1886).
Stoben, zu Stobös gehörig (C.)
Sueyique, Nebenform zu suhoe: Les trtbus suiviques (Michelet^
Pr6ci8, I, 62, H. Martin, I, 263).
Tahitien, Nebenform zu tattien (otahitien, otdvtien) : TJassetnhUe
legislative tahitienne . . . La musique a joit4 Vair tahitien Titaua
(France, 24 nov. 1877).
Tarasconnais, Bewohner von Tarascon: Les Tarasconnais (Paix,
14 d6c. 1886). Auch von Über bemerkt (unrichtige Form
mit einem n).
Tarbais, Tarb^n, Bewohner von Tarbes (CdV. V, 83).
Tardenois, Landschaft im Dep^ de TAisne, zwischen Soissons
und Chäteau-Thierry, doch östlicher: Fire-en- Tardenois.
Ville-m- Tardenois (Petit XIX« Siöcle, 3 juin 1881.)
Tarentaise, Landschaft in Savoyen: MouUers-en-Tarentaise
Paix, 14 aoüt 1885). Dans le siecle suivant, üs {les ducs
de Savoie) ont ajout4 la Tarentaise h leur domination. (Hönault-
Michaud, Abr6g6 chronol. de d'hist. de Fr. 436). Von Daren-
tasia, dem alten Namen des oben genannten Moutiers-en-
Tarentaise,
Tarin, Bewohner von la Tarentaise (CdV. VIII, 186).
Tarnais, Bewohner des D6p* du Tarn (ib.).
T^g3^6ien, zu T6gyra gehörig (C).
Tergesidn, zu Tergeste gehörig (C).
Terre-Nenvien, Bewohner von Terre-Neuve (Neufundland):
Terre-Neuve et les Terre- Neuviens par Henri de la Chaume
(Buchtitel. Paix, 25 mai 1886).
Tessinois, zum Kanton Tessin gehörig: Lidißjce (de Vhospice
du Saint - Gothard) tombait alors presque en ruines, Vautorit4
tessinoise le fit restaurer (XIX® Siöcle, 20 octobre 1880).
Les Tessinois voulaient un ivique pour eux seuls» (Ind^pen-
dance Beige, 23 janv. 1886).
Thierrache^ selten Thürache (Sachs hat nur ThUrarche). Land-
Persorud' und Grentüderimte im Neu französischen. 147
Schaft im D6p* de FAisne. Nouvion-en-TJUh-ache (Paix, 16 juill.
1886).
Thierachien, Bewohner von la Thieräche (sie) (CdV. VIII, 186).
Thiernois, Bewohner von Thiers (CdV. V, 83).
Thionvillois, zu Diedenhofen (Thionville) gehörig (CdV. V, 83).
Les Petibes Äffiches Thionviüoises (Zeitung. Paix, 1®' juin.
1886).'
Thom^rien, Bewohner der Landschaft Thomi^res (Döp* de
rH6rault. CdV. Vffl, 186).
Tigurin, zu Zürich gehörig: Le lac Tigurin (Mignet, jfetudes
hist. 41) ; in der Geographie lac de Zürich, Bei Sachs fehlt
auch les Tigurins, Stamm der Helvetier.
Toggenbonrgeois, zu Toggenburg gehörig (C).
TonkinoiB, Bewohner von Tonkin: Les Tonkinais (Cortambert,
510). In den Zeitungen der letzten Jahre äusserst häufig.
Sachs hat tunquinois.
Tortonais, zu Tortone gehörig: Le Tortoncds (Gebiet H^nault-
Michaud, Abrög^ chronol. de Thist. de Fr. 435). Im C.
tortonlsey tortonois,
Toulois, öfter Touttois^ (z. B. H. Martin, I, 463).
Tourangeau, &cherzhfiÜeB Fem. tourangeaude: C'est une prideuse
de la province, mademoiseUe de Bened, „tourangeaude^^ qui
la premiere, parla d'un „soupe rincuit^^ (Fr. Wey, Remarques
sur la langue fr., I, 128).
Tournaisis, Nebenform von toumaisienj nur das Gebiet bedeu-
tend: Le Toumaisis (H. Martin, I, 410, II, 55, IV, 442, V,
53, 215, VIII, 15; Mignet, JEtudes hist. 249).
Toiirquen(n)ois, zu Tourcoing gehörig: tourqitennois bei Ver-
messe, Patois wallon, introd. 12. Tourqttenois (CdV. V, 83).
Trans -vaalien, zu Trans -vaal gehörig (Cortambert, 589).
Tr^gorrois, wie Sachs angibt, ist die üblichste Form und die
einzige, die ich weiter belegen könnte. CdV. V, 83 gibt
trScorois und trigorois.
Trentin, Nebenform zu trentaisy tridentin bedeutet wohl nur das
Gebiet: On a eu de la peine ä empecher ce diplomate de
soulever officiellement la question de la cession du Trentin
(France, 14 juill. 1878).
Tr^vire kann nur von der vorfränkischen Zeit gebraucht werden,
sonst TrSoirien, welches bei Sachs fehlt: La faim^ le froid,
les miasmes exhales de tant de corps en putrifaction, deci
maient chaque jour les Triviriens dchappes ä la rage des bar-
hares (H. Martin, I, 360).
Triestill (Sachs: Triestain): J^ai faxt ressortir plusieurs fois
10*
148 /%. Plaitner,
de ja le mouvement de haine que la mort du jeune itvdiant
triestin avait exciU (XIX® Sifecle, 7 janv. 1883.)
Trouvillais, zu Trouville gehörig: ^püogue de la saison trou-
vülaise (France, 22 aoüt 1879).
Troyen, aach Bewohner von Troyes, von Sachs nicht aufgeführt,
vom C. nicht als gute Form betrachtet, aber durchaus üblich:
Pendant les guerres de Vempire, un Troyen, entendant annoncer
que le gSniral BaviUe avait pris perruque demanda oü cette
vüle etait situ^e, Un vieil dbhe lui repondit: Sur la nuque
(Dictionn. des calemb. 199). Les Troyens conservhrent la
liherte de commercer avec Paris (H. Martin VI, 185). Les
mdmoires sur les Troyens cillhreSy de Grroshy, renferment
des documents intiressants ä ce sujet (d. h. über Colbert's
Familie, die aus Troyes stammte; ib. XIII, 21 f.) La Cham-
pagne troyenne (Gegensatz zu Champagne rimoise^ ib. II,
117). Auch CdV. V, 83 gibt Troym.
Tsernagoste, Czernagorze: 8^il se trouve ici cachi un frlre
Tsernagoste, qu'ü ne ms tue pas en Toe prenant pour un Türe,
car je suis un enfant de la Tsernagore. (Philibert Br^ban,
XIX® Siöcle, 20 aoüt 1880). La beautS incroyable des arm^
que portent les Tsemagostes est chose d*autant plus anormale
qu'üs portent tres peu de linge blanc (ib.). Vgl. Czemagorsque
in dieser Zeitschr. IV, 70.
Tunisois neben dem üblichen tunisien: II fut scientifiquement
etabli que le domaine de M. Herby Hait vraiment sol tripoli-
tunisois (Maurice Jokai, trad. Fig. 22 juill. 1877, Suppl^m. litt.).
YaleiiQais, Bewohner von Valence (Valencia) in Spanien: Les
Valengais (Lavall6e, Hist. des Fran9ais, IV, 503).
Yalencian, Nebenform zu Valencien (C. und CdV. V, 83).
Yalentinois, andere Nebenform, bedeutet in der Regel nur das
Gebiet von Valence, steht aber auch in weiterer Verwendung:
ün bafeau freti par la commission valentinoise Vattendra sur
le Rhone (es handelt sich um Gambetta's Anwesenheit in
Valence; France, 17 sept. 1878.)
Vallouisais, Bewohner des Thals de la Vallouise im D6p* des
Hautes- Alpes (CdV. VIII, 186).
Valoisien, Bewohner der Landschaft Valois (CdV. VIII, 186).
Sonst heisst das Adj. vaUsien,
Yaticanesqiie, vatikanisch : Uesprit non seulement clericaly mai>s
vaticanesque (France, 22 sept. 1878).
Yaillignonnais, Bewohner von Vaulignon : C^itait une Vaulignon-
naise, scßur de lait de Marguerite (E. About, Petit XIX® Si6cle,
15 mars 1881).
Yelaisien, Bewohner der Landschaft le Velay (CdV. VIII, 186).
150 Pk, Ftaitner,
YiTarais, Landschi^t im D6p* de FArdöche, offenbar mit Viviers
(Stadt ebenda) zusammenhängend.
Vorgien, Bewohner von Vorges (D6p* de l'Aisne. Paix, 29 juin
1885).
Washingtonien, zu Washington gehörig: Le New -York Times
a puhlii ä ce sujet de longues expUcations de son correspondant
wasMngtonien (Paix, 1®' oct. 1887).
Yorkais, Bewohner von York: Les Yorkais (Marmier, Robert
Bruce, 233). Dagegen les YorkUtes (Anhänger des Hauses
York, Gegensatz Us Lancastriens. Cortambert, 101).
Yyetotais, zu Yvetot gehörig: Le conseü commtmcd Yvetotals
(Paix, 7 sept. 1886).
Zanzibarien, zu Zanzibar gehörig: De lä, des incursions friquentes
des iroupes zanzibariennes sur le terrttoire allemand (Paix,
16 aoüt 1885). Zanzibarite von über bemerkt.
Zaretin nach Sachs, Zaritin nach C. zu Zara gehörig.
Zoulou, auch als Adj. mit Fem. zouloue: Les forces zoidoues
(France, 2 mars 1879).
Znricois ist jedenfalls weit üblicher als zurichois. Für ersteres
habe ich 4 Beispiele aus verschiedenen Zeitungen, für letz-
teres nicht ein einziges.
Bemerkangen.
Ganz gelehrten Charakter haben die mit dem Suffix -qiie
abgeleiteten Wörter, mögen ihnen Personen- oder Ortsnamen zu
Grunde liegen. Die meisten sind direkt aus dem Lateinischen,
sei es aus der klassischen, sei es aus der gelehrten^ Universal-
sprache des Mittelalters entlehnt oder im Anschluss an die letz-
tere gebildet.
Die von Personennamen abgeleiteten haben zudem ein sehr
begrenztes Verwendungsgebiet. Nur in der Metrik sind üblich
z. B. adoniquej alcaiquey saphique. Nur in der Litteraturgeschichte
anacreontique, aristophanique, demostheniqitey esopique, hoffmanni-
quey homirique, hugotique^ juvSnalique, ossianique. Nur in der
Philosophie arlstotilique, platonique, pythagorique, socratiqucj zino-
nique. Nur in der Medizin und den Naturwissenschaften fara-
diqtiCf gal^nique, galvanique, hippocratiquey mesmiriquey plutoniquCy
voUrnque. Nur in der Musik offenbachique. Nur in der Numis-
matik darique. Von ausgedehnterem Gebrauche sind etwa dio-
g&nique, hermetiqtie (i. d. Bed. „luftdicht^'), komerique, Tnachiaoüiquey
miphistophÜique (m^phistophilStique), pantagruilique ^ sardanapa-
lique, socratique, obschon einzelnen aus der Nebenform auf
-eBqne eine starke Konkurrenz erwächst (vgl. aristophimesque,
Personal- und Gentüderivate im Neufranzösischen, 151
figaresqtte, juvMalesqtie, sardanapale^que). Ausser dem direkt
übemonimenen darique (Darike, Dariusmünze) sind alle Wörter
Adjektive, und zwar so sehr, dass sie nicht einmal eine Sab-
stiütivierang zulassen.
Unter den geographischen Namen sind alle Kategorien ver-
treten: Erdteile und Länder (asiatique, dcdmatiquey hispanique,
lombardique y westphalique), Völker (dllemanniqibß^ cimhrique, ger-
maniquey hunniquef normanniquey puniquey sarracSniqueJy Inseln
und Städte (hcdiarique^ hritanniquey dleatique, javanique^ migarique^
nandque, saitique)^ Gebirge (alpique, aUaique, haOcaniqttey car-
pathique, caucasiquey jurassiquey pyrenaique), Meeresteile, Seen
und Flüsse (gangdtique, Umaniquey nüotiquey sdquaniquey syrtique).
Zu bemerken ist, dass von einzelnen Bergen diese Bildungsform
nicht existiert, sowie, dass die erwarteten indique und ülyrique
nicht übernommen worden sind.
Die Verwendung ist auch hier vielfach eine begrenzte. So
finden sich einzelne nur für die Sprache (abyssiniquey arabique^
cambriquey normannique)y andere nur in der Philosophie (iUatiquey
migarique) oder in der Geologie (jurasnque) oder in der Chemie
und zwar nur mit acide verbunden (japoniquey nandquey prussique) ;
catalaunique endlich findet sich nur in les Champs catcdau-
niques. Von ausgedehnterem oder allgemein üblichem Gebrauch
sind etwa adriatiquey ßsiatiquey balkaniquey bdUiquey britannique^
caucasiquey germaniquey hdvetiquey laconiquey teutonique. Auch
diese Wörter sind reine Adjektive und nur einzelne lassen Sub-
stantivierung zu (adriatiquey baltiqu£, obwohl auch bei diesen
der Zusatz von mer üblicher ist, sowie attique) und dienen dann
sich aelbst wieder als Adjektive, so dass z. B. la BaUique die
Ostsee und baltique zur Ostsee gehörig bedeutet; möglich, aber
nicht sehr üblich ist es, für die Sprache das substantivierte Ad-
jektiv zu gebrauchen (le cambrique); Gerpianique war Substantiv
für die alte Einteilung Germaniens, wird aber hier durch Ger-
manie verdrängt; zu erwähnen ist auch ä la persique nach per-
sischer Art, Mode. Wirkliches Substantiv ist nur asiatique ge-
worden (les Asiatiques die Asiaten); das von Mätzner noch
aufgeführte les CeUiques ist durch les CkUes verdrängt.
In noch höherem Grade ist das Suffix -iaque gelehrten
Ursprungs. Bei Personennamen wird es nicht verwandt, denn
dionysiaque und üiaque sind dem Lat. entnommen und tropp-
maniaque hat hoffentlich nur eine ephemere Existenz in der
Sprache. Es findet sich bei den verschiedensten Ortsnamen,
auch Flüssen (niliaque), doch nicht bei Bergnamen. Auch diese
Perivate sind reine Adjektive und nur wenige lassen eine sub-
stantivische Verwendung zu (z. B. les Bosniaques)\ igyptiaque bat
152 Ph. fHaiiner,
als Sabstantiv die NebeDform igyptiac (Name einer Salbe). Sehr
gebräuchlich ist keines der Wörter, im Gegenteil sie sind teil-
weise veraltet, andere gehen demselben Schicksal entgegen; doch
bildet auch die Wissenschaft wieder neue Formen z. B. aryaque
(neben aryen).
Rein adjektivisch sind auch die mit -esqiie (nach dem Ital.)
gebildeten Derivate. Sie werden besonders von italienischen
oder spanischen Personennamen gebildet, auch von Appellativen,
die eine ähnliche Bedeutung erlangt haben (picaresque), z. B.
heminesquey cervantesque, dantesque, don-juanesque, don-quichoUes-
quCy figaresque, garibaldesque, manoSlesquej mazarinesque^ michel-
ang(el)esqitej raphaSlesque; doch auch von französischen oder
fremden, sogar von antiken Namen z. B. aristophanesquey amales-
que, charlemanesque, chateaubrianesque, florianesque, ingresqtie
(Ingres), hoffmanesqiiey juvincdesque, povssinesquey prudhommesqtie,
sardanapalesquCy scarronesque. Nebenformen existieren teilweise
auf -ique (aristophaniquey figarotique, hoffmaniquey juv4naliquey
8ardanapaUque)y teilweise auf -ien (garibaldieUy sardanapalien ;
scarronien ist nicht nachweisbar, aber möglich). Über die Be-
deutung der Formen auf esque vgl. aristophanique. Selbstverständ-
lich tritt dieselbe bei ital.-span. Namen, die kaum anderes Suffix
zuliessen, weniger hervor (z. B. dantesqiiej raphaüesque). — Es
finden sich auch ähnliche Bildungen von Appellativen (cardi-
nalesquCj camavalesqu€y charlatanesqu€y marichalesquey paysanesquey
romanesquey soldatesquey sultanesquey also hauptsächlich von Per-
sonennamen, selten von Sachnamen): En tSte, un escadron des
gar des du corps de Sa Majesti camavalesquey puis le bceuf gras
et sa suite (Ind6pendance Beige, 31 mars 86). Une püce icrite
en style paysanesque (Th. Gautier VI, 135. Die Rede ist von
Frangois le Champi von George Sand). In dieser Verwendung
hat das Suffix -esque etwas Spasshaftes (z. B. cardinalesqüey
welches nur auf rote Nasen Anwendung findet) oder ist etwas
depreziativ.
Von geographischen Namen werden kaum Derivate mit
-esque gebildet: unter den neueren Wörtern steht vaticanesque
allein, kann aber seiner Bedeutung nach als Bildung von einem
personifizierten Ortsnamen gelten. Erhalten sind arabesque^ bar-
bai'esque, moresqus, die zugleich als Substantive üblich sind, so
sehr, dass z. B. bei barbaresque, welches in älterer Sprache auch
„barbarisch, grausam'* hiess, die adjektivische Verwendung fast
verschwunden ist, während die substantivische bei diesem Wort
wie bei den ähnlichen sehr eng ist.
Bei italienischen Ortsnamen findet sich das SufQx -asque
zur Bildung von Adjektiven und Substantiven (dem Ort angehörig,
ßersonal' und Geniüderivate im Neufranzösischen. 153
Gebiet oder Bewohner des Ortes), so bergamctsque, comasque^
cremasque, mxmegasque (monagaaquey
Das Suffix -ite leitet von Personennamen die Bezeichnmigen
von Sekten oder religiösen Parteien ab (dbüonüe^ adamite,
ihionite^ hussitej jacobite^ joackimite^ johannite, vieldfite neben
videfistejy auch die von Mönchsorden (guillemäe, hiSronymite, jdsuite),
niemals aber die von politischen Parteien, denn das einzige
jacobite (Anhänger der Stuarts) ist offenbar aus dem Englischen
übernommen. Diese Wörter haben adjektivischen und substan-
torischen Gebrauch und letzterer überwiegt.
Von geographischen Namen werden Ableitungen mit -ite
nicht gebildet. Vorhanden sind nur direkt übernommene: abdirite,
ascaloniiey israilüe, madianitey moabite, satte, stagirite, sunamite,
sybarite, ebenso annamite, moscovite. Memphite, raontmartrite
und meist auch syinite sind nur Ausdrücke der Mineralogie.
Dagegen ist das Suffix -ote bei diesen Namen ziemlich
üblich: candiote, chiojote, ehiote, corfiote, duldgnote, fanariotey
hydriote, (ijpsariote, roumeliote, smyrniote, souLiote u. a. Alle
sind übernommen.
Eigene Bildungen sind die Derivate auf -ot: gavot (zu
Gap; la Gavotte ein Tanz), morvandioty solognot, alle mit Neben-
formen (gapengaisy morvand(eau) , sologneau). Nachgebildet sind
cypriot und chypriot, rhodiot.
Das Suffix -iste bildet von Personennamen die Bezeich-
nungen für politische Parteien (bonapartiste, carliste, climenciste,
dantoniste, fayettiste oder lafayettiste, guillaumiste , hSbertistey isa-
belliste, jttariste (zu Juarez), m(zzariniste, pameiUiste, robespierriste,
rolandiste, stuartiste, thiiriste (zu Thiers), turgotiste u. a.), für
wissenschaftliche oder künstlerische Schulen (averrhoiste, babou-
viste (zu Babeuf), bollandiste, darwinishe, fourUriste (zu Fourier),
gaUniste, galliste, gassendiste, gavarniste (zu Gavami), hobbiste
(zu Hobbes), jacotiste (zu Jacotot), kantiste, luUiste, malebranchiste,
marotist£, picciniste u. a.), seltener für Mönchsorden (lazariste,
mariste) oder Eirchengemeinschaften (calviniste, feneloniste =
quietiste, gomariste, iscariotiste, jansSniste, jihoviste, viclifiste neben
vid^fitejy so ist z. B. das alte luth^riste zugunsten von lubhirien
verschwunden. Auch hier überwiegt der substantivische Gebrauch
über den adjektivischen.
Von geographischen Namen werden Ableitungen mit -iste
nur in scherzhafter Weise oder missbräuchlich gebildet. So ist
z. B. unser „Girondist^ girondin; das von Sachs aufgeführte
montmartriste ist daher eine verunglückte und auch nie besonders
üblich gewordene Bildung. Scherzhafte Ableitungen von Orts-
namen sind carririste (zu Carri^res), landerniste (zu Landerneau);
154 Pk, Piatiner,
missbräochlich sind eingedrungen ninivüte und nivemiste; lovaniste
(Student von Löwen, Louvain), port-royaliste (s. o.) finden in ihrer
begrenzten Verwendung eine Entschuldigung.
Wie -ote ist auch das Suffix -ate nur in übernommenen
Wörtern zu finden: antiate, arddatey cisenaie, crotoniate, ßdinate^
hans^atey holsate, ravennate^ spartiate^ tSgdate, Croatey dalmate,
sarmate gehören nattirlich nicht hierher.
Die eigenen Bildungen auf -at sind selten: auvergnai. Le
Crenovisat (Gebiet von Genua) scheint Wörtern wie ayndaiy mar-
quisai nachgebildet.
Das üblichste Suffix ftir Personennamen ist -ien mit den
Nebenformen^) -in, -ain, -(6)en. Schon die Formen, zu welchen
sich Belege geben lassen, überwiegen an Zahl die Ableitungen
vermittelst anderer Suffixe. Dieses Übergewicht stellt sich aber
noch als stärker heraus, wenn man in Anschlag bringt, dass -ien
für neue Bildungen am bequemsten und üblichsten ist, dass es
allen Bedeutungen zum Ausdruck verhelfen und, dank seinen
Nebenformen, an fast alle Namen antreten kann.
Das Suffix -ien findet sich bei antiken wie bei modernen
Namen (cSsarien^ ipicunen^ hercuUen, bismarckieny napoldonien,
wagrUrien), mögen letztere französisch sein oder nicht; es dient
zur Sektenbezeichnung (ahUien, anen^ eutychien, nestorien u. a.),
findet sich in Namen von Eirchengemeinschaften (LuthSrien^
zwinglienjj von Dynastien (capiüen^ carlovingien, mSravingieriy auch
hourbonien kann hierher zählen), von Schulmeinungen (aristoti-
licien, augusÜnim, bacanien, cartSsien, copemicien, ipicurim, kantien,
lancastSrien y leibnüzien, malthusieriy newtonteriy platonicien, saint-
simonien und viele andere), im litterarhistorischen Gebrauch (ar-
thurien, byronieriy eschyUeriy horatieny lamartinien, mütonieriy rabe-
laisien, racinieriy shake^pearien, turcarien (zu Turcaret), voUairien
und viele andere), für politische Parteien (cdsarien == impdrialütey
garibaldieny gondowaldien, Ittdavideriy mazzinien)^ ferner zur Be-
zeichnung der allgemeinsten Zugehörigkeit (appien, bismarckieny
bulozicHy fabteriy jupiUrieny minervieriy roihschildien) y auch bei
geeigneten Appellativen (czarieriy khSdivienJy endlich zur Bezeich-
nung ganz bestimmter Gegenstände, daher öfter ohne nachweis-
bare männliche Form (draisienne oder draisiney luctdlien nur bei
Marmor, mtlonienne für die Miloniana Cicero's, vespasienne für
öfifentliche Bedürfnisanstalt). Wie in dem letzt aufgeführten Wort
kann von einem Suffix im Sinne der vorhergehenden Wörter nicht
die Rede sein auch bei diocUtieny womit der Kürze halber die
1) Als solche gelten sie trotz der Etymologie für das volkstüm-
liche Sprachbewusstsein.
Personal' und Gentüderioate im Neufranzösischen, 155
ähnlichen Fälle zusammengestellt s^ien: antonin, constantin, dau-
phin, mazarin, montgolfier (montgolfitre) , trajan^ welche eine
durchaus adjektivische Motion besitzen.
Bei den Ableitungen auf -in sind auszusondern die aus dem
Lateinischen tibemommenen ((mtonin^ constantin) oder durch Ver-
mittelung einer lateinischen Form eingedrungenen Wörter (albertin,
alph<msin, clemeniin, emestm, escobartin zu Escobar, guiilemin und
guülehnm, jacobin, phiUpptn, raymondin, rodolphin, vedantin zu
V6da) sowie das fremde mazarin. Bei ihnen kann ja von einer
Gleichstellung des Suffixes -in (-inus) mit -ien (-ianus) keine Rede
sein. Diese Gleichstellung ist aber zwingend für echtfranzösische
Ableitungen (ariosUn, baifin, draisine neben draisienne, faustin,
turgcftin).
Die Nebenform -ain bei Personalderivaten geht ausnahmslos
auf lat. -anus zurück, obwohl bei dominicain, franciscain, iUyri-
cain der vorausgehende k-Laut sicher mitbestimmend gewesen
ist; ausserdem genovefain. Ganz vereinzelt stehen hier -an in
radhomitan, ulphilan (neben tüphUanien), Die Nebenform -6en
{lat. -eanus) tritt für lat. -eus ein (cadmeen, hSraditSen, hiracUen,
hercuUen neben herculien, phiMen, promÜheen, ptolimien), wird
von anderen Namen nachgebildet (eutychSen neben eutyehien, ma-
nichSen, mSdtiseen, priap^en, tyrteen u. a.). Bei echtf^anzösischen
Ableitungen ist -(6)en nur eine Nebenform von -ien bei Namen
auf ^, i, j (halleyen, linnien, midicien neben midicien, shandSen
neben shandyen, wesleyen). Zu bemerken ist die verschieden-
artige Behandlung in halleyen, wesleyen (Halley, Wesley), harUien
(Harley) und faradique (Faraday).
Bei den Derivaten von geographischen Namen haben zwei
grosse Gruppen das entschiedenste Übergewicht: die Gruppe mit
dem Suffix -ien samt seinen Nebenformen und die Gruppe mit
dem Suffix -ois oder -sds. Eine scharfe Scheidung derselben
ist nicht möglich, doch lassen sich manche Gesichtspunkte für
eine solche Scheidung ausfindig machen. Zunächst fallen der
ersten Gruppe die antiken Namen zu; denn Derivate auf das
-ais von antiken geographischen Namen sind sehr selten, -ois,
wichtigste ist carthaginois neben dem wenig üblichen carche-
dornen; vgl. auch mareiUen mit marseiUais, Unter etwas mehr
als 400 verglichenen Derivaten auf -ten gehören etwa 160 der
alteti Geographie an, wobei Wörter, die auch der neueren Geo-
graphie noch geläufig sind (antiochien, (zssyrien, egypUen, indden,
ionien u. a.), mitgezählt sind. Ihnen schliessen sich eine Zahl
von neueren Derivaten an, die von dem lat. Etymon mit Hilfe
von -ien gebildet sind (cadurcien zu Oahors, colnmerien zu Cou-
lommiers, ibroiden zu Evreux, eoddolien zu Exideuil, Udomen zu
156 Ph. Piatiner,
LoDS-le-Saulnier, lexovien zu Lisieax, mdgorien zu Melgneil,
monasUrien zu Münster, paunien zu Pau, provenisien zu Provins,
siquanien zu Seine, sostomagien zu Gastelnandary, spamacien zu
Epernay, velaunien zu Velay).
Ableitungen auf -ien werden gebildet von Ländernamen
und zwar von allen auf -ie, ausser wo eine ältere Form sich
erhielt oder eine andere Form eindrang, was verhältnismässig
selten ist (arabe^ htdgare^ croate^ dalmate, serbe für alt servien u. a.)*
Nicht wenige kommen aber auch von anders auslautenden Länder-
namen (albionien^ aiUrichien, ceUbien, herzig ovinien, texten zu Albion,
Antriebe, G61^bes, Herz^govine, Texas u. a.)* Von den zahl-
reichen Städtenamen seien nur die aufifallenderen erwähnt (arbosien
zu Arbois, buenos-ayrien zu Buenos- Ayres, cLunisien zu Cluny,
courbevoisien zu Courbevoie, elbeuvien zu Elbeuf, haguenauien zu
Haguenau, kefien zu le Kef, landemien zu Landerneau, nanci(i)en
zu Nancy, oxonien zu Oxford, patrensien zu Patras, quichien zu
Quito, sidenien zu la Seyne), die sich nur zum Teil aus etymo-
logischen oder lautlichen Gründen erklären lassen. Von Gebirgs-
und Bergnamen kommen vor z. B. aUeghanien, bcdkanien, jurassien,
Itbanieriy Olympien^ our alten, visuvien, vosgien, von Flussnamen
z. B. borysthSnien, danubien, euphratesmt, garonnienj mississippien,
oxien, vistulien, ySnisien. Von Appellativen, die zu Namen erhoben
sind, kommen vor: oasien, odionien, sowie die Bezeichnung nor-
malten (Zögling der J^cole normale). Mit letzterem lässt sich
zusammenstellen sulpiden (Zögling von Saint - Sulpice) und saint-
Cyrim (Kadett, Zögling von Saint -Oyr) und dabei sei zugleich
auf den früher erwähnten Unterschied von saumurien und Sau-
murois verwiesen.
Die Derivate auf -ien sind Adjektive und Substantive und
finden in beiden Gebrauchsweisen ausgedehnteste Verwendung.
Durchaus aber ausgeschlossen ist die Verwendung für das Gebiet,
die Landschaft oder die Umgebung; man vergleiche in dieser
Beziehung einerseits les Beauvaisiens mit le Beauvaisis, les Ca-
laisiens mit le Calaisis, les Cambraisiens mit le Cambresis, les
Parisiens mit le Parisis, les Tournaisiens mit U Tournaisis, ander-
seits die Bildungen mittelst -6sien, -isien für die Bezeichnung der
Bewohner und ähnliches aus Formen auf -ois, -ez, welche aus-
schliesslich oder vorzugsweise auf das Gebiet deuten, z. B. ar-
tSsien aus Ärtois, barrisien aus Barrois, forizien ans Forez, valesien
aus Valois, Man kann annehmen, dass auch Bildungen wie aptSsien
zu Äpt und aridsten zu Arles erst durch Vermittelung von Formen
wie Äptois, Arlois (Gebiet von Apt, Arles) entstanden sind.
Unter den Auslauten, welche den Antritt des Suffixes -ien
begünstigen, nimmt s, z, (oder stummes x) nach lautem Vokal
Personal' und Gentüderivaie im Neufranzösischen* 157
die erste Stelle ein: Arbois: arbosien, Aunts: aunisien^ Beauvaia:
beauvaunen^ Boumais: bournaisieuj Carpentras: carpentrasienf
Chersanhse: chersanSsien, Corrlze: correzien, ^k^e: ephesterij
Falaise: fatalsten, Frise: frisien, Mend^: mendSsien, Marlaix:
morlaisten, Mulhouse: mrilhougien^ Orthez: orth^zien, Paris: parisien,
Roubaix: roubaisierij Tunis : tunisien, Wallis (tles) : waüisieriy »owie
die oben angeführten artisien, barrisien, forizien, valSsien,
Daran schliessen sich die vokalisch auslautenden, welche
s einschieben, worunter besonders die auf -acum^) zurückgehen-
den Namen auf -ai (alt -ay) und -y (jetzt oft schon -*) zu be-
merken sind: Bugey: bugeysien^ Cambrat: cambraisien, Cluny:
dunisieriy Coree: corisien (neben corien), Courbevoie: courbe-
vois^ierij Douai: douaisien, Savenay: savenaisien, 8avoie: savoisieny
Tournai: tournaisien. Dagegen hängen blosses -en an: Auray:
alrien und alrienj Annonay, annonSen, Biscaye: biscaten, Bomou:
bornouen, Chili: chilien, Clichy: clichien, Fidjl: fidjien, Nancy:
nance(i)en, Paraguay: paraguden und paraguayen, Uruguay: uru-
gu^en und utmguayen.
Die wenig zahlreichen Derivate der Wörter auf -terre (miss-
bräuchlich -Üre) haben das Suffix -ien: finisthre : finisUrien, 8auve-
terre : sauveterrien. Während die Wörter auf -bergj -bourg sonst
-ois als Suffix nehmen, findet sich bambergien und coburgien,
letzteres als Bezeichnung der koburgischen Partei in Bulgarien;
koburgisch würde sonst voraussichtlich, wo es vom Länder-, nicht
vom Familiennamen gebildet ist, cobourgeois lauten, wie von
Bourbon das Adj. bourbonnais lautet, während bourbonien nur
auf den Namen der Dynastie Bezug nimmt. Wenn wir zu den
vorhergehenden Ableitungen noch sablesien (zu Sabl6) fügen, in
welchem s so wenig wie in savoisien erklärbar ist und für welches
sableen zu erwarten war, wenn wir weiter zufügen, dass / als
Auslaut das Suffix -ien bedingt (elbeuvien, kifien) wie auch nach
v^) nur dieses Suffix möglich ist (lexovien, khivien zu Khiva,
pontivien, terre - neuvien) , so ist die Reihe der Auslaute, welche
dieses Suffix verlangen oder bevorzugen, abgeschlossen und eine
weitere Untersuchung, wie sich der Auslaut in der Entscheidung
zwischen -ien und -ois (-ais) verhält, würde kein Ergebnis ver-
sprechen. Das letztere Suffix ist bei weitem das überwiegende,
soweit französische Wörter in Betracht kommen. Unter allen
Ableitungen auf -ien sind Namen aus der Geographie Frankreichs
^) Also weder die ausländischen Namen noch die auf lat. -etum
zurücksehenden.
^) Argovien, krakovien, thurgovien, varsovien haben -ien schon
wegen der Endung -ie. Ausnahme ist forlivois zu Forli, lodevois.
158 Ph. JPiattner,
nur mit 7? vertreten. Rechnen wir davon noch ab die von ur-
sprünglichen Appellativen kommenden (z. B. normalien, odeonien),
die mit Nebenformen aaf -ois, -ais (beaucairien, saumurten,
tararien), die von Bergnamen abgeleiteten, weil bei solchen
Namen -ois (ais) unzulässig ist (cantalien, jurassien), ferner die
von einem lateinischen Etymon gebildeten, welche lieber zu -ien
greifen/) weil dieses das Suffix auch für antike Namen ist (ca-
dnrcienf colum^rien, ebrotcieriy lexovieriy meldien neben meldois,
mdgorienj provenisien, sedenien, soHomagien u. a.), endlich die
von ursprünglichen Personennamen kommenden (saint-cloMdien,
saint'Cyrien) y so verringert sich die Zahl der Ableitungen von
Namen aus der französischen Geographie auf nicht ganz Yso der
Gesamtzahl aller Bildungen mittelst -ien.
Unter den etwa 100 Wörtern auf -in geht die Mehrzahl
auf lat -inus zurück^ z. B. alexandrin, alpin, ar gentin, byzantin,
fescennin, ligerin (zu Loire), numantin, sagontin, tarentin,
tib4rin u. a. Andere setzen eine lat. Form voraus, so mussi-
pontin (zu Pont-4-Mou8son, vgl. bipontin), zaretin (zu Zara).
Auffallend ist deshalb noirmout(r)in. Die Form bezeichnet in
einzelnen Fällen nur das Gebiet, so avranchin, bessin (neben
bayeusin), cotentin, venaissin, in anderen Gebiet und Bewohner^
so Umouain, maransin, mit Motion bei valteUn (zu la Valteline) ;
in einer Reihe von Fällen nur den Bewohner, so angevin, an-
goumoisin (vgl. artesien u. a,), comtadin (zu le Comtat), peri-
gov/rdin, poitevin. Der Bildung nach fallen auf auverpin, gram-
montin (-mont bildet sonst -rrumtois), mezin (zu Müzine).
Frünzösische Namen sind in der Gesamtzahl etwa mit Ys vertreten.
Nur Y& französische Namen finden sich unter etwa 60 Ab-
leitungen auf -ain, die grösstenteils auf lat. -anus zurückgehen
und unter welchen die Stadtnamen auf -poiis (adrinopolitain
u. s. w.) ein ansehnliches Kontingent stellen. Die auf -cain,
-quain, soweit sie nicht auf lat. Form zurückgeben (af ricain,
am4ricain, armoricain, dominicain, mexicain) sind blosse
Nebenformen. Die Schreibung -cain ist die neuere, so ist jamm-
cain, majorcain, medocain besser als jamatquin, majorquin
(ma/jor quain), medoquin; maraeain ist stehende Form, wogegen
maroquin nur die Bezeichnung für eine Sorte Leder ist; minor-
quin ist bis jetzt ohne Nebenform geblieben.
Das Suffix -an hat ein durchaus fremdartiges Gepräge und
ist in eigentlich französischen Wörtern selten (etwa Y« ^^^ ^®"
samtbestandes). Dabei haben einzelne noch Nebenformen z.B.
1) Das interessanteste Beispiel ist paunien (Pau), weil Epauuensis
etymologisch zu paunois hätte führen müssen.
Personal- und Geniilderivaie im Neufranzösischen, 159
monspesstdan (mit montpeUi^rain), pertuisan (mit pertuisien).
Dieses Suffix findet sich vorwiegend in übernommenen Adjektiven
zu Flnssnamen (cisleithan, cispadan, rhenan), vereinzelt auch
zu Bergnamen (cisjuran), besonders aber zu ital.-span. Orts-
namen {andorran, astesan, hreaciany capouan, forlan zu Frioul,
padouan, s^viUariy tol4dan n. s. w.), sowie zu französischen Orts-
namen, die an ital. oder span. Sprachgebiet streifen {bigo(u)rdan,
faucigneran, n4bouzan, pertuisan, valaisaUj und so bressan zu
Bresse oder auch zu Brescia). Vereinzelt steht gastinaisan
(wohl Nachbildung zu pavesan und ähnlichen, sowie chamboran
(wohl eine Bildung, die in die Zeit italienischer Beeinflussung
der französischen Kunst fällt). Nach dem bretonischen Sprach-
gebiet zu tritt -an wieder häufiger auf, daher groyan.
Gering ist auch die Verwendung von -(^^en, welches das
Suffix för Wörter auf 6, ^e, 6es ist (quimperleen, vend^en, py-
reneen), manchmal aber auch nach i (y), ai (ay) eintritt: ajac-
cien, biscayen, clichieriy alr^en (Auray), annonden.
Das Suffix •'Ois^ -als ist ausschliesslich f^r Derivate von
geographischen Namen bestimmt. Der einzige Fall, wo es ein
Personalderivat bildet, ist Mansfddois als Name einer nach dem
Grafen von Mansfeld benannten Sekte ; die Verwechslung lag hier
nahe, weil man Mansfeld nur als Ortsnamen kannte oder nach
Analogie ähnlicher Namen dafür hielt. Zu verweisen ist femer
auf raymondais (alte Toulouser Münze), auf Minervois (s. oben),
welches aber auch nicht direkt von Personennamen gebildet ist,
und auf mariannais zu iles Mariannes. Bei den von Heiligen-
namen stammenden Ortsnamen bildet man zwar germinois zu
Saint-Germain, saint-emilionnais, saint-martnois, saint-gtien-
tinois, zieht aber bei anderen die Bildung aus dem Etymon vor
wie audomarois zu Saint-Omer, quintinois neben saint-gfAen"
tinois, 8t4phanois zu Saint -!^tienne und mit anderem Suffix
dionysien zu Saint- Denis.
Auch unter den geographischen Namen treten die antiken,
wie früher bemerkt, mit dem Suffix -ois, -ais nur äusserst selten
in Verbindung. Das schliesst nicht aus, dass dieses Suffix an
das Etymon neuerer Namen tritt: biterrois zu Böziers, mddois
zu Meaux, montalbanais zu Montauban, oscarois zu Ouche u. a.
Das Suffix tritt an Länder- und Städtenamen, wofür Beispiele
unnötig sind. Hingewiesen sei nur darauf, dass es aus leicht
ersichtlichen Gründen an den Namen keines der Kontinente tritt.
In keinem Falle tritt es an Bergnamen, für welche dieses Suffix
sich seiner Natur nach so wenig eignete wie -ien für Gebiets-
bezeichnungen (vgl. oben bei libanais,) Auch für Flussnamen
ist es nicht geeignet, es sei denn, dass zugleich ein Volk oder
160 Ph, Plattner,
ein Gebiet (z. B. Departement) existiert, welches nach dem Flusse
genannt ist. Solche sind ardechois, ariegeois, aveyronnaisj cha-
rentais, congolais^), garonnaisj marnais, sequanais, tamais.
Wie verhält sich aber die neuere Form -ais zu der älteren -eis?
In vielen Fällen stehen beide noch nebeneinander und, wenn
auch anzunehmen ist, dass die neuere obsiegen wird, so ist oft
der Kampf noch als unentschieden zu bezeichnen. Sehr unent-
schieden ist er da, wo die neue Form widerrechtlich sich ein-
gedrängt hat, weil nur die Vorbedingung für -ois gegeben war;
doch wird sie auch in diesen Fällen wahrscheinlich siegen, weil
das GefOhi flir jene Vorbedingung in der Sprache nicht mehr
lebendig genug ist. Nebeneinander bestehen z. B. agenois,
agenois : agenais, agenais, autunois : autunais, caenois : cdenais,
calabrois: calabrais, clermontois : clermontais, dinandois: dina-
nai8, embrunois: embrunais, ferrarois: ferrarais, gapengois:
gapengais (zu Gap), loudunois: loudunais, mantois: mantaisy
mendois: mendais, messinois: messinais, moddnois: modenais^
nantois: nantais, navarrois: navarrais, novarois: novarais,
rennois: rennais, rochdois: rochdais, saintongeois : saintangeais,
sedanois: sedanais, veronois: v^ronais.
Die ältere Form (-ois) bleibt stets erhalten in den zahl-
reichen Ableitungen von -hourg und -berg: augsbourgeois, brande-
bourgeois, cherbourgeois, fribourgeois, hambourgeoiSf limbour-
geois, luxembov/rgeois, magdeburgeois, mecklembourgeois, nurem-
bergeois, oldenbourgeois, phalsbourgeois, petersbourgeois, stras-
bourgeoiSj vmrtembergeois u. a.
Überhaupt scheint nach stimmhaftem wie nach stimmlosem
Zischlaut -ois die übliche Form: albigeois, ardechoisy ariegeois,
arrageois (zu Arras), auchois, binchois (zu Bindre), brugeois,
cauchois (zu Gaux), commingeois, firingeois (zu lies F^roe),
grdgeois (feu gregeois), loangeois (zu Loango), Maubeugeois,
Dagegen saintongeais neben saintongeois und das von Sachs
gegebene (nachweisbare?) marchais neben marckois.
Ferner bleibt -ois nach Silben, welche geschlossenes oder
offenes e enthalten: aixois, alenois (zu Orleans), ambertois^
amienois, anversois, appenzellois, ardechois, ariegeois, auxerroie,
beaucairois, bemois, biterrois (zu B6ziers), blaisais oder blesois
(zu Blois), brimois, brestois, bruocdlois, carrerois (zu Carriferes),
cettois, clevois, cr^tois, dieppois, dunkerquois, emsois, fertois
(zu la Fert6), gAiois, gerohteinois, gexois, giennoia, gr^geoisy
1) VgL oben unter diesem Stichwort. Dass diese Form erst
möglich ist, seit es einen Kongo staat gibt, stimmt mit obiger Regel
zusammen.
Personal' und GeniüdeiHvate im Neu französischen. 161
grayloisy giiddrois, guyennois, hessois, hihernois, lenois, liegeois,
lodevois (zu Lodeve), lubeckois, lucemois, mecquoiSf mddois (zu
Meaux), pont-audemerois, quimperois, r^mois, rutMnoiSf sancer-
roisy san-remois, siennois, sleswig-holsteinois, suedois, thiernois
(zu Thiers), tonnerrois, valenciennoisj vauverdois, viennois, vincen-
noiSf viterbois. — Dagegen ardennais, cayennais, rennais neben
rennois als einzige Ausnahme aus neuerer Zeit und das historische
Fem. Viennaise, während sonst viennois das Adjektiv zu Vienne
in Südfrankreich und zu Vienne = Wien ist. Das deutet darauf
hin, dass oi nach e-^-nn im Schwinden begriffen ist. Ausnahmen,
und zwar gewichtige, weil historisch, sind ferner nivemais und
rouergais neben rovsrgois.
Nach stummem e finden sich 'beide Formen : champenois,
diemenois (zu ile de Diemen), genevois, neuffjchdtelois, reihelois,
iourquenois (neben tourquefq^nois zu Tourcoing); diesen stehen
gegenüber hagnerais (zu Bagneres), bordelais (zu Bordeaux),
ploermelaiSf polletais, posenais (neben posnanien), vannetais
(zu Vannes). Nach dieser Regel würden agenois, agenois, agenais
ebenso modenois, modenais, sowie rochelois, rochellois, rochelais
je unter einander gleichberechtigte Formen sein, unter welchen
nur der Gebrauch sich mehr für eine als für eine andere ent-
scheidet. Die Formen agenais, modenais, rochellais, welche sich
vereinzelt finden, kann man unbedenklich als irrtümliche, der
heutigen Regel ohne zureichenden Grund widersprechende be-
zeichnen. Über marseillais, in welchem ai durch das geschlifi'ene
l bedingt ist, vgl. später.
Auch nach i, u in vorhergehender Silbe bleibt -ois erhalten,
albigeois, annigois (zu Annecy), autunois (neben autunais):
bellilois (zu Belle-Isle-en-Mer) berlinois, bethunois, briois (neben
briard), brugeois, brunswickois, carihaginois, chdteaudunois.
chinois, cochinchinois, cortinois (zu Corte), cotentinois, dant-
zic(k)oiSj dauphinois, dignois, diois (zu Die), donziois (zu
Donzy), dunois (zu Chäteaudun), embrunois (neben embrunais\
fin(n)oiSj fuldois (zu Fulde), germinois (zu Saint-Germain),
hesdinois, illinois (zu Illinois), issoudunois oder issoldunois,
ivigois, liUois, lippois, loudunois (neben loudunais), lucquois,
martiguois, melunois, messinois (neben messinais), molucquois,
municoiSf namuroisj nigois, ntmois, pantinois, provinoisj quer-
cinois, quintinois (zu Saint- Quentin), saint-marinoiSy saint-
quentinois, salinois, santorinois, sarrebruckois , saumurois,
schwytzoisj sedunois (zu Sion), sionois (ebenso), slesvicois, tes-
sinoisy tonkinoiSf tunisois, valenginois, valentinois, venaissinois,
verdunois, vervinois, vexinois, vouzinois (zu Vouziers), zugois,
zuricois, — Die Ausnahmen sind hier ziemlich zahlreich: avraa
Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XU. 11 *
162 Ph. Piaitner,
chinais, chdteaulinaisy croisicais, gdtinaiSy josselinaisy londinaisy
neo-hebridais, portugais, ragusais, turinais, vallouisaisj d. h.
-018 ist im Schwinden nach i(u) + ^; wofür auch die Doppel-
formen autunois : autunais, embrunois: emhrunaiSy loudunois:
loudunais, messinois: messinais sprechen. Schwankend sind
ferner die Namen auf -ville; neben abbevülois, bellevillois, ihion-
villois stehen granvillaisy trouvillais?) Nach dem aus ey ent-
standenen i tritt -ais ein: guernesiais, jersiais, letzteres (da iai
Diphthong ist) Ausnahme* zu der Regel, dass -ois, nach offenem e
der vorhergehenden Silbe eintritt.
Nur die neuere Form (-ais) findet sich bei den zahlreichen
Ableitungen von -land: courlandais, ßnlandais, groenlandaisy
hoUandais, irlandais, islancthis, jutlandais, marylandais, neer-
landaisj neO'z4landais, oberlandais, seelandais oder zelandais,
shetlandaisj wozu sich landais ziehen Jässt. Überhaupt findet sich
meist -ais nach nasalem a oder reinem a-^-n m vorhergehender
Silbe: albanaisy avranchais, caenais (und caenois)^ catanaisy
charentais, coutangais, dinanais^) draguignanaisy ecouenais,
frangaiSy gapenqais (und gapengois zu Gap), guerandais,
guyanaisj havanais, javanais, juanaisy laonnais, (und laonnois),
lavedanais, lorentais^ mansais (und mansois, für beide meist
manceau), mantais (und mantois), mayengais, mendais (und
mendois), müanais, mirandais, montalbanais, morbihanaisy
morvandais, nantais (und nantois), nogentais, oranais, orleanais,
perpignanais, poblanais (zu Puebla), roannais, rouennais, roya-
nais, sedanais (und sedanois), sequanais, soudanais, trentais,
uranais (zu üri), valengais, ebenso cubanais, libanais, wenn
sie sich nachweisen lassen. Entgegenstehen: danois, dinantois,
gantois, guingampois, lausannois, lovanois (zu Louvain), osten-
dois; dass vermandois und m^lantois bei der älteren Form
bleiben, erklärt sich daraus, dass es lediglich Gebietsbezeich-
nungen sind.
Das regelmässige Suffix ist ferner -ais bei den auf -on,
1) Es kann auffallen, dass bei diesen Namen kein konstanter
Gebrauch herrscht; die Verwirrung wird noch gesteigert durch das
litterarisch nicht nachweisbare, jedoch lokal übliche luneviUain. Wenn
diese Bildung schon bedenklich ist, so könnte ein Bewohner von Gran-
ville, Trouville gegen die Bezeichnung granvillain, trouvillain noch ge-
rechteren Einspruch erheben. Von rein etymologischem Gesichtspunkt
aus wären diese Formen allerdings berechtigt.
2) Für die Orthographie dieser vielfach unrichtig mit nn ge-
schriebenen Wörter sei bemerkt, dass nach Analogie von castiüun,
persan, casiülane, persane (alt -anne) nur ein n zu setzen ist. Roannais
(zu Roanne) wird durch diese Regel nicht berührt, roicennais ist durch
rouennerie u. a. gerechtfertigt.
PersoncU- und Gentüderivate im Neu französischen. 163
-0718, -one, 'Onne, -ona ausgehenden Namen: alengonnais^),
altonais , aragonais , auxonnais, aveyronnais, avallonnais,
avignonnais, barcelonais, bayonnais, hönais, briangonnais, can-
tonnaiSf carcassonnais, chdlonnais, chdtillonnaisy clissonnais,
craonnais^), cr4monaiSf dijonnaisy donjonnais, gabonais, garon-
naiSf japonaiSf lannionnais, leonnais, londonnais, lugonnais,
lyonnaisj mdconnais, mentonais, miquelonnais, montbrisonnais,
narbonnais, nontronnais, noyonnais, quiberonnais, roussillon-
nais, saigonnaisy saint-emilionnaiSf soissonnaisj tarasconnais,
tarraconais und tarragonais, tortonais, toulonnais, vSronais
(neben veronnais; veronois kann als aufgegeben gelten), vier-
zonnais. Dazu kann man rechnen glaronnais (zu Glaris, Glarus)
und senonais (zu Sens), ferner olonnais (zu les Sables d'Olonne),
wenn es nachweisbar ist. Der Regel entzieht sich nur losnois
(zu Saint- Jean -de Losne), welches losnais bilden könnte nach
Analogie von bdnais; ferner Hanois zu L6on in Spanien.
Gleichfalls - ais haben die Namen, welche o -f~ Ä zeigen :
bolonais (Bologne), boulonfnjais (alt boulenois zu Boulogne),
colonais (Cologne), polonais (Pologne). Als veraltet kann man
ansehen das entgegenstehende solonois (Sologne).
Nur -ais findet sich nach geschliflFenem h cornouaillais,
marseillais, montreuillais, versaillais. Das vereinzelt stehende
verceillois gehört kaum der neueren Sprache an.
Wie früher -anais, '0n(n)ais, so scheinen auch -alaisy
'olais lautlich bedingte Verbindungen: bagnolais (zu Bagnols),
bengalaiSf brignolais (zu Brignoles), charoUais, cyngalaiSj con-
golaisj guatemalaiSy lamballaiSj martegallaisy ossalais (zu Ossau),
pignerollaisj reolais, senegalais. Diesen stehen gegenüber bdloiSf
gallois (zu pays de Galles), saint-gallois (zu Saint-Gall), landa-
vallois (zu Lanvaux), lavaUois, wozu man auch gaulois ziehen
kann.
Im übrigen Hessen sich noch weitere Gesichtspunkte auf-
stellen, da aber die Zahl der zugehörigen Beispiele eine be-
schränkte ist, so begnüge ich mich die übrig bleibenden Wörter
aufzuzählen.
Mit -ois: angoumois, artois, aspois, auxois, aurillaquois,
1) In diesen Wörtern steht nn nach Analogie von bon, honne^
hourguignon, hourguignonne (alt -one). Aasgenommen sind nicbtfranz.
Namen, besonders ital.-span. Herkunft, sowie natürlich diejenigen,
welche n im Derivat für n des Stammworts haben. In hönais hinderte
der Zirkumflex die Gemination.
2) Nach der Aussprache des Namens Craon wie kra-S. Da manche
(wie in Laon) o verstummen lassen, Hesse sich auch craonnois ^wie
laonnois neben laonnais entschuldigen.
11*
164 Ph. fhitner,
badois, bantamois, barroia, bavarois, bazadois (neben -ais),
beaunois, brivadois, clermontois (neben - ais), comtois (nebst
franc-comtois), condomois, congois, darmstadtois (in der Bed.
Strassenkehrer) , dolois, döloisj eudois und eusioisj ferraroia
(neben -ais), francfortoisy grenoblois, hongrois, hurepois (zu
Hurepqix), iroquoiSf langrois, lectourois, livradois, montbardois,
montoisy oscarois (zu Ouche), pragois, privadois (zu Privas),
quiUebois (zu Quillebeuf), revermontois, riomois, rochois, sar-
thois, saulnoiSf siamois, touloiSy toumois (zu Tours), tregorrois,
vaudois, vendömois.
Mit -ais: anglais, basquais, beamais, bigorrais, blayaisy
calabrais, camarguais, castraisj domingais (zu Saint-Domingue),
drouais (zu Dreux), ecossais, ßumorbais, fontenais (zu Fontenay),
havraisj honfleurais, houatais, laurag(u)ai8j livoumais, lour-
dais, maltaisy maraquais (zu Marais), marnaiSf moisaaccais und
moissaquaiSf navarrais (neben -ois), neracais und neraquais
(zu N6rac), new-yorkais, nicaraguais, niortaiSf nivilaccaU,
novarais (neben -ois), piemontaisy portugais, rochefortais,
aablais, sarladais' (zu Sarlat), tararais, tarbais, tamais,
vitreais (?), vivarais, yvetotais.
Unter den übrigen Suffixen für geographische Namen ist
ziemlich häufig -on. Es tritt unter Vermittelung von r an Namen
auf stummes e: augeron (zu Auge), beauceron (zu Beauce),
percheron (zu Perche), wozu sich in vigneron, tdcheron^) Bei-
spiele finden, die sich aus den Dialekten noch vermehren Hessen;
so erinnere ich mich, dass gagneron mundartlich für Tagelöhner
gebraucht wird. Über berrichon, bourbonnichon, nivemichon,
vgl. bei nivemais. Alle diese Wörter werden mehr oder weniger
gemieden ; percheron z. B. wird hauptsächlich von einem Schlag
Pferde gebraucht, ohne dass jedoch die Verwendung in allge-
meinerer Weise ganz ausgeschlossen wäre. So heisst ein dortiges
Journal Le Bonhomme Percheron (Paix, 27 avrii 1888).
Vereinzelt steht nuiton (zu Nuits); da Nuits auch die ältere
Form für deutsches Neuss ist, müsste auch ein Neusser un Nuiton
heissen können. Über dunoison, seine- et -oison vgl. diese
Wörter.
Das Suffix -eau mit dem Fem. -eile steht in manceau
(manseau), morvandeau, sologneau, tourangeau. Das Suf&x
-al ist erhalten in meridional (zu Midi), provengal, sowie in
occidentalf orientaL Delphinal ist Adj. sowohl zu dem Personen-
namen (dauphin), wie zu dem Ländernamen (Dauphine). Von
1) Litträ leitet iächeron direkt von iäche her, will aber für
vigneron ein Verb vigner als vermittelndes Glied einschieben.
Piersonal' und Geniilderivaie im Neufranzösischen. 165
PersonenBamen kommt ausserdem cereal, martial, minerval u. a.,
nach Littr6 auch jovial.
Das Suffix -ard begegnet in briard, leonard, nigard,
savoyardj wird aber auch mit wenig Vorliebe verwendet, was
sich aus seiner sonstigen depreziativen Bedeutung erklärt (cor-
nard, pillard, pleurard u. a.).
Unter den übrigbleibenden sind zu erwähnen berruyer,
hainuyer mit seinen Nebenformen, ferner cerdanyol, cevenol,
romagnol, alle nur für die Bewohner verwendbar. Endlich be-
darrez, carcassez, carladez, forez, rasez, royannez, sowie beau-
vaisisy calaisiSf cambresisj parisisj tournaisis, alle nur für das
Gebiet zu verwenden. Parisis fand sich in früherer Zeit auch
zur Bezeichnung eines Geldwertes, wobei zugleich SLuf marseillez
im gleichen Gebrauch und auf das von Personennamen abge-
leitete raymondis (un raymondis, un sol raymondis. C.) mit
den Nebenformen raymondais, raymondin zu verweisen ist.
Zusammenfassend lässt sich bemerken:
1) Gelehrten Ursprungs oder nur der Büchersprache angehörig
sind die Suffixe -ique, -iaque, -esque, -asque, -ite, -ote,
-ate, -iste. Eine Mittelstellung nimmt -ien mit seinen
Nebenformen ein; es ist ursprünglich auch gelehrten Ur-
sprungs und ist es bei Personalderivaten geblieben, wo-
gegen es bei Gentilderivaten volkstümlich geworden ist und
mit -ois, -ais in Neubildungen konkurriert.
2) Volkstümlich sind die Suffixe -ot, -at, -ois und -ais, -eau,
-(uy)er, -ard, -ol, -ez, -is, -(erjon,
3) Nur für Personalderivate verwendbar sind -esque, -ite, -iste,
obwohl sich (teilweise übernommene) Ausnahmen finden.
Das Suffix -esque bedeutet eine Art oder Manier und ist
öfter herabsetzend; -ite ist auf religiöse Parteien (Sekten,
Orden u. dgl.) zu beschränken, -iste dagegen auf politische
oder wissenschaftliche Parteien (Schulen).
4) Nur für Gentilderivate verwendbar sind -iaque, -ote, -ot,
-ate, -at, -ois und -ais, -asque, -eau, .-(uy)er, -ard, -ol, -ez,
-iz, -(er)on, Ausnahmen (teilweise übernommene) finden
sich nur in geringer Zahl bei -iaque und -ois (ais). Nur
für die Bewohner oder das den Bewohnern Zugehörige sind
verwendbar -iaque, -ote, -ot, -ate, -eau, -(uy)er, -ard, -ol,
-(er)ony) Nur auf das Gebiet bezüglich sind -ez, -is. Für
beides verwendbar sind -at, -ois und -ais.
5) Sowohl für Personal- wie für Gentilderivate brauchbar sind
-ique, -ien.
*) Sowie 'ien.
166 Ph. Plaitnet% Personal- und Geniiiderivaie im Neufranzösischen,
6) Adjektivisch sind in der Regel -ique, -iaqu^, -esque. Sub-
stantiviert können sie nur bei Gentilderivaten werden.
Lediglich substantivisch sind -ez, -is, weil sie nur Gebiets-
namen bildeui
7) Die hauptsächlichen Suffixe für Gentilderivate sind -i&n
einerseits, -ois oder -ais anderseits. Das Suffix -len steht
nie bei Gebietsnamen; -ois (-ais) findet nie bei Bergnamen
und nur unter gewissen Voraussetzungen bei Flussnamen
Verwendung, ausserdem tritt es nur vereinzelt an Namen
der antiken Geographie. Bei der Frage, ob im einzelnen
Falle -ieffi oder -ois (-ais) zu verwenden ist und ob bei
letzterem die ältere Form (-ois) oder die neuere (-ais)
zu wählen ist, kommt der unmittelbar vor dem Suffix
stehende Konsonant oder der diesem vorausgehende Vokal,
vielfach aber auch beides in Betracht.
Ph. Plattner,
168 TF, KnöHcK
die Leitung der geistigen Entwickelung zu übernehmen. Für
diese hörte dann die Beschäftigung mit Sprache, Litteratur und
Wissenschaft auf, ein Mittel für die geistige und sittliche Hebung
des Volkes zu sein, wurde vielmehr zum Selbstzweck: sie wid-
meten sich schöngeistiger, litterarischer, sprachlicher Bethätigung
nur um sich einen Schein von Bildung und Vornehmheit zu
geben und ihre innere Rohheit zu verdecken. In ihrer völligen
Verkennung der Ziele, welche erreicht werden sollten, und aus
Ohnmacht an der Erreichung derselben mitzuarbeiten, mussten
diese Kreise der Gesellschaft das Preziösentum schliesslich über-
treiben und ins Gegenteil verzerren: sie wären für die nationale
Bildung zu einer Gefahr geworden, wenn nicht Spott und Satire
dem gesunden Sinne wieder zum Siege verhelfen hätten. Der
Beginn der Nachäffung und Übertreibung wird gewöhnlich in die
Zeit gesetzt, wo Madeleine de Scud^ry die Clelie schrieb und
der staunenden Welt die Entdeckung des Royaume de Tendre
verkündete, aber in der That ertönen die Klagen über das Un-
wesen schon viel früher, und diese wollte ich, so weit sie mir
bekannt geworden, in Kürze zusammenstellen.
Es ist nicht richtig anzunehmen, dass die Gesellschaft,
welche die Marquise de Rambouillet um sich versammelte, der
einzige im ersten Viertel des XVII. Jahrhunderts bestehende der-
artige Zirkel war, aber er ward bald hervorragend und über-
strahlte seit 1620 alle andern bei weitem; und schon in den
dreissiger Jahren erheben sich Stimmen gegen Ziererei und
Schöngeisterei.
Im Jahre 1635 (nach den Anecdotes dramatiques 1636)
brachte Pierre du Ryer seine Komödie Les Vendanges de Suresnes
auf die Bühne. Die Fabel ist einfach und unbedeutend, aber
(pour parier ä la mode — Scarron I, 248) die naiv-realistische
Schilderung der herrschenden Sitten ist recht anziehend und hat
auch wohl Dancourt bewogen noch 1695 einen Einakter mit
Gesangseinlagen daraus zu machen. Die Komödie zeigt an
mehreren Stellen, dass d'ürfö's Astree schon stark ins Volks-
leben eingedrungen war, und sie tadelt es, dass in der Unter-
haltung, in der Liebeswerbung, in dem Verkehr der beiden Ge-
schlechter Versemachen und Schöngeisterei eine Rolle spielten. —
Tirsis liebt die Dorim^ne (auch die Namen sind bezeichnend!)
ohne Gegenliebe; dessen Freund Polidor ist glücklicher, entdeckt
dies aber erst im weiteren Verlauf. Zu Anfang (I, 1) klagt
Tirsis einem anderen Freunde Philemon die Grausamkeit der
Geliebten und dieser antwortet:
Escoute neantmoins des legons fort gentilles
Afin de parvenir ä Vamiiie des fiUes.
170 TF. Knßrich,
Darauf verliest Polidor ein Liebesgedicht, welches mit
Pointen geziert ist und schon an die spätere galante Dichtung
erinnert. An die Vorlesung knüpft sich eine Auseinandersetzung
über die Beurteilung von Komödien.
11 est de ces censeurs dont les langues hardies
Soni souvent le seul mal qu'on trouve aux comedies.
Lun faisoii de Phäbile (et pour moy je nCen moqiie),
Vaulre disoit tout haut: cetie rime me choque,
Le moi rCesi pas franqoiSy et nCestonne comment
On luy vient de donner laut d'applaudissement,
Ainsi parlent ces gens dont Vesprit populaire
Ne sgattroit rien sonffrir comrne ü ne peut rien faire,
Herr von Saint -Amant, ein Gast des Hotel de Bambouillet,
aber ein noch eifrigerer Besucher des cabaret, von Saumaize
für die Preziösen unter dem Namen Salpurnius in Anspruch ge-
nommen, eines der ersten Mitglieder der Akademie, schildert in
seinem Poete crotte, der 1637 (vielleicht schon 1631) zum ersten-
male gedruckt ist, eine preziöse rudle auf boshafte Weise:
Quel plaisir d!estre en vne chaise
Chez vous' bien assis ä son aise,
Dans vne ruelle de lit,
Oü Madame s'ensevelit,
Loin du iour, de peur qu'on ne voye,
Que son muffle est vne monnoye,
Qui n'est plus de mise en ce temps,
Et qu*elle a bien neuf fois sept ans.
La Cvn lit, lä Vantre censtire,
Donnant ä tout double tonsure,
Lvn ne refrogne et ne dit mot,
Lautre nigauae, et faii le Sot;
Dvn raconte quelque nouuelle,
Qui mei tout le monde en cerneUe,
IJautre pette en esternuant.
Et rautre vesse en bouc puant.
Jedenfalls meint der Dichter eine bestimmte radle, aber
welche dies sein könnte, wird man wohl nie mehr entdecken.^)
Im Jahre 1637 brachte auch Desmarets ein Satire, die auf Rat
und mit Beihilfe Richelieu's verfasste Komödie Les Visiorinaires,
auf die Bühne. Darin werden die schöngeistigen Liebhabereien
und Überspanntheiten der Vornehmen auf ergötzliche Weise dar-
gestellt, ja man will in einzelnen Figuren sogar bestimmte Per-
sönlichkeiten erkannt haben. So wird die Schule Ronsard's ver-
spottet in der Person des sich ronsardischer Ausdrucksweise
befleissigenden Amidor, poete eoctravagant Mit der Melisse,
1) Tallemant des R^aux' Behauptung, M^*® de Gournay sei ge-
meint, ist weder erwiesen noch wahrscheinlich, vgl. Hisioriettes II, 347
(^d. P. Paris).
172 W. Knörich,
Et lä se rafratchir et boire.
Arrivant au dovble Coupeau,
11 trouva le docte Troupeau,
Les neuf savantes DamoiseUes,
Assises dessus des bancelles,
Qui faisoient la dissection,
Avecque grande attention.
De Rondeaux, de Sonnets, de Stances,
Sur des chagrins, sur des ahsences.
Et sur des pkdsirs accordes.
Trois des plus habiles d^entr *elles,
Mais je n'ai pu savoi?' lesquelles,
Avpient fait ces beaux carmes-lä,
A Mercitre on les e'tala,
El le pria-t-on de les lire;
II vCy trouva rien ä redire,
Si ce n'est en quelques endroiis
Des mots qui n*etoient pas Frangois. etc.
Zweifellos will der Dichter mit dieser Schilderung der
Mnsen die dem bd esprit huldigenden Damen treffen; welche er
unter den drei geschicktesten meint, vermag ich nicht zu sagen.
Femer in dem jedenfalls im Frühjahr 1652 geschriehenen Briefe
an Sarazin sagt er: Mais man chien de destin rn'emm^ne ddns
un mois av/x Indes Occidentales; on plutöt fy suis pousse par
une Sorte de gens fdcheux, qui se sont depuis peu eleves
dans Paris, et qui se fönt appeler Pousseurs de beaux sen-
timens. QuantitS de personnes de bon-sens entreprendroient de
les pousser; mais on leur a dit que les plus pointus d'entr^eux
se vantent d^etre approuves d'une grande Princesse, dont Vesprit
egale la qualite, et quHls sont assez vains pour s^autoriser de
son nom ä chaque beau sentiment quHls poussent; ce qui em-
peche Sans doute qu^il ne se forme un parti contre eux.
Mit der grande princesse ist wohl die Montpensier gemeint,
doch könnte wohl auch an die Duchesse de Longueville, geb.
Prinzessin von Bourbon-Cond6, gedacht werden. Auch nach seiner
Verheiratung mit FrauQoise d'Aubignö Hess er sich dadurch nicht
vom Kampfe gegen das Unwesen abhalten, dass seine Frau stark
in preziösem Fahrwasser segelte. In der Widmungsepistel zum
Ecolier de Salamanqae (aufgeführt 1654, gedruckt 1655) klagt er:
On a hat ma Comedie avant de la connoitre. De belles Dames
qui sont en possession de faire la destinee des paiwres hu-
mains, ont voulu rendre malheureuse celle de ma pauvre Co-
midie, Elles ont tenu rueUe pour V4touffer des sa naissance,
Quelgues-unes des plus partiales ont porte contre dies des Fac-
tums par les maisons . . . , et Pont compar4e d'une grace sans
seconde ä de la moutarde melee avec de la crhne etc.
Femer enthält der Brief an Marigny (8. Mai 1659) eine
Zur Kritik des Preziöseniums, 173
bezeichnende Stelle. Scarron hatte die Absicht seinen Roman
comique fortzusetzen und äussert sich darüber: II faut que je
vous dise de quelle mani4re commence le [nouveau] volume de
mon Roman Comique.
„II rCy avoit point encore eu de Pr^ciefoaea dans le
monde, et ces Jansdniates d^Amour^) n/avoient point encore
commenci ä mepriaer le genre-humain. On n^ avoit point encore
oul parier du Trait des traits^ du demier Dovm, et du premier
Desobligeantf quand le petit Ragotin, etc.^
Ah, ma chere! ä quoi avez-vous pass^ le jouri AK ma
chSre! Bastonneau, tout pwr. (Test un terme de Pr^cieuse, pour
dire acheter des etoffes.
Endlich in der epitre chagrine an den Mar^chal d' Albret
(vom Jahre 1659) zählt Scarron alles auf^ was ihm unangenehm
ist, und sagt:
0 qu'il en est de Genres, et de Sectes,
ße ces Fächeux, pires que des insectes!
0 qu'il en est dans les murs de Paris,
Sans excepter Messieurs les Beaux- Esprits,
MSme de ceux qui de VAcademie
Forment Ui heüe et docte Compagnie,
Mais revenons aux Fächettx et Fächeuses,
Au rang de qui je mets les Preciettses,
Fausses s'entend, et de qui tout le hon
Est seulemant U7i langage ou Jargon,
ün parier gras, plusieurs sottes mani^res.
Et qui ne sont enfin que faconnieres,
Ei ne sont pas Precieuses de prix,
Comme ü en est deux ou trois dans Paris,
Que fon respecte autant que des Princesses;
Mais eUes fönt quantite de Singesses,
Et Von peut dire avecque vdrite'
Que leur modele en a beaucoup gäte.
Beachtenswert ist, dass der Dichter hier, wie Moli6re im
nächsten Jahre, einen Unterschied macht zwischen den fausses
precieuses und precieuses de prix, und dass er nur zwei bis
drei zu der letzteren Art zählt, ähnlich wie er im Typhon von
den Musen drei als les plus habiles bezeichnete.
Um die Aufzählung der Stellen aus Scarron nicht zu nnter-
1) Paul Morillot in seiner trefflichen Monographie Scarron et
le genre burlesque (Paris, Lec^ne & Oudin) will aus dieser Stelle folgern,
dass nicht ^inon de Lenclos, sondern Scarron der Urheber dieses viel
zitierten Ausdrucks sei. £r hat darin Unrecht, denn derselbe stammt
aus dem Jahre 1656, wo Christine von Schweden zum erstenmale in
Paris war, und Saint-^yremont gebraucht ihn schon in der prosaischen
Nachschrift zu seinem 1656 verfassten Cercle: on dit un jour ä la reine
de Suede, que les precieuses etaient des jansMstes de ratnow.
174 W. Enörich,
brechen, ist der 1656 verfasste Gerde von Saint-Evremont^) bis
zuletzt gelassen. Das Gedicht ist zu lang, um es hier ganz
mitzuteilen. In der rttelle findet der Dichter jedes Alter, jedes
Geschlecht, Stadt- und Hofleute, die Hässliche und die Schöne
u. s. w., welche zusammengekommen sind, prendre seance en
Vecole dCamour, Dann beschreibt er die prade, orgueiUeuse,
jeune coquette, intrigueuse, die prdcieuse occupee aux legons de
morale amoureuse, aber auch die solide, opposee ä tous les
vains dehors. Nachdem der Dichter dann noch allerlei Ergötz-
liches über die Beschäftigung der Damen berichtet hat, fügt er
in Prosa hinzu: Apres la lecture de mes vers, vous me deman-
derez avec raison ce que c'est qv!une prdcieuse, et je vais tdcher,
autant qa!il rn'est possible, de vous Vexpliquer, On dit un jour
ä la reine de SuMe, que les precieuses etaient les jansenistes
de Vamour; et la definition ne lui dSplut pas, Uamour est
encore un Dieu pour les precieuses, 11 n^excite pas de passion
dans leurs dmes; il y forme une espece de religion. Mais ä
parier moins mysterieusement, le corps des precieuses n^est
autre chose que Vunion d^un petit nombre de personnes, oü
quelques-unes veritablement delicates, ont jete les autres dans
une affectation de d4licatesse ridicule etc.
Die Aufzählung von Stimmen, die sich gegen das Preziösen-
tum erhoben, ist in zweifacher Beziehung lehrreich. Erstens
erkennen wir daraus, dass die hauptsächlich durch die Marquise
de Rambouillet und ihren Kreis gepflegten Bestrebungen ver-
hältnismässig früh thörichte Nachäfferinnen fanden, dass die veri-
tables precieuses fast immer dem ausgesetzt gewesen sind, ä etre
copiees par de mauvais singes qui meritent d'etre bem4s (Moliöre).
Ferner ist zu beachten, dass in allen diesen mitgeteilten
Stellen das Wort precieuse in der spezifischen Bedeutung zuerst
1656 bei Saint-!^vremont sich findet und dann in den Stellen aus
Scarron vom Jahre 1659. Der Zeitpunkt, an welchem prdcieuse
als Bezeichnung einer schöngeistigen Dame aufkam, ist bisher
noch nicht bestimmt worde:a und wird sich auch nur unter Be-
nutzung einer grossen Menge sicher datierter Korrespondenzen,
Gedichte etc. jener Zeit bestimmen lassen. Doch sei folgendes
darüber bemerkt:
In den vier Büchern von Briefen Balzac's an Conrart (vom
2. Januar 1648 bis 19. Dezember 1653),^) sowie in dessen
1) Abgedruckt in den (Euvres choisies d^ Saint-Evremont 6d. Les-
cure (Paris, Jouaust) und auch in der unter gleichem Titel erschienenen
Auswahl von Gidel (Paris, Garnier fräres).
2) Wenn man nicht etwa folgende dafür halten will (ä Conrart,
livre II, lettre XXVIII, 24. Dez. 1661): Voüa, en verite, (Testrafiges effeis
176 fF, Kn&rich, Zur Kritik des Preziösentums,
rentres ä Paris et ä la Cour, (Test alors que Vahhe de Pure
commenga ä ecrire son fameux roman qui put etre iraprimd
et paraitre en 1656.
Versuchen wir diese beiden Ansichten in Einklang zu
bringen! Wir nehmen mit Rath6ry an, dass die Benennung
PrScieuse schon 1652 vorhanden war, zumal La Pure's Worte
aux Premiers heaux jours que la paix etc, auch auf 1652 ge-
deutet werden können. Allmählich wird nun diese Benennung
immer mehr in Gebrauch gekommen sein, bis La Pure dieselbe
bei seiner Übersiedelung nach Paris kennen lernte und in den
Jahren 1655/56 ff. in seinen bekannten Werken gebrauchte. Im
Jahre 1656 (vielleicht schon im Winter 1655 — 56) nahm das Pre-
ziösentum nach Somaize (6d. Livet I, 187) einen ungeheuren
Aufschwung und dehnte sich weithin aus. Sollte dies nicht der
Zeitpunkt sein, wo man anfing Pr4cieuse in nachteiligem, tadelndem
Sinne zu gebrauchen! Dazu würde es stimmen, dass Königin
Christine 1656 sich die neue Anwendung des Wortes erklären
lässt; dass Saint -^vremont es für nötig hält, eine Definition des
Wortes zu geben; dass die Preziösen La Pure's Komödie für
eine Satire hielten (also argwöhnisch waren); und dass La Pure
(nach Somaize, I, 188) die Geister dadurch beruhigte, dass er
erklärte, er habe nur die fausses precieuses angreifen wollen.
Derselbe La Pure lässt in seinem Roman (zitiert von Livet,
Dict des Prec. II, 338) G6name (= Manage) sagen : la Pretieuse
fut introduite ä peu pr^s en vogue la mesme annee qu^on eüt
d4clar4 permis de prendre la macreu se pour poisson et en
manger tout le caresme. Wann geschah das aber?
W. Knörich.
Therese Levasseur.
Rousseau-Studien II.i)
bo verschieden wie noch heute die urteile über Jean-
Jacques Rousseau selbst lauten, ist auch die Zwiespältigkeit in
der Beurteilung seiner Geliebten und späteren Gattin Th6r6se
Levasseur auffallend genug. Aber der Versuch einer Apologie
des hart angegriffenen Weibes stösst auf ganz andere Schwierig-
keiten, als die Verteidigung des Genfer Philosophen gegen seine
Ankläger und Anklägerinnen. Hier können wir Rousseau's Con-
fessions und seine Briefe den von Grimm redigierten Memoiren
der Marquise von Epinay, den Anklageschriften Hume's, Voltaire's,
Diderot's und d'Alembert's, dem Klatsche der Correspondance
litteraire, Bachaumont's , Dussaulx', Rulhi^re's u. a. gegenüber-
stellen, auch wenn wir nicht auf die Apologeten, die nach seinem
Tode sich mutig hervorwagten, auf M°^® Latour - Franqueville,
Barere, M™® de Stael, du Peyrou, Eymar und andere Zeitgenossen
uns berufen wollen. Schwieriger liegt die Sache bei seiner
Gattin. Rousseau sucht zwar ihre Fehler und Schwächen in den
Confessions zu entschuldigen und sie ebenso wie seine erste
Geliebte, M°^® de Warens, in eine ideal angehauchte Sphäre zu
versetzen, doch ist in beiden Charakterbildern so viel derber und
unzarter Realismus erhalten geblieben, dass man dem Philosophen
später den Vorwurf der Undankbarkeit gegen die Warens, der
Rücksichtslosigkeit gegen Therese machen konnte. Die Briefe
Rousseau's an Therese deuten nicht immer auf ein ungestörtes
Verhältnis beider hin, namentlich lässt der vom 12. August 1769
ein Misstrauen gegen die Lebensgefährtin durchblicken, das bei dem
umdttsterten Gemütszustände Rousseati's begreiflich genug ist. Dass
nicht wahre Liebe ihn an sie fesselte, sondern nur das Gefühl
eines mehr physischen als psychischen Bedürfnisses, deutet er
1) S. hier, Bd. IXi, S. 215—255.
Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XI^. 2^2
178 R. Mahrenholiz,
in den Confessions zur Geniige an, und wahre Achtung spricht
ebensowenig aus der dort von ihr gegebenen Charakteristik. Die
Briefe, welche hochstehende Gönner und Gönnerinnen an Rousseau
richteten, gedenken zwar seiner Geliebten in wohlwollender,
nobler Weise, aber die Rücksicht, welche sie gegen den reizbaren
Mann zu nehmen hatten, musste sich auch auf die angebliche
„Gouvernante" tibertragen. Dagegen sind alle Feinde Rousseau's
auch Theresens gehässige Kritiker und die Freunde des Philo-
sophen suchen ebenso meist das, was Rousseau gegen eine
Epinay, Hume u. a. verschuldete, auf ihre Aufhetzerei zu schieben.
Musset-Pathay, der noch direkte Mitteilungen von Zeitgenossen
und Bekannten Theresens empfangen konnte, hat sie zum bösen
Dämon des von ihm mit ebenso grosser Aufrichtigkeit wie mass-
voller Einschränkung verteidigten Rousseau gemacht und ist zum
Nachbeter all des Klatsches geworden, der seit Grimmas Correspon-
dance ihr Andenken besudelte. Nur Morin, dessen Essai snr
la vie et le caract^re de J,'J, Rousseau (Paris, 1851) nun
einmal den verklärenden Märtyrer- und Heiligenschein, der in
seinem Bilde Rousseau^s Haupt umschwebt, auf alle überträgt,
die dem Philosophen treu bis zuletzt zur Seite standen, hat auch
eine Rettung Theresens unternommen, der das Dichterwort „die
Botschaft hör' ich wohl, allein es fehlt der Glaube" sich anpassen
würde.
Bei solchem Stand der Dinge ist eine Apologie Theresens
ebenso unberechtigt wie aussichtslos und wir würden sie auch
dann nicht unternehmen, wenn sie mehr Bürgschaft des Erfolges
in sich trüge. Getreu der Lehre des Altmeisters L. v. Ranke,
dass der Historiker aus dem System der Anklage und Verteidigung
zu dem der historischen Anschauung übergehen müsse, dass er
nur sagen solle, wie die Dinge gewesen, wollen wir das ge-
schichtliche Bild Theresens auf Grund des widersprechenden,
aber doch zu einer Einheit unschwer zu gestaltenden Quellen-
materials dem Zerrbilde ihrer Gegner und dem Lichtbilde ihres
Advokaten Morin gegenüberstellen.
Die Jugend Theresens war völlig geeignet, die schlechten
Eigenschaften, die ihr angeboren oder anerzogen sein mochten,
zu entwickeln, die guten Oharakterzüge, die auch späterhin nicht
ganz erloschen sind, thunlichst zu unterdrücken. Not und Sorge,
der Einfluss einer eigennützigen, bösartigen Mutter und einer
niedrig denkenden Verwandtschaft, das peinliche Verhältnis zu
Rousseau und dessen vornehmen Beschützern und Beschützerinnen,
das Bewusstsein gemeinsamen Verbrechens an den dem Findel-
hause übergebenen Kindern, haben ihre gewöhnliche Lebens-
auffassung und Bildung nie der Rousaeau's annähern oder ihren
Tkerbse Levasseur. 179
Charakter vor den Fehlern des kleinlichen Neides, des gehässigen
Klatsches und böswilliger Verleumdungssucht bewähren können.
1721 zu Orleans geboren und ursprünglich einer achtbaren
Beamtenfamilie angehörend, wurde sie durch das unverschuldete
Missgeschick ihres Vaters, der seinen Posten als Mtinzbeamter
einbttsste, in die Bahnen eines zweifelhaften Lebensganges ge-
rissen und von ihrer berechnenden Mutter zur Leichtfertigkeit
angeleitet. Als sie (1745) den im Pariser Winkelpensionate
St.-Quentin wohnenden Rousseau kennen lernte, war sie schon
ein verdorbenes Mädchen. Die Stellung, welche sie dort einnahm,
war keine unehrenhafte, sie war mehr Hausgenossin als Dienerin,
ass mit den Pensionären am Tische. Nach Rousseau's Angabe
war sie dort pour travailler en linge angestellt, d. h. sie war
als Näherin in dem Pensionate beschäftigt gegen Entgelt freier
Pension. Wunderbar, wie für manche deutsche Biographen
Rousseau' s jenes travailler en linge zum schweren Stein des
Anstosses geworden ist. BrockerhofF, der uns mit einer fleissigen,
dreibändigen Lebensschilderung Rousseau's beschenkt hat, macht
Therese zur „Vorsteherin eines Leinwanddepot", dass doch in
dem kleinen Pensionate recht tiberflüssig gewesen wäre; Hettner,
dessen Darstellung Rousseau' s in seiner Gesch. der Litter atur des
XVIIL Jahrhunderts sehr einer Neubearbeitung bedürfte, zu
einem „Schenkmädchen" aus Orl6ans. Ob hier Hettner einer
1825 in der Biographie universelle erschienenen Notiz des
Herrn von Sevelinges arglos folgte, oder aus welchen anderen
abgeleiteten Kanälen diese Kunde zu ihm gedrungen ist, vermag
ich nicht zu ermitteln. Rousseau war damals noch von den
schmerzlichen Eindrücken, die ihm sein Frohndienst in Venedig
als Sekretär des brutalen Montaigu bereitet hatte, erfüllt, zu
denen das Missbehagen über die Pariser Gesellschaft kam, er
suchte einen Ersatz für die Warens und eine Art Häuslichkeit,
welche dem, der die Freuden der Halbwelt aus innerer Abneigung
und zwingendem Geldmangel verschmähte, besonders notwendig
war. So schloss er mit ihr eine wilde Ehe und liess sich durch
die offenen Geständnisse, welche sie ihm in der Brautnacht
machte, nicht warnen. Die ersten Jahre hat er gleichwohl sein
GarQonleben fortgesetzt, dabei der habgierigen Bedürftigkeit der
alten Levasseur und ihres Pariser Anhanges einen Teil der väter-
lichen Erbschaft geopfert und, selbst in Geldnot, das Wenige,
was er besass oder durch seine Dienstleistungen bei M°*® Dupin
und M. Francueil, sowie durch Notenkopieren gewann, mit ihr
und ihrer Familie geteilt. Erst im Jahre 1768 gab er ihr den
Namen einer Gattin, ohne dass er eine kirchliche Trauung, die
bei den strengen Gesetzen über die Ehe eines Protestanten
12*
180 Ä. Mahrenholtz,
grosse Bedenken hatte, vollzog. Im Beisein von zwei Zeugen,
ohne bürgerliche oder kirchliche Formen, unter dem falschen
Namen Renou, der ihm durch die Besorgnis seines Gönners
Conti aufgenötigt war, fand dieser Bund statt, der seinem edlen
Bestreben, Theresens Zukunft in materieller und sozialer Hinsicht
sicher zu stellen, eine Art Weihe geben sollte (s. die Quellen-
angaben bei Musset-Pathay, Hist. de la vie et des ouvrages de
J,'J, Rousseau I, S. 169—170).
Über Theresens niedrigen Bildungsstand haben wir in
Rousseau's Confessions eine eingehende Schilderung, die aber in
Anbetracht des damaligen Volksschulunterrichtes nicht besonders
Erstaunliches bietet. Danach habe sie mit der Münzkunde und
Zeitrechnung auf sehr gespanntem Fusse gestanden, weder die
Ziffern an der Uhr noch den Wert der Geldsorten begriffen, die
Monatsnamen nie sich eingeprägt und durch ihre Sucht, gewählt
zu sprechen, erheiternde Verwechslungen angerichtet. Doch sei
sie im Schreiben nicht ungewandt gewesen und habe mehr prak-
tische Lebenserfahrung als er selbst besessen. Diese Mängel
ihrer Bildung sind bei einer kleinbürgerlichen Provinzialin da-
maliger Zeit, die in einer von der grösstenteils selbst unwissenden
Geistlichkeit geleiteten Volksschule ihren Unterricht empfangen
hatte, so besonders auffallend nicht, noch heute würden wie sie
bei einzelnen ihrer Lands- und Standesgenossinnen in geringerem
Masse entdecken können. Das ihr erteilte Lob der Schreib-
gewandtheit erleidet allerdings eine starke Einschränkung nach
der orthographischen Seite hin, wenn wir den von Streckeisen-
Moultou (Rousseau, ses amis et ses ennemis II, S. 450—452)
mitgeteilten Brief Theresens an ihren Geliebten in Betracht ziehen.
Sie schrieb darnach, in getreuer Umkehrung des Heyse'schen
Satzes, wie sie nicht richtig sprach, und Streckeisen-Moultou hat
sehr wohl gethan, jenem orthographischen Musterbriefe eine fran-
zösische Umschreibung nachfolgen zu lassen, da dieser sonst selbst
dem erprobtesten Entzifferungstalente unübersteigliche Schwierig-
keiten bereitet hätte. Aber ihr praktisches Geschick wird mit
Recht von Rousseau hervorgehoben, sie ist eine verständige,
sparsame Hausfrau gewesen, die auch späterhin, als der Gatte
dem Erwerbsschriftstellertum entsagt und in Notenkopieren seine
Haupteinnahmequelle hatte, mit den 1200 — 1400 fr. jährlichen
Einkommens sich wohl einrichtete. Wäre sie nur eine ebenso
gute Mutter gewesen! Aber, wenn wir auch der bestimmten
Versicherung Rousseau's, dass ihn allein die Schuld für die
Kinderaussetzung treffe, dass Therese der herzlosen Preisgebung
des Erstgeborenen Widerstand entgegengestellt habe, nicht die
3ehr verspätete und zweifelhafte Angabe der Gräfin Houdetot, die
Therese Levassevr, 181
das schlimmste Vergehen in Rousseau's Leben auf dessen Geliebte
abzuwälzen sucht (s. Musset- Pathay, a. a. 0. I, 211) gegenttber-
setzen dürfen, so geht doch auch aus den Confessions hervor,
dass Therese sich an den schrecklichen Gedanken schnell ge-
wöhnte und der noch leichtfertigeren Aussetzung der anderen
Kinder nicht widerstrebte. Die Gründe, welche Rousseau in
seinem Briefe an M°^® Francueil vom 20. April 1751 und a, 0.
für seine Handlungsweise anführt, lassen überdies Therese von
moralischer Schuld nicht frei, denn sie laufen in dem Haupt-
punkte zusammen, dass eine Erziehung im Findelhause noch
besser gewesen sei, als die der Mutter.
Die öfter auftauchende Angabe, Rousseau habe die Kinder
preisgegeben, weil er über seine Vaterschaft unsicher oder über
seine Nicht- Vaterschaft allzu sicher gewesen sei, ist als that-
sächliche Wahrheit nicht aufrecht zu erhalten, denn sie beruht
nur auf dem einseitigen und nicht unbedingt glaubwürdigen
Zeugnis seines Biographen Barruel, höchstens als Vermutung
können wir sie zur Verstärkung der von ihm selbst vorgeführten
Entschuldigungen gelten lassen. Denn wir glauben aus manchem
schliessen zu dürfen, dass Therese ihrem Geliebten nicht un-
bedingte Treue bewahrte. Der Vorfall auf der Reise nach Genf
(Sommer 1754) ist doch auffallend genug. Rousseau reiste mit
seinem Landsmanne Gauffecourt und mit Therese nach der Vater-
stadt. Auf der Fahrt soll nun der schon ältliche Gauffecourt
seine VerfUhrungskünste an der Levasseur versucht haben. Es
gibt freilich auch Sünder in grauen Haaren, aber gewöhnlich
haben sie dann mehr Schlauheit, als jener Schweizer, der fast
vor Rousseau^s Augen dessen Geliebte zu entehren suchte. Dass
Rousseau der Anklage und den Unschuldsversicherungen Theresens
glaubte, mag bei dem sinnlichen Zauber, den jenes Weib aus-
geübt zu haben scheint, begreiflich sein, aber unklarer bleibt es,
warum der schon damals zu Argwohn und Misstrauen Neigende
jenem verräterischen Freunde verzieh und ihn später (Jan. 1757)
sogar während seiner Krankheit in Paris besuchte! Ein be-
stimmter Beweis für Theresens Untreue bei Lebzeiten Rousseau's
lässt sich nicht erbringen, aus jenem Briefe vom 12. Aug. 1769,
in welchem er der eben erst zur Gattin Gemachten Trennung
vorschlägt, lässt sich ein sittlicher Verdacht gegen die Lebens-
gefährtin wohl folgern, aber man kann jenen Vorschlag auch mit
der verzweifelnden Stimmung des unglücklichen Mannes zusammen-
bringen, die sich schon ein Jahr früher aufs schärfste in dem Juni
1768 an sie gerichteten Schreiben ausspricht. Weder die relative
Schönheit noch das zunehmende Alter Theresens darf man gegen
diesen Verdachtgrund als Entlastung hervorheben, denn über ihre
i
182 -ß. Mahrenholiz,
äusseren Eigenschaften sind die Meinungen derer, die sie kannten,
geteilt, die Jahre aber sind beim Weibe so wenig ein unbedingter
Schutz der Tugend, wie beim Manne. Über die Vermutung, dass
Theresens Untreue noch Rousseau's letzte Monate in Ermenonville
verbittert habe, sprechen wir später, hier wollen wir nur kon-
statieren, dass ihre Untreue und Undankbarkeit gegen den Ge-
liebten keine zweifellose, aber auch keine nicht anzuzweifelnde
gewesen ist.
Ebenso lässt sich ihr Eigennutz sehr verschieden beurteilen.
Rousseau selbst ist der Ansicht gewesen, dass alle habgierigen
Absichten sowohl ihm selbst, wie seinen Gönnern und Gönnerinnen
gegenüber, von der alten Levasseur und mehr noch von deren
Pariser Anhange ausgingen. Darum suchte er den letzteren zu
isolieren, Hess die Mutter Theresens den Winter 1756/57 trotz
Diderot's Abmahnung in der kalten, rauhen Ermitage zubringen
und war erzürnt, als sie schliesslich durch Grimm' s materielle
Fürsorge in Paris festgehalten wurde. Wenigstens bestrebte er
sich dann, die Tochter von der Mutter zu trennen, Hess Therese
auf allen seinen unfreiwilligen Irrfahrten nachkommen, drängte
sie den englischen Gastgebern und vorher der Gesellschaft von
Mortmorency und den Bauern von Motiers auf und trennte sich
bis zum letzten Augenblicke nicht von ihr. Von ihrer Selbst-
losigkeit war er überzeugt und in der That, seit der Rückkehr
aus England hätte Therese nicht mehr viel gewinnen können.
Wohl mochten hier und da Trinkgelder reicher Damen ab-
fallen, die ihre Noten von Rousseau kopieren Hessen, um den
weltberühmten Sonderling sich einmal genau anzusehen, aber
auch diese Gaben überwachte der in Geldsachen besonders
empfindliche Argwohn Rousseau's. Aber sollte die Tochter einer
so habsüchtigen, berechnenden Mutter ganz aus deren Fusstapfen
getreten sein? Manches deutet darauf hin, dass beide gleichsehr
auf die Ausnutzung der vornehmen Gönnerinnen Rousseau's be-
dacht gewesen seien. Wenn die Marquise von Epinay plötzlich
jene Lebensmittel- und Unterkleidssendung für die FamiHe
Levasseur von Paris nach der Ermitage abgehen Hess, die dann
Rousseau's Missstimmung erregte, so können wir annehmen, dass
auch hinter dem Rücken des letzteren manche weniger gering-
fügige Gaben den beiden Frauen zugeflossen seien. Je mehr
Rousseau selbst sich auch über zarte Aufmerksamkeiten be-
unruhigte, wenn sie von materiellem Werte waren, desto mehr
mussten die Epinay und nicht minder seine Gönnerinnen in
Montmorency sie den Levasseur's zuzustecken suchen. Es wäre
die Annahme derselben nichts Unrechtes gewesen, denn was kam
Familien wie den Luxembourg's es auf solche Kleinigkeiten an?
Therese LevcLsseur, 183
Dass Theresens unzertrennliche Gegenwart Rousseau in
der Ermitage sowohl wie in Montmorency und in England ge-
schadet hat, ist kaum zu bezweifeln , aber der Plan Theresens,
ihn immer mehr von seinen Freunden zu trennen und ganz in
ihre Netze zu ziehen, ist weder nachweisbar noch wahrscheinlich.
Wie hätte es ihrem Interesse entsprochen, dem Geliebten jeden
Aufenthalt zu verleiden, ihn von Asyl zu Asyl zu treiben und
auf all diesen Irrfahrten zu begleiten? Vielmehr musste ihr ein
sorgenfreier, behaglicher Aufenthalt wie der in Mont-Louis und
Wootton mehr zusagen, als das ewige Mitwandern von Ort zu
Ort. Aber das Peinliche des Verhältnisses zu einer seiner un-
würdigen Person fiel auf Rousseau's gastliche Freunde zurück,
so viel sie sich auch bemühten, in Therese nur ein „Fräulein
Levasseur" und eine „Gouvernante" zu sehen. Nicht gerade an
der Unsittlichkeit des illegitimen Bundes, sondern an Theresens
Unbildung nahmen sie Anstoss! In England hatte selbst ein vor-
nehmer, einflussreicher Mann wie Hume Mühe genug, ehe er in
dem gutmütigen Davenport einen Mann fand, der der Konkubine
die Ehre der Hausfrau erweisen wollte. Direkt geschadet hat
Therese ihrem Geliebten nur während der etwa IY2 Jahre, die
er in der Ermitage zubrachte und hier war Eifersucht gegen die
Epinay und die Cousine, die Houdetot, die treibende Ursache.
Das Misstrauen gegen die edelmütige Gastgeberin hat sie durch
Verdächtigungen, wie die, dass die Epinay Rousseau's intime Briefe
ihr habe ablisten, ihn zum Ehren Wächter auf der Reise zu
Tronchin in Genf habe machen wollen, durch das aus der
Bedientenstube weitergetragene Gerede von der angeblichen
Schwangerschaft der Marquise immer von Neuem wachgerufen.
Mag auch jener hinterlistige Brief, der den Auserkorenen der
Houdetot, den in Deutschland als Offizier weilenden St.-Lambert
von Rousseau's Liebeleien mit dieser Dame unterrichtete, ein
Werk Grimm's gewesen sein, er war doch nur das getreue Echo
der Klatschereien und Übertreibungen von Theresens eifersüchtiger
Rache. Aber die Missgeschicke in Montmorency, Motiers und
Wootton sind scheinbar ohne Theresens Schuld herbeigeführt
worden. Von Montmorency vertrieb ihn des Pariser Parlaments
Vorgehen und seiner Gönner Kleinmut, von Motiers der Haes
der Pfaffen und Bauern gegen den Freigeist und Sonderling, von
Wootton seine schwarzsehende Phantasie. Es ist ein spät auf-
tauchender Weiberklatsch, dass Therese die Urheberin jenes
Stein-Bombardements in Motiers gewesen sei, das Rousseau für
seine persönliche Sicherheit besorgt machte, und nur zu bewundern
ist es, wie ein Gaberei (Rousseau et les Genevois, S. 51) und
ein Levallois (s. Streckeisen-Moultou, a. a. 0. I, S. XXXI) der-
184 R. Malirenholiz,
artiges als historische Thatsache ausgeben, ein Hettner es gläubig
wiederholen konnte. Auch an den Irrfahrten durch Frankreich
von Fleury bis Monquin, an der Abgeschiedenheit des Pariser
Aufenthaltes und an dem Missbehagen, das Rousseau sogar in
der Einsamkeit von Ermenonville empfunden haben soll, ist sie
schwerlich schuld gewesen. Teils die Bosheit anderer, teils
Rousseau's zunehmende Gemütsumdüsterung machte ihm Welt
und Menschen verhasst.
Es sind dies teils beglaubigte Thatsachen, teils begründete
Vermutungen, die eines Aufwandes von Quellenangaben nicht
bedürfen, eine nähere Erörterung muss aber der Frage gegeben
werden, ob Therese noch Rousseau's letzte Augenblicke durch
Untreue getrübt habe. Sie von der Schuld an Rousseau's an-
geblichem Selbstmord zu befreien, halten wir für überflüssig, da
wir nach Morin's und Jansen's eingehenden Beweisführungen
diesen Selbstmord in das Reich leichtfertigen Klatsches und
boshafter Lüge verweisen müssen. Bekanntlich hat man der
57jährigen Therese den Vorwurf aufgebürdet, sie habe in Erme-
nonville ein Liebesverhältnis mit einem gewissen Nicolas Montr6-
tont, Reitknecht, dann Kammerdiener des Marquis von Girardin,
begonnen, was zu Rousseau's Kenntnis gelangt sei, ihm den
Aufenthalt in seinem letzten Asyl verleidet und den Selbstmord-
gedanken eingegeben habe. Nun sieht es mit den Zeugnissen
für diese Liebschaft wie für die spätere angebliche Ehe mit
jenem Domestiken dürftig genug aus. Einem Brief des jüngeren
Girardin zufolge, der an Musset- Pathay gerichtet ist, hat jene
Liebelei erst einige Zeit nach Rousseau's Tode begonnen, nach
einer anderen Angabe, die der M™® de Sta61 von der Tochter
des Marquis de Girardin gemacht wurde, erst ein Jahr später.
Der ganze Klatsch von Theresens Untreue taucht zuerst in der
für solche Dinge sehr ergiebigen Correspondance litteraire
Grimmas auf ßd, Tourneux IX, 91, Juli 1770), dieselbe hand-
schriftliche Chronik spricht mehr als zehn Jahre später, im Ok-
tober 1780 (a. a, 0., XII, 443), von der bevorstehenden Ehe
Theresens mit Montr^tont, eine Sensationsnachricht, welche die
Memoires secretes de Bachaumont, die Hauptkloake des Pariser
Gesellschaftsklatsches, schon am 27. November 1779 ihren
Lesern mitzuteilen wussten (s. Morin, a. a. 0., S. 435).
Die zweite Ehe lässt sich auf solche Nachrichten hin nicht
als eingetretene Thatsache ansehen, freilich beweist das, was
Musset-Pathay (II, S. 198) und Morin (a. a, 0., S. 436; gegen
diese Beschuldigung sagen, auch nichts. Denn des ersteren
Einwand, jener Bediente hätte keinen Anlass zu einer Ehe mit
der armen (?) Wittwe gehabt, die nur auf den Namen ihres ersten
Th&bse Levdissewr. 185
Gatten hin sich Geld zusammenbetteln konnte, ist ebenso hin-
fällig wie Morin's Argumentation, Mirabeau würde dem Weibe
eines ehemaligen Reitknechtes keine Antwort auf ihren 1790 an
ihn gerichteten Bettelbrief erteilt, die Nationalversammlung ihr
nicht eine Pension bewilligt haben. Es bleibt dabei eben unklar,
ob man die zweite Ehe, ihre Wirklichkeit vorausgesetzt, gekannt,
ob man nicht auch in der Frau des Bedienten die Lebens-
gefährtin des Propheten der grossen Revolution geehrt hat, ob
Mirabeau und die Nationalversammlung sich durch sittliche Be-
denken von einem Beschluss hätten abschrecken lassen, der mehr
politische als humane Motive hatte. Besser bezeugt als die Ehe
ist das Konkubinat Theresens, das selbst Morin in sehr dehn-
baren Worten (a. a. 0., S. 441) zuzugeben scheint. Wie wenig
auch auf die Zeugnisse eines Meister, Bachaumont, des jüngeren
Girardin und seiner Schwester, die in Therese wahrscheinlich
die Verläumderin ihres Vaters zu hassen Grund hatten und anderer,
die mehr nachsprechen als mit eigenen Augen wahrnehmen konnfen,
zu geben ist, das alte Sprichwort: „Wo Rauch ist, da ist auch
Feuer" dürfte wohl hier zutreffen. Die siebenundfünfzig Jahre
Theresens sind für den Geschmack eines Reitknechtes kaum ein
Hindernis gewesen und ihre Sittenstrenge oder die Rücksicht
auf Rousseau's Andenken noch weniger. In dem oben erwähnten
Briefe des jüngeren Girardin an Musset-Pathay vermag ich nicht
mit Morin (a. a. 0., S. 432) einen Widerspruch zu entdecken.
Der Briefschreiber bestreitet nur, dass die Liebelei Theresens
Ursache zu Rousseau's Selbstmord hätte sein können, da sie
nach dem Tode des grossen Dulders stattgefunden habe, die
Liebelei gibt er zu, und wenn er auch die siebenundfünfzig Jahre
Theresens hier hervorhebt, so geschieht das nur, um der durch
M™® de Stagl (in ihrer Schrift: Lettres sur le caractere et les
ouvrages de Rousseau, 1788) weiter verbreiteten Legende eines
Selbstmordes des betrogenen Gatten im Hause seines Vaters aus
naheliegenden Familienrücksichten entgegenzutreten.
Es ist allerdings nicht ausgemacht, ob jenes skandalöse
Verhältnis Theresens dem Marquis von Girardin Anlass gegeben
hat, die Gattin seines Schützlings aus dem Hause zu weisen,
wahrscheinlich ist es sogar, dass die weiter unten zu erwähnenden
Streitigkeiten über Rousseau's Vermögen und Nachlass und
Theresens Verläumdungen gegen ihn, der Grund seines energischen
Vorgehens gewesen sind, aber sicher ist es, dass man von Seiten
der Girardin's an die Liebschaft mit dem ehemaligen Reitknechte
glaubte.
Wie wir in Theresens Brief an Rousseau's Freund Coranc^z
im Jahre 1798, der hauptsächlich ihren Gatten von dem Ver-
186 B. MahrenhoUz,
dachte des Selbstmordes entlasten sollte, lesen, habe der Marquis
von Girardin sich gleich nach seines Gastes Tode mit der Zu-
stimmung Theresens des vorhandenen Baarvermögens, der Manu-
skripte und sonstiger Gegenstände bemächtigt, diese in Genf
verkauft und die Witwe mit entwerteten Assignaten und einer
schwer einzuziehenden Leibrente abgefunden. Aber dieser Brief
ist ein Bettelbrief schlimmster Art, er sucht in unwürdigster
Weise das Mitleid und den Wohlthätigkeitssinn der Freunde und
Verehrer Rousseau's für die „fast 80jährige Witwe, die in einer
Baracke wohne und fast an allem Mangel leide ^ anzuflehen, ob-
wohl diese nach ihrem eigenen Zugeständnis doch jährlich
1500 fr. Pension von der französischen Nation und eine „massige
Leibrente^ bezog. ^) Wenn nun auch beide sehr unregelmässig
und unvollständig gezahlt sein mögen, wie denn die fünfte Jahres-
rente der Nationalsubvention damals noch ausgestanden haben
soll, so ist die Schilderung Theresens von ihrer materiellen Not
doch eine absichtlich übertreibende. Auch die Anklagen gegen
den Wohlthäter ihres Gatten können wir schwerlich als glaub-
würdig ansehen. Was sollte den nobeldenkenden, reichen Edel-
mann zu einer so unehrlichen Handlungsweise bestimmt haben,
auch wenn er die Zuneigung für Rousseau, wie sehr begreiflich,
nicht auf Therese übertrug? Warum hätte diese sich nicht über
ihn in ihrem Briefe an Mirabeau beklagt, bei dem sie doch nicht
nur sichere Abhilfe, sondern auch Rache gegen den verhassten
Edelmann gefunden hätte? Und aus Mirabeau's Antwort geht
ziemlich klar hervor, dass sie das nicht gethan hat!
Wenn also Therese sich dem Beschützer ihres Gatten
gegenüber als Verleumderin zeigt und wahrscheinlich die Ver-
treibung aus Ermenonville durch ihre Habgier und Anschuldigungs-
Bucht selbst herbeigeführt hat, so brauchen wir auch den un-
günstigen Nachrichten, die wir über ihr Verhalten nach Roiisseau's
Tode haben, kein so entschiedenes Nein entgegenzusetzen, wie
das ihr Apologet Morin thut.
Was uns Musset-Pathay nach dem Berichte von Augenzeugen
über ihre Trunksucht und Bettelei und ihr hässliches Benehmen
gegen eine alte Dienerin Rousseau's mitteilt (a. a. 0., II, S. 199)
wird schwerlich auf Erfindung beruhen. Die schlimmen Züge
ihres Charakters haben sich naturgemäss immer mehr entwickelt,
als der höherdenkende Sinn Rousseau's sie nicht mehr überwachen
konnte und als sie von jedem Verkehr mit der feineren Bildung
*) Ausserdem hatte sie durch den Ertrag der von du Peyrou und
Moultou veranstalteten Ausgabe der Werke Rousseau's — 24 000 fr.
gewonnen.
Therese Levfisseur.
187
ausgeschloBsen war. In einem moralisch gesunkenen Zustande
gewiss ist sie am 17. Juli 1801 zu Plessis-Belleville, einem
Dorfe bei Paris, gestorben, ob auch in so grosser Dürftigkeit,
wie sie glauben Hess, das müssen wir bezweifeln.
Von dem Vorwurfe, Rousseau's letzte Tage getrübt und
ihm den Aufenthalt in Ermenonville verbittert zu haben, können
wir sie grösstenteils entlasten. Wenn auch die selbstgeschmiedeten
Fesseln, die der Gatte einer Levasseur trug, ihm die Welt noch
mehr zum Kerker machten, als seine schwarzsehende Phantasie
es ohnehin that, so ist doch der in Theresens Brief an Coranc^z
erwähnte Wunsch Rousseau's, Ermenonville zu verlassen, kaum
durch ihre Untreue oder direkte Schuld veranlasst worden. Viel-
leicht ist er nur eine Erfindung Theresens, um Girardin noch
mehr zu verdächtigen und Coranc^z schenkte ihm allzuviel
Glauben, weil das seiner Antipathie gegen den Gastgeber Rous-
seau's und seiner Annahme eines Selbstmordes des unglücklichen
Freundes zu Statten kam.
Vielfach erinnert der Bund Rousseau's mit Therese an die
mehr als zehnjährige Leidenszeit, die Moli^re in den Fesseln
Armande's durchzukosten hatte. Beider Lebensglttck hat ein
übereilter Schritt schlimm getrübt, die Gattin des grossen Dichters
aber erscheint noch schuldiger, als die des Philosophen. Die
gefeierte Komödiantin hat jedoch eifrige Verteidiger gefunden,
auch als sie einen rohen Menschen zum Nachfolger ihres ersten
Gemahls erkor, für Therese, deren Schuld durch ihre Unbildung
und durch Rousseau's schwer erträgliche Eigentümlichkeiten ge-
mildert wird, ist nur ein Ritter, der edle, aber unbedachte Morin,
in die Schranken getreten.
R. Mahrenholtz.
La Correspondance de Saiiite-Beuve.
i.
Apr^s la mort de Sainte-Beuve (13 octobre 1869), son
secrötaire, M. Jules Troubat, a publik toute une s^rie de volumes,
qui renferment beaucoup de pages excellentea, 6crites par le
mattre; elles m^ritaient bien d'^tre recueillies et mises au jour;
et touB ceux qui en lisant les onvrages de l'^mment eritique,
avaient appris k raimer, doivent ^tre reconnaissants k T^diteiir.
J'6num6re ces publications dans leur ordre chronologique :
Souvenirs et indiscriUons , le dtner du Vendredi- Saint y par
Sainte-Beuve, publi^s par son dernier secretaire. Paris, lib.
Levy, 1872. 354 pages.
Lettres ä la princesse [Mathilde] par Sainte - Beuve. Paris,
lib. L6vy, 1873. 367 pages. — Ces lettres et billets sont au
nombre de 263.
Premiers lundis. Paris, lib. L6vy. Tome premier, 1874.
VII et 425 pages. Tome second, 1874. 427 pages. Tome
troisifeme, 1875. 416 pages.
lues cahiers de Sainte -Beuve, suivis de quelques pages de
litter ature antique, Paris, lib. Lemerre, 1876. 211 pages.
Chroniques parisiennes, par Sainte-Beuve. Paris, lib. Levy,
1876. 348 pages. ^
Correspondance de Sainte-Beuve, Paris, lib. Calmann L6vy.
Premier volume, 1877. 378 pages. Second volume, 1878,
404 pages.
NouveUe correspondance de Sainte-Beuve. Paris, lib. Cal-
mann L6vy, 1880. 442 pages.
Le Clou cCor, la Pendule, avec une pr6face de M. Jules
Troubat. Paris, lib. Calmann L6vy, 1880. VIII et 90 pages.
£. Ritter, La Correspondance de Sainte-Beuve. 189
Ces quatre derniers volumes me paraissent leg plus re-
marquables de cette petite collection.^) Parmi les lettres que
Saiote-Beuve a 6crites, il y en a un certain nombre qui sont
tr^s interessantes, oü Ton retrouve son esprit judicienx et net,
le tour naturel et familier d'une agr6able causerie. L'ensemble
des petits billets qui les aecompagnent, et qui ont paru insigni-
fiants k quelques critiques, — cet ensemble donne aux hommes
qui ne sont pas m^i^s k la grande actiyit6 litt6raire, aux lecteurs
Bolitaires et aux jeunes 6tudiant8 de la province et de T^tranger,
une id6e juste et pr^cise du mouvement quotidien, du tous-les-
jours du cabinet de travail d'un ecrivain parisien. Ceux qui
sont eux-m^mes au centre de ce mouvement n'ont pas besoin
qu'on le leur d^crive on qu'on le remette sous leurs yeux. Mais
partout ailleurs q\x*k Paris, on appr6ciera, j'en suis assur6, le
tableau anim6 et vivant que pr^sentent ces volumes, oü vient se
peindre aü regard un des coins de Tatelier intellectuel de la
France.
Le Premier volume de la Correspondance contient 288 lettres,
^chelonnees du 6 mal 1822 an 13 avril 1865. Le second lui
fait suite, et contient 333 lettres, qui vont du 4 mai 1865 au
11 octobre 1869. Le troisi^me volume est un Supplement publik
plus tard, et contient 350 lettres, dat^es de 1818 k septembre
1869. Les Lettres ä la pnncesse [Mathilde] avaient 6t6 publikes
les premi^res; si elles ^taient faites pour piquer en 1873, au
lendemain de la chüte de FEmpire, la curiositä du jour, elles le
cfedent k toutes les autres- en intör^t durable. Enfin le Clou d'or
contient nne douzaine de lettres d'amour et notes intimes, que
Sainte-Beuve 6crivit dans sa quaranti^me annee. Elles prennent
place parmi les t6moignages les plus p6n6trant6 et sinc^res, et
qui ouvrent le plus de jour sur la vie de Sainte-Beuve. Ailleurs
il parait etre un pur esprit; son ccBur d'homme parle ici, comme
il a fait encore en d'autres occasions de sa vie.
On n'a pas de lettres de lui, datant de T^poque oü il ^tait,
dit-il, arr^t6 dans le monde de Hugo par Teffet d'un charme;
on n'a pas non plus de ces lettres de chaque jour dont parle
Amaury dans le roman de VoluptS: „D6s mon lever, j'^crivais
pour madame R. une lettre k la Saint -Preux, que moi-m^me je
lui remettais plus tard; et quoiqu'il n'y eüt aucune difficult6 de
nous voir ni de causer, j'avais plaisir k ne lui rien laisser perdre
1) La Beule lacune que je voie k relever est un article de la
Revue des deiix mondes du 1*' octobre 1834, qui relate un des ^pisodes
de la qnerelle k laquelle doona lieu Tarticle de Sainte-Beuve sur
Ballancfae; il y faut joindre la lettre* de M. Coessin, publice dans la
Revue des deux mondes du 30 juin 1835.
190 E, Bitter,
du frais butin que j^amassais dans la courte absence, et de toutes
ees perles foUes que secoae, en le voulant, une imagination
amoureuse.^ — Gp. Ze« Lettres brüUes, dans les PoSsies de
Sainte-Beuve (I, 223, Edition de 1861).
On n'a qae deux lettres de lui, qui se rejoignent aux
po^sies qn'il a group^es sous le titre de: ün dernier reoe, k la
fin du volume qui contient les Consolations et les Pensees d!aoüt,
et qui fut publik en 1863 k la librairie Michel L6vy.
II fut court, dit Sainte-Beuve de ce dernier rßve: il a com-
inenc^ sur le plus vague et le plus tendre nuage de la po^sie: 11
a fini au plus aride et au plus d^sol^ du d^sert ä Jamals lUimltä
du cceur.
Au dedans tout, rien au dehors. Voici les seuls vestiges: on
les a r^unis,' m^me les moindres, comme on enfermerait quelques
feuilles, quelques fleurs brisdes, dans une urne.
Dichtung und Wahrheit! tout est vrai et tout est
po6tique dans ce petit roman, qui eut une si prompte fin. II
faut lire dans la Correspondance (I, 110) la lettre d'octobre 1840,
adress6e au g^n^ral *** [Pelletier], et en rapprocher un fragment
de lettre, cit6 par M. Rambert dans sa notice sur Juste Olivier:^)
Sainte-Beuve avait voulu se marier, dit M. Rambert; il
arait aim6, il avait esp6r6, il avait brigu^ et obtenu la place de
biblioth^caire k la Mazarine^) afin d'avoir une position et de
pouvoir faire sa demande en mariage ; — et il avait vu son reve
empörte.
La douleur que j'en al ^prouväe, ^erit Sainte-Beuve ä Oll vier
(1*' septembre 1840) et que j'en ^prouve est inexprimable ; Imaglnez
que j'y suis retourn^ malgr^ moi des le surlendemain du refus;
jy retournerai, qui sait? ce solr meme . . . Ainsi, eher ami, au
moment oü vous 6tes Inquiet ou heureux (les Olivier attendaient
une augmentation de famille) je ne suis plus nl Tun nl l'autre,
mais abattu net. J'ai err^ ces trois jours durant, comme un chien
sous le solell : haeret lateri letkalis arundo,
Le Clou ^or eommence par quelques pages que Sainte-
Beuve paratt avoir jet6es sur le papier un jour oü l'id^e lui
6tait venue d'6crire une nouvelle. (On en a deux de lui: Madame
de Pontivy et Christel; on sait que ces deux morceaux ont et^
plac6s k la suite des Portraits de femmes). Sainte - Benve ne fit
qu'esquisser le commencement de sa nouvelle, et cette ^bauche
inachev^e 6tait rest^e dans ses papiers. M. Troubat l'y a prise,
1) Bibliotheque universelle, 1877 (LIX, 101). Cette notice a €t€
r^imprim^e en t^te des (Euvres chmsies de Juste Olivler, Lausanne, Hb.
Bridel, 1879.
^ G'est le 8 aoüt 1840 que par ordonnance royale, M. Sainte-
Beuve fut nomm^ conservateur k la Bibliotheque Mazarine, en rem-
placement de M. Naudet, promu ä d'autres fonctions.
La Correspondance de Sainie-Beuve, 191
pöur la placer comme en avant-propos k la t^te de douze lettres
et notes intimes, 6crites de juiilet k octobre 1844: lettres que
Sainte-Beuve n'avait pas envoyees, ou dont il avait gard6 la
minute; notes intimes ecrites par lui vers le meme temps.
La correspondante k laquelle Sainte-Beuve ^crivait^ n'est
pas nomm6e; mais il me semble que e'est eile qu'il a en vue
daus une lettre du 21 mai 1856:
Lyon est une ville oü je suis all^ souvent: les deuz derniäres
fois qiie j*y suis all^, ä peu de mois de distance, c'^tait pour y
voir madame * * *, malade de la maladie dont eile devait mourir,
et ma nieilleure amie alors, mais une amie qui n'a pas su Tßtre,
h^las ! comme il le faut au coeur pour qu'il soit entierement rempli
et satisfait, — heureux d'un plein bonheur, — puie uniquement
d^sold. J'avais d^jä pass^ l'äge de ces bonheurs qu*on ne mdrite
jamais, mais qu'on obtient sous le rayon de la jeunesse. Que
sera-ce depuis? (Correspondance I, 215.)
Les douze lettres ou notes intimes du Clou d'or ont 6t^
6crites, je Tai dit, en 1844. La derniöre lettre en effet est
datee du samedi 26 octobre. Or dans les annöes oü ces lettres
peuvent 8tre plac6es, le 26 octobre n'a 6t6 un samedi qu'en
1839, 1844 et 1850. En 1850, Sainte-Beuve, abso;:b6 par son
travail hebdomadaire des Causeries du lundi, ne pouvait plus etre
rhomme de loisir que nous montrent ces lettres; 11 ne s'appar-
tenait plus, il 6tait tout k sa täche. En 1839, Sainte-Beuve, qui
n'^tait pas encore acad^micien ni biblioth^caire k la Mazarine,
n'aurait pas pu 6crire:
Chöre madame, je viens vous demander vos ordres pour jeudi;
je dois etre ce jour lä ä l'Acad^mie, depuis deux heures et demie
jusqu'ä quatre heures et demie. Le reste des heures sera trop
honor^ d'une minute passive ä vous voir.
En octobre 1844, Sainte-Beuve avait d6jä, ^t6 nomm6
(14 mars 1844) membre de TAcad^mie fran9aise, mais n'avait
pas encore pris seance et prononc6 son discours de r^ceptiou,
ce qui n'eut lieu que le 27 f^vrier 1845; mais il est naturel de
le voir remplir un devoir professionnel en se trouvant k son
poste de biblioth^caire pendant la seance acad6mique: c'est un
moment que les membres de Flnstitut utilisent volontiers pour
leurs recherches dans la belle biblioth^que Mazarine. Voir par
exemple ce que dit Sainte-Beuve lui-m^me dans le demier
paragraphe de ses articles snr M. Biot; il y semble parier d'apr^s
ses propres Souvenirs de biblioth6caire :
M. Biot ^tait et demeura jusqu'ä la fin un liseur infatigable;
on ne se fait pas id^e de la quantit^ de livres de toutes sortes
qu'il essayait, et que quelquefois il d^vorait d'un bout ä Tautre.
La Biblioth^que de Tlnstitut avait peine ä suffire ä. sa consom-
mation de chaque semaine. II n'avait gudres de patience dans ses
prompts d^sirs de lecture, et aurait voulu Stre servi aussitdt.
192 E, Ritter,
Cette date stabile de 1844 permet de classer les lettres
et notes du Clou äor dans an ordre diff^rent de celui que
M. Troubat a adopt^.
1. Note confidentielle, dat6e: Ce 2 juillet (VIII, page 49).
2. Autre note confidentielle, dat^e: Ce 9 juillet (X, page 57).
3. Lettre, dat6e: Ce 12 juillet (XI, page 61).
4. Note, fragment de Journal intime (III, page 21).
5. Lettre sans date (IX, page 55).
6. Lettre dat6e: Ce dimanche 25 [aoüt 1844] (IV, page 23):
Je suis revenu hier de C***, dit Sainte-Beuve, oü j'ai pasB^
huit jours en tßte ä tßte de madame de B ... et du chancelier,
et fort agräablement ; j'ai beaucoup caus^ du temps pass^, et il n'a
tenu qu'ä eux de me prendre pour un de leurs contemporains.^)
7. Lettre dat^e: Ce 3 [septembre 1844]. Cette lettre
(I, page 11) est postörieure au söjour de Sainte-Beuve
k Chätenay.
8. Lettre sans date (V, page 31).
9. Lettre dat6e: Ce vendredi 20 [septembre 1844] (VIII,
page 41).
10. Lettre dat6e: Ce samedi (II, page 15).
11. Lettre dans date (VI, page 37).
12. Lettre dat^e: samedi 26 oetobre (XII, page 65).
Le manuscrit se composait de feuilles volantes; le classe-
ment que je soumets aux lecteurs de ce joli petit volume, me
paratt tr^s assur^ pour la plupart de ces notes et lettres; j'ai
pu me tromper pour quelques-unes. Le lettres qui datent de ces
memes mois, dans la Correspondance g6n6rale, offrent k quelques
endroits comme un reflet de la crise que traversait Sainte-Beuve :
(A madame Vertel, 10 juillet 1844.) Je suis fort abattu depuis
bien des jours, et en proie ä une anxi^tö qui m'öte tout ressort.
(A M. Charles Eynard, 2 aoüt 1844.) Plus la vie avance, plus
on se disperse, chacun s'asseyant sur quelque borne de la route
par fatigue, et le chemin est ainsi sem^. — Vous ßtes ^chouä lä
bas sur un bien beau et doux rivage; je ne Tai qu'entrevu; mais
il me semble que ce s^jour doit apaiser Täme quand eile ne porte
pas en eile de ces blessures incurables. Vous avez d'ailleurs le
grand remede, eher monsieur: le soleil de ces beaux lieux doit
vous en §tre plus bienfaisant. Je suis aussi, de mon cötä, vieillis-
sant et laborieux . . .
*) Le chancelier Pasquier avait 77 ans, et madame de Boigne,
qui poss^dait une villa ä Chätenay pres de Sceaux, en avait 64. La
comtesse de Boigne, fille du marquis d'Osmond, avait ^pous^ en .1798
le comte de Boigne. „Un nuage, dit Sainte-Beuve, a toujours d^robä
les causes qui amenerent (en 1804) la Separation des äpoiix. Jeune,
jolie, irr^prochable, la comtesse de Boigne tint avec distinction le salon
de son päre. Elle eut le sien sous la Restauration, Louis-Philippe et
Napoleon III.*^
La Correspondance de Sainie-Beuve. 193
n.
Dans la correspondance de Sainte-Beuve comme dans toutes
Celles des hommes c61^bres, les lettres augmentent en nombre
quand on approche de la fin. II faut ^tre Tami d'un jeune
6crivain pour garder soigneusement ses lettres; mals qaand le
talent d'un autenr lui assure de longs succ^s, sa renommäe
s'affermit et s'^tend par le senl effet de la dar6e, et le moment
vient oü chacun sait dans le public qne ses lettres sont des
autographes: on les garde, on en fait collection; et teile personne
tient dejä, sa Hasse prete pour le moment oü l'edlteur de la cor-
respondance la lui demandera.
Les lettres et billets de Sainte-Beuve, que M. Troubat a
publi^s, sont au nombre de plus de douze cents. Depuis la
premifere lettre conservee, qui fut 6crite par Sainte-Beuve peu de
jours apr^s son arriv6e k Paris, k la fin de sa quatorzi^me ann6e,
jusqu'4 sa reception k TAcadömie frangaise, on n'a que 145 lettres
en 26 ans ; pour les huit derni6res ann6es de sa vie, depuis que
M. Troubat est devenu son secretaire (octobre 1861) on a plus
de six Cents lettres. II ne faut pas sc plaindre de cette abon-
dance; il faut au contraire en remercier M. Jules Troubat.
On sait en quels termes le mattre a parl6 de lui, dans une note
sur ses secrätaires, oü apres avoir esquiss6 en quelques traits
de plume le portrait de tons ceox qui se sont succ6d6 aupr^s
de lui: MM. Dourdain, Oger, Lacaussade, Octave Lacroix, Pens,
il termine en disant:
II ne me reste plus qu*ä parier, en le remerciant, de mon
secretaire actuel, M. Jules Troubat, de Montpellier, qui est si prös
de moi en ce moment que la modestie m'empSche presque de le
louer comme il conviendrait et en toute libertä. Plein de feu,
d'ardeur, d'une äme affectueuse et amicale, unissant ä un fonds
d*instruction solide les goüts les plus divers, ceux de Vart, de la
curiosite et de la r^alit^, 11 semble ne vouloir faire usage de
toutes ces facultas que pour en mieux servir ses amis; il se trans-
forme et se confond, pour ainsi dire, en eux; et ce sont eux les
Premiers qui, de leur cötö, sont obligds de lui rappeler qu*il y a
aussi une propri^tö intellectuelle qu'il faut savoir s'assurer ä temps
par quelque travail personnel; il est naturellem ent si liberal et
prodigue de lui-m^me envers les autres, qu'on peut sans incon-
vänient lui conseiller de commencer un peu ä songer ä lui, de
penser k se r^server une part qui lui soit propre, et, en concen-
trant ses ^tudes sur un point, de se faire la place qu'il m^rite
d*obtenir un jour. J'espöre toutefois et nonobstant ce conseil, le
garder encore longtemps (27 mars 1865).
M. Troubat a publik quelques recueils de po6sies et d'articles
de critique: Plume et pinceauy 6tudes de litt^ratnre et d'art,
Paris, lib. Liseux, 1878. — Le Blasen de la Eivolutiony PariS;
ZBOhr. t fin. Spr. u. Litt. Xli. ^q
194 E. Ritter,
libr. Lemerre, 1883. — Notes et penfSes, Paris, libr. Sauvaitre,
1888. — Petits itSs de la cinquantainej Paris, lib. Lemerre, 1885.
Seconde Edition, 1886. — Je citerai de ce dernier livre un
sonnet: La montre de Samte -Beuve. Les dames de Lausanne
avaient fait präsent d'une montre k l'iilustre professeur, k la
cloture du cours sur Port-Royal qu'il avait fait k rAcadömie de
Lausanne (1837 — 1838). Le sonnet est dat6 du* 13 octobre 1884,
quinzi^me anniversaire de la mort de Sainte - Beuve. II faut
rappeler qu'apres cette mort qui 6tait une catastrophe pour
M. Troubat, puisqu'elle supprimait le poste agröable oü il avait
pass6 d'heureuses ann^es, et avant de trouver k Compi6gne une
place de biblioth6caire qu'il appelait „un canonieat litt6raire^
et qu'il vient d'6changer contre un poste du mSme genre k Paris,
M. Jules Troubat a travail]6 longtemps dans les bureaux des
grandes librairies L6vy et Dentu:
Voici däjä quinze ans que Sainte-Beuve est mort!
Certes, la France a vu, depuis, plus grand naufrage;
Mais, l'oeil toajours fix^ sur la derni^re page,
Je fus apres huit ans arrachä de mon port.
De L^vy chez Dentu pasaant au gr^ du sort,
A des maitres nouveauz faisant nouveau visage,
Me sentant chaque fois un peu plus hors d'usage,
— Tout präs de moi, quelqu^un a gard^ son ressort:
ün Souvenir vivant que Geneve a vu naltre,
Sur qui plus de trente ans se porta Tceil du maitre,
Dont rien n'a ralenti la marche ni Tessor.
La montre oü je regarde Theure fut la sienne!
— Et le jour, qui me frappe ä travers la persienne,
Fait au cadran d'argent briller Paiguille d*or.
La correspondance de Sainte-Beuve ne pouvait pas trouver
un ^diteur plus comp^tent que M. Troubat, plus au courant de
toutes choses; il avait recueilli la tradition k sa source; il avait
6crit lui-meme, sous la dict6e de Sainte-Beuve, beaucoup des
lettres que les destinataires lui ont remises plus tard, ou dont
il avait eu soin de prendre copie avant de les envoyer. Sur
quelques points cependant, son attention a 6t6 en d6faut, comme
on le verra par les notes qui suivent.
Correspondance de Sainte-Beuve. Premier volnme. 1877.
Page 19. Lettre VIII, k Alexandre Dumas. 11 d6cembre
[1830?J. II faut effacer le point d'interrogation. Le drame de
Dumas, NapoUon Bonaparte ^ que Sainte-Beuve tenait k voir
avant son depart, eut sa premiöre repr^sentation , k l'Od^on, le
10 Jan vier 1831.
La Correspondance de Sainie-Beuve. 1)05
Page 20. Lettre X, ä la R^daction du Semeur^ pour M.
Alexandre Vinet. Cette lettre, que i'^diteur a dat^e de 1832^
se rapporte aax articles que Vinet a publi^s dans le 8emeur des
13 et 20 aoüt 1834, sur le roman de Volupte.
Pages 31 et '33: Les Lettres XVI, k madame la comtesse
Christine de Fontanes, et XVII, k M. Auguste Sauvage, sont
interverties. Sainte - Beuve, dans T^tö de 1837, avait fait un
B^jour k Aigle, dans la valli6e du haut Rhdne, chez M. Juste
Olivier;^) k son retour, il passa k Genöve, d'oii il ^crivit k
M. Sauvage le 15 aoüt 1837; k Lyon ensuite; et la date de sa
lettre k madame de Fontanes: Lyon, le 26, doit ^tre compl6t6e
ainsi: [aoüt 1837]. II revint ensuite k Paris, d^oü il 6criyit k
madame de Fontanes une seconde lettre, le 7 septembre 1837.
Page 114. Un billet date: Ce 3 aoüt, lundi est donn^
dan^ une note. Pendant les annees oü Sainte-Beuve a ^t6 eonser-
vateur de la Mazarine, le 3 aoüt n^est tomb6 sur un lundi qu'en
1846: cela 6tablit la date du billet.^) M. T., dont il y est parl6,
doit §tre M. Ars6ne Thi6baut de Berneaud, biblioth^caire.
Page 126. Lettre LXXXVU, k M. de Montlaur. Elle est
dat^e simplement: ce 15, et doit §tre du 15 septembre 1844.
L'annonce des Esmis litteraires de M. de Montlaur a paru dans
le Journal de la lihrairie du 3 aoüt 1844; et Tarticle de Sainte-
Beuve sur Leopard!, oü se trouve cit6 un vers de M. de Montlaur,
a paru justement le 15 septembre 1844.
Page 132. Lettre XCII, k M. Edouard Turquety. La
date que Sainte-Beuve avait mise k cette lettre, 6tait simplement :
Ce 18; et l'^diteur y a ajoutö: [1845 ou 1846]. Mais la lettre
est de 1846, puisqu'elle doit etre post^rieure k i'article oü Sainte-
Beuve, dans la Revue des deux mondes du 1®' mai 1846, a rendu
„les devoirs litteraires supremes^ k son ami Charles Labitte,
mort le 19 septembre 1845.
Page 171. Lettre CXXI, k M. Tb. Lacordaire, La date
que Sainte-Beuve avait mise k cette lettre, 6tait simplement:
^) Juste Olivier a parl^ de ce säjoar dans un article de la
Biblioiheque Universelle de Lausanne, qui a €i€ reproduit dans le premier
volume de ses Giluvres, Lausanne, 1879.
2) Pour ces döterminations de dates, un opuscule träs utile est
le Kiüendarium zur Auffindung der Wochentage aller historischen Daten
der christliclwn Zeitrechnung, von Carl August Kesselmeyer aus Man-
chester. Preis: 10 Neugroschen, Im Selbstverlag des Verfassers. Zu
beziehen durch alle deutschen Buchhandlungen. — En six pages bien
remplies, Tauteur a donn^ trös clairement toutes les explications n6-
cessaires. En un instant, au moyen des chiffres du tableau qui figure
a la page 3, on trouve le jour de la semaine qui correspond ä une
date quelconque de T^re chr^tienne (ancien et nouveau style).
18*
196 E. Ritter,
Paris, le 28 f^vrier; et Föditeur a ajout^ le millösime: [1851],
Mais la lettre doit 5tre du 28 f6vrier 1850, quelques mois aprös
le commencement des Causeries du Lundi (1®' octobre 1849) et
deux mois apr^s Tarticle sur le p^re Lacordaire (31 d^cembre 1849).
Page 314. Lettre CCXLV, k M. Paul Chiron. Elle est
dat6e simplemeut: Ce dimanche 8; et eile se rapporte k des
articles qui ont paru en mars 1863. Le 8 mars 1863 6tait uu
dimanche : la lettre est donc du mois de mars ; et eile aurait du
§tre plac6e quelques pages plus haut, avant les lettres dat6es
du mois d'avril.
Page 338. Lettre CCLXV, k M. Camille Doucet. Cette
lettre, qui est dat6e simplemeut: Ce 24 mai, ne devait pas ^tre
class6e parmi celies de 1864. Sainte-Beuve y parle de la Belle
Hiltne^ dont la premi6re repr^sentation n'eut Heu que le 17 d6-
cembre 1864; — d'un rapport k faire au S6nat, et il ne fut
nomm6 sänateur que le 28 avril 1865. Le rapport en question
(Premiers LundiSy III, tout k la fin) est du 21 juin 1865 ; et la
lettre, par cons6quent, du 24 mai 1865.
Page 361. Lettre CCLXXXVU, k M. de Riancey. Sainte-
Beuve Ty remercie d'un article oü il avait parl6 avec 61oges
de son Discours sur les prix de vertu, qui fut prononc6 k
rAcad6mie franQaise le 3 aoüt 1865. Le mot aoüt, qui 6tait
dans la date de la lettre, a 6t6 lu avril: c'est une confusion
qui se produit quelquefois.^)
Honvelle Correspondanoe de Sainte-Benve. 1880.
Page 24. Lettre XII, k madame P61egrin. Elle est dat6e:
Ce jeudi, 16 (1834). Lisez: Ce jeudi, 16 [octobre 1834].
Page 59. Lettre XXXII, k M. de Chaudesaigues. Cette
lettre est sans date, et T^diteur Ta dat^e de 1839. Elle com-
mence ainsi: „Mon eher Chaudesaigues, j'avais k vous remercier
d^s Lausanne, de Tarticle que j'y ai lu, et dans lequel, etc.^ Cet
article a paru dans la Eevue de Paris de mai 1838; et Sainte-
Beuve, qui rentra ä Paris k la fin du printemps, n'attendit pas
sans doute Tann^e suivante, 1839, pour 6crire cette lettre de
remerciement.
Page 125. Lettre LXXIX, k M. Jules Janin. Elle est dat6e:
ce lundi 29 (1850 ou 1851). Elle doit gtre du lundi 29 avril
1850; eile annonce Tarticle que Sainte-Beuve fit parattre le lundi
13 mai 1850 sur la Religieuse de Toulouse, par M. Jules Janin.
1) Je n*ai pas trouvö de remarques ä. faire sur le second 'volume
de la Correspondance, qui comprend les lettres ^crites pendant les
derni^res annäes du secrätariat de M. Troubat. L'^diteur dtait lä sur
Qon terrain, et il a travaillä avec plus de süret^.
La Correspondance de Sainte-Beuve. 197
Page 142. Lettre XCV, k M. Poulet- Malassis. Elle est
dat6e du 23 fövrier 1857; mais Sainte-Beuve y cite son article
sur Fanny, lequel a paru le 14 juin 1858. Cette lettre est
Sans doute du 23 fövrier 1859, du m^ine jour que la lettre k
Charles Baudelaire (meme volume, page 153) oü il est question
de deux articles de M. Babou. Dans le premier (Äthenaeum du
9 juin 1855) il est parl6 d'une notice de M. de Barante sur
madame d'Arbouville, qui figure en tete des (Euvres de celle-ci;
et Sainte-Beuve 6crit k ce propos k Baudelaire:
II [Mt Babou] m'a ddjä attaquä une fois dans VMh^naeum,
ä propos de la meüleure amie que j'eusse, madame d'Arbouyille ;^)
et parlant d'un portrait de cette charmante et re^rettable femme
qu^avait fait M. de Barante, et qui est la nullit^ mdme, il a
d^clard ce portrait bien sup^rieur k celui que j'eusse fait, que
j'aurais pu faire, si j'en eusse fait un.
II est piquant de rapprocher ce jugement s6v6re de Sainte-
Beuve sur le Portrait de madame d'Arbouville par M. de Barante,
des 61oges que M. de R^musat a cru devoir donner k ce m§me
morceau, dans un article de la Revue des deux mondes, du
V^ f^vrier 1856:
Dans une courte notice, M. de Barante a dit, avec une
justesse exquise et une simplicit^ touchante, tout ce qu'il
^tait n^cessaire d'apprendre au public sur celle dont on rdunissait
les Oeuvres pour lui. 11 serait impossible de faire aussi bien,
tdmdraire peut-Stre de faire autrement.
Page 266. On lit dans une lettre de Sainte-Beuve au
r6dacteur de YEvSnement, k propos de quelque personne de sa
maison qui 6tait fiöre de voir son nom dans le Journal:
,,Et mon valet de chambre est mis dans la gazette! a dit
le po6te de la Märomanie.^ Mais pardon: c'est Alceste qui le
dit, dans la demiöre sc6ne du troisi^me acte du Misanthrope.
*) Madame d*Arbouville est morte k Lyon, le 22 mars 1850^
M. Othenin d'Haussonville, dans son interessante biographie de Sainte
Beuvo, a parl^ avec beaucoup de röserve de Tattachement que Täminent
^crivain eut pour eile. On peut se demander si ce n'est pas k eile
qu'^taient adress^es les lettres du Clou d^or. Dans l'^t^ de 1844,
madame d'Arbouville avait trente-trois ans. Elle ötait Tarriöre petite-
fille de madame de Houdetot. L'amie de Jean-Jacques Rousseau avait
eu un fils, n^ le 12 juillet 1749, qui eut deux femmes, la seconde des-
quelles, Josäphine - Constance Cdrö, qu'il öpousa ä Tlle- de - France, le
14 f^vrier 1784, lui donna douze enfants: entre autres une fille, marine
en 1809 au baron de Bazancourt, g^ndral de brigade. Avant son
mariage, mademoiselle de Bazancourt avait v^cu dix ans aupr^s de sa
grand'm^re, la comtesse de Houdetot, qui l'avait comme adopt^e, Ba
fille Sophie de Bazancourt ^pousa en 1892 Mi d'Arbpuville,
198 E, Ritter,
in.
Dans les lettres des derni^res ann^es de Sainte-Benve, on
recneille avec int6r8t et avec qnelque surprise le timoignage de
sentiments favorables k rAllemagne. La science allemande 6tait
^trang^re k Sainte-Beuve ; les critiques et les philologues alle-
mands n'avaient pas 6t6 ses maitres; sa culture intellectnelle
^tait toute frangaise, tonte parisienne; et jusqu'ä an moment tr^s
avanc^ de sa carri^re, on ne rencontre chez lui que de T^loigne-
ment pour tont ce qui 6tait germanique. On sonrit en lisant ce
que Tancien collaborateur du Glohe, l'ami d'Ampöre et de Jules
Mohl, et qui 6tait lui-m^me un des esprits les plus ouverts du
brillant Paris d'alors, ^crivait dans la Eevue des deux mondes
du 1«' janvier 1836:
L'Allemagne convenait peu ä M. Villemain; 11 n*a pas mal
fait de l'ignorer, ou du moins de ne la savoir que par oui-dire:
les questions, sur ce terrain mouvant, sout peu commodes a aborder;
on se perd dans des restes de For§t-Noire. L'esprit net et concis
du grand professeur j räpugnait et avec raison.^)
II faut suivre dans leur ordre chronologique les passages
qui se rapportent k TAllemagne: je les ai glanes ^k et \k dans
les (Buvres et la correspondance de T^minent eritique; k vrai
dire, je ne crois pas les avoir tous röunis. — Je commence par
une note sans dato, qui a du 8tre 6crite aux environs de 1848:
II y a des langues et des litt^ratures ouvertes de toutes
parts, et non circonscrites , auxquelles je ne me figure pas qu'on
puisse appliquer ie mot de classique;^) je ne me figure pas qu'on
dise les classiques allemands (Les cahiers de Sainte-Beuve, p. 108).
(Lettre ä M. Nicolas Martin, du 6 juillet 1856.) Mon eher
1) Les premiferes pages de l'article du 12 mars 1832 sur les
Lettres ^crites de Paris de L. Boerne (article recneilli dans les Premiers
Lundis, II) sont pires encore. Mais dans cet article .politique, Sainte-
Beuve n'^tait que Töcho de ce qu'on pensait de TAllemagne dans le
monde de la presse parisienne.
3) On peut rapprocher de cette pensöe une remarque analogue
de M. Gournot dans ses Considdrations sur la marche des idäes dans les
temps modernes, 1872: L'AUemagne n'a pas produit dans le siöcle de
Leionitz une seule oeuvre litt^raire qui ait acquis ou conservö du
renom. Les futurs historiens de la civilisation aurout k tenir grand
compte de ces circonstances qui ont en quelque sorte suspendu la vie
litt^raire chez une grande nation comme la nation allemande, qui l'ont
privöe d'avoir aussi son dix-septieme siäcle en litt^rature, et de pos-
B^der de ce chef les traditions, les modales que possfedent la France
et TAngleterre. La fertility des temps postdrieurs n'empßche point de
aentir cette lacune, k peu pres comme pour ces hommes de vieille
race, mais dont la famille ^tait retomb^e pour un temps dans l'obscuritä,
et qui, dans leur nouvelle fortune , ressemblent k certains ägards k des
hommes nouveauK. (Toitie premier, page 345.)
La Correspondance de Samte-Beuve, 199
po6te de la Maison des Champs, vous avez port^ dans notre vie
fran^aise, si a£Pair^e et si sujette au bruit et ä la poussiere, quelque
chose de la fraicheur et de la calme f^licitä allem andes.
(Aatre lettre aa m^me, sans date.) Votre petite bistoire du
sonnet est tres agr^able et me revient tout ä fait. Chez nous, les
Gcetbe et les Byron — M. M. de Lamartine et Hugo — n'ont
Jamals daignä condescendre au sonnet, et je crois bien qu'ils en
pensent ce qu'en pensait le grand Olympien germanique. S'ils en
fönt jamais, je täcberai de me souvenir de la conversion chantäe
par ühland; mais je ne crois pas qu'ils s'y hasardent. Goetbe
^tait encore meilleur enfant qu'eux en po^sie: le plus calculä des
AUemands a encore de la nafvetä , si on le compare a nos grands
hommes. (Nouveüe Correspondance, page 280.)
(Dans un article sur les Reminiscences de M. Coulmann,
28 novembre 1864.) M. Coulmann a une nature morale assez riebe,
et c'est assur^ment un homme d'esprit; mais son pinceau est mou;
on Yoit bien qu'au College il se plaisait k lire en allemand les
romans d^ Auguste Lafontaine, auxquels il avait coU^ un titre
d'Histoire romaine pour mieux tromper le maitre d'ätudes. II avait
gardä un premier accent alsacien dont ses camarades se moquaient,
et qu'il perdit, nous dit-il, par la suite. En est-il bien sür?
(Nouveanx Lundis, IX.)
(Lettre k M. Feuillet de Conches, du 2 septembre 1865, k
propos de la pol^mique engag^e sur Vautbenticit^ des lettres de
la reine Marie-Antoinette.) 11 ne 8*agitpas de querelle d 'Alle-
mand: dans les trois quarts des questions de textes, ou de critique
proprement dite, les Allemands ont raison contre nous. Cela est
perpätuellement vrai pour tout ce qui est de litt^rature ancienne.
(Lettre ä M. Philibert-Soup^, du 12 fövrier 1867, a propos de
deux articles sur Diderot, d'apr^s l'ouvrage de Charles Rosenkranz:
Diderofs Lehen und Werke,) Cette connaissance d'Outre-Rhin et
de tout ce qui s'y passe est de plus en plus indispensable, et c'est
etre manchot dans les choses de l'esprit que d'en 6tre privö. Vous
qui avez l'outil, vous avez un röle tout trouv^: c'est de nous
traduire, et par lä je veux dire de mettre ä notre portöe et de
nous präsenter ä notre mesure ce qui se fait d'important lä-bas,
en littärature ou en pbilosophie.
(Lettre ä M. Dussieux, du 20 novembre 1867.) Ce qui se passe
chez nous est inou'i. Le gouvernement prussien, par son historio-
graphe Preuss, public une Edition monumentale des (Euvres du
grand Fröd^ric, ses Histoires, sa correspondance, etc. Un autre
tirage non monumental est en vente depuis plus de vingt ans k
Berlin chez Decker. Lä-dessus, on public en France, comme si de
rien n^ätait, les anciens M^moires trouqu^s de Fr^d^ric, en les
donnant frauduleusement comme conformes au texte de l'^dition
de Berlin, et nous gobons cela!
(Lettre k M. Goumy, directeur de la Revue de f Instruction
publique, du 21 mars 1868.) Notre ami Lenient a fait lä. une lev^e
de boucliers (contre l'esprit allemand) qui est bien dans l'esprit
gaulois: mais je ne lui ferai qu'une question, la mSme que faisait,
il y a cinquante ou soixante ans, M. Stapfer ä Fontanes, un jour
qu'en plein salon le grand-maitre de l'üniversit^ däclamait k tue-
tete contre Kant et les Allemands: „Savez-vous l'allemand, monsieur
le comte ?'' Or Fontanes n'en savait pas un mot, et il n'en continua
pas moins sa diatribe. — Etttdione avant d0 nous prononcer.
200 E. Ritter,
(Lettre ä M. Ernest Legonv^, du 21 mal 1868.) Vous ^tes
des hommes de la France moderne; mais . . . vous en ferez tant
que le centre de la Suprematie intellectuelle sera transf^r^ ä. Bonn
et ä Berlin. Nous Taurons bien märit^, nous aurons et nous serons
une bavure de l'Espagne, jusqu'en de9ä de la Loire.
(Lettre ä un professeur d'allemand, ä Colmar, du 23 mai 1868.)
Vous qui ^tes d'origine et de race allemandes, vous devez nous
juger s^verement. Je crains bien que ce que j'ai dit ne serve ä
rien, la oü je l'ai dit.^) Je ne convaincrai que ceux qui sont döjä
convaincuB. Puissent les g^n^rations nouvelles qui surviendront,
se rallier a une science forte et digne ! Vous y pouvez dans votre
Sphäre, en leur ouvrant le passage du Bhin. On ne saurait assez
multiplier ces ponts de Kehl pacifiques.
(Lettre ä M. Henry Liouville, du 24 mai 1868.) Quel röle a
jou^ la science, mise sur la sellette pendant toute une semaine
devant une Assemblöe incompötente , oü l'Eglise parlait haut, oü
la Philosophie biaisait! Pauvre science fran^aise! Elle ne s'en
est tir^e que moyennant excuses, en faisant son mea culpa, en
disant et r^p^tant: Je ne le ferai plus; — en un mot, en faisant
acte de faiblesse et de repentance comme Galilde ä genoux. —
Et pourtant la science triomphera! mais je ne suis pas sür, en efFet,
que ce soit a Paris qu'elle triomphe et qu'elle ait son siäge. Ce
si^ge, de par les lois de Phistoire, sera peut-etre transf^rö ä
jamais^) dans l'avenir ä Heidelberg, ä. Bonn, ä Berlin! Ce serait
triste pour la France hispanisde.
ün dernier tömoignage doit se joindre ä ceux qui pr6c6dent:
c'est une page que Sainte - Beuve n'a pas 6crite, mais oü son
secrötaire a r6sum6 des id^es qui Tavaient frapp6 k juste titre,
dans la conversation de Sainte-Benve, Tann^e de sa mort, en 1869:
Au lieu d'irriter Pun contre l'autre deux grands peuples
voisins comme la France et la Prusse, les deux premiers en Europe
(ä ce moment-lä) pour la puissance militaire et le g^nie cr^ateur,
on ferait mieux de songer ä les unir, ce serait la plus digne
alliance qui nous conviendrait. Ces nations protestantes sont en
avant sur nous : leur religion ne les endigue pas, comme les nations
catholiques. C^est ce qui a vaincu PAutriche a Sadowa. Elle a
äprouvö le besoin, imm^diatement apr^s, de se mettre au pas et
ä Pheure des peuples avancäs, sous peine de se voir d^bord^e par
le progres qui aurait suscitd chez eile une r^volution. Elle a fait
des röformes, eile a cr^^ des institutions nouvelles, eile a voulu
se rajeunir, eile s'est mise ä la hauteur du si^cle, pour n'etre pas
^) Dans ces lettres de mai 1868, il s'agit de la discussion qui
avait eu lieu du Sänat, k propos des p^titions qui signalaient ä cette
haute assembläe les tendances mat^rialistes de Penseignem ent des
Facultas de mädecine. Sainte -Beuve avait pris la parole, et son dis-
cours a 4!t6 recueilli dans le tome HI des Premiers Lundis.
^ Assuräment Sainte -Beuve se füt r^criä, si Pon eüt pris ces
boutades au pied se la lettre. H faut se rappeler le dicton picard
cite par le fabuliste:
Biaux chires leups, n'^coutez mie
Märe tQochent chen fieux qui crie.
La CorresTpondance de Sainie-Beuve. 201
emport^e par les id^es modernes. Elle ^tait encore fort en retard
avant Sadowa: la voilä qui devient liberale et progressiste.
Nou8 avons un redoutable voisin en M. de Bismarck: c'est
un homme qui a fait son pays, qui a continu^ l'oeuvre de Fr^däric.
En France, on in^connait la grandeur de ce dernier, et l'on se
moque du grand ministre qui gouverne actuellement la Prusse.
On se moque de tout en France, comme du temps de Marlborough
qui nous battait ä plate couture.
Au lieu de songer ä se mesurer ä coups de canon avec la
Prusse, on ferait mieux de cräer deux Ecoles, l'une de Berlin,
l'autre de Paris.i) Leur jeunesse viendrait chez nous s'adoucir,
s'assouplir a notre contact: eile n*y perdrait rien de sa force, et
eile y gagnerait en gentillesse; tandis que nous, nous enverrions
l'^lite de nos jeunes gens studier les sciences dans leurs laboratoires,
plus riches que les nötres; ils se fortifieraient au contact de cette
nation rüde, barbare, si Ton veut, comme les Mac^doniens: ce sont
les Macädoniens modernes. (Le Blason de la Revolution, page 349.)
„ün critique est un homme dont la montre avance sur celle
du public . . . J*ai toujours aim6 k donner le premier coup de
cloche." C'est ce que disait Sainte-Beuve avec quelque fierte:
les passages qu'on vient de lire m6ritaient d'etre cit^s k l'appui.
A sa maniere, ä son point de vue 'littöraire, sans s'elever au-
dessus de son horizon habituel, mais en vieux routier qui connatt
les pr^sages du ciel et les signes des temps, 11 a vu grandir
l'ascendant de FAllemagne.
Comment la connaissait-il? II avait connu personn eil ement,
11 avait vu k l'oeuvre quelques -uns des pionniers de la science
allemande, M. Dtibner, par exemple;^) il avait, pour Tavertir et
l'informer, ses amis MM. Nefftzer, Renan, Scherer; il avait eu
enfin, de tout temps, une sympathique admiration pour le g^nie
de Goethe, chez lequel il aimait k trouver la r^union si rare
d'une p6n6tration critique ^gale k la sienne, avec une Imagination
cr^atrice et des dons po6tiques incomparablement sup^rieurs.
Goethe est le seul auteur allemand dont 11 alt aim6 ' k parier
(car le grand Fr6d6ric 6tait pour lui un 6crivain frauQais). II
le cite k mainted reprises, et il lui a consacr6 trois 6tudes
excellentes, en 1850, k propos des lettres de Goethe et» de
Bettina d^ Arnim; en 1855, k propos de la correspondance de
1) Dans une des Notes et reinarques qui ont ätö jointes au volume
intitul^ : Causeries du Lundi, Portraits de femmes et Af'traits litteraires,
par Sainte-Beuve, table generale et analytique, par Gh. Pierrot. Paris,
lib. Garnier, 448 pages, — Sainte-Beuve a racontö que la premi^re id^e
de PEcole d' Äthanes, d'instituer une teile Ecole, ^tait de lui; qu^elle
lui ^tait venue d^s 1841 en lisant du grec avec Pantasid^s, n^
en Epire.
2) A cet ögard, tout Tarticle sur Dübner (Nouveaux Lundis, XI)
est ä lire, et surtout les deux derniäres pages.
202 E, Bitter, La Correspondance de Saihte-Beuve,
GcBthe et de Kestner; en 1862, ä propos des Cimversations de
Goethe et d^Eckermann.
Sainte - Beuve , qui a peu voyag6, ne connaissait les pays
allemands que par une courte excursion qu'il fit en octobre 1829
ä Cologne et Francfort- sur le Mein 5 il revint en France par
Strasbourg. Dans quelques morceaux des Consolations ^ (^X>
XXII, XXV) on trouve la trace de ses impressions de voyage.
Eugene Ritter.
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des
XVII. Jahrhunderts.
Vorliegende Notizen sind bei der Lektüre folgender Autoren ge-
sammelt: Th^ophile (de) Viau(d), Rotrou, Racan (Bergeries, Dis-
cours ä rAcade'mie, Ödes, Psaumes), Des märest de Sorlin (Les Vision-
naires, Clovis, teilweise auch Ddlices de fespritj, Chapelain (La Pucelie),
Scarron (nicht berücksichtigt sind vom VirgUe die nicht vom Autor
herrührenden Bücher, doch ist der dritte Teil des Roman Comiq^ie,
obwohl nicht von Scarron geschrieben, herangezogen und durch ///
in den Zitaten bezeichnet), Scud^ry (Marie), M"® de Scudöry (Aria-
tnene ou le Grand Cyrus, Band 1 — IV). Die aus diesen Schriften ge-
sammelten Stellen haben den Zweck, das vom Verfasser in seiner
Syntax des XVII. Jahrhunderts gegebene Material zu vervollständigen,
so dass entweder Erscheinungen, die überhaupt nicht berührt sind, und
das sind nur sehr wenige, erwähnt werden, oder besondere Arten eines
behandelten Falles hinzugefügt werden, oder endlich auch da, wo es
wünschenswert schien, die Beispiele vermehrt werden. Dabei liat der
Verfasser sich an die Paragraphen seiner Syntax angeschlossen. Nicht
gegeben ist das, was bereits von Sölter, Grammatiscne und lexikologische
Studien über Jean Rotrou, Altona, 1882, und Hellgrewe, Syntaktische
Studien über Scarron* s Le Roman Comique, Jena, 1887, gebracht ist.
Wo an diese Abhandlungen angeknüpft ist, wird dies besonders be-
merkt. Eine kritische Berücksichtigung derselben hielt der Verfasser
für überflüssig.
Das unbetonte persönliche Pronomen als Subjekt des Ver-
bums, welches von den Dichtern, besonders von Scarron im Typhon
und VirgUe, noch oft mitunter auch in der Prosa des Thöophile und
des Racan vernachlässigt ist, fehlt in der Frage (§ 8, e): Voudriez
m*obliger d^aimer mon adversaire? Souffrirais-je en mon lit fassassin de
ma mere? (Rotrou, Gosroäs III, 4). Dasselbe findet sich beim Imperativ
sois le bienvemt (§ 8 Anm. 2): Vous soyez le tres bienvenu, Lui dis-je
(Scarr., Virg.). Et lors cria maitre Belenus: Vous soyez les tres bien-
venus (Ibid.).
11 = ce als Subj. bei itre (§ 2 Anm.): Je ne pense pas, Soit-il
le roi gui me rappelle, Que je puisse m*eloigner d*elle (Thäoph.)
Prädikatives le, la, les bei c'est in Beziehung auf Personen (§ 7
Anm. 1): Mais ne voyez-vous pas quelques gens amasses Qui dejä vers
le bourg se sont fort avances? lie les serait-ce point? (Racan). Car
c*est lui gut revit, et si ce ne Pest plvs (Desmar.). Chacun . . . criait:
Voilä maitre Mneas"^, Et pourtant ce ne tetait pas (Scarr., Virg.). Vgl.
204 A, Eaase,
lux in Beziehung auf Sachnamen Est-ce une iUusion, ou ce vase en e/fei?
— Le voilä, c*esi Int -mime (Rotrou) =: le mime.
Zu den Wendungen, in welchen en fehlt (§ 9, 2, a), vgl. Cor en
comhattant pres, guand nous viendrons aux mains, Nous aurons etc.
(Scud.) Les armees eiant donc en etat de veriir aux mains (M"®
de Scud.).
Das partitive, auf ein vorhergehendes Subst. zurückweisende en
ist heute niemals von einem von einer Präposition regierten Indefinitum
abhängig, wie Apres je me mis ä ecrire des fahles . . . , et m^en ressotive-
nant de quelques-unes, je les ai traitces en C ordre qiieües me sont
venttes ä la memoire (Th^oph.), und ebensowenig von einem Subst. der
Quantität, welches Subj. ist, wie Vn portrait de province en peu de
temps se gäte, La plupart en sont faux (Scarr., Com.)
Zur Stellung der pers. Pron. unter einander (§ 164, a) sind
anzuführen: Cest dele voir dans Peau qni le nous montre mieux (Thäoph^.
Je Vengage ä le vous accorder (Id.). Je le vous ai dejä dit (Scarr.
R. C. IIL). Je le vous dis encore, fen sais les moyens (Ibid.). Son
galant, qxCelle trouva en Cetat oü je viens de le vous representer (Ibid.).
llsuffirade vous dire pour le vous faire comprendre qu'eUe voulut etc.
(M"« de Scud. II, 446).
Zur Stellung des Pron. beim Infinitiv (§ 154, c) vgl. Je faime
mieux le coeur hors du sein arracher (Th^oph.). // les fera beau
voir, mon valet est poltron, L'autre ne Fest pas moins (Scarr., Com.).
0 Dieu, qu'il la faisait beau voir! (Id., Virg.) (Jn dit qu'il me fmsait
beau voir (Ibid ). En ne se faisant anfonds que rire de votre mal, (eile)
votis laissera vieiüir sans recompense (Thöoph.). Quiltez donc la soutane,
ou rachevez d'user (Scarr., Com.). Si vous etiez si faible, et votre sang
si tendre, Qu^on Veiii impunement commence de re'p andre (Rotrou).
Zu den § 154 Anm. 2 erwähnten Fällen vgl. Alors vous lui ren-
drez le service fidele Que vous lui fit vouer le seul hruit qu^on fait
d^clle (Rotrou). — (Vne chaine) Dont la me'chante, ä chaque fois Que
quelque äme la dedans enire, Vous me la frotte dos et venire (Scarr.,
Virg.), wo zwei ethische Dative gesetzt sind.
Das betonte pers. Pron. als unbezeichneter Dativ ist zwar im
XVII. Jahrhundert nicht mehr anzutreffen, doch scheint auf jenen Ge-
brauch zurückzuführen zu sein S'ü peut par son amour se rendre sup-
portable, 11 lui sera bien doux^ et moi bien supportahle (Rotrou).
Als ein früher vorkommender Latinismus ist die Verwendung
von soi zu bezeichnen in dem § 14d zitierten Des merites ... qui n*ont
rien de pareil ä soi (Malh.) und 11 ne peut ailleurs choisir Vobjet qu*il
aime, JM d*un egal a soi faire un autre soi-meme (Rotrou).
Wie früher soi nach Präpositionen ohne Reflexivität für das
Personalpronomen der dritten Person gebraucht wurde, scheint dasselbe
auch noch zu stehen De quelque cote que je dresse mes pas, La solitude
en soi ne se rencontre pas (Rotrou, La Cälim^ne I, 1), wo offenbar
en soi auf quelque cote geht, also = y ist, denn im Munde eines na-
türlich sprechenden Mädchens, das über eine Gegend sein Entzücken
äusseirt, kann das en soi wohl keine andere Bedeutung haben.
Soi-mime in Beziehung auf einen plural. Personennamen § 13d:
3Iais re'iroite vertu messied aux je un es gens, Qui peuvent quelque fois,
ä soi' mime indulgents, Suivre quelque desir oü leur äge les porte (Rotrou).
Das unbetonte Possessivum vertreten durch das betonte
Personale mit de (§ 14, a) habe ich nur in solchen Fällen gefunden,
wo das Pronomen stark betont ist, wie bei De lui le silence, et de r autre
la voix Te de'truiront assez (Rotrou). N'y suis-je pas alle par votre
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts. 205
Charge exfr esset — Le moi? (Id.) D' eile ü n'implore plus ni la pitiä
ni Vaide (Desmar.). Nicht als Beispiel des altfrz. Gebrauchs ist anzu-
führen Lucrece avait irouvä, sans doute ä Vinsu d'elle, Dom Louis
(Scarr. Com.)i da bei solchen präpositionalen Wendungen der Gebrauch
schwankte, vgl. Le sage ^vique parait ä son coie (Desmar.).
Attributives Poss. statt des Dativs des Personale (§ 1 5) ist durch zu
wenige Beispiele belegt, vgl. noch Arrache tes cheveux, meurtris ton
sein de coups (Rotrou.). Q^^ f arrache son cwur (Id.). Elle rompt ses
cheveux, dechire son visage . . . meurtrit son sein de coups (Id.). Ette
se mit ä arr acher ses cheveux (Scarr., R. C. III). Vainement ses yeux
ü frotta (Scarr., Virg.) Mneas sa barbe arrachait (Ibid.). (Elle) s^aban-
donne au depii qui dechire son cceur (Scud.).
Z^ur statt son in Beziehung ^wi chacun (§16 Anm. 1): Les deux
rois ennemuf attendraient Cevenement du combat, chacun ä la tSte de leur
armee (M^^® de Scud.). Ils tomberent d'accord de se rendre compte de ce
qu'üs apprendraient, chacun de leur cöte (Ead.).
Das betonte Possessivum in attributivem Gebrauch (§ 17)
mit dem bestimmten Artikel ist bei Scarron oft zu finden, besonders
im Virg. Fast immer ist das Pron. dem Subst. nachgestellt und steht
im Reime, z. B. Voici lautre . . . Bailli dans le boura vötre Fait-on
dvec trois os insulte au bien d'autrui? (Com.) Peut-etre que dans la
peur notre Tai pris une chose pour lautre (Typh.). A d^autres, Si sur
les sacrifices notres Tu fondes tes meilleurs repas (Virg.). Sans y
mettre beaucoup du voti^e, Vous pouvez bien au peuple notre Bardonner
(Ibid.). L*un vaut lautre, Mais reprenons le discours notre (Ibid.). So
auch im Vokativ // dit: „0 camarades notres (reimt mit D^avoir crie'
comme les autres) (Ibid.). Aber auch Ton gener e%ix, ton adorable maiti^e,
Le mien ami se souviendra peut-Stre Du nouveau den que ton dernier
bittet Fit esperer ä son humble valet (Po^s.). Mit dem adj. Demonstrat.
ist das Poss. für Rotrou durch zwei Stellen von Sölter S. 43 belegt und
scheint auch sonst nicht vorzukommen. Aus Scarron's Komödien ist
hinzuzufügen: Cette mienne lame N'aura plus de foumeau que celui
de votre äme. Mit Indefiniten verbunden ist das Pron. Je lai vu , . ,
Prendre un autre sien camarade (Scarr., Virg.). Que si les prix sont
pour les autres, Vous aurez quelques presents notres (Ibid.).
Quelque mien ami louvrira [Scarr., R. C. III).
Das demonstrative Neutrum ce (§ 18) ist nur von Scarron
in altfrz. Weise gebraucht, vgl. Que votre niece soit bien sage, et ce
faisant, quelque somme d^argent pourra la satis faire (Com.). Ce conside're,
Monseigneur, Tirez-moi d*un si g7'and malheur (Virg.). fCe neanmoins
Quilles y vinrent (Typh.). Si la mer nous avalait tous, Et ce par notre
ne'gligence? (Virg.) Et ce, tant incivilement, Que etc. (Ibid.)]
Ce als Subj. bei Stre ist vernachlässigt (§ 19): A moi serait
grande folie De rapporter exactement etc. (Scarr., Typh.). Et serait
pure riverie De croire que etc, (Id., Virg.). Je ne lui pourrais parier
d'amour qu*en tremblant, füt pour moi ou pour autrui (M"® de Scud.).
Mais qu'aucun ne füt plus capable de vous plaire, Serait d'un mal honteux
passer en un contraire (Rotrou.).
Cela statt il findet sich nicht nur bei itre als Subj. (§ 20, b),
sondern auch A quoi sert cela de le dissimuler? (Racan.)
Adjektivisches ce = dem bestimmten Artikel (§ 21, a): Pareil ä
ces enfants que la peur de mourir Touche moins que laspect de qui les
veut gudrir , . ., Tel votre lache cceur tremble au simple conseil etc,
(Rotrou.) Nest'Ce pas faire comme ces gens qui depensent taut ce qu'Us
ont ä la cour pour essayer d!y faire lewr foriune? (Racan,)
206 A. Baase,
Dass die sabstantivischen ceitm-dt Beltener cetie-ci, icelui, iceüe
(§ 23) bei Thäophile und Scarron, auch in der Prosa, vorkommen, mag
angemerkt werden.
Als Determinativum erscheint bei Scarron im Virg, noch der
alte Nominativ eil, vgl. 0 ma soeur, faui-lui bien comprendre, Comme
Ronsard äii ä Cassandre, Qu'ä moins gue Dolope soudard^ On eil donl
rhomicide dard Mit Hecior dans la se'pulture, 11 devrait iire, le parjure,
Pitts reconnaissant ä Didon (1. IV). Die Stelle ist nicht etwa wörtlich
zitiert, sondern lautet bei Ronsard: Je ne suis point, ma gnerritie
Cassandre, Ni Myrmidon, ni Dolope soudard, I>ii cet archer dont rhomicide
dard Occit ton frere et mit ta viUe en cendre. Übrigens kommt eil auch
bei Rägnier (Litträ) und selbst bei Diderot vor (Tobler V. B, S. 200.).
Dass celui ohne Ortsadverbium durch das Prädikat vom Relativum ge-
trennt ist (§ 24 Anm. 1), wird von Sölter S. 45 für Rotrou durch zwei
Stellen belegt; andere Beispiele des bei diesem Autor noch nicht
seltenen Gebrauchs sind: Celui rCa point peche gut dans larepentance
Temoigne la surprise. Celui dort sürement gui dort dans finnocence.
Celui possede assez de gui le ciel a soin. Celui n'aime pas bien gui
peut tot se venaer. Celui ne peche pas gui peche sans dessein. Celui
se plaint gui orüle. Sonst habe ich dies nur noch beobachtet Celui
seid voit cotder heureusement ses jours Qui dans tous ses besoins
nHmplore le secours Que du Dieu gui crea etc. (Racan). Celui n'a rien
ä redouler Dont les fautes sont pardonne'es (Id.). Celui certes, berger j
est digne de mourir Qui voit sa guerison et ne vent pas guerir (Id.).
Die im Altfrz. beliebte Zusammenstellung von ceux und ceBes
findet sich bei Scarron Enfin tous ceux et toutes Celles, Tant les mäles
gue les femelles, Qui fönt les vivanis enrager (Virg.), ebenso im R. C. III.
U etait atter{du avec impaiience, principiUement de ceux et Celles gui
devaient se marier. Cette troupe avait si fort gagnd les bonnes gräces
de toute la noblesse . . ,, gue ceux et Celles gui la composaient n*allaient
point au the'ätre . . . gu^avec grand cortege. Ebenso chacun et chacune:
Cor entr^eux chacun et chacune äiit son rang sehn sa fortune
(Scarr., Typh.).
Der Bedeutung eines Indefinitums nähert sich celui (§ 26) auch
in Sätzen wie Fous me connaissez mal, ce nom ne nCest point d&. Et
vous ites celui gue je n^ai jamais vu (Rotrou) und Je suis celui qui n'ai
jamais rien fait d'agreäble aux yeux de Dieu (Scarr., Nouv.), wo man
entschieden guelgu^un, un homme sagen müsste, das der Sinn der Sätze
erfordert.
Zu dem Gebrauch des bestimmten Artikels ist es nicht
nötig, weitere Beispiele beizubringen, da die Autoren nichts bieten,
was besonders hervorzuheben wäre. Nur das ist zu bemerken, dass
Scarron, welcher in seinen Gedichten und Komödien von den übrigen
Autoren sich nicht uqterscheidet, im Typhon und Virg. den bestimmten
Artikel sowie das partitive de mit dem Artikel und ohne denselben
sehr oft vernachlässigt und hierin ebenso frei verfährt wie Lafontaine
in seinen Gontes, welchen jene Dichtungen auch hinsichtlich der sehr
freien Wortstellung an die Seite zu setzen sind. Auch die Fälle, in
denen abweichend vom heutigen Gebrauch der bestimmte Artikel ver-
wandt ist, Hessen sich nur durch einige Beispiele vermehren.
Von den Relativen wird attributives ^t^/ angetroffen : Mais ils
craignaient sur toutes choses Qu'occire eüe ne les voulüt, Apres quel
mal, point de salut (Scarr., Virg. 1. V, v. 14).
Substantivisches qui im Plural (§ 40 Anm« 2) findet sich Vous
verrez dans les chants qui stdvent Gemme mal meurent qui mal vivent
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts. 207
(Scarr., Typh., III der Schlussvers) Ebenso ist qui pluralisch La
demeure, les Mens, . . . tout humain inte'rit Doivent Stre communs ä gut
la couche Fest. Mais que, comme ta vie et comme la fortune, Leur
creance toujours leur doive ^tre commune^ . . . Aucun droit n*etablit cette
necessite (Rotrou, Saint Genest III, 4). Dass das subst. qui sehr oft
bei Rotrou nach Präp. auftritt, wird von Sölter S. 47 bemerkt; in den
Fällen, welche er berührt, kann man es auch heute sehr wohl sagen,
dagegen kaum noch in Sätzen wie Cest de qui Je me veux plaindre
aussi = de lui que.
Der ursprüngliche Nominativ des Neutrums (ce) que begegnet
noch abweichend vom neufrz. Gebrauch Ce qu^ ayant ete su par Mariesie,
eUe nCen avertit (M"« de Scud., IV, 19), wenn man nicht eine Nach-
lässigkeit des Druckes annehmen will. Da im XVI. Jahrhundert das
ae que noch so vorkam, die Ausgabe von 1654 sonst ziemlich korrekt
ist, scheint das nicht gut angängig.
Zu § 35 Anm. 2 (Akkus, ce qf*e als Angabe des Masses zur Grund-
bestimmung dienend) vgl. Des Honneurs qui me rendraient considerable
parmi les miens au delä de ce que je le puis iire par ma ttaissance
(Thäoph.). Es braucht kaum bemerkt zu werden, dass in Sätzen dieser
Art die § 6, 2 besprochene Erscheinung der Wiederaufnahme eines
Relativs durch ein Personalpron. für das prädikative ce que stattfindet.
Vgl. noch I\t ne doutes donc plus que je ne faie aimd Tout ce que
peut aimer un cceur bien enflamme? (Scarr., Com.) EUe alla retrouver
son impatient amoureux et lui rendit compte de ce qu'eUe avait avancä
(Id., Nouv.) = „wie weit". Mais je sais ce qu'au ciel deplmt la perfidie
(Rotrou) = „wie sehr". Dieser Akkusativ ist dem § 51, b und hier
weiter unten zu erwähnenden adverbial gebrauchten nV« und quelque
chosc an die Seite zu stellen, in denen man ebenfalls Akkusative des
Masses zu sehen hat.
