Skip to main content

Full text of "Zeitschrift für französische sprache und literatur"

See other formats


Google 


This  is  a  digital  copy  of  a  book  that  was  prcscrvod  for  gcncrations  on  library  shclvcs  bcforc  it  was  carcfully  scannod  by  Google  as  pari  of  a  projcct 

to  make  the  world's  books  discoverablc  online. 

It  has  survived  long  enough  for  the  Copyright  to  expire  and  the  book  to  enter  the  public  domain.  A  public  domain  book  is  one  that  was  never  subject 

to  Copyright  or  whose  legal  Copyright  term  has  expired.  Whether  a  book  is  in  the  public  domain  may  vary  country  to  country.  Public  domain  books 

are  our  gateways  to  the  past,  representing  a  wealth  of  history,  cultuie  and  knowledge  that's  often  difficult  to  discover. 

Marks,  notations  and  other  maiginalia  present  in  the  original  volume  will  appear  in  this  flle  -  a  reminder  of  this  book's  long  journcy  from  the 

publisher  to  a  library  and  finally  to  you. 

Usage  guidelines 

Google  is  proud  to  partner  with  libraries  to  digitize  public  domain  materials  and  make  them  widely  accessible.  Public  domain  books  belong  to  the 
public  and  we  are  merely  their  custodians.  Nevertheless,  this  work  is  expensive,  so  in  order  to  keep  providing  this  resource,  we  have  taken  Steps  to 
prcvcnt  abuse  by  commercial  parties,  including  placing  lechnical  restrictions  on  automated  querying. 
We  also  ask  that  you: 

+  Make  non-commercial  use  ofthefiles  We  designed  Google  Book  Search  for  use  by  individuals,  and  we  request  that  you  use  these  files  for 
personal,  non-commercial  purposes. 

+  Refrain  fivm  automated  querying  Do  not  send  automated  queries  of  any  sort  to  Google's  System:  If  you  are  conducting  research  on  machinc 
translation,  optical  character  recognition  or  other  areas  where  access  to  a  laige  amount  of  text  is  helpful,  please  contact  us.  We  encouragc  the 
use  of  public  domain  materials  for  these  purposes  and  may  be  able  to  help. 

+  Maintain  attributionTht  GoogXt  "watermark"  you  see  on  each  flle  is essential  for  informingpcoplcabout  this  projcct  and  hclping  them  lind 
additional  materials  through  Google  Book  Search.  Please  do  not  remove  it. 

+  Keep  it  legal  Whatever  your  use,  remember  that  you  are  lesponsible  for  ensuring  that  what  you  are  doing  is  legal.  Do  not  assume  that  just 
because  we  believe  a  book  is  in  the  public  domain  for  users  in  the  United  States,  that  the  work  is  also  in  the  public  domain  for  users  in  other 
countries.  Whether  a  book  is  still  in  Copyright  varies  from  country  to  country,  and  we  can'l  offer  guidance  on  whether  any  speciflc  use  of 
any  speciflc  book  is  allowed.  Please  do  not  assume  that  a  book's  appearance  in  Google  Book  Search  mcans  it  can  bc  used  in  any  manner 
anywhere  in  the  world.  Copyright  infringement  liabili^  can  be  quite  severe. 

Äbout  Google  Book  Search 

Google's  mission  is  to  organizc  the  world's  Information  and  to  make  it  univcrsally  accessible  and  uscful.   Google  Book  Search  hclps  rcadcrs 
discover  the  world's  books  while  hclping  authors  and  publishers  rcach  ncw  audicnccs.  You  can  search  through  the  füll  icxi  of  ihis  book  on  the  web 

at|http: //books.  google  .com/l 


Google 


IJber  dieses  Buch 

Dies  ist  ein  digitales  Exemplar  eines  Buches,  das  seit  Generationen  in  den  Realen  der  Bibliotheken  aufbewahrt  wurde,  bevor  es  von  Google  im 
Rahmen  eines  Projekts,  mit  dem  die  Bücher  dieser  Welt  online  verfugbar  gemacht  werden  sollen,  sorgfältig  gescannt  wurde. 
Das  Buch  hat  das  Uiheberrecht  überdauert  und  kann  nun  öffentlich  zugänglich  gemacht  werden.  Ein  öffentlich  zugängliches  Buch  ist  ein  Buch, 
das  niemals  Urheberrechten  unterlag  oder  bei  dem  die  Schutzfrist  des  Urheberrechts  abgelaufen  ist.  Ob  ein  Buch  öffentlich  zugänglich  ist,  kann 
von  Land  zu  Land  unterschiedlich  sein.  Öffentlich  zugängliche  Bücher  sind  unser  Tor  zur  Vergangenheit  und  stellen  ein  geschichtliches,  kulturelles 
und  wissenschaftliches  Vermögen  dar,  das  häufig  nur  schwierig  zu  entdecken  ist. 

Gebrauchsspuren,  Anmerkungen  und  andere  Randbemerkungen,  die  im  Originalband  enthalten  sind,  finden  sich  auch  in  dieser  Datei  -  eine  Erin- 
nerung an  die  lange  Reise,  die  das  Buch  vom  Verleger  zu  einer  Bibliothek  und  weiter  zu  Ihnen  hinter  sich  gebracht  hat. 

Nu  tzungsrichtlinien 

Google  ist  stolz,  mit  Bibliotheken  in  Partnerschaft  lieber  Zusammenarbeit  öffentlich  zugängliches  Material  zu  digitalisieren  und  einer  breiten  Masse 
zugänglich  zu  machen.     Öffentlich  zugängliche  Bücher  gehören  der  Öffentlichkeit,  und  wir  sind  nur  ihre  Hüter.     Nie htsdesto trotz  ist  diese 
Arbeit  kostspielig.  Um  diese  Ressource  weiterhin  zur  Verfügung  stellen  zu  können,  haben  wir  Schritte  unternommen,  um  den  Missbrauch  durch 
kommerzielle  Parteien  zu  veihindem.  Dazu  gehören  technische  Einschränkungen  für  automatisierte  Abfragen. 
Wir  bitten  Sie  um  Einhaltung  folgender  Richtlinien: 

+  Nutzung  der  Dateien  zu  nichtkommerziellen  Zwecken  Wir  haben  Google  Buchsuche  Tür  Endanwender  konzipiert  und  möchten,  dass  Sie  diese 
Dateien  nur  für  persönliche,  nichtkommerzielle  Zwecke  verwenden. 

+  Keine  automatisierten  Abfragen  Senden  Sie  keine  automatisierten  Abfragen  irgendwelcher  Art  an  das  Google-System.  Wenn  Sie  Recherchen 
über  maschinelle  Übersetzung,  optische  Zeichenerkennung  oder  andere  Bereiche  durchführen,  in  denen  der  Zugang  zu  Text  in  großen  Mengen 
nützlich  ist,  wenden  Sie  sich  bitte  an  uns.  Wir  fördern  die  Nutzung  des  öffentlich  zugänglichen  Materials  fürdieseZwecke  und  können  Ihnen 
unter  Umständen  helfen. 

+  Beibehaltung  von  Google-MarkenelementenDas  "Wasserzeichen"  von  Google,  das  Sie  in  jeder  Datei  finden,  ist  wichtig  zur  Information  über 
dieses  Projekt  und  hilft  den  Anwendern  weiteres  Material  über  Google  Buchsuche  zu  finden.  Bitte  entfernen  Sie  das  Wasserzeichen  nicht. 

+  Bewegen  Sie  sich  innerhalb  der  Legalität  Unabhängig  von  Ihrem  Verwendungszweck  müssen  Sie  sich  Ihrer  Verantwortung  bewusst  sein, 
sicherzustellen,  dass  Ihre  Nutzung  legal  ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  ein  Buch,  das  nach  unserem  Dafürhalten  für  Nutzer  in  den  USA 
öffentlich  zugänglich  ist,  auch  für  Nutzer  in  anderen  Ländern  öffentlich  zugänglich  ist.  Ob  ein  Buch  noch  dem  Urheberrecht  unterliegt,  ist 
von  Land  zu  Land  verschieden.  Wir  können  keine  Beratung  leisten,  ob  eine  bestimmte  Nutzung  eines  bestimmten  Buches  gesetzlich  zulässig 
ist.  Gehen  Sie  nicht  davon  aus,  dass  das  Erscheinen  eines  Buchs  in  Google  Buchsuche  bedeutet,  dass  es  in  jeder  Form  und  überall  auf  der 
Welt  verwendet  werden  kann.  Eine  Urheberrechtsverletzung  kann  schwerwiegende  Folgen  haben. 

Über  Google  Buchsuche 

Das  Ziel  von  Google  besteht  darin,  die  weltweiten  Informationen  zu  organisieren  und  allgemein  nutzbar  und  zugänglich  zu  machen.  Google 
Buchsuche  hilft  Lesern  dabei,  die  Bücher  dieser  Welt  zu  entdecken,  und  unterstützt  Autoren  und  Verleger  dabei,  neue  Zielgruppcn  zu  erreichen. 
Den  gesamten  Buchtext  können  Sie  im  Internet  unter|http:  //books  .  google  .coiril  durchsuchen. 


i  05- 


i.- 


Tri 


»   • 


% 


s.. 


i  or 


£• 


Tri 


»    • 


% 


i  or 


i.- 


Tri 


»   • 


m 


% 


I      . 


Zeitscluiffc 


für  


französische  Sprache  und  Litteratur 


unter  besonderer  Mitwirkung  ihrer  Begründer 


Dr.  G.  Kcerting    und  Dr.  E.  Koschwitz 

Professor  a.  d.  Akademie  sn  Mfinster  i.  W.     Professor  a.  d.  ünWersitfct  in  Oreifiiwald 


herausgegeben 


von 


Dr.  D.  Behrens    ^nd    Dr.  H,  Kcerting^ 

Privatdosent  a.  d.  UniTorsität  su  Greifs wald.      Professor  a.  d.  UniTersitfct  sn  Leipsig. 


Band  XL 


Oppeln  nnd  Leipzig. 

Eugen  Franck's  Buchhandlung 
(Georg  Maske). 

1889. 


INHALT. 


Abhandlungen. 

Seite 

G.  Bornhack.    Zola  als  Dramatiker 29 — 40 

J.  ten  Brink.    Moderne  französische  Romanschriftsteller   .  41 — 64 
E.  Dannheisser.      Zur    Geschichte    des    Schäferspiels    in 

Frankreich •     .  65—89 

J.  Frank.   La  Satyre  des  Satyres  et  la  Critiqae  desint^ressäe  1 — 22 
E.  Guglia.    Antoine  RivaroFs  Plan  einer  Theorie  du  corps 

politique 266—264 

A.   Haase.      Ergänzende     Bemerkungen    zur     Syntax    des 

XVII.  Jahrhunderts 203—237 

W.  Knörich.    Zur  Kritik  des  Preziösentums       167—176 

R.  Mahrenholtz.    Bemerkungen  über  die  Correspondance 

philosophique,  litt^raire  et  critique  (1747 — 93)   .    .     .  90 — 104 

.    Thörese  Levasseur       177—187 

Ph.  Plattner.     Personal-   und  Gentilderivate  im  Neufran- 
zösischen   106—166 

W.  Ricken.     Grundzüge   der    Entwickelung    des    e  sourd. 
Ein  Beitrag  zur  Beantwortung  der  Frage:  Wie  sind 

die  französischen  Verse  zu  lesen? 238 — 255 

E.  Ritter.    Le  programme  du  prix  proposä  par  l'Acadämie 

de  Dijon  et  remportä  par  Jean-Jacques  Rousseau  .    .  23 — 28 

-■ .    La  Correspondance  de  Sainte-Beuve 188 — 202 

MiSZELLEN. 

J.  Aymeric.    Evolutions  de  la  langue  fran^aise    ....  267 — 269 

Lohmann.    Ein  Roman  Victor  Cherbuliez* 270—272 

R.  Mahrenholtz.     Die  Bildnisse  Moliäre*s 266-266 


*  »  ♦  ^  > 


Druck  von  Erdmaim  Baabe  in  Oppeln. 


La  Satyre  des  Satyres  et  la  Critique  dösintöressee.  ^) 


So  lauten  bekanntlich  die  Titel  zweier  Satiren,  die  Boileau 
und  Moli^re  in  schärfster  Weise  angreifen,  nicht  nur  in  ihrer 
Eigenschaft  als  Dichter,  sondern  auch  in  ihrem  Privatcharakter. 
Sie  werden  in  der  Regel  dem  Abb6  Cotin  zugeschrieben;  doch 
gilt  seine  Autorschaft  (wie  man  sehen  wird)  durchaus  nicht  als 
unbestritten,  und  wir  werden  uns  mit  dem  Beweismateriale  für 
und  wider  noch  eingehend  zu  befassen  haben,  um  schliesslich 
(so  hoffen  wir)  Cotin  als  Verfasser  der  beiden  Satiren  sicher  zu 
stellen.  Bevor  wir  aber  auf  die  Erörterung  dieser  Streitfrage 
näher  eingehen,  müssen  wir  uns  mit  den  gegenseitigen  Beziehungen 
der  drei  genannten  Schriftsteller  und  mit  dem  Inhalte  der  beiden 
in  Rede  stehenden  Schriften  etwas  näher  vertraut  machen. 

Moli^re  und  Boileau  waren  bekanntlich  intime  Freunde. 
Innere  Wahlverwandtschaft  hatte  sie  zusammengeführt,  in  erfreu- 
licher Übereinstimmung  hatten  sie  den  Kampf  gegen  das  Preziösen- 
tum  gewagt  und  im  schönen  Gleichtakte  ausgeführt,  ebenso  wie 
die  Talentlosigkeit  Gotin's  als  Dichter  und  seine  niedrige  Denkungs- 

^)  Die  Hauptanregung  und  das  wichtigste  Hilfsmittel  zu  diesem 
Aufsatze  bot  der  als  XII.  Bändchen  der  Nouveüe  Coüeciion  Molieresque 
erschienene  Neudruck :  La  Satyre  des  Satyres  ei  la  Critique  desinidressee 
sur  les  satyres  du  iemps  par  Tabbö  Cotin  avec  une  notice  par  le 
bibliophile  Jacob.  Paris,  1883.  Librairie  des  bibliophiles,  rne  Saint- 
Honor^,  338.  Die  Vorrede  Jacob's  (bekanntlich  Pseudonym  für  Paul 
La  er  o  ix)  gibt  eine  gedrängte  Zusammenstellung  der  im  Molieriste 
durchgefochtenen  Streitfrage,  die  aber,  wie  uns  scheint,  einer  weiteren 
Kontroverse  noch  immer  Baum  lässt.  —  Wenn  dieser  unser  Aufsatz 
ein  Verdienst  für  sich  in  Anspruch  nehmen  darf,  so  ist  es  das,  auf  den 
Text  der  beiden  Satiren  gewissenhafter  eingegangen  zu  sein  und  aus 
demselben  für  die  Frage  der  Autorschaft  weitere  Aufschlüsse  gesucht 
zu  haben.  Wir  bemerken  gleich  hier,  dass  wir  uns  im  Verlaufe  dieser 
Arbeit  für  Satyi'e  des  Satyres  der  Abbreviatur  „S.  d.  S."  und  für  la 
Critique  desinteressee  „l.  Cr.  des.^  bedienen  werden. 

Zscbr.  f.  fT&  Spr.  u.  Litt.    XIi.  i 


2  /.  Frank, 

art  zwischen  ihm  und  den  Genannten  frühzeitig  eine  hohe  Scheide- 
mauer  errichtete.  Cotin  war  ein  Habituö  des  Hotel  Rambouillet, 
in  dem  die  Unnatur  und  der  forcierte  Geistesreichtum,  das  stiss- 
liche  Wesen  und  die  falsche  Sentimentalität  hypertrophischer 
Herzen  einen  zweideutigen  Verkehr  mit  den  Musen  pflegten. 
Boileau  hatte  zwar  ebenfalls  eine  Zeit  lang  in  diese  hureaux 
d^esprit  seinen  Fuss  gesetzt,^)  aber  bald  wiederum  die  richtige 
Fährte  aus  denselben  gefunden,  er  hatte  diese  poetische  Ver- 
irrung  bald  überwunden  und  wie  eine  abgestreifte  Schlangenhaut 
hinter  sich  liegen  lassen,  ja  sogar  seiner  tiefen  Abneigung 
gegen  diese  Richtung^)  in  seinen  Satiren  rücksichtslosen  Ausdruck 
verliehen.  Auch  die  SteUung  Moli^re's  gegenüber  dieser  poetischen 
Bewegung  war  vermöge  seiner  geistigen  Eigenart  genau  vor- 
geschrieben und  man  weiss,  wie  tötlich  er  dieselbe  getroffen  hat. 
Diese  prinzipiellen  Gegensätze  verschärften  sich  immer  mehr  und 
spitzten  sich  zu  persönlichen  zu,  da  Gotin  von  jener  zänkischen 
Eitelkeit  erfüllt  war,  die  das  verräterische  Brandmal  aller  Schrift- 
steller ist,  denen  die  Geltendmachung  der  lieben  Persönlichkeit 
höchster  Zweck  ist.  Cotin  war  seinen  Gegnern  an  Schärfe 
nicht  gewachsen,  und  so  scheute  er  sich  nicht,  obzwar  er  sich 
als  felsenfester  Streiter  des  Herrn  und  Bewahrer  des  Heiligtums 
der  Gesinnung  gebärdet,  in  den  beiden  Satiren  zu  den  ehrlichen 
Geistes  Waffen  erbärmliche  Angebereien  und  Verleumdungen 
hinzuzufügen,  von  denen  wir  noch  ausführlich  zu  sprechen  haben 
werden.  Begreiflicherweise  stieg  dadurch  auch  die  Erbitterung 
der  beiden  Angegriffenen;  besonders  Boileau  nahm  Gotin  auch 
weiter  scharf  aufs  Korn  und  machte  ihn  in  seinen  Satiren  zum 
ewigen  Stichblatt  seines  Spottes.  Mit  der  ihn  auszeichnenden 
Feinfilhligkeit  und  dem  starken  Unterscheidungsvermögen  zwischen 
der  wahrhaften  Poesie  und  der  affektierten,  koketten  Empfindelei, 
zwischen  den  Schöpfungen  von  dauerndem  und  denen  von  nur 
ephemerem  Werte,  mit  dem  frohen  Mute  des  Reformators  hatte 
er  neben  anderen  litterarischen  Gecken  und  Götzen  auch  Gotin 
von  seiner  hohen  Stellung  herabgerissen,  jenen  Cotin,  der  wie  * 
alle  Schriftsteller,  die  ganz  und  ausschliesslich  nur  ihrer  Zeit 
angehören,  mit  den  oberflächlichen  Salondamen  ein  zwar  in- 
brünstiges,   aber   nur   kurz    anhaltendes   Liebesverhältnis    einge- 


1)  Er  achreibt  selbst  an  Le  Verrier:  J^ai  une  espece  de  confusion 
davoir  emphyä  quelques  hewres  ä  faire  des  vers  damouretle  ei  d^itre 
iombe  moi-mime  dans  le  ridicule  doni  faccuse  les  autres, 

^)  Ceite  disposiüon  Wesprit  ei  ceiie  humeur  semblaieni  faire  de 
Boileau  Vennemi  naiurel  de  ces  riens  galanis,  de  ce  grand  fin,  de  ce  fin 
des  choses,  de  ce  fin  du  fin  eic.  (Nisard,  Hisi,  de  la  litt,  fr,,  II.  Bd. 
S.  290.) 


La  Satyre  des  Satyres  et  la  CriHque  ddsinieressäe.  3 

gangen  war.  Man  muss  es  Boilean's  damaliger  Jagend  zu  Oute 
halten,  wenn  er  im  Eifer  des  Gefechtes  zuweilen  über  den  Strang 
schlägt  und  nicht  nur  den  Bannerträger  des  Preziösentnms  and 
Dichter,  sondern  auch  den  Kanzelredner  Cotin  hart  mitnimmt, 
der  den  immer  mehr  gelichteten  Reihen  seiner  andächtigen  Zu- 
hörer in  seinen  Predigten  ein  wahres  Pastoralopium  verabreichte.^) 
Den  vernichtenden  Schlag  gegen  Gotin  aber  hatte  Moli^re  geführt, 
indem  er  mit  einem  Kernhiebe  Cotin's  Reputation  vollkommen 
totschlug.  Er  stellte  ihn  nämlich  in  seinen  Femmes  savantes  als 
Trissotin  auf  die  Bühne,  eine  Figur,  in  der  jedermann  das 
Original  wiedererkennen  musste  und  in  der  Cotin's  Gelehrten- 
dünkel und  Rechthaberei,  seine  Selbstgefälligkeit  und  Scheelsucht, 
seine  Pedanterle  und  Schalheit  als  Dichter  einem  unauslöschlichen 
Gelächter  preisgegeben  waren.  Dieser  Hieb  sass  so  fest,  dass 
sich  der  Betroffene  seit  dieser  Zeit  kaum  mehr  öffentlich  zeigte 
und  auch  litterarisch  mundtot  gemacht  war.^)  Selbst  der  Um- 
stand, dass  er  1655  in  die  Akademie  aufgenommen  worden  war, 
konnte  ihn  bei  der  Nachwelt  vor  dem  Fluche  der  Lächerlichkeit 
nicht  bewahren.  Übrigens  machte  ihm  selbst  der  Abb6  de 
Dangeau,  der  ihm  in  der  Akademie  nachfolgte,  kaum  einige  Elogen. 


1)  Si  Von  rCest  plus  au  large  assis  en  un  fesiin, 

Qu'aux  Sermons  de  Cassagne,  ou  de  tarne  Cotm.    (Sat  III.) 

Dieselben  Verse  wiederholt  Boileau  auch  anführend  in  der  IX.  Bat. 
in  der  er  auch  ironisch  sagt,  er  wolle,  am  niemanden  zu  verstimmen, 
von  nun  an  schreiben: 

Cotin  ä  ses  sej'mons  iratnant  toute  la  terre 
Fend  les  flots  d'audiieurs  pour  aller  ä  sa  chaire. 

2)  Man  hat  sogar  behauptet,  dass  der  Kummer,  den  Cotin  über 
diese  Behandlung  empfunden,  ihn  zum  Grabe  geführt  habe,  und  sogar 
Voltaire  hat  sich  dazu  hergegeben,  dies  Gerücht  zu  wiederholen.  Cotin 
starb  jedoch  erst  1682,  erst  10  Jahre  nach  der  Aufführung  des  Stückes, 
im  Alter  von  78  Jahren.  L*on  voit,  que  si  c*est  au  chagrin  qu'il  faut 
aitrihuer  sa  mort,  ü  fut  pour  Im  comme  le  caf4  pour  Fonteneile,  un 
poisonlent  (Tascherau,  S.  44.)  (Lion,  Les  Femmes  Sav.  S.  74,  A.  721.) 
—  Übrigens  fand  diese  Aufführung  nicht  wie  es  bei  Lacroix  (La  SaU  d.  S. 
et  la  Crii.  des.  S.  VII)  heisst,  am  12.  M'ärz,  sondern  am  11.  d.  J.  1672 
statt.  —  Wir  fügen  hier  noch  die  vortreffliche  Schilderung  hinzu,  die 
Moliere  {Femmes  sav.  I,  Sz.  8)  von  Trissotin  gibt, 

La  consianie  hauteur  de  sa  pre'somption 
Cetle  intre'pidite  de  bonne  opinion 
Cet  indolent  etat  de  confiance  extrSme 
Qui  le  rend  en  tout  temps  si  content  de  soi-mSme, 
Qui  faitf  qu*ä  son  esprit  incessamment  il  rit, 
Qu'ü  se  sait  si  hon  gre  de  tout  ce  qü'il  ecrit^ 
Et  qu'il  ne  voudrait  pas  changer  sa  renomniäe 
Contre  tous  les  honneurs  d'un  g^ne'ral  d^armee. 


4  J*  Frank, 

Betrachten  wir    nun    den  Hauptinhalt    der  beiden   in  Rede 
stehenden  Satiren,  in  denen  Cotin  (wir  nehmen  vorgreifend  seine 
Autorschaft  als  erwiesen  an)   seine  vergifteten  Pfeile  gegen  seine 
beiden    Gegner    abschnellt,    etwas    näher.      Nicht,    als    ob   diese 
beiden  an  und  für  sich  ziemlich  wertlosen  Machwerke  der  Mühe 
eines   näheren  Eingehens  lohnten,    auch  nicht,    weil  Cotin,    diese 
noch  nicht  einmal  durch  ihr  Alter  ehrwürdig  gewordene  litterarische 
Ruine,  an  und  für  sich  ein  wichtiges  Objekt  des  litteraturgeschicht- 
liehen  Studiums  bilden  kann,    sondern  weil    sie  auf  zwei   so  be- 
deutende   Männer   wie    Moli^re   und    Boileau    starke    Streiflichter 
werfen  und  eine  Lösung  der  Autorfrage   ohne    die  Kenntnis   des 
Inhaltes    nicht   gut    möglich    ist.      Es    sind    nun    zunächst   Aus- 
stellungen mehr  ästhetischer  Natur,   die   in   der  8.  d.  S,  und  in 
der  Crit  dis,   gegen  Boileau  ^und   Moli^re    erhoben   werden,  und 
der  erstere  ist  es  besonders,  der  nach  dieser  Seite  hin  angegriffen 
wird.     Er  wird   als   Plagiator  schlimmster  Sorte  hingestellt,   der 
bei  den  alten   grossen  Satirikern   die   unverschämtesten  Anlehen 
mache,    der    in    willkürlicher   Weise    wie    ein    Beherrscher    des 
Parnasses    seinen  Freunden   den  poetischen  Lorbeer  reiche,  und 
einen  Moli^re  zu  einer  litterarischen  Grösse  aufblähe,  obzwar  er 
doch  nur  ein  gewöhnlicher  Possenreisser  sei;  Boileau  könnte  keine 
Zeile  schreiben,^)   wenn    er   nur  seine  eigenen  Gedanken  nieder- 
schreiben sollte,  und  doch  wage  er  es,  bewährte  Dichter  zu  ver- 
spotten.    Es  wird    uns    da   besonders    in    der    Crit.    dis.   neben 
mancher  wohl  richtigen,  aber  stark  an  den  Gemeinplatz  erinnernden 
theoretischen  Ansicht  Cotin's  über  die  Satire  vieles  Schiefe  vor- 
geführt,   das   dem  Satiriker  sein   bestes  Recht  arg   verkümmern 
möchte.      In    die    Kategorie    des   letzteren    gehört,    wenn    Cotin 
fordert,   der  Satiriker  müsse   sich   einer  besonders  hoben  Geburt 
und  eines  besonderen  makellosen  Lebenswandels  berühmen  können, 
um  seines  Amtes  walten  zu  dürfen;   er  dürfe   nur   die  angreifen, 
die  ihm  persönlich  etwas    zu  Leide  gethan;    der  Satiriker   dürfe 
nur    die    Spitzen    der    Gesellschaft    treffen,    nicht    aber    in    die 
Niederungen    der    mittleren    und    unteren    Klassen    hinabsteigen. 
Wenn  Cotin   die  These  aufstellt,    der   echte   Satiriker  werde    zu 
stolz  sein,  um  sich  über  seine  Armut  und  sein  Elend  zu  beklagen 
und  die  Welt  unter  dem  Gesichtswinkel  seines  persönlichen  Ge- 
schickes zu  betrachten,  so  wird  man  wenigstens  die  Motivierung 
vUgnorant  pas  quon  n*a  point  veu  encore  la  Science  mendier  son 
pain  sehr  brüchig  finden  dürfen  und  zugeben,  dass  ohne  den  Be- 

*)  Si  le  bon  Juvenal  estoU  mori  sans  ecrire 

Le  malin  Desprdaux  n'eusi  poini  faii  de  satyre, 

Et,  s'ü  ne  disait  rien  que  ce  que  vieni  de  luy, 

ß  ne  pourroii  jamais  rien  dire  conire  autrut/.    (S.  d.  S.) 


La  Satyre  des  Saiyres  ei  la  Criiigue  desinieress^e,  5 

sitz  gewisser  Mittel  selbst  der  Beste  ein  gefesselter  Mensch  ist; 
wenn  er  meint,  die  Satire  dürfe  nie  dem  Neide  nnd  der  persön- 
lichen Feindschaft  entspringen,  so  wird  sich  dagegen  nichts  ein- 
wenden lassen,  ohne  dass  darum  die  Plattheit  dieses  Gedankens 
geringer  wird.  Er  wirft  Boilean  vor,  die  Vernunft  verspottet  zu 
haben  und  sie  absetzen  zu  wollen,  weil  dieser  den  Gedanken 
aussprach,  dass  der  alles  kritisch  prüfende  und  analysierende 
Verstand  zuweilen  in  die  höchste  Freude  und  Verzückung  einen 
Wermutstropfen  träufle  und  dass  der  am  meisten  Denkende  nicht 
immer  der  Glücklichste  sei.  Boileau  (so  meint  Cotin)^)  müsse 
wie  ein  rasendes  Tier  behandelt  werden,  da  er  der  Vernunft 
entsagt  habe!  Die  wahre  Satire  kämpfe  gegen  das  Laster  und 
die  Narrheit  an,  um  der  gesunden  Vernunft  zum  Siege  zu  ver- 
helfen, bei  Boileau  aber  sei  das  Umgekehrte  der  Fall!  —  Während 
Martial  die  von  ihm  gegeisselten  Individuen  nur  mit  fingierten 
Namen  benenne,  habe  Boileau  niemanden  geschont  und  sogar 
die  Regierung  und  die  üeligion  angegriffen,  wobei  die  Verhüllung, 
unter  der  er  seine  Geschosse  abgesendet  habe,  niemanden  irre 
führen  werde.  Man  müsse,  nach  dem  Vorbilde  des  Horaz,  nicht 
bloss  das  Beste,  sondern  auch  das  Mittelmässige  loben  und  die 
Anerkennung  müsse  den  Tadel  überwiegen.  Auch,  dass  sich 
Boileau  einmal  mit  Ludwig  XIV.  verglichen  habe,  sei  litterarisch 
unzulässig  und  es  wird  in  sophistischer  Weise  eine  haarspalterische 
Distinktion  ausfindig  gemacht,  dass  es  etwas  ganz  anderes  sei, 
wenn  Ähnliches  Virgil  öfter  gethan  habe.  Wie  in  der  ganzen 
Crit  dSs,,  herrscht  besonders  in  diesem  Teile  eine  pedantisch 
schwerfällige  Manier  vor  und  ein  serviler  Sinn,  der  die  Livree 
für  das  einzig  richtige  Staatskleid  der  Menschheit  ansieht  und 
an  gewisse  Dichter  erinnert,  die  wie  die  Hunde  sich  stets  krumm 
legen  und  nicht  ohne  einen  Herrn  leben  können. 

Wenn  sich  die  bisherigen  Vorwürfe  Cotin's  besonders  dahin 
erstreckten,  Boileau  habe  ganz  das  Objekt  der  Satire  verfehlt, 
so  folgt  weiter  die  Anschuldigung,  er  habe  sich  in  der  Art,  den 
Stoff  zu  behandeln,  arg  vergriffen.  Er  habe  (so  peroriert 
Cotin  weiter)  anstatt  der  für  die  Satire  allein  geeigneten  Sprache 

1)  Meitez-lm  le  frein  en  boitche  de  peur  qu'ü  n'approche  de  vous 
ruft  in  rohester  Weise  der  honnite  ecclesietstique  in  der  Crit  das.  (bei 
Lacroix  S.  19),  hinter  den  sich  Cotin  steckt,  wenn  er  für  seine  Beden 
nicht  die  Verantwortung  übernehmen  will.  Diese  ganze  Philippika 
gegen  Boileau  basiert  Cotin  auf  des  ersteren  IV.  Satire,  aus  der  er 
die  Stelle: 

Souveni  de  ious  nos  maux  la  raison  est  le  pire 

aus  dem  Zusammenhange  reisst,  um  Boileau  als  einen  Verächter  der 
Vernunft  auszurufen.  Wer  diese  Satire  gelesen  hat,  weiss,  wie  ent- 
stellt bei  Cotin  ihr  wahrer  Sinn  wiedergegeben  wird. 


6  /.  Frank, 

nüchterner  mhiger  Sachlichkeit  den  klassischen  Hahnentritt  des 
falschen  Pathos  gewählt  und  schlürfe,  blühenden  Unsinn  sprechend, 
auf  dem  Kothurn  einher.^)  Boileau's  Verse  seien  von  Wulst  und 
Schwulst  überwuchert;  dass  sie  den  Regeln  des  Reimes  Hohn 
sprechen,  komme  (meint  er  ironisch)  bei  so  genialen  Feuergeistem 
nicht  weiter  in  Anschlag,  und  auch  Grammatik  und  Orthoepie 
dürfe  man  von  so  einem  grossen  Dichter,  der  über  den  Regeln 
der  Kunst  stehe,  nicht  verlangen;  trotzdem  aber  sticht  Cotin  in 
echt  klein-  und  schulmeisterlicher  Manier  die  geringfügigsten 
Kleinigkeiten  auf,  um  sich  geistig  überlegen  zu  zeigen.  Der 
Satiriker  müsse  mit  feinem  Hohne,  aber  nicht  mit  burleskem 
derbem  Spotte  arbeiten,  er  dürfe  nur  sticheln,  aber  nicht  stechen 
und  (so  meint  Cotin  in  einer  bei  ihm  seltsamen  Anwandlung  von 
Kühnheit  und  im  Widerspruche  zu  seiner  früher  geäusserten 
unterduckenden  Gesinnung)  dürfe  selbst  „vor  den  Göttern  der 
Erde^  vor  „Tiaren  und  Diademen^  nicht  Halt  machen.^)  Es 
folgt  schliesslich  eine  Standrede  gegen  das  Schauspiel  und  die 
Schauspieler,  die  mit  dem  vorigen  nur  lose  zusammenhängt  und 
besonders  (wie  es  scheint)  ein  Sträusschen  für  Moli^re  enthalten 
soll,  während  die  bisherigen  Ausstellungen  sich  besonders  auf 
Boileau  bezogen.  Es  wird  da  in  der  bekannten  Weise  gegen 
den  schnellen  häufigen  Szenenwechsel  auf  der  Bühne  und  die 
Störungen    in    der    poetischen    Illusion    durch    die    groben   Ver- 


^)  Cela  firise  U  Gaiimathias;  mais  cela  est  beau  pourtant,  sagt  er 
einmal  spöttisch  über  ihn  (Grit  des.,  S.  46  bei  Lacroix)  und  an  einer 
anderen  Stelle  (ibid.  S.  45) .  .  .  .  des  meiaphores  gvindees  dhm  poSte 
qui  monte  sur  des  e'chasses  pour  se  faire  voir. 

*)  Je  dy  conire  les  premieres  iesies  du  monde,  conire  les  plus  vains 
et  les  plus  süperbes  espriis,  conire  les  faux  phüosophes  et  contre  les 
JHeux  de  la  terre,  suivant  la  pensee  des  Soges,  que  Tadmiration  des 
t  Mar  es  et  des  diadSmes  est  quelque/bis  une  marque  de  nostre  foxblesse 
plütost  que  de  leur  grandeur,  La  Satyre  Mönipp^e,  le  Catholicon 
d'Espagne  en  fait  foy,  et  cet  autre  raiUeur  qui  joüe  de  son  temps  tous 
les  potentats  de  VEurope  etc.  (Grit,  des.,  S.  58  bei  Lacroix.)  —  Und  doch 
hat  derselbe  Cotin  es  an  einer  anderen  Stelle  als  ein  crimen  kesce 
majestatis  hingestellt,  dass  Boileau  im  Discours  au  Roy  geschrieben  hat : 

Quand  ton  öras,  o  Louis,  des  peuples  7*edouid, 
Va  la  foudre  ä  la  main  restdblir  Üequite', 
Et  retient  les  me'chants  par  la  peur  des  suppüces, 
Moy,  la  plume  ä  la  main,  je  gourmande  les  vices 

und  ruft  emphatisch  aus: 

Tant  cet  audacieux  mesle  mal-ä-provos 
Les  loüanges  d!un  fat  ä  celle  d'un  neros, 

und:  Triomphant  ä  souhait  dans  une  autre  satyre, 

II  se  fait  ä  son  prince  egal  comme  de  cire. 

Es  ist  doch  eine  schöne  Sache  um  die  Konsequenz  1 


La  Saiyre  des  Saiyres  ei  la  Critique  de'sinteressee.  7 

sündigungen  gegen  die  Wahrscheinliehkeit  und  materielle  Möglich- 
keit zu  Felde  gezogen  und  daraus  der  Unwert  der  Bühnen- 
darstellungen überhaupt  gefolgert. 

Doch  ist  diese  ganze  ästhetische  Eannegiesserei,  die 
sich  besonders  in  der  Crit  dis,  breit  macht,  wie  man  leicht  sehen 
kann,  für  Cotin  die  Nebensache,  und  die  Hauptsache  sind  ihm 
die  persönlichen  Ausfälle  gegen  Boileau  und  Moli^re.  Man 
hat  schon  in  unserer  gedrängten  Inhaltsangabe  der  mehr  auf  die 
Theorie  bezüglichen  Bemängelungen  Cotin's  solche  persönliche 
Invektiven  wahrnehmen  können,  doch  verschwinden  sie  gegen 
die  folgenden,  und  Cotin  eröffnet  gegen  seine  Widersacher  ein 
wahres  Rottenfeuer  von  Injurien.  Er  stellt  sie  als  vom  Spiel- 
dämon besessene  Schlemmer  und  Prasser  hin,  als  schmarotzende 
Lustigmacher,  die  den  Reichen  für  die  Tafelabfölle  ihre  Kapriolen 
vormachen.^)  Ihre  Angriffe  gegen  die  Grossen  entspringen  bloss 
dem  Neide  und  dem  Ärger  darüber,  dass  sie  die  Machthaber  nicht 
favorisieren.  Ein  andermal  gibt  sich  Cotin  den  Anschein  souveräner 
Verachtung,  ja  des  Mitleids  für  seine  Oegner,  um  sie  als  arme 
Narren,  als  eine  verlumpte,  aber  gute  Haut  und  deren  Werke 
als  blosse  Jugendeseleien  hinzustellen,  mit  denen  man  nicht  all 
zu  strenge  ins  Gericht  gehen  dürfe.^)  Dann  sind  sie  ihm  wieder 
die  Cyniker,  die  weit  entfernt  von  dem  edlen  Eifer,  die  aus  den 
Fugen  gekommene  sittliche  Welt  ins  Rechte  zu  bringen,  am 
Schmähen  Wohlgefallen  finden  und  sich  an  das  Heiligste  heran- 
wagen. Am  empörendsten  sind  aber  die  handgreiflichen  Ver- 
leumdungen und  Angebereien  Cotin's.  Es  treibt  dem  Leser 
die  Zomesröte  ins  Gesicht,  wenn  Cotin  mit  der  Miene  heuchlerischen 
Wohlwollens  für  Boileau  recht  besorgt  thut  und  fürchtet,  der 
König  könnte    diesen   für   seine   vermessene   Sprache  züchtigen, 


*)  Wir  wollen  hier  nur  eine  Stelle  aus  der  CHt.  des.  (S.  46  bei 
Lacroix)  anführen:  Ce  joüeur  desespere,  gu*ü  faui  (bei  Lacroix  heisst  es 
irrtümlich  fait)  mettre  ä  la  chaisne,  de  peur  que,  comme  un  autre 
Capanee  ou  comme  un  auire  Typhon,  ü  n^aiiaque  Jupiter  mesme, 

Qu*on  le  lie,  ou  je  crains,  ä  son  air  furieux, 
Que  ce  nouveau  Titan  n'esccdade  les  cieux, 

Ce  geant  iiisensä  de  la  jouante  Academie  und  so  geht  das  Geschimpfe 
weiter.  Damit  man  die  ganze  Niedertracht  dieser  Schmähungen  kennen 
lerne,  zitieren  wir  dazu  aus  Nisard,  a.  a.  0.  S.  294:  Au  milieu  de  ces  cupides, 
de  ces  avares,  il  (Boileau)  eut  lesmcBurs  des  solitaires  de  Port- 
Roy  al  und  {ib,  o.  317):  La  säverite  de  moßurs  de  Boileau,  ses  scrupules 
de  religion,  sa  probite  peut-itre  tres-exiyeante  etc. 

^  Cest  au  moins  un  honneste  voluptueux  ei  un  faceOeux  debauchä. 
11  ^empörte  peut-esire  un  peu  trop,  mais  ü  faut  excuser  sa  tendre  Jeunesse, 
il  n*a  encore  que  trenie  ans.    (Crit.  des.,  S.  24  bei  Lacroix.). 


8  /.  Frank, 

dabei  aber  indirekt  den  König  dazu  auffordert.^)  Wenn  Boileau*B 
Verse  (das  kann  auch  Cotin  nicht  leugnen^)  von  grosser  Wirkung 
und  bestechend  seien,  so  sollte  man  ihm  erst  recht  das  Handwerk 
legen.  Auch  der  Hof  werde  doch  an  diesen  himmelstttrmenden 
Worten  nicht  etwa  Gefallen  finden  und  doch  nicht  vergessen, 
wie  Übel  Boileau  ihm  in  seinen  Satiren  mitgespielt  und  welche 
Bilder  er  von  ihm  entworfen  habe ;  er  mUsste  denn  von  einer  ganz 
ausserordentlichen  Langmut  und  christlichen  Nächstenliebe  er- 
füllt sein,^)  wenn  er  diese  Backenstreiche  ruhig  hinnehmen 
könnte.  Überhaupt  scheint  es  Cotin  angethan  und  seine  Eitelkeit 
tief  verwundet  zu  haben,  wenn  er  daran  denkt,  Boileau  könnte  in 
den  höheren  Kreisen  Schützer  finden,  und  Cotin  will  einen 
solchen  Gedanken  gar  nicht  aufkommen  lassen;  Boileau  möge 
nur  auf  den  Rang  eines  Dichters  Verzicht  leisten,  denn  nach 
Horaz  sei  der  Satiriker  gar  kein  Dichter.*)  Wenn  der  König 
einmal  Boileau  poetische  Begabung  zugesprochen  und  ihm  nur 
eine  unglückliche  Hand  in  der  Wahl  seiner  Stoffe  vorgeworfen 
habe,  so  habe  ein  Höfling  dem  Herrscher  richtig  geantwortet, 
Boileau  könne  nur  alles  besudeln  und  begeifern  und  er  werde 
schliesslich,  wie  Leute  seines  Gelichters,  mit  der  Reitpeitsche 
behandelt  werden. 

Dies  sind  im  allgemeinen  und  in  gedrängtester  Kürze  die 
in  den  beiden  Satiren  niedergelegten  Gehässigkeiten  gegen  Boileau 
und  Meliere.  Während  in  der  8.  d,  S.  die  prinzipiellen  Be- 
trachtungen ganz  hinter  den  persönlichen  Beschimpfungen  zurück- 

1)  En  ceiie  ridicttle  comparaison  que  le  moderne  Satyrique  fmt  de 
ses  vers  avec  la  justice  du  Roy,  combien  de  fois  ay-je  craini  pour 
luy,  iant  je  luy  veux  peu  de  mal,  que  la  massuH  de  cet  Hercule 
ne  vint  ä  escraser  ce  pigme'e.    (CriL  dds.  S.  40  bei  Lacroix.) 

2)  IJne  seconde  raison  pourquoy  le  criiique  du  Censeur  n'a  pas  tort 
d'avoir  aüeaue  les  vers  sonn  ans  et  magnifiques  de  son  ennemy  etc, 
(Grit,  des.,  S.  42  bei  Lacroix)  und  (üf.  S.  53):  ....  que  le  Censeur  se  flatte 
des  applaudissements  qü'ont  donne  ä  ses  pompeuses  Satyres  les  raffinez 
de  la  Cour.  Ces  loüanges  de  heaux  et  de  grands  vers  etc.  etc.  und 
qu'il  a  affecte  de  mauvaises  rimes  dans  ses  vers  si  riches  ei  si  magnifiques 
a'ailleurs  (ib.  S.  50.) 

^) si  elk  loüe  les  vers  du  Censeur  favoüe  que  la  Cour 

est  treS'Chrestienne,  qiCeüefait  le  bien  contre  le  mal  etc.  (Crit  des. 
bei  Lacroix  S.  56.) 

*)  Bien  hin  d^estre  le  premier  des  poetes,  vous  n^estes  pas  poeie 
seulenient  etc.  (Crit.  des.  bei  Lacroix  S.  70);  und  doch  hat  Boileau  diesen 
Eigendünkel  nie  gehegt  und  er  sagt  z.  B.  in  der  VII.  Sat.: 

Je  sais  coudre  une  rime  au  bout  de  quelques  mots 

Souvent  fhabiUe  en  vers  une  maligne  prose 

Cest  par  la  que  je  vaux,  si  je  vaux  quelque  chose  — 

und  gerade  Cotin  hat  als  Ideal  eines  Satirikers  aufgestellt:  ü  parle  en 
vers  comme  nous  parlerions  en  prose  (Crit  des.  S.  44).  ^  - 


La  Saiyre  des  Saiyres  ei  la  Critique  desinteresse'e,  9 

treten,  werden  in  der  Grit  dh.  Untersuchungen  über  das  Wesen 
der  Satire  angestellt,  um  aber  nicht  aus  dem  Eontexte  zu  kommen, 
stets  wieder  der  Weg  in  das  Fahrwasser  der  Angeberei  und 
Verschwärzung  gesucht  und  gefunden.  Während  die  Ä  d,  S. 
auch  gegen  Moli^re  mehrere  ganz  offene  und  einige  kaum  ver- 
hüllte Ausfälle  enthält,  beschäftigt  sich  die  Crit  des.  fast  nur 
mit  Boileau. 

Nun  zur  Autorfrage!  Es  hat  nicht  an  wissenschaftlichen 
Stimmen  gefehlt,  die  die  Autorschaft  Cotin's  für  keine  der 
beiden  Satiren  anerkannten^)  und  ihn  selbst  als  den  unschuldig 
Verfolgten  hinstellten,  während  Boileau  und  Moli^re  (man  verzeihe 
den  trivialen  Ausdruck)  das  Karnickel  gewesen  sein  sollen,  das 
angefangen  hat.  Besonders  ein  Moli^reforscher  hat  unter  der 
Devise  Le  Provincial  (auch  wir  wollen  ihn  ferner  so  nennen) 
diese  Ansicht  mit  merkwürdiger  Zähigkeit  verfochten.  Es  hat 
ihm  an  der  verdienten  Abfertigung  nicht  gefehlt  und  wir  werden 
die  Hauptargumente,  die  er  vorgebracht  und  die  Widerlegung, 
die  er  erfahren  hat,  zu  würdigen  und  unsere  eigenen  Wahr- 
nehmungen in  dieser  Streitfrage  darzulegen  versuchen. 

Wenn  (wie  wir  gesehen  haben)  die  beiden  Satiren  ihre 
Spitze  fast  ausschliesslich  gegen  Boileau  und  Moli^re  richten, 
so  wird  selbst  der  oberflächliche  Leser  den  ersten  Verdacht  der 


*)  Wenigstens  sagt  Lacroix  in  den  Pre'face  zu  seinem  Neudrucke  der 
beiden  Satiren  (S.  IV):  Le  Provincial  ne  $e  rendaii  pas  et  persisiaii 
ä  se  faire  le  champion  de  Colin,  quUl  declarait  innoceni  des  deux 
Saures  anonymes,  qui  avaieni  motive  les  repressaiUes  de  la  comedie 
des  Femmes  savantes.  Den  Wortlaut  der  Auseinandersetzungen  des 
„Provincial",  die  im  Molierisie  niedergelegt  sind,  konnten  wir  leider 
nicht  einsehen,  da  uns  diese  Zeitschrift  nicht  zugänglich  war,  doch 
glauben  wir  uns  über  seine  Meinung  durch  die  Auszüge  Lacroix  und 
durch  ein  R^sumö  im  Moliere- Museum  (V.  Heft,  1883,  S.  161)  genügend 
informiert  zu. haben.  —  Zur  bibliographischen  Orientierung  zitieren 
wir  Lacroix  (der  in  seiner  Pre/ace  sagt) :  Nous  ne  croyons  pas  que  la 
Satyre  des  Satyres  existe  dans  aacune  autre  biblioiheque  publique  que 
Celle  de  V Arsenal,  Ceiie  piece  imprimee  secretemeni  ä  Paris  en  1666, 
comme  le  prouveni  Vexamen  des  car  acter  es  italiques  de  Vimpression  et  le 
ßeuron  qui  figure  en  tHe  de  la  page  3,  forme  12  pages  peiii  in- 8^  sans 
nom  de  Heu  ni  de  libraire.  Öest  une  rdponse  fr  es  violente,  en  vers, 
ä  la  sortie  assez  dddaigneuse  que  Boileau  avaii  faxte,  dans  sa  iroisieme 
Satire,  contre  Tabhe  Colin  et  ses  sermons»  On  sait  que  le  pätissier 
Mignot,  ayant  ä  se  venger  de  Boileau,  qui  V avaii  iraite  d^empoisonneur, 
fit  imprimer  ä  ses  frais  la  Satire  de  Colin,  quHl  distribuaii  au  public,  en 
se  servani  de  Vimprime  pour  envelopper  ses  biscuits.  On  ne  s^explique 
pas  comment  ceiie  Satire  est  aussi  rare  et  aussi  inconnue,  puisqu^elle  fui 
re'pandue  de  la  sorte  ä  grand  nonibre  d^exemplaires.  Nach  Nisard  (aist, 
de  la  Hit,  fr.^  Bd.  H  S.  320)  hatte  Mignot  seine  Waren  in  die  Crii,  des. 
einwickeln  lassen,  wie  man  überhaupt  eine  Verwechselung  der  beiden 
Satiren  auch  anderwärts  findet. 


10  J.  Frank, 

Autorschaft  dieser  beiden  Schmähschriften  nach  dem  bekannten: 
Cui  prodestf  gegen  eine  Persönlichkeit  richten,  die  von  den 
genannten  Schriftstellern  bestgehasst  werde  und  annehmen,  dass 
dieselben  eine  Art  Wiedervergeltung  für  erlittene  Unbilden  sein 
mögen.  Nun  ist  aber  thatsächlich  Cotin  so  recht  der  Prügel- 
junge Boileau's  in  seinen  Satiren  und  das  ganze  Wesen  des 
Verspotteten  musste  in  gewaltige  Gährung  kommen,  wenn  er 
solche  Urteile  über  sich  las.  Es  war  also  ebensowohl  ein 
prinzipieller  wie  persönlicher  Antagonismus,  der  die  beiden  zu 
den  schärfsten  Gegnern  machte.  Bei  Moli^re  liegen  die  äusseren 
Momente  und  Anlässe  seiner  Feindschaft  mit  Cotin  allerdings 
nicht  so  klar  zu  Tage;  desto  unleugbarer  ist,  dass  sie  in  ihren 
litterarischen  Tendenzen  geradezu  Antipoden  waren:  während  der 
eine  die  leere  Ziererei  und  die  raffinierte  Empfindelei  als  den 
Gipfel  der  Poesie  ansah,  war  der  andere  ein  Feind  jedes  un- 
wahren hohlen  Wortes  und  jeder  unnatürlichen  Wendung  in  der 
Dichtung;  aber  auch  Spuren  äusserer  Friktionen  zwischen  Cotin 
und  Meliere  fehlen  nicht  so  ganz,  wie  der  Provincial  glauben 
machen  möchte,  wenn  auch  die  betreffenden  Meldungen,  wie  so 
vieles  bei  den  Biographen  Moli^re's,  nicht  mit  der  wünschens- 
werten Sicherheit  verbürgt  sind.  So  ist  doch  schon  das  so  in- 
time Freundschaftsverhältnis  zwischen  Boileau  und  Moliöre  Grund 
genug  für  Cotin  gewesen,  den  Freund  seines  Totfeindes  nicht  zu 
lieben  und  es  wird  sogar  die  Vermutung  nicht  allzu  kühn  sein, 
dass  Cotin,  der  von  der  Kanzel  herab  für  sein  Schriftstellertum 
Propaganda  machte,  in  seinen  Predigten  gegen  seine  beiden  be- 
deutendsten Gegner  ankämpfte^)  und  seine  Zuhörer  von  seinen 
litterarischen  Herzensangelegenheiten  unterhielt.  Cotin  war  es 
auch,  der  den  Herzog  von  Montausier  gegen  Moli^re  aufhetzte,^) 


^)  Auch  de  Vis^  weiss  zu  erzählen,  dass  Meliere  acht  Jahre 
vor  der  Aufführung  der  Femmes  savantes  (das  wäre  also  schon 
1664!)  mit  Cotin  Streit  gehabt  habe!    (Mercure  galant  I,  S.  64.) 

^  So  heisst  es  in  den  Analyses  ou  Remaraues  historicrues  et 
criiiques  Voltaire's  zu  Moliäre's  Werken  (abgedructt  im  MoL-museum 
Schweitzer*8,  März  1884,  VI.  Heft)  in  der  Anmerkung  zum  Misantrope: 
On  sait  que  les  ennemis  de  Moliere  voulurent  persuader  au  duc  de 
Montanster  fameuoc  par  sa  vertu  sauvage,  que  c'etoit  lui  que  Moliere  jouoit 
dans  Iß  Misantrope.  Le  duc  de  Montausier  alla  voir  la  Pibce,  et  dit  en 
sortant,  qu*il  auroit  inen  votdu  ressembler  au  Misantrope  de  Moliere, 
Noch  charakteristischer  aber  ist  Voltaire's  Notiz  zu  den  Femmes  sav. 
fa.  a.  ö.  S.  42):  .  .  .  .  Tous  ceux  qui  sont  au  fait  de  rhistoire  litteraire 
de  ce  tems-lä  savent  que  Menage  y  est  jouS  sous  le  fwm  de  Vadius  et 
que  Trissotin  est  le  fameux  abbe  Cotin,  si  connu  par  les  satires  de 
Vespreaux.  Ces  deux  hommes  e'toient  pour  leur  malheur  ennemis 
de  Molihre;  ils  avoient  voulu  persuader  au  duc  de  Montausier, 
que  le  Misantrope  dtoit  fait  contre  lui,  quelque   tems  apres 


La  Satyr e  des  Satyres  ei  la  Critiqve  desinteressee.  11 

indem  er  dem  ersteren  die  Meinung  beibrachte,  der  AlceBte- 
Misanthrope  sei  nach  seinem  Modell  gearbeitet  und  der  Umstand, 
dass  der  Herzog,  nachdem  er  das  Stück  gesehen  hatte,  den 
Wunsch  aussprach,  dem  Misanthrop  ähnlich  zu  sein,  ändert  nichts 
an  Cotin's  böser  Absicht.  Wenn  der  Provincial  zwischen  Cotin 
und  Moli^re  sogar  eine  Art  Bundesgenossenschaft  und  Einigung 
zum  Kampfe  gegen  das  PreziÖsentum  und  gegen  Manage  er- 
blicken will,  so  ist  das  eine  durch  die  thatsächlichen  Verhältnisse 
geradezu  widersprochene  Annahme,  denn  der  Wechsel  im  Verhalten 
Cotin's  gegen  die  Preziösen,^)  die  mit  ihm  früher  Abgötterei  ge- 
trieben hatten,  bedeutet  bei  ihm  keine  Umkehr  der  Geschmacks- 
richtung, sondern  ist  lediglich  eine  Seite  seines  niedrigen  Cha- 
rakters. Denn  Cotin  wurzelte  mit  seinen  Dichtungen  immer 
im  Lager  der  Preziösen,  eher  als  M6nage,  der  dem  jüngeren 
PreziÖsentum  wirklich  abhold  war.  Die  Annahme  Lacroix',  dass 
in  einer  Stelle  der  Mdnagerie  Cotin  ebenfalls  gegen  Moli^re 
Partei  nehme  und  dass  sogar  die  Vermutung  nahe  liege,  das 
bekannte  Madrigal  Mascarille's  in  den  PrScieuses  ridicides  sei  von 
Cotin,  konnten  wir  auf  ihre  Bichtigkeit  hin  nicht  kontrollieren.^) 
So  viel  aber  geht  aus  dem  Gesagten  hervor,  dass  schon  vor  dem 
Erscheinen    der    8.   d.   S.   und    der    Grit.    dSs,,    also    vor    dem 


ils  ai^oieni  eu  chez  Mademoiselle,  fille  de  Gasion  de  France, 
la  scene  si  hien  rendue  dans  les  Femmes  Savantes.  Le 
malheureux  Cotin  e'crivoii  egalement  contf*e  Menage,  contre  MoHere  ei 
contre  Despre'avx;  les  Satires  de  Despre'aux  Vavoient  de  ja  couvert  de 
honte,  mais  Mpliere  Vaccabla,  Trissoiin  e'toit  appeüe  aux  pr  emier  es 
Representations  Tricotin.  LActeur  qui  le  representoit  avoii  affecte,  autani 
qu'il  avoit  pu^  de  ressembler  ä  V  Original  par  la  voix  et  par  le  geste. 
Es  folgt  nun  noch  eine  Beurteilung,  ob  Moliöre  zu  einer  solchen 
moralischen  Justifikation  Cotin's  berechtigt  war,  bei  der  man,  wenn 
man  sich  erinnert,  dass  sie  von  Voltaire  ausgeht,  an  das  Gracchi  de 
seditibne  qucerentes  denken  muss,  die  aber  doch  ernst  gemeint  zu  sein 
scheint. 

*)  So  spottet  er  in  der  Grit.  des.  (auch  hier  wieder  durch  eines  seiner 
Echos,  un  des  plus  galands  ei  des  plus  polis  seigneurs  de  la  Cour):  Au 
nom  des  muses,  Monsieur,  ou  si  vous  taimez  mieux,  au  nom  de  iS/*** 
la  marquise  de  Rambouillet  et  de  M^  Desloges,  rendez-mcy,  s'il 
vous  plaisi  etc,  elc,    fCrit  dds,  bei  Lacroix  8.  74.) 

2)  Weil  wir  weder  die  Menagerie  noch  den  Moli^riste  uns  ver- 
schaflfen  konnten!  Wenn  aber  Cotm  im  Jahre  1666  in  der  Grit,  des, 
(bei  Lacroix  S.  74)  einen  Höfling  zu  sich  sagen  lässt:  Je  ne  sgay  comment 
je  pourray  vous  sauver  des  comediens,  ils  menacent  de  vous  joüer  ä  la 
farce  etc.,  so  möchte  man,  da  gebrannt  Kind  das  Feuer  fürchtet,  daran 
glauben,  Cotin  sei  schon  vor  den  Femmes  sav.  von  Moliöre  mit  einem 
Streifschusse  bedacht  worden.  Da  er  eine  dramatische  Züchtigung  in 
seiner  Grit  des.  sich  mit  solcher  Bestimmtheit  voraussagen  l&sst  (und 
alles  spricht  dafür,  dass  er  sie  von  Möliöre  erwartete!)  SQ  muss  er 
Letzterem  gegenüber  ein  schlechtes  Gewissen  haben! 


12  J.  Frank, 

Jahre  1666  nicht  nur  zwischen  Ootin  und  Boileau,  sondern 
auch  zwischen  Cotin  und  Moli^re  eine  sehr  gereizte  Stimmung 
bestand  und  dass  schon  dieser  Umstand,  die  beiden  Satiren  als 
eine  Revanche  Cotin's  anzunehmen,  nahe  legen  wird. 

Dass  diese  Gegnerschaften  sich  in  der  Folgezeit  immer 
yergrösserten,  weiss  man  mit  Sicherheit.  Nicht  nur  kam  Boileau 
immer  wieder  auf  Cotin  zurück,  sondern  Moli^re  hat  an  ihm, 
wie  wir  oben  schon  kurz  erwähnt  haben,  in  seinen  Femmes  sav. 
eine  wahre  Exekution  vorgenommen,  er  hat  ihn  moralisch  und 
poetisch  hingerichtet.  Wenn  nun  der  Provindal  einmal  die 
Bitte  stellt,  ihm  doch  eine  einzige  Beschwerde  zu  nennen,  die 
Cotin  gegen  Moli^re  hätte  erheben  können,  und  in  der  Annahme, 
dies  werde  nicht  gelingen,  weiter  deduziert,  Cotin  stehe  der 
Urheberschaft  der  beiden  Satiren  ferne,  so  kann  man  ihm  diese 
(wie  wir  übrigens  schon  gezeigt  haben)  haltlose  Einwendung 
auch  durch  die  Gegenfrage  zurückgeben:  was  hätte  wo  Hl 
Moli^re  veranlasst,  Cotin  derartig  dramatisch  anzu- 
nageln und  in  der  Figur  des  Trissotin  zu  stigmati- 
sieren, was  hätte  ihn  veranlasst,  Cotin's  ganze  Rach- 
sucht zu  entfesseln  und  herauszufordern,  wenn  er  nicht 
von  Cotin  provoziert  worden  wäre?  Also  schon  diese  Er- 
wägung wird  uns  nach  einer  Streitschrift  suchen  lassen,  in  der 
Moli^re  mit  argen  Schmähungen  überhäuft  wird^)  und  wenn  wir 

*)  Wir  finden  in  der  S,  d.  S.  folgende  Artigkeiten  gegen  Moliäre : 

J*ai  veu  de  mauvais  vers  sans  blämer  le  poSte; 

Tai  leu  ceux  de  Mo  Her  e  ei  ne  Tay  point  siffiä  .... 

Iha's  donnant  ä  ses  vers  une  digne  maiihre, 

Comme  un  des  ses  heros  il  (Boileau)  encense  Mo  Her  e  .  .  . 

Je  ne  puis  (Tun  farceur  me  faire  un  demy-dieu  .... 

Despreaux  sans  argent,  crotie  jusq%Cä  Veschine, 

Sen  va  chercher  son  pain  de  cuisine  en  ciiisine 

San  Turlupin  fassiste,  et  joüant  de  son  nez 

Chez  le  sot  campagnard  gagne  de  hons  disnez: 

Despreaux  ä  ce  jeu  repona  par  sa  grimace. 

Et  faÜ,  en  basieleur,  ceni  tours  de  passe-passe'^ 

P^iis  ensuite,  enyvrez  et  du  öruii  et  du  vin, 

L' un  sur  Vautre  iombant,  renversent  le  festin. 

On  le  promet  tous  deux  quand  on  faxt  chere  entiere, 

Ainsi  que  Von  promet  Tartuffe  et  Molihre  etc 

//  faui  comme  ä  Vunique  en  piete  sur  terre, 

Inviter  votre  muse  au  grand  , Festin  de  pierre*  .... 

A  ces  vers  empruniez  la  Bejar  applaudit 
11  regne  sur  Parnasse,  et  Mo  Her e  V  a  dit. 

Selbst  jene  Stellen,  wo  Molihre  nicht  ausdrücklich  genannt  ist, 
lassen  die  Anspielung  auf  ihn  schon  durch  den  Zusammenhang  aus- 


La  Satyre  des  Satyres  ei  la  CrUique  dSsinieressee.  13 

eine  solche  thatsächlich  finden  sollten,  so  wird  uns  eine  sehr 
leichte  Kombination  auf  Cotin  als  Verfasser  raten  lassen. 
Ein  solches  Pasquill  ist  aber  besonders  die  S,  d.  S.  und  einen 
Kritiker,  der  wie  der  Provincial  in  derselben  nichts  gegen  Moliöre 
hat  entdeken  können,  sollte  man  wegen  seiner  ganz  unglaub- 
lichen Flüchtigkeit  gar  nicht  mehr  ernst  nehmen.  Allerdings  hat 
sich  der  Provincial  dann  hinter  der  Ausrede  verschanzt,  die 
S,  d.  S.  sei  ja  gar  nicht  von  Cotin!  Hat  er  doch  sogar  die  Autor- 
schaft Cotin's  für  die  Crtt  dSs.  geleugnet!  Doch  werden  wir 
hoffentlich  nachweisen  können,  dass  diese  seine  Behauptung  ebenso 
hinfallig  ist,  wie  seine  meisten  anderen. 

Bevor  wir  aber  diesem  Beweise  nachgehen,  müssen  wir 
noch  erwähnen,  dass  es  (seltsam  genug)  noch  Moli^risten  gibt, 
die  es  in  Zweifel  ziehen,  dass  Moli^re  in  Trissotin  habe  Cotin 
abkonterfeien  wollen.  Man  bedenke  dagegen  nur:  die  Femmes 
sav,  hiessen  früher  Trissotin  oder  eigentlich  ursprünglich 
Tricotin,^)  worin  also  der  Name  Cotin  ganz  ausgeprägt  ist; 
die  Szene  mit  dem  Sonnette:  A  la  princesse  Uranie  beruht  auf 
Wahrheit,  Cotin  hatte  nämlich  ein  Sonnett  für  Madame  de  Nemours 
gemacht  und  da  er  es  eben  Madame  de  Montpensier  vorgelesen 
hatte,  kam  Manage  und  fand  es  elend,  da  er  den  Autor  nicht 
kannte;  die  beiden  von  Trissotin  vorgelesenen  Gedichte  sind 
thatsächlich  ein  Produkt  Cotin's  und  seinen  (Euvres  galantes  ent- 
nommen; die  Minagiana  sagen  genau,  Trissotin  könne  nur  Cotin 
sein  und  berichten,  Moliöre  habe  dem  Darsteller  der  Rolle  ein 
Gewand  Cotin's  gekauft,  um  ja  keinen  Irrtum  aufkommen  zu 
lassen;  femer  berichtet  de  Vise,  Cotin  habe  sich  von  einer 
Audienz,  die  die  Vertreter  der  Akademie  im  März  1672  (in  dem- 

gemacht  erscheinen.  Zum  Überflusse  sei  bemerkt,  dass  sich  das 
Schimpfwort /ar{7£?wr  für  Moliöre,  auch  bei  Saumaize  (der  auch  zuerst 
das  Stichwort  „Plagiator"  für  Meliere  ausgegeben ,  das  später  ein 
Embatterion aller Moli^refeinde wurde) und  dem  Jansenisten  Rochemond 
wiederfindet  (vgl.  Schweitzer's  MoHh-e- Museum  IV.  Heft,  1882,  S.  2). 
Auf  den  Turlupin  kommen  wir  noch  zurück.  Wie  man  aber  nach 
obigen  Sottisen  Cotin's  gegen  Moliöre  es  noch  nötig  erachtet,  es  zu 
entschuldigen,  dass  Moli^re  im  Trissotin  Revanche  genommen  hat,  ist 
uns  unbegreiflich. 

1)  La  comedie  des  Femmes  savantes  ftit  d!ahord  iniiiuUe  Trissotin ; 
ce  qui  donnerait  ä  penser  que  ce  personnage  y  avaii  un  role  plus  developpd 
que  celui  que  MoUere  lui  a  laisse,  M^^  de  Sevignd  dit,  dans  une  lettre 
datee  de  Livry,  9  mars  1672.  Nous  tächons  ^amuser  noire  carditial  (de 
Retz).  Corneille  lui  a  lu  une  comedie,  qui  sera  joue'e  dans  quelque  temps 
et  qui  fait  souvenir  des  anciennes.  moliere  lui  iira  samedi  Trissotin 
qui  est  une  fort  plaisante  Piece!  Cette  piece  representde  le  12  du  mime 
mois  (wir  finden  sonst  überall  den  11.!)  est  mentionnee  aussi  sous  le 
titre  de  Trissotin  dans  le  registre  de  Lagrange,  (Lacroix,  Pref,  S.  XII, 
Anm.) 


14  /.  Frank, 

selben  Monate  und  Jahre  wurden  die  Femmes  sav.  das  erste  Mal 
aufgeführt)  bei  Ludwig  XIV.  nahmen,  ferngehalten,  damit  man 
nicht  sage,  er  komme,  um  Moli^re  für  den  ihm  jüngst  gespielten 
Streich  zu  verklagen;  Perrault  erzählt,^)  dass  Cotin  nach  sehr 
langer  Unterbrechung  im  März  1672  wieder  auf  die  Kanzel  stieg, 
so  dass  es  wahrscheinlich  ist,  er  habe  sich  für  den  ihm  von 
Moli^re  angethanen  Tort  rächen  wollen.  Hält  man  nun  alle  diese 
Umstände  zusammen,  so  kann  man  nicht  begreifen,  wie  man  über 
die  von  Meliere  beabsichtigte  Identität  von  Trissotin  und  Cotin 
noch  irgendwie  im  unklaren  sein  kann^)  und  die  zwei  Tage  vor 
der  AufifÜhrung  gethane  Versicherung  Moli^re's,  er  habe  in  Trissotin 
und  Vadius  keine  Porträts  zeichnen  wollen,  wiegt  so  federleicht, 
wie  wenn  er  beteuert,  er  habe  in  seinen  Fricieuses  ridicules  nur 
die  Entartung  des  Preziösentums  angreifen  wollen!  Beides 
glaubt  man  ihm  nicht.  Mit  Vadius  verhält  sich  die  Sache  indes 
etwas  anders.  Es  unterliegt  zwar  auch  keinem  Zweifel,  dass 
Meliere  bei  der  Schöpfung  dieser  Figur  an  M6nage  gedacht  habe ; 
es  fehlte  auch  in  diesem  Falle  nicht  an  inneren  Gründen,  die 
Moli6re  so  handeln  Hessen.  Da  aber  diese  Opposition  eine 
weniger  persönliche  als  grundsätzliche  war,  so  hat  Moli6re  nicht 
so  mit  dem  Finger  auf  ihn  gewiesen  und  seinen  Charakter  nicht 
so  bösartig  gezeichnet.  Es  ist  also  erwiesen,  dass  Möllere  gegen 
Cotin  einen  besonders  tiefen  Groll  hegen  musste  und  als  Ursache 
derselben  ergibt  sich  uns  am  ungezwungensten  dessen  Autorschaft 
der  beiden  Satiren,  deren  eine  besonders  Moli6re  förmlich  mit  Kot 
bewirft. 

Suchen  wir  nun  nach  direkten  Beweisen,  die  über  die 
Autorschaft  der  beiden  Satiren  Aufschluss  geben  können.  Der 
Provincial  führt  zu  seinen  Gunsten  an,  dass  weder  beim  Abb6 
d'Olivet  in  der  Geschichte  der  Acadimie  frangaise^  noch  bei  Mor^ri 
ein  anderes   als   die  Crit,   dis.  unter  den  Werken  Cotin's   ange- 


1)  Wir  entnehmen  dies  der  Pref.  Lacroix',  S.  VII. 

2)  Vgl.  auch  Taschereau  S.  43  und  44.  Wenn  Mahrenholtz 
in  seiner  sonst  so  trefflichen  Biographie  Molifere's  (Heilbronn,  1881, 
S.  275)  sagt,  dass  für  die  Porträtierung  Cotin's  durch  Meliere  „die 
Motive  um  so  weniger  zu  Tage  liegen,  als  Cotin  ein  Bundesgenosse  des 
Dichters  im  Kampfe  gegen  das  Preziösentum  war  und  als  auch  die 
Anspielung  auf  Möllere  in  der  Satire  des  satires  nichts 
weniger  als  unzweideutig  ist,**  so  ist  es  erstens  mit  dieser 
Bundesgenossenschaft  nicht  weit  her,  noch  weniger  aber  wird  irgend 
Jemand,  der  die  S.  d,  S.  gelesen  hat,  die  zahlreichen  (oben  zitierten) 
Schmähungen  gegen  Moli^re  zweideutig  finden  können  und  daher  nach 
den  Motiven  Moli^re's  erst  suchen  müssen.  Es  ist  also  ganz  überflüssig, 
mit  Mahrenholtz  anzunehmen,  dass  hierzu  „Boileau  habe  den  Aufhetzer 
spielen**  müssen,  (a,  a,  0,  S.  277.)  Vgl.  auch  unsere  obige  Anmerkung 
mit  dem  Zitat  aus  den  Remarques  Voltaire 's  zu  den  Femmes  sav. 


La  Saiyre  des  Satyres  et  la  CriUque  desmieressee.  15 

führt  sei  und  folgert  daraus  siegestrunken,  dass  die  8>  d.  8. 
also  nicht  von  Cotin  herstammen  könne.  Nun  hat  aber  der  Pro- 
vincial  ja  (wie  man  oben  gesehen  hat)  auch  die  Crit  d4s.  als 
nicht  von  Cotin  geschrieben  ausgegeben,  während  an  die  Ver- 
fasserschaft Cotin's  für  dieses  Werk  ausser  ihm  niemand  zweifelt 
und  wir  werden  bald  in  der  Lage  sein,  zu  beweisen,  dass,  wer 
das  Eine  zugibt,  das  Andere  nicht  in  Abrede  stellen  kann.  Da 
ist  zunächst  auf  eine  Notiz  von  Boileau's  eigener  Hand  hinzu- 
weisen, der  da  schreibt:^)  II  avoit  icrit  contre  moi  et  contre 
Möllere,'  ce  qui  donna  ocassion  ä  Moliere  de  faire  les  Femmes 
savantes  et  d'y  toumer  Cotin  en  ridicule.  Auch  diese  Stelle 
schon  scheint  sich  mehr  auf  die  S.  d.  S.  zu  beziehen,  da  die 
Crit  dis.  nur  ganz  beiläufig  von  Moliere  spricht,  während  die 
erstere  von  Insulten  gegen  Moliere  strotzt.  Um  aber  ja  keinen 
Zweifel  darüber  zu  lassen,  wie  Boileau's  Worte  gemeint  sind, 
sagt  sein  berufener,  in  seine  Privatverhältnisse  eingeweihter  und 
von  ihm  inspirierter  Interpret  Brossette:^)  Fier  et pr^somptueux, 
comme  il  itoity  Cotin  ne  put  souffrir  que  son  talent  pour  la  chazre 
lui  fUt  contestS.  Pour  s'en  venger,  il  fit  une  mauvaise  8atyre 
contre  M,  DesprSaux  dans  laquelle  ü  lui  reprochoit,  comme  un 
grand  crime,  d'avoir  imiti  Horax^  et  JuvSnal,^)  Cotin  ne  s^en  tint 
pas  lä:  il  publia  un  libelle  en  prose,  intituU:  La  Critique  d6s- 
int6ress6e  sur  les  Satyres  du  temps,  dans  lequel  ü  chargeoit 
notre  auteur  des  injures  les  plus  grossih'es,  et  lui  imputoit  des 
crimes  imaginaires,  II  s'atnsa  encore,  maUieureusement  pour  lui, 
de  faire  entrer  Moliere  dans  cette  dispute,  et  ne  tipargna  pas 
plus  que  M,  Despriaux.  Celui-d  ne  s'en  vengea  que  par  de  nou- 
velles  raillerieSf  comme  on  le  verra  dans  les  8atyres  suivantes; 
mais  Molih'e  acheva  de  le  ruiner  de  reputation  en  Vimmolant,  sur 
le  tkedtre,  ä  la  risSe  publique,  dans  la  comSdie  des  Femmes 
savantes,    sous    le    nom   de   Tricotin  quü   changea  dans  la  suite 


1)  Hier  ist  auch  eine  Notiz  des  Libraire  au  lecieur  zur  IX.  Sat. 
Boileau's  zu  erwähnen  (S.  65  der  Ausgabe  Sainte-Beuve's):  ....  Quel- 
ques libelle 8  diffamatoires,  que  Vabb^  Kautain  ei  plusieurs 
autres  eussent  faxt  imprimer  contre  lui,  ü  s'en  tenoit  assez  vengä  par  le 
me'pris  que  taut  le  monde  a  fait  de  leurs  ouvrages,  qui  rCont  M  lus  de 
personne,  ei  que  Vimpression  mtme  n^a  pu  rendre  publics.  Dies  würde 
auch  erklären,  warum  die  S.  d,  S.  trotz  der  krampfhaften  Anstrengungen 
des  pätissier  Mignot  keine  rechte  Publizität  gewinnen  konnte  und  auch 
heute  so  selten  geworden  ist. 

2)  Wir  entnehmen  diese  Stelle  Lacroix  iV^/*.  S.  XII,  wo  es  auch 
heist:  Brossette  caracierise  et  de'signe  bien  la  Satyre  des  Satyres 
en  disani  que  ce  fut  Boursauli  qui  la  fit  impnmer  sur  une  copie  manuscrile 
que  Tanteur  avait  fait  mottrir.  (Oben  hiess  es,  der  pätissier  Mignot  habe 
aas  Geld  dazu  hergegeben.) 

8)  Vgl.  oben  S.  4,  Anm.  1. 


16  /.  Frank, 

en  celui  de  Trissotin.  Wen  alles  das  noch  nicht  überzeugen 
sollte,  der  kann  durch  eine  Vergleichung  der  beiden  Satiren 
(vorausgesetzt,  dass  er  sich  überhaupt  überzeugen  lassen  will) 
überführt  werden.  Denn  die  Critique  disintiressie  ist  thatsäch- 
lieh  nichts  anderes,  als  eine  prosaische  Paraphrase-^)  der  S,  d.  S.: 
in  beiden  ist  der  Tenor  derselbe;  in  beiden  konunen  dieselben 
Beschimpfungen  und  die  läppischen  Rekriminationen  vor,  Boileau 
habe  die  Vernunft;  entthronen^)  und  die  Leidenschaften  für 
souverän  erklären  wollen,  er  habe  das  Majestäts verbrechen  be- 
gangen, sich  mit  dem  Könige  zu  vergleichen,  in  beiden  werden 
Boileau  und  Moli^re  als  zwei  verkommene  tellerleckende  Spass- 
macher  und  Weinschwelger  hingestellt.®)  Zwar  wird  in  der  Orit. 
dis.  anscheinend  gegen  die  S.  d.  S.  polemisiert,  aber  der  Tadel 
ist  so  zahm  und  gelinde,  die  Aussetzungen  sind  meist  so  täppisch 
und  schwächlich,  und  dagegen  wird  das  Lob  mit  so  vollen 
Händen  gespendet,  dass  man  nicht  in  die  Falle  gehen  kann  und 
leicht  merkt,  dass  es  selbst  bei  jenen  Bemänglungen,  die  wirk- 
lich von  Belang  sein  könnten,  mehr  auf  eine  verschämte  ver- 
hüllende Form  der  Nachkorrektur,  als  auf  eine  wirkliche  Kritik 
abgesehen  ist.  Ja  man  kommt  beinahe  auf  den  Gedanken,  der 
Autor  habe  nachträglich  die  Schwächen  dieses  seines  ersten 
Libells  herausgefühlt  und  habe  in  dem  zweiten  hauptsächlich  nur 
der  Eventualität,  dass  er  vielleicht  doch  als  dessen  Verfasser 
bekannt  werden  könnte,  vorbeugen  und  zeigen  wollen,  dass  er 
dessen  Fehler  gekannt  und  so  selbst  über  seinem  eigenen  Werke 
gestanden  habe.  So  verteidigt  er  z.  B.  den  Autor  der  Sai. 
d,  8at.  auch  gegen  den  Vorwurf  zu  zahlreicher  Zitate  aus  Boileau's 
Satiren  damit,  dass  er  ihm  nachrühmt,  er  habe  die  bezeichnendsten 
charakteristischsten  Stellen  herausgehoben  und  also  gut  zitiert! 
Nun  ist  dieser  Vorwurf  um  so  berechtigter,  als  der  Autor  der 
Bat  d.  S.  nicht   nur  Boileau   da   brandschatzt  und  plündert,   wo 


*)  Sehr  richtig  sagt  Lacroix  in  der  Preface  zu  seinem  Neudrucke 
der  beiden  Satiren:  mais  encore  dans  la  Critique  de'sinie'ressee, 
qui  n'est  que  le  corollaire  en  prose  de  la  Satire  en  vers, 

^)  Sehr  bezeichnend  für  Cotin's  Selbstgefälligkeit  und  Hochmut 
ist  es,  wenn  er  als  Beweis  dafür,  Boileau  „entthrone  die  Vernunft" 
den  umstand  anführt:  Vous  (so  spricht  nämlich  der  honnSte  ecclesiastique 
zu  Cotin)  Monsieur  qui  sgavez  les  loix,  quelle  antinomie!  Vous  qti'il 
traitte  de  predicateur  d'aujovrd'hui,  ^uoy  que  vous  ayez  cesse  de  prescher 
avani  qu'il  commengast  d'ecfHre,  die,  Quintiliane,  colorem  (Crit.  des. 
bei  Lacroix  S.  20.) 

8)  Wir  verweisen  hier  auf  unsere  obigen  Zitate  aus  der  S.  d.  S. 
und  fügen  nur  noch  aus  der  Crit.  d^s.  die  Stelle  hinzu,  wo  mit  deut- 
lichem Hinweise  auf  Boileau  (S.  20  bei  Lacroix)  von  demselben  gesagt 
wird:  ....  qui  se  creve  tous  les  jours  de  vin  et  de  bonne 
chere  n' est  qu^un  pourceau  etc. 


La  Satyre  des  Satyres  et  la  Criiique  ddsinteresse'e.  17 

er  dies  mit  dem  Scheine  einiger  Berechtigung  thut  (da  er  die 
Zitate  als  solche  anfuhrt)  um  gegen  sie  zu  polemisieren,^)  sondern 
auch  da  mit  Boileau^s  Kalbe  pflügt,  oder  auf  das  von  ihm  ge- 
pflügte Land  säet,  wo  dies  für  den  unkundigen  Leser  nicht  er- 
kennbar ist.^)     Wo  er  etwas  Kräftiges  in  der  8atyre  des  Satyres 

^)  Die  ganze  Heachelei  Cotin's  und  die  unehrlichen  Waffen,  deren 
er  sich  in  seiner  Polemik  bedient,  kann  man  nur  verstehen,  wenn  man 
seine  Crit.  d^s,  liest.  Einmal  entschlüpft  ihm  ein  für  seine  Moral  sehr 
bezeichnendes  Wort  und  er  sagt  mit  naiver  Unverschämtheit  in  hof- 
meisterlichem  Tone  gegen  den  Autor  der  S,  d.  S.  (also  gewissermassen 
sich  selbst  darüber  einen  Verweis  erteilend,  dass  er  einmal  ehrlich  ge- 
wesen!): //  se  faui  hien garder  d'exciier  Vadmiration  pour  un 
ouvrage  conire  qui  l  on  veut-  exciter  ou  Vhorreur  ou  le 
me'pris;  aber,  meint  er  weiter,  den  Autor  der  S.  d.  S,  (also  sich  selbst) 
für  seine  zu  grosse  Noblesse  rechtfertigend,  er  habe  eigentlich  dabei 
doch  eine  dolose  Absicht  gehabt,  da  in  der  Satire  die  wohlklingenden 
Verse  nicht  die  besten  seien  u.  s.  w.  (La  Crit.  des,,  bei  Lacroix  S.  43.) 
Ein  andermal  (S.  61,  iöid.J  sagt  er  vom  Autor  der  S,  d,  S.  sehr  aner- 
kennend :  II  fait  ailleurs  galantiser  son  komme  dans  une  estrange  posture, 
le  toiirnant  en  ridictUe  ä  un  point  qu*il  fait  pitie.  La  ftgure  du  damoiseau 
y  est  tout  ä  fait  hurlesque  et  Von  a  quelque  plaisir  ä  voir  un  nouveau 
Censeur  qui  ne  peui  plus  avoir  que  Vesprit  et  non  Peffet  de  la  dehauche, 
....  Le  style  satyrique  doit  aonc  estre  clair  et'  inteüigible  par  tout. 
Lautheur  de  la  Satyi-e  des  Satyres  nous  en  pourroit  donner  quelques 
exemples.  11  s^ait  assez  comment  on  sHnsinüe  dans  les  esprits  et  dit 
assez  nettement  ce  qu*il  veut  dire.  fibid.,  S.  64.)  .  ...  La  description 
quHl  a  faite  de  la  maniere  d^agir  du  Censeur,  de  sa  vie  austere  et  regle'e 
n'cst  pas  mal  plaisante  (ibid.,  S.  68).  Wir  wollen  diese  Zitate  nicht  noch 
vermehren  und  müssen  den  Leser  auf  die  Lektüre  der  Crit.  des.  selbst 
verweisen. 

2)  Solche  wenigstens  in  dem  Neudrucke  bei  Lacroix  in  der  S.  d.  8, 
nicht  mit  dem  Zeichen  der  Anführung  versehene  Boileau 
wörtlich  entnommene  oder  ganz  gering  veränderte  Stellen  sind: 

bei  Boileau:        Je  ne  puis  rien  nommer,  si  ce  vÜest  par  son  nom; 

Tappeüe  un  ckat  un  chat  et  Holet  un  fripon 

(Sat.  L) 

in  der  S.  d.  S,:  Je  dis  mon  sentiment,  je  ne  suis  point  menteur 

J'appelle  Horace  Horace  et  Boileau  traducteur; 

bei  Boileau:        Et  mile,  en  se  ventant  sop-mSme  ä  tout  propos 

Les  louanges  d*un  fat  a  Celles  d'un  he'ros 

(J)isc.auRoi.J 

in  der  S.  d.  S. :  Tant  cet  audacieux  mesle  mal  ä  propos 

Les  louanges  d*un  fat  ä  ceUes  d'un  ndros; 

bei  Boileau :         Tandis  que  CoUetet,  crotte  jusqu'ä  Teschine, 

S'en  va  chercher  son  pain  de  cuisifie  en  cuisine  .... 

(Sat.  L) 

in  der  S,  d,  S. :  Bespreaux  sans  argent,  crotte  jusqu'ä  Ce'schine, 

S*en  va  chercher  son  pain  de  cuisine  en  cuisine. 

Wenn  man  nun  weiter  sieht,  dass  der  grösste  Teil  der  S.  d.  S. 
aus  als  solchen  angeführten  Zitaten  aus  Boileau  besteht  und  dass  Gotin 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  n.  Litt.     Xl^.  o 


18  -  J.  Frank, 

sagt,  hat  er  sicherlich  Boileau  in  Kontribution  gesetzt!  —  Für 
die  Lösung '  unserer  Frage  ist  sehr  bezeichnend,  dass  in  der  Crit 
dis.  überhaupt  der  8,  d,  S.  eine  so  sorgfältige  Beachtung  geschenkt, 
dass  die  erstere  nur  der  letzteren  wegen  geschrieben  zu  sein 
scheint.  Nicht  nur  nimmt  die  Grit  dds,  an  der  S.  d.  8,  Nach- 
besserungen vor,  die  als  solche  ersichtlich  gemacht  sind  und 
die  oft  wirklich  lächerliche  Subtilitäten  betreffen,^)  sondern  sie 
weist  auch  in  den  Zitaten  aus  der  8.  d,  8,  kleine  Eskamotagen 


aus  Eigenem  so  wenig  bestreitet,  so  ergibt  sich  daraus  am  besten 
desselben  poetische  Sterilität.  Boileau  scheint  auch  darauf  anzuspielen, 
wenn  wir  bei  ihm  folgendes  Epigramm  finden  (Sainte-Beuve's  Ausgabe 
S.  281):  Sur  une  satire  tres-mauvaise  que  Cabhe  Coiin  avoii  faiie,  ei 
qu'il  faisoii  courir  sous  mon  nom  (1670). 

£n  vain  par  miUe  ei  milie  ouirages 
Mes  ennemis  dans  leurs  ouvrages 
Coiin  pour  decrier  mon  siyle. 
Oni  crv  me  rendre  affreiix  atix  yeux  de  Tunivers. 
A  pris  un  chemin  plus  facile: 
C*esi  de  m'aiiribtier  ses  vers. 

Obzwar  uns  die  Beziehung  des  Titels  des  Epigramms  nicht  be- 
kannt ist,  scheint  uns  doch  die  oben  gegebene  Auslegung  der  letzten 
Verse  desselben  richtig  zu  sein,  und  doch  rühmt  sich  Cotin  in  der 
S.  d.  S.: 

Je  n'ay  pas  comme  luy  (Boileau)  pour  faire  satyi^e, 
JPUlä  dans  les  auiheurs  ce  que  favois  ä  direl 

Auch  in  der  Crii.  des»  arbeitet  Cotin  fort  mit  Zitaten  aus  Boileau, 
wie  man  sich  leicht  überzeugen  kann. 

1)  So  heisst  es  in  der  Crii,  des.  (S.  61  bei  Lacroix):  Ceiie  faqon 
de  parier  rC est  pas  fran^aise  chez  Vauiheur  de  la  Satyre  des  Satyres: 

Luy  que  Con  ne  connoisi  qu'ä  cause  de  son  frere 
Luy  comme  ü  dii  luy-mesme  accable  de  misere, 
Luy  qu'on  ne  connoisi  poini  dans  le  sacre  valon, 
Veni  trancher  du  Phebus  ei  faire  CAppollön. 

car  ce  luy  veut  iient  un  peu  de  Vallemand,  parce  qu'ü  esi  si 
eloignd.  Ce  veut  trancher  du  Phebus  et  faire  TAppoUon  dit  deux  fois 
la  mesme  chose.     11  falloii  meiire: 

Ce  jeune  komme,  inconnu  dans  le  sacre  vallon, 
En  ddpii  des  neuf  soeurs,  iranche  de  rApoUon, 

Vauieur  de  la  Saiyre  continüe  ce  luy  en  siyle  de  declamaieur,  ce 
qui  esi  une  auire  faute.  —  Weiter  heisst  es  (bei  Lacroix  S.  62):  Ces 
deux  vers  de  la  contre-saiyre  ne  sont  pas  encore  irop  bien  iournez: 

Theophile  jamais  n'a  dii  ce  mechani  moi, 
Ei  s*il  paya  ses  vers  de  deux  ans  de  cachoi. 

11  falloii  meiire,  ei  si  il  paya  ses  vers,  ou  bien  ainsi: 

Quand  il  paya  ses  v>ers  de  deux  ans  de  cachoi. 


La  Saiyre  des  Saiyres  ei  la  Criiique  däsinieressäe,  19 

des  ursprünglichen  Textes  auf,  die  selbst  ein  Gotin  sich  nur 
gegen  sein  eigenes  Geistesprodukt  gestattet  haben  dürfte.  So 
heisst  es  im  Texte  der  Crit  des.  (S.  5  bei  Lacroix): 

Le  censeur  sans  argeni,  crotte  ßtsqu'ä  Feschine, 

S*en  va  chercher  son  pam  de  cuisine  en  cuisine: 

Le  FrarUaupin  Vassiste,  ei,  joüoni  de  son  nez, 

Chez  le  soi  campagnard  gagne  de  bons  disnez 

Le  censeur  ä  ce  Jeu  repond  par  sa  grimace 

Ei  faisi  en  hasieletar  ceni  iours  de  passe  passe; 

Puis  ensemble  enyvrez  ei  du  bruii  ei  du  vin 

Uun  sur  Vautre  iombani,  renverseni  le  fesiin: 

On  les  donne  ä  Paris  quand  on  fait  chere  eniüre, 

Comtne  on  donne  ä  la  Cour  et  Tariuffe  ei  Moliere  u.  s.  w. 

Vergleicht  man  nun  diesen  Wortlaut  mit  den  (oben  S.  12 
Anm.  1)   zitierten  aus  der  8.  d.  S.y    so   bemerkt  man  zahlreiche 

Wir  ersehen  zunächst,  dass  auch  hier  Cotin  sich  die  Freiheit 
des  falschen  Zitierens  und  des  Nachbesserns  unter  der  Hand 
herausnimmt,  denn  in  der  S,  d,  S.  lautet  die  erstere  Stelle: 

Luy  qu^on  ne  voidjamais  dans  le  sacr^  vallon 
Veui  irancher  du  Phebus  ei  faire  TApollon; 
Luy,  que  Von  ne  connoisi  qu'ä  cause  de  son  frere, 
Luy,  comme  il  dii  luy-mesme  accäble  de  misere  etc. 

Silbenstecherei  üben  und  dabei  den  Text  des  Rezensionsobjekts 
falsch  zitieren,  das  wagt  (wie  bemerkt)  selbst  ein  Cotin  nur  unter  den 
von  uns  angenommenen  Umständen.  Und  wenn  es  wahr  wäre  (wie 
Cotin  glauben  machen  will),  dass  er  nur  aus  dem  Gedächtnisse  zitiert, 
so  spräche  das  erst  recht  dafür,  dass  er  der  Autor  der  S.  d,  S,  sei^  denn 
ein  fremdes  Gedicht  würde  er  doch  nicht  ohne  Notwendigkeit  auswendig 
gelernt  haben.  —  In  dasselbe  Kapitel  gehört  folgende  Nachkorrektur. 
Das  Oracle  am  Schlüsse  der  S.  d.  S.  lautet: 

Le  desiin  de  ces  freneiiques 

Que  Von  appeüe  Saiyriques, 

Cesi  de  monrir  le  cou  cass4 

Ei  vivre  le  coude  percd. 

Haec  a  te  non  multum  abludit  imago.    (Hör.) 

Darauf  heisst  es  in  der  Crii.  des.:  Quelques  delicais,  pensant  rafftner 
ei  ne  s^chani  ny  la  reparlie  de  M.  D.  G,  ny  U  proverbe,  ont  esie 
choquez  de  ce  que  V Oracle  de  la  Satyre  des  Satyres  avoii  mis  „mourir'' 
devani  „vivre";  mais  ^u^ils  s'en  prenneni  ä  nos  majeurs,  lesquels  Voni 
voulu  ainsi,  ei  qu*üs  Vtnterpretent  benigemeni,  comme  nous  Vavons  iniet*- 
preie\  Ce  neanmoins,  pour  le  salis faire,  fay  d'office  iourne 
le  proverbe  ainsi: 

Cesi  le  sori  de  ces  phreneiiques 

Que  Von  appeUe  saiyriques. 

De  vivre  le  coude  peixe 

Ei  de  mourir  le  cou  casse.    (Bei  Lacroix  S.  60.) 

Nun,  diese  von  uns  hervorgehoben  und  gesperrten  Worte  scheinen 
uns  allein  schon  vollkommen  zu  beweisen,  dass  Cotin  (der  sich  mit 
diesen  Worten  verraten  hat)  in  der  S.  d.  S.  sein  eigenes  Opus  verteidigt! 


20  /.  Fi'ank, 

Verändernngen:  Zunächst  ist  anstatt  des  oben  genannten  Boilean 
hier  nur  von  Le  censeur  die  Rede;  aus  dem  Turlupin  wird  ein 
Frantawpin'^  der  sot  campagnard  ist  zu  einem  bon  campagnard 
gemildert;  aus  ensuite  wurde  ensemble;  aus  promet  wurde  donne. 
Weiter  heisst  es  in  der  8.  d.  8.: 

Et  ne  m'as  jamais  veu  m'entreiemr  (Cauiruy 
Qu*ä  dessein  dapprouver  le  bien  qu'on  dxt  de  luy; 


On  ne  nCa  jamais  veu  d*un  esprit  incommode: 
Je  permeis  que  chacun  se  gouverne  ä  sa  mode; 
Dans  ce  quun  auire  fait  je  prens  peu  dHnterest, 
Et  laisse  volontiers  ie  monde  comme  ü  est; 

in  der  Crit.  dis.  hingegen  (S.  65  bei  Lacroix)  zitiert  er: 

On  ne  m'a  jamais  veu  m^entreienir  d'autrug 
Q'ä  dessein  d^approuver  le  bien  qu^on  dit  de  luy; 
Je  rCay  jamais  este  d'un  esprit  incommode; 
Je  permets  que  chacun  se  gouverne  ä  sa  mode: 
Aux  affaires  d'auiruv  je  prend  peu  dinierest. 
Et  laisse  vohnliers  le  monde  comme  il  est 

Allerdings  thut  Cotin,  als  zitiere  er  aus  dem  Gedächtnisse 
(ü  commence  ainsi,  ce  me  semble)  und  als  wolle  er  für  die  Ge- 
nauigkeit nicht  einstehen;  wenn  man  aber  bedenkt,  dass  er 
andererseits  gegen  die  8.  d.  8,  eine  Zärtlichkeit  und  Aufmerksam- 
keit beweist,  die  man  für  fremde  überdies  als  verfehlt  hinge- 
stellte Schöpfungen  nicht  zu  haben  pflegt,  wenn  man  überdies 
seine  Unaufrichtigkeit  und  Heimlichkeit  erwägt,  so  wird  man  zur 
Überzeugung  kommen,  die  8.  d.  8.  müsse  sein  eigenes  miss- 
rathenes  Kind  sein,  das  er  aus  mehrfachen  Gründen  nicht  aner- 
kennen will,  das  er  aber  doch  vor  gänzlicher  Verdammnis  retten 
möchte,  indem  er  dessen  Vorzüge  herausstreicht  und  dessen 
Schwächen  liebevoll  zu  verhüllen  sucht.  Der  von  ihm  selbst 
erhobene  Tadel  soll  in  uns  nur  die  Entdeckung  hintanhalten, 
Cotin,  der  doch  im  starken  Verdachte  stehen  musste,  sei  dessen 
Vater,  eipe  Entdeckung,  die  er  aus  Eitelkeit  ja  nicht  auf- 
kommen  lassen   möchte.^)     Dass    er    sich    dagegen    mit    allen 


1)  So  verteidifirt  er  (mit  Eutrüstung)  die  Akademiker  (und  er 
selbst  war  ja  ein  solcher)  gegen  die  Möglichkeit,  einer  von  ihnen  könnte 
dieses  Büchlein  geschrieben  haben,  comme  s^ils  ignoroient  le  beau  tour 
du  vers  et  le  genie  de  letir  langue  (bei  Lacroix  8.  63).  —  Ferner  thut 
er,  als  habe  er  keine  Ahnung,  wer  die  S.  d.  S.  geschrieben  habe:  J 
la  v&ite,  Vautheur  de  la  Satjre  des  Satyres  quel  qu'il  puisse 
estre  ne  däcrie  ny  le  Parlement,  ny  le  siede,  ny  la  Religion,  ny  TEstat  etc. 
(bei  Lacroix  S.  31.) 


La  Saiyre  des  Saiyres  ei  la  Critigue  desinieress^e,  21 

Ejräften  währt,  kann  unsere  Überzeugung  nur  bestärken.  Es 
wird  keinen  Kundigen  irre  fahren,  wenn  Gotin,  der  ehrsüchtige 
Mann,  der  auf  den  leisesten  Atemzug  und  den  schwächsten 
Pulsschlag  der  öffentlichen  Meinung  lauscht,  in  der  Grit,  dis,  so 
thut,  als  sei  ihm  der  Sinn  für  Lob  und  Tadel  erstorben  und  als 
lebe  er  nur  in  stiller  Beschaulichkeit  an  dem  Werke  der  Selbst- 
erziehung rastlos  arbeitend,  wie  ein  Heiliger  von  antikem  Zu- 
schnitte;^) es  wird  ihm  niemand  glauben,  dass  er  mit  der  Aussen- 
welt  nur  durch  einige  wenige  Personen  verkehre  und  Jedermann 
erkennt  in  diesen  mit  ästhetischer  Kleie  ausgestopften  Leder- 
puppen, die  er  als  wahre  Tugendrepositorien  mit  allen  nur  mög- 
lichen Vorzügen  angefüllt  hat,  seine  Fiktionen.^)  Nach  alledem, 
glauben  wir  behaupten  zu  dürfen,  ist  kein  Zweifel  mehr  gestattety 
Gotin  sei  der  Autor  der  beiden  Satiren. 


^)  Auch  diese  Komödie,  wie  die  fingierten  Mittelspersonen,  die 
ihm  als  Sprachrohr  dienen,  hat  Gotin  wie  die  ganze  Geheimthuerei 
der  Saiyre  MMppäe  entlehnt,  die  er  nach  einer  (oben  zitierten)  Stelle 
aus  der  Crit.  des.  gekannt  haben  muss.  Danach  beurteile  man,  was 
davon  zu  halten  ist,  wenn  er  sich  als  „Eremiten*'  hinstellt  (die  Crit, 
des.  endet  mit  den  Worten: 

Chez  rBermiie  de  Baris, 
Ä  la  CorrecHon  fraterneUe,) 

3)  Diese  seine  Kreaturen  lässt  er  auch  ohne  Angabe  der  Quellen 
aus  der  S,  d  S.  zitieren,  abermals  ein  Beweis,  dass  er  sich  mit  dem 
Verfasser  derselben  identisch  fühlt.  Ein  solches  Zitat  findet  sich  z.  B. 
bei  Lacroix  S.  22: 

Le  Marais  en  convieni,  et  dit  sans  passion 
Qu^un  tel  effori  d'esprit  etc. 

Josef  Frank. 


Le  Programme  du  prix  propose  par  TAcadömie  de 
Dijon  et  remporte  par  Jean-Jacques  Rousseau. 


Diderot  ayant  pabli6  la  Lettre  sur  les  Äveugles,  ä  Vusage 
de  ceux  qui  voient^  il  fut  arr§t6,  et  conduit  au  chäteau  de  Vin- 
cennes,  ä  la  fin  du  mois  de  juillet  1749.  Apr^s  @tre  demeurö 
pendant  vingt-huit  jours  enfermö  dans  le  donjon,  il  vit  son  em- 
prisonnement  s'adoucir,  et  il  eut  la  libert6  de  se  promener  dans 
le  parc.  Dans  le  courant  de  novembre,  il  fut  61argi  et  revint 
ä  Paris. 

Pendant  que  Diderot  ötait  ainsi  k  Vincennes,  Jean-Jacques 
Rousseau,  jeune  encore,  inconnu,  et  qui  6tait  son  ami,  alla  le 
voir  maintes  fois  pour  le  consoler  et  le  distraire. 

Cette  ann^e  1749,  dit  Rousseau,  V4t4  fut  d'une  chaleur  ex- 
cessive.  On  compte  deux  Heues  de  Paris  ä.  Vincennes.  Peu  en 
^tat  de  payer  des  fiacres,  ä  deux  heures  apres  midi  j'allais  ä  pied 
quand  j'ltais  seul,  et  j'allais  vite  pour  arriver  plus  t5t.  Les  arbres 
de  la  route,  toujours  ^laguäs,  ä  la  mode  du  pays,  ne  donnaient 
presque  aucuue  ombre ;  et  souvent,  rendu  de  chaleur  et  de  fatigue, 
je  mätendais  par  terre,  n'en  pouvant  plus.  Je  m'avisai,  pour  mo- 
dörer  mon  pas,  de  prendre  quelque  livre.  Je  pris  un  jour  le  Mer- 
eure  de  Fi'ance,  et  tout  en  marchant  et  le  parcourant,  je  tombai 
sur  cette  question  proposöe  par  l'Acadömie  de  Dijon  pour  le  prix 
de  rannte  suivante:  Si  le  progres  des  sciences  et  des  aris  a  con- 
inbue  ä  corrompre  ou  ä  epurer  les  mceurs. 

Si  jamais  quelque  cnose  a  ressemblä  ä  une  inspiration  subite, 
c'est  le  mouvement  qui  se  fit  en  moi  ä  cette  lecture :  tont  ä  coup 
je  me  sens  Tesprit  äbloui  de  mille  lumiäres;  des  foules  d'id^es 
vives  s'y  präsentent  ä  la  fois  avec  une  force  et  une  confusion  qui 
me  jeta  dans  un  trouble  inexprimable ;  je  sens  ma  tSte  prise  par 
un  ätourdissement  semblable  ä,  Tivresse.  Une  violente  palpitation 
m'oppresse,  soulöve  ma  poitrine;  ne  pouvant  plus  respirer  en 
marchant,  je  me  laisse  tomber  sous  un  des  arbres  de  Tavenue,  et 
j'y  passe  une  demi-heure  dans  une  teile  agitation,  qu'en  me  rele- 
vant j'aper9U8  tout  le  devant  de  ma  veste  moaill^  de  mes  larmes, 
sans  avoir  senti  que  j'en  r^pandais. 


24  E,  Ritter, 

Arrivant  ä.  VincenneB,  j'ätais  dans  nne  agitation  qui  tenait 
du  dälire.  Diderot  raper9ut;  je  lui  en  dis  la  causOf  et  lui  lus  la 
prosopop^e  de  Fabricius,  ^cnte  au  crayon  sons  un  ch^ne.  II 
m'exhorta  de  donner  l'essor  ä.  mes  idäes  et  de  concourir  au  prix. 

J'ai  combin6  dans  ces  citations  las  deux  r6cits  que  Rousseau 
a  faits  de  cette  anecdote,  dans  une  lettre  k  Malesherbes  du 
12  janvier  1762,  et  dans  le  Livre  VIII  des  ConfessionSy  qui  fut 
6crit  quelques  ann6es  plus  tard. 

On  Salt  que  Marmontel,  et  son  oncle  par  alliance,  Tabb^ 
Morellet,  ont  donn6  dans  leurs  Mimoires,  de  la  conversation  de 
Diderot  et  de  Bousseau  snr  le  programme  de  TAcad^mie  de 
Dijon,  un  r^cit  tout  autre  que  celui  de  Jean -Jacques.  Ils  le 
tenaient  de  Diderot,  et  sans  doute  ils  Favaient  plus  d'une  fois 
entendu  raconter  au  merveilleux  causeur. 

Le  r6cit  du  neveu  et  celui  de  l'oncle  concordent  en  g6- 
neral,  comme  on  va  le  voir.  Tous  deux  ont  6te  Berits  plus  de 
quarante  ans  aprös  T^vönement. 

MSmoires  de  Marmontel,  livre  VIL  J'ätais  (c'est  Diderot  qui 
parle)  j'^tais  prisonnier  ä.  Yincennes;  Rousseau  venait  m'y  voir. 
II  avait  fait  de  moi  son  Aristarque,  eomme  il  Ta  dit  lui-mSme. 
üu  jour,  nous  promenant  ensemble,  il  me  dit  que  TAcad^mie  de 
Dijon  venait  de  proposer  une  question  interessante,  et  qu*il  avait 
envie  de  la  traiter.  Cette  question  ätait:  Le  re'iablissement  des 
sciences  et  des  arts  a-t-ü  cofttribue  ä  epurer  les  nuBurs?  Quel  parti 
prendrez-vous?  lui  demandai-je.  II  me  räpondit :  Le  parti  de  ^affir- 
mative. —  C'est  le  pont  aux  ä.nes,  lui  dis -je;  tous  les  talents  mö- 
diocres  prendront  ce  cbemin-lä,  et  vous  n'y  trouverez  que  des  iddes 
communes,  au  lieu  que  le  parti  contraire  präsente  k  la  pbilosophie 
et  a  IMloquence  un  champ  nouveau,  riebe  et  fäcond.  —  Vous  avez 
raison,  me  dit-il  aprös  y  avoir  röflöchi  un  moment,  et  je  suivrai 
votre  conseil. 

Memoires  de  Mor eilet,  chapitre  V.  Voici  ce  que  j'ai  appris 
de  Diderot  lui-m^me,  et  ce  qui  passait  alors  pour  constant  dans 
toute  la  sociäte  du  baron  d'Holbach,  oü  Rousseau  n*avait  en- 
core  que  des  amis,  Arrivä  ä  Vincennes,  il  avait  confiö  ä  Diderot 
son  projet  de  concourir  pour  le  prix,  et  avait  commencä  m§me  k 
lui  dävelopper  les  avantages  qu'avaient  apportäs  ä  la  sociätä  hu- 
maine  les  arts  et  les  sciences.  Je  Tinterrompis ,  ajoutait  Diderot, 
et  je  lui  dis  särieusement :  Ce  n'est  pas  \k  ce  qu^il  faut  faire:  rien 
de  nouveau,  rien  de  piquant,  c'est  le  pont  aux  änes.  Prenez  la 
tb^se  contraire,  et  voyez  quel  vaste  champ  s'ouvre  devant  vous:  tous 
les  abus  de  la  sociätä  ä.  signaler;  tous  les  maux  qui  la  däsolent, 
suite  des  erreurs  de  Tesprit;  les  sciences,  les  arts,  employäs  au 
commerce,  ä  la  navigation,  ä  la  guerre,  etc.,  autant  de  sources  de 
destruction  et  de  misäre  pour  la  plus  grande  partie  des  hommes. 
L'imprimerie ,  la  boussole,  la  poudre  ä  canon,  l'exploitation  des 
mines,  autant  de  progr^s  des  connaissances  humaines,  et  autant 
de  causes  de  calamitäs,  etc.  Ne  voyez -vous  pas  tout  l'avantage 
que  vous  aurez  k  prendre  ainsi  votre  snjet?  Rousseau  en  convint, 
et  travailla  d'apräs  ce  plan. 


Le  frogramme  du  prix  propos^  par  VAcademie  de  Dijon  etc. 


25 


Quant  i  Diderot,  apr&s  qn'il  ent  6t6  gravement  offeii»6 

par  Rousseau  (1758),   il   s'^pancha  sur   son   compte   en  termes 

amers;  k  plus  d'une  reprise,  dans  ses  lettres  et  dans  ses  öcrits, 

notamment  dans  les  paragraphes  LXI  k  LXVII  du  livre  premier 

de  V Essai  sur  les  rlgnes  de  Claude  et  de  Niron:  c'est  \k  seule- 

ment   qu'il  a   dit   quelques  mots  de  cette   fameüse  conversation 

qu'il  eut  un  jour  avec  Rousseau,  k  Vincennes: 

Lorsque  le  programme  de  VAcaddmie  de  Dijon  parut,  il  vint 
me  consalter  sur  le  parti  qn'il  prendrait.  Le  parti  que  vous  pren- 
drez,  lui  dis-je,  c'est  celui  que  personne  ne  prendra.  —  Vous  avez 
raison,  me  ripliqua-t-il. 

Les  deux  interlocuteurs  paraissent  avoir  ^t6  seuls,  et  nous 
ne  savons  que  par  eux-m^mes  ce  qu'ils  ont  pu  se  dire.  On  a 
souvent  opposö  leurs  t6moignages  Tun  k  l'autre;  je  vais  dire 
comment  j'estime  qu'il  les  faut  combiner. 

On   sait   que  Diderot    et  Rousseau    avaient    des    moments 

d'^motion    chaleureuse,    de    sensibilit6    expansive;    mais    ils    ne 

s'6chauffaient  pas  toujours  en  m^me  temps,   et  Diderot  quelque- 

fois  restait  calme  pendant  que  Jean-Jacques  ötait  tout  transportö. 

On  le  voit,  par  exemple,   lors  de   la  premi^re  visite  que  fit  le 

philosophe  de  Oen^ve  au  prisonnier  de  Vincennes: 

Je  Yolai,  disent  les  Coftfessions,  dans  les  bras  de  mon  ami. 
II  n'^tait  pas  seul:  d'Alembert  et  le  tr^sorier  de  la  Sainte-ChapeUe 
dtaient  avec  lui.  En  entrant  je  ne  vis  que  lui;  je  ne  fis  qu'un 
saut,  un  cri;  je  coUai  mon  visage  sur  le  sien,  je  le  serrai  ätroite- 
ment  sans  lui  parier  autrement  que  par  mes  pleurs  et  mes  sanglots; 
j'^touffais  de  tendresse  et  de  joie.  Son  premier  mouvement,  sorti 
de  mes  bras,  fut  de  se  tourner  vers  l'eccläsiastique  et  de  lui  dire: 
Vous  voyez,  monsieur,  comment  m'aiment  mes  amis.  Tout  entier 
ä  mon  Emotion,  je  ne  r^flächis  pas  alors  ä  cette  maniäre  d'en  tirer 
avantage. 

Reprenons  nos  deux  groupes  de  röcits,  et  essayons  de  re- 
Gonstruire  la  sc^ne  en  les  ajustant  beut  k  beut.  Rappelons-nous 
seulement  ce  que  Marmontel  a  tr6s  bien  dit,  ä  la  fin  du  m@me 
Livre  VII  de  ses  Mimoires:  „L'un  des  beaux  moments  de  Di- 
derot, c'6tait  lorsqu'un  autre  le  consultait  sur  son  ouvrage.  n 
fallait  le  voir  s'en  saisir,  s*en  p6n^trer,  et  d*un  coup  d'ceil  d6- 
couvrir  de  quelles  richesses  et  de  qnelles  beaut6s  il  6tait  sus- 
ceptible." 

Apr^s  r^blouissement  que  Rousseau  raconte,  et  qu'il  n'a 
pas  Sans  doute  invent^,  on  le  voit  arriver  k  Vincennes  tout 
^chauff^.  Quand  Diderot  se  fut  fait  expliquer  de  quoi  il  s'a- 
gissait:  „Eh!  sans  doute,  a-t-il  dd  s'^crier,  le  parti  de  Taffirma- 
tive,  c'est  le  pont  aux  änes.  Avec  la  thfese  contraire,  voyez 
quel  vaste  champ  s'ouvre  devant  vous!^'  Et  dans  la  suite  de 
rentretien,  Diderot^  s'animant  k  son  tour^  et  s'appliquant  k  coii- 


26  E.  Bitter, 

vaincre  Jean-Jacques,  comme  si  celoi-ci  n'6tait  pas  da  m^me  avis, 
aura  plaid6  devant  Ini,  pour  le  persnader  qu'il  fallait  montrer 
combien  le  r^tablissement  des  sciences  et  des  arts  avait  cor- 
rompn  les  moeurs.  Qui  sait  si  dös  le  soir  meme,  en  repensant  k 
son  entretien  avec  Rousseaa,  Diderot  ne  s'est  pas  dit,  en  sou- 
riant  avec  satisfaction:  ^Je  lui  ai  donn6  an  bon  conseil!  Sans 
moi,  il  allait  prendre  le  mauvais  parti.'^  —  Qu'il  ait  dans  la  suite 
parlö  en  ce  sens  k  ses  amis,  cela  est  tout  simple. 

Sans  doate  11  faat  soUiciter  les  textes  pour  les  äccorder 
ainsi;  mais  ces  textes  ne  sont  pas  paroles  d'l^yangile:  la  trace 
de  Tart  s'y  laisse  sentir;  et  dans  cet  ^tat  de  choses,  nous  n'a- 
vons  k  chercher  qne  le  vraisemblable.  Or  il  n'est  pas  vraisem- 
blable  qne  Tun  des  deux  philosophes  ait  menti  da  tout  au  tont. 

Quoiqu'il  en  seit,  11  y  a  quelque  int6r^t  k  lire  le  texte 
m^me  de  ce  Programme  acadömique,  qui  frappa  Rousseau  si 
fort,  et  lui  donna  tant  d' Emotion: 

Programme  de  FAcademie  des  Sciences  et  Beiles  Lettres  de  Dijon 

pour  le  Prix  de  Morale  de  1750. 

L'Academie,  fond^e  par  M.  Hector  Bernard  FousBier,  Doyen 
du  Parlement  de  Bourgogne,  annonce  k  tous  les  Sfavans  qoe  le 
Prix  de  Morale  pour  Tannäe  1750  —  coneistant  en  une  Medaille 
d'or,  de  la  valenr  de  trente  pistoles,  —  sera  adjugä  ä  celui  qui 
aura  le  mieux  r^solu  le  Probleme  suivant: 

Si  le  retahlissement  des  Scienees  ei  des  Arts  a  contribue'  ä  epurer 
les  nuBurs. 

II  sera  libre  k  tous  ceux  qui  voudront  concourir  d'äcrire  en 
Fran^ois  ou  en  Latin,  observant  qne  leurs  Ouvrages  soient  lisibles, 
et  que  la  lecture  de  chaque  Memoire  remplisse  et  n'excäde  point 
une  demie  heure. 

Les  Mämoires  francs  de  port  (sans  quoi  ils  ne  seront  pas  re- 
tir^s)  seront  adressäs  k  M.  Petit,  secretaire  de  rAcadämie,  rue  du 
vieux  Marchä  k  Dijon  —  qui  n'en  re^evra  aucun  aprös  le  premier 
Avril. 

Comme  on  ne  scauroit  prendre  trop  de  pr^cautions,  tant  pour 
rendre  aux  S9avans  la  justice  qu'ils  m^ritent,  que  pour  ^Carter 
autant  qu'il  est  possible  les  brigues,  et  cet  esprit  de  partialit^  qui 
n'entrainent  que  trop  souvent  les  suffirages  vers  les  objets  connus, 
ou  qui  les  en  d^tournent  par  d'autres  motifs  ^galement  irreguiiers, 
l'Academie  d^clare  que  tous  ceux  qui  ayant  travaillä  sur  le  sujet 
donnä  seront  convaincus  de  s'^tre  fait  connaitre  directement  ou 
indirectement  pour  Auteurs  des  Mämoires,  avant  qu'elle  ait  däcidä 
sur  la  distribution  du  Prix,  seront  exclus  du  concours.  — -  Pour 
obvier  k  cet  incony^nient,  chaque  Auteur  sera  tenu  de  mettre  au 
bas  de  son  Memoire  une  Sentence  ou  Devise,  et  d'y  joindre 
une  feuille  de  papier  cachetäe,  sous  le  dos  de  laquelle  sera  la 
m^me  sentence,  et  sur  le  cachet  son  nom,  ses  qualit^s  et  sa  de- 
meure,  pour  j  avoir  recours  k  la  distribution  du  Prix.  Les  dites 
Feuilles,  ainsi  cachetäes  de  fa9on  qu'on  ne  puisse  y  rien  lire  k  tra- 
vers ,  ne  seront  point  ouyertes  avant  ce  temps  lä,  et  le  secretaire 


Le  yrogramme  du  prix  proposä  par  VAcad4rme  de  Dijon  eic,      27 

en  tiendra  un  R^gistre  exact.  —  Ceux  qui  exigeront  un  Räc^pissä 
de  lears  ouvrages  le  feront  expedier  sous  un  autre  nom  que  le 
leur  —  et  dans  le  cas  ou  celui  qui  auroit  us^  de  cette  pr^caution 
auroit  obtenu  le  Prix,  11  sera  obligä,  en  chargeant  une  personne 
domicili^e  k  Dijon  de  sa  Procuration  pardevant  un  Notaire  et 
l^galisäe  par  le  Juge,  d'y  joindre  aussi  le  Rdcdpissä. 

Si  celui  k  qui  le  Prix  sera  adjugä  n'est  pas  de  Dijon,  il 
enverra  pareillement  sa  Procuration  en  la  forme  susdite:  et  s'il 
est  de  cette  ville,  il  viendra  le  recevoir  en  personne  le  jour  de  la 
distribution  du  Prix  qui  se  fera  dans  une  Assembläe  publique 
de  l'Acadämie,  le  Dimanche  23  Aoüt  1750. 

(Le  Mercure  parle  ensuiie  du  prix  adjugd  par  CAcademie  de 
Dijon,  dans,  sa  seatice  du  24  aoüi  1749,  ä  M.  IHnot,  medecin,  sur  le 
sujei  de  FElectricite,) 

C'est  k  l'aimable  obligeance  d'une  dame  anglaise,  madame 
Friderika  Macdonald,  que  je  dois  la  copie  du  texte  qu'on  vient 
de  lire.  Je  suis  heureux  d'^tre  le  premier  sur  le  Continent  k 
annoncer  au  public  Fouvrage  que  madame  Macdonald  prepare, 
sur  la  vie  de  Jean-Jacques  Rousseau.  On  aura  sans  doute  beau- 
coup  k  j  apprendre.  On  sait  combien  de  recherches  appellent 
encore  les  probl^mes  qui  se  posent  sur  tant  de  points  obscurs 
de  la  carri^re  du  philosophe  genevois. 

Le  Programme  du  concours  ouvert  par  TAcad^mie  de  Dijon 
parut  dans  le  Mercure  de  France^  num6ro  d'octobre  1749.  En 
supposant  m^me  que  ce  num6ro  alt  paru  dans  les  demiers  jours 
du  mois  de  septembre,  on  voit  que  ce  n'est  pas  au  gros  de 
r6t6  (comme  on  le  croirait  d'aprös  le  röcit  des  Confessions) 
mais  k  la  fin  de  la  belle  saison,  que  se  place  ce  moment  d6- 
cisif  de  la  vie  de  Rousseau,  oü  11  vit,  dit-il,  un  autre  univers, 
et  devint  un  autre  homme. 

EüGÄNE  Ritter. 


Zola  als  Dramatiker. 


Zola  hat  bereits  vor  Jahren  den  Versuch  gemacht,  auch  die 
franz($sische  Bühne  als  Ästhetiker  und  Dramatiker  umzugestalten 
und  auf  eine  naturalistische  Grundlage  zu  stellen.  Er  hasst,  wie 
er  in  dem  Artikel  Provdkon  et  Courbet  (s.  Mes  Haines.  Causeries 
littiraires  et  artistiques  etc.  2me  ed.  Paris,  1880)  sagt,  die  Mittel- 
massigen,  die  sich  auf  eine  Idee  steifen,  um  ihrem  Götzen  die 
grosse  menschliche  Wahrheit  zu  opfern.  Er  hasst  die  Spötter 
und  die  Fröhlichen,  welche  keine  Thräne  haben,  die  Thörichten, 
welche  behaupten,  dass  unsere  Kunst  und  Litteratur  stirbt,  die 
Schulfüchse,  welche  uns  belehren,  die  Langweiligen  und  Pedanten, 
weil  sie  alle  aus  der  Wahrheit  von  gestern  die  Wahrheit  von 
heute  machen  wollen.  Daher  bewundert  er  in  einem  Kunstwerk 
nur  den  Künstler  und  behauptet,  dass  z.  B.  ein  grosser  Maler 
einen  anderen  nicht  geradezu  nachahmen  werde.  Denn  er  sucht 
in  demselben  nur  die  Naturwahrheit  und  den  schöpferischen 
Künstler.  Als  Quellen  der  Kunst  gelten  ihm  das  Studium  des 
Menschen  und  die  Achtung  vor  der  Wirklichkeit  (Le  Naturalisme 
au  tMdtrej  S.  40).  Es  ist  eine  notwendige  Folge  dieser  An- 
schauungen, wenn  er  geschichtliche  Stoffe  aus  der  Dichtung  ver- 
bannt wissen  will.  Die  Geschichte  der  Vergangenheit  ist  ihm 
ein  Rätsel,  er  kann  die  Jungfrau  von  Orleans  nicht  verstehen, 
noch  die  Geschichte  Ägyptens  (s.  den  Artikel  ü£gypte  ü  y  a  trois 
müle  ans).  Er  verwirft  deshalb  antike  und  mittelalterliche  Stoffe 
und  verlangt  zeitgemässe,  welche  sich  jeden  Tag  vor  unseren 
Augen  abspielen  (Le  Naturalisme  au  tMdtrey  S.  194).  Die 
Dramatiker  der  romantischen  Schule  missfallen  ihm  nicht  bloss 
ihrer  mittelalterlichen  Stoffe  wegen.  Denn  sie  setzen  der  einen 
Rhetorik  eine  andere  entgegen^  das  Mittelalter  dem  Altertum,  die 
Erregung  der  Leidenschaft  der  Erregung  der  Pflicht,  die  Personen 


30  G.  Bomhak, 

bleiben  Marionetten,  nnr  anders  gekleidet;  nichts  ward  verändert 
als  der  äussere  Anblick  und  die  Sprache  {das.  S.  13).  Darum 
soll  an  die  Stelle  des  Dramas  der  Klassizisten  und  Romantiker 
das  naturalistische  treten,  welches  eine  Handlung  enthält,  die 
sich  in  ihrer  Lebenswahrheit  entwickelt  und  bei  den  Personen 
der  Leidenschaften  und  Gefühle  anhebt,  deren  genaue  Zer- 
gliederung das  einzige  Interesse  des  Stückes  sein  würde. 

Die  Forderung,  dass  das  Drama  Lebenswahrheit  enthalten 
soll,  ist  nicht  neu,  aber  nicht  jede  Lebenswahrheit  eignet  sich 
zur  dramatischen  Darstellung  und  es  ist  deshalb  eine  passende 
Wahl  zu  treffen.  So  werden  z.  B.  unbedeutende  Lebens- 
erscheinungen der  Gegenwart  kein  dramatisches  Interesse  ge- 
währen können.  Daher  geht  der  dramatische  Dichter  bei  seiner 
Arbeit  von  einer  bestimmten  Idee  aus,  nach  welcher  er  seinen 
Stoff  gestaltet.  Zola  verwirft  zwar  die  Idee,  weil  sie  die  Lebens- 
wahrheit trübe,  geht  aber,  ohne  es  sich  selbst  zu  gestehen,  bei 
allen  seinen  dichterischen  Arbeiten  von  einer  solchen  aus,  näm- 
lich das  Leben  in  seinen  schwärzesten  Zügen  zu  malen.  Und 
wenn  er  in  einem  Kunstwerke  die  Lebenswahrheit  und  den 
Künstler  bewundert,  was  kann  das  anders  heissen,  als  dass  er 
die  naturwahre  Durchführung  der  künstlerischen  Idee  anerkennt? 
Denn  ohne  die  Idee  würden  die  einzelnen  Teile  des  Werkes  ohne 
Einheit,  ohne  Zusammenhang  sein.  Zola  lebt  ferner  nur  in  der 
Gegenwart,  die  Erfahrungen  der  Vergangenheit  gelten  ihm  nichts, 
und  doch  sind  dies  ebenfalls  Lebenswahrheiten,  die  man  nicht 
ungestraft  missachtet.  Nicht  alle  Sitten  und  Lebenswahrheiten 
der  Vergangenheit  finden  sich  in  der  Gegenwart  durch  andere 
ersetzt,  viele  haben  sich  als  lebenskräftig  erhalten  und  es  wird 
dem  einzelnen  nicht  gelingen,  sie  ohne  weiteres  über  Bord  zu 
werfen  und  somit  gegen  den  Strom  seiner  Zeit  zu  schwimmen. 
Nicht  eine  Theorie,  sondern  die  politischen  und  sozialen  Zu- 
stände, unter  denen  ein  Volk  lebt,  bestimmen  seine  Sitten  und 
Gewohnheiten,  und  mit  ihnen  muss  der  dramatische  Dichter 
rechnen,  wenn  die  von  ihm  vorgeführte  Handlung  vom  Publikum 
als  wahrscheinlich  anerkannt  werden  soll.  Endlich  will  Zola 
die  geschichtlichen  Stoffe  aus  dem  Drama  verbannt  wissen,  weil 
sie  der  Gegenwart  unverständlich  seien.  Wenn  dies  in  Wahr- 
heit sich  so  verhielte,  so  wäre  auch  das  Studium  der  Geschichte 
überflüssig.  Es  ist  aber  eine  Hauptaufgabe  echt  menschlicher 
Bildung,  die  Geschichte  der  Vergangenheit  zu  studieren,  um  aus 
ihr  die  Gegenwart  zu  begreifen.  Wenn  es  nun  auch  nicht  die 
Aufgabe  des  dramatischen  Dichters  ist,  Geschichte  zu  lehren, 
so  hat  er  doch  das  Recht  und  die  Pflicht,  die  grossen  Thaten 
der  Vergangenheit   zu  feiern  und  in   der  trüben  Gegenwart  zu 


Zola  als  Dramatiker,  31 

ähnlichen  anzuspornen.  Unmöglich  kann  man  hierbei  an  den 
dramatischen  Dichter  die  Forderung  stellen,  er  solle  das  Leben 
der  Vergangenheit  gerade  so  schildern,  wie  es  gewesen.  Das 
kann  selbst  der  Geschichtsschreiber  nicht,  da  die  Überlieferung 
nie  ein  vollständiges  Bild  gewährt.  Vielmehr  werden  beide,  der 
Dichter  wie  der  Forscher,  aus  dem  ihnen  vorliegenden  Stoffe 
eine  Idee  gewinnen,  nach  der  sie  denselben  gestalten,  wozu  sich 
unwillkürlich  moderne  Anschauungen  und  Urteile  gesellen.  Auch 
das  ist  naturgemäss,  denn  der  Mensch  der  Gegenwart  kann  sich 
wohl  die  Handlungen  historischer  Personen  aus  den  Anschauungen 
der  Vergangenheit  erklären,  sich  dieselben  aber,  sofern  sie  mit 
seiner  Zeit  nicht  übereinstimmen,  nicht  zu  eigen  machen,  ohne 
mit  dem  Geiste  seiner  Zeit  in  Widerspruch  zu  geraten. 

Zola  bestreitet  eine  besondere  dramatische  Begabung  des 
Dichters,  obwohl  er  im  allgemeinen  ein  Talent  voraussetzt  Wenn 
man  eine  solche  dramatische  Begabung  annähme,  so  würde  dies 
zwei  Folgen  nach  sich  ziehen,  denn  es  würde  erstens  in  der 
dramatischen  Kunst  ein  Absolutes  geben  und  zweitens  würde  der 
damit  Begabte  unfehlbar  sein.  Mittelmässige  Stücke  hätten  oft 
Erfolg  unH  vortreffliche,  wie  Racine's  PhMre  wurden  ausgepfiffen. 
(Le  Naturalisme  S.  28.) 

Diese  Theorie  ist  gewissermassen  eine  oratio  pro  domo. 
Denn,  wenn  auch  verschiedene  französische  Dichter  mit  Erfolg 
auf  dem  Gebiete  des  Romans  und  des  Dramas  gearbeitet  haben, 
so  ist  Zola  nicht  das  gleiche  Glück  zu  teil  geworden;  seine 
Dramen  sind,  wie  er  selbst  bekennt,  ausgepfiffen  worden.  Daher 
nimmt  er  für  sich  ein  allgemeines  dichterisches  Talent  in  An- 
spruch und  bestreitet  die  besondere  dramatische  Begabung. 
Das  Urteil  der  anerkannten  Dramatiker  ist  ihm  unangenehm. 
Die  Geschichte  der  Litteratur  beweist,  dass  nicht  jedes  dichterische 
Talent  zugleich  eine  dramatische  Begabung  besessen  habe. 
Lafontaine  war  gewiss  ein  dichterisches  Talent,  für  das  Drama 
aber  hatte  er  keinen  Beruf,  obwohl  er  sich  in  demselben  ver- 
suchte. Wenn  Zola  sich  in  seinem  Geschick  mit  der  Thatsache 
tröstet,  dass  auch  dem  grossen  Dramatiker  Racine  ein  Stück 
ausgepfiffen  wurde,  so  weiss  jeder,  der  die  Sache  kennt,  dass 
dies  Urteil  ein  gefälschtes  war  und  auf  einer  Intrigue  beruhte. 
Er  erkennt  nur  die  Thatsachen  an,  die  ihm  passen,  die  anderen 
aber  nicht. 

Er  erkennt  auch  die  Überlieferung  in  der  theatralischen 
Technik  nicht  an,  da  sie  die  Lebenswahrheit  vernichte.  Gegen- 
wärtig sei  das  Leben  eine  andere  Sache  als  das  Theater.  Wenn 
man  jetzt  ein  Schauspiel  machen  wolle,  müsse  man  das  Leben 
vergessen  und  seine  Personen  nach   einer  besonderen  Taktik  in 


32  G,  Bornhak, 

Bewegung  setzen,  deren  Regeln  man  zu  lernen  habe.  Daher 
gebe  es  keine  originalen  Stücke.  Er  hält  deshalb  einen  jungen 
Mann,  der  niemals  seinen  Fuss  in  ein  Theater  gesetzt,  für  viel 
fähiger,  ein  Hauptwerk  zu  schaffen,  als  einen  anderen,  der  den 
Eindruck  von  hundert  Vorstellungen  empfangen  hat  (das.  S.  37). 
Er  überschätzt  damit  geradezu  die  Kräfte  des  Talents. 

Das  Theater  kann  nicht  das  Leben  selbst  darstellen,  son- 
dern nur  ein  Bild  desselben  gewähren.  Die  Bretter  der  Bühne 
bedeuten  zwar  die  Welt,  sind  aber  nicht  die  Welt  selbst.  Der 
Dramatiker  hat  die  Aufgabe,  in  uns  die  Täuschung  hervorzurufen, 
dass  wir  Zeugen  einer  sich  vor  uns  abspielenden  Handlung  sind, 
wie  sie  sich  in  Wirklichkeit  zuträgt,  und  dazu  bedarf  er  be- 
stimmter Mittel,  welche  die  Erfahrung  gelehrt  Der  Baum  und 
die  Zeit  des  Theaters  sind  in  enge  Grenzen  gebannt  und  ent- 
sprechen den  räumlichen  und  zeitlichen  Verhältnissen  der  Wirk- 
lichkeit durchaus  nicht.  Wie  kann  also  der  dramatische  Dichter 
oder  Schauspieler  der  anerkannten  Technik  entbehren,  um  uns 
über  diese  Unwahrscheinlichkeiten  hinweg  zu  helfen,  wenn  die 
vorgeführte  Handlung  den  Eindruck  der  Lebenswahrheit  in  uns 
hervorrufen  soll?  Wie  Zola  ein  besonderes  dramatisches  Talent 
nicht  anerkennt,  so  begreift  er  auch  nicht  die  Notwendigkeit  von 
Regeln  in  der  dramatischen  Kunst,  welche  sich  auf  die  Erfah- 
rung stützen.     Denn  alle  Überlieferung  ist  ihm  widerwärtig. 

Ebenso  missfällt  ihm  die  Kritik,  welche  von  einer  Theorie 
ausgeht.  Die  Wissenschaft  des  Schönen  ist  für  ihn  eine  Narr- 
heit, die  von  den  Philosophen  zum  grössten  Vergnügen  der 
Künstler  erfunden  worden  ist.  Den  Kritikern  ruft  er  zu:  „Wir 
verlangen  eure  Eindrücke  nicht  zu  wissen;  jeder  von 
uns  hat  die  seinigen,  welche  ebenso  viel  gelten  als 
die  eurigen  und  welche  nichts  mehr  beweisen  als 
die  eurigen.  Ihr  habt  die  Aufgabe,  in  einem  Werke 
einen  bestimmten  Zustand  des  menschlichen  Geistes  zu 
studieren;  ihr  müsst  alle  künstlerischen  Äusserungen 
mit  einer  gleichen  Liebe  aufnehmen,  wie  der  Arzt  alle 
Krankheiten  aufnimmt,  denn  in  jeder  dieser  Äusse- 
rungen werdet  ihr  einen  Gegenstand  für  die  Analyse 
und  das  Studium  in  physiologischer  und  psychologischer 
Beziehung  finden."  Und  von  sich  selbst  sagt  er  als  Kritiker: 
„Ich  stelle  mir  nicht  die  Aufgabe,  zu  loben  oder  zu 
tadeln;  ich  begnüge  mich,  das  Werk  und  den  Schrift- 
steller zu  analysieren,  zu  zergliedern,  und  ferner  zu 
sagen,  was  ich  gesehen  habe.^  (S.  den  Artikel  Les 
Chansons  des  rues  et  des  hois.)  Dagegen  verlangt  er  bei  der  feilen, 
abhängigen  Kritik  in  der  Beurteilung  der  Dramen  eine  bestimmte 


Zola  als  Dramatiker.  33 

Methode  und  erklärt  deshalb  die  Theorie  von  der  Souveränetät 
des  Pablikams,  das  durch  sein  Urteil  den  Kritiker  beeinflusse, 
für  eine  der  grössten  Thorheiten.  In  der  Litteratur  könne  keine 
andere  Souveränetät  bestehen  als  die  des  Genies.  Dies  allein 
treibe  vorwärts  und  bilde  wie  ein  weiches  Wachs  die  Erkenntnis 
der  Bevölkerung  um.     (Le  Naturalisme,  S.  55  flf.) 

Es  sind  dies  dieselben  Grundsätze,  wie  sie  V.  Hugo  bei 
abfälligen  Beurteilungen  seiner  Werke  geäussert.  Die  Werke 
des  Genies  sind  nur  zu  bewundern,  nicht  zu  beurteilen,  und  weil 
das  Publikum  oft  anderer  Ansicht  sein  kann  als  der  dramatische 
Dichter,  so  hat  sich  der  Kritiker  gar  nicht  nach  jenem  zu 
richten,  sondern  das  Drama  mit  einer  gewissen  Ehrfarcht  zu 
studieren  und  zu  zergliedern.  Das  Genie  ist  unfehlbar,  die 
Menge  hat  sich  vor  demselben  zu  beugen  und  wie  weiches  Wachs 
umbilden  zu  lassen.  Eine  solche  Knechtung  der  Geister  hat 
selbst  Napoleon  I.  in  seinen  berüchtigten  Zensuredikten  nicht 
versucht. 

Betrachten  wir  hiernach  den  Inhalt  der  drei  Zola'schen 
Dramen:  Thir^se  Raquin,  Drama  in  4  Akten,  zuerst  aufgeführt 
am  11.  Juli  1873  im  Thedtre  de  la  Renaissance;  Les  Hiritiers 
Rabourdin,  zuerst  aufgeführt  am  3.  November  1874  im  Theater 
Cluny;  und  Le  Bouton  de  Rose,  zuerst  aufgeführt  am  6.  Mai  1878 
im  Theater  des  Palais  Royal» 

Das  erste  Stück  beginnt  mit  einem  höchst  langweiligen  Ge- 
spräch über  das  Essen  und  die  Wohnung  zwischen  Camille  und 
Laurent,  der  den  ersteren  abkonterfeit.  Ein  solches  kommt  wohl 
auch  im  gemeinen  Leben  vor  und  mag  demselben  abgelauscht 
sein,  aber  für  die  Bühne  sind  solche  naturalistische  Beobachtungen 
nicht  brauchbar.  Dasselbe  dient  durchaus  nicht  zur  Entwickelung 
der  Handlung,  denn  nur  das  Gemälde  soll  später  eine  Rolle 
spielen,  und  dazu  der  Aufwand.  Während  Laurent  malt  und  sich 
weiter  mit  Camille  über  seine  Malerei  unterhält,  sitzt  Therese, 
die  Frau  Camille  Raquin's,  und  dessen  Mutter  fast  teilnahmlos 
daneben.  Man  fragt  sich  unwillkürlich:  Wozu  sind  sie  auf  der 
Bühne?  Endlich  ist  das  Bild  fertig  und  Laurent  soll  dafür  nach 
der  Bestimmung  Camille's  und  seiner  Mutter  durch  eine  Flasche 
Champagner  und  Kuchen  belohnt  werden.  In  der  5.  Szene  er- 
fährt man  plötzlich,  dass  Therese  und  Laurent,  die  allein  sind, 
sich  heimlich  lieben,  aber  Camille  steht  ihnen  im  Wege,  „Wenn 
Du  doch  Witwe  wärest!"  sagt  Laurent.  Mit  diesen  Worten 
ist  der  Gang  der  nun  beginnenden  Handlung  vorgeschrieben.  Es 
fehlt  die  dramatische  Entwickelung  der  Leidenschaft,  welche 
wenigstens  diesen  Wunsch  psychologisch  erklärt  haben  würde. 
Als  Laurent  gegangen,  erscheint  Camille  mit  seiner  Mutter.     Er 

Zschr.  f.  firz.  Spr.  a.  Litt.    XV,  q 


34  C.  Bomhak, 

hat  eben  seine  Frau  ganz  weiss  wie  ein  Phantom  gesehen  und 
glaubt,  dass  diese  Nacht  eine  weisse  Frau  um  sein  Bett  herum- 
gehen wird,  um  ihn  zu  erdrosseln.  Wie  kommt  er  plötzlich  zu 
einem  solchen  Gedanken?  Eine  Vermittelung  gibt  es  nicht;  auch 
würde  diese  Art  von  Ahnung  in  jedem  anderen  Drama  weniger 
auffallen  als  in  einem  naturalistischen.  Hier  dient  es  dem  Dichter, 
der  in  seiner  Theorie  vom  Dramatiker  nur  die  Darstellung  der 
Naturwahrheit  verlangt,  dazu,  um  das  Publikum  an  dem  dünnen 
Faden  festzuhalten,  an  welchem  er  seine  Handlung  anreihen  will. 
Auf  den  nächsten  Sonntag  wird  eine  Wasserfahrt  beschlossen, 
an  welcher  Laurent,  Camille  und  Therese  teilnehmen  sollen,  so 
sehr  sich  auch  die  Mutter  dagegen  sträubt;  denn  Camille  ist 
schwach  und  kränklich.  Laurent  wirft  Therese  einen  verständnis- 
vollen Blick  zu;  man  weiss  jetzt,  die  Beseitigung  Camille's  ist 
zwischen  beiden  beschlossene  Sache.  Die  Unterhaltungen  mit 
den  Hausfreunden  Grivet,  Michaud  und  dessen  Nichte  Susanne, 
welche  alle'  Freitage  zu  erscheinen  pflegen,  um  ein  Spiel  Domino 
zu  machen,  ist  ohne  alles  dramatische  Interesse.  Nur  einmal 
wird  eine  Anknüpfung  mit  der  begonnenen  Handlung  gesucht,  als 
Michaud,  der  früher  Polizeikommissar  gewesen,  von  einem  Morde 
erzählt,  dessen  Urheber  man  nicht  entdecken  konnte,  was  Laurent 
zu  der  Frage  veranlasst:  „Ihr  meint  also,  dass  viele  Ver- 
brechen ungestraft  bleiben?''  und  Therese  ist  der  Ansicht: 
„Was  man  nicht  weiss,  ist  nicht  vorhanden." 

Im  zweiten  Akt,  der  gerade  ein  Jahr  nach  dem  ersten 
spielt,  sind  wieder  alle  Personen  des  ersten  Aktes  zu  einem 
Spiele  vereinigt,  nur  Camille  fehlt,  denn  Laurent  hat  ihn  bei 
jener  Wasserfahrt  in  die  Seine  geworfen  und  ertrinken  lassen. 
Darum  ist  Mutter  Raquin  noch  voller  Betrübnis,  denn  sie  kann 
sich  über  den  Verlust  ihres  Sohnes  nicht  trösten.  Laurent  und 
Therese  spielen  die  teilnehmenden  Kinder.  Sie  bittet  Laurent, 
ihr  aus  ihrer  Schlafstube  einen  Korb  zu  holen,  in  dem  sich  ihre 
Wolle  befindet.  Als  er  zurückkommt,  schwankt  er  wie  ein 
Trunkener  und  hat  ein  verstörtes  Gesicht.  Er  glaubt  den  toten 
Camille  gesehen  zu  haben,  den  Korb  aber  hat  er  nicht  gefunden. 
Therese,  welche  ebenfalls  von  Gewissensbissen  gequält  wird  und 
dabei  Trauer  über  den  Verlust  ihres  Mannes  heuchelt,  erregt  die 
Teilnahme  der  Gesellschaft.  Um  sie  von  ihrem  Trübsinn  zu 
heilen,  rät  Michaud,  sie  mit  Laurent  zu  verheiraten.  Der  Vor- 
schlag wird  angenommen.  Therese  spielt  dabei  die  trauernde 
Witwe,  die  endlich  scheinbar  wider  ihren  Wijlen  in  diese  Ver- 
bindung willigt,  da  sie  den  toten  Gatten  nicht  vergessen  könne. 
Auch  Laurent  gibt  sich  das  Ansehen,  als  ob  er  mit  seinem  Ent- 
schlüsse zu  kämpfen  habe. 


Zola  als  Dramatiker.  35 

Der  dritte  Akt  beginnt  mit  dem  Hochzeitabend.  Therese 
wird  von  Susanne  entkleidet,  wobei  jene,  von  einem  Schauder 
ergriffen,  zittert  und  über  Fieber  klagt.  Endlich  ziehen  sich  die 
Frauen  zurück,  lassen  Therese  allein  und  Laurent  erscheint. 
Therese  stösst  ihn  kalt  zurück ;  die  blosse  Erwähnung  ihrer  Hoch- 
zeit ist  ihr  eine  Marter,  sie  flieht  die  Erinnerung  und,  um  die 
bösen  Gedanken  zu  verscheuchen,  plaudert  sie  über  das  Wetter, 
über  die  Kirche,  wo  ihre  Trauung  stattgefunden  und  auch  eine 
Leiche  eingesegnet  wurde,  die  aus  dem  Wasser  gezogen  worden 
ist.  Sofort  sind  die  Erinnerungen  an  den  Gemordeten  wieder 
wach.  Als  Laurent  sich  auf  kurze  Zeit  entfernt,  hört  sie  ein 
Klopfen  an  der  Thür;  von  Furcht  gequält,  wähnt  sie,  der  tote 
Gatte  erscheine,  um  seine  Rechte  geltend  zu  machen.  Der  Ein- 
tritt Laurents  beruhigt  sie  etwas,  aber  nun  beginnt  dasselbe  Spiel 
wie  vorher.  Plötzlich  richten  sich  Laurents  Blicke  auf  das  Bild 
Camille's,  das  an  der  Wand  hängt,  und  ein  furchtbares  Entsetzen 
ergreift  ihn  und  Therese.  Er  hält  es  für  dessen  Geist,  denn  er 
behauptet  zu  sehen,  wie  sich  seine  Augen  bewegen,  obgleich  ihn 
Therese  darauf  aufmerksam  macht,  dass  es  nur  das  Bild  sei. 
Endlich  reisst  er  es  in  einem  Anfall  von  Wut  herab,  indem  er 
sagt:  „Es  ist  abscheulich.  Er  steht  gerade  so  da,  wie 
wir  ihn  ins  Wasser  geworfen."  In  diesem  Augenblicke  er- 
scheint Frau  Raquin  und  hört  diese  Worte.  „Gerechter  Gott, 
sie  haben  mein  Kind  getötet!  Mörder,  Mörder!"  ist 
alles,  was  sie  vorzubringen  vermag.  Damit  ist  der  Übergang 
zur  fallenden  Handlung  und  zur  Katastrophe  geschaffen. 

Der  vierte  Akt  beginnt  mit  einem  Gespräch  zwischen  Therese 
und  Susanne  über  einen  „blauen  Prinzen",  der  zur  Handlung  in 
gar  keiner  Beziehung  steht,  über  die  Frau  Raquin,  die  seit  jener 
fürchterlichen  Hochzeitsnacht  die  Sprache  verloren,  über  Laurent, 
der  ausserhalb  seiner  Wohnung  ein  Atelier  aufgeschlagen,  wo 
er  verschiedene  Bilder  malt.  Aber  alle,  Greise,  Weiber,  Kinder 
haben  eine  Ähnlichkeit  mit  dem  toten  Camille,  wie  Susanne  der 
darüber  entsetzten  Therese  berichtet,  die  mit  ihrem  Manne  im 
beständigen  Streite  lebt  und  von  seinem  Treiben  ausserhalb  des 
Hauses  nichts  erfährt.  Schrecklich  ist  die  Erscheinung  der  Frau 
Raquin.  Sie  ist  stumm  und  gelähmt,  nur  ihre  Augen  sind  voller 
Leben,  mit  denen  sie  beständig  die  bleichen  Mörder  verfolgt  und 
quält.  Die  beiden  Hausfreunde,  Grivet  und  Michaud,  stellen 
darüber  ihre  besonderen  Betrachtungen  an.  Endlich  schreibt  sie 
mit    dem    Finger   Buchstaben    auf   den    Tisch.      Michaud    liest: 

„Therese  und  Laurent  haben" und  fragt:   „Was 

haben   denn   die   teuren  Kinder?"     Aber   die   unglückliche 
Mutter  begnügt  sich,   sich   an  dem  Entsetzen  der  beiden  Mörder 

3* 


36  G.  Bornhak, 

zu  weiden.  Dieselben  werfen  sich,  als  Grivet  und  Michaud  ge- 
gangen, in  Gegenwart  der  Frau  Raquin  den  Mord  vor  und  wollen 
davon  dem  Gerichte  Anzeige  machen,  aber  die  Kraft  zur  Aus- 
führung fehlt  ihnen.  Laurent  sieht  beständig  den  toten  Oamille 
vor  sich  und  nirgends  findet  er  Ruhe  vor  ihm.  Zuletzt  hält  er 
sich  selbst  in  wahnsinniger  Wut  für  Camille  und  will  Therese 
töten.  Dieselbe  ergreift  ein  Messer,  um  sich  seiner  zu  ent- 
ledigen, und  dieser  ein  Flaschen  mit  Gift,  um  es  in  Theresen's 
Glas  zu  schütten.  Keiner  will  mit  dem  anderen  mehr  leben. 
Und  dieser  ganzen  Szene  wohnte  die  unglückliche  Mutter  bei, 
die,  als  sich  Laurent  auf  sie  stürzt,  die  Sprache  wieder  gewinnt 
und  ihm  zuruft:  „Mörder  meines  Kindes,  versuch'  es 
doch,  auch  die  Mutter  zu  töten!"  Im  höchsten  Schrecken 
ruft  Therese:  „Gnade,  überliefert  uns  nicht  dem  Ge- 
richt!" „Nein,"  erwidert  sie  ihr,  „ich  werde  euch  gegen- 
seitig von  Gewissensbissen  zerfleischen  lassen  wie 
wütende  Tiere.  Ihr  seid  mein  und  ich  bewache  euch." 
—  „Solche  Straflosigkeit  ist  zu  schwer;  wir  richten 
und  verurteilen  uns  selbst,"  sagt  Therese,  ergreift  das  Gift, 
trinkt,  und  fällt  tot  zu  den  Füssen  der  Frau  Raquin.  Hierauf 
ergreift  Laurent  das  Gift,  trinkt  und  sinkt  leblos  zusammen.  „Sie 
sind  beide  sehr  schnell  gestorben",  meint  Frau  Raquin  und  setzt 
sich  ruhig  nieder.     Damit  schliesst  das  Stück. 

Dasselbe  wurde,  wie  der  Dichter  in  seiner  Vorrede  sagt, 
gleich  den  anderen  ausgezischt,  weil  das  Theaterpublikum  es 
nicht  liebe,  in  seinen  drapaatischen  Gewohnheiten  gestört  zu 
werden.  Denn  in  seinem  Stücke  herrsche  Mangel  an  Intrigue, 
Detailmalerei  wiege  vor,  und  ärmliche  Personen  niederen  Standes 
treten  auf,  woran  sich  das  Publikum  erst  gewöhnen  müsse.  Der 
Hauptgrund  der  üblen  Aufnahme  ist  aber  unstreitig  der,  dass  die 
Leidenschaft  gar  nicht  gezeichnet  ist,  welche  die  ganze  Handlung 
bestimmt  und  schliesslich  zum  Verbrechen  führt.  Ferner  begreift 
man  unter  französischen  Verhältnissen  nicht  recht,  wie  Camille,  der 
als  körperlich  schwach  und  geistig  beschränkt  geschildert  wird, 
ein  Hindernis  für  die  beiden  Liebenden  sein  kann.  Das  Ver- 
brechen ist  durchaus  nicht  psychologisch  erklärt.  Dazu  kommt 
der  Gegensatz:  die  grossartige  und  tief  ergreifende  Schilderung 
von  der  Wirkung  desselben.  Dieser  Mangel  naturgemässen 
Zusammenhanges  erzeugt  notwendigerweise  in  dem  Zuschauer 
eine  Missstimmung,  die  ihn  selbst  beim  Ausgang  des  Stückes 
nicht  verlässt.  Denn  Therese  und  Laurent  töten  sich  nicht 
etwa,  um  ihr  Verbrechen  zu  sühnen,  sondern  weil  sie  das  Leben 
unerträglich  finden.  Nicht  ohne  Bedeutung  ist  femer,  dass  es 
im  ganzen  Stücke  fast  gar  keine  tragische  Verwickelung,  keinen 


Zola  als  Dramatiker.  37 

Kampf  um  das  erstrebte  Ziel  gibt;  die  Gelegenheit  zur  Be- 
seitigung Camille's  bietet  sich  von  selbst  dar.  Dergleichen  mag 
der  naturalistische  Dichter  wohl  Öfter  im  Leben  beobachtet  haben^ 
aber  nicht  alle  Lebenserfahrungen  eignen  sich  zur  dramatischen 
Bearbeitung.  Der  Zuschauer  erwartet  die  Darstellung  der  Regel, 
und  Regel  ist  im  Leben  der  Kampf  um  ein  erstrebtes  Ziel. 
Darum  muss  der  dramatische  Dichter  eine  wohl  erwogene 
Auswahl  aus  den  Lebenserscheinungen  treffen  und  ausserdem 
alles  vermeiden,  was  zur  dramatischen  Handlung  in  keiner  Be- 
ziehung steht.  In  einem  Roman  kann  eine  langweilige  Schil- 
derung oder  Unterhaltung  mit  unterlaufen;  der  Leser  quält  sich 
damit  nicht  und  überschlägt  sie;  im  Drama  dagegen  muss  er 
sie  mit  anhören.  Hier  geht  alles  vom  Mittelpunkte  eines 
Kreises  aus,  über  dessen  Peripherie  sich  nichts  entfernen  darf. 
Das  alles  sind  Regeln,  die  auch  ein  naturalistischer  Dramatiker 
nicht  unberücksichtigt  lassen  darf,  da  sie  mit  gewissen  Lebens- 
wahrheiten zusammenhängen,  welche  das  Drama  nicht  ent- 
behren kann. 

Die  beiden  anderen  Stücke  erscheinen  schon  wegen 
der  vielfachen  Übertreibungen  und  Intriguen  unbedeutender  als 
das  erste.  In  Les  Heritiers  Rdbourdin  wird  geschildert,  wie 
der  ehemals  reiche  Rabourdin  sich  schon  bei  Lebzeiten  den 
grössten  Teil  seines  Geldes  von  seinen  dereinstigen  Erben,  Neffen 
und  Nichten,  hat  aufzehren  lassen.  Dennoch  erwartet  jeder  von 
denselben  noch  für  sich  eine  reiche  Erbschaft,  eine  ünwahr- 
scheinlichkeit,  die  sofort  in  die  Augen  fallen  muss.  Rabourdin 
hat  in  seiner  Kasse  kein  Geld  mehr,  hat  sogar  das  ihm  an- 
vertraute Vermögen  seines  Mündels  Charlotte  verbraucht  und 
entblödet  sich  nicht,  indem  er  noch  immer  den  reichen  Mann 
spielt,  von  dem  Verlobten  derselben,  Dominique,  300  Francs 
anzunehmen,  obgleich  ihm  alle  Aussicht  zur  Wiedererstattung 
fehlt.  Trotzdem  überbieten  sich  die  Erben  in  Schmeicheleien 
und  Geschenken,  da  jeder  die  ganze  Erbschaft  für  sich  zu  ge- 
winnen hofft.  Daher  Intriguen  und  Überraschungen,  die  Charlotte 
wohl  zu  benutzen  weiss,  um  ihr  Geld  und  das  ihres  Verlobten 
in  der  Form  von  Geschenken,  die  für  Rabourdin  bestimmt  sind, 
wieder  zu  gewinnen.  Die  Haupthandlung  geht  von  dem  Be- 
streben der  Erben  aus,  sich  gegenseitig  auszustechen,  um  Rabourdin, 
der  sich  totkrank  stellt  und  alle  betrügen  will,  allein  zu  beerben. 
Diese  Schilderung  zieht  sich  durch  das  ganze  Stück  hindurch 
und  muss  für  den  Zuschauer  bei  den  beständigen  Wiederholungen 
ungemein  ermüdend  sein.  Nachdem  Rabourdin  seinen  Tot  hat 
verkünden  lassen,  wird  von  seinen  Nichten  sein  Testament  ver- 
lesen,  in  denen    er  ihnen  nur  seine  Schulden   hinterlässt.     Bald 


38  G.  Bornhak, 

darauf  erscheint  er  wieder  und  wird  von  den  Betrogenen'  mit 
Vorwürfen  überhäuft.  Voller  Ingrimm  nehmen  sie  ihre  früheren 
Oeschenke  mit  sich  und  verlassen  ihn.  Jetzt  klagt  er,  dass  er 
keine  Erben  mehr  hat,  die  ihm  Geschenke  bringen.  Bald  darauf 
erscheinen  dieselben  wieder  und  bringen  die  Geschenke  zurück, 
um  sich  von  neuem  um  den  anscheinend  kranken  Oheim  zu  be- 
mühen und  seine  Gunst  zu  erlangen,  da  sie  alles  Vertrauen  bei 
ihren  Gläubigern  verlieren  würden,  wenn  sie  nicht  mehr  für  die 
£rben  des  reichen  Rabourdin  angesehen  würden.  Charlotte  aber  be- 
hält ihren  Raub  und  bereitet  sich  zur  Hochzeit  mit  Dominique  vor. 

Das  Stück  leidet  ausser  an  den  bereits  erwähnten  Mängeln 
unter  dem  Eindrucke  einer  geteilten  Handlung.  In  der  Mitte 
der  einen  steht  Rabourdin,  in  der  der  anderen  Charlotte,  und 
zwischen  beiden  Personen  teilt  sich  das  Interesse  bis  zum  Schluss. 

Das  dritte  Stück:  Le  Bouton  de  Rose,  spielt  im  Gasthause 
zum  roten  Hirsch,  dessen  Eigentümer  der  unverheiratete  Ribalier 
und  der  sich  eben  mit  Valentine  verheiratende  Brochard  sind, 
von  deren  Hochzeit  sich  Ribalier  gerade  ermüdet  weggestohlen 
hat,  um  sich  zur  Ruhe  zu  begeben.  Einer  seiner  Gäste,  Chamorin, 
erscheint,  um  sich  über  seine  Frau  Hortense  zu  beklagen,  die 
ein  geheimes  Liebesverhältnis  mit  Ribalier  unterhält.  Er  möchte 
sie  gern  bei  einer  Untreue  überführen  und  dazu  soll  ihm  Ribalier 
behilflich  sein.  Denn  während  er  selbst  beständig  auf  Abwegen 
geht  und  dabei  stets  von  seiner  Frau  ertappt  wird,  ist  es  ihm 
bisher  niemals  gelungen,  dieselbe  zu  überraschen.  Nachdem 
Chamorin  gegangen,  erscheint  Hortense,  um  sich  Ribalier  anzu- 
bieten und  von  ihm  zurückgewiesen  zu  werden.  Eine  widerliche 
Szene  ohne  alle  Begründung.  Raum  ist  er  eingeschlafen,  so  kommt 
Brochard,  um  ihm  anzuzeigen,  dass  er  in  seiner  Hochzeitsnacht 
nach  Le  Maus  reisen  will,  um  Kapaunen  für  die  gemeinsame 
Wirtschaft  einzukaufen.  Seine  neuvermählte  Frau  überlässt  er 
zur  Überwachung  seinem  Freunde  Ribalier.  Valentine,  die  alles 
gehört,  erscheint;  Brochard  verabschiedet  sich  von  ihr  und  über- 
reicht ihr  zum  Andenken  eine  Rosenknospe,  die  sie  bis  zu 
seiner  Rückkehr  bewahren  soll.  Hierauf  kommt  Chamorin  noch- 
mals, um  sich  über  die  Untreue  seiner  Gattin  zu  beklagen,  wes- 
halb er  von  Brochard  hart  angelassen  wird,  dann  Jules,  der 
Neffe  Ribalier's,  eine  alte  Liebschaft  Valentinens,  mit  dem  die- 
selbe einen  Plan  entwirft,  um  sich  an  ihrem  Mann  und  Ribalier 
für  die  Überwachung  zu  rächen.  Nun  beginnt  das  Intriguenspiel. 
Valentine  schweift  trotz  aller  Überwachung  im  Gasthause  umher, 
näht  einem  alten  Bekannten,  einem  Kapitän,  einen  Knopf  an  und 
lässt  sich  zum  Dank  dafür  von  demselben  umarmen.  Selbst  bei 
Ribalier  versucht  sie  die  Künste  ihrer  Verführung,  aber  er  wider- 


Zola  cUs  Dramatiker,  39 

steht,  wenn  auch  nicht  ohne  Schwanken.  Eine  Gesellschaft  von 
Offizieren  hat  sich  zum  Gelage  niedergelassen,  die  Valentine  be- 
kannt sind.  In  ihrem  Auftrage  hat  Jules  einen  Kapitän,  einen 
Lieutenant  und  einen  Sergeanten  bestimmt,  ihr  nach  einander  den 
Hof  zu  machen  und  sich  der  von  ihr  empfangenen  Gunstbezeu- 
gungen  zu  rühmen,  wenn  Ribalier  zugegen  ist.  Dies  geschieht 
zu  dessen  grösstem  Erstaunen.  Alle  Offiziere  umringen  sie;  sie 
singt  ihnen  ein  Trinklied  und  alle  singen  den  Refrain  dazu,  in 
den  auch  Ribalier  einstimmt,  nachdem  man  ihn  trunken  gemacht 
hat.  Als  er  endlich  mit  Valentine  allein  ist,  bedeckt  er  sie  mit 
Küssen  und  wird  dabei  von  Jules  überrascht.  Ehe  sie  sich  in 
ihr  Schlafzimmer  zurückzieht,  verspricht  sie,  Ribalier  in  demselben 
zu  erwarten,  da  sie  sich  bei  Nacht  fürchte.  Jules  bestimmt 
Hortense,  sich  an  die  Stelle  Valentinens  zu  begeben  und  so  die 
lange  erwartete  Genugthuung  zu  erhalten.  Ribalier  geht  in  die 
Falle.  Bei  der  nächtlichen  Zusammenkunft  glaubt  er  keine  andere 
Dame  vor  sich  zu  haben,  als  Valentine,  da  sie  nicht  spricht. 
Als  er  aber  stark  an  der  Thür  klopfen  hört,  meint  er,  Brochard 
sei  zurückgekehrt  und  entflieht  durch  eine  Nebenpforte,  wobei 
er  seinen  Fingerring  verliert.  Darüber  gerät  er  in  die  grösste 
Bestüreung.  Er  erwägt  die  Folgen  seines  Handelns  und  bittet 
Jules,  ihn  aus  dieser  Verlegenheit  zu  befreien.  De)rselbe  lässt 
jedoch  das  von  ihm  und  Valentine  angezettelte  Komplott  sich 
weiter  entwickeln.  Brochard  erscheint  in  Wut,  denn  seine  Reise 
ist  vergeblich  gewesen.  Sein  Geschäftsfreund  in  Le  Maus  hat 
ihn  betrogen  und  er  lässt  nicht  undeutlich  durchblicken,  dass  er 
auch  von  Ribalier  betrogen  worden  sei,  da  er  die  Rosenknospe, 
die  er  seiner  Frau  vor  seiner  Abreise  zur  Aufbewahrung  über- 
geben, an  Ribaliers  Hut  bemerkt,  wohin  sie  Jules  gesteckt  hat. 
Der  von  Gewissensqualen  gepeinigte  Ribalier  gesteht  endlich,  dass 
er  in  der  vergangenen  Nacht  in  Valentinens  Schlafzimmer  ge- 
wesen, und  erklärt  sich  bereit,  dem  beleidigten  Gatten  mit  den 
Waffen  in  der  Hand  Genugthuung  zu  geben.  So  weit  lassen  die 
Verschworenen  die  Sache  kommen.  Dann  tritt  Hortense  mit 
ihrem  Gemahl  ein,  um  sich  zu  verabschieden.  Sie  trägt  den  Ring 
Ribaliers  an  ihrem  Finger  und  sagt:  „Ich  werde  ihn  zu 
Eurem  Andenken  tragen."  Brochard  begreift  sofort  den 
ganzen  Zusammenhang,  über  welchen  ihn  ausserdem  noch  Chamorin 
belehrt,  und  sagt  lachend:  „Man  hat  sich  also  über  mich 
lustig  gemacht?"  und  Valentine  entgegnet  ihm:  „Ja,  mein 
Freund,  man  lässt  die  Frauen  nicht  bewachen.  Die 
Frauen  bewachen  sich  alle  allein."  Auch  die  von  Brochard 
beklagten  Kapaunen  kommen  plötzlich  an;  die  Freundestreue  ist 
also   gewahrt  und    alles    andere  vergessen.     Ehre    und   Segen 


40  (7.  'Bornhak,  Zola  als  Dramatiker, 

dem    Gasthans    zum    roten    Hirsch.     Damit    schliesst   das 
Stück.  — 

Wenn  es  ein  Vorrecht  der  Posse  ist,  die  Wirklichkeit  zu 
übertreiben,  zu  karikieren,  so  hat  dasselbe  doch  auch  seine  be- 
stimmten Grenzen.  Denn  jedes  Eunstmittel,  und  das  ist  die 
Karikatur,  verfolgt  einen  bestimmten  Zweck.  Wenn  Ribalier  und 
Brochard  karikiert  werden,  so  hat  das  den  bestimmten  Zweck,  sie 
in  ihrem  Unternehmen,  eine  Frau  zu  überwachen,  lächerlich  zn 
machen.  Was  soll  man  aber  zur  Karikatur  Yalentinen's  sagen? 
Sie  ist  erstens  für  die  Tendenz  des  Dichters  zwecklos  und 
zweitens  widerlich.  Man  denke  sich  eine  eben  verheiratete  Frau, 
die  sich  von  allen  Männern,  die  ihr  in  den  Weg  treten,  den 
Hof  machen  und  abküssen  lässt  und  hinterher  die  treue,  tugend- 
hafte Gattin  spielt,  weil  sie  einer  anderen  Dame  ihre  Stelle  bei 
einem  verabredeten  Rendezvous  überlassen  hat.  Ihre  Behauptung: 
„Die  Frauen  überwachen  sich  alle  allein!*^  ist  damit 
nicht  bewiesen.  Sie  musste  im  Gegenteil,  wenn  der  Dichter 
seinen  Zweck  erreichen  wollte,  als  treue,  tugendhafte  Gattin  ge- 
zeichnet werden,  die  durch  ihre  Haltung  alle  Bestrebungen  der 
Überwachung  lächerlich  machte.  So  ist  sie  ein  Zerrbild,  das 
gerade  das  Gegenteil  von  dem  beweist,  was  der  Dichter  be- 
weisen wollte. 

G.    BOBNHAE. 


Moderne  französische  Romanschriftsteller. 


Jori8  Karl  Hnysmans. 
I. 


Di 


y^Je  fais  ce  que  je  4)o%s,  ce  que  je 
vis,  ce  que  je  sens,  en  Vecrivani  le 
moins  mal  que  je  puis.  Si  c*est  lä 
le  naturalisme,  tant  mieux.^ 


'ie  Familie  HuysmanB  stammt  aus  Holland.  Der  Vater  des 
Romanschriftstellers  J.  K.  Huysmans,  Godfried  Huysmans,  war  Maler 
und  stammte  aus  Breda.  In  Paris,  wo  er  Rue  Suger  11  wohnte,  wurde 
ihm  von  seiner  Frau,  der  Tochter  eines  Ministerialbeamten  Görard,  ein 
Knabe  geboren,  der  die  Namen  Joris  Karl  erhielt.  Durch  Abstam- 
mung und  Geburtsort  ist  Hiiysmans  somit  ein  französischer  Nieder- 
länder oder  ebensogut  ein  niederländischer  Franzose.  Beide  Nationali- 
täten spiegeln  sich  in  seinen  Eunstprodukten  wider,  die  stets  die  Neigung 
verraten,  mit  Worten  zu  malen  und  über  Maler  zu  sprechen.  Mehrere 
seiner  Vorfahren  waren  Maler.  Ein  Oheim  gab  Unterricht  im  Zeichnen 
und  Malen  in  Breda  und  Tilburg.  Unter  seinen  Ahnen  steht  auch 
Cornelis  Huysmans,  von  dem  das  Louvre  Gemälde  aufzuweisen  hat. 

Huysmans'  Romane  und  Novellen  selbst  erzählen  uns,  welch  alt- 
modische klassische  Bildung  er  in  seiner  Jugend  erhalten  hat.  Er  be- 
suchte eine  jener  Schulen,  in  denen  man  jahrelang  nichts  als  Lateinisch 
lernt,  und  wo  die  spes  patriae  in  grosser  Anzahl  sich  zusammenfindet, 
um  sich  an  den  armen  pions  (den  Aufsehern  über  die  Schularbeiten 
der  Knaben)  für  die  Langeweile  der  endlosen  Schulstunden  zu  lachen. 
Huysmans,  der  in  jedem  seiner  Romane,  in  allen  seinen  Novellen  etwas 
aus  seinem  eigenen  Leben,  aus  seinen  Träumen  und  Leiden  erzählt, 
hat  uns  den  Aufenthalt  in  der  Schule  in  seinem  Roman  En  manage 
geschildert. 

Sehr  anschaulich  beschreibt  er  da,  wie  er  in  seinem  achten 
Lebensjahre  weinend  in  .die  Schule  eintritt;  wie  ihn  seine  Eltern 
Sonntags  von  dort  abholen,  während  andere,  die  keine  Angehörigen 
haben,  in  den  einsamen  Schullokalen  unter  Aufsicht  des  mürrischen 
pion  zurückbleiben,  der  sie  nicht  einmal  aus  dem  Zimmer  gehen  lässt, 
wenn  sie  den  Finger  in  die  Höhe  streckten  um  zu  fräsen:  „Esi-il  per- 
mis  de  soriir?^  Er  erzählt  uns,  wie  der  Gedanke,  abends  wieder  in 
die  Schule  zurückkehren  zu  müssen,  ihm  stets  seinen  freien  Sonntag 
verdorben  habe.  Schon  bei  Tische  sah  man  nach  der  Uhr.  „Tummle 
Dich",  sagte  die  Mutter,   „es  wird  bald  Zeit!"    Die  Mahlzeit  war  erst 


42  Jan  ten  Brmk, 

halb  za  Ende,  da  steckte  man  ihm  sein  Dessert  in  die  Tasche,  —  ein 
eiliger  Abschied  —  dann  bi*achte  ihn  das  Dienstmädchen  in  die  Schule 
zurück.  Wie  unangenehm  berührten  ihn  die  belebten  Strassen.  Voll 
Neid  sah  er  die  Kinder  der  Armen  sich  frei  herumtreiben.  Er  schielte 
nach  den  grossen  Anschlagzetteln  der  Theater,  und  ärgerte  sich,  dass 
er  zurück  in  die  Schule  musste.  Er  wäre  gern  langsam  gegangen, 
aber  die  Magd  trieb  zur  Eile,  sie  hatte  Ausgangstag. 

In  der  Schulstube  war  alles  dunkel.  Man  glaubte  in  einen  Keller 
zu  kommen.  Als  das  Dienstmädchen  fort  ging,  wäre  er  beinahe  in 
Thränen  ausgebrochen.  Sein  Weg  ging  in  den  Schlafsaal.  Der  pion 
drohte  mit  Strafe,  wenn  man  beim  Treppensteigen  zu  hart  aufbrat. 

Der  Eindruck,  den  das  Schulleben  in  Huysmans  zurückgelassen 
hat,  ist  ein  bleibender.  Es  bildet  sich  geradezu  Hass  gegen  die  pions 
in  ihm  aus,  obgleich  er  einsieht,  dass  das  Leben  dieser  Unglücklichen 
keineswegs  beneidenswert  sei.  Dann  beklagt  er  sich  über  die  schlechte 
Kost,  die  in  steter  Regelmässigkeit  abwechselnd,  immer  dieselbe  bleibt: 
fettes  Hammelfleisch  und  Möhren  mit  warmem  Wasser  Montags ; 
Kalbfleisch  und  schlechter  Käse  Dienstags;  Rüben  mit  brauner  Sauce 
und  Sauerampfer  Donnerstags,  lauter  Speisen,  die  ihn  krank  machten; 
Makkaroni  ohne  Käse,  ungeniessbare  Erbsensuppe  und  in  verbranntem 
Fett  gebackene  Kartoffeln. 

Er  äussert  sich  sehr  bitter  über  die  kalten  Schlafzimmer,  deren 
Fenster  par  raison  dhygiene  beständig  offen  blieben;  dessenungeachtet 
herrschte  im  Sommer  eine  dumpfe  ekelerregende  Atmosphäre.  Früh 
um  sechs  rief  der  Stiefelputzer  die  armen  Jungen  wach.  Freilich 
klagt  er  auch  in  echter  Knabenungerechtigkeit,  wie  er  sich  Jahr  aus, 
Jahr  ein  an  den  „plumpen  Witzen  des  Horaz  und  den  dummen  Auf- 
schneidereien des  Homer ^  hätte  erlustigen  müssen.  Diese  Worte  zeigen, 
dass  Huysmans  schon  als  Knabe  die  krankhaft  unzufriedene  Stimmung 
kannte,  die  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  die  Welt  beherrschte,  und 
die  man  in  Deutschland  „Weltschmerz^,  in  England  „Spleen^  zu  nennen 
pflegt,  eine  Stimmung,  die  den  späteren  Philosophen  höchst  wichtige 
Bausteine  für  ihre  Theorien  über  den  Pessimismus  geliefert  hat;  em 
Zug  der  Zeit,  der  sich  unter  dem  einförmigen  russischen  Himmel  und 
unter  dem  Zusammenwirken  von  traurigen,  historischen  Ereignissen  zu 
dem  trostlosen  Prinzip  des  Nihilismus  entwickelt  hat. 

Der  arme  Junge  klagt  ferner,  dass  er  Racine  und  Virgil,  Cicero 
und  Boileau  auswendig  lernen  muss,  dass  er  dagegen  nichts  Nützliches 
lernt;  dass  er  Montags  voll  Verzweiflung  die  lange  Woche  begann,  dass 
erst  Donnerstag  ein  Hoffnungsschimmer  m  ihm  erwachte,  endlich  werde 
doch  wieder  Sonntag  kommen.  Seine  einzige  Freude  war  die  grosse 
Ferienzeit  im  Juli,  und  die  Vorfreude  darauf,  wenn  die  Jungen  mit 
ganz  ausserordentlicher  Ungeduld  sich  anstrengten,  wie  sie  über  die 
unglückseligen  pions  ein  Strafgericht  ergehen  lassen  konnten. 

Was  auch  in  diesen  Klagen  übertriebenes  sein  möge,  sicher  ist 
es  doch,  dass  Huysmans  keine  glückliche  Jugend  hatte.  Er  erfuhr  nur 
allzufrüh,  dass  die  Leiden  der  Armut  die  Kinder  unbemittelter  Eltern 
schwer  niederdrücken.  Seinen  Vater  scheint  er  früh  verloren  zu  haben. 
Nachdem  er  die  vorgeschriebenen  Examen  abgelegt  hatte ,  gab  er  Unter- 
richt an  Kinder  begüterter  Familien.  Eine  Erbschaft,  die  ihm  ein 
Bruder  seiner  Mutter  hinterliess,  rettete  ihn  aus  der  tiefsten  Bedrängnis.^) 


1)  Man    lese    darüber  seinen   Roman    En  mdnage^   Paris,    1881. 
Charpentier.     S.  42 — 54. 


Moderne  französische  Romanschrifisieller.  43 

Der  junge  Huysmans  war  beim  Beginn  des  deutsch-französischen 
Krieges  zweiundzwanzig  Jahre  alt.  Er  trat  als  Freiwilliger  in  die 
französische  Armee  ein,  wie  er  dies  uns  selbst  in  der  Novellensamm- 
lung Les  Soire'es  de  Medan  in  der  Erzählung  Sac  au  dos  schildert. 

Sie  fängt  so  an:  „Als  ich  meine  Schulzeit  absolviert  hatte,  suchte 
ich  auf  den  Wunsch  meiner  Familie  den  gefürchteten  grünen  Tisch 
auf,  um  den  mehrere  alte  Herren  sassen,  die  voll  Eifer  untersuchten, 
ob  ich  genug  von  den  toten  Sprachen  wisse,  um  zu  dem  Rang  eines 
bachelier  zugelassen  zu  werden. 

„Ich  legte  ein  gutes  Examen  ab.  Ein  gemeinschaftliches  Mahl 
versammelte  die  ganze  Familie  um  mich  her;  man  sprach  über  meine 
Zukunft,  und  entschied  sich  dahin,  dass  ich  Jurisprudenz  studieren  sollte. 

„Bald  stand  ich  vor  meinem  ersten  akademischen  Examen.  Ich 
verkehrte  viel  im  Quartier  laiin,  woselbst  ich  die  Bekanntschaft  von 
Studenten  machte,  die  alle  Abende  bei  einem  Glas  Bier  ihre  politischen 
Meinungen  austauschten.  In  dieser  Zeit  las  ich  die  Werke  von  Georges 
Sand  und  Heine,  von  Edgar  Quinet  und  Henri  Murger. 

„So  verlief  ein  Jahr.  Die  allgemeinen  Wahlen  vor  dem  Zu- 
sammenbruch des  zweiten  Kaiserreichs  (Mai  1869)  Hessen  mich  kalt. 
Da  ich  weder  einen  Senator,  noch  einen  Ausgewiesenen  Vater  nannte, 
musste  ich  mich  ja  unter  jeder  Regierung  dem  Zustande  von  Dürftig- 
keit und  Entbehrung,  in  dem  meine  Familie  schon  lange  lebte,  unter- 
werfen. 

„Meine  juristischen  Studien  machten  mir  wenig  Freude.  Mir  war, 
als  hätte  man  die  Gesetzentwürfe  absichtlich  so  schlecht  geschrieben, 
um  gewissen  Leuten  genügende  Gelegenheit  zu  kleinlichem  Streite  über 
dies  oder  jenes  Wort  zu  geben,  und  noch  heute  steht  es  bei  mir 
fest,  dass  ein  deutlich  formulierter  Satz  niemals  Gelegenheit  zu  vielerlei 
Deutungen  geben  kann. 

„Ich  dachte  über  diesen  oder  jenen  Beruf  nach ,  den  ich  ohne 
inneren  Widerstreit  hätte  ausüben  können,  als  mir  plötzlich  der  Kaiser 
selbst  einen  verschaffte:  die  Ungeschicklichkeit  seiner  Politik  machte 
mich  zum  Soldaten." 

Der  Exkaiser  Napoleon  III.  starb  am  9.  Januar  1873  zu  Chisle- 
hurst.  Huysmans'  Novelle,  oder  besser  gesagt,  Lebensgeschichte  aus 
den  Jahren  1870  und  1871  erschien  gegen  1880.  Die  düstere,  nieder- 
geschlagene Stimmung  —  aus  der  Armut  und  Entbehrung  seiner 
Knaben-  und  Jünglingsjahre  erzeugt  —  spricht  deutlich  aus  dem  Anfang 
des  Sac  au  dos. 

Huysmans  wurde  Soldat,  obgleich  er  sich  für  den  Krieg  durchaus 
nicht  begeistern  konnte.  Er  wurde  der  garde  mobile  de  la  Seine  zu- 
geteilt, ging  fortan  in  dunkelblauer  Jacke  und  hellblauer  Hose  mit 
breitem,  roten  Streifen,  und  zog  an  einem  gewitterschwülen  Jaliabend 
mit  einem  schweren  Ranzen  auf  der  Schulter  an  die  bedrohten  Grenzen. 
Vorläufig  musste  er  in  Chälons  bleiben,  woselbst  die  jungen  Soldaten 
an  allem  Mangel  litten,  wo  nichts  geordnet  war;  keine  Kantine,  kein 
Stroh,  keine  Mäntel,  keine  Waffen;  nichts  war  da. 

Schon  nach  Verlauf  einiger  Tage  machte  ihn  die  Feuchtigkeit 
seines  Zeltes  krank.  Man  bringt  ihn  in  eine  überfüllte  Ambulance, 
gibt  ihm  einen  grauen  Mantel  mit  Kapuze,  eine  rote  Hose  und  eine 
weisse  Schlafmütze.  Der  Lazarettarzt  zeigt  sich  gegen  seine  Patienten 
als  unerträglichen  Tyrannen.  Noch  nicht  vollständig  wieder  her- 
gestellt, muss  Huysmans  die  Uniform  wieder  anziehen:  die  Preussen 
nähern  sich  Chälons.  Noch  sehr  schwach,  litt  er  ganz  ausserordentlich 
bei  der  Eisenbahnfahrt.    Wenn  er  es  nicht  selbst  erzählte,  würde  man 


44  Jan  ten  Brink, 

kaum  glauben,  dass  französisclie  Soldaten  unterwegs  die  Büffets  fran- 
zösischer Bahnhöfe  plünderten.  Immer  noch  leidend  kam  er,  ohne 
sich  daselbst  aufhalten  zu  können,  in  Paris  an;  weiter  ging  es  nach 
Arras,  wo  er  Aufnahme  im  städtischen  Hospital  fand,  nicht  im  Hotel 
des  Erzbischofs,  der  seine  Gastlichkeit  nur  Verwundeten,  nicht  aber 
Kranken  angedeihen  Hess. 

Die  ganze  Kriegszeit  hat  Huysmans  in  Hospitälern  und  Ambu- 
lancen  zugebracht ;  am  längsten  war  er  in  Evreux.  Nachdem  der  Krieg 
und  das  Leid  der  Kommune  vorüber  waren,  widmete  er  sich  endlich 
der  litterarischen  Thätigkeit. 

"Von  seinem  weiteren  Leben  bleibt  nur  wenig  zu  berichten. 
Huysmans  verstand  die  Kunst  nicht,  Kapital  aus  seinen  Arbeiten  zu 
schlagen,  arbeitete  auch  mit  wenig  Leichtigkeit ;  so  stellte  es  sich  bald 
heraus,  dass  er  von  seiner  Feder  nicht  leben  konnte.  Glücklicherweise 
fand  er  eine  Stellung  im  Ministerium  des  Innern;  heute  hat  er  es  bis 
zum  sotis-chef-de  bureau  gebracht. 

Von  1874—1887  veröffentlichte  er: 
1874.   Le  Drageovr  aux  epices.    Paris.     Dentu,     (Erste   Auflage  ver- 
griffen, zweite  Auflage,  Paris,  Maillet,  1875,  ebenfalls.) 
1876.   Marthe.     Brüssel.     Jean    Gay.     (Vergriffen.)     Zweite    Auflage 
unter  dem  Titel:  Marthe,  histoire  d*une  fille.    Avec  une  eau- forte 
impressioniste  de  J.-L.  Forain.    Paris.    Derveaux.     1879. 

1879.  Les  sceurs  Vatard.    Paris.     G.  Charpentier.    (Fünf  Auflagen.) 

1880.  Croquis  Parisiens,  (Eaux-fortes  de  Forain  et  Rafa^Ui.)  Paris. 
Henri  Vaton,  (Prachtausgabe  auf  Büttenpapier  mit  roten  An- 
fangs- und  Schlussvignetten,  sowie  Initialen.)  Vergriffen. 
Zweite  Auflage :  Imprime  dans  le  format  presque  perdu  de  quel- 
ques eucohges,  Nouveüe  Edition,  augmentee  aun  certain  nomhre 
de  püces  et  (Tun  portrait,  Paris.  Läon  Vanier,  fiditeur  des 
Modernes,  1886. 

1881.  En  Menage,    Paris.     G.  Charpentier.     (Vier  Auflagen.) 

1882.  A  veau  feau.    Brüssel.    Kistemaeckers.    Vergriffen. 

1883.  L*Art  moderne.    Paris.    G.  Charpentier. 

1884.  A  Rehotvrs,    Paris.     G.  Charpentier  &  C*^ 

1886.  En  Rade.  Roman,  erschienen  in  der  Revtte  indäpendante 
1886—1887. 

Femer  schrieb  Huysmans: 

1880.  Sac  au  dos,  in  Les  soirees  de  Me'dan.  Paris,  Charpentier,  1880. 
Zehn  Auflagen. 

1881.  Pierrot  sceptique,  avec  dessins  en  couleur  de  Cheret.  Mit  Läon 
Hennique.    Paris.    Rouveyre.    (Vergriffen.) 

1887.  Vn  dilemme.    Paris,  Tresse  &  Stpck. 


IL 

Alle  Werke  Joris  Karl  Huysmans'  einer  sorgfältigen  Analyse 
und  gründlichen  Kritik  *  zu  unterwerfen ,  liegt  nicht  im  Kahmen  der 
Zeitschrift. 

Die  seine  Eigenart  am  meisten  charakterisierenden  sind  Marthe, 
die  Croquis  Parisiens,  En  Manage  und  zumal  A  Rebours. 

Als  Huysmans  1874  das  Gebiet  der  Litteratur  betrat,  hatte  eben 
^mile  Zola  durch  seine  fünf  ersten  Romane  aus  dem  Zyklus  der 
Rougon- Macquart  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  sich  gezogen.    Im 


Moderne  französische  Romanschrifisteüer,  45 

Jahre  1874  war  gerade  einer  seiner  besten  Romane:  La  Faute  defabbe 
Mouret  erschienen.  Zola  hatte  seiner  Kunstrichtung  den  Namen  Natu- 
ralismus gegeben;  es  war  dieselbe  Richtung,  die  bereits  Henri  Beyle, 
Honor^  de  Balzac ,  Gustave  Flaubert  eingeschlagen  und  zur  Anerkennung 
gebracht  hatten. 

Huysmans  hat  den  Kampf  zwischen  den  als  Naturalisten  neu- 
erstandenen Realisten  und  der  alten  Garde  der  Romantik,  welch  letztere 
oft  durch  die  Sauvegarde  des  Klassizismus  verstärkt  wurde,  redlich 
mitgekämpft.  Die  Wechselfälle  des  Pariser  Lebens  brachten  ihn  in 
Zola's  Kreis  und  in  Verbindung  mit  dem  Pariser  Verleger  George  Char- 
pentier.  Das  ist  der  Grund,  warum  man  ihn,  was  er  auch  geschrieben 
hat,  als  Naturalisten  beurteilt.  Das  wäre  noch  kein  Anlass,  ihm  voll 
Antipathie  entgegenzutreten;  im  Gegenteil,  Huysmans  hat  das  Recht 
zu  verlangen,  dass  man  ihm  ausserhalb  des  Zola'schen  Ejreises  und  der 
Neunaturalisten  als  ursprünglichen  Künstler  betrachte. 

Die  Dichtung  ist  eine  göttliche  Kunst,  deren  Aufgabe  es  ist, 
das  Leben  der  Menschen  zu  adeln  und  sie  im  täglichen  Daseinskampfe 
zu  stützen.  Mögen  andere  Musen  und  deren  Priester  und  Priesterinnen 
ebenfalls  Schönes  schaffen,  man  wird  es  gern  anerkennen;  aber  be- 
geistert sollte  man  immer  hinzufügen,  dass  trotz  des  immer  mehr  zu- 
nehmenden Niederganges  unter  Schriftstellern,  Dichtern  und  Kritikern, 
die  Dichtung  doch  immer  und  vorzugsweise  ein  Herzens- 
trost ist. 

Als  man  Huysmans  einst  fragte,  ob  er  zu  Zola's  Schule  und  zu 
den  Bekennern  der  naturalistischen  Lehre  gehöre,  antwortete  er: 

„Je  iwus  rdponds  iout  simplement  que  je  fais  ce  qiie  je  vois,  ce 
que  je  vis,  ce  que  je  sens,  en  fecrivant  le  moins  mal  que  je  puis.  Si 
c'esi  lä  le  naturalisme,  iani  mievx.  Au  fond,  U  y  a  des  e'crivains,  qtU 
ont  du  talent  et  d'autres  qm  h*en  oni  pas,  qu*ils  soient  naturalistes ,  ro- 
maniiqites,  decadents,  ioui  ce  que  vous  voudrez,  fa  fn*esl  egal!  11  s^agii 
pour  moi  d*avoir  du  talent,  et  voilä  tout}) 

Man  glaube  durchaus  nicht,  dass  dieses  Wort  so  einfach  sei,  wie 
der  praktische  Beweis  des  Columbus,  dass  ein  Ei  auf  der  Spitze  stehen 
könne.  Talent  zu  haben  ist  ja  das  Alpha  und  Omega  der  litterarischen 
Kunst.  Manche  glauben  zwar,  dass  kein  Schriftsteller  Ruhm  erwerben 
könne,  wenn  er  nicht  eine  bestimmte  philosophisch-ästhetische  Richtung 
vertrete ;  dass  man  von  einem  Romanschriftsteller  absolut  sagen  müsse, 
ob  er  eine  klassische,  romantische,  realistische,  naturalistische,  mystische, 
impressionistische  oder  nihilistische  Überzeugung  habe.  Besser  als  all 
dies  ist  sicher  die  Göttergabe  des  Talentes,  die  Fähigkeit,  es  zu  zeigen. 
Es  gibt  Leute,  die  von  dem  sehr  gefährlichen  Grundsatz  ausgehen,  dass 
Schriftsteller  reiferen  Alters  stets  von  jüngeren  übertroffen  werden 
müdsten,  dass  die  jüngeren  gewöhnlich  die  neuen  Zukunftsbahnen  frei 
fegen.  Besser  als  jung  sein,  und  solchen  Hirn^espinnsten  nachzuhängen 
ist  die  Göttergabe  des  Talentes,  die  Fähigkeit,  es  zu  zeigen. 

Huysmans,  der  Mann  mit  grossem  Talente,  beweist  dies  durch 
sein  Beispiel. 

Wir  übergehen  seine  ersten  kurzen  Skizzen,  wie  zum  Beispiel 
Le  Drageoir  aux  äpices,  und  erwähnen  sein  merkwürdiges  Buch :  Marthe, 
histoire  d^une  füle,  mit  dem  er  darthat,  dass  er  einst  ein  bedeutender 
Schriftsteller  sein  würde.  Über  den  Inhalt  des  Buches  haben  wohl  manche 


^)  Les  hommes  d'aujourd^hui,  von  A.  Meunier,   6.  Band,  No.  263, 
Paris,  Vanier,  Quai  Saint  Michel,  19. 


46  Jan  ien  Brink, 

den  Kopf  geschüttelt.  Huysmans  war  jedoch  durchaus  nicht  der  erste, 
der  ihn  in  die  französische  Litteratur  einführte.  Schon  im  Jahre  1622 
hat  Charles  Sorel  mit  seiner  Bistoire  comique  de  Fraficion  nach  dem 
Vorbild  eines  Aleman  und  Quevedo  eine  Art  Schelmenroman  ge- 
schrieben, worin  Gaudiebe  und  abenteuerliche  Frauen  vorkommen,  die 
ihre  Zuchtlosigkeiten  mit  beispielloser  Unverschämtheit  verkündigen. 
Scarron  schlug  1650  in  seinem  Roman  Comique  keinen  anderen  Ton 
an;  seine  herumziehenden  Komödianten  sprechen  und  bewegen  sich 
ganz  im  Geist  der  spanischen  Picaros.  Dasselbe  gilt  von  zahlreichen 
untergeordneten  Schriftstellern,  wie  du  Lannel  (Roman  Saiyrique,  1624), 
Mareschal  (ChrysoUte,  1627),  Fran^ois  Tristan  l'Hermite  (Le  paae  dis- 
gracid^  164S)  und  Antoine  Furetiäre  (Le  Roman  botirgeois,  1666).^ 

Im  achtzehnten  Jahrhundert  ist  Le  Sage  zu  nennen,  und  es  gab 
der  Abbä  Pr^vost  eine  hiMoire  de  fiUe,  als  er  1732  die  Histoire  de 
Manon  Lescaut  et  du  Chevalier  des  Orieux  vollendete. 

Mit  diesem  Buche  fängt  der  psychologisch -erotische  Roman  an, 
den  Restif  de  la  Bretonne  weiter  püegt  in  Le  pied  de  Fanchette  ou 
Corfeline  fran^ise,  histoire  interessante  et  morale,  1769,  und  ihn  auf  Henri 
Beyle  (Le  Rouge  et  le  Noir,  1831)  verpflanzt;  der  in  unseren  Tagen 
vom  jüngeren  Dumas  (La  Dame  aux  cametiasj,  von  Georges  Sand,  von 
Flaubert  (Education  sentimentale),  von  den  Gebrüdern  de  Goncourt  und 
einem  ganzen  Heer  mittelmassiger  Nachfolger  weiter  bebaut  wird. 

marthe  von  Huysmans  hat  am  meisten  Verwandtschaft  mit  Ed- 
mund de  Goncourt's  La  fille  ,Elisa.  Vhisioire  d'une  fiüe  erschien  am 
12.  September  1876,  La  ßle  Elisa  am  20.  März  1877.  Das  geistige 
Band,  das  Huysmans  und  de  Goncourt  verknüpft,  ist  leicht  nachzu- 
weisen. Beide  sind  durch  und  durch  Künstler,  beide  sind  begeistert 
von  Malerei,  Bildhauerkunst,  Kupferstechkunst. 

Huysmans  vergleicht  Marthe  mit  Saskia,  Rembrandt's  erster 
Frau;  er  lässt  seine  Marthe  eine  Kopie  von  Jordaens  Dreikönigs- 
fest bewundern,  und  sie  gedankenvoll  vor  einem  Stich  nach  Hogarth 
(das  dritte  Blatt  von  The  Rakes  I^ogress^  still  stehen.  Marthe,  die 
Tochter  aus  der  unglücklichen  Ehe  zweier  elender  Abenteurer,  zeigt 
dabei  so  viel  Geschmack,  dass  sie  ihn  nicht  von  ihren  Eltern  geerbt 
haben  kann.     Ähnliches  kommt  bei  fast  allen  Personen  des  Buches  vor. 

Weder  Marthe,  noch  Elisa,  noch  Nana  sind  die  ersten  unter  den 
weissen  Sklavinnen,  die  einem  Romanschreiber  zum  Modell  gedient 
haben.9)  Der  jüngere  Dumas  hat  seiner  Marguerite  Gauthier  eine  ge- 
wisse Berühmtheit  zu  verschaffen  gewusst,  <Se  nach  Verdi's  D'aviata 
noch  zunahm.  Schon  Manon  Lescaut  gehört  der  Kaste  an,  die  der 
Niederländer  Bredero  „die  grosse  Gilde"  nannte. 

Man  darf  Huysmans  nicht  wegen  seines  Stoffes  über  die  Achseln 
ansehen.  Ein  spanischer  Dominikanermönch,  Andreas  Perez,  genannt 
Ubeda,  schrieb  1605  einen  Roman:  La  Picara  Justina,  der,  wie  La  Tia 
fingada   von    Cervantes,    die   spanischen    weissen   Sklavinnen   mit  viel 


^)  Man  vergleiche  H.  Koerting:  Geschichte  des  französischen 
Romans  im  XVIL  Jahrhundert,  Bd.  II:  Der  Realistische  Roman, 

2)  Marthe,  zweite  Auflage,  S.  68—70. 

8)  Ary  Prins,  der  einen  sehr  guten  Artikel  über  Huysmans  schrieb 
(Nietiwe  Gids,  1.  Juni  1886)  ist  daher  im  Unrecht,  wenn  er  sagt:  In 
der  Marthe  hat  Huysmans  zuerst  unter  allen  modernen  Roman- 
schreibern die  gefallene  Frau  ohne  alle  Sentimentalität,  in  ihrem  vollen 
Elend  mit  all  mren  guten  und  schlechten  Eigenschaften  gezeichnet. 


Moderne  französische  Romanschriftsteller.  47 

weniger  Vorsicht  und  Decenz  vorführt,  als  der  Abb^  Er^vost,  DumaR, 
Huysmans,  de  Goucourt  oder  Zola  es  thun. 

Von  mehr  Gewicht  ist  der  Vorwurf,  dass  HuyRmans  seinen 
Gegenstand  in  einer  gewählten,  künstlerischen  Sprache  behandelt,  von 
der  die  Wirklichkeit,  das  schmutziggraue  Kolorit  seines  Stoffes,  sehr 
auffällig  absticht.  Warum  er  in  schillernder  Künstlerlaune  das  gefähr- 
liche Wagstück  unternahm,  beschreibt  er  selbst,  wenn  er  die  Grübeleien 
Leo's  schildert,  des  Schreibers  bei  einem  Journalisten,  der  Marthe  im 
Ihe'ätre  de  Boimo  hat  singen  hören,  nnd  ihr  nun  mit  gutgemeinten, 
schlechten  Sonetten  huldigt. 

Da  Huysmans  jedem  seiner  jungen  Helden  einen  Teil  seiner 
eigenen  Individualität  verleiht,  findet  man  ihn  auch  an  Leo  (in  Marthe) 
teilweise  wieder.  Leo  ist  sehr  früh  selbständig  geworden,  hat  seine 
Freiheit  missbraucht  und  ist  das  Opfer  seiner  Leidenschaften  geworden. 
Sein  schriftstellerisches  Talent,  das  die  Künstler  zwar  sehr  hoch  stellen, 
das  aber  alle  ehrbaren  Philister  mit  Entsetzen  erfüllt,  hatte  ihn  ver- 
leitet, von  seiner  Feder,  d.  h.  in  Hunger  und  Entbehrung  zu  leben. 
Es  gab  AugenblickOi  in  denen  er  seine  Künstlerträume  in  geniale  Prosa 
zu  kleiden  verstand,  in  eine  Form  verwandt  mit  den  fremdartigen 
Schemen,  die  das  wilde  Talent  Goya's  ins  Leben  gerufen  hatte.  Auf 
die  Tage  des  Schaffens  folgten  dann  Tage  tiefster  Niedergeschlagenheit, 
in  denen  er  keine  vier  Zeilen  schreiben  konnte. 

Seit  einem  halben  Jahrhundert  beherrscht  die  französischen 
Kunstkreise  eine  ganz  wunderbar  erscheinende  Verehrung  für  den 
Spanier  Goya.  Wie  der  Maler  Goya,  wie  der  Romanschreiber  Hoffmann, 
so  hiess  es  schon  zu  Zeiten  Thdophile  Gautier's  und  G^rard  de  KervaPs. 
Und  einmal  in  die  Mode  gekommen,  verschwanden  beide  Ausländer 
nicht  wieder  von  der  litterarischen  Bühne.  Später  kommen  noch 
Shelley,  Edgar  Allan  Poe  und  de  S^nancourt  dazu,  nnd  was  die  all- 
gemeine Meinung  einmal  als  genial  gestempelt  hatte,  das  blieb  lange, 
ja  bis  zum  heutigen  Tage  ein  Geffenstand  tiefster  Verehrung. 

Wir  kehren  zu  Huysmans  Helden  Leo  zurück.  Um  den  Ge- 
mütszustand des  Verfassers  noch  deutlicher  hervortreten  zu  lassen, 
berichten  wir  noch,  dass  dieser  in  seinen  Träumereien,  die  aus  einer 
zu  starken  Überreizung  seiner  Nerven  geboren  sind,  beständig  das 
Bild  einer  idealen  Geliebten  vor  sich  schweben  sieht,  einer  von 
Rembrandt  gemalten  Frau,  einer  Frau  von  wunderbarer  Pracht  der 
Schönheit,  deren  Augen  in  der  unbeschreiblichen  Glut,  in  der  melan- 
cholischen Lebenslust  du  chefd^cßuvre  du  Van  Rhm,  la  femme  du  saion 
caj-re  au  Louvre  leuchten. 

Die  letzten  Worte,  die  wir  hier  unübersetzt  wiedergeben,  zeigen 
mit  ihrem  dreimaligen  du^  mit  dem  wunderlichen  Namen  Van  Rhin 
allein  schon  das  Unfertige,  Unreife  in  diesem  ersten  Buch,  und  der 
Verfasser  war  selbst  der  erste,  der  die  Mängel  seiner  Arbeit  einsah. 
Marthe  erschien  1876  in  Brüssel  und  wurde  von  der  französischen 
Regierung  in  den  Index  aufgenommen.  Es  ging  damit,  wie  mit  dem 
Prozess  über  Flaubert's  Madame  Bovary,  es  ist  die  alte  Geschichte 
vom  Splitter  und  Balken.  Das  Verbot  stellte  sich  übrigens  als  ganz 
überflüssig  heraus.  Erst  im  Jahre  1879  erschien  eine  zweite  Auflage 
der  Marthe  in  Paris  bei  Derveaux  mit  einer  impressionistischen 
Radirung  von  Forain,  die  ich,  mit  Erlaubnis  gesagt,  abscheulich  finde. 

Huysmans  gesteht  es  in  einem  Avant-propos  zur  zweiten  Auf- 
lage selbst  ein,  dass  seine  Marthe  ein  roman  naturaliste  und  sein 
Stil  tourmente  ist.  Er  gibt  das  Buch  jedoch  auch  zum  zweiten  Male, 
wie  es  eben  ist,  avec  ses  defauts  et  ses  audaces  de  jeunesse. 


48  Jan  ien  BHnk, 

Wir  bleiben  nicht  länger  bei  diesem  Erstling  seiner  Muse  stehen. 
Huysmans  hat  uns  noch  andere  Proben  seines  Talentes  gegeben.  Das 
zeigt  schon  sein  zweites  Buch  Les  soeurs  Vatard. 

Ein  kurzes  Wort  über  den  Inhalt  vorweg.  Huysmans  erzählt 
die  Geschichte  der  Schwestern  Vatard,  die  in  einer  Pariser  Fabrik,  in 
den  aieliers  de  satinage  et  de  brochure  de  la  maison  De'bonnaire  ^  C 
beschäftig  sind.  C^une  und  D^sir^e  sind  die  Töchter  eines  Arbeiters, 
der  in  seinen  alten  Tagen  von  einem  sehr  ärmlichen  Jahrgehalt  lebt. 
Die  älteste  ist  ein  verlorenes  Geschöpf,  die  jüngste  führt  sich  tadellos 
auf.  Ein  junger  ouvrier  macht  ihr  den  Hof,  aber  der  alte  Vatard 
will  seine  Tochter  nicht  hergeben,  er  hat  sie  im  Haushalt  nötig.  Sie 
spart  ihm  die  Kosten  einer  Putzfrau.  D^sir^e  kann  ihren  Geliebten 
nur  sehr  selten  sprechen.  Die  Liebe  wird  schwächer  und  schwächer. 
D^sir^e  wird  krank.  Schliesslich  heiratet  sie  einen  braven  Arbeiter, 
der  zu  seinem  Schwiegervater  ins  Haus  zieht.  Der  Hauptschauplatz 
der  Erzählung  ist  die  Fabrik  von  Döbonnaire  &  C**.  Ein  wüstes 
Durcheinander  von  hässlichen  Menschen  und  hässlichen  Dingen  ist  da 
zusammengebracht.  Die  ouvrieres,  arme  Frauen  in  schmutzigen  Lumpen, 
leben  in  einer  ungesunden  Atmosphäre,  die  der  Geruch  von  nassem 
Papier,  Stärke  und  wer  weiss  was  noch  verdirbt. 

Die  meisten  Pariser  Blätter  fielen  den  Roman  mit  grosser  Er- 
bitterung an.  Nur  zuweilen  sprach  ein  Freund  oder  Geistesverwandter 
zu  seinen  Gunsten.  Huysmans'  Meister,  Zola,  beurteilte  die  Dichtung  im 
Voltaire  sehr  günstig.  Er  preist  die  Wahrheit  in  der  Zeichnung  der 
armseligen  Arbeitsleute  und  deren  dürftigen  Wohnungen  im  fünften  oder 
sechsten  Stock.  Dass  der  Roman  keine  Verwicklung  hat,  nicht  einmal 
fesselnd  erzählt  ist,  wird  charakteristisch  genannt.  Toni  Cari  moderne 
est  lä.^)  Die  gewissenhaft  gezeichnete  alte  Vatard  und  seine  beiden 
Töchter  gereichen  dem  Verfasser  zur  Ehre.  Schlechte  und  brave  Arbeiter- 
kinder wie  Coline  und  D^siräe  kommen  im  Pariser  Leben  täglich  vor.  Die 
lang  genährte  und  endlich  getäuschte  Hoffnung  D^sirde's,  ihre  melan- 
cholischen Spaziergänge  und  Unterhaltungen  mit  dem  braven  Arbeits- 
mann, verdienen  unbedingt  das  ZoWsche  Lob.  Eine  solche  Liebe  auf 
der  Strasse  rührt  um  so  mehr,  je  mehr  sie  mit  der  Wirklichkeit  über- 
einstimmt, je  öfter  sie  auf  dem  Boulevard  oder  Faubourg  beobachtet 
werden  kann. 

Huysmans  konnte  sich  kein  liebenswürdigeres  Urteil  wünschen 
als  das  Zola's.  Ich  selbst  stelle  mich  auf  einen  vollständig  neutralen 
Standpunkt,  ohne  jedes  Für  noch  Wider  inbezug  auf  den  ästhetischen 
Grundsatz  der  beiden  Schriftsteller ;  mein  Urteil  über  Les  sceurs  Vatard 
lautet  abweichend  von  dem  Zola's.  Als  Studie,  als  Beitrag  zur  Kenntnis 
der  Arbeiterfamilien  ist  das  Buch  vortrefflich.  Das  von  Zola  selbst  in 
seinem  L Assommoir  gegebene  Beispiel  hat  den  jungen  Romanschrift- 
steller begeistert.  Aber  er  hat  übersehen,  dass  ein  Sujet,  wie  das  im 
Assommoir  gewählte,  einen  erschütternden  Eindruck  machen  muss,  und 
dadurch  manchen  Einwand  entkräftet.  Trunksucht,  die  Totsünde  des 
armen  Arbeiters  —  auch  anderer  Menschen  —  zum  Thema  für  einen 
Roman  aus  dem  Volksleben  gewählt^  das  ist  ein  Gegenstand,  der 
Tausende  von  Lesern,  litterarisch  gebildete  und  unlitterarische  fesselt. 
Dazu  kam  noch,  dass  Zola  mit  einer  ausserge wohnlichen  plastischen  Kraft 
jede  einzelne  Gestalt  seines  Buches  sich  vor  der  Phantasie  seiner  Leser 


^)  ämile  Zola,  Le  Roman  expermental  (Paris  1886  bei  Charpentier), 
S.  242. 


Moderne  französische  Romanschriftsteller.  49 

handelnd  bewegen  Hess.  Dieses  plastische  Talent  ist  einem  Roman- 
schriftsteller, der  den  Beifall  eines  grossen  Leserkreises  erringen  will, 
unumgänglich  notwendig.  Huysmans  aber  ist  kein  Plastiker;  er  ist 
nur  Maler,  vielleicht  sogar  weniger  als  das.  Er  skizziert  mit  Kohle, 
und  übertrifft  in  zierlichen  Kunsteffekten  manchmal  selbst  Zola,  aber 
seine  Gestalten  überwinden  niemals  das  Skizzenhafte  und  Unbestimmte 
von  Kohlenzeichnungen. 


III. 

Von  diesen  Holzkohle -Skizzen  kenne  ich  keine  vollendeteren 
als  die  Croguis  Parisiens,  kurze  Gedichte  in  Prosa,  zweimal  aufgelegt, 
mit  Einschaltung  einiger  Skizzen  aus  der  ersten  Sammlung  Drageoir 
aux  Epices.  Dies  Buch  zeigt  deutlicher  als  irgend  ein  anderes,  dass 
Huysmans  durch  und  durch  ein  Künstler  ist.  Diese  kleinen  Gedichte 
sind  voll  überraschender  Züge,  und  schon  die  Titel  der  Skizzen  sprechen 
es  aus,  dass  Huysmans  Gedichte  in  Prosa  schreibt,  wie  weiland  Aloysius 
Bertrand  und  der  nun  wieder  hochgepriesene  Charles  Baudelaire,  der 
Verfasser  der  Petits  poemes  en  pi'ose.  Huysmans  überschreibt  nämlich 
eine  seiner  bizarrsten  Skizzen  Ballade  en  prose  de  la  chandelle  des 
six;  eine  andere:  Le  poeme  en  prose  des  viandes  cuites  au  four.  Das 
Gedicht  von  den  „Kerzen,  sechs  aufs  Pfund",  umfasst  sechs  Strophen, 
die  alle  auf  denselben  Refrain  enden: 

0  chandelle  des  six^  gräsiUante  chandelle. 

Die  hübscheste  Strophe  dieses  Prosagedichts  ist  die  vorletzte, 
sie  lautet: 

„Wenn  du,  vom  Petroleum  und  anderem  Kunstlichte  vertrieben, 
nicht  einmal  mehr  von  den  Armen  gebraucht  wirst,  so  bist  du  doch 
gefeiert,  mehr  als  eine  Königin  je  gefeiert  worden  ist,  du  qualmende 
Kerze!  Rembrandt,  Gerard  Dou,  Schalken  haben  dich  in  unsterblichen 
Werken  gefeiert;  sie  haben  dich  den  rosigen  Schnee  der  Wangen  und 
Busen  verklären  lassen  und  die  flatternden  Locken  der  schönen 
vlämischen  Frau,  die  mit  der  Hand  deine  Flamme  vor  dem  Luftzug 
schützt,  0  chandelle  des  six,  gresiUante  chandelle. "^ 

Ich  lasse  ein  anderes  folgen,  das  der  Dichter  Ritournelle  nennt: 

„Ihr  verstorbener  Mann,  der  Vater  ihrer  drei  Kinder,  schlug  sie, 
80  lange  er  lebte,  und  starb  elend,  an  übermässigem  Absinthgenusse." 

„Seitdem  watet  sie  durch  den  Schlamm  der  Strassen  ihrem  Hand- 
wagen nach  und  kreischt  mit  gellender  Stimme:  Schöne  Waare!  Kauft!" 

„Sie  ist  unbeschreiblich  hässlich.  Sie  ist  ein  Scheusal,  mit  einem 
feuerroten  Kopf  auf  dem  Halse  eines  Athleten;  ihre  Augen  sind  blut- 
unterlaufen, ihre  mit  Schnupftabak  gefällte  Nase  ist  eine  wahre 
Habichtsnase." 

„Ihre  drei  Kinder  hungern;  für  sie  durchwatet  sie  den  Schlamm 
der  Strassen,  für  sie  schiebt  sie  den  schweren  Handkarren  und  schreit : 
Schöne  Waare!  Kauft!" 

„Ihre  Nachbarin  ist  gestorben." 

„Der  verstorbene  Mann  der  letzteren,  der  Vater  ihrer  drei  Kinder, 
schlug  sie,  so  lange  er  lebte  und  starb  elend,  an  übermässigem  Ab- 
sinthgenusse. 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  n.  Litt.    XH.  4 


50  Jan  ien  Brink, 

„Das  hässliche  Scheusal  hat  die  drei  verwaisten  Kinder  zu  sich 
genommen!^ 

„Die  sechs  Kinder  hungern !  Sie  muss  doppelt  so  viel  arbeiten ! 
Ohne  Rast  und  Ruhe  durchwatet  sie  den  Schlamm  der  Strassen,  schiebt 
ihren  Handkarren  und  kreischt  mit  gellender  Stimme:  Schöne  Waare! 
Kauft!« 

Der  Vorzug  dieser  Prosaidyllen  ist,  dass  Huysmans  hier  häufig 
feiner  und  akkurater  zeichnet,  dass  er  die  Holzkohle  auf  die  Seite 
legt  und  zur  Radiernadel  greift. 

Die  zwei  grössten  Stücke  aus  Croquis  Parisiens  sind  in  der  That 
wie  mit  dem  Grabstichel  entworfen ;  es  sind  Les  Folie s- Berger e  und  Le 
Bai  de  la  Brasserie  europe'enne.  Man  erinnere  sich  der  sorgfältig  aus- 
geführten Aquarellen  in  Zola's  üne  Page  d^amour.  Es  sind  Ansichten 
von  Paris;  Paris  im  wechselnden  Tageslicht,  bei  Sonnenschein,  bei 
Sturm  und  Regen.  Huysmans  malt  in  gleicher  Weise  das  Innere  der 
Häuser.  Er  radiert  den  früher  allgemein  besuchten  Vergnügungsort 
Les  Folies- Bergere,  und  als  Seitenstück  dazu  einen  Soldatenball  in 
Grenelle,  einem  der  abgelegensten  Viertel  von  Paris. 

Die  Seiltänzerkünste  zweier  Akrobaten,  eines  Engländers  mit 
seiner  Frau,  die  an  Trapezen  hängen  und  sich  hoch  an  der  Decke  des 
Darstellungsraumes  hin  und  her  schwingen,  während  das  opalfarbige 
elektrische  Licht  sie  mit  einem  silbernen  Nimbus  umgibt,  diese  Künstler, 
von  denen  einer  am  Schluss  unter  plötzlichem  Verstummen  der  Musik, 
nach  einem  heftigen  Knall  das  Trapez  loslässt ,  um  von  dem  anderen 
aufgefangen  zu  werden  und  in  ein  grosses  Netz  zu  fallen,  —  diese  in 
unserem  Jahrhundert  so  hoch  bewunderte  Muskel  Virtuosität,  diesen 
kindischen  Genuss  eines  Haufens  von  Müssiggängem  und  Tagedieben 
beschreibt  Huysmans  meisterhaft  in  dem  glänzendsten  Französisch, 
das  man  sich  nur  denken  kann.  Der  Jubel  des  Publikums,  wenn  das 
halsbrecherische  Stück  gelungen  ist,  das  Erscheinen  der  Luftspringer 
nach  dem  Hervorruf,  die  Verbeugungen  des  Mannes,  die  Kusshände 
der  Frau,  und  der  kurze,  kindische  Trab,  in  dem  sie  die  Bühne  ver- 
lassen ,  —  nichts  ist  vergessen. 

Noch  ausführlicher  und  nicht  weniger  genial  ist  der  Soldaten- 
ball in  der  Brasserie  europeenne  geschildert.  Huysmans  sitzt  unweit 
zweier  Bürgerfrauen,  Madame  Haumont  und  Madame  Tampois.  Man 
tanzt  auf  Asphalt  unter  einem  Glasdach,  das  eiserne  Pfeiler  stützen. 
Unteroffiziere  und  Soldaten  aller  Waffengattungen  treten  auf  dem 
Tanzplatz  auf.  Die  Tänzerinnen  sind  zum  grösstenteil  sehr  ruhig.  Sie 
sind  meistens  in  Gesellschaft  von  Verwandten,  die  eben  so  ruhig  auf 
rings  an  der  Wand  hinlaufenden  Bänken  sitzen  und  dem  Ball  be- 
wundernd zusehen. 

Zahlreiche  Personen  in  strenggezeichneten  Typen,  zwei  oder 
drei  freche  Tänzerinnen,  lärmende  Schlächter  aus  dem  Abattoir  von 
Grenelle,  Kürassiere  und  Artilleristen,  wogen  durcheinander.  Dichte 
Staubwolken  steigen  vom  Boden  auf;  das  schmetternde  Dröhnen  der 
Musik  übertönt  jeden  anderen  Laut.  Eine  stickende  Atmosphäre  erfüllt 
den  Saal,  gar  mancher  möchte  dem  Gedränge  entrinnen.  Unter  dem 
Tanzsaal  ist  eine  Kaffeeschänke ,  die  überfüllt  ist  von  Soldaten.  A,n 
den  Wänden  hängen  allerlei  Waffen  und  neben  Helmen  mit  schwarzen 
oder  roten  Pferdeschweifen  Schakos  und  rote  Käppis.  Der  Lärm  ver- 
mehrt sich.  Es  wird  tapfer  getrunken,  es  wird  sehr  reichlich  soupe 
ä  roignon  bestellt.  Schon  wirft  man  drohende  Blicke  um  sich  her. 
Bald  beginnen  Schlägereien. 


Moderne  französische  RomanschrifisteUer,  51 

„(7a  devient  ignohle,  allons!**  sagt  M™"  Lampois,  und  verlässt  den 
Bai  de  la  Brasserie  europeenne;  ein  gleiches  thut  der  Künstler  selbst. 

Die  Fra^e  nach  der  Wichtigkeit  einer  so  geschilderten  Szene 
gehört  nicht  hierher.  Die  litterarische  Arbeit  Huysmans'  kann  neben 
die  Arbeit  jedes  genialen  Badirers  gelegt  werden.  Wir  haben  die  ge- 
treue Zeichnung  eines  ganz  speziellen  Ortes  und  eines  ganz  speziellen 
Publikums  vor  uns.  Es  kommt  hier  nur  auf  die  Zeichnung,  nicht  auf 
das  Modell  an.  Das  kann  man  jedoch  nicht  von  allen  anderen  Skizzen 
sagen.  Huysmans'  Types  de  Paris,  sein  Conducieur  d'omniöus,  Bein  Marchand 
de  marrons,  sein  Coiffeur,  sind  mittelmässige  Stücke  ohne  höheren 
Kunstwert.  Hier  und  da  ist  ihm  eine  Landschaft  aus  der  Umgebung 
von  Paris  besser  geglückt;  uuter  seinen  Faniaisies  et  peiits  coins  sind  je- 
doch einzelne,  die  beim  Lesen  mehr  Verwunderung  als  Bewunderung 
erwecken.  So  verraten  seine  Studien  über  Le  gousset  und  Vetiage  ent- 
schieden Mangel  an  gutem  Geschmack.  Was  hat  eine  Beschreibung 
von  des  odeurs  suspecies,  (qne)  certains  quartiei's  de  Paris  laborietix  de- 
gagent,  lorsonion  sapprocJie,  Nie,  d'un  aroupe,  mit  der  Litteratur  zu 
schaffen?  Und  welcher  sonderbare  Einrall  brachte  Huysmans  zur  Ver- 
gleichung  der  hustes  de  femme  sans  Utes  et  sans  jambes,  wie  sie  in 
manchen  Läden  zum  Ausstellen  von  Kleidungsstücken  gebraucht  werden, 
mit  Göttinnenbildern  des  Altertums?  Der  Vorteil  dieser  bustes  ist,  dass 
sie  ce  charme  subsidiaire  de  la  femme^  la  gorae,  besser  zur  Anschauung 
bringen,  als  Marmorbilder.  Der  Verfasser  scheint  an  einer  augenblick- 
lichen ümdüsterung  der  Sinne  zu  leiden,  wenn  er  ausruft:  Combien 
superieurs  aux  momes  statues  des  Venus,  ces  manneguins  si  vivants  des 
couturiers! 

Der  1881  erschienene  Roman  En  Menage  bietet  ein  talentvoll 
zusammengesetztes  Ensemble.  Wir  brauchen  nicht  zu  wiederholen, 
dass  die  grossen  Bomanschreiber  früherer  Perioden  —  zumal  Georges 
Sand  —  zu  wiederholten  Malen  den  Versuch  gewagt  haben,  den  Ehe- 
bruch zu  idealisieren.  Französische  kirchliche  und  gesellschaftliche 
Zustände,  einige  romantische  Kühnheiten,  ein  gewandtes  Propaganda- 
machen für  die  Wiedereinführung  der  Ehescheidung,  das  alles  erklärte 
ehemals,  obgleich  es  auch  damals  keine  Entschuldigung  dafür  gab, 
diese  fortwährenden  Schläge  auf  ein  und  denselben  Ambos,  —  den 
Ehebruch. 

Huysmans  betritt  den  entgegengesetzten  Weg.  Er  materialisiert 
den  Ehebruch  und  lässt  den  betrogenen  Ehemann  mit  bewunderns- 
werter Buhe  in  einer  Szene  auftreten,  die  trotz  des  Scheines  voll- 
kommener Bichtigkeit,  doch  die  Unwahrscheinlichkeit  selbst  ist.  Der 
Held  des  Romans,  Andrä  Jayant,  Litterat  und  Künstler,  ein  Mann  mit 
sehr  reizbaren  Nerven,  ist  so  höflich,  den  Dieb  seines  Eheglücks  sehr 
ruhig  zur  Thüre  hinaus  zu  führen,  und  ihm  die  Treppe  hinunter  zu 
leuchten.  Darauf  verlässt  der  Betrogene  ebenfalls  seine  Wohnung  und 
lebt  nun  wieder  als  Junggesell. 

Dass  eine  solche  Handlungsweise  ebenso  cynisch  ist,  wie  der 
Ehebruch  selbst,  hat  noch  kein  französischer  Kritiker  zu  sagen  gewagt. 
Eine  solche  philosophische  Ruhe  beweist  eine  unsittliche  Gleichgiltig- 
keit,  die  niemand  zur  Ehre  gereicht.  Das  in  der  fi'anzösischen  Nation 
so  äusserst  fein  entwickelte  Gefühl  persönlicher  Würde  und  persön- 
licher Ehre  kann  eine  solche  Darstellung  nicht  billigen. 

Dass  sich  der  Held  nach  der  Trennung  einsam  fühlt,  vergebens 
anderswo  Trost  sucht,  und  sich  schliesslich  mit  seiner  Frau  wieder 
versöhnt,  war  nach  einem  solchen  Anfang  nicht  anders  zu  erwarten. 
Und  doch  wäre  es  unbillig,  nicht  einzugestehen,  dass  Huysmans  gerade 

4* 


52  Jan  ien  Brmk, 

in  der  feinen  Analyse  kleiner  Leiden,  kleiner  Schmerzen,  kleiner  Qualen 
Vorzügliches  leistet.  Das  Leben  des  betrogenen  Gatten,  —  eine  Kette 
unbedeutender  Leiden  und  erschlaffender  Täuschungen  —  ist  der 
Hauptinhalt  des  Buches;  diesem  alle  Kräfte  seines  Geistes  zu  opfern, 
Zug  für  Zug  mit  peinlicher  Sorgfalt  und  ganz  ungewöhnlicher  Auf- 
merksamkeit auf  Stil  und  Schreibweise  zu  behandeln,  das  ist  der 
Triumph  des  Verfassers. 

Als  der  Meister  der  naturalistischen  Schule  im  Jahre  1881  seine 
Kritik  über  En  Menage  im  Figaro  schrieb,  zog  er  folgendes  Resum^, 
das  wir  mit  seinen  eigenen  Worten  wiedergeben: 

Liiterature  morbide,  dira-i-on.  Oui^  peut-Sire.  11  y  a  lä  une 
recherche  du  cas  paihologiqud,  un  goüt  pour  les  p/aies  humaines.  Mais 
ce  que  personne  ne  veut  voir,  c*esi  que,  si  le  romancier  va  a  la  bSie  dans 
V komme,  rartiste  est  un  sensiiif  des  plus  delicais  et  un  merveilleux  ouvrier 
de  la  languey) 


IV. 

Im  Jahre  1884  überraschte  Huysmans  die  litterarische  Welt  mit 
seinem  bedeutendsten  Werke,  A  Bebours, 

Eine  litterarische  Revolution  ist  im  Geiste  des  Verfassers  vor 
sich  gegangen.  Das  Auge  immer  auf  das  Sonderbare  und  Ausser- 
gewöhnliche  gewandt,  voll  Hass  gegen  das  Alltägliche  und  Platte, 
hatte  er  bei  seinen  realistischen  Untersuchungen  durch  Übermass  von 
Studium,  durch  Auftröseln  der  unbedeutendsten  kleinen  Leiden  des 
menschlichen  Lebens,  gegen  die  anständige  klassische  Lehre  gesündigt : 
ne  ^uid  nimis.  Er  hatte  immer  nach  dem  Unbekannten,  dem  Fremd- 
artigen und  Wunderbaren  gesucht;  hatte  immer  leidenschaftlich  nach 
dem  Raffinement  gestrebt.  In  seinem  Buch  über  die  lebenden  Meister 
(L*art  moderne^  1883),  einer  Saemmlung  von  Kritiken  über  die  Pariser 
Salons  (1879 — 82),  lässt  er  deutlich  erkennen,  wie  sehr  seine  über- 
müdeten und  gefolterten  Sinne  nach  dem  Anblick  von  etwas  Ausser- 
gewöhnlichem  streben.  Diejenigen  Künstler,  die  nach  dem  Urteil  der 
Menge  sich  eines  unbestrittenen  Talentes  erfreuen,  finden  vor  seinen 
Augen  keine  Gnade,  weil  sie  malen,  wie  man  eben  gewöhnlich  malt. 
Um  Huysmans  zu  gefallen,  muss  man  Ungewöhnliches  leisten,  die  wirren 
Träume  eines  Opiumrausches  mit  breiten,  zusammenhanglosen  Zügen  — 
das  erscheint  ihm  als  der  Gipfelpunkt  aller  Kunst.  Französische  Meister 
wie  Carolus  Düran,  Lefebvre,  Landelle,  Harpignies,  Bonnat  (zumal  dessen 
Porträt  von  Victor  Hugo),  belgische  Meister  wie  Verhas  und  de  Jonghe, 
werden  mit  der  äussersten  Geringschätzung  beiseite  geschoben,  wäh- 
rend er  Herkomer  und  Mesiflag  hoch  erhebt  —  was  diese  Beiden  frei- 
lich auch  verdienen;  —  ebenso  Bastian  Lepage,  Raffaelli,  den 
wunderlichen  Maler  der  Lumpensammler  und  Landstreicher,  Degas, 
der  Tänzerinnen  und  Clowns  malt ;  Forain,  der  sich  das  Publikum  der 
Folies- Berger e  zur  Darstellung  erkoren  hat,  Zandomeneghi  und  endlich 
Odilon  Reden,  der  Gespenster-  und  Geistererscheinungen  auf  die  Lein- 
wand bringt.2) 

1)  fimile  Zola,   üne  Campaane,  1880—81,  Paris  1882,  S.  256. 

^  Wie  Odilon  Reden  malt,  schildert  Huysmans  selbst  in  seinem 
Art  moderne,  S.  276.  Man  vergleiche  seine  Beschreibung  einer  Zeich- 
nung Redon's:     Un   osil  Uanc  roule  dans  un  pan   de  te'nebres,    tandis 


Moderne  französische  Romanschriftsteüer.  53 

Diesen  Eigentümlichkeiten  seines  Geschmacks  in  einem  litterarischen 
Kunstwerk  eine  greifbare  Gestalt  zu  geben,  scheint  ihm  Anleitung  zum 
Schaffen  des  A  Hebours  gegeben  zu  haben.  Auf  dem  Titelblatt  schreibt 
er:  11  faut  que  je  me  rejouisse  au-desstts  du  lemps  .  .  .  .,  quoique  le 
monde  aii  korreur  de  ma  Joie,  et  que  sctgrossihrete  ne  sacke  pas  ce  que 
je    veux    dire.      Er    entnimmt    diese    Worte   Ruysbroeck,    radmircwle. 

Man  fühlt  sogleich,  dass  sich  der  Verfasser  in  eine  für  ihn  be- 
stimmte, vollständig  abgesonderte  Welt  zurückziehen  wird,  wo  ihn  die 
brutalen  Dummheiten  der  gewöhnlichen  Menschen  nicht  hindern.  Es 
liegt  meiner  Meinung  nach  etwas  Ungesundes  darin,  wenn  der  Künstler 
aus  zu  grossem  Eingenommensein  mit  sich  selbst  sich  so  hoch  über 
seine  Zeitgenossen  erhebt.  Es  sprach  nicht  eben  für  die  Billigkeit 
und  Bescheidenheit  des  niederländischen  Dichters  Bilderdjk,  wenn 
dieser  an  seinen  Freund  Tydeman  schreibt:  „Ich  kann  in  dieser  ver- 
fluchten Welt  nicht  leben;  wenn  ich  weiterexistieren  soll,  muss  ich  eine 
Welt  ä  pari  haben." 

Und  solch  eine  Welt  will  Huysmans  in  A  Rehours  uns  vorführen. 

Es  tritt  nur  eine  Person  in  diesem  Buche  auf,  der  Herzog  Jean 
des  Floressas  des  Esseintes.  Er  ist  dreissig  Jahre  alt,  schwach,  nervös, 
blutarm;  er  ist  der  letzte  kränkliche  Spross  eines  alten  Geschlechtes; 
sehr  bewandert  im  Lateinischen,  weil  er  in  einer  Jesuitenschule  seine 
Erziehung  genossen  hatte;  er  ärgert  sich  über  die  Welt  und  ihre 
Freuden,  da  er  sich  nach  seiner  Mündigkeitserklärung  durch  un- 
mässigen  Gebrauch  den  Magen  daran  verdorben  hat.  Des  Esseintes 
hat  vergebens  danach  gestrebt,  eine  Erholung  in  litterarischen  Kreisen 
zu  finden  —  er  findet  in  denselben  nur  Scheinheilige  und  Dummköpfe. 
Da  fasst  er  den  Plan,  sich  in  die  Einsamkeit  zurückzuziehen  und  dort 
den  Rest  seines  Vermögens  zu  verzehren.  Er  kauft  sich  nicht  weit 
von  Fontenay-aux  Roses  ein  Haus,  ein  ganz  abgelegenes  Landhans,  in 
welchem  ihn  niemand  stören  wird.  Dieser  neue  Wohnort  wird  nun 
in  einem  ganz  exquisiten  Geschmack  eingerichtet.  Der  Einsiedler,  der 
die  Welt  aus  Überm ass  von  Sinnengenuss  verlässt,  will  den  ganzen 
Luxus   der  Welt  in   seiner  einsamen  Klause  um  sich  haben. 

Der  Beschreibung  dieses  Luxus,  dem  in  eigenartig  schönem  Stil 
geschriebenen  Protokoll  über  des  Esseintes  Beobachtungen  in  der  Ein- 
samkeit, ist  das  ganze  Buch  gewidmet.  Ehe  ich  mich  über  die  wirk- 
lich arme  Erfindung  ausspreche,  muss  ich  bekennen,  dass  A  Rehours 
die  Arbeit  eines  wirklichen,  ernstdenkenden  Künstlers  ist.  Blatt  für 
Blatt  spricht  von  einer  Feinheit,  sowohl  der  Analyse  des  psychologischen 
Zustandes,  als  auch  der  Beschreibung  des  ausgesuchten  Luxus  Des 
Esseintes*  —  die  stets  den  tüchtig  gebildeten,  wissenschaftlichen  Schrift- 
steller verrät. 

Es  ist  sehr  schwer,  die  kunstvoll  stilisierten  französischen  Sätze 
entsprechend  zu  übersetzen,  dennoch  wage  'ich  den  Versuch,  um 
mein  Urteil  über  Huysmans  durch  einige  Stellen  seines  wunderlichen, 
aber  ausgezeichnet  geschriebenen  Buches  zu  begründen.  In  dem 
ersten  Kapitel  erzählt  uns  Huysmans  ausführlich ,  wie  Des  Esseintes 
seine  Klausnerhütte  einrichtete.     In  den  besten  Tagen  der  Romantik 


qu^emerge  Wune  eau  souterraine  ei  glaciale,  un  Stre  bizarre,  un  amour 
vieüü  de  Prud^hon,  un  fcßtus  du  Correge,  macere  dans  un  bain  d*alcool, 
lequel  nous  regarde,  en  levant  le  doigi,  ei  plisse  sa  bauche  en  un  mysierieux 
et  enfantin  sourire. 


54  Jan  ten  Blink, 

hat  Th^ophile  Gautier's  reiche  Phantasie  uns  orientalische  Pracht 
und  orientalischen  Glanz  in  seiner  bekannten  Novelle  Fortunio  ge- 
schildert. Huysmans  versucht  es,  all  das  Gold  und  Silber,  all  das 
funkelnde  Krystall,  all  die  glänzenden  Kronleuchter  der  romantischen 
Soupers,  wie  sie  le  öon  Theo  beschreibt,  mit  den  verborgenen  Schätzen 
zu  überstrahlen,  die  Des  Esseintes  um  sich  her  ausbreitet. 

Vor  allen  Dingen  lebt  Des  Esseintes  nur  in  der  Nacht.  Er 
frühstückt  Nachmittags  um  fünf  Uhr,  speist  Nachts  elf  Uhr  zu  Mittag 
und  nimmt  früh  fünf  Uhr  ein  leichtes  Abendbrot  ein. 

Ferner  hat  er  sich  eine  Art  kleiner  Kajüte  bauen  lassen,  in  der 
ihm  seine  beiden  Bedienten  die  Tafel  herrichten.  Sehr  merkwürdig 
ist  seine  Studierstube  und  die  ausgewählte  Bibliothek,  die  er  dann 
zusammengebracht  hat.  Alle  seine  Bücher  sind  Muster  der  Buch- 
binderkunst und  alle  kostbaren  Ausgaben  gehören  zu  ein  und  der- 
selben Art  —  es  sind  lauter  lateinische  Bücher  und  zwar  aus  der  spät- 
lateinischen Periode.  Seine  Vorliebe  fürs  Lateinische,  das  er  einst  in 
der  Schule  der  Jesuiten  gepflegt,  hatte  ihn  zu  dieser  Wahl  bestimmt. 

Dem  klassischen  Latein  aus  dem  grossen  Zeitalter  eines  Cicero  und 
Horaz  konnte  er  keinen  Geschmack  abgewinnen,  da  ihm  das  feierliche 
Geklapper  gleichklingender  Adjektiva  und  Substantiva  zu  sehr  an 
die  Gemessenheit  der  französischen  Schriftsteller  aus  Ludwig's  XIV.  Zeit- 
alter erinnert.  Er  hat  Widerwillen  vor  Virgil,  weil  ihn  die  Schul- 
meister den  „Schwan  von  Mantua"  nannten,  und  weil  er  aufge- 
putzte Schäfer  nicht  leiden  mag,  weil  es  ihn  verstimmte,  dass  er 
Orpheus  mit  einer  klagenden  Nachtigall  verglich,  weil  er  Aristaeus  über 
tote  Bienen  weinen,  und  Aeneas  wie  ein  chinesisches  Schattenbild 
vom  Anfang  bis  zum  Ende  des  Epos  herumlaufen  sah.  Aber  selbst  die 
würdevollen  Dummheiten  dieser  Marionetten  hätte  er  mit  Geduld  er- 
tragen; er  würde  übersehen  haben,  dass  Vergil  Homer  bestiehlt,  und 
nicht  diesen  allein,  sondern  auch  Theokrit,  Ennius  und  Lucrez; 
er  würde  es  entschuldigt  haben,  dass  der  Dichter  im  zweiten  Buche 
der  JEneis,  wie  Macrobius  nachgewiesen  hat,  aus  einem  Gedichte  des 
Peisandros^)  borgt;  aber  er  kann  die  Hexameter  mit  ihrem  Geklapper 
wie  von  Blechtrommeln,  wie  von  leeren  Kochtöpfen  nicht  ertragen; 
er  kann  die  immer  gleichmässig  wiederkehrende  Zäsur  nicht  leiden,  er 
kann  es  nicht  ausstehen,  dass  jeder  Vers  mit  der  langweiligen  Auf- 
einanderfolge eines  Daktylus  und  eines  Spondeus  schliesst. 

Es  stört  ihn  überdiess,  dass  dies  monotone  Metrum  so  viele 
nichtssagende  Flickworte  zulässt,  dass  die  homerischen  Epitheta  so  oft 
der  Kraft,  der  Plastik,  der  Farbe  entbehren. 

War  daher  seine  Bewunderung  für  Virgil  mehr  als  geteilt,  seine 
Achtung  vor  den  naiven  Ausdrücken  des  Ovid  nur  sehr  massig,  so 
war  sein  Widerwille  gegen  Horaz  geradezu  ohne  Grenzen. 

Er  verglich  die  verzweifelten  Anstrengungen  dieses  Dichters, 
anmutig  zu  scheinen,  mit  den  Bemühungen  eines  Elephanten,  Polka  zu 
tanzen;  er  wollte  das  unverständige  Geschwätz   dieses  Stümpers  nicht 


^)  Ambrosins  Theodosius  Macrobius  hat  (etwa  450  nach  Christi) 
in  seinen  Saiurnalium  conviviorvm  Hört  Septem  (1868  von  Eyssenhardt 
herausgegeben)  auf  die  Autorität  des  Servius,  des  bekannten  Kommen- 
tators von  Virgil  hin  bewiesen,  dass  der  Stoff  zum  zweiten  Buche  der 
^neis  einer  epischen  Dichtung  des  Peisandros  entlehnt  ist;  dieser 
Dichter  stammt  aus  Rameiros  auf  Rhodus,  und  lebte  um  648  vor 
Christi  oder  etwas  später. 


Moderne  französische  Romanschriftsteller.  55 

anhören,  er  sah  geringschätzig  auf  diesen  weiss  angestrichenen  Clown 
herab. 

Inbezug  auf  die  Prosa  hatte  des  Esseintes  ebenso  wenig  Wohl- 
gefallen an  der  bilderreichen  Sprache,  den  unnötigen  Metaphern  und  den 
wirren  Auseinandersetzungen  des  Cicero.  £r  war  durchaus  unzufrieden 
mit  des  Mannes  geschraubten  Sätzen,  mit  dem  Überfluss  seiner 
patriotischen  Überschwenglichkeit,  mit  dem  Bombast  seiner  Reden,  mit 
der  SchwerföUigkeit  seines  Stils,  in  dem  er  weder  Mark  noch  Bein  fand ; 
mit  der  unerträglich  langen  Reihe  ebenso  langer  Beiwörter  am  An- 
fang der  Sätze;  mit  dem  stets  wiederkehrenden  Formmotiv  seiner  ge- 
reckten Perioden,  das  eine  Reihe  verbindender  Worte  nur  sehr  gebrech- 
lich unter  sich  in  Verbindung  bringt.  Der  durch  seine  Kürze  bekannte 
Cäsar  flösste  ihm  gerade  um  des  Gegenteils  willen  keine  grössere  Be- 
geisterung ein;  seine  Sparsamkeit  im  Ausdruck,  seine  Trockenheit  ver- 
letzen ihn. 

Mit  einem  Wort,  weder  die  genannten,  noch  alle  übrigen  Schrift- 
steller, die  die  Wonne  der  sogenannten  Gelehrten  sind,  waren  nach 
seinem  Geschmack.  Sallust,  der  vielleicht  weniger  farblos  war  als 
die  anderen,  gefiel  ihm  nicht;  ebenso  wenig  der  sentimentale  und  feier- 
liche Livius;  der  bleiche,  aufgedunsene  Seneca;  der  wässerige  und 
kränkliche  Sueton ;  auch  nicht  Tacitus,  der  in  seiner  Kürze  kräftigste, 
schärfste,  energischste  von  allen.  Auch  die  Dichter  liessen  ihn  kalt; 
so  Juvenal  trotz  einzelner  vortrefflicher  Verse,  und  Persius  trotz 
seiner  mysteriösen  Anspielungen.  Tibull  und  Properz,  Quintilian 
und  die  beiden  Plinius,  Statius  und  Martialis  von  Bilbilis  schob  er  bei 
Seite,  und  konnte  sich  selbst  nicht  mit  Terenz  und  Plautus  einverstanden 
erklären,  trotz  des  netten  Jargons  voll  Archaismen  bei  dem  letzteren. 
Die  lateinische  Litteratur  wurde  für  Des  Esseintes  erst  bedeutend  mit 
Lucan. 

Lucan,  der  gewöhnlich  wegen  des  übertriebenen  Pathos  seiner 
rharsalia  willen  nicht  besonders  hoch  angeschrieben  steht,  gefiel  ihm. 
Der  Aufputz  der  Lucanischen  Verse  und  das  Schillernde  seiner  Epitheta 
füllten  für  ihn  die  Leere  des  Inhalts  aus  und  liessen  ihn  die  Gedanken- 
armut des  Dichters  übersehen;  aber  den  meisten  Vorzug  gab  er  doch 
Petronius.  Seine  feine  Beobachtungsgabe,  seine  gewissenhafte  Analyse, 
seine  wunderbar  schönen  Schilderungen,  ganz  ohne  jede  Parteilichkeit, 
des  täglichen  Lebens  in  Rom,  liessen  ihn  immer  wieder  mit  neuem 
Genuss  das  Satyricon  zur  Hand  nehmen. 

Des  Esseintes  sah  in  diesem  realistischen  Roman  etwas,  woran 
er  ebensoviel  fand,  wie  an  den  wenigen  französischen  Romanen,  die 
ihm  zusagten.  Er  fand  hier  wie  dort  Schilderungen  nach  dem  Leben 
ohne  jede  weitere  Nebenabsicht,  und,  wie  sehr  man  dem  auch  wider- 
sprechen möge,  auch  ohne  Satire.  Er  fand  eine  Geschichte  ohne  Hand- 
lung, die  Schilderung  von  den  Abenteuern  einiger  Galgenstricke,  ohne 
eigentlichen  Schluss  und  ohne  Moral.  Er  fand  vollkommene  Neutralität 
des  Schriftstellers,  der  niemals  seine  Meinung  äussert,  ob  er  nun  die 
Thaten  oder  Ansichten  seiner  Personen  gutheisst  oder  tadelt,  der  uns 
alle  Verkehrtheiten  einer  verjährten  Civilisation,  eines  sich  auflösenden 
Staates  vorführt. 

Er  betrauerte  es  tief,  dass  Eustion  und  Attnitia,  die  beiden  Werke 
des  Petronius,  von  denen  Planciades  Fulgentius  spricht,  verloren  ge- 
gangen  sind.i)    Aber   er  tröstete   sich    als  Liebhaber   seltener  Bücher 

^)  Es  ist  vollkommen  richtig,  dass  der  afrikanische  Grammatiker 
Fabius  Planciades  Fulgentius,  in  der  ersten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts 


56  Jan  ien  Btink, 

durch  den  Beltenen  Druck  des  Satyricon  aus  dem  Jahre  1585  von  Janas 
Dousa  in  Leyden  herausgegeben,  den  er  besitzt.*) 

Ausser  Petronius  enthielt  die  Bibliothek  Des  Esseintes*  noch  ver- 
schiedene Werke  aus  dem  ^weiten  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung. 
Fronto,  dessen  trockener  Stil  voll  Archaismen  ihn  verletzte,  und  Anlas 
Gellius,  dessen  Attische  Nächte  ihn  langweilten,  waren  aus  seiner  Samm- 
lung verbannt ;  den  Ehrenplatz  nahm  Apulejus  ein ;  Des  Esseintes  besass 
eine  editio  princeps  in  Folio,  gedruckt  1469  in  Rom,  von  dessen  Werken. 

Dieser  Afrikaner  gefiel  ihm.  Das  Latein  seiner  Metamorphosen 
hatte  für  ihn  etwas  Neues,  Anziehendes.  Seine  Neologismen,  die  für 
die  Umgangssprache  in  einem  römischen  Winkel  Afrika's  erfunden  zu 
sein  schienen,  entzückten  ihn.  Der  joviale  Apulejus  bildete  einen  er- 
götzlichen Gegensatz  zu  dem  christlichen  Apologeten  desselben  Jahr- 
hunderts, zu  dem  ermüdenden  Minutius  Felix,  zu  Tertullianus  u.  a., 
die  er  alle  nur  wegen   der   schönen  Drucke   seiner  Exemplare  behielt. 

Obgleich  Des  Esseintes  sich  ziemlich  viel  um  Theologie  bekümmert 
hatte,  Hess  ihn  doch  der  Kampf  der  Montanisten  gegen  die  christliche 
Kirche,  und  der  Widerstand  der  letzteren  gegen  die  Gnostiker  ziemlich 
kalt,  so  dass  er  Tertullianus'  Apologeticus  und  Abhandlung  über  die  Ge- 
duld, trotz  ihres  höchst  eigenartigen  Stils,  der  sich  durch  Kürze  und 
Doppelsinnigkeit  der  Ausdrücke  auszeichnet,  beinahe  nie  zur  Hand 
nahm,  sondern  nur  zuweilen  ein  paar  Seiten  aus  seiner  Abhandlung 
De  cultu  feminarum  las,  worin  TertuUian  die  Frauen  dringend  beschwört, 
sich  doch  nicht  mit  edlen  Steinen  und  kostbaren  Stoffen  zu  überladen, 
sich  doch  nicht  mit  Schminke  zu  bedecken,  in  der  Absicht,  dadurch 
die  Natur  verbessern  und  verschönern  zu  wollen. 

Da  diese  Ideen  den  seinen  gerade  entgegengesetzt,  machten  sie 
ihm  Vergnügen ;  er  fand  auch,  dass  Tertullian  als  Bischof  von  Karthago 
manche  Absonderlichkeiten  hatte.  Er  stellte  also  den  Menschen  über 
den  Schriftsteller. 

Tertullianus  lebte  in  einer  sehr  stürmischen  Zeit,  unter  Caracalla, 
unter  Macrinus,  unter  dem  wunderlichen  Hohenpriester  von  Emesa, 
Heliogabalus.  Dabei  fuhr  er  ruhig  fort,  seine  Predigten  auszuarbeiten, 
während  das  römische  Reich  in  seinen  Grundvesten  erzitterte  und  die 
aus  Asien  Einzug  haltende  Sittenverderbnis  mit  Jubel  begrüsst  wurde. 
Mit  der  grössten  Gemütsruhe  predigte  er  Keuschheit,  Massigkeit,  Ein- 
fachheit der  Kleider,  während  Heliogabalus  auf  Silberstaub  und  Gold- 
sand wandelte,  sich  das  Haupt  mit  den  priesterlichen  Tiaren  deckte, 
ein  geistliches  Gewand  mit  Edelsteinen  ganz  übersät  trug,  umgeben 
von  seinen  Eunuchen  Frauenhandarbeiten  ausführte  und  sich  Kaiserin 
nennen  Hess 

Des  Esseintes  sah  mit  Befriedigung  diesen  Widerspruch ;  er  hatte 
auch  seine  Freude  daran,  wahrzunehmen,  wie  das  bei  Petronius  auf  der 


nach  Christi,  über  zwei  verloren  gegangene  Werke  des  Petronius  ge- 
sprochen hat.  Aber  schon  Lipsius  hegte,  um  manches  Rätselhaften 
der  Sache  willen,  Zweifel.  Bernhardy,  in  seiner  bekannten  Geschichte 
der  lateinischen  Litteratur,  will  nichts  von  Petronius  wissen;  er  hält 
das  Satyricon  für  ein  Volksbuch,  ohne  bekannten  Verfasser.  Mit 
Sicherheit  lässt  sich  nicht  darüber  entscheiden.  Man  sehe  den  Aufsatz 
von  A.  Wellauer  in  Jahn's  Archiv,  X.  Band,  1844,  S.  194--229. 

^)  Der  thätige  Leydener  Dousa  ist  der  erste  niederländische 
Herausgeber  des  Petronius;  1743  gab  Petrus  Burman  eine  sehr  voll- 
ständige Aussähe  seiner  Werke;  die  am  meisten  gebrauchte  Ausgabe 
unserer  Zeit  ist  die  von  F.  Bücheier  aus  dem  Jahre  1862. 


Moderne  fratizösische  Romanschriftsteller,  57 

Höhe  seiner  Entwickelung  stehende  Latein  sich  langsam  veränderte. 
Die  christliche  Litteratur  verdrängte  die  altrömische  und  brachte  mit 
ihrem  neuen  Gedankenkreis  auch  neue  Worte,  neue  Wendungen,  die 
vorher  im  Lateinischen  fast  ganz  unbekannt  gewesen  waren,  da  sie 
abstrackte  Begriffe  auszudrücken  hatten.  TertuUianus  war  einer  der 
ersten,  der  das  Beispiel  dazu  gab. 

Dieser  Übergang  von  dem  klassischen  ins  christliche  Latein  hatte 
nicht  viel  Erfreuliches,  als  nach  Tertullian*s  Tode  seine  Schüler, 
St.  Cyprianus,  Arnobius  und  der  weichliche  Lactanz  sein  Werk  fort- 
setzten. Es  war  eine  teilweise  Auflösung  der  Sprache ;  zuweilen  traten 
noch  ciceronische  Wendungen  ohne  den  eigenartigen  Duft  des  vierten 
Jahrhunderts  und  der  folgenden  auf,  —  des  Duftes,  den  das  Christen- 
tum der  heidnischen  Sprache  gegeben  hat,  des  Duftes,  wie  von  edlem 
Wild,  das  erliegt,  gleich  der  Civilisation  der  alten  Welt  und  der 
beiden  Kaiserreiche,  die  der  Gewalt  der  andringenden  barbarischen 
Völker  erlagen. 

Nur  ein  einziger  christlicher  Dichter,  Commodianus  von  Gaza, 
repräsentiert  das  dritte  Jahrhundert  in  der  Bibliothek  Des  Esseintes'. 
Das  Carmen  apohgeticum  aus  dem  Jahre  259  ist  eine  Blumenlese  von 
Ermahnungen,  die  in  Acrosticha  künstlich  zusammengefügt,  und  in 
Hexametern  ohne  jegliche  Sorge  um  die  Quantität  der  Sprache  und 
mit  reichlichen  Hiaten,  ja  oft  selbst  in  Reimen  geschrieben  sind,  wie 
wir  unter  den  Dichtungen  der  christlichen  Kirche  später  noch  so  viele 
finden  werden. 

Aber  diese  wilden,  ungeglätteten  Verse  mit  den  rohen  Strassen- 
ausdrücken  flössten  ihm  grösseres  Interesse  ein,  als  der  vermoderte 
Stil  eines  Ammianus  Marcellinus  und  Aurelius  Victor,  eines  Symmachus 
oder  Macrobius;  er  zog  Commedianus  selbst  dem  Claudianus,  Rutilius 
und  Ausonius  vor,  die  noch   regelmässige,  klassische  Verse  schrieben. 

Diese  Dreizahl  stand  damals  an  der  Spitze  der  lateinischen 
Dichter;  sie  erfüllten  das  zusammenstürzende  Kaiserreich  mit  ihren 
Namen ;  so  der  christliche  Ausonius  mit  seinen  Hymnen  auf  Born,  seinen 
Strafreden  gegen  die  Juden  und  die  Mönche ;  seiner  Beschreibung  einer 
Reise  von  Rom  nach  Gallien,  worin  er  sein  grosses  Talent  zu 
Schilderung  und  Beschreibung  an  den  Tag  legt,  und  mit  freier 
Beobachtungsgabe  der  Natur  ein  liebevolles  Auge  schenkt.  So  schildert 
er  die  Spiegelung  der  Landschaft  im  Wasser,  den  Zug  der  Nebel  um 
die  Spitzen  der  Berge. 

Claudianus,  ein  wiedererstandener  Lucanus,  beherrscht  das  ganze 
vierte  Jahrhundert  mit  dem  Metallklang  seiner  Verse;  seine  Hexameter 
sind  grossartig,  sie  ziehen  mit  stolzem  Pompe  daher,  während  das 
westliche  Kaiserreich  untergeht  und  die  Barbaren  schon  vor  den  Thoren 
stehen.  Claudianus  lässt  zum  letztenmale  das  klassische  Altertum 
wieder  aufleben ;  er  besingt  den  Raub  der  Proserpina  und  wir  erstaunen 
über  die  glänzenden  Farben  seiner  Zeichnung. 

Claudianus  ist  der  letzte  grosse  Dichter  der  altklassischen  Schule ; 
auf  ihn  folgen  nur  geistliche  Schriftsteller:  der  spanische  Priester  Pau- 
linus,  Ausonius'  Schüler;  Juvencus,  der  eine  Versparaphrase  der  Evan- 
gelien gibt;  St.  Burdigalensis,  der  dem  Vergil  nachzustreben  versucht, 
und  noch  eine  ganze  Reihe  von  Kirchenvätern  und  Kirchenheiligen: 
Hilarius  von  Poitiers,  der  Athanasius  des  Occidents;  Ambrosius,  der 
langweilige  christliche  Cicero;  Hieronymus,  der  Verfasser  jeuer  Bibel- 
übersetzung, die  zur  Grundlage  der  Vulgata  gedient  hat,  und  endlich 
im  fünften  Jahrhundert  Augustinus,  der  Bischof  von  Hippo. 

Des  Esseintes  kannte  Augustinus,  den  Begründer  der  christlichen 


58  Jan  ten  Brink, 

Orthodoxie,  aus  Beinen  Schuljahren  her ;  er  las  deshalb  nur  selten  seine 
Bekenntnisse  und  De  Civitate  Lei.  Dagegen  durchblätterte  er  zuweilen 
die  Psychomachia  des  Prudentius,  des  Schöpfers  des  allegorischen  Genres 
in  der  Poesie,  oder  die  Werke  des  Bischofs  Sidonius  Appolinaris,  der 
den  heidnischen  Olymp  mit  geistreicher  Wehmut  bekämpft. 


V. 

Wir  gaben  einen  möglichst  getreuen  Bericht  von  den  Aussprüchen 
Huysmans*  über  Des  Esseintes'  Bibliothek.  Dass  dieser  wunderliche 
Ner venleider  ein  gründlicher  Kenner  der  lateinischen  Litterat nr  ist, 
kann  ohne  parteilich  erscheinen  zu  wollen,  durchaus  nicht  geleugnet 
werden.  Nun  tritt  plötzlich  Hujsmans  auch  als  ein  Mann  der  klassischen 
Bildung  auf,  und  zeigt  eine  Belesenheit  in  der  lateinischen  Litteratur 
von  sechs  Jahrhunderten,  wie  wir  sie  nur  selten  bei  den  Vorkämpfern 
der  neuesten  litterarischen  Helden  finden. 

Das  Kapitel  über  die  Des  Esseintes'sche  Bibliothek  bietet  eine 
so  merkwürdige  Probe  von  Gelehrtheit,  wie  wir  sie  bei  dem  Verfasser 
von  Marthe,  von  Croquis  Parisiens,  von  En  Menage  gewiss  nicht  erwartet 
hätten.  Aber  in  einer  Hinsicht  überrascht  uns  Huysmans*  Urteil  über 
die  lateinische  Litteratur  durchaus  nicht.  Nach  seiner  Meinung  müssen 
alle  Schriftsteller,  die  bis  jetzt  allgemein  für  Meister  gehalten  wurden, 
als  böse  Buben  aus  dem  Vorhof  des  Tempels  gejagt  werden. 

Vergil  wird  als  Plagiator  an  den  Pranger  gestellt,  Horaz  wird 
ein  Stümper  genannt,  Cicero  als  aufgeblasener  Grosssprecher  beiseite 
geschoben.  Huysmans  —  denn  Huysmans  und  des  Esseintes  sind  hierin 
ganz  identisch  —  findet  Geschmack  an  Lucanus,  weil  dieser  Dichter 
durch  die  wunderlichste  Wahl  seiner  Ausdrücke  sein  Publikum  kitzelt; 
vor  allen  liebt  er  Petronius  und  Apulejus,  weil  sie  die  einzigen  Roman- 
schreiber des  Altertums  sind,  weil  ihr  Realismus  vor  nichts  zurück- 
schreckt. 

Es  geht  damit,  wie  mit  seinem  Urteil  über  die  Malerei.  Was 
allgemeine  Anerkennung  findet,  weist  er  weit  von  sich  ab.  Was  die 
verflossenen  Jahrhunderte  unter  Zustimmung  aller  Autoritäten  für 
schön  hielten,  nennt  Huysmans  hässlich.  Es  muss  nach  seiner  Mei- 
nung ein  Ende  gemacht  werden  mit  der  Herrschaft  früher  beweih- 
räucherter Schriftsteller ;  die  Götter  müssen  von  dem  Altare  gestürzt  und 
die  Halbgötter  darauf  erhoben  werden.  Der  unter  den  Malern  be- 
gonnene Bildersturm  muss  mit  den  lateinischen  Dichtern  und  Prosa- 
schreibern fortgesetzt  werden. 

Was  für  ein  wunderliches  Buch  A  Rehours  ist,  zeigt  deutlich 
dies  geistreich  geschriebene  Kapitel  über  die  Geschichte  der  lateinischen 
Litteratur,  das  nur  geschrieben  ist,  um  den  eigenartigen  Seelenzustand 
Des  Esseintes'  zu  schildern.  Mit  solchen  ausführlichen  Einschiebseln 
ist  der  Roman  ganz  und  gar  überladen.  So  kauft  zum  Beispiel  jener 
moderne  Einsiedler  bei  Chevet  im  Palais -Royal  eine  Schildkröte,  und 
lässt  die  Schale  des  Tieres  vergolden  und  mit  kostbaren  Steinen  ver- 
zieren. Bei  der  Auswahl  dieser  Steine  fügt  er  eine  ausführliche  Stelle 
über  Edelsteine  ein,  die  wiederum  eine  ungewöhnliche  Kenntnis  und 
ein  ganz  besonderes  Interesse  an  fabelhaffcer  Pracht  ä  la  Tausend  und 
eine  Nacht  oder  ä  la  Fortunio  verrät.  Diese  Vorliebe  für  orientalisch- 
romantische Pracht  begleitet  Des  Esseintes  in  allen  Augenblicken  seines 
einsamen  Lebens.     Der  Thee,   den   er  trinkt,   wird   durch   besondere 


Moderne  französische  Romanschriftsieller.  59 

Karawanen  aus  China  nach  Bussland  gebracht,  und  hat  die  allerselt- 
samsten  Namen :  Si-a-Fayoune,  Mo-you-taun  und  Ehansky;  diese  gelben 
Theesorten  sind  für  jeden  gewöhnlichen  Sterblichen  unerreichbar. 

Ebenso  geht  es  mit  seinen  Likören.  Er  geht  dabei  von  der  Idee 
aus,  jeder  Likör  erinnere  an  den  Ton  eines  Musikinstrumentes.  Des 
Esseintes  buvaii  une  goutie  ici,  lä, . ,  (ei)  arrivaii  ä  se  procurer,  dans  le 

fosier,  des  sensations  analogues  ä  ceües  que  la  musique  verse  ä  VoreiUe, 
)er  CuraQao  erinnert  seiner  Meinung  nach  an  die  Klarinette,  der 
Kümmel  an  die  Hoboe,  der  Anisette  an  die  Flöte,  Eirschbranntwein 
an  die  Trompete,  Whisky  an  die  Trombone,  Cognac  an  die  Tuba,  Rum 
an  die  Altviole,  reiner  und  alter  Bitterer  an  —  den  Kontrabass.  .  .  . 

Solche  beinahe  kindische  Wunderlichkeiten  sind  durch  das  ganze 
Buch  verbreitet;  besonders  bemerkenswert  unter  denselben  ist  eine 
Abhandlung  über  den  Geruch  und  allerlei  Riech  werk.  Die  Einsamkeit 
und  seine  wunderliche  Lebensweise  hat  ihn  überreizt,  dies  ruffc  allerlei 
Halluzinationen  der  Sinneswerkzeuge  hervor.  Zuerst  tritt  die  Hallu- 
zination des  Geruchs  auf.  Der  Geruch  einer  gewissen  Mischung  wohl- 
riechender Spezereien  quält  ihn ;  nun  sucht  er  durch  andere  Riechwasser 
diesen  Duft  zu  vertreiben,  da  er  in  der  science  du  ßair  sehr  bewandert 
war;  da  er  die  Produkte  aller  berühmten  Odeurfabrikanten  eifrig 
untersucht  hatte,  konnte  er  selbst  eine  Geschichte  der  Parfümerien 
zusammenstellen.  Er  besass  eine  Sammlung  aller  möglichen  und 
unmöglichen  Odeurs,  selbst  /^  veriiable  haume  de  la  Mecque  aus  Arabia 
petrsea,  dessen  Monopol  der  Sultan  hat. 

Die  schönsten  Seiten  in  A  Rehours  sind  der  Beschreibung  der 
Kunstwerke  gewidmet,  mit  denen  sich  Des  Esseintes  zum  Schmuck 
seiner  Einsamkeit  umgeben  hat.  Dies  verschaffte  dem  Verfasser  die 
Gelegenheit,  ein  vorzügliches  Kapitel  über  den  Maler  Gustave  Moreau 
zu  schreiben.  Seine  Beschreibung  von  Moreau's  Saiome  ist  ein  sti- 
listisches Meisterwerk.  Das  Gemälde  tritt  durch  jedes  Wort  deutlicher, 
greifbarer,  lichter  hervor.     Man  höre: 

Der  Yierfurst  Herodes  sitzt  auf  hohem  Throne,  der  den  ehr- 
furchtgebietenden Formen  des  Hauptaltars  einer  Kathedralkirche  gleicht; 
an  den  Seiten  stützen  ihn  Pfeiler,  ihn  ziert  bunter  Schmuck  von 
Lapis  lazuli  und  rotem  Sardonix.  Ober  seinem  Haupte  schwebt  eine 
Priesterkrone,  die  Hände  legt  er  breit  ausgestreckt  auf  die  Kniee.  Sein 
Antlitz  ist  gelb,  pergamentfarbig,  runzlig;  sein  weisser  Bart  schwebt 
wie  eine  weisse  Wolke  über  den  kostbaren  Steinen  seines  Gewandes 
von  Goldbrokat.  Wie  um  die  bewegungslosen  Götter  der  Hindus,  wird 
um  ihn  Rauchwerk  verbrannt,  von  dem  feine  blaue  Wolken  emporsteigen. 

Saiome  erscheint,  und  ihr  Bild  ist  von  so  glänzender  Farbe, 
dass  wir  hier  Huysmans  selbst  das  Wort  geben  müssen. 

„Elle  commence  la  danse  qui  doit  re'veiller  les  sens  assoupis  du 
vieil  Herode;  ses  seins  onduleni  et,  au  froitement  de  ses  coüiers  qui  tour- 
billonnent,  leurs  houis  se  dressent;  sur  la  moiteur  de  sa  peau  les  dia- 
manis  attache's  sciniiUent;  ses  braceleis,  ses  ceintures^  ses  bagues,  cracheni 
des  itincelles;  sur  sa  rohe  iriomphale,  couturSe  de  perles,  ramage'e  d'ar- 
geni,  lame'e  d'or,  la  cuirasse  des  orßvreries  dont  chaqtte  maille  est  une 
pierre,  entre  en  conUmstion,  croise  des  serpenieaux  de  feu,  grouüle  sur 
la  chair  mate^  sur  la  peau  rose  the,  ainsi  que  des  insectes  splendides  aux 
elyires  e'blouissanis,  marbräs  de  carmin,  ponciues  de  jaune  aurore,  diapre's 
de  bleu  d^acier,  tigres  de  verl  paon.** 

Man  muss  gestehen,  dass  diese  seltene  Farbenpracht  mit  glän- 
zendem Stift  gemalt  ist.  Huysmans  steht  hier  als  Stilist  unmittelbar 
neben  FlaubeiH;,  de  Goncourt  und  Zola,  während  einzelne  Züge  auch 


60  Jan  ten  Brmk, 

an  Th^ophile  Gautier  erinnern.  Noch  höher  steigt  sein  stilistischer 
Schwung,  wenn  er  ein  Aquarell  Gustave  Moreau's  beschreibt ;  gleichsam 
eine  Fortsetzung  des  Gemäldes. 

Wieder  wird  uns  der  Palast  des  Uerodes  vorgeführt,  diesmal 
aber  als  maurische  Alhambra,  von  goldenen  und  silbernen  Säulen  ge- 
tragen, deren  Fussboden  schimmernde  Perlmutter  ist.  Das  abge- 
schlagene Haupt  des  Täufers  ruht  auf  einer  Schüssel.  Salome  sieht 
es  sich  erheben  in  lichtem  Glänze,  den  ihre  Edelsteine  leuchtend  wider- 
spiegeln. Wieder  lassen  wir  die  Schilderung  von  Salome's  Bild  mit 
den  Worten  des  Prosadichters  folgen: 

„Eäe  estpresque  nue;  dans  Vardeur  de  la  danse,  les  volles  se  sont 
defaits,  les  brocarts  oni  crotäe;  eile  rCesi  plus  vetue  qiie  de  matieres  or- 
fevries  et  de  mmäraux  lucides;  un  gorgerin  lui  serre  de  mime  qu'un 
corselet  la  iaille,  et,  ainsi  qti*une  agrafe  superhe,  un  merveiUetiX  joyau 
dar  de  des  dckdrs  dans  la  rainure  de  sesdeux  seins;  plus  has,  aux  hanches, 
une  ceiniure  Ventoure,  cache  le  haut  de  ses  cuisses  que  hat  une  gigantes- 
que  pendeloque  oü  coule  une  riviere  d'escarbouiles  et  d'äm&audes ;  enfin, 
sur  le  Corps  reste'  nu  entre  le  gorgeinn  et  la  ceinture,  le  venire  bombe, 
creuse  d*un  nombril  dont  le  trou  semble  un  cachet  grave  d'onyx,  aux 
tons  laiteux,  aux  teintes  de  rose  Wongle,^ 


VI. 

Huysmans  hat  in  A  Rebours  sein  Meisterstück  geliefert.  Sein 
Werk  bietet  eine  eigenartige  Erscheinung.  Huysmans,  der  zu  der 
kleinen  Schar  der  jüngeren  Naturalisten  zu  gehören  schien,  lehnt  sich 
mit  diesem  Werke  gegen  die  Schule  auf,  zu  der  er  gehört.  Für  seine 
Soeurs  Vatard  hatte  er  all  die  dunklen  Farben  und  die  unangenehme 
Atmosphäre  des  armen  Fabrikpersonals  von  Paris  mit  erstaunlichem 
Fleisse  studiert,  in  A  Rebours  macht  er  sich  mit  dem  in  Düften  und 
Likören  und  Kunstwerken  schwelgenden  Des  Esseintes  vertraut. 

Die  Erklärung  für  diesen  eigentümlichen  Entwickelungsgang  ist 
leichter,  als  es  scheinen  möchte.  Huysmans  zeigt  in  allem,  was  er  vor 
A  Rebours  geschrieben  hat,  eine  eigenartige  Gemütsstimmung.  Seine 
Wültbetrachtung  führt  ihn  zur  Entzauberung. 

4)er  Roman  En  Menage  ist  vom  Anfang  bis  zum  Ende  nur  fort- 
laufende Entnüchterung.  Er  sagt  von  sich  selbst,  er  sei  ecceure  par 
Pignominieuse  mufflerie  du  present  siede,  Unzufriedenheit  und  Gering- 
schätzung für  die  Kreise,  für  die  Gesellschaft,  in  der  er  lebt,  sprechen 
aus  jedem  Worte.  In  A  Rebours  will  Des  Esseintes  einen  zufällig  am 
Wege  aufgelesenen  sechszehnjährigen  Knaben  sittlich  zugrunde  richten. 
Er  gibt  ihm  reichlich  Geld  und  treibt  ihn  zur  Ausschweifung  an,  will 
ihn  absichtlich  ins  Verderben  stosseu.  Und  er  tröstet  sich  mit  den 
Worten :  faurai  conttibue'  dans  la  mesure  de  mes  ressources,  ä  cräer  un 
gredin,  un  ennemi  de  plus  pour  cetie  hideuse  socie'te  qui  nous  rangonne. 

Es  klingt  aus  diesen  Worten  ein  bis  zum  Hass  herangewachsener 
tiefer  Missmut.  Die  Welt  entspricht  nicht  den  Erwartungen  des  jungen 
Künstlers.  Talente  zweiten  Ranges,  Octave  Feuillet,  Andrä  Theuriet, 
Georges  Ohnet  u.  a.  werden  vom  Publikum  auf  den  Händen  getragen. 
Von  Ohnet's  Maitre  de  Forge  sind  234  Auflagen  erschienen,  seine  Com- 
tesse  Sarah  erlebte  152.  Selbst  Zola  konnte  mit  fAssommoir  und  Nana 
nicht   eine    solche    Popularität   erringen.     Huysmans   hat   im   kleinen 


Moderne  französische  Romanschriftsteller,  61 

Finger  mehr  Talent,  als  Ohnet  in  der  ganzen  Hand,  aber  HuysmanB 
bleiot  unbekannt,  wird  wenigstens  nicht  gelesen. 

Darin  liegt  der  Grund  zu  Unruhe  und  Entrüstung.  Wie  seine 
Helden  Andr^,  Cyprien  und  Des  Esseintes  sieht  auch  er  voll  Ekel  herab 

^  auf  alle  geistigen  und  materiellen  Genüsse,  die  ihm  das  Leben  bieten 

kann.  Alles  Bestehende  ist  wert,  dass  es  zugrunde  geht.  Die  Litteratur 
der  Gegenwart  und  Vergangenheit,  die  Malerei  ebenfalls,  bieten  nur 
sehr    ausnahmsweise    ein   wirkliches   Kunstwerk    dar.     Diese   Meinung 

'  kann  durch  eine  Menge  Stellen  in  Huysmans  Werken  bewiesen  werden. 

In  diesen  Zustand  der  Verbitterung  tritt  bei  Huysmans'  noch  die 

eigentümliche  Erscheinung  auf,  dass  er  sich  trotz  seines  wundervollen 

-  französischen  Stils  nicht  als  Franzose  fühlt,   sich  *nur  schwer  in  fran- 

zösische Zustände  schickt.  Seine  Antwort  auf  die  an  ihm  gerichtete 
Frage,  ob  er  ein  guter  Patriot  sei,  lautete: 

r^Tout  ce  que  je  puis  votts  dire,  c^est  ceci:  je  hais  par  dessiis  tout 

'*  les  gens  exuberants.     ör  ious  les  Meridionaux  auetUent,  ont  un  accent 

f  qui  m'horripüe,  et  par-dessus  le  marchä,  ils  fönt  des  g  est  es,    Non, 

entre  les  gens  qui  ont  de  Vasiracan  houcle  sur  le  cräne .  .  .  et  de  grands 
flegniatiques  et  silencieux  AÜemands,  mon  choix  n^est  pas  doutetuc.  Je 
me  sentirai  toujours  plus  d'affinite's  pour  im  homme  de  Leipzig  que  pour 
un  homme  de  Marseille,  Tout,  du  reste,  tout,  excepie  le  Mtdi  de  la 
France,  car  je  ne  connais  pas  de  race  qui  me  soit  plus  particuäerement 
odieuse.^^) 

In  dieser  Antwort  steckt  etwas  HollUndisches. 
Huysmans  kann  die  lautsprechenden  Franzosen  mit  ihren  leb- 
haften Gebärden  nicht  ausstehen;  er  hat  auch  holländische  Landsleute, 
die  mit  ihm  gleicher  Meinung  sind.  Fassen  wir  alle  seine  Meinungen 
über  Land,  Kunst,  Litteratur  etc.  zusammen,  so  sehen  wir,  dass  er  in 
beständiger  Feindschaft  mit  den  herrschenden  Zustanden  lebt,  und  das 
macht  seine  philosophische  Weltanschauung  natürlich  pessimistisch. 
Und   gerade  in  diesem  Punkte  liegt  der  grosse  Unterschied  zwischen 

!,  Huysmans  und  Zola.     Zola   hat  als  Schriftsteller   einen   ernsten  Krieg 

gegen  einige  der  herrschenden,  litterarischen  Anschauungen  geführt, 
aber  er  hat  doch  Ehrfurcht  vor  dem  neunzehnten  Jahrhundert  und 
seine  mächtigen  Errungenschaften  auf  wissenschaftlichem  Gebiet.  Seine 
Rougon- Macquart  werden  mit  ihren  zwanzig  Teilen  ein  Gedenkbuch  der 

r  bürgerlichen  Gesellschaft  in  der  zweiten  Hälfte  des  neunzehnten  Jahr- 

fi  hunderts  sein. 

Es  fallt  sogleich  auf,  dass  sich  Huysmans  in  A  Rebours  von 
den  eigentlichen  Naturalisten  loslöst,  da  er  in  der  Geschichte  Des  Es- 

ii  seintes  wieder  eine  jener  histoires  ä  dormir  debout  geschrieben  hat,  vor 

denen  ihr  Meister  sie  so  oft  gewarnt  hatte.     Durch  den  wunderbaren 

r  Zirkellauf   des  litterariscben  Lebens   kehrt    er    zur  Wertherstimmung 

und  zu  der  verzweifelten  Weltanschauung  des  R6n6  zurück. 

Es  ist  natürlich,  dass  jemand,  der  von  der  ignominieuse  mufflerie 
du  pre'sent  siede  und  von  der  hideuse  societe  qui  nous  ran^onne  spricht, 
keinen  Gefallen  an  dem  gründlichen  Studium  dieser  selben  Gesellschaft 

)  finden  kann.    Er  schleudert  die  Feder  weg,   mit  der  er  seine  Croquis 

,  Pafisiens  geschrieben  hat  und  entwirft  A  Rebours.    Er  geht  jetzt  einen 

ganz  anderen  Weg.  Er  stellt  sich  an  die  Seite  derer,  die  sich  jetzt 
gegen   ihre   Zeit   aufgelehnt   haben,   wie   Charles  Baudelaire,    dessen 


1)  Meunier ,  Les  hommes  d'aujourd^hui.   /.  -  K,  Huysmans,    Vol.  6, 
No.  263, 


62  Jan  ten  Brink, 

Fkurs  du  mal  (1857)  trotz  des  genialen  Flages  des  Verfassers,  ein  ent- 
ehrendes Urteil  traf.  Und  da  Baudelaire  die  Contes  extraordinaires 
und  die  (Jonies  grotesques  des  berühmten  Amerikaners  Edgar  Allan 
Poe  übersetzt  hat,  wurden  Baudelaire  und  Poe  seine  litterarischen 
Hausgötter,  neben  die  mit  der  Zeit  noch  andere  ältere  oder  jüngere 
gestellt  wurden:  Louise  Ackermann,  Barbey  d'Aurävilly,  Paul  Verlaine, 
Ernest  Hello  und  Villiers  de  dlsle-Adam. 

Der  Verfasser  von  A  Rehours  lebt  in  der  Stimmung,  wie  sie  die 
Vorläufer  der  Romantik  empfanden;  er  steht  nicht  weit  entfernt  von 
Henri  Beyle,  wenn  es  sich  um  die  dauerndsarkastische  Stimmung  seiner 
Seele  handelt,  und  nähert  sich  der  Romantik  Th^ophile  Gautier's  und 
G^rard  de  Nervales,'  was  seine  Vorliebe  für  fremdländische  Pracht  und 
raffinierten  Luxus  betrifft.  In  der  Bewunderung  für  das  überirdisch- 
geheimnisvoll  Spukhafte,  wie  es  der  Maler  Odilen  Redon  und  der 
Dichter  Edgar  Allan  Poe  zum  Ausdruck  bringt,  steht  er  auf  einem 
Niveau  mit  der  französischen  Romantik  von  1830.  Ein  Deutscher, 
der  gerade  damals  in  Paris  ein  gewisses  Aufsehen  erregte,  war  unver- 
schämt genug,  Hoffinann  zu  bestehlen  und  unter  seinem  noch  ganz 
unbekannten  Namen,  Loewe-Veimars,  Le  Violon  de  Cremone  heraus- 
zugeben. Als  dieser  litterarische  Betrug  herauskam,  zeigte  Loewe- 
Veimars  durchaus  keine  Verlegenheit,  sondern  gab  bald  darauf  seine 
Contes  d^ Hoffmann  heraus,  die  dieselbe  Bedeutung  für  G^rard  de  Nerval 
und  Thöophile  Gautier  haben,  wie  Edgar  Allan  Poe  für  Baudelaire  und 
Huysmans.^) 

Es  herrscht  in  diesem  Punkte  zwischen  Huysmans  und  den 
eifrigsten  Vorkämpfern  der  jungen  Romantik  von  1880 — 1850  eine  auf- 
fällige Übereinstimmung.  Die  Jugend  von  1830  freilich  war  voll  Lebens- 
lust und  Hoffnung.  Die  Jugend  von  1880  dagegen  scheint  durch  Un- 
lust und  Langeweile  von  einem  Extrem  ins  andere  getrieben  worden 
zu  sein.  Die  politischen  Zustände  von  1815 — 1830,  die  damit  verbundenen 
gesellschaftlichen  Leiden,  enttäuschten  manchen  jungen  Schwärmer,  da 
man  doch  von  der  neuen  Ordnung  der  Dinge  nach  der  grossen  Revo- 
lution die  herrlichsten  Folgen  erwartet  hatte. 

Schon  das  Kaiserreich  zeigt  ein  solches  Beispiel  von  Enttäuschung 
in  fitienne  Pivert  de  Sönancour;  geboren  zu  Paris  1770,  von  allen  Leiden 
einer  schwächlichen  Jugend  verfolgt,  nach  der  Schweiz  ausgewandert, 
schrieb  er  nach  anderen  Vorläufern  seines  Talentes  sein  Hauptwerk, 
den  psychologischen  Roman  Obermann  (1804),  in  welchem  er  ein  ähn- 
liches Einsiedlerleben  beschreibt,  wie  Huysmans  in  A  Rehours.  Diese 
äusserliche  Übereinstimmung  ist  bemerkenswert.  De  Sänancour  gehört 
dem  achtzehnten  Jahrhundert  an  und  steht  unter  den  verzweifelten 
Franzosen  seiner  Zeit  obenan,  die  als  Emigrierte  den  Lauf  der  Be- 
gebenheiten in  der  Fremde  mit  heftigster  Entrüstung  abwartend  ver- 
folgen. Man  hat  ihn  mit  recht  den  Schöpfer  des  französischen 
Werther  genannt.  Aber  in  einem  Punkte  weicht  Obermann  ent- 
schieden von  Werther  ab ;  das  Buch  de  Sänancour's  erzählt  keine  Liebes- 
geschichte, dagegen  gibt  es  wie  Werthei*  gefährliche  Anleitung  zum 
Selbstmord.    Wie  A  Rehours  für  Überreizte  und  Übersättigte,   so  war 


^)  Über  Lcewe-Veimars  gibt  Maxime  du  Camp  in  seinen  Souve- 
nirs litt&aires  (1882),  Tome  I,  p.  397 — 401,  wichtige  Mitteilungen.  Es 
thut  mir  leid,  Herrn  Ary  Prins  (Nieuwe  Gids  I,  220,  1886)  widersprechen 
zu  müssen,  wenn  er  sagt,  Huysmans  stehe  ganz  und  gar  nicht  unter 
dem  Einflüsse  der  Romantik. 


Moderne  französische  Romanschriftsteller,  63 

Obermann  für  Unglückliche  geschrieben.^)  Der  Held  Obermann  führt 
ein  Eremitenleben  wie  Des  Esseintes,  die  Phasen  seines  Seins  sind  aber 
von  den  Lebenszuständen  der  Goethe'schen  Gestalt  gänzlich  verschieden. 
Obermann  scheut  sich  davor,  einen  festen  Wirkun^^skreis  anzunehmen, 
weil  er  dadurch  seine  Freiheit  verliert ;  des  Esseintes  hat  zuviel  ge- 
nossen von  den  Freuden  dieser  Welt,  als  dass  für  ihn  noch  etwas 
anderes  bliebe,  als  die  ausgesuchteste  Pracht  für  ihn  allein  in  der 
Einsamkeit.  Die  Einsamkeit  Obermann's  ist  weniger  kompliziert  als  die 
Des  Esseintes";  er  schweift  hoch  in  den  Spitzen  der  Alpenriesen  herum, 
dort  begegnet  ihm  kein  anderes  lebendes  Wesen,  als  der  furchtbare 
Geier  der  Berge,  der  mit  unheimlichem  Schrei  in  die  Tiefe  taucht. 

Denkt  man  an  die  Persönlichkeit  beider  Schriftsteller,  so  wird  der 
Unterschied  zwischen  beiden  noch  augen^lliger.  De  S^nancour  war 
aus  politischen  und  persönlichen  Gründen  —  sein  Vater  hatte  ihn  in 
ein  Seminar  stecken  wollen  —  nach  der  Schweiz  geflüchtet;  dort  ver- 
heiratete sich  der  gebrechliche  Jüngling,  verlor  aber  früh  seine  Frau. 
Sein  Lebenlanff  bewahrte  er  Jean -Jacques  Rousseau  warme  Bewun- 
derung. Er  selbst  war  ein  tief  melancholisches,  unglückliches  Wesen. 
Die  romantische  Zeit  schwärmte  für  seinen  Obermann,  dessen  feine, 
psychologische  Züge  man  verstand  und  würdigte.  Bei  seinem  Er- 
scheinen, 1804,  hatte  das  Buch  kein  besonderes  Aufsehen  gemacht, 
nach  1880  ist  es  für  die  ausgewählten  Geister  der  Romantik  ein  Lieb- 
lingsbuch geworden. 

Uuysmans  wird  seinen  Des  Esseintes  schwerer  verteidigen  können, 
als  S^nancour  seinen  Obermann.  Die  Misanthropie  in  A  Rebom*s  ist 
nur  durch  den  tiefen  Missmut  zu  erklären,  der,  wie  in  den  Werken 
Baudelaire's,  in  einem  chronischen  Nervenleiden  wurzelt. 

Kein  litterarischer  Pessimismus,  kein  Verlassen  seiner  Meister 
Flaubert,  de  Goncourt,  Zola  führt  ihn  zu  seiner  neuesten  Vorliebe  für 
Baudelaire  und  Edgar  Allan  Poe.  Vielleicht  ist  es  ihm  ein  Dorn  im 
Auge,  dass  die  jungen  Naturalisten  nur  gar  zu  schnell  mit  ihren 
eigenen  Arbeiten  zufrieden  sind  und  ihren  Vorbildern  ohne  Selbst- 
prüfang  nachfolgen.  Da  er  einen  Widerwillen  vor  allem  hat,  was 
nicht  sorgfältig  und  gründlich  durchgearbeitet  ist;  da  er  zu  seiner 
Entrüstung  vielen  modernen  Schriftstellern  ohne  Farbe  und  Charakter 
eine  grosse  Popularität  zuteil  werden  sieht,  strebt  er  nach  etwas  ganz 
Eigenartig -Besonderem  und  kommt  zur  Bewunderung  des  Fremden, 
des  Ungeheuerlichen,  wenn  dieses  nur  von  dem  allgemein  Anerkannten 
und  Gepriesenen  abweicht. 

In  dieser  Gemütsstimmung  kehrt  er  sich  selbst  unbewusst  zu 
der  pessimistischen  Richtung  zurück,  und  stellt  neben  Werther,  Rena 
und  Obermann  seinen  Des  Esseintes  als  nächsten  Geistesverwandten. 
Er  teilt  mit  den  beiden  krankhaft  angelegten  Naturen,  G^rard  de 
Nerval  und  Charles  Baudelaire,  deren  Melancholie  zuweilen  an  Wahn- 
sinn grenzt,  die  Sucht  nach  dem  Ungewöhnlichen,  den  Hass  für  das 
alltägliche.  Gärard  de  Nerval  schwärmte  für  Hoffmann,  der,  wie  schon 
gesagt,  in  Frankreich  durch  Loewe-Veimars'  Übersetzung  bekannt  ge- 
worden war;  Charles  Baudelaire's  Held  war  der  Amerikaner  Edgar 
Allan  Poe,  den  er  selbst  ins  Französische  übersetzte. 

Es  ist  ein  tief  beklagenswerter  Umstand,  dass  diese  vier  grossen 


^)  Mau  vergleiche  Georg  Brandes,  Die  Litteratur  des  XIX.  Jahr- 
hunderts in  ihren  Hauptströmungen,  I.  Band,  Emigrantenlitteratur, 
S.  59—75. 


64  Jan  ien  Brink,  Moderne  französische  Romanschriftsteller, 

Künstlernaturen,  de  Nerval,  Baudelaire,  Hoffmann  und  Poe  verhältnis- 
mäseig  so  früh  ihrem  Wirken  entrissen  worden;  ausser  Hoffmann 
gingen  sie  alle  in  der  Umnachtung  des  Wahnsinns  aus  der  Welt.  Das 
Dämonische  ist  allen  eigenstes  Element.  In  ihrem  Leben  ist  ein  Zug, 
der  an  wandernde  Zigeuner  mahnt.  G^rard  de  Nerval  verschleuderte 
ein  kleines  Vermögen  in  Blumen  seltener  Art,  die  er  alle  Abende  einer 
Künstlerin,  Jenny  Colon,  darbrachte,  in  Opernguckern  und  Stöcken, 
wie  wunderlich  dies  erscheinen  möge.  Mit  diesen  Stöcken  brachte  er 
ihr  klopfend  allabendlich  seine  Huldigung  dar.  Baudelaire  lebte  in 
beständiger  Feindschaft  mit  seinem  Stiefvater,  dem  Oberst  Aupick, 
den  er  einst  bei  einem  Diner  zu  erwürgen  gestrebt  hatte,  so  dass  ihn 
dieser  nach  Mauritius  sandte.  Dort  lernte  er  Englisch.  Als  er  später 
die  Erbschaft  seiner  Mutter  durchgebracht  hatte,  ruinierte  er  seine 
Gesundheit  durch  steten  Opiumgenuss.  HoömanUf  der  anl^nglich  in 
Posen  und  in  Warschau  ein  ungeregeltes  Leben  führte,  wurde  später 
Kapellmeister  eines  kleinen  Orchesters,  und  verlor  nun  vollends  alles 
Mass  in  seinem  Leben.  Er  schrieb  um  zu  trinken,  und  trank 
um  zu  schreiben,  sagt  Eichendorff.  Edgar  Allan  Poe,  der  Sohn 
•armer  unglücklicher  Schauspieler,  die  bei  ihrem  frühen  Tode  ihn  im 
tiefen  Elend  zurückliessen,  wurde  durch  die  Grossmut  eines  reichen 
Kaufmanns,  John  Allan,  aus  dem  Staube  emporgehoben  und  erzogen, 
aber  auch  durch  masslose  Zärtlichkeit  verdorben.  Seine  Unmässigkeit 
und  seine  Spielsucht  verschlossen  ihm  alle  amerikanischen  Universi- 
täten, kein  Mittel,  ihn  zu  bessern,  half;  so  verlor  er  endlich  die  Gunst 
seines  Wohlthäters  und  zweiten  Vaters  und  war  genötigt,  seinen  Unter- 
halt mit  litterarischer  Arbeit  zu  -verdienen.  Er  führte,  was  die  Eng- 
länder a  hand-to-mouth  life  nennen,  bis  er  schliesslich  in  einem  Hospital 
zu  Baltimore  im  Wahnsinn  starb. 

Viele  grosse  Künstler  sind  früh  gestorben;  aber  in  dem  Leben 
dieser  vier  liegt  eine  ganz  besondere  Tragik.  Grosses  Talent,  ausser- 
gewöhnliche  Begabung,  vortreffliche  geistige  Schöpfungen,  verlorene 
Illusionen,  und  zum  Schluss  der  Tod  in  der  Blüte  des  Lebens  —  das 
war  ihr  Los.  Das  Krankhafte  und  Singulare  ihrer  Persönlichkeit  in 
Verbindung  mit  der  Flamme  des  Genies,  die  ihre  Seele  entzündete, 
erzeugte  jenes  eigentümliche  Aroma,  das  Des  Esseintes  so  gerne  ein- 
atmete. Huysmans  ist  ruhiger  als  seine  gegenwärtigen  Vorbilder, 
Baudelaire  und  Poe.  Das  holländische  Blut  in  ihm  spricht  oft  noch 
recht  vernehmlich,  wenn  auch  die  Pariser  Erziehung,  die  er  genossen, 
eine  gewisse  Unruhe  und  Verzagtheit  hineingebracht  hat,  die  ihn  ver- 
hindert, mit  echt  holländischer  Ruhe  zu  handeln  und  zu  denken. 

Er  hat  mit  A  Rebours  seine  künstlerische  Charakteristik  am 
klarsten  dargelegt.  Da  wir  noch  viel  von  seiner  Feder  .zu  erwarten 
haben,  steht  uns  noch  kein  Endurteil  über  ihn  zu.  En  Rade,  sein  in 
der  Revue  independante  erschienener  Roman,  ist  bereits  A  Rebours 
gefolgt. 