Das auf einen Satz bezogene Neutrum qui ohne determinatives
ce erscheint sehr oft nur dann, wenn das Prädikat ein mit itre ange-
fügtes Subst. ist. Für den anderen Fall (§ 85, b) lassen sich jedoch
noch mehr Beispiele beibringen, so Vous eussiez etd bien aise d^epargner
la peine de les controuver, car votre esprit de soi n'est pas trop inventif,
qui me fait croire que vous ne m^avez impute que ceux que la pratique
vous a appris (Th^oph.). Et mime Fon me fit porter trois ou quatre
enfanis au baptime, avec des fiUes des meiUeures maisons de notre
voisinage, qui est ordinairement par ou fon commence pottr reussir aux
mariages (Scarr., R. C. III). Quand VerviUe aurait mis fin aux affaires
qu'ü avait ä Rennes, qui serait dans une quinzaine de jours au plus
tard (Ibid.).
Prädikatives que auf cehä bezogen (§ 85 Anm. 4) findet sich
auch sonst, so Toi qui vis le chaos enf anter la nature. De celui que
tu fus vivante se'pulture, Ombre ä qui riend* humain ne reste que la voix
(Rotrou"). Reprisentons celui que je suis devenu (Id.). Mon penser se
confondt et celle que je fus En celle que je suis ne se retrouve plus
(Id.) Cet Artamtne . . . rCest pas v&itablement celui que je veux qui
le soit (M"" de Scud.). Si j*etais celui que V09is pensez que je sois^
croyez etc. (Ead.). Diese Fügung scheint mir durch eine Attraktion ver-
anlasst, wie z. B. auch in Le sort n^est point celui qui fait les differences
(Rotrou) offenbar eine solche vorliegt, resp. eine Konstruktion nach
dem Sinne zu sein.
Als relativifiches Neutrum erscheint bei Scarron wiederholt qt4ani
in der Wendung ^uant est de = quant ä, pour ce fui est de, eine
Wendung, welone la der älteren Sprache vorKam (b. Littr^ s. y. ßistj,
208 A. Haase,
80 Quant est de tnoi, Je votis revere (Virg. 1. V). Eit quant est de
notre destin, La grand^mere des dieux, Cybele, Me fall demeurer aupres
d^eUe (Ibid., 1. II). Et quant est de lui, qu^ii e'tait digne dusceptrequü
portait (Typh.). Quant est de moi, jestime Amadis gr andement (Com.).
Dont als Attribut eines von einer Präposition abhängigen Sub-
stantivs (§ 37, b) bietet Heurtux ceux qni . , . Reverent PEternei . , .
Et dont son setä amour imprime dans leurs cmurs Le respecl et la
crainte (Racan). Freilich steht hier das Possessivum, doch wurde das-
selbe auch sonst zu einem attrib. dont regierenden Subst. gesetzt, z. B.
Aurele dont Cespoir allege ses soucis (Desmar.) (vgl. Deux personnes
de qui fetat present de leur fortune paratt iire si dissemblable (M"* de
Scud.) und § 37 Anm. 2), so aass man hier eine ähnliche pleonastische
Ausdrucksweise sehen kann wie § 6, 2 und nicht anzunehmen braucht,
in dem ersten Beispiel sei der Verfasser aus der Konstruktion gefallen.
Der § 37 Anm. 4 aus Lafontaine'« Contes belegte Gebrauch des
auf einen Satz bezogenen dont ist bei Scarron im Virg. nicht selten,
z. B. // respecta mes cheveux m*is, Se laissa toucher ä mes cris. Et de
son vin il me fit boire, Dont tl acquit beaucoup de gloire. Les entraiUes
(Qui) sentaient bien fort les tripailles, Dont le nez eile se boucha. Ainsi
dame Pyrgo parla, Dont, depuis, tout fort mal alla. Quelques-uns par
delä le cou (plongerent dans feau), Dont ils burent plus le soüL
, D'oü statt des possessiven dont (§ 38 Anm. 2): 11 les mena droit
ä fEcu, D*oü Chöte eiait un peu cocu; Sa femme e'tant un peu coquette,
Qui certes fut bien satisfaiie De voir chez eile ces beaux dieux (Scarr.,
Typh.). Eine andere Auffassung des d^oü scheint mir durch den Zu-
sammenhang ausgeschlossen.
Chi in Beziehung auf ein unmittelbar vorhergehendes ce (§ 88
Anm. 2) ist bei Thäoph. öftets zu finden, z. B. Non seiilement le con-
traire ne regoit point son conlraire, mais aussi quelque chose de contraire
ä ce oü ü va. Je lui dis . , . que nous n^etions point des gens incapables
de persuasion pour tout ce oü nous trouvions quelque apparence.
Zu vers oü (§ 38 Anm. 3) vgl. (Elle) prit le chemin de Madrid,
devers oü eüe fit aussi m^rcher son bagage (Scarr., R. C). Littrö s.
oü 9® gibt ein Beispiel aus M"® de Scud., ohne diesen Gebrauch zu
beanstanden, doch wird man, glaube ich, schwerlich noch vers hinzu-
fügen, wo oü allein schon völlig genügt, wie auch Vers oü Npaule
gauche ä la gorge est conjointe, Le sacrÜege fer ... Se faitjour (Chapel.).
Vers oü dans un marais, pres du bord de la Seine, La BastiUe commande
et la viUe et la plaine . . . C<? heros ä grands pas jusqu^au fosse s'avance
(Id.) u. ä. Auch wird man in Fällen wie // tourna la tite vers oü il
croyait ouir du bruit (Scarr., Nouv.) gewöhnlich du cote que sagen. La
vor oü, das sich auf ein Subst. bezieht, kommt wie früher noch vor
11 se rendit au camp de la Rochelle, la oü, comme vous avez pu savoir,
le siege fut fort opiniätre (Scarr. R. C. III.).
Statt des auf einen ganzen Satz bezogenen oü = quand (§ 38, g)
tritt ici que auf: Et ce dernier assaut ne vous peut-il dompter Ici que
la victoire est tant ä redouter, Ici qu' eile vous öte une offre siparfaite,
Ici que la couronne honore la defaite? (Rotrou.)
Zu der § 39, f erwähnten Konstruktion sind als besonders zu
beachtende Beispiele hinzuzufügen Pendant le discours de Sohn,
Philoxippe qu'il y avait de ja longtemps qui avait bien de la peine
ä ne finterrompre point, ne put plus s-en empicher (M"* de Scud.).
11 le laissa avec une joie qu*il y avait longtemps qui n* avait trouve
place dans son coeur (Ead.). 11 y avait un komme . , „ qu'il y avait
de ja assez longtemps qui e'tait ä Gmde (Ead.), Stellen, die sich nur
Ergänzende Bemerkungen zur Syniacc des AVIL JaJtrhunderis. 209
erklären lassen, wenn man annimmt, dass das gut in jener Konstruktion
auf ursprünglichem qu*il beruhte und in der Folge auch in Beziehung
auf Feminina unbedenklich verwandt wurde. In Divers petits amours
qui semblent qui s^elancent (Scud., Alaric 1. III), Derriere ce heros
qui semble qui soupire (Ibid.). Mais craignant de donner connaissance
de ce qui eiait si necessaire qui füt cache, je crus etc. (M^^** de Scud.
IV, 561) liegt ebenfalls jene Konstruktion verschmolzen mit persönlich
gebrauchtem sembler und ü est necessaire vor, wie ja sembler vielfach
früher persönlich vorkam, wo die neuere Sprache es unpersönlich ge-
braucht, so dass das zweite qui = qü'il ist, vgl. dazu aus M^** de
Scud. Quoiqu'elle eüt re'solu de ne se parer point et de parätire la plus
ne'gligee qui lui seraii possible, eile ne put en venir ä bout (II, 371). 11
la Vit donc et lui repre'senta de teile sorte Finjustice de Cre'sus et Celle
du roi de Pont, qui la fon^a d^avouer etc. (II, 190) (s. auch § 35 Anm. 1).
Das interrogative quel ist =: neutralem kquel in dem von
Sölter S. 48 zitierten Je doute quel des deux est moins m^assassiner,
Ou de la retenir ou de T abandonner (ßotrou) (s. § 41 Anm. 1.).
Substantivisches quel ist auch in der Prosa oft genug zu finden
(§41, c), vgl. noch Taut cela (d. h. leide ich) par je ne sais quelle,
Qui parce qu*on me trouve belle, Dit partout que je ne vaux rien (Scarr.,
Yirg.), was dem substantivischen quelle que im verallgemeinernden
Konzessivsatze (§ 45 Anm. 2) an die Seite zu stellen ist.
Man kann zweifelhaft sein über qui in Sätzen wie die § 42
Beispiel 10 u. Anm. 2 zitierten, denen sich noch andere hinzufügen
lassen, z. B. QuHmporte qui me tue, ou sa bouche ou ses yeux? (Rotrou).
JNHmporte qui Facquikre, ou la force, ou Cadresse (Id.). Belas, en cette
peithe Qui le doit empörter, ou Camour, ou la haine, Je souhaite et je
crains d'apprendre son trepas (Id.). Sicher ist, dass die neuere Sprache
sich nicht so ausdrückt, sondern entweder ce qui oder leqnel anwendet,
je nachdem sie das Fragepronomen in Beziehung auf die folgenden
Substantiva, um deren Auswahl es sich handelt, setzt, oder nicht. So
ist zwiefache Auffassung möglich, wie auch £t qui doit Pemporter, ou
Camour, ou la haine? (Rotrou) ö'm« ebensowohl Neutrum sein als = lequel
stehen könnte ; an Stelle des letzteren ist dasselbe verwandt En m^me
temps je Faime et je la hais, Qui de ces passions f empörte je ne sais
(Scarr., Com.).
Unendlich oft ist bei den Autoren des XVII. Jahrhunderts je ne
pnis que faire scheinbar = neufrz. je ne sais que faire zu lesen, z. B.
Je ne vous puis qu'offrir apr^s un diademe (Rotrou), Je ne puis que
comprendre en tout cet artißce (Id.). EUe ne pourrait comment
Vattacher (M"* de Scud.). 11 ne pouvait que penser de cette aventure
(Ead.). Dass jedoch diese Wendung nicht ganz mit der neufrz. identisch
ist, beweisen Stellen wie Ainsi sans savoir ni pouvoir que faire, ils
regardaient ce chariot (M"« de Scud. IV, ll) 11 ne savait qu'en penser,
et ne pouvait par ou Irouver les voies de remettre etc. (Ead.).
Als Nominat. des Subj. in der indirekten Frage habe ich quoi
(§ 42 Anm. 3) noch gefunden N*aveZ'VOUS point sur vous quelque bon
cure-oreille? Je ne puis dire quoi me chätouüle dedans (Scarr., Com.).
De quoi im Sinne des neufrz. de ce que (§ 42 Anm. 4) ist für
Rotrou von Sölter S. 46 durch zwei Beispiele belegt. Andere Beispiele
aus demselben Autor sind: On murmure lä-bas De quoi le del di/fere
un si juste trepas (Le Filandre V, 8). Sois beni, juste del, de quoi
cette province Dans le fils de son roi retrouve enjfin son prince (Don
Lope de C. IV, 5). Dazu Je me trouve e'tonne de quoi je suis vivant
(Th^oph,). Ferner findet sich de quoi auch für de ce que in den Ver-
Zacbr. t firi. Syr. u. Litt. ZI^. ^^
210 J. Baase,
wendnngen, in welchen dieses im XYII. Jahrhundert vorkam (§ 108),
BO Je crois que la poste'rite ne doii point irottver mauvais de quo i je
ne rentreiiens que des folies de ma Jeunesse (Kacan). Ce Corps Charge
de chames N*est reffet ni des lois m des raisons humaines, Mais de quoi
des chre'iiens fai reconnu le Dieu (Rotrou, Saint Genest III, 4) und
endlich aach rein kausal = parce que Aucune passion ne iraversaii
mon bien, Et je m'aimais aiors, de quoi ß n'aimais rien (Rotrou, La
Pelerine amoureuse, III, 5). Wenn man zu diesen Stellen vergleicht
den indirekten Fragesatz nach Verben des Affekts (§ 43 Anm. 8) M
nCa pris une. mime defiance des persuasions de Socrate, et mkdbahis
pourquoi je commence ä me dädxre de son opinion (Th^oph.). Admirez,
seigneur, comme quoi la prudence humaine est homäe (M^^* de Send.),
wenn man ferner das unendlich häufige de qvoi beim Infinitiv berück-
sichtigt, z. B. Cherchant de quoi hmr ce ghrieux amant. Je voyais etc.
(Rotrou), wenn man endlich interrogatives und relativisches de quoi in
den § 109 zitierten Stellen hinzunimmt, denen sich noch viele andere
hinzugesellen, z,B, De quoi pälissez-vous? (Rotrou). Elle sHmagina que ce
changement dtait concertd, de quoi eile entra en des si furieux transports,
qu*eUe dit etc. (Scarr., R. G. III). Eüe fit la moue et la ftgue; De quoi
ce grafid chef de la ligue Garda de honte et de d^pit Durant quatre ou
cinq jours le Ut (Scarr., Virg.), dann scheint quoi sicher pronominal und
zwar interrogativ und sodann relativisch verwandt.
D*oü = de quoi (§48 Anm. 2) Ton amitiä . . . Qui ne saurait
trouver . . . D^oü je suis aimaöle, Ne peut trouver ainsi de quoi nCaban-
donner (Thöoph,).
Zu der § 43 Anm. 5 erwähnten Mischung direkter und indirekter
Frage vgl. Je lui repondis que non et qu'est-ce qu'ü voukut dkre
(Scarr., R. C. III). Das in Scarron's Virg. oft vorkommende ^mV,;/-«;^ findet
sich so als erstarrte und nicht mehr ihrem Wesen nach empfundene
Verbindung, z. B. Sans nCenquerir pourquoi, ni qu'est-ce.
Wie attributives quel in Sätzen wie Prenez quel livre ü vous
plmt vorkam (§ 44, 1.), so auch substantivisches lequel: Auquel vous
plaira mieux cnoisissez votre genäre (Rotrou). Es-tu Ubre ou captif? —
Oui. — Mais lequel des deux? — Lequel des deux me platt, ou tous
les deux ensemhle (Id.).
Im verallgemeinernden Konzessivsatze erscheint attributives
qtiel (§ 45, a) ausser in dem von Hellgrewe S. 18. zitierten Beispiel noch
11 faut que je lui parle ä quel prix que ce soit (Scarr., Com.) und
mehrfach bei Th^oph. Rien ne faxt une ohose belle que la präsence ou
la communion du beau, de quelque fa^on et pour quelle raison qu'il
arrive. A quel point que Phumeur le force de changer. A quel prix
que ce soit, U en faut donc sortvr.
Oviconque (§ 45, c): Vartifice est subtil, quiconque en soit Tauteur
(Rotrou), und nicht prädikativ Quiconque vous ait fait cette fausse
peinture , . ., 11 mourra (Id.).
Das veraltete quoi qui ist von Sölter S. 48 erwähnt, ebenso
Quoi qui en arrive, ü le faut attribuer ä la fortune (Malh.). Elle
trouve ä redvre ä quoi qui se presente (Chapel.).
Der § 45 Anm. 5 erwähnte Fall pour si utile qu^ eüe füt ist bei
Thäoph. und Rotrou ungemein häufig und tritt in verschiedenen Arten
auf. Sölter S. 49 belegt attributives quelque vor einem durch si ver-
allgemeinerten Adj. A quelque si haut point que ce bonheur m^honore.
Auszugehen ist bei der Erklärung von den Fragesätzen, in welchen
attributives quel vor einem durch ^t hervorgehobenen A^jektivum steht,
9, B. Quel si grand rot n^est point jaioux de votre eceur? (Th^oph.).
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts, 211
En quel si beau marhre de Pare Dois-je graver des monuments Qui
soient fideles ä ia gloire? (Id.). Quels si rares exploHs la rendent
admiraUe? (Rotrou). Quel si pressant b esoin vous tire de ce lieu?
(Id.) und 80 unendlich oft bei diesen beiden Autoren. Wie hier nach
einer besonderen Art des Subst. gefragt wird, welches die durch das
Adj. bezeichnete Eigenschaft in so hohem Grade, wie dieselbe that-
sächlich vorliegt, oder gedacht wird, besitzt, so wird die Art eines
solchen Subst. verallgemeinert in Et de quelque si grand me'rite
Dont Chonneur flalte nos exploiis, II rCest rien de tel etc. (Th^oph.) = von
welcher Art auch immer das so grosse Verdienst sei, Quelque si grand
malheur qui jamais nCen arrive (Id.). Dass von hier aus auch ad-
verbiales quelque zu dem durch si ausgezeichneten prädikativen Ad-
jektivum trat, ist nicht befremdlich, da das neufrz. quelque vor dem
prädik. Adj. ja auch aus dem. quelque vor dem attributiven Adjektiv
hervorgegangen ist, vgl. Quelque si clairvoyant que soit Vesprit
des hommes, Nous ne reconnaissons etc. (Rotrou).
In Sätzen wie Pouvcz-vous ecouter ... Et, pour quelques raisons
qui vous puissent armer. Verser le meilleur sang etc. (Rotrou, Don Lope
de C. 111, 3). Des rivieres plittöt . . . rehrousseraient lenr course, Que
pour quelque depit qui rebtite un amant, II cesse dHncliner et tendre ä
son aimant (Id.). Et pour quoi qu'on en ait, on en a pour le jour (Id.,
Le Filandre I, 4). Et pour si peu de temps que je Tai vue, fai touie
cette ide'e si bien imprimee dans le coeur etc. (Th^oph.), tritt pour in
deutlich erkennbarer kausaler Bedeutung auf, wird jedoch in der
neueren Sprache nicht angewandt, da das absolute Substantivum mit
quelque resp. quoi que und si peu genügen. (Vgl. über dieses pour
Zschr. f. r. Phil. XI, 445 ff.). Man kann in solchen Sätzen eine Ver-
schmelzung der beiden Wendungen pour temps que faie und quelque
temps que faie, der älteren und der jüngeren, sehen, eine Verschmelzung,
die dann schliesslich der modernen Wendung hat weichen müssen.
Aussi in solcher^ Sätzen wie Quoi qu*il ariHve aussi, vous ne la
qnittez pas (Rotrou).
Das veraltete comme que: Pour les hommes, ils se coucheraient
comme que ce füt (Scarr., R. C. III).
Unter den Indefiniten ist tout zu erwähnen, welches vielfach
in der älteren Sprache zur Verstärkung anderer Wörter diente. Dem
§ 46 Anm. 2 Gesagten ist hinzuzufügen, dass tout ainsi sehr offc vor-
kommt, und tout aujourdlhui kann auch noch öfter nachgewiesen
werden, z. B. Je saurais bienme tenir ici tout aujourd' hui (Th6oph.),
Qui m*a tout aujourd^hui mis Täme ä la torture (Id.). Ma foi, tout
aujourd^ hui ce cavalier et moi Nom vous avons cherche (Sc&rr.^ Com.).
Be quoi tout aujourd^ hui II consentira donc? (Ibid.). Obstinez - vous
tout aujourd'hui ä vouloir quHl vous rende votre portrait (M"® de
Scud.). Ebenso findet sich tout vor attributivem les deux, wo es heut-
zutage nicht mehr vorkommt, z. B. Et me faisant regner sur tout es
les deux mers (Rotrou). Be tous les deux cot es les choses ne
furent pas sitot en etat de pouvoir songer ä combattre (M"® de Scud.).
Be toutes les deux fa(^ons dont fenvisage la chose^ je trahis le roi
(Ead.). Ce qui fut accepte egalement de tous les deux partis (Ead.).
Andererseits fehlt dieses tout vor ä coup, wie Be la, tombant ä coup
en des frayeurs plus vives, II nCa semble d^errer aux infernales rives
(Th^oph.), (wozu man vergleichen kann La lumiere qui feblouirait trop
ä coup (Desmar.)), und in d^un temps, wie Et pour punir d^un temps
Torgueü desordonne . . . Faiies etc. (Rotrou). 11 est aise de juger de
ma peine Par l^effort qui d'un temps m' empörte et me ramene (Id.).
212 J. Baase,
Adjektivisches chacun (§ 47, a) kommt auch vor: Cesi ce JHeu . . .
Qui . . . Of'donne le manotr ä chacun elemeni (Desmar., Visionn.). TJn
chacun (§ 47, b) in indirekter Beziehung auf ein mit partitivem de
folgendes Substantivum: Cesi que ma voix cherche des iraits Pour un
chacun de vos atiraits (Id).
Aucun im positiven Satze findet sich nur substantivisch, selten
bei Rotrou (Sölter S. 48 und ausserdem Et d*aucuns qui ployaient
craignant notre ddroute^ Ce grand homme . . . change etc.) und Thöoph.
(Selon le sens d*aucuns Je voulais discourir Si ce n'est pas le feu etc.),
oft in den Dichtungen Scarron's, z. B. Je n^ai point su commeni eile en
fit le chemin, Aucuns oni dit sur un roussin (Po^s.). 11 disait qu'aticuns
d'eux (de ces heaux espriis) ne sont bons qu'ä moucher les chandelles . . .
Qu^ aucuns ä ce heau corps poun^aient servir de memhres (Ibid.).
Aucuns commencerent par hoire (Virg.). fen puis Stre d^ aucuns bläme
Mais aussi serai-je esiime (Ibid). Noire ville . . . Sans regret d aucuns
fut laissee (Ibid.) und so sehr oft. Dass es mit dem von Hellgrewe
S. 18 zitierten 11 avaii assez d'esprit et faisait assez hien de me'chants
vers; d*ailleurs homme d'honneur en aucune facon, maiicieux comme un
vieil singe et envieux comme un singe eine andere Bewandtnis hat, fühlt
der Verfasser der Abhandlung selbst, da er sagt: „hier scheint es
mehr dem englischen any zu entsprechen als für quelque zu stehen."
Offenbar liegt hier ein unvollständiger negativer Satz vor = il n^eiait
. . . en aucune fagon, also = „in keiner Weise", wie ja auch heutzutage
en aucune faqon in derselben Weise sehr gebräuchlich ist.
Aucune fois ist auch (§ 50, b) bei Racan noch öfters zu lesen,
z. B. B est vrai qu'au matin aucune fois les songes Me de'goivent les
sens. 11 suit aucunefois un cerf par les fouUes . . . Aucunefois
des cJiiens ü suit les voix confuses,
Adverbiales rien (§ 51, b) liegt in den gegebenen Stellen mit
ne rien preiendre ä qc. eigentlich nur für die neuere Sprache vor, da
man früher sehr wohl sagte pre'tendre qc, ä q. (qc). Ebenso konnte
damals der Akkusativ als solcher noch empfunden werden in Deferez
quelque chose au sentiment commun (Rotrou) Bourvu qu'ü promit
que . . ., il defererait quelque chose ä mes prieres (M"* de Scud.).
Ähnlich sina Et pour ne rien ce'der aux plus fertiles champs, Les
rochers les plus durs ... Se laissent cultiver (Racan). Ma 7'aison
s'accommode quelque fois ä mes de'sirs . . ., et cede quelque chose ä ma
volonte. II me serait peut-itre plus avantageux. Im dts-je froidement,
que votre volonte ce'dät quelquefois ä votre raison (M"* de Scud.) Doch
scheint hier schon der Akkus, des Masses vorzuliegen, wie ein solcher
deutlich erkennbar ist in Au prix de la vertu je ne les prise rien
(Thöoph.). Von solchen Sätzen aus wurde dann rien rein adverbial,
so dass dasselbe nicht mehr als Akkus, empfunden wurde, wie ja auch
pas und point in ähnlicher Weise zu Adverbien wurden, . nur dass die
Sprache dann später wieder rien auf den rein substantivischen Ge-
brauch beschränkte. Vgl. noch Ne de'sespere rien, car je plains ton
supplice (Rotrou). llrepondit qu^il n^avait rien oubli^ ä metire tous les
secrets de la maaie en pratique, mais sans aucun effet (Scarr., R. C. III).
Die im Altfrz. sehr beliebte Umschreibung durch corps (Tobler,
V. B. S. 27 f.) erscheint noch bei Scarron, welcher corps d* homme -ne
= personne -ne gebraucht, z. B. Corps d' homme n'etait avec moi
(Virg. 1. II). Corps d' homme rCen re<;ut outrage (Ibid., 1. V). Ebenso
findet sich bei Chapelain Sous le petit Rambert, le grand corps de
Norgale, Parmi son sang fumeux, sa dure vie exhale.
fful ohne ne beim Verbum (§ 52, a) habe ich nur noch gefaodea
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVI L Jahrhunderis, 213
Un voleur, dont Vaudace ä nulle autre est pareille (Uotrou)^ eine Stelle,
die darum nicht recht beweisend ist, weil die Wendung ä md autre
pareil ohne das Verbum unendlich häufig war, man also sehr leicht
dazu kommen konnte, dt7'e ohne ne derselben hinzuzufügen. Nul= aucun
habe ich durch zu wenige Beispiele belegt; dieser Gebrauch ist sehr
oft zu beobachten, z. B. im Grand Cyrus fast auf jeder Seite. Vgl.
A-t-on vu jusqu'ici qne du nom des Adomes D'une etroile vertu nul ait
passe les bomes*^ (Rotrou). Pouviez-vous croire qu*un ccßur out vous avait
adoree püt offrir des voeux ä nulle autre divinite? (M"' de Scud.).
11 sera difficüe que fen trouve en nulle pari (Ead.). II evita.,, de
renconirer la princesse Istnne en nulle part (Ead.). Bien hin de songer
ä vous faire nulle violence (Ead.). Car je ne pourrais pas sans cet
ajustement Avec nul des mortels converser un moment (Desmar.). Sa
marq^te, sans laquelle ü ne veut pas que nul s^en serve (Id.). Je ne vois
pas qu*il ait eu nulle aveniure fächeuse en cette chasse (M"** de Scud.).
11 ne lui etait pas possible (Tesperer Jamais nulle satisfaction en la vie
(Ead.). Ce n' est pas que Je sente nulle disposition en moi qui etc, (Ead.).
II ne crut pas que Manaane eüt nulle part ä la chuse (Ead.). Aussi bien
n*est-il pas ä propo» de vous donne?' nulle emotion (Ead.). II rCy avait
pas moyen de tirer 7iulle conjecture de tous les signes (Ead.). Ni CAn-
glais n^est tombe, par nul autre ma/heur, Dans un gouffre si bas (Chapel.).
Ni vous qui le sauviez,., JVe nul autre ici bas ne pourrait rempicher
(Scarr. , Com.). Je m'en retournai , . . sans songer ni au chemin que je
tenais, ni ä nulle autre chose (M"® de Scud.). Du moins vCaurai-je rien
dans Pespit qui me reproche nulle inftd^lite, ni nulle negligence (Ead.).
II ne restait nulle place pot(r nul autre sentiment (Ead.).
Pas un = aucun, per sonne (52, b) ist ebenfalls unendlich oft bei
M"* de Scud. und auch sonst häufig zu finden, doch brauchen die Bei-
spiele nicht gerade vermehrt zu werden, nur der Fall verdient der Er-
wähnung, in welchem pas un neben der Negation ne-pas (point) erscheint,
wie Pas un n'aUa pas au contraire (Scarr., Virg. 1. VIII). Elle ne se
priva pas un moment de la conversation de pas un de mes rivaux
(M"® de Scud., III, 285). II n'y avait point de nom au-dessus de pas
une lettre (Ead.).
Mimement (§53 Anm. 4). II a trop de passion pour Hre croyahle,
mSmement en une cause qu*il a faite sienne (Thäoph.). La nef, ainsi
de'patronnee. Et mimement detimonnäe (Scarr., Virg.).
Substantivisches maint (§ 54 Anm. 3) ist auch bei Scarr. im Virg.
zu finden, z. B. Tydee, Adraste et maint s aussi Qui ne sont pas nommes
ici G. II).
Von den Zahlwörtern ist das früher beliebte un cent de zu
erwähnen, z. B. Teile en trahit un cent, et se fait aimer d^eux (Rotrou).
Bier fen blessai trois d!un regard innocent, D'un autre plus cruel Jen
fis mourir un cent (Desmar.). (Elk) seule en vaut plus d'un cent
(Scarr., Com.).
Als Beispiele zu dem § 57 Anm. 3 erwähnten Falle, dass ein
Subst. mit dem unbestimmten Artikel durch einen Superlativ be-
stimmt ist, füge ich hinzu Je suis sans doute une des personnes du
monde la plus sensible aux bienfaits (Th^oph.). B etait un des hommes
du monde le mieux fait (Scarr., Nouv.). Cl^andre dtait assurement un
des hommes du monde le mieux fait (M"* de Scud.), ein Fall, in welchem
dieselbe Attraktion vorliegt wie die § 64, b erwähnte (wn des meilleurs
hommes qui sott au monde).
Unpersönlich gebrauchte Verba statt der persönlichen
(§ 58, b): Je vous ai moins payS Qu'il ne vous »etait du (Rptrou). Je
214 A. Baase,
suis bien aise de vons pouvoir dire auparavani qu*il m'empire davon-
tage, que si les dieux disposaieni de moi, je n'entends pas etc, (M"®
de Scud.). Vous ne ia reconnattrez pas quand iwns la verrez, iani il
lui est visiblement amende (Ead.). Les qu*il eut forme la resoluiion de
retourner ä Clarie, il lui amenda, il dormit toute la mdt suivante (Ead.).
Auch sind bei M"® de Scud. Konstruktionen nicht selten wie Jamais
il ne s' est entendu parier d!une pareHle confusion ä celle de Bahylone,
Jamais il ne s^est vu de gens de guerre pariir avec un plus violeni
de'sir de vaincre.
Transitiv sind abweichend vom heutigen Gebrauch (§ 59) noch:
accroire: Alors, pour Texcuser, moi-mSme je Vaccrois {DeBmQ,r., Clovis).
aspirer: Donne donc ä tes voeux quoi que ton cceur dspire (Rotrou,
B^lisaire, I, 6).
butiner: (11) s'apprite ä butiner Les plus cheres faveurs qu'un esprit
peut donner (Id.). 11 butine les fruits d^une injusie victoire (Id.).
clignoter: Vainemeni ses yeux il frotta, Les ouvrit et les clignota
(Scarr., Virg. 1. I).
decroitre: Sa compagtiie Naugmente ni de'croit ma froideur infinie
(Rotrou).
desesperer: Ses maitres, qui peidaient tous les leurs fenfants) des le
berceau, la firent nourrice d^un garqon desespere des mede-
eins (Scarr., Nouv.).
discourir: Tout cela est tres bien discouru (Th^oph.). Quelque
chose d'approchant ä ce que je vous en ai discouru (Id.). Quoi
que Vaffection te fasse discourir (Id.).
eclater: Tandis que de leur haine ils e'c latent des crimes Contre les
pouvoirs legitimes (Racan).
guerroyer: Vous les menerez Guerroyer les peuples du Itbre
(Öcarr.).
hucher: Elle siffle en paume les siens, Elle huche ses Tyriens (Id.).
lutter: Et presque sans espoir il lutte en vain les flots (Uesmar.,
Clovis). De Vüettespont e'mn (ü) luttait les flots cruels (Ibid.).
(Beisp. aus dem 16. Jhd. bei Littr^ s. v. Hist.).
Wie obeir auch desobeir: Elle se serait vue de'sobeir pär une per-
sonne qui ne le ferait pas en toute autre chose (Scarr., Lettr.)
opposer: Et partout oü du camp se peut tourner Veffort, Sous cent
aspects divers il oppose la mort (Chapel.).
persuaaer: Je sens une chaleur d'esprit Qui vient persuader ma
plume De tracer etc, (Thdoph.). 11 me dit de plus qu'il avait
fait assez de progres aupres d'eüe pour Vavoir persuadee de
lui donner la nmt entre'e dans son jardin (Scarron, R. C).
pirouetter: Le vent la pirouette (ma barque) sur sa proue (Racan)
Eure les pirouette et les tourne en furie (Scud.).
rapprocher: Vesclave e'chappe rapproche la maison (Rotrou). Ne
me rapprochez point (Id,).
re'pondre: Pourvu que son esprit son visage reponde, Je crois qu*il
vaut beaucoup (Rotrou).
resister: Artameme desespere de se voir re'sister si longtemps (M"®
de Scud.).
tiddir: Mais du vin que Von repandit, Qu^elle but et qui la tiedit.
Fit que etc. (Scarr., Virg.)
voisiner: Une longue avenue Ü'arbres ä quaire rangs qui voisinent
la nue (Desmar., Visionn.).
voyager: Voyageant Vunivers de Vun ä C autre bout, Nous ne saurions
fuir (Th^oph.). •
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jährhunderts, 215
Zu den beireits gegebenen Yerben mögen noch da^ wo nnr ein
Beispiel oder mehrere nur einem Autor entnommene angeführt sind,
gestellt werden: Avec taut de bruit . . . , Que le coßur le plus ferme ä peine
l^accoutume (Scud.). Ensuiie ä cet hymen vous le disposerez Par les
plus doux moyens que vous aviserez (Scarr., Com.)* fordonnerai de
consulter Vaf faire (Rotrou.). Mais les monstres denfer,,. Consul-
tent les moyens den affaiblir le cours (Chapel.). 11 suffit que chacun
dispute cetie question en lui-mSme (Desmar.). Je vous prendrais
pour mon juge, Si favais quelque chose ä disputer comme euxQS}^^
de Scud.). Ei son coeur veut e'clore un espoir qu^ü reiient (Rotrou).
Souvent la Jalousie ». . Par noire propre fauie e'cldt de grands mal-
heurs (Racan). Ainsi courent les brmis des propos murmuranis, Par
gut la foule ecloi ceni pensers differents (Desmar.). Aimant mieux
hasarder le destin des batailles (J*) Assemble ce qu*Ü a de plus fa-
meux soldats (Rotrou). Renviant pour sa gloire.,, L^exploit si
renomme du valeureux Boraöe (Desmar.).
Reflexiv gebraucht sind (§ 60) noch:
se comhaitre: Ce'tait des gantelets setnblables Que des athletes redou-
tables L*athlHe le plus redoute, Erix,,. Se combaitait ä ioute
outrance (Scarr., Virg.).
se däbarquer: Ahrs tout se de bar que (Scud.). Tout s'approche ä la
fin, tout vient, tout se ddbarque (Id.). (U) ^tait arrive ä Madrid,
Sans donner avis de Sdvüle, oü ü s'e'tait de'barque (Scarr.,
Nouv.).
se d^libdrer: Mon desespoir en moi encor se ddlihere (Th^oph.). Je
me de Hb erat de chercher mon salut en ma fnite (Id.)^
se donner de la tSte, contre q€. kommt öfter bei Scarr. vor, z. B.
Elle tomba donc sur lui.,, se donnant de la tite oontre ceüe
de sa fiüe si rudement etc. (R. C). JDom Marcos, qui se donnait
de la tSte contre les muraiües (Nouv.). Maisc^etaii,,, Se donner
du front contre un mur (Virg.).
se feindre: Je veux contraindre ma öonscience de se feindre pour
se condamner (Th^oph.).
se tempSter: Mais cet <bU niest plus dans sa tHe, Dont jour et nuit ü
se tempSte (Scarr., Virg.),
se valoir: Ne tient-il qu*ä tromper, ne tient-ü qü'ä irahir, A cause qu'on
saura se valoir de ses feintes? (Scarr., Com.).
se vieillir: Les oraanes dontilse sert se vieillisseni et s^usent (Desmar.).
Als Beispiele kann man hinzufügen A quoi F hotesse, sans se
bouger de dessus le siege oü eile ätait, lui repartit (Scart., R. C. III).
Et qui se prenant garde Que celui qui voit tout, en tous Ueux le re-
garae, Se gouverne en tous lieux comme e'tant devant lui (Racan). II
s*en va temps de penser ä la mort (Id.).
Ohne das Reflexivum (§ 61) kommen noch Vor:
abaisser: Mais Vesprii dun pauvre homme abaisse de moitie (Scan.,
Poös.).
bouleverser: Enfin tout bouleverse, et Jamais le sokü N^dclaira dans
son cours un desordre pareil (Scud.).
consumer: Bs brülent sans reläche, et jamais ne consument (Racan).
Les m^chants ... Brälent sans e*onsumer et sans pouvoir mourir
(Id.). Je brüle, je consume, et ma lanptie alter ee Se coUe ä
mon palftis (Id.). Ebenso consommer bei Rotrou, Sölter S. 55.
eteindre: TJn feu qui n* steint point, luit et brüle dans ce gouffre
(Scud.). (1^ Jette dans ce navire un feu qu*ü n'^teint pas (lo.).
user: Elle {la table) est encore entiere et nus^ra jamais (Rotrou).
^16 J, Haase,
Hinzufügen könnte man noch Beispiele zu tfvanouir, z. B. Le
Corps,., ei pourrit et ävanouit bientot (Th^oph.). Elle embrassa..,
Don Carlos, gut pensa en evanouir cncore (Scarr., R. C). Nos peurs
seront e'vanouies ßar ces mir ade s apparents (Racan), und einige
Stellen, wo (wie in diesem letzten Beispiel) das Reflexivum in einer
zusammengesetzten Zeit vernachlässigt ist; so kommt sehr ofb bei
M"« de Scud. vor: 11 nous demanda, quand ü fut reiire dans sa chambre,
ce que nous pensions etc, (II) fut irouver le prince Cle'obule dans son
caUnet, oü ü e'iait retire il y avait dejä longternps, ferner (fl) ne laissa
pas de ^assurer, aussitot qu*ü fut un peu remis de son e'tonnemeni,
qu'elle n' avait rien ä crainare. Harpage, e'tant refugie en Perse etc.
Die § 62, b erwähnte, heute nicht statthafte, Attraktion der
PersondesVerbums nach celui qui kann noch durch mehr Beispiele
belegt werden, vgl. Je suis celui qui n*ai jamais rien faii d'agreable aux
yeux de Dieu (Scarr., Nouv.). Je pense Hre celui de tous qui Vai le
plus rigoureusement e'prouve (M"* de Send, III, 65). Commefai ete celui
qui ai eu Vhonneur de lui raconter iouie cetie histoire etc. (Ead. IV, 192).
Jetais Celle qui leur apprenais les nouveUes de la ville (Ead.). — Vgl.
auch noch: Je suis ce traitre, Cet amant non aime qui me vantai de
VHre (Rotrou).
Zu den § 63 Anm. 2 berührten vereinzelten Fällen des ab-
weichenden Numerus lassen sich andere, ebenfalls nur vereinzelt zu
beobachtende hinzugesellen: (Sitot) que le soleü fut leve, La plupart
alla reconnattre Les flenves de ce lieu chämpStre (Scarr., Virg. 1. VII).
Et que (== quoique) irop de raisons m'oblige ä m'en venger (Rotrou,
Don Lope de C. IV, 5). Par quels humbles devoirs te puis-je satis-
faire Qui ne me laisse encor la qualite dingrat? (Id., B^lisaire I, 6).
// n^est ni monts, ni mers, ni campagnes, ni fleuves Qui de notre valeur
doive empicher les preuves (Scud., Alaric 1. I). Wiederholt lässt sich
noch folgender, von Tobler, V. B. S. 190 erwähnte Fall betreffen. Pas
un des curieux qui vous ont observes. N*ont ä tant de me'pris cru mes
jours r^serves (Rotrou, Don Lope de C. I, 2). Que quelqu^un de ces
gens le saisissent au corps (Id., Les M^nechmes IV, 5). Pas un de
ceux que je cheris. Et dont je fais mes favoris, Ne m'oni offert leur
assistance (Racan). Nous lui demandämes s*il ne savait point si quel^
qu'une de ses amies Vetaieni venue prendre (M"' de Scud. IV, 323).
Dazu kann man vergleichen Chacun de ses hotes lui presente une action
qu^ils auroni faiie (Desmar.).
Auch ist singularisches Verbum mit folgendem pluralischen Sub-
jekt (§ 64 Anm.) noch sonst zu lesen: Ei des rochers soriit de nou-
veUes fontaxnes (Racan). Ei des rochers flambants dun feu qui iout
consume Sortira des charbons de soufre ei de bitume (Id.). Jpres
ceUes-lä en vini quatre autres, portant deux cygnes (M"" de Scud.
II, 612). — Vgl. ferner Cesi ainst, m*esi avis, que s'esi passS la chose
(Scarr., Com., so oft). — Quel mepris obstine des hommes ei des dieux
Vous rend indifferent et la ierre et les cieux? (Rotrou, St. Gen. II, 6).
In Bezug auf die Tempora in hypothetischen Sätzen (§ 66, a)
ist zu bemerken, dass bei Rotrou noch oft je dusse =^ ja devrais zu
finden ist; in den früheren Stücken erscheint dieser Konjunktiv sehr
oft, in den späteren wird derselbe etwas seltener, z. B. Vous dussiez
souhaiier de la voir dans mes bras. Je vous dusse epargner en Phumeur
dont vous Sies, Vous dussiez estimer cei honneur glorieux. Tu dusses
rejeter ces doutes superflus» Suivani un compliment de longiemps affecie.
Je dusse demander V4tai de ia sani4. Je proteste Venfer, les eaux, le
firmameni, Ei iout ce que je dusse avoir de venertMe u. a. Auch der
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XV IL Jahrhutideris. 217
§ 67 Anm. 8 berührte Fall kommt oft genug bei Rotrou vor, z. B.
yissez, depuis irois ans , . . ^ Je dusse avoir connu, comme enfin je
connoi, Le peu de volonte que vous avez ponr moi. Moi, dont le nom
iout seid vous düt avoir ioticke. Tu dusses, Cleonte, En son infame
Sana avoir noye sa honte. Uhymen düt avoir Joint nos jours, Voilä
ce bei auteur de mes tristes soucis, Que ma triste confession düt avoir
adouci. Je dusse avoir dejä consulte sa sdence. Sonst findet sich
je dusse = devrais nur selten noch bei den anderen Autoren, wie Je
nCen vais vous apprendre ici Quel düt Hre votre souci (Th^oph.).
Je fusse = j'eusse ete (§ 66, b) begegnet nur selten, vgl. Mon
esprit des longtemps füt reduit en vapeur S*il eüt pu concevoir une vul-
gaire peur Cfh^oph.)* Leur raae füt sans toi de mon sang assouvie.
Et sans toi, dans leurs mains, j aurais perdu la vie (Rotrou).
Comme si mit dem Präsens (§ 66 Anm. 4): 11 m^aUegue un dieu
Jupiter, Qu*il a peur de mecontenter, Ei les oracles de Lycie, Comme
si le ctel se soucie De cettui-lä, de cettui-ci, II serait bien oiseux ainsi
(Scarr., Virg. l. IV).
Das Präs. Fut. nach guand mime (§ 66 Anm. 5) ist nicht selten
bei M"" de Scudöry, z. B. Cette sagesse dont vous parlez n*aura rien ä
faire gu'ä vous louer, guand meme vous m^aurez appris vos plus se-
crhtes pense'es. Pourvu gue je voie Mandane, je serai toujours consoUs,
guand mime tue ne me dira rien d'obligeant. Je faimerai ätemellemeni,
guand mime eile ne m'aimera jamais. C*est powtant lui gui vous a
refuse la porte et gui a ete cause gue Me'gabise est entre\ guand mime
la chose se sera passe'e comme il le dit, und sonst.
Unendlich häufig ist bei M"« de Scud. die § 67, c, d besprochene
Angleichung der Tempora; Beispiele bietet fast jede Seite, es genügt,
nur einige anzuführen, wie Quand il serait vrai gue je ne serais pas
le plus haissable des hommes et gue j"* aurais renau un Service important
au roi, s^il arrive gue . . . , toutes mes actions ne m^obtiendraient pas son
affection. Ne paurrait-ilpas sHmaginer gue j^ aurais songe ä partager
avec Cyrus la domination de taute FAsie? II saura gue Philidaspe, ce
mime Ph, gu*il a tant hat, m*aura enleve'e, Si je ne vous croyais Väme
extrimement ferme, je croirais gue la peur aurait un peu trouble votre
raison en cet instant, — II ne fit pas la mime depense gu'il eüt faite,
s*ü eüt cru gu'effectivement Spitridate eüt ete Cyrus, Je pense gue si
eile n'eüt eu peur gu* Antigene Veüt vue mal danser, eile n'eüt pas
mime ete en caaence. Nous fümes bien etonnes, guand nous fümes Orrives
iout au haut de cette tour, de trouver gue le roi . . . etait alle pour con-
stdier cette femme, car ceriainemeni si la princesse eüt su gu^il y eüt
ete, eile n'y füt pas aUe' ce jour-lä.
Zu § 67, e vgl. Lors tu seras honteux gu*en mon adver site' Je
faie tant de fois en vain solliciie D* avoir abandonnd le irain d*une
foriune QuHl te fallait avoir avec moi commune (Thöoph.). Enfin Amesiris
n*a point du ?'ecevoir cette lettre depuis gu'eüe est ma femme et moins
encore Vavoir conservee (M"*» de Scud.), und zu § 67 Anmerk. 4
vgl. N^es-tu pas son esclave? Et ne voudrais-iu pas fitre tirä des fers?
worauf der Angeredete antwortet: Sehn les moyens gui rrCen se^^aient
offerts, Car je ne voudrais pas acheter de ma fuiie ete, (Rotrou). A Va-
voir en fr einte (la loi) il y va de ma tite (Id.), das Gesetz ist aber
noch nicht übertreten. M'Ster la vie Serait bien moins gue me P avoir
ravie (la beaute) (Id.).
Die Bildung der Tempora composita ist zwar vom Verf.
in seiner Syntax absichtlich nicht behandelt worden, jedoch möchte
er hier bemerken, dass in Scarron*s Yirg. zweimal reflexive Verba mit
218 J. Haase,
avoir das Perf. bilden, was im Altfrz, vorkam, vgl. EMe dwtiit eu cor-
ronon Par la irop longtte friction. Et s'anrait faii mal ä la Croupe
(1. V). EUe a vovlu, la male biie, Achever la flotte par feu. Et vraimeni
s^en a fallu pen, Si son man,,. DPeüt fait etc. (Ibid ). Ausserdem ist
es der M"" de Scud. eigen, die Perf. und Plusquamperf. intransitiver
Verba wie venir^ partir u. ä. durch fai ete\ favais ete zu bilden, was
in der früheren Sprache vorkam und genau dem fai eu donne entspricht,
wie sie denn solche Perf. unendlich oft auch bietet, vgl. M e'tait mort
un moment apres qu'ü avait ete sorti de cette cahane (I, 51). Cet
komme avait laisse tomber des lahlettes quHl avait ramassees, apres gu^il
avait ete parti {llf 1 04). Ce qu*eUe avait dit, qnand favais ete sort i
de son cahinet (II, 116). Aussitot que Cyaxare avait ete arrive ä
Sinope, ils etaient retoume's au camp. 11 rC avait pas ete pluiot parti
d^aupres du roi, que ce prince e'tait entre (III, 35). Aussitot que la nuit
avait ete venue, il e'tait monte sur un cheval (111, 397). II y en avait
deux qui s^ etaient jetes dans la mei' pour V assister, et qui avaient ete'
noye's sans le pouvoir faire (III, 394) und sonst. Infolge dieses Ge-
brauchs befremdet auch nicht Je les sentais comme si elles fussent
venues d^arriver (111, 181) = venaient d^arriver.
Viele gute Beispiele zu den § 69—71 erörterten Umschrei-
bungen finden sich in den poetischen Texten, doch thut es nicht not,
die angeführten zu vermehren; nur das ist zu bemerken, dass faire
mit dem Infinitiv zur blossen Umschreibung und nichts mehr sagend
als das im Infinitiv stehende Verbum doch noch wohl mitunter sich
betreffen lässt. Wenn man zweifelhaft sein kann über De quels ruis-
seaux de pleurs le rappaiserez-vous Pour faire de'tourner de vos cou-
pables tStes Les traits de son courrottx (Racan), so ist ganz zutreffiend
Qui (un serpent) siffle et fait grincer la dent envenime'e (Desmar.,
Der Konjunktiv der Einräumung ohne que (§ 73, a) ist noch
öfters notiert, doch nur in poetischen Stücken, z. B. Xa reine vienne
ou non, que vous sert sa venue? (Rotrou). Mon pere lä-dessus fasse ce
qt^ü pourra ... Si je yCai Dom Diegue . . . J^ veux bien n*epouser qWun
vieil jalouoc (Scarr., Com.). Et qui (la mort) . . . Lindiscrete qu'eüe est,
grippe, voulüt ou non, Pauvre, riche, poltron, vaillant et bon (Ibid.).
Et la troupe qui m'environne, Soient amis ou soient ennemis, Ne ine
peut servir, ni me nuire (Racan). Force gens disent que vous n^ites
Autre chose que des somettes; Mais soyez sornettes ou non. Je vais
commencer tout de bon (Scarr., Typh.). Si bien que voulussent ou non,
Sur ies soldats d* Agamemnon Nous regagnämes la captive (Id., Virg.).
Ebenso ist bei Dichtern oft que vor dem Konj. des Wunsches
auch in solchen Fällen zu finden, wo das Neufrz. den alten Gebrauch
bewahrt hat (§ 73, b), z. B. Que plüt aux dieux que le discotrrs des
fahles Trouvät en moi ses effets veritables (Th^oph.). Que mau dit soii
le nuatre avec son eloquence (Rotrou). Que beni sott des dieux le
pouvoir adorable (Id.). Que puissent-ils m^öter aussi la vie (Id.).
Que puissent nos neveux,.. Dans leur äme graver Pätemel souvenir
(Racan). Que maudii soit le fou (Scarr., Com.). Que beni soyez-
vous, Seigneur, Qui m'avez fait un mis&able (Ibid.).
Dass sacke noch als Konjunktiv empfunden wurde, zeigen die
vielen Stellen, in welchen es sackes geschrieben ist, z. B. Sackes donc
au besoin fournir de la me'moire (Rotrou). Sackes que tout ce que la
crainie a de bon et d^ utile . . . devient etc. (Scarr., Nouv.). Car sack es
qu'il y a de ja deux jours etc. (M"^« de Send. IV, 367).
Der Konjunkäv der Selbstanffordemng in der ersten Pers. Sing.
Ergänzende Bemerkungen zttr Syntax des XVII. Jahrhunderts, 219
nach einem Imperativ in der Alternative, wo Je veux mit dem Infinitiv
oder das Präsens Indik. das Angemessenste wäre, findet sich oft bei
Rotrou, z. B. Ou quittez-moi-la, ou que je vous la quitie. Sois pru-
dente, Dorise, ou que je sois mueite.
Im indirekten Fragesatze steht der Konj, (§ 74) Je me con-
solerais de ne irouver de quoi Je ne pusse en mon mal me venger que
de toi (Th^oph.). II ne se souciait pas par quelle voie il parvint ä la
grandeur, pourvu qu'ü y arrivät (M"® de Send. II, 633).
Der Indikativ statt des Konj. der Einräumung im verall-
gemeinernden Konzessivsatze (§ 75, b) findet sich auch nach pour
peu que, so Et je crois que pour peu que je vous entendrais, Ce
serait un metier oü je me resoudrais (Rotrou). Pour peu que tes geiis
rameront, Aisement ils surmonteront Le fil de mon ^^«/(Scarr., Virg.).
Wie früher die Verallgemeinerung nur durch den Konjunktiv be-
wirkt werden konnte , ohne dass dem Subst. ein indefinites Interroga-
tivum beigegeben wurde, zeigen noch Sätze wie Prite ä ne re'server
crime que faxe fait (Rotrou). Quel espoir que j^aie eu n*a sujet de
renattre? (Id.), welche den § 75 Anm. 3 am Schluss zitierten an -die
Seite zu stellen sind.
Dass das emphatische Adjektiv im Sinne eines Superlativs noch
nicht veraltet ist (§ 75 Anm. 3), zeigt Tobler, Z. f. r. Ph. XI, 442 f.
Dasselbe findet sich auch noch ohne einen Relativsatz mit dem Kon-
junktiv Elajit certain que c'etait un des vaillants hommes du monde
{M^^ de Scud.).
Der Indikativ im Satze mit que nach Ausdrücken des Wollens
(§ 76, a) kann noch belegt werden: II me tarde dejä que dessus ce
heau sein Ma violente ardeur n'accomplit son dessein, Attendant cet
hymen qui te rend souveraine etc. (Rotrou). Je me sens tout de flamme;
Je meurs que je ne vois cet objet de ma flamme (Id.). Quel respect
me retient que des poings et des dents Je ne te fais rentrer ces termes
impudents? (Id.). Qui me tient qu*en ce lieu je n*ecris de ton sang Le
merite de Laure? (Id.) — Vereinzelt ist der Indik. nach accorder =
eine Bitte gewähren, Que Votre Majeste m^accorde seulement Qt^en
ce lieu Lysanor reviendra sürement (Rotrou, L'heureux naufrage,
V, 4), wo die Bedeutung des Wunsches zurückgetreten ist.
Der Konj. nach Ausdrücken des Beschliessens (§ 76, b): Amour
a re'solu que je sois ta victime (Th^oph.). La justice .. . Res out que
la guerriere . . , Souffre de sa valeur triompher les enfers (Chapel.).
Vous avez donc resolu que je parte (M"® de Scud.).
Der Konjunktiv nach esper er (§ 80) ist nicht selten bei Rotrou,
z. B. J*ose encore esper er que dans cette aüSgresse Vous souffriez ä
mon sexe un peu de f aMesse, Lorsque fesperais son retour et ma gräce.
Et que le roi rendtt la paix ä cette place, J^eus avec Dorismond ce
fatal accident.
Der Konj. nach si &est (§81 Anm. 1) Si c'est qu^absolument ma
mo7't soit resolue eic, (Rotrou). Auch est-ce erscheint mit que und dem
Konj., so dass auch dieses noch nicht zum blossen Zeichen der Frage
erstarrt ist wie heutzutage (vgl. Tobler, Z. f, r. Ph, XI , 440) , sondern
noch seiner Bedeutung nach empfunden wurde, so Est-ce par un for-
fait que je doive regner? (Rotrou, Cosroes I, 3). Est-ce, me disait-il,
qu'en ejfet eile ait eu soin de ma vie? (M"® de Scud. I, ßOl).
Der Konjunktiv nach au lieu que (§ 82 Anm. 1) Etant plus equi-
iable qu'au lieu quUl fasse mon panegyrique, je m^en aille faire son
dloge (M"® de Scud.). Wie hier das dquitable keinen Einfluss auf den
Modus haben kann, sondern dieser nur durch die Reflexion veranlasst
220 A. Baase,
ist, 80 ist der Konj. als Modus der Reflexion^ vielleicht als Latinismus
aufzufassen in dem Konsekutivsätze, der eine Thatsache angibt, Tant
de haine, ingrate, ä ma perte fenflamme, Que deux fois en un jour eile
aii (Tun vain effori . . . solliciie ma mort (Rotrou).
Zu den Stellen mit si peu que und dem Indikativ (§ 84. a) füge
ich hinzu: Mais sipetit quHl est, c'est assez pour une personne etc.
(Scarr., Lettr.). ^t si fou quHl etait, Ü flattait sa passion en
croyant etc. (Id., Nouv.).
Den Konjunktiv im zweiten Gliede des Komparativsatzes der Un-
gleichheit (§ 84 Anm. 2) habe ich noch gefunden Je vons hais dejä
plus que vous n*aimiez Amestris et je ne serai jamais satisfaiie que je
ne vous voie tous deux malheureux (M"® de Scud.). Hierher gehört
auch das von HeUgrewe (S. 38) ganz falsch = ä moins que ne aufge-
fasste Nous eümes plus tot gagne les montagnes les plus proches de
Valence que le vice-roi rCen püt etre averti (Scarr., R. C.).
Der Infinitiv ist nur noch nach depuis abweichend vom heutigen
Gebrauch betroflfen (§ 85, c), so Tu sais . . . Que depuis nC ttre
instruit ä la. romaine loi, Mon äme dignement a senti de la foi (Thäoph.).
Tai sotige ä ce vers-lä depuis Vavoir oui citei' de votre part (Id.).
Der Infinitiv ohne Präposition (§ 86, 87) findet sich noch:
// convint ä la Dionee . , . Rendre fhonneur que me'ritait Dame qui
tant nous assistait (Scarr., Virg.). Cepeiidani je te prie encore m*excuser
(Th^oph.). Me priant de nouveau me souvenir de compier bien les
jours qu^elle m'avait accorde's (M^^ de Scud, III, 249). S'ü promet avec
affection, Nous sei vani, exercer notreprofessioniRotiou), Ausserdem
in folgenden noch nicht erwähnten Fällen, zu denen Beispiele aus
früherer Zeit in den betreffenden Spezialabhandlungen zu finden sind,
Je ne ci^ains point faillir quoi que ma muse die (Th^oph.). //
m^accuse notamment avoir ait que je croyais auire chose que etc.
rid.). J^ ai peur Vavoir courue, et qu'un auire Vait prise (Scarr.,
Com.). 11 se souvint mime avoir su que le prince d^Assyrie n* etait
point ä Babylone depuis un tres longiemps (M"® de Scud., II, 111), eine
Stelle, die allerdings auch einen Druckfehler enthalten könnte. —
Z'y recevoir, vous feri^z mal (Scarr., Virg.).
Das Subjekt ist dem von einer Präposition abhängigen Infinitiv
hinzugefügt (§ 85 Anm. 2) Je sais bien le moyen d^Stre tous deux
Contents (Rotrou). Apres avoir donc e'te tous deux quelques momenis
Sans rien dire, Qu^avez-vous fait de votre ami, me dit-elle etc. (M"*»
de Scud.).
Der Akkusativ mit dem Infinitiv (§ 89) kommt noch vor:
Et croyant la fortune Avoir trop fait pour nous pour leur itre
importune, (elles) Vinrent etc. (Rotrou). Qtii n* eüt cru par cette retraite
La cour Celeste itre defaite? (Scarr., Typh.). Viens voir ce coeur ingrat
souffrir sans re'compense, Et qui fut tout espoir t'aimer sans espe'rance
(Rotrou, Florimonde). Tous d*une voix il faut sans fin . . , Cnanter
soir et matin Sa gloire sa arandeur et sa misericorde (Racan). üne
chose laquelle il de'sire etre par eilte et tout ä fait une ä une
autre (Thäoph.).
Der Akkusativ hei faire mit einem Infinitiv nebst einem
akkusativischen Objekt (§ 90): üne ardeur dere'glee Q^i ^<^^ f^^^ ^
souvent au perü du träpas Suivre la vanite de ses trompeurs appas
(Rotrou). (Ton soin) les fait posseder ta vistble presence (Racan).
Uerrt'ur ... Les fait pour les faux dieux tout le sang epancher Des
garcons et des fiUes (Id.). Les autres en le faisant boire Un peu plus
qu^ü ne faut de vin (Scarr., Virg.). (lls) Firent boire ce grand fou
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts. 221
Vn peu plus que son chien de soül (Ibid.). EUe avait remarque heaucowp
d^esprit et de merite en sa personne, ce qui V avait longtemps fait
soup^onner quelque chose (Scarr., R. C. III). (llsj se mirent ä chercher
ceux qui les avaient fait quitter le haut du pave (Ibid.).
Das Partizipium des Präsens statt des Gerundiums in Be-
ziehung auf pluralische Feminina (§ 91, b, c) in der Form -ants ist
auch sonst noch zu beobachten, vgl. Elles fönt de nouvettes vies, Et
quittants les royaumes voisins, Revienneni dans des corps humains
(Thdoph.). Ces choses seront- elles point des chose s qui, occupants
quoi que ce soit, le rettdent tel etc. (Id.). Et de ja toutes les Furie s
Renouvelants leurs barharies Rendaient le vice triomphant (Racan).
Les eaux d'Oise et de Seine, Disputants ce hutin, Faisaient etc,
(Id.). Les deux sceurs s'ecriants deplorent son mcUheur (Desmar.).
LHmage de leur crime et celle de leur gloire Et ants les deux
bourreaux de leur tnste mdmoire (Scud.). Toutes les troupes . , .
s"* dt ants rangees en haie pour laisser passer le rot, il ne voulut pas
(M"* de Scud.). Vamhition et la vengeance n^ et ants guere accoutume'es
de s'enfermer dans les bornes etc. (Ead.). Ebenso bei intransitiven
Verben Les deesses des poetes ... passants dans ma fantaisie,
Firent un peu de poäsie (Th^oph.). (Il) renleva, toutes ses femmes
er i ants desespe're'ment (M"* de Scud.). Kaum findet sich -antes; die
Stelle, welche Sölter S. 66 zitiert, ist durch den Reim veranlasst, eine
andere ist La grosse pluie avec la grile Tombantes du ciel pSle-mSle
(Scarr., Virg. 1. I.).
Das Partizipium des Perfekts (§ 92) wird des Reimes
wegen noch oft von einigen Dichtern mit dem nachfolgenden Objekt
übereingestimmt, z. B. (Je) pense que le dieu des vers Ife m'aura pas
moins de'couverts Les sec7'ets de sa prognostique (Th4oyh.). Non sans
avoir devant huee La chanson de voix enrouee (Scarr., Virg.). II avait
bas mise Et sa jaquette et sa chemise (Ibid.). Für Rotrou gibt Sölter
S. 67 f. Beispiele, unter welchen auch eines sich findet, wo ohne den
Zwang des Reimes die Übereinstimmung mit dem folgenden Objekt
sich zeigt (II m^a preferee une ab jede rivale). Diesem letzteren sind
hinzuzufügen Tu nous auras vaincus les astres irrite's {Rotrou, Ciarice
IV, 5) und Un songe . . . notis laisse imprimee ou peu ou point de
crainte (Id., Venceslas IV, l). Auch zeigen Rotrou und Scarron oft
Nichtübereinstimmung des Partiz. mit dem zwischen Hilfsverbnm und
Partiz. gestellten Objekt, sofern der Reim dieselbe erforderlich macht.
Aus Rotrou gibt Sölter S. 67 Stellen, unter denen üne teile manie a
ses sens occupe, QtCü aura dans un an tous vos biens dissipe (Les
Mänechmes III, 4) sehr auffallend ist, aus Scarron führe ich an: Alors
Neptune ayant toussd, Et plusieurs crachats repoussd (Typh.). Dont
il lava son osil perce, Non sans avoir les dents grincd (Virg.). (Moi)
qui n'ai ma conrse gäte Que pour avoir trop vite ^V^'(Id.), und so sehr
oft in den Dichtungen dieses Autors; auch Si je n*avais e'te si haut
embalconne, Cent coups au Heu d^habits je leur eusse donnd (Scarr.,
Com.).
DasB in der früheren Sprache vielfach das Objekt des Infinitivs
als Objekt des diesem vorausgehenden Verbum finitum gefasst wurde,
ist § 92 Anm. 2 durch Beispiele belegt, denen man hinzufügen kann
Et tu nous a voulus immole?' ä ta rage (Rotrou). Des rois se sont
vus obliger ä ses rares exploits (Id.). Ce de'faut par lequel eile s*est
laissde prendre {DeBm&T.), ün prince qui tient la vie de celui qui vous
Va voulue oter (M^'« de Scud., II, 188). üusage des dames assyriennes
QU ron ne f avait point encore voulue assujetttr (Ead. II, 425 ebensg
222 A. Baa^e,
II, 499 und sonst). Je ne me suis pas laissee tromper (Ead. IV, 485).
Ceux gut se souviennent de les avoir eniendues raconter ä leurs peres
(Ead., II, 484). Ceite admiräble Venus . . . gu'il avait toujours crue
VkHre que Veffei d^une helle Imagination (Ead., II, 512). 11 paraissait sur
son visage une emotion de joie, quHls ne lui avaient famais vue avoir
pour personne (Ead. II, 207). La faiblesse que je vous ai tant entendue
condamner (Ead., III, 117).
Ganz besonders ist dies für die Verba der Bewegung, speziell
venir, hervorzuheben. Nicht nur werden dieselben, wenn sie in einer
zusammengesetzten Zeit vor einem Infinitiv stehen, im Pajrtiz. mit dem
Subjekt nicht übereinstimmend betroffen, (§ 94, a), sondern das vor
dieselben tretende Objektspronomen des Infinitivs veranlasst, dass das
Partizipium sich nach ihm richtet, wie Le roi accompagne de phisieurs
des siens Fe'tait venue prendre dans sa chambre (M"® de Send. II,
289). Le prince ArtOne . . . Vetant venue voir, la conversation fui etc.
(Ead., III, 56). Nous lui demandämes s'ü ne savaii point si quelqu*nne
de ses amies Fetaient venue prendre (Ead., IV, 323, auch LEI, 425. IV,
485 und sonst). So ist auch kein Druckfehler, wie Hellgrewe S. 29
meint, bei Scarr. im R. C. Enfin plusieurs demoiselles richement pare'es
les ätant venus voir, chacune un flambeau ä la main, wie die Ausgabe
von 1651 den Satz gibt, w'ährend die von 1657 venu liest.
Das Partizipium von ü y a richtet sich nach dem vorhergehenden
Akkusativ (§92 Anm. 2, 4) auch Cette grande difference de moeurs et
de faqon de vivre qu*il y a eue enire la cour de David et celle de nos
rois (Racan, Vorrede zu den Psalmen). Nicht ganz sicher ist Von
savait qu'il ne faisait plus bätir ä Clarie; que les peintres et les sculpteurs
q\£ü y avait eus si longtemps, n*y e'taient pltis (M^® de Scud. II, 545),
doch scheint es nicht gut angängig, das il in il y avait persönlich
zu fassen, da dies nicht gut französisch wäre.
Es mögen noch erwähnt werden Et ce de'part ... Joint une autre
raison . . . M'ohlige ä ce fächeux mais important dessein (Rotrou), sowie
zu § 94 Anm. Et toujours parmi vous conserve cherement, Tes ans se
passeront assez utHement (Rotrou). La meüleure partie de ma vie s'est
passee eloigne de ce que j'aimms (M"* de Scud., III, 59).
Von den Adverbien der Zeit (§ 96) ist souventes fois
in den Dichtungen Scarron's wiederholt zu finden, z. B. Le sort . . . qui
toujours, du moins souventes fois, Fait et de faxt, sans raison et sans
choix (Po 6s.). Et moi buvant aussi souvente fois je songe . . . Que etc.
(Com.). Votre main au hras potele M'a souvente fois r egale (Virg. 1. VI).
ja kommt auch noch in Scarron's Virg. vor : 11 avait ja mis hos
un flegme (1. IV).
longuement kommt auch im ernsten Stil noch vor, z. B. Rodolphe
. . . j^etenu longuement sur les bords du tombeau (Chapel). Auch sonst
ist es häufig, z. B. 11 vous eüt mis au point de jeüner longuement
(Rotrou). Tu me tiens longuement (Id.). Dejä trop longuement
la paresse me flatie (Thäoph.).
ore, ores ist bei Th^oph. noch sehr gewöhnlich, z. B. Tu dis
m^ai, ta raison me rend ores confus. La bite . . . Ayant eteint sa soif,
ores s'en est aUee. Recherche en tes desirs, ores si refroidis, Si etc.
Auch oft oreS'Ores, z. B. Ces fosses, en divers end^-oits, Sont ores larges,
or^etroits, Ores faime la ville, ores la solitude, Tantot la promenade,
et tantot mon e'tuae. Or* ensemble, ores disperses, lls brillent eic,
pendant findet sich adverbial Cela n*est pas sans doute , il faut
iout ä loisir Y pens^r mürement, et pendant se saisir Du devin et de lui
(Racan, Bergeries), (s. Litträ s. v. Eist.).
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVll. Jahrhunderts, 223
premierement „zuvor" kann noch durch mehrere Stellen belegt
werden, z. B, 11 ne m'attaque point sans jeter premierement &s
nuages au-devant de tä plus claire verite (Thdoph., und so oft bei diesem
Autor). 11 fant que je te detache premierement des plaisirs du corps
pour te porter aux plaisirs de fesprit (Desmar.). 11 essaya premierement
de monter de front avec les deux comediennes, ce qui s*etant trouvd
impossible, la Caverne se mit etc. (Scarr., B. C). Auch adverbiales
Premier, das sonst nur in der Verbindung pr emier que erscheint (§ 138),
tritt auf: JJn esclave peut-il de'livrer des liens Son ami, si premier ü
n*a brise lef siens? (Rotrou). fllj n'eüt pas rendu täme . . . Si Vamour
n'eüt premier etouffe sa raison (Id.). Je ne veux point mourir, que
premier Ü ne menre (Desmar.).
puis apres ist bei Scarr. unendlich häufig, im Virg. fast auf
jeder Seite, auch sonst ist es noch in der Prosa zu finden, z. B. Je te
ftfrai savoir puis apres camme je suis entre etc. (Desmar., Dölices).
Die Ortsadverbien illec und le'ans kommen noch bei Scarron
vor, so Mais Maron dit qu*un grand gouffre Exhale illec un air de
soufre (Virg. 1. VI). Un prevSt nous a pris, et nous a mis leans
(Com.). On nous eüt fait mettre le'ans (Virg. 1. I).
Unter den Adverbien der Aussage (§ 97) ist voirement noch.
zu finden C^est un fat voirement, et Pascal en est deux (Scarr., D.
Japhet d'Arm^nie IV, 3); Voire ist sonst = vraiment noch mitunter
zu lesen, wie Combien de fois le plus homme de bien succombe-t-U en ces
combats. voire qui jamais en ce monde en a ete pleinement victorieux
que le ßs e'ternel de ßieu? (Th^oph.). Tenez bien quelque temps. — Voire
qui lepourrait (Scarr., Com.). Ein ganz analoges Beispiel bei Hellgrewe
S. 30. Für voire = mime brauchen die Beispiele nicht gehäuft zu
werden.
si beim Hilfsverbum oder verbum vicarium faire beobachtete
ich noch: life le crois-tu point comme cela? — Si fais (Th^oph.). N'y
a-t-il point quelque chose contraire ä la vie? — lyy a (Id.). Alars le
conducteur repartit que . . . quand nous le saurions, nous n'y avions
aucun interit. Jlors je m'avani^i ... et je lui dis: Si ai bien, moi fy
en ai (Scarr., B. C. III). Ebenso in der indirekten Rede Ce qui affligea
fort le petit homme qui fut un peu console quand Ange'liqne dit que si
feroit bien eile (Ibid.).
Adverbiales si, auf einen ganzen Satz hinweisend, kommt noch
bei sembler vor: 11 n'y a rien, si me semble, fui ne puisse legitimement
eeder ä nos fantaisies et ä nos opinions (Th^&ph.). Ebenso .erscheint
auch noch aussi bei itre und fau'e, wo es im Altfrz. unendlich häufig
wie si vorkam (Tobler V. B. S. 87), Mes Chevaliers et mes pions sont
vaiäants; aussi sont les vötres (Scarr., Virg. VIII). Le vieü Jphitus . . .
Fut lors preserve de la touche, Aussi fut Pelias le bon (Ibid., L II).
Aussi ferai-je en bonne foi (Ibid.).
Zu den Adverbien der Quantität ist das bei Scarron noch
vorkommende prou (§ 98, 5) zu notieren; Quand Fun mange tf'op fort,
les cinq autres enlevent Ce qu'il a devant lui, le pillent et s'en cr^veni:
S'entend alors qu^ils ont prou de quoi se crever, Car souvent ce n'esi
pas conp sür que d'en trouver (Com.). Le sommeü . . . Qui fait quelque-
fois prou de bien (Virg., 1. V).
§ 98, 8 Anm. 8 : (11) m'obligera . . . a continuer de Fappeler ainsi
dans la plupart de ce räcit (M^^* de Scud.).
Guh'e im positiven Sinne ist § 98, 11 durch zwei Beispiele be-
legt, von welchen das zweite nach Littr^ s. v. 1^ nicht zutreffen würde,
unid in der That könnte dasselbe durch unzweifelhafte Stellea eraetzt
224 J. Haase,
werden, nämlich solche, in denen puere neben ne-pas und non auftritt,
wie La necessite nous coniraignit ae represeniei* pour gagner notre vie,
bien que notre iroupe ne füt pas guere bonne (Sc&tt.^ R. C. III, eh. 8).
£i je ne Ven vois pas guere moins rejotUe (Scarr., D. Japhet d'Armönie
III, 3). On otät dans la chambre haute des hurlements non guhre
differents de ceux que faxt un pourcean qu'on egorge (Scarr., R. C., II,
c. 7.) Ebenso in der indirekten Frage Dites-moi si cette histoire est
encore guere longue (Scarr., R. C. III, c. 8). Auch nach sans scheint
mir heute guere nicht mehr statthaft, vgl. Quelque secrete cause qui me
faisait agir, sans y faire pourtant guere de reflexion (Ibict.), da beau-
coup doch viel natürlicher ist. Statt // ne regardait avec guere
moins de Jalousie tous ceux qui demeuraient aupres a^ sa personne (&"• de
Scud. III, 646 und sonst offc genug) würde man heute ne regardait
guere avec moins de etc. sagen.
Die Negation non vor dem verbum vicarium (§ 99, a): llpensait
Voir deux Thebes, et non faisait (Scarr., Virg. 1. IV). Non ferai
pas moi, reprit Polycrate, en regardant Alcidamie, car Je stiis persuade
etc. (M"* de Scud., III, 257), wo zwischen ferai und pas ein Komma
zu setzen sein wird, so dass pas moi zusammengehörte, wie auch wir
sagen: „Das thue ich nicht, ich nicht." Freilich findet sich gerade in
diesem Falle früher' auch non- pas. z. B. im XVI. Jahrhundert noch
non est pas, es könnte also auch hier pas zu non ferai gezogen werden
und pas dem non zur Verstärkung beigegeben sein, wie man ja auch
heute durch non pas ein einzelnes Wort negiert.
Pas und point in der indirekten Frage mit si (§ 101, b) ist bei
Rotrou noch unendlich oft zu finden, vgl. nur Voyez si fai pas lien
de fattendre ce soir. Jttgez si Fassemblee Par cet etonnement doit pas
itre trouble'e. N*app?'enez que de lui si Je suis pas la mime.
Point ohne ne (§ 101, c) habe ich nur noch gefunden Vesperance
me confond point, Mes maux ont trop de vehemence, Mes travaux sont
au dernier point: llfaut que mon repos commence (Th^oph.).
Dass onc in Scarron's Virg. noch sehr oft vorkommt, mag zu
Anm. 2 angemerkt werden. Ne — du tont point = ne — point du tout
(Anm. 4) : A Fheure mime on nCaccommode . . . üne cuirasse ä mon pour
point Qui ne paratira du tout point (Scarr. Com.). Eüe fie souhaitait
du tout point sa mort (Id., R. C. III).
Pas, point sind noch in anderen Fällen als den § 102 erwähnten
dem ne abweichend vom heutigen Gebrauch hinzugefügt, so nach
empScher, eviter, il ne Hent pas a, prendre garde in dem mit que ein-
geleiteten Nebensatze, wie Jl ne songea donc plus qtCä empicner que
ses noces ne fussent point troubldes (Scarr., Nouv.). Ses parents
eurent assez de credit pour emp icher qu*on tie lui ßt pas son proces
(Ibid.). Je vous supplie de vouloir empicher que Fincomparable Amestris
. . . ne re^oive pas ce de'plaisir-la (M^^* de Scud., III, 304). Je viens
avec le dessein a empicher en effet qu*il ne la revoie pas (Ead.). II
fallait le fah^e enterrer secretement, pour eviter que la Justice VLy mit
pas la main (Scarr., R. C. III). 11 ne tiendrait qu'ä moi que Je ne fusse
aussi heureuse que faurais ete en Espagne, comme il ne tiendrait
pas ä toi que Je nfeusse point ä y regretter D. Carlos (Scarr., R. C).
11 n*a pas tenu ä moi... que Je ne me suis pas battu contre
Megabise (M^^* de Scud.). // n'a pas tenu ä moi, seigneur, que ce
malheur ne vous soit pas arrive (Ead., II, 407). (lls) nous quitterent,
nous recommandant de bien prendre garde qu*on ne les surpnt point
(Scarr., R. C). Ferner findet sich ne — pas plus = ne — plus: Cette
derniere pensee acheva de lui faire prendre la re'solution de ne perdr^
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts. 225
pas plus un seul moment (M"* de Send.). Den § 102, e angeführten
Stellen füge ich hinzu 11 y avait bien alors deux jours que nous
n'avions point vu le prince Mazare (M^^* de Scud., II, 390).
Die Negiv^ion in dem abhängigen Satze mit que nach den § 108, c
gegebenen Ausdrücken ist noch recht oft anzatreffen, doch brauchen
zu fast allen Ausdrücken die Beispiele nicht vermehrt zu werden; es
mag nur erwähnt werden, dass nach defendre auch bei dem von diesem
abhängigen Infinitiv die Negation auftritt, wie La bonne deesse . . .
s'apparaissait fort souvent ä eUe et lui defendait de n^en epouser point
gut ne füt de son pays et de sa race (Racan), und angereiht werden
Je petille que je ne fasse Sur queique beäe et large face Des balafres
de ma fagon (Scarr., Virg.). Mais Wermond . . . Desespere en son
cceur que Von n'y reme'die (Send., Alaric). Nur die Klasse der Aus-
drücke, nach welchen die Negation analog dem Gebrauch nach ne pas
douier (nier/ que erscheint, ist noch grösser. Hellgrewe S. 83 gibt zwei
Stellen mit ne pas avoir la moindre de'fiance que — ne und ne pas
de'savouer que — ne. Hinzuzufügen sind Je ne me puis öter de Vesprii
que ce ne soit lui-mime (Scarr., R. C). Eile ne pouvait croire que je
ne fusse le Bas-Breton qu'eüe avait vu, ni comprendre pourquoi j'avais
plus d^esprit la nuit que le jour (Scarr., R. C. c. 15, er sollte für diesen
gelten, aber sie wollte es nicht glauben). // apprehendait que Mandane
ne s'imaginät qu'un sentiment d'inte'rii ne Veüt obligä de vCagir pas
fortement en cette affaire (M"« de Scud.). Auch findet sich dieses ne
nach verneintem croire , obgleich die Negation desselben durch eine
andere aufgehoben ist, wie // n*y a personne qui ne croie que cet
Arlane qui s'etait cache, voyant man mattre Messe en tant de lieux, ne
düt se tever pour aider ä celui de son parti qui combattait encore . . .
Cependant il iCen aUa pas ainsi (M^® de Scud.). Ce n'est pas que . . .
fV ne crüt quelquefois que si cet illustre rival n*e'iait plus, il ne püt
occuper sa place (Ead., III, 523). — Zu § 103, d ist noch zu erwähnen,
dass nach avoir soupgon nicht selten wie die Ausdrücke der Furcht
behandelt ist, z. B. // avait pourtant queique leger soup^on que le roi
d'Assyrie n'eüt fait la chose (M"* de Scud.). Dans les soup^ons qu^il
avait qu'il ne füt amoureux de Mandane (Ead.).
Bei Scarr. im Virg. fehlt ne vor dem Verbum eines vollständigen
mit ni eingeleiteten Satzes (vgl. § 104 Anm. 4), was in der früheren
Zeit vorkam, vgl. Mais je sais bien pour le certain Que ni Cytheree est
ta Mere, Ni feu Dardanus ton grandpere (1. IV). Car ni vin orouillait
sa cervelle, M Bacchus etait avec eUe (1. "VU).
Die Präposition de in eigentlicher lokaler Bedeutung (§ 105, a)
ist noch öfter zu beobachten, vgl. Et le sang que säns fruit les legions
romaines En tant d^occasions OfU puisä de ses veines (Rotrou). DUme
mime source ils ont puise leur sang (Desmar.). Ce fleuve prend la
spurce d'une montagne d'Armenie (M"® de Scud.). Übertragen
auf die Bezeichnung des Masses = „wie weit" findet es sich lokal
und temporal (§ 106) = „wie lange", wo dem Neufrz. der Akkusativ
angemessener wäre, z. B. Toi qui ne Cas jamais abandonne d^un pas
(Racan). Que je p&rde le jour si je vous suis d'un pas (Rotrou). Je
n^ai souffert que d^un jour seulement (Thöoph.). Je le vois en trop
belle humeur d^e'crire pour me promettre de longtemps ma liberte (Id. ),
Le pre'sent ne suivra vos voeux que d^un instant (Rotrou). So auch
ohne Negation 11 etait retowme sur ses pas de deux grandes Heues
(Scarr., R. C). ATheure quele soleil jaune De ja de la longueur d'une
aune Dorait le ciel (Id., Virg.), und unendlich häufig temporal in Wen-
dungen wie diffdrer d'un jour oder auch // ne fait que d'un peu son
Zschr. f. tn. Spr. n. Litt. XIi. ^^
226 A. Baase,
iriomphe arrSter (Ghapel), wo jedoch de aach heute als Ausdrack des
MasBunterschiedes sich findet (wie lokal auch reculer (Tun pas u. ä.),
obwohl dasselbe nicht so häufig sich zeigen wird, wie es früher vor-
kam. Ebenso koinmt de lokal und temporal vor in Fällen, wo die
neuere Sprache ä (resp. en, dans) auf die Frage „wo*' verwendet, z. B.
Les demaiseües en faisaient de si arands e'clats, qu^on lex entendaii de
Vautre baut de ta rue (Scarr., K. C. III). D*une distance egale
ils ehignent la terre (Scud., Alaric). Du commencement eUe sot^raü
setäement sa recherche . . ., mais efißn eUe s'y engagea (Racan). EUes
crureni du commencement que leurs larmes fa^aieni passer Taffaxre
par accommodemeni (Scarr., Nouv.). Ei nofts la pourrons e'iouffer, £^
du mSme iemps nous ehauffer (Scarr., Virg.). Chaque corps d'un
temps m^me aitx murailles s'elance (Ghapel.). Tous monteni d^un
iemps mime ei d'une mime ardewr (Id.). Qui saii, disaü-il, si de
Vheure que je varle, eile ne prie paint pour man rival? (M"* de Scud.).
Von den 9 105, b angeführten Verben ist s*in former de q. de qc,
(si) oft zu finden, öfters auch arriver de q,, z. B. Cle'ante, arriva toui
effray^ du malheur qui venait d^ arriver d^un her g er, qui par desespoir
s'etait precipiie dans la riviere (Racan). (II eiait) fort en peine de ce
qui arriverait de lui (Scarr., R. C), auch noch das bereits seltene
s^atiier de, vgl. Quand il s^ est allie de noire humanite, N^a-i-ü pas
de son sang siane notre aUiance? (Racan), und se revolier de q., wie
Ils s' ^taient ae ioi revoltäs (Racan). Hinzuzufügen sind se desoblige?*
de qc, Il se desohlige de famiiie et du respect qu^on Im veut rendre
(Th^oph.); eclipser qc. de q., N'eclipse poini de nous ies gräces ^er-
nelles (Racan), sottffrir de q,, On souffre d'un jaUmcc, ü a droit de se
plaindre (Rotrou), se salisfaire de q., Et de ton assassin et de ton
subomeur Je saurai par mon bras si bien me satis faire Que etc.
(Scarr., Com.), oublier de q., Vous devez ouhlier de moi jusqu^ä mon
nom (Rotrou), remporter la victoire de q., La ghire D'avoir des enne-
mis remporte' la victoire (Racan).
de = neufrz. que nach dem Komparativ (§ 105, c) ist nur oft
nach mSme beobachtet, dasselbe liegt auch vor En rang, comme en
beaute, d* Argine la seconde (Desmar., Clovis). Anders zu fassen
scheint dieses de beim Infinitiv De manquer ä ma foi faimerais mieux
mourir (Racan), denn der Infinitiv kann mit de nach dem Gebrauch
der damaligen Zeit absolut vorangestellt sein.
participer ä qc. statt de (§ 105 Anm. 1) findet sich Ceci ou cela
se fait par la parüdpation de tessence qui lui est propre ä laquelle
il parlicipe (Th^oph.). Apres qu^il lui eureni acoorde' que chacune
des especes est quelque chose, et que ce qui leur participe prend d^elles
sa denomination, il se mit etc. (Id.).
Zu § 107 füge ich nur einige Beispiele hinzu, wie Le ät t^est
de besoin (Rotrou). // nous est de b esoin (Id.). (11) la presenta au
rot, quoigu^ü vüen füt nuUement de besoin (Scarr.). Et n'eussions
point eu de besoin d^autres demeures que de celies etc. (Racan). Qu'est-ce
qu'un amant doit trouver d'impossible? (Rotrou). Qui juge rien de
ferme au monde, vHa point d^yeux (Id.). Lui qui fait tant du subtil
(Thöoph.). J^ai faii du sou verain (Rotrou). Va chez les ennemis
faire de la Celeste (Chapel.). Elle avait bien fait de la mere afßigee
(Scarr., R. C). La Seine enfin ne fut jamais si fiere. Et ne fit tant de
la grosse riviere (Id., Poäs.). Le prince de Salerne y aila faisani
autant de l*empechd que s*il eüt e'ie question etc. (Id., Nouv., und so
unendlich oft bei diesem Autor).
Auch de ce que (§ 108) mag noch durch wenige Beispiele ver-
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts, 227
mehrt werden, wie C^est grand dommage de ce qu*eUe est plus sage
que Salomon (Scarr., Lettres). Le senUmeni qui me iowniieniait le pms
etait de ce qu* Alcionide etait posse'de'e par un komme que etc. (M"* de
(Scud.). Ce qui est cause peui-itre de ce que je suis passable come'dien
(Scarr., B. C.). Vbus n^y trouverez rien digne d'admiraiion que de ce
qu*un travaü de si longue haieine a ele etUrepris par un homme de
man meiier (Racan). Lagreahle Inezüle acheva de lire sa nouveUe ei
fit regreiter ä ious se ,auditeurs de ce qu'eüe n^ etait pas plus longue
(Scarr., B. C). Et la croyant cruelle, Par la seule raison de ce qu^eüe
etait belle (Id., Com.).
Kausales de in der § 109 berührten Verwendung vgl. noch Je
vais composer de ireve avec mes douleurs (Botrou). // a conjure
les siens ß'une paix gen&raU avec les Porciens (Id). Lorsque Dieu
nous Visite, il en est invite Par sa seule equite (Bacan). // conserve
pour nous FaUianee ifnmortelle, Pont il s'est oblige par des voßux
solennels (Id.). Et s'obstiner encore P'un amour qui le perdi
(Thäoph.).
Zu § 111 vgl. Rien ne pouvait vous former une aversion de
moi comme la qualite d^impie (Th^oph.). Je vous donnerais tant d'hor-
reur de votre haine que etc. (Id.). Vous avez de la compassion de
mes maux (M^^* de Scud.), und zur Anm. ibid. vgl. Et tout ä votre
occasion, De vous qui renversez les lais de la nature (Botrou).
Beim Infinitiv erscheint rf^ (§ 112, 1) nach parattre, wie Madame,
un cavalie?; ou qui parait de titre (Scarr., Com.). Ils rattraperent
cet homme qui ne repondit qu^en termes confus aux interrogations que la
Rapinihre lui fit, mais qui ne parut point de tHre, au contraire, il se
mit ä rire (Id., B. C, III), nach daigner und jurei* (eine Aussage be-
schwören) bei Botrou (Sölter S. 55 u. 58). Die Beispiele sind nur zu
avouer zu vermehren, vgl. J^avoürai donc inge'nument P*avoir oublie
lourdement L*action la plus h&otque (Scarr., Po^s,). J'avouerai donc
de ne les pas connattre (Id., Com.), und il fait bon, z. B. // ne faisait
pas bon de se frotter avec nous (Scarr., B. C, III).
Statt des neufrz. ä findet sich ele noch (§ 112, 2) Ce qui est
ridicule de dire (Desmar., D^lices). Ce qui n'est pas ais^ d'entendre
Sans quelque sentiment de colere (M"« de Scud., II, 588). Ce qui ne
serait pas si aise d^obtenir d'elle (Ead., 111, 256), Sölter zitiert aus
Botrou (S. 40) Ce genre d*e'C7Hiure, ä qui tu peux vanter La tienne assez
conforme, est aisä d'imiter. Ferner Le ne suis pas d^humeur d^Stre
tant maltraite (Botrou). // etait homme ä prendre son plaisir partout
oü il le trouve, mSme de le chercher aux ddpens de sa reputation (Scarr.,
B.C.). Ausserdem nach den Verben: autoriser: (Ils) vous autorisaient
d'en rompre le lien (Botrou). Si de te detrompe?^ je suis autorisee
(Id.); s'essayer: Et je suis en fureur quand mon discours s^essaye Pe
ruiner mon maJheur (Thäoph.); s'evertner: Ma pauvre äme . . . s*e' vertue
De sauver un peu de vigueur (Th^oph.). Ah! quHnutilement mon esprit
s'^e vertue P*excite7' la vertu (Botrou); se preparer: Je n*ai qu*ä me
preparer de souffrir tous les supplices etc. (M"* de Scud., III, 576);
mouvoir: Qui te meut de venir troubler notre amitie? (Th6oph.). — Die
Beispiele brauchen nur wenig vermehrt zu werden, so Se soumettant
d'aller apprendre le commencement de cette histoire au rot de Phrygie
(M"« de Scud.). 11 s'enhardit hier de m'en toucher un mot (Botrou).
Un homme . . . s^aventura de me tendre les pieges (Thöoph.). If*osant
pas songer de la mener ä la cour de la reine (M"® de Scud.). — Pe
= pou9\' Ravi . . . d'avoir ^te assez heureux de luirendre quelque peUt
Service (Scarr., B. C, 111). Toutes les cendres dilion N'ont point donne
15
* »
228 ^' Haase,
tont de maiiere De faire des pkuntes aux cieux (Th^oph.). Plus eüe
faii d*effart (Pen ^branler le fmte. Plus etc. (Racan).
Zu § 112, 4 vgl. noch Peuveni-üs approuver de se voir en ce
point? (Rotrou). Ce n'est pas prouver a'avoir combaitu que de se
vanier de rCHre pcis hlesse (M"« de Scud.). Ausserdem avouer q. de
faire qc, wie Mais quel droit Vavoue De retenir au ciel les ehoses
qu'on lui voue? (Rotrou). Ei quel dieu vous avoue d* abandonner les
fers? (Id.). Sehr oft begegnet bei Rotrou douier de und Infinitiv =
zweifeln ob, z. B. Je doute de vi vre en Täiat oü Je suis. Aimani bien,
vous douiez de pouvoir cajoler! Je doute de me voir si pres de
mon repos.
De zur Bezeichnung des Mittels (§ 114) kann durch einige gute
Beispiele vermehrt werden, vgL Cependant Childeric, d^un coursier
diligent, Ayani passe la Marne . . . Touchait etc. (Desmar.). Ils viennent
d'une arme'e assieger nos rctraites (Chapcl.). // s*etait sauve avec son
habit ä la turque dont il pensaii representer le Soliman de Mairet (Scarr.,
R. C). Ferner // me chaut fort peu que CAllemagne se noie de sang
(Thöoph.). S'ü V empörte sur moi, c*est d*un peu d^apparence (Rotrou).
Reponds d*un peu d^amour ä Cardem^ qui m'enflamme (Id.). A-t-il rt'fw
de vous quelque commandement Dont il ait murmure du penser seule-
ment? (Id.). Mais de quoi peut-on reconnmtre Les biens qu'ü nouft fait
chaque jour? (Racan). Tout le soin que fy prends ne profite de rien
(Id.). lovt abonde en tout temps des mens que tu produts (Id.). Les
yeux, voulant pleurer, sont de larmes steriles (Chapel.).
Zu einigen Fällen, in welchen das partitive ^^ auftritt, mögen
auch noch Belege gegeben werden (§ 116, c u. Anm.): Quand il y en a
deux (femmes) dans une maison, il y en a une irop (Scarr., R. C. 111).
¥ ayani deux Cents hommes d^un cote, et un komme moins de taaire
(M"* de Scud.). — J'ai irop d*une nuii nourri son espe'rance (Rotrou).
La peine oü je me trouve est d*avoir irop d*un gendre (Desmar.).
Mandane ayani moins d^une couronne, ne paräiira plus etc. (M^** de
Scud.). Vous demandez irop de la moiiie (Ead.).
Zahlreich sind die Beispiele zu § 118, vgl. J'etais aUe Chez un
ami manger un vied de boeuf sale^ Oü fai trouve d^un aü qui seni bien
mieux que Vamore (Scarr., Com.). Comme Tomyris n'avait que d^une
espece de sentiments dans tesprit, eile faisait tout servir ä son dessein
(M^^® de Send.). II y a pourtant d'une espece de aens au monde dont
pour fordinaire ious les plaisirs consistent etc. (Ead.). Celle qtti offrait
le sacrifice . . ., 7nii dans ceite cassolette de Fambre, du thym (Ihimiane)
... et de plusieurs autres parfums (Ead.). Comme d'autre fois en-
d4)rmi Confusement je Tavais vue (Scarr., Virg.). Ce serait abaisser sa
valeur ä PextrSme De lui vouloir donner d^autre prix que soitmSme
(Rotrou). Et si d'autre interii n'e'meutvoire colere, Craignez etc, (Id.).
Jamals d'autre que moi n'en a porie le nom (Id.). Je ne saurais de
ma conduite Me fier en d* untre qu*ä ioi (Racan). Elle pensait ne
pouvoir jamais vivre heureuse avec d^auire qu*avec lui (Id.). Je devrais
tout ä votre majesie si je ne devais aussi quelque chose ä moi-mtme que
je ne puis devoir ä d'auire (Scarr., Nouv.). Jamais de plus diane
prilresse Pour une plus digne deesse Plus dignement h*officia (Id., Poes.).
Ei cet astre dem se füt mnni du monde Si pour cacher sa honte il avaii
pu trouver D assez noire demeure aux atümes de Ponde (Racan).
(Vgl. Zischr. Xi, 255.)
Übrigens ist der Gebrauch des partitiven de mit dem Artikel
und ohne denselben hinlänglich durch Beispiele belegt, nur zu § 119, b
und Anm. 1 vgl. noch Si mon bonheur n^ est f aux, que vous dois-je des
g
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XV 11. Jahrhunderts, 229
viBux! (Rotrou). A-t-ü jnäsä iani d*eau que jadis ton courraux T'a fait
iirer du sang du sein de son dpoux? (Id.). 11 etait bien en peine de
savair si la femme de Tope'rateur avait heaucoup de Vesprit (Scarr.,
R. C, zitiert von Hellgrewe S. S7). — We renferma sans lui laisser
de la lumiere (Ibid.). Vavare däsir . . . Lui fait perdre le jowr sans
gagner des tresors (Send.). EUle connaissait sa heaute sans avoir de
rorgueil (M"« de Scud.).
Die Präposition ä in lokaler Bedeutung (§ 120) vgl. 11 dit
u'une demoiselie de ses amies lui voulait dire un mot ä la rue (Scarr.,
L C. lÜ). Je vis ce mime prince ä un halcon (M"" de Scud.). (11) la
voit tous les jours , , , ou aans les e'glises ou ä son balcon (Scarr., R. C).
l\i ne te mettras pas ä la tite que faille heaucoup importuner etc.
(Id., Nouv.). — (11) criait comme un demoniaque . . . et croyant de
pouvoir passer au cote droit etc. (Id., R. G. III). Nous trouvämes des
chevaux ä Vauire cote du fleuve (M"* de Scud.). // porte ä ce cote
le chätiment de tous (Pepee) (Rotrou). Je me remets aux yeux Les
justes jugements des hommes et des dieux (Th^oph.). (II) fait paraitre
ä ses yeux les deux indignes rois (Desmai-.). Votre sang qu*un rival
r^pandü ä ses yeux (Scarr., Com.). (Ils) se montrent en tous Heux
Pun ä Pautre voisins (Chapel.). Leur habitation en Vautre monde sera
quelqtie chose d^approchant ä ce que je vous enai discouru {Th^o-ph.).
Je jurerais bien qu'arrivant ä VAm^rique, oü mon chien de destin me
mene, fentendrai parier (Scarr., Lettr.). Als besonders beachtenswert
ist hervorzuheben EMe peut epouser celui de ses amants A qui de son
amour eile a ces nuits pass^es (Rotrou).
In der Übertragung ist ä (§ 121) auch noch in einigen Stellen
notiert, welche der Aufzeichnung wert scheinen; so erscheint dasselbe
= de zum Ausdruck des possessiven Verhältnisses (Anm. S) Mais quel
ecrit trouve''je sous mes pas? D*une vieiäe suivante ä ce Lope de
Lune, Dont la seule valeur egale Tinfortune (Rotrou, Don Bernard de
Cabröre V, 8). La fille ä Jean Vincent, Le coUectettr du bourg, seule
en vaut plus d^un cent (Scarr., D. Japhet d'Armänie II, l). 0 vous, qui
paraissez en peine Du nom de la bSte ä Sildne (Id., Typh.). C etait
Pile ä dame Circ^ (Id., Virg. 1. VII). Aux connaisseurs cela fit dire
Qu'eUe aurait un fort grand empire, La fille au noble roi Latin (Ibid.).
Femer La presomption qtCen pareiües enireprises on soupqonne ordinatrC'
ment aux personnes de mon äge (Thäoph.). Est-il posstble que vous
ayez dormi ä repos dans une affliction si re'cente? (id.). Ses troupes
ä pleine licence Venaient fouler votre inttocence (Id.). ün proces qtti
m'attaque ä Vhonneur et ä la vie (Id.), und so noch oft für dans,
resp. en (§ 121, a), ebenso für avec und pour (§ 121, a, f), z. B. Vous
lui feriez grand tort de Vamvser ä vous (Racan), [u. = de: A quoi
se peut ton äme entretenir? (Theoph.)]. // brülait aux attraits dPune
simple bergere (Rotrou). Votre zhle ä mon salut (Thöoph.). Elle n^eut
point de rdpugnance ä ce que lui proposa Victoria (Scarr., R. C).
Auch zu den Anm. 1 berührten Einzelheiten lassen sich noch anführen:
Le phüosophe qui avait si bien Studie ä la sagesse tonte sa vie, se
trouverait etc. (Theoph.). Tu n'auras plus ä qui te courroucer (Id.).
Ebenso Ils se de'piteni ä moi ei me disent des injures (Id.). Das
temporale ä (§ 122) ist in den Wendungen ä ce matin, ä ce soir, ä
ce Jour ungemein h&ufig, z. B. Mes juges veulent que je parte ä ce soir
(Theoph.). J*ai fait ä ce matin ces vers tout dune haieine (Id.). De
quelle humeur je me trouve ä ce jour! (Rotrou), und sogar Je veux des
ä ce soir en commencer la fite (Racan). A ce coup ist sehr häufig,
auch ä Pheure = sur Pheure ist nicht selten, z.B. A Theure les Helfreux
230 A. Baase,
rassurtreni lears craintes (Racan). Elle avaii des amis ä Ecbaiane, qtä
J^en avertirent ä Vheure mime (M"® de Scud.). Je vous supplie tres
humblement de lui ordonner donc de me le rendre ä r heure mime (Ead.,
und sehr oft im Grand Cyms). Ebenso mit vorangestelltem mime:
Qu'ü ne falkui que le faire savoir ä la troupe ei en obtenir la faveur
de Vassociation, ce quü de'sirait faire ä la mime heure (Scarr., R. C. III).
A mime iemps ist auch nicht selten, z. B. Et fauire ä mime iemps
dlev^ dans les cieux (Racan). Ils avisent donc ensemble que Lucidas . . .
tächerait ä mime iemps de lui faire connatire la fauie etc, (Id.). Et
qui arriva ä mime temps que la lettre de Leandre Im fut rendue
(Scarr., Nouv.).
Zur Bezeichnung des Anlasses und des Grundes (§ 12S) konkurriert
ä mitunter geradezu mit de, z. B. ^ous fümes assez surpris ä cette
ceremonie = „bei** (Thäoph.). // s^effraye ä ces fieres menaces (Rotron).
Surpris ä ce rapport . . . Que dirai-je? (Id.). A ce honieux affront je
demeure e'bahi (Id.). Le roi sans s^emouvoir ä cette aigre censure
(Scud.). La forit retentit ä ce troxibU nouveau (Rotrou). Esi-ce qu'ä
ce nom de ftls votre oreille s' offensei (Id.). Ferner ä = sur: Au Heu
de prendre exemple ä ma fidelite {R3,cü.n), Ähnlich ist A la grandeur
des dieux leur grandeur se fiaure (Th^oph.). Sehr oft begegnet ä quoi
:= pourquoi, z. B. A quoi donc tani de tours ä fentour de la porte?
(Rotrou). A quoi cette froideur et pourquoi tani de suite? (Id.). Mais
ä quoi tani de soins? A quoi tani repeier ce discours inutile? (Id.).
Mais ä quoi differer mon tre'pas davantaae? (Scarr., Com.). Auch das
konjunktionale ä ce que habe ich noch gefunden Je rCak jamais eu assez
de vanite ni de diligence pour les impressions ä ce qu'on me doive imputer
tout ce qui est imprime comme mien (Thäoph.). (EUe) donnera bon ordi-e
ä ce que la couronne Nepese plus au front qui sitdt Pabandonne (Rotrou).
Statt des modernen en faveur kommt auch ä la faveur vor, z. B. (Je)
ne puis goüter le fruit Qu*ä la faveur de tous cette saison produit
(Th^oph.). Redouble ä ma faveur le doux bruit de ton cours, Tani que
tous les Sylvains en puissent itre sourds (Id.).
Das Werkzeug (§ 123 Anm.) ist durch ä bezeichnet Le duc . . .
bieniöt a tranche la tite ... Au fer d'une autre lance aussitot il Feleve
(Desmar.), und das Mittel (ll) vit ä ses chansons ks Parques
desarmees (Th^oph.). ThionvUle acquise ä sa prompte vaillance
(Desmar.). II te ravit un tröne ä ta naissance acquis (Scarr., Com.).
Et son impatience attend le nouveau jour comme un jour de triomphe
acquis ä son amour (Scud.). (Vgl. § 125 Anm. 2) wo derselbe Gebrauch
des ä beim Infinitiv erwähnt ist.)
A = en: Le vin comme le lait en distille ä ruisseaux (Racan).
Quels peuples ne viendront ä ta foule offrir leur oraison? (Id.). Les
biens m'arrivent ä foison (Desmar.). Un tas de faquins . . . se jeter ent
ä la foule dans notre cabane (Scarr., R. C).
Hier mag auch tout ä bon = tout de bon erwähnt werden, vgl.
Mais quand il faUut representer tout ä bon, ü le faUui pousser sur la
seine par force (Scarr., R. C. III). Mais tout ä bon, ne vous deguisez-
vous point (M"® de Scud.). Tout ä bon, lui dis-je, Cleonice, que voulez-
vous qui soit dans cette lettre? (Ead.).
Beim Infinitiv (§ 124, 1, b) sind Beispiele zu fuir vergessen
worden, vgl. Ils fuient ä m*exammer (Thäoph.). Ne de'sire donc point,
fuis mime ä regardei* Tout ce que sans pe'cäe tu ne peux posseder
(Com.). Hinzuzufügen sind offrir, J'offre ä vous y mener (Racan),
presser, (II) ne pressait pourtant pas sa ftlle ä Vepouser (Scarr., R. C),
conseiüer q. ä f. qc. (vgl. § 59), Et rint&it ... Ne conseille jamais
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XV IL Jahrhunderts. 231
ces ämes bienhetireuses A rompre le Uen qui Joint leurs volontes (RacanX
craindre, Je ne craindrai point maintenant ä te dire sur guoi je doute
etc. (Th^oph.), douter, Jones juge gu^il doute ä voir cette actum (Ohapel.).
Bei Verben der bewegang statfc pour (§ 124 Anm.): It s'e'tait en-
ferme dans tme chambre, oü je vins ä heurter assez fort avant qu*ü
voulüt me r^ondre (Th^ph.). Le Pbre Voisin a ete chez plusieurs de
mes juges ä leur demander ma mort (Id.).
Den § 125, a angegebenen Verben lassen sich noch hinzufügen
^i les discours . . . vous ont mieux persuade qu'aux Atheniens
(Th^oph.). Ceüe de contrarier ä la vötre (volonte) en pareü com-
mandement a ete tovjours la seule que je me suis re'servee (Id.). lls
prichent aux gentils, Os prSc/ient a%tx sauvages (Bacan). Je m'etais
engage pour un nomme savant, Depots sur quelque hruit faisant ici la
rofide Je rCai pu refuser au plus vaillant du monae (Desmar.).
Weitere Beispiele sind Ce page votis pourra . . ., mais croirai'je ä
mes yeux? (E>otrou). 21 ne devait iamais me soup^onner mal apropos,
ni croire ä ses propres yeux (M"® de Scud.). C*est ä moi que la chose
touche (Scarr., Virg.). Zu § 125, c vgl. Cela est enc^ore phts e'trange
d^avoir des imaginations emp-untees pour lui discourir (Th^oph.), und
zu § 125, d La rigueur dont je leur use (Rotrou). Ne me continue
point ces raisons dont tu m^uses (Id.). J^eus ä tous mes desseins la
fortune ennemie (Scarr., Com.). Et tant s'en faut qu^ü füt consen*
tant ä son enlevement, que etc. (Id., R. G. III). Zu § 125, e Au heu de
raccourcir ä lafureur du sort Les plaisirs de nos Jours, Sommeü,
tu les aüonges (Th^oph.). Au Ueu du fier tyran qut fusurpe la
France (Gbapel.). Vous pillez aux particvMers ce que vous konnex
au public (Th^oph.). Si j'avais la lächete de mendier ma paix ä mes
ennemis, je pourrais etc. (Id.). Schliesslich sei das veraltete souffjir
ä q, de f, qc, erwähnt Tandis que le ciel me souffrira de vivre
(Thöoph.). VroiS'tu qu*il nous souffrit de vivre? (Id.), und trhve ä qe.
= de, wie Treve, eher D., ä tout dessein de rire (Rotrou). Treve,
Cle'andre, ä ces douleurs ameres (Id.). Treve ä ta dotdeur extrime (Id.).
Das alte es (§ 127, 2, a) findet sich noch: C, de qui la foi ckan-
ceüe ds choses les plus claires (Th^oph.). Le sceptre eternel qu'ils vous
ont mis es mains (Racan). Remettez^moi plutöt es mains de ce Satyre
(Id.). Cet homme . . . Etait des plus grands poHtiques, Ei savant es
mathematiques (Scarr., Typh.). vor pluralischem Artikel habe ich en
nur gefunden (ibid., b) Eüe le trouva homme du monde de la meHieure
mine en les habits de noces (Scarr., R. G. I, c. 22). Vor Städtenamen
(ibid., c) Lune en quite d'un pere, et Tautre d^un mari, Vinrent, pour
nous trouver, s'embarquer en Bari (Rotrou). Je me laisse gagner, ß
depiche en Argos (Id.). IJne personne aussi bien nee Qu*il en futjamais
en Paris (Scarr., Virg.).
Sehr viele Fälle sind zu verzeichnen, in denen noch en statt des
neueren ä (§ 126, 2, d) gebraucht ist, vgl. ausser dem noch durch
viele Beispiele zu belegenden penser und songer en ^., en qc, noch
Dites-moi en quoi tendait Le discours etc. (Thloph.). J^ elever ai ton
frere en un si digne rang (Rotrou). Je ne puis souffrir, en quelque
rang qt^il monte, Lennemi de magloire (Ib.). iVow sans peine encorje
reviens en moi-mime (Id.). Bar le mime attentat (ü) en veut en voire
sang (Id.). Attendant Cheureux jour qui doit en nos de'sirs Permettre
apres les faux les solides plaisirs (Id.). Ün cmur si releve repugne en
cet emploi (Id.). Personne ne pouvait rien comprendre en cette
devote serenade (Scarr., R. C.). Lavocat qui n'entendait rien en ce
beau discours (Ibid., III). Je souffrirais qu'en moi quelqt^un osät pre-
232 A, Haase,
tendre? (Desmar.). Vou$ pre'tenäez encore en sa femme (Scarr.,
Com.). Toujonrs je rive en mon affliciion (Th^oph.). 11 y a apparence
gu'il rivaii en ses amours (Scarr., Nouv.). // pousse en mon sujet
(JCinutües sonpirs (Rotrou). Si gueique autre est plus sage en mon
o pi nio n (Id,). Leandre n'est pas en voire connaissance (Id.). Mais
commeni est la reine en voire sentimeni? — Ses moindres omements
surpassent Fexceüence (Id.). Et moi, . . . En tiie de mes compagnons . . .
Je ioumai etc. ^Scarr., Virg.). Glaugue en t3te de son iroupeau (Id.).
C^est ce grand ndros dont les soins Feronl porter du Rhin en Gange
Sans port une lettre de change (Ibid., 1. YI). Zu den gegebenen Stellen
füge ich hinzu Trouve ä redire ou non en ces propos con/us {Rotrou),
II trouvait ä redire en tous ceux de sa profession (Scarr., R. C).
Ma de'votion Confia votre vie en sa protection (ßacan). Etquiluipeut
ravir un droit en la couronne? (Scarr., Com.). Le temps se rend si
benin . . ., Qu*en faveur de cette saison, Et par arrit de la nature,
II les fait sortir (les serpents) de prison (Thöojh.). J'e'coutais, en
faveur d'une tapisserie, Tout ce que etc. (Rotrou). Clorimond, introduit
en faveur de cette ombre, Äpprendra etc. (Id.).
Zu der § 126, 2, e besprochenen Verwendung des en vgl. Mon
devoir souffre en cette violence (Rotrou). Je demeure confuse en
cet honneur extrime (Id.). Et beaucoup sont en peine en ce cnangement
(Id.). Je ne me piain s point en mon sort rigoureux (Id.). Ma colere
en ton sang ne peut itre assouvie (Chapel.). Lunique espoir de mon
salut se fonde En la croix de celui qui racheia le monde (Thöoph.).
Et te repose en moi d^une ferme assurance (Racan). Je ne m^assure-
rais pas encore en vot?*e affection (M"® de Scud.). Je n*ai point de
pouvoir en ma propre feUcite'f et par cönsequent je vCen ai g^iere en
Celle d^autrui (Ead.). Casque en tSte au lieu de bonnet (Scarr., Typh.).
Je fis voile en Asie (Desmar.). Das veraltete en intention de f. qc.
noch Vn fils que j^ai eleve avec beaucoup de soin, en intention de le
re'ndre digne de nilusire sang etc. (M"« ae Scud.).
Das veraltete en quelque part begegnet noch oft, z. B. EUes ne
sauraient revenir ä la vie si elles n^e'taieni en quelque part (Th^oph.).
On me ferme la porte en quelque part que j^aille (Rotrou). Ils
eclaireni ses pas, en quelque part qu'elle aille (Racan). Me voüä . . .
tres resolu de vous suivre En quelque part que vous irez (Scarr.,
Virg.). Ebenso en nulle part, z. B. Errer de contree en contree, JN'avoir
en nulle part entre'e (Ibid.). // sera difficile que fen trouve en nulle
part (M"® de Scud.). // evita . . . de rencontrer ia princesse Istrine en
nulle part (Ead.). J*äprouvai ce supplice tres longtemps, sans trouver
consolation en nulle part (Ead.) Auch en autre part, vgl. Celle que
Con sait aimer en autre part (Scarr., Com.).
Dans (§ 126, 3) vgl. Je Vaimai dans V ex ces, et je la hais de
mSme (Rotrou). (J'ai) Seule atme sans re'serve, el seuie dans Vexces
(Id.). // me Ca depeint (Pa?nour) comme ü e.st dans ses yeux (Th^oph.).
Je suis moi-mSme enc kante dans un lieu si plein de charmes (M"^ de
Scud.). Et moi, pour te parier dans la m^me franchise, Je te hais
beaucoup moins que je ne te meprise (Scarr., Com.).
Vers (§ 127, c) findet sich auch rein lokal, z. B. Durant cinq ou
six ans j*ai garde mes troupeaux Vers un lieu que Rosinde a pres de
nos hameaux (Rotrou). Vers le prince irrite, la princesse affltgee . . .
s'etait soudairi rangee (Chapel.). La flotte, ä ce qu'on dit, vers Baye
est arrivee (Scud.). Bydaspe qui dlait poste vers le pied des montagnes
oü le roi d'Arme'nie s^e'tait retird (M"® de Scud.). Auch sonst ist vers = ä
resp. Dativ des Pron. pers. gebraucht (§ 127, Anm.), z. B. Le vieiHard . ..
Ergänzende Bemerktingen zur Syntax des XV IL Jahrhunderts. 233
Adresse ainsi vers nous sa parole adordble (Desmarj^ Clovis). Sous
une fenitre qui repond vers une maison brüle'e {W^^ de Scud.).
Sur (§ 128 Anm. 3) vgl. Ce sceptre vons e'leve sur les autres
humains (Botrou). Entre eux un jeune amant vons plaira dessus tous
(Id.). Nul ne saurait plus haut porter Pambition Que d!oser enmer sur
ma pre'somption (Desmar., Visionn.). Lucille qui possede un celebre renom,
ün rang imp&ial ... Et sur toutes grandeurs une extrime sagesse
(Id., Clovis). Sonst ist sur noch zu beachten in 11 est bien outeux . . .
De trouver sur tout ä redire (Scarr., Virg.). 11 suivit d^abord une
longue attee sur laquelle re'pondait la porte du jardin (Id., B. C.)-
Te souvient'ü . . . D'avoir devant mes ye%ix pille sur les autels?
(Rotrou).
Par sus laut (Ibid. Anm. 4) kommt noch vor Mais par sus
tous, sages Le'vites, Servez ce sauvetir des humains (Racan).
Outre in lokaler Bedeutung (§ 129, b) ^ous eussiöns fait enfler la
Seine outre ses bords (Racan). Juparavant ist als Präposition in
den gelesenen Texten gar nicht selten (§ 130, b), z. B. // n''est point
incompatible qu'eUes aient e'te auparavant la vie corporelle (Thäoph.).
JppreneZ'tnoi le crime auparavant P arrit {Uotxo\i). Quand ils ont de
concert auparavant ma mort . . . Jete ma robe au sort (Racan). Je
la vis une heure auparavant cette funeste ceremnnie (M"« de Send.).
Tous ceux qui auparavant nous e'taient alles aprbs le ravisseur etc.
(Ead.).
Au- devant de = devant (§ 130, Anm. 1) vgl. Ces legions en haie
au- devant de mes portes (Racan). Voyant Finfidele Au-devant
d'Albione, et combattant pour eile (Desmar.). Comme un mole construit
au'devant d!un rivage Ihur servir de barriere aux assauts de Corage
(Chapel.). Elles se placerent sur la muraille du cimetiere au-devant
d^un ormeau (Scarr., R. C. III).
Zu § 130 Anm. 2 vgl. Peut-Hre esperez-vous qü* apres le sac de
Troie On vous vienne au -devant recevoir avec joie (Rotiou). faurai
force pour V aller au-devant Et la noirceur de Vombre etc. (Id.).
Mais queües gens nous viennent au-devant? (Id.).
Adverbiales par avant, entsprechend dem § 132, c erwähnten
par apres, kommt vor Je voudrais par avant avoir connu son äme
(Thäoph.).
Präpositionales par devant = devant, z. B. Je passais mille fois
par deiJant sa maison (Scud.) Je Pai vu cent fois . . . Passer et repasser
par devant sa maison (Rotrou).
Parmi in rein lokalem Sinne = au milieu de, dans (§ 131, a)
ist nicht so selten, z. B. Parmi la cite vaste il entend des clameurs
(Desmar.). On voit . . . Eciater parmi Tantre une vive lumiere (Chapel.).
Mais en ayant fait plus de mille, Que fai semes parmi la ville, II
faut etc. (Scarr., Com.). (Elle) Le promene parmi la ville (Id., Virg.).
La blancheur de nos habits et de nos chevaux qui nous avait rendus
invisibles parmi la plaine (M"® de Send.). — Parmi = entre (Ibid.
Anm. 1) Dans la famüiarite qu'ü y a parmi le sang et la chair, il est ä
craindre que etc. (Th^oph.).
Noch heute dient entre mit pluralischem tout zum Ausdruck der
Steigerung, wie Üne femme, Perdue, abandonne'e, entre toutes infame
(Rotrou); von hier aus konnte man auch sagen, wobei die ursprüng-
liche Bedeutung des entre zurücktrat, Ce nom qui, malheureux entre
tout autre nom, . . . attire le bäton (Rotrou, Les Sosies.).
Aupres mit dem Akkusativ (§ 132, b) habe ich noch gefunden
Ainsi le juste aupres Vaulel du Tout- Puissant Semble se rajeunir des
234 Ä, Haase^
§räces qt^ii ressewt (Racan). Zu § 132, d vgl. noch Comme feiais
apres ä votis empaqueier eic, (Scarr., Com.). Ei ßigez par apres de
votre defiance i^otrov)^ und zu der Anm. Ecrivains toujours empiche's
Apres des matteres indipnes etc. (Th^oph.). Tout un siecle les desimees
Travailltrent apres ses yeux (Id., d. h. eie so schön als möglich
zu machen). Les dieux, occupes apres toi setdement, Laissent Tetai
du mande aller ä raventure (Id.). Bivant sur son rivage apres tes
heaiuc e'crits . . . Je disais etc, (Id.). Je n'ajaute pas tant de foi ä tes
paroles, gueje voulusse guiiter un hon repas qui m'attend pour m*amnser
apres une teile esper ance (Desmar.). Je ne crois pas que defunt Phaeton
aii ele plus em piche apres les quatre chevaux fougueux de son pere
que Je fui alors notre petit avocat (Scarr., R. C). (Elle) ne manquait
pas . . . de passer les jours apres des ouvrages qu'elle avait appris ä
faire (Id., >iouv.).
Das alte fors (§ 138. a) begegnet auch sonst noch, z. B. Les
Muses ... Fors le Inen de ton amitie N*oni point felidte si grande etc.
(Thöoph.). Que Venfer contre lui puisse tout fors la mort (Chapel.).
Le surplus est francais, et fors le long des flots, On y jouit partout
d'un glorieux repos (Id.). A tous, fors ä toi. Je suis inaccessible (Scarr.,
Com.). De ces galer es enflammees, Fors quatre dejä consomme'es (Id.,
Virg.). Ce ne fut quasi que tout un, Fors quelques preneurs de petun
Qui etc. (Ibid.), und sonst. Der Stellung wegen ist zu beachten Uertes,
le dang er hors, ce passe- temps est rare (Rotrou). Hormis de und
Infinitiv Vous pouvez tout sur moi, Bormis de mHmposer ceite barbare
loi (Id.).
Lokales par in par le chemin = en chemin, z. B. Faisons par
le chemin ce conte ä Celiandre (Rotrou). Je Ten ouis vanter par le
chemin (Scan*., R. C).
Sehr häufig ist bei Scarron, auch in den prosaischen Schriften, ne
pas avoir pour une chose (§ 134, 2, a), z. B. La ville de Paris n'en a
pas pour un, eile en a dans chaque quartier (R. C). Cette dorne, belle
comme eile etait, n' avait pour un amant (Nouv.). // avait ete des amants
W Helene, car les publiques iCen ont pas pour «n seul (Ibid.).
Das von Hellgrewe S. 41 zitierte ttte pour tSte =: t. ä t. findet
sich auch sonst bei Scarron, z. B. Le pauvre gentilhomme revenait de
courir les hotelleries de la vtlle . . ., quand il trouva Marceüe tite pour
tSte (Nouv.). (II) avait malheureusement rencontre tite pour tite les
archers (Ibid.).
Pour zur Einführung des prädikativen Substantiv. Et la je fus
nomme pour che f de ce grand corvs (Rotrou). Je fus nomme pour
chef d'une puissante arme'e (Id.). Ebenso findet sicn sonner pour la
retraite, z. B. Je fis sonner pour la retraite (Scarr., Virg.). (lls) avaient
sonne pour la retraite (Ibid.). Statt de vor dem Infinitiv II est temps
pour vaincre ton erreur (Rotrou).
Das prädikative Subst. ohne pour bei avoir (§ 134, 2 Anm. 3)
Leurs innocentes mains^ Qui n' avaient que les cieux complices (Th^oph.)
A moins que d'en avoir mes propres yeux temoins (Rotrou). Qu*en
cette heureuse nuit fai la fortune amie (Id.). Je n^avais point eu
d'autres personnes confidentes de ma passion (M"* de Scud.).
Zur Verstärkung der Negation findet sich pour tout = du taut,
z. B. ,,Joint que", vieiue liaison qui sent sa chicane; il n'enfaut point
user pour tout (Malh..^ zitiert von Littr^ nnteT Joint que). Kien pour
tout d'assure ni de facHe (Thäoph.). Aprhs que je serai mort, je ne
comparmtrai plus pour tout (Id.). Tu n*as point pour tout d amitie
(Id.). Lydias, qui n'y pensait plus pour tout, s'approche (Id.).
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVII. Jahrhunderts. 235
Zu den § 134, 3 Anm. 2 berührten Einzelheiten sind hinzuzu-
fügen Les peupies sont heureux Que ce JHeu tout-putssant lUumine des
en naissant De sa lumiere (Racan). Et des en V ahordant . . . je
vais Que ce n'est pas ä tort etc. (Chapel.). Bis avant que le prince
eüt fitä ce langage, on vit etc. (Id.). — Mon espoir toutefois est de^
chaque iour, Du depuis que fai vu pre'tendre ä son amour (Rotrou,
von Sölter S. 40 als Beispiel der YemachläRsigung des Subjekts-
pronomens zitiert). Je ne resseniis point alors cette mort comme fai
fait du depuis (Scarr., B. C. III). Taisez-vous, petite putine, Du
depuis on a dit putain (Scan., Typh.). Pu sortir du depuis il n'a
(Ibid.)
Das Bemerkenswerteste ist, daes auch noch ensemble als Präpo-
sition fungierte, vgl. Ce que fappris par notre confidente, ensemble la
resoluiian qu'eües avaient prise de me voir toujours et par quels moyens
(Scarr., R. C. III, c. 18).
Wie ä travers de qc. vorkam, so auch mitunter au travers qc
das sich präpositionalem auparavant an die Seite stellt, z. B. Certains
cris . . . Au travers le süence et Phorreur des tenebres, M*onl transperce
le ccßur (Thdoph.). II passe au travers la porte (Id.).
Über die Konjunktionen ist zu bemerken, dass quand bien
(§ 136 Anm. 2) bei 'älteren Autoren oft und besonders häufig auch bei
Scarron begegnet, in dessen Dichtungen es fast auf jeder Seite sich
findet, z. B. Et quand bien fen serais parfaitement savant, ma vie
serait trop courle etc. (Th^oph.). Quand oien on faccarderait que . . .,
si peut-on dire enfin etc. (Id.). Et quand bien le destin vous manquerait
de foi, 11 vous reste etc. (Rotrou). Je retoumai dans la salle du Jardin,
pour parier ä St, Far, quand bien il me devrait dire quelque chose de
de'sobUgeant (SctLTr,^ R. C.). // s'en offenserait, Quand bien sa passion
par lä se flatterait (Id., Com.). Quand bien Artamene serait en etat
de combattre, il ne trouvaii pas etc. (M^® de Send.).
Von den § 137, 1 aufgeführten Konjunktionen bedürfen incontinent
que, soudain que^ desormais que und tant que ^bis" mit dem Indikativ
noch einiger Beispiele, soudain que und desormais que scheinen haupt-
sächlich nur in poetischer Rede vorzukommen, vgl. Incontinent
que mon voyage sera resolu, je ne manquerai pas etc. (Th^oph.).
Soudain qu'us sont pa7'donnes Ils vont au rang des fortunes (Thäoph.).
Soudain que Von verrait P heureux choix de mes yeux, Les autres . . .
Feraient toul retentir de cris (Desmar.). Soudain que les Fran^ais
ont quitte le saint Heu, Ils fönt etc. (Id.). Mais soudain que du jour
la barriere est de'close, Roger court aux prelats (Chapel.). Desormais
que le renouveau fond la glace etc. (Th^oph.). La gloire de ton nom
plus loin ne peut s^etendre, Desormais que sous toi s^abaisse la fiertS
(Chapel.). Je tombe, et hors de moi demeure sur la place, Tant
qu'Üctave passant s'est donne le souci De bander ma blessure et de me
rendre ici (Rotrou). Et fai sans m^arriter mon äge consommee, Tantot
par le pays, tantot dans une arme'e, Tant que par le de'cret d^un
invincibü sort Je suis enfin venu chercher ici la mort (Id.).
Kausales ä force que: Ce feu brüle si vite ä force qu'il me
plait Que etc. (Thöoph.). Et ä force que fon Hnterrompait, il se fit
donner audience (Scarr., R. C).
Ein gutes Beispiel für mais que (§ 137, 4) ist Be'lasl ma fiUe,
helas, qui me clorra les yeux, Mais que mon päle esprit soit monte
dans les cieux? (Racan).
Konsekutives si que (§ IS 7, 5) kommt auch oft in Scarron's
Dichtungen vor, z. B. Sa personne . . . Est un peu rudement traiUSe, Si
236 A. Haase,
que tepine de son os Ä re^i dommage en ses os (Virg.). Joint oue ist,
was beiläufig bemerkt werden mag, im Grand Cyrus fast auf jeder
Seite mehrere Male zu finden. Malherbe verwirft es nach Littr^ in
schärfster Weise (§ 137, 5 Anm. 2). ffors que mit dem Konjunktiv,
wofür die neuere Sprache lieber ä moins que sagt, ist oft zu finden,
vgl. nur Ce n'est pas qt^üs ne /ussent tous aeux de la premiere condiiion,
ei que hör s que la princesse e'pousät un rot e'tranger, ou Spilridate,
üs ne pusseni lever les yeux jusqn'ä eile (M"" de Scud.). Ebenso sinon
que, welches dem si ce n'est que § 81, b an die Seite zu stellen ist, in
Sätzen wie Vous ne irouverez poini de quoi, Sinon que la faveur du
roi Tienne Heu de honte et de crime (Thäoph.). Lui-mime semblera
reiracter ses serments, Sans dessein toutefois, sinon que cette adresse
Vous fasse suppleer au mal de sa matiresse (Botrou).
Mit ähnlicher Satz Verkürzung wie § 138 findet sich auch fors
que, z. B. Dedans ce lamentable Heu, Fors que de soupirer ä Die^t, Je
n^ai rien qui me divertisse (Th^oph.). Franc de tous les dangers du
monde, Fors que de toi tant setäement (Id.).
Nicht als eine Konjunktion ist zu fassen ^aHleurs que in La
justice se mit en devoir de faire quelques formaUt^s, mais n^ayant trouv^
personne, et personne ne se plaignant, d^atlleurs que ceux qui pouvaient
etre soupgonnes äiaient des principaux gentüshommes de la ville, cela
demeura dans le silence (Scarr., R. C. III). Mais je n*y voulus pas
entendre; cor je n^avais plus de parents qui eussent droit de me Com-
mander. D'ailleurs que mon cceur etait toujours dans ce parc, ou
je me promenais ordinairement (Ibid.). So nahe auch diese Wendung
dem outre que scheint, ist sie doch von diesem grundverschieden. In
beiden Stellen liest adverbiales d'aiUeurs vor; in der ersten ist que
kausal, wie es in der älteren Sprache und in der heutigen Volkssprache
noch gewöhnlich ist, während in der neufrz. Schriftsprache nur gewisse
Beste jenes Gebrauchs sich erhalten haben. In der zweiten Stelle ist
dieses que ebenso gebraucht wie im Neufrz. nach peut-Hre, heureusement
u. ä., sodass dasselbe überflüssig erscheint und von einem nicht aus-
gesprochenen Yerbum des Denkens abhängig zu denken ist, wie ein
solches que in der heutigen Volkssprache noch sehr gewöhnlich ist.
Auparavant que (§ 138) ist auffallend häufig bei M"" de Send.,
doch brauchen Beispiele zu diesem und den anderen daselbst behandelten
Konjunktionen nicht gegeben zu werden, nur mag zu Anm. 2 ange-
merkt werden, dass man nicht mehr sinon sagt in Sätzen wie Tous
les dieux ä Tenvi lui versaient du nectar Sinon Bellone et Mars qui
poursuivaient encore etc. (Racan). Qtioi, Thäaste, tout rit, sinon vous
seulement! (Rotrou). Tantot que vgl. Ce beau, seigneur, tant dt qu'on
a dine, A mangä comme un diable (Scarr., Com.)-
Zu den § 139 Anm. 2 angeführten Sätzen vgl. Je me vis ä
considSrer ces choses-lä si stupide que rien plus (Thäoph.). Elle se
leva aussitot que le soleil (Scarr., B. C). Le jeune komme commis
ä servir mon amour Se rendit en ma chamhre aussitot que le jour
(Rotrou). Ferner Apres avoir, comme tres sage . . . Dit par trois
fois etc. (Scarr., Virg.). jEneas lui dit, comme sage, Qu'ü commen^t
par le jpotage (Ibid.).
§ 189, 2: Je crois m'^tre trop venge que de m'itre plaint (Thöoph.).
EUe se pUnt aussi dans son ouvrage, croyant en avoir fait un de grand
esprit, et digne d^une extrime louange, que d' avoir trouve du mal en
cette pensee, et de s^etre attache ä la mauvaise interpre'tation (Desmar.).
(Ils) rendaient encore la chose plus forte, pensant en faire une tires
avantageuse pour Artamene que de bien exagerer quil faliait sans
Ergänzende Bemerkungen zur Syntax des XVIL Jahrhunderts, 237
doute etc, (M"* de Scud.). Vgl. noch Les jeunes esprits h'ont rien de
dangereux Au prix que decouter un conseil amoureux (Th^oph.).
C*est faxt que de ses jours ( Rotrou).
Ainsi que = comme (§ 139, 3) ist häufig, z. B. TJn chacun les doit
estimer Ainsi qu*un ange tute'laire (Thöoph.). De ces objets cheris . . .
mon äme est possedee Ainsi que d'un mauvais demon (Eacan). // faut
de notre sang retrancher ce prodige, Ainsi qu*un mauvais bois indigne
de sa tige (Id.). Mes grands coups se fönt craindre ainsi que des
tempitcs (Deeraar.). 11 traite la Navai-re ainsi que PAngleterre (Cbapel.).
Et je vous traiterai ainsi que je la traite (Rotrou).
Das veraltete /M moins (9 140 Anm. 1) habe ich noch gefunden
Cette contume . . . ne me laisse nulpre'texte qui puisse justifier taffection
d^Arlamene pour moi, ni moins encore Celle de Mandane pour lui (M^^"
de Scud.).
Zu dem § 140 Anm. 2 erörterten Gebrauch des ni vgl. Que vous
puis-je celer, ni que vous puis-je dire? (Racan), Que me sert . . . Que
les vins ä ruisseaux me coulent des monlagnes, Ni que me sert de voir
les meiUeurs menagers Admirer mes jardins? (Id.). Et si Cesar pretend
pqr force, par menace . , , Et toi ni par soupirs, ni par embrassements,
Ebranler une fois si ferme et si constante, Tous deux vous vous flattez
d^une inutHe attente (Rotrou).
Et donc (§ 140 Anm. 5) Bessouviens-toi . . . Que ne vivre ici bas
\rien que pour eüe seule (la gueule) Est itre pis que bite; et donc, o
hdelet, Vous n*Stes qu'une bite habille'e en valet (Scarr., (]lom.). Das
Ldverbiale, sodann zur Konjunktion gewordene si (§ 141) begegnet
licht nur sehr oft in adversativer Bedeutung, sondern tritt auch noch
>hne dieselbe in et si auf, das vom Altfrz. bis ins XVI. Jahrhundert
liuein oft als verstärkte koordinierende Konjunktion vorkam, z. B.
^n mangea Tout ce qui fut mis sur la table , Et si but-on au prealable
karr., Virg.). Helas! j^entends du bruit, et si je vois un homme
[Id., Com.).
Soit que — ou soit qtie (§ 143, Anm.) ist sehr oft zu finden, z. B.
nt qu*un triste penser represenle ä mes sens Les lieux ... Ou soit
[ue mon malheur ait mes mains approchdes Des choses etc, (Rotrou).
nt qu*au matin Castre de Cunivers . . . Ou soit qu*ü se retire (Racan).
nt que le jour renaisse au sommet, des rochers ... Ou soit que dans
eaux sa lumiere finisse (Id.). Aiais soit qu*il craigrät de fwcer . . .,
soit qu'il en füt empiche , . ., ii ne le fit pas (M"® de Scud.). Auch
soit que kam vor, z. B. Ou soit qu*ü me punisse, ou soit qu^ü
pardonne, On ne peut murmurer etc. (Racan). *
Das aus ursprünglichem Adverbium zur adversativen Konjunktion
wordene ains (§ 143, Anm.), welches im XVI. Jahrhundert noch sehr
ifig vorkommt, im XVII. so gut wie verschwunden ist, findet sich
|h Fieille barbue, et qui comptait Cent ans, et point ne radotait, A in s
\t femme bien sensee (Scarr., Virg., 1. V.).
A. Haase.
Grundzüge der Entwickelung des e sourd.
Ein Beitrag zur Beantwortung der Frage : Wie sind die französischen
Verse zu lesen ?^)
Man erinnert sich der kläglich irrtümlichen Vorstellungen,
welche bei uns vor nicht langer Zeit über den Versbau der Fran-
zosen in einigen Köpfen herrschten und in naiver Harmlosigkeit
hie und da ernsthaft durch den Druck verbreitet wurden. Man
war, wie auch Humbert in einer Anmerkung S. 3 sagt, geneigt
im allgemeinen alle Verse jambisch zu lesen. Der (zwölf-, bezw.
dreizehnsilbige) Alexandriner bestand also aus sechs Jamben:
und nun hackte man ungehöriger Weise das Metrum nach diesem
Schema ab, gerade wie wir deutsche Verse von Deutschen (und
nicht bloss von Kindern) in geschmackloser Weise abhacken
hören. Bei diesem regelmässigen Wechsel unbetonter und be-
tonter Silben wurden dann auch sämtliche e sourd, soweit sie
als Silbe „zählten^, in derselben schwerfälligen Manier zu Gehör
gebracht.
Solche Praxis und solche Theorie behaupteten sich nach
dem Gesetze der Trägheit (der Geister), als man längst ohne
grosse Mühe das Richtige oder das Richtigere sich aneignen
konnte, wenn man wollte. Ja, ich bin überzeugt, sie sind auch
heute nicht ausgestorben. Aber sie wuchern doch wohl nur im
Verborgenen weiter, und dass noch einmal ein Schriftsetzer
durch sie irre geleitet werden könnte, ist nicht gut denkbar.
Wenn nun ein deutscher Jünger der „neueren Philologie**
mit solchen oder ähnlichen veralteten Anschauungen, vielleicht
durch eigene Überlegung und das Aufbäumen seines Schönheits-
1) Zugleich Anzeige der Schrift C. Humbert's: Die Gesetze des
französischen Verses. Ein Versuch sie aus dem Geiste des Volkes zu
erklären, mit besonderer Rücksicht auf den Alexandriner und Moliere's
Misanthrope. Leipzig, 1888. Seemann. 55 S. 8^.
W, Ricken, Grundzüge der ErUwkkehing des e sourd eic. 239
Sinnes wider hässliche Übung, oder durch irgend eine gelegent-
lich gefundene Bemerkung skeptisch geworden, nach Paris reist
und dort den Brauch der Bühne beobachtet, so wird er sich
sofort des weiten Abstandes zwischen der natürlichen Betonung
und Sprache der nationalen Schauspieler und jenem unnatürlichen
^ Geklapper^ des (nach seinem Wissen) heimischen Deklamations-
stils deutlich bewusst werden. Aber je grösser dieser Abstand
ist, je gröber also seine bisherigen Vorstellungen von der Sache,
je kümmerlicher sein Sinn für geschichtliche Entwickelung, je
geringer sein lautphysiologisches Wissen und Können, sowie
seine Kenntnis der einschlägigen Litteratur waren, desto mehr
ist er in Gefahr, in das entgegengesetzte Extrem hineinzugeraten,
indem ihm über der Beobachtung der groben Unterschiede alle
die feinen Nuancen del* Aussprache, welche für eine richtige
Lösung der von ihm behandelten Frage von massgebender Be-
deutung sein würden, entgehen.
So erklärt es sich ohne Zwang, dass in dem Prozesse der
Reaktion gegen Verkehrtheit und Unnatur, des Sichbesinnens auf
das Richtige und Natürliche, des allmählichen Durchringens zur
Wahrheit, auch unerfreulichere Episoden vorkommen, welche von
dem fast erreichten Ziele wieder abzulenken drohen. Wo immer
wir die Entwickelungsgeschichte irgend einer Frage verfolgen,
vollzieht sich ja vor unseren Blicken in mancherlei Variationen
dasselbe Spiel: ein tüchtiger Kopf ahnt oder sieht das Wahre
und gibt ihm einen vielleicht noch nicht ganz abgeklärten Aus-
druck; weniger weitschauende Männer verstehen ihn nicht, ver-
teidigen die liebe alte Gewohnheit oder wirken, dem miss ver-
standenen Neueren folgend, doch wieder diesem entgegen.
Hierhin und dorthin zerrt man den streitigen Gegenstand, bis
zuletzt die Resultante aller wirkenden Kräfte ihn doch ungefähr
dahin trägt, wohin er gehört.
Die Frage der Rhythmik französischer Verse, insbesondere
soweit sie die Frage der Behandlung des „weiblichen e" bei
dem Vortrage von Dichtwerken in sich schliesst, ist neuerdings
von E. 0. Lu barsch in dem nachgelassenen Werke Über
Deklamation und Rhythmus der französischen Verse. Zur Be-
antwortung der Frage: Wie sind die französischen Verse zu
lesen? (Oppeln, 1888, Maske) überzeugend behandelt worden. In
diesem Buche hat der wahrheitsliebende feinsinnige Metriker,
indem er sich mit einem Vertreter der extremen Reaktion gegen
alte Theorie und Praxis (Sonnenburg: Wie sind die französischen
Verse zu lesen f (Berlin 1885, Springer) auseinandersetzte, eine
in allen wesentlichen Punkten befriedigende Lösung jenes den neu-
apracbliohen Lehrer notwendig interessierenden Problems gegeben.
240 fV. Ricken,
Die Schrift Hnmbert's, welche veranlasst wurde durch den
Umstand, dass in eine von dem Verfasser für die Renger'sche
Sammlung besorgte Ausgabe des Misanthrope gegen seinen
Willen ein dem Gropp 'sehen Äbriss der Verslehre entlehnter
^höchst bedenklicher Passus^, das ^völlige Verstummen des e
muet^ betreffend, aufgenommen wurde, hat freilich bei weitem
nicht 4ie Bedeutung der Arbeit des verstorbenen Lubarsch.
Ohne sich um die vorhandene Litteratur über Metrik, Rhythmik,
den Hiatus und andere Einzelfragen aus der französischen Vers-
lehre zu kümmern, ohne etwaige phonetische Kenntnisse zu ver-
werten, versucht indessen der unzweifelhaft mit einem feinen
Geschmack für französische Poesie begabte Verfasser, das Kind
eines französischen Vaters, die Gesetze des französischen Verses
Schritt für Schritt aus der eigentümlichen Anlage der franzö-
sischen Sprache, welch letztere er vorher in allzu geistreicher
mich keineswegs überzeugender Weise aus dem Geiste des
Volkes erklärt, selbständig zu entwickeln. Er zählt nicht, nach
den in den meisten , Abrissen^ vorliegenden traurigen Mustern,
die mechanischen äusserlichen Regeln und Gesetze, des in ihnen
waltenden Geistes beraubt, auf, er will „auf das die Gesetze
des französischen Verses beherrschende beseelende Band hin-
weisen; ihren Geist in dem Leser wecken und jene Gesetze, die
er vielleicht als tote Teile in der Hand hält, mit dem ursprüng-
lichen Leben wieder erfüllen.'' Und trotzdem die Schrift wegen
des Vei'fassers allzu geringer Vertrautheit mit mehreren nicht
etwa unwichtigen Nebenfragen im einzelnen manche Irrtümer auf-
weist und daher immerhin mit Vorsicht zu benutzen ist, ist es
mir keinen Augenblick zweifelhaft, dass, wenn die Lehrer des
Französischen, welche mit ihren Schülern einen Dichter zu lesen
haben und doch auf dem Gebiete der Metrik und Rhythmik sich
nicht genügend orientiert wissen, in dieses Büchlein und in das
schöne Werkchen von Lubarsch einmal sich versenken wollten,
die Lektüre und der Vortrag und die beiläufige metrische Er-
klärung des Dichtwerkes ihre Schüler in weit erfreulicherer Weise
bilden und belehren würde, als die Regeln und Definitionen der
öden Leitfäden, die das Beste verschweigen, die den Lehrer
nicht mehr sollten zu unterrichten vermögen und in den Händen
der Schüler doch nur Unheil anrichten. Die Benutzung solcher
Abrisse von selten unserer Zöglinge ist ebenso verwerflich wie
der Gebrauch von Lehrbüchern der Synonymik, von Vokabulaires
und anderen doktrinären Zusammenstellungen phraseologischen
Materials.
Ich übergehe alle diejenigen Ausführungen Humbert's,
welche zu der von ihm angegriffenen „ Gropp - Dickmann^schen
Grundzüge der EniwickeiHng des e sourd eic, 241
Regel ^ über die Aussprache des weiblichen e im Verse nicht
unmittelbar in Beziehung stehen. Vielleicht gelingt es mir, die
vorliegende Streitfrage von einigen eigentümlichen Qesichts-
punkten aus so zu beleuchten, dass manchem die Stellungnahme
erleichtert und eine Einigung der Parteien eher erzielt wird.
Bei Gropp, S. 8, lautet die ganze Regel folgendermassen:
,,Nach der Theorie müsste das als Vokal einer vollen
Silbe den übrigen Vokalen gleichberechtigte sogenannte stumme
e stets mit dem Laut des sogenannten dumpfen e (e sourd) ge-
sprochen werden. In der Praxis jedoch unterscheidet sich heut-
zutage die Aussprache dieses Lautes nicht wesentlich von der-
jenigen in der guten Prosa. Sie hängt im allgemeinen von der
Beschaffenheit der vorhergehenden und folgenden Konsonanten
ab; häufig beruht sie auch auf der subjektiven Auffassung und
Stimmung des Sprechenden oder auf der Gattung der Dichtung,
welcher der betreffende Vers angehört. Im allgemeinen lässt
sich folgendes Gesetz aufstellen: Wenn die Natur der voran-
gehenden resp. folgenden Konsonanten in der Prosa ein völliges
Verstummen des Lautes zulässt, so tritt dies gewöhnlich auch
in der Poesie ein; höchstens macht sich das Vorhandensein des
e durch ein längeres Austönen des vorhergehenden Konsonanten
hörbar, wodurch zugleich eine Verlängerung der vorhergehenden
Silbe eintritt, z. B.:
Tons resteni (lies: resf), les hras en haut (Brizeux)
Voüä notre uniqtie (lies: noir^wiiqu) tre'sor (Lacbambeaudie)
Comme (lies: comm') Rome (lies: RonC) Coclks vous avez Galgacus
(Hugo).
Das e ist mehr oder weniger mit dem dumpfen ö-Laute
hörbar in den einsilbigen Wörtern je, wc, te etc., femer nach
muta cum liquida und wenn die Natur des folgenden Konsonanten
eine deutliche Aussprache des e nötig macht, z. B.:
Eniraine le plus fori, trouhXQ le plus hardi (SuUy Prudhomme)
Parl^Aui smis effroi: lui seid peui te comprendre (Lamartine)
Plus prompts que raquÜon, /bndent de touies paris (Lamartine)
MaitiQ lenard, par Codeur alleche (Lafontaine) — ."
Vergleicht man diese Erklärungen mit den Resultaten der
neuesten Fassung Lubarsch's, so lässt sich allerdings nicht
leugnen, dass Gropp nicht ohne Glück versucht hat, dem Gesetze
mit seinen Einschränkungen und Vorbehalten eine Fassung zu
geben, die der Wahrheit nahe käme, wofern man den Gebrauch
der Bühne als massgebend ansieht. Dass der Lautwert des e
sourd der weiblichen Endungen (in der Prosa) beim Vortrag
von Versen an sich nicht geändert werde, hatte Lubarsch ja
bereits 1879 hervorgehoben. Er hatte aber auch damals schon
den für eine richtige Auffassung der Sachlage wesentlichen Zu-
Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XIi. ^^
242 ^. Ricken,
satz gemacht, dass die. Silbe, der jenes e angehöre, dnrch deut-
liche von der vorhergehenden Silbe mehr losgelöste Artikulation
ihrcB konsonantischen Anlautes möglichst selbständig fUr das
Ohr hervorgebracht werde. Diesen Punkt nun hat er in seiner
letzten Schrift neuerdings klar und vorzüglich behandelt, so zwar,
dass von hier aus sicher eine Versöhnung der streitenden Parteien
wird erzielt werden können. — Trotz seiner etwas gewundenen *
Erklärungen und der reichlichen Verwendung der verschiedene
Auswege offen lassenden beschränkenden Adverbien „im allge-
meinen'', „gewöhnlich**, „häufig", „nicht wesentlich", darf man
doch wohl behaupten, dass Gropp, da er seine Regel schrieb,
mit derselben nicht in dem Sinne Lubarsch's die feststehende
Silbenzahl des Verses zu wahren gedachte, sondern sich mehr
dem Standpunkte Sonnenburg's näherte, der beispielsweise
Alexandriner von (9) 10, 11 Silben annahm, (ja einen solchen
Wechsel der Silbenzahl als notwendig ansah, da auf ihm zum
grossen Teil der Wohlklang des Verses beruhe). Denn selbst
wenn „ das längere Austönen des vorhergehenden Konsonanten " als
ein ungeschickter Ausdruck für die „selbständige von der vorher-
gehenden Silbe losgelöste Artikulation" desselben betrachtet werden
dürfte, würde doch das hinzugesetzte „höchstens" einen dement-
sprechenden Vortrag als einen wohl einmal festzustellenden doch
keineswegs herrschenden und bindenden Gebrauch charakterisieren.
Humbert dagegen steht einfach auf dem Standpunkte, den
Legouvö einnimmt, der da sagt : Le lecteur qui ne prononce pas les
e intermidiaires faxt un vers fauXy ein Standpunkt, den Banville
und Leconte de Lisle nach Lubarsch, Deklamation und EhythmuSy
S. 22 und 28 durchaus teilen. Der unterschied in dem Vor-
trage des lecteur par excellence und Dichters Legouv6, und der
Dichter Banville und Leconte de Lisle, der in einer beiläufigen
(nach der Darstellung bei Lubarsch, S. 25 eigentlich recht un-
motivierten) Äusserung Banville's zum Ausdruck kommt, scheint
im Grunde nicht so bedeutend zu sein und sich nur auf die
„Interpunktion '^ beim Lesen des modernen Verses zu beziehen
(Lubarsch 38), und betrifi^ auf keinen Fall die Behandlung des
weiblichen e im Innern der Verse. Es wäre demnach nicht zu
billigen, wollte man den Versuch, die vorliegende Streitfrage mit
einiger Sicherheit bei uns zu lösen, mit einem Hinweis auf die
Meinungsverschiedenheiten französischer Autoritäten als gewagt
und vergeblich hinstellen. Im Punkte des e sourd sind die drei
Gewährsmänner Lubarsch's vollständig einig. ^)
^) Plattner im Gymtiasium VII, 2 (Sp. 52) und Heller in der
Franco-Gallia VI, 2 (S, 57) scheinen diese Meinungsverschiedenheiten
zw übertreiben und auch auf die Frage des e so^trd auszudehnen.
Grundzüge der Entruickelnng des e sourd etc. 243
•
Uumbert äussert sich so: „Die neue Regel von Gropp und
Biekmann widerspricht der Konsonantenscheu, zerstört die Leichtig-
keit des Rhythmus und der Bewegung"...... „Sie wider-
sfkricht dem Grundprinzip der französischen Rhythmik, der Silben-
siählnng, auf welcher der Unterschied der Verse beruht. (?)
Solche, die .zwötfsilbig sein sollen, werden neun-, zehn-, elf-
^Ibig;. und mitten zwischen wirklich zwölfsilbige hineingeworfen,
inn die vom Ohr erwartete und gefprdette Gleichheit zu stören:
ipQ^' z^efache Missgeburt, wie mitten in der Odyssee oder in
dem Dialog eines griechischen Trauerspiels ein drei-, vier-, fUnf-
ffissiger Hexameter oder jambischer Senar."
„Sie zerstört zugleich den Bau jedes einzelnen Verses selber,
und im Alexandriner die so wichtige Gleichheit seiner zwei Teile."
„Nicht einmal in Gassenhauern und Bänkelsängereien lässt
sich der Franzose das bieten. Selbst da wird das Silbenmass
lunegehalten, die verschluckten e zählen nicht mit und werden
auch nicht geschrieben; man ersetzt sie durch einen Apostroph,
und wenn man sie schreibt, müssen sie selbst in Gassenhauern
gesprochen werden."^) — Letzteres belegt er mit klaren Bei-
spielen aus der allerneuesten Zeit.
Abgesehen davon, dass ich die (für die heutige Sprache
immer hypothetischer werdende) „Kosonantenscheu" des Fran-
zosen nicht als einen zureichenden Grund für die Notwendigkeit
^) Es ist interessant und lehrreich zu beobachten, wie schon vor
mehr als 200 Jahren Chiflet mit denselben Gründen gegen die Lehre
eines Grammatikers, nach welcher das e feminin im Innern des Wortes
und am Ende der einsilbigen Partikeln vollständig verschluckt werde,
zu Felde zieht. Doch ist nicht zu vergessen, dass Chiflet damals die
Richtigkeit obiger Lehre selbst in Ansehung der familiären Sprache
bestreitet, Humbert heute die Richtigkeit einer ähnlichen Lehre in An-
sehung der getragenen Sprache dichterischen Vortrags, ein Verhältnis,
auf das wir weiter unten noch mehrmals zurückkommen werden. Die
Worte Chiflet's (Essai d'une parfaüe grammaxre de la langue fran^oise,
sixihnie ed,, Cologne 1680, S. 212) lauten: Sur cel e feminm ü iCy aque
deux choses ä dire, contre une double erreur d'un Grammmrien. La
jn- emier e est, en ce qu*il dii, que cei e se mange toui-ä-faii au milieu des
mois, ei qu'il ne se prononce point du toui ä la fin des pariicules mo-
nosyUahes; et par conse'quent quil faut dire, da pour que la, sla potir
cela; ack(e)ter pour acneier, Ison pour le^on, eic. Je dis de cette pro-
npnciation äffe et ee qu'elle est fausse, injurieuse ä nostre langue et
ioialemeni pernicieuse ä la pocsie FranQoise. EÜe est fausse, parce
qu'eUe aneantit des syUabes entieres qui ont droit d*estre distingue'es des
autres, quoy que favou^ qu'eües sont fort courtes; et qu*il les faut pro-
noncer brie'vement. Elle est injurieuse ä nostre langue : d^auiani qu^eüe
la rendroii dure, scabrettse, et fremissanie ; ä cause du choc des consonnes,
contre Fextreme inclifiation qu'elle a ä la douceur. Enfin eile ruineroit
toute la poesie, estropianl les vers du nombre des syllabes, qui est requis
ä^leuii me$ur4!*
' : 16*
\
244 TV, Ricken,
der Aussprache der weiblichen Endungen im Verse ansehen
kann, stehe ich prinzipiell auf dem Boden dieser Humbert'schen
Erwägungen. Es ist nur schade, dass der Verfasser lediglich
vom Standpunkte des Ästhetikers räsonniert, lediglich seinem
Geschmack, seinem Schönheitsgefühl, seinem musikalischen Sinn
folgt und nicht für alle diejenigen, welche sich auf solche Eigen-
schaften und Fähigkeiten nicht verlassen können und wollen,
eine Reihe anderer Gründe, die sich aus einer sorgfältigen
historischen Betrachtung ergeben, beizubringen versucht hat.
Schade ferner, dass er es versäumte, auf die doch von vorn-
herein anzunehmende Verschiedenartigkeit des weiblichen e im
Sinne Lubarsch's hinzuweisen und durch eigentlich philologische
Betrachtung seine Ansichten zu stützen; zu zeigen, unter welchen
Voraussetzungen sie auch heute noch allein berechtigt sind, und
den Punkt zu bestimmen, von dem aus abweichende Meinungen
einige Körnchen Wahrheit erhalten. Die oben mitgeteilten Stellen
aus der Regel Gropp*s waren sehr wohl geeignet ihn zu der-
artigen Untersuchungen zu veranlassen.
Welche Beleuchtung nun empfängt unsere Frage von der
sprachgeschichtlichen Forschung? Inwiefern müssen sich unsere
Anschauungen von der Aussprache des weiblichen e beim Vor-
trage von Versen klären, wenn wir dieses Problem auch einmal
aus dem Gesichtspunkte stetiger immer fortschreitender Sprach-
entwickelung und unter sorgföltiger Beachtung des allgemeinen
Gesetzes von der Allmählichkeit des Lautwandels betrachten?
Ob dabei nicht vielleicht einige Analogieschlüsse sich ergeben,
denen eine grössere Überzeugungskraft innewohnt, als ästhetischen
Erwägungen und Deduktionen?
Das „e muet ou obscur''\ wie Richelet sich ausdrückt, hat
in den verschiedenen Stellungen, die es einnehmen kann, immer
verschiedenen Wert gehabt, in der Sprache der Konversation wie
in der Sprache des discours soutenu und der Poesie. Zunächst
ist es in allen Fällen hörbar, hier weniger, dort mehr. Die
Tendenz der Unterdrückung des c beginnt dann an einem be-
stimmten Punkte sich deutlicher fühlbar zu machen. Von hier
aus geht der Verstummungsprozess, verschiedene Stadien durch-
laufend, allmählich und unaufhaltsam weiter. Fast immer ist es
zunächst die familiäre Sprache, welche der Verlust trifft, natür-
lich ohne dass sie denselben bedauerte. Die Sprache der ge-
tragenen Rede, die Sprache des langsamen, gemessenen dichterischen
Vortrags weigert sich lange genug, den neuen Manieren ihrer
leichten Schwester zu folgen: aber ihr Widerstand ist auf die
Dauer vergeblich. Täglich, stündlich erobert die junge Mode
weitere Kreise, grössere Gebiete. Sie befestigt sich in ihrer
Grundzüge der Eniwickelung des e sourd eic. 245
Macht, und bald ist sie die unbestrittene Herrin. Wenn bei
ihrem ersten Auftreten ihre Art als affektiert und geschmacklos
galt, so ist sie jetzt die allein natürliche und feine. Wenn der
neuen Aussprache zuvörderst der Vorwurf der Härte gemacht
wurde, so übt sie nunmehr eine ausserordentlich angenehme
Wirkung auf das Ohr aus, während die alte Aussprache allge-
mein als schleppend und abstossend empfunden wird. Da unter-
werfen sich dann auch Redner und Dichter dem allgemeinen Brauch.
Wenn nun dies der Lauf der Dinge ist — was ich sogleich
an einer Reihe von Beispielen darzuthun gedenke — , so ist klar,
dass eine Zeit kommen muss, in der die früheren weiblichen e
aus der Volkssprache völlig werden verschwunden sein. Sodann
ist auch der Tag verhältnismässig nicht mehr so fern — immer-
hin können mehrere Jahrhunderte darüber hingehen — , wo auch
der Deklamator und der Dichter sie nicht mehr zu sprechen,
nicht mehr zu berücksichtigen wagen werden. — Ob wir diesem
Tage schon jetzt nahe gekommen sind?
Um das Verhältnis der Vortragssprache zur leichten Um-
gangssprache und die stufenweise Entwickelung beider immer
nach derselben Richtung hin darzulegen und zu zeigen, wie jene
(beispielsweise die Sprache der Poesie) den von dieser diktierten
Gesetzen schliesslich folgt, führe ich zunächst einiges aus der
Entwickelungsgeschichte der Endkonsonanten und der inlautenden
Vokalverbindungen vor.^)
In den älteren Zeiten der französischen Sprache wurden
die heute stummen Endkonsonanten noch durchweg gesprochen.
Allmählich verschwinden die meisten derselben aus der gewöhn-
lichen Unterhaltungssprache. Verstumpfung und Schwund treten
bei gewissen Konsonanten etwas früher ein als bei anderen und
werden andererseits mitbestimmt durch die Natur der vorher-
gehenden Laute. Besonders aber hat auf die Hörbarkeit des
Endkonsonanten die Natur des etwa folgenden Lautes Einfluss.
Seit dem 13. Jahrhundert gilt die Regel, dass die Endkonsonanten
verstummen, sobald ihnen ein konsonantisch anlautendes Wort
ohne Pause folgt: anderenfalls aber bleiben sie hörbar.
1) Die im Folgenden viber die Entwickelnngsgeschichte der aus-
lautenden Konsonanten, der Vokalverbindungen im Innern französischer
Wörter und des weiblichen e angegebenen Thatsachen finden sich
meist schon in meinen Untersuchungen über die metrische Technik
Corneiile's und ihr Verhältnis zu den Regeln der französischen Vers-
kunst, Teil I: Silbenzahlung und Hiatus (zu beziehen durch Maske,
Oppeln. l,öO Mk.) an verschiedenen Stellen belegt. Da indessen jenes
Buch bedauerlicher Weise in weiteren Kreisen kaum bekannt geworden
zu sein scheint, so kann ich, will ich verstanden werden, nicht einfach
darauf verweisen.
'046 W. Ricken,
i.; Und noch :!m XVL' ttifd im all^emeiHen auch im Xyil.
Jahrhundert herrseht flir den style gpuienu in seinen verschiedeQjeti
Abstufungen weseqtlich da$selbe Gesetz. Aber um diese selbe
Zeit ist der Endkonsonant in der Sprache des Volkes auoh.v^r
einer Pause stumm und selbst in der etwas' gemesseneren -fa-
miliären Sprache der Gebildeteu yerpiögen wenigstens klQipQr^
Pausen den Konsonanten nicht zu retten. Ztir Zeit der Corneille,
Moliöre und Racine kannte die gebildete Unterhaltung die Aus-
sprache gewisser Endkonsonanten nur noch vor folgendem Vokal
und auch dann nicht ausnahmslos. Heutzutage gibt es in der
schneller sich entwickelnden Unterhaltungssprache des grossen
Haufens nur einen verhältnismässig kleinen Rest der alten
.„Bindungen^, aber fUr den stple soutenu, fOr den Vortrag und
dlQ Deklamation eines Stückes ernster Prosa oder gar ernster
Poesie haben die. von Grammatikern des XVU. Jahrhunderts
(z. B. Chiflet) nach dein Sprachgebrauch der Gebildeten und des
Hofes aufgestellten Regeln noch heute ihre volle Gültigkeit. Ja,
der gtyU soutenu hat sich im einzelnen manchmal einen noch
älteren Lautstand bewahrt (vgl. W. Ricken, l. c, S. 57 und 58).
Wie lunge werden sie Geltung behalten? Das vermag niemand
zu sagen. Aber sie werden fallen, wenn auch langsam. Die
Scheu vor dem Hiatus und die Schultradition schützen jene Kon-
sonanten vielleicht ungewöhnlich lange, so dass Legouv6 sagen
kiinn: II y a trls peu de Uaisons absolument tnutiles»
Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts ist z. B. der End-
konsonant von Wörtern wie forty aecordj porty renardy arty hctsardy
Scart in der guten familiären Sprache verstummt. Wird man
nun in der Poesie sofort or und forty char und Scart mit ein-
ander reimen lassen? Gewiss nicht, da jener Konsonant in
feierlich-langsamei;, getragener Rede laut bleibt. Doch die Sprache
der Litteratnr muss der Volkssprache einmal unweigerlich folgen.
Der Wendepunkt muss sich also irgendwo, zeigen. Wo wird er
er sich zuerst zeigen? Es hängt dabei einiges von dem
herrschenden Kunstgeschmack einer Zeit ab, von ihrem eigen-
tümlichen gesellschaftlichen Lebep, von den Machtverhältnissen
der einzelnen Stände, von dem Werte und dem Einfluss der
schönen Litteratnr, welche frühere Perioden etwa hervorbrachten:
das ist nicht zu leugnen. Aber doch wird jedes Zeitalter ver-
schiedene litterarische Gattungen erzeugen, von denen jede die
ihr naturgemäss zukommende Vortragsweise fordern wird. Und
zwar wäre es verfehlt anzunehmen, dass die Prosa, welche es
auch sei, dem Gebrauch der leichten UmgiiDgssprache früher
folgen werde, als die Poesie, zu welcher Gattung sie immer ge-
hören möge. Es kommt viel weniger auf die grössere oder
Grundzüge der Eniwickehing des e sourd etc. 247
geringere änssere Gebundenheit der Sprache an, als auf den
inneren Geist und Kern und Charakter der Gedanken und
Empfindungen, denen man Ausdruck verleihen, auf die Situation,
der man durch kunstgemässen Gebrauch des feinen Werkzeuges
der Stimme gerecht werden will. Eine Leichenrede Bossuet's
wird man also weit ernster, feierlicher, gemessener zum Vortrag
bringen, wie eine Komödie, die den natürlichen Volkston mög-
lichst treffen muss. Wollte ein Schauspieler letztere mit ge-
nauester pedantischer Beobachtung aller Regeln der Versifikation
auf der Bühne zum Vortrag bringen, so würde man seine Sprache
auch vor zwei Jahrhunderten schon gezwungen, affektiert und
unerträglich gefunden haben.
Ronsard nun, der einer Zeit angehört, in welcher die frlanr
zösische Muse weniger majestätisch einherschreitet wie in der
nächstfolgenden Zeit, rät zuerst in seinem Art PoiUque zu or
und char ^hardiment'''' forty ort, accord — part^ renarty arty fard
zu reimen. Gewiss hat er, als er diesen Rat erteilte, ei^e
leichtere Dichtung im Auge gehabt, nicht die pathetische Ode
eines Malherbe oder die würdevolle klassische Tragödie eines
Jodelle und Corneille. Es bricht sich denn auch jene Lizenz
längere Zeit hindurch keineswegs Bahn; bei Racine findet sich
vereinzelt in der Komödie der Plaideurs III, . 3 der Reim ha^ard:
cary und bei Möllere ebenso vereinzelt ä licart : DrScar in den
Fdcheux II, 7. Aber in den recht volkstümlichen Dichtungep
Llifontaine's treffen wir solcher Reime schon eine erkleckliche
Zahl an. Heutzutage würde man sie viel weniger meiden, wenn
nicht der ungeheure Einfluss der klassischen Dichtung de$
XVII. Jahrhunderts und der aus ihr abstrahierten Gebote wirk-
sam gewesen wäre, ein Einfluss, dem auch die genialsten Dichter
gerade inbezug ai^ manche Äusserlichkelten sich kaum zu ent-
ziehen gewusst haben.
Auch an der Entwickelungsgeschichte gewisser Vokal-
verbindungen im Wortinnern zeigt sich deutlich, wie die Sprache
der gehobenen Rede, die Sprache der Poesie schliesslich der
Umgangssprache nachkommen und sich lange gegoltenem. Ge-
brauch früher oder später fügen muss. In meinen Untersuchuogen
Über Cornelias metrische Techno cte., S. 23 bis 31, findet
man auch dafür zahlreiche überzeugende Belege. Zur Veran-
schaulichung wähle ich hier nur das Wort ancien^ weil der ver-
änderte Silbenwert seines ie von Humbert S. 12 besprochen, und
(wie mehreres andere in der Schrift) fal$ch begründiet. wird,
Humbert sucht darzulegen, wie die Sprache der Foesie, durch
vergrösserte Scheu vor Konsonanten und vor dem Hiatiis sich
entschädigt für das, was sie durch den bedächtig-ruhi^ren Gang
248 W, Ricken,
und das damit im Zusammeuhang stehende Wiederhervortreten
des Worttones an Leichtigkeit einbilsst. Nach ungenügender
kurzer Besprechung des Hiatus (man vergleiche mein oben
zitiertes Buch 8. 32 bis 67, sowie meine Neuen Beiträge zur
Hiatusfrage in der Zeitschrift VII ^) handelt er von der Kon-
sonantenscheu in folgenden Worten: ,,Die Konsonantenscheu ist
im Vers noch grösser als die vor dem Hiatus ; auch den leisesten
Schatten von Härte sucht sie zu meiden. — Im Innern der
Wärter schafft sie gar manchen Hiatus, der in der Prosa nicht
da war: bei der Aussprache sonst einsilbiger Diphthonge. Im
Vers sind sie vorwiegend zweisilbig (?) — — — — — — —
Dass hier überall die Scheu vor der Härte eine ent-
scheidende Rolle spielt, zeigt eine Bemerkung Voltaire's über
ancien, zu dem Verse Oorneille's:
Tai sti toui le detail (Tun ancien valet,
^Ancien de troi-s sylldbes rend le vers languissant; ancien d^
deux syllahes devient dur. On est reduit ä iviter ce moty
quand on veut faire des vers oö rien ne rehute toreille,^
Anfangs gebrauchte man es dreisilbig. Die grossen Dichter
des silcle de Louis XIV gingen dem Worte wirklich aus dem
Wege; jetzt wird es zweisilbig gebraucht." — Hierzu wird dann
noch die Anmerkung gesetzt: „Darin zeigt sich der schon er-
wähnte wechselnde Begriff von Wohllaut. Die einst zartere,
aristokratische Sprache hat sich etwas demokratisiert.''
Humbert geht also von der Annahme aus, ancien sei eigent-
lich in der Prosa oder in der Umgangssprache zweisilbig. Die
Konsonantenscheu habe bewirkt, dass die Dichter es als drei-
silbiges Wort gebrauchten. Indem sich aber schliesslich die
Sprache der Poesie vergröberte, Hess sie ancien als zweisilbiges zu.
Der wahre Sachverhalt ist folgender: Ancien ist ursprüng-
lich seiner Herkunft entsprechend in der Volkssprache dreisilbig.
Aber die natürliche Tendenz geht hier wie fast überall dahin,
die zweisilbige Vokalverbindung zur einsilbigen zu machen.
Ancien ist schon im XVI. Jahrhundert mit diphthongischer Aus-
sprache des ie bezeugt. Caucius bezeichnet ancien trisyUabe be-
reits als licence poetique, Rambaud und Lanoue fordern ebenfalls
die zweisilbige Aussprache.
Im vornehmen XVII. Jahrhundert scheint eine schwache
Reaktion einzutreten, indem das Wort ziemlich allgemein (aber
wohl für die Litteratur) als dreisilbig hingestellt wird. Corneille
gebraucht es, gerade wie Jodelle, nur dreisilbig, und dass er
dem Worte aus dem Wege gehe, ist nicht zu glauben. Ebenso
spricht er mit Jod eile gardi\en. Das häufig gebrauchte chritien
aber ist (ebenfalls naturgemäss) in seiner Entwickelung den anderen
Gnmdzüge der Eniwickelung des e sourd etc. 249
auf i\m vorangeeilt: und wie schon Jodelle es ausschliesslich
zweisilbig verwendet, so kennt auch Corneille hier die zweisil-
bige Aussprache des ie nicht mehr. Hatte doch schon Peletier
chretien als durchaus gebräuchlich hingestellt, indem er schrieb:
II U tout commun de dire critiin dissüdbe pour critiin trissüldbe.
Dass nun auch noch nach Corneille ancien im style soutenu
den Wert dreier Silben hat, ist ziemlich natürlich. In der
Unterhaltung aber kennt man diese Aussprache bald nicht mehr.
Zuerst macht das neue ancien den Eindruck des Affektierten, Ge-
schmacklosen, des Groben und Abstossenden: es beleidigt das
„feine" Ohr. Doch der Spiess wendet sich. Man gewöhnt sich
mehr und mehr an diese Lautform. Es kommt eine Zeit, in der
man in seinem Urteil schwankt. Jede der beiden Aussprachen
hat ihre Vorzüge, jede ihre Mängel. In dieser Zeit lebt Voltaire.
Dort steht der Vers Corneille's. Er liest ihn. Das anci\en
befriedigt ihn nicht, kann ihn nicht mehr befriedigen. Es
klingt zu weichlich und zu schleppend. Ancien aber befriedigt
ihn auch nicht, kann ihn noch nicht befriedigen. Es klingt
zu „hart". Für eine kurze Zeit mag also, wer will, das Wort
meiden. Bald wird es überall wieder auftauchen, nur zweisilbig
gesprochen werden und nur angenehm klingen. Die Poesie ist
dem allgemeinen Brauche gefolgt. Jene „Demokratisierung^ ist
also nichts weiter als die natürliche sprachliche Entwickelung.
Das weibliche e hat, wie man weiss, zu allen Zeiten an
Gebiet verloren. Ich erinnere nur an die zu bestimmter Zeit
aufkommenden Schreibungen larcin^ carfour^ courtiery chartier etc,
die älteren dreisilbigen Formen (larrecin etc.) entsprachen, Wörter,
in welchen die Volkssprache schon geraume Zeit den Vokallaut
hat verschwinden lassen, als die Sprache der Poesie ihr folgt.
Ich erinnere ferner an eaue^ an armeure, cm, reu, seoir^ eage etc, etc,
des Altfranzösischen. Dass die Silbenzahl ganzer Gruppen von
Wörtern durch Verstummen eines e verringert wird, ist fUr die
neuere Sprache zuerst da zu beobachten, wo ein protonisches e
hinter Vokalen (oder Diphthongen) steht. Dasselbe zeigt schon
im XIV. Jahrhundert (in der Schriftsprache!) die Tendenz des
Verstummens. Es wird bald (im XVI. Jahrhundert) gar nicht
mehr gehört. iDer einflussreichste Grammatiker des XVII. Jahr-
hunderts, Vaugelas, fordert denn auch 1647, dass es weder ge-
schrieben noch gesprochen werde, und dass man auch im Verse
lourat/y nicht lou&ray sagen solle. Nicht dieser Vorschrift,
sondern nur lange gegoltenem Gebrauche und dem Sprachgefühle
folgend spricht demgemäss Corneille das e niemals mehr. Wird
er nun criera, attribtierez, envoierois, paiera, reniementy infiniement,
250 W, Ricken,
m
ägriementy remuement etc» schreiben, das nicht gesprochene le aber
trotzdem als Silbe zählen und so einen männlichen Alexandriner
von elf oder einen weiblichen von zwölf Silben bauen? Das
thut er nicht. Er schreibt mera und crtra, paiera und patra;
doch wie er auch schreibe, ein e wird nicht gesprochen, das e
wird nicht „gezählt". Ebensowenig bei Jodelle und Garnier,
welche es höchstens einmal hinter Diphthongen (auch Meliere
thut dies noch!) zu Gehör bringen. Wie nun aber, wenn man
'zu Jodelle's oder Corneille^s Zeit Dichtungen aus der Zeit des
Marot deklamierte? Drei Möglichkeiten lagen da offenbar vor:
entweder man liess dem Rhythmus zu Liebe das betreffende e
ein wenig zur Geltung kommen, was um so eher anging, je näher
man der Zeit stand, in welcher es in der normalen Sprache ver-
stummt war (und diese Praxis ist ausdrücklich bezeugt: vgl.
meine Anführung aus Dhuöz in einer Anmerkung S. 11 und 12
meiner oben angeführten Untersuchungen), oder man setzte ein
einsilbiges Wörtchen hinzu oder traf sonst eine kleine Ver-
änderung, was nicht zu viel Mühe machte, da die Wörter dieser
Art in den Dichtungen nicht gerade gehäuft sind, öder endlich
man veränderte nichts, that auch nichts hinzu, liess nichts von
dem e vernehmlich werden und duldete einmal einen Neunsilbner
unter Zehnsilbnern. Dieser drei Mittel bediente man sich gewiss
promiscuey je nach den Umständen, je nach der Art der Dichtung,
je nach der Stimmung, die ja an den verschiedenen Stellen des
Kunstwerks sehr verschieden sein kann.
Das finale weibliche e hinter betontem Vokal oder Diphthong
hat etwas später zu verstummen begonnen. Es bleibt deshalb
auch in seiner Entwickelung hinter dem eben behandelten immer
etwas zurück. Es verschwindet also auch etwas später aus der
pronondation souienue. Ausgenommen sind besonders einige
Verbalformen, in welchen das hinter der Tonsilbe stehende e
mindestens gleichzeitig mit jenem protonischen fällt, nämlich
das Imperfektum auf -oye (heute -ais), besonders in dßr 3. Pers.
PI. 'Oyent oder -oient, dann soyent Im XVI. Jahrhundert ist das e
aller solcher Formen entschieden stumm. In keinem Falle schleppt
hier ein e sourd nach. Daher kennt schon Jodelle (wie oben!) in
seinen Dichtungen nur den einsilbigen Gebrauch, ja die Reime
dieser Wörter gelten ihm, wie Späteren, nur alß männliche.