(Antorisierte  Übersetzung  Ton  ^  ^ 

Lina  Schneider-Köln.)  JAN    TEN    DRINK. 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich. 


§  1.     Tasso  und  Guarini. 

Wir  haben  eine  Geschichte  der  französischen  Pastorale,^) 
ein  Werk;  das,  wenngleich  nicht  ganz  zaiänglich,^)  doch  von 
dem  liebevollsten  Eingehen  auf  ein  Gebiet  der  Litteraturge schichte 
zengt,  bei  dem  sich  andere  Gelehrte  nur  so  lange  aufhielten, 
als  es  unbedingt  notwendig  war.  Es  ist  auch  ein  eigenes  Ding 
um  jene  Salonschäfer,  wie  sie  Tasso,  Guarini  und  Bonarelli  in 
die  Welt  geschickt,  als  beglaubigte  Sendboten  jener  ächten 
arkadischen  Schäferliebe,  für  welche  das  dahingeschwundene 
Zeitalter  der  ungesuchten  und  ungezügelten  Leidenschaft  das 
goldene  bedeutete.  Warum  aber  sollten  wir  nicht  untersuchen, 
ob  in  der  „Verrücktheit"  der  Schäferpoesie  nicht  auch  etwas 
„Methode"  war?  Die  Hirtenflöte  hat  von  jeher  eine  besondere 
Anziehungskraft  ausgeübt,  auch  auf  die  Leute  von  der  Stadt  — 
aber  jeder  belebte  bei  ihrem  Klange  das  Thal  mit  den  Bildern 
seiner  eigenen  Phantasie.  Warum  wirft  man  gerade  der  Pastorale 
am  meisten  Mangel  an  Lokalfarbe  vor?  War  es  im  16.  und 
17.  Jahrhundert  mit  der  Tragödie  in  dieser  Beziehung  besser 
bestellt?  War  das  nur  ein  Fehler  der  Pastoraldichtung  oder 
der  ganzen  poetischen  Produktion  jener  Zeit?  Nur  auf  diesem 
Wege  konnte  Weinberg  zu  dem  Schlussergebnis  seines  Buches 
kommen,  die  Pastorale  sei  eine  „notwendige  Verirrung"  gewesen. 
Hätte  das  Weinberg  von  den  italienischen  Pastoralen  auch  be- 
haupten mögen,  von  Aminta  und  dem  Pastor  fidof  Und  doch 
sucht  Weinberg  nachzuweisen,  wie  besonders  diese  Dichter  die 
französische  Litteratur  an  den  Schäferstab  gebracht  hatten. 


*)  Weinberg,  Das  französische  SchäferspieL  Frankfurt  a.  M.,  1884. 
2)  Vgl.  LittU.  f.  germ,  w.  rom,  Phil,  1885,  Sp.  248. 

Zsclir.  1  frz.  Spr.  u.  Litt.    XIi.  5 


66  E.  Dannheisser, 

Zuerst,  von  unbedeutenderen  Vorgängern  zu  schweigen,  er- 
zählte Tasso  sein  Hirtenmärchen,  eine  Idylle  in  Dialogform.  Die 
spröde  Jägerin  Sylvia,  der  liebeskranke  Schäfer  Aminta,  der 
wollüstige  Satyr,  die  altkluge  Dafne  mit  ihrem  Geistesverwandten 
Tirsi  —  das  sind  die  Charaktere,  an  denen  die  Pastorale  ihre 
Kräfte  prüfte.  Der  Überfall  des  Satyrs  und  der  Selbstmord- 
versuch Aminta's,  die  einzigen  dramatischen  Vorgänge,  werden 
nur  erzählt,  wie  die  Entstehung  von  Aminta's  Leidenschaft 
auch  erst  einer  langen,  aber  reizvollen  Erzählung  bedarf.  Da- 
zwischen sorgt  an  geeigneten  Stellen  der  Chor  für  lyrische  Er- 
bauung. 

Die  Entstehung  des  Pastor  fido  ist  weltbekannt.  Guarini 
hatte  mehr  dramatisches  Verständnis  als  Tasso.  Dass  er  sich 
auch  theoretisch  mit  der  Pastorale  beschäftigt  hatte,  beweist  der 
VerratOf^)  worin  er  die  Entstehung  der  Pastorale  aus  der  antiken 
Ekloge  bespricht.  Das  Werk  Tasso's  reizte  ihn  zur  Nach- 
ahmung, zur  Negation,  zur  Erweiterung,  Vertiefung  und  Ver- 
menscblichung  der  darin  enthaltenen  Motive.  Im  Gegensatze  zu 
TaBso  begrenzte  er  die  Handlung  durch  Zeit  und  Ort,  indem  er 
ihr  das  antike  Arkadien  zum  Schauplatze  gab.  Der  Konflikt 
bekommt  einen  religiös -politischen  Ausgangspunkt;  denn  die 
Heirat  der  Amaryllis  mit  Silvio,  den  sie  nicht  liebt,  wird  ve^n 
dem  StaatBwohl  gebieterisch  gefordert.  Schade  nur,  daas  dieser 
echt  tragische  Konflikt  nur  auf  der  Oberfläche  bleibt  und  bei 
Amaryllis  nicht  zum  Seelenkonflikte  werden  kann.  Ein  hoher 
sittlicher  Ernst  geht  durch  das  ganze  Stück  im  Gegensatze  zu 
der  Moral  Tasso's.  Daher  die  vielen  Sentenzen  bei  Guarini. 
AI»  dramatische  Motive  und  Charaktere  sind  von  Guarini  dem 
Äminta  entlehnt  worden:  die  spröde  Geliebte,  der  liebes- 
bedttrftige  Schäfer,  der  weltkluge  Vertraute,  die  Entstehungs* 
geachichte  der  Liebe,  der  erste  Kuss  und  die  sehlieasliche  Ver- 
einigung der  Liebeapaare.  Und  doch  ist  auch  hier  die  dramatische 
Auffassung  grundverschieden.  Sylvia  ist  spröde  aus  Tempera^ 
ment,  denn  ihrer  ehelichen  Verbindung  mit  Aminta  steht  nichts 
im  Wege.  Die  Sprödigkeit  der  Amaryllis  indes&en  hat  in  der 
klagen  Berechnung  ihren  Grund.  Sie  weiss,  dass  sie  niobt 
Myrtiirs  Weib  werden  kann,  zu  seiner  Geliebten  aber  wiU  sie 
sich  nicht  bekennen.  Unkeuschheit  und  Untreue  worden  in 
Arkadien  mit  Tod  bestraft,  und  die  Schäferinnen  wussten,  dats 
das  Geständnis  ihrer  Liebe  notwendig  dazu  führen  musste. 
Woher  sonst  das  Lob  des  goldenen  Zeitalters,  wo  der  Begriff 
onore  noch  nicht  bekannt  war?     Allerdings  hatte  Amaryllis  viel 


1)  //  Ferrato,  S.  285. 


Zur  Geschickie  des  Schäferspiels  in  Frankreich.  67 

weniger  zu  befttrchten  als  Sylvia;  denn  Myrtili  ist  nicht  so  sinn- 
lieh wie  Silvio,  dessen  grösster  Kammer  es  ist,  dass  Sylvia  ihm 
das  nicht  freiwillig  aus  Dankbarkeit  gewährt  hatte,  was  sich  ohne 
ihn  der  Satyr  ertrotzt  hätte.  Bei  Tasso  läuft  die  ganze  Handlang 
darauf  hinaus,  Sylvia  zum  Geständnis  ihrer  Liebe  zu  bringen.  Als 
einziges  Mittel  dazu  dient  das  Mitleid.  Bei  Guärini  kommt  es 
noch  darauf  an,  die  Möglichkeit  einer  ehelichen  Verbindung 
herbeizufahren.  Schon  aus  diesem  Grande  musste  von  Guarini 
ein  grösserer  dramatischer  Apparat  in  Bewegung  gesetzt  werden* 
Es  galt,  eine  Intrigue  zu  schaffen,  neue  Personen  einzuführen. 
Hier  musste  sich  das  dramatische  Naturgesetz  geltend  machen, 
die  einzelnen  Charaktere  dureh  ihre  Gegensätze  grell  zu  be- 
leuchten. Der  liebesbedtlrftige  Myrtili  hat  sein  Widerspiel  in 
dem  brutalen  Silvio,  die  spröde  Amaryllis  tritt  in  Gegensatz  zu 
der  feurigen,  aufdringlichen  Dorinda;  Gorisca,  deren  Herz  ein 
perpetuum  mobile  zu  sein  scheint,  lenkt  die  naiven  Naturen  der 
Schäfer  und  Schäferinnen  wie  Marionnetten.  Fühlte  Guarini  die 
Überfeinerung  in  den  von  Tasso  seinen  Personen  geg^beüen 
Empfindungen  heraus,  so  schuf  er  seinerseits  die  beiden  Natur- 
kinder  Dorinda  und  Silvio,  welche  für  die  Entwickelung  der 
Haupthandlang  nicht  notwendig  sind.  Eine  Liebesver Wickelung, 
wie  sie  in  der  VI.  Idylle  des  Moschus  angedeutet  und  mehrfach 
von  andern  Pastoraldichtem  nachgeahmt  worden  ist,  findet  sieh 
bei  Guarini  nicht.  Eine  Anlehnung  Guarini's  an  das  Altertum 
braucht  also  für  die  Gestaltung  der  obigen  zwei  Charaktere  nicht 
angenommen  zu  werden.  Anders  verhält  es  sich  mit  der  Lösung 
des  Knotens.  Das  im  Altertum  so  beliebte  Wiedererkennen 
(ital.  Ricognizione)  ist  auch  von  Guarini  benützt  worden,  obwohl 
er  ausdrücklich  darauf  hinweist,^)  dass  nach  Aristoteles  das 
Wiedererkennen  im  Drama  nicht  unbedingt  notwendig  sei.  Diese 
Behauptung  ist  insofern  interessant,  als  man  sieht,  welche  Be- 
deutung man  dem  Wiedererkennen  doch  noch  beilegte.  Woher 
es  eigentlich  in  die  Pastorale  kam,  hat  schon  Sorel  eingesehen, 
und  diese  vermeintliche  Unsitte  fatid  denn  auch  von  seiner  Seite 
die  gebührende  Abfertigung*^) 


1)  11  Verrato,  S.  187. 

^  Cesie  kisioire  merite  hien  d^estre  accompagnee  de  Celle  des 
amours  de  Daphnis  ei  Cloe.  Lautheur  fait  ces  ietines  gens  si  sois  ei  si 
advisez  ioui  ensemhle  gv'il  n*y  a  rien  de  vray  semblaöle  mais  ee  q%d  me 
mei  en  colere  principalemeni,  c'esi  gue  ie  eroy  qite  ce  Uwe  a  donne  suiet 
ä  plttsieurs  d*en  vatUotr  aussi  faire  aauires  de  bergeries  et  ie  vöus  asseure 
gü'ils  Font  si  hien  imiitf  qn*ils  foni  ious  qne  leurs  hergers  ne  connoissoieni 
ny  leur  pere  ny  leur  mere  ainsi  que  Daphnis  ei  Che  el  qu*eslans  peiiis 
enfans,  ils  avoieni  esie  emporiez  avec  leur  berceau  par  quelqud  des^ 

5* 


68  E,  Dannheisser, 

Dadurch,  dass  Guarini  seine  Personen  mit  ihren  Eltern, 
Freunden  etc.  in  Verbindung  brachte,  gab  er  der  Pastorale  neue, 
mehr  äussere  Eonfliktsmomente,  stellte  er  sie  auf  einen  realeren 
Untergrund,  gestaltete  er  sie  mit  einem  Worte  ungleich  dra- 
matischer als  Tasso.  Der  Chor,  welcher  bei  Tasso  im  allge- 
meinen die  nämliche  Rolle  wie  im  antiken  Drama  spielt,  wird 
von  Guarini  an  den  Schluss  der  einzelnen  Akte  yerwiesen  und 
dient  eigentlich  nur  noch  dazu,  einen  Stimmungsbericht  zu  geben. 
Eingeführt  wurde  auch  von  Guarini  nach  dem  Vorgange  des 
Poliziano  das  Echo  und  das  Motiv  der  Eifersucht.  Nehmen  wir 
dazu  die  Sprache  Guarini's,  die  noch  nicht  bis  zur  Sättigung  mit 
Pointen  durchsetzt  ist,  so  wird  uns  der  beispiellose  Erfolg  des 
Pastor  fido  begreiflich.  Guarini's  Werk  musste  mehr  zur  Nach- 
ahmung reizen  als  das  Tasso's.  Auch  die  in  jeder  Beziehung 
rätselhafte  Fiüi  di  Sciro  von  Guidobaldo  Bonarelli  vermochte 
nicht  gegen  den  Pastor  fido  aufzukommen.  Dieser  blieb  haupt- 
sächlich der  Typus  des  Pastoraldramas.  Diese  Erkenntnis  ist 
für  die  Geschichte  der  Schäferspiele  in  gewissem  Sinne  ver- 
hängnisvoll geworden.  Noch  Weinberg  scheint,  wenigstens  ihrem 
Inhalte  nach,  die  italienische  und  die  französische  Pastorale  in 
einen  Topf  zu  werfen  und  stellt  so  (S.  29)  das  Schema  eines 
regelrechten  Schäferspiels  auf,  das  mit  gleichem  Rechte  in  einer 
italienischen  Litteraturgeschichte  stehen  könnte.  Er  setzt  gleich- 
sam das  Programm  des  Schäferspiels  a  priori  fest,  ohne  im  Ver- 
lauf seines  Buches  darnach  zu  fragen,  wie  es  durchgeführt  wurde. 
Dass  dabei  jede  innere,  durch  individuelle  und  nationale  Eigen- 
tümlichkeit bedingte  selbständige  Entwickelung  des  französischen 
Schäferspiels  ausgeschlossen  ist,  versteht  sich  von  selbst.  Es 
ist  das  eine  fühlbare  Lücke  in  dem  sonst  reichhaltigen  Buche. 
Einige  Andeutungen  werden  genügen,  um  diese  Thatsache  fest- 
zustellen. 

§  2.     Hardy. 

Es  ist  nicht  zu  verwundern,  wenn  schon  im  16.  Jahrhundert 
die  italienische  Pastorale  wie  jede  italienische  Litteraturgattung 
sich  der  Beachtung  und  Nachahmung  der  Franzosen  aufdrängte. 
Ein  Spiel  des  Zufalls  ist  es  sicher  auch  nicht,  dass  gerade  die- 
jenigen dramatischen  Dichter,    welche    an  der  Schwelle  und   im 


hordement  de  riviere  ieüement  qu'Hs  avoieni  este  trotwez  par  quelque 
komme  gut  les  avoit  faict  eslever,  Regardez  si  Bapiiste  Guarini  dans 
sofi  Berger  fideüe  rCest  pas  si  soi  guM  use  de  la  mesme  inveniion  ei  si 
une  infinite  dautres  ne,  le  sont  pas  encore  comme  si  cela  estoit  de  Pessence 
de  la  Bergetie  d'avoir  este  perdu  en  enfance,  (Sorel,  Berger  extravagant, 
Rouen,  1646,  t.  II,  Livre  XVIII,  S.  80.) 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich,  69 

Anfange  des  17.  Jahrhunderts  als  die  allerdings  schon  bedenklich 
wankenden  Säulen  des  Gamier'schen  Klassizismus  betrachtet 
wurden  —  ich  meine  Montreux  und  Montchrestien  — ,  sich  des 
Schäferspiels  bemächtigten.  Es  muss  mindestens  zu  Montchrestien's 
Zeiten  das  Schäferspiel  bei  der  kleinen  Gemeinde  der  litterarisch 
Gebildeten  schon  in  grossem  Ansehen  gestanden  sein;  denn  für 
die  breite  Masse  des  Volkes  schrieben  diese  Dichter  ja  nicht. 
Was  Montchrestien  betrifft,  so  scheint  er  das  Schäferspiel  für 
eine  Abart  der  Komödie  gehalten  zu  haben ,  sonst  hätte  er  das 
seinige  wahrscheinlich  nicht  in  Prosa  geschrieben.  Montreux 
führt  uns  ein  Märchen  im  Gewände  eines  Schäferspiels  vor.  Die 
Zauberei  steht  im  Vordergrunde,  sonst  trägt  das  Stück  (AthlUe) 
schon  den  ausgeprägten  Typus  der  italienischen  Pastorale  trotz 
der  gegenteiligen  Behauptung  Weinberges  (S.  18).  Die  Zauberei 
ist  den  bedeutendsten  italienischen  Pastoralen  fremd.  Nur 
im  Aminta  wird  einmal  vorübergehend  erwähnt,  der  verliebte 
Schäfer  habe  sich  an  den  weisen  Mopso  wenden  wollen.  Hier 
haben  wir  gleich  einen  grossen  Unterschied  zwischen  der 
italienischen  und  französischen  Pastorale,  schon  auf  der  ersten 
Stufe  ihrer  Entwickelung.  Die  Anregung  zur  Verwendung  der 
Zauberei  mag  vom  Amadisroman  oder  vom  klassischen  Alter- 
tum ausgegangen  sein  —  sicher  ist,  dass  künftig  die  meisten 
französischen  Schäferspieldichter  sich  ihrer  bedienen,  selbst  die, 
welche  sich,  wie  Montchrestien,  eng  an  die  Italiener  anschliessen. 
Schon  bei  Montchrestien  wird  die  italienische  Intrigantin  durch 
den  Intriganten  ersetzt,  und  die  besten  französischen  Pastoral- 
dichter haben  hier  Montchrestien  •  nachgeahmt  —  eine  zweite 
Abweichung  vom  Tjrpus  der  italienischen  Pastorale.  Die  durch 
den  Pastoralroman  geförderte  Tendenz,  die  weiblichen  Charaktere 
zu  idealisieren,  hat  hier  vielleicht  bestimmend  mitgewirkt.  Über 
die  Aufführung  von  Montreax's  und  Montchrestien's  Pastorale  ist 
nichts  bekannt. 

Hardy  hat  auf  das  Schäferspiel  den  nämlichen  Einfluss 
ausgeübt  wie  auf  alle  dramatischen  Dichtungsarten  —  er  machte 
sie  auf  seinem  Theater  der  grösseren  Masse  eines  ziemlich  un- 
kritischen Publikums  zugänglich.  Er  zog  alles  in  den  Bereich 
seiner  dramatischen  Thätigkeit  —  warum  hätte  er  der  Pastorale 
fernbleiben  sollen?  Sicherlich  legte  er  Wert  auf  seine  Schäfer- 
spiele, sonst  hätte  er  sie  nicht  durch  den  Druck  veröffentlicht. 
Ob  nun  auch  die  vornehme  Welt  Hardy's  Pastoralen  sehen 
mochte?  Warum  nicht?  Musste  ja  selbst  Ebert  zugeben, 
dass  Hardy's  Publikum  manchmal  doch  etwas  gewählter  war,  als 
man  bis  jetzt  noch  allgemein  geneigt  ist,  anzunehmen.  Im 
zweiten  Dezennium  des  17.  Jahrhunderts  pflegten  auch  die  jungen 


70  E.  Damiheisser, 

EdeUeute  in  Hardy's  liieater  zu  geben.  Das  wissen  wir  be- 
stimmt, sowohl  von  Racan^),  als  auch  vom  Abbö  de  MaroUes.^) 
Ob  indes  überhaupt,  und  dann  inwieweit  dieser  Teil  des  Publi* 
kuma  mit  der  Aufführung  und  dem  Erfolge  von  Hardy's  Pastoraiea 
im  Zusammenhange  steht,  ist  eine  Frage,  die  noch  nicht  beant- 
wortet werden  kann.  Doch  dtirfte  gerade  die  teilweise  Umbildung, 
welche  das  Schäferspiel  durch  Hardy's  Hand  erfuhr,  darauf  hin- 
deuten, dass,  wie  alle  seine  Stücke,  so  auch  seine  Pastorale« 
dem  Geschmacke  seines  Alltagspublikums  angepasst  waren. 

Der  Dichter  bezeichnet  zwar  selbst  (Weinberg  S.  52)  das 
italienische  Schäferspiel,  als  sein  Vorbild,  was  übrigens  jeder 
auf  den  ersten  Blick  sieht,  aber  er  hatte  den  Geschmack  seiner 
Landsleute  studiert  und  schuf  dem  entsprechend  neue  Charaktere« 
Die  übertriebene,  unnatürliche  Sprödigkeit  der  Hauptheldinnen  ist 
in  den  besten  Pastoralen  Hardy's  kein  Hindernis  für  die  Ver- 
bindung des  Liebespaares  mehr.  Die  Schäferinnen  lieben,  ent- 
gegen dem  italienischen  Pastoraltypus,  auch  als  Hauptheldinnea 
des  Stüokes  gerade  so  offen  und  warm,  wie  die  Schäfer,  und 
Hardy  hat  sogar,  wie  man  bei  Weinberg  (S.  34  u.  35)  nachlesen 
kann,  überraschend  glückliche  Ausdrücke  für  die  Darstellung  der 
reinen,  uneigennützigen  Mädchenliebe.  Dass  durch  diesen  einzigen 
ZfUg  die  Pastorale  dem  Nebel  eines  falsch  verstandenen  Idealis- 
mus entrückt  und  wieder  dem  Sonnenblicke  des  warmen  realen 
Lebens  zugekehrt  wurde,  ist  klar.  Auch  in  technisch-dramatischer 
Beziehung  wurde  dadurch  viel  gewonnen.  Der  Charakter  der 
Hauptheldin  ist  nicht  mehr  scheu  in  sich  selbst  zurückgezogen, 
sondern  tritt  keck  an  das  Tageslicht  und  reizt  dadurch  die  ihm 
widerstrebenden  Kräfte  zur  Reaktion  —  das  Gegenspiel  der 
Leidenschaften  kann  beginnen. 

Wir  möchten  damit  nicht  behaupten,  dass  es  Hardy  ge- 
lungen wäre,  die  beinahe  krankhafte  Sprödigkeit  der  Schäferinnen 
vom  Schlage  einer  Sylvia  oder  Amaryllis  von  der  Bühne  zu  ver- 
drängen —  hat  er  sich  doch  selbst  nicht  davon  zu  befreien  ver- 
mocht —  sondern  nur,  dass  er  in  diesem  Punkte  den  Dichtem 
der  gesund  sinnlichen  Arthinice  und  Sylvie  ein  nachahmenswertes 
Beispiel  giüb.    Geradezu  bahnbrechend  wirkte  Hardy  in  anderer 

*)  11  (sc.  Eaean)  dit  que  les  comedies  de  Hardy  qxi'il  voyoit  repre- 
senter  ä  VRdUl  de  Bourgogne  oü  ü  enirait  sans  payer,  Fexcitoieni  fori, 
(Tallemant  des  Bäanx,  üisiorieties,  £dit  Monmerque,  t.  II,  S.  129.) 

3)  Je  ne  sais  pas  öü  il  (sc.  Du  Lion)  prenoit  le  fond  de  toute  la 
depense  qu'ü  faisoÜ,  mais  il  en  avoU  toujours  de  reste  pour  de  neiits 
fesiins  qu^ü  aimoit  extrSmement,  pour  le  paume  ei  pour  la  Cornea^  oü 
ü  noHS  menoii  quelque  fois,  hrsmie  ceiie  fameuse  Come'dienne  appetäe 
La  Porte  monioii  encore  sur  le  T&eatre,  (MaroUes,  Memoires,  Amster- 
dam, 1755  {  t.  I,  S.  58,  Jahr  161^.) 


Zur  Geschichte  des  Sehaferspiels  in  Frankreich.  71 

Richtung.  Wir  haben  gesehen,  wie  bei  Gnarini  die  Verwickelung 
einen  religiös -politischen  Hintergrund  hat:  der,  wenn  auch  nur 
verhaltene  Wille  der  Amaryllis  stösst  weniger  auf  prinzipiellen 
Widerstand  von  Seite  ihres  Vaters  —  dieser  beruft  sich  auf  die 
gebieterischen  Forderungen  des  Gemeinwohls.  Nichts  von  alle* 
dem  bei  Hardy.  Die  Väter  in  seinen  Pastoralen  lassen  sich 
von  durchaus  persönlichen  Rücksichten  leiten,  die  meistens  auf 
einer  sehr  materiellen  Grundlage  beruhen  —  der  Geldsaok  spielt 
hier  eine  grössere  Rolle  als  die  Politik.  Der  Konflikt  hat  bei 
ihm  kein  öffentliches,  sondern  nur  ein  privates  Interesse  im 
Auge,  er  spielt  sich  nicht,  zwischen  Individuum  und  ^taat, 
sondern  zwischen  Individuum  und  Familie  ab.  Die  Figur 
des  habsüchtigen,  eigensinnigen,  derben,  aber  im  Grunde  gut- 
mütigen Vaters  ist  oft  sehr  wirksam  der  nur  ihrer  Leidenschaft 
lebenden  Tochter  gegenübergestellt  Das  ewige  Lied  von  Reich- 
tum und  Liebe,  den  beiden  feindlichen  Mächten,  ist  von  Hardy 
in  zwei  seiner  Pastoralen  (Alcie  und  La  Triomphe  Samour) 
variiert  worden,  während  die  Figur  des  polternden  Alten  sich 
auch  in  Alph^e  findet.  Bei  Guarini  sind  die  Väter  ganz  andere 
Gestalten  —  schattenhafte  Wesen,  ohne  Fleisch  und  Blut.  In 
Hardy's  Pastoralen  wirken  jene  urwüchsigen  Alten  um  so  er- 
frischender, als  sie  auch  nicht  die  gezierte  Sprache  der  Schäfer 
reden.  Kurz,  es  sind  bereits  die  komischen  Alten  Moli^re*s,  die 
Vertreter  der  Komödie  in  der  Pastorale.  Schon  im  Pastor  fido 
wird  einmal  der  Ton  der  Komödie  angeschlagen;  ihrer  eigen- 
tümlichen Begabung  gemäss  mussten  die  Franzosen  das  Komödien- 
hafte in  der  Pastorale  mehr  hervortreten  lassen  als  die  Italiener. 
Hardy  zuerst  ging  hier  so  weit,  dass  er  sogar  den  Ausgangs- 
punkt des  Konflikts,  den  Gegensatz  zwischen  reich  und  arm,  der 
Komödie  entnahm  und  dadurch  der  italienischen  Pastorale  in 
Frankreich  erst  das  Bürgerrecht  verschaffte.  Hüten  wir  uns  in- 
dessen, mit  Weinberg  (S.  142)  das  Schäferspiel  als  einen  Vor- 
läufer der  bürgerlichen  Komödie  des  18.  Jahrhunderts  insofern 
zu  betrachten,  als  darin  die  sozialen  Gegensätze  auf  dramatischem 
Wege  ausgeglichen  werden.  Das  ist  nur  in  der  Sylvie  der  Fall. 
Bis  dahin  und  auch  noch  nachher  musste  die  Ricognizione  zur 
Lösung  des  Knotens  herhalten.  Der  Zauberei  räumt  auch  Hardy 
einen  grossen  Platz  ein,  getreu  den  Traditionen  Montreut'  und 
Montchrestien^s.  Auch  der  Verleumder  findet  sich  bei  Hardy, 
öfter  freilich  noch  die  Verleumderin.  Sonst  entfernt  sich  Hardy 
in  nichts  von  dem  Tjrpus  der  italienischen  Pastorale,  ausser 
durch  die  Derbheit,  auch  wohl  Gemeinheit  seiner  Sprache. 
Merkwürdig  ist,  dass  gerade  Hardy's  letzte  Pastoralen,  d.  h. 
diejenigen,  welche   er  zuletzt  drucken  Hess    —    denn   die  Zeit 


72  E.  Dannheisser, 

ihrer  Aoffübning  ist  ja  unbekannt  —  seine  schwächsten  sind. 
Gering  war  die  Zahl  derer,  weiche  mit  Hardy  in  der  Pastorale 
wetteiferten  —  es  sind  Des  Croix^  Gallardon  und  Coign6e  de 
Bourron.  Auch  bei  ihnen  erscheint  die  italienische  Pastorale  im 
Sinne  Uardy's  modifiziert:  die  Schäferinnen  sind  nicht  spröde, 
die  Verleumderin  wird  oft  zum  Verleumder.  Auch  die  Komik 
Hardy's  fehlt  nicht,  wohl  aber  dessen  Heldenvater. 

Die  Pastoralen  Hardy's  beherrschen  durchweg  die  Zeit  bis 
zum  Auftreten  Racan's,  wie  ja  Hardy  auch  die  anderen  Arten  der 
dramatischen  Litteratur  beherrschte.  Er  hatte  sich  ein  Publikum 
herahgebildet,  das  in  gewissem  Sinne  Tout  Paris  war.  Die  vor- 
nehme Welt  hatte  nicht  mehr  genug  an  dem  Getänzel  der  mytho- 
logischen Hofballette,  und  Hardy  verstand  es  auf  irgend  eine 
Weise,  sich  bei  ihr  in  Achtung  zu  setzen.  Es  war  allerdings 
noch  nicht  die  Zeit  gekommen,  wo  man  die  trefflichste  Ode  fttr 
ein  gutes  Theaterstück  leichten  Herzens  hingab:  die  Theater- 
dichter  verbargen  ihre  Namen;  denn  diese  hatten  in  der  vor- 
nehmen Welt  keinen  Klang,  und  das  Volk  fragt  nie  darnach. 
Ballettdichtungen  erschöpften  die  Phantasie  der  höfischen  Dichter, 
und  höfisch  waren  sie  alle.  Der  gute  Ton  erlaubte  es  wohl, 
Hardy^s  Schöpfungen  zu  sehen  und  zu  beklatschen,  nicht  aber, 
mit  ihm  zu  wetteifern.  Doch  in  aller  Stille  bereitete  sich  die 
Wandlung  vor.  Drei  Bände  der  AsMe  waren  1620  bereits  er- 
schienen. Sie  legen  beredtes  Zeugnis  davon  ab  --  und  das  ist 
hier  für  uns  von  besonderer  Wichtigkeit  —  dass  D'TTrf6  die 
Schäferspiele  der  Italiener  für  seine  Aatrie  gründlich  studiert 
hatte.  Auch  fttr  die  Schule  Malherbe's  ist  die  Vorliebe  fttr  das 
italienische  Schäferspiel  charakteristisch;  ist  ja  doch  bekannt, 
dass  Malherbe  selbst  fttr  Tasso's  Aminba  schwärmte.  Marie 
de'Medici  war,  wie  wir  aus  der  interessanten,  aber  für  Deutsche 
leider  noch  nicht  zugänglichen  Vorrede  D'ürf^'s  zu  seiner  ein- 
zigen Pastorale:  Süvanire  ou  la  Morte  Vive  ersehen  können,  be- 
strebt, diese  der  italienischen  Pastorale  günstige  Strömung  zu 
fördern,  und  die  Astree  selbst  war  ja  in  hervorragender  Weise 
dazu  geeignet,  die  Phantasie  der  Franzosen  zur  Erzeugung  und 
Aufnahme  der  Pastorale  in  die  richtige  Stimmung  zu  versetzen. 
Die  Kriegsjahre  1620 — 23  waren  zu  wenig  aufregender  Natur, 
um  die  französische  vornehme  Damenwelt  aus  dem  Halbschlaf 
der  „Schäferei'^  aufschrecken  zu  können.  Im  Jahre  1622  schien 
die  Thätigkeit  Hardy's  erlahmen  zu  wollen,  und  1623  soll  er  gar 
schon  ganz  von  der  Bühne  zurückgetreten  sein.  Über  die  Gründe 
seines  Rücktritts  ist  nichts  bekannt.    Um  dieselbe  Zeit  ungefähr^) 


i)  Das  Druckprivileg  für  D'ürfö's  Schäferspiel  ist  vom  2.  April  1625. 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich,  73 

studierte  D'Urf6  die  Gesetze  der  italienischen  Pastorale  genauer, 
auf  allerhöchsten  Befehl  hin  war  er  gezwungen,  sie  nachzuahmen, 
wie  er  selbst  in  der  Vorrede  zu  seiner  Süvanire  sagt  Er, 
der  Dichter  der  Astr^e,  schien  jedenfalls  der  Berufenste  za 
sein,  die  Pastorale  in  einer  Weise  zum  Drama  zu  gestalten,  dass 
auch  die  französische  vornehme  Welt  sich  und  ihren  Geschmack 
in  höherem  Grade  darin  wiederfand,  als  es  in  den  Pastoralen 
Hardy's  der  Fall  war.  Wir  werden  sehen,  wie  D'ürfö  seine 
Aufgabe  löste.  Vorerst  müssen  wir  der  dramatischen  Wirksam- 
keit Th^ophile  de  Viau's  gedenken,  unter  dem  Vorbehalte  a^er- 
dings,  dass  für  dessen  einziges  Theaterstück,  Pyrame  et  Tkishi^ 
eine  Tragödie,  die  Abfassungszeit  noch  nicht  genau  bestimmt 
werden  kann.  Warum  entzog  gerade  er  sich  dem  Zuge  der  Zeit 
nach  der  Pastorale?  Die  näheren  Umstände,  unter  denen  Pyrame 
et  Thishe  in  die  Litteratur  eintrat,  sind  unbekannt.  Thöophile, 
der  Dichter  der  vornehmen  Welt,  schreibt  eine  Tragödie,  viel- 
leicht gar  zu  einer  Zeit,  als  Hardy  noch  nicht  seine  letzte  Szene 
geschrieben  hatte.  Wenn  wir  nur  wttssten,  wo  das  Stück  zuerst 
aufgeführt  wurde!  Einem  Manne,  wie  Th^ophile,  können  wir 
wohl  die  Kühnheit  zutrauen,  dass  er  mit  Verachtung  aller  gesell- 
schaftlichen Rücksichten  als  dramatischer  Dichter  im  Wettkampf 
mit  dem  von  ihm  so  aufrichtig  bewunderten  Hardy  aufzutreten 
wagte.  Ton  und  Stil  des  Pyrame  sind  zwar  offenbar  auf  das 
vornehme  Publikum  berechnet,  aber  dieses  nämliche  Publikum 
konnte  auch  Hardy  noch  Geschmack  abgewinnen,  als  Jean 
de  Mairet's  Pastorale  Sylvie  zum  erstenmale  aufgeführt  wurde 
(1626).  Es  ist  also  nicht  unwahrscheinlich,  dass,  was  schon 
Ebert  (Entwickelungageschichte,  S.  194)  behauptete,  Thöophile 
auf  Anregung  Hard/s  für  dessen  Bühne  schrieb.  Als  Pyrame 
im  Jahre  1625  oder  1626  bei  Hofe  aufgeführt  wurde,  traf  er, 
wenigstens  dem  Inhalte  nach,  nicht  den  Geschmack  des  Hof- 
publikums, das  damals  im  Theater  nur  angeregt,  nicht  aufgeregt 
oder  gar  bis  zu  Thränen  gerührt  sein  wollte.^)  Als  Thöophile 
das  Stück  aber  schrieb,  war  die  vornehme  Welt  vielleicht  noch 
mehr  an  die  kräftigere  dramatische  Kost  Hardy's  gewöhnt.  Wir 
können  also  daraus  nicht  schliessen,  dass  Th^ophile  mit  Absicht 
dem  Geschmacke  seines  Publikums  an  der  Pastorale  keine  Rech- 
nung getragen  habe;  denn  wir  wissen  nicht,  ob  die  Pastorale 
überhaupt  schon  Modeschauspiel  war,  als  er  seine  Tragödie 
schrieb,  die  vielleicht  immer  eine  crvac  für  den  Geschichtschreiber 
des  französischen  Theaters  bleiben  wird. 


^)  Vgl.  den  Brief  Thdophile's  an  Vall^e  in  AUeaume,  (Euvres  de 
Theophile,  t.  II,  p.  422. 


74  E.  Dannheisser, 

§  3.    Racan.     (Gegen  1624.) 

Auf  den  ersten  Blick  mnss  es  nns  befremdlich  erscheinen, 
dass  aus  der  Schale  Malherbe's  ein  so  bedeutender  Dramatiker 
wie  Racan  hervorging.  Denn  weder  Malherbe  noch  sein  Schüler 
Maynard  hatte  irgend  welches  Verständnis  flir  die  Erfordernisse 
eines  Dramas.  Noch  in  späten  Jahren  hat  Racan  erzählt,  welche 
vortrefflichen  Ratschläge  ihm  Malherbe  nnd  Maynard  gegeben 
hätten.^)  Zum  Glück  fiel  es  ihm  nicht  ein,  dieselben  zu  befolgen. 
Deip  Zuge  der  Zeit  nach  der  Pastorale  hat  sich  indessen  Mal- 
herbe nicht  verschlossen.  Bezeichnender  Weise  wählte  er  die 
Form  der  Ekloge,  um  seine  platonische  Liebe  zn  Madame 
de  Rambouillet  zum  Ausdruck  zu  bringen.^)  Er  liebte  nicht  bloss 
die  paetorale  Lyrik,  sondern  auch  das  pastorale  Drama,  den 
Aminia.  Racan  brauchte  nur  seinem  Meister  zu  folgen,  um  dahin 
zu  gelangen,  wohin  ihn  auch  seine  individuelle  Begabung  wies, 
zur  Schäferpoesie.  Die  Gesellschaft,  die  ihn  umgab,  war  von 
Idyllensucht  angekränkelt,  dagegen  erhob  selbst  ein  Balzac  ver- 
gebens seine  warnende  Stimme.^)  Es  war  wieder  Friede  im 
Lande.  Zudem  wusste  Racan  eine  hübsche  Hofgeschichte  ,^)  es 
galt,  bekannte  Persönlichkeiten  poetisch  zu  verherrlichen.  Dazu 
wählte  er  aber  nicht  mehr,  wie  D'ürf6  und  Gombaud,  die  Form 
des  Romans,  sondern  die  des  Dramas.  Da  die  Komödie  da- 
mals aber  noch  nicht  ihre  Auferstehung  gefeiert  hatte,  bot  sich 
die  Pastorale  als  einzig  mögliche  dramatische  Form  dar.  Znm 
zweitenmale  hatte  sich,  nach  Th^ophile's  Vorgange,  ein  durch 
seine  sonstigen  poetischen  Werke  berühmter  Mann  der  drama- 
tischen Muse  angenommen.     Wann   aber   drangen    die  Bergeries 


^)  Malherbe  et  Maynard  estoieni  cPavis  de  couper  le  sens  des  vers 
de  suiie  de  quatre  vers  en  quatre  vers;  mais  moy,  qui  me  suis  toujours 
öppose  iant  que  fay  pu  aux  gesnes  oü  Ton  votuoit  meiire  noire  poe'sie, 
je  rCy  ay  jamais  su  consenUr  et  me  sembloit  que  ce  seroÜ  faire  des 
stances  et  non  des  vers  de  suite»  (Brief  Racan's  an  Chapeiain  vom 
25.  Oktober  1654.  Tenant  de  Latour,  (Euvres  rftf  Racan,  t.  L,  p.  352)  und: 
Vous  proposätes  aussy  ä  M,  Chapeiain  si  Fon  estoit  oblige,  aux  vers  de 
tkeätre  eomme  aux  €tutres  vers  de  suite,  de  fermer  le  sens  avec  la  ryme, 
M.  de  Matherbe  m*ordonnoit  de  le  fermer  de  quartre  en  quatre,  mime  en 
ma  pastareUe,  Cette  grande  justesse  me  sembloit  ridicule  quand  festois 
ohUge  de  de'crire  des  passions  violentes  et  desordonne'es.  (Brief  nacan^s 
an  Manage  vom  17.  Oktober  1654.    Latour  I,  p.  856.) 

^  Vgl.  meine  Studien  zu  Jean  de  Mairefs  Leben  und  Wirken, 
Münchener  Dissertation,  1888.     S.  74  ff. 

8)  Brief  Balzac's  an  Bacan,  8.  September  1628  (?),  Folio-Ausgabe 
der  Werke  Balzac's,  t.  I,  p.  108, 

^)  Üeber  Zeitbestimmung  und  Entstehung  der  Bergeries  vgl.  meine 
Mairei-Studien,  S.  67  ff. 


Zur  Geschichte  des  Sehafisrspiels  in  Frankreich.  75 

Racan's  zum  ersten  Male  vom  H<tfe,  für  den  das  Stüok  ^esohrieben 
wurde,  in  die  Stadt?  Das»  an  dem  Tage,  wo  die  Bvrgeiries  oder 
Th^ophile's  Tragl5die  zum  erstenmale  auf  einer  öffentliehen  Pa- 
riser Bühne  aufgeführt  wurde,  der  Name  des  Dichters  aneh  auf 
dem  Theaterzettel  stand,  ist  nattirlieh;  denn  er  zog.  8orel,  der 
die  hier  angedeutete  Thatsaohe  erwähnt,  sagt,  das  sei  g^en 
1625  gewesen.  Diese  Stelle  ist  bis  jetzt  von  fast  allen  Litterar* 
historikem  angeführt  worden,^)  ohne  dass  man  hervorgehoben 
hätte,  inwieweit  die  von  Sorel  gegebene  Jahreszahl  1625  von 
den  bisher  für  die  in  Rede  stehenden  Werke  angenommenen 
Daten  (1617,  1618,  1621  ete.)  abweicht  Kann  aneh  die  An- 
gabe Sorel's  keinen  Anspruch  auf  absolute  Genauigkeit  machen, 
so  ist  deren  annähernde  Richtigkeit  eine  schwerlich  mehr  zu  be* 
streitende  Thatsache.  Mit  den  Bergeries  (1623  oder  1624)  beginn 
eine  neue  Epoche  für  das  französische  Theater.  Ob  der  Rück- 
tritt Hardy's  zu  dieser  Wendung  der  Dinge  in  irgend  einer  Be- 
ziehung, dann  in  welcher,  der  von  Ursache  oder  Wirkung,  steht, 
wird  schwerlich  festgestellt  werden  können.  Ebensowenig  iässt 
sich  die  Behauptung  Ebert's  erweisen,  dass  Raoan  das  „Reich 
Hardy's  erschüttert  habe^.  Denn  die  Prodnktionskraft  Hardy's 
war  schon  gelähmt,  als  Raoan  die  Bühne  betrat  (1628  oder  1624), 
und  nach  der  jetzt  üblichen  Zeitbestimmung  der  Bergeries  (1618) 
hätte  ja  Hardy  noch  fUnf  Jahre  nach  Racan's  Auftreten  die  Btthne 
beherrscht  Zweifellos  wurden  noch  einige  Jahre  nach  der  ersten 
Aufführung  der  Bergeries  Hardy's  Stücke  auf  der  nämlichen 
Bühne  gern  gesehen,  wo  Racan's  Bergeries  gespielt  wurden.  Das 
bestätigt  nicht  bloss  Jean  de  Mairet, ^)  sondern  auch  Georges  de 
Scudery  in  der  Com^die  des  OomSdiens.  Wir  haben  gesehen^ 
welche  Form  die  Pastorale  unter  Hardy's  Hand  angenommen 
hatte.  Kann  es  uns  auch  nicht  einfallen,  die  Bergeries ,  ihrer 
künstlerischen  Gestaltung  nach,  mit  den  Pastoriüen  Hardy's  zu 
vergleichen,  so  müssen  wir  doch  andererseits  darauf  hinweisen, 
dass  die  Bergeries  ihrem  Inhalte  nach  den  Einfluss  Hardy's 
nicht  verleugnen  können.  Racan  nennt  in  seinem  Briefe  an  Mal- 
herbe,^)  dem  einzigen  seiner  Art,  die  Italiener  seine  Meister,  die 
er  nicht  erreichen  könne,  und  die  Nachahmung  Guarini's  bemerkt 
auch  der  allerflüchtigste  Blick:  der  Hymnus  auf  das  goldene  Zeit- 
alter, die  Jeremiade  über  die  strengen  Gesetze  der  Ehre,  die 
aufdringliche  Liebhaberin,  der  Satyr,  das  Wiedererkennen  des 
durch  eine  Überschwemmung   verlorenen  Sohnes  —  Racan  hätte 

^)  Ebert,  Entwickelungsgeschichte,  S.  187,  führt  sie  wörtlich  an. 
^  Epistre  famüiere  sur  le  Cid.    Parfaict,  Eüsi.  du  iheätre  franc., 
t.  IV,  288. 

*•)  (Euvres,  ed.  Latour  I,  p.  16. 


76  E.  Dannkeisser, 

wahrlich  nicht  erst  zu  sagen  brauchen,  dass  er  die  Italiener  ge- 
lesen. Aber  Arth^nice  ist  nichts  weniger  als  eine  spröde  Ama- 
ryllis,  sie  lässt  sich  nur  zu  sehr  den  Hof  machen.  Die  erheuchelte 
oder  wirkliche  Sprödigkeit  der  Schäferinnen  hat  Racan,  ebenso 
wie  Hardy,  aus  seiner  Pastorale  verwiesen.  Entgegen  dem  Ge- 
brauch der  hervorragendsten  Italiener  dient  auch  bei  Racan  die 
Zauberei  dazu,  die  Verwickelung  herbeizuführen,  wobei  der  Sinnen- 
kitzel nicht  vermieden  wird.  Die  Verleumderrolle  spielt  auch 
bei  Racan  ein  Mann,  denn  auch  Racan  versucht,  alle  Frauen- 
gestalten möglichst  sympathisch  erscheinen  zu  lassen.  Das  Motiv 
des  Konflikts  ist  bei  Racan  eigentttmlicherweise  ein  doppeltes. 
Zuerst  bildet  die  Habsucht  des  Vaters,  später  ein  religiöses  Be- 
denken das  Hindernis,  welches  sich  der  ehelichen  Verbindung 
der  liiebenden  entgegenstellt.  Die  Eigenart  Guarini's  ist  hier 
mit  derjenigen  Hardy's  so  verquickt,  dass  die  Schärfe  der  Gha- 
rakterzeichnung  unbedingt  Not  leiden  musste.  Der  Vater  der 
Arthönice  ist  bald  der  habsüchtige  Komödienvater  Hardy's,  bald 
wieder,  besonders  am  Schlüsse  der  Bergeries,  sympathisch,  wie 
Titiro  oder  Montane  im  Pastor  fido.  Der  von  Sil6ne  hie  und 
da  angeschlagene  derbe  Ton  erinnert  an  Hardy's  ürwttchsigkeit, 
während  in  der  Art  der  GefOhlsschilderung  Racan  entschieden 
den  Italienern  näher  kommt  als  Hardy.  Bezeichnend  ist,  dass 
Racan  sein  Stück  gar  nicht  drucken  lassen  wollte,  er  fürchtete 
die  Kritik  des  pays  latin  (Brief  an  Malherbe),  und  es  war  ja  nur 
für  die  Aufführung  geschrieben,  vorerst  nur  für  den  Hof  und 
die  dortige  Gesellschaft  geschrieben  (Brief  an  Malherbe)  —  ein 
modernisiertes  Odi  profanum  vtdgus.  Können  wir  auch  nicht 
zugeben  —  besonders  mit  Hinblick  auf  Hardy's  Pastoralen  — 
dass,  wie  es  jetzt  Mode  zu  sein  scheint,  anzunehmen,  die  Pastorale 
das  Privileg  der  vornehmen  Klassen  der  Gesellschaft  gewesen 
sei,  finden  sich  sogar  bei  Racan  Ausdrücke,  welche  nicht  auf 
diese  Klasse  des  Volkes  berechnet  zu  sein  scheinen  —  Racan 
hat  nach  eigenem  Geständnis  seine  Pastorale  nur  für.  die  vor- 
nehmen Klassen  geschrieben.  Für  den  Inhalt  seines  Werkes 
war  Racan  durch  die  litterarische  Tradition  gebunden,  der  Ton, 
den  er  wählte,  war  der  aller  anderen  Litteraturgattungen  —  die 
Gesellschaft  verstand  und  liebte  ihn.  Für  den  Gelehrten  vom 
Schlage  eines  Balzac  war  die  Pastorale  ein  Unding  —  sein  Ideal 
war  die  antike  Tragödie.  Racan  sei  der  rechte  Mann  für  eine 
Reform  des  Theaters,  schreibt  Balzac^),  obwohl  er  kein  Latein 
kenne,  wenn  er  sich  nur  entschliessen  würde,  die  ganze  Schäferei 
an  den  Nagel  zu  hängen.     Auf  diese  Weise  wollte  Balzac  den 


1)  Brief  an  Racan,  Folioausgabe  I,  S.  108. 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich.  77 

Erfolg  Racan's,  den  er  yoraussab,  aasnützen.  Aber  Balzac's 
Beformgedanken  fielen  auf  unfrucbtbaren  Boden.  Bis  gegen  1627 
blieb  die  Pastorale  der  Qualität  nach  die  Beherrscherin  der 
Bühnen.  Quantitativ  konnte  sie  es  allerdings  nie  werden,  was 
die  flüchtigste  Statistik  der  in  dieser  Zeit  erschienenen  Theater- 
stücke beweisen  könnte.  Racan's  Beispiel  konnte  nicht  be- 
sonders anregend  wirken.  Neue  Stoffe  bot  die  Pastorale  wenig 
und,  was  die  Art  der  Behandlung  betrifft,  so  werden  sich  wenige 
berufen  gefühlt  haben,  mit  dem  gefeierten  Schriftsteller  in  die 
Schranken  zu  treten.  Daher  wohl  die  Unfruchtbarkeit  auf  dem 
Gebiete  der  Pastorale  in  dieser  Zeit  (1623—27).  Dass  sowohl 
Oombauld  als  auch  D'Urf6,  die  beide  in  inniger  Beziehung  zum 
Hofe  gestanden,  sich  auch  auf  dem  Gebiete  des  Pastoraldramas 
versuchten,  ist  ein  Beweis  für  die  Beliebtheit  desselben  in  jenen 
Kreisen.  Das  pastorale  Element  hatte  nun  alle  Zweige  der  Lit- 
teratur  durchsetzt  —  von  der  Astrie  war  man  zu  den  Bergeries 
gekommen,  d.  h.  in  den  Schriftstellerkreisen,  welche  die  Poesie 
nicht  wie  Hardy  als  Handwerk  betrieben.  Aber  welcher  Unter- 
schied zwischen  der  Astrie  und  den  BergerieSy  ein  grösserer 
Unterschied  noch  als  die  Eigentümlichkeit  der  beiden  Dichtungs- 
arten bedingt:  schon  D'Urfi6  sah  ein,  dass  auch,  dem  Inhalte 
nach,  ein  Pastoraldrama  anders  beschaffen  sein  müsse  als  ein 
Pastoralroman.  Hardy's  Schäferspiele  sagten  ihm  das  noch  ein- 
dringlicher als  die  der  Italiener.  D'Urfö's  Süvanire  ist  teilweise 
nach  Hardy's  Rezept  gearbeitet.  Es  sind  echte  Bauern,  die  hier 
vorgeführt  werden,  keine  verkappten  Königssöhne  und  Aristo- 
kraten, wie  in  der  Astrie.  Die  Sprödigkeit  der  Astrie  findet 
sich  in  den  besten  französischen  Pastoralen  nicht,  und  nach  der 
Gestalt  des  Hylas  sucht  man  bis  1627  auch  vergebens.  Die 
unbedingte  Herrschaft  des  Weibes  über  den  Mann  konmit  wohl 
in  der  Haupthandlung  der  Astrie  zum  Ausdrucke,  nicht  aber  in 
dieser  Ausdehnung  im  Pastoraldrama,  wobei  ich  nur  an  den 
Typus  der  aufdringlichen  Liebhaberin  zu  erinnern  brauche.  Dem 
Bestreben,  eigene  Erlebnisse  oder  wenigstens  Ereignisse  der 
eigenen  Zeit  darzustellen,  begegnen  wir,  wie  in  der  AsMe^  auch 
im  Pastoraldrama  (z.  B.  der  ersten  Redaktion  der  Bergeries),  aber 
auch  schon  vor  Erscheinen  der  Astrie,  schon  bei  Montchrestien 
(Weinberg  S.  22)  und  Guarini.  Damach  sind  die  von  Weinberg 
S.  17  und  59  gemachten  Angaben  über  den  Einfluss  der  Astr^ 
einzuschränken.  Sodann  kamen  die  in  der  Astrie  enthaltenen 
Stoffe  eigentlich  viel  mehr  der  Tragikomödie  als  der  Pastorale 
zu  statten;  denn  rein  pastoralen  Charakter  tragen  in  der  Astrie 
besonders  die  Haupthandlung,  ausserdem  aber  nur  noch  die  Ge- 
schichte von  Cilion  et  Bilinde  und  die  in  jeder  Beziehung  ver- 


78  E,  Dannheisser, 

dltohtige  Oesehichte  der  SilvanirOi  Die  beinahe  in  jeder  Litte - 
rattufgeschiehte  angefahrte  Äa&serung  von  Segrais^)  enthält  eine 
arge  Über^eibung  und  verleitet  zn  der  Ansieht,  alle  aus  der 
Astr^e  genommenen  Stoffe  seien  zu  Pastoralen  verarbeitet  worden. 
Auch  die  dort  angegebene  Art  der  Nachahmnng  ist  eine  Ver- 
keiBnoitg  der  Sachlage.  Trotzdem  kann  der  Einfluss  der  Astree 
auf  das  französisebe  Sehäferspiel  nieht  hooh  genug  angeschlagen 
w^den,  nur  ist  er  nicht  in  Äusserlichkeiten  zu  suchen«  Die 
Veredelung  des  Tones  in  der  Pastorale  ist  sicherlich  nicht  allein 
auf  Racan's  poetische  Individualität  zurückzuführen ,  und  erst 
durch  die  Astrie  wurde  das  französische  vornehme  Publikum  für 
das  Sehäferspiel  empfänglich  gemacht.  Wenn  Bacan  den  Schau- 
platz der  Handlung  nicht  mehr  nach  Arkadien,  sondern  nach 
Frankreich  verlegt,  entgegen  dem  sonstigen  Gebrauch  der  Pasto- 
raldichter, so  mag  vielleicht  hier  die  AsMe  auch  bestimmend 
eingewirkt  haben.  Aber  das  französische  Schäferspiel  im  ersten 
Stadium  seiner  Entwickelung,  auch  noch  bei  Hardy  muss  schon 
aus  ohronologischen  Gründen  als  unabhängig  von  der  Astree 
bezeichnet  werden.  Racan  hat,  wie  die  italienischen  Schäfer- 
spieldichter, in  richtiger  Selbsterkenntnis  nur  eine  einzige  Pasto- 
rale geschrieben,  ebenso  wie  Gombaud,  der  gefeierte  Dichter  des 
Endpmion.  Mit  der  Amarardhe  Gombaud's  (1625?)  hält  erat  der 
raffinierte  Guitorismus  seinen  Einzug  in  das  Schäferspiel,  während 
Racan^s  Sprache  noch  verhältnismässig  natürlich  ist.  Was  vom 
Inhalt  der  Amaranthe  bekannt  ist,  lässt  vermuten,  dass  das  Stück 
den  T3rpU8  der  französischen  Pastorale  nicht  verleugnen  kann. 
Hatte  Racan  vermittelst  des  Schäferspiels  einmal  dem  aus  der 
vornehmen  Welt  hervorgegangenen  oder  in  ihr  aufgegangenen 
Dichterkreise  die  Pforten  der  Bühne  geöffnet,  so  mussten  diese 
Dichter  bald  das  Bestreben  verspüren,  auch  die  übrigen  drama- 
tischen  Dichtungsarten  in  den  Bereich  ihrer  Thätigkeit  zu  ziehen. 
Aber  hier  zeigte  sich  so  recht  die  dramatische  Iitipotenz  der 
Racan'schen  Dicfatergeneration.  Nach  1625  bleibt  alles  wieder 
stumm  wie  zuvor^  selbst  Hardy  hatte  die  Bühne  verlassen. 

§  4*    Mairet. 

Da  kam  Jean  de  Mairet,  als  rettender  Geist,  wie  Malherbe, 
jung,  ohne  Dichterruf,  ehrgeizig,  voll  Scharfsinn  für  die  Bedürf- 
nisse seiner  Zeit  —  er  hatte  einen  Hauch  von  Th6ophile's  Geist 

1)  Pendant  pres  de  40  ans  an  a  iird  presque  ious  les  sujeU  des 
pieces  de  Thääire  de  /'Asträe  et  les  Föetes  se  contentoient  ordinairement 
de  meitre  en  vers  ce  gue  M,  D^TJrfe  y  fait  dire  en  prose  aux  person- 
nages  de  son  Roman,  Ces  pieces-&  s*appeloient  des  Pastorales  aux- 
queües  les  Cptn^ies  suecäderent,    (Segraisiana,    Paris,  1721.   S.  145.) 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich.  79 

yerspQrt.  Mit  richtigem  Blick  oder  Gefühle  erkannte  er,  dass 
nunmehr.  Dank  Racan  nnd  Th6ophiie,  der  junge  Dichter  seine 
ersten  Lorheeren  auf  der  Bühne  holen  konnte,  das»  Oden  2U 
diesem  Zwecke  nicht  mehr  so  nötig  waren  wie  früher«  Er  wagte 
es,  sich  gleich  anfangs  dem  Publikum  als  Theaterdichter  voran- 
stellen. Da  er  im  Dienste  eines  so  hoch  angesehenen  Eldelmanns 
stand,  wie  es  der  Herzog  von  Montmorencj  war,  brauchte  er 
nicht  zu  fürchten,  in  sozialer  Beziehung  mit  dem  alten  Hardy 
verwechselt  zu  werden.  Die  Vorliebe  des  Herzogs  für  das 
Theater  —  widmete  ihm  doch  Hardy  den  ersten  Band  seiner 
Werke  —  mag  vielleicht  anch  nicht  ohne  Einfluss  gewesen  sein« 
Kurz,  Mairet  war,  nach  Hardy,  wieder  der  erste  Dichter,  der 
gleich  von  vornherein  seinen  Ruhm  einzig  und  allein 
dem  Theater  verdankt.  Diese  Thatsache  ist  bis  jetzt  noch 
nicht  genügend  hervorgehoben  worden.  Dass  Mairet  sich  nicht 
mit  einer  Pastorale,  sondern  mit  einer  Tragikomödie  (Chrisüde 
et  Arimant)  einführte,  ist  bezeichnend  für  seine  hervorragende 
dramatische  Begabung,  vielleicht  auch  für  seine  kluge  Berechnung. 
Nach  dem  grossen  Erfolg  der  Bergeries  konnte  Mairet  als  An- 
fänger nicht  hoffen,  mit  einer  Pastorale  gleich  durchzudringen. 
Er  versuchte,  das  vornehme  Publikum  nun  auch  für  eine  Tragi- 
komödie zu  gewinnen,  indem  er,  wie  alle  seine  Zeitgenossen, 
den  Ton  des  Marinismus  anschlug.  Der  Erfolg  scheint  hinter 
den  Erwartungen  zurückgeblieben  zu  sein;  denn  Mairet  Hess  die 
GhrisSide  erst  spät  selbst  drucken.  Aber  einmal  von  der  Hoff- 
nung auf  Theatererfolge  berauscht,  versnobte  Mairet  zum  zweiien 
Male  das  Glück  der  Bretter  mit  einer  tragi-comSdie-pastoralef 
der  Sylvie  (1626).  Den  ungeheueren  Erfolg  dieses  Stückes  be- 
zeugt noch  Rotrou^)«  Die  Bedeutung  der  Sylvü  für  die  Ge- 
schichte des  Schäferspiels  liegt  schon  in  diesem  Erfolge;  wir 
haben  nach  den  Gründen  desselben  zu  forschen.  Der  geistreiche 
Saint- Marc -Girardin  sagt,  die  Mischung  von  amnntigen  nnd  er- 
habenen Szenen  sei  das  Neue  an  dem  Stücke  gewesen.^)  Schon 
sein  Titel  musste  etwas  Neues  bedeuten,  denn  die  Bezeichnoftg 
tragt -comidie-pastorale,  finden  wir  vor  der  Splvie  in  keinem 
französischen  Drama  von  irgend  welcher  Bedeutung.  Dass 
von  Mairet  eher  als  von  Racan  der  Ausspruch  Balzac's  gilt,  er 
sei  zu  pathetisch  für  die  Pastorale,  ersehen  wir  aus  seiner 
ChrisSide,  War  des  Dichters  erstes  Werk  keine  Pastorale, 
so  ist   es   interessant,    zu  beobachten,    wie    er  sich    in  seinem 

*)  Je  faisois  Amaranthe  ou  Chris  ou  Sylvie, 
Et  de  mes  aciions  la  cour  esioit  ravie. 

(Rotrou,  Naufrctge  Heureux,  A.  III,  Sz.  8.J 
3)  Cows  de  lectures  dramatiffses,  t.  III  S.  237  ff. 


80  E.  Dannheisser, 

zweiten  Werke  mit  dem  dramatischen  Oenre  der  Pastorale  ab- 
findet. Inwieweit  er  die  Italiener  studiert  hat,  lässt  sich  für  die 
Sylvie  nicht  erweisen,  wohl  aber,  dass  dieses  Werk  sich  in  vieler 
Beziehung  an  Racan  und  Th^ophile's  Drama  anlehnt.  Der  Typus 
der  von  Hardy  geschaffenen,  und  von  Racan  weiter  entwickelten 
und  zu  grösseren  Ehren  gebrachten  französischen  Pastorale 
ist  auch  von  Mairet  beibehalten  worden;  denn  der  Verleumder 
und  der  urwüchsige  Vater  finden  sich  auch  in  der  Sylvie,  und 
die  Hauptheldin  hat  trotz  aller  Naivität  einen  Anflug  von  welt- 
männischer Klugheit  wie  Arth^nice.  Keine  der  auftretenden 
Personen,  selbst  der  diplomatische  Kanzler  nicht,  wagt  es,  die 
echte,  wahre  Liebe  auf  die  falsche  Wage  der  Vernunft  zu  legen. 
Die  Sprache  des  Stückes  bedeutet  den  Bergeries  gegenüber 
sogar  einen  Rückschritt,  denn  die  Zahl  der  Pointen  ist  bei 
Mairet  viel  grösser.  Und  doch,  trotz  teilweisen  Festhaltens  an 
der  litterarischen  Tradition,  welch  gewaltiger  Fortschritt  vom 
dramatischen  Standpunkte  aus!  Das  vernichtende  Urteil  Par- 
faict^s  über  die  Sylvie  kann  nur  der  gutheissen,  welcher  die 
Litteraturgeschichte  zum  Paradefelde  ästhetisierender  Gemein- 
plätze macht.  Mairet  hat,  bewusst  oder  unbewusst,  darnach  ge> 
strebt,  die  Pastorale  durch  Zuführung  von  neuen  stofflichen 
Elementen  wieder  mit  frischer  Lebenskraft  zu  erfüllen.  Ein 
Prinz  liebt  eine  echte  Schäferin,  nicht  eine  verkleidete  oder 
später  als  Aristokratin  wiedererkannte  Schäferin.  Der  Gegen- 
satz zwischen  Hof-  und  Landleben  dient  in  der  Sylvie  nicht 
mehr,  wie  bei  den  vorhergehenden  Pastoraldichtern,  bloss 
zur  Koloratur,  sondern  er  bildet  den  Grundton  und  das 
Leitmotiv  des  Stückes,  den  Ausgangspunkt  der  Verwickelung. 
Th61ame  will  von  den  Damen  seines  Hofes  nichts  wissen  und 
liebt  ein  echtes  Bauernkind.  Den  Gegensatz  von  Th6lame's 
Schicksal  zu  dem  Florestan's  hebt  das  Grundmotiv  in  recht 
dramatischer  Weise  hervor.  Florestan  hat  das  Glück,  dass  seine 
Geliebte  eine  Königstochter  ist  und  gibt  seiner  Freude  darüber 

Ausdruck: 

Pmsqu*eüe  est  comme  moy,  dCune  royaie  iige, 
Uhonneur  ä  la  servir  davantage  nCoUige.  (I,  1.) 

Und  doch  kann  er  erst  dadurch  zum  Ziele  seiner  Wünsche  ge- 
langen, dass  er  den  auf  Th^lame  lastenden  Bann  des  Schicksals 
löst,  ein  Zug  echter  poetischer  Gerechtigkeit.  Das  Wiederer- 
kennen, wie  es  bei  Guarini,  Hardy  und  Racan  zur  gewaltsamen 
Lösung  des  Knotens  verwandt  wird,  hat  Mairet  in  rühmenswerter 
Weise  in  der  Süvie  sowohl  als  in  der  Sävanire  verschmäht  — 
auch  ohne  dasselbe  kommt  die  Liebe  zu  ihrem  Ziele.  Selbst 
die  Wahl  der  teilweise  ländlichen   Szenerie   entspringt  aus  dem 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich.  81 

Grundmotiv  des  Stückes  —  der  Fürstensohn  mnss  seine  Liebe 
verbergen  und  seine  Schäferin  in  den  abgelegensten  Ecken  ihres 
Thaies  aufsuchen.  Wie  in  allen  französischen  Pastoralen 
spielt  auch  in  der  Sylvie  die  Zauberei  eine  grosse  Rolle,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dass  sie  bei  Mairet  dem  bisherigen  Ge- 
brauche entgegen,  nicht  dazu  dient,  um  die  Verwickelung, 
sondern  die  Versöhnung  der  widerstrebenden  Interessen  herbei- 
zuführen. Die  Verwickelung  andererseits  geht  in  einer  Weise 
vor  sich,  wie  sie  anmutiger,  poetischer  und  dramatischer  nicht 
gedacht  werden  kann.  Zugleich  ist  diese  Szene  die  einzige  in 
in  der  Sylvie,  welche  echt  pastoralen  Charakter  trägt,  ohne 
aber  nach  der  herkömmlichen  Schablone  ausgearbeitet  zu  sein 
(III,  2).  Natürlich  hat  auch  Mairet  wie  Hardy  und  Racan  darauf 
verzichtet,  die  Sprödigkeit  der  Hauptheldin  den  Italienern  nach- 
zumachen. Sylvie  sagt  Thi61ame,  dass  sie  ihn  liebt,  sie  weiss 
auch,  dass  er  ein  Fürstensohn  ist.  Niemals  hat  vor  Mairet  ein 
Pastoraldichter  versucht,  das  Glück  zweier  einander  angehörenden 
Seelen  zu  schildern,  geschweige  denn  so  zu  schildern,  wie  Mairet 
es  gethan.  Selbst  bei  Racan  wird  nur  von  Liebesleid,  nie  aber 
von  Liebesglück  gesprochen.  Arth6nice  tri£ft  mit  ihrem  Geliebten 
Alcidor  überhaupt  nicht  zusammen,  bevor  die  List  des  Lucidas 
den  Bruch  herbeigeführt  hatte.  Ebenso  ist  es  bei  den  Italienern; 
denn  der  Schmerz  ist  leichter  darzustellen,  als  die  Freude.  Die 
Empfindungen  und  Gedanken,  welche  auf  die  ihres  Geliebten 
harrende  Sylvie  einstürmen,  sind  der  Ausdruck  des  reinsten  Ge- 
ftthlsoptimismus,  ein  Stimmungsbild  von  vorher  im  Pastoraldrama 
nie  gekannter  Wahrheit.  Diese  Szene  gehört  zum  besten,  was 
Mairet  je  geschrieben  (Sz.  I,  2).  Woher  Th61ame's  Liebe  zu 
Sylvie  kommt,  brauchen  wir  nicht  zu  wissen,  die  einfache  That- 
sache  genügt.  Während  uns  in  den  bedeutendsten  italienischen 
Pastoralen  und  auch  noch  bei  Racan  mit  unbarmherziger  Aus 
führlichkeit  die  Entstehung  der  Liebe  erzählt,  ja  gewissermassen 
motiviert  wird,  geht  Mairet  von  dem  Standpunkte  aus,  dass  die 
Leidenschaft  keinerlei  Legitimation  oder  Heimatsscheins  bedarf. 
Ebensowenig  braucht  sich  Th^lame  durch  eine  besonders  ver- 
dienstvolle That  seine  Sylvie  erst  zu  Dank  zu  verpflichten,  um 
ihrer  Liebe  sicher  zu  sein  —  Notzucht  und  Satyr  haben  deshalb 
in  der  Sylvie  keinen  Sinn.  Schon  die  Verbannung  des  Satyrs 
aus  der  Pastorale  —  auch  in  der  Süvanire  kommt  er  nicht  vor  — 
wäre  eine  verdienstvolle  That  Mairefs  gewesen,  die  ihm  allein 
einen  Platz  in  der  Geschichte  dieser  Dichtungsart  sichern  würde. 
Auch  in  der  Charakterzeichnung  macht  sich  gegen  Racan  ein 
Fortschritt  bemerkbar.  Sylvie  ist  naiv  und  optimistisch,  aber  die 
kluge,   durch   fremden   Schaden   gewitzigte   Hüterin    ihrer  Jung- 

Zschr.  f.  firz.  Spr.  u.  Litt.    Jlh  t^ 


82  E,  Dannheisser, 

fräulichkeit,  obwohl  sie  weiss,  dass  Th^lame  mehr  möchte,  als 
Worte  der  Liebe.  Auch  mag  die  List  Phil^ne's  ein  Stachel  des 
Misstrauens  in  ihr  zurückgelassen  haben.  Mit  ihrem  Geliebten 
verkehrt  sie,  wie  wenn  er  ihres  Standes  wäre  —  die  Liebe 
macht  die  Menschen  einander  gleich.  Erst  nach  der  List  Philöne's 
redet  sie  Th^lame  mit  voua  an,  aber  nicht  lange.  Gegen  ihre 
Eltern  ist  sie  voll  Achtung,  ohne  die  Rechte  ihres  Herzens  des- 
wegen aufzugeben.  Sobald  sie  sich  in  ihrer  Liebe  betrogen  sieht, 
kennt  sie  keine  Zurückhaltung  oder  Verstellung  mehr,  wie 
Arth6nice  —  sie  nennt  ihre  vermeintliche  Nebenbuhlerin  j^cour- 
tisane.^  Später  jedoch  stellt  sie  sich  gegenüber  Th^lame,  als 
ob  ihre  Eifersucht  nur  erheuchelt  gewesen  sei,  ein  Zug,  welcher 
das  Charakterbild  entstellt.  Auch  Dorise  gegenüber,  auf  die  sie 
doch  eifersüchtig  sein  muss,  weiss  sie  sich  klug  zu  verstellen. 
Überhaupt  ist  hier  anzumerken,  dass  sich  die  Eifersucht  in 
der  Pastorale  beinahe  immer  nur  derjenigen  Person  gegenüber 
Luft  macht,  wegen  der,  nicht  aber  derjenigen  gegenüber,  auf 
die  man  eifersüchtig  ist.  Höchst  liebenswürdig  und  anziehend 
ist  der  Charakter  der  Mac6e,  Sylvie's  Mutter,  gezeichnet.  Kein 
Pastoraldichter  vor  Mairet  hat  uns  die  Gestalt  einer  älteren  Frau 
so  sympathisch  zu  machen  gewusst,  wie  er.  Meistens  gut  ge- 
lungen ist  Mairet  auch  der  Ton  der  Ironie,  der  in  dieser  Weise 
in  der  Pastorale  zum  ersten  Male  auftritt.  Selbst  der  alte,  ur- 
wüchsige Dämon  wird  ironisch,  und  Sylvie  straft  den  heim- 
tückischen Phil^ne  nur  durch  ironische  Bemerkungen.  Wir 
könnten  uns  fast  in  die  Charakterkomödie  versetzt  glauben,  wie 
ich  überhaupt  der  Ansicht  bin,  dass  in  einer  Geschichte  der 
Komödie  die  Sylvie  auch  ein  Plätzchen  verdient,  denn  der 
pastorale  Teil  der  Sylvie  ist  mit  ebensoviel  Recht  als  komödien- 
haft zu  bezeichnen,  wie  Corneille's  Melite,  die  Ebert  eine  zur 
Komödie  geratene  Pastorale  nennt.  Der  Fortschritt,  den  die 
Sylvie  für  die  Charakterzeichnung  bedeutete,  führte  die  Pastorale 
mehr  gegen  die  Richtung  der  Komödie  als  gegen  die  der 
Tragödie.  Hat  auch  Mairet  noch  alle  Unarten  des  Mariuismus 
beibehalten,  ist  es  ihm  auch  nicht  gelungen,  alle  Glieder  seiner 
Pastorale  zu  einem  harmonischen  Ganzen  zu  vereinigen,  so  ver- 
dankt doch  die  Pastorale  der  Sylvie  zum  allermindesten  die 
Befreiung  von  dem  Satyr  und  dem  Chor,  den  Racan  noch  als 
unvermeidliches  Anhängsel  mit  sich  schleppen  musste.  Die  Em- 
pfindungen werden  bei  Mairet  auch  nicht  mehr  in  Liedern,  wie 
bei  Racan,  sondern  in  Monologen  ausgedrückt.  Die  einzig  lyrische 
Partie  in  der  Sylvie  ist  das  Zwiegespräch  zwischen  Phil^ne  und 
Sylvie,  dessen  kreuzweise  gereimte  Verspaare  und  widerlich  ge- 
spreizte Sprache  es  sofort  als  Ekloge  erkennen  lassen,  was  weder 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich,  83 

von  BizoB  Doch  von  Weinberg  bemerkt  worden  ist.  Diese  Ekloge 
mnss  bei  ihrem  Erscheinen  Aufsehen  gemacht  haben.  Man  hielt^) 
Mairet  nicht  für  fähige  etwas  so  Ausserordentliches  zu  schreiben, 
und  Fontenelle    gedenkt    später    noch    lobend    dieses    Gedichts. 

War  die  Sylvie  das  Werk  eines  wenigstens  nach  stoff- 
licher Selbstständigkeit  ringenden  Geistes,  so  mnsste,  da  sich 
erfahrungsgemäss  der  litterarische  Nachahmungstrieb  mit  Vorliebe 
der  stofflichen  Seite  der  Produktion  bemächtigt,  gerade  die  Sylvie 
von  grösstem  Einflüsse  auf  die  Gestaltung  der  Pastorale  werden. 
Die  Annäherung  an  das  stoffliche  Element  der  Tragikomödie 
seitens  der  Pastorale  bedeutet  das  Aufgeben  ihrer  litterarischen 
Selbstständigkeit,  den  Beginn  des  Auflösungsprozesses,  den  die 
Sylvie  angebahnt.  Wir  brauchen  nicht  mit  Fonmel  (La  LätSra- 
iure  inddpendante  S.  227)  anzunehmen,  dass  gerade  der  Berger 
extravagant  von  Sorel  die  Pastorale  zu  Fall  gebracht  habe. 

Zuerst  äussert  sich  der  Einfluss  der  Sylvie  in  der  Beliebt* 
heit,  deren  sich  die  Bezeichnung  Tragi- coToedie-pastor ah  erfreut 
zu  haben  scheint.  Vor  der  Sylvie  war  diese  Bezeichnung  wenig 
gebräuchlich,  nach  1626  wenden  sie  De  la  Croix  und  Pichou 
ohne  Bedenken  an,  auch  da,  wo  sie  gar  nicht  entsprechend  ist,  wie 
bei  Pichou's  Filii  de  Scire.  Auch  das  unzüchtige  Werk  Veron- 
neau's  (Weinb.,  S.  129)  nennt  sich  tragi-comidie-pastorale,  wäh- 
rend Du  Rocher  (ih,)  sich  in  der  Bezeichnung  pastorale  comiqtie 
gefällt.  Selbst  Tasso's  Aminta  muss  sich  in  der  Bearbeitung 
Rayssiguier's  tragi-comedie-pastorale  nennen  lassen.  Die  unmittel- 
bare, organische  Verbindung  der  Schäferwelt  mit  dem  Hofe,  das 
Charakteristikum  der  Sylvie,  tritt  zuerst  in  der  bedeutendsten  der 
auf  Sylvie  folgenden  Pastoralen,  der  Climhie  von  De  la  Croix 
hervor.  Dieses  Stück  erscheint,  wie  schon  Weinb.  S.  117  her- 
vorgehoben, auf  den  etsten  Blick  als  Nachahmung  der  Sylvie, 
Dass  wir  es  hier,  ebenso  wie  in  der  nachher  zu  erwähnenden 
Cleonice  nicht  mit  geborenen  Schäfern  und  Schäferinnen  zu  thun 
haben,  beweist,  dass,  Mairef's.  Thüame  ein  kühner  GriflF  war, 
den  man  nicht  ganz  genau  nachahmen  konnte  oder  wollte.  Aber 
die  Hauptwirkung  der  Sylvie  bleibt  ungeschwächt  —  die  Pasto- 
rale segelt  im  Fahrwasser  der  Tragikomödie  fort.  Der  Satyr 
kehrt  nach  der  Sylvie  in  den  besten  Pastoralen  nicht  mehr  wieder 
—  D'ürfö's  Silvanire  ist  ja  vor  Sylvie  verfasst.  Auch  der  Chor 
ist  überflüssig  geworden  —  Climhie  sowohl  als  auch  OlSoniee 
gaben,  wie  Sylvie,  einen  Teil  des  Pastoralt jpus  auf.  Diese  Er- 
scheinung hat  auch  Parfaict,  wenngleich  nicht  ganz  klar,  hervor- 


*)  Re'ponse  de  ***  ä  ***.     Vgl.  Corneille,  CEuvres,  p.  p.  Marty- 
Laveaux  t.  III,  S.  72. 


84  E,  Dannheisser, 

gehoben,  ohne  aber  einen  Erklärungsversuch  za  wagen  (IV,  401). 
Weinberg  registriert  nur  das  Urteil  seines  Gewährsmannes.  Er 
nimmt  auch  an,  Climhne  sei  eine  Nachahmung  von  Mairet's 
Silvanire.  Ist  aber  die  von  Parfaict  für  Climhie  angegebene  Jahres- 
zahl richtig,  was  allerdings  noch  zu  erweisen  ist,  so  werden  wir 
in  Climhie  eine  Nachahmung  der  D'Urf6'schen  Pastorale  zu 
suchen .  haben,  worauf  auch  die  Oestalt  des  verrückten  Schäfers 
Lindas  hinweist,  der  mit  dem  tollen  Adraste  DXM6'8  manches 
gemeinsam  zu  haben  scheint.  Gegen  Ende  der  zwanziger 
Jahre  hatte  die  Pastorale  ihre  bühnenbeherrschende 
Stellung  eingebüsst.  Als  rein  litterarisches  Produkt  (im 
Gegensatz  zu  den  Schäferspielen  Hardy's)  hatte  sie  demnach,  von 
162  3,  dem  frühesten  Zeitpunkte  des  Erscheinens  der  Betgeries, 
an  gerechnet,  nur  ein  halbes  Dezennium  im  Mittelpunkte  der 
Theatergeschichte  gestanden.  Rotrou,  Corneille,  Scudery  und  Du 
Ryer  schrieben  keine  Pastoralen  mehr,  wenngleich  sich  hie  und 
da  noch  der  Einfluss  des  Schäferspiels  in  ihren  Werken  nach- 
weisen lässt.  Aus  Weinberg's  Arbeit  könnte  man  den  Eindruck 
gewinnen,  als  ob  das  Schäferspiel  ungefähr  dreissig  Jahre  lang  auf 
der  Bühne  allmächtig  gewesen  sei;  aber  Weinberg  hat  es  leider 
unterlassen,  die  Machtstellung  der  Pastorale  den  anderen  Abarten 
der  dramatischen  Poesie  gegenüber  zu  beleuchten,  es  fehlt  seinem 
historischen  Bilde  also  der  Untergrund.  Dabei  dürfen  wir  uns 
aber  nicht  der  Täuschung  hingeben,  als  ob  die  Pastorale  nach 
der  Climhie y  deren  Aufführungszeit  wir  überdies  nicht  genau 
wissen,  ohne  Sang  und  Klang  von  der  Bühne  verschwunden  sei. 
Das  gewiss  nicht. 

§  5.     Die  Silvanire  Mairet's  und  die  italianisierende 

Pastorale. 

1627  erschien  endlich  D'ürfö's  Silvanire  im  Drucke.  Das 
Stück  hat  gedruckt  jedenfalls  grösseres  Aufsehen  gemacht  als 
auf  der  Bühne,  auf  die  es  vielleicht  nie  gekommen  war.  Es 
hatte  den  klar  ausgesprochenen  Zweck,  den  Franzosen  das 
Muster  einer  getreu  nach  italienischen  Vorbildern  gearbeiteten 
Pastorale  zu  bieten;  es  war  ein  theoretisches  Experiment,  das, 
vom  ästhetischen  Standpunkte  aus  betrachtet,  wohl  die  Gering- 
schätzung verdient,  die  es  gefunden  —  Weinberg  z.  B.  gönnt 
dem  Stücke  nur  eine  Anmerkung.  Um  so  interessanter  ist  das 
Stück  für  die  Entwickelungsgeschichte  des  Schäferspiels.  Gegen 
die  Mitte  der  zwanziger  Jahre  scheint  man  in  Hofkreisen  —  und 
diese  waren  damals  schon  wie  auch  später,  massgebend  —  die 
Empfindung  gehabt  zu  haben,  als  sei  eine  französische  Pastorale 


Zur  Geschichte  des  Schäfej'spiels  in  Frankreich.  85 

ein  ganz  anderes  Ding  wie  eine  italienische.  Vielleicht  hatten 
gerade  Racan's  Bergeries,  welche,  trotz  ihrer  beinahe  ostentativen 
Annäherung  an  den  Pastor  fido,  doch  den  Charakter  des  national- 
französischen  Schäferspiels  nicht  verleugnen  konnten,  diese  That- 
sache  erst  recht  zu  vollem  Bewusstsein  gebracht.  Zwischen  der 
Abfassung  und  Veröflfentlichung  von  D'ürf6's  Süvanire  liegt  der 
Erfolg  der  Sylvie,  welcher  die  Klufk  zwischen  der  französischen 
und  italienischen  Pastorale  als  nicht  ttberbrttckbar  erscheinen 
lassen  musste.  Die  Veröffentlichung  von  D'Urf6*8  Süvanire  war 
die  erste  Wirkung  oder  die  Ursache  zur  Reaktion  gegen  die 
Strömung,  welche  die  Pastorale  der  Tragikomödie  und  Komödie 
unwiderstehlich  zutrieb.  Es  kam  dabei  nicht  in  Betracht, 
dass  D'Urf^'s  Nachahmung  der  Italiener  sich  zumeist  an 
Äusserlichkeiten  (z.  B.  den  Vers)  klammerte,  und  sein  Werk 
dem  Inhalte  nach  in  einigen  Punkten  unwillkürlich  der  franzö- 
sischen Pastorale  entsprach.  Von  1627  ab  war  und  blieb 
das  Lager  der  Pastoraldichter  gespalten.  Reichtum  und 
Neuheit  der  Handlung,  wie  in  der  Tragikomödie  einerseits,  Ab- 
schwenkung  nach  der  Richtung  der  reinen  italienischen,  in  stoff- 
licher Beziehung  wenig  mannigfaltigen  Pastorale  andererseits, 
bildete  das  Charakteristikum  der  beiden  Parteien,  welche  sich 
in  Bezug  auf  die  Form  ihrer  Werke  wohl  auch  wieder  nahe 
kamen.  Der  italianisierenden  Richtung  gehörten  Rayssigaier, 
Mar^chal,  Du  Cros  und  Baro  an,  zu  der  französischen  Richtung 
schlugen  sich  nach  dem  Vorgange  Mairet's:  De  la  Croix,  der 
anonyme  Verfasser  der  CUonice,  du  Rocher  und  De  Veronneau, 
während  Pichou  sich  nach  beiden  Seiten  hin  neigt.  Es  ist 
übrigens  vorauszusehen,  dass  die  Nachtreter  DTrf6*s,  wie  dieser 
selbst,  schon  um  des  Erfolges  willen,  der  französischen  Schule 
auch  mit  Rücksicht  auf  den  Stoff  einige  Zugeständnisse  machen 
mussten.  Dahin  rechnen  wir  zunächst  ihre  Vorliebe  für  die 
Filii  di  Sciro,  welche  der  französischen  Anschauungsweise  viel 
mehr  entsprach  als  der  Pastor  fido  oder  Amintay  und  zweitens 
das  jetzt  erst  auftretende  direkte  Zurückgehen  auf  die  Haupt- 
charaktere der  AstrScj  die,  wenn  auch  nicht  immer  nach  fran- 
zösischen Mustern  entworfen,  doch  wieder  echt  französische  Züge 
aufweisen.  Besonders  bezeichnend  ist  die  Vorliebe  für  den 
Charakter  des  Hylas,  die  wohl  auf  die  unmittelbare  Einwirkung 
D'Urf6's  zurückzuführen  sein  dürfte.  Am  deutlichsten  zeigt 
VAminte  du  Tasse  von  Rayssiguier,  wie  wenig  genau  man  es 
mit  der  Nachahmung  der  Italiener  nahm.  Es  sollte  eine  Über- 
setzung von  Tasso's  Meisterwerke  sein,  zugleich  aber  auch  ein 
Stück  für  die  französische  Bühne.  Die  Veränderungen,  welche 
an  der  Pastorale  Tasso's  von  Rayssiguier  vorgenommen  ¥nirden, 


86  E.  Danhheisser, 

sind  geradezu  charakteristisch  fUr  die  zentrifagale  Wirkung^ 
welche  das  italienische  Schäferspiel  auf  das  französische  ausühte.^) 
So  musste  das  italienische  Schäferspiel  in  ästhetischer  Be- 
ziehung erst  herabgewürdigt  werden,  ehe  es  die  französische 
Btthne  betreten  konnte.  In  diesem  neuen  Oe wände  musste  es 
aber  die  Sympathie  der  Gebildeten  verlieren.  Da  nun  auch  die 
gegen  und  in  sie  dringende  Tragikomödie  und  Komödie  die 
ganze  Gattung  des  Schäferspiels  zu  einem  blossen,  leicht  ent- 
behrlichen Beiwerk  erniedrigte,  konnte  die  Pastorale  von  keiner 
der  beiden  Parteien  dem  Untergange  entrissen  werden.  Das 
Interesse  an  den  einfachen  Stoffen  der  Pastorale  war  ein  für 
allemal  verloren  —  die  Wirkung  dieser  Thatsache  hätte  auch 
die  reinste  Wiedergabe,  die  getreueste  Nachahmung  des  italienischen 
Schäferspiels  nicht  abwenden  können.  Das  einfache  Kleid  der 
Pastorale  erschien  nunmehr  dem  Franzosen  langweilig,  im  reichen 
Faltenwurf  der  Tragikomödie  konnte  sie  sich  aber  nicht  mit  An- 
mut bewegen.  Deshalb  verschwand  sie  aus  der  Sphäre  des 
künstlerischen  Interesses.  Und  Mairet  nach  dem  Erfolge  seiner 
Sylvie  (1626)?  Er  mag  eingesehen  haben,  dass  auf  dem  mit  der 
Sylvie  betretenen  Wege  keine  Lorbeeren  mehr  zu  holen  seien. 
Es  vergingen  zwei  Jahre,  bis  er  wieder  für  die  Btthne  zu  arbeiten 
begann.  Vielleicht  auch  wusste  Mairet  bei  der  Zerfahrenheit  der 
damaligen  Theaterverhältnisse  nicht,  welchem  dramatischen  Genre 
er  sich  zuwenden  sollte.  Auf  einmal  erscheint  auch  er  von  dem 
Strome  der  Reaktion  gegen  die  von  ihm  selbst  hervorgerufene 
Strömung  in  der  Pastorale  ergriffen  —  mit  seiner  Sävanire  (1630) 
hatte  er  sich  dem  italianisierenden  Schäferspiel  in  die  Arme  ge- 


1)  Tasso  Akt  I  =  Rayssiguier  Akt  I.  Prolog  und  Chor  fallea 
weg.  Die  Worte  des  Chors  bei  Tasso  legt  Rayssiguier  verschiedenen 
Personen  in  den  Mund. 

Tasso  II,  1,  2,  3  =  Rayssiguier  II,  3,  4,  5.  Hinzugedichtet  ist 
von  Rayssiguier  in  diesem  Akte:  1)  Szene  1:  Dialog  zwischen  Ergaste 
und  Elpin.  2)  Die  Liebe  Elpin's  zu  Närine,  die  ihn  wegen  seiner 
Armut  verachtet.  Elpin's  Schicksal  ist  die  Darstellung  eines  Er- 
eignisses aus  des  Dichters  eigenem  Leben.  Also  fügte  Rayssiguier  drei 
Szenen  hinzu. 

III.  Akt.  Das  Baden  der  Sylvie  und  der  Oberfall  des  Satyrs 
werden  nicht,  wie  bei  Tasso  bloss  erzählt,  sondern  in  Szene  gesetzt. 

IV.  Akt  Rayssiguier'«.     Entspricht  im  ganzen  der  Vorlage. 

V.  Akt  Rayssiguier's.  Die  Erzählung  des  Nunzio  bei  Tasso  wird 
in  Szene  gesetzt  und  liefert  den  Stoff  zu  drei  Auftritten.  Hinzu  kommt 
die  Klage  der  Sylvie  über  den  Tod  Aminta's.    Es  entsprechen  sich  also : 

Tasso  III,  1  =  Rayssiguier's  ganzer  dritter  Akt. 
«       III,  2  =  „  IV,  1,  2. 

«       IV,  1  =  „  IV,  3. 

„       IV,  2  =  „  V,  1  und  2. 

n         V,   1  =  «  V,  3,  4,  5,  6. 


Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich.  87 

worfen.  Der  innere  Widerspruch  löst  sich  leicht.  Mairet  war 
(162J7)  mit  den  vornehmen  Kreisen  in  gesellschaftliche  Verbindung 
getreten.  In  diesen  Kreisen  wird  man  es  besonders  schmerzlich 
empfunden  haben  ^  dass  die  Pastorale  aus  der  Art  geschlagen 
war  und  nach  Form  und  Inhalt  ihre  Abstammung  verleugnete. 
Der  Graf  von  Carmail  und  der  Kardinal  de  La  Vallette  hielten 
den  Dichter  der  Sylvie  für  den  geeigneten  Mann,  dem  Verfalle 
der  Pastorale  zu  steuern.  Wahrscheinlich  selbst  durch  D'Urfe's 
Süvanire  angeregt,  bestimmten  sie  Mairet,  eine  Pastorale  nach 
den  Regeln  der  Italiener  zu  schreiben.^)  Dabei  wurde  wahr- 
scheinlich nicht  ausgesprochen,  dass  die  erwünschte  Pastorale 
auch  inhaltlich  den  italienischen  Vorlagen  entsprechen  solle  — 
vorerst  sollte  nur  die  Form  dieselbe  sein  und  dadurch  sollten 
die  litterarischen  Feinschmecker  wieder  fUr  das  Schäferspiel  ge- 
wonnen werden.  Äusserliche  Mittel  wurden  also  vorerst  und 
vornehmlich  zur  Regeneration  in  Aussicht  genommen.  Um  so 
besser,  wenn  es  Mairet  zugleich  auch  verstand,  durch  den  Stoff 
des  Stückes  die  Wirkung  desselben  zu  erhöhen.  Dass  Mairet 
dem  an  ihn  gestellten  Ansinnen  Folge  leistete,  ist  kein  Beweis 
für  seine  künstlerische  Abhängigkeit  —  seine  Muse  war  eben  zu 
lange  für  ihn  unfruchtbar  geblieben.  Ich  möchte  aber  fast  be- 
zweifeln, ob  er  mit  Lust  und  Liebe  an  die  Arbeit  ging.  Wohl 
muss  ihn  die  gehobene  Stimmung  eines  Reformators  ergriffen 
haben;  denn  vor  ihm  hatte  kein  Pastoraldichter  der  italiani- 
sierenden  Richtung  es  versucht,  den  Schwerpunkt  des  Interesses 
in  die  Form  zu  legen.  Mairet  that  aber  des  Outen  zu  viel. 
Er  kam  dem  ihm  zu  teil  gewordenen  Auftrag  pünktlich,  aber 
auch  wörtlich  nach,  wie  einer,  der  eben  nur  seine  Pflicht  und 
nicht  mehr  thun  will.  Das  Irrlicht  der  dramatischen  Theorien 
tanzte  vor  ihm  her,  und  so  verlor  er  den  Weg  zum  Herzen  seiner 
Zuhörer.  Dass  es  ihm  gar  nichts  galt,  auch  stoffliches  Interesse 
zu  erwecken,  wird  schon  durch  die  Wahl  des  Stoffes  bewiesen, 
der  ja  seinen  Zuhörern,  sei  es  aus  der  ÄstrSe,  sei  es  aus  D'ürf6's 
Pastorale  bekannt  sein  musste.  Allerdings  erlaubte  sich  Mairet 
einige  Abstriche.  Der  Satyr  wurde  von  Mairet  ebensowenig  auf 
die  Bühne  gebracht,  wie  der  verrückte  Adrast.  Die  Nachahmung 
der  Italiener  wird  auch  durch  die  Bezeichnung  tragi- comedie- 
pastorale  angedeutet,  die  sich  bei  D'Urf6  nicht  findet  und  die, 
besonders  wenn  man  die  Sylvie  betrachtet,  ebensowenig  Berechti- 
gung für  Süvanire  wie  für  den  Pastor  fido  hat,  denn  beide  haben 
mit  der  Tragikomödie  nichts  gemein.*  Was  half  es  Mairet,  dass 
er   D'ürf6*8  versi  sciolti  durch   den  Alexandriner   ersetzte,   dass 


^)  Vorrede  zur  Süvanire  Mairet's. 


88  E.  Dannheisser, 

er,  wie  D'ürf6,  die  von  Hardy  und  seinen  Vorgängern  einge- 
führten echt  französischen  Zuthaten  zur  Pastorale  beibel^ielt? 
Kaum  halten  wir  es  für  möglich,  dass  der  Dichter  der  Sylvie 
so  verschwommene  Gestalten  schaffen  konnte,  wie  sie  sich  in  der 
Silvanire  finden.  Da  fehlt  jede  energische  Charakteristik.  Alt- 
klugheit tritt  an  die  Stelle  der  Leidenschaft,  unnatürliche  Sprödig- 
keit  an  die  Stelle  warmer  Hingebung.  Zum  ersten  Male  hat 
hier  Mairet  den  Chor  angewandt  und  zwar  in  der  allerödesten, 
mattesten  Weise.  Das  ganze  Stück  ist  langweilig,  selbst  der 
Charakter  des  liebenswürdigen  Hylas  verschwindet  in  einem  Meer 
von  Gemeinplätzen.  Für  welches  Publikum  die  Silvanire  be- 
rechnet war,  erhellt  aus  der  einen  Thatsache,  dass  sie  ohne  die 
Kenntnis  der  Astrie  nicht  zu  verstehen  ist.  Dieses  Publikum 
begnügte  sich  aber  nicht  mit  einem  Stücke,  dessen  einziges  Ver- 
dienst auf  dem  Gebiete  der  Kunsttheorie  zu  suchen  war  —  die 
Silvanire  hatte  keinen  Erfolg,  und  Mairet  entsagte  der  Pastorale 
für  immer.  Nichtsdestoweniger  ist  das  Stück  von  hoher  Be- 
deutung für  die  Entwickelungsgeschichte  Mairef  s.  In  dem  Be- 
streben, auch  in  ihrer  Ausdrucksweise  den  Italienern  möglichst 
nahe  zu  kommen,  reinigt  sich  Mairet  von  der  Pointensucht, 
welche  noch  für  die  Sylvie  charakteristisch  ist.  Weinberges  Be- 
hauptung (S.  115),  Mairet  habe  sein  in  der  Vorrede  zu  Silvanire 
gegebenes  Versprechen,  die  Pointe  zu  meiden,  nicht  gehalten,  ist 
nur  bedingungsweise  richtig.  Welchen  Abstand  in  dieser  Be- 
ziehung zwischen  Sylvie  und  Silvanire!  Die  Geschichte  von 
Mairet' s  Silvanire  wirft  ein  hübsches  Streiflicht  auf  die  damaligen 
Theaterverhältnisse.  Da  die  Pastorale  auch  in  der  Form  der 
Silvanire  nicht  mehr  zog,  war  es  kein  Wunder,  wenn  die  mit 
Rotrou^)  beginnende,  heranwachsende  Dichtergeneration  sich  nicht 
mehr  um  sie  kümmerte.  Freilich  finden  sich  in  der  Tragikomödie, 
ebensowohl  wie  in  der  Komödie  Züge  der  Schäferspieldichtung, 
die  zu  sammeln  eine  dankbare  Aufgabe  wäre.  Fassen  wir  zu- 
sammen: Nachdem  Mairet  durch  seine  Sylvie  der  Pastorale  einen 
neuen  Inhalt  gegeben,  gab  er  ihr  durch  seine  Silvanire  eine 
wenigstens  neu  erscheinende  Form.  Der  von  der  Tragikomödie 
erborgte  Reichtum  der  Handlung  in  Sylvie  sowohl,  als  die  durch 
die  dramatische  Form  bedingte  Armut  der  Handlung  in  Silvanire 
—  beides  musste  zum  Verfall  der  Pastorale,  als  selbständige 
Gattung  des  Dramas  beitragen,  ihn  kennzeichnen.  Aber  die 
scheidende    Pastorale    hinterliess    ein    Danaergeschenk    —    die 


*)  Die  in  der  Comedie  des  Comediens  von  Scud^ry  enthaltene 
kleine  Pastorale :  VAmour  dache  par  VAmour  ist  wohl  kein  von  Scudäry 
ernst  gemeintes  Werk. 


E.  Dannheisser,  Zur  Geschichte  des  Schäferspiels  in  Frankreich,    89 

Theorie  der  dramatischen  Einheiten.  Von  Silvanire  bis  zu 
Sophanisbe  scheint  der  Weg  weit  zu  sein  —  an  der  Hand  der 
Regeln  ist  er  bald  zurückgelegt.  Die  Tragödie  brauchte  sich 
nur  in  das  zurückgelassene  Gewand  der  Pastorale  zu  kleiden. 
Wer  möchte  also  letztere  mit  Weinberg  eine  ^notwendige  Ver- 
irrung"  nennen? 

E.  Dannheisser. 


Bemerkungen  über  die  Correspondanee  philo- 
sophique,  litUraire  et  critique  (1747—1793). 

INachdem  uns  der  Text  der  von  dem  Historiker  Raynal 
begonnenen,  von  Grimm  fortgeführten,  von  dessen  Sekretär,  dem 
Schweizer  Litteraten  Meister,  beendeten  Korrespondenz  von  M. 
Toumeux  vollständig  bis  Mai  1793  gegeben  ist,  und  manche 
Arbeiten,  wie  namentlich  E.  Scherer's  Biographie  Grimmas,  das 
Verhältnis  der  Redakteure  zu  jenem  Unternehmen  in  der  Haupt- 
sache festgestellt  haben,  möge  uns  eine  Art  Nachlese  des  früher 
Gesammelten  gestattet  sein. 

Handschriftliche  Korrespondenzen  für  einen  Kreis  vertrauter 
Abonnenten,  unter  der  Voraussetzung  der  Verschwiegenheit,  waren 
in  einer  Zeit,  wo  die  Zensur,  auch  wenn  sie  mit  der  liebens- 
würdigen Rücksicht  des  Philosophenfreundes  Malherbe's  gehand- 
habt wurde,  oft  das  beste  streichen  musste,  wo  die  Verfolgungen 
der  Geistlichkeit  und  Polizei  den  Autor  wegen  jedes  freien 
Wortes  für  seine  persönliche  Freiheit  zittern  Hessen,  dringend 
geboten.  Besonders  waren  sie  für  diejenigen  vornehmen  und 
feingebildeten  Kreise,  welche  durch  die  von  schwer  durchdring- 
lichem Geheimnis  umgebene  Form  der  Francma9onnerie  sich  sowohl 
gegen  die  blindgläubige  Menge,  wie  gegen  die  noch  am  alten 
Herkommen  hängende  geistliche  und  weltliche  Aristokratie  ab- 
schlössen, ein  sehr  geeignetes  Mittel  des  Gedankenaustausches. 
Die  wenig  entwickelte  und  von  Rücksichten  mannigfacher  Art 
beeinflusste  Presse,  die  erschwerte  Zirkulation  der  Bücher, 
Broschüren  und  Zeitschriften  hätten  die  neuesten  Nachrichten 
über  Litteratur,  Gesellschaft  und  Staatsleben  ohnehin  unvoll- 
kommen und  langsam  in  die  Hände  der  auf  alles,  was  in  Paris 
geschah,  emsig  lauschenden  Geistesaristokratie  der  ausserfranzö- 
sisehen  Hauptstädte  gelangen  lassen,  auch  der  eifrig  gepflegten 
brieflichen    Korrespondenz    durfte    man    aus   Rücksicht    auf  das 


R,  MahrenhoUz,  Bemerkungen  über  die  Correspond,  philosophique  eic,      91 

schwarze  Kabinet  der  Post  nicht  zu  viel  anvertrauen.  Hier  trat 
ergänzend  die  handschriftliche  Korrespondenz  ein,  welche  in  be^ 
stimmten  Zwischenräumen  (etwa  von  vierzehn  zu  vierzehn  Tagen) 
versandt  wurde,  bei  grösserem  Umfange  weniger  eine  peinliche 
Kontrolle  gestattete,  als  Briefe  und  Zeitungsannoncen,  aber  auch 
grosse  Vorsicht,  namentlich  in  der  Anführung  persönlicher  Ver- 
hältnisse und  in  der  Besprechung  politischer  Dinge,  beobachten 
musste.^)  Die  letzteren  Rücksichtnahmen  treten  uns  in  der 
Korrespondenz,  deren  Besprechung  Gegenstand  dieser  Abhandlung 
ist,  von  Anfang  an  entgegen.  Namen  werden  häufig  nur  durch 
Anfangsbuchstaben  angedeutet,  persönliche  Anspielungen  so  be- 
hutsam gegeben,  dass  selbst  der  Scharfsinn  eines  Tourneux  sie 
nicht  immer  ermitteln  konnte,  das  wenige,  was  von  Tagespolitik 
überhaupt  verraten  wird,  ist  so  korrekt  und  zaghaft,  dass  es  dem 
eifrigsten  Zensor  keine  Gelegenheit  zu  LFnterdrückungen  gegeben 
hätte.  In  dieser  Hinsicht  ist  zwischen  den  Berichten  des  rück- 
sichtsloser schildernden  Raynal,  des  feinen  Hofmannes  Grimm 
und  des  mehr  ungeniert  naturwüchsigen  Meister,  kein  wesentlicher 
Unterschied.  So  ist  die  ganze  Korrespondenz,  vom  Jahr«  1747, 
wo  sie  von  Raynal  begonnen  wurde,  bis  zum  Jahre  1789,  wo 
die  grosse  Revolution  die  Grundlagen  des  ancien  regime  zerstörte, 
zwar  ein  treues  Abbild  der  Litteratur  und  Gesellschaft,  doch  ein 
sehr  undeutliches  und  gefärbtes  der  Politik  und  der  kirchlichen 
Richtungen.  Als  dann  mit  dem  Jahre  1789  ein  weit  schlimmerer 
Despotismus,  als  der  des  ancien  regime,  jede  politische,  kirch- 
liche, soziale  und  selbst  rein  litterarische  Äusserung  hemmt, 
die  nicht  in  das  Schema  der  liherti  und  egaliti  sich  fügte, 
wird  die  politische  Seite  der  Korrespondenz  noch  weit  dürftiger 
und  zurückhaltender.  Von  den  Ereignissen  der  bewegungsvollen 
Jahre  1789—1793  schildert  uns  Meister  zwar  die  Eröffnung  der 
Nationalversammlung  und  das  Jahresfest  des  Bastillen sturmes  in 
sehr  eingehender,  lebendiger  Weise,  aber  den  Bastillensturm 
selbst)  die  Beschlüsse  der  Augustnacht,  den  Zug  nach  Versailles, 
das  Märtyrertum  des  Königs,  die  Septembergräuel  (1792),  über- 
haupt die  politischen,  kirchlichen  und  sozialen  Wirren  erwähnt 
er  nur  gelegentlich  bei  Besprechung  von  Schriften  der  Tages- 
litteratur,  den  Prozess  und  die  Hinrichtung  des  Königs  übergeht 
er  ganz.     Nur  sehr  indirekt  kann   somit  die   Korrespondenz  der 


1)  Wurde  auch  die  Korrespondenz  auf  amtlichem  Wege  durch 
die  Gesandten  vermittelt,  so  fehlte  es  doch  an  IndiskretioD  nicht. 
M"®  GeofFrin  schärft  dem  Polenkönige  Stanislas  Poniatowski  deshalb 
die  Geheimhaltuug  sehr  nachdrücklich  ein,  als  sie  um  seinen  Beitritt 
wirbt,  und  die  unrechtmässige  Publikation  vom  Jahre  1812  zeigt,  wie 
wenig  geheim  die  handschriftlichen  Berichte  blieben. 


92  R.  Mahrenfioltz, 

Jahre  1789  — 1793  als  ein  Abbild  der  politischen  Umwälzung 
angesehen  werden,  and  wären  nicht  fast  alle  in  ihr  besprochenen 
Schriften  und  Theaterstücke  von  dem  Geiste  jener  Tage  durch- 
lebt, so  würden  wir  über  das  wichtigste  und  bedeutendste  kaum 
etwas  erfahren.  Anders  steht  es  mit  den  Berichten  über  die 
vorhergehenden  zweiundvierzig  Jahre  (1747 — 1789).  Damals  war 
die  Litteratur,  vor  Allem  die  Philosopliie,  die  tonangebende  Macht, 
die  Gesellschaft  stand  mehr  im  Vordergrunde,  als  das  Staats- 
leben, und  da  die  Schilderung  beider  nicht  so  grosse  Vorsicht 
erheischte,  als  die  politische  Diskussion,  so  konnten  hier  die  drei 
Redakteure,  Raynai,  Grimm  und  Meister,  sich  mit  behaglicher 
Breite  über  wichtiges  und  unwichtiges  ergehen. 

Wir  haben  die  Korrespondenz  zunächst  als  ein  Ganzes  auf- 
gefasst  und  dies  um  so  mehr  thun  können,  als  die  Anschauung 
und  Darstellungsweise  Grimmas  und  seines  Redaktionsnachfolger 
Meister  sehr  viele  Berührungspunkte  haben  und  selbst  Raynai, 
der  eigentliche  Begründer  der  Korrespondenz,  manches  mit  den 
beiden  Nachfolgern  gemeinsame  zeigt.  Aber  es  ist  doch  wichtig, 
zunächst  das  Verhältnis  der  drei  Männer  räumlich  und  zeitlich 
abzugrenzen  und  die  Verschiedenheiten  in  der  Chefredaktion, 
welche  jeder  Wechsel  mit  sich  bringt,  hervorzuheben. 

Die  Korrespondenz,  welche  Raynai  mit  dem  29.  Juli  1747 
begann,  war  zunächst  nur  für  die  freisinnige  und  feingebildete 
Fürstin  Louise  Dorothea  von  Sachsen  -  Gotha  bestimmt,  und  für 
sie  allein  scheint  sie  auch  bis  zum  Juli  1755  fortgeführt  worden 
zu  sein,  allerdings  vom  Mai  1753  ab  nicht  ohne  Lücken  und 
Unterbrechungen.  Mit  dem  Jahre  1753  erweitert  sich  der  Kreis 
der  Abonnenten  und  dehnt  sich  allmählich  auf  alle  diejenigen 
Fürsten  und  Fürstinnen  aus,  welche  ausserhalb  Frankreichs  die 
Zwecke  der  Aufklärung  förderten  und  zum  Teil  wenigstens  durch 
das  Band  der  Francma9onnerie  von  der  kirchlich  -  gläubigen,  wie 
von  der  profanen  Welt  sich  abschlössen.^)  Es  fragt  sich  nun, 
war  dieses  von  Grimm  1753  begonnene  Werk  ein  Konkurrenz- 
unternehmen zu  dem  Raynal's  oder  nur  eine  Fortführung  und 
Erweiterung  mit  Zustimmung  des  ersten  Redakteurs.  Für  die  eine 
Annahme  spricht  ebenso  vieles,  wie  für  die  andere.  Auffallend 
ist  es  freilich,    dass    neben   Grimmas    für    einen   weiteren  Kreis 


1)  Abonnenten  waren  ausser  der  Herzogin  von  Gotha:  der  Herzog 
von  Zweibrücken,  die  Erbprinzessin  von  Darmstadt,  Prinz  Georg  von 
Darmstadt,  die  Prinzessin  von  Nassau-Saarbrück ;  später  erst  (nach  1763) 
traten  Friedrich  d.  Gr.,  Katharina  IL,  der  Polenkönig,  Ulrike  von 
Schweden,  Friedrich's  II.  Schwester,  und  noch  andere  bei.  Wahrschein- 
lich ist  es  auch,  dass  man  höhergestellte  Adlige  zuliess,  wennschon 
nicht  ganz  sicher  bezeugt. 


Bemerkungen  über  die  Correspondance  philosophigw  etc.  93 

bestimmten  Berichten  die  von  Raynal  fttr  die  Gothaer  Fürstin 
geschriebenen  noch  etwa  zwei  Jahre  hergehen,  aber  die  freund- 
liche Art  und  Weise,  in  welcher  der  sonst  persönlichen  Regungen 
sehr  zugängliche  Grimm  von  seinem  Vorgänger  und  Mitbewerber 
spricht,  lässt  nicht  auf  eine  litterarische  Konkurrenz  schliessen.^) 
Es  scheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  dass  Kaynal,  von  der  Last 
einer  umfangreichen  vierzehntägigen  Korrespondenz  überwältigt 
und  in  den  Vorstudien  für  seine  späteren  historisch-philosophischen 
Arbeiten  in  unerwünschter  Weise  gestört,  die  schwere  Arbeit  auf 
die  Schultern  eines  andern  zu  wälzen  suchte,  gerade  wie  Grimm 
im  Jahre  1773  die  zu  drückend  werdende  Last  auf  die  Schultern 
des  jüngeren,  durch  andere  Mühen  und  Arbeiten  weniger  abge- 
zogenen Meister  legte.  Um  den  Verpflichtungen  gegen  seine 
edelmütige  Gönnerin  nachzukommen,  hat  dann  Raynal  das  über- 
nommene Werk  noch  ungenügend  und  widerwillig  eine  Zeit  lang 
fortgeführt,  bis  auch  die  Gothaer  Fürstin  in  den  Kreis  der 
Abonnenten  der  Grimm'schen  Korrespondenz  eintrat.  Die  Kosten, 
welche  ein  solches  Unternehmen  auch  bei  grösster  Uneigen- 
nützigkeit  der  Redakteure  und  Mitarbeiter  forderte,  wurden  auf 
die  Dauer  für  einen  Abonnenten  zu  hoch,  hat  doch  späterhin 
(1774 — 1775),  als  die  Zahl  der  Abonnenten  sich  erweitert  hatte, 
die  Zarin  Katharina  IL  720  Rubel  für  zwei  Jahresbeiträge  zahlen 
müssen.^)  Soweit  wir  sehen  können,  ist  Raynal  nicht  nur  Redakteur, 
sondern  auch  im  Wesentlichen  der  Verfasser  jener  auf  so  viele 
Einzelheiten  sich  erstreckenden  Korrespondenz  gewesen,  mögen 
auch  befreundete  Autoren  ihm  Material  und  Notizen  geliefert 
haben.  Da  er  nun  weder  ein  schnell  und  gewandt  arbeitender 
Schriftsteller  war,  wie  das  seine  grösseren  Geschichtswerke  be- 
weisen, noch  auch,  nach  der  Korrespondenz  selbst  zü  urteilen,  die 
redaktionelle  Mache  nicht  sonderlich  verstand,  so  sind  die  Mängel 
seiner  Redaktion  und  Berichterstattung  erklärlich  genug.  Es  ist 
ein  kleinlich  mäkelnder  Ton,  eine  einseitige,  der  höheren,  zu- 
sammenfassenden Gesichtspunkte  entbehrende  Auffassung,  welche 
seine  Korrespondenz  tief  unter  die  Grimm's  und  des  geistesver- 
wandten Meister  stellt.  Die  einzelnen  Werke  und  Persönlich- 
keiten, welche  er  schildert,  sind  daher  aus  dem  Zusammenhange 
der  allgemeinen  Ideen  gerissen,  oft  nach  vorübergehenden  Tages- 
stimmnngen,  nach  Sympathie  und  Antipathie  beurteilt,  und  der 
gesellschaftliche  Klatsch,  den  Raynal  gern  einstreut,  wirkt  auf 
die  Dauer  ermüdend. 


1)  Raynal  war  übrigens  Grimm  persönlich  befreundet. 

2)  Andere    zahlten    allerdings    weniger,    z.  B.    der    Polenkönig 
Stanislas. 


d4  R  MahrenhoUz, 

Raynal  war  damals  ein  noch  wenig  bekannter  und  namhafter 
Litterat,  denn  die  Werke,  welchen  er  seine  litterarhistorische 
Stellung  verdankt,  gehören  einer  späteren  Zeit  an;  auch  stand 
er  der  religiösen  und  politischen  Aufklärung,  deren  Yerkttnder 
und  Märtyrer  er  geworden  ist,  noch  ferner.  Rücksichten  auf 
die  politischen  und  kirchlichen  Machthaber  und  auf  seine  geist- 
liche Stellung  als  dbhi  mussten  sein  Urteil  beeinflussen  und  es 
ist  daher  kein  Wunder,  dass  Voltaire  nicht  nur  als  Charakter, 
sondern  auch  als  Schriftsteller  von  ihm  ziemlich  ungünstig,  stellen- 
weis gehässig  beurteilt  wird.  Montesquieu  dagegen,  der  die 
Jugendschärfe  seiner  Persischen  Briefe  mit  einer  massvollen, 
sachlichen  Kritik  vertauscht  hatte,  ist  für  Raynal  der  bahn- 
brechende Vertreter  der  neuen  Zeit,  an  dessen  Schriften  nur 
einzelne  stilistische  Mängel  tadelnd  hervorgehoben  werden. 

Was  für  uns  die  Ko'n'espondenz  RaynaFs,  nicht  minder  aber 
auch  die  Grimmas  und  Meister's,  ermüdend  macht,  ist  die  aus- 
führliche Besprechung  und  Schilderung  so  vieler  Schriften  und 
Schriftsteller,  die,  schnell  vergessen,  heute  nur  noch  für  den 
Spezialforscher  existieren.  Aber  gerade  in  dieser  Hinsicht  ist 
sie  charakteristisch  für  eine  Zeit,  welche  einen  Piron  neben 
und  sogar  über  Voltaire  stellte,  in  welcher  die  Talente  zweiten 
und  dritten  Ranges  selbst  in  der  Auffassung  der  Höhergebildeten 
und  Freidenkenden  neben  bahnbrechende  Geister,  wie  Montesquieu, 
Voltaire  und  Rousseau,  traten,  und  ihr  Einfluss  in  tiefere  Schichten 
der  litterarischen  Gesellschaft  drang.  Die  eigentliche  Blütezeit 
der  Aufklärung,  die  Zeit,  in  welcher  Voltaire  und  sein  Antipode 
Rousseau  sich  um  die  Führerschaft  der  aufgeklärten  und  halb- 
aufgeklärten Welt  stritten,  beginnt  erst  nach  den  Jahren,  welche 
Raynal's  Korrespondenz  schildert.  Für  diese  gab  Montesquieu 
den  Ton  an,  Voltaire  stand  noch  in  zweiter  Linie,  hatte  sich 
seit  1750  überdies  der  Pariser  Gesellschaft  durch  den  Aufenthalt 
im  Auslande  entfremdet  und  die  Tage  d'Alembert's,  Diderot^s, 
der  Enzyklopädisten  und  des  seinen  eigenen  Weg  gehenden 
Rousseau  dämmerten  erst  am  litterarischen  Horizonte.  Darum 
fehlt  den  Schilderungen  Raynal's  die  höhere  Bedeutung  und  das 
vielseitigere  Interesse  der  Grimm'schen  Korrespondenz ^  es  fehlt 
ihr  auch  der  einheitliche  Mittelpunkt,  den  die  Philosophie  als 
Beherrscherin  der  Religion,  Politik,  Gesellschaft,  Dichtung  und 
Kritik  in  der  eigentlichen  Aufklärungsperiode  bildete.  Der  Hof 
und  die  in  seinen  Strahlen  sich  sonnende  höfische  Gesellschaft 
mit  ihren  schöngeistigen,  oberflächlichen  Interessen,  ihrem  litte- 
rarischen Dilettantismus,  ihrer  Neuigkeitskrämerei  und  Klatschsucht 
treten  daher  selbst  für  die  ernste  Auffassung  eines  gründlichen 
Forschers  und  tieferen    Denkers,    wie  Raynal,    in    den   Vorder- 


Benwknngen  über  die  Correspondance  philosophique  eic,  95 

grnnd.  Eins  aber  zeichnet  seine  Korrespondenz  vor  der  Grimmas 
und  Meister's  aus:  er  fühlte  ganz  als  Franzose,  während  der 
Deutsche  und  der  Deutsch-Schweizer  in  den  beiden  andern  stets 
unter  der  französischen  Hülle  hervorlugen.  Völlig  in  dem  Be- 
wusstsein  nationaler  Grösse  lebend,  zu  den  Schöpfungen  des 
siede  de  Louis  XIV  wie  zu  unerreichten  Idealen  emporblickend, 
mag  er  Voltaire  die  wohlberechtigte  Auflehnung  gegen  die 
klassische  Tradition,  die  freilich  sehr ,  äusserliche  und  flüchtige 
Anglomanie  und  Shakespeare -Würdigung,  die  scharfe  Verspottung 
der  Schwächen  des  französischen  Volkscharakters  nicht  verzeihen. 
Wie  seinem  grossen  Ideale,  Montesquieu,  ist  ihm  selbst  der  letzte, 
schwache  Abglanz  des  alten  Klassizismus,  der  in  die  misslungenen 
Dichtungen  des  Corneille  -  Nachahmers  Cr^billon  hineinschimmert, 
angenehmer,  als  das  neue,  grelle  Licht,  welches  Voltaire  als 
Dichter  und  Philosoph  ausstrahlte. 

Ein  anders  angelegter,  vielseitiger  und  ganz  in  den  Auf- 
klärungsideen  lebender  Mann  war  sein  Nachfolger  Friedrich 
Melchior  Grimm.  Im  väterlichen  Pfarrhause  zu  ßegensburg  er- 
zogen und  auf  der  Leipziger  Universität  gebildet,  hatte  er  sich 
mit  den  Vorstellungen  jener  künstlichen  Nachblüte  des  Humanis- 
mus erfüllt,  welche  damals  unser  deutsches  Vaterland  in  einen 
wohlgepflegten  Ziergarten  voll  exotischer,  schön  blühender  Blumen 
verwandelte,  der  nur  den  obersten  Zehntausend  geöffnet  war, 
ohne  doch  dem  hungernden  Magen  des  von  kleinen  Tyrannen 
vielgeplagten,  in  geringfügigen  Sonderinteressen  aufgehenden  Volkes 
mit  sättigenden  P>üchten  zu  füllen.  In  langem  Schlafe  hatten 
die  klassischen  Studien  seit  dem  sechszehnten  Jahrhundert  hier, 
wie  in  dem  westlichen  Nachbarreiche,  Frankreich,  gelegen, 
weder  die  pedantischen,  schlecht  bezahlten  Grammatiker  hier, 
noch  die  feiner  gebildeten,  aber  nur  für  Kirchenzwecke  arbeiten- 
den jesuitischen  Dressierer  dort  konnten  und  wollten  ihre  Zög- 
linge mit  Liebe  zu  dem  griechisch-römischen  Altertum  erfüllen, 
sie  in  den  Geist  jener  ewig  jugendfrischen  Vergangenheit  ein- 
führen. So  zeitigte  die  Menge  der  Lehrstunden,  welche  man 
den  lateinischen  Autoren  vorzugsweise  zuwandte,  ohne  in  deren 
Urquell,  die  hellenischen,  tiefer  einzudringen,  nur  Treibhaus- 
blüten und  tote  Früchte,  die  sächsischen  Fürstenschulen  allein 
verstanden  es,  das  Knochengerüste  der  Grammatik  mit  dem 
warmen  Leben  der  Kunst  und  Litteratur  zu  erfüllen.  Wer  daher 
mit  seinem  Bildungsgange  in  die  ältere  Zeit  hineinreichte,  oder 
auf  Schulen  gebildet  war,  die  im  alten  Geleise  verharrten,  wusste 
die  römischen  Litteraturschätze  nur  wenig,  die  griechischen  fast 
gar  nicht  zu  heben  und  half  sich  oft  mit  französischen  Ver- 
dolmetschungen und  Nachbildungen.   Herder  und  Schiller  kämpften 


96  R.  MahrenhoUz, 

noch  in  späteren  Lebensjahren  mit  den  Anfängen  der  griechischen 
Grammatik,  der  letztere  konnte  seinen  Lieblingsautor ,  Virgii, 
nar  in  französischer  Übersetzung  lesen.  In  Frankreich  fehlten 
den  bedeutendsten  Antoren  oft  die  nötigen  Vorkenntnisse  zum 
Studium  der  antiken  Litteratur.  Qninault,  obwohl  Mitglied  der 
französischen  Akademie ,  und  deren  Sekretär,  der  vielbelesene 
Conrart,  verstanden  kaum  Latein  und  Griechisch,  der  berühmte 
Dichter  Regnard,  bekannte  seine  Unwissenheit  in  beiden  Sprachen 
offen  und  ehrlich,  Voltaire  gesteht,  dass  er  vom  Latein  nur  den 
Eirchenjargon  und  ein  bischen  Horaz  wisse  und  mit  dem 
Griechischen  war  er  so  wenig  vertraut,  dass  er  den  Plural  von 
ßaffdeb^  in  ßcunXdl  wandelte.  Die  Dichtung  Griechenlands  war 
ihm  daher,  wie  seinem  grossen  Zeitgenossen  Friedrich  IL,  in 
dessen  Studienplan  die  alten  Autoren  keine  Aufnahme  gefunden, 
weil  sie  nach  seines  Vaters  Dafürhalten  „gar  nichts  taugten^, 
^ur  aus  französischen  Übertragungen  mangelhaft  bekannt.  In 
Deutschland  hat  gegen  die  Mitte  des  achtzehnten  Jahrhunderts 
Emesti  den  Grund  zu  jener  klassischen  Gymnasialbildung  und 
znm  tieferen  philologischen  Studium  gelegt,  an  deren  Zersetzung 
unsere  Zeit  wieder  nach  Kräften  arbeitet  und  aus  seiner  Schule 
ist  ausser  Lessing,  dem  gediegenen  Kenner  des  Altertums,  auch 
unser  Melchior  Grimm  hervorgegangen.  Neben  Latein  und 
Griechisch  herrschte  aber  das  Französische  bis  über  das  Ende 
des  vorigen  Jahrhunderts  hinaus  in  unveränderter  Macht,  die 
klassische  Dichtung  des  Zeitalters  Ludwigs  XIV.  wurde  neben 
der  französischen  Sprache  und  Konversation  noch  eifrig  geschätzt 
und  gepflegt,  als  bereits  Lessing  sein  kritisches  Richterschwert 
geschwungen  hatte.  Ausser  dem  griechisch-römischen  Altertum 
blieb  daher  das  such  de  Louis  XIV.  der  Bildungsquell,  aus  dem 
auch'Grimm  schöpfte  und  neben  Emesti's  philologischer  Forschung 
auch  Gottsched^s  halb  französische  Poetik  und  Dramaturgik  für 
seine  Lebensanschauung  massgebend.  In  Gottsched's  Formalis- 
mus ist  sein  erster  dramatischer  Versuch,  die  Banise,  gehalten, 
gerade  wie  Lessing's  Erstlingsdichtungen  neben  dem  Vorbilde 
Moli6re's  und  seiner  Epigonen  auch  die  Lehren  Gottsched's 
deutlich  erkennen  lassen.  An  diesen  Jugendeindrücken  hielt 
Grimm  noch  fest,  als  er  von  dem  Einflüsse  der  französischen 
Aufklärung,  die  zugleich  mit  dem  alten  Herkommen  in  Staat 
und  Kirche  die  griechisch-römische  und  die  französisch-klassische 
Tradition  über  den  Haufen  warf,  schon  ganz  erfüllt  war.  Neben 
den  Dichtem  des  Hellenentums  waren  die  grossen  Meister  aus 
Ludwig's  XIV.  Zeit,  namentlich  Racine  und  Moli^re,  für  ihn  hohe, 
der  skeptischen  Kritik  entrückte  Vorbilder,  nur  dem  altmodischen 
Corneille  und  mehr  noch  dessen  unglücklichen  Nachahmer,  dem 


Bemef^kungen  über  die  Correspondance  phüosophique  etc.  97 

Siteren  Cr6billon,  mochte  er  nicht  den  Lorbeer  des  Dichterruhms 
reichen.  Auch  Boileau  bedentete,  trotz  Voltaire's  absprechender 
Kritik,  für  ihn  fast  dasselbe,  wie  für  das  siebzehnte  Jahrhundert, 
und  Montesquieu,  der  tiefe  Erforscher  und  beredte  Dolmetscher 
römischer  Grösse,  galt  ihm  im  ganzen  als  unumstössliche  Autorität, 
gerade  wie  seinem  Vorgänger  in  der  Redaktion  der  KorrespondenZy 
dem  Abb6  Raynal.  Aber  zu  diesen  anerzogenen  Anschauungen 
traten  für  ihn  eine  Fülle  neuer  Eindrücke,  als  er  Paris  1749 
betrat  und  in  die  litterarischen  Kreise  eingeführt  wurde,  in  welchen 
d'Alembert,  Diderot  und  Rousseau  den  Ton  angaben.  Am 
wenigsten  Einfluss  gewann  auf  ihn  der  erstere,  dessen  mathe- 
matische Schulung  und  doktrinäre  Schärfe,  wie  moralische  Ehr- 
barkeit den  vielseitig  aus-  und  abschweifenden,  allem  Abstrakten 
und  rein  Theoretischen  abgeneigten,  den  Freuden  des  Lebens 
wie  der  Liebe  huldigenden  Grimm  zurückstiessen.  Bedeutungs- 
voller ward  Diderot  für  ihn.  Den  religiösen  Skeptizismus  neben 
politischem  Indifferentismus,  die  naturwissenschaftliche  Grund- 
richtung alles  Philosophierens,  das  Verständnis  für  die  Um- 
wandlung der  überlebten  klassischen  Tragödie  und  Komödie 
Frankreichs  in  die  Tragisches  mit  Komischem  vermischende 
„bürgerliche  Tragödie",  deren  Hauptschöpfer  Diderot  selbst  war, 
die  gerechte  Würdigung  der  englischen  Litteratur  des  XVIIL  Jahr- 
hunderts, die  schon  Gottsched,  der  Nachahmer  Addison's,  an- 
gebahnt hatte,  diese  und  manche  andere  Eigenheiten,  welche  für 
die  Korrespondenz  massgebend  wurden,  verdankt  Grimm  den 
Einwirkungen  seines  intimen  Freundes.  Auch  Rousseau's  Genius 
riss  den  empfänglichen  Sinn  des  Deutschen  fort.  Mochte  auch 
Grimm  schon  in  Deutschland  sich  mit  einer  Vorliebe  für  die 
italienische  Musik,  die  damals  im  deutschen  Süden  auf  der 
Opernbühne  herrschte,  erfüllt  haben  und  nur,  um  in  Paris  nicht 
Anstoss  zu  erregen,  noch  einem  Rameau  Bewunderung  zollen, 
erst  des  Genfers  Musiktheorien  und  Musikkritik  haben  jene 
lebendige  Abneigung  gegen  die  französische  Oper  in  ihm  ent- 
wickelt, die  seine  Satire,  der  Prophet  von  Bö'hmischbroda,  offen 
kundgibt.  Aber  der  Gegensatz  beider  Naturen,  des  höfischen, 
lebensklugen  Strebers,  der  selbst  unwürdige  Schmeicheleien  und 
unlautere  Mittel  nicht  verschmähte,  um  aus  der  niederen  Stellung 
eines  Informators  und  Vorlesers  zu  Ehren,  Titeln  und  Vermögen 
zu  gelangen,  und  des  über  alle  Rücksichten  und  Schranken  hin- 
wegstürmenden Schwärmers  für  den  Naturzustand  und  die  heiligen 
Volksrechte,  rief,  durch  persönliche  Zwistigkeiten  verstärkt,  bald 
eine  Entfremdung,  dann  offene  Feindschaft  hervor. 

Seitdem  Rousseau  mit  Diderot  gebrochen  hatte,    konnte  er 
auch  Grimm's  Freund  nicht  bleiben,  und  sein  tödlicher  Zwist  mit 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  a.  Litt.    XI^.  7 


98  Ä.  MahrenMiz, 

Grimm's  Maitresse,  der  Marquise  von  Epinay,  bei  dem  die  Schuld 
keineswegs  allein  auf  des  Genfers  Seite  gewesen  zu  sein  scheint, 
machte  selbst  eine  äusserliche  Freundschaft  beider  Männer  un- 
möglich. Voltaire,  der  sich  bald  nach  Grimm's  Ankunft  in  Paris 
seinem  Vaterlande  entzog  und  später  in  dem  Exil  von  Ferney 
vergrub,  hat  auf  Grimm  nie  den  nachhaltigen  Ernfluss  Diderot's 
geübt,  trotzdem  Grimm  mit  ihm  in  Korrespondenz  stand,  eifrig  jede 
kleine  Broschüre  aus  der  „Manufaktur  von  Ferney"  las  und  den 
Patriarchen  in  seiner  Jura-Einsamkeit  aufsuchte.  Der  Charakter 
Voltaire's,  so  verwandt  er  auch  dem  des  höfischen  Grimm  war, 
stiess  ihn  ab,  wie  denn  Gleichartiges  sich  so  oft  abstösst.  Für 
ihn  galt  Voltaire,  den  wir  als  den  eigentlichen  Propheten  der 
Aufklärung  betrachten,  als  ein  auf  halbem  Wege  stehen  gebliebener, 
weil  er  in  der  Philosophie  sich  dem  Materialismus  Diderot's  ent- 
gegenstellte, Kunst  und  Dichtung  für  unvergänglichere  Güter 
hielt,  als  die  exakte  Naturwissenschaft,  und  vor  allem,  weil  er, 
in  seinen  für  die  Öffentlichkeit  bestimmten  Schriften  wenigstens, 
sich  zum  Deismus  bekannte.  Er  rede  über  Gott  und  das  Jen- 
seits wie  ein  liebenswürdiges  Kind,  so  lautete  Grimm's  Urteil. 
Hätte  er,  wie  wir,  die  etwa  11000  Briefe  gekannt,  in  denen 
Voltaire  so  oft  vertrauten  Freunden  sein  wahres  Ich  enthüllt,  er 
würde  den  sehr  unbestimmten  Deismus  des  Philosophen  und  seine 
erbaulichen  Deklamationen  gegen  Atheismus  und  Materialismus 
wohl  auf  ihren  richtigen  Wert  zurückgeführt  und  auch  die  vielen 
Rücksichten,  welche  der  Schlaue,  Vielgewandte  auf  die  Macht- 
haber des  Staates  und  der  Kirche  nehmen  musste,  besser  ver- 
standen haben. 

Mit  der  aufrichtigen  Freundschaft  für  Diderot  war  eine 
volle  Hingebung  för  das  von  jenem  begonnene  Riesenwerk  der 
Enzyklopädie  von  selbst  geboten  und  Grimm's  teilweise  Abneigung 
gegen  d'Alembert  und  Voltaire  erklärt  sich  auch  daraus,  dass 
ersterer,  der  ewigen  Verfolgungen  und  Belästigungen  müde,  sich 
bald  von  jenem  Unternehmen  zurückzog,  der  letztere  sich  über- 
haupt in  kühlerer  Feme  hielt  und  später  ein  Konkurrenzwerk, 
das  Dictionnaire  phüosophtque,  jenem  grösseren  Lexikon  an  die 
Seite  stellte.  Diderot's  Einfluss  machte  ihn  den  extremen  An- 
sichten eines  Helv6tius  und  Holbach  geneigt,  die  doch  ihr  Bestes 
den  Anregungen  und  der  direkten  Mitwirkung  des  uneigennützigen 
Diderot  verdankten.  Wo  Diderot  nicht  liebte,  da  glaubte  Grimm 
hassen  zu  müssen.  Der  französischen  Akademie  hat  er  es  nie 
verziehen,  dass  sie  sich  dem  kühnen  Freigeiste  verschloss,  auch 
der  Comedie  frangaise  es  nicht  vergeben  mögen,  dass  sie  sich 
der  neuen  Dichtungsweise  seines  Freundes,  trotz  des  glänzenden 
Erfolges  des  Ph*e  de  famüley  nie  recht  hingeben  konnte. 


Bemerkungen  über  die  Correspondance  phüosophique  eic. 


99 


In  dem  Verkehr  mit  Diderot  und  den  gleichgestimmten 
Freunden  ist  Grimm  fast  völlig  zum  Franzosen  geworden,  war 
ihm  doch  diese  Metamorphose  eine  leichte,  da  in  seiner  süd- 
deutschen Heimat  der  französische  Einfluss  noch  ganz  anders 
wirkte,  als  im  Norden  Deutschlands.  Hätte  er  diese  Zweiheit  der 
Nationalität  und  Sprache,  wie  später  Heinrich  Heine,  ausgenutzt, 
um  ein  Dolmetscher  des  deutschen  Geistes  in  Frankreich  zu 
werden,  so  würden  wir  ihm  hohen  Dank  schulden,  aber  das  hat 
er  doch  nur  in  sehr  geringem  Maasse  gethan.  Anfangs  zwar 
schrieb  er  für  den  Mercure  Briefe  über  deutsche  Litteratur,  die 
auf  die  Dauer  sehr  klärend  und  befruchtend  hätten  wirken 
können,  begann  auch  die  Redaktion  des  im  Dienste  der  deutschen 
Litteratur  arbeitenden  Journal  itranger,  aber  diese  Arbeiten  traten 
schnell  hinter  jener  französisch  angehauchten  Korrespondenz 
zurück.  In  dieser  hat  die  deutsche  Litteratur,  obwohl  sie  da- 
mals in  Frankreich  durch  Übersetzungen  und  Besprechungen 
heimischer  wurde,  eine  verschwindend  geringe  Stellung,  lächerlich 
wenig  weiss  er  über  Lessing's  bahnbrechenden  Einfluss  zu  sagen, 
auch  Klopstock  und  Gessner,  die  sogar  den  Franzosen  durch 
Verdolmetschung  zugänglich  waren,  berührt  er  ganz  nebenbei. 
Die  englische  Litteratur  der  Zeit  tritt  weit  mehr  in  den  Vorder- 
grund, aber  sein  Urteil  über  Shakespeare,  den  Ducis  und  Letour- 
neur  nach  Voltaire's  Vorgange  in  Paris  einzubürgern  suchten, 
leidet  an  allen  Vorurteilen  und  Einseitigkeiten  der  Voltaire'schen 
Kritik.  Wenn  Grimm  vieles  an  der  französischen  Sprache  und 
Litteratur  und  namentlich  an  der  französischen  Tonkunst  auszu- 
setzen weiss,  wesswegen  sein  Biograph  Scherer  ihm  das  Fran- 
zosentum  abspricht,  so  begeht  er  keine  schlimmere  Versündigung, 
als  sie  vor  und  neben  ihm  bereits  Voltaire,  d'Älembert  und 
Rousseau  gewagt  hatten.  An  einem  Erbteil  des  väterlichen 
Hauses  hat  der  Pfarrersohn  aber  sein  Lebenlang  festgehalten: 
an  der  warmen  Liebe  zum  deutschen  Protestantismus.  Während 
d'Alembert,  so  weit  bei  ihm  von  einer  Sympathie  für  Kon- 
fessionsunterschiede die  Rede  sein  kann,  nie  von  der  Ein- 
wirkung der  katholischen  Erziehung  sich  ganz  freimachte  und 
auch  Voltaire  den  Protestantismus  noch  feindseliger  beurteilte, 
als  den  Katholizismus,  fällt  für  Grimm  das  Luthertum  mit  der 
Volksaufklärung  und  selbst  mit  der  Toleranz  ziemlich  zusammen, 
die  katholische  Volksbildung  ist  ihm  ein  Mittel  der  Verdummung. 
Mit  dieser  protestantischen  Grundanschauung  hängt  auch  die 
Begeisterung  für  Preussen  und  für  Friedrich  den  Grossen  zu- 
sammen, mit  dem  er  seit  1759  etwa  in  Korrespondenz  trat. 
Hätte  Grimm  freilich  gewusst,  wie  der  preussische  Herrscher  in 
einem  vertrauten  Privatbrief  über   sein  aufdringliches  Strebertum 

7* 


100  Ä  Mahrenkohz, 

urteilte,  so  würde  der  Ton  seiner  Huldigung  vielleicht  ein 
kühlerer  geworden  sein.  Friedrich  dem  Grossen  zu  Liebe  geht 
auch  Orimm  in  seiner  sonst  der  Politik  vorsichtig  abgewandten 
Korrespondenz  näher  auf  die  Ereignisse  des  siebenjährigen 
Krieges  ein  und  tadelt  mit  rückhaltloser  Schärfe  die  unnatür- 
liche Allianz  des  Versailler  Hofes  mit  dem  habsburgischen  Erb- 
feinde. Der  Stamm  seiner  Abonnenten  gehörte  ohnehin  der 
preussischen  Partei  in  Deutschland  an,  schon  die  Klugheit  gebot 
es  also,  seine  Vorliebe  für  Preussen  und  Friedrich  stark  hervor- 
treten zu  lassen.  Diese  allgemeinen  Gesichtspunkte  geben  uns 
einen  Wegweiser  durch  die  vielverschlungenen  Pfade  der  Grimm- 
schen Korrespondenz,  welche  über  die  Jahre  1753  bis  1773  sich 
ausdehnt  und  in  Toumeux'  Ausgabe  etwa  acht  stattliche  Bände 
füllt.  Wir  staunen  über  die  nie  ermüdende  Arbeitskraft  und 
Schreibfertigkeit  des  vielunterrichteten  Litteraten,  umsomehr,  als 
er,  ähnlich  wie  Raynal,  fast  der  einzige  Mitarbeiter  war.  Aller- 
dings darf  Diderofs  indirekte  und  direkte  Mitwirkung  nicht  unter- 
schätzt werden.  Nicht  nur  die  vielgerühmten  Kunstkritiken  der 
Salons  und  einige  andere  längere  Artikel  sind  dessen  Werk, 
auch  in  der  Besprechung  mancher  naturwissenschaftlicher  und 
philosophischer  Arbeiten,  die  dem  Dilettantismus  Grimm's  ferner 
lagen,  wird  man  die  Beisteuer  des  stets  hilfsbereiten  Freundes 
erkennen.  Vorübergehend  hat  er,  namentlich  im  Jahre  1769, 
als  Grimm  einige  Zeit  in  Deutschland  weilte,  sogar  die  Redaktion 
übernommen,  aber  allzusehr  dürfen  wir  die  Mitarbeit  des  viel- 
beschäftigten Herausgebers  der  Enzyklopädie  und  Verfassers  so 
vieler  anderer  Schriften  nicht  zur  Entlastung  des  Grimmschen 
Kontos  heranziehen.  Nun  standen  Grimm  neben  Diderot  noch 
mancherlei  indirekte  Förderer  und  Hilfsarbeiter  zu  Gebote.  Viele 
noch  ungedruckte  Briefe  und  poetische  Kleinigkeiten  flössen  ihm 
zu,  die  oft  langen  Exzerpte  minderwertiger  Schriften  haben  ihm 
wohl  seine  Sekretäre,  welche  auch  das  Original  -  Manuskript  für 
die  einzelnen  Abonnenten  kopieren  mussten,  geliefert,  auch  sonst 
mag  ihm  neben  den  eingesandten  Schriften  zuweilen  gleich  die 
fertige  Besprechung  zugegangen  sein,  ohne  dass  wir  deren  Ur- 
heber immer  kennen.  Völlig  aber  als  Grimm' s  eigenstes  Werk 
sind  die  eingehenden,  sorgfältigen  litterarhistorischen  Übersichten 
und  Zeitschilderungen  anzusehen,  welche  er  den  Jahresanfängen 
namentlich  vorausgehen  lässt,  und  sie  allein  würden  uns  von 
seiner  Belesenheit,  Schreibgewandtheit  und  Auffassungsgabe  eine 
hohe  Meinung  geben.  Zudem  konnte  Grimm  nicht  seine  ganze 
Arbeitskraft  dem  Unternehmen  widmen.  Waren  auch  seine 
eigenen  (von  Tourneux  Bd.  XVI  gesammelten)  Arbeiten  nach 
dem    Jahre    1753    von    geringerem    Umfange,    mag    auch  sein 


Bemerkungen  über  die  CotTespondance  philosophique  etc.        101 

nur  lückenhaft  erhaltener  Briefwechsel  grossenteils  der  Zeit  an- 
gehören,^) wo  er  die  Redaktion  an  Meister  abgegeben  hatte  und 
als  litterarischer  Reporter  besonders  fiir  Katharina  IL  wirkte, 
immerhin  war  seine  Aufmerksamkeit  eine  geteilte.  Mag  er  auch, 
wie  Scherer  hervorhebt,  in  der  Weise  vielbeschäftigter  Redak- 
teure manche  nur  flüchtig  besprochene  Schrift  ebenso  flüchtig 
oder  garnicht  gelesen  haben,  schon  die  Zusammenstellung  und 
Ordnung  des  über  alle  Gebiete  der  Litteratur  zerstreuten  Materials 
und  die  Hindernisse  einer  Sprache,  die  nicht  seine  Muttersprache 
war,  machten  einen  grossen  Aufwand  an  Zeit  und  Kraft  nötig. 
Und  wenn  auch  Grimm  die  redaktionelle  und  journalistische  Mache 
besser  als  sein  Vorgänger  Raynal  verstand,  so  sind  seine  grösseren 
Artikel  doch  tiefdurchdacht,  gründlich  erwogen  und  sorgsam 
stilisiert. 

Gern  glauben  wir  ihm  daher,  dass  er  schon  lange  vor 
deflnitiver  Aufgabe  seiner  Redaktion  an  Arbeitsüberdruss  litt, 
und  entschuldigen  aucü  die  üngleichmässigkeit  und  die  Lücken 
mancher  Jahresberichte. 