Im übrigen besteht das weibliche e hinter Vokal und
Diphthong noch einige Zeit fort. Es beginnt im nUgem^inen
erst im XVI. Jahrhundert zu schwinden. In der gemessenen
Sprache bleibt es immer noch hörbar. Im Anfang des XVII«
Jahrhunderts ist es in der Sprache der Konversation entschieden
stumm: in der Sprache der Deklamation (und im Gesang) noch
Grundzüge der Eniwickelung des e sourd etc. 251
ifiefat. Doch steht man ihm mit demselben GefUhle gegenüber,
mit dem Voltaire dag dreisilbige ancien betrachtet: Cei y^efelnUnin
est' dCun accent trop bas et Ictsche, dont Ü avient que le vet.H qui
s*€n treuve chargd nest pas coulant^ dous et vigoureux'^ (Deimier
•im Jahre 1610: vgl. auch Ronsard, (Euvres VII, 327 f). Und
währepd für Jodelle und Garnier die zweisilbig, gesprochenen
vie, vue eic, noch erträglich sind, fangen sie an Gomeille nner-
träglich zu werden, so dass er die wenigen Stellen, in denen
dieses e in seinen früheren Werken noch seinen vollen Silben-
wert hut, in der Gesamtausgabe von ^660 zum grössten Teil
entsprechend verändert. Auch hier also nicht einfache Ver-
kürzung des Verses um eine Silbe, sondern Änderung desselben
in der Art, dass trotz der stattgefundenen Verkürzung eines
Wortes die gehörige Zahl der Silben wahrgenommen wird (vgl.
hierzu meine ünternuchungen etc.y S. 9 bis 16).
Und doch — der Prozess des Verstummens ist, wenigstens
in den letzten Jahrhunderten der Bildung, der Gelehrsamkeit
und des Unterrichts, in den letzten Jahrhunderten, da das Zeit-
alter Ludwig's XIV. seinen gewaltigen Einfluss geltend gemacht
hat, ein so allmählicher, ein so langsamer, und der Konservatis-
mus der gehobenen Sprache/ein so ausgeprägter, auch der Unter-
schied zwischen dem ruhigen Ausdruck eines einfachen Ge-
dankens und dem kunstgemässen Ausdruck des erhabensten
Ernstes und der höchsten Leidenschaft rein lautlich ein 6o be-
deutender^ dass selbst dieses e hinter betonten Vokalen, das
doch durch nichts gestützt wird, nicht unter allen Umständen
unterdrückt wird: in besonders pathetischer Rede, bei starker
oratorischer Dehnung des Tonvokals (also auch abgesehen vom
Gesang) kann man es noch oft genug hören.
So kommen wir denn zu demjenigen weiblichen e, welches
inbezug auf die Verstummung auf der letzten Stufe steht, zu
demjenigen, welches durch die ihm beiderseits beigegebeneh
Konsonanten geschützt und gestützt wird. Es würde indes irre-
führen, wollte man jenes Bild allzu wörtlich fassen und nicht
dessen eingedenk sein, dass eine solche Stufe etwa einem
Theaterrang entspricht. Es sind da noch verschiedene Höhen-
verhältnisse zu unterscheiden, je nachdem das weibliche e mehr
oder weniger von seinen Begleitern geschützt wird. Und anderer-
seits ist es wohl möglich, dass der Zahn des Volksmundes be-
reits an dem höchststehenden dieser e nagt, wenn die gemessene
Sprache feierlich-pathetischen Vortrags kaum das tiefststehende
zu verschlucken gewagt hat.
Wie steht die Sache?
Es ist deutlich zu beobachten, wie schon im XVI. Jahr-
252 W. Ricken,
hundert das noch heute zwischen zwei Konsonanten stehende
weibliche e in der Konversationssprache in einer Anzahl von
Wörtern und Wortgruppen verstummte. ' Ich habe oben in einer
Anmerkung gezeigt, wie vor stark zweihundert Ja hren Chiflet gegen
diese prononciation affedee, fausse^ injurieuse ä nostre langue^ et
totalement perntcietise ä la poesie Frangoise vorgeht. Er be-
hauptet, dass jenes e nicht völlig verschluckt werde, wenngleich
er zugesteht, dass die Silbe, der es angehöre, sehr kurz sei.
Er denkt dabei an die gebildete Unterhaltnngssprache. Der Ver-
stnmmungsprozess geht ttuch hier stetig weiter und die voltkommen
natürliche Umgangssprache des gewöhnlichen Volkes kennt gewiss
nur noch in wenigen Fällen dieses e^ gerade wie sie nur in
wenigen Fällen jenen oben behandelten Endkonsonanten vor
vokalischem Anlaut bewahrt hat. Ist es doch so weit gekommen,
dass vot, quatj maU statt vo-tre, qua-tre, mat-tre und ähnliche
Bildungen ganz geläufig geworden sind. Die etwas weniger
familiäre Umgangssprache gebildeter Kreise, die weniger fliessende
Sprache der litterarischen oder der wissenschaftlichen Plauderei
und Diskussion etc. steht naturgeniäss auf Standpunkten,
welche die gewöhnliche Volkssprache seit ein bis zwei Jahr-
hunderten verlassen hat. Die Sprache des Lesenden bewegt sich
im allgemeinen auf den nächsthöheren Stufen, nur dass es doch
einen bedeutenden Unterschied macht, ob dieses oder jenes, ob
es vom lecteur par excellence oder von einem wenig gebildeten,
des feinen Geschmacks ermangelnden Liebhaber gelesen wird.
Der Schauspieler wird ja nach dem herrschenden Kunstgeschmack
seiner Zuschauer (Zuschauer mehr vielleicht als Zuhörer: ein
sehr wichtiger Gegensatz) ein und dieselbe Dichtung verschieden
vortragen. Ein Lustspiel, das den Volkston treffen soll, in dem
die handelnden Personen ungefähr so reden, wie sie in Wirklich-
keit reden könnten, würde, selbst wenn es unnötiger Weise in
Versen geschrieben wäre, vom Schauspieler doch annähernd im
Tone und in der Art der flotten, leichten Unterhaltung zum Vor-
trag gebracht werden. Das Theaterpublikum will schauen und
hierdurch geniessen. Hörte es nichts, so wäre freilich der Genuss
ein sehr zweifelhafter; aber wenn es die an das Ohr klingenden
Worte inhaltlich erfasst, so ist es nach dieser Seite hin im
allgemeinen befriedigt. Ist das Lustspiel ernsteren Charakters
(vgl. Moli^re), sind die handelnden Personen würdevoller, so
wird der schauspielerische Vortrag natürlich langsamer, ge-
messener, feierlicher, würdevoller: da macht es sich dann ganz
von selbst, dass jedes Wort, jeder Laut deutlicher zu Gehör
gebracht, deutlicher artikuliert wird. Handelt es sich auf der
Bühne um ein Trauerspiel der erhabensten Art, so verstärken
Grundzüge der Entwickelung des e sourd eic. 253
sich natargemäss die den gemessenen Vortrag kennzeichnenden
Eigentümlichkeiten. Aber eine noch höhere Stufe nimmt der
nicht -szenische Vortrag des Vorlesers oder Deklamators eines
solchen Trauerspiels oder eines würdigen lyrischen oder epischen
Gedichtes ein, eine Stufe, die um so weiter über jene hinaus-
ragt, je mehr die Bühne gerade naturalistischen Tendenzen
huldigt, je weniger Wert sie der Form im Vergleich zum In-
halt, der kunstvollen Gliederung im Vergleich zur „Natürlichkeit^
der Darstellung beimisst. Der dem Scfaauspielerstande nicht
angehörige Vorleser oder öffentliche Deklamator darf fast nur
auf die Stimme als Ausdrucks- und Verständigangsmittel zählen:
es muss daher auch alles, was er sagt, sorgfUltig abgewogen,
scharf, klar, ausgemeisselt sein. Er schafft nicht, wie der
Schauspieler, durch seine Interpretation und durch die über-
wältigende Macht seines (schauspielerischen) Genies gleichsam
ein neues Werk, er vertritt nur den Schriftsteller und soll das
Kunstwerk möglichst so zum Vortrag bringen, wie es der Absicht
des Dichters entsprochen haben würde. Ich brauche nicht zu
zeigen, wie sehr durch diese besonderen Verhältnisse die Aus-
sprache des weiblichen e beeinflusst werden muss.
Die so gefundene höchste Stufe des Vortrags von Versen
verlangt nun nach den übereinstimmenden, unzweideutigen, ent-
schiedenen, von tiefinnerster Überzeugung diktierten Lehren der
französischen Metriker, auch eines der jüngsten, Quicherat's,
sowie der ersten gebildetsten Kunstkenner und Dichter unserer
Zeit (Legouve: IJArt de la Leciure; Banville, Leconte de Lisle
— vgl. Lubarsch S. 4—7, S. 22 ff., S. 28 ff.), dasö das (mit-
zählende) weibliche e, wenn auch in sehr verschiedenen Graden
der Deutlichkeit, gesprochen und wahrgenommen werde.
Aus diesen Zusammenstellungen, Vergleichen und Betrach-
tungen ergiebt sich nun besonders folgendes:
1. Die Aussprache des „sogenannten stummen e^ beim Vor-
trag von Versen unterscheidet sich allerdings „heutzutage^ nicht
„wesentlich" von der der „guten Prosa". Ebensowenig
aber hat sie sich zu irgend einer Zeit „ wesentlich" von der
der „guten Prosa" unterschieden. Das Verhältnis ist zu allen
Zeiten ziemlich dasselbe gewesen: und es hat immer nur ein Grad-
unterschied, niemals ein wesentlicher Unterschied bestanden.
Und drohte einmal an einem Punkte der Unterschied ein wesent-
licher zu werden, so gab die würdevolle Sprache erhabener Poesie
ihre altertümliche Eigenheit eben an diesem Punkte rechtzeitig auf.
2. Die Frage, ob wir (im Punkte des weiblichen e) in
unserem Unterrichte alle Verse, insbesondere auch die lyrischen,
so lesen und lesen sollen wie der Schauspieler seine dramatischen
354 W, Ricken,
Verse auf der Btthne zum Vortrag bringt, ist nicht mit Plattner
(Gymnasium VII, 2, Sp. 52 und 53) unbedingt zu bejahen,
sondern unbedingt zu verneinen. Wir haben sie so zu
deklamieren, wie der französische öffentliche Vorleser ausserhalb
des Theaters sie deklamiert, also in einer Weise, die einem
früheren Lautstande entspricht. Und wenn Plattner seine Forde-
rung damit begründet, dass wir doch nickt können französische
Verse auf zweierlei Art lesen lehren, so erwidere ich: Können«
wir das nicht, können wir in unseren Schülern, wenn wir sie
mit dem dürren Inhalt der „Abrisse^ verschonen, nicht wenigstens
das Gefühl für feinere Unterschiede des Vortrags wecken, wie
sie den Unterschieden der Dichtungsgattungen und der Stimmungen
entsprechen, so werden wir in anbetracht der Stufenfolge: schau-
spielerischer dramatischer Vortrag — öffentliche (nicht-szenische)
Vorlesung oder Deklamation eines Dramas — öffentliche Vor-
lesung oder Deklamation eines epischen oder lyrischen würde-
vollen Gedichtes — die richtige Mitte dann gewählt haben,
wenn wir die Art der öffentlichen Vorlesung oder Deklamation
einer ernsteren dramatischen Dichtung unserem Unterricht zu Grunde
legen. Und was lesen und deklamieren denn unsere Schüler zuerst?
Doch nicht Moli6re's Komödien, auch nicht Comeille's oder
Racine 's Tragödien. Wir führen ihnen vielmehr zunächst lyrische
und epischfi Gedichte vor. Die diesen zukommende Vortrags-
weise müsste also doch massgebend sein. Oder sollen wir sie
wirklich so ganz falsch lesen lassen, damit wir in der Prima
nach französischer Bühnen weise Komödie spielen können, die
wir doch bloss hören und auch in ihrer musikalischen Schönheit
im Sinne des Dichters würdigen lernen wollen?
3. Humbert's Lehre ist also für unsere Tage und für
unsere Zwecke richtiger oder besser, als die Lehre Gropp's
oder gar Sonnenburg's. Besonders aber hat Lubarsch, indem er
sich auf Lehre und Beispiel seiner kompetenten französischen
Gewährsmänner und auf seine im Thöatre Fran^ais bei Gelegen-
heit der Aufführung einer Tragödie und eines neueren Lustspiels
gemachten sorgfältigen Beobachtungen stützte, einen so glücklich
vermittelnden Standpunkt gesucht und gefunden, dass wir, seinen
Angaben folgend, unseren Unterricht jedenfalls auch in den nächsten
Jahrzehnten so richtig wie möglich werden gestalten können.
4. Die Verstummung des weiblichen e wird weitere Fort-
schritte machen. Bisher wurde das Existenzrecht des inlautenden e
und des e der einsilbigen Wörter wie de^ me, que^ von denen,
die die Praxis der Schauspieler genau festgelegt zu haben be-
haupteten, noch nicht bestritten. Und doch scheidet auch dieses
0. aus der Volkssprache und den ^ Gasaenhaiiern und Bänkel%
Grundzüge der Eniwickelnng des e sourd etc. 255
sängereien^ seit langem in sehr bedenklichem Masse. Wenn
wir nun, wie es allerdings den Anschein hat, in die Periode ein-
getreten sind oder einzutreten im Begriff stehen, für welche das
am wenigsten gestützte e hinter Konsonanten am Wortschluss
auch im feierlichen Vortrage so schwach, so wenig vernehmbar,
d'un accent si hos et lasche ist, dass die Überzeugung allgemein
sich Bahn bricht, que U vers qui 8*en treuve chargS n'est pas
coulant, dous et vigoureux, so wird man, Bchliesse ich aas der
bisherigen historischen Entwickelung, nicht allmählich zu elf-,
zehn-, neun-, acht-, siebensilbigen Alexandrinern sieh bekehren,
sondern stufenweise nach dem Vorbilde eines Corneille und aller
anderen Dichter früherer Zeiten das bisher zweisilbige Wort
hardiment (wie die Bänkelsänger!) zu einem einsilbigen stempeln
und doch dem Verse die regelmässige Silbenzahl geben. Da
diese Entwickelung sich langsam und ganz allmählich vollzieht,
da der Sensenmann einem Worte nach dem anderen jenes kleine
Glied abmäht, so ist nicht zu fürchten, die Dichtungen, welche
wir jetzt noch hochschätzen, würden so bald in einem Masse
verstümmelt werden, dass wir sie nicht mehr geniessen könnten.
Wenn die Amputationen in der gehobensten Vortragssprache
eine Ausdehnung gewonnen haben werden, wie sie jetzt in der
Volks- und ßänkelsängersprache kaum zu beobachten ist, so wird
man wohl Corneille und Victor Hugo (um nur diese beiden zu
nennen) nur noch in der Gelehrtenstube studieren oder den Inhalt
einiger ihrer Werke in „neufranzösischer^^ Übersetzung und Um-
bildung dem kunstliebenden Leser ^gänglich machen.
5. Daher kann ich nicht glauben, dass Passy Recht hat,
wenn er nach einem Referate Lange's (vgl. Zeitschr. X, 4,
S. 140) in seiner in den Phonetischen Studien, Heft 1, erschienenen
Abhandlung Kurze Darstellung des französischen Lautsystems
[dieser Arbeit bin ich selbst noch nicht habhaft geworden] nur
die Regelmässigkeit des Nachdrucks als Prinzip der französischen
Metrik gelten lassen will, indem er bemerkt: „Die französischen
Verse bestehen heutzutage wesentlich aus einer regelmässigen
Anzahl von Hebungen, verbunden mit einer unregelmässigen An-
zahl von Senkungen.^ Da er nach demselben Referat auf die
interessante Frage zurückzukommen verspricht, so werden wir
hoffentlich seine Gründe bald hören. Vorläufig bin ich über-
zeugt, dass, wenn er mit jener Bemerkung beispielsweise sagen
will, der Alexandriner bestände aus vier Hebungen, zu denen
drei bis acht Senkungen hinzutreten könnten, er einseitig vom
Standpunkte des die Umgangssprache analysierenden Phonetikers
und ohne Berücksichtigung der bisherigen Entwickelung urteilt
W. RioKVN.
Antoine Rivarol's Plan einer
Theorie du corps poliüque.
Man darf wohl annehmen, dass Rivarol den Gedanken, ein Buch
über den Staat oder wie er sich ausdrückt „über den politischen Körper"
zu schreiben, schon in den Zeiten des Journal poliüque national gefasst
hat, also 1789 oder 1790: einzelne Stücke des Journals wie Nr. 2*2 und 23
der ersten,^) Nr. 4 der zweiten Serie enthalten theoretische Erörterungen
über Souveränetät, Begierung, Teilung der Gewalten, die gleichsam einen
ersten Entwurf des geplanten Buches darstellen. Im Jahre 1791 war
dann, wie Tilly erzählt, die Souveränetät des Volkes RivaroFs ewiges
Gedanken- und Gesprächsthema,^) am 30. September dieses Jahres hat es,
wie er an De la Porte schreibt, auch bereits seine Feder beschäftigt.^
Vier Jahre später konnte er auf einem Landsitz bei Hamburg dem
Dichter Ch§nedollö die ersten vier Kapitel einer Theorie du corps poli-
üque vorlesen und der enthusiastische Zuhörer fand, dass Rivarol darin
mit PascaFs Gedanken über den Menschen wetteifere.*) In dem Discours
pretimifiaire düun nouveau Diciionnaire de la langue franqoise, der 1797
erschien, gedenkt dann Rivarol selbst wieder des V^erkes einmal im Pro-
spektns nur ganz flüchtig, ausführlicher aber in einer Note zum Text ge-
legentlich der Verfassung von 1795: Une Constitution qui place le trone
si pres des galer es, heisst es da, hi-ite et deg^ade le pouvoir executif, eile
le rend ä tu fois indigne et ennemi de la nation frangaL^e: il faut q%Cil
rampe on quil regne, quHl ne soit pas le greffier des de'ux conseils ou
que ceux-ci deviennent sa chancelerie, il a trop ou trop peu. In ruhigen
Zeiten, und wenn ein Souverän da sei, qui impose egalemetit aux deux
conseils et au Directoire, möge eine solche Verfassung Dauer, versprechen,
aber wenn man bedenke, dass dieser Souverän das Volk ist, habe man
Ursache zu zittern. Beweise für diese Behauptungen könne er, so schliesst
^) Ich zitiere nach der 1. Ausgabe von 1789, die sich in der Nat.-
Bibl. findet.
2) Tilly, Mem. in der Bibliolheque Barriere, XXV, S. 307: La
conversation qui avait certainement commence par quelque dissertation
sur la souverainete' du peuple , . . sujet eternel de ses pense'es et de ses
discours
3) S. Poulet- Malassis Ecriis et Pamphlets de Ä. (1877), S. 83: En
dcrivant dans ma sotilude sur un objet aussi important que celui de la
souverainet<^ du peuple.
*) S. Ch§nedollä*8 genauen Bericht über seine erste Begegnung mit
Rivarol am 15. September 1795 bei Sainte Beuve, Chateaubriand et son
yroupe Utteraire, I, S. 75.
E. Gtiglia, Aniome Rivarots Plan einer Theorie du corps poiitiqtte. 257
er, hier nicht geben, doch verspricht er sie in seinem Buch Sur le Corps
politique})
Ein paar Jahre später zählt Rivarol dieses noch zu den begonnenen
Unternehmungen, die auszuführen seien, und die ihm grosse Arbeit
machen: neben dem Wörterbuch, schreibt er an seinen Vater, habe er
noch eine Geschichte der Revolution und einen grossen Traktat über die
Natur der politischen Körper (un grand traiie sur la nature des corps
poUiiques)' auf seinem Pulte.^
Endlich berichtete Dampmartin, nach dem Tode RivaroPs, unter
dem 26. Oktober 1802 an die Eltern des Verstorbenen, sein Werk über
die Politik gegen die Souveränetät des Volkes sei vollendet.®)
Dies sind alle Nachrichten, die wir über Entstehung und Fortgang
des viel genannten Traktates aufgefunden haben. Was ist nun von dem-
selben erhalten?
Es sind nur Fragmente davon zu Tage getreten und die beiden,
welche authentisch sind, stammen aus derselben Quelle: aus den Auf-
zeichnungen ChSnedoll^'s, der in Hamburg längere Zeit hindurch mit
Rivarol verkehrte und dessen Äusserungen sorgfältig sammelte. Er trug
sich schon damals mit dem Plane eines grossen Gedichtes Le Gänie &
r komme, zu dessen Ausführung ihn Rivarol auch ermunterte*) und das 1802
bereits vollendet gewesen sein solL^) Im Druck erschien es aber erst 1807.
Der vierte Gesang handelt von Gesellschaft und Staat, von ihrer Bildung,
ihrem Blühen, Welken und Vergehen. Gleich am Beginn sagt uns eine
Note, dass die Ideen dieses Gesanges Rivarol angehören, wie er sie seiner
Theorie du corps politique entwickelt habe, wo sich eine Fülle grosser
und neuer Ansichten fänden. Es wäre zu wünschen, sagt der Dichter,
dass diejenigen, welche im Besitz des Manuskriptes sind, dasselbe endlich
dem Publikum mitteilten.®)
Der vierte Gesang hebt denn auch wirklich mit dem, wie wir
wissen, ganz RivaroVschen Gedanken an, dass die Natur sich in die
Staatenbildung nicht gemischt habe : der Mensch allein, „dieses schwache
Wesen", hat die Staaten geschaffen,'') — „merkwürdige Gebilde", nennt
sie Chenedolld, und „der Gesellschaft geheimnisvolle Bürgen". In dem
Hunger, der zur Arbeit treibt, sieht er ihren Ursprung. Mensch und
Erde schlössen den contrat social, auf welchem der politische Körper
beruht. Was vor diesem lag, den Naturzustand, schildert der Dichter
nicht mit lockenden Farben, es war ihm kein Blütenalter, keine goldene
Zeit — , er sieht da nur Kämpfe und Leiden: „Die Politik erbarmte sich",
^) Discours pre'lim. etc., Hambourg, 1797, S. 235. Rivarol setzt
noch hinzu: J'eprouve de jour en jour que Us matieres politiques sont
d'une tout auire difficulie que les abstractions methaphysiques ; U est plus
mse d'analyser que de composer, et le corps politique ne vit que de com-
positions ; Cesprit purement analytique lui est funeste,
2) Lescure, Rivarol, S. 432 N. Der Brief ist ohne Datum, vielleicht
von 1800.
®) Dieser Bericht, sowie ein späterer Brief Dampmartin 's , der ihn
bekräftigt, sind zuerst durch Lescure (Rivarol, S. 495) bekannt geworden.
Obige Stelle s. S. 500.
*) Brief an Ch§nedollö von 1800 in den Pensees inddites de Rivarol
(1836), S. 160.
^) S. die Notice Sainte-Beuve*s zu seiner Chenedoll^- Ausgabe (1864).
®) Chdnedollä, (Euvres, 6d. Sainte-Beuve, S. 193.
^ Journal pol. nat. Öd. von 1790. I. Serie Nr. XVI: Le corps
politique est un Stre artificiel qui ne doit rien ä la nature.
Zschr. f. &z. Spr. u. Litt. XIi. ^
258 E, GugUa,
Bie trieb den Menschen zur Rodung der Wälder, zur Bebauung des Bodens
an und führte ins patriarchalische Zeitalter, wo die Abraham, die Nestor
und Evander walteten. Dann als diese einfachen Zustande allmählich
entarteten, traten die grossen Gesetzgeber der Völker auf| die Moses, Ly-
kurge und Solone. Überall knüpfen diese an die alten religiösen Über-
lieferungai an:
Sur les naissants Mais ia main de Dieu tracee
Par Vhomme, en aucun iemps, rCen doit Hre effacee.
ün contrat eUrnel, une antique union
Joignent la Politiqne ei la Religion.
II faui donc qu*un Etat, vaisseau mysterie^ix
Jette pour s'affermir ses anaes daiis les cieux.
Nicht nur RivaroVsche Gedanken werden hier ausgesprochen, es
sind auch seine Worte: Qy>on ne s*etonne . . . pas, sagt er im Discours
preliminaire von 1797, que les gouvemefnenis s'accordent facilemefU avec
les reUgions, mais entr*eux ei nos phüosophes point de traiie — la Philo-
sophie divise ies hommes par les opinions, la religion les unit dans les
mimes dogmes ei la poUtique dans les mim es principes; ü y a dmic un
Contrat eternel entre la politique et la religion. iovt Etat, si Jose le dire,
est un vaisseau mysie'rieu^ qui a ses ancres dans le ciel.^)
GhSnedollä wirft nun die alte Frage nach der besten Staatsform auf:
Quelle forme ä TEUat est la plus favorable?
Montesquieu wird angerufen und gerühmt, seinen Schritten will
der Dichter folgen. Wir erinnern uns hier, wie Rivarol in seinen Ge-
sprächen mit dem Dichter gerade Montesquieu als seinen yornehmsten
Lehrer und sein grösstes Vorbild bezeichnet: 2) wiederum ein poetischer
Nachhall längst gesprochener Worte! £s liegt aber gar nichts originelles
in den Mazimen, die da nun folgen: dass grossen Staaten nur die mo-
narchisbhe Form gemäss ist, Genfs Verfassung nicht für Frankreich passt,
ein altes Königtum des königlichen Prunkes nicht entbehren kann, dass
natürlicher Reichtum den Staaten nichts frommt, wenn Arbeit der Bürger
fehlt und was dergleichen mehr ist Mehr Interesse erregt die folgende
Apologie des Staates, der Leben und Eigentum sichert und nach den
letzten Willen des Sterbenden Gesetzeskraft leiht:
son demier v(bu devient une puissance
Du fond de sa tombe il dicte encore des lois.
^) Disc. prelim,, S. 210 (in Lescure's (Euvres choisies de Rivarol
I. S. 192).
^) S. Sainte-Beuve, a. a. 0. n S. 166: Tavoue, sagt Rivarol, que
je ne fais plus cos que de celui^lä (ei de Pascal ioutefois!) depuis que
fdcris sur la politique, Montesquieu habe wohl ^ieht alles sogeu können,
da er diese Revolution nicht erlebte: qui a ouvert les entraUles de la
societe et qui a toui edaire parce qu'elle a 0ut mis ä nu. U n'avait pas
pour lui les resuliats de cette vaste et terrUde eicpärience qui a toui verifi^
ei toui resume, mais ce qu'ü a vu, il Va superieuremeni vu et vu sous une
angle immense, 11 a admirablement saisi les grandes phases de Devolution
sociale. Son regard d^aigle pe'netre ä fond les ohjeis et les iraverse en
y jeiant la lumitre. Son gänie qui touche ä iout en mime Iemps ressemble
ä Veclair . . . VoHä mon homme, c'est vraiment le seid que je puisse lire
aujourdlhui. . . je tC ouvre jamais TEsprit des lois que je rCy puise ou des
nouvelles ide'es ou de hautes ide'es de style.
Jnioine Bivarors Plan einer Theorie du corps poiiiiqve, 269
Aber indem wir weiter lesen, staunen wir: es sind wiedernm Stellen
ans dem Discours preliminaire , nur gerade soweit verändert, dass Verse
daraus werden konnten. Der Sinn ist: aus dem nackten, hilflosen
Menschen der Urzeit hat der Staat ein gottähnliches Wesen gemacht, das
Meere und Wüsten übersetzt, dem Himmel den Blitz raubt, in Sternen
liest, seine Gedanken von einem Ende der Erde zur anderen sendet.
Überflussig, die Stellen wörtlich neben einander aufzuführen, die Überein-
stimmung ist zu gross und ganz unzweifelhaft.^)
Dem Zustand des Menschen in Staat und Gesellschaft wird dann
nochmals in recht grellen Farben das Elend der staatlj^sen Wilden ent-
gegengesetzt, wobei, wie man wohl erwarten muss, Rousseau's und seiner
In^mer gedacht wird: auch hier wird man an eine Stelle des Discours
pre'liminatre gemahnt, doch ist hier die Ähnlichkeit nicht gar so auffallend.^)
Der Dichter wendet sich nun den grossen Staaten des Altertums
zu, er schildert ihr Aufkommen, ihre Grösse, ihren Verfall, und schliesst
mit melancholischen Betrachtungen über die Vergänglichkeit irdischer
Grösse:
Toui meuri: les Souvenirs, la puissahce et les arts.
In einer Note dazu sagt er, er erinnere sich, das Werk RivaroFs '
Sur le Corps poliiique endige mit Reflexionen über die Macht des Ver-
gessens, diese hätten einen so tiefen Eindruck auf ihn gemacht, dass er
sich getraue, sie wiederzugeben: Le temps pre'sent se d^gage du fardeau
des temps passe's . . . Ainsi pour rtiomme, dans rhomme, autour de fhomme
tout change, tout s*use, tout perit; les sentiments, les goüis, les opinions,
les beaux arts, tout va du jjrintemps ä la decrepitude , . . Et cependant
la Natur e, mere fßconde et constante de tant de fornits fugitives reste
appuyee sur la Necessite, au sein des moiwements, des vicissitudes et des
metamorphoses , immobile, invariable, immortelle: wie man sieht, nichts
von überraschenden politischen Deduktionen, allgemeine Betrachtungen
in stark rhetorischer Einkleidung, die wohl schön klingen, aber von dem
Eindruck, den sie auf Chßnedolle machten, verspüren wir nichts.^)
Dass der Dichter das Christentum, dessen Wirkung auf die poli-
tische Welt er zu schildern versucht, mit den vollsten Tönen seiner Lyra
preist, wird man erwarten. Wollte er sich auch hier an Rivarol an-
schliessen, so bedurfte er kaum der Reminiszenzen an den Traite sur le
co?'ps politique, schon in dessen ersten Brief an Necker von 1788 konnte
er eine Apologie des Christentums finden, der Discours preliminaire
erinnert daran.*) Mit viel mehr Kraft und Wärme hat aber diesen Vor-
wurf doch unstreitig Chateaubriand behandelt.
Was nun folgt: die Schilderung der mittleren Zeiten, der Renais-
sance, der Epoche Ludwig XIV. entbehrt vollends jeder OriginaliiÄt : man
könnte es allenfalls mit den flüchtigen Ausführungen vergleichen, die
Rivarol über diese Dinge in seiner preisgekrönten Abhandlung über die
Universalität der französischen Sprache schon im Jahre 1784 gegeben hat.^)
^) Man vgl. den Discours bei Lescure a, a. 0., I. S. 216 — 18 mit
dem Genie de P komme in den (Euvres de Ch. S. 118 u. f.
^) Man vgl. Discours pre'l. bei Lescure I. S. 205 und Ch§nedollä,
a. a. 0. S. 122 und die Note S. 198.
8) Ch§nedolld, a. a. 0. S. 198.
4) Discours pre'l. bei Lescure, a, a. 0„ S. 201 Note. Die Stelle in
der Premiere Lettre ä M. Necker s. in den (Euvres compldtes de R,
(1808) IL S. 122.
^) (Euvres (1808) II S. 1 u. f., auch bei Lescure, (Euvres chaisies I,
17*
260 ^. Guglia,
Eine lebhaftere Bewegung gewinnt das Gedicht mit der Erzählung
der Revolution von 1789: sie wird als ein göttliches Strafgericht auf-
gefasst, wie eine Pest habe sie die Länder ergriffen:
ce Dieu si formidäble
Jelie de hin en loin, sur ce Glohe agite
Des Revoluiions le monstre ensanglante.
In der pathetischen Schilderung der Schreckenszeit tritt wieder eine
auffallende Ähnlichkeit mit dem berühmten Abschnitt des Discours pre-
liminaire hervor^^ der das gleiche Thema behandelt.
Aus der Anarchie — so spinnt Chönedolle den Faden weiter — er-
heben sich die Usurpatoren und Despoten. „Ich habe vorausgesehen, dass
die Revolution durch den Säbel beendigt werden würde", schrieb Rivarol,
wie wir wissen, im Jahre 1799 oder 1800, „und der erste Konsul weiss
sich desselben sehr gut zu bedienen. Jetzt heisst es abwarten, wie weit
ihn der Rausch des Machtgefühls treiben wird."^) Eine ähnliche Betrach-
tung mochte er zur selben Zeit dem Entwurf seines Werkes eingefugt
haben, ChlnedoU^ verrät 'es uns.
Der Schluss des Gesanges, der Napoleon's Macht und seinen Sturz,
die Wiederherstellung der Bourbonen und die Charte (un pacte du irone
inehranUible appui) behandelt, berührt uns nicht mehr: Rivarol hat sich
über diese Dinge nicht mehr äussern können.
In den Noten bringt ChSnedoUe noch einige, wie er versichert,
authentische Worte Rivarol 's aus dessen vielberufenem Werk: so eine
Definition des Gesetzes als la reunion des lumieres et de la force; die
Regierung (gouvernement) stelle die lumieres, das Volk die force dar.
Puissance habe Rivarol definirt als force organisee. Von dem politischen
Körper hätte er einmal gesagt, er sei wie ein Baum: ä mesure qu*il
s'e'leve, il a auiani hesoin du ciel que de la terre.
Fassen wir zusammen, was in dem vierten Gesang des Genie de
r komme aus dem Werke Rivarol's herrührt oder herrühren kann: Der
Naturzustand ist ein Zustand der Tierheit und des Elends, Glück des
Menschen hebt erst mit der Gesellschaft, mit dem Staate an; dieser ist
nicht von der Natur gebildet, sondern von den Menschen, kein Organismus,
sondern ein künstliches Gebilde. Religion ist seine Grundlage, unter allen
Religionen das Christentum nicht nur die erhabenste, sondern auch in
politischer Hinsicht die nützlichste. Es gibt keine absolut beste Staats-
form, grossen Staaten ist die Monarchie gemäss. Die Staaten sind
immerwährender Veränderung unterworfen, auf den Trümmern der einen
erheben sich immer wieder andere. Revolutionen zerrütten den Staatsbau,
sie nützen nichts, schaden unendlich, sie sind wie Strafgerichte Gottes
für die Sünden und Irrtümer der Menschheit. Aus der Anarchie der
Pöbelherrschaft erheben sich Tyrannen und Despoten.
Gestehen wir es nur: wir sind einigermassen enttäuscht. Denn
nicht nur, dass ja beinah alles das sich schon in anderen Schriften Ri-
varoVs findet, es ist auch gar nicht so neu und bedeutend, tiefe politische
Weisheit wird niemand darin sehen. Schon damals, schon an der Wende
des Jahrhunderts, waren dies geschichtsphilosophische Gemeinplätze.
Zwar darüber werden wir nicht erstaunen, dass sie auf Ch^nedoUä eine
so grosse Wirkung übten: was ihn bezauberte, war gewiss die elegante
epigrammatische Fassung, die der grosse Sprachkünster denselben offenbar
zu geben verstanden hat, hie und da auch das schillernde poetische
1) Lettre ä Vabbe de VtUefori in den Pensees ine'dites de Rivarol
(1836) S. 157.
Anioine RivaroTs Plan einer Theorie du corps poliiique, 261
Kolorit. Wie hätte ein Dichter dem widerstehen können! Ein kritischer
Kopf aber war Ch§nedoll^ nicht, yielmehr ein weicher Gefühlsmensch,
an den glänzenden Reden RivaroFs berührte ihn nur dies antipatisch,
dass dessen Ange kalt und tot blieb, an allem was er sagte nur Verstand,
gar nicht, das Herz beteiligt schien.^)
Aber, wird man einwenden, Chdnedoll^ verarbeitete nur die ersten
vier Kapitel eines grossen Werkes, das um 1800 nicht vollendet war:
Zwischen diesem Datum und der Zeit, da der Dichter den politischen
Erörterungen Rivarol's lauschte, liegen fünf Jahre: Wie vieles mag sich
da nicht aus jenen ersten Anfängen entwickelt, wie reich mögen sich
diese nicht umgestaltet haben.
Prüfen wir, was sonst noch, ausser der Ch§nedolM*schen Paraphrase,
von der Theorie oder dem Traue sur le corps politique erhalten ist.
Im Jahre 1831 erschien ein Bruchstück davon, betitelt De la Sou-
Veraineie du Peuple unter dem Namen RivaroFs. Kein Zweifel auch, dass
es wirklich von ihm ist. Als Herausgeber vermutet Sainte-Beuve Ch§ne-
doUä, in dessen Papieren er so manchen Restitutionsentwurf des Werkes
gesehen haben will. Der Herausgeber des Pensees inedites von 1836
dagegen schreibt diese Edition dem Bruder RivaroFs zu: unter diesen
ist das Stück wieder abgedruckt. Es trägt als Motto die Worte des Tacitus:
Cuncias nationes ei urbes ei populos auf primäres aui singuli reguni, delecia
ex his ei consiiiuia reipubticae forma laudari facilius quam evenire, vel,
si evenit, haud diuiurna esse poiesi. Lesen wir aber weiter, so merken
wir gleich: dies ist nur eine Vorrede, entweder zu dem ganzen Buch
oder zu einem Abschnitt, nichts mehr. Allerdings eine bedeutende Vor-
rede. Sie geht davon ans, dass die Theorie von der Volkssouverainetät
von Frankreich aus gleichsam einen Siegeszug durch die Welt gemacht
und, wie früher einmal das Ptolemäische System, alle Geister eingenommen
habe. Sie sei aber falsch, sie zu bekämpfen setzt sich der Verfasser zur
Aufgabe. Dazu ist nötig, dass er sich in die abstrakten Regionen poli-
tischer Metaphysik begebe, — traurig genug, dass der Friede der Welt,
die Stabilität der Staaten, die Sicherheit des Eigentums zum Gegenstand
philosophischer Spekulationen gemacht wird, aber die Gegner haben den
Streit auf dieses Gebiet getragen, sie recht zu besiegen, müsse man ihnen .
dahin folgen: couvrons nous de ce bouclier proiecieur des empires, ruft
er mit schönem Pathos aus, gu*un grand poeie (Tasso) a place dans le
Ciel et puisque les phUosopnes comme les genies des iempiies se sont
eleväs jusque dans les plus hautes rdgiofis pottr de lä mieux fondroyer
Vordre social ei les rdunions poliOques du genre humain, ü est näcessaire
de les suivre. Staaten gab es freilich vor jeder politischen Theorie,
demnach heisst es — auch für den Realpolitiker — mit dieser sich ab-
finden. Die französische Revolution müsse auch in ihrer Idee zerstört
werden, nicht bloss mit den Waffen, denn wenn Gewalt auch töten kann,
bekehren kann sie nicht, sie unterjocht, aber sie klärt nicht auf. Earopa
sei in der grössten Gefahr; wenn die von einem gemeinsamen Unheil
bedrohten Mächte dieser nicht bewusst werden, wenn sie ihr nicht einig,
mit tüchtigen Armeen und schlagenden Gründen zugleich entgegentreten,
wenn sie nicht die wahre politische Aufklärung unter den Gebildeten,
Religion wieder unter dem Landvolk, Hass gegen die Jakobiner überall
verbreiten: dann wird freilich alles umsonst gesprochen sein, dann ist di
Revolution bald die Herrin der Welt. Rivarol rechtfertigt sich, warum
er — ein einfacher Privatmann — sich unterwinde von so grossen IXngen
Könige und Völker zu lehren, er verweist auf eine Stelle des Esprit des
^ S. bei Sainte-Beuve, Chateaubriand a. a, 0,
26Q E. Guglia,
lots, wo Montesquieu von den Aufzeichnern der Gesetze Ludwig XI.
spricht: sie waren blosse Privatleute, aber wie viel Gutes haben sie nicht
gestiftet.*)
Das ist nun, man fühlt es gleich, echter Eivarol, wie ganz anders
wirkt es als die Bearbeitung bei Chdnedollö, die doch eigentlich eine
Verballhornung ist. Es sind kräftige überzeugende Worte' in edler
Fassung. Sie stammen aus dem Jahre 1794,^) erinnern sie aber nicht
ganz an jene, die unser Gentz erst sechs Jahre spater sprechen sollte?
Viel weiter gekommen sind wir freilich damit in unserer Unter-
suchung keineswegs: zu den vier ersten Kapiteln haben wir nun die Vor-
rede, wo bleibt aber der eigentliche Kern? Wo ist das fertige Manuskript,
das doch Dampmartin gesehen zu haben scheint, hingeraten?
Es gibt eine Notiz, sie stammt wohl auch aus den handschriftlichen
Aufzeichnungen Ch§nedolle's, die uns belehrt, ein grosser Teil des Manu-
skriptes sei in die Hände des ehemaligen Eollaborators von Bivarol, des
Abb^ Sabatier de Castros übergegangen, der es 1806 in einer entstellenden
Bearbeitung u^ter dem Titel ie la souverainete veröffentlicht habe.^>
Ein Brief Dampmartin's an RivaroPs Bruder deutet einen solchen litt€h
rarischen Diebstahl allerdings an,^) ebenso eine Äusserung De la Platiere^s,
des ältesten unter den Biographen von Eivarol^).
Wie nun Sabatier in den Besitz jenes kostbaren Manuskriptes ge-
langt ist, wüssten wir nicht zu sagen, sind auch nicht in der Lage, an-
zugeben, ob er zur Zeit von RivaroFs Tode in Berlin war. Wie so viele
Emigranten hat er wohl alle europäischen Hauptstädte durchzogen; in
Wiener Polizeiakten erscheint sein Name um 1794,^ er hat da dem
Fürsten Eaunitz ein Gedicht gewidmet, auch ein Buch herausgegeben:
der alte unermüdliche Skribent!
Indes jenes Buch De la SouveraineU existiert wirklich.'') Begierig
schlagen wir es auf. In der Vorrede aber stutzen wir schon: es wird
von den grossen Irrtümern Montesquieu's gesprochen, welcher der be-
schränkten Monarchie den Vorzug gegeben habe. Denn nach der Mei-
nung des Autors ist die beste Staatsform die absolute Monarchie. Dies
war früher niemals die Meinung RivaroFs gewesen, sollte er sich in den
.letzten Jahren seines Lebens so verwandelt haben? Allerdings, wie er
nach Preussen kam — im Herbst 1800 — schrieb er an einen Freund in
Frankreich wie anerkennend: »Das Volk (hier) kann nur gehorchen,
zahlen und fürchten. Die Gesetze sind streng, aber gerecht; niemand
wagt, ihnen zu trotzen.''^) Aber darf man hierin schon das Symptom einer
Sinneswandlung in prinzipiellen politischen Fragen sehen?
1) S. JPlense'es, S. 225.
^) So vermutet der Herausgeber; es mag wohl sein.
^) Nach Sainte-Beuve, Chateaubriand a. a. 0.
*) Lescure, a. a. 0. S. 497: Je crois qtte votre frere ne prevoyait
p€is qü'un jour on ajouierait ä ses ouvrages. Ceiie hardiesse penetre de
surprise, Fous, possesseurs des fleches, &est ä vous de venger sa me-
moire. Der Brief ist bei Lescure nicht datiert.
fi) Sulpice de la Platifere, Vie phiL, pol, et litt de Rivarol (1802)
II S. 274: IJne main sacrüege fCosera sans doute pas toucher ä Pcßuvre
du genie, Por triomphe toujours de tous les amalgames,
®) S. meine Nachrichten über Die ersten Emigranten in Wien in
der Oest.' Ungar. Revue, 1888. Juli- August.
'^ De la souverainete on Connaissance des vrais principes du gouver-
nement des peuples. Motto : Et nunc. Reges, inteUigite! Pariser Nat.-BibL
8) Platifere, a, a, 0., I. S. 88.
Anioine EivaroTs Plan einer Theorie du Corps poUiique. 263
•
Sabatier kommt dann auf die Theorie von der Volkssouveränetät
zn sprechen, die er natürlich verdammt. Hier bemerkt er: „Damit man
mich nicht etwa anklage, ich hätte mir einige metaphysische Ideen,
welche — recht am unpassendsten Ort — in dem Discours preHmtnaire
zu einem eitel versprochenen Wörterbuch der französischen Sprache ein-
geschaltet sind, glaube ich die litterarische Welt aufmerksam machen zu
müssen, dass ich während meiner Verbindung mit Bivarol . . . diesem
mehrere moralische nnd politische Bemerkungen mitgeteilt habe, die auf
seine Weise — die nicht immer die richtige war — zu verwenden er
nicht verschmähte/'^) Übrigens habe er schon 17d4 in seinen Petisees et
Oöservaiions morales das gesagt^ was Rivarol im Jahre 1797 im Biscavrs
pre'liminaire.
Diese Pensees habe ich selbst in der Wiener Hof bibliothek — wo
man sie am ehesten .vermutet, denn sie sind in Wien erschienen — nicht
finden können: es wäre interressant die Behauptung des selbstbewussten
Abbd zu prüfen. Aber hier kommt so viel darauf nicht an, ob und was
Bivarol diesem Sabatier de Castres verdankt; denn darüber kann kein
Zweifel sein, dass er ihm unendlich überlegen war: ein origineller Kopf
trotz alledem , eine glänzende ^eder er, der andere ein obskurer Viel-
schreiber, mit Recht längst vergessen und nie sehr geachtet. Wichtig
ist für uns nur, ob in dem Buche Sabatier's wirklich Stellen sind, welche
auf Bivarol deuten. Ich kann es nicht finden!
Die Noiions pre'liminaires handeln viel von dem Missbrauch gewisser
Worte wie: Ve'rite, Erreur, mensonge, nature, ne'cessite, peuple, naiimi,
Despoiisme, Tyran, Pouvoir absohs u. a. Allerdings hatte Rivarol in
dem Discours auch davon gesprochen, ebenso und melu: Laharpe in seinem
Bache Du fanatisme, das n. a. auch den revolutionären Jargon kritisiert.^
Der zweite Abschnitt handelt vom (Jrsprung und der Natur der Gesell-
schaft;. Allerdings findet sich da auch der Satz, dass Gesellschafb und
Staat künstliche Gebilde sind, und davon wird alles folgende abgeleitet,
aber, wie wir gesehen haben, betonte Bivarol dies bereits 1790 im Jowriuii
poiitiqueß) Einige andere Sätze, wie: La Souverainite n*est pas un droit
mais une puissance, oder: la puissance Souveraine n^est pas legitime, mais-
eile legitiL tout erinnern wohl in ihrer epigrammatischen Fassung an
Rivarol, aber was daran von Erörterungen geknüpft wird, ist durchaus
müssiges Gerede, Deklamation: es ist nicht möglich, grössere Abschnitte
herauszufinden, die man mit gutem Gewissen Rivarol zuschreiben könnte.
Über eine vage Ähnlichkeit der Ideen geht auch der III. Abschnitt nicht
hinaus: De la morale, de la justice, de la Religion. So wird die christ-
liche Auffassung von der Natur des Menschen: dass ihr weder Sittlichkeit
noch Gerechtigkeit innewohne, sondern dass sie von Grund aus verderbt
sei, — die nach PascaVs Vorgang Rivarol bereits im Journal politique
gegenüber der optimistischen Rousseau's als die richtige bezeichnet hatte —
angenommen. Ein Abschnitt über den Fanatismus der Philosophen
(S. 215 f.) erinnert allerdings an eine berühmte Stelle des Discours pre-
liminaire, aber dieser Vorwurf war in den letzten Jahren des ausgehenden
Jahrhunderts oft genug behandelt worden; der bekehrte Laharpe hatte
ein ganzes Buch darüber geschrieben, auf keinen Fall brauchte Sabatier
1) Pr^face, S. 13.
^) Ich kenne es nur in der deutschen Übersetzung: Vom Fana-
tismus in der Revolutionssprache. Wien, 1797. S. S. 20 A. 6, S. 51 A. 12.
^) Die Pensees von 1794 würden aber dagegen nichts beweisen.
Mö^e indes der Abbä diesen Gedanken seinem Mitarbeiter schon 1789
geliehen haben, was liegt daran I
364 E, Gugüa, Antoine RivaroFs Plan einer Theorie du corps poliiique,
auf das Manuskript des Traite sur le corps poliiique zu warten, um dies
schreiben zu können. Der vierte Abschnitt endlich Du peuple considere
relativement ä la Souverainete trägt so wenig den Stempel Rivarorschen
Geistes wie die übrigen, ja indem Sabatier den Satz aufstellt: Vappli-
caiion de la force est le premier apanage de la Souverainete (S. 289)
weicht er zum mindesten von der EivaroPschen Ansicht, wie sie im vierten
Stück der II. Serie des Journal pol. niedergelegt ist, entschieden ab ; Le
Souverain est la Source de tous les pouvoii's heisst es dort, le gouveme-
meni est la force qui les exerce.
Nein, es kann nicht nachgewiesen werden, dass in dem Sabatier'schen
Buch der Traue sur le corps politiqae enthalten ist: hie und da sind
Rivarorsche Gedanken herübergenommen, aus dem Journal politique, dem
Discours preliminaire, vielleicht auch aus jenem geheimnisvollem Werk —
warum dann aber nicht aus den ersten vier Kapiteln, die Rivarol schon
1795 vorlas, in seinen Gesprächen gewiss immer im Munde führte? Auf
keinen Fall gehörte die Tendenz der Schrift Über die Souverainetät
Rivarol an : denn diese ist ganz offenbar abgefasst, den despotischen Ge-
lüsten des neuen Franzosenkaisers zu schmeicheln. Eine Note, die in dem
Exemplar der Pariser Natlonalbibliothek auf den ersten Blättern einge-
zeichnet ist, besagt dies ganz ausdrücklich: A sa Majeste Tempereur ei
Roi Napoleon de la pari de Vauteur, lesen wir da, un des plus anciens
iribuiaires de la gloire ei qui fauie d'une cinquanie de ducais, est depuis
irois mois dans Timptässance de faire achever rimpi^ession du second
volume. Hätte nun vielleicht dieser zweite Band mehr von dem echten
Rivarol bringen sollen? Wir glauben es nicht.
Sollen wir es aufrichtig sagen, so zweifeln wir überhaupt, dass
jenes Werk von ihm vollendet worden ist. Seine Freunde, seine Bio-
graphen — ältere wie neuere — haben es mit einer Art von Nimbus
umgeben, angedeutet, dass es wohl etwas ganz grosses Ausserordentliches,
ein Esprit des lois, der auch die ungeheueren Erfahrungen der Revolution
theoretisch verwertet hätte, gewesen ist, aber wie hätte er so etwas von
1797, wo der Discours erschien, bis 1801, wo er starb, machen sollen!
Dass er überaus träge war, dies sagt er nicht etwa bloss selber, sein
Verleger Fouche, seine Freunde erzählen davon, über seinen skandalösen
Lebenswandel auch in der Fremde berichten selbst royalistische Agenten.^)
Nun aber hätten für ein solches Werk doch alle die Dokumente der
Revolution , so weit sie- erreichbar waren , die Protokolle der National-
versammlung, der Legislative, des Konvents etc., alle die Zeitungen und
Flugblätter, die Dekrete endlich, viele Nachrichten über die Verwaltung
während eines Zeitraumes von zehn Jahren gesammelt, gesichtet und
benützt werden müssen. Wer möchte glauben, dass Rivarol das gethan!
Was er hie und da aufgezeichnet haben mochte, waren wohl nur Aper9us,
Epigramme, Variationen einiger politischer Maximen, die er gefunden zu
haben glaubte, die Freunde, denen er davon mitteilte oder die — wie
Dampmartin im Nachgefühl des Verlustes, den sie durch seinen frühen
Tod erlitten — davon lasen, konnten leicht dazu geführt werden, diesen
Bruchstücken einen übertriebenen Wert beizulegen. Wir aber werden
nach wie vor in dem Journal poliiique und dem Discours preliminaire
seinen einzigen Ruhmestitel sehen müssen.
^) S. Thauvenay's Bericht von 1798 an D*Avaray bei Formeron
Bisioire des emigrds, I, S. 396.
E. GUGLIA.
Miszellen.
Die Bildnisse Moliire's.
Vor etwa einem Jahre wurden in Dresden zwei Moli^re- Ausstellungen
vielfach besucht, deren eine in den Räumen des Königlichen Polytech-
nikum während der Versammlung der deutschen Neuphilologen, deren
andere im Königlichen Kupferstichkabinet aufgestellt war. Dort konnte
man den ^^frössten Dichter unseres Nachbarvolkes in zahlreichen Abbil-
dungen aus verschiedenen Zeiten sehen, aber dem, der mit den Schwierig-
keiten der sogenannten „Iconographie"^ Moli^re's genügend vertraut war,
drängte sich nur allzu rasch die Frage auf: »Ist das der wirkliche, echte
MoliSre oder ist es sein verschönertes oder verzerrtes Abbild?" Die Be-
antwortung dieser Frage ist auch für den Kenner keine leichte und
unbedingte, denn die Verschiedenheit der bildlichen Darstellung des
Dichters ist eine sehr grosse. Die bekannte Sammlung SoleiroFs, eines
Pariser Kunstschwärmers und Raritätensammlers« zählte allein hundert-
neunundzwanzig Bilder und Zeichnungen Moli^e's, auf deren unzweifel-
hafte Treue der glückliche Besitzer, aber kein vorsichtiger Kritiker schwor.
Selbst der leichtgläubigste aller Moli^reforscher , Paul Lacroix, der des
Dichters litterarischen Nachlass mit einer Menge namenloser Schriften
bereichern wollte, an denen Moli^re schwerlich ein Anteil gebührt, setzte
die Zahl der echten Porträts auf fünfundzwanzig herab; ein Pariser
Akademiker, Emil Perrin, will nur zwei als zuverlässig anerkennen.
Diese grellen Gegensätze der Beurteilung erklären sich daraus, dass
wir von Seiten der Zeitgenossen des Dichters meist nur gehässigei ver-
zerrende Ülterlieferungen haben , die überdies mehr den Schauspieler, als
den Menschen schildern, und dass auch von den Porträts, welche bei
Lebzeiten Moli^re's oder bald nach seinem Tode angefertigt sind, nur
eins den Dichter ausserhalb der Bühne vorführt. Nicht zu übersehen oder
gering zu schätzen ist aber eine Beschreibung, welche die Schauspielerin
Angölique Poisson im Jahre 1740 nach ihrer Jugenderinnerung im
Mercure de France veröffentlicht hat, denn obwohl sie mit sichtlicher
Vorliebe und Verschönerungssucht die äussere Erscheinung Molifere's
schildert, so hat sie doch lediglich den Menschen,* nicht den Schauspieler
dabei im Auge. Nach ihr hätten wir uns den Dichter als eine auch
äusserlich harmonische, wohlgebildete Erscheinung vorzustellen, während
nach manchen Kostümbildem früherer Zeit Molibre eher eine hässliche,
plumpe und wenig proportionierte Persönlichkeit gewesen sein müsste.
Mit ihrer Darstellung lässt sich das wahrscheinlich älteste Porträt-
bild Molibre's, das von seinem Freunde Mignard etwa im Anfange der
sechsziger Jahre des XVII. Jahrhunderts geschaffen ist, sehr wohl vereinen.
Kopien desselben sind in französischen und deutschen Moli^reschriften
häufig genug, und in der Vorstellung der meisten Verehrer des grossen
Dichters lebt seine äussere Erscheinung so fort, wie sie der Pinsel dieses
Malers auf die Leinwand geworfen hat. Man darf aber nicht vergessen,
dass Mignard seinen Freund als Darsteller einer tragischen Rolle, nämlich
als Cäsar in Corneille's Tod des Pompejus, mit allem theatralischen
Pomp damaliger Zeit, mit dem Purpurkleide, dem Lorbeerkranze, dem
Feldherrnstabe, den Flammenaugen uud der Würde des Triumphators
uns vorführt; — wie kann da von einer realistischen Treue die Rede sein?
Ohnehin huldigte die französische Porträtmalerei des XVII. Jahrhunderts
der Neigung, alles nach dem ungeschichtlichen Ideal zu zeichnen, welches
266 Miszeüen.
man sich vom Römertam entworfen hatte und legte auf zuverlässige
Natnrwahrheit wenig W^rt. Nach einer Kopie des Mignard'schen Bildes
hat Houdon im folgenden Jahrhundert seine unsterbliche Büste Moli^re's
entworfen, ihm seh Hessen sich die spateren plastischen und malerischen Dar-
steller des Dichters, namentlich der Schöpfer der Brunnenstatue in der rue
Richelieu zu Paris, an. Das Übertreibende und Unwahre, welches dem Kostüm-
bilde seiner Natur nach anhaftet, auch wenn es nicht von einem ideali-
sierenden Künstler der Zeit Ludwig's XIV. entworfen ist, hat sonach die spätere
bildliche Darstellung Moli^re's am stärksten und nachhaltigsten beeinflusst.
Etliche Jahre nach Mignard hat ein uns nicht genau bekannter
Maler, wahrscheinlich Sebastian Bourdon, ein Porträt des schon schwer
leidenden Dichters geschaffen, das die Bildergallerie des Herzogs von
Aumale auf Schloss Chantilly ziert. Hier sehen wir nicht den Schau-
spieler, sondern den Privatmann vor uns, aber in einem krankhaften
Zustande, der durch die schweren körperlichen und geistigen Drangsale
der sieben letzten Lebenerjahre hervorgebracht ist. Sein Gesichtsausdruck
ist ein schwermütiger, die Stirn gefurcht, die Wangen eingefallen, das
Haupt geneigt. Gewiss ist die Treue dieses Bildes ungleich grösser, als
die des von Mignard geschaffenen, aber sie stimmt doch nur mit dem
Eindrucke überein, welchen die halbtragischen Schöpfungen Moli^re's,
sein Menschenfeind und sein Schwanengesang, Der eingebildete Kranke,
uns hinterlassen. Verkehrt würde es sein, die äussere Erscheinung des
, Dichters zu der Zeit, wo er von dem Ruhme seiner Erstlingsschöpfungen
emporgehoben, von dem Glänze der königlichen Gunst überstrahlt, durch
die Zuneigung gleichgerichteter Freunde, wie Boileau und Lafontaine»
innerlich gesSirkt, von den Enttäuschungen der Freundschaft und Liebe
noch unberührt, von dem giftigen Hasse der Frommgläubigen und der
neidischer Berufsgenossen noch wenig getroffen, von den schweren Leiden
eines hoffnungslosen körperlichen Zustandes noch ungebeugt, ein zukunft-
reiches, sorgenloses und frohes Dasein führte, nach dem schwermütigen
Bilde Bourdon 's uns darzustellen. Da nun der jugendfrische, ideal ge-
zeichnete Molibre die Vorstellung der Spätergeborenen mehr anmuten
musste als der frühzeitig alternde, mit unverkennbarem Realismus ge-
schilderte, so hat das Bild Bourdon's unter dem wohlthuenderen Eindruck
des Mignard'schen leiden müssen und die nachfolgenden bildlichen Dar-
stellungen des Dichters wenig beeinflusst.
Ausser diesen beiden Porträts, zu denen der Dichter selbst da«
Modell gewesen zu sein scheint, haben wir von Zeitgenossen noch eine
Anzahl von Kostümbildem, denen als solchen eine verhältnismässige Treue
nicht abzusprechen ist. Dahin gehört zunächst ein Kupferstich von
Simonin, der nur in einem Exemplar erhalten ist. Auf ihm wird Moli^re
in rohen, aber unverkennbar naturtreuen Umrissen dargestellt und seine
äussere Erscheinung würde hiernach eine ziemlich gewöhnliche, unschöne
gewesen sein. Ähnlich ist der Eindruck, den wir von den Zeichnungen
Brissart's und Sauvä*s empfangen, welche der Ausgabe der Werke Moli^re*s
vom Jahre 1682 als Illustrationen eingefügt sind. Sie schildern uns den
Bühnendarsteller in seinen Hauptrollen und verzichten ebenso sehr auf
irgend welche Idealisierung , wie auf künstlerische Feinheit. Ein kurzer
Hals, der fast in den Schultern versinkt, eine ungleichmässige, alltägliche
Gesiohtsbildnng, vor allem ein auffallendes Missverhältnis des Oberkörpers
zu den unteren Partieen sind die Hauptkennzeichen seiner Erscheinung,
wie sie uns in diesen Bildern hervortritt. Verwandt, aber doch mit
unverkennbarer Gehässigkeit entstellt ist Moli^re's Porträt auf einem
f rossen KoUektivgemäl& des Jahres 1670, welches die „Spossmacher
rankreichs und Italiens in den letzten sechzig Jahren^ darstellt, hier ge-
Mszeüen. 267
winnen wir von Molibre's Erscheinang auf der Bühne denselben grotesken,
bisweilen wider Willen komischen Eindruck, der in den verzerrenden
Beschreibungen seiner bittersten Gegner hervortritt. Man darf weder
den Menschen, noch den Schauspieler nach diesem Zerrbilde sich vorstellen.
Eher dürften schon die Eostümbilder Bnssart's und Sauv^'s das Richtige
treffen, aber auch in ihnen ist der Bühneoerscheinung allein Rechnung ge-
tragen und wir müssen das abziehen, was der schauspielerische Effekt in
komischen Rollen dem Mienenspiel und der körperlichen Haltung aufnötigte.
Soviel ergibt eine Yergleichung dieser verschiedenen, von Begeiste-
rung und Abneigung, von künstlerischer Meisterschaft und stümperhaftem
Ungeschick entworfenen Bilder jedenfalls: der grosse Dichter war kein
schöner Mann. Auch Mignard*s Bild hat nicht ganz das verwischen können,
was der äusseren Erscheinung Moli^re's sich von seinem Vater her vererbt
hatte, den fast plumpen Körperbau mit den un verhältnismässig langen und
dünnen Beinen, das langgezogene Gesicht, mit den stechenden von einander
weit abstehenden Augen, der zu grossen Nase und den ausgedehnten
Nasenflügeln, den starkentwickelten Lippen, dem breiten Munde, der
üppigen Kinnbildung und dem gewöhnlichen Teint. Aber alle diese
äusseren ünschönheiten sind auf diesem Bilde durch einen echt künstleri-
schen Gesamtausdruck ausgeglichen und selbst auf dem Portiät Banrdoo's
sind sie durch die weltschmerzliche Sehwermütigkeit geadelt. Waren
nun diese verschönernden Züge nur Zuthaten der Künstler oder entsprachen
sie der Wirklichkeit? Wir können weder das eine noch das andere be-
stinunt behaupten, da eine völlig unbefangene Schilderung der Zeitge*
noflsen uns fehlt und da alle Porträtdarstellungen, bis auf Bourdon^s äld
und den rohen Kupferstich Simonin's, nur den RöUendarsteller im Auge
haben. Bourdon's Porträt, das man uns öfter für das einzig treue hat
ausgeben wollen, zeigt aber, wie schon erwähnt, nur den leidenden^ schwer-
mütigen Dichter in den letzten Lebensjahren, kann also seiner Treue
nach nur für diese in Frage kommen, aus einem stümperhaften Kupfer-
stiche können wir überhaupt keine ganz sicheren, unparteiischen Schlüsse
auf Moliere's äussere Erscheinung machen. Wenn aber neuere Moli^re-
biographen uns den grossen Dichter als eine Art Cyklop von unfreiwilliger
Komik des persönlichen Eindrucks schildern, so lawen sie sich lediglich
durch Darstellungen, wie die jenes Gemäldes vom Jahre 1670, leiten und
übersehen, dass die Beschreibung, welche Ang^lique Poisson auf Grund
ihrer Kindheitserinnerungen gibt, damit ganz unvereinbar ist. Die Wahrheit
scheint auch hier in der Mitte zu liegen. Molibre war nie ein schöner, wohl-
gestalteter, harmonisch gebildeter Mensch, der den Sinn erregbarer Frauen
bezaubern konnte, aber trotz seiner äusseren Mängel auch als Persönlichkeit
für den anziehend, der in der Körperbildung den Ausdruck des geistigen
Wesens vor allem zu finden sucht. R. Mahäenholtz.
Eyolntions de la langne franfaise.
,fSi Meliere revenait sur la terre, il ne comprendrait plus le
fran^is". Je ne sais plus au juste oü j'ai iu cette asseition; mais je sais
que je la pris pour une boutade, et je n'j pensai plus. Ce n'est que
plus tard qu'elle me revint en memoire. Je venais en eftet de mettre
la main sur un de ces romans contemporains qui semblent sortir de terre
comme les Champignons aprbs la pluie^ et j'en commenpai la lectnre.
J'arrivai bien jusqu'ä la dixi^me page, mais impossible draller plus loin:
je n'en eomprenais pas la moiti^. La honte envahit mon visage, et ce
n'est qu'en pensant ä Moli^re que je sentis renaltre mon courage, et en
268 Miszeüen.
•
me Bouvenant auBsi vagnement d'uDe annonce ainsi oon^ne: Pour paraitre
prochainement : Petit glossaire pour servir ä rinteüigence des auteurs
(iecadents. Ge glossaire n^est ^videmment pas pour moi seul, me disais-je
en moi-m§ine; dono d'aatres que moi ne comprennent pas non plus. Ca
fut comme un beaume pour mon äme.
Ceci se passait au mois d'aoüt de Tann^e demibre, pendant mes
vacances, et au beau milieu de la France. Certes, je n'en aurais jamais
dit un mot, si une boutade pareille ne m*ätait tombäe sous la main, il
j a qninze jours k peine. Elle est un peu longue« mais je ne puis
r^ister au plaisir de la transcrire, et j'espere qu'elle int^essera plus d'un
lecteur de la Revue, „k quoi bon s'obstiner a confectionner des diction-
naires dans un pajs dont la langue n'a plus ni limite, ni frein, ni mesure?
Avec le däcadentisme, la d^liquescence et autres ^coles nonvellesi chaque
jour cree deux ou trois centaines de mots, les uns canailles et argotiques,
les autres archaiques, tous plus extravagants et plus barbarisants les uns
que les autres. Comme ce joli travail de d^composition ne se ralentira pas,
les dictionnaires deviendront parfaitement inutiles. Tout sera fran9ais ad
übitum et au hasard de la fourchette". Ainsi s'exprimait Pierre V^ron dans
le Journal amüsant, le 27 janvier 1889. F^nelon lui-meme, apr^s avoir dit
dans sa Lettre ä VÄcademie : „Une langue vivante est une langue sujette k
de continnels changements", ajoutait: „le Dictionnaire servira, quand notre
langue sera changäe, k faire entendre les livres Berits de notre temps".
Ce serait une ^tude tr^s interessante que celle de la rävolution de
la langue francaise dans ces demi^res ann^es, je veux dire depuis le
^naturalisme^, le „romantisme", le ndäcadentiBme**. C'est surtout actuelle-
ment que cette Evolution s'accentue. Le dictionnaire devient radical et
nous montre des termes insolites, hirsutes, barbarisants. Quelques uns
de ces näologismes ne manquent pas de beautä, comme par exemple:
„Victor Hueo prend une envolee süperbe . . . Les contes ^piqnes aux
larges envots . , . Cette t^te est dessinäe avec une absolue maitrise ..."
(Figaro). Ce dernier terme n'est sans doute pas nouveau par lui-mgme,
mais il ^tend sa signification. Je ränge ^galement dans cette catdgone
cinquantcnaire et centenaire (fünfzig-, hundertjähriges Jubiläum) qui ne
devraient pas manquer dans Sachs.
Mais ce n^est pas le vocabulaire seul qui fait des siennes, il me
semble que le Pamasse s'en m§le aussi quelque peu. En veut^on des
exemples? Yoici un modMe de vers empruntes k la nouvelle ^cole: ils
sont adress^ k la Näva:
Puissante, magnifique, illustre, grave, noble reine!
0 Tsaritjsa de glaces et de fastes! souveraine
Matrone hi^ratique et solennelle et v^näräe!
Trte chaste, au sein du Temple qui se brise et se r^crie
Et tr^ riante, en ta parure bleue ou blanche . . .
Sous prätexte de nous offrir des „heptapodes iambiques*', on arrive k
nous donner des monstres: cäsure, Vision, mesure, toute la cargaison est
jetee par dessus bord.
Mais au moins la grammaire tient-elle bon, eile, contre cet assaut
livräe k la tradition classique? Oh que nenni! eile aura aussi ses faiblesses;
eile prend part k cette nuit de Yalpurgis. Si encore ce n'ätait que la
grammaire des decadents et des ant%'parnassiens, le mal ne serait pas si
grand; mais malheureusement la grammaire des orateurs et des jour-
nalistes — celle des joumalistes sourtout — a ävoluä considärablement.
C^est Ik le seul point que je me proposais de mettre en lumibre. J'ai
fait une jolie cueillette de eitations k Vappni de cette assertion et je vais
en reproduire quelques unes. C'est bien la grammaire de Ploetz, je crois,
Mtszeäen. 269
qui pr^tend qu*on ne met Jamals iin futur ni un conditionnel apr^s si
(wenn). Cetait bien cela au boD vienx temps; mais aujourd'hui! Ecoutez
plntöt: nSi Jamals une mesore libäratrice serait accueillie par le pajs,
ce serait k coup sür celle-lk'' (Gazette de France), „Mais si Jamals en
temps de guerre, Ton ne devra appeler sous les drapeaux les ecldslas-
tiqiies et les institateurs, k quo! bon leur imposer les dpreaves de la
caserne" (Figaro), J'ai une foule d'autres exemples, mals ceux-lk suf&sent.
Fassons k Temploi du subjonctif. „Je ne pense pas que de Lille k Menton
le peuple franpais seräunira dans ses comices pour d^cr^ter . . ." (Figaro),
„Qui voudrait nier que ce sont de beaux jours" (Figtxro), „M§me en
admettant que la Cocarde est convaincue, le moment est Inopportun
pour dire ces choses" (Figaro), „Je n'espöre pas qu'ils se rangeront k
la forme actuelle du gouvernement; mals 11 me suffit de compter sur
leur patrlotisme pour ne pas douter qu'ils se refuseront k prSter leurs
malus k une tentative aventureuse" (Ghallemel-Lacour, Discours au Senatj
däcembre 1888). „l\ n'y a qu'un seul creancier qui poursuit la vente,
mals les autres vont se faire repräsenter** (Fig.). „Dans la Marne, 11 n'y
a que deux arrondlssements sur cinq qui ont re^u des bulletlns'' (Fig.J.
„Les Mineurs sont furieux de ce quon n'ait pa« permls au gändral de
descendre dans les puits" (Fig.),
Mais volci qui devient plus fort, et le pauvre verbe craindre
lul-meme n'a plus la force de gouverner le subjonctif; 11 est bleu entendu
les.
)eau
depuis
quinze jours permet de craindre que la France palera encore une fols
les deplacements mlnistdrlels'* (Fig.). Dans quelques semaines, 11 y a tout
Heu de craindre que nous connaitrons la rägence de Serble** (Fig).
Ce n*est pas que je prätende que toutes ces manieres de s'exprimer
soient condamnables , et certalns academiciens, le crltiqne de la Revue
des de^uc Mondes par exemple, ont un penchant trfes prononcä pour
Temploi du conditionnel apr^s la conjonction „si**; mals 11 n'en est pas
moins vral que la littärature contemporalne accomplit un mouvement
d*ävolutlon, m^me au point de vue de la grammaire, ainsi que nous
Tavons constatä par exemple relatlvement k l'emplol du verbe craindre.
Je ne connais pas d*exemple de cette construction au dlx-septl^me sifecle;
pour le dlx-huiti^me, je n*en al trouvä qu'un seul, et encore est-il dans
les OBuvres de Fr^äric le Grand. Le volci: „comme 11 avait k craindre
qu'il au r alt aussitöt toute l'armde sur les bras ..." On y trouve ägale-
ment „le malheur voulut que les hussards tombbrent sur l'ennemi . . ."
.Une autre construction singulifere et que j'al trouväe deux fols dans
E. Zola est la suivante: „II fallut que le peintre la coupa d'une clolson
de planches ..." FaUoir, tout comme craindre, gouverne rindlcatif.
Si ce mouvement continue de ce pled, 11 n'y aura plus de subjonctif au
XX^^e sifecle. II est bleu entendu que je ne parlerai pas ici, sans cela
j'aurai trop k faire, de constructions comme: midi sonntrent ... Le
Saint Pfere lira une messe basse . . . (Fig). Un ouvrier de ronzieme
beure . . . ; 11 ätait pres d^onze heures (Zola).
Poursulvra qui voudra cette ötude; quant k mol je n'en ai ni le
loislr ni Tenvie, et je termine par une citatlon que je lisals hier encore
dans le Figaro: „Nous sommes envahls par un tas de diseurs de rien et
de raboteurs de phrases qui encombrent le Parnasse. Parml les jeunes
ecrivalos, 11 y a, incontestablement, un certaln nombre d'allänes qui sont
frappäs d'une folie particull^re , la folie du mot . . . C'est en prose et
en vers, une langue qui est le plus pretentieux des chürabias ... Ih s«
270 Misteüen,
contentent de donner aux mots nsuels des significations k eux et de dis-
ioqner la plirase. Las uns suppriment toute ponctnation , bien que la
ponctuation soit une Convention d'une absolue logique . . ." (Figaro,
29 avril 1889). J. Aymebic.
Ein Roman Victor Cherbnliez'.
In der Revue des dettx mondes vom 15. Juni y. J. beschliesst der
auch in Deutschland mit Recht wohl bekannte Victor Gherbuliez seinen
letzten Roman La vöcaiion du comte de Ghisfain, und ich glaube, dass
mancher jseiner Verehrer das umfangreiche Werk kopfschüttelnd aus
der Hand legen wird, da es sich früheren Leistungen des Verfassers
nicht an die Seite stellen kann. Ist auch die Charakteristik von grosser
Feinheit, so fehlt doch dem Hauptcharakter, dessen Zeichnung mit be-
sonderer Breite angelegt ist, jede Eigenschaft, die unser Interesse auf
die Dauer fesseln könnte. Der Comte de Ghislain ist ein Geistesver-
wandter von Olivier Maugant, dessen ich im Aprilheft der Franco-
GäUia 1885 gedacht habe. Die dort angezogenen Worte, welche diesen
in Kürze zeichnen : vom avez un coßur, heaucoup de ccßur, et mime vous
en avez irop; mais votis rCavez m discernemeni ni raison ei quand la
raison ne les garde pas^ ks meilleurs coßurs foni les plus grosses sottises,
passen auch auf jenen.
Denn was ist dieser Ghislain anderes als ein wunderlicher Kauz,
dem nichts weiter fehlt, als dass er zu reich ist, und der daher nicht
weiss, was er in dieser bösen Welt mit seinem Ich anfangen soll. Die
voeation, die er glücklich findet, ist in der That nicht besonders neuer
Art : an der Seite eines braven Mädchens ein guter Ehemann zu werden.
Doch dies Glück findet er erst spät und nach manchen Irrungen. Als
einziger Sohn eines nur durch die Gemeinsamkeit der Interessen ver-
bundenen Paares, von dem jedes seinem eigenen Vergnügen nachgeht,
aufgewachsen, ohne den Sonnenschein der Elternliebe, gerät der junge
Graf zunächst ganz in den Strudel des galanten Pariser Lebens, ja es
felin^t dem beau Ghislain, seinen eigenen Vater bei einer russischen
ürstm auszustechen. Doch bald folgt der Ekel an diesem hohlen
Leben. Jl vous a paru que les fleurs que vous attiez eueilUes, n'avaieni
ni couleur ni par/um, que vos joies e'taient des ombres, ei vous n'aper-
cevez plus auiour de vous que de irisies ei päles fantomes. So sagt ihm
jemand und bezeichnet damit trefflich seine Stimmung. In dieser be-
gegnet Ghislain einem Missionar, einer kraftvollen Gestalt, und, wie
es schwankenden Menschen eigentümlich ist, will er das Lebensziel,
das jenes Geist und Gemüt so voll und ganz erfüllt, zu dem seinigen
machen, ohne zu bedenken, dass ihm dazu dessen sittliche Kraft fehlt.
Der Menschenkenner durchschaut den Jüngling, der ihm vertrauensvoll
sein Herz erschliesst; er weiss, dass Ghislain nir den entsagungsreichen
Beruf eines Heidenbekehrers nicht geschaffen ist, doch lässt er ihn,
wie Rousseau seinen ^Imile, gewähren, damit er durch eigene Erfahrung
seinen Irrtum erkenne. Ziemlich leicht wird unser Held mit der Ge-
wissensfrage fertig, und es ist zu charakteristisch (auch für die Schreib-
weise Cherbnliez') Ghislain über Protestantismus und Katholizismus
sprechen zu hören, als dass ich der Versuchung widerstehen könnte,
die Stelle hierher zu setzen.
In Religionssachen, so sagt er, wählt man nicht, man verzichtet
auf seine eigenen Ansichten, beugt sich, unterwirft sich, und diese frei-
willige Unterwerfung ist vielleicht die wahre Freiheit. Le caikoücisme
MiszeUen, 271
se recommande ä nous par sa durde, et ü a Pävidence, la majesU ou, si
vous faimez mieux, la brutalite (Tun faii. La philosophie est la raison
contente; le protestantisme est une raison mecontente, qui se donne beau-
cotip de peine pour remplacer ce qu'eüe a perdu, EUe s'ingenie, eile a
recours aux succedanes ; eile nofts dit: „Prenez ma chicoree, vous la trou-
verez plus savoureuse, plus parfumee que le meiäeur cafe de Moka,^
Ihur ma pari, so meint dann Ghislain, je ne Supporte pas le caf4, maxs
je m4prise toutes les Chicorees et toutes les invenOons modernes.
Doch zu dieser Unterwerfung kommt es nicht, und wir brauchen
nicht zu fürchten, den Grafen nun bald in der Kutte zu sehen. Ein
Paar hübsche Augen, ein unschuldiger Kuss, den er irrtümlich von
einem übermütigen Mädchen empfängt, genügen, um ihn von seinem
Entschluss abzubringen. Er findet, dass das Glück nicht une chose bien
compliquee ist, dass man nur darauf zu warten hat und zugreifen muss,
wenn es sich uns bietet.
Und Ghislain bietet es sich, er ergreift es auch, und vor ihm
liegt das reine Glück an der Seite eines geliebten Weibes, M^" de Trä-
laz^, der Nichte seines geistlichen Freundes, da bringt der Tod seiner
Mutter, der allerdings unter besonders grausigen Umständen erfolgt,
einen neuen Umschwung in seinen Lebensansichten hervor. Von neuem
kommt er auf seine erste Idee zurück. Je veux agir, ruft er aus, ie
veux souffrvr pour les autres; c^ est par la pitie, par la sainte misMcorde,
qu*on rachete ses erreurs.
Und was thut er? Mit einer Grausamkeit, der vor allem schwache,
„kontemplative'^ Naturen — er nennt sich selbst un me'kmcoligue voui
ä la contemplation — fähig sind, verlässt er die Geliebte, mit der er
sich eben verlobt hat, um in Afrika sich auf seine neue Laufbahn vor*
zubereiten. Doch auch hier findet er nicht das, was er sucht. Sein
Aufenthalt in Tunis, seine Reisen ins Innere zeigen ihm nur, dass das
letzte Wort der orientalischen Weisheit ist: Häte-l&i de jouir, la mori
ie gueite. Zugleich wird er hier das Opfer einer Intrigue, die sein
Vater mit Eusäbe Furette, seinem Lehrer des Deutschen, einem lüsternen,
gemeinen Charakter, spielt, um dem Sohn durch seinen Fall zu zeigen,
dass er nicht besser ist als er, und sich so gleichzeitig für seine früheren
Erfolge zu rächen.
Die sentimentale Kokette, die Ghislain nachgereist ist, um ihn
zu fangen, weiss ihn freilich nur einen Augenblick zn täuschen. Er
erkennt bald, in welche Schlinge er geraten ist, sieht aber auch zugleich
ein, wie wenig er der Mann ist, einer hohen sittlichen Aufgabe zu ge-
nügen. Nun ist er überzeugt, dass er nicht für les vertus difficiles et
rares geschafPen ist, sondern für les douceurs, les däUoes d^un amour pur,
d*un amour jeune, qui mSte ä la vie d'habitude des ^motians, des gräces
toujours nouvelles, et procure aux ämes faUguees du monde des heures
ä la /bis monotones et pleines, dass er nicht bloss ein ^osser Narr ge-
wesen ist, sondern auch hart und undankbar gegen die, welche ihm
ihr reines Herz geschenkt hat. Er meint, er habe nun weiter nichts
zu thun, als in die Arme der geduldig auf ihn wartenden Geliebten
zurückzukehren, doch da irrt er sehr. Als er unerwartet heimkehrt,
ist diese im Begriff, seinem siebzigjährigen Vater die Hand zu reichen,
und zwar, was die Sache noch unbegreiflicher macht, aus eigenem,
freiem Entschluss. Freilich sind es nicht die Reichtümer des alten
unverbesserlichen Lebemannes, die sie reizen, auch ist sie kindlich
genug zu glauben, sie solle ihm nur die Tochter ersetzen und für sein
einsames Alter eine Stütze werden, doch lockt sie der Gedanke, an
dem Geliebten eine kleine Rache zu nehmen, und die Hoffnung, ihm
272 Miszeüe.
dadurch, wenn auch als Stiefmutter, näher zu stehen. Als dieser nun
wiederkommt, da bittet das unschuldige Din^ ihren lieben Gott, er
möge ein Wunder geschehen lassen, um sie der Erfüllung ihres leicht-
fertig gegebenen Versprechens zu überheben. Und dieses Gebet geht
wirklici^ in Erfüllung. Der alte verliebte Geck stirbt zur rechten Zeit;
ein Herzschlag macht seinem schalen Dasein ein Ende in dem Augen-
blicke, wo die Liebenden sich wieder gefunden haben. Auch der
Schatten des Toten , den der strenge Abb^ zwischen ihnen herauf-
beschwören möchte, stellt sich ihrem Glück nicht entgegen. Ghislain
beichtet dem Abb^ sein Unrecht, auch M"* de Tr^lazö bereut, nachdem
auch sie durch das ihr eröffnete Geständnis von Ghislain^s Schwäche
eine Enttäuschung und damit eine Strafe für ihren eigenen Fehltritt
bekommen hat. Sie haben sich in der That beide etwas zu vergeben,
sie sind quitt, und wir zweifeln nun nichts dass beide die vierjährige
Probezeit, die ihnen der Abb^ auferlegt, wie der Eremit dem Max im
Freischütz, ebenso glänzend wie dieser bestehen werden.
Das ist der Inhalt des umfangreichen Romans. In der That wie
bei dem vorigen, dem schon genannten Olivier Maugant, wenig Hand-
lung, indessen scheint es auf diese Cherbuliez weniger anzukommen
als darauf, eine Reihe von Charakteren verschiedenster Art bis in ihre
kleinsten Falten vor uns offen zu legen. Und diese nimmt er, wo er
sie findet: keine ausserordentliche Menschen mit starkem Wollen und
Können, sondern Menschen mit allen den Schwächen, die der Leser an
sich selbst und anderen Gelegenheit genug hat zu beobachten. Viele
von diesen Charakteren gefallen uns trotz ihrer Schwächen , vielleicht
auch wegen derselben, andere stossen uns ab, so der lüsterne Eusäbe
Furette und der eitle Marquis de Ghislain. Doch ist es im Leben
anders? Und nach dem Leben will Cherbuliez zeichnen, darin beruht
auch seine Bedeutung. Doch ist er darum nicht zu den Naturalisten zn
zählen; er ist zu fein gebildet, um lediglich in naturalistische Roheiten
zu verfallen, wie er zu vielseitig ist, um das beliebte Ehebruchsthema zu
variieren. Immerhin ist der Genfer Cherbuliez zu sehr Franzose, um
seine Natur verleugnen zu können. Seine Anschauungsweise ist häufig
nicht die unsere, und er spricht manches aus, was unser deutsches
Gefühl verletzt. Doch sollte man bei der Beurteilung französischer
Romane nicht so oft vergessen, dass ihre Verfasser zunächst für ihre
eigenen Landsleute schreiben. Hält man das fest, so wird es vielen
bei der Lektüre Cherbuliez'scher Werke wie dem Unterzeichneten gehen.
Die echt französische Form wird über den in mancher Weise anfecht-
baren und dürftigen Inhalt hinwegsehen lassen. Cherbuliez' Sprache
gehört meiner Ansicht nach zu dem Besten, was die Revue bietet; sie
ist jedenfalls echt französisch.
Auch mutet uns des Verfassers philosophischer Standpunkt an. Den
schon in la Ferme du Choquard ausgesprochenen Gedanken: le secret du
bonheur et de la vertu est la äe'sappropriation berührt er auch hier, und in
dem Abbä tritt uns eine Gestalt entgegen, die, wenn auch nicht ohne
Schärfen, doch geeignet ist, unsere Bewunderung zu erregen, und welcher
der Verf. vielleicht manche seiner eigenen Erfahrungen in den Mund legt.
Jl avait fini par decouvrir qu*ü fCy a pas grand merite ä se passer
du bonheur, que la vie est par eÜe-mime une chose assez mediocre, que
les volupte's ameres du sacrifice sont les seulesßies qui ne trompent jamais.
Liegt darin nicht die Summe aller menschlichen Weisheit, zu
deren Erkenntnis viele freilich die raschlebige Gegenwart spät oder
gftr nicht kommen lässt? Lohmann.
Zeitsclirift;
fttr
französische Sprache und Litteratur
unter besonderer Mitwirkung ilirer Begründer
Dr. G. Koerting und Dr. E. Koschwiiz
Professor s. d. Akademie zn Mflnster i. W. Professor s. d. UniTendt&t zu Greif^ald
herausgegeben
▼on
Dr. D. BehreAü und Dr. H. Kcerting
Privatdozent a. d. UniTersität za Greifiswald. Professor a. d. Universität za Leipzig.
Band XI.
Zweite Hälfte: Referate und Rezensionen etc.
Oppeln und Leipzig.
Eugen Franck's Buchhandlung
(€Feorg Maske).
1889.
INHALT.
Refkratg und Rezensionen.
Seite
Armbruster, iC,, Geschlechtswandel im Französischen. Maskulinum
und Femininum (D. Behrens) '. . 165
Btidke, Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer
Gtundiage {M. Walter) :■ . ISK)
Beyer, Franz, Französische Phonetik für Lehrer und Studierende
(A. Lange) 289
Shck, John, Beiträge zu einer Würdigung Diderot*6 als Dramatiker
(ß. Mahrenholtz) . • 86
Siignnerhasseit, Ch,, Frau von Sta31, ihre Freunde und ihre Be-
deutung in Politik und Litteratur (0. Knauer) . . . . 218
Bo%tnin, Gabriel, LaSoltane. Trauerspiel. Paris 1641 (R. Mahren-
holtz) 145
Brenelierie, G, de la, Histoire de Beaumarchais (B. M ah r e n fa o It z) 85
Carel, Georges, Voltaire und Goethe als Dramatiker (J. Sarrazin) 227
Cledat, L,, Nouvelle Grammaire historique du fran^ais (£. Ko sch-
witz) 10
Bannheisser, Ernst, Studien zu Jean de Mairet*s Leben und Werken
(J. Frank) 65
Bmjidet, Alpkonse, Lettres de mon moulin p. p. E. Hönncher
(J. Aymeric) « 58
Döhler, E^, Coup d'oeil sur Thistoire de la litterature fran^aise
(0. Glöde) 248
Breyling, Gustav, Die Ausdrucks weise der übertriebenen Ver-
kleinerung im altfranzösischen Karlsepos (F. Perle) . . 884
Dubislaw, Über Satzbeiordnung für Sat^unterordtiung im Alt-
französischen' (A. Haase) , « 1T8
Seite
Dupin, Luigi, Moli^re, Commedie scelte, con note storiche e filo-
logiche (H. Fritsche) . . . • 214
Englich, Die französiBche Grammatik am Gymnasium (F. Hörn e-
mann) 51
Foerster, W,, Louis Meigret, Le Trotte de la gramm^re Fran90§ze
(J, Koch) 261
Gehrig, Hermann, Jean -Jacques Rousseau, sein Leben und seine
pädagogische Bedeutung. Ein Beitrag zur Geschichte der
Pädagogik (R. Mahrenholtz) , . 149
Greierz, Otto von, Beat Ludwig von Muralt (E. Ritter) . . . 1
Grosse, Syntaktische Studien zu Jean Calvin (A. Haase) . . . 177
Groih, J., Jean Antoine de Ba'if's Psaultier, metrische Bearbeitung
der Psalmen mit Einleitung, Anmerkungen und einem
Wörterverzeichnis (Gröbedinkel) 213
Gutersohn, J,, Gegenvorschläge zur Reform des neusprachlichen
Unterrichts (F. Dörr) 53
Haase, A,, Französische Syntax des XVII. Jahrhunderts (E.
Koschwitz) 16
Harimann's Schulausgaben französischer Schriftsteller. No. 2
B^ranger (F. Wendelborn) 245
Horning, Adolf, Die ostfranzösischen Grenzdialekte zwischen Metz
und Beifort (C. This) 87
Hämig, Syntaktische Studien zu Rabelais (A. Haase) . • . . 176
Humbert, C, Molifere, L'Avare (H. Fritsche) . . 147
Jarmk^ J. ?7.,]^Neuer vollständiger Index zu Diez* etymologischem
Wörterbuch der romanischen Sprachen (D. Behrens) . 286
Jespersen, 0,, Fransk Laesebog efter Lydskriftmetoden
(A. Western) 239
Junker, Heinrich P., Grundriss der Geschichte der französischen
Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart (G.
Bornhak) 143
Levertin, 0», Studier öfver fars och farsörer i Frankrike mellan
Renaissance och Moli^re (J. Frank) 193
Mätschke, Die Nebensätze der Zeit im Altfranzösischen (A« Haase) 174
MaLmstedi, Om bruket af finit modus hos Raoul de Houdenc
(A. Haase) 175
Mangold, W. und Coste, D,, Lehrbuch der französischen Sprache.
IL Teil (Kalepky) 241
Morf,H., Aus der Geschichte des französischen Dramas (A. Mager) 9
Mosen, C, Das französische Verb in der Schale (A. Rambeau) 94
Mosen, C, Ergänzungsheft zu den Übungen des Lehrbuches : Das
französische Verb in der Schule (A. Rambeau) .... 94
Orlopp, Über die Wortstellung bei Rabelais (A. Haase) . . . 188
S«ite
Okleri, A., Die Lehre vom franzÖBischen Verb (A. Bambeau) . 94
— — , Die Behandlung der Verbalflexion im französischen Unter-
richt (A. Rambeau) 94
Platiner, Ph., Unsere Fremdwörter vom Standpunkte des fran-
zösischen Unterrichts betrachtet (E. Weber) » 237
[Phtdhun, W.], Parlons frangais! Quelques remarques pratiques
dont on pourra profiter en Suisse et ailleurs (H. Koerting) 43
Raitkel, Georg, Über den Gebrauch und die begriffliche Ent-
wickelung der altfranzösischen Präpositionen sor, desor
(dedesor), ensor ; sus, desus (dedesus), ensus (F. T e n d e r in g) 39
Rambeau, A., Die Phonetik im französischen und englischen
Klassenunterricht (M. Walter) 108
Ricard, A,, Aide -Memoire de la conjugaison des verbes fran9ais
r^guliers et irr^guliecs (A. Rambeau) 95
Riese, W., Alliterierender Gleichklang in der französischen
Sprache alter und neuer Zeit (M. Köhler) 178
Ringenson, Studier öfver verbets syntax hos Blaise de Monluc
(A. Haase) 178
Rislelhvber^ P„ Heidelberg et Strasbourg. Recherches bibliogra-
phiques et littäraires sur les ^tudiants alsaciens imma-
tricul^s ä runiversit^ de Heidelberg de 1386 ä 1662
(Th. Süpfle) 129
Roth fuchs, Julius, Vom Übersetzen in das Deutsche und von
manchem andern (F. Home mann) 46
Sänger, Syntaktische Studien zu Rabelais (A. Haase) . . . . 176
Sandeau, Jules, Mademoiselle de la Seigli^re p. p. K. A. Martin
Hartmann (J. Aymeric) 62
Sarrazin, Joseph, Das moderne Drama der Franzosen in seinen
Hauptvertretern (E. Hönncher) 153
Schaefer, Kurt, Französische Schulgrammatik für die Unterstufen
^E. Mackel) . • 250
Schulze, A,, Der altfranzösische direkte Fragesatz (F. Kalepky) 19
Schmidt, Ferdinand, Französisches Elementarbuch (F. T e n d e r i n g) 41
Schmidt, Otto, Rousseau und Byron (R. Mahre n holt z) . . . 150
Schulausgaben (C. Th. Lion) 180
Schumann, W., Übersicht über die französische Formenlehre
(F. Tendering) 40
Seelmann, E,, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes
(F. Pakscher) 27
Sen^chaud, P., Abr^g^ de Thistoire de la litt^rature fran9ai8e ä
l'usage des ^coles sup^rieurs et de l'instruction priv^e
(E. V. Sallwürk) 58
Kollektion Spemann (K. A. Martin Hartmann) 74
Seite
Stier, Georg, Kanjugations -Tafeln der fransösischen Verben
(A. Raxobeau) 94
Süpfle, Th„ Geschichte des deutschen Eultureinflasses auf Frank-
reich mit besonderer Berücksichtigung der litterarischen
Einwirkung (0. Knauer) 136
Temer, Jules, Nos Poötes (A. Odin) . 98
Truati, Henri, Les grands äcrivains £ran9ais. Nouvelles lectures
commentäes en fraKi9ai8 et en langues ^trangäres, alle-
mand, anglais etc. (A. Mager) 191
Ullrich, ff,. Die französischen unregelmässigen Verben
(A. Bambeau) 94
Fillalie, Cesaire, Parisismen (J. Sarrazin) 30
VoümöUer, Karl, Jean de Mairet, Sophonisbe (J. Koch) . . . 255
Waldmann, Bemerkungen zur Syntax Monstrelets (A. Haase) . 175
Walter, Max, Der französische Klassenunterricht (£. v. Sal Iwür k) 188
Wespy, Paul, Der Graf Tressan, sein Leben und seine Bear-
beitungen der französischen Ritterromane des Mittelalters
(F. Bobertag) 73
MiSZELLiSN.
Aymerie, /., Erwldterung 262
Dan-, F., In Sache J. Gutersohn 283
Hartmann, K, A. Martin, Zu Maderooiselle de la Seigliere . . 257
Kraft, Ph,, Verein für das Studium der neueren Sprachen in
Hamburg-AHona 128
Berichtigungen 284
<»'»«<»
Referate und Rezensionen.
Greierz, Otto von, Beat Ludwig von MuraU. Inaugural-Dissertatlon,
der philosophischen Fakultät der Universität Bern znr
Erlangung der Doktorwürde eingereicht. Franenfeld, 1888.
J. Huberts Buchdruckerei. 112 8. 8®. Preis: Fr. 2,40.
Ici meme, en 1880, j'avais publik sur B6at de Muralt
quelques pages, oü j'avais recueilli et mis en ordre ce qu*on savait
de sa vie et de ses oeuvres. Cette revue montrait que beaucoup
de lacunes existaient encore. Un certain nombre d'entre elles
ont et^ heureusement combl^es par M. de Greierz, dans Tex-
cellente dissertation quHl vient de präsenter k la Facult^ des
Lettres de Berne.
Parmi les r6sultats de ses recherches, et les points qu^il
a 6tablis, on remarquera: le fait que B6at de Mnralt, ä seize
ans, ^tait en s6jour k Gen6ve, et que c'est dans cette vilie qu41
s'est familiaris^ avec la langue fran^aise; — les relations de
B6at de Muralt avec le litt^rateur Jacques Bodmer (pages 76 et 77)
qn41 faut distinguer du pi^tiste Jean -Henri Bodmer (page 78)
lequel passa ses demiöres ann6es k Colombier, et mourut en 1743,
dans sa 74® ann^e (voir le Dictionnatre de Leu; les documents
que j'ai publi^s dans les ^trennes chrStiennes de 1886: Jeanne
Bonnet, ipisode de thistoire du pietisme ä Gen^ve, avaient d^ji
stabil les relations du pi^tiste Jean-Henri Bodmer avec B6at de
Muralt;) — enfin et surtout le premier texte de la 6* des Lettres
sur les Frangois, qui contient la critique de la Satire de Boileau
sur les Emharras de Paris, M. de Greierz a retrouv6 cette
premiöre Edition, imprim^e en Hollande, d'une des Lettres de
Muralt, dont je parlais ici meme, dans Tarticle rappelt plus haut,
page 189, note 1.
A la premiöre page de cette publication, qui dato de 1718,
,,M. de Muralt, connu des gens de lettres," est nomm6 en toutes
ZBChr. f. fn. Spr. n. Litt. XI^. . -^
2 Referate ufid Rezensionen. E. Ritter,
lettres: c'est assez ponr montrer que si les Lettres sur les Anglois
et les Frangois parurent en 1725 sans nom d'auteor, tons ceux
qni se tenaient au conrant du mouvement litt6raire de r^poqae,
ont BU facilement le nom de r6crivain snisse.
Je vais citer sans ordre les observations que j'ai k präsenter
sur la diasertation de M. de Greierz. La seule errenr grave
que yj ai trouv6e, se rapporte (page 31, en note) ä la date de
la premiöre Edition du Tilimaque, qui aurait paru en 1717.
Dans la Correspondance de F6nelon se trouve une lettre de***
(libraire) ä Dubreuil, du 26 mars 1699, oü on lit: ,,11 court
un manuscrit de monseignenr, intitul6: J^ducaMon ctun princcy ou
les AverUures de T6Umaque, II fait beaucoup de bruit; Ton dit
que Jamals il ne s'est imprim6 un plus bei ouvrage.'^ Le Manuel
de Brunet donne des d^tails sur les ^ditions qui parurent en
1699, 1700, 1701 etc.; quaut k Tödition de 1717, eile fut
publice aprös la mort de l'archeveque de Oambraj par son petit-
neven, le marquis de F6nelon, et donn^e comme la premiöre
Edition conforme au manuscrit de l'auteur. Dans un
memoire adress^ au p^re Le Tellier en 1710, F6nelon disait en
parlant du Tüimaque: „Tout ie monde sait qu'il ne m'a 6chapp^
que par Tinfid^litö d'un copiate.'^
M. de Greierz n'a pas vu d'exemplaire de la premi^re Edition
de V Apologie du caractire des Anglois et des Frangois, et il s'appuie
(page 57, note 2) sur une gazette de Leipzig ponr ^tablir qu'elle
est de rannte 1726. J'en ai un exemplaire sous les yeux. Gette
iödition a ^t^ publice k Paris chez Briasson, libraire, 1726: c'est
un petit volume de 213 pages, qui sont suivies de rapprobation
du censeur, dat^e du 22 avril 1726, et du privilöge dat^ da
2 mai 1726.
Pi^ge 20, M. de Greierz me cite en ces termes: „Ritter
a. a. 0. S. 188 gibt an (gestützt worauf?), Muralt sei nach ein-
jährigem Aufenthalt verbannt worden.^ — Je m'appujais sur des
textes ojfficiels, qui mettent hors de doute ce que j'ai avanc^:
que Muralt fut banni de Gen^ve aprös une annöe de s6jour.
J'ai envoj^ la copie de ces textes k M. Charles Berthood, qui
se prQpose de les publier dans un article sur B6at de Muralt,
qu'il «pr^pare pour le MusSe neuchäteiois,
Page 76, k ravant-derni^re ligne, il faut lire: yous r6-
soudre, et non pas: vous r6pondre.
La premiöre Edition des Lettres sur les Anglois et les
Frangois et sur les voyages^ 1725: 543 pages in 8^, pr6o^d6es
d'une feuille qui contient le titre et la pr^face, a öt^ imprimöe
k Gen^ve chez Fabri et Barillot C'est ce <)u'^tablit T/examen
des fleurons, t^tes de pages, lettres om^es et culs-de-lampe, qu'on
0. von Greierz, Beai Ludwig von Murali, 3
Yoit dans cette Edition; et qui tous se retronveat daps qnatre
ouvrages publica en ce temps chez les meines 64iteurB:
Ezechiel Gallatin , Sermons. Gen^ve , ch^z Fabri &
Barillot, 1720.
Benedict Pictet, Priores sur tous les chapüres de VEcnbure
sairUe. Qenöve, chez Fabri & Barillot, 1726.
Spon, Eistoire de Oeuhpe^ in -12®^ G^pfeye^ ciez Pabri &
Barillot, 1730.
Nouveaux Sermons de feu M, Ja&ques Saurin. Gen^ve,
chez Fabri & Barillot, 1733.
Les contemporains savaient d'ailleurs que cette premiöre
Edition avait paru chez Fabri & Barillot, k 6en6ve (Greierz,
page 74.) L'abb6 Desfontaines, k la page 6 de son Apologie
du caractlre des Anglois et des Frangoisy disait: ,,0n a imprin^
k Gen6ve, et on vient de r^imprimer k Paris, (chez Briasson,
libraire) les Lettres sur les Anglois et les Frangois et aur les
voyages, "
Quant 4 l'^dition corrig6e de 1728, — M. de Greierz en
donne le titre exact d^ns la seconde note de la page 34 —
eile a M imprim6e k Zürich. Le Journal de Trivoux (MdmoireS'
pour Vhistoire des sciences et des beaux-arts) dans son num^ro
d'avril 1727, donne panni ses Nou volles litt^raires une lettre
de Zürich: „.On trayaille ici k une nouvelle Edition des Lettres
sur les Frangois et les Anglois, L'auteur les a revues, corrigöes,
et augment^es de quelques Lettres sur les Esprits forts.'^
M. de Greierz a cit6 un certain nombre des journaux de
r^poque, et d'autres t6nu)iguages contemporains, qui 6tablissent
le succ^s et le retentissement des Lettres sur les Anglois et les
Frangqis. Les notes suivantes aideront k completer cette liste
interessante:
Lettre de Jean Leclerc k J. -A. Turrettini, dat^e d^ Amster-
dam, 14 mars 1725: „Je n'ai pas encore reQU . . . le livre du
S' Muralt, que j'ai tu entre les mains d'un Libraire, k qui on
Tavait envoyö pour le contrefaire ici; mais je n'en ai rien lu."
— Ce passage a 6t6 laiss6 de c5t6 par M. Engine de Bud^,
qui vient de publier cette lettre dans le second volume des
Lettres inidites adressees ä J,'A, Turrettini^ tMologien genevois^
Gen6ve, lib. Carey, 1887.
Lettre de Jacob Vernet k J.-A. Turrettini, dat^ de Paris,
7 mars 1726: „Les Lettres de M' Muralt sont fort goüt6es ici
par tous les gens de bon sens. Ceux qui d6clament contre la
corruption du goüt et du style en France, se plaisent k relever
ce livre lä, comme un modele de belle et nerveuse simplicit^."
Mimoires de Trivoux, juin 1726, page 1060— lOSOi — On
1*
i
I
I
4 Referate und Reze^monen, E. Ritter,
sait que le p6re Sommervogel; S. J., a publik une excellente
Table de ces Mimoires en trois volumes, 1864 — 65.
Journal littiraire, annöe 1731. A la Haye, chez P. Gosse
et J. N6aulme, XVIII, pages 246 et suivantes.
Mercure suisse^ num^ros de mars 1733, de novembre et
d^cembre 1736.
Lettres juives du marquis d'Argens ; la lettre qui parle de
Muralt est la 68® dans une 6dition, la 72® dans une autre.
Les cinq annSes littSraires de Pierre Clement. Lettres du
1®' mars 1751 et du 30 döcembre 1752.
BibliotMque populaire de la Suisse romande^ num6ro de
juillet 1885. Article de M. Eugene Mottaz.
Quant aux Lettres fanatiquesy il en a 6t6 parl6 dans le
Nouveau Journal ou Recueü littSraire, Gen6ve, 1740, pages 101
et 102.
Pages 26, 89, 90 et 91, M. de Greierz attribue au pasteur
De Koches les fragments (pages XI, XII, XIII) quil cite d'une
Lettre qui forme la pr6face de la Defense du Christianisme.
Mais j'avais dit que cette Lettre est d'un autre auteur genevois,
Pierre Galissard de Marignac ; c'est ce que nous apprend Senebier
dans sa notice sur celui-ci (Histoire littiraire de Genh)e, III. 249).
Les Lettres fanatiques n'ont eu qu*une seule Edition: celle
qui porte sur le titre : A Londres, aux d^pens de la Compagnie,
1739. Elles ont 6t6 imprim^es par T^diteur genevois Marc-
Michel Bousquet. En effet, la plupart des t@tes de pages et
lettres ornees qu'on voit dans les Lettres fanatiques, se retrouvent
dans le livre du pasteur De Koches: Difense du Christianisme,
pubK6 k Lausanne et k Gen6ve, chez Marc - Michel Bousquet
& Comp., 1740. C'est d'ailleurs ce que savaient les contempo-
rains (Greierz, page 88).
Les Lettres fanatiques sont un ouvrage qu'on rencontre
rarement dans les bibtioth^ques et les catalogues des libraires;
les hommes vivants qui Tont lu pourraient sans doute se compter
sur les doigts. A ceux qui Tauraient entre les mains, et qui
ne voudraient pas le lire d'un beut k Tautre, je conseille de
choisir la premiere moiti^ du second volume (sur le D6mon de
Socrate, la Keligion naturelle et la Parole Interieure). . Ceux qui
voudront ne jeter qu'un coup d'oeil sur ce livre, oü Muralt parle
comme un Nestor, et ne sait plus s'arrSter, seront bien aises
peut-^tre d^utiliser la liste que j'ai dress6e, des auteurs que
Muralt a cit6s, en les caract6risant quelquefois d*un trait juste et net:
Piaton. Apologie de Socrate, I, 106; II, pages 14 et
suivantes.
X^nophon. Mimoires sur Socrate. II, 48.
0, von Greierz, Beat Luduuig von MuralL 5
Epict^te. 1, 105, 107.
Marc-AurMe. I, 105, 107.
Montaigne. II, pages 22 et suivantes.
Jacob Boßhm. I, 60, 85.
Antoinette Boorignon. I, 61.
F6nelon. Dialogues des morts. 11, pages 21 et suivantes.
Bajle (article David) II, 81.
La Prädestination calviniste (I, 51) et le Systeme de Des-
cartes snr Täme des b^tes (I, 52) sont nettement mis de cdt6
par Mnralt. Enfin, dans les trois chapitres sur le Dömon de
Socrate, il est parl6 amplement de Rollin, et de denx savants,
membres de VÄcademie Frangaise, qni ont trait6 de la vie et du
caractöre du phiiosophe ath^nien: Charpentier et Tabbö Fragnier.
Quant aux vnes apocalyptiques qui se laissent entrevoir 9a
et lä dans les Lettres fanatiquesy et qui en remplissent le dernier
chapitre, j'ai une hypothöse k soumettre au jugement du lecteur.
Aprös avoir parld de certains ecclösiastiques „qui s'insinuent
par un doux langage chez ceux qui se laissent gagner et s6duire,
— intimident ceux qui se laissent intimider, — et dans un esprit
de vengeance, suscitent des pers6cutions k ceux qui tiennent
ferme dans ce qu'ils doivent k Dieu^, B^at de Muralt continue,
en prolongeant sa pens6e comme un tonnerre qui gronde sans
fin pendant des pages entiöres (II, pages 310 k 318): j'abr6ge,
et je Gours aux traits les plus expressifs:
Contre ceux qui pers^cutent, coiitre ceux de Tordre politique
et de Tordre eccl^siastique qui prennent goüt k dätruire l'CEuvre
de Dieu dans ces derniers temps, Dieu se pr^pare un vengeur: il
arme de sa colere et rend plus puissant qu'eux un Prince par qui
son Bras se manifestera. Sa venue est une des choses terribles
qui doivent 6tre annonc^es aux hommes. Ici, Monsieur, j'entre
dans le fanatisme plus avant que je n*ai encore fait.
Le Prince dont je parle est celui de qui il est dit que Dieu
Ta suscit^ du Septentrion, qui est le pays de sa naissance. Le
Periode pour lequel ce Prince est pr^parä, celui oü le Soleil se
l^ve sur ceux qui sont enfants du Jour, aura en sa personne un
h^raut, qui hautement fera profession de d^pendre de Tlnt^rieur
(Muralt, comme madame Guyon, fait un fr^quent emploi de ce
mot) et qui commencera son r^gne par mettre en ex^oution ce que
Dieu a prononc^. II marchera sur les Magistrats comme sur le
mortier; comme un potier il foulera la boue. (En interpr^tant le
verset d'fisaüe [XLI, 25] auquel il fait allusion, Muralt explique que
les derniers mots du prophäte s'appliquent aux eccl^siastiques qui
d^daignaient les pi^tistes.)
Cette venue est proche: 1' Esprit qui donne la connaissance
des choses l'annonce comme teile. Je pourrais faire voir que nos
temps demandent une r^volution, que rScriture la place dans le
temps oü nous vivons; je pourrais dire des choses plus pr^cises
encore. Je crois voir une r^yolution s'approcher, et je Tannonce,
6 Referate und Rezensionen. E. Ritler,
On se demande quel est le prioce que B^t de Muralt
avait en vne? C^est un prince du Nord, et en 1739 soti av^ne-
ment paraissait proohe: voilä les seales donnöes dn probl6me.
n n'y a pas d'apparence qne Muralt pensät ä la Russie, soamise
en ce temps k Fimp^ratrice Anne, k qui sncc^da, en octobre 1740,
an enfant qui n'^tait pas n6 quand Mnralt ^erivait; — ni A la
Su6de, oü le roi Fr^d6ric P' entrait dans la seconde moiti6 d'un
rögne inglorienx. En Danemark, k la ccmr du roi Christian VI,
des pi^tifites tenaient lehautbont; et son fils, le ftitur Fr^d^rie V,
avait dil-sept ans: est-ce ce jenne prince danois que Muralt
avait en vne? Je crois plutdt que le gentilhomme bernois, qui
6cilvait ses r^veries k Colombier, dans la principaut6 de Neu-
chätel, pensait au futur souverain du pays qui lui donnait asile.
Fr6d6ric - Guillaume I", roi de Prusse et prince de Neuchätel,
^tait k la fin de sa vie: le prince royal, si peu semblable k son
pöre, ^veillait beaucoup d'esp6ranoes ; et la Prasse elle^m^me
avait de l'avenir. Les grands ^v6nements de l'histoire, au mo-
memt oü ils se pr^parent, jettent dans Fesprit des hommes qui
cfaerchent k discemer les signes des temps, une ombre proph^-
tique qui les annonce, — et qui les d^figure.
L'aitente de Mnralt a 6tö tromp^e, si, comme je la crois,
l'imagination ezalt^e de Töminent songeur avait en vne le jeune
prince qui allait devenir le grand Fr6d6ric. — A-t-elle 6t6
tromp6e beaucoup plus qne celle de Voltaire qui, mieux que Murält,
connaissait son auguate correspondant, et qui rSvait pour lui une
carri^re tranquille, la vie d'un prince ami de la paix et des lettres?
Qu'on relSse l'^pttre quMi adressait au roi de Prusse, äson av6nement:
Citoyen couronn^f vouß jurez dans mes malus
De prot^ger les arts et d*aimer les humains . . ,
Socrate est sur le tröne . . .
Je ne sais si mon hypoth^se rencontrera Tassentiment du
lecteur; mais on ne peut la combattre qu^en lui en ^ubstituant
une autre: car Muralt avait certes quelqu'un en vue. Si cette
hypothi&se ^tait adopt^e, eile tournerait k T^loge du vieux pi^tiste ;
il a rSv6 un grand r61e pour le fils de son prince: il a rencontr^
juste, et prÄvu Tavenir, lors m^me que ce röle et cet avenir ont
M tout autres qu'il ne pensait. Le philosophe de Sanssouci,
le vainqueur de Rossbach ^urait souri de sa prophetie, s'il avait
jet6 les yeux sur son livre; il ne lui en aurait pas voulu.
A ce que j'avais dit dans mon premier article, des eitations
que Rousseau fait de Lettres sur les Anglcds et les FrangoiSy
j'ajouterai quelques notes que j'ai glan^es depuis lors:
Dai^s une lettre de Deleyre ä Rousseau, du 2 novembre 1756,
raou 4e Jean- Jacques promet de lui envoyer cet ouvrage de Muralt.
0; von Greierz, Beat Ludwig von Mttrali. 7
Dans la NouvdU Hüoise (partie V, 3* lettre)^ la descqptioi
d'une matin^e k Tanglaise correspoAd k ce que dit Muralt aox
pages 112 et 113 de sa premi^re Edition (vers Ia fin de ta
IV« Lettre).
Dans une lettre k M. d'Offrevilley dat^e de Montmovency^
4 oetobre 1761, Rous&eau, d'aprös Muralt (pages 137 et 138
de la premiöre Edition , vers la fin de la V* Lettre) döcrit la
proc6dare des Jurys anglais en matiöre criminelle, et cite une
anecdote frappante.
Dans l£miley note 26 du Livre second, Rousseau fait allu-
sion k un passage de Muralt (page 112 de la premiöre Edition).
G'est de cette note qu'il est question dans une lettre de Rousseau
k madame de Bouffiers (aoüt 1762): „J'ai pris sur la nation
anglaise une libert6 qu^elle ne pardonne k personne, et surtout
aux ^trangers, c'est d'en dire le mal ainsi que le bien; et vous
savez qu'il faut Stre buse pour aller vi vre en Aqgleterre, mal
Youlu du peuple anglais. Je ne doute pas que mon demier livre
ne m'y fasse d^tester, ne füt-ce qu'4 cause de ma note sur le
gooäi nahired peopUf*^ — et dans la r^ponse de madame de
Bouffiers k Rousseau (10 septembre 1762): „Je ne sais pas en-
core ce qu'on aura dit en Angleterre sur votre note sur le peuple
anglais. On l'aura trouv^e iiguste^ et c'est aussi mon opinion;
mais je suis persuad^e que les Anglais s'efforceront de vous
donner sujet de changer d'avis. U n^est pas d'ailleurs vraisem-
blable que dans un pays oü 11 est permis de tont dire, on seit
fort choquö de vos Ubert^s«"
Bnfin, dans la cinquiöme des Lettves icfrites de la immtagne^
quand Rousseau a dit: „On sait combien de eonpabjes 6chappent
en Angleterre k la faveur de la molndre distinction subtile dans
les termes de la Loi^^, il faisait aUusion k un passage des Lettres
sur les Anglais (vers le commencement de la Lettre IV, pages 120
4 122 de la premi^re Edition).
Page 37, M. de Greierz cite d'aprös moi ime Edition des
Lettres sur les Anglois, publice par Charles Pongens en Tan VIII.
Je ne Tai pas vue, et je Tai cit^e d^apr^s VIntermidiaire des
cherckeurs et curieux (XIII, 693). Mais j'ai sous les yenx le
second volume de cette Edition : Lettres de M, de Muralt sur les
moBurs et le caradlre des Francis; nouveüe idition, abrigie et
retouchie par un komme de lettves ^ et destinee spedalement ä
Instruction de la jetinesse du XIX" si^cHe, 8e vend ä Faris,
chez Charles Pougens; ä Leipssicy chez Adrien Teader; ä Mets^ chez
JBekmer; et chez les prindpaux lihraires^ de tEuacope, Metz, de
Vimprmerie de Behtner, An VIII (1800). La d^dicace m^rite
d'etre cit6e: eile n'est pas seulement interessante pour les mural-
8 Referate ufid Rezensionen, A. Meiger,
tistes, qni constituent une espöce rare, comme on dit en botaniqae ;
mais eile caractörise bien la renaissance intellectaelle qui eut
lien en France au temps da Oonsulat, et les sentiments qni se
faisaient jonr k ce moment chez les meilieurs esprits; eile a k
ce titre une valeur vraiment historique:
A la Jennesse da XIX® si^cle.
Jeunes gens,
La r^volution fran^aise, en changeant toutes les Institution 8
sociales, vous a rendus comme ^trangers vos autears et vos peres.
Plus s^par^B d^euz par un intervalle de dix ann^es qu'on ne Pest
ordinairement par le laps de plnsienrs siäcles, ce n*est plus qiie
par tradition que vous pouvez connaitre les moeurs et les usages
en vigueur au temps de votre naiRsänce, quelque entour^s que vous
soyez d'objets et d'ßtres contemporains a cette ^poque. Comme
ces traditions ne vous sont gu^res prösent^es qu'au travers le
prisme des passions, il vous est difficile de les voir sous leur
vöritable jour. Combien serait pr^cieux, pour un orphelin qui n*a
jamais connu ses parents, leur portrait trac^ avec la plus parfaite
ressemblance ! C'est ce portrait que je vous ofiFire, portrait carac-
täristique de la nation franpaise, et qui ressemble aussi parfaite-
ment aux Fran^ais du r^gne de Louis XVI qu'a ceux du r^gne
pr^c^deitt. En applaudissant k l'esprit d'impartialit^ de l'obser-
vateur qui a fait ressortir finement jusqu'aux plus petites nuances,
on a trouv^ toutefois le tableau plus severe que flatt^. Jeunes
gens, je le mets sous vos yeux, moins comme un modele ä imiter
en tout que comme une ätude: puisse-t-elle vous apprendre ä
appr^cier vos päres, et k valoir encore plus qu'eux!
Depuis r^poqne oü Charles Pougens 6crivait cette page
enthonsiaste, cette esp6ce de proclamation, Muralt n'a pas troav6
d'öditeür en France. A vrai dire, les Lettres sur les Anglois et
les Frangoisy — semblables k cet 6gard k quelques -unes deQ
Oeuvres de notre contemporain Karl Hillebrand, — bien qu'^crites
en langue fran^aise, sont tont imbues de Tesprit germanique.
EUes ont ^tö adress6es par un Allemand k des Allemands: car
les trait6s qui ont s^par^ la Suisse de TEmpire, n'ont pas touch6
aux liens du sang qui rattachent les Bemois aux races allemandes,
et c'est k ses amis de Berne que Muralt les avait destin^es
d'abord. II serait piquant, mais il serait juste que ce füt un
^diteur allemand qui r^alisät le vcßu de Sainte-Beüve : „On devrait
bien r^imprimer ces Lettres de M. de Muralt; elles le m^ritent.^
Quoiqu'il en soit, la dissertation de M. Otto ,de Oreierz,
qui est le fruit de consciencieuses recherches, bien conduites et
couronn6es de r^ussite, a d^sormais sa place au premier rang
des travaux qu'on a publi^s sur Muralt; et tous les amis de
Faimable et p6p^trant moraliste doivent lui en etre reconnaissants.
EüGÄNE RiTTEB.
B. Morf, Aus der Geschichte des französischen Dramas. 9
Morf, H. Aus der Geschichte des französischen Dramas. Aka-
demischer Vortrag, gehalten im Museum zu Bern am
11. Februar 1886. Heft 21 der Sammlung gemeinver-
ständlicher wissenschafllicher Vorträge, herausgegeben
von Rud. Virchow und Fr. v. Holtzendorf. Hamburg^
J. F. Richter. 1887. 38 S. kl. 8<^.
Eine sorgfältige Betrachtung der dramatischen Richtung des
heutigen Frankreich, als deren Begrenzung V. Hugo's Hemani
und Sardou's Theodor a genannt werden können, führt zu der
Entdeckung, dass der Geist, der aus den Dramen Hemani und
Thiodora spricht, der Geist der Mysterien vergangener Jahr-
hunderte ist, d. h. dass das heutige Frankreich zu der
romantischen Bühne des französischen Mittelalters zu-
rückgekehrt ist. Um den Zusammenhang des heutigen fran-
zösischen Dramas mit den alten Mysterien zu illustrieren, hat
Morf die romantische Bühne des französischen Mittelalters in
einem ihrer Anfange vorgeführt
Der Verfasser tritt für die massgebende Ansicht ein, dass
das Schauspiel ein Kind der katholischen Kirche sei, und führt
einen Sermo des heiligen Augustinus (den die Benediktiner freilich
für. unecht erklären , trotzdem die mittelalterliche Kirche ihn für
echt hielt) an, der in seiner dramatischen Handlung einen frucht-
baren Keim enthielt: die Zahl der Propheten wurde vermehrt,
einzelne Prophetenzeugnisse erweitert und sogar zu kleinen Szenen
ausgebildet. Auch die Tendenz zu realistischer romantischer
Darstellung ist schon vorhanden: der Prophet Bileam kam auf
einer Eselin in das Chor der Kirche geritten, der König Nebu-
kadnezar erscheint in prächtigem Schmuck, die drei Jünglinge
werden in den bereitstehenden Ofen geworfen.
Durch die Weiterentwickelung einzelner Prophetenszenen
bildeten sich selbständige Dramen heraus, unter denen das Daniel-
drama einen hervorragenden Platz einnimmt. Die Inszenierung
ist hier geradezu kompliziert geworden. Um 1100 zeigt sich
das Bestreben, die Vulgärsprache, das Französische, in das Drapia
einzuführen, und die Schauspiele mit den französischen Einschiebseln
sind die sogenannten epttres fardes. Bald war das erste rein fran-
zösische Schauspiel Adam vorhanden. Gegen Ende des 12. Jahr-
hunderts verfasste Jehan Bodel aus Arras ein französisches
Schauspiel, das weltliche Inspiration zulässt. Dies ist ein ro-
mantisches Schauspiel (freilich ohne Einheit der Handlung).
Jehan Bodel ist Laie und mit ihm geht das Kirch - Schauspiel
vollständig in die Hände von Laien über und wird so zur na-
tionalen Bühne, deren Erzeugnisse unter dem Namen MysÜres
\
10 Referate und Rezensionen. E. Koschwitz,
bekannt sindi Als dae GFoteak- Komische das Schauspiel des
ehristtieheo Glaubens dem Gelächter preisgab, verbot ein Be-
scblnss des Parlaments von Paris (17. November 1548) die Auf-
führang' biblischer Mysterien.
Morf aeigt weiter, wie in dem Zeitalter der Renaissance
das alte Drama neben der antiken Tragödie einherschritt und
sich unter dem Namen Tragikomödie weiter entwickelt hat, be-
rflhrt kurz die Stellung Comeille's und die dramatische Richtung
des 11, Jahrhunderts und kemmt zu dem Drama der roman-
tischen Schule, welche glaubte, durch die Verktlndigung des dra-
maturgischen Prinzips (Victor Hugo's Cromwell) etwas Neues zu
schaffen, die aber, ohne es zu wissen, nur das Priazip der na-
tionalen Bühne des Mittelaltere wieder erneuert hat. Somit ist
das national - religiöse Mysterium aus einem langen Kampfe mit
der antiken Tragödie in verjüngter Gestalt als Sieger hervor-
gegangen.
Der Vortrag bildet, so gedrängt er auch in bezug auf das
17. und 18. Jahrhundert ist, einen nicht ganz unwesentiiehen Bei-
trag zur Gesehlehte des fi^anzösischen Dramas und vermehrt die
genannte Sammlung um ein fruchtbringendes Spross.
A. MAaEB.
C^^dat, L«, Nouveüe Grammaire historique du frangais, Pads,
1889. Garnier. 279 S. 8^
Über die in seinem Buche befolgte Absicht gibt Clödat in
einer kurzen Vorrede die folgende Auskunft: La präsente Oram-
maire historique paH . . . de la langue modenu pour remaniar
jusqu'aux origines. Je nigUge les particulariUs de Vandenne
langue qm ont disparu »ans laisser de traces . . ., mais finsiste
8ur VexpUcaUon historique de toutes les rlgles de la grammaire
moderne . . . J*ai essay4 de mettre ä la port6e de tous et de
formuler aussi brh)ement qu*ü Statt possible les risuttats les plus
certains et les plus vmportants des travaux contemporains sur les
questions de phüologie fran^aise. Seinen Plan hat der Verfasser
auch innegehalten. Nur darf man das toutes les r^gles de la
grammcnre moderne nicht wörtlich nehmen ; eine solche Vollständig-
keit würde sich mit dem Zwecke der Grammatik nicht vertragen
haben. Auch hat sich Cl^dat nicht immer darauf beschränkt, in
bündiger Kürze die Ergebnisse der neueren Forschung wieder-
zugeben; in den syntaktischen Kapiteln finden sich auch durchaus
selbständige Erörterungen, die den Charakter streng wissenschaft-
licher Abhandlungen besitzen und darum zwar mit dem übrigen
L. Cledat^ NouveUe Grammaire historique du franfois, 11
Kontexte dishannonieren, dem Werke aber eben dadurch auch
für solche Wert verleihen, die, auf der Höhe der heutigen Forschnng
stehend, einer populären Darstellung derselben entbehren können.
Im ersten Teil (S. 1— 87( behandelt G16dat „die Laute und
Buchstaben^. Voraus gehen einige allgemeine phonetische Be-
trachtungen, die zwar nichts irrtümliches enthalten, aber dem Fach-
phonetiker hier und dort schwerlich ausreichend erscheinen werden.
So § 9 die Definition von son, — Bei Betrachtung der französischen
Vokale hätten in § 11 die Lautnuancen g und g^ cr und q gleich
mit erwähnt und bei an^ ort, eun (ä, Ö, &) ihre genaue vokatische
Färbung mit angegeben werden sollen. In den folgenden §§ wird
allerdings das Fehlende zum Teil nachgeholt, aber der Verfasser
begeht hier und noch öfter den Fehler, scheinbar eine Unacht-
samkeit zu begehen, indem er etwas Erwähnenswertes nicht gleich
beim ersten Male anführt, wo man es erwarten kann, sondern
sich seine Behandlung für eine andere Oelegenheit aufspart. Es
nimmt sich dies aus, als habe Cl^dat seine Kritiker absichtlich
in Aufregung versetzen wollen, die bei solchen Gelegenheiten ihn
auf einer Vergesslichkeit ertappt zu haben glauben, um einige §§
später belehrt zu werden, dass sie sich darin geirrt haben. —
§15^ wo die mit % gebildeten Halbdiphthongen zur Sprache
kommen, werden ia und jfa, 2^, j(e, ip, icß, ic§ etc. nicht unter-
schieden, die mit y bezeichneten jia, ie etc. ausser acht gelassen,
und wird ihre Zahl beschränkt und werden echte Diphthongen
aus dem Französischen ganz eliminiert dadurch, dass für er-
weichtes l noch l als offizielle Aussprache anerkannt wird. Auch
die verschiedenen orthographischen Darstellungen der mit ^ und ff
gebildeter Halbdiphthonge sind nicht vollständig berücksichtigt.
Man vergleiche die entsprechenden Abschnitte meiner Orammaük
der neufranzösischen Schriftsprache, — Über die Vokalquantität
geht G16dat § 17 ausserordentlich kurz hinweg; gerade über sie
hätte man von einem Franzosen von der Kompetenz des Ver-
fassers gern Aufschluss erhalten. Satzakzent, rhetorischer Akzent
und Tonhöhe kommen gar nicht zur Sprache.
Die Beschreibungen der französischen Konsonanten, S. 12 ff.,
sind mehrfach etwas gar zu kurz und darum ungenau ausgefallen.
So namentlich die in §§ 25, 26, 30, 32 gegebenen. Das volare
r hat Verfasser ganz übersehen, obgleich es im heutigen Fran-
zösisch eine ao bedeutende Rolle spielt. — Die Schilderung
§ 39: Le d latin s'est chang^ en n dans rendre de reddercy et
nd s'est reduit k n dans prenant de prendentem ist den historischen
Vorgängen nicht entsprechend: n vor d in rendere (woriaus rädr)
ist unzweifelhaft epenthe tisch, und n für nd in prenant Auf ana-
12 Referate und Rezensionen, E, Koschwiiz,
logischem Wege eingfetreteD. — Anch das volkstümliche drUüme
für cinquihne (§ 40) ist eine analogische Erscheinung und nicht
organisch irgendwie zu begründen.
Mit grösserer Sicherheit als da, wo es sich um die Be-
schreibung der modernen französischen Laute handelt, tritt Cl^dat
in den Kapiteln auf, wo er die lateinischen Grundlagen des
Französischen bespricht (die altgermanischen Elemente sind von
ihm wohl absichtlich ausser Acht gelassen worden).^) Zum ersten
Male wird hier in einer französischen Grammatik die Scheidung
in haupt-, nebentonische und unbetonte Silben durchgeführt, die
für die Sprachentwickelung von so hervorragender Bedeutung
war, und werden auch die Pro- und Enklitika als Bestandteile
von Lautworten aufgefasst und untergebracht. Dadurch, wie
durch die Beachtung der Vokalstellung in offenen und ge-
schlossenen Silben (in freier und gedeckter Stellung) gewinnt
dieser Abschnitt einen Vorsprang vor allen früheren Darstellungen
dieses Sprachkapitels, und hier, wie überhaupt in dem etymo-
logischen Teile seiner Grammatik zeigt sich C16dat nicht nur auf
das genaueste mit der neuesten Forschung vertraut, sondern auch
für ihre kritische Benutzung auf das beste veranlagt. Es war
nicht immer leicht, aus der Fülle des Materials das Gate und
Sichere herauszuwählen und in elementarer Form wiederzugeben.
— Wir finden demgemäss nur unbedeutende Dinge zu urgieren.
Die Definition § 69: üne voyelle est dite entravie lorsqu'elle est
suivie de plusieurs consonnes cons6cutives, ist, wie auch der
Verfasser weiss, ungenau, da Muta c. Liqu. den Vokal nicht
decken. — § 74 und vorher wäre eine ausdrückliche Scheidung
von laminarem (mediopalatälem) und volarem lat. c, g wün-
schenswert gewesen. — § 83 mumm (prononc6 mourom) soll
wohl heissen mourom' oder moüromey da om für den Franzosen
= 5. — Bei Aufzählung der Vokale befolgt C16dat die tradi-
tionelle Reihenfolge; wissenschaftlicher ist es, vom tiefsten zum
höchsten (u, o, a, e, i) aufzusteigen, oder umgekehrt, wobei zu-
gleich ganz von selbst nahe verwandte Erscheinungen auch äusser-
lich zusammentreten. — § 95 und vorher in Worten wie m^eäleur,
feignant fasst C16dat ei = ^ auf, während er sonst richtig i zu U
und gn ^= I, n zieht. — § 100 ist m>on = mö ein Lapsus; es
soll heissen mon vor Vokal. — § 116, S. 51 Z. 1 ist e long
besser zu tilgen (vgl. Stella : itoüe), ebenso § 119. — § 120
hätte man gern gehört, ob auch der Verfasser einen Quantitäts-
^) In Kapitel 3 über die französischen BucbBtaben fehlen § 58
Yi. a. f, ^, ^, ei^ und die Halbvokale; in rose, case befindet sich s
(phon. z) vom rein lautlichen Standpunkte aus betrachtet natürlich
nicht enire deux voyeües (§ 68).
L. Cle'dai, Nouveüe Grammaire hisiorique du fran^is. 13
unterschied zwischen e^^e = afrz. esse und esse = afr. ece vernimmt.
— § 123 die Erklärung 1° würde auch für ö passen. N darf
nicht ohne folgenden Vokal (auch stummes e) stehen. — § 135,
S. 59 Z. 4: 'quand il (ie) termine le mot on qu'il est suivi d'une
consonne non prononc^e'; auch im letzteren Falle endet ie das
Wort; hier wie auch sonst einigemale (z. B. § 152, wo in une n
lautlich nicht zwischen zwei Vokalen steht; s. auch oben zu § 63)
hält G16dat Lautwort und Schriftwort nicht genügend von einander.
Bei der traditionellen Gewohnheit, nur das Schriftbild ins Auge
zu fassen, ist es in der That schwierig, nicht hin und wieder in
diesen Fehler zu verfallen. — § 146 Anm. ist in au XV' silcle
XV wohl ein Druckversehen. Vgl. meine Grammatik S. 84. —
§ 155. 'On ne voit pas bien, d'ailleurs, la raison de cette double
prononciation' {an und ^ = agn und aign^ on und i^an = ogn,
oign). Der Grund ist in analogischen Wirkungen zu suchen:
plaigne nach plaindre, j eigne nach joindre etc., während montagne,
charogne ohne solche Einwirkungen zur Entwickelung gelangten.
— § 158 ist in seinen Bestimmungen etwas ungenau; vgl. S. 74 ff.
meiner Grammatik, — § 164. La graphie ge(=' i) d^rive des
formes anciennes telles que geuy participe pass6 de gisiry qui se
pronon9ait jadis geU, et oü ge ^tait devenu le signe d'un simple
g doux — ist wohl nicht ganz richtig; schon vorher schrieb man
mangea neben manja wie comencea für nfrz. comm£nga u. dgl.
— § 178 verdankt pie-t-ä-tere sein t doch nicht der 'euphonie',
sondern der Analogie oder der Einwirkung des Schriftwortes auf
die Aussprache, Auch in pouvoir (§ 188) ist v schwerlich
'purement euphonique'.
In dem zweiten Teile, in dem (S. 89 — 142) die Wort-
schöpfung (Ableitung, Zusammensetzung und Bedeutungswandel)
behandelt werden, stützt sich der Verfasser insbesondere anf die
Spezialuntersuchungen Darmesteter's (Mots nouveaux^ TraiU de la
composüion und Vie des mots), aus denen er zugleich unter Be-
nutzung auch der älteren Litteratur mit seinem gewöhnlichen
Geschick das Wichtigste heraushebt. Ein böser Lapsus findet
sich § 199, wo schottisch als ein polnisches Wort angeführt wird;
doch ist C16dat der Irrtum nicht zu sehr zu verargen, da der
französische schottisch in Deutschland Ecossaise benannt wird.
Auch die in Anmerkung zu diesem § gegebene Erklärung, wie
un houc a 6t^ chang6 en une sorte de chope ist schwerlich richtig;
die Abkürzung „ein Bock'' für „ein Glas Bockbier'' hat durchaus
deutsches Gepräge; der Commis voyageur, der das Wort nach
Frankreich brachte, hat nur die Ausdehnung auf jede Art von
Bier verschuldet. — S. 93 wird sire als alter Nominativ zu
seigneur hingestellt; richtiger gehört sire zu (monjsieur^ während
14 Referate und Rezensionen, E, Koschwiiz,
der Nominativ zu seigneur : sendre früh verloren ging. — § 235
kanc man doch nicht allgemein sagen, das Italienische habe
lat. c vor e, i in ch = $ umgebildet. — Die § 267 adoptierte
Ansicht Boucherie's, wonach in Worten wie parte-drapeau u. dgl.
das erste Element ein Adjektiv vorstellen soll, dürfte nicht all-
gemein als die 'vdritable explication' anerkannt werden. Vielleicht
aber sind wir sachlich mit dem Verfasser einverstanden und er-
regt nur seine Formulirung bei uns Anstoss. — Die § 276 ge-
gebenen Definitionen le savoir = ce qv!on aaii und Ze poüvoir
= ce qu^on pevJt sind sicher zu eng. — In § 291 hätten wir
gem die gelehrten Ableitungen vom Stamme fac von den volks-
tümlichen getrennt gruppiert gesehen.
Auch zu der Formenlehre (S. 143 — 200) haben wir nur
minder bedeutsame Ausstellungen zu machen. § 293 würden
wir für le == *lum ein lu(m) vorziehen, da lum zu Z5 geworden
wäre. Erst musste ülum zu illo geworden sein, ehe in prokli-
tischer Stellung ülo entstand. — In den folgenden Abschnitten
gibt. Cl6dat Flexionsregeln in der hergebrachten Form, ohne
Rücksicht darauf zu nehmen, wie sich die Dinge gestalten, wenn
man vom Wortbilde absieht und nur die rein lautlichen Wort-
körper ins Auge, oder richtiger ins Ohr fasst. Die Abweichungen
sind, wie wir in unserer Neufranzösischen Formenlehre nach ihrem
Lautstande gezeigt zu haben glauben, hin und wieder doch recht
bedeutend und in einer, wenn auch nur propädeutisch, wissen-
schaftliche Zwecke verfolgenden Grammatik in Zukunft nicht zu
übergehen. — Die Bindung eresse (§ 298) in pecheresse wird wohl
richtiger aus dem alten Nominativ pechere erklärt; Cl^dat geht
vom Obliquus aus, dessen Suffix eur sich zu er geschwächt hätte,
ehe es^e antrat. — Hat in afrz. mute = miUia je ein I bestanden,
wie Verfasser § 315 behauptet? Wir glauben nur an ein afrz.
müie = müie und dann unter Einwirkung des Singular mdl§, —
§ 322, S. 157 Z. 15 füge man nach pronom relatif ein: ou de la
pr^position de ein. — § 337 hätte erwähnt werden können, dass
auch bei nous^ vous eine Scheidung in unbetontes nous^ vous
und betoutes neus^ ,veus möglich gewesen wäre und nur unter
analogischen Einflüssen unterblieben ist. — § 364 ist die Be-
ha.uptung, intervokalisches b in den Imperfekten sei 'd^s Torigine'
gefallen, etwas einzuschränken. — Das d6doublement de IV
long final in der 2. Pf. asti (wofür astii) in § 370 erscheint
uns zweifelhaft und bsauchte wohl nicht vor den anderen eia-
schlägigen Erklärujigsversuchen bevorzugt zu werden. — In IPve
für liene ist nicht i, sondern ein i unterdrückt worden (§ 377).
— § 387. Nur isc konnte vor hellem Vokal is(s) entwickeln,
L, Cledai, Nouveüe Grammaire hisiorique du fran^ais. 15
niobt auch isc, das eis, ois ergeben hätte. Dar hier bei^rocbene
Lantvorgang ist wohl überhaupt etwas zu sumnuuriaeh behandelt.
Die meisten Schwierigkeiten hatte der Verfasser bei der
Behandlung der 'Conjugaison morte' zu überwinden, bei der
er sich erfolgreich bemüht hat, elementare und einfache Dar-
stellung des neufranzösischen Bestandes und geschichtlich richtige
Auffassung mit einander zu versöhnen. Dass «s auch ihm nicht
gelungen ist, hier alle Klippen zu umsegeln, wird niemand
Wunder nehmen. — § 390, S. 185 liest man: La mouillure de
Vn (in den Verben auf aindrey eindrej oindre) disparait aussi
devant s et t). Das ist nicht ganz richtig; ai, ei^ oi vor n ent-
standen für a, 6, o dadurch, dass die Erweichung von » vor
Konsonant aufgegeben wurde, und ihr jf- Gehalt auf deu Voraus-
gehenden Vokal überging. Die Erweichung ist also nicht ver-
schwunden, ohne Spuren ihres einmaligen Vorhandenseins zu
hinterlassen. — In Widerspruch mit dem historischen Verhältnis
ist ClMat geraten z. B. in § 400, wo man nicht sageu darf:
Vu de la flexion (in r^solu =^ resolutus) a fait disparattre le v
final; ebenso in § 401 bei Erklärung der Pc. Pf. sußiy hdf nuif
und in § 403 bei Erklärung der Pc. Pf. «>, acquts^ pris, miß, —
§ 427, Anm. 2 hätte man gern gehört, dass cUt seine Besonder-
heit der Analogie zu soit (= sit) verdankt. — § 429, Sollte
nicht umgekehrt puisse eher dagewesen sein als jmsf
Im vierten Teile, der Syntax (S. 201—271) veriässt, wie
schon erwähnt, der Verfasser den sonst in der Grammatik ein-
genommenen Standpunkt. Mit Rücksicht auf seiiie Grammaire
du vieux fran^ais hat er die uii veränderlichen Wortarten und die
Wortstellung ganz übergangen; mit Unrecht, da seine N&rfnm-
zösische Grammatik vielfach einen anderen Leserkreis finden wird|
als jene. Artikel, Nomen und Pronomen sind nur skizzenhaft
behandelt. Die Syntax des Verbums gibt hingegen einige wissen-
schaftliche Abbandlungen Cl^dat's wieder, die von ihm vorher an
den S. 211 abgeführten Stellen für sich veröffentlicht worden
waren. Diese Studien sehen mehrfach von dem historischen
Werden ab und geben auf spekulativem Wege des Verfassers
persönliche Auffassungen des modernen Gebrauchs wieder, die,
so anregend und Interesse erweckend sie sind, in seine Grammatik
sich nicht recht hineinfUgeii wollen. Der Fachgelahrte wird sie
gern hier wiederfinden. Besondere Beachtung verdienen dßs
Verfassers Betrachtungen über die superkomponierten Tempora
und die Consecutio temporum. Selbst da, wo des Verfassers
Ansicht zum Wiederspruch reizt, bleibt seine Meinung wertvoll,
weil sie ein zuverlässiges Zeugnis fttr das Sprachgefühl eiues
feinfühlenden fr^mzösischen Zeitgenossen ablegt — Deu S, 213
16 Referate und Rezensionen. E. Koschwiiz,
Z. 1 angenommenen Einflnss des lateinischen Supinums halten
wir für unwahrscheinlich; dasselbe besass za wenig Lebenskraft,
um in der angegebenen Weise wirken zu können. — In seiner
Analyse des Futurum exactum S. 225 f. lässt der Verfasser ausser
Acht, dass, wie das einfache Futurum, so auch das Futurum
exactum oft; in modaler Weise verwendet wird; weil jede in die
Zukunft fallende Handlung unbestimmt ist, kann ein futurisches
Tempus überhaupt zum Ausdruck der Unbestimmtheit dienen.
Auch die Wirkungen der Attraktion werden hier und sonst nicht
genügend berücksichtigt. — 8. 237 bei der Besprechung des
Kondizionale in Bedingungsnebensätzen scheint uns der Verfasser
mit sich selbst in Widerspruch zu geraten, wenn er in ihneu die
Bedingungen ausschliesslich durch die Konjunktion und nicht
durch das Verbum ausgedrückt finden will, und in einer An-
merkung dazu konstatiert, dass in Sätzen wie 'II serait ici qae
j'agirais de mime' die Konjunktion ganz fehlen kann. Die wert-
vollen Spezialuntersuchungen von Burgatzky, Thielmann und Vising
scheinen dem Verfasser noch unbekannt geblieben zu sein.
Wir haben uns vorzugsweise bei Aufzählung derjenigen
Punkte aufgehalten, wo wir dem Verfasser für eine sicher bald
notwendig werdende neue Auflage Besserungen empfehlen wollten.
Die Billigkeit erfordert, hinzuzufügen, dass wir noch weit mehr
Stellen gefunden haben, wo wir selbst von dem Verfasser lernten
und bedauern mussten, nicht schon für unsere Grammatik der
neufranzö'sischen Schriftsprache aus seinem Buche Nutzen ziehen
zu können. Das Werk C16dat's, in seiner Gesamtheit genommen,
ist eine treffliche Leistung und zur Einführung in das wissen-
schaftliche Studium der französischen Grammatik auf das beste
geeignet. E. Ko schwitz.
Haase, A. Französische Syntax des XVJL Jahrhunderts, Oppeln,
1888. G. Maske. 287 8. 8^ Preis: 7,00 Mk.
Haase ist den Lesern der Zeitschrift durch seine früheren,
von guten Kenntnissen, Selbständigkeit und Fleiss zeugenden Mo-
nographien über Villehardouin und Joinville und über Pascal
bekannt, und hat ihre Sympathien durch seine objektiven, mit
gesundem Urteil und peinlicher Gewissenhaftigkeit verfassten Be-
sprechungen der neueren syntaktischen Untersuchungen gewonnen.
Nach jahrelanger, höchst mühsamer Vorbereitung, unter Opfern,
die nur der würdigen kann, der in einer kleinen bücherarmen
Provinzialstadt eine Arbeit ähnlicher Art unternommen hat, liess
er das obengenannte Werk erscheinen, mit dem er gewisser-
J, Haasey Französische Syntax des XVIL Jahrhunderts. 17
massen den Abschluss seiner Vorstudien gibt, und in dem die
Vorzüge, die seine früheren Arbeiten zeigten, in erhöhtem
Grade hervortreten. Mit Bienenfleiss hat er aus dem Wüste der
oft recht unergiebigen Dissertationslitteratur, die sich in den
letzten Jahrzehnten mit Einzelfragen der Syntax oder mit der
Syntax einzelner Autoren beschäftigt hat, das Brauchbare herans-
gesammelt, hat er die schätzbaren grammatikalischen Beigaben
der Ausgaben der Grands J^crivains de la France für sich exzer-
piert und in seinem Werke verwendet, die grammatische fran-
zösische Litteratur des 17. Jahrhunderts, soweit ihm erreichbar,
durchforscht und verwertet und mit ausdauerndem Fleisse Au-
toren selber gelesen und auf ihre Eigenheiten geprüft. Was er
so in mühevoller Vorarbeit gefunden, hat er dann in bündigster
Form in seinem Werke zusammengestellt, und soweit es der augen-
blickliche Zustand unserer Kenntnis der geschichtlichen Sprach-
entwickelung gestattet, in historischem Lichte vorgeführt. Selten
wird man ihn auf einem Irrtum ertappen, nur wenige und minder
wichtige Eigenheiten des syntaktischen Sprachgebrauchs des
17. Jahrhunderts sind ihm entgangen, und wo die historische
Deutung fehlt, darf dieselbe entweder als allgemein bekannt an-
genommen werden, oder gebot der gegenwärtige Wissenszustand
eine Enthaltsamkeit, die einer voreiligen Deutung bei weitem
vorzuziehen ist, und die dem bescheidenen Wesen des Verfassers
auf das beste' ansteht. Sein Werk wird jedem Fachgelehrten
treffliche Dienste leisten, der hier vereinigt findet, was ihm sonst
nur in einer viel zersplitterten Einzellitteratur geboten war, und
jedem Schulmanne, der Autoren des 17. Jahrhunderts zu edieren
und zu kommentieren unternimmt, und der nun hier eine zuver-
lässige Quelle für zu gebende Erläuterungen vorfindet. Es wird
in hohem Grade dem Verfasser zu verdanken sein, wenn nun-
mehr das oft recht niedrige Niveau der syntaktischen Erklärungen
in unseren Schulausgaben auf einen höheren Stand gelangt.
Wo viel Licht ist, kann auch der Schatten nicht fehlen.
Man findet bei dem Verfasser nichts von jener geistvollen Detail-
arbeit, an die uns Tobler's syntaktische Aufsätze gewöhnt haben,
von jener Miniaturmalerei, die auch das Kleinste nicht unbeachtet
lässt und dadurch oft zu unerwarteten Aufschlüssen führt. Der
Verfasser wirft auch keine neuen Gesichtspunkte in die syntak-
tische Forschung hinein : die Fragen z. B., wie phonetische Sprach-
erscheinungen auf die Syntax einwirkten, wie die Syntax der ge-
sprochenen Sprache sich zu der, der geschriebenen verhält und
verhielt, und wie vielfach nur durch Nichtberücksichtigung der
Lautsprache spitzfindig ausgeklügelte Grammatikregeln ermöglicht
wurden; wie weit sich dialektische Einflüsse auch in der Syntax
Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XI^. 2
18 Referate und Rezensionen. F. Kalepky,
zur Geltung brachten; wie die Macht der Analogie auch auf syn-
taktischem Boden in weitem Umfange thätig war, sind von ihm
entweder gar nicht gestellt oder kaum gestreift worden. Haase
hat sich ausschliesslich auf dem Standpunkte eines nüchternen
Sammlers gehalten, dem es an kritischer Begabung und reifem
Urteil durchaus nicht gebricht; er hat aber nirgends den Zweck
im Auge gehabt, nach irgend welcher Seite hin bahnbrechend
vorzugehen. Darum darf man aber sein Werk nicht schmälern;
es war zu einem solchen Vorgehen seiner ganzen Natur nach
nicht geeignet, und geriet H. durch Aufwerfung neuer Fragen auf
bisher unbetretene Bahnen, so lief er Gefahr, sich selbst um die
Früchte seines Fleisses zu bringen. Aus dem von H. eingehaltenen
Verfahren ist ihm also kein Vorwurf zu machen. Auch daraus
nicht, dass er zu nennen unterliess, was nach seinen Untersuchungen
im Sprachgebrauch des 17. Jahrhunderts mit dem des heutigen über-
einstimmt. Ferner wäre es auch unbillig, zu verlangen, dass er
jedesmal die einschlägige Litteratur zitierte, mochte er sich ihrer
als Grundlage bedienen oder sich ablehnend gegen sie verhalten;
derartige Quellenbeigaben gehören nur in Spezialuntersuchungen;
dort allerdings sind sie mit mehr Gewissenhaftigkeit anzuwenden,
als in neuerer Zeit üblich geworden ist, wo man nicht selten
findet, dass, in Anfängerarbeiten und auch in anderen, nur das
Schulhaupt und seine Schule zitiert werden, während die übrigen
Schriftsteller nur mit Widerstreben, und wenn möglich, nur beim
Bestreiten ihrer Ansichten genannt werden. Dagegen hätte H.
eine einmalige Aufzählung der benutzten syntaktischen Litteratur
nicht unterlassen sollen. Einen grossen und schweren Fehler
hat er nur dadurch begangen, dass er die von ihm zitierten
Stellen nur nach den Schriftstellern bezeichnete, ohne Werk,
Ausgabe und Seitenzahl anzugeben. Dadurch ist eine genaue
Kontrolle fast zur Unmöglichkeit geworden, und insbesondere
der Leser ausser Stande gesetzt, sich zu überzeugen, ob nicht
diese und jene Erscheinung durch den Versbau, durch den Zu-
sammenhang zu erklären ist, auf welche Möglichkeiten der Ver-
fasser nicht immer ausreichende Rücksicht genommen hat. Wir
hoffen, dass dieser Hauptfehler des H.^schen Buches in einer
zweiten Ausgabe, die wir mit Sicherheit erwarten, verschwinden
wird, so viel Arbeit auch dadurch dem Verfasser entstehen mag.
E. EOSOHWITZ.
A. Schulze, Dei" altfranzösische direkte Fragesatz, 19
Schulze, Alfred, Der altfranzösiache direkte Fragesatz. Ein
Beitrag zur Syntax des FVanzö'sischen, Leipzig, 1888.
Hirzel. VUI, 271 S. 8«. Preis: 5 M.
Schon der Umstand, dass der Verfasser vorliegender Arbeit
nicht selten das Neufranzösische vergleichend heranzieht, dürfte
eine Besprechung derselben in dieser Zeitschrift rechtfertigen.^)
Aber auch davon abgesehen ist diese syntaktische Studie wegen
ihrer musterhaften Methode und nicht weniger wegen ihres Reich-
tums an gesicherten Ergebnissen von solchem Werte, dass nicht
dringend genug auf sie hingewiesen werden kann. Der Verfasser
untersucht, nicht blos gelegentlich, sondern durchgehends, die
sprachlichen Erscheinungen, mit denen er es zu thun hat, bis
auf ihre letzten erreichbaren Grundlagen. Überall auf reichliches,
dem gesamten Gebiet der altfranzösischen Litteratur entnommenes
Material sich stützend, geht er auf die leisesten Unterschiede
der den Sprachgebilden zugrunde liegenden Vorstellungen und
Gedanken ein, weist er in anscheinend ganz unbedeutenden
Modifikationen des sprachlichen Ausdrucks den Einfluss der die
Rede begleitenden Affekte nach. Die gefundenen Gesetze, sowie
seine auf den Zusammenhang zwischen den geistigen Vorgängen
und ihrem sprachlichen Abbild bezüglichen Beobachtungen formu-
liert er mit grosser Genauigkeit und Schärfe; doch macht die
Gedrängtheit der Darstellung, das Streben nach lückenloser Aus-
drucksweise bei dem abstrakten Charakter des Gegenstandes das
Studium dieser Arbeit zu einem keineswegs leichten; nur wenige
Abschnitte des Buches werden, wenn Referent von sich auf
andere schliessen darf, beim ersten Anlauf genommen werden
können: der grösste Teil erfordert ein ausdauerndes, gründliches
Studium, das aber mit reichlicher Förderung lohnt. Soviel über
die Arbeit im allgemeinen. Im Folgenden sollen im Rahmen
einer knappen Analyse der Arbeit von ihren Ergebnissen vor-
nehmlich diejenigen vorgeführt werden, welche das Verständnis
des Neufranzösischen zu fördern geeignet sind.
Im Kapitel I: „Allgemeines über das Verhältnis des
Fragenden zur Antwort" schafft sich der Verfasser eine sichere
psychologische Basis für die Untersuchungen der nächsten Kapitel,
indem er (nach einem Hinweis auf das Vorhandensein asserierender
Elemente in beiden Hauptgattungen der Frage, den Bestätigungs-
fragen und den Bestimmungsfragen) die verschiedenen Möglich-
keiten der inneren Stellung des Redenden zu seiner Frage
^) Zur Zeit als Verfasser diese Zeilen schrieb, war die 2^chr.
noch nicht zu einer Zschr, für franz. Spr. u. Litt, erweitert worden.
20 Referate und Rezensionen. F. Falepky,
charakterisiert and namentlich das besondere Wesen der soge-
nannten ,,Jafragen^ eingehend untersucht und Überzeugend dar*
legt. Daran schliesst sich eine Erörterung des Begriffes der
Fragepartikeln, welche Bezeichnung Schulze, im Widerspruch zu
Imme, auf solche Wörter beschränkt wissen will, deren Form
oder Funktion in Fragesätzen eine eigenartige ist.
Kapitel II beschäftigt sich mit den negierten Fragen im
Altfranzösischen. Schulze sucht die Funktion der sogenannten
Füllwörter pas^ mie, point festzustellen und liefert den Nachweis,
dass das Altfranzösische nicht nur denjenigen Unterschied, welcher
im Neufranzösischen zwischen der Verwendung von pas und point
in verneinten Fragen besteht (Lücking, Franz, Schulgr,^ § 393),
nicht kennt, sondern die Füllwörter in Fragen jeder Art ganz
entbehren kann. Wo sie gesetzt werden — und dies ist also ihr
ursprünglicher, im Neufranzösischen verdunkelter Sinn — da
drücken sie der Frage den Stempel des Bescheidenen, Höflichen
auf, nämlich dadurch, dass sie dem Angeredeten zu verstehen
geben, es komme das durch das Yerbum zum Ausdruck Gebrachte
nur in ganz kleinem Umfange in Betracht. Dieser Auffassung der
Funktion der Füllwörter fügen sich, nach Schulzens Ansicht, auch
eine grosse Anzahl der neufranzösischen mit ne-point negierten
direkten Fragen.
Das Kapitel III: „Fragen mit pas oder point ohne ne^
gewährt erwünschte Aufklärung über diejenigen Sätze, in welchen
nach modernem Sprachgefühl ein pas oder point allein, ohne
716, zur Negierung ausreichend erscheint. Direkte Fragesätze
dieser Art finden sich in älterem Neufranzösisch häufig, und noch
heute treten in der Sprache der ungebildeten Volksschichten
(auch, wie man hinzufügen darf, in zwangloser Rede bei Gre-
bildeten) die Füllwörter der Negation in asserierenden Sätzen
selbständig negierend auf. Schulze legt überzeugend dar, wie
es zu dieser offenbaren Verwirrung des Sprachgefühls gekommen
ist. Im Altfranzösischen nämlich finden sich zahlreich direkte
Fragen mit point ohne ne (später auch mit pas ohne ne), in
denen point und pas^ weit entfernt die Frage zu verneinen, ledig-
lich die in Kapitel II nachgewiesene Funktion haben, der Frage
ein höfliches, bescheidenes Gepräge zu verleihen. Ganz dieselbe
Wirkung wird aber, wie Schulze in Kapitel I dargethan, auch
durch Hinzufttgung der Verneinung, also im Altfranzösischen
durch Hinzufügung von ney oder auch von ne mit pas beziehungs-
weise point erzielt, so dass man im Altfranzösischen in der Lage
war, beispielsweise den Satz: „Wisset Ihr?" auf viererlei Weise
auszudrücken: 1) durch savez (vousjf und ferner, mit dem Cha-
rakter des Höflichen, 2) durch ne savez (vous)f 3) durch savez
A, Schulze, Der altfranzösische direkte Fragesatz, 21
(vous) poirUf 4) durch ne aavez (vous) pointf — Es war nun
natürlich, dass das NebeneiDanderbestehen dieser verschiedenen
Ausdracksweisen für den nämlichen Gedanken, und namentlich
das Zusammengehen von savez pointf und ne aavez pointf das
Gefühl von der Entbehrlichkeit der Negation ne für direkte Fragen
wachrief and schliesslich in beschränktem umfange dazu führte,
auch in Assertionen die Füllwörter mit negierender Kraft zu ver-
wenden. Wie Vangelas diese sprachliche Angelegenheit ansah,
und welche Schwierigkeiten sie noch Corneille bereitete, möge
man bei Schulze (S. 30) selbst nachlesen.
In Kapitel IV, welches den altfranzösischen Fragepartikeln
e^, enne, si, donc, donc + nc, oref bten^ oder, wie Tobler zu
sagen vorschlägt, der Verwendung gewisser Partikeln zur Ein-
führung von Fragen gewidmet ist, bietet sich dem Verfasser
verhältnismässig wenig Gelegenheit, auf das Neufranzösische ein-
zugehen. — Dass auch das Neufranzösische die Konjunktion et
in eigentümlicher Weise zur Einleitung direkter Fragen verwendet,
möge folgendes Beispiel zeigen: [J^lhye] MaiSy Monsieur^ qu'est-ce
que votdait donc dire Pierre^ le cocher de la damef — [Mattre]
Et qu^est-ce que disait Pierre^ (P. Bert, Instruction civique, p. 12.)
Mir scheint diese Verwendung von d derjenigen altfranzösischen
gleich zu sein, für die Schulze in § 37 Beispiele gesammelt
und in § 38 die zutreffende Erklärung gegeben hat Das Eigen-
tümliche der Verwendung von et im Vergleich mit der ähnlich
gebrauchter Fragepartikeln findet Schulze darin, dass durch et,
indem es die Frage an Vorhergehendes anknüpft, angedeutet
werde, sie finde ihre Berechtigung lediglich in diesem Vorher-
gehenden, für dessen Thatsächlichkeit der Fragende, indem er
sich der Anknüpfung durch et bedient, die Verantwortlichkeit
ablehnt. Aus dieser Verwendung lassen sich die übrigen Ver-
wendungen von etj welche Schulze feststellt, leicht begreifen. —
Bei der Behandlung der Zeitpartikel donc gedenkt Schulze auch
der Verwendung derselben in neufranzösischen Fragesätzen, wie
z. B. Oü donc est Catherine f (Erckmann-Chatrian, Waterloo, p.l88)
und stellt auf Grund eingehender Prüfung des älteren Sprach-
gebrauches die Ansicht auf, dass die Beifügung dieses donc auf
dem Wunsche des Fragenden beruht, den Schein zu erwecken,
als ergebe sich die Frage ungezwungen, ja mit Notwendigkeit,
aus Vorhergehendem, und sei nicht etwa durch blosse Wiss-
begierde veranlasst. — Noch ist aus diesem umfangreichen
Kapitel der § 104 hervorzuheben (bien als Fragepartikel im
Neufranzösischen), wo Schulze nachweist, dass die von Littr6
unter bien adv. 4) gegebene Begriffsbestimmung für die richtige
Auffassung vieler neufranzösischer Beispiele nicht genüge^ viel-
22 Referate und Rezensionen. F» Kalepky,
mehr in ihnen hien nach altfranz&sischer Weise verwendet er-
scheine, um der Frage einen höflichen oder ironisch höflichen
Charakter zu verleihen.
Kapitel V handelt von der Erweiterung des Fragesatzes durch
estrey welchen Gegenstand Schulze unter steter Vergleichung des
Neufranzösischen behandelt. Die hauptsächlichen Ergebnisse dieses
Kapitels sind folgende. Zunächst die Bestimmungsfragen.
Während im Neufranzösischen die erweiternde Umschreibung mit
dem einfachen Pronomen gleichwertig ist (was sich daraus er-
gibt, dass das Verbum substantivum in den meisten Fällen nicht
mehr mit dem Verbum des folgenden Relativ- oder Konjunktional-
satzes im Tempus kongruieren darf, sowie auch daraus, dass fSr
den Nominativ des neutralen Interrogativpronomens die Um-
schreibung obligatorisch ist), war man sich im Altfranzösischen
des sachlichen Unterschiedes zwischen beiden Ausdrucksweisen
noch wohl bewusst. So wird z. B. die Erweiterung qui est-ce
qui (welche eigentlich nicht Angabe des Subjekts, sondern eine
Aussage über die durch den folgenden Relativsatz bezeichnete
Person verlangt) nur in solchen Fällen angewendet, wo ein her-
vorragendes Interesse an der mit qui bezeichneten Person deut-
lich erkennbar ist. Im Ganzen genommen finden sich die im
Neufranzösischen gebräuchlichen Ei-weiterungen der Frage auch
im Altfranzösischen; doch scheint letzterem diejenige Art der
Umschreibung zu mangeln, welche ein neufranzösischer Satz von
der Form: De qui est-ce que vous parlezf zeigt. Im Altfranzösi-
schen sagte man: Qui est cü de cui vo$ parlezf — Andererseits
besitzt das Altfranzösische viele ihm ausschliesslich eigene Er-
weiterungen des direkten Fragesatzes. — Was nun die Be-
stätigungsfragen anlangt, so treten die mit est-ce que einge-
leiteten Fragen bis zum Ende des 14. Jahrhunderts noch nicht auf;
doch kennt das Altfranzösische bereits diejenige Erweiterung der
Frage, durch welche ein Satzglied, dem ein besonderes Interesse
anhaftet, in prädikative Stellung zu estre und dem formalen Subjekt
ce gebracht wird, wobei das, was den unerweiterten Satz aus-
machen würde, als Relativ- oder als Konjunktionalsatz folgt,
z. B. y^Es'tu go qui parolesf — ähnlich dem neufranzösischen:
Est'ce toi qui partes f — Interessant ist, dass sich die für das
Neufranzösische so charakteristische prädikative Verwendung
explikativer Relativsätze, wie sie etwa der Satz „Le voilä qui
vient^*" zeigt, altfranzösisch auch — was neufranzösisch unmöglich
wäre — in der Frage findet, dergestalt, dass der altfranzösisch6
Satz : Est'ce mon phre qui €a battuf nicht etwa das bedeutet, was
er im Neufranzösischen bedeuten würde, sondern vielmehr den
Sinn eines neufranzösischen: Est-ce que mon plre €a battuf hat.
A, Schulze, Der altfranzösische direkte Fragesatz» 23
Kapitel VI hat die Tempora und Modi zum Gegenstände,
soweit ihr Gebrauch im altfranzösischen direkten Fragesatze ein
eigenartiger ist. — Bei Besprechung des sogenannten jussiven
Futurums weist Schulze aus Anlass der nicht ganz zutreffenden
Fassung der bezüglichen Regel bei Lticking (Franz. Schtdgramm^
§ 295, 2) darauf hin, dass diese Verwendung des Futurs im
direkten Fragesätze alt- wie neufranzösisch nur in der 1. und
3. Person möglich sei. — Nachdem er im ersten Abschnitt
einige dem Altfranzösischen eigentümliche Verwendungen des
Futurs erörtert hat, behandelt er im zweiten Abschnitt das
Präteritum Futuri, in welchem Tempus er, entgegen der von
Burgatzki und Klapperich vertretenen Ansicht, lediglich einen
Ersatz für einen von der Sprache nicht ausgeprägten Modus der
Nichtwirklichkeit sieht, dessen Verwendung durchaus nicht von
der Verknlipfting mit einem (ausgesprochenen oder verschwiegenen)
Bedingungssatze abhängig sei. Indem Schulze in Aussicht stellt,
auf diesen Punkt am anderen Orte ausführlicher einzugehen, führt
er die Untersuchung über den Gebrauch des Präteritum Futuri
von seinem soeben kurz gekennzeichneten Standpunkte aus mit
einem Erfolge, der für die Richtigkeit desselben zu sprechen
scheint. — Der dritte Abschnitt ist dem Gebrauch des Konjunktivs
im altfranzösischen direkten Fragesatze gewidmet. Aus diesem
Abschnitt wollen wir ein wegen der Ähnlichkeit mit dem Ver-
fahren der englischen Sprache interessantes Beispiel herausheben:
jfComment autrement peust ü Avoir eschapi du pirü Qua ja
passSf^ (Mir, ND.^ XXIV 690). — Den im Neufranzösischen so
beliebten Gebrauch des reinen Infinitivs in direkten Fragesätzen
weist Schulze im vierten Abschnitt dieses Kapitels auch für das
Altfranzösische nach und sieht die Erklärung für die in Rede
stehende Erscheinung darin, dass dem Geiste des Redenden,
indem er sich des Infinitivs bedient, nur der Thätigkeitsbegriff
des Verbums, ohne die Vorstellung einer demselben zum Träger
dienenden Person, vorschwebt, — eine in ihrer Einfachheit völlig
gentigeleistende Erklärung, die vor den von Diez (III® 222) und
von Lücking (§ 382) gegebenen Erklärungen meines Erachtens
den Vorzug verdient.
Im Kapitel VII „Indirekte Frage an Stelle der direkten"
knüpft Schulze an das von Tobler (Beiträge S. 56) über diesen
Gegenstand Gesagte an und bringt ausser zahlreichen neuen
Beispielen der beregten Erscheinung auch solche Beispiele bei,
welche das Gegenbild derselben darstellen, nämlich Beispiele von
indirekter Frage in der Form direkter. Aus dem Gebiete des
Neufranzösischen gehört hierher Moliöre (MM. m. Z., III 2): ^11
faut voir de quoy est-ce qu^eUe est malade^ wo die Verwendung
24 Referate und Rezensionen. F. Kiüepky,
der oraUo recta anstelle der oratio obliqua sich wohl kaum
anders als aus der Lebhaftigkeit der Bede erklärt
Aus Kapitel VIII „Dilemmatische Fragen'' verdient an dieser
Stelle mitgeteilt zu werden, dass das Altfranzösische in Ent-
scheidungsfragen, die mit lequel eingeleitet sind, noch fast gamicht
das unlogische de vor den zur Wahl gestellten Satzgliedern auf-
weist, welches dem Neufranzösischen kaum noch entbehrlich
ist und dessen zutreffende Erklärung Lücking (§ 252 A.) ge-
geben hat.
Kapitel IX handelt von den Wiederholungsfragen im Alt-
französischen. Dieselben können hervorgerufen sein durch eine
Mitteilung, oder durch eine Aufforderung, oder drittens durch
eine Frage. Gelegentlich der Behandlung des zweiten Falles
stellt Schulze das Verfahren der altfranzösischen Sprache dem
des Neufranzösischen gegenüber. Danach kann im Neufranzösischen
einer Aufforderung wie z. B, Rends-moi la charte! eine Wieder-
holnngsfrage in dreifacher Form entsprechen, entweder : Moi^ que
je V0U8 la rendel (nicht la vous^ wie in § 177 aus Versehen
dreimal steht), oder: Je vous la rendraisf oder: Mdf vous la
rendref — Die erste und die dritte Form der Wiederholungs-
frage kennt auch das Altfranzösische; der zweiten Form würde
im Altfranzösischen am nächsten eine Wiederholungsfrage mit
jussivem Futurum kommen: Je votis la (oder la vous) rendraif
Ausserdem aber kann das Altfranzösische noch mit blossem Kon-
junktiv sagen: Je vous la rendef was neufranzösisch nicht mehr
angeht. — Wiederholungsfragen, welche durch eine Frage ver-
anlasst werden, nehmen altfranzösisch wie neufranzösisch die
Form der indirekten Frage an; nur ein abweichendes alt^an-
zösisches Beispiel ist Schulze begegnet: La dame li demanda
Kl cü Chevaliers estoit, — Qui est ü, damef en non Did, on le
doü bien noumer, (Th, fr, 420.)
Das den ursprünglichen Ausgangspunkt der Arbeit bildende
Kapitel X „Die Wortstellung im altÄ^anzösischen Fragesatze''
(S. 157 — 245), welches in seinem ersten Abschnitt über die
Frage- und Aussageform im altfranzösischen Hauptsatze handelt,
ist für dieses Gebiet der Syntax von solcher Wichtigkeit, dass
es eine besondere, ausführliche Besprechung verdient Ein
näheres Eingehen auf dasselbe würde indes die Grenzen dieser An-
zeige zu weit überschreiten. Hier sei nur angeführt, dass Schulze,
unter Berufung auf Tobler's Vorlesungen, bei der von ihm ver-
suchten tieferen Begründung der Gesetze der Wortstellung eine
neue oder wenigstens der herkömmlichen Grammatik nicht ge-
läufige Kategorie, die des logischen Subjektes (logisch im eigent-
lichen Sinne des Wortes) einführt. Schulze nennt nämlich
A. Schulze, Der altfranzösische direkte Fragesatz. 25
logisches Subjekt dasjenige, inbezug worauf eine Aussage gethan
werden soll, dasjenige, was die Grundlage, den Ausgangspunkt
der Aussage bildet und nicht immer identisch ist mit dem Seienden,
welches als Träger des durch das Verbum finitum zum Ausdruck
Gebrachten erscheint. So ist z. B. in dem eine direkte Rede
einleitenden Satze Dist OUviers (welcher unter Umständen etwas
ganz anderes besagt, als es der Satz „OUviers dist'"'' thun wtlrde)
das logische Subjekt in der mit dist verknüpften Vorstellung zu
sehen; nicht von OUviers geht die Aussage aus, es wird nicht
das dist von OUviers prädiziert, sondern dist ist das Gegebene
und OUviers das prädizierte: das Sagen geschah durch Olivier,
der Sagende war Olivier. Diese manchem vielleicht im ersten
Augenblicke befremdlich erscheinende, aber logisch unanfechtbare,
fUr die Lehre von der Wortstellung äusserst fruchtbare Be-
trachtungsweise setzt Schulze in stand, die sehr mannigfaltigen
Erscheinungen in der Wortstellung altfranzösischer Sätze unter
wenige einfache Gesichtspunkte zu begreifen und so dieses
wichtige Kapitel der Syntax, dem in den letzten Jahren so viele
Spezialuntersuchungen gewidmet worden sind, zu einem gewissen
Abschlüsse zu bringen. — Im zweiten Abschnitte dieses Kapitels
untersucht Schulze die Stellung der einzelnen Satzglieder im
direkten Fragesatze. Abweichend vom Neufranzösischen trat in
der altfranzösischen Bestätigungsfrage das Subjekt noch regel-
mässig hinter das Verbum; daneben aber zeigt sich auch schon
und greift immer mehr um sich die im Neufranzösischen zur
Regel gewordene Anakoluthie, vermöge deren das Subjekt dem
Fragesatze in absoluter Weise vorantritt, um dann innerhalb des-
selben hinter dem Verbum durch das ihm zukommende Personal-
pronomen wieder aufgenommen zu werden. Ebenso ist bei alt-
französischen Bestätigungsfragen einfache Inversion auch eines
betonten Subjekts die Regel ; von dem neufranzösischen Verfahren,
demgemäss ein betontes Subjekt zwischen Fragewort und Verbum
tritt, ist dem Verfasser, abgesehen von einem einzigen, von
Tobler beigebrachten Beispiele, keine Spur begegnet. — Im dritten
Abschnitt dieses Kapitels bespricht Schulze die ,,Frage in Aus-
sageform" und schliesslich die der altfranzösischen Sprache zum
Ausdruck unseres „nicht wahr?" dienenden Mittel.
Den Schluss des Werkes bildet ein Anhang, in welchem
Schulze die Beantwortung der Frage im Altfranzösischen be-
handelt. Auch dieser Anhang birgt eine Fülle interessanter
Beobachtungen, so über Entstehung und Verwendung der alt-
französischen Bejahungs- und Verneinungspartikeln, bei welcher
Gelegenheit Schulze das von Perle für modern erklärte je dis
que non auch für das Altfranzösische nachweist, so femer über
26 Referate und Rezensionen. F, Pakscher,
die Antwort, welche durch Wiederholung des in Frage gestellten
zustande kommt, bei welcher Gelegenheit Schulze erwünschte
Aufklärung über das neufranzösische st fait gibt, so über Be-
kräftigung der Antwort und über korrigierende Antworten im
Altiranzösischen.
Hiermit sind wir zum Schluss der Arbeit gelangt. Die vor-
stehende Analyse, welche sich auf Hervorhebung des allgemeiner
Interessierenden, speziell des die neufranzösische Sprache Be-
treffenden beschränken musste, gibt nur eine unvollkommene
Vorstellung von dem Reichtum dieser Schrift an feinen sprach-
lichen Beobachtungen und namentlich von der Förderung, welche
die Kenntnis des Alt französischen durch dieselbe erfährt.
Hat doch, um nur eines zu erwähnen, der Verfasser teils auf
Grund der Resultate seiner den altfranzösischen Fragesatz be-
treffenden Untersuchungen, teils ganz beiläufig, weit über 100
altfranzösische Textstellen emendiert (ungerechnet Herstellung
richtiger Flexion in den angezogenen Beispielen). Neben solchen
Vorzügen treten die Mängel der Arbeit, die sich lediglich auf
geringfügige Einzelheiten erstrecken, völlig zurück. An Druck-
fehlern sind mir aufgefallen S. 21 Z. 9 luis statt Ivi'^ S. 22 Z. 7
V. u. wollen statt können; S. 40 Z. 10 te statt et Störender ist
S. 101 Z. 18 das Fehlen des Wortes „andersgeartete" hinter
„wenn*^; S. 99 Z. 7 das Fehlen von „es" hinter „ist**. Andere
Druckfehler, wie S. 248 Z. 10 „Verneigungspartikeln** werden
niemand irre machen. — Der Schluss von § 7 würde verständ-
licher sein, wenn er lautete: „Und so erklärt sich auch hier des
Fragenden Interesse, durch Hervorrufung einer nicht bestätigenden
Antwort zu erweisen, dass der Gefragte ihm gegenüber im Un-
recht sei und er, der Fragende, nicht Ursache habe, seine Auf-
fassung zu ändern. ** — Der Schluss von § 29 scheint mir mit
den Ausführungen des § 9 in Widerspruch zu stehen, insofern
als hier eine negative Frage, dort aber eine positive Frage
als das zweckdienlichste Mittel zur Erlangung einer möglichst
energischen Bestätigung des Gefragten hingestellt wird. — Der
Anfang des § 33 wird zu lauten haben: ,,Da die Frage nicht,
wie die Assertion, dem vorstellenden Geiste einen objektiv fass-
lichen Inhalt bietet" u. s. w. — Auf Anderes, Wichtigeres, hat
Tobler in seiner Anzeige der Arbeit (Lüteraüirblatt ßir germanische
und romanische Philologie, Juli 1888) aufmerksam gemacht, auf
welche Anzeige hiermit noch ausdrücklich hingewiesen sei.
F. Kalepkt.
^.
E. Seelmann, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes. 27
eelmann, Emil, Bibliographie des altfranzösischen Rolandsliedes.
Heilbronn, 1888. Gebr. Henninger. 113 S. 8^ M. 4,80.
Diese Schrift gibt einen handgreiflichen Beweis davon,
welchen Aufschwung die -RoZawcZforschung in den letzten beiden
Jahrzehnten genommen hat. Der Verfasser war von der Verlags-
buchhandlung aufgefordert worden, von dem Werkchen Joseph
Bauquier's, Bibliographie de la chanson de Roland ^ Heilbronn,
1877, eine neue, ergänzte Ausgabe zn veranstalten, und sah sich
genötigt, dasselbe durch ein ziemlich umfangreiches Buch zu
ersetzen. Der grössere Umfang ist allerdings auch dadurch zu-
stande gekommen, dass der Verfasser sich nicht mit dem Nach-
trag der inzwischen erschienenen Schriften begnügt hat, sondern
auch, durch die reiche Göttinger Bibliothek unterstützt, dem älteren
Teile eine ganz andere Vollständigkeit gegeben hat, als seinem
mit ungenügenden Hilfsmitteln ausgerüsteten Vorgänger möglich
gewesen war. Wir können ihm in dieser Beziehung volles Lob
aussprechen; es ist uns nicht gelungen, irgend eine Lücke zu
entdecken, und die Kenntnis einiger versteckter, allerdings wenig
wertvoller Abhandlungen verdanken wir sogar erst seinem Buche.
Im Prinzip hat er die systematische Anordnung Bauquier's bei-
behalten, aber das reichere Material machte eine häufigere Glie-
derung desselben notwendig. Er zerlegte es zunächst in drei
Hauptabschnitte, die je mehrere Unterabteilungen umfassen.
A. Das Denkmal und seine Überlieferung verzeichnet die
Handschriften nebst den Abdrücken, die sie erfahren haben, die
Ausgaben und die Übersetzungen. In dem Anhang dazu werden
die dem Roland nahestehenden Litteraturdenkmale aufgeführt,
also der Turpin in seinen verschiedenen Gestalten, das carmen
de prodiaione Ghienonis, das deutsche Rolandslied und die Kaiser-
Chronik, die englischen, niederländischen, nordischen und, was
besonders verdienstlich ist, auch die spanischen und italienischen
Bearbeitungen. Bei den (B.) historisch-litterarischen Ar-
beiten werden sechs Gattungen unterschieden, wodurch die Über-
sichtlichkeit bedeutend erleichtert wird. Die Überschriften sind
gut gewählt, mit Ausnahme der letzten „Kulturgeschichtliches
(Volkskunde)", wofür vielleicht passender „Sitten und Kleidung"
gesagt worden wäre. In der dritten Abteilung C. Linguistische
Arbeiten werden ausser den eigentlich grammatischen mit Recht
auch die über Metrik und Lexikographie aufgeführt, dagegen,
nach unserer Ansicht, irrtümlich, die über Textkritik, welche in
den zweiten Hauptabschnitt gehören. Innerhalb der einzelnen
Kapitel ist die Anordnung, wie bei Bauquier, chronologisch«
28 Referate und Rezensionen. A. Pakscher,
Dass die Titel mit erschöpfender Genauigkeit wiedergegeben
werden, Hess sich bei dem Berufe des Verfassers erwarten, der
in der umfangreichen Vorrede auch von der grossen Mühe spricht,
welche das Herbeischaffen schlecht zitierter Bücher verursacht,
und die oft mit dem, was sie bieten, in keinem Verhältnisse
steht. Solche Enttäuschungen werden dem, der dies Nachschlage-
buch benutzt, erspart bleiben. Des Verfassers Streben ist darauf
gerichtet gewesen, die Bücher möglichst selbst in die Hand zu
bekommen. Es ist ihm dies bei der grössten Anzahl gelungen
und er hat dies jedesmal durch ein beigesetztes Sternchen an-
gegeben. Zugleich hat er bei Schriften, die in verschiedenen
Ausgaben erschienen sind, wie besonders Dissertationen, er-
mittelt, inwieweit dieselben mit einander übereinstimmen. Dem
Titel folgen häufig die Angaben über Besprechungen, welche das
betreffende Buch erfahren hat; bei einer Reihe von Nummern
wird auch der Inhalt ausführlicher angegeben, und zwar einer-
seits bei sehr umfangreichen Werken, andererseits bei kleinen,
aber schwer erreichbaren Schriften. Ja, ausnahmsweise hat S.
sogar die Grenzen seines Programms überschritten, z. B. S. 73,
wo er auf die Deutungen des aoi, und S. 53, wo er auf die ver-
schiedenen Ansichten über die Repetitionsstrophen eingeht, aber
diese kurzen Auszüge sind mit Geschick gemacht, und, da sie
Arbeit ersparen, dankenswert. Den letzten Teil der Schrift
bildet ein sehr ausführlicher alphabetischer Index (S. 81 — 113).
Dieser scheint uns besonders gelungen zu sein. Man findet z. B.
in ihm unter den Stichwörtern der Zeitschriften alle einschlägigen
Artikel übersichtlich geordnet. Ferner wird der Übelstand, der
sich aus der detaillierten Einteilung des Textes ergab, dass
nämlich dasselbe Buch manchmal in verschiedenen Kapiteln zitiert
werden musste, in dem Register dadurch völlig ausgeglichen, dass
hier unter dem Namen des Verfassers seine sämtlichen Arbeiten
und die Seiten, auf denen ihrer Erwähnung geschieht, zusammen-
gestellt sind. Wir können abschliessend unser Urteil dahin zu-
sammenfassen, dass wir es mit einem Nachschlagebuch zu thun
haben, das an praktischer Einrichtung und sorgfältiger Aus-
führung kaum übertroffen werden kann, und das nur den Wunsch
erweckt, auch für andere Gebiete der romanischen Philologie
ähnliche Hilfsmittel zu besitzen.
Ausserdem bietet das Buch noch den Vorteil, dass man
durch dasselbe leicht Überblicken kann, welchen Gang die Roland-
forschung eingeschlagen hat. Der Gesichtspunkt, von dem aus
man zuerst an das Rolandslied herantrat, war der litterar-
historische. Wegen der Ansichten der Pasquier, Fauchet und
anderer Männer des 16. bis 18. Jahrhunderts, die sich nur ver-
E, Seelmann, Bibliographie des allfranzösischen RolandsUedes, 29
matungsweise über das damals noch nicht anfgefundene Rolands-
lied äussern konnten, bezieht sich S. anf Gautier's JapopSes fran-
gaises und nennt dann einige Schriften aus dem Anfange unseres
Jahrhunderts. Dabei wird eine Stelle aus Ritson, Äncient English
metrical romances (1802) wiedergegeben , die für die damalige
Zeit Anerkennung verdient, r)^^ ^^^^ chanson de Roland
was, unquestionahlyy a metrical romance, of great length, upon the
fatal battle of Ronceveaux; of which TaiUefer orUy chanted a part.^
Erst in den 30er Jahren wurden die altfranzösischen Epen Gegen-
stand eingehender litterarhistorischer Betrachtungen. Eine solche
widmete dem Roland 1832 Henri Monin, dann kamen noch im
selben und im folgenden Jahre Raynouard, Francisque Michel,
ühland und Ferdinand Wolf zum Wort. Nachdem schon 1774
Tyrwhitt gelegentlich der Erklärung des bei Chaucer vorkommenden
Namens Termagaunt (= Tervagan) von der Oxforder Handschrift
des Rol. gesprochen hatte, wird dieselbe endlich im Jahre 1837
durch die Ausgabe MicheFs bekannt. In litterarhistorischer Be-
ziehung brachten die folgenden Jahre wenig Bedeutendes, bis
1852 eine interessante Studie von Yitet in der Revue des deux
mondes und eine solche von Paulin Paris in der Histoire litte-
raire de la France erscheint. Seitdem häufen sich die wert-
vollsten Abhandlungen: Rosenberg (1860), Tobler (1864), Gau-
tier's Kp, frangaises (zuerst 1865), Pio Rajna, Origini delVepopea
francese (1884) u. s. w. Nächst diesen müssen, hinsichtlich
ihres Alters und ihres Umfangs, die textkritischen und die gram-
matischen Untersuchungen genannt werden. Auf ersterem Gebiete
finden wir neben den Herausgebern Michel, Gautier, Müller u. a.
noch viele bewährte Namen, dagegen ist die Grammatik des RoLy
allerdings vorwiegend in Verbindung mit einigen anderen älteren
Denkmälern, das Übungsfeld jüngerer Kräfte geworden, indem
sie ihnen den Stoff zu den verschiedensten Doktordissertationen
geliefert hat. Fast ganz dem letzten Jahrzehnt gehören Unter-
suchungen über den Stil und die Technik des Epos an. Während
man sich früher mit gelegentlichen Bemerkungen begnügte, ist
von Graevell in einer eigenen Schrift (1880) die Charakteristik
der Personen im Rol, behandelt worden, von Dietrich die Wieder-
holungen in den chansons de geste (1881), von Drees der Ge-
brauch der epUheta omantia (1883) u. s. w. Ebenso haben in
letzter Zeit, in übertriebener Spezialisierung, einzelne kultur-
geschichtliche Themata eine gesonderte Behandlung erfahren.
Die hier einschlägigen Arbeiten sind fast sämtlich in den Mar-
burger Ausgaben und Abhandlungen erschienen und haben auch
hinsichtlich ihrer Ausführung von der Kritik nicht gerade viel
Anerkennung geemtet. Sie beschäftigen sich mit der Stellung
30 Referate und Rezensionen. J, Sairazin,
der Frau im altfranzösischen Epos, mit den Tieren, den Sprich-
wörtern in demselben, den Gebeten und Anrufungen, den täglichen
Lebensgewohnheiten, den Angriffs- und Verteidigungswaffen. In
diesem Abschnitte ist auch mit Recht der ebenso schöne als ge-
haltvolle Aufsatz von G. Paris aufgeführt: La chanson de Roland
et la nationolite frangaisej der in dem Bande La poesie du moyen
dge (1885) enthalten ist. Jetzt ist noch auf die verschiedenen
Abschnitte in dem Manicd d^ancien frangais desselben Verfassers
zu verweisen, in welchen dem Rol. ausführliche Besprechung ge-
widmet ist, besonders auf § 36. Diesen Andeutungen lassen
wir noch den Wunsch folgen, dass eine neue Auflage der Biblio-
graphie einen Zuwachs von nur wenigen, aber gediegenen, Schriften
zu verzeichnen haben möge. A. Paksgher.
Villatte, C^saire, Parisismen. Alphabetisch geordnete Sammlung
der eigenartigen Ausdrucks weisen des Pariser Argot. —
Ein Supplement zu allen französisch-deutschen Wörter-
büchern. Zweite stark vermehrte Auflage. Berlin, 1888.
Langenscheidt. XVI und 306 S. 8®. Preis: M. 4,60 geb.
Neben der klaren, durchsichtigen Sprache Voltaire' s hat
sich schon vor alten Zeiten auf dem unruhigen Boden der fran-
zösischen Hauptstadt ein Jargon entwickelt, dessen absonderliche
Blüten im Laufe der Jahre in stets zudringlicherer Weise am
gesunden Stamme sich festsetzen, so dass B6ranger's scherzhafter
Ausspruch, im Jahre des Heils 2000 werde man in Paris nicht
mehr französisch reden, nicht ganz unberechtigt erscheinen darf.
Die Tagespresse, das moderne Drama, die naturalisti-
schen Romane — , das sind die drei wirksamen Infektionsträger,
mit denen die puristische ÄcadSmie mittels ihres Dictionnaire zu
kämpfen hat.
Schon vor vielen Jahren hat diese Erscheinung die Auf-
merksamkeit der mit der raschlebigen Zeit fortschreitenden
Sprachforscher gefesselt und eine eigene reichhaltige Litteratur
hervorgebracht. Dass das Werk des Herrn Villatte, welches vor
sechs Jähren Referent in dieser Zeitschrift (V*'^, 209 ff.) erstmals
zu besprechen hatte, bereits in zweiter, wesentlich vermehrter
Auflage vorliegt, ist ein Beweis von der dringenden Notwendigkeit
solcher Arbeiten über das Pariser Argot in Deutschland.
Villatte's Werk hat das Ziel verfolgt, dem deutschen Leser
der französischen Tagesblätter und der mit den malerischen Aus-
drücken des Pariser Jargon durchsetzten Schriftwerke unserer
C. ViUaiie, Färisismen. 31
Zeitgenossen ein getreuer DoUmetsch zu sein, ohne irgend-
welchen Anspruch auf Gelehrsamkeit zu erheben. Darum blieb das
ältere Argot ausser Acht, das aus der kraftstrotzenden Sprache eines
Rabelais dem heutigen Leser so reichlich entgegenquillt und bei
Villen,^) beiTh^ophile de Viaud, Saint-Amand und anderen lustigen
Brüdern eine nicht unwichtige Rolle spielt. Was schiert es auch
Freunde des heutigen Boulevardjargons, oder Leser realistischer
Romane und Pariser Witzblätter, dass unter dem guten König
Heinrich IV. und seinem Nachfolger die deshauchia den Wein
piotj den Tabakdunst petun und in weisser Voraussicht der Zu-
kunft das Gelage crevaüle nannten? Für Philologen ist ja die
Villatte'sche Zusammenstellung nicht berechnet, wie aus der
ganzen Anlage des Werkes und der nur lückenhaften Benützung
der vorhandenen zugänglichen Litteratur hervorgeht. Der Ver-
fasser hat einfach das vbn Delvau, Lor^dan Larchey, Rigaud u. a.
gruppierte moderne Material verarbeitet und mit eigenen Lese-
früchten bereichert. Wer also mit Hilfe der Parisismen die
Villon'schen Jargon balladen übersetzen wollte, würde seine Mühe
verlieren. Nur ein Beispiel:
Vive David, saint archquani en baboue,
Jehan mon amy^ — qui les feuüles desnoue,
Le vendengeur, hessleur comme une choudy
LOing de son plaid, de ses flos curietdx,
Noue beaucoup, doni ü regoii fressoue
lous verdoiant, havre du marieux.
heisst der akrostichische Eingang einer der von Aug. Vitu a, a, 0,
edierten Balladen. Allerdings ist dies selbst dem gewiegtesten
Pariser Argotier ein Buch mit sieben Siegeln, wenn er nicht mit
der hassa latinitas und der Ausdrucksweise der archisuppöts innig
vertraut ist.
Indessen lässt auch in unerwarteten Fällen die zweite Auflage
der Parisismen^ obwohl „stark vermehrt", nicht selten im Stich.
„La momignarde qui tette est joliment gouliafre^ sagt in Victor
Hugo's Quatre-virigt-Treize ein Revolutionsoldat beim Anblick der
heisshungrigen Georgette. In Pailleron's witzigem Lustspiel Le
Monde oü ton s'ennuie erzählt die urwüchsige alte Herzogin,
dass die ganze kaute femellerie zu den Vorträgen des eleganten
Professor Bellac ( — lies: Caro) sich drängt. Augier stellt in
1) Vitu, Augustö. Le Jargon du XV sihcle, Eiude phüologique,
Onze baMades en Jargon atiribue'es ä Frangois ViUony doni cinq baüades
inädites, pubüees pour ia premiere fois d^ apres le manuscrit de la
Biblioiheque royale de Stockholm, precede'es aun discours pre'litninaire
sur rongine des Gueux et forigine du Jargon, et suivies d'un vocabulan^e
analyiique du mrgon, Paris, 1884. Gharpentier, Gr. in -8. 558 S. 8^.
25 fr. (Vgl. Zschr. VH», 17 ff.)
32 Referate und Rezensionen, /. Sai^razin,
Ceinture dorie dem verhassten tripotage sehr wirkungsvoll le tapo-
tage, das Brodyirtuosentum, gegenüber. Und alle drei Male suchen
wir vergeblich bei Villatte Rat, nachdem selbstverständlich Littr6
und die Acad^mie ebenso vergeblich befragt worden sind. Es hätten
aber Schriftsteller wie Hugo und die sogenannten Salondramatiker
vor allen anderen auf Argotismen untersucht werden sollen.
Leider sind die landläufigen Ansichten von der sprachlichen
„Reinheit^ des Augier'schen Stiles seit P. Lindau womöglich noch
mehr befestigt^)
Eine gründliche Durcharbeitung alier Dramen von Augier,
Dumas, Sardou, Pailleron, der meisten Schwanke von Labiche,
Gondinet und der Tag für Tag aus dem Pariser Boden empor-
schiessenden Possen müsste unseres Erachtens nicht allein
eine sehr erhebliche Nachlese ergeben, sondern auch für
das bereits von Villatte gebuchte Material 'die richtigen Quellen
nachweisen. Man schlage z. B. in der Neuauflage der Parisismen
vihrion auf: dort wird mit Berufung auf einen Pariser Litteraten
Kuhn die Bedeutung „jämmerlicher Schriftsteller, Dichter oder
Künstler, Schwächling, Krüppel" angegeben, während in Dumas'
Sittendrama Vl^ranglre der Definition dieser Spielart des Lebe-
manns eine ganze Seite (IL 1) gewidmet ist. Wir drucken den
betreffenden Passus ab, da Dumas' Dramen kaum in den Händen
aller Leser dieser Zeitschrift sein dürften :
B^monin. En realiU ce nest pas un komme! (Es ist die Rede vom
hohlköpfigen Herzog de Septmonts.)
M"* de Rumiäres. Ah! . . . Qü'est-ce que (fest donc? . . .
RJ^monin. Cest un vibrion,
M"* de Rumiferes. Vous dites?
Rämonin. Je dis: un vibrion,
M"** de Rumiöres. Qü'est-ce que c'est que ^a?
R^monin. Comment! vous lisez mes articles et vous ne connaissez pas
les vibfions? Je vous en ferai voir^ c'est tres curieux, Ce sont des
vegeiaux nes de la corruption partielle des corps^ qu'on ne peut
distinguer qu*au microscope et gu'on a pris longiemps pour des
animaux, ä cause d^un peiit mouvement ondtdatoire qui leur est
propre, 11 sont charges kaller corrompre, dissoudre et de'truire les
parties saines des Corps en question, Ce sont les ouvriers de la mort.
Eh bien^ les sodetes sont des corps comme les autres, qui se de'compo-
sent en certaines parties, ä de ceriains moments, et qui produiseni
des vibrions ä forme humaine, qu^on prend pour des itres, mais qui
rCen sont pas^ et qui fönt inconsciemment iout ce quüLs peuvent pour
cofTomprCj dissoudre et de'truire le reste du corps social. Heureuse-
^) In seinen Skizzen aus dem litterarischen Frankreich behauptet
Lindau S. 88, Allgier schreibe „das reinste, von der Mode unab-
hängige*' Französisch und gebrauche keine Neologismen. Diese Be-
hauptung habe ich in meinemBuche Das moderne Drama der Franzosen
S. 93 f. mit zahlreichen Beispielen widerlegt.
C. Viüaite, Jhrisismen. 33
meni^ la naiure ne veut pas la mori, mais la we, La mort n'esi
qu*un de ses moyens, la vie est son bui. Elle faxt donc resisiance
ä ces agenis de la desiruction ei eile retourne contre eux les prmcipes
morbides qu'ils conUennent Cesi alors qu*on voit le vihrion humain,
un sair qu'ü a trop hu, prendre sa fetUtre pour sa parte, ei se
casser ce qui lui servait de iSie sur le pave de la rtie; ou, si le jeu
le ruine ou que sa vtbrionne le irompey se tirer un coup de pisioki
dans ce qu^ü croii itre son cosur, ou venir se heurier conire un vtbrion
plus gros ei plus fori que lui, qui CarrHe et le supprime. Les gens
distraits ne voieni la qu*un faxi, les gens aiientifs voient lä une loi,
On eniend alors un ioui peiii bruii . . . quelque chose qui faii
hu . . . U . . .U , . . U (ü aoufße um peu d'air entre »e» IhvresJ Cesi Ce qu'on
avaii pris pour fäme du vibrion qui s^envole dans tair . . , pas tres
haui. M. le duc se meuri, M, le duc esi mori.**
In demselben Drama hätte Yillatte fQr un type excellent (= ein
herzensguter Mensch) einen Beleg finden können (I. 2). Ebenso
' in Augier's JFVZä de Giboyer ein Beispiel für das Adjektiv Sterling
(= famos I. 7). Viele Argotismen enthält z. B. auch Sardou^s
Fernande, ferner La FamiUe Benotton etc. etc. Den Kenner
neuerer Litteratur und den fleissigen Leser illustrierter Witz-
blätter musB es fernerhin stark befremden, wenn für das so häufige,
ja alitägliche Wort /wmtÄfene (= Streich) eine Nummer des Journal
amüsant und wenn für das affektierte fragrance nur die Goncourts
als Fundquellen angeführt werden.
Eine wünschenswerte Erweiterung der Parisismen hätte
auch durch reichlicheres Heranziehen von burschikosen Ausdrücken
der verschiedenen J^coles der Hauptstadt erfolgen können. Nur
teilweise richtig ist die vom Verfasser gegebene Verdeutschung
von bizuty carriy cube. Dieselben sind nicht allein Zöglinge ,,der
speziellen Mathematik^ an den Gymnasien, sondern eigentlich
und ursprünglich Schüler des ersten, zweiten, dritten Jahrgangs
des Polytechnique und der J^cole Centrede. Wer mit dieser fröh-
lichen Jugend verkehrt hat, wird zu den Parisismen als Nachtrag
beisteuern: fiss! Ausruf der Zuhörer eines gewagten und unfrei-
willigen Wortspiels;^) arriver sScant extirieur = arriver trop
tardj etre en retard; pitaine cinima = capitaine cinimaüqv^,
oberster Aufseher der Zöglinge etc. etc. Mathematik und Physik
müssen naturgemäss beim argot des J^coles stark herhalten.
Ein weiterer Mangel der Neuauflage ist ausser der behag-
lichen Breite einzelner Artikel (vgl. enfoncer) auch das Aufnehmen
1) Hierüber schreibt Paul Ginisty in Gil Blas: Le fiss accompagne
le jeu de mois ne de la renconire d^un ierme sdeniifique avec une ex-
pression qui a un double sens. II esi Uen difficile de les eviier, dans la
de'monstraiion mime la plus iechnique; mais aussiioi qu'une de ces phrases
vient d^e'clore, eüe esi souligne'e par un susurremeni special qui se prodmi
avec plus ou moins de discreiion, Fissl murmureni iouies les livres, ei
le professeur s'arrHe ei sourii.
Zfldur. f. firs. Spr. n. Litt. Xl>. •
34 Referate und Rezensionen, J, Sarrazin,
von Wendungen und Metaphern, die eher in ein allgemeines
Wörterbuch der französischen Sprache gehörten. Z. B. ne pas avoir
usi ses culottes sur les bancs du colUgej oder un grand travail
sur les caisaes d'dpargne; travailler des mächoires (kauen); un
dtner sirieux (reichliches Mahl); troupier^) etc. etc.; ebensowenig
gehören Fremdwörter wie percentage, ticket y select hierher
(dies ist die häufigere Form, während Villatte nur selected gibt);
ebensowenig rasch absterbende humoristische Bildungen wie
wagndrite. Fand aber die Wagnerschwärmerei willige Aufnahme
bei Villatte, so war mindestens die houlangite und midanite auch
aufzunehmen, obwohl die zweite dieser beiden pathologischen
Bezeichnungen kaum über den Leserkreis des Temps hinausge-
kommen sein dürfte. Midanite nannte nämlich Francisque Sarcey
den Grössenwahn des Einsiedlers von M^dan, des Heilands der
naturalistischen Romanlitteratnr, Zola, nachdem dieser auf eine
abfällige Kritik seines verunglückten Dramas Renee nur mit
kernigen Grobheiten reagiert hatte. Wenn ferner für allgemein
verständliche Zunamen von Verbrechern wie la Terreur de Belle-
vilhf la Terreur de Vincennes (s. v. terreur) in Villatte 's Parisismen
Raum war, so hätte viel eher für Bezeichnungen Platz geschafft
werden sollen, die in Witzblättern zu stehenden Typen geworden
sind. Wir finden zwar s. v. monsieur allbekannte Redensarten,
wie Monsieur PHesec, Monsieur Dimanche (hier wäre beizusetzen
gewesen, dass der Name aus Moli^re's Bourgeois Gentilhomme
stammt), wir vermissen aber das im Jargon des High-life wohl
eingebürgerte Monsieur Petdeloup = Pedant, Schulfuchs. Unter
den Mitgliedern der Äcademie Frangaise unterscheidet man be-
kanntlich die Fraktionen der cabotins (die acht Dramatiker),
der ducs (Anmale, Broglie etc.), der petdeloups (Gr6ard etc.) etc.
Auch vermisst Referent den aus Dumas' Diane de Lys allmählich
ins Journal amüsant übergegangenen und in allen Boulevard-
blättern typischen Künstler Taupin j ein Gegenstück zum wohl-
bekannten Rapiny der zur Bildung von tapin (Trommler) u. a.
führte. Man vergleiche neuere Jahrgänge des Journal amüsant.
Eine Reihe mehr oder minder bekannter Parisismen geht
in der Neuauflage unter allzu spezieller und eingeengter Be-
deutung um, weil sie dem Verfasser wohl nur in einem einzigen
Exemplar vorlagen. Viatique ist nicht in Monaco allein das be-
willigte Reisegeld, sondern ein ganz allgemein gebräuchlicher
scherzhafter Ausdruck; boule de son ist auch das Brot der
Soldaten, überhaupt Schwarzbrot geringer Sorte; der Ausdruck
^) Die 8. V. angegebene Bedeutung ist zudem unrichtig; troupier
= pioupiou = Soldat, und nicht alter Soldat.
C. ViUatie, IhrUismen. 35
vespasienne lebt heute noch und ist zu allgemeinerer Bedeutung
gelangt; vert-de-gris heisst überhaupt jeder, der eine grünliche
Uniform trägt; vilo ist allbekannte Abkürzung für vüociplde
(cfr. VÜO'Cluh); torche-ad gehört keineswegs dem Argot der
Eisenbahnbeamten allein an (man denke nur an das deutsche
Äquivalent!); tape-cul ist auch ein leichter, eleganter Zweiräder-
wagen; la gratte ist nebenbei auch der Profit der Köchin qm
fait danser Vanse du panier, also allgemein ,,der Schmuh^, wie
der Deutsche etwa sagen würde. Bei gaffe fehlt die in neuester
Zeit ungemein häufige Anwendung im Sinne von impertinencej
oder parole mal ä propoSj die übrigens Delvau in der 1883
erschienenen Neuauflage des Dictionnaire de la langue verte auch
noch nicht kennt. Berühmte gaffes erzählt man sich von viel-
genannten Männern. So war nach der Einweihung des Meusnier*
denkmals in Tours ein Spottartikel der boulangistischen Cocarde
vom 3. August 1888 üne gaffe de M. Floquet betitelt wegen
irgend eines historischen Schnitzers in der Festrede des Minister-
präsidenten. Im Frühjahr 1888 erschien sogar eine Posse mit
dem ominösen Titel üne gaffe.
Da Referent aus Mangel an Zeit nur eine sehr beschränkte
Anzahl von Artikeln der Parisismen nachschlagen konnte, so
machen obige Ergänzungen keinerlei Anspruch auf Vollständig-
keit. Jeder, der sich der zeitraubenden und nicht immer
fruchtbaren Arbeit unterziehen kann, die Tageslitteratur der
Weltstadt, die für ganz Frankreich den geistigen Mittelpunkt
abgibt, mit dem Auge des Sprachforschers genau zu verfolgen,
wird eine namhafte Anzahl Nachträge zu liefern imstande sein.
Denn das Pariser Argot erfindet Tag für Tag neue eigenartige
urwüchsige Ausdrücke, die rasch Aufnahme finden und bald die
Runde durch Frankreich machen, wenn sie glücklich erdacht
sind. Die absonderliche, aber sehr glückliche Neubildung hiceptiman
z. B. ist durch einen langen Artikel von l^mile Faguet in der
litterarischen Beilage zum Figaro vom 8. September 1888 end-
giltig sanktioniert. Damit bezeichnet man das eifrige Mitglied
der seit 1870 zahlreich aufgetauchten patriotischen Tum- ^nd
Rudervereine. Nach Daudet'« vielgeschmähtem Immortd nennt
man struggleforlifeur in neuester Zeit den emsigen „Büffler und
Ochser'^, der um jeden Preis ein gutes Examen machen, den
Streber, der zu einer höheren Stellung gelangen will etc.
Referent hegt die Zuversicht, dass schon eine ausgiebigere
Benützung der bereits vorhandenen Vorarbeiten^) nicht allein
1) Es scheinen dem Verfasser u. a. die Arbeiten von Charles
Nisard (nicht zu verwechseln mit dem verstorbenen katholisierenden
8*
36 Referate und Rezensionen, J. Sarrazin,
eine erhebliche Nachlese an „Parisismen" ergeben — da sie ein-
mal 80 heissen sollen, — sondern auch zur Erklärung einzelner
Ausdrücke, die einfach als vorhanden verzeichnet worden, manches
beitragen würde. Hier ist noch sehr viel zu thun übrig. Warum
heisst ein vortrefflicher Regenschirm parapluie de Tolldef Doch
wohl nur durch Anlehnung an die lame de ToUde der im idealen
Spaniertum schwelgenden Romantiker;
Überhaupt wäre es bei dem immerhin beschränkten Wort-
vorrat des Argot keine herkulische Arbeit gewesen, für inter-
essantere Wortgruppen das zu unternehmen, was für die Schrift-
sprache Darmesteter und Hatzfeld in ihrem Dictionnaire gineral
in so vortrefflicher Weise geleistet haben, nämlich eine
systematische, logische Anordnung der einzelnen Wort-
bedeutungen und Redensarten. Auf manche dunkle Seite des
Pariser Slang und Cant, auf manchen psychologischen Vorgang
würde dann ein helleres Licht fallen. Man nehme z. B. die schier
zahllosen Umschreibungen für die an sich fatale Thatsache des
Sterbens. Die kühne Metapher toumer de Voeil zeugt von richtiger
Beobachtung eines bekannten physiologischen Vorganges, während
z. B. das zynische manger les pissenlits par la radne keinen
tieferen Gehalt birgt; aus der kriegerischen Zeit des ersten
Napoleon, da ein jeder Waffen trug, stammt passer Tarnte ä gauche
(das Gewehr wurde damals rechts getragen). Von grauenhafter
Anschaulichkeit sind die beliebten Euphemismen casser sa pipe,
divisser son hillard^ ddboucher sa valise^ fermer son vasistas, di-
boutonner sa colonne, dimonter son poile oder son chouberskyj
Idcher la rampe (= Treppengeländer). Einem Verstorbenen ruft
der Pariser Bummler wehmütig nach : ü est claque (auch ü a claquS
= geplatzt), ü est nettoyiy fumiy fricasse^ rinci, ratihoisi, oder
Ü est cuity il est frit, ü est rasibus (vgl. tabula rasa;); den engen
Sarg nennt er une hotte ä dominos, un paletot sans manches^ was
an das hölzerne Röcklein von Fischart's liebstem Buhlen erinnern
mag. Schillerisch mutet hinwiederum das barsche son compte
est rigli an.
Doch sind alle diese Argotismen für den Nichteingeweihten
auch verständlich, da sie zumeist mit dem vorhandenen Wortschatz
Litterarhistoriker Däsirä Nisard) völlig unbekannt geblieben zu sein.
[Nisard, C, Ettde sur le langage populaire ou paiois de Paris ei de
sa banlieue, pre'cddee d^un coup aoeü sur le commerce de la France au
moyen äge, les chemins qu*il suivait et Pinfluence gu'il a du avoir sur le
langage. In -8®. Paris, 1872. (7 fr. 50 c.) — Derselbe, De quelques
^arisianismes populaires, et autres locutiotis non encore ou plus ou moins
tmparfaitement explique'es des XV 11^, XVIII* et XIX' siecles. In-12^
Paris, 1876. (8 fr.)]
C. Viäaite, Fürisismen. 37
in eigenartiger Weise umgehen, ähnlich wie das englische Slang
den Schirm als Pilz bezeichnet, den rotröckigen Soldaten lohster^
— der französische Infanterist heisst ecrevisse de rempart, —
das Kindergeschrei marriage-mimc nnd die Redaktionsscheere
nicht steel'periy sondern anzüglich steal-pen nennt.
Von diesem humoristischen und burschikosen Argot wäre
das streng zu scheiden gewesen, was der Engländer Cant nennt,
das Rotwälsch, die Sprache der professionsmässigen Gauner und
Dirnen, der Rougk und der Street Ärabs, der iruands, rifodSs,
francs-müeux^ courtauds de houtanche des mittelalterlichen Paris
— vgl. V. Hugo's Notre-Dame — der escarpesj grinches und
camhrioleurs der heutigen Weltstadt, Dies lichtscheue und un-
heimliche Jargon ist den Schwankungen des Alltagslebens weniger
unterworfen und besitzt nur wenige Berührungspunkte mit der
allgemein verständlichen Sprache. So viel Ref. beurteilen kann,
ist es mit diesem Zweige des Argot bei Villatte besser bestellt.
Alle Redensarten, an die Ref. aus dem Lesen von Kriminal-
romanen und aus den in den has-fonds de Paris^) aufgefangenen
Brocken sich erinnern konnte, finden sich thatsächlich in den
Parisismen verzeichnet. Aber ist dies wohl die Aufgabe eines
unter dem Titel „Parisismen" in die Welt gehenden und für
deutsche Leser bestimmten Buches? Allerdings ist nicht zu be-
streiten, dass das eigentliche Rotwälsch der Gauner und sonteneurs
nicht allein in Kriminalromanen auftritt. Die müssigen Köpfe
der Chat ^ozV-Gesellschaft — auch eine Pariser Spezialität —
leisten sich hin und wieder in ihrem Vereinsblatt Cbnfgedichte,
um zu zeigen, in welcher Gesellschaft sie verkehren. Hier als
Probe solcher „poetischer" Kraftmeyerei das angebliche Sonett
1) Kulturhistorisch und sozialpolitisch ist ein Rundgang durch
die dem allmählichen Untergang geweihten Nebengässchen der Git6
und der linksufrigen Stadt von grösstem Interesse und auch ungeföhr-
lich, wenn man beherzt und mit einem kräftigen Stock versehen ist.
Stellenweise ist der Charakter der alten Cottr des Miracies noch er-
kennbar. Die krummen Gässchen hinter dem alten Kloster Saint-Möry
(Rue Brisemiche, Rue Taillepain, Rue de Venise, Rue du Renard etc.),
die verrufenen Seitenstrassen des Quartier Latin links am Eingang des
Bour MicK (Rue Huchette, Rue Galande, Rue des Anglaie, Rue du
Chat qui pöche etc.), überhaupt das ganze Stadtviertel bei der Pktce
Maubert, wo die Zigarrenstummelbörse früher abgehalten wurde, die
schmierige BUnne du Phre Luneite, — die übrigens der Verlängerung
der Rue Monge zum Opfer fallen soll, — die Nachtherberge zum Chäieau
Rouge sind Fundgruben für den nach Argotismen jagenden Lexiko-
graphen, und für den vom tiefen Elend der Menschheit unserer Gross»
städte noch nicht überzeugten Sozialpolitiker. In wenigen Jahren sind
diese Geschwüre am Leibe der buntschillernden französischen Haupt-
stadt gewaltsam entfernt — par la pioche du dSmoUsseur,
■
38 Referate und Rezensionen, F. Tendering,
eines jener Träger der casquette ä irots pantSj die man in Deutsch-
land Louis nennt:
SONNET.
Eh hen! fveux gouaper, moil rturhin c*est pas man flanche;
ET brich ton, c*est au irepe, et fen veux mon fad*, na !
Tveux fnir Vassiette att beurre ä mon tour, pour Nana
Qui nCpagnot' dans son pieu, sauf la sorgue eV dimanche,
Qt^eü fit chez un* panache au coin ed* la place Blanche^)
Ousgu'un birbe tres vioc ecUar* tant qu*il en a
Pour voir ma gösse au truc avec la yotiir' Dinah,
ün* menesse ed^ la haute et qui s*en paye un* tranche.
Vlen/£mmn Nana rappUque, aboulant euT poignon,
CPqui nCcarre ed* touf la rousse et des vacKs ä Gragnon^
Qui m*poiss*raient pour euFschlard comme un d'la dynamiie . . .
Queu* tourfs que ces gonc*s-lä! ^a rCfait qxCfoutimasser,
(}a rouspeie et qa r'naud* . . . Taut au lieur ed* masser,
Qu^ga sfass donc comrrC mezigue: e'cumeur ed^ marmite.
Aber wer liest in Deutschland das Blatt le Chat Noirf
Als Käufer der Villatte'schen Parvttsmen denken wir uns Leser
der naturalistischen Romane und der französischen Tagesblätter.
So sehr wir demnach die eingehende Berücksichtigung des Gauner-
jargons anerkennen, ebenso stark müssen wir die Notwendigkeit
betonen, dass künftige Auflagen der Partsismen eine gründliche
Umarbeitung erfahren.^) Was Darmesteter in dem hochinter-
essanten Büchlein La vie des mots (Paris, 1887. Delagrave)
für die Schriftsprache in grossen Zügen entworfen, iässt sich auf
dem beschränkten Gebiet der langue verte ziemlich leicht durch-
führen. Denn auch die ungezogenen Rangen, welche nicht daran
denken, jemals bei der gestrengen Grossmutter Acad6mie um Auf-
nahme ins amtliche Dictionnaire zu bitten, beugen sich unwill-
kürlich den Gesetzen des enchatnement, des rayonnement und wie
alle semasiologische Faktoren heissen mögen.
1) Hauptquartier der horizonteUes.
^ Damaliger Polizeipräfekt.
B) In der Besprechung der 1. Auflage von Yillatte*s Parisismen
hatte Ref. einen milderen Massstab der Beurteilung anlegen zu müssen
geglaubt, der ihm von berufenen Kritikern verübelt worden ist. (Vgl.
Zeitschrift Bd. V«, 209 ff., dazu Koschwitz, Bd. VP, 45 ff.) Bei der
zweiten Auflage darf man einem anerkannt tüchtigen und leistungs-
fähigen Autor schon schärfer auf die Finger sehen.
J. Sarrazin.
G, Raithei, Ober den Gebrauch u. die begriffliche Eniwickelung etc. 39
Raithel, Greorg, Über den Gebrauch und die begriffliche Eni-
wickelung der altfranzösischen Präpositionen sor^ desor
(dedesorjj ensor; sus, desus (dedesusjj ensus. Programm
der Realschule zu Metz. Metz, 1888. 45 8. 4^.
Auf Grund umfangreicher Lektüre altfranzösischer Texte
der verschiedensten Litteraturgattungen gibt Raithel eine durch
zahlreiche Beispiele belegte Darstellung des Gebrauchs und der
begrifflichen Entwickelung der Präpositionen sor etc. von den
ältesten Denkmälern bis zu Beginn des 15. Jahrhunderts unter
Angabe der Zeit, wann eine bestimmte Art der Beziehung dieser
Präpositionen zuerst in Anwendung kommt.
Es ist natürlich, dass „die Einreihung der Fälle in die
einzelnen Kategorien vielfach von der subjektiven Auffassung
abhängt^ (8. 28). Wenn sich auch im allgemeinen deshalb
darüber nicht rechten lässt, so möge doch für einige wenige
Fälle eine abweichende Anschauung dargelegt werden.
In den Beispielen 8. 9 ü prent le pain quant ü puet sor
la table etc. kann meines Erachtens zunächst von einer Be-
deutungsgleichheit der Präposition mit desor in der Bedeutung
„von (über auf) weg^ nicht die Rede sein. Eine doppelte Auf-
fassung ist möglich; entweder gehört der präpositionale Ausdruck
sor la table zu dem Substantiv le pain^ oder er bezeichnet den
Gegenstand, auf welchem eine Thätigkeit sich vollzieht. Ebenso
bin ich geneigt, auch die Beispiele für sus und desus (ib.) anzu-
sehen, bei denen der Verfasser zum Teil auch die letztere Mög-
lichkeit zugibt.
Wie bei den meisten in § 10^* aufgeführten Ausdrücken
scheint mir auch in s^arester sor qn, (§ 11^^) und avoir envie
sor qn. u. a. (§ IIb) die Präposition nur den Begriff des Räum-
lichen zum Ausdruck zu bringen, während der Begriff des Feind-
seligen sich erst aus dem Zusammenhang ergibt, dies erhellt
auch daraus, dass einerseits s'arester sor sich öfter, wie Raithel
(ib.) anführt, ohne die Nebenbeziehung der Feindseligkeit findet,
sowie dass andererseits sor auch bei solchen Ausdrücken ein-
tritt, welche eine freundliche Gesinnung bezeichnen. Man ver-
gleiche das Beispiel: il ne me piaist mie qü'ü ait seur vous mde
cointie § 12 c.
Wie Raithel in dem Beispiele: or me convient prouver sor
lui mon vassdage eine doppelte Deutung zulässt, indem er in
§ 10^ sor gleich „im Kampfe gegen^ setzt, während er in % Ib^
die Möglichkeit, sor im Sinne der Macht, Gewalt, welche Jemand
über eine Person oder Sache hat, zu fassen zugibt, so möchte
ich in allen in dem betreffenden Abschnitt des § 10^ aufgeführten
40 Referate und Rezensionen. F. Tendering,
Beispielen sor zur BezeichnuDg der Überlegenheit, des Hervor-
ragens über eine Person oder Sache annehmen statt des ans
dem sor znm Ausdruck der feindlichen Bewegung oder Thätig-
keit abgeleiteten „im Kampfe gegen. '^
Für die Stelle aus Chart. 682 (§ 8 Anm.) d'un grant
peissun marage^ ki fu fait sure mer bleibe ich noch bei der
Auffassung »i/re = jenseits stehen. Der an sich naheliegende
Bedeutungsübergang von sor = „über hinaus" in „jenseits*^
scheint mir doppelt gerechtfertigt in Verbindung mit mer über die
Höhe des Meeres hinweg.
Zum Schluss noch ein Wort über die Stelle puis m'en istrai
ensus demie liue large (S. 39 u.) S'en aler ensus als verstärktes
s^en aler zu betrachten scheint mir nicht zulässig. Es würde
der Bedeutungsentwickelung von ensus nicht widersprechen, wenn
man es als „über (das Ziel) hinaus" fasste, also gleich „weiter".
Ich möchte von der Arbeit Raithers nicht scheiden, ohne
ausdrücklich volle Befriedigung über die feindurchdachte Leistung
des Verfassers zu konstatieren, welcher ein klares Bild von dem
Gebrauch und der logischen Entwickelung der Bedeutung der
behandelten Präpositionen vor uns entrollt. Möge die in Aussicht
gestellte Abhandlung über die sämtlichen französischen Präpo-
sitionen von den ältesten Denkmälern bis auf die Gegenwart
bald folgen. Von Interesse wäre es, wenn der Verfasser dann
auch kurze Andeutungen über den Gebrauch der entsprechenden
lateinischen Präpositionen beifügte. F. Tendering.
W. Schumann^ Übersicht Über die französische Formenlehre.
Programm des Progymnasiums zu Trarbach Das., 1888.
20 S. 4°.
Die Anstalt, deren Programm die obige Abhandlung beige-
legt ist, hat die Lehrbücher von Ploetz jetzt neu eingeführt, ge-
wiss eine Seltenheit heutzutage. Um den Schülern „ein Repeti-
torium an die Hand zu geben, das alles enthält, was der Gym-
nasiast auf dem Gebiete der französischen Formenlehre wissen
muss", hat Schumann die vorliegende Zusammenstellung gemacht.
Im wesentlichen ist dieselbe nichts anderes als ein Auszug aus
Ploßtz, nur bezüglich des Verbums unterscheidet er sich etwas
von seiner Vorlage, insofern die Verben auf — evoir nicht als
regelmässige 3. Konjugation gezählt, sondern mit den übrigen
auf — oir als unregelmässig, nach dem Paradigma rompre gehend,
zusammengestellt werden. Die Auswahl ist nicht ungeschickt,
einzelne Zusätze scheinen mehr gemacht zu sein, um doch Ploetz
F. Schmidt, Französisches Elementarbtich. 41
nicht gar zu trea zu folgen ; so die Vermehrung der Substantive,
deren Geschlecht von dem Lateinischen abweicht. Warum gibt
Schumann hier nicht den Akkusativ als lateinische Grundlage
an? front von frontem^ cendre von cmerem dürfte dem Schüler
doch auch verständlicher sein, als die Herleitung vom Nominativ,
ganz abgesehen von der historischen Richtigkeit. Die Erklärung
grammatischer Erscheinungen ist auch da, wo sie von Ploetz ab-
weicht, unvollkommen, so wenn § 22 von der Ergänzung einer
Präposition in Beispielen wie timhre-poste die Rede ist, oder
wenn es § 25 heisst: „der Genetiv wird gebildet durch Vor-
setzen von de etc.^, oder endlich § 42: ;,einige Adverbien nehmen
auf das weibliche e einen accent aigu. Schumann hat versucht,
Ploötz zu verbessern durch die Regel: (§ 74. 1) „die stamm-
betonten Formen des Frisent du suhjonctif werden gebildet wie
die dritte Person Pluralis des Indikativs ... die en düng s betonten
wie die erste Person Pluralis."
Da die Schüler nun doch den PloBtz in der Hand haben,
hätte Schumann seinen Zweck in einfacherer Weise erreichen
können, wenn er dieselben in ihrem Buche das zu Erlernende
oder zu Wiederholende anstreichen Hess. Für die notwendige
Orientierung in ihrer neuen Grammatik wäre das jedenfalls von
Nutzen gewesen. F. Tendebino.
Schmidt, Ferdinand, Französisches Elementarbuch. Bielefeld
und Leipzig, 1888. Velhagen & Klasing. 112 S. 8®.
Preis: 1 M.
Der Grundsatz, den Schmidt in diesem Buche vertritt, dass
die Methode des fremdsprachlichen Unterrichts von der Art, in
welcher das Kind zur Herrschaft über seine Muttersprache ge-
langt, zu lernen habe, ist an sich gewiss ein berechtigter. Es
lässt sich aber aus diesem Grundsatz nicht ableiten, dass aus
dem Anfangsunterricht in einer fremden Sprache, da das Kind
seine Muttersprache nur durch Nachahmung erlernt, jede Re-
flexion ferngehalten werden müsse, und dass alles, was dem
Kinde gesagt wird, durch die sinnliche Anschauung oder durch
das Bedürfnis des Lebens in Verbindung stehen müsse. Wir
haben es im Unterricht nicht mit unmündigen Kindern zu thun,
sondern mit etwa zehnjährigen Knaben, deren geistige Bethäti-
gung durch Reflexion zu entwickeln ist; das muss eine der Haupt-
aufgaben des erziehenden Unterrichts bleiben. Auch ist es eine
Täuschung zu glauben, der Schüler könne durch blosse Nach-
ahmung zu einem Beherrschen der fi*6mden Sprache innerhalb
42 Referate und Rezensionen. H, Kcerting,
des ihm überlieferten Stoffes kommen, denn es kann ihm in der
beschränkten Zeit des Unterrichts derselbe Sprachstoff nicht in
so zahlreichen Fällen vorgeführt werden, dass hierdurch allein
alle Vokabeln und Formen nebst der Art der Verbindung unter
einander haften blieben. Es bedarf namentlich für die meisten
Formen eines besonderen, oft wiederholten Hinweises des Lehrers
und schliesslich einer Zusammenfassung, wie sie auch der Ver-
fasser nach der Übersetzung eines in der That recht massen-
haften Materials eintreten lässt. Das ist doch wieder reflektie-
rende Aneignung der Sprache, verbunden mit unmittelbarer und
durch sie in naturgemässer Weise unterstützt, indem die An-
schauung der Reflexion vorangeht.
Nur auf dem Wege der Nachahmung die praktischen Ziele
des fremdsprachlichen Unterrichts erreichen wollen heisst ab-
sichtlich weite Umwege machen und alle Richtwege, welche zu
demselben Ziele führen, unberücksichtigt lassen und damit später
zum Ziele gelangen. So kann denn auch der Umfang des gram-
matischen Wissens eines nach dem vorliegenden Buche ein Jahr
lang unterrichteten Realschülers, also nach etwa 320 Stunden,
nicht als ausreichend betrachtet werden, da er nur weniges von
der Konjugation, nämlich die er -Verben und avoir und eire mit
Ausschluss des Konditionalis und des Subjonctivs sich angeeignet
hat. Den Schüler so lange bei diesem geringen Material festzu-
halten, denn auch der sonstige grammatische Stoff ist unbedeutend,
erscheint um so weniger gerechtfertigt, da S. ihn nicht durch die
Lektüre zusammenhängender Stücke in die lebendige Sprache
einführt, sondern zum grössten Teile nur Einzelsätze vorlegt, die
allerdings sich in einer Weise aneinander anschliessen, dass jede
Lektion doch immer wieder ein Ganzes bildet. Als Ergebnis
kann aus diesen kaum mehr als die Kenntnis einer Anzahl von
Vokabeln stammen.
Das Buch enthält, wie nach den hier erörterten Grund-
sätzen des Verfassers natürlich ist, keine Übungsstoffe zum Über-
setzen aus dem Deutschen. Die Einübung des gewonnenen
Sprachstoffes soll durch Diktate, Sprechübungen, Rückübersetzungen
und endlich durch freie mündliche und schriftliche Arbeiten statt-
finden. Es ist nicht zu bezweifeln, dass die Schüler bei ge-
nügender Vorbereitung im Unterricht bald imstande sein werden,
einige Gedanken aus dem Gelesenen in französischer Sprache zu
reproduzieren, aber der Stoff ist doch zu spröde, um etwas
anderes zu liefern als zusammenhanglose Sätzchen. Wirklich
zusammenhängende einfache Geschichten würden sich zu einer
Nacherzählung besser eignen.
Die methodische Durchführung der Grundsätze des Ver-
W, Pludhun, Parlons fran^aus! Quelques remarques pratiques etc, 43
fassers in dem Anschauungsstoffe verdient nneingeschränktes Lob.
Der Bchüler wird in Gebiete geführt, die seinem Ideenkreise nahe
liegen, nnd es werden ihm Sätze vorgelegt, die wirklichen Inhalt
haben und die, wie schon erwähnt, sich zu einem Ganzen zu-
sammenschliessen; zusammenhängende Erzählungen treten erst in
den letzten Lektionen, bei der Einübung des Imperfekts und des
historischen Perfekts, auf.
Vorausgeschickt sind dem Buche Lauttabeilen, mit deren
Hilfe die Laute geübt werden sollen. Eine Lautschrift hat der
Verfasser nicht beigefügt; von den hierfür angeführten Gründen
stimme ich namentlich dem bei, dass eine neue Schrift ein zehn-
jähriges Eänd verwirren muss.
Abgesehen von den grundsätzlichen Bedenken stehen wir
nicht an, das vorliegende Elementarbuch als eine recht tüchtige
Leistung zu bezeichnen; der Verfasser hat das, was er gewollt,
erreicht, und es ist nicht zu bezweifeln, dass in der Hand eines
eifrigen Lehrers das Buch sich in seiner Art bewähren wird.
F. Tendebino.
[Pludhan, W. ,] Parlons fran^ais! Quelques remarques pratiques
dont on pourra proJUer en Suisse et aiUeurs. Gen6ve,
1888. Henri Stapelmohr. 25 S. 8o. Preis: 50 cent.
Ein nicht eben systematisch angelegtes und tief blickendes,
aber ein nützliclies und teilweise auch recht ergötzliches Büch-
lein, empfehlenswert nicht nar für solche, die sich mit den Sünden
eines speziell schweizerischen Französisch behaftet fühlen, oder
die bei einem Aufenthalte in der französischen Schweiz die Rede
des Volkes verstehen wollen, sondern für alle diejenigen, die als
Ausländer französisch zu reden gezwungen sind und sich noch
nicht wider jeden Verstoss gegen den Sprachgebrauch, die Aus-
sprache u. s. f. gefeit wissen. Verfasser zeigt zunächst, wie in
der Schweiz und wohl auch anderwärts gelegentlich „französisch^
gesprochen wird^) und fordert dann alle, denen daran liegt, unter
die Gebildeten gezählt zu werden, dringlich zur Bekehrung auf.
^) Des fois on y va, mon cousin et moi; on y a äie souvent.
C*esi quand m^rne tr^s dommage: c^eimt bien tentatif.
Je lui ai cause — depiiis mon jardm, je m*en rappeUe,
fai rencontre des beaux equipages, mais dans cette longue lign^e
de ooiiures, je n'ai personne vu de connaissance.
Viens d'abord, viens t'aider. Je favais du de venir de snite.
Jules rCesi pas encore lein. Allez porter ce paquei las deux.
Si au Ueu de laisser tratner les affaires, tu les r^duisais, si tu les
soignais dans ta commode ou les crochais dans ton armoire, tu n*aurais
pas besoin de les faire ranger si souvent.
44 Referate und Rezensionen. H. Kceriing,
Sechszehn Seiten lang werden den fehlerhaften Wendungen (Ne
cUtes paa!) die korrekten (Dites!) gegenübergestellt, bisweilen
mit einer knappen, dem Laienverstande angemessenen Begründung.
Verf. hat eine Anordnung versucht, indem er eine Klassifikation
in Erreurs de verbes, Erreurs de prepositions, Erreurs d^adverbeSy
Erreurs de noms, d^adjectifs et de pronoms und Erreurs diverses
vornimmt, aber sehr vieles steht augenscheinlich am unrichtigen
Platze, und überhaupt erweist sich die Einteilung nicht nur als
wissenschaftlich ungenügend, sondern auch als in praktischer
Hinsicht mangelhaft Es waren zunächst wohl diejenigen Fälle zu-
sammenzustellen, in denen die Rede der minder Gebildeten weniger
gegen die französische Sprache, als gegen die jeder Sprache zu
gründe liegende Logik verstösst, wie z. B.: lehnt est remplij dans
le but de . . ,y traverser le pont, iL ressemhle ä X. comme deitx gouttes
d^eaUy geler de froid, marcher ä pied u. s. f. ; dann Verschmelzung
zweier richtiger Redensarten zu einer falschen: la conduite qu'ü a
men6e aus la condmte qu*ü a tenue und la vie qv!ü a menie;
donner une confirence aus douTier des legons und faire une con-
fSrence; un mot de hület aus un mot d^ecrit und un bout de
billet, etc. Femer: falsche Analogien; z. B. je m'en rappelle
nach je m'en satwiens, je lui ai causi nach je lui ai parli; partir
ä, bezw. en, nach dem so konstruierten aUer; u. ä. m. Weiterhin:
Vertauschung begriffsverwandter Worte, namentlich Verba : je de-
stre m'^viter cette peine für m'^pargner; ü s'ennuie aprls son
frlre u. s. w. Daran würden sich offenbare, vom Verf. häufig
verkannte, Qermanismen zu schliessen haben; z. B.: la tache est
loin (der Fleck ist weg, = a disparu), ü a marii une instäu-
tricey choisir une vocation, friquenter Vuniversiti, fixer qn., le thd
est iiri (hat gezogen), ü brüle ä Y,, ü reste devoir (er bleibt
schuldig), contre la fin du moiSy saluer avec la main, venez-vous
aveef, une masse d^enfants, impossible de trouver quelque chose
de bon. Auch einige Italianismen wären zu verzeichnen (la bonne-
main [Trinkgeld], la banque /= le comptoir]). Fernerhin syn-
taktische Verstösse: solche gegen die Tempus- und Moduslehre,
Simplex des Verbs für das Kompositum und das umgekehrte,
Voire chambre est crue, ü fait bon chaud ici. Resiez seulemeat
avec nous ; vous ne voulez pas nous deranger,
J)u momeni oü vous tenez ä une banne piece, je ne connais per-
sonne d'autre que je puisse mieux vous recommander ; ü est exceseive-
uient fori enr sa pariie, et ü travaiUe träs bon march^. Maiheureuse-
ment, eiani ä. court ä^argeni cee jours, il a tout liquid^ ses montres
comme celle-ci, mais qu'esi-ce qui empiche qu^il vous en etahlisse une la
m^me chose? Malgrä qu'il est ires occupe, Je suis sür que vous Cawrez
encore assez viie, et comme de juste, vous ne la paierez qu^ apres
livraison.
fF. Pludhun, Pixrlons fran^ais. Quelques remarques praÜques etc. 45
Reflexiya für einfache Verba (ein sehr hSafiger Fall), der Transi-
tiva für die Intransitiva — beides wieder auch umgekehrt — ,
unrichtige Verwendung der Hilfsverba. £inen Unterschied hätte
übrigens Verf. machen sollen zwischen wirklichen Fehlern und
entschieden berechtigten dialektischen Ausdrücken. So sind
ja gewiss falsch: pc^sionner le jeu f= aimer pcLSstonnSment),
Vaffaire est houclh für bäclie, se revanger ftlr se revancher, des
carrons für des carreaux, tuüih'e für hdleriej aber gute, freilich
eben nur landesübliche Worte und Wendungen sind doch z. B.
sucler = roussir (la barbe), SmoustiUer = exctter, affaner (de
Vargent), bisquer, jicler^ mailler ^ die interessanten Komposita eu
pondre: appondre (une corde = attacher), dipondre (sa robe =
se deskabüler)\ greuler un arbrcy greuler de froidy Mole (== bou-
leau), une paume de neige. Nicht unrichtig, sondern lediglich
veraltet sind z. B. : le fils d . . . , tomber ä bouchan (von boucke)^
fruit mal mür u. ä. m.
Für deutsche Leser des Werkchens wertvoll dürften auch die
Remarques sur la prononciation S. 17 ff. sein, obschon allerdings
des Verf. 's Angaben ganz elementar vorgetragen werden und eine
lautphysiologische Schulung vermissen lassen. Ref. scheinen na-
mentlich die folgenden Behauptungen richtig zu sein und doch von
französisch sprechenden Deutschen nicht immer beachtet zu werden:
1) in Formen des Konj. Impf., wie ü aUdt, il füy ü regüt, und des
Perf., wie nous allämes, vous alldtes, nousftmes, vous re^tes sind
die mit dem "" versehenen Vokale dennoch nicht lang; 2) nation,
Station, ovation und andere auf -ation haben langes (geschlossenes) a.
3) Lang (geschlossen) ist a auch vor ss: passer, passion, lasser,
casser, tasse wie päcer, pädon u. s. w. (Ausnahmen : chässe, mässe
und deren Ableitungen). 4) a lang (geschlossen) in Marianne [das
zweite a], baron, carri, m^nne, gagner, il bat, acdame'^ Sachs ver-
zeichnet nur halblanges a. Nicht jedem dürfte auch geläufig sein,
dass man appendice = appindice spricht; dass Europe, Eughne
== Urope, üghie veraltet sind; dass hdpital kurzes (offenes) o,
groseille z.B. dagegen langes (geschlossenes) o hat, ebenso /o««e,
fossoyer; dass ineocpugnable mit gutturaler Media und nicht n
gesprochen wird; Machiavel mit A;, dagegen maehiavüisme mit
dem Zischlaute; dass in impromptu das zweite p hörbar, in asüims
tk stumm ist; dass Xerxes und Xir^s verschieden anlauten; dass
mark ebenso wie marc (Kaffeesatz) stummen Guttaral hat,
Madrid und salut stummen auslautenden Dental; dass quidam
gleich Adam auf nasales a ausgeht, dass in susdit s hörbar ist,
und von respect, aspect, suspect nicht -t, sondern der Guttural
übergezogen wird. H. KosBTiNa.
46 Referate und Rezensionen, F, Homemann,
Rothfaclis , Julius, Vom Übersetzen in das Deutsche und von
manchem andern. Programm [No. 333] des evangelischen
Gymnasiums in Gütersloh. Das., 1887. 4^ 36 S.
Ein köstliches „Geständnis aus der didaktischen Praxis^,
kurz, aber sehr inhaltreich, geistvoll, klar und treffend wie
Jäger's Testament.
Der Kern der vonRothfncbs entwickelten Übersetzungsmethode
liegt in dem Satze: „Jedes mündliche und schriftliche ^zVi-
übersetzen soll von gutem Deutsch ausgehen, und — was
noch ungleich wichtiger ist — jedes mündliche und schrift-
liche ITerübersetzen soll zu gutem Deutsch gelangen."^)
Beim ersten Übersetzen (Yorübersetzen) liest zuerst der
Lehrer selbst den fremdsprachlichen Text (auch des Prosaikers)
vor; dann übersetzt der Schüler unter dem Schweigen des
Lehrers und der Klasse. Nur wenn er stockt, hilft ihm der
Lehrer (oder lässt ihm helfen), aber nicht durch Vorsagen des
Richtigen, sondern zunächst nur durch die Frage nach dem
Grunde seiner Verlegenheit. Häufig genügt dann die Er-
laubnis, die schwierigen Worte zunächst wegzulassen (vergL
S. 20, Anm.^)); andernfalls muss auf die Konstruktion des
Satzes zurückgegangen werden. Von den vier Regeln, welche
Rothfuchs dafür S. 19 gibt, ist die zweite freilich nicht ohne
Bedenken ; denn das Interrogativ-, ja selbst das Relativ-Pronomen
kann auch an der Spitze eines Hauptsatzes stehen, und nicht
jede Konjunktion ist eine unterordnende.
Nach Beendigung des Vorübersetzens gibt es noch vieles
zu verbessern und zu erläutern. Dabei sollen die Schüler
möglichst selbst arbeiten, indem der Lehrer ihnen durch Dar-
bietung von Apperzeptions-Stützen und -Leuchten hilft.
Sind dann die Gedanken des Schriftstellers zu klarer Er-
kenntnis gebracht, so ist der deutsche Ausdruck festzustellen:
aus der wortgetreuen Übersetzung muss eine sinngetreue Ver-
deutschung hervorgehen. Endlich liest der Lehrer am Schluss
der Stunde die Musterübersetzung unter dem Lauschen, aber nicht
unter dem Nachschreiben der Klasse noch einmal vor.
1) Dadurch sollen die Schädigungen vermieden werden, welche
der deutsche A-usdruck durch den üblichen Betrieb des fremdsprach-
lichen Unterrichts oft erleidet. Welche dies sind, sagt Rothfuchs S. 22
Anm.^. Aber es gibt noch eine von ihm nicht angeführte Schädigung,
gegen die er auch in seiner eigenen Schreibweise wohl etwas strenger
sein könnte: die Entstellung des deutschen Ausdrucks durch über-
flüssige Fremdwörter. Ist es z. B. wirklich schön oder notwendig, von
dem „codex einer bis ins Detail fixierten Methode" zu sprechen,
wie S. 14 geschieht?
/. Rothfuchs, Vom Übersetzen in das Deutsche etc. 47
Ist 80 die erste Übersetzung eines Abschnittes, der inhalt-
lich eine Einheit bildet, in einer oder wenn nötig in mehreren
Stunden beendigt, so lasse man den Inhalt mündlich wiedergeben
und den Gedankengang in seinen Hauptpunkten entwickeln. Zu-
letzt mögen Konzentrationsfragen zeigen, ob der Inhalt des Ge-
lesenen auch geistig aufgenommen ist.
In der nächsten Stunde folgt dann das zweite Über-
setzen (Nachübersetzen). Dieses geschieht ex cathedra, der
Schüler liest den Text jetzt selbst vor, jeder Fehler wird ein-
fach berichtigt, auch nach dem beim ersten Übersetzen Erklärten
wird kurz gefragt.
Endlich nach Erledigung grösserer Teile, ganzer Reden,
Tragödien, Dialoge usw. tritt das dritte Übersetzen (die
Generalrepetition) ein. Dieses soll nicht hastig, aber sicher und
schnell (120 — 200 Zeilen Teubnerschen Textes jede Stunde) ge-
schehen. Erklärt wird gar nichts mehr; die Klasse soll „ge-
messen wie einer, der eine schöne Gegend wiedersieht^. Jetzt
mag man, wenn man will, zum Schlüsse auch eine eingehendere
Einleitung in das gelesene Schriftwerk geben, die vor der Lektüre
doch nicht verstanden wäre; jetzt soll die Anordnung und der
Gedankengang des Ganzen in seinen Hauptzügen entwickelt und
eine ästhetische Gesamtwürdigung gegeben werden; jetzt (nicht
früher) mag man auch eine weitere Durcharbeitung zur Erregung
des vielseitigen Interesses versuchen. Namentlich mag jetzt ein
„warmes Wort" auch das ethische Interesse erwecken, aber hier
besonders: stt modus in rebus, sint certi denique fines!
Das sind die Grundzüge, gleichsam das Gerippe von Roth-
fuchs' Schrift — leider der Kürze halber nur allzu vollständig
von dem Fleische und Blute entkleidet! Rothfuchs gibt sein
Verfahren nur als eines von vielen möglichen; meines Erachtens
erfüllt es die Zwecke des Herübersetzens so vollständig, dass es
wenigstens in der altsprachlichen Lektüre stets angewandt werden
sollte. Nur ein, allerdings nicht unwichtiger Funkt scheint mir
vernachlässigt. Soll die Eingewöhnung in die Formen der
Fremdsprache nur durch das Übersetzen aus dem Deutschen
und den grammatischen Unterricht erfolgen? Hat nicht vielmehr
auch die Lektürestunde dazu mitzuwirken, und wie? Ich glaube,
dass Rückübersetzungen, fremdsprachliche Fragen und Antworten
über den Inhalt des Gelesenen, Zusammenfassungen desselben in
der fremden Sprache an die Lektüre angelehnt werden sollten.
Im Lateinischen wären sie besonders in den unteren Klassen
förderlich, um die rechte Grundlage für die Übersetzungen aus
dem Deutschen zu gewinnen (Perthes empfiehlt sie in Quinta); in
den neueren Sprachen müssten sie bis zur Prima hinauf ge-
48 Referate und Rezensionen, F. Hornemann,
pflegt werden ) als Vorttbungen für freie Arbeiten und für
etwaiges späteres Sprechenlemen. Sie könnten nach Beendigung
jeder kleineren Einheit, also in der Regel am Ende jeder Stunde
eintreten, beziehungsweise einen Teil der Besprechung des Inhalt
ersetzen.
Aber Rothfuchs verbindet nut der Darlegung seiner Ge-
danken über das Herübersetzen besonders in den Anmerkungen
noch ,, manches andere^, was ^vielleicht weiter vom^ Thema ab,
aber dem Herzen desto näher, liegt. ^ Einiges davon hängt mit
der Hauptaufgabe seiner Schrift noch ziemlich eng zusammen;
so die trefflichen Bemerkungen über das Vokabellernen und den
Wert des Etymologisierens (S. 15 Anm.^)), sowie der Vorschlag,
in Prima aus leichten, früher schon gelesenen Schriftstellern
grössere Abschnitte kursorisch lesen zu lassen (S. 33 Anm.^)^).
Anderes dagegen hat viel allgemeinere Bedeutung.
Nach Rothfuchs ist der Zweck der Erziehung die Ent-
Wickelung der geistigen Kräfte zu freier Bethätigung. In Prima
soll daher das Motiv des wissenschaftlichen Interesses vorherrschen;
in den anderen Klassen suche der Lehrer zwar auch Interesse
zu erregen, lasse aber hinter demselben mehr oder weniger deut-
lich das „Glück des Müssens'^ stehen (S. 14 Anm.^)). Bei
schwierigen Stellen bemerke er schon im voraus, dass die Lösung
nicht verlangt werde. Gerade dann setzen manche Schüler be-
sonders gern ihre ganze Kraft daran, sie zu finden (S. 15).
S. 16 Anm.*) gibt Rothfuchs weitere vortreffliche Bemerkungen
über die Hanptbebel zur Erregung freier Auftnerksamkeit.
Auch die Persönlichkeit des Lehrers soll sich im
Unterricht frei entfalten können. „Man soll den Geist
der Pädagogik nicht dämpfen durch den codex einer bis ins
Detail fixierten Methode^. „Fremde Erfahrung nützt, doch nur,
wenn sie sich in der eigenen erprobt.^ Für den angehenden
Lehrer ist Anleitung zu einer Methode „geradezu nötigt, aber
sie muss praktisch und so weitherzig sein, dass sie die Persön-
lichkeit nicht fesselt (S. 13 Anm.^) und S. 14).
Der Didaktik Herbart's gegenüber teilt Rothfuchs den
freieren Standpunkt Frick's (S. 28 Anm.^); vergl. auch S. 7
Anm.^)). Mit den Herbartianern bezeichnet er Erziehung als die
Aufgabe der Schule; seine allgemeine Äusserung über die
Methode des Herübersetzens S. 12 f. zeigt ebenfalls, wie nahe
er Herbart steht; auch die Herbart-Ziller-Stoysche Didaktik findet
er förderlich, wenn der Lehrer sich von ihr anregen, aber nicht
1) Vergl. den ähnlichen Vorschlag Heussner's für das Lateinische,
Schriften des Deutschen Einheiisschulvereins Heft 4, S. 73 und 74.
/. Roikfuchs, Vom Übersetzen in das Deutsche etc. 49
fesseln lässt (S. 32). £r richtet sich gegen alle Künstelei mit
Fonnalstufen- und Interessen-Didaktik (§ 32 — 35), aber — wie
oben bemerkt — an ihrer rechten Stelle verwertet er auch diese.
Indem er den Grundsatz hervorhebt, dass Sprachunterricht zu-
gleich Sachunterricht sei, fordert er doch Masshaltung in Sach-
erklärungen ; denn das übersetzen ist und bleibt in der Lektüre-
stunde die Hauptsache.
So steht Rothfuchs in den didaktischen Tagesfragen frei
über den Parteien ; dasselbe ist auch der Fall in der Frage der
Schulreform. Warm tritt er für den Wert der klassischen
Sprachen ein (§ 14 — 15); er verteidigt die Grammatik, welche
„ihre Anfeindung mit Ehren, trage", und fordert nicht allein
grammatisch genaue Erklärung der Schriftsteller, sondern gibt
ihr auch besondere Stunden, wo sie „Herrin sein soll". Vergl.
S. 25 Anm.2), S. 27 Anm.*), S. 21 und Anm.^). Vermehrung
der Lehrstunden für das Deutsche fordert er nicht, aber seine
ganze Schrift wird beherrscht von dem Gedanken, den fremd-
sprachlichen Unterricht für die Hebung der Sprachkraft in der
Muttersprache fruchtbar zu machen. Auch S. 30 Anm.^) ist für
diesen Zweck wichtig. Doch erwartet Rothfuchs von der Ent-
Wickelung der Sprachkraft noch eine tiefere Wirkung. „Der
Mensch '^, sagt er, „bildet den Stil, aber auch der Stil den
Menschen. '^ Das heisst doch wohl: Durch den Stil influiert
etwas von dem fremden Wesen in das eigene herüber, prägt
sich etwas von jenem dem eigenen auf. So präge sich denn
vom Wesen der klassischen Litteratur der Alten derjenige Cha-
rakter dem deutschen auf, den unsere beiden grossen Dichter-
heroen uns raten in dem Worte, welches wir unserem Geständnis
als Motto^) an die Stirn geschrieben: Römische Kraft und
griechische Schönheit!" Dies ist der ideale Zweck, dem
Rothfuchs' Methode dienen soll; darum fordert er, dass der
fremde Schriftsteller nicht bloss wortgetreu übersetzt, sondern
durch wirkliche Verdeutschung ganz in den deutschen Geist
hintibergeführt werden soll. Freilich muss Rothfuchs vom Lehrer
hervorragende Übersetzungskunst verlangen, um dies Ziel er-
reichen zu können. Homer soll naiv und lieblich übersetzt
werden, Herodot einfach und treuherzig, Demosthenes feurig und
und patriotisch, Sophokles erhaben und geistvoll, Tacitus ernst
und scharf, bisweilen bitter, Horaz lebensvoll und heiter, Cäsar
sachlich und gehaltvoll, Plato ideal und tief, alle aber kraftvoll
und masBvoll. Dies zu leisten, ist die schwerste, aber auch
^) Ringe, Leutscher, nach römischer Kraft und griechischer Schönheit!
Beides gelang Dir, doch nie glückte der gallische Sprung,
Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XI^. a
50 Referate und Rezensionen, F, Homemann,
BohöBste Aufgabe; welche RothfuchB uns Schulmännern in vor-
liegender Schrift stellt; vermögen wir sie zu erfüllen, so werden
wir auch jenen hohen Zweck verwirklichen können.
Wer die Bedeutung der SchriftstellerlektUre so tief und
ideal auffasst, kann kein Freund des modernen Utilitarismus sein.
Rothfuchs tadelt die Sprachroutiniers, welche von unsern Schulen
Leistungen fordern, in denen uns die Kellner doch über sind,
und verweist auch die Aneignung der Vorkenntnisse für das
Fachstudium — besonders das medizinische und naturwissen-
schaftliche — auf die Universität (§15 mit Anm.^) und ^)). Die
Schule soll nur „die Tüchtigkeit verbürgen, sich weiter bilden
und ein Fachstudium beginnen zu gönnen. ""
Aber wenn er so den eifrigen Schulreform ern gewiss viel
zu sehr am Alten zu hängen scheint, freut er sich andererseits
über Fortschritte, „ welche neues Gute erstreben, ohne altes Gute
preiszugeben^ (S. 32 Anm.^)). Gerade in den beiden Punkten,
welche auch ich als die wichtigsten betrachte, scheint er eine
Weiterentwickelnng des Gymnasiums zu wünschen. Er mahnt,
das Gymnasium möge in der Pflege des Beobachtens ja nicht
zu weit hinter dem Realgymnasium zurückbleiben, und er schätzt
in besonderem Masse das Griechische als ideales Bildnngs-
mittel. Ganz besonders von dem Werte der griechischen
Litteratur^) soll der Schüler einen bleibenden Eindruck ge-
winnen; und der Vergleich^ welcher S. 31 Anm.^) zwischen Cicero
und Demosthenes inbezug auf den Gehalt ihrer Reden angestellt
wird, fällt sehr zu gunsten^des Griechen aus. Würde Rothfuchs
nicht vielleicht zustimmen, wenn man behauptete, der Bildungs-
wert des Lateinischen liege vorzugsweise in den unteren und
mittleren Klassen, während es in den oberen Klassen etwas
verkürzt werden könnte? Hat er doch schon früher seine Mei-
nung dahin erklärt, man könne den lateinischen Aufsatz
schenken. (Zur Methodik des altsprachlichen Unterrichts, 2. Aufl.,
S. 44 mit Anm.)
Doch hierüber wie über manche andere Fragen enthält die
vorliegende Schrift höchstens Andeutungen; möge Rothfuchs das,
was dem diesmaligen Thema femer, aber seinem Herzen desto
näher liegt, in einem weiteren Geständnis aus den Anmerkungen
entfernen und in vollerer Darstellung als Hauptaufgabe behandeln 1
Er würde sich den Dank der pädagogischen Welt verdienen und
dazu mitwirken können, die Reformbewegung auf dem Gebiete
des Schulwesens in die richtigen Bahnen zu leiten.
^) Über deren Auswahl S. 28 Anm.*) ausführlicher gesprochen wird.
F. HOSNEMANN.
Engtich^ Die französische Grammatik am Gymnasium, 51
Englich, Die französische Grammatik am Ghymnasium, Progrmmm
[No. 28] des Eönigl. GymnasianiB in Danzig. Das.; 1886.
42 S. 40.
Diese Schrift, die aas langjähriger und vielseitiger Unter-
richtserfahmng hervorgegangen ist, hat vor allem den Zweck,
nachzuweisen, dass und in welchen Punkten unsere fran-
zösischen Schulgrammatiken am Gymnasium gekürzt
werden müssen. Gerade die besten derselben, wie die Lücking's,
Flattner's, Knebel - Probst's, bieten viel mehr, als in der dem
Französischen gewidmeten Zeit durchgenommen werden kann«
Di^ sogenannten Normalgrammatiken aber sind aus verschiedenen
Gründen zu verwerfen, darunter auch — was Englich nicht an-
führt — deshalb, weil sie die dem Schüler so förderliche Über-
sichtlichkeit kurzer, auf das Notwendige beschränkter Auszüge
aus der Grammatik nie erreichen können. Allerdings bieten
xPlcetz' Lehrbücher eine praktischere Auswahl des Stoffes, aber
„der Weg, den er uns führt, ist ein zu praktischer und zu sehr
zuHÜliger, ein solcher, welcher das Ziel des Gymnasiums, allge-
meine Bildung zu geben, zu wenig berücksichtigt und deswegen
in dem Schüler das Bewusstsein, nach einem bestimmten Ziele
geleitet zu werden, überhaupt nicht erwachen lässt.'^ So bleibt
also nur das Mittel, Grammatiken wie die Lücking's oder Knebel-
Probst's zu verkürzen. Da Englich nach letzterer unterrichtet,
so schliesst er seine Vorschläge an diese an und zeigt, indem
er sie Abschnitt für Abschnitt durchmustert, dass sie durch
Ausmerzung des Überflüssigen, knappere Fassung der Regeln und
Überweisung zahlreicher Einzelheiten an die Lektürestunde —
denn was in der besonderen Grammatikstunde einzuüben
ist, will Englich feststellen — „mindestens um die Hälfte redu-
ziert werden kann.« Man wird seinen Auslassungen durchweg
zustimmen, ja, wenn ich nicht irre, noch beträchtlich weiter in
den Kürzungen gehen können als er.
Aber Englich beschränkt nicht allein den grammatischen
Stoff, er schlägt auch Verbesserungen in der Anordnung
und im Inhalt der Regeln vor. Dabei strebt er mit Recht
nach schärferer Scheidung der Formenlehre von der Satzlehre —
z. B. in der Lehre vom Fürworte Kn.-Pr. § 35 ff. — , sowie nach
Entfernung lexikalischen und stilistischen Stoffes aus der Gram-
matik; so mehrfach S. 27 und 28. In mehreren Punkten kommt
er auch den gegenwärtig so lebhaft umstrittenen methodischen
Reformforderungen auf dem Gebiete des Sprachunterrichts nahe.
Wiederholt will er an Stelle der vielen Einzelregeln das zu
Grunde liegende allgemeine Prinzip setzen; so S. 20 in der
4*
52 Referate und Rezensioften. F. J)ötT,
Lehre yob der Wortstellung, S. 33 in der Lehre von den Modi,
S. 24 in der Lehre von der Stellang des Adjektivs, wobei mir
freilich zweifelhaft bleibt, ob er das Prinzip ftir die letztere zu-
treffend bestimmt. Mit vollem Rechte betont Englieh, dass hier-
durch der Unterricht bildender und interessanter wird. Dabei
benutzt er die Ergebnisse der neueren Sprachwissenschaft, z. B.
S. 16 für die Behandlung der unregelmässigen Verben. Freilich will
er diese erst mechanisch einüben und nachher erläutern, während
man doch zweckmässiger Verständnis und gedächtnismässige An-
eignung sich von vornherein gegenseitig untersttitzen lässt. Auch
verbessert er die unwissenschaftlichen Regeln über die Bildung
der regelmässigen Verbalformen Kn.-Pr. S. 76 nicht, obwohl doch
eine denkende Erlernung der unregelmässigen Verbalformen eine
entsprechende Behandlung der regelmässigen voraussetzt.^)
Auf das Einzelne näher einzugehen und auszuführen, welche
von Englich*s Verbesserungsvorschlägen mir gelungen scheinen,
welche nicht, verbietet mir der dieser Anzeige zugemessene
Raum; nur auf einen wichtigen allgemeineren Gedanken mache
ich noch aufmerksam, der die ganze Schrift Englich's durchzieht,
ich meine das Streben, die französische Grammatik aus
ihrer Vereinzelung zu befreien und mit der der anderen
Sprachen, vornehmlich natürlich mit der lateinischen,
in Beziehung zu setzen. S. 2 bezeichnet er die Anlehnung
an das Lateinische geradezu als ein wesentliches Erfordernis
einer französischen Grammatik für Gymnasien; denn durch die-
selbe werde nicht allein eine bedeutende Entlastung erzielt,
sondern auch die sprachliche, ja die allgemeine Bildung gefördert,
da ja dem Schüler der Begriff des Historischen, von dem unsere
ganze heutige Wissenschaft durchdrungen ist, inbezug auf die
Sprache dadurch zum Bewusstsein gebracht werde. S. 32 fügt
er bei Gelegenheit der Lehre von den Tempora hinzu, dass
auch die Terminologie in der französischen Grammatik soweit
wie möglich der lateinischen folgen müsse, „da man dadurch
nicht nur der Verwirrung, die durch neue Namen stets leicht
herbeigeführt wird, vorbeugt, sondern auch noch die Begriffe,
welche die lateinische Grammatik mit gewissen Namen verbindet,
befestigt.^ So ist Englich's Arbeit auch ein Beitrag zu einer
vergleichenden Darstellung der Grammatik für den Schulunter-
richt, deren Durchführung fOr alle fünf Schulsprachen (Deutsch,
Lateinisch, Griechisch, Französisch und Englisch) meines Er-
^) Sehr zu billigen ist auch der gelegentlich ausgesprochene
Grundsatz, in V und I v überwiegend viel französisch lesen, wenig aus
dem Deutschen übersetzen zu lassen, sowie die Forderung S. 17, den
Schwerpunkt des Unterrichts wirklich in die Klasse zu verlegen.
J. Gfitersohn, Zur Reform des fremdsprachlichen Unterrichts etc, 53
achtens eine der bedeutendsten und fruchtbarsten, freilich auch
schwierigsten Aufgaben der heutigen Methodik ist. Vergleiche
meine Gedanken und Vorschläge zur Parallelgrammatik im
3. Hefte der Schriften des deutschen Einheitsschulwesens, sowie
den soeben bei Alfred Holder in Wien erschienenen Ahrisg der
französischen Syntax mit Rücksicht auf lateinische und griechische
Vorkenntnisse, dargestellt von Em. Feichtinger, und die bei Swan
Sonnenschein in London herausgegebene ParaUd Grammar Series,
So sei denn die anregende Schrift Englich's allen Fach-
genossen zur Lektüre und zu eingehender Prüfung bestens
empfohlen! F. Hobnemann.
Gntersolin, J«, Gegenvorschläge zur Reform des neusprachüchen
Unterrichts. Sonderabdruck aus den Verhandlungen des
Vereins akademisch gebildeter Lehrer an badischen Mittel-
schulen (Pfingsten, 1887). Karlsruhe, 1888. Braun. 26 S. 8«.
Preis: 0,60 Mk.
Guter sehn äussert sich nach einigen einleitenden Worten zuerst
über „Phonetik", dann über den „Anfangsunterricht", und weiter
über die „zweite ünterrichtsstufe" (am Schluss folgen noch einige
Bemerkungen). Der Vortrag soll „vorzugsweise die Bedürfhisse der
lateinlosen Realschulen berücksichtigen", die nach Gutersohn's Meinung
„bis jetzt allein noch in keiner Weise ausgesprochene Stellung (wie
kann man eine Stellung aussprechen?) zu der Frage genommen
hätten". Die einleitenden Worte bringen „mit Rücksicht auf die Zu-
sammensetzung der Versammlung, deren grösserer Teil bis jetzt wohl
der Frage etwas ferner gestanden", „einige kurze Notizen und kritische
Bemerkungen über den geschichtlichen Verlauf der neusprachlichen
Reformbewegung". Es werden genannt Perthes (beifällig), Quousque
Tandem (mit Hinweis auf Ulbrich, der geäussert habe, Quousque Tan-
dem sei in der Negation und in der Invektive ausführlicher und klarer,
als in seinen positiven Vorschlägen ; und mit Berufung auf Ickelsamer,
der schon 1529 auf den Unterschied zwischen Buchstaben und Laut
hingewiesen habe). Kühn (abfällig), Münch, Rambeau („in mancher
Hinsicht" beipflichtend); Hornemann, Eidam, Ohlert (als „mehr
gemässigt" bezeichnet) und die Beschlüsse mehrerer Schul- und Fach-
männer-Versammlungen, insbesondere der Hauptversammlung des
Deutschen Vereins für höhere Mädchenschulen in Berlin, 1886, und des
Neuphilologentags in Frankfurt a/M. , 1887 (beide ebenfalls „mehr ge-
mässigte Stellungsnahme"). Dann verweist Gutersohn auf die Anord-
nungen der Badischen Schnlbehörde bezüglich des Betriebs des
französischen Unterrichts an den Gymnasien und auf die „meist auf
eigenen Antrieb" durchgeführten Neuerungen an höheren Mädchenschulen
in Baden. — Auswahl wie Urteil sind natürlich durchaus subjektiv.
Es konnte noch mancher mehr oder minder hervorragende Vertreter
und Gegner der „Reform" genannt werden, wenn selbst Eidam in der
Liste prangen durfte. Manche Versammlung, auf welcher sich weit
mehr und kompetentere Fachleute befanden, als auf der berühmten
des Mädchenschulvereins zu Berlin, war zu erwähnen. Und neben dem
einsamen Ickelsamer konnte auch noch mancher andere genannt werden
54 ReferaU und Rezensionen, F, Dan-,
(nebenbei bemerkt ist das „Lautieren*' in unseren Volks- und Vor-
schulen etwas ganz anderes, als was sich Gutersohn darunter zu denken
scheint, wenn er meint, Quousque Tandem -Vietor habe sich diese
Präzedenzfälle entgehen lassen — in Wirklichkeit kennt Vietor nicht
nur Ickelsamer, sondern auch noch andere Leute ganz gut, wie ich
weiss, und vielleicht besser als Gutersohn, wie ich mir zu vermuten
gestatte). Gutersohn nennt auch nachher noch viele und vieles selbst,
l^ennzeichnend für sein Verfahren ist aber auf diesen ersten zwei
Seiten, dass er Psychologie und Pädagogik, beziehungsweise Geschichte
der Methodik fCir sich zu verwenden bestrebt ist ; mit welchem ßrfolge,
zeigt sich wohl noch später.
In Abschnitt I „Phonetik" sucht Gutersohn mit Heranziehung
einzelner Äusserungen verschiedener Reformer und Gegenreformer dar-
zulegen, dass phonetische Umschrift und Begründung der Formenlehre
auf die Lautlehre „für die Schule nicht verwertbar** und „vollkommen
gerichtet" seien. Den Thesen Ahn's vom Neuphilologentag 1886 stimmt
Gutersohn zu: „Das ist nun wohl ein Standpunkt, der einer besonderen
Begründung nicht mehr bedarf, dem vielmehr jeder erfahrene Lehrer
ohne weiteres beistimmen wird." Gutersohn erkennt auch „laut und
lobend" an, dass Ploetz' „systematische Darstellung der französischen
Aussprache" „immer noch ein zuverlässiger und unentbehrlicher Rat-
geber für den Studierenden und den angehenden Lehrer, besonders
wertvoll auch bei einem Aufenthalt im fremden Lande selbst" bleibt.
Er findet es „unerklärlich", „wie sich einige der Reformer so sehr
fegen die sogenannte Ausspracheregeln (bei ^loetz u. a.) ereifern
önnen." Br erklärt, „es ist wenigstens für das Französische kaum
eine kläglichere Unterrichtsbrücke (Unterrichtsbröcke — nebenbei be-
merkt, ein eigener Ausdruck, Gutersohn ist überhaupt nicht immer
glücklich mit seinen bildlichen Ausdrücken) denkbar, als gerade die
phonetische Umschrift. Er sagt „getrost": „Wo es bei dem Lehrer
an der guten Aussprache oder der nötigen phonetischen Schulung fehlt,
da wird auch mit dem gelungensten Lautschriftsystem in der Schule
nicht viel erreicht werden" ... Er verlangt, es solle, wie beim ersten
Unterrichte in der Muttersprache, „Anschauungs-, Schreib- und Lese-
unterricht" vereinigt sein, so auch im fremdsprachlichen Unterrichte
an dem Grundsatze festgehalten werden, „dass die Kinder schreibend
lesen und lesend schreiben lernen sollen" : „nur wenn Laut und Zeichen
untrennbar vereint bleiben, kann das fremde Wort im Bewusstsein
haften." Dieses „kann" ist etwas kühn. Welche Zeichen werden
denn in dem Bewusstsein des Babys untrennbar mit den Lauten: Mama,
Papa etc. vereint? Und hat Herr Gutersohn nie ein französisches oder
englisches Wort von einem Franzosen oder Engländer gehört und be-
halten, ohne dass dieser es ihm mindestens vorbuchstabierte? Das ist
die unglückselige deutsche Schulmeisterei , für welche die handgreif-
lichsten Thatsachen, die alle Tage hundertmal geschehen, nicht vor-
handen sind. Und hat Herr Gutersohn noch nie gehört, dass ein-
sichtige Volksschnllehrer sehr darüber zu klagen haben, wie verdriess-
lieh es sei, dass Laut und Schrift einander so weni^ decken? Hat er
noch nicht bemerkt, dass solche, die weniger einsichtig sind, der Schrift
zuliebe ganz falsche Laute lehren? Hat er noch nie gesehen, wie die
ersten schriftlichen Arbeiten z. B. eines englischen kleinen Schuljungen
sich präsentieren? Es könnte ihm die erste beste Mutter, welche sich
um ihr 6 jähriges Söhnchen oder Töchterchen ein wenig kümmert,
verraten, wie sehr sie in Verlegenheit gerät, wenn das kleine Wesen
lautrichtig: un^, Hun< = bunt etc. schreibt; oder eine Bitte um Ein-
/. Guiersohn, Zur Reform des fremdsprMhUchen Unterrichts etc. 55
Bendang eines Aufsatzes eines englischen Schuljungen (es könnten
als Ersatz einige im Januar- und Februarheft 1889 von Lofwman^e
Magazine abgedruckte Proben dienen) an einem School Board Teacher
ihn darüber aufklären, dass Laut und Zeichen sich bei der her-
kömmlichen Orthographie sehr mit Widerstreben kopulieren lassen.
Es wäre ein Ziel „aufs innigste zu wünschen'', dass die Phonetiker sich
über ein möglichst einfaches Standard alphahet einigten und dies dann
als ,, Orthographie" in den Schulen gelehrt würde, anstatt des Misch-
masches, der heutigen Tages leider die Köpfe der Lehrer und Kinder
verwirrt. ^- In Abschnitt I hat Gutersohn also den Vogel nicht ab-
geschossen.^)
In Abschnitt II behandelt Gutersohn den Anfangsunterricht. Er
beginnt mit einem Hinweis auf eine von ihm selbst verfasste fran-
zösische Leseschule^): „gerade für die Anfangsstufe wird kaum je ein
wesentlich verschiedenes Lehrverfahren gefunden werden können, das
ebenso rasch und leicht zu einem befriedigenden Ziele führte/ Dieses
einzige Lehrverfahren beginnt in § 1 mit dem Alphabet und An-
weisungen wie folgt : „C c (ce) . . . (sseh), G g (gS) . . . (scheh — sehr
weich)'* etc., lehrt in der ersten Leseubung einzelne Wörter lesen, die
ohne Zusammenhang und zum geringsten Teile mit Angabe der deutschen
Bedeutung erscheinen, darunter: malotru, abrutir, primitif pyramidal,
matrimonial^) Hoffentlich verzeiht Herr Gutersohn den „Reu>rmem",
wenn sie kühn genug sind, zu glauben, es könne doch noch ein Lehr-
verfahren gefunden werden, ja, es sei schon gefunden, das nicht un-
erheblich anders und besser sei als dieses ^gute, solide und sichere/^)
Für die späteren Stufen des Unterrichts erklärt Gutersohn, seien
„grosse und weitgehende'' Reformen „wünschenswert und nötig." Er
verweist sodann auf die „Prinzipien", welche, „als für die Didaktik
massgebend nachgewiesen sind": „die Forderung des Unterrichts-
ganges vom Leichteren zum Schwereren, vom Bekannten zum
Unbekannten, endlich vom Konkreten zum Abstrakten." Von
diesen schweren Dingen haben die „Reformer" natürlich nie ett^as
gehört; deshalb gerät auch Gutersohn alsbald „in schroffen Gegen-
satz zu einer weiteren Forderung der Sprachreformer, nämlich den
Lesestoff gleich von Anfang an zum Ausgangs- und Mittelpunkt
des Unterrichts zu machen." Gutersohn beginnt mit Einzelsätzen,
weiss sich dabei „im Einklang mit Perthes selbst" und verweist
auf Herbart und Ziller und die „wissenschaftliche Pädagogik." Es
folgt eine Belehrung über das „eigentliche Wesen des Lernprozesses",
über analytisch und synthetisch (was natürlich für akademisch ge-
bildete Lehrer höchst nötig ist), und es wird auseinandergesetzt, dass
naturgemäss beim Erlernen der fremden Sprache an die Muttersprache
anzuknüpfen sei. „Die Sprachform allein ist und bleibt für den
1) Ich darf nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass er auf
Seite 3 Vietior gegenüber noch ganz besonderes Unglück hat, indem
er ihn, ohne den Sachverhalt zu ahnen, durch ein Zitat aus Sweet
nach Victors eigener Übersetzung belehren will. Vgl. Phonetische
Studien II 1888, S. 101 f.
3) Dresden, 1886. Ehlermann.
8) Vgl. „Mädchenschule"", II 1889, S. 45--4«.
*) S. 15. „Wie überhaupt die sogenannte „phonetische Schu-
lung", die ja fast von allen Sprachreformern angestrebt wird, auf einem
ajidern Wege als dem in der LeseschtUe eingeschlagenen erreichbar
wäre, ist unerfindlich."
56 Referate und Rezensionen, F, Dörr,
Lernenden das Neue, fast gänzlich Unbekannte und darf als solches
nach allen Gesetzen der Logik und der Psychologie nur auf synthe-
tischem Wege ihm zugeführt werden." Also „vom Laute oder Buch-
staben zum Worte, dann zum Satze und zuletzt zum zusammen-
hängenden Lesestücke." „So scheint uns denn gerade die richtige An-
wendung der von der „wissenschaffclichen Pädagogik" gebotenen
Grundwahrheiten im wesentlichen zu einer Bestätigung und tieferen
Begründung der im geschichtlichen Verlaufe ganz naturgemäss
entstandenen synthetischen Methode des fremdsprachlichen Unterrichts
zu führen. Wer nur einigermassen mit der Geschichte der Pädagogik
bekannt ist, der weiss, dass besonders in diesem Zweige des Unter-
richts erst nach grenzenlosen Verirrungen und grossartigen Mi^^serfolgen
ein besserer, psychologisch richtigerer Lehrgang angebahnt worden ist,
und zwar ist cÜes in erster Linie den Anstrengungen des Comenius,
den trefflichen Grundsätzen seiner ^Grossen ünierrichislehre ... zu ver-
danken . . ., durch letztere trat er erfolgreich dem alten Irrweg ent-
gegen, den Unterricht sofort mit der Lektüre der fremden Klassiker
zu beginnen . . ." ,,Meine Leseschule . . ." „Im allgemeinen . . . darf . . .
der Anfangsunterricht nicht von der auf psychologischer Basis ruhenden,
wesentlich synthetischen Methode abweichen. Wie fest und gut
aber diese Basis gerade durch die Kerbart -Zillersche Pädagogik be-
gründet ist, das beweist in letzter Linie noch ein Blick in die Geschichte
der Pädagogik." Nun folgt ein wiederholter Verweis auf Comenius,
etwas Polemik gegen Kühn und Plattner und der Rat: „Man lese über-
haupt in einer ausführlichen Geschichte der Pädagogik, in den Werken
des Comenius u. dergl. nach, zu welch traurigen Resultaten jene
Methode des Sprachunterrichts noch immer geführt hat, wo man gleich
mit dem Lesen eines zusammenhängenden Textes begonnen." Zum
Schlüsse des Abschnittes II 5 Thesen, die das Vorgetragene zu-
sammenfassen.
In diesem Abschnitte verfährt Gutersohn mit wahrhaft ver-
blüffender Kühnheit. Auf welche Hörer, beziehungsweise Leser rechnet
er wohl? Danach muss doch der, welchem bis dato Comenius, Uerbart,
Ziller etc. terra incognita waren, sicher glauben, diese Heroen der
Pädagogik fingen fremdsprachlichen Unterricht mit Einzelsätzen be-
liebigen Inhalts an; denn so will es ja der in Geschichte und Theorie
der Pädagogik so fest gegründete Herr Gutersohn, und auf sie beruft
er sich ja immerzu. Nun, dann rate ich, gleich ihm, zu einer ge-
fälligen , wenn auch nur kursorischen Lektüre des Comenius, Herbart's,
Ziller's etc., da wo die Herren von diesen Dingen sprechen. Dann
wird die Autorität Gutersohn's in etwas eigenem Lichte dastehen.
Comenius z. B. hat stets Sätze, welche inhaltlich zusammen-
hängen; er lehrt nie die Worte ohne die Sache (man sehe sich nur
den Orbis pictus an und vergleiche damit Gutersohn's Französische
Leseschule /)^). Herbart verlangt ausdrücklich beim fremdsprachlichen
Unterricht Ausgehen von inhaltlich bedeutendem, zusammenhängendem
Lesestoff (Homer ist der erste !). Ziller steht ganz auf Herbart's Stand-
punkt (man sehe nur, was bei ihm selbst, in den Jahrbüchern des Ver-
eins für wissenschaftliche Pädagogik^ in den nach seinen Ideen ge-
^) Vgl. eine etwas ausführlichere Auseinandersetzung in der
„Mädchenschule"' , II (1889), S. 47-48.
^ Besonders schlagend von Günther im XIII. Jahrgang, 1881,
in einem für die Verteidiger der Einseisätze geradezu vernichtendem
Aufsatze.
/. Gutersohn, Zur Reform des fremdsprachlichen Unterrichts etc. 57
arbeiteten Lehrbücherni), hierüber zu finden ist). Ich mass mir ver-
sagen, dies hier weiter anzuführen; aber ich kann nicht umhin,
wiederholt zu gestehen, dass die Kühnheit, mit welcher Gutersohn hier
Comenius, Herbart, Ziller, Geschichte der Pädagogik und Psychologie
für die Einzelsätze ins Feld führt, wahrhaft atembenehmend ist. Da-
nach könnte man auch aus Kopernikus und Galilei beweisen, dass die
Erde still steht.
Der III. Teil behandelt auf S. 18 — 25 die „zweite Unterrichts-
stufe''. Jetzt darf auch das zusammenhängende Lesestück seine
Reverenz machen, und, „was an den Reformbestrebuugen ausser der
Phonetik wirklich Gutes ist", die „Förderung der Sprechübungen",
wird ebenfalls gestattet. Ploetz und Comenius, die induktive Be-
handlung, Masberg, Kemnitz, d'Hargues, Luppe und Ottens, J. Baum-
garten, H. Breymann u. H. Möller, J. Aymeric, Curt Schäfer, Ricken,
Löwe, Kühn, ülbrich, Mangold und Coste, Plattner, Schmitz -Aurbach,
Rufer, A. Baumgartner u. a. werden in schnellem Fluge vorgeführt,
und 3 weitere Thesen (S. 24) fassen das Gesagte zusammen. Auf
diesen paar Seiten (18 — 25) lässt sich natürlich über so vieles nur
aphoristisch handeln, und den Urteilen Gutersohn's liesse sich oft mit
gleicher Berechtigung die gegenteilige Behauptung gegenüberstellen;
welchen Wert aber können ein paar Zeilen als Urteil über ein ganzes
Buch haben, wenn sie lauten wie folgt: „Ein erfolgreicher Anfangs-
unterricht ist gewiss auch möglich nach den Exercices et Lectures des
schweizerischen Sekundarlehrers H. Rufer. Eigentümlicher Weise
wird das Buch auch von Prof. J. Bierbaum, dem Hauptvertreter der
sogenannten direkten Methode, empfohlen, welche der Theorie
nach wohl eigentlich das Gegenstück der von uns verteidigten syn-
thetischen Lehrweise sein sollte. Es ist aber doch zu beachten, dass
dasselbe bis jetzt vorwiegend in gemischtem Sprachgebiete im Ge-
brauch ist; auch ist es in ganz anspruchsloser Weise in die Welt ge-
treten, nicht durch endlose Broschüren als das eine Umwälzung des
Sprachunterrichts anbahnende Evangelium voraus verkündet" — ?!
Ich bin mit Gutersohn's Gegenvorschlägen und der in seiner
Broschüre verkündeten Französischen Leseschule zu Ende. Leider habe
ich nicht viel freundliches darüber zu sagen gehabt. Vielleicht bin
ich hier und da scharf gewesen; daran ist aber Gutersohn selbst
schuld. Warum fordert er zum Studium des Comenius „u. dergl."
selber auf? Es wäre recht gut, wenn recht viele Herren Kollegen
Comenius, Herbart, Ziller „u. dergl." recht eifrig studierten; dann
brauchten wir uns erheblich weniger mit Vorschlägen und Gegenvor-
schlägen zu beschäftigen, die nicht viel für sich haben ausser dem
Umstände, dass ihre Herren Verfasser es herzlich gut gemeint haben
mögen.2)
^) Zum Beispiel Barth's Lateinisches Lesebuch.
2) Ich darf nicht versäumen, zu erwähnen, dass die neusprach-
liche Sektion der Züricher Philologen -Versammlung Gutersohn's Thesen
mit geringen Änderungen „fast einstimmig" angenommen hat. Vgl.
Pröscholdt's Bericht i. d. Engl. St., XI, 551—2.
F. DÖER.
58 Referate und Rezensionen. J. Aymeric,
fi^n^ehaad, P», Abrege de Utteratwre fran^aise ä Ftuage des eeoles
sfiperieures et de finstruction privee, Eisenach, 1889. Bac-
meister. III, 110 S. kl. 8«. Preis: 1 Mk.
Das kleine Bach soll wohl den Bedürfnissen höherer Mädchen-
schulen dienen; es fehlt auch das in derartigen Leitföden herkömm-
liche Bedauern nicht, dass die französische Litteratur manchmal so
wenig fromm und anständig sei. Der StofiF ist eigentümlich verteilt.
S. 10 stehen wir bei Malherbe, S. 13 bei Racine, S. 35 bei Voltaire, S. 61
bei der Romantik, S. 79 bei Barbier, mit dem das Buch wohl hätte
schliessen können. Dem Leitfaden geht ein Livre de lecture zur Seite,
auf welches oft verwiesen wird; dem ungeachtet sind auch hier zahl-
reiche und manchmal verhältnismässig umfängliche Proben mitgeteilt.
So nimmt denn Madame de S^vign^ 3 Seiten ein, J.-J. Rousseau 2Y2>
Voltaire ^g Seite, Diderot 4 Linien, Töpifer dagegen über 5 Seiten.
Dass dabei eine eigentliche Kenntnis der geistigen Bewegung, welche
in der Litteratur des französischen Volkes sich ausspricht, nicht erzielt
werden kann, liegt auf der Hand. Das Biographische überwiegt und
ist im Ganzen richtig; doch hätten Druckfehler vermieden werden
sollen wie Ruitebeuf, Cherbulier, Lanfray. Die bekannte Komödie
von Piron heisst auch nicht Le Meiromane. Wir wollen von den
ersten Partien schweigen, welche von Troubadours und Trouveres
sprechen. Aber die Darstellung ist auffallend ungeschickt. Was soll
sich z. B. ein Schüler denken bei dem Satze (S. 61): Dejä dans Vepoque
pre'cedante, quelqi^s ecrivains aimient iniroduit dans la liiierature des
idees qui trouvereni fadlemeni de nombreux imitateurs. Welches diese
Ideen gewesen sind, erfährt er nirgends. S. 7 liest man den merk-
würdigen Satz: La tt^oisieme epoque ... est Celle de P&iidition et du
pe'dantisme, ainsi que celle de la Renaissance par la prise de
Constantinople par les Turcs. Das sei, fährt der Verfasser fort,
auch re'poque preparatoire des ecrivains du XVll^ siede gewesen: quant
ä ceux de ce temps-lä, ce ne sont pour la plupart que des traducteurs
ou des imitateurs sans jugement et sans aoüi de ces savants fugitifs! --
nämlich der aus Konstantinopel entflohenen! Dass Richelieu die
Akademie gegründet, dass Hötel Rambouillet die Sprache gereinigt,
qtii laissait heaucoup ä desirer (S. 11), und dass Corneille der wahre
Schöpfer des französischen Theaters gewesen sei, erfahren wir aus
diesem Leitfaden, wie aus den unzähligen anderen dieser Art, die
jedenfalls das gegen sich haben, dass sie der wünschenswerten Aus-
dehnung der Lektüre und damit einer wirklichen Kenntnis französischer
Litteratur, wenn auch nur auf eng begrenztem Gebiete, im Wege
stehen. E. v. Sallwübk.
Dandet, Alpltonse, Lettres de mon mouän. Ausgewählte Briefe
mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhang herausgeg.
von Erwin Hönncher. Leipzig, 1889. E. A. Seemann.
XU, 81 + 41 S. kl. 8^. (Martin Hartmann's Schulausgaben No. 4.)
Les ouvrages d'Alphonse Daudet ofFrent parfois beaucoup de
difficult^s et il faut savoir grö ä M. Hönncher de n'ötre pas trop restö
au dessouB de sa täche. II a ä peu pr^s rompu avec le Systeme inaugur^
dans M^* de la Seiglibre, consistant en de perp^tuelles comparaisons
— en franfais! — entre les divers ouvrages du m^me auteur. Les
Lettres de mon moulin sont donc plus ä la portäe des äl^ves; le choix
en est judicieux et Vöditeur a employö tous les moyens pour s'orienter
Daudet, Lettres de man mouUn, hernusgeg, van Bönncher^ 69
dans les ne et cofltumes du midi de la France. II n'y a pas toujourt
r^usBi, c'est vrai: c^eet une t&che si difficile! G'est surtout dans
Texplication concernant les choees de T^glise catholique ^- et les
Lettres de mon moulin en sont remplies — que ses sourceH lui ontfait
d^faut. De Ik rabsence de notes trös interessantes qu*on aurait pu
faire sur la plupart des d^tails de ces belles solemnit^s d^crites par
Daudet. Et malgr^ cela, je ne fais aucune difficultä de le reconnaitre,
cette Edition est ä recommander et eile dänote des connaissances solides.
Voici les passages que je crois devoir redresser. P. 4. [das pro-
venzalische nu^ erklärt der Dichter selbst mit ferme . . .] Daudet met
bien entre parenthöses le mot ferme ^ cöt^ de mos, mais c'est lä un
cas iout particulier. Le mot mos d^signe un tont petit yillage, soit
qu'il consiste en une ou plusieurs maisons; j'en connais qui en ont dix,
comme aussi qui n^en ont qu'une. — [Le portail von einer Schäferei ge-
sagt, ist wohl scherzhafb zu verstehen.] Le mot portail ne se rapporte
pas ici ä la bergerie, mais seulement ä la ferme elle-mSme. — fau
Paradou. Dieser in Südfrankreich öfters vorkommende Ortsname ent-
spricht dem in Mittel- und Nordfrankreich sehr häufigen DstraäisJ
Exceptä ce Paradou, dont il est ici question et qui se trouve dans
Parrondissement d'Arles, je ne connais aucun autre endroit de ce
nom. Paradou vient du latin (partes, -etem) et signifie Ueu de defense,
refuge, rode, — P. 6 fniche = Hundestall, chenü.J En lisant le passage
dans son entier, il est bien clair que niche et chenil sont bien diff^rents
Fun de l'autre. La niche est une Bundehütte, en bois, au milieu de la
cour, et le chenil est une Stahle, en ma^onnerie, dans lequel on enferme
plusieurs chiens; dans la niche, il n'y en a qu'un. — fla petite porie
ä claire-voie, kleine Thüre mit Luke.] C'est une porte en treillage,
gitter förmig ; eile a par consäquent un grand nombre de Luken.
II est dit (p. 10) que Br^bant n'est plus Restaurateur, Je Vignore,
mais le Figaro disait la semaine derniero: Br^bant, le c^läbre restau-
rateur du Boulevard Poissonniäre, ^tablira une succursale sur la tour
EiflFel ... — P. 7 [gambader . . . verwandt mit jambe. Die altfranzösische
und noch jetzt südromanische Form lautete mit g an;] Si par süd-
romanische il faut entendre provenzalische la remarque n^est pas juste:
le proveuQal dit camba, L'auteur aurait pu comparer avec le mot
ingambe. — [Das von chevre abgeleitete chevroter wird nur vom Zittern
der Stimme gebraucht.] Chevroter veut dire encore et en premi^re
ligne Zickeln. — P. 9 [je me languis ich werde krank.] On aurait pu
faire remarquer que cette expression n'est pas fran9ai8e, mais proven^ale.
— [Ce n'est pas la peine = cela ne vaut pas la peine.] Ici, ce n'est
pas cela. Sesuin dit k sa chevre: Veux-tu que j'allonge la corde? —
Ce n'est pas la peine.'* Es ist nicht nötig, et non pas: es ist nicht
der Mühe werth. — P. 8. [Jnsque par dessus les cornes, eine ähnliche
Umformung des familiären Ausdrucks jusque par dessus les oreilles, wie
wenn Lafontaine sagt:
Th^mis n'avait point travaill^,
De memoire de singe, ä fait plus embrouillä.
J'avoue que je ne vois lä rien de semblable, et cette explication
est une ^nigme pour moi.*) — A la p. 14, menager devait §tre traduit
^) Die Ähnlichkeit liegt doch wohl deutlich genug in de memoire
de singe, Umformung des Ausdrucks de memoire d'hommes, B, K.
Die Ähnlickkeit wäre deutlich genug, wenn der Herausgeber de
memoire d' komme erwähnt hätte, was nicht der Fall ist. Aber die
Schüler werden sie wohl finden! Aymeric,
60 Refe^^ate und Rezensionen. J, Aymeric,
par Hatiswiri, Besitzer, comme il l'a d^jä 6t6 ä la page 2, et non par
Senner, — [ie train des fites . . . Ergänze : il n*v avaitj On ne eaurait
employer ici l'imparfait, et il faudrait dire -. il ny a eu. La description
de la farandole (p. 11) n'est pas träs juete; cette danse n^a lieu que
8ur les places publiques; c'est ce que dit du reste Daudet dans: le
poete Mistral. — P. 13 [souche Baumstumpf.] 11 s'agit ici de vigne, et
souche veut dire Weinstock. — [vin du cru einheimischer Wein.]
Cela pourrait bien passer, mais dans le cas präsent, ce n'est pas le
vrai sens: il faut traduire par: eiaenes Gewächs. — dehaucher =
seduire.] C'est encore vrai, mais devaucher a ici un sens special et
signifie: die Arbeiter von der Arbeit abziehen, et non pasj moralisch
verderben. — fla maitrise du pape, Singschule der päpstlichen Chor-
knaben.] II s'agit ici d'une dignit^, que je comparerais volontiere
ä Celle de vage. S*il s'agissait d'une e'cole de chant, comment Daudet
dirait-il: i,la maitrise du pape, oü jamais avant lui on n'avait repn
que des fils de nobles et des neveux de cardinaux^? — P. 14 [qui lui
tenait chaud, der ihn warm machte.] Ce lui se rapporte ä la mule du
pape; or, T^diteur traduit mule par Maultier de sorte que ihn döroute
Fäläve. La m6me chose se repioduit trois lignes plus loin: er hatte
Grund ... — P. 22. On y trouve : nagearit des pattes dans le vide . , .
II s'agit de la mule qu'on descend de la tour avec un cric et des
Cordes. Ce des est pour moi inezplicable, et je suppose que Daudet
a äcrit les pattes dans le vide. — P. 1 6 [une belle Ordination, im eigent-
lichen Sinne: Priesterweihe.] Rien de plus juste, seulement ici c'est
un sens particulier, et apr^s avoir lu cette remarque, Täl^ve n*cn est
pas plus avancä. Le sens est ici: Reihenfolge, Zusammenstellung, wie
bei einer Priesterweihe. — P. 19 [en train, Sinn hier: am Herd, im
Kessel.] 11 est question d'un marseillais qui a toujours quelque aioli
en train, ce qui signifie ici, non im Kessel, mais in Vorbereitung,
— P. 21 [s^archarner apres q. q, sich wild auf jemand stürzen.] Une
lecture attentive du passage montre que cette traduction ne peut pas
aller. II est question du vent qui s'acharne (pendant un mois); par
cons^quent, il me semble que hartnäckig verfolgen irait mieux. —
[massif de petites lies, hier: starke Grundmauer.] Daudet veut dire
seulement Inselgruppe, et il n'est nuUement question de Grundmauer,
— II est dit (p. 22) que aumonier däsigne den Seelsorge?' für eine kleine
Gemeinde, ce qui n'a jamais 6t4; un aumonier n^est jamais attach^ ä
une paroisse. — Blaguer (p. 23) ne veut pas dire aufschneiden, mais
seulement schwatzen, Unsinn sagen. — P. 42 [grand* messe auch haute
messe . , .] On dit bien grand* m^sse, mais il faut dire: messe haute,
et non haute messe, — [sa rovge taillole catalane, seine rote kata-
lanische Schärpe . . .] Ce n^est pas une e'charpe^ mais une ceinture,
Gürtel, comme en portent les turcos. — Dans la traduction d'un
passage de Montaigne (p. 26): „souvienne-vous . . /' il y a un contre-
sens; gub^e de gens a ät^ traduit par niemandes ... au lieu de
wenigen, einigen, — Le mot aire (p. 27) est pris au figurä et ne saurait
6tre traduit par Adlerhorst, mais bien par Zufluchtsort, puisqu'il s'agit
d'un bandit, et non d'un aigU. — Les pänitents ne portent pas un sac
sur la täte, et ils n'ont pas le visage couvert, comme il est dit (p. 28).
— Ibid. lies jeux sur Faire, ländliche Spiele auf der Dreschtenne . . .]
En allemaud, Dreschtenne ^= grange oü Von däpique le bl^; or, en
France, on däpique le blä sur la place publique, et c'est lä qu'ont lieu
les jeux dont il est ici question. — II est question^ ä la mSme page,
d'un Service en fayence de Moustier, et i'^diteur place cette petita
ville dans le Departement de la Dordogne. Elle est dans les Basses-
Daudet, Leitres de mon moidin, herausgeg, von ffönncher, 61
Alpes, et eile est connne par ses fabriques de papier et de fayence.
— P. 31 [des jours de caveau au ras du sol, Kellerfenster . . .1 on
remarqiie ici la confusion de caveau,^ Todtengraft, avec cave^ Keller;
et cette confusion est d'autant plus surprenante que Daudet parle de
cypres^ de croix et de iombeaux, — P. 33 /ä Vaise au bivouac eomme
aux soirees de la sous-prefete, d. h. willkommen . . .] Ce n'est pas cela
qne veut dire Daudet, mais bien sich frei bewegen; comment pourrait-on
dire d*un soldat qu'il est willkommen au bivouac, oü se trouve sa
place, ä lui! — Dans Lelixir du Pere Gaucher, Daudet n'a pas voulu,
comme le prätend l'^diteur (p. 34), faire une sortie contre les indul-
gences, auxquelles il n'a certainement pas pensä; il a voulu amuser
ses lecteurs aux d^peus de ce brave Pore, et rien de plus. — II est
dit ä la page suivante que: etwa 60 Mönche aus Alpenkrduiem den
berühmten Likör herstellen, II sagit des Chartreuz. En tout, il y a
bien soixante religieux ä la Grande Chartreuse, mais ce ne sont pas
euz qui fabriquent laliqueur; ils occupent prös de deux cents ouvriers,
et un ou deux religieux pr^sident au mdlange. L'öditeur pr^tend (p. 37)
qu*ils fönt, par an, pour deux millions d'affaires. S'ils n'en faisaient
pas davantage, ils seraient bientot ruinös, car ils payent pr^s d'un
million d'impöts au gouvernement seulement. — Pour expliquer:
chemin de la croix, ou trouve: Eine Reihe von zwölf Bildern . . .
L'äxplication qui suit n'est pas juste non plus, mais je ne tiens k
relever qu*un fait, ä savoir qu'il y a 14 stations. — P. 40 fsous le couvert,
couvert hier in der seltenen Bedeutung von: schattiaer Ilatz, übersetze:
im Schatten.] Ce sens lä est ici impossible: le soieil n'est pas encore
levä (i^aux premi^res clart^s de l'aube"). Quelques lignes plus loin,
Daudet appelle ce couvert: ^fourre^, ,ySous le bois^, C'est donc Dickicht
des Waldes. — SPen donner q. c. (p. 40) n'est pas fran9ais. — La diane
froide n'est pas kalte Reveille, mais Morgenwache; le piston du sahn de
Mars n'est pas Klarinette, ma is Elapphorn. — [Bouisbouis übersetze:
Tingeltangel.] Bouisbmiis est un mot qui a paru pour la premiöre fois
en 1854 dans Paris- Anecdote ; il signifie un misärable et ch^tif thäätre;
je ne saurais dire si Tingeltangel est une expression correspondante.
A part ces quelques imperfections qui m*ont paru devoir §tre
relev^es, les remarques de M. H. sont excellentes, claires et ä la port^e
des ^l^ves. Quelques unes sont, il est vrai, inutiles pour Tintelligence
du texte; par contre, il y a dans Daudet des passages difficiles que
V^diteur a oubli^ d'annoter: je cite au hasard les suivants: „une fois
remis, hon soir^ (Gott befohlen); „On lui faisait respirer ce vin, puis
quand eile avait les narines pleines, passe, je fai vu.'^ Aucun ^läve
n'est capable de comprendre cela. Ce coquin de Tistet V^döne ^tait
charg^ de porter un vin chaud ä la mule du pape; il le lui faisait
respirer, et, komm in meine Kehle, er ist verschwunden. Je me contente
de donner le sens. „Frommaoe de montagne^ ; il s'agit lä du fromage
qu'on fait pendant que les bestiaux passent six mois de l'annäe sur
les montagnes ; „chajcun revint ä sa chaire"" (Klappstuhl) ; „on chuchottait
de breviaire ä bre'viaire^, chaque religieux a un pupitre dans le choeur,
et sur ce pupitre il y a un bröviaire in-folio; „les bons Proven9aux
que nous faisons,^
Je tiens ä dire en terminant que ce fameux „moulin^ d'Alphonse
Daudet n'est plus une ruine: il a ^tä remis ä neuf, et se trouve sur
la route d'Arles ä S* Remy, ä 7 kil. d'Arles et ä, 4 de Fontvieille. Le
village (mos), Montauban, est situä ä 2 kil. de l'abbaye de Mont-
majour, qui n'est plus qu'une ruine, mais une beUe ruine. Quant ^
62 Referate und Rezensionen. /. Aymeric,
„Pamp^rigOQste", c'est un nom imaginaire; il est mSme pass^ en pro-
berbe, et on dit „envoyer k Pamp^rigouBte^ pour „envoyer k la
Yalan9oire" = Jemanden aich vom Halse schaffen.
J. Aymeric,
Sandenn, Jules 9 Mademoiseäe de la Seigliere. Comedie en qttaire
actes et en prose mit Einleitung, Anmerkungen und einem
Anhang herausgeg. von K.A. Martin Hartmann. Leipzig,
1887. E. A. Seemann. XV, 120 + 71 S. kl. 8». (Martin
Hartmann's SchtUausgaben No. 1.)
Je saisis cette ocuasion pour reparier de Mademoiseüe de la Seigliere
äditäe'par M. Hartmann: il en a paru un certain nombre de comptes-
rendus, mais tellement superficiels, que pas un ne rel^^e une erreur ou une
inexactitude au point de vue du fran^ais. Personne donc n'j ayant trou^ä
k redire, je me permets de präsenter quelques observations. Ce liyre est
excellent, je le veux bien» mais la perfection n^ätant pas de ce monde, je
ne saurais le regarder comme Tidäal k atteindre. D'abord les fautes n'y
manquent pas non plus, et si les critiques n'ont pas su lee y voir, tant pis
pour les critiques. En voici quelques -unes. P. 17 [aussi dotix comme
un mouton bride, lammfromm.] D*abord aussi doux comme est une faute
dont on a beaucoup de peine k däshabituer un <$l^ve, et Sandeau a äcrit
aussi doux que; ensuite bride ne signifie pas tenu par la bride. — P. 36
[aprhs Vavoir fait bassiner: aber lassen sie zuvor eine Wärmflasche (une
bassinoire) hereinlegen.] Bassiner et bassinoire ne me semblent pas avoir
ätä bien compris. La bassinoire est un instrument en cuivre, assez
semblable a une podle, mais fermäe par en haut; on y met de la braise
et on le promfene dans le lit, au moyen d*un manche, pour Techauffer.
C'est Ik ce qu'on appelle bassiner, J'ignore si on peut dire Wärmpfanne,
en allemand, en tont cas, ce n'est pas Wärmflasche. Wärmflasche est
en fran9ais chaufferette, bouülotte, et si on en met une dans le lit, on ne
dit pas b€issititr, mais bien chaujfer le lit. — 11 est difc (p. 41): das h
des Wortes ist stumm wie bei huit, C'est bien la premi^re fois que
j'entends dire que h est muette dans huit. — P. 58. [Da das fi-anzQeische
Participe passe nicht einfach substantivirt werden kann . . .] Mais au
contraire, le fran^ais aime beaucoup cette mani^re de procäder. Est-ce
que un abrege, un communique, un re^u, le fini, le pointille, un e'migre,
le passe ^ Cenvoye et cent autres ne sont pas des participes pass^? —
A la ligne suivante, on trouve: je vous le donne en cent, iah wette 100
gegen 1, dass Sie nicht erraten. Ce n'est pas cela; le frauQais veut dire:
Sie können hundert Mal raten, und werden doch es nicht herausbekommen
(v. Sachs au mot deviner.). Encore k la m§me page: [stupefait ist das
part. passä zu stupe'fierj Le part. p. de stupe'fier est stupefie\ et stupefait
est le p. p. de stupefaire. Si ce verbe n'est plus usite a l'infinitif, tant
pis pour lui. — Encore k la mdme page, pour expliquer et gue vous
le savez bien, qye madame de Vaubert n*est pas une belle äme on
trouve: [Das le vor savez que ist eine Feinheit der Umgangssprache.]
Je suppose que M. H. a voulu dire der Schriflß^rvkche. En voici un
ezemple dans la R. d. d. M. (1^' aoüt 1888): Comment M. Daudet ue
/'a-t-il pas senti que de la fa^on dont il les a peints, les personnages de
Vlmmortel ... — P. 60 [ü est du bois dont on fait les flütes, er hat
einen sanften Charakter.] Cette expression fraxi^aise veut dire: cW un
bomme qui fait et dit tont ce qu'on veut (v, Littre); eile contient un
bläme, En est-il de m§me de: er hat einen sanften Charakter? Si oui.
Sandeau, M^ de la Seigliere, het^ausgeg. von MarU Hartmann, 63
je passe condamnation et c^est moi qui ai tort. — P. 61 [au coin du feu,
so viel als : sous le manteau de la chemmee . . J O'est loin d'dtre la
mtoe chose; au coin du feu = an Winterabenden, tandis que sous le
manteau de la chemiuee est une expression figuräe, qui signifie im Ge-
heimen, et Sandeau ne veut pas exprimer cette pens^. — ?. 69 f. , . je
veux Hre pendu, oder j*irai dire ä RomeJ On doit ^rire et dire : j'irai
le dire k Bome.
Fassons maint^nant auz points, qui sans toe präcis^ment erron^,
sont kl tout le moins un peu risques. P. 4. [Si monsieur veut passer^
Dies ist eine höflichere, im Munde des Dieners angemessenere Form als:
Si vous voulez passer.) II fiiudrait dire: Dies ist die einzige im Munde
des Dieners bei hohen Herrschaften zulässige Form. A la page 8,
r^diteur fait remarquer, dass diahle viel häufiger gebraucht wird als
Teufel, wie schon ein Blick auf die zwei Artikel in den Wörterbüchern
lehrt. J'ai eu la curiositä de recourir ä Sachs, et je serais tent^ de dire
que j'y ai vu justement le contraire. Une remarque du m&me genre
est la suivante, p. 65. [Die französische Sprache hat viel mehr Redens-
arten mit loup als die deutsche mit fVolf.J Et M. H. cite onze lignes
de proverbes fran9ais oü se trouve le mot loup, et il termine en disant:
Gemeinsam mit dem Deutschen ist wohl nur: m faut hurler avec les loups,
und appe'iit de loup. Tci encore j*ai recouru k Sachs et j'y ai tronv^
d'abord que la colonne au mot Wolf est bien plus nourrie que celle du
mot loup; et ensuite que presque toutes ces onze lignes de proverbes,
cit^s comme exelusivemeot franfais, sont ^galement des proverbes alle-
mands: wenn man vom Wolf spricht, ist er nicht weit; wer sich zum
Schafe macht, den fressen die Wölfe; der Wolf stirbt in seiner Haut;
oder: der Wolf ändert sein Haar, aber nicht seine Art; den Wolf bei
den Ohren halten, u. s. w. II y a en outre quantitä de proverbes allemands
avec Wolf, sans que le mot loup se trouve dans le proverbe franQais
correspondant: Er macht es wie der Wolf, der davon läuft, wenn man
ihn ruft: C*est le chien de Nivelle, qui s'enfuit quand on Tappelle, etc.
— F. 10. [lä-baSy da, dort ... es kann auch ein unten Stehender la^bas
auf jemand beziehen, der oben steht.] Je n'ai pas connaissance d'un
pareil langage; en tout cas, cela ne peut se trouver que dans l'argot, et
non dans un livre classique. — P. 18. fma fiUe achevait de me donner
une legon, Achever de faire heisst etwas vollends thun.] De sorte que
le panvre el^ve doit traduire: Meine Tochter gab mir vollends eine Stunde!
Si lee Allemands sen contentent, j'aurais mauvaise gräce d'y trouver ä
redire. — P. 29. [Die französischen Richter, die unabsetzbar sind, wie
bei uns . . .] M. H. ignore-t-il donc que le ministre de la Justice, Martin
Fenint, en fit une h^catombe, il y a trois ou quatre ans? Wie bei uns! ! 1
Et plüt k Dieu qu'il en füt ainsi! Sous un gouvemement regulier, la
remarque serait juste: sous la Republique, c'est comme dans la chanson:
„Rien n'est sacie pour un pompier.^ — P. 32. fvoir du monäe, Besuche
empfangen.] Et pourquoi pas: Besuche machen? L'äditeur parle (p*37)
de la bataille de Fontenoy et dit: sie wurde bekanntlich nach allen
Regeln des höfischen Auslandes eingeleitet . . . Apr^ cela vient la tar-
tine connue: „tirez les premiers, messienrs les Fran^ais**. Le duo de
Broglie a demonträ dans la R. d. d. M, (15 juin 1884) que cet höfischer
Anstand n'est qu'une fable, et qu'il ne faut y voir qu une mesure de
tactique, et non une expression de politesse. — P. 40. [donaiion entre
vifs . . . sonst wird vif lebendig, sich in der Regel nur auf Sachen be-
ziehen.] Ce terme entre dans une foule d'expressions pour däsigner des
personnes: il est plus mort que vif; Stre brulä vif; il est vif comme la
poudre etc. ?— P. 55. [. . . es berührt geradezu komisch da^s ein Mann,
64 /. Jymeric, Sandeau, M^ de la SeigÜere, krgg. von Martin Harimann,
der die Geschichte der Hevohition miterlebt hat, Qber Kleber erat
ein Lexikon nachschla^n muss.] „Aller aux informations'', ne signifie
pas absolument ein. Lexikon nachschlagen. Et poarquoi le marquis
n'aurait-il pas consult^ Raoul, le savant de la pi^ce et le fianc^ de
sa fiUe? Je seraia tent^ de croire que le marquis, ce bon vivant, ne
possädait pas de biblioth^qiie et encore moins de dictionnaire de la con-
versation, s'il en existait k cette äpoqne, ce que j'ignore. — P. 56. [Die
Geographie Bernard's ist hier nicht richtig. Denn Eckmühl liegt nicht
am Regen . . . sondern an der grossen Laber . . .] Mais Bemard ne dit
pas qu* Eckmühl seit situde sur le Regen. Häl^ne lui montre un paysage
qu'elle yient de faire et dit: Est-ce bien la le cours de la rivi^re? A
quoi Bernard räpond. »Oui, c'est le Kegen; ici est Nuremberg, la le
clocher du village d'Eckmühl." ün tableau contient, j'ima^ine, une
certaine perspective. — M. H. dit (p. 47) que Tidäe de patrie nätait pas
bien d^velop^e sous la monarchie. Je ne suis ni assez clerc ni assez
philoaophe pour vouloir le contester, mais cette assertion me semble bien
hasardee. L^id^e de patrie ^tait si däveloppäe chez les Romains et chez
les Gtiulois, qu'il semblerait au moins Strange qu'elle ait disparu ensuite
pour ne reparaitre qu'au 1^^^ si^cle. La vieille Chanson de Roland
respire d^un bout k Tautre Tamour de la patrie. Le mot ne s'y trouve
point encore, il est remplac^ par celui de ^France^ : noctis pere, n'en
laiser hunir France!** Au 15" si^cle Alain Chartier dit: „il est louable
de combattre pour sa patrie*^, et Ba'if räp^tera un peu plus tard: „Pour
la patrie. ' c'est un beau mot." Le vieux fran9ais a un proverbe qni dit:
„fiancer vertu, espouser patrie'^ pour affirmer que Tamour de la patrie
est ins^parable de celui de la vertu. A mon avis, Tid^e de patrie doit
gtre aussi vieille que le moude, et parce que le mot aura fait assez tard
son apparition, ce n'est pas une raison de dire que Tidäe de patrie s'est
d^veloppee compl^tement au 18** si^cle; car Ch. Fontaine dit d^ja (16**
sibcle): „Qui a pais, n*a que faire de patrie,'*
Tels sur les principaux point« que j'ai cru devoir si^naler. Est-ce
k dire que je trouve cette Edition d^fectueuse? Pas le moins du monde ;
je la trouve trte bien faite, si bien faite mdme qu'elle me semble §tre
beaucoup trop savante pour des el^ves. Ces perpätuelles camparaisons
entre le roman et la comedie peuvent bien Stre utiles k des ätudiants
de rUni versitz, mais elles ne le sont pas pour de simples elbves. üne
page enti^re est consacräe au caract^re du Chevalier en g^näral, et du
Chevalier de Barbanpr^ en particulier, toujours avec citations en fran^ais
k Tappui. Le Chevalier d'Assas re9oit 60 lignes d*explication dont la
moitiä en fran^ais. Pour nous apprendre que Tage de vingt ans est
regardä par les Fran9aia comme la fleur de la jeunesse, l'^iteur nous
donne une demi page de citations, toigours en fran^ais. N'eut-il pas
mieux valu pour les äl^ves expliquer une foule de termes di£6ciles et
qui ont ät^ passäs sous silence? Par exemple: ^tiqueter des simples;
les palmes de la chicane; j'y mangerai mon dernier cbamp; le duüet
de leur nid; jeter la science attx oriies, etc. etc. On trouve par contre:
nicht zu verwechseln le chenil und la chenille. Mais des ^l^ves en etat
de digärer ces tirades t'ran9aise8 ne feront jamais cette confusion. Comme
conclusion, je dirai: travail excellent pour les maitres, trop acad^mique
pour les äl^ves. J. Aymeeic.
Referate und Rezensionen.
Daanheisser, Ernst, Studien zu Jean de Maireifs Lehen und
Wirken. Münchener Dissertation. Ludwigshafen a. Rh.,
1888. Julius Waldkirch's Buchdruckerei (111 S. 8%
Wir haben es hier eigentlich nur mit der ersten Hälfte
einer für die Geschichte Mairet's und des älteren französischen
Theaters, besonders in chronologischen Fragen immerhin recht
bedeutsamen Arbeit zu thun. Über den Wert der vom Verfasser
gewonnenen neuen Resultate wird man sich erst dann ein rechtes
Urteil bilden können, wenn er uns im folgenden Teile die Be-
weise für die von ihm aufgestellten Ergebnisse erbringen wird.
Nichts destoweniger darf auch schon dieser erste Teil, der meist
nur den Pflug der kritischen Forschung tief einsetzt, um die
bisher überlieferten Angaben umzustürzen, eine eingehende Be-
achtung in Anspruch nehmen, und Niemand, der sich mit der
Geschichte der neueren . französischen Litteratur befasst, wird
ihn übersehen dürfen.
Es ist besonders die Unzulänglichkeit und Flüchtigkeit der
älteren Biographen, die den Verfasser veranlasste, sich mit
Mairef s Leben eingehender zu befassen, denn selbst der jüngste
dieser Biographen, Gaston Bizos, kann sich von den Irrthümern
seiner Vorgänger, besonders de Frasne's, nicht recht losmachen
und hat zu den ersten Quellen zurückzugehen vernachlässigt.
Wir werden nun die Resultate, zu denen Dannheisser gelangt,
besonders da, wo er mit den herkömmlichen Traditionen bricht,
in gedrängtester Kürze wiedergeben und da wo sie uns bedenk-
lich erscheinen, dies in wenigen Worten andeuten. Mit Recht
stellt Dannheisser die Abstammung Mairet's aus Westfalen als
zweifellos hin und verweist Vollmöller, der in seiner Sophonisbe-
Ausgabe dagegen Einwendungen erhoben hat, auf den von Kaiser
Leopold für Mairet erneuerten Adelsbrief, sl^b dem dies mit
Sicherheit hervorgeht. Das Geburtsjahr Mairet's bildete den
Zechr. £ firz. Spr. u. Litt. XI^. 5
66 Referate und Rezensionen. J. Frank,
Gegenstand langer Kontroversen, weil uns ^er Dichter selbst ab-
sichtlich auf falsche Fährte zu führen bemüht war. Er sagte
nämlich in einem am 4. Januar 1636 geschriebenen Briefe (der
Epistre comique et famüüre), er stehe „heute in seinem sechs-
undzwanzigsten Lebensjahre.^ Da kamen die Parfaict mit der
Nachricht, ein Neffe Mairet's, M. de Romain, habe in einer ihnen
zugesendeten Familiendenkschrift das Jahr 1604 (also nicht 1610!)
als Mairet's Geburtsjahr bezeichnet, und erklärten die falschen
Angaben Mairet's als einen Ausfluss seiner masslosen Eitelkeit
Da die Parfaict die Mitteilung de Komain's nicht in ihrem Wort-
laute veröffentlichten, so suchte Gaspary des letzteren Nachrichten
auf ein blosses Versehen (de Romain soll anstatt „4. Januar 1636"
gelesen haben „4. Januar 1630") zurückzuführen, eine Annahme,
zu der er sich besonders darum berechtigt glaubte, weil auch
de Romain denselben Tag als Geburtstag angibt, wie Mairet
selbst. Allen diesen Streitigkeiten nun machte der von Tivier
zuerst aus amtlichen Quellen veröffentlichte Taufakt Mairet's ein
Ende, demzufolge Mairet am 10. Mai 1604 getauft wurde
und wahrscheinlich etwa vierzehn Tage früher geboren worden
ist. Dies ist also über jeden Zweifel erhaben. Wenn aber
Dannheisser den Parfaict „Willkür" vorwirft, dass sie als Ge-
burtstag Mairet^s den 4. Janaar bezeichnet, so thut er ihm
unseres Erachtens entschieden Unrecht und es scheint uns viel-
mehr unbillig, die Parfaict so abzukanzeln, anstatt es ihnen zu
danken, dass sie durch die Veröffentlichung der Angaben de Romain's
zuerst das richtige Geburtsjahr Mairet's kundgaben. Die Gebrüder
Parfaict verdienten diesen Tadel um so weniger, als (wie wir
meinen) in der ihnen mitgeteilten Familiendenkschrift der Ge-
burtstag Mairet's gar nicht angegeben war und sie wahrschein-
lich den vom Dichter selbst angegebenen Geburtstag, den
4. Januar, gelten Hessen. Wenn sie nämlich auch überzeugt
waren, Mairet habe sein rechtes Geburtsjahr aus Eitelkeit ver-
leugnet, so lag doch absolut kein Grund vor, dem Dichter eine
Verleugnung seines wahren Geburtstages zuzumuten! Und so
konnten die Parfaict neben der neuen Angabe des Geburtsjahres
mit Recht den früheren Geburtstag gelten lassen. Wir möchten
auch jetzt noch eher annehmen, Mairet habe seinen wahren Geburts-
tag nicht gekannt, als er habe ihn absichtlich falsch angegeben.
Schliesslich wollen wir noch der Bemerkung Raum geben, dass
ja die Worte Mairet's in der Epistre comique et famüüre vom
4. Januar 1636: J^ay commenci de faire parier de moy de si
bonne heure, qu* aujourdhui ä ma vingt-sixiesme annie etc. uns
gar nicht so unbedingt den 4. Januar als den Geburtstag Mairefs
bezeichnen.
E. Dannheisser, Studien zu Jean de Mairefs Leben und Wirken. 67
Im Jahre 1620 verliess Mairet seinen Geburtsort Besannen
und begab sich nach Paris. Die von Bizos angegebene Be-
gründung, er habe der Pest entfliehen wollen, bezeichnet Dann-
heisser mit Recht als aus der Luft gegriffen und wir möchten
hinzufügen, dieser Irrtum sei bei Bizos entstanden, weil Mairet
(wie er in einem seiner Sonnette angibt) vor der Pest aus Paris
entflohen. Nun wüthete die Pest in Paris im Jahre 1623.
Wollte man Mairefs Angabe, er sei 1610 geboren, aufrecht er-
halten, so müsste er (da er in seiner Epistre comique erzählt:
Blnfin ce fut Vaudacieux desir de porier mes par sur les votres
qui me persuada de changer comme je fisy ä Vage de 16 ans
Vair de Besangon ä celuy de Paris etc.) erst 1626 nach Paris
gekommen sein, was ganz unhaltbar ist, da wir mit Sicherheit
wissen, er sei 1623 schon im Dienste des Herzogs von Mont-
morency gestanden. Dass Mairet in derselben Epistre comique,
wo er sein Alter um 6 Jahre verleugnet, richtig angibt, er sei
im Alter von 16 Jahren nach Paris gekommen, können wir nicht
mit Herrn Dannheisser Überraschend finden, denn Mairet konnte
wohl aus Prahlsucht im Jahre 1636 von sich sagen, er sei schon
im Alter von 26 Jahren (anstatt der thatsächlichen 32) ein viel-
bewunderter Dichter gewesen, er konnte doch aber nicht sagen,
er sei im Alter von 10 Jahren nach Paris gekommen und habe
in demselben Alter seine Chrisüde geschrieben, da dies eine
zu läppische Aufschneiderei gewesen wäre. Dass man aber aus
dieser richtigen Altersangabe von 16 Jahren zur Zeit seiner An-
kunft in Paris auf das unrichtige Datum seines Geburtsjahres
in derselben Epistre comique Rückschlüsse ziehen werde, be-
fürchtete Mairet im Jahre 1636 nicht allzusehr, da er annahm,
das Jahr seiner ersten Ankunft in Paris sei bereits allgemein
vergessen. Für den Eintritt Mairet's in die Dienste des Herzogs
von Montmorency gewinnt Dannheisser mit Recht den Zeitraum
innerhalb 1623 — 24. Mairet verdankte diesem Herzoge auch
mannigfache geistige Anregung und wusste sich in dessen Gunst
auch durch seine heldenmütige Teilnahme bei der Eroberung der
Insel R6 im Jahre 1625 noch mehr zu befestigen. Da lebte er
im schattigen Chantilly, im Schlosse des Herzogs, blieb aber mit
dem Zentrum der litterarischen Bewegung in Paris in Fühlung,
da der Herzog daselbst ein Haus hatte. Im Jahre 1625 trat
er auch in innige Beziehungen zu Th^ophile de Viau, der damals
ebenfalls in Chantilly eine Zuflucht vor seinen Verfolgern gesucht
hatte. Nichts desto weniger wird man Desbarraux' ver-
dächtigende Ausstreuungen, als habe zur Sophonisbe, dem ge-
priesensten Werke Mairet's, dieser nur den Namen, Th^ophile
aber den Geist hergegeben, als eine blosse Fabel ansehen
68 Referate und Rezensionen. J. Frank,
mttSBen. Der schon 1626 erfolgte plötzliche Tod Theophile's
bedeutete für Mairet jedenfalls einen herben Verlust und nur der
fast unbestrittene Erfolg bei der im selben Jahre erfolgten Auf-
führung der Sylvie spendete ihm ' einigen Trost. Ob die Mairet
von Montmorency erteilte Pension eine Anerkennung für seine
heldenmütige Haltung im Jahre 1625, oder eine Prämie ftir die
Sylvie gewesen sei, lässt sich, wie Dannheisser überzeugend
nachweisst, nicht ermitteln, ebensowenig wie der Zeitpunkt, von
welchem an sie ausbezahlt worden sei; gewiss sei nur, dass
letzteres nicht erst nach 1627 der Fall gewesen sei. 1632
starb Montmorency auf dem Schaffet. Mairet aber gewann so>
fort einen neuen Gönner in dem Grafen von B6lin, denn die
Dichter jener Zeit mussten (wie der grosse National Ökonom List
einmal sagte) ebenso notwendig, wie die Hunde, einen Herrn
haben. B^lin's gastliches Haus versammelte einen vornehmen
Zirkel der damaligen litterarischen Berühmtheiten und diese Um-
gebung wie des Gastgebers geistvolle und bedeutende Persönlich-
keit selbst wirkte sehr befruchtend auf des Dichters dramatische
Thätigkeit und so entstanden während des Aufenthaltes bei B61in
in merkwürdig rascher Aufeinanderfolge innerhalb dreier Jahre
fünf grosse Dramen, während er im Laufe der neun Jahre, die
er in Chantilly zugebracht, nur drei Theaterstücke vollendet
hatte. Das Verhältnis Montmorency^s zu Mairet scheint ein mehr
gönnerartiges, das B61in*s zu dem Dichter ein mehr herzliches ge-
wesen zu sein, so dass man in der Dramatisierung des Ariost'schen
Rasenden Roland eine Konzession an den Geschmack de B^lin's
für das Romantische erblicken kann. Seinem nunmehrigen Pro-
tektor zu Liebe scheint Mairet auch seine Vorliebe für das
Pastorale abgethan zu haben. Besonders in Bezug auf Bühnen-
technik scheint Mairet bei B^lin sich grosse Routine angeeignet
zu haben. In desselben Hause machte er auch die Bekanntschaft
von Rotrou und Scudery, den beiden Anführern der gegen
Corneille aufgestandenen Klique, und knüpfte er mit beinahe
allen namhafteren Dichtem seiner Zeit Verbindungen an, wie
auch seine schon von Chantilly her angebahnten Beziehungen
zum Hofe jetzt keine Störung erlitten. Ein Umschwung dieser
Verhältnisse erfolgte im Jahre 1635. In demselben erschienen
von Mairet CUopdtre und Soliman, Ersteres Stück konnte
nicht durchschlagen, vom letzteren konnte er trotz aller An-
strengungen nicht einmal die Aufführung durchsetzen und in
dieser gegen alle Welt (vielleicht sogar gegen B61in) verbitterten
Stimmung schrieb Mairet seine schon wiederholt erwähnte Epish'e
comique, in der er sich förmlich im Selbstlobe berauschte und
kein Mittel, selbst die Lüge nicht, verschmähte, um seine Vor-
E, Dannheisser, Studien zu Jean de Moire fs Leben und Wh'ken. 69
zttge nur recht herauszustreicheii. Wir haben ja oben bereits
eine Probe aus dieser Schrift kennen gelernt und darin gesehen
wie sich Mairet nach Art kleinlicher Frauen jünger machen will,
als er ist. Dass Bizos Mairet's Verstimmung dem Misserfolge
der Athinats zuschreibt (anstatt dem des Soliman), erklärt Dann-
heisser als eine Folge der chronologisch unrichtigen Ansetzung
der Werke Mairet's von Seiten dieses Autors.
B61in vermittelte auch Mairet's Bekanntschaft mit dem da-
mals so einflussreichen Kritiker Ghapelain. Während Mairet
sonst den Sommer über auf den Gütern des Grafen B61in weilte,
den Winter aber meist im Hause desselben Grafen in Paris zu-
brachte, scheint er den Winter 1637 — 1638 nicht in Paris zu-
gebracht zu haben, obwohl gerade damals sein Soliman endlich
aufgeführt wurde. Wennschon die ehemals so nahen Beziehungen
Mairet's zu Montmorency ersteren dem Kardinal Richelieu sehr
entfremdeten, ja verdächtig machten, so hatten doch andererseits
der beim Kardinal vielvermögende Boisrobert (mit dem Ghapelain
den Verkehr Mairet's vermittelte), ferner die hochgestellte Herzogin
von Aiguillon und nicht am wenigsten seine eigenen dramatischen
Werke ihm den Weg zu demselben geebnet, so dass er einmal
sogar an einer der Kompagniearbeiten der Cinq auteurs, wahr-
scheinlich der Grande Pastorale, teilnehmen durfte. Dass Mairet
von Richelieu eine regelmässige Pension von tausend Francs
bezogen habe (Parfaict), hält Dannheisser als unnachweisbar.
Im letzten Viertel des Jahres 1638 starb B61in, ein Verlust, der
Mairet gewiss sehr empfindlich traf, wenn man auch mit Dann-
heisser die Bemerkung Ghardon's, dieser Tod habe Mairet's Muse
zum Schweigen gebracht, wird als zu weitgehend bezeichnen
müssen. Hier müssen wir Dannheisser eine Flüchtigkeit vorwerfen
denn während er (S. 37) Belin, wie wir soeben gesehen, im
letzten Viertel des Jahres 1638 sterben lässt, sagt er
(S. 93): „Im September 1638 starb der Graf B^lin.'* Welche
Angabe die richtige ist, sind wir momentan zu konstatieren ausser
Stande, weil uns das hierzu nötige Büchermaterial nicht zu Ge-
bote steht. In die Zeit, da Mairet über seinen dahinwelkenden
Ruhm sich in einer galligen Stimmung befand, fällt die erste
AuflFührung von Corneille 's Cid. Wenn auch, wie man anzu-
nehmen Grund hat, bis dahin sogar ein freundschaftlicher Ver-
kehr zwischen den beiden Dichtern bestanden hat, so musste
doch der gewaltige verblüffende Erfolg des Cid Mairet's Neid
in hohem Grade erregen. Wenn Mairet so that, als hätte nur
der verfrühte Druck des Cid seinen Unwillen erregt, und als
habe nur die gegen sein den Schauspielern gegebenes Wort
von Seiten Corneille's erfolgte Publikation und die dadurch er-
70 Referate und Rezensionen. J, Frank,
folgte . Schädigung der Akteurs ihn in Bewegung gesetzt, so wird
man diese Motivierung mit Recht als eine Heuchelei Mairet's
ansehen, hinter der sich die verwundete Eitelkeit verbarg.
Dass bei Mairet bei seiner Stellungnahme gegen den Oid auch
das Bestreben mitwirkte, sich vor dem Kardinal Richelieu von
dem Verdachte zu reinigen, als finde er, der ans der Franehe
Comt6 einer damals spanischen Provinz stammte, Gefallen an
dem spanischen Cid^ wird man plausibel finden können, ohne es
zu billigen, dass Dannheisser fttr diese Wahrnehmung, als wäre
sie so bedeutsam, mit Emphase das Recht der Priorität in An-
spruch nimmt Dass die ganze Polemik zwischen Corneille und
Mairet einen höchst unerquicklichen Charakter annahm, dass die
Apologie pour Mairet von letzterem in einem Zustande geschrieben
wurde, „in welchem der von der* Leidenschaft benebelte Geist
nur mehr unzusammenhängend zu lallen vermag — im Paroxis-
mus der Gedankenlosigkeit^ wird man eine zutre fixende Bemerkung
nennen können; die sonstigen in diesem § 20 aber gemachten De-
duktionen haben wenigstens auf uns oft den Eindruck des Haar-
spalterischen und Gezwungenen oder mindestens allzu Gesuchten
gemacht, so auch jene, die das Datum der Aufführung des Oid
in den letzten Tagen des Monats November 1636 zu erschüttern
versucht, und die uns denn doch auf zu schwanken Füssen zu
stehen scheint. Dannheisser selbst gibt zu, in diesen Fragen
nichts Abschliessendes bieten zu können.
Nach dem also 1638 erfolgten Tode des Grafen Bölin
scheint nach Dannheisser der Aufenthalt Mairet's in Maine im
Hause von Bölin's Sohne noch einige Zeit fortgedauert zu haben.
Dagegen soll er zur Zeit der Vollendung der Atkenats (Ende
1638 oder Anfang 1639) ßölin's Haus schon verlassen haben.
1639 — 1642 soll er sich meist in Paris aufgehalten, jedoch
auch innerhalb der Jahre 1640—1642 ein halbes Jahr in Maine
zugebracht haben, und zwar in der Nähe des eben dahin ver-
bannten W^^ de Hautefort. Innerhalb der letztgenannten Jahre
wurde auch Mairet's Sidonie fertig. M^^® de Hautefort sowohl
als ihre Schwester wurden in einem Sonnette Mairet's mit den
widerlichsten Schmeicheleien angesungen, in der durchsichtigen
Tendenz, ihm den Weg zur Rasse der Königin zu ebnen, bei
der sie vielvermögend waren. Er hatte eben im Laufe der Zeit
sich vor den Grossen zu erniedrigen gelernt. In der nächsten
Zeit beschritt Mairet die politische Karriere. Auf die Empfehlung
des gewandtesten spanischen Diplomaten dieser Zeit, des ihm
befreundeten Baron Lisola hin, wurde Mairet 1645 zum diplo-
matischen Agenten in Paris ernannt und entwickelte dabei be-
sonders eine segensreiche Thätigkeit im Interesse der Franehe-
E. Dannheisser, Studien zu Jean de Moire fs Leben und Wirken. 71
Comt6. Mairet's Ehrgeiz jedoch wollte noch höher hinaus, er
wollte mit Hilfe des Baron Lisola Gesandter des deutschen
Reichs in Paris werden^ aber der Kardinal Mazarin machte seinem
diplomatischen Strebertum durch einen Ausweisungsbefehl ein
Ende, worauf Mairet im Jahre 1658 nach Besan^on übersiedelte.
In demselben Jahre verlor Mairet auch seine ihm erst seit 1647
angetraute Gattin ; die Ehe war kinderlos geblieben. Nach dem
im Jahre 1659 abgeschlossenen pyrenäischen Frieden durfte sich
der Dichter wieder in Paris zeigen, wo er auch wiederum durch
mehrere Jahre hindurch seinen Aufenthalt genommen zu haben
scheint. Die poetische Thätigkeit Mairet's war innerhalb dieser
Zeit so gut wie erloschen. Er starb am 31. Januar 1686.
Dannheisser wendet sich nun nach diesem biographischen
Abrisse Mairet's der Aufgabe zu, die dramatischen Werke
desselben chronologisch zu fixieren. Er glaubt dies nur
auf Umwegen thun zu können. Die Zeitbestimmung von Th6ophile's
Pyrame et Thishi soll der erste Schritt zu diesem Ziele sein.
Mairet sagte einmal (1637), seine Sylvie habe bei ihrem Er-
scheinen darum einen so schwierigen Standpunkt gehabt, weil
die dramatischen Werke Hardy's, Racan's und Th6ophile's ihr
vorausgegangen seien. Daraus folgt: Fyramus ist vor der Sylvie
geschrieben worden. Aber wann? Die Parfaict behaupten,
T^ophile müsse seine Tragödie wenigstens ein Jahr vor seiner
Abreise nach England geschrieben haben. Den Beweis hierfür
bleiben sie schuldig. Es lässt sich auch mehr nicht feststellen,
als dass Th^ophile in den Jahren 1620 — 1621 einmal in England
war. Das von den Parfaict für Fyramus angesetzte Jahr 1617
ist also hinfallig. Einen weiteren Stützpunkt zur Frage der Ab-
fassungszeit von Pyramus könnte man in Theophile's Elegie ä
une Dame finden wollen, in der er singt:
Autresfois, quant mes vers ont anime la sceine,
L ordre oit fesiois contrainet m^a bien faict de (a peine.
Ce travail importun nCa long-temps martyre,
Mais en fin, grace aux J)ieux, je nCen suis retire.
Die Abfassungszeit dieser Elegie wird, wie Dannheisser
ziemlich überzeugend nachweist, ins Jahr 1620 zu setzen sein.
Diese Anspielung Theophile's auf eine ihm lästige dramatische
Thätigkeit muss sich aber durchaus nicht auf den Pyramus
beziehen; vielmehr lässt sie sich viel natürlicher auf die von
Theophile erwiesenermassen abgefassten Ballettexte beziehen und
Th^ophile athmet also in der Elegie nur erlöst auf, von dieser
Art Bühnendichtung erlöst zu sein; sein Pyramus kann aber
darum denn doch ganz gut auch später verfasst worden sein!
Auch ist es Th^ophile gchon zuzumuten, dass er seinen angeb-
72 Referate utid Rezensionen. F. Bohertag,
liehen Widerwillen gegen das Theater dem Publikum zu Liebe
tiberwunden habe. Aus einem Briefe Th^ophile's geht unzweifel-
haft hervor, dass sein Pyramus im Jahre 1625 oder 1626 einmal
bei Hofe und ungefähr um dieselbe Zeit auch im H5tel de Mont-
morency aufgeführt worden sei. Dannheisser ist geneigt zu
vermuten, dass diese AuflTUhrung für den Hof wenigstens eine
Novität gewesen sei, will es aber nicht als feststehend annehmen.
Wenn aber Pyramris schon 1617 tiber die Btihne Hardy's ge-
gangen wäre, so könnte (nach Dannheisser) 1625 dieselbe Auf-
führung bei Hofe unmöglich so grossen Eclat hervorgerufen haben.
Es bleibt also Alles dunkel. Selbst die Angabe, dass Pyramus
schon 1623 gedruckt gewesen sei, möchte Dannheisser nicht für
unumstösslich halten. „Vorher aber gewiss nicht!" Auch hier
gelangt Dannheisser mehr zu negativen Resultaten und möchte
nur hinter die in den Litteraturgeschichten herkömmliche Zahl
1617 für Pyramus ein Fragezeichen gemacht wünschen und be-
wiesen haben, dass diese Zahlenangabe nicht als Substrat für
die chronologische Fixierung von Mairet's Werken dienen könne.
Weiter könnte, wie wir aus dem oben zitierten Ausspruche
Mairet's gesehen haben, die Abfassungszeit von Kacan's Bergeries
zur chronologischen Aufhellung von Mairef s Werken dienen.
Dannheisser kommt zu dem Schlüsse, das Racan's Pastorale nicht
vor 1622 begonnen und erst (wahrscheinlich gegen Ende) 1623
zum ersten Male aufgeführt wurde. Es wtirde uns denn doch
zu weit führen, Herrn Dannheisser auch hier in die Details seiner
Beweisführung zu folgen und wir geben also hier nur das Resultat.
Wir werden ja ohnehin ein endgültiges urteil tiber Herrn Dann-
heisser's Studie erst dann abgeben können, wenn er uns im
zweiten Teile seiner Arbeit das Positive seiner Forschungs-
resultate: die Beweisführung für seine neuen chronologischen
Angaben (er ist hierin ganz radikal!) bieten wird. Bis dahin
können wir Herrn Dannheisser schon grossen Fleiss und hohe
Gewissenhaftigkeit nachrtihmen. Nur bezüglich seiner Methode
sind wir nicht einverstanden: seine Auseinandersetzung schleift
uns oft durch ein wahres Labyrinth und es kostet die grösste
Anstrengung und Geduld, ihm zu folgen, besonders weil er es
liebt, einen Beweis in den anderen einzuschachteln. Also mehr
Etirze und Geschlossenheit der Beweisführung und ein nicht so
breitbehagliches Verweilen bei Geringftigigem würden seine Arbeit
viel geniessbarer machen. J. Frank.
P, Wespy, Der Qraf Tressan, sem Lehen eic, 73
Wespy, Paul, Der Qraf TVessan, sein Leben und seine Be-
arbeitungen der französischen Ritterromane des Mittel-
alters, Leipziger Inaugaral-Dissertation. Reudnitz-Leipzig,
1889. 50 S. 80.
Der Inhalt der kleinen Schrift ist wesentlich biographisch.
Ein einleitender Abschnitt handelt über die Vorgänger Tressan^s
auf dem Gebiete, welchem er den grössten Teil seiner schrift-
stellerischen Thätigkeit gewidmet. Dann folgt ein Abschnitt
„Lebenslauf des Grafen Tressan", in welchem die Biographien,
welche bis jetzt erschienen sind, besprochen werden. Hierauf
kommen „Vorbemerkungen über die Familie Tressan's", femer
„Jugend und Hofleben (1705 — 1732)**, „Periode seiner mili-
tärischen Thätigkeit (1733—1750)", „Tressan in Lothringen und
am Hofe Königs Stanislaus von Polen (1750 — 1766)" (in welcher
Überschrift dem Referenten das Wort „und" vom Übel zu sein
scheint), „Tressan's Alter (1766—1783)" und endlich ein Über-
blick der Ausgaben der Werke Tressans.
Die Schlussbemerkung „Der zweite Teil dieser Arbeit, ent-
haltend eine Untersuchung über Tressan's Bearbeitungen alt-
französischer Kitterromane, wird an anderer Stelle erscheinen"
rechtfertigt den Verfasser dem Vorwurf gegenüber, dass der In-
halt der Schrift das nicht gebe, was der Titel verspricht. Jener
zweite Teil wird nun freilich das bei weitem Interessantere und
Bedeutendere bieten und lässt, wenn man von dem vorliegenden
biographischen Teile schliessen darf, Gutes erwarten. Denn
wir erhalten hier einen gedrängten und doch, wie es scheint,
vollständigen Lebensabriss des interessanten Mannes, U meüleur
et le plus aimable esprit qui soit en France nach Voltaire's Urteil,
welches übrigens wohl weniger gut ausgefallen wäre, wenn der
Herr Graf sich mit dem litterarischen Diktator weniger gut zu
stellen gewusst hätte. Bei der Feststellung der Thatsachen
scheint uns der Herr Verfasser mit der erforderlichen kritischen
Vorsicht zu Werke gegangen zu sein. Über das Misslingen der
dem Grafen von seinem militärischen Ehrgeiz eingegebenen Pläne
ist unseres Erachtens aus dem, was an Material vorliegt, keine
vollständig genügende Einsicht zu gewinnen. Es fehlen uns
hierzu, die Sache mag an sich so wichtig oder so unwichtig
sein, wie sie will, zu sehr alle wirklich objektiven Anhaltspunkte,
denn was der Abb6 V., Grimm und Madame de Genlis erzählen,
scheint auf einseitiger Auffassung oder ungenauer Kenntnis der
Sachlage zu beruhen, und gegen Memoirenanekdoten, von beissenden
Epigrammen, mit denen sich sonst verdiente Leute geschadet
haben sollen, muss man ein grundsätzliches Misstrauen haben.
74 Referate und ' Rezewanen, IC, A, M. Hartmann,
Ml5ge es Herrn Wespy verstattet sein, seine Arbeit über
den federgewandten Grafen bald zu einem befriedigenden Ab-
schlüsse zu bringen, dem wir mit Spannung entgegensehen.
F. BOBESTAO.
Kollektion Spemann^
Siehe hier Band JX^, Seite 93 ff.
(Fortsetzung.)
5) A. R. Le Sage, Dei' hinkende Teufel. Mit einer Einleitung von
Ferdinand Lotheissen. 230 S.
Dieser Band gehört zu den besten Leistungen der Sammlung. Die
Einleitung orientiert in knapper, aber vortrefflicher Weise über Leben
und schriftstellerische Bedeutung des Le Sage und lässt dieselben Eigen-
schaften hervortreten, welche die Litteraturgescbichte des zu früh heim-
gegangenen Verfassers in so hohem Ma^se auszeichnen: die auf eigener
Anschauung beruhende Vertrautheit mit Land und Leuten, die er-
schöpfende Kenntnis des Gegenstandes, die treffende massvolle Beurteilung,
und endlich — last, not least, — die edle, gefallige Darstellung. Auch
die Übersetzung verdient volle Anerkennung. Sie ist erstens in be-
sonderem Grade korrekt, was man ja nicht von allen Bänden der Spe-
mannscben Sammlung sagen kann, und sodann gibt sie den einfachen,
leichten, lebhaften Ton des Originals sehr gut wieder. Die Nachlese,
die der Kritiker hier halten kann, ist nur ganz unbedeutend: So findet
man S. 17: der Dämon der Dummen, wo Le Sage hat: le de'mon des
du^es. Es handelt sich hier wohl nur um einen Druckfehler. Ebenso
ist S. 116: »in meinem Hause*' zu ändern in: in einem Hause**. S. 203
wäre der Pentameter des lateinischen Distichons einzurücken gewesen,
und S. 224 ist zu lesen: „die ich übernehme*' für: „die ich über-
nahm (dont je me Charge). Ein zweimal (S. 29 und 118) vorkommender
Übersetzungsfehler ist: „Junggeselle** für: hachelier. Bekanntlich ist
diesem französischen Worte die Bedeutung des entsprechenden englischen
Ausdrucks fremd. S. 159 ist: je ne la (d. h. Poccasion) ratei^ai pas (ich
werde sie nicht verpassen) nicht ganz genau wiedergegeben durch: ich
werde nichts daran ändern. S. 203 liest man: „Wir können unter-
haltende Beobachtungen dort anstellen**, was sich nicht völlig deckt mit
dem Ausdrucke des Originals: nous ferons quelques remarques rejouissanies.
Der Leser hat selbst schon bemerkt, wie geringfügig diese Aus-
stellungen sind Dieselben können nur dazu dienen, den Wert des Bandes
um so mehr hervortreten zu lassen.
6) J. J. Rousseau's Netw Hetoise. 2 Bde. (312 und 321 SS.)
Diese Übersetzung, deren Verfasser nicht genannt wird, wäre sicher-
lich besser ungedruckt geblieben. Denn sie ist auch nicht im entferntesten
dazu apgethan, dem Leser zu einem wirklich angemessenen Eindrucke eines
80 bedeutenden Litteraturwerkes zu verhelfen, nicht nur wegen der zahl-
reich vorhandenen groben Missverständnisse des Originals, das dem Über-
setzer noch dazu in einer durch Druckfehler arg entstellten Form vor-
gelegen zu haben scheint, sondern auch wegen der höchst bedenklichen,
an vielen Stellen geradezu unglücklich zu nennenden stilistischen Form,
KoUektion Speman». 75
in die das Ganze gekleidet ist, und endlioh wegen der grossen Menge von
Barbarismen, 'Gallizismen, Provinzialismen und Archaismen, die einem die
Lektüre verleiden. Die letzteren machen es wahrscheinlich, dass der Ver-
leger hier einfach eine Übersetzung älteren Datums abgedruckt hat, mut-
masslich eine aas dem vorigen Jahrhundert. Leider hat er es aber ver-
säumt, eine gründliche Überarbeitung des Textes vornehmen zu lassen, und
so ist ein Werk entstanden, bez. neu auterstanden, das so gut wie un-
brauchbar ist, und niemandem empfohlen werden kann, auch nicht dem
anspruchslosesten Leser. An nicht wenigen Stellen ist die Übei'setzung
geradezu unverständlich, und man muss das Original aufschlagen, um
Klarheit zu erlangen. Dazu kommt noch, dass die typographische Be-
handlung des Textes in hohem Grade nachlässig ist, sowohl wegen der
vielen falschen Buchstaben, die einem aufstossen, als auch wegen der
zahlreichen Auslassungen von Worten oder gar Sätzen, so dass der Leser
oft vor Rätseln steht, die nur mit Hülfe von Rousseau 's Wortlaut erst
gelöst werden können.
Ein solches Urteil scheint hart, und wer es ausspricht, hat die
Pflicht, es zu begründen. Freilich können wir nicht daran denken, das
ganze uns vorliegende Material mitzuteilen, denn das würde den Rahmen
eines Zeitchrifiienartikels weit überschreiten. Die folgende Blumenlese
wird aber hinreichen, um den Beweis zu liefern, dass das aasgesprochene
Urteil durchaus nichts unbilliges hat, sondern lediglich dem wirklichen
Thatbestande entspricht.
So sei denn zunächst eine Auswahl aus den vielfachen Entstellungen
des Originals gegeben: 1, 13 das beständige Absprechen (deraisonnement),
1, 14 um die Wette (tour ä tour). 1, 15 Der Schlendrian (manage) des
artigen Betragens. Ib. Die Märchen fcofites), die Romane, die Theater-
stücke, alles stichelt auf die Provinzbewohner. 1, 35 Das Gewirre meiner
Umgebungen (mes perplexites) 1, 33 von dem Du mir durchdrungen
scheinst (as paru). 1, 35 Weiche gute That, die ich um ihrer selost
willen schon vollbracht hätte, sollte ich jetzt vollbringen, mich Deiner
würdiger zu machen? (quel bien qne je n'aurois pas fait pour lui-mSme,
ne ferais-je pas^ mainienani, pour me rendre digne de toi?) 1, 36 Du
verlierst Deine Zeit in leerer Trauer, und kannst ohne Furcht sein, ob
Du Dir nicht neue darüber bereitest? (comment ne crains-tu poini de
fen atiirer d*auires?) 1, 38 Mein dumpfer Leichtsinn fmon diourderie).
1, 43 Mein Humor (mon humeur), meine Gesundheit haben ihr frohes
Teil daran (s'en ressentent). 1, 66 Der Tugenden mit der Goldwage
wägt (au poids de Cor). 1, 57 Ein Taschengeld, das von mir nie be-
rührt werden darf (ä laqueÜe je n^aijamais besoin de toucher). 1. 60 Ge-
schäftsträger (commissionnaire). 1, 62 Die Gebirge, soweit (tandis qu*
elles etc.) sie zugänglich sind. 1, 73 Ich wusste, welche Partie (q%iel
parti) Sie ergreifen würden. 1, 76 Ich schreibe auf einem Viereck
(quartier) y welches das Eis vom Felsen abgestossen hat. 1, 98 Dein Haar-
putz (ajustement). 1, 99 unvermögend, mir selber aufzusehen (me garder),
1, 196 Das Fagott (violonceUe). 1, 121 Dann werde der Becher mit
meinem wohlbedachten Willen (ä mon intention) geleert. 1, 133 Diese
Stürmer (ces hommes si ombrageux). 1, 134 Ausschweifung (extravagance).
1, 137 verkleinern favilir). 1, 137 Bomston's Zufall (accideni). 1, 138
Gebärde (attitude). l, 156 verstörte ßouiUanl) Miene. 1, 156 abreisen
(partir, d. h. fortgehen). 1, 158 sich zu allen hinkauern (s*accrocher).
Ib. Sie nahm leicht die veränderte Richtung (prit le change). 1, 163
Was in diesen Rücksichten das Zuträgliche sei, muss er wissen (vaüä
les convenatices dant U doii connaiire). 1, 165 Den Wunden einige
Linderung (appareü) versohafifen. 1, ].69 Die ehrenvollste Partie (le parti
76 Referate und Rezensionen. K. A. M. Hartmann,
EntschldBs). 1, 170 Die ängstliclie Verwickelung? deiner Lage (tes per-
plexites). 1, 175 Mein Schicksal hat Ihren Eifer zum besten (C empörte
sur votre zhle). 1, 177 Sieh zurück (regarde). Ib. Ich darf Deine Wut
überbieten (j*en puis defier). Ib. Kannst Du mich in Anspruch nehmen
(fen prendre ä moij. 1, 179 Wie schwach sind die Tröstungen der
Freundschaft, wo der Liebe Tröstungen entstehen (manquent), 1, 184
Bin ich es auch fest-ce öien moi) dem Sie Verrat Schuld geben? Ib.
Übereilung (extravagance). 1, 185 Trotz meiner Stürme (ombrages). Ib.
Das Opfer, das sie dem Naturgefühle (aux senliments de la nature) bringt.
1, 187 Mit dem Eifer, dessen sie wert sind (anstatt: nicht wert sind.
1, 188 Die betrübten (tristes) Schwätzer. 1, 205 Ich müsste überall bei
dem ersten zu beobachten anfangen (ü faut que je commence par tont
observer, dans le premier ou Je me trouve). 1, 206 Kunstgriffe (maximes).
1, 207 Ich verschliesse (je prite) mein Ohr. 1, 208 Man sieht die andern
nur sobald (autant) handeln, als man selbst handelt. Ib. Bei förmlich
bestehenden Gastmahlen (diners regles). 1, 214 Fein pausbäckige (hien
ronflants) Dialoge. 1. 229 Wenn die Gatten hier Knaben und Mädchen
sind (garqons et fiUes). 1, 235 Klatschhaft (tracasderes), 1, 252 Kostbare
(pre'cieuses) Damen. 1, 254 Wäre es nicht nötig, zu sehen (etoit-ii
necessaire). 1, 266 Ein Elternmord (parricide, d. h. Muttermord, da der
Vater noch lebt). 1, 272 Sie stockte, ehe sie reden konnte (tant qu^eüe
put parier). 1, 282 Eine träumerische (chimerique) Tugend. 1, 283 Geh
(va), ich kenne es besser. 1, 284 Die sinnliche Liebe kann des Besitzes
nicht Umgang haben (se passer). 1, 288 Schade, dass ich (feus beau)
Sie entfernt hielt. 1, 297 Im Drange sich zu verständigen (ä force de
s'entendre). 1, 299 Der Prediger sprach angstvoll (gravement). 1, 307
Das Gefühl ist so innig, dass es eine andere vielleicht beruhigte (une
autre seroit alarme'e). 2, 6 Er liebt, so viel er lieben will fU n'aime
qu*autant qu*ii veut aimer). 2, 8 Alles zweckt auf unsere Vorteile ab
(toume ä). 2, 13 Hat Gott nicht Macht über meinen Leib ? (Dieu n'a-t-ü
de pouvoir que sur mon corps?) 2, 15 Jeder sinnige (sense) Mensch.
2, 16 Wenn man China (quinqmna) gegen das Fieber gebraucht. 2, 19
Ich bedarf nichts zur Probe (preuve). 2, 20 Hundertmal zurückge-
schlagene frebatius) Gemeinplätze. 2, 22 Eine Wunde aufschlitzen (scarifier).
2, 47 Man hatte meine Chaise zurückgeschickt (remise). 2, 52 Sekten-
geist (esprit de Systeme). 2, 54 Durch ein standhaft ehrendes Benehmen
(ä force d^egards). 2, 70 und öfters sonst war Fanchon durch Fränzchen
zu übersetzen. 2, 81 im Tempel (au temple, d h. in der protestantischen
Kirche). 2, 87 sinnreich (htdicieux). 2, 89 sich mit Pfirsichkernen werfen
(se battre ä coups de pickes). 2, 91 Wasserfall (jet d'eau). 2, 103 Tags
zuvor (Pautre jour). 2, 110 Ich ziehe mich auf der Stelle zurück (je
me reiracte). 2, 116 Wirklich (ä la ve'rite) glaube ich nicht, aber — .