Bei  diesen  Vorzügen,  welche  seine  mehr  als  neunzehn- 
jährige Korrespondenz  in  quantitativer  und  qualitativer  Hinsicht 
hat,  dürfen  wir  deren  Schwächen,  Einseitigkeiten  und  selbst  Un- 
billigkeiten nicht  übersehen.  Die  ungerechte  Beurteilung 
d'Alembert's,  die  sich  auch  in  Meister's  Korrespondenz  forterbte, 
erwähnten  wir  schon,  allzugrell  sticht  dagegen  das  den  geist- 
vollen, zündenden,  aber  oft  mit  blitzartiger  Schnelle  hingeworfenen 
Arbeiten  Diderot' s  gespendete  Lob  ab.  Von  Rousseau  werden 
mehr  die  einseitigen  Übertreibungen,  als  die  grossen  für  die  Zeit 
bahnbrechenden  Ideen  hervorgehoben.  Voltaire's  Beurteilung  ist 
oft  eine  kleinlich- mäkelnde  und  der  tiefergehenden  Gesichts- 
punkte entbehrende,  wenngleich  sie  vieles  Richtige  trifft  und  da 
auch  von  unverkennbarer  Sympathie  zeugt,  wo  Grimm  und  Voltaire 
zusammen  gegen  Kirchenglauben  und  die  überlebte  Philosophie 
eines  Descartes  Front  machen  konnten.  Die  zahlreichen  Gegner 
und  Neider  des  grossen  Mannes  kommen  daher  ziemlich  schlecht 
fort,  wennschon  Grimm  die  langweiligen  Publikationen  eines 
Guyon,  Larcher,  Nonnotte  u.  A.  schwerlich  eines  genaueren 
Studiums  gewürdigt  hat. 

Als   Dichter   und    namentlich    als  Schöpfer   unvergleichlich 


1)  Aus  der  Zeit  vor  1773  teilt  Tourneux  nur  vierundzwanzig 
Briefe  an  die  Herzogin  von  Gotha  und  ihren  Sohn  Ernst, 'sechs  an  den 
berühmten  Schauspieler  Garrik,  einen  an  Friedrich  IL  und  sieben  Briefe 
an  verschiedene  Adressaten  (die  Gräfin  Houdetot,  Rousseau's  Freundin, 
den  Grafen  Schomberg,  seinen  Gönner,  zwei  an  Voltaire  u.  s.  w.)  mit, 
Natürlich  ist  die  Sammlung  nicht  entfernt  vollständig. 


102  R.  Mahrenholiz, 

witziger  und  feBselnder  Romane  und  Novellen  hätte  Voltaire  viel 
wärmere  Anerkennung  verdient,  das  über  den  Historiker  und 
Philosophen  gefällte  Urteil  mag  im  Lob  und  Tadel  der  Wahrheit 
nahe  kommen.  Von  den  Geistern  zweiten  Ranges  ist  Marmontel 
der  Verfasser  des  epochemachenden  Büisaire  zu  wenig,  La  Harpe 
vielleicht  über  Verdienst  gewürdigt,  dagegen  sind  zahlreiche, 
heutzutage  vergessene,  aber  für  damalige  Zeit  bedeutungsvolle 
Dichter  und  Schriftsteller  schwerlich  mit  voller  Objektivität  be- 
urteilt. Beaumarchais'  geniale  Bedeutung  trat  erst  nach  1772 
ganz  hervor,  konnte  also  von  Grimm  nur  wenig  gewürdigt  werden. 
Das  öfter  ausgesprochene  Urteil  Grimmas,  dass  die  Zeit 
Ludwigs  XV.  in  Dichtung  und  Kunst  nur  eine  künstliche  Nach- 
blüte des  Sude  de  Louis  XIV  sei,  ist  zwar  dem  Bewnsst- 
sein  der  Zeit  entsprechend,  wird  aber  auf  Männer  wie  Voltaire 
angewandt,  ein  entschieden  unbilliges.  Auch  die  oft  apodiktische 
Kritik  Über  die  Comidie  frangaise  und  über  Künstlerinnen,  wie 
die  Clairon  lässt  die  sehr  einseitige  Antipathie  Grimmas  ebenso 
durchblicken  wie  seine  Parteinahme  für  die  italienische  Buffooper 
und  für  Gr6try  eine  zu  parteiische  Sjrmpathie  verrät  Die 
Philosophie  des  Aufklärungszeitalters  konnte  der  ganz  in  ihren 
Ideen  lebende  Mann  nur  in  ihrer  Lichtseite,  nicht  in  ihrem 
dunklen  Reflexe  schildern,  aber  sein  eigener  Standpunkt  kommt 
über  den  flachen  Epikuräismus  des  Weltmannes  und  den  wohl- 
feilen Skeptizismus  des  nicht  gründlicher  geschulten  Schöngeistes 
kaum  hinaus.  So  sehr  auch  Grimm  mit  Diderot  die  natur- 
wissenschaftlich-experimentelle Forschung  betont  und  Voltaire 
(im  vollen  Gegensatz  zu  unserem  Dubois-Reymond)  die  Kenntnisse 
des  Naturforschers  ganz  abspricht,  ist  es  doch  ein  gewaltiger 
Unterschied,  wie  er  oder  wie  Diderot  und  d'Alembert  diese  Grund- 
aufl^assung  zu  vertreten  wissen.  Seine  Abneigung  gegen  alle 
Theorien,  denen  die  unmittelbare  praktische  Bedeutung  und  An- 
wendbarkeit fehlt,  macht  ihn  ungerecht  gegen  die  volksbeglückenden 
Ideen  eines  Vauban,  d'Argenson  und  des  älteren  Mirabeau. 

Aber  auch  in  diesen  Einseitigkeiten  und  Vorurteilen  ist 
seine  Auffassung  nur  der  treue  Wiederschein  der  Zeit  und  Tages- 
meinung und  seine  Korrespondenz  daher  ein  historisches  Doku- 
ment von  unbestreitbarem  historischem  Werte. 

Mit  dem  März  1773  tritt  nun  Meister,^)  ein  frühzeitig  ge- 
reifter Litterat,  der  bereits  seit  einem  Dezennium  die  Feder  ge- 
führt, schon  mit  14  Jahren  Joumalartikel  geschrieben,  und  soeben 


1)  Über  seine  perBönlicben  Verhältnisse  vergleiche  H.  Breitinger's 
Mitteilungen  in  der  Zeitschrift,  Supplementbeft  1885,  und  Meister's 
eigene  Angabe  bei  Tourneux  XVI,  213  A.  4. 


Bemerkungen  über  die  Correspondance  phüosophique  elc.         103 

darch  eine  ketzerische  Schrift  religiösen  Inhaltes  den  Zorn  der 
Behörde  seiner  Vaterstadt  Zürich  und  den  Beifall  Friedrich's  des 
Grossen  erregt  hatte,  an  Grimmas  Steile  als  Redakteur  ein.  Zog 
aber  damit  Grimm  sich  völlig  von  der  Leitung  zurück?  Wir 
möchten  das  kaum  annehmen.  In  den  nächsten  Jahren  zwar 
Hess  ihn  sein  zweimaliger  Aufenthalt  in  St.  Petersburg  (1773 
und  1776)  und  eine  längere  Reise  nach  Italien  (1775 — 1776) 
wenig  zu  thätiger  Mitwirkung  kommen,  aber  als  er  nachher  das 
rauhe  Klima  Russlands  und  die  gefährliche  Gunst  Eatharina's 
mit  dem  ruhigen  Wohlleben  von  Paris  vertauscht  hatte,  fehlte  es 
ihm  trotz  der  Korrespondenz  mit  der  Zarin  über  französische 
und  ausserfranzösische  Angelegenheiten  der  Litteratur,  Gesellschaft, 
und  seit  1789  auch  über  Politik,  keineswegs  an  Zeit  und  Ruhe. 
Und  das  ganze  Gepräge  der  folgenden  zwanzig  Jahre,  während 
welcher  die  Korrespondenz  ungestört  fortging,  zeigt  allzusehr 
Grimm's  Einfluss.  Dichtung  und  Kunst,  Philosophie  und  soziale 
Fragen,  alles  wird  im  Ganzen  so  aufgefasst  und  geschildert,  wie  es 
Grimm  selbst  gethan,  fast  dieselben  Sympathien  und  Antipathien, 
Vorzüge  und  Einseitigkeiten  kommen  zum  Vorschein.  Nur  der 
Schweizer  Lokalpatriotismus  Meister's  macht  sich  geltend,  wenn 
z.  B.  Gessner's  Tod  zu  einem  längeren  Nekrolog  Anlass  gibt, 
Friedrich' 8  IL  Hinscheiden  dagegen  ganz  kurz  berührt  wird,  aber 
sollte  es  ganz  zufällig  sein,  dass  der  Streit  der  Gluckisten  und 
Piccinisten  mit  sichtlicher,  wennschon  verhüllter  Parteinahme  für 
den  mit  Racine  verglichenen  Italiener  beurteilt  wird?  Sollte  die 
fortgesetzte  ungünstige  Auffassung  d^Alembert's,  die  unverminderte 
Wärme  für  Diderot,  die  wenig  veränderte  Beurteilung  Voltaire*s 
nicht  eine  direkte  Ein-  und  Mitwirkung  Grimm's  voraussetzen 
lassen?  Der  empfindungsvolle  Nachruf  an  Diderot  und  der 
ebenso  kalte  Abschied  von  d'Alembert  und  Rousseau  verrät  doch 
Grimm's  Feder,  und  wenn  Diderot  nach  wie  vor  die  Kunstkritiken 
schrieb,  was  zu  bezweifeln  kein  hinreichender  Grund  vorliegt,  so 
dürfen  wir  in  Grimm  wohl  den  unausgesetzt  thätigen  Musik- 
referenten suchen. 

Der  Abstand  in  der  Redaktion  war  freilich  ein  bemerkens- 
werter. Die  allgemeinen  Einleitungen  und  Übersichten,  das 
Lesenswerteste  an  der  Korrespondenz,  schrumpfen  immer  mehr 
zusammen,  die  Berichte  werden  zuweilen  kürzer  und  oberfläch- 
licher, schon  am  20.  September  1775  klagt  Katharina,  dass 
Meister  kein  Grimm  sei.  Und  entschuldbar  genug  ist  diese  Un- 
ebenbürtigkeit  des  Nachfolgers,  der  mehr  noch,  als  der  Vor- 
gänger, sein  einziger  Mitarbeiter  gewesen  zu  sein  scheint.  Denn 
ihm  strömten  kaum  so  viele  Einsendungen  von  Büchern  und 
Notizen  zu,  wie  Grimm,  und  die  Zeit  war  überdies   den  groggou 


104  JR.  Mahrenholiz,  Bemerkungen  über  die  Cotrespondance  phiios.  etc. 

Interessen  der  früheren  Dezennien  entfremdet,  die  bedeutendsten 
Geisteshelden  tot  oder  an  der  Schwelle  des  Lebens,  Oper, 
Schauspiel,  Gesellschaftstand  und  Salonklatsch  herrschten  neben 
der  an  Überraschungen  und  Vorbereitungen  der  kommenden  Um- 
wälzung reichen  Tagespolitik,  welcher  aber  Meister  nicht  sorg- 
fältiger nachgehen  konnte  oder  wollte.  Darum  schwindet  das 
Interesse  für  uns,  sobald  Grimm  die  Chefredaktion  abgibt  und  es 
erwacht  nur  vorübergehend  mit  dem  grossen  Jahre  1789,  da 
Meister  den  Wandlungen  der  Revolution  nicht  tiefer  nachforscht 
das  damals  so  gefährliche  eigene  Urteil  möglichst  vermeidet  und 
Andere  gern  statt  seiner  reden  lässt.  Zudem  ist  die  Bericht- 
erstattung über  die  Jahre  1789 — 1792  dürftiger  und  lückenhafter 
als  die  bedeutungsvolle  Zeit  es  verdient  hätte,  wie  denn  die 
Jahre  1791  und  1792  zum  Teil  fehlen  und  das  Vorhandene 
knapp  genug  ist.  Die  Septembergräuel  1792  und  die  immer 
mehr  zunehmende  Unsicherheit  in  Paris  haben  Meister  zu  einer 
Flucht  nach  England  bestimmt,  wo  er  schon  Anfang  1792  mehrere 
Monate  geweilt  hatte,  die  Nachrichten  vom  November  dieses 
Jahres^)  bis  Mai  1793  sind  daher  von  befreundeter  Hand  ihm 
zugesandt  worden.  Mit  dem  Jahre  1794  nahm  er  von  der  Schweiz 
aus  mit  Hilfe  seiner  Pariser  Korrespondenten  das  Unternehmen 
wieder  auf  und  weilte  auch  nach  dem  Ende  des  Terrorismus 
kurze  Zeit  (September  1795)  in  der  frauzösischen  Hauptstadt. 
Bis  zum  Januar  1813  schwebte  dann  die  Korrespondenz  noch 
zwischen  Leben  und  Tod,  aus  ihr  sind  uns  von  Tourneux  nur 
einzelne  Bruchstücke  mitgeteilt  worden.  Die  unbefugte  Publi- 
kation eines  Teiles  jener  Geheimschrift,  die  Sorge  wegen  der 
Unannehmlichkeiten,  welche  die  Enthüllung  so  mancher  persön- 
licher und  vertrauter  Dinge  zur  Folge  haben  musste,  der  Tod 
der  alten  Abonnenten  und  die  immer  mehr  zusammenschwindende 
Zahl  und  abnehmende  Teilnahme  der  neuen  haben  dem  Werke 
den  Todesstoss  gegeben.  R.  Mahbenholtz. 


1)    Am   30.  September  1792   war   er   noch   in  Paris,    wie  die  Be- 
sprechung einer  an  diesem  Tage  stattgefandenen  Opernaufführung  zeigt. 


Personal-  und  Gentilderivate  im  Neufranzösischen. 


Die  nachfolgende  Sammlung  von  Adjektiven  und  Adjektiv- 
Substantiven,  welche  von  Personen-  oder  Ortsnamen  abgeleitet 
sind,  erhebt  keinen  Anspruch  auf  Vollständigkeit;  vor  allem  ent- 
hält sie  nur  solche  Wörter,  welche  in  dem  grösseren  Wörterbuch 
von  Sachs  sich  nicht  finden.  Vollständigkeit  ist  hier  überhaupt 
nicht  zu  erreichen,  weil  solche  Namen  zu  wenig  häufig  sich 
finden  (was  hier  gegeben  wird,  ist  das  Ergebnis  mehr  als  fünfzehn- 
jährigen Sammeins)  und  weil  Neubildungen  fortwährend  auftauchen. 
Das  ist  besonders  bei  den  Derivaten  von  Personennamen  der 
Fall,  und  der  Laune  des  Schriftstellers  ist  hier  der  weiteste  Spiel- 
raum gelassen.  Schon  weil  sich  bei  diesen  Namenadjektiven  so 
viel  individuelles  Belieben  einmischt,  sind  sie  von  geringer 
Wichtigkeit;  eine  sehr  umfängliche  Berücksichtigung  derselben 
in  einem  Wörterbuch  würde  nur  zu  einer  lexikalischen  Super- 
fötation  führen,  etwa  wie  die  Aufnahme  sämtlicher  Romposita, 
die  persönliche  Liebhaberei  mit  Hilfe  der  Präfixe  ex,  hyper, 
ultra  u.  a.  zustande  bringen  kann.  Dass  sie  trotzdem  nicht  un- 
wichtig sind,  mag  folgende  mir  zufällig  neu  aufstossende  Stelle 
aus  einem  Roman  von  Jules  Claretie  beweisen.  Der  Sinn  des 
Personaladjektivs  wird  vielen,  die  nicht  in  der  Kunstgeschichte 
etwas  bewandert  sind,  unklar  bleiben:  Le  pettt  Japonais , , ,  de- 
mandait  ä  une  jeune  Anglaise  preraphailite  pourquoi  die  ne 
dansaU  pas,  —  Parce  que  je  dighre!  repondait  la  podtique  miss 
d^une  voix  mourante. 

Von  weit  höherem  Interesse  sind  die  Gentilien  im  weiteren 
Sinne,  d.  h.  die  von  Länder-  oder  Landschafts-,  Städte-,  Berg- 
oder Flussnamen  abgeleiteten  Wörter.  Bei  ihnen  lassen  sich 
synonymische  unterschiede  auffinden;  die  Zahl  der  zur  Verwen- 
dung gelangenden  Ableitungsendungen  ist  eine  grössere;  die  Bil- 
dung der  Wörter  reicht  in  ältere  Zeit  zurück;   vielfach   ist  eine 


106  Ph.  PiaUner, 

Form  an  die  Stelle  einer  anderen,  jetzt  veralteten  oder  alternden 
getreten;  oft  ist  der  Kampf  zwischen  zwei  Formen  noch  nicht 
entschieden,  so  dauert  der  beim  Verb  längst  abgeschlossene 
Widerstreit  von  oi  und  ai  vielfach  noch  fort;  femer  sind  diese 
Wörter  nicht  Erzeugnisse  der  Laune  eines  Schriftstellers,  sondern 
Gemeingut,  wenn  auch  vielleicht  nur  der  Einwohner  eines  be- 
stimmten Ortes  und  seiner  Umgebung;  endlich  ist  es  für  die 
Lautlehre  nicht  uninteressant  nachzuforschen,  ob  bei  diesen  Bil- 
dungen nicht  gewisse  Gesetze  massgebend  gewesen  sind,  warum 
bei  einzelnen  Namen  eine  volkstümliche  Bildung  unmöglich  war, 
so  dass  sie  entweder  ganz  unterbleiben  oder  durch  eine  aus  dem 
lateinischen  Etymon  hergeholte  hybride  Bildung  ersetzt  werden 
musste  und  wie  von  Ortsnamen,  besonders  nichtfranzösischen,  ein 
zugehöriges,  aber  nicht  nachweisbares  Adjektiv  auf  dem  Wege 
der  Analogie  zu  bilden  wäre.  Mit  aufgenommen  wurde  eine  Zahl 
von  Landschaftsnamen.  Die  französische  Geschichte  und  Geo- 
graphie sind  überreich  an  solchen  Namen,  die  zum  grossen  Teil 
immer  noch  trotz  aller  Verschiebungen  in  der  administrativen 
Einteilung  des  Landes  wachgehalten  werden  als  notwendige  Zu- 
sätze bei  den  zahlreichen  Orten  gleichen  Namens,  besonders  den 
von  Heiligennamen  gebildeten  Benennungen.  Diese  Landschafts- 
bezeichnungen verdienten  eine  eingehendere  Untersuchung.  In 
den  angeknüpften  Bemerkungen  endlich  sind  ausser  den  auf- 
geführten Namenadjektiven  auch  die  bei  Sachs  verzeichneten  mit- 
berücksichtigt. 

In  dem  Wörterbuch  der  Akademie  sind  diese  Bildungen 
so  gut  wie  nicht  berücksichtigt;  auch  Littr^  bietet  äusserst  wenig 
und  nur  für  Adjektive  von  Länder-  und  VÖlkemamen;  einzelnes 
ist  in  den  Addenda  und  später  vermehrt  im  Supplement^)  hinzu- 
gekommen. Sehr  verdienstlich  war  es  daher,  dass  Sachs  diese 
Wörter  eingebend  berücksichtigt  hat,  doch  ist  es  auffallend,  dass 
das  CompUment  du  Dictionnaire  de  V Acadimie  FrariQaise^)  von 
Barre  und  Landois  sich  unter  seinen  Quellen  nicht  befunden 
zu  haben  scheint.  Die  Sammlung  von  Sachs  und  mehr  noch  die 
des  CompUment  leidet  hauptsächlich  deshalb  an  Unvollständigkeit, 
weil  eigentlich  nur  historisch  bekannte  Namen  berücksichtigt 
wurden.     Der  Courrier  de   Vaugelas^)  hat  an  zwei  verschiedenen 


*)  Im  Nachfolgenden  ist  diese  Quelle  mit  Z.  S.  bezeichnet. 

2)  Mit  C.  bezeichnet.  Es  ist  hier  das  1839  in  Brüssel  erschienene 
Werk  gemeint;  Sachs  führt  das  drei  Jahre  später  in  Paris  veröffent- 
lichte Complemeni  von  Barr^  auf. 

8)  Mit  CdV.  bezeichnet.  Ausserdem  sind  öfter  zitiert:  Aroux,  E., 
les  Mysteres  de  la  chevaierie.  Paris,  1858.  Gautier,  Th^ophile,  ffisi,  de 
Cari  dramatiqtte  en  France.    6   vol.     Leipzig,  äd.  Hetzel,  1858 — 1859. 


Personal-  und  GentäderivaU  im  Nnufranzöstschen.  107 

Stellen  Gentilienlisten  gegeben,  auf  welche  häufig  verwäesen 
werden  muaste.  Leider  gibt  er  weder  Quelle  noch  Beispiele; 
besonders  das  Fehlen  der  letzteren  ist  sclir  störend,  da  es  von 
vornherein  durchaus  nicht  feststeht,  ob  dieselbe  Form  sowohl  als 
Adjektiv  wie  als  Substantiv  und  sowohl  fUr  die  Bezeichnung  des 
Gebiets  wie  flir  die  Bezeichnung  der  Bewohner  gebraucht  werden 
kann  oder  sebräuchlicb  iBt. 


Abrahamien  (0.)  gleiche  Bed.  wie  Abrakamite  (Sekte). 
Abrahamiqne  (L,  S.}.     Lex  »omieniVs  ahTahamiques  (Lacordaire.) 


Antonin  auch  als  Adj.  üblich:  Les  seulplures  myst^rü 

(sc.  portf)  decorent  sont,  ä  ■mon  avis,  (fime  tout  aut!re  ipoque 
qut  l'6poqve  ontnnine  (Lamartine,  V.  en  Or.   153). 

Ariostin  (L.  9.) 

1.  AriBtophanesque.  Cette  revue,  qui,  dang  les  mains  d'un 
poefe  Ott  d\n  philosophe,  pnurrait  prendre  des  proportiona 
aristophanesques  et  devenir  la  vraie  com^dh  de  l'epugue,  eonsiste 
dans  un  ramassis  de  hanalües  et  de  plaisanteries  vieilles  de 
onze  moia  et  demi  (Th.  Gautier  IV,  380  f.).  Meme  dans  lex 
Flaideurs,  revaitche  aristophanesqut  des  ennuia  d'un  proeis,  la 
piaisatiterie  n'est  pos  enjouie  (Geruzez  II,  255  f.)  Sauf  erreur 
ou  Omission,  on  connatt  mainienant  tous  les  octeurs,  figuraitts 
et  comparaes  de  ce  drame  menippien,  dans  lequel  une  verve 
qui  ne  se  lasse  pas  prodiyue  ä  fotson  un  sei  tout  aristophanesque 
(Aroux  199). 

2.  Anstophanique.      Ou  bien  ne  faul-il  voir  lä  qu'une  fantaisie 

aristnphanique  oit  serait  personnifii  un  ierivain  rCune  ciUbritS 
incontestabh  et  me'rite'ef  (Th.  Gautier  V,  52).  Voiei  un  vaude- 
ville  qui  a  la  pretention  d'etre  ariatophanique,  et  qui  lajustiJU, 
au  moins  sous  le  rapport  de  la  personnaliti  (Ib.  VI,  22),  Ijes 
revuea,  avec  leura  prüentions  aristopkaniquea ,  ont-ellea  agiti 
la  HOciHe  juaque  dana  ses  fondemenf-sf     (Ib.  VI,  45.) 

I.  bezeichnet  eine  Manier,  eine  Darstellungsweise,  2.  eine 
litterarische  Gattung,  wobei  2.  in  die  Bed.  von  1,  übergreifen 
kann,  aber  nicht  umgekehrt. 

Geruzez,  Eugene,  Hist.  de  la  litt,  frani;.  t  vol.  Paris,  1874.  Guizot, 
Htst.  de  la  cimUsatioH  ea  France,  i  vol.  PariB,  1859.  Guizot,  fUsl.  äe 
la  civiHtation  in  Europe.  Puris,  I8T6.  Jaubert,  comte  de,  Glossare  du 
Venire  de  la  France.  2  vol.  Paris,  s,  a.  Martin,  Henri,  äistoire  de 
France.  17  vol,  Paria,  1861  —  62.  Vermesee,  Louie,  Dicttonnaire  du 
patoU  de  la  Flandre  frangaise  ou  watlonne.  Douai,  1867.  Die  Zitate 
aus  Zeitungen  sind  hinlänglich  bezeichnet,  die  den  Figaro  entnom- 
menen haben  die  Abkürzung  Fig. 


108  /%.  Platiner, 

Armenti^re.  V Armentiere  beaute  faxt  la  guerre  ä  ses  beaux 
cheveux  et  se  dechire  le  sein,  ä  ce  quon  dit  (M™®  de  S6vign6 
II,  100;  18  mai  1671).  Näheres  hierüber  konnte  ich  nicht 
finden;  das  Wort  hat  mit  der  Stadt  Armenti^res  (Nord)  wohl 
nichts  gemein  und  scheint  eher  adjektivischer  Gebrauch  eines 
Familiennamens,  vielleicht  mit  der  volkstümlichen  Motion 
solcher  Namen  zusammen.     Vgl.  Murinette, 

Arnalesque^  in  der  Manier  Arnal's,  eines  um  die  Mitte  dieses 
Jahrhunderts  sehr  bekannten  Pariser  Komikers,  welcher 
Tölpelrollen  als  Spezialfach  hatte:  La  Situation  exploitie  par 
les  deux  auteurs  arnalesques  est  de  Celles  oil  Von  peut  se  trouver 
soi-meme  (Th.  Gautier  IV,  156). 

Arthurien^  der  Artussage  angehörig:  Le  Chevalier  ä  la  charrette 
met  en  schie  plusieurs  des  personnages  des  legendes  arthuriennes 
et  leur  conserve  la  physionomie  que  nous  leur  connaissons 
(Geruzez,  I,  75). 

Averrholste^  dem  Averrhoes  angehörig:  Ceci  n'est  plus  du  con- 
ceptualisme y  mais  du  realisme,  et  du  pire,  du  realisme  aver- 
rhotste  (H.  Martin  IV,  274). 

Balzacien.  Les  Balzaciens,  c^est-ä-dire  les  admirateurs  de  Balzac 
(Paix,  22  mai  1887). 

B^rengaxien  (C),  Anhänger  von  B^renger. 

Berninesque^  in  der  Manier  Bernini's:  Ses  (sc.  de  Paget)  dis- 
ciples  fusserd  promptement  tomhis  dans  le  style  beminesque 
(H.  Martin  XIII,  230). 

Bismaxckien^  Bismarck  angehörig:  La  feuille  bismarckiennsj 
(sc.  la  Gazette  de  VAllemagne  du  Nord,    France,  25  f6vr.  1878.) 

Boulangiste^  dem  General  Boulanger  angehörig:  Letat  d'esprit 
boulangiste  (Paix,  10  juillet  1887).  Les  manifestations  bau- 
langistes  —  ce  mot  „  le  boulangisme  ^  fait  desormais  partie  de 
notre  langue  politique  —  ...  (Ib.   12  mars  1888). 

Catilinaire^  katilinarisch ,  kann  nur  von  Reden  gesagt  werden, 
was  bei  Sachs  (s.  v.  I)  angegeben  sein  könnte. 

Charlemanesque  (L.  8.)  in  der  Weise  Karl's  d.  Gr. 

Chateaubrianesque  (L.  S.)  in  der  Manier  Chateaubriand's. 

Clairvillien^  dem  Vaudevilledichter  Clairville  angehörig:  Le  c6te 
comique  se  compose  d'un  panier  d^ceufs,  qui  a  le  don  de  ria- 
liser  les  souhaits  ä  rebours.  Vous  disirez  un  bouquet  de  vio- 
lettes; aussitdtj  avec  un  bruit  de  ferraiüe,  apparatt  une  voiture 
de  vendange-  poste:  ä  ce  fumetf  vous  reconnaissez  rattieisme 
clairvillien.  (Th.  Gautier  VI,  30). 

Cl^menciste,  Anhänger  von  C16menceau;  nach  der  Gazette  de 
France  im  Courier  de  Vaugelas  (X,  11)  angeführt  und  ver- 
worfen, dafür  cUmenceliste  vorgeschlagen. 


Personal-  und  Gentüderivate  im  Neufranzösischen,  109 

Goburgien,  dem  Prinzen  Ferdinand  von  Coburg  angehörig:  Le 
parti  Cohurgien  (Paix,  14  sept.  1887). 

Gonstantilly  zu  Konstantin  d.  Gr.  gehörig:  De  plus,  en  ordonnant 
quil  se  tienne  tous  les  ans  une  assemhlee  dans  la  dte  Con- 
stantine  (sc.  Ärles),  nous  croyons  faire  une  chose  non  seule- 
ment  avantageuse  au  bien  public,  mais  encore  propre  ä  multi- 
plier  les  relaüons  sociales  (Guizot,  Civilis,  en  Eur.  47). 

Dauphin  9  zum  Dauphin  gehörig.  Bei  Sachs  (1.  V.  IV)  fehlt 
la  port£  Dauphine  (von  Paris  nach  dem  Bois  de  Boulogne 
führend).  Die  frühere  avenue  Dauphine  (von  der  avenue 
d^Eylau  ausgehend  und  in  den  Endpunkt  der  avenue  du  Bois 
de  Boulogne  einmündend)  heisst  jetzt  avenue  Bugeaud, 

DÖdal^n  (z.  B.  le  riseau  dedalien  des  rues  de  Paris)  heisst 
nur  labyrinthisch  (nicht  auch,  wie  Sachs  angibt,  dädalisch); 
es  ist  von  dem  Appellativ  le  dSdale,  nicht  von  dem  Personen- 
namen gebildet. 

Diomödien  (C.)  dem  Diomedes  angehörig. 

Don-juanesque^  den  Don  Juan  spielend:  Quant  ä  RibalUery  il 
est  celihataire  et  don-juanesque  malgri  ses  cinquante  ans 
(France,  8  mai  1878).  Tous  les  hommes  qui  menent  quelque 
peu  la  vie  don-juanesque  aiment  ä  s^aventurer  vers  les  femmes 
fatales  (A.  Houssaye,  France,  25  juin  1879).  Ce  qui  paraitra 
Sans  doute  singulier,  cest  qu'avec  ces  beaux  projets  machia- 
viliques  et  don-juanesques,  j^etais,  au  fond,  le  gargon  le  plus 
tiwide  du  monde  et  le  plus  facile  ä  decontenancer  (Sarcey,  Le 
piano  de  Jeanne  248).  Don-juanesque  verdrängt  das  gleich- 
bedeutende don-juanique. 

Don-quichottesque,  den  Unternehmungen  Don  Quixote's  ähn- 
lich: Le  choix  du  nouveau  ministre  des  affaires  itrangeres 
peut  etre  considere  comme  une  preuve  incontestable  qu^il  (sc. 
Gambetta)  n^est  nullement  engage,  en  ce  moment,  en  des  entre- 
prises  don-quichottesques  au  dehors{XlX^  Si^cle,  26  sept.  1880). 

Eudoxien  (C.)  Eudoxianer,  nach  Eudoxius  genannte  Sekte. 

Fabien  heisst  auch:  nach  Art  des  Fabius  (Cunctator).  Vannie 
1536  futy  apres  celle  de  Marignan,  la  plus  glorieuse  de  la 
vie  de  Frangois  I^:  ä  cette  guerre  toute  fabienne,  on  ne  re- 
connaissait  plus  les  tSmiraires  aventuriers  de  Pavie  (H.  Martin 
VIII.  244). 

Figaresque»  der  Zeitung  Le  Figaro  angehörig,  ftir  dieselbe  be- 
stimmt: Les  bureaux  du  ministhre  de  Vintirieur  ont  eti  plus 
loin:  ils  ont  grossi,  ils  ont  exagire  Vinconvenance  et  le  danger 
des  deux  telegrammes  figaresque^  (France,  15  janvier  1878). 

Figariste  auch  als  Adj.  M.  Zola,  en  effet,  sest  enröle  dans  le 
le  bataillon  figariste  (XIX®  Siöcle,  23  sept.  1880). 


HO  Ph.  Plattner, 

Qondowaldien,  Anhänger  des  fränkischen  Gegenkönigs  Gondo- 
wald:  Les  principaux  chefs  des  Gondowaldiens  obtmrent  leur 
pardon  par  V Intervention  de  Gregoire  de  Tours  et  de  quelques 
autres  prelats  (H.  Martin  II,  85). 

H6racl^n  (C);  l)  dem  Herakles,  2)  der  Stadt  Heraklea  angehörig. 

Hermipnite  (C.)  Nebenform  zu  hermien, 

Hippocratien»  dem  Hippocrates  angehörig  (fehlt  auch  im  G.): 
üne  circonstance  pinihle  vient  de  m^offrir  Voccasion  d'observer 
les  changements  materiels  qiia  subis  la  gent  hippocratienne 
pendant  ma  longue  absence  (Jouy,  Ilermite  de  la  Guiane  I,  46). 
Hippocratique  ist,  wie  schon  die  Endung  an  die  Hand  gibt, 
mehr  auf  den  gelehrten  Gebranch  beschränkt. 

Hofi&nanique  heisst  auch:  Hofifmann  angehörig,  bei  Hofifmann 
vorkommend.  Über  die  von  Sachs  durchaus  gleichgestellten 
Formen  hoffmanique  und  hoffmanesque  vergleiche  das  bei 
aristophanique  Gesagte.  Les  Kreissler  farouches,  les  musiciens 
hoffmaniqu^s  qui  se  croient  savants  parce  quHls  soni  ennuyeux, 
affectent  de  mipriser  beaucoup  la  musique  oü  la  rnModie  pari 
ä  tire-cPaüe  et  s*elhve  en  chantant  sans  tours  de  force  et  sans 
casse-cou  (Th.  Gautier  H,  179). 

niyricain  (0.),  Sekte,  Anhänger  von  lUyricus. 

Ingresque^  dem  Vorbild  des  Malers  Ingres  folgend:  TJecole  glacee 
de  V Empire  est  remplacee  par  cette  ardente  gener atton  de  jeunes 
peintres  dont  Eugene  Delacroix  est  le  chef.  Cette  ecole  pro- 
voque  ä  son  tour  la  riaction  ingresque  (Th.  Gautier  IV,  389). 

J^romiste  vgl.  bei  Ludovicien. 

Juvönalique,  dem  Juvenal  angehörig:  Venez  peindre  nos  ridiades, 
nos  sottiseSy  nos  viceSj  avec  cette  ironie  amere,  avec  cette  In- 
dignation juvinalique  qui  vous  ont  si  bien  inspiri  dans  votre 
jeunesse  (Jouy,  Hermite  de  la  Guiane,  I,  9).  Über  das  Ver- 
hältnis zu  dem  bei  Sachs  allein  angeführten  juvenalesque  vgl. 
bei  aristophanique. 

Laomödontien  (C.),  von  Laomedon  abstammend. 

Lodoicien  (C.),  von  Louis  abgeleitet. 

Loisellien  (C.),   dem  Rechtsgelehrten  Loisel  angehörig. 

Ludovicien^  Anhänger  des  Prinzen  Louis  (Bohaparte,  Sohn  von 
Plön -Plön).  Quant  aua^  Jeromistes  et  aux  Ludoviciens,  ces 
autres  fractions  du  bonapartisme,  on  devine  aisiinent  quel 
accueü  üs  riservent  au  manifeste  de  leurs  ennemis  (Paix, 
12  juin  1885).     Vgl.  auch  C. 

Mac-mahonien,  Anhänger  Mac-Mahon's:  Nous  apprenons  igale- 
mevd  que  M,  Bartholoni  se  prisentera  dans  le  VII^  arrondisse- 
ment  de  Paris  comme  conservateur  et  mac-mdhonien  (Figaro, 
22  aoüt  1877).     Als  Adj.   (Mac-Mahon  angehörig,  von  ihm 


Personal-  und  Ge> 

ausgehend):  7>a  Tisisti 

mentaire,    la    risistem 

makoniens,  n'est  phts 
Mansfeldois  (C),  Sekte, 

Übertragung  der  zu  d( 

auf  daa  von  dem  gleict 
Marächalesque  (dem  Ma 

inae-mahonesque) :    De 

elections  gitiirales,  oii 

combat  Sans  budget  vc 

{France,  12  d6c.  187' 
Mazarin,  Anhänger  Mazai 

nuit  les  principaux  of_ 

Saint  sacrement  qu'on 

soupQonnait  ttBtre  Mai 

de  plat  £ipie  (Voltair 

C.  und  ebenda  (s.  v. 

retirer  ä  la  hdte. 
Molißresque  (L.  8.},  Mo 

Endung  ist  nicht  vorh 
Hurinette.      Aus    dem 

Murinette  beattti  est  avi 

1671).     La  Murinette 

n'est  pait  de  m&me  poi 

meint  ist  Anne -Marie 

de  Kernt  an  oder  Cam 
Ozanamite,  Anhänger  0: 

jeune  komme  destin^  si 

qu'ä  s'inntrmre  (Arcus 
Parnelliste,  Anhänger  P 

leur  groupe  comptera  d 

au  moins  quatre-vingt 
BaphaSlesqne,  jetzt  Ubli 
StäTeniste  (C),  Sekte  n 
Turcarien,   nach  Art  Ti 

turcarienne    anstocratx 

g^neraliti  voit  g'Svanoh 

g'althre  snn  respect  de  c... ...»  ^>,„.    .^„........^  ,...  ^.-^..^...^., 

Babel  IV,   132). 
Victorien,  Anhänger  dea  Prinzen  Victor  (Solin  von  Plon-PIon): 

Ausgi  eat-il  prisumahle  gue  les  Orlianiates,  quelque  envie  qu'iU 

en    aient,  feront  froide  mine    au    programme    impirialiste    et 

qu'ils  laisteront  les  Victoriens  faire  seuls  leurs  petäes  manatuvres 

ikctoToles  (Paix,   12  juin  1885). 


112  i%.  Baitner, 

Vitellien,  dem  Vitellius  angehörig:  Quelques  cohortes  vitelliennesj 
renforciea  par  la  jeunesse  aristocratique  d!Autuny  disperserent 
le  ramas  de  paysans  que  le  pretendu  genie  Celeste  trainait 
apres  lui  (H.  Martin  1,  234). 

Weymarien  (weimarlen),  Bernhard  von  Weimar  angehörig:  Des 
ditackenients  commandis  par  Ghiibriant  et  Ikirenne,  gSndraux 
qui  se  formaient  ä  ticole  su6doise,  vinrent  renforcer  les 
Weymariens  (Th.  Lavallie,  Hist.  des  Fran9ai8,  III,  157).  Le 
duc  de  Longueville  fut  reconnu  pour  chef  de  VarTnie  wey- 
marienne  (ib.  III,  159). 

Zoliste,  in  der  Art  von  Zola:  Nous  repudions  ces  bonshommes 
de  rhStorique  zoliste,  ces  sükouettes  enormes  j  surhumaines  et 
hiscornues  .  .  .  (Paix,  20  aoüt  1887,  Reproduktion  aus  dem 
Figaro). 

B.   Von  Ortsnamen  abgeleitet. 

Abbevillois^  zu  Abbeville  gehörig:  Une  hander ole  sur  laquelle 
figure  Vinscription:  ^^8ur  V initiative  de  V Abhevilloise^''  (Paix, 
3  juillet  1885). 

Abdöritain  bedeutet  bei  La  Fontaine  (neben  Abd^rite)  den  Be- 
wohner von  Abdera:  Democrite  et  les  Ahdeintains  (VIII,  26). 

1.  Abyssin.    2.  Abyssinien.    3.  Abyssinique. 

Littr6  (S.)  kennt  nur  die  beiden  ersten  Wörter  und  zwar  nur 
als  Adj.     (1.  Qui  appartient  ä  VAhyssinie:  Tjidiome  abyssin, 

2.  Qui  est  relatif  ä  VÄbyssinie:  les  poptdatians  abyssiniennes). 
Für  „die  Abessinier"  bietet  er  keinen  Ausdruck.  —  Das 
CompUment  kennt  1.  als  Adj.  und  Subst.,  2.  nur  als  Subst. 
(d.  h.  substantiviertes  Adj.)  für  die  Sprache  (das  Abessinische), 

3.  nur  als  Adj.  in  dem  Ausdruck  les  langues  abyssiniques ; 
2.  und  3.  würden  sich  zu  einander  verhalten  wie  römisch: 
romanisch,  deutsch:  germanisch.  —  Ebenso  Sachs,  der  jedoch 
bei  3.  keine  weitere  Angabe  macht. 

Zunächst  ist  sicher,  dass  les  Abyssins  die  Abessinier 
heisst;  Beispiele  sind  unnötig,  da  man  sie  in  jedem  franzö- 
sischen Lehrbuch  der  Geographie  und  augenblicklich  in  jeder 
französischen  Zeitung  finden  kann;  zu  bemerken  ist,  dass 
les  Abyssiniens  sich  findet,  z.  B.  gerade  in  dem  CompUment 
(s.  V.  agadajy  welches  nur  les  Abyssins  aufführt.  Auch  als 
Adj.  ist  jetzt  1.  das  weitaus  üblichste,  wenn  nicht  das  einzig 
übliche  Wort:  Tigoulat  qui  fut  autrefois  le  siege  de  tout 
Vempire  Abyssin  (Cortambert,  Cours  de  g6ogr.  555).  C'est 
un  giniral  abyssin^  Rassahda,  qui  est  chargS  de  cette  tdche 
(Paix,  20  aoüt  1885).  Les  mahdistes  seraient  en  mar  che 
contre  la  capäale   abyssine    (ib.  18  mars  1887).      On  assure 


Personal-  und  Gentilderivale  im  Neuframösischen,  113 

qvLune  avant-garde  de  ti'oupes  ahyssinnes  (wohl  Druckfehler) 
etait  partie  pour  secourir  Kassala  (ib.  10  sept.  1885). 

Accitanien  (C),   Bewohner  von  Acci  oder  Accitum  in  Spanien. 

Acerrain  (C),  Bewohner  von  Acerra. 

AgönaiSy  das  Gebiet  von.  Agen.  Sachs  gibt  (wie  C.)  nur  Agi- 
nois.  H.  Martin  gebraucht  nur  die  Form  auf  -ais  (z.  B. 
III  490,  IV  108,  348,  V  80,  227),  daneben  noch  häufiger 
Ägenais  (z.  B.  IV  104,  348,  559,  562,  V  74).  Auch  für 
die  Bewohner  gibt  der  CdV.  (V,  82)  Ägenais  ou  Agenois. 
Mignet  (z.  B.  Etudes  bist.  174,  179,  212)  gebraucht  Agenois 
und  Agenois  neben  einander.  Vgl.  hierzu  Rockdois  neben 
Rochellois.  Die  üblichste  Form  ist  jedenfalls  Agenais  flir  die 
Bewohner  sowohl  wie  für  das  Gebiet;  für  das  erste  finden 
sich  zahlreiche  Beispiele  aus  französischen  Zeitungen  letzter 
Zeit  gelegentlich  des  Aufenthalts  des  Präsidenten  Carnot  in 
Agen,  für  das  letztere  spricht  der  Ortsname  Monclar-d'Agenais. 

Aigues-Mortain  (CdV.  V,  82),  Bewohner  von  Aigues-Mortes. 

Aixois^  zu  Aix  (en  Provence)  gehörig:  Ijes  repvblicains  aixois 
se  preparent  ä  feter  dignement  V anniversaire  de  la  proclamaiion 
de  la  premi^re  Repuhllque  (France,  20  sept.  1878).  Le  marcM 
aixois  est  trls  viveinent  impressionnS  (Paix,    12  janv.  1886). 

Ajaccien,  Bewohner  von  Ajaccio:  Le  prince  NapoUon  (Jeröme) 
se  prisente  aux  suffrages  des  Ajacciens  (France,  25  juin  1879). 

Aleman,  alemanique^  Al(l)emanne,  a(l)lemannisch  schreibt  Sachs 
(wie  C).  Üblicher  ist  die  Schreibung  mit  II,  nn:  Soixante- 
quinze  mille  guerriers  franks,  allemanSy  burgondes  . . .  (H.  Martin 
II,  25).  Deux  frlres  appeles  Bukhelin  et  Leuther,  qui  etaient 
de  sang  alleman  (ib.).  Des  bandes  frankes  et  aüemanes  (ib. 
I,  342).  Theudebert  eut  pour  sa  pari  les  hautes  vaüies  du 
Rhone,  du  Rhin  et  de  l'Inn  habitees  en  partie  par  des  popu- 
lations  allemanniques  (ib.  II,  20).  Uhydre  allemannique 
(ib.  I,  319).  Guizot  (Civilis,  en  Eur,  85)  gebraucht  sogar 
die  Form  Allemand  (wie  er  Bourguignon  für  Burgonde  u.  s.  w. 
setzt):  On  compte  les  lois  des  Bourguignons ,  des  Francs- Sa- 
lienSj  des  Francs-Ripuaires,  des  Visigoths,  des  Lombards,  des 
Saxons,  des  Frisons,  des  Bavarois,  des  AUemands,  etc.  —  Ijes 
Allemans  (Cortambert  204). 

Alezandrin^  Bewohner  von  Alexandrie  (Egypte),  vgl.  bei  Cairote. 

Alr6en,  Alrien,  Bewohner  von  Auray  (CdV.  V,  82). 

Alsatique^  Nebenform  zu  alsacien,  die  mehr  auf  gelehrten  Brauch 
hinweist:  Ce  qui  est  particulierement  lottable  dans  les  ouvrages 
patriotiques  et  alsatiques  de  M.  Leroy  de  Sainte-Croix,  c'est 
la  modiration,  la  prudence,  la  sagesse  de  langage  et  d'esprä 
qui  les  caracterise  et  les  distingue  (XIX®  Si^cle,  14  nov.  1880). 

Zschr.  f.  frs.  Spr.  n.  Litt.    XJi.  g 


114  i%.  Piaitner, 

Ambertois,  Bewohner  von  Ambert  (CdV.  V,  82). 

Amyclöen  (C.)y  zu  Amycl^e  gehörig  oder  da  geboren. 

AndaloUB.  Sachs  gibt  an  erster  Stelle  andalou  mit  dem  f.  an- 
dalouse  und  dem  pl.  m.  andalous  und  andaloux.  Die  Schrei- 
bung des  m.  liegt  ja  sehr  im  Argen  und  für  ^Andalusier^ 
(d.  h.  Pferd)  findet  man  andalouy  andalous  und  sogar  andaloux 
im  sg.  Littr6  (im  S.)  gibt  nur  andalous,  ebenso  gebraucht 
Brächet  (Gr.  bist  51)  nur  V andalous  (das  Andalusische).  Es 
ist  daher  offenbar  am  besten,  das  Wort  in  der  Form  andalous 
ausschliesslich  anzusetzen,  wodurch  sich  f.  und  pl.  m.  von 
selbst  ergeben,  zugleich  auch  das  Wort  von  den  exotischen 
hindou,  'oue,  mandchou,  -o^^e^  zoulouy  zouloue  losgetrennt  wird. 

Annonien^  Bewohner  von  Annonay  (CdV.  V,  82). 

Aostain,  Bewohner  von  Aoste  (-a):  Les  Aostains  ont  grosses 
questions  avec  leur  evSquCy  ä  cause  des  excommuniements  quüs 
ne  peuvent  souffrir  (Bonnet,  R6cit8  du  XVP  si^cle,  50.  Die 
Stelle  stammt  aus  dem  Jahre  1535). 

Appenzellois^  Bewohner  von  Appenzell.  Die  Form  Äppemelöis 
hat  CoBckelberghe-Dutzele,  Theorie  compl.  de  la  prononc.  I  260. 

Aptösien,  zu  Apt  gehörig:  Des  voeux  taut  platomques  pour  les 
succis  Slectoraux  des  deux  gloires  de  la  democratie  aptesienne 
(Fig.  8  aoüt  1877). 

Aquitain  aquitanisch.  Ausser  diesem  Adj.  (das  einzige  von  C. 
aufgeführte)  gibt  Sachs  aquäanien  und  aquitainique,  für  welche 
ich  keinerlei  Belege  beizubringen  wUsste.  Littre  gibt  auf- 
fallenderweise weder  ein  Subst.  noch  ein  Adj.  Sachs  fuhrt 
das  sehr  übliche  aquitanique  nicht  auf,  und  fast  muss  man 
vermuten,  dass  sein  aquitainique  nur  ein  Druckfehler  ist, 
worauf  schon  die  den  Lautgesetzen  Hohn  sprechende  Bildung 
verweist.  Les  villes  aquitaniques  (H.  Martin  VIII,  385).  La 
cSte  aquitanique  (ib.  283).  Le  chef  ou  roi  des  Nitiobriges 
amena  au  camp  un  gros  de  cavalerie  gaelique  et  aquitanique 
(ib.  I,  171).  La  rebdlion  aquitanique  (ib.  II,  215).  Les 
milices  aquitaniques  (ib.  II,  316).  Uarmie  aquitanique  (ib. 
200,  202).  Ebenso  anglo- aquitanique y  franco- aquitanique: 
Varmee  anglo  -  aquitanique  (ib.  V  260,  287).  La  suzeraineti 
franco' aquitanique  (ib.  II,  351).  Varmie  franco-aquitanique 
(ib.  II,  330  f.).  Für  aquitain:  Les  seigneurs  aquitain^ 
(ib.  II,  248).  VArvemiey  le  Limousine  le  Querci  et  quelques 
autres  cantons  aquitains  (ib.  II,  4).  Die  Beispiele  für  letzteres 
Wort  sind  nicht  zahlreich  genug,  um  einen  Schluss  zu  er- 
lauben ;  aber  beim  Überblick  kommt  man  zur  Vermutung,  dass 
H.  Martin  der  weiblichen  Form  aquitaine  ausweicht  und  dafür 
aquitanique  verwendet.     Vgl.  bei  Aleman, 


Persotial-  und  Geniüderivaie  im  Neufranzösischen.  115 

Arabique.  Die  Angaben  von  Sachs  stimmen  im  ganzen  mit  dem 
C,  welches  noch  annee  arabique  und  tables  ardbiques  zusetzt. 
Langue  arabique ,  was  Sachs  aufführt,  ist  durchaus  veraltet. 
La  Touche  (L'art  de  bien  parier  fran9ois,  7«  6d.  1760,  II,  363) 
sagt:  Ort  dit  V Arabe  pour  la  langue^  un  mot  Ärabe,  des  carac- 
tlres  Arabes,  Weiterhin  wirft  er  dem  Pfere  Bouhours  vor,  dass 
er  den  Gebrauch  von  arabique  für  die  Sprache  nicht  erwähnt 
habe.  Jetzt  sagt  man  nur  V arabe ^  la  langue  arabe,  aber  les 
langues  arabiques,  wie  das  C.  angibt  und  mit  dem  bei  Abyasin 
bemerkten  Unterschied. 

Araucan  nach  Sachs  (und  C.)  nur  von  der  Sprache,  für  das 
Volk  Araucanien,  Vgl.  Les  Araucans  de  VAmirique  occideniale 
(Paix,  9  sept.   1887). 

Arbosien,  Bewohner  von  Arbois  (CdV.  V,  82). 

Ard^chois^  Bewohner  des  D6p*  de  l'Ard^che:  Les  Ard^chois 
habitant  Paris  sont  insiamment  pries  de  s'y  rendre  (France, 
21  oct.  1878).  Auch  von  über,  Progr.,  Waidenburg,  1885, 
verzeichnet. 

Ardennais^  Bewohner  des  D6p*  des  Ardennes  (CdV.  VIII  185, 
Cceckelberghe-Dutzele  I,  260,  über).  Vgl.  auch  bei  boulenois 
das  Zitat  aus  Fig.  16.  8.  77.  Nach  einer  bei  Stapper's 
(Dictionn.  synopt.  d*6tymol.  fr.  552)  verzeichneten  unhaltbaren 
Annahme  käme  ardoise  (Schiefer)  von  ardois  =  ardenois, 

Armagnacoty  Bewohner  des  Armagnac  (CdV.  VIII,  185).  Ein  altes 
Armignagois  (Anhänger  der  Armagnacs)  ist  im  C.  verzeichnet. 

Armorique  (C.)  als  Nebenform  des  Adj.  armoricain, 

Arnaute,  Arnoute^  Arnaute,  amautisch.  So  bei  Sachs  (im  C. 
nur  erstere  Form).  Vgl.  les  Arnaoutes  (Paganel,  Hist.  de 
Scanderbeg,  introd.  36),  wobei  zu  bemerken  ist,  dass  Paganel 
sich  in  fremdartig  klingenden  oder  geschriebenen  Namens- 
formen gefällt. 

Aryaque»  Nebenform  von  aryen.  Brächet  (Nouv.  gramm.  fr. 
pr6face  18)  zitiert  la  Separation  des  peuples  aryaques  ou  indo- 
europeens.  Nach  Littre  (S.)  wäre  aryaque  um  eine  Stufe  älter 
als  aryen  und  bedeutete  die  gemeinsame  Ursprache  der  Aryer. 
Sachs  thäte  besser,  die  Schreibung  arien  (wie  Littr6)  auf  die 
Bed.  Arianer  zu  beschränken. 

Aspois^  Bewohner  der  vall6e  d'Aspe  (CdV.  VIII  185). 

Astesan^  Bewohner  von  Asti,  aus  Asti  gebürtige  Person:  En 
1268,  le  roi  chassa  tous  le  banquiers  et  changeurs  lombards 
et  cahorsins,  que  n'avait  pas  arretes  texemple  des  Astesans 
(H.  Martin  IV,  286).  Zwölf  Jahre  früher  waren  nämlich  150 
aus  Asti  gebürtige  Bankiers  mit  G Utereinziehung  aus  Frank- 
reich vertrieben  worden. 


116  i%.  Plaiiner, 

Aubagnien.  (Bewohner  von  Aubagne  im  D6p*  des  Bouches-dn- 
Rh6ne.)  Hier,  ä  deux  heures,  left  Meridionaux  venus  ä  Paris 
pour  preter  leur  concours  aux  Fefes  du  Soleil,  donnies  au 
proftt  des  inondes  du  Midi,  les  Aubagniens  en  particulier,  sont 
allis  donner  unc  aubade  ä  la  Soeiete  des  Meridionavx,  6,  boule- 
vard  Poissonnilre  (Paix,  8  janv.  1887). 

Augeron.     Bewohner  der  vall6e  d'Auge  (CdV.  VIII,  185). 

Aunisien.     Bewohner  der  Provinz  Aunis  (ib.). 

Aurillaquois.     Bewohner  von  Aurillac  (ib.  V,  82). 

Autun(n)ois.  Bewohner  von  Autun.  Nach  CdV.  (V,  82). 
AvtunoiSy  Autunais,  Les  chistes  bitumineux  .  .  .  s'exploitent 
surtout  dans  VAutunois  (Cortambert  249). 

Auverpin  (=  Auvergnat),  Unter  der  Form  auberpin:  Elle  a 
faxt  Qaf  —  Pardinej  puisque  le  petit  auberpin  rna  tout  däl 
(Delacour  et  Thiboust,  Paris  qui  dort,  III,  4).  Auverpin 
findet  sich  Übrigens  in  dem  Stück  Avait  pris  femme  le  Sire 
de  Framboisy  (I,  3)  von  denselben  Verfassern. 

Auzonnais,  Bewohner  von  Auxonne  (CdV.  V,  82). 

Avallonais^  nach  CdV.  (V,  82)  Avalonnais, 

Avejrronnais,  Bewohner  des  D6p*  de  TAveyron  (ib.  VIII,  185). 

Avignonais.  Wenigstens  sollte  bei  Sachs  wie  in  andern  Fällen 
ein  zweites  n  eingeklammert  stehen.  Ich  zähle  in  8  Fällen 
avignonnais  (bei  H.  Martin,  Prosper  Merim6e,  Figaro,  France, 
Petit  XIX®  Si^cle),  in  zwei  avignonais  (Augustin  Thierry,  Th. 
Lavallöe). 

Avranchais,  Bewohner  von  Avranches  (CdV.  V,  82). 

Ayranchinais,  Bewohner  des  Avranchin  (CdV.  VIII,  185) 
und  daher 

Ayranchin,  Gebiet,  Umgegend  von  Avranches. 

Bagnerais,  Bewohner  von  Bagnöres  (CdV.  V,  82). 

Bagnolais  (C),  Sekte,  welche  in  der  Stadt  Bagnols  entstand. 

Balkanien^  Balk(h)anique  dem  Balkan  angehörig.  Les  princi- 
paiäes  balkaniennes  (Paix  22  sept.  1885).  Les  Etats  baJ- 
kaniques  (ib.  11  nov.  1885).  Les  provinces  balkaniques  (ib. 
20  sept.  1885).  La  peninsule  balkamque  (Ind^pendance  Beige, 
14  janv.  1886). 

Bar-sur-Aubois  (!),  Bewohner  von  Bar-sur-Aube   (CdV.  V,  82). 

Barrisien,  nach  CdV.  VIII,  185.  Bewohner  der  Landschaft 
Barrois,  Sachs  dafür  Barrois,  So  auch:  La  cavalerie 
barroise  et  lorraine  (H.  Martin,  VI,  187). 

Barrois,  Bewohner  von  Bar-le-Duc  (CdV.  V,  82). 

Bayeusin,  Bewohner  von  Bayeux  (ib.);  dazu  als  Landschafts- 
name le  Bessin  (mit  gleicher  Etymologie  wie.  Bayeux:  lat. 
Bajocasses)  bei  Sachs  und  C. 


PersoncU-  und  Gentilderivale  im  Neu  französischen,  117 

Bazadois  (Sachs  -ais),  Provinz  mit  der  Stadt  Bazas  (lat.  Vasates). 
Die  Form  mit  -ois  habe  ich  bei  H.  Martin  viermal,  die 
mit  -ais  nur  einmal  bei  J.  Vinson  (Revue  critique  1880, 
I  479)  notiert. 

Beaucairien,  Beaucairois.  Ersteres  als  Bewohner  von  Beancaire 
bei  CdV.  V,  82.  La  faire  gut  fut  instituee^  ä  ce  qu^on  pre- 
tendy  par  Raymond  VI,  comte  de  Toulouse,  en  reconnaissance 
du  zele  que  les  Beaucairois  avaient  montri  pour  ses  interets 
pendant  la  guerre  des  Alhigeois  (Quitard,  Dictionn.  des  pro- 
verbes  23).  Ebenso  Us  Beaucairois  bei  A.  Daudet,  Lettres 
de  mon  moulin  16. 

Beauvaisis,  Beauvoisis^  beide  bei  Sachs.  Ersteres  überwiegt 
stark.  Wie  die  Endung  andeutet,  stehen  beide  für  die  Land- 
schaft, dafür  alt  auch  Beauvoisin:  PareiUement  ä  Reims  .  .  . 
et  en  Beauvoisin  (Beauvaisis) ,  les  vilains  se  rebdloient  (H. 
Martin  V,  382),  während  die  entsprechende  neuere  Form 
Beauvaisin  nur  für  die  Bewohner  steht. 

Bedarrez,  Gebiet  von  B^ziers  (lat.  Biterrae).  H.  Martin  IV, 
43,  109.     Vgl.  bei  Sachs  Biterrois, 

Belfortain^  B6fortin^  Bewohner  von  Beifort:  La  population 
bdfortaine  (France,  19  avril  1878,  ebenso  Petit  XIX«  Si^cle, 
18  aoüt  1883).  Die  zweite,  der  gewöhnlichen  Aussprache 
entsprechende  Form  wird  vom  CdV.  V,  82  gegeben. 

Beige.  Zu  den  alten  bei  Sachs  verzeichneten  Adj.  belgeois  und 
helgique  kann  noch  belgicain  gezählt  werden,  von  dem  Vermesse 
(Patois  wallen  24)  sagt:  Ne  se  dif  ä  Lille  qu*en  mauvaise  pari. 

Bellevillois^  Bewohner  von  Belleville,  zu  B.  gehörig:  Le 
comite  qui  paironne,  dans  les  deux  circonscriptions  beUevilloiseSy 
la  candidature  de  M,  Gambetta  .  .  .  (Petit  XIX®  Siecle, 
13  aoüt  1881). 

Bellilois,  Bewohner  von  Belle-Isle-en-Mer.  (CdV.  VIII,  185). 

Bengali  als  Subst.  wird  von  Sachs  nur  auf  die  Sprache  bezogen 
oder  in  der  Zoologie  (Bengalfink)  gebraucht.  Es  tritt  auch 
für  Bengalais  ein:  Le  Bengali  ne  fait  rien  qu^ä  regret  et  avec 
une  Sorte  de  langueur  .  .  .  Nous  n'estimons  pas  qu'il  y  ait, 
dans  toute  Varmee  indiglne  de  la  compagnie,  cent  Bengalis  de 
race  pure  (Macanlay,  trad.  d.  MM.  Joanne  et  Forgues,  bei 
Raffy,  Lectures  d'hist.  de  France,  570). 

Bergamois  (C.)  alt  für  Bergamasque. 

Berrichon  ist  nach  Jaubert  (Patois  du  Centre  I  135)  im  style 
noble  durch  Berruyer  zu  ersetzen.  Berrichon  (Vermesse  203 
schreibt  BSrichon)  ist  in  der  Litteratur  trotzdem  häufig 
(Augustin  Thierry,  George  Sand  u.a.);  H.  Martin  (z.B.  II  74, 
IV  31)  schreibt  nur  les  Berruyers, 


118  Ph.  Ptaiiner, 

BdBSarabe,  bessarabisch:  LaRussie. . .  dddommagerait  pecuniaire- 
ment  la  Roumanie  de  la  perte  du  terrüoire  bessarabe  (France, 
17  mars  1878).     Sachs  hat  nur  bessarabien, 

B6thunoiSy  zu  B^thnne  gehörig:  Le  Petit  Biihunois  Titel  einer 
dort  erscheinenden  Zeitung  (Paix,  29  mars  1888). 

Bigorrais  neben  Bigourdan,  Bewohner  der  Landschaft  Bigorre. 
Sachs  hat  Bigo(u)rdan,  Formen,  die  sich  leicht  belegen  lassen. 

Binchois  der  Stadt  Bindre  in  Belgien  angehörig:  Anteneurementy 
les  confetti  binchois  se  composaient  d^ceufs  frais  (es  ist  vom 
Confettiwerfen  beim  Karneval  die  Rede.  France,  11  mars  1878). 

Biterrois,  Bewohner  von  B^ziers.  Der  CdV.  (V,  82)  gibt  da- 
neben Biterrais. 

Blayais,  Bewohner  von  Blaye  (ib.). 

Bocain,   Bewohner   der  Landschaft  le  Bocage    (ib.  Vill,   185). 

Bohäme  für  Zigeuner:  11  n'y  a  pas  grand  mirite^  voyez-vousy  ä 
itre  une  femme  de  bien  quand  on  a  ete  ilevee  dans  une  fa- 
mille  de  braves  gens  .  .  .  par  une  bonne  mh'e  .  .  .  La  mienne 
Statt  bohhne^  mais  une  vraie  bohhmey  une  igyptienney  qui  jouait 
la  comidie  dans  Us  granges  de  village  (0.  Feuillet,  Seines 
et  prov.  192  f.).  Par  instants,  il  me  semblait  voir  un  de  ces 
campements  fixes  de  Bohemes  arrites  dans  les  grandes  clairieres 
de  la  Valachie  et  vivant,  comme  les  aiseaux,  de  ce  que  leur 
donnent  les  bois  (Souvestre  im  Musöe  frang.  1851,  254). 

Bönais,  zu  B5ne  (Kreisstadt  der  Prov.  Constantine)  gehörig: 
Le  Petit  Bönais,  dort  erscheinende  Zeitung  (Paix,  3  aoüt  1886). 
Sachs  nennt  die  Stadt  Bone,  das  C.  Bone,  Bona.  Nur  die 
Form  mit  Zirkumflex  ist  jetzt  üblich. 

Bonois?  (wohl  ältere  Schreibung  für  beaunois,  wie  sich  auch 
baunois  findet) :  En  1718,  ä  Cologne,  en  Bourgogne  et  Bonois, 
aux  tles  Agares  .  .  .  des  hommes  et  des  bestiaux  furent  tues 
par  la  greü  (Paix,  5  sept.  1886). 

Bordelais.  Zuzufügen  (aus  L.  S.),  dass  bordelaise  1)  ein  in 
Bordeaux  übliches  Fass,  2)  eine  Bordeauxflasche  bedeutet.  — 
Die  ofifenbar  hierhergehörigen  bourdelai(s),  bourdelas,  bourdelat 
(Name  einer  Weintraube),  welche  Sachs  gibt,  fehlen  bei  Littre. 
—  Altere  Form  bourdelois:  Les  lois,  coutumes  et  usances  de 
Bourdeaux  et  Bourdelois,  Bazas  et  Bazadois,  Aqen  et  Agenois 
(H.  Martin  VI,  452). 

Bouju,  Bewohner  des  pays  des  Banges  in  Savoyen  (CdV.  VIII,  185). 

Boulenois^  Boulon(n)ais^)  werden  von  Sachs  ganz  gleichgestellt; 
das    C.    thut    dasselbe,    denn    es    kann    keinen    Unterschied 


*)  Die  Form    mit    nn   ist    ungleich    häufiger,    aber    nur    falsche 
Analogie;  n  wird  im  Derivat  zu  einfachem  n. 


Personal'  und  Geniilderivate  im  Neufranzösischen.  119 

machen,  dass  bei  bottlenois  kurzweg  Boulogney  bei  boulonais 
(sie)  Boulogne-sur-Mer  als  Stammwort  genannt  ist;  es  werden 
sich  kaum  Beispiele  für  ein  anderes  Boulogne  finden.  Ausser^ 
dem  führt  das  C.  Boulonais  oder  Boulenais  (?)  als  Name 
der  in  der  älteren  französischen  Geschichte  so  vielgenannten 
picardischen  Landschaft  an.  —  Die  Formen  houlenois,  boulenais 
(wenn  letztere  vorkommt)  sind  auf  dieses  Gebiet  zu  be- 
schränken: Puis  il  (sc.  Cisar)  revint  sembarquer  au  port 
Itius  (Wissant  en  Boulenots)  (H.  Martin  I,  158).  II  (sc. 
Edouard  III)  marcha  droit  ä  Calais  ä  travers  le  Boulenois 
(ib.  V,  96).  Jusqu'au  traiti  d*Arras,  VAmienois^  le  VermandoM, 
le  Ponthieu,  le  Boulenois  avaient  reconnu  nominalement 
VautoriU  de  Henri  VI  (ib.  VI,  343).  Des  fortifications 
construites  par  les  Anglais  dans  Boulogne  et  le  Boulenois 
(ib.  VllI,  348).  Die  neuere  Form  boulonnais  ist  das  eigent- 
liche Adj.  zu  Boulogne:  II  rCy  a  que  6  %  (sc.  parmi  ces 
chevaux)  de  provenance  berrichonnej  1  %  d^ardennaise,  1  %  de 
boulonnaise  (Fig.  16  aoüt  1877).  Ck  fut  aussitSt  dans  la 
presse  boulonnaise  (B.-sur-Mer)  .  .  .  un  concert  de  plaintes 
et  de  lamentations  (Fr.  Sarcey,  XIX®  Si^cle,  13  sept.  1880). 
Etienne  .  .  .  entra  en  campagne,  en  1137^  avec  ses  mercenatres 
brabangons  et  ses  vassaux  boulonnais  et  normands  (H.  Martin 
III,  424).  Vgl.  endlich  CdV.  V,  82.  Doch  wird  auch  diese 
Form  für  das  Gebiet  gebraucht:  Le  premier  (sc.  corps),  com- 
pos6  des  gens  d' armes  du  Boulonnais  et  du  Ponthieu  (H. 
Martin  III,  118).  II  (sc.  le  duc  de  Gnise)  parcourut  toutes 
les  places  de  frontitre  frangavtCj  depuis  la  Champagne  jusque 
vers  le  Boulonnais  (Mignet,  Charles- Quint  325).  Plus  tard, 
.  le  Boulonnais  forma  un  comte  qui  relevait  du  roi  de  France 
(Petit  XIX«  Si^cle,  19  mars  1881).  —  Als  Ergebnis: 
boulon(n)ais  ist  die  heute  einzig  übliche  Form,  doch  wird  zur 
Bezeichnung  des  Gebiets  in  historischer  Darstellung  die  alter- 
tümliche Form  boulenois  vielfach  bevorzugt. 

Bourbonnais.  Aufifallend  ist,  dass  H.  Martin  (VI,  88)  das  Wort 
mit  nn,  an  einer  anderen  Stelle  (XIII,  138)  mit  einfachem  n 
schreibt.  Für  die  Bewohner  des  Bourbonnais  gibt  CdV. 
VIII,  185)  einzig: 

Bourbonnichon.  Jaubert  (Glossaire  du  Centre,  I  166)  führt 
das  Wort  gleichfalls  an,  verlangt  aber  für  den  style  noble: 
Bourbonnais, 

Bourguignon  wird  von  einzelnen  Historikern,  so  stets  von 
Guizot,  auch  für  die  alten  Burgunder  (Bourgondes)  gebraucht. 
Das  f.  wurde  früher  häufig  mit  einfachem  n  geschrieben. 

Bournaisien,  Bewohner  der  Landschaft  le  Bonrnais  (CdV,  VIII^  185). 


120  Ph.  Piaitner, 

Bray,  Name  eines  Landstrichs  im  D6p^  de  la  Seine -Införieure: 
Goumay-en-Bray,  Ort  nordöstlich  von  Harfleur.  Ein  Be- 
wohner dieses  pays  de  Bray  heisst 

Brayon.    (CdV.  VIII,  185). 

Brayau.     Bewohner  der  Landschaft  la  Limagne  (ib.  186). 

Brenil,  Name  einer  Landschaft:  La  Roche- en-Brenü  (Paix, 
9  janv.  1886). 

Brasilien.  Die  Form  brasUien  findet  sich  bei  Buffon  ((Euvres 
compl.  III  265,  (Euvres  choisies  II,  251):  II  itaU  plus  aise 
d^en  appeler  un  autre  (sc.  animal)  renard  amdricain^  que  de 
Im  conserver  son  nom  hrasilien  tamandua-guacu. 

BrianQOnnais.     Dafttr  CdV.  V  82  hriangonnois, 

Brivadois,  Bewohner  von  Brioude  (CdV.  V  82). 

Brugeois,  alt  hmgelin  (C). 

Brüxellois  im  Patois  Brussdaire  (Vermesse  106). 

Bugeysien^  zu  Bngey  gehörig:  De  Ms  nombreuses  et  tres  im- 
portantes  commandes  mennent  cPetre  adressSes  ä  notre  fahrique 
hugeysienne  d' Stoffes  de  sote  (France,  11  juill.  1878).  Die 
Wörterbücher  kennen  nur  le  Bugey,  eine  Landschaft  westlich 
von  dem  an  der  Genfer  Grenze  gelegenen  Pays  de  Gex  im 
D6p*  de  l'Ain.  Nach  dem  weiteren  Wortlaut  des  angezogenen 
Artikels  muss  auch  ein  Ort  Bugey  existieren:  Des  ordres 
pressants  ont  iti  donnis  par  les  chefs  de  maisons  de  Lyon  ä 
leurs  reprisentants  de  Bugey  .... 

Bulgarien  ist  zugunsten  von  huLgare^  le  Bulgare  so  gut  wie  auf- 
gegeben. 

Burgonde^  Burgondion,  Burgunder  Burgundion  (es  ist  kein 

Grund  vorhanden,  diese  Wörter  nur  im  Plur.  aufzuführen, 
wie  Sachs  thut);  die  erste  Form  kann  als  die  jetzt  vor- 
herrschende für  die  Bezeichnung  dieses  germanischen  Volks- 
stammes gelten.  Auch  le  hurgonde  för  die  Sprache:  II  n'y  avait 
point  au  cinquihne  siecle  de  langue  allemandeuniformSj  mais  autant 
de  dialectes  divers  (le  francique^  le  hurgonde,  le  gothique,  etc) 
que  de  trihus  envahissantes  (Brächet,  Gramm,  bist.  29). 

Burgondien^  Adj.  zu  dem  vorigen  neben  hurgonde:  Ije  chef 
hurgonde  pouvait  aspirer  au  röle  de  Rikimer  (H.  Martin  I, 
394).  Seconde  par  Godeghisel  et  par  un  parti  hurgondien  et 
gallo-romain,  ü  (sc.  Gondehald)  vainquit  Hilperic  et  Godomar 
(ib.).  II  (sc.  Ecdidus)  avait  envoyS  ses  serviteurs,  ses  ckevaux 
et  ses  chariots  parcourir  les  cites  hurgondiennes  voisines  de 
VArvernie  (ib.  395).  Es  mag  bemerkt  werden,  dass  das  Land 
an  den  gleichen  Stellen  la  Burgondie  genannt  wird. 

Byzantin.  Oft  auch  hysantin  geschrieben  (so  z.  B.  von  Prosper 
M6rim6e).     Vgl.  Sarrazin  neben  dem  üblichen  sarrasin. 


Personal-  und  Gentüderivtüe  im  ^eufranzösischen.  121 

Gaeil(ll)ais,  caönois  stellt  Sachs,  caennais,  caennois  stellt  der 
CdV.  (V,  82)  neben  einander;  C.  hat  nur  caenais.  Ich  habe 
nur  caennais  notiert  (Le  Drapeau,  26  sept.  1885). 

Gadurcien^  cahors(a)in  bei  Sachs;  cahorsin,  cadura'en  bei  dem 
CdV.  (V,  82).  Cahorsin  scheint  das  üblichste.  Zuzufügen 
ist  cahorsin  (=  hanquier,  usurier):  Ij  exploüation  de  la  banque 
et  de  Vusure  passa  des  juifs  ä  une  classe  de  banquiers  appelis 
cahorsins,  parce  que  les  habitants  de  Cahors  s'dtaient,  les 
Premiers  entre  les  chritiens,  adonnis  au  commerce  de  banque 
pour  le  Service  de  la  cour  de  Borne  (H.  Martin  IV,  256). 
Vgl.  auch  bei  Astesan.  Im  C.  steht  diese  Bedeutung  unter 
der  Form  caordn  (=  Geldwechsler  italienischer  Abkunft) 
verzeichnet. 

Gairote^  Bewohner  von  le  Caire:  Les  Alexandrins  fuyani  le  cholera 
viennent  id;  et  les  Cairotes  les  y  regoivent  sans  difficuUe 
(Petit  XIX«  Si^cle,  23  aoüt  1883). 

Galabrais  ist  jetzt  die  üblichste  Form;  H.  Martin  (z.  B.  IV  119,  320) 
gebraucht  caldbrois, 

Galaisis^  das  Gebiet  von  Calais:  Le  Calaisis  ou  comte  d^Oie 
(H.  Martin  VIII,-  462).  Des  Conferences  pour  la  paix  s^etaient 
ouvertes  ä  Marcq^  dans  le  Calaisis  (ib.  440).  Dls  lors  (1558), 
le  Calaisis  j  reuni  au  comte  de  Guines,  prit  le  titre  de  pays 
reconquis  (Petit  XIX«  Siecle.  6  fevrier  1881). 

Galaisien^  Bewohner  von  Calais;  CdV.  V,  82  gibt  auch  caUsien, 

Gamarguais,  Bewohner  des  Landstriches  La  Camargue  (CdV. 
VIII,  185). 

Gambodgien^  zu  Cambodge  (-dje)  gehörig:  Dans  tous  les  cas 
oü  il  ny  a  pas  de  sujets  cambodgiens  en  cause  (Petit  XIX®  Sifecle, 
3  mars  1881).  La  mission  cambodgienne  (Paix,  10  nov.  1885). 
Les  Cambodgiens  (Cortambert,  510).    Auch  von  über  bemerkt. 

Gambraisien.  Sachs  führt  die  Nebenform  cambrisien  (C:  vieux 
langage),  aber  nicht  cambrisien  auf:  Le  cambrelot  ou  cam- 
bresien  se  parle  dans  le  Cambresis  {Verme^Be,  intr.  16).  Auch 
von  CdV.  V,  82  bemerkt.  Cambrelot  ist  also  eine  populäre 
Nebenform,  die  vielleicht  nur  von  der  Sprache  gebraucht  wird. 

Gambr^sis^  Gebiet  vom  Cambrai;  daneben  Cambraisis  (H.  Martin 
I,  410),  Cambresis  (ib.  VIII,  429),  vgl.  auch  cambraisien. 
Die  Form  cambresis  fuhrt  Sachs  nur  in  Chdteau- Cambresis 
auf,  welches  in  dieser  Form  jedenfalls  ungewöhnlich  ist.  Der 
Ort  heisst  le  Cdteau- Cambrisis  oder  le  Cdteau  (C),  le  Cateau- 
Cambresis  (Cortambert,  267);  la  paix  glorieuse  de  Cateau- 
Cambresis  (Voltaire,  ed.  du  centenaire  526);  le  congr^s  se 
rouvrit,  au  Cateau  -  Cambresis  (H.  Martin  VIII,  475);  iraüi 
du  Cateau- Cambresis  (ib.  XVII,  111).     Die  Qualität  des  e  ist 


122  Ph,  PiaUne9\ 

also  sehr  schwankend;  aber  jedenfalls  ist  das  pikardische  c 
für  ch  beizubehalten  und  am  besten  behält  man  auch  den 
Artikel  bei,  wogegen  der  Zirkumflex  wegfällt.  Vgl.  auch 
catisi^en. 

Gambridgien,  Bewohner  (Studenten)  von  Cambridge:  Au  con- 
traire,  grdce  ä  leur  famüiaritS  intime  avec  Vantiquite,  les 
Cambridgiens  ont  su  mettre  ce  denouement  de  la  tragedie  dans 
un  relief  st  saisissant  .  .  .  (XIX®  Si^cle,   14  d6c.  1882). 

Cantalien*  Bewohner  des  D6p*  du  Cantal  (CdV.  VUI,  185). 

GantonaiSy  zu  Canton  gehörig.  Dafür  mir  nur  die  Form  mit  nn 
bekannt:  Cantonnais  (Coeckelberghe -  Dutzele,  I,  259),  U  Can- 
tonnais  (Name  eines  Schiffes.     Paix,  25  avril  1886). 

Garcassez,  Gebiet  von  Carcassonne:  le  Carcassez  (H.  Martin 
IV,  43,  III  230).     Nach  dem  C.  dafttr  auch  Carcassois. 

Garch^onien,  zu  Carch^don  gehörig  (C). 

Garladez,  Gebiet  von  Oarlat  im  jetzigen  D6p^  du  Cantal. 
Vic-en-Carlades  (nordöstlich  von  Aurillac),  auch  auf  Karten 
Vic-en-CartaUz  oder  Vic-sur-Chre  genannt.  Carlat  ist  ein 
ganz  unbedeutender  Ort  südöstlich  von  Aurillac. 

Garrörois^  Garröriste.  Bewohner  von  Carrieres,  Dorf  zwischen 
Paris  und  Saint-Germain-en-Laye :  Je  connais  les  Carrerois  ou 
les  Carriristes;  ce  sont  des  gens  trop  respectueux  de  la  pro- 
priete  d'autrui  pour  tremper  leurs  mains  dans  le  vol  (Fr. 
Sarcey,  XIX«  Sifecle,  26  mai  1880).  Die  zweite  Form  ist 
offenbar  nur  scherzhafte  Bildung. 

Gastrais,  Bewohner  von  Castres  (CdV.  V,  82). 

Gatesien^  zu  le  Cateau  (vgl.  camhrisis)  gehörig:  TJne  grh)e  vient 
de  ce  diclarer  au  Cateau^  dans  le  tisssage  de  la  societe 
catesienne  (France,  8  f6vr.  1879). 

Gaucasien^  caucasique.  Das  zweite  Wort  bezeichnet  Sachs 
als  selten.  Littrö  gibt  im  Wörterbuch  nur  race  caucasienne 
(=  race  blanche),  im  S.  dagegen  race  caucasique  (=  race 
indo-europSenne).  Das  C.  hat  race  caucasique  ou  caucasienne, 
Cortambert  sagt:  La  race  blanche  s*appelle  aussi  caucasique 
(34).  Ces  cavaliers  .  .  .  dont  Vaspect  provoquait  une  question 
relative  ä  leur  origine  semitique^  caucasique  ou  ethiopienne 
(Temps,  30  dec.  1879).  Le  type  caucasique  (France,  9  sept. 
1878).  Les  hommes  du  type  caucasique  ou  mediterraneen 
(CaucasienSy  Basques,  SSmites,  Indo  -  Germains)  (ib.)  Und 
ebenda  sogar  als  Subst.:  En  outre,  chez  le  caucasique  ^  le 
visage  est  droit  et  deforme  ovale,  plus  large  vers  le  haut  que 
vers  le  bas.  Endlich  sagt  die  Akademie  (1878;  1835  fehlte 
das  Wort):  La  race  caucasique  ...  On  dit  aussi:  La  race 
caucasienne.     Eigene  Belege  für  letzteres  fehlen  mir. 


Personal-  und  Geniüderivate  im  Neufranzösischen,  123. 

Gauserans^  le,  ein  Teil  der  Gascogne  (C.  Gascogne). 

Gerdanyol,  Bewohner  von  la  Cerdagne  (CdV,  VIII,  185). 

Ges6nate,  Adj.  zu  C6s6ne  (C). 

Gettois.     Bewohner  von  Cette.     (CdV.  V,  82). 

Ghabanais,  von  Coeckelberghe-Dutzele  (I  260)  ohne  weitere 
Angabe  als  chef-Ueu  de  canton  aufgeführt. 

Ghälonnais  wird  meist  (wie  bei  Sachs)  sowohl  als  Adj.  zu 
Chälons-sur-Marhe  wie  zu  Chalon  (-sur-Saöne)  betrachtet.  Für 
letzteres  ist  besser  chalonnais  (Cortambert  335),  obwohl  es 
auch  für  die  erstere  Stadt  steht,  so  Petit  Journal  (10  avril 
1884),  offenbar  fehlerhaft  (in  demselben  Artikel  steht  auch 
Chalon-sur-Marne,  was  unter  allen  Umständen  unrichtig  ist). 
CdV.  (V,  82)  gibt  Chalonnais  oder  Chdlonnois  für  Bewohner 
von  Chälons,  ohne  zu  bemerken,  welchen  Zusammenhang  der 
Cirkumflex  mit  der  Endung  haben  soll.  Die  Form  auf  -ois 
ist  mir  weiter  nicht  vorgekommen. 

Ghalossin,  Bewohner  von  le  Chalosse  (CdV.  VIII,  185). 

Ghampenois ,  Bewohner  der  Champagne,  dagegen  champagneux 
Bewohner  der  Champagne  im  Berry  (Jaubert,  Patois  du 
Centre  I,  224). 

Ghanan^n  wird  von  Sachs  mit  cananeen  als  Adj.  zu  Cana 
gleichgestellt.  Nach  dem  C.  gehört  es  zu  Chanaan;  dabei 
wird  eine  Warnung  vor  Verwechselung  aus  dem  Dictionn.  de 
Trevoux  angeführt. 

Ghäteauduneois,  Bewohner  von  Chäteaudun  (CdV.  V,  82), 
Vgl.  Dunois. 

Ghäteaulinais^  zu  Chäteaulin  gehörig:  Äu  fond  de  Vhorizon  .  .  . 
on  apercevait  Ja  Ugne  dicoupee  des  maigres  vignöbles  chäteau- 
linais  (Jules  Mary,  XIX«  Siecle,  16  oct.  1880). 

Ghätillonnais,  Bewohner  von  Chätillon  (CdV.  V,  82). 

Cherbourgeois,  Bewohner  von  Cherbourg  (ib.). 

Chiojote.  Bewohner  von  Chioggia:  Tels  sonL  d  peu  de  chose 
pres  que  foublie  peut-etre,  les  pecheurs  venitiens;  les  Chiojotes 
sont  beaucoup  plus  braves  (A.  de  Musset,  682). 

Cisgang^tique,  diesseits  des  Ganges  gelegen  (Stappers,  557). 

Clazom^nien^  zu  Clazom^ne  gehörig  (C). 

Clermontais^  Glermontois^  zu  Clermont  (Ferrand)  gehörig  (Sachs). 
Clermontais  Bewohner  von  Clermont-Ferrand  (CdV.  V,  82).  Ich 
kenne  nur  die  Form  auf  -ois,  La  societe  clermontoise  (Fig. 
5  avril  1877).  Nous  croyons  hon  toutefois  de  puhlier  Vextraordi- 
naire  proclamation  adressee  aux  Clemwntout  par  les  organisateurs 
dela  manifestation  (Paix,  24  mars  1888).  Entscheidend  ist  wohl, 
dass  in  Clermont-Ferrand  eine  Zeitung  mit  dem  Titel  le  Petit 
Clermontois  erscheint  (Paix,  5  juillet  1885,  25  juillet  1886). 


124  Ph.  JPtaUner, 

Glissonnais,  Bewohner  von  Glisson  (CdV.  V,  82). 

Glunisien,  zu  Cluny  gehörig  (L.  S.). 

Golmarien.  Bewohner  von  Colmar:  Bonne  nuit  ä  toits  mes  eher 8 
Colmariens  (J.D.,  Le  Fran^ais  alsacien,  132).  Auch  CdV.  V,82. 

Golonais^  Adj.  zu  Cologne  (Coeckelberghe-Dutzele  I,  259). 

Golum^rien,  Bewohner  von  Coulommiers  (CdV.  V,  82). 

Gommingeois.  Bewohner  von  Comminges  (CdV.  VIII,  185). 
Auch  le  Commingeois  für  das  Gebiet  (J.  Vinson,  Revue  crit. 
1880,  I,  479). 

Gomtadin,  Bewohner  des  Comtat-Venaissin.  Neben  diesem  Wort 
gibt  CdV.  VIII,  185  auch  Venaissinois,    Vgl.  Sachs  venaissin, 

Gomtois  für  frane-comtois  wird  auch  von  H.  Martin  hänfig  ge- 
braucht. 

GongolaiSy  dem  Congo  angehörig,  scheint  congois,  congolan  zu 
verdrängen:  Les  Conferences  congolaises  war  1886  in  der 
Indipendance  Beige  eine  stehende  Rubrik  (z.  B.  24  janv., 
27,  28  fevr.,  13  mars). 

Gordouan,  Adj.  zu  Cordoue  (Cordova  in  Spanien),  dagegen 
Cordoves  zu  Cordova(8)  in  Argentinien:  Uarrivee  du  con- 
ducteur  de  chariots  semblait  Stre  pour  la  veuve  et  sa  fiUe  un 
evenement  de  grande  importance;  le  jeune  Cordoves  en  voulait 
ä  cdui'ci  de  ce  qu^on  eüt  fait  tant  de  frais  pour  le  recevoir 
(Th.  Pavie  in  Mus6e  fran9.  1851,  111  f.). 

Gomouaillads^  Bewohner  von  la  Comouaille   (CdV.  VllI,  185). 

Gorr^zien,  Bewohner  des  Departement  de  la  Corr6ze  (CdV. 
VIII,  185).     Auch  von  über  bemerkt. 

Gorsique  für  corse  noch  in  einer  neueren  Schrift:  Ils  (sc.  les 
pirateB  espagnols)  allerent  se  jeter  sur  les  plages  corsiques 
(Haur^au,  Charlemagne  et  sa  cour,  4®  ed.  1877,  p.  190). 

Gorsican  für  corse:  Tout  ce  que  je  sais  c'est  que  le  Souvenir  de 
cette  majeste  corsicane  (d.  h.  aus  Korsika  stammend)  s'est 
perpitue  en  Corse,  jusqu'ä  nos  jours,  d  Corhara  notammenty 
oü  les  Franceschini  sont  encore  designes  aujourd'hui  sous  le 
nom  de  ^^amüle  delle  Turche^^.  (Paix,  13  juillet  1885.  Es 
handelt  sich  um  eine  imperatrice  Davia  du  Maroc  aus  der 
korsischen  Familie  Franceschini.) 

Gortinois,  Bewohner  von  Corte  auf  Corsika:  Les  Cortinois,  pre- 
nant  fait  et  cause  pour  leur  camaradSj  se  sont  armes  ä  levr 
tour  (Petit  XIX«  Siöcle,  24  juillet  1881). 

Gosentin,  zu  Cosenza  gehörig  (C.) 

Gotentinois^  Bewohner  des  Cotentin  (CdV.  VIII,  185).  Da  aber 
Cotentin  Adj.  zu  Contances  ist  (Gebiet  von  Coutances),  so 
mttsste  Coientinois  auch  Bewohner  von  Coutances  bedeuten 
können.     Vgl.  coutangais. 


Personal-  und  GeniüderivaU  im  Neufranzösischen.  125 

Courbevoisien,  Bewohner  von  Courbevoie  (C,  CdV.  V,  82). 
Sachs  schreibt  Courbevoye. 

CoutaiLQais^  Bewohner  von  Coutances  (CdV.  V,  82), 

Grimmen,  zur  Crim^e  gehörig:  La  CrtmSenne  (ein  Miiitärmarsch. 
Paix,  26  d6c.  1885). 

Croisicais^  Bewohner  von  Croisic  (CdV.  V,  82). 

Gubanais  neben  cuhain  (zu  Cuba  gehörig)  findet  sich  wohl  nur 
in  Wörterbüchern. 

Gum^n  gehört  (nach  C.)  zu  Cumes  en  Italic,  dagegen  cuman 
zu  Cumes  en  l^olide  als  Adj. 

Gyngalais^  (nicht  cingalais),  ist  Littr^'s  Schreibart.^)  Er  ver- 
zeichnet daneben  ceylanais, 

Damasquin,  Bewohner  von  Damas:  Seuls  parmi  les  Orientaux, 
les  Damasquins  nourrissent  de  plus  en  plus  la  haine  religieuse 
et  rhorreur  du  nom  et  du  costume  europiens  (Lamartine,  V, 
en  Or.  161).     Sachs  hat  nur  Damaschie, 

Dignois,  Bewohner  von  Digne  (CdV.  V,  72). 

Dinanais,  auch  dinannais  zu  Dinan  gehörig:  V  Union  mahuine 
et  dinannaise  (eine  Zeitung  von  Saint-Malo  oder  Dinan.  Paix, 
7  mai  1885).  Dinannais  auch  im  CdV.  V,  82.  Sachs  hat 
nur  dinandois, 

Dodon,  Landschaft  in  der  Nordwestecke  des  Departement  de 
la  Haute  -  Garonne.  Le  juge  de  paix  de  Lisle-en-Dodon  se 
renditpr?.s  de  luipour  recevoir  sa  declaration  (Paix,  7janv.  1886). 

Dolois,  Bewohner  von  Dol  (CdV.  V,  82).  Der  Name  dieser 
Stadt  (Departement  dllle-et-Vilaine)  fehlt  bei  Sachs. 

Dölois,  Bewohner  von  D61e  (CdV.  V,  82). 

Doi\jon  bezeichnet  zugleich  das  Gebiet  der  Stadt  le  Donjon 
(Departement  de  TAllier);  Neuilly-en- Donjon  (Paix,  6  d6- 
cembre  1885). 

Dorien  heisst  auch  Bewohner  der  vall^e  de  la  Dore  (CdV. 
VIII,  185). 

Douisien  im  Patois  für  douaisien  (Vermesse,  202). 

Doublaud^  Bewohner  der  Landschaft  la  Double  im  Departement 
de  la  Dordogne  (CdV.  VIII,  186). 

Draguignanais^  Bewohner  von  Draguignan  (CdV.  V,  82). 

Dulcignote,  Bewohner  von  Dulcigno  (montenegrinische  Küsten- 
stadt): Les  Dulcignotes  sont  sortis  de  cette  entrevue  plus 
ohstines  que  jamais  (XIX®  Siöcle,  28  septembre  1880). 

Dunois^  Bewohner  von  Chäteaudun:  Le  marickal  de  Mac-Mahon 
est  assure  de  rceevoir  un  excellent  accueü  des  Dunois  (Figaro, 
15  sept.  1877).      Puis,   venaient   la  fanfare   du  rigimeat  et 


^)  Man  findet  auch  cynghalais. 


126  Ph.  Ratiner, 

V  Union  dunoise  gut  faisaient  entendre  une  marche  de  circon- 
stance  (XIX®  Si^cle,  25  oct.  1880).  Apr^s  /.a  retraite  des 
vaillants  dSfenseurs  de  la  dti  dunoise  (Paix,  22  oct.  1886). 
Le  duc  austrasien  Gonthramn-Bose  armait  les  populations 
de  la  Touraine  et  du  pays  de  Dunois  contre  Theodebert 
(H.  Martin  II,  54) ,  womit  der  geographischen  Lage  nach 
nur  das  Gebiet  von  Chäteaudun  gemeint  sein  kann.  Sicher 
aber  ist  dunois  weit  häufiger  als  chdteaudnnois  (vgl.  dieses). 

Dunoison,  Bewohner  der  Landschaft  le  Dunois  (Departement 
d'Eure-et-Loir)i)  nach  CdV.  VIII,  186.  Wegen  des  Anklangs 
an  oison  kann  das  Wort  unmöglich  anders  als  scherzhaft  ge- 
braucht werden,  vgl.  Seine- et- Oispn, 

Dyonisien,  zu  Saint- Denis  gehörig:  Ijes  Flohertistes  dyonisiens 
(Paix,  11  juin  1886). 

Eausan  (auch  Ausan),  das  Gebiet  von  Eauze  (C). 

Edessien^  Bewohner  von  Edesse  (Michaud,  V^  Croisade,  edition 
Lamprecht  85). 

Eg^en,  zu  mer  Eg^e  gehörig:  Le  littoral  £geen  (Paganel, 
Scanderbeg,  introd.  40). 

Embrunois,  Bewohner  von  Embrun  (CdV.  V,  82).  Sachs  hat 
nur  Emhrunaisj  Gebiet  von  E. 

Emporitain,  zu  Empories  gehörig  (C). 

£pidaurien,  zu  ^pidaure  gehörig  (C.). 

Erymanthien,  zum  Erymanthe  gehörig:  Le  sanglier  Srymanthien 
neben  le  sanglier  d'Erymanfhe  (C). 

Eudois,  zu  Eu  gehörig,  Bewohner  von  Eu  (CdV.  V,  82).  Le 
Messager Eudois  eine  dort  erscheinende  Zeitung  (XIX®  Si6cle, 
9  janv.  1883).     Sachs:  eusiois,  ebenso  C. 

Eugllbin(es).     Das  C.  hat  die  Nebenform  eugubin, 

Euphrat^sien,  zum  Euphrate  gehörig;  das  C.  hat  nur  euphratense, 

Euscare  baskisch:  La  langue  euscare  (H.  Martin  II,  100,  272, 
359).     Vgl.  Sachs:  Veuskara. 

Euske  bei  Sachs  nur  Subst.  Vgl.  la  race  euske  (euskarische, 
baskische  Rasse,  H.  Martin,  II,  75). 

Exddolien,  Bewohner  von  Excideuil  (CdV.  V,  82). 

Falaisien,  Bewohner  von  Falaise  (ib.). 

Falisque^  zu  Faleries  gehörig  (C). 

Faudgneran.     Bewohner  von  le  Faucigny  (CdV.  VIII,  186). 

F^ringeois.  Bewohner  der  iles  Feroe  (Privat-Deschanel,  Dictionn. 
g6n.  des  sciences,  I,  850). 

Ferrarais  verdient  vor  ferrarois  den  Vorzug. 


1)  In  welchem  Chäteaudun   liegt.     Also   zugleich   Beweis   fiir  die 
vorausgehende  Stelle. 


Personal-  und  Gentüderivate  im  Neu  französischen.  127 

Fertois.  Bewohner  von  la  Fert6-Bernard  (CdV.  V,  82).  Müsste 
auch  zu  den  übrigen  Orten  gleichen  Namens  bezogen  werden 
können. 

Fezensac  als  Ortsname  fehlt  bei  Sachs.  Das  0.  gibt  le  comte 
de  FezensaCy  aber  le  vicoTnti  de  Fezensague.  Bei  Mignet 
(Etudes  hist.  249)  ist  le  Fezensac,  le  Fezensaget  gebraucht: 
11  (sc.  Louis  XI)  confisqua,  en  147 3 ^  sur  la  maison  des 
Armagnacs  .  .  .  VArmagnac,  le  PardiaCy  VAstarac,  le  Fezensac, 
le  Fezensaget,  le  Eouergue. 

Fid^nate,  zu  Fidenes  gehörig  (C). 

Fiunois,  bei  H.  Martin  (11,  425)  Zc«  Finnois, 

Fiumorbais.     Bewohner  von  le  Fiumorbo  (CdV.  VIII,  186). 

Floridien,  zu  la  Floride  gehörig:  Des  grues  floridiennes  (Chateau- 
briand bei  Vinet,  chrestom.  249). 

Forez  ist  das  Gebiet  von  Feurs  (Cortambert,  291),  die  Endung 
-ez  steht  der  im  Norden  üblichen  -is  und  der  modern-  und 
gemeinfranzösischen  Endung  -ais  für  Gebietsnamen  gleich. 
Forez  ist  also  ein  substantiviertes  Adjektiv,  nähert  sich  aber 
dem  wirklichen  Ländernamen  (Substantiv),  wie  les  montagnes 
de  Forez  (Sainte-Beuve,  Nouv.  galerie,  236)  zeigt,  denn  bei 
Wörtern  auf  -is,  -ais  könnte  der  Artikel  in  diesem  Falle 
nicht  fehlen. 

Forezien^    zum    Forez    gehörig.      Ich    kenne    nur    Formen    mit* 
Accent    (foreziev,   foresien):    Des    bourgs   lyonnais,   foreziens, 
hrefisans  (H.  Martin  III,  236).     Der  CdV.  (I,  14,  VIII,   186) 
und  das  C.  schreiben  foresien, 

Forlivois,  zu  Forli  gehtirig  (Coeckelberghe-Dutzele,  I,  261). 

Franc  fränkisch.  Sachs  führt  noch  (s.  v.  V)  franque  als  allein- 
stehende Form  auf.  Franc,  franque  (l.  fränkisch,  2.  abend- 
ländisch, 3.  levantiuisch)  hätte  doch  niemals  ein  f.  franche 
haben  können.  In  der  Bed.  fränkisch  setzt  man  jetzt  meist 
frank,  franke  (H.  Martin  kennt  nur  diese  Form):  Les  tribus 
frankes  (Aug.  Thierry,  Conquete  de  TAnglet.  I,  35).  La 
conquete  franke  (Brächet,  Gramm,  hist.  22).  Selten  francique: 
R  (sc.  Posthumius)  avait  composi  son  armee  en  grande  partie 
de  troupes  gauloises  et  franciques  (Michelet,  Pr^cis  I,  57). 
Letzteres  Wort  bezeichnet  nur  noch  „fränkische  Sprache, 
fränkischen  Dialekt.^ 

Francon,  f.  -onne  gibt  das  C.  neben  franconien. 

Fraaenbourgeois.  Bewohner  von  Frauenburg  (Petit  XIX®  Si^cle, 
8  aoüt   1881). 

Frioulain,  le,  das  Gebiet  von  Frioul  (Cahiers  d'une  616ve  de 
Saint-Denis  XII,  233).     Sachs:  frioulien,  forlan, 

Gabinien  (zu  Gabies  gehörig)  gibt  das  C.  neben  gdbien. 


128  Ph.  Plaiiner, 

Galicien  gehört  sowohl  zu  Galice  (Spanien)  wie  zu  Galicie  (Öster- 
reich),  in  letzterer  Verwendung  auch  gallicien  (wie  Gallicie). 

Gallowien.    Bewohner  von  Galloway  (Marnier,  Robert  Bruce  93). 

Gandin,  zu  Gand  gehörig:  Cette  population  brugeoise  et  gandine 
(Fig.  21  mars  1877). 

GapenQais,  nach  dem  CdV.  V,  82  Gapengois  (Gapencois  ist 
Druckfehler),  ebenso  C.  Ich  kann  nur  -ais  nachweisen,  was 
Sachs  auch  nur  bietet. 

Garonniens,  les,  altes  Volk  an  der  Garonne  (C). 

Gfttinais,  sonst  nur  Name  einer  Landschaft  in  den  Provinzen  Ile-de- 
France  und  Orl6anais,  wird  von  CdV.  VIII,  186  als  Bewohner 
von  la  Gätine  (Landstrich  im  Dep*  des  Deux-S6vres)  gegeben. 

Gastinaisan.     Bewohner  von  Le  Gätinais  (CdV.  VIII,  186). 

G^rosien,  zu  Gedrosie  gehörig  (C). 

G^ras^nien,  zu  G^rase  gehörig  (C). 

Gergithien,  zu  Gergis  gehörig  (C). 

Germain,  germanique.  Wie  unterscheiden  sich  beide  Wörter, 
'  von  denen  das  erstere  immer  noch  im  Wörterbuch  der 
Akademie  fehlt?  Littre  erklärt:  Germain^  qui  appartient  ä 
la  Germanie;  germanique  j  qui  appartient  aux  Germains, 
Damit  kommt  man  nicht  weit.  Sachs  erklärt:  Germain  ne 
se  dit  que  des  anciens  Allemands;  germanique  se  dit  de  toute 
la  famille  des  p&iiples  appartenant  ä  cette  branche  des  Indo- 
Europeens,  Das  ist  richtig  und  stimmt  zu  der  Unterscheidung 
von  abyssin,  abyssinique,  arabe  und  arabique,  Les  langues 
germaniques  und  ähnliches  sind  also  stehende  Ausdrücke. 
Zufügen  kann  man,  dass  nur  germanique  von  mittleren  und 
neueren  Zeiten  gebraucht  werden  kann.  Daher  Vempire 
germanique^  la  Constitution  germanique,  le  corps  germanique, 
le  droit  germanique  und  so  noch  für  die  neueste  Zeit  Varmee 
germanique:  Visconti- Venosta  avoit  stipule  une  esplcc  de  traite 
secrety  le  mois  de  mai,  par  lequel  Varmie  italienne  devait  opirer 
une  diver sion  sur  les  flancs  de  Varmee  germanique,  du  cSte  de 
Dijon  ou  vers  le  lac  de  Constance  (France,  18  janv.  1878). 
Ebenso:  Je  mentionnai  la  proposition  faite  par  M,  Gasparin 
dans  les  feuilles  suisses  pour  la  neutralisation  de  VAlsace  et 
de  la  Lorraine  Germanique  (Fig.  31  oct.  1876).  Endlich  ist 
nur  germain  Adj.  und  Subst.  zugleich,  germanique  dagegen 
lediglich  Adj.  (abgesehen  von  dem  Ausdruck  der  alten  Geo- 
graphie la  Germanique^)  premilre  u.  s.  w.  sowie  dem  Namen 
Louis  le  Germanique), 

Wie    verhalten    sich    germain    und    germanique    also    in 


^)  Wofür  H.  Martin  ausschliesslich  la  Germanie  gebraucht. 


Personal'  und  GentÜderivaie  im  Neu  französischen.  129 

adjektivischer  Verwendung  zu  einander?  Da  die  weibliche 
Form  des  ersteren  sehr  häufig  ist,  kann  von  dem  bei  aquitain 
und  vielleicht  auch  bei  alleman  vermuteten  Unterschied  nicht 
die  Rede  sein. 

1.  Wo  es  sich  um  Personen  handelt,  ist  nur  germain 
das  richtige  Wort:  Les  chritiens  germains  (H.  Martin,  II, 
259).  Les  rehelles  germains  (ib.  II,  219).  Les  seigneurs 
germains  (ib.  II,  542).  Plusieurs  chefs  germains  {ih.  I,  319). 
Les  Scabini  germains  (ib.  I,  249).  Les  conquirants  germains 
(ib.  II,  63).  Les  courses  des  harbares  germains  (ib.  II,  200). 
Les  vassaux  germains  (ib.  II,  270).  Les  leudes  franco- 
germains  (ib.  II,  210).     Les  auxiliaires  germains  (ib.  I,  312). 

2.  Bei  Kollektivbegriffen,  mögen  dieselben  auch  nur 
Personen  umfassen  können,  treten  beide  Wörter  auf:  Les 
peuples  germains  (Lavall6e  I,  139).  ün  peuple  germain  (H. 
Martin  I,  319).  Tous  les  peuples  germains  (ib.  320).  Les 
peuples  germaniques  (Guizot,  Civ.  en  Fr.  I,  210,  ebenso  Acad.). 
Les  peuplades  germaniques  (Guizot,  Civ.  en  Fr.  I,  188). 
Ches  les  peuples  germaniques,  comme  chez  les  peuples  ceUiques 
(H.  Martin  II,  215).  La  race  germanique  (Lavall6e  I,  49). 
USUment  germanique  (Guizot,  Civ.  en  Fr.  I,  180).  Ijes  tribus 
germaines  (Brächet,  Gramm,  bist.  30;  Lavall^e  I,  319;  Guizot, 
Civ.  en  Fr.  I,  189,  183).  La  bände  germaine  (ib.  221). 
Les  bandes  germaniques  (H.  Martin,  I,  306,  II,  15,  II,  21) 
Les  ligions  fr anco- germaniques  (ib.  II,  215).  Les  masses 
austro  -  germaniques  (ib.  II,  252).  Varmde  italo- germanique 
(ib.  II,  .326).  La  sociiti  germaine  (Guizot,  Civ.  en  Fr.  I, 
218,  188).  La  sociiti  germanique  (ib.  I.  182).  V aristocratie 
germaine  (Lavall^e  I,  444). 

3.  Auch  bei  Abstrakten  im  weiteren  Sinne  finden  sich 
beide  Adjektiva:  Les  victoires  germaines  (Petit  XIX®  Si^cle, 
17  f6vr.  1881).  L'invasion  germanique  (Brächet,  Granmi. 
bist.  30;  Guizot,  Civ.  en  Fr.  I,  215).  La  domination  ger- 
manique (H.  Martin,  I,  356).  La  civüisation  germanique 
(ib.  II,  315).  Vesprit  de  la  royauti  germanique  (ib.  II,  57). 
Ije  paganisme  germanique  (ib.  II,  208).  Les  mdls  germains 
(ib.  II,  174.)  Les  concües  gallo -germaniques  (ib.  II,  233). 
Les  mcßurs  germaines  (Guizot,  Civ.  en  Fr.  I,  208,  294).  Les 
mceurs  germaniques  (ib.  I,  206).  Les  coutumes  germaniques 
(ib.  I,  207;  H.  Martin  II,  167).  Les  lois  germaines  (ib.  I, 
183).  Les  lois  germaniques  (ib.  I,  223).  Les  traditions  ger- 
maniques (ib.  I,  183).  La  minne  germanique  (H.  Martin 
I,  484).  Ce  demier  trait  si  profondiment  germanique  (ib. 
I,  417).     8es  tendances  anti-germaniques  (ib.  II,  250).     Ijcur 

Zschr.  t  tn.  8p.  o.  Litt.    XIi.  9 


130  Ph.  Plaitner, 

nom    itait    donc    ^origine  germanique    (Guizot,    Oiv.   en  Fr. 
I,  259).     Üh  prSjugS  germanique  (ib.  1,  294). 

Die  Form  germanique  überwiegt  hier  demnach;  ganz 
besonders  aber,  wo  es  sich  um  Sprache  handelt:  La  langue 
et  les  mcßurs  germaniques  (H.  Martin,  II,  187).  Le  titre  ger- 
manique de  cet  officier  (ib.  11,  59).  Les  dialectes  germaniques 
(Akad.).  Doch  auch  un  nom  germain  (H.  Martin,  I,  321) 
und  sogar  les  mots  germains  de  la  langue  frangaise  (Zitat, 
dessen  Quelle  ich  nicht  notiert  habe.     Gerusez?). 

4.  Nur  germanique  ist  am  Platz  bei  reinen  8achnamen: 
La  vieille  France  germanique  (H.  Martin,  I,  415,  II ,  317). 
Les  deux  Provinces  Germaniques  (ib.  I,  400).  Leur  empire 
germanique  (d.  h.  das  rechtsrheinische  Reich  der  Franken, 
ib.  II,  169).  Les  Kordes  des  forits  germanique  (ib.  II,  21), 
daher  auch  Vocian  Germanique  (jetzt  mer  du  Nord).  Com- 
ment  assigner  avee  pricision  ce  qui  Statt  vraim^nt  germanique 
et  ce  qui  portait  dijä  une  empreinte  r omaine  f  (Guizot,  Civ. 
en  Fr.  I,  185).  Sehr  auffallend  (und  wohl  nur  durch  das 
dabeistehende  romain  herbeigeführt)  ist  daher:  Totis  les  mo- 
numents  qui  nous  restent  sur  titat  des  Barbares  avant  Vin- 
vasion,  quelles  que  soient  leur  origine  et  leur  nature,  romains 
ou  germains f  traditions,  chroniques  ou  lois,  nous  entretiennent 
de  temps  et  de  faits  fort  üoignis  les  uns  des  autres  (ib.  I,  184). 
Möge  man  diese  Ausführlichkeit  entschuldigen,  denn 
vielleicht  ist  mir  doch  eine  Scheidung  entgangen,  die  ein 
anderer  finden  mag;  möglicherweise  ist  auch  ein  Anhalt  ge- 
geben für  die  Scheidungskriterien  anderer  Wörter  (ceUe:  cd- 
tiqu£,  alleman:  allemanniquey  aquitain:  aquitanique  u.  s.  w.),  zu 
welchen  sich  Beispiele  nicht  in  solcher  Zahl  beibringen  lassen. 

Qerminois,  Bewohner  von  Saint-Germain  (CdV.  V,  83). 

G^rolsteinois,  zu  dem  erdichteten  Gerolstein  gehörig:  Le  public 
Gdrolsieinois  (Indöpendance  Beige,  d6c.  1885  p.  6  der  illu- 
strierten Beilage). 

Qerr(h)6eii,  zu  Gerra  gehörig  (C.) 

G&te,  Nebenform  zu  getique:  La  sensiblerie  ä  part^  ce  deücut 
etre  une  belle  chose  que  ces  lüttes  acharnies  oil  les  monstres 
de  VInde  et  de  VAfrique  se  colletaient  corps  ä  corps,  oü  les 
griffes  de  la  paniMre  rayaient  les  flancs  lustres  dChuile  du 
hesUaire  gUe  ou  sarmate  dont  les  m^ins  nerveuses  lui  dichi- 
raient  la  gueule  (Th.  Gautier,  I,  295). 

Gezois,  Bewohner  des  pays  de  Gex  (CdV.  V,  82). 

Qiennois,  Bewohner  von  Gien  (ib). 

Girondin  gleichbedeutend  mit  bordelais  gebraucht  (Name  der 
Landschaft  für  den  der  Stadt):   II  va  sans  dire  que  Vaffaire 


Persofuü'  und  Geniüderivaie  im  Neufranzösischen,  131 

du  Oirondin  s^arrangea^   aprls  le  spectacU^   dans  un  souper; 
vorher  geht  le  Borddais  (France,  22  sept.  1878). 

Qlaronais  schreibt  Sachs,  ebenso  Cceckelberghe-Dutzele  (im  C. 
fehlt  das  Wort);  ich  kann  nur  glaronnais  belegen,  was  nach 
Analogie  offenbar  das  richtige  ist. 

Qortynien,  zu  Gortyne  gehörig  (C). 

Gk)thique.  J^crOure  gothique  für  „deutsche^  Schrift:  J^criture 
gothique  et  latine  (aus  dem  Plan  d'^tudes  pour  T^cole  nor- 
male catholique  de  Fnlda.  £.  Renda,  L'^ducation  popnlaire 
dans  FAllemagne  du  Nord,  260). 

Granyillads  nach  Sachs  und  CdV.  V,  82;  granviUots  hat  C. 

Grassois,  Bewohner  von  Grasse  (CdV.  V,  82). 

Ghraylois,  Bewohner  von  Gray  (ib.). 

Ghr^siyaudan,  le  (selten  Oraisivaudan),  Landschaft,  die  teils 
zum  d^p^  des  Hautes- Alpes,  teils  zu  dem  de  Fls^re  gehört. 
Fehlt  bei  Sachs. 

Grison  Graubündner,  bei  Sachs  nur  als  Subst  aufgeführt.  Sollte 
kein  Adj.  existieren,  da  gris  (wie  Sachs  s.  v.  angibt)  nur  in 
dem  historischen  les  ligues  grises  vorkommt?  In  folgendem 
Beispiel  (vgl.  den  Ausdruck  tOberland  hemois)  ist  jedenfalls 
grison  ein  Adj.  und  eher  von  dem  Subst.  zu  trennen:  La 
neige  s^eat  meme  montrie  dans  les  valUes  de  VOherlandgrisony 
comme  on  a  pu  le  constater  ä  Ylanz  (Petit  XIX®  Si^cle, 
11  juin  1881). 

Groyan^  Bewohner  der  Insel  Groix  (Morbihan.    CdV.  VIII,  186). 

Ghriiy^rien,  zu  Gruyfere,   Griers  gehörig:    Des  soldats  gruyiriens 
(H.  Martin  VIII,  295). 

Guat^malais,  guatemalien  zu  Guatemala  gehörig :  Les  bruyantes 
lamentaUons  des  leaders  de  la  sociMi  guatimalaise  crdhrent 
des  difficidtSs  au  gouvemement  (XIX®  Siöcle,  1^  d6c.  1880). 
Les  pertes  des  Gttatemaliens  (Ouatemaliens^),  ä  la  bataiüe  de 
Chalchuapa,  ont  Hi  de  1,800  hommes  (Paix,  21  avril  1885). 
Die  von  Sachs  bevorzugte  Form  Gruatimcda  ist  kaum  zu  finden. 

Gu^randais,  Bewohner  von  Gu6rande  (CdV.  V,  82). 

Guingampois,  Bewohner  von  Guingamp  (ib.). 

Guyana]  S,  Bewohner  von  Guyane:  Les  femmes  sont  parmi  les 
Gruyanais  une  vraie  propriiti  (Zitat  bei  Guizot,  Civilis,  en 
France  I,  200). 

Guyennois,  Bewohner  der  Guyenne  (CdV.  VIII,  186). 

Haglienauien,  zu  Hagenau  gehörig:  fje  politiden  haguenauien 
(Union  de  TAlsace-Lorraine,  9  sept.  1881). 

Haut-alpin,  Bewohner  der  Hautes- Alpes  (CdV.  VIII,  186). 

H^liopolitain,  zu  H61iopolis  gehörig  (C);  das  von  Sachs  dafür 
gegebene  hüiopoliie  hat  nach  derselben  Quelle    eine   genau 


133  i%.  HaUner, 

begrenzte    historische    Bedentang    (9.    und    10.    ägyptische 

Dynastie). 
Hellespontiaque^  zum  Hellespont  gehörig  (C,  vgl.  auch  ebenda 

unter  Sibylle). 
Hennuyer.    Ausser  der  von  Sachs  aufgeführten  Nebenform  hai- 

nuyer  gibt  das  C.  auch  hannuyer.     Der  CdV.  VIII,  186  gibt 
Hanonien,  welches  mir  sonst  fremd  ist. 
H^raclfen,  h^racl^te,  beide  nach  dem  C.  auf  H6raclee,  ersteres 

auch  auf  Hercule  (Herakles)  bezüglich.     Les  HiracUena  fand 

ich  bei  Poirson,  Pr^cis  de  Thist.  anc.  325). 
Hercynie  in   adjektivischem   (appositiven)    Gebrauch:   La  foret 

Hercynie  (Sachs  d'H.)     (H.  Martin  I,  268). 
Herz^govinien,    zu    Herz^govine    gehörig:    Les    Herzigoviniens 

(Fig.    15   nov.  1876).      Les   insurgis   herzigoviniens  (France, 

11  mai  1878). 
Hesdinois^  zu  Hesdin  gehörig.     Von  Über  verzeichnet. 
Hi^rapolitain,  zu  Hi6rapolis  gehörig  (C). 
Hi^rosolymitain,  Nebenform  von  jirosolymüain  (C).    Wird  mit 

Recht  als  besser  bezeichnet. 
Himalayen,  zum  Himalaya  gehörig  (L.  S.). 
Honfleurais,    zu   Honfleur  gehörig:    La   ddmocratie  honfleuraise 

(Petit  XIX®    Sifecle,    9    sept.    1881).      La   Honfleuraise   (ein 

Verein;  Le  Drapeau,  26  sept.  1885). 
Houatais^   Bewohner  der  Insel  Houat  bei  Quiberon  (A.  Daudet 

in    Ind^pendance    Beige,    d6c.   1885,    S.   3   der   illustrierten 

Beilage). 
Hurepois^  Bewohner  des  Hurepoix  (C). 
Hyblöen,  zu  Hybla  gehörig  (C). 
Hydaspien^  zum  Fluss  Hydaspe  gehörig  (C). 
laccetain,  zu  lacca  gehörig  (C.) 
Iguvinien,  zu  Iguvinium  gehörig  (C). 
Indien,  man  vermisst  bei  Sachs  Odan  Indien, 
Indoustan  als  Adj.  (Hindoustan  ist  bei  Sachs  nur  Subst.):   La 

langue  indoustane  (France,  24  mars  1878). 
Irvillac?  La  ferme  de  KMsü  en  IrviUac  (Paix,  31  oct.  1887). 
Isl^bien,   nur  in  der  Kirchengeschichte  übliches  Adj.  zu  Isl^be 

oder  Eisleben  (C). 
Issorien,  Bewohner  von  Issoire  (CdV.  V,  82). 
Issoldunois  gibt  CdV.  V,  82  als  Nebenform  zu  Issoudunois. 
Ithaden,  zu  Ithaque  gehörig  (C). 
Ithom^en,  zu  Ithome  gehörig  (C). 
Jalles  (Jall^s?),  Gebiet  in  der  Gironde.     Saint-Midardren-JaUes 

(Paix,   11  aoüt  1887).     Auf  älteren   Karten   heisst   der  Ort 

Saivt-Midard-en-JaUez;  JaUez  =  Gebiet  der  Jalle  (vgl.  Forez 


Personal-  und  Geniüderivate  im  Neufranzösischen.  133 

u.  a.);  Jalle,  Name  eines  FlÜBSchens,  welches  nördlich  von 
Bordeaux  links  in  die  Garonne  mündet. 

Jamalquain.  Die  üblichere  Schreibung  ist  jetzt  jamatcain: 
Les  Jamdicains  (Paix,  8  mai  1885).  Vgl.  Schmager  in  dieser 
Zeitschrift  II»,  235. 

Jarret,  Landschaft  im  d6p*  de  la  Loire.  Saint-Julien-en-Jarret 
(C).  Auf  älteren  Karten  Scnnt-Julien-en-Jaresty  in  der  Nähe 
Saint- Paid-en-Jarest,  Sairvt- Romain- en-Jarrest,  La  Tour-en- 
Jaresty  alle  in  der  Nähe  des  Gier  (Nebenfluss  der  Bhone). 

Josas,  Landschaft  im  d6p*  de  Seine-et-Oise.  Jouy-en-Josas,  be- 
kannter Ort. 

Josselinais^  Bewohner  von  Josselin  (CdV.  V,  82), 

Juanais,  Anwohner  des  golfe  Jouan  (Alpes -Maritimes.  CdV. 
VIII,  186). 

E^fien,  Bewohner  von  Le  Kef:  Les  Kifiens  (Petit  XIX®  Siöcle, 
7  mai  1881). 

Labradorien,  zu  le  Labrador  gehörig:  Les  rives  labradoriennes 
(Paix,  20  oct.  1885). 

Lamballais,  Bewohner  von  Lamballe:  üne  Lamhallaise  (Sou- 
vestre,  Les  dem.  Bretons,  II,  36). 

Lam^,  Gegend  im  d6p*  dllle-et-Vilaine:  Erc6-en-Lam6e  (C). 

Lanusquet,  Nebenform  von  Landais:  En  giniral,  le  Landais  ou 
Lanusquet  habite  une  cdbane  isolie  oü  ü  couche  ä  terre  sur  les 
peaux  de  ses  moutons  noirs  (Th.  Barrau,  La  patrie  119). 

Landavallois,  Bewohner  der  Lande  de  Lanvaux  (CdV.  VIII,  186). 

Landernien,  Landerniste,  Bewohner  von  Landerneau  (CdV. 
V.  82).    Das  zweite  Wort  kann  nur  scherzhafte  Bildung  sein. 

Langrois,  Nebenform  langoine^  langone  (C). 

Lannionnais,  Bewohner  von  Lannion:  üne  Lannionnaise  (Sou- 
vestre,  Les  dem.  Bretons,  II,  36). 

Laodic^en,  zu  Laodic6e  gehörig  (C). 

Laon(n)ais.  Ausser  bei  Coeckelberghe-Dutzele  (I,  259)  fand  ich 
nirgends  einfaches  n:  Louis  jura  de  maintenir  la  chatte 
laonnoise  (H.  Martin  III,  252).  CrSpi  en  Laonnais  (ib.  VIII, 
305,  307).  La  foret  de  Samouci  en  Laonnois  (ib.  II,  255). 
Laonnois,  Thierrache,  Rithelois  (ib.  I,  263).  La  petite  rivilre 
dAHette,  qui  sipare  le  Soissonnais  du  Laonnois  (ib.  I,  411). 
Bievre  ou  Berrieux  dans  le  Laonnois  (ib.  I,  148).  Mons-en- 
Laonnois  (Paix,  8  nov.  1885).  Dagegen  La  masse  de  la 
Population  laonnaise  (H.  Martin  III,  256).  Für  Bewohner 
gibt  CdV.  V,  82  laonnois  und  laonnais.  Jedenfalls  steht  nur 
erstere  Form,  wo  es  sich  um  das  Gebiet  handelt  (historischer 
Ausdruck). 

Lariss^en,  zu  Larisse  gehörig  (C). 


134  Ph.  Ptattner, 

Laiirag(u)ais,  le,  ist  nach  dem  Ort  Laurac  le  Grand  (südlich 
von  Castelnandary,  d6p^  de  l'Aude,  genannt 

Lav^dan,  le,  ein  Gebiet  im  döp^  4es  Hantes-Pyr6n6e8  (C). 

Lavödanais,  Bewohner  von  le  Lavedan  (ohne  Accent;  CdV. 
VIII,  186). 

Lectourois,  Bewohner  von  Lectonre  (CdV.  V,  82). 

LMonien,  Bewohner  von  LonB-le-Saulnier  (ib.). 

L^nnais,  l^nard,  zu  Saint -Pol- de -L6on  (Bretagne)  gehörig, 
Bewohner  der  Stadt  oder  Gegend.  Qudque  taiUeur  du  Lion- 
na%8  (Soavestre,  Les  dem.  Bretons,  II ,  222).  TrigorroiSj 
LSonnais  (H.  Martin  I,  464,  389).  Les  vicomtes  de  Lionnais 
(ib.  IV,  98).  Le  Lioncds  (Gebiet.  Sonvestre,  Les  dem. 
Bretons  I,  15,  2,  beidemal  unrichtige  Orthographie).  — 
Lionnois  neben  lionnais  gibt  das  C.  —  Lionais,  Bewohner 
des  L6onais  nach  CdV.  Vni,  186.  Dagegen:  BiStd  du  Leonard 
(Souvestre,  Les  dem.  Bretons,  I,  8)  und  dasselbe  als  Adj. 
Les  s6nes  Uonards  et  trigorrois  forment  comme  Utemds 
mSmoires  (ib.  I,  197). 

L^pontieil,  Nebenform  von  Upontin:  Alpes  Lipontiennes  ocdden- 
taleSy  Alpes  Lipontiennes  orientales  (Cortambert,  215  f.  mehr- 
fach). Im  C.  steht  unter  Alpes  nur  Alpes  lipantines,  dagegen 
findet  man  unter  dem  Buchstaben  L  nur  lipantien  mit  dem 
Vermerk  Alpes  Upontiennes  ou  UponUnes, 

Letidque,  Nebenform  von  letton(ien)  (L.  S.). 

Libanien,  zum  Libanon  gehörig :  La  chatne  libanienne  (Lamartine, 
V.  en  Or.  148).  Ist  das  bei  Sachs  allein  stehende  Itbanais 
zu  belegen? 

Libyque,  libystique,  Nebenformen  zu  lihyeuy  ersteres  bei  L.  S. 
und  C.  (auch  unter  Sibylle),  letzteres  nur  bei  0. 

Ligure,  Ligurer.     Les  Ligures  (H.  Martin  I,  10). 

Limousin  ist  nach  Sachs  nur  das  Adj.  zu  U  Limousin.  Es  ge- 
hört auch  zu  Limoges:  La  Patnote  limousine  Käme  eines 
Turnvereins,  les  Courriers  limousin^s  Name  eines  Brieftauben- 
zuchtvereins, beide  in  Limoges  (Paix  25.  avril  1888).  Doch 
scheint  man  les  Limousins  fttr  Bewohner  der  Stadt  zu  meiden. 

Livradois,  le,  Gebiet  um  Ambert  im  D^p^  du  Puy  de  Dome. 

Livonmais,  Nebenform  zu  livournin:  ün  juif  livoumaiSy  con- 
fident  de  Mustaphay  est  arrivi  ä  Bdne  aujourd%ui  ä  midi 
(Petit  XIX«  Siöcle,  8  mai  1881). 

Loangeois,  zu  Loango  gehörig  (C). 

Lod^vois,  Bewohner  von  Lod^ve  (Über). 

Londonien,  londonnais,  londinien.  Das  letzte  Wort  fehlt  bei 
Sachs  und  gehört  nach  C.  zu  Londinium,  nicht  zu  JiOadres ; 
bei  dem  ersten  gestattet  Sachs  doppeltes  n,  das  zweite  ftthrt 


I 


Personal-  und  Geniilderivate  im  Neufranzösischen,  135 

er  nur  in   der    von  Littr6    gegebenen    Form    londinais    auf. 

Eigentlich  üblich  ist  nur  londonien, 
Loretan,  zu  Lorette  gehörig,  nach  LittrS  und  Sachs  ohne  Accent, 

nach  C.  loritan  und  Nebenform  laurStan, 
Lorientais,  Bewohner  von  Lorient  (CdV.  V,  82), 
Losnois^  Bewohner  von  Saint- Jean-de-Losne  (CdV,  V,  83). 
Loud^acien,  Bewohner  von  Loud6ac  (ib.  V,  82). 
Loudunois,  zu  Loudun  gehörig,  Bewohner  von  Loudun  (C.  CdV. 

V,  82).     In   der  Form  le  Lodunois  (Gebiet  von  Loudun  im 

C.  8.  V.  Parageau).     Nach   Coeckelberghe  -  Dutzele  I  260  lou- 

dunais  und  so  la  citi  loudunaise  (Paix,  22  sept.  1886). 
Lourdais,  Bewohner  von  Lourdes:  Ijcs  Lourdais  (France  12  sept, 

1879). 
Loz^rien,  Bewohner  des  D6p*  de  la  Lozfere  (CdV,  VIII,   186). 
Lub,  Ittbisch,  lübecker :  marcs  lubs  Lübecker  Mark  (Ren6,  Taschen- 
wörterbuch  der  kaufmänn.  Ausdrücke  etc.  Mainz  1846.  pag. 

249.)   Sonst  nicht  nachweisbar.  —  Dem  von  Sachs  gegebenen 

und  jetzt  üblichen  Ivbeckois  zieht  das  C.  luhiquoie  vor. 
LuQonnois,  zu  Lugon  gehörig  (C). 
Lusitane  (statt  wie  Sachs:  Lusitain)  gibt  das  C.  als  Nebenform 

zu  iMsitanien, 
Madril&ne    ist  jetzt  allein  üblich,    gehört  also  vor  madriUgne. 

Das  C.  gibt  noch  letzteres  allein. 
Majorcain,  majorquin  nach  Sachs;  majorqmn,  mayorquin  nach 

C.  und   lautlich    mit   letzterem    stimmend:    Les   Maiorquains 

(France,  1"  sept,  1879),  wofür  besser  Maiorcains  oder  Mator- 

quins  stände. 
Malayen  gibt  L.  S.  als  Nebenform  zu  malai,   welches  er  der 

Form  malaisy  -se  vorzieht.     Malaisien  hat  ausser  Sachs  auch 

das  C. 
Malbadien»   Maubeugeois,    Bewohner    von    Maubeuge    (CdV. 

V,  82). 
Malegache  für  das  üblichere  malgache:    ün   hSrotque   aventurier 

nommS  LacasBi  Q'^i  avait  pris  un  ascendant  extraordinaire  sur 

les  Mdkgaches  (H.  Martin  XIII,  113). 
Malien,  Malier  (C),    da  maliaque   nur  für  den  Golf  üblich  ist: 

Les  Maliens  (Poirson,  Pr^cis  de  Thist.  ancienne,  325). 
Maloin,    Bewohner  von  Saint-Malo    (CdV.  I  92),    vielleicht  nur 

Druckfehler,  da  ib.  V,  83  das  übliche  Malouin  steht. 
Mamersien,    Mamertin,    Bewohner  von  Mamers  (CdV.  V,  83). 
Manchdgue,  zu  la  Mancha  gehörig:   Vdne  espagnol  a  une  tont 

autre  physionomiey  Vdne  mancMgue  surtout  (Th.  Gautier  III,  112). 
Maransin,  Bewohner  des  Landstrichs  le  Maransin  im  D6p*  des 

Landes  (CdV.  VIII,  186). 


136  /*.  Platiner, 

Haraquais,   Bewohner   der  Landschaft  le  Marais    im  D6p^  de 

rEure  (ib.). 
Marchais,    was   Sachs  neben  marchois   angibt,    ist  wohl  kaum 

üblich.     Auch  CdV.  VIII,  186  hat  nur  letzteres. 
Hariannais,  zu  den  iles  Mariannes  gehörig  (C):  Les  Mariannais 

(Cortambert,  731). 
Mamais,   Bewohner  des  Dep*  de  la  Marne  oder  de  la  Haute- 

Marne  (CdV.  VIII,  186). 
Marseillez,  Nebenform  von  marseüLais  (C.)  als  Bezeichnung  für 

Münze  von  Marseille. 
Martegallais^  Bewohner  von  Martigues  (CdV.  V,  83).    Dafür 
Martiguois,  (C.)  und 

Martigao,  (Baumgarten,  Elementargramm,  p.  229). 
Mauges,  Landschaft  im  westl.  Teil  des  Dep*  de  Maine-et-Loire : 

Pin-en-Mauges  (Paix,  25  oct.  1887).      In  der  Gegend  liegen 

noch  Saint-Quentin-en' Mauges f  Saint-Phüibert-en- Mauges, 
M^docain^    andere    und    wohl    übliche  Schreibung  für  das  von 

Sachs,  C.  und  CdV.  VIII,  186  gegebene  mSdoquin,    Le  Medo- 

cain  (Name  einer  dort  in  der  Stadt  Lesparre   erscheinenden 

Zeitung.     France,    22   aoüt  1879);    ebenso  J.  Vinson,  Revue 

crit.  1880,  I,  479. 
M^garien,  Nebenform  von  mSgar^en  (C). 
M^lantois,    Gebiet    im    d6p*  du    Nord:     Sainghin- en- MSlantois 

(Paix,  2  juill.  1885). 
Meldois,    Meldien,    Bewohner   von    Meaux    (CdV.  V,  83).    — 

Meldeuxf     Auf  älteren  Karten   steht  der  Ortsname  Isles-les- 

Meldeuses  nordöstl.  von  Meaux. 
Melunois,  Bewohner  von  Melun  (CdV.  V,  82), 
Mendois  (C),  Mendais  (CdV.  V,  83),  Bewohner  von  Mende. 
Mentonnais,  Bewohner  von  Menton  (Mentone):  Les  Mentonnais 

(France,  23  mai  1879). 
Mess^nien.     Die  Sammlung  C.  Delavignes  heisst  Messiniennes; 

die  Lieder  seines  Vorbilds  Tyrtäus  werden  auch  Messeniques 

genannt  (Übersetzung  derselben  von   F.  Didot,  Paris  1831). 

—  Das  C.  gibt  messinien  flir  beides  und  hat  die  Nebenform 

messMaque  (z.  B.  goJfe  messiniaque), 
Messinois,  Nebenform  Messinais:  Les  Messinais  (H.  Martin  IV, 

374). 
Meusien,  zu  la  Meuse  gehörig:  Vlndipendant  meusien  (in  Verdun 

erscheinende  Zeitung.     Gazette   de   Lorraine,   4  juin   1885). 

Nach   dem  CdV.  VIII,   186   auch  Bewohner   des  D6p*  de  la 

Meuse. 
M&sin,  Bewohner  der  Landschaft  le  Müzine  im  D^p*  de  la  Haute- 

Loire  (CdV,  Vffl,  186). 


Personal-  und  Gentüderivate  im  Neufranzösischen,  137 

UQanez,  ältere  Nebenform  von  Müanais  (nur  für  das  Gebiet); 
Lacretelle,  Eist,  de  la  France  I,  91.  Ragon,  Hist  g6ii.  du 
XVIIP  siecle,  47. 

Minervois,  LandBcbaft  im  bas  Languedoc:  Le  marquis  Claude 
Ahrial  de  Pierrerue,  en  bas  Languedoc,  dans  le  pays  minervois 
(Ferd.  Fabre,  in  En  petit  comite,  179).  Les  gentüshommes 
du  pays  minervois  (ib.  201).  Quitter  le  Minervois  (ib.  198). 
—  H.  Martin  (I,  464)  führt  eine  in  dortiger  Gegend  gelegene 
alte  Stadt  auf:  Ath^nopoliB  (la  ville  d'Ath8n^  ou  de  Minerve). 
Eine  Stadt  Minerve,  die  jetzt  nicht  mehr  zu  existieren  scheint, 
führt  er  IV,  193  an. 

Mod^nais  (Sachs)  ist  die  übliche  Form;  modSnois  hat  C.  und 
les  Modenois  (ohne  Accent):  Est-ce  que  ton  donnerait  aux 
Modenois  le  droit  de  s'administrer  eux-memes  sü  y  avait  la 
moindre  apparence  quils  songeassent  encore  ä  leur  ancien  duc? 
(France,  5  mars  1878). 

Moissaguais,  Bewohner  von  Moissac  (CdV.  V,  82).  Dagegen 
moissaccais  bei  über. 

Mon6casqiie  als  Nebenform  zu  Monegasque  gibt  OdV,  V,  83. 

Montalbanais,  Bewohner  von  Montauban  (CdV.  V,  82 ;  Coeckel- 
berghe-Dutzele  I,  259):  Le  travaÜ  et  la  vaniti  se  partagent 
la  journie  d^un  Montalhanais  (Jouy,  THerm.  en  prov.  I,  107). 

MontbardoiSy  Bewohner  von  Montbard  (CdV.  V,  83). 

Montbrisonnais,  Bewohner  von  Montbrison  (ib.). 

Mont^n^grin  findet  sich  auch  ohne  Accente:  Les  troupes  Mon- 
tenegrines  (Fig.  13  avril  1877). 

Montivillon,  Bewohner  von  Montivilliers  (CdV.  V,  82). 

Montpelli^rain,  Nebenform  monspessulan  (CdV.  V,  83),  das 
dabeistehende  montpeiliirain  ist  offenbar  Druckfehler.  Adrovts 
ä  tous  les  jeux  d^exercice,  le  hallon^  le  hattoir^  les  houles  et 
le  mail^  sont  les  jeux  que  priflrent  les  Montpdli^ains,  (Jouy, 
THerm.  en  prov,  VI,  14). 

Montreuillais,  Bewohner  von  Montreuil  (CdV.  V,  82). 

Morbihanais  (Sachs)  ist  die  richtige  Form,  aber  weniger  üblich 
als  dieselbe  Form  mit  nn:  Ce  pauvre  tnUage  morbihannais 
(A.  Daudet,  Ind^pendance  Beige,  d6c.  1885,  p.  3  der  illu- 
strierten Beilage).  Venchanteur  Merlin^  lui-mime,  n*itait-il 
pas  breton  et  morbihannais?  (C*®  d'Amezeuil,  Lögendes  bre- 
tonnes,  246).     Ebenso  CdV.  VIII,  186. 

Morlaisien,  Bewohner  von  Morlaix  (CdV.  V,  82  und  über). 

Morvandais^  zum  Morvan  gehörig:  Cette  petite  ville  morvandaise 
(H.  Martin,  III,  473).  Statt  der  Nebenform  morvandau  gibt 
CdV.  (VIII,  186)  das  offenbar  richtigere  morvandeau. 

Moscovite  (C.  bezieht  es  zu  Moscovie = Russie)  heisst  öfter  russisch: 


138  i%.  EaUner, 

ün  ISger  aecent  moscmnte  (Indöpendance  Beige,  d^c.  1885, 
f.  6  der  illustr.  Beilage). 

Mnlcien,  Landschaft  in  der  Gegend  von  Meaox:  Jean  Vaillcmty 
prevöt  de  la  monnaie,  aUa  se  mettre  ä  la  tete  c^une  bände  de 
Jacques  ä  Silli  en  Mulden^  et  se  dirigea  de  lä  sur  Meaux 
(H.  Martin  V,  197). 

Municliois,  Nebenform  municois:  Eüe  ne  tarda  pas  ä  gagner 
le  ccßur  de  tous  les  Municois  (Paix,  7  juill,  1886).  Vgl. 
zuricois, 

MuBsipontain,  zu  Pont-ä-Mousson  gehörig:  La  popidation 
mussipontaine  (France,  12  döc.  1877.)    Ebenso  CdV,  V,  83. 

Nantais,  die  Nebenform  nantois  kann  als  aufgegeben  gelten. 

Nassovien,  Nebenform  zu  nassauvien:  Les  Nassaviens  (XIX* 
Siöcle,  3  Nov.  1880). 

Navarrais.  Diese  von  Sachs  gegebene  Form  finde  ich  bei 
Brächet  {le  navarrais  die  Sprache),  J.  Vinson  (in  der  Revue 
crit.)  für  das  Gebiet.  Navarrois  dagegen:  les  routiers  navar- 
rois  (H.  Martin  IV,  45).  Les  gamisons  navarroises  (ib.  V, 
134).  Les  Navarrois  (ib.  II,  884;  lü,  510;  VIII,  4).  CdV, 
(Vm,  186)  gibt  nur  diese  Form. 

NAouzan  (N6bousan)  le,  Landschaft  in  dem  westl.  Teil  des 
Dep*  de  la  Haute -Garonne.  Hauptort  derselben  war  Saint- 
Gaudens. 

N^-calMonien,  zu  la  Nouvelle-Oal6donie  gehörig:  Les  Nio- 
Calidoniens  (France,  9  sept.  1878  und  30  sept.  1878). 

N^-h Aridais,  Bewohner  der  Nouvelles- Hybrides  (mehrfach 
in  der  Illustration,  z.  B.  21  avril  1888). 

Nicaraguais,  zu  Nicaragua  gehörig:  Le  gouvernement  nicaraguais 
mettait  temhargo  sur  les  caisses  £  armes  (XIX®  Si^cle,  1®' 
aoüt  1880).  La  triation  d'un  canal  nicaraguais  (Ind6pen- 
dance  Beige,  9  d6c.  1885). 

Nicopolitain,  zu  Nicopolis  gehörig  (C). 

Niniviste  für  Ninivite:  II  (Jonas)  avaü  pridit  aux  Ninivistes 
la  faminey  la  peste,  la  ruine,  les  maux  les  plus  effroyables, 
et  cela  sous  quarante  jours  .  .  .  Mal  lui  en  prit,  car  au  hout 
de  quarante  jours  les  Ninivistes  se  retrouv^rent  sur  leurs  pieds, 
frais  et  gaittards  (Fr.  Sarcey,    XIX®  Siöcle,    24  f6vr.  1880). 

Niolin,  Bewohner  der  Landschaft  Niolo  in  Corsika  (CdV.  VIII,  186). 

Nivemais  gehört  als  Adj.  sowohl  zu  Nevers  als  zu  le  Nivemais 
(C),  Sachs  bezieht  es  nur  zu  ersterem.  CdV.  (VIII,  186) 
gibt  nur  Nivemichon  als  Bewohner  des  Nivemais;  über  dieses 
Wort  sagt  Jaubert  (Glossaire  du  Centre  II  105),  dass  man 
es  vermeidet  und  fügt  zur  Erklärung  bei:  „La  ripugnance 
ä  se  servir  de  la  terminaison   y^chon^^  ne  peut  s'expliquer  que 


Personal'  und  Geniüderivaie  im  Neufranzösischen,  139 

pair  ce  faü  qu'elle  rappelle  un  fndt  de  la  famiUe  des  cucur- 
hitacies  que  le  vidgaire  a  pria  pour  emblhne  de  la  scitise, 
Les  Berrichans  ont  la  mime  susceptibüiti,  mata  ä  un  mamdre 
degre.^^ 

Nivillaccais,  Bewohner  des  Fleckens  Nivillac  in  der  Bretagne: 
Les  Nivillactais  (C*®  d'Amezeuil,  L6g.  bretonnes,  69). 

Nogentais,  Bewohner  von  Nogent-le-Rotrou  (OdV.  V,  83). 
Es  bezieht  sich  natürlich  ebenso  gut  zu  den  übrigen  Orten 
gleichen  Namens:  La  Nogentaise,  Name  einer  Musikgesellschaft 
in  Nogent-sur- Marne.  Ebenso:  Cet  incident  exaspira  les 
Nogentais  (Bewohner  von  Nogent-sur- Marne.  Paix,  12  join 
1886).^ 

Noirmoutin,  Noirmoutrin,  Bewohner  der  Insel  Noirmoatier(8); 
ersteres  CdV.  V,  83,  letzteres  ib.  VIII,  186.  Die  zweite 
Form  scheint  die  richtige  zu  sein. 

Nontronnais,  zu  Nontron  (Dep*  de  la  Dordogne)  gehörig:  Le 
Noräronnais  (Titel  einer  dort  erscheinenden  Zeitung). 

Norrain  (f.  -aine  u.  -6ne),  nur  von  der  Sprache  üblich,  Neben- 
form zu  norvegien  (L.  S.). 

Nuiton,  Bewohner  von  Nuits  (CdV.  V,  83). 

Oberlandais,  zu  Oberland  (-Bernois)  gehörig:  Vesprü  de  Sahoua 
faxt  la  chasse  aux  d^couvertes,  comme  les  braeonniers  ober- 
landais  fönt  la  chasse  aux  chamois  (Souvestre,  Les  dem. 
^  Bretons,  ü,  147). 

Oisans,  Landschaft  in  der  Südostecke  des  D6p*  de  Tlsöre, 
die  sich  noch  in  das  D^p*  des  Hautes- Alpes  erstreckt.  Etwa 
ein  Dutzend  Ortsnamen  haben  den  Zusatz  en  Otsans,  die 
bekannteste  ist  Ällemont-en- Oisans  (Dortambert  328). 

Oranais,  zu  Oran  gehörig:  Le  Sahara  oranais  (Petit  XIX® 
Sifecle,  8  juin  1881). 

Orth^zien,  Bewohner  von  Orthez  (CdV.  V,  83). 

Oscarois,  Bewohner  der  Landschaft  Ouche  (OdV.  VIII,  186). 

Ossalais,  Bewohner  der  vall6e  d'Ossau  (ib.). 

Oaessantin,  Bewohner  der  Insel  Ouessant  (ib.). 

Pail,  Landschaft  im  D6p*  de  la  Mayenne.     Pri-en-Paü  (C). 

Faillers,  Landschaft  im  D6p^  de  la  Vend6e.  Bazoges-en-Paü- 
lers  (Paix,  14  aoüt  1885). 

Falatin  als  Subst.  heisst  auch  Einwohner  des  Palatinat  (PfiUzer) : 
8ix  mUle  Hessois,  trois  miüe  PalaUns,  ,  ,  .  se  joignirent  aux 
troupes  bavaroiseSj  toujours  soudoyies  par  la  France  (H^nault- 
Michaud,  Abr^g^  chronol.  de  Thist.  de  Fr.  372). 

Faraguain,  Nebenform  von  paragueen,  paraguayen:  Un  officier 
paraguain  (Voltaire,  6d.  du  Centenaire,  73). 

Farisis  als  Landschaftsname  ist  noch  Zusatz  bei  Orten,  z.  B, 


140  Ph.  Plaitner, 

CormeiUes'en'Parisis  nord-westl.  von  Paris  in  der  Oegend 
von  Argenteuil  (Paix,  11  jnill.  1886). 

Patron,  Bewohner  von  Patras:  Les  Patriens  (Paganel,  Scan- 
derbeg,  97).     Das  C.  gibt  nur  patrensien, 

Fergois  alt  für  percheron  (C). 

F^rigordin  für  pMgourdm  ist  jetzt  aufgegeben. 

Ferpignanais,  Bewohner  von  Perpignan  (CdV.  V,  83). 

Fersan  auch  von  der  altpersischen  Sprache:  Lepersan  moderne, 
le  persan  ancien  (Littr^,  Hist.  de  la  langue  fr.  I,  263).  In 
seinem  Supplement  und  Addenda  zum  Wörterbuch  erklärt  er 
allerdings  selbst  le  persan  für  neupersische,  le  perse  für  alt- 
persische Sprache. 

Ferse  als  Adj.  auch  für  neupersisch:  Le  geniral  perse  Taimur 
Khan  avec  4,000  hommes  est  entrS  ä  Atrumiah  (XIX®  Si^cle, 
3  nov.  1880). 

Fersique  auch  in  dem  Ausdruck  ä  la  persique:  Comme  la  scSne 
se  passe  en  Äste,  il  y  a  quelques  pantdons,  quelques  manches 
ä  la  persique  et  un  certain  nombre  de  honnets  phrygiens  (Th. 
Gautier,  II,  48). 

FertuiBan,  Fertuisien,  zu  Pertuis  bei  Avignon  gehörig:  La 
municipalitS  pertuisane  (France,  21  juin  1878).  Ijes  Pertuisiens 
(ib.  22  juin  1878). 

Ficpucien»  Mönch  von  Picpus:  Notts  ne  croyons  pas  qtCun 
citoyen  sur  cent  voulM  ^)  lever  la  main  en  faveur  des  maristes, 
oblats,  bemardinSf  picpucienSy  cisterciens  .  .  .  (XIX®  Si6cle, 
7  sept.  1880). 

Fignerol(l)ais,  zu  Pignerol  gehörig:  Les  Pignerolais,  exaspiris 
par  les  vexations  des  soldats  ...  (F.  du  Boisgobey,  Paix, 
2  oct.  1887).  üne  troupe  de  gamins  pignerollais  (ib.  23  oct. 
1887). 

Fiombinien,  zu  Piombino  gehörig:  Nica  .  .  .  marquis  de  Capra- 
nica  .  .  .  ancien  major  des  armies  lucquotses  et  piombiniennes 
(Dennery,  Oiseaux  de  proie  I,  8). 

Fleubian,  Landschaft:  im  d^p*  des  C5tes-du-Nord :  Saint- Jean- 
en-Pleubian  (Paix,  11  oct.  1885). 

Floermelais,  Bewohner  von  Ploermel  (CdV.  V,  83).  Sonst 
Plo6rmel  geschrieben. 

Foblanais,  zu  Pnebla  gehörig:  Bientßt,  ou  m^apporta,  dans  de 
peixtes  assiettes  de  fabrique  poblanaise  omies  de  fleurs  vertes, 
des  ceufs  frits^  de  la  viande  grüUe ...  (L.  Biart,  Paix,  9  aoüt 
1885).     Je  ne  pouvais  exercer  la  midecine  dans  la  province 


^)  Ein  EonditionalsatK  geht  vorher. 


Persomü-  und  Gentüderivate  im  Neufranzösischen.  141 

de   Vera-Cruz  sans  un  dipldme  de  midedne  poblanads  (ib.  14 

juill.  1885). 
Foitevin,  Pougeoise^    eine  alte  Münze ,   auch  pite  und  poitevine 

genannt  (C.)* 
Folletais,    zu    le    Pollet   gehörig,    in    allgemeiner   Anwendung 

(nach  0.)  wird  von  Sachs  (nach  Littr6)   auf  die  Bezeichnung 

eines  Fischerfahrzeugs  beschränkt. 
Polonais,   mit  der  Nebenform  pouirnuy   z.  B.    des  sotdiers  ä  la 

poulaine,  pouline  (CdV.  V,  109,  117),  nach  demselben  (VII,  38) 

von   dem  alten  Poulogne  (=^  Pologne)  gebildet.     Nach  Liittr6 

von  Poullaine  =  Pologne,  Poulanne  =  peau  de  Pologne, 
Fonhier,  Fohier,  Bewohner  von  Foix  (CdV.  V,  83). 
Font-audem^rois,    Pont-audomar^n,    Bewohner   von   Pont- 

Audemer  (Pontaudemer)  (ib.). 
Pontissalien,  Bewohner  von  Pontarlier  (ib.). 
Pontiyien,   Bewohner   von  Pontivy   (ib.):    Le  Pontivien  s'arrita 

un  instant  pour  reprendre  haieine  (Souvestre,  Les  dorn,  Bre- 

tons,  I,  130). 
Forden,   Landschaft   im  Norden  von  R^thel.     Chäteau-Porcien. 

Chaumont-en-Porcien. 
Fort -Boy  allste,    Angehörige    von    Port-Royal:    Jai   heaueoup 

Studie  les  Port-Eoyalistes,  ces  Stoidens  du  Christianisme  (Sainte- 

Beuve,  Notice  sur  M.  Littre,  10). 
Privadois,  Bewohner  von  Privas  (CdV.  V,  83). 
Provenisien  (Sachs  hat  6),  zu  Provins  gehörig,  ebenso  C.  CdV. 

V,  83  hat  Provinois,  Provenisien,    II  (M,  Ch,  Lenient)  parlcat 

avec  dignitd,  avec  tendresse,  de  la  famüle  d^artisans  promnois 

dont  ü  etait  sorU  (E.  About.    Petit  XIX«  Si^cle,  7  f6vr.  1882). 
Psariote.     Nebenform  Ipsariote  (C). 
Fuysaye,    le    (nach  Sachs;    la  nach  C),   Landschaft    im  d^p* 

du  eher. 
Quercy,  le,  Landschaft  im  d6p*  du  Lot,  die  Gegend  von  Cahors 

(beide  Wörter  haben  gemeinsame  Etymologie). 
Quercinois,  Bewohner  von  le  Quercy  (CdV.  VIII,  186). 
Quiberonnais,  Bewohner  von  Quiberon  (CdV.  V.  83). 
Quillebois,  Bewohner  von  Quillebeuf  (ib.). 
Quimperl^en,  Bewohner  von  Quimperl6  (ib.). 
Quimperois,  Bewohner  von  Quimper-Corentin  (ib.).     Les  Quim- 

pirois  (mit  Accent,  was  richtiger  ist,  F6val,  Le  bossu,  I,  27). 
Quintinois,   Saint -Quentinois,    Bewohner   von  Saint-Quentin 

(CdV.  V,  83):  Les  Saint-Quentinois  (H.  Martin,  V,  219). 
Bagusain,  Nebenform  Ragusais:  Les  Ragusais  (Thiers,  Voyage 

dans  les  Pyr6n6es,  60). 
Bambolitain,  zu  Rambouillet  gehörig:    Le  Rambolüain  (Titel 


142  i%.  Üattner, 

einer  dort  erscheinenden  Zeitung.    Petit  XIX®  Si^cle,  18  ayril 
1882).     Auch  CdV.  V,  83. 

Rasez,  le  (0.  Eashs),  Landschaft  im  d6p*  de  TAude,  Umgegend 
von  Limoux  (H.  Martin,  IV.  193,  196,  Lavall6e,  Eist,  des 
Fran9ais,  I,  432). 

B^mois.  Als  Nebenform  gebraucht  H.  Martin  rhimois,  wenn  das 
Adj.  sich  auf  die  alten  Remer  (Rkemes  bei  H.  Martin)  be- 
zieht: La  vüle  rhimoise  de  Bibrax  (I,  148).  Für  die  Franken- 
zeit gebraucht  er  schon  die  Form  ohne  h:  la  Champagne 
rimmse  (Campania  remensis,  II,  30). 

Beimais,  welches  Sachs  (mit  Recht?)  als  weniger  gut  ansieht, 
hat  offenbar  über  Reßnoü  den  Sieg  davongetragen.  CdV. 
V,  83  führt  nur  Rennais  an;  Le  Petit  Eennais  ist  der  Name 
eines  in  Rennes  erscheinenden  Blattes  (Paix,  3  sept  1885). 
Bei  Historikern  freilich  wird  man  nur  Rennois  finden. 

B^olais,  Bewohner  von  La  R6ole  (CdV.  V,  82). 

BeyermontoiB  Bewohner  der  Landschaft  le  Revermont  (d6p* 
de  rAin.     CdV.  VIU,  186). 

Bhinsbourgeois,  zu  Rhinsbourg  (Holland)  gehörig  (C). 

Biomois,  Bewohner  von  Riom  (CdV.  V,  83). 

Boannais,  Bewohner  von  Roanne  (ib.). 

Bochefortais,  zu  Rochefort  gehörig:  En  terminant,  il  a  remis 
la  cattae  de  la  citi  Rochsfortaise  entre  les  mains  de  M,  le 
President  de  la  Ripublique  (Paix,  3  mai  1888).  Sachs  hat 
nur  rochefortin. 

Bochelois,  Bochelais  (beide  auch  mit  Uy  was  Sachs  nicht 
aufführt).  Das  Richtigere  ist  offenbar  einfaches  l,  doch  findet 
man  bei  demselben  Schriftsteller  beiderlei  Orthographie  (und 
Aussprache!),  z.  B.  les  Rochdois  (H.  Martin  VI,  91)  und  les 
Rochellois)  (ib.  VIII,  283).  Les  Rodidais  (Lavall6e,  Hist.  des 
Fran9ais  II,  482,  III,  109,  120)  und  les  RocheUais  (ib.  II, 
504).  —  Am  besten  ist  les  Rochelais;  nur  diese  Form  gibt 
CdV.  V,  82,  ausserdem  führt  eine  in  la  Rochelle  erscheinende 
Zeitung  den  Titel  ^JÖcäo  Rochelais  (XIX«  Si^cle,  13  janv.  1883). 

Bochois,  Bewohner  von  la  Roche  (Haute -Savoie):  Les  Rochois 
(Temps,  16  oct.  1879). 

Bomand,  daneben  ist  roman  üblich :  En  Savoie  et  dans  la  Suisse 
romane,  on  appeUe  encore  ^^nants''''  les  torrenis  des  Alpes 
(H.  Martin,  I,  64). 

Bonsdorfien,  Sekte  nach  dem  Städtchen  Ronsdorf  genannt  (C). 

Bouergois  (nach  Sachs  auch  Rouergeois),  Nebenformen  Rouergat 
(CdV.  VIII,  186)  und  rouergais:  M.  de  Nayrouse,  gentilhomme 
rouergais  (Ferd.  Fahre,  in  En  petit  comit6,  103). 

Bouin^ote,  Bewohner  der  Roum61ie:    Les  Roumeliotes   (Paix, 


Personal-  und  Gentüderivaie  im  Neu  französischen.  143 

19  mai  1885,  26  sept.  1885).  Le  gouvemement  raumeUote 
(Knj^  Si^cle,  3  d^c.  1880).  Das  C.  hat  la  Romölie  und  dazu 
als  Adj.  romSIiste,  ronUiote,  romiote. 

Boyans,  Gebiet  im  d^p*  de  ris6re  und  dem  de  la  Drdme  findet 
sich  nur  als  Zusatz  bei  Namen  z.  B.  Pont-en-RoyanSy  Auberives- 
en-Royans  u.  a.  Die  Landschaft  selbst  heisst  le  Royanez 
(Cortambert,  327)  oder  le  Royannais  (Pais,  24  nov.  1885.) 

Biissien  für  russe  ist  nach  Vermesse  452  Ausdruck  des  patois 
wallen.  Dass  durch  Voltaire  russe  über  russien  gesiegt  hat, 
bemerkt  Littr6  (C.  S.),  doch  findet  man  auch  bei  Voltaire 
(neben  seinem  häufigen  moscomte)  auch  russien,  so  z.  B. 
Vinfanterie  russienne  und  Vinfanierie  russe  in  der  Beschreibung 
der  Schlacht  bei  Poltava.  Von  älteren  Zeiten  sagt  auch 
H.  Martin  (III,  100):  Jaroslaw,  tzar  des  Russtens.  Ptir  die 
Benennung  von  Provinzen  (z.  B.  Kleinrussen)  kann  das  Wort 
noch  Anwendung  finden:  Cette  populaUon,  dans  laqueUe  un 
grand  nomhre  de  Russes . . .  sont  milSs  aux  PetUs -Russtens 
cosaques,  est  divisie,  au  point  de  vue  militatre,  en  trois  cati- 
gories  (Paix,  l"juin  1887).  Dagegen  sagt  Cortambert  (179): 
les  Russes  Blancs  ou  Krimtsches  et  les  Petits  Russes, 

Ruthöne,  was  nach  Sachs  nur  Ruthene,  Kleinrusse  heisst,  ist 
nach  CdV.  V,  83  auch  Bewohner  von  R(h)odez. 

Sablais,  daneben  gibt  CdV.  V,  82  auch  das  mir  sonst  un- 
bekannte olonnais. 

SabWsien,  Bewohner  von  Sabl6  (CdV.  V,  83). 

Sagien,  Salen,  Bewohner  von  S6ez  (ib.). 

Sa'lgonnais,  zu  Saigon  gehörig:  Le  Satgonnats  (dort  erscheinende 
franz.  Zeitung.     Paix,  4  janv.  1886). 

Saint-Flourien,  Bewohner  von  Saint-Plour  (CdV.  V,  83). 

Saint-galloiB,  zu  Saint-Oall  (St.  Gallen)  gehörig:  Le  gouveme- 
ment fidiral  vient  de  demander  d  la  RipuhUque  Argentine 
textradition  äHun  ex-employi  saint-gallois  (Ind6pendance  Beige, 
27  janv.  1886). 

Saint-Lois,  Bewohner  von  Saint-Lö^)  (CdV.  V,  83). 

Saint-Mand^n,  zu  Saint -Mand^  gehörig:  La  Saint -MandSenne 
(eine  dort  bestehende  Musikgesellschaft.    Paix,  8  nov.  1887. 

Saintongeois  wie  Sachs  haben  C,  CdV.  VIII,  186  und  Coeckel- 
berghe-Dutzele  I,  261.  Ich  fand  die  Form  nur  bei  Lacre- 
telle  und  H.  Martin.  Dagegen  Saintongeais :  La  Chronique 
Saintongeaise  (Oautier,  la  Chanson  de  Roland,  369).    L'avenir 

^)  Wenn,  wie  man  annehmen  kann,  die  Stadt  nach  samt  Lo  oder 
Laud,  Bischof  des  in  der  Nähe  liegenden  Coutances  genannt  ist,  so 
liegt  ein  weiterer  Fall  für  das  Suffix  -ois  bei  Personennamen  in  der 
Übertragung  auf  Ortsnamen  vor. 


144  i%.  Baitner, 

est  bien  inquiitant  pour  U  vignoble  saintongeais  y  en  prisence 
de  la  marche  envdhissante  du  phylloxera  (Fig.  24  oct.  1876). 
C*est  en  effet^  si  notis  en  croyona  une  vieille  ligende  sainton- 
geaiaej  au  müieu  du  Xlir  sihde,  que  furerU  construits,  pris 
de  la  Rochelle y  Ua  premiers  j^bouchots^  ou  clötures  pour  les 
moules  (ib.  21  sept.  1877). 

Saint-Quentinois,  vergl.  quintinois. 

Saletin^  (nach  Sachs),  Bewohner  von  Sallee  (Sal^)  in  Marocco; 
nach  C.  SaUtain, 

San-Ränois,   zu  San-R^mo  gehörig:    Les  San-Remois  (France, 

17  d6c.  1878.) 

SantorinoiB,  zur  Insel  Santorin  gehörig  (C). 

Sarthois,  Bewohner  des  d6p*  de  la  Sarthe  (CdV.  VUI^  186): 
Les  republicains  sarthois  (Petit  XIX®  Siöcle,    16  juin  1883). 

Saulnois,  Znsatz  von  Ortsnamen,  bei  Chäteau-Salins  z.  B. 
Fresnes-en-  Saulnois. 

Saumurois,  Bewohner  von  Saumur,  Saumunerij  Zögling  der 
dortigen  Offizierschule  (Petit  XIX«  Siöcle,  27  et  28  oct.  1881). 

Sauveterrien^  Bewohner  von  Sauveterre  (Paix,  17  oct.  1886). 

SaTOisien  ist  das  üblichere  Wort  für  Bewohner  Savoyens,  da 
savoyard  eine  Nebenbedeutung  hat  (vgl.  boheme  neben  bo- 
himien):  Oeci  soit  dit  sans  blesser  la  susceptibiliti  des  bans 
habitants  de  cette  contrie^  qui  tiennent  ä  etre  nommes  Savoisiens 
(Quitard,  Dictionn.  des  proverbes,  36).  Les  Savoisiens  re- 
poussent  une  aUiance  que  Vanarchie  rend  affreuse  (M°^«  Roland 
bei  Raffy,  Lectures  d'hist.  de  Fr.  646).  II  y  aura^  suivant 
Voccurrencey  des  dtalages  parisienSf  lyonnais,  jurassiens,  sa- 
voisiens et  bressans  (France,  7  nov.  1877).  M.  Suva,  deputS 
de  la  Savoie,  paraU  ä  la  tribune.  Cet  honorable  montagnard 
est  indigni  qu*on  ait  traite  Victor  Ummanicel  d^usurpateur  Sa- 
voyard. M,  Silva  ne  connatt  pas  les  Savoyards,  ü  ne  connatt 
que  les  Savoisiens  qui  sont  devenus  JFVangais  (Fig.  4  mai  1877). 
Ce   prince    savoisien    (nämlich    Victor    Emmanuel.       France, 

18  janv.  1878).  Ces  qualitis  tout^  savoisiennes  (Sainte- 
Beuve,  Nouv.  Qalerie  88).  Allerdings  findet  Savoyard  sich 
noch  vielfach  dafür,  ausser  bei  Voltaire  z.  B.  bei  Thiers, 
H.  Martin,  Th.  Gautier  u.  a.  Doch  muss  der  Widerwille 
gegen  Savoyard  schon  alt  sein,  denn  Robert  Estienne  ge- 
braucht schon  les  Savoyens  (nicht  mehr  üblich)  für  die  Be- 
wohner Savoyens  (CdV.  II,  94).  Das  von  Littr6  (savoisien 
Etym.)  gegebene  Savoyen  ist  offenbar  Druckfehler  für  Savoyen. 

Schwy(t)zoiS9  zu  Schwy(t)z  gehörig:  Le  peuple  schwytzois 
(XIX*  Si^cle,  8  oct.  1888).  Vavant-garde  marchait  sans  prS- 
voyance,  de  mime  que  les  Schtvyzois,  qui  ne  se  doutaient  pas 


Personal'  und  Gentüderivaie  im  Neu  französischen,  145 

^6  U  duc  füt  ddjä  8ur  pied  (Jean  de  Muller,  trad.  de  Mon- 
nard,  bei  Raffy,  Lect.  d'hist.  de  Fr.  9). 

Scutarien,  zu  Scutari  gehörig:  La  cavalerie  sctUarienne  (Paganel, 
Scanderbeg,  83). 

S^gestill»  nach  dem  C.  Sigestain, 

Segr^ll;  Bewohner  von  Segr6  (CdV.  V,  83). 

Seine  (-et) -Oison,  scherzhafte  Bildung  für  Bewohner  des  D^p* 
de  Seine  -  et  -  Oise :  Vous  raisonnezy  comment  dirai-jef  en  Seine- 
Oison,  ainsi  qvs  le  dit  M,  de  Rochefort  (Worte  von  M.  de 
Lasteyrie  im  S^nat.  France,  16  juin  1879).  On  m'envoie 
dans  le  dipartement  de  Seine -et- Oise,  Espirons  que  la  vue 
des  Seine '  et 'Oisons  me  digourdira  (E.  About,  Petit  XIX® 
Siöcle,  7  aoüt  1881). 

Semurien,  Bewohner  von  Semur  (CdV.  V,  83). 

Senan,  Bewohner  der  tle  de  Seins  (CdV.  VIII,  186). 

Septimanien,  Septimanique,  zu  Septimanie  gehörig:  Les  villes^J 
septimaniennes  (H.  Martin  II  192,  210).  Les  seigneurs  septi- 
maniens  (ib.  III,  468).  Aber:  Les  plaines  septimaniques  (ib. 
II,  510).     Vgl.  germain,  germanique. 

Sfaxien,  Bewohner  von  Sfax  in  Tunis:  Les  Sfaxiens  (Petit  XIX® 
Sifecle,  21  juin  1881). 

Sind^tique,  zu  Sind  gehörig  (C). 

Sindique,  zu  les  Sindes  gehörig  (C). 

Sinopien,  zu  Sinope  gehörig  (C). 

Sittianien,  zu  Cirta  gehörig,  doch  kommt  das  Adj.  von  einem 
Personennamen  Sittius  (C). 

SlaTOn  nach  Sachs  altslavisch  bes.  inbezug  auf  die  Sprache. 
Des  Slavonnes,  Slavinnen,  slavische  Frauen  (A.  Daudet,  Les 
rois  en  exil,  287). 

Smyrniste  (?)  Bewohner  von  Smyme:  Quand  notre  aviso  est 
reiourni  ä  son  mouiUagey  les  Smyrnistes  se  sont  porUs  sur 
les  quais  (Petit  XIX®  Si^cle,  9  mai  1881).  Blosser  Druck- 
fehler für  Smyrniote  (welches  ib.  8  avril  1881  gebraucht  ist)? 

Solonais  (Sachs:  Solonois)  Nebenform  zu  Sologneauy  Solognot: 
ün  Solonais  (Fr.  Wey,  Remarques  sur  la  langue  fr.  II,  450). 
Auch  von  L.  Rollin,  Neues  Handb.  der  franz.  Conversations- 
spräche  (S.  182)  gegeben. 

Sorbonnien,  Angehöriger  (Student)  der  Sorbonne  (A.  Houssaye, 
France,  24  juill.  1879). 

Soudanais,    Nebenform    zu    Soudanien:    Les    Soudanais    (Paix, 

1)  Es  soll  ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  dass  ville  hier 
beidemale  als  blosser  Wohnort,  nicht  im  Sinne  von  Bürgerschaft, 
Stadtbevölkerung  genommen  ist,  was  zu  der  bei  germain  gegebenen 
Regel  nipht  stimmt. 

Zschr.  f.  firz.  Spr.  q.  Litt.    XP.  j^q 


146  Pk.  Plattner, 

20  aoüt  1885  und  in  den  Zeitungen  der  letzten  Jahre  sehr 
häufig).  Auch  von  Über  bemerkt.  In  derselben  Nummer 
aber  L'insttrreetion  soudanierme.  Auch:  Des  diserts  oü  rien 
n'arrete  la  marche  des  Soudaniens  (Petit  XIX*  Si^cle,  15  f6vr. 
1884). 

Souletin,  Bewohner  der  Landschaft  la  Soule   (CdV.  YIH,  186). 

Spetziote,  Bewohner  der  Insel  Spetzia  (C).  Man  kann  anneh- 
men,   dass   das  Adj.  zu  la  Spezzfa    (Italien)   spezziote  lautet. 

Sphakiote,  Bewohner  von  Sphakie  (C.) 

Spinalien,  zu  Epinal  gehörig:  Un  jeune  komme  d^origine  spina- 
Henne  (Paix,  24  sept.  1886). 

Stoben,  zu  Stobös  gehörig  (C.) 

Sueyique,  Nebenform  zu  suhoe:  Les  trtbus  suiviques  (Michelet^ 
Pr6ci8,  I,  62,  H.  Martin,  I,  263). 

Tahitien,  Nebenform  zu  tattien  (otahitien,  otdvtien) :  TJassetnhUe 
legislative  tahitienne  .  .  .  La  musique  a  joit4  Vair  tahitien  Titaua 
(France,  24  nov.  1877). 

Tarasconnais,  Bewohner  von  Tarascon:  Les  Tarasconnais  (Paix, 
14  d6c.  1886).  Auch  von  Über  bemerkt  (unrichtige  Form 
mit  einem  n). 

Tarbais,  Tarb^n,  Bewohner  von  Tarbes  (CdV.  V,  83). 

Tardenois,  Landschaft  im  Dep^  de  TAisne,  zwischen  Soissons 
und  Chäteau-Thierry,  doch  östlicher:  Fire-en- Tardenois. 
Ville-m- Tardenois  (Petit  XIX«  Siöcle,  3  juin  1881.) 

Tarentaise,  Landschaft  in  Savoyen:  MouUers-en-Tarentaise 
Paix,  14  aoüt  1885).  Dans  le  siecle  suivant,  üs  {les  ducs 
de  Savoie)  ont  ajout4  la  Tarentaise  h  leur  domination.  (Hönault- 
Michaud,  Abr6g6  chronol.  de  d'hist.  de  Fr.  436).  Von  Daren- 
tasia,  dem  alten  Namen  des  oben  genannten  Moutiers-en- 
Tarentaise, 

Tarin,  Bewohner  von  la  Tarentaise  (CdV.  VIII,  186). 

Tarnais,  Bewohner  des  D6p*  du  Tarn  (ib.). 
T^g3^6ien,  zu  T6gyra  gehörig  (C). 
Tergesidn,  zu  Tergeste  gehörig  (C). 

Terre-Nenvien,  Bewohner  von  Terre-Neuve  (Neufundland): 
Terre-Neuve  et  les  Terre- Neuviens  par  Henri  de  la  Chaume 
(Buchtitel.     Paix,  25  mai  1886). 

Tessinois,  zum  Kanton  Tessin  gehörig:  Lidißjce  (de  Vhospice 
du  Saint  -  Gothard)  tombait  alors  presque  en  ruines,  Vautorit4 
tessinoise  le  fit  restaurer  (XIX®  Siöcle,  20  octobre  1880). 
Les  Tessinois  voulaient  un  ivique  pour  eux  seuls»  (Ind^pen- 
dance  Beige,  23  janv.  1886). 

Thierrache^  selten  Thürache  (Sachs  hat  nur  ThUrarche).    Land- 


Persorud'  und  Grentüderimte  im  Neu  französischen.  147 

Schaft  im  D6p*  de  FAisne.  Nouvion-en-TJUh-ache  (Paix,  16  juill. 

1886). 
Thierachien,  Bewohner  von  la  Thieräche  (sie)  (CdV.  VIII,  186). 
Thiernois,  Bewohner  von  Thiers  (CdV.  V,  83). 
Thionvillois,  zu  Diedenhofen  (Thionville)  gehörig  (CdV.  V,  83). 

Les   Petibes   Äffiches   Thionviüoises  (Zeitung.     Paix,    1®'  juin. 

1886).' 
Thom^rien,    Bewohner    der    Landschaft    Thomi^res    (Döp*  de 

rH6rault.     CdV.  Vffl,  186). 
Tigurin,   zu  Zürich   gehörig:    Le  lac   Tigurin    (Mignet,   jfetudes 

hist.  41) ;  in  der  Geographie  lac  de  Zürich,    Bei  Sachs  fehlt 

auch  les  Tigurins,  Stamm  der  Helvetier. 
Toggenbonrgeois,  zu  Toggenburg  gehörig  (C). 

TonkinoiB,  Bewohner  von  Tonkin:  Les  Tonkinais  (Cortambert, 
510).  In  den  Zeitungen  der  letzten  Jahre  äusserst  häufig. 
Sachs  hat  tunquinois. 

Tortonais,  zu  Tortone  gehörig:  Le  Tortoncds  (Gebiet  H^nault- 
Michaud,  Abrög^  chronol.  de  Thist.  de  Fr.  435).  Im  C. 
tortonlsey  tortonois, 

Toulois,  öfter  Touttois^  (z.  B.  H.  Martin,  I,  463). 

Tourangeau,  &cherzhfiÜeB  Fem.  tourangeaude:  C'est  une  prideuse 
de  la  province,  mademoiseUe  de  Bened,  „tourangeaude^^  qui 
la  premiere,  parla  d'un  „soupe  rincuit^^  (Fr.  Wey,  Remarques 
sur  la  langue  fr.,  I,  128). 

Tournaisis,  Nebenform  von  toumaisienj  nur  das  Gebiet  bedeu- 
tend: Le  Toumaisis  (H.  Martin,  I,  410,  II,  55,  IV,  442,  V, 
53,  215,  VIII,  15;  Mignet,  JEtudes  hist.  249). 

Toiirquen(n)ois,  zu  Tourcoing  gehörig:  tourqitennois  bei  Ver- 
messe, Patois  wallon,  introd.  12.     Tourqttenois  (CdV.  V,  83). 

Trans -vaalien,  zu  Trans -vaal  gehörig  (Cortambert,  589). 

Tr^gorrois,  wie  Sachs  angibt,  ist  die  üblichste  Form  und  die 
einzige,  die  ich  weiter  belegen  könnte.  CdV.  V,  83  gibt 
trScorois  und  trigorois. 

Trentin,  Nebenform  zu  trentaisy  tridentin  bedeutet  wohl  nur  das 
Gebiet:  On  a  eu  de  la  peine  ä  empecher  ce  diplomate  de 
soulever  officiellement  la  question  de  la  cession  du  Trentin 
(France,  14  juill.  1878). 

Tr^vire  kann  nur  von  der  vorfränkischen  Zeit  gebraucht  werden, 
sonst  TrSoirien,  welches  bei  Sachs  fehlt:  La  faim^  le  froid, 
les  miasmes  exhales  de  tant  de  corps  en  putrifaction,  deci 
maient  chaque  jour  les  Triviriens  dchappes  ä  la  rage  des  bar- 
hares  (H.  Martin,  I,  360). 

Triestill   (Sachs:    Triestain):   J^ai  faxt  ressortir  plusieurs  fois 

10* 


148  /%.  Plaitner, 

de  ja  le  mouvement  de  haine  que  la  mort  du  jeune  itvdiant 
triestin  avait  exciU  (XIX®  Sifecle,   7  janv.  1883.) 

Trouvillais,  zu  Trouville  gehörig:  ^püogue  de  la  saison  trou- 
vülaise  (France,  22  aoüt  1879). 

Troyen,  aach  Bewohner  von  Troyes,  von  Sachs  nicht  aufgeführt, 
vom  C.  nicht  als  gute  Form  betrachtet,  aber  durchaus  üblich: 
Pendant  les  guerres  de  Vempire,  un  Troyen,  entendant  annoncer 
que  le  gSniral  BaviUe  avait  pris  perruque  demanda  oü  cette 
vüle  etait  situ^e,  Un  vieil  dbhe  lui  repondit:  Sur  la  nuque 
(Dictionn.  des  calemb.  199).  Les  Troyens  conservhrent  la 
liherte  de  commercer  avec  Paris  (H.  Martin  VI,  185).  Les 
mdmoires  sur  les  Troyens  cillhreSy  de  Grroshy,  renferment 
des  documents  intiressants  ä  ce  sujet  (d.  h.  über  Colbert's 
Familie,  die  aus  Troyes  stammte;  ib.  XIII,  21  f.)  La  Cham- 
pagne troyenne  (Gegensatz  zu  Champagne  rimoise^  ib.  II, 
117).     Auch  CdV.  V,  83  gibt  Troym. 

Tsernagoste,  Czernagorze:  8^il  se  trouve  ici  cachi  un  frlre 
Tsernagoste,  qu'ü  ne  ms  tue  pas  en  Toe  prenant  pour  un  Türe, 
car  je  suis  un  enfant  de  la  Tsernagore.  (Philibert  Br^ban, 
XIX®  Siöcle,  20  aoüt  1880).  La  beautS  incroyable  des  arm^ 
que  portent  les  Tsemagostes  est  chose  d*autant  plus  anormale 
qu'üs  portent  tres  peu  de  linge  blanc  (ib.).  Vgl.  Czemagorsque 
in  dieser  Zeitschr.  IV,  70. 

Tunisois  neben  dem  üblichen  tunisien:  II  fut  scientifiquement 
etabli  que  le  domaine  de  M.  Herby  Hait  vraiment  sol  tripoli- 
tunisois  (Maurice  Jokai,  trad.  Fig.  22  juill.  1877,  Suppl^m.  litt.). 

YaleiiQais,  Bewohner  von  Valence  (Valencia)  in  Spanien:  Les 
Valengais  (Lavall6e,  Hist.  des  Fran9ais,  IV,  503). 

Yalencian,  Nebenform  zu  Valencien  (C.  und  CdV.  V,  83). 

Yalentinois,  andere  Nebenform,  bedeutet  in  der  Regel  nur  das 
Gebiet  von  Valence,  steht  aber  auch  in  weiterer  Verwendung: 
ün  bafeau  freti  par  la  commission  valentinoise  Vattendra  sur 
le  Rhone  (es  handelt  sich  um  Gambetta's  Anwesenheit  in 
Valence;  France,  17  sept.  1878.) 

Vallouisais,  Bewohner  des  Thals  de  la  Vallouise  im  D6p*  des 
Hautes- Alpes  (CdV.  VIII,  186). 

Valoisien,  Bewohner  der  Landschaft  Valois  (CdV.  VIII,  186). 
Sonst  heisst  das  Adj.  vaUsien, 

Yaticanesqiie,  vatikanisch :  Uesprit  non  seulement  clericaly  mai>s 
vaticanesque  (France,  22  sept.  1878). 

Yaillignonnais,  Bewohner  von  Vaulignon :  C^itait  une  Vaulignon- 
naise,  scßur  de  lait  de  Marguerite  (E.  About,  Petit  XIX®  Si6cle, 
15  mars  1881). 

Yelaisien,  Bewohner  der  Landschaft  le  Velay  (CdV.  VIII,  186). 


150  Pk,  Ftaitner, 

YiTarais,  Landschi^t  im  D6p*  de  FArdöche,  offenbar  mit  Viviers 
(Stadt  ebenda)  zusammenhängend. 

Vorgien,  Bewohner  von  Vorges  (D6p*  de  l'Aisne.  Paix,  29  juin 
1885). 

Washingtonien,  zu  Washington  gehörig:  Le  New -York  Times 
a  puhlii  ä  ce  sujet  de  longues  expUcations  de  son  correspondant 
wasMngtonien  (Paix,  1®'  oct.  1887). 

Yorkais,  Bewohner  von  York:  Les  Yorkais  (Marmier,  Robert 
Bruce,  233).  Dagegen  les  YorkUtes  (Anhänger  des  Hauses 
York,  Gegensatz  Us  Lancastriens.     Cortambert,  101). 

Yyetotais,  zu  Yvetot  gehörig:  Le  conseü  commtmcd  Yvetotals 
(Paix,  7  sept.  1886). 

Zanzibarien,  zu  Zanzibar  gehörig:  De  lä,  des  incursions  friquentes 
des  iroupes  zanzibariennes  sur  le  terrttoire  allemand  (Paix, 
16  aoüt  1885).     Zanzibarite  von  über  bemerkt. 

Zaretin  nach  Sachs,  Zaritin  nach  C.  zu  Zara  gehörig. 

Zoulou,  auch  als  Adj.  mit  Fem.  zouloue:  Les  forces  zoidoues 
(France,  2  mars  1879). 

Znricois  ist  jedenfalls  weit  üblicher  als  zurichois.  Für  ersteres 
habe  ich  4  Beispiele  aus  verschiedenen  Zeitungen,  für  letz- 
teres nicht  ein  einziges. 

Bemerkangen. 

Ganz  gelehrten  Charakter  haben  die  mit  dem  Suffix  -qiie 
abgeleiteten  Wörter,  mögen  ihnen  Personen-  oder  Ortsnamen  zu 
Grunde  liegen.  Die  meisten  sind  direkt  aus  dem  Lateinischen, 
sei  es  aus  der  klassischen,  sei  es  aus  der  gelehrten^  Universal- 
sprache des  Mittelalters  entlehnt  oder  im  Anschluss  an  die  letz- 
tere gebildet. 

Die  von  Personennamen  abgeleiteten  haben  zudem  ein  sehr 
begrenztes  Verwendungsgebiet.  Nur  in  der  Metrik  sind  üblich 
z.  B.  adoniquej  alcaiquey  saphique.  Nur  in  der  Litteraturgeschichte 
anacreontique,  aristophanique,  demostheniqitey  esopique,  hoffmanni- 
quey  homirique,  hugotique^  juvSnalique,  ossianique.  Nur  in  der 
Philosophie  arlstotilique,  platonique,  pythagorique,  socratiqucj  zino- 
nique.  Nur  in  der  Medizin  und  den  Naturwissenschaften  fara- 
diqtiCf  gal^nique,  galvanique,  hippocratiquey  mesmiriquey  plutoniquCy 
voUrnque.  Nur  in  der  Musik  offenbachique.  Nur  in  der  Numis- 
matik darique.  Von  ausgedehnterem  Gebrauche  sind  etwa  dio- 
g&nique,  hermetiqtie  (i.  d.  Bed.  „luftdicht^'),  komerique,  Tnachiaoüiquey 
miphistophÜique  (m^phistophilStique),  pantagruilique  ^  sardanapa- 
lique,  socratique,  obschon  einzelnen  aus  der  Nebenform  auf 
-eBqne  eine  starke   Konkurrenz   erwächst    (vgl.  aristophimesque, 


Personal-  und  Gentüderivate  im  Neufranzösischen,  151 

figaresqtte,  juvMalesqtie,  sardanapale^que).  Ausser  dem  direkt 
übemonimenen  darique  (Darike,  Dariusmünze)  sind  alle  Wörter 
Adjektive,  und  zwar  so  sehr,  dass  sie  nicht  einmal  eine  Sab- 
stiütivierang  zulassen. 

Unter  den  geographischen  Namen  sind  alle  Kategorien  ver- 
treten: Erdteile  und  Länder  (asiatique,  dcdmatiquey  hispanique, 
lombardique  y  westphalique),  Völker  (dllemanniqibß^  cimhrique,  ger- 
maniquey  hunniquef  normanniquey  puniquey  sarracSniqueJy  Inseln 
und  Städte  (hcdiarique^  hritanniquey  dleatique,  javanique^  migarique^ 
nandque,  saitique)^  Gebirge  (alpique,  aUaique,  haOcaniqttey  car- 
pathique,  caucasiquey  jurassiquey  pyrenaique),  Meeresteile,  Seen 
und  Flüsse  (gangdtique,  Umaniquey  nüotiquey  sdquaniquey  syrtique). 
Zu  bemerken  ist,  dass  von  einzelnen  Bergen  diese  Bildungsform 
nicht  existiert,  sowie,  dass  die  erwarteten  indique  und  ülyrique 
nicht  übernommen  worden  sind. 

Die  Verwendung  ist  auch  hier  vielfach  eine  begrenzte.  So 
finden  sich  einzelne  nur  für  die  Sprache  (abyssiniquey  arabique^ 
cambriquey  normannique)y  andere  nur  in  der  Philosophie  (iUatiquey 
migarique)  oder  in  der  Geologie  (jurasnque)  oder  in  der  Chemie 
und  zwar  nur  mit  acide  verbunden  (japoniquey  nandquey  prussique) ; 
catalaunique  endlich  findet  sich  nur  in  les  Champs  catcdau- 
niques.  Von  ausgedehnterem  oder  allgemein  üblichem  Gebrauch 
sind  etwa  adriatiquey  ßsiatiquey  balkaniquey  bdUiquey  britannique^ 
caucasiquey  germaniquey  hdvetiquey  laconiquey  teutonique.  Auch 
diese  Wörter  sind  reine  Adjektive  und  nur  einzelne  lassen  Sub- 
stantivierung zu  (adriatiquey  baltiqu£,  obwohl  auch  bei  diesen 
der  Zusatz  von  mer  üblicher  ist,  sowie  attique)  und  dienen  dann 
sich  aelbst  wieder  als  Adjektive,  so  dass  z.  B.  la  BaUique  die 
Ostsee  und  baltique  zur  Ostsee  gehörig  bedeutet;  möglich,  aber 
nicht  sehr  üblich  ist  es,  für  die  Sprache  das  substantivierte  Ad- 
jektiv zu  gebrauchen  (le  cambrique);  Gerpianique  war  Substantiv 
für  die  alte  Einteilung  Germaniens,  wird  aber  hier  durch  Ger- 
manie verdrängt;  zu  erwähnen  ist  auch  ä  la  persique  nach  per- 
sischer Art,  Mode.  Wirkliches  Substantiv  ist  nur  asiatique  ge- 
worden (les  Asiatiques  die  Asiaten);  das  von  Mätzner  noch 
aufgeführte  les  CeUiques  ist  durch  les  CkUes  verdrängt. 

In  noch  höherem  Grade  ist  das  Suffix  -iaque  gelehrten 
Ursprungs.  Bei  Personennamen  wird  es  nicht  verwandt,  denn 
dionysiaque  und  üiaque  sind  dem  Lat.  entnommen  und  tropp- 
maniaque  hat  hoffentlich  nur  eine  ephemere  Existenz  in  der 
Sprache.  Es  findet  sich  bei  den  verschiedensten  Ortsnamen, 
auch  Flüssen  (niliaque),  doch  nicht  bei  Bergnamen.  Auch  diese 
Perivate  sind  reine  Adjektive  und  nur  wenige  lassen  eine  sub- 
stantivische Verwendung  zu  (z.  B.  les  Bosniaques)\  igyptiaque  bat 


152  Ph.  fHaiiner, 

als  Sabstantiv  die  NebeDform  igyptiac  (Name  einer  Salbe).  Sehr 
gebräuchlich  ist  keines  der  Wörter,  im  Gegenteil  sie  sind  teil- 
weise veraltet,  andere  gehen  demselben  Schicksal  entgegen;  doch 
bildet  auch  die  Wissenschaft  wieder  neue  Formen  z.  B.  aryaque 
(neben  aryen). 

Rein  adjektivisch  sind  auch  die  mit  -esqiie  (nach  dem  Ital.) 
gebildeten  Derivate.  Sie  werden  besonders  von  italienischen 
oder  spanischen  Personennamen  gebildet,  auch  von  Appellativen, 
die  eine  ähnliche  Bedeutung  erlangt  haben  (picaresque),  z.  B. 
heminesquey  cervantesque,  dantesque,  don-juanesque,  don-quichoUes- 
quCy  figaresque,  garibaldesque,  manoSlesquej  mazarinesque^  michel- 
ang(el)esqitej  raphaSlesque;  doch  auch  von  französischen  oder 
fremden,  sogar  von  antiken  Namen  z.  B.  aristophanesquey  amales- 
que,  charlemanesque,  chateaubrianesque,  florianesque,  ingresqtie 
(Ingres),  hoffmanesqiiey  juvincdesque,  povssinesquey  prudhommesqtie, 
sardanapalesquCy  scarronesque.  Nebenformen  existieren  teilweise 
auf  -ique  (aristophaniquey  figarotique,  hoffmaniquey  juv4naliquey 
8ardanapaUque)y  teilweise  auf  -ien  (garibaldieUy  sardanapalien ; 
scarronien  ist  nicht  nachweisbar,  aber  möglich).  Über  die  Be- 
deutung der  Formen  auf  esque  vgl.  aristophanique.  Selbstverständ- 
lich tritt  dieselbe  bei  ital.-span.  Namen,  die  kaum  anderes  Suffix 
zuliessen,  weniger  hervor  (z.  B.  dantesqiiej  raphaüesque).  —  Es 
finden  sich  auch  ähnliche  Bildungen  von  Appellativen  (cardi- 
nalesquCj  camavalesqu€y  charlatanesqu€y  marichalesquey  paysanesquey 
romanesquey  soldatesquey  sultanesquey  also  hauptsächlich  von  Per- 
sonennamen, selten  von  Sachnamen):  En  tSte,  un  escadron  des 
gar  des  du  corps  de  Sa  Majesti  camavalesquey  puis  le  bceuf  gras 
et  sa  suite  (Ind6pendance  Beige,  31  mars  86).  Une  püce  icrite 
en  style  paysanesque  (Th.  Gautier  VI,  135.  Die  Rede  ist  von 
Frangois  le  Champi  von  George  Sand).  In  dieser  Verwendung 
hat  das  Suffix  -esque  etwas  Spasshaftes  (z.  B.  cardinalesqüey 
welches  nur  auf  rote  Nasen  Anwendung  findet)  oder  ist  etwas 
depreziativ. 

Von  geographischen  Namen  werden  kaum  Derivate  mit 
-esque  gebildet:  unter  den  neueren  Wörtern  steht  vaticanesque 
allein,  kann  aber  seiner  Bedeutung  nach  als  Bildung  von  einem 
personifizierten  Ortsnamen  gelten.  Erhalten  sind  arabesque^  bar- 
bai'esque,  moresqus,  die  zugleich  als  Substantive  üblich  sind,  so 
sehr,  dass  z.  B.  bei  barbaresque,  welches  in  älterer  Sprache  auch 
„barbarisch,  grausam'*  hiess,  die  adjektivische  Verwendung  fast 
verschwunden  ist,  während  die  substantivische  bei  diesem  Wort 
wie  bei  den  ähnlichen  sehr  eng  ist. 

Bei  italienischen  Ortsnamen  findet  sich  das  SufQx  -asque 
zur  Bildung  von  Adjektiven  und  Substantiven  (dem  Ort  angehörig, 


ßersonal'  und  Geniüderivate  im  Neufranzösischen.  153 

Gebiet  oder  Bewohner  des  Ortes),  so  bergamctsque,  comasque^ 
cremasque,  mxmegasque  (monagaaquey 

Das  Suffix  -ite  leitet  von  Personennamen  die  Bezeichnmigen 
von  Sekten  oder  religiösen  Parteien  ab  (dbüonüe^  adamite, 
ihionite^  hussitej  jacobite^  joackimite^  johannite,  vieldfite  neben 
videfistejy  auch  die  von  Mönchsorden  (guillemäe,  hiSronymite,  jdsuite), 
niemals  aber  die  von  politischen  Parteien,  denn  das  einzige 
jacobite  (Anhänger  der  Stuarts)  ist  offenbar  aus  dem  Englischen 
übernommen.  Diese  Wörter  haben  adjektivischen  und  substan- 
torischen  Gebrauch  und  letzterer  überwiegt. 

Von  geographischen  Namen  werden  Ableitungen  mit  -ite 
nicht  gebildet.  Vorhanden  sind  nur  direkt  übernommene:  abdirite, 
ascaloniiey  israilüe,  madianitey  moabite,  satte,  stagirite,  sunamite, 
sybarite,  ebenso  annamite,  moscovite.  Memphite,  raontmartrite 
und  meist  auch  syinite  sind  nur  Ausdrücke  der  Mineralogie. 

Dagegen  ist  das  Suffix  -ote  bei  diesen  Namen  ziemlich 
üblich:  candiote,  chiojote,  ehiote,  corfiote,  duldgnote,  fanariotey 
hydriote,  (ijpsariote,  roumeliote,  smyrniote,  souLiote  u.  a.  Alle 
sind  übernommen. 

Eigene  Bildungen  sind  die  Derivate  auf  -ot:  gavot  (zu 
Gap;  la  Gavotte  ein  Tanz),  morvandioty  solognot,  alle  mit  Neben- 
formen (gapengaisy  morvand(eau) ,  sologneau).  Nachgebildet  sind 
cypriot  und  chypriot,  rhodiot. 

Das  Suffix  -iste  bildet  von  Personennamen  die  Bezeich- 
nungen für  politische  Parteien  (bonapartiste,  carliste,  climenciste, 
dantoniste,  fayettiste  oder  lafayettiste,  guillaumiste ,  hSbertistey  isa- 
belliste, jttariste  (zu  Juarez),  m(zzariniste,  pameiUiste,  robespierriste, 
rolandiste,  stuartiste,  thiiriste  (zu  Thiers),  turgotiste  u.  a.),  für 
wissenschaftliche  oder  künstlerische  Schulen  (averrhoiste,  babou- 
viste  (zu  Babeuf),  bollandiste,  darwinishe,  fourUriste  (zu  Fourier), 
gaUniste,  galliste,  gassendiste,  gavarniste  (zu  Gavami),  hobbiste 
(zu  Hobbes),  jacotiste  (zu  Jacotot),  kantiste,  luUiste,  malebranchiste, 
marotist£,  picciniste  u.  a.),  seltener  für  Mönchsorden  (lazariste, 
mariste)  oder  Eirchengemeinschaften  (calviniste,  feneloniste  = 
quietiste,  gomariste,  iscariotiste,  jansSniste,  jihoviste,  viclifiste  neben 
vid^fitejy  so  ist  z.  B.  das  alte  luth^riste  zugunsten  von  lubhirien 
verschwunden.  Auch  hier  überwiegt  der  substantivische  Gebrauch 
über  den  adjektivischen. 

Von  geographischen  Namen  werden  Ableitungen  mit  -iste 
nur  in  scherzhafter  Weise  oder  missbräuchlich  gebildet.  So  ist 
z.  B.  unser  „Girondist^  girondin;  das  von  Sachs  aufgeführte 
montmartriste  ist  daher  eine  verunglückte  und  auch  nie  besonders 
üblich  gewordene  Bildung.  Scherzhafte  Ableitungen  von  Orts- 
namen sind  carririste  (zu  Carri^res),  landerniste  (zu  Landerneau); 


154  Pk,  Piatiner, 

missbräochlich  sind  eingedrungen  ninivüte  und  nivemiste;  lovaniste 
(Student  von  Löwen,  Louvain),  port-royaliste  (s.  o.)  finden  in  ihrer 
begrenzten  Verwendung  eine  Entschuldigung. 

Wie  -ote  ist  auch  das  Suffix  -ate  nur  in  übernommenen 
Wörtern  zu  finden:  antiate,  arddatey  cisenaie,  crotoniate,  ßdinate^ 
hans^atey  holsate,  ravennate^  spartiate^  tSgdate,  Croatey  dalmate, 
sarmate  gehören  nattirlich  nicht  hierher. 

Die  eigenen  Bildungen  auf  -at  sind  selten:  auvergnai.  Le 
Crenovisat  (Gebiet  von  Genua)  scheint  Wörtern  wie  ayndaiy  mar- 
quisai  nachgebildet. 

Das  üblichste  Suffix  ftir  Personennamen  ist  -ien  mit  den 
Nebenformen^)  -in,  -ain,  -(6)en.  Schon  die  Formen,  zu  welchen 
sich  Belege  geben  lassen,  überwiegen  an  Zahl  die  Ableitungen 
vermittelst  anderer  Suffixe.  Dieses  Übergewicht  stellt  sich  aber 
noch  als  stärker  heraus,  wenn  man  in  Anschlag  bringt,  dass  -ien 
für  neue  Bildungen  am  bequemsten  und  üblichsten  ist,  dass  es 
allen  Bedeutungen  zum  Ausdruck  verhelfen  und,  dank  seinen 
Nebenformen,  an  fast  alle  Namen  antreten  kann. 

Das  Suffix  -ien  findet  sich  bei  antiken  wie  bei  modernen 
Namen  (cSsarien^  ipicunen^  hercuUen,  bismarckieny  napoldonien, 
wagrUrien),  mögen  letztere  französisch  sein  oder  nicht;  es  dient 
zur  Sektenbezeichnung  (ahUien,  anen^  eutychien,  nestorien  u.  a.), 
findet  sich  in  Namen  von  Eirchengemeinschaften  (LuthSrien^ 
zwinglienjj  von  Dynastien  (capiüen^  carlovingien,  mSravingieriy  auch 
hourbonien  kann  hierher  zählen),  von  Schulmeinungen  (aristoti- 
licien,  augusÜnim,  bacanien,  cartSsien,  copemicien,  ipicurim,  kantien, 
lancastSrien  y  leibnüzien,  malthusieriy  newtonteriy  platonicien,  saint- 
simonien  und  viele  andere),  im  litterarhistorischen  Gebrauch  (ar- 
thurien,  byronieriy  eschyUeriy  horatieny  lamartinien,  mütonieriy  rabe- 
laisien,  racinieriy  shake^pearien,  turcarien  (zu  Turcaret),  voUairien 
und  viele  andere),  für  politische  Parteien  (cdsarien  ==  impdrialütey 
garibaldieny  gondowaldien,  Ittdavideriy  mazzinien)^  ferner  zur  Be- 
zeichnung der  allgemeinsten  Zugehörigkeit  (appien,  bismarckieny 
bulozicHy  fabteriy  jupiUrieny  minervieriy  roihschildien)  y  auch  bei 
geeigneten  Appellativen  (czarieriy  khSdivienJy  endlich  zur  Bezeich- 
nung ganz  bestimmter  Gegenstände,  daher  öfter  ohne  nachweis- 
bare männliche  Form  (draisienne  oder  draisiney  luctdlien  nur  bei 
Marmor,  mtlonienne  für  die  Miloniana  Cicero's,  vespasienne  für 
öfifentliche  Bedürfnisanstalt).  Wie  in  dem  letzt  aufgeführten  Wort 
kann  von  einem  Suffix  im  Sinne  der  vorhergehenden  Wörter  nicht 
die  Rede  sein  auch   bei  diocUtieny  womit  der   Kürze  halber  die 


1)  Als  solche  gelten  sie  trotz  der  Etymologie  für  das  volkstüm- 
liche Sprachbewusstsein. 


Personal'  und  Gentüderioate  im  Neufranzösischen,  155 

ähnlichen  Fälle  zusammengestellt  s^ien:  antonin,  constantin,  dau- 
phin,  mazarin,  montgolfier  (montgolfitre) ,  trajan^  welche  eine 
durchaus  adjektivische  Motion  besitzen. 

Bei  den  Ableitungen  auf  -in  sind  auszusondern  die  aus  dem 
Lateinischen  tibemommenen  ((mtonin^  constantin)  oder  durch  Ver- 
mittelung  einer  lateinischen  Form  eingedrungenen  Wörter  (albertin, 
alph<msin,  clemeniin,  emestm,  escobartin  zu  Escobar,  guiilemin  und 
guülehnm,  jacobin,  phiUpptn,  raymondin,  rodolphin,  vedantin  zu 
V6da)  sowie  das  fremde  mazarin.  Bei  ihnen  kann  ja  von  einer 
Gleichstellung  des  Suffixes  -in  (-inus)  mit  -ien  (-ianus)  keine  Rede 
sein.  Diese  Gleichstellung  ist  aber  zwingend  für  echtfranzösische 
Ableitungen  (ariosUn,  baifin,  draisine  neben  draisienne,  faustin, 
turgcftin). 

Die  Nebenform  -ain  bei  Personalderivaten  geht  ausnahmslos 
auf  lat.  -anus  zurück,  obwohl  bei  dominicain,  franciscain,  iUyri- 
cain  der  vorausgehende  k-Laut  sicher  mitbestimmend  gewesen 
ist;  ausserdem  genovefain.  Ganz  vereinzelt  stehen  hier  -an  in 
radhomitan,  ulphilan  (neben  tüphUanien),  Die  Nebenform  -6en 
{lat.  -eanus)  tritt  für  lat.  -eus  ein  (cadmeen,  hSraditSen,  hiracUen, 
hercuUen  neben  herculien,  phiMen,  promÜheen,  ptolimien),  wird 
von  anderen  Namen  nachgebildet  (eutychSen  neben  eutyehien,  ma- 
nichSen,  mSdtiseen,  priap^en,  tyrteen  u.  a.).  Bei  echtf^anzösischen 
Ableitungen  ist  -(6)en  nur  eine  Nebenform  von  -ien  bei  Namen 
auf  ^,  i,  j  (halleyen,  linnien,  midicien  neben  midicien,  shandSen 
neben  shandyen,  wesleyen).  Zu  bemerken  ist  die  verschieden- 
artige Behandlung  in  halleyen,  wesleyen  (Halley,  Wesley),  harUien 
(Harley)  und  faradique  (Faraday). 

Bei  den  Derivaten  von  geographischen  Namen  haben  zwei 
grosse  Gruppen  das  entschiedenste  Übergewicht:  die  Gruppe  mit 
dem  Suffix  -ien  samt  seinen  Nebenformen  und  die  Gruppe  mit 
dem  Suffix  -ois  oder  -sds.  Eine  scharfe  Scheidung  derselben 
ist  nicht  möglich,  doch  lassen  sich  manche  Gesichtspunkte  für 
eine  solche  Scheidung  ausfindig  machen.  Zunächst  fallen  der 
ersten  Gruppe  die  antiken  Namen  zu;  denn  Derivate  auf  das 
-ais  von  antiken  geographischen  Namen  sind  sehr  selten,  -ois, 
wichtigste  ist  carthaginois  neben  dem  wenig  üblichen  carche- 
dornen;  vgl.  auch  mareiUen  mit  marseiUais,  Unter  etwas  mehr 
als  400  verglichenen  Derivaten  auf  -ten  gehören  etwa  160  der 
alteti  Geographie  an,  wobei  Wörter,  die  auch  der  neueren  Geo- 
graphie noch  geläufig  sind  (antiochien,  (zssyrien,  egypUen,  indden, 
ionien  u.  a.),  mitgezählt  sind.  Ihnen  schliessen  sich  eine  Zahl 
von  neueren  Derivaten  an,  die  von  dem  lat.  Etymon  mit  Hilfe 
von  -ien  gebildet  sind  (cadurcien  zu  Oahors,  colnmerien  zu  Cou- 
lommiers,  ibroiden  zu  Evreux,  eoddolien  zu  Exideuil,  Udomen  zu 


156  Ph.  Piatiner, 

LoDS-le-Saulnier,  lexovien  zu  Lisieax,  mdgorien  zu  Melgneil, 
monasUrien  zu  Münster,  paunien  zu  Pau,  provenisien  zu  Provins, 
siquanien  zu  Seine,  sostomagien  zu  Gastelnandary,  spamacien  zu 
Epernay,  velaunien  zu  Velay). 

Ableitungen  auf  -ien  werden  gebildet  von  Ländernamen 
und  zwar  von  allen  auf  -ie,  ausser  wo  eine  ältere  Form  sich 
erhielt  oder  eine  andere  Form  eindrang,  was  verhältnismässig 
selten  ist  (arabe^  htdgare^  croate^  dalmate,  serbe  für  alt  servien  u.  a.)* 
Nicht  wenige  kommen  aber  auch  von  anders  auslautenden  Länder- 
namen (albionien^  aiUrichien,  ceUbien,  herzig ovinien,  texten  zu  Albion, 
Antriebe,  G61^bes,  Herz^govine,  Texas  u.  a.)*  Von  den  zahl- 
reichen Städtenamen  seien  nur  die  aufifallenderen  erwähnt  (arbosien 
zu  Arbois,  buenos-ayrien  zu  Buenos- Ayres,  cLunisien  zu  Cluny, 
courbevoisien  zu  Courbevoie,  elbeuvien  zu  Elbeuf,  haguenauien  zu 
Haguenau,  kefien  zu  le  Kef,  landemien  zu  Landerneau,  nanci(i)en 
zu  Nancy,  oxonien  zu  Oxford,  patrensien  zu  Patras,  quichien  zu 
Quito,  sidenien  zu  la  Seyne),  die  sich  nur  zum  Teil  aus  etymo- 
logischen oder  lautlichen  Gründen  erklären  lassen.  Von  Gebirgs- 
und  Bergnamen  kommen  vor  z.  B.  aUeghanien,  bcdkanien,  jurassien, 
Itbanieriy  Olympien^  our alten,  visuvien,  vosgien,  von  Flussnamen 
z.  B.  borysthSnien,  danubien,  euphratesmt,  garonnienj  mississippien, 
oxien,  vistulien,  ySnisien.  Von  Appellativen,  die  zu  Namen  erhoben 
sind,  kommen  vor:  oasien,  odionien,  sowie  die  Bezeichnung  nor- 
malten  (Zögling  der  J^cole  normale).  Mit  letzterem  lässt  sich 
zusammenstellen  sulpiden  (Zögling  von  Saint  -  Sulpice)  und  saint- 
Cyrim  (Kadett,  Zögling  von  Saint -Oyr)  und  dabei  sei  zugleich 
auf  den  früher  erwähnten  Unterschied  von  saumurien  und  Sau- 
murois  verwiesen. 

Die  Derivate  auf  -ien  sind  Adjektive  und  Substantive  und 
finden  in  beiden  Gebrauchsweisen  ausgedehnteste  Verwendung. 
Durchaus  aber  ausgeschlossen  ist  die  Verwendung  für  das  Gebiet, 
die  Landschaft  oder  die  Umgebung;  man  vergleiche  in  dieser 
Beziehung  einerseits  les  Beauvaisiens  mit  le  Beauvaisis,  les  Ca- 
laisiens  mit  le  Calaisis,  les  Cambraisiens  mit  le  Cambresis,  les 
Parisiens  mit  le  Parisis,  les  Tournaisiens  mit  U  Tournaisis,  ander- 
seits die  Bildungen  mittelst  -6sien,  -isien  für  die  Bezeichnung  der 
Bewohner  und  ähnliches  aus  Formen  auf  -ois,  -ez,  welche  aus- 
schliesslich oder  vorzugsweise  auf  das  Gebiet  deuten,  z.  B.  ar- 
tSsien  aus  Ärtois,  barrisien  aus  Barrois,  forizien  ans  Forez,  valesien 
aus  Valois,  Man  kann  annehmen,  dass  auch  Bildungen  wie  aptSsien 
zu  Äpt  und  aridsten  zu  Arles  erst  durch  Vermittelung  von  Formen 
wie  Äptois,  Arlois  (Gebiet  von  Apt,  Arles)  entstanden  sind. 

Unter  den  Auslauten,  welche  den  Antritt  des  Suffixes  -ien 
begünstigen,    nimmt  s,  z,  (oder   stummes  x)    nach    lautem  Vokal 


Personal'  und  Gentüderivaie  im  Neufranzösischen*  157 

die  erste  Stelle  ein:  Arbois:  arbosien,  Aunts:  aunisien^  Beauvaia: 
beauvaunen^  Boumais:  bournaisieuj  Carpentras:  carpentrasienf 
Chersanhse:  chersanSsien,  Corrlze:  correzien,  ^k^e:  ephesterij 
Falaise:  fatalsten,  Frise:  frisien,  Mend^:  mendSsien,  Marlaix: 
morlaisten,  Mulhouse:  mrilhougien^  Orthez:  orth^zien,  Paris:  parisien, 
Roubaix:  roubaisierij  Tunis :  tunisien,  Wallis  (tles) :  waüisieriy  »owie 
die  oben  angeführten  artisien,  barrisien,  forizien,  valSsien, 

Daran  schliessen  sich  die  vokalisch  auslautenden,  welche 
s  einschieben,  worunter  besonders  die  auf  -acum^)  zurückgehen- 
den Namen  auf  -ai  (alt  -ay)  und  -y  (jetzt  oft  schon  -*)  zu  be- 
merken sind:  Bugey:  bugeysien^  Cambrat:  cambraisien,  Cluny: 
dunisieriy  Coree:  corisien  (neben  corien),  Courbevoie:  courbe- 
vois^ierij  Douai:  douaisien,  Savenay:  savenaisien,  8avoie:  savoisieny 
Tournai:  tournaisien.  Dagegen  hängen  blosses  -en  an:  Auray: 
alrien  und  alrienj  Annonay,  annonSen,  Biscaye:  biscaten,  Bomou: 
bornouen,  Chili:  chilien,  Clichy:  clichien,  Fidjl:  fidjien,  Nancy: 
nance(i)en,  Paraguay:  paraguden  und  paraguayen,  Uruguay:  uru- 
gu^en  und  utmguayen. 

Die  wenig  zahlreichen  Derivate  der  Wörter  auf  -terre  (miss- 
bräuchlich  -Üre)  haben  das  Suffix  -ien:  finisthre : finisUrien,  8auve- 
terre  :  sauveterrien.  Während  die  Wörter  auf  -bergj  -bourg  sonst 
-ois  als  Suffix  nehmen,  findet  sich  bambergien  und  coburgien, 
letzteres  als  Bezeichnung  der  koburgischen  Partei  in  Bulgarien; 
koburgisch  würde  sonst  voraussichtlich,  wo  es  vom  Länder-,  nicht 
vom  Familiennamen  gebildet  ist,  cobourgeois  lauten,  wie  von 
Bourbon  das  Adj.  bourbonnais  lautet,  während  bourbonien  nur 
auf  den  Namen  der  Dynastie  Bezug  nimmt.  Wenn  wir  zu  den 
vorhergehenden  Ableitungen  noch  sablesien  (zu  Sabl6)  fügen,  in 
welchem  s  so  wenig  wie  in  savoisien  erklärbar  ist  und  für  welches 
sableen  zu  erwarten  war,  wenn  wir  weiter  zufügen,  dass  /  als 
Auslaut  das  Suffix  -ien  bedingt  (elbeuvien,  kifien)  wie  auch  nach 
v^)  nur  dieses  Suffix  möglich  ist  (lexovien,  khivien  zu  Khiva, 
pontivien,  terre  -  neuvien) ,  so  ist  die  Reihe  der  Auslaute,  welche 
dieses  Suffix  verlangen  oder  bevorzugen,  abgeschlossen  und  eine 
weitere  Untersuchung,  wie  sich  der  Auslaut  in  der  Entscheidung 
zwischen  -ien  und  -ois  (-ais)  verhält,  würde  kein  Ergebnis  ver- 
sprechen. Das  letztere  Suffix  ist  bei  weitem  das  überwiegende, 
soweit  französische  Wörter  in  Betracht  kommen.  Unter  allen 
Ableitungen  auf  -ien  sind  Namen  aus  der  Geographie  Frankreichs 


^)  Also  weder  die  ausländischen  Namen  noch  die  auf  lat.  -etum 
zurücksehenden. 

^)  Argovien,  krakovien,  thurgovien,  varsovien  haben  -ien  schon 
wegen  der  Endung  -ie.    Ausnahme  ist  forlivois  zu  Forli,  lodevois. 


158  Ph.  JPiattner, 

nur  mit  7?  vertreten.  Rechnen  wir  davon  noch  ab  die  von  ur- 
sprünglichen Appellativen  kommenden  (z.  B.  normalien,  odeonien), 
die  mit  Nebenformen  aaf  -ois,  -ais  (beaucairien,  saumurten, 
tararien),  die  von  Bergnamen  abgeleiteten,  weil  bei  solchen 
Namen  -ois  (ais)  unzulässig  ist  (cantalien,  jurassien),  ferner  die 
von  einem  lateinischen  Etymon  gebildeten,  welche  lieber  zu  -ien 
greifen/)  weil  dieses  das  Suffix  auch  für  antike  Namen  ist  (ca- 
dnrcienf  colum^rien,  ebrotcieriy  lexovieriy  meldien  neben  meldois, 
mdgorienj  provenisien,  sedenien,  soHomagien  u.  a.),  endlich  die 
von  ursprünglichen  Personennamen  kommenden  (saint-cloMdien, 
saint'Cyrien)  y  so  verringert  sich  die  Zahl  der  Ableitungen  von 
Namen  aus  der  französischen  Geographie  auf  nicht  ganz  Yso  der 
Gesamtzahl  aller  Bildungen  mittelst  -ien. 

Unter  den  etwa  100  Wörtern  auf  -in  geht  die  Mehrzahl 
auf  lat  -inus  zurück^  z.  B.  alexandrin,  alpin,  ar gentin,  byzantin, 
fescennin,  ligerin  (zu  Loire),  numantin,  sagontin,  tarentin, 
tib4rin  u.  a.  Andere  setzen  eine  lat.  Form  voraus,  so  mussi- 
pontin  (zu  Pont-4-Mou8son,  vgl.  bipontin),  zaretin  (zu  Zara). 
Auffallend  ist  deshalb  noirmout(r)in.  Die  Form  bezeichnet  in 
einzelnen  Fällen  nur  das  Gebiet,  so  avranchin,  bessin  (neben 
bayeusin),  cotentin,  venaissin,  in  anderen  Gebiet  und  Bewohner^ 
so  Umouain,  maransin,  mit  Motion  bei  valteUn  (zu  la  Valteline) ; 
in  einer  Reihe  von  Fällen  nur  den  Bewohner,  so  angevin,  an- 
goumoisin  (vgl.  artesien  u.  a,),  comtadin  (zu  le  Comtat),  peri- 
gov/rdin,  poitevin.  Der  Bildung  nach  fallen  auf  auverpin,  gram- 
montin  (-mont  bildet  sonst  -rrumtois),  mezin  (zu  Müzine). 
Frünzösische  Namen  sind  in  der  Gesamtzahl  etwa  mit  Ys  vertreten. 

Nur  Y&  französische  Namen  finden  sich  unter  etwa  60  Ab- 
leitungen auf  -ain,  die  grösstenteils  auf  lat.  -anus  zurückgehen 
und  unter  welchen  die  Stadtnamen  auf  -poiis  (adrinopolitain 
u.  s.  w.)  ein  ansehnliches  Kontingent  stellen.  Die  auf  -cain, 
-quain,  soweit  sie  nicht  auf  lat.  Form  zurückgeben  (af ricain, 
am4ricain,  armoricain,  dominicain,  mexicain)  sind  blosse 
Nebenformen.  Die  Schreibung  -cain  ist  die  neuere,  so  ist  jamm- 
cain,  majorcain,  medocain  besser  als  jamatquin,  majorquin 
(ma/jor quain),  medoquin;  maraeain  ist  stehende  Form,  wogegen 
maroquin  nur  die  Bezeichnung  für  eine  Sorte  Leder  ist;  minor- 
quin  ist  bis  jetzt  ohne  Nebenform  geblieben. 

Das  Suffix  -an  hat  ein  durchaus  fremdartiges  Gepräge  und 
ist  in  eigentlich  französischen  Wörtern  selten  (etwa  Y«  ^^^  ^®" 
samtbestandes).     Dabei  haben  einzelne   noch  Nebenformen  z.B. 


1)  Das  interessanteste  Beispiel  ist  paunien  (Pau),  weil  Epauuensis 
etymologisch  zu  paunois  hätte  führen  müssen. 


Personal-  und  Geniilderivaie  im  Neufranzösischen,  159 

monspesstdan  (mit  montpeUi^rain),  pertuisan  (mit  pertuisien). 
Dieses  Suffix  findet  sich  vorwiegend  in  übernommenen  Adjektiven 
zu  Flnssnamen  (cisleithan,  cispadan,  rhenan),  vereinzelt  auch 
zu  Bergnamen  (cisjuran),  besonders  aber  zu  ital.-span.  Orts- 
namen {andorran,  astesan,  hreaciany  capouan,  forlan  zu  Frioul, 
padouan,  s^viUariy  tol4dan  n.  s.  w.),  sowie  zu  französischen  Orts- 
namen, die  an  ital.  oder  span.  Sprachgebiet  streifen  {bigo(u)rdan, 
faucigneran,  n4bouzan,  pertuisan,  valaisaUj  und  so  bressan  zu 
Bresse  oder  auch  zu  Brescia).  Vereinzelt  steht  gastinaisan 
(wohl  Nachbildung  zu  pavesan  und  ähnlichen,  sowie  chamboran 
(wohl  eine  Bildung,  die  in  die  Zeit  italienischer  Beeinflussung 
der  französischen  Kunst  fällt).  Nach  dem  bretonischen  Sprach- 
gebiet zu  tritt  -an  wieder  häufiger  auf,  daher  groyan. 

Gering  ist  auch  die  Verwendung  von  -(^^en,  welches  das 
Suffix  för  Wörter  auf  6,  ^e,  6es  ist  (quimperleen,  vend^en,  py- 
reneen),  manchmal  aber  auch  nach  i  (y),  ai  (ay)  eintritt:  ajac- 
cien,  biscayen,  clichieriy  alr^en  (Auray),  annonden. 

Das  Suffix  •'Ois^  -als  ist  ausschliesslich  f^r  Derivate  von 
geographischen  Namen  bestimmt.  Der  einzige  Fall,  wo  es  ein 
Personalderivat  bildet,  ist  Mansfddois  als  Name  einer  nach  dem 
Grafen  von  Mansfeld  benannten  Sekte ;  die  Verwechslung  lag  hier 
nahe,  weil  man  Mansfeld  nur  als  Ortsnamen  kannte  oder  nach 
Analogie  ähnlicher  Namen  dafür  hielt.  Zu  verweisen  ist  femer 
auf  raymondais  (alte  Toulouser  Münze),  auf  Minervois  (s.  oben), 
welches  aber  auch  nicht  direkt  von  Personennamen  gebildet  ist, 
und  auf  mariannais  zu  iles  Mariannes.  Bei  den  von  Heiligen- 
namen stammenden  Ortsnamen  bildet  man  zwar  germinois  zu 
Saint-Germain,  saint-emilionnais,  saint-martnois,  saint-gtien- 
tinois,  zieht  aber  bei  anderen  die  Bildung  aus  dem  Etymon  vor 
wie  audomarois  zu  Saint-Omer,  quintinois  neben  saint-gfAen" 
tinois,  8t4phanois  zu  Saint -!^tienne  und  mit  anderem  Suffix 
dionysien  zu  Saint- Denis. 

Auch  unter  den  geographischen  Namen  treten  die  antiken, 
wie  früher  bemerkt,  mit  dem  Suffix  -ois,  -ais  nur  äusserst  selten 
in  Verbindung.  Das  schliesst  nicht  aus,  dass  dieses  Suffix  an 
das  Etymon  neuerer  Namen  tritt:  biterrois  zu  Böziers,  mddois 
zu  Meaux,  montalbanais  zu  Montauban,  oscarois  zu  Ouche  u.  a. 
Das  Suffix  tritt  an  Länder-  und  Städtenamen,  wofür  Beispiele 
unnötig  sind.  Hingewiesen  sei  nur  darauf,  dass  es  aus  leicht 
ersichtlichen  Gründen  an  den  Namen  keines  der  Kontinente  tritt. 
In  keinem  Falle  tritt  es  an  Bergnamen,  für  welche  dieses  Suffix 
sich  seiner  Natur  nach  so  wenig  eignete  wie  -ien  für  Gebiets- 
bezeichnungen (vgl.  oben  bei  libanais,)  Auch  für  Flussnamen 
ist  es  nicht  geeignet,  es  sei  denn,  dass  zugleich  ein  Volk  oder 


160  Ph,  Plattner, 

ein  Gebiet  (z.  B.  Departement)  existiert,  welches  nach  dem  Flusse 
genannt  ist.  Solche  sind  ardechois,  ariegeois,  aveyronnaisj  cha- 
rentais,  congolais^),  garonnaisj  marnais,  sequanais,  tamais. 
Wie  verhält  sich  aber  die  neuere  Form  -ais  zu  der  älteren  -eis? 
In  vielen  Fällen  stehen  beide  noch  nebeneinander  und,  wenn 
auch  anzunehmen  ist,  dass  die  neuere  obsiegen  wird,  so  ist  oft 
der  Kampf  noch  als  unentschieden  zu  bezeichnen.  Sehr  unent- 
schieden ist  er  da,  wo  die  neue  Form  widerrechtlich  sich  ein- 
gedrängt hat,  weil  nur  die  Vorbedingung  für  -ois  gegeben  war; 
doch  wird  sie  auch  in  diesen  Fällen  wahrscheinlich  siegen,  weil 
das  GefOhi  flir  jene  Vorbedingung  in  der  Sprache  nicht  mehr 
lebendig  genug  ist.  Nebeneinander  bestehen  z.  B.  agenois, 
agenois  :  agenais,  agenais,  autunois  :  autunais,  caenois :  cdenais, 
calabrois:  calabrais,  clermontois :  clermontais,  dinandois:  dina- 
nai8,  embrunois:  embrunais,  ferrarois:  ferrarais,  gapengois: 
gapengais  (zu  Gap),  loudunois:  loudunais,  mantois:  mantaisy 
mendois:  mendais,  messinois:  messinais,  moddnois:  modenais^ 
nantois:  nantais,  navarrois:  navarrais,  novarois:  novarais, 
rennois:  rennais,  rochdois:  rochdais,  saintongeois :  saintangeais, 
sedanois:  sedanais,  veronois:  v^ronais. 

Die  ältere  Form  (-ois)  bleibt  stets  erhalten  in  den  zahl- 
reichen Ableitungen  von  -hourg  und  -berg:  augsbourgeois,  brande- 
bourgeois,  cherbourgeois,  fribourgeois,  hambourgeoiSf  limbour- 
geois,  luxembov/rgeois,  magdeburgeois,  mecklembourgeois,  nurem- 
bergeois,  oldenbourgeois,  phalsbourgeois,  petersbourgeois,  stras- 
bourgeoiSj  vmrtembergeois  u.  a. 

Überhaupt  scheint  nach  stimmhaftem  wie  nach  stimmlosem 
Zischlaut  -ois  die  übliche  Form:  albigeois,  ardechoisy  ariegeois, 
arrageois  (zu  Arras),  auchois,  binchois  (zu  Bindre),  brugeois, 
cauchois  (zu  Gaux),  commingeois,  firingeois  (zu  lies  F^roe), 
grdgeois  (feu  gregeois),  loangeois  (zu  Loango),  Maubeugeois, 
Dagegen  saintongeais  neben  saintongeois  und  das  von  Sachs 
gegebene  (nachweisbare?)  marchais  neben  marckois. 

Ferner  bleibt  -ois  nach  Silben,  welche  geschlossenes  oder 
offenes  e  enthalten:  aixois,  alenois  (zu  Orleans),  ambertois^ 
amienois,  anversois,  appenzellois,  ardechois,  ariegeois,  auxerroie, 
beaucairois,  bemois,  biterrois  (zu  B6ziers),  blaisais  oder  blesois 
(zu  Blois),  brimois,  brestois,  bruocdlois,  carrerois  (zu  Carriferes), 
cettois,  clevois,  cr^tois,  dieppois,  dunkerquois,  emsois,  fertois 
(zu  la  Fert6),   gAiois,  gerohteinois,  gexois,    giennoia,  gr^geoisy 


1)  VgL  oben  unter  diesem  Stichwort.  Dass  diese  Form  erst 
möglich  ist,  seit  es  einen  Kongo  staat  gibt,  stimmt  mit  obiger  Regel 
zusammen. 


Personal'  und  GeniüdeiHvate  im  Neu  französischen.  161 

grayloisy  giiddrois,  guyennois,  hessois,  hihernois,  lenois,  liegeois, 
lodevois  (zu  Lodeve),  lubeckois,  lucemois,  mecquoiSf  mddois  (zu 
Meaux),  pont-audemerois,  quimperois,  r^mois,  rutMnoiSf  sancer- 
roisy  san-remois,  siennois,  sleswig-holsteinois,  suedois,  thiernois 
(zu  Thiers),  tonnerrois,  valenciennoisj  vauverdois,  viennois,  vincen- 
noiSf  viterbois.  —  Dagegen  ardennais,  cayennais,  rennais  neben 
rennois  als  einzige  Ausnahme  aus  neuerer  Zeit  und  das  historische 
Fem.  Viennaise,  während  sonst  viennois  das  Adjektiv  zu  Vienne 
in  Südfrankreich  und  zu  Vienne  =  Wien  ist.  Das  deutet  darauf 
hin,  dass  oi  nach  e-^-nn  im  Schwinden  begriffen  ist.  Ausnahmen, 
und  zwar  gewichtige,  weil  historisch,  sind  ferner  nivemais  und 
rouergais  neben  rovsrgois. 

Nach  stummem  e  finden  sich  'beide  Formen :  champenois, 
diemenois  (zu  ile  de  Diemen),  genevois,  neuffjchdtelois,  reihelois, 
iourquenois  (neben  tourquefq^nois  zu  Tourcoing);  diesen  stehen 
gegenüber  hagnerais  (zu  Bagneres),  bordelais  (zu  Bordeaux), 
ploermelaiSf  polletais,  posenais  (neben  posnanien),  vannetais 
(zu  Vannes).  Nach  dieser  Regel  würden  agenois,  agenois,  agenais 
ebenso  modenois,  modenais,  sowie  rochelois,  rochellois,  rochelais 
je  unter  einander  gleichberechtigte  Formen  sein,  unter  welchen 
nur  der  Gebrauch  sich  mehr  für  eine  als  für  eine  andere  ent- 
scheidet. Die  Formen  agenais,  modenais,  rochellais,  welche  sich 
vereinzelt  finden,  kann  man  unbedenklich  als  irrtümliche,  der 
heutigen  Regel  ohne  zureichenden  Grund  widersprechende  be- 
zeichnen. Über  marseillais,  in  welchem  ai  durch  das  geschlifi'ene 
l  bedingt  ist,  vgl.  später. 

Auch  nach  i,  u  in  vorhergehender  Silbe  bleibt  -ois  erhalten, 
albigeois,  annigois  (zu  Annecy),  autunois  (neben  autunais): 
bellilois  (zu  Belle-Isle-en-Mer)  berlinois,  bethunois,  briois  (neben 
briard),  brugeois,  brunswickois,  carihaginois,  chdteaudunois. 
chinois,  cochinchinois,  cortinois  (zu  Corte),  cotentinois,  dant- 
zic(k)oiSj  dauphinois,  dignois,  diois  (zu  Die),  donziois  (zu 
Donzy),  dunois  (zu  Chäteaudun),  embrunois  (neben  embrunais\ 
fin(n)oiSj  fuldois  (zu  Fulde),  germinois  (zu  Saint-Germain), 
hesdinois,  illinois  (zu  Illinois),  issoudunois  oder  issoldunois, 
ivigois,  liUois,  lippois,  loudunois  (neben  loudunais),  lucquois, 
martiguois,  melunois,  messinois  (neben  messinais),  molucquois, 
municoiSf  namuroisj  nigois,  ntmois,  pantinois,  provinoisj  quer- 
cinois,  quintinois  (zu  Saint- Quentin),  saint-marinoiSy  saint- 
quentinois,  salinois,  santorinois,  sarrebruckois ,  saumurois, 
schwytzoisj  sedunois  (zu  Sion),  sionois  (ebenso),  slesvicois,  tes- 
sinoisy  tonkinoiSf  tunisois,  valenginois,  valentinois,  venaissinois, 
verdunois,  vervinois,  vexinois,  vouzinois  (zu  Vouziers),  zugois, 
zuricois,  —  Die  Ausnahmen  sind  hier  ziemlich  zahlreich:  avraa 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XU.  11         * 


162  Ph.  Piaitner, 

chinais,  chdteaulinaisy  croisicais,  gdtinaiSy  josselinaisy  londinaisy 
neo-hebridais,  portugais,  ragusais,  turinais,  vallouisaisj  d.  h. 
-018  ist  im  Schwinden  nach  i(u)  +  ^;  wofür  auch  die  Doppel- 
formen autunois :  autunais,  embrunois:  emhrunaiSy  loudunois: 
loudunais,  messinois:  messinais  sprechen.  Schwankend  sind 
ferner  die  Namen  auf  -ville;  neben  abbevülois,  bellevillois,  ihion- 
villois  stehen  granvillaisy  trouvillais?)  Nach  dem  aus  ey  ent- 
standenen i  tritt  -ais  ein:  guernesiais,  jersiais,  letzteres  (da  iai 
Diphthong  ist)  Ausnahme*  zu  der  Regel,  dass  -ois,  nach  offenem  e 
der  vorhergehenden  Silbe  eintritt. 

Nur  die  neuere  Form  (-ais)  findet  sich  bei  den  zahlreichen 
Ableitungen  von  -land:  courlandais,  ßnlandais,  groenlandaisy 
hoUandais,  irlandais,  islancthis,  jutlandais,  marylandais,  neer- 
landaisj  neO'z4landais,  oberlandais,  seelandais  oder  zelandais, 
shetlandaisj  wozu  sich  landais  ziehen  Jässt.  Überhaupt  findet  sich 
meist  -ais  nach  nasalem  a  oder  reinem  a-^-n  m  vorhergehender 
Silbe:  albanaisy  avranchais,  caenais  (und  caenois)^  catanaisy 
charentais,  coutangais,  dinanais^)  draguignanaisy  ecouenais, 
frangaiSy  gapenqais  (und  gapengois  zu  Gap),  guerandais, 
guyanaisj  havanais,  javanais,  juanaisy  laonnais,  (und  laonnois), 
lavedanais,  lorentais^  mansais  (und  mansois,  für  beide  meist 
manceau),  mantais  (und  mantois),  mayengais,  mendais  (und 
mendois),  müanais,  mirandais,  montalbanais,  morbihanaisy 
morvandais,  nantais  (und  nantois),  nogentais,  oranais,  orleanais, 
perpignanais,  poblanais  (zu  Puebla),  roannais,  rouennais,  roya- 
nais,  sedanais  (und  sedanois),  sequanais,  soudanais,  trentais, 
uranais  (zu  üri),  valengais,  ebenso  cubanais,  libanais,  wenn 
sie  sich  nachweisen  lassen.  Entgegenstehen:  danois,  dinantois, 
gantois,  guingampois,  lausannois,  lovanois  (zu  Louvain),  osten- 
dois;  dass  vermandois  und  m^lantois  bei  der  älteren  Form 
bleiben,  erklärt  sich  daraus,  dass  es  lediglich  Gebietsbezeich- 
nungen sind. 

Das    regelmässige  Suffix  ist  ferner   -ais   bei   den   auf  -on, 


1)  Es  kann  auffallen,  dass  bei  diesen  Namen  kein  konstanter 
Gebrauch  herrscht;  die  Verwirrung  wird  noch  gesteigert  durch  das 
litterarisch  nicht  nachweisbare,  jedoch  lokal  übliche  luneviUain.  Wenn 
diese  Bildung  schon  bedenklich  ist,  so  könnte  ein  Bewohner  von  Gran- 
ville,  Trouville  gegen  die  Bezeichnung  granvillain,  trouvillain  noch  ge- 
rechteren Einspruch  erheben.  Von  rein  etymologischem  Gesichtspunkt 
aus  wären  diese  Formen  allerdings  berechtigt. 

2)  Für  die  Orthographie  dieser  vielfach  unrichtig  mit  nn  ge- 
schriebenen Wörter  sei  bemerkt,  dass  nach  Analogie  von  castiüun, 
persan,  casiülane,  persane  (alt  -anne)  nur  ein  n  zu  setzen  ist.  Roannais 
(zu  Roanne)  wird  durch  diese  Regel  nicht  berührt,  roicennais  ist  durch 
rouennerie  u.  a.  gerechtfertigt. 


PersoncU-  und  Gentüderivate  im  Neu  französischen.  163 

-0718,  -one,  'Onne,  -ona  ausgehenden  Namen:  alengonnais^), 
altonais ,  aragonais ,  auxonnais,  aveyronnais,  avallonnais, 
avignonnais,  barcelonais,  bayonnais,  hönais,  briangonnais,  can- 
tonnaiSf  carcassonnais,  chdlonnais,  chdtillonnaisy  clissonnais, 
craonnais^),  cr4monaiSf  dijonnaisy  donjonnais,  gabonais,  garon- 
naiSf  japonaiSf  lannionnais,  leonnais,  londonnais,  lugonnais, 
lyonnaisj  mdconnais,  mentonais,  miquelonnais,  montbrisonnais, 
narbonnais,  nontronnais,  noyonnais,  quiberonnais,  roussillon- 
nais,  saigonnaisy  saint-emilionnaiSf  soissonnaisj  tarasconnais, 
tarraconais  und  tarragonais,  tortonais,  toulonnais,  vSronais 
(neben  veronnais;  veronois  kann  als  aufgegeben  gelten),  vier- 
zonnais.  Dazu  kann  man  rechnen  glaronnais  (zu  Glaris,  Glarus) 
und  senonais  (zu  Sens),  ferner  olonnais  (zu  les  Sables  d'Olonne), 
wenn  es  nachweisbar  ist.  Der  Regel  entzieht  sich  nur  losnois 
(zu  Saint- Jean -de  Losne),  welches  losnais  bilden  könnte  nach 
Analogie  von  bdnais;  ferner  Hanois  zu  L6on  in  Spanien. 

Gleichfalls  -  ais  haben  die  Namen,  welche  o  -f~  Ä  zeigen : 
bolonais  (Bologne),  boulonfnjais  (alt  boulenois  zu  Boulogne), 
colonais  (Cologne),  polonais  (Pologne).  Als  veraltet  kann  man 
ansehen  das  entgegenstehende  solonois  (Sologne). 

Nur  -ais  findet  sich  nach  geschliflFenem  h  cornouaillais, 
marseillais,  montreuillais,  versaillais.  Das  vereinzelt  stehende 
verceillois  gehört  kaum  der  neueren  Sprache  an. 

Wie  früher  -anais,  '0n(n)ais,  so  scheinen  auch  -alaisy 
'olais  lautlich  bedingte  Verbindungen:  bagnolais  (zu  Bagnols), 
bengalaiSf  brignolais  (zu  Brignoles),  charoUais,  cyngalaiSj  con- 
golaisj  guatemalaiSy  lamballaiSj  martegallaisy  ossalais  (zu  Ossau), 
pignerollaisj  reolais,  senegalais.  Diesen  stehen  gegenüber  bdloiSf 
gallois  (zu  pays  de  Galles),  saint-gallois  (zu  Saint-Gall),  landa- 
vallois  (zu  Lanvaux),  lavaUois,  wozu  man  auch  gaulois  ziehen 
kann. 

Im  übrigen  Hessen  sich  noch  weitere  Gesichtspunkte  auf- 
stellen, da  aber  die  Zahl  der  zugehörigen  Beispiele  eine  be- 
schränkte ist,  so  begnüge  ich  mich  die  übrig  bleibenden  Wörter 
aufzuzählen. 

Mit  -ois:  angoumois,  artois,  aspois,  auxois,  aurillaquois, 


1)  In  diesen  Wörtern  steht  nn  nach  Analogie  von  bon,  honne^ 
hourguignon,  hourguignonne  (alt  -one).  Aasgenommen  sind  nicbtfranz. 
Namen,  besonders  ital.-span.  Herkunft,  sowie  natürlich  diejenigen, 
welche  n  im  Derivat  für  n  des  Stammworts  haben.  In  hönais  hinderte 
der  Zirkumflex  die  Gemination. 

2)  Nach  der  Aussprache  des  Namens  Craon  wie  kra-S.  Da  manche 
(wie   in  Laon)  o  verstummen    lassen,    Hesse    sich   auch  craonnois  ^wie 


laonnois  neben  laonnais  entschuldigen. 


11* 


164  Ph.  fhitner, 

badois,  bantamois,  barroia,  bavarois,  bazadois  (neben  -ais), 
beaunois,  brivadois,  clermontois  (neben  -  ais),  comtois  (nebst 
franc-comtois),  condomois,  congois,  darmstadtois  (in  der  Bed. 
Strassenkehrer) ,  dolois,  döloisj  eudois  und  eusioisj  ferraroia 
(neben  -ais),  francfortoisy  grenoblois,  hongrois,  hurepois  (zu 
Hurepqix),  iroquoiSf  langrois,  lectourois,  livradois,  montbardois, 
montoisy  oscarois  (zu  Ouche),  pragois,  privadois  (zu  Privas), 
quiUebois  (zu  Quillebeuf),  revermontois,  riomois,  rochois,  sar- 
thois,  saulnoiSf  siamois,  touloiSy  toumois  (zu  Tours),  tregorrois, 
vaudois,  vendömois. 

Mit  -ais:  anglais,  basquais,  beamais,  bigorrais,  blayaisy 
calabrais,  camarguais,  castraisj  domingais  (zu  Saint-Domingue), 
drouais  (zu  Dreux),  ecossais,  ßumorbais,  fontenais  (zu  Fontenay), 
havraisj  honfleurais,  houatais,  laurag(u)ai8j  livoumais,  lour- 
dais,  maltaisy  maraquais  (zu  Marais),  marnaiSf  moisaaccais  und 
moissaquaiSf  navarrais  (neben  -ois),  neracais  und  neraquais 
(zu  N6rac),  new-yorkais,  nicaraguais,  niortaiSf  nivilaccaU, 
novarais  (neben  -ois),  piemontaisy  portugais,  rochefortais, 
aablais,  sarladais'  (zu  Sarlat),  tararais,  tarbais,  tamais, 
vitreais  (?),  vivarais,  yvetotais. 

Unter  den  übrigen  Suffixen  für  geographische  Namen  ist 
ziemlich  häufig  -on.  Es  tritt  unter  Vermittelung  von  r  an  Namen 
auf  stummes  e:  augeron  (zu  Auge),  beauceron  (zu  Beauce), 
percheron  (zu  Perche),  wozu  sich  in  vigneron,  tdcheron^)  Bei- 
spiele finden,  die  sich  aus  den  Dialekten  noch  vermehren  Hessen; 
so  erinnere  ich  mich,  dass  gagneron  mundartlich  für  Tagelöhner 
gebraucht  wird.  Über  berrichon,  bourbonnichon,  nivemichon, 
vgl.  bei  nivemais.  Alle  diese  Wörter  werden  mehr  oder  weniger 
gemieden ;  percheron  z.  B.  wird  hauptsächlich  von  einem  Schlag 
Pferde  gebraucht,  ohne  dass  jedoch  die  Verwendung  in  allge- 
meinerer Weise  ganz  ausgeschlossen  wäre.  So  heisst  ein  dortiges 
Journal  Le  Bonhomme  Percheron  (Paix,  27  avrii  1888). 

Vereinzelt  steht  nuiton  (zu  Nuits);  da  Nuits  auch  die  ältere 
Form  für  deutsches  Neuss  ist,  müsste  auch  ein  Neusser  un  Nuiton 
heissen  können.  Über  dunoison,  seine- et -oison  vgl.  diese 
Wörter. 

Das  Suffix  -eau  mit  dem  Fem.  -eile  steht  in  manceau 
(manseau),  morvandeau,  sologneau,  tourangeau.  Das  Suf&x 
-al  ist  erhalten  in  meridional  (zu  Midi),  provengal,  sowie  in 
occidentalf  orientaL  Delphinal  ist  Adj.  sowohl  zu  dem  Personen- 
namen (dauphin),   wie  zu  dem  Ländernamen  (Dauphine).     Von 


1)   Litträ    leitet   iächeron   direkt   von    iäche  her,   will  aber  für 
vigneron  ein  Verb  vigner  als  vermittelndes  Glied  einschieben. 


Piersonal'  und  Geniilderivaie  im  Neufranzösischen.  165 

PersonenBamen  kommt  ausserdem  cereal,  martial,  minerval  u.  a., 
nach  Littr6  auch  jovial. 

Das  Suffix  -ard  begegnet  in  briard,  leonard,  nigard, 
savoyardj  wird  aber  auch  mit  wenig  Vorliebe  verwendet,  was 
sich  aus  seiner  sonstigen  depreziativen  Bedeutung  erklärt  (cor- 
nard,  pillard,  pleurard  u.  a.). 

Unter  den  übrigbleibenden  sind  zu  erwähnen  berruyer, 
hainuyer  mit  seinen  Nebenformen,  ferner  cerdanyol,  cevenol, 
romagnol,  alle  nur  für  die  Bewohner  verwendbar.  Endlich  be- 
darrez,  carcassez,  carladez,  forez,  rasez,  royannez,  sowie  beau- 
vaisisy  calaisiSf  cambresisj  parisisj  tournaisis,  alle  nur  für  das 
Gebiet  zu  verwenden.  Parisis  fand  sich  in  früherer  Zeit  auch 
zur  Bezeichnung  eines  Geldwertes,  wobei  zugleich  SLuf  marseillez 
im  gleichen  Gebrauch  und  auf  das  von  Personennamen  abge- 
leitete raymondis  (un  raymondis,  un  sol  raymondis.  C.)  mit 
den  Nebenformen  raymondais,  raymondin  zu  verweisen  ist. 
Zusammenfassend  lässt  sich  bemerken: 

1)  Gelehrten  Ursprungs  oder  nur  der  Büchersprache  angehörig 
sind  die  Suffixe  -ique,  -iaque,  -esque,  -asque,  -ite,  -ote, 
-ate,  -iste.  Eine  Mittelstellung  nimmt  -ien  mit  seinen 
Nebenformen  ein;  es  ist  ursprünglich  auch  gelehrten  Ur- 
sprungs und  ist  es  bei  Personalderivaten  geblieben,  wo- 
gegen es  bei  Gentilderivaten  volkstümlich  geworden  ist  und 
mit  -ois,  -ais  in  Neubildungen  konkurriert. 

2)  Volkstümlich  sind  die  Suffixe  -ot,  -at,  -ois  und  -ais,  -eau, 
-(uy)er,  -ard,  -ol,  -ez,  -is,  -(erjon, 

3)  Nur  für  Personalderivate  verwendbar  sind  -esque,  -ite,  -iste, 
obwohl  sich  (teilweise  übernommene)  Ausnahmen  finden. 
Das  Suffix  -esque  bedeutet  eine  Art  oder  Manier  und  ist 
öfter  herabsetzend;  -ite  ist  auf  religiöse  Parteien  (Sekten, 
Orden  u.  dgl.)  zu  beschränken,  -iste  dagegen  auf  politische 
oder  wissenschaftliche  Parteien  (Schulen). 

4)  Nur  für  Gentilderivate  verwendbar  sind  -iaque,  -ote,  -ot, 
-ate,  -at,  -ois  und  -ais,  -asque,  -eau,  .-(uy)er,  -ard,  -ol,  -ez, 
-iz,  -(er)on,  Ausnahmen  (teilweise  übernommene)  finden 
sich  nur  in  geringer  Zahl  bei  -iaque  und  -ois  (ais).  Nur 
für  die  Bewohner  oder  das  den  Bewohnern  Zugehörige  sind 
verwendbar  -iaque,  -ote,  -ot,  -ate,  -eau,  -(uy)er,  -ard,  -ol, 
-(er)ony)  Nur  auf  das  Gebiet  bezüglich  sind  -ez,  -is.  Für 
beides  verwendbar  sind  -at,  -ois  und  -ais. 

5)  Sowohl  für  Personal-  wie  für  Gentilderivate  brauchbar  sind 
-ique,  -ien. 


*)  Sowie  'ien. 


166    Ph.  Plaitnet%  Personal-  und  Geniiiderivaie  im  Neufranzösischen, 

6)  Adjektivisch  sind  in  der  Regel  -ique,  -iaqu^,  -esque.  Sub- 
stantiviert können  sie  nur  bei  Gentilderivaten  werden. 
Lediglich  substantivisch  sind  -ez,  -is,  weil  sie  nur  Gebiets- 
namen bildeui 

7)  Die  hauptsächlichen  Suffixe  für  Gentilderivate  sind  -i&n 
einerseits,  -ois  oder  -ais  anderseits.  Das  Suffix  -len  steht 
nie  bei  Gebietsnamen;  -ois  (-ais)  findet  nie  bei  Bergnamen 
und  nur  unter  gewissen  Voraussetzungen  bei  Flussnamen 
Verwendung,  ausserdem  tritt  es  nur  vereinzelt  an  Namen 
der  antiken  Geographie.  Bei  der  Frage,  ob  im  einzelnen 
Falle  -ieffi  oder  -ois  (-ais)  zu  verwenden  ist  und  ob  bei 
letzterem  die  ältere  Form  (-ois)  oder  die  neuere  (-ais) 
zu  wählen  ist,  kommt  der  unmittelbar  vor  dem  Suffix 
stehende  Konsonant  oder  der  diesem  vorausgehende  Vokal, 
vielfach  aber  auch  beides  in  Betracht. 


Ph.  Plattner, 


168  TF,  KnöHcK 

die  Leitung  der  geistigen  Entwickelung  zu  übernehmen.  Für 
diese  hörte  dann  die  Beschäftigung  mit  Sprache,  Litteratur  und 
Wissenschaft  auf,  ein  Mittel  für  die  geistige  und  sittliche  Hebung 
des  Volkes  zu  sein,  wurde  vielmehr  zum  Selbstzweck:  sie  wid- 
meten sich  schöngeistiger,  litterarischer,  sprachlicher  Bethätigung 
nur  um  sich  einen  Schein  von  Bildung  und  Vornehmheit  zu 
geben  und  ihre  innere  Rohheit  zu  verdecken.  In  ihrer  völligen 
Verkennung  der  Ziele,  welche  erreicht  werden  sollten,  und  aus 
Ohnmacht  an  der  Erreichung  derselben  mitzuarbeiten,  mussten 
diese  Kreise  der  Gesellschaft  das  Preziösentum  schliesslich  über- 
treiben und  ins  Gegenteil  verzerren:  sie  wären  für  die  nationale 
Bildung  zu  einer  Gefahr  geworden,  wenn  nicht  Spott  und  Satire 
dem  gesunden  Sinne  wieder  zum  Siege  verhelfen  hätten.  Der 
Beginn  der  Nachäffung  und  Übertreibung  wird  gewöhnlich  in  die 
Zeit  gesetzt,  wo  Madeleine  de  Scud^ry  die  Clelie  schrieb  und 
der  staunenden  Welt  die  Entdeckung  des  Royaume  de  Tendre 
verkündete,  aber  in  der  That  ertönen  die  Klagen  über  das  Un- 
wesen schon  viel  früher,  und  diese  wollte  ich,  so  weit  sie  mir 
bekannt  geworden,  in  Kürze  zusammenstellen. 

Es  ist  nicht  richtig  anzunehmen,  dass  die  Gesellschaft, 
welche  die  Marquise  de  Rambouillet  um  sich  versammelte,  der 
einzige  im  ersten  Viertel  des  XVII.  Jahrhunderts  bestehende  der- 
artige Zirkel  war,  aber  er  ward  bald  hervorragend  und  über- 
strahlte seit  1620  alle  andern  bei  weitem;  und  schon  in  den 
dreissiger  Jahren  erheben  sich  Stimmen  gegen  Ziererei  und 
Schöngeisterei. 

Im  Jahre  1635  (nach  den  Anecdotes  dramatiques  1636) 
brachte  Pierre  du  Ryer  seine  Komödie  Les  Vendanges  de  Suresnes 
auf  die  Bühne.  Die  Fabel  ist  einfach  und  unbedeutend,  aber 
(pour  parier  ä  la  mode  —  Scarron  I,  248)  die  naiv-realistische 
Schilderung  der  herrschenden  Sitten  ist  recht  anziehend  und  hat 
auch  wohl  Dancourt  bewogen  noch  1695  einen  Einakter  mit 
Gesangseinlagen  daraus  zu  machen.  Die  Komödie  zeigt  an 
mehreren  Stellen,  dass  d'ürfö's  Astree  schon  stark  ins  Volks- 
leben eingedrungen  war,  und  sie  tadelt  es,  dass  in  der  Unter- 
haltung, in  der  Liebeswerbung,  in  dem  Verkehr  der  beiden  Ge- 
schlechter Versemachen  und  Schöngeisterei  eine  Rolle  spielten.  — 
Tirsis  liebt  die  Dorim^ne  (auch  die  Namen  sind  bezeichnend!) 
ohne  Gegenliebe;  dessen  Freund  Polidor  ist  glücklicher,  entdeckt 
dies  aber  erst  im  weiteren  Verlauf.  Zu  Anfang  (I,  1)  klagt 
Tirsis  einem  anderen  Freunde  Philemon  die  Grausamkeit  der 
Geliebten  und  dieser  antwortet: 

Escoute  neantmoins  des  legons  fort  gentilles 
Afin  de  parvenir  ä  Vamiiie  des  fiUes. 


170  TF.  Knßrich, 

Darauf  verliest  Polidor  ein  Liebesgedicht,  welches  mit 
Pointen  geziert  ist  und  schon  an  die  spätere  galante  Dichtung 
erinnert.  An  die  Vorlesung  knüpft  sich  eine  Auseinandersetzung 
über  die  Beurteilung  von  Komödien. 

11  est  de  ces  censeurs  dont  les  langues  hardies 
Soni  souvent  le  seul  mal  qu'on  trouve  aux  comedies. 

Lun  faisoii  de  Phäbile  (et  pour  moy  je  nCen  moqiie), 

Vaulre  disoit  tout  haut:  cetie  rime  me  choque, 

Le  moi  rCesi  pas  franqoiSy  et  nCestonne  comment 

On  luy  vient  de  donner  laut  d'applaudissement, 

Ainsi  parlent  ces  gens  dont  Vesprit  populaire 

Ne  sgattroit  rien  sonffrir  comrne  ü  ne  peut  rien  faire, 

Herr  von  Saint -Amant,  ein  Gast  des  Hotel  de  Bambouillet, 
aber  ein  noch  eifrigerer  Besucher  des  cabaret,  von  Saumaize 
für  die  Preziösen  unter  dem  Namen  Salpurnius  in  Anspruch  ge- 
nommen, eines  der  ersten  Mitglieder  der  Akademie,  schildert  in 
seinem  Poete  crotte,  der  1637  (vielleicht  schon  1631)  zum  ersten- 
male  gedruckt  ist,  eine  preziöse  rudle  auf  boshafte  Weise: 

Quel  plaisir  d!estre  en  vne  chaise 
Chez  vous'  bien  assis  ä  son  aise, 
Dans  vne  ruelle  de  lit, 
Oü  Madame  s'ensevelit, 
Loin  du  iour,  de  peur  qu'on  ne  voye, 
Que  son  muffle  est  vne  monnoye, 
Qui  n'est  plus  de  mise  en  ce  temps, 
Et  qu*elle  a  bien  neuf  fois  sept  ans. 
La  Cvn  lit,  lä  Vantre  censtire, 
Donnant  ä  tout  double  tonsure, 
Lvn  ne  refrogne  et  ne  dit  mot, 
Lautre  nigauae,  et  faii  le  Sot; 
Dvn  raconte  quelque  nouuelle, 
Qui  mei  tout  le  monde  en  cerneUe, 
IJautre  pette  en  esternuant. 
Et  rautre  vesse  en  bouc  puant. 

Jedenfalls  meint  der  Dichter  eine  bestimmte  radle,  aber 
welche  dies  sein  könnte,  wird  man  wohl  nie  mehr  entdecken.^) 
Im  Jahre  1637  brachte  auch  Desmarets  ein  Satire,  die  auf  Rat 
und  mit  Beihilfe  Richelieu's  verfasste  Komödie  Les  Visiorinaires, 
auf  die  Bühne.  Darin  werden  die  schöngeistigen  Liebhabereien 
und  Überspanntheiten  der  Vornehmen  auf  ergötzliche  Weise  dar- 
gestellt, ja  man  will  in  einzelnen  Figuren  sogar  bestimmte  Per- 
sönlichkeiten erkannt  haben.  So  wird  die  Schule  Ronsard's  ver- 
spottet in  der  Person  des  sich  ronsardischer  Ausdrucksweise 
befleissigenden  Amidor,   poete    eoctravagant     Mit    der  Melisse, 

1)  Tallemant  des  R^aux'  Behauptung,  M^*®  de  Gournay  sei  ge- 
meint, ist  weder  erwiesen  noch  wahrscheinlich,  vgl.  Hisioriettes  II,  347 
(^d.  P.  Paris). 


172  W.  Knörich, 

Et  lä  se  rafratchir  et  boire. 

Arrivant  au  dovble  Coupeau, 

11  trouva  le  docte  Troupeau, 

Les  neuf  savantes  DamoiseUes, 

Assises  dessus  des  bancelles, 

Qui  faisoient  la  dissection, 

Avecque  grande  attention. 

De  Rondeaux,  de  Sonnets,  de  Stances, 

Sur  des  chagrins,  sur  des  ahsences. 

Et  sur  des  pkdsirs  accordes. 

Trois  des  plus  habiles  d^entr  *elles, 

Mais  je  n'ai  pu  savoi?'  lesquelles, 

Avpient  fait  ces  beaux  carmes-lä, 

A  Mercitre  on  les  e'tala, 

El  le  pria-t-on  de  les  lire; 

II  vCy  trouva  rien  ä  redire, 

Si  ce  n'est  en  quelques  endroiis 

Des  mots  qui  n*etoient  pas  Frangois.    etc. 

Zweifellos  will  der  Dichter  mit  dieser  Schilderung  der 
Mnsen  die  dem  bd  esprit  huldigenden  Damen  treffen;  welche  er 
unter  den  drei  geschicktesten  meint,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 
Femer  in  dem  jedenfalls  im  Frühjahr  1652  geschriehenen  Briefe 
an  Sarazin  sagt  er:  Mais  man  chien  de  destin  rn'emm^ne  ddns 
un  mois  av/x  Indes  Occidentales;  on  plutöt  fy  suis  pousse  par 
une  Sorte  de  gens  fdcheux,  qui  se  sont  depuis  peu  eleves 
dans  Paris,  et  qui  se  fönt  appeler  Pousseurs  de  beaux  sen- 
timens.  QuantitS  de  personnes  de  bon-sens  entreprendroient  de 
les  pousser;  mais  on  leur  a  dit  que  les  plus  pointus  d'entr^eux 
se  vantent  d^etre  approuves  d'une  grande  Princesse,  dont  Vesprit 
egale  la  qualite,  et  quHls  sont  assez  vains  pour  s^autoriser  de 
son  nom  ä  chaque  beau  sentiment  quHls  poussent;  ce  qui  em- 
peche  Sans  doute  qu^il  ne  se  forme  un  parti  contre  eux. 

Mit  der  grande  princesse  ist  wohl  die  Montpensier  gemeint, 
doch  könnte  wohl  auch  an  die  Duchesse  de  Longueville,  geb. 
Prinzessin  von  Bourbon-Cond6,  gedacht  werden.  Auch  nach  seiner 
Verheiratung  mit  FrauQoise  d'Aubignö  Hess  er  sich  dadurch  nicht 
vom  Kampfe  gegen  das  Unwesen  abhalten,  dass  seine  Frau  stark 
in  preziösem  Fahrwasser  segelte.  In  der  Widmungsepistel  zum 
Ecolier  de  Salamanqae  (aufgeführt  1654,  gedruckt  1655)  klagt  er: 
On  a  hat  ma  Comedie  avant  de  la  connoitre.  De  belles  Dames 
qui  sont  en  possession  de  faire  la  destinee  des  paiwres  hu- 
mains,  ont  voulu  rendre  malheureuse  celle  de  ma  pauvre  Co- 
midie,  Elles  ont  tenu  rueUe  pour  V4touffer  des  sa  naissance, 
Quelgues-unes  des  plus  partiales  ont  porte  contre  dies  des  Fac- 
tums  par  les  maisons . .  . ,  et  Pont  compar4e  d'une  grace  sans 
seconde  ä  de  la  moutarde  melee  avec  de  la  crhne  etc. 

Femer  enthält   der  Brief  an  Marigny  (8.  Mai  1659)   eine 


Zur  Kritik  des  Preziöseniums,  173 

bezeichnende  Stelle.  Scarron  hatte  die  Absicht  seinen  Roman 
comique  fortzusetzen  und  äussert  sich  darüber:  II  faut  que  je 
vous  dise  de  quelle  mani4re  commence  le  [nouveau]  volume  de 
mon  Roman  Comique. 

„II  rCy  avoit  point  encore  eu  de  Pr^ciefoaea  dans  le 
monde,  et  ces  Jansdniates  d^Amour^)  n/avoient  point  encore 
commenci  ä  mepriaer  le  genre-humain.  On  n^ avoit  point  encore 
oul  parier  du  Trait  des  traits^  du  demier  Dovm,  et  du  premier 
Desobligeantf  quand  le  petit  Ragotin,  etc.^ 

Ah,  ma  chere!  ä  quoi  avez-vous  pass^  le  jouri  AK  ma 
chSre!  Bastonneau,  tout  pwr.  (Test  un  terme  de  Pr^cieuse,  pour 
dire  acheter  des  etoffes. 

Endlich  in  der  epitre  chagrine  an  den  Mar^chal  d' Albret 
(vom  Jahre  1659)  zählt  Scarron  alles  auf^  was  ihm  unangenehm 
ist,  und  sagt: 

0  qu'il  en  est  de  Genres,  et  de  Sectes, 
ße  ces  Fächeux,  pires  que  des  insectes! 
0  qu'il  en  est  dans  les  murs  de  Paris, 
Sans  excepter  Messieurs  les  Beaux- Esprits, 
MSme  de  ceux  qui  de  VAcademie 

Forment  Ui  heüe  et  docte  Compagnie, 

Mais  revenons  aux  Fächettx  et  Fächeuses, 
Au  rang  de  qui  je  mets  les  Preciettses, 
Fausses  s'entend,  et  de  qui  tout  le  hon 
Est  seulemant  U7i  langage  ou  Jargon, 
ün  parier  gras,  plusieurs  sottes  mani^res. 
Et  qui  ne  sont  enfin  que  faconnieres, 
Ei  ne  sont  pas  Precieuses  de  prix, 
Comme  ü  en  est  deux  ou  trois  dans  Paris, 
Que  fon  respecte  autant  que  des  Princesses; 
Mais  eUes  fönt  quantite  de  Singesses, 
Et  Von  peut  dire  avecque  vdrite' 
Que  leur  modele  en  a  beaucoup  gäte. 

Beachtenswert  ist,  dass  der  Dichter  hier,  wie  Moli6re  im 
nächsten  Jahre,  einen  Unterschied  macht  zwischen  den  fausses 
precieuses  und  precieuses  de  prix,  und  dass  er  nur  zwei  bis 
drei  zu  der  letzteren  Art  zählt,  ähnlich  wie  er  im  Typhon  von 
den  Musen  drei  als  les  plus  habiles  bezeichnete. 

Um  die  Aufzählung  der  Stellen  aus  Scarron  nicht  zu  nnter- 


1)  Paul  Morillot  in  seiner  trefflichen  Monographie  Scarron  et 
le  genre  burlesque  (Paris,  Lec^ne  &  Oudin)  will  aus  dieser  Stelle  folgern, 
dass  nicht  ^inon  de  Lenclos,  sondern  Scarron  der  Urheber  dieses  viel 
zitierten  Ausdrucks  sei.  £r  hat  darin  Unrecht,  denn  derselbe  stammt 
aus  dem  Jahre  1656,  wo  Christine  von  Schweden  zum  erstenmale  in 
Paris  war,  und  Saint-^yremont  gebraucht  ihn  schon  in  der  prosaischen 
Nachschrift  zu  seinem  1656  verfassten  Cercle:  on  dit  un  jour  ä  la  reine 
de  Suede,  que  les  precieuses  etaient  des  jansMstes  de  ratnow. 


174  W.  Enörich, 

brechen,  ist  der  1656  verfasste  Gerde  von  Saint-Evremont^)  bis 
zuletzt  gelassen.  Das  Gedicht  ist  zu  lang,  um  es  hier  ganz 
mitzuteilen.  In  der  rttelle  findet  der  Dichter  jedes  Alter,  jedes 
Geschlecht,  Stadt-  und  Hofleute,  die  Hässliche  und  die  Schöne 
u.  s.  w.,  welche  zusammengekommen  sind,  prendre  seance  en 
Vecole  dCamour,  Dann  beschreibt  er  die  prade,  orgueiUeuse, 
jeune  coquette,  intrigueuse,  die  prdcieuse  occupee  aux  legons  de 
morale  amoureuse,  aber  auch  die  solide,  opposee  ä  tous  les 
vains  dehors.  Nachdem  der  Dichter  dann  noch  allerlei  Ergötz- 
liches über  die  Beschäftigung  der  Damen  berichtet  hat,  fügt  er 
in  Prosa  hinzu:  Apres  la  lecture  de  mes  vers,  vous  me  deman- 
derez  avec  raison  ce  que  c'est  qv!une  prdcieuse,  et  je  vais  tdcher, 
autant  qa!il  rn'est  possible,  de  vous  Vexpliquer,  On  dit  un  jour 
ä  la  reine  de  SuMe,  que  les  precieuses  etaient  les  jansenistes 
de  Vamour;  et  la  definition  ne  lui  dSplut  pas,  Uamour  est 
encore  un  Dieu  pour  les  precieuses,  11  n^excite  pas  de  passion 
dans  leurs  dmes;  il  y  forme  une  espece  de  religion.  Mais  ä 
parier  moins  mysterieusement,  le  corps  des  precieuses  n^est 
autre  chose  que  Vunion  d^un  petit  nombre  de  personnes,  oü 
quelques-unes  veritablement  delicates,  ont  jete  les  autres  dans 
une  affectation  de  d4licatesse  ridicule  etc. 

Die  Aufzählung  von  Stimmen,  die  sich  gegen  das  Preziösen- 
tum  erhoben,  ist  in  zweifacher  Beziehung  lehrreich.  Erstens 
erkennen  wir  daraus,  dass  die  hauptsächlich  durch  die  Marquise 
de  Rambouillet  und  ihren  Kreis  gepflegten  Bestrebungen  ver- 
hältnismässig früh  thörichte  Nachäfferinnen  fanden,  dass  die  veri- 
tables  precieuses  fast  immer  dem  ausgesetzt  gewesen  sind,  ä  etre 
copiees  par  de  mauvais  singes  qui  meritent  d'etre  bem4s  (Moliöre). 

Ferner  ist  zu  beachten,  dass  in  allen  diesen  mitgeteilten 
Stellen  das  Wort  precieuse  in  der  spezifischen  Bedeutung  zuerst 
1656  bei  Saint-!^vremont  sich  findet  und  dann  in  den  Stellen  aus 
Scarron  vom  Jahre  1659.  Der  Zeitpunkt,  an  welchem  prdcieuse 
als  Bezeichnung  einer  schöngeistigen  Dame  aufkam,  ist  bisher 
noch  nicht  bestimmt  worde:a  und  wird  sich  auch  nur  unter  Be- 
nutzung einer  grossen  Menge  sicher  datierter  Korrespondenzen, 
Gedichte  etc.  jener  Zeit  bestimmen  lassen.  Doch  sei  folgendes 
darüber  bemerkt: 

In  den  vier  Büchern  von  Briefen  Balzac's  an  Conrart  (vom 
2.   Januar   1648    bis    19.   Dezember   1653),^)    sowie    in    dessen 

1)  Abgedruckt  in  den  (Euvres  choisies  d^  Saint-Evremont  6d.  Les- 
cure (Paris,  Jouaust)  und  auch  in  der  unter  gleichem  Titel  erschienenen 
Auswahl  von  Gidel  (Paris,  Garnier  fräres). 

2)  Wenn  man  nicht  etwa  folgende  dafür  halten  will  (ä  Conrart, 
livre  II,  lettre  XXVIII,  24.  Dez.  1661):   Voüa,  en  verite,  (Testrafiges  effeis 


176  fF,  Kn&rich,  Zur  Kritik  des  Preziösentums, 

rentres  ä  Paris  et  ä  la  Cour,  (Test  alors  que  Vahhe  de  Pure 
commenga  ä  ecrire  son  fameux  roman  qui  put  etre  iraprimd 
et  paraitre  en  1656. 

Versuchen  wir  diese  beiden  Ansichten  in  Einklang  zu 
bringen!  Wir  nehmen  mit  Rath6ry  an,  dass  die  Benennung 
PrScieuse  schon  1652  vorhanden  war,  zumal  La  Pure's  Worte 
aux  Premiers  heaux  jours  que  la  paix  etc,  auch  auf  1652  ge- 
deutet werden  können.  Allmählich  wird  nun  diese  Benennung 
immer  mehr  in  Gebrauch  gekommen  sein,  bis  La  Pure  dieselbe 
bei  seiner  Übersiedelung  nach  Paris  kennen  lernte  und  in  den 
Jahren  1655/56  ff.  in  seinen  bekannten  Werken  gebrauchte.  Im 
Jahre  1656  (vielleicht  schon  im  Winter  1655  —  56)  nahm  das  Pre- 
ziösentum  nach  Somaize  (6d.  Livet  I,  187)  einen  ungeheuren 
Aufschwung  und  dehnte  sich  weithin  aus.  Sollte  dies  nicht  der 
Zeitpunkt  sein,  wo  man  anfing  Pr4cieuse  in  nachteiligem,  tadelndem 
Sinne  zu  gebrauchen!  Dazu  würde  es  stimmen,  dass  Königin 
Christine  1656  sich  die  neue  Anwendung  des  Wortes  erklären 
lässt;  dass  Saint -^vremont  es  für  nötig  hält,  eine  Definition  des 
Wortes  zu  geben;  dass  die  Preziösen  La  Pure's  Komödie  für 
eine  Satire  hielten  (also  argwöhnisch  waren);  und  dass  La  Pure 
(nach  Somaize,  I,  188)  die  Geister  dadurch  beruhigte,  dass  er 
erklärte,   er   habe  nur  die  fausses  precieuses  angreifen  wollen. 

Derselbe  La  Pure  lässt  in  seinem  Roman  (zitiert  von  Livet, 
Dict  des  Prec.  II,  338)  G6name  (=  Manage)  sagen :  la  Pretieuse 
fut  introduite  ä  peu  pr^s  en  vogue  la  mesme  annee  qu^on  eüt 
d4clar4  permis  de  prendre  la  macreu se  pour  poisson  et  en 
manger  tout  le  caresme.     Wann  geschah  das  aber? 

W.  Knörich. 


Therese  Levasseur. 

Rousseau-Studien   II.i) 


bo  verschieden  wie  noch  heute  die  urteile  über  Jean- 
Jacques  Rousseau  selbst  lauten,  ist  auch  die  Zwiespältigkeit  in 
der  Beurteilung  seiner  Geliebten  und  späteren  Gattin  Th6r6se 
Levasseur  auffallend  genug.  Aber  der  Versuch  einer  Apologie 
des  hart  angegriffenen  Weibes  stösst  auf  ganz  andere  Schwierig- 
keiten, als  die  Verteidigung  des  Genfer  Philosophen  gegen  seine 
Ankläger  und  Anklägerinnen.  Hier  können  wir  Rousseau's  Con- 
fessions  und  seine  Briefe  den  von  Grimm  redigierten  Memoiren 
der  Marquise  von  Epinay,  den  Anklageschriften  Hume's,  Voltaire's, 
Diderot's  und  d'Alembert's,  dem  Klatsche  der  Correspondance 
litteraire,  Bachaumont's ,  Dussaulx',  Rulhi^re's  u.  a.  gegenüber- 
stellen, auch  wenn  wir  nicht  auf  die  Apologeten,  die  nach  seinem 
Tode  sich  mutig  hervorwagten,  auf  M°^®  Latour  -  Franqueville, 
Barere,  M™®  de  Stael,  du  Peyrou,  Eymar  und  andere  Zeitgenossen 
uns  berufen  wollen.  Schwieriger  liegt  die  Sache  bei  seiner 
Gattin.  Rousseau  sucht  zwar  ihre  Fehler  und  Schwächen  in  den 
Confessions  zu  entschuldigen  und  sie  ebenso  wie  seine  erste 
Geliebte,  M°^®  de  Warens,  in  eine  ideal  angehauchte  Sphäre  zu 
versetzen,  doch  ist  in  beiden  Charakterbildern  so  viel  derber  und 
unzarter  Realismus  erhalten  geblieben,  dass  man  dem  Philosophen 
später  den  Vorwurf  der  Undankbarkeit  gegen  die  Warens,  der 
Rücksichtslosigkeit  gegen  Therese  machen  konnte.  Die  Briefe 
Rousseau's  an  Therese  deuten  nicht  immer  auf  ein  ungestörtes 
Verhältnis  beider  hin,  namentlich  lässt  der  vom  12.  August  1769 
ein  Misstrauen  gegen  die  Lebensgefährtin  durchblicken,  das  bei  dem 
umdttsterten  Gemütszustände  Rousseati's  begreiflich  genug  ist.  Dass 
nicht  wahre  Liebe  ihn  an  sie  fesselte,  sondern  nur  das  Gefühl 
eines  mehr  physischen  als  psychischen  Bedürfnisses,    deutet  er 


1)  S.  hier,  Bd.  IXi,  S.  215—255. 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.    XI^.  2^2 


178  R.  Mahrenholiz, 

in  den  Confessions  zur  Geniige  an,  und  wahre  Achtung  spricht 
ebensowenig  aus  der  dort  von  ihr  gegebenen  Charakteristik.  Die 
Briefe,  welche  hochstehende  Gönner  und  Gönnerinnen  an  Rousseau 
richteten,  gedenken  zwar  seiner  Geliebten  in  wohlwollender, 
nobler  Weise,  aber  die  Rücksicht,  welche  sie  gegen  den  reizbaren 
Mann  zu  nehmen  hatten,  musste  sich  auch  auf  die  angebliche 
„Gouvernante"  tibertragen.  Dagegen  sind  alle  Feinde  Rousseau's 
auch  Theresens  gehässige  Kritiker  und  die  Freunde  des  Philo- 
sophen suchen  ebenso  meist  das,  was  Rousseau  gegen  eine 
Epinay,  Hume  u.  a.  verschuldete,  auf  ihre  Aufhetzerei  zu  schieben. 
Musset-Pathay,  der  noch  direkte  Mitteilungen  von  Zeitgenossen 
und  Bekannten  Theresens  empfangen  konnte,  hat  sie  zum  bösen 
Dämon  des  von  ihm  mit  ebenso  grosser  Aufrichtigkeit  wie  mass- 
voller Einschränkung  verteidigten  Rousseau  gemacht  und  ist  zum 
Nachbeter  all  des  Klatsches  geworden,  der  seit  Grimmas  Correspon- 
dance  ihr  Andenken  besudelte.  Nur  Morin,  dessen  Essai  snr 
la  vie  et  le  caract^re  de  J,'J,  Rousseau  (Paris,  1851)  nun 
einmal  den  verklärenden  Märtyrer-  und  Heiligenschein,  der  in 
seinem  Bilde  Rousseau^s  Haupt  umschwebt,  auf  alle  überträgt, 
die  dem  Philosophen  treu  bis  zuletzt  zur  Seite  standen,  hat  auch 
eine  Rettung  Theresens  unternommen,  der  das  Dichterwort  „die 
Botschaft  hör'  ich  wohl,  allein  es  fehlt  der  Glaube"  sich  anpassen 
würde. 

Bei  solchem  Stand  der  Dinge  ist  eine  Apologie  Theresens 
ebenso  unberechtigt  wie  aussichtslos  und  wir  würden  sie  auch 
dann  nicht  unternehmen,  wenn  sie  mehr  Bürgschaft  des  Erfolges 
in  sich  trüge.  Getreu  der  Lehre  des  Altmeisters  L.  v.  Ranke, 
dass  der  Historiker  aus  dem  System  der  Anklage  und  Verteidigung 
zu  dem  der  historischen  Anschauung  übergehen  müsse,  dass  er 
nur  sagen  solle,  wie  die  Dinge  gewesen,  wollen  wir  das  ge- 
schichtliche Bild  Theresens  auf  Grund  des  widersprechenden, 
aber  doch  zu  einer  Einheit  unschwer  zu  gestaltenden  Quellen- 
materials dem  Zerrbilde  ihrer  Gegner  und  dem  Lichtbilde  ihres 
Advokaten  Morin  gegenüberstellen. 

Die  Jugend  Theresens  war  völlig  geeignet,  die  schlechten 
Eigenschaften,  die  ihr  angeboren  oder  anerzogen  sein  mochten, 
zu  entwickeln,  die  guten  Oharakterzüge,  die  auch  späterhin  nicht 
ganz  erloschen  sind,  thunlichst  zu  unterdrücken.  Not  und  Sorge, 
der  Einfluss  einer  eigennützigen,  bösartigen  Mutter  und  einer 
niedrig  denkenden  Verwandtschaft,  das  peinliche  Verhältnis  zu 
Rousseau  und  dessen  vornehmen  Beschützern  und  Beschützerinnen, 
das  Bewusstsein  gemeinsamen  Verbrechens  an  den  dem  Findel- 
hause übergebenen  Kindern,  haben  ihre  gewöhnliche  Lebens- 
auffassung und  Bildung  nie  der  Rousaeau's  annähern   oder   ihren 


Tkerbse  Levasseur.  179 

Charakter  vor  den  Fehlern  des  kleinlichen  Neides,  des  gehässigen 
Klatsches   und   böswilliger  Verleumdungssucht  bewähren  können. 
1721    zu    Orleans    geboren    und    ursprünglich    einer    achtbaren 
Beamtenfamilie  angehörend,  wurde  sie  durch  das  unverschuldete 
Missgeschick  ihres  Vaters,    der   seinen  Posten   als  Mtinzbeamter 
einbttsste,   in   die  Bahnen   eines   zweifelhaften  Lebensganges  ge- 
rissen   und    von   ihrer   berechnenden   Mutter   zur  Leichtfertigkeit 
angeleitet.      Als    sie    (1745)    den    im    Pariser    Winkelpensionate 
St.-Quentin  wohnenden  Rousseau   kennen   lernte,    war  sie   schon 
ein  verdorbenes  Mädchen.    Die  Stellung,  welche  sie  dort  einnahm, 
war  keine  unehrenhafte,  sie  war  mehr  Hausgenossin  als  Dienerin, 
ass    mit   den  Pensionären  am  Tische.     Nach  Rousseau's  Angabe 
war  sie  dort  pour  travailler  en  linge  angestellt,    d.  h.  sie  war 
als  Näherin  in  dem  Pensionate   beschäftigt   gegen  Entgelt  freier 
Pension.      Wunderbar,    wie    für    manche    deutsche    Biographen 
Rousseau' s  jenes   travailler   en    linge   zum    schweren    Stein   des 
Anstosses  geworden  ist.    BrockerhofF,  der  uns  mit  einer  fleissigen, 
dreibändigen  Lebensschilderung  Rousseau's  beschenkt  hat,  macht 
Therese  zur  „Vorsteherin   eines  Leinwanddepot",    dass   doch    in 
dem  kleinen  Pensionate  recht  tiberflüssig  gewesen  wäre;  Hettner, 
dessen  Darstellung  Rousseau' s  in  seiner  Gesch.  der  Litter atur  des 
XVIIL  Jahrhunderts    sehr   einer   Neubearbeitung  bedürfte,    zu 
einem   „Schenkmädchen"    aus   Orl6ans.     Ob    hier  Hettner    einer 
1825    in    der    Biographie    universelle    erschienenen    Notiz    des 
Herrn  von  Sevelinges  arglos  folgte,    oder   aus   welchen   anderen 
abgeleiteten  Kanälen  diese  Kunde  zu  ihm  gedrungen  ist,  vermag 
ich    nicht   zu   ermitteln.     Rousseau    war    damals    noch    von    den 
schmerzlichen  Eindrücken,   die  ihm  sein  Frohndienst  in  Venedig 
als    Sekretär   des  brutalen  Montaigu    bereitet   hatte,    erfüllt,    zu 
denen   das  Missbehagen   über  die  Pariser  Gesellschaft  kam,    er 
suchte    einen  Ersatz  für    die  Warens  und  eine  Art  Häuslichkeit, 
welche  dem,  der  die  Freuden  der  Halbwelt  aus  innerer  Abneigung 
und  zwingendem  Geldmangel  verschmähte,    besonders   notwendig 
war.    So  schloss  er  mit  ihr  eine  wilde  Ehe  und  liess  sich  durch 
die    offenen   Geständnisse,    welche    sie    ihm    in    der    Brautnacht 
machte,   nicht  warnen.     Die  ersten  Jahre  hat  er  gleichwohl  sein 
GarQonleben  fortgesetzt,  dabei  der  habgierigen  Bedürftigkeit  der 
alten  Levasseur  und  ihres  Pariser  Anhanges  einen  Teil  der  väter- 
lichen Erbschaft   geopfert  und,    selbst  in  Geldnot,   das  Wenige, 
was  er  besass  oder  durch  seine  Dienstleistungen  bei  M°*®  Dupin 
und  M.  Francueil,    sowie  durch  Notenkopieren  gewann,    mit  ihr 
und   ihrer  Familie  geteilt.     Erst  im  Jahre  1768   gab  er  ihr  den 
Namen  einer  Gattin,   ohne  dass  er  eine  kirchliche  Trauung,  die 
bei    den    strengen    Gesetzen    über    die    Ehe    eines    Protestanten 

12* 


180  Ä.  Mahrenholtz, 

grosse  Bedenken  hatte,  vollzog.  Im  Beisein  von  zwei  Zeugen, 
ohne  bürgerliche  oder  kirchliche  Formen,  unter  dem  falschen 
Namen  Renou,  der  ihm  durch  die  Besorgnis  seines  Gönners 
Conti  aufgenötigt  war,  fand  dieser  Bund  statt,  der  seinem  edlen 
Bestreben,  Theresens  Zukunft  in  materieller  und  sozialer  Hinsicht 
sicher  zu  stellen,  eine  Art  Weihe  geben  sollte  (s.  die  Quellen- 
angaben bei  Musset-Pathay,  Hist.  de  la  vie  et  des  ouvrages  de 
J,'J,  Rousseau  I,  S.  169—170). 

Über  Theresens  niedrigen  Bildungsstand  haben  wir  in 
Rousseau's  Confessions  eine  eingehende  Schilderung,  die  aber  in 
Anbetracht  des  damaligen  Volksschulunterrichtes  nicht  besonders 
Erstaunliches  bietet.  Danach  habe  sie  mit  der  Münzkunde  und 
Zeitrechnung  auf  sehr  gespanntem  Fusse  gestanden,  weder  die 
Ziffern  an  der  Uhr  noch  den  Wert  der  Geldsorten  begriffen,  die 
Monatsnamen  nie  sich  eingeprägt  und  durch  ihre  Sucht,  gewählt 
zu  sprechen,  erheiternde  Verwechslungen  angerichtet.  Doch  sei 
sie  im  Schreiben  nicht  ungewandt  gewesen  und  habe  mehr  prak- 
tische Lebenserfahrung  als  er  selbst  besessen.  Diese  Mängel 
ihrer  Bildung  sind  bei  einer  kleinbürgerlichen  Provinzialin  da- 
maliger Zeit,  die  in  einer  von  der  grösstenteils  selbst  unwissenden 
Geistlichkeit  geleiteten  Volksschule  ihren  Unterricht  empfangen 
hatte,  so  besonders  auffallend  nicht,  noch  heute  würden  wie  sie 
bei  einzelnen  ihrer  Lands-  und  Standesgenossinnen  in  geringerem 
Masse  entdecken  können.  Das  ihr  erteilte  Lob  der  Schreib- 
gewandtheit erleidet  allerdings  eine  starke  Einschränkung  nach 
der  orthographischen  Seite  hin,  wenn  wir  den  von  Streckeisen- 
Moultou  (Rousseau,  ses  amis  et  ses  ennemis  II,  S.  450—452) 
mitgeteilten  Brief  Theresens  an  ihren  Geliebten  in  Betracht  ziehen. 
Sie  schrieb  darnach,  in  getreuer  Umkehrung  des  Heyse'schen 
Satzes,  wie  sie  nicht  richtig  sprach,  und  Streckeisen-Moultou  hat 
sehr  wohl  gethan,  jenem  orthographischen  Musterbriefe  eine  fran- 
zösische Umschreibung  nachfolgen  zu  lassen,  da  dieser  sonst  selbst 
dem  erprobtesten  Entzifferungstalente  unübersteigliche  Schwierig- 
keiten bereitet  hätte.  Aber  ihr  praktisches  Geschick  wird  mit 
Recht  von  Rousseau  hervorgehoben,  sie  ist  eine  verständige, 
sparsame  Hausfrau  gewesen,  die  auch  späterhin,  als  der  Gatte 
dem  Erwerbsschriftstellertum  entsagt  und  in  Notenkopieren  seine 
Haupteinnahmequelle  hatte,  mit  den  1200 — 1400  fr.  jährlichen 
Einkommens  sich  wohl  einrichtete.  Wäre  sie  nur  eine  ebenso 
gute  Mutter  gewesen!  Aber,  wenn  wir  auch  der  bestimmten 
Versicherung  Rousseau's,  dass  ihn  allein  die  Schuld  für  die 
Kinderaussetzung  treffe,  dass  Therese  der  herzlosen  Preisgebung 
des  Erstgeborenen  Widerstand  entgegengestellt  habe,  nicht  die 
3ehr  verspätete  und  zweifelhafte  Angabe  der  Gräfin  Houdetot,  die 


Therese  Levassevr,  181 

das  schlimmste  Vergehen  in  Rousseau's  Leben  auf  dessen  Geliebte 
abzuwälzen  sucht  (s.  Musset- Pathay,  a.  a.  0.  I,  211)  gegenttber- 
setzen  dürfen,  so  geht  doch  auch  aus  den  Confessions  hervor, 
dass  Therese  sich  an  den  schrecklichen  Gedanken  schnell  ge- 
wöhnte und  der  noch  leichtfertigeren  Aussetzung  der  anderen 
Kinder  nicht  widerstrebte.  Die  Gründe,  welche  Rousseau  in 
seinem  Briefe  an  M°^®  Francueil  vom  20.  April  1751  und  a,  0. 
für  seine  Handlungsweise  anführt,  lassen  überdies  Therese  von 
moralischer  Schuld  nicht  frei,  denn  sie  laufen  in  dem  Haupt- 
punkte zusammen,  dass  eine  Erziehung  im  Findelhause  noch 
besser  gewesen  sei,  als  die  der  Mutter. 

Die  öfter  auftauchende  Angabe,  Rousseau  habe  die  Kinder 
preisgegeben,  weil  er  über  seine  Vaterschaft  unsicher  oder  über 
seine  Nicht- Vaterschaft  allzu  sicher  gewesen  sei,  ist  als  that- 
sächliche  Wahrheit  nicht  aufrecht  zu  erhalten,  denn  sie  beruht 
nur  auf  dem  einseitigen  und  nicht  unbedingt  glaubwürdigen 
Zeugnis  seines  Biographen  Barruel,  höchstens  als  Vermutung 
können  wir  sie  zur  Verstärkung  der  von  ihm  selbst  vorgeführten 
Entschuldigungen  gelten  lassen.  Denn  wir  glauben  aus  manchem 
schliessen  zu  dürfen,  dass  Therese  ihrem  Geliebten  nicht  un- 
bedingte Treue  bewahrte.  Der  Vorfall  auf  der  Reise  nach  Genf 
(Sommer  1754)  ist  doch  auffallend  genug.  Rousseau  reiste  mit 
seinem  Landsmanne  Gauffecourt  und  mit  Therese  nach  der  Vater- 
stadt. Auf  der  Fahrt  soll  nun  der  schon  ältliche  Gauffecourt 
seine  VerfUhrungskünste  an  der  Levasseur  versucht  haben.  Es 
gibt  freilich  auch  Sünder  in  grauen  Haaren,  aber  gewöhnlich 
haben  sie  dann  mehr  Schlauheit,  als  jener  Schweizer,  der  fast 
vor  Rousseau^s  Augen  dessen  Geliebte  zu  entehren  suchte.  Dass 
Rousseau  der  Anklage  und  den  Unschuldsversicherungen  Theresens 
glaubte,  mag  bei  dem  sinnlichen  Zauber,  den  jenes  Weib  aus- 
geübt zu  haben  scheint,  begreiflich  sein,  aber  unklarer  bleibt  es, 
warum  der  schon  damals  zu  Argwohn  und  Misstrauen  Neigende 
jenem  verräterischen  Freunde  verzieh  und  ihn  später  (Jan.  1757) 
sogar  während  seiner  Krankheit  in  Paris  besuchte!  Ein  be- 
stimmter Beweis  für  Theresens  Untreue  bei  Lebzeiten  Rousseau's 
lässt  sich  nicht  erbringen,  aus  jenem  Briefe  vom  12.  Aug.  1769, 
in  welchem  er  der  eben  erst  zur  Gattin  Gemachten  Trennung 
vorschlägt,  lässt  sich  ein  sittlicher  Verdacht  gegen  die  Lebens- 
gefährtin wohl  folgern,  aber  man  kann  jenen  Vorschlag  auch  mit 
der  verzweifelnden  Stimmung  des  unglücklichen  Mannes  zusammen- 
bringen, die  sich  schon  ein  Jahr  früher  aufs  schärfste  in  dem  Juni 
1768  an  sie  gerichteten  Schreiben  ausspricht.  Weder  die  relative 
Schönheit  noch  das  zunehmende  Alter  Theresens  darf  man  gegen 
diesen  Verdachtgrund  als  Entlastung  hervorheben,  denn  über  ihre 


i 


182  -ß.  Mahrenholiz, 

äusseren  Eigenschaften  sind  die  Meinungen  derer,  die  sie  kannten, 
geteilt,  die  Jahre  aber  sind  beim  Weibe  so  wenig  ein  unbedingter 
Schutz  der  Tugend,  wie  beim  Manne.  Über  die  Vermutung,  dass 
Theresens  Untreue  noch  Rousseau's  letzte  Monate  in  Ermenonville 
verbittert  habe,  sprechen  wir  später,  hier  wollen  wir  nur  kon- 
statieren, dass  ihre  Untreue  und  Undankbarkeit  gegen  den  Ge- 
liebten keine  zweifellose,  aber  auch  keine  nicht  anzuzweifelnde 
gewesen  ist. 

Ebenso  lässt  sich  ihr  Eigennutz  sehr  verschieden  beurteilen. 
Rousseau  selbst  ist  der  Ansicht  gewesen,  dass  alle  habgierigen 
Absichten  sowohl  ihm  selbst,  wie  seinen  Gönnern  und  Gönnerinnen 
gegenüber,  von  der  alten  Levasseur  und  mehr  noch  von  deren 
Pariser  Anhange  ausgingen.  Darum  suchte  er  den  letzteren  zu 
isolieren,  Hess  die  Mutter  Theresens  den  Winter  1756/57  trotz 
Diderot's  Abmahnung  in  der  kalten,  rauhen  Ermitage  zubringen 
und  war  erzürnt,  als  sie  schliesslich  durch  Grimm' s  materielle 
Fürsorge  in  Paris  festgehalten  wurde.  Wenigstens  bestrebte  er 
sich  dann,  die  Tochter  von  der  Mutter  zu  trennen,  Hess  Therese 
auf  allen  seinen  unfreiwilligen  Irrfahrten  nachkommen,  drängte 
sie  den  englischen  Gastgebern  und  vorher  der  Gesellschaft  von 
Mortmorency  und  den  Bauern  von  Motiers  auf  und  trennte  sich 
bis  zum  letzten  Augenblicke  nicht  von  ihr.  Von  ihrer  Selbst- 
losigkeit war  er  überzeugt  und  in  der  That,  seit  der  Rückkehr 
aus  England  hätte  Therese  nicht  mehr  viel  gewinnen  können. 
Wohl  mochten  hier  und  da  Trinkgelder  reicher  Damen  ab- 
fallen, die  ihre  Noten  von  Rousseau  kopieren  Hessen,  um  den 
weltberühmten  Sonderling  sich  einmal  genau  anzusehen,  aber 
auch  diese  Gaben  überwachte  der  in  Geldsachen  besonders 
empfindliche  Argwohn  Rousseau's.  Aber  sollte  die  Tochter  einer 
so  habsüchtigen,  berechnenden  Mutter  ganz  aus  deren  Fusstapfen 
getreten  sein?  Manches  deutet  darauf  hin,  dass  beide  gleichsehr 
auf  die  Ausnutzung  der  vornehmen  Gönnerinnen  Rousseau's  be- 
dacht gewesen  seien.  Wenn  die  Marquise  von  Epinay  plötzlich 
jene  Lebensmittel-  und  Unterkleidssendung  für  die  FamiHe 
Levasseur  von  Paris  nach  der  Ermitage  abgehen  Hess,  die  dann 
Rousseau's  Missstimmung  erregte,  so  können  wir  annehmen,  dass 
auch  hinter  dem  Rücken  des  letzteren  manche  weniger  gering- 
fügige Gaben  den  beiden  Frauen  zugeflossen  seien.  Je  mehr 
Rousseau  selbst  sich  auch  über  zarte  Aufmerksamkeiten  be- 
unruhigte, wenn  sie  von  materiellem  Werte  waren,  desto  mehr 
mussten  die  Epinay  und  nicht  minder  seine  Gönnerinnen  in 
Montmorency  sie  den  Levasseur's  zuzustecken  suchen.  Es  wäre 
die  Annahme  derselben  nichts  Unrechtes  gewesen,  denn  was  kam 
Familien  wie  den  Luxembourg's  es  auf  solche  Kleinigkeiten  an? 