2, 127 Leim (limon), 2, 137 Wenn sie ihr Glück von dem Glücke aller
Menschen unabhängig machen wollte (faire dependre). 2, 151 So ein
Schmecker (tel g.). 2, 153 Da man desjenigen, der sie verfertigt, sicher
ist (sür de ce qui les compose). 2, 155 zur Wette (re'ciproquement).
2, 157 Menschen von Gemüt (sense's). 2, 161 Ein viel besser verstandener
(beaucoup plus e'tendu) Erfolg. 2, 166 Das Mannesalter zu bedenken,
das ist die Aufgabe (c*est le cas de songer etc.). 2, 167 Die Kindheit für
sich zu betrachten (ä conside'rer). 2, 170 bis auf einen namhaften Punkt
(ä point nomme). Ib. Wissenskünste (lumiere.^). 2, 184 Eine gediegenere
(pltis grossier) Gottesverehrung. Ib. Ich erniedrige die göttliche Majestät
nicht (fe rabaisse la m. d.). Ib. Sie entschläft (eüe s^endort). 2, 187
Ihn zu rühren fördert nicht (ü ne s'agit pas de —). 2, 194 Alle Reize
des goldenen Alters (de fäge d'or). 2, 195 Der schmetternde Ton (le
Kollektion Spetnann. 77
rauq^te son). 2, 195 Alles nach der eingeführten Polizei (police), 2, 196
Für deinen Meister (maitre, d. h. Lehrer). 2, 197 Mittagspredigt (priche
du soir). 2, 203 Er Hess ihn verbinden (saigner). 2, 210 von der Seite
zurückführen framener du cöte) wo ich nichts zu fürchten sah. 2, 211
Eine übelberechnete Versuchung (teniaiives). Ib. Unwandelbar sein (ne
pas prendre le change). 2, 213 Er bemerkt, sie befinde sich sehr übel
(q%CeUe est fori mcU, d. h. sehr hässlich). 2, 218 ohne Verstocktheit (sans
ruses). 2, 222 Wenn Du Deinen Mann und Dein Murmeltierchen (mar-
mols) auf acht Tage hierher verpflanzt hättest (plante lä, d. h. verlassen).
2, 232 Teuer musste ich bezahlen Q^ai faUü payer). 2, 233 Ich fühlte
Scham, der Meinung zu opfern, die ich verachtete; fühlte die Achtung,
die ich ihrem Werte schuldig war (feus honte de sacrifier ä ropinion
que je meprisois Pestime que je devois ä son merite). 2, 234 unsere (ses
d. h. ihre) Versuche. 2, 236 und 242 Künstler (ariisan). 2, 248 Wer
ist in der Schmach, worin sie bald versinkt, der Urheber ihres Elends,
der Misshandlung, die sie an einem schlechten Ort von einem Unhold
erduldet, oder der Verführung, die sie dorthin schleppt, als denenige,
welcher zuerst einen Preis auf ihre Gunstbezeugungen setzte? (Lequel
est Cauteur de sa misere, du brutal qui la maltraüe en un mauvais lieu,
ou du Be'ducteur qui Cy traine en mettant le premier ses faveurs ä prix?)
2, 251 Arge Scham (mauvaise honte). 2, 256 Diese Buhe ist nur ein
Traum (n^est qu'une irhve). 2, 260 meine vorigen Fehler (mes f. passe'esj.
2, 264 Er geht aber auf die Gründe ein (il entre pour beaucoup dans
les raisons), um welcher willen ich Sie hier wünsche. 2, 268 Ich fühlte
mich mit gutem Sinne geboren (bien nee). 2, 272 Lasst uns nicht un-
ruhig werden (n'empie'tons pas). 2. 273 Gehässige (oiseuses) Fragen.
2, 277 Diesen Teil auf die unsrigen aufschlagen (repartir). 2, 286 Hat
Gott meine Vernunft darüber (au-delä) nicht erleuchtet? 2, 286 Bis ich
iUhig (ificapable) wäre. 2, 297 Das ewige Wesen wird nicht gesehen,
nicht begriffen (ne se voit ni ne s^entend). 2, 298 Sie scherzte mehr
(plaisoii plus).
Fast noch zahlreicher sind solche Stellen, in denen man den
richtigen Ausdruck vermisst. So 1, 9 Welche Ausrufungen. 1, 14 Das
Für und Gegen. Ib. Der Farbenkleister (coloris) ihrer falschen Tugenden.
1, 15 Ausgelassene Viehheit (hutale orgie). 1, 17 In ihrer ungeglätteten
(grossiere) Einfalt. 1, 17 Entzogenheit (r^trai/^^. 1, 18 befahren ^t^^«/^/
1, 19 sich berühmen. 1, 22 ihre Seelen in einander verflössen (confondre).
Ib. Sich verähnlichen (se ressembUr). 1; 23 angestelltes Wesen (feinte).
1, 26 Wandellose (inalterabU) Milde. 1, 26 Je und dann (quelquefois).
1, 29 Halten Sie mich wert, über mein Schicksal zu verfügen (daignez
disposer de man coeur). Ib. Frevel und Reue treiben mein Herz um
(agitent). 1, 30 Unbesiegliche (inalterabk) Güte. 1, 32 Das Gefühl Deiner
Verwerfung (tes remorOs). 1, 33 Weg (va), ich sehe klar. 1, 34 Die
angstvolle Empörung (les alanfnes) einer Liebenden. 1, 35 Selbstverachtung
beurkunden (temoigner), 1, 37 Der Unterricht ist mir unlieblich (j'ai
regret). 1, 38 Ein güterloser {sans fortune) Bürgerlicher. 1, 38 Ist
Deine Liebe auf dem höchsten Grade, dann Messe, sie durch gewaltsame
Mittel zwingen wollen, es auf Tragödien mit ihr anlegen (c*est Cexposer
ä des traqedies, que de Tattaquer par des moyens molents). Ib. Eine
achtzehnjährige Domina {duegne), 1, 40 Es solchen Kämpfen voraus-
thuen (pre'venier). 1, 41 Wenn ich mich mehr gefallen Hesse (quand je
deviendrois supportable). 1, 43 Der Überschwang (Fexcts) des Glückes.
1. 44 Wie grosses Recht haben Sie (que vous avez raison). 1, 46 Eine
Wahrheit) wovon Ihr Herz Sie überführen muss. 1, 47 Ihre Gedanken
winden sich ab (s'exhalent). 1, 50 Staatsmäkler (ndgociaieur), 1, 56
78 Referate und Rezensionen. K* A, M, Hartmann,
scbanderbare fvüs) Qeschenke. 1, 59 Leiden, die in beaseran Verhältnisse
stehen mit ihrer Palme (prix). 1, 61 Wer am höchsten (bien haut) über
Trennung klagt, ist hän^ nicht dasjenige, so am meisten leidet. 1, 61
Ich öffne Deinen Brief, wie sich die Strasse krümmt (au premier deiour).
1, 63 Mit Aufzählung all der Scienzen (sciences). 1, 67 eifervolle Gast-
freiheit (zele hospitäier), 1, 68 Weder sie noch ich drückten (g^ner)
einander. 1, 72 ein Ton, den ich nicht misshören (meconnaUre) kann.
1, 79 Sie stiess ein hitziges Fieber an (eUe tomba dans etc.) 1, 82 Ein
liebeklopfendes (palpilant damour) Herz. 1, 84 Der Missmut, der Dich
besitzt (assihgent). Ib. Eonnte^bh misskennen (meconnaitre) woher er
kam. 1, 88 Alles beobachtete ^fth im Bunde (de concerl). 1, 89 neu-
giervoll (ciirieux). 1, 90 W^ir Madame Delon, noch alle höheren
Schönheiten als sie, sind die Zerstreuung zu bewirken vermögend. 1, 92
Ein Unglück, woran der blosse Gedanke mich erzittern macht (tiont la
seule pense'e etc.). 1, 98 Dein kämpfendes Gewissen (tes remords). 1, 94
mit von der Heise sein (Hre du voyage). 1, 96 Eine geheime Beengung
klemmte mein Gemüt (ätouffait). 1, 99 Ich bin des Entschlusses (fai
re'solu}, meine Schuld zu vergüten (reparer). 1, 103 0 des Glückes, in
einer Sorge zu gatten, was Liebe und Tugend Reizendes haben. 1, 104
Menschen, die in gutem Verständnisse (inteüigence) leben. 1, 106 schöne
Vemünfteleien (raisonnements). 1, 107 Es ist leicht, sich loszuschrauben
(de les eluder). 1, 108 Meine seinsollenden {pretendues) Vollkommen-
heiten. 1, 111 Dass die Eismasse einmal warm (de la ckaleur) gebe.
1, 112 Nachschleichende Fussfolge unserer Muster. 1, 113 Leere Schälle
einer Sprache. 1, 115 Du hättest . Dich nicht vertrauern (ie desoier)
dürfen. 1, 115 Ist es Zeit, seine Tritte zu festigen am Rande (au fond)
des Abgrunds. Ib. Selbstverwerfung (remords). Ib. Nur der Wilikühr
des Zufalls stehe ich bloss für die Zukunft (je suis ä la merci etc.) Ib.
Nur von Glück und Klugheit ist die Frage (la question). 1, 125 Das
zärtliche Stöhnen (gemissements). 1, 128 Ein auf die Ehre seines Hauses
gesteifter fentite) Krieger. 1, 130 Jede Erstattung (reparation, d. h. Ge-
nugthuung). Ib. Ausforderung (für Herausforderung). 1, 132 verdamm-
lich (condamnable). 1, 133 Bei einem Thaler (ä un e'cu presj wissen,
was ihr Leben wert sei. Ib. Die Seelenstärke, die ihn einflösst (qui
finspirej. 1. 135 Tiersinn (brutaUte). 1, 136 Tapfermut (valeur). 1, 137
Dein ängstlicher Aufruhr (ies alarmesj. 1, 132 Im Namen eines Vetters
von ungeföhr (d'un guidam). Ib. Alle Junker Korde (lous les hober eaux)
von Europa. 1, 145 Deinem Freunde böses Spiel machen (faire un
mauvais parti). 1, 148 böse Scham (mauvaise honte). 1, 149 Nächtliche
Gedanken (funestes p). 1, 152 Massregeln nehmen. 1, 153 Um ihn
leichter zu bedeuten (däterminer). 1, 157 Gir'tige Wunde (envenimee).
1, 160 Träumerische (chim&igues) Mittel. 1, 161 Ihr Felsen, die mein
Bück so oft bemass (mesfira). 1, 162 Schief gerichtete (mai employee)
Kraft. 1. 165 Anm. Es gibt Länder, wo das Zusagen (convenance)
bloss äusserer Verhältnisse so sehr dem Zusagen der Naturen und Herzen
vorgezogen wird, dass nur jenes fehlen darf, um die unglücklichsten (les
plus heureux) Ehen zu hindern. 1, 165 Das Fahren verdumpft (alourdit),
1, 168 ein ruhevoller (iranquille) Ort. 1, 178 Unzärtlicher Mann (amant
Sans delicatesse). Ib. verlarven (deguiser). 1, 180 weiblicher (effeminee)
Brief. 1, 182 Die Seinigen (les siens, d. h. talents) sind überwiegend
(superieurs). 1, 185 Der sie höher bedarf (qui en a plus besoin) als je.
1, 186 trauerwelkes (fleiri de tristesse) Herz. 1, 187 Trennungswehen
(peines de Pahsence), 1, 188 Die Moralien (arguments). Ib. allstets
(toujours). Ib. Ersahst Du Dich je (favisois-tu jamais) Dir Krösus"
Schätze wünschend? 1, 189 Regulus in dem Umfange (au miUeu) seiner
KoüekUon Spenumn. 79
Qiialen. 1, 196 Bezaubert von den Einsichten (du savoir), die man in
den Unterhaltungen der Weiber wahrnimmt. 1, 198 Etwas, wb» ^nt
läset (titie Sorte de bon air). 1, 198 Der Finanzbediente macht den
Herren (le financier faxt le seigneur). Ib. Gewerbsmann (artisan). Fb.
Batmann (komme de palais). 1, 201 Witz ist die Wut (ta manie) der
Franzosen. 1, 201 Niederschreiben, wie die Bübin Dich geschmält haben
wollte (Ids injures qtie ia mauvaise a voidu fadresseiy, 1, 206 Ange-
betete Huldin (ohjet adore). 1, 207 Die Schwierigkeiten des Weltstudiums
(de Pe'tude du motUte). 1, 208 Entzogenheit (retraiie). Ib. Jener Unter-
redner (interlocuieur). 1, 210 Männer und Weiber, auf die Kunde der
Welterfahrung hin (mstruits par rexperiance) vereinigen sich etc. 1, 212
Ein schlagendes Kriegsheer (re'giment en hataifle). 1, 218 Dünklinge
(imperiinents). Ib. Schilderei (peinture) des Volkes. 1. 216 Verttigungen
des Wohlanstandes (les hienseances). 1, 221 Wer nähme alle meine Ge-
danken in Pflege (qui seroit le depositaire de tous mes senüments)? 1, 222
Die Frau eines Wo — bist — Du — her? (d'un parvenu). Ib. Ich
binde Dir im Voraus ein (je favertis) zu warten. 1, 226 Die holde
Scham hat ihnen niedrig erschienen (lewr a paru). 1, 227 Ein Gesicht
mit Küssen decken (couvHr). 1, 228 Die Hochgebärden (ies grands airs).
Ib. Dieses Hechtes sich zu verzichten (se r^server ce droit). 1, 229
Galanterieverbindung fliaison de galanterie). 1, 231 Theatermummerei
(representation). Ib. Sie deckten uns mit scherzhaften Zügen (accahUrent).
1, 233 gründlicher (plus sürement) lieben. Ib. verschrauben (defigwrer).
Ib. Weltgebruuch (usage du monde). 1, 236 Ich will mein Gelass (mes
aises) haben. Ib. entatmet (hors d^ haieine). 1, 238 Operist (acteur ä
Copera). 1, 239 Den Vorhang bestreifen (toucher). Ib. Opfergedüft
(enctns). Ib. Der Eckel des Volkes (le rebut du peuple). 1, 241 Das
starke Stück (les tours de force) des Gauklers. 1, 242 Das unzärtlichste
Ohr (Cor, la moins delicate). 1, 249 Eine BedrQckung (air ginä) bemerken.
1, 262 Satzungen des Wohlanstandes (des hienseances). 1, 264 Der Ge-
fahr entrettet (sauve). l, 266 Blendlinge (colifichets) von Briefen. 1, 268
Eine jammervolle (eploree) Mutter 1, 266 Ich weihe den Rest meines
Lebens Thvänen (ä pleurer) um die beste Mutter. 1, 273 Seine ganze
Federkraft (tous ses ressorts) ist erschlafft. 1, 276 Ihre Vorschritte (vos
procedes). Ib. Diese Ehre, die Sie rächen zu können sprechen (qtte vous
parlez de venger). Ib. gothische (gothigues) Maximen. 1, 267 Mass-
regeln nehmen. Ib. Zur Fülle* des Entsetzens (pour comble d*hon*eur).
1, 277 Die Blüten meines Gesichts (les aarements). 1, 281 Der Ball (le
jouet) einer eitlen Hoffnung sein. 1, 284 Die Gefühle, die mich um-
treiben (qui m*agitent). Ib. Dieser Busen, in vollen Sprudeln (ä gros
bouillons) Blut und Leben verströmend. 1, 286 Das Gefühl der Selbst-
verwerfung (les remords). 1, 286 Die Achtung, womit ich Sie umfasste
(que feus pour vous). 1. 290 Der Vorschlag verstrickte mich aufs
äusserste (mit le comble ä mes perplexite's). 1, 294 Was ward mir, als
ich sah! 1, 294 Mit Schmerz in die Gruft sinken. 1, 296 Abmüdung.
1, 297 Ihr Brief vollendete mein Irrsal (acheva de m*ägarer). 1, 299
Ihr gesammelter kiiBtB,nd(maintien). Ib. gewichtsvoll (important) für
das Glück. 1, 302 Mit Ängstlichkeit über dem Gottesdienst haltend
(dttachäe au culte public). 1, 303 Diese Grösse verekelt ihm (le d^goüte
de) ihren Hochmut. 1, 304 Schirmhalter (garant). 1, 312 Holdes Wonne-
verschweben (donces extases). Ib. Köstliche Lebenspunkte (moments).
2, 6 Er spricht in einem grossen Sinne (d'un aratul sens). 2, 8 Mit
dem, dass sie sich als Liebende zu sehr liebten (pour s^itre irop aime's
amants), bringen sie es dahin, dass etc. 2, 9 Ich befahre (je risque)
ihn zu offenbarem Nachteile (ä pure perte) zu betrüben. 2, 11 Ihr Ge-
80 Referate und Rezensionen. K. A. M. Hartmann,
müt saugt sich an alles an (s'atiache). 2, 11 Strebeziel (objet). 2, 16
Unzählbarer (insolvahle) Schuldner. Ib. Was heisst das sagen (qu'esi-ce
ä dire)? 2. 19 Das ^]oL\}i'&A%eh^\i (les raisonnemenis). 2, 23 Unzärtlicher
Mann der Liebe (amant sans delicatesse). 2, 28 Vortod (mori anOctpee).
2, 33 Wirrwesen (embarras), 2, 34 Ungelogen (satis meniir). 2, 35
Das Erlauen (atiiedir) meines Herzens. 2, 36 Die ankirrende (agagant)
Miene. 2, 41 Geglättete Völker (p. polis). 2, 47 Nach einer so süssen
Bewältigung (saisissemeni) verschlingen sich (se confondent) unsere
Stimmen. 2, 55 gütevoll. 2, 56 Mein Handwerk ist es zu kippeln (quereller).
2, 59 Warten, bis er meiner leidig geworden (s'ennvyer avec moi). 2, 68
Du seist eine Närrin auf mich (folie de moi). Ib. Älterrecht (droit
d^ainesse). 2, 64 Luststück (parterre). 2, 71 Afterkonzilien (conciiiabtiles).
2, 72 Stubenhüterische (casaniere) Schlaffheit. 2, 73 Durch Kreuzigen
und Quälen (ä force dÜmporiunites). Ib. Der Verstand kann sich ver-
Bchweifen (s'egarer). 2, 77 In tieferer Ferne (de plus hin). 2, 78 Emst-
gemessenheit (gravite). 2, 65 Die Pflichten, wogegen (pour lesquels) die
Sitte und der Lärm der Welt nur Ekel einflössen. 2, 87 Niederlassung
(eiablissement) = Verheiratung. 2, 89 Dieser vorgegebene (preiendu)
Baumgarten. 2, 100 afterkünstliche (factice) Ordnung. 2, 102 Meine
Einsichten (lumieres). 2, 104 Die Urfeder (le principe) meines Wesens.
2, 105 Oartenhelfer (garqon jardinier). 2, 108 Mein Benehmen sieht
(a Vair) abenteuerlich. 2, 108 Wenn ihr eins des andern geworden
wäret (si vous aviez ete Fun ä Vautre). 2, 112 Ein aus Deinem Charakter
gehender (qui sort de ton car acter e) Sinn. 2, 114 Unerlässliches (irre-
missible) Verbrechen. 2, 116 AiFektvolle (affeciueuse) Unterhaltung. 2, 116
Probehaltige (solides) Gründe. Ib. Übermannungen (defaites). 2, 117
Ich überhudle (je brouiUe) meine Geschäfte. 2, 118 Ihre Kinder Söld-
lingshänden (mains mercenaires) anvertrauen. 2, 119 AusschafiPung
(exactitude). 2, 120 Ich verschatte (ftfface) ein Gemälde durch ein
anderes. 2, 124 Zusammensprechende (correspondants) Winkel. 2, 126
Schirmorte (des abris), 2, 129 allstets (tovjours). 2, 134 Kindergesause
(iracas des enfants). 2, 136 Ein der Weisheit angeschlossenes (otiachee)
Glück. Ib. Unfühlend (insensible) für die Freude. 2, 147 Auf Juliens
Anstehen (ä rinstance). 2, 150 Vertragleistender (coniractant). Ib. Ich
bin nicht ungeständig (je ne disconviens pas), dass der Bau (la cu/ture)
meiner Güter mir Kosten macht. Ib. Überschwang (exces). 2, 15o
Mildigkeit (charite). Ib. Ich bot Julie Fehde (fe fis la guerre ä J.).
Ib. Eingeschneizel (ragoüts). 2, 156 Nachdrucksam (avec empkase).
2, 159 Eine mit Ausdehnungskräften begabte (expa?isive) Seele. 2, 164
verschatten (abrutir). 2, 165 köpfisch (titu). 2, 167 Brustflösse (fluxions
de potirine). Ib. Sonnenschüsse (coups de soleü). 2, 168 Eine uner-
leuchtete (peu ^ckiree) Mutter. 2, 178 Mündigsprechung zum Wort-
führen (emancipaiion de parole). 2, 176 Blütenleere (sterile) Kind-
heit. 2, 178 Heimlich unter den Fuss geben (snggerer). 2, 181 Ge-
wissen Schlages (ä coup sür). 2, 183 Gewährsquelle (auiorite). 2, 187
Massnehmung der Vorsicht (pre'caution), Ib. Sie von ihren Befürch-
tungen emporraffen (la rassurer sur). 2, 190 Prozesskrämer (plaideurs).
2, 191 Ein Erhallen (reteniissemeni) der Fröhlichkeit. 2, 194 Wohl-
diener (parasiies). 2^ 201 Empfindlich (sensible, d. h. dankbar) für meinen
Eifer. 2, 209 Systemenfreund (komme ä systemes). 2, 211 Von fernher
beziehend (indirectemeni). 2, 215 Über ihre Andränge (atteintes) erhaben.
2, 222 Auf den Herrn und Meister stechen (trancher du seignevr). 2, 229
Kinder eines zweiten Bettes. 2, 237 Der sich ihre Kinder zu üben vor-
setzt (se propose), 2, 240 Die hohen Mienen (les grands airs) der Frem-
den. 2, 251 Die Mittel wären der göttlichen Macht anständig (convenoient).
Koüektion Spemann. 81
2, 254 Verschwebungen (egarements) der Vernunft. 2, 263 Mein Ver-
bundener (mon allie). 2, 264 Soll ich bis zum Ziele (jusqu'ati hont) geben ?
2, 265 Du hast mir nichts mehr zu entraffen (deroher). 2, 270 Alle
meine Vermögen (toutes mes faculies) sind dahin. Ib. Die Freuden, die
im Bezirke meiner Kraft (ä ma portee) liegen. 2, 272 Gottesliebe (amour
de Lieu). Ib. Andächtler (devot). 2, 278 Junge Personen Q'eunes
personnes), 2, 283 Sie durchstiessen die Luft mit ihrem Geschrei (pergoient),
2, 286 Mein Sinn ist gleich unverkrümmt (la droiiure d'intention est la
mime). 2, 288 Diese Ideen hegen den Unglauben mit Mutterwärme
(fomentent). 2, 292 Nichts was mich übel von ihm zu weissagen ver-
anlasst hätte (qui me fit med augurer de lui). 2, 298 Sprachfertigkeit
(sentence). 2, 302 Ihre Arme in ausspannender Bewegung (ses bras en
contraction). 2, 308 Ich sterbe um eins mehr (une fois de plus) u. s. w.
Nicht wenig tragen endlich die zahlreichen Druckfehler dazu bei,
den Text zu verdunkeln oder gar zu entstellen. Auch hier geben wir
nur eine kleine Auswahl; 1, 6 Er sage es, wem er will (s^ü veut), der
ganzen Erde. 1, 19 Zuverlässig ist die Ihrige, nicht so die knechtische.
(Das Komma zu streichen.) 1, 46 In dem Herzen de^ (= der) Geliebten.
1, 52 Weil ich fromm gewählt hatte, erhielt ich wie Salom^ (= Salomon,
vgl. 1. Könige 3, 13) neben dem, was ich erbeten, auch das, um was ich
nicht bat. 1, 64 Alle»? aufbieten. 1, 84 Ein Verbrecher (= Verbrechen).
1, 89 Dein Bild wützt (= stützt) jene wie diese. 1, 98 Alle Gedanken,
die ich vor (= von) der Liebe gedacht. 1, 109 Ihre Schmeicheleien sind
weinem Sinne (en un sens) Wahrheiten. 1, 65 Fuhr ihr (= ich) fort.
1, 60 Die einst zu ^ben (aimer) wusste. 1, 162 Die Vernunft hält sich
nur (fehlt: durch) dieselbe Rüstigkeit der Seele. 1, 174 Beiil9piel (exemple).
1, 178 EntZ>ehrung (deshonneur), 1, 179 Die Vergangenheit entehrt
mich (nCavilit). 1, 180 In meinem (dans un cceur). 1, 181 Missgriffe —
machen dem, der sie mehr verbessert, Ehre als dem, der sie verzeiht
(= machen dem, der sie verbessert, mehr Ehre etc.) 1, 182 Da^^ sie
nicht kennen (puisque). 1, 184 Eine Anzeige (un indice, = Anzeichen).
1, 187 Fraito (= frutto) senile in suH giovenil siore (= fiore). 1, 188
Die Entzückungen, die uns über uns selbst (fehlt: e'levoient) bei der Er-
zählung jener Ueldenthaten. 1, 191 Anhänglichkeit (dependance). Ib.
0 qtial siamma (= fiamma). 1, 199 mi trasise (= trafise). Ib. Er passt
nicht wenig (moins). 1, 213 Die heurigen Autoren (les a. d^aujourahui).
1, 215 Unvermerkt urteile ich, weil (comme) ich die ganze Welt urteilen
höre. 1, 224 Der grösste (ia nlupart) der Beobachter. 1, 236 Welche
Flammenströme dringt (puiseni) mein durstiger Blick aus diesem Bilde.
1, 238 entwehrt werden (deshonorer), 1, 246 Köstliches (artificiel) Rot.
1,291 Mein Vater würde mir den Tod geben oder meinem Geliebten
(= meinen G.). 2, 13 Wenn ich glaube (si je croyois). Ib. Wenn Dein
Sklave />ich (= sich) tötete. — Zwei Zeilen weiter unten fehlt „Dich".
2, 14 Und fragten Sie (= frage Sie). 2, 15 Absehen vor dem Streben
(== Ste^rben). Ib. Fehlt der Name des Cato nach dem des Brutus und
Cassius, wodurch der Sinn des Satzes unverständlich wird. 2, 30 Mit
einem deutschen (chasle) Mädchen. 2, 31 Dich (= die) ich zu finden
glaubte. 2, 35 Eine, die ihre Gefühle nur in der Masse (ä mesure) aus-
haucht, als man sich ihnen hingibt. 2, 40 vento insido (= infido).
2, 52 Ein martialisches Äussere, das ihm um so besser als sein Gebärden-
spiel steht, feurig und rasch, wenn er lebhaft wird, ernster und ruhiger
ist , als sonst (qui lui sied d'aulant mieux que son geste, vif et prompt
quand il s'anime, est d*ailleurs plus grave et plus pose qu'autrefois.
2, 65 Linden, die den Eingang beArränzten (bordoient). 2, 66 Ihr Blick
allein be/euert (anime) ihren Eifer. 2, 74 Machen «ich (= sie) des
Zschr. f. firz. Spr. a. Litt. XR g
82 Referate und Rezensiotien, £^. A. M. Bar (mann,
Dienstes unföhig. 2, 101 Ich habe zwei Standen meines Lebens in diesem
Elysium zugebracht, denen ich eine (= Areine) Zeit meines Lebens vorziehe.
2, 111 Des B^^andes (secours) der Tugend. 2, 113 Du wirst nich/ (f. nichta)
sehen. 2, 138 Dass ihre Wohlthaten ihr (leur) lästig werden. 2, 164 Ein-
tracht und Sitte geleiten ^\ch (f. sie). Ib. Man kann sich (= sie) zwingen.
Ib. Man kann die Menschen verdfndern (f. verhindern). 2. 184 in meiner
(f. einer) Art von Vernichtung. 2, 192 Minder genötigt (exerce) als die
andern. 2, 193 Wissen Sie, wodurch Klara (d. h. Ciarens!) mir gefallt?
2, 204 verwundet (surpris). 2, 214 Alles vereinigte sich, sie (f. mich)
richtig zu leiten. 2, 227 Worüber er den (f. der) ersten vergass. 2, 231
Es leben die Duennen von zwanzig (de vingt ans). 2, 253 Sie haben
(f. habe) meine Einbildungen zum besten {qxCeUe abuse). 2, 255 mio
temro (f. tempo). 2, 262 müssten sie mir die Ehre rauben (hier ist
übersprungen: a elever vos enfants, vous ne m'dierez point les verius)
die ich von ihnen habe. 2, 267 ohne Rückfall (sans reserve). 2, 278
6. Zeile von oben steht wnd für: um. 2. 286 Diese Heste eines Lebens,
die das Le^en wegsaugt (obsorbe's par la souffrance). 2, 288 Sie 8tr<?ben
als Wärterin (vous mourez martyre). Ib. Sie hielt hin (f. ihn) zurück.
— Fast zahllos sind die Fälle, wo die Fürwörter Sie, Ihr, Ihuen mit
kleinem statt mit grossem Anfangsbuchstaben gedruckt sind, und um-
gekehrt, ebenfalls ein Umstand, der das Verständnis erheblich erschwert.
Aus diesen Anführungen, die wir aus dem reichen uns vorliegenden
Materiale herausgreifen, dürfte zur Genüge hervorgehen, dass die in
Rede stehende Übersetzung der Nouvelle aelöise ein so gut wie wert-
loses Erzeugnis ist, vor dessen Gebrauche geradezu gewarnt werden
muss. Einer solchen Leistung gegenüber sich alle Rechte vorzubehalten,
wie es die Verlagshandlung thut, war kaum von nöten. Denn schwer-
lich werden nur einigermassen einsichtsvolle Leute versucht sein, sich
eine solche Waare anzueignen.
7) Rousseau' s Bekenninisse, übersetzt von J. G. Heusinger. Mit einer
Einleitung von Prof. Dr. Stephan Born. 3 Bde.
Wahrhaft erleichtert atmet man auf, wenn man von der oben
beschriebenen Übersetzung der Nouvelle Beloise zu derjenigen der Con-
fessions übergeht. Zeichnet sich die erstere durch ein fast unerträglich
zu nennendes Mass von Sprachwidrigkeiten und Übersetzungsfehlern au8,
verbunden mit einer weitgehenden typographischen Nachlässigkeit, so
hebt sich die Verdeutschung der Confessions in der vorteilhaftesten Weise
davon ab. Sie steht zunächst in stilistischer Beziehung sehr hoch. Hier
findet man eine wirklich natürliche, gefällige, gewandte Sprache, die
dem Originale gegenüber ihre volle idiomatische Selbständigkeit zu
wahren weiss, und dabei doch nicht der Untreue geziehen werden kann.
Verfasser dieser Übertragung verfügt über eine weit umfassendere Kenntnis
der Sprache, und die unrichtigen Wiedergaben, die bei einer Nach-
prüfung aufstossen, sind weder so zahlreich, noch so gröblicher Art, wie
in dem erwähnten Falle. Endlich trägt auch die viel grössere Korrekt-
heit des Druckes nicht wenig dazu bei, dass man die Lektüre dieser
Bände wirklich mit Vergnügen geniessen kann. Referent gesteht, dass
er nur einen Teil dieser Übersetzung genau mit dem Originale verglichen
hat, nämlich die ersten 70 Seiten des ersten Bandes. Das Ergebnis
dieser Arbeit war ein so günstiges, und der sich aufdrängende Gesamt-
eindruck ein so vertrauenerweckender, dass es nicht angezeigt schien.
Kollektion Spemann. 83
das ganze Werk einer eingebenden Prüfung zu unterziehen. Die kritische
Ausbeute war eine sehr geringfügige, und die betreffenden Einzelheiten
lassen sich rasch anführen.
Unter dem Gesichtspunkte des Stils möchten wir den Ausdruck
„Frauenzimmer" beanstanden, der sich wiederholt (S. 18, 28, 24, 41)
im edelsten Sinne findet. Diese Besonderheit möchte vielleicht darauf
deuten, dass wir es auch hier mit einer Übersetzung älteren Datums zu
thun haben, die man einer modernisierenden Überarbeitung unterzogen
hätte. Wenigstens dürfte jetzt schwerlich noch Jemand sagen, wie es
auf S. 18 heist: „Die Seelenreinheit dieses vortrefflichen Frauenzimmers.^
Ferner wird man in einem deutschen Texte die Verkleinerungsform
Suzon kaum dulden dürfen, sondern dafür zu sagen haben: Suschen;
ebenso wie man MademoiseUe Goion (S. 37) nicht stehen Ia»Ben darf für:
Fräulein Gretchen. Was heisst es, wenn man S. 55 Messt: In Turin habe
ich den Degen, wie man zu sagen pflegt, mit meinem Rücken ansehen
müssen? Es möchte sehr bezweifelt werden, dass diese Wiedergabe
denselben Eindruck macht, wie die Stelle des Originals: Je rne passois
Fepee, comme on du, au travers du Corps, womit bekanntlich ausgedrückt
wird: Ich verkaufte den Degen und verzehrte den Erlös desselben.
Wirkliche Unrichtigkeiten sind uns, wie schon bemerkt, in dieser
Übersetzung nur selten aufgestossen. So wird man S. 24 nicht sagen
können: Mein Magen empörte sich schon bei der Erinnerung, für das
französische: Le cceur me soulevoit. S. 26 ist fangeux nicht schlüpfrig,
sondern schmutzig. S. 29 heisst $e meiire en nage sicher nicht : sich ins
Wasser stürzen, sondern: sich in Schweiss bringen. S. 49 „ohne dass
ich mich erniedrigen- muss, es ihm zu sagen" deckt sich nicht mit: sans
que je m'appesantisse ä le lui dire. S. 50 liest man : Viel oder wenig
(Petit ou grand), ich erinnere mich nicht, dass ich je in meinem Leben
auch nur das geringste an Geld gewonnen habe. Es ist klar, dass hier
ein Fehler vorliegt. Ebenso ist es S. 58 nicht richtig zu übersetzen:
„In dem Gedanken zu reisen, kam ich nach Cousignon.*^ Das Original
hat ä force de voyager etc. S. 67 heisst es: „Der Bauer, der mit uns
speiste." Damit wird aber der Sinn des Originals verwischt, das hier
lautet: qui dtnoit pour nous. Die beiden anderen Tischgenossen essen
nämlich sehr wenig, der Bauer aber um so mehr.
Auch die Druckfehler beschränken sich auf eine sehr geringe Zahl
Erhebliches hierin ist uns nur aufgestossen auf S. 49, wo man „Werk"
(instrument) für „Werkzeug" liest, und auf S. 50, wo eine Zeile ausge-
fallen ist, in dem Satze: „Ich werde weniger von dem Gelde versucht,
als von den Dingen, denn zwischen das Geld und den gewünschten Be-
sitz und den Genuss aber kann nichts treten." Es fehlt hier nach dem
Worte „Besitz" die Übersetzung von: ü y a toujours un interme'diaire ;
(au Ueu qv!)entre la chose mime.
Diese wenigen Stellen, wo die vorliegende Übersetzung noch der
bessernden Hand bedarf, sind durchaus nicht dazu angethan, den vor-
teilhaften Eindruck, den das Ganze macht, zu verwischen, und dieser
beruht, wie gesagt, wesentlich auf dem fliessenden, gut deutschen Über-
setzungsstil in Verbindung mit der sorgfältigen Wiedergabe des Originals.
Eine nützliche Beigabe ist die vorausgeschickte, von Prof. Born verfasste
knappe Charakteristik Eousseau's als Mensch und Schriftsteller.
6*
84 Referate und Rezensionen. K, A, M. Hartmann,
8) B, de Saint-Pierre, Baut und Vtrginie. Mit einer Einleitung und
in neuer Übersetzung von Karl Saar. (1 Bd. von 207 S.)
Auch hier ist die Arbeit des Rezensenten erfreulicherweise eine
sehr angenehme. Denn ist schon die blosse Eenntnissnahme dieser Über-
setzung mit ihrer klaren, edlen, glatt hinfliessenden Sprache, die sich
der des Originals würdig an die Seite stellt, ein wahrhafter Genuss, so
verdient andererseits auch die Treue und Sorgfalt der Verdeutschung
warme Anerkennung. Auf jeder Seite merkt man, dass der Übersetzer
den Forderungen der franzöäischen Sprache nicht minder gerecht zu
werden weiss, als den Forderungen der deutschen Sprache, und so ist
es ihm gelungen, da.s berühmte Tropenidyll unserem Publikum in einer
würdigen Form vorzuführen, welche zugleich, dies sei ausdrücklich be-
merkt, das ganze, unverkürzte Original wiedergibt. Ein so treffliches
Werk möchte man allerdings auch von kleinen Fehlern frei wissen,
und dieser Wunsch bestimmt uns, die Stellen in Kürze hierher zu setzen,
die noch einer Verbesserung bedürftig sind.
In Bezug auf den Ausdruck erscheint nicht ganz glücklich:
S. 2ß Sie säugte (aUaitoit) ihr Kind (andererseits dafür besser: stillen).
S. 37 Moralpredigerei. S. 60 Der Kristallschmuck eines Lüsters (lustre,
d. h. Kronleuchters). S. 66 Ansprache für appeüation wäre besser durch :
Bezeichnung zu ersetzen. S. 90 Knirschende Fluten (eaux mugissantes)
ist sicherlich nicht deutsch. Bei dem Ausdrucke (S. 91): Der Garten
war gänzlich verschwemmt und vermuhrt (le jardin ätoit bouleverse par
d'affreux ravins) werden viele Leser vor einem Rätsel stehen. S. 105
„Prächtige Bassins" wird schwerlich jedermann richtig auffassen. S. 136
Die Überzahl der Menschen ist eine mindestens sehr ungebräuchliche
Wendung für: le reste des hommes. S. 143: „Deine niedrige Geburt
verrammelt (ferme) Dir jeden Weg zu Staatsämtern. " „Verschliesst**
wäre wohl der angemessenere Ausdruck. S. 179 liest man: Acht der
angesehensten Familientöchter (huit demoiselles des plus considerables),
S. 190 Du hast nur mehr (ne plus que) jene auf der Welt etc. S. 197
Ich habe das Weltmeer überschifffc (traverse). S. 201 Die Vernunft des
Menschen ein Abklatsch (une image) der göttlichen Weisheit.
Kleine üngenauigkeiten sind zu verzeichnen S. 30 und S. 79
„Roggen** für froment. S. 48 Am Fusse des Baumes ein Feuer an-
machen (meitre le feu au pied de ce palmiste). S. 66 Buschneger (noirs
murrons). S. 78 Feurige Pfeile (gerhes lumineuses). S. 87 Einer jener
furchtbaren Sommer, welche von Zeit zu Zeit die Tropengegenden heim-
suchen, herrschte verwüstend auch bei uns (vint etendre ici ses ravages),
d. h. kam mit seinen Verwüstungen auch hierher). S. 172 Ein fahles,
schales Zwielicht (une lueur olivätre et blafarde), S. 204 Der gerechte
Himmel gibt (envoie) grausamen Seelen die fürchterlichsten Glaubens-
meinungen (suppUces) ein.
Der Text ist korrekt bis auf folgende Kleinigkeiten: S. 42 Nach
reiflicher Überlegung habe sie dem Herrn La Bourdonnaje bestens
empfohlen. Hier fehlt das Objekt: sie. S. 50, 9. Zeile von oben: un-
beAannt, für unbenannt. S. 66: rührende iSa^en (noms touchants), S. 91
Bengalisten (= bengalis). S. 147 Der Himmel hat dir Freude (des amis)
feschenkt. S. 185 Die Stelle, wo sie vor Müdigkeit nicht mehr weiter
onnte/i (dafür lies: konnte), nach dem Original: oü eüe s'assit ne pouvant
plus marcher. Ein Druckfehler erklärt wohl auch den Übersetzungsfehler
auf S. 138 die hier sogenannten Apfelbäume (bois de gomme).
Ein empfehlendes Wort verdient auch die Einleitung über Bernardin
der Saint -Pierre. (S. 5->16) Vielleicht könnte der Stoff darin etwas
Gudin de la Breneüerie, Hisioire de Beaumarchais. Memoires etc. 85
methodischer geordnet sein, trotzdem aber werden diese in ungemein
warmem Tone geschriebenen Seiten den Leser gewiss fesseln. Von dem
sprachlichen Können des Verfassers erhält man gleich hier einen vorteil-
haften Eindruck. K. A. Maktin Hartmann.
Block, John, Beiträge zu einer WUrdigung Diderofs (äs Dra-
matiker. Königsberger Dissertation. Königsberg, 1888.
Bnchdrucketei von R. Leupold. 78 S. 8^
Eine jedenfalls fleissige, mühevolle Arbeit, die das über
Diderot's ästhetisch-dramaturgische Anschauungen und Rührstücke
im wesentlichen schon bekannte eingehend zusammenstellt und
auch die dramatischen Fragmente des Aufklärungsphilosophen
sorgfältig bespricht. Durch dieses (III.) Kapitel (S. 34 — 78) ge-
winnt die Abhandlung eine mannigfach selbständige Bedeutung.
Als Zeugnis, dass die jüngeren Fachgenossen sich vom
Mittelalter mehr und mehr zur Litteratur der Neuzeit, namentlich
zu dem vielfach bahnbrechenden XVIII. Jahrhundert wenden, ver-
dient auch diese Dissertation Beachtung und Anerkennung.
R. Mahbenholtz.
Gudin de la Brenellerie, Histoire de Beaumarchais. MSmoirea
inidits puhliis sur Ua mss. originaux par Maurice
Tourneux. Paris, 1888. E. Plön, Nourrit & C**.
XXVm, 508 8. 8^. Preis: 7 fr. 50 cent.
Zu den vertrautesten Freunden des litterarischen und poli-
tischen Abenteurers Pierre -Augustin Caron de Beaumarchais ge-
hörte ein jetzt ziemlich vergessener Schriftsteller des achtzehnten
Jahrhunderts: Paul-Philippe Gudin de la Brenellerie. Aus einer
französischen Familie des Waadtlandes stammend, ist Gudin
am 6. Juni 1738, also sechs Jahre später als Beaumarchais, in
Paris geboren. Wie sein bedeutenderer Zeitgenosse war auch
er der Sohn eines Uhrmachers. Ob er in Genf Theologie studiert
habe, wie seine Witwe behauptet, ist nicht authentisch nach-
zuweisen; wir wissen nur, dass er, vermutlich von Genf aus,
nach Femey zu Voltaire gepilgert ist. In litterarischer Hinsicht
hat er seit 1760 sich durch Tragödien, die teils der antiken
Legende (Agamemnon^ s Tody C M. Coriolanus, Lykurg und
Solonjf teils der französischen Geschichte (Lothar und Waldrade,
Hugo d. Or.) angehören, teils durch ein Epos zur Verherrlichung
von Karl's VIII. Zug gegen I^eapel, teils durch gereimte Er-
L
U
86 Referate und Rezensionen. C. This,
Zählungen kulturhistorischen Inhalts, teils durch einen unvollendet
und unveröffentlicht gebliebenen Essai sur le progrls des arts et
de Vesprit Tiumain soics le r^gne de Louis XVy den Beifall der
Correspondance litter aire, phüosophique et critiquey aber keine
bleibenden Erfolge errungen. Seine Tragödie Lothaire et Valdrade
wurde wegen ihrer antikatholischen Tendenz am 28. September
1768 zu Rom feierlich verbrannt und trotz mehrfachen Wieder-
abdruckes von den Frommen fast gänzlich aufgekauft und ver-
nichtet. Seine Freundschaft für Beaumarchais musste er mit
seiner Haft im Temple büssen, wofür er sich durch eine anonvme
Satire rächte. Voltaire's Andenken feierte er durch einen Eloge
und verteidigte auch seine Geschichtswerke und die ihm von
der französischen Revolution erwiesene Ehre der Beisetzung im
Pantheon. Mit dem Jahre 1789 warf er. sich auf das Gebiet
der Zeitpolitik, wurde aber trotz oder wegen Beaumarchais^ Em-
pfehlung nicht zum Volksvertreter gewählt und sogar als Royaiist
verdächtigt, weil er (1790) in einem Supplement au Contrat social
das monarchische System verteidigt hatte. Er floh nach dem
Dörfchen Marcilly bei Avallon, kehrte später nach Paris zurück,
suchte aber nach dem 18. Fructidor sein Asyl wieder auf. Seinen
Freund Beaumarchais Überlebte er um fast dreizehn Jahre und starb,
nachdem er sich später verheiratet hatte, um 26. Februar 1812
zu Paris, wohin er sich nach dem Sturze der Jakobinerherrschaft
wieder gewandt hatte.
Das Manuskript der Histoire de Beaumarchais ist bereits
von den Biographen Beaumarchais^ Lomenie und Bettelheim, be-
nutzt worden; Tourneux ist ihr erster Herausgeber, wobei er
von Herrn Eugene Lintilhac, der ein anderes Manuskript des
Werkes eingesehen hatte, unterstützt worden ist. Wir haben uns
länger bei Gudin's Biographie, die Tourneux in der Notice pre-
liminaire gibt, aufgehalten, weil wir über die Histoire de Beau-
marchais selbst wenig zu sagen haben. Durch die Publikation
hat Tourneux zwar Gudin, aber nicht Beaumarchais einen Dienst
geleistet, denn was wir über letzteren erfahren, ist schon durch
Sainte.-Beuve, Lomenie und namentlich durch Bettelheim genauer
und ausfuhrlicher bekannt. Gudin's Werk ist natürlich pane-
gyrisch und leidet an einer grossen Überschätzung der Dichter-
begabung Beaumarchais', nebenbei auch an mannigfacher Un-
kenntnis. So bedauert Gudin, dass sein Freund nicht bei den
Jesuiten, ces excellents instructeursy studiert hätte, die würden ihn
u. a. auch mit dem Aristophanes bekannt gemacht haben. Was
wir aber durch Voltaire, Morellet u. a. über jesuitische Dressur-
anstalten des achtzehnten Jahrhunderts wissen, lässt dieses Be-
dauern in sehr zweifelhaftem Lichte erscheinen, namentlich ist
A, Boming, Die oslfrz. Grenzdialekie zwischen Metz u. Beifort 87
die griechische und grossenteils aach die römische Litteratur der
besseren Zeit in ihnen sträflich vernachlässigt worden. Über
Katharina IL Verhältnis zu Beaumarchais' Ausgabe der Werke
Voltaire's ist Gudin wenig unterrichtet. Wenn die berechnende
Herrscherin den Druck der grossen Ausgabe nach St. Petersburg
ziehen wollte, so leitete sie nicht der Eifer für die Sache, sondern
der Wunsch, die Veröffentlichung ihrer Korrespondenz mit Voltaire
zu überwachen und einzuschränken. In diesem Sinne hat sie
ihrem litterarischen Agenten Grimm in Paris bindende Instruktion
gegeben.
Tourneux hat der Histoire eine Anzahl schätzenswerter
litterarischer Notizen und drei Anhänge beigefügt, unter denen
ein von Beaumarchais unterdrückter Widmungsbrief des Mariage
de Figaro an Ludwig XVI. und Marie Antoinette und ein darauf
bezüglicher Brief des Abb6 Sabatier de Castros, Voltaire's Gegner,
an Gustav IIL von Schweden besonderes Interesse haben.
Immerhin ist Gudin*s Werk zwar wegen der nahen Be-
ziehungen des Autors zum Helden von Bedeutung, aber weder
eine parteilose, noch eine besonders wichtige Quellenschrift.
R. Mahbenholtz.
Horning, Adolf, Die ostfranzösischen Chenzdialekte zwischen Metz
und Beifort Mit einer Karte. (Französische Studien^
herausgegeben von G. Koerting und E. Koschwitz, V. Bd.,
4. Heft.) Heilbrönn, 1887. Gebr. Henninger. 122 S.
gr. 8^. Preis: M. 4,40.
Seit wenigen Jahren erst ist man bestrebt die Dialekte
unter Zugrundelegung der Forderungen, welche eine wissenschaft-
liche Behandlung derselben erheischt, zu bearbeiten. Auf diesem
Gebiete haben wir bis jetzt nur wenige gute Arbeiten der Art
zu verzeichnen: von Ascoli für das Italienische, von Gärtner für
das Rätoromanische, für das Französische von Oornu, Joret,
Gilli^ron, für das Rumänische von Tiktin. Diesen Arbeiten stellt
sich ebenbürtig an die Seite die obige Schrift Homing's über
die ostfranzösischen Dialekte zwischen Metz und Beifort.
Das sehr bedeutende Material, welches Verf. in den Jahren
1883 — 1886 gesammelt hat und welches aus siebenundsechzig
Ortschaften Lothringens und der Vogesen, die an der Sprach-
grenze zwischen Metz und Beifort liegen, stammt, ist zum grössten
Teil vom Verfasser an den Orten selbst gehört und aufgezeichnet
worden. Für die wenigen, von ihm nicht selbst aufgesuchten
Ortschaften hat er das Material von Eingeborenen erhalten. Die
88 Referate und Rezensionen, C, This,
von mir in den unmittelbar an der Sprachgrenze gelegenen Ort-
schaften gemachten sprachlichen Erhebungen stimmen, abgesehen
von unbedeutenden Einzelheiten, ziemlich genau mit den von
Homing gemachten Aufzeichungen überein. Der behandelte Wort-
schatz ist graphisch genau fixiert worden. Bis auf zwei Punkte
bin ich mit der Lautbezeichnung des Verfassers einverstanden.
Verfasser hätte zwischen e- und z- Nasal unterscheiden sollen;
ich habe auch t;- Nasal gefunden. Da er femer den dem fran-
zösichen ch entsprechenden Laut mit j bezeichnet, so wäre es
wohl folgerichtiger gewesen, wenn er den entsprechenden sanften
Laut mit z (statt mit j) wiedergegeben hätte, zumal er s für den
scharfen «-Laut und z fUr den sanften schreibt.
Verfasser gibt S. 7 — 86 eine ausführliche Lautlehre des
ganzen Gebietes, an welcher die Methode und die Klarheit der
Darstellung besonders hervorgehoben zu werden verdienen. Dabei
geht er naturgemäss vom Lateinischen aus. Beim Vokalismus er-
gibt sich die Anordnung von selbst. Beim Konsonantismus werden
zunächst die Gutturale (h, c vor a, o, u und vor Konsonanten,
c vor e und i, g und j, qu) behandelt, an welche s (x) und r
angeschlossen werden; dann folgt die Darstellung der Dentalen
(d, t), der Liquiden (7, m und n) und der Labialen C5, jp, /, v
und deutsches w).
Dadurch dass mehrere unter einander verwandte, lautlich
aber verschieden gefärbte Mundartgruppen verglichen werden, ist
es dem Verfasser möglich geworden in die Erklärung der meisten
lautlichen Erscheinungen einzudringen. Ganz besonders interessant
sind die Exkurse über dem Lothringischen eigentümliche Laut-
erscheinungen: S. 34 ein historischer Exkurs über e, S. 56 die
ce- Laute, S. 58 vortoniges o im Hiat zu aw, S. 81 das Ver-
hältnis der Laute / (li) zu s (j), S. 84 die Aussprache der sanften
Konsonanten am Wortende.
Zu § 3 und S. 82 bemerke ich: Die Form syqV erstreckt
sich in A von Deutsch -Oth bis Rollingen; im übrigen A- Gebiet
findet sich der o-Laut, und zwar in der Form jföZ', in B und C
überall a, und zwar für B in der Form säl\ flir C in der Form
^äl\ Für D glaube ich einen Laut zwischen a und q konsta-
tieren zu können, den ich mit oo und mit oa bezeichnete, je
nachdem der Laut dem a oder dem o näher kam.
Zu § 73. Mit der Bezeichnung ly für Vorlage i -\- no kann
ich mich nicht einverstanden erklären. Das Aussprechen von
reinem geschlossenen i -f- blossem Ansatz zur Artikulation des
n (y) kann ich mir nicht denken, ohne dass dieses i nasaliert
wäre. Ich erkläre mir den Vorgang folgendermassen. Zwischen
ursprüngliches i -f- n schob sich als Übergangslaut von i zu n
A. Hommg, Die osifrz. GrenzdialekU zwischen Metz ti. Belfori, 89
eis »-Nasal (l) ein, so dass i^n entstand. Das reine i ver-
schwand mit der Zeit; von n blieb ein blosser Ansatz zurück,
den man in Ermangelung eines besseren Zeichens mit y be-
zeichnen mag, so dass die Aussprache wohl eher %y ist. Diesen
Laut habe ich in einigen Ortschaften des D- Gebiets notiert
Den Ansatz zur Artikuiierung des n fand ich in A nicht mehr
vor, sondern nur % (V-Nasal), dem bei ausdrucksvollem Sprechen
bei der Auflösung ein f nachklang = r^. In anderen Gebieten
ist nicht allein der Ansatz zur Artikulierung des n verschwunden,
sondern auch die Nasalierung. Wir hätten also aus ursprüng-
lichem t-f- n *Sn, ?9, t, i. In den Gebieten, wo » + « ^u c-Nasal
(e) wird, haben wir entsprechend *e7^, e und §; für g führt Ver-
fasser mehrere Beispiele auf.
Zu § 127. Für Gruppe B kann ich folgende Einzelheiten
hinzufügen. In lothringisch offener Silbe findet sich: 1) in den
Verben, welche dem Bartsch'schen Gesetze folgen, auf dem
ganzen Gebiete iis'nayi (se noyer); — 2) bei Suffix -an«« Cß:
lazcR (Uger), nmicß (le noyer); das Fem. ist er' von Conthil bis
Bensdorf-Nebing, aber ä/ von Albesdorf-Dorsweiler ab; — 3) bei
§ -f" y ^omh. i von Gruppe A bis Bensdorf-Nebing, cb von Dors-
Weiler ab gegen Gruppe C: löd (lectus).
In lothringisch geschlossener Silbe entwickelt sich in B aus
freiem f ein i:f%f (fehris), ptr* (petra), ür (terra). Aus g + y
wird Cß: scer^ (sequere), §cߧ (sex). Decem ist auf dem ganzen
Gebiete d§*s.
Zu § 166. B vor d^ t ist erhalten in Gruppe A von Deutsch-
Oth bis Kürzel excl.: m^rt^ (marteau), r ist einfach geschwunden
von Kürzel bis B und in B bis Rohrbach: mete.
Grosses Interesse gewähren die Resultate, welche Verfasser
aus seiner Untersuchung zieht, auf Grund deren er das ganze
von ihm behandelte Gebiet in eine Reihe von sprachlichen Gruppen
einteilt (S. 1 — 5). Er führt zunächst eine Reihe sprachlicher
Merkmale auf, welche dem ganzen Gebiet oder doch dem grössten
Teile desselben im Gegensatz zum Französischen eigen sind. Es
sind deren sieben, welche in dem ganzen Gebiet, und zwei,
welche in dem grössten Teile Messelben gefunden werden. Die-
selben Resultate habe ich zu verzeichnen. Nur bei acht würde
ich sagen: Die Endung -ata = ay\ §y oder ey\ Ich notierte fy'
für Baronweiler und Landorf (Kreis Forbach, Kanton Grosstänchen),
für das von mir in Die Mundart der französischen Ortschaften
des Kantons Falkenberg (Kreis Beiden in Lothringen) behandelte
Gebiet, für Burtoncourt (Landkreis Metz, Kanton Vigy) und Abon-
court (Kreis Diedenhofen, Kanton Metzerwiese) und für Netzenbach
und Grandfontaine (Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck). In einigen
90 Referate und Rezensionen, C. This,
anderen Ortschaften konnte man zweifelhaft sein in der Bezeich-
nung des Lautes; er schwankte an Übergangsstellen zwischen at/
und gy' oder ^1/ und ey\
In einer Anmerkung S. 2 sagt der Verfasser, die Merkmale
2, 6 und, was r betrifft, 5 fehlten dem Wallonischen. Diese
Merkmale finden sich in dem nordwestlichen Teile von Lothringen
nicht mehr vor. Sie erstrecken sich nur bis Fameck (Kreis und
Kanton Diedenhofen), von da ab nordwestlich, d. h. von Ersingen
ab fehlen sie gänzlich. Soll man darnach annehmen, dass das
Wallonische sich bis in das heutige Lothringen erstreckt?
In dieser Arbeit ist zum ersten Male der Versuch gßmacht
worden die von Groeber, Grundrissy I 415 ff., formulierte Frage
zu beantworten, ob es natürliche, durch eine Reihe gemeinsamer
Merkmale bestimmte sprachliche Gruppen gibt, dabei hätten die
sprachlichen Erhebungen von sicher gegebenen Grenzen des
Sprachverkehrs auszugehen. Hier sind es Spracharten an der
Grenze gegen das Deutsche. Des Verfassers Ausführungen geben
einen deutlichen Beleg für die Richtigkeit der von Groeber ver-
tretenen Ansicht. Auf Grund einer Anzahl von lautlichen Eigen-
tümlichkeiten hat er für das ganze von ihm behandelte Gebiet
sieben Gruppen aufgestellt, welche er mit A, B, C, D, E, F, G
benannt hat, während er die einzelnen Ortschaften einer jeden
Gruppe mit a^ sfi, b^ b^, u. s. w. bezeichnet hat. Die von mir
an Ort und Stelle gemachten Beobachtungen bestätigen diese
Gruppeneinteilung. Von den Bewohnern selbst wird das that-
sächliche Bestehen derselben empfunden. Die Bewohner der
Grenzortschaften der einzelnen Gruppen sind sich des Unterschieds
der von ihnen gesprochenen Sprachart mit der angrenzenden
anderen sprachlichen Gruppe wohl bewusst; diese einzelnen
Gruppen führen im Volke sogar besondere Namen. Ich verweise
dafür auf meine Besprechung von Horning's Arbeit in der Deutschen
Läteraturzeitungy 1888, No. 34. Der Verfasser führt für jede
einzelne Gruppe eine Anzahl charakteristischer Merkmale auf,
welche mit meinen Erhebungen genau identisch sind. Darnach
wären längst der deutsch - französischen Sprachgrenze für eine
jede Gruppe die äussersten Grenzen durch folgende Ortschaften
gekennzeichnet. Gruppe A erstreckt sich von Deutsch-Oth (Kreis
Diedenhofen, Kanton Fentsch) bis Conthil exkl. (Kreis und Kanton
Chäteau-Salins), Gruppe B von Conthil bis Langenberg (Kreis
Saarburg, Kanton Rixingen), Gruppe C von Kappel (Kreis und
Kanton Saarburg) bis Schirmeck (Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck),
Gruppe D von Rothau (Kreis Molsheim, Kanton Schirmeck) bis
Klein-Rumbach (Kreis Rappoltsweiler, Kanton Markirch), Gruppe E
von Altweier (Kreis Rappoltsweiler, Kanton Markirch) bis Urbeis
A. Horning, Die ostfrz. GrenzdkUekie zwischen Metz u. Bei fort. 91
(Kreis Rappoltsweiler, Kanton Sohnierlach); Gruppe F trifft das
elsässische Gebiet nicht; Gruppe G endlich erstreckt sich von
Welschensteinbach bis Menglatt (beide Kreis Altkirch , Kanton
Dammerkirch).
Natürlich ist der Übergang von einer Gruppe zur anderen
nicht ein schroffer, gewisse lautliche Besonderheiten hören früher
auf oder erstrecken sich noch weiter bis zu den nächsten Orten.
So erstreckt sich für Gruppe A Merkmai 1 von Deutsch-Oth bis
Conthil exkl., Merkmal 2 von Deutseh-Oth bis Baronweiler exkl.,
Merkmal 4 von Deutsch -Oth bis Conthil excl.; für Merkmal 3
fehlen in meinen Aufzeichnungen die nötigen Belege. Für die
Gruppe 0 finde ich bei mir nur die Merkmale 1 und 4 belegt;
von diesen erstreckt sich 1 von Kappel bis Schirmeck und 4
von Losdorf (in B) bis Schirmeek. Für Gruppe G, für welche
meine Aufzeichnungen mit den aufgeführten sechs Merkmalen
übereinstimmen, kann ich leider nicht angeben, wie weit die
einzelnen Merkmale sich in den Orten längst der Sprachgrenze
erstrecken, da auf dem grössten Teile dieser Strecke die Sprach-
grenze mit der politischen Grenze zusammenfUlIt, ich aber nur
die Orte auf elsässischem Gebiete untersucht habe. Diese Gruppe
gehört übrigens schon dem burgundischen Sprachgebiete an.
Zur Charakterisierung der Gruppen A, B, C und G führe
ich noch folgende Eigentümlichkeit an. Lat. inus wird in der
Gruppe A von Deutsch -Oth bis Fameck -Remelingen zu e (ich
muss hier von der Lautbezeichnung des Verfassers abweichen.
Derselbe bezeichnet den e- Nasal mit t, den ich genauer mit e
wiedergeben möchte, während ich mit t den i- Nasal bezeichne,
wofür der Verfasser i(y) schreibt, welcher Laut meines Erachtens
nicht Immer mit dem von mir gehörten sich deckt); von Buss
bis Baronweiler inkl. t' (ich verweise zur Erklärung dieses Lautes
auf meine Mundart der französischen Ortschaften des Kantons
Falkenberg), in B zu e, in C zu i^ und in G zu i; lat. ina wird
in Gruppe A ^n' von Deutsch-Oth bis BoUingen, in' von Hemilly
bis B, ferner in B und C, ^n' in G. Durch Einwirkung eines
vorhergehenden Nasals wird in A i nasaliert; lat. missus ist me
von Deutsch-Oth bis Fameck-Remelingen, d. h. auf dem Gebiete,
wo intis zu e wird; auf dem übrigen Gebiete von A, wo inus
zu tf wird, heisst die Form mj*.
Mit Recht macht der Verfasser noch darauf aufmerksam,
dass die in Elsass-Lothringen gesproehenen Dialekte keine ein-
heitliche Mundart bilden, dass sie die Fortsetzung in östlicher
Richtung der auf französischem Gebiete sieh befindliehen Gruppen
sind.
Homing's Schrift darf infolge der guten darin angewandten
92 Referate und Rezensionen, A, Odin,
Methode und der Klarheit der Darstellang mit Recht jedem zum
Studium und als Muster empfohlen werden, welcher an die Bear-
beitung lebender Sprachen herantreten will. G. This.
Tellier, Jules, Nos Poetes, Paris, 1888. A. Dupret 257 S. 8°.
Preis: 3 fr. 50 cent.
Un joli voIume qui m^rite d'Stre bien accueilli par tous
ceux qui s'int^ressent k la litt^rature fran9aise contemporaine,
quoi qu'on pense d'ailleurs de la fagon dont Tauteur a rempli
la täche qu'il 8'6tait propos6e. M. Tellier a voulu nous parier
„de nos po^tes d'ä, präsent, et de leur po^sie^. Tous ceux qui
pensent que pour ^tre po^te 11 suffit de savoir ^crire k terminaisons
plus ou moins semblables, verront avec plaisir que la France
actuelle possMe plus de 150 „po^tes^. Un beau chiffre, assur6-
ment, et qui parait donner un 6clatant d6menti k ceux qui se
plaignent du prosaXsme contemporain! II est vrai qu'il y a des
gens que cet argument risque de ne pas conyaincre. Ils estiment
que poSsie n^est pas n^cessairement synonyme de versificationj
et que Rousseau et Georges Sand, pour ne parier que des morts,
ne le c6dent gu^re en fait de g6nie po6tique k Tabb^ Delille
et k Th^ophile Gautier. M^me ceux-lä, auraient mauvaise gräce
k ne pas accepter le point de d^part de M. Tellier, et k ne pas
lui ^tre reconnaissants de nous avoir montr6 l'^tat actuel en
France de ia poSsie en vers.
Peut-etre pourrait-on souhaiter que Tauteur eüt suivi un
plan un peu plus rigoureux, qu'il ne se füt pas bornö simplement
k nous dire quelques mots, un peu au hasard de la plume, de
tous ceux qu'il honore du titre de po^tes, qu'il eflt aussi cherch6
k indiquer, autant que faire se pouvait, les liens qui unissent
les plus importants d'entre ces po^tes k leurs contemporains et
k leurs pr^d^cesseurs. M. Tellier nous parle bien k differentes
reprises de po6tes qui ont tmitS Musset, d^autres qui ont imiti
Baudelaire etc. C'est fort bien! Pourquoi ne nous dirait-il pas
ce qu'il pense de MM. Verhaeren et Stanislas Guaita? Mais il
est regrettable que la place lui ait manqu6 pour nous parier de
ce que Lecomte de Lisle, un vrai poete celui-lä,, a de conmiun
ayec Alfred de Vigny et Andr6 Gh6nier. II est vrai que nous
apprenons en revanche que Lecomte de Lisle a fait un plus
fr^quent usage que personne de la lettre Jß, ce qui d'ailleurs,
seit dit en passant, ne me paratt nullement stabil.
Je reprocherai donc sourtout k M. Tellier de s' Clever trop
rarement k un point de vue g6n6ral, de trop consid^rer ses
/. lemer, Nos Pottes. 93
poötes en enx-memes, en an mot de trop nous parier de poötes
et pas assez de po6sie. Sans doute son style y a gagn6 en
gräce et en 16g^ret6. C'est charmant de dire que ^M. Vignier
est nn grand po^te si on le compare k M. Gustave Kahn . . .
et M. Kahn est un grand poMe si on le compare k M. Ghil^,
et de nous parier sur la mSme note de tonte Töcole d^cadente
et symboliste. Pour ma part j'eusse pr6f6r6 connaitre ropinion
de Tauteur sur le genre d^cadent lui-m^me, et sur la fa9on dont
on peut expliqner son apparition dans la littörature fran^aise.
Qn'on pense ce qu'on vondra de la po6sie d^cadente, on ne
Tempechera pas d'offrir un certain int6r^t pour rhistoure litt^raire,
quand ce ne serait que par le seul fait de son existence, et
M. Tellier aurait peut-Stre fait preuve de plus d'esprit k en
parier moins spirituellement.
Indiquons en quelques mots la disposition g6n6rale du
volume. II comprend quatre Livres, Le premier a pour titre:
Quatre maUres. Les mattres sont, pour les citer dans l'ordre
adoptö par Tauteur, Lecomte de Lisle, Theodore de Banville,
Sully-Prudhomme et Fran9ois Copp6e. II serait pueril de pro-
tester contre le rang que M. Tellier assigne k chaeun de ces
po^tes ou de regretter que tel d'entre k Richepin par exemple,
qui se trouve r616gu6 dans la dolente et innombrable foule des
poetes contemporains^. De tels jugements par numöros d'ordre
sont beaucoup trop affaire de goüt individuel et de temp^rament
pour qu'on puisse leur accorder une grande attention.
Je me bome k constater que Theodore de Banville jouit
k un degr6 tout particulier de la Sympathie de M. Tellier. C'est
„un Ovide bien supörieur", voire mSme „ä la fois un Ovide et
Pindare". Sans doute ses vers ne disent pas grand'chose, mais
11 n'en est pas moins grand poöte pour cela. „II y a quelque
chose de divin dans le don de parier pour ne rien dire^ {k lire
en toutes.lettres p. 40!). Et M. Tellier nous le prouve, car,
dit-il, un bois qui murmure n'a aucune id6e, et cependant 11 y a
dans son murmure quelque chose de divin. Oh! le beau raisonne-
ment! L'auteur oublie que si un bois n'a aucune id6e, du moins
il peut 6veiller en nous des id6es et des sensations, tandis que
des vers qui ne renferment aucune id6e ne sauraient ^veiller en
nous quoi que ce soit, le lecteur me dispensera sans doute de
dire pourquoi. M. Tellier se röclame aussi de la v6n6ration que
les Arabes ont pour les fous. Je ne sais si les Arabes v6n^rent
la poösie de Theodore de Banville, mais il me parait incon-
testable qu'un homme dont les id6es sont incoh^rentes est infini-
ment plus interessant qu'un homme qui n'a pas d'id^es du tout.
Le second Livre nous parle de Quelques c^hUs^ c'est k dire
94 Referaie und Rezensionen» A, Rambeau,
de ^quelques survivants des g^n^rations ant^rieores^, parmi les-
quels je note au paesage Alphonse Daudet.
Le Livre III est consacre aux PoUes divers, C'est assure-
ment la partie la plus neuve du livre, en ce s^na qu'elle renferme
une multitude de noms dont on n'a que rarement roccasion
d'entendre parier. C'en est aussi la plus interessante. L'auteur
sV montre en g6n6ral plus indöpendant qu'ailleurs, plus sinc^re
dans ses appröciations. II n'est pas retenu, comme dans ie
Premier Livre, par la crainte de manquer de respect k des
autorües constitu^es, et d'autre part il a moins ä gagner ä faire
rire la galerie aux döpens du po^te que lorsqu'il parle des d6-
cadents et des symboiistes. Surtout il a eu la bonne id6e
d'6nmiller son texte de nombreuses et souvent a^see longues
citations, ce qui est doublement heureux lorsqu'il s^agit de po6tes
dont on courrait sans cela le danger de ne jamais lire un seul
vers, et qui ne paraissent pas toiyours m6riter cette indiff6rence.
Ces citations ne sont sürement pas ce que Nos Pontes renferment
de moins interessant.
Le troisi^me Livre se subdivise en plusieurs chapitres dont
il suffira d'indiquer les titres: I. Les Rustiques. II. Les Modernistes.
III, PhilosopheSy historienSy psychologues. IV. Les Lyriques. V. Les
Baudelairiens. VI. Les Hahües.
Dans le dernier Livre enfin M. Tellier a r^uni les Ddcadents
et symbolistes. II y dit passablement de bien de Paul Verlaine,
ce qui n'est que justice et ce qui est d'ailleurs de mode, et il
d^pense 6nonn6ment d'esprit pour dire du mal des autres d6ca-
dants, ce qui n'est pas absolument nouveau.
Le volume se termine par une courte Condusion dans la-
quelle Tauteur constate que la po6sie frangaise est sur son lit
de mort et qu'elle ne s'en rel^vera plus. Chi lo säf Au reste,
s'il ne s'agit qae de la po6sie teile que Tentend M. Tellier, le
mal ne serait apr^s tout pas si grand. A. Odin.
Kleinere Lehr- und Übungsbücher.
1. Stier, Georg, Konjugations-Tafeln der französischen Verben. Ein
Ergänznngsheft zu jeder französischen Grammatik. Berlin,
1887. A. Asher & Co. VII, 75 S. 40.
2. Mosen, Carl, a) Das französische Verb in der Schule auf Grund
der Ergebnisse der hisioiischen Grammatik. Zweite, umge-
arbeitete Auflage. X, 49 S. 8®. — b) Ergänzungsheft zu den
Übungen des Lehrbuches: Das französische Verb in der Schule,
Zweite, umgearbeitete Auflage. Wien, 1888. KommisBions-
Verlag von Rudolf Lacbi&er. 16 S. 8<>.
Kkin^e Lehr- und Übtmgsbücher, 95
3. Oblert) A.y a) Die Lehre vom französischen Verh. Ein Hüfsbuch
für die systematische Behandlung der Verbalflexion auf der
Mittelstufe. VI, 46 S. 8^. Preis: Mk. 0,50; kart. 0,70. b) Die
Behandlung der Verhalfiexion im französischen Unterricht.
Eine Begleitschrift zur „Lehre vom französischen Verb**. Han-
nover, 1887. Carl Meyer (Oustav Prior). 81 S. 8^.
4. IJllrlcli, K.9 Die französischen unregelmässigen Verben, Ein Hüfs-
buch für Schüler besonders lateinloser Schiden. Leipzig, 1888.
Renger (Gebhardt & Wiliach). IV, 82 S. 8». Preis: M. 0,50;
kart. 0,60.
5. Ricard, A*, Aide -Memoire de la conjugaison des verbes fran^ais
re'guliers et irre'guliers. Vade-mecum des eUves de tout ordre,
des e'tudiants, des candidats, des employes preposes aux corres-
pondances, des iraducteurs, des hommes de banque et de bureau,
etc. Hilfstabellen für die Konjugation u. s. w. Prag, o. J.
Guatay Neugebaüer. Preis: 12 kr.
In den Schriften von Stier, Mosen, Ohlert und Ullrich zeigt
sich das gleiche rühmenswerte Bestreben, die sicheren Ergebnisse der
historischen Grammatik für die Lehre vom französischen Verb im
Schulunterricht nutzbar zu machen. Allerdings stimmen die Verfasser
in dem Masse der Verwertung der Eesultate der V^issenschaft nicht
überein. Einerseits stehen sie auf einem verschiedenen Standpunkt in
bezug auf diese Frage, andererseits verfolgen ihre Schriften zum Teil
verschiedene Zwecke, insofern sich Ullriches Arbeit besonders an Schüler
lateinloser Schulen wendet, die anderen aber eine ähnliche Beschränkung
gar nicht oder wenigstens nicht deutlich hervortreten lassen. Offenbar
bemühen sie sich jedoch alle, durch eine geeignete Einteilung und Er-
klärung, der Formen den wissenschaftlichen Thatsachen sowohl als
den Anforderungen der Praxis, die einer Vergeistigung und einer wahr-
haft verständigen Auffassung dieses wichtigsten Teils der Formenlehre
ffewiss nicht entgegensteht, aber doch selbstverständlich eher eine Er-
leichterung . als eine Erschwerung des bezüglichen Lernstoffes verlangt,
Rechnung zu tragen. In dieser Hinsicht scheinen mir die vorliegenden
Schriften Nr. 1 — 4 alle beachtenswert und nützlich, obgleich ich an
und für sich von der Notwendigkeit eines besonderen Lehrbuches für
die Konjugation in der Schule, mag man es mit Ohlert und Ullrich
Bilfsbuch nennen, oder mag man es mit Stier als ein Ergänzungsheft
zu jeder französischen Grammatik bezeichnen, keineswegs überzeugt
bin. Denn auch das beste Hilfsbuch oder Ergänzungsheft dieser Art
ist in den Händen der Schüler überflüssig, wenn man von den mittleren
Klassen an eine vollständige, auf wissenschaftlicher Grundlage auf-
gebaute systematische Grammatik, wie die von Lücking, Plattner oder
Kühn u. ä. gebraucht, und kann geradezu störend und gefährlich
werden, falls es in seiner Einteilung und in der Durchführung wissen-
schaftlicher Prinzipien von der einmal eingeführten Grammatik stark
abweicht. V^ahrscheinlich haben die Verfasser zunächst oder aus-
schliesslich die Schulen, in denen noch im französischen Unterrichte
die „alte^, „bewährte^ Lektionsmethode von Sexta oder Quinta an bis
zur höchsten Klasse hinauf herrscht, — und diese Anstalten sind ja
leider immer noch die zahlreichsten — im Auge gehabt. Aber in
diesem Falle wäre es ein auffällig inkonsequentes Verfahren, den
grammatischen Unterricht nur in dem wenn auch noch so wichtigen
Teile der Formenlehre, der Konjugation, mittelst eines speziellen Hilfs-
buches zu fördern und nach vernünftigen Grundsätzen zu behandeln,
96 Referate und Rezensionen. A. Rambeau,
dagegen in den übrigen Teilen der Grammatik alles beim Alten zu
lassen und nach der Routine der üblichen Lektionsmethode weiter zu
arbeiten. Möglicherweise ist jedoch ein solches Verfahren nicht selten
und, so inkonsequent es auch sein mag, es hat wenigstens den Vorteil,
dass endlich ein guter Anfang gemacht wird, der vielleicht einen all-
gemeinen, allmählichen Fortschritt zum Bessern einleitet und hoffent-
lich einen Übergang zur systematischen Behandlung der ganzen Gram-
matik nach wissenschaftlichen Prinzipien den Direktoren und Behörden
um so wünschenswerter und notwendiger erscheinen l'ässt. In diesem
Sinne mögen die Verfasser geurteilt haben; jedenfalls haben sie durch
ihre eigene Erfahrung erkannt, dass ein Bedürfnis nach einem speziellen
Hilfsbuche für die Konjugationslehre an manchen oder vielen Schulen
vorhanden ist.
Die Frage, ob die vorliegenden Schriften (Nr. 1, 2, Sa und 4)
als Schulbücher oder Lehrbücher brauchbar und zu empfehlen
sind, will ich daher bei meiner Besprechung und Beurteilung nicht
als wesentlich betonen. Beachtenswert und nützlich, wie ich sie oben
genannt habe, scheinen mir alle diese Schriften, auch die Vorreden
und Einleitungen und hauptsächlich die allgemein gehaltene, methodische
Arbeit von Ohlert (Nr. 3 b), vor allem deshalb zu sein, weil sie dem
Fachmann, dem selbständigen, vom Lehrbuche unabhängigen, philo-
logisch (romanistisch) vorgebildeten Lehrer Anregung und neue Ge-
sichtspunkte für seine individuelle Behandlung des grammatischen
Unterrichts gewähren, und weil sie dem künftigen Verfasser einer
ideal guten französischen Schulgrammatik, die den Anforderungen der
Praxis und der Wissenschaft zugleich gerecht wird, neues, fruchtbares
Material liefern.
Wer den hohen Wert der Phonetik für den gesamten neusprach-,
liehen Unterricht im Gegensatz zum altsprachlichen, für den derselbe
nicht vorhanden sein kann, erkannt und schätzen gelernt hat, den
muss es angenehm berühren, dass die Lehren dieser Hilfswissenschaft
von keinem der vier Verfasser ganz unbeachtet gelassen, von Mosen
und besonders von Ohlert sogar in ziemlich ausgedehntem Masse be-
rücksichtigt worden sind. Zu einer konsequenten und systematischen
Verbindung des sprachhistorischen Standpunktes mit dem phonetischen
hat sich freilich keiner entschliessen können. Und doch bietet sich
dem Lehrer eine solche Verbindung gerade im Schulunterricht wie von
selbst dar, ja sie drängt sich ihm auf — bei einer Sprache, deren
Orthographie von der Aussprache bedeutend abweicht, also fast gar
nicht phonetisch, sondern zum grossen Teil historisch ist. Die Schüler
lernen im französischen Unterrichte, wenn sie von Anfang an von
wirklichen Fachmännern in richtiger Weise unterrichtet werden, zwei
verschiedene Sprachen, die jetzt gesprochene Sprache und die herrschende
Orthographie, in der manches willkürlich und unhistorisch ist, in der
aber die früheren, wirklich (lautlich) vorhanden gewesenen Sprach-
stufen sehr viele deutliche Spuren zurückgelassen haben. Sobald sie
daher die Aussprache gründlich gelernt, durch die Lektüre und die
sich daran anschliessenden Übungen eine ausreichende Vokabelkenntnis
erworben und zugleich die Elemente der Formenlehre bewältigt haben
und nun zur systematischen Grammatik übergehen, finden sie bei
richtiger Anleitung in der französischen Sprache selbst die beste Ge-
legenheit, verwandte Sprachen, die heutige (Lautsprache) und die in
Trümmern noch erhaltenen alten Sprachstufen (Schriftsprache), zu ver-
gleichen und grammatische Erscheinungen auf diese Weise sprach-
bistorisch aufzufassen. Nicht das Erwähnen von vulgärlateinischen
Kleinere Lehr- und Übungshüchcr, 97
und altfranzösischen Formen und Wörtern, die dem Schüler vollständig
fremd und unvermittelt entgegentreten und ihn daher leicht verwirren,
auch nicht das Erwähnen von lateinischen Formen und Wörtern, die
ihm etwa aus dem lateinischen Unterricht bekannt sind, verbürgt die
Verwendbarkeit der Ergebnisse der historischen Grammatik für den
Schulunterricht und das Verständnis des Schülers für wissenschaftliche
Erklärungen, sondern — diese Gewähr leistet in vollem Masse nur
oder vor allen Dingen das Ausgehen vom Laute und das beständige
Vergleichen desselben mit der Schrift, da beide Faktoren — und zwar
diese beiden Faktoren allein — dem Lernenden vollkommen bekannt
sind oder nach und nach vollkommen bekannt werden. In lateinlosen
Anstalten muss man von vornherein vom Latein absehen, und wenn
man auch in Gymnasien und Realgymnasien die lateinischen Kenntnisse
der Schüler gewiss mit grossem Nutzen für den französischen Unter-
richt verwenden kann, so darf doch dieser Nutzen nicht überschätzt
werden. Das Latein, das Gymnasiasten und Realgymnasiasten lernen,
— und von diesem kann mit Ausnahme verhältnismässig weniger Fälle
nur die Rede sein — ist eine Sprachstufe, die dem Französischen im
allgemeinen recht fern steht, und deren fortwährende und konsequente
Benutzung leicht zu groben und doch verzeihlichen Irrtümern ver-
führt. Vgl. z. B. amiiie nicht = kla^s.-lat. amiciiiam, sondern = vulg.-
lat. amicitatem u. v. a. dgl. Zu dem klassischen Latein mögen noch
einige spätlateinische oder vulgärlateinische Wörter und Formen, die
der Schüler sonst noch im Unterrichte gelegentlich kennen lernt oder
etwa aus französischen Wörtern durch Rückschlüsse ohne Mühe bilden
kann, hinzukommen. Trotzdem wird man zugeben müssen, dass die
beständige Gegenüberstellung des Lautes und der Schrift zum kompa-
rativen und sprachhistorischen Betreiben der französischen Sprache,
soweit es überhaupt in der Schule möglich und ratsam ist, mehr
brauchbaren und sicheren Stoff bietet. Allerdings ist dies ein Unter-
nehmen, das, wenn es systematisch in einer Schulgrammatik durch-
geführt werden soll, seine grossen Schwierigkeiten und Gefahren hat,
vor denen man noch lange zurückschrecken wird. Aber ich glaube
und hoffe, dass es einmal gelingen wird, diese Schwierigkeiten und
Gefahren zu überwinden und den phonetischen und sprachhistorischen
Standpunkt in einer wahrhaft wissenschaftlichen Schulgrammatik ohne
Schaden oder vielmehr zum Nutzen für die Bedürfnisse der Praxis zu
vereinigen.
1. Die grossen, weitläufig angelegten dreissig Konjugations-
Tafeln (S. 1—61) von Stier eignen sich am besten für die Anstalten,
in denen das Französische an Stelle des Lateinischen als hauptsäch-
liche fremde Sprache neben der Muttersprache die Aufgabe hat, den
Schülern ein Verständnis für Grammatik überhaupt zu übermitteln.
Die Konjugationsschemata sind mit übertriebener Ausführlichkeit, die
wahrscheinlich manchem Lehrer missfallen wird, aufgestellt, aber die
Anordnung der Verbalformen ist zugleich infolge des grossen Formats
der Seiten und der tabellarischen Gestalt so übersichtlich, dass der
Schüler ohne Zweifel dadurch ein deutliches Bild von der französischen
Konjugation erhalten muss und, was Stier als einen besonderen Vorzug
seiner Tafeln rühmt (S. VI), keiner schriftlichen Konjugier -Übungen
und dergl. bedarf, um sich die Formen einzuprägen.
Bei der Einteilung der Verba in verschiedene Konjugationen
hat sich Stier an das alte Schema, „das sich in der Praxis bewährt
hat", gehalten und es nach dem Vorgang von Isaac (S. IV) nur wenig
modifiziert. Er unterscheidet nach den Infinitivendungen drei regel-
Zschr. f. frz. Spr. n. Litt. XK 7
98 Referate und Rezensionen. A. Ramheau,
m&8Bige Konjugationen (er, ir, re) und yier unregelmässige (er, ir, re,
oir). Als Paradigma der Konjugation auf -ir gibt er finir (Tafel VI),
also ein Verb mit der Stammerweiterung -iss-. Auf S. 84 — 85 (Tafel
XVII) führt er aber unter der Rubrik „Besonderheiten von Verben der
zweiten Konjugation" neben den „Verben mit Stamm erweiterung'^
b^nir, fleurir, hälr auch die „Verben ohne Stammerweiterung" bomUir
und servir an. Konsequenterweise hätte er hier an servir auch die
übrigen „regelmässigen Verben der zweiten Konjugation ohne Stamm-
erweiterung" dormir, pariir u. s. w. anreihen müssen; oder er hätte
am besten gethan, sich auch in dieser Beziehung an das Schema, das
sich nach seiner eigenen Ansicht in der Praxis bewährt hat, zu halten,
demnach in der zweiten Konjugation zwei Klassen zu scheiden und
neben finir als zweites Paradigma serpir auf Tafel VI zu bringen.
Bei der Anordnung der einzelnen Verbalformen auf den Kon-
jugationstafeln ist Stier nach drei Prinzipien, die er selbst als Forde-
rungen bezeichnet, verfahren. Vgl. S. V: „Erste Forderung: Die zu-
sammengehörigen Zeiten (?) müssen zusammenstehen." (Er meint die
ihrer Ableitung oder Ähnlichkeit nach zusammengehörigen Verbal-
fomuen.) — „Zweite Forderung: Stamm und Endung resp. Infinitiv
und Endung müssen deutlich erkennbar sein." — „Dritte Forderung:
Der Schüler muss sämtliche Formen eines Verbs auf einmal übersehen
können." — Entsprechend der ersten Forderung, die dem Ausdrucke
nach falsch, aber dem Sinne nach sehr zu billigen ist, stellt Stier vier
Gruppen von Verbalformen auf, die sich alle leicht übersehen lassen.
Es sind: 1. die Infinitiv- Gruppe — Infin. mit Futur und Conditionnel;
2. die Präsens -Gruppe — alle drei Modi und das Partizip des Präsens
samt Ind. Impf.; 8. die />^/im'- Gruppe (mit gleichem Kennlaut oder
Charaktervokal) — bist. Perf. und Konj. Impf.; 4. die Partizip-Gruppe
— Part. Perf. und die damit zusammengesetzten „Zeiten" (soll heissen
„Verbalformen"). Der zweiten Forderung gemäss gibt er in seinen
Tabellen unter dem Infinitiv jedes Verbs den Stamm an, wobei ich
jedoch ein einheitliches, streng durchgeführtes Prinzip vermisse.
Vgl. z. ß. S. 12 finir Stamm fin-; S. 44 bdnir Stamm be'n-; fleurir
Stamm fleur-; hatr Stamm ha-; bouülir Stamm: vor Vokalen oouill',
vor Konson. bau-; servir Stamm: vor Vok, serv-, vor Kons, ser-; S. 42
ouvrir Stamm attvr-; S. 52 connatire Stamm: vor Vok. connaiss-, vor
Kons, connai-; crotire Stamm: vor Vok. craiss-, vor Kons, croi'; S. 54
vivre Stamm: vor Vok. vio-, vor Kons, vi-; nalire Stamm: vor Vok.
naiss-, vor Kons, nai- u. ä. Vgl. dazu Vorwort S. VI : „Formen wie je
bouiU-s, tu bouill-s, il bouiü-i oder je connaiss-s, tu connaiss-s, ü conaiss-t etc.
hat es nie gegeben, folglich kann von einem Ausfall von -t// oder -ss
hier keine Rede sein." Gewiss nicht, wenn man sprachhistorisch ffanz
genau verfahren und alle ursprünglichen und Übergangsformen neben-
einander stellen will. Dies geht aber im Schulunterrichte und in
einer Schulgrammatik nicht an, und der Lehrer kann sich sehr wohl
darauf beschränken, von einem Ausfalle des l oder u (vokalisiert aus l)
statt ill nach ou vor Konsonanten und von einem Verstummen des
stimmlosen s = ss (nur graphisch) vor Konsonanten zu sprechen, um
die nur supponierten Formen *bouiü-t und *comaiss-t u. ä. zu erläutern.
Im Grunde genommen haben solche Formen ebensoviel Berechtigung
als Stämme wie bouiU- und bou-, connaiss- und connai- u. dgl., die auch
nur vom Verstände konstruiert sind und nie wirklich existiert haben.
Indes habe ich aus praktischen Gründen gegen die Ansetzung
von Stämmen wie botiiü-, connaiss- vor Vok. und bau% connai- vor Kons,
nichts einzuwenden; bei einigen Verben ist man ja aus Wissenschaft-
Kleinere Lehr- und Ohingsbücher. 99
liehen und auch praktischen Gründen sogar dazu genötigt, solche
Doppalformen des Stammes für das Französische anzusetzen : z. B. dhre^
dis- vor Vok., di- vor Eons, (ursprünglich ein Stamm die- für lateinisch
lernende Schüler, vgl. dicter, diciion u. a.). Nur vermisse ich auch
hier die Gleichartigkeit und Konsequenz, die bei der tabellarischen
Darstellung, wie sie Stier anwendet, in derartigen Dingen um so not-
wendiger ist. Z. B. dürfte er finir, hdnir, fleurir, hair in dieser Be-
ziehung nicht anders als connaitre, croitre, naiire behandeln. In allen
diesen Verben zeigt sich die Inchoativsilbe -iss-, -aiss-, -oiss-, -aiss-^
bestehend aus dem ursprünglichen (lateinischen) Ableitungsvokal i, o,
e, a und lat. sc = franz. ss. Also erwartet man in den Tabellen zu
lesen: finir Stamm 1) /?»-, 2) (in der Präsens-Gruppe, um die Bezeich-
nungsweise Stier's zu gebrauchen) finiss- vor Vok., fini- vor Eons.;
ähnlich benir; fleurir Stamm l) fleur-, 2) (Präsens -Gruppe) fteuriss-
neben arch. flariss- vor Vok., fleuri- vor Kons.; hair Stamm 1) ha-,
2) hat- (Präs. Ind. u. Imper. Sing.), 3) (in den übrigen Formen der
Präsens-Gruppe) hmss- vor Vok., hat- vor Eons. ; connaiire Stamm
1) conn-, 2) (Infinitiv-Gruppe und Präsens-Gruppe) connaiss- vor Vok.,
connai- (connai-) vor Kons.; ähnlich croitre: nmire Stamm 1) n- (Part.
Perf.), 2) Infinitiv- Gruppe und Präsens - Gruppe) naiss- vor Vok., nai-
(naU) vor Kons., 3) nagu- ('Z>e?/f«t- Gruppe). Ferner: ouvrir- Stamm
1) ouver- vor Kons. (Part. Perf.), 2) ouvr- vor Vok.; vivre Stamm
1) (Infinitiv-Gruppe und Präsens-Gruppe) viv- vor Vok., vi- vor Kons,
ausg. r 2) D^/fm-Gruppe und Partizip-Gruppe) v^c- u. ä. — Die Hinzu-
fügung der Namen der bezüglichen Gruppen und der Ausdrücke „vor
Vok." und „vor Konson." neben dem Stamme ist auf den Tafeln un-
nötig. Denn nach einer vorausgegangenen Erklärung des Lehrers bei
einigen Verben wird sich der Schüler sehr bald selbst überall zurecht
finden und jederzeit angeben können, zu welchen Verbalformen oder
Gruppen die verschiedenen Formen des Stammes gehören. Es würde
demnach genügen, zu sagen: finir Stamm 1) fin- 2) finiss- (fini-); nattre
Stamm 1) n- 2) naiss- (nai-, nai-) 3) nagu- u. s. w.
Stier's Bestreben, von der Konjugation der Verba auf den Tafeln
ein möglichst ausführliches Bild zu geben, hat ihn dazu verleitet,
manchmal ganz ungebräuchliche oder falsche Formen aufzustellen: z. B.
S. 14 donne-je (veraltet oder sehr selten statt est-ce que je donne);
vgl. S. 68 prefere'-je, menä-je, cele-je, achete-je, appele-je, jete^je (miss-
tönende Bildungen, die ich noch nie gehört, noch nie gesehen habe)
mit der Bemerkung „doch zieht man — des Wohlklangs halber — in
der Regel (immer!) die Umschreibung mit est-ce que vor und sagt:
est-ce que je prefere " ; und gar romps-je S. 18, me defends-je S. 26
(durchaus ungebräuchlich!).
Im Anhang S. 63 ff. finden sich manche gute Bemerkungen,
aber daneben auch einige, die berichtigt werden müssen: z. B. S. 71
„/ erweichte (?) zu m". S. 64 lässt Stier den Leser darüber im un-
klaren, warum bei couäre ein d, aber bei croitre u. s. w. ein i als ver-
mittelnder Laut [Stier sagt „Hilfsbuchstabe" (?)] zwischen ursprünglichem
s und r eingeschoben ist. Dagegen sind seine Erklärungen an anderen
Stellen ohne Not und übermässig genau, wo er altfranzösische Formen
anführen zu müssen glaubt, z. B. bei vivre, naitre S. 71, bei pouvoir,
dechoir, echoir S. 72 u. a.
2. Moisen^S Arbeit ist ursprünglich (1887) in grossem Oktav-
format in drei Heften herausgegeben worden und muss sich, sei es
als Hilfsbuch für Fachgenossen, sei es als eigentliches Schulbuch,
sehr schnell bewährt haben. Denn es liegt mir neben jener schon
100 Referate und Rezensionen. A, Rambeau,
eine zweite, umgearbeitete Auflage vor, die ein Jahr darauf in
kleinerem, dem gewöhnlichen Oktavformat in nur zwei Heften er-
schienen ist.
Nach einer kurzen „Einleitung: Zur geschichtlichen Entwickelung
der französischen Verbalformen" spricht Mosen zuerst (1. Teil, S. 1 — 13)
über „die Verben und ihren Formenbau im allgemeinen". Wie Stier,
hält auch er sich im ganzen an die alte Einteilung der Verba nach
ihren Infinitivendungen, vermeidet aber die Bezeichnungen „regelmässig"
und „unregelmässig" und spricht von „bestimmten flexivischen Rich-
tungen in der Konjugation". Danach unterscheidet er Verben auf -er
mit -e, -es, -e im Präs. Ind. Sing. = „vokalische Richtung" und Verben
auf -ir (und zwar reine und erweiterte), auf -re, auf -oir mit -s, s, -i
im Präs. Ind. Sing. = „konsonantische Richtung". Die Ausdrücke
„lebende" und „tote Konjugation" erklärt er in einer Anmerkung (§ 5).
Auf der Tabelle der Paradigmen (S. 10 — 11) gibt er die Konjugation
von I. donner, IIa. servir, b. finir, III. rompre, aber nur die einfachen
Formen mit Präs. Fut. und Imperf. Fut. Im zweiten Teile (S. 14 — 20)
behandelt Mosen „Verben mit phonetisch- graphischen Eigentümlich-
keiten" und im dritten (S. 21 — 48) „die Verben als 'schwache' und
'starke' mit Beziehung auf das Präteritum" und „weitere Eigentümlich-
keiten unter dem Einflüsse der allgemeinen Lautgesetze und der Ana-
logie". Erst in diesem letzten Teile finden neben den Verben auf -er,
'ir und -re auch die auf -oir ihre Stelle, die er — ähnlich wie die
übrigen abweichenden Verben — je nach der Betonung im Präterit.
und Part. Perf. einteilt in: 1. schwache M-Verben, valoir etc.; 2. a. starke
w- Verben, recevoir etc.; 2. b. starke i-Verben, a) asseoir, Part. Perf.
auf -s, stark, ß) voh', Part. Perf. auf -u, stark (?).
Mosen ist in der Durchführung seines Planes und der Benutzung
der Ergebnisse der historischen Grammatik ebenso gewissenhaft als
in phonetischer Beziehung. Er bestrebt sich, Laut und Schrift streng
auseinander zu halten. Auch hat er manches in der zweiten Auflage
verbessert, z. B. Diphthong uä := oi. Jedoch hat er trotz aller Sorg-
falt einige Fehler stehen lassen, die er bei einem gründlichen Studium
der in den letzten Jahren veröffentlichten phonetischen Schriften hätte
vermeiden können.
S. 2 § 2 „Anmerkung. Der betonte Stamm hat meist einen
volleren Vokal als der unbetonte". Diese Bemerkung ist für die Flexion
der Verba und überhaupt für die Formenlehre und auch sonst für die
Wortbildung im Französischen richtig, falls man unter einem „vollem"
Vokal entweder einen Diphthong (acguerons — acquiers) oder einen
der Quantität nach längeren und eventuell auch stärker artikulierten
Vokal (levons — leve u. dgl.) versteht. Aber Mosen fährt fort: So ist
ai in faime, tu aimes = e, in aimons, atmez = e; eu in pleure = ^ in
sceur, in pteurons := o in peu ; e in sers ist offener als e in servons^ und
transkribiert diesen Beispielen gemäss an mehreren Stellen seines
Buches. Die Aussprache e = <d in aimons, o = eu in pleurons kommt
manchmal vor, die erstere ist besonders südfranzösisch. Aber die ge-
wöhnliche oder, wenn man will, „richtige" Aussprache ist es nicht.
Man hat die Vokale ö, e, o oder speziell die langen, offenen Vokale
d, S, d, um die es sich hier zunächst handelt, wenn sie aus der be-
tonten in die unbetonte Silbe treten, in gleicher Weise zu beurteilen.
Vgl. je pleure — nous pleurons, faime — nous aimons. Je dare —
nous dorofis. Entweder erscheinen die bezüglichen Stammvokale in
der unbetonten Silbe als kurze, offene ö, g, ö, oder sie werden, was
wohl in der Umgangssprache häufiger geschieht, zu den dem fran-
Kleinere Lehr- und Übungsbücher, 101
zösischen Lautsystem eigentümlichen „mittleren" Vokalen^) ff, e, o, die
weniger deutlich als die übrigen französischen Vokale sind und nur
in unbetonter Silbe und, wie ich glaube, alle nur kurz vorkommen:
Q (zwischen 6 und d = sog. e sourd in le, me, degre'), das, wenn das
Wesen und die Häufung der umgebenden Konsonanten es nicht ver-
bietet, in der vulgären Sprache sogar, wo es für eu in der Schrift
eintritt, ausfallen kann, und in ähnlicher Weise e zwischen e und e,
0 zwischen 6 und ö. Die Aussprache ^, S, ö (offen, aber kurz) in der
unbetonten Silbe wird jedenfalls häufig genug gehört und, wie es mir
scheint, als die „korrekte" empfunden. Daher verwandelt sie sich
sehr leicht in ein langes oder halblanges offenes d, e, o, sobald der
flüchtige und dem germanischen Gehör meist kaum vernehmbare
französische Wortaccent auf der letzten Silbe von pleurons, aimons^
dorons u. ä. schwindet, dagegen infolge des Sinnes, des Gegensatzes,
des Nachdruckes die Stammsilbe hervorgehoben wird: z. d, ^Nous
aimons nos amis, nous haissons nos ennemis** und „Nous pleurons j nous
fie rions pas^ u. ä. ^
§ 8 S. 5 als, all, aient, €rent: das lange e ist offen (= ^)". Das
e = ai in den ersten drei Endungen ist zweifellos kurz nach der be-
kannten phonetischen Regel, das die vokalisch auslautenden Silben
der französischen Wörter kurz sind,
§ 8 S. 6 ämes, ätes, äi: das lange (zirkumflektierte) ä ist ge-
schlossen. — ässe^ ässes, ässeni: das lange (nicht zirkumflektierte) d
ist offen. — äs, ä (Präterit. Ind.); ässions, ässiez: das kurze ä ist
offen. — OS, a (von avoir; Futur): das mittellange a ist geschlossen."
Dazu eine Anmerkung: „Geschlossenes a (auf dem Plane a) ist heller
als a in „Kahn" ; offenes a ist dunkel, gleich a in „kann". An dieser
Stelle herrscht eine erstaunliche Verwirrung in der Auffassung der
Quantität und der Qualität des französischen a, eine Verwirrung, die
durch den Vergleich mit dem deutschen a (hochdeutsch oder dialektisch?)
nur noch schlimmer wird. Ich kann eine Berichtung hier nur an-
deutungsweise vorschlagen: Das a in nous aimdmes ist identisch mit
dem a des Subst. dme, lang, dem deutschen a in Kahn (wenigstens in
der gewöhnlichen norddeutschen Aussprache der Gebildeten) am nächsten
stehend. Dieses a würde ich eher als „dunkel", „offen" bezeichnen.
Die entsprechende Kürze dazu findet man in pas, ähnlich dem deutschen
a in kann. Das a in tu as^ il a, il aimera, ü aima, von welcher Form
sich il aimät in der heutigen Aussprache, wenn man nicht affektiert
und schulmeisterlich sprechen will, trotz des accent circonflexe (1)
schwerlich unterscheiden lässt, würde ich als das „hellere", „ge-
schlossene", „mehr nach e zu liegende" d beschreiben. Es ist mit dem
d in femme identisch und zwar kurz. Die entsprechende Länge dazu
zeigt sich in rare, page.
Den „Anhang 2" zum 1. Teile auf S. 13, der ein Zusatz der
zweiten Auflage ist, hätte sich Mosen ohne Schaden für sein Buch
sparen können. Die Reime, welche „die Verbalendungen, soweit sie
für die gesprochene Sprache ausser der Bindung in Betracht kommen,
klar veranschaulichen und darthun sollen, wie noch viel einfacher sich
die lautliche Konjugation gegenüber der geschriebenen im Französischen
gestaltet", sind abscheulich und verunstalten die sonst in so wissen-
schaftlichem Tone gehaltene Schrift. Der von Mosen angegebene
1) Vgl. über die Zungenlage (posiiion mixte ou intermediaire)
Passy, Les sons du frangais, S. 30^-31. Besondere Zeichen für die
„mittleren" e und o halte ich hier für unnötig.
102 Referate und Rezensionen, A.. Rambeau,
Zweck dieser Reimregeln ist gut, aber er hätte denselben mit ein-
facher, klarer Prosa weit besser erreicht. Vgl. folgende Reime:
„A. Indikativ: Präsens.
Nur zwei Endungen das Präsens spricht:
ö, e', als hier die einzigen mit des Tons Gewicht.
Imperfekt.
Viermal e — Das ist das imparfait (?);
Es bleibt noch i5, i4 -^ Dort wo im Präsens 5 und e,
B. Konjunktiv. Präsens,
Auch dies Präsens nur zwei Endungen spricht:
iJ5, le und sieh! hier zweien Zeiten ein Gesicht.
Präteritum,
Der Eennvokal mit s als Lautkomplex (!)
— (Die dritte Singularis, J-los allerdings, hat Cirkumflex) —
Kommt zu Gehör;
Bekanntenorts nach id, {4 — nichts mehr."
§ 18 S. 18 yfuyionSy ftiyiez (= f^-jUans, fai-j-iez),^^ Eine sonder-
bare Transkription! Der Verfasser mag mir glauben, dass sich fuyions,
fuyiez lautlich in keiner Weise von fuyons, fuyez unterscheidet.
Die „Übersicht der Verben im Infinitiv, Präteritum und Perfekt-
partizip" S. 48 ist wohl gelungen.
Das beigegebene „Ergänzungsheft" enthält oder vielmehr soll
die Übungen zu den Paradigmen und Verben des 1. und 2. Teiles der
Hauptschrift regeln, die darin bestehen, dass die Schüler selbst unter
Anleitung des Lehrers die mit den Namen der verschiedenen Nominal-
formen, Tempora und Modi und mit den bezüglichen Endungen ver-
sehenen, resp. nur mit den Formen des Infinit, und der 1, Pers. Sing.
Präs. Ind., dem Stamm u. dgl. angedeuteten Konjugationsschemata
durch Aufsagen oder Niederschreiben aller Formen ohne Pronom.
person. ausfüllen. Ähnliche schematische Übungen zu den Verben des
dritten Teiles findet man in der Hauptschrift selbst. Wie Stier, sieht
sich auch Mosen bemüssigt, ungeheuerliche oder hässlich klingende und
ganz ungebräuchliche Formen wie paye-je, employe-je, appuye-je,
mend'je^ appele-je, re'gne-je (Ergänzungsheft S. 8 ff.) aufzustellen.
3. OUert's Lehre vom französischen Verb ist eine hervor-
ragende Leistung, die sich durch wissenshaftliche Gründlichkeit und
klare Darstellung auszeichnet. Ich sehe aber nicht ein, warum „es
nötig sein wird, (nur?) die schwierige Verbalfiexion im Unterricht von
der Lektüre loszulösen und ihr eine systematische Behandlung auf der
Mittelstufe zu widmen" (Vorwort, S. III). „Dass die französische
Grammatik an der Hand der Lektüre betrieben werden müsse, ist eine
Forderung", die man natürlich für den Anfang und im grossen und
ganzen noch für die Mittel- und Oberstufe als richtig anerkennen
muss. Aber man kann diese Forderung erfüllen und doch von der
Mittelstufe an, besonders an Schulen, die auf den französischen Unter-
richt 8 — 9 Jahre verwenden, eine vollständige systematische, auf wissen-
schaftlichem Grunde aufgebaute Grammatik zur Wiederholung, Zu-
sammenfassung und Vertiefung des induktiv gelernten grammatischen
Stoffes gebrauchen. Die mir vorliegenden Schriften von Ohlert be-
weisen mir, dass er das nötige Wissen und die Fähigkeit dazu besitzt,
eine solche vollständige Grammatik, die sich den Büchern von Lücking,
kleinere Lehr- und Übungsbücher. 103
Plattner und Kühn an die Seite stellen könnte, zn verfassen und dabei
vielleicht das schwierige, gefahrvolle Ziel der „Zugrundelegung einefv
reinen Lautgrammatik", die ihm vorläufig noch „keine Gewähr für die
Aneignung der Sprachformeu, wenigstens nicht bei unseren heutigen
Schul Verhältnissen, bietet", („Behandlnug . . . ." S. 18, Anm.) zu erreichen.
Sein Standpunkt, über den er sich im Vorwort zur „Lehre vom
französischen Verb" und in der beigegebenen methodischen Schrift
in lichtvoller Weise ausspricht, ist dem Mosen's ähnlich. Er bemüht
sich, bei Erläuterung der grammatischen Erscheinuogen Laut und
Schrift stets scharf von einander zu scheiden, was ihm noch besser
als Mosen gelingt, weil er die phonetische Litteratur sorgfältiger
studiert zu haben scheint, und die sicheren, für den Schulunterricht
verwendbaren Ergebnisse der historischen Grammatik nach bestimmten
Prinzipien zu ordnen. Im allgemeinen habe ich an seiner Darstellung
sehr wenig auszusetzen. Altfranzösische Formen meidet er; Hinweise
auf das Latein sind in einem Anhang (II, S. 46) „für Latein lernende
Schüler" abgesondert.
Die „Einleitung" des kleinen Lehrbuches (S. 1 — 5) enthält:
„1. Erklärung der technischen Ausdrücke; 2. Lautschrift; 8. Auszug
aus der Lautlehre; 5. Orthographische Eigentümlichkeiten." In det
Bezeichnung der Laute folgt 0. Vietor, begeht aber bei der Au&ssung
des französischen a einen ähnlichen Irrtum wie Mosen. Das „helle a"
ist nicht bloss kurz (ma, adors), sondern auch lang, z. B. in rure, und
oft halblang (durch Kachdruck) in nation u. a. Beide Wörter, rare
und nation, hat Ohlert fälschlich als Beispiele zu dem andern a neben
äme, bdton gestellt (S. 2).
In der „Lehre vom Verb" (S. 6—40) befolgt er dieselbe Ein-
teilung in Konjugationen als Mosen, nur gebraucht er andere Namen:
„lebende" (Inf. -er) — „erstarrte Konjugationen" (Inf. -ir, -re, -pir),
S. 9 aller Hauptstamm all-, Nebenstämme va — «r — ." Warum
nicht Nebenstamm i-, Inf. ir- in der Zusammensetzung firai, firais?
Ebenso wenig kann ser- als Nebenstamm zu es- von Hre (auf der
folgenden Zeile) angesehen werden.
S. 10 „Stammbetonte Formen sind : 4. der Indikativ
der Perfekte ohne Kennlaut ....". Ich würde das stammhafte t in
Je pris u. a. immerhin einen Kennlaut, das t in je punis u. a. sowohl
nennlaut als Ableitungsvokal nennen. Vgl. auch S. 22 u. a.
S. 12 Qe 7'egne (re,n) , , . . nous regnons (re-n^) , * , . je regnerai
(re'nre ),'^ Das e der endungsbetonten Formen dieses Verbs nähert
sich in der modernen Aussprache schon sehr dem offenen ^, besonders
im Präs. Fut. und Impf. Fut., oder wird zu dem „mittlei*Bn" e zwischen
e und e, vgl. maison und oben eine Bemerkung zu Nr. 2. Die Aus-
sprache eilt der Schrift voraus. Ähnlich : evdnement (Orthographie der
neuesten Auflage des Dici. de VAcad, 1879) = evenement u. a., früher
College = College u. a.
S. 14, „Schwaches ö (Ohlert meint ff = e sourd) wird in den *
stammbetonten Formen zu e. [ai] bei faire»^ Besser : Der ursprüngliche
offene ^-Laut (= ai) erscheint in den endungsbetonten Formen als q
oder verstummt, meist noch geschrieben ai, aber regelmässig e im
Präs. Fut. und Impf. Fut. (je faisais, je ferais).
S. 14—15. Die Qualität des ö =^ eu in den stammbetonten
Formen des Präs. von mouvoiry pouvoir, vuloir ist nicht immer ge-
schlossen, wie Ohlert meint, sondern vor lautbaren Endkonsonanten
des Stammes offen: üs meuvent, qiie je meuve, ils peuveni, Hs veuleni,
que je veuille etc.
104 Referate und Rezensionen. A. Rambeau,
S. 21 „au- (o) i*aur-m, sau- (so*) Je saur-ai.^ Der Laut o == au
dieser Formen ist oit ein kurzes offenes ^ oder das „mittlere" o
zwischen ö und ö. Vgl. o in dorer, wie oft e zwischen e und e in
maison und feter, und eine Bemerkung oben zu Nr. 2.
S. 22 „w-w", Druckfehler (mü),
S. 25 ^'e vais (vq)", Druckfehler für ve . (offenes e, nicht nasaliert).
S. 35 „conclure .... Die Endungen des Perfekts und Partizips
treten an den verkürzten Stamm." Warum soll man nicht den un-
verkürzten Stamm conclu- auch für das hist. Perf. je conclus und das
Part. Perf. conclu (mit abgefallenem s, vgl. reclus) annehmen? Vgl.
Ohlert S. 23 : rire. Stamm n-, hist. Perf. je ris, Part. Perf. ri (mit ab-
gefallenem s),
S. 36 „moudre .... Scheidelaut d im Infinitiv und Indik. des
Präsens." Besser: Der vermittelnde Laut d zwischen ursprünglich /
(= u vokalisiert) und (ursprünglich lingual.) r im Infin., nur graphisch
im Indik. und Imper. Präs. Sing.
S. 37 „naUre (ne.tr)^, Druckfehler; n€Jr (langes offenes e).
S. 45 „Stre (e.tr).^ Druckfehler: i.tr, richtig S. 37.
S. 39 „pleuvoir (plo*Vuar]j^ Druckfehler: d*. (kurzes offenes ö)
in unbetonter Silbe oder manchmal q (=^ e sourd)^ selten geschlossenes ö,
vgl. oben eine Bemerkung bei Nr. 2.
S. 46 „Anhang IL (Für Latein lernende Schüler) 2. Die
Kennlaute des Perfekts entsprechen den lateinischen Ableitungs-
vokalen: u 1) = «I . . . ." Besser: ui mit vorgerücktem Accent,
je valus = lat. valüi st. vdlui wegen valüimus.
Ferner „9. Das s der Partizipien (zu ergänzen : Perf.) ist ursprüng-
lich und stammhaft: acquis — acquisiiturn) " Druckfehler:
acquis(it)um.
„11. Das doppelte rr in pourrai, verrai ist durch Assimilation
entstanden: potero — potrai — pourrai; videre — vedrai — verrai.""
Die Anführung der lateinischen Form potei'o in der Weise, wie sie
hier geschieht, gibt leicht zu einem Miss Verständnis Anlass. Besser:
Assimilation der Dentalis an r nach Ausfall des durch die Zusammen-
setzung des Infinitivs mit dem Präs. resp. Imperf. von habere unbetont
gewordenen lat. Ableitungs-^ : je verrai = videre habeo, je verrais =
videre habeham; ähnlich je pourrai, je pourrais (Infin. pot-Sre st. posse,
vgl. potesi, poieram, potero u. a.).
„Die Behandlung der Verbalflexion . . . ." S. 9. Den Stamm
durch Abtrennung der Endung von der l. Pers. Plur. Präs. Ind. finden
zu lassen, wie es Ohlert empfiehlt und verteidigt, ist gewiss praktischer
und für das Französische richtiger, als den Infinitiv zu diesem Zweck
zu benutzen, da hier häufig eine konsonantische Endung folgt, die den
ursprünglichen Stamm lautlich und sehr oft auch graphisch beeinflussst
und verändert.
S. 14 Anm. „Auch die Ansetzung verschiedener Stämme fälscht
* den Thatbestand. Denn es liegt doch nur ein ursprünglicher Stamm
zu Grunde, der nur, je nachdem ein Vokal oder Konsonant folgte,
anders behandelt wurde." Auch der ursprüngliche und ursprünglichste
(lateinische oder gar vorlateinische) Stamm ist immer nur etwas
vom Verstände konstruiertes, nicht etwas wirklich in der Sprache
existierendes. Vgl. eine Bemerkung oben zu Nr. 2.
S. 28 ^pedal — ptVrf." Druckfehler für pe'dale.
S. 29 „Cafe — cafetiere — cafeiere,^ Druckfehler für cafeiere.
4. miriell's Schrift unterscheidet sich von den eben be-
sprochenen drei Schriften dadurch, dass sie als „Hilfsbuch für Schüler
Kleinere Lehr- und Übungsbücher. 105
besonders lateinloser Schulen" bestimmt ist, wodurch der Verfasser
„die Beschränkung im Punkte der Lautgesetze genügend rechtfertigt"
(Vorwort, S. IV), ferner dass er nur die sogenannten unregelmässigen
Verben ausführlich behandelt und diese ausdrücklich nicht nach den
Perfektformen, sondern nach den Präsensformen ordnet. „Es will mir
nämlich scheinen", sagt Ullrich im Vorwort (S. III), ,,als wenn die
bisher beliebte Anordnung der Verben nach den Perfektstämmen als
ein methodischer Missgriff befrachtet werden müsse, da meine Lehr-
thätigkeit mir gezeigt hat, dass der Stein des Anstosses für den
Schüler nicht sowohl in den Perfektformen, als in den Präsensformen
liegt, eine Anordnung nach diesen also schon ein Moment der Er-
leichterung enthält." Dies ist sicherlich ein Gesichtspunkt, der be-
achtet zu werden verdient, den man aber füglich nicht ausser acht zu
lassen braucht, auch wenn man ebenfalls die Bildung des bist. Perf.
und zugleich die des Part. Perf. bei der Gruppierung der Verben be-
rücksichtigt.
Was die Einteilung in Konjugationen betrifft, so stimmt Ullrich
hierin fast ganz mit Stier überein, aber er fasst den Begriff „regel-
mässig" viel enger und den Begriff „unregelmässig" viel weiter. Am
Anfang gibt er auf einer Tabelle (S. 1 — 3) eine vergleichende Übersicht
der „drei regelmässigen Konjugationen" mit Infin. -er, -re, -ir, eine
sehr nützliche Zusammenstellung der Endungen 1) ihrer „gleichen
Formen" und 2) ihrer „ungleichen Formen". Zur regelmässigen ir-
Konjugation, wie sie Ulrich nennt, rechnet er nur die Verba mit der
Stammerweiterung -iss- (bannir u. a.), zur regelmässigen r^-Konjugation
nur die wenigen Verba, deren Stamm auf p und d ausgeht. Von allen
„drei regelmässigen Konjugationen" sind ausgeschlossen 1) die Verba,
in deren Endungen irgend eine orthographische Abweichung oder Be-
sonderheit zu bemerken ist, also sogar Verben wie lauer und scduer
wegen des trema (nous lomons, vous salutez), 2) die Verba, die in der
Schritt — auf den Laut kommt es dem Verfasser zunächst nicht an —
irgend eine Veränderung des Stammes zeigen, also menacer^ venger,
employer, celer, battre, fleurir u. ä. — Es ist auffällig, dass sich avouer
neben chercher u. a. unter den regelmässigen VerJjen findet (S. 3),
dagegen louer und vouei\ devouer u. ä. unter den unregelmässi^en auf-
geführt sind (S. 8). Um die sogenannte „regelmässige" r^-Konjugation
gegenüber den zahlreichen „unregelmässigen" Verben auf -re nicht
allzu dürftig erscheinen zu lassen und wenigstens rompre und vcndre
und 6 andere Verba mit einem auf d ausgehenden Stamme zusammen-
zubehalten, gibt Ullrich (S. 2) zu Präs. Indik. „Stamm ^- s, •\- s, + ^"
die Bemerkung: „Dritte Person ohne Endung nach d, t, c." „Nach fl^*
würde hier schon genügt haben: Denn baiire und vaincre sind ja nach
seiner Auffassung unregelmässig. Vom phonetischen Standpunkte aus
und, wenn man die wirklich jetzt gesprochene Sprache, die heutige
Lautsprache, als massgebend ansieht, muss man jene Einschränkungen
und Ausschliessungen zum Teil als sehr willkürlich und falsch be-
zeichnen. Z. B.: romps = rS neben rompons = r5p5 ist keineswegs
„regelmässiger" als bats = bd neben baitons = bdtn; oder beide Formen
r5 und bd müssen, da der Stamm verändert ist, als „unregelmässig"
gelten. Wenn man dann die übrigen von Ullrich (S. 3) angeführten
Verba auf -re in ähnlicher Weise vergleicht und beurteilt, kann natür-
lich von einer regelmässigen rcJ-Konjugation überhaupt nicht die Rede
sein. Denn in diesem Falle müssen alle Verba auf -re ebenso, wie
alle Verba auf -mr, zu den unregelmässigen oder anomalen gestellt
werden. Aber Ullrich steht in dieser Beziehung auf dem reinen, un-
106 Referate und Rezensionen, A, Rambeau,
verfälschten Standpunkte der Schriftsprache, und man musa augeben,
dass er insofern seinem Standpunkte gemäss im Einschränken und
Ausschliessen im allgemeinen mit richtiger Eonsequenz vorgegangen ist.
Die vier unregelmässigen Konjugationen sind in derselben Reihen-
folge geordnet, wie in Stier's Tabellen, also unnötigerweise anders,
als die drei regelmässigen:
„I. Anomale Verba der . . ^-Konjugation.
IL Anomale Verba der . , tr-Konjugation.
III. Anomale Verba der . . r^-Konjugation.
IV. Verba auf -ö«r."
S. 10 — 11. „mourir Erklärung: Die stammbetonten
Formen lauten ou zu eu um." D. h. die stammbetonten Formen des
Präsens . . . : Diese notwendige Beschränkung ist an allen Stellen, wo
ich eine ähnliche Erklärung bemerkt habe, weggelassen, so bei venir
S. 11, devoir S. 24.
S. 15. „ü echt'' Druckfehler für eciot
S. 25 — 26. „pmwoir Erklärung : Ausser der Vorbe-
merkung bezüglich des v, beachte den Stammumlaut, sowie das x der
ersten und zweiten Person (nach Analogie der Pluralbildung der Sub-
stantiva auf eu); ..." Der Ausdruck „Analogie" ist hier durchaus
unpassend und missverständlich. Besser: x statt s nach eu, vgl.
Subst. z. B. cheveu — cheveux. Ferner: „endlich das Futur, in welchem
V dem folgenden r assimiliert ist." Diese Erklärung ist lautphysiologisch
(eine Labiab's dem ursprünglich lingualen r assimiliert!?) und sprach-
historisch falsch; und wissenschaftlich Falsches darf unter keinen Um-
ständen in einer Schulgrammatik gelehrt werden. Selbst die Schüler
lateinloser Anstalten, für die Ullrich seine Schrift hauptsächlich be-
stimmt hat, können die Entstehung des Präs. Futur (Infinitiv + Präs.,
resp. Impf, von avoir) begreifen, und da sie das v in den bezüglichen
Formen von pouvoir nur zwischen Vokalen sehen (vgl. nous pouvons,
ils peuveni — ü peut, vgl. auch pouvani — puissant u. ä.), so ist es
für sie auch nicht schwer zu verstehen, dass das v ursprünglich nicht
stammhaft, sondern nur hiatustilgend ist. Wenn aber Ullrich aus
praktischen Gründen die richtige wissenschaftliche Erklärung (Assi-
milation der Dentalis an ursprünglich linguales r; dr, Ir == rr, vgl.
je pourrai mit je verrat, je de'cherrai, ü däckerra, vgl. lat. pot-esi,
videre, cadere, franz. potentat, providence, decadence u. ä.) nicht geben
oder auch nicht einmal andeuten wollte, so hätte er die Formen pourrai,
pourrais neben pouvoir einfach als unregelmässige — gegenüber devrai,
devrais von devoir u. a. bezeichnen und dabei nur aaf verrat, verrais
— de'cherrai, decherrais — e'cherra, echerrait neben voir — dechoir —
e'choir verweisen sollen, zumal da er bei diesen Verben (S. 28) auf
jede Erklärung des Futur, verzichtet.
S. 26 — 27 y^vatoir, faüoir Erklärung. Beachte 1. x statt sJ^
Ergänze: x statt s nach au, vgl. die Subst. und Adj., z. B. cheval —
chevaux, chapeau — chapeaux, heau — heaux, — Weiter: „2. die Mouil-
lierung der Stämme «>«/- und faü- im Konjunktiv, wie bei «//<?>•."
Ergänze „in den stammbetonten Formen des Konjunktivs", und ebenso
an anderen Stellen der Schrift. — Ferner : „4. Futur hat euphonisches d.^
Unverständlich ohne Zusatz: d eingeschoben zwischen l und ursprüng-
lich lingual, r; l = u erst später vor folgenden Konsonanten vokali-
siert, daher auch vaux, vaut, faut, wie vaudrai, faudra.
S. 27. „voiäoir .... Erklärung Umlaut von u zu eu in
den stammbetonten Formen." Druckfehler. Verbessere: ou zu eu • . .<,
Kleinere Lehr- und Übungsbücher. 107
oder (phonetisch): u zu ö, das offen oder geschlossen ist, je nachdem
der Endkonsonant des Stammes lautet oder verstummt.
Der „Rückblick" (S. 29 — 82) enthält einige allgemeine Be-
merkungen über die Behandlung der Endungen und des Stammes, die
sehr kurz und knapp gehalten, aber doch zum grössten Teil verständ-
lich und verständig sind.
S. 80. „Die Silbe t^ in bomlür schwand vor s und t" Die
drei Buchstaben ill bezeichnen in diesem Worte keine Silbe, sondern
bedeuten jetzt nur einen halbvokalischen (halbkonsonauti sehen) Laut,
nach Passy's Auffassung einen Konsonanten, = /. Auch früher bildeten
diese Buchstaben im Französischen nie eine äilbe: im älteren Fran-
zösisch und noch jetzt im Dialekt oder in der dialektisch gefärbten
Aussprache = // oder = palat. /. Vor -s, -t konnte der Stammauslaut
von bouülir = lat. btiläre, als jene konsonantischen Endungen noch
gesprochen wurden, nur als einfaches / erscheinen (bouiä-, bouU-, botd-;
vgl. lat. 1. buäio, ursprünglich dreisilbig, yulg.-lat. zweisilbig, äi = IJ,
2. btfUis, 8. buUit) und musste später in u übergehen, das mit dem
Stammvokal verschmolz: Je bons, tu bous, ü bout.
Ferner S. 80. „Desgleichen wurde der mouillierte Stammauslaut
gn in den Verben auf . . indre vor s und t zu blossem n (nasal): je
crains^ ü craini (auch Partizip)." unklar oder falsch, wie die Erklärung
zu craindre S. 18. Besser: craindre, peindre, joindre u. s. w.; der
Stamm geht aus auf gn = n (palat. n) vor vokalischen Endungen,
auch vor dem verstummten e, — aber vor konsonantischen Endungen
in der Schrift auf n, das in der lebenden Sprache verstummt, jedoch
die nasale Aussprache des Stammvokals bewirkt: ain, ein = ^, oin = **^.
S. 31. Über Konj. Präs. und Imper. drückt sich Ullrich allzu
kurz und wohl deshalb undeutlich und angenau aus.
Die drei letzten Absätze, die überschrieben sind: „Merke folgende
Basses definis^, „Merke folgende Pärticipes passes*' und „Merke folgende
Futurs^, sind ziemlich wertlos, da die hier angeführten Formen des
bist. Perf., des Part. Perf. und des Futur, ohne ein — wenigstens für
mich — ersichtliches Prinzip zusammengestellt sind. Auch hätte Ullrich
an dieser Stelle endlich die Bildung des französischen Futur, und die
Änderungen, die bei der Zusammensetzung des Infin. mit dem Präsens
von avoir vor sich gehen, erwähnen und andeutungsweise erklären
müssen.
Trotz der Einwände, die ich in meiner Besprechung erhoben,
und trotz der Ausstellungen, die ich an einigen Einzelheiten gemacht
habe und noch an manchen anderen hätte machen können, erkenne
ich gern an, dass die Schrift von Ullrich brauchbar zu nennen ist und
hauptsächlich zwei nicht unwesentliche Vorzüge aufweist: eine im
im ganzen geschickte und übersichtliche Anordnung der Verben und
Verbalformen und eine knappe und doch auf kleinem Räume er-
schöpfende Darstellung.
5. Ricardos „Hilfstabellen für die Konjugation der franzö-
sischen regelmässigen und unregelmässigen Zeitwörter", von denen
auch auf Pappe gespannte Exemplare auf Wunsch der Besteller vom
Verleger geliefert werden, haben nur einen rein praktischen Zweck.
Durch den vollständigen Titel, den ich oben mitgeteilt habe, mögen
sie sich selbst empfehlen, wie auch durch folgende Worte des Ver-
fassers innerhalb des Umschlages, die sich auf ihren Inhalt und Zweck
beziehen: „La conjugaison franqaise offre ä la fois une gründe clarte'
et une incomparäble pre'cision; eile peut se re'sumer en tableaux synoptiques
garantissant de taute erreur^
108 Referate und Rezensionen, M, Walter,
I. Pitts de 6000 verbes se conjuguent comme pa/rler.
IHus de 850 comme ptmirm
Environ 400 comme vend/re.
En un mot, tous les verbes reguUers ont lä leurs modeles.
IL Dans le second tahleau, on a compris tous les verbes irrdguUers
(225) et les defectifs.
Par conse'quent, ces deux tableaux remplacent exaciement toute
grammaire et tout dictionnaire.
lls ont comme but pratique Pavantage de pouvoir Stre suspendus
dans les maisons d^'e'ducation et les comptoirs, de se placer sotts tceü de
räcrivain ainsi que dans le portefeuüle de chacun,*^
Die Anordnung iflt Bchematisch und teilweise alphabetisch; sie
weicht von der Ploßtz'schen wenig ab. Nur einen Druckfehler habe
ich entdeckt: asseye statt asseye. A. Rambeaü.
Rambean, A«, Die Phonetik im französischen und englischen
Klassenuntenricht, (Eine Begleitschrift zu den Lauttafeln
des Verfassers.) Hamburg, 1888. Verlag von Otto
Meissner. Preis: 1 Mark.
Die von Rambeau herausgegebenen Wandlauttafeln sind,
abgesehen von mehreren hinzugekommenen Verbesserungen die-
selben, welche er in seiner Schrift Über den französischen und
englischen Unterricht in der deutschen Schule (Hamburg, 1886.
Herold) veröffentlicht hat. Der Wunsch, diese Tafeln in allen
Klassen der bedeutend vergrösserten Anstalt des Wilhelms-
Gymnasinms zu Hamburg benützen zu können und sie somit auch
den Kollegen auf bequemere Weise zugänglich zu machen, bat
Rambeau veranlasst, die Tafeln auf lithographischem Wege ver-
vielfältigen zu lassen.
Über seine Begleitschrift lässt er sich im Anfang folgender-
massen aus: „Was ich im folgenden über die Phonetik im fran-
zösischen und englischen Klassenunterricht zu sagen gedenke,
soll keineswegs der Versuch einer vollständigen, wenn auch nur
ganz elementaren, Darstellung des französischen und englischen
Lautsystems für Scbulzwecke sein. Für Schüler ist die Begleit-
schrift überhaupt nicht bestimmt, und Lehrer finden in den seit
etwa zwölf Jahren erschienenen vortrefflichen Büchern über Laut-
physiologie die nötige Belehrung und vielleicht bessere Auskunft
in wissenschaftlicher Beziehung, als ich sie an dieser Stelle zu
geben im stände wäre. Dagegen möchte ich wenigstens mit
meinen Bemerkungen über den Gebrauch der Lauttafeln zeigen,
auf welche Weise man mit Hilfe dieser Tabellen den Schülern
allmählich — von Stufe zu Stufe im mehrjährigen Schulunterricht —
eine genaue und gründliche Kenntnis der zwei fremden Laut-
systeme verschaffen kann — ohne Lehrbuch, und ohne sie im
A. Rambeau, Die Phonetik im firanz, u, engl, KlassenunierrichU 109
geringsten Grade zu überbürden oder mit unverdaulichen abstrakten
Dingen zu belästigen. Den Fachgenossen, welche den phone-
tischen Studien noch abgeneigt sind, möchte ich femer beweisen,
dass man nach meiner Methode ohne „Regeln^ die Aussprache
der Schüler wenn nicht fehlerlos, so doch jedenfalls gleichmässig
und der eigenen Aussprache vollkommen gleich machen und da-
durch ihren Oenuss an der fremden Sprache, die sie lernen,
wesentlich heben und ihr Interesse dafür in hohem Orade fördern
kann.^
Nach der allgemeinen Hervorhebung der Bedeutung der
lautlichen Schulung für die genaue Aussprache der fremden
Sprachen und der Muttersprache selbst, deren lautlich reine
Erlernung schon im Elementar- Unterricht zum Gegenstand der
sorgfältigsten Pflege gemacht werden müsste, bespricht nun
Rambeau zunächst die französischen Lauttafeln, deren eine die
Vokale, die andere die Konsonanten enthält. Eine Zusammen-
stellung von Musterbeispielen mit Rücksicht auf die Einzellaute
befindet sich unter jeder Lauttafel. Den Vokalen hat er die
Dreieckform zu Grunde gelegt, bei der das Verhältnis der Zungen-
stellung der einzelnen Laute veranschaulicht wird. Die ge-
schlossenen Laute werden mit ', die offenen mit ^ bezeichnet.
Die Quantität wird durch die Lauttafel nicht angegeben, sondern
durch Vorsprechen erlernt. Die unter der Vokaltafel angeführten
Musterbeispiele sind indessen nach der Quantität geordnet,
indem Rambeau sowohl bei den reinen als den nasalen Vokalen
Beispiele 1) für lange, 2) für weniger lange oder kurze Laute
angibt.
Die Konsonanten ordnet Rambeau nach Verschluss- und
Engelauten an, so dass die einander entsprechenden stimmhaften
und stimmlosen Laute nach ihren verschiedenen Bildungsstellen
neben einander stehen: A. Labiale, B. Linguale (Dentale), C. Pala-
tale (Gutturale), D. Hauchlaut.
Rambeau beginnt mit der Einübung der reinen Vokale, die
er zunächst auf deutsche Weise, dann mit verstärkter Artikulation
auf französische Weise vorspricht.
Beim Nachsprechen der Lautreihen i-a-u und u-a-i haben
die Schüler auf die Veränderung der Lippen- und Zungenstellung
zu achten, so dass sie sich der Stellung der Sprachorgane be-
wusst werden.
Die weiteren Übungen an der Vokaltafel bestehen im
Lautieren der folgenden Vokalreihen:
i- 4- a
U'6-a
i'i'l-a
110 Referate nnd Rezensionen. M, Walter,
U'ö'b-a
ü'O-a
U'O'O'CL,
Zum Schluss werden die drei vollständigen Vokalreihen
geübt:
u-6'b-a
U'O-o-a.
Diese Übungen haben die Schüler einzeln und im Chore
vorzunehmen. ^Sie werden so lange fortgesetzt, bis sie mindestens
von der Mehrzahl der Schüler ohne Fehler und ohne Zögern
ausgeführt werden können.^ ^Die straffe Artikulationsweise ist
bei allen französischen Vokalen zu betonen und eher zu über-
treiben als zu massigen. Der Unterschied zwischen den ge-
schlossenen Lauten ^60 und den offenen Lauten h b o musB
jedem Schüler ganz geläufig werden.^
Zu den obigen Lautreihen möchte ich die folgenden Reihen
hinzufügen, deren sorgfältige Übung der Aneignung einer klaren
Aussprache der französischen Vokale sehr förderlich ist:
i U u
i 06
lob.
Zunächst wird der Übergang innerhalb der beiden ersten
Lautreihen geübt. Hierbei behält der Schüler die Zungenstellung
der ersten Reihe i i l bei und nimmt nur die Lippenstellung
von u 6 b Kd. Beim Übergang von ü o 0 vssl u 6 b behält er
umgekehrt die zuletzt eingenommene Lippenstellung bei, indem
er die Zungenlage schnell verändert. Überall, wo die Lippen-
artikulation im Deutschen mangelhaft ist, sind diese Übergänge
aus der spaltförmigen in die gerundete Form von grossem Werte.
Der Schüler, der oft im Deutschen statt o oder ü i, bzw. i, zu
sprechen gewöhnt ist, wird durch das Gegenüberstellen dieser
entsprechenden Laute zur genauen Beachtung ihrer Verschieden-
heit und zu ihrer sicheren Nachahmung geführt. Besonders
empfiehlt sich hierzu die Übung der nach ihrer wagereehten
Lippenstellung am weitesten auseinanderliegenden Vokale i und ü
und umgekehrt.
Das Übergehen von einem Vokal zum andern innerhalb
derselben Lautreihe geschieht dadurch, dass unter anhaltendem
Stimmton der Wechsel der zur Bildung der einzelnen Vokale
erforderlichen Mundstellung erfolgt. Hierbei lernt der Schüler
zugleich den im Deutschen den Vokalen vorangehenden Kehl-
kopfverschlusslaut vermeiden und gewöhnt sich somit an den im
Französischen üblichen leisen Stimmansatz.
j4, Rambeau, Die Phonetik im /ranz, «. enpL Kiassenunierrichi. 111
Von den reinen Vokalen geht Rambeau zu den nasalen
Vokalen über. Die Schüler werden in einfacher Weise auf den
Unterschied zwischen beiden Arten hingewiesen. Durch Über-
gang vom Grandvokal zum Nasalvokal, der im singenden Tone
gesprochen wird, ergibt sich folgende Übung: a-ä, l-^, b-ö, o-S.
Wegen der auch von Rambeau hervorgehobenen oft statt-
findenden Verwechslung der Nasalvokale ä mit 5^ i mit i ist es
von Vorteil, die Beziehungen der Nasalvokale zu ihren bezüg-
lichen Grundvokalen auch an der Lauttafel dadurch zu veran-
schaulichen, dass man sie den betreffenden offenen Lauten
gegenüberstellt Um bei der hierdurch verursachten Häufung
von Lautzeichen die Übersichtlichkeit zu wahren, empfiehlt es
sich dann, wie es bei uns geschieht, verschiedene Farben fUr
die verschiedenen Lautarten zu verwenden. So sind bei uns
iihaäböu schwarz, ü 6 o o grün und die Nasalvokale
ä e ö S^) rot dargestellt. Kommt es nun vor, dass ein Schüler
z. B. ä statt ö spricht, wie es hier oft geschieht, so wird er
sofort auf den entsprechenden Grundvokal verwiesen, indem er
unter Beibehaltung der a- Mundstellung den Übergang von a zu ä
übt. Ausserdem ist als Grund des Fehlers anzugeben, dass der
Schüler anstatt der a-Mundstellnng die von b eingenommen hatte.
Von Bedeutung für unsere Gegend sind die Bemerkungen Rambeau's
über die Schüler, welche im Deutschen anstatt der reinen Vokale
genäselte verwenden und nun diese auch auf das Französische
zu übertragen pflegen. Da gilt es durch viele Lautübnngen dem
Schüler recht klar zu machen, dass der Mund weit zu öffnen ist,
und der Hauch durch Mund und Nase, nicht etwa wie im Dialekt
ganz oder zum grössten Teile durch die Nase strömt. Bei diesen
Fehlem ist es notwendig, nach den Übungen der reinen und der
Nasalvokale die Schüler auf die Unterscheidungsfähigkeit der
Nasalvokale hin zu prüfen.
Dazu empfiehlt es sich die vier Nasalvokale an die Tafel
zu schreiben und mit den Nummern 1 bis 4 zu versehen:
ä e ö ö
12 3 4
Der Lehrer spricht nun reine Vokale und Nasalvokale in
beliebiger Reihenfolge vor; sobald ein Nasalvokal an die Reihe
kommt, hat dann der Schüler nur die Nummer des betreffenden
1) Behufs Vereinfachung der Lautzeichen halte ich es für ange-
bracht, die Akzente auf den Nasalvokalen wegzulassen. Dass diese
Laute im Französischen nur offen sein können, lernt der Schüler ja
schon durch die so häufig geübte Gegenüberstellung der offenen Grund-
vokale und der bezüglichen mit derselben Mundöffnung gesprochenen
Nasalvokale.
112 Referate und Rezensionen. M, Walter,
Vokals anzugeben. Spricht der Lehrer z. B. h vor, nnd der
Schüler gibt dafür 2 == 5 an, so ist dies ein Beweis dafür, dass
der Schüler durch die fehlerhafte Gewohnheit des Näseins zu
dieser falschen Lautauffassung geführt wird ; und so muss wieder
auf die entsprechenden Artikulationsübungen zurückgegangen und
der Grund des Fehlers in einfacher Weise erklärt werden.
Bezüglich der fehlerhaften Aussprache der Nasalvokale in
Norddeutschland sagt Rambeau: ^Mag der Lehrer auch selbst
die französischen Nasalvokale noch so gut vorsprechen, er kann
ziemlich sicher darauf rechnen, dass seine norddeutschen Schüler
ohne eine sorgfältige „Artikulationsgymnastik ^, wenn er die Laute
ihrer akustischen Auffassung und blossen Nachahmung überlässt,
fast alle a^, h) oder tn}^ o^, oder o^, o^ oder ot^ und ähnliche
Lautverbindungen hören und nachsprechen. ^ Rambeau hebt recht
treffend hervor, wie schwer es ist eine derartig Jahre lang hin-
durch geübte falsche Aussprache der Nasalvokale zu beseitigen,
während bei der lautlichen Schulung im Anfangsunterricht alle
Schüler zur richtigen Wiedergabe der dem. Französischen eignen
Laute gelangen müssen.
Da die Schwierigkeiten der lautgetreuen Nachahmung der
französischen Nasalvokale immerhin gross genug sind, so scheint
es mir hier geboten, in einfacher Weise eine Erklärung der
Bildung dieser Laute im Unterschied zu den deutschen Nasal-
konsonanten zu geben.
Der Schüler spricht zunächst deutsche Wörter aus, die auf
ng endigen, wie 6an^, häng*. Verschliesst er die Nase durch
Zuhalten mit den Fingern, so wird der Nasalkonsonant plötzlich
abgebrochen; im Gegensatz hierzu zeigt ihm der Lehrer, wie bei
demselben Verfahren die französischen Nasallaute, wenn auch
gedämpft, forttönen. Woher kommt das? Beim deutschen Nasal-
konsonanten verhindert der Ansatz der Zunge am Gaumen das
Ausströmen der Luft aus dem Mundraum; die Luft geht somit
allein durch die Nase. Wird nun dieser Ausweg der Luft durch
Zuhalten der Nase verschlossen, so muss der Laut zu tönen auf-
hören. Bei der Aussprache der französischen Nasallaute, welche
vokalen Charakter und dieselbe Mundstellung wie die ent-
sprechenden Grundvokale haben, findet keine Berührung der
Zunge mit dem Gaumen statt, so dass die Luft auch bei Nasen-
verschluss noch immerhin ihren Ausweg durch den Mund findet
und so den Laut weitertönen lässt.
Aus dieser Verschiedenheit der beiden Lautarten, die dem
Schüler zugleich die Verkehrtheit der Bezeichnung des einfachen
französischen Nasallautes mit ang nachweist (drei Buchstaben
für einen Laut und konsonantischer für vokalischen Lautansatz)
A. Ramheau, Die Phonetik im franz. u. engl, Klassenunierricht, 113
ersieht der Schüler, dass er zur Wahrung des vokalischen Lant-
wertes die Zunge stets vom Gaumen fernhalten muss.
Oelingt ihm dies zuerst nicht, so weist ihn der Lehrer an,
die Zunge mit einem Stift herabzudrücken und somit in der Lage
des entsprechenden Grundvokals zu erhalten. Am besten üben
die Schüler diese Nasallaute, wie auch Rambeau hervorhebt,
dadurch ein, dass sie dieselben in singendem Tone möglichst
lange aushalten. Überhaupt gibt es kein besseres Mittel für die
Aneignung und Befestigung einer guten Aussprache als das Singen
von Liedern,^) das auch ausserdem dazu angethan ist, die Lust
und Freude des Schülers an der Sprache wesentlich zu erhöhen.
In der Besprechung der Konsonanten und Mittellaute, deren
Absonderung von den Konsonanten ich übrigens nicht für ange-
bracht halte, lässt Rambeau die Schüler in elementarer Weise
den Unterschied zwischen Vokalen und Konsonanten feststellen,
um dann die einzelnen Laute, wie schon oben bemerkt, zusammen-
zustellen. „Bei diesen und den folgenden Erörterungen, sagt
Rambeau, berücksichtige ich am meisten die Labialen, weil die
Schüler die verschiedenen lautphysiologischen Vorgänge bei diesen
Lauten nicht bloss durch ihre eigene, von mir geleitete Über-
legung an ihren Organen selbst wahrnehmen, sondern auch an
meinen Lippen und Zähnen beim Sprechen deutlich sehen können.^
Rambeau verweilt dann besonders auf dem wichtigen Unterschied
der stimmlosen und stimmhaften Laute, welche die Schüler sicher
von einander unterscheiden und genau nachahmen lernen müssen.
„Besonders in Mittel und- Siiddeutschland, wo die Vermischung
von „harten^ und „weichen^ Konsonanten, der Gebrauch von
stimmlosen schwachen (weichen) Konsonanten in der dialektisch
gefärbten Muttersprache sogar unter den Gebildeten vorherrscht,
hat der Lehrer viele sorgfältige und langwierige Übungen anzu-
stellen, damit seine Schüler den Unterschied zwischen stimmhaft
und stimmlos in der fremden Sprache nicht nur theoretisch ver-
stehen, sondern auch in der Praxis immer ohne Schwanken und
Irren durchführen lernen."
Bei dem paarweisen Aussprechen der Verschluss- und Reibe-
laute empfiehlt es sich von den leichter aussprechbaren stimmlosen
Lauten auszugehen und diesen die stimmhaften Laute anzuschliessen.
Die Reibelaute /-v, s-z^ S-i werden ausgehalten und das
Ansetzen beziehungsweise Aussetzen des Stimmtons erfolgt dann
unter Beibehaltung der entsprechenden Mundstellung auf ein be-
stimmtes Zeichen des Lehrers.
^) In der zweiten Auflage des Kühn'schen Lesebuches sind die
Noten für die darin enthaltenen singbaren Lieder angegeben.
Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XR g
114 Referate und Rezensionen. M. Walter,
So lernt z^ B. aacb der miifttel- und süddeutiK^he Sofattler
die von seinem Dialekt abweiebende Bildung des fi'anzi^sisoheii
nnd englischeii v, indiem er die /-Mundstelliuig (Berttbrung der
Unteiiippe mit den oberen Schneidezähnen) beibehält und durch
HiBZutreten des Stimmtons zu tf tibefgeht.^) Um sich davon zm
ttberzengen^ dass die Schiller die stimmloBen von d<ni stimm*-
hi^etf Lauten^ genau unterscheiden köimeH) ist auch folgende
Übung zu eilipfehlen: Der Lehrer spricht dld stiminblifteii usd
stimmlosen Laute in beliebiger Aufeinande^olge ror und lässt
den Lautwert von den Sehttlem duroh die blosse Angabe ob
stimikiloB oder stimmhaft bestimmeo.
Bei det EitfHbung ron b, d uiid g empfiehlt Rambeau zuerst
mby nd Und ^ sprechen zu lassen, ^ damit den Schülern die
Eigentümliehkek der französischen stimmhaften Versohlusälaute
noch lH0hr zum Bewiisstsein kommt. ^ Es scheint mir hier
besser^ das ^ahre Wesen dieser Laute dem Schüler dodur^
klar zu machen^ dass er den Blählaut, weloheir den stimmhaften
Verschlusslauten mangelt, mit den Schttlera einübt. Es wird nur
scheinbar ein m, n und j volr b, d und g gehört. Während bei
THy n, y die Luft in die Nase tritt, gelangt sie bei dem Blählaut
nur in den Muiid. Die Dauer dieses Lautes hängt also von der
Gröese des Mundraumes ab, der bis zur Lösung des Versohlusses
mit Luft erfüllt wird, sie wird also entsprechend den Artö-
kulätionsstelleii von b nach g zu abnehmen: b > d > g.
Bezüglich der Aussprache des r stimme ich mit Rambeau
darin überein, dass je nachdem der deutsche Schüler Zungen-r oder
Zäpfchen -r spricht, er den ihm gewohnten Laut auf das Fran^
zösische übertrage, da dort auch beide Bildungsweisen vorhanden
sind, wenn auch die Verbreitung des Zäpfchen -r mehr und mehr zu-
nimmt. Dagegen hat der Lehrer den in manchen Oegenden für r
im Deutschen eintretenden gutturalen Ersatzlaut (= eh) aufs ent<-
schiedänste zu bekämpfen. Auch möchte ich bei der Aussprache
dies r noch bemerken, dass der Lehrer darauf achten muss, dass
das im deutschen Dialekt vor Konsonanten öfters eintretende
Schwindbn des r, sowie das Übergehen des auslautenden r in
den unartikulierten Stimmton o Im Französisch nicht eintritt,
sondern dass r auch in diesen Fällen rein ausgesprochen wird,
also jaur = hsr nicht iüQy lärme =» lärm, nicht lam. Auch
1) Unsere Eonsonantentafel weicht insofern von der Rambeau'schen
ab, als wir entsprechend dem obigen zaerst die stimmlosen und dann
die stimmhaften Laute geben. Da jedoch die Übungen in verschiedener
Reihenfolge stattfinden, ist diese Abweichung im Grunde genommen
von untergeordneter Bedeutung.
J. Raniheau, Die Phonetik im franz. u. engl, Kiassenunterricht. 115
darauf ist noch hinzu weisen, dass das deutsche Latlgesetz: ^Im
Auslaut wird jeder stimmhafte Konsonant stimmlos^ fürs Fran-
zösische, ebenso wie fürs Englische keine Gültigkeit hat, dass
da vielmehr der volle stimmhafte Laut auch im Auslaut erhalten
bleiben muss, z. B. rohe = rbh.
Bezüglich der Auffassung des französischen n sowie auch
des Neutralvokals o sind die interessanten, lehrreichen Aufschlüsse
zu vergleichen, welche P. Passy in einem Aufsätze „JSTurze
Darstellung des französischen Lautsystems^ (Phonetische 8tudien I,
1—3) gibt.
Weiterhin bespricht Rambeau die Halbvokale wnd die Diph-
thonge. Was die Bezeichnung des ^'-Lautes in bien etc. anlangt, so
bin ich mit Rambeau der Ansicht, dass es für unsere deutschen
Schüler entschieden besser ist, das i beizubehalten, da das
Zeichen j leicht, zumal im Auslaut Veranlassung zur konsonan-
tischen Aussprache des stimmlosen palatalen Reibelautes Anlass
gibt. Durch die enge Verbindung zwischen i und dem folgenden
Vokal gelangt der Schüler von selbst zur richtigen Aussprache
der betreffenden Lautverbindung. Würde aber doch das Zeichen j
nach stimmhaften Lauten verwandt, so müsste nach stimmlosen
Lauten ein anderes Zeichen zur Bezeichnung der Stimmlosigkeit
des j eintreten. Für eine Schullauttafel empfiehlt es sich jedoch,
die Anzahl der Lautzeichen möglichst zu beschränken, so dass
es auch deshalb schon ratsam ist, von den zwei neuen Zeichen
Abstand zu nehmen. Aus dem gleichen Ghmde könnte nlan
ebenso das von Rambeau angegebene w =^ u in roi, y ^= U in
lui entbehren, und sich mit dem ähnlichen Hinweis wie oben be-
gnügen, dass durch die enge Verbindung von u und ii mit
folgendem Vokal jene Laute den Lautwert von Reibelauten an-
nehmen. Zum Unterschied von den vollen Lautwerten der Vokale
^, Uy ü könnten ja auch diese Übergangslaute das Zeichen der Kürze
erhalten, also bien = 6ie, loin = lue; lui = lÜL Jedenfalls ist
ebenso hier schon aus praktischen Gründen eine Vereinfachung
geboten. Weitden aber bestimmte konsonantische Zeichen ange-
wandt, so müssten wie vorhin nach stimmlosen Lauten wieder
andere Zeichen eintreten. Was die von Rambeau benützten
Merkwörter betrifft, so habe ich mich damit begnügt, zur Unter-
stützung der Einübung der stimmhaften und stimmlosen Lautpaare
Wörter zusammenzustellen, die sich nur durch den Anlaut unter-
scheiden. Rambeau gibt dafür die folgenden Wörter:
bain pain vin faim
dd ihi zUe sei
Jean champ
goUH coup.
8»
116 Referate und Rezensionen. M. Walter,
Späterhin beim Gebrauch von Lautschrift und l>ei der somit
länger fortgesetzten rein lautlichen Schulung habe ich auch die
Einübung durch Merkwörter für nicht mehr erforderlich gefunden.
Will man aber doch Merkwörter verwerten, so verspreche ich
mir eine grössere Wirkung davon, wenn sie der Lehrer nicht
von Anfang an lernen, sondern sie aus dem den Schülern schon
vertraut gewordenen Sprech- und Lesestoff gewinnen und als
Belegstellen für die Einzellaute zusammenstellen lässt. Da sie
so bekanntem Zusammenhange entnommen werden, sind es dann
nicht bloss leere Wörter für den Schüler, sondern mit der im
Satzgefüge eingeprägten Aussprache des Einzelwortes tritt dem
Schüler stets der Zusammenhang entgegen, in dein er das Wort
kennen gelernt hat.
Zur elementaren Besprechung der französischen Lauttafeln
verwendet Rambeau zwei bis drei höchstens vier Stunden. Weitere
Übungen und Belehrungen schliessen sich bei der Einübung der
Texte an.
„Alles, was in lautlicher Hinsicht zu lernen ist, wird nur
in der Klasse gelernt.^
„Nichts ist wirklicher Lernstoff, als die wenigen Merk-
wörter, die sich die Schüler in einem besonderen Heft für häus-
liche Wiederholungen aufzuschreiben haben. ^.
Über die weitere Behandlung der Phonetik und Benutzung
der Lauttafeln verweist Rambeau auf seinen Aufsatz über Das
erste Lesestück und Überleitung von der Lektüre zur Grammatik
im französischen AnfangsunterricM, (Frick & Richter, Lekrproben
und Lehrgänge^ Halle, Heft IX, S. 93 ff.)
Das Ohorsprechen, welches Rambeau als ein gutes Mittel,
die Aussprache zu befestigen und den Tonfall der fremden
Sprache zu erlernen empfiehlt, kann nicht genug in Anwendung
gebracht werden, zumal bei grossen Klassen, wo jeder Schüler
nur selten an die Reihe kommen kann.
„Nach den ersten grundlegenden Stunden des Anfangsunter-
richts — sagt Rambeau — , in dem die Lauttafeln ihre hauptsächliche
Verwendung finden, werden diese von mir systematisch nur noch
selten, je nach Bedürfnis, benutzt. Fernerhin haben die phonetisch
schwächer beanlagten und schwerfälligeren Schüler bei Beginn
jeder Stunde vorzutreten und zuerst der Reihe nach alle vier
Tabellen auf den zwei Karten, später nur noch eine mit ihren
Lauten und Merkwörtem abzulesen. Die übrigen müssen die
Fehler, die etwa noch vorkommen, verbessern." Nach den Ferien
lässt Rambeau jedesmal eine gründliche systematische Wieder-
holung aller Lauttabellen vornehmen und während des Lesens
französischer Texte verwendet er die Tafeln als Mittel zur Ver-
J. Rambeau, Die Phonetik im franz. u. engl. Klassenunterrieht. 117
besseruDg d6r Aussprache, indem er für die falsch gesprochenen
Laute diese und die richtigen an den betreffenden Stellen der
Tafeln zeigen lässt.
Rambeau verwertet die Tafeln tnii grossem Nutzen bis in
die obersten Klassen, welche hierbei noch weitere Einblicke in
die praktische Phonetik erhalten. ,,Das richtige Mass dieser
Belehrungen muss jeder Lehrer selbst durch eigene Erfahrung
erproben und zu finden verstehen. Keinem kann es erlassen
bleiben, sich in der Lautphysiologie auf dem Laufenden zu er-
halten, da diese Wissenschaft dem praktischen Sprachunterricht
in der Schule mehr unmittelbaren und direkt fühlbaren Nutzen,
als irgend eine andere Hilfswissenschaft gewährt.^ Als besonders
geeignet für die Zwecke des Unterrichts empfiehlt er das Studium
der betreffenden Werke von Victor, Passy und Beyer, die
jedem Lehrer des Französischen unentbehrlich seien. An die
Besprechung der französischen schliesst sich in ähnlicher Weise
die der englischen Lauttafeln.
Die hohe Bedeutung der Lauttafeln für den Unterricht
veranlasst mich nun noch einige Bemerkungen und Ergänzungen
zu liefern, wie sie sich aus meinem Unterricht ergeben. Es
kommt mir hierbei zugleich darauf an, den Übergang vom Ge-
brauch der Lauttafeln zur Lautschrift zu erklären.
Nach der Ausspracheübung jedes Einzellautes zeigt der
Lehrer das Lautzeichen an der Lauttafel. Dadurch lernt der
Schüler mit dem Laute das entsprechende Zeichen verbinden
und erinnert sich dann infolge der vielfachen Wiederholung dieser
Verbindung von Laut und Zeichen zu gleicher Zeit an die vom
deutschen Laut abweichende Lautbildung. Nachdem der Lehrer
bei der Aussprache des Einzellautes wiederholt die betreffenden
Lautzeichen ' angegeben hat, haben die Schüler die Lautzeichen
für die vom Lehrer oder ihren Mitschülern vorgesprochenen
Laute an der Tafel zu zeigen. Hiermit weisen sie nach, dass
sie die gehörten Laute richtig auffassen und sie mit den ent-
sprechenden Zeichen verbinden.
Wie nun der Schüler mit dem Laut das betreffende Zeichen
verbinden lernt, so muss er andererseits aus den Lautzeichen
die betreffenden Laute erschliessen können. Zu diesem Zwecke
zeigen Lehrer oder Schüler die einzelnen Zeichen, während die
Klasse im Chor und einzeln die Laute dafür angibt.
Diese Lautübungen lassen sich nun in der vielseitigsten
Weise anstellen. Da dem Schüler in der fremden Sprache viele
ihm bisher ungewohnte Lautverbindungen entgegentreten, so
kommt es darauf an, dass der Schüler schnell von einem Laute
zum andern in beliebiger Reihenfolge übergehen lernt, ohne dass
118 R&fer4iie und Eezensionen. M, Walier,
die Genauigkeit tmd Schärfe der Lautbildung der Einzellaute
dabei irgendwie Einbusse erleidet. Daher lässt der Lehrer nach
der geordneten Einübung der Laute diese in möglichster Ab-
wechslung hintereinander aussprechen. Der Lehrer zeigt daher
die verschiedensten Lautzeichen an den Lauttafeln, und die
Schüler geben die Lautwerte dafür an.
Jeden lautlichen Fehler, der sich bei dem so vorteilhaften
gleiehmässigen Ohorsprechen leicht feststellen lässt, haben die
Schüler selbst zu melden. Der Fehler wird dann von den
Schülern, die ihn machten, verbessert unter Angabe der Quelle
desselben und unter Bezeichnung der etwa verwechselten Laute
an der Tafel. Hierdurch gelangen die Schüler zur Erkenntnis
der Fehler, die sie allmählich zu deren Beseitigung führt. So
lassen sich die Übungen an der Lauttafel recht anregend ge-
stalten, ohne den Schüler zu ermüden. Derjenige, welcher den
Versuch mit Lantt^eln macht, wird sich bald hiervon über-
zeugen, welches Interesse die Schüler an den vielfach ab-
wechselnden Übungen nehmen, deren Nützlichkeit deutlich zu
Tage tritt
Mit den Lauttafeln ist der Übergang zum rein lautlichen
Verfahren ohne weiteres gegeben.
Nachdem ich im englischen Anfangsunterricht gute Er-
fahrungen mit dem Gebrauch der Lautschrift gemacht hatte, habe
ich sie nun auch im Französischen erprobt und dabei gefunden,
dass ihr Gebrauch die Aneignung einer guten Aussprache, zumal
in grossen Elafisen, weficntlich fördert, und ohne den Schüler
zu belasten, die anstrengende Arbeit des Lehrers erheblich er-
leichtert.
Der Übergang zum Gebrauch der Lautschrift gestaltet sich
dann folgendermassen: Nach zwei bis dreistündiger Übung im
Hören und Nachahmen der Laute und der im obigen Sinne ge-
schilderten vielseiägen Benützung der Lauttafeln geht der Lehrer
sofort zu einem kleinen Gedicht über, dessen Erlernung dem
Schüler durch Reim und Rhythmus wefientiieh erleichtert wird.
Jede vorgesprochene und von den Schülern nachgeübte Lautgruppe
wird in ihre Worte und diese wieder in ihre Einzellaute zerlegt.
So hat der Schüler in dem kl/einen Gedicht aus Kühn's Lesebuch
No. 16 Bonjoury Lundd^ zunächst bonjour zu lautieren, also das
Wort zu zerlegen in die Laute b d & u r, die ein anderer Schüler
an der Lauttafel zeigt, femer Lundi in l ö d i u. s. w. Diese
von einzelnen Schülern an der Tafel gezeigten Laute werden
dann von der Klasse unter genauer Beachtung des jedem Einzel-
laute zukommenden Lautwertes ausgesprochen und zum Schluss
j«des Wortes und jeder Laut^uppe wird das Gaaze wiedieiholt.
A. RambeoH, JHe Phonetik im frünz. u. engl. Kiassenunterrichi, 119
Die Übersiebt ttber die eioBelnen beattgliehen Laoie iH4rd
nun dadurch gewonnen, dass der Lehrer die genannten von den
Schülern bezeichneten Laute an der Wandtafel ^u Wosten zu-
sammenstellt, also oben: hHur ISdi. Auf diese Weise gewinnt
der Schüler einen festen Einblick in die Laute der fremden
Sprache und zugleich eine Stütze für das Festhalten der in der
EJasse geübten Laute.
Wird er nun in der ersten Zeit der Erlernung nur nüt den
Lauten der Sprache und deren entsprechendem Lautbilde ver-
traut gemacht, so ist hierin eine grössere Sicherheit für eine
gute Aneignung des lautlichen Teils der fremden Sprache ge-
gisben, als wenn ihm nach der lautlichen Übung sofort das seu
Verwechselungen Anlass bietende orthographi«ohe Bild entgegen-
tritt. Erst wenn an einer Anzahl von Lauttexten (besonders Ge-
dichten) die fremden Laute jedem Schüler fest vertraut geworden
sind, sollte der Übergang zur Orthographie edrfolgen, wodurch
dann der Schüler die lautlich fest verarbeiteten Stücke in der
gewöhnlichen Orthographie kennen lernt. Aus den von ver-
schiedenen Selten gemachten Erfat^rungen ergibt sich, dass der
80 sehr gefUrchtete Übergang ohne Schwierigkeiten vor sich g^t.
Bei der Übereinstimmung zwischen Laut und Schrift kommt dem
Schüler die lautliche Schulung zu gute, indem er sich die be-
treffenden Zeichen nicht gedächtnisinässig einzuprägen^ sondern
nur die fest mit dem Gehör aufgenommenen Laute durch die
entsprechenden Zeichen wiederzugeben braucht. Alles andere
erlernt er zunächst durch vielfache Anschauung ]and Schreib-
übungen. Die weiteren Beziehungen zwischen Laut und Scl^rift
gewinnt er dann allmählich durch die Erfahrung, indem er an-
geleitet wird aus einer grossen Zahl von Eiinzelftlllen das Gemein-
same herauszufinden.
Bambeau selbst steht dem Gebrauch der Lautschrift wohl-
wollend gegenüber und empfiehlt die Benutzung von P. Passy:
Le fran^ais parUy F. Franke: Fhrases de tatis les jcurs und
die von P. Passy herausgegebene Zeitschrift: Le Maitre foniUque,
Für das Englische empfiehlt er Sweet's ElemerUarbuc^ des ge-
sprochenen Englisch, sowie eine im Druck befindliche Gedicht-
sammlung von Dr. Fick in Hamburg.
Nach dem Vorhergehenden kann ich zum Schluss meiner
Besprechung allen Fachgenossen die Benutzung der tRainbeau*schen
Lauttafeln für den Unterricht, sowie das Studium der kleinen,
aber inhaltsreichen und belehrenden Begleitschrift, von der ich
hier nur den französischen Teil behandelt habe, aufs dringendste
und wärmste empfehlen. M. WAXTrEft,
120 Referate und Rezensionen. M. Walter,
Badke« Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grund-
lage, Programm des Realgymnasiums zu Stralsund Ostern 1888.
Badke weist auf die Bedeutung und die Notwendigkeit einer
lautgetreuen Aussprache der lebenden Sprachen hin und setzt aus-
einander, wie die Wissenschaft der Phonetik jedem Lehrer die Mittel
an die Hand gibt, sich auch ohne jahrelangen Aufenthalt im Ausland
eine genaue und gute Aussprache anzueignen. Nachdem Badke als
Musterbücher für das Studium englischer und französischer Aussprache
S w e e t ' s Elementarbuch des gesprochenen Englisch, P a s s y ' s Le fran^ais
parle und Frankens Phrases de tous les jours empfohlen hat, sucht er
die Frage zu beantworten, inwieweit sich auch die Schule die Ergebnisse
der Phonetik aneignen soll.
„Vor allen Dingen, sagt er, scheint mir die Kluft, die zwischen
dem phonetischen Anfangsunterricht und der eigentlichen Beschäftigung
mit dem Französischen liegt, noch nicht überbrückt zu sein. Soll die
Phonetik einmal Grundlage des fremdsprachlichen Unterrichts sein,
so muss man auch auf dieser Grundlage konsequent den ganzen Unter-
richt aufbauen."
Badke bespricht alsdann die Hindemisse, welche im Deutschen der
Feststellung eines „Standard" -Deutsch entgegentreten und fährt dann
so fort: ^So viel aber steht fest, dass, so lange wir nicht imstande
sind, als gebildete Deutsche in der Öffentlichkeit unsere dialektischen
Spracheigentümlichkeiten aus unserer, alle Stämme verbindenden, ge-
sprochenen Schriftsprache streng zu verbannen, gar iseine Rede davon
sein kann, dass wir eine fremde Sprache auf Grund einer Laut-
beschreibung, die sich auf unser jetzt gesprochenes Hochdeutsch stützt,
und von ihm ausgeht, richtig erfassen, lehren oder lernen können.
Eine Sprache, in der viele Buchstaben in verschiedenen Landschaften
ihres Gesamtgebiets verschiedene Laute bezeichnen, kann nicht als
Grundlage für die Bezeichnung fremder Laute benutzt werden. Wenn
wir so weiter verfahren, so wird es bei uns stets ein mecklenburgisches,
sächsisches, baierisches, schwäbisches, westfälisches u. s. w. Französisch
geben.
Wir müssen uns also eine einheitliche Basis für den Unterricht
schaffen, und diese kann uns einzig und allein die Phonetik geben.
Ohne diese Wissenschaft ist auf diesem Gebiet ein blindes &runi-
tappen, ein planloses Experimentieren."
Badke beklagt es, dass auf dem Gebiet des Unterrichts in der
Muttersprache gerade dem gut gesprochenen Worte, — in dem ein so
mächtiger Zauber liegt, den wir als mitwirkenden Paktor bei der Er-
ziehung der Jugend nicht entbehren möchten, — noch nicht genügend
Wert beigelegt werde. Für diese Vernachlässigung macht er vor allem
den Elementarunterricht verantwortlich, wo sich der Schüler die Grund-
bedingungen alles guten Sprechens und eines gediegenen Vortrags,
die klare, saubere Aussprache der Einzellaute anzueignen habe.
Badke wendet nun die Phonetik nicht unmittelbar aufs Fran-
zösische an, sondern gibt sie entsprechend dem vorher Bemerkten in
allgemeinerer Form.
„Die Laute sollen dem Quintaner so im Zusammenhang vorge-
führt werden, dass der Lehrer des Englischen in Unter- Tertia das
Gebäude nicht neu aufzuführen, sondern nur auszubauen braucht.
Auch sehe ich die Phonetik nicht als eine Wissenschaft an, die nur
gewisse Laute der fremden Sprache erklären helfen, sondern als eine
solche, die den Schüler überhaupt zu einem tieferen, gründlicheren
Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage, 121
Verstäiidnis des Sprechens und der Sprache (auch seiner Muttersprache)
befähigen soll.''
Aus dieser Auffassung der Verwertung der Phonetik in der
Schule ergibt sich schon, dass Badke aufs eingehendste die Sprach-
laute und deren Bildung erörtert. Er bespricht die Laute in folgender
Reihenfolge: I. Verschlusslaute (stimmlos). II. Reibelaute (stimmlos).
III. Vokale (Töne). IV. Stimmhafte Konsonanten. V. Zitterlaute.
VI. Nasenlaute: a) Nasal konsonanten; b) Nasalvokale. Hierauf folgt
die Zusammenstellung der Laute des Französischen und die Übersicht
des französischen Lautsystenis (im Anschluss an Bell-Sweet).
Badke sucht die Schüler anzuleiten, die Eigentümlichkeiten der
vorgesprochenen Laute, die Entstehung, Bildung und Benennung der-
selben selbst herauszufinden. Zu diesem Zwecke stellt er meist Fragen,
deren Beantwortung er den Schülern in den Mund legt. Die in ge-
ordnetem Zusammenhange gewonnenen Laute lässt er am Schluss jeder
Lautgattung zusammenstellen und später mit den anderen Lauten ver-
gleichen. Es würde zu weit führen, näher hierauf eingehen zu wollen;
nur einzelnes sei daraus erwähnt: Bei der Besprechung der Vokale
untersucht Badke jeden Laut bezüglich der Zungenstellung, Lippen-
stellung und Kiefernweite. Ferner hat der Schüler das Wesen der
engen oder geschlossenen und der weiten oder offenen Vokale an
folgenden Beispielen festzustellen: Hiebe — Eirie; Heda — ^n;
H(ü>e — (frz. femme); hoch — korb; Hugo — kurz; Höhle — Hölle;
Hüte — Hütte.
Zur Bildung der stimmhaften Konsonanten spricht Badke in
singendem Tone lang angehaltenes a vor, indem er hierauf den Ver-
schluss der entsprechenden stimmlosen Laute pik eintreten lässt.
Der Verschluss wird so lange angehalten, bis der Mund bis zur
betreffenden Ansatzstelle mit Luft gefüllt ist, dann öffnet sich der
Verschluss und a ertönt wieder, und so fort. Wird dann a fortge-
lassen, so entstehen die stimmhaften Laute b d g, und so entsprechend
auch die Reibelaute.
Um die Schüler das Schwingen der Stimmbänder fühlen zu lassen,
weist Badke auf die bekannten Hilfsmittel hin: Auflegen der Finger
auf den Keilkopf, Verschliessen der Ohren mit den flachen Händen,
Auflegen der flachen Hand auf den Schädel.
Die Nasenlaute übt Badke im Anschluss an die Verschlusslaute
ein, indem er die Schüler veranlasst, die im Mund befindliche Luft
nicht wie bei obigen Lauten durch Lösung des Verschlusses aus dem
Munde, sondern unter Beibehaltung derselben durch die Nase entweichen
zu lassen. Zum Unterschiede von den deutschen Nasalkonsonanten
bespricht er alsdann die Nasalvokale, welche den einfachen offenen
Vokalen entsprechen.
Verweilen wir nun bei diesem I. Teil der Badke'schen Abhand-
lung, so müssen wir anerkennen, dass sie mit grosser Sorgfalt und
Genauigkeit die Lautbildung und die Beziehung der einzelnen Laute
zu einander erörtert. Seinen Grundsatz, „den Schülern eine feste
phonetische Grundlage zu geben, auf die sich der Lehrer bei Bildung
und Einübung der spezifisch französischen Laute zurückbeziehen kann",
hat er genau bis ins Einzelne durchgeführt. Jedoch ist meine Ansicht,
dass sich in dem Alter, in welchem unsere Schüler Französisch zu
lernen anfangen, auch eine sichere phonetische Grundlage legen lässt,
ohne allzu sehr in die Einzelheiten einzudringen. Die Antworten, welche
Badke seinen Schülern in den Mund legt, scheinen mir auch bisweilen
über das Verständnis eines Durchschnitts -Quintaners hinauszugehen.
122 ReferaU und Rezension/m^ M, Walier,
Wir müBsen ferner dajran denken, dass im jugendliehen Alter die
Nachahmung des gesprochenen Wortes noch eine viel grössere Rolle
spielt als im spätiaren Alter, wo diese Fähigkeit mehr und mehr
nachlässt.
Ich bin der Ansicht, dass beim A&fangsunterricht da die Phonetik
eintreten soll, wo die bloßse Nachahmung nicht genügt, und wo das
wahre Wesen der Laute dem Schüler erst erschlossen werden muss,
damit er zu einer dauernd richtigen Aussprache der betreffenden L^iute
gelange.
Dies gilt in Mittel- und Süddeutschland besonders für die do
wichtige Unterscheidung der Konsonanten in stimmlose und stimmhafte.
Die Hauptsache bei dem Aussprache -Unterricht ist aber die,
dass der Lehrer neben einer genauen Aussprache zugleich eine genaue
Kenntnis der Vorgänge besitzt^ welche beim Sprechen in Betracht
kommen und zur Erzeugung reiner Lautbildung führen.
Weiss der Lehrer seine eigene Aussprache genau zu zergliedern,
kennt er das Verhältnis der verwandten Laute in den verschiedenen
Sprachen und die Gründe für die von einander abweichende Klang-
wirkung, so wird er, auch ohne den Schjälern selbst besonders ein-
gehende phonetische Kenntnisse zu übermitteln, dennoch in der Lage
sein, aufs vorteilhafteste gegen di« jaus dem Dialekt der Muttersprache
in die fremde Sprache übergehenden Fehler anzukämpfen. Der erste
Grundsatz scheint mir hierbei nvix der zu sein, dass der Lehrer uu-
nachsichtlich alle Nachlässigkeiten der Aussprache zurückweisen, alle
Fehler hören und die Schüler zum H/>£en und Erkennen der Fehler
anleiten muss.
Bei der Säuberung der deutschen Aassprache wird es alao be-
sonders auf unaufhörliches reines Vorsprechen, genaue Artikulations-
übung^i und vieles Nachsprechen und Lesen ankommen, wobei jeder
Fehles*, selbst auf die Gefahr hin, zunächst fortwährend zu unter-
brechen, sofort beseitigt werden muss. Hierdurch wird auch das G^ör
und die Aufmerksamkeit der Schüler aufs schärfste .auf die Spreejh-
und Lesefehler der Klasse gelenkt. Bei der fremden Spraöhe tritt
ebenfalls die Nachachmung der genau und rein v$>rge&prochenen Laute
in den Vordergrand. Sobald aber die Eigenheiten neuer Laute oder
der von den verwandten deutschen Lauten abweichenden fremden
Laute nicht durch die Nachahmung allein erfasst werden, tritt als
Hilfe die Phonetik ein, welche eine dem Verständnis des Schülers an-
gepasste Erk^ung über die Bildung des Lautes bietet. So lernt disr
Schüler diese vom Deutschen abweichenden Laute erst mit Bewusst-
sein richtig nachbilden, um sie nach vielfachem Hören und Nachsprechen
späterhin auch unbewusst richtig wiederzugeben. In den Fällen, wo
der Lehrer zur leichteren Nachahmung phonetische Winke gibt, wird
dann bei den vorkommenden Fehlern nicht nur ein einfaches Verbessern
eintreten müssen, sondern stets auf den Grund des Fehlers zurückzu-
gehen sein.