Therese  LevcLsseur,  183 

Dass  Theresens  unzertrennliche  Gegenwart  Rousseau  in 
der  Ermitage  sowohl  wie  in  Montmorency  und  in  England  ge- 
schadet hat,  ist  kaum  zu  bezweifeln ,  aber  der  Plan  Theresens, 
ihn  immer  mehr  von  seinen  Freunden  zu  trennen  und  ganz  in 
ihre  Netze  zu  ziehen,  ist  weder  nachweisbar  noch  wahrscheinlich. 
Wie  hätte  es  ihrem  Interesse  entsprochen,  dem  Geliebten  jeden 
Aufenthalt  zu  verleiden,  ihn  von  Asyl  zu  Asyl  zu  treiben  und 
auf  all  diesen  Irrfahrten  zu  begleiten?  Vielmehr  musste  ihr  ein 
sorgenfreier,  behaglicher  Aufenthalt  wie  der  in  Mont-Louis  und 
Wootton  mehr  zusagen,  als  das  ewige  Mitwandern  von  Ort  zu 
Ort.  Aber  das  Peinliche  des  Verhältnisses  zu  einer  seiner  un- 
würdigen Person  fiel  auf  Rousseau's  gastliche  Freunde  zurück, 
so  viel  sie  sich  auch  bemühten,  in  Therese  nur  ein  „Fräulein 
Levasseur"  und  eine  „Gouvernante"  zu  sehen.  Nicht  gerade  an 
der  Unsittlichkeit  des  illegitimen  Bundes,  sondern  an  Theresens 
Unbildung  nahmen  sie  Anstoss!  In  England  hatte  selbst  ein  vor- 
nehmer, einflussreicher  Mann  wie  Hume  Mühe  genug,  ehe  er  in 
dem  gutmütigen  Davenport  einen  Mann  fand,  der  der  Konkubine 
die  Ehre  der  Hausfrau  erweisen  wollte.  Direkt  geschadet  hat 
Therese  ihrem  Geliebten  nur  während  der  etwa  IY2  Jahre,  die 
er  in  der  Ermitage  zubrachte  und  hier  war  Eifersucht  gegen  die 
Epinay  und  die  Cousine,  die  Houdetot,  die  treibende  Ursache. 
Das  Misstrauen  gegen  die  edelmütige  Gastgeberin  hat  sie  durch 
Verdächtigungen,  wie  die,  dass  die  Epinay  Rousseau's  intime  Briefe 
ihr  habe  ablisten,  ihn  zum  Ehren  Wächter  auf  der  Reise  zu 
Tronchin  in  Genf  habe  machen  wollen,  durch  das  aus  der 
Bedientenstube  weitergetragene  Gerede  von  der  angeblichen 
Schwangerschaft  der  Marquise  immer  von  Neuem  wachgerufen. 
Mag  auch  jener  hinterlistige  Brief,  der  den  Auserkorenen  der 
Houdetot,  den  in  Deutschland  als  Offizier  weilenden  St.-Lambert 
von  Rousseau's  Liebeleien  mit  dieser  Dame  unterrichtete,  ein 
Werk  Grimm's  gewesen  sein,  er  war  doch  nur  das  getreue  Echo 
der  Klatschereien  und  Übertreibungen  von  Theresens  eifersüchtiger 
Rache.  Aber  die  Missgeschicke  in  Montmorency,  Motiers  und 
Wootton  sind  scheinbar  ohne  Theresens  Schuld  herbeigeführt 
worden.  Von  Montmorency  vertrieb  ihn  des  Pariser  Parlaments 
Vorgehen  und  seiner  Gönner  Kleinmut,  von  Motiers  der  Haes 
der  Pfaffen  und  Bauern  gegen  den  Freigeist  und  Sonderling,  von 
Wootton  seine  schwarzsehende  Phantasie.  Es  ist  ein  spät  auf- 
tauchender Weiberklatsch,  dass  Therese  die  Urheberin  jenes 
Stein-Bombardements  in  Motiers  gewesen  sei,  das  Rousseau  für 
seine  persönliche  Sicherheit  besorgt  machte,  und  nur  zu  bewundern 
ist  es,  wie  ein  Gaberei  (Rousseau  et  les  Genevois,  S.  51)  und 
ein  Levallois  (s.  Streckeisen-Moultou,  a.  a.  0.  I,  S.  XXXI)  der- 


184  R.  Malirenholiz, 

artiges  als  historische  Thatsache  ausgeben,  ein  Hettner  es  gläubig 
wiederholen  konnte.  Auch  an  den  Irrfahrten  durch  Frankreich 
von  Fleury  bis  Monquin,  an  der  Abgeschiedenheit  des  Pariser 
Aufenthaltes  und  an  dem  Missbehagen,  das  Rousseau  sogar  in 
der  Einsamkeit  von  Ermenonville  empfunden  haben  soll,  ist  sie 
schwerlich  schuld  gewesen.  Teils  die  Bosheit  anderer,  teils 
Rousseau's  zunehmende  Gemütsumdüsterung  machte  ihm  Welt 
und  Menschen  verhasst. 

Es  sind  dies  teils  beglaubigte  Thatsachen,  teils  begründete 
Vermutungen,  die  eines  Aufwandes  von  Quellenangaben  nicht 
bedürfen,  eine  nähere  Erörterung  muss  aber  der  Frage  gegeben 
werden,  ob  Therese  noch  Rousseau's  letzte  Augenblicke  durch 
Untreue  getrübt  habe.  Sie  von  der  Schuld  an  Rousseau's  an- 
geblichem Selbstmord  zu  befreien,  halten  wir  für  überflüssig,  da 
wir  nach  Morin's  und  Jansen's  eingehenden  Beweisführungen 
diesen  Selbstmord  in  das  Reich  leichtfertigen  Klatsches  und 
boshafter  Lüge  verweisen  müssen.  Bekanntlich  hat  man  der 
57jährigen  Therese  den  Vorwurf  aufgebürdet,  sie  habe  in  Erme- 
nonville ein  Liebesverhältnis  mit  einem  gewissen  Nicolas  Montr6- 
tont,  Reitknecht,  dann  Kammerdiener  des  Marquis  von  Girardin, 
begonnen,  was  zu  Rousseau's  Kenntnis  gelangt  sei,  ihm  den 
Aufenthalt  in  seinem  letzten  Asyl  verleidet  und  den  Selbstmord- 
gedanken eingegeben  habe.  Nun  sieht  es  mit  den  Zeugnissen 
für  diese  Liebschaft  wie  für  die  spätere  angebliche  Ehe  mit 
jenem  Domestiken  dürftig  genug  aus.  Einem  Brief  des  jüngeren 
Girardin  zufolge,  der  an  Musset- Pathay  gerichtet  ist,  hat  jene 
Liebelei  erst  einige  Zeit  nach  Rousseau's  Tode  begonnen,  nach 
einer  anderen  Angabe,  die  der  M™®  de  Sta61  von  der  Tochter 
des  Marquis  de  Girardin  gemacht  wurde,  erst  ein  Jahr  später. 
Der  ganze  Klatsch  von  Theresens  Untreue  taucht  zuerst  in  der 
für  solche  Dinge  sehr  ergiebigen  Correspondance  litteraire 
Grimmas  auf  ßd,  Tourneux  IX,  91,  Juli  1770),  dieselbe  hand- 
schriftliche Chronik  spricht  mehr  als  zehn  Jahre  später,  im  Ok- 
tober 1780  (a.  a,  0.,  XII,  443),  von  der  bevorstehenden  Ehe 
Theresens  mit  Montr^tont,  eine  Sensationsnachricht,  welche  die 
Memoires  secretes  de  Bachaumont,  die  Hauptkloake  des  Pariser 
Gesellschaftsklatsches,  schon  am  27.  November  1779  ihren 
Lesern  mitzuteilen  wussten  (s.  Morin,  a.  a.  0.,  S.  435). 

Die  zweite  Ehe  lässt  sich  auf  solche  Nachrichten  hin  nicht 
als  eingetretene  Thatsache  ansehen,  freilich  beweist  das,  was 
Musset-Pathay  (II,  S.  198)  und  Morin  (a.  a,  0.,  S.  436;  gegen 
diese  Beschuldigung  sagen,  auch  nichts.  Denn  des  ersteren 
Einwand,  jener  Bediente  hätte  keinen  Anlass  zu  einer  Ehe  mit 
der  armen  (?)  Wittwe  gehabt,  die  nur  auf  den  Namen  ihres  ersten 


Th&bse  Levdissewr.  185 

Gatten  hin  sich  Geld  zusammenbetteln  konnte,  ist  ebenso  hin- 
fällig wie  Morin's  Argumentation,  Mirabeau  würde  dem  Weibe 
eines  ehemaligen  Reitknechtes  keine  Antwort  auf  ihren  1790  an 
ihn  gerichteten  Bettelbrief  erteilt,  die  Nationalversammlung  ihr 
nicht  eine  Pension  bewilligt  haben.  Es  bleibt  dabei  eben  unklar, 
ob  man  die  zweite  Ehe,  ihre  Wirklichkeit  vorausgesetzt,  gekannt, 
ob  man  nicht  auch  in  der  Frau  des  Bedienten  die  Lebens- 
gefährtin des  Propheten  der  grossen  Revolution  geehrt  hat,  ob 
Mirabeau  und  die  Nationalversammlung  sich  durch  sittliche  Be- 
denken von  einem  Beschluss  hätten  abschrecken  lassen,  der  mehr 
politische  als  humane  Motive  hatte.  Besser  bezeugt  als  die  Ehe 
ist  das  Konkubinat  Theresens,  das  selbst  Morin  in  sehr  dehn- 
baren Worten  (a.  a.  0.,  S.  441)  zuzugeben  scheint.  Wie  wenig 
auch  auf  die  Zeugnisse  eines  Meister,  Bachaumont,  des  jüngeren 
Girardin  und  seiner  Schwester,  die  in  Therese  wahrscheinlich 
die  Verläumderin  ihres  Vaters  zu  hassen  Grund  hatten  und  anderer, 
die  mehr  nachsprechen  als  mit  eigenen  Augen  wahrnehmen  konnfen, 
zu  geben  ist,  das  alte  Sprichwort:  „Wo  Rauch  ist,  da  ist  auch 
Feuer"  dürfte  wohl  hier  zutreffen.  Die  siebenundfünfzig  Jahre 
Theresens  sind  für  den  Geschmack  eines  Reitknechtes  kaum  ein 
Hindernis  gewesen  und  ihre  Sittenstrenge  oder  die  Rücksicht 
auf  Rousseau's  Andenken  noch  weniger.  In  dem  oben  erwähnten 
Briefe  des  jüngeren  Girardin  an  Musset-Pathay  vermag  ich  nicht 
mit  Morin  (a.  a.  0.,  S.  432)  einen  Widerspruch  zu  entdecken. 
Der  Briefschreiber  bestreitet  nur,  dass  die  Liebelei  Theresens 
Ursache  zu  Rousseau's  Selbstmord  hätte  sein  können,  da  sie 
nach  dem  Tode  des  grossen  Dulders  stattgefunden  habe,  die 
Liebelei  gibt  er  zu,  und  wenn  er  auch  die  siebenundfünfzig  Jahre 
Theresens  hier  hervorhebt,  so  geschieht  das  nur,  um  der  durch 
M™®  de  Stagl  (in  ihrer  Schrift:  Lettres  sur  le  caractere  et  les 
ouvrages  de  Rousseau,  1788)  weiter  verbreiteten  Legende  eines 
Selbstmordes  des  betrogenen  Gatten  im  Hause  seines  Vaters  aus 
naheliegenden  Familienrücksichten  entgegenzutreten. 

Es  ist  allerdings  nicht  ausgemacht,  ob  jenes  skandalöse 
Verhältnis  Theresens  dem  Marquis  von  Girardin  Anlass  gegeben 
hat,  die  Gattin  seines  Schützlings  aus  dem  Hause  zu  weisen, 
wahrscheinlich  ist  es  sogar,  dass  die  weiter  unten  zu  erwähnenden 
Streitigkeiten  über  Rousseau's  Vermögen  und  Nachlass  und 
Theresens  Verläumdungen  gegen  ihn,  der  Grund  seines  energischen 
Vorgehens  gewesen  sind,  aber  sicher  ist  es,  dass  man  von  Seiten 
der  Girardin's  an  die  Liebschaft  mit  dem  ehemaligen  Reitknechte 
glaubte. 

Wie  wir  in  Theresens  Brief  an  Rousseau's  Freund  Coranc^z 
im  Jahre  1798,    der  hauptsächlich   ihren   Gatten  von  dem  Ver- 


186  B.  MahrenhoUz, 

dachte  des  Selbstmordes  entlasten  sollte,  lesen,  habe  der  Marquis 
von  Girardin  sich  gleich  nach  seines  Gastes  Tode  mit  der  Zu- 
stimmung Theresens  des  vorhandenen  Baarvermögens,  der  Manu- 
skripte und  sonstiger  Gegenstände  bemächtigt,  diese  in  Genf 
verkauft  und  die  Witwe  mit  entwerteten  Assignaten  und  einer 
schwer  einzuziehenden  Leibrente  abgefunden.  Aber  dieser  Brief 
ist  ein  Bettelbrief  schlimmster  Art,  er  sucht  in  unwürdigster 
Weise  das  Mitleid  und  den  Wohlthätigkeitssinn  der  Freunde  und 
Verehrer  Rousseau's  für  die  „fast  80jährige  Witwe,  die  in  einer 
Baracke  wohne  und  fast  an  allem  Mangel  leide  ^  anzuflehen,  ob- 
wohl diese  nach  ihrem  eigenen  Zugeständnis  doch  jährlich 
1500  fr.  Pension  von  der  französischen  Nation  und  eine  „massige 
Leibrente^  bezog. ^)  Wenn  nun  auch  beide  sehr  unregelmässig 
und  unvollständig  gezahlt  sein  mögen,  wie  denn  die  fünfte  Jahres- 
rente der  Nationalsubvention  damals  noch  ausgestanden  haben 
soll,  so  ist  die  Schilderung  Theresens  von  ihrer  materiellen  Not 
doch  eine  absichtlich  übertreibende.  Auch  die  Anklagen  gegen 
den  Wohlthäter  ihres  Gatten  können  wir  schwerlich  als  glaub- 
würdig ansehen.  Was  sollte  den  nobeldenkenden,  reichen  Edel- 
mann zu  einer  so  unehrlichen  Handlungsweise  bestimmt  haben, 
auch  wenn  er  die  Zuneigung  für  Rousseau,  wie  sehr  begreiflich, 
nicht  auf  Therese  übertrug?  Warum  hätte  diese  sich  nicht  über 
ihn  in  ihrem  Briefe  an  Mirabeau  beklagt,  bei  dem  sie  doch  nicht 
nur  sichere  Abhilfe,  sondern  auch  Rache  gegen  den  verhassten 
Edelmann  gefunden  hätte?  Und  aus  Mirabeau's  Antwort  geht 
ziemlich  klar  hervor,  dass  sie  das  nicht  gethan  hat! 

Wenn  also  Therese  sich  dem  Beschützer  ihres  Gatten 
gegenüber  als  Verleumderin  zeigt  und  wahrscheinlich  die  Ver- 
treibung aus  Ermenonville  durch  ihre  Habgier  und  Anschuldigungs- 
Bucht  selbst  herbeigeführt  hat,  so  brauchen  wir  auch  den  un- 
günstigen Nachrichten,  die  wir  über  ihr  Verhalten  nach  Roiisseau's 
Tode  haben,  kein  so  entschiedenes  Nein  entgegenzusetzen,  wie 
das  ihr  Apologet  Morin  thut. 

Was  uns  Musset-Pathay  nach  dem  Berichte  von  Augenzeugen 
über  ihre  Trunksucht  und  Bettelei  und  ihr  hässliches  Benehmen 
gegen  eine  alte  Dienerin  Rousseau's  mitteilt  (a.  a.  0.,  II,  S.  199) 
wird  schwerlich  auf  Erfindung  beruhen.  Die  schlimmen  Züge 
ihres  Charakters  haben  sich  naturgemäss  immer  mehr  entwickelt, 
als  der  höherdenkende  Sinn  Rousseau's  sie  nicht  mehr  überwachen 
konnte  und  als  sie  von  jedem  Verkehr  mit  der  feineren  Bildung 


*)  Ausserdem  hatte  sie  durch  den  Ertrag  der  von  du  Peyrou  und 
Moultou  veranstalteten  Ausgabe  der  Werke  Rousseau's  —  24  000  fr. 
gewonnen. 


Therese  Levfisseur. 


187 


ausgeschloBsen  war.  In  einem  moralisch  gesunkenen  Zustande 
gewiss  ist  sie  am  17.  Juli  1801  zu  Plessis-Belleville,  einem 
Dorfe  bei  Paris,  gestorben,  ob  auch  in  so  grosser  Dürftigkeit, 
wie  sie  glauben  Hess,  das  müssen  wir  bezweifeln. 

Von  dem  Vorwurfe,  Rousseau's  letzte  Tage  getrübt  und 
ihm  den  Aufenthalt  in  Ermenonville  verbittert  zu  haben,  können 
wir  sie  grösstenteils  entlasten.  Wenn  auch  die  selbstgeschmiedeten 
Fesseln,  die  der  Gatte  einer  Levasseur  trug,  ihm  die  Welt  noch 
mehr  zum  Kerker  machten,  als  seine  schwarzsehende  Phantasie 
es  ohnehin  that,  so  ist  doch  der  in  Theresens  Brief  an  Coranc^z 
erwähnte  Wunsch  Rousseau's,  Ermenonville  zu  verlassen,  kaum 
durch  ihre  Untreue  oder  direkte  Schuld  veranlasst  worden.  Viel- 
leicht ist  er  nur  eine  Erfindung  Theresens,  um  Girardin  noch 
mehr  zu  verdächtigen  und  Coranc^z  schenkte  ihm  allzuviel 
Glauben,  weil  das  seiner  Antipathie  gegen  den  Gastgeber  Rous- 
seau's und  seiner  Annahme  eines  Selbstmordes  des  unglücklichen 
Freundes  zu  Statten  kam. 

Vielfach  erinnert  der  Bund  Rousseau's  mit  Therese  an  die 
mehr  als  zehnjährige  Leidenszeit,  die  Moli^re  in  den  Fesseln 
Armande's  durchzukosten  hatte.  Beider  Lebensglttck  hat  ein 
übereilter  Schritt  schlimm  getrübt,  die  Gattin  des  grossen  Dichters 
aber  erscheint  noch  schuldiger,  als  die  des  Philosophen.  Die 
gefeierte  Komödiantin  hat  jedoch  eifrige  Verteidiger  gefunden, 
auch  als  sie  einen  rohen  Menschen  zum  Nachfolger  ihres  ersten 
Gemahls  erkor,  für  Therese,  deren  Schuld  durch  ihre  Unbildung 
und  durch  Rousseau's  schwer  erträgliche  Eigentümlichkeiten  ge- 
mildert wird,  ist  nur  ein  Ritter,  der  edle,  aber  unbedachte  Morin, 
in  die  Schranken  getreten. 


R.  Mahrenholtz. 


La  Correspondance  de  Saiiite-Beuve. 

i. 

Apr^s  la  mort  de  Sainte-Beuve  (13  octobre  1869),  son 
secrötaire,  M.  Jules  Troubat,  a  publik  toute  une  s^rie  de  volumes, 
qui  renferment  beaucoup  de  pages  excellentea,  6crites  par  le 
mattre;  elles  m^ritaient  bien  d'^tre  recueillies  et  mises  au  jour; 
et  touB  ceux  qui  en  lisant  les  onvrages  de  l'^mment  eritique, 
avaient  appris  k  raimer,  doivent  ^tre  reconnaissants  k  T^diteiir. 
J'6num6re  ces  publications  dans  leur  ordre  chronologique : 

Souvenirs  et  indiscriUons ,  le  dtner  du  Vendredi- Saint  y  par 
Sainte-Beuve,  publi^s  par  son  dernier  secretaire.  Paris,  lib. 
Levy,    1872.    354  pages. 

Lettres  ä  la  princesse  [Mathilde]  par  Sainte  -  Beuve.  Paris, 
lib.  L6vy,  1873.  367  pages.  —  Ces  lettres  et  billets  sont  au 
nombre  de  263. 

Premiers  lundis.  Paris,  lib.  L6vy.  Tome  premier,  1874. 
VII  et  425  pages.  Tome  second,  1874.  427  pages.  Tome 
troisifeme,  1875.    416  pages. 

lues  cahiers  de  Sainte -Beuve,  suivis  de  quelques  pages  de 
litter ature  antique,     Paris,  lib.  Lemerre,   1876.     211  pages. 

Chroniques  parisiennes,  par  Sainte-Beuve.  Paris,  lib.  Levy, 
1876.     348  pages.  ^ 

Correspondance  de  Sainte-Beuve,  Paris,  lib.  Calmann  L6vy. 
Premier  volume,  1877.  378  pages.  Second  volume,  1878, 
404  pages. 

NouveUe  correspondance  de  Sainte-Beuve.  Paris,  lib.  Cal- 
mann L6vy,  1880.     442  pages. 

Le  Clou  cCor,  la  Pendule,  avec  une  pr6face  de  M.  Jules 
Troubat.     Paris,   lib.    Calmann  L6vy,  1880.     VIII  et  90  pages. 


£.  Ritter,  La  Correspondance  de  Sainte-Beuve.  189 

Ces  quatre  derniers  volumes  me  paraissent  leg  plus  re- 
marquables  de  cette  petite  collection.^)  Parmi  les  lettres  que 
Saiote-Beuve  a  6crites,  il  y  en  a  un  certain  nombre  qui  sont 
tr^s  interessantes,  oü  Ton  retrouve  son  esprit  judicienx  et  net, 
le  tour  naturel  et  familier  d'une  agr6able  causerie.  L'ensemble 
des  petits  billets  qui  les  aecompagnent,  et  qui  ont  paru  insigni- 
fiants  k  quelques  critiques,  —  cet  ensemble  donne  aux  hommes 
qui  ne  sont  pas  m^i^s  k  la  grande  actiyit6  litt6raire,  aux  lecteurs 
Bolitaires  et  aux  jeunes  6tudiant8  de  la  province  et  de  T^tranger, 
une  id6e  juste  et  pr^cise  du  mouvement  quotidien,  du  tous-les- 
jours  du  cabinet  de  travail  d'un  ecrivain  parisien.  Ceux  qui 
sont  eux-m^mes  au  centre  de  ce  mouvement  n'ont  pas  besoin 
qu'on  le  leur  d^crive  on  qu'on  le  remette  sous  leurs  yeux.  Mais 
partout  ailleurs  q\x*k  Paris,  on  appr6ciera,  j'en  suis  assur6,  le 
tableau  anim6  et  vivant  que  pr^sentent  ces  volumes,  oü  vient  se 
peindre  aü  regard  un  des  coins  de  Tatelier  intellectuel  de  la 
France. 

Le  Premier  volume  de  la  Correspondance  contient  288  lettres, 
^chelonnees  du  6  mal  1822  an  13  avril  1865.  Le  second  lui 
fait  suite,  et  contient  333  lettres,  qui  vont  du  4  mai  1865  au 
11  octobre  1869.  Le  troisi^me  volume  est  un  Supplement  publik 
plus  tard,  et  contient  350  lettres,  dat^es  de  1818  k  septembre 
1869.  Les  Lettres  ä  la  pnncesse  [Mathilde]  avaient  6t6  publikes 
les  premi^res;  si  elles  ^taient  faites  pour  piquer  en  1873,  au 
lendemain  de  la  chüte  de  FEmpire,  la  curiositä  du  jour,  elles  le 
cfedent  k  toutes  les  autres-  en  intör^t  durable.  Enfin  le  Clou  d'or 
contient  nne  douzaine  de  lettres  d'amour  et  notes  intimes,  que 
Sainte-Beuve  6crivit  dans  sa  quaranti^me  annee.  Elles  prennent 
place  parmi  les  t6moignages  les  plus  p6n6trant6  et  sinc^res,  et 
qui  ouvrent  le  plus  de  jour  sur  la  vie  de  Sainte-Beuve.  Ailleurs 
il  parait  etre  un  pur  esprit;  son  ccBur  d'homme  parle  ici,  comme 
il  a  fait  encore  en  d'autres  occasions  de  sa  vie. 

On  n'a  pas  de  lettres  de  lui,  datant  de  T^poque  oü  il  ^tait, 
dit-il,  arr^t6  dans  le  monde  de  Hugo  par  Teffet  d'un  charme; 
on  n'a  pas  non  plus  de  ces  lettres  de  chaque  jour  dont  parle 
Amaury  dans  le  roman  de  VoluptS:  „D6s  mon  lever,  j'^crivais 
pour  madame  R.  une  lettre  k  la  Saint -Preux,  que  moi-m^me  je 
lui  remettais  plus  tard;  et  quoiqu'il  n'y  eüt  aucune  difficult6  de 
nous  voir  ni  de  causer,  j'avais  plaisir  k  ne  lui  rien  laisser  perdre 


1)  La  Beule  lacune  que  je  voie  k  relever  est  un  article  de  la 
Revue  des  deiix  mondes  du  1*'  octobre  1834,  qui  relate  un  des  ^pisodes 
de  la  qnerelle  k  laquelle  doona  lieu  Tarticle  de  Sainte-Beuve  sur 
Ballancfae;  il  y  faut  joindre  la  lettre*  de  M.  Coessin,  publice  dans  la 
Revue  des  deux  mondes  du  30  juin  1835. 


190  E,  Bitter, 

du  frais  butin  que  j^amassais  dans  la  courte  absence,  et  de  toutes 
ees  perles  foUes  que  secoae,  en  le  voulant,  une  imagination 
amoureuse.^  —  Gp.  Ze«  Lettres  brüUes,  dans  les  PoSsies  de 
Sainte-Beuve  (I,  223,  Edition  de  1861). 

On  n'a  qae  deux  lettres  de  lui,  qui  se  rejoignent  aux 
po^sies  qn'il  a  group^es  sous  le  titre  de:  ün  dernier  reoe,  k  la 
fin  du  volume  qui  contient  les  Consolations  et  les  Pensees  d!aoüt, 
et  qui  fut  publik  en  1863  k  la  librairie  Michel  L6vy. 

II  fut  court,  dit  Sainte-Beuve  de  ce  dernier  rßve:  il  a  com- 
inenc^  sur  le  plus  vague  et  le  plus  tendre  nuage  de  la  po^sie:  11 
a  fini  au  plus  aride  et  au  plus  d^sol^  du  d^sert  ä  Jamals  lUimltä 
du  cceur. 

Au  dedans  tout,  rien  au  dehors.  Voici  les  seuls  vestiges:  on 
les  a  r^unis,'  m^me  les  moindres,  comme  on  enfermerait  quelques 
feuilles,  quelques  fleurs  brisdes,  dans  une  urne. 

Dichtung  und  Wahrheit!  tout  est  vrai  et  tout  est 
po6tique  dans  ce  petit  roman,  qui  eut  une  si  prompte  fin.  II 
faut  lire  dans  la  Correspondance  (I,  110)  la  lettre  d'octobre  1840, 
adress6e  au  g^n^ral  ***  [Pelletier],  et  en  rapprocher  un  fragment 
de  lettre,  cit6  par  M.  Rambert  dans  sa  notice  sur  Juste  Olivier:^) 

Sainte-Beuve    avait  voulu  se   marier,    dit   M.  Rambert;    il 

arait  aim6,  il  avait  esp6r6,  il  avait  brigu^  et  obtenu  la  place  de 

biblioth^caire    k  la  Mazarine^)    afin    d'avoir   une  position  et   de 

pouvoir  faire  sa  demande  en  mariage ;  —  et  il  avait  vu  son  reve 

empörte. 

La  douleur  que  j'en  al  ^prouväe,  ^erit  Sainte-Beuve  ä  Oll  vier 
(1*'  septembre  1840)  et  que  j'en  ^prouve  est  inexprimable ;  Imaglnez 
que  j'y  suis  retourn^  malgr^  moi  des  le  surlendemain  du  refus; 
jy  retournerai,  qui  sait?  ce  solr  meme  .  .  .  Ainsi,  eher  ami,  au 
moment  oü  vous  6tes  Inquiet  ou  heureux  (les  Olivier  attendaient 
une  augmentation  de  famille)  je  ne  suis  plus  nl  Tun  nl  l'autre, 
mais  abattu  net.  J'ai  err^  ces  trois  jours  durant,  comme  un  chien 
sous  le  solell :  haeret  lateri  letkalis  arundo, 

Le  Clou  ^or  eommence  par  quelques  pages  que  Sainte- 
Beuve  paratt  avoir  jet6es  sur  le  papier  un  jour  oü  l'id^e  lui 
6tait  venue  d'6crire  une  nouvelle.  (On  en  a  deux  de  lui:  Madame 
de  Pontivy  et  Christel;  on  sait  que  ces  deux  morceaux  ont  et^ 
plac6s  k  la  suite  des  Portraits  de  femmes).  Sainte  -  Benve  ne  fit 
qu'esquisser  le  commencement  de  sa  nouvelle,  et  cette  ^bauche 
inachev^e  6tait  rest^e  dans  ses  papiers.    M.  Troubat  l'y  a  prise, 


1)  Bibliotheque  universelle,  1877  (LIX,  101).  Cette  notice  a  €t€ 
r^imprim^e  en  t^te  des  (Euvres  chmsies  de  Juste  Olivler,  Lausanne,  Hb. 
Bridel,  1879. 

^  G'est  le  8  aoüt  1840  que  par  ordonnance  royale,  M.  Sainte- 
Beuve  fut  nomm^  conservateur  k  la  Bibliotheque  Mazarine,  en  rem- 
placement  de  M.  Naudet,  promu  ä  d'autres  fonctions. 


La  Correspondance  de  Sainie-Beuve,  191 

pöur  la  placer  comme  en  avant-propos  k  la  t^te  de  douze  lettres 

et  notes  intimes,  6crites  de  juiilet  k  octobre  1844:  lettres   que 

Sainte-Beuve    n'avait  pas    envoyees,  ou    dont  il   avait  gard6  la 

minute;  notes  intimes  ecrites  par  lui  vers  le  meme  temps. 

La   correspondante  k  laquelle    Sainte-Beuve  ^crivait^  n'est 

pas  nomm6e;   mais   il  me  semble    que   e'est   eile  qu'il  a  en  vue 

daus  une  lettre  du  21  mai  1856: 

Lyon  est  une  ville  oü  je  suis  all^  souvent:  les  deuz  derniäres 
fois  qiie  j*y  suis  all^,  ä  peu  de  mois  de  distance,  c'^tait  pour  y 
voir  madame  *  *  *,  malade  de  la  maladie  dont  eile  devait  mourir, 
et  ma  nieilleure  amie  alors,  mais  une  amie  qui  n'a  pas  su  Tßtre, 
h^las !  comme  il  le  faut  au  coeur  pour  qu'il  soit  entierement  rempli 
et  satisfait,  —  heureux  d'un  plein  bonheur,  —  puie  uniquement 
d^sold.  J'avais  d^jä  pass^  l'äge  de  ces  bonheurs  qu*on  ne  mdrite 
jamais,  mais  qu'on  obtient  sous  le  rayon  de  la  jeunesse.  Que 
sera-ce  depuis?  (Correspondance  I,  215.) 

Les   douze   lettres   ou   notes   intimes  du  Clou  d'or  ont  6t^ 

6crites,   je  Tai  dit,   en   1844.     La   derniöre   lettre    en   effet  est 

datee  du  samedi  26  octobre.     Or  dans  les  annöes  oü  ces  lettres 

peuvent    8tre    plac6es,   le  26  octobre    n'a   6t6    un   samedi  qu'en 

1839,  1844  et  1850.     En  1850,  Sainte-Beuve,  abso;:b6  par  son 

travail  hebdomadaire  des  Causeries  du  lundi,  ne  pouvait  plus  etre 

rhomme  de   loisir  que  nous  montrent  ces  lettres;   11  ne  s'appar- 

tenait  plus,  il  6tait  tout  k  sa  täche.     En  1839,  Sainte-Beuve,  qui 

n'^tait   pas   encore   acad^micien   ni  biblioth^caire  k  la  Mazarine, 

n'aurait  pas  pu  6crire: 

Chöre  madame,  je  viens  vous  demander  vos  ordres  pour  jeudi; 
je  dois  etre  ce  jour  lä  ä  l'Acad^mie,  depuis  deux  heures  et  demie 
jusqu'ä  quatre  heures  et  demie.  Le  reste  des  heures  sera  trop 
honor^  d'une  minute  passive  ä  vous  voir. 

En    octobre    1844,    Sainte-Beuve    avait    d6jä,    ^t6    nomm6 

(14  mars  1844)   membre    de   TAcad^mie  fran9aise,   mais  n'avait 

pas   encore  pris   seance    et  prononc6  son  discours  de  r^ceptiou, 

ce  qui  n'eut  lieu  que  le  27  f^vrier  1845;  mais  il  est  naturel  de 

le   voir   remplir   un    devoir   professionnel  en   se   trouvant  k  son 

poste   de  biblioth^caire   pendant  la  seance  acad6mique:  c'est  un 

moment  que   les    membres   de  Flnstitut  utilisent  volontiers  pour 

leurs  recherches  dans  la  belle  biblioth^que  Mazarine.     Voir  par 

exemple    ce    que    dit    Sainte-Beuve   lui-m^me    dans    le   demier 

paragraphe  de  ses  articles  snr  M.  Biot;  il  y  semble  parier  d'apr^s 

ses  propres  Souvenirs  de  biblioth6caire : 

M.  Biot  ^tait  et  demeura  jusqu'ä  la  fin  un  liseur  infatigable; 
on  ne  se  fait  pas  id^e  de  la  quantit^  de  livres  de  toutes  sortes 
qu'il  essayait,  et  que  quelquefois  il  d^vorait  d'un  bout  ä  Tautre. 
La  Biblioth^que  de  Tlnstitut  avait  peine  ä  suffire  ä.  sa  consom- 
mation  de  chaque  semaine.  II  n'avait  gudres  de  patience  dans  ses 
prompts  d^sirs  de  lecture,  et  aurait  voulu  Stre  servi  aussitdt. 


192  E,  Ritter, 

Cette  date  stabile  de  1844  permet  de  classer  les  lettres 
et  notes  du  Clou  äor  dans  an  ordre  diff^rent  de  celui  que 
M.  Troubat  a  adopt^. 

1.  Note  confidentielle,  dat6e:  Ce  2  juillet  (VIII,  page  49). 

2.  Autre  note  confidentielle,  dat^e:  Ce  9  juillet  (X,  page  57). 

3.  Lettre,  dat6e:  Ce  12  juillet  (XI,  page  61). 

4.  Note,  fragment  de  Journal  intime  (III,  page  21). 

5.  Lettre  sans  date  (IX,  page  55). 

6.  Lettre  dat6e:  Ce  dimanche  25  [aoüt  1844]  (IV,  page  23): 

Je  suis  revenu  hier  de  C***,  dit  Sainte-Beuve,  oü  j'ai  pasB^ 
huit  jours  en  tßte  ä  tßte  de  madame  de  B  ...  et  du  chancelier, 
et  fort  agräablement ;  j'ai  beaucoup  caus^  du  temps  pass^,  et  il  n'a 
tenu  qu'ä  eux  de  me  prendre  pour  un  de  leurs  contemporains.^) 

7.  Lettre  dat^e:  Ce  3  [septembre  1844].  Cette  lettre 
(I,  page  11)  est  postörieure  au  söjour  de  Sainte-Beuve 
k  Chätenay. 

8.  Lettre  sans  date  (V,  page  31). 

9.  Lettre  dat6e:  Ce  vendredi  20  [septembre  1844]  (VIII, 
page  41). 

10.  Lettre  dat6e:  Ce  samedi  (II,  page  15). 

11.  Lettre  dans  date   (VI,  page  37). 

12.  Lettre  dat^e:  samedi  26  oetobre  (XII,  page  65). 

Le  manuscrit  se  composait  de  feuilles  volantes;  le  classe- 
ment  que  je  soumets  aux  lecteurs  de  ce  joli  petit  volume,  me 
paratt  tr^s  assur^  pour  la  plupart  de  ces  notes  et  lettres;  j'ai 
pu  me  tromper  pour  quelques-unes.  Le  lettres  qui  datent  de  ces 
memes  mois,  dans  la  Correspondance  g6n6rale,  offrent  k  quelques 
endroits  comme  un  reflet  de  la  crise  que  traversait  Sainte-Beuve : 

(A  madame  Vertel,  10  juillet  1844.)  Je  suis  fort  abattu  depuis 
bien  des  jours,  et  en  proie  ä  une  anxi^tö   qui   m'öte  tout  ressort. 

(A  M.  Charles  Eynard,  2  aoüt  1844.)  Plus  la  vie  avance,  plus 
on  se  disperse,  chacun  s'asseyant  sur  quelque  borne  de  la  route 
par  fatigue,  et  le  chemin  est  ainsi  sem^.  —  Vous  ßtes  ^chouä  lä 
bas  sur  un  bien  beau  et  doux  rivage;  je  ne  Tai  qu'entrevu;  mais 
il  me  semble  que  ce  s^jour  doit  apaiser  Täme  quand  eile  ne  porte 
pas  en  eile  de  ces  blessures  incurables.  Vous  avez  d'ailleurs  le 
grand  remede,  eher  monsieur:  le  soleil  de  ces  beaux  lieux  doit 
vous  en  §tre  plus  bienfaisant.  Je  suis  aussi,  de  mon  cötä,  vieillis- 
sant  et  laborieux  . .  . 


*)  Le  chancelier  Pasquier  avait  77  ans,  et  madame  de  Boigne, 
qui  poss^dait  une  villa  ä  Chätenay  pres  de  Sceaux,  en  avait  64.  La 
comtesse  de  Boigne,  fille  du  marquis  d'Osmond,  avait  ^pous^  en  .1798 
le  comte  de  Boigne.  „Un  nuage,  dit  Sainte-Beuve,  a  toujours  d^robä 
les  causes  qui  amenerent  (en  1804)  la  Separation  des  äpoiix.  Jeune, 
jolie,  irr^prochable,  la  comtesse  de  Boigne  tint  avec  distinction  le  salon 
de  son  päre.  Elle  eut  le  sien  sous  la  Restauration,  Louis-Philippe  et 
Napoleon  III.*^ 


La  Correspondance  de  Sainie-Beuve.  193 


n. 

Dans  la  correspondance  de  Sainte-Beuve  comme  dans  toutes 
Celles  des  hommes  c61^bres,  les  lettres  augmentent  en  nombre 
quand  on  approche  de  la  fin.  II  faut  ^tre  Tami  d'un  jeune 
6crivain  pour  garder  soigneusement  ses  lettres;  mals  qaand  le 
talent  d'un  autenr  lui  assure  de  longs  succ^s,  sa  renommäe 
s'affermit  et  s'^tend  par  le  senl  effet  de  la  dar6e,  et  le  moment 
vient  oü  chacun  sait  dans  le  public  qne  ses  lettres  sont  des 
autographes:  on  les  garde,  on  en  fait  collection;  et  teile  personne 
tient  dejä,  sa  Hasse  prete  pour  le  moment  oü  l'edlteur  de  la  cor- 
respondance la  lui  demandera. 

Les  lettres  et  billets  de  Sainte-Beuve,  que  M.  Troubat  a 
publi^s,  sont  au  nombre  de  plus  de  douze  cents.  Depuis  la 
premifere  lettre  conservee,  qui  fut  6crite  par  Sainte-Beuve  peu  de 
jours  apr^s  son  arriv6e  k  Paris,  k  la  fin  de  sa  quatorzi^me  ann6e, 
jusqu'4  sa  reception  k  TAcadömie  frangaise,  on  n'a  que  145  lettres 
en  26  ans ;  pour  les  huit  derni6res  ann6es  de  sa  vie,  depuis  que 
M.  Troubat  est  devenu  son  secretaire  (octobre  1861)  on  a  plus 
de  six  Cents  lettres.  II  ne  faut  pas  sc  plaindre  de  cette  abon- 
dance;  il  faut  au  contraire  en  remercier  M.  Jules  Troubat. 
On  sait  en  quels  termes  le  mattre  a  parl6  de  lui,  dans  une  note 
sur  ses  secrätaires,  oü  apres  avoir  esquiss6  en  quelques  traits 
de  plume  le  portrait  de  tons  ceox  qui  se  sont  succ6d6  aupr^s 
de  lui:  MM.  Dourdain,  Oger,  Lacaussade,  Octave  Lacroix,  Pens, 
il  termine  en  disant: 

II  ne  me  reste  plus  qu*ä  parier,  en  le  remerciant,  de  mon 
secretaire  actuel,  M.  Jules  Troubat,  de  Montpellier,  qui  est  si  prös 
de  moi  en  ce  moment  que  la  modestie  m'empSche  presque  de  le 
louer  comme  il  conviendrait  et  en  toute  libertä.  Plein  de  feu, 
d'ardeur,  d'une  äme  affectueuse  et  amicale,  unissant  ä  un  fonds 
d*instruction  solide  les  goüts  les  plus  divers,  ceux  de  Vart,  de  la 
curiosite  et  de  la  r^alit^,  11  semble  ne  vouloir  faire  usage  de 
toutes  ces  facultas  que  pour  en  mieux  servir  ses  amis;  il  se  trans- 
forme  et  se  confond,  pour  ainsi  dire,  en  eux;  et  ce  sont  eux  les 
Premiers  qui,  de  leur  cötö,  sont  obligds  de  lui  rappeler  qu*il  y  a 
aussi  une  propri^tö  intellectuelle  qu'il  faut  savoir  s'assurer  ä  temps 
par  quelque  travail  personnel;  il  est  naturellem ent  si  liberal  et 
prodigue  de  lui-m^me  envers  les  autres,  qu'on  peut  sans  incon- 
vänient  lui  conseiller  de  commencer  un  peu  ä  songer  ä  lui,  de 
penser  k  se  r^server  une  part  qui  lui  soit  propre,  et,  en  concen- 
trant  ses  ^tudes  sur  un  point,  de  se  faire  la  place  qu'il  m^rite 
d*obtenir  un  jour.  J'espöre  toutefois  et  nonobstant  ce  conseil,  le 
garder  encore  longtemps  (27  mars  1865). 

M.  Troubat  a  publik  quelques  recueils  de  po6sies  et  d'articles 
de  critique:  Plume  et  pinceauy  6tudes  de  litt^ratnre  et  d'art, 
Paris,  lib.  Liseux,  1878.  —  Le  Blasen  de  la  Eivolutiony  PariS; 

ZBOhr.  t  fin.  Spr.  u.  Litt.  Xli.  ^q 


194  E.  Ritter, 

libr.  Lemerre,  1883.  —  Notes  et  penfSes,  Paris,  libr.  Sauvaitre, 
1888.  —  Petits  itSs  de  la  cinquantainej  Paris,  lib.  Lemerre,  1885. 
Seconde  Edition,  1886.  —  Je  citerai  de  ce  dernier  livre  un 
sonnet:  La  montre  de  Samte -Beuve.  Les  dames  de  Lausanne 
avaient  fait  präsent  d'une  montre  k  l'iilustre  professeur,  k  la 
cloture  du  cours  sur  Port-Royal  qu'il  avait  fait  k  rAcadömie  de 
Lausanne  (1837  —  1838).  Le  sonnet  est  dat6  du*  13  octobre  1884, 
quinzi^me  anniversaire  de  la  mort  de  Sainte  -  Beuve.  II  faut 
rappeler  qu'apres  cette  mort  qui  6tait  une  catastrophe  pour 
M.  Troubat,  puisqu'elle  supprimait  le  poste  agröable  oü  il  avait 
pass6  d'heureuses  ann^es,  et  avant  de  trouver  k  Compi6gne  une 
place  de  biblioth6caire  qu'il  appelait  „un  canonieat  litt6raire^ 
et  qu'il  vient  d'6changer  contre  un  poste  du  mSme  genre  k  Paris, 
M.  Jules  Troubat  a  travail]6  longtemps  dans  les  bureaux  des 
grandes  librairies  L6vy  et  Dentu: 

Voici  däjä  quinze  ans  que  Sainte-Beuve  est  mort! 
Certes,  la  France  a  vu,  depuis,  plus  grand  naufrage; 
Mais,  l'oeil  toajours  fix^  sur  la  derni^re  page, 
Je  fus  apres  huit  ans  arrachä  de  mon  port. 

De  L^vy  chez  Dentu  pasaant  au  gr^  du  sort, 
A  des  maitres  nouveauz  faisant  nouveau  visage, 
Me  sentant  chaque  fois  un  peu  plus  hors  d'usage, 

—  Tout  präs  de  moi,  quelqu^un  a  gard^  son  ressort: 

ün  Souvenir  vivant  que  Geneve  a  vu  naltre, 
Sur  qui  plus  de  trente  ans  se  porta  Tceil  du  maitre, 
Dont  rien  n'a  ralenti  la  marche  ni  Tessor. 

La  montre  oü  je  regarde  Theure  fut  la  sienne! 

—  Et  le  jour,  qui  me  frappe  ä  travers  la  persienne, 
Fait  au  cadran  d'argent  briller  Paiguille  d*or. 

La  correspondance  de  Sainte-Beuve  ne  pouvait  pas  trouver 
un  ^diteur  plus  comp^tent  que  M.  Troubat,  plus  au  courant  de 
toutes  choses;  il  avait  recueilli  la  tradition  k  sa  source;  il  avait 
6crit  lui-meme,  sous  la  dict6e  de  Sainte-Beuve,  beaucoup  des 
lettres  que  les  destinataires  lui  ont  remises  plus  tard,  ou  dont 
il  avait  eu  soin  de  prendre  copie  avant  de  les  envoyer.  Sur 
quelques  points  cependant,  son  attention  a  6t6  en  d6faut,  comme 
on  le  verra  par  les  notes  qui  suivent. 

Correspondance  de  Sainte-Beuve.    Premier  volnme.   1877. 

Page  19.     Lettre  VIII,  k  Alexandre  Dumas.  11  d6cembre 

[1830?J.     II  faut  effacer  le   point  d'interrogation.  Le  drame  de 

Dumas,    NapoUon   Bonaparte ^    que    Sainte-Beuve  tenait   k  voir 

avant  son  depart,  eut  sa  premiöre  repr^sentation ,  k  l'Od^on,  le 
10  Jan  vier  1831. 


La  Correspondance  de  Sainie-Beuve.  1)05 

Page  20.  Lettre  X,  ä  la  R^daction  du  Semeur^  pour  M. 
Alexandre  Vinet.  Cette  lettre,  que  i'^diteur  a  dat^e  de  1832^ 
se  rapporte  aax  articles  que  Vinet  a  publi^s  dans  le  8emeur  des 
13  et  20  aoüt  1834,  sur  le  roman  de  Volupte. 

Pages  31  et  '33:  Les  Lettres  XVI,  k  madame  la  comtesse 
Christine  de  Fontanes,  et  XVII,  k  M.  Auguste  Sauvage,  sont 
interverties.  Sainte  -  Beuve,  dans  T^tö  de  1837,  avait  fait  un 
B^jour  k  Aigle,  dans  la  valli6e  du  haut  Rhdne,  chez  M.  Juste 
Olivier;^)  k  son  retour,  il  passa  k  Genöve,  d'oii  il  ^crivit  k 
M.  Sauvage  le  15  aoüt  1837;  k  Lyon  ensuite;  et  la  date  de  sa 
lettre  k  madame  de  Fontanes:  Lyon,  le  26,  doit  ^tre  compl6t6e 
ainsi:  [aoüt  1837].  II  revint  ensuite  k  Paris,  d^oü  il  6criyit  k 
madame  de  Fontanes  une  seconde  lettre,  le  7  septembre  1837. 

Page  114.  Un  billet  date:  Ce  3  aoüt,  lundi  est  donn^ 
dan^  une  note.  Pendant  les  annees  oü  Sainte-Beuve  a  ^t6  eonser- 
vateur  de  la  Mazarine,  le  3  aoüt  n^est  tomb6  sur  un  lundi  qu'en 
1846:  cela  6tablit  la  date  du  billet.^)  M.  T.,  dont  il  y  est  parl6, 
doit  §tre  M.  Ars6ne  Thi6baut  de  Berneaud,  biblioth^caire. 

Page  126.  Lettre  LXXXVU,  k  M.  de  Montlaur.  Elle  est 
dat^e  simplement:  ce  15,  et  doit  §tre  du  15  septembre  1844. 
L'annonce  des  Esmis  litteraires  de  M.  de  Montlaur  a  paru  dans 
le  Journal  de  la  lihrairie  du  3  aoüt  1844;  et  Tarticle  de  Sainte- 
Beuve  sur  Leopard!,  oü  se  trouve  cit6  un  vers  de  M.  de  Montlaur, 
a  paru  justement  le  15  septembre  1844. 

Page  132.  Lettre  XCII,  k  M.  Edouard  Turquety.  La 
date  que  Sainte-Beuve  avait  mise  k  cette  lettre,  6tait  simplement : 
Ce  18;  et  l'^diteur  y  a  ajoutö:  [1845  ou  1846].  Mais  la  lettre 
est  de  1846,  puisqu'elle  doit  etre  post^rieure  k  i'article  oü  Sainte- 
Beuve,  dans  la  Revue  des  deux  mondes  du  1®'  mai  1846,  a  rendu 
„les  devoirs  litteraires  supremes^  k  son  ami  Charles  Labitte, 
mort  le  19  septembre  1845. 

Page  171.  Lettre  CXXI,  k  M.  Tb.  Lacordaire,  La  date 
que    Sainte-Beuve  avait   mise  k  cette   lettre,    6tait   simplement: 


^)  Juste  Olivier  a  parl^  de  ce  säjoar  dans  un  article  de  la 
Biblioiheque  Universelle  de  Lausanne,  qui  a  €i€  reproduit  dans  le  premier 
volume  de  ses  Giluvres,  Lausanne,  1879. 

2)  Pour  ces  döterminations  de  dates,  un  opuscule  träs  utile  est 
le  Kiüendarium  zur  Auffindung  der  Wochentage  aller  historischen  Daten 
der  christliclwn  Zeitrechnung,  von  Carl  August  Kesselmeyer  aus  Man- 
chester. Preis:  10  Neugroschen,  Im  Selbstverlag  des  Verfassers.  Zu 
beziehen  durch  alle  deutschen  Buchhandlungen.  —  En  six  pages  bien 
remplies,  Tauteur  a  donn^  trös  clairement  toutes  les  explications  n6- 
cessaires.  En  un  instant,  au  moyen  des  chiffres  du  tableau  qui  figure 
a  la  page  3,  on  trouve  le  jour  de  la  semaine  qui  correspond  ä  une 
date  quelconque  de  T^re  chr^tienne  (ancien  et  nouveau  style). 

18* 


196  E.  Ritter, 

Paris,  le  28  f^vrier;  et  Föditeur  a  ajout^  le  millösime:  [1851], 
Mais  la  lettre  doit  5tre  du  28  f6vrier  1850,  quelques  mois  aprös 
le  commencement  des  Causeries  du  Lundi  (1®'  octobre  1849)  et 
deux  mois  apr^s  Tarticle  sur  le  p^re  Lacordaire  (31  d^cembre  1849). 

Page  314.  Lettre  CCXLV,  k  M.  Paul  Chiron.  Elle  est 
dat6e  simplemeut:  Ce  dimanche  8;  et  eile  se  rapporte  k  des 
articles  qui  ont  paru  en  mars  1863.  Le  8  mars  1863  6tait  uu 
dimanche :  la  lettre  est  donc  du  mois  de  mars ;  et  eile  aurait  du 
§tre  plac6e  quelques  pages  plus  haut,  avant  les  lettres  dat6es 
du  mois  d'avril. 

Page  338.  Lettre  CCLXV,  k  M.  Camille  Doucet.  Cette 
lettre,  qui  est  dat6e  simplemeut:  Ce  24  mai,  ne  devait  pas  ^tre 
class6e  parmi  celies  de  1864.  Sainte-Beuve  y  parle  de  la  Belle 
Hiltne^  dont  la  premi6re  repr^sentation  n'eut  Heu  que  le  17  d6- 
cembre  1864;  —  d'un  rapport  k  faire  au  S6nat,  et  il  ne  fut 
nomm6  sänateur  que  le  28  avril  1865.  Le  rapport  en  question 
(Premiers  LundiSy  III,  tout  k  la  fin)  est  du  21  juin  1865 ;  et  la 
lettre,  par  cons6quent,  du  24  mai  1865. 

Page  361.  Lettre  CCLXXXVU,  k  M.  de  Riancey.  Sainte- 
Beuve  Ty  remercie  d'un  article  oü  il  avait  parl6  avec  61oges 
de  son  Discours  sur  les  prix  de  vertu,  qui  fut  prononc6  k 
rAcad6mie  franQaise  le  3  aoüt  1865.  Le  mot  aoüt,  qui  6tait 
dans  la  date  de  la  lettre,  a  6t6  lu  avril:  c'est  une  confusion 
qui  se  produit  quelquefois.^) 

Honvelle  Correspondanoe  de  Sainte-Benve.  1880. 

Page  24.  Lettre  XII,  k  madame  P61egrin.  Elle  est  dat6e: 
Ce  jeudi,  16  (1834).     Lisez:  Ce  jeudi,  16  [octobre  1834]. 

Page  59.  Lettre  XXXII,  k  M.  de  Chaudesaigues.  Cette 
lettre  est  sans  date,  et  T^diteur  Ta  dat^e  de  1839.  Elle  com- 
mence  ainsi:  „Mon  eher  Chaudesaigues,  j'avais  k  vous  remercier 
d^s  Lausanne,  de  Tarticle  que  j'y  ai  lu,  et  dans  lequel,  etc.^  Cet 
article  a  paru  dans  la  Eevue  de  Paris  de  mai  1838;  et  Sainte- 
Beuve,  qui  rentra  ä  Paris  k  la  fin  du  printemps,  n'attendit  pas 
sans  doute  Tann^e  suivante,  1839,  pour  6crire  cette  lettre  de 
remerciement. 

Page  125.  Lettre  LXXIX,  k  M.  Jules  Janin.  Elle  est  dat6e: 
ce  lundi  29  (1850  ou  1851).  Elle  doit  gtre  du  lundi  29  avril 
1850;  eile  annonce  Tarticle  que  Sainte-Beuve  fit  parattre  le  lundi 
13  mai  1850  sur  la  Religieuse  de  Toulouse,  par  M.  Jules  Janin. 

1)  Je  n*ai  pas  trouvö  de  remarques  ä.  faire  sur  le  second  'volume 
de  la  Correspondance,  qui  comprend  les  lettres  ^crites  pendant  les 
derni^res  annäes  du  secrätariat  de  M.  Troubat.  L'^diteur  dtait  lä  sur 
Qon  terrain,  et  il  a  travaillä  avec  plus  de  süret^. 


La  Correspondance  de  Sainte-Beuve.  197 

Page  142.  Lettre  XCV,  k  M.  Poulet- Malassis.  Elle  est 
dat6e  du  23  fövrier  1857;  mais  Sainte-Beuve  y  cite  son  article 
sur  Fanny,  lequel  a  paru  le  14  juin  1858.  Cette  lettre  est 
Sans  doute  du  23  fövrier  1859,  du  m^ine  jour  que  la  lettre  k 
Charles  Baudelaire  (meme  volume,  page  153)  oü  il  est  question 
de  deux  articles  de  M.  Babou.  Dans  le  premier  (Äthenaeum  du 
9  juin  1855)  il  est  parl6  d'une  notice  de  M.  de  Barante  sur 
madame  d'Arbouville,  qui  figure  en  tete  des  (Euvres  de  celle-ci; 
et  Sainte-Beuve  6crit  k  ce  propos  k  Baudelaire: 

II  [Mt  Babou]  m'a  ddjä  attaquä  une  fois  dans  VMh^naeum, 
ä  propos  de  la  meüleure  amie  que  j'eusse,  madame  d'Arbouyille ;^) 
et  parlant  d'un  portrait  de  cette  charmante  et  re^rettable  femme 
qu^avait  fait  M.  de  Barante,  et  qui  est  la  nullit^  mdme,  il  a 
d^clard  ce  portrait  bien  sup^rieur  k  celui  que  j'eusse  fait,  que 
j'aurais  pu  faire,  si  j'en  eusse  fait  un. 

II  est  piquant  de  rapprocher  ce  jugement  s6v6re  de  Sainte- 
Beuve  sur  le  Portrait  de  madame  d'Arbouville  par  M.  de  Barante, 
des  61oges  que  M.  de  R^musat  a  cru  devoir  donner  k  ce  m§me 
morceau,  dans  un  article  de  la  Revue  des  deux  mondes,  du 
V^  f^vrier  1856: 

Dans  une  courte  notice,  M.  de  Barante  a  dit,  avec  une 
justesse  exquise  et  une  simplicit^  touchante,  tout  ce  qu'il 
^tait  n^cessaire  d'apprendre  au  public  sur  celle  dont  on  rdunissait 
les  Oeuvres  pour  lui.  11  serait  impossible  de  faire  aussi  bien, 
tdmdraire  peut-Stre  de  faire  autrement. 

Page  266.  On  lit  dans  une  lettre  de  Sainte-Beuve  au 
r6dacteur  de  YEvSnement,  k  propos  de  quelque  personne  de  sa 
maison  qui  6tait  fiöre  de  voir  son  nom  dans  le  Journal: 

,,Et  mon  valet  de  chambre  est  mis  dans  la  gazette!  a  dit 
le  po6te  de  la  Märomanie.^  Mais  pardon:  c'est  Alceste  qui  le 
dit,  dans  la  demiöre  sc6ne  du  troisi^me  acte  du  Misanthrope. 


*)  Madame  d*Arbouville  est  morte  k  Lyon,  le  22  mars  1850^ 
M.  Othenin  d'Haussonville,  dans  son  interessante  biographie  de  Sainte 
Beuvo,  a  parl^  avec  beaucoup  de  röserve  de  Tattachement  que  Täminent 
^crivain  eut  pour  eile.  On  peut  se  demander  si  ce  n'est  pas  k  eile 
qu'^taient  adress^es  les  lettres  du  Clou  d^or.  Dans  l'^t^  de  1844, 
madame  d'Arbouville  avait  trente-trois  ans.  Elle  ötait  Tarriöre  petite- 
fille  de  madame  de  Houdetot.  L'amie  de  Jean-Jacques  Rousseau  avait 
eu  un  fils,  n^  le  12  juillet  1749,  qui  eut  deux  femmes,  la  seconde  des- 
quelles,  Josäphine  -  Constance  Cdrö,  qu'il  öpousa  ä  Tlle- de  -  France,  le 
14  f^vrier  1784,  lui  donna  douze  enfants:  entre  autres  une  fille,  marine 
en  1809  au  baron  de  Bazancourt,  g^ndral  de  brigade.  Avant  son 
mariage,  mademoiselle  de  Bazancourt  avait  v^cu  dix  ans  aupr^s  de  sa 
grand'm^re,  la  comtesse  de  Houdetot,  qui  l'avait  comme  adopt^e,  Ba 
fille  Sophie  de  Bazancourt  ^pousa  en  1892  Mi  d'Arbpuville, 


198  E,  Ritter, 


in. 


Dans  les  lettres  des  derni^res  ann^es  de  Sainte-Benve,  on 
recneille  avec  int6r8t  et  avec  qnelque  surprise  le  timoignage  de 
sentiments  favorables  k  rAllemagne.  La  science  allemande  6tait 
^trang^re  k  Sainte-Beuve ;  les  critiques  et  les  philologues  alle- 
mands  n'avaient  pas  6t6  ses  maitres;  sa  culture  intellectnelle 
^tait  toute  frangaise,  tonte  parisienne;  et  jusqu'ä  an  moment  tr^s 
avanc^  de  sa  carri^re,  on  ne  rencontre  chez  lui  que  de  T^loigne- 
ment  pour  tont  ce  qui  6tait  germanique.  On  sonrit  en  lisant  ce 
que  Tancien  collaborateur  du  Glohe,  l'ami  d'Ampöre  et  de  Jules 
Mohl,  et  qui  6tait  lui-m^me  un  des  esprits  les  plus  ouverts  du 
brillant  Paris  d'alors,  ^crivait  dans  la  Eevue  des  deux  mondes 
du  1«'  janvier  1836: 

L'Allemagne  convenait  peu  ä  M.  Villemain;  11  n*a  pas  mal 
fait  de  l'ignorer,  ou  du  moins  de  ne  la  savoir  que  par  oui-dire: 
les  questions,  sur  ce  terrain  mouvant,  sout  peu  commodes  a  aborder; 
on  se  perd  dans  des  restes  de  For§t-Noire.  L'esprit  net  et  concis 
du  grand  professeur  j  räpugnait  et  avec  raison.^) 

II  faut  suivre  dans  leur  ordre  chronologique  les  passages 
qui  se  rapportent  k  TAllemagne:  je  les  ai  glanes  ^k  et  \k  dans 
les  (Buvres  et  la  correspondance  de  T^minent  eritique;  k  vrai 
dire,  je  ne  crois  pas  les  avoir  tous  röunis.  —  Je  commence  par 
une  note  sans  dato,  qui  a  du  8tre  6crite  aux  environs  de  1848: 

II  y  a  des  langues  et  des  litt^ratures  ouvertes  de  toutes 
parts,  et  non  circonscrites ,  auxquelles  je  ne  me  figure  pas  qu'on 
puisse  appliquer  ie  mot  de  classique;^)  je  ne  me  figure  pas  qu'on 
dise  les  classiques  allemands  (Les  cahiers  de  Sainte-Beuve,  p.  108). 

(Lettre  ä  M.  Nicolas  Martin,   du  6  juillet  1856.)     Mon    eher 


1)  Les  premiferes  pages  de  l'article  du  12  mars  1832  sur  les 
Lettres  ^crites  de  Paris  de  L.  Boerne  (article  recneilli  dans  les  Premiers 
Lundis,  II)  sont  pires  encore.  Mais  dans  cet  article  .politique,  Sainte- 
Beuve  n'^tait  que  Töcho  de  ce  qu'on  pensait  de  TAllemagne  dans  le 
monde  de  la  presse  parisienne. 

3)  On  peut  rapprocher  de  cette  pensöe  une  remarque  analogue 
de  M.  Gournot  dans  ses  Considdrations  sur  la  marche  des  idäes  dans  les 
temps  modernes,  1872:  L'AUemagne  n'a  pas  produit  dans  le  siöcle  de 
Leionitz  une  seule  oeuvre  litt^raire  qui  ait  acquis  ou  conservö  du 
renom.  Les  futurs  historiens  de  la  civilisation  aurout  k  tenir  grand 
compte  de  ces  circonstances  qui  ont  en  quelque  sorte  suspendu  la  vie 
litt^raire  chez  une  grande  nation  comme  la  nation  allemande,  qui  l'ont 
privöe  d'avoir  aussi  son  dix-septieme  siäcle  en  litt^rature,  et  de  pos- 
B^der  de  ce  chef  les  traditions,  les  modales  que  possfedent  la  France 
et  TAngleterre.  La  fertility  des  temps  postdrieurs  n'empßche  point  de 
aentir  cette  lacune,  k  peu  pres  comme  pour  ces  hommes  de  vieille 
race,  mais  dont  la  famille  ^tait  retomb^e  pour  un  temps  dans  l'obscuritä, 
et  qui,  dans  leur  nouvelle  fortune ,  ressemblent  k  certains  ägards  k  des 
hommes  nouveauK.    (Toitie  premier,  page  345.) 


La  Correspondance  de  Samte-Beuve,  199 

po6te  de  la  Maison  des  Champs,  vous  avez  port^  dans  notre  vie 
fran^aise,  si  a£Pair^e  et  si  sujette  au  bruit  et  ä  la  poussiere,  quelque 
chose  de  la  fraicheur  et  de  la  calme  f^licitä  allem  andes. 

(Aatre  lettre  aa  m^me,  sans  date.)  Votre  petite  bistoire  du 
sonnet  est  tres  agr^able  et  me  revient  tout  ä  fait.  Chez  nous,  les 
Gcetbe  et  les  Byron  —  M.  M.  de  Lamartine  et  Hugo  —  n'ont 
Jamals  daignä  condescendre  au  sonnet,  et  je  crois  bien  qu'ils  en 
pensent  ce  qu'en  pensait  le  grand  Olympien  germanique.  S'ils  en 
fönt  jamais,  je  täcberai  de  me  souvenir  de  la  conversion  chantäe 
par  ühland;  mais  je  ne  crois  pas  qu'ils  s'y  hasardent.  Goetbe 
^tait  encore  meilleur  enfant  qu'eux  en  po^sie:  le  plus  calculä  des 
AUemands  a  encore  de  la  nafvetä ,  si  on  le  compare  a  nos  grands 
hommes.    (Nouveüe  Correspondance,  page  280.) 

(Dans  un  article  sur  les  Reminiscences  de  M.  Coulmann, 
28  novembre  1864.)  M.  Coulmann  a  une  nature  morale  assez  riebe, 
et  c'est  assur^ment  un  homme  d'esprit;  mais  son  pinceau  est  mou; 
on  Yoit  bien  qu'au  College  il  se  plaisait  k  lire  en  allemand  les 
romans  d^ Auguste  Lafontaine,  auxquels  il  avait  coU^  un  titre 
d'Histoire  romaine  pour  mieux  tromper  le  maitre  d'ätudes.  II  avait 
gardä  un  premier  accent  alsacien  dont  ses  camarades  se  moquaient, 
et  qu'il  perdit,  nous  dit-il,  par  la  suite.  En  est-il  bien  sür? 
(Nouveanx  Lundis,  IX.) 

(Lettre  k  M.  Feuillet  de  Conches,  du  2  septembre  1865,  k 
propos  de  la  pol^mique  engag^e  sur  Vautbenticit^  des  lettres  de 
la  reine  Marie-Antoinette.)  11  ne  8*agitpas  de  querelle  d 'Alle- 
mand: dans  les  trois  quarts  des  questions  de  textes,  ou  de  critique 
proprement  dite,  les  Allemands  ont  raison  contre  nous.  Cela  est 
perpätuellement  vrai  pour  tout  ce  qui  est  de  litt^rature  ancienne. 

(Lettre  ä  M.  Philibert-Soup^,  du  12  fövrier  1867,  a  propos  de 
deux  articles  sur  Diderot,  d'apr^s  l'ouvrage  de  Charles  Rosenkranz: 
Diderofs  Lehen  und  Werke,)  Cette  connaissance  d'Outre-Rhin  et 
de  tout  ce  qui  s'y  passe  est  de  plus  en  plus  indispensable,  et  c'est 
etre  manchot  dans  les  choses  de  l'esprit  que  d'en  6tre  privö.  Vous 
qui  avez  l'outil,  vous  avez  un  röle  tout  trouv^:  c'est  de  nous 
traduire,  et  par  lä  je  veux  dire  de  mettre  ä  notre  portöe  et  de 
nous  präsenter  ä  notre  mesure  ce  qui  se  fait  d'important  lä-bas, 
en  littärature  ou  en  pbilosophie. 

(Lettre  ä  M.  Dussieux,  du  20  novembre  1867.)  Ce  qui  se  passe 
chez  nous  est  inou'i.  Le  gouvernement  prussien,  par  son  historio- 
graphe  Preuss,  public  une  Edition  monumentale  des  (Euvres  du 
grand  Fröd^ric,  ses  Histoires,  sa  correspondance,  etc.  Un  autre 
tirage  non  monumental  est  en  vente  depuis  plus  de  vingt  ans  k 
Berlin  chez  Decker.  Lä-dessus,  on  public  en  France,  comme  si  de 
rien  n^ätait,  les  anciens  M^moires  trouqu^s  de  Fr^d^ric,  en  les 
donnant  frauduleusement  comme  conformes  au  texte  de  l'^dition 
de  Berlin,  et  nous  gobons  cela! 

(Lettre  k  M.  Goumy,  directeur  de  la  Revue  de  f  Instruction 
publique,  du  21  mars  1868.)  Notre  ami  Lenient  a  fait  lä.  une  lev^e 
de  boucliers  (contre  l'esprit  allemand)  qui  est  bien  dans  l'esprit 
gaulois:  mais  je  ne  lui  ferai  qu'une  question,  la  mSme  que  faisait, 
il  y  a  cinquante  ou  soixante  ans,  M.  Stapfer  ä  Fontanes,  un  jour 
qu'en  plein  salon  le  grand-maitre  de  l'üniversit^  däclamait  k  tue- 
tete  contre  Kant  et  les  Allemands:  „Savez-vous  l'allemand,  monsieur 
le  comte  ?''  Or  Fontanes  n'en  savait  pas  un  mot,  et  il  n'en  continua 
pas  moins  sa  diatribe.  —  Etttdione  avant  d0  nous  prononcer. 


200  E.  Ritter, 

(Lettre  ä  M.  Ernest  Legonv^,  du  21  mal  1868.)  Vous  ^tes 
des  hommes  de  la  France  moderne;  mais  . . .  vous  en  ferez  tant 
que  le  centre  de  la  Suprematie  intellectuelle  sera  transf^r^  ä.  Bonn 
et  ä  Berlin.  Nous  Taurons  bien  märit^,  nous  aurons  et  nous  serons 
une  bavure  de  l'Espagne,  jusqu'en  de9ä  de  la  Loire. 

(Lettre  ä  un  professeur  d'allemand,  ä  Colmar,  du  23  mai  1868.) 
Vous  qui  ^tes  d'origine  et  de  race  allemandes,  vous  devez  nous 
juger  s^verement.  Je  crains  bien  que  ce  que  j'ai  dit  ne  serve  ä 
rien,  la  oü  je  l'ai  dit.^)  Je  ne  convaincrai  que  ceux  qui  sont  döjä 
convaincuB.  Puissent  les  g^n^rations  nouvelles  qui  surviendront, 
se  rallier  a  une  science  forte  et  digne !  Vous  y  pouvez  dans  votre 
Sphäre,  en  leur  ouvrant  le  passage  du  Bhin.  On  ne  saurait  assez 
multiplier  ces  ponts  de  Kehl  pacifiques. 

(Lettre  ä  M.  Henry  Liouville,  du  24  mai  1868.)  Quel  röle  a 
jou^  la  science,  mise  sur  la  sellette  pendant  toute  une  semaine 
devant  une  Assemblöe  incompötente ,  oü  l'Eglise  parlait  haut,  oü 
la  Philosophie  biaisait!  Pauvre  science  fran^aise!  Elle  ne  s'en 
est  tir^e  que  moyennant  excuses,  en  faisant  son  mea  culpa,  en 
disant  et  r^p^tant:  Je  ne  le  ferai  plus;  —  en  un  mot,  en  faisant 
acte  de  faiblesse  et  de  repentance  comme  Galilde  ä  genoux.  — 
Et  pourtant  la  science  triomphera!  mais  je  ne  suis  pas  sür,  en  efFet, 
que  ce  soit  a  Paris  qu'elle  triomphe  et  qu'elle  ait  son  siäge.  Ce 
si^ge,  de  par  les  lois  de  Phistoire,  sera  peut-etre  transf^rö  ä 
jamais^)  dans  l'avenir  ä  Heidelberg,  ä.  Bonn,  ä  Berlin!  Ce  serait 
triste  pour  la  France  hispanisde. 

ün  dernier  tömoignage  doit  se  joindre  ä  ceux  qui  pr6c6dent: 
c'est  une  page  que  Sainte  -  Beuve  n'a  pas  6crite,  mais  oü  son 
secrötaire  a  r6sum6  des  id^es  qui  Tavaient  frapp6  k  juste  titre, 
dans  la  conversation  de  Sainte-Benve,  Tann^e  de  sa  mort,  en  1869: 

Au  lieu  d'irriter  Pun  contre  l'autre  deux  grands  peuples 
voisins  comme  la  France  et  la  Prusse,  les  deux  premiers  en  Europe 
(ä  ce  moment-lä)  pour  la  puissance  militaire  et  le  g^nie  cr^ateur, 
on  ferait  mieux  de  songer  ä  les  unir,  ce  serait  la  plus  digne 
alliance  qui  nous  conviendrait.  Ces  nations  protestantes  sont  en 
avant  sur  nous :  leur  religion  ne  les  endigue  pas,  comme  les  nations 
catholiques.  C^est  ce  qui  a  vaincu  PAutriche  a  Sadowa.  Elle  a 
äprouvö  le  besoin,  imm^diatement  apr^s,  de  se  mettre  au  pas  et 
ä  Pheure  des  peuples  avancäs,  sous  peine  de  se  voir  d^bord^e  par 
le  progres  qui  aurait  suscitd  chez  eile  une  r^volution.  Elle  a  fait 
des  röformes,  eile  a  cr^^  des  institutions  nouvelles,  eile  a  voulu 
se  rajeunir,  eile  s'est  mise  ä  la  hauteur  du  si^cle,  pour  n'etre  pas 


^)  Dans  ces  lettres  de  mai  1868,  il  s'agit  de  la  discussion  qui 
avait  eu  lieu  du  Sänat,  k  propos  des  p^titions  qui  signalaient  ä  cette 
haute  assembläe  les  tendances  mat^rialistes  de  Penseignem ent  des 
Facultas  de  mädecine.  Sainte -Beuve  avait  pris  la  parole,  et  son  dis- 
cours  a  4!t6  recueilli  dans  le  tome  HI  des  Premiers  Lundis. 

^  Assuräment  Sainte -Beuve  se  füt  r^criä,  si  Pon  eüt  pris  ces 
boutades  au  pied  se  la  lettre.  H  faut  se  rappeler  le  dicton  picard 
cite  par  le  fabuliste: 

Biaux  chires  leups,  n'^coutez  mie 
Märe  tQochent  chen  fieux  qui  crie. 


La  CorresTpondance  de  Sainie-Beuve.  201 

emport^e  par  les  id^es  modernes.  Elle  ^tait  encore  fort  en  retard 
avant  Sadowa:  la  voilä  qui  devient  liberale  et  progressiste. 

Nou8  avons  un  redoutable  voisin  en  M.  de  Bismarck:  c'est 
un  homme  qui  a  fait  son  pays,  qui  a  continu^  l'oeuvre  de  Fr^däric. 
En  France,  on  in^connait  la  grandeur  de  ce  dernier,  et  l'on  se 
moque  du  grand  ministre  qui  gouverne  actuellement  la  Prusse. 
On  se  moque  de  tout  en  France,  comme  du  temps  de  Marlborough 
qui  nous  battait  ä  plate  couture. 

Au  lieu  de  songer  ä  se  mesurer  ä  coups  de  canon  avec  la 
Prusse,  on  ferait  mieux  de  cräer  deux  Ecoles,  l'une  de  Berlin, 
l'autre  de  Paris.i)  Leur  jeunesse  viendrait  chez  nous  s'adoucir, 
s'assouplir  a  notre  contact:  eile  n*y  perdrait  rien  de  sa  force,  et 
eile  y  gagnerait  en  gentillesse;  tandis  que  nous,  nous  enverrions 
l'^lite  de  nos  jeunes  gens  studier  les  sciences  dans  leurs  laboratoires, 
plus  riches  que  les  nötres;  ils  se  fortifieraient  au  contact  de  cette 
nation  rüde,  barbare,  si  Ton  veut,  comme  les  Mac^doniens:  ce  sont 
les  Macädoniens  modernes.    (Le  Blason  de  la  Revolution,  page  349.) 

„ün  critique  est  un  homme  dont  la  montre  avance  sur  celle 
du  public  .  .  .  J*ai  toujours  aim6  k  donner  le  premier  coup  de 
cloche."  C'est  ce  que  disait  Sainte-Beuve  avec  quelque  fierte: 
les  passages  qu'on  vient  de  lire  m6ritaient  d'etre  cit^s  k  l'appui. 
A  sa  maniere,  ä  son  point  de  vue  'littöraire,  sans  s'elever  au- 
dessus  de  son  horizon  habituel,  mais  en  vieux  routier  qui  connatt 
les  pr^sages  du  ciel  et  les  signes  des  temps,  11  a  vu  grandir 
l'ascendant  de  FAllemagne. 

Comment  la  connaissait-il?  II  avait  connu  personn  eil  ement, 
11  avait  vu  k  l'oeuvre  quelques -uns  des  pionniers  de  la  science 
allemande,  M.  Dtibner,  par  exemple;^)  il  avait,  pour  Tavertir  et 
l'informer,  ses  amis  MM.  Nefftzer,  Renan,  Scherer;  il  avait  eu 
enfin,  de  tout  temps,  une  sympathique  admiration  pour  le  g^nie 
de  Goethe,  chez  lequel  il  aimait  k  trouver  la  r^union  si  rare 
d'une  p6n6tration  critique  ^gale  k  la  sienne,  avec  une  Imagination 
cr^atrice  et  des  dons  po6tiques  incomparablement  sup^rieurs. 
Goethe  est  le  seul  auteur  allemand  dont  11  alt  aim6 '  k  parier 
(car  le  grand  Fr6d6ric  6tait  pour  lui  un  6crivain  frauQais).  II 
le  cite  k  mainted  reprises,  et  il  lui  a  consacr6  trois  6tudes 
excellentes,  en  1850,  k  propos  des  lettres  de  Goethe  et»  de 
Bettina  d^ Arnim;  en  1855,    k  propos    de  la  correspondance   de 


1)  Dans  une  des  Notes  et  reinarques  qui  ont  ätö  jointes  au  volume 
intitul^ :  Causeries  du  Lundi,  Portraits  de  femmes  et  Af'traits  litteraires, 
par  Sainte-Beuve,  table  generale  et  analytique,  par  Gh.  Pierrot.  Paris, 
lib.  Garnier,  448  pages,  —  Sainte-Beuve  a  racontö  que  la  premi^re  id^e 
de  PEcole  d' Äthanes,  d'instituer  une  teile  Ecole,  ^tait  de  lui;  qu^elle 
lui  ^tait  venue  d^s  1841  en  lisant  du  grec  avec  Pantasid^s,  n^ 
en  Epire. 

2)  A  cet  ögard,  tout  Tarticle  sur  Dübner  (Nouveaux  Lundis,  XI) 
est  ä  lire,  et  surtout  les  deux  derniäres  pages. 


202  E,  Bitter,  La  Correspondance  de  Saihte-Beuve, 

GcBthe  et  de  Kestner;  en  1862,  ä  propos   des  Cimversations  de 
Goethe  et  d^Eckermann. 

Sainte  -  Beuve ,  qui  a  peu  voyag6,  ne  connaissait  les  pays 
allemands  que  par  une  courte  excursion  qu'il  fit  en  octobre  1829 
ä  Cologne  et  Francfort- sur  le  Mein 5  il  revint  en  France  par 
Strasbourg.  Dans  quelques  morceaux  des  Consolations ^  (^X> 
XXII,  XXV)  on  trouve  la  trace  de  ses  impressions  de  voyage. 


Eugene  Ritter. 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des 

XVII.  Jahrhunderts. 

Vorliegende  Notizen  sind  bei  der  Lektüre  folgender  Autoren  ge- 
sammelt: Th^ophile  (de)  Viau(d),  Rotrou,  Racan  (Bergeries,  Dis- 
cours  ä  rAcade'mie,  Ödes,  Psaumes),  Des  märest  de  Sorlin  (Les  Vision- 
naires,  Clovis,  teilweise  auch  Ddlices  de  fespritj,  Chapelain  (La  Pucelie), 
Scarron  (nicht  berücksichtigt  sind  vom  VirgUe  die  nicht  vom  Autor 
herrührenden  Bücher,  doch  ist  der  dritte  Teil  des  Roman  Comiq^ie, 
obwohl  nicht  von  Scarron  geschrieben,  herangezogen  und  durch  /// 
in  den  Zitaten  bezeichnet),  Scud^ry  (Marie),  M"®  de  Scudöry  (Aria- 
tnene  ou  le  Grand  Cyrus,  Band  1 — IV).  Die  aus  diesen  Schriften  ge- 
sammelten Stellen  haben  den  Zweck,  das  vom  Verfasser  in  seiner 
Syntax  des XVII.  Jahrhunderts  gegebene  Material  zu  vervollständigen, 
so  dass  entweder  Erscheinungen,  die  überhaupt  nicht  berührt  sind,  und 
das  sind  nur  sehr  wenige,  erwähnt  werden,  oder  besondere  Arten  eines 
behandelten  Falles  hinzugefügt  werden,  oder  endlich  auch  da,  wo  es 
wünschenswert  schien,  die  Beispiele  vermehrt  werden.  Dabei  liat  der 
Verfasser  sich  an  die  Paragraphen  seiner  Syntax  angeschlossen.  Nicht 
gegeben  ist  das,  was  bereits  von  Sölter,  Grammatiscne  und  lexikologische 
Studien  über  Jean  Rotrou,  Altona,  1882,  und  Hellgrewe,  Syntaktische 
Studien  über  Scarron* s  Le  Roman  Comique,  Jena,  1887,  gebracht  ist. 
Wo  an  diese  Abhandlungen  angeknüpft  ist,  wird  dies  besonders  be- 
merkt. Eine  kritische  Berücksichtigung  derselben  hielt  der  Verfasser 
für  überflüssig. 

Das  unbetonte  persönliche  Pronomen  als  Subjekt  des  Ver- 
bums, welches  von  den  Dichtern,  besonders  von  Scarron  im  Typhon 
und  VirgUe,  noch  oft  mitunter  auch  in  der  Prosa  des  Thöophile  und 
des  Racan  vernachlässigt  ist,  fehlt  in  der  Frage  (§  8,  e):  Voudriez 
m*obliger  d^aimer  mon  adversaire?  Souffrirais-je  en  mon  lit  fassassin  de 
ma  mere?  (Rotrou,  Gosroäs  III,  4).  Dasselbe  findet  sich  beim  Imperativ 
sois  le  bienvemt  (§  8  Anm.  2):  Vous  soyez  le  tres  bienvenu,  Lui  dis-je 
(Scarr.,  Virg.).  Et  lors  cria  maitre  Belenus:  Vous  soyez  les  tres  bien- 
venus  (Ibid.). 

11  =  ce  als  Subj.  bei  itre  (§  2  Anm.):  Je  ne  pense  pas,  Soit-il 
le  roi  gui  me  rappelle,  Que  je  puisse  m*eloigner  d*elle  (Thäoph.) 

Prädikatives  le,  la,  les  bei  c'est  in  Beziehung  auf  Personen  (§  7 
Anm.  1):  Mais  ne  voyez-vous  pas  quelques  gens  amasses  Qui  dejä  vers 
le  bourg  se  sont  fort  avances?  lie  les  serait-ce  point?  (Racan).  Car 
c*est  lui  gut  revit,  et  si  ce  ne  Pest  plvs  (Desmar.).  Chacun . . .  criait: 
Voilä  maitre  Mneas"^,  Et  pourtant  ce  ne  tetait  pas  (Scarr.,  Virg.).    Vgl. 


204  A,  Eaase, 

lux  in  Beziehung  auf  Sachnamen  Est-ce  une  iUusion,  ou  ce  vase  en  e/fei? 
—  Le  voilä,  c*esi  Int -mime  (Rotrou)  =:  le  mime. 

Zu  den  Wendungen,  in  welchen  en  fehlt  (§  9,  2,  a),  vgl.  Cor  en 
comhattant  pres,  guand  nous  viendrons  aux  mains,  Nous  aurons  etc. 
(Scud.)  Les  armees  eiant  donc  en  etat  de  veriir  aux  mains  (M"® 
de  Scud.). 

Das  partitive,  auf  ein  vorhergehendes  Subst.  zurückweisende  en 
ist  heute  niemals  von  einem  von  einer  Präposition  regierten  Indefinitum 
abhängig,  wie  Apres  je  me  mis  ä  ecrire  des  fahles . . . ,  et  m^en  ressotive- 
nant  de  quelques-unes,  je  les  ai  traitces  en  C ordre  qiieües  me  sont 
venttes  ä  la  memoire  (Th^oph.),  und  ebensowenig  von  einem  Subst.  der 
Quantität,  welches  Subj.  ist,  wie  Vn  portrait  de  province  en  peu  de 
temps  se  gäte,  La  plupart  en  sont  faux  (Scarr.,  Com.) 

Zur  Stellung  der  pers.  Pron.  unter  einander  (§  164,  a)  sind 
anzuführen:  Cest dele  voir  dans  Peau  qni  le  nous  montre mieux  (Thäoph^. 
Je  Vengage  ä  le  vous  accorder  (Id.).  Je  le  vous  ai  dejä  dit  (Scarr. 
R.  C.  IIL).  Je  le  vous  dis  encore,  fen  sais  les  moyens  (Ibid.).  Son 
galant,  qxCelle  trouva  en  Cetat  oü  je  viens  de  le  vous  representer  (Ibid.). 
llsuffirade  vous  dire  pour  le  vous  faire  comprendre  qu'eUe  voulut  etc. 
(M"«  de  Scud.  II,  446). 

Zur  Stellung  des  Pron.  beim  Infinitiv  (§  154,  c)  vgl.  Je  faime 
mieux  le  coeur  hors  du  sein  arracher  (Th^oph.).  //  les  fera  beau 
voir,  mon  valet  est  poltron,  L'autre  ne  Fest  pas  moins  (Scarr.,  Com.). 
0  Dieu,  qu'il  la  faisait  beau  voir!  (Id.,  Virg.)  (Jn  dit  qu'il  me  fmsait 
beau  voir  (Ibid  ).  En  ne  se  faisant  anfonds  que  rire  de  votre  mal,  (eile) 
votis  laissera  vieiüir  sans  recompense  (Thöoph.).  Quiltez  donc  la  soutane, 
ou  rachevez  d'user  (Scarr.,  Com.).  Si  vous  etiez  si  faible,  et  votre  sang 
si  tendre,  Qu^on  Veiii  impunement  commence  de  re'p andre  (Rotrou). 

Zu  den  §  154  Anm.  2  erwähnten  Fällen  vgl.  Alors  vous  lui  ren- 
drez  le  service  fidele  Que  vous  lui  fit  vouer  le  seul  hruit  qu^on  fait 
d^clle  (Rotrou).  —  (Vne  chaine)  Dont  la  me'chante,  ä  chaque  fois  Que 
quelque  äme  la  dedans  enire,  Vous  me  la  frotte  dos  et  venire  (Scarr., 
Virg.),  wo  zwei  ethische  Dative  gesetzt  sind. 

Das  betonte  pers.  Pron.  als  unbezeichneter  Dativ  ist  zwar  im 
XVII.  Jahrhundert  nicht  mehr  anzutreffen,  doch  scheint  auf  jenen  Ge- 
brauch zurückzuführen  zu  sein  S'ü  peut  par  son  amour  se  rendre  sup- 
portable,  11  lui  sera  bien  doux^  et  moi  bien  supportahle  (Rotrou). 

Als  ein  früher  vorkommender  Latinismus  ist  die  Verwendung 
von  soi  zu  bezeichnen  in  dem  §  14d  zitierten  Des  merites  ...  qui  n*ont 
rien  de  pareil  ä  soi  (Malh.)  und  11  ne  peut  ailleurs  choisir  Vobjet  qu*il 
aime,  JM  d*un  egal  a  soi  faire  un  autre  soi-meme  (Rotrou). 

Wie  früher  soi  nach  Präpositionen  ohne  Reflexivität  für  das 
Personalpronomen  der  dritten  Person  gebraucht  wurde,  scheint  dasselbe 
auch  noch  zu  stehen  De  quelque  cote  que  je  dresse  mes  pas,  La  solitude 
en  soi  ne  se  rencontre  pas  (Rotrou,  La  Cälim^ne  I,  1),  wo  offenbar 
en  soi  auf  quelque  cote  geht,  also  =  y  ist,  denn  im  Munde  eines  na- 
türlich sprechenden  Mädchens,  das  über  eine  Gegend  sein  Entzücken 
äusseirt,  kann  das  en  soi  wohl  keine  andere  Bedeutung  haben. 

Soi-mime  in  Beziehung  auf  einen  plural.  Personennamen  §  13d: 
3Iais  re'iroite  vertu  messied  aux  je  un  es  gens,  Qui  peuvent  quelque  fois, 
ä  soi' mime  indulgents,  Suivre  quelque  desir  oü leur  äge  les porte  (Rotrou). 

Das  unbetonte  Possessivum  vertreten  durch  das  betonte 
Personale  mit  de  (§  14,  a)  habe  ich  nur  in  solchen  Fällen  gefunden, 
wo  das  Pronomen  stark  betont  ist,  wie  bei  De  lui  le  silence,  et  de  r autre 
la  voix  Te  de'truiront  assez  (Rotrou).     N'y  suis-je  pas  alle  par  votre 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVIL  Jahrhunderts.      205 

Charge  exfr esset  —  Le  moi?  (Id.)  D'  eile  ü  n'implore  plus  ni  la  pitiä 
ni  Vaide  (Desmar.).  Nicht  als  Beispiel  des  altfrz.  Gebrauchs  ist  anzu- 
führen Lucrece  avait  irouvä,  sans  doute  ä  Vinsu  d'elle,  Dom  Louis 
(Scarr.  Com.)i  da  bei  solchen  präpositionalen  Wendungen  der  Gebrauch 
schwankte,  vgl.  Le  sage  ^vique  parait  ä  son  coie  (Desmar.). 

Attributives  Poss.  statt  des  Dativs  des  Personale  (§  1 5)  ist  durch  zu 
wenige  Beispiele  belegt,  vgl.  noch  Arrache  tes  cheveux,  meurtris  ton 
sein  de  coups  (Rotrou.).  Q^^  f  arrache  son  cwur  (Id.).  Elle  rompt  ses 
cheveux,  dechire  son  visage  .  .  .  meurtrit  son  sein  de  coups  (Id.).  Ette 
se  mit  ä  arr acher  ses  cheveux  (Scarr.,  R.  C.  III).  Vainement  ses  yeux 
ü  frotta  (Scarr.,  Virg.)  Mneas  sa  barbe  arrachait  (Ibid.).  (Elle)  s^aban- 
donne  au  depii  qui  dechire  son  cceur  (Scud.). 

Z^ur  statt  son  in  Beziehung  ^wi  chacun  (§16  Anm.  1):  Les  deux 
rois  ennemuf  attendraient  Cevenement  du  combat,  chacun  ä  la  tSte  de  leur 
armee  (M^^®  de  Scud.).  Ils  tomberent  d'accord  de  se  rendre  compte  de  ce 
qu'üs  apprendraient,  chacun  de  leur  cöte  (Ead.). 

Das  betonte  Possessivum  in  attributivem  Gebrauch  (§  17) 
mit  dem  bestimmten  Artikel  ist  bei  Scarron  oft  zu  finden,  besonders 
im  Virg.  Fast  immer  ist  das  Pron.  dem  Subst.  nachgestellt  und  steht 
im  Reime,  z.  B.  Voici  lautre  .  .  .  Bailli  dans  le  boura  vötre  Fait-on 
dvec  trois  os  insulte  au  bien  d'autrui?  (Com.)  Peut-etre  que  dans  la 
peur  notre  Tai  pris  une  chose  pour  lautre  (Typh.).  A  d^autres,  Si  sur 
les  sacrifices  notres  Tu  fondes  tes  meilleurs  repas  (Virg.).  Sans  y 
mettre  beaucoup  du  voti^e,  Vous pouvez  bien  au peuple  notre  Bardonner 
(Ibid.).  L*un  vaut  lautre,  Mais  reprenons  le  discours  notre  (Ibid.).  So 
auch  im  Vokativ  //  dit:  „0  camarades  notres  (reimt  mit  D^avoir  crie' 
comme  les  autres)  (Ibid.).  Aber  auch  Ton  gener e%ix,  ton  adorable  maiti^e, 
Le  mien  ami  se  souviendra  peut-Stre  Du  nouveau  den  que  ton  dernier 
bittet  Fit  esperer  ä  son  humble  valet  (Po^s.).  Mit  dem  adj.  Demonstrat. 
ist  das  Poss.  für  Rotrou  durch  zwei  Stellen  von  Sölter  S.  43  belegt  und 
scheint  auch  sonst  nicht  vorzukommen.  Aus  Scarron's  Komödien  ist 
hinzuzufügen:  Cette  mienne  lame  N'aura  plus  de  foumeau  que  celui 
de  votre  äme.  Mit  Indefiniten  verbunden  ist  das  Pron.  Je  lai  vu  ,  .  , 
Prendre  un  autre  sien  camarade  (Scarr.,  Virg.).  Que  si  les  prix  sont 
pour  les  autres,  Vous  aurez  quelques  presents  notres  (Ibid.). 
Quelque  mien  ami  louvrira  [Scarr.,  R.  C.  III). 

Das  demonstrative  Neutrum  ce  (§  18)  ist  nur  von  Scarron 
in  altfrz.  Weise  gebraucht,  vgl.  Que  votre  niece  soit  bien  sage,  et  ce 
faisant,  quelque  somme  d^argent  pourra  la  satis faire  (Com.).  Ce  conside're, 
Monseigneur,  Tirez-moi  d*un  si  g7'and  malheur  (Virg.).  fCe  neanmoins 
Quilles  y  vinrent  (Typh.).  Si  la  mer  nous  avalait  tous,  Et  ce  par  notre 
ne'gligence?    (Virg.)    Et  ce,  tant  incivilement,  Que  etc.    (Ibid.)] 

Ce  als  Subj.  bei  Stre  ist  vernachlässigt  (§  19):  A  moi  serait 
grande  folie  De  rapporter  exactement  etc.  (Scarr.,  Typh.).  Et  serait 
pure  riverie  De  croire  que  etc,  (Id.,  Virg.).  Je  ne  lui  pourrais  parier 
d'amour  qu*en  tremblant,  füt  pour  moi  ou  pour  autrui  (M"®  de  Scud.). 
Mais  qu'aucun  ne  füt  plus  capable  de  vous  plaire,  Serait  d'un  mal  honteux 
passer  en  un  contraire  (Rotrou.). 

Cela  statt  il  findet  sich  nicht  nur  bei  itre  als  Subj.  (§  20,  b), 
sondern  auch  A  quoi  sert  cela  de  le  dissimuler?    (Racan.) 

Adjektivisches  ce  =  dem  bestimmten  Artikel  (§  21,  a):  Pareil  ä 
ces  enfants  que  la  peur  de  mourir  Touche  moins  que  laspect  de  qui  les 
veut  gudrir  , .  .,  Tel  votre  lache  cceur  tremble  au  simple  conseil  etc, 
(Rotrou.)  Nest'Ce  pas  faire  comme  ces  gens  qui  depensent  taut  ce  qu'Us 
ont  ä  la  cour  pour  essayer  d!y  faire  lewr  foriune?    (Racan,) 


206  A.  Baase, 

Dass  die  sabstantivischen  ceitm-dt  Beltener  cetie-ci,  icelui,  iceüe 
(§  23)  bei  Thäophile  und  Scarron,  auch  in  der  Prosa,  vorkommen,  mag 
angemerkt  werden. 

Als  Determinativum  erscheint  bei  Scarron  im  Virg,  noch  der 
alte  Nominativ  eil,  vgl.  0  ma  soeur,  faui-lui  bien  comprendre,  Comme 
Ronsard  äii  ä  Cassandre,  Qu'ä  moins  gue  Dolope  soudard^  On  eil  donl 
rhomicide  dard  Mit  Hecior  dans  la  se'pulture,  11  devrait  iire,  le  parjure, 
Pitts  reconnaissant  ä  Didon  (1.  IV).  Die  Stelle  ist  nicht  etwa  wörtlich 
zitiert,  sondern  lautet  bei  Ronsard:  Je  ne  suis  point,  ma  gnerritie 
Cassandre,  Ni  Myrmidon,  ni  Dolope  soudard,  I>ii  cet  archer  dont  rhomicide 
dard  Occit  ton  frere  et  mit  ta  viUe  en  cendre.  Übrigens  kommt  eil  auch 
bei  Rägnier  (Litträ)  und  selbst  bei  Diderot  vor  (Tobler  V.  B,  S.  200.). 
Dass  celui  ohne  Ortsadverbium  durch  das  Prädikat  vom  Relativum  ge- 
trennt ist  (§  24  Anm.  1),  wird  von  Sölter  S.  45  für  Rotrou  durch  zwei 
Stellen  belegt;  andere  Beispiele  des  bei  diesem  Autor  noch  nicht 
seltenen  Gebrauchs  sind:  Celui  rCa  point  peche  gut  dans  larepentance 
Temoigne  la  surprise.  Celui  dort  sürement  gui  dort  dans  finnocence. 
Celui  possede  assez  de  gui  le  ciel  a  soin.  Celui  n'aime  pas  bien  gui 
peut  tot  se  venaer.  Celui  ne  peche  pas  gui  peche  sans  dessein.  Celui 
se  plaint  gui  orüle.  Sonst  habe  ich  dies  nur  noch  beobachtet  Celui 
seid  voit  cotder  heureusement  ses  jours  Qui  dans  tous  ses  besoins 
nHmplore  le  secours  Que  du  Dieu  gui  crea  etc.  (Racan).  Celui  n'a  rien 
ä  redouler  Dont  les  fautes  sont  pardonne'es  (Id.).  Celui  certes,  berger j 
est  digne  de  mourir  Qui  voit  sa  guerison  et  ne  vent  pas  guerir  (Id.). 

Die  im  Altfrz.  beliebte  Zusammenstellung  von  ceux  und  ceBes 
findet  sich  bei  Scarron  Enfin  tous  ceux  et  toutes  Celles,  Tant  les  mäles 
gue  les  femelles,  Qui  fönt  les  vivanis  enrager  (Virg.),  ebenso  im  R.  C.  III. 
U  etait  atter{du  avec  impaiience,  principiUement  de  ceux  et  Celles  gui 
devaient  se  marier.  Cette  troupe  avait  si  fort  gagnd  les  bonnes  gräces 
de  toute  la  noblesse  .  .  ,,  gue  ceux  et  Celles  gui  la  composaient  n*allaient 
point  au  the'ätre  .  .  .  gu^avec  grand  cortege.  Ebenso  chacun  et  chacune: 
Cor  entr^eux  chacun  et  chacune  äiit  son  rang  sehn  sa  fortune 
(Scarr.,  Typh.). 

Der  Bedeutung  eines  Indefinitums  nähert  sich  celui  (§  26)  auch 
in  Sätzen  wie  Fous  me  connaissez  mal,  ce  nom  ne  nCest  point  d&.  Et 
vous  ites  celui  gue  je  n^ai  jamais  vu  (Rotrou)  und  Je  suis  celui  qui  n'ai 
jamais  rien  fait  d'agreäble  aux  yeux  de  Dieu  (Scarr.,  Nouv.),  wo  man 
entschieden  guelgu^un,  un  homme  sagen  müsste,  das  der  Sinn  der  Sätze 
erfordert. 

Zu  dem  Gebrauch  des  bestimmten  Artikels  ist  es  nicht 
nötig,  weitere  Beispiele  beizubringen,  da  die  Autoren  nichts  bieten, 
was  besonders  hervorzuheben  wäre.  Nur  das  ist  zu  bemerken,  dass 
Scarron,  welcher  in  seinen  Gedichten  und  Komödien  von  den  übrigen 
Autoren  sich  nicht  uqterscheidet,  im  Typhon  und  Virg.  den  bestimmten 
Artikel  sowie  das  partitive  de  mit  dem  Artikel  und  ohne  denselben 
sehr  oft  vernachlässigt  und  hierin  ebenso  frei  verfährt  wie  Lafontaine 
in  seinen  Gontes,  welchen  jene  Dichtungen  auch  hinsichtlich  der  sehr 
freien  Wortstellung  an  die  Seite  zu  setzen  sind.  Auch  die  Fälle,  in 
denen  abweichend  vom  heutigen  Gebrauch  der  bestimmte  Artikel  ver- 
wandt ist,  Hessen  sich  nur  durch  einige  Beispiele  vermehren. 

Von  den  Relativen  wird  attributives  ^t^/ angetroffen :  Mais  ils 
craignaient  sur  toutes  choses  Qu'occire  eüe  ne  les  voulüt,  Apres  quel 
mal,  point  de  salut  (Scarr.,  Virg.  1.  V,  v.  14). 

Substantivisches  qui  im  Plural  (§  40  Anm«  2)  findet  sich  Vous 
verrez  dans  les  chants  qui  stdvent  Gemme  mal  meurent  qui  mal  vivent 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVIL  Jahrhunderts.      207 

(Scarr.,  Typh.,  III  der  Schlussvers)  Ebenso  ist  qui  pluralisch  La 
demeure,  les  Mens,  .  .  .  tout  humain  inte'rit  Doivent  Stre  communs  ä  gut 
la  couche  Fest.  Mais  que,  comme  ta  vie  et  comme  la  fortune,  Leur 
creance  toujours  leur  doive  ^tre  commune^  .  .  .  Aucun  droit  n*etablit  cette 
necessite  (Rotrou,  Saint  Genest  III,  4).  Dass  das  subst.  qui  sehr  oft 
bei  Rotrou  nach  Präp.  auftritt,  wird  von  Sölter  S.  47  bemerkt;  in  den 
Fällen,  welche  er  berührt,  kann  man  es  auch  heute  sehr  wohl  sagen, 
dagegen  kaum  noch  in  Sätzen  wie  Cest  de  qui  Je  me  veux  plaindre 
aussi  =  de  lui  que. 

Der  ursprüngliche  Nominativ  des  Neutrums  (ce)  que  begegnet 
noch  abweichend  vom  neufrz.  Gebrauch  Ce  qu^  ayant  ete  su  par  Mariesie, 
eUe  nCen  avertit  (M"«  de  Scud.,  IV,  19),  wenn  man  nicht  eine  Nach- 
lässigkeit des  Druckes  annehmen  will.  Da  im  XVI.  Jahrhundert  das 
ae  que  noch  so  vorkam,  die  Ausgabe  von  1654  sonst  ziemlich  korrekt 
ist,  scheint  das  nicht  gut  angängig. 

Zu  §  35  Anm.  2  (Akkus,  ce  qf*e  als  Angabe  des  Masses  zur  Grund- 
bestimmung dienend)  vgl.  Des  Honneurs  qui  me  rendraient  considerable 
parmi  les  miens  au  delä  de  ce  que  je  le  puis  iire  par  ma  ttaissance 
(Thäoph.).  Es  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden,  dass  in  Sätzen  dieser 
Art  die  §  6,  2  besprochene  Erscheinung  der  Wiederaufnahme  eines 
Relativs  durch  ein  Personalpron.  für  das  prädikative  ce  que  stattfindet. 
Vgl.  noch  I\t  ne  doutes  donc  plus  que  je  ne  faie  aimd  Tout  ce  que 
peut  aimer  un  cceur  bien  enflamme?  (Scarr.,  Com.)  EUe  alla  retrouver 
son  impatient  amoureux  et  lui  rendit  compte  de  ce  qu'eUe  avait  avancä 
(Id.,  Nouv.)  =  „wie  weit".  Mais  je  sais  ce  qu'au  ciel  deplmt  la  perfidie 
(Rotrou)  =  „wie  sehr".  Dieser  Akkusativ  ist  dem  §  51,  b  und  hier 
weiter  unten  zu  erwähnenden  adverbial  gebrauchten  nV«  und  quelque 
chosc  an  die  Seite  zu  stellen,  in  denen  man  ebenfalls  Akkusative  des 
Masses  zu  sehen  hat. 

Das  auf  einen  Satz  bezogene  Neutrum  qui  ohne  determinatives 
ce  erscheint  sehr  oft  nur  dann,  wenn  das  Prädikat  ein  mit  itre  ange- 
fügtes Subst.  ist.  Für  den  anderen  Fall  (§  85,  b)  lassen  sich  jedoch 
noch  mehr  Beispiele  beibringen,  so  Vous  eussiez  etd  bien  aise  d^epargner 
la  peine  de  les  controuver,  car  votre  esprit  de  soi  n'est  pas  trop  inventif, 
qui  me  fait  croire  que  vous  ne  m^avez  impute  que  ceux  que  la  pratique 
vous  a  appris  (Th^oph.).  Et  mime  Fon  me  fit  porter  trois  ou  quatre 
enfanis  au  baptime,  avec  des  fiUes  des  meiUeures  maisons  de  notre 
voisinage,  qui  est  ordinairement  par  ou  fon  commence  pottr  reussir  aux 
mariages  (Scarr.,  R.  C.  III).  Quand  VerviUe  aurait  mis  fin  aux  affaires 
qu'ü  avait  ä  Rennes,  qui  serait  dans  une  quinzaine  de  jours  au  plus 
tard  (Ibid.). 

Prädikatives  que  auf  cehä  bezogen  (§  85  Anm.  4)  findet  sich 
auch  sonst,  so  Toi  qui  vis  le  chaos  enf anter  la  nature.  De  celui  que 
tu  fus  vivante se'pulture,  Ombre  ä  qui  riend* humain  ne  reste  que  la  voix 
(Rotrou").  Reprisentons  celui  que  je  suis  devenu  (Id.).  Mon  penser  se 
confondt  et  celle  que  je  fus  En  celle  que  je  suis  ne  se  retrouve  plus 
(Id.)  Cet  Artamtne  . . .  rCest  pas  v&itablement  celui  que  je  veux  qui 
le  soit  (M""  de  Scud.).  Si  j*etais  celui  que  V09is  pensez  que  je  sois^ 
croyez  etc.  (Ead.).  Diese  Fügung  scheint  mir  durch  eine  Attraktion  ver- 
anlasst, wie  z.  B.  auch  in  Le  sort  n^est  point  celui  qui  fait  les  differences 
(Rotrou)  offenbar  eine  solche  vorliegt,  resp.  eine  Konstruktion  nach 
dem  Sinne  zu  sein. 

Als  relativifiches  Neutrum  erscheint  bei  Scarron  wiederholt  qt4ani 
in  der  Wendung  ^uant  est  de  =  quant  ä,  pour  ce  fui  est  de,  eine 
Wendung,  welone  la  der  älteren  Sprache  vorKam  (b.  Littr^  s.  y.  ßistj, 


208  A.  Haase, 

80  Quant  est  de  tnoi,  Je  votis  revere  (Virg.  1.  V).  Eit  quant  est  de 
notre  destin,  La  grand^mere  des  dieux,  Cybele,  Me  fall  demeurer  aupres 
d^eUe  (Ibid.,  1.  II).  Et  quant  est  de  lui,  qu^ii  e'tait  digne  dusceptrequü 
portait  (Typh.).    Quant  est  de  moi,  jestime  Amadis  gr andement  (Com.). 

Dont  als  Attribut  eines  von  einer  Präposition  abhängigen  Sub- 
stantivs (§  37,  b)  bietet  Heurtux  ceux  qni .  ,  .  Reverent  PEternei . ,  . 
Et  dont  son  setä  amour  imprime  dans  leurs  cmurs  Le  respecl  et  la 
crainte  (Racan).  Freilich  steht  hier  das  Possessivum,  doch  wurde  das- 
selbe auch  sonst  zu  einem  attrib.  dont  regierenden  Subst.  gesetzt,  z.  B. 
Aurele  dont  Cespoir  allege  ses  soucis  (Desmar.)  (vgl.  Deux  personnes 
de  qui  fetat  present  de  leur  fortune paratt  iire  si  dissemblable  (M"*  de 
Scud.)  und  §  37  Anm.  2),  so  aass  man  hier  eine  ähnliche  pleonastische 
Ausdrucksweise  sehen  kann  wie  §  6,  2  und  nicht  anzunehmen  braucht, 
in  dem  ersten  Beispiel  sei  der  Verfasser  aus  der  Konstruktion  gefallen. 

Der  §  37  Anm.  4  aus  Lafontaine'«  Contes  belegte  Gebrauch  des 
auf  einen  Satz  bezogenen  dont  ist  bei  Scarron  im  Virg.  nicht  selten, 
z.  B.  //  respecta  mes  cheveux  m*is,  Se  laissa  toucher  ä  mes  cris.  Et  de 
son  vin  il  me  fit  boire,  Dont  tl  acquit  beaucoup  de  gloire.  Les  entraiUes 
(Qui)  sentaient  bien  fort  les  tripailles,  Dont  le  nez  eile  se  boucha.  Ainsi 
dame  Pyrgo  parla,  Dont,  depuis,  tout  fort  mal  alla.  Quelques-uns  par 
delä  le  cou  (plongerent  dans  feau),  Dont  ils  burent  plus  le  soüL 

,  D'oü  statt  des  possessiven  dont  (§  38  Anm.  2):  11  les  mena  droit 
ä  fEcu,  D*oü  Chöte  eiait  un  peu  cocu;  Sa  femme  e'tant  un  peu  coquette, 
Qui  certes  fut  bien  satisfaiie  De  voir  chez  eile  ces  beaux  dieux  (Scarr., 
Typh.).  Eine  andere  Auffassung  des  d^oü  scheint  mir  durch  den  Zu- 
sammenhang ausgeschlossen. 

Chi  in  Beziehung  auf  ein  unmittelbar  vorhergehendes  ce  (§  88 
Anm.  2)  ist  bei  Thäoph.  öftets  zu  finden,  z.  B.  Non  seiilement  le  con- 
traire  ne  regoit  point  son  conlraire,  mais  aussi  quelque  chose  de  contraire 
ä  ce  oü  ü  va.  Je  lui  dis  .  ,  .  que  nous  n^etions  point  des  gens  incapables 
de  persuasion  pour  tout  ce  oü  nous  trouvions  quelque  apparence. 

Zu  vers  oü  (§  38  Anm.  3)  vgl.  (Elle)  prit  le  chemin  de  Madrid, 
devers  oü  eüe  fit  aussi  m^rcher  son  bagage  (Scarr.,  R.  C).  Littrö  s. 
oü  9®  gibt  ein  Beispiel  aus  M"®  de  Scud.,  ohne  diesen  Gebrauch  zu 
beanstanden,  doch  wird  man,  glaube  ich,  schwerlich  noch  vers  hinzu- 
fügen, wo  oü  allein  schon  völlig  genügt,  wie  auch  Vers  oü  Npaule 
gauche  ä  la  gorge  est  conjointe,  Le  sacrÜege  fer  ...  Se  faitjour  (Chapel.). 
Vers  oü  dans  un  marais,  pres  du  bord  de  la  Seine,  La  BastiUe  commande 
et  la  viUe  et  la  plaine  . . .  C<?  heros  ä  grands  pas  jusqu^au  fosse  s'avance 
(Id.)  u.  ä.  Auch  wird  man  in  Fällen  wie  //  tourna  la  tite  vers  oü  il 
croyait  ouir  du  bruit  (Scarr.,  Nouv.)  gewöhnlich  du  cote  que  sagen.  La 
vor  oü,  das  sich  auf  ein  Subst.  bezieht,  kommt  wie  früher  noch  vor 
11  se  rendit  au  camp  de  la  Rochelle,  la  oü,  comme  vous  avez  pu  savoir, 
le  siege  fut  fort  opiniätre  (Scarr.  R.  C.  III.). 

Statt  des  auf  einen  ganzen  Satz  bezogenen  oü  =  quand  (§  38,  g) 
tritt  ici  que  auf:  Et  ce  dernier  assaut  ne  vous  peut-il  dompter  Ici  que 
la  victoire  est  tant  ä  redouter,  Ici  qu' eile  vous  öte  une  offre  siparfaite, 
Ici  que  la  couronne  honore  la  defaite?    (Rotrou.) 

Zu  der  §  39,  f  erwähnten  Konstruktion  sind  als  besonders  zu 
beachtende  Beispiele  hinzuzufügen  Pendant  le  discours  de  Sohn, 
Philoxippe  qu'il  y  avait  de  ja  longtemps  qui  avait  bien  de  la  peine 
ä  ne  finterrompre  point,  ne  put  plus  s-en  empicher  (M"*  de  Scud.). 
11  le  laissa  avec  une  joie  qu*il  y  avait  longtemps  qui  n* avait  trouve 
place  dans  son  coeur  (Ead.).  11  y  avait  un  komme  . ,  „  qu'il  y  avait 
de  ja  assez  longtemps  qui  e'tait  ä  Gmde  (Ead.),  Stellen,  die  sich  nur 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syniacc  des  AVIL  JaJtrhunderis.      209 

erklären  lassen,  wenn  man  annimmt,  dass  das  gut  in  jener  Konstruktion 
auf  ursprünglichem  qu*il  beruhte  und  in  der  Folge  auch  in  Beziehung 
auf  Feminina  unbedenklich  verwandt  wurde.  In  Divers  petits  amours 
qui  semblent  qui  s^elancent  (Scud.,  Alaric  1.  III),  Derriere  ce  heros 
qui  semble  qui  soupire  (Ibid.).  Mais  craignant  de  donner  connaissance 
de  ce  qui  eiait  si  necessaire  qui  füt  cache,  je  crus  etc.  (M^^**  de  Scud. 
IV,  561)  liegt  ebenfalls  jene  Konstruktion  verschmolzen  mit  persönlich 
gebrauchtem  sembler  und  ü  est  necessaire  vor,  wie  ja  sembler  vielfach 
früher  persönlich  vorkam,  wo  die  neuere  Sprache  es  unpersönlich  ge- 
braucht, so  dass  das  zweite  qui  =  qü'il  ist,  vgl.  dazu  aus  M^**  de 
Scud.  Quoiqu'elle  eüt  re'solu  de  ne  se  parer  point  et  de  parätire  la  plus 
ne'gligee  qui  lui  seraii  possible,  eile  ne  put  en  venir  ä  bout  (II,  371).  11 
la  Vit  donc  et  lui  repre'senta  de  teile  sorte  Finjustice  de  Cre'sus  et  Celle 
du  roi  de  Pont,  qui  la  fon^a  d^avouer  etc.  (II,  190)  (s.  auch  §  35  Anm.  1). 

Das  interrogative  quel  ist  =:  neutralem  kquel  in  dem  von 
Sölter  S.  48  zitierten  Je  doute  quel  des  deux  est  moins  m^assassiner, 
Ou  de  la  retenir  ou  de  T abandonner  (ßotrou)  (s.  §  41  Anm.  1.). 

Substantivisches  quel  ist  auch  in  der  Prosa  oft  genug  zu  finden 
(§41,  c),  vgl.  noch  Taut  cela  (d.  h.  leide  ich)  par  je  ne  sais  quelle, 
Qui  parce  qu*on  me  trouve  belle,  Dit  partout  que  je  ne  vaux  rien  (Scarr., 
Yirg.),  was  dem  substantivischen  quelle  que  im  verallgemeinernden 
Konzessivsatze  (§  45  Anm.  2)  an  die  Seite  zu  stellen  ist. 

Man  kann  zweifelhaft  sein  über  qui  in  Sätzen  wie  die  §  42 
Beispiel  10  u.  Anm.  2  zitierten,  denen  sich  noch  andere  hinzufügen 
lassen,  z.  B.  QuHmporte  qui  me  tue,  ou  sa  bouche  ou  ses  yeux?  (Rotrou). 
JNHmporte  qui  Facquikre,  ou  la  force,  ou  Cadresse  (Id.).  Belas,  en  cette 
peithe  Qui  le  doit  empörter,  ou  Camour,  ou  la  haine,  Je  souhaite  et  je 
crains  d'apprendre  son  trepas  (Id.).  Sicher  ist,  dass  die  neuere  Sprache 
sich  nicht  so  ausdrückt,  sondern  entweder  ce  qui  oder  leqnel  anwendet, 
je  nachdem  sie  das  Fragepronomen  in  Beziehung  auf  die  folgenden 
Substantiva,  um  deren  Auswahl  es  sich  handelt,  setzt,  oder  nicht.  So 
ist  zwiefache  Auffassung  möglich,  wie  auch  £t  qui  doit  Pemporter,  ou 
Camour,  ou  la  haine?  (Rotrou)  ö'm«  ebensowohl  Neutrum  sein  als  =  lequel 
stehen  könnte ;  an  Stelle  des  letzteren  ist  dasselbe  verwandt  En  m^me 
temps  je  Faime  et  je  la  hais,  Qui  de  ces  passions  f empörte  je  ne  sais 
(Scarr.,  Com.). 

Unendlich  oft  ist  bei  den  Autoren  des  XVII.  Jahrhunderts  je  ne 
pnis  que  faire  scheinbar  =  neufrz.  je  ne  sais  que  faire  zu  lesen,  z.  B. 
Je  ne  vous  puis  qu'offrir  apr^s  un  diademe  (Rotrou),  Je  ne  puis  que 
comprendre  en  tout  cet  artißce  (Id.).  EUe  ne  pourrait  comment 
Vattacher  (M"*  de  Scud.).  11  ne  pouvait  que  penser  de  cette  aventure 
(Ead.).  Dass  jedoch  diese  Wendung  nicht  ganz  mit  der  neufrz.  identisch 
ist,  beweisen  Stellen  wie  Ainsi  sans  savoir  ni  pouvoir  que  faire,  ils 
regardaient  ce  chariot  (M"«  de  Scud.  IV,  ll)  11  ne  savait  qu'en  penser, 
et  ne  pouvait  par  ou  Irouver  les  voies  de  remettre  etc.  (Ead.). 

Als  Nominat.  des  Subj.  in  der  indirekten  Frage  habe  ich  quoi 
(§  42  Anm.  3)  noch  gefunden  N*aveZ'VOUS  point  sur  vous  quelque  bon 
cure-oreille?    Je  ne  puis  dire  quoi  me  chätouüle  dedans  (Scarr.,  Com.). 

De  quoi  im  Sinne  des  neufrz.  de  ce  que  (§  42  Anm.  4)  ist  für 
Rotrou  von  Sölter  S.  46  durch  zwei  Beispiele  belegt.  Andere  Beispiele 
aus  demselben  Autor  sind:  On  murmure  lä-bas  De  quoi  le  del  di/fere 
un  si  juste  trepas  (Le  Filandre  V,  8).  Sois  beni,  juste  del,  de  quoi 
cette  province  Dans  le  fils  de  son  roi  retrouve  enjfin  son  prince  (Don 
Lope  de  C.  IV,  5).  Dazu  Je  me  trouve  e'tonne  de  quoi  je  suis  vivant 
(Th^oph,).    Ferner  findet  sich  de  quoi  auch  für  de  ce  que  in  den  Ver- 

Zacbr.  t  firi.  Syr.  u.  Litt.    ZI^.  ^^ 


210  J.  Baase, 

wendnngen,  in  welchen  dieses  im  XYII.  Jahrhundert  vorkam  (§  108), 
BO  Je  crois  que  la  poste'rite  ne  doii  point  irottver  mauvais  de  quo  i  je 
ne  rentreiiens  que  des  folies  de  ma  Jeunesse  (Kacan).  Ce  Corps  Charge 
de  chames  N*est  reffet  ni  des  lois  m  des  raisons  humaines,  Mais  de  quoi 
des  chre'iiens  fai  reconnu  le  Dieu  (Rotrou,  Saint  Genest  III,  4)  und 
endlich  aach  rein  kausal  =  parce  que  Aucune  passion  ne  iraversaii 
mon  bien,  Et  je  m'aimais  aiors,  de  quoi  ß  n'aimais  rien  (Rotrou,  La 
Pelerine  amoureuse,  III,  5).  Wenn  man  zu  diesen  Stellen  vergleicht 
den  indirekten  Fragesatz  nach  Verben  des  Affekts  (§  43  Anm.  8)  M 
nCa  pris  une.  mime  defiance  des  persuasions  de  Socrate,  et  mkdbahis 
pourquoi  je  commence  ä  me  dädxre  de  son  opinion  (Th^oph.).  Admirez, 
seigneur,  comme  quoi  la  prudence  humaine  est  homäe  (M^^*  de  Send.), 
wenn  man  ferner  das  unendlich  häufige  de  qvoi  beim  Infinitiv  berück- 
sichtigt, z.  B.  Cherchant  de  quoi  hmr  ce  ghrieux  amant.  Je  voyais  etc. 
(Rotrou),  wenn  man  endlich  interrogatives  und  relativisches  de  quoi  in 
den  §  109  zitierten  Stellen  hinzunimmt,  denen  sich  noch  viele  andere 
hinzugesellen,  z,B,  De  quoi pälissez-vous?  (Rotrou).  Elle  sHmagina  que  ce 
changement  dtait  concertd,  de  quoi  eile  entra  en  des  si  furieux  transports, 
qu*eUe  dit  etc.  (Scarr.,  R.  G.  III).  Eüe  fit  la  moue  et  la  ftgue;  De  quoi 
ce  grafid  chef  de  la  ligue  Garda  de  honte  et  de  d^pit  Durant  quatre  ou 
cinq  jours  le  Ut  (Scarr.,  Virg.),  dann  scheint  quoi  sicher  pronominal  und 
zwar  interrogativ  und  sodann  relativisch  verwandt. 

D*oü  =  de  quoi  (§48  Anm.  2)  Ton  amitiä .  .  .  Qui  ne  saurait 
trouver  .  .  .  D^oü  je  suis  aimaöle,  Ne  peut  trouver  ainsi  de  quoi  nCaban- 
donner  (Thöoph,). 

Zu  der  §  43  Anm.  5  erwähnten  Mischung  direkter  und  indirekter 
Frage  vgl.  Je  lui  repondis  que  non  et  qu'est-ce  qu'ü  voukut  dkre 
(Scarr.,  R.  C.  III).  Das  in  Scarron's  Virg.  oft  vorkommende  ^mV,;/-«;^  findet 
sich  so  als  erstarrte  und  nicht  mehr  ihrem  Wesen  nach  empfundene 
Verbindung,  z.  B.  Sans  nCenquerir  pourquoi,  ni  qu'est-ce. 

Wie  attributives  quel  in  Sätzen  wie  Prenez  quel  livre  ü  vous 
plmt  vorkam  (§  44,  1.),  so  auch  substantivisches  lequel:  Auquel  vous 
plaira  mieux  cnoisissez  votre  genäre  (Rotrou).  Es-tu  Ubre  ou  captif?  — 
Oui.  —  Mais  lequel  des  deux?  —  Lequel  des  deux  me  platt,  ou  tous 
les  deux  ensemhle  (Id.). 

Im  verallgemeinernden  Konzessivsatze  erscheint  attributives 
qtiel  (§  45,  a)  ausser  in  dem  von  Hellgrewe  S.  18. zitierten  Beispiel  noch 
11  faut  que  je  lui  parle  ä  quel  prix  que  ce  soit  (Scarr.,  Com.)  und 
mehrfach  bei  Th^oph.  Rien  ne  faxt  une  ohose  belle  que  la  präsence  ou 
la  communion  du  beau,  de  quelque  fa^on  et  pour  quelle  raison  qu'il 
arrive.  A  quel  point  que  Phumeur  le  force  de  changer.  A  quel  prix 
que  ce  soit,  U  en  faut  donc  sortvr. 

Oviconque  (§  45,  c):  Vartifice  est  subtil,  quiconque  en  soit  Tauteur 
(Rotrou),  und  nicht  prädikativ  Quiconque  vous  ait  fait  cette  fausse 
peinture  ,  .  .,  11  mourra  (Id.). 

Das  veraltete  quoi  qui  ist  von  Sölter  S.  48  erwähnt,  ebenso 
Quoi  qui  en  arrive,  ü  le  faut  attribuer  ä  la  fortune  (Malh.).  Elle 
trouve  ä  redvre  ä  quoi  qui  se  presente  (Chapel.). 

Der  §  45  Anm.  5  erwähnte  Fall  pour  si  utile qu^ eüe  füt  ist  bei 
Thäoph.  und  Rotrou  ungemein  häufig  und  tritt  in  verschiedenen  Arten 
auf.  Sölter  S.  49  belegt  attributives  quelque  vor  einem  durch  si  ver- 
allgemeinerten Adj.  A  quelque  si  haut  point  que  ce  bonheur  m^honore. 
Auszugehen  ist  bei  der  Erklärung  von  den  Fragesätzen,  in  welchen 
attributives  quel  vor  einem  durch  ^t  hervorgehobenen  A^jektivum  steht, 
9,  B.  Quel  si  grand  rot  n^est  point  jaioux  de  votre  eceur?   (Th^oph.). 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVII.  Jahrhunderts,      211 

En  quel  si  beau  marhre  de  Pare  Dois-je  graver  des  monuments  Qui 
soient  fideles  ä  ia  gloire?  (Id.).  Quels  si  rares  exploHs  la  rendent 
admiraUe?  (Rotrou).  Quel  si  pressant  b esoin  vous  tire  de  ce  lieu? 
(Id.)  und  80  unendlich  oft  bei  diesen  beiden  Autoren.  Wie  hier  nach 
einer  besonderen  Art  des  Subst.  gefragt  wird,  welches  die  durch  das 
Adj.  bezeichnete  Eigenschaft  in  so  hohem  Grade,  wie  dieselbe  that- 
sächlich  vorliegt,  oder  gedacht  wird,  besitzt,  so  wird  die  Art  eines 
solchen  Subst.  verallgemeinert  in  Et  de  quelque  si  grand  me'rite 
Dont  Chonneur  flalte  nos  exploiis,  II  rCest  rien  de  tel  etc.  (Th^oph.)  =  von 
welcher  Art  auch  immer  das  so  grosse  Verdienst  sei,  Quelque  si  grand 
malheur  qui  jamais  nCen  arrive  (Id.).  Dass  von  hier  aus  auch  ad- 
verbiales quelque  zu  dem  durch  si  ausgezeichneten  prädikativen  Ad- 
jektivum  trat,  ist  nicht  befremdlich,  da  das  neufrz.  quelque  vor  dem 
prädik.  Adj.  ja  auch  aus  dem.  quelque  vor  dem  attributiven  Adjektiv 
hervorgegangen  ist,  vgl.  Quelque  si  clairvoyant  que  soit  Vesprit 
des  hommes,  Nous  ne  reconnaissons  etc.  (Rotrou). 

In  Sätzen  wie  Pouvcz-vous  ecouter  ...  Et,  pour  quelques  raisons 
qui  vous  puissent  armer.  Verser  le  meilleur  sang  etc.  (Rotrou,  Don  Lope 
de  C.  111,  3).  Des  rivieres  plittöt .  .  .  rehrousseraient  lenr  course,  Que 
pour  quelque  depit  qui  rebtite  un  amant,  II  cesse  dHncliner  et  tendre  ä 
son  aimant  (Id.).  Et  pour  quoi  qu'on  en  ait,  on  en  a  pour  le  jour  (Id., 
Le  Filandre  I,  4).  Et  pour  si  peu  de  temps  que  je  Tai  vue,  fai  touie 
cette  ide'e  si  bien  imprimee  dans  le  coeur  etc.  (Th^oph.),  tritt  pour  in 
deutlich  erkennbarer  kausaler  Bedeutung  auf,  wird  jedoch  in  der 
neueren  Sprache  nicht  angewandt,  da  das  absolute  Substantivum  mit 
quelque  resp.  quoi  que  und  si  peu  genügen.  (Vgl.  über  dieses  pour 
Zschr.  f.  r.  Phil.  XI,  445  ff.).  Man  kann  in  solchen  Sätzen  eine  Ver- 
schmelzung der  beiden  Wendungen  pour  temps  que  faie  und  quelque 
temps  que  faie,  der  älteren  und  der  jüngeren,  sehen,  eine  Verschmelzung, 
die  dann  schliesslich  der  modernen  Wendung  hat  weichen  müssen. 

Aussi  in  solcher^  Sätzen  wie  Quoi  qu*il  ariHve  aussi,  vous  ne  la 
qnittez  pas  (Rotrou). 

Das  veraltete  comme  que:  Pour  les  hommes,  ils  se  coucheraient 
comme  que  ce  füt  (Scarr.,  R.  C.  III). 

Unter  den  Indefiniten  ist  tout  zu  erwähnen,  welches  vielfach 
in  der  älteren  Sprache  zur  Verstärkung  anderer  Wörter  diente.  Dem 
§  46  Anm.  2  Gesagten  ist  hinzuzufügen,  dass  tout  ainsi  sehr  offc  vor- 
kommt, und  tout  aujourdlhui  kann  auch  noch  öfter  nachgewiesen 
werden,  z.  B.  Je  saurais  bienme  tenir  ici  tout  aujourd' hui  (Th6oph.), 
Qui  m*a  tout  aujourd^hui  mis  Täme  ä  la  torture  (Id.).  Ma  foi,  tout 
aujourd^ hui  ce  cavalier  et  moi  Nom  vous  avons  cherche  (Sc&rr.^  Com.). 
Be  quoi  tout  aujourd^ hui  II  consentira  donc?  (Ibid.).  Obstinez -  vous 
tout  aujourd'hui  ä  vouloir  quHl  vous  rende  votre  portrait  (M"®  de 
Scud.).  Ebenso  findet  sich  tout  vor  attributivem  les  deux,  wo  es  heut- 
zutage nicht  mehr  vorkommt,  z.  B.  Et  me  faisant  regner  sur  tout  es 
les  deux  mers  (Rotrou).  Be  tous  les  deux  cot  es  les  choses  ne 
furent  pas  sitot  en  etat  de  pouvoir  songer  ä  combattre  (M"®  de  Scud.). 
Be  toutes  les  deux  fa(^ons  dont  fenvisage  la  chose^  je  trahis  le  roi 
(Ead.).  Ce  qui  fut  accepte  egalement  de  tous  les  deux  partis  (Ead.). 
Andererseits  fehlt  dieses  tout  vor  ä  coup,  wie  Be  la,  tombant  ä  coup 
en  des  frayeurs  plus  vives,  II  nCa  semble  d^errer  aux  infernales  rives 
(Th^oph.),  (wozu  man  vergleichen  kann  La  lumiere  qui  feblouirait  trop 
ä  coup  (Desmar.)),  und  in  d^un  temps,  wie  Et  pour  punir  d^un  temps 
Torgueü  desordonne  .  .  .  Faiies  etc.  (Rotrou).  11  est  aise  de  juger  de 
ma  peine  Par  l^effort  qui  d'un  temps  m' empörte  et  me  ramene  (Id.). 


212  J.  Baase, 

Adjektivisches  chacun  (§  47,  a)  kommt  auch  vor:  Cesi  ce  JHeu  .  .  . 
Qui .  .  .  Of'donne  le  manotr  ä  chacun  elemeni  (Desmar.,  Visionn.).  TJn 
chacun  (§  47,  b)  in  indirekter  Beziehung  auf  ein  mit  partitivem  de 
folgendes  Substantivum:  Cesi  que  ma  voix  cherche  des  iraits  Pour  un 
chacun  de  vos  atiraits  (Id). 

Aucun  im  positiven  Satze  findet  sich  nur  substantivisch,  selten 
bei  Rotrou  (Sölter  S.  48  und  ausserdem  Et  d*aucuns  qui  ployaient 
craignant  notre  ddroute^  Ce  grand  homme .  .  .  change  etc.)  und  Thöoph. 
(Selon  le  sens  d*aucuns  Je  voulais  discourir  Si  ce  n'est  pas  le  feu  etc.), 
oft  in  den  Dichtungen  Scarron's,  z.  B.  Je  n^ai  point  su  commeni  eile  en 
fit  le  chemin,  Aucuns  oni  dit  sur  un  roussin  (Po^s.).  11  disait  qu'aticuns 
d'eux  (de  ces  heaux  espriis)  ne  sont  bons  qu'ä  moucher  les  chandelles  .  . . 
Qu^ aucuns  ä  ce  heau  corps  poun^aient  servir  de  memhres  (Ibid.). 
Aucuns  commencerent  par  hoire  (Virg.).  fen  puis  Stre  d^ aucuns  bläme 
Mais  aussi  serai-je  esiime  (Ibid).  Noire  ville  .  .  .  Sans  regret  d aucuns 
fut  laissee  (Ibid.)  und  so  sehr  oft.  Dass  es  mit  dem  von  Hellgrewe 
S.  18  zitierten  11  avaii  assez  d'esprit  et  faisait  assez  hien  de  me'chants 
vers;  d*ailleurs  homme  d'honneur  en  aucune  facon,  maiicieux  comme  un 
vieil  singe  et  envieux  comme  un  singe  eine  andere  Bewandtnis  hat,  fühlt 
der  Verfasser  der  Abhandlung  selbst,  da  er  sagt:  „hier  scheint  es 
mehr  dem  englischen  any  zu  entsprechen  als  für  quelque  zu  stehen." 
Offenbar  liegt  hier  ein  unvollständiger  negativer  Satz  vor  =  il  n^eiait 
.  .  .  en  aucune  fagon,  also  =  „in  keiner  Weise",  wie  ja  auch  heutzutage 
en  aucune  faqon  in  derselben  Weise  sehr  gebräuchlich  ist. 

Aucune  fois  ist  auch  (§  50,  b)  bei  Racan  noch  öfters  zu  lesen, 
z.  B.  B  est  vrai  qu'au  matin  aucune  fois  les  songes  Me  de'goivent  les 
sens.  11  suit  aucunefois  un  cerf  par  les  fouUes  .  .  .  Aucunefois 
des  cJiiens  ü  suit  les  voix  confuses, 

Adverbiales  rien  (§  51,  b)  liegt  in  den  gegebenen  Stellen  mit 
ne  rien  preiendre  ä  qc.  eigentlich  nur  für  die  neuere  Sprache  vor,  da 
man  früher  sehr  wohl  sagte  pre'tendre  qc,  ä  q.  (qc).  Ebenso  konnte 
damals  der  Akkusativ  als  solcher  noch  empfunden  werden  in  Deferez 
quelque  chose  au  sentiment  commun  (Rotrou)  Bourvu  qu'ü  promit 
que  .  .  .,  il  defererait  quelque  chose  ä  mes  prieres  (M"*  de  Scud.). 
Ähnlich  sina  Et  pour  ne  rien  ce'der  aux  plus  fertiles  champs,  Les 
rochers  les  plus  durs ...  Se  laissent  cultiver  (Racan).  Ma  7'aison 
s'accommode  quelque  fois  ä  mes  de'sirs .  .  .,  et  cede  quelque  chose  ä  ma 
volonte.  II  me  serait  peut-itre  plus  avantageux.  Im  dts-je  froidement, 
que  votre  volonte  ce'dät  quelquefois  ä  votre  raison  (M"*  de  Scud.)  Doch 
scheint  hier  schon  der  Akkus,  des  Masses  vorzuliegen,  wie  ein  solcher 
deutlich  erkennbar  ist  in  Au  prix  de  la  vertu  je  ne  les  prise  rien 
(Thöoph.).  Von  solchen  Sätzen  aus  wurde  dann  rien  rein  adverbial, 
so  dass  dasselbe  nicht  mehr  als  Akkus,  empfunden  wurde,  wie  ja  auch 
pas  und  point  in  ähnlicher  Weise  zu  Adverbien  wurden, .  nur  dass  die 
Sprache  dann  später  wieder  rien  auf  den  rein  substantivischen  Ge- 
brauch beschränkte.  Vgl.  noch  Ne  de'sespere  rien,  car  je  plains  ton 
supplice  (Rotrou).  llrepondit  qu^il  n^avait  rien  oubli^  ä  metire  tous  les 
secrets  de  la  maaie  en  pratique,  mais  sans  aucun  effet  (Scarr.,  R.  C.  III). 

Die  im  Altfrz.  sehr  beliebte  Umschreibung  durch  corps  (Tobler, 
V.  B.  S.  27  f.)  erscheint  noch  bei  Scarron,  welcher  corps  d*  homme -ne 
=  personne -ne  gebraucht,  z.  B.  Corps  d' homme  n'etait  avec  moi 
(Virg.  1.  II).  Corps  d' homme  rCen  re<;ut  outrage  (Ibid.,  1.  V).  Ebenso 
findet  sich  bei  Chapelain  Sous  le  petit  Rambert,  le  grand  corps  de 
Norgale,  Parmi  son  sang  fumeux,  sa  dure  vie  exhale. 

fful  ohne  ne  beim  Verbum  (§  52,  a)  habe  ich  nur  noch  gefaodea 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVI L  Jahrhunderis,     213 

Un  voleur,  dont  Vaudace  ä  nulle  autre  est  pareille  (Uotrou)^  eine  Stelle, 
die  darum  nicht  recht  beweisend  ist,  weil  die  Wendung  ä  md  autre 
pareil  ohne  das  Verbum  unendlich  häufig  war,  man  also  sehr  leicht 
dazu  kommen  konnte,  dt7'e  ohne  ne  derselben  hinzuzufügen.  Nul=  aucun 
habe  ich  durch  zu  wenige  Beispiele  belegt;  dieser  Gebrauch  ist  sehr 
oft  zu  beobachten,  z.  B.  im  Grand  Cyrus  fast  auf  jeder  Seite.  Vgl. 
A-t-on  vu  jusqu'ici  qne  du  nom  des  Adomes  D'une  etroile  vertu  nul  ait 
passe  les  bomes*^  (Rotrou).  Pouviez-vous  croire  qu*un  ccßur  out  vous  avait 
adoree  püt  offrir  des  voeux  ä  nulle  autre  divinite?  (M"'  de  Scud.). 
11  sera  difficüe  que  fen  trouve  en  nulle  pari  (Ead.).  II  evita.,,  de 
renconirer  la  princesse  Istnne  en  nulle  part  (Ead.).  Bien  hin  de  songer 
ä  vous  faire  nulle  violence  (Ead.).  Car  je  ne  pourrais  pas  sans  cet 
ajustement  Avec  nul  des  mortels  converser  un  moment  (Desmar.).  Sa 
marq^te,  sans  laquelle  ü  ne  veut  pas  que  nul  s^en  serve  (Id.).  Je  ne  vois 
pas  qu*il  ait  eu  nulle  aveniure  fächeuse  en  cette  chasse  (M"**  de  Scud.). 
11  ne  lui  etait  pas  possible  (Tesperer  Jamais  nulle  satisfaction  en  la  vie 
(Ead.).  Ce  n' est  pas  que  Je  sente  nulle  disposition  en  moi  qui  etc,  (Ead.). 
II  ne  crut  pas  que  Manaane  eüt  nulle  part  ä  la  chuse  (Ead.).  Aussi  bien 
n*est-il  pas  ä  propo»  de  vous  donne?'  nulle  emotion  (Ead.).  II  rCy  avait 
pas  moyen  de  tirer  7iulle  conjecture  de  tous  les  signes  (Ead.).  Ni  CAn- 
glais  n^est  tombe,  par  nul  autre  ma/heur,  Dans  un  gouffre  si  bas  (Chapel.). 
Ni  vous  qui  le  sauviez,.,  JVe  nul  autre  ici  bas  ne  pourrait  rempicher 
(Scarr. ,  Com.).  Je  m'en  retournai , . .  sans  songer  ni  au  chemin  que  je 
tenais,  ni  ä  nulle  autre  chose  (M"®  de  Scud.).  Du  moins  vCaurai-je  rien 
dans  Pespit  qui  me  reproche  nulle  inftd^lite,  ni  nulle  negligence  (Ead.). 
II  ne  restait  nulle  place  pot(r  nul  autre  sentiment  (Ead.). 

Pas  un  =  aucun,  per  sonne  (52,  b)  ist  ebenfalls  unendlich  oft  bei 
M"*  de  Scud.  und  auch  sonst  häufig  zu  finden,  doch  brauchen  die  Bei- 
spiele nicht  gerade  vermehrt  zu  werden,  nur  der  Fall  verdient  der  Er- 
wähnung, in  welchem  pas  un  neben  der  Negation  ne-pas  (point)  erscheint, 
wie  Pas  un  n'aUa  pas  au  contraire  (Scarr.,  Virg.  1.  VIII).  Elle  ne  se 
priva  pas  un  moment  de  la  conversation  de  pas  un  de  mes  rivaux 
(M"®  de  Scud.,  III,  285).  II  n'y  avait  point  de  nom  au-dessus  de  pas 
une  lettre  (Ead.). 

Mimement  (§53  Anm.  4).  II  a  trop  de  passion  pour  Hre  croyahle, 
mSmement  en  une  cause  qu*il  a  faite  sienne  (Thäoph.).  La  nef,  ainsi 
de'patronnee.  Et  mimement  detimonnäe  (Scarr.,  Virg.). 

Substantivisches  maint  (§  54  Anm.  3)  ist  auch  bei  Scarr.  im  Virg. 
zu  finden,  z.  B.  Tydee,  Adraste  et  maint s  aussi  Qui  ne  sont  pas  nommes 

ici  G.  II). 

Von  den  Zahlwörtern  ist  das  früher  beliebte  un  cent  de  zu 
erwähnen,  z.  B.  Teile  en  trahit  un  cent,  et  se  fait  aimer  d^eux  (Rotrou). 
Bier  fen  blessai  trois  d!un  regard  innocent,  D'un  autre  plus  cruel  Jen 
fis  mourir  un  cent  (Desmar.).  (Elk)  seule  en  vaut  plus  d'un  cent 
(Scarr.,  Com.). 

Als  Beispiele  zu  dem  §  57  Anm.  3  erwähnten  Falle,  dass  ein 
Subst.  mit  dem  unbestimmten  Artikel  durch  einen  Superlativ  be- 
stimmt ist,  füge  ich  hinzu  Je  suis  sans  doute  une  des  personnes  du 
monde  la  plus  sensible  aux  bienfaits  (Th^oph.).  B  etait  un  des  hommes 
du  monde  le  mieux  fait  (Scarr.,  Nouv.).  Cl^andre  dtait  assurement  un 
des  hommes  du  monde  le  mieux  fait  (M"*  de  Scud.),  ein  Fall,  in  welchem 
dieselbe  Attraktion  vorliegt  wie  die  §  64,  b  erwähnte  (wn  des  meilleurs 
hommes  qui  sott  au  monde). 