Natürlidh ist es bei den heutigen Verhältnissen noch ein Not-
behelf, wenn der Lehrer^ welcher Aussprache des Französischen lehren
soll, noch überall gegen die Fehler der deutschen Aussprache zu
kämp&n und das Gehör der Schüler für Lautunterschiede im Deutschen
zu schärfen hat. Daher ist der Wunsch, den Badke ausspricht, und
der in der letzten Zeit schon vielfach durch Wort und Schrift betont
worden ist, nur allzu sehr berechtigt, dass nämlich der Elementar-
unterricht im Deutschen mehr dahin streben mög«, den Schülern eine
guie Aussprache der Muttersprache in Fleisch und Blut übergehen zu
Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage. 103
lassen. Hier wird es bei den verschiedenen dialeküscben Eigenheiten,
die uns von Natur aus mehr oder weniger anhaften, Aufgabe des
YolksschuUehrer-Seminars sein müssen, die Phonetik als einen wesent-
lichen Zweig des Unterrichts in den Lehrplan aufzunehmen. Werden
die jungen Seminaristen streng lautlich geschult und mit den wichtig-
sten Kenntnissen der Phonetik vertraut gemacht, so wird eine günstige
Einwirkung auf die Aussprache ihrer Schüler nicht ausbleiben. Ver-
gegenwärtigen wir uns dann, dass die im sechsten Jahre in die Elementar-
schule eintretenden Schüler von Lehrern unterrichtet werden, die alle im
Dialekt der betreffenden Gegend begründeten, sowie alle individuellen
Fehler genau erkennen und sich stets vor ihren Schülern der reinsten
Aussprache bedienen, so wird der Schüler zu einer festen Gewöhnung
an eine gute Aussprache des Deutschen gelangen, auch wenn er in
der Familie den Dialekt immer weiter hört und spricht. Die durch
Lautier-, Sprech- und Leseübungen geförderte und in allen anderen
Schulstunden gepflegte gute Aussprache des Deutschen wird dann auch
der Orthographie zu gute kommen. Denn überall wo Laut und Schrift
übereinstimmen, muss der Schüler ohne sich die Schriffczeichen ge-
dächtnismässig durch Anschauung angeeignet zu haben, durch die
scharfe Schulung des Gehörs beföhigt sein, aus dem sicher erkannten
Laute auf den Buchstaben zu schliessen. Damit wird zugleich das Ge-
dächtnis wesentlich entlastet.
Haben so unsere Schüler eine mehrjährige gründiliche lautliche
Schulung im Deutschen durchgemacht, ehe sie zur Erlernung der
fremden Sprachen übergehen, so wird sich hierauf der Unterricht in
der Aussprache der fremden Sprachen viel leichter und sicherer auf-
bauen lassen.
Im IL Abschnitt geht Badke zu den französischen Lauten im
Worte und Satze über. Nachdem der Sdiüler durch die im 1. Ab-
schnitt bezeichneten Übungen eine feste phonetische Grundlage ge-
wonnen hat, ist es nunmehr die Aufgabe des Lehrers, dem Schüler die
besonderen Lautföxbungen der französischen Laute in ihrer Abweichung
von den „Grundlauten" zu lehren.
Erst lässt Badke die Einzellaute üben und sie dann zu Wörtern
zusammenstellen. Wenn Badke sagt, dass bei diesen Übungen die
Bedeutung der Worte noch ganz übergangen werden kann, so möchte
ich dagegen erwidern, dass es mir pädagogisch richtiger erscheint,
wenn der Schüler erst die Bedeutung dessen, was er nachsprechen
soll, erfährt und so einen bestimmten Sinn damit verbindet. Dies
geschieht eben dadurch, dass er im Anfang eine genaue Übersetzung
des Textes erhält, der zur lautlichen Einübung ausgewählt wird. Mit
Kecht weist Badke darauf hin, dass der Lehrer besondere Aufmerksam-
keit der Unterscheidung der stimmlosen und stimm hafben Konsonanten,
namentlich im Auslaute und zwischen Vokalen zuwenden müsse.
Ebenso verweist er auf die Bedeutimg der Länge oder Kürze
der Silben und Vokale» und auf die Natur des Vokals (ob geschlossen
oder offen) die oft noch im Unterricht vernachlässigt werde.
„Kein langer oder geschlossener Vokal darf durchgehen, wo ein
kurzer oder offener stehen sollte, dean das Übel ist unausrottbar, wenn
es sich erst eingenistet hat." Nach der Übung der Laute und einzelner
dem ersten Lesestück entnommenen Wörter geht Badke zum Lesesttick
über, „bei dessen Einübung besonders 4ie Gleitlaute und der gehauchte
französische Stimmansatz neben der eigentümlichen Betonung der
Satztakte zu beachten ist." Als erstes Leseetück hat der Verfasser
einen Abschnitt nach Jost und Humbert's Lectures praUfues zu-
124 Referate und Rezensionen. M. Walter ,
sammengestellt: Le corps humain. In dem von Badke wiedergegebenen
Abschnitte befindet sich die Beschreibung des Kopfes. Badke schreibt
die einzelnen Sätze in Lautschrift nieder, deren Zeichen der Schüler
auf den Lauttafeln kennen gelernt hat. Durch senkrechte Striche be-
zeichnet er die Sprachtakte. Die einzelnen Wörter der Sprachtakte
werden durch Bindestriche mit einander verbanden.
„Der Satz wird nach den bezeichneten Sprachtakten einzeln und
dann im Chor bis zu vollendeter Sicherheit eingeübt. Erst dann
werden die Takte in Worte aufoelöst, und deren Bedeutungen durch-
genommen und durch öfteres Vorsprechen und Abfragen sofort ein-
ffepräfft/ Natürlich müssen hierbei die Sprachtakte im Anfang recht
klein oemessen werden, damit sie der Schüler lautlich rein nachzu-
ahmen vermöge. Sobald auch hier Schwierigkeiten vorliegen, halte
ich es für angemessen, auf die Einübung der Einzelwörter und Einzel-
laute zurückzugehen, die dann zur zusammengehörigen Lautgruppe
verbunden werden. Eine fortgesetzte Übung der Artikulation der
Einzellaute empfiehlt sich besonders da, wo der heimische Dialekt der
Aussprache der fremden Sprache Schwierigkeiten »bereitet. Daher ist
es auch aus diesem Grunde gut, anfangs jedes Wort in seine Einzel-
laute zerlegen und diese an der Lauttafel angeben zu lassen. Der
Lehrer, der sich der Lautschrift im Unterricht bedient, wie es auch
Badke thut, wird dann nur vor den Augen der Schüler die an der
Lauttafel angegebenen Lautzeichen zu Worten zusammenzustellen
haben. Durch dieses Verfahren geht die Lautschrift in natürlicher
Weise aus der genauen Einübung der Einzellaute hervor, und es bietet
den Vorteil, dass sich der Schüler über den Wert eines jeden Lautes
völlig klar werden muss. Die in Badke' s Text enthaltene ausführliche
Beschreibung des Kopfes bringt zum Teil seltene Wörter und scheint
mir überhaupt als erstes Stück wenig geeignet. Ich ziehe kleine Ge-
dichte und Erzählungen vor, an die sich alsdann Beschreibungen (bei
uns benutzen wir dazu die Hölzel'schen Anschauungsbilder der vier
Jahreszeiten) anschliessen. Jedenfalls wäre es Kollegen, die noch keine
Versuche damit gemacht haben, den Unterricht in den neueren Sprachen
mit einem zusammenhängenden Stück zu beginnen, nur zu empfehlen,
im Anfang einige kleine Gedichte lernen zu lassen, deren Aneignung
durch Reim und Rhythmus sehr erleichtert wird und dem Schüler
grosse Freude macht. Wir haben in dieser Hinsicht mit den in
Kühnes Französischem Lesebuch und in Dörr und Vietor's Eng-
lischem Lesebuch^) befindlichen kleinen Kindergedichten sehr gute Er-
fahrungen gemacht. Von grossem Werte ist es, dieselben Lautver-
bindungen recht häufig wiederholen zu lassen, damit sie jedem Schüler
ganz ge^ufig werden. Die Übungen an den kleinen Gedichten und
Lesestücken lassen sich besonders unter Benützung der Lauttafeln so
anregend gestalten, dass der Schüler genug Abwechslung hat und die
Gefahr der Ermattung durch längere Beschäftigung mit demselben
Stoff ausgeschlossen ist.
Badke gibt nun gleich beim ersten Stück eine ganze Zahl
grammatischer Bemerkungen. Ich bin der Ansicht, dass man sich in
der ersten Zeit nur mit der rein lautlichen Schulung befassen soll, und
dass der Lehrer erst dann, wenn schon genügend Stoff verarbeitet ist,
zur grammatischen Ausbeutung desselben übergeht. Es soll dann
aber auch noch langsam vorgegangen und erst das gewonnen werden,
^) Beide Bücher sind seit Ostern 1888 an unserem Realgymnasium
eingeführt.
Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage, 125
was der Schüler auf dem Wege der Indaktion unter Anleitung des
Lehrers selbst zu finden und zu erkennen vermag. Ein weiterer Schritt
ist dann der, dass er die selbst gewonnenen grammatischen Kenntnisse
auch richtig anzuwenden vermag, und dies geschieht im engsten An-
schluss an die fremde Sprache selbst, nicht durch übersetzen aus dem
Deutschen in die fremde Sprache, welches aus dem Anfangsunterricht
auszuschliessen ist.^)
Da ich die Herstellung der fremden Sprache aus dem Deutschen
nicht zu billigen vermag, sondern der Ansicht bin, dass das Deutsche
nur zur Erklärung und zum Verständnis der fremden Sprache herbei-
gezogen, im übrigen aber aus dieser allein die Kenntnis derselben ge-
schöpft werden soll, so kann ich mich auch mit den Fragen nicht ein-
verstanden erklären, bei denen Badke der Übersetzungsmethode folgt,
so z. B.: n^^ie ist von dem Menschen, von dem Körper, zu dem Körper
zu übersetzen?'' Die vorkommenden Verbindungen mit Präpositionen
werden eben zuerst wörtlich, dann im guten Deutsch gegeben, und so
findet der Schüler nach einer Anzahl von Fällen selbst heraus, dass
das Französische keine Deklination kennt, sondern zur Kasusbezeichnung
die Präpositionen de und ä verwendet.
Welche Freude es den Schülern macht, den Lesestoff auf be-
stimmte grammatische Erscheinungen hin zu untersuchen und die Ge-
setze unter Leitung des Lehrers selbst zu gewinnen, davon wird sich
jeder überzeugen können, der ohne Vorurteil an eine ehrliche Probe
des induktiven Verfahrens herangeht.
Diese Freude am Selbstfinden ist ein grosser Sporn für den
Schüler und erhöht das Interesse ausserordentlich, ganz abgesehen
davon, dass das durch eigene Erfahrung Gewonnene und der fremden
Sprache Eigenartige sich auf diesem Wege viel fester einprägt als
durch Übersetzung eigens zur Einübung von Regeln berechneter un-
zusammenhängender Einzelsätze.
In den Sprechübungen zur Wiederhohina, welche sich an die
Durchnahme des Lesestückes anschliessen, stellt Badke Fragen nach
dem Inhalt. Die in der Frage enthaltenen neuen Wörter lässt Badke
der Bedeutung nach einüben und einprägen, bevor die Fragen gestellt
werden. Ich kann dies nicht billigen; denn damit nimmt der Lehrer
manches voraus, was der Schüler beim Hören der ganzen Frage selbst
zu finden vermag. Ausserdem wird die Aneignung neuer Wörter im
Zusammenhange mit schon bekannten, wesentlich erleichtert, da der
Schüler mit der gewonnenen Vorstellung zugleich auch den neuen
Worten die entsprechende Bedeutung beilegen lernt. Das ist ja auch
gerade der grosse Vorteil des zusammenhängenden Lesestoffes, dass
die Wörter sich viel schneller und fester dem Gedächtnis einprägen,
weil sie sich an geordnete Vorstellungsreihen anlehnen, die sich der
Schüler leichter zu behalten vermag, während z. B. bei den unza-
sammenhängenden Einzelsätzen der fortwährende Wechsel von Vor-
stellungsreihen dazu führt, dass Inhalt und Form gewissermassen von
einander losgelöst werden und der Schüler nur Worte der einen Sprache
1) Denjenigen Kollegen gegenüber, welche behaupten, dass eine
grammatische Schulung in der fremden Sprache nur durch Übersetzen
aus dem Deutschen in die fremde Sprache möglich wäre, möchte ich
auf die in meinem Entwurf eines Lehrplans Der französische Klassen-
Unterricht Marburg, 1888 (El wert) für unsere Schule festgesetzten
Übungen hinweisen, welche bezwecken, die Grammatik der fremden
Sprache aus ihr selbst lernen zu lassen. (S. 81 — 61.)
126 Referate und Rezensionen» M, Walter,
duifch die der anderen meohamsch wiedergeben lernt, ohne dass im
Gedächtnis eine enge Verbindung zwischen Vorstellung und sprach-
lichem Ausdruck hergestellt wird.
Badke stellt alle Übungen nur mündlich an und lässt bei den
ersten Stücken noch gar nichts schreiben: „Da? Ohr der Schüler wird
bei diesen Übungen an die riebtige Aussprache der Laute und Laut-
komplexe gewöhnt, die sichere Aneignung derselben durch kein Schrift-
bild gestört, und das ist zunächst das Wichtigste.'' »Auf lautliche
Erscheinungen kommt man immer wieder zurück; sie werden mit
grÖBster Gewissenhaftigkeit eingeübt, wiederholt und befestigt«
Man wird auf diese Weise zuerst scheinbar langsamer vorwärts
kommen, als z. B. mit den bei Plötz portionsweise Torgeschnittenen
Tagesrationen^ aber die Schüler werden in anderer Zusammenstellung
in kurzer Zeit manches lernen, was ihnen, obwohl es für die einfachste
vernünftige Satzbildung sehr wichtig ist, dort lange vorenthalten bleibt,
und sie zum Verweilen bei ermüdenden, und den Verstand einschläfern-
den Sätzen zwingt. Einzelne Verbalformen, selbst von sogenannten un-
regelmässigen Verben, werden als Vokabeln gelernt.
Allmählich stellt man dann einzelne Tempora des regelmässigen
Verbs, und wo die unregelmässigen mit ihnen übereinstimmen, wie z. B.
in manchen Formen des Präsens, im Imperfekt u. s. w. schematisch
zusammen, und übt sie auch einmal im Zusammenhange durch. Überall
aber hält man die Schüler dazu an, durch eigenes Nachdenken, von
der Form eines Verbs aus die des andern zu finden."
Hiermit bin ich vollkommen einverstanden, auch freut es mich,
dass Badke besonders hervorhebt, dass ,,die Schüler nach diesem
Verfahren ein viel regeres Interesse am Unterricht bethätigen, als
wenn sie einen bestimmten Vokabelvorrat zu Hause mechanisch dem
Gedächtnis einpifägen und in der Schule sich an nichtssagenden Sätzen
üben."
„Die Plötz'sche Methode macht die Arbeit nur dem Lehrer leicht,
nicht dem Schüler; interessant aber keinem von beiden."
Beim später erfolgenden Übergang zur gewöhnlichen Orthographie,
die Badke möglichst hinauszuschieben wünscht, „damit die Schüler um
so weniger durch das Auge irregeleitet werden, und desto sicherer das
Lautbild festhalten", sucht Badke auch sogleich die Beziehungen
zwischen Laut und Schrift zu ermitteln. Ich bin auch hier der An-
sicht, dass der Schüler erst durch vielfache Anschauung und Schreib-
übungen die Orthographie einiger bisher lautlich durchgenommener
Stücke erlernen soll, ehe er die Kenntnis des Verhältilisses zwischen
Laut und Schrift nach und nach allmählich aus dem nach Laut und
Schrift durchgearbeiteten Sprachstoff selbst gewinnt.
Dies gilt z. B. für Regeln, welche Badke gleich am ersten Stück
entwickelt, wie: »Vor Lippenlauten wird der Nasalvokal immer durch
m bezeichnet, (vgl. latein. imbuo statt i»buo) oder in komme zeigt die
Verdoppelung des m einmal an, dass das m hier seinen ihm zukommen-
den Laut behalten soll) dann aber auch, dass der vorhergehende Vokal
kurz ist.'' Diese Beziehungen gleich zu lernen, ist schon deshalb nicht
nötig, weil ja im Anfangeunterricht, wie es auch Badke thut, das Lesen
immer erst folgt, nachdem der Text bei geschlossenem Buche lautlich
verarbeitet worden ist. Wenn der Schüler liest, so kennt er die Laute
schon ; er kann dann seine Aufmerksamkeit auf das neu Hinzukommende,
die Orthographie, lenken. Dass deren Aneignung hauptsächlich auf
mechanischem Wege erfolgen müsse, gibt auch Badke zu.
Zum Schluss stellt Badke einige Gesichtspunkte zusammen, welche
Die Anfangsgründe im Französischen auf phonetischer Grundlage. 127
der Einübung der Orthographie förderlich sein können, und hebt dann
nochmals die 'Vorteile des neuen Unterrichtsverfahrens dem alten Ver-
fahren gegenüber hervor. In den Anmerkungen gibt der Verfasser
weitere Ausführungen zu einzelnen Punkten seiner Abhandlung.
Hierin offenbart sich eine ausserordentlich feine Beobachtungs-
gabe lautlicher Erscheinungen und eine gründliche Kenntnis des Laut-
bestandes und der Lautbildung der verschiedensten Sprachen, die der
Verfasser zur Vergleichung und Bölehrting heranzieht.
So wird kein Kollege diese Arbeit aus der Hand legen ohne
vielfache Anregung und Belehrung daraus geschöpft zu haben.
M. Walter.
Miszelle.
Verein fttr das Studium der neueren Sprachen
in Hambnrg-Altona.
Der Verein zählte im Vereinsjahr Ostern 1888 bis Ostern 1889
etwa 45 Mitglieder. Der Vorstand bestand aus den Herren: Ober-
lehrer Dr. Paul (Vorsitzender), Günzel (stellvertr. Vorsitz.), Kraft
(Schriftführer), Dr. Schnell (Bucherwart), Dr. Carstens (Kassierer),
im Winter Professor Dr. Wen dt. Die Sitzungen fanden allwöchent-
lich statt und wurden durch Vorträge, Referate und Lektüre ausgefallt.
1. Vortrige.
Zur Einleitung in die Lektüre:
a) Oberlehrer Dr. Paul: Der Fokalismus des Dänischen.
b) Dr. Nissen: Formenlehre des Dänischen.
Oberlehrer Dr. Fernow: Reisebericht über Birmingham.
Schulvorsteher Krüger: Reisebericht über Däfiemark^ speziell Kopen-
hagen.
Professor Dr. We n d t : Ein Besuch auf den normannischen Inseln.
Oberlehrer Dr. Paul: Bolberg's Leben und Werke, zur Einleitung in
die Lektüre.
8. Referate.
Dr. Carstens: Das wissenschaftliche Studium der netteren Sprachen an
der Universität Cambridge (Englische Studien).
Oberlehrer Dr. Fernow: Shakespeare und Shakspere. Zur Genesis der
Shakespeare - Dramen. Von Graf Vitzthum von Eckstädt. Stutt-
gart, 1888. Cotta'scher Verlag.
In regelmässiger Folge referierten die Herren Prof. Dr. Rambeau
über die Romania, Prof. Dr. Wen dt über die Anglia, Dr. Lange über
die Phonetische Studien und Dr. Carstens über die Englische Studien.
8. Die Lektttre beschäftigte sich mit dem Dänischen, (belesen
wurden im Sommer Hostrup, Gjenboeme, im Winter Holberg, Den
politiske Kandstöber und Ibsen, Den Folkefjende. Im Sommersemester
1889 wird der Verein Chaucer, The Canterbury Tales lesen.
4. LeseairkeL Der Verein hält in seinem Lesezirkel die hervor-
ragendsten Zeitschriften auf dem Gebiet der französischen und eng-
lischen Sprache und Litteratur.
Zum dritten allgemeinen deutschen Neuphilologentag entsandte
der yerein Herrn Prof. Dr. Wen dt mit dem Aufkrage, bei allen den
neusprachlichen Unterricht betreffenden Fragen den Verein im Sinne
einer besonnenen Reform zu vertreten.
Der Vorstand für das nächste Semester wird bestehen aus den
Herren Dr. Schnell (Vorsitz, und Bücherwart), Dr. Nissen (stellvertr.
Vorsitz.), Dr. Bönsel (Schriftführer), Prof. Dr. Wen dt (Kassierer).
Fe. Kraft.
i
Referate und Rezensionen.
Ristelhnber, P., Heidelberg et Strasbourg, Recherches biogra-
phiques et littiraires sur les ^tudiarUs cdsaciens immatri-
cules ä Vuniversiti de Heidelberg de 1386 ä 1662. Paris,
1888. Eraest Leroux. 141 S. gr. 8°.
An die litterarischen Festgaben, welche zu der Feier des
fünfhundertjährigen Bestehens der Universität Heidelberg vor bald
drei Jahren von nah und fern dargebracht wurden, schliesst sich,
wenn auch nicht genau der Zeit, so doch der freundlichen Ab-
sicht des Verfassers nach, obige Arbeit in willkommener Weise an.
Der in Strassburg geborene und daselbst vielseitig thätige
Schriftsteller Paul Ristelhüber ist in ihr den engen Beziehungen,
welche sein Heimatland, das Elsass, in einer langen und wichtigen
Periode mit der nahegelegenen und berühmten Universität am
Neckar unterhalten hatte, sorgsam nachgegangen und hat ein voll-
ständiges Verzeichnis der elsässischen Studenten aufgestellt, welche
in Heidelberg in den drei ersten Jahrhunderten nach der Gründung
des Studium generale Anregung und Belehrung gesucht haben.
Diese Liste ist unter Zugrundelegung der Universitäts-
matrikel, also in streng urkundlicher Weise, angefertigt. Er-
läuternd und ergänzend sind vielen Namen der zahlreichen
Besucher genaue biographische und litterarische Nachweise bei-
gegeben, durch welche an verschiedenen Stellen die Angaben
früherer Forscher berichtigt oder vervollständigt werden. Diese
dankenswerten Mitteilungen beziehen sich übrigens nicht bloss
auf die Studenten. Neben Lernenden hatte das Elsass frühe
auch Lehrende nach Heidelberg entsandt, und unter ihnen hatten
nicht weniger als neun das Amt als Rektoren der Universität
bekleidet. Mit ihnen beginnt das Buch und gibt über sie, be-
sonders auch über die zwei bekanntesten, Jakob Wimpheling aus
Schlettstadt und Jakob Micyllus aus Strassburg, eingehende, aus
Zschr. t fn. Spr. n. Litt. X^. 9
130 Referate vnd Rezensionen. Th. Süpfle,
den unmittelbarsten Qaellen geschöpfte, Nachweise in chronolo-
gischer Reihenfolge.
Auf das Verzeichnis der elsässischen Rektoren folgt das
natürlich weit umfangreichere der elsässischen Studenten, gleich-
falls genau der Zeit nach geordnet. An erster Stelle werden die
aus Strassburg stammenden Studierenden aufgeführt, dann die-
jenigen aus Unter- und Ober-Elsass. Von besonderem Interesse
sind die Mitteilungen, welche zu den Namen derjenigen hinzugefügt
sind, welche später durch ihre litterarische Bedeutung hervor-
traten und so der Universität Heidelberg ihren Dank auf das
würdigste ausdrückten. Wir erwähnen namentlich die Ergänzungen,
welche Ristelhüber über Grib, Nachtgall und Schach gegeben hat.
Unter den zahlreichen jungen Elsässern, welche zu der
Alnia mater am Neckar pilgerten, hatten sich mehrere schon in
den allerfrühiesten Zeiten eingefunden. Einer, Werner Rynow aus
Strassburg, war Sogar gleich im Grtindungsjahr gekommen.
Wenn wir richtig gezählt haben, so beträgt die Zahl der
von 1386 — 1667 immatrikulierten, aus dem Elsass stammenden
Stttdiierenden nicht weniger als neunhundert. Im 16. Jahrhundert,
der Glanzperiode der Universität, war der Besuch am zahlreichsten,
im 17. Jahrhundert war er aus begreiflichen Gründen am schwächsten.
Als Zugabe hat Ristelhüber auch noch für den Zeitraum
von 1705 — 1809 die Namen der inskribierten Elsässer beigefügt.
Diese gehörten nun politisch zu Frabkreich, und so ist es nicht
zu verwundern, dass ihre Zahl in diesem langen Zeitraum vier-
unddreissig nicht überstieg.
Auf Grund eigener Forschungen bemerken wir, dass auch
späterhin der elsässische Besuch nicht mehr ein bedeutender
wurde. Trotz der neuen Blüte, welche für Heidelberg bald nach
seiner Vereinigung mit dem Grossherzogtum Baden begann, war
der Zufluss aus dem Elsass ein sehr schwacher. Während die
grosse Anziehungskraft von Männern wie Zachariä, Kreuzer,
Schlosser, Chelius, Vangerow und dem Geschichtsforscher Häusser
aus ganz Europa und selbst aus Amerika Zuhörer herbeiftihrte,
kamen in den Jahren 1810 — 1847 nur achtundzwanisig Studenten
ans dem benachbarten Elsass. Ähnlich blieb das Verhältnis bis
zu dem Ausbruche des Krieges 1870 — 1871. Als das Elsass nun
wieder deutsch wurde, trat nicht, wie man an und für sich er-
warten konnte, ein neues mächtiges Zuströmen nach Heidelberg
oder eine andere benachbarte Universität ein. Durch die Gründung
der Landesuniversität Strassburg blieben die Elsässer vielmehr
von den Universitäten Alt-Deutschlands erst recht fern.
Man würde Übrigens sehr irren, wenn man glaubte, dass
von der Westgrenze her bloss die deutschen Elsässer und die
P. Ristelhuher, Heidelberg ei Strasbourg. Recher ches biogr. etc, 131
gleichfalls deutschen Lothringer über den Rhein an die Univer-
sität am Neckar gewandert seien. Es kam seit der zweiten
Hälfte des 16. Jahrhunderts auch eine beträchtliche Zahl Stu-
dierender aus dem eigentlichen Frankreich. Dieser national-
französische Besuch, welcher in seinem Auf- und Absteigen ein
ähnliches Verhältnis wie derjenige aus dem Elsass zeigt, bildet
einen nicht unwichtigen kulturhistorischen Berührungspunkt
zwischen Frankreich und Deutschland. Da er bis jetzt kaum
als Thatsache, noch viel weniger in seinen einzelnen Momenten
beachtet worden ist, wollen wir die gegebene Gelegenheit be-
nutzen, um auf Grund der Matrikel und anderer Akten der hiesigen
Universität einige nähere Nachweise hierüber zu geben.
Den ersten Anstoss zu französischem Besuche der Heidel-
berger Hochschule gab jene folgenreiche religiöse Bewegung,
durch welche überhaupt Deutschland sich zuerst in seiner inneren
Grösse vor Europa geoffenbart hat. Während vor der Refor-
mation kein einziger Franzose des Studiums halber in die Musen-
stadt am Neckar gezogen war, so strömten seit der Mitte des
16. Jahrhunderts reformierte Angehörige dieses Volkes ungefähr
siebzig Jahre lang in fast immer wachsender Zahl herein.
Die ersten derselben kamen in einer durch Kriegsunruhen
und verheerenden Krankheiten für den Besuch Heidelbergs un-
günstigen Zeit, nämlich in dem Jahre 1553. Es waren drei
junge Adelige aus Besan9on, nämlich Claude, Guillaume und Jean
de Montefort. In demselben Jahre kam auch noch ein junger
Burgunder, Claudius Bocecius, welcher in Paris artium licentiatus
geworden war. Im Jahr 1557 kam ein Südfranzose, Petrus Jor-
danus, aus Toulouse, im folgenden Jahre ein Student aus Bou-
logne, und — am 6. Juni 1558 — die zwei ersten Pariser
Studenten, deren einer von vornehmer Geburt war, nöbüis et
patrtctus, wie es in der Matrikel heisst, nämlich Johannes San-
drasius. So belohnte sich also sofort durch Zuzug aus Frank-
reich die Erneuerung, welche der entschiedene Anhänger der
lutherischen Lehre, Otto Heinrich der Grossmütige, in eben diesem
Jahre der Universität hatte angedeihen lassen, indem er sie dem
mittelalterlichen Scholastizismus entrückte, um sie auf die Höhe
der wissenschaftlichen und kirchlichen Bewegung seiner Zeit
emporzuheben.
Als nach seinem Tode mit Friedrich III. ein neues Fürsten-
geschlecht zur Herrschaft kam, begann für Heidelberg und die
ganze Pfalz eine an umfassender Wichtigkeit noch reichere Epoche.
Nach aussen hin trat das Land nicht bloss in Deutschland,
sondern auch in Europa in den politischen Vordergrund. Im
Innern blühte alles, Wissenschaft, Kunst, Poesie und feine Bil-
9*
132 Referate und Rezensionen, Th. Süpße,
düng. Die Zierlichkeit Italiens und die Eleganz des französischen
Lebens — die meisten Prinzen des pfälzischen Hauses waren in
Frankreich erzogen worden — schlug in der Pfalz ihren Wohn-
sitz auf.
All dies wirkte einladend auf das Zuströmen von Ausländem,
noch mehr aber die Einführung des Kalvinismus, dessen be-
geisterter Held Friedrich HI. war. Heidelberg wurde nun neben
Genf die einzige Zufluchtsstätte, und seine Universität die einzige
Bildungsstätte für die aus Frankreich vertriebenen Reformierten,
sowie für viele Italiener, Schweizer und Niederländer. Gerade
damals hatte durch den Zufluss vieler ausgezeichneter Lehrer die
Hochschule einen Ruf wie keine andere jener Zeit erlangt.
In der nun eingetretenen Glanzzeit bildeten die französischen
Studenten — wir scheiden diejenigen aus der französischen
Schweiz aus — zunächst der Zahl nach ein recht ansehnliches
Element. In der Zeit von der Mitte bis zu Ende des 16. Jahr-
hunderts haben nicht weniger als dreihundert Franzosen die Uni-
versität besucht. Ein Jahr tritt in diesem Besuche besonders
hervor: das Jahr 1586, in welchem 63 Franzosen hier studierten.
Ihrer Herkunft nach sind in obiger Gesamtzahl die meisten
Provinzen Frankreichs vertreten, zunächst die östlichen, aber auch
die nördlichen, besonders die Champagne mit Sedan, die Pikardie,
die Normandie, dann der Süden bis zu B6am; nicht wenige
kamen aus Lyon und Ntmes. Aus der Hauptstadt des König-
reiches kamen 42 Studenten, darunter im Jahr 1567 zu gleicher
Zeit vier Brüder Harl6. Einige waren übrigens zu jung, um den
vorgeschriebenen Eid bei der Aufnahme zu leisten.
Dem Stande nach waren sowohl die höheren als die
niederen Klassen vertreten; unter letzteren wurden mehrere als
pauperes angeführt und unentgeltlich immatrikuliert.
Das Fachstudium, welchem die einzelnen französischen
Studenten oblagen, ist, wie bei allen anderen überhaupt nur ganz
ausnahmsweise in jener früheren Zeit in der Matrikel angegeben.
Doch kann man mit Sicherheit annehmen, dass die allermeisten
Theologie studierten. Einige allerdings werden ausdrücklich als
Juristen bezeichnet. Im Jahre 1586 studierte ein Burgunder Medizin.
Wie die anderen ausländischen Studenten hatten die fran-
zösischen neben den gewöhnlichen Öffentlichen Vorlesungen auch
ihre privata collegiay logicüj physica, und theologica. Was aber
die französischen Studierenden ganz besonders eigentümlich hatten,
das war ein besonderer Gottesdienst, der für sie in ihrer Sprache
eingerichtet wurde. • Die Predigten fanden in dem theologischen
Hörsaale statt, zunächst durch den Franzosen Daniel Toussaint,
welcher Dekan der theologischen Fakultät war.
P. Ristelhuher, Heidelberg ei Strasbourg. Recherches biog?\ etc, 133
Überhaupt kamen in dieser Zeit Hugenotten nicht aus-
schliesslich als Lernende nach Heidelberg, mehrere derselben
lehrten auch, und zum Teil in hervorragender Weise. Wir nennen
unter den Juristen Franz Bauduin und besonders den berühmten
Hugo Donellius (Doneau), welcher 1576 das Rektorat bekleidete.
Länger als er blieb in Heidelberg in der juristischen Fakultät
Dionysius Godefredus aus Paris, der von 1598 — 1620 wirkte.
Auch in der theologischen Fakultät waren bedeutende Fran-
zosen als Lehrer thätig. So Pierre Boquin, welcher in Witten-
berg zu der lutherischen Lehre übertrat und im Jahre 1557 als
Professor des neuen Testaments nach Heidelberg berufen wurde.
Neben dem schon genannten Daniel Toussaint, welcher Theologe
und zugleich Hofprediger war, ist sein gleichnamiger Verwandter
zu nennen, der später in beiden Eigenschaften gleichfalls hier
wirkte. Als Lehrer des Evangeliums war mit Erfolg auch Fran-
ciscus Junius (Du Jon) thätig.
In der philosophischen Fakultät endlich lehrte hier,
obwohl nur für kurze Zeit, der berühmte Bekämpfer der mit dem
gefälschten Namen des Aristoteles prangenden scholastischen
Methode des Unterrichts Petrus Ramus (Pierre de la Ramöe).
Nicht als Lehrer, sondern als politischer Unterhändler,
kam 1574 der berühmte Schriftsteller Theodor von Beza in die
Hauptstadt der Pfalz. Zu rein litterarischen Zwecken reiste der
berühmte Philologe Claudius Salmasius (Saumaise) hierher, um
die kurfürstliche Bibliothek zu benützen. Er erzählt, dass er
während seines Aufenthalts immer zwei von drei Nächten auf der
Bibliothek zubrachte, um die so seltenen Schätze so viel als
möglich zu verwerten.
Auch mehrere französische Sprachmeister kamen an die
Universität. Zuflucht suchten auch mehrere gelehrte Buchdrucker,
wie z. B. Gommelin und Franciscus Stephanus (Etienne), der
Sohn des berühmten Robert Stephanus. Sogar Buchbinder fanden
Aufnahme. So steht unter dem 5. November 1599 in der Ma-
trikel verzeichnet: Ludovicus Faher^ ParisiensiSy Compactor li-
brorum, cum suis inscriptus ex senatus consulto.
Den jungen Franzosen folgten auch Tanzlehrer aus der
Heimat nach. In der Matrikel ist im Jahre 1665 Pierre la Vil-
lette als mattre de danse ä Vacadimie eingeschrieben.
Die zweite Periode des französischen Besuches hatte mit
dem 17. Jahrhundert begonnen. Wir finden in diesem Zeit-
räume infolge der grossen religiösen und politischen Umwälzungen
natürlich nicht mehr die hohen Ziffern wie in der zweiten Hälfte
des vorhergehenden Jahrhunderts. Gleichwohl weist die Ma-
trikel, obschon die Angaben von dem Jahre 1663 — 1792 ver-
134 Referate und Rezensionen. Th. Süpfle,
loren gegangen sind und nur ganz teilweise ergänzt werden
können, die noch immerhin stattliche Zahl von 209 französischen
Studierenden auf.
Im Anfange dieses 17. Jahrhunderts war der französische
Zuzug sogar stärker als zuvor. Der pfälzische Hof war nämlich
unter Friedrich IV., der bei dem reformierten Herzog von Bouillon
in Sedan erzogen worden war, nicht bloss fortwährend kalvi-
nistisch, sondern er war auch stark mit französischer Sprache,
Bildung und Sitte erfüllt. So kamen in der Zeit von 1600—1720
nicht weniger als 125 Franzosen. Diese waren vielfach aus
Sedan, dem Sitze des strengsten Kalvinismus. Aber auch Paris
hatte neunzehn Studenten entsandt.
Freilich folgte nur allzubald auf diese glückliche Zeit die
Verödung und Verheerung durch den dreissigjährigen Krieg,
welchem der Fürst, das Land, die Universität und die Bibliothek
als ein trauriges Opfer fielen. Und als seit 1656 der Fremden-
besuch der Universität sich wieder zu heben begonnen hatte, so
wurde der Zuzug kurz nachdem Heidelberg und die Universität
sich mildthätig gegen vertriebene Franzosen, nämlich gegen die
1685 und 1686 nach Aufhebung des Edikts von Nantes herbei-
geeilten R6fugi6s, gezeigt hatte, durch die barbarischen Ver-
wüstungen des orleanischen Erbfolgekriegs in betrübendster Weise
gestört. Die Franzosen erwiesen Heidelberg schlimmen Dank
für die in zwei Jahrhunderten wiederholt gegen Angehörige ihres
Landea erwiesene Gastfreundschaft.
Den grossen Rückgang an fremden, französischen und
anderen Studenten konnten die Verhältnisse des 18. Jahrhunderts
nicht wohl hemmen. Italiener und Engländer fehlen in dieser
dritten Periode ganz. Franzosen sind in der Zeit von 1703 bis
zum Ende der kurpfälzischen Herrschaft nur in der kleinen Zahl
von 43 eingeschrieben. In ihr finden sich wenig Nationalfran-
zosen, vielmehr meist Lothringer, welche arm und Zöglinge der
Jesuiten waren. Doch ist Paris durch 13 Studierende vertreten,
welche meist Philosophie hörten. Die Mehrzahl letzterer, neun,
kam allerdings mehr aus äusseren als wissenschaftlichen Antrieben.
Sie suchten in den Jahren 1792 und 1793 offenbar Schutz vor
den Ausschreitungen der in ihrem Lande wogenden Revolution.
Einer und der andere derselben strebte hier sogar nach Gelegen-
heit zu politischen Anknüpfungspunkten. So musste der Graf
Saillant im Jahre 1794 wegen verbotener Werbungen aus der
Universität ausgewiesen werden.
Wie die Franzosen die Universität und Stadt gegen Ende
des 17. Jahrhunderts stark geschädigt hatten, so schlugen sie
ihr im Anfang des 19. Jahrhunderts eine noch viel tiefere Wunde,
P. Risielhuber, ß^ideHifirff ei Strasbourg, Recherches biogr. etc. 135
iDdem sie m dem Frieden von LuneviUe alle Gitter und GefHUe^
welche die Hochechule jenseits des Bheins besass, iin sich rissen.
^ach dem Wiederaufblübeo der Universität unter dem
neuen Fürsten, dem Gros9herzog von Qadep Karl Friedrio)},
kamen aUiP^hlich auch wieder Franzosen.
Der erste, welcher die nunmehrige Ruperto-Carola aufsuchte,
war aus dem Rhein- und Mosel -Departement, er studierte 1809
lutherische Theologie. Bald auch zeigten sich wieder National-
ftanzosen, besonders gegen das Ende des dritten und während des
vierten Jahrzehnts unseres Jahrhunderts. £s hing dies teils über-
haupt mit dem damaligen Streben zusammen, 4^B bei unseren
Nachbarn erwacht war, durch Aufenthalt an süddeutschen Hoch-
schulen auf das unmittelbarste sich mit unserer Jjitteratur und
Philosophie bekannt zu machen, teils hatten 4i^ Franzosen für
das so nahe und so herrlich gelegene Heidelberg eine ganz be-
sondere Vorliebe.
Jetzt war die Neckarstadt nicht mehr, wie im 16. Jahr-
hundort, durch den Kalvinisnus, sondern durch ihre befruchtende
Wissenschaft und die Heize ihrer Natur ein Zielpunkt wander-
lustiger junger Franzosen. Die juristische Fakultät zog durch
die genauen Kenner der französischen Gesetzgebung, durch
Zachariä, Thibaut, Mittermaier an. Daneben locl^te die dort
glänzend vertretene Romantik und Philosophie mächtig an. Aus
ihr schlürfte in vollen Zügen Edgar Quinet, vor welchem schon
Victor Cousin sich einige Zeit aufgehalten hatte. Die Briefe,
welche der Verbreiter von Herder's tiefsinnigen Ideen in ^eine
französische Heimat von hier aus 1826 und 1827 sehrieb, sind
ein ununterbrochener Hymnus auf Heidelberg: Ce Beidell^rg e^t
le pays de Vdme, rief er begeistert aus. Ein ^nderesmal schri^h
er : ü nest pas de jour oü je ne beni^ee le oiel de m!avoir conduit
dans ces montagnes oü tout ni'apai^e ef m^ calme mälgr4 m^i,
Ces savants me cammuniquent quelque chose de leur douce s6ri-
nite ! Tout me parle ici de ce gu'ü y a de consolant sur la terre.
C'est Vantiquiti grecque et Orientale, C^e$t la grande et noble
Philosophie de Kant.
Nach den vierziger Jahren trat dann wieder eine Abnahnie
in dem Besuche französischer Studenten und Schriftsteller ein.
Victor Hugo hatte zwar gesagt, es genüge nicht, Heidelberg ^n
besuchen, man müsse hier sich lange aufhallten. Auch Anfiel
hatte der reizenden Musenstadt ein liebevolles Andenken l^e-
wahrt. Aber seit dem letzten Kriege ist das Band, welches
während mehr als dreihundert Jahren zwischen Frankreich und
der Universität Heidelberg bestanden hatte, nahezu ganz zer-
rissen. Es besteht zwar ein Austausch akademischer Schriften
136 Referate und Rezensionen, 0. Knauer,
zwischen ihr und den französischen Universitäten, aber unter
den zahlreichen europäischen und aussereuropäischen Besuchern
der hiesigen Hochschule war in dem Wintersemester 1888/89
nur ein einziger Franzose eingeschrieben.
Th. Süpple.
Th. Süpfle, Geschichte des deutschen Kultureinflusses auf Frank-
reich mit besonderer Berücksichtigung der litter arischen
Einwirkung. Zweiter Band. Erste Abteilung. Von
Lessing bis zum Ende der romantischen Schule der
Franzosen. Gotha, 1888. Verlag von E. F. Thiemann's
Hofbuchhandlung. 8^ XIV, 210 S.
Es bedarf bei uns einiger Zeit, bis wissenschaftliche Werke,
die weder der Schule noch der Universität direktem Bedürfnis
entgegenkommen, und die in keiner Beziehung zu irgend einem
— sagen wir — Gelehrtenring stehen, bekannt werden und sich
verbreiten. So ist es dem ersten Bande dieses Werkes^) er-
gangen, und der anscheinende Misserfolg wollte dem Verfasser
schon die Lust zur weiteren Arbeit, beziehentlich Veröffentlichung
rauben. Vielleicht mit der wachsenden Zahl der Besprechungen,
die, wenn auch mit der oder jener Einschränkung, das Verdienst
des Werkes anerkannten, den sich mehrenden Verweisen auf
sein Buch und dem (wie wir hoffen) steigenden Absatz ist sie
ihm wiedergekehrt, und er hat sich zu unserer Freude ent-
schlossen, zunächst einen neuen Halbband folgen zu lasseh, der
gerade den interessantesten Teil des Gegenstandes, das Be-
kanntwerden und die Einwirkung unserer grössten Klassiker in
Frankreich, zu behandeln hat.
Wie in der zweiten Hälfte des ersten Bandes bearbeitet
auch hier der Verfasser selbständig und mit vollster Sachkenntnis
einen mit Mühe und Forscherfleiss aus verstreuten und zum Teil
schwer erreichbaren Quellen erster Hand gesammelten Stoff, der
sich vor uns zu einem bald mehr, bald minder anschaulichen
Bilde gestaltet; denn unter den vielen interessanten Einzelheiten,
die trotz umfangreicher Anmerkungen auch im Texte vorkommen,
(Namen und Titel zu Übersetzungen, Bearbeitungen, Nach-
ahmungen, kritischen Besprechungen) treten die grossen Umrisse
samt der chronologischen Folge der Entwickelung vielleicht nicht
allenthalben mit gleicher Deutlichkeit hervor, wenn auch die
1) Vgl. Zschr. V1II2, S. 218.
Th. Süpfle, Geschichte des deutschen Kultureinflusses etc, 137
Kapiteleinteilung und ein deren Inhalt skizzierendes ausführliches
Inhaltsverzeichnis ein stetes Verfolgen des Fadens leicht machen.
Das erste der vierzehn Kapitel handelt von Lessing's
Dichtungen und Dramaturgie. Nicht erst französische
Schriftsteller des 19. Jahrhunderts stehen bewusst oder unbe-
wusst unter dem mächtigen Einfluss seines hellstrahlenden Geistes,
schon seit 1757 und den folgenden Jahren wurden die Franzosen
auf seine Lustspiele und sein bürgerliches Trauerspiel Miss Sara
Sampson aufmerksam gemacht, und letzteres, das der Zeitströmung
besonders entsprach, fand bald verschiedene Übersetzer und
anscheinend einen Nachahmer, während die späteren, eigenartigen
dramatischen Schöpfungen weniger Aufsehen machten und zu-
nächst nur in sehr freier, dem französischen Geschmacke ange-
passter Nachbildung (wie die Minna von Bamhelm in Les Amans
g^nereux von Rochon de Chabannes und der Nathan in einer
poetischen und einer prosaischen Bearbeitung) in Frankreich
Boden gewannen oder (wie die Emüia Galotti) erst nach längerem
Zeitraum übersetzt und dann Gegenstand kritischer Betrachtung
wurden. Selbst die franzosenfeindliche Dramaturgie wurde unter
Lessing's Augen von dem Franzosen Cacault in gekürzter Form
übersetzt und den Franzosen dargeboten, wenn sich vorsichtiger
Weise der Übersetzer auch auf dem Titel nicht nannte, und den
einsichtigen Geistern unter ihnen ging ihre grosse Bedeutung
bald auf. Lange vorher schon hatten die Fabeln erfolgreichen
Eingang gefunden trotz der sie begleitenden Abhandlungen über
die Fabelgattung, welche der französischen Auffassung scharf
entgegentraten und einen lebhaften Sturm erregten.
Das zweite Kapitel — Kenntnisnahme von den Fort-
schritten der deutschen Ästhetik — geht zwar auch
wieder von Lessing aus, indem es das Bekanntwerden seiner
kritisch -wissenschaftlichen Werke, besonders des Laokoon ver-
folgt, der schon 1766 (nicht erst 1792) in einer französischen
Zeitschrift eingehend besprochen, doch erst 1802 in das Fran-
zösische übersetzt ward; es handelt aber ausserdem von der
gewaltigen Wirkung der Schriften Winckelmann's in Frank-
reich und von der Anerkennung oder Beachtung, der sich Hage-
dornes 'Betrachtungen über die Malerei, Moses Mendelssohn's
Untersuchungen, Sulz er' s und Lavater's Werke dort zu er-
freuen hatten.
Im dritten Kapitel begegnen wir Wieland, dessen
Dichtungen verschiedenster Art, die gehaltvolleren, besonders
einige von den Romanen, mehr als die stark sinnlichen, in
mannigfachen Übersetzungen, die freilich zum Teil recht frei und
138 Referate und Rezensionen. 0, Knatier,
willkürlich zu Werke gingen, die Bewunderung der Franzosen
erregten und ihrem Verfasser später Ehren wie die Mitgliedschaft
des Institiit de France und das Kreuz der Ehrenlegion ein-
brachten. Nach der ausführlichen Behandlung der Wieland'schen
Romane fällt noch ein Blick auf die Verbreitung anderer deutscher
Werke ähnlicher oder nahestehender Art in Frankreich, der uns
Meissner und Aug. Lafontaine als ebenso beliebt zeigt wie
Gampe's Rohinaon und Weisse's Kinderfreund in Berquin's
Bearbeitung.
Das vierte Kapitel führt uns zu Goeth« und seinen
Jugendwerken, von welchem Dichter Herr Stipfle hier schop
allgemein bemerkt: „Den umfassendsten und tiefsten, wenn auch
aus Unkenntnis oft bestrittenen Einfluss auf Frankreich hat
QoBthe ausgeübt. Was er einst in seinem Bildungsgange dem
Nachbarlande verdankt hatte, das hat er durch die herrlichsten
Spenden tausendfach zurückgegeben. Sein wahrhaft universaler
Geist, seine Meisterwerke jader Art und ganz neuer Art, seine
ebenso künstlerisch gestaltende als schöpferische Phantasie, die
Mannigfaltigkeit seiner Stoffe, Motive, Ziele und ästhetischen
Formen haben die Franzosen in ungeahnte Gebiete des Schönen
eingeführt, erfrischend und verjüngend auf ihre nach glänzenden
Thaten erpaattete LJtteratur eingewirkt" (S. 52). Im Jahre 1774
zuerst als Verfasser des Clavigo genannt, welches Stück später
auch übersetzt ward, zündete Goethe bald darauf in Frankreich
vor Allem mit Werther's Leiden, die auch von dem nachhaltigsten
litterarischen Einfluss waren und nicht bloss zahlreiche fade Nach-
ahmungen noch im 18. Jahrhundert weckten, sondern auch in
bedeutenden Werken aus dem Anfang unseres Jahrhunderts und
späterer Zeit (Chateaubriand's Een^y Nodier's Peintre de
Salizbourg, Benjamin Constant's Adolphe, Musset's Con-
feanons d*un enfant du si^cUf Lamartine^s Baphael u. A.) nach-
klingen. Sein Götz wurde noch vor dem Erscheinen der ersten
französischen Übersetzung das Vorbild zu dem freilich unge-
heuerlichen und in Frankreich unbeachteten Drama eines mit
Lern befreundeten elsassischen Edelmanns: la Guerre d^Älsace
(1780). Seine Stella, 1782 übersetzt, genoss seit 1791 in
vaudevilleartiger Umarbeitung, die Goethe's Namen verschwieg,
die Gunst der pariser Theaterwelt.
Wenn im fünften Kapitel von Schiller's Jugend-
dramen gehandelt wird, so ist vor Allem von den Räubern zu
reden, die, schon 1785 getreu übersetzt, und später wiederholt
übersetzt oder bearbeitet, in kläglicher Verstümmelung (durch
den Glsässer Schwindenhammer, der sich laMarteliere nannte)
auf zwei pariser Bühnen nacheinander das Publikum der Revo-
Th. Süpfle, Geschichte des deutse^en Ktdiureinflusses etc. ].ß9
lutionsjahre 1792 — 93 begeiBterten, ohne dass das BtUck dea
eingeweihten Kreisen bekannten Namen des Verfassers oder auch
nur des Bearbeiters trug. Die oft erwähnte Verleihung des
französischen Bürgerrechts an Schiller (am 26. August 179^
durch die AssemhUe legislative) scheint dagegen in diretiteoi
Zusammenhang eher mit dem Fiesco als ^republikanischer
Tragödie^ zu stehen, auf weichen im Jahre 179^ im Moniteur
aufmerksam gemacht wordep war, yriewohl die erste Übersetzung
erst siebzehn Jahre später folgte. Ebenso wurden seit 1790
Kabale und Liebe sowie Don Carlos j zum Teil in guter Form,
in die französische Litteratur, das erstere Stück auch auf die
französische Bühne eingeführt, während dem letzteren M.-J.
Chenier den Stoff zu seinem Philippe II entlehnte. Mehr Er-
folg als die Btihnenbearbeitungen SchiUer'scher Jngenddramen
hatten allerdings die Stücke Kotz ebnes, beßondjers siei^
Menschenhass und Reue, das zuerst 1792 das pariser Theater-
publikum aufs tiefste rührte.
Im sechsten Kapitel gelangen wir zu Herder und Kunt
und werden belehrt, dass von den Schriften des ersteren im
vorigen Jahrhundert vor den Bestrebungen Diegerando^s (1804)
wenig nach Frankreich gelangte, währei^d die Einführung ^ant's
schon mit dem Jahre 1796 begann und in dcQ letzten J^jiren
des alten und den ersten des neuen Jahrhunderts mit gan? be-
sonderem Eifer durch den bekannten, in Deutschland lebenden
Charles Villers, dessen Anregung bajid Andere folgten, be-
trieben wurde. In der Folge sind beide — Hefder und Kant —
im Verein mit Lessing auch für Frankreich als die Begründer
der Geschichtsphilosophie anzusehen.
Näher noch geht auf die Thätigkeit von Villers und
Degerando das siebente Kapitel Qin — Entfremdung
Frankreichs gegen die deutsche Litteratur am Ende
des 18. und am Anfange des 19. Jahrhunderts — ipdem
es ihr und Anderer Ankämpfen gegen jene durch die polid^chen
Umstände erzeugte Entfremdung, die mit d^em Aufenthalt ^aa-
zösischen Emigranten iq Deutschland und n^it dem Eindriiigen
eroberungslustiger französischer Heere eher wuchs als abnahm,
schildert und uns die verschiedenen Zeitschriften vorführt, die
sich als Prediger in der Wüste zu Vermittlern des deutsehen
Geisteslebens für Frankreich aufwarfen (den Spectateu/r du/, Nord,
die Decade phüosophique und die Archives litUraires de VEuropie).
Hat der Verfasser mit Recht die Teile seines Werkes
weiter ausgesponnen, die wesentlich Neues bieten, so d^rf er
sich kürzer fassen., wo er bekanntere Thatsachen berührt.
Dies ist i^i ^cbtan Kap^t^l 4er Fal), d^« ypQ Frau y^v
140 Referate und Rezensionen. 0, Knauer,
Stael und der wahren Bedeutung des Buches de VAllemagne
handelt und in schwungvoller, abgerundeter Darstellung auf dem
Hintergrunde der vorausgehenden Wirksamkeit von Mercier,
Degörando, Villers, Benj. Constant (als Nachbilder des
Wallenstein) jene berühmte Frau und ihr herrliches Werk in der
richtigen Beleuchtung mit wenigen kräftigen Umrissen malt.
Das folgende (neunte) Kapitel schildert die nächste
Wirkung, weiche die neue Geistesrichtung in den zwanziger
Jahren dieses Jahrhunderts auf die französische Litteratür aus-
übte, und welche besonders in dem von den jungen vor-
romantischen Dichtem unternommenen Versuche bestand, die
ernste dramatische Muse neu zu beleben. Sie hatten Belehrung
in den theoretischen Werken der Gebrüder Schiegel geschöpft
und Hessen dem Studium der deutschen Vorbilder zunächst zahl-
reiche Nachbildungen der Stücke Schiller's folgen, den
sie als Führer gewählt, von der Hoffnung erfüllt, eine Ver-
mittelung zwischen Racine und Schiller finden zu können. Der
Verfasser leitet uns durch alle jene mehr oder minder geschickten
und erfolgreichen Bearbeitungen der Schiller'schen Dramen hin-
durch, die in jener Zeit und später in Frankreich auftauchten,
und aus depen wir nur Lebrun's Marie Stuart, Ancelot's Fiesque,
Soumet's Jeanne d'Arc herausheben wollen. Kein einziges fast
blieb unbearbeitet; es war, als sei der dramatischen Kunst eine
neue Mine erschlossen worden, bei deren Ausbeutung Alles
wetteiferte. Das Gesamtergebnis dieser Bestrebungen fasst Herr
Süpfle in die Worte zusammen: „Zwar ist der Versuch, sein
(Schiller' s) Theater dem alten System der Franzosen anzupassen,
misslungen. Aber befruchtend, erneuernd und erhebend hat er
gleichwohl gewirkt ... So bereiteten seine Dramen, wie auch
einige von Goethe, auf diejenigen Shakespeare^s vor, welcher
einen so grossen Einfluss auf das neue dramatische System
unserer Nachbarn ausübte .... Überhaupt war der echte
Shakespeare erst durch deutsche Vermittelung, namentlich durch
A. W. Schlegel, jenseit des Rheines bekannt geworden . . . Selbst
Victor Hugo war auch von unserer Litteratür beeinflusst, nicht
bloss von Shakespeare." (S. 118 und 119). In späterer Zeit
wurden die Schiller'schen Dramen durch zahlreiche Übersetzungen
in Frankreich eingebürgert und in weite Kreise getragen. Dem
litterarisch- ästhetischen Einfluss, den sie übten, gesellte
sich ein sittlich erhebender und veredelnder bei, indem
auch französische Herzen sich an Schiller'schen Idealen begeistern
lernten.
Neben Schiller trat natürlich Goethe mit dem (zunächst
durch die Stapfer'sche Übersetzung derselben vermittelten) Ein-
7%. Süpfle, Geschichte des deutschen ICultureinflusses etc, 141
fluBS seiner dramatischen Schöpfungen, wie uns das zehnte
Kapitel darthut. Am gewaltigsten wirkte der Götz, und auf ihn
(nicht ausschliesslich auf W. Scott's Romane) führt Herr Süpfle im
Einklang mit französischen Litterarhistorikern das Streben nach
Lokalfarbe in geschichtlichen Dramen zurück, wie es bei Vitet,
M6rim6e, Alex. Dumas und Victor Hugo zu Tage tritt. Von den
anderen Stücken sehen wir die Geschwister und in schwacher
Nachbildung den Tasso auf der pariser Bühne Aufnahme finden,
die Iphigenie und den Egmont die Bewunderung der Kritik er-
regen, den Faust endlich zwar langsam bekannt werden, dann
aber nicht bloss als Gegenstand der lebhaften Bewunderung und
als Urquell zahlreicher und sehr verschiedenartiger dramatischer
Erzeugnisse oder einzelner Züge und Scenen in solchen, sondern
auch als Ausgangspunkt für philosophisch-ästhetische Betrachtungen,
unter denen die von Henri Blaze de Bury (1840)- besonders her-
vorstechen, und die sich bis auf die neueste Zeit noch nicht
erschöpft haben.
Das elfte Kapitel wendet sich der Betrachtung des
Epikers Goethe in Frankreich zu und verfolgt das Bekannt-
werden und die Würdigung von Hermann und Dorothea (seit
1798) und von seinen verschiedenen späteren Romanen, von
denen allerdings keiner solche Sympathien wieder weckte wie
der Werther und nur Wahrheit und, Dichtung nut lebhaftem
Interesse aufgenommen ward. An Hermann und Dorothea lehnt
sich nachmals Laprade^s ländliches Epos Pemette (1868) an,
uud aus den Romanen ist wenigstens die Gestalt seiner Mignon,
die auch in Victor Hugo's Esmeralda wiederkehrt, den Franzosen
fast ebenso vertraut wie sein Gretchen geworden.
Bei der Betrachtung der weiteren Einwirkungen der
deutschen Litteratur auf die französische Romantik
(zwölftes Kapitel) wird unser Blick auf Jean Paul, der erst
sehr spät bekannter wurde, auf *Ludw. Tieck, der zeitiger bei
kleineren Kreisen in Gunst kam, auf den auch in Frankreich
vielbewunderten Zach. Werner und einige andere Dramatiker
gelenkt, vor Allem aber auf E. Th. A. Hoffmann^ dessen
phantastische Romane den grösten Anklang fanden und den
stärksten litterarischen Einfluss ausübten, wie sich dies in den
Werken von Nodier, Gerard de Nerval, Th^oph. Gautier, Jules
Janin, ja Balzac, George Sand und Erckmann - Chatrian verrät.
Hatte das vorangehende Jahrhundert die deutsche Litteratur zeit-
weilig in G essner verkörpert gesehen und nur ihre sentimentale
Seite gekannt, so sah sie das neunzehnte geraume Zeit beinahe
in der phantastischen Richtung Hoffmann's aufgehen.
Das vorletzte Kapitel handelt von dem Einfluss der
14Ä Repsraie und Rezensionen. 6. Bomhak,
deHtBchen Lyrik auf die französische Romantik, der sich
als ein sehr wirksamer erweist. Er knüpft sich an die Namen
Bürger, dessen Balladen eigentlich erst seit 1814 bekannt, später
aber wirklich volkstümlich wurden; Schiller, von dessen Ge-
dichten die Glocke besonders häufig übersetzt wurde, dessen be-
geißtelter Schwung aber überhaupt die Franzosen gewaltig packte
und zur Nachahmung hinriss; Goethe, dessen Eigenart mit ihrer
tiefen Innerlichkeit und Einfachheit der sprachlichen Form sich
der grossen Masse der litterarisch Gebildeten weit schwerer in
Übersetzung erschloss, auf die französischen Dichter aber, die
am Urquell schöpften, befruchtend wirkte und sie zum Schaffen
anregte. Auch des sprachlichen Einflusses, der von unserer
Lyrik auf die Romantiker ausging und sie antrieb, der spröden
französischen Sprache neue Formen abzugewinnen, sowie der
hohen Meisterschaft im Übersetzen, zu welcher um die Mitte
dieses Jahrhunderts gerade die nämliche Lyrik einzelne Franzosen
wie Henri Blaze de Bury und Schur6 emporgeleitet hat, wird
zuid Schltt&se gedacht.
Den Einfluss der deutschen Wissenschaft zur Zeit der
Restauration und bald nach der Julirevolution schildert endlich
das vierzehnte und letzte Kapitel dieses Halbbandes. Auf dem
Gebiete der Philosophie wurden nicht nur Herder' s Ide&a
zur Philosophie der Geschichte der Menschheit den Franzosen jetzt
wirksam vermittelt durch Edgar Quinet, sondern besonders durch
Victor Oonsin auch den spekulativen Schulen Eingang ver-
schafft, so dasB der Bann des alten Sensualismus gebrochen ward.
Wenn der Begriff unserer Ästhetik und dessen, was man wissen-
schaftliche Kritik nennt, ihnen schon von der genaueren Bekannt-
schaft mit Lessing an aufgegangen war, so lernten sie nun bei
der deutschen Rechtswissenschaft und vor Allem bei unserer
Geschichtssehreibung in die Schule gehen.
Zu dieser gedrängten Skizze des Inhalts fttgen wir nur
wenige Einzelbemerkungen.
In den Anmerkungen, die auch diesen Halbband begleiten,
ist uns bei 1) [zu S. 2] aufgefallen, dass unter „neueren Arbeiten
über Leasing** auch Lessing et Klopstock par A, C. (d. i. A.
Chnquet) in der Revue criUque genannt ist, als ob dies eine
selbständige Leistung sei, während es nur eine Anzeige in wenig
Zeilen von Mnncker's Buch Lessing^s persönliches und litterarisches
Verhältnis zu Klopstock ist.
Zu S. 143 tragen wir die Prosaübersetzung von Hei mann
und Dorothea von B. Levy (Avec le texte allemand et des notes)
nach, Paris bei Hachette 1877 erschienen.
Einige kleine Sprachsünden ähnlicher Art wie die bei dem
Ä P. Junker, GründHss der Geschichte der französischen lAtieratur etc, 143
erBten Bande voti uns gerügten werden dem aufmerksamen Leset*
auch in dem neuen Halbbande aufstos&en (so S. 35, 51, 74, 90,
155, 163, 171)^). Den Gebrauch von man im Vorwort (8. V)
mit Bezug auf die eigene Person des Verfassers können wir
nicht als gut deutsch, sondern nur als französisch gelten lassen.
Hoffentlich bringt uns dieses Jahr noch den Abschluss des
interessanten und verdien stlicheil Werkes.
0» Kkausb.
Janker, Heinrich P., Grundriss der Geschichte der französiscken
Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Samm-
lung von Kompendien für das Studium und die Praxis /, 2.
Münster i. W., 1889. Heinrich Schöningh. 436 S.
Preis: 4 Mk.
Die Litteraturgeschichte ist bekanntlich ein Teil der Kultur-
geschichte und lässt sich bei Vernachlässigung derselben nicht
ohne grosse Nachteile behandeln. Denn alle litterarischen Er-
zeugnisse erwachsen auf dem Boden der jeweiligen Kultur. Die
herrschenden Geistesströmungen und ihre Äusserungen in der
Litteratur, so verschiedenartig sie auch scheinen mögen, gewinnen
durch das Studium der Kulturgeschichte erst ihre Begründung
und innere Verbindung, durch welche jedes einzelne Gesehichts-
bild als ein vollberechtigtes Glied in einem wohlgeordneten
Ganzen erscheint. Von solchen Erwägungen ist der Verfasser
des vorliegenden Buches nicht ausgegangen, denn er erklärt in
der Vorrede 8. VHI, dass er den Stoff im wesentlichen
chronologisch geordnet habe.
Er hat den einzelnen Perioden sogenannte Charakteristik en
vorausgeschickt, welche zum grossen Teil nichts Anderes ent-
halten, als eine Aufzählung vom Inhalte der nachfolgenden Para-
graphen, wie z. B. 8. 270 ff. der Abschnitt: Das Jahrhundert
der Aufklärung. Charakteristik desselben. S. 20 be-
zeichnet er den Abschnitt über die Chansons de gesie als die
Periode des volkstümlichen Epos, während doch nur die
Feudalen an den Schilderungen der feudalen Herrlichkeit, zu
denen die alten Sagen gewissermassen als Rahmen dienen mussten,
Gefallen finden konnten, nicht aber der von der Kampf- und
1) Die bedenklichste liegt in dem Satze vor: „Sogar George
Sand, welche ja ausdrücklich hervorhob, dass die Erzählungen Hoff-
mann*s die französische Jugend entzückt haben, und die man nie
wieder lese, ohne . . . hat ihn auf sich einwirken lasseti.'* (S, 155.)
144 Referate und Rezensionen, R, Mahrenholtz,
Raublust der Fürsten und Edelleute schwer helmgesuchte Bürger
und Bauer. Erst unter Philipp IL August (1180—1223) ge-
wannen die Bürger einen wirksamen Schutz gegen die Anfälle
des Raubadels und dieser Wechsel zeigt sich nun auch in der
Litteratur, indem die Epik sich zur Didaktik und Bekämpfung
der feudalen Anschauungen neigt, während die feudalen Herren
noch lange nicht die Waffen strecken, sondern in ihren Chansons
fortfahren, das feudale Leben zu verherrlichen. Es ist die
Periode des Kampfes des mit dem Köntgtum verbundenen Bürger-
tums gegen den feudalen Unfug. Der Verfasser bezeichnet diesen
Abschnitt als die Periode des allegorisch-moralisierenden
Epos, bekennt aber selbst S. 117, dass diese Bezeichnung
keine ganz zutreffende sei.
Wie die Charakteristik ist auch die Begründung wichtiger
litterarhistorischer Thatsachen mangelhaft oder fehlt ganz. So
ist die Begründung der Hofdichtung unter Franz L und ihre Er
neuerung unter Heinrich IV. nach der durch die Hugenotten-
kriege eingetretenen Unterbrechung gar nicht erwähnt, S. 203
der Rückschlag, der auf die Zeit des regsten Schaffens
und Blühens (unter Ludwig XIV.) naturgemäss folgte, gar
nicht historisch begründet; S. 204 heisst es von Malherbe, dass
er einen Reim gefordert habe, der für das Auge und
Ohr richtig sein müsse, es wird aber nicht gesagt, was jener
unter einem richtigen Reim verstand, auch bleibt Malherbe's Ver-
dienst um die Schriftsprache unerwähnt; S. 206 werden unter
Balzac's Werken auch dessen Lettres angeführt, ohne dass die
Bedeutung derselben für jene Zeit nur angedeutet wird; S. 215
ist nicht begründet, warum Corneille zwischen antiker und
romanesker Richtung im Drama schwankte ; S. 233 vermisst man
die Angabe des Einflusses, den Descartes, auf S. 333, den St.
Simon und seine Nachfolger auf die Litteratur ihrer Zeit ausgeübt.
Oft ist Verwandtes und Zusammengehöriges auseinander-
gerissen; S. 109 ist der Abschnitt Geschichte zwischen der
didaktischen und lyrischen Poesie eingeschoben; S. 215 ff.
Corneille von den anderen grossen Dramatikern Moli^re und
Racine durch die Abschnitte über Salons, Romane, Des-
cartes und Pascal getrennt; ferner fragt man sich, warum
S. 207 der Abschnitt Das Hotel de Rambouillet nicht mit
dem verwandten S. 225 Salons und Preziösentum zusammen-
gelegt ist, oder wie in einem Paragraphen S. 278 der Memoiren-
schreiber St. Simon mit dem Eanzelredner Massillon zu-
sammenpasst. Das Ganze erscheint als eine Sammlung von an-
einandergereihten Notizen über Dichter und Schriftsteller, ohne
inneren Zusammenhang. Es ist dies ein grosser Nachteil für
Gabriel Bounin, La Soliane. 145
das Buch, da hierdurch die Übersicht, das Verständnis und die
Aneignung des Stoffes ungemein erschwert wird.
Mit grosser Ausführlichkeit hat de» Verfasser die Ab-
schnitte über die Chansons de geste, über das Zeitalter Lud-
wig's XIV., Voltaire u. a. behandelt, reichhaltige bibliographische
Nachweise und schätzenswerte Inhaltsangaben der betreffenden
Werke hinzugefügt, wobei allerdings einzelne zu kurz abgethan
sind, wie z. B. S. 368 bei G. Sand, S. 381 bei Augier, oder
sie fehlen wie S. 361 bei Gautier. Auch wäre eine genauere
Inhaltsangabe des Romans Jehan de Saintre S. 168, der mehr
als manches Andere die höfischen Anschauungen aus der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts charakterisiert, sowie eingehendere
Mitteilungen über den Lebensgang des doch gewiss hinlänglich
merkwürdigen Rabelais zu wünschen gewesen.
G. BOBNHAK.
Bounin, Gabriel, La Soltane, Trauerspiel. Paris, 164L Neu-
druck besorgt von E. Stengel und J. Venena. Mit
einer litterarischen Einleitung von Johannes Venena.
Marburg, 1884. N. G. Elwert'sche Verlagsbuchhandlung.
64 S. 80. (Ausg. u. Abk. aus dem Geb. der rom. Phil
veröff. von E. Stengel). Preis: 1 M. 50.
Gabriel Bounin, der fast verschollene Autor einer ver-
schollenen Tragödie: la Soltane und mancher politischen und nicht
politischen Dichtereien, wurde wahrscheinlich bald nach 1530 zu
Chäteauroux in Berry geboren, und war 1586 noch am Leben. In
Paris studierte er die Rechte und klassische Philologie, bekleidete
verschiedene Ämter, erfreute sich der Gunst des Kanzler L'Ho-
pital, vielleicht auch des gnädigen Beifalls Katharinens von Me-
dici. Er trat in den Dienst des Herzogs von Alen^on, des
Sohnes der letzteren, den er in seinen Gedichten nach herkömm-
licher Art feierte. Hiemach wäre er nur einer der vielen schön-
geistigen Hofschranzen und Schweifwedler in jener Zeit des
poetischen Bettlertums gewesen, aber dass er in einer Rede an
den ohnmächtigen Karl IX. sich für Erhaltung des konfessionellen
Friedens ausgesprochen hat, beweist eine freie Geistesrichtung,
die damals wohl bei den Politikern aus Machiavelli's Schule,
aber nicht bei dichtenden Parasiten zu finden war. Die in
der obenerwähnten Sammlung abgedruckte Tragödie: la Soltane
soll nach den fr^res Parfaict (die nach meinen Erfahrungen aller-
dings nicht immer zuverlässig sind) spätestens 1560 aufgeführt
Zsclur. f. frz. Spr. u. Litt. XI^. ^q
146 Referate und Rezensionen. Fritsche,
sein, wahrseheinlieh am französisch en Hofe; gedruckt wurde
sie 1561.
Sie behandelt die Ermordung Mustapha's, des Sohnes und
Thronfolgers Sa>iman^s IL, den sein Kebsweib Roxolane (bei
Bounin heisst sie Rose) gegen diesen edlen Prinzen aufgehetzt
hatte, weil sie ihrem Sprössling Selim die Nachfolge sichern
wollte. Bounin hallt sich ziemlich treu an die geschichtliche
ÜbeHieferuBg, beobachtet aber das Zeit- und Lokalkolorit so
wenig, wie seine diehterischeti Zeitgenossen es thaten, prunkt
mit mythologischen Reminiszenzen und Figui^n, führt einen sta-
tistenhaften Chor ein und hält sich an das Vorbild von Seneca's
Medea, (Auf die Frage, ob Medea wirklich ein Werk des be-
kannten Seneca sei, gehen wir nicht ein.) Die Unnatur und
die grausen Effekte der Tragödien dieses römischen Philosophen
mussten eine Zeit anmuten, welche in den Blutthaten innerer und
äusserer Kriege sich behaglich fühlte, die poesielose Rhetorik
derselben denen zusagen, welche an den klassischen Phrasen und
Reminiszenzen von Jugend an sich erbaut hatten. So ist denn
Bounin gerade wie Jodelle der gelehrige Nachahmer des schwül-
stigen Hofphilosophen, aber mit souveränerer Selbständigkeit, als
dieser, setzt er sich über die Schranken der Orts- und Zeiteinheit
hinweg und wagt sich an einen Stoff aus der unmittelbaren
Gegenwart, statt sich mit den oft auseinander gezerrten Gräuel-
stoffen aus der hellenischen Vorzeit zu begnügen.
Wie so viele Stücke jener Übergangsperiode zum Klassisch-
Regelrechten, ist auch die Soltane eine unbewusste Parodie auf
alle dramaturgischen Gesetze, alle Regeln der Kunst und Schön-
heit. Von Charakterzeichnung und dramatischer Entwickelung,
von Wahrscheinlichkeit und psychologischer Motivierung ist kaum
die Rede, das grell verzenie Laster tritt der ebenso grell ver-
zeichneten Tugend schroff gegenüber, ein Hauptheld und ein
Hauptinteresse fehlt. Zudem müssen wir uns durch 1842 Verse,
wovon 400 auf die inhaltsleeren Chorgesänge kommen, hindurch-
quäleti. Gleichwohl ist der Abdruck dieses ganz seltenen Stückes
sehr verdienstlich, denn unsere Kenntnis der französischen Litte-
ratur des XVL Jahrhunderts bedarf noch einer auf Neuent-
deckungen und Neuabdrücken sich stützenden Erweiterung.
Herr Venena weist nach, dass das Bounin'sche Machwerk
auf Racine's Bajazet ohne Einfluss geblieben sei, bringt auch
sonst über die französischen Schauer- oder Stelzentragödie des
XVL Jahrhunderts manches Belehrende und Treffende, und erörtert
deren Verhältnis zu Seneca genau. Wenn übrigens bei Bounin
der Chor nicht in die Handlung sich einmischt, wie bei Seneca
und Jodelle, so zeigt hierin gerade der Dichterling richtigere
C. Humhert, MoHere, L'Anare. 147
Kenntnis der griechischen Tragödie, in welcher der Chor nur
Echo der Volksstimme, aber kein mitbewegender Hebel der
Handlung ist. R. Mahrenholtz.
Moli^re^ LAvare, Mit Einleitung, Anmerkungen und einem Anhang
herausgegeben von C. Humbert. Leipzig, 1889. E. A. See-
mann (5. Band der Martin Hartmann^scJien Schulausgaben
französischer Schriftsteller). XVI u. 86, nebst 84 S. besonders
geheftete Anmerkungen.
Man kann bald sagen: Moliere und kein Ende! Wenigstens der
Schulausgaben dürfte nun wohl genug sein. Die Kommentare be-
weisen, dass der Stoff nahezu oder ganz erschöpft ist ; nur wenig Neues
bringen sie noch bei, und dies Wenige könnte man füglich in einer
Zeitschrift auf ein paar Seiten vereinigen. Niemand wird dem neuesten
Herausgeber des Avare das Recht absprechen, über Moliöre ein Wort
mitzureden, aber doch bezweifeln wir, dass seine Ausgabe eine fühl-
bare Lücke ausfüllt. Dazu ist es auch fraglich, ob er gerade der ge-
eignete Mann ist, philologische Noten und kurze Übersichten zu
schreiben. Humbert*s Stil ist dazu nicht scharf genug, leidet an un-
nützen Worten, unbestimmten Wendungen,, nimmt leicht den Mund zu
voll von tönenden Phrasen, die den Sinn verdunkeln, so sehr der
Inhalt auch von umfassender Belesenheit zeugt. Ein paar Beispiele
statt vieler.
Was soll man zu dem ersten Satze der Einleitung („Moliere's
Leben und Werke") sagen: Das Lehen des Künstlers sind seine Werke
(Bitte, was heisst das in einfacher Sprache?), von ihm selbst erricktete
Denkmäler geistiger Eroberungen und Schlachten (hu!), und die Zeit^ die
er auf Erden weilte, hat nur für die Nachwelt Bedeutung, (also nicht
für seine Zeitgenossen? Keineswegs will Humbert dies sagen, das nur
steht an falscher Stelle und gehört vor das Folgende) soweit sie dazu
diente, das was in ihm gelebt, in solchen (?) mustergültigen (sind denn
alle Kunstwerke mustergiltig?) Denkmälern zu verkörpern. Wie wäre
es, wenn Jemand das Wort Schiachton selbst im eigentlichen Sinne
gebrauchend, sagte. „Das Leben Napoleon's sind die Schlachten von
Maren^o, Austerlitz, Jena, Borodino, Leipzig und Waterloo"? Würde
man dieser Rede, deren Sinn sich ja iällenfälls erraten Hesse, nicht
einen schlechten Feuilletonstil beimessen? — Das ,,Leben" beginnt so:
Im Jahre des Heils 1622, wahrscheinlich am 22. Jenner, ward in der
guten Stadt Paris dem ehrsamen Tapeziermeister Hans Poquelin und der
Marie de Cresse der erste Sprössling geboren. Man nannte ihn Jean-
Baptiste Poquelin, Die Nachwelt kennt ihn unter dem Namen Moliere.
Wie viel unnütze Worte und wie viel Schiefheiten! Sollen die Zu-
thaten des Heils, der guten Stadt, ehrsamen scherzen, spotten, charakteri-r
sieren? Nichts davon, sie sind schlechthin überflüssig. Der Vater
hiess aber nicht Hans, sondern Jean, oder man müsste Moliere nicht
in demselben Athem Jean-Baptiste, sondern Hans -Baptist nennen.
Man nannte diesen nicht erst in der Taufe Poquelin, denn ein Poquelin
war er schon von Geburt. Die Nachwelt kennt ihn zwar unter dem
Namen Moliere, aber die Mitwelt nannte ihn auch schon so. — Andere
Stilfehler aus den Anmerkungen: S. 3 schliesst sich in dem Satze:
Eine äusserliche Hauplhandlung u. s. w. die zunächst an MariOMe an
10*
148 Referate und Rezensionen. R. MahrenJioltz,
soll aber auf ßaupihandlung gehen. — S. 12 heisst es: J'en vois.
Fritsche und Lion beziehen en auf Mariane, Lavigne auf ihre Tugenden,
Unklar! Wahrscheinlich ersieres u. s. w. Was in aller Welt ist un-
klar? Was die beiden ersten Erklärer sagen, oder was der dritte
sagt, oder was Moliere's Text sagt? — Ob wohl bildliche Ausdrücke
wie folgender in eine solche Ausgabe gehören: So werden die Szenen
enge mit einander verbunden, und der elektrische Strom, der den Zu-
schauer fortreisst, wird nicht unterbrochen (S. 8). Gleich darauf S. 4:
Die Einheit der Zeit und des Ortes begünstigte die Nichtunterbrechun^
des elektHschen Stromes, Also die interessante Handlung wird mit
einem elektrischen Strome verglichen, worunter sich Jedermann denken
mag was er will; wer aber hat schon gehört, dass ein elektrischer
Strom Menschen fortreisst! Ein wirklicher Strom thut das wohl, ein
elektrischer Strom nie; er tötet, lähmt, zersetzt, erzeugt Krämpfe.
Und wer begünstigt wen? Die Einheit die NichtUnterbrechung oder
umgekehrt? Man könnte ja Beides verteidigen, weil die doppelte
Metapher verschiedene Deutungen zulässt.
Es steht wirklich traurig um den deutschen Stil, wenn solche
Verwilderung schon in Schulbüchern zu finden ist. Und doch hätte
Niemand mehr die Pflicht, als wir Lehrer, dieser Verwilderung durch
gutes Beispiel Einhalt zu thun. Ich möchte nicht für mürrisch gelten,
aber le mauvais goüt du siicle en cela me fait peur.
Was die Sachen betrifft, so erlauoe ich mir nur wenige Be-
merkungen. Der Ausdruck: 1631 ward der Vater Hoftapezierer und
Kammerdiener Ludwigs XIll hilft den alten Irrtum weiter verbreiten,
Poquelin sei jemals der Kammerdiener des Königs gewesen. Er war
nichts als Hoftapezierer und hatte als solcher den Rang eines könig-
lichen Kammerdieners. Dies und nichts Anderes ist der Sinn der
immer wiederholten Titulatur valet de charnbre Tapissier du roi. — Der
Dichter vertauschte nicht den Namen Jean-Baptiste Poquelin mit dem
Namen Moliere, sondern nur den Namen Poquelin mit dem Namen
Moli^re; er heisst ja stets und unterschrieb sich oft Jean-Baptiste
Moliere. — Dass als Moliere die Pre'c. rid, aufführte, er ein ve7'bo?-gener
Schauspieler gewesen sei, kann man nicht zugeben ; er war damals
schon das bekannte Haupt einer in ganz Frankreich gut berufenen
Truppe. Wahrscheinlich liegt auch hier einer der zahllosen schiefen
Ausdrücke des Herausgebers vor. — Die ßegriffsunterscheidungen auf
S. IV verstehe ich beim besten Willen nicht. Humbert nennt folgende
Gattungen: Komisches Schauspiel, gewöhnliches Lustspiel, komische
Komödie, komisches Charakterschauspiel, Phantasiekomödie (soll wohl
sein was man gewöhnlich Situationslustspiel nennt) und Intriguen-
komödie. Die letzten drei Arten lassen sich trennen, aber wie unter-
scheiden sich die drei ersten? Gibt es auch eine tragische Komödie?
Vielleicht was man sonst Tragikomödie nennt? Ist das gewöhnliclie
Lustspiel etwas anderes als eine Komödie oder als eine komische
Komödie? Gibt es auch eine nicht komische Komödie, und warum
heisst sie Komödie, wenn sie nicht komisch ist? — Nach diesen un-
klaren, für Schüler ganz un fassbaren Unterschieden kommt Humbert
auf Moliere's komische Charaktere zu sprechen. Hier stellt er folgende
ungeheuerliche Behauptung auf: Die Hauptpersonen gewöhüicher Lust-
spiele, wie auch die der meisten Shakespeare* s sind sentimental, höchstens
lustig, witzig und heiter; ihre Komik beschränkt sich auf Nebenpersonen,
und wo diese in Charakteristik hinüber spielt, auf die am leichtesten zu
behandelnde possenhafte Dummheit, Man kann darauf nur erwidern,
dass man nicht um jeden Preis etwas Neues sagen wollen muss, sonst
Hermann Gehrig, Jean-Jacgties Rousseau, sein Leben etc. 149
gerät man in eine unfreiwillige Komili, selbst wenn man eine Haupt-
person ist. Irgend ein „gewöhnliches Lustspiel" biete eine Anwendung:
Scribe's Glas Wasser, Sind die Hauptpersonen, Bolingbroke und die
Herzogin, sentimental? sind sie höchstens lustig, witzig, heiter? Weiter
gar nicht charakterisiert? Sind blos die Nebenpersonen komisch?
Wer ist in dem Stücke possenhaft dumm? Entsprechende Fragen in
Betreff von Freytag's Journalisten. Nun ein Lustspiel Shakespeare's:
Viel Lärm um Nichts, Sind die Hauptpersonen, Benedikt und 6ea.trice,
sentimental? sind sie höchstens lustig, witzig, heiter? Haben sie sonst
keine Charakteristik? Sind blos die Nebenpersonen dumm? Ist Don
Juan eine Nebenperson? Doch gewiss, und ist er dumm? G-anz im
Gegenteil! Ist der stockdumme Holzapfel eine Nebenperson? Das ist
doch sehr zweifelhaft. Und so frage man nach den Personen von
Was Ihr wollt und beliebigen anderen Lustspielen der grossen Briten.
— Doch genug ; ich greife nur einige Stellen heraus, um zu zeigen,
dass, wenn nicht der Lehrer, so der Schüler im Kopfe durch Humbert's
Erklärungen nicht klarer wird. Humbert möchte sein Idol Moliäre
gern über alle Mitbewerber, selbst über Shakespeare, hinausheben und
wird dadurch zu grossen Übertreibungen veranlasst. Den Unter-
zeichneten wird Niemand beargwöhnen. Meliere gering zu schätzen,
aber zu Humbert's bedingungsloser Bewunderung kann er sich nicht
aufschwingen.
Im Kommentar findet sich neben dem Vielen, das ein Heraus-
geber mit lächelnder Miene dem anderen abnimmt, viel Klein meister ei
und wenig Neues. Einige Bemerkungen aus der Ausgabe von Lavigne,
die ich nicht kenne, und einige andere aus Fournier's französischem
Theater des 16. und 17. Jahrhunderts erschienen mir als das Beachtens-
werteste. Grossen Fleiss kann man der Notensammlung nicht ab-
sprechen. Pritsche.
/)^GeIirig9 Hermann, Jean- Jacques Rousseau, sein Leben und seine
pcedagogische Bedeutung. Ein Beitrag zur Geschichte der
Poedagogik. 2. billige Auflage. Neuwied und Leipzig, o. J.
[1888*]. Heuser's Verlag (Louis Heuser). 192 S.* kl. 8®.
Preis : 1 Mk.
Diese kleine Schrift ist aus einem Vortrag entstanden, den der
Herr Verfasser vor 11 Jahren zum Andenken au Rousseau's 100jährigen
Todestag in einer Elementaflehrer -Versammlung zu Neuwied gehalten
hat und schildert hauptsächlich Rousseau als Pädagogen vom Stand-
punkte eines Seminarlehrers aus. Gehrig rühmt sich allerdings, auch
die neueste Rousseau -Litteratur gewissenhaft benutzt zu haben, das
trifft aber selbst für das Jahr 1878 nicht zu. Vielmehr ist Hermann
Hettner seine Hauptquelle, die er mit der Gewissenhaftigkeit eines mittel-
alterlichen Chronisten ausschreibt, so sehr auch die Darstellung, welche
der verstorbene Dresdener Professor von Rousseau noch in der letzten
Auflage seines Werkes gegeben hat, von der Forschung überholt ist.
Nebenbei hat er Brockerhoff*s Rousseau-Biographie herangezogen und
sich mit neueren pädagogischen Beurteilungen des Emile vertraut ge-
macht.
Seine Kenntnis von den allgemeinen Zeitverhältnissen im
XVIU. Jahrhundert ist aus Schlosser und aus — Weber geschöpft.
Die Werke Rousseau's citiert er nach der — Frankfurter Ausgabe
vom Jahre 1859, kennt aber von diesen Werken augenscheinlich nur
150 Referate und Rezensionen, R. MahrenhoUz,
den Emile und den Proiet pour Ve'ducation genauer, während er sich in
der Inhaltsangabe und Beurteilung des Contrat social wieder an Hettner
anlehnt. Hätte er die Confessions sorgfältiger gelesen, so würde er
Therese Levasseur nicht mit Brockerhoff zur „Vorsteherin eines Wäsche-
Departements" avancieren lassen, während sie doch im Pensionate
St -Quentin nur pour iravailler en linge, d. h. als Schneidermädchen,
allgestellt war. Theresen's Verhältnis zu Rousseau wird wieder nach
Hettner idealisiert, die Berufung auf die Confessions kann nichts be-
weisen, da Rousseau den Charakter seiner Zuhälterin und seine wilde
Ehe hier bedeutend verschönert. (Referent hat sich über Therese
Levasseur unlängst eingehender in einer in der Zeitschnfi erschienenen
Abhandlung geäussert).
Qehrig^s Urteile über den ihm mehrfach sympathischen, doch
leider weder streng moralischen, noch biblischen Philosophen von Genf
sind herkömmlicher Art, bisweilen sogar durch Schrader's Einfluss
pietistisch gefärbt.
Eine volkstümliche Biographie Rousseau's, in der auch seine
pädagogische Bedeutung recht eingehend hervorgehoben werden konnte,
wäre im Jahre 1889, dem Säkularjahre der französischen Revolution,
sehr erwünscht gewesen, aber sie müsste auf viel eingehenderen Studien
ruhen. Dieses Volksbüchlein kann auch den Elementarlehrern, an die
es sich vorzugsweise wendet, nicht viel nützen, in mancher Hinsicht
sogar schaden, für den Rousseau-Forscher ist es wertlos. Einen Aus-
fall gegen Darwin, S. 57, hätte ein Gehrig sich besser sparen sollen.
R. Mahrenholtz.
i/ Schmidt, Otto, Rousseau und Byron. Ein Beitrag zur ver-
gleichenden Litteratargeschichte des Revolutionszeitalters.
Greifswald, 1889. Jul. Abel. 182 S. 8^
Vergleiche zwischen grossen Dichtern und Denkern ver-
schiedener Zeiten und Völker sind von jeher eine Lieblings-
neigung deutscher Litterarhistoriker gewesen. Was hat man nicht
alles verglichen! Shakespeare mit Händel, R. Wagner mit
Äschylus und Euripides; Byron, der in der obigen Schrift Gegen-
stand der Vergleichung mit J.-J. Rousseau ist, sagt von sich
selbst, dass er innerhalb neun Jahre mehr als fünfzehnmal als
Mensch und als Dichter mit anderen geschichtlichen und my-
thischen Personen verglichen sei, darunter mit Rousseau und
GoBthe sowohl, wie mit Arlechino und dem Zirkus-Clown. Daher
könnte der ausschliesslich komparative Charakter der Scbmidt'schen
Schrift leicht Bedenken erregen, indessen zum Glück hält sich
der Verfasser auf dem Boden des litterarhistorisch Gegebenen
und positiv Feststehenden. Byron's Mutter hat schon in dem
zwanzigjährigen Sohne einen zweiten Rousseau erblickt, M°*®
de Stall dann auf Grund ihrer persönlichen Bekanntschaft mit dem
englischen Dichter diesen Vergleich wieder aufgenommen, misslich
ist nur, dass Byron selbst zweiundzwanzig unterscheidende
Otto Schmidt, Rousseau und Byrnn. 151
Jtferkinale iwfUbrt. Schmidt bemerkt dazu allerdings mit Becfat, dasß
siebzehn dieser Punkte „rein äusserli^her Natur'', die übrigen
fUnf widerlegbar seien und er ziebt nun eine Parallele zwüoben
beider Leben, Lebeasanftcbanaxig und tittenurisehea Tb^gkeit
Die Vorfahren beider stammten aus Frankreich, die Bou3-
sean's aus Paris, die Byroo^s aus der Normandie, beider Vät^r
leiteten die Erziehung der Söhne in uuverantwortUch schlechter
Weise, sie standen Auch moralisch nicht eben hoch. XXie Büdung
Rousseau's, wie Byron^s,- war eine vielseitig aJI>er ungeregelte,
für einen enggegrenzten Lebensberof nicht passende, mit Ver-
kenoung ihrer beiderseitigen Eigentümlicbkeüien wollten sie als
Diplomaten glänzen. Frühe und ungeeignete EonuanleklTÜre gab
beider Lebensanschauung etwas phantastisch -unrichtiges; wie
Eousseau schon als Kind Bücher ohne Wahl und Verständnis
durchjagte, so begeisterte sich der sechszehigährige 9jro^n jvi
der NoiüoeUe Helo'isey las mit neunzehn Jahpeiu die Conf^»ons.
Hang zur Einsamkeit und Naturschwärmerei, zu unnatürlicher
Geftthlsweicbbeiit ist ihnen «eben in jungen Jahren ej^gentttvaUGb,
abenteuerliches U<mberirren, wobei Byron sich eunäohst ^UerdiiOgs
auf sein Vaterland hescbTänkte, binderte äire sittliehe Festigung
und Charakterentwiekelung. Allzufr4£b lernten sie die Nachtseiten
des Lebens und die Schwächen des Weibes kennen, ein w<eib-
liches Wesen, das ihrer würdig iwar, famden beide «nur eiunwaj in
ihrem vielgestaltigen Leben. Um in der Gesellschatf^t zu leib.en
und hervorzAiragen, fehlte Rousseau tdie feste Gesundheit^ fUr
Byron war sein körperliches Gebrechen trotz sonst Tolleiideter
Schönheit ein fortwährendes Qj^idemis. Das Missbehagen, weiches
sie von vornherein der Gesellschaft enige^€wtruge»n , artete all-
mählich in einen feindlichen Gegensatz aus, den die Mit- und
Nachweit, ungeachtet der Begeisterung für beider Dichtungen,
durch Hass und Verleumdung erwiderte. Selbst die unparteiisch
Urteilenden späterer Tage haben ihnen nur selten "volle Gerech-
tigkeit widerfahren lassen. Byron glänzte schon mit dem 4icht-
zehnten Jahre als Dichter und eidiob sich zum ersten S<^bnrift-
steller seiner Zeit trotz aller Anfeindungen der Kritik^ auch
Rousseau, obwohl erst von seinem neununddreiasigstesi Jsdur« ab
ein allgemein gefeierter Schriftsteller, ist bereits in gleichem
Alter dichterisch thätig. Von der Zunft der Kritiker a,ppe]lieren
beide mit £rfo^ an ihre Zeit, Byron als Dichter, Bousseau
namentlich als Musikreformator.
Aber, soviel sie auch von der feingebildeten Aristokra^tie
gefeiert und selbst vergöttert wurden, behalten konnten sie ihre
.hervorragende Steüupg nicht bis ^n ihres Lebens finde. Daher
die Opposition, welche sie den herrschenden Anschanwif en in der
152 Referate und Rezensionen, E. Hönncher,
Gesellschaft, im Staate und in der Kirche machten. Die Ab-
wendung von der herrschenden Aristokratie und Regierung, die
Befreiung gedrückter und geknechteter Völker wirft auf ihre letzten
Tage ein verklärendes Licht. Was für Rousseau^s Freiheits-
ti'äume Korsika und Polen, das war, freilich mit ganz anderer
Aufopferung seines Lebensglückes, für Byron Griechenland. Wie
ihr Leben vielfache Übereinstimmung zeigt, ist auch ihr Dichten
ein oft verwandtes. Der Verherrlichung der Liebe sind beider
Hauptdichtungen gewidmet, und so wenig sie auch das weibliche
Geschlecht im ganzen hochstellten und ihm eine vorherrschende
gesellschaftliche Stellung gönnten, so sehr lassen sie die Weiber
stets als Besiegerinnen der wie Sklaven behandelten Männer her-
vorgehen. Edle und tugendhafte Frauen vermochten sie nicht
zu schildern, weil sie solclie nicht kannten, ebensowenig gelang
ihnen die Darstellung des Grossen und Selbstlosen im Manne, weil
beider sittliches Ideal durch des Lebens Schickungen getrübt war.
Die Nachahmung Rousseau's ist in Byron's Dichtungen
recht häufig, für diese meist augenfälligen Einzelheiten verweisen
wir auf die Schrift selbst. Vor allem ist Rousseau sowohl wie
Byron der Prophet der kommenden Umwälzung im staatlichen
und litterarischen Leben, nur dass der letztere die erste jener
grossen ümsturzbewegungen des XIX. Jahrhunderts, die griechische
Revolution, noch durchlebte und durchlitt, Rousseau's Lebensende
von dem Ausbruche der französischen Revolution um mehr als
ein Jahrzehnt getrennt ist. Aber in litterarischer Hinsicht sind
sie für Mit- und Nachwelt gleich bahnbrechend gewesen, ihren
Einfluss haben auch diejenigen Zeitgenossen gespürt, die in ihrem
innersten Wesen beiden abgeneigt waren.
Herr Schmidt kennt offenbar seinen Byron genau und kann
sogar einige übereilte Urteile K. Elze^s berichtigen, für Rousseau
fusst dagegen seine Kenntnis zum Teil auf sehr abgeleiteten
Quellen. Daher weiss er zwar Paralellen und Parallelstellen aus
Rousseau's Schriften zu finden, ist aber doch über wichtige Be-
ziehungen seines Lebens nicht immer unterrichtet. So sollte die
Untreue der Therese Levasseur und ihre spätere Ehe mit einem
„Stallknecht" (genauer Reitknecht) des Marquis Girardin nicht
als eine unbezweifelte Thatsache hingestellt werden, und der
Vergleich Theresens mit Klytämnestra entbehrt jeder Realität.
Auch hätte neben den Übereinstimmungen zwischen Rousseau und
Byron das Trennende in beider Leben, Charakter und Dichter-
thätigkeit in Betracht gezogen werden müssen, wobei die zwei-
undzwanzig von Byron selbst aufgestellten Merkmale — trotz
ihrer „äusserlichen" Natur — wohl einige Leitmotive gaben, falls
sie nur weiter durchgeführt und vertieft wurden. So ist die Ab-
Joseph Sarrazin, Das moderne Drama der Franzosen etc. 153
stammnng Byron's aus der englischen Aristokratie, Ronsseau's
aus dem Genfer Kleinbürgertum in der That etwas sehr ent-
scheidendes. Byron blieb, trotz seines Hasses gegen volks-
feindliche heuchlerisch -fromme Aristokraten sein Lebenlang der
englische Lord, Rousseau, auch da, wo er sich der Gesellschaft
von Paris, der Chevrette und von Montmorency nach Möglichkeit
assimilierte und selbst den Geburtsstolz für berechtigt erklärte,
doch der in fremde Sphären verschlagene Plebejer, Der Einfluss
der Genfer Jugendeindrticke und der nie verleugneten Liebe für
das französische Volk, dem seine Ahnen entstammten, musste bei
Rousseau ebenso hervorgehoben werden, wie bei Byron die
englische Geburt und Erziehung.
Ungeachtet dieser Mängel kann der Schrift sorgfältiges
Studium, besonnenes Urteil und sachgemässe Darstellung nach-
gerühmt werden, und, da sie manches bisher wenig Beachtete
treffend hervortreten lässt, so verdient sie, gelesen und gekannt
zu werden. R. Mahrenholtz.
Sarrazin, Joseph, Das moderne Drama der Franzosen in seinen
Hauptvertretern, Mit zahlreichen Textproben aus her-
vorragenden Werken von Augier, Dumas, Sardou und
Pailleron. Stuttgart, 1888. Friedrich Fromman's Verlag
(E. Hauff.) Vni, 325 S. 8o. Preis: 4 M.
Sarrazin's Beitrag zur Geschichte des modernen französischen
Dramas zerfällt in zwei Hauptabschnitte: L Die Vorläufer des
sozialen und Sittendramas, S. 1 — 50, und IL Das zeitgenössische
soziale und Sittendrama, S. 51—319. In rascher Übersicht führt
uns der Verfasser im I. Abschnitt die Herausbildung des bürger-
lichen Dramas durch Diderot und Beaumarchais (Kapitel I) vor,
um darauf das Drama der Romantiker (Kapitel II), sowie die Ecole
du hon sens nebst „Scribe und Konsorten" (Kapitel II) zu
würdigen. Bietet dieser Teil auch nichts wesentlich Neues, so
verdient er doch die Beachtung wegen der oft treffenden Urteile,
die Sarrazin als geborener Franzose, begabt mit feinem Ver-
ständnis für das spezifisch Französische, fällt. Mit den Quellen-
schriften zur neuesten Litteratur zeigt sich Verf. durchweg ver-
traut. Abschnitt II behandelt darauf in Kap. I Ämile Augier's
Leben und Werke und bietet Textproben aus Les Lionnes pauvres
IV, 7 und 8;' Les Effrontes III, 1 — 5; Les Fils de Gihoyer I,
7 und III, 16; Les FourchamhauUll^ 1 und V, 5 — 7, dergestalt,
dass den vorausgeschickten gründlichen Analysen einige der
packendsten Szenen aus den Hauptwerken folgen. (S. 55 — 132.)
154 Referate und üezensioneH, D. Behrens,
Kap. II beschäftigt sich mit Alexandre Dumas ßs «uid ^Wii Text-
proben aas dessen Dramen VAmi des Femmes I, 5 und III, 2;
La Princesse Georges II, 1 ; L'Etrangere I, 2 und 3 ; sowie einen
Abschnitt aus der Vorrede zu Claude (S. 133 — 208). Von be-
sonderem Interesse für den Kenner des modernen Theaters sind
die Kap. III und IV, welche Victorien Sardou (S. 209 — 272)
(Proben aus dessen Fernande II, 10 — 13, Divor^ns II, 7 u. III, 4),
sowie Edouard Pailleron, Halevy und Meilhac, Zola behandeln.
Als Textproben folgen Pailleron's Le Monde oü Von 8*ennuie
II, 1 und III, 4 — 9, sowie ein Gedicht zu dessen Fav^ Minages
S. 273 — 320. Ein sorgfältig ausgearbeitetes Register schliesst das
Ganze. — Was den Leser unmittelbar angenehm berührt, ist der
warme, gemtitreiehe Ton, mit dem, frei von aller Pedanterie,
Sarrazin sich ausspricht. Eine gründliche Kenntnis modernster fran-
zösischer Theater- und Lebensverhältnisse wird niemand dem Ver-
fasser absprechen mögen ; dass er sie uns in diesem Werke zu-
weilen verbirgt, sie bescheiden zurückhält, um auch dem weniger
mit Litterarhistorie vertrauten Leser ein scharfgezeichnetes Bild
des modernen französischen Dramas zu entwerfen, wer wollte ihm
das verargen? Wenn deshalb die Deutsche Litter aturzeitung, 1888,
Nr. 49 vom 8. Dezember, Spalte 1785 — 1786 sagt: „Bei der
Bedeutung, die das französische Sittendrama für unsere Bühne
gewonnen hat, wäre der Gegenstand einer gründlicheren Be-
handlung wert gewesen", so widerlegt sich dieser Vorwurf wohl
durch die Absicht des Verfassers, das Thema für einen weiteren
Leserkreis zu behandeln. Der Kritiker fährt an genannter Stelle
fort: „Dazu aber müssten die Lebensbedingungen des zeitgenös-
sischen französischen Dramas, die in Stammesart und Sitte der
Nation, in 4er Stellung der Gebildeten zur Religion und Ethik, in
der politischen Entwickelung Frankreichs, in der Erziehung der
Frau und ihrer Rolle in Staat und Gesellschaft, in dem Erwerbs-
und Genussleben der oberen Schichten, in der litterarischen Ab-
geschlossenheit Frankreichs Hegen, aufgesucht und entwickelt
werden. " So sehr wir hier im Grunde beipflichten müssen, dürfen
wir doch andererseits nicht vergessen, dass es etwas viel ver-
langen heisst, in der Zeit und aus ihr heraus ein abschliessendes
Endurteil über zeitgenössische dramatische Erscheinungen zu
fällen. Wir begrüssen also Sarrazin's Buch so, wie es vorliegt,
freudig als ein zur rechten Zeit und vom rechten Manne ge-
schriebenes Werk, als einen willkommenen Führer beim Studium
des modernen französischen Dramas. *
E. HÖNNCHER.
K, Armhruster, GtscMechiswandel im Französischen. Mask, u. Fem. 155
Armbraster, Karl, GescMechtstvändelim Franzimsckm. MoiHeuiimim
und Femininum. Heidelberger Dissertation. Earlsmhey 1^888.
Maisch & Vogel. 154 S. S».
Während in den letzten Jahren die Geschichte des Neutnußis
im Lateinischen und in den romanischen Sprachen vorzügliche Dar-
stellungen gefanden hat, steht eine solche für das Femininum und
Maskulinum noch aus. Abgesehen von den gehaltreichen, aber sehr
kurzen Bemerkungen, welche Diez im zweiten Bande seiner Qrammatik
und W. Meyer in der Einleitung zu seiner Schrift über das Neutrum
gegeben haben, wurden einschlägige Untersuchungen stets nur entweder
mit Beschränkung auf ein einzelnes Problem des Genuswandels oder sber
mit Beschränkung auf eine einzelne romanische Sprache unternommen.
Für das Französische sind hier mit Ausschluss derjenigen, welche mit
einer einzelnen Wortgruppe sich beschäftigen, etwa die folgenden Arbeiten
zu verzeichnen: Fr. Strehlke, Der Geschlechtswechsel der Substanüva
beim Übergang vom Lateinischen ins Französische (Herrig' s Arch. Bd. 13,
S. 116 — 129); Baale, Remarques sur legenre des substantifs(TaalstudielS.)
Spelthahn, Das Genus der französischen Substantiva, Amberg 1888
Jahn, Über das Geschlecht der Substantiva bei Froissart, Halle 1882
L. Hirsch, Das Genus der französischen Substantiva mit besonderer B&-
riicksichUgung des Lateinischen (Jahresberichte der Staats- ünterrealschule
im F. Bezirke in Wien für das Schuljahr 1886/7 und fm 1887/8),^) —
Die genannten Spezialuntersuchungen werden durch die vorHegeade
Broschüre Armbruster's teils mit Rücksicht auf die Beichhaltigkert des
herangezogenen Materials, teils mit Rücksicht auf die Verarbeitung des-
selben erheblich überholt. In dem an sich löblichen Bestreben., nicht
mit dem blossen Registrieren der Thatsachen sich zu begnügen, sondern
stets auch den Grund der Erscheinung anzugeben, scheint uns der Ver-
fasser freilich manchmal zu weit gegangen zu sein, weiter als dies
die Mittel der Einzelsprache und weiter als es ein von ihm öfter an-
gewandtes nur allzu unsystematisches Verfahren im Heranziehen der
anderen romanischen Sprachen gestatteten. Wird so der Leser das
Schriftchen nicht aus der Hand legen, ohne dem Autor für Anregung und
Belehrung Dank zu wissen, so wird er andererseits in nicht wenigen
Fällen gegenüber den Ausführungen desselben sich ablehnend oder
zweifelnd verhalten.
Erster Hauptabschnitt. Geschlechtswandel, hervorge-
rufen durch die äussere Form des Wortes. Teil I. Die Er-
klärung des Wandels bietet sich auf dem Boden der fran-
zösischen Sprache. a)DieEndung eines Wortes ist die Ursache
seines Genuswechsels. 1. Maskulina treten infolge ihrer
Endung: stummes -e zum weiblichen Geschlechte über. Ver-
fasser stellt hierher zunächst einige Wörter, welche im Lateinischeil
Maskulina der ersten Deklination waren und „infolge ihrer Endu]a:!g -<a,
franz. -e, zum Femininum übertraten." Ob der Übergang von lat. -a zu
franz. -e dem Geschlechtswandel voranHegt oder später erfolgte, lässt
sich nicht wohl entscheiden. Dass franz. comete fem. nicht nur ital.
cometa fem., sondern auch nprov. coumeto fem. (s. Mistral Tresor, s. v.), portg.
cometa fem. und — mit veränderter Bedeutung — span. cometa fem. zur
^) Eine von Sachs als Fortsetzung zu seiner Abhandlung über ^as
Neutrum im Französischen (Göttinger Dissertation, 1886) in Aussicht ge-
stellte Untersuchung über das Maskulinum und Femininum ist bis jetzt
nicht erschienen.
156 Refei^aie und Rezensionen. D, Behrens,
Seite stehen, verdiente immerhin bemerkt zu werden. Zu den Autoren,
welche das Wort im XVI. Jahrhundert als Maskulinum gebrauchen, hätten
R. Garnier (s. W. Procop, Syntaktische Studien zu B. Garnier, Eichstätt
1885, S. 25) und Du Bartas (s. Pellissier, La vie et les oeuvres de Du
Bartas, Paris 1882, S. 194) gestellt werden können.^) Die Annahme, dass
das Geschlecht des Oberbegriffes Stella auf dasjenige von cometa Einfluss
geübt habe, weist Armbruster als unnötig zurück mit Hinweis auf das
Vorkommen von la pape und la prophete und lässt dabei unerwogen, dass
bei cometa die Genusveränderung in sehr viel ausgedehnterer Weise Platz
griff, als dies bei papa und hei propheta der Fall. — Unter planet e
bemerkt Verfasser „ital. pianeta mask." Dieselbe Angabe hätte für das
Spanische, Portugiesische (hier daneben fem. s. Comu in Gröberes Grund-
riss der rom. Philologie I, 788) und Altprovenzalische (mask. und fem.,
s. Raynouard) gemacht werden können. Ich vermisse eine Bemerkung
darüber, dass im Altfranzösischen neben planete — planet vorkonmit und
dass das Wort als wissenschaftlicher Terminus noch im XVII. Jahrhundert
im Französischen als Mask. im Gebrauch gewesen ist. — Während
comete und planete endgültig das feminine Genus annahmen, begegnen
die persönliche Begriffe ausdrückenden Wörter pape und prophete nur
vereinzelt als Feminina. Dass man in Montpellier noch heute papo weib-
lich gebraucht (s. Mistral, Tres.), hätte bemerkt, mit Bezug auf prophete
noch auf cele prophete J. von Arimathia (ed. Weidner) 191 verwiesen
werden können. Dass auch in diesen beiden Wörtern die Endung -e
resp. -a allein für den Geschlechts Wechsel verantwortlich zu machen ist,
ist eine Ansicht, an deren Richtigkeit ein Zweifel gestattet sei. Bekannt-
lich haben mehrere Substantiva, die ursprünglich Feminina waren und
keine Personen bezeichneten, im Laufe der Zeit persönlichen Begriff an-
genommen und mit diesem Bedeutungswandel einen Geschlechtswechsel
verbunden. Das fem. aide, Hilfe, wurde mask. aide, Helfer. Ebenso ver-
hält es sich mit span. el cura, der Pfarrer, franz. garde, Wächter,
franz. trompette^ Trompeter, und einer Reihe anderer Wörter, über die
Armbruster S. 132 ff. seiner Arbeit gehandelt hat. Ist es nun von vorn-
herein wahrscheinlich, in einigen Fällen historisch nachweisbar, dass in
derartigen Wörtern zur Zeit, in der die Bedeutungsveränderung vor sich
ging, das Geschlecht nicht der veränderten Bedeutung entsprechend sofort
fixiert wurde: also z. B. trompette fem. := Trompete eine Zeitlang trom-
pette = Trompeter als fem. und mask., span. cura fem. eine zeitlang
cura = Pfarrer als fem. und mask. zur Seite standen, bevor mit dem
persönlichen Begriff das männliche Geschlecht endgültig verknüpft
worden ist, so darf es möglich erscheinen, dass das schwankende Ge-
schlecht dieser Wörter auf dasjenige von pape und prophete Einfluss
gewonnen und hier gleiches Schwanken verianlasst hat. Dass gleichzeitig
die Endung auf den Wechsel des Genus eingewirkt hat, soll nicht in
Abrede gestellt werden. — Das in diesem Zusammenhange von Arm-
bruster noch behandelte capitaine, das ebenso wie die sämtlichen vorher
genannten Wörter nicht Erbwortcharakter trägt, ist als Femininum ausser
1) Über die sich widerstreitenden Auffassungen im XVII. Jahrhundert
gibt Manage eine drastische Anekdote, die hier (nach Richelet, Dictionn,
8. V. comette) nachgetragen sei: Le gemre de ce mot fut fort agite ä la
Cour dwrant Faparition de la demi^re comete, dit Mr. Menage j tome 1
de ses observ., eh. 74, et quelcun dit fort pHaisamment , qu'ü fcUaü lui
regarder sou^ la queu'e pour savoir si eile etoit male, ou femeUe: Ü croit
que ce mot est feminin.
E. Armbrusier, Geschlechtswandel im Französüchen. Mask. u. Fem. 157
bei Proiflsart bei Monstrelet nachgewiesen: en ce temps furent envoyees
plusieurs capitaines III, 281 (s. Waldmann, Unters., S. 10).
Verfasser schliesst die Besprechung einer langen Reihe anderer
Wörter an, deren auslautendes e nicht auf lat. a zurückgeht. Von diesen
sind ein Teil (acanthe, aetite, affaire, alarme, amarante, asperge, äuge,
bamboche, caracole, carne, darique, datte, disparaie, echarde, equivoque,
escape, halte, hysope, impasse, Insulte, intrigue, jusquiame, limite, morve,
obole, opale, pampe, rame, r egale, rondaclie, tafle, topaze, transe) heute
ausschliesslich als Feminina in der Schriftsprache gebräuchlich, während
andere (abime, bronze, Centime, automne, cigare, coude, crabe, episode,
galbe, geste, glaive, hyacinthe, jacque, mode, naphte, ome, pagne, panache,
psaume, renne, rythme, tumidte, triomphe), nachdem sie zeitweilig im
Geschlecht schwankten, in der Schriftsprache zum ursprünglichen, männ-
lichen Geschlecht zurückkehrten oder als Maskulina und Feminina
(zum Teil mit differenzierter Bedeutung) sich erhielten. Es ist Arm-
bruster nicht entgangen, dass es sich meist um gelehrte Wörter handelt.
Auch daran, dass es in denselben überall das auslautende e gewesen,
welches den Geschlechtswandel bedingte, äussert er leisen Zweifel. Ich
glaube, dass Verfasser den Einfluss des End-e auf das Geschlecht dieser
Wörter im Französischen gleichwohl noch bedeutend überschätzt. Es
bleibt zu beachten, dass sehr viele derselben auch in anderen romanischen
Sprachen unter anderen Bedingungen als der von Armbruster für den
Geschlechtswandel im Französischen in erster Linie angenommenen mit
weiblichem Geschlecht erscheinen. Auch span. portug. etites ist fem.,
desgleichen neuprov. acanto, amaranto, espargo, rum. sparanga (aus dem
Griechischen), rum, dlhia, neuprov. autouno neben autoun (mask.), rum.
toamnä, neuprov. bambocho, brounzo (neben mask. brounze) camo cigaro,
eschardo, gesto (neben gest maak.), alto, instdto, catal. insvlta, neuprov.
entrigo, span. -portug. intriga, span. fjäca (neben jaco mask.), neuprov.
jusquiamo (neben jusquiam mask.), portug. linda linde, neuprov. limito
demito , sard. , ital. , span. , portug. moda , neuprov. modo mouodo
(s. Schuohardt, KuhrCs Zs. XXII, 165), neuprov. bormo morvo, span.
nafta, portug. naphta, neuprov. nafto, ital. nafta, neuprov. oubolo, portug.
opala, altprov. pampa, neuprov. pampo (auch m.), catal. pampa, span.
pampana neben pampano, neuprov. ram^, altprov. -catal. rama (neben
ram), ital. rama und ram^ (s. Canello, Arch. gl. III, 404), neuprov. regalo
roundacho (auch mask.) toupazi tränst (auch mask.). Diese Entsprechungen
in den anderen romanischen Sprachen, welche eine verschiedene Be-
urteilung fordern — ein Teil derselben wird durch das Französische
direkt beeinflusst worden sein — , hätte Verfasser trotz des Lehnwort-
charakters der meisten nicht mit Stillschweigen übergehen sollen. Im
einzelnen sei zu seinen Ausfahrungen in diesem Absclmitt folgendes an-
gemerkt: abime ist bereits vor dem XVI. Jahrhundert als Femininum
nachgewiesen: Les jugemens de Dieu sont une profonde ahisme (Alain
Chartier), was Palsgrave, Edaire. S. 173 tadelt. Noch Vaugelas (Rem,,
ed. Chassang, II, 457) hebt hervor, dass es zu seiner Zeit von einigen als
Femininum gebraucht werde, und Richelet hält es in seinem Dict, s. v.
nicht für überflüssig, ausdrücklich (mit Hinweis auf Manage tom. 2,
observ. eh. 74) zu bemerken, dass dem Wort männliches Genus zukommt.
Heute ist aibtme fem. im Patois des Morvan (s. De Chambure, Glossaire s. v.),
— acanthe verzeichnet Cotgrave als Maskulinum. Sollten die volks-
tümlichen Synonyma franz. pate d^ours, prov. pato d^ours, franz. acanthe
und prov. acantho im Genus beeinflusst haben ? Auch ist bei dem Worte
gelehrten Imports zu berücksichtigen, dass im Lateinischen neben
acanthus mask. (Bärenklau) acanthus fem. (äxau^oq ö und ^ =■ Schoten-
158 Referate und Rezensionen* D, Behrens,
dorn) stebt, wie bei der Beurteilung von aetüe nicht ausser Acht zu
lassen ist, dass neben lat. aetites mask. aetiiis (dsTtriq) fem. (als Be-
Zeichnung eines Edelsteins) vorkommt. — af faire begegnet im XVI. Jahr-
hundert auch bei Amyot (hier ausschliesslich nach Vaugel., Bern, I, 386)
imd bei R. Garnier (s. Procop, L c, S. 24) als Femininum. Einen längeren
Exkurs über das Greschlecht des Wortes im XVII. Jahrhundert gibt Vaugel.
L c. Das ursprüngliche, männliche Geschlecht begegnet auf nordfran-
zösischem Sprachgebiet noch heute in Puybarraud (Charente, s. R. des
Patois g.-r. 11, 56). — alarme, asperge und äuge gibt Cotgrave als
Maskulma. Beispiele für attge mask. (das noch heute in ürimdnil nach
Haillant, Essai III, männliches Genus hat), die Armbruster vermisst,
begegnen bei Du Bartas (s. Pellissier, /. c, S. 194). — automne ist
nach Cotgrave maskulin, nach Vaugelas, Rem. II, 454 stets feminin.
Vgl. femer Richelet's Dktionn. s. V. und Girault-Duvivier's Gram, des
Grram.'^j S. 43, woselbst wertvolle Angaben über den Sprachgebrauch des
XVIII. Jahrhunderts zusammengetragen sind. Zum Lateinischen s. E. Appel,
De genere neutro S. 44, 100. — Bronze begegnet nach Richelet im
XVEI. Jahrhundert als Femininum bei Voiture (I, 33.) — Dasscaracole auf
ein arabisches Grundwort zurückgeht, halte ich nicht für ausgemacht.
Diez, E. W. I, s. v. caragoUo äussert sich sehr vorsichtig und weder in
Engelmann-Dozy's Glossaire noch in Eguilaz y Yanguas' Glosario haben
^an. caracoly ccMracola Aufnahme gefunden. Im Französischen war das
Wort im XVII. Jahrhundert nach Richelet vorwiegend maskulin : „Qnelqu€S-
uns fönt caraccd ßminin, et Fecrivent avec u/n e ä la fin, mais tous ceux
qui parlent bien, le fontmasculin, et Vecrivent sans e final." — Centime
(daher span. ceniima) ist heute fem. gen. in Roubaix (s. A. Faidherbe,
Causerie humor., S. 21), Däp. Meuse (s. Labourasse Gloss. S. 41), pat. blaisois
(s. Talbert, S. 269), Normandie (s. Moisy, S. LEI), Puybarraud (s. Rev.
des Pat. g.^. II, 57), cigare im pat. blaisois (s. Talbert, l. c), crabe
(vgl. Gram, des Gram.'^^ S. 58 Anm. 81) im normannischen Patois von
Grävüle (s. Fleury, Essai, S. 53), im Bessin (crape, s. Joret, Essai, S. 75),
wallon montois (s. Sigart, Gloss. und Rolland, Faune pop. III, 225).
— datte war im XVII. Jahrhundert maskulin nach Cotgrave, feminin
nach Vaugelas, Rem. II, 29. — disparate verzeichnet Richelet als
Femininum mit der Bemerkung quelques -uns se servent de ce mot,
quoiq%C Espagnol, pour signifier des choses dites ä contre-tems, woraus her-
vorgeht, dass es im XVII. Jahrhundert als Fremdwort empfunden wurde.
Cotgrave hat es nicht aufgenommen. — Zu äpisode vgl. Vaugelas, Rem.,
ed. Chassang II, 67 f. und Gram, des Gram.'^, S. 58, zu öquivoque
Vaugelas, l. c. I, S. 85 und Corneille, (Euvres (Ausgabe der Grands
Ecrivains) VI, 469 Anm. 3. — Ich vermute, dass das Geschlecht von
altfrz. glaive durch dasjenige von espee beeinflusst wurde, wie auch der
umgekehrte Einfluss sich geltend gemacht zu haben scheint. Einige Belege,
welche das Geschlecht von glaive im Altfranzösischen erkennen lassen,
findet man auch bei Sternberg, Ausgaben imd Abh. XL VIII, S. 25 ver-
zeichnet. — Den von Armbruster nach Sachs gegebenen Unterschied
zwischen hyacinthe mask., wenn es die Blume bezeichnet, fem., wenn
der Edelstein gemeint ist, kennt die neueste Auflage des Wörterbuches
der Akademie nicht. Dieselbe bezeichnet das Wort in beiden Bedeutungen
als Femininum. Im XVII. Jahrhundert gibt Cotgrave hyacinthe und iacmthe
ausschliesslich als maskulin , während Riegelet, s. v. hiadnthe be-
merkt ce mot est feminin, lorsqu^ü signifie une sorte de fleur, et meme
ahrs il ^eorit jadnthe und ib. s. v. jacvnthe Flusiewrs Flewristes disent
le Jakute; et üs ont guelque raison: car ü vient de lacinte changi en
fleur, sdon la fable. Cependant presque tout le monde le fait feminin . . .
K. Armbrt^ter, Geschkchtstvandel im Französischen, Mask. w. Fem, 159
— Neben lat. hyssopns fem. steht hyssopum n. (neben ^ech.
!j<nrü}ito<; to fjtrtnomt)/). Armbriister irrt in der Annahme n<^3 mask.
Formen der anderen Sprachen lassen darauf schliessen, dass sich das
französische Femininum erst auf französischem Boden gebildet hat und
nicht als das etymologische Geschlecht zu betrachten ist.'' — Dass
Insulte im XVII. Jahrhundert keineswegs ausschliesslich als Maskulinum
im Gebrauch gewesen ist, wie es nach der bei Armbruster gemachten
Angaben den Anschein gewinnen könnte, lehrt Richelet: Mr. Flechier a
faü ce mot masaUin (Gabinius representa, gue cfHait un instUte quUon lui
faisait), L'Academie Va fait aussi mascidin. Cet uaage fait toujours
ttne grande insulte ä Vuaage regu . . ." Was nötigt, franz. (gelehrtes)
inatUte auf ital. inatUto zurückzuführen? — Zu intrigue vgl. Vaugelas,
Rem. I, 220, woselbst auch die Herkunft aus dem Italienischen ausdrück-
lich hervorgehoben wird. — Jusquiame gibt Cotgrave als maskulin,
Richelet als feminin. — Über limite s. Vaugelas, B&m. II, 422. — Über
morve vgl. auch Gröber, Arch. f. lat Lex. IV, 122 f. und meine Beciproke
Metathese f S. 78 f. Cotgrave verzeichnet morve als Maskulinum, desgl.
obole und opale. — Orne ist heute feminin in Berry (s. Jaubert,
Gloss.). — pampre hat bei Cotgrave weibUohes Genus. Richelet be-
merkt „quelques vignerons que fai ms sur ce mot le fowt feminin, mads
mal. Tous ceux qui parlent bien & q^e fai consultez fönt sans contestation
le mot de pampre masculin. — Zu r^gale sei mittellat. fem. regaiis
(statt gewöhnlichem regalia) angemerkt, das Du Cange verzeichnet:
Concedimus per Begalem nostram). — rythme begegnet als Femininum
auch bei Des Periers (s. Chenevriöre, Bonaventure des Periers, 8a vie,
ses poesies S. 186. — Gel. topaze fem. möchte ich = lat. topazus
fem. setzen.
2. Einfluss anderer Endungen und Endungsgruppen
auf das Genus. In alphabetischer Folge werden die Substantiva auf
-ace, -age, -ange, -ige, -ette, -eile, -ice, -idre -ere, -m, -ain, -oire, -ow, 4e, -e
behandelt. Auf S. 23, wo ausgeführt wird, dass populace und pr^face
vorübergehend mask. waren unter dem Einfluss von espace etc., konnte
auf J. Rothenberg, De auf fix. mutatione S. 71 f , verwiesen werden. Be-
achte noch zu populas m. Godefroy, Dict s. v., zu preface die Zusätze der
Akademie und Th. Comeille's zu Vaugelas* Bern, (ed Chassang I, 141.) —
S. 23 — 26 wird von cartilage und putrilage gehandelt, die heute
mask. sind, und von image, das im Alt- und Mittelfranzösischen vielfach
als Mask. begegnet, in der heutigen Schriftsprache das etymologische Ge-
schlecht gewahrt zeigt. Auf die zahlreichen Belege bei Rothenberg, /. c.,
S. 6, für mask. image hätte Verfasser auch hier verweisen und ausserdem
bemerken können, dass in den Volksmundarten (z. B. in Blois, Puybar-
raud, Normandie) das Wort heute vielfach ausschliesslich als Mask. vor-
kommt. Nachzutragen siad tussilage^) mask. und farrage ma»k.
(s. Littr^'s Beispiel s. v.). Verfasser macht für den Genuswandel den Ein-
fluss der zahlreichen Subst. auf -age = -aticum wohl mit Recht verant-
wortlich. Wie sind aber altfrz. ymagene masc. (Oxf. Bol. 3268) und span.
(gleichfalls nicht volkstümlich entwickeltes) cartüagen masc, die Arm-
bruster unerwähnt lässt, zu erklären? — Was Verfasser S. 25 ff. über
die Wörter auf -ange und -onge ausfahrt, befriedigt ihn selbst nicht.
Bemerkt werden konnte, dass nfrz. los ange fem. iial. lozanga fem., pg.
^) Lat. tuasHaginem fem., ital. tusaÜagine fem., pg. iussHagem fem.,
prov. toussiUige mask. (auch nprov. image und cartilage zeigen weder das
etymologische Geschlecht noch das volkstümlich entwickelte Sufßx.
Vgl. über dieses Gröber, Arch, f, lat. Lex. IV, 443).
160 Referate und Rezensionen. D, Behrens,
losango mask., nprov. lausange mask. entsprechen. Zumälange mask. (fem.
Cotgrave!) vgl. prov. meilange, melenjo mask., zu chalonge W. Meyer's
Neutrum S. 156, woselbst *calumnium aus calumnia nach dem Muster von
blaspJiemium — blasphemia angenommen wird. — S. 27. Dass t ige als
Mask. erst aus dem XVI. Jahrhundert^) nachgewiesen wurde, kann auf Zufall
beruhen, dass es, wie Armbruster meint, unter dem Einfluss von prestige,
vestige, prodige dieses Geschlecht annahm, zweifelhaft erscheinen, wenn
man neuprov. mask. tige (neben fem. tijo) vergleicht. Es kann prov. tige
völlig unabhängig von franz. mask. tige nach Analogie entstanden sein, es
kann an das Wort der französischen Schriftsprache sich angelehnt haben,
es kann aber auch bereits gallo-romanisches Hibium neben tibia die ge-
meinschaftliche Basis für franz. und prov. tige mask. gebildet haben. —
S. 28. Mit franz. kyrielle fem. vgl. nprov. kirieUo fem. und berücksichtige,
dass im Portugiesischen auch die nicht weiter gebildeten hyrie und kyrie
eleison (unter dem Einfluss von litania?) weibl. Geschlecht annehmen
konnten. — S. 28f. -ice: caprice bezeugt auch Cotgrave als Fem. Wie
verhält sich dazu neuprov. caprigo fem.? — Für mask. malice s. weitere
Belege bei Rothenberg S. 71 und Scheler (zu Watriquet). — Zu r^glisse
vgL Vaugelas Bern. 11, 132, Eichel, s. v., Gram, des GhramJ die Bern, detachees
und beachte span. regaliz mask. neben regaliza fem. — S. 29. Die An-
nahme, dass coläre, über dessen Geschlecht bei R. Garnier man auch
Procop l. c. S. 25 vergleiche, „erst im XV. Jh. ins Französische kam" ent-
behrt ausreichender Begründung. — Patereist heute mask. im Normanni-
schen (s. Moisy, Dict), — S. 30 -in, ain: Zu avertin (auch span. avertin
mask.) s. Tobler, Mise, CaixhCanello S. 74 und Bomania XV, S. 454. Dass
plantain (vgl. neuprov. plantan mask. neben plantage ; altfrz. auch plan-
teine nach Earle, Engl. Plant Nam^es S. 46) unter dem Einfluss von airain,
terrain etc. männlich geworden ist, mag richtig sein. Wie erklärt es
sich, dass span. llanten, dem ursprüngliche mask. auf -en nicht zur Seite
stehen, gleiches Genus hat? Hmzuzufugen ist altfrz. chalin, worüber
Tobler /. c. gehandelt hat. — S. 30 -oir: Belege für mask. histoire gibt
auch Settegast J. Cesar, EinL S. XXVIII. — Unter memoire war altes me-
morium (s. W. Meyer Neutrum S. 151 und E. Appel l. c. S. 76) nicht zu über-
sehen, über ivoire vgl. Gram, des Gram.'^ S. 59, Heute ist es feminin
im Patois blaisois (s. Talbert S. 269). — S. 32 -on: Die Richtig-
keit der Bemerkung, frisson (neuprov. /msoun mask.) sei altfranzösisch
regulär feminin gewesen, hätte ich durch einige Belege bestätigt zu
sehen gewünscht, umsomehr als auch Littr^ solche nicht gibt. — Mit
neufrz. maudisson mask. vgl. benechon, benesson mask. in schweizer
Mundarten (Bridel). — Poison, wozu auch Vaugelas Bern. I, 97 und II, 308
zu vergleichen, ist noch heute feminin in Ürim^nil (s. flaillant III, 4),
Departement Meuse (s. Labourasse), Berry (s. Jaubert), Haut -Maine (De
Montesson), einem Teü der Normandie (s. Moisy, mask. pouesoun in
Gröville nach Fleury, Essai s. v.). — Soup9on wird noch von Cotgrave
als Femininum verzeichnet. Den Übertritt zum Maskulinum zeigt
gleichfalls neuprov. sougoun, — Dem gel. frz. talion entsprechen, soweit
ich sehe, auch in den anderen romanischen Sprachen ausschliesslich
Maskulina: neuprov. talioun, altprov. talio, span. talion^ portug. taliäo,
itaJ. taglione. — S. 35 S, -te, -e: Vgl. Rothenberg l. c. und Willenberg
Zs. f. nfrz. Spr. III, 566 ff. Die Frage, ob im einzelnen Falle der
Genuswandel älter ist oder jünger als der Übergang von lat. -at in
franz. -et wird flüchtig gesü'eift. Erwähnt wird u. a., dass prov.
1) Vgl. auch zu Du Bartas: Pellissier L c. S. 196, zu Magny: Favre,
Olivier de Magny. Paris, 1885, S. 318.
K. Armbrtister, GescMechiswandel im Französischen. Mask, u, Fem. 161
comtatj estat wie im Französischen maskulin und feminin sind. Nicht
erwähnt werden prov. viacoumtat comm. , prov. d/ucat comm., nordital.
istä mask. (s. Ascoli, Arch. gl, Yll, 495; neuprov. iatd mask. dans
les AlpeSf Mistral). Prov. parentat hätte nicht ausschliesslich als Masku-
linum verzeichnet werden sollen. Altfrz. patriarche, patriarchee fem.
neben patriarchie mask. (Godefroy) und d^te mask. (z. B. Chron. des
J. d^Outremeuse I, 72 ; vgl. Marty-Laveaux zu Du ßellay Ausgabe Bd. I,
502) bleiben unerwähnt. Im Einzelnen sei noch folgendes angemerkt:
Dass comt^ im Altfranzösischen stets feminin gewesen (S. 85), nimmt
Verfasser selbst auf S. 36 zurück. Vgl. zu dem Worte auch Vaugel.
Rem, 11, 71 f woselbst noch von evesche und dtiche gehandelt wird, und
Richelet 8, v. Letzterer kennt auch m. vicomte, das Armbruster vermisst.
Weshalb wird zu comtee der Zusatz „gewissermassen = *comitata" ge-
macht? — Über ducke, das als Femininum bei La Rochefoucauld (s. Aus-
gabe der Qr, Ecriv. III, 2 S. XLV) und Balzac (s. jetzt Leest, Synt.
Studien S. 21) begegnet, vgl. ebenfalls Bichelet a. v, — Jüngern Nachweis
für ^vdchä fem., als den von Armbruster gegebenen, findet man in der
Gram, des GhramJ S. 42. Martdnus bemerkt dazu Mopo^i^xeou xeXuxdif
S. 90 est di^j: sed saepius foeminini. — Zu parent^ vgl. noch Gk>defroy,
der auch parente fem. (Geste de Lüge 908 Qui fu de sa parente: mente)
verzeichnet. — Dass e (apis) männliches Genus erhalten habe unter dem
Einfluss von gre, hU, gue etc., wie Armbruster anninunt unter Berück-
sichtigung der Einsilbigkeit und des vokaHschen Anlautes, halte ich für
wenig wahrscheinlich und vermute die Existenz eines vulgärlat. apis
comm., das mit den zahlreichen anderen Wörtern auf -iSy deren Ge-
schlecht schwankte, auf gleiche Stufe zu stellen. Dass auch im Frei*
burger Dialekt die dem Französischen entsprechenden Wörter 'a (Bridel
au), as, es neben dem weiblichen männliches Genus haben, erwähnt Ver-
fasser selbst. — Ett ist heute fem. im Departement Meuse (s. Labourasse
Glossaire S. 41), asti in Berry (Jaubert).
Es folgt (S. 39 jff.) die Besprechung solcher Wörter, in denen aus-
lautendem sogenanntem Stütz-e Liquidenkompositionen vorangehen: -hre,
'Cre, -dre, -fre, -tre, -vre, -de, -pU, -sie, -tle, -rle. Indem Verfasser be-
merkt „Kurz und dem Thatbestand entsprechend ausgedrückt findet eine
Verwechselung des sogenannten Stütz-e mit dem aus a ent-
standenen statt, wobei die Analogie bald nach der einen, bald nach
der anderen Seite ausschlägt^ wiU es mir scheinen, dass er vielfach auch
hier zu weit gegangen in dem Bestreben, die Veränderungen des Genus
als innerhalb des Französischen durch die äussese Wortform bedingt hin-
zustellen. So soU couple Wörtern mit der Endung -ple wie peuple,
exemple, temple sich im Genus angeschlossen haben. Übersehen ist dabei,
dass auch das ProvenzaUsche mask. couhle, couple (altprov. nach Mistral
coble) kennt, für das Provenzalische aber, was Armbruster für den Genus-
wandel im Französischen geltend macht, dass ursprünglich lat. -plu(m)
und -pla(m) in -ple sich begegnen, nicht mehr zutrifft. Es ist daher wohl
die Vermutung berechtigt, dass bereits in galloromanischer Zeit copulum
existierte, das sich zu copida verhalten wie memorium zu m,€moria, blas-
phemium zu blasphemia etc. und die gemeinsame Basis für prov. coble
mask. und franz. couple mask. geworden. Belegt ist spätes lat. copulum von.
E. Appel l. c. S. 75. Auch den Beweis dafür, dass das altfrz. gelehrte triacle
sein Qenus der Endung -cle verdankt, die Endung -de also älter ist als
das männliche Geschlecht, wird man durch Verfassers Ausführungen nicht
für erbracht halten. Wenn aus altfranzösischer Zeit nur triacle mask.,
kein triac oder theriac mask. (erst seit dem XVQ .Jahrhundert ist th^riacgue
mask. und fem. bezeugt), nachgewiesen wurde, so kann das auf Zufall
Zschr. f. frx. Spr. u. Litt. XI2. ^
162 Referate und Rezensionen. D, Behrens,
beruhen. Wenn Verfasser dntre mask. wohl mit Recht mit Diez
als Verbalsubstantiv von cintrer, wölben, erklärt und dann weiter
meint» da Span., katal., ital. das Verbalsubstantiv weibliches Geschlecht
zeigt, so dürfe auch ffirs Französische auf ursprüngliches feminines
Genus geschlossen werden, das Maskulinum werde sich durch ^e
Endimg erklären, so liegt es auf der 9and, dass ein Schluss wie er hier
von den anderen romanischen Sprachen (übrigens kennt das Prov. auch
dntre, cmdre etc. mask. neben dntro,^ dndro fem.) auf das Französische
gemacht wird, nicht statthaff; ist. Ahnliche Einwendungen Hessen sich
zu anderen in diesem Abschnitt enthaltenen die Zeit und Art des Genus-
wechsels betreffenden Ausfährungen machen. Im Einzelnen bemerke ich
noch folgendes: S. 40. Unter ambre beachte auch neuprov. ambre
mask. (Raynouard belegt ambre Eluc) neben ambro fem. — l ambre lässt
sich nicht mit Diez aus lamma gewinnen, wie Gröber Areh. f. l. Lex. III,
275 bemerkt hat. — Zu ombre (altfrz. mask.), das nach Armbruster in
französischer Zeit an concombrey decem^e, nombre etc. sieh angelehnt hat,
drängt sich die Frage auf, ob dasselbe nicht vielmehr mit (von Arm-
bruster nicht erwähnten) franco-prov. (Pribourg, s. Haefelin, Jahrbuch XV,
295) omftrM, ombro mask. auf ein bereits im Galloromanischen neben
umira vorhanden gewesenes *umbn(m zurückgehe. — Wenn cone ombre
gelegentlich als Femininum erscheint, so sehe ich darin lieber eine An-
lehnung an zahlreiche weibliche Fruchtbenennungen als an „chambre und
ähnliche.'* Auch rum. cucuma ist fem. — Dass ancre (früher auch mask.)
sich im Geschlecht nach encre (Tinte) gerichtet habe, vermutet Verfasser.
Wie erklärt es sich, dass das entsprechende auf lat. ancora zurück-
gehende germanische Wort seit sehr früher Zeit als Maskulinum be-
gegnet? — Das etymologische Geschlecht von acre ist entgegen der
Annahme Armbrusters doch wohl das männliche. Dasselbe besteht noch
heute zu Recht im Normannischen (s. Moisy). Auch Richelet kennt das
Wort, wie es scheint, ausschliesslich als Maskulinum. — Zu ocre vgl.
neuprov. ocre, ocro mask. fem., zu coudre neuprov. cudra fem. (Bridel),
zu lierre neuprov. Mre, IMre, eure etc. mask. neben eäro, ledro etc. fem.
In Nordfrankreich lebt lierre fem. fort im Patois von Puybarraud. —
Chiffre begegnet als Fem. bei DuBartas (s. Pellissier, l. c. S. 194). — Die
Vermutung, ^peautre entspreche ein lat. *speltula, wird nicht ausreichend
begründet. Mit Rücksicht auf das Genus von ^ea;utre und f enötre (altfrz.
mask. neben fem.) sei daran erinnert, dass auch nhd. Speit^ Spelz mask.
ahd. spelta spdza fem. und ahd. venstar n. lat. fenestra fem. entsprechen. —
Das nach Armbruster erst in neufranzösischer Zeit eingeführte Lehnwort
outre soll sich an Wörter wie poutre, fenetre im Geschlecht angelehnt
haben. Beachte, dass die Sprache ältere ovre, ouire (utria als Neutr.
plur. wird von E. Appel l. c. S. 106 aus spätlateinischer Zeit belegt)
besass, die mit weiblichem Genus sich nachweisen lassen (s. Godefroy «. v.)
und das später aufgenommene outre beeinflusst haben werden. Im Neuprov.
steht ouiro fem. neben ouire, hudre mask. — Zu manicle vgL Godefroy,
Didionn. s. v. manicle, menicle, mennicle s. fem« et masc. It. manigHo
neben maniglia (vgl. d'Ovidio, ArcÄ. gl. IV, 163 und Born. IX, 628). —
Zu th^riaque oemerkt Richelet $. v, „8. f. [TheriacaJ, Mot qui vient
du Orec, C^est une composiUon de mededne dont on se eert con^e le
poison. Taug. Rem. a d^dde que le mot de teriaque Hoit mascf/Uin et
feminin, tPai constUti lä-dessus cPhabHes Epidera d: ÄpoticaireB qui me
Font fait toua feminin, & pas un masculin; ainsi sur ee mot je didinerois
la Jurisdiction de Yau^das (s. Vaugel. ed. Chassang II, 182 die Zosätee
von Th. Com. und diejenigen der A. F.). — Zu aigle beachte auch
die Bemerkungen E. AppeFs l. c. S. 37, W. Meyer*» l. e. S. 12 'und
K, Armbrustef^, Geschlechtswafidel im Französischen. Mask. n. Fem. 163
einen längeren Exkurs über das Geschlecht des Wortes im XVII. und
XVni. Jahrhundert Gram, des Ghram.'^ S. 490.. — Zu ongle vgl. noch
Vaugela« Bern. U, 422 f. Cotgrave gibt das Wort als feminin. Heute
hat es dieses Genus im patois blaisois (Talbert S. 266), Departement
Meuse (Labourasse S. 41), Puybarraud (R. d. pat g.-r. II, 67), Ürim^nil
(Haillant III , 4) , Boubaix (A. Faidherbe S. 21). Neuprov. auch owngle
maskulin! — Regle begegnet als Mask. auch bei Monstrelet (s. Wald-
mann l. c. S. 11) und heute in der Bedeutung bätonet in Roubaix (A.
Faidherbe S. 21) und im Norm. (Moisy L c). — Belege för ile mask.
gibt auch Settegast, J. Cesar Einleitung S. XXVni. — Die Richtigkeit der
Herleitung von perle aus *pinda wird von Gröber Ärch. f. tat. Lex. IV,
433 in Zweifel gezogen. Als Mask. hat es ausser Jahn A. Scheler, Bast
de BouiUon 5247 und in einer Anmerkung zu Watriquet 4111 nach-
gewiesen.
S. 49. Besondere Fälle, b. Gennsaustausch bei Homo-
nymen und Reimwörtern. Scheinbare oder wirkliche Kom-
posita richten sich nach dem Simplex und Verwandtes. Ver-
fasser wendet sich hier nochmals nachdrucklich gegen diejenigen, welche
„vor allem die Bedeutung eines Wortes zur Erklärung einer Geschlechi»-
änderung beizuziehen suchten^. Sind wir auch weit entfernt, den Einfluss
von der Hand weisen zu woUen, den die Wortform auf das Genus geübt
hat, so glauben wir doch, dass Verfasser in der Zurückweisung der ent-
gegenstehenden Ansicht über das Ziel hinausgehe, und glauben nicht,
dass er, wenn er zur Begründung seiner Ansicht bemerkt : „doch ist nicht
einzusehen, warum ein als Erbwort vorhandenes Substantiv, wenn es
lange Zeit sein etymologisches Genus bewahrte, dies plötzlich geändert
haben soll, weil vielleicht ein Synonymen das andere Geschlecht besass,
es müssten beide Synonyma durch den Sprachgebrauch in stereotype
Verbindung getreten sein" durch ein derartiges Raisonnement seine
Gegner in ihrer Auffassung beeinflussen wird. Manchmal wäre ein näheres
Eingehen auf die Geschichte der behandelten Wörter angezeigt gewesen.
Wenn es S. 50 heisst, piege mask. verdanke sein Geschlecht dem Reim-
wort siege, so hätte ich gewünscht, dass Armbruster portug. p^o mask.
(neben pea fem.) von seinen Betrachtungen nicht ausgeschlossen. Es
gibt ein altfranzösisches Verbum pieger, zu dem sich piege mask. verhalten
könnte, wie portug. jp^o mask. zu pejar. S. 57 vermutet Armbruster,
dass franz. er ine fem. „als Fremdwort aufgenommen wurde und dann
gewissermassen als Femininum zum männlichen crin betrachtet worden
ist", ohne uns zu sagen, wie er neuprov. crino fem., portug. crina fem.
(neben crine fem.), ital. crina (neben mask. crine, crino, s. Canello Arch. gl.
in, 402) beurteilt. S. 61 heisst es mit Bezug auf altfrz. formi mask.
und formie fem. u. a.: „Es konnte das e nach Vokal in der Aussprache
bald [?, jedenfalls vor dem XIV. Jh. in sehr beschränktem Umfange] weg-
fallen. Die so entstandene Form formi war geneigt, sich Masc, wie'cri, pli
im Genus anzuschliessen , zumal da dialektisch neben formi immer noch
formie fem. bestand, wodurch eine Auffassung der ersteren Form als
Mask. zur zweiten veranlasst wurde". Dass auch im Provenzalischen
fourmigo und formie als Mask. und Fem. nebeneinander stehen (s. Mistral)
und wie dieselben zu erklären, sagt Verfasser nicht. Mistral verzeichnet
lat. formicum ohne Angabe des Fundortes. S. 51 ff. Unter licorne fem.
waren neuprov. licorno alicomo fem. (s. Mistral, Tresor) zu beachten.
Weshalb „muss" das heutige licorne aus dem Italienischen kommen? —
Zu mensonge vgl. Vaugelas Bern. I, 97 f., IL 483. — Unter palus
war zu bemerken, dass prov. palut auch als Mask. begegnet (s. Mahn,
Gram. S. 284). Der Erklärungsversuch des mask. Genus von altfir. pdlut,
11*
164 Referate und Rezensionen. D. Behrens,
das an ein männliclies *paul = nordital. padvUis, dieses volksetymologisch
an den Flussnamen Padies (campus padulis) angebildet wäre, ist wenig
bestechend. Dass sard. patUe und rum. padure fem. sind, wird nicht er-
wähnt. Mit Rücksicht auf das gelehrte neufrz. palus sei noch bemerkt,
dass Cousin, Histoire Romaine, la palus M^otide schreibt, was Richelet
für fehlerhaft hält. — Annehmbarer als Armbruster's Ansicht, d e n t habe
sich im Geschlecht im Provenzalischen und Französischen nach gent und
ment gerichtet, finde ich diejenige E. Appel's (Arch, f. L Lex. I, 449), wo-
nach partieller Genuswechsel für dens u. a. bereits in lateinischer Zeit
anzunehmen, weil im Latein die meisten Substantiva auf 8 mit vorher-
gehendem Konsonanten Feminina waren. Guarnerio weist Arch. gl. IX, 349
dens fem. im Cat. d'Alghero nach. In Nordfrankreich begegnet heute
dent als Mask. in ürim?nil, Mons, Boubaix und Departement Meuse. —
S. 57 f., wo mit Bezug auf gl and bemerkt wird: „im Französischen be-
steht die dem ital. ghianda entsprechende Form glande neben gland, was
die Veranlassung abgab, dass gland männlich wurde" beachte auch
vulgärportug. landea fem. (neben lande fem., s. Cornu Gröber's Grundriss
I, 789), neuprov. glando fem. (neben aglan, glan mask.), rum. ghinda fem.
mit geschlechtlicher Endung und ital. mask. ghiande neben fem. ghianda
(s. CaneUo, Arch. gl. III, 402). — S. 62 ist unter soif zu bemerken, dass
neuprov. set und neuprov. fam beide als Maskulina und Feminina eben-
falls vorhanden sind.
Teil IL A. Genus und Genuswandel im Latein. 1. Baum-
namen. P. 63 „Allmählich schliessen sich im Vulgärlatein sämtliche
Baumnamen dem Genus der Maskulina zweiter Deklination, wenn sie
mit ihnen formgleich waren, an." Ich vermute, dass dieser Anschluss
nur ein partieller gewesen ist oder vermisse anderenfalls bei Armbruster
eine Erklärung für nicht erwähnte mdtl. ital. alna fem. (s. Salvioni,
Arch. gl. IX, 226), neuprov. ourmo, oumo fem. (daneben oum mask.),
neuprov. piblo etc. fem., neuprov. sapino fem. (daneben sapin mask.) u. s. w.
neben franz. aune (mask. und fem.), orme (mask.), peuple (mask.),
s a p i n (mask.) etfe. Im Einzelnen habe ich zu Armbruster's Ausfühnmgen
noch folgendes zu bemerken: charme begegnet bei Rotrou (s. Sölter,
Stitdien S. 30) als Fem. Weshalb wird zu cypräs mask. der Zusatz ge-
macht „lat. cypressus fem.", da lat. cupressus, wie Armbruster S. 63 selbst
bemerkt hat, als Mask. nachgewiesen ist? Eine strenge Scheidung der Lehn-
wörter und Erbwörter hat Verfasser selbst in diesem Teile seiner Arbeit
nicht angestrebt. — Mit altfrz. fraisse mask. vgl. prov. frais, fraisse,
woneben neuprv. fraisso fem. = frene, femeUe (Mistral) vorkommt. — Altfrz.
saus begegnet als Fem. Baud de Seb. I, 490. D. Martinus verzeichnet es
im Mopoy^xtou (S. 88) als Femininum mit dem Zusatz: tarnen apud du
Vair p. 1092 ma^ctdinum est. Heute ist es feminin in Urim^nil (s. Hail-
land l. c.) und Mons (enne sau Sigart S. 29). Neben ital. saldo mask. etc.
waren ital. salice fem., nordital. sarza fem. (Salvioni, Arch. gl. IX, 226)
und rum. salce fem. anzumerken. — Säule hat bis heute auf nordfran-
zösischem Sprachgebiet sein etymologisches Geschlecht in dem Patois des
Departement Meuse (s. Labourasse l. c, S. 41) behalten. Die bei Mistral
verzeichnete prov. Form assale (mask.) scheint darauf hinzudeuten, dass
auch im Provenzalischen das Wort einmal als Femininum vorhanden ge-
wesen ist : assale = Ifa sale. — Ich vermisse in Armbruster's Verzeichnis der
Baumnamen u. a. orme mask. (Bergesche), lentisque mask., genievre
mask. (norm, ^ent^e fem. Moisy), altfrz. lor mask. und laure (fem. s.
Godefroy, lat. laurus fem. und mask.). 2. DieWörter auf-cwr.
Armbruster bekämpft die Ansichten von Littrd, G. Koerting, Suchier, Horning
— der Vollständigkeit wegen hätten auch die Ausführungen Le Hericher's
K, Armbrusier, Geschlechismandel im Französischen, Mask, u. Fem, 165
in der Rev, de ling. XTV, wonach keltischer Einfluss thätig war, erwähnt
werden können — , um seinerseits einen neuen Erkl'ärungsyersuch zu geben.
Nach ihm erfuhren die hier einschlägigen Wörter im Vulgärlatein Formen-
veränderung nach Analogie in der Weise, dass zum ObUquus florem ein
Nom. fioriSf zum Obl. calorem ein Nom. caloris etc. neu gebildet wurde.
Infolge dieses Flexionswandels hätten sie sich« dann im Genus der grossen
Mehrzahl gleichsilbiger Wörter auf -w, dem Femininum, angeschlossen.
Diese Ansicht erscheint mir sehr der Beachtung wert, schHesst aber nicht
aus, dass daneben andere Faktoren, welche Armbruster zurückweist, im
einzelnen Falle wirksam gewesen sind. Im einzelnen bemerke ich fol-
gendes; Wenn S. 74 zu aniour ausgeführt wird: „dass im Neufranzö-
sischen sich das Wort als Mask. halten konnte, liegt an seiner Form. Es
hatte sich den anderen auf -eur, weil es das ältere -oimt erhalten hat,
entfremdef*, so befriedigt diese Begründung nicht voU, solange Verfasser
nicht erklärt, weshalb auch neuprov. amour, amou (s. Mistral) als Masku-
lina begegnen. Hat etwa die nfrz. Schriftsprache hier auf das Neupr.
eingewirkt? — S. 75 ardeur gebrauchen auch Corneille (s. Ausgabe
der 6rr. Ecriv. I, 465 die Anm.) und du Bartas (s. Pellissier l. c. S. 194)
als Maskulinum. — S. 76. Dafür dass candeur „erst im XVI. Jahrhundert
eingeführt wurde", legt die Behandlung des Anlauts schlechtes Zeugnis
ab. — Unter couleur konnten nfrz. le couleur de feu, le cotdeur de rose etc.
erwähnt werden. — S. 77. — Honneu r ist nach Armbruster maskulin ge-
worden in Angleichung an das Greschlecht des Reimwortes bonheur. Wie
ist es zu erklären, dass auch neuprov. ounour, dem ein Beimwort bonhour
nicht zur Seite steht, maskulin ist? — S. 80. Moeurs verzeichnet auch
Cotgrave als Maskulinum. — S. 81. Pleur ist heute comm. im Patois
von Blois (s. Talbert S. 266). Über das Geschlecht des Wortes im
XVII. Jahrhundert vergl. die Bemerkungen Vaugelas' L c, II, 146 f. und
Richelefs 8,v, — Rancoeur gibt bereits Cotgrave als Maskulinum, Garnier
gebraucht es als Maskulinum und Femininum (s. Procop l. c), Ronsard
auch als Maskulinum. — S. 82. Ein Substantiv tristeur fem. gibt
noch Cotgrave. — Zu vapeur fem. (rum. abur mask.) ist neufrz. vapeur
mask. mit differenzierter Bedeutung anzumerken. 3. Kleinere
Gruppen, deren Geschlechtswechsel im Lateinischen basiert,
a. Lateinische Communia. S. 84 ist die Angabe, pons sei ausser
im Spanischen überall männlich, unrichtig. Armbruster selbst erwähnt
S. 64 rum. punte fem. — Zu ais vergl. Settegast, J. C^ar Einleitung
S. XXVIII. Bei Veget., den Armbruster nach Neue zitiert, kommt axis
als Femininum nicht vor (s. Georges). — Unter chartre konnten portug.
carcere mask., unter cendre (S. 85) prov. cendre comm. (altprov. cenre
fem. s. Mahn, Gram. S. 284), unter chenal (S. 86) altprov. canal fem.
(s. Mahn l. c. S. 284) erwähnt werden. Für altfrz. achenal und eschenal
werden *ad-canalvs und *ex-canalis konstruiert. Ist nicht vielmehr in
dem vokalischen Anlaut dieser Wörter der vokaUsche Auslaut des weib-
lichen Artikels zu sehen: Ifa chenal, wofür dialektisch echenal eintrat?
VgL Born, Zs. Xin, 388. — Zu lente vergleiche AscoU's Bemer-
kungen im Arch, gl, IV, 398 — 401. Prov. lende ist heute nach Mistral
comm. — S. 87 f. Unter marge vergleiche portug. margem fem., rum.
margine fem., unter ost neuprov. ost mask., rum. oaste fem. — Unter
paroi hätte für altprov. paret fem. auf Raynouard's Lex, verwiesen und
rum. parete mask. verzeichnet werden können. In der französischen
Volkssprache begegnet heute paroi als Maskulinum nach Chevallet,
Orig. in, 73 (Anmerkung). Richelet bemerkt 8. v.: Ce mot en terme-s
W Anatomie est masculin, Cest ce gp/ti aepare les dewjc narines depuis le
166 Referate und Rezensionen, D. Behrens,
haut du nez jusqttes ä la Ihre. b. Tiernamen. Besprochen
werden hrehia, cohmbe, dainif hydre, lüwe, lynxy merle, poutre, ser-
pent^ tourtre. Andere Tiernamen werden von Armbmster nach anderen
Gesichtspunkten anderwärts behandelt. Eine erschöpfende Betrachtung
haben dieselben nicht gefunden. Ich vermisse z. B., sei es hier oder an einem
anderen Orte der Armbroster^schen Arbeit, eine Bemerkung über franz.
rossignol mask. (s. dazu E. Appel L c. S. 38), perdrix fem. (lat. auch
mask.; vgl. Mahn, Prov. Ghram. S. 284), altfrz. balain mask. (neben fem.
balaine, neufrz. bcUaine fem.), franz. ibis mask. (seit dem Xin. Jahrhundert
belegt; lat. ibis fem.), alcyon mask. (lat. fem.), phoque mask. (lat.
phoca fem.), tigre mask. (altfrz. auch fem., lat. comm.), musaraigne
fem. (altfrz. auch musarain mask., s. E. Rolland, Faune I, 17 und E. Appel
l. c. S. 37), couleuvre fem. (bei Du Bartas mask., lat. colvber mask. neben
colubra fem.), altfrz. passe mask. und fem. (lat. passer mask., vergl.
Rolland, Faune 11, 155), m^ sänge (früher auch mask., s. Gram, des
Gram. S. 62). mau vis mask. (früher auch fem., s. Littrd, heute fem. in
der Normandie nach Moisy l. c), pivoine mask. und fem. (s. Littr^),
boeuf mask. (lat. bos comm.), grue fem. (lat. grus comm., vergl. zum
Provenzalischen Mahn, Gram. S. 284). Zu Verfassers Ausfuhrungen
in diesem Abschnitt sei im einzelnen noch folgendes bemerkt: S. 91. Im
XVn. Jahrhundert verzeichnet Cotgrave neben colombe fem. colom mask.
und noch heute ist letzteres (als allgemeine Bezeichnung des Vogels ohne
Rücksicht auf das natürliche Geschlecht) gebräuchlich im Wallonischen,
Lothringischen, desgleichen Tarentaise, Haute-Savoie (colan; s. Rolland,
Faune IV, 122). — Das neufrz. fem. zu da im lautet nicht daime sondern
dame^ das in sekundärer Entwickelung aus dem frz. Mask. entstanden ist.
— Neben altprov. idre mask. war neuprov. idro fem. anzumerken, zum
Geschlecht des Wortes im Französischen auch das Gram, des Gram."^ S. 61
Bemerkte zu beachten. — S. 92. liävre ist heute feminin in Puybarraud
und Vosges (lieuffe s. Rolland l, c). — Merle begegnet als Fem. in
Nordfrankreich noch heute im Patois des Departement Meuse (s. Labourasse
Glossaire S. 41, vgl. Rolland, Faune pop. U, 245 f.). Auch das Neu-
provenzalische kennt merlo fem. neben merle mask. — S. 93 waren unter
tourtre altprov. tortre fem., neuprov. tourtouro fem. taurtour mask. zu
erwähnen. — Verfasser schliesst hier die Behandlung von jaspe an
und folgert doch wohl mit Unrecht aus dem Geschlecht des Wortes in
den romanischen Sprachen, dass es bereits im Lateinischen sein Genus
änderte. Neben jaspe hätten andere Steinnamen gelehrten Imports wie
agate fem. (XVI. Jahrhundert auch mask., lat. comm.), onyx fem. und
mask. bei La Bruyfere (s. Ausgabe der Gr. J^criv. III, S. XXXIV Lex.,
zum Lateinischen E. Appel l. c. S. 38), saphir mask. (vgl. E. Appel L c.
S. 32) gleiches Anrecht auf Berücksichtigung gehabt.
B. Genusunregelmässigkeiten, die mit dem verkannten
Etymon zusammenhängen. Falsche oder unsichere Etyma-
Prüfung des Etymons. 1. Lateinische Wörter auf -ex, ^icis;
'iXy 'icis etc. Die Gleichung souche = *codica ist mit Rücksicht auf
die Bedeutung beider Wörter ansprechend. Ist die Herleitung richtig,
so dürfte das anlautende s zuerst in der Nebenform choche = *caudica
sich eingestellt haben, woraus mit DifPerenzierung der Silbenanlaute soche
hervorgegangen wäre. — S. 96. Herse begegnet mit etymologischem
Geschlecht als Maskulinum heute im Patois von ürim^nil (s. Haillant,
Gram. III, 4). — Zu pause vergleiche auch neuprov. panso fem., ital.
panza (span. pancho ist Fremdwort), zu ponce (S. 97) neuprov. powngo
fem., span. pomez fem. Bei der Geschlechtsveränderung des letztgenannten
Wortes werden der Oberbegriff petra, respektive die romanischen Ent-
K. Armbrustei^ GeschkchUwandel im Französischen, Mksk, t/. Fem, 1^7
sprechungen Ton petm mitgewirkt haben, vgl. franz. pierre-ponce, nevprov.
peiro-poungo, span. piedra-pomez. — Dem unter puce (s. dazu Mussafia,
Zschr. f, d. Bealschtdw. aIV, 79) erwähnten portug. puilga fem. steht
pulgo mask. (der männliche Floh nach H. Michaelis), dem sich neuprov.
mask. potduc (s. Rolland III, 257) vergleicht, zur Seite. — Unter ronce
war zu bemerken, dass auch lat. rumex, desgleichen unter vertiz, dass
lat. Vertex als fem. nachgewiesen wurden (s. Georges und E. Appel
L c. S. 38). Neuprov. rounse ist mask. und fem. — Souris erklärt Arm-
bruster aus *8orix -dcem, dieses nach radioc -icem. Anders Gröber, Arch,
f. lat. Lex. V, 473. (S. Mussafia, Zschr. f. d. Bealachuhß. XIV, 71). Als
Maskulinum begegnet das Wort heute auch im Wallonischen (söri), in
Berry (souris), Langres (seri), wozu man Rolland, Faune I, 28 vergleiche.
— Unter cerviz (vgl. dazu auch Scheler zu Watriquet 300) vermisse
ich die Erwähnung von rum. cerbice mask. — Armbruster vermutet,
dass TB,ifort sein maskulines Genus der Form fort verdanke, ohne zu
erwähnen , dass auch die nicht mit einem eingeschlechtigen Adjektiv
verbundenen prov. rais, raisse etc. heute maskulin (daneben feminin) sind.
Nachgetragen sei franz. varice fem. (lat. varix comm.). Littr^ zitiert
aus dem iQV. Jahrhimdert auch la grand Calice, — 2. Einzelfälle.
Die hier gegebenen etymologisohen Erörterungen bieten neben Beachtens-
wertem anderes das zum Widerspruch herausfordert. Ich muss mich
auf einige Bemerkungen beschränken. S. 101 wird das weibliche
Geschlecht von aise aus dem „stummen e der Endung^ erklart, wo-
mit nichts gewonnen ist, solange dieses e selbst nicht zuverlässig ge-
deutet wird. Aus ^asium, das Armbruster mit Bugge ansetzt, lässt
sich in volkstümlicher Enwickelung wohl nur ais gewinnen. — S. 102
vergleiche zu dem unter alcove erwähnt«! altfrz. aucube auch altprov.
aicuba, — Wenn Armbruster bezüglich ambassade bemerkt „das
Wort war im XYI. Jahrhundert doppelgeschlechtig^, eine Thatsache, die
sich aus dem ursprünglichen Vorhandensein emer maskulinen und
einer femininen Form mi Altfranzösischen erklärt (vgl. prov. amhais-
sada neben ambassat)^, so ist damit die Lösung des Problems nicht
gefordert. Vgl. zu dem Worte Gröber, Arch, f. lat. Lex. I, 238. — Unter
aspic waren auch altfrz. aspide mask. (Godefroy), portug. aspid, aspide
mask. und lat. aspis mask. (Georges) zu beachten, wodurch ein Zusammen-
hang des Geschlechtswechsels mit der formalen Anlehnung an espic noch
unwahrscheinlicher wird. Heute begegnet aspi fem. in Berry (s. Jaubert),
aspi mask. im Normannischen (s. Moisy). — Bouge leitet Armbruster
mit Diez aus *bulgea ab. Anders Gröber, Arch. f. lat. Lex. I, 253. —
Für carde fem. vermutet Armbruster ab Etymon span. carda „daher
auch c statt ch im Anlaut". Dass das Wort auf gallischem Boden schon
früh vorhanden gewesen ist, möchte ich aus neuprov. chardo (neben cardoj
schliessen. — S. 104. Unter cercle konnte mit Rücksicht auf ital. cerchw
cerchia auf Canello, Arch. glott. 111^403, verwiesen werden. — Unter cou turne
wird span. costumbre auf *con8uetumina, das doch nur costumbra ergeben
konnte, zurückgeführt. — Zu d^lice (S. 105) vgl. auch Poitevin, Gram.
I, 55 und Crram. des Gram.'^ S. 44, woselbst über das Schwanken des
Genus im XVII. und XVIII. Jahrhundert Nachweise gegeben sind. — S. 106
befindet sich Armbruster mit sich selbst im Widerspruch, wenn er mit
Rücksicht auf dimanche und diemaine bemerkt „doA Wort ist stets
feminin im Altfranzösischen" und einige Zeilen weiter unten: „Doch
auch der Übertritt zum Maskulinum ftadet sich trotz der viersilbigen
Form schon ziemlich früh" und hierfür Belege aus Berte au gr. p., Villeh.
und Hörn beibringt. Nicht überzeugt hat mich, was gegen die Herleitung
von dümanche aus (festajdominica vorgebracht wird. — Weibliches la N o öl^
168 Referate und Rezensionen. Z>. Behrens,
das Armbruster aus dem Jovmal de Geneve vom 8. Januar 1888 beibringt,
begegnet auch sonst nicht ganz selten. Mistral 8. v, nadalet schreibt
huitaine qui pricede la Noel, sonnerie de cloches qui annonce la Noel,
pendant lea neufjours quiprtcldent cette fete ... — S. 108. Dime mask.
begegnet noch im 16. Jahrhundert bei Du Bartas (s. Pellissier l. c. S. 194).
Im 17. Jahrhundert bemerkt Bichelet on appeUe aussi dime, au maaculin,
un canton de terre, sur lequd on a droit de dimer, — Unter doit waren
Homing's Ausführungen Zwr Gesch. des lat c S. 14 (s. auch Gröber,
Ärch. f. lat Lex. II, 107) zu beachten, unter dot seltenes franz. dote
fem. (Patru, plaid. 16, s. Richelet; vgl. ital. dota) zu verzeichnen. Cot-
grave schreibt dost. — S. 108. £meraude begegnet als Maskulinum
bei Balf: La. Vemeraude verdoiant, wozu Bichelet s. v. bemerkt mai» ü
est certainement ßminin, — Zu der unter flasque gemachten Bemerkung,
nach Richelet werde das Wort „von technischen Schriftstellern" offc sSs
Femininum gebraucht, fehlt ein näherer Hinweis. In seinem Dict. schreibt
Richelet: Les uns croient ce mot masculin, & les autres feminin, mais ü
y a plus de gens qui le fönt musculin . . . Vgl. über das Wort Arch,
f lat Lex. n, 424. — S. 109 wird flotte von flotter, dieses von lat.
fluctuare hergeleitet, ohne dass versucht wurde, diese Herleitung mit den
Lautgesetzen in Einklang zu bringen. Vgl. G. Paris, Bomania XYUI,
S. 520. — S. 110. Glu mask. möchte ich nicht mit Verfasser auf lat.
gluten n. zurückfuhren. Noch D. Martinus bemerkt zu dem Wort
Mupo^-^xtov S. 87 NowMiUi, sed levis autoritatis, glu masadinum volunt:
at premenda videntur domini Urfei vestigia, qui sie in Astrea hquitur.
In nordfranzösischen Patois begegnet es heute als Maskulinum in Roubaix
(s. A. Faidherbe l. c. S. 21) und im Morvan (aigieu, s. De Chambure). — Zu
gorge etc. vgl, Arch. f. lat Lex. H, 443. — Unter l^zard waren neben
portug. lagarto (wie entstanden?) ein fem. ku/arta (s. Oomu, Gröber's
Grundriss I, 788 Anm.) und ausserdem prov. lesert mask., leserto lesardo
fem. zu verzeichnen. — Zur Etymologie von masque s. Eguilaz y
Yanguas Glosario s. v. mascara. Das Neuprov. kennt nach Mistral ma^co
als Mask. und Fem. — Unter G^defroy's Belegen fär moufle (Faust-
handschuh) findet sich eins mit männlichem Geschlecht. Neuprovenzalisch
entspricht mouflo fem., span. fmoufla. — Orle gibt Cotgrave ausschliess-
lich als Fem. — Die Annahme, pieuvre müsse, wof& die Bedeutung
spreche, aus der südlichen Seegegend heraufgewandert sein, scheint mir
unbegründet. Könnte das Wort nicht auch an der Küste der Normandie
seine französische Gestalt erhalten und von hier aus in die Schriftsprache
gedrungen sein? Ist doch auch im Kanal der Octopus (Ouvier) (der
in V. Hugo's Meerarbeiter als Bekämpfer Gilliat*s bekanntlich eine
Rolle spielt) wirklich heimisch! In Guemesey ist heute ein fem. pievre,
peuvre, peuvre im Gebrauch, während Bouches- du -Rhone pourpre mask.,
Marseille poupre mask. entsprechen. Ob franz. pieuvre auf *poluptdwn —
*ploprum zurückgeht, wie Armbruster vermutet, vermag ich nicht zu
entscheiden. Bemerkt sei nur, dass auch in nordwestfranzösischen Mund-
arten anlautendes pl zvipl, pi werden kann. Mit Rücksicht auf das Ge-
schlecht des Wortes hätte bemerkt werden sollen, dass im Griechischen
polypös als fem. begegnet. — Rosse verzeichnet Cotgrave als Maskulinum.
— Rouille und rouü kommen wahrscheinlich nicht von *r6bigula,
*r(>bigtUum. Vgl. über die Wörter jetzt Arch. f. lat Lex. V, 238.
C. Über das Geschlecht deutscher Wörter. Auf eine ein-
gehende Untersuchung aller hier einschlägigen Fälle hat Verfasser leider
verzichtet. Es fehlen daher in seiner Zusammenstellung altfrz. mague fem.,
m^gle (mask. und fem.), altfrz. potas mask., frz. stalle fem. (altfrz.
mask.) und viele andere. Wenn es auf S. 118 heisst: „Wörter neuerer
K, Ärmbi'uster, GescMechismandel im Französischen. Mask. u. Fem. 169
Aafhahme, die auf einen Konsonanten enden, müssen, um diesen Kon-
sonanten in seiner Aussprache festhalten zu können, im Französischen
ein stunmies -e anhängen. Infolge dessen werden sie Feminina", so l'asst
sich Verfasser in seinem Bestreben, für den Genuswechsel die Ursache in
der Wortform zu finden, wiederum allzu weit hinreissen. Wenn unter den
Wörtern „neuerer Auftiahme" zur Bes<«itigung dieser Regel digue
(beachte indessen Ch. Joret, Des caract. et de Vext. du pat. norm. S. 96,
Anm. 2) aufgeführt wird, so hätte Verfasser nicht unterlMsen sollen, für ital.
diga und nprov. digo fem. eine ausreichende Erklärung zu geben. Dasselbe
gilt von estäque, woneben ital. stecca und neuprov. esteco fem., von
griffe, woneben nprov. grifo fem., von gaude, woneben span. gualda
fem. neuprov. gaudo fem., von leurre (f. in G«nf), woneben katal. hyray
neuprov. luro lem. stehen. Die Möglichkeit, dass die Bedeutung dieser
Wörter das Geschlecht derselben in der aufnehmenden Sprache bedingt
haben könne, wird von Armbruster kaum einmal in Erwägung gezogen.
Liegt es denn so fern, anzunehmen, dass z. B. frz. biäre, neuprov. bierro,
ital. birra durch cervoise, cermza, cervogia, dass frz. ^cume, prov. escumay
ital. schiuma, span. portug. escum^ durch eapume (altfr^.), prov. span.
espuma, ital. portug. spuma beeinflusst worden sind? Wenn Armbruster
zu frz. liiere, ital. birra, frz. bivac, ital. bivacco etc. bemerkt: „Andere
Wörter, die auch in den anderen Sprachen vorhanden, sind älter und
haben im Italienischen, das konsonantischen Auslaut nicht duldet, ent-
weder fem. a oder mask. o angenommen", so ist damit nichts ge-
wonnen, handelt es sich doch darum, zu konstatieren, weshalb in dem
einen Falle a, weshalb in dem anderen o angetreten ist. — Zu
altfrz. onte mask. vgl. auch F. Tendering, Herrief a Arch. 67, S. 296
und F. Settegast, J. Cesar Einl. S. XXVÜI. Näher als Verfassers Ver-
mutung, onte mask. habe sich nach conte gerichtet, liegt, glaube ich, die
Annahme, dass das Schwanken des Geschlechts des synonymen deshonneur
im Altfrunzösischen auf dasjenige von onte einwirkte. Anhangsweise
handelt Verfasser (S. 120 f.), nachdem er mit Bücksicht auf das Geschlecht
der zusanmiengesetzten Substantiva im allgemeinen auf Darmesteter,
Format, des m. comp, verwiesen und einige auffallende Erscheinungen
besprochen hat, von dem Greschlecht der Verbalsubstantiv a. S. 126
wird man Verfasser zustimmen, wenn er bemerkt, dass frz. glas, prov.
glatz, ital. ghiaccio (vgl. rät. glatsch, Arch. f. lat. Lex. II, 438 f.) nicht
auf glades zurückführen, dagegen an der Richtigkeit der weiteren Be-
hauptung, es seien diese Wörter Verbalsubstantiva von ghiacciare, glassar,
glacer Zweifel hegen dürfen. — Wenn frz. los auf prov. lau (dieses = lat.
laudo, woher ital. lodo) zurückgeführt wird, so bedajf es vielleicht der An-
nahme, die französische Form sei dem provenzalischen Nominativ ent-
nonmien, nicht, da auch die obliquen Kasus im Provenzalischen mit a vor-
kommen (s. Mahn, Gram., S. 280). Neuprov. laus (neben laud) hat festes a.
— S. 127 ächange begegnet heute als Fem. im Normannischen (s. Moisy,
l. c, S. LIII), doute imPatois du Centre (Jaubert), enge im Normannischen
(Moisy). — S. 130. Ober das Geschlecht von rencontre bei Du Bartas
vgl. Pellissier, /. c, S. 196, bei La Bruy^re, Ausgabe der Gr. Ecriv.,
Bd. III (Lexique), bei La Rochefoucauld, ib. III, 2, S. XLV. — S. 131
ist unter reste ital. resto übersehen. Nicht nur das Substantiv reste,
sondern auch das Verbum rester weist Littrö nicht vor dem XV. Jahr-
hundert nach. — Dem wortauslautenden e wird auch in diesem Abschnitt
weitgehender Einfluss auf das Geschlecht der Substantiva eingeräumt.
So wenn es unter risque heisst „die Endung -e wandelte das männliche
G^nus zuweilen ins Femininum." Dass auch das Portug. risca neben
risco (beachte Comu*s Erklärung in Gröber's Grundrias I, 788) und das
i
VfQ Referate und Rezensionen, D. Behrens,
Neuproy. risoo fem. neben rieque maak. aufweiaen, wird mit keinem
Worte erwähnt. Zum Französischen ygl. noch Qram. des GramJ^ S. 554.
Im Normannischen ist rieque heute weiblichen Geschlechts nach Moisy,
L c. — Mehrere Yerbalsubstantiva , die im Französischen nebeneinander
mit männlichem und weiblichem Genus vorkommen, Hessen sich zu den
von Armbruster aufgeführten hinzufügen: z. B. frai mask. fraie fem.,
alt&z. pens ma^k. pense fem., ciain mask. dame fem., neufrz. ap-
pro che fem., früher auch maak. (s. Pellissier zu Du Bartas, S. 195),
re lache mask. und fem. (s. La Bochefoucauld, Ausgabe der Grrands
Ecriv. in, 2, S. XL VI), däbauche fem. (früher comm., s. Darmesteter
und Hatefeld, Le XVF sücle^ S. 251), contraste mask. (früher auch
fem., s. Darmesteter und Hatzfeld, Lc.)^ accord mask. altfrz. auch fem.
accorde (s. Littr^s Belege), de man de fem. altfrz. auch demant, com-
mande fem. altfrz. auch i^mimant m.
Zweiter Hanptabscknitt. Geschlechts wandel, hervorgerufen
durch die Bedeutung des Wortes, unter den hier aufgeführten
Substantiven, die mit persönlichem Begriff männliches Geschlecht ange-
nommen haben (aide, garde, guide etc.) vermisse ich barbe mask. (s. Diez,
E. W. II* barba, Litträ, s, v, und E. Appel, L c», S. 36), justice mask.
(vgL sp. el justida mask. und s. Diez, Ghramß^ II, 17, Littrd, 9. v, 14°), altfrz.
poestet mask. — Camarade stammt nicht aus dem Italienischen,
sondern aus dem Spanischen. — Über den Greschlechtswandel von prison,
poin^on, s. Ascoli, Ärch. gl, III, ^44 f. — Prison begegnet als
Maskulinum noch heute in Mons (Sigart, Ghss., S. 29) und in RoubaLx
(Faidherbe, L c. 8. 21). — Gens,^en^e« kommen auch im Lateinischen
als Maskulina vor (s. E. Appel, S. B6). — Über das Geschlecht von
personne vgl. Litträ, 8. v. Rem., Bichelet, 8, v,, La Bruyere, Ausg. der
Gr. ißcriv. Lexique, S. 269, La Eochef. (Lex.) III, 2, S. XCJX. Den Schluss
dieses Abschnittes (S. 136 — 139) bildet die Aufzählung einer Anzahl Sub-
stantive, die nach Armbruster ihr Geschlecht einem Synonymen oder dem
Oberbegriff entliehen haben. — Altfrz. minuit (statt gewöhnlichem mie-
nuit)f das Armbruster vermisst, findet sich bei Froiss., Foi8. II, 230, 345.
Nicht bemerkt finde ich, dass auch allein stehendes nuit vereinzelt unter
dem Einfluss von jour und di als Maskulinum im Altfranzösischen be-
gegnet : s. Alton, Claris und Lari8 15337, Scheler zu Bast de Bouillon 4293.
— Dass vallis sich im Geschlecht nach mons (resp. frz. val nach mont)
richtete, nimmt Ver&sser in Übereinstimmung mit W. Meyer (Neutrum,
S. 12) an, ohne die entgegenstehende Ansicht E. Appel's (Arch, für lat.
Lex, I, S. 450) zu berücksichtigen, der vallis mask. „durch das Schwanken
der Wörter auf «" erklärt.
Anhang I. Gelehrte und wissenschaftliche Ausdrücke.
Nach welchem Prinzip die gebotene Auswahl getroffen ist, ist aus der Über-
schrift nicht ganz klar ersichtlich, da Armbruster auf den vorhergehenden
Seiten seiner Arbeit untermischt mit Erbwörtern zahlreiche gelehrte Wörter
bereits behandelt hat. Mit mehr Recht lassen sich die hier behandelten
Wörter etwa als „Nicht eingebürgerte Fremdwörter" bezeichnen. Ver-
&Bsers Ansicht, das Geschlecht derselben werde „oft; ganz willkürlich
gehandhabt" und es bieten „diese Unregelmässigkeiten nur geringes
Interesse" wird kaum unbedingte Zustimmung finden. Das Interesse,
welches diese Wörter bieten, wird doch nicht etwa dadurch ein geringeres,
dass wir an ihnen in der Gegenwart dasselbe Schwanken beobachten
können, welches der gesamte heute eingebürgerte gelehrte Import
des französiflchen Sprachschatzes in einer früheren Zeit gleichfalls
durchgemacht hat! Entweder — um mit Verfassers eigenen Worten zu
spreohiBn — behalten die Substaativa dieser Gattung ihr etymologisches
K. Armbritsier, GeseMechiswandel im Französischen. Mask,n,Fem. 171
Geschlecht bei, oder sie schliessen sich im Genus an einen schon vor-
handenen ähnlichen Begriff an, oder endlich ihre Form gibt den Aus-
schlag. Zu billigen ist es selbstverständlich, dass Armbruster die Aus-
drücke dieser Art von den Erbwörtem getrennt behandelt, zu bedauern
nur, dass er nicht in gleicher Weise eine Aussonderung auch aller heute
bereits eingebürgerten Lehn- und Fremdwörter vorgenommen hat. —
S. 140 lies varicocöle statt variocUe. — Car rosse ist heute fem. im
Patois von Roubaix (s. A. Faidherbe, S. 21) und von Ürimönil (s. Haillant,
l. c.) — Zu ^pithete vgl. Richelet, Dict s. v., Gram, des GramJ^ S. 61,
Corneille, (EJuvres (Gr. ficriv.) III, 236, Anm. 1. — S. 142 Vipäre ist auch
mask. bei Botrou (s. Sölter, Studien, S. 32) und heute in vielen Patois
(Normandie, Centre, Meuse etc.).
In einem zweiten Anhang notiert Verfasser unter der nicht sehr
glücklich gewählten Überschrift Besonderheiten des Genfer Dialekts
im Geschlecht der Wörter eine Anzahl Wörter, welche heute in
Genf anderes Genus haben, als es das Dictionnaire der Akademie vor-
schreibt. Mehrere dieser Wörter zeigten oder zeigBi Schwanken auch
im Altfranzösischen und in der französischen Schriftsprache und wurden
mit Bücksicht hierauf bereits an anderem Orte von Armbmster behandelt:
aiseSf chenal, comUf episodd eta. etc. Dasselbe gilt von anderen Wörtern
wie arÜre, fuste, paire (z. B. maskulin bei Corneille und Magny)^), uloere
u. a., die Armbruster in den vorangehenden Ausführungen seiner Arbeit
nicht hätte unberücksichtigt lassen sollen. Eine dritte Gruppe hier auf-
geführter Substantiva eudlieh, deren Gtenus als eine „Besonderheit des
Genfer jDialekts'^ hingestellt wird, weichen ebenso in nordfranzösischen
Patois von dem schriftüblichen Gebrauch ab. Dahin gehören argewt, as,
chattd, dinde, empldtre, hotel, incendie, narcisse, scorsoneres, vis u. a.
Ich bin hiermit am Schluss meiner Besprechung der Armbruster'schen
Schrift angelangt. Verfasser hebt einige Male im Laufs seiner Unter-
suchung hervö», dass er nicht beabsichtigte, die Substantiva, deren
Geschlecht im Französischen schwankte oder noch schwankt, vollständig
zu verzeichnen. Wer mit dem Referenten der Ansicht ist, dass in Mono-
graphieen von der Art der vorliegenden das Material so ausführlich
wie nur irgend möglich mitgeteilt werden müssen wird daher zahlreiche
Worte ungeme vermissen. Ich habe im Vorstencfbden einige Male Ge-
legenheit genommen, an geeigneter Stelle Nachträge zu geben und stelle
hier zum Schlüsse in alphabetischer Anordnung noch eine Reihe uiderer
Substantiva mit verändertem oder vorübergehend schwankendem Ge-
schlecht zusammen: ' ;.
amadou mask. und auch fem., s. Littr^, s. v.
ante fem.
apostrophe, begegnet als Mask., s. Litträ, s, v,
argile mask. bei Voltaire, s. Litträ, s. v, ; . . .
as beste mask.
atome mask., s. zum Lateinischen E. Appel, l. c, S» 74.
aub^pine fem. und aubepin mask., s. Littr^^ s. t^.
besicles, s. die Belege bei Litträ, s, v.
clyst^re, wird von Litträ aus dem XIII. Jahrhundert als Fem. belegt,
continent mask., lat. continens meist fem.
crise mask. bei Du Bartas, s. Pellissier, S. 194.
ächo mask. und fem. Früher wurde das Wort im Französischen auch
dann als Femininum gebraucht^ wenn es nicht die heidnische Gk)tt-
1) Vgl. zu dem Worte W. Foerster, Aiol 992.
172 Referate und Rezensionen. A. Haase,
hcdt bezeichnet. Ctr. SOlter, Gram. und^lexHc. Studien zu J. BiOtrou,
S. 80 und Corneille, Ausgabe der Gr. Ecriv., Bd. X, 236, Anm. 1.
äphämärides fem., früher auch miiBk., b. Iiitträ.
epistre begegnet als Maak, bei Christ, de Pia., z, E. Müller, Zw Syntat
der Christine de Pisan, S. 3.
ermes mask., zum Grundwort b. E, Appel, l. c, S. 32.
eapöe, altfrz. auch maak.? S. Diez, E. W. I spada.
faB^ole fem., vgl. E. Appel, l. c, S. 108.
fötu maak.., a. Diez, B. Gram.», II, 18.
foy mask. bei Jodelle? b. Mart^-Laveaox' Ausgabe, Bd. II, S. 355,
Note 6.
gen€t maak.
grade maak., früher auch fem., s. Littrö grade, Hiet. XVI' siiele und
zum Lateinischen E. Appel, l. c, S. S.
groupe wird als Fem. und Mask. verzeichnet in (De U Toucbe'a) L'art
de bien parier franQMS, S. 92.
h^catombe mask. bei Du Bartas, b. Fellisaier, l. c, S. 195.
heliotrope, ist nach Gram, des Gram.'', S. 48 mask., wenn es die
Pflanze, fem., wenn es den Edelstein bezeichnet. Weder Littr^ noch
die letzt« Ausgabe des Dict. de VAcad. machen diesen Unterschied.
introite, altfrz. mask. und fem.
laqne, s. Littr^, s. v.
Alärz. mes fem., s. Qodefroy; lat. mesaia comm.
Altfrz. met mask. und fem,, s. Godefroy, Dict. und Diez, E. W. II*
madia, norm, met mask.
Altfrz. mitant fem. und mask.
monarque fem. Marot IV, 125 (Littr^).
Alt&z. mnse, mouse mask. und fem.
Altfrz, ortie mask. und fem. s. Dreyling, Die Äusdruekmeeiae der Über-
triebenen Verldeinerung im altfranzikisvken Karlspus, S. 43. Heute
ist dag Wort maskulin im Normannischen nsich Moisy, l. c.
paragraphe mask., norm, parafe fem, (Moisy).
phare mask.
Altfrz. penple fem. — poptUaUon, s. Godefroy.
portique mask., porche mask.
pourpre maak. und fem. mit unterschiedener Bedeutung.
primevere, s. Littrö.
pyrite fem.
qnenx, altfrz. auch mask., s. Belege bei Litträ.
raie fem., altfrz. auch rai mask., s. Diez, E. W. I raggio und E. Appel,
;. c, s. 105.
Altfrz. reane mask. und fem., a. W. Fcerater zu Aiol 1731.
sandara^ue verzeichnet Bichelet als Mask.
Altfrz. seips mask. und fem,,
Altfrz. eorame mask.?, a. Scheler'a Anm. zu Watri^et XVllI, 79,
Synode maak., s. E. Appel, U c, S. 32.
Altfrz. tour auch mask.?, a. A. Scheler'a Anm. zn Bogt, de BouiUon
2266.
trafic maak., früher auch trafiqne fem., s, Pelliaaier zu Du Bartas,
S. 196, Glauning zu Montaigne, S. 327, Chenevifere zu Des Periera,
8. 186, Darmeateter und Hatzfeld, XVi' siede^, S. 250,
tuile fem., früher auch mask. tuiL VgL zum Lateinischen E. Appel,
I. c, S. 9 und W. Meyer, Netitrvm, S. 132, zum Romanischen
Gröber, Arch. f. lat. Lex. VI, 122 f.
SyntakUtcke Arbeiten. V,
1 mask., oacb Richelet fem., nach MartinnB im Mupoft^ttuu maa
.re (Weit etc.), a. zu Moliöre, ATisg. der ffr. tcriv. VIII, «8.
e maek. = wn ckaptoM faxt df. vigogne.
D. Behrens.
Syntaktische Arbeiten.
Ein «mfangreichpH Thema au? der altfranaCsiaclien Sjntai be-
handelt DDblsiBW, ÜhiT Satzbfiordnung für Sattunterordnujig im Alt-
französiscIuH. Halle a. S., 1888. tUiBsertution.) Die Leistung den Ver-
fkB9era verdient Anerkennung. Im AnschluB» an Hätzner'fa Grammatik
werden die einzelnen Fälle erörtert, in welchen die Beiordnung statt
der in der neueren Sprache notwendigen Unterordnung vorkommt.
Freilieh ist sehr Vieles von dem , wan der Verfasser gibt, bekannt,
und „die psychologische Erklärung" (S. 3) wird sich schlieaslicfa auch
jedermann ohne Schwierigkeit selbst geben. Wenn die Arbeit blei-
benden Wert haben sollte, so hätte der Bprachhistorische Standpunkt
für den Verlauf der einzelnen Erscheinungen festgehalten werden
milssen. Nicht darauf kommt es an, Beispiele filr die einzelnen (%lle
beizubringen, sondern das Verhältnis der allmählich verschwindenden
Satafilgnng und der fflr diese mit der Zeit mehr und mehr eindringenden
zu beleuchten. Das wäre eine schätzenswerte und recht nützliche
Untersuchung gewesen, die freilich über den Rahmen einer DUsertation
weit hinausgegangen wäre. Der Verfasser hätte auch wohl beriick-
aichtigen können, was bereits über die Punkte, welche er behandelt,
von anderer Seite gebracht worden ist. Es wäre dann z. B. der Passus
über die Adjektivs'ätze (S. G f.) anders ausgefallen, und schwerlich
hätte er sich dann noch die Mühe gegeben, diejenigen zu bekämpfen,
welche eine Auslassung des Relativ annehmen, ein Pasaus, der auch
durch den Ton (n. B. „dieser Thatsache werden sich diejenigen mit
grosser Herzenaerleichtetnng entsinnen etc.") nicht gerade angenehm
berührt, wie denn, und Referent fQhlt sich verpflichtet, dieses zu be-
merken, auch sonst der Verfasser unbeschadet seiner Oberzeugungs-
treue den Ton etwas hätte herabstimmen können. Ausser Diez und
Tobler, deaaen V. B. oft berückaichtigt sind [überflüssig iat S 20 Anm.
„Wie ich nachträglich aehe, ist die besprochene sprachliehe Erachoinnng
schon von Tobler, V. B, S. 207, nachgewiesen und erklärt worden"),
und aus dessen Vorlesungen viel, manches ohne Not, manches auch,
was lange bekannt, beigebracht ist, wird kaum etwas von der ein-
schlägigen Littei-atur benutzt, und doch ist das Thema oft, wenn auch
nicht behandelt, so doch mehr oder minder nahe gestreift worden.
Referent will aich nicht die Mffhe geben, die Dissertationen zu durch-
suchen, welche ihm im Laufe der letzten Jahre durch die Hände ge-
gangen sind, er will nur eine wichtige Arbeit erwähnen, Bisohoff,
Konj. bei UkresUen, dessen schätzenswerte AusführunKen der Verfasser
hätte verwerten können und mQssen. Im übrigen will Referent keines-
wegs verkennen, dass der Verfasser gründlich gearbeitet hat und in
seiner Auflassung sprachlicher Erscheinungen eine tüchtige grammatische
Ausbildung zeigt, so dass einzelne Erklärungen ganz ansprechend
acheinen, wenn man auch nicht durchweg seinen Ausführungen wird
beitreten können. Auf Einzelheiten aoll nicht weiter eingegangen
werden, nur möchte Referent anf S. 26 — 31 hinweiaen, einen Abschnitt,
174 Referate vnd Rezensionen^ A. Haase,
•
mais que abweichende Erklärung gegeben wird. Er wird nämlich mauf
qtte als ^Adverbium nur" gefasflt, so dass der folgende Wunschsatz
selbständig dasteht. In der hübschen Untersuchung scheint dem
Referenten der Fehler darin zu liegen, dass adverbiales mais und
konjunktionales nicht scharf genug auseinander gehalten sind. Dass
mais ursprünglich adverbial ist und sich in einzelnen Wendungen bis
heute so erhalten hat, ist ja eine bekannte Thatsache, dass dasselbe
aber, wo es nicht mehr in seiner etymologischen Bedeutung auftritt,
sondern einen mehr oder minder scharfen Gegensatz einführt, schon
in die Bedeutung einer Konjunktion übergetreten ist, liegt doch auf
der Hand. Dies ist aber stets der Fall, wo mais que einen Wunsch-
satz einführt, es ist in jedem Falle Konjunktion, ob man nun mais
que als „aber dass" auffassen mag, oder ob man annimmt, dass der
ganze ursprünglich adverbiale Ausdruck (magis quam = ausser, nur)
zur Konjunktion geworden ist und einen an und für sich selbständigen
Wunschsatz anfügt. Und da ist es denn doch wohl viel natürlicher,
dieses que, das ja an und für sich nicht nötig ist und auch oft genug
nicht auftritt, als que „dass" zu fassen. Dass sich übrigens die Be-
deutung „lieber, vielmehr" erst aus „aber, sondern" entwickelt haben
sollte, eine Annahme, welche für den Verfasser die wahrscheinlichere
ist (S. 28), ist nicht denkbar. Ferner erklären sich die scheinbaren
Judikative nach mais que (S. 29), welche dem Verfasser Schwierig-
keiten bereiten (cf. S. 30 „zur Erklärung dieses Modus liesse sich
darauf hinweisen, dass mais que allmählich ganz den Charakter einer
Konjunktion annahm [man beachte den Widerspruch, vorher verwahrt
er sich wiederholt gegen eine Konjunktion] und nun nach Analogie
von anderen konditionalen Konjunktionen mit dem Indikativ kon-
struiert wurde") einfach als Konjunktive, eine Erscheinung, die unend-
lich oft besprochen worden ist, vgl. z. B. zu faiies und äites Tobler,
V, B. S. 26. Endlich möchte Referent noch auf S. 8 hinweisen, wo
der Verfasser von Adverbialsätzen des Ortes spricht, zu denen er „nur
ein Beispiel zitieren kann" Bartsch, Chr, 337, 29, das nicht zutreffend
ist und es nicht sein kann. Ein lokaler Adverbialsatz könnte in bei-
geordneten Sätzen doch nur da erblickt werden, wo beziehungsloses
oü resp. lä oü in der neueren Sprache unbedingt . erforderlich wäre.
Nun können sehr wohl zwei Sätze einander beigeordnet sein, von
denen der eine eine lokale Bestimmung zum anderen enthält, ohne
dass dieselben durch oü verknüpft sind ; es sind dann a,ber Hauptsätze
welche sich so in der alten und neuen Sprache, wie überhaupt in allen
Sprachen finden, so dass von Beiordnung statt Unterordnung nicht die
Rede sein kann. Schliesst sich aber das Fügewort des Lokalsatzes an
ein vorhergehendes Beziehungswort an, so liegen Adjektivsätze vor.
Alle Anerkennung verdient auch die Arbeit von IMrAtscbke« Die
Nebensätze der Zeit im AUfranzösischen, Kiel 1887 (Dissertation). Der
Verf. hat sehr fleissig gearbeitet. Das sieht man aus der ansprechenden
Disposition, die ebenso sorgfältig ist wie die Ausführung im einzelnen.
Für die Anlage der Arbeit ist der sprachhistorische Standpunkt nicht
massgebend gewesen, was zu bedauern ist. Zwar ist in Kürze der
entsprechende lateinische Gebrauch und der neufranzösische erwähnt,
doch treten die Punkte, auf welche es besonders ankommt, ganz zurück
und müssten, wenn die Arbeit als Beitrag zur historischen Grammatik
verwertet werden sollte, aus dei: Fülle des Gegebenen erst heraus-
gesucht werden. Referent hat bereits einmal in der ZeitschHft
(VP, 52) seine Ansichten über Spezialabhandlungen anzuführen sich
erlaubt und muss dieselben anch jetzt noch ihrem ganzen Umfange
Syniaktisohe Arbeiten. 175
nach aufrecht erhalten. Doch trotz seines prinzipiell verschiedenen
Standpunktes kann Referent, wie gesagt, die Arbeit nur loben. Im
einzelnen hätte er ein näheres Eingehen auf die Konjunktionen ge-
wünscht, welche der Verfasser angibt, so z. B. hätte S. 8 das droutre
der Passion kurz erklärt resp. in Parenthese die beiden lateinischen
Bestandteile des Wortes angegeben werden können. Einiges hätte
richtiger aufgefasst resp. ausgedrückt werden müssen; so ist z. B.
wiederholt von einem ,,Fehlen des gue^ im Nebensatze die Rede,
z. B. S. 25, 43, 47, 48 und sonst. Was S. 26 über^.v^M'fl fheure que u. ä.
gesagt ist, S. 48 aifis qu'ü dut redrecier ist nicht genau and nicht
scharf genug ausgedrückt. Eine kurze Erklärung wäre auch z. B.
S. 56 Fut. II — Perf. II , S. 44 ains que mit dem Präsens am Platze
gewesen.
Einen einzelnen Punkt der Syntax eines Autors aus dem 18. Jahi*-
hundert behandelt Ilfalliisteclt, Om brukei af ftmt modus kos RaotU
de Houdenc, Stockholm, 1888 (Dissertation von üpsala). Auf diese
Arbeit will Referent nur hinweisen und aufmerksam machen, da er
dieselbe richtig zu würdigen und zu beurteilen wegen seiner Unkenntnis
der schwedischen Sprache nicht vermag. Er bedauert, dass die Ab-
handlung in dieser Sprache geschrieben ist, denn, so viel er sehen
konnte, ist sie gründlich gearbeitet und scheint auch Dinge von all-
gemeinerer Bedeutung zu enthalten. Jedenfalls zeigt sich der Verfasser
mit der ganzen syntaktischen Litteratur Deutschlands bis in die Details
hinein gründlich vertraut.
Ins 15. Jahrhundert führt uns Waldmann, Bemerktmaen zur
Syntax Monsirelefs. Würzburg, 1887. Das Thema ist insofern glücklich
gewählt, als. wie der Verfasser das auch bemerkt, bereits Froissart
und Commines auf ihre Syntax hin untersucht worden sind. Der Ver-
fasser hat nun auch den sprachhistorischen Standpunkt inne halten
wollen, um „sein Scherflein zur Ausarbeitung einer umfassenden
historischen Grammatik beizutragen." Leider ist dieser Standpunkt
nicht in der Weise gewahrt worden, wie es wünschenswert gewesen
wäre, und auch sonst zeigt die Arbeit recht erhebliche Mängel. Der
Vergleich mit Froissart und Commines hätte stets gründlich durch-
geführt werden müssen. Der Verfasser hätte sich nicht darauf be-
schränken müssen, das Vorkommen gewisser Erscheinungen bei seinem
Autor zu konstatieren, sondern auch auf das Verhältnis moderner und
alter Fügungen näher eingehen und in besonders wichtigen Fällen
geradezu statistische Angaben machen sollen. In der Weise wie sie
nun vorliegt, macht die Arbeit hinsichtlich des Materials einen recht
skizzenhaften und oberflächlichen Eindruck. Ausserdem ist die Aus-
drucksweise zumteil recht unwissenschaftlich, auch finden sich schiefe
und unrichtige Auffassungen in grosser Zahl, einiffe Stellen müssen
sogar als grob falsch bezeichnet worden. Vieles ist angeführt, was
auch noch heute im Gebrauch ist, doch will Referent das nicht zu
scharf rügen, da er aus eigener Erfahrung weiss, wie schwierig hier
oft die Entscheidung ist. Dagegen ist das zu tadeln, dass viele Bei-
spiele so kurz angeführt sind, dass die zu belegende sprachliche Er-
scheinung nicht immer mit voller, jeden Zweifel ausschliessenden Deut-
lichkeit zu Tage tritt. Das Gesagte durch Beispiele zu illustrieren,
davon will Referent abstehen. Was nützt es, solche Sachen aufzu-
zählen, die jeder Leser selbst verbessern kann, Dinge, von denen oft
genug die Rede gewesen 1 Es genügt, darauf hinzuweisen, dass Bei-
spiele zu dem, was gerügt ist, in nicht unerheblicher Zahl sieh finden.
Immerhin wird das niedergelegte Material als solchea wohl brauchbar
176 Referate und Rezensionen, A, Haase,
sein, wenngleich dasselbe einer scharfen Sichtung und der Vervoll-
ständigung bedarf.
Aus dem XVI. Jahrhundert liegen allein über Rabelais drei
Arbeiten vor, von denen zwei, beide völlig unabhängig von einander,
teilweise dasselbe Thema behandeln. SAnger, Syntaktische Unter-
suchungen zu Rabelais. Halle a. S., 1888 (Dissertation), behandelt das
Verbum und die Präpositionen. Die Abhandlung ist sorgfältig ge-
arbeitet, sprachhistorisch gehalten und deshalb recht übersichtlich.
Dieselbe berücksichtigt auch da, wo es darauf ankommt, das Ver-
hältnis des alten und des neuen Gebrauchs und kann als ganz brauch-
bar bezeichnet werden, obwohl im einzelnen mancherlei Ausstellungen
zu machen sind. Zu rügen ist, dass die Arbeit von Weissgerber über
den Konjunktiv im XVI. Jahrhundert, welche in Band VII und VIII
dieser Zeitschrift erschienen ist, nicht herangezogen worden ist. Auch
dürfte die ältere Arbeit Schönermark's über Kabelais nicht so selten
sein, wie der Verfasser das in der Vorrede behauptet.
Einen Teil desselben Themas, nämlich den Gebrauch des Kon-
junktivs und den der Tempora und Modi in hypothetischen Sätzen,
behandelt Hornig, Syntaktische Untersuchungen zu Rabelais. Leipzig,
1888 (Dissertation), eine Leistung, über welche man sich ebenfalls an-
erkennend aussprechen kann. Die Untersuchung, welche unter steter
Berücksichtigung dessen, was Weissgerber bereits gegeben hat, geführt
wird, erstreckt sich auch auf die Konjunktionen, welche den konjunk-
tivischen Nebensatz einleiten, auf die Pronomina resp. Adverbia der
verallgemeinernden Konzessivsätze, die Negation im abhängigen Satze,
ist sprachhistorisch gehalten (wobei jedoch zu bemerken ist, dass
manche dem modernen Gebrauch entsprechende Erscheinungen nur
kurz anzuführen und nicht durch viele Beispiele zu belegen gewesen
wären) und zeigt eine ausserordentliche Belesenheit in der syntaktischen
Litteratur. Über vier Seiten braucht der Verfasser, um die Titel der
benutzten Abhandlungen zu zitieren, und dabei hat er, wie aus den
Anführungen an einzelnen Stellen der Arbeit ersichtlich ist, noch
andere herangezogen. Die Durchsicht dieser langen Reihen veranlasst
Referenten zu dem wohlgemeinten Rat, in dieser Hinsicht sich zu be-
schränken und nur die Abhandlungen auszuwählen, welche wegen ihrer
sprachhistorischen Angaben und der grammatischen Erklärung wegen
wichtig sind. Es muss ja für einen jungen Menschen eine fast ab-
schreckende Aufgabe sein, sich durch diesen von Jahr zu Jahr zu-
nehmenden Berg von Schriften hindurch zu arbeiten ! Bei einer solchen
Beschränkung (und eine Auswahl für das vorliegende Thema Hesse
sich unschwer treffen) wäre eine desto intensivere Benutzung der ein-
schlägigen Litteratur möglich. So hätte auch leicht der Verfasser es
vermieden, S. 47 afin que vous dicies mit Schönermark für einen Indi-
kativ zu halten. Wenn er die von ihm daselbst zitierte Stelle bei
Vogels genauer angesehen hätte, so hätte er die Erklärung eines
anakoluthischen Imperativs gefunden, eine Erscheinung, von welcher
er selbst bei den Verben der Aufforderung S. 27 spricht. Übrigens
könnte ja dictes auch in konjunktivischer Funktion stehen. Dass that-
sächlich der Indikativ nach afin que in Stellen, die jede andere An-
nahme oder Deutung ausschliessen, im XVI. Jahrhundert vorkommt,
mag nebenbei angemerkt werden. Soweit Referent solche in der Er-
innerung sind, zeigen sie stets fut. Tempora, so dass von Finalsätzen
dann nicht mehr die Rede sein kann. Doch auf Einzelheiten soll nicht
eingegangen werden.
Referent hat die Resultate der beiden Abhandlungen und die
Syntaktische Arbeiten. 177
Ausführungen derselben im einzelnen verglichen. Er will die Notizen,
die er sich gemacht, nicht hier wiedergeben, sondern nur das be-
merken, dass beide Abhandlungen Anlass zu mancherlei Ausstellungen
im einzelnen bieten und beide das Material nicht ganz vollständig er-
schöpfen. Immerhin ist die letzte Arbeit, wie das bei dem beschränk-
teren Stoffe natürlich ist, im allgemeinen etwas vollständiger, wogegen
auch Sänger manches gibt, was Hörnig übersehen hat, während er
anderes hätte weglassen müssen. Auffallend ist der Widerspruch hin-
sichtlich der Verba des Affekts und der Ausdrücke der Furcht (cf. Sänger,
Sp. 28 u. Hörnig, Sp. 36 u. 82).
Mit demselben Autor beschäftigt sich Orlopp, Ober die Wort-
steilung bei Rabelais. Jena, 1888 (Dissertation). Diese Arbeit trägt Re-
ferent kein Bedenken als eine musterhafte Leistung zu bezeichnen.
Nach wissenschaftlicher Disposition und Methode gearbeitet, vollständig
sprachhistorisch gehalten, behandelt die Dissertation unter Benutzung
alles dessen, was über die Wortstellung in besonderen Monographieen
und auch sonst zerstreut in Abhandlungen niedergelegt ist, das Thema
erschöpfend und im Zusammenhange der historischen Syntax. Durch
die sprachhistorische, sorgfältig zusammengestellte Einrahmung des
Materials, welche den Sprachgebrauch von der ältesten bis auf die
neuere Zeit nicht nur im allgemeinen angibt, sondern auch bis in
seine einzelnen Wandlungen hinein verfolgt, ist diese fleissige Arbeit,
welche 79 Seiten in kleinem Druck enthält und alle nur irgend mög-
lichen Abkürzungen zeigt, ganz besonders wertvoll geworden. Referent
hat den allergünstigsten Eindruck gewonnen und kann diese hervor-
ragende Abhandlung aufs wärmste empfehlen.
Calvin's Institution hat eine erneute Bearbeitung erfahren durch
Grosfiie« Syntaktische Studien zu Jean Calvin. Giessen, 1888 (Dissertation).
Wie der Verfasser selbst bemerkt, ist diese Abhandlung bereits 1879
in Herrig's Aixhiv zum Abdruck gelangt und erscheint jetzt in „ver-
änderter Gestalt." Weil j^ne Arbeit viel benutzt worden ist und be-
nutzt wird, da eine andere Darstellung der Syntax Calvin's nicht
existiert, will Referent auf diese zweite Auflage aufmerksam machen,
und dies ist der einzige Grund, weshalb die Schrift überhaupt erwähnt
zu werden verdient. Wie es mit der „veränderten Gestalt" steht, will
Referent nicht untersuchen. Er kennt die erste Arbeit genau und
hat dieselbe noch so weit im Gedächtnis, dass er behaupten kann,
diese Veränderung kann nur in ganz unwesentlichen Einzelheiten be-
stehen. Im ganzen ist die vorliegende Abhandlung nur ein aufge-
wärmtes Gericht, das deshalb viel weniger schmackhaft ist als das
frische. Eine Arbeit, die vor neun Jahren noch für ganz leidlich gelten
konnte, ist heute, wenn sie ganz auf dem früheren Standpunkte stehen
geblieben ist, als wertlos zu bezeichnen. Zwar gibt der Verfasser auf
der ersten Seite einige neuere Werke an, die er benutzt hat (darunter
einige, von denen man nicht recht einsieht, wie dieselben für eine
Syntax verwertet werden können), doch ist von einer auch nur einiger-
massen genügenden Benutzung der einschlägigen Litteratur nicht die
Rede. Nicht einmal die Sprache des XVI. Jahrhunderts ist heran-
gezogen. Nur sporadisch finden sich Ansätze zu sprachhistorischer
Methode (z. B. S. 29, 32, 41), und mitunter ist die ältere Arbeit
Schönermark's über Rabelais berücksichtigt. Die Methode ist unwissen-
schaftlich, und ebenso oft die Ausdrucks weise. Im einzelnen finden
sich falsche Auffassungen, ja zum teil recht arge Versehen. Auch das
gegebene Material ist zu dürftig. Nur S, 32 und 46 ist eine nähere
Angabe über das Verhältnis der alten und der modernen Fügung zu
JSsclur. f. fin. Spr. u. Litt. XI^. ^2
178 Referate imd Rezensionen, M. Köhkr,
entdecken. Wenn S. 29 Tönnies kritisiert wird, so wirkt diese ver-
einzelte, ganz unnütze Ausstellung geradezu komisch. Es wäre zu
wünschen, dass die Syntax dieses so wichtigen Autors einmal gründ-
lich untersucht würde.
Sehr schätzbares Material liefert Ringeiiseii, Studier öfver
verbets syntax hos BUtise de Monlue» üpsala, 1888 (Dissertation). Leider
muss Referent auch hier ee sich versagen, ein Urteil abzugeben. Er
will nur bemerken, dass die Arbeit sprachhistorisch gehalten ist, so
viel er aus den Zitaten ersehen konnte, gründlich gearbeitet ist, und,
wie bereits bemerkt, viel Material liefert. . Namentlich sind viele
sprachliche Erscheinungen, die man nicht bei allen Schriftstellern der
Zeit findet und die überhaupt nie allgemein geworden sind, durch Bei-
spiele belegt, so dass man in der Arbeit mehr findet als in anderen
ähnlichen Abhandlungen. Darauf ganz besonders hinzuweisen sieht
sich Referent nach der Durchsicht des Materials veranlasst.
A. Haase.
Riese, Wilhelm, Alliterierender Gleichklang in der franzö'siscken
Sprache alter und neuer Zeit, Hallenser Dissertation.
Halle, 1888. 38 8. 8o.
Die Alliteration in den romanischen Sprachen ist bis jetzt
ein noch fast unangebantes Gebiet. Vor der Yeröffentlichong
Torliegender Dissertation existierten darüber, abgesehen von
einigen gelegentlichen Erwähnungen in Monographien, nur zwei
AHikel geringeren Umfanges: von G. Gröber (Zeitschrift für rom.
FhiL VI, 467) und P. Meyer (Romania X, 572), und auch diese
gingen über einige Beispiele und die Aufstellung von Gesichts-
punkten fUr eine eingehendere Bearbeitung des Themas nicht
hinaus. Verfasser vorliegender Dissertation bespricht den Gegen-
stand auf nur achtzehn Seiten; der übrige Teil enthält eine Bei-
Spielsammlung, nach Wortarten geordnet, jedoch ohne Sonderung
nach der Zeit der Schriftsteller.
Die Einleitung (8. 5 — 8) der Arbeit, welche durch den oben
erwähnten Artikel Gröberes hervorgerufen wurde, bespricht den
Ursprung der Alliteration, d^r nicht im Germanischen zu suchen,
sondern als Wirkung eines in jeder Sprache vorhandenen Triebes
anzusehen sei, die Entstehung des Wortes Alliteration, die Er-
klärung desselben in französischen Wörterbüchern und Metriken,
die alle den Begriff der Alliteration anders fassen, als wir, und
stellt für vorliegende Arbeit den Begriff so fest, wie er in Deutsch-
land und auch von den hervorragenden französischen Romanisten
jetzt verstanden wird.
Abschnitt I (8 — 11) handelt von einigen Besonderheiten der
lautlichen Seite der Alliteration im Französischen (Verhältnis der
yokalisehen zur konsonantiselien Alliteration, AlliteratioB gleich-
W. Riese, Alliterierende^' Gleichklang m der flranz. Sprache etc. 179
lautender Konsonanten mit versohiedener Schreibang, Verbaltefi
von mit Präpositionen zasammengesetzten Wörtern) und unter-
scheidet zwischen Alliteration und ähnlichen Figuren, namentlich
der etymologischen und grammatischen Figur.
Abschnitt II (11 — 16) will eine Untersuchung geben über
das logische Verhältnis der alliteHerenden Elemente und die
grammatische Beschaffenheit ihres Zusammenhangs, bespricht
jedoch inbezug auf den ersten Punkt fast nur die namentlich in
den Chansons de geste häufig vorkommende Zusanmienstellung
gleich anlautender Eigennamen. Nach grammatischer Beziehung
werden die Alliterationen eingeteilt in koordinierte und sub-
ordinierte, von denen die letzteren als sehr selten und weil sie
dem Sinne nach doch oft koordiniert seien, sehr kurz abgethan
werden. Die koordinierten werden eingeteilt in synthetische
(z. B. fueiUes ne flours), synonyme (z. B. feu et flame), anti-
thetische (z. B. soient blanches, soimU hrtmettes) und di0|anktive
(affirmativ z. B. par armes ou par amour, negativ ne bon^ ne beles).
Abschnitt III (S. 16 — 23) geht ein auf die Neigung der
Völker zur Alliteration, die sich bethätigt in der Wortbildung,
besonders bei der Reduplikation, die jedoch fUr das Französische
nicht existiert, und bei der Bildung von Intensivstämmen. Die
Neubildungen auf französischem Gebiete werden besprochen im
Anschluss an Diez: Gemination und Ablaut im Romanischen
(Zeitschrift fllr die Wissenschaß der Sprachen, 3. Bd.) Die Ab-
handlung geht dann Über auf die Gewohnheit vieler Dichter, die
Schönheit ihrer Verse zu erhöhen durch gleichen Anlaut mehrerer
Wörter im Verse, die syntaktisch nicht verbunden zu sein brauchen,
woraus sich die Spielerei der Tautogramme oder rtmes senies
entwickelt hat. Nach Erwähnung einiger Alliterationsscherze, wie
des von P. Meyer in dem oben erwähnten Artikel besprochenen über
die Epitheta des Weines, schliesst der abhandelnde Teil mit kurzen
Bemerkungen über das Vorkommen der Alliteration in der Prosa.
Wenn es dem Referenten erlaubt ist, dieser Inhaltsangabe
einige Anmerkungen hinzuzufügen, so hält er es zunächst für ver-
kehrt, die gefundenen Beispiele einfach alphabetisch aneinander
zu reihen. Eine wirklich brauchbare Arbeit über dieses Thema
muss das Material sichten nach der Zeit der Schriftsteller, in
denen es sich findet^ nach Dichterschulen, Sagenkreisen u. s. w.,
am dann Schlüsse ziehen zu können, in welchen Perioden, in
welchen Dichtungsarten, vielleicht auch in welchen Gegenden die*
Alliteration mehr oder weniger beliebt war und noch ist. Auch hätte
das Verhältnis näher untersucht werden müssen, in welchem inbezug
auf die zu behandelnde sprachliche Eigentümlichkeit die lateinische
Sprache zur französischen steht. Für diese beiden Fragen geben
12*
180 Beferaie und Rezensionen. Th. Lion,
die zahlreich vorhandenen Abhandlungen über lateinische Allite-
ration, allen voran die vorzügliche Arbeit von E. Wölfflin in
den Sitzungsberichten der philos.'phüoL und hist Klasse der känigl,
bayer, Akad, d, Wiss, 1881, 2, S. 1 ff., gute Anhaltspunkte.
Abschnitt III, wenigstens soweit er die ursprünglichsten
Äusserungen des Alliterationstriebes behandelt, hätte sich besser
direkt an die Einleitung angeschlossen.
Die Arbeit enthält zahlreiche Druckfehler und Ungenauig-
keiten, namentlich in den Litteraturangaben, so ist das Buch von
Becq de Fouqui^res über französische Metrik mehrfach mit un-
vollständigem Titel angegeben. Ausdrücke wie der S. 13 „ein
näheres Verhältnis der alliterierenden Seienden^ waren zu
vermeiden. M. Köhler.
BibUoth^ue frtm/^ise d Vuaage des Reales. CoUecHon Fried'
berg 2b Mode» Nr. V7. Leciures faciles et insirnciives. Heraus-
gegeben und mit Anmerkungen versehen von Adolf Lundehn.
Berlin, 1886. In-ie» VI ti. 160 S. geb., 1 M. Wörterbuch dazu.
35 S. geh. 20 Pf. — Nr. 18. Choix de Poesies. Ausgewählt, mit
einer kurzen französischen Verslehre, biographischen Notizen und
Anmerkungen versehen von A. Lundehn und E. Meves. Berlin,
1887. In-160, XXIV u. 218 S. geb., 1,20 M. Wörterbuch dazu von
A. Lundehn, 19 S. geh. 20 Pf. — Nr. 19. Les campannes de
1806 et de 1807. Reduction de la partie correspondante de iliistoire
de Napoleon I^ par P. Lanfrey. Bearbeitet und mit Anmerkungen
versehen von W. Bertram. Mit 2 Karten. Berlin, 1888. 8^.
VIII u. 129 S., geb. Anmerkungen dazu geh. S. 131—168. 1,20 M.
Wörterbuch dazu. 24 S. 20 Pf. — Nr. 20. Hommes celeh-es de
rhistoire romaine. Nach Dur uy. Ein französischer Cornelius Nepos
für Quarta und Untertertia s'ämtlicher höherer Lehranstalten. Mit
kulturgeschichtlichen Anmerkungen, zwei Karten und einem Wörter-
buche. Bearbeitet und herausgegeben von H. W. G lab b ach,
Berlin, 1888. 8^. VII u. 112 S., geb. Anmerkungen dazu S. 118
bis S. 158, geh., 1,20 M. Wörterbuch dazu 58 S. geh. 30 Pf. —
Nr. 21. Le siede de Louis XIV. Histoire de France de 1661 ä
1715 par Victor Duruy. Mit Anmerkungen und einem Wörterbuche
versehen und zum Gebrauch in höheren Lehranstalten herausgegeben
von K. A. Martin Hartmann. Mit einer Karte. Berlin, 1888.
80 VIII u. 189 S., geb. Anmerkungen dazu 8. 141 — 194, geh.,
1,20 M. Wörterbuch dazu 81 S. geh. 20 Pf. — Hr. 22. Histoire
de la Revolution fran^aise. Par Mignet. Herausgegeben und mit
Anmerkungen versehen von M. Schaunsland. Berlin, 1888. 8°.
VI u. 145 S., geb. Anmerkungen dazu S. 147—170, geh., 1,20 M.(?)
Wörterbuch dazu 40 S. geh.
"NVm 17 ist eine Sammlung umfangreicherer Lesestücke, „für die-
jenige Klasse höherer Lehranstalten — in erster Reihe Mädchenschulen —
[dem Inhalte nach lediglich für diese] bestimmt, in welcher die nn-
regelmässigen Zeitwörter der französischen Sprache erlernt werden
Bollen, also für das dritte Jahr dieses Unterrichtes [!], beziehungsweise
Schulausgaben, 181
für Mädchen im zwölften Lebensjahr." Der Herausgeber findet es im
Vorworte sodann für angemessen, bei der grossen Zahl französischer
Lesebücher, welche für diese Stufe verwendbar sind, die Berechtigung
einer neuen derartigen Sammlung nachzuweisen. Lundehn wünschte
dafür einen solchen Inhalt, der dem Lernenden am wenigsten fremd-
artig sei, und meint, dass sich dafür wohl am besten interessante Bilder
aus dem Familien- und gesellschaftlichen Leben der Franzosen eignen;
„das Elternhaus, die Spiele der Jugend, die Puppen der Mädchen, der
Herr Pate u. dergl. m., da sind unsere Schülerinnen au pays de con-
naissance und lernen zugleich mit Leichtigkeit eine Menge von Aus-
drücken für die Umgangssprache." Dies die Absicht des Herausgebers,
über die ich mich ein Urteil abzugeben enthalte; vielleicht sind der-
gleichen Lesestücke für die betreffende Stufe einer höheren Mädchen-
schule ganz angemessen, vielleicht wünschen andere einen etwas ge-
diegeneren Inhalt, ich lasse das dahingestellt und gehe nur noch kurz
auf die Art und Weise ein, wie der Herausgeber seine Absicht ver-
wirklicht hat. Eine Anzahl Druckfehler fallen unangenehm auf; es ist
dabei nicht immer ersichtlich, ob sie als Druckfehler anzusehen sind.
So findet sich fast durchweg M^, für M^ oder Mme, ebenso S. 6 Mr.
für M. oder M^, MUe. für ^"^ ebendaselbst 15, mai und 12. mai für
15 mai und 12 mai, S. 53 Predsement für Precisement u. dgl. m. Für
das Mass der beigegebenen Anmerkungen scheint kein fester Grundsatz
geherrscht zu haben. Warum die erste Anmerkung: „/<? viens de faire
ich habe so eben gemacht?" Bei der Einübung des Verbs venir lernt
die Schülerin doch das sicherlich. Mehrere Anmerkungen hätten in
das besonders beigegebene Wörterbuch verwiesen werden können, z. B.
3, 2: avoir lieu stattfinden. Andere Spracherscheinungen wiederum
wären besser durch einen kurzen Hinweis erledigt, als durch die voll-
ständige Anführung einer Regel, deren Fassung mitunter recht be-
denklich ist; z. B. S. 8, 5: „Wenn die Verben faire, laisser, voir, en-
tendre mit dem Infinitiv eines transitiven Verbums verbunden sind und
zwei Objektsakkusative bei sich haben, so wird im Französischen
das persönliche Objekt in den Dativ gestellt." Dieselbe Regel kehrt
S. 80, 2 in etwas anderer Fassung wieder. S. 2, 3: „une batterie de
cuisine das Küchengeschirr." Die Schülerin begreift nicht, wie une
durch das wiedergegeben werden kann. Besser wäre: eine Küchenein-
richtung. Das Wörterbuch scheint im allgemeinen ausreichend; auf
einem merkwürdigen Versehen beruht indes die Angabe: nfourneau m.
Küchengarten." S. 2 lesen wir bei der Aufzählung der Küchen einrich-
tung un peiit fourneau en faience. Die Aufnahme von faience f. Stein-
gut in das Wörterbuch wäre zu empfehlen, damit die Schülerinnen das
gute deutsche Wort für faience kennen lernen. Vorstehendes und ähn-
liches der Art sind Versehen, die den Gebrauch des Büchleins nicht
hindern, sobald man nur mit dessen Absicht einverstanden ist.
Nr. 18. Die Herausgeber gehen von der Ansicht aus, dass es
sich empfehle, „auf der Oberstufe, etwa im zweiten und dritten Jahre
derselben, unter Voraussetzung eines vierjährigen Kursus, in jedem
Semester einige Wochen der eingehenden Lektüre poetischer Erzeug-
nisse zu widmen." Die epische Poesie entspreche am besten den ünter-
richtszwecken. Sie haben deshalb eine Auswahl französischer Gedichte
zusammengestellt, „die teils unbestritten dem epischen Gebiete an-
gehören, teils dasselbe mehr oder weniger nahe berühren." S. V — XV
enthalten einen kurzen Abriss der französischen Verslehre und Bemer-
kungen über das Lesen der Verse: dass in diesem Abschnitt die
griechischen Versfussnamen überhaupt und zwar nicht bloss die be-
162 Referate und Bezensionen^ Th. Lion,
kannten, Jambus, Trochäns, Daktylas und Anapäst, sondern auch die der
obersten Stufe des Gymnasiums vorbehaltenen, Päon, Choriambus, Cre-
ticus, Molossus Verwendung finden, dürfte schwerlich zu billigen sein,
zumal da der Verfasser dieses Abschnittes, Herr Meves, es verabsäumt
hat, ausdrücklich zu betonen, dass von der Quantität der Silben bei
dem französischen Vers kaum die Bede sein kann; er will diese Art
der Versmessung mit dem Rhythmus und dem Reim begründen, während
der erstere doch nur durch die Verbindung der verschiedenen Tonein-
heiten zustande kommt. Auch der Satz § 2 : „ Jedes französische Wort
besitzt nur eine einzige Betonung, welche auf der letzten vollen Silbe
des Wortes ruht (acceni ionique)^ ist in dieser Ausdehnung unrichtig;
auch das französische drei- und mehrsilbige Wort trägt ausser dem
Hochton den Tiefton, man vergleiche z. B. soupir und soupirer inbezug
auf die verschiedene Betonung der ersten Silbe. S. XVI — XXIV werden
bio|p:aphische Nachrichten über die Dichter gegeben, die in alpha-
betischer Ordnung aufgezählt werden. S. XXI v spricht sich Meves
über Voltaire dahin aus: „Von ausserordentlichem Talent, dabei hab-
süchtig, eitel und frivol, hat er unarmesslichen Einfluss auf die Er-
schütterung des herrschenden Despotismus in Kirche, Staat und Gesell-
schaft gehabt. Seine leidenschaftliche Ruhmbegierde und sein Hass
gegen Aberglauben und Vorurteile, von dem er von Jugend auf erfüllt
war« nahm mit seinem Alter zu und artete endlich zu einem wahren
Fanatismus des Unglaubens aus^ — Worte, die wohl kaum geeignet sind,
der Schuljugend eine richtige Vorstellung von Voltaire's Wesen und
Wirken beizubryigen. — Der Mangel eines Inhalts fällt unangenehm
auf und erschwert den Gebrauch des Buches, der auch dadurch nicht
gerade erleichtert wird, dass die Amnerkungen S. 194 — 218 dem Texte
nachfolgen. Auch deshalb ist die Benutzung der Anmerkungen schwierig,
weil sie auf die Nummer des Lesestücks, die nicht über der Textseite
bezeichnet ist, Bezug nehmen. An den Anmerkungen Hessen sich hier
und da Ausstellungen machen, z. B. S. 198, 34: „Je devais hier = ich
hätte müssen; die der Vergangenheit angehörende Thätigkeit ist nicht
zur Vollendung gekommen.'^ Ich nehme namentlich an dem nhier**
Anstoss, da es sich doch um einen ganz gewöhnlichen Sprachgebrauch
handelt, der dem lateinischen hoc facere dehehas u. dergl. entspricht
(vergl. Knebel -Probst, Französ. Schülfpramm., § 99, 3). £in ähnliches
missbräuchliches hier findet sich übrigens mehrfach in Lundehns' An-
merkungen. Wer der oben angegebenen Absicht der Herausgeber bei-
pflichtet, wird übrigens das Buch im Unterricht dementsprechend ver-
wenden können.
IM^r« 19« In dieser und den folgenden Nummern, bei denen das
Format sich zu dem Oktav der Weidmännischen Sammlung vergrössert,
wird die Zeilenzahl des Textes am Rande mit 5, 10, 15 u. s. f. be-
zeichnet, die Anmerkungen werden ebenso wie das Wörterbuch in
einem besonderen Heft beigegeben: damit werden wohl die Wünsche
der meisten Schulmänner, die einen reinen Text in den Händen der
Schüler sehen wollen, befriedigt sein. Ich meinerseits betrachte die
Fussnoten, sobald sie nur streng schulf^emäss gehalten sind, d. h. dem
Schüler da zu Hilfe kommen, wo die eigene Kraft; nicht ausreicht und
lediglich erklären, was wirklich der Erklärung bedarf, nach wie vor
als die zweckmässigste Einrichtung für eine Schulausgabe. Daneben
scheint mir nur das jetzt hier eingeschlagene, auch in den Ausgaben B.
der Prosaieurs frangais (Velh. & Klasing) befolgte Verfahren zulässig.
Bei diesem weiss der Schüler nicht, ob er in dem Heft eine Anmerkung
finden wird oder nicht, er gerät also in die Versuchung, die Anmer*
Sckfdausgaben. 163
kaogen ganz unbenutzt zu lassen, nur die Not kann ibn dazu veran-
lassen, sie einzusehen. Mir scheint es dann fast ebenso gut die Bei-
gabe der Anmerkungen ganz zu unterlassen, diese auf diu alphabetisches
Namensverzeichnis, das, wenn ein Wörterbuch beigegeben wird, diesem
einverleibt werden könnte, zu beschränken. Aber auch die Beigabe
der Wörterbücher wird wohl die Mehrzahl der SchulmänneT min*
destens für unnötig erachten. Doch wie gesagt ich glaube, dass trotz
alledem ein schön gedruckter, gut gebundener Text, An-
merkungen in einem besonderen Heft, Wörterbuch für den,
der es besonders begehrt, dasjenige ist, was bei der Lehrerwelt
am meisten Anklang findet, die Sehülerwelt wird besonders am
Wörterbuch Gefallen finden und gern die kleine Mehrausgabe daran-
wenden. — Zu den vorhandenen Lanfrerausgafoen (vergl. diese Zeä-
sckrifi Bd. 11 S. 408—411, Bd. Vil» S, 176 f., Bd. VUia S. 119-322)
gesellt sich nun die dritte: alle drei greifen aus der Hisimre de N4ir
poleon ^^ die Feldzüge von 1806 und 1807 heraus. Wie sind sie mit
dem Texte umgegangen? Bamsler bietet die betreffenden Kapitel
ziemlich unverkürzt, aus der Vergleichung seiner und Bertrames Aus-
gaben im ersten Kapitel ergibt sich, dass Absatz XXIV und XXV
Bertram bei Ramsler fehlen, Sairazin und Bertram haben grösaere
Kürzungen vorgenommen; hier ist es nur meine Aufgabe, dia Beftram'sche
Ausgabe darauniin etwas näher zu prüfen. Es ist zunächst anzuerkennen,
dass, wo Auslassungen stattgefunden haben, dies durch Gedankenstriche
kenntlich gemacht ist. S. 4, 7 Bertram fehlen 8. 10 Talleyr^md eiadt
resie fidek bis S. 14 fue s'ü Cavaii de ja (Ramsler^). Es wird hier nichts
vermisst, zumal da die Anmerkungen sich über den Inhalt des Weg-
gelassenen aussprechen. S. 6, U Bertram fehlen S. 16—29 Bamsler,
ohne weitere Bemerkung: es ist wohl selbstverständlich, dass der An-
fang des folgenden Absatzes: Le conrotmement naiurel de 4i^t edifice
grandiose^ womit le Systeme des grands fiefs gemeiBtistj in Bertrames
Ausgabe unverständlich bleiben muss. Nicnt anders verhält es sieh
S. 8, 31, wo der Schluss des Absatzes X ohne weiteres weggelassen ist,
und Absatz XI mit seinem Mais cetie chance heureuse darauf hinweist.
Der bei Ramsler vorhergehende Satz: Quelle forlune inesp^re'e que la Sub-
stitution du bon et gdnereux Fax ä cet komme hauiain etc, gibt die Er-
klärung dieser chance heureuse. Wir sehen, dass das Bemühen des
Herausgebers, „die Auswahl so zu treffen, dass die aneinandergereihten
längeren oder kür^ren Bruchstücke trotz der aus verschiedenen Gründen
gebotenen Auslassungen den Eindruck des Einheitlichen, in sich Zu-
sammenhängenden machen möchten,^ nicht durchweg gelungen ist.
Die Anmerkungen sind im allgemeinen angemessen, der Herausgeber
sucht mit unrecht in le plus gros de son aimee S. 43, 35/36 und 42, 24/25
etwas Verschiedenes. S. 4, 16/17 de gtterre lasse hätte eine andere Er-
klärung verdient, als die das Wörterbuch in Gestalt einer blossen
Übersetzung unter guerre an einem Orte gibt, wo man sie nicht sucht.
Die erste Auflage von Ramler's Ausgabe taugt nichts, die zweite
wesentlich verbesserte und die Sarrazin's kenne ich nicht, ich lasse
also unentschieden, welcher der drei Ausgaben der Vorzug zuzuerkennen
ist, inbezug auf die Ausstattung der vorliegenden hat die Verlags-
handlung vorzügliches geleistet.
lÜTm 30* Der Herausgeber bestimmt das Buch, das die hervor-
ragenden Männer der römischen Geschichte von Romulus bis auf Au-
gufitus in 25 Kapiteln behandelt, für die Quarta und Untertertia sämtlicher
höherer Lehranstalten; er meint sogar, dass die vier ersten leichten
Biographien sehr gut in d^n letzten Tertial einer Realeehulquinta
184 Referate und Rezensionen. Th, Lion,
gelesen werden könnten. Immerhin muss dafür die Vollendung des
Elementarkursus vorausgesetzt werden, der ja übrigens auch besser
zusammenhängende Lesestücke als Einzelsätze zu Grunde legt; was die
Wahl des Stoffes anlangt, so ist dagegen kein besonderer Einwand zu
erheben, es ist vielmehr als ein Fortschritt zu begrüssen, dass man
dergleichen Gedanken nun nicht mehr mit dem veralteten Rollin zu
verwirklichen sucht. Freilich meine ich, dass unsere Schüler gerade
auf der betreffenden Stufe sonst schon genug von der alten Geschichte
zu hören und zn lesen bekommen , dass man ihnen deshalb r für erste
französische Lektüre, die nicht rein grammatische Zwecke verfolgt,
anderen Inhalt bieten könnte, indessen ist das noch kein Grund, diese
sonst angemessene Auswahl aus Duruy's Peiiie Histoire romaine von der
Hand zu weisen. Sprachliche Bemerkungen hat der Herausgeber in
wohlgelungener Weise dem Wörterbuch einverleibt, die Anmerkungen
sind lediglich kulturgeschichtlichen Inhalts, eine immerhin dankens-
werte Arbeit, wenn auch deren Bestimmung, insbesondere die Möglich-
keit ihrer Verwertung im französischen Unterricht nicht recht ersichtlich
ist (es wird z. B. zu S. 4, 35 eine 15 Zeilen lange Anmerkung über die
Lage des tarpejischen Felsens, die jetzt dort befindlichen Gebäude, die
gegenwärtige Höhe desselben u. dergl. m. gegeben).
Hr, 21* Das Buch enthält einen Abdruck der chapiires L — LIV
der Histoire de France par Victor Duruy: der Herausgeber ist der Mei-
nung, dass sich Voltaire* s Siecle de Louis XIV als Schullektüre nicht
recht habe einbürgern wollen, weil es der Zeit seiner Veröffentlichung
nach nicht auf der Höhe einer objektiven geschichtlichen Darstellung
stehe und stehen konnte. Wenn nun damit auch kein vollwichtiger
Grund für die Verwerfung des Voltaire'schen Werkes als Schullektüre
gegeben ist und die' treffliche Ausgabe Pfundheller's zudem das ihrige
thut, um die geschichtlichen Thatsachen im rechten Lichte erscheinen
zu lassen, so ist es doch immerhin ein guter Gedanke, daneben eine
Darstellung jener bedeutsamen Zeit von einem tüchtigen Geschichts-
forscher der neueren Zeit allgemeiner zugänglich zu machen, und es
ist nur zu billigen, dass die Wahl auf Duruy gefallen, bei dem der
betreffende Abschnitt in einem gerade für Schullektüre angemessenen
Umfange behandelt ist. Die Anmerkungen beschränken sich darauf,
das sachliche Verständnis des Textes den Lesern nahe zu bringen, was
um so eher möglich war, weil der glatte Stil Duruy's sprachliche Be-
merkungen überflüssig macht. Der Herausgeber hat es unterlassen
bestimmt die Schulklasse anzugeben, für die er die betreffende Lektüre
geeignet hält, er spricht sich nur dahin aus, dass es zweckmässig sei,
„wenn die Schüler, ehe sie an das klassische Drama herantreten, die
Zeit, in der es entstanden ist, und die es erklärt, aus einem guten
Geschichts werke näher kennen lernten." In Übereinstimmung damit
möchte ich die betreffende Lektüre der Obersekunda zuweisen.
ÜTm I32* Der Titel Histoire etc. par Mianet ist unberechtigt;
wenn die Einleitung mit den Worten beginnt: „ßer vorliegende Auszug
aus Mignefs Histoire de la rev. fraw^. umfasst das 1. bis 13. Kapitel incl.",
so ist das auch irreführend, indem keineswegs das 1. — 13. Kapitel voll-
ständig abgedruckt sind. Der Herausgeber erklärt auch weiter unten,
dass er alles fortgelassen habe, ,,wa6 nicht unumgänglich nötig schien
und mit Leichtigkeit ausgeschieden werden konnte, ohne dass der doch
wünschenswerte Zusammenhang gestört wurde." Abgesehen davon, dass
S. 10, Zeile 17 f.: On dedda qu*il se rendrait infolge solcher Auslassung
ü nicht einmal grammatische Beziehung hat (es hätte in le roi ver-
ändert werden müssen), wird das für Mignet Charakteristische, die
Schulausgaben, 185
Betrachtungen f die er über die Ereignisse, das Verfahren der einzelnen
Personen anstellt, schlechtweg ausgeschieden; so ist es möglich ge-
worden, dass das erste Kapitel, welches in KoreU's Ausgabe S. 22 — 58
(gr. 8»), in Seedorfs (kl, 8») S. 48—110 umfasst, auf die Seiten 7—20
beschnitten werden konnte. Dass bei solchem Verfahren vom eigent-
lichen Mignet nicht viel mehr bleiben kann, dass Mignet, der, wie sich
aus den verschiedenen Ausgaben ergibt, auf den Wortlaut seines Werkes
so grosse Sorgfalt verwandt hat, solchen Auszug nimmer als sein Eigentum
anerkennen würde, ist selbstverständlich, und auch dem Schüler darf
die Bekanntschaft mit einem doch immerhin bedeutenden Schriftwerke
und Schriftsteller nicht in dieser Weise verkümmert werden. Man gebe
in solchem Falle einen grösseren Abschnitt unverkürzt, oder da sich
dafür schlecht allgemeine Vorschriften machen lassen, deute jede Aus-
lassung im Texte durch Punkte oder Gedankenstriche an: der Schauns-
land*sche Text würde dann freilich wunderlich genug aussehen.
Schaunsland hat bei seiner Ausgabe von Montesquieu, Considera-
tions etc. ein ähnliches Verfahren beobachtet, das sich in dem Falle
jedoch weit eher rechtfertigen Hess, als in dem vorliegenden: dort blieb
immerhin noch genug für den Schriftsteller Charakteristisches übrig,
für Miffnet aber muss ich das in Abrede stellen, und jeder, der eine
Vergleichung des echten Mignet'schen Textes mit dem Schaunsland's
anstellt, wird zu demselben Ergebnis gelangen. In der Einleitung ver-
misse ich die Angabe des Todesjahres Mignet's, von dem Korell in
seiner Ausgabe vou 1877 noch schreibt: „Möge er noch genug Lebens-
und Arbeitskraft besitzen, um das grosse Werk Vhistoire de la reforme
religieuse zu vollenden, an dem er seit vielen Jahren gearbeitet hat!**
Er starb am 24. März 1884. Die Anmerkungen sind im allgemeinen
zweckentsprechend; S. 7 Z. 14 (lies Z. 21): „les gräces, in der Bedeutung,
die das Wort an dieser Stelle hat, nämlich „AJnmut", braucht auch der
Franzose wie der Deutsche nur den Singular." Aber wie geht es denn
zu, dass Mignet, auch ein Franzose, den Plural gebraucht? S. 8, 4/5:
ce jour que mon cceur attendaii tant est enfin arrive; dazu wird bemerkt :
j^ce jour que hier, wie in du moment que, ä pre'sent que, mainienemt que,
de la fagon que, du coie que und ähnlichen Ausdrücken bildet que den
Übergang vom pron. rel. zur conj."^ als ob wir hier nicht einen ganz
gewöhnlichen Relativsatz, der nicht das geringste Aufiällige zeigt, vor
uns hätten! Es ist das eine zu der Stelle an den Haaren herbeigezogene
Anmerkung. Zu S. 8, 25 bemerkt Schaunsland: „/^ bonheur et la pros-
perite bilden im Französischen einen Begriff wie im Deutschen Glück
und Wohlergehen, ohne sich wesentlich von einander zu unterscheiden."
Wollte man eine Bemerkung zu der Zusammenstellung der beiden Aus-
drücke machen, so wäre es viel angemessener gewesen, den Unterschied
der Synonyma hervorzuheben, den ich in Boiste, Dict. univ., so angegeben
finde: le bonheur est Feffet du hasard; la prospe'rite est le succes de la
condition.
Sammlung französiseher und englischer SchriftsteUer fWr den
Schuld und PHvfUgebrauch. Ausgaben Velhagen und
JSlaMng» Prosateurs frani^ais. 70. Lieferung. (Doppelausgabe.)
Ausgabe A. Mit Anmertungen unter dem Text. Bistoire d^ Alexandra
le Grand par Charles Rollin. Mit Anm. z. Schulgebr. herausg. von
Gerhard Franz. 1888. 175 S. kl. 8» kart. 1 M. Wörterbuch
dazu geh. 46 S. 20 Pf. — 71. Lieferung. (Doppelausgabe.) Ausg. A.
Cervantes. Don Quichotte de la Manche traduit par Florian. Im
186 Referate und Bez^nsiomen, Th. Lion,
Ausznge mit Anm. zam Schulgebr. herausgg. von J. Wychgram.
Leipzig, 1888. 164 S. kart. 90 Pf. Wörterb. dazu geh. 64 S. 30 Pf.
Thdätre fran(;a%s, XVI. Folge. 3. Lieferung. Cinna, Tragedie en
üinq acies par Corneille, Mit Anmerkungen zum Schulgebr. herausgg.
Ton S. Waetzoldt. 1887. 105 u. XX S. kart. 50 Pf. Wörterbuch
dazu geh. 12 S. 15 Pf.
Prosatettrs, 70. Lieferung. Über den Wert der Werke des
alten BoUin für 8chullekture vergleiche man £. v. Sallwürk in Bd. I '
dieser Zeitschrifi S. 429 f. über die entsprechende Ausgabe der Weid-
mannschen Sammlung (von Collmann) I, S. 267 f. Die vorliegende Aus*
gäbe gibt den Text mit noch grösseren Kürzungen als sich Collmann
gestattet hatte; die Schule verliert freilich nicht viel dabei, wenn z. B.
der Schlussabsatz des ersten Kapitels bei Collmann, in dem allerlei
ausserordentliche Geschichten von dem Bukephalos des Alexander er^
zählt werden, u. dergl. mehr wegfällt. Es handelt sich in diesem Falle
überhaupt um ein experimeninm in corpore viii, so dass sich gegen die
Art der Textbehandlung kein wesentlicher i Einwand erheben lässt.
Ebenso halten sich die Anmerkungen im Bahmen der für die Prosaieurs
gültigen Vorschrift und sind im allgemeinen zweckentsprechend: auch
hier zeigt sich mehrfach wie überhaupt in den Ausgaben dieser Samm*
lung eine mechanische Behandlung der Grammatik z. B. „S. 77, 2)
encore plus que ne faisaieni, etc, Pleonastisches ne nach vorausgehendem
affirmativem Satz mit Komparativ." S. 50, 3 wird die Regel in einer
anderen (nicht viel) besseren Fassung gegeben. Besser wäre, wie das
ja im Plane der betreffenden Ausgaben liegt, ein Hinweis auf die
Grammatik (Benecke), die allerdings an den betreffenden Stellen auch
nur die Thatsache ohne Angabe einer Erklärung anführt: das kann
ja auch dem Lehrer überlassen bleiben; es ist jedoch sehr fraglich,
ob sich nicht mehr als ein Lehrer beziehungsweise eine Lehrerin des
Französischen die Rechenschaft von diesem ne schuldig geblieben ist.
Ebenso mechanisch ist die Angabe der Regel S. 8, S (vgl. S. 54, 3) zu
pow Im faire declarer etc., sowie S, 80, 2 über du coiS und S. 99, 1
über das zur Einleitung des logischen Subjekts dienende, einem ce
als Korrelat entsprechende que, S. 87, 1 wird die Angabe von S. 14, 3
(traiter de etc.) wiederholt.
Die 71. Lieferung ist ein für Schullektüre, falls solche einmal
beliebt werden sollte, und für die Privatlektüre empfehlenswerter Aus-
zug aus Florian's Übersetzung von Cervantes' Meisterwerk. Da man
doch auf die eine oder andere Weise die Thaten des edlen Ritters von
la Maneha kennen lernen muss, erscheint mir für die Jugend be-
sonders die Bearbeitung Florian's in ihrem leichten gefälligen Stil als
eine vortreffliche Privatlektüre: die Anmerkungen sind nament-
lich in dieser Hinsicht wohl geeignet, ihren Zweck zu erfüllen, sonst
dürften die lexikalischen Angaben etwas sparsamer sein; z. B. »112, 4:
daianer faire geh, etwas zu thun geruhen" ist eine namentlich unter
Beigabe des Wörterbuches überflüssige Anmerkuug. Dass der Text
durch deutsche Inhaltsangaben unterbrochen wird, die zudem nicht
sonderlich gelungen sind, weil sie dem Leser einen wenig befriedigenden
Eindruck hinterlassen, wird manchem nicht sonderlich gefallen.
I Wsetzoldt's Ausgabe von Corneille* s Cinna ist als Schulausgabe
leidlich verwendbar, die Anmerkungen geben im allgemeinen das zum
Verständnis des Inhalts Notwendige. Die Ausgabe Strehlke's ist
ausgiebig, jedoch mit Selbständigkeit benutzt; auch von Gernzez
sind manche Anmerkungen übernommen, sowie von Voltaire, an
deren Angemesaenheit hin und wieder Zweifel rege werden kann;
z. B. 1, 11, 6: £iU a povr la biämer une trop ßisie canxe. Elle a p/>ur
la bläme?' ne presenie pas ttn sens nel, Elle sd rapporie ä loi, ei
pour la biämer sigmfie pour qu'on la hUtme (Geruzez)." Geruzez ist
imstande, die Stelle richtig zu erklären, und doch behauptet er, dass
sie keinen kl0.ren Sinn biete, nur deshalb, weil der beschränkte
grammatische Formalismus es nicht zulassen möchte» dem Infinitiv ein
unbestimmtes Subjekt zuzuerkennen. An dieser Stelle hätte die ein-
fache Bemerkung genügt: „Das logische Subjekt des Infinitivs biämer
ist ein unbestimmtes: man.^ Sonst ist mir Folgendes aufgefallen.
S. 14, 11: Das Substv le massacre (deutsch Metzger) wird' mit Bezug
auf ein einzelnes Opfer nur fig. gebraucht ss: Verhunzung.^ Strehlke
bemerkte zu Vers 11: „Das Verbum [massacrer] (nicht das Substantiv)
kann auch in Beziehung auf einen einzelnen gebraucht werden.*^ Bei-
läufig waren die eingeklammerten Worte bei Strehlke zur Erklärung
der Stelle überflüssig, sie haben die Anmerkung Wsetzoldt's, die sich
dazu in einen Gegensatz stellt, hervorgerufen, diese musste indessen
nun auch des näheren begründet werden. Zu Vers 87 bemerkt Waetzoldt:
„Die folgenden Verse sind sehr geschraubt; der Sinn ist: 'Zu grausam
ist ein Herz, das einer Liebe sich freut, deren Wonne Thränen ver*
bittern, und der Tod eines Feindes, der zugleich den Freund uns ent-
reisst, ist ein brennender Schmerz (statt einer Genugthuung).* *^ Strehlke
hatte sich mit der Anmerkung begnügt : „87— 40. Ein wenig bedeutender
Gedanke, der mit vielem Pathos hier ausgedrückt ist: Es Eegt zu grosse
Grausamkeit darin, wenn man den Tod eines Feindes mit dem eines
Freundes erkaufen will/ Der Hauptgedanke ist darin richtig wieder-
gei^eben« ebenso wie in den Worten Wsetzoldt's: und der Tod eines
Feindes u, s. w. Aber Strehlke hat die Schwierigkeit umgangen und
WsBtzoldt die Stejle meiner Ansicht nach falsch aufgefasst. Die
Herzensgrausamkeit der Liebenden kann sich doch nicht in der Freude
an ihrer Liebe bethätigen, sondern nur in der Freude an ihrer Bache,
der es nicht darauf ankommt, auch den Geliebten zu vernichten. Eine
erläuternde Übersetzung der Stelle wird meifie Auffassung derselben
klar machen: Zu grausam ist ein Herz, wenn es Beiz findet an der
Süssigkeit (die Bache ist süss, also an einer Bache), welche durch die
Bitterkeit der (um den Geliebten vergossenen) Thränen vergällt wird.
— In Vers 42: EsUil pe?-te ä ce prix qui ne semble legere? lassen
Strehlke und Wsetzold ä ce prix von legere abhängen. Man ver-
gleiche I, II, 61 (Vers 118): Foire emour ä ce prix rCest qu*un preseni
Tuneste und man wird um so eher geneigt sein, die viel ungezwungenere
Verbindung perle ä ce prix „ein Verderben, aus dem solcher Preis
sichergibt'' nicht zu zerstören. S. 17, 23: „Für ä celui qui kann auch
in Prosa ä qui gesetzt werden, wenn celui qui = quiconque. Vergl.
„31 pour qui^ Dazu vgl. S. 20, 78: „qui hier ^ quiconque.^ Daraus
wäre zu entnehmen, dass etwa ein ä quiconque unzulässig sein würde.
Qui entspricht unserem deutschen Relativpronomen wer, und der
Relativsatz gilt einem Substantiv gleich: damit ist meines Erachtene
der so häufige Sprachgebrauch, der bei Corneille kaum noch einer Er-
läaterung bedarf, hinlänglich klargestellt. S. 25, 111: j^arricide ur-
sprünglich nur Vatermörder." Schon der altklassische Gebrauch des
lateinischen parridda steht dem entgegen, es lässt sich also das „ur-
sprünglich" nicht rechtfertigen. S. 29, 54: rX^^ "wxvdi von Corneille
noch im positiven Sinne = quelque chose gebraucht." Ebenso bemerkt
Strehlke zu Vers 333: „rien etwas = quelqfie chose ist bei Corneille
häufig und kommt auch noch bei Bacine vereinzelt vor/ Ich sehe
188 Referate und Rezensionen, E. v. Saüwürk,
nicht ein, warnm nicht auch nach heutigem Sprachgebrauche zum
Ausdruck unseres deutschen etwas rien in dem Verse 338 stehen
müsste. Der Vers lautet: iV<? crains pas qu* apres toi rien ici me retienne.
Über den heutigen Sprachgebrauch vergleiche man Lücking, Franz.
Gr, f. d. Schulgdn-ailch S. 197 § 320. — Zu Vers 466 ff. hatte Strehlke
bemerkt: „Der etwas geschraubte Gedanke ist folgender: Nach Cinna's
Ansicht wird durch die höchste Tugend der Ruhm geschändet; sie
muss daher nur ein Gegenstand unserer Verachtung werden, wenn die
Schande der Preis ihrer vollsten Bethätigung ist." S. 36, 114 (II, I)
bemerkt dagegen Waetzoldt: „Der Sinn dieser geschraubten Phrasen
ist dieser: Cinna glaubt, dass des Augustus Ruhm geschändet werde
durch das, was für Maxime höchste Tugend ist: Das patriotische Ver-
zichtleisten auf die Alleinherrschaft zu Gunsten der Republik. Dann
also ist diese gloire verächtlich, denn nur um den Preis der Schande
kann sie sich voll bethätigen." Die beiden Erklärungen würden dann
mit einander übereinstimmen, wenn Waetzoldt vertu an der Stelle von
gloire geschrieben hätte ; er aber bezieht Vers 467 und somit auch ses
in Vers 468 Viui gloire: Dann gibt freilich Vers 468: „wenn die Schande
der Preis der vollen Bethätigung des Ruhmes ist'' so gut wie gar
keinen Sinn. Wird jedoch die Schande der Preis der vollen Bethätigung
der höchsten Tugend genannt, so lässt sich damit in dem gegebenen
Zusammenhange wohl ein Sinn verbinden ; daraus folgt denn mit Not-
wendigkeit, dass das objet digne de nos me'pris nur la haute vertu sein
kann, dass wir somit bei Strehlke's Erklärung stehen bleiben müssen.
— S. 38, II, I, 144 (Vers 498) „nous avons pu hier = nous aurions pu^
ist keine Erklärung: es ist hier an den entsprechenden lateinischen
Sprachgebrauch zu erinnern und dessen von der deutschen verschiedene
Anschauungsweise zu erörtern. Q, Xh. LiON. •
Walter, Max, J)er französische Klassenunterricht. I. Unterstufe.
Entwurf eines Lehrplans. Marburg, 1888. Elwert. IV, 77 S.
Der Verfasser hat nach einem von zusammenhängenden Texten
ausgehenden und auf phonetische Übungen gegründeten Lehrplan in
der Kasseler Realschule unterrichtet und will seine Versuche nun am
Realgymnasium in Wiesbaden fortsetzen. Wie er seinen Unterricht in
Quinta und Quarta der letztgenannten Anstalt gestalten will, darüber
berichtet die uns vorliegende Schrift. Sie ist nebst Klinghardt's gleich-
zeitig erschienenem Buch Ein Jahr Erfahrungen mit der neuen Methode.
Bericht über den Unterricht mit einer englischen Anfänge^'klasse (ebendas.
1888) und Walter's Aufsätzen Über den Anfangsunterricht im Englischen
in Victor 's Phonetischen Studien (1, 1 und 2) das Bedeutendste, was
die sogenannte Reformlitteratur in den letzten Jahren hervorgebracht
hat. Die genannten Schriften werden, wenn wir uns nicht ganz täuschen,
nicht blos der Reform des neusprachlichen Unterrichts neue Bekenner
zuführen, sondern, was wir beinahe noch für wichtiger halten möchten,
die verschiedenen Abschattungen der neusprachlichen Unterrichtsreform
einander näher bringen und in ihrer praktischen Thätigkeit bestärken
und fördern.
Die sprachunterrichtliche Reform ist mit grosser Lebhaftigkeit
ins Feld gerückt. Sie hat mehr Feinde vor sich zu sehen geglaubt,
als ihr nachher entgegengetreten sind; denn sie gedachte im Anfang
mit allem alten Zopf und aller Ungebühr, in welcher Art von Schulen
sie sich finden mochte, es aufzunehmen. Man hat sogar die schlimme
M. Walter, Der französische Klassenunierricht. 189
Überbürdung aus dem Felde schlagen und die klassische Philologie
aus ihrem ererbten Besitz verjagen wollen. Mit der Zeit hat man auf
dem eigensten Gebiete Arbeit genug gefunden, und was eben an den
angezogenen Lehrberichten Walter^s und Klinghardt's so äusserst an-
genehm berührt, ist die Ruhe und Behutsamkeit der bis ins Kleinste
gehenden Arbeit und die völlige Abwesenheit von polemischen Neben-
absichten und unklaren Übertreibungen. Die Reform will sich jetzt
nicht mehr einen Standpunkt erobern; sie legt die ersten Proben ihrer
Arbeit vor. Dass dies mit ganzer Aufrichtigkeit geschehen sei, darüber
kann kein Zweifel bestehen.
Walter beginnt seinen Unterricht mit kleinen Gedichten
(aus Kühn's Lesebuch), Die Worte werden vorgesprochen; die Schüler
wiederholen sie im Chor und einzeln. Dann wird jedes Wort in seine
Laute zerlegt und diese in einer Lautschrifttafel nachgesncht, später-
hin das Ganze in Lautschrift an die Wandtafel geschrieben. Zuvor
aber erhält der Schüler die wörtliche Übersetzung. Dass sich
an die Einübung des Lesestücks, für welches im Anfang die häusliche
Arbeit des Schülers nicht in Anspruch genommen wird, Laut Übungen
der mannichfachsten Art anschliessen, ist selbstverständlich. Man wird
gegen diese Art, den Unterricht einzuleiten, höchstens von dem Stand-
punkte aus Bedenken haben können, welcher das Einlernen von je suis,
tu es, ü est für systematische Denkarbeit hält. Auch gegen die Texte,
welche Walter benützt, kann nichts eingewendet werden. Klinghardt
benutzt fürs Englische die sehr zweckmässigen Texte des Sweet*8chen
Elementarbuches; ähnlich passende liegen fürs Französische nicht vor.
Dass aber mit zusammenhängenden Texten und nicht mit blossen
phonetischen Übungen begonnen wird, halten wir für einen grossen
Vorzug des Walter'schen Lehrplans. Der Schreiber dieser Zeilen hat
sich überzeugt, dass in unteren Klassen das Interesse der Schüler
durch phonetische Belehrungen oder Übungen nicht gefesselt werden
kann. Das möchte fürs Englische, das später beginnt und grössere
phonetische Schwierigkeiten bietet, anders sein und Klinghardt lässt
in der That zusammenhängende Texte erst später eintreten; aber es
scheint uns, dass der glücklicherweise nun anerkannte Grundsatz, dass
der Unterricht in fremden Sprachen nicht mit Formen, sondern mit
Dingen zu beginnen habe, gebieterisch verlange, dass nicht Laute,
die eben auch nur Formen sind, den ersten Gegenstand dieses Unter-
richts bilden. Da nun von einem Anhänger der direkten Methode
selbst der zusammenhängende Text zum Ausgangspunkt des Unterrichts
gemacht wird, so dürfen diejenigen, welche, wie der Unterzeichnete,
bei aller Wertschätzung unserer trefflich ausgearbeiteten neusprach-
lichen Phonetik die phonetischen Vorkurse glauben ablehnen zu müssen,
in solchen nicht mehr ein wesentliches Merkmal der direkten Methode
ansehen, das sie gegen dieselbe misstrauisch machen könnte. — Das
nächste Gedicht gibt dem Verfasser Anlass zur Einübung der fran-
zösischen Zahlen; später werden die Wochentage in ähnlicher Weise
eingelernt und nach und nach der ganze Anschauungskreis des
Schülers in der fremden Sprache durchgearbeitet. Dies ge-
schieht schon mit Benützung der französisch gestellten Frage, sodass
neben die Lautübung gleich die Sprechübung tritt. Der Verfasser
hat also Unrecht, wenn er (S. 14) behauptet, dass die ersten Wochen
„nur der lautlichen Schulung gewidmet seien.'' Gerade das Durch-
sprechen der Texte gehört zu den Vorzügen des Walter^schen Lehr-
planes. Mit der (historischen) Orthographie werden die Schüler
„nach einigen Wochen" bekannt gemacht; auch das ist früher erhobenet)
IdO Referate und Rezensionen, A. Mager,
Forderungen gegenüber eine grosse Mässigung. Der Referent, welcher
von der Lautschrift von Anfang an einen viel beschränkteren Gebranch
macht, hält seinerseits daranf, dass die ersten Texte bei geschlossenem
Buche erklärt und eingeübt werden ; später, wenn die Schüler die Texte
selbst lesen, lässt er nicht gleich übersetzen, sondern den Sinn der
Stelle in fremder Sprache erfragen, sodass sich die Übersetzung nie
unmittelbar an einen gelesenen Text anschliesst. Er glaubt damit zu
erreichen, dass das Lesen sich bessert, weil der Schüler dureh den
Gedanken an die demnächst zu leistende Übersetzung in seiner Auf-
merksamkeit nicht gestört wird, und dass Ohr und Mundorgane durch
das fortwährende Übergehen von einer Sprache in die andere nicht
indifferent werden. Wenn sich bei vorgerückteren Schülern aus dem
Lesen und dem Erfragen ergibt, dass die Stelle verstanden ist, hält er
es für überflüssig zu übersetzen, wodurch die Lektüre einen lebhafteren
Gang erhält. Er würde daher auch gegen diesen Teil des Walter*8chen
Planes keine Einsprache erheben. — Phonetische Umschriften
haben den Vorteil, dass man den Schülern auch das Lautliche zum
Gegenstand ihrer hänslichen Aufmerksamkeit machen kann. Wir
glauben indessen, dass für den Anfang, um den es sich ja hier nur
handelt, die häuslichen Arbeiten fast ganz wegfallen können. — An
schriftlichen Arbeiten bietet Walter Diktate, Niederschreiben er-
klärter Texte aus dem Gedächtnisse, Beantwortung von französisch
gestellten Fragen in französischer Sprache, Umformung von Lesestücken,
Nacherzählen mündlich mitgeteilter Stoffe, Zusammenstellen und Bilden
grammatischer Formen u. s. w. Das grammatische Extemporale
und das Übersetzen aus dem Deutschen kommt nicht vor. Dass beide
im Anfangsunterricht für Schüler uud Lehrer eine ziemlich nutzlose
Plage sind, ist des Referenten alte Erfahrung. Späterhin möchte er
das Übersetzen in der fremden Sprache nicht entbehren.^) Es kommt
doch darauf an, die durchgreifende und gesetzmässige Verschiedenheit
der Sprachen in der Abscheidung der Begriffskreise gegen einander
und in der Verwendung der formalen Mittel klar zu erkennen; denn
das kennzeichnet eben, was wir sprachliche Bildung heissen, im
Gegensatz zur sprachlichen Fertigkeit, welche auch der Ungebildete
im Umgang mit Fremdsprechenden, freilich immer in beschränktem
Umfange, sich aneignen kann. Diesem Zwecke dienen aber am besten
Übersetzungen aus dem Deutschen in die fremde Sprache. Zu fürchten
ist ja nicht, dass solche Übungen wieder wie ehedem und teilweise
noch im altsprachlichen Unterricht als eigentlicher Unterrichtsaweok
angesehen werden könnten. — Eines besonderen Vokabellernens
wird es bei analytischer Durcharbeitung der Lesestüeke kaum bedürfen,
und das ist ein wesentlicher Vorteil der neuen Methode unseres Sprach-
unterrichts, der aber nur festgehalten werden kann, wenn zusammen-
hängende Texte ihm zu Grunde gelegt werdet). Das Einprägen der
Vokabeln ist bei d«n Synthetikern ebenso unerlässlich, wie es als eine
fruchtlose Arbeit den Schüler drückt und missmutig macht. Das Ge-
dächtnis hält nur gut Verbundenes fest, und dieser alte Unterricht
hatte alles grundsätzlich auseinandergerissen und des geistigen Zu-
sammenhangs beraubt. Daher ist es richtig, wenn Walter (wie Kling-
hardt) unbekannte oder vergessene Wörter durch Erinnerung an den
Zusammenhang, in welchem sie zum ersten Male vorkamen, dem
*) Aus einer Bemerkung auf S. 71 und au« S. 74 geht hervor,
dass auch Walter Übersetzungen aus dem Deutschen nur für den An-
fangsunterrieht missbilligt.
B. Druan, Les grands ecHvains franK^ais. Nouv&llei leciures etc. 191
Sohüler nahe bringt (S. 22). Beim ersten Vorkonmien benütst Walter
aaeh etymologische (Hilfen. — Nach all* den einschränkenden Be-
dingungen« unter welchen Walters Lehrplan die direkte Methode zuy
Anwendung bringt, werden wir es billigen, dass er die Hilfe der Mutter-
sprache, sobald es irgend möglich ist, nicht mehr in Anspruch nimmt.
Für den psychologischen Fehler, welcher in der Benennung der
„direkten" oder „natürlichen*' Methode liegt, ist Felix Franke yerant-
wortliek. Wir haben hier um so weniger Veranlassung, auf diesen
Punkt näher einzugehen, da man in diesem Namen nur noch das Feld-
geschrei einer mutigen und jugendlichen Schar erkennen kann, welche
sich jetzt zu ruhiger und gedeihlicher Arbeit gewendet hat.
Der grammatische Stoff wird auf induktivem Wege gewannen.
In dem darüber handelnden Abschnitte der Walter'schen Schrift ist
alles klar und didaktisch richtig. Wir übergehen aber diesen Teil,
weil der Verfasser sich hier aus äusseren Gründen an einen an seine
Methode sich nicht anschliessenden Lehrplan halten musste.
Wir haben der Fortsetzung dieses Lehrplanes durch Kühn ent-
gegenzusehen^) und zweifeln nicht, dass der Erfolg dieses ersten Schrittes
die Fortsetzung der Mühe wert erseheinen lassen werde*
E. V. Sallwü&k.
TrMaUy Henri, £es grtmds ^criuains fran^ais'. NouveWis leciures
MmmenUes en fran^ais et en langues etrangeres, aUemand,
anglais, etc. Deuzi^me ^ition des äcoles. raris, o. J. P.
Monnerat. 708 S. 8» Preis:
Einen übersichtlichen Blick über Frankreichs Sprache und litteratur
und eine historische Darstellung der nationalen Entwickelung des fran-
zösischen Volkes will Truan in diesem Buche geben, und er hat dieses
Ziel auch vollkommen erreicht. Indem er den hervorragendsten Schrift-
stellern das Beste entlehnt und inhaltlich in chronologischer Eleihenfolge
zu einem Ganzen zusammengestellfc hat, können wir zwei Teile innter-
scheiden: den historischen und den litterarisehen. In dem ersteren, dem
bei weitem grösseren, wird der Leser mit dem kampfesmutigen Gallier,
seinen Kämpfen mit Cäsar, seinen Sitten und Gebräuchen bekannt. Eine
französische Übersetzung eines Auszuges des Bolandsliedes, die Kämpfe
zwischen England und Frankreich, die Beteiligung der französischeA
Bitterschaffc an den Kreuzzügen, Charakterzüge Ludwig's XI., Franz 1.,
Heinrich IV., Ludwig's XIV. etc. bieten nicht allein eine angenehme,
sondern autsh höchst lehrreiche Lektüre.
Der zweite Teil umftisst die ffrands eerwains des XVII. .lahr-
hnnderts. Descartes, Corneille, Pascal, Scarron, Moli^re, La Fontaine;
Boileau, La Rochefoucauld etc. sind kurz und treffend skizziert und Au»-
Züge ans ihren hauptsächlichsten Werken angegeben. Dais XVIII. Jahr-
hundert ist nur durch Le Sage und M^oatesquieu vertteten. Dichter
unseres Jahrhunderts haben in diesem Teile keinen Piate gefunden, und
Truan sagt in der Vorrede: Quand U ^ugü des contempetaiHs, notre
jugemerU n*est pas encore assez sür pour qne nous puisskms nous rendre
compte absolument du verdict de la posterite!
1) Dieselbe ist seitdem erschienen unter dem Titel : Entwurf eines
Lehrplans für den französischen ünterriehi am Realgymnasium. 11. Mittel-
und Oberstufe. Marburg, 1889. Elwert. IV, 55 S. Preis: 1 Mk.
192 Refer, u, Ret. A. Mager, ff. Tr%utn, Les grands ecrivains frangais.
Eine grosse Anzahl von Bemerkungen begleiten den Text und
suchen nach allen Richtungen hin das Verständnis zu fördern. Ausser
den historischen, geographischen, naturhistorischen und litterarischen Er-
klärungen nehmen die etymologischen Bemerkungen eine hervorragende
Stellung ein, nicht allein durch ihren wissenschaftlichen Wert, sondern,
weil sie auch da«i Bestreben des Herausgebers zeigen, bisher dunkle, un-
sichere Wörter zu erklären: Gavlois et Celie ne aont qu'un seul et mime
mot. En gaelique koüie signifie forit; les Celtes itaieni les hommes des
foriis. Etuv-mSmes pronongaieni leur nom Gadhel ou Gaidhel, ei par
cofitraction, Gail, Gal, Gaü, Gaul; en grec KaU ou Kelte, ei Gailus en
laiin. Die etymologischen Erklärungen sind zu Anfang und zu Ende des
Buches sehr häufig, während auf manchen Seiten in der Mitte eine Er-
lahmung zu bemerken ist, denn hier kommen ebenso interessa-nte Wörter
vor wie dort. Der Rezensent will nicht leugnen, dass die Etymologien
für die Schule bis zu einem gewissen Grade vorteilhaft sind, indem sie
den Verstand der Schüler schärfen, einen Einblick in den Bau, in die
Entwickelung der Sprache gewähren. Aber nur bis zu einem gewissen
Grade sind sie verständlich ! Wenn nicht nur lateinische und griechische
Wörter, sondern auch Sanskrit, Althochdeutsch, Angelsächsisch etc. heran-
gezogen werden, so müssen wir derartige sprachliche Untersuchungen
mit Vorsicht aufnehmen, denn der Schüler ist zu schwach dazu, der
angehende Lehramtskandidat hat andere Hilfsmittel zur Verfügung, um
seine etymologischen Kenntnisse zu erweitern.
Nicht allein Franzosen, auch Deutsche und Engländer sollen dieses
Buch als willkommene Lektüre benützen. Zu diesem Behufe gibt der
Herausgeber eine grosse Anzahl von deutschen und englischen Be-
deutungen an, die *das Verständnis erleichtern sollen. Manche dieser
deutschen und englischen Vokabeln halte ich für überflüssig, da man
von einem Leser dieses Buches voraussetzen muss, dass er mit der fran-
zösischen Sprache so vertraut ist, um zu übersetzen und zu verstehen:
monsire Ungeheuer, hestiaux Vieh, dedaigneux verachtend, farouche wild,
etc. Dies gilt auch für das Englische.
Ungemein störend wirken bei der Lektüre die Ziffern und Klammern
der unten stehenden Erklärungen und Übersetzungen. Stellen wie : mais
setdement au par ^[7(" de PiMers, et la foudroyanie ^[^(^ occupaient,
le regan'd farouche 2 [6 (8 ßf mena^ent, etc. etc. bilden wahre Hindemisse
für den lesenden Schüler. Besser wäre es gewesen, den Text nach Zeilen
abzuteilen und die Bemerkungen nach der Anzahl der Zeilen anzubringen,
wie auch die übersetzten Stellen durch ein im Anhang befindliches
deutsches und englisches Wörterverzeichnis nicht nur verringert, sondern
auch übersichtlicher hätten angebracht werden können.
Druckfehler fand ich : S. 8 dans le Gaule, S. 27 [^ aufgesöst.
Der vorzüglich zusammengestellte Text mit seinen sachlichen Er-
klärungen macht dieses Buch nicht allein den Schüler- und Lehrerkreiseu
empfehlenswert, sondern wird auch wegen seiner etymologischen und
litterarischen Bemerkungen, die dem Fortschritte der Wissenschaft an-
gepasst sind, den Kreisen grosse Dienste leisten, welche wissenschaftlich
gebildete Lehrer der französischen Sprache werden wollen, sobald sie
sich einer kurzen Wiederholung ihrer etymologischen Studien zu unter-
ziehen beabsichtigen. A. Mager.
Referate und Rezensionen.
Levertin, Oskar, Studier öfver fars och farslfrer i Franknke
mellan Renaissance och Molih'e. Akademisk afbandling.
Upsala, 1888. Akademiska boktryckeriet (Edv. Berling).
176 S. 8^
Den Versuch, eine Geschichte der Farces nnd Farceurs in
Frankreich zwischen der Renaissance und Moli^re zu schreiben,
wird man im Vorhinein als ein verdienstliches Beginnen begrtissen
müssen; nun wird man aber seine helle Freude daran haben,
wenn man wahrnimmt, mit welchem ernsten Fleisse, mit welcher
peinlichen Gewissenhaftigkeit, mit welcher vollkommenen Be-
herrschung der Quellen und der gesamten einschlägigen Litteratur
Oskar Levertin dies gethan hat. Das Buch macht der schwedischen
Wissenschaftlicbkeit alle Ehre. Einen äusserst wohlthuenden
Eindruck bewirkt auch die Anspruchslosigkeit, mit welcher der
Verfasser sein Buch einführt und mit der er zuweilen die Er-
gebnisse mühevoller Forschung ohne die übliche Gala gelehrter
Polemik in einer unscheinbaren Fussnote unterbringt. Er ver-
schmäht sogar den Luxus einer Vorrede; am Schlüsse des Buches
erst bezeichnet er seine Schrift bescheiden als einen Versuch,
den durch die reiche komische französische Litteratur der voran-
gegangenen Zeit zu Moliöre emporsteigenden Weg zu verfolgen,
und wenn auch diese rauhe, steile und mühsame Wanderung
weniger an und für sich als mit Hinblick auf das herrliche
Endziel anlocke, so übe es auf den Litteraturhistoriker dennoch
einen mächtigen Reiz, dem Dichter beim Schaffen über die
Schulter zu sehen und nach den teils verborgenen, teils ver-
schütteten Kanälen zu suchen, durch die ein Teil des grossen
Reichtums hineinströmte. Wir haben nun, wie wir schon an-
gedeutet, den Eindruck, als ob dies dem Verfasser vortrefflich
Zschr. f. tn. Spr. n. Litt. XK ^3
194 Referate und Rezensionen. J. Frank,
gelungen sei, und meinen, den Lesern der Zeitschrift nicht
unwillkommen zu sein, wenn wir sie, besonders aber jene,
denen der schwedische Text Schwierigkeiten machen könnte,
mit dem Hauptinhalte des Buches bekannt machen. Es liegt uns
dabei selbstverständlich ferne, dadurch das Studium des Buches
ersetzen zu wollen; wir wollen dem Bedürfnis der wissenschaft-
lichen Halbwelt, kondensierte Litteraturgeschichte in der sprich-
wörtlichen Nussschale einzunehmen, nicht dienen, und mit Recht
sagte man, die Lektüre eines Buches, aus dem man einen Aus-
zug machen könne, dürfe man sich noch mehr abkürzen, indem
man es gar nicht lese. Wir wollen nur, wie bemerkt, denjenigen,
denen das Werk wegen seiner Sprache unzugänglich ist, den
wertvollen Inhalt nicht ganz verloren gehen lassen, die anderen
aber von dem Reichtume des darin aufgespeicherten Materials
überzeugen; es wird uns letzteres aber kaum ganz gelingen, weil
wir die vielen Belegstellen und Beispiele, die erst recht die
Emsigkeit des Autors hervortreten zu lassen geeignet sind, hier
kaum auch nur andeuten können.
Die Abhandlung gliedert sich in folgende Teile: L Ein-
leitung: Die Farce im Mittelalter. U. Die Farcen zwischen der
Renaissance und Moli^re, a) die letzten Farceproduktionen, b) die
Renaissanceästhetik und die Farcen, c) Farcereminiszenzen in
den Lustspielen. HL Die Farceurs zwischen der Renaissance
und Moli^re, a) die ersten Komiker des französischen Theaters,
b) die Gassenfarceurs.
L Der Ursprung des französischen Lustspiels ist viel
dunkler als der der französischen Mysterien. Adam de la Halle
nimmt in der älteren Zeit eine ebenso hervorragende als ver-
einzelte Stellung ein. Die beissende Satire und das Gemisch
von bunter Phantastik und Selbstpersiflage in seinem Jeu d'Adara
ou de la FeuilUe gemahnen ebenso an die Stücke des Aristo-
phanes, wie an Shakespeare^s Sommemachtstraum ; sein Jeu de
Rohin et Marion wurde mit Recht als die älteste französische
Oper bezeichnet und behandelt einen besonders in Arras (wo
beide Stücke aufgeführt wurden), aber auch anderswo von alters-
her sehr volkstümlichen und viel benützten Stoff mit grosser Frische
und Lebendigkeit. Nach Adam (also mit dem Ende des 13. Jahr-
hunderts) gähnt uns bis ins 15. Jahrhundert eine Lücke ent-
gegen, die aber höchst wahrscheinlich nicht so sehr auf die
Sterilität der Epoche, als auf viele Verluste zurükzufUhren sein
dürfte. Beruht doch unsere ganze Kenntnis des älteren fran-
zösischen komischen Theaters fast ausschliesslich auf dem glück-
lichen Zufalle, dass 1845 auf einem Dachboden in einer deutschen
Kleinstadt eine Hauptquelle zu Tage gefordert wurde! Vorhanden
0. Levertin, Studier öfver fars och farsörer i Frankrike etc. 195
aber ist aus der Zeit zwischen Philipp dem Kühnen und Karl VII.
allerdings nur die kleine Farce Du Gargon et de VAveugle (zwischen
1266 und 1290), die in ihrer Art, körperliche Gebrechen als
komischen Stoff gut zu finden, in späterer Zeit viel^ch nachgeahmt
wurde. Die BasocMens, diese klassischen Darsteller der caitse
grosse und der Farcen dürften ihre Wirksamkeit um 1350 be-
gonnen haben, und die sichere Nachricht von einer Vorstellung
der Enfants sans Soulcy in Ronen aus dem Jahre 1385 beweist,
dass auch in der Provinz im 14. Jahrhundert die komische Bühne
nicht ganz feierte und dass manches nunmehr abhanden gekommene
komische- Btihnenprodukt aus dieser Zeit Stoff für spätere
verwandte Dichtungen geboten haben dürfte. Von der ersten
Hälfte des 15. Jahrhunderts aber datiert ein Aufschwung und ein
nunmehr ununterbrochener Fortgang des komischen Theaters. Die
Organisation von besonderen Vereinen für heitere Aufführungen
auch in vielen Provinzstädten beweist dies ebenso sehr, als der
Umstand, dass die Farcen die bis dahin fast ausschliesslich
herrschenden, das Bedürfnis des Volkes nach kurzweiliger Er-
heiterung aber nicht befriedigenden Mysterien zuerst in der Form
einer komischen Einlage zu durchbrechen beginnen, so dass der
Lustigmacher in den Mysterien des 15. Jahrhunderts als stehende
Person zu finden ist. Aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind
auch eine Reihe meisterhafter Farcen auf uns gekommen.
Charakteristisch für dieselben ist die recht unbeholfene Technik,
ihre Kürze, das schwache Zeitkolorit, der achtfüssige Vers mit
regelmässig abwechselnden Reimen, die Lebhaftigkeit und Schlag-
fertigkeit des mit Sprichwörtern und volkstümlichen Redensarten
gesättigten Dialoges, die zu geringe Umschreibung des Obszönen,
was allerdings weniger verletzt, als versöhnt, da es in seiner Ver-
schleierung noch unzüchtiger als die Nacktheit selbst ist. Man hat
diejenigen dieser Farcen, die schlüpfrige Stoffe mit spitzfindiger
Kasuistik und dem Aufgebote der ganzen lateinischen juristischen
Terminologie behandeln, als dem Kreise der BasochienSf die sich
um Prüfungsangelegenheiten drehen, dem der Studenten und die
unbedeutendsten und rohesten derselben dem der Taschenspieler
entstammend erkennen wollen; doch ist für uns die Pointe ihrer
auf bestimmte Klassenverhältnisse gerichteten Anspielungen nicht
selten dunkel; manche streifen auch hart an das Gebiet der
Moralitis und Sotties und ausser Andr6 de la Vigne, Gringoire,
Roger de la OoUerye und wenigen Namen der Verfasser von
Monologues (ist ja sogar der Autor des Patelin nicht sicher zu
ermitteln!), haben wir es fast nur mit anonymen Werken zu thun.
Die Stoffe, welche die Farcen mit Vorliebe behandeln, lassen sich
bei der sprunghaften und losen Art der letzteren schwer angeben.
13*
196 Referate und Rezensionen. J. Frank,
Im allgemeinen haben die Fabhaux, deren Abblühen mit dem
Aufblühen der Farce ziemlich zusammenfällt, der letzteren ein
reiches Erbe hinterlassen; aber auch andere Fabelschätze (wie
der indische Hitopadesa- und Sindabadkreis) und die orientalischen
Sagenkreise haben die Kosten für die Vorwürfe dieser Farcen
bestreiten müssen (die zahlreichen sehr instruktiven Beispiele
hierfür muss man bei Levertin nachlesen). Besonders innig
scheinen sich die komischen Monologues an die alten Fableattx
anzulehnen und die gleichen Typen zu enthalten: den gewissen-
losen, sinnlichen Pfaffen, den täppischen, von allen maltraitierten,
von niemandem bemitleideten Ehemann (der sich einmal * einreden
lässt, er sei ein Kalb, ein andermal, er sei tot), das lügnerische,
keifende Eheweib ohne jede sittliche Fährte (das übrigens mehr
auf eine orientalische Vorstellung zurückzuführen sein dürfte).
Aber diese Farcen weisen allerdings einen viel grösseren Reichtum
von Charaktergestalten auf, als die Fableaux, sie haben den ganzen
Kreis der adligen und bürgerlichen Gesellschaft des Mittelalters
in den Bereich ihrer Darstellung gezogen und mit mehr oder
minder individuellen Zügen ausgestattet; in ganz ausgezeichneter
Weise aber haben sie in dem pfennigfuchserischen Bauem-
advokaten Patelin eine unvergängliche Verkörperung von Prozess-
sucht und rabulistischer Findigkeit geschaffen, eine Figur, in der
sich gewissermassen der ganze unversiegbare „Humor der Basoche
krystallisierte." Der Hauptvorzug dieser Stücke liegt in der
noch nicht im Manierismus und Eklektizismus aufgegangenen . Ur-
verstände, der Naivität des sicher und unbewnsst schaffenden
Volkshumors, der gerade („Geist geistet, wo er will") in den
niedrigsten Volksschichten waltet. Die Stärke der Wirkung leidet
nicht darunter, dass die Witze derb, die Spässe grobdrähtig sind
und dass man in ihnen niemals der gemeinen Erdenschwere des
alltäglichsten Pfahl bürgertums entflieht. Spuren zarterer idealer
Regungen begegnen wir nur in der in den politischen Farcen
immer wiederkehrenden Sehnsucht nach der milden Regierung
Astraea's, in der überall Friede, Glück und Überfluss herrschen
wird: Jacques Bonhomme, der vergeblich auf Roger Bontemps
wartet.
IIa. In dieser Periode tritt das religiöse Element in den
Vordergrund. Wennschon auch in der Dichtung des Mittelalters
der Geistliche gern zum Stichblatte des Spottes genommen wurde,
so geschah dies ohne aggressive Tendenz und man wollte nur
Heiterkeit erregen; im ganzen unterwarf man sich doch der
Autorität der Kirche, überzeugt, dass die Meinung des Einzelnen
nie so gesund sein könne, als der allgemein herrschende Glaube,
ßowie ein einzelner Wassertropfen leichter verdirbt, als der Ozean.
0. Levertin, Studier öfver fars och farsörer i Frankrike etc. 197
Jetzt aber wird ein ganzes Geschwader von Theaterstücken gegen
die religiösen Dogmen, gegen die verderbten Bibeltexte, gegen
den Reliqaienhandel (der Kamm des Hahnes, der dem Petrus
krähte, wird in einer Farce als Reliquie verkauft, einem Wirte
werden in einer anderen Farce für seinen guten Wein anstatt eines
angeblichen heguin d!un des Innocens ein Paar baufällige Hosen
untergeschoben u. s. w.), gegen die katholische Kirche überhaupt
losgelassen, die aber zum grossen Teile wegen ihrer Steifheit
und Trockenheit mehr den Moralitis beizuzählen sind und daher
nicht mehr in den Rahmen einer Betrachtung der Entwickelung
der Farce fallen. Erwähnung verdienen dagegen die Stücke der
Marguerite von Navarra, einer Dame, die trotz ihres in religiösen
Dingen mystisch grüblerisch angelegten und nach innen gekehrten
Geistes zwei gelungene Farcen geschaffen hat: die Farce du Pape
malade (die kranke Christenheit wirft, das letzte Mittel ver-
suchend, die theologischen Kurpfuscher hinaus und wendet sich
an Gott selbst) und die Farce de Trop, Prou, Peu, Moins (um
1516 verfasst), in der besonders der in der gesunden Religions-
auffassung des Volkes ruhende tüchtige Kern desselben ge-
priesen wird. Die folgenden verwandten Schöpfungen stechen
mehr durch ihren fanatischen Hass, als durch ihren poetischen
Wert hervor. In technischer Beziehung konnte die Renaissance
auf die Farce keine besondere Einwirkung ausüben; sie bewirkte
mit ihren gelehrten Tendenzen nur, dass sich die komischen
Talente von der wegen ihrer kunstlosen üngebundenheit minder-
wertig geltenden Farce weg und mehr der stilgerechten Nach-
ahmung der klassischen und italienischen Komödie zuwendeten,
und es wiederholt sich auch hier die Erscheinung, dass jeder Fort-
schritt der Wissenschaft ein Stück des Malerischen, Urwüchsigen,
Unmittelbaren aus der Poesie wegnimmt. So wenig diese neuen
Schöpfungen trotz ihrer mehr künstlerischen Gewandung ihre Her-
kunft von den alten Farcen verleugnen können, so blieb die eigent-
liche Farce nunmehr doch vorherrschend auf die niedrigeren
Volksklassen beschränkt. Nur drei Farcen (die sämtlich während
des Erlasses des Kriegsmanifestes des Plejade erschienen), haben
gewissermassen „etwas von dem Sonnenlichte der Renaissance"
und erheben sich durch ihre liebevolle Charakterzeichnung und
Lokalfarbe über die anderen: Marot's Dialogue des deux Amoureux
(um 1541), den man wegen seines duftigen, stimmungsvollen
Zwiegesprächs zweier Liebender mit Recht als das erste fran-
zösische Proverhe bezeichnet hat ; Marguerite von Navarra's La
Vieille (gedruckt 1547), worin Probleme aus dem Liebesleben
sehr anziehend behandelt werden und man zum Schlussergebnisse
gelangt, dass obgleich Liebe stets mit Leide ende, fortgeliebt
198 Referate und Rezensionen. /. Frank,
werden solle ; und Jean d'Abundance's, eines sonst fast unbekannten
Verfassers, Farce de la Comette (gedruckt 1545) eine recht ge-
lungene Charakterkomödie, die schon wegen der mannigfachen
Entlehnungen, die Moliöre in seinem Ävare aus derselben vor-
nahm, ein erhöhtes Interesse verdient. Dass die Farce um 1540
noch in Blüte steht, ersieht man auch aus der (14 Stücke ent-
haltenden), aus dieser Zeit stammenden Farcen-Sammlung YioUet
le Duc's. Dieselben mögen allerdings meist älteren Ursprungs
sein, aber dass sie eben damals gedruckt wurden, beweist, dass
nach ihnen noch eine bedeutende Nachfrage vorhanden war. So
konnte die Renaissance, wie gesagt, die Farcen wohl auf die
Schaubühne für die niederen Volksklassen hinabdrücken; ganz
verdrängen konnte sie dieselben ebenso wenig wie die Mysterien.
Das 1548 gegen die Aufführungen der Conf vires de la Passion
gerichtete Verbot war ja lediglich eine zeitweilige Konzession an
den verfeinerten Geschmack der Hauptstadt, blieb aber ohne
nachhaltige Wirkung. Es fehlte den Farcen auch im XVII. Jahr-
hundert nicht an dem Spätsommer eines reichen Repertoires der
Basoche und anderer lustiger Darsteller. Allerdings ist uns
dasselbe nur zum kleinsten Teil erhalten, der aber doch genügt,
uns das Wesen der Farce in ihrer letzten Existenzphase erkennen
zu lassen: sie greift besonders in den Provinzstädten stark in
das Stoffgebiet der Sotties über, oder sie entwirft Sittengemälde
von sehr fraglicher Originalität, die oft erst gedruckt wurden,
nachdem sie bereits allenthalben in den Gassen abgespielt worden
waren. In den beiden letzten abschliessenden Sammlungen von
1612 bis 1619 erweist sich der Strom der Erfindung so flach,
dass man ihm auf den Grund sieht.
Von den Farcen nach 1549 kann hier nur die vorzüglichste,
die Farce des trois Galans (1570 — 1571) näher erwähnt werden,
eine so prächtige, „schöne Blüte, dass man den ihr so bald
nachfolgenden Winter nicht ahnen möchte." Dieselbe führt einen
Narren vor, der bei Tage träumt, etwas Grosses zu werden.
Die Aussicht, Papst zu werden, reizt ihn nicht besonders, denn
der Papst (Pius V.) sei gar so kriegerisch und es sei da beinahe
gemütlicher, in der Stellung eines Narren zu verbleiben. Er will
gleich der liebe Gott selbst werden, die heilige Jungfrau soll
seine Frau, die heilige Katharine seine Schwester werden. Da
sollte man es dann im Paradiese gut haben: keiner der Schweren-
nöter und Störenfriede dieser Welt sollte da Einlass finden, weder
die geschwätzigen, alles in Grund und Boden klatschenden Weiber,
noch die Schelme von Advokaten, weder die Bäcker, die die
kleinen Brote machen, noch die diebischen Müller; dagegen
sollen ihm die heiteren Gesellen: die Spielleute, die braven Köche
0. Levertin, Studier öfoer fars och farsörer % Frankrike etc. 199
und fröhlichen Zechbrüder willkommen sein. Der Stoff gehört
der Weltlitteratur an^ in der sich allenthalben die sehnsuchtsvolle
Erinnerung an das goldene Zeitalter und dessen Schlaraffenleben,
da ein Lieht leuchtete, in dem die Körper keine verdunkelnden
Schatten warfen, poetisch verwertet findet. Das nächste Vorbild
für die Farce des trois Galans bot Li Tabliaus de Ooquaigne;
auch die anderen teils viel späteren Bearbeitungen dieses Stoffes
zeigen (wie die Kinder des Pfarrers von Wakefield) eine über-
raschende Familienähnlichkeit, keine aber kann sich an reich-
quellender Phantasie und munterer Launigkeit mit unserer Farce
messen. Ein vielfach ventiliertes Lieblingsthema der Farcen-
spätlinge, die auch gern bei Hochzeitsfeierlichkeiten aufgeführt
wurden, bilden Prügelszenen zwischen Ehegatten, die sich nicht
bloss auf die Niederungen der breiten Volksmassen beschränken,
und in denen die Frau zuweilen die Oberhand behält. Die auf
uns gekommenen Sammlungen aus dem Anfange des XVIL Jahr-
hunderts sind bloss in so später Zeit gedruckt, gehören aber
ihrer Abfassung nach mit ganz wenigen Ausnahmen einer früheren
Zeit an. Hervorgehoben zu werden verdienen von diesen nur
noch die Farce du Meunier et du Gentühomme (1628), welche den
durch die Bürger'sche Ballade Der Kaiser und der Abt so be-
kannt gewordenen Stoff behandelt, der ebenfalls seit lange her
ein Gemeingut aller Nationen gewesen zu sein scheint. Das
wesentliche dieser Fabel bleibt in allen Bearbeitungen dasselbe,
nur die Staffage und die Rätselfragen wechseln. (Wir müssen
bezüglich der hochinteressanten Details dieser Untersuchung auf
Levertin's Buch verweisen.)
1536 führte Franz I. eine strenge Zensur für die Auf-
führungen der Basoche ein; ihre Wirksamkeit zeigt sich nunmehr
im ganzen im starken Niedergange und die ihnen 1582 erteilte
Spiellizenz schränkte ihre Thätigkeit auf ein so enges Gebiet
ein, dass dies einer Unterbindung ihrer Lebensader gleichkommt.
Im Jahre 1618 brannte die Salle des Procureurs ab, der Schau-
platz, auf dem sie mit ihren Farceaufführungen so herrliche
Triumphe gefeiert hatte. Die Basochtens kehrten daher, da ihnen
das Hauptgebiet ihrer Thätigkeit, die Verspottung menschlicher
Schwächen und die Karrikierungen von Persönlichkeiten, abge-
graben war, wieder zur Pflege der cause grosse zurück, und es
kann über ihren Verfall nicht täuschen, wenn sie dies 1634 mit
grosser Reklame als etwas Neues, Ausserordentliches ankündigten.
Eine wirklich ausgebreitete und intensive Thätigkeit hingegen
scheinen die Basochtens auch jetzt noch in den Provinz-
städten, besonders in Ronen und Poitiers, entfaltet zu haben,
wo wir auch ihren ursprünglichen Ausgangspunkt, die Darstellung
200 Referate und Rezensionen. J. Frank,
komischer Prozesse, in ihrem Repertoire wiederfinden. Es ist
nns da manches schätzenswerte von ihnen aufgeführte Stück er-
halten, in anderen Fällen, von den Basochiens in Marseille, sind
wohl keine vollständigen Stücke, aher einzelne Lieder auf uns
gekommen. Spärlicher sind aus dieser Zeit die Berichte über
die Enfans sans Sotdcy: ihre Thätigkeit scheint in Paris mit dem
XVI. Jahrhundert ganz beschlossen worden zu sein; dagegen
haben sich in der Provinz ihnen verwandte Gesellschaften länger
gehalten, so die Mere folle in Dijon, Les suppdts du seigneur de
la CoquiUe in Lyon und die Connards in Ronen und Evreux. Die
Anhänger der M^re folle gehen auf die berühmte 1381 gestiftete
Cleve'sche Narrengilde zurück, aber erst zwischen 1482 und 1579
konstituierte sie sich als Gesellschaft, um bei Prozessionen, üoch-
zeiten, Faschingsaufzügen und Theatervorstellungen mitzuwirken,
bis sie 1630 sich in politische Zetteleien einliess und daran zu
Grunde ging. Die Suppdts, von einer Lyoner Buchdruckergesell-
schaft gestiftet, standen zur Mere folle in einer Art Kartell:
während nämlich letztere die ihre Frauen prügelnden Männer
aufs Korn nahmen, sollten die Suppdts die von ihren Frauen
geprügelten Männer durchhecheln. Die berühmtesten aber waren
die Connards, so dass du Bellay von einer besonderen Mu8e
Connardih'e spricht; ihre Verbindung scheint erst unter Richelieu
aufgelöst worden zu sein, und charakteristisch für ihre Thätigkeit
ist die persönliche, unerbittliche Art ihrer Angriffe, die auch '
Hochgestellte nicht schonte. Eine andere Rouener Theater-
gesellschaft, La Grand Confrairie des Saouls d^ouvrer, ist be-
sonders wegen der von ihr 1550 beim Einzüge Heinrich H. in
Ronen gespielten Farce de Vaux nennenswert, die eine Art Rund-
schau über die verschiedenen Narren der Stadt (hs veaux de dtme)^)
enthält, wie überhaupt unter dem Titel les Vaux mehrere Stücke
dieser Art zirkuliert zu haben scheinen. Der gegen Nicolas
Joubert (bekannt unter dem Namen Mr. d'Angoulevent)^) anhängig
gemachte Prozess versetzte allen diesen Vereinigungen für Humor
und komische Bühnendarstellung den Todesstoss. Dieses letzte
Oberhaupt der Enfants sans Soulcy hatte nämlich als Prince des
Sots das Privileg, durch die Hauptpforte ins Hotel de Bourgogne
seinen Einzug zu halten und auch eine Loge zu seiner Verfügung
zu haben. Ein Gläubiger wollte dieses Privileg des insolventen
Joubert mit Beschlag belegen und fand bei den Confrhres de la
1) Dies erklärt auch eine dunkle Stelle in der Saiyre Menippee
in den Pieces de Tapisserie, wo es heisst: Gardez vous de faire le
veau. (Vgl. des Ret. /^/<?m/?/?^«fau8gabe, Oppeln 1884.)
2) Auch ihm begegnen wir in der Satyre Menippee nach der
Rede de Rieux'.
0, Leveriin, Studier öfver fars och farsörer i Frankrike etc. 201
Passion warme Unterstützung. Zwar siegte Joubert schliesslich
1608, aber der Prozess brachte doch die Narrenburg und die
Narren zu Falle und die Farce hatte als solche ausgelebt.
IIb. Der Ronsardismus äusserte sich, wie man weiss, be-
sonders in der fast ausnahmslosen Geringschätzung der voran-
gegangenen, als eine geistige Venrrung angesehenen Litteratur.
Von der Nachahmung der Griechen und Römer sollte das Heil
kommen. Es gibt aber auch keinen denkbar grösseren Kontrast, als
den geschraubten Ronsardismus mit seiner Verachtung des Ge-
schmackes der Menge einer-, und die mit ihrem Treppenwitze auf
drastische Effekte hinarbeitenden Farcen andererseits. Ronsard und
seiner Schule Werke richteten sich beinahe ausschliesslich „an
einen hohen Adel". Seine Lustspiele waren blosse Ableger der
altklassischen Komödie. Schon Sibilet hebt den schroffen Gegensatz
zwischen der allgemeine Interessen behandelnden altklassischen
Komödie und den Farcen hervor, die bloss einem geilen Lach-
kitzel zur Befriedigung dienen, und dieser Gedanke kehrt bei
den Anhängern der Rondsardischen Schule oft wieder. Ronsard' s
Hochhaltung der Zeiteinheit muss ihn gegen die Farce ebenso
einnehmen, wie ihn der Umstand abstösst, dass dieselbe haus-
backene Szenen aus dem Werkeltagsleben des Volkes behandelt.
Auch Jodelle und Gr^vin, die ihren stofflichen Zusammenhang
mit der alten Farce nicht ganz verleugnen können (sie thun es
allerdings, indem sie diesen als einen Abfall vom Klassizismus
entschuldigen) erklären ihrer Stil- und Formlosigkeit und ihrer
Vorliebe für allegorische Figuren den Krieg. Am schonungs-
losesten aber bricht Jean de la Taille über die alte Farce den
Stab, und die minder berühmten Mitglieder der Schule, die die
alten Farcen kaum vom Hörensagen kannten, stammten in diese
vernichtenden Urteile mit ein. Die Farce in ihrer alten Form
hatte sich thatsächlich, wie gesagt, im XVII. Jahrhundert über-
lebt, was sich auch daraus erweist, dass man nunmehr jedes
Pamphlet mit dem Namen „Farce" bezeichnete.
IIc. Nichtsdestoweniger bildet die Farce noch immer
eine mächtige Unterströmung in der neueren französischen Ko-
mödie von Jodelle's Euglne bis Moli^re. Diese behauptet sich
auch, als im XVI. und XVII. Jahrhundert die italienische und
französische Einwirkung sich sehr fühlbar machten. Dies ersieht
man am besten aus dem Eughie, dessen Aufführung neben der
der Cleopäire im Jahre 1552 für das neue französische Theater
bahnbrechend genannt werden kann. Bei aller Verschiedenheit
des szenisch wohlgegliederten Eugene mit seiner Zeit- und Raum-
einheit, mit seiner rhetorischen Breite und den in „didaskalischer"
Behaglichkeit sich ergehenden Reflexionen zu der epigrammatisch
202 Referate und Rezensionen. J. Frank,
knrz gehackten Frikasseesprache der alten Farcen, können ihre
verwandtschaftlichen Züge niemandem leicht entgehen. Allerdings
ist der abb^haft geleckte, lüstern raffinierte Eugene von der ent-
sprechenden mehr derbsinnlichen, dummklugen, rüpelhaften Gestalt
der Farce sehr verschieden, und doch hat der Eughte mit den alten
Farcen wieder so vieles gemeinsam: die zynische Handlung, das
wüste Treiben, in dem der Verkehr mit anständigen Frauen nur
eine seltene Unterbrechung bildet, die rohe wenn auch im Eugene
etwas tiberfirnisste Sprache, die Art der übertölpelten, betrogenen
Ehemänner, ihre Frauen noch zu rühmen, die wiederholte Lieb-
lingsbezeichnung der Geliebten als „Kousine". Auch in einigen
Nebenpersonen des Euglne begegnen wir uns aus den Farcen
wohlbekannten Typen. Auch die Hauptperson von Grövin's
Tresorüre, Constance, erinnert an die mit den schwärzesten Farben
geschilderten Frauen der alten Farce, wie das Stück auch die
mit Zweideutigkeiten gespickte Sprache und die grausame Moral,
dass auch in der Liebe das Geld alles bedeute und dieselbe nur
mit der Brieftasche errungen wird, mit derselben gemein hat.
Auch Remi Belleau's La Reconnue gemahnt trotz ihrer der Farce
fremdartigen langatmigen Betrachtungen durch die Wahl der
Szenen aus dem Kleinleben der mittleren Klassen an die Farcen
und die Basochiens. Geradezu überraschend ist die (aus Levertin's
Zitaten näher ersichtliche*) innige Anlehnung von Le Loyer's
Le Muet insense an einige ältere Farcen. Wir müssen hier in
der Aufzählung der weiteren (bei Levertin nachzulesenden) dies-
bezüglichen Beispiele innehalten und erwähnen nur, dass wir auch
in dem uns erhaltenen, im XVIL Jahrhundert gedruckten (that-
sächlich aus älteren Traditionen, Lokalsagen und festlichen Auf-
zügen stammenden) Repertoire der Provinztheater wahrnehmen,
dass nur ein geschickter Regisseur den alten Bekannten der
Farce notdürftig eine neue Larve vorgebunden hat. Hier sei
bloss von dem merkwürdigen obgleich ausser von Baluffe von
niemandem beachteten Repertoire von Beziers die Rede, denn
diese Dichtungen haben etwas von dem Dufte der würzigen Erd-
beeren, die abseits von der bequemen aber staubigen Chaussee,
im heimlichen Schatten breitästiger Waldesriesen wachsen. Es
sind uns von diesen Stücken nur dreiundzwanzig erhalten. Sie
alle knüpfen an die dunkle Erinnerung der Befreiung der Stadt
von etwas mysteriösen Feindeseinfällen an, zu deren Andenken
am Himmelfahrtstage ein grosses, allgemeines Fest stattfand.
Den Mittelpunkt des dabei stattfindenden Festzuges bildete
ein Triumphwagen mit dem Konterfei des angeblichen Stadt-
retters, Namens Pepesuc, der in anderen Städten (wo ähn-
liche Feste gefeiert wurden) auch als Drachentödter verherr-
0. Leveriin, Studier öfoer fars och farsörer i Frankrike etc. 203
licht wurde. Die Verfasser der an diesem Tage aufgeführten
Theaterstücke sind bis auf einen, Jean Bonnet, unbekannt, aber
der Zuschnitt und die Anordnung derselben (besonders der älteren),
die auch in ihnen wiederholt durchbrechende Friedenssehnsucht
und ihre Kürze rufen uns lebhaft die alte Farce ins Gedächtnis.
Ähnliche Feste aber gab es, wie gesagt, auch in anderen Provinz-
städten des südlichen Frankreichs, besonders in Aix, und auch
die daselbst bei dieser und anderen Gelegenheiten aufgeführten
Theatervorstellungen weisen dieselben Grundmotive und Helden
auf wie die alten Farcen. (Das Nähere hierüber studiere man
bei Levertin.) Hier sei nur noch des einschlägigen Stückes
La Tasse gedacht, des ausser aller Frage besten Lustspiels vor
Moliöre. Ein Doktor Jerosme hat einen fein ziselierten Silber-
kopf, den er beim Antritte einer Reise der besonderen Wach-
samkeit seiner Frau empfiehlt. Zwei Schelme, die das Haus
umspähen, schleichen sich als angebliche Sendboten Jerosme's
ein und entlocken ihr den Silberkopf. Jerosme kommt heim und
ist über das Vorgefallene so ausser sich, dass er seine Gattin
und ihr Stubenmädchen halb tot prügelt. Die Frau entgeht
weiteren Misshandlungen nur dadurch, dass sie sich tot stellt.
Da er ihr aber einen brennenden Strohhalm unter die Nase hält,
springt sie auf. Das Stubenmädchen führt ihrer Gebieterin, um
an Jerosme Rache zu nehmen, einen italienischen Liebhaber zu,
der ein Muster von Diskretion ist. Trotzdem wird das Verhältnis
Jerosme durch seinen Diener entdeckt. Die Frau rettet sich
durch eine List, und nach einer thränenreichen Szene wird die
Versöhnung gefeiert. Auch die beiden Strolche entgehen der
Strafe, indem sie sich nach einer ebenso langen als komischen,
genalogischen Auseinandersetzung als Verwandte des Ehepaares
herausstellen. Man wird auch in diesem Stücke leicht vieles
herausfinden, was auf die Farcen zurückzuführen ist. Die in
Grenoble aufgeführten Stücke Jean Millet's gehören dem pasto-
ralen Genre an und haben manche Verwandtschaft mit denen Adam
de la Halle's und anderer Farcendichter. Wenn man bedenkt, dass
Moliöre in Languendoc so manches seiner Wander- und Lehrjahre
zubrachte, wird man sich der Überzeugung nicht verschliessen
können, dass er daselbst manche reiche Anregung empfing, deren
Spuren man in seinen Stücken noch (wie dies bei Levertin ge-
schieht) gut verfolgen hann. Alexandre Hardy hat man mit Unrecht
besondere Hinneigung für die mittelalterliche Farce zugeschrieben,
mit noch weniger Grund hat man verspüren wollen, dass aus
seinen Werken ein Hauch von Patelin's Natui-frische und realis-
tischer Komik entgegenwehe, wenn er auch den Marinismus und
Pseudoklassizismus nachdrücklich bekämpfte. Dagegen erwecken
204 Referate und Rezensionen. J. Frank,
Pierre Troterel's Stücke vielfache Reminiszenzen an die mittel-
alterliche Farce, besonders seine 1620 verfasste Gillette. Im
XVIl. Jahrhundert werden wir die Farce als von grossen Schau-
spielern mündlich fortgepflanzte Tradition wiederfinden. Allmählich
geht sie in die verjüngte Form des mehr geordneten Possen-
Einakters über, der (wie früher die Farce nach dem Mysterium)
nach einem grösseren Stücke aufgeführt wurde und zur Zeit, als
Moli^re's Stücke einen so unerhörten Beifall erhielten, den letzteren
eine gewisse Konkurrenz zu machen berufen war. Auch diese
zeigen bei näherer Betrachtung, dass wir es auch hier nur mit
neuem Most in alten Schläuchen zu thun haben.
Illa. Über die Farceschauspieler im Mittelalter wissen wir
nur sehr wenig. Es scheint im allgemeinen die Person des Dar-
stellers hinter dem traditionell gewordenen Typus gewisser
stationärer Rollen (wie Angoulevent's, der Mlre Sötte, des Abbe
des Fr^vaulx) zurückgetreten zu sein und nur der erste Schöpfer
einer solchen Figur erscheint hie und da erhalten. Erst im
XVI. Jahrhundert und während der Renaissance gab es über-
haupt in Frankreich Berufsschauspieler, deren erste Gastspiele
allerdings unter der dem Stande entgegengebrachten Verachtung
und wegen des bisherigen Monopols der Dilettanten -Genossen-
schaften geringen Anklang fanden, die aber bald zu grösserer
Geltung gelangten. Unter diesen ältesten Schauspielern sind be-
sonders Pontalais und Jean Serre erwähnenswert. Pontalais,
bekannter unter dem Namen Songecreux, machte verschiedene
Kunstreisen, wagte es sogar die Königin- Mutter zu parodieren,
und kam dafür ins Gefängnis; er wurde in seiner Eigenschaft
als Hanswurst äusserst populär. Sein nicht minder berühmter
Kollege war Jean Serre, dem Marot einen unvergänglichen Nekro-
log hinterlassen hat. Aber gerade die Mitte des XVI. Jahr-
hunderts scheint ein für die Entwicklung des Farcentums wenig-
stens in Paris ungünstiger Zeitpunkt gewesen zu sein. Die Ur-
sachen hiervon waren verschiedene. Hier sei bloss die wichtigste
erwähnt, der überhandnehmende Einfluss der italienischen Schau-
spieler seit Franz L, der in der 1571 erfolgten Ankunft der
Gelöst seinen stärksten Ausdruck findet. Auch Heinrich IV. war
weit entfernt, die wiederholten Einwanderungen italienischer
Schauspieler zu unterdrücken, dennoch hat dieser nationalste König
(„Ihr braucht nichts von ihm zu sagen, ihr redet mit Franzosen!"
sagt Montesquieu von ihm) mit seiner geringen Bildung und
seinem ausgesprochenen Geschmacke für das Derbkomische den
einheimischen Farcen ein nur günstiges Vorurteil entgegenbringen
müssen. Dazu kam, dass gerade mit Heinrich's IV. Regierungs-
antritte die Bühne im Hotel de Bourgogne mit mehr geordneten
0, Leve7'iin, Siudier öfver fars och farsör^^ i Frankrike etc. 205
Verhältnissen zu arbeiten begann, and es erscheint so gut wie
gewiss, dass man daselbst gerade durch die Aufführung zug-
kräftiger nationaler Farcen, die man, in jeder Richtung das Erbe
der alten Basochiens und Enfants sans Scndcy antretend (vielleicht
ohne bestimmten unterlegten Text mit einem blossen scenariof)
abspielte, den Italienern die Spitze bieten wollte. Es begegnen
uns da eine ältere und eine jüngere Schauspielergeneration; unter
den ersteren sind Agnan, Valeran, Alizon und Dame Gi-
gogne, unter den letzteren Gros-Guillaume, Gaultier-Gar-
guille und Turlupin, Guillot Gorgu und Bruscambille her-
vorzuheben. Von der ersten Serie dieser Komiker des Hotel de
Bourgogne ist uns nicht viel bekannt, und sei hier nur gesagt, dass
Alizon und Dame Gigogne zwei von männlichen Schauspielern ge-
spielte Frauenrollen bezeichnen. Viel merklichere Spuren hat die
zweite Gruppe zurückgelassen. Auch ihre oben bezeichneten Namen
sind nicht wirkliche Personennamen, sondern angenommene noms
de guerre. Gewisse Namen hatten nämlich im Volksmunde eine
konventionelle Bedeutung erlangt, so waren Jean und Guillaume
besonders in der Verbindung Gros -Jean und Gros-Guillaume die
verbreitetste Bezeichnung für einen Dummkopf oder Tölpel.
Guillaume hiess auch der Hofnarr Heinrich's IV. Gros-Guillaume
bedeutete auch eine grobe Brotsorte (man vergleiche damit unser
Pumpernickel^). Wenn aber Francisque Michel annimmt, der
Komiker Robert Guerin habe den Namen Gros-Guillaume darum
gewählt, weil er sein Gesicht auf dem Theater zu pudern pflegte
und früher ein Bäckergeselle gewesen sei, so wird sich die Sache
umgekehrt verhalten und die Sage, Rob. Gu6rin sei ein Bäcker
gewesen, eben durch die angeführte Nebenbedeutung von Gros-
Guillaume u. s. w. entstanden sein. Mit Guillaume verband man
auch gerne den Namen Gaultier, um geringschätzend Personen
ohne Gewicht und Ruf zu bezeichnen, etwa wie unser „Hinz
und Kunz^. Ausserdem lässt sich dieser Name auch als die
Benennung für einen Bauernlümmel, für einen närrischen, aber
guten Kerl nachweisen. Während die angeführten Namen in der
meist verächtlichen allgemeinen Bedeutung eher gang und gäbe
waren, bezeichnet Garguille mehr einen komischen Lokaltypus.
Garguille ist auch das Gegenstück zu Gaultier, in der Weise,
dass ersterer mehr den Hanswurst, letzterer (wie Angoulevent)
den immer gut aufgelegten Fresser bedeutet. Gargouille be-
zeichnete aber auch eine Drachenfratze und steht besonders in
Beziehung zu dem Gargouille -Feste in Ronen. In dieser Stadt
1) Es würde sich auch hier die Erscheinung wiederholen, dass
der Name einer Lieblingsspeise zur Bezeichnung eines Possenreissers
benützt wird.
206 Referate und Rezensionen. J. Frank,
lebte nämlich besonders stark die Erinnerung an einen von dem
Bischof St. Romain besiegten Drachen. Bei diesem Rettangs-
werke wollte ihn Niemand als ein zum Tode verurteilter Ver-
brecher unterstützen, und seit dieser Zeit erhielt die Rouener
Geistlichkeit das Privileg^), zum Tode verurteilte Verbrecher be-
freien zu können. Zur Erinnerung daran wurde am Himmelfahrts-
tage ein Fest mit feierlicher Prozession gefeiert, bei der auch
ein Drachenbild la GargouiUe vorangetragen und allerhand über-
mütige Schwanke aufgeführt wurden, bei welchen der Confrerie
des Gargouülards die Hauptrolle zufiel. So erklärt sich leicht
die Bedeutung dieses Namens. Er scheint aber auch aus
onomatopoetischen Gründen für das aus der Dachrinne her-
vorgurgelnde Wasser und dann, da diese Dachrinnen gewöhnlich
in einen Drachenkopf endigten, in kombiniertem Sinne gebraucht
worden .zu sein. Um 1530 hat ein Schauspieler, der den
Garguilletypus spielte, für denselben auch den Namen Gaultier
dazu genommen und seit dieser Zeit dürften sich die beiden
Namen einander beinahe gedeckt haben. So reich und noch
reicher ist die Entwickelungsgeschichte des Komikertypus, den
der normanische Schauspieler Hugues Gu^ru sich auserkoren
hatte. Der Name Turlupin findet sich zunächst als Bezeichnung
für die waldensischen Ketzer, er bezeichnet aber auch den
Sündenbock, den Pechvogel. Der Turlupin, wie ihn Henry
Legrand, der berühmteste Träger dieser Rolle auffasste, als
schnabelschnellen und fingerfertigen intriganten Bedienten, als
den Vorläufer Scapin's und Mascarille's, scheint aber anderer
Herkunft zu sein. Turlupin scheint auch spottweise ein Mitglied
eines geistlichen Ordens bedeutet zu haben. Nach Despois soll
bei Rabelais Turlupin mehr den Pechvogel, Tirelupin aber den
Spitzbuben bedeuten, am seltsamsten klingt die Erklärung dieses
Namens in Hotman's Antichoppimu% doch meinen wir hier darauf
nicht weiter eingehen zu sollen.^) Der von Bertr. Harduin ange-
nommene Name Guillot Gorgu, unter dem er berühmt geworden
ist, knüpft ebenfalls an altüberlieferte Vorstellungen an, da er
neben seiner mehr allgemein komischen Bedeutung noch besonders
einen Schelm, aber auch einen „Hans der Träumer", bezeichnet.
Nach dieser Erklärung der noms de guerre sei das Wich-
tigste, was uns von der Geschichte ihrer berühmtesten
Träger bekannt ist, hier angeführt. Es war schon oben die
1) Vgl. auch hierin die Sai, Men. am Ende des 6. Vertu du
Chaiolicon: ... il se fust hien passe de lever la Fierte de St.-Romain.
2) Hier entging dem sonst umsichtigen Verfasser, dass in der
Satire des Satires des Abb^ Cotin (wie in der Zlchr. gezeigt wurde) der
Name „Turlupin" eine grosse Rolle spielt.
0. Levertin, Studier öfver fars och farsörer % Frankrike etc. 207
Sage erwähnt, die Robert Gu6rin, Hugues Gu6ru und Henry
Legrand zu ehemaligen Bäckergesellen macht. Dieselben sollen
plötzlich den Weihekuss der Musen empfangen, ihr früheres Ge-
werbe auf den Nagel gehängt und im Jeu de Paume ein Theater
aufgeschlagen haben. Das Unternehmen blühte so, dass die sich
geschädigt fühlenden Künstler des H6tel de Bourgogne bei
Sr. Eminenz dem Kardinal Richelieu Beschwerde führten. Die
Sage lässt sie auch in einer Woche sterben: Gros-Guillaume an
einer im Gefängnisse (in das er wegen seiner Karrikierung hoher
Persönlichkeiten gekommen war) acquirierten Krankheit, und seine
beiden Genossen aus Kummer über dessen Tod. Auch der in
Gougenot's ComSdie des Comediens erzählte Streit zwischen den
Dreien wegen ihres gegenseitigen Rangverhältnisses ist nicht
glaubwürdig. Sicherstellen lässt sich nur folgendes: Gros-Guil-
laume, also Robert Guerin (in 'ernsten Rollen nannte er sich
La Fleur), wurde zuerst unter Heinrich IV. wegen seines be-
rühmten Nachahmungstalentes zu Hofe berufen. Er stammte wahr-
scheinlich aus der Normandie, kam um 1596 nach Paris, von
den Jahrmarktstheatern angelockt. Er spielte wahrscheinlich
zuerst im Hotel de Bourgogne, 1622 tritt er im Marais auf, denn
wir haben von diesem Jahre einen Bescheid, demzufolge er und
seine beiden Genossen für die Zulassung ihrer Vorstellungen den
privilegierten Confr^res de la Passion einen Tribut entrichten
mussten. Im Jahre 1629 trat das Komikerkleeblatt wieder zum
Hotel de Bourgogne über. Guerin scheint 1634 gestorben zu
sein. Er spielte ältere, geistreiche Bonvivants und Fallstaffrollen
und brachte mit seinem . frischgepudertem Gesichte, das zuweilen,
wenn ihm die Steinschmerzen (an deren er litt) marterten, sich
plötzlich verzerrte, und mit seinem biertonnenartigem Bauche ein
unfehlbares Gelächter hervor. Der (rawZfier-öar^MiYZe- Darsteller
H. Gu6ru (in ernsten Rollen nannte er sich auch Fleschelles)
war in Caen in der Normandie, wie er selbst von sich sagt:
entre la poire et le frortiage, geboren, 1598 soll er im Marais
debütiert, 1615 — 1622 (in den letzten Jahren finden wir ihn
wieder im Marais) zum Hdtel de Bourgogne gehört haben, 1633
wurde er beerdigt. Neuere Forschungen (Jal's) erwiesen noch,
dass er 1623 mit seinem berühmten, später noch zu erwähnenden
Schwiegervater Tabarin (dessen Tochter Alienor gebar ihm drei
Kinder) auf der He de la Cite wohnte; 1627 wohnte er beim Hotel
de Bourgogne. Er hatte für eine bürgerlich geordnete Lebens-
weise Sinn, und genug Stolz, um eine vornehme Einladung zum
Diner zurückzuweisen, weil er studieren müsse. Auf der Bühne
spielte er, wie der italienische Pantaleone, alte Väterrollen, er
war auch als Darsteller der Biersüffe und Weinschwelge berühmt^
208 Referate und Rezensionen, J. Frank,
besonders aber ergötzte sein Kouplet -Vortrag, der einen Haupt-
roagnet für das Publikum bildete. Der Text vieler dieser Kou-
plete stammt aus alter Zeit, allen aber hat er durch seine originelle
Pointierung und sein Arrangement erst die rechte Prägung ver-
liehen. Der Turlupm-D&TsteWer Henry Legrand (in ernsten
Rollen auch Belleville genannt) wurde 1587 geboren und starb 1637.
Wir wissen bereits, dass er verschmitzte Lakaienrollen spielte.
Sein Talent wird über alle Massen gerühmt. Auch sein Privat-
leben wird gelobt, er soll es z. B. nicht geduldet haben, dass
seine Frau die Bühne besteige. Guillot Gorjus hiess eigentlich
Bertrand Harduin und war der Sohn eines berühmten Arztes.
Er studierte in seiner Jugend Medizin, führte zuerst ein Wander-
leben als Operateur, um nach dem Tode Gargouille's, von diesem
feierlich als Erbe seiner Rollen eingesetzt, im ffötel de Bourgogne
aufzutreten und endlich seine Laufbahn wieder als Arzt zu be-
schliessen. Ausser der von Gargouille übernommenen Pflege der
Kouplets liebte er es besonders, die Arzte auf der Bühne zu
persiflieren. Bruscambille (auch Deslauriers genannt) war von
1606 bis 1634 im Hdtel de Bourgogne thätig, scheint aber in-
zwischen auch zeitweilig im Marais gespielt zu haben. Seine
Berühmtheit beruht besonders auf den von ihm verfassten Pro-
logen oder komischen Monologen, die in ihrer grotesken und
burlesken Manier stark an Cyrano de Bergerac erinnern. Inter-
essant ist seine gelegentliche Bemerkung: Wenn die Posse, wie
man ihr vorwerfe, so entartet sei, so sei das die Schuld des
Publikums, das ja eben solch' grobe Kost wünsche, und die
italienische Komödie sei übrigens noch viel schlimmer. Neben
diesen ersten Grössen der damaligen Komiker sind noch einige
dii minores kurz zu erwähnen: Jean Farine und Goguelu.
Der erstere soll auch, erst nachdem er längere Zeit den chirur-
gischen Beruf ausübte, zur Bühne des Hotel de Bourgogne über-
getreten sein, doch klingen diese Nachrichten immer un verläss-
licher, wenn man hört, dass sich mehrere Akteurs hinter diesen
Schauspielernamen steckten. Etwas besser gestaltet sich unsere
Kenntnis von Goguelu. Der Name hat von altersher die Be-
deutung eines Prahlhans und Aufschneiders. Goguelu scheint
sich Gros-Guillaume als Vorbild ausersehen zu haben, sogar seine
Art mit eingepudertem Gesichte aufzutreten. Er spielte meist
unverschämte Schmarotzer. Während diese jüngeren Schauspieler
von zeitgenössischen Schriftstellern wenig angeführt werden, hat
die nach ihrem Tode mit einem ganzen Sagenkreis umsponnene
Persönlichkeit der älteren Komiker die Litteratur derart be-
fruchtet, dass sie und ihre wirklichen oder erfundenen Schick-
sale zu einer ganzen Reihe von Lustspielen anregten. Hier sei
0» Levertifi, Studier öfver fars och farsörer i Frankrike etc. 209
nar erwähnt , dass sich Turlupin weniger als Individuum denn
als Typus für den losen Vogel in diesen Theaterstücken und den
sonstigen Schriftwerken erhalten hat. Aber erst nach Moli^re
kommt der Ausdruck in die Mode. Man benützte diesen von
Moliäre für den gezierten, lüsternen, hohlköpfigen Marquis auf-
genommenen Spitznamen, um bei Hofe gegen ihn zu hetzen, aber
die Treffsicherheit des Genies hatte sich so bewährt, dass die
Getroffenen, zum bösen Spiele gute Miene machend, selbst sich
untereinander scherzweise so zu nennen begannen. Sehr inter-
essant ist dann auch die Anwendung von Turlupin bei Boileau,
B^ranger und Goethe (wie man dies bei Levertin näher lesen
kann). Ohne allem Zweifel hat das Leben und das Repertoire
dieser Komiker, die Möllere ziemlich sicher noch selbst auftreten
sah, auf letzteren hohen Einfluss geübt, wenn sich auch förmliche
Entlehnungen darum nur in selteneren Fällen in seinen Stücken
nachweisen lassen, da die Possen, in denen diese Schauspieler auf-
traten, nur zum kleinsten Teile jemals gedruckt worden und noch
weniger uns erhalten sind. Die einzige uns vollständig erhaltene
erweist sich thatsächlich als Fundort für eine der wirksamsten
Szenen im Bourgeois Gentilhomme (der nämlich, in welcher Dorante
die gegenseitigen Geschenke zweier Liebesleute unterschlägt und
es schlau zu verhindern weiss, dass dies ruchbar wird). Die nicht
zu leugnende Thatsache seines innigen geistigen und schau-
spielerischen Zusammenhanges mit der alten Farceurs machte es
auch allein möglich, dass Moliere's Feinde (Jaulnay, de Roche-
mont) ihm keine höhere Bedeutung als diesen Possenreissern
zuerkennen wollten und ihn in den gegen ihn geschleuderten Pam-
phleten von der feineren Komödie wegweisend, mit den Hans-
wursten zusammenstellten. Auch Moli^re's neuester Biograph,
Gust. Larroumet, hat dies hervorgehoben, und Saumaize hat ja
sogar schon früher das Gerücht ausgesprengt, Moli6re habe von
Guillot Gorjus' Witwe den Nachlass desselben erworben und ihn
für seine Stücke ausgeplündert.
Hlb. Früh nehmen wir in Frankreich innige Wechsel-
beziehungen zwischen dem Stande der Schauspieler und Ärzte
wahr, und nicht immer waren die den ärztlichen Charlatanen
affinierten Komödianten schlechter bezahlt, als die bei grösseren
festen Verbänden Angestellten. So ergänzt das Hotel de Bourgogne
wiederholt entstandene Lücken aus der Truppe des Quacksalbers
Mondor, während Galinette la Galline vom Hotel de Bourgogne
zum Marktschreier Orvi^tano übergeht. Die Komiker von der Gasse
spielten besonders in den Jahrmarktsbuden des Pont Neuf und
von Saint-Germain, und schon in recht früher Zeit 1595 erhielten,
trotz des Widerstandes des HStel de Bourgogne, Courtin und Potau,
Zschr. f. tn. Spr. n. Litt. XI^. 24
210 Referate und Rezensionen, J, Frank,
1618 Soliel und Legendre die KonzessioD zu theatralischen Jahr-
marktsspektakeln. 1662 machte in gleicher Weise ein gewisser
Raisin mit einer Kindertruppe und einer Spieldose Aufsehen, so
dass in einer obligateren Weise die Farceurs zu dem Beiwerk
der Jahrmärkte gehörten. Ein besonders klassischer Ort für diese
Art Volkshumors war der Pont Neuf; auf demselben gab auch
Br. Dateiin Vorstellungen mit seinem berühmten Affen, den Cyrano
de Bergerac im Zorne tötete.
Die anderen Spielarten von Berufsnarren und Originalkünstlern
des Pont Neuf beiseite lassend, wollen wir hier nur noch einiges
über jene besoldeten Marktschreier sagen, die ihre ganze Lungen-
kraft und ihren drastischen Humor aufboten, um für die Mixturen
und Salben ihres ärztlichen Herrn und Meisters Reklame zu
machen. Diese Kombination des Arztes mit dem Possenreisser
ist sehr alt, doch stammt die Art der Charlatane, ihr Geschäft
en gros zu betreiben und sich gleich einer ganzen Schau-
spielergesellschaft beizugesellen, erst aus dem XVII. Jahr-
hundert. In einer solchen medizinischen Theatertruppe war be-
sonders die Marquise Th^röse du Parc berühmt, und im Dienste
seines Protektors, des bei dem Herzoge von Conti angestellten,
und für die du Parc in Liebe entbrannten Sekretärs Sarrazin,
musste Moli6re den Kampf mit einem Konkurrenzunternehmen
Cormier's aufnehmen. Bei Scarron kann man sehen, wie die Ärzte
und Komödianten im buchstäblichen Sinne Kameraden sind. Alle
gegen diese Gesellschaften von vielleicht gewissenhafteren Ärzten
oder aus Brotneid ausgesandten Schmähschriften konnten ihnen
nicht das unsaubere Handwerk legen; vielmehr stand ihr Geschäft
in der Umgebung des Pont Neuf in höchster Blüte. Ein Haupt-
vertreter desselben war Barry, dessen von seiner Tochter her-
rührende Biographie auf uns gekommen ist. Ihm stand eine
stattliche Künstlerschar zu Gebote, mit der er durch Italien und
Frankreich eine an Ehren reiche Tournee unternahm, die auch
eine besondere Schilderung durch Fournel erfahren hat. Er be-
schloss seine glänzende Laufbahn traurig im Spitale von Amiens.
Nicht minder berühmt wurde ein anderer Charlatan, Orvi6tano,
so dass sogar auch die späteren Vertreter des Metiers seinen
Namen adoptierten, und orvUtan die allgemeine Benennung für
allerlei Geheimmittel wurde. Der erste Träger dieses Namens
scheint Jeronimo Ferranti gewesen zu sein, der in Orvieto geboren
war. Er arbeitete mit dem Apparate von vier Geigern, die in
Verbindung mit einem aus dem Edtel de Bourgogne verschriebenen
Farceur, Galinette la Galina, die Menschen zum Kaufe seiner
Ärcana anlockten. Von Grattelard, dem Hanswurst eines ge-
wissen Descombesy sind sogar Schriften auf uns gekommen^
0. Levertin, btttäier öß-er fars och farsörei- i Frankrtke etc. 211
die aber zom grossen Teile sich als Plagiate erwiesen habea.
Die allererste Firma dieser Art war jedoch Mondor und Ta-
barin, beide einander koordiniert und so auch iu die Volkssage
übergegangen. Tabarin'e Schriften erschienen zweimal mit Ein-
leitung und Bemerkungen. Trotz einer bereits vorangegangenen
Biographie Taharin's hat doch erst Jal Gründliches über seine
Lebensgeschichte zu Tage gefördert. Hondor hiess ursprünglich
Phil. Girard und Tabarin Jean Salomon. Ihre Stätte auf der
Place Dauphins scheinen sie erst 1619 aufgeschlagen zu haben.
Auch sie hatten Courval's, des erbitterstea Feindes dieses medi-
zinischen Schwindels, geschriebene Angriffe auszuhalten. Ihre
Pomaden werden in zeitgenössischen Schriften rühmlich erwähnt.
Aus 1624 haben wir eine Verteidigungsschrift Tabarin's, in der
er geringschätzende Äusserungen eines protestantischen Geist-
lichen von sich abwehrt. 1627 fungierte Mondor als Pate bei
dem zweiten Kinde Gaultier Garguille's, während Tabarin 1628
in derselben Eigenschaft bei dem dritten und letzten Kinde seines
Schwiegersohnes fungierte. Seit 1628 verschwinden sie auch
vom Öffentlichen Schauplätze, obgleich sie noch einige Jahre bis
etwa 1634 lebten: beide hatten, wie man ans dem ihrem Namen
beigegebenen de Tr&ry ersehen kann, von ihrem angesammelten
Vennögen ein Landgut (in der Nähe von Rocroy) erworben.
Der von Salomon angenommene Name Tabarin ist auf das altfrz.
iabar, tabart ^= Hantel zurUckznfUhren. Er nahm ihn von einem
Mitgliede der italienischen Gesellscbaft Ganassa's, namens Taba-
rino, an. Zu eigentlichem Kuhme und zu sprichwörtlicher Grösse
gelangte der Name aber erst durch J. Salomoii und sein Renom^e
Überschritt sogar Italiens und Frankreichs Grenzen. Auf einer
uns erhaltenen Vignette sehen wir Tabarin dem Mondor Rätsel
aufgeben. Mondor strengt sein armes Gehirn an, um dieselben
mit Hilfe tiefsinniger Gelehrsamkeit zu l(5sen. Tabarin aber weiss
mit herausforderndem Übermut der gradlinigen Schallogik ein
Schnippchen zu schlagen und alles als einen blossen Anfsitzer
erscheinen zu lassen. Die Fragen, eine Art Mausefallen, sind
meist sehr alt und finden sich fast in der Litteratur aller Vdlker
wieder. Tabarin ist auch eine Art Till Eulenspiegel, der sich
durch einen paradoxen Einfall aus den verwickeisten Situationen
zu ziehen weiss und den Knoten, den er nicht lösen kann, zer-
haut Dies zeigt sich anch in den von ihm oder unter seinem
Namen Linterlassenen Schriften, in den von Tabarin hinter-
lassenen Farcen f^llt neben mancher liberrasch enden Ähnlichkeit
mit den älteren, besonders die Verwandtschaft aller mit den
212 Referate und Rezejisionen. P. Gröbedinkel,
fluss der Komiker des Hdtel de Bourgogne auf Moli^re ausser
allem Zweifel steht, gilt dies auch von den Gassenfarceurs. Ab-
gesehen davon, dass er selbst dies bunte Treiben der Jahrmarkts-
komödianten so trefflich schildert, dass man schon daraus auf
seine eigene Anschauung derselben zurtickschliessen darf, können
wir dies direkt folgern, da sein Vater als Tapezierer auf der
Foire St Germain eine besondere Verkaufsbude bezogen hatte,
in derselben Reihe, wo eben die Jahrmarktsbelustigungen im
vollen Gange waren. Und dass er diesen Jahnnarktskomikern
vieles verdankte, lässt sich in seinen Werken so genau verfolgen,
dass ihm sein Feind Dorimond vorwerfen konnte, er habe sich
von Prosper, dem Narren des Operateurs Braquette, das Manuskript
einhändigen lassen und dasselbe in freibeuterischer Weise be-
nützt, ein anderer, Boulanger, ihn beschuldigen konnte, er sei bei
Orvi^tano in die Schule gegangen, und wenn man die Sache ge-
nauer verfolgt, erscheinen diese Zumutungen nicht einmal ganz
bodenlos.
Unser Urteil über das Buch Levertin's haben wir bereits
abgegeben. In eine Kritik der Details Hessen sich wohl manch-
mal die Haken einschlagen, doch würde uns dies zu weit führen.
Nicht unterdrücken können wir aber den Wunsch, der Verfasser
hätte, nachdem er uns nicht nur die Pfahlwurzeln, sondern auch
zuweilen die Triebwurzeln des neueren französischen Lustspiels
bis in ihre feineren Verzweigungen und Verästelungen biosgelegt
hat, Molifere mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen sollen. So
wie in besonders beanlagten Familien die Begabung, wie durch
eine Art Züchtung, von Geschlecht zu Geschlecht sich steigert,
bis schliesslich ein Individuum erscheint, in dem die Vorzüge
des Stammes alle vereinigt zu gipfeln scheinen, so bedeutet
Molifere den höchsten Ausdruck des komischen Talents der Fran-
zosen. Während aber die Figuren der früheren Farcen oft
blutleere Schatten blieben, die ein blosses Theaterleben führten,
hat erst Moli^re's Genie Personen aus dem wirklichen Leben
auf der Bühne dargestellt und man muss sich stets vor Augen
halten: „Kunstwerke höchsten Ranges bleiben doch immer wie
goldene Apfel, die vom Himmel herabfallen und selbst wenn der
eine oder andere die Hand gesehen zu haben glaubt, die sie
herunterwarf, so würden schliesslich doch nur diese Hände sichtbar
gewesen sein."
J. Frank.
Jean Antoine de Baifs PsauUier, hgg. von E J. Groth. 213
Jean Antoine de Ba¥f s Psaultier, metrische Bearbeitung der
Psalmen mit Einleitung^ Anmerkungen und einem Wörter-
verzeichnis. Zum ersten Male herausgegeben von Ernst
Job. Grotb. 9. Bändeben der Sammlung französischer
Neudrucke, berausgegeben von K. Vollmöller. Heil-
bronn, 1888. Gebr. Henninger. XIV, 109 S. kl. 8^.
Preis: 2 Mk.
Freudig wird gewiss ein jeder Freund der französiseben
Litteratur dieses Bändeben begrüssen, welcbes ibm die Gelegen-
heit bietet, sich ein eigenes Urteil zu bilden über einen Dichter,
welchen man bisher entweder ganz totgeschwiegen oder vor
dem man wohl gar als einem „seltsamen Querkopf'^, als einer
„durch und durch unerfreulichen Gestalt^ geradezu gewarnt hat.
Wohl erscheint seit 1881 eine Gesamtausgabe der Werke Balfs,
welche von Marty - Laveaux besorgt wird und von welcher be-
reits vier Bände erschienen sind; doch da dieselbe infolge der
geringen Auflage und des hohen Preises nur auf Bibliotheken
einen Platz finden wird, so ist die kleine Separatausgabe des
PsauUier nicht weniger willkommen. Neben den Chansonnettes und
den Etrennes de poesie frangaise ist es die vorliegende Psalmen-
übersetzung, die in sogenannten vers mesurSs abgefasst ist und uns
daher ein treues Bild geben kann von den Bestrebungen Baff s,
die antike Verskunst mit ihrem Quantitätsprinzipe auf die fran-
zösische Poesie, deren Metrik auf der Betonung und der Silben-
zahl beruht, zu übertragen. Wenn auch Balf nicht der erste
war, der diesen Bestrebungen huldigte, so war er es doch zuerst,
der auch das musikalische Element dabei im Auge hatte und
eine enge Verbindung der Poesie mit der Musik herbeizuführen
suchte, was ihn sogar zur Gründung einer Academie de poSsie et
de musique veranlasst hat. Ob und wiefern ihm dies gelungen,
ist freilich eine Frage, die noch zu lösen ist. Jedenfalls ist ein
Eingehen auf diese musikalischen Tendenzen Baüfs bei Be-
urteilung seiner Verse unerlässlich. Darauf weist uns auch schon
das Urteil seines Zeitgenossen d'Aubign6 hin, der von seinen
Versen sagt: A la saulse de la musique que leur donna Claudin
le jeuncj ils furent agriahles, mais prononcis sans cette aide, ils
furent trouvis fades et fächeux (Darmesteter und Hatzfeld, La
litterature frangaise au XVP siede S. 115).
Von den drei Psalmenbearbeitungen Baifs — von denen
bisher noch keine herausgegeben war — hat Grotb die älteste
vom Jahre 1567 gewählt, die zwar nur bis Psalm 68 reicht,
aber insofern die interessanteste und lehrreichste ist, als Baif
jedem Psalm das gebrauchte Versmass mit Schema voransetzt.
214 Referate und Rezensionen, R, Friische,
Bis auf einige Veränderungen in den Schriftzeichen haben wir
einen genauen Abdruck des Manuskriptes, welches sich in der
Nationalbibliothek zu Paris befindet, vor uns, „selbst da, wo
offenbare Inkonsequenzen, auffallende Interpunktionen u. s. w.
BaXf 8 vorliegen". Diesem Abdruck sind zur Vergleichnng Balfs
Übertragungen des 23. Psalms aus der gereimten Ausgabe vom
Jahre 1587 und aus der metrischen Bearbeitung vom Jahre 1573
angefügt. Ein kleines Wörterverzeichnis soll das Verständnis
des Textes erleichtern. In seiner jetzigen ünvollständigkeit hätte
es freilich ohne Schaden wegbleiben können. In die veraltete
oder speziell Balfsche Schreibweise liest man sich schnell ein,
während schon ein deutscher Psalter an zweifelhaften Stellen
meist auf das Richtige führt. Was den Text selbst anbetrifft,
so ist der Herausgeber, soweit eine Beurteilung möglich ist, mit
grosser Sorgfalt verfahren. Augenscheinliche Druckfehler habe
ich bei der Lektüre nur wenige gefunden. Vers 291 ist wohl
statt deto^'vant zu lesen devant tq; 363 statt Par: Car ; 793
statt me: ne; 1413 statt F^s: Tes; 1655 statt N'dtre: N'Ste.
P. Gböbedinkel.
Moliire, Commedte scelte, Gon note storiche e filologiche del Prof,
Luigi Dupin; precedute da un Sunio Storico del Teatro
Francese, Ad uso delle scuole. Vol. I. Les Precieuses
ndicules. Milano, 1888. ü. Hoepli.
Der Herausgeber lässt zwar auf die Kehrseite des Titel-
blattes das übliche Proprietä letteraria drucken, vergisst aber
leider hinzuzusetzen, wessen litterarisches Eigentum er hier zu
Markte bringt. Der Unterzeichnete steht nicht an zu behaupten,
dass die note storiche e filologiche nicht von Herrn Dupin, sondern
von einem deutschen Herausgeber, gegenwärtigem Berichterstatter,
verfasst sind. Zwar nennt Herr Dupin unter seinen siebzehn
„Quellen" auch die bei Weidmann von mir besorgte Ausgabe der
PE, und fügt insgemein hinzu, er werde nicht jedesmal sagen,
woher er diese oder jene Notiz habe; aber das wäre auch kaum
nötig gewesen, er hätte nur zu sagen brauchen, dass von den
158 Anmerkungen seiner' Ausgabe 141 von mir verfasst und von
ihm mit einigen Kürzungen übersetzt sind.
Die aus drei Stücken bestehende Einleitung kommt aller-
dings nicht auf mein Konto. Das erste Stück, Compendio deUa
Storia del Teatro francese lohnt nicht zu zergliedern; wer seine
Vorzüge erkennen will, lese S. 11 den Absatz, worin Dupin die
Gründung des Hotel de Bourgogne und des Hotel d'Argent an
L. Dupin, Moliere, Commedie sctlie, con note storiche e filologiche etc. 215
das Ende des XVIL Jahrhunderts verlegt und mit bezug auf. die
Zeit Ludwig XIV. immer von den Comidiens ordinaires de Tem-
pereur spricht. Ebenso wertlos ist die Biografia di Moliere.
Die dann folgenden Notizie sulle PR, bestehen aus den herkömm-
lichen, irgendwo zusammengerafften Redensarten über das Stück;
an der ernsthaften Arbeit, die in meiner Einleitung steckt, geht
Herr Dupin vorsichtig vorüber. Indessen fängt er doch schon
an, meine Ausgabe nebenher auszubeuten. Man vergleiche:
Pritsche, S. 12.
In ihrem Bestreben alles All-
tägliche zu vermeideD nahmen die
preziösen Herren und Damen in
ihrem Verkehre unter sich Namen
aus der Schäfer- und Ritterdichtung
an, oder modelten ihren eigenen
zu einem griechisch-klingenden um.
(Folgt eine Reihe von Beispielen.)
Die ungeheuerlichsten Namen
werden gebildet: Sidroaste, Gala-
cerie, Liadamire, Felixerie u. s. w.
(Folgen die Ortsnamen.)
Dupin, S. 37 f. (mit einer unzweck-
mässigen Kürzung).
Per eviiare tutio cid che seniiva
di Vulgare, 1 precieux e le pre-
cieuses neue hro relazioni cam-
biavano anche il proprio nome mo-
dellandolo in uno che sembrasse
greco.
(Folgen dieselben Beispiele.)
Chi si chiamö Sidroaste, chi
Galace7ie, Ligdamire, Felixerie etc.
(Folgen dieselben Ortsnamen in
Auswahl.)
Der darauf abgedruckte Titel der Originalausgabe zeigt
merkwürdigerweise denselben Fehler, den ich bei der Anordnung
der Zeilen begangen hatte. Es musste bei mir nicht heissen
au Petit -Bourhon ä Paris. — Chez Claude Barhin u. s. w.,
sondern au Petit -Bourhon. — A Paris. — Chez Claude Barhin,
Wer solche alte Btichertitel zurechtgesetzt hat, versteht, wie ich
zu der falschen Einteilung kommen konnte. Hätte ich nicht
übersehen gehabt, dass Despois II, 42 den Titel mit diploma-
tischer Genauigkeit schon wiedergegeben hatte, so würde ich
und auch Herr Dupin den Fehler nicht begangen haben.
Kühner wird Herr Dupin in den Noten zur Priface. Aber
die Vorsicht hat ihn noch nicht ganz verlassen. Seine erste
Anmerkung steht bei mir nicht unter dem Text, sondern ist ein
Satz aus der Einleitung:
Fritsche, S. 22.
Der grosse Beifall, den das
Stück fand, bewog einen Buch-
händler, Jean Ribou, sich eine
Kopie desselben zu verschaffen und
ohne Zustimmung des Verfassers
zu drucken.^) Dies erfuhr Moliere
und veranlasste, dass das Ribou
bereits erteilte Druckprivileg auf-
gehoben wurde (Despois II, 43);
um sich aber vor ähnlichen Ver-
suchen zu schützen, gab der Dichter
Dapin, S. 43.
11 successo strepitoso deUa com-
media indusse un libraio, Jean Ribou,
a procurarsene nna copia c stam-
parla col consentirnento della po-
lizia e senza quello ' delCauiore.
Moliere lo seppe e fece in modo
che il privilegio della stampa dato
a Ribou fosse annuUaio; ma per
togliersi le seccature d^attomo, Mo-
216
Referate und Rezensionen. H. Fritsche,
seia Stück an den Verleger de
Luynes, der sein Privileg wieder
mit CharleR de Sercy und Claude
Barbin teilte. So erschienen denn
1660 die Pä., als das erste Stück
MoliÖre's, im Druck,2) in drei gleich-
lautenden oder doch nur durch
ganz geringfügige Änderungen von
einander abweichenden Drucken.
1) Dies ist ein nnrichtiger Ausdruck ; ich
hätte sagen sollen : und ohne . . . einen Druck
vorzubereiten.
2) Ich liess hier die Frage über den
ersten Druck der ^ourdi als unerheblich
beiseite.
liere diede la sua commedia alPediiore
de Luynes ü qitale divise ü privi-
legio con Charles de Sercy e Claude
Barbin. Cosi esci nel 1660 les Pre-
cieuses ridicules in Ire edizioni quasi
eguali differenii solamenie per ]nc-
coli cambiamenii. Quella del Ribou
non aveva quindi prefazione.^)
1) Dieser letzte Satz ist freie Erfindung
des Herrn Dupin, hervorgegangen aus dem
nebenbemerkten unrichtigen Ausdruck. Bei
Ribou sind die PR. überhaupt nicht erschienen.
Meine Anmerkung 3 zur Preface (S. 25) ist in zwei zer-
legt (S. 44). Dupin's Nr. 3, S. 44, ist meine Anmerkung 4,
etwas gekürzt, seine Nr. 4 ist mit einem ganz belanglosen Zu-
satz meine Nr. 5. Meine Nr. 7 gibt ihre erste Hälfte zu seiner
Anmerkung 1, S. 45, her. Dupin's Note 2, ibid. ist aus meiner
Nr. 8. So geht es die ganze Preface hindurch. Einzelne An-
merkungen schöpft Dupin aus Brunnemann und anderen „Quellen^,
aber nicht immer mit Glück, so Anmerkung 3, S. 43, aus Brunne-
mann's Anmerkungen 3, S. 25.
Ganz unverfroren aber verfährt der Plagiator in den Noten
zum Stück selber. Ganze 17 von 158 sind nicht aus meiner
Ausgabe übersetzt; diese 17 fast ausnahmslos ohne Belang. Die
übersetzten sind hier und da gekürzt, oder durch einen müssigen
Zusatz erweitert, im wesentlichen aber nach Form und Inhalt
mir abgenommen. Meine Irrtümer, Druckfehler und Verweisungen
auf frühere Noten wiederholt er getreulich, versteht mich aber
allerdings mitunter falsch. Hierfür hat E. Koschwitz in der
DLZ, vom 4. Mai d. J. schon so viel Beispiele beigebracht, dass
ich sie hier wohl sparen kann. Manchmal versucht Herr Dupin
eine Verbesserung, hat aber kein Glück damit. So schreibt
er S. 62 Anm. 3 au port de Chuchoter, weil er denkt Chucheter
sei ein Druckfehler für Chuchoter, während Littr6 ihn in Kürze
belehren konnte, dass Chucheter eine früher nicht ungebräuchliche
Form war. ^anz zweideutig klingt es, wenn er S. 65 Anm. 2
que nous soyons erdres für ü presente del soggiuntivo erklärt.
Auch ist Herr Dupin nicht sehr sorgfältig; S. 72 Anm. 4 sagt
er kurz Etre en passe de Vetre, espressione di giuoco. Ich hatte
S. 50 gesagt, der Ausdruck sei vom Kolbenspiel abgeleitet und
mich auf meine Note zu den Fach, 275 berufen. Aber Herr
Dupin hat den Ausdruck Kolbenspiel nicht verstanden und ist zu
bequem gewesen, die Fdcheux- Ausgabe zu befragen. Hier und da
übersetzt er ohne Not ungenau, wie S. 91, wo er Bürgersfrau
Z. Dupin, Moliere, Commedie scelie, con note sioriche e ßologiche etc. 217
durch borghese, Bürger, statt etwa durch cittadina wiedergibt.
Auch riskiert er wohl, sein Original zu verbessern, wie A. 1 auf
S. 99, aber den Beweis für seine Erklärung von courante bleibt
er schuldig. — Doch genug. Jeder Erklärer nützt seine Vor-
gänger aus, aber Herr Dupin hat doch eine zu einseitige Vorliebe
für meine Ausgabe gehabt.
Es sei mir gestattet, zu letzterer bei dieser Gelegenheit
hier einige Zusätze und Verbesserungen kurz anzugeben. — Zum
SchluBS des mittleren Absatzes auf S. 6: Dies bemerkt schon
Foumel in den Contemporains de Molüre III, 400, Note 3. —
Zu 8. 9: Über die preziösen Damen zur Zeit Marot's lese man
Marot, 6d. Guiffrey III, 381; über den Spott des Nicolas Le Digne
gegen die Preziösen seiner Zeit s. L6nient, La Satire en France
S. 561. — Die von den Preziösen angewandte Schreibung repren
für reprend. ist wohl nicht ihre Erfindung, sondern Reminiscenz
an Schreibungen des XVI. Jahrhunderts; s. Darmesteter et Hatz-
feldt, Le seizüme stiele I, 234, § 108 am Schluss. — Morf be-
hauptet in dieser Zeitschrift IV, 213 Somaize's Grand Dictionnaire
des Pritieuses ou la Clef de la langue des ruelles sei erst 1660,
nicht 1659 gedruckt. Woher er dies hat, weiss ich nicht; meine
Angabe stützt sich auf Livet's Neudruck, Pref. XXXIII und darauf,
dass der dann folgende Abdruck der Ausgabe von 1660 als
zweite vermehrte und verbesserte Ausgabe bezeichnet ist. — Zu
Molifere*s Ausfall gegen die Gerichte in der Priface lese man
Paringault's bekannte Abhandlung in der Eevue historique du droit
frangais et Hranger VII, 317 ff. Auch nach der Ordonnanz
von 1667 wurden die Klagen nicht geringer; vgl. Boileau, Le
Lutrin V, 57 — 58. — Zu den Porteurs de chaise, S. 30, vgl.