Unpersönlich  gebrauchte  Verba  statt  der  persönlichen 
(§  58,  b):   Je  vous  ai  moins  payS  Qu'il  ne  vous  »etait  du  (Rptrou).    Je 


214  A.  Baase, 

suis  bien  aise  de  vons  pouvoir  dire  auparavani  qu*il  m'empire  davon- 
tage,  que  si  les  dieux  disposaieni  de  moi,  je  n'entends  pas  etc,  (M"® 
de  Scud.).  Vous  ne  ia  reconnattrez  pas  quand  iwns  la  verrez,  iani  il 
lui  est  visiblement  amende  (Ead.).  Les  qu*il  eut  forme  la  resoluiion  de 
retourner  ä  Clarie,  il  lui  amenda,  il  dormit  toute  la  mdt  suivante  (Ead.). 
Auch  sind  bei  M"®  de  Scud.  Konstruktionen  nicht  selten  wie  Jamais 
il  ne  s' est  entendu  parier  d!une  pareHle  confusion  ä  celle  de  Bahylone, 
Jamais  il  ne  s^est  vu  de  gens  de  guerre  pariir  avec  un  plus  violeni 
de'sir  de  vaincre. 

Transitiv  sind  abweichend  vom  heutigen  Gebrauch  (§  59)  noch: 
accroire:  Alors,  pour  Texcuser,  moi-mSme  je  Vaccrois {DeBmQ,r.,  Clovis). 
aspirer:  Donne  donc  ä  tes  voeux  quoi  que  ton  cceur  dspire  (Rotrou, 

B^lisaire,  I,  6). 
butiner:  (11)  s'apprite  ä  butiner  Les  plus  cheres  faveurs  qu'un  esprit 

peut  donner  (Id.).  11  butine  les  fruits  d^une  injusie  victoire  (Id.). 
clignoter:  Vainemeni  ses  yeux  il  frotta,  Les  ouvrit  et  les  clignota 

(Scarr.,  Virg.  1.  I). 
decroitre:  Sa  compagtiie  Naugmente  ni  de'croit  ma  froideur  infinie 

(Rotrou). 
desesperer:  Ses  maitres,  qui  peidaient  tous  les  leurs  fenfants)  des  le 

berceau,  la  firent  nourrice  d^un  garqon  desespere  des  mede- 

eins  (Scarr.,  Nouv.). 
discourir:    Tout  cela  est  tres  bien  discouru  (Th^oph.).     Quelque 

chose  d'approchant  ä  ce  que  je  vous  en  ai  discouru  (Id.).    Quoi 

que  Vaffection  te  fasse  discourir  (Id.). 
eclater:  Tandis  que  de  leur  haine  ils  e'c latent  des  crimes  Contre  les 

pouvoirs  legitimes  (Racan). 
guerroyer:    Vous   les   menerez    Guerroyer    les  peuples  du    Itbre 

(Öcarr.). 
hucher:  Elle  siffle  en  paume  les  siens,  Elle  huche  ses  Tyriens  (Id.). 
lutter:  Et  presque  sans  espoir  il  lutte  en  vain  les  flots  (Uesmar., 

Clovis).    De  Vüettespont  e'mn  (ü)  luttait  les  flots  cruels  (Ibid.). 

(Beisp.  aus  dem  16.  Jhd.  bei  Littr^  s.  v.  Hist.). 
Wie  obeir  auch  desobeir:  Elle  se  serait  vue  de'sobeir  pär  une  per- 
sonne qui  ne  le  ferait  pas  en  toute  autre  chose  (Scarr.,  Lettr.) 
opposer:   Et  partout  oü  du  camp  se  peut  tourner  Veffort,   Sous  cent 

aspects  divers  il  oppose  la  mort  (Chapel.). 
persuaaer:  Je  sens  une  chaleur  d'esprit  Qui  vient  persuader   ma 

plume  De  tracer  etc,   (Thdoph.).     11  me  dit  de  plus  qu'il  avait 

fait  assez  de  progres  aupres  d'eüe  pour  Vavoir  persuadee  de 

lui  donner  la  nmt  entre'e  dans  son  jardin  (Scarron,  R.  C). 
pirouetter:  Le  vent  la  pirouette  (ma  barque)  sur  sa  proue  (Racan) 

Eure  les  pirouette  et  les  tourne  en  furie  (Scud.). 
rapprocher:  Vesclave  e'chappe  rapproche  la  maison  (Rotrou).    Ne 

me  rapprochez  point  (Id,). 
re'pondre:  Pourvu  que  son  esprit  son  visage  reponde,  Je  crois  qu*il 

vaut  beaucoup  (Rotrou). 
resister:  Artameme  desespere  de  se  voir  re'sister  si  longtemps  (M"® 

de  Scud.). 
tiddir:  Mais  du  vin  que  Von  repandit,   Qu^elle  but  et  qui  la  tiedit. 

Fit  que  etc.  (Scarr.,  Virg.) 
voisiner:   Une  longue  avenue  Ü'arbres  ä  quaire  rangs  qui  voisinent 

la  nue  (Desmar.,  Visionn.). 
voyager:   Voyageant  Vunivers  de  Vun  ä  C autre  bout,  Nous  ne  saurions 

fuir  (Th^oph.).  • 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVIL  Jährhunderts,     215 

Zu  den  beireits  gegebenen  Yerben  mögen  noch  da^  wo  nnr  ein 
Beispiel  oder  mehrere  nur  einem  Autor  entnommene  angeführt  sind, 
gestellt  werden:  Avec  taut  de  bruit . . . ,  Que  le  coßur  le plus  ferme  ä  peine 
l^accoutume  (Scud.).  Ensuiie  ä  cet  hymen  vous  le  disposerez  Par  les 
plus  doux  moyens  que  vous  aviserez  (Scarr.,  Com.)*  fordonnerai  de 
consulter  Vaf faire  (Rotrou.).  Mais  les  monstres  denfer,,.  Consul- 
tent  les  moyens  den  affaiblir  le  cours  (Chapel.).  11  suffit  que  chacun 
dispute  cetie  question  en  lui-mSme  (Desmar.).  Je  vous  prendrais 
pour  mon  juge,  Si  favais  quelque  chose  ä  disputer  comme  euxQS}^^ 
de  Scud.).    Ei  son  coeur  veut  e'clore  un  espoir  qu^ü  reiient  (Rotrou). 


Souvent  la  Jalousie ». .  Par  noire  propre  fauie  e'cldt  de  grands  mal- 
heurs  (Racan).  Ainsi  courent  les  brmis  des  propos  murmuranis,  Par 
gut  la  foule  ecloi  ceni  pensers  differents  (Desmar.).  Aimant  mieux 
hasarder  le  destin  des  batailles  (J*)  Assemble  ce  qu*Ü  a  de  plus  fa- 
meux  soldats  (Rotrou).  Renviant  pour  sa  gloire.,,  L^exploit  si 
renomme  du  valeureux  Boraöe  (Desmar.). 

Reflexiv  gebraucht  sind  (§  60)  noch: 
se  comhaitre:  Ce'tait  des  gantelets  setnblables  Que  des  athletes  redou- 

tables  L*athlHe  le  plus  redoute,  Erix,,.  Se  combaitait  ä  ioute 

outrance  (Scarr.,  Virg.). 
se  däbarquer:  Ahrs  tout  se  de  bar  que  (Scud.).    Tout  s'approche  ä  la 

fin,  tout  vient,  tout  se  ddbarque  (Id.).    (U)  ^tait  arrive  ä  Madrid, 

Sans  donner  avis  de  Sdvüle,  oü  ü  s'e'tait  de'barque   (Scarr., 

Nouv.). 
se  d^libdrer:  Mon  desespoir  en  moi  encor  se  ddlihere  (Th^oph.).    Je 

me  de  Hb  erat  de  chercher  mon  salut  en  ma  fnite  (Id.)^ 
se  donner  de  la  tSte,  contre  q€.  kommt  öfter  bei  Scarr.  vor,  z.  B. 

Elle  tomba  donc  sur  lui.,,  se  donnant  de  la  tite  oontre  ceüe 

de  sa  fiüe  si  rudement  etc.  (R.  C).   JDom  Marcos,  qui  se  donnait 

de  la  tSte  contre  les  muraiües  (Nouv.).  Maisc^etaii,,,  Se  donner 

du  front  contre  un  mur  (Virg.). 
se  feindre:  Je  veux  contraindre  ma  öonscience  de  se  feindre  pour 

se  condamner  (Th^oph.). 
se  tempSter:  Mais  cet  <bU  niest  plus  dans  sa  tHe,  Dont  jour  et  nuit  ü 

se  tempSte  (Scarr.,  Virg.), 
se  valoir:  Ne  tient-il  qu*ä  tromper,  ne  tient-ü  qü'ä  irahir,  A  cause  qu'on 

saura  se  valoir  de  ses  feintes?  (Scarr.,  Com.). 
se  vieillir:  Les  oraanes  dontilse  sert  se  vieillisseni  et  s^usent  (Desmar.). 

Als  Beispiele  kann  man  hinzufügen  A  quoi  F hotesse,  sans  se 
bouger  de  dessus  le  siege  oü  eile  ätait,  lui  repartit  (Scart.,  R.  C.  III). 
Et  qui  se  prenant  garde  Que  celui  qui  voit  tout,  en  tous  Ueux  le  re- 
garae,  Se  gouverne  en  tous  lieux  comme  e'tant  devant  lui  (Racan).  II 
s*en  va  temps  de  penser  ä  la  mort  (Id.). 

Ohne  das  Reflexivum  (§  61)  kommen  noch  Vor: 
abaisser:  Mais  Vesprii  dun  pauvre  homme  abaisse  de  moitie  (Scan., 

Poös.). 
bouleverser:  Enfin  tout  bouleverse,  et  Jamais  le  sokü  N^dclaira  dans 

son  cours  un  desordre  pareil  (Scud.). 
consumer:  Bs  brülent  sans  reläche,  et  jamais  ne  consument  (Racan). 

Les  m^chants ...  Brälent  sans  e*onsumer  et  sans  pouvoir  mourir 

(Id.).     Je  brüle,  je  consume,  et  ma  lanptie  alter ee  Se  coUe  ä 

mon  palftis  (Id.).  Ebenso  consommer  bei  Rotrou,  Sölter  S.  55. 
eteindre:    TJn  feu  qui  n* steint  point,  luit  et  brüle  dans  ce  gouffre 

(Scud.).    (1^  Jette  dans  ce  navire  un  feu  qu*ü  n'^teint  pas  (lo.). 
user:  Elle  {la  table)  est  encore  entiere  et  nus^ra  jamais  (Rotrou). 


^16  J,  Haase, 

Hinzufügen  könnte  man  noch  Beispiele  zu  tfvanouir,  z.  B.  Le 
Corps,.,  ei  pourrit  et  ävanouit  bientot  (Th^oph.).  Elle  embrassa.., 
Don  Carlos,  gut  pensa  en  evanouir  cncore  (Scarr.,  R.  C).  Nos  peurs 
seront  e'vanouies  ßar  ces  mir  ade s  apparents  (Racan),  und  einige 
Stellen,  wo  (wie  in  diesem  letzten  Beispiel)  das  Reflexivum  in  einer 
zusammengesetzten  Zeit  vernachlässigt  ist;  so  kommt  sehr  ofb  bei 
M"«  de  Scud.  vor:  11  nous  demanda,  quand  ü  fut  reiire  dans  sa  chambre, 
ce  que  nous  pensions  etc,  (II)  fut  irouver  le  prince  Cle'obule  dans  son 
caUnet,  oü  ü  e'iait  retire  il  y  avait  dejä  longternps,  ferner  (fl)  ne  laissa 
pas  de  ^assurer,  aussitot  qu*ü  fut  un  peu  remis  de  son  e'tonnemeni, 
qu'elle  n' avait  rien  ä  crainare.     Harpage,  e'tant  refugie  en  Perse  etc. 

Die  §  62,  b  erwähnte,  heute  nicht  statthafte,  Attraktion  der 
PersondesVerbums  nach  celui  qui  kann  noch  durch  mehr  Beispiele 
belegt  werden,  vgl.  Je  suis  celui  qui  n*ai  jamais  rien  faii  d'agreable  aux 
yeux  de  Dieu  (Scarr.,  Nouv.).  Je  pense  Hre  celui  de  tous  qui  Vai  le 
plus  rigoureusement  e'prouve  (M"*  de  Send,  III,  65).  Commefai  ete  celui 
qui  ai  eu  Vhonneur  de  lui  raconter  iouie  cetie  histoire  etc.  (Ead.  IV,  192). 
Jetais  Celle  qui  leur  apprenais  les  nouveUes  de  la  ville  (Ead.).  —  Vgl. 
auch  noch:  Je  suis  ce  traitre,  Cet  amant  non  aime  qui  me  vantai  de 
VHre  (Rotrou). 

Zu  den  §  63  Anm.  2  berührten  vereinzelten  Fällen  des  ab- 
weichenden Numerus  lassen  sich  andere,  ebenfalls  nur  vereinzelt  zu 
beobachtende  hinzugesellen:  (Sitot)  que  le  soleü  fut  leve,  La  plupart 
alla  reconnattre  Les  flenves  de  ce  lieu  chämpStre  (Scarr.,  Virg.  1.  VII). 
Et  que  (==  quoique)  irop  de  raisons  m'oblige  ä  m'en  venger  (Rotrou, 
Don  Lope  de  C.  IV,  5).  Par  quels  humbles  devoirs  te  puis-je  satis- 
faire  Qui  ne  me  laisse  encor  la  qualite  dingrat?  (Id.,  B^lisaire  I,  6). 
//  n^est  ni  monts,  ni  mers,  ni  campagnes,  ni  fleuves  Qui  de  notre  valeur 
doive  empicher  les  preuves  (Scud.,  Alaric  1.  I).  Wiederholt  lässt  sich 
noch  folgender,  von  Tobler,  V.  B.  S.  190  erwähnte  Fall  betreffen.  Pas 
un  des  curieux  qui  vous  ont  observes.  N*ont  ä  tant  de  me'pris  cru  mes 
jours  r^serves  (Rotrou,  Don  Lope  de  C.  I,  2).  Que  quelqu^un  de  ces 
gens  le  saisissent  au  corps  (Id.,  Les  M^nechmes  IV,  5).  Pas  un  de 
ceux  que  je  cheris.  Et  dont  je  fais  mes  favoris,  Ne  m'oni  offert  leur 
assistance  (Racan).  Nous  lui  demandämes  s*il  ne  savait  point  si  quel^ 
qu'une  de  ses  amies  Vetaieni  venue  prendre  (M"'  de  Scud.  IV,  323). 
Dazu  kann  man  vergleichen  Chacun  de  ses  hotes  lui  presente  une  action 
qu^ils  auroni  faiie  (Desmar.). 

Auch  ist  singularisches  Verbum  mit  folgendem  pluralischen  Sub- 
jekt (§  64  Anm.)  noch  sonst  zu  lesen:  Ei  des  rochers  soriit  de  nou- 
veUes fontaxnes  (Racan).  Ei  des  rochers  flambants  dun  feu  qui  iout 
consume  Sortira  des  charbons  de  soufre  ei  de  bitume  (Id.).  Jpres 
ceUes-lä  en  vini  quatre  autres,  portant  deux  cygnes  (M""  de  Scud. 
II,  612).  —  Vgl.  ferner  Cesi  ainst,  m*esi  avis,  que  s'esi  passS  la  chose 
(Scarr.,  Com.,  so  oft).  —  Quel  mepris  obstine  des  hommes  ei  des  dieux 
Vous  rend  indifferent  et  la  ierre  et  les  cieux?  (Rotrou,  St.  Gen.  II,  6). 

In  Bezug  auf  die  Tempora  in  hypothetischen  Sätzen  (§  66,  a) 
ist  zu  bemerken,  dass  bei  Rotrou  noch  oft  je  dusse  =^  ja  devrais  zu 
finden  ist;  in  den  früheren  Stücken  erscheint  dieser  Konjunktiv  sehr 
oft,  in  den  späteren  wird  derselbe  etwas  seltener,  z.  B.  Vous  dussiez 
souhaiier  de  la  voir  dans  mes  bras.  Je  vous  dusse  epargner  en  Phumeur 
dont  vous  Sies,  Vous  dussiez  estimer  cei  honneur  glorieux.  Tu  dusses 
rejeter  ces  doutes  superflus»  Suivani  un  compliment  de  longiemps  affecie. 
Je  dusse  demander  V4tai  de  ia  sani4.  Je  proteste  Venfer,  les  eaux,  le 
firmameni,  Ei  iout  ce  que  je  dusse  avoir  de  venertMe  u.  a.    Auch  der 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XV IL  Jahrhutideris.     217 

§  67  Anm.  8  berührte  Fall  kommt  oft  genug  bei  Rotrou  vor,  z.  B. 
yissez,  depuis  irois  ans , . .  ^  Je  dusse  avoir  connu,  comme  enfin  je 
connoi,  Le  peu  de  volonte  que  vous  avez  ponr  moi.  Moi,  dont  le  nom 
iout  seid  vous  düt  avoir  ioticke.  Tu  dusses,  Cleonte,  En  son  infame 
Sana  avoir  noye  sa  honte.  Uhymen  düt  avoir  Joint  nos  jours,  Voilä 
ce  bei  auteur  de  mes  tristes  soucis,  Que  ma  triste  confession  düt  avoir 
adouci.  Je  dusse  avoir  dejä  consulte  sa  sdence.  Sonst  findet  sich 
je  dusse  =  devrais  nur  selten  noch  bei  den  anderen  Autoren,  wie  Je 
nCen  vais  vous  apprendre  ici  Quel  düt  Hre  votre  souci  (Th^oph.). 

Je  fusse  =  j'eusse  ete  (§  66,  b)  begegnet  nur  selten,  vgl.  Mon 
esprit  des  longtemps  füt  reduit  en  vapeur  S*il  eüt  pu  concevoir  une  vul- 
gaire  peur  Cfh^oph.)*  Leur  raae  füt  sans  toi  de  mon  sang  assouvie. 
Et  sans  toi,  dans  leurs  mains,  j  aurais  perdu  la  vie  (Rotrou). 

Comme  si  mit  dem  Präsens  (§  66  Anm.  4):  11  m^aUegue  un  dieu 
Jupiter,  Qu*il  a  peur  de  mecontenter,  Ei  les  oracles  de  Lycie,  Comme 
si  le  ctel  se  soucie  De  cettui-lä,  de  cettui-ci,  II  serait  bien  oiseux  ainsi 
(Scarr.,  Virg.  l.  IV). 

Das  Präs.  Fut.  nach  guand  mime  (§  66  Anm.  5)  ist  nicht  selten 
bei  M""  de  Scudöry,  z.  B.  Cette  sagesse  dont  vous  parlez  n*aura  rien  ä 
faire  gu'ä  vous  louer,  guand  meme  vous  m^aurez  appris  vos  plus  se- 
crhtes  pense'es.  Pourvu  gue  je  voie  Mandane,  je  serai  toujours  consoUs, 
guand  mime  tue  ne  me  dira  rien  d'obligeant.  Je  faimerai  ätemellemeni, 
guand  mime  eile  ne  m'aimera  jamais.  C*est  powtant  lui  gui  vous  a 
refuse  la  porte  et  gui  a  ete  cause  gue  Me'gabise  est  entre\  guand  mime 
la  chose  se  sera  passe'e  comme  il  le  dit,  und  sonst. 

Unendlich  häufig  ist  bei  M"«  de  Scud.  die  §  67,  c,  d  besprochene 
Angleichung  der  Tempora;  Beispiele  bietet  fast  jede  Seite,  es  genügt, 
nur  einige  anzuführen,  wie  Quand  il  serait  vrai  gue  je  ne  serais  pas 
le  plus  haissable  des  hommes  et  gue  j"* aurais  renau  un  Service  important 
au  roi,  s^il  arrive  gue . . . ,  toutes  mes  actions  ne  m^obtiendraient  pas  son 
affection.  Ne  paurrait-ilpas  sHmaginer  gue  j^ aurais  songe  ä  partager 
avec  Cyrus  la  domination  de  taute  FAsie?  II  saura  gue  Philidaspe,  ce 
mime  Ph,  gu*il  a  tant  hat,  m*aura  enleve'e,  Si  je  ne  vous  croyais  Väme 
extrimement  ferme,  je  croirais  gue  la  peur  aurait  un  peu  trouble  votre 
raison  en  cet  instant,  —  II  ne  fit  pas  la  mime  depense  gu'il  eüt  faite, 
s*ü  eüt  cru  gu'effectivement  Spitridate  eüt  ete  Cyrus,  Je  pense  gue  si 
eile  n'eüt  eu  peur  gu* Antigene  Veüt  vue  mal  danser,  eile  n'eüt  pas 
mime  ete  en  caaence.  Nous  fümes  bien  etonnes,  guand  nous  fümes  Orrives 
iout  au  haut  de  cette  tour,  de  trouver  gue  le  roi . . .  etait  alle  pour  con- 
stdier  cette  femme,  car  ceriainemeni  si  la  princesse  eüt  su  gu^il  y  eüt 
ete,  eile  n'y  füt  pas  aUe'  ce  jour-lä. 

Zu  §  67,  e  vgl.  Lors  tu  seras  honteux  gu*en  mon  adver site'  Je 
faie  tant  de  fois  en  vain  solliciie  D* avoir  abandonnd le  irain  d*une 
foriune  QuHl  te  fallait  avoir  avec  moi  commune  (Thöoph.).  Enfin  Amesiris 
n*a  point  du  ?'ecevoir  cette  lettre  depuis  gu'eüe  est  ma  femme  et  moins 
encore  Vavoir  conservee  (M"*»  de  Scud.),  und  zu  §  67  Anmerk.  4 
vgl.  N^es-tu  pas  son  esclave?  Et  ne  voudrais-iu  pas  fitre  tirä  des  fers? 
worauf  der  Angeredete  antwortet:  Sehn  les  moyens  gui  rrCen  se^^aient 
offerts,  Car  je  ne  voudrais  pas  acheter  de  ma  fuiie  ete,  (Rotrou).  A  Va- 
voir en  fr  einte  (la  loi)  il  y  va  de  ma  tite  (Id.),  das  Gesetz  ist  aber 
noch  nicht  übertreten.  M'Ster  la  vie  Serait  bien  moins  gue  me  P avoir 
ravie  (la  beaute)  (Id.). 

Die  Bildung  der  Tempora  composita  ist  zwar  vom  Verf. 
in  seiner  Syntax  absichtlich  nicht  behandelt  worden,  jedoch  möchte 
er  hier  bemerken,  dass  in  Scarron*s  Yirg.  zweimal  reflexive  Verba  mit 


218  J.  Haase, 

avoir  das  Perf.  bilden,  was  im  Altfrz,  vorkam,  vgl.  EMe  dwtiit  eu  cor- 
ronon  Par  la  irop  longtte  friction.  Et  s'anrait  faii  mal  ä  la  Croupe 
(1.  V).  EUe  a  vovlu,  la  male  biie,  Achever  la  flotte  par  feu.  Et  vraimeni 
s^en  a  fallu  pen,  Si  son  man,,.  DPeüt  fait  etc.  (Ibid ).  Ausserdem  ist 
es  der  M""  de  Scud.  eigen,  die  Perf.  und  Plusquamperf.  intransitiver 
Verba  wie  venir^  partir  u.  ä.  durch  fai  ete\  favais  ete  zu  bilden,  was 
in  der  früheren  Sprache  vorkam  und  genau  dem  fai  eu  donne  entspricht, 
wie  sie  denn  solche  Perf.  unendlich  oft  auch  bietet,  vgl.  M  e'tait  mort 
un  moment  apres  qu'ü  avait  ete  sorti  de  cette  cahane  (I,  51).  Cet 
komme  avait  laisse  tomber  des  lahlettes  quHl  avait  ramassees,  apres  gu^il 
avait  ete  parti  {llf  1 04).  Ce  qu*eUe  avait  dit,  qnand  favais  ete  sort  i 
de  son  cahinet  (II,  116).  Aussitot  que  Cyaxare  avait  ete  arrive  ä 
Sinope,  ils  etaient  retoume's  au  camp.  11  rC avait  pas  ete  pluiot  parti 
d^aupres  du  roi,  que  ce  prince  e'tait  entre  (III,  35).  Aussitot  que  la  nuit 
avait  ete  venue,  il  e'tait  monte  sur  un  cheval  (111,  397).  II  y  en  avait 
deux  qui  s^ etaient  jetes  dans  la  mei'  pour  V assister,  et  qui  avaient  ete' 
noye's  sans  le  pouvoir  faire  (III,  394)  und  sonst.  Infolge  dieses  Ge- 
brauchs befremdet  auch  nicht  Je  les  sentais  comme  si  elles  fussent 
venues  d^arriver  (111,  181)  =  venaient  d^arriver. 

Viele  gute  Beispiele  zu  den  §  69—71  erörterten  Umschrei- 
bungen finden  sich  in  den  poetischen  Texten,  doch  thut  es  nicht  not, 
die  angeführten  zu  vermehren;  nur  das  ist  zu  bemerken,  dass  faire 
mit  dem  Infinitiv  zur  blossen  Umschreibung  und  nichts  mehr  sagend 
als  das  im  Infinitiv  stehende  Verbum  doch  noch  wohl  mitunter  sich 
betreffen  lässt.  Wenn  man  zweifelhaft  sein  kann  über  De  quels  ruis- 
seaux  de  pleurs  le  rappaiserez-vous  Pour  faire  de'tourner  de  vos  cou- 
pables  tStes  Les  traits  de  son  courrottx  (Racan),  so  ist  ganz  zutreffiend 
Qui  (un  serpent)  siffle  et  fait  grincer   la  dent  envenime'e  (Desmar., 

Der  Konjunktiv  der  Einräumung  ohne  que  (§  73,  a)  ist  noch 
öfters  notiert,  doch  nur  in  poetischen  Stücken,  z.  B.  Xa  reine  vienne 
ou  non,  que  vous  sert  sa  venue?  (Rotrou).  Mon  pere  lä-dessus  fasse  ce 
qt^ü  pourra  ...  Si  je  yCai  Dom  Diegue . . .  J^  veux  bien  n*epouser  qWun 
vieil  jalouoc  (Scarr.,  Com.).  Et  qui  (la  mort)  . . .  Lindiscrete  qu'eüe  est, 
grippe,  voulüt  ou  non,  Pauvre,  riche,  poltron,  vaillant  et  bon  (Ibid.). 
Et  la  troupe  qui  m'environne,  Soient  amis  ou  soient  ennemis,  Ne  ine 
peut  servir,  ni  me  nuire  (Racan).  Force  gens  disent  que  vous  n^ites 
Autre  chose  que  des  somettes;  Mais  soyez  sornettes  ou  non.  Je  vais 
commencer  tout  de  bon  (Scarr.,  Typh.).  Si  bien  que  voulussent  ou  non, 
Sur  ies  soldats  d* Agamemnon  Nous  regagnämes  la  captive  (Id.,  Virg.). 

Ebenso  ist  bei  Dichtern  oft  que  vor  dem  Konj.  des  Wunsches 
auch  in  solchen  Fällen  zu  finden,  wo  das  Neufrz.  den  alten  Gebrauch 
bewahrt  hat  (§  73,  b),  z.  B.  Que  plüt  aux  dieux  que  le  discotrrs  des 
fahles  Trouvät  en  moi  ses  effets  veritables  (Th^oph.).  Que  mau  dit  soii 
le  nuatre  avec  son  eloquence  (Rotrou).  Que  beni  sott  des  dieux  le 
pouvoir  adorable  (Id.).  Que  puissent-ils  m^öter  aussi  la  vie  (Id.). 
Que  puissent  nos  neveux,..  Dans  leur  äme  graver  Pätemel  souvenir 
(Racan).  Que  maudii  soit  le  fou  (Scarr.,  Com.).  Que  beni  soyez- 
vous,  Seigneur,  Qui  m'avez  fait  un  mis&able  (Ibid.). 

Dass  sacke  noch  als  Konjunktiv  empfunden  wurde,  zeigen  die 
vielen  Stellen,  in  welchen  es  sackes  geschrieben  ist,  z.  B.  Sackes  donc 
au  besoin  fournir  de  la  me'moire  (Rotrou).  Sackes  que  tout  ce  que  la 
crainie  a  de  bon  et  d^  utile  .  .  .  devient  etc.  (Scarr.,  Nouv.).  Car  sack  es 
qu'il  y  a  de  ja  deux  jours  etc.  (M"^«  de  Send.  IV,  367). 

Der  Konjunkäv  der  Selbstanffordemng  in  der  ersten  Pers.  Sing. 


Ergänzende  Bemerkungen  zttr  Syntax  des  XVII.  Jahrhunderts,     219 

nach  einem  Imperativ  in  der  Alternative,  wo  Je  veux  mit  dem  Infinitiv 
oder  das  Präsens  Indik.  das  Angemessenste  wäre,  findet  sich  oft  bei 
Rotrou,  z.  B.  Ou  quittez-moi-la,  ou  que  je  vous  la  quitie.  Sois  pru- 
dente,  Dorise,  ou  que  je  sois  mueite. 

Im  indirekten  Fragesatze  steht  der  Konj,  (§  74)  Je  me  con- 
solerais  de  ne  irouver  de  quoi  Je  ne  pusse  en  mon  mal  me  venger  que 
de  toi  (Th^oph.).  II  ne  se  souciait  pas  par  quelle  voie  il  parvint  ä  la 
grandeur,  pourvu  qu'ü  y  arrivät  (M"®  de  Send.  II,  633). 

Der  Indikativ  statt  des  Konj.  der  Einräumung  im  verall- 
gemeinernden Konzessivsatze  (§  75,  b)  findet  sich  auch  nach  pour 
peu  que,  so  Et  je  crois  que  pour  peu  que  je  vous  entendrais,  Ce 
serait  un  metier  oü  je  me  resoudrais  (Rotrou).  Pour  peu  que  tes  geiis 
rameront,  Aisement  ils  surmonteront  Le  fil  de  mon  ^^«/(Scarr.,  Virg.). 

Wie  früher  die  Verallgemeinerung  nur  durch  den  Konjunktiv  be- 
wirkt werden  konnte ,  ohne  dass  dem  Subst.  ein  indefinites  Interroga- 
tivum  beigegeben  wurde,  zeigen  noch  Sätze  wie  Prite  ä  ne  re'server 
crime  que  faxe  fait  (Rotrou).  Quel  espoir  que  j^aie  eu  n*a  sujet  de 
renattre?  (Id.),  welche  den  §  75  Anm.  3  am  Schluss  zitierten  an -die 
Seite  zu  stellen  sind. 

Dass  das  emphatische  Adjektiv  im  Sinne  eines  Superlativs  noch 
nicht  veraltet  ist  (§  75  Anm.  3),  zeigt  Tobler,  Z.  f.  r.  Ph.  XI,  442  f. 
Dasselbe  findet  sich  auch  noch  ohne  einen  Relativsatz  mit  dem  Kon- 
junktiv Elajit  certain  que  c'etait  un  des  vaillants  hommes  du  monde 
{M^^  de  Scud.). 

Der  Indikativ  im  Satze  mit  que  nach  Ausdrücken  des  Wollens 
(§  76,  a)  kann  noch  belegt  werden:  II  me  tarde  dejä  que  dessus  ce 
heau  sein  Ma  violente  ardeur  n'accomplit  son  dessein,  Attendant  cet 
hymen  qui  te  rend  souveraine  etc.  (Rotrou).  Je  me  sens  tout  de  flamme; 
Je  meurs  que  je  ne  vois  cet  objet  de  ma  flamme  (Id.).  Quel  respect 
me  retient  que  des  poings  et  des  dents  Je  ne  te  fais  rentrer  ces  termes 
impudents?  (Id.).  Qui  me  tient  qu*en  ce  lieu  je  n*ecris  de  ton  sang  Le 
merite  de  Laure?  (Id.)  —  Vereinzelt  ist  der  Indik.  nach  accorder  = 
eine  Bitte  gewähren,  Que  Votre  Majeste  m^accorde  seulement  Qt^en 
ce  lieu  Lysanor  reviendra  sürement  (Rotrou,  L'heureux  naufrage, 
V,  4),  wo  die  Bedeutung  des  Wunsches  zurückgetreten  ist. 

Der  Konj.  nach  Ausdrücken  des  Beschliessens  (§  76,  b):  Amour 
a  re'solu  que  je  sois  ta  victime  (Th^oph.).  La  justice .. .  Res  out  que 
la  guerriere . . ,  Souffre  de  sa  valeur  triompher  les  enfers  (Chapel.). 
Vous  avez  donc  resolu  que  je  parte  (M"®  de  Scud.). 

Der  Konjunktiv  nach  esper  er  (§  80)  ist  nicht  selten  bei  Rotrou, 
z.  B.  J*ose  encore  esper  er  que  dans  cette  aüSgresse  Vous  souffriez  ä 
mon  sexe  un  peu  de  f aMesse,  Lorsque  fesperais  son  retour  et  ma  gräce. 
Et  que  le  roi  rendtt  la  paix  ä  cette  place,  J^eus  avec  Dorismond  ce 
fatal  accident. 

Der  Konj.  nach  si  &est  (§81  Anm.  1)  Si  c'est  qu^absolument  ma 
mo7't  soit  resolue  eic,  (Rotrou).  Auch  est-ce  erscheint  mit  que  und  dem 
Konj.,  so  dass  auch  dieses  noch  nicht  zum  blossen  Zeichen  der  Frage 
erstarrt  ist  wie  heutzutage  (vgl.  Tobler,  Z.  f,  r.  Ph,  XI ,  440) ,  sondern 
noch  seiner  Bedeutung  nach  empfunden  wurde,  so  Est-ce  par  un  for- 
fait  que  je  doive  regner?  (Rotrou,  Cosroes  I,  3).  Est-ce,  me  disait-il, 
qu'en  ejfet  eile  ait  eu  soin  de  ma  vie?  (M"®  de  Scud.  I,  ßOl). 

Der  Konjunktiv  nach  au  lieu  que  (§  82  Anm.  1)  Etant  plus  equi- 
iable  qu'au  lieu  quUl  fasse  mon  panegyrique,  je  m^en  aille  faire  son 
dloge  (M"®  de  Scud.).  Wie  hier  das  dquitable  keinen  Einfluss  auf  den 
Modus  haben  kann,  sondern  dieser  nur  durch  die  Reflexion  veranlasst 


220  A.  Baase, 

ist,  80  ist  der  Konj.  als  Modus  der  Reflexion^  vielleicht  als  Latinismus 
aufzufassen  in  dem  Konsekutivsätze,  der  eine  Thatsache  angibt,  Tant 
de  haine,  ingrate,  ä  ma  perte  fenflamme,  Que  deux  fois  en  un  jour  eile 
aii  (Tun  vain  effori . . .  solliciie  ma  mort  (Rotrou). 

Zu  den  Stellen  mit  si  peu  que  und  dem  Indikativ  (§  84.  a)  füge 
ich  hinzu:  Mais  sipetit  quHl  est,  c'est  assez  pour  une  personne  etc. 
(Scarr.,  Lettr.).  ^t  si  fou  quHl  etait,  Ü  flattait  sa  passion  en 
croyant  etc.  (Id.,  Nouv.). 

Den  Konjunktiv  im  zweiten  Gliede  des  Komparativsatzes  der  Un- 
gleichheit (§  84  Anm.  2)  habe  ich  noch  gefunden  Je  vons  hais  dejä 
plus  que  vous  n*aimiez  Amestris  et  je  ne  serai  jamais  satisfaiie  que  je 
ne  vous  voie  tous  deux  malheureux  (M"®  de  Scud.).  Hierher  gehört 
auch  das  von  HeUgrewe  (S.  38)  ganz  falsch  =  ä  moins  que  ne  aufge- 
fasste  Nous  eümes  plus  tot  gagne  les  montagnes  les  plus  proches  de 
Valence  que  le  vice-roi  rCen  püt  etre  averti  (Scarr.,  R.  C.). 

Der  Infinitiv  ist  nur  noch  nach  depuis  abweichend  vom  heutigen 
Gebrauch  betroflfen  (§  85,  c),  so  Tu  sais  .  .  .  Que  depuis  nC ttre 
instruit  ä  la.  romaine  loi,  Mon  äme  dignement  a  senti  de  la  foi  (Thäoph.). 
Tai  sotige  ä  ce  vers-lä  depuis  Vavoir  oui  citei'  de  votre  part  (Id.). 

Der  Infinitiv  ohne  Präposition  (§  86,  87)  findet  sich  noch: 
//  convint  ä  la  Dionee  .  ,  .  Rendre  fhonneur  que  me'ritait  Dame  qui 
tant  nous  assistait  (Scarr.,  Virg.).  Cepeiidani  je  te  prie  encore  m*excuser 
(Th^oph.).  Me  priant  de  nouveau  me  souvenir  de  compier  bien  les 
jours  qu^elle  m'avait  accorde's  (M^^  de  Scud,  III,  249).  S'ü  promet  avec 
affection,  Nous  sei  vani,  exercer  notreprofessioniRotiou),  Ausserdem 
in  folgenden  noch  nicht  erwähnten  Fällen,  zu  denen  Beispiele  aus 
früherer  Zeit  in  den  betreffenden  Spezialabhandlungen  zu  finden  sind, 
Je  ne  ci^ains  point  faillir  quoi  que  ma  muse  die  (Th^oph.).  // 
m^accuse  notamment  avoir  ait  que  je  croyais  auire  chose  que  etc. 
rid.).  J^ ai  peur  Vavoir  courue,  et  qu'un  auire  Vait  prise  (Scarr., 
Com.).  11  se  souvint  mime  avoir  su  que  le  prince  d^Assyrie  n* etait 
point  ä  Babylone  depuis  un  tres  longiemps  (M"®  de  Scud.,  II,  111),  eine 
Stelle,  die  allerdings  auch  einen  Druckfehler  enthalten  könnte.  — 
Z'y  recevoir,  vous  feri^z  mal  (Scarr.,  Virg.). 

Das  Subjekt  ist  dem  von  einer  Präposition  abhängigen  Infinitiv 
hinzugefügt  (§  85  Anm.  2)  Je  sais  bien  le  moyen  d^Stre  tous  deux 
Contents  (Rotrou).  Apres  avoir  donc  e'te  tous  deux  quelques  momenis 
Sans  rien  dire,  Qu^avez-vous  fait  de  votre  ami,  me  dit-elle  etc.  (M"*» 
de  Scud.). 

Der  Akkusativ  mit  dem  Infinitiv  (§  89)  kommt  noch  vor: 
Et  croyant  la  fortune  Avoir  trop  fait  pour  nous  pour  leur  itre 
importune,  (elles)  Vinrent  etc.  (Rotrou).  Qtii  n* eüt  cru  par  cette  retraite 
La  cour  Celeste  itre  defaite?  (Scarr.,  Typh.).  Viens  voir  ce  coeur  ingrat 
souffrir  sans  re'compense,  Et  qui  fut  tout  espoir  t'aimer  sans  espe'rance 
(Rotrou,  Florimonde).  Tous  d*une  voix  il  faut  sans  fin  .  .  ,  Cnanter 
soir  et  matin  Sa  gloire  sa  arandeur  et  sa  misericorde  (Racan).  üne 
chose  laquelle  il  de'sire  etre  par  eilte  et  tout  ä  fait  une  ä  une 
autre  (Thäoph.). 

Der  Akkusativ  hei  faire  mit  einem  Infinitiv  nebst  einem 
akkusativischen  Objekt  (§  90):  üne  ardeur  dere'glee  Q^i  ^<^^  f^^^  ^ 
souvent  au  perü  du  träpas  Suivre  la  vanite  de  ses  trompeurs  appas 
(Rotrou).  (Ton  soin)  les  fait  posseder  ta  vistble  presence  (Racan). 
Uerrt'ur  ...  Les  fait  pour  les  faux  dieux  tout  le  sang  epancher  Des 
garcons  et  des  fiUes  (Id.).  Les  autres  en  le  faisant  boire  Un  peu  plus 
qu^ü  ne  faut  de  vin  (Scarr.,   Virg.).    (lls)  Firent  boire  ce  grand  fou 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVIL  Jahrhunderts.     221 

Vn  peu  plus  que  son  chien  de  soül  (Ibid.).  EUe  avait  remarque  heaucowp 
d^esprit  et  de  merite  en  sa  personne,  ce  qui  V avait  longtemps  fait 
soup^onner  quelque  chose  (Scarr.,  R.  C.  III).  (llsj  se  mirent  ä  chercher 
ceux  qui  les  avaient  fait  quitter  le  haut  du  pave  (Ibid.). 

Das  Partizipium  des  Präsens  statt  des  Gerundiums  in  Be- 
ziehung auf  pluralische  Feminina  (§  91,  b,  c)  in  der  Form  -ants  ist 
auch  sonst  noch  zu  beobachten,  vgl.  Elles  fönt  de  nouvettes  vies,  Et 
quittants  les  royaumes  voisins,  Revienneni  dans  des  corps  humains 
(Thdoph.).  Ces  choses  seront- elles  point  des  chose s  qui,  occupants 
quoi  que  ce  soit,  le  rettdent  tel  etc.  (Id.).  Et  de  ja  toutes  les  Furie  s 
Renouvelants  leurs  barharies  Rendaient  le  vice  triomphant  (Racan). 
Les  eaux  d'Oise  et  de  Seine,  Disputants  ce  hutin,  Faisaient  etc, 
(Id.).  Les  deux  sceurs  s'ecriants  deplorent  son  mcUheur  (Desmar.). 
LHmage  de  leur  crime  et  celle  de  leur  gloire  Et  ants  les  deux 
bourreaux  de  leur  tnste  mdmoire  (Scud.).  Toutes  les  troupes .  ,  . 
s"*  dt  ants  rangees  en  haie  pour  laisser  passer  le  rot,  il  ne  voulut  pas 
(M"*  de  Scud.).  Vamhition  et  la  vengeance  n^  et  ants  guere  accoutume'es 
de  s'enfermer  dans  les  bornes  etc.  (Ead.).  Ebenso  bei  intransitiven 
Verben  Les  deesses  des  poetes  ...  passants  dans  ma  fantaisie, 
Firent  un  peu  de  poäsie  (Th^oph.).  (Il)  renleva,  toutes  ses  femmes 
er i ants  desespe're'ment  (M"*  de  Scud.).  Kaum  findet  sich  -antes;  die 
Stelle,  welche  Sölter  S.  66  zitiert,  ist  durch  den  Reim  veranlasst,  eine 
andere  ist  La  grosse  pluie  avec  la  grile  Tombantes  du  ciel  pSle-mSle 
(Scarr.,  Virg.  1.  I.). 

Das  Partizipium  des  Perfekts  (§  92)  wird  des  Reimes 
wegen  noch  oft  von  einigen  Dichtern  mit  dem  nachfolgenden  Objekt 
übereingestimmt,  z.  B.  (Je)  pense  que  le  dieu  des  vers  Ife  m'aura  pas 
moins  de'couverts  Les  sec7'ets  de  sa prognostique  (Th4oyh.).  Non  sans 
avoir  devant  huee  La  chanson  de  voix  enrouee  (Scarr.,  Virg.).  II  avait 
bas  mise  Et  sa  jaquette  et  sa  chemise  (Ibid.).  Für  Rotrou  gibt  Sölter 
S.  67  f.  Beispiele,  unter  welchen  auch  eines  sich  findet,  wo  ohne  den 
Zwang  des  Reimes  die  Übereinstimmung  mit  dem  folgenden  Objekt 
sich  zeigt  (II  m^a  preferee  une  ab  jede  rivale).  Diesem  letzteren  sind 
hinzuzufügen  Tu  nous  auras  vaincus  les  astres  irrite's  {Rotrou,  Ciarice 
IV,  5)  und  Un  songe  .  .  .  notis  laisse  imprimee  ou  peu  ou  point  de 
crainte  (Id.,  Venceslas  IV,  l).  Auch  zeigen  Rotrou  und  Scarron  oft 
Nichtübereinstimmung  des  Partiz.  mit  dem  zwischen  Hilfsverbnm  und 
Partiz.  gestellten  Objekt,  sofern  der  Reim  dieselbe  erforderlich  macht. 
Aus  Rotrou  gibt  Sölter  S.  67  Stellen,  unter  denen  üne  teile  manie  a 
ses  sens  occupe,  QtCü  aura  dans  un  an  tous  vos  biens  dissipe  (Les 
Mänechmes  III,  4)  sehr  auffallend  ist,  aus  Scarron  führe  ich  an:  Alors 
Neptune  ayant  toussd,  Et  plusieurs  crachats  repoussd  (Typh.).  Dont 
il  lava  son  osil  perce,  Non  sans  avoir  les  dents  grincd  (Virg.).  (Moi) 
qui  n'ai  ma  conrse  gäte  Que  pour  avoir  trop  vite  ^V^'(Id.),  und  so  sehr 
oft  in  den  Dichtungen  dieses  Autors;  auch  Si  je  n*avais  e'te  si  haut 
embalconne,  Cent  coups  au  Heu  d^habits  je  leur  eusse  donnd  (Scarr., 
Com.). 

DasB  in  der  früheren  Sprache  vielfach  das  Objekt  des  Infinitivs 
als  Objekt  des  diesem  vorausgehenden  Verbum  finitum  gefasst  wurde, 
ist  §  92  Anm.  2  durch  Beispiele  belegt,  denen  man  hinzufügen  kann 
Et  tu  nous  a  voulus  immole?'  ä  ta  rage  (Rotrou).  Des  rois  se  sont 
vus  obliger  ä  ses  rares  exploits  (Id.).  Ce  de'faut  par  lequel  eile  s*est 
laissde prendre  {DeBm&T.),  ün  prince  qui  tient  la  vie  de  celui  qui  vous 
Va  voulue  oter  (M^'«  de  Scud.,  II,  188).  üusage  des  dames  assyriennes 
QU  ron  ne  f  avait  point  encore  voulue  assujetttr  (Ead.  II,  425  ebensg 


222  A.  Baa^e, 

II,  499  und  sonst).  Je  ne  me  suis  pas  laissee  tromper  (Ead.  IV,  485). 
Ceux  gut  se souviennent  de  les  avoir  eniendues  raconter  ä  leurs  peres 
(Ead.,  II,  484).  Ceite  admiräble  Venus  .  .  .  gu'il  avait  toujours  crue 
VkHre  que  Veffei  d^une  helle  Imagination  (Ead.,  II,  512).  11  paraissait  sur 
son  visage  une  emotion  de  joie,  quHls  ne  lui  avaient  famais  vue  avoir 
pour  personne  (Ead.  II,  207).  La  faiblesse  que  je  vous  ai  tant  entendue 
condamner  (Ead.,  III,  117). 

Ganz  besonders  ist  dies  für  die  Verba  der  Bewegung,  speziell 
venir,  hervorzuheben.  Nicht  nur  werden  dieselben,  wenn  sie  in  einer 
zusammengesetzten  Zeit  vor  einem  Infinitiv  stehen,  im  Pajrtiz.  mit  dem 
Subjekt  nicht  übereinstimmend  betroffen,  (§  94,  a),  sondern  das  vor 
dieselben  tretende  Objektspronomen  des  Infinitivs  veranlasst,  dass  das 
Partizipium  sich  nach  ihm  richtet,  wie  Le  roi  accompagne  de  phisieurs 
des  siens  Fe'tait  venue  prendre  dans  sa  chambre  (M"®  de  Send.  II, 
289).  Le  prince  ArtOne  .  .  .  Vetant  venue  voir,  la  conversation  fui  etc. 
(Ead.,  III,  56).  Nous  lui  demandämes  s'ü  ne  savaii  point  si  quelqu*nne 
de  ses  amies  Fetaient  venue  prendre  (Ead.,  IV,  323,  auch  LEI,  425.  IV, 
485  und  sonst).  So  ist  auch  kein  Druckfehler,  wie  Hellgrewe  S.  29 
meint,  bei  Scarr.  im  R.  C.  Enfin  plusieurs  demoiselles  richement  pare'es 
les  ätant  venus  voir,  chacune  un  flambeau  ä  la  main,  wie  die  Ausgabe 
von  1651  den  Satz  gibt,  w'ährend  die  von  1657  venu  liest. 

Das  Partizipium  von  ü  y  a  richtet  sich  nach  dem  vorhergehenden 
Akkusativ  (§92  Anm.  2,  4)  auch  Cette  grande  difference  de  moeurs  et 
de  faqon  de  vivre  qu*il  y  a  eue  enire  la  cour  de  David  et  celle  de  nos 
rois  (Racan,  Vorrede  zu  den  Psalmen).  Nicht  ganz  sicher  ist  Von 
savait  qu'il  ne  faisait  plus  bätir  ä  Clarie;  que  les  peintres  et  les  sculpteurs 
q\£ü  y  avait  eus  si  longtemps,  n*y  e'taient  pltis  (M^®  de  Scud.  II,  545), 
doch  scheint  es  nicht  gut  angängig,  das  il  in  il  y  avait  persönlich 
zu  fassen,  da  dies  nicht  gut  französisch  wäre. 

Es  mögen  noch  erwähnt  werden  Et  ce  de'part ...  Joint  une  autre 
raison  .  .  .  M'ohlige  ä  ce  fächeux  mais  important  dessein  (Rotrou),  sowie 
zu  §  94  Anm.  Et  toujours  parmi  vous  conserve  cherement,  Tes  ans  se 
passeront  assez  utHement  (Rotrou).  La  meüleure  partie  de  ma  vie  s'est 
passee  eloigne  de  ce  que  j'aimms  (M"*  de  Scud.,  III,  59). 

Von  den  Adverbien  der  Zeit  (§  96)  ist  souventes  fois 
in  den  Dichtungen  Scarron's  wiederholt  zu  finden,  z.  B.  Le  sort .  .  .  qui 
toujours,  du  moins  souventes  fois,  Fait  et  de  faxt,  sans  raison  et  sans 
choix  (Po 6s.).  Et  moi  buvant  aussi  souvente  fois  je  songe  .  .  .  Que  etc. 
(Com.).  Votre  main  au  hras potele  M'a  souvente  fois  r egale  (Virg.  1.  VI). 

ja  kommt  auch  noch  in  Scarron's  Virg.  vor :  11  avait  ja  mis  hos 
un  flegme  (1.  IV). 

longuement  kommt  auch  im  ernsten  Stil  noch  vor,  z.  B.  Rodolphe 
.  .  .  j^etenu  longuement  sur  les  bords  du  tombeau  (Chapel).  Auch  sonst 
ist  es  häufig,  z.  B.  11  vous  eüt  mis  au  point  de  jeüner  longuement 
(Rotrou).  Tu  me  tiens  longuement  (Id.).  Dejä  trop  longuement 
la  paresse  me  flatie  (Thäoph.). 

ore,  ores  ist  bei  Th^oph.  noch  sehr  gewöhnlich,  z.  B.  Tu  dis 
m^ai,  ta  raison  me  rend  ores  confus.  La  bite  .  .  .  Ayant  eteint  sa  soif, 
ores  s'en  est  aUee.  Recherche  en  tes  desirs,  ores  si  refroidis,  Si  etc. 
Auch  oft  oreS'Ores,  z.  B.  Ces  fosses,  en  divers  end^-oits,  Sont  ores  larges, 
or^etroits,  Ores  faime  la  ville,  ores  la  solitude,  Tantot  la  promenade, 
et  tantot  mon  e'tuae.    Or* ensemble,  ores  disperses,  lls  brillent  eic, 

pendant  findet  sich  adverbial  Cela  n*est  pas  sans  doute ,  il  faut 
iout  ä  loisir  Y  pens^r  mürement,  et  pendant  se  saisir  Du  devin  et  de  lui 
(Racan,  Bergeries),  (s.  Litträ  s.  v.  Eist.). 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVll.  Jahrhunderts,     223 

premierement  „zuvor"  kann  noch  durch  mehrere  Stellen  belegt 
werden,  z.  B,  11  ne  m'attaque  point  sans  jeter  premierement  &s 
nuages  au-devant  de  tä  plus  claire  verite  (Thdoph.,  und  so  oft  bei  diesem 
Autor).  11  fant  que  je  te  detache  premierement  des  plaisirs  du  corps 
pour  te  porter  aux  plaisirs  de  fesprit  (Desmar.).  11  essaya premierement 
de  monter  de  front  avec  les  deux  comediennes,  ce  qui  s*etant  trouvd 
impossible,  la  Caverne  se  mit  etc.  (Scarr.,  B.  C).  Auch  adverbiales 
Premier,  das  sonst  nur  in  der  Verbindung  pr emier  que  erscheint  (§  138), 
tritt  auf:  JJn  esclave  peut-il  de'livrer  des  liens  Son  ami,  si  premier  ü 
n*a  brise  lef  siens?  (Rotrou).  fllj  n'eüt  pas  rendu  täme  .  .  .  Si  Vamour 
n'eüt  premier  etouffe  sa  raison  (Id.).  Je  ne  veux  point  mourir,  que 
premier  Ü  ne  menre  (Desmar.). 

puis  apres  ist  bei  Scarr.  unendlich  häufig,  im  Virg.  fast  auf 
jeder  Seite,  auch  sonst  ist  es  noch  in  der  Prosa  zu  finden,  z.  B.  Je  te 
ftfrai  savoir  puis  apres  camme  je  suis  entre  etc.  (Desmar.,  Dölices). 

Die  Ortsadverbien  illec  und  le'ans  kommen  noch  bei  Scarron 
vor,  so  Mais  Maron  dit  qu*un  grand  gouffre  Exhale  illec  un  air  de 
soufre  (Virg.  1.  VI).  Un  prevSt  nous  a  pris,  et  nous  a  mis  leans 
(Com.).     On  nous  eüt  fait  mettre  le'ans  (Virg.  1.  I). 

Unter  den  Adverbien  der  Aussage  (§  97)  ist  voirement  noch. 
zu  finden  C^est  un  fat  voirement,  et  Pascal  en  est  deux  (Scarr.,  D. 
Japhet  d'Arm^nie  IV,  3);  Voire  ist  sonst  =  vraiment  noch  mitunter 
zu  lesen,  wie  Combien  de  fois  le  plus  homme  de  bien  succombe-t-U  en  ces 
combats.  voire  qui  jamais  en  ce  monde  en  a  ete  pleinement  victorieux 
que  le  ßs  e'ternel  de  ßieu?  (Th^oph.).  Tenez  bien  quelque  temps.  —  Voire 
qui  lepourrait  (Scarr.,  Com.).  Ein  ganz  analoges  Beispiel  bei  Hellgrewe 
S.  30.  Für  voire  =  mime  brauchen  die  Beispiele  nicht  gehäuft  zu 
werden. 

si  beim  Hilfsverbum  oder  verbum  vicarium  faire  beobachtete 
ich  noch:  life  le  crois-tu  point  comme  cela?  —  Si  fais  (Th^oph.).  N'y 
a-t-il  point  quelque  chose  contraire  ä  la  vie?  —  lyy  a  (Id.).  Alars  le 
conducteur  repartit  que  .  .  .  quand  nous  le  saurions,  nous  n'y  avions 
aucun  interit.  Jlors  je  m'avani^i ...  et  je  lui  dis:  Si  ai  bien,  moi  fy 
en  ai  (Scarr.,  B.  C.  III).  Ebenso  in  der  indirekten  Rede  Ce  qui  affligea 
fort  le  petit  homme  qui  fut  un  peu  console  quand  Ange'liqne  dit  que  si 
feroit  bien  eile  (Ibid.). 

Adverbiales  si,  auf  einen  ganzen  Satz  hinweisend,  kommt  noch 
bei  sembler  vor:  11  n'y  a  rien,  si  me  semble,  fui  ne  puisse  legitimement 
eeder  ä  nos  fantaisies  et  ä  nos  opinions  (Th^&ph.).  Ebenso  .erscheint 
auch  noch  aussi  bei  itre  und  fau'e,  wo  es  im  Altfrz.  unendlich  häufig 
wie  si  vorkam  (Tobler  V.  B.  S.  87),  Mes  Chevaliers  et  mes  pions  sont 
vaiäants;  aussi  sont  les  vötres  (Scarr.,  Virg.  VIII).  Le  vieü  Jphitus  .  .  . 
Fut  lors  preserve  de  la  touche,  Aussi  fut  Pelias  le  bon  (Ibid.,  L  II). 
Aussi  ferai-je  en  bonne  foi  (Ibid.). 

Zu  den  Adverbien  der  Quantität  ist  das  bei  Scarron  noch 
vorkommende  prou  (§  98,  5)  zu  notieren;  Quand  Fun  mange  tf'op  fort, 
les  cinq  autres  enlevent  Ce  qu'il  a  devant  lui,  le  pillent  et  s'en  cr^veni: 
S'entend  alors  qu^ils  ont  prou  de  quoi  se  crever,  Car  souvent  ce  n'esi 
pas  conp  sür  que  d'en  trouver  (Com.).  Le  sommeü  .  .  .  Qui  fait  quelque- 
fois  prou  de  bien  (Virg.,  1.  V). 

§  98,  8  Anm.  8 :  (11)  m'obligera  .  .  .  a  continuer  de  Fappeler  ainsi 
dans  la  plupart  de  ce  räcit  (M^^*  de  Scud.). 

Guh'e  im  positiven  Sinne  ist  §  98,  11  durch  zwei  Beispiele  be- 
legt, von  welchen  das  zweite  nach  Littr^  s.  v.  1^  nicht  zutreffen  würde, 
unid  in  der  That  könnte  dasselbe  durch  unzweifelhafte  Stellea  eraetzt 


224  J.  Haase, 

werden,  nämlich  solche,  in  denen  puere  neben  ne-pas  und  non  auftritt, 
wie  La  necessite  nous  coniraignit  ae  represeniei*  pour  gagner  notre  vie, 
bien  que  notre  iroupe  ne  füt  pas  guere  bonne  (Sc&tt.^  R.  C.  III,  eh.  8). 
£i  je  ne  Ven  vois  pas  guere  moins  rejotUe  (Scarr.,  D.  Japhet  d'Armönie 
III,  3).  On  otät  dans  la  chambre  haute  des  hurlements  non  guhre 
differents  de  ceux  que  faxt  un  pourcean  qu'on  egorge  (Scarr.,  R.  C.,  II, 
c.  7.)  Ebenso  in  der  indirekten  Frage  Dites-moi  si  cette  histoire  est 
encore  guere  longue  (Scarr.,  R.  C.  III,  c.  8).  Auch  nach  sans  scheint 
mir  heute  guere  nicht  mehr  statthaft,  vgl.  Quelque  secrete  cause  qui  me 
faisait  agir,  sans  y  faire  pourtant  guere  de  reflexion  (Ibict.),  da  beau- 
coup  doch  viel  natürlicher  ist.  Statt  //  ne  regardait  avec  guere 
moins  de  Jalousie  tous  ceux  qui  demeuraient  aupres  a^  sa  personne  (&"•  de 
Scud.  III,  646  und  sonst  offc  genug)  würde  man  heute  ne  regardait 
guere  avec  moins  de  etc.  sagen. 

Die  Negation  non  vor  dem  verbum  vicarium  (§  99,  a):  llpensait 
Voir  deux  Thebes,  et  non  faisait  (Scarr.,  Virg.  1.  IV).  Non  ferai 
pas  moi,  reprit  Polycrate,  en  regardant  Alcidamie,  car  Je  stiis  persuade 
etc.  (M"*  de  Scud.,  III,  257),  wo  zwischen  ferai  und  pas  ein  Komma 
zu  setzen  sein  wird,  so  dass  pas  moi  zusammengehörte,  wie  auch  wir 
sagen:  „Das  thue  ich  nicht,  ich  nicht."  Freilich  findet  sich  gerade  in 
diesem  Falle  früher'  auch  non- pas.  z.  B.  im  XVI.  Jahrhundert  noch 
non  est  pas,  es  könnte  also  auch  hier  pas  zu  non  ferai  gezogen  werden 
und  pas  dem  non  zur  Verstärkung  beigegeben  sein,  wie  man  ja  auch 
heute  durch  non  pas  ein  einzelnes  Wort  negiert. 

Pas  und  point  in  der  indirekten  Frage  mit  si  (§  101,  b)  ist  bei 
Rotrou  noch  unendlich  oft  zu  finden,  vgl.  nur  Voyez  si  fai  pas  lien 
de  fattendre  ce  soir.  Jttgez  si  Fassemblee  Par  cet  etonnement  doit  pas 
itre  trouble'e.    N*app?'enez  que  de  lui  si  Je  suis  pas  la  mime. 

Point  ohne  ne  (§  101,  c)  habe  ich  nur  noch  gefunden  Vesperance 
me  confond  point,  Mes  maux  ont  trop  de  vehemence,  Mes  travaux  sont 
au  dernier  point:  llfaut  que  mon  repos  commence  (Th^oph.). 

Dass  onc  in  Scarron's  Virg.  noch  sehr  oft  vorkommt,  mag  zu 
Anm.  2  angemerkt  werden.  Ne  —  du  tont  point  =  ne  —  point  du  tout 
(Anm.  4) :  A  Fheure  mime  on  nCaccommode  .  .  .  üne  cuirasse  ä  mon  pour 
point  Qui  ne  paratira  du  tout  point  (Scarr.  Com.).  Eüe  fie  souhaitait 
du  tout  point  sa  mort  (Id.,  R.  C.  III). 

Pas,  point  sind  noch  in  anderen  Fällen  als  den  §  102  erwähnten 
dem  ne  abweichend  vom  heutigen  Gebrauch  hinzugefügt,  so  nach 
empScher,  eviter,  il  ne  Hent  pas  a,  prendre  garde  in  dem  mit  que  ein- 
geleiteten Nebensatze,  wie  Jl  ne  songea  donc  plus  qtCä  empicner  que 
ses  noces  ne  fussent  point  troubldes  (Scarr.,  Nouv.).  Ses  parents 
eurent  assez  de  credit  pour  emp icher  qu*on  tie  lui  ßt  pas  son  proces 
(Ibid.).  Je  vous  supplie  de  vouloir  empicher  que  Fincomparable  Amestris 
.  .  .  ne  re^oive  pas  ce  de'plaisir-la  (M^^*  de  Scud.,  III,  304).  Je  viens 
avec  le  dessein  a empicher  en  effet  qu*il  ne  la  revoie  pas  (Ead.).  II 
fallait  le  fah^e  enterrer  secretement,  pour  eviter  que  la  Justice  VLy  mit 
pas  la  main  (Scarr.,  R.  C.  III).  11  ne  tiendrait  qu'ä  moi  que  Je  ne  fusse 
aussi  heureuse  que  faurais  ete  en  Espagne,  comme  il  ne  tiendrait 
pas  ä  toi  que  Je  nfeusse  point  ä  y  regretter  D.  Carlos  (Scarr.,  R.  C). 
11  n*a  pas  tenu  ä  moi...  que  Je  ne  me  suis  pas  battu  contre 
Megabise  (M^^*  de  Scud.).  //  n'a  pas  tenu  ä  moi,  seigneur,  que  ce 
malheur  ne  vous  soit  pas  arrive  (Ead.,  II,  407).  (lls)  nous  quitterent, 
nous  recommandant  de  bien  prendre  garde  qu*on  ne  les  surpnt  point 
(Scarr.,  R.  C).  Ferner  findet  sich  ne  —  pas  plus  =  ne  —  plus:  Cette 
derniere  pensee  acheva  de  lui  faire  prendre  la  re'solution  de  ne  perdr^ 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVII.  Jahrhunderts.      225 

pas  plus  un  seul  moment  (M"*  de  Send.).  Den  §  102,  e  angeführten 
Stellen  füge  ich  hinzu  11  y  avait  bien  alors  deux  jours  que  nous 
n'avions  point  vu  le  prince  Mazare  (M^^*  de  Scud.,  II,  390). 

Die  Negiv^ion  in  dem  abhängigen  Satze  mit  que  nach  den  §  108,  c 
gegebenen  Ausdrücken  ist  noch  recht  oft  anzatreffen,  doch  brauchen 
zu  fast  allen  Ausdrücken   die  Beispiele  nicht  vermehrt  zu  werden;   es 
mag  nur  erwähnt  werden,  dass  nach  defendre  auch  bei  dem  von  diesem 
abhängigen   Infinitiv   die   Negation   auftritt,    wie   La  bonne  deesse  .  .  . 
s'apparaissait  fort  souvent  ä  eUe  et  lui  defendait  de  n^en  epouser  point 
gut  ne  füt  de  son  pays  et  de  sa  race  (Racan),    und  angereiht  werden 
Je  petille  que  je  ne  fasse  Sur  queique  beäe  et  large  face  Des  balafres 
de  ma  fagon  (Scarr.,    Virg.).     Mais    Wermond  .  .  .   Desespere  en  son 
cceur  que  Von  n'y  reme'die  (Send.,  Alaric).     Nur  die  Klasse  der  Aus- 
drücke, nach  welchen  die  Negation  analog  dem  Gebrauch  nach  ne  pas 
douier  (nier/  que  erscheint,  ist  noch  grösser.    Hellgrewe  S.  83  gibt  zwei 
Stellen   mit  ne  pas  avoir  la  moindre  de'fiance  que  —  ne  und  ne  pas 
de'savouer  que  —  ne.  Hinzuzufügen  sind  Je  ne  me  puis  öter  de  Vesprii 
que  ce  ne  soit  lui-mime  (Scarr.,  R.  C).    Eile  ne  pouvait  croire  que  je 
ne  fusse  le  Bas-Breton  qu'eüe  avait  vu,  ni  comprendre  pourquoi  j'avais 
plus  d^esprit  la  nuit  que  le  jour  (Scarr.,  R.  C.  c.  15,  er  sollte  für  diesen 
gelten,  aber  sie  wollte  es  nicht  glauben).    //  apprehendait  que  Mandane 
ne  s'imaginät  qu'un  sentiment  d'inte'rii  ne  Veüt  obligä  de  vCagir  pas 
fortement  en  cette  affaire  (M"«  de  Scud.).     Auch  findet  sich  dieses  ne 
nach   verneintem   croire ,   obgleich   die  Negation   desselben  durch  eine 
andere  aufgehoben  ist,  wie  //  n*y  a  personne  qui  ne  croie  que  cet 
Arlane  qui  s'etait  cache,  voyant  man  mattre  Messe  en  tant  de  lieux,  ne 
düt  se  tever  pour  aider  ä  celui  de  son  parti  qui  combattait  encore  .  .  . 
Cependant  il  iCen  aUa  pas  ainsi  (M^®  de  Scud.).    Ce  n'est  pas  que  .  .  . 
fV  ne  crüt  quelquefois  que  si  cet  illustre  rival  n*e'iait  plus,  il  ne  püt 
occuper  sa  place  (Ead.,  III,  523).  —  Zu  §  103,  d  ist  noch  zu  erwähnen, 
dass  nach  avoir  soupgon  nicht   selten  wie  die   Ausdrücke  der  Furcht 
behandelt  ist,  z.  B.  //  avait  pourtant  queique  leger  soup^on  que  le  roi 
d'Assyrie  n'eüt  fait  la  chose  (M"*  de  Scud.).     Dans  les  soup^ons  qu^il 
avait  qu'il  ne  füt  amoureux  de  Mandane  (Ead.). 

Bei  Scarr.  im  Virg.  fehlt  ne  vor  dem  Verbum  eines  vollständigen 
mit  ni  eingeleiteten  Satzes  (vgl.  §  104  Anm.  4),  was  in  der  früheren 
Zeit  vorkam,  vgl.  Mais  je  sais  bien  pour  le  certain  Que  ni  Cytheree  est 
ta  Mere,  Ni  feu  Dardanus  ton  grandpere  (1.  IV).  Car  ni  vin  orouillait 
sa  cervelle,  M  Bacchus  etait  avec  eUe  (1.  "VU). 

Die  Präposition  de  in  eigentlicher  lokaler  Bedeutung  (§  105,  a) 
ist  noch  öfter  zu  beobachten,  vgl.  Et  le  sang  que  säns  fruit  les  legions 
romaines  En  tant  d^occasions  OfU  puisä  de  ses  veines  (Rotrou).  DUme 
mime  source  ils  ont  puise  leur  sang  (Desmar.).  Ce  fleuve  prend  la 
spurce  d'une  montagne  d'Armenie  (M"®  de  Scud.).  Übertragen 
auf  die  Bezeichnung  des  Masses  =  „wie  weit"  findet  es  sich  lokal 
und  temporal  (§  106)  =  „wie  lange",  wo  dem  Neufrz.  der  Akkusativ 
angemessener  wäre,  z.  B.  Toi  qui  ne  Cas  jamais  abandonne  d^un  pas 
(Racan).  Que  je  p&rde  le  jour  si  je  vous  suis  d'un  pas  (Rotrou).  Je 
n^ai  souffert  que  d^un  jour  seulement  (Thöoph.).  Je  le  vois  en  trop 
belle  humeur  d^e'crire  pour  me  promettre  de  longtemps  ma  liberte  (Id. ), 
Le  pre'sent  ne  suivra  vos  voeux  que  d^un  instant  (Rotrou).  So  auch 
ohne  Negation  11  etait  retowme  sur  ses  pas  de  deux  grandes  Heues 
(Scarr.,  R.  C).  ATheure  quele  soleil  jaune  De  ja  de  la  longueur  d'une 
aune  Dorait  le  ciel  (Id.,  Virg.),  und  unendlich  häufig  temporal  in  Wen- 
dungen wie  diffdrer  d'un  jour  oder  auch   //  ne  fait  que  d'un  peu  son 

Zschr.  f.  tn.  Spr.  n.  Litt.    XIi.  ^^ 


226  A.  Baase, 

iriomphe  arrSter  (Ghapel),  wo  jedoch  de  aach  heute  als  Ausdrack  des 
MasBunterschiedes  sich  findet  (wie  lokal  auch  reculer  (Tun  pas  u.  ä.), 
obwohl  dasselbe  nicht  so  häufig  sich  zeigen  wird,  wie  es  früher  vor- 
kam. Ebenso  koinmt  de  lokal  und  temporal  vor  in  Fällen,  wo  die 
neuere  Sprache  ä  (resp.  en,  dans)  auf  die  Frage  „wo*'  verwendet,  z.  B. 
Les  demaiseües  en  faisaient  de  si  arands  e'clats,  qu^on  lex  entendaii  de 
Vautre  baut  de  ta  rue  (Scarr.,  K.  C.  III).  D*une  distance  egale 
ils  ehignent  la  terre  (Scud.,  Alaric).  Du  commencement  eUe  sot^raü 
setäement  sa  recherche  .  . .,  mais  efißn  eUe  s'y  engagea  (Racan).  EUes 
crureni  du  commencement  que  leurs  larmes  fa^aieni  passer  Taffaxre 
par  accommodemeni  (Scarr.,  Nouv.).  Ei  nofts  la  pourrons  e'iouffer,  £^ 
du  mSme  iemps  nous  ehauffer  (Scarr.,  Virg.).  Chaque  corps  d'un 
temps  m^me  aitx  murailles  s'elance  (Ghapel.).  Tous  monteni  d^un 
iemps  mime  ei  d'une  mime  ardewr  (Id.).  Qui  saii,  disaü-il,  si  de 
Vheure  que  je  varle,  eile  ne  prie  paint  pour  man  rival?  (M"*  de  Scud.). 

Von  den  9  105,  b  angeführten  Verben  ist  s*in former  de  q.  de  qc, 
(si)  oft  zu  finden,  öfters  auch  arriver  de  q,,  z.  B.  Cle'ante,  arriva  toui 
effray^  du  malheur  qui  venait  d^ arriver  d^un  her g er,  qui  par  desespoir 
s'etait  precipiie  dans  la  riviere  (Racan).  (II  eiait)  fort  en  peine  de  ce 
qui  arriverait  de  lui  (Scarr.,  R.  C),  auch  noch  das  bereits  seltene 
s^atiier  de,  vgl.  Quand  il  s^ est  allie  de  noire  humanite,  N^a-i-ü  pas 
de  son  sang  siane  notre  aUiance?  (Racan),  und  se  revolier  de  q.,  wie 
Ils  s' ^taient  ae  ioi  revoltäs  (Racan).  Hinzuzufügen  sind  se  desoblige?* 
de  qc,  Il  se  desohlige  de  famiiie  et  du  respect  qu^on  Im  veut  rendre 
(Th^oph.);  eclipser  qc.  de  q.,  N'eclipse  poini  de  nous  ies  gräces  ^er- 
nelles  (Racan),  sottffrir  de  q,,  On  souffre  d'un  jaUmcc,  ü  a  droit  de  se 
plaindre  (Rotrou),  se  salisfaire  de  q.,  Et  de  ton  assassin  et  de  ton 
subomeur  Je  saurai  par  mon  bras  si  bien  me  satis faire  Que  etc. 
(Scarr.,  Com.),  oublier  de  q.,  Vous  devez  ouhlier  de  moi  jusqu^ä  mon 
nom  (Rotrou),  remporter  la  victoire  de  q.,  La  ghire  D'avoir  des  enne- 
mis  remporte'  la  victoire  (Racan). 

de  =  neufrz.  que  nach  dem  Komparativ  (§  105,  c)  ist  nur  oft 
nach  mSme  beobachtet,  dasselbe  liegt  auch  vor  En  rang,  comme  en 
beaute,  d* Argine  la  seconde  (Desmar.,  Clovis).  Anders  zu  fassen 
scheint  dieses  de  beim  Infinitiv  De  manquer  ä  ma  foi  faimerais  mieux 
mourir  (Racan),  denn  der  Infinitiv  kann  mit  de  nach  dem  Gebrauch 
der  damaligen  Zeit  absolut  vorangestellt  sein. 

participer  ä  qc.  statt  de  (§  105  Anm.  1)  findet  sich  Ceci  ou  cela 
se  fait  par  la  parüdpation  de  tessence  qui  lui  est  propre  ä  laquelle 
il  parlicipe  (Th^oph.).  Apres  qu^il  lui  eureni  acoorde'  que  chacune 
des  especes  est  quelque  chose,  et  que  ce  qui  leur  participe  prend  d^elles 
sa  denomination,  il  se  mit  etc.  (Id.). 

Zu  §  107  füge  ich  nur  einige  Beispiele  hinzu,  wie  Le  ät  t^est 
de  besoin  (Rotrou).  //  nous  est  de  b esoin  (Id.).  (11)  la  presenta  au 
rot,  quoigu^ü  vüen  füt  nuUement  de  besoin  (Scarr.).  Et  n'eussions 
point  eu  de  besoin  d^autres  demeures  que  de  celies  etc.  (Racan).  Qu'est-ce 
qu'un  amant  doit  trouver  d'impossible?  (Rotrou).  Qui  juge  rien  de 
ferme  au  monde,  vHa  point  d^yeux  (Id.).  Lui  qui  fait  tant  du  subtil 
(Thöoph.).  J^ai  faii  du  sou verain  (Rotrou).  Va  chez  les  ennemis 
faire  de  la  Celeste  (Chapel.).  Elle  avait  bien  fait  de  la  mere  afßigee 
(Scarr.,  R.  C).  La  Seine  enfin  ne  fut  jamais  si  fiere.  Et  ne  fit  tant  de 
la  grosse  riviere  (Id.,  Poäs.).  Le  prince  de  Salerne  y  aila  faisani 
autant  de  l*empechd  que  s*il  eüt  e'ie  question  etc.  (Id.,  Nouv.,  und  so 
unendlich  oft  bei  diesem  Autor). 

Auch  de  ce  que  (§  108)  mag  noch  durch   wenige  Beispiele  ver- 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVII.  Jahrhunderts,     227 

mehrt  werden,  wie  C^est  grand  dommage  de  ce  qu*eUe  est  plus  sage 
que  Salomon  (Scarr.,  Lettres).  Le  senUmeni  qui  me  iowniieniait  le  pms 
etait  de  ce  qu*  Alcionide  etait  posse'de'e  par  un  komme  que  etc.  (M"*  de 
(Scud.).  Ce  qui  est  cause  peui-itre  de  ce  que  je  suis  passable  come'dien 
(Scarr.,  B.  C.).  Vbus  n^y  trouverez  rien  digne  d'admiraiion  que  de  ce 
qu*un  travaü  de  si  longue  haieine  a  ele  etUrepris  par  un  homme  de 
man  meiier  (Racan).  Lagreahle  Inezüle  acheva  de  lire  sa  nouveUe  ei 
fit  regreiter  ä  ious  se  ,auditeurs  de  ce  qu'eüe  n^ etait  pas  plus  longue 
(Scarr.,  B.  C).  Et  la  croyant  cruelle,  Par  la  seule  raison  de  ce  qu^eüe 
etait  belle  (Id.,  Com.). 

Kausales  de  in  der  §  109  berührten  Verwendung  vgl.  noch  Je 
vais  composer  de  ireve  avec  mes  douleurs  (Botrou).  //  a  conjure 
les  siens  ß'une  paix  gen&raU  avec  les  Porciens  (Id).  Lorsque  Dieu 
nous  Visite,  il  en  est  invite  Par  sa  seule  equite  (Bacan).  //  conserve 
pour  nous  FaUianee  ifnmortelle,  Pont  il  s'est  oblige  par  des  voßux 
solennels  (Id.).  Et  s'obstiner  encore  P'un  amour  qui  le  perdi 
(Thäoph.). 

Zu  §  111  vgl.  Rien  ne  pouvait  vous  former  une  aversion  de 
moi  comme  la  qualite  d^impie  (Th^oph.).  Je  vous  donnerais  tant  d'hor- 
reur  de  votre  haine  que  etc.  (Id.).  Vous  avez  de  la  compassion  de 
mes  maux  (M^^*  de  Scud.),  und  zur  Anm.  ibid.  vgl.  Et  tout  ä  votre 
occasion,  De  vous  qui  renversez  les  lais  de  la  nature  (Botrou). 

Beim  Infinitiv  erscheint  rf^  (§  112, 1)  nach  parattre,  wie  Madame, 
un  cavalie?;  ou  qui  parait  de  titre  (Scarr.,  Com.).  Ils  rattraperent 
cet  homme  qui  ne  repondit  qu^en  termes  confus  aux  interrogations  que  la 
Rapinihre  lui  fit,  mais  qui  ne  parut  point  de  tHre,  au  contraire,  il  se 
mit  ä  rire  (Id.,  B.  C,  III),  nach  daigner  und  jurei*  (eine  Aussage  be- 
schwören) bei  Botrou  (Sölter  S.  55  u.  58).  Die  Beispiele  sind  nur  zu 
avouer  zu  vermehren,  vgl.  J^avoürai  donc  inge'nument  P*avoir  oublie 
lourdement  L*action  la  plus  h&otque  (Scarr.,  Po^s,).  J'avouerai  donc 
de  ne  les  pas  connattre  (Id.,  Com.),  und  il  fait  bon,  z.  B.  //  ne  faisait 
pas  bon  de  se  frotter  avec  nous  (Scarr.,  B.  C,  III). 

Statt  des  neufrz.  ä  findet  sich  ele  noch  (§  112,  2)  Ce  qui  est 
ridicule  de  dire  (Desmar.,  D^lices).  Ce  qui  n'est  pas  ais^  d'entendre 
Sans  quelque  sentiment  de  colere  (M"«  de  Scud.,  II,  588).  Ce  qui  ne 
serait  pas  si  aise  d^obtenir  d'elle  (Ead.,  111,  256),  Sölter  zitiert  aus 
Botrou  (S.  40)  Ce  genre  d*e'C7Hiure,  ä  qui  tu  peux  vanter  La  tienne  assez 
conforme,  est  aisä  d'imiter.  Ferner  Le  ne  suis  pas  d^humeur  d^Stre 
tant  maltraite  (Botrou).  //  etait  homme  ä  prendre  son  plaisir  partout 
oü  il  le  trouve,  mSme  de  le  chercher  aux  ddpens  de  sa  reputation  (Scarr., 
B.C.).  Ausserdem  nach  den  Verben:  autoriser:  (Ils)  vous  autorisaient 
d'en  rompre  le  lien  (Botrou).  Si  de  te  detrompe?^  je  suis  autorisee 
(Id.);  s'essayer:  Et  je  suis  en  fureur  quand  mon  discours  s^essaye  Pe 
ruiner  mon  maJheur  (Thäoph.);  s'evertner:  Ma  pauvre  äme  .  .  .  s*e' vertue 
De  sauver  un  peu  de  vigueur  (Th^oph.).  Ah!  quHnutilement  mon  esprit 
s'^e vertue  P*excite7'  la  vertu  (Botrou);  se  preparer:  Je  n*ai  qu*ä  me 
preparer  de  souffrir  tous  les  supplices  etc.  (M"*  de  Scud.,  III,  576); 
mouvoir:  Qui  te  meut  de  venir  troubler  notre  amitie?  (Th6oph.).  —  Die 
Beispiele  brauchen  nur  wenig  vermehrt  zu  werden,  so  Se  soumettant 
d'aller  apprendre  le  commencement  de  cette  histoire  au  rot  de  Phrygie 
(M"«  de  Scud.).  11  s'enhardit  hier  de  m'en  toucher  un  mot  (Botrou). 
Un  homme  .  .  .  s^aventura  de  me  tendre  les  pieges  (Thöoph.).  If*osant 
pas  songer  de  la  mener  ä  la  cour  de  la  reine  (M"®  de  Scud.).  —  Pe 
=  pou9\'  Ravi  .  .  .  d'avoir  ^te  assez  heureux  de  luirendre  quelque  peUt 
Service  (Scarr.,  B.  C,  111).    Toutes  les  cendres  dilion  N'ont  point  donne 


15 


*   » 


228  ^'  Haase, 

tont  de  maiiere  De  faire  des  pkuntes  aux  cieux  (Th^oph.).  Plus  eüe 
faii  d*effart  (Pen  ^branler  le  fmte.  Plus  etc.  (Racan). 

Zu  §  112,  4  vgl.  noch  Peuveni-üs  approuver  de  se  voir  en  ce 
point?  (Rotrou).  Ce  n'est  pas  prouver  a'avoir  combaitu  que  de  se 
vanier  de  rCHre  pcis  hlesse  (M"«  de  Scud.).  Ausserdem  avouer  q.  de 
faire  qc,  wie  Mais  quel  droit  Vavoue  De  retenir  au  ciel  les  ehoses 
qu'on  lui  voue?  (Rotrou).  Ei  quel  dieu  vous  avoue  d* abandonner  les 
fers?  (Id.).  Sehr  oft  begegnet  bei  Rotrou  douier  de  und  Infinitiv  = 
zweifeln  ob,  z.  B.  Je  doute  de  vi  vre  en  Täiat  oü  Je  suis.  Aimani  bien, 
vous  douiez  de  pouvoir  cajoler!  Je  doute  de  me  voir  si  pres  de 
mon  repos. 

De  zur  Bezeichnung  des  Mittels  (§  114)  kann  durch  einige  gute 
Beispiele  vermehrt  werden,  vgL  Cependant  Childeric,  d^un  coursier 
diligent,  Ayani  passe  la  Marne  . .  .  Touchait  etc.  (Desmar.).  Ils  viennent 
d'une  arme'e  assieger  nos  rctraites  (Chapcl.).  //  s*etait  sauve  avec  son 
habit  ä  la  turque  dont  il  pensaii  representer  le  Soliman  de  Mairet  (Scarr., 
R.  C).  Ferner  //  me  chaut  fort  peu  que  CAllemagne  se  noie  de  sang 
(Thöoph.).  S'ü  V empörte  sur  moi,  c*est  d*un  peu  d^apparence  (Rotrou). 
Reponds  d*un  peu  d^amour  ä  Cardem^  qui  m'enflamme  (Id.).  A-t-il  rt'fw 
de  vous  quelque  commandement  Dont  il  ait  murmure  du  penser  seule- 
ment?  (Id.).  Mais  de  quoi  peut-on  reconnmtre  Les  biens  qu'ü  nouft  fait 
chaque  jour?  (Racan).  Tout  le  soin  que  fy  prends  ne  profite  de  rien 
(Id.).  lovt  abonde  en  tout  temps  des  mens  que  tu  produts  (Id.).  Les 
yeux,  voulant  pleurer,  sont  de  larmes  steriles  (Chapel.). 

Zu  einigen  Fällen,  in  welchen  das  partitive  ^^  auftritt,  mögen 
auch  noch  Belege  gegeben  werden  (§  116,  c  u.  Anm.):  Quand  il  y  en  a 
deux  (femmes)  dans  une  maison,  il  y  en  a  une  irop  (Scarr.,  R.  C.  111). 
¥  ayani  deux  Cents  hommes  d^un  cote,  et  un  komme  moins  de  taaire 
(M"*  de  Scud.).  —  J'ai  irop  d*une  nuii  nourri  son  espe'rance  (Rotrou). 
La  peine  oü  je  me  trouve  est  d*avoir  irop  d*un  gendre  (Desmar.). 
Mandane  ayani  moins  d^une  couronne,  ne  paräiira  plus  etc.  (M^**  de 
Scud.).     Vous  demandez  irop  de  la  moiiie  (Ead.). 

Zahlreich  sind  die  Beispiele  zu  §  118,  vgl.  J'etais  aUe  Chez  un 
ami  manger  un  vied  de  boeuf  sale^  Oü  fai  trouve  d^un  aü  qui  seni  bien 
mieux  que  Vamore  (Scarr.,  Com.).  Comme  Tomyris  n'avait  que  d^une 
espece  de  sentiments  dans  tesprit,  eile  faisait  tout  servir  ä  son  dessein 
(M^^®  de  Send.).  II  y  a  pourtant  d'une  espece  de  aens  au  monde  dont 
pour  fordinaire  ious  les  plaisirs  consistent  etc.  (Ead.).  Celle  qtti  offrait 
le  sacrifice  .  .  .,  7nii  dans  ceite  cassolette  de  Fambre,  du  thym  (Ihimiane) 
...  et  de  plusieurs  autres  parfums  (Ead.).  Comme  d'autre  fois  en- 
d4)rmi  Confusement  je  Tavais  vue  (Scarr.,  Virg.).  Ce  serait  abaisser  sa 
valeur  ä  PextrSme  De  lui  vouloir  donner  d^autre  prix  que  soitmSme 
(Rotrou).  Et  si  d'autre  interii  n'e'meutvoire  colere,  Craignez  etc,  (Id.). 
Jamals  d'autre  que  moi  n'en  a  porie  le  nom  (Id.).  Je  ne  saurais  de 
ma  conduite  Me  fier  en  d* untre  qu*ä  ioi  (Racan).  Elle  pensait  ne 
pouvoir  jamais  vivre  heureuse  avec  d^auire  qu*avec  lui  (Id.).  Je  devrais 
tout  ä  votre  majesie  si  je  ne  devais  aussi  quelque  chose  ä  moi-mtme  que 
je  ne  puis  devoir  ä  d'auire  (Scarr.,  Nouv.).  Jamais  de  plus  diane 
prilresse  Pour  une  plus  digne  deesse  Plus  dignement  h*officia  (Id.,  Poes.). 
Ei  cet  astre  dem  se  füt  mnni  du  monde  Si  pour  cacher  sa  honte  il  avaii 
pu  trouver  D  assez  noire  demeure  aux  atümes  de  Ponde  (Racan). 
(Vgl.  Zischr.  Xi,  255.) 

Übrigens  ist  der  Gebrauch  des  partitiven  de  mit  dem  Artikel 
und  ohne  denselben  hinlänglich  durch  Beispiele  belegt,  nur  zu  §  119,  b 
und  Anm.  1  vgl.  noch  Si  mon  bonheur  n^ est  f aux,  que  vous  dois-je  des 


g 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XV  11.  Jahrhunderts,      229 

viBux!  (Rotrou).  A-t-ü  jnäsä  iani  d*eau  que  jadis  ton  courraux  T'a  fait 
iirer  du  sang  du  sein  de  son  dpoux?  (Id.).  11  etait  bien  en  peine  de 
savair  si  la  femme  de  Tope'rateur  avait  heaucoup  de  Vesprit  (Scarr., 
R.  C,  zitiert  von  Hellgrewe  S.  S7).  —  We  renferma  sans  lui  laisser 
de  la  lumiere  (Ibid.).  Vavare  däsir  . . .  Lui  fait  perdre  le  jowr  sans 
gagner  des  tresors  (Send.).  EUle  connaissait  sa  heaute  sans  avoir  de 
rorgueil  (M"«  de  Scud.). 

Die  Präposition  ä  in  lokaler  Bedeutung  (§  120)  vgl.  11  dit 
u'une  demoiselie  de  ses  amies  lui  voulait  dire  un  mot  ä  la  rue  (Scarr., 
L  C.  lÜ).  Je  vis  ce  mime  prince  ä  un  halcon  (M""  de  Scud.).  (11)  la 
voit  tous  les  jours  ,  , ,  ou  aans  les  e'glises  ou  ä  son  balcon  (Scarr.,  R.  C). 
l\i  ne  te  mettras  pas  ä  la  tite  que  faille  heaucoup  importuner  etc. 
(Id.,  Nouv.).  —  (11)  criait  comme  un  demoniaque  .  .  .  et  croyant  de 
pouvoir  passer  au  cote  droit  etc.  (Id.,  R.  G.  III).  Nous  trouvämes  des 
chevaux  ä  Vauire  cote  du  fleuve  (M"*  de  Scud.).  //  porte  ä  ce  cote 
le  chätiment  de  tous  (Pepee)  (Rotrou).  Je  me  remets  aux  yeux  Les 
justes  jugements  des  hommes  et  des  dieux  (Th^oph.).  (II)  fait  paraitre 
ä  ses  yeux  les  deux  indignes  rois  (Desmai-.).  Votre  sang  qu*un  rival 
r^pandü  ä  ses  yeux  (Scarr.,  Com.).  (Ils)  se  montrent  en  tous  Heux 
Pun  ä  Pautre  voisins  (Chapel.).  Leur  habitation  en  Vautre  monde  sera 
quelqtie  chose  d^approchant  ä  ce  que  je  vous  enai  discouru  {Th^o-ph.). 
Je  jurerais  bien  qu'arrivant  ä  VAm^rique,  oü  mon  chien  de  destin  me 
mene,  fentendrai  parier  (Scarr.,  Lettr.).  Als  besonders  beachtenswert 
ist  hervorzuheben  EMe  peut  epouser  celui  de  ses  amants  A  qui  de  son 
amour  eile  a  ces  nuits  pass^es  (Rotrou). 

In  der  Übertragung  ist  ä  (§  121)  auch  noch  in  einigen  Stellen 
notiert,  welche  der  Aufzeichnung  wert  scheinen;  so  erscheint  dasselbe 
=  de  zum  Ausdruck  des  possessiven  Verhältnisses  (Anm.  S)  Mais  quel 
ecrit  trouve''je  sous  mes  pas?  D*une  vieiäe  suivante  ä  ce  Lope  de 
Lune,  Dont  la  seule  valeur  egale  Tinfortune  (Rotrou,  Don  Bernard  de 
Cabröre  V,  8).  La  fille  ä  Jean  Vincent,  Le  coUectettr  du  bourg,  seule 
en  vaut  plus  d^un  cent  (Scarr.,  D.  Japhet  d'Armänie  II,  l).  0  vous,  qui 
paraissez  en  peine  Du  nom  de  la  bSte  ä  Sildne  (Id.,  Typh.).  C etait 
Pile  ä  dame  Circ^  (Id.,  Virg.  1.  VII).  Aux  connaisseurs  cela  fit  dire 
Qu'eUe  aurait  un  fort  grand  empire,  La  fille  au  noble  roi  Latin  (Ibid.). 
Femer  La  presomption  qtCen  pareiües  enireprises  on  soupqonne  ordinatrC' 
ment  aux  personnes  de  mon  äge  (Thäoph.).  Est-il  posstble  que  vous 
ayez  dormi  ä  repos  dans  une  affliction  si  re'cente?  (id.).  Ses  troupes 
ä  pleine  licence  Venaient  fouler  votre  inttocence  (Id.).  ün  proces  qtti 
m'attaque  ä  Vhonneur  et  ä  la  vie  (Id.),  und  so  noch  oft  für  dans, 
resp.  en  (§  121,  a),  ebenso  für  avec  und  pour  (§  121,  a,  f),  z.  B.  Vous 
lui  feriez  grand  tort  de  Vamvser  ä  vous  (Racan),  [u.  =  de:  A  quoi 
se  peut  ton  äme  entretenir?  (Theoph.)].  //  brülait  aux  attraits  dPune 
simple  bergere  (Rotrou).  Votre  zhle  ä  mon  salut  (Thöoph.).  Elle  n^eut 
point  de  rdpugnance  ä  ce  que  lui  proposa  Victoria  (Scarr.,  R.  C). 
Auch  zu  den  Anm.  1  berührten  Einzelheiten  lassen  sich  noch  anführen: 
Le  phüosophe  qui  avait  si  bien  Studie  ä  la  sagesse  tonte  sa  vie,  se 
trouverait  etc.  (Theoph.).  Tu  n'auras  plus  ä  qui  te  courroucer  (Id.). 
Ebenso  Ils  se  de'piteni  ä  moi  ei  me  disent  des  injures  (Id.).  Das 
temporale  ä  (§  122)  ist  in  den  Wendungen  ä  ce  matin,  ä  ce  soir,  ä 
ce  Jour  ungemein  h&ufig,  z.  B.  Mes  juges  veulent  que  je  parte  ä  ce  soir 
(Theoph.).  J*ai  fait  ä  ce  matin  ces  vers  tout  dune  haieine  (Id.).  De 
quelle  humeur  je  me  trouve  ä  ce  jour!  (Rotrou),  und  sogar  Je  veux  des 
ä  ce  soir  en  commencer  la  fite  (Racan).  A  ce  coup  ist  sehr  häufig, 
auch  ä  Pheure  =  sur  Pheure  ist  nicht  selten,  z.B.  A  Theure  les  Helfreux 


230  A.  Baase, 

rassurtreni  lears  craintes  (Racan).  Elle  avaii  des  amis  ä  Ecbaiane,  qtä 
J^en  avertirent  ä  Vheure  mime  (M"®  de  Scud.).  Je  vous  supplie  tres 
humblement  de  lui  ordonner  donc  de  me  le  rendre  ä  r heure  mime  (Ead., 
und  sehr  oft  im  Grand  Cyms).  Ebenso  mit  vorangestelltem  mime: 
Qu'ü  ne  falkui  que  le  faire  savoir  ä  la  troupe  ei  en  obtenir  la  faveur 
de  Vassociation,  ce  quü de'sirait  faire  ä  la  mime  heure  (Scarr.,  R.  C.  III). 
A  mime  iemps  ist  auch  nicht  selten,  z.  B.  Et  fauire  ä  mime  iemps 
dlev^  dans  les  cieux  (Racan).  Ils  avisent  donc  ensemble  que  Lucidas  . . . 
tächerait  ä  mime  iemps  de  lui  faire  connatire  la  fauie  etc,  (Id.).  Et 
qui  arriva  ä  mime  temps  que  la  lettre  de  Leandre  Im  fut  rendue 
(Scarr.,  Nouv.). 

Zur  Bezeichnung  des  Anlasses  und  des  Grundes  (§  12S)  konkurriert 
ä  mitunter  geradezu  mit  de,  z.  B.  ^ous  fümes  assez  surpris  ä  cette 
ceremonie  =  „bei**  (Thäoph.).  //  s^effraye  ä  ces  fieres  menaces  (Rotron). 
Surpris  ä  ce  rapport  . . .  Que  dirai-je?  (Id.).  A  ce  honieux  affront  je 
demeure  e'bahi  (Id.).  Le  roi  sans  s^emouvoir  ä  cette  aigre  censure 
(Scud.).  La  forit  retentit  ä  ce  troxibU  nouveau  (Rotrou).  Esi-ce  qu'ä 
ce  nom  de  ftls  votre  oreille  s' offensei  (Id.).  Ferner  ä  =  sur:  Au  Heu 
de  prendre  exemple  ä  ma  fidelite  {R3,cü.n),  Ähnlich  ist  A  la  grandeur 
des  dieux  leur  grandeur  se  fiaure  (Th^oph.).  Sehr  oft  begegnet  ä  quoi 
:=  pourquoi,  z.  B.  A  quoi  donc  tani  de  tours  ä  fentour  de  la  porte? 
(Rotrou).  A  quoi  cette  froideur  et  pourquoi  tani  de  suite?  (Id.).  Mais 
ä  quoi  tani  de  soins?  A  quoi  tani  repeier  ce  discours  inutile?  (Id.). 
Mais  ä  quoi  differer  mon  tre'pas  davantaae?  (Scarr.,  Com.).  Auch  das 
konjunktionale  ä  ce  que  habe  ich  noch  gefunden  Je  rCak  jamais  eu  assez 
de  vanite  ni  de  diligence  pour  les  impressions  ä  ce  qu'on  me  doive  imputer 
tout  ce  qui  est  imprime  comme  mien  (Thäoph.).  (EUe)  donnera  bon  ordi-e 
ä  ce  que  la  couronne  Nepese  plus  au  front  qui  sitdt  Pabandonne  (Rotrou). 
Statt  des  modernen  en  faveur  kommt  auch  ä  la  faveur  vor,  z.  B.  (Je) 
ne  puis  goüter  le  fruit  Qu*ä  la  faveur  de  tous  cette  saison  produit 
(Th^oph.).  Redouble  ä  ma  faveur  le  doux  bruit  de  ton  cours,  Tani  que 
tous  les  Sylvains  en  puissent  itre  sourds  (Id.). 

Das  Werkzeug  (§  123  Anm.)  ist  durch  ä  bezeichnet  Le  duc  .  . . 
bieniöt  a  tranche  la  tite  ...  Au  fer  d'une  autre  lance  aussitot  il  Feleve 
(Desmar.),  und  das  Mittel  (ll)  vit  ä  ses  chansons  ks  Parques 
desarmees  (Th^oph.).  ThionvUle  acquise  ä  sa  prompte  vaillance 
(Desmar.).  II  te  ravit  un  tröne  ä  ta  naissance  acquis  (Scarr.,  Com.). 
Et  son  impatience  attend  le  nouveau  jour  comme  un  jour  de  triomphe 
acquis  ä  son  amour  (Scud.).  (Vgl.  §  125  Anm.  2)  wo  derselbe  Gebrauch 
des  ä  beim  Infinitiv  erwähnt  ist.) 

A  =  en:  Le  vin  comme  le  lait  en  distille  ä  ruisseaux  (Racan). 
Quels  peuples  ne  viendront  ä  ta  foule  offrir  leur  oraison?  (Id.).  Les 
biens  m'arrivent  ä  foison  (Desmar.).  Un  tas  de  faquins  . .  .  se  jeter ent 
ä  la  foule  dans  notre  cabane  (Scarr.,  R.  C). 

Hier  mag  auch  tout  ä  bon  =  tout  de  bon  erwähnt  werden,  vgl. 
Mais  quand  il  faUut  representer  tout  ä  bon,  ü  le  faUui  pousser  sur  la 
seine  par  force  (Scarr.,  R.  C.  III).  Mais  tout  ä  bon,  ne  vous  deguisez- 
vous  point  (M"®  de  Scud.).  Tout  ä  bon,  lui  dis-je,  Cleonice,  que  voulez- 
vous  qui  soit  dans  cette  lettre?  (Ead.). 

Beim  Infinitiv  (§  124,  1,  b)  sind  Beispiele  zu  fuir  vergessen 
worden,  vgl.  Ils  fuient  ä  m*exammer  (Thäoph.).  Ne  de'sire  donc  point, 
fuis  mime  ä  regardei*  Tout  ce  que  sans  pe'cäe  tu  ne  peux  posseder 
(Com.).  Hinzuzufügen  sind  offrir,  J'offre  ä  vous  y  mener  (Racan), 
presser,  (II)  ne  pressait  pourtant  pas  sa  ftlle  ä  Vepouser  (Scarr.,  R.  C), 
conseiüer  q.  ä  f.  qc.  (vgl.  §  59),  Et  rint&it  ...  Ne  conseille  jamais 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XV IL  Jahrhunderts.       231 

ces  ämes  bienhetireuses  A  rompre  le  Uen  qui  Joint  leurs  volontes  (RacanX 
craindre,  Je  ne  craindrai  point  maintenant  ä  te  dire  sur  guoi  je  doute 
etc.  (Th^oph.),  douter,  Jones  juge  gu^il  doute  ä  voir  cette  actum  (Ohapel.). 

Bei  Verben  der  bewegang  statfc  pour  (§  124  Anm.):  It  s'e'tait  en- 
ferme  dans  tme  chambre,  oü  je  vins  ä  heurter  assez  fort  avant  qu*ü 
voulüt  me  r^ondre  (Th^ph.).  Le  Pbre  Voisin  a  ete  chez  plusieurs  de 
mes  juges  ä  leur  demander  ma  mort  (Id.). 

Den  §  125,  a  angegebenen  Verben  lassen  sich  noch  hinzufügen 
^i  les  discours  .  .  .  vous  ont  mieux  persuade  qu'aux  Atheniens 
(Th^oph.).  Ceüe  de  contrarier  ä  la  vötre  (volonte)  en  pareü  com- 
mandement  a  ete  tovjours  la  seule  que  je  me  suis  re'servee  (Id.).  lls 
prichent  aux  gentils,  Os  prSc/ient  a%tx  sauvages  (Bacan).  Je  m'etais 
engage  pour  un  nomme  savant,  Depots  sur  quelque  hruit  faisant  ici  la 
rofide  Je  rCai  pu  refuser  au  plus  vaillant  du  monae  (Desmar.). 
Weitere  Beispiele  sind  Ce  page  votis  pourra  .  .  .,  mais  croirai'je  ä 
mes  yeux?  (E>otrou).  21  ne  devait  iamais  me  soup^onner  mal  apropos, 
ni  croire  ä  ses  propres  yeux  (M"®  de  Scud.).  C*est  ä  moi  que  la  chose 
touche  (Scarr.,  Virg.).  Zu  §  125,  c  vgl.  Cela  est  enc^ore  phts  e'trange 
d^avoir  des  imaginations  emp-untees  pour  lui  discourir  (Th^oph.),  und 
zu  §  125,  d  La  rigueur  dont  je  leur  use  (Rotrou).  Ne  me  continue 
point  ces  raisons  dont  tu  m^uses  (Id.).  J^eus  ä  tous  mes  desseins  la 
fortune  ennemie  (Scarr.,  Com.).  Et  tant  s'en  faut  qu^ü  füt  consen* 
tant  ä  son  enlevement,  que  etc.  (Id.,  R.  G.  III).  Zu  §  125,  e  Au  heu  de 
raccourcir  ä  lafureur  du  sort  Les  plaisirs  de  nos  Jours,  Sommeü, 
tu  les  aüonges  (Th^oph.).  Au  Ueu  du  fier  tyran  qut  fusurpe  la 
France  (Gbapel.).  Vous  pillez  aux  particvMers  ce  que  vous  konnex 
au  public  (Th^oph.).  Si  j'avais  la  lächete  de  mendier  ma  paix  ä  mes 
ennemis,  je  pourrais  etc.  (Id.).  Schliesslich  sei  das  veraltete  souffjir 
ä  q,  de  f,  qc,  erwähnt  Tandis  que  le  ciel  me  souffrira  de  vivre 
(Thöoph.).  VroiS'tu  qu*il  nous  souffrit  de  vivre?  (Id.),  und  trhve  ä  qe. 
=  de,  wie  Treve,  eher  D.,  ä  tout  dessein  de  rire  (Rotrou).  Treve, 
Cle'andre,  ä  ces  douleurs  ameres  (Id.).    Treve  ä  ta  dotdeur  extrime  (Id.). 

Das  alte  es  (§  127,  2,  a)  findet  sich  noch:  C,  de  qui  la  foi  ckan- 
ceüe  ds  choses  les  plus  claires  (Th^oph.).  Le  sceptre  eternel  qu'ils  vous 
ont  mis  es  mains  (Racan).  Remettez^moi  plutöt  es  mains  de  ce  Satyre 
(Id.).  Cet  homme  .  . .  Etait  des  plus  grands  poHtiques,  Ei  savant  es 
mathematiques  (Scarr.,  Typh.).  vor  pluralischem  Artikel  habe  ich  en 
nur  gefunden  (ibid.,  b)  Eüe  le  trouva  homme  du  monde  de  la  meHieure 
mine  en  les  habits  de  noces  (Scarr.,  R.  G.  I,  c.  22).  Vor  Städtenamen 
(ibid.,  c)  Lune  en  quite  d'un  pere,  et  Tautre  d^un  mari,  Vinrent,  pour 
nous  trouver,  s'embarquer  en  Bari  (Rotrou).  Je  me  laisse  gagner,  ß 
depiche  en  Argos  (Id.).  IJne  personne  aussi  bien  nee  Qu*il  en  futjamais 
en  Paris  (Scarr.,  Virg.). 

Sehr  viele  Fälle  sind  zu  verzeichnen,  in  denen  noch  en  statt  des 
neueren  ä  (§  126,  2,  d)  gebraucht  ist,  vgl.  ausser  dem  noch  durch 
viele  Beispiele  zu  belegenden  penser  und  songer  en  ^.,  en  qc,  noch 
Dites-moi  en  quoi  tendait  Le  discours  etc.  (Thloph.).  J^ elever ai  ton 
frere  en  un  si  digne  rang  (Rotrou).  Je  ne  puis  souffrir,  en  quelque 
rang  qt^il  monte,  Lennemi  de  magloire  (Ib.).  iVow  sans  peine  encorje 
reviens  en  moi-mime  (Id.).  Bar  le  mime  attentat  (ü)  en  veut  en  voire 
sang  (Id.).  Attendant  Cheureux  jour  qui  doit  en  nos  de'sirs  Permettre 
apres  les  faux  les  solides  plaisirs  (Id.).  Ün  cmur  si  releve  repugne  en 
cet  emploi  (Id.).  Personne  ne  pouvait  rien  comprendre  en  cette 
devote  serenade  (Scarr.,  R.  C.).  Lavocat  qui  n'entendait  rien  en  ce 
beau  discours  (Ibid.,  III).    Je  souffrirais  qu'en  moi  quelqt^un  osät  pre- 


232  A,  Haase, 

tendre?  (Desmar.).  Vou$  pre'tenäez  encore  en  sa  femme  (Scarr., 
Com.).  Toujonrs  je  rive  en  mon  affliciion  (Th^oph.).  11  y  a  apparence 
gu'il  rivaii  en  ses  amours  (Scarr.,  Nouv.).  //  pousse  en  mon  sujet 
(JCinutües  sonpirs  (Rotrou).  Si  gueique  autre  est  plus  sage  en  mon 
o pi nio n  (Id,).  Leandre  n'est  pas  en  voire  connaissance  (Id.).  Mais 
commeni  est  la  reine  en  voire  sentimeni?  —  Ses  moindres  omements 
surpassent  Fexceüence  (Id.).  Et  moi,  . .  .  En  tiie  de  mes  compagnons . . . 
Je  ioumai  etc.  ^Scarr.,  Virg.).  Glaugue  en  t3te  de  son  iroupeau  (Id.). 
C^est  ce  grand  ndros  dont  les  soins  Feronl  porter  du  Rhin  en  Gange 
Sans  port  une  lettre  de  change  (Ibid.,  1.  YI).  Zu  den  gegebenen  Stellen 
füge  ich  hinzu  Trouve  ä  redire  ou  non  en  ces  propos  con/us {Rotrou), 
II  trouvait  ä  redire  en  tous  ceux  de  sa  profession  (Scarr.,  R.  C). 
Ma  de'votion  Confia  votre  vie  en  sa  protection  (ßacan).  Etquiluipeut 
ravir  un  droit  en  la  couronne?  (Scarr.,  Com.).  Le  temps  se  rend  si 
benin  . .  .,  Qu*en  faveur  de  cette  saison,  Et  par  arrit  de  la  nature, 
II  les  fait  sortir  (les  serpents)  de  prison  (Thöojh.).  J'e'coutais,  en 
faveur  d'une  tapisserie,  Tout  ce  que  etc.  (Rotrou).  Clorimond,  introduit 
en  faveur  de  cette  ombre,  Äpprendra  etc.  (Id.). 

Zu  der  §  126,  2,  e  besprochenen  Verwendung  des  en  vgl.  Mon 
devoir  souffre  en  cette  violence  (Rotrou).  Je  demeure  confuse  en 
cet  honneur  extrime  (Id.).  Et  beaucoup  sont  en  peine  en  ce  cnangement 
(Id.).  Je  ne  me  piain s  point  en  mon  sort  rigoureux  (Id.).  Ma  colere 
en  ton  sang  ne  peut  itre  assouvie  (Chapel.).  Lunique  espoir  de  mon 
salut  se  fonde  En  la  croix  de  celui  qui  racheia  le  monde  (Thöoph.). 
Et  te  repose  en  moi  d^une  ferme  assurance  (Racan).  Je  ne  m^assure- 
rais  pas  encore  en  vot?*e  affection  (M"®  de  Scud.).  Je  n*ai  point  de 
pouvoir  en  ma  propre  feUcite'f  et  par  cönsequent  je  vCen  ai  g^iere  en 
Celle  d^autrui  (Ead.).  Casque  en  tSte  au  lieu  de  bonnet  (Scarr.,  Typh.). 
Je  fis  voile  en  Asie  (Desmar.).  Das  veraltete  en  intention  de  f.  qc. 
noch  Vn  fils  que  j^ai  eleve  avec  beaucoup  de  soin,  en  intention  de  le 
re'ndre  digne  de  nilusire  sang  etc.  (M"«  ae  Scud.). 

Das  veraltete  en  quelque  part  begegnet  noch  oft,  z.  B.  EUes  ne 
sauraient  revenir  ä  la  vie  si  elles  n^e'taieni  en  quelque  part  (Th^oph.). 
On  me  ferme  la  porte  en  quelque  part  que  j^aille  (Rotrou).  Ils 
eclaireni  ses  pas,  en  quelque  part  qu'elle  aille  (Racan).  Me  voüä  .  .  . 
tres  resolu  de  vous  suivre  En  quelque  part  que  vous  irez  (Scarr., 
Virg.).  Ebenso  en  nulle  part,  z.  B.  Errer  de  contree  en  contree,  JN'avoir 
en  nulle  part  entre'e  (Ibid.).  //  sera  difficile  que  fen  trouve  en  nulle 
part  (M"®  de  Scud.).  //  evita  .  .  .  de  rencontrer  ia  princesse  Istrine  en 
nulle  part  (Ead.).  J*äprouvai  ce  supplice  tres  longtemps,  sans  trouver 
consolation  en  nulle  part  (Ead.)  Auch  en  autre  part,  vgl.  Celle  que 
Con  sait  aimer  en  autre  part  (Scarr.,  Com.). 

Dans  (§  126,  3)  vgl.  Je  Vaimai  dans  V  ex  ces,  et  je  la  hais  de 
mSme  (Rotrou).  (J'ai)  Seule  atme  sans  re'serve,  el  seuie  dans  Vexces 
(Id.).  //  me  Ca  depeint  (Pa?nour)  comme  ü  e.st  dans  ses  yeux  (Th^oph.). 
Je  suis  moi-mSme  enc kante  dans  un  lieu  si  plein  de  charmes  (M"^  de 
Scud.).  Et  moi,  pour  te  parier  dans  la  m^me  franchise,  Je  te  hais 
beaucoup  moins  que  je  ne  te  meprise  (Scarr.,  Com.). 

Vers  (§  127,  c)  findet  sich  auch  rein  lokal,  z.  B.  Durant  cinq  ou 
six  ans  j*ai  garde  mes  troupeaux  Vers  un  lieu  que  Rosinde  a  pres  de 
nos  hameaux  (Rotrou).  Vers  le  prince  irrite,  la  princesse  affltgee  .  . . 
s'etait  soudairi  rangee  (Chapel.).  La  flotte,  ä  ce  qu'on  dit,  vers  Baye 
est  arrivee  (Scud.).  Bydaspe  qui  dlait  poste  vers  le  pied  des  montagnes 
oü  le  roi  d'Arme'nie  s^e'tait  retird  (M"®  de  Scud.).  Auch  sonst  ist  vers  =  ä 
resp.  Dativ  des  Pron.  pers.  gebraucht  (§  127,  Anm.),  z.  B.  Le  vieiHard . .. 


Ergänzende  Bemerktingen  zur  Syntax  des  XV IL  Jahrhunderts.     233 

Adresse  ainsi  vers  nous  sa  parole  adordble  (Desmarj^  Clovis).    Sous 
une  fenitre  qui  repond  vers  une  maison  brüle'e  {W^^  de  Scud.). 

Sur  (§  128  Anm.  3)  vgl.  Ce  sceptre  vons  e'leve  sur  les  autres 
humains  (Botrou).  Entre  eux  un  jeune  amant  vons  plaira  dessus  tous 
(Id.).  Nul  ne  saurait  plus  haut  porter  Pambition  Que  d!oser  enmer  sur 
ma  pre'somption  (Desmar.,  Visionn.).  Lucille  qui  possede  un  celebre  renom, 
ün  rang  imp&ial ...  Et  sur  toutes  grandeurs  une  extrime  sagesse 
(Id.,  Clovis).  Sonst  ist  sur  noch  zu  beachten  in  11  est  bien  outeux  .  .  . 
De  trouver  sur  tout  ä  redire  (Scarr.,  Virg.).  11  suivit  d^abord  une 
longue  attee  sur  laquelle  re'pondait  la  porte  du  jardin  (Id.,  B.  C.)- 
Te  souvient'ü .  .  .  D'avoir  devant  mes  ye%ix  pille  sur  les  autels? 
(Rotrou). 

Par  sus  laut  (Ibid.  Anm.  4)  kommt  noch  vor  Mais  par  sus 
tous,  sages  Le'vites,  Servez  ce  sauvetir  des  humains  (Racan). 

Outre  in  lokaler  Bedeutung  (§  129,  b)  ^ous  eussiöns  fait  enfler  la 
Seine  outre  ses  bords  (Racan).  Juparavant  ist  als  Präposition  in 
den  gelesenen  Texten  gar  nicht  selten  (§  130,  b),  z.  B.  //  n''est  point 
incompatible  qu'eUes  aient  e'te  auparavant  la  vie  corporelle  (Thäoph.). 
JppreneZ'tnoi  le  crime  auparavant  P arrit  {Uotxo\i).  Quand  ils  ont  de 
concert  auparavant  ma  mort .  .  .  Jete  ma  robe  au  sort  (Racan).  Je 
la  vis  une  heure  auparavant  cette  funeste  ceremnnie  (M"«  de  Send.). 
Tous  ceux  qui  auparavant  nous  e'taient  alles  aprbs  le  ravisseur  etc. 
(Ead.). 

Au- devant  de  =  devant  (§  130,  Anm.  1)  vgl.  Ces  legions  en  haie 
au- devant  de  mes  portes  (Racan).  Voyant  Finfidele  Au-devant 
d'Albione,  et  combattant  pour  eile  (Desmar.).  Comme  un  mole  construit 
au'devant  d!un  rivage  Ihur  servir  de  barriere  aux  assauts  de  Corage 
(Chapel.).  Elles  se  placerent  sur  la  muraille  du  cimetiere  au-devant 
d^un  ormeau  (Scarr.,  R.  C.  III). 

Zu  §  130  Anm.  2  vgl.  Peut-Hre  esperez-vous  qü* apres  le  sac  de 
Troie  On  vous  vienne  au -devant  recevoir  avec  joie  (Rotiou).  faurai 
force  pour  V aller  au-devant  Et  la  noirceur  de  Vombre  etc.  (Id.). 
Mais  queües  gens  nous  viennent  au-devant?  (Id.). 

Adverbiales  par  avant,  entsprechend  dem  §  132,  c  erwähnten 
par  apres,  kommt  vor  Je  voudrais  par  avant  avoir  connu  son  äme 
(Thäoph.). 

Präpositionales  par  devant  =  devant,  z.  B.  Je  passais  mille  fois 
par  deiJant  sa  maison  (Scud.)  Je  Pai  vu  cent  fois  .  .  .  Passer  et  repasser 
par  devant  sa  maison  (Rotrou). 

Parmi  in  rein  lokalem  Sinne  =  au  milieu  de,  dans  (§  131,  a) 
ist  nicht  so  selten,  z.  B.  Parmi  la  cite  vaste  il  entend  des  clameurs 
(Desmar.).  On  voit . .  .  Eciater  parmi  Tantre  une  vive  lumiere  (Chapel.). 
Mais  en  ayant  fait  plus  de  mille,  Que  fai  semes  parmi  la  ville,  II 
faut  etc.  (Scarr.,  Com.).  (Elle)  Le  promene  parmi  la  ville  (Id.,  Virg.). 
La  blancheur  de  nos  habits  et  de  nos  chevaux  qui  nous  avait  rendus 
invisibles  parmi  la  plaine  (M"®  de  Send.).  —  Parmi  =  entre  (Ibid. 
Anm.  1)  Dans  la  famüiarite  qu'ü  y  a  parmi  le  sang  et  la  chair,  il  est  ä 
craindre  que  etc.  (Th^oph.). 

Noch  heute  dient  entre  mit  pluralischem  tout  zum  Ausdruck  der 
Steigerung,  wie  Üne  femme,  Perdue,  abandonne'e,  entre  toutes  infame 
(Rotrou);  von  hier  aus  konnte  man  auch  sagen,  wobei  die  ursprüng- 
liche Bedeutung  des  entre  zurücktrat,  Ce  nom  qui,  malheureux  entre 
tout  autre  nom,  .  .  .  attire  le  bäton  (Rotrou,  Les  Sosies.). 

Aupres  mit  dem  Akkusativ  (§  132,  b)  habe  ich  noch  gefunden 
Ainsi  le  juste  aupres  Vaulel  du  Tout- Puissant  Semble  se  rajeunir  des 


234  Ä,  Haase^ 

§räces  qt^ii  ressewt  (Racan).  Zu  §  132,  d  vgl.  noch  Comme  feiais 
apres  ä  votis  empaqueier  eic,  (Scarr.,  Com.).  Ei  ßigez  par  apres  de 
votre  defiance  i^otrov)^  und  zu  der  Anm.  Ecrivains  toujours  empiche's 
Apres  des  matteres  indipnes  etc.  (Th^oph.).  Tout  un  siecle  les  desimees 
Travailltrent  apres  ses  yeux  (Id.,  d.  h.  eie  so  schön  als  möglich 
zu  machen).  Les  dieux,  occupes  apres  toi  setdement,  Laissent  Tetai 
du  mande  aller  ä  raventure  (Id.).  Bivant  sur  son  rivage  apres  tes 
heaiuc  e'crits  .  .  .  Je  disais  etc,  (Id.).  Je  n'ajaute  pas  tant  de  foi  ä  tes 
paroles,  gueje  voulusse  guiiter  un  hon  repas  qui  m'attend  pour  m*amnser 
apres  une  teile  esper ance  (Desmar.).  Je  ne  crois  pas  que  defunt  Phaeton 
aii  ele  plus  em piche  apres  les  quatre  chevaux  fougueux  de  son  pere 
que  Je  fui  alors  notre  petit  avocat  (Scarr.,  R.  C).  (Elle)  ne  manquait 
pas  .  .  .  de  passer  les  jours  apres  des  ouvrages  qu'elle  avait  appris  ä 
faire  (Id.,  >iouv.). 

Das  alte  fors  (§  138.  a)  begegnet  auch  sonst  noch,  z.  B.  Les 
Muses  ...  Fors  le  Inen  de  ton  amitie  N*oni  point  felidte  si  grande  etc. 
(Thöoph.).  Que  Venfer  contre  lui  puisse  tout  fors  la  mort  (Chapel.). 
Le  surplus  est  francais,  et  fors  le  long  des  flots,  On  y  jouit  partout 
d'un  glorieux  repos  (Id.).  A  tous,  fors  ä  toi.  Je  suis  inaccessible  (Scarr., 
Com.).  De  ces  galer  es  enflammees,  Fors  quatre  dejä  consomme'es  (Id., 
Virg.).  Ce  ne  fut  quasi  que  tout  un,  Fors  quelques  preneurs  de  petun 
Qui  etc.  (Ibid.),  und  sonst.  Der  Stellung  wegen  ist  zu  beachten  Uertes, 
le  dang  er  hors,  ce  passe- temps  est  rare  (Rotrou).  Hormis  de  und 
Infinitiv  Vous  pouvez  tout  sur  moi,  Bormis  de  mHmposer  ceite  barbare 
loi  (Id.). 

Lokales  par  in  par  le  chemin  =  en  chemin,  z.  B.  Faisons  par 
le  chemin  ce  conte  ä  Celiandre  (Rotrou).  Je  Ten  ouis  vanter  par  le 
chemin  (Scan*.,  R.  C). 

Sehr  häufig  ist  bei  Scarron,  auch  in  den  prosaischen  Schriften,  ne 
pas  avoir  pour  une  chose  (§  134,  2,  a),  z.  B.  La  ville  de  Paris  n'en  a 
pas  pour  un,  eile  en  a  dans  chaque  quartier  (R.  C).  Cette  dorne,  belle 
comme  eile  etait,  n' avait  pour  un  amant  (Nouv.).  //  avait  ete  des  amants 
W Helene,  car  les  publiques  iCen  ont  pas  pour  «n  seul  (Ibid.). 

Das  von  Hellgrewe  S.  41  zitierte  ttte  pour  tSte  =:  t.  ä  t.  findet 
sich  auch  sonst  bei  Scarron,  z.  B.  Le  pauvre  gentilhomme  revenait  de 
courir  les  hotelleries  de  la  vtlle  .  .  .,  quand  il  trouva  Marceüe  tite  pour 
tSte  (Nouv.).  (II)  avait  malheureusement  rencontre  tite  pour  tite  les 
archers  (Ibid.). 

Pour  zur  Einführung  des  prädikativen  Substantiv.  Et  la  je  fus 
nomme  pour  che f  de  ce  grand  corvs  (Rotrou).  Je  fus  nomme  pour 
chef  d'une  puissante  arme'e  (Id.).  Ebenso  findet  sicn  sonner  pour  la 
retraite,  z.  B.  Je  fis  sonner  pour  la  retraite  (Scarr.,  Virg.).  (lls)  avaient 
sonne  pour  la  retraite  (Ibid.).  Statt  de  vor  dem  Infinitiv  II  est  temps 
pour  vaincre  ton  erreur  (Rotrou). 

Das  prädikative  Subst.  ohne  pour  bei  avoir  (§  134,  2  Anm.  3) 
Leurs  innocentes  mains^  Qui  n' avaient  que  les  cieux  complices  (Th^oph.) 
A  moins  que  d'en  avoir  mes  propres  yeux  temoins  (Rotrou).  Qu*en 
cette  heureuse  nuit  fai  la  fortune  amie  (Id.).  Je  n^avais  point  eu 
d'autres  personnes  confidentes  de  ma  passion  (M"*  de  Scud.). 

Zur  Verstärkung  der  Negation  findet  sich  pour  tout  =  du  taut, 
z.  B.  ,,Joint  que",  vieiue  liaison  qui  sent  sa  chicane;  il  n'enfaut  point 
user  pour  tout  (Malh..^  zitiert  von  Littr^  nnteT  Joint  que).  Kien  pour 
tout  d'assure  ni  de  facHe  (Thäoph.).  Aprhs  que  je  serai  mort,  je  ne 
comparmtrai  plus  pour  tout  (Id.).  Tu  n*as  point  pour  tout  d amitie 
(Id.).    Lydias,  qui  n'y  pensait  plus  pour  tout,  s'approche  (Id.). 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVII.  Jahrhunderts.     235 

Zu  den  §  134,  3  Anm.  2  berührten  Einzelheiten  sind  hinzuzu- 
fügen Les  peupies  sont  heureux  Que  ce  JHeu  tout-putssant  lUumine  des 
en  naissant  De  sa  lumiere  (Racan).  Et  des  en  V ahordant .  .  .  je 
vais  Que  ce  n'est  pas  ä  tort  etc.  (Chapel.).  Bis  avant  que  le  prince 
eüt  fitä  ce  langage,  on  vit  etc.  (Id.).  —  Mon  espoir  toutefois  est  de^ 
chaque  iour,  Du  depuis  que  fai  vu  pre'tendre  ä  son  amour  (Rotrou, 
von  Sölter  S.  40  als  Beispiel  der  YemachläRsigung  des  Subjekts- 
pronomens zitiert).  Je  ne  resseniis  point  alors  cette  mort  comme  fai 
fait  du  depuis  (Scarr.,  B.  C.  III).  Taisez-vous,  petite  putine,  Du 
depuis  on  a  dit  putain  (Scan.,  Typh.).  Pu  sortir  du  depuis  il  n'a 
(Ibid.) 

Das  Bemerkenswerteste  ist,  daes  auch  noch  ensemble  als  Präpo- 
sition fungierte,  vgl.  Ce  que  fappris  par  notre  confidente,  ensemble  la 
resoluiian  qu'eües  avaient  prise  de  me  voir  toujours  et  par  quels  moyens 
(Scarr.,  R.  C.  III,  c.  18). 

Wie  ä  travers  de  qc.  vorkam,  so  auch  mitunter  au  travers  qc 
das  sich  präpositionalem  auparavant  an  die  Seite  stellt,  z.  B.  Certains 
cris  .  .  .  Au  travers  le  süence  et  Phorreur  des  tenebres,  M*onl  transperce 
le  ccßur  (Thdoph.).     II  passe  au  travers  la  porte  (Id.). 

Über  die  Konjunktionen  ist  zu  bemerken,  dass  quand  bien 
(§  136  Anm.  2)  bei  'älteren  Autoren  oft  und  besonders  häufig  auch  bei 
Scarron  begegnet,  in  dessen  Dichtungen  es  fast  auf  jeder  Seite  sich 
findet,  z.  B.  Et  quand  bien  fen  serais  parfaitement  savant,  ma  vie 
serait  trop  courle  etc.  (Th^oph.).  Quand  oien  on  faccarderait  que  .  .  ., 
si  peut-on  dire  enfin  etc.  (Id.).  Et  quand  bien  le  destin  vous  manquerait 
de  foi,  11  vous  reste  etc.  (Rotrou).  Je  retoumai  dans  la  salle  du  Jardin, 
pour  parier  ä  St,  Far,  quand  bien  il  me  devrait  dire  quelque  chose  de 
de'sobUgeant  (SctLTr,^  R.  C.).  //  s'en  offenserait,  Quand  bien  sa  passion 
par  lä  se  flatterait  (Id.,  Com.).  Quand  bien  Artamene  serait  en  etat 
de  combattre,  il  ne  trouvaii  pas  etc.  (M^®  de  Send.). 

Von  den  §  137,  1  aufgeführten  Konjunktionen  bedürfen  incontinent 
que,  soudain  que^  desormais  que  und  tant  que  ^bis"  mit  dem  Indikativ 
noch  einiger  Beispiele,  soudain  que  und  desormais  que  scheinen  haupt- 
sächlich nur  in  poetischer  Rede  vorzukommen,  vgl.  Incontinent 
que  mon  voyage  sera  resolu,  je  ne  manquerai  pas  etc.  (Th^oph.). 
Soudain  qu'us  sont pa7'donnes  Ils  vont  au  rang  des  fortunes  (Thäoph.). 
Soudain  que  Von  verrait  P heureux  choix  de  mes  yeux,  Les  autres  .  . . 
Feraient  toul  retentir  de  cris  (Desmar.).  Soudain  que  les  Fran^ais 
ont  quitte  le  saint  Heu,  Ils  fönt  etc.  (Id.).  Mais  soudain  que  du  jour 
la  barriere  est  de'close,  Roger  court  aux  prelats  (Chapel.).  Desormais 
que  le  renouveau  fond  la  glace  etc.  (Th^oph.).  La  gloire  de  ton  nom 
plus  loin  ne  peut  s^etendre,  Desormais  que  sous  toi  s^abaisse  la  fiertS 
(Chapel.).  Je  tombe,  et  hors  de  moi  demeure  sur  la  place,  Tant 
qu'Üctave  passant  s'est  donne  le  souci  De  bander  ma  blessure  et  de  me 
rendre  ici  (Rotrou).  Et  fai  sans  m^arriter  mon  äge  consommee,  Tantot 
par  le  pays,  tantot  dans  une  arme'e,  Tant  que  par  le  de'cret  d^un 
invincibü  sort  Je  suis  enfin  venu  chercher  ici  la  mort  (Id.). 

Kausales  ä  force  que:  Ce  feu  brüle  si  vite  ä  force  qu'il  me 
plait  Que  etc.  (Thöoph.).  Et  ä  force  que  fon  Hnterrompait,  il  se  fit 
donner  audience  (Scarr.,  R.  C). 

Ein  gutes  Beispiel  für  mais  que  (§  137,  4)  ist  Be'lasl  ma  fiUe, 
helas,  qui  me  clorra  les  yeux,  Mais  que  mon  päle  esprit  soit  monte 
dans  les  cieux?  (Racan). 

Konsekutives  si  que  (§  IS 7,  5)  kommt  auch  oft  in  Scarron's 
Dichtungen  vor,  z.  B.  Sa  personne  . .  .  Est  un  peu  rudement  traiUSe,  Si 


236  A.  Haase, 

que  tepine  de  son  os  Ä  re^i  dommage  en  ses  os  (Virg.).  Joint  oue  ist, 
was  beiläufig  bemerkt  werden  mag,  im  Grand  Cyrus  fast  auf  jeder 
Seite  mehrere  Male  zu  finden.  Malherbe  verwirft  es  nach  Littr^  in 
schärfster  Weise  (§  137,  5  Anm.  2).  ffors  que  mit  dem  Konjunktiv, 
wofür  die  neuere  Sprache  lieber  ä  moins  que  sagt,  ist  oft  zu  finden, 
vgl.  nur  Ce  n'est  pas  qt^üs  ne  /ussent  tous  aeux  de  la  premiere  condiiion, 
ei  que  hör s  que  la  princesse  e'pousät  un  rot  e'tranger,  ou  Spilridate, 
üs  ne  pusseni  lever  les  yeux  jusqn'ä  eile  (M""  de  Scud.).  Ebenso  sinon 
que,  welches  dem  si  ce  n'est  que  §  81,  b  an  die  Seite  zu  stellen  ist,  in 
Sätzen  wie  Vous  ne  irouverez  poini  de  quoi,  Sinon  que  la  faveur  du 
roi  Tienne  Heu  de  honte  et  de  crime  (Thäoph.).  Lui-mime  semblera 
reiracter  ses  serments,  Sans  dessein  toutefois,  sinon  que  cette  adresse 
Vous  fasse  suppleer  au  mal  de  sa  matiresse  (Botrou). 

Mit  ähnlicher  Satz  Verkürzung  wie  §  138  findet  sich  auch  fors 
que,  z.  B.  Dedans  ce  lamentable  Heu,  Fors  que  de  soupirer  ä  Die^t,  Je 
n^ai  rien  qui  me  divertisse  (Th^oph.).  Franc  de  tous  les  dangers  du 
monde,  Fors  que  de  toi  tant  setäement  (Id.). 

Nicht  als  eine  Konjunktion  ist  zu  fassen  ^aHleurs  que  in  La 
justice  se  mit  en  devoir  de  faire  quelques  formaUt^s,  mais  n^ayant  trouv^ 
personne,  et  personne  ne  se  plaignant,  d^atlleurs  que  ceux  qui  pouvaient 
etre  soupgonnes  äiaient  des  principaux  gentüshommes  de  la  ville,  cela 
demeura  dans  le  silence  (Scarr.,  R.  C.  III).  Mais  je  n*y  voulus  pas 
entendre;  cor  je  n^avais  plus  de  parents  qui  eussent  droit  de  me  Com- 
mander. D'ailleurs  que  mon  cceur  etait  toujours  dans  ce  parc,  ou 
je  me  promenais  ordinairement  (Ibid.).  So  nahe  auch  diese  Wendung 
dem  outre  que  scheint,  ist  sie  doch  von  diesem  grundverschieden.  In 
beiden  Stellen  liest  adverbiales  d'aiUeurs  vor;  in  der  ersten  ist  que 
kausal,  wie  es  in  der  älteren  Sprache  und  in  der  heutigen  Volkssprache 
noch  gewöhnlich  ist,  während  in  der  neufrz.  Schriftsprache  nur  gewisse 
Beste  jenes  Gebrauchs  sich  erhalten  haben.  In  der  zweiten  Stelle  ist 
dieses  que  ebenso  gebraucht  wie  im  Neufrz.  nach  peut-Hre,  heureusement 
u.  ä.,  sodass  dasselbe  überflüssig  erscheint  und  von  einem  nicht  aus- 
gesprochenen Yerbum  des  Denkens  abhängig  zu  denken  ist,  wie  ein 
solches  que  in  der  heutigen  Volkssprache  noch  sehr  gewöhnlich  ist. 

Auparavant  que  (§  138)  ist  auffallend  häufig  bei  M""  de  Send., 
doch  brauchen  Beispiele  zu  diesem  und  den  anderen  daselbst  behandelten 
Konjunktionen  nicht  gegeben  zu  werden,  nur  mag  zu  Anm.  2  ange- 
merkt werden,  dass  man  nicht  mehr  sinon  sagt  in  Sätzen  wie  Tous 
les  dieux  ä  Tenvi  lui  versaient  du  nectar  Sinon  Bellone  et  Mars  qui 
poursuivaient  encore  etc.  (Racan).  Qtioi,  Thäaste,  tout  rit,  sinon  vous 
seulement!  (Rotrou).  Tantot  que  vgl.  Ce  beau,  seigneur,  tant  dt  qu'on 
a  dine,  A  mangä  comme  un  diable  (Scarr.,  Com.)- 

Zu  den  §  139  Anm.  2  angeführten  Sätzen  vgl.  Je  me  vis  ä 
considSrer  ces  choses-lä  si  stupide  que  rien  plus  (Thäoph.).  Elle  se 
leva  aussitot  que  le  soleil  (Scarr.,  B.  C).  Le  jeune  komme  commis 
ä  servir  mon  amour  Se  rendit  en  ma  chamhre  aussitot  que  le  jour 
(Rotrou).  Ferner  Apres  avoir,  comme  tres  sage  .  .  .  Dit  par  trois 
fois  etc.  (Scarr.,  Virg.).  jEneas  lui  dit,  comme  sage,  Qu'ü  commen^t 
par  le  jpotage  (Ibid.). 

§  189,  2:  Je  crois  m'^tre  trop  venge  que  de  m'itre  plaint  (Thöoph.). 
EUe  se  pUnt  aussi  dans  son  ouvrage,  croyant  en  avoir  fait  un  de  grand 
esprit,  et  digne  d^une  extrime  louange,  que  d' avoir  trouve  du  mal  en 
cette  pensee,  et  de  s^etre  attache  ä  la  mauvaise  interpre'tation  (Desmar.). 
(Ils)  rendaient  encore  la  chose  plus  forte,  pensant  en  faire  une  tires 
avantageuse  pour  Artamene  que   de    bien  exagerer  quil  faliait  sans 


Ergänzende  Bemerkungen  zur  Syntax  des  XVIL  Jahrhunderts,     237 

doute  etc,  (M"*  de  Scud.).  Vgl.  noch  Les  jeunes  esprits  h'ont  rien  de 
dangereux  Au  prix  que  decouter  un  conseil  amoureux  (Th^oph.). 
C*est  faxt  que  de  ses  jours  ( Rotrou). 

Ainsi  que  =  comme  (§  139,  3)  ist  häufig,  z.  B.  TJn  chacun  les  doit 
estimer  Ainsi  qu*un  ange  tute'laire  (Thöoph.).  De  ces  objets  cheris  .  .  . 
mon  äme  est  possedee  Ainsi  que  d'un  mauvais  demon  (Eacan).  //  faut 
de  notre  sang  retrancher  ce  prodige,  Ainsi  qu*un  mauvais  bois  indigne 
de  sa  tige  (Id.).  Mes  grands  coups  se  fönt  craindre  ainsi  que  des 
tempitcs  (Deeraar.).  11  traite  la  Navai-re  ainsi  que  PAngleterre  (Cbapel.). 
Et  je  vous  traiterai  ainsi  que  je  la  traite  (Rotrou). 

Das  veraltete  /M  moins  (9  140  Anm.  1)  habe  ich  noch  gefunden 
Cette  contume  .  .  .  ne  me  laisse  nulpre'texte  qui  puisse  justifier  taffection 
d^Arlamene  pour  moi,  ni  moins  encore  Celle  de  Mandane  pour  lui  (M^^" 
de  Scud.). 

Zu  dem  §  140  Anm.  2  erörterten  Gebrauch  des  ni  vgl.  Que  vous 
puis-je  celer,  ni  que  vous  puis-je  dire?  (Racan),  Que  me  sert .  .  .  Que 
les  vins  ä  ruisseaux  me  coulent  des  monlagnes,  Ni  que  me  sert  de  voir 
les  meiUeurs  menagers  Admirer  mes  jardins?  (Id.).  Et  si  Cesar  pretend 
pqr  force,  par  menace  .  , ,  Et  toi  ni  par  soupirs,  ni  par  embrassements, 
Ebranler  une  fois  si  ferme  et  si  constante,  Tous  deux  vous  vous  flattez 
d^une  inutHe  attente  (Rotrou). 

Et  donc  (§  140  Anm.  5)  Bessouviens-toi .  .  .  Que  ne  vivre  ici  bas 
\rien  que  pour  eüe  seule  (la  gueule)  Est  itre  pis  que  bite;  et  donc,  o 
hdelet,  Vous  n*Stes  qu'une  bite  habille'e  en  valet  (Scarr.,  (]lom.).  Das 
Ldverbiale,  sodann  zur  Konjunktion  gewordene  si  (§  141)  begegnet 
licht  nur  sehr  oft  in  adversativer  Bedeutung,  sondern  tritt  auch  noch 
>hne  dieselbe  in  et  si  auf,  das  vom  Altfrz.  bis  ins  XVI.  Jahrhundert 
liuein  oft  als  verstärkte  koordinierende  Konjunktion  vorkam,  z.  B. 
^n  mangea  Tout  ce  qui  fut  mis  sur  la  table ,  Et  si  but-on  au  prealable 
karr.,  Virg.).  Helas!  j^entends  du  bruit,  et  si  je  vois  un  homme 
[Id.,  Com.). 

Soit  que  —  ou  soit  qtie  (§  143,  Anm.)  ist  sehr  oft  zu  finden,  z.  B. 

nt  qu*un  triste  penser  represenle   ä   mes  sens  Les  lieux  ...   Ou  soit 

[ue  mon  malheur  ait  mes  mains  approchdes  Des  choses  etc,  (Rotrou). 

nt  qu*au  matin  Castre  de  Cunivers  .  .  .  Ou  soit  qu*ü  se  retire  (Racan). 

nt  que  le  jour  renaisse  au  sommet,  des  rochers  ...   Ou  soit  que  dans 

eaux  sa  lumiere  finisse  (Id.).    Aiais  soit  qu*il  craigrät  de  fwcer  .  .  ., 

soit  qu'il  en  füt  empiche ,  .  .,  ii  ne  le  fit  pas  (M"®  de  Scud.).  Auch 

soit  que  kam  vor,  z.  B.  Ou  soit  qu*ü  me  punisse,  ou  soit  qu^ü 

pardonne,  On  ne  peut  murmurer  etc.  (Racan).  * 

Das  aus  ursprünglichem  Adverbium  zur  adversativen  Konjunktion 

wordene  ains  (§  143,  Anm.),  welches  im  XVI.  Jahrhundert  noch  sehr 

ifig  vorkommt,   im  XVII.  so  gut  wie  verschwunden  ist,    findet   sich 

|h   Fieille  barbue,  et  qui  comptait  Cent  ans,  et  point  ne  radotait,  A  in  s 

\t  femme  bien  sensee  (Scarr.,  Virg.,  1.  V.). 


A.  Haase. 


Grundzüge  der  Entwickelung  des  e  sourd. 

Ein  Beitrag  zur  Beantwortung  der  Frage :  Wie  sind  die  französischen 

Verse  zu  lesen  ?^) 


Man  erinnert  sich  der  kläglich  irrtümlichen  Vorstellungen, 
welche  bei  uns  vor  nicht  langer  Zeit  über  den  Versbau  der  Fran- 
zosen in  einigen  Köpfen  herrschten  und  in  naiver  Harmlosigkeit 
hie  und  da  ernsthaft  durch  den  Druck  verbreitet  wurden.  Man 
war,  wie  auch  Humbert  in  einer  Anmerkung  S.  3  sagt,  geneigt 
im  allgemeinen  alle  Verse  jambisch  zu  lesen.  Der  (zwölf-,  bezw. 
dreizehnsilbige)  Alexandriner  bestand  also  aus  sechs  Jamben: 
und  nun  hackte  man  ungehöriger  Weise  das  Metrum  nach  diesem 
Schema  ab,  gerade  wie  wir  deutsche  Verse  von  Deutschen  (und 
nicht  bloss  von  Kindern)  in  geschmackloser  Weise  abhacken 
hören.  Bei  diesem  regelmässigen  Wechsel  unbetonter  und  be- 
tonter Silben  wurden  dann  auch  sämtliche  e  sourd,  soweit  sie 
als  Silbe  „zählten^,  in  derselben  schwerfälligen  Manier  zu  Gehör 
gebracht. 

Solche  Praxis  und  solche  Theorie  behaupteten  sich  nach 
dem  Gesetze  der  Trägheit  (der  Geister),  als  man  längst  ohne 
grosse  Mühe  das  Richtige  oder  das  Richtigere  sich  aneignen 
konnte,  wenn  man  wollte.  Ja,  ich  bin  überzeugt,  sie  sind  auch 
heute  nicht  ausgestorben.  Aber  sie  wuchern  doch  wohl  nur  im 
Verborgenen  weiter,  und  dass  noch  einmal  ein  Schriftsetzer 
durch  sie  irre  geleitet  werden  könnte,  ist  nicht  gut  denkbar. 

Wenn  nun  ein  deutscher  Jünger  der  „neueren  Philologie** 
mit  solchen  oder  ähnlichen  veralteten  Anschauungen,  vielleicht 
durch  eigene  Überlegung  und  das  Aufbäumen  seines  Schönheits- 

1)  Zugleich  Anzeige  der  Schrift  C.  Humbert's:  Die  Gesetze  des 
französischen  Verses.  Ein  Versuch  sie  aus  dem  Geiste  des  Volkes  zu 
erklären,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  den  Alexandriner  und  Moliere's 
Misanthrope.    Leipzig,  1888.     Seemann.     55  S.  8^. 


W,  Ricken,  Grundzüge  der  ErUwkkehing  des  e  sourd  eic.         239 

Sinnes  wider  hässliche  Übung,  oder  durch  irgend  eine  gelegent- 
lich gefundene  Bemerkung  skeptisch  geworden,  nach  Paris  reist 
und  dort  den  Brauch  der  Bühne  beobachtet,  so  wird  er  sich 
sofort  des  weiten  Abstandes  zwischen  der  natürlichen  Betonung 
und  Sprache  der  nationalen  Schauspieler  und  jenem  unnatürlichen 
^ Geklapper^  des  (nach  seinem  Wissen)  heimischen  Deklamations- 
stils deutlich  bewusst  werden.  Aber  je  grösser  dieser  Abstand 
ist,  je  gröber  also  seine  bisherigen  Vorstellungen  von  der  Sache, 
je  kümmerlicher  sein  Sinn  für  geschichtliche  Entwickelung,  je 
geringer  sein  lautphysiologisches  Wissen  und  Können,  sowie 
seine  Kenntnis  der  einschlägigen  Litteratur  waren,  desto  mehr 
ist  er  in  Gefahr,  in  das  entgegengesetzte  Extrem  hineinzugeraten, 
indem  ihm  über  der  Beobachtung  der  groben  Unterschiede  alle 
die  feinen  Nuancen  del*  Aussprache,  welche  für  eine  richtige 
Lösung  der  von  ihm  behandelten  Frage  von  massgebender  Be- 
deutung sein  würden,  entgehen. 