Foumel, Contemp. I, 323, Note 2. — Die Übertragung von Schau-
spielernamen auf Personen der Schauspiele (ibid.) war gewöhnlich;
s. Parfaict VII, 24. — Zu Anm. 22: Zwischen lat. pectzs und
frz. picore liegt ital. pecora, Lat. Pecora campi gebraucht La-
rivey als fem. sing. In Le Fidelle II, sc. 14 sagt der Pedant
M. Josse von Babille: qui est ceste mal morigeree pecora campi f
— Über die Toilettenkünste der Damen, von denen Gorgibns
S. 34 spricht, vgl. Boucher*s Champagne le Coiffeur, besonders
Sc. X, bei Fournel III, 270 ff. — Rotfou hat das Wort eglise
nicht bloss Ciarice I, 5, wie Anm. 44 gesagt ist, sondern auch
in La Soeur 11, 2 zweimal. — Ich bekenne, dass mich die Er-
klärung in Anm. 52 auch nicht befriedigt; aber ich weiss keine
bessere zu geben. Ist die Redensart de but en blanc, die auch
litterarisch gebildete Franzosen mir nicht genügend erklären
konnten, vielleicht eine übliche Entstellung? Charron, De la Sa-
gesse II, chap. 12, hat den Satz: 11 ne peid bien agir qui ne
218 Referate und Rezensionen. 0, Knatier,
vise au hut et au blanc. — Zu Anna. 116: Fureti^re beschreibt
im Eom, bourg,, Ausgabe von 1704, S. 11, einen Advokaten,
der sich als Edelmann aufspielt: Ses cheveux . ! , dtatent couverts
le soir d'une belle perruque blonde tres frequemment visitee par
un peigne quil avait plus souvent ä la main que dans la poche.
Auch zu Anm. 120 findet man bei Furetiere 1. c. S. 21 einige
ergötzliche Bilder. — S. 52 in der letzten Zeile des Textes lies
de ma manihrt. Zu Anm. 140: Die erste Behauptung ist nicht
richtig; man sagt noch jetzt: je fus ouvrir la porte u. dgl. —
Noch eine Stelle zu der Sammlung in Anm. 143 findet sich bei
Tristan THermite im Parasite V, 5 (von 1654): II a voU le ccßur
ä qui voloit le sien, (Foumel III, 63.) — Der Scherz über das
Impromptu, das man ä loisir machen werde, findet sich ähnlich
bei Fureti6re 1. c. S. 158. H. Fritsche.
Blennerhassett, Lady Charlotte, geb. Gräfin Leyden, Frau von
Staely ihre Freunde und ihre Bedeutung in Politik und
LiUeratur. Zweiter Band. Berlin, 1888. Gebr. Paetel.
472 S. gr. 8^. Preis: 10 Mk.
In jeder Hinsicht würdig reiht sich dem ersten Bande^) des
grossen Werkes der zweite an, der die Zeit vom Herbst 1790
bis zu der ersten Reise der Heldin nach Deutschland umspannt.
Der an jenem gerügten sprachlichen Sünden macht sich freilich
die Verf., wie wir unten belegen werden, hier nicht weniger schuldig.
Versuchen wir, von dem tiberreichen und interessanten
Inhalt der sieben Kapitel eine gedrängte Skizze zu entwerfen.
Das erste Kapitel (S. 1 — 56) führt uns zunächst nach
Coppet, wo Frau von Staöl zum ersten Male wieder seit sechs
Jahren vom Oktober 1790 bis zum Januar 1791 und dann wieder-
holt in letzterem Jahre bei ihren Eltern weilte, und fügt zu dem
Bilde des Vaters und der Tochter sowie zu seinem geschichtlichen
Hintergründe manche bemerkenswerte Züge. Necker's Cours de
Morale religieuse erscheint als eine Art von Vorläufer des Genie
du Christianisme. Wir sehen die StaSl als Gegenstand des
Parteihasses, in der Beleuchtung der Rivarorschen Spottschriften,
und lernen den dort als ihren bevorzugten Liebhaber bezeichneten
Grafen Louis von Narbonne näher kennen, dessen wirkliche
Mutter keine andere als Ludwig's XV. Tochter, Madame Adelaide,
gewesen zu sein scheint. Wir verfolgen den Wandel, der sich
allmählich in den Beziehungen des Barons von Stael zu König
Gustav III. vollzog, und der bei dem sich mehr und mehr ver-
1) Vgl. Zischr, X, S. 100.
Lady Charlotte Btennerhassett, Frau von Stael, ihre Freunde etc. 219
schärfenden Gegensätze in den politischen Anschauungen Beider
zu einer Art schwedischen Nebengesandtschaft, deren Träger Graf
Fersen war, geführt hatte. Einblick wird uns gewährt in die
Parteipläne unmittelbar vor dem unglücklichen Fluchtversuch der
Königsfamilie, in die Flucht nach Varennes selbst mit ihren
nächsten Folgen, in die letzten Möglichkeiten einer Rettung der
französischen Monarchie und in die abschliessenden Thaten der
Nationalversammlung. Mitteilungen aus einem ungedruckten Briefe
der Frau von Stael an Nils von Rosenstein und aus einem von
ihr an Gustav III. bilden den interessanten Abschluss.
Das zweite Kapitel (S. 57 — 120) schildert Frankreich
unter der Legislative bis zum 10. August 1792. Vorgeführt
wird uns: das Schwanken des Hofes zwischen den Parteien;
Narbonne, der Freund der Stael und Vertreter' der konstitutionellen
Partei, als Minister; der merkwürdige Versuch, den Herzog von
Braunschweig zum Führer der französischen Heere und vielleicht
zum dereinstigen Träger der französischen Krone zu gewinnen;
das Ministerium Roland; die Abberufung des Barons von Stael
aus Paris unmittelbar vor Gustav's III. Ermordung; die noch-
maligen Anzeichen einer möglichen Rückbewegung und das immer
stärkere Aufwallen der revolutionären Leidenschaften bis zu dem
verhängnisvollen Manifeste des Herzogs von Braunschweig. Frau
von Stael erscheint teils als Beobachterin der Ereignisse, teils
bemüht, in dieselben einzugreifen, wie durch ihren vergeblichen
Plan zu einem neuen Fluchtversuch der königlichen Familie.
In dem dritten Kapitel (S. 121 — 18«S), das mit dem
10. Angust 1792 beginnt und an äusseren Momenten aus der
Revolutionsgeschichte besonders die Septembermorde, die Hin-
richtung des Königs und den Sturz der Gironde, andererseits die
Kriegsereignisse und die Versuche einer Allianz zwischen Frank-
reich und Schweden verzeichnet, beruht die Darstellung zu einem
grossen Teile auf den Considiraiions der Frau von Stael, und
neben Gestalten wie Anacharsis Cloots, Eulogius Schneider, Graf
Schlabrendorf, J. E. Bollmann, dem scharf beobachtenden Augen-
zeugen der damaligen pariser Verhältnisse, Miss F. Burney,
Graf Joseph de Maistre tritt auch die eigene Person der Stael
wieder mehr in den Vordergrund. Wir verfolgen ihre Flucht
aus Paris, ihren Aufenthalt in Coppet während der letzten Monate
des Jahres 1792, wo sie ihren Sohn Albert gebar, ihren Aufent-
halt in England vom Januar bis Juni 1793 und ihre Rückkehr
von dort nach Coppet, wo sie im Mai 1794 am Sterbelager ihrer
Mutter stehen sollte. Allenthalben sehen wir die mutige Frau,
welche die Feder zur Verteidigung der Königin ergreift, um die
Rettung bedrohter Freunde und Gesinnungsgenossen bemüht. Die
220 Referate und Rezensionen. 0. Knauer,
Schilderung ihrer Beziehungen zur englischen Gesellschaft und
ihrer in England gewonnenen Eindrücke darf in diesem Abschnitt
besonderes Interesse in Anspruch nehmen.
Das vierte Kapitel (8. 184 — 253), das mit dem neunten
Thermidor anhebt und von der moralischen Entartung ausgeht,
in welche die langen Revolutionsjahre die französische Gesell-
schaft hatten versinken lassen, muss den Herzensbeziehungen der
Frau von StaSl näher treten: an Stelle des durch Schuld des
männlichen Teiles gelösten Verhältnisses mit Narbonne, dessen
Intimität durch ein Zitat aus Sainte-Beuve eingeräumt wird, tritt
seit September 1794 das neue, folgenwichtige mit Benj. Constant.
Wir lernen Vergangenheit und Charakter dieses Mannes kennen und
erfahren andeutungsweise aus seinem erst kürzlich veröffentlichten
Journal intime, dass es ihm an einem gewissen Tage wohl ge-
lungen sein mag, endlich auch die letzte Gunst der geliebten
Frau zu gewinnen (vgl. S. 205), die ihn zum Genossen ihrer
politischen Anschauungen und Pläne erhebt und seine Lebens-
richtung nunmehr auf lange Jahre bestimmt. Das politische
Glaubensbekenntnis der Staöl für jene Zeit, wie sie es in den
Reflexions sur la paix (1794) und den Reflexions sur la paix
Interieure (1795) niedergelegt hat, ist im Gegensatz zu dem ihres
Vaters ein entschieden republikanisches: damit hält sie im
Mai 1795 *kurz nach der Anerkennung der französischen Republik
durch ihren Gatten als schwedischen Gesandten ihren Wieder-
einzug in die französische Hauptstadt, wo ihr Salon in den
letzten Tagen des Konvents sich bald wieder zu Glanz und Ein-
fluss erhebt. Fesselnd geschriebene Seiten versetzen den Leser
in das Parteitreiben, das Verfassungswerk, das Gesellschaftsleben
und die Zustände des Jahres 1795 und lassen die damalige be-
deutsame Rolle der Frau von StaSI, welche Talleyrand die Rück-
kehr erwirkt, der gemässigten republikanischen Presse in Benj.
Constant einen neuen Kämpfer zuführt und an den politischen
Streitfragen lebhaften Anteil nimmt, deutlich hervortreten.
Im fünften Kapitel (S. 254—320) begegnen wir der
Heldin zuerst in Coppet (bezw. Lausanne), wo sie die Zeit von
1795 bis zum Frühjahr 1797 litterarisch thätig verbringt, seit
Ende 1796 mit ihrem Gemahle zusammenlebend, den eigen-
mächtiges Gebaren um seinen Gesandtschaftsposten gebracht
hatte^), und finden im Eingang ihre Schriften aus jener Zeit:
1) Die Darstellung Strodtmann's Dichierprofile II, S. 12, wonach
Frau von Stael 1796 hauptsächlich um Benj. Constants willen die Ver-
bindung mit ihrem Gemahl löste, während seine Trennung von ihr
1798 gar nicht erwähnt wird, ist also nicht völlig zutreffend. Mindestens
war die Trennung im Jahre 1796 keine dauernde.
Lady Charlotte Blennerhasseii, Frau von Siael, ihre Freunde eic, 221
Essai suT les fictions und De Vinfluence des passions sur le
bonheur des individus et des nations mit Geist zergliedert und
gewürdigt.
Die nächsten Seiten schildern bei Gelegenheit ihrer Rück-
kehr nach Paris durch Barras' Vermittelung die inzwischen er-
folgte Veränderung der politischen Lage durch das -Hervortreten
Bonaparte's im italienischen Feldzuge und durch Babeufs Ver-
schwörung (zu deren Verständnis die Verfasserin die Entwickelnng
der sozialen Frage seit der Revolution in Kürze darlegt) und
weiterhin das Eintreten der Stael und Oonstant's gegen die
Reaktion, die Stellung der Ersteren zu den Bonaparte's, zum
Staatsstreich vom 18. Fructidor und ihre gegensätzliche Haltung
gegenüber der ungerecht - gewaltthätigen zweiten Hälfte der
Direktorialregierung. Die hier erwähnte Geburt ihrer Tochter
Albertine gibt der Verfasserin noch keinen Anlass auf die Frage
näherer Beziehung derselben zu Benj. Constant einzugehen. Lady
Blennerhassett schliesst nach Verweilen bei dem Kreise der Frau
von Beanmont und Erwähnung der schweizer Revolution mit
Baron Stael's Rückkehr auf seinen Gesandtschaftsposten und
seiner Trennung im Sommer 1798 von seiner Gemahlin, wobei
nach der eigenen Vermutung der letzteren (vgl. 8. 319) politische
Rücksichten mitgesprochen zu haben scheinen.
Überaus reich an Inhalt, erstreckt sich Kapitel sechs
(S. 321 — 395) bis zu dem Tode des Baron Sta61 am 9. Mai
1802 und begleitet somit die Entwickelnng der französischen
Verhältnisse durch die letzten Zeiten der Direktorialregierung,
über die Staatsstreiche des 30. Prairial und 18. Brumaire hinweg
bis mitten in das Konsulat hinein. Die Beteiligung Constanf s
und der Stael an der politischen Entwickelnng sowie die Heraus-
bildung der Feindschaft letzterer mit Bonaparte treten gebührend
hervor, während uns als Ausdruck ihrer unentwegten Überzeugung
von der menschlichen Vervollkommnungsfähigkeit ihr Werk De
la littiraturey considSrie dans ses rapports avec les institutions
sociales begegnet. Bei diesem verweilt Lady Blennerhassett
länger, um seinen Zusammenhang mit älteren Ideen und mit der
Anschauung der Zeit, seine neuen fördernden Impulse in der
Heranziehung der englischen und deutschen Litteratur und sein
Schicksal nachzuweisen, dass es in seinen politischen Gedanken
und in den Ansichten, die noch unter dem Banne des XVIII.
Jahrhunderts stehen, zu spät, in seinen Vorgefühlen der Ro-
mantik aber zu früh erschienen war. Unter den tadelnden
Stimmen, die das Buch weckte, berührt Lady Blennerhassett be-
sonders die verschiedenen Äusserungen Chateaubriand's und
gehaltet eine geistvolle Charakteristik dieses ersten Heros der
222 Referate und Rezensionen, 0. ^nauer,
französischen Romantik ein. Die Beziehungen der Stael, die
sich mit der Familie de Gerando und mit Mad. R6camier an-
knüpfen, ihr Leben in Paris im Winter 1800 auf 1801 (der
Seitenkopf S. 384 zeigt fölschlich 1801—1802), in Coppet vom
Sommer 1801 bis März 1802, in welche Zeit die Veröffentlichung
von Necker^s Werk Demih'es Vues de politique et de finance
fällt, eine neue Reizung von Bonaparte's Zorn ; endlich ihr letztes
Verweilen in der mehr und mehr dem Bonapartismus verfallenden
Hauptstadt im Frühjahr 1*802 füllen weitere Seiten.
Der Eingang des letzten Kapitels (S. 396 — 472) ist aus-
führlicher Betrachtung der im Herbst 1802 erschienenen Delphine
gewidmet. Frau von Stael verlässt als ständigen Wohnsitz
Coppet in einem Zeitraum von anderthalb Jahren nur, um im
September 1802 in der Nähe von Paris den Druck dieses Werkes
zu leiten, und so ist Lady Blennerhassett veranlasst, ein Bild
von dem Leben und der Gesellschaft in Genf zu entwerfen, wo
die Staöl mit Personen wie Mad. Rilliet- Huber, Mad. Necker de
Saussure, Sismondi, Frau von Krüdener, Bonstetten, Friederike
Brun Verkehr pflegt, und uns zugleich ihre Heldin in der Familie,
bei der Erziehung ihrer Kinder (nach der Notice der M™®
Necker de Saussure) und in dem Verhältnis zu ihrem Vater zu
malen. •
Der Versuch einer Näherung an Paris im Herbst 1803,
die Verbannung auf vierzig Meilen von der Hauptstadt, die der-
selbe zur Folge hatte, und der Antritt der ersten Reise nach
Deutschland bilden samt einer Beleuchtung der geistigen Fäden,
welche sich bereits von dort nach Frankreich hintiberspannen,
für Kapitel und Band den Schlnss.
Die Masse der von der Verfasserin benutzten Litteratur
ist gegen den ersten Band erstaunlich gewachsen. Wir nennen
von den hinzukommenden allgemeinen historischen oder litterar-
geschichtlichen Werken: Geijer's Geschichte Schwedens; Reuchlin's
Geschichte Italiens; Girtanner's Politische Annalen; Lecky, History
of England in the XVllV^ Century; Adolf Schmidt^s Pariser Zu-
stände; Louis Blanc's Histoire de la revolution; Lanfrey's Essai
sur la rivol, fr, und Histoire de Napoleon; Toulongeon's Histoire
de France depuis 1789; Granier de Cassagnac's Histoire du
Directoire und les Girondins, Lamartine's Histoire des Girondins;
Forneron's Histoire des itnigris, Lebon's VAngleterre et Vemigration
frangaise; E. et J. de Goncourt's la Femme au XVIlP^^ silcle;
V. Pierre's La Terreur sous U Directoire; — Haym, Die romantische
Schule; die verschiedenen litterarischen Portraits von Sainte-Beuve,
Vinet, Etudes sur la litter ature frangaise ; Brandes, Die Litteratur
des XIX, Jahrhunderts in ihren Hauptströmungen; Taine, Histoire
L(uly Charlotte Blennerhassett , Frau von Siae'l, ihre Freunde etc. 223
de la littirature anglaise; M.-J. Ch^nier, Tahleau historique de la
litter ature fran^aise depuis 1789; A. MicliielS; Histoire des idSes
litteraires en France] Weddigen, Geschichte der Einwirkungen der
deiäschen Liüeratur ; Süpfle, Geschichte des deutschen Ridturein-
flusses auf Frankreich; Gaulliear, Etudes sur Vhistoire littiraire
de la Suisse frangaise.
Von Monographieo, bezw. biographischen Werken sind hin-
zugekommen: Janssen, Fr, C. Graf von Stolberg; Michaad,
Talleyrand und Bulwer, Life of Talleyrand; L6onzon-Le Duo,
Gustave ni; Hamelj Eobespierre ; Helen Zimmern, Miss Edgeworth;
Bardoux, Lc Comte de Montlosier; Hess, J. C. Schweizer; ühde,
üeichardtj eine Selbstbiographie; Avenel, An. Cloots; Kapp, Boll-
mann; Rondelet, M^^ de Stael et Rousseau; Stevens, Mad. de
Statt; Vicomtesse de Noailles, La Princesse de Foix; A,-D. de
Noailles, La Marquise de Montagu; Beauchesne, Louis XVII;
Costa de Beauregard, ün homme d'avtrefois (Necker); Stanhope,
Life of Pitt; de Martel, Fouche; Lavergne, Molinari; A. de Foville,
Etudes sur la propriete foncih'e; Buonarotti, Conspiration pour
Vegalitt; Advielle, Histoire de Babeuf et du Babouvisme; Stein,
Begriff der Gesellschaft; Guizot, Le Duc de Broglie; die Biographien
Chateaubriand^s von Sainte - Beuve, Villemain und Marcellus; die
der Frau von Krüdener von Jacob le Bibliophile und von Eynard;
de la Rive, La sociite intellectuelle ä Genhye; Welschinger, La
Censure sous le premier Empire.
An Memoirenwerken verzeichnen wir: die von Mad. Campan,
Villemain, dem Herzog von Broglie, Greville, Burke (ThoughU
an the Affairs of France), Dumouriez, d'AUonville, Romilly, M°^®
de Remusat, Lacretelle (Dix annees d'Spreuves), Weber, Alfieri,
Vaublanc, Rist, Bumey, d'Haussonville, Miss Berry, Graf Beugnot,
Graf de Merode, Thibeaudeau, Nodier, Graf Miot de Melito,
Gourgaud et Montholon, Arnault, Baron de VitroUes, Lucian und
Joseph Bonaparte, M°^® Röcamier, Barthölemy, Fauche -Borel,
Gohier, Bourrienne, Metternich, Lamartine, Savary, Öhlenschläger.
Von Briefwechseln, die zwischen Maria -Antoinette und
Joseph n., sowie Leopold IL, die von Sismondi, Gräfin Dönhoff
und M°^® de Charrifere, Benj. Constant, Napoleon L, Villers,
M™® Recamier mit Frau von Stael, Frau von Stael mit der
Herzogin Louise von Weimar, Guizot, Reichardt, Jean Paul,
Knebel, W. v. Humboldt, Goethe und Schiller, Goethe und Gebr.
V. Humboldt, Goethe mit seiner Mutter,
Benutzte Werke, die zugleich Erinnerungen und Briefe um-
schliessen, sind endlich: de G6rando (Lettres inidües et Souvenirs
biographiquss de itf"*^ Ricamier et de M^ de ^tael), Lord
Malme sbury (Diaries and Correspondence), Joubert (Pensdes et
224 Refe^-aie und Rezensionen. 0. Knauer,
Oorrespondance), Henry Crabb Robinson (Diary, Eemmiscences
and Correspondence), Th. Moore (Letters and Journals of Lord
Byron), Ticknor (Life, Letters and Journals),
Dass die Werke Chateaubriand's , Constanfs, Jos. de
Maistre's, Villers' u. A. mit Quellen der Schriftstellerin gewesen
sind, bedarf kaum der Erwähnung.
Von ungedrucktem Material aber zieht Lady Blenner-
hassett ausser den auf der Universitätsbibliothek Upsala ver-
wahrten Briefen der Stael, die wir schon bei Besprechung des
ersten Bandes zu erwähnen hatten^ solche an Meister von
Necker und Frau von Stael heran, die sich in Winterthur in
dem Privatbesitz eines Herrn Dr. Th. Reinhart befinden.
Die Darstellung des Werkes geht derartig in die Breite
und Tiefe und bietet des Interessanten so viel, dass die Wahl
schwer fällt, wenn man aus dem zweiten Bande Einzelnes heraus-
greifen und hervorheben will. Doch deuten wir in dieser Hin-
sicht auf die Briefe Bollmann's (S. 134 flF. und 161 ff., aus Varn-
hagen's Denkwürdigkeiten genommen), aus denen uns das Bild
der Stael überaus lebendig entgegientritt, auf einen Brief Joseph
de Maistre's (S. 180), auf die genauen Angaben über die
finanziellen Verhältnisse des Sta^rschen Ehepaares (S. 267 und
377), auf den authentischen Nachweis der ursprünglich (noch
im Jahre 1797) spröden und fremden Stellung der Stael zur
deutschen Litteratur (S. 460) hin.
Im Vergleich mit Stevens scheint uns Lady Blennerhassett
besonders deshalb Anerkennung zu verdienen, weil sie den
Herzensbeziehungen ihrer Heldin wirklich auf den Grund geht
und nicht sie zu vertuschen beflissen ist.
Was die Sorgfalt im Kleinen anlangt, so sind uns aller-
dings beim Studium des Werkes einige Zweifel beigegangen, ob
sie von der Verfasserin durchweg geübt worden ist. Wir haben
die Unmasse der Zitate, der tibersetzten und ausgezogenen Stellen
natürlich nur zu einem ganz kleinen Teile nachgeprüft und schon
aus dem Grunde vielfach nicht nachprüfen können, weil die be-
treffenden Werke schwer erreichbar sind; aber ganz gelegentlich
sind wir doch auf manche Ungenauigkeiten in jenen, sowie auf
andere kleine Versehen gestossen. So ist S. 287 vom gesetz-
gebenden Körper, wo der Regierung (1797) von fünfhundert
nur zweihundert, und vom Rat der Fünfhundert, wo ihr von
zweihundertfünfzig nur siebzig Stimmen geblieben seien, die Rede.
Offenbar soll es an der zweiten Stelle „Rat der Alten"
heissen, während „gesetzgebender Körper" (die gemeinsame
Benennung beider Versammlungen: vgl. Thiers, Hist de la revol,
fr. Livre XXX: on consentü ä V itahlissement d^un corps legislaUf
Lady Charlotte Blennerhasseit , Frau tum Siael, ihre Freunde etc. 225
partagi en deux Assemblees und Mignet, Hist de la revoL fr,
Chap. XI) fälschlich für „Rat der Fünfhundert" gebraucht
ist. — S. 289 steht filoux en troupe statt filous. — S. 307 wird
Napoleon's Vertrauter auf Helena Las Gases zu Las Oasas. —
S. 320 ist eine Stelle aus De VAllemagne (T. 3, Kap. 19) nicht
nur im Ganzen sehr frei übersetzt, sondern ein Wort geradezu
sinnstörend falsch gelesen: im Text steht une esclave^ während
Lady\ Blennerhasseit schreibt: damit etwas heilig bleibe auf
Erden,\sei es besser in der Ehe einen Sklaven als zwei Frei-
geister zu finden." — S. 388 kommt Z. 10 v. u. der Druck-
fehler on für ou vor. — S. 397 ist Therese d'Ervin's aus
Delphine als die „sterbende" Freundin bezeichnet, während
sie nur, wie weiter unten richtig erzählt wird, in das Kloster
geht (vgl. Delph, I, Lettre XXXII und II, Lettre XIX). — S. 434
wird Mad. Necker de Saussure Necker's „Cousine" statt „Nichte"
genannt. — S. 446 wird ein Aufsatz von Süpfle aus dem
GoRthe- Jahrbuch von 1987 zitiert. — S. 460 steht aus einem
Briefe der Stael: c^est ce qui vous ne me verrez pas faire^ was
Frau von StaSl schwerlich geschrieben hat oder gewiss nicht
hat schreiben wollen. — S. 465 fehlt der Verweis auf Villers'
Briefwechsel, herausgegeben ' von Isler: der Brief steht dort
S. 268 ff. (vom 1. August 1802) und ist von Lady Blennerhassett
in einzelnen Punkten ungenau wiedergegeben. Sie schreibt
(S. 464): ,,Wenn er ein Wesen beschreibt, das mit jedem neuen
Sinn neue Ideen erhält, hätte sich ebenfalls berechnen lassen,
was ein der Reihe nach aller seiner Sinne beraubter Mensch
dennoch ohne dieselben an Ideen behält", während es im
Texte lautet (a. a. 0. S. 270) tout ce que Vhomme privd successivement
de chacun de ses sens pourrait non seulement conserver maia
acquerir d'idSes sans ewa?, und lässt, ohne die Auslassung
anzudeuten, hinter den Worten: „wenn Sie dem Gedanken ent-
sagten, uns Kaufs übrige Werke zugänglich zu machen" die
sehr bezeichnende Stelle unübersetzt: üs (les ouvrages de Kant)
ne seront jamais entendus sans vouSy vous avez au supreme (sie!)
degrS la clarte qui lui manque. — S. 469 soll es in dem Zitat
aus den Nouveaux Lundis 255 statt 235 heissen: da beginnt
der Aufsatz, der zitierte Brief steht S. 300. — Dasselbe Werk
von M. J. Chenier tritt S. 412 richtig als Tdbleau historique de
la Litterature frangaise depuis 1789 und S. 449 als Tdbleau de
la litterature frangaise au XVIII. si^cle auf. — Aus A. Michiels'
Ilistoire des Idies litter air es en France (S. 339 angeführt) ist
S. 445 eine Histoire des Litteratures etrang^res en France ge-
worden ; dass die Seitenzahlen dabei zu der Ausgabe des Werkes
Zschr. f. frz. Spr. u. Litt. XI«. jg
226 Referate und Rezensionen. J. Sarrazin,
von 1842, die uns zur Hand ist, nicht stimmen, mag an der Be-
nutzung einer späteren Ausgabe liegen.
Man sei also in solchen Dingen bei der Benutzung des
Werkes auf seiner Hut.
Wir geben endlich noch eine Blumenlese von den im Ein-
gang dieser Besprechung angedeuteten undeutschen, ja fehler-
haften Wörtern und Wendungen, welche die Verfasserin auch
im zweiten Bande braucht. Nicht nur verbindet sie wieder „be-
gegnen" an zahlreichen Stellen mit dem Akkus. (S. 124, 205,
300, 303, 359, 402, 450), lässt wieder „dem Gesandten etwas
wissen" (S. 24) und braucht wieder „die erste zu . . ." mit In-
finitiv (S. 389), sie bildet auch die schöne Form 3. Sg. Präs.
Ind. „verratet" (S. 249). S. 85 „präludiert" Jos. Ch6nier
„seinem Bastillendrama" durch gewisse Verse; S, 352 „plaidiert"
Chateaubriand „die Sache der Monarchie"; S. 427 „applaudiert"
Bonstetten Hernani und „die Revolution" von 1830; nach S. 422
^wusste" Mad. Necker de Saussure Griechisch und Latein;
S. 27 steht „warnen" in undeutschem Sinne statt „aufmerksam
machen, mitteilen" (avertir also falsch Übersetzt); S. 42 „ver-
hindern" mit dem Dativ der Person statt des Akkusativ (wohl
Vermengung mit „verbieten"); S. 238 „schmeicheln" mit dem
Akkusativ; S. 103 ist das Futurum in „Fortan wird sich der Ehr-
geiz . . . unter dem republikanischen Ideal bergen . . . Am Rande
des Blutstroms angelangt, wird sie . . . denselben tiberSchreiten"
undeutsch. S. 132 macht sich der Gallicismus „Jemanden flir
Jemanden verlassen" und S. 154 die ähnliche Wendung „einen
Standpunkt für einen anderen aufgeben" bemerklich; S. 340
„bricht" ein Verbindungsfaden; S. 390 steht „lernen" für
„lehren" („sie lerne Leuten denken"); S. 436 „sehen" für „auf-
suchen" (voir oder aller voirj. Wie endlich die Apposition
misshandelt wird, zeigen die Stellen: „war auch er zur Inter-
vention ... als letztes Mittel zur Rettung . . . bereit" (S. 37)
und „die Kriegserklärung der wahren Patrioten gegen die Ge-
mässigten, dieser Feinde der Freiheit und Gleichheit" (S. 89).
Trotz aller Verdienste des Werkes, denen wir vollauf ge-
recht geworden zu sein glauben, können wir mit erneutem Tadel
gegenüber solcher Behandlung der deutschen Sprache unmöglich
zurückhalten, so wenig wir vorher unsere Bedenken betreflFs der
Verlässlichkeit im Einzelnen und Kleinen verschweigen durften.
0. Knauer.
G. Carel, Voltaire und Gmlhe als Dramatike?\ 227
1/ Carel, George, VoUaire und Oosthe als Dramatiker. Ein Beitrag
zur Litteraturgeschichte. (Wissensch. Beilage zum Jahres-
bericht der Sophienschule zu Berlin, Ostern 1889.)
Berlin, R. Gärtner's Buchhandlung. 38 S. 4^. Preis:
1 Mk.
Wie für die Goetheforschung Hermann Grimm, so haben
Desnoiresterres und Mahrenholtz fiir die Voltaireforschung neue
Bahnen betreten. An Stelle der Verhimmelung seitens der Fran-
zosen und der grenzenlosen Verurteilung seitens der Lessing-
freunde beginnt denn auch eine objektive AuflFassung Voltaire^s
sich geltend zu machen.
Die gründliche, klar durchdachte, übersichtlich geordnete
und vortrefflich geschriebene Arbeit Carel's beginnt mit Goßthe's
Urteilen über Voltaire, wie sie in gelegentlichen Abhandlungen
und im Briefwechsel mit Schiller ausgesprochen wurden. Hierauf
geht der Verfasser auf die hervorragende Individualität des
grössten Franzosen und des grössten Deutschen ihrer Zeit ein,
auf ihre litterarische Stellung und insbesondere auf die dramatische
Wirksamkeit beider Dichter.
Goethe hatte vor Voltaire den gewaltigen Vorteil voraus,
dass er nicht am Schluss einer in Auflösung begrifi^enen, sondern
am Anfang einer aufgehenden Zeit stand. Auch wurde dem
Franzosen der Racine'sche Klassizismus zur drückenden Fessel,
während Goethe durch Lessing auf die Bahn der nationalen
Litteratur gewiesen wurde (S. 11). In Strassburg lernte der
junge Student den Einfluss des Patriarchen von Ferney auf die
Zeitanschauungen kennen und fühlte sich dadurch wenig sym-
pathisch berührt (vgl. Wahrheit und Dichtung, passim). Wenn
er trotzdem als Theaterintendant in Weimar klassische Dramen
der Franzosen auf die Bühne brachte, so ist das ein neuer Be-
weis dafür, wie sehr Goethes deutsches Denken und Empfinden
mit französischem Bildungsmaterial arbeitete. Dasselbe war bei
fast allen grossen Geistern jener Zeit der Fall (vgl. S. 32—33).
Den Einfluss Voltaire's auf die einzelnen Stücke Goethe's gedenkt
der Verfasser in einer späteren Abhandlung zu untersuchen.
Was Goethe insbesondere zur Verdeutschung Voltaire'scher Dramen
veranlasste, war die durch Zeitgenossen beklagte Wahrnehmung,
dass Shakespeare's Dramen der gediegenen Durchbildung der
Schauspieler Eintrag that (Nachweise S. 34 — 35). Das ge-
messene, feierliche Wesen der französischen Klassiker schien
dem Bühnenleiter Goethe angemessener. Voltaire aber ist im
Drama ein Epigone Corneille's, dessen rauschende Rhetorik und
heldenhafter Pathos ihm näher lag, als Racine's unübertrofi^ene
15*
ji
228 Referate und Rezensionen, A. Lange,
Schilderung der Liebe und des Frauenberzens. Den Dramatiker
Voltaire mit einem Shakespeare zu vergleicben, kam böcbstens dem
Zeitgenossen Lessing zu, welcher den verbassten ^französischen
Skribenten" nicht objektiv im Rahmen der Zeit betrachten konnte,
wie wir es ein Jahrhundert später gelernt haben. Mit gutem
Recht tadelt also Carel das sichtliche Wohlbehagen, mit welchem in
neuerer Zeit wieder an Lessing's Kritik angeknüpft wird, um die
Hiebe hageldicht auf Voltaire nieddrsausen zu lassen. Denn
einmal vergessen die gestrengen Richter, der völlig entgegen-
gesetzten nationalen Eigenart Rechnung zu tragen, ferner lassen
sie ausser acht, dass Voltaire für die Sünden seiner beiden Vor-
gänger mit btissen musste. Voltaire dachte nicht daran, — dies
betont Carel ausdrücklich, — den konventionellen Gepflogen-
heiten entgegenzuarbeiten und den hergebrachten klassischen Ge-
schmack zu bekämpfen: Je rCai voulu comhattre en rien le goüt
du public, sagt er in der Einleitung zur Mariamne, c'est pour lui
et non pour moi que j'icris; ce sont ses sentiments et non les
miens que je dois suivre. Ein allerdings sehr anfechtbarer Stand-
punkt des geschmeidigen Voltaire.
Wenn der Verfasser am Schluss der Einleitung sagt, Des-
noisterres, Strauss und Mahrenholtz seien ihm für Voltaire in ihrer
Objektivität Vorbild gewesen, ebenso wie H. Grimm für Goethe,
und Hettner für das ganze Aufklärungszeitalter, so kann ihm
das Zeugnis nicht versagt werden, dass er seine Vorbilder nahezu
erreicht hat. Die ganze Abhandlung hinterlässt einen wohl-
thuenden Eindruck. — Zum Schluss seien dem Referenten einige
Nachträge verstattet. (Edipe wurde nicht 1719, sondern am
18. November 1718 aufgeführt. Bei den im allgemeinen voll-
ständigen Litteraturnach weisen wären nachzutragen: A. Schmidt,
Voltaire's Verdienste um die Einführung Shakespeare* s, Progr.
Königsberg, 1864. H. Morf, Die Cäsartragödien Voltaire\^ und
Shakespeares, Zschr. Bd. X^, S. 214 fl^.
Bei Piron, dem boshaften Apothekersohn aus Dijon (S. 19,
Anm.), vermisst Referent die ziemlich wichtige Angabe, dass auch
die „Melromanie" gegen Voltaire gerichtet ist, welcher sich von
einem Dichterling Desforges - Maillard in ähnlicher Weise düpieren
Hess, wie Damis vom alten Francaleu (vgl. H. Bonhomme, Ein-
leitung zu den (Euvres de Desforges- Maillard, Paris 1880).
Eine auffallende Ähnlichkeit beider Dichter tritt meines Er-
achtens an geeigneter Stelle nicht ganz genügend hervor. Richtig
wird Goethe, der kühle Olympier, in Gegensatz zu dem von
Humanitätsgedanken und Rousseau'scher Naturschwärmerei er-
füllten Schiller gesetzt. Nimmermehr hätte Schiller dem Dichter
J^. Beyer, Französische Phomiik für Lehrer und Studierende. 229
des Faast II zugestimmt, der beim Anbliek der Volksmenge un-
willig ausruft:
Man freut sich, dass das Volk sich mehrt,
Nach seiner Art behaglich nährt,
Sogar sich bildet, sich belehrt —
und man erzieht sich nur Rebellen!
Auch Voltaire, der eingefleischte Aristokrat, der Verächter der
von Rousseau verteidigten populace, dachte wie der Geheimrat
von Goethe am Abend seines Lebens und hat es in seinem um-
fangreichen Briefwechsel, oft genug unzweideutig ausgesprochen.
J. Sarrazin.
Beyer, Franz, Französische Phonetik für Lehrer und Studierende,
Cöthen, 1888. Otto Schulze. IX u. 186 S. 8^.
In seinem Lautsystem des NeufranzÖsischen^) hatte der
Verfasser der vorliegenden Arbeit versprochen, auf die dort
gegebene Analyse der französischen Sprachlaute bald eine
Synthese derselben folgen zu lassen. Es war ein glücklicher
Gedanke, statt dessen vielmehr beides zu vereinigen und uns
so eine vollständige französische Phonetik zu bieten, an die
sich dann noch als Supplement eine Orthoepik anschliessen
soll. Der Stoff des Lautsystems hat bei der Neubearbeitung in
der Phonetik mancherlei Veränderungen erfahren, meist Kürzungen,
zum Teil Erweiterungen. Während dort „die wissenschaftliche
Erörterung hin und wieder durch nnterrichtliche Fragen ge-
kreuzt wird", ist der Verfasser hier bemüht, „das phonetische
System sauber aus einem Guss" zu geben. Mich will bedünken,
er hätte in diesem Streben nach Objektivität noch weiter gehen
können, als thatsächlich geschehen ist. Auch in der Phonetik
macht die Darstellung an einzelnen Stellen, so namentlich in
manchen der Anmerkungen, mehr den Eindruck persönlicher Aus-
einandersetzung mit den Mitforschern, als knapper, systematischer
Belehrung. So sind denn auch die im Schlusskapitel gegebenen
brieflichen Mitteilungen von Passy, Storm und Victor zwar für den
Phonetiker äusserst interessant und schätzenswert, thun aber dem
Charakter des Buches als eines „Handbuches der neufranzösischen
Lautwissenschaft" Abbruch. Dergleichen Nachträge sind ja seit
Storm's Englischer Philologie vielfach Sitte geworden, sie gehören
im Grunde aber doch mehr in die wissenschaftliche Diskussion
der Fachzeitschriften. Nun ist freilich bei einer noch so wenig
1) Vgl. meine Besprechung in der Zeitschrift IX 2, S. 180 ff.
230 Referate und Rezensionen. A. Lange,
abgeschlossenen Wissenschaft, wie der Phonetik, die Forderung
objektiver Bündigkeit leichter gestellt als erfüllt. Immerhin darf
wohl die Hoffnung ausgesprochen werden, dass dem Verfasser
bei einer neuen Auflage eine mehr zusammenfassende Verarbeitung
dessen, was jetzt zum grossen Teil nur erst in behaglicher Breite
als Material vorliegt, gelingen möge.
Noch in einer anderen Beziehung scheint mir der Rahmen
eines Handhruches „für Lehrer und Studierende" nicht inne ge-
halten zu sein. Seit Sweefs EUmentarhuch des gesprochenen
Englisch ist es ein charakteristisches Merkmal neuphilologischer
Reformbestrebungen geworden, gerade den Eigentümlichkeiten der
Umgangssprache nachzugehen und den lautlichen Abschleifungen,
welche diese naturgemäss erleidet, wohl gar vorbildliche Be-
deutung beizulegen. Gewiss ist es nur zu loben, dass auch dies
Gebiet mehr, als es früher geschehen ist, wissenschaftlich erforscht
wird, und sehr begreiflich ist es, dass Phonetiker ein besonderes
Interesse daran finden, gerade ihre Muttersprache, Sweet das
Englische, Passy das Französische, nach dieser Richtung zu
beobachten. Für den Ausländer aber, insbesondere für den
»Lehrer und Studierenden** einer fremden Sprache liegt die Sache
doch etwas anders. Mögen immerhin die Nachlässigkeiten der
Umgangssprache, ja selbst die Rede des gemeinen Volkes an-
merkungsweise mit berücksichtigt werden; dass aber dies
Entartungsgebiet der Sprache einen so breiten Raum im Texte
selbst einnimmt, wie es bei Beyer der Fall ist, dass es geradezu
als allgemeine Musteraussprache hingestellt wird, dagegen erhebe
ich, und ich glaube, mit mir viele, die gerade an der Reinheit
der französichen Artikulation ein besonderes ästhetisches Wohl-
gefallen finden, auf das Nachdrücklichste Einspruch. Verfolgt
man den von Beyer betretenen Weg weiter, so ist zu befürchten,
dass die /S^andardaus spräche auf ein Niveau herabgedrückt wird,
welches für das heutige Französisch in seiner Gesamtheit viel
zu niedrig liegt. Gibt es doch für uns nicht bloss ein Gesprächs-
französisch, das sich gehen lässt. Laute verschluckt und trübt
wie andere Conversationssprachen auch. Hat nicht gerade für
den Ausländer das gelesene, das vorgetragene, das deklamierte
Französisch oft eine weit grössere Bedeutung? Entweder müssen
also stets die verschiedenen Redegattungen neben einander be-
handelt und sorgfältig geschieden werden, oder es muss ein
Durchschnitt aus allen zusammen genommen werden, ähnlich wie
Passy in anderem Sinne aus den verschiedenen Dialekten ein
Landesfranzösisch konstruiert. Dass aber Beyer diesen Durch-
schnitt zu tief macht, zeigt am besten ein Blick auf seine
transkribierten Texte. Wenn in dem ersten derselben, der ein
F. Beyer, Französische PfioneUk für^ Lehrer imd Studiereiule, 231
dem wirklichen Leben abgelauschtes Gespräch zwischen zwei
Kindern bringt, alle lautlichen Verkümmerungen desselben getreu
wiedergegeben sind^), so wird man freilich dagegen höchstens
einwenden können, dass der Standard der gebildeten Umgangs-
sprache immerhin höher gestellt werden darf als das unbeobachtete
Plaudern von Kindern. Aber auch in den Lesestücken, ja in
den Versen findet sich dergleichen. Nur ein Beispiel, das mir
ganz besonders ein Dorn im Auge ist. Passy hat, von Jespersen
aufmerksam gemacht, neben dem tonlosen e noch zwei andere
getrübte Vokallaute aufgestellt, die sich in Vortonsilben statt
eines vollen e (oder auch e) und b finden, ohne sie indessen als
die Regel hinzustellen. Bei Beyer sind sie dies aber durchaus,
sogar in der Deklamation der Verse, und in seiner vereinfachten
Lautschrift wird jener getrübte c-Laut auch da, wo er für e
eintritt, regelmässig mit e identifiziert, während doch z. B. Legouv^
selbst in tonlosen Wörtern wie Ze», mes u. a. aufs Nachdrück-
lichste e verlangt.
Ist es mir, ich möchte sagen, ein Herzensbedürfnis gewesen,
diese Verschiedenheit meines Standpunktes von dem Beyer's in
Bezug auf das Niveau des /SZandar(2französisch so energisch zu
betonen, so muss ich nun andererseits der ausführlichen Be-
handlung volles Lob spenden, welche Beyer gerade den Fragen
der Satzphonetik angedeihen lässt und welche fast durchweg
Neues bieten würde, wenn nicht kurz zuvor Passy im zweiten
Heft der Phonetischen Studien^) die meisten Punkte in seiner be-
wundernswürdig knappen und klaren Weise bereits erledigt hätte.
In der Einleitung „über Sprechorgane und Sprachlaute"
bleibt Beyer im ganzen bei dem Bell-Sweet'schen System, fügt
aber nach dem Vorgange von W^estern den drei Reihen der
vorderen, hinteren und gemischten Vokale eine vierte Artikulations-
art, die der a- Laute hinzu: eine Änderung des englischen Schemas,
zu der er sich im Laiäsystem noch nicht verstehen konnte.
. Vietor (Nachtrag S. 155 f.) verhält sich mit Recht gegen diese.
^) Es muHs sogar aufiTalleD, dass Beyer, wie überhaupt, so auch
hier vollen Nasalvokal selbst vor hinübergezogenem n vorschreibt.
Trotz der Autorität Passy's, dessen Sons du fravisais das Stück entlehnt
ist, fällt es mir schwer zu glauben, dass die Kinder für gewöhnlich en
aUons-nous = änäl5-nu sprechen. Gerade in diesem Punkte möchte
ich lieber die weit verbreitete Aussprache ohne Nasalität des Vokals
als Norm hinstellen. Ich sehe darin nicht sowohl eine Entartung als
vielmehr die etwas modifizierte Erhaltung ursprünglicher Doppelformen,
je nachdem ein Konsonant oder ein Vokal folgt, ähnlich wie beau und
bei. Demgegenüber macht mir die Aussprache mit Nasalvokal, die
freilich schon im XVI. Jahrhundert von den Grammatikern als die
bessere gelehrt wird, den Eindruck des Künstlichen.
J
332 Rufa-ale und Rezensionai. A. Lauge,
wie «och gegen die ganze KUnse der miaxd vowtls ablehnend.
Über die letzteren äussert sich Beyer ziemlich unbestimmt und
meint selber, dass es „wohl angezeigt wäre, dieselben noch ein-
mal grllndlicb zu untersuchen.'^ Auch sonst stimmen seine Aus-
führungen nicht immer zu dem englischen Viereck, so z. B.
wenn er sagt {S. 16), „dass die Zunge bei der Abwartsbewegung
von der i- Höhenlage durch e, (e zu a sich zugleich nach rück-
wärts zieht, was eine Art Diagonalbewegung ergibt." Das passt
schon ganz anf das Dreieck. Andererseits hätte ich die englische
Scheidnng zwischen engen und weiten Lauten gern noch mehr
betont und als grundlegenden Unterschied zwischen romanischer
und gennanischer Artikulation durchgeführt gesehen.
Mit Unrecht bringt Beyer {8. 24) die Bevorzugung des
hellen d mit der Neigung zur Degenerierung tonloser Vokale zu-
sammen. Denn wenn Ricard sagt: a dann „balle" retombe vers /,
so handelt es sich um betontes a. In dem Vorrilcken desselben
nach der palatalen Seite hin ist also nicht sowohl eine „erste
Verschiebung des Lautes nach der Neutrallage" — dieser nähert
sich ä mehr als d — sondern vielmehr gerade eine Wirkung
des Strebens nach straffer Artikulation zu sehen, die sich im
vorderen Mundraum leichter vollzieht als im hinteren. Man ver-
gleiche z. B. die Nasalvokale, deren „halbweiter" Charakter im
wesejitlicben eine Folge davon ist, dass „die Zunge etwas weiter
zurlfck und tiefer artikuliert als gewöhnlich" (8. 28).
Am Schluss des Kapitels von den Diphthongen findet sich
ein störender Druckfehler: statt nüa und Hia muss es offenbar
heissen swa und tiea. übrigens scheint Beyer auf seiner Theorie
von dem konsonantischen Werte des ersten Elementes solcher
„sogenannter diphthongischer" Verbindungen namentlich deshalb
zu beharren, weil die französischen Phonetiker „hier doch wohl
in erster Linie kompetent" seien. Ganz im Gegenteil: gerade
hier sind wir Deutsche es mehr, weil wir wirklich spirantisches
/ in nnserer Sprache haben und daher den Unterschied zwischen
einem solchen und tranzösischem i viel deutlicher auffassen
können: vgl. deutsch Jena und französisch I^na.
Als devokaliaiertes j erklärt Beyer auch jenen stimmlosen
t-Lant am Schlüsse, also in der Nachdruckssilbe längerer Laut-
körper wie in arüiueratie. Die Erscheinung ist, so viel ich
beobachtet habe, nicht auf i beschränkt, sondern findet sich
ebenso häufig hei ü und u, und zwar auch nach stimmhaften
Konsonanten (z. B. je Tat vendu), besonders im Munde solcher
Franzosen, welche die Stimme lebhaft modulieren imd ausgiebigen
) Vgl. Ai€r X« 137 ff.
F. Beyer, Französische Phonetik für Lehrer und Studierende, 233
Gebrauch von dem musikalisch -rhetorischen Akzent im Innern
des Sprechtaktes machen, jedoch immer nur dann, wenn ein
solcher starker Nebenakzent auf der unmittelbar vorhergehenden,
also vorletzten Silbe liegt. Der dazu erforderliche Kraftaufwand
verschlingt dann den Stimmton der letzten Silbe, deren Vokal
nur geflüstert wird, ohne darum den Wortton zu verlieren.
Endlich soll auch auslautendes j wie in scintüle, fille „zu-
weilen" devokalisiert werden. Zum Schluss heisst es dann
(S. 42): „Aus jenem j in fille hören ungeübte Ohren das übel-
bekannte fi.]( heraus!" Allein, was ist denn devokalisiertes j
schliesslich anderes als jf, das doch offenbar den stimmlosen
Laut zu j, den sogenannten deutschen ^c^-Laut bezeichnen soll?
Da nun das „übelbekannte" fi.^y ja selbst fi,j mit wirklich
spirantischem j zweifellos unfranzösisch ist, so folgt daraus,
dass die Darstellung des französischen Lautes als eines konso-
nantischen j oder j unrichtig ist und Unkundige notwendig irre
führen muss.
Eine Beobachtung Beyer's, welche Passy in den Schluss -
noten (S. 165) als „fein und wichtig" lobt, ist die, dass in den
Fällen, wo die Umgangssprache ein nachkonsonantisches Schluss-Z
unterdrückt, wie in tab\ meul) statt tabUy meuhle, eine voran-
gehende Media, die nun in den Auslaut tritt, nicht wie sonst
mit stimmhaftem, sondern mit stimmlosem aff-glide absetzt, „eine
Erscheinung, die sich erklärt durch rückwirkende Assimilation
des in Wegfall gekommenen (devokalisierten) /." Die Thatsache
ist jedenfalls richtig beobachtet. Zweifelhaft ist mir nur, ob
derselbe Sprechende, welcher sich diese Nachlässigkeit erlaubt,
nicht in anderen Fällen auslautender Media, z. B. in malade die
Mühe des stimmhaften off-glide ebenfalls scheuen wird. Übrigens
ist für Beyer's Standpunkt wiederum bezeichnend, dass ihm
peuple „bereits ganz gewöhnlich" poep lautet, dass cMe = sibl,
cadre = kadr mit devokalisiertem / und r „die gebräuchliche,
zur lautlichen Thatsache gewordene Aussprache" ist, während
sibl, mit stimmhaftem Z, nur in „sorgfältiger, mehr theoretischer Aus-
sprache" und zweisilbiges sibl^ überhaupt nicht vorkommt (S. 69).
So viel von Einzelheiten. . Auf die zum Teil sehr schwierigen
allgemeineren Fragen der Satzphonetik einzugehen, würde hier
zu weit führen. Ich beschränke mich daher zunächst darauf,
nur den Inhalt dieses zweiten Teiles kurz anzugeben:
I. Silbenbildung: a) Schallstärke, Expirationsenergie,
Lautintensität; b) die Silbe (Silbenträger, Silbengrenze, Bindung,
Gemination).
IL Dauer (hauptsächlich der Vokale, Verhältnis von Dauer
zu Klang).
234 Referate und RezensionetL F. P^te, .
m. Nachdruck (Silben-, Wort-, Satzah;zent; Einwirkungen
des Rhythmus und der Quantität; Reduktion und Degenerierung
der unbetonten Silben; Sprech- und Sprachtakte).
IV. Ton (Stimramodulation).
V. Sandhi- Erscheinungen: a) Gegenseitige Beein-
fiuBBUngen der Artikulationen; b) Einwirkungen des Nachdrucks
auf den Lautkörper.
Es folgt dann noch eine dritte Abtcilnug:
Akzessorien der franzöeiBchen Lautaprache: 1) Zeit-
masB der Rede; 2) Sprechetärke; 3) Geete und Mimik; 4) Stimm-
qnalität und endlich eine kurze vierte Abteilung über Trans-
skription. Adodst Lange.
. Dreyling, Gustav, Die Äusdmcksweise der abertrieberten Ver-
kleinerung im altframöidschen Karlsepos. [Ausgaben und
Abhandlungen aus dem Gebiete der romanischen Philo-
logie. Veröffentlicht von E. Stengel. LSXXIl.] Mar-
burg, 1888. 166 S. S". Preis: 4 Mk.
Der Herr Verfasser hat eine schon wiederholt mehr oder
minder eingehend besprochene, bisher jedoch noch nicht als
eigene Aufgabe behandelte Frage der altfranzÖBischen Syntax
zum Gegenstand eines Uberaus fieiesigen und umsichtigen Studiums
gemacht. Erhebt Beine Arbeit bei ihrer Beschränkung auf gewisse,
freilich für den Verfolg der geschichtlichen Entwickelungder Sprache
hervorragend wichtige Denkmäler nicht den Anspruch auf eine
völlig erledigende Erschöpfung des untersuchten Prinzips, so hat
er doch ebendeswegen in mancher Hinsicht einzelne Erscheinungen
desto genauer verfolgt. Auch ist er — anscheinend als Neben-
produkt seiner Untersuchung — zu mancherlei wertvollen Schlüssen
llber die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den einzelnen
dem Karlszyklus angehörenden Epen gelangt. Des näheren be-
deutet Dreyling's Arbeit der Hauptsache nach eine Ergänzung
der bisherigen Litteratur Über die verstärkte Negation im Alt-
französischen unter dem Gesichtspunkte des verkleinernden Ver-
gleichs. Die sehr umfangreiche Material Sammlung (S. 7^91),
die seinen Ausführungen über die versdtiedenen Arten der hyper-
bolischen Verkleitierung (8. 125), die Entutehungs-, Blüte- imd
Verfallzeii (8. 137) und die verschiedenen Quellen der hyperbolischen
Verkleinerung [8. 138) voraufgeht, wird in zwei Kapiteln (eigent-
liche und verblasste Hyperbeln) dargeboten, wobei wieder die
einzelnen Zitate, innerhalb ihrer besonderen Gruppierung (der
hyperbolischen Verwendung von Personen-, Tier-, Frucht-, MUnz-
namen u. a. m.) zweckentsprechend so geordnet sind, dass die
/ /
•t .
G. Dreyling, Die Ausdruckstveise der ühertricbencn Verkleinerung etc. 235
den späteren, verblassten, Gebrauch der Verkleinerungen be-
kundenden Stellen denjenigen folgen, in welchen dem besprochenen
Tropus noch seine ursprüngliche Bedeutung erhalten erscheint.
Bei der vom Verfasser gewählten, einigermassen schwerfälligen
Anlage seiner Arbeit konnten die mehrfach entgegentretenden
Wiederholungen nicht wohl ausbleiben.
Im einzelnen Folgendes: In Aiol 3593 [544c) Ja mais ior
de ma vie ne Varai der dürfte ior de ma vie keine Verkleinerung,
sondern eine die * Negation verstärkende Betheuerung aus-
drücken. — Im Absatz 1294 ist statt 897, 897^ zu lesen. —
Die S. 105 ausgesprochene Ablehnung meines Zitats (Zeitschr,
f. r, Ph, II)y betreflFend den Gebrauch eines von mie abhängigen
Genetivs De ce ne sai — ge mie (Ch. de N. 917) vermag ich
nicht anzuerkennen, da savoir transitives Verbum ist. Natürlich
gilt für Dreyling's Zitat Encor ne sei mie de son fils (Aiol 8552)
meines Erachtens dasselbe. — Nach den S. 125 ff. gegebenen
Ausführungen, namentlich von Absatz 1295 ab, zu schliessen,
ist der Herr Verfasser äer Meinung, dass es sich bei der Aus-
drucksweise der übertriebenen Verkleinerung stets um einen Ver-
gleich handele, nur dass derselbe nicht immer unmittelbar zu
Tage liege. Dem ist jedoch nicht s(K Vielmehr bekunden zahl-
reiche von ihm beigebrachte Belegstellen nur die dem Volkgepos
überhaupt eigentümliche Neigung, vor abstrakten Redewendungen
sinnlich anschauliche zu bevorzugen, allerdings vornehmlich, aber
keineswegs ausschliesslich, in verneinten Sätzen. So unter
anderem in den unter 19^—0^ 35,1084, 1096b gegebenen Stellen.
Wenn es z. B. [38] im Aiol 10562 heisst ne diroie parole, dont
il fust enpiries oder aber [17a] Ji sunt maleite gent ne s'en ira
uns piez (Hörn 1558), so sind derartige nachdrückliche Ver-
neinungen, ganz wie etwa unsere deutsche: Er hat keinen Pfennig
Vermögen^ keinen Fuss breit Landes dahin aufzufassen, dass die
blosse Negation, selbst mit Rücksicht auf ihre besondere Be-
ziehung, so etwa oben statt ne — uns pieZy ne — uns guerriers,
dem Sprechenden nicht farbenreich anschaulich genug erscheint,
und nunmehr selbst ein kleiner, unbedeutender Teil oder Ver-
treter des fraglichen Gegenstandes in seiner besonderen Be-
ziehung und damit der ganze Gegenstand sehr anschaulich ver-
neint wird. Häufig scheint bloss das inhaltlose ne — rien um-
gangen werden zu sollen. Dass es sich in zahllosen anderen
Fällen, wie namentlich bei dem Gebrauch der sogenannten Füll-
wörter der Negation, wirklich um einen latenten Vergleich handelt,
soll hiermit selbstverständlich nicht bestritten werden. — Sehr
dankenswert sind die unter 1311 und 1316 — 1318 dargebotenen
Beobachtungen. Vielleicht lassen sich dieselben, namentlich unter
236 Referate und Rezensionen. E, Weher,
Bezug auf miey pas, poiniy noch insofern ergänzen, als bisher
nicht festgestellt ist, ob der Verfall von non zu nen und schliess-
lich zu dem im Verse bedingungsweise nicht gezählten, in der
gesprochenen Sprache kaum gehörten ne den Gebrauch der Flill-
wörter der Verneinung beeinflusst hat. Letzteres möchte bei der
grossen logischen Bedeutung der Negationspartikel im allge-
meinen und der Tonlosigkeit des französischen Negationsadverbs
und seiner so häufigen anderweitigen Unterstützung im besonderen
an und für sich anzunehmen sein. F. Perle.
Jarnik, J. U., Neuer vollständiger Index zu Diez etymologischem
Wörterbuch der romanischen Sprachen mit Berücksichtigung
von Scheler's Anhang zur fünften Ausgabe, Heilbronn,
1889. Gebr. Henninger. VHI, 382 S. 8^ Preis: 8 Mk.
Mit vorliegendem Buch bietet uns Jamik eine gründliche
Neubearbeitung seines bereits in der vor 10 Jahren erschienenen
ersten Ausfuhrung mit Recht geschätzten Index zu Diez' Meister-
werk. Zu dem in der ersten Ausgabe allein enthaltenen romani-
schen Teil, der durch Aufnahme sämtlicher von Diez aus
irgend einem Grunde erwähnten romanischen Wörter und durch
Berücksichtigung von Scheler's Anhang erweitert wurde, ist jetzt
noch ein 143 Seiten umfassender nicht allein für Romanisten,
sondern auch für Forscher auf anderen Sprachgebieten äusserst
wertvoller nichtromanischer Teil hinzugekommen. Derselbe ent-
hält in Sprachgruppen geordnet unter den Überschriften Lateinisch,
Griechisch, Germanisch, Celtisch, Englisch, Baskisch, Arabisch,
Slavisch, Onomatopoetische oder Naturausdrücke, Verschiedenes
in alphabetischer Reihenfolge, Eigennamen als Etyma — alpha-
betisch angeordnete Verzeichnisse aller nichtromanischen Wörter,
welche Diez als Etyma romanischer bezeichnet oder zum Ver-
gleich herangezogen hat. Die Einrichtung des Buches im Einzelnen,
über welche das Vorwort orientiert, muss als praktisch, die Aus-
führung als musterhaft sorgfältig bezeichnet werden. Mir sind
bis jetzt die folgenden Versehen aufgefallen, die von Jarnik im
Nachtrag nicht berichtigt wurden: S. 139 lona pr. npr. findet
sich nicht IIb sondern IIc; S. 237 war unter addus srnf lazzo IIa
statt auf loro IIa zu verweisen; S. 247 wird unter callidtuf mit
Unrecht auf tosto verwiesen, da die hier von Diez erwähnten
it. caldo, afrz. ehalt 3lu{ calidus zurückgehen; 8. 312 ist statt ahle
mhd. ahte mhd. zu lesen; S. 316 lies bränte schwz. statt bränte
nhd. Diez erwähnt das Wort IIa unter brenta mit dem Zusatz
„bei Stalder ein hölzernes Gefäss"; S. 360 1. ceck-chafer st. cock
6häf€T. D. Behrens.
PL Plaiiner, unsere Fremdwörter etc. 237
Plattner, Ph., Unsere Fremdwörter vom Standpunkte des fran-
zösischen Unterrichts betrachtet. Beilage zum Jahres-
bericht der Realschule zu Wasselnheim i. E. Strass-
burg i. E., 1889. M. Du Mont-Schauberg. 34 S. 4^.
Jeder Lehrer des Französischen wird diese von einem
tüchtigen Kenner dieser Sprache geschriebene Abhandlung mit
Vergnügen nnd Nutzen durchlesen. Ein unmittelbarer Gewinn
für den Unterricht wird sich freilich daraus kaum ziehen lassen.
Vielmehr wird, wer selbst Gelegenheit gehabt hat, Erfahrungen
im Unterrichte zu sammeln, die dieser Abhandlung zu Grunde
liegende Frage: Kommt die Kenntnis unserer Fremdwörter dem
Schüler bei dem französischen Unterricht zu statten oder ist sie
ihm eher schädlich? ganz in dem von dem Verfasser angedeuteten
Sinne beantworten und ihm durchaus darin beistimmen, dass die
gründliche Kenntnis und der sichere Gebrauch gerade des Fran-
zösischen durch unsere Fremdwörter erschwert wird. „Nur die
Oberflächlichkeit, welche es sich an müheloser Aneignung ge-
nügen lässt und das Übrige dem guten Glück anheimstellt, hat
von jener Ähnlichkeit einen Vorteil; für jeden, der es gründlich
nimmt, bilden im Anfang unsere Fremdwörter eine Reihe der
unheilvollsten Klippen. Nichtwissen ist ein geringes Übel im
Vergleich zu vermeintlichem Wissen. Durch die Fremdwörter
verleitet, glaubt man oft zu wissen und wird schwer seines Irr-
tums gewahr. Auch wenn der Irrtum erkannt ist, bildet die
vorhandene andere Gewöhnung .eine stete Gefahr, die kaum durch
Aufmerksamkeit und Sorgfalt, sondern nur durch neue stärkere
Gewöhnung abzuwenden ist. Wollte man auch solchen, die über
eine ziemlich gute Kenntnis des Französischen verfügen, eine
Aufgabe stellen, die Fallstricke ohne Zahl enthält, so wäre hierzu
ein absichtlich mit möglichst viel Fremdwörtern ausgestattetes
Stück unzweifelhaft das geeignetste."
An dies durchaus richtige und wohl begründete Urteil
schliessen sich dann noch die beherzigenswerten Worte: „Man
schlägt überhaupt den Wert des bekannten Ähnlichen bei der
Spracherlernung meist zu hoch an, weil man an die schwere
Mühe nicht denkt, welche es kostet, Fehler zu beseitigen, die
sich aus derselben Quelle herleiten." An einer Reihe gut ge-
wählter Beispiele, zu denen jeder, der selbst Knaben im Fran-
zösischen unterwiesen hat, Nachträge beisteuern könnte, wird
dieser allgemein geltende Satz, insofern er sich auf unsere Fremd-
wörter bezieht, erläutert. Dieser Wahrheit sollten jene stets
eingedenk sein, die, ausserhalb der Schule stehend, dem fran-
zösischen Schulunterrichte eine beständige Vergleichung mit den
238
Reftn-aie und Rezensionen, A. Western,
älteren und ältesten Entwickelungsstufen dieser Sprache auf-
nötigen möchten.
Es kann nur gebilligt werden, dass Herr Plattner darauf
verzichtet, unsere sämtlichen Fremdwörter auf ihr Verhältnis zum
Französischen hin zu prüfen. Die Wissenschaften und Erfindungen
unseres Zeitalters haben in allen Sprachen Europas in üppiger
Fülle eine schier unabsehbare Menge von Bezeichnungen hervor-
gebracht, die meistens aus griechischen und lateinischen, auch
aus französischen und englischen Wörtern oft in seltsamer Weise
abgeleitet worden sind. Man würde sieh über diese nicht immer
schönen Bildungen noch zu trösten wissen, wenn man nur sicher
sein dürfte, dass sie überall dieselben sind. Die Gelegenheit
zu einheitlichem Vorgehen ist hier bis jetzt versäumt worden
und es scheint fast, als ob sie auch in Zukunft nicht immer be-
nutzt werden sollte.
Die von Herrn Plattner gegebene Auswahl ist reichhaltig
genug und enthält wohl manches Wort, das beim Unterricht
kaum jemals vorkommen dürfte oder mit leichter Mühe ver-
mieden werden könnte. Die meisten der hier vorgeführten Wörter
gehören eben nicht der allgemeinen Sprache des Umgangs oder
der schönen Litteratur an, sondern sind Fachausdrücke eines
eng umgrenzten Einzelgebietes. Wenn man freilich die Termino-
logie einer bestimmten Wissenschaft nachprüft, so wird man bald
dieses oder jenes Wort vermissen, ohne dass man darum be-
rechtigt wäre, dem Verfasser einen Vorwurf zu machen. So
scheint z. B. die Liste der matheaiatischen Wörter für den vor-
liegenden Zweck mehr als ausreichend zu sein. Wer dagegen
jemals auf den Einfall kommen sollte, deutsche Knaben die
Mathematik in- französischer Sprache lehren zu wollen, würde es
oft zu bedauern haben, dass in dieser Sprache Wörter für
Minuendus, Subtrahendus , potenzieren, radizieren, quadrieren,
Radikandus, Kathete, Planimetrie, Stereometrie, Antiparallelogramm^
Peripheriewinkel entweder ganz fehlen oder von den bei uns
üblichen Bezeichnungen verschieden sind.
Zu Ausstellungen bietet diese sorgfältig geschriebene Ab-
handlung nur geringen A'nlass. Olympia heisst Olympie; Olympe
ist wohl nur Druckfehler. Accusativus cum infinitivo wird jetzt
wohl meistens durch accusatif avec Vinfinitif gegeben. — Averbo
hätte durch temps princtpaux du verbe übersetzt werden können.
Der gewöhnlichste Ausdruck für Australien ist Oceanie, so stets
in Lehrbüchern der Erdkunde bei Aufzählung der fünf Erdteile.
Für Tantieme ist tantüme zum mindesten nicht das allgemein
übliche Wort. Da endlich zu miasme die Bemerkung gemacht
0. Jespersen, Fransk Ldesebog efier Lydskrifimeioden. 239
wird, dass es kaum im Singular vorkomme, so sei auf II 525
der Zeitschrift verwiesen, wo zwei Stellen aus Victor Hugo
angeführt werden, in denen dies Wort im Singular steht.
E. Weber.
Jespersten, Otto, Fransk Ldesebog efier Lydskrifimeioden, Koben-
havn, 1889. Carl Larsen. 145 Seiten klein 8®.
Obengenanntes Buch ist der erste Versuch im Norden rein
phonetische Texte für den Schul gebrauch zu liefern. Es besteht aus
.58 Seiten Text in reiner Lautschrift, 14 Seiten in gewöhnlicher Ortho-
graphie mit interlinearer Lautschrift und 20 Seiten ohne solche. Weiter
folgen Glossen und Erläuterungen zu den einzelnen Stücken sowie das
Wichtigste von der Grammatik der gesprochenen Sprache.
Von den Lesestücken in reiner Lautschrift machen kleine Reime
und Gedichte etwa die Hälfte aus, während in dem späteren Teile des
Buches die prosaischen Stücke das Übergewicht haben. Man kann
natürlich darüber streiten, ob es vorteilhaft ist, so viel Gedichte
in ein Buch für Anfänger aufzunehmen. Wir glauben, es kommt
darauf an, ob das Buch für ganz kleine Anfänger oder für schon etwas
ältere Schüler bestimmt ist. Ist ersteres der Fall, so ist es gewiss
nur zu billigen, dass Kinderreime und entsprechend leichte Gedichte
einen grossen Teil des Inhalts bilden; denn diese sprechen den kind-
lichen Geist ganz anders lebhaft an, als die mehr dürren Prosastücke.
Sind die Schüler dagegen älter, und haben sie schon eine oder zwei
fremde Sprachen betrieben, so empfehlen sich, wie wir glauben, Ge-
dichte weniger. Dagegen wird man wohl leicht darüber einig werden,
dass selbst für reifere Schüler leichte Gedichte sich als Anfangslektüre
sehr gut eignen, um eine gute Aussprache einzuüben, da sowohl Metrum
wie Reim die Bewegungen der Sprechwerkzeuge erleichtern. Da nun
Herr Jespersen's Buch eben für kleine Anfanger bestimmt ist, so ist
es auch in jeder Hinsicht zu billigen, dass die Gedichte einen so be-
deutenden Teil des Inhalts ausmachen. Auch finden wir, dass die ge-
troffene Wahl der Gedichte im allgemeinen eine sehr glückliche ist.
Solche wie La chevre, SoleÜ et lune, Les cadeanx du jour de Van, Aux
enfanis de Cecole, La honne aventure, Le petit mari, La peiiie veuve,
Monsieur Baraban, Les mensonges, Les maris, Le livre werden gewiss
von der Klasse mit Freude und Begeisterung aufgenommen werden.
Als weniger glücklich gewählte nennen wir St. Pierre (S. 22), das wohl
nur von katholischen Kindern recht goutiert werden kann, La joie du
veuf (S. 39), dessen Humor mehr für reifere Schüler zu passen scheint,
Les Couleurs des yeux (S. 41), dessen Inhalt die Kleinen vielleicht zu
dogmatisch auffassen könnten, und Vavocai (S. 43), das nur schwer
von nordischen Kindern verstanden werden kann, da sich die Advokaten
im Norden in ihrer äusseren Erscheinung gar nicht von anderen Sterb-
lichen unterscheiden; sie haben weder rabais, noch manches longues,
noch perrugues.
Da6 grösste Interesse aber erweckt das Buch nicht durch die
Wahl des Lesestoffes, sondern durch die phonetischen Texte. Auch
ist es wohl diese Seite des Buches, welche einerseits den grössten Bei-
fall, andererseits aber den grössten Vorwurf hervorrufen wird. Die
Gegner der phonetischen Methode werden ganz einfach das Buch als
wertlos und unbrauchbar wegwerfen, und auch unter den Anhängern
240 Referate und Rezensionen. Kalepky,
werden vielleicht einige nicht mit allen Notierungen zufrieden sein.
Die angewandte Lautschrift schliesst sich in allen wesentlichen Punkten
an die von Franke in Phrases de tous /e'5 y^wr^ angewandte an. Die
Abweichungen sind nicht so bedeutend, dass sie die Benutzung der
zwei Bücher gleichzeitig oder nach einander erschweren würden. Da-
gegen schliesst sich die dargestellte Aussprache etwas näher an die
alltägliche Rede als bei Franke. Dies zeigt sich teils in einer be-
schränkteren Anwendung der Bindung, teils in einigen Weglassungen,
z. B. von / und r in Wörtern wie table und quatre, sur, 1/ vor Konsonanten.
Es ist natürlich eine Frage, wie weit man in einem Schulbuche
die alltägliche Rede oder die mehr soignierte Lesesprache darstellen
soll. Es würde gewiss unrichtig sein, den Versuch zu machen, ein
photographisch genaues Bild der schnellen Rede darzustellen, und man
hat vielleicht nicht mit unrecht dem Elementarbuche Sweet's den
Vorwurf gemacht, dass es in dieser Hinsicht weiter geht, als sich
für ein Schulbuch eignet.^) Es würde indes ebenso unrichtig sein,
die Wörter nur in ihrer isolierten Lautform vorzuführen, denn die
Sprache besteht nun einmal nicht aus isolierten Wörtern. Es gilt
hier den rechten Mittelweg zu finden, und im allgemeinen scheint Herr
Jespersen ihn gefunden zu haben. Jedoch würde nicht viel dadurch
verloren gegangen sein, wenn die Präposition snr überall durch si/r
wiedergegeben worden wäre, denn die Schüler werden kaum den
phonetischen Unterschied zwischen su?' le houlevard und sur mon papier
empfinden; auch ist es fraglich, ob die Differenzierung von il und T
nötig ist in solchen Beispielen wie il fait tres froid (= %') und il vUest
pas tres grand (= ü); es wäre wohl hier das Beste der auch im Buche
selbst gegebenen Regel: il vor Vokalen, «' vor Konsonanten zu folgen.
Eine Differenzierung, die durch eine einfache Regel nicht klar dar-
gelegt werden kann, wird kaum von Nutzen sein, da sie die Schüler
nur dazu verleiten wird, die verschiedenen Formen auf unrichtigen
Stellen anzuwenden. Aus demselben Grunde ist wohl eile stets durch
cel zu bezeichnen, da, wie auf Seite 141 bemerkt wird, die Abkürzung
ce' seltener vorkommt.
Was die einzelnen Ausspracheformen im übrigen betrifft, so
haben wir nicht viel gefunden, das zum Widerspruche herausfordert.
Die Notierung o rwar (au revoir) scheint ein Bischen zu alltäglich zu
sein; mdez^ (maison) aber rezS (raisin) ist nicht konsequent, besonders
da in maison der Vokal der ersten Silbe wohl gewöhnlich in ge-
schlossenes e übergeht; fzä (faisani) findet sich wohl eben in der all-
täglichen Rede nicht: eutweaer fsä oder fgzä.
Im Ganzen muss dieser erste Versuch als ein sehr glücklicher
bezeichnet werden, und es wäre dringend zu wünschen, dass auch
deutsche Lehrer sich mit dem Büchlein bekannt machten, obschon es
natürlich für die deutsche Schule nur indirekt verwertet werden kann.
Junge Lehrer und Philologen werden daraus auch selbst manches lernen
können; es wird in mancher Hinsicht für das Französische dasselbe
sein wie Sweet's Elementarbuch fürs Englische.
Fredriksstad. A. Webte RN.
1) D. h. falls man das Elementarbuch als ein Schulbuch ansieht.
Dies ist es jedoch wohl nur auf dem Titelblatt, denn in Wirklichkeit
wird es wohl meist nur von Lehrern benutzt, und dann kann man dem
Verfasser nicht dankbar genug sein, dass er ein so getreues Bild seiner
eigenen gesprochenen Sprache dargestellt hat.
W. Mangold und D, Coste, Lehrbuch der französischen Sprache etc. 241
USangold, W« nnd Coste« ]>•, Lehrbuch der französischen Sprache
für höhere Lehr ansialten. Zweiter leil. Grammatik für die
obere Stufe. Ausgabe A: Für Gymnasien und Realgymnasien;
Ausgabe B: Für Beal-, höhere Bürger- und Töchterschulen.
Berlin, 1889. J. Springer. Preis: 1,40 Mk.
Ihrem Lese- und Lehrbuch der französischen Sprache für die
untere Stufe höherer Lehranstalten (Berlin, 1886. Springer) haoen die
Verfasser nunmehr die versprochene vollständige Schulgrammatik folgen
lassen. Die beiden im Titel erwähnten Ausgaben, durch deren Ver-
anstaltung recht verschiedenartigen Bedürfnissen genügt werden soll,
unterscheiden sich von einander dadurch, dass die für Schulen mit
Lateinunterricht bestimmte Ausgabe A eine Einleitung, betitelt „Ver-
hältnis zum Lateinischen '*, sowie an verschiedenen Stellen Hinweise
auf den lateinischen Sprachgebrauch enthält, die für lateinlose Schulen
berechnete Ausgabe B dagegen dieser Zuthaten ermangelt. Der nach-
folgenden Besprechung liegt die Ausgabe A als die umfassendere
zugrunde.
Die erwähnte Einleitung ist „ein Versuch, einige der wichtigsten
Ergebnisse der romanischen Sprachforschung in fasslicher und doch
nicht unwissenschaftlicher Foim für Gymnasiasten aufzuzeichnen und
dem Lehrer hierin einen Anknüpfungspunkt für weitere gelegentliche
Mitteilungen zu geben". Einem solchen Versuch wird Niemand mehr
die Berechtigung absprechen. Den reiferen Gymnasiasten über das
Verhältnis zweier verwandten, von ihm Jahre hindurch gleichzeitig
betriebenen Sprachen nicht aufzuklären, soviel es die dafür zur Ver-
fügung stehende Zeit und der Stand seiner Kenntnisse nur irgend ge-
statten, hiesse ihm eine der wertvollsten Früchte seiner Arbeit vor-
enthalten, ihm eine Gelegenheit zu förderlichster Beobachtung und
Vergleichung entziehen. Dem Lehrer aber, welcher ihn zu dieser
Thätigkeit anleiten will, wird es erwünscht sein, an eine systematische
Übersicht der dabei in Betracht kommenden Gesichtspunkte und That-
sachen anknüpfen zu können, und hierfür kann diese der Grammatik
vorangeschickte Einleitung als recht zweckdienlich bezeichnet werden.
Unter strenger Ausschliessung aller vulgärlateinischen und altfranzö-
sischen Sprachformen, gegen deren Einführung in eine Schulgrammatik
leicht begreifliche pädagogische Gründe sprechen, bringt die Einleitung
das Verhältnis der französischen Sprache zur Lateinischen in der
Weise zur Anschauung, dass nach Voranschickung einiger sprach-
geschichtlicher Daten der für die Erkenntnis des Neufranzösischen so
wichtige Unterschied zwischen mots popidaires und mots savants an
zahlreichen neufranzösischen Scheideformen aufgezeigt und hieran der
Hinweis auf die Bolle des Akzents beim Übergange lateinischer Wörter
ins Französische geknüpft wird. Hierauf folgt eine knapp gehaltene
Vergleichung des lateinischen Lautstandes mit dem neu^anzösischen,
bei welcher jedoch die Gegenüberstellung von Wörtern, die sich in
der aufgeführten Form lautlich nur teilweise, oder gerade in der Haupt-
sache, dem Akzent, garnicht entsprechen, wie mori — mourir, fuerunt —
furent, lumen-- lumiere,, recipere — recevoir, respond^re — repondre, sapien-
tem—savant, plungimus — plaignons u. a. besser vermieden worden wäre.
Der zweite Abschnitt der Einleitung vergleicht den lateinischen Pormen-
bestand mit dem französischen, in der Ordnung der Wortklassen.
Wenn die Verfasser sich hier scheuen, zu faimasse die synkopierte
lateinische Form amassem (für amavissem, welches sie hinsetzen) zu
stellen, so scheint mir diese Ängstlichkeit zu weit getrieben. — Von
Zschr. f. firs. Spr. n. Litt. XP. ^q
242
Referate und Rezensionen, Falepky,
den Verben auf -er mit dumpfem und geschlofitenem e in der letzten
Stammsilbe heiest es § YIII, dass der von der Betonung abhän^ge
Wechsel des Stammvokals im Neufranzösischen wieder eingetreten
seL Hat ihn denn die Sprache jemals aufgegeben? = Das über die
inkohativen Verba (§ IX) Gesagte wird durch das Beispiel floresco,
flortä — finis, finis schlecht illustriert. — De ante (statt de ab ante)
als Grundlage für devant ist wohl Druckfehler. — Der Abechnitt über
das Pronomen wird, wenn die mitgeteilten Angaben nicht unrichtig
aufgefasst werden sollen (ich denke an ecce ille => oelui, ecce iste =z ce),
einer gründlichen ErUiuterung durch den Lehrer bedürfen, wie sie ja
auch von den Verfasflem für die Benutzung dieser — keineswegs für
das Selbststudium der Schüler geschriebenen — Einleitung voraus-
gesetzt wird. Ein dritter Abschnitt ,, Wortbildung^ betitelt, stellt die
wichtigsten lateinischen Suffixe und Präfixe den entsprechenden fran-
zösischen gegenüber und gedenkt auch der Ableitung ohne Suffix, sowie
der Wortzusammensetzung. Den Beschlues bildet eine Zusammen-
stellung der wichtigsten Vorgänge auf dem Gebiete des Bedeutungs-
wandels.
Die eigentliche Grammatik gliedert sich, wie herkömmlich, in
Lautlehre, Formenlehre und Syntax. „Die Lautlehre", heisst es im
Vorwort, „vermeidet es, auf systematische Phonetik einzugehen, die
als solche nicht in die Schule gehört, wenn sie auch dem Lehrer be-
kannt sein muss, der sie in der Schulpraxis zu verwerten hat.'' Sie
unterscheidet sich nicht wesentlich von dem entsprechenden Abschnitt
anderer neuerer Schulgrammatiken ^ macht aber in ihrer zwanglosen
Gliederung und der zweckmässigen Auswahl des StofPes einen an-
sprechenden Eindruck.
Der Lautlehre, die gelegentlich bereits auf Aussprache und
Silbenzählung im Verse Rücksicht nimmt, schliessen sich, etwas mehr
als eine Seite füllend, einige Mitteilungen „Aus der Verslehre'' an.
Diese vermeiden die Irrtümer, welche noch immer in Schulbüchern
über metrische Dinge im Schwange sind (ich denke an die Lehre von
französischen Versfüssen oder Verstakten, von den vier Tonstellen im
Alexandriner u. a. m.) und bieten dem Schüler alles, was ihm auf
diesem Gebiete zu wissen Not thut. Auf S. 25 (unten), sowie im Re-
gister unter „Verslehre" vermisse ich den Hinweis auf das S. 57 (oben)
über Elision des e bei nachbestelltem le^ sowie auf das Seite 8 (oben)
über den Wegfall des flexivischen -s Gesagte.
In die Formenlehre, welche nach der Absicht der Verfasser
gleich der Lautlehre nur zur Wiederholung und Vervollständigung
einzelner Kapitel des Lehr- und Lesebuches dienen soll, ist der grösste
Teil des über die syntaktische Verwendung der Pronomina zu Sagenden
mit aufgenommen^ nämlich alles das, was sich den von den Verfassern
angestellten Kapiteln der Syntax nicht hat einordnen lassen. Bei
dieser Verteilung der Lehre vom Pronomen auf Formenlehre und Syntax
hat sich eine gewisse Willkür nicht vermeiden lassen, was auch der
Umstand beweist, dass, trotzdem manche GegensfUnde eine dopp^te
(das dem Relativ nach totti zur Stütze dienende ce sogar eine drei<-
fache) Erwähnung gefunden haben, dennoch die Verweisungen von der
Formenlehre auf die Syntax und umgekehrt zahlreicher sind, als im
Interesse der Übersichtlichkeit und Bequemlichkeit zu wünschen wäre.
Die Verfasser unterscheiden beim Verbum (nach Lücking*8 Vorgange)
zunächst lebende und abgestorbene Konjugation, wofür sie den Beifall
aller derer ernten werden^ die für die bislang herrschende willkürliche,
Lehren und Lernen erschwerende Aufstellung von drei oder mehr regel-
W. Mangold und D. Cosie, Lehrbuch der französischen Sprache etc. 243
mäBsigen Konjugationen weder einen praktischen, noch einen in der
Sache liegenden Grund finden können. Sie teilen alsdann die Yerba
der abgestorbenen Konjugation (ich würde unbedenklich starke Konju-
gation sagen, wie im Deutschen und Englischen) nicht, wie sonst üblich,,
nach der Infinitivendung, sondern nach wesentlichen Merkmalen ihrer
Stammbildunff in folgende drei Gruppen a) Verba auf -ir ohne Stamm-
erweiterung, b) Verba auf -re^ c) unregelmässige Verba auf -ir, -re und
'Oir mit Umlaut und Vokalverschmelzung. Diese Gruppierung hat vor
der sonst üblichen nach der Infinitivendung manches voraus ; indes be-
kenne ich mich zu der Ansicht (und zwar auf Grund reichlicher Er-
fahrung, da ich in mehr als dreitausend französischen Unterrichts-
stunden der Einübung der unregelmässigen Verba als hauptsächlichster
Aufgabe habe obliegen müssen), dass es für das sichere Können der
unregelmässigen Verba weniger auf die feineren unterschiede der
Klassifizierung (falls diese nur im Grossen und Ganzen vernünftig ist)
als auf festes Einprägen der typischen Formen (nach Art des lateinischen
a verho) und auf Sicherheit und Schnelligkeit des Ableitens der übrigen
Formen von jenen ankommt, und dass das Nützlichste, was die Schul-
grammatik dem Schüler für dieses Kapitel der Formenlehre bieten
kann, eine für wörtliches Einprägen berechnete, alles nicht durchaus
notwendige ausschliessende Zusammenstellung der Stammformen ist,
wie sie z. B. die Schulgrammaiik der französischen Sprache von Ulbrich,
oder in anderer Ai-t der dritte Teil des Elementarbuches der franzö-
sischen Sprache' von Luppe und Ottens bietet. — Im Einzelnen ist an
der Formenlehre wenig auszustellen. In § 29 (Stämme auf oy, ay, uy)
wäre ein Hinweis auf den mit dem orthographischen Wechsel ver-
bundenen Wechsel der Aussprache nützlich. — Bei ge'sir fehlt (auch
in der Lautlehre) die Erwähnung der unregelmässigen Aussprache des s.
Andererseits ist zu bemerken, dass sich viele Kegeln und Angaben
durch besonders wohlgelungene Fassung auszeichnen; so namentlich
die über Lautverstärkung bei Verben auf -er (§ 28). Der Unterschied,
welcher sich mit dem Gebrauch von avoir oder von iire bei intransi-
tiven Verben verknüpft, wird durch reichliche Beispiele seinem Grade
und seinem Wesen nach zu deutlicherer Anschauung gebracht, als
sonst zu geschehen pflegt. Gutzuheissen ist auch die Erwähnung des
nicht gerade seltenen Gebrauches des betonten Possessivpronomens
ohne Artikel (§ 66), sowie der temps surcompose's (§ 46).
Wir kommen zur Syntax, in welcher, wie die Verfasser sagen,
der Schwerpunkt einer systematischen Grammatik für die obere Stufe
liegt; und gerade dieser Teil ist auch der eigentümlichste und inter-
essanteste der vorliegenden Grammatik. Die Verfasser legen das
Hauptgewicht nicht auf die Regeln, sondern auf die in grosser Zahl
gegebenen Beispiele. Diese sind fast ausschliesslich dem Dictionnaire de
VAcaddmie entnommen, und dass sie sich für die an ihnen vorzunehmende
grammatische Beobachtung und Vergleichung besonders gut eignen,
muss zugegeben werden. Sie sind kurz, leicht verständlich und be-
gflnstigen durch ihren reizlosen, die Phantasie wenig beschäftigenden
Inhalt die Eeflexion auf die sprachliche Form in wünschenswerter
Weise. Die Kegeln und Beobachtungen, zu deren Veranschaulichung
sie dienen, sind mit Verzicht auf peinliche Vollständigkeit des Ge-
dankenausdruckes auf die denkbar kürzeste, knappste Form gebracht,
oft garnicht in Satzform ausgedrückt, sondern nur mittelst eines Stich-
wortes angedeutet; so dass eine weitere Vereinfachung und Kürzung
der Regeln, wie sie der Schüler beim Gebrauche anderer Grammatiken
behufs leichteren Einprägens und Wiederholens auf Grundlage des
16*
244
Referate und Rezensionen, F. WendeWom,
Lehrbuches meist anzustellen gezwungen ist, und wie sie auch der
Lehrer nicht verschmäht, hier ausgeschlossen ist. Besonders ansprechend
wegen ihrer Klarheit, Kürze und äusseren Übersichtlichkeit (für welche
in dem ganzen Buche durch Verwendung mannigfaltiger Typen das irgend
Mögliche geleistet ist) ist die Moduslehre, deren Darstellung man in
jedem Worte anmerkt, dass sie das Ergebnis praktischer Erfahrung
im Unterrichte ist. Durch die Anlage der Syntax nach Redeteilen,
statt nach Wortklassen, wird die Übersichtlichkeit und somit die
Brauchbarkeit derselben wesentlich erhöht. Nicht unterschätzt darf
auch der Reichtum an phraseologischen Gebilden und idiomatischen
Wendungen werden, der aus der Wahl der Beispiele fliesst.
Was nun die Fassung der Regeln, die Richtigkeit der Angaben
im Einzelnen betrifft, so bedürfen einige Punkte der Berichtigung oder
der Änderung. Zu äusserlich ist die Fassung der Regel in § 68, wo
von celui'Ci qui die Rede ist, in § 72 (de dcux jours hm), vor allem
aber in § 114, wo von dem Konjunktiv in einer gewissen Art von
Relativsätzen gesagt wird, er stehe „abhängig von einer Verneinung."
Die richtige ErWärung des Sachverhaltes hat; wie den Verfassern ohne
Zweifel bekannt ist, Tobler in seinen Beiträgen (S. 99 Anmerkung)
gegeben, und sie hätte um so eher berücksichtigt werden müssen, als
es sich um eine sehr wichtige sprachliche Erscheinung handelt, die
von den meisten Schulgrammatiken, auch den allerneuesten, falsch be-
urteilt und dargestellt wird. — Zu äusserlich ist auch die mit der
vorigen im Zusammenhange stehende Regel (§ 114), welche den Kon-
junktiv ait in dem Satze Qui que ce soit qui aii fait cela . . . erklärt. —
Der nämliche Vorwurf trifft auch die Regel (§ 186): „Nach faire thun
steht pour."^ — In § 178, wo von dem Prädikatsnomen nach Stre die
Rede ist, muss gesagt werden, dass dasselbe, wie im Genetiv, so auch
im Dativ stehen kann, wofür der Schüler auf derselben Seite (133)
Beispiele sieht. — An der Verwirrung, welche der Gebrauch des
Terminus „logisches Subjekt" unablässig in der französischen Satzlehre
anrichtet, nimmt auch die vorliegende Syntax teil. In § 178 und § 63
werden die Satzglieder lui und moi in den Sätzen c*est lui und dest
moi qui vous en reponds (nicht re'pond, wie verdruckt ist) ganz richtig
als Prädikat bezeichnet; dagegen werden in § 145 die Sätze c*est nous
und c*est vous als Beispiele dafür gegeben, dass „bei doppeltem (!) Sub-
jekt das Verbum gewöhnlich mit dem grammatischen, nicht mit Mem
logischen, kongruiert." Ähnlich ist folgendes. Als Beispiel dafür, dass
ein bei c'esi das logische Subjekt bildender Infinitiv auch ohne de
stehen könne, wird (§ 177) der Satz gegeben: Cest trop delibei-er, ü
faui agir. Die Verfasser sehen also, wie aus der Regel zu entnehmen
ist, deliöerer als das logische Subjekt zu dem Prädikat c'esi trop an,
so dass der Satz einem: De'liberer, c'est trop! gleich zu setzen wäi*e.
Nun finden sich zwar Sätze dieser Art im XVI. Jahrhundert, wie die
folgenden Beispiele lehren, auf die mich mein Kollege Dr. Lohmann
aufmerksam macht: Ce seroit chose irop facüe, se faire eiernel par
renomm^e (zitiert aus Du Bellay lllustr. II, bei Darmesteter und Hatz-
feld, Tdbleau de la liiterature et de la Umgue frangaise au XVl^ siecie,
2töme ^d., p. 275) und C^est trahison se marier sans s'espouser (a. a. 0.
S. 269 zitiert aus Montaigne III, 5). Aber sowohl der Sinn, wie der
neufranzösische Sprachgebrauch verbieten meines Erachtens die^e Auf-
fassung des obigen Satzes. Vielmehr ist trop als adverbiale Be-
stimmung zu delihe'rer zu ziehen, und das ce nicht sogenanntes
„grammatisches", sondern wirkliches, auf ein Geschehen zurück-
deutendes Subjekt. Ist dem aber so, dann ist natürlich trop detiberer
K. A. Martin HarimanfCs Schulatisgaben. Nr. 2. .245
Prädikat zu c^esi, und nicht logisches Subjekt; wie denn auch in dem
ganz gleichartigen Satze c*esi iire fou (§ 181) der Infinitiv richtig als
Prädikat bezeichnet ist. Wenn nun femer in folgenden Sätzen: // y
avaii une fois un rot ei une reine (§ 174). — Cest quelque chose que de
bien commencer (% 175). — 11 me faut cent e'cus (§ 192) die Bezeichnung
„logisches Subjekt" (die doch übrigens auch etwas bedeutet und kein
leerer, zu beliebigem Gebrauche freistehender Terminus ist) auf so ver-
schiedenartige Gedankenglieder angewendet wird, wie un roi ei une
reine im ersten Satz, bien commencer im zweiten Satz, und me im
dritten Satz, so stimmt dies zwar mit der Darstellungsweise der meisten
Grammatiken überein, beruht aber meines Erachtens auf völliger
Willkür. — In § 147 heisst es (etwas ausführlicher ausgedrückt als
im Lehrbuch): „Mit dem Beziehungsworte kongruiert das Verbum des
Relativsatzes." Dazu wird unter anderem das Beispiel gegeben: Cest
nous qm (die wir) avons remporte la vicloire. Dies Beispiel ist in zwie-
facher Hinsicht unrichtig. Erstens ist, wie Tobler (a. a. 0. S, 160 An-
merkung) darthut, fwus nicht das Beziehungswort des Relativs, viel-
mehr gehört der Relativsatz dieses Beispiels zu den beziehungslosen
Relativsätzen (denen auch in dieser Syntax ein Abschnitt gewidmet
ist, ohne jedoch das zu vereinigen, was in ihn gehört). Zweitens ist
in dem gegebenen Beispiele die Übersetzung des qui durch „die wir"
durchaus unrichtig; und es kann den Verfassern, da von den drei ge-
gebenen Beispielen keines den in der Regel dargestellten Sachverhalt
bestätigt, der Vorwurf nicht erspart bleiben, diejenige Vermengung
zweier verschiedener sprachlicher Erscheinungen, vor der Tobler
(a. a, 0.) warnt, so weit sie nur möglich ist, begangen zu haben ; denn
nur bei wirklicher Beziehung des qui auf das Pronomen (wie sie statt-
finden würde, wenn das Beispiel lautete: JNous qui avons remporie la
victoire, twus etc.) entspricht das qui einem deutschen „die wir". —
Indem ich von der Erwähnung kleinerer Ungenauigkeiten im Ausdruck
oder in der Wahl der Beispiele zu den Regeln absehe, weil die Ver-
fasser dieselben beim Gebrauche ihres Buches selbst entdecken und
verbessern werden, setze ich noch die von mir bemerkten Druckfehler
her: S. 67 Z. 18 v. u. frt statt gä; S. 92 Z. 3 v. u. ou statt oü; S. 98
Z. 4 V. u. croyez statt croyiez; S. 138 Z. 6 v. u. deployes statt deployees;
S. 151 Z. 17 V. 0. guerir statt flrwmr. Unrichtige Interpunktionszeichen
stehen S. 71 Z. 5 v. u., S. 92 ^ 2 v. o., S. 140 Z. 6 v. u., S. 154 Z. 18
V. 0., S. 156 Z. 10 V. 0., S. 160 Z. 8 v. o. Kalepky.
Martin Hartmann'a Schvlausgahen französischer Schrift^
steUer, Nr. 2. B^ranger. Eine chronologisch geordnete
Auswahl seiner Lieder mit Einleitung und Anmerkungen heraus-
gegeben von K. A. Martin Hart mann. Leipzig, 1888.
Seemann. XX, 68 S. 8«.
Der Herausgeber denkt sich die Lektüre einer Liederauswahl von
ß^ranger in Verbindung mit der von Sandeau's MademoiseUe de la
Seigliere als fruchtbringend für die Schule. Und mit Recht, denn beide
Stofi^e gehören Schriftstellern derselben Zeit an, welche es auf beson-
deren Gebieten zu litterarischer Meisterschaft brachten, und beide ge-
währen neben dem poetischen Bildungswerte interessante Einblicke in
die Verhältnisse, welche vom alten zum neuen Frankreich hinüber-
führen, und sind wohl geeignet das historische Wissen des Schülers
246 • Referate und Rezensionen. F, Wendelborn,
über EreignisRe und Ideen der Zeit Napoleons sowie der Restauration
zu vertiefen (Vorwort S. VI). Die Einleitung gibt das für das Ver-
ständnis der Lieder wichtige aus dem Leben des Dichters, eine kurze
Würdigung der Bedeutung B^rangers für das sangbare französische
Lied und leider nur allzu kurze Bemerkungen über Böranger's Vers-
technik. Der Satz S. XIV u.: „Sein Lieblingsvers ist der dem Volke
besonders vertraute Zehnsilbler, der älteste aller französischen Verse
u. s. w." bedarf der Verbesserung. Denn erstens ist der französische
Zehnsilbler nicht älter als der Achtsilbler, und er ist keineswegs immer
dem Volke besonders vertraut gewesen. Er, der im Altfranzösischen
der heroische Vers war und noch im XVI. Jahrhundert vers commun
hiess, ward in der Folgezeit so gut wie vergessen und ist erst während
der dritten Blüteperiode der französischen Litteratur, nicht zum min-
desten durch B^ranger, wieder populär geworden. — Die Sammlung
selbst enthält siebe nunddreissig Lieder aus der Zeit von 1809 — 1851.
Liebes- und Trinklieder sind nicht aufgenommen. — Der Text ist mit
grosser Sorgfalt hergestellt. Es ist mir nur ein Druckfehler aufgefallen :
S. 51 Z. 1 ist zu lesen ßtes statt feUs. Aus pädagogischen Rücksichten
werden cestrichen sein Le Grenier Strophe 8, les Gtteux Strophe 14
und le marquis de Carabas Strophe 6. Ob Roger Bontemps Vers 53
perdrez oder, wie Hartmann schreibt, perdez zu lesen ist, vermag ich
im Augenblick nicht zu entscheiden. Das Wertvollste der Ausgabe
bleibt der Kommentar, welcher gemäss dem Plane der Sammlung als
besonderes Heft; dem Text beigegeben ist. Er enthält vor allem sach-
liche Erläuterungen und zwar der Art, wie sie uns auch bei Schulaus-
gaben deutscher Klassiker willkommen sein würden. Hartmann hat
natürlich die Erläuterungen seiner Vorgänger*) benutzt und nicht selten
berichtigt, vgl, Anm. zu No. 11, 27, 32 etc. Aber wenn die Anmer-
kungen auf eine des französischen Dichters und der deutschen Schule
gleich würdige Stufe gehoben werden sollten, blieb viel zu thun übrig.
H. hat denn auch neue Quellen zur Erläuterung der Realien durch-
forscht, vrie die Korrespondenz des Dichters, die Memoirenlitteratur
der Zeit und natürlich die einschlägigen historischen Werke. Er
geht dem Ursprung der Lieder nach, er zeigt wie B^ranger gleich
anderen Dichtern ältere Lieder benutzte und umschuf, vgl. No. 2, 11
etc. Allerdings ist noch nicht alles ^anz klar, wie z. B. der Ursprung
des Liedes, auf welches wahrscheinlich das Abschiedslied der Maria
Stuart zurückgeht, auch bedarf noch der Einfiuss La Fontaine's auf
B^ranger der Untersuchung, aber es ist doch ein sachlicher Kommentar
entstanden, welcher nicht hinter früheren Leistungen des wohlbekannten
Verfassers zurückbleibt, und für den alle deutschen Freunde B^ranger's
dankbar sein werden. Und der Verfasser hält massvoll zurück mit
Mitteilungen, wenn es dem Schüler möglich ist, durch Nachdenken
Angedeutetes zu finden (Anm. No. IX etc.). Andererseits benutzt er
z. B. die poetische Einkleidung dieser oder jener Stelle um hinzuweisen
auf die Verschiedenheit der poetischen Attribute bei antiken und
modernen Dichtern, vgl. Anm. No. III. v. 47 über den Schleier der
Nacht u. s. w. Hier konnte hinzugefügt werden, dass auch die
lateinische Dichtung das Bild noch nicht kennt, obgleich einzelne
Poeten der modernen Vorstellung ganz nahe kommen. Ovid schreibt:
1) Es sind noch vier deutsche Schulausgaben von B^ranger er-
schienen von: 1) A. Kühne, 2. Aufl. Berlin, 1887. Weidmännische
Buchhandlung. 2) L. W. Hasper, ib. 1882. 3) G. Voelker, Leipzig,
1877. Teubner. 4) Jos. Sarrazin, Bielefeld, 1885. Velhagen ft Klasing.
K, A. Mortui Hartmatm's Schulausgaben, Nr. 2. 247
Cum nox nigro polos mvoivit ttmiciu und Silius Italiens: Ei ni caeca
sinu terras nox conäerei atro. (Nach G. A. Koch's Gradus adPamassum,
Leipzig, 1874, unter nox.) — Einzelne Erklärungen, wie diejenigen zu
Cheronee S. 70, FMdias, Tyrtee, rihssus S. 64, fattesie TEvangäe II, 15
etc. könnten meines Erachtens in einer zweiten Auflage unbedenklich
gestrichen werden. Desgleichen Anmerkung XII 29, wo nur YIII 37
wiederholt wird, oder XXII 80 sabots, worüber schon II 31 gehandelt wurde.
Auch die sprachlichen Anmerkungen sind mit Umsicht abse-
fasst. An vielen Stellen verhindert H., dem eine grosse Summe päda-
. gogischer Erfahrungen zu Gebote steht, in belehrender Weise eine
schiefe Auffassung oder halbrichtige Übersetzung durch eine rechtzeitige
Note, und den sprachlichen Eigentümlichkeiten B^ranger's ist er durchaus
gerecht geworden (Belege unnötig). Doch könnte insofern hier eine
Beschränkung eintreten, als den Ausdrücken, welche der Schüler im
Thibaut oder in der kleinen Ausgabe von Sachs genügend erklärt
findet, die Aufnahme in die Anmerkungen^) versagt werden sollte.
Dahin rechne ich renommer rühmen VI 8, abandanner im Stich lassen
XXVIII 41, sauter in die Luft fliegen XXXI 4, miraae Luftspiegelung
XX 45, suppot Helfer IV 25, voliiger herumflattem & 6. Siehe auch
XIII 47, XVI 49, XVII 43, XXXIV 58 u. 8. w. Ferner glaube ich, dass
Schüler oder Schülerinnen, mit welchen man B^ranger liest, fühlen
werden, das objet cheri XI 88, daigna me consoier I 2^, faute d*Stre
assez granä 1 4 oder fais-nous danser XXIV 7 nicht wörtlich übersetzt
werden können. Sie werden auch im Stande sein, dafür deutsche Aus-
drücke zu finden, welche in das Kolorit der betreffenden Stelle passen.
Der Verfasser wird wohl im Grunde derselben Meinung sein. Meine
Bemerkung gilt nur dem Mass der Beschränkung und verkennt nicht,
wie schwer es ist, gerade hierin es jedem recht zu machen.
An Einzelheiten bleibt noch folgendes zu bemerken:
I 13 würde ich morgue tranchanie mit Sarrazin (S. 22 seiner
Ausgabe) Lieber durch „verletzenden" Dünkel als mit H. durch „ab-
sprechenden" Dünkel übersetzen.
II 7 venge heisst „in Schutz nimmt" vgl. vindware in seinen Be-
deutungen.
VIII 15. Der französische Adel war vor der Revolution nicht
absolut steuerfrei. Vgl. von Sybel oder Gucken.
Den Tadel gegen XIII 35 vermag ich nicht zu teilen.
XIX 7. Dass man bei Pariser Kindern nicht sehr häufig tiefes
Katurgefühl finde, glaube ich nicht. Bekannt ist doch der Drang der
Pariser an Feiertagen aufs Land zu kommen zum manger gur fherbe.
Vgl. auch Bulwer, Night and Morning S. 247. Tauchn. Ed.
XX 2 heisst es: „Wie es scheint, ist B^ranger der erste fran-
zösische Dichter, der es gewagt hat, eine Jahreszahl in den Vers zu
setzen." Es muss wohl heissen : der erste französische Dichter, welcher
es nach der zweiten klassischen Periode wagte u. s. w., denn im Alt-
französischen sind Jahreszahlen im Verse sehr oft zu belegen. Vgl.
z. B. Philippe Mousket Vers 27530 Qu*en Vom de Pincarnation M. et €C.
et vmt et sis SU moru eis rais Loeys.
XXV 27. Der angeführte unterschied zwischen convier und inviter
besteht meines Ehrachtens trotz Lafaye nicht. Vgl. auch te fdn Tinvite
XIX 56.
^) Bei den Liedern Bäranger^s kann es doch nicht wünschenswert
sein, besonders flott zu übersetzen. Vgk Hartmann, Mademoiseüe de h
Seigliere S. VI.
- *. _
248 Referate und Rezensionen, 0. Glöde,
XXIV 17 hätte wohl die Stellung den persönlichen Fürworts in
qui roscUent entendre eine Bemerkung verdient. Vgl. Lücking § 208, 3c.
XXVI 10 sagt H. zu mon lit cheiif: „Mit bten versetzt sich der
Dichter im Geiste lebhaft zurück und fühlt die Ärmlichkeit noch einmal
mit durch". Das liegt doch wohl nicht alles in Uen. Vgl. 'ähnliche
Anm. IV 45, XVIII 43.
XXVII 9 dans Athene. Die Bemerkung könnte etwas weiter ge-
fasst noch mehr nützen; denn in dans Vienne XXXIV 31, dans Paris
XXXV 33 und dans Saint- Helene XXXVI 15 ist die Präposition nicht
durch die Silbenzahl des Verses oder durch zu vermeidenden Hiatus
bedingt. Auch die Grammatiken beschränken oft willkürlich den Ge-
brauch von dans vor Städtenamen zu sehr. Vgl. Lücking § 458.^)
Auf die Schreibung von Athene (ebenso XXIII 34 in der Zäsur) könnte
auch bei Jemmape XXII 18 verwiesen werden, wo gleichfalls das s
unterdrückt ist, um die in der Sprache bestehende Elision ins Auge
fallen zu lassen. V. Hugo gebraucht z. B. oft Londres est als zwei-
silbig, der Aussprache gemäss.
XXXV 55 sollte hinzugefügt werden, dass die irdischen Überreste
Napoleon's I. 1840 nach Paris überführt wurden und in der Kapelle
des Invalidenhötels ruhen.
XXXIV S. 84 0. Die Worte über die Wiederholung am Schluss einer
Strophe entsprechen nicht ganz der Thatsache. Vgl. Strophe 10, 8, 2, 4, 13.
Dem vorliegenden Bändchen, welches die Verlagsbuchhandlung
wiederum vorzüglich ausgestattet hat, gebührt somit das beste Lob.
Wir machen alle Fachgenossen, besonders aber die Herren Studierenden,
auf Martin Hartmann's Bäranger - Ausgabe aufmerksam und wünschen
ihr die weiteste Verbreitung. F. Wendelboen.
Hobler, £•, Coup d'oeü sur Phistoire de la litierature frangaise. Für
den Schulgebrauch. Dessau, 1889. Paul Baumann.
Zu den vielen Grundrissen, Abrissen, Precis der französischen
Litteraturgeschichte fügt der Verfasser einen kurzen Oberblick über
dieselbe hinzu. Das Büchlein ist für den Schulgebrauch bestimmt und
soll wohl dem Lehrer das leidige Diktieren ersparen. Döhler scheint
zunächst an Mädchenschulen bei der Abfassung gedacht zu haben, in
denen häufiger als in Knabenschulen französische Litteraturgeschichte
in einer besonderen Stunde behandelt wird. Eine Schülerin der II.
oder I. Klasse soll im Grundriss einen Anhalt für das finden, was der
Lehrer vorgetragen hat, also den Namen von Schriftstellern, einige
wichtige Daten aus seinem Leben, vielleicht das Todesjahr, das der
Zeit seiner grössten Schaffenskraft in den meisten Fällen am nächsten
liegt, und die Titel einzelner Hauptwerke. Der Verfasser eines solchen
Überblickes hat also auszuwählen für einen bestimmten Zweck, und es
ist nur zu natürlich, dass er zuweilen falsch wählt oder anders wählt,
als es ein Fachgenosse gethan haben würde. Das wird sich stets nach
dem Lehrer richten müssen; man kann nicht viel von einem Mann
1) Auch Lücking's Fussnote 2 zu § 476 betreffs des Gebrauchs
von dans vor, singularischen Ländernamen bedarf der Erweiterung, vgl.
z. B. Mol., Ecol. d. F, 1 4 biens qü'il s'est en quatorze ans acquis dans
l^Amerique odet Michaud, i^« Croisade I (S. 12 Goebel) lorsque les
pelerins de PSglise latine, apres avoir traverse des contrees ennemies et
couru müU dangers, arrivaient dans la Palestine.
E, Döhler, Coup d^oeü snr Thisioire de la Uiteraiure francaise, 249
reden, von dem man gar nichts oder so gut wie nichts gelesen hat^
von einem Werke, dessen Inhalt man nur aus einer Litteraturgeschichte
kennen gelernt hat. Der Lehrer dart deine Kenntnis der Litteratur
nur aus der eigenen Anschauung schöpfen, durch fleissiges und ver-
ständiges Lesen, die meisten werden auch ein schriftliches Fixieren
nicht entbehren können. Je länger man in dieser Weise lehrt, desto
grösser wird das Repertoire, aber auch desto schwieriger die Auswahl,
desto ernster die Mahnung an den Gelehrten, dass er Lehrer ist und
von seinen Schülern verstanden sein will. Nur ein kleiner Bruchteil
von dem, was den Litterarhistoriker bewegt, gehört in die Schule;
aber dies wenige stellt der Gelehrte lebendiger, mit weiterem Blicke
dar als der sich mühsam durch Zahlen und «Titel hindurchfühlende
Lehrer, der die Wahrheit seiner Behauptungen nicht zu beweisen ver-
mag durch eigene Gründe.
Femer hängt der Unterricht in der Litteraturgeschichte aufs
engste zusammen mit der Lektüre, ja an manchen Anstalten wird er
direkt in einer Lehrstunde damit behandelt und gewiss mit Kecht,
denn die Lektüre ist der Hauptbestandteil des Unterrichts in der
Litteraturgeschichte; nach der Anzahl der Lektürestunden, nach den
gelesenen Werken, den benutzten Chrestomathien richtet er sich also
in erster Linie.
Alle diese Momente hat Döhler beachtet; im einzelnen bemerke
ich noch folgendes: S. 6 hätte mindestens noch der Chev. au Hon hin-
zugefügt werden müssen. S. 10 wird von Racine gesagt: Racine iomba
en disgräce aupres du rot ä cause d'un pamphlet et ne dui plus parmire
ä la conr. 11 mourut de chamin en 1699. Der Grund, der hier für
die Ungnade Racine's angegeben wird, ist litterarhistorisch wohl nicht
stichhaltig. Mir scheint vielmehr jene Angabe wahrscheinlich, dass
Racine sich in politische und finanzielle Fragen mischte, was der König
durch M™« de Maintenon erfuhr.
S. 10 heisst es von Moli^re: Son grand-pere, ä qui Peducation
de Jean avaii ete confiee, — la mere etarit morie — le menaii souvent
au thdäire ei eveiUa ainsi le goüt du jeune komme pour la scene. Dies
ist nach den Ausführungen von Mahrenholtz u. a. mindestens sehr
zweifelhaft; denn Moli^re's Grossvater soll schon 1626 gestorben sein,
wird also den kaum vierjährigen Knaben noch nicht in das Theater
mitgenommen haben. Mir scheint Moli^re aus Liebe zur M. B^jart
zum Theater gegangen zu sein, nicht, wie EUomire hypocondre sagt,
weil er zu keinem vernünftigen bürgerlichen Beruf mehr föhig war,
auch nicht durch den täglichen Anblick der Marktspiele der Enfants
Sans Souci bewogen, wie Moland und Schweitzer meinen.
Bei der Inhaltsangabe des Tariuffe wird nur gesagt, dass Elmire
den Betrüger entlarvt; das Auftreten des königlichen Kommissars hätte
hinzugefügt werden müssen. Bei Montesquieu vermisse ich die Con-
side'raiions, da die Letires persanes angeführt sind. Das XVIII. und
vor allen Dingen das XIX. Jahrhundert sind sehr knapp behandelt. An
Druckfehlem sind mir aufgefallen:
S. 3 Z. 6 V. u: (7M statt on.
S. 11 Z. 19 V. o.: hei statt bei.
S. 11 Z. 9 V. u. : casette statt casseiie.
S. 22 Z. 6 V. 0.: Lelorme statt Delorme.
S. 22 Z. 17 V. u,: Delavigne statt Delavigne.
Plus iard ist S. 7, 12, 14, 15, hkn que 8. 16 und tandis que S. 8
in einem Wort gedruckt, vielleicht mit Absicht. /^ ^^ ..
0. Glode.
250 Referate und Rezensionen, /. ffoch,
fikshaefer, Kart, Französische SchiUaramnuUik für die Unterstufen,
Zweite Auflage. Berlin, 1889. Winckehnann und Söhne. 251 S.
80. Preis: 2 Mk., geb. 2 Mk. 50 Pf.
Es ist eine unbestrittene Thatsache, dass die Reformgraminatiken
bisher verhältnismässig geringen Eingang in den Schulen gefunden
haben. Den Grund davon finde ich nicht ausschliesslich in der Gleich-
gültigkeit vieler Lehrer, die allerdings bedauerlicherweise immer noch
gross ist, auch nicht, wie viele wollen, darin, dass einige Fragen der
Reform wirklich noch der Klärung bedürfen. In grösserem Massstabe
schreibe ich sie dem Umstände zu, dass in kurzer Zeit zu viel brauch-
bare Lehrbücher auf dem Boden der Reform erwachsen sind, und der
daraus entstehenden Besorgnis, es könnten bald noch brauchbarere
veröffentlicht werden. Ich rechne das Elementarbuch und die mir vor-
liegende Schulgrammatik von Schaefer zu den besten aller Hülfsbücher,
die bislang von Anhängern einer massvollen Reform geschrieben sind.
Wirklich auch hat diese Schulgi*ammatik (ebenso wie der I. Teil der
Schulgrammatik für Oberstufen) trotz aller Hindernisse schon die zweite
Auflage erleben dürfen, so zwar, dass nunmehr die beiden Abteilungen
der ersten Auflage (1887) nach einer Umarbeitung zu einem Buche
verschmolzen sind.
Die besonderen Vorzüge der beiden genannten Schaefer'schen
Bücher lassen sich kurz etwa folgendermassen zusammenfassen:
1) Zusammenhängende Lesestücke bilden den Ausgangspunkt des Unter-
richts für die Aussprache, den anzueignenden Vokabelschatz, die
Kenntnis der Formen und die wichtigsten Regeln der Syntax. 2) (jrram-
matik und Lektüre greifen beständig ineinander. 3) Das Gedächtnis
wird entlastet, das Denken aber geübt durch „Darstellung der inneren
Gesetzmässigkeit des Sprachbaues", was für unsere Stufe Ableitung
der Formen aus allgemeinen Lautgesetzen bedeutet. Als weiteren
Vorzug möchte ich den gründlichen Betrieb der Grammatik und, z. T.
im Gegensatz zu Rambeau (s. Zschr. IX 3, 33 fll u. IX ^, 251), die um-
fangreiche Verwendung von Übersetzungsübungen aus dem Deutschen
hervorheben, in der Art, wie Schaefer sie gibt: zusammenhängende
Texte, die inhaltlich interessant sind und sich dabei beständig an das
Dagewesene anlehnen.
Im einzelnen möchte ich mich nur gegen die Fassung einiger
Regeln wenden. S. 158 wird unter 332 der Unterschied zwischen
Imperf. und histor. Perf. klar und verständlich angegeben. Unter 338
heist es dann weiter: Daher steht fast stets das Imperf. c) in Neben-
sätzen des Grundes (parce que). Die entsprechende Rubrik für das
bist. Perf. ist leer gelassen. Sie würde sehr passend ausgefüllt sein,
wenn der Verfasser hinzufügte : Daher steht das histor. Perf. fast stets
c) in Nebensätzen der Folge (de sorte que, de moniere que, de fa^on
que, si que, teÜement que). Es ist nämbch thatsächüch so, und ganz
naturgemäss, wenn auch die Lehrbücher nicht davon sprechen.
Die Fassung der Regel S. 167 unter 853: Es steht der reine In-
finitiv S) nach den Verben des Sagens und Denkens wie croire etc.
4) nach den Verben des Wünschens, wie däsirer etc. erweckt die Mei-
nung, dass nach den Wörtern des Wünschens der reine Infinitiv mit
derselben Regelmässigkeit stehe wie nach den Wortern des Sagens
und Denkens. Ich würde vorschlagen: nach folgenden Wörtern des
Wünschens oder besser nach folgenden Wörtern der Willensäusserung
als Übergang zu der allgemeinen Regel, dass nach den Wörtern der
Willensäusserung der Infinitiv mit de steht. Ich würde auch ordnen:
Z. Meigrei, Le Tretie de la Gramm fre FranifOfze, Hrgg, v» W, Fcerster, 251
Wörter des Denkens und Sagens, nicht des Sagens und Denkens,
aus demselben Grunde, aus welchem die Wörter des Bittens hinter
den Wörtern des Wünschens aufgezählt werden müssen: das Sagen
ist der Ausdruck des Denkens, wie das Bitten der des Wunsches.
E. Magkel.
Melgret, IJoilUl, Le Treue de la grammfre Frar^ofze, Nach der
einzigen Pariser Ausgabe (1550) neu herausgegeben von
Wendelin Fcerster. Heilbronn, 1888. Henmnger. XXX,
211 S. 8^ Preis: 3,80 Mk. Sammlung französischer Neudrucke,
herausgegeben von Karl Vollmöller.
Wenn auch spät (andere Arbeiten nahmen meine freie Zeit völlig
in Anspruch), so hoffentlich nicht zu spät kommt diese Anzeige der
sorgfältigen Ausgabe eines in mehrfacher Hinsicht interessanten Buches.
Denn einmal bietet es uns in einer vollständig durchgeführten pho-
netischen Rechtschreibung ein wertvolles Mittel, die Aussprache des
Französischen im XVI. Jahrhundert kennen zu lernen; ferner enthält
es den ersten Versuch, die Satzbetonung durch Angabe der Tonhöhe
der einzelnen Wörter zu bestimmen; und endlich finden wir in dem-
selben reichhaltiges Material zur Geschichte der französischen Grammatik.
Obwohl dieses seltene Werk schon in Bezug auf seine Beiträge
zur Darstellung der französischen Orthographie und Aussprache von
andern (A. F. Didot und Ch. Thurot) gründlich durchforscht ist, wird
man Fcerster für seine Separatausgabe dennoch Dank wissen, besonders
da sie jeden in den Stand setzt, den Treite in grammatischer Hinsicht
auszunutzen, was bisher noch nicht genugsam geschehen ist.
In der Einleitung spricht der Herausgeber zunächst sein Be-
dauern darüber aus, dass die so verständige Reformbestrebung Meigret's
auf orthographischem Gebiete seiner Zeit so wenig Erfolg gehabt hat,
ja sogar als Zielpunkt des Spottes .diente. Doch wenn man jetzt,
nach 340 Jahren, sieht, wie wenig Theilnahme diese Bestrebung bei
Gelehrten und Gebildeten findet, so wird man auch für die nächste
Zukunft kaum eine durchgreifende Besserung der so unnütz erschwerten
und prinziplosen Rechtschreibung nach vernünftigen und sprachlichen
Gesetzen erhoffen können.
Über die Lebensverhältnisse Meigret's wissen wir herzlich wenig.
Dass er aus Lyon stammte, geht aus den Angaben auf den Titeln
seiner Werke hervor; ausserdem möchte ich noch darauf aufmerksam
machen, dass im vorliegenden Tretie mehrfach in ziemlich auffälliger
Weise die Ausdrücke Eion und Lionofs (z. B. 27, 1; 28, 16; 81, 25;
32, 19; 43, 6; 166, 16) in den grammatischen Beispielen benutzt werden;
S. 7, 7 steht sogar eine Lyoner Redensart: Mal avize a prov pein&,
Meigret dürfte jedoch spätestens 1530 nach Paris gekommcm sein, wo
die meisten seiner Schriften gedruckt und verlegt sind. Bald nach
1558 muss er jedoch gestorben sein, da dann sein letztes Werk, die
Neuauflage seiner Übersetzung der fünf ersten Bücher des Polybius,
in diesem Jahre erschien. Da es in Lyon gedruckt ist, liegt die Ver-
mutung nahe, dass er in seine Vaterstadt zurückgekehrt war.
Was seine litterarische Thätigkeit angeht, so besteht sie zu-
meist in Übersetzungen lateinischer und griechischer Autoren ; daneben
in einigen grammatischen Abhandlungen und Streitschriften etc. Der
Herausgeber bringt ein ausführliches Verzeichnis derselben auf
S. IX — XV, ist jedoch nur in der Lage gewesen, eisen Teil von ihnen
252 Referate and Rezensionen. J. Koch,
selbst ebauaehen. Nachdem er dann das VerhältniB Meigret'n ku
Beinen ZeitgenosBen, seinen Freunden und asinen Gegnern daigeBtellt,
hebt Fcerster kurz diejenigen Punkte hervor, in denen sich sein Autor
von den vorangehenden französischen Gcammatiken, namentlich von
der de» Jacobus Silvins unterscheidet, und meint schliesBlich, ihm die
Einführung der Apostrophe, der Accente und der Cedille zuschreiben
zu müssen. Wie mir jedoch Herr Professor Lamprecht mitteilt, werden
diese Zeichen bereits von Geoff ro; Torj in seinem 1529 erschienenen
Cfiamp fleury gefordert, einem Buche, weloheä »ich der Herausgeber
leider nicht seuist verschafien konnte.
Auf diese Einleitung folgt dann bis S. 196 der Text, aus dem
ich einige, für den Autor und seine Eigenart charakteristiBche Stellen
anführen machte. In dem ersten Jo' LecUars übe rschri ebenen Ab-
schnitte finden wir (S. 4, 30 S.) den sehr vernünftigen Grundsatz:
Come tecriture ne foft qe ta sray' imaje de la paroile, a l/otie rpzon on
reftmera faof f aouziue, ß eile ne luv ft conforme par vn aff^mbiement
de teures eotmenantes ao hatiatfnt de rxi'p. Und ähnlich weiter unten
(12, 23 f.): fiy ne feu pottrgof la plume dofiie porter fn fon ecrittttre
plus grantle reuerfnc a tantigile, qe ne luy /gt la lang' fn fa pro-
nonfia^n. Uemgemäss schreibt Meigret der Auespracne seiner Zeit
Znfolge z, B. die gewöhnlich durch au und oi dargestellten Laute ao
und of, lässt die im Inlaute verstummten Zeichen einfach fort und
setzt fSr die im Auslaute fakultativ verstiiiniu enden e, fund I Apostrophe.
Bezüglich der Konsonanten hetsst es (16, 2S): Je f^s . . . soiier . , .
toutes confonanles d'un rngme fon auant lautes voyelles. Daher be-
zeichnet er sl^mmlOBes s durch f im An- und Inlaut, ^ im Auslaut;
stimmhaftes durch z; er setzt durchaus g für den Verachbisslaut, _;' für
den Reibelaut; die sogenannten mouilliorten Laute giebt er durch n
und / mit einem Häkchen (in FiBrster's Druck durch t ausgedrückt) etc.
Inkonsequent ist es dagegen, wenn Meigret den Ar-Laut vor a o u durch
C, vor e i y durch q darstellt. Mit Recht wendet er aich aber gegen
die sinnlose Nachahmung lateinischer Orthographie und latinisieren de
Ausdrücke und Konstruktionen (s. 8. 138 ff, ii. 195). Andererseits sind
seinn Kenntnisse in der altfranzSsischen Sprache mangelhafte, woraus
ihm aber in Anbetracht des damaligen Standes der Gelehrsamkeit kein
Vorwurf gemacht werden soll. So erklärt er %. B. die althergebrachte
Schreibung der Imperfektendung -oient. die zu seiner Xeit -o^t tönte,
durch Vermischung der Endungen -oinl uud -ient (14, 12 ff.) ; die Plural-
formen des Präsens von choir (fhofr) leitet er von einem infimtif
inuzite fhauer ab (105, 30); ebenso die von ecrh-e, von ecriuer, von
boire, von buner (108, 17 ff.), die von souffrir, von souffrer (112, 17) etc.
Die drei Stämme des Verbs aller sind nach ihm (124, 19 f.) vailo, ire
und das hebräische Aallac; die Negationspartikel pas soll dagegen das
griechische iräf sein (175, 6)!
Im übrigen die auf Priscian beruhende und nach den Redeteilen
angeordnete Grammatik durchzugehen , würde hier zu weit führen.
Doch mögen einige kurz zitierte, nach Belieben herausgegriffene Stellen
über die sonstigen Belehrungen, die uns das Duette bietet, Audeutungen
geben, — 12, 5. Meigret konstatiert die Auesprache eaje neben aß
(ägej. — IS, 34. DerVerf. kennt bereitB die Liaison des n und die des /,
doch nicht die des s (vgl. Anm. zn 111, 23). — 23, 30. Die Aussprache
faitnes ist gewöhnlicher als pfalmes. — 30, 32 Als unterscheidende
Zahl bei Kegentennamen führt Meigret nur die ordinale mit Artikel
an: ^hartes le qmt, g le ßzieme. — 31, 1 Zwei Vornamen derselben
Person sind wenig gebräuchlich. — 4S, 30 u. 49, 17 Das a in lac.
Z. Meigret, Le Tretiede la Gramm fre Frangofze. Brgg. v, W. F(Brster. 253
hanap ist kurz, in läcs, hanäps lang; c, p, q verstiniimen fast vor aus-
lautendem s. — 52, 10 Die Zahlwörter fofffanf f dis, qaire vins etc.
sind beliebter q\s ßUanie, huyiiante. — 68, 23; 173, 37; 175, 13 In der
Frageform verbindet sich öfters das Pronomen der 2. Pluralis mit dem
Verb der 2. Singularis: ö' von' fft cela? — 75, 17 Don Einschub des t
nach der 3. Sing, derer auf -^* in der Frage vor vokalisch auslautendem
Pronomen hält Meigret für unzulässig; besser fyme Von BÜseyme fon
(vgl. 192, 20). — 82, 4 Je mfme neben mof m§me, — 88, 18 ff Meigret
verwirft die Flexionsfähigkeit des Part. Perf. bei Reflexiven und nach
vorangehendem Objekt. — 101, 9 ff. Der Verfasser erklärt den Aus-
druck (f§i mof für unlogisch und empfiehlt dafür c^ fvys je. — 104, 6
Einige sagen vons statt allons. — 104, 17; 106, 4; 107, 14 u. 31 etc.
In der 1. Sing. Präs. ist der Abfall des auslautenden s bei mehreren
Verben fakultativ ; so veu und veus, puy und puys, f^ und f^s, bo§ und
boes etc. 109, 34 Von rompre sind die Formen Je rons, tu rons, ü ront
beliebter als rom(s), romt; ebenso spricht man lieber proni statt prompt,
tens statt tfmps; übrigens die einzige Andeutung der Nasalierung bei
Meigret (vgl. Victor, Elem. d. Phonetik, § 69, A. 5.). — 112, 6 u. 122, 25
ferir und seine Formen gehören mehr dem poetischen Gebrauch an. —
115, 8 u. 147, 25. Die 3. Plur. des bist. Perf. derer auf -er lautet so-
wohl auf -aret wie auf -eret ; die 1. Sing, sowohl auf -e wie auf ey ;
die 1. Plur. auf -imes derselben Konjugation (115, 18) wird freilich als
falsch verworfen, immerhin aber der Erwähnung wert gehalten. — 119, 15.
Das Partizip mors von moräf'e wird für besser gehalten, obwohl mordu
regelmässiger sei. — 121, 14 Prittes und priret (H. P. von prendre)
werden den Formen printes und prin(d)ret vorgezogen. — 123, 20. Tey
paffe (par Paris) ist sicherer als je puys faffe. — 125, 10. Neben /aör^y
und je faorey (faurai, je saurai) billigt Meigret farey und je farey. —
126, 23 ff. Als Imperativformen von alier werden vas und va für die 2. Sg.,
vo^ze und vofzet für die 3. Sing. bezw. PI. angeführt. — 139, 32 Die
Pariser Maurer haben liueao und liueler in niueao und miielcr verderbt.
— 141, 20. Das auslautende s der Partizipien wird bei der Anfügung
des Feminin -e zu z, nur ars bildet arfe. — 167, 21. Man sagt wohl je
fuys §n la Franke, aber es ist eleganter zu sagen je m*^n voes fn Franke.
Besonderes Interesse verdient der S. 179 beginnende Abschnitt:
Dfs acg^nSy ou tons d§s fyllabes 4r dicgions, in welchem Meigret die
Tonhöhe der einzelnen Wörter im Satzganzen untersucht. Er findet,
dass dieselbe von der Silbenzahl und von dem Umstände abhängt, ob
der Satz nur aus einsilbigen Wörtern besteht, oder ob auch mehrsilbige
zu demselben gehören. Bei diesen unterscheidet er wieder solche,
deren letzte Silbe betont ist von solchen, die an dieser Stelle ein ton-
loses e haben, etc. Seine Aufstellungen veranschaulicht er dann durch
Musiknoten; bei den folgenden Beispielen bediene ich mich einer 1, um
einen höheren, einer 2, um einen tieferen Ton wiederzugeben. Auf
1818 8189
S. 181 sehen wir: g'ft mon maleur, dagegen ^*ft man frere; ebenda:
8 1 8 18 19 8 18 8
q^t mon ceur; S. 185. Vne fame, gft vname, etc.
Im Vorbeigehen noch die Bemerkung, dass Meigret sich über
den Missbrauch der Passionsspieler beklagt (180, 16), eine tonlose Silbe
zu accentuieren, wie in Sire PUate statt Pilaie.
Aus dem Kapitel über den Apostroph sei hier erwähnt (192, 20),
dass die Apokope des tonlosen e in der Frageform vor vokalisch an-
lautendem Pronomen unzulässig ist, z. B. in §yme il? fyme eile? Sie
unterbleibt auch besser im Konjunktiv j'uffe und j*aye (vgl. jedoch
146, 19 j^uff'ete, 149, 3 j^uff'eyme) in der Satzpause, und nach Ver-
2&4 ReferaU und Rezensionen. J. Koch,
BchluBilaut + Liquida, wie io entre gUes (vgL jedoch 9, 9 f»tr' ellat;
77. 14 artieT api-gs; 81, 30 ainjomdr'ao' nonu; 86, IT ßii/r' en; 95, 34
raoir' a pari; 106, 2 ßu/r' ajouter; 130, 7 vavtr' imp-e; I6d, 19 efr'
ü^fere, etc.).
Den BeachlusB des Buches (S. 197— 211) bilden A.iunerkuageu, in
denen Förster zun&chst die GmndHätze erörtert, nach denen er den
Text behandelt hat, worauf mehrere Seiten mit nachträglichen
BeBtetungen oder den Lesarten des OriginaU folgen, die in der äub-
fabe bereite gebeBsert sind. Waa die erateren angeht, ao wird man
em Herausgeber jedenfallB beistimmen, dass grosse Vorsicht in der
fioTrektur der zahlreichen Fehler des überlieferten Textes 2U beobachten
war, die nicht alle von dem in der neuen Orthographie ungeübten
Setzei verechuLdet sein dürften, sondern auch auf lakooBequenzen and
der Zulassung von Dop^elformen seitens des Veifaaiers herutten können.
Dasa solche thatsächlicli vorkommen, geht aus den ausdrücklichen
Worten des letzteren selbst an einigen Stellen hervor; so heisat es
11, 22 ai, ou ay (cor j't ne ffs point de differ^nq' fnlre fi, f y Gr^c);
105, S6 pluuofr ou plouuofr; 174, SO votdontiers ou voulentters, wozu
noch die yorhin schon erwähnten Verbalformen wie: j'arof, oa aorof,
ou Off (143, 23), Je vof, ov üofs (150, 31), ja vi, ou vis (151, 5), fuffn u
und j'uff n u. s. w. kämen. An anderen Stellen drückt sich M. zu
unbestimmt aus, als dass man ein festes Prinzip auf seine Worte
basieren könnte; so S. 25, l über daa Verstummen von auslautendem
s oder z, S, 49 über den Gebrauch von s und z als PluraUeichen.
Dennoch glaube ich, dass der Herausgeber in einigen Fällen, wo sich
nur vereinzelte Abweichungen ron einer überwiegenden Hehizabl einer
Schreibweise finden, und wo die eigenen Worte des Verfassers dies
n»he legen, iu der Besserung hätte weitergehen können, als er sich
für berechtigt hielt. Z. B. (von vornherein bemerke ich jedoch, dass
ich auf eine absolut vollständige Zählung nicht Anspruch erhebe) zeigt
es sich, dass die Wörter auf -if in der Regel den Plural auf -ifs bilden
(so 10, 38; 40, 7 und 35; 41, 15; 43, i; 61, 3; 70, 12 und 33; 71, 15;
76, 12; 79, 16, ebenda 19 und 21; 164, 14 und S8 etc. etc.), so dasa
die seltenen Schreibungen ajfctiz (40, 34), coUgctiz (50, 13) und partiliz
(164, 11) danach hätten 'reguliert weiden kOnnen, zumal Meigret nur
den Schwund des ä und I vor piuralem -r odei -z kennt ^S. 49). —
Bezüglich des verstummenden s im Auslaut gilt im allgemeinen, da»s
es am Ende der Artikel und der attributiv gebrauchten Pronomina
und Zählwöitei duich einen Apostroph ersetzt wird; doch bleibt es
fast regelmässig vor Zischlaut lind Vokal; nui in i^ veisohwindet es
auch vor leteterem (s. besonders die Paradigmen 5. 142 ff.). Dahei
w^en meiner Ansicht nach auch folgende Stellen unbedenklich z,\x
bessern gewesen; dev' für deus S. 52, 36 fdeus qatre) und 56, 14 gegen-
über 14, 9; 17, 12; 22, 4 und 82; 23, 17; 24, 26; 26, 14; 52, 36; 54, 6
und ebenda 18 und 28; 55, 5; 56, 5 und 15; 57, 1; 85, 19; 144, 12
nnd 14; 193, 16 etc.; iou' fär toKs 46, 26; 51, 22 und 78, 2 gegenOber
lou' 46, 31; 48, 7, 20 und 38; BS, 21; 54, 11 und 27; 55, 20; 65, IG;
82, 4 und 10; 89, 34 und 37; 136, 38; 141, 6; 163, 18 und 19; 173, 24;
1T9, 26 etc.; (T in üs vor anlautendem s 80, 25; 102, 14; 146, 25 im
Vergleich mit 48, 9; Sl, 23; 67, 2; 80, 13 und 26; 145, 6, 31 and 36;
146, 5 etc.; ebenso filr ff vor Vokal 90, 13 und iis in ff vor Konsonant
20, 29 und 80, l, womit u. a. die zahlieichen Formen in den Paradigmen
142 ff. zu vergleichen wären. — 72, 10 ist voyes in voyez zu ändern,
besonders mit Rücksicht auf Meigiet's Bemerkung 10, 4. ~ Andererseits
wQrde ich allerdings Bedenken tragen, das s in plus, pas, sans, apres
Jean de Mairei, Sophonisbe. Rrgg. von E, Voämöätir, 255
etc. ohne weiteres zu apostrophieren, da hier die Unterlassungen im
Text häufiger sind.
Als offenbare Druckfehler oder Versehen betrachte ich dagegen
folgende von Fcerster übersehene Fälle: 4, 27 hätte farians nicht in
faorions verändert werden sollen, s. 125, 10; 5, 27 bessere eß in p;
6, 18 l. on peüoft; 7, 5 1. conßdere; 11, 17 grant (s. 24, 17); 11, 33
cor^omtes (vgl. 12, 3); 12, 20 acjourdhui; 14, 9 faqofis; 15, 3 1. aoqel
st. aaquel: 29, 37 1. beaocoup st. öeaucoup; ebenso 43, 27 ; 64, 1 ; 76, 3^.
— 53, 34 1. jfbeffani' f dis (vgl. 52, 12 ff.); 61, 3 lies das letzte Wort
dizeme; ebenda 21 aui' vous (vgl. unten 86, 24); 62, 29 1. propos;
70, 29 1. if nams; 73, 24 l. reculii; 80, 3 df tiens st. d§s i.; 85, 11 je
f^s st. ie f, (vgL F.'s Besserung zu 94, 27); 86, 24 ürere^ st. tirere'
(vgl. 61, 12; 76, 22; 78, 7 Anm.; 172, 26 u. 29); 91, 22 l§' dames st.
Ifs d.; 96, 13 Anm. bessert F. ßnififr in ßnifier, lässt jedoch 97, 24
ßnifier; 98, 26 n'oni st. nont (vgl. 99, 3 und F.'s Besserungen zu 43, 19 ;
49, 16; 55, 7; 66, 2 ; 67, 15; 69, 28; 70, 35 u. ö.); daher auch n'a 102, 18;
99, 15 1. Vfrhes st. V^rbes^; 103, 1 scheint mir die Korrektur zu i^ aoires
ebenso wahrscheinlich wie 111, 23, da Verstummung des s in diesen
Fällen doch nur ausnahmsweise durch die Schrift ausgedrückt wird;
119, 23 regar' oder lieber noch regard, wie es sonst wohl stets lautet;
z. B. 120, 34; 121 12, und 16, 122, 6 und 22, u. s. w.; 156, 34 bdiir st.
häiir; 161, 34 nou' etyons scheint mir ebenso fraglich wie If^ aoirds
(s. 103, 1); 162, 34 1. recomande st. -e; 184, 21 wohl l'aue' st. /'««';
ebenso 190, 26 ft^ stef; 192, 14 confiance st. -(^e; 198, 3 tiire st tüire.
Was schliesslich die Gesamteinrichtung des Textes angeht, so
verbot allerdings der Plan der ganzen Sammlung: möglichst getreue
Abdrücke der Originale zu liefern, das Hervorheben einzelner Wörter
durch den Druck. Dennoch wäre es gewiss manchem, besonders dem-
jenigen, der den Treite nur zum gelegentlichen Nachschlagen benutzen
will, willkommen gewesen, wenn demselben eine übersichtlichere Gestalt
gegeben wäre, da die Kapitelüberschriften hierzu kaum ausreichen.
Viele wären daher gewiss dem Herausgeber zu noch grösserem Danke
verpflichtet gewesen, wenn er diesem Mangel durch Marginalnoten
oder durch ein kurzes Sachregister abgeholfen hätte.
J. Koch.
Malret, JTean lle» Sophonisbe. Mit Einleitung und Anmerkungen
herausgegeben von Karl Vollmöller. Heilbronn, 1888.
Hetminger. XLIV, 79 S. 8^. Dieselbe Sammlung.
Obwohl der Sophonisbe Mairet's, trotz mancher wohlgelungener
pathetischer Stellen, nach der heutigen Kunstschätzung kein besonders
hoher Wert beizumessen ist, so wird der Litterarhistoriker und Sprach-
forscher den vorliegenden Neudruck derselben mit Freuden begrüssen,
da die Werke M.*s den meisten schwer zugänglich sein dürften.
In der „Einleitung" diskutiert Vollmöller zunächst die Frage
nach Mairet's angeblicher deutscher Abstammung auf Grund von Mit-
teilungen aus Dokumenten, deren Ergebnis wenig Positives liefert.
Weder in Dortmund noch in Ormont, an welchen Orten man nach dem
Memoire eines Neffen des Dichters die Heimat seiner Vorfahren ver-
muten könnte, lässt sich eine Familie dieses oder eines ähnlichen
Namens nachweisen, und auch der S. XLIIl im Nachtrag zitierte Thys
Megrait aus Reifferscheid kann nach den bisher bekannten Notizen
nicht mit Sicherheit als Ahnherr Mairet*s angesehen werden. Dennoch
256 Ref, u, Rez. J. Koch, Jean de Mairety Sophonisbe,
glaube ich, dass nach den S. VI angezogenen eigenen Worten des
Dichters die Herkunft seiner Familie aus Deutschland nicht in Abrede
gestellt werden kann, bis ein positiver Gegenbeweis erbracht ist. —
ilücklicher ist Vollmöller jedoch im Nachweis des Geburtsjahres
Mairet's, als welches das Taufregister von Be6an9on 1604 angibt; der
Tag ist vermutlich der 9. Mai (S. IX).
Den übrigen Teil der Einleitung nimmt eine sehr sorgföltige
bibliographische Übersicht der Ausgaben von Mairet's Werken ein,
von denen ein grosser Teil dem Herausgeber zur Verfügung stand.
Auf S. XXX — XXXIV finden sich die Varianten von sechs Drucken zu
dem der Neuausgabe zu Grunde liegenden Text vom Jahre 1635, die
jedoch nur in wenigen Fällen beachtenswerte Lesarten bieten.
Hierauf folgt, nach Vorausschickung der Dedikation, eines kurzen
Vorworts und des Privilegs, das Drama selbst, welches übrigens die
drei Einheiten noch nicht so strenge durchführt wie der spätere
Klassizismus, da die Handlung an zwei auf einander folgenden Tagen
(s. z. B. V. 1147) vor sich geht und der Schauplatz in verschiedene
Gemächer desselben Palastes (s. z. B. v. 1108 u. 1777) verlegt erscheint.
Zu dem Texte selbst bleibt wenig zu erinnern, da Vollmöller
S. XXVII und in den Anmerkungen S. 77 f. einige Druckfehler und
Unrichtigkeiten selbst korrigiert. Akt III, Szene 1 hätte vielleicht die
Überschrift nach den S. XXXI angeführten Ausgaben in Mafsimsse,
Philip (der übrigens im Personenverzeichnis auf S. 8 fehlt), Soldats
Romains verbessert werden können. — V. 688 schlägt V. in den Anm.
die Änderung von je propose in qu^on me propose vor; wie ich glaube,
unnötig; denn Belege, di2i,%^ proposer „vorhaben, beabsichtigen '^ heissen
kann, bringt Littr? s. v.; so aus Oresme: Je propose iranslater; auch
dem Sinne nach schliesst sich dieser Vers der überlieferten Form recht
gut dem Vorhergehenden (s. v. 615) an. — V. 1285 ist in eftoii ein
deutsches i hineingeraten. — V. 1497 ist violans mit Rücksicht auf die
Schreibungen in vv. 911, 1187 und 1786 wohl in violeftftjs zu bessern.
— Der 'Halbvers 1532 wäre einzurücken gewesen. — Akt V, Sz. 3 und
ebenda 6 fehlt die Angabe, dass der in der Überschrift genannte
Mefsager dieselbe Person ist, welche sonst mit CaUiodore bezeichnet
wird. — V. 1606 ist das f in fon aus Versehen fett gedruckt. —
V. 1760. Die 0 in der Verszahl fehlt. — V. 1788 möchte ich mit den
anderen Ausgaben (s. S. XXXIV) n^est point st. est p. setzen. — Endlich
sei noch auf die merkwürdigen Reime 1164/65: feur (sür): douceur,
und 1216/17 adueu (= avoeu): veu (vu) aufmerksam gemacht.
J. Roch.
Miszellen.
Zu Mademoiselle de la Seigliere.
Die Leser mögen verzeihen, dass in dieser Zeitschrift noch einmal
auf die Schulausgabe des Unterzeichneten zurückgekommen wird. Das
wurde von meiner Seite aus auch unterblieben sein, wenn nicht die von
J. Aymeric in Heft 2 dieses Bandes veröffentlichte Besprechung in mehr
als einer Hinsicht eine Erwiderung herausforderte. Aymeric glaubt be-
merkt zu habfen, dass die bisher erschienenen Rezensionen der in Rede
stehenden Sandeau-Ausgabe oberfl'achlich sind, und unternimmt es daher
seinerseits, eine Rezension anderer Art zu schreiben. Wird nun diese
dem Gegenstande einigermassen erschöpfend gerecht? Der Leser möge
selbst urteilen. Das was die berührte Ausgabe dieses Lustspiels von den
früheren unterscheidet, erwähnt Aymeric mit kaum einem Worte. Dafür
heftet er sich an einige Einzelheiten und sucht dem Herausgeber ver-
schiedene Fehler, im ganzen elf, und verschiedene gewagte Behauptungen,
im ganzen dreizehn, nachzuweisen. Angenommen einmal, Aymeric
hätte mit allen seinen Ausstellungen recht, so würde der Herausgeber
darnach doch immer noch Grund haben , mit seiner Arbeit zufrieden
zu sein. Denn wenn ein geborener Franzose an einem Kommentar,
der über siebenhundert Anmerkungen enthält, nicht mehr Fehler als
elf findet, und nur dreizehn Anmerkungen von zweifelhafter Richtigkeit,
so ist dieses Ergebnis einer offenbar sehr aufmerksamen Prüfong im-
merhin beruhigend. Freilich sind die Einwendungen Aymeric's nur in
einigen Fällen stichhaltig. So ist ja richtig bemerkt, dass auf S. 25
(nicht 17!) des Kommentars comme nn mouton bfide fälschlich für
qu*un m, br. gedruckt steht. Die Billigkeit hätte aber verlang zu
bemerken^ dass an der hierher gehörigen Textesstelle die Worte richtig
stehen. — Dass hride an obiger Stelle tenu pur la bride bedeutet, be-
streitet Aymeric, verschweigt aber leider, wie er selbst den Ausdruck
auffasst. Es sei hier bemerkt, dass die im Kommentar gegebene Er-
klärung von einem Landsmanne des Herrn Rezensenten stammt, der
hierüber befragt wurde, da die .Lexika keine Auskunft geben. — Mit
seiner Kritik der Übersetzung von „Wärmflasche" für bassinoire hat
Aymeric vielleicht Recht, nur gibt er auch hier nicht an, welches nach
seiner Meinung die richtige Obersetzung sein soll. „Wärmflasche" ist
in Deutschland jedenfalls ein viel gebräuchlicheres Wort als „Wärm-
pfanne". Der Sicherheit halber fragte der Unterzeichnete in einem der
grössten Leipziger Geschäfte für Haushaltungsgegenstände nach einer
„Wärmpfanne" und gab dabei die Beschreibung dieses Dinges, wie sie
auch von Aymeric mitgeteilt wird. Da stellte sich heraus, dass der
Inhaber des Geschäftes von solchen „Wärmpfannen" schlechterdings
nichts wusste. Er kannte nur Wärmflaschen und Wärmsteine. — 2n
S. 41 will Aymeric nicht zugeben, dass huit ein stummes h habe. Nun,
im Sinne der rein empirischen Grammatik hat er ja recht, aber sicher
nicht vom Standpunkte einer wissenschaftlichen Auffassung der frag-
lichen Erscheinung. Das Wort huit, das von octo herkommt, hat
ebensowenig ein h aspiree als onze. Wenn man vor diesen zwei Worten
nicht bindet und nicht elidiert, so erklärt sich dies einfach daraus,
dass die wenigen Zahl werte, welche vokalisch anlauten, in diesen
Punkten ebenso behandelt werden wie die grosse Masse, welche kon-
sonantisch anlautet. Die Minderheit muss sich auch hier der Mehrheit
fügen. Ich hätte geglaubt, durch die ganze Fassung meiner Anmerkung
Zsclir. f. frz. Spr. u. Litt. XK ^n
258 Miszeüen,
vor einer irrigen Auffassung geschützt zu sein. — Zu der Stelle auf
S. 58: ^La femme q%iü aime: Seine Geliebte. Da das französische
Participe pass^ nicht einfach substantiviert werden kann, so muss für
unser „GeUebte" eine Umschreibung eintreten,** belehrt Aymeric den
Herausgeber, dass es doch recht viele solcher substantivierter Partizipia
gibt, wie abrede, communique, regu etc. Diese Thatsache war dem
Herausgeber nicht ganz neu. An der fraglichen Stelle handelt es sich
aber natürlich nur um das p. p. atme, das durch ein Versehen im Texte
ausgefallen ist. Bei einigem guten Willen wird man es vielleicht aus
dem Zusammenhange ergänzen. — Recht hat Aymeric mit seiner Be-
merkung zu: je vous le aonne en cent, und zu siupdfaii. *Weniger aber
mit der Besprechung der Stelle: vous le savez bien, que madame de
Vauheri h'est pas une belle ätne^ Ich hatte dazu bemerkt, und kann
das heute nur wiederholen : „das le vor savez que ist eine Freiheit der
Umgangssprache". Fälschlich lässt Aymeric mich dafür sagen: „Das
le vor savez ist eine Feinheit der Umgangssprache", und vermutet,
dass ich habe sagen wollen: „der Schriftsprache". Ganz und gar nicht!
Die in Rede stehende Freiheit gehört sicher ursprünglich der Umgangs-
sprache an, und ist von da auch in die Schriftsprache eingedrungen,
wie das Beispiel in der R, d. d. m. zeigt. — Zu S. 60 tadelt Aymeric
die Stelle: Jl est du bois doni on faxt les flütes: er hat einen sanften
Charakter". Hierzu sei bemerkt, dass diese Übersetzung wörtlich aus
Sachs entlehnt ist. Wenn sie ja auch an sich keinen tadelnden Sinn
hat, so kann ein solcher doch durch die ganze Art der Aussprache
und Betonung ausgedrückt werden. — Unzweifelhaft im Rechte ist
Aymeric, wenn er Anstoss nimmt an der Erklärung von: au coin du feu,
ebenso wie an der Stelle : firai dxre ä Rome, Es hatte ursprünglich
da gestanden je Firai d. ä Ü,
Was nun die Anmerkungen betrifft, die nach Aymeric's Ansicht
zwar nicht geradezu irrig, aber doch mindestens sehr gewagt sein
sollen, so lehrt ein näheres Hinsehen auch hier, dass die Ausstellungen
des Rezensenten bei weitem nicht in allen Fällen stichhaltig sind. So
wird auf S. 4 des Kommentar gemissbilligt , wenn bei der Textstelle:
Si monsieur veui passer erklärend steht : „Dies ist eine höflichere, im
Munde des Dieners angemessenere Form als: Si vous voulez passer^.
Aymeric meint: 11 faudrait dire: „Dies ist die einzige im Munde des
Dieners bei hohen Herrschaften zulässige Form". Dabei wird nur der
eine Umstand übersiehen, dass der Diener an der fraglichen Stelle gar
nicht mit hohen Herrschaften redet, sondern mit einem unbekannten
jungen Manne, der den Marquis sprechen will. — Zu S. 8 will Aymeric
nicht gelten lassen, dass ^diäble viel häufiger gebraucht wird als Teufel,
wie schon ein Blick auf die zwei Artikel in den Wörterbüchern lehrt."
Er will im Sachs gerade das Gegenteil von dem finden, was in der
Anmerkung gesagt wird. Nun, ich habe mir darauf hin, obgleich nicht
viel darauf ankommt, die Mühe genommen, meine Behauptung an den
zwei Artikeln im Sachs nachzuprüfen, und kann nur sagen, dass ich
sie bestätigt gefunden habe. Diable ist jedenfalls in viel höherem
Grade bei den Franzosen salonfähig, als „Teufel" bei den Deutschen.
— Ähnlich bezweifelt Aymeric, dass das Wort „Wolf" nicht so viel
zur Bildung von landläufigen Redensarten verwandt wird wie loup.
Auch hier muss ich aufrecht halten, dass der Artikel hup im Sachs
weit mehr solcher Redensarten enthält als der Artikel ^Wolf" ebenda ;
jeder Leser, der sich die Mühe des Zählens nehmen will, kann sich
davon überzeugen. Von den achtzehn Redensarten mit loup, die in
meiner Anmerkung als dem Französischen allein eigen, gegeben werden.
MiszelUm. 259
(wohlgemerkt dies in yonichti^rf durchaus nicht apodiktischer Form !),
sagt Ajmeric, dass sie fast insgesamt zugleich auch deutsche sind.
Prüfen wir seine Kritik an den einzelnen Fällen: 1) loup de mer Seebär.
2) manger comme un hup wie ein Wolf fressen. Hier hat Ä.ymeric
recht. 3) un froid de loup eine Hundekälte. 4) marcher ä pas de loup
leise schleichen. 5) les loups ne se mangent pas enire eux eine Krähe
hackt der andern nicht die Augen aus. 6) avoir vu le loup mit allen
Hunden gehetzt sein. 7) ienin' le hup par les oreüies. Hierfür kannte
ich nur die Übersetzung : Zwischen Thür und Angel stecken. Aymeric
führt eine wörtlich entsprechende deutsche Form an. 8) se jeter dans
la guevle du loup sich in schwere Gefahr begeben. 9) entre cMen et
hup in der Dämmerung. 10) en/ertner le hup dans la beraerie den
Bock zum Gärtner machen. 11) itre connu comme un hup ohne wie
ein bunter Hund (oder: wie ein grüner Esel) bekannt sein. \2) h faim
chasse le hup du bois der Hunger treibt den Fuchs aus dem bau.
13) qui se fait brebis le hup le mange. Hier hat Aymeric recht. Mir
hatte die Form vorgeschwebt: Wer sich grün macht, den fressen die
Ziegen. 14) Dieu garde h lune des hups es ist dafür gesorgt, dass die
Bäume nicht in den Himmel wachsen. 15) le hup n'engenSre point de
mouton der Apfel fällt nicht weit vom Stamme. 16) Za guen^e est bien
forte quand les hups se mangent Tun Cautre Bruderkrieg ist heiss.
\1) le hup mourra dans sa peau und 18) quand on parh du hup on
en voit h queue. Diese beiden letzten Fälle gehören wiederum zugleich
dem Deutschen an. Im ganzen also sind nicht „fast alle^ der ange-
führten Beispiele beiden Sprachen gemeinsam, sondern nur fünf unter
achtzehn. — Auf S. 10 des Kommentars war zu la-bus bemerkt, dass
der eigentliche Sinn dieses Ausdrucks fast verschwunden sei und dass
sogar ein unten Stehender lä-bas auf Jemand beziehen kann der oben
steht. Aymeric sagt hierzu: Je n*ai pas connaissance d'un pareil hngage;
en hut cos, ceh ne peut se trouver que dans Cargot^ et non dans un
livre classique. Ich Kann sagen, dass ich diesen Gebrauch in Paris mit
eigenen Ohren beobachtet habe, und auch andere Leute ausser mir;
wenn Aymeric ihn nicht kennt, so ist das schade, beweist aber nichts
gegen mich. Gktnz ähnlich sagt er in seiner Rezension^) über Hönncher's
Uaudetausgabe , dass er ausser dem Orte Paradou im Kreise Arles
keinen einzigen dieses Kamens kenne. Das mag ja sein, beweist aber
nur Aymeric 8 mangelhafte Kenntnis. Denn das Dictwnnaire des festes
de h RepubUque 7. Auü. verzeichnet auf S. 861 nicht weniger als acht
Orte dieses Namens und zwar sämtlich in Südfrankreich gelegen. —
Unzweifelhaft im Recht ist Aymeric, wenn er auf S. 18 die Wiederirabe
achever de faire durch „vollends thun" tadelt. Diese in vielen
Fällen richtige Obersetzung passt nicht an der angezogenen Stelle. —
Anders steht es auf S. 29, wo der Rezensent meine Bemerkung auf-
flnreift: „die französischen Richter, die unabsetzbar sind wie bei uns*'.
Hierzu sagt Aymeric: M. H. ignore-t-il donc que le ministre de h Justice,
Martin FewÜee en fit une he'catombe, ü y a trois ou quatre ans? Wie bei
uns ! ! ! Et plüt ä JHeu qu'il en füt ainsi! Sous un gouvemement re-
gulier, h remarque serait Juste; sous h Re'publique , c'est comme dans
la chanson: Rien n^est sacre pour un pompier. Das ist wahrlich eine
seltsame Bemerkung. Zunächst könnte man den Rezensenten fragen,
was er denn eigentlich unter einer „regelmässigen'* Regierung in Frank-
reich versteht, ob er das auf dem Staatsstreiche beruhende zweite
1) Auch diese Rezension enthält viel Problematisches und Unan-
nehmbares. Indessen kann hier nicht weiter darauf eingegangen werden.
17»
260 Miszeiien,
Kaiserreich meint oder die aus der Revolution von 1848 hervorge-
gangene zweite Republik, oder das gleichfalls auf revolutionärem Ur-
sprünge, beruhende Julikönigtum u. s. w. u. s. w. Thatsache ist jeden-
falls, dass alle die verschiedenen Regierungen Frankreichs, welche die
Ernennung der Richter durch die Staatsgewalt angenommen haben,
den Grundsatz der ünabsetzbarkeit der Richter anerkannten, sogar
die zweite Republik, die ihn anfiinglich verwarf. Man hat eben be-
griffen, dass eine unparteiliche Rechtspflege diesen Grundsatz notwendig
verlängt. Selbstverständlich aber wird er in der Praxis nicht eine
absolute Anwendung erfahren, denn man kann z. B. einem Staate nicht
wohl zumuten, Beamte zu besolden, die ihn selbst bekämpfen. Darum
verlangten Ludwig Philipp und Napoleon III. von ihren Richtern den
Eid der Treue, darum hat die Dritte Republik solche Richter, die ihr
direkt feindselig gegenüberstanden, zwar nicht einfach abgesetzt, wie
Aymeric anzudeuten scheint, sondern entweder vor der Zeit pensioniert,
oder sie genötigt, um ihre Pensionierung einzukommen, indem sie die-
selben in Stellen versetzte, die geringer dotiert waren als die, welche
sie schon innehatten. So verhält sich diese Sache, über die mein
französischer Rezensent nicht hinreichend orientiert zu sein scheint.
Der Grundsatz der ünabsetzbarkeit des Richters gilt trotzdem auch
unter der Dritten Republik, und darum hatte der Herausgeber recht,
seine Anmerkung so zu fassen, wie er es gethan hat. Die besonderen
Abweichungen, die das Prinzip nicht umstossen sondern lediglich be-
stätigen, konnte und musste er an dieser Stelle übergehen. — Zu S. 32
„voir du monde, Besuch empfangen", bemerkt Aymeric: Ei pourquoi
pas: Besuche machen? Darauf sei erwidert, 1) dass Sachs u. d. W,
monde nur die angegebene Bedeutung gibt, und 2) dass es sich im
Zusammenhange des Textes nur um das Empfangen von Besuchen
handeln kann. Denn es ist da die Rede vom Verhältnisse ^et Familie
des Marquis zum alten Stamply. Dass letzterer bei Besuchen, die man
auswärts abstattete, mitgenommen wurde, daran ist nicht wohl zu
denken. Dagegen war der alte Mann allerdings bei den Gesellschaften
zugegen, die der Marquis in seinem Schlosse gab. Zum Überfluss wird
die Auffassung des Herausgebers auch noch durch den Roman M^ de
la Seiglih'e bestätigt, in dem die betreffende Stelle Kapitel IV lautet:
D'abord ioui cdla bten, — On recevaii peu de monde: les soirees se pas-
saieni en famüle. Siamply e'iaii de toutes les re'unions, choye, gät^ comme
un enfani. Das ist wohl entscheidend, und mag dem Rezensenten
zugleich zeigen, dass die Vergleichung zwischen Roman und Drama,
die er an meiner Ausgabe nicht billigt, unter Umständen doch ihren
Nutzen haben kann. — Auf S. 37 hat Aymeric an der Anmerkung über
die Schlacht bei Fontenoy eine Ausstellung zu machen. In der Rev.
d. d. m, von 1884 ist, wie er sagt, nachgewiesen worden, dass die be«
kannte Überlieferung von der höfischen Art, mit der diese Schlacht
eingeleitet worden sei, in Wirklichkeit nur eine Fabel sei. Der Hinweis
ist ja dankenswert, und Herausgeber gesteht ein, dass ihm die Stelle
entgangen war. Schade nur, dass nicht auch der Marquis von la
Seigliöre den betreffenden Revueband gelesen hatte. Dieser glaubt an
die bekannte Überlieferung, wie Sandeau selbst es gethan hat, und
darum wird die fragliche Anmerkung im wesentlichen stehen bleiben
können. — Auf S. 40 liest man: y^donation entre vifs: vif für Lebenden
ist ein aus dem Lateinischen stammender Ausdruck der Rechtssprache
^donatio inter vivos, bei *Jusiin, Inst. II. 7). Sonst wird sich vif, lebendig,
in der Regel nur auf Sachen beziehen." Dazu sagt Aymeric : Ce terme
entre äans nne foule d*expressions pour de'signer des personnes (folgen
MiszeUen. 261
drei Ausdrücke). Hier übersieht der Eezensent, dass ich sage : »in der
Regel". Die zitierten PftUe sind mir nicht neu. — Der Streit über die
Stelle auf S. 55, ob aUei" aux informaiians bedeutet ein Buch nach-
schlagen oder sich mündliche Auskunft holen, ist zu müssig und un-
bedeutend, als dass es sich verlohnte ein Wort zu verlieren. Die eine
Auffassung ist ebenso annehmbar wie die andere. Das wird sich aber
nicht sagen lassen von der Stelle auf S. 56. Da sagt nämlich im
Texte Helene, die mit einer Zeichnung beschäftigt ist, zu Bemard:
Voyez donc, est-ce bien lä le cours de la rivih-e? Und dieser: Om,
Mademoiseiie, c'est le Regen; la grande roule le (raverse, ici, de Nuremberg ä
Raiishonne; voHa le clocher du petit tnüage d*EckmÜhl,je le reconnais.
Die Anmerkung wies darauf hin, dass cue in diesen Worten liegende
geographische Vorstellung nicht ganz richtig sei. „Denn £ckmühl
liegt nicht am Regen, der links in die Donau fliesst, sondern weit ab
von der Donau, an der grossen Laber, die sich rechts in die Donau
ergiesst." Dazu Aymeric: Mais Bemard ne dii pas qu^Eckmühl soit
sitnee sur le Regen, — Vn iableau coniieni, fimagine, une certame per-
spective. Freilich sagt das Bemard nicht ausdrücklich, es scheint aber
doch in seinen Worten zu liegen. Denn dass Helene eine Landschaft
zeichnet, auf der man zugleich den Kirchturm von Eckmühl, etwa
zweiundzwanzig Kilometer südlich von der Donau und die Landstrasse
von Nürnberg nach Regensburg nördlich von der Donau bemerkt, das ist
nicht recht glaublich. Zum mindesten dürfte der Fehler vorliegen,
dass Sandeau Eckmühl und die Landstrasse von Regensburg nach
Nürnberg auf ein und dasselbe Donauufer verlegt. Es handelt sich
ja, wie Aymeric selbst zugibt, um eine wirkliche Landschaftszeichnung,
nicht etwa um eine rein geographische Skizze. Das geht unzweifelhaft
aus dem Ausdrucke: Je le reconnais hervor: der Kirchturm ist nicht bloss
durch ein Zeichen markiert, sondern in seiner ganzen Eigenart klar
erkennbar gezeichnet. — Endlich will Aymeric nicht zugeben, wenn es
S. 47 heisst: „Der Begriff pairie, wie auch pairiote, patriotisnie war
unter der alten Monarchie noch nicht voll entwickelt, da vertrat der
König das Vaterland."' Ich gestehe, dass ich hier bei „alter Monarchie"
vor allem an das XVII. und XVIII. Jahrhundert gedacht habe. Wie
das Verhältnis bei den alten Römern, bei den Galliern und bei den
Franzosen des Mittelalters gewesen ist, das ist eine andere Frage. Für
die Zeit Ludwig's XIV., d^s Hauptvertreters der alten Monarchie, der
vielleicht das Wort: VEtat, f^esl moi nicht gesagt, aber sicher im
Geiste desselben regiert hat, für diese Zeit ist die berührte Anmerkung
wohl unanfechtbar. Damals begeisterte man sich thatsächlich nicht
für das Vaterland, sondern für den König. Im XVIII. Jahrhundert
wurde das allmählich anders. Im Jahre 1750 bricht zum erstenmale
die französische Akademie mit dem bis dahin beibehaltenen Gebrauche, ^
alljährlich einen Preis auf das beste Lob des Königs zu setzen. Das
war ein Zeichen der Zeit, ein Zeichen der Wandlung.
Zum Schluss findet Aymeric meine Ausgabe mr Schüler zu ge-
lehrt. Nun, es fragt sich nur, was für Schüler man im Auee hat.
Wenn man an Fachschulen denkt, an Gewerbe- oder Handelsschulen, so
hat er vielleicht recht. Der Heransgeber denkt allerdings bei seinen
Ausgaben an die oberen Klassen von sogenannten höheren Bildungs-
schnlen, an deutsche Gymnasien und Realgymnasien, und nach allem,
was er bis jetzt in Erfahrung gebracht hat, kann er nicht annehmen,
dass seine Ausgaben über den Horizont dieser Schulen hinausgehen.
Um die gebotenen Vergleiche zwischen Roman und Drama zu mssen,
dazu braucht man keineswegs ein Gelehrter zu sein. Eine unbefangene
fm Miszeäen.
Kritik wird anerkennen, und hart dies auch gethan, dass gerade durch
diese Vergleiche für die Erklärung des Lustspieles manches gewonnen
worden ist. Ipt denn früher die Stelle vom Ritter von Barbanprä
(S. 7 des Textes) allerseits richtig aufgefasst worden? Ich für meinen
Teil gestehe sofort, dass ich sie lange Zeit hindurch nur halb ver-
standen habe. Hat man denn früher darauf geachtet, um ein anderes
von Aymeric gewähltes Beispiel heranzuziehen, dass vingi ans im
Französischen als die Blüte der Jugend angesehen wird? Der grosse
Sachs vorzeichnet diesen Gebrauch weder unter vingi noch unter an,
und darum war es durchaus nicht überflüssig, ihn mit einigen Zitaten
zu belegen. Für geborene Franzosen ist das ja natürlich nichts neues,
aber meine Ausgabe ist nicht für Franzosen geschrieben, sondern für
Deutsche. K. A. Maetin Hartmann.
Auf vorstehende Erwiderung will ich nur eine kurze Antwort
geben, bitte aber die Leser, meine Kritik selbst (Zschr. f, fr. Spr, w.
Litt. XI ^) lesen zu wollen. Alles, was ich dort gesagt haoe, halte ich
aufrecht, ausser der Anmerkung über Paradou, in der ich mich geirrt
habe. Hartmann sagt zu mehreren meiner Ausführungen, dass
„Aymeric im Rechte ist", bestreitet aber andere Punkte. Er be-
hauptet immer noch, dass ein Untenstehender lä-bas auf Jemanden
beziehen kann, der oben steht. Ich hatte bemerkt, das sei Jargon-
sprache, und das behaupte ich auch noch, bis ich durch Beispiele vom
Gegenteil überzeugt werde. Lä-bas ist eine adverbiale Redensart,
welche nach Littr^ un lieu moins eleve que celui ou fon est bezeichnet.
Wie kann man z. B. von der Strasse nach dem vierten Stock Jemandem
zurufen: eh! lä-bas! Das wäre ja babylonische Sprachverwirrung!
Aber Hartmann hat das „mit eigenen Ohren beobachtet'^ und „andere
Leute auch". Unter diesen „Leuten" ist vielleicht auch „der Lands-
mann des Herrn Rezensenten" zu verstehen, „der hierüber befragt",
erklärte: mouion bride bedeutet: tenu d la bride. Dieser Landsmann
scheint es in seiner Muttersprache nicht weit gebracht zu haben, wenn
er statt ienir pa/r (a bride sagt: ienir it la bride. Ausserdem ist es
ganz verkehrt, zu behaupten, dass aiissi doux qu*un mouion bride be-
deutet: ienu par la bride.
Hartmann hat sich die Mühe gemacht, in ein Geschäft zu gehen,
um eine „Wärmpfanne" zu verlangen; und natürlich gab es keine.
Wenn Hartmanu in ein Bekleidungsgeschäft ginge und eine Kniehose
verlangte, würde man vielleicht auch keine haben, was aber nicht
ausschliesst, dass es früher deren gegeben.
Ebendeshalb behaupte ich nochmals, dass bassinoire nicht „Wärm-
flasche" bedeutet. Weiterhin will Hartmann, dass der richtige Sinn
der Stelle: il esi du bois doni on faii les flüies, sei: „er hat einen
sanften Charakter". Es sei diese Übersetzung wörtlich aus Sachs ent-
lehnt. Er hätte hinzufügen können, dass Sachs hinzufügt: „sich alles
gefallen lassen", was dasselbe ist, was ich, nach Littr^, behauptet
habe. Über die Unabsetzbarkeit der Richter und der Redensarten mit
dem Worte loup habe ich nichts hinzuzufügen.
Zum Schluss meint Hartmann, ich hätte vielleicht Recht, seine
Ausgabe für Handelsschulen zu gelehrt zu finden. Ich will diese Be-
merkung nicht als eine Herabsetzung der Handelsschulen betrachten,
sonst müsste ich behaupten, dass in Bezug auf französische Sprache
die Handelsschulen den Gymnasien nicht nachstehen. Ich finde aber
Miszeäen. 263
die Ausgabe selbst für deutsche Gymnasien zu schwer. Da ich die
Ehre hatte, früher an einem deutschen Gymnasium zu unterrichten, so
habe ich mir ebenfalls ein Urteil bilden können, was man der reiferen
Jugend zumuten kann. Ich wiederhole und das ist mein letztes'iWort
in dieser Angelegenheit, was ich in der Kritik selbst sa^e: iravetä
exceüent pour les maiires, mais trop ncademique pour les e'leves.
J. Aymebio.
Sehr geehrter Herr Redakteur!
Die Besprechung, welcher ich J. Gutersohn's Gegenvorschläge etc.
in der Zeitschrift (XI 2, Heft 2, S. 52—57) unterzogen habe, bringt mir
heute auf einer Postkarte nachstehende Mitteilung:
„Durch einen Zufall ist mir Ihre Rezension meiner Geaenvor-
schlage etc. zugekommen. Ihr Machwerk ist wirklich so alberner
Art, dass es einer eingehenden Widerlegung nicht bedarf, um so
mehr, als mir die Hexenküche wohl bekannt ist, welcher der
saubere Brei entstammt. Wenn Sie nicht ganz yerblendet wären,
so hätten Sie herausgefunden, dass meine ganze Arbeit nichts
anderes bezweckt, als dem Lehrer die für die erfolgreiche päda-
gogische Arbeit so unbedingt nötige Freiheit der Methode zu
wahren gegenüber engherziger Bevormundung seitens der Beamten-
hierarchie. Wenn Sie also einen Funken von dem Ehrgefühl hätten,
wie es der gerechte Kritiker besitzen soll, so würden Sie es ver-
schmähen, mit den gemeinen Waflfen plumper Verdrehung oder
Entstellung und seichten Spottes gegenüber einer Arbeit genannter
Art zu kämpfen. Da ich aus einem Lande stamme, wo zum Glücke
das Wort „Freiheit^ noch etwas mehr Bedeutung hat, als in dem
Gehirne eines schulmeisterlichen Pedanten, so kann ich mit der
Versicherung schliessen, dass ich Ihre ganze Leistung mit der Ver-
achtung betrachte und behandle, die sie unstreitig verdient.
gez.: J. C&tersolm.''
Ich bin bereit, die wörtliche Übereinstimmung vorstehender Ab-
schrift mit dem Originale notariell beglaubigen zu lassen. WoUte ich
ganz christlich handeln, so begrübe ich die Karte des Herrn Gutersohn
wo sie keinen Schaden mehr thun könnte. Allein, wenn ich auch der
verehrten Redaktion der Zeitschrift und mir etwas zu vergeben fürchtete,
falls ich mit einem Worte nur ihre und meine Redlichkeit gegen
Herrn Gutersohn's zarte Winke verteidigen wollte — so muss ich doch
gestehen, dass ich besorge, es könne völliges Schweigen missverstanden
werden, und dass ich (obwohl die Veröflfentlichung der dem stillen
Schosse einer Postkarte anvertrauten wohlwollenden Gefühle wiederum
davon zeugen könnte, ich besitze nicht „einen Funken u. s. w.** (siehe
oben), leider durchaus kein anderes Mittel weiss, um zu zeigen, dass
ich Herrn Gutersohn's freundliche Mitteilung erhalten und nach Gebühr
gewürdigt habe.
Solingen, 28. Oktober 1889.
P. DÖRB.