So  erklärt  es  sich  ohne  Zwang,  dass  in  dem  Prozesse  der 
Reaktion  gegen  Verkehrtheit  und  Unnatur,  des  Sichbesinnens  auf 
das  Richtige  und  Natürliche,  des  allmählichen  Durchringens  zur 
Wahrheit,  auch  unerfreulichere  Episoden  vorkommen,  welche  von 
dem  fast  erreichten  Ziele  wieder  abzulenken  drohen.  Wo  immer 
wir  die  Entwickelungsgeschichte  irgend  einer  Frage  verfolgen, 
vollzieht  sich  ja  vor  unseren  Blicken  in  mancherlei  Variationen 
dasselbe  Spiel:  ein  tüchtiger  Kopf  ahnt  oder  sieht  das  Wahre 
und  gibt  ihm  einen  vielleicht  noch  nicht  ganz  abgeklärten  Aus- 
druck; weniger  weitschauende  Männer  verstehen  ihn  nicht,  ver- 
teidigen die  liebe  alte  Gewohnheit  oder  wirken,  dem  miss ver- 
standenen Neueren  folgend,  doch  wieder  diesem  entgegen. 
Hierhin  und  dorthin  zerrt  man  den  streitigen  Gegenstand,  bis 
zuletzt  die  Resultante  aller  wirkenden  Kräfte  ihn  doch  ungefähr 
dahin  trägt,  wohin  er  gehört. 

Die  Frage  der  Rhythmik  französischer  Verse,  insbesondere 
soweit  sie  die  Frage  der  Behandlung  des  „weiblichen  e"  bei 
dem  Vortrage  von  Dichtwerken  in  sich  schliesst,  ist  neuerdings 
von  E.  0.  Lu barsch  in  dem  nachgelassenen  Werke  Über 
Deklamation  und  Rhythmus  der  französischen  Verse.  Zur  Be- 
antwortung der  Frage:  Wie  sind  die  französischen  Verse  zu 
lesen?  (Oppeln,  1888,  Maske)  überzeugend  behandelt  worden.  In 
diesem  Buche  hat  der  wahrheitsliebende  feinsinnige  Metriker, 
indem  er  sich  mit  einem  Vertreter  der  extremen  Reaktion  gegen 
alte  Theorie  und  Praxis  (Sonnenburg:  Wie  sind  die  französischen 
Verse  zu  lesen f  (Berlin  1885,  Springer)  auseinandersetzte,  eine 
in  allen  wesentlichen  Punkten  befriedigende  Lösung  jenes  den  neu- 
apracbliohen  Lehrer  notwendig  interessierenden  Problems  gegeben. 


240  fV.  Ricken, 

Die  Schrift  Hnmbert's,  welche  veranlasst  wurde  durch  den 
Umstand,  dass  in  eine  von  dem  Verfasser  für  die  Renger'sche 
Sammlung  besorgte  Ausgabe  des  Misanthrope  gegen  seinen 
Willen  ein  dem  Gropp 'sehen  Äbriss  der  Verslehre  entlehnter 
^höchst  bedenklicher  Passus^,  das  ^völlige  Verstummen  des  e 
muet^  betreffend,  aufgenommen  wurde,  hat  freilich  bei  weitem 
nicht  4ie  Bedeutung  der  Arbeit  des  verstorbenen  Lubarsch. 
Ohne  sich  um  die  vorhandene  Litteratur  über  Metrik,  Rhythmik, 
den  Hiatus  und  andere  Einzelfragen  aus  der  französischen  Vers- 
lehre zu  kümmern,  ohne  etwaige  phonetische  Kenntnisse  zu  ver- 
werten, versucht  indessen  der  unzweifelhaft  mit  einem  feinen 
Geschmack  für  französische  Poesie  begabte  Verfasser,  das  Kind 
eines  französischen  Vaters,  die  Gesetze  des  französischen  Verses 
Schritt  für  Schritt  aus  der  eigentümlichen  Anlage  der  franzö- 
sischen Sprache,  welch  letztere  er  vorher  in  allzu  geistreicher 
mich  keineswegs  überzeugender  Weise  aus  dem  Geiste  des 
Volkes  erklärt,  selbständig  zu  entwickeln.  Er  zählt  nicht,  nach 
den  in  den  meisten  , Abrissen^  vorliegenden  traurigen  Mustern, 
die  mechanischen  äusserlichen  Regeln  und  Gesetze,  des  in  ihnen 
waltenden  Geistes  beraubt,  auf,  er  will  „auf  das  die  Gesetze 
des  französischen  Verses  beherrschende  beseelende  Band  hin- 
weisen; ihren  Geist  in  dem  Leser  wecken  und  jene  Gesetze,  die 
er  vielleicht  als  tote  Teile  in  der  Hand  hält,  mit  dem  ursprüng- 
lichen Leben  wieder  erfüllen.''  Und  trotzdem  die  Schrift  wegen 
des  Vei'fassers  allzu  geringer  Vertrautheit  mit  mehreren  nicht 
etwa  unwichtigen  Nebenfragen  im  einzelnen  manche  Irrtümer  auf- 
weist und  daher  immerhin  mit  Vorsicht  zu  benutzen  ist,  ist  es 
mir  keinen  Augenblick  zweifelhaft,  dass,  wenn  die  Lehrer  des 
Französischen,  welche  mit  ihren  Schülern  einen  Dichter  zu  lesen 
haben  und  doch  auf  dem  Gebiete  der  Metrik  und  Rhythmik  sich 
nicht  genügend  orientiert  wissen,  in  dieses  Büchlein  und  in  das 
schöne  Werkchen  von  Lubarsch  einmal  sich  versenken  wollten, 
die  Lektüre  und  der  Vortrag  und  die  beiläufige  metrische  Er- 
klärung des  Dichtwerkes  ihre  Schüler  in  weit  erfreulicherer  Weise 
bilden  und  belehren  würde,  als  die  Regeln  und  Definitionen  der 
öden  Leitfäden,  die  das  Beste  verschweigen,  die  den  Lehrer 
nicht  mehr  sollten  zu  unterrichten  vermögen  und  in  den  Händen 
der  Schüler  doch  nur  Unheil  anrichten.  Die  Benutzung  solcher 
Abrisse  von  selten  unserer  Zöglinge  ist  ebenso  verwerflich  wie 
der  Gebrauch  von  Lehrbüchern  der  Synonymik,  von  Vokabulaires 
und  anderen  doktrinären  Zusammenstellungen  phraseologischen 
Materials. 

Ich  übergehe  alle  diejenigen  Ausführungen  Humbert's, 
welche    zu    der  von  ihm   angegriffenen  „  Gropp  -  Dickmann^schen 


Grundzüge  der  EniwickeiHng  des  e  sourd  eic,  241 

Regel  ^  über  die  Aussprache  des  weiblichen  e  im  Verse  nicht 
unmittelbar  in  Beziehung  stehen.  Vielleicht  gelingt  es  mir,  die 
vorliegende  Streitfrage  von  einigen  eigentümlichen  Qesichts- 
punkten  aus  so  zu  beleuchten,  dass  manchem  die  Stellungnahme 
erleichtert  und  eine  Einigung  der  Parteien  eher  erzielt  wird. 

Bei  Gropp,  S.  8,  lautet  die  ganze  Regel  folgendermassen: 
,,Nach  der  Theorie  müsste  das  als  Vokal  einer  vollen 
Silbe  den  übrigen  Vokalen  gleichberechtigte  sogenannte  stumme 
e  stets  mit  dem  Laut  des  sogenannten  dumpfen  e  (e  sourd)  ge- 
sprochen werden.  In  der  Praxis  jedoch  unterscheidet  sich  heut- 
zutage  die  Aussprache  dieses  Lautes  nicht  wesentlich  von  der- 
jenigen in  der  guten  Prosa.  Sie  hängt  im  allgemeinen  von  der 
Beschaffenheit  der  vorhergehenden  und  folgenden  Konsonanten 
ab;  häufig  beruht  sie  auch  auf  der  subjektiven  Auffassung  und 
Stimmung  des  Sprechenden  oder  auf  der  Gattung  der  Dichtung, 
welcher  der  betreffende  Vers  angehört.  Im  allgemeinen  lässt 
sich  folgendes  Gesetz  aufstellen:  Wenn  die  Natur  der  voran- 
gehenden resp.  folgenden  Konsonanten  in  der  Prosa  ein  völliges 
Verstummen  des  Lautes  zulässt,  so  tritt  dies  gewöhnlich  auch 
in  der  Poesie  ein;  höchstens  macht  sich  das  Vorhandensein  des 
e  durch  ein  längeres  Austönen  des  vorhergehenden  Konsonanten 
hörbar,  wodurch  zugleich  eine  Verlängerung  der  vorhergehenden 
Silbe  eintritt,  z.  B.: 

Tons  resteni  (lies:  resf),  les  hras  en  haut  (Brizeux) 
Voüä  notre  uniqtie  (lies:  noir^wiiqu)  tre'sor  (Lacbambeaudie) 
Comme  (lies:   comm')  Rome  (lies:  RonC)  Coclks  vous  avez  Galgacus 

(Hugo). 

Das   e   ist   mehr   oder   weniger  mit  dem   dumpfen  ö-Laute 

hörbar  in  den   einsilbigen  Wörtern  je,   wc,  te  etc.,   femer  nach 

muta  cum  liquida  und  wenn  die  Natur  des  folgenden  Konsonanten 

eine  deutliche  Aussprache  des  e  nötig  macht,  z.  B.: 

Eniraine  le  plus  fori,  trouhXQ  le  plus  hardi  (SuUy  Prudhomme) 
Parl^Aui  smis  effroi:  lui  seid  peui  te  comprendre  (Lamartine) 
Plus  prompts  que  raquÜon,  /bndent  de  touies  paris  (Lamartine) 
MaitiQ  lenard,  par  Codeur  alleche  (Lafontaine)  — ." 

Vergleicht  man  diese  Erklärungen  mit  den  Resultaten  der 
neuesten  Fassung  Lubarsch's,  so  lässt  sich  allerdings  nicht 
leugnen,  dass  Gropp  nicht  ohne  Glück  versucht  hat,  dem  Gesetze 
mit  seinen  Einschränkungen  und  Vorbehalten  eine  Fassung  zu 
geben,  die  der  Wahrheit  nahe  käme,  wofern  man  den  Gebrauch 
der  Bühne  als  massgebend  ansieht.  Dass  der  Lautwert  des  e 
sourd  der  weiblichen  Endungen  (in  der  Prosa)  beim  Vortrag 
von  Versen  an  sich  nicht  geändert  werde,  hatte  Lubarsch  ja 
bereits  1879  hervorgehoben.  Er  hatte  aber  auch  damals  schon 
den  für  eine   richtige  Auffassung   der  Sachlage  wesentlichen  Zu- 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XIi.  ^^ 


242  ^.  Ricken, 

satz  gemacht,  dass  die.  Silbe,  der  jenes  e  angehöre,  dnrch  deut- 
liche von  der  vorhergehenden  Silbe  mehr  losgelöste  Artikulation 
ihrcB  konsonantischen  Anlautes  möglichst  selbständig  fUr  das 
Ohr  hervorgebracht  werde.  Diesen  Punkt  nun  hat  er  in  seiner 
letzten  Schrift  neuerdings  klar  und  vorzüglich  behandelt,  so  zwar, 
dass  von  hier  aus  sicher  eine  Versöhnung  der  streitenden  Parteien 
wird  erzielt  werden  können.  —  Trotz  seiner  etwas  gewundenen  * 
Erklärungen  und  der  reichlichen  Verwendung  der  verschiedene 
Auswege  offen  lassenden  beschränkenden  Adverbien  „im  allge- 
meinen'', „gewöhnlich**,  „häufig",  „nicht  wesentlich",  darf  man 
doch  wohl  behaupten,  dass  Gropp,  da  er  seine  Regel  schrieb, 
mit  derselben  nicht  in  dem  Sinne  Lubarsch's  die  feststehende 
Silbenzahl  des  Verses  zu  wahren  gedachte,  sondern  sich  mehr 
dem  Standpunkte  Sonnenburg's  näherte,  der  beispielsweise 
Alexandriner  von  (9)  10,  11  Silben  annahm,  (ja  einen  solchen 
Wechsel  der  Silbenzahl  als  notwendig  ansah,  da  auf  ihm  zum 
grossen  Teil  der  Wohlklang  des  Verses  beruhe).  Denn  selbst 
wenn  „  das  längere  Austönen  des  vorhergehenden  Konsonanten "  als 
ein  ungeschickter  Ausdruck  für  die  „selbständige  von  der  vorher- 
gehenden Silbe  losgelöste  Artikulation"  desselben  betrachtet  werden 
dürfte,  würde  doch  das  hinzugesetzte  „höchstens"  einen  dement- 
sprechenden  Vortrag  als  einen  wohl  einmal  festzustellenden  doch 
keineswegs  herrschenden  und  bindenden  Gebrauch  charakterisieren. 
Humbert  dagegen  steht  einfach  auf  dem  Standpunkte,  den 
Legouvö  einnimmt,  der  da  sagt :  Le  lecteur  qui  ne  prononce  pas  les 
e  intermidiaires  faxt  un  vers  fauXy  ein  Standpunkt,  den  Banville 
und  Leconte  de  Lisle  nach  Lubarsch,  Deklamation  und  EhythmuSy 
S.  22  und  28  durchaus  teilen.  Der  unterschied  in  dem  Vor- 
trage des  lecteur  par  excellence  und  Dichters  Legouv6,  und  der 
Dichter  Banville  und  Leconte  de  Lisle,  der  in  einer  beiläufigen 
(nach  der  Darstellung  bei  Lubarsch,  S.  25  eigentlich  recht  un- 
motivierten) Äusserung  Banville's  zum  Ausdruck  kommt,  scheint 
im  Grunde  nicht  so  bedeutend  zu  sein  und  sich  nur  auf  die 
„Interpunktion '^  beim  Lesen  des  modernen  Verses  zu  beziehen 
(Lubarsch  38),  und  betrifi^  auf  keinen  Fall  die  Behandlung  des 
weiblichen  e  im  Innern  der  Verse.  Es  wäre  demnach  nicht  zu 
billigen,  wollte  man  den  Versuch,  die  vorliegende  Streitfrage  mit 
einiger  Sicherheit  bei  uns  zu  lösen,  mit  einem  Hinweis  auf  die 
Meinungsverschiedenheiten  französischer  Autoritäten  als  gewagt 
und  vergeblich  hinstellen.  Im  Punkte  des  e  sourd  sind  die  drei 
Gewährsmänner  Lubarsch's  vollständig  einig. ^) 

^)  Plattner  im  Gymtiasium  VII,  2  (Sp.  52)  und  Heller  in  der 
Franco-Gallia  VI,  2  (S,  57)  scheinen  diese  Meinungsverschiedenheiten 
zw  übertreiben  und  auch  auf  die  Frage  des  e  so^trd  auszudehnen. 


Grundzüge  der  Entruickelnng  des  e  sourd  etc.  243 

• 

Uumbert  äussert  sich  so:   „Die  neue  Regel  von  Gropp  und 
Biekmann  widerspricht  der  Konsonantenscheu,  zerstört  die  Leichtig- 
keit   des  Rhythmus    und    der   Bewegung"......     „Sie   wider- 

sfkricht  dem  Grundprinzip  der  französischen  Rhythmik,  der  Silben- 
siählnng,  auf  welcher  der  Unterschied  der  Verse  beruht.  (?) 
Solche,  die  .zwötfsilbig  sein  sollen,  werden  neun-,  zehn-,  elf- 
^Ibig;.  und  mitten  zwischen  wirklich  zwölfsilbige  hineingeworfen, 
inn  die  vom  Ohr  erwartete  und  gefprdette  Gleichheit  zu  stören: 
ipQ^'  z^efache  Missgeburt,  wie  mitten  in  der  Odyssee  oder  in 
dem  Dialog  eines  griechischen  Trauerspiels  ein  drei-,  vier-,  fUnf- 
ffissiger  Hexameter  oder  jambischer  Senar." 

„Sie  zerstört  zugleich  den  Bau  jedes  einzelnen  Verses  selber, 
und  im  Alexandriner  die  so  wichtige  Gleichheit  seiner  zwei  Teile." 

„Nicht  einmal  in  Gassenhauern  und  Bänkelsängereien  lässt 
sich  der  Franzose  das  bieten.  Selbst  da  wird  das  Silbenmass 
lunegehalten,  die  verschluckten  e  zählen  nicht  mit  und  werden 
auch  nicht  geschrieben;  man  ersetzt  sie  durch  einen  Apostroph, 
und  wenn  man  sie  schreibt,  müssen  sie  selbst  in  Gassenhauern 
gesprochen  werden."^)  —  Letzteres  belegt  er  mit  klaren  Bei- 
spielen aus  der  allerneuesten  Zeit. 

Abgesehen  davon,  dass  ich  die  (für  die  heutige  Sprache 
immer  hypothetischer  werdende)  „Kosonantenscheu"  des  Fran- 
zosen nicht  als  einen  zureichenden  Grund  für  die  Notwendigkeit 

^)  Es  ist  interessant  und  lehrreich  zu  beobachten,  wie  schon  vor 
mehr  als  200  Jahren  Chiflet  mit  denselben  Gründen  gegen  die  Lehre 
eines  Grammatikers,  nach  welcher  das  e  feminin  im  Innern  des  Wortes 
und  am  Ende  der  einsilbigen  Partikeln  vollständig  verschluckt  werde, 
zu  Felde  zieht.  Doch  ist  nicht  zu  vergessen,  dass  Chiflet  damals  die 
Richtigkeit  obiger  Lehre  selbst  in  Ansehung  der  familiären  Sprache 
bestreitet,  Humbert  heute  die  Richtigkeit  einer  ähnlichen  Lehre  in  An- 
sehung der  getragenen  Sprache  dichterischen  Vortrags,  ein  Verhältnis, 
auf  das  wir  weiter  unten  noch  mehrmals  zurückkommen  werden.  Die 
Worte  Chiflet's  (Essai  d'une  parfaüe  grammaxre  de  la  langue  fran^oise, 
sixihnie  ed,,  Cologne  1680,  S.  212)  lauten:  Sur  cel  e  feminm  ü  iCy  aque 
deux  choses  ä  dire,  contre  une  double  erreur  d'un  Grammmrien.  La 
jn- emier e  est,  en  ce  qu*il  dii,  que  cei  e  se  mange  toui-ä-faii  au  milieu  des 
mois,  ei  qu'il  ne  se  prononce  point  du  toui  ä  la  fin  des  pariicules  mo- 
nosyUahes;  et  par  conse'quent  quil  faut  dire,  da  pour  que  la,  sla  potir 
cela;  ack(e)ter  pour  acneier,  Ison  pour  le^on,  eic.  Je  dis  de  cette  pro- 
npnciation  äffe  et  ee  qu'elle  est  fausse,  injurieuse  ä  nostre  langue  et 
ioialemeni  pernicieuse  ä  la  pocsie  FranQoise.  EÜe  est  fausse,  parce 
qu'eUe  aneantit  des  syUabes  entieres  qui  ont  droit  d*estre  distingue'es  des 
autres,  quoy  que  favou^  qu'eües  sont  fort  courtes;  et  qu*il  les  faut  pro- 
noncer  brie'vement.  Elle  est  injurieuse  ä  nostre  langue :  d^auiani  qu^eüe 
la  rendroii  dure,  scabrettse,  et  fremissanie ;  ä  cause  du  choc  des  consonnes, 
contre  Fextreme  inclifiation  qu'elle  a  ä  la  douceur.  Enfin  eile  ruineroit 
toute  la  poesie,  estropianl  les  vers  du  nombre  des  syllabes,  qui  est  requis 
ä^leuii  me$ur4!* 

'  :  16* 


\ 


244  TV,  Ricken, 

der  Aussprache  der  weiblichen  Endungen  im  Verse  ansehen 
kann,  stehe  ich  prinzipiell  auf  dem  Boden  dieser  Humbert'schen 
Erwägungen.  Es  ist  nur  schade,  dass  der  Verfasser  lediglich 
vom  Standpunkte  des  Ästhetikers  räsonniert,  lediglich  seinem 
Geschmack,  seinem  Schönheitsgefühl,  seinem  musikalischen  Sinn 
folgt  und  nicht  für  alle  diejenigen,  welche  sich  auf  solche  Eigen- 
schaften und  Fähigkeiten  nicht  verlassen  können  und  wollen, 
eine  Reihe  anderer  Gründe,  die  sich  aus  einer  sorgfältigen 
historischen  Betrachtung  ergeben,  beizubringen  versucht  hat. 
Schade  ferner,  dass  er  es  versäumte,  auf  die  doch  von  vorn- 
herein anzunehmende  Verschiedenartigkeit  des  weiblichen  e  im 
Sinne  Lubarsch's  hinzuweisen  und  durch  eigentlich  philologische 
Betrachtung  seine  Ansichten  zu  stützen;  zu  zeigen,  unter  welchen 
Voraussetzungen  sie  auch  heute  noch  allein  berechtigt  sind,  und 
den  Punkt  zu  bestimmen,  von  dem  aus  abweichende  Meinungen 
einige  Körnchen  Wahrheit  erhalten.  Die  oben  mitgeteilten  Stellen 
aus  der  Regel  Gropp*s  waren  sehr  wohl  geeignet  ihn  zu  der- 
artigen Untersuchungen  zu  veranlassen. 

Welche  Beleuchtung  nun  empfängt  unsere  Frage  von  der 
sprachgeschichtlichen  Forschung?  Inwiefern  müssen  sich  unsere 
Anschauungen  von  der  Aussprache  des  weiblichen  e  beim  Vor- 
trage von  Versen  klären,  wenn  wir  dieses  Problem  auch  einmal 
aus  dem  Gesichtspunkte  stetiger  immer  fortschreitender  Sprach- 
entwickelung und  unter  sorgföltiger  Beachtung  des  allgemeinen 
Gesetzes  von  der  Allmählichkeit  des  Lautwandels  betrachten? 
Ob  dabei  nicht  vielleicht  einige  Analogieschlüsse  sich  ergeben, 
denen  eine  grössere  Überzeugungskraft  innewohnt,  als  ästhetischen 
Erwägungen  und  Deduktionen? 

Das  „e  muet  ou  obscur''\  wie  Richelet  sich  ausdrückt,  hat 
in  den  verschiedenen  Stellungen,  die  es  einnehmen  kann,  immer 
verschiedenen  Wert  gehabt,  in  der  Sprache  der  Konversation  wie 
in  der  Sprache  des  discours  soutenu  und  der  Poesie.  Zunächst 
ist  es  in  allen  Fällen  hörbar,  hier  weniger,  dort  mehr.  Die 
Tendenz  der  Unterdrückung  des  c  beginnt  dann  an  einem  be- 
stimmten Punkte  sich  deutlicher  fühlbar  zu  machen.  Von  hier 
aus  geht  der  Verstummungsprozess,  verschiedene  Stadien  durch- 
laufend, allmählich  und  unaufhaltsam  weiter.  Fast  immer  ist  es 
zunächst  die  familiäre  Sprache,  welche  der  Verlust  trifft,  natür- 
lich ohne  dass  sie  denselben  bedauerte.  Die  Sprache  der  ge- 
tragenen Rede,  die  Sprache  des  langsamen,  gemessenen  dichterischen 
Vortrags  weigert  sich  lange  genug,  den  neuen  Manieren  ihrer 
leichten  Schwester  zu  folgen:  aber  ihr  Widerstand  ist  auf  die 
Dauer  vergeblich.  Täglich,  stündlich  erobert  die  junge  Mode 
weitere    Kreise,    grössere   Gebiete.     Sie   befestigt  sich    in  ihrer 


Grundzüge  der  Eniwickelung  des  e  sourd  eic.  245 

Macht,  und  bald  ist  sie  die  unbestrittene  Herrin.  Wenn  bei 
ihrem  ersten  Auftreten  ihre  Art  als  affektiert  und  geschmacklos 
galt,  so  ist  sie  jetzt  die  allein  natürliche  und  feine.  Wenn  der 
neuen  Aussprache  zuvörderst  der  Vorwurf  der  Härte  gemacht 
wurde,  so  übt  sie  nunmehr  eine  ausserordentlich  angenehme 
Wirkung  auf  das  Ohr  aus,  während  die  alte  Aussprache  allge- 
mein als  schleppend  und  abstossend  empfunden  wird.  Da  unter- 
werfen sich  dann  auch  Redner  und  Dichter  dem  allgemeinen  Brauch. 

Wenn  nun  dies  der  Lauf  der  Dinge  ist  —  was  ich  sogleich 
an  einer  Reihe  von  Beispielen  darzuthun  gedenke  — ,  so  ist  klar, 
dass  eine  Zeit  kommen  muss,  in  der  die  früheren  weiblichen  e 
aus  der  Volkssprache  völlig  werden  verschwunden  sein.  Sodann 
ist  auch  der  Tag  verhältnismässig  nicht  mehr  so  fern  —  immer- 
hin können  mehrere  Jahrhunderte  darüber  hingehen  — ,  wo  auch 
der  Deklamator  und  der  Dichter  sie  nicht  mehr  zu  sprechen, 
nicht  mehr  zu  berücksichtigen  wagen  werden.  —  Ob  wir  diesem 
Tage  schon  jetzt  nahe  gekommen  sind? 

Um  das  Verhältnis  der  Vortragssprache  zur  leichten  Um- 
gangssprache und  die  stufenweise  Entwickelung  beider  immer 
nach  derselben  Richtung  hin  darzulegen  und  zu  zeigen,  wie  jene 
(beispielsweise  die  Sprache  der  Poesie)  den  von  dieser  diktierten 
Gesetzen  schliesslich  folgt,  führe  ich  zunächst  einiges  aus  der 
Entwickelungsgeschichte  der  Endkonsonanten  und  der  inlautenden 
Vokalverbindungen  vor.^) 

In  den  älteren  Zeiten  der  französischen  Sprache  wurden 
die  heute  stummen  Endkonsonanten  noch  durchweg  gesprochen. 
Allmählich  verschwinden  die  meisten  derselben  aus  der  gewöhn- 
lichen Unterhaltungssprache.  Verstumpfung  und  Schwund  treten 
bei  gewissen  Konsonanten  etwas  früher  ein  als  bei  anderen  und 
werden  andererseits  mitbestimmt  durch  die  Natur  der  vorher- 
gehenden Laute.  Besonders  aber  hat  auf  die  Hörbarkeit  des 
Endkonsonanten  die  Natur  des  etwa  folgenden  Lautes  Einfluss. 
Seit  dem  13.  Jahrhundert  gilt  die  Regel,  dass  die  Endkonsonanten 
verstummen,  sobald  ihnen  ein  konsonantisch  anlautendes  Wort 
ohne  Pause  folgt:  anderenfalls  aber  bleiben  sie  hörbar. 


1)  Die  im  Folgenden  viber  die  Entwickelnngsgeschichte  der  aus- 
lautenden Konsonanten,  der  Vokalverbindungen  im  Innern  französischer 
Wörter  und  des  weiblichen  e  angegebenen  Thatsachen  finden  sich 
meist  schon  in  meinen  Untersuchungen  über  die  metrische  Technik 
Corneiile's  und  ihr  Verhältnis  zu  den  Regeln  der  französischen  Vers- 
kunst, Teil  I:  Silbenzahlung  und  Hiatus  (zu  beziehen  durch  Maske, 
Oppeln.  l,öO  Mk.)  an  verschiedenen  Stellen  belegt.  Da  indessen  jenes 
Buch  bedauerlicher  Weise  in  weiteren  Kreisen  kaum  bekannt  geworden 
zu  sein  scheint,  so  kann  ich,  will  ich  verstanden  werden,  nicht  einfach 
darauf  verweisen. 


'046  W.  Ricken, 

i.;  Und  noch  :!m  XVL' ttifd  im  all^emeiHen  auch  im  Xyil. 
Jahrhundert  herrseht  flir  den  style  gpuienu  in  seinen  verschiedeQjeti 
Abstufungen  weseqtlich  da$selbe  Gesetz.  Aber  um  diese  selbe 
Zeit  ist  der  Endkonsonant  in  der  Sprache  des  Volkes  auoh.v^r 
einer  Pause  stumm  und  selbst  in  der  etwas'  gemesseneren  -fa- 
miliären Sprache  der  Gebildeteu  yerpiögen  wenigstens  klQipQr^ 
Pausen  den  Konsonanten  nicht  zu  retten.  Ztir  Zeit  der  Corneille, 
Moliöre  und  Racine  kannte  die  gebildete  Unterhaltung  die  Aus- 
sprache gewisser  Endkonsonanten  nur  noch  vor  folgendem  Vokal 
und  auch  dann  nicht  ausnahmslos.  Heutzutage  gibt  es  in  der 
schneller  sich  entwickelnden  Unterhaltungssprache  des  grossen 
Haufens  nur  einen  verhältnismässig  kleinen  Rest  der  alten 
.„Bindungen^,  aber  fUr  den  stple  soutenu,  fOr  den  Vortrag  und 
dlQ  Deklamation  eines  Stückes  ernster  Prosa  oder  gar  ernster 
Poesie  haben  die.  von  Grammatikern  des  XVU.  Jahrhunderts 
(z.  B.  Chiflet)  nach  dein  Sprachgebrauch  der  Gebildeten  und  des 
Hofes  aufgestellten  Regeln  noch  heute  ihre  volle  Gültigkeit.  Ja, 
der  gtyU  soutenu  hat  sich  im  einzelnen  manchmal  einen  noch 
älteren  Lautstand  bewahrt  (vgl.  W.  Ricken,  l.  c,  S.  57  und  58). 
Wie  lunge  werden  sie  Geltung  behalten?  Das  vermag  niemand 
zu  sagen.  Aber  sie  werden  fallen,  wenn  auch  langsam.  Die 
Scheu  vor  dem  Hiatus  und  die  Schultradition  schützen  jene  Kon- 
sonanten vielleicht  ungewöhnlich  lange,  so  dass  Legouv6  sagen 
kiinn:   II  y  a  trls  peu  de  Uaisons  absolument  tnutiles» 

Um  die  Mitte  des  XVI.  Jahrhunderts  ist  z.  B.  der  End- 
konsonant von  Wörtern  wie  forty  aecordj  porty  renardy  arty  hctsardy 
Scart  in  der  guten  familiären  Sprache  verstummt.  Wird  man 
nun  in  der  Poesie  sofort  or  und  forty  char  und  Scart  mit  ein- 
ander reimen  lassen?  Gewiss  nicht,  da  jener  Konsonant  in 
feierlich-langsamei;,  getragener  Rede  laut  bleibt.  Doch  die  Sprache 
der  Litteratnr  muss  der  Volkssprache  einmal  unweigerlich  folgen. 
Der  Wendepunkt  muss  sich  also  irgendwo,  zeigen.  Wo  wird  er 
er  sich  zuerst  zeigen?  Es  hängt  dabei  einiges  von  dem 
herrschenden  Kunstgeschmack  einer  Zeit  ab,  von  ihrem  eigen- 
tümlichen gesellschaftlichen  Lebep,  von  den  Machtverhältnissen 
der  einzelnen  Stände,  von  dem  Werte  und  dem  Einfluss  der 
schönen  Litteratnr,  welche  frühere  Perioden  etwa  hervorbrachten: 
das  ist  nicht  zu  leugnen.  Aber  doch  wird  jedes  Zeitalter  ver- 
schiedene litterarische  Gattungen  erzeugen,  von  denen  jede  die 
ihr  naturgemäss  zukommende  Vortragsweise  fordern  wird.  Und 
zwar  wäre  es  verfehlt  anzunehmen,  dass  die  Prosa,  welche  es 
auch  sei,  dem  Gebrauch  der  leichten  UmgiiDgssprache  früher 
folgen  werde,  als  die  Poesie,  zu  welcher  Gattung  sie  immer  ge- 
hören   möge.     Es    kommt  viel   weniger    auf   die  grössere    oder 


Grundzüge  der  Eniwickehing  des  e  sourd  etc.  247 

geringere  änssere  Gebundenheit  der  Sprache  an,  als  auf  den 
inneren  Geist  und  Kern  und  Charakter  der  Gedanken  und 
Empfindungen,  denen  man  Ausdruck  verleihen,  auf  die  Situation, 
der  man  durch  kunstgemässen  Gebrauch  des  feinen  Werkzeuges 
der  Stimme  gerecht  werden  will.  Eine  Leichenrede  Bossuet's 
wird  man  also  weit  ernster,  feierlicher,  gemessener  zum  Vortrag 
bringen,  wie  eine  Komödie,  die  den  natürlichen  Volkston  mög- 
lichst treffen  muss.  Wollte  ein  Schauspieler  letztere  mit  ge- 
nauester pedantischer  Beobachtung  aller  Regeln  der  Versifikation 
auf  der  Bühne  zum  Vortrag  bringen,  so  würde  man  seine  Sprache 
auch  vor  zwei  Jahrhunderten  schon  gezwungen,  affektiert  und 
unerträglich  gefunden  haben. 

Ronsard  nun,  der  einer  Zeit  angehört,  in  welcher  die  frlanr 
zösische  Muse  weniger  majestätisch  einherschreitet  wie  in  der 
nächstfolgenden  Zeit,  rät  zuerst  in  seinem  Art  PoiUque  zu  or 
und  char  ^hardiment''''  forty  ort,  accord  —  part^  renarty  arty  fard 
zu  reimen.  Gewiss  hat  er,  als  er  diesen  Rat  erteilte,  ei^e 
leichtere  Dichtung  im  Auge  gehabt,  nicht  die  pathetische  Ode 
eines  Malherbe  oder  die  würdevolle  klassische  Tragödie  eines 
Jodelle  und  Corneille.  Es  bricht  sich  denn  auch  jene  Lizenz 
längere  Zeit  hindurch  keineswegs  Bahn;  bei  Racine  findet  sich 
vereinzelt  in  der  Komödie  der  Plaideurs  III, .  3  der  Reim  ha^ard: 
cary  und  bei  Möllere  ebenso  vereinzelt  ä  licart :  DrScar  in  den 
Fdcheux  II,  7.  Aber  in  den  recht  volkstümlichen  Dichtungep 
Llifontaine's  treffen  wir  solcher  Reime  schon  eine  erkleckliche 
Zahl  an.  Heutzutage  würde  man  sie  viel  weniger  meiden,  wenn 
nicht  der  ungeheure  Einfluss  der  klassischen  Dichtung  de$ 
XVII.  Jahrhunderts  und  der  aus  ihr  abstrahierten  Gebote  wirk- 
sam gewesen  wäre,  ein  Einfluss,  dem  auch  die  genialsten  Dichter 
gerade  inbezug  ai^  manche  Äusserlichkelten  sich  kaum  zu  ent- 
ziehen gewusst  haben. 

Auch  an  der  Entwickelungsgeschichte  gewisser  Vokal- 
verbindungen  im  Wortinnern  zeigt  sich  deutlich,  wie  die  Sprache 
der  gehobenen  Rede,  die  Sprache  der  Poesie  schliesslich  der 
Umgangssprache  nachkommen  und  sich  lange  gegoltenem.  Ge- 
brauch früher  oder  später  fügen  muss.  In  meinen  Untersuchuogen 
Über  Cornelias  metrische  Techno  cte.,  S.  23  bis  31,  findet 
man  auch  dafür  zahlreiche  überzeugende  Belege.  Zur  Veran- 
schaulichung wähle  ich  hier  nur  das  Wort  ancien^  weil  der  ver- 
änderte Silbenwert  seines  ie  von  Humbert  S.  12  besprochen,  und 
(wie  mehreres  andere  in  der  Schrift)  fal$ch  begründiet.  wird, 
Humbert  sucht  darzulegen,  wie  die  Sprache  der  Foesie,  durch 
vergrösserte  Scheu  vor  Konsonanten  und  vor  dem  Hiatiis  sich 
entschädigt  für  das,  was  sie  durch  den  bedächtig-ruhi^ren  Gang 


248  W,  Ricken, 

und  das  damit  im  Zusammeuhang  stehende  Wiederhervortreten 
des  Worttones  an  Leichtigkeit  einbilsst.  Nach  ungenügender 
kurzer  Besprechung  des  Hiatus  (man  vergleiche  mein  oben 
zitiertes  Buch  8.  32  bis  67,  sowie  meine  Neuen  Beiträge  zur 
Hiatusfrage  in  der  Zeitschrift  VII  ^)  handelt  er  von  der  Kon- 
sonantenscheu in  folgenden  Worten:  ,,Die  Konsonantenscheu  ist 
im  Vers  noch  grösser  als  die  vor  dem  Hiatus ;  auch  den  leisesten 
Schatten  von  Härte  sucht  sie  zu  meiden.  —  Im  Innern  der 
Wärter  schafft  sie  gar  manchen  Hiatus,  der  in  der  Prosa  nicht 
da  war:  bei  der  Aussprache  sonst  einsilbiger  Diphthonge.  Im 
Vers  sind  sie  vorwiegend  zweisilbig  (?)  —  —  —  —  —   —  — 

Dass  hier  überall  die  Scheu  vor  der  Härte  eine  ent- 
scheidende Rolle  spielt,  zeigt  eine  Bemerkung  Voltaire's  über 
ancien,  zu  dem  Verse  Oorneille's: 

Tai  sti  toui  le  detail  (Tun  ancien  valet, 
^Ancien  de   troi-s  sylldbes  rend  le  vers  languissant;   ancien  d^ 
deux  syllahes   devient  dur.     On   est  reduit  ä   iviter   ce  moty 
quand  on  veut  faire  des  vers  oö  rien  ne  rehute  toreille,^ 

Anfangs  gebrauchte  man  es  dreisilbig.  Die  grossen  Dichter 
des  silcle  de  Louis  XIV  gingen  dem  Worte  wirklich  aus  dem 
Wege;  jetzt  wird  es  zweisilbig  gebraucht."  —  Hierzu  wird  dann 
noch  die  Anmerkung  gesetzt:  „Darin  zeigt  sich  der  schon  er- 
wähnte wechselnde  Begriff  von  Wohllaut.  Die  einst  zartere, 
aristokratische  Sprache  hat  sich  etwas  demokratisiert.'' 

Humbert  geht  also  von  der  Annahme  aus,  ancien  sei  eigent- 
lich in  der  Prosa  oder  in  der  Umgangssprache  zweisilbig.  Die 
Konsonantenscheu  habe  bewirkt,  dass  die  Dichter  es  als  drei- 
silbiges Wort  gebrauchten.  Indem  sich  aber  schliesslich  die 
Sprache  der  Poesie  vergröberte,  Hess  sie  ancien  als  zweisilbiges  zu. 

Der  wahre  Sachverhalt  ist  folgender:  Ancien  ist  ursprüng- 
lich seiner  Herkunft  entsprechend  in  der  Volkssprache  dreisilbig. 
Aber  die  natürliche  Tendenz  geht  hier  wie  fast  überall  dahin, 
die  zweisilbige  Vokalverbindung  zur  einsilbigen  zu  machen. 
Ancien  ist  schon  im  XVI.  Jahrhundert  mit  diphthongischer  Aus- 
sprache des  ie  bezeugt.  Caucius  bezeichnet  ancien  trisyUabe  be- 
reits als  licence  poetique,  Rambaud  und  Lanoue  fordern  ebenfalls 
die  zweisilbige  Aussprache. 

Im  vornehmen  XVII.  Jahrhundert  scheint  eine  schwache 
Reaktion  einzutreten,  indem  das  Wort  ziemlich  allgemein  (aber 
wohl  für  die  Litteratur)  als  dreisilbig  hingestellt  wird.  Corneille 
gebraucht  es,  gerade  wie  Jodelle,  nur  dreisilbig,  und  dass  er 
dem  Worte  aus  dem  Wege  gehe,  ist  nicht  zu  glauben.  Ebenso 
spricht  er  mit  Jod  eile  gardi\en.  Das  häufig  gebrauchte  chritien 
aber  ist  (ebenfalls  naturgemäss)  in  seiner  Entwickelung  den  anderen 


Gnmdzüge  der  Eniwickelung  des  e  sourd  etc.  249 

auf  i\m  vorangeeilt:  und  wie  schon  Jodelle  es  ausschliesslich 
zweisilbig  verwendet,  so  kennt  auch  Corneille  hier  die  zweisil- 
bige Aussprache  des  ie  nicht  mehr.     Hatte   doch    schon  Peletier 

chretien  als  durchaus  gebräuchlich  hingestellt,  indem  er  schrieb: 
II  U  tout  commun  de  dire  critiin  dissüdbe  pour  critiin  trissüldbe. 

Dass  nun  auch  noch  nach  Corneille  ancien  im  style  soutenu 
den  Wert  dreier  Silben  hat,  ist  ziemlich  natürlich.  In  der 
Unterhaltung  aber  kennt  man  diese  Aussprache  bald  nicht  mehr. 

Zuerst  macht  das  neue  ancien  den  Eindruck  des  Affektierten,  Ge- 
schmacklosen, des  Groben  und  Abstossenden:  es  beleidigt  das 
„feine"  Ohr.  Doch  der  Spiess  wendet  sich.  Man  gewöhnt  sich 
mehr  und  mehr  an  diese  Lautform.  Es  kommt  eine  Zeit,  in  der 
man  in  seinem  Urteil  schwankt.  Jede  der  beiden  Aussprachen 
hat  ihre  Vorzüge,  jede  ihre  Mängel.  In  dieser  Zeit  lebt  Voltaire. 
Dort  steht  der  Vers  Corneille's.  Er  liest  ihn.  Das  anci\en 
befriedigt    ihn    nicht,    kann   ihn   nicht   mehr   befriedigen.      Es 

klingt  zu  weichlich  und  zu  schleppend.  Ancien  aber  befriedigt 
ihn  auch  nicht,  kann  ihn  noch  nicht  befriedigen.  Es  klingt 
zu  „hart".  Für  eine  kurze  Zeit  mag  also,  wer  will,  das  Wort 
meiden.  Bald  wird  es  überall  wieder  auftauchen,  nur  zweisilbig 
gesprochen  werden  und  nur  angenehm  klingen.  Die  Poesie  ist 
dem  allgemeinen  Brauche  gefolgt.  Jene  „Demokratisierung^  ist 
also   nichts  weiter   als   die  natürliche   sprachliche  Entwickelung. 

Das  weibliche  e  hat,  wie  man  weiss,  zu  allen  Zeiten  an 
Gebiet  verloren.  Ich  erinnere  nur  an  die  zu  bestimmter  Zeit 
aufkommenden  Schreibungen  larcin^  carfour^  courtiery  chartier  etc, 
die  älteren  dreisilbigen  Formen  (larrecin  etc.)  entsprachen,  Wörter, 
in  welchen  die  Volkssprache  schon  geraume  Zeit  den  Vokallaut 
hat  verschwinden  lassen,  als  die  Sprache  der  Poesie  ihr  folgt. 
Ich  erinnere  ferner  an  eaue^  an  armeure,  cm,  reu,  seoir^  eage  etc,  etc, 
des  Altfranzösischen.  Dass  die  Silbenzahl  ganzer  Gruppen  von 
Wörtern  durch  Verstummen  eines  e  verringert  wird,  ist  fUr  die 
neuere  Sprache  zuerst  da  zu  beobachten,  wo  ein  protonisches  e 
hinter  Vokalen  (oder  Diphthongen)  steht.  Dasselbe  zeigt  schon 
im  XIV.  Jahrhundert  (in  der  Schriftsprache!)  die  Tendenz  des 
Verstummens.  Es  wird  bald  (im  XVI.  Jahrhundert)  gar  nicht 
mehr  gehört.  iDer  einflussreichste  Grammatiker  des  XVII.  Jahr- 
hunderts, Vaugelas,  fordert  denn  auch  1647,  dass  es  weder  ge- 
schrieben noch  gesprochen  werde,  und  dass  man  auch  im  Verse 
lourat/y  nicht  lou&ray  sagen  solle.  Nicht  dieser  Vorschrift, 
sondern  nur  lange  gegoltenem  Gebrauche  und  dem  Sprachgefühle 
folgend  spricht  demgemäss  Corneille  das  e  niemals  mehr.  Wird 
er  nun  criera,  attribtierez,  envoierois,  paiera,  reniementy  infiniement, 


250  W,  Ricken, 

m 

ägriementy  remuement  etc»  schreiben,  das  nicht  gesprochene  le  aber 
trotzdem  als  Silbe  zählen  und  so  einen  männlichen  Alexandriner 
von  elf  oder  einen  weiblichen  von  zwölf  Silben  bauen?  Das 
thut  er  nicht.  Er  schreibt  mera  und  crtra,  paiera  und  patra; 
doch  wie  er  auch  schreibe,  ein  e  wird  nicht  gesprochen,  das  e 
wird  nicht  „gezählt".  Ebensowenig  bei  Jodelle  und  Garnier, 
welche  es  höchstens  einmal  hinter  Diphthongen  (auch  Meliere 
thut  dies  noch!)  zu  Gehör  bringen.  Wie  nun  aber,  wenn  man 
'zu  Jodelle's  oder  Corneille^s  Zeit  Dichtungen  aus  der  Zeit  des 
Marot  deklamierte?  Drei  Möglichkeiten  lagen  da  offenbar  vor: 
entweder  man  liess  dem  Rhythmus  zu  Liebe  das  betreffende  e 
ein  wenig  zur  Geltung  kommen,  was  um  so  eher  anging,  je  näher 
man  der  Zeit  stand,  in  welcher  es  in  der  normalen  Sprache  ver- 
stummt war  (und  diese  Praxis  ist  ausdrücklich  bezeugt:  vgl. 
meine  Anführung  aus  Dhuöz  in  einer  Anmerkung  S.  11  und  12 
meiner  oben  angeführten  Untersuchungen),  oder  man  setzte  ein 
einsilbiges  Wörtchen  hinzu  oder  traf  sonst  eine  kleine  Ver- 
änderung, was  nicht  zu  viel  Mühe  machte,  da  die  Wörter  dieser 
Art  in  den  Dichtungen  nicht  gerade  gehäuft  sind,  öder  endlich 
man  veränderte  nichts,  that  auch  nichts  hinzu,  liess  nichts  von 
dem  e  vernehmlich  werden  und  duldete  einmal  einen  Neunsilbner 
unter  Zehnsilbnern.  Dieser  drei  Mittel  bediente  man  sich  gewiss 
promiscuey  je  nach  den  Umständen,  je  nach  der  Art  der  Dichtung, 
je  nach  der  Stimmung,  die  ja  an  den  verschiedenen  Stellen  des 
Kunstwerks  sehr  verschieden   sein   kann. 

Das  finale  weibliche  e  hinter  betontem  Vokal  oder  Diphthong 
hat  etwas  später  zu  verstummen  begonnen.  Es  bleibt  deshalb 
auch  in  seiner  Entwickelung  hinter  dem  eben  behandelten  immer 
etwas  zurück.  Es  verschwindet  also  auch  etwas  später  aus  der 
pronondation  souienue.  Ausgenommen  sind  besonders  einige 
Verbalformen,  in  welchen  das  hinter  der  Tonsilbe  stehende  e 
mindestens  gleichzeitig  mit  jenem  protonischen  fällt,  nämlich 
das  Imperfektum  auf  -oye  (heute  -ais),  besonders  in  dßr  3.  Pers. 
PI.  'Oyent  oder  -oient,  dann  soyent  Im  XVI.  Jahrhundert  ist  das  e 
aller  solcher  Formen  entschieden  stumm.  In  keinem  Falle  schleppt 
hier  ein  e  sourd  nach.  Daher  kennt  schon  Jodelle  (wie  oben!)  in 
seinen  Dichtungen  nur  den  einsilbigen  Gebrauch,  ja  die  Reime 
dieser  Wörter  gelten  ihm,  wie   Späteren,  nur  alß  männliche. 

Im  übrigen  besteht  das  weibliche  e  hinter  Vokal  und 
Diphthong  noch  einige  Zeit  fort.  Es  beginnt  im  nUgem^inen 
erst  im  XVI.  Jahrhundert  zu  schwinden.  In  der  gemessenen 
Sprache  bleibt  es  immer  noch  hörbar.  Im  Anfang  des  XVII« 
Jahrhunderts  ist  es  in  der  Sprache  der  Konversation  entschieden 
stumm:  in  der  Sprache  der  Deklamation  (und  im  Gesang)  noch 


Grundzüge  der  Eniwickelung  des  e  sourd  etc.  251 

ifiefat.  Doch  steht  man  ihm  mit  demselben  GefUhle  gegenüber, 
mit  dem  Voltaire  dag  dreisilbige  ancien  betrachtet:  Cei  y^efelnUnin 
est'  dCun  accent  trop  bas  et  Ictsche,  dont  Ü  avient  que  le  vet.H  qui 
s*€n  treuve  chargd  nest  pas  coulant^  dous  et  vigoureux'^  (Deimier 
•im  Jahre  1610:  vgl.  auch  Ronsard,  (Euvres  VII,  327  f).  Und 
währepd  für  Jodelle  und  Garnier  die  zweisilbig,  gesprochenen 
vie,  vue  eic,  noch  erträglich  sind,  fangen  sie  an  Gomeille  nner- 
träglich  zu  werden,  so  dass  er  die  wenigen  Stellen,  in  denen 
dieses  e  in  seinen  früheren  Werken  noch  seinen  vollen  Silben- 
wert hut,  in  der  Gesamtausgabe  von  ^660  zum  grössten  Teil 
entsprechend  verändert.  Auch  hier  also  nicht  einfache  Ver- 
kürzung  des  Verses  um  eine  Silbe,  sondern  Änderung  desselben 
in  der  Art,  dass  trotz  der  stattgefundenen  Verkürzung  eines 
Wortes  die  gehörige  Zahl  der  Silben  wahrgenommen  wird  (vgl. 
hierzu  meine   ünternuchungen  etc.y  S.  9  bis  16). 

Und  doch  —  der  Prozess  des  Verstummens  ist,  wenigstens 
in  den  letzten  Jahrhunderten  der  Bildung,  der  Gelehrsamkeit 
und  des  Unterrichts,  in  den  letzten  Jahrhunderten,  da  das  Zeit- 
alter Ludwig's  XIV.  seinen  gewaltigen  Einfluss  geltend  gemacht 
hat,  ein  so  allmählicher,  ein  so  langsamer,  und  der  Konservatis- 
mus der  gehobenen  Sprache/ein  so  ausgeprägter,  auch  der  Unter- 
schied zwischen  dem  ruhigen  Ausdruck  eines  einfachen  Ge- 
dankens und  dem  kunstgemässen  Ausdruck  des  erhabensten 
Ernstes  und  der  höchsten  Leidenschaft  rein  lautlich  ein  6o  be- 
deutender^ dass  selbst  dieses  e  hinter  betonten  Vokalen,  das 
doch  durch  nichts  gestützt  wird,  nicht  unter  allen  Umständen 
unterdrückt  wird:  in  besonders  pathetischer  Rede,  bei  starker 
oratorischer  Dehnung  des  Tonvokals  (also  auch  abgesehen  vom 
Gesang)  kann  man  es  noch  oft  genug  hören. 

So  kommen  wir  denn  zu  demjenigen  weiblichen  e,  welches 
inbezug  auf  die  Verstummung  auf  der  letzten  Stufe  steht,  zu 
demjenigen,  welches  durch  die  ihm  beiderseits  beigegebeneh 
Konsonanten  geschützt  und  gestützt  wird.  Es  würde  indes  irre- 
führen, wollte  man  jenes  Bild  allzu  wörtlich  fassen  und  nicht 
dessen  eingedenk  sein,  dass  eine  solche  Stufe  etwa  einem 
Theaterrang  entspricht.  Es  sind  da  noch  verschiedene  Höhen- 
verhältnisse zu  unterscheiden,  je  nachdem  das  weibliche  e  mehr 
oder  weniger  von  seinen  Begleitern  geschützt  wird.  Und  anderer- 
seits ist  es  wohl  möglich,  dass  der  Zahn  des  Volksmundes  be- 
reits an  dem  höchststehenden  dieser  e  nagt,  wenn  die  gemessene 
Sprache  feierlich-pathetischen  Vortrags  kaum  das  tiefststehende 
zu  verschlucken  gewagt  hat. 

Wie  steht  die  Sache? 

Es  ist  deutlich  zu   beobachten,    wie  schon  im  XVI.  Jahr- 


252  W.  Ricken, 

hundert  das  noch  heute  zwischen  zwei  Konsonanten  stehende 
weibliche  e  in  der  Konversationssprache  in  einer  Anzahl  von 
Wörtern  und  Wortgruppen  verstummte.  '  Ich  habe  oben  in  einer 
Anmerkung  gezeigt,  wie  vor  stark  zweihundert  Ja  hren  Chiflet  gegen 
diese  prononciation  affedee,  fausse^  injurieuse  ä  nostre  langue^  et 
totalement  perntcietise  ä  la  poesie  Frangoise  vorgeht.  Er  be- 
hauptet, dass  jenes  e  nicht  völlig  verschluckt  werde,  wenngleich 
er  zugesteht,  dass  die  Silbe,  der  es  angehöre,  sehr  kurz  sei. 
Er  denkt  dabei  an  die  gebildete  Unterhaltnngssprache.  Der  Ver- 
stnmmungsprozess  geht  ttuch  hier  stetig  weiter  und  die  voltkommen 
natürliche  Umgangssprache  des  gewöhnlichen  Volkes  kennt  gewiss 
nur  noch  in  wenigen  Fällen  dieses  e^  gerade  wie  sie  nur  in 
wenigen  Fällen  jenen  oben  behandelten  Endkonsonanten  vor 
vokalischem  Anlaut  bewahrt  hat.  Ist  es  doch  so  weit  gekommen, 
dass  vot,  quatj  maU  statt  vo-tre,  qua-tre,  mat-tre  und  ähnliche 
Bildungen  ganz  geläufig  geworden  sind.  Die  etwas  weniger 
familiäre  Umgangssprache  gebildeter  Kreise,  die  weniger  fliessende 
Sprache  der  litterarischen  oder  der  wissenschaftlichen  Plauderei 
und  Diskussion  etc.  steht  naturgeniäss  auf  Standpunkten, 
welche  die  gewöhnliche  Volkssprache  seit  ein  bis  zwei  Jahr- 
hunderten verlassen  hat.  Die  Sprache  des  Lesenden  bewegt  sich 
im  allgemeinen  auf  den  nächsthöheren  Stufen,  nur  dass  es  doch 
einen  bedeutenden  Unterschied  macht,  ob  dieses  oder  jenes,  ob 
es  vom  lecteur  par  excellence  oder  von  einem  wenig  gebildeten, 
des  feinen  Geschmacks  ermangelnden  Liebhaber  gelesen  wird. 
Der  Schauspieler  wird  ja  nach  dem  herrschenden  Kunstgeschmack 
seiner  Zuschauer  (Zuschauer  mehr  vielleicht  als  Zuhörer:  ein 
sehr  wichtiger  Gegensatz)  ein  und  dieselbe  Dichtung  verschieden 
vortragen.  Ein  Lustspiel,  das  den  Volkston  treffen  soll,  in  dem 
die  handelnden  Personen  ungefähr  so  reden,  wie  sie  in  Wirklich- 
keit reden  könnten,  würde,  selbst  wenn  es  unnötiger  Weise  in 
Versen  geschrieben  wäre,  vom  Schauspieler  doch  annähernd  im 
Tone  und  in  der  Art  der  flotten,  leichten  Unterhaltung  zum  Vor- 
trag gebracht  werden.  Das  Theaterpublikum  will  schauen  und 
hierdurch  geniessen.  Hörte  es  nichts,  so  wäre  freilich  der  Genuss 
ein  sehr  zweifelhafter;  aber  wenn  es  die  an  das  Ohr  klingenden 
Worte  inhaltlich  erfasst,  so  ist  es  nach  dieser  Seite  hin  im 
allgemeinen  befriedigt.  Ist  das  Lustspiel  ernsteren  Charakters 
(vgl.  Moli^re),  sind  die  handelnden  Personen  würdevoller,  so 
wird  der  schauspielerische  Vortrag  natürlich  langsamer,  ge- 
messener, feierlicher,  würdevoller:  da  macht  es  sich  dann  ganz 
von  selbst,  dass  jedes  Wort,  jeder  Laut  deutlicher  zu  Gehör 
gebracht,  deutlicher  artikuliert  wird.  Handelt  es  sich  auf  der 
Bühne  um   ein   Trauerspiel   der   erhabensten  Art,   so  verstärken 


Grundzüge  der  Entwickelung  des  e  sourd  eic.  253 

sich  natargemäss  die  den  gemessenen  Vortrag  kennzeichnenden 
Eigentümlichkeiten.  Aber  eine  noch  höhere  Stufe  nimmt  der 
nicht -szenische  Vortrag  des  Vorlesers  oder  Deklamators  eines 
solchen  Trauerspiels  oder  eines  würdigen  lyrischen  oder  epischen 
Gedichtes  ein,  eine  Stufe,  die  um  so  weiter  über  jene  hinaus- 
ragt, je  mehr  die  Bühne  gerade  naturalistischen  Tendenzen 
huldigt,  je  weniger  Wert  sie  der  Form  im  Vergleich  zum  In- 
halt, der  kunstvollen  Gliederung  im  Vergleich  zur  „Natürlichkeit^ 
der  Darstellung  beimisst.  Der  dem  Scfaauspielerstande  nicht 
angehörige  Vorleser  oder  öffentliche  Deklamator  darf  fast  nur 
auf  die  Stimme  als  Ausdrucks-  und  Verständigangsmittel  zählen: 
es  muss  daher  auch  alles,  was  er  sagt,  sorgfUltig  abgewogen, 
scharf,  klar,  ausgemeisselt  sein.  Er  schafft  nicht,  wie  der 
Schauspieler,  durch  seine  Interpretation  und  durch  die  über- 
wältigende Macht  seines  (schauspielerischen)  Genies  gleichsam 
ein  neues  Werk,  er  vertritt  nur  den  Schriftsteller  und  soll  das 
Kunstwerk  möglichst  so  zum  Vortrag  bringen,  wie  es  der  Absicht 
des  Dichters  entsprochen  haben  würde.  Ich  brauche  nicht  zu 
zeigen,  wie  sehr  durch  diese  besonderen  Verhältnisse  die  Aus- 
sprache des  weiblichen  e  beeinflusst  werden  muss. 

Die  so  gefundene  höchste  Stufe  des  Vortrags  von  Versen 
verlangt  nun  nach  den  übereinstimmenden,  unzweideutigen,  ent- 
schiedenen, von  tiefinnerster  Überzeugung  diktierten  Lehren  der 
französischen  Metriker,  auch  eines  der  jüngsten,  Quicherat's, 
sowie  der  ersten  gebildetsten  Kunstkenner  und  Dichter  unserer 
Zeit  (Legouve:  IJArt  de  la  Leciure;  Banville,  Leconte  de  Lisle 
—  vgl.  Lubarsch  S.  4—7,  S.  22  ff.,  S.  28  ff.),  dasö  das  (mit- 
zählende) weibliche  e,  wenn  auch  in  sehr  verschiedenen  Graden 
der  Deutlichkeit,  gesprochen  und  wahrgenommen  werde. 

Aus  diesen  Zusammenstellungen,  Vergleichen  und  Betrach- 
tungen ergiebt  sich  nun  besonders  folgendes: 

1.  Die  Aussprache  des  „sogenannten  stummen  e^  beim  Vor- 
trag von  Versen  unterscheidet  sich  allerdings  „heutzutage^  nicht 
„wesentlich"  von  der  der  „guten  Prosa".  Ebensowenig 
aber  hat  sie  sich  zu  irgend  einer  Zeit  „  wesentlich"  von  der 
der  „guten  Prosa"  unterschieden.  Das  Verhältnis  ist  zu  allen 
Zeiten  ziemlich  dasselbe  gewesen:  und  es  hat  immer  nur  ein  Grad- 
unterschied, niemals  ein  wesentlicher  Unterschied  bestanden. 
Und  drohte  einmal  an  einem  Punkte  der  Unterschied  ein  wesent- 
licher zu  werden,  so  gab  die  würdevolle  Sprache  erhabener  Poesie 
ihre  altertümliche  Eigenheit  eben  an  diesem  Punkte  rechtzeitig  auf. 

2.  Die  Frage,  ob  wir  (im  Punkte  des  weiblichen  e)  in 
unserem  Unterrichte  alle  Verse,  insbesondere  auch  die  lyrischen, 
so  lesen  und  lesen  sollen  wie  der  Schauspieler  seine  dramatischen 


354  W,  Ricken, 

Verse  auf  der  Btthne  zum  Vortrag  bringt,  ist  nicht  mit  Plattner 
(Gymnasium  VII,  2,  Sp.  52  und  53)  unbedingt  zu  bejahen, 
sondern  unbedingt  zu  verneinen.  Wir  haben  sie  so  zu 
deklamieren,  wie  der  französische  öffentliche  Vorleser  ausserhalb 
des  Theaters  sie  deklamiert,  also  in  einer  Weise,  die  einem 
früheren  Lautstande  entspricht.  Und  wenn  Plattner  seine  Forde- 
rung damit  begründet,  dass  wir  doch  nickt  können  französische 
Verse  auf  zweierlei  Art  lesen  lehren,  so  erwidere  ich:  Können« 
wir  das  nicht,  können  wir  in  unseren  Schülern,  wenn  wir  sie 
mit  dem  dürren  Inhalt  der  „Abrisse^  verschonen,  nicht  wenigstens 
das  Gefühl  für  feinere  Unterschiede  des  Vortrags  wecken,  wie 
sie  den  Unterschieden  der  Dichtungsgattungen  und  der  Stimmungen 
entsprechen,  so  werden  wir  in  anbetracht  der  Stufenfolge:  schau- 
spielerischer dramatischer  Vortrag  —  öffentliche  (nicht-szenische) 
Vorlesung  oder  Deklamation  eines  Dramas  —  öffentliche  Vor- 
lesung oder  Deklamation  eines  epischen  oder  lyrischen  würde- 
vollen Gedichtes  —  die  richtige  Mitte  dann  gewählt  haben, 
wenn  wir  die  Art  der  öffentlichen  Vorlesung  oder  Deklamation 
einer  ernsteren  dramatischen  Dichtung  unserem  Unterricht  zu  Grunde 
legen.  Und  was  lesen  und  deklamieren  denn  unsere  Schüler  zuerst? 
Doch  nicht  Moli6re's  Komödien,  auch  nicht  Comeille's  oder 
Racine 's  Tragödien.  Wir  führen  ihnen  vielmehr  zunächst  lyrische 
und  epischfi  Gedichte  vor.  Die  diesen  zukommende  Vortrags- 
weise müsste  also  doch  massgebend  sein.  Oder  sollen  wir  sie 
wirklich  so  ganz  falsch  lesen  lassen,  damit  wir  in  der  Prima 
nach  französischer  Bühnen  weise  Komödie  spielen  können,  die 
wir  doch  bloss  hören  und  auch  in  ihrer  musikalischen  Schönheit 
im  Sinne  des  Dichters  würdigen  lernen  wollen? 

3.  Humbert's  Lehre  ist  also  für  unsere  Tage  und  für 
unsere  Zwecke  richtiger  oder  besser,  als  die  Lehre  Gropp's 
oder  gar  Sonnenburg's.  Besonders  aber  hat  Lubarsch,  indem  er 
sich  auf  Lehre  und  Beispiel  seiner  kompetenten  französischen 
Gewährsmänner  und  auf  seine  im  Thöatre  Fran^ais  bei  Gelegen- 
heit der  Aufführung  einer  Tragödie  und  eines  neueren  Lustspiels 
gemachten  sorgfältigen  Beobachtungen  stützte,  einen  so  glücklich 
vermittelnden  Standpunkt  gesucht  und  gefunden,  dass  wir,  seinen 
Angaben  folgend,  unseren  Unterricht  jedenfalls  auch  in  den  nächsten 
Jahrzehnten  so  richtig  wie  möglich  werden  gestalten  können. 

4.  Die  Verstummung  des  weiblichen  e  wird  weitere  Fort- 
schritte machen.  Bisher  wurde  das  Existenzrecht  des  inlautenden  e 
und  des  e  der  einsilbigen  Wörter  wie  de^  me,  que^  von  denen, 
die  die  Praxis  der  Schauspieler  genau  festgelegt  zu  haben  be- 
haupteten, noch  nicht  bestritten.  Und  doch  scheidet  auch  dieses 
0.  aus   der  Volkssprache  und    den  ^  Gasaenhaiiern   und    Bänkel% 


Grundzüge  der  Eniwickelnng  des  e  sourd  etc.  255 

sängereien^  seit  langem  in  sehr  bedenklichem  Masse.  Wenn 
wir  nun,  wie  es  allerdings  den  Anschein  hat,  in  die  Periode  ein- 
getreten sind  oder  einzutreten  im  Begriff  stehen,  für  welche  das 
am  wenigsten  gestützte  e  hinter  Konsonanten  am  Wortschluss 
auch  im  feierlichen  Vortrage  so  schwach,  so  wenig  vernehmbar, 
d'un  accent  si  hos  et  lasche  ist,  dass  die  Überzeugung  allgemein 
sich  Bahn  bricht,  que  U  vers  qui  8*en  treuve  chargS  n'est  pas 
coulant,  dous  et  vigoureux,  so  wird  man,  Bchliesse  ich  aas  der 
bisherigen  historischen  Entwickelung,  nicht  allmählich  zu  elf-, 
zehn-,  neun-,  acht-,  siebensilbigen  Alexandrinern  sieh  bekehren, 
sondern  stufenweise  nach  dem  Vorbilde  eines  Corneille  und  aller 
anderen  Dichter  früherer  Zeiten  das  bisher  zweisilbige  Wort 
hardiment  (wie  die  Bänkelsänger!)  zu  einem  einsilbigen  stempeln 
und  doch  dem  Verse  die  regelmässige  Silbenzahl  geben.  Da 
diese  Entwickelung  sich  langsam  und  ganz  allmählich  vollzieht, 
da  der  Sensenmann  einem  Worte  nach  dem  anderen  jenes  kleine 
Glied  abmäht,  so  ist  nicht  zu  fürchten,  die  Dichtungen,  welche 
wir  jetzt  noch  hochschätzen,  würden  so  bald  in  einem  Masse 
verstümmelt  werden,  dass  wir  sie  nicht  mehr  geniessen  könnten. 
Wenn  die  Amputationen  in  der  gehobensten  Vortragssprache 
eine  Ausdehnung  gewonnen  haben  werden,  wie  sie  jetzt  in  der 
Volks-  und  ßänkelsängersprache  kaum  zu  beobachten  ist,  so  wird 
man  wohl  Corneille  und  Victor  Hugo  (um  nur  diese  beiden  zu 
nennen)  nur  noch  in  der  Gelehrtenstube  studieren  oder  den  Inhalt 
einiger  ihrer  Werke  in  „neufranzösischer^^  Übersetzung  und  Um- 
bildung dem  kunstliebenden  Leser  ^gänglich  machen. 

5.  Daher  kann  ich  nicht  glauben,  dass  Passy  Recht  hat, 
wenn  er  nach  einem  Referate  Lange's  (vgl.  Zeitschr.  X,  4, 
S.  140)  in  seiner  in  den  Phonetischen  Studien,  Heft  1,  erschienenen 
Abhandlung  Kurze  Darstellung  des  französischen  Lautsystems 
[dieser  Arbeit  bin  ich  selbst  noch  nicht  habhaft  geworden]  nur 
die  Regelmässigkeit  des  Nachdrucks  als  Prinzip  der  französischen 
Metrik  gelten  lassen  will,  indem  er  bemerkt:  „Die  französischen 
Verse  bestehen  heutzutage  wesentlich  aus  einer  regelmässigen 
Anzahl  von  Hebungen,  verbunden  mit  einer  unregelmässigen  An- 
zahl von  Senkungen.^  Da  er  nach  demselben  Referat  auf  die 
interessante  Frage  zurückzukommen  verspricht,  so  werden  wir 
hoffentlich  seine  Gründe  bald  hören.  Vorläufig  bin  ich  über- 
zeugt, dass,  wenn  er  mit  jener  Bemerkung  beispielsweise  sagen 
will,  der  Alexandriner  bestände  aus  vier  Hebungen,  zu  denen 
drei  bis  acht  Senkungen  hinzutreten  könnten,  er  einseitig  vom 
Standpunkte  des  die  Umgangssprache  analysierenden  Phonetikers 
und  ohne  Berücksichtigung  der  bisherigen  Entwickelung  urteilt 

W.  RioKVN. 


Antoine  Rivarol's  Plan  einer 
Theorie  du  corps  poliüque. 


Man  darf  wohl  annehmen,  dass  Rivarol  den  Gedanken,  ein  Buch 
über  den  Staat  oder  wie  er  sich  ausdrückt  „über  den  politischen  Körper" 
zu  schreiben,  schon  in  den  Zeiten  des  Journal  poliüque  national  gefasst 
hat,  also  1789  oder  1790:  einzelne  Stücke  des  Journals  wie  Nr.  2*2  und  23 
der  ersten,^)  Nr.  4  der  zweiten  Serie  enthalten  theoretische  Erörterungen 
über  Souveränetät,  Begierung,  Teilung  der  Gewalten,  die  gleichsam  einen 
ersten  Entwurf  des  geplanten  Buches  darstellen.  Im  Jahre  1791  war 
dann,  wie  Tilly  erzählt,  die  Souveränetät  des  Volkes  RivaroFs  ewiges 
Gedanken-  und  Gesprächsthema,^)  am  30.  September  dieses  Jahres  hat  es, 
wie  er  an  De  la  Porte  schreibt,  auch  bereits  seine  Feder  beschäftigt.^ 
Vier  Jahre  später  konnte  er  auf  einem  Landsitz  bei  Hamburg  dem 
Dichter  Ch§nedollö  die  ersten  vier  Kapitel  einer  Theorie  du  corps  poli- 
üque vorlesen  und  der  enthusiastische  Zuhörer  fand,  dass  Rivarol  darin 
mit  PascaFs  Gedanken  über  den  Menschen  wetteifere.*)  In  dem  Discours 
pretimifiaire  düun  nouveau  Diciionnaire  de  la  langue  franqoise,  der  1797 
erschien,  gedenkt  dann  Rivarol  selbst  wieder  des  V^erkes  einmal  im  Pro- 
spektns  nur  ganz  flüchtig,  ausführlicher  aber  in  einer  Note  zum  Text  ge- 
legentlich der  Verfassung  von  1795:  Une  Constitution  qui  place  le  trone 
si  pres  des  galer  es,  heisst  es  da,  hi-ite  et  deg^ade  le  pouvoir  executif,  eile 
le  rend  ä  tu  fois  indigne  et  ennemi  de  la  nation  frangaL^e:  il  faut  q%Cil 
rampe  on  quil  regne,  quHl  ne  soit  pas  le  greffier  des  de'ux  conseils  ou 
que  ceux-ci  deviennent  sa  chancelerie,  il  a  trop  ou  trop  peu.  In  ruhigen 
Zeiten,  und  wenn  ein  Souverän  da  sei,  qui  impose  egalemetit  aux  deux 
conseils  et  au  Directoire,  möge  eine  solche  Verfassung  Dauer,  versprechen, 
aber  wenn  man  bedenke,  dass  dieser  Souverän  das  Volk  ist,  habe  man 
Ursache  zu  zittern.    Beweise  für  diese  Behauptungen  könne  er,  so  schliesst 

^)  Ich  zitiere  nach  der  1.  Ausgabe  von  1789,  die  sich  in  der  Nat.- 
Bibl.  findet. 

2)  Tilly,  Mem.  in  der  Bibliolheque  Barriere,  XXV,  S.  307:  La 
conversation  qui  avait  certainement  commence  par  quelque  dissertation 
sur  la  souverainete'  du  peuple , . .  sujet  eternel  de  ses  pense'es  et  de  ses 
discours 

3)  S.  Poulet- Malassis  Ecriis  et  Pamphlets  de  Ä.  (1877),  S.  83:  En 
dcrivant  dans  ma  sotilude  sur  un  objet  aussi  important  que  celui  de  la 
souverainet<^  du  peuple. 

*)  S.  Ch§nedollä*8  genauen  Bericht  über  seine  erste  Begegnung  mit 
Rivarol  am  15.  September  1795  bei  Sainte  Beuve,  Chateaubriand  et  son 
yroupe  Utteraire,  I,  S.  75. 


E.  Gtiglia,  Aniome  Rivarots  Plan  einer  Theorie  du  corps  poiitiqtte.     257 

er,  hier  nicht  geben,  doch  verspricht  er  sie  in  seinem  Buch  Sur  le  Corps 
politique}) 

Ein  paar  Jahre  später  zählt  Rivarol  dieses  noch  zu  den  begonnenen 
Unternehmungen,  die  auszuführen  seien,  und  die  ihm  grosse  Arbeit 
machen:  neben  dem  Wörterbuch,  schreibt  er  an  seinen  Vater,  habe  er 
noch  eine  Geschichte  der  Revolution  und  einen  grossen  Traktat  über  die 
Natur  der  politischen  Körper  (un  grand  traiie  sur  la  nature  des  corps 
poUiiques)'  auf  seinem  Pulte.^ 

Endlich  berichtete  Dampmartin,  nach  dem  Tode  RivaroPs,  unter 
dem  26.  Oktober  1802  an  die  Eltern  des  Verstorbenen,  sein  Werk  über 
die  Politik  gegen  die  Souveränetät  des  Volkes  sei  vollendet.®) 

Dies  sind  alle  Nachrichten,  die  wir  über  Entstehung  und  Fortgang 
des  viel  genannten  Traktates  aufgefunden  haben.  Was  ist  nun  von  dem- 
selben erhalten? 

Es  sind  nur  Fragmente  davon  zu  Tage  getreten  und  die  beiden, 
welche  authentisch  sind,  stammen  aus  derselben  Quelle:  aus  den  Auf- 
zeichnungen ChSnedoll^'s,  der  in  Hamburg  längere  Zeit  hindurch  mit 
Rivarol  verkehrte  und  dessen  Äusserungen  sorgfältig  sammelte.  Er  trug 
sich  schon  damals  mit  dem  Plane  eines  grossen  Gedichtes  Le  Gänie  & 
r komme,  zu  dessen  Ausführung  ihn  Rivarol  auch  ermunterte*)  und  das  1802 
bereits  vollendet  gewesen  sein  solL^)  Im  Druck  erschien  es  aber  erst  1807. 
Der  vierte  Gesang  handelt  von  Gesellschaft  und  Staat,  von  ihrer  Bildung, 
ihrem  Blühen,  Welken  und  Vergehen.  Gleich  am  Beginn  sagt  uns  eine 
Note,  dass  die  Ideen  dieses  Gesanges  Rivarol  angehören,  wie  er  sie  seiner 
Theorie  du  corps  politique  entwickelt  habe,  wo  sich  eine  Fülle  grosser 
und  neuer  Ansichten  fänden.  Es  wäre  zu  wünschen,  sagt  der  Dichter, 
dass  diejenigen,  welche  im  Besitz  des  Manuskriptes  sind,  dasselbe  endlich 
dem  Publikum  mitteilten.®) 

Der  vierte  Gesang  hebt  denn  auch  wirklich  mit  dem,  wie  wir 
wissen,  ganz  RivaroVschen  Gedanken  an,  dass  die  Natur  sich  in  die 
Staatenbildung  nicht  gemischt  habe :  der  Mensch  allein,  „dieses  schwache 
Wesen",  hat  die  Staaten  geschaffen,'')  —  „merkwürdige  Gebilde",  nennt 
sie  Chenedolld,  und  „der  Gesellschaft  geheimnisvolle  Bürgen".  In  dem 
Hunger,  der  zur  Arbeit  treibt,  sieht  er  ihren  Ursprung.  Mensch  und 
Erde  schlössen  den  contrat  social,  auf  welchem  der  politische  Körper 
beruht.  Was  vor  diesem  lag,  den  Naturzustand,  schildert  der  Dichter 
nicht  mit  lockenden  Farben,  es  war  ihm  kein  Blütenalter,  keine  goldene 
Zeit  — ,  er  sieht  da  nur  Kämpfe  und  Leiden:  „Die  Politik  erbarmte  sich", 

^)  Discours  pre'lim.  etc.,  Hambourg,  1797,  S.  235.  Rivarol  setzt 
noch  hinzu:  J'eprouve  de  jour  en  jour  que  Us  matieres  politiques  sont 
d'une  tout  auire  difficulie  que  les  abstractions  methaphysiques ;  U  est  plus 
mse  d'analyser  que  de  composer,  et  le  corps  politique  ne  vit  que  de  com- 
positions ;  Cesprit  purement  analytique  lui  est  funeste, 

2)  Lescure,  Rivarol,  S.  432  N.  Der  Brief  ist  ohne  Datum,  vielleicht 
von  1800. 

®)  Dieser  Bericht,  sowie  ein  späterer  Brief  Dampmartin 's ,  der  ihn 
bekräftigt,  sind  zuerst  durch  Lescure  (Rivarol,  S.  495)  bekannt  geworden. 
Obige  Stelle  s.  S.  500. 

*)  Brief  an  Ch§nedollö  von  1800  in  den  Pensees  inddites  de  Rivarol 
(1836),  S.  160. 

^)  S.  die  Notice  Sainte-Beuve*s  zu  seiner  Chenedoll^- Ausgabe  (1864). 

®)  Chdnedollä,  (Euvres,  6d.  Sainte-Beuve,  S.  193. 

^  Journal  pol.  nat.  Öd.  von  1790.  I.  Serie  Nr.  XVI:  Le  corps 
politique  est  un  Stre  artificiel  qui  ne  doit  rien  ä  la  nature. 

Zschr.  f.  &z.  Spr.  u.  Litt.    XIi.  ^ 


258  E,  GugUa, 

Bie  trieb  den  Menschen  zur  Rodung  der  Wälder,  zur  Bebauung  des  Bodens 
an  und  führte  ins  patriarchalische  Zeitalter,  wo  die  Abraham,  die  Nestor 
und  Evander  walteten.  Dann  als  diese  einfachen  Zustande  allmählich 
entarteten,  traten  die  grossen  Gesetzgeber  der  Völker  auf|  die  Moses,  Ly- 
kurge und  Solone.  Überall  knüpfen  diese  an  die  alten  religiösen  Über- 
lieferungai  an: 

Sur  les  naissants  Mais  ia  main  de  Dieu  tracee 

Par  Vhomme,  en  aucun  iemps,  rCen  doit  Hre  effacee. 

ün  contrat  eUrnel,  une  antique  union 

Joignent  la  Politiqne  ei  la  Religion. 

II  faui  donc  qu*un  Etat,  vaisseau  mysterie^ix 
Jette  pour  s'affermir  ses  anaes  daiis  les  cieux. 

Nicht  nur  RivaroVsche  Gedanken  werden  hier  ausgesprochen,  es 
sind  auch  seine  Worte:  Qy>on  ne  s*etonne  . . .  pas,  sagt  er  im  Discours 
preliminaire  von  1797,  que  les  gouvemefnenis  s'accordent  facilemefU  avec 
les  reUgions,  mais  entr*eux  ei  nos  phüosophes  point  de  traiie  —  la  Philo- 
sophie divise  ies  hommes  par  les  opinions,  la  religion  les  unit  dans  les 
mimes  dogmes  ei  la  poUtique  dans  les  mim  es  principes;  ü  y  a  dmic  un 
Contrat  eternel  entre  la  politique  et  la  religion.  iovt  Etat,  si  Jose  le  dire, 
est  un  vaisseau  mysie'rieu^  qui  a  ses  ancres  dans  le  ciel.^) 

GhSnedollä  wirft  nun  die  alte  Frage  nach  der  besten  Staatsform  auf: 

Quelle  forme  ä  TEUat  est  la  plus  favorable? 

Montesquieu  wird  angerufen  und  gerühmt,  seinen  Schritten  will 
der  Dichter  folgen.  Wir  erinnern  uns  hier,  wie  Rivarol  in  seinen  Ge- 
sprächen mit  dem  Dichter  gerade  Montesquieu  als  seinen  yornehmsten 
Lehrer  und  sein  grösstes  Vorbild  bezeichnet: 2)  wiederum  ein  poetischer 
Nachhall  längst  gesprochener  Worte!  £s  liegt  aber  gar  nichts  originelles 
in  den  Mazimen,  die  da  nun  folgen:  dass  grossen  Staaten  nur  die  mo- 
narchisbhe  Form  gemäss  ist,  Genfs  Verfassung  nicht  für  Frankreich  passt, 
ein  altes  Königtum  des  königlichen  Prunkes  nicht  entbehren  kann,  dass 
natürlicher  Reichtum  den  Staaten  nichts  frommt,  wenn  Arbeit  der  Bürger 
fehlt  und  was  dergleichen  mehr  ist  Mehr  Interesse  erregt  die  folgende 
Apologie  des  Staates,  der  Leben  und  Eigentum  sichert  und  nach  den 
letzten  Willen  des  Sterbenden  Gesetzeskraft  leiht: 

son  demier  v(bu  devient  une  puissance 

Du  fond  de  sa  tombe  il  dicte  encore  des  lois. 


^)  Disc.  prelim,,  S.  210  (in  Lescure's  (Euvres  choisies  de  Rivarol 
I.  S.  192). 

^)  S.  Sainte-Beuve,  a.  a.  0.  n  S.  166:  Tavoue,  sagt  Rivarol,  que 
je  ne  fais  plus  cos  que  de  celui^lä  (ei  de  Pascal  ioutefois!)  depuis  que 
fdcris  sur  la  politique,  Montesquieu  habe  wohl  ^ieht  alles  sogeu  können, 
da  er  diese  Revolution  nicht  erlebte:  qui  a  ouvert  les  entraUles  de  la 
societe  et  qui  a  toui  edaire  parce  qu'elle  a  0ut  mis  ä  nu.  U  n'avait  pas 
pour  lui  les  resuliats  de  cette  vaste  et  terrUde  eicpärience  qui  a  toui  verifi^ 
ei  toui  resume,  mais  ce  qu'ü  a  vu,  il  Va  superieuremeni  vu  et  vu  sous  une 
angle  immense,  11  a  admirablement  saisi  les  grandes  phases  de  Devolution 
sociale.  Son  regard  d^aigle  pe'netre  ä  fond  les  ohjeis  et  les  iraverse  en 
y  jeiant  la  lumitre.  Son  gänie  qui  touche  ä  iout  en  mime  Iemps  ressemble 
ä  Veclair . . .  VoHä  mon  homme,  c'est  vraiment  le  seid  que  je  puisse  lire 
aujourdlhui. . .  je  tC ouvre  jamais  TEsprit  des  lois  que  je  rCy  puise  ou  des 
nouvelles  ide'es  ou  de  hautes  ide'es  de  style. 


Jnioine  Bivarors  Plan  einer  Theorie  du  corps  poiiiiqve,         269 

Aber  indem  wir  weiter  lesen,  staunen  wir:  es  sind  wiedernm  Stellen 
ans  dem  Discours  preliminaire ,  nur  gerade  soweit  verändert,  dass  Verse 
daraus  werden  konnten.  Der  Sinn  ist:  aus  dem  nackten,  hilflosen 
Menschen  der  Urzeit  hat  der  Staat  ein  gottähnliches  Wesen  gemacht,  das 
Meere  und  Wüsten  übersetzt,  dem  Himmel  den  Blitz  raubt,  in  Sternen 
liest,  seine  Gedanken  von  einem  Ende  der  Erde  zur  anderen  sendet. 
Überflussig,  die  Stellen  wörtlich  neben  einander  aufzuführen,  die  Überein- 
stimmung ist  zu  gross  und  ganz  unzweifelhaft.^) 

Dem  Zustand  des  Menschen  in  Staat  und  Gesellschaft  wird  dann 
nochmals  in  recht  grellen  Farben  das  Elend  der  staatlj^sen  Wilden  ent- 
gegengesetzt, wobei,  wie  man  wohl  erwarten  muss,  Rousseau's  und  seiner 
In^mer  gedacht  wird:  auch  hier  wird  man  an  eine  Stelle  des  Discours 
pre'liminatre  gemahnt,  doch  ist  hier  die  Ähnlichkeit  nicht  gar  so  auffallend.^) 

Der  Dichter  wendet  sich  nun  den  grossen  Staaten  des  Altertums 
zu,  er  schildert  ihr  Aufkommen,  ihre  Grösse,  ihren  Verfall,  und  schliesst 
mit  melancholischen  Betrachtungen  über  die  Vergänglichkeit  irdischer 
Grösse: 

Toui  meuri:  les  Souvenirs,  la  puissahce  et  les  arts. 

In  einer  Note  dazu  sagt  er,  er  erinnere  sich,  das  Werk  RivaroFs  ' 
Sur  le  Corps  poliiique  endige  mit  Reflexionen  über  die  Macht  des  Ver- 
gessens,  diese  hätten  einen  so  tiefen  Eindruck  auf  ihn  gemacht,  dass  er 
sich  getraue,  sie  wiederzugeben:  Le  temps  pre'sent  se  d^gage  du  fardeau 
des  temps  passe's . . .  Ainsi  pour  rtiomme,  dans  rhomme,  autour  de  fhomme 
tout  change,  tout  s*use,  tout  perit;  les  sentiments,  les  goüis,  les  opinions, 
les  beaux  arts,  tout  va  du  jjrintemps  ä  la  decrepitude  ,  .  .  Et  cependant 
la  Natur e,  mere  fßconde  et  constante  de  tant  de  fornits  fugitives  reste 
appuyee  sur  la  Necessite,  au  sein  des  moiwements,  des  vicissitudes  et  des 
metamorphoses ,  immobile,  invariable,  immortelle:  wie  man  sieht,  nichts 
von  überraschenden  politischen  Deduktionen,  allgemeine  Betrachtungen 
in  stark  rhetorischer  Einkleidung,  die  wohl  schön  klingen,  aber  von  dem 
Eindruck,   den  sie  auf  Chßnedolle  machten,  verspüren  wir  nichts.^) 

Dass  der  Dichter  das  Christentum,  dessen  Wirkung  auf  die  poli- 
tische Welt  er  zu  schildern  versucht,  mit  den  vollsten  Tönen  seiner  Lyra 
preist,  wird  man  erwarten.  Wollte  er  sich  auch  hier  an  Rivarol  an- 
schliessen,  so  bedurfte  er  kaum  der  Reminiszenzen  an  den  Traite  sur  le 
co?'ps  politique,  schon  in  dessen  ersten  Brief  an  Necker  von  1788  konnte 
er  eine  Apologie  des  Christentums  finden,  der  Discours  preliminaire 
erinnert  daran.*)  Mit  viel  mehr  Kraft  und  Wärme  hat  aber  diesen  Vor- 
wurf doch  unstreitig  Chateaubriand  behandelt. 

Was  nun  folgt:  die  Schilderung  der  mittleren  Zeiten,  der  Renais- 
sance, der  Epoche  Ludwig  XIV.  entbehrt  vollends  jeder  OriginaliiÄt :  man 
könnte  es  allenfalls  mit  den  flüchtigen  Ausführungen  vergleichen,  die 
Rivarol  über  diese  Dinge  in  seiner  preisgekrönten  Abhandlung  über  die 
Universalität  der  französischen  Sprache  schon  im  Jahre  1784  gegeben  hat.^) 


^)  Man  vgl.  den  Discours  bei  Lescure  a,  a.  0.,  I.  S.  216 — 18  mit 
dem  Genie  de  P komme  in  den  (Euvres  de  Ch.  S.  118  u.  f. 

^)  Man  vgl.  Discours  pre'l.  bei  Lescure  I.  S.  205  und  Ch§nedollä, 
a.  a.  0.  S.  122  und  die  Note  S.  198. 

8)  Ch§nedolld,  a.  a.  0.  S.  198. 

4)  Discours  pre'l.  bei  Lescure,  a,  a.  0„  S.  201  Note.  Die  Stelle  in 
der  Premiere  Lettre  ä  M.  Necker  s.  in  den  (Euvres  compldtes  de  R, 
(1808)  IL  S.  122. 

^)  (Euvres  (1808)  II  S.  1  u.  f.,  auch  bei  Lescure,  (Euvres  chaisies  I, 

17* 


260  ^.  Guglia, 

Eine  lebhaftere  Bewegung  gewinnt  das  Gedicht  mit  der  Erzählung 
der  Revolution  von  1789:  sie  wird  als  ein  göttliches  Strafgericht  auf- 
gefasst,  wie  eine  Pest  habe  sie  die  Länder  ergriffen: 

ce  Dieu  si  formidäble 
Jelie  de  hin  en  loin,  sur  ce  Glohe  agite 
Des  Revoluiions  le  monstre  ensanglante. 

In  der  pathetischen  Schilderung  der  Schreckenszeit  tritt  wieder  eine 
auffallende  Ähnlichkeit  mit  dem  berühmten  Abschnitt  des  Discours  pre- 
liminaire  hervor^^  der  das  gleiche  Thema  behandelt. 

Aus  der  Anarchie  —  so  spinnt  Chönedolle  den  Faden  weiter  —  er- 
heben sich  die  Usurpatoren  und  Despoten.  „Ich  habe  vorausgesehen,  dass 
die  Revolution  durch  den  Säbel  beendigt  werden  würde",  schrieb  Rivarol, 
wie  wir  wissen,  im  Jahre  1799  oder  1800,  „und  der  erste  Konsul  weiss 
sich  desselben  sehr  gut  zu  bedienen.  Jetzt  heisst  es  abwarten,  wie  weit 
ihn  der  Rausch  des  Machtgefühls  treiben  wird."^)  Eine  ähnliche  Betrach- 
tung mochte  er  zur  selben  Zeit  dem  Entwurf  seines  Werkes  eingefugt 
haben,  ChlnedoU^  verrät 'es  uns. 

Der  Schluss  des  Gesanges,  der  Napoleon's  Macht  und  seinen  Sturz, 
die  Wiederherstellung  der  Bourbonen  und  die  Charte  (un  pacte  du  irone 
inehranUible  appui)  behandelt,  berührt  uns  nicht  mehr:  Rivarol  hat  sich 
über  diese  Dinge  nicht  mehr  äussern  können. 

In  den  Noten  bringt  ChSnedoUe  noch  einige,  wie  er  versichert, 
authentische  Worte  Rivarol 's  aus  dessen  vielberufenem  Werk:  so  eine 
Definition  des  Gesetzes  als  la  reunion  des  lumieres  et  de  la  force;  die 
Regierung  (gouvernement)  stelle  die  lumieres,  das  Volk  die  force  dar. 
Puissance  habe  Rivarol  definirt  als  force  organisee.  Von  dem  politischen 
Körper  hätte  er  einmal  gesagt,  er  sei  wie  ein  Baum:  ä  mesure  qu*il 
s'e'leve,  il  a  auiani  hesoin  du  ciel  que  de  la  terre. 

Fassen  wir  zusammen,  was  in  dem  vierten  Gesang  des  Genie  de 
r komme  aus  dem  Werke  Rivarol's  herrührt  oder  herrühren  kann:  Der 
Naturzustand  ist  ein  Zustand  der  Tierheit  und  des  Elends,  Glück  des 
Menschen  hebt  erst  mit  der  Gesellschaft,  mit  dem  Staate  an;  dieser  ist 
nicht  von  der  Natur  gebildet,  sondern  von  den  Menschen,  kein  Organismus, 
sondern  ein  künstliches  Gebilde.  Religion  ist  seine  Grundlage,  unter  allen 
Religionen  das  Christentum  nicht  nur  die  erhabenste,  sondern  auch  in 
politischer  Hinsicht  die  nützlichste.  Es  gibt  keine  absolut  beste  Staats- 
form, grossen  Staaten  ist  die  Monarchie  gemäss.  Die  Staaten  sind 
immerwährender  Veränderung  unterworfen,  auf  den  Trümmern  der  einen 
erheben  sich  immer  wieder  andere.  Revolutionen  zerrütten  den  Staatsbau, 
sie  nützen  nichts,  schaden  unendlich,  sie  sind  wie  Strafgerichte  Gottes 
für  die  Sünden  und  Irrtümer  der  Menschheit.  Aus  der  Anarchie  der 
Pöbelherrschaft  erheben  sich  Tyrannen  und  Despoten. 

Gestehen  wir  es  nur:  wir  sind  einigermassen  enttäuscht.  Denn 
nicht  nur,  dass  ja  beinah  alles  das  sich  schon  in  anderen  Schriften  Ri- 
varoVs  findet,  es  ist  auch  gar  nicht  so  neu  und  bedeutend,  tiefe  politische 
Weisheit  wird  niemand  darin  sehen.  Schon  damals,  schon  an  der  Wende 
des  Jahrhunderts,  waren  dies  geschichtsphilosophische  Gemeinplätze. 
Zwar  darüber  werden  wir  nicht  erstaunen,  dass  sie  auf  Ch^nedoUä  eine 
so  grosse  Wirkung  übten:  was  ihn  bezauberte,  war  gewiss  die  elegante 
epigrammatische  Fassung,  die  der  grosse  Sprachkünster  denselben  offenbar 
zu    geben   verstanden   hat,   hie  und  da  auch  das  schillernde  poetische 

1)  Lettre  ä  Vabbe  de  VtUefori  in  den  Pensees  ine'dites  de  Rivarol 
(1836)  S.  157. 


Anioine  RivaroTs  Plan  einer  Theorie  du  corps  poliiique,         261 

Kolorit.  Wie  hätte  ein  Dichter  dem  widerstehen  können!  Ein  kritischer 
Kopf  aber  war  Ch§nedoll^  nicht,  yielmehr  ein  weicher  Gefühlsmensch, 
an  den  glänzenden  Reden  RivaroFs  berührte  ihn  nur  dies  antipatisch, 
dass  dessen  Ange  kalt  und  tot  blieb,  an  allem  was  er  sagte  nur  Verstand, 
gar  nicht,  das  Herz  beteiligt  schien.^) 

Aber,  wird  man  einwenden,  Chdnedoll^  verarbeitete  nur  die  ersten 
vier  Kapitel  eines  grossen  Werkes,  das  um  1800  nicht  vollendet  war: 
Zwischen  diesem  Datum  und  der  Zeit,  da  der  Dichter  den  politischen 
Erörterungen  Rivarol's  lauschte,  liegen  fünf  Jahre:  Wie  vieles  mag  sich 
da  nicht  aus  jenen  ersten  Anfängen  entwickelt,  wie  reich  mögen  sich 
diese  nicht  umgestaltet  haben. 

Prüfen  wir,  was  sonst  noch,  ausser  der  Ch§nedolM*schen  Paraphrase, 
von  der  Theorie  oder  dem  Traue  sur  le  corps  politique  erhalten  ist. 

Im  Jahre  1831  erschien  ein  Bruchstück  davon,  betitelt  De  la  Sou- 
Veraineie  du  Peuple  unter  dem  Namen  RivaroFs.  Kein  Zweifel  auch,  dass 
es  wirklich  von  ihm  ist.  Als  Herausgeber  vermutet  Sainte-Beuve  Ch§ne- 
doUä,  in  dessen  Papieren  er  so  manchen  Restitutionsentwurf  des  Werkes 
gesehen  haben  will.  Der  Herausgeber  des  Pensees  inedites  von  1836 
dagegen  schreibt  diese  Edition  dem  Bruder  RivaroFs  zu:  unter  diesen 
ist  das  Stück  wieder  abgedruckt.  Es  trägt  als  Motto  die  Worte  des  Tacitus: 
Cuncias  nationes  ei  urbes  ei  populos  auf  primäres  aui  singuli  reguni,  delecia 
ex  his  ei  consiiiuia  reipubticae  forma  laudari  facilius  quam  evenire,  vel, 
si  evenit,  haud  diuiurna  esse  poiesi.  Lesen  wir  aber  weiter,  so  merken 
wir  gleich:  dies  ist  nur  eine  Vorrede,  entweder  zu  dem  ganzen  Buch 
oder  zu  einem  Abschnitt,  nichts  mehr.  Allerdings  eine  bedeutende  Vor- 
rede. Sie  geht  davon  ans,  dass  die  Theorie  von  der  Volkssouverainetät 
von  Frankreich  aus  gleichsam  einen  Siegeszug  durch  die  Welt  gemacht 
und,  wie  früher  einmal  das  Ptolemäische  System,  alle  Geister  eingenommen 
habe.  Sie  sei  aber  falsch,  sie  zu  bekämpfen  setzt  sich  der  Verfasser  zur 
Aufgabe.  Dazu  ist  nötig,  dass  er  sich  in  die  abstrakten  Regionen  poli- 
tischer Metaphysik  begebe,  —  traurig  genug,  dass  der  Friede  der  Welt, 
die  Stabilität  der  Staaten,  die  Sicherheit  des  Eigentums  zum  Gegenstand 
philosophischer  Spekulationen  gemacht  wird,  aber  die  Gegner  haben  den 
Streit  auf  dieses  Gebiet  getragen,  sie  recht  zu  besiegen,  müsse  man  ihnen . 
dahin  folgen:  couvrons  nous  de  ce  bouclier  proiecieur  des  empires,  ruft 
er  mit  schönem  Pathos  aus,  gu*un  grand  poeie  (Tasso)  a  place  dans  le 
Ciel  et  puisque  les  phUosopnes  comme  les  genies  des  iempiies  se  sont 
eleväs  jusque  dans  les  plus  hautes  rdgiofis  pottr  de  lä  mieux  fondroyer 
Vordre  social  ei  les  rdunions  poliOques  du  genre  humain,  ü  est  näcessaire 
de  les  suivre.  Staaten  gab  es  freilich  vor  jeder  politischen  Theorie, 
demnach  heisst  es  —  auch  für  den  Realpolitiker  —  mit  dieser  sich  ab- 
finden. Die  französische  Revolution  müsse  auch  in  ihrer  Idee  zerstört 
werden,  nicht  bloss  mit  den  Waffen,  denn  wenn  Gewalt  auch  töten  kann, 
bekehren  kann  sie  nicht,  sie  unterjocht,  aber  sie  klärt  nicht  auf.  Earopa 
sei  in  der  grössten  Gefahr;  wenn  die  von  einem  gemeinsamen  Unheil 
bedrohten  Mächte  dieser  nicht  bewusst  werden,  wenn  sie  ihr  nicht  einig, 
mit  tüchtigen  Armeen  und  schlagenden  Gründen  zugleich  entgegentreten, 
wenn  sie  nicht  die  wahre  politische  Aufklärung  unter  den  Gebildeten, 
Religion  wieder  unter  dem  Landvolk,  Hass  gegen  die  Jakobiner  überall 
verbreiten:  dann  wird  freilich  alles  umsonst  gesprochen  sein,  dann  ist  di 
Revolution  bald  die  Herrin  der  Welt.  Rivarol  rechtfertigt  sich,  warum 
er  —  ein  einfacher  Privatmann  —  sich  unterwinde  von  so  grossen  IXngen 
Könige  und  Völker  zu  lehren,  er  verweist  auf  eine  Stelle  des  Esprit  des 

^  S.  bei  Sainte-Beuve,  Chateaubriand  a.  a,  0, 


26Q  E.  Guglia, 

lots,  wo  Montesquieu  von  den  Aufzeichnern  der  Gesetze  Ludwig  XI. 
spricht:  sie  waren  blosse  Privatleute,  aber  wie  viel  Gutes  haben  sie  nicht 
gestiftet.*) 

Das  ist  nun,  man  fühlt  es  gleich,  echter  Eivarol,  wie  ganz  anders 
wirkt  es  als  die  Bearbeitung  bei  Chdnedollö,   die  doch  eigentlich  eine 
Verballhornung    ist.     Es    sind    kräftige    überzeugende   Worte'  in  edler 
Fassung.    Sie  stammen  aus  dem  Jahre  1794,^)  erinnern  sie  aber  nicht 
ganz  an  jene,  die  unser  Gentz  erst  sechs  Jahre  spater  sprechen  sollte? 

Viel  weiter  gekommen  sind  wir  freilich  damit  in  unserer  Unter- 
suchung keineswegs:  zu  den  vier  ersten  Kapiteln  haben  wir  nun  die  Vor- 
rede, wo  bleibt  aber  der  eigentliche  Kern?  Wo  ist  das  fertige  Manuskript, 
das  doch  Dampmartin  gesehen  zu  haben  scheint,  hingeraten? 

Es  gibt  eine  Notiz,  sie  stammt  wohl  auch  aus  den  handschriftlichen 
Aufzeichnungen  Ch§nedolle's,  die  uns  belehrt,  ein  grosser  Teil  des  Manu- 
skriptes sei  in  die  Hände  des  ehemaligen  Eollaborators  von  Bivarol,  des 
Abb^  Sabatier  de  Castros  übergegangen,  der  es  1806  in  einer  entstellenden 
Bearbeitung  u^ter  dem  Titel  ie  la  souverainete  veröffentlicht  habe.^> 
Ein  Brief  Dampmartin's  an  RivaroPs  Bruder  deutet  einen  solchen  litt€h 
rarischen  Diebstahl  allerdings  an,^)  ebenso  eine  Äusserung  De  la  Platiere^s, 
des  ältesten  unter  den  Biographen  von  Eivarol^). 

Wie  nun  Sabatier  in  den  Besitz  jenes  kostbaren  Manuskriptes  ge- 
langt ist,  wüssten  wir  nicht  zu  sagen,  sind  auch  nicht  in  der  Lage,  an- 
zugeben, ob  er  zur  Zeit  von  RivaroFs  Tode  in  Berlin  war.  Wie  so  viele 
Emigranten  hat  er  wohl  alle  europäischen  Hauptstädte  durchzogen;  in 
Wiener  Polizeiakten  erscheint  sein  Name  um  1794,^  er  hat  da  dem 
Fürsten  Eaunitz  ein  Gedicht  gewidmet,  auch  ein  Buch  herausgegeben: 
der  alte  unermüdliche  Skribent! 

Indes  jenes  Buch  De  la  SouveraineU  existiert  wirklich.'')  Begierig 
schlagen  wir  es  auf.  In  der  Vorrede  aber  stutzen  wir  schon:  es  wird 
von  den  grossen  Irrtümern  Montesquieu's  gesprochen,  welcher  der  be- 
schränkten Monarchie  den  Vorzug  gegeben  habe.  Denn  nach  der  Mei- 
nung des  Autors  ist  die  beste  Staatsform  die  absolute  Monarchie.  Dies 
war  früher  niemals  die  Meinung  RivaroFs  gewesen,  sollte  er  sich  in  den 
.letzten  Jahren  seines  Lebens  so  verwandelt  haben?  Allerdings,  wie  er 
nach  Preussen  kam  —  im  Herbst  1800  —  schrieb  er  an  einen  Freund  in 
Frankreich  wie  anerkennend:  »Das  Volk  (hier)  kann  nur  gehorchen, 
zahlen  und  fürchten.  Die  Gesetze  sind  streng,  aber  gerecht;  niemand 
wagt,  ihnen  zu  trotzen.''^)  Aber  darf  man  hierin  schon  das  Symptom  einer 
Sinneswandlung  in  prinzipiellen  politischen  Fragen  sehen? 

1)  S.  JPlense'es,  S.  225. 

^)  So  vermutet  der  Herausgeber;  es  mag  wohl  sein. 

^)  Nach  Sainte-Beuve,  Chateaubriand  a.  a.  0. 

*)  Lescure,  a.  a.  0.  S.  497:  Je  crois  qtte  votre  frere  ne  prevoyait 
p€is  qü'un  jour  on  ajouierait  ä  ses  ouvrages.  Ceiie  hardiesse  penetre  de 
surprise,  Fous,  possesseurs  des  fleches,  &est  ä  vous  de  venger  sa  me- 
moire.   Der  Brief  ist  bei  Lescure  nicht  datiert. 

fi)  Sulpice  de  la  Platifere,  Vie  phiL,  pol,  et  litt  de  Rivarol  (1802) 
II  S.  274:  IJne  main  sacrüege  fCosera  sans  doute  pas  toucher  ä  Pcßuvre 
du  genie,  Por  triomphe  toujours  de  tous  les  amalgames, 

®)  S.  meine  Nachrichten  über  Die  ersten  Emigranten  in  Wien  in 
der  Oest.' Ungar.  Revue,  1888.    Juli- August. 

'^  De  la  souverainete  on  Connaissance  des  vrais  principes  du  gouver- 
nement  des  peuples.    Motto :   Et  nunc.  Reges,  inteUigite!    Pariser  Nat.-BibL 

8)  Platifere,  a,  a,  0.,  I.  S.  88. 


Anioine  EivaroTs  Plan  einer  Theorie  du  Corps  poUiique.         263 

• 

Sabatier  kommt  dann  auf  die  Theorie  von  der  Volkssouveränetät 
zn  sprechen,  die  er  natürlich  verdammt.  Hier  bemerkt  er:  „Damit  man 
mich  nicht  etwa  anklage,  ich  hätte  mir  einige  metaphysische  Ideen, 
welche  —  recht  am  unpassendsten  Ort  —  in  dem  Discours  preHmtnaire 
zu  einem  eitel  versprochenen  Wörterbuch  der  französischen  Sprache  ein- 
geschaltet sind,  glaube  ich  die  litterarische  Welt  aufmerksam  machen  zu 
müssen,  dass  ich  während  meiner  Verbindung  mit  Bivarol . . .  diesem 
mehrere  moralische  nnd  politische  Bemerkungen  mitgeteilt  habe,  die  auf 
seine  Weise  —  die  nicht  immer  die  richtige  war  —  zu  verwenden  er 
nicht  verschmähte/'^)  Übrigens  habe  er  schon  17d4  in  seinen  Petisees  et 
Oöservaiions  morales  das  gesagt^  was  Rivarol  im  Jahre  1797  im  Biscavrs 
pre'liminaire. 

Diese  Pensees  habe  ich  selbst  in  der  Wiener  Hof  bibliothek  —  wo 
man  sie  am  ehesten  .vermutet,  denn  sie  sind  in  Wien  erschienen  —  nicht 
finden  können:  es  wäre  interressant  die  Behauptung  des  selbstbewussten 
Abbd  zu  prüfen.  Aber  hier  kommt  so  viel  darauf  nicht  an,  ob  und  was 
Bivarol  diesem  Sabatier  de  Castres  verdankt;  denn  darüber  kann  kein 
Zweifel  sein,  dass  er  ihm  unendlich  überlegen  war:  ein  origineller  Kopf 
trotz  alledem ,  eine  glänzende  ^eder  er,  der  andere  ein  obskurer  Viel- 
schreiber, mit  Recht  längst  vergessen  und  nie  sehr  geachtet.  Wichtig 
ist  für  uns  nur,  ob  in  dem  Buche  Sabatier's  wirklich  Stellen  sind,  welche 
auf  Bivarol  deuten.    Ich  kann  es  nicht  finden! 

Die  Noiions  pre'liminaires  handeln  viel  von  dem  Missbrauch  gewisser 
Worte  wie:  Ve'rite,  Erreur,  mensonge,  nature,  ne'cessite,  peuple,  naiimi, 
Despoiisme,  Tyran,  Pouvoir  absohs  u.  a.  Allerdings  hatte  Rivarol  in 
dem  Discours  auch  davon  gesprochen,  ebenso  und  melu:  Laharpe  in  seinem 
Bache  Du  fanatisme,  das  n.  a.  auch  den  revolutionären  Jargon  kritisiert.^ 
Der  zweite  Abschnitt  handelt  vom  (Jrsprung  und  der  Natur  der  Gesell- 
schaft;. Allerdings  findet  sich  da  auch  der  Satz,  dass  Gesellschafb  und 
Staat  künstliche  Gebilde  sind,  und  davon  wird  alles  folgende  abgeleitet, 
aber,  wie  wir  gesehen  haben,  betonte  Bivarol  dies  bereits  1790  im  Jowriuii 
poiitiqueß)  Einige  andere  Sätze,  wie:  La  Souverainite  n*est  pas  un  droit 
mais  une  puissance,  oder:  la  puissance  Souveraine  n^est  pas  legitime,  mais- 
eile  legitiL  tout  erinnern  wohl  in  ihrer  epigrammatischen  Fassung  an 
Rivarol,  aber  was  daran  von  Erörterungen  geknüpft  wird,  ist  durchaus 
müssiges  Gerede,  Deklamation:  es  ist  nicht  möglich,  grössere  Abschnitte 
herauszufinden,  die  man  mit  gutem  Gewissen  Rivarol  zuschreiben  könnte. 
Über  eine  vage  Ähnlichkeit  der  Ideen  geht  auch  der  III.  Abschnitt  nicht 
hinaus:  De  la  morale,  de  la  justice,  de  la  Religion.  So  wird  die  christ- 
liche Auffassung  von  der  Natur  des  Menschen:  dass  ihr  weder  Sittlichkeit 
noch  Gerechtigkeit  innewohne,  sondern  dass  sie  von  Grund  aus  verderbt 
sei,  —  die  nach  PascaVs  Vorgang  Rivarol  bereits  im  Journal  politique 
gegenüber  der  optimistischen  Rousseau's  als  die  richtige  bezeichnet  hatte  — 
angenommen.  Ein  Abschnitt  über  den  Fanatismus  der  Philosophen 
(S.  215  f.)  erinnert  allerdings  an  eine  berühmte  Stelle  des  Discours  pre- 
liminaire,  aber  dieser  Vorwurf  war  in  den  letzten  Jahren  des  ausgehenden 
Jahrhunderts  oft  genug  behandelt  worden;  der  bekehrte  Laharpe  hatte 
ein  ganzes  Buch  darüber  geschrieben,  auf  keinen  Fall  brauchte  Sabatier 

1)  Pr^face,  S.  13. 

^)  Ich  kenne  es  nur  in  der  deutschen  Übersetzung:  Vom  Fana- 
tismus in  der  Revolutionssprache.    Wien,  1797.    S.  S.  20  A.  6,  S.  51  A.  12. 

^)  Die  Pensees  von  1794  würden  aber  dagegen  nichts  beweisen. 
Mö^e  indes  der  Abbä  diesen  Gedanken  seinem  Mitarbeiter  schon  1789 
geliehen  haben,  was  liegt  daran  I 


364      E,  Gugüa,  Antoine  RivaroFs  Plan  einer  Theorie  du  corps  poliiique, 

auf  das  Manuskript  des  Traite  sur  le  corps  poliiique  zu  warten,  um  dies 
schreiben  zu  können.  Der  vierte  Abschnitt  endlich  Du  peuple  considere 
relativement  ä  la  Souverainete  trägt  so  wenig  den  Stempel  Rivarorschen 
Geistes  wie  die  übrigen,  ja  indem  Sabatier  den  Satz  aufstellt:  Vappli- 
caiion  de  la  force  est  le  premier  apanage  de  la  Souverainete  (S.  289) 
weicht  er  zum  mindesten  von  der  EivaroPschen  Ansicht,  wie  sie  im  vierten 
Stück  der  II.  Serie  des  Journal  pol.  niedergelegt  ist,  entschieden  ab ;  Le 
Souverain  est  la  Source  de  tous  les  pouvoii's  heisst  es  dort,  le  gouveme- 
meni  est  la  force  qui  les  exerce. 

Nein,  es  kann  nicht  nachgewiesen  werden,  dass  in  dem  Sabatier'schen 
Buch  der  Traue  sur  le  corps  politiqae  enthalten  ist:  hie  und  da  sind 
Rivarorsche  Gedanken  herübergenommen,  aus  dem  Journal  politique,  dem 
Discours  preliminaire,  vielleicht  auch  aus  jenem  geheimnisvollem  Werk  — 
warum  dann  aber  nicht  aus  den  ersten  vier  Kapiteln,  die  Rivarol  schon 
1795  vorlas,  in  seinen  Gesprächen  gewiss  immer  im  Munde  führte?  Auf 
keinen  Fall  gehörte  die  Tendenz  der  Schrift  Über  die  Souverainetät 
Rivarol  an :  denn  diese  ist  ganz  offenbar  abgefasst,  den  despotischen  Ge- 
lüsten des  neuen  Franzosenkaisers  zu  schmeicheln.  Eine  Note,  die  in  dem 
Exemplar  der  Pariser  Natlonalbibliothek  auf  den  ersten  Blättern  einge- 
zeichnet ist,  besagt  dies  ganz  ausdrücklich:  A  sa  Majeste  Tempereur  ei 
Roi  Napoleon  de  la  pari  de  Vauteur,  lesen  wir  da,  un  des  plus  anciens 
iribuiaires  de  la  gloire  ei  qui  fauie  d'une  cinquanie  de  ducais,  est  depuis 
irois  mois  dans  Timptässance  de  faire  achever  rimpi^ession  du  second 
volume.  Hätte  nun  vielleicht  dieser  zweite  Band  mehr  von  dem  echten 
Rivarol  bringen  sollen?    Wir  glauben  es  nicht. 

Sollen  wir  es  aufrichtig  sagen,  so  zweifeln  wir  überhaupt,  dass 
jenes  Werk  von  ihm  vollendet  worden  ist.  Seine  Freunde,  seine  Bio- 
graphen —  ältere  wie  neuere  —  haben  es  mit  einer  Art  von  Nimbus 
umgeben,  angedeutet,  dass  es  wohl  etwas  ganz  grosses  Ausserordentliches, 
ein  Esprit  des  lois,  der  auch  die  ungeheueren  Erfahrungen  der  Revolution 
theoretisch  verwertet  hätte,  gewesen  ist,  aber  wie  hätte  er  so  etwas  von 
1797,  wo  der  Discours  erschien,  bis  1801,  wo  er  starb,  machen  sollen! 
Dass  er  überaus  träge  war,  dies  sagt  er  nicht  etwa  bloss  selber,  sein 
Verleger  Fouche,  seine  Freunde  erzählen  davon,  über  seinen  skandalösen 
Lebenswandel  auch  in  der  Fremde  berichten  selbst  royalistische  Agenten.^) 
Nun  aber  hätten  für  ein  solches  Werk  doch  alle  die  Dokumente  der 
Revolution ,  so  weit  sie-  erreichbar  waren ,  die  Protokolle  der  National- 
versammlung, der  Legislative,  des  Konvents  etc.,  alle  die  Zeitungen  und 
Flugblätter,  die  Dekrete  endlich,  viele  Nachrichten  über  die  Verwaltung 
während  eines  Zeitraumes  von  zehn  Jahren  gesammelt,  gesichtet  und 
benützt  werden  müssen.  Wer  möchte  glauben,  dass  Rivarol  das  gethan! 
Was  er  hie  und  da  aufgezeichnet  haben  mochte,  waren  wohl  nur  Aper9us, 
Epigramme,  Variationen  einiger  politischer  Maximen,  die  er  gefunden  zu 
haben  glaubte,  die  Freunde,  denen  er  davon  mitteilte  oder  die  —  wie 
Dampmartin  im  Nachgefühl  des  Verlustes,  den  sie  durch  seinen  frühen 
Tod  erlitten  —  davon  lasen,  konnten  leicht  dazu  geführt  werden,  diesen 
Bruchstücken  einen  übertriebenen  Wert  beizulegen.  Wir  aber  werden 
nach  wie  vor  in  dem  Journal  poliiique  und  dem  Discours  preliminaire 
seinen  einzigen  Ruhmestitel  sehen  müssen. 

^)  S.  Thauvenay's  Bericht  von  1798  an  D*Avaray  bei  Formeron 
Bisioire  des  emigrds,    I,  S.  396. 

E.    GUGLIA. 


Miszellen. 


Die  Bildnisse  Moliire's. 

Vor  etwa  einem  Jahre  wurden  in  Dresden  zwei  Moli^re- Ausstellungen 
vielfach  besucht,  deren  eine  in  den  Räumen  des  Königlichen  Polytech- 
nikum während  der  Versammlung  der  deutschen  Neuphilologen,  deren 
andere  im  Königlichen  Kupferstichkabinet  aufgestellt  war.  Dort  konnte 
man  den  ^^frössten  Dichter  unseres  Nachbarvolkes  in  zahlreichen  Abbil- 
dungen aus  verschiedenen  Zeiten  sehen,  aber  dem,  der  mit  den  Schwierig- 
keiten der  sogenannten  „Iconographie"^  Moli^re's  genügend  vertraut  war, 
drängte  sich  nur  allzu  rasch  die  Frage  auf:  »Ist  das  der  wirkliche,  echte 
MoliSre  oder  ist  es  sein  verschönertes  oder  verzerrtes  Abbild?"  Die  Be- 
antwortung dieser  Frage  ist  auch  für  den  Kenner  keine  leichte  und 
unbedingte,  denn  die  Verschiedenheit  der  bildlichen  Darstellung  des 
Dichters  ist  eine  sehr  grosse.  Die  bekannte  Sammlung  SoleiroFs,  eines 
Pariser  Kunstschwärmers  und  Raritätensammlers«  zählte  allein  hundert- 
neunundzwanzig  Bilder  und  Zeichnungen  Moli^e's,  auf  deren  unzweifel- 
hafte Treue  der  glückliche  Besitzer,  aber  kein  vorsichtiger  Kritiker  schwor. 
Selbst  der  leichtgläubigste  aller  Moli^reforscher ,  Paul  Lacroix,  der  des 
Dichters  litterarischen  Nachlass  mit  einer  Menge  namenloser  Schriften 
bereichern  wollte,  an  denen  Moli^re  schwerlich  ein  Anteil  gebührt,  setzte 
die  Zahl  der  echten  Porträts  auf  fünfundzwanzig  herab;  ein  Pariser 
Akademiker,  Emil  Perrin,  will  nur  zwei  als  zuverlässig  anerkennen. 

Diese  grellen  Gegensätze  der  Beurteilung  erklären  sich  daraus,  dass 
wir  von  Seiten  der  Zeitgenossen  des  Dichters  meist  nur  gehässigei  ver- 
zerrende Ülterlieferungen  haben ,  die  überdies  mehr  den  Schauspieler,  als 
den  Menschen  schildern,  und  dass  auch  von  den  Porträts,  welche  bei 
Lebzeiten  Moli^re's  oder  bald  nach  seinem  Tode  angefertigt  sind,  nur 
eins  den  Dichter  ausserhalb  der  Bühne  vorführt.  Nicht  zu  übersehen  oder 
gering  zu  schätzen  ist  aber  eine  Beschreibung,  welche  die  Schauspielerin 
Angölique  Poisson  im  Jahre  1740  nach  ihrer  Jugenderinnerung  im 
Mercure  de  France  veröffentlicht  hat,  denn  obwohl  sie  mit  sichtlicher 
Vorliebe  und  Verschönerungssucht  die  äussere  Erscheinung  Molifere's 
schildert,  so  hat  sie  doch  lediglich  den  Menschen,*  nicht  den  Schauspieler 
dabei  im  Auge.  Nach  ihr  hätten  wir  uns  den  Dichter  als  eine  auch 
äusserlich  harmonische,  wohlgebildete  Erscheinung  vorzustellen,  während 
nach  manchen  Kostümbildem  früherer  Zeit  Molibre  eher  eine  hässliche, 
plumpe  und  wenig  proportionierte  Persönlichkeit  gewesen  sein  müsste. 

Mit  ihrer  Darstellung  lässt  sich  das  wahrscheinlich  älteste  Porträt- 
bild Molibre's,  das  von  seinem  Freunde  Mignard  etwa  im  Anfange  der 
sechsziger  Jahre  des  XVII.  Jahrhunderts  geschaffen  ist,  sehr  wohl  vereinen. 
Kopien  desselben  sind  in  französischen  und  deutschen  Moli^reschriften 
häufig  genug,  und  in  der  Vorstellung  der  meisten  Verehrer  des  grossen 
Dichters  lebt  seine  äussere  Erscheinung  so  fort,  wie  sie  der  Pinsel  dieses 
Malers  auf  die  Leinwand  geworfen  hat.  Man  darf  aber  nicht  vergessen, 
dass  Mignard  seinen  Freund  als  Darsteller  einer  tragischen  Rolle,  nämlich 
als  Cäsar  in  Corneille's  Tod  des  Pompejus,  mit  allem  theatralischen 
Pomp  damaliger  Zeit,  mit  dem  Purpurkleide,  dem  Lorbeerkranze,  dem 
Feldherrnstabe,  den  Flammenaugen  uud  der  Würde  des  Triumphators 
uns  vorführt;  —  wie  kann  da  von  einer  realistischen  Treue  die  Rede  sein? 
Ohnehin  huldigte  die  französische  Porträtmalerei  des  XVII.  Jahrhunderts 
der  Neigung,  alles  nach  dem  ungeschichtlichen  Ideal  zu  zeichnen,  welches 


266  Miszeüen. 

man  sich  vom  Römertam  entworfen  hatte  und  legte  auf  zuverlässige 
Natnrwahrheit  wenig  W^rt.  Nach  einer  Kopie  des  Mignard'schen  Bildes 
hat  Houdon  im  folgenden  Jahrhundert  seine  unsterbliche  Büste  Moli^re's 
entworfen,  ihm  seh  Hessen  sich  die  spateren  plastischen  und  malerischen  Dar- 
steller des  Dichters,  namentlich  der  Schöpfer  der  Brunnenstatue  in  der  rue 
Richelieu  zu  Paris,  an.  Das  Übertreibende  und  Unwahre,  welches  dem  Kostüm- 
bilde  seiner  Natur  nach  anhaftet,  auch  wenn  es  nicht  von  einem  ideali- 
sierenden Künstler  der  Zeit  Ludwig's  XIV.  entworfen  ist,  hat  sonach  die  spätere 
bildliche  Darstellung  Moli^re's  am  stärksten  und  nachhaltigsten  beeinflusst. 

Etliche  Jahre  nach  Mignard  hat  ein  uns  nicht  genau  bekannter 
Maler,  wahrscheinlich  Sebastian  Bourdon,  ein  Porträt  des  schon  schwer 
leidenden  Dichters  geschaffen,  das  die  Bildergallerie  des  Herzogs  von 
Aumale  auf  Schloss  Chantilly  ziert.  Hier  sehen  wir  nicht  den  Schau- 
spieler, sondern  den  Privatmann  vor  uns,  aber  in  einem  krankhaften 
Zustande,  der  durch  die  schweren  körperlichen  und  geistigen  Drangsale 
der  sieben  letzten  Lebenerjahre  hervorgebracht  ist.  Sein  Gesichtsausdruck 
ist  ein  schwermütiger,  die  Stirn  gefurcht,  die  Wangen  eingefallen,  das 
Haupt  geneigt.  Gewiss  ist  die  Treue  dieses  Bildes  ungleich  grösser,  als 
die  des  von  Mignard  geschaffenen,  aber  sie  stimmt  doch  nur  mit  dem 
Eindrucke  überein,  welchen  die  halbtragischen  Schöpfungen  Moli^re's, 
sein  Menschenfeind  und  sein  Schwanengesang,  Der  eingebildete  Kranke, 
uns  hinterlassen.  Verkehrt  würde  es  sein,  die  äussere  Erscheinung  des 
,  Dichters  zu  der  Zeit,  wo  er  von  dem  Ruhme  seiner  Erstlingsschöpfungen 
emporgehoben,  von  dem  Glänze  der  königlichen  Gunst  überstrahlt,  durch 
die  Zuneigung  gleichgerichteter  Freunde,  wie  Boileau  und  Lafontaine» 
innerlich  gesSirkt,  von  den  Enttäuschungen  der  Freundschaft  und  Liebe 
noch  unberührt,  von  dem  giftigen  Hasse  der  Frommgläubigen  und  der 
neidischer  Berufsgenossen  noch  wenig  getroffen,  von  den  schweren  Leiden 
eines  hoffnungslosen  körperlichen  Zustandes  noch  ungebeugt,  ein  zukunft- 
reiches, sorgenloses  und  frohes  Dasein  führte,  nach  dem  schwermütigen 
Bilde  Bourdon 's  uns  darzustellen.  Da  nun  der  jugendfrische,  ideal  ge- 
zeichnete Molibre  die  Vorstellung  der  Spätergeborenen  mehr  anmuten 
musste  als  der  frühzeitig  alternde,  mit  unverkennbarem  Realismus  ge- 
schilderte, so  hat  das  Bild  Bourdon's  unter  dem  wohlthuenderen  Eindruck 
des  Mignard'schen  leiden  müssen  und  die  nachfolgenden  bildlichen  Dar- 
stellungen des  Dichters  wenig  beeinflusst. 

Ausser  diesen  beiden  Porträts,  zu  denen  der  Dichter  selbst  da« 
Modell  gewesen  zu  sein  scheint,  haben  wir  von  Zeitgenossen  noch  eine 
Anzahl  von  Kostümbildem,  denen  als  solchen  eine  verhältnismässige  Treue 
nicht  abzusprechen  ist.  Dahin  gehört  zunächst  ein  Kupferstich  von 
Simonin,  der  nur  in  einem  Exemplar  erhalten  ist.  Auf  ihm  wird  Moli^re 
in  rohen,  aber  unverkennbar  naturtreuen  Umrissen  dargestellt  und  seine 
äussere  Erscheinung  würde  hiernach  eine  ziemlich  gewöhnliche,  unschöne 
gewesen  sein.  Ähnlich  ist  der  Eindruck,  den  wir  von  den  Zeichnungen 
Brissart's  und  Sauvä*s  empfangen,  welche  der  Ausgabe  der  Werke  Moli^re*s 
vom  Jahre  1682  als  Illustrationen  eingefügt  sind.  Sie  schildern  uns  den 
Bühnendarsteller  in  seinen  Hauptrollen  und  verzichten  ebenso  sehr  auf 
irgend  welche  Idealisierung ,  wie  auf  künstlerische  Feinheit.  Ein  kurzer 
Hals,  der  fast  in  den  Schultern  versinkt,  eine  ungleichmässige,  alltägliche 
Gesiohtsbildnng,  vor  allem  ein  auffallendes  Missverhältnis  des  Oberkörpers 
zu  den  unteren  Partieen  sind  die  Hauptkennzeichen  seiner  Erscheinung, 
wie  sie  uns  in  diesen  Bildern  hervortritt.  Verwandt,  aber  doch  mit 
unverkennbarer   Gehässigkeit   entstellt  ist  Moli^re's   Porträt  auf  einem 

f rossen   KoUektivgemäl&  des  Jahres  1670,  welches  die    „Spossmacher 
rankreichs  und  Italiens  in  den  letzten  sechzig  Jahren^  darstellt,  hier  ge- 


Mszeüen.  267 

winnen  wir  von  Molibre's  Erscheinang  auf  der  Bühne  denselben  grotesken, 
bisweilen  wider  Willen  komischen  Eindruck,  der  in  den  verzerrenden 
Beschreibungen  seiner  bittersten  Gegner  hervortritt.  Man  darf  weder 
den  Menschen,  noch  den  Schauspieler  nach  diesem  Zerrbilde  sich  vorstellen. 
Eher  dürften  schon  die  Eostümbilder  Bnssart's  und  Sauv^'s  das  Richtige 
treffen,  aber  auch  in  ihnen  ist  der  Bühneoerscheinung  allein  Rechnung  ge- 
tragen und  wir  müssen  das  abziehen,  was  der  schauspielerische  Effekt  in 
komischen  Rollen  dem  Mienenspiel  und  der  körperlichen  Haltung  aufnötigte. 
Soviel  ergibt  eine  Yergleichung  dieser  verschiedenen,  von  Begeiste- 
rung und  Abneigung,  von  künstlerischer  Meisterschaft  und  stümperhaftem 
Ungeschick  entworfenen  Bilder  jedenfalls:  der  grosse  Dichter  war  kein 
schöner  Mann.  Auch  Mignard*s  Bild  hat  nicht  ganz  das  verwischen  können, 
was  der  äusseren  Erscheinung  Moli^re's  sich  von  seinem  Vater  her  vererbt 
hatte,  den  fast  plumpen  Körperbau  mit  den  un verhältnismässig  langen  und 
dünnen  Beinen,  das  langgezogene  Gesicht,  mit  den  stechenden  von  einander 
weit  abstehenden  Augen,  der  zu  grossen  Nase  und  den  ausgedehnten 
Nasenflügeln,  den  starkentwickelten  Lippen,  dem  breiten  Munde,  der 
üppigen  Kinnbildung  und  dem  gewöhnlichen  Teint.  Aber  alle  diese 
äusseren  ünschönheiten  sind  auf  diesem  Bilde  durch  einen  echt  künstleri- 
schen Gesamtausdruck  ausgeglichen  und  selbst  auf  dem  Portiät  Banrdoo's 
sind  sie  durch  die  weltschmerzliche  Sehwermütigkeit  geadelt.  Waren 
nun  diese  verschönernden  Züge  nur  Zuthaten  der  Künstler  oder  entsprachen 
sie  der  Wirklichkeit?  Wir  können  weder  das  eine  noch  das  andere  be- 
stinunt  behaupten,  da  eine  völlig  unbefangene  Schilderung  der  Zeitge* 
noflsen  uns  fehlt  und  da  alle  Porträtdarstellungen,  bis  auf  Bourdon^s  äld 
und  den  rohen  Kupferstich  Simonin's,  nur  den  RöUendarsteller  im  Auge 
haben.  Bourdon's  Porträt,  das  man  uns  öfter  für  das  einzig  treue  hat 
ausgeben  wollen,  zeigt  aber,  wie  schon  erwähnt,  nur  den  leidenden^  schwer- 
mütigen Dichter  in  den  letzten  Lebensjahren,  kann  also  seiner  Treue 
nach  nur  für  diese  in  Frage  kommen,  aus  einem  stümperhaften  Kupfer- 
stiche können  wir  überhaupt  keine  ganz  sicheren,  unparteiischen  Schlüsse 
auf  Moliere's  äussere  Erscheinung  machen.  Wenn  aber  neuere  Moli^re- 
biographen  uns  den  grossen  Dichter  als  eine  Art  Cyklop  von  unfreiwilliger 
Komik  des  persönlichen  Eindrucks  schildern,  so  lawen  sie  sich  lediglich 
durch  Darstellungen,  wie  die  jenes  Gemäldes  vom  Jahre  1670,  leiten  und 
übersehen,  dass  die  Beschreibung,  welche  Ang^lique  Poisson  auf  Grund 
ihrer  Kindheitserinnerungen  gibt,  damit  ganz  unvereinbar  ist.  Die  Wahrheit 
scheint  auch  hier  in  der  Mitte  zu  liegen.  Molibre  war  nie  ein  schöner,  wohl- 
gestalteter, harmonisch  gebildeter  Mensch,  der  den  Sinn  erregbarer  Frauen 
bezaubern  konnte,  aber  trotz  seiner  äusseren  Mängel  auch  als  Persönlichkeit 
für  den  anziehend,  der  in  der  Körperbildung  den  Ausdruck  des  geistigen 
Wesens  vor  allem  zu  finden  sucht.  R.  Mahäenholtz. 


Eyolntions  de  la  langne  franfaise. 

,fSi  Meliere  revenait  sur  la  terre,  il  ne  comprendrait  plus  le 
fran^is".  Je  ne  sais  plus  au  juste  oü  j'ai  iu  cette  asseition;  mais  je  sais 
que  je  la  pris  pour  une  boutade,  et  je  n'j  pensai  plus.  Ce  n'est  que 
plus  tard  qu'elle  me  revint  en  memoire.  Je  venais  en  eftet  de  mettre 
la  main  sur  un  de  ces  romans  contemporains  qui  semblent  sortir  de  terre 
comme  les  Champignons  aprbs  la  pluie^  et  j'en  commenpai  la  lectnre. 
J'arrivai  bien  jusqu'ä  la  dixi^me  page,  mais  impossible  draller  plus  loin: 
je  n'en  eomprenais  pas  la  moiti^.  La  honte  envahit  mon  visage,  et  ce 
n'est  qu'en  pensant  ä  Moli^re  que  je  sentis  renaltre  mon  courage,  et  en 


268  Miszeüen. 

• 

me  Bouvenant  auBsi  vagnement  d'uDe  annonce  ainsi  oon^ne:  Pour  paraitre 
prochainement :  Petit  glossaire  pour  servir  ä  rinteüigence  des  auteurs 
(iecadents.  Ge  glossaire  n^est  ^videmment  pas  pour  moi  seul,  me  disais-je 
en  moi-m§ine;  dono  d'aatres  que  moi  ne  comprennent  pas  non  plus.  Ca 
fut  comme  un  beaume  pour  mon  äme. 

Ceci  se  passait  au  mois  d'aoüt  de  Tann^e  demibre,  pendant  mes 
vacances,  et  au  beau  milieu  de  la  France.  Certes,  je  n'en  aurais  jamais 
dit  un  mot,  si  une  boutade  pareille  ne  m*ätait  tombäe  sous  la  main,  il 
j  a  qninze  jours  k  peine.  Elle  est  un  peu  longue«  mais  je  ne  puis 
r^ister  au  plaisir  de  la  transcrire,  et  j'espere  qu'elle  int^essera  plus  d'un 
lecteur  de  la  Revue,  „k  quoi  bon  s'obstiner  a  confectionner  des  diction- 
naires  dans  un  pajs  dont  la  langue  n'a  plus  ni  limite,  ni  frein,  ni  mesure? 
Avec  le  däcadentisme,  la  d^liquescence  et  autres  ^coles  nonvellesi  chaque 
jour  cree  deux  ou  trois  centaines  de  mots,  les  uns  canailles  et  argotiques, 
les  autres  archaiques,  tous  plus  extravagants  et  plus  barbarisants  les  uns 
que  les  autres.  Comme  ce  joli  travail  de  d^composition  ne  se  ralentira  pas, 
les  dictionnaires  deviendront  parfaitement  inutiles.  Tout  sera  fran9ais  ad 
übitum  et  au  hasard  de  la  fourchette".  Ainsi  s'exprimait  Pierre  V^ron  dans 
le  Journal  amüsant,  le  27  janvier  1889.  F^nelon  lui-meme,  apr^s  avoir  dit 
dans  sa  Lettre  ä  VÄcademie :  „Une  langue  vivante  est  une  langue  sujette  k 
de  continnels  changements",  ajoutait:  „le  Dictionnaire  servira,  quand  notre 
langue  sera  changäe,  k  faire  entendre  les  livres  Berits  de  notre  temps". 

Ce  serait  une  ^tude  tr^s  interessante  que  celle  de  la  rävolution  de 
la  langue  francaise  dans  ces  demi^res  ann^es,  je  veux  dire  depuis  le 
^naturalisme^,  le  „romantisme",  le  ndäcadentiBme**.  C'est  surtout  actuelle- 
ment  que  cette  Evolution  s'accentue.  Le  dictionnaire  devient  radical  et 
nous  montre  des  termes  insolites,  hirsutes,  barbarisants.  Quelques  uns 
de  ces  näologismes  ne  manquent  pas  de  beautä,  comme  par  exemple: 
„Victor  Hueo  prend  une  envolee  süperbe  .  .  .  Les  contes  ^piqnes  aux 
larges  envots  . , .  Cette  t^te  est  dessinäe  avec  une  absolue  maitrise  ..." 
(Figaro).  Ce  dernier  terme  n'est  sans  doute  pas  nouveau  par  lui-mgme, 
mais  il  ^tend  sa  signification.  Je  ränge  ^galement  dans  cette  catdgone 
cinquantcnaire  et  centenaire  (fünfzig-,  hundertjähriges  Jubiläum)  qui  ne 
devraient  pas  manquer  dans  Sachs. 

Mais  ce  n^est  pas  le  vocabulaire  seul  qui  fait  des  siennes,  il  me 
semble  que  le  Pamasse  s'en  m§le  aussi  quelque  peu.  En  veut^on  des 
exemples?  Yoici  un  modMe  de  vers  empruntes  k  la  nouvelle  ^cole:  ils 
sont  adress^  k  la  Näva: 

Puissante,  magnifique,  illustre,  grave,  noble  reine! 

0  Tsaritjsa  de  glaces  et  de  fastes!  souveraine 

Matrone  hi^ratique  et  solennelle  et  v^näräe! 

Trte  chaste,  au  sein  du  Temple  qui  se  brise  et  se  r^crie 

Et  tr^  riante,  en  ta  parure  bleue  ou  blanche  .  .  . 
Sous  prätexte  de  nous  offrir  des   „heptapodes  iambiques*',   on  arrive  k 
nous  donner  des  monstres:  cäsure,  Vision,  mesure,  toute  la  cargaison  est 
jetee  par  dessus  bord. 

Mais  au  moins  la  grammaire  tient-elle  bon,  eile,  contre  cet  assaut 
livräe  k  la  tradition  classique?  Oh  que  nenni!  eile  aura  aussi  ses  faiblesses; 
eile  prend  part  k  cette  nuit  de  Yalpurgis.  Si  encore  ce  n'ätait  que  la 
grammaire  des  decadents  et  des  ant%'parnassiens,  le  mal  ne  serait  pas  si 
grand;  mais  malheureusement  la  grammaire  des  orateurs  et  des  jour- 
nalistes  —  celle  des  joumalistes  sourtout  —  a  ävoluä  considärablement. 
C^est  Ik  le  seul  point  que  je  me  proposais  de  mettre  en  lumibre.  J'ai 
fait  une  jolie  cueillette  de  eitations  k  Vappni  de  cette  assertion  et  je  vais 
en  reproduire  quelques  unes.    C'est  bien  la  grammaire  de  Ploetz,  je  crois, 


Mtszeäen.  269 

qui  pr^tend  qu*on  ne  met  Jamals  iin  futur  ni  un  conditionnel  apr^s  si 
(wenn).  Cetait  bien  cela  au  boD  vienx  temps;  mais  aujourd'hui!  Ecoutez 
plntöt:  nSi  Jamals  une  mesore  libäratrice  serait  accueillie  par  le  pajs, 
ce  serait  k  coup  sür  celle-lk''  (Gazette  de  France),  „Mais  si  Jamals  en 
temps  de  guerre,  Ton  ne  devra  appeler  sous  les  drapeaux  les  ecldslas- 
tiqiies  et  les  institateurs,  k  quo!  bon  leur  imposer  les  dpreaves  de  la 
caserne"  (Figaro),  J'ai  une  foule  d'autres  exemples,  mals  ceux-lk  suf&sent. 
Fassons  k  Temploi  du  subjonctif.  „Je  ne  pense  pas  que  de  Lille  k  Menton 
le  peuple  franpais  seräunira  dans  ses  comices  pour  d^cr^ter  . . ."  (Figaro), 
„Qui  voudrait  nier  que  ce  sont  de  beaux  jours"  (Figtxro),  „M§me  en 
admettant  que  la  Cocarde  est  convaincue,  le  moment  est  Inopportun 
pour  dire  ces  choses"  (Figaro),  „Je  n'espöre  pas  qu'ils  se  rangeront  k 
la  forme  actuelle  du  gouvernement;  mals  11  me  suffit  de  compter  sur 
leur  patrlotisme  pour  ne  pas  douter  qu'ils  se  refuseront  k  prSter  leurs 
malus  k  une  tentative  aventureuse"  (Ghallemel-Lacour,  Discours  au  Senatj 
däcembre  1888).  „l\  n'y  a  qu'un  seul  creancier  qui  poursuit  la  vente, 
mals  les  autres  vont  se  faire  repräsenter**  (Fig.).  „Dans  la  Marne,  11  n'y 
a  que  deux  arrondlssements  sur  cinq  qui  ont  re^u  des  bulletlns''  (Fig.J. 
„Les  Mineurs  sont  furieux  de  ce  quon  n'ait  pa«  permls  au  gändral  de 
descendre  dans  les  puits"  (Fig.), 

Mais  volci  qui  devient  plus  fort,  et  le  pauvre  verbe  craindre 
lul-meme  n'a  plus  la  force  de  gouverner  le  subjonctif;  11  est  bleu  entendu 

les. 

)eau 

depuis 

quinze  jours  permet  de  craindre  que  la  France  palera  encore  une  fols 
les  deplacements  mlnistdrlels'*  (Fig.).  Dans  quelques  semaines,  11  y  a  tout 
Heu  de  craindre  que  nous  connaitrons  la  rägence  de  Serble**  (Fig). 

Ce  n*est  pas  que  je  prätende  que  toutes  ces  manieres  de  s'exprimer 
soient  condamnables ,  et  certalns  academiciens,  le  crltiqne  de  la  Revue 
des  de^uc  Mondes  par  exemple,  ont  un  penchant  trfes  prononcä  pour 
Temploi  du  conditionnel  apr^s  la  conjonction  „si**;  mals  11  n'en  est  pas 
moins  vral  que  la  littärature  contemporalne  accomplit  un  mouvement 
d*ävolutlon,  m^me  au  point  de  vue  de  la  grammaire,  ainsi  que  nous 
Tavons  constatä  par  exemple  relatlvement  k  l'emplol  du  verbe  craindre. 
Je  ne  connais  pas  d*exemple  de  cette  construction  au  dlx-septl^me  sifecle; 
pour  le  dlx-huiti^me,  je  n*en  al  trouvä  qu'un  seul,  et  encore  est-il  dans 
les  OBuvres  de  Fr^äric  le  Grand.  Le  volci:  „comme  11  avait  k  craindre 
qu'il  au  r  alt  aussitöt  toute  l'armde  sur  les  bras  ..."  On  y  trouve  ägale- 
ment  „le  malheur  voulut  que  les  hussards  tombbrent  sur  l'ennemi . . ." 

.Une  autre  construction  singulifere  et  que  j'al  trouväe  deux  fols  dans 
E.  Zola  est  la  suivante:  „II  fallut  que  le  peintre  la  coupa  d'une  clolson 
de  planches  ..."  FaUoir,  tout  comme  craindre,  gouverne  rindlcatif. 
Si  ce  mouvement  continue  de  ce  pled,  11  n'y  aura  plus  de  subjonctif  au 
XX^^e  sifecle.  II  est  bleu  entendu  que  je  ne  parlerai  pas  ici,  sans  cela 
j'aurai  trop  k  faire,  de  constructions  comme:  midi  sonntrent  ...  Le 
Saint  Pfere  lira  une  messe  basse  .  .  .  (Fig).  Un  ouvrier  de  ronzieme 
beure  .  . . ;  11  ätait  pres  d^onze  heures  (Zola). 

Poursulvra  qui  voudra  cette  ötude;  quant  k  mol  je  n'en  ai  ni  le 
loislr  ni  Tenvie,  et  je  termine  par  une  citatlon  que  je  lisals  hier  encore 
dans  le  Figaro:  „Nous  sommes  envahls  par  un  tas  de  diseurs  de  rien  et 
de  raboteurs  de  phrases  qui  encombrent  le  Parnasse.  Parml  les  jeunes 
ecrivalos,  11  y  a,  incontestablement,  un  certaln  nombre  d'allänes  qui  sont 
frappäs  d'une  folie  particull^re ,  la  folie  du  mot  . .  .  C'est  en  prose  et 
en  vers,  une  langue  qui  est  le  plus  pretentieux  des  chürabias  ...    Ih  s« 


270  Misteüen, 

contentent  de  donner  aux  mots  nsuels  des  significations  k  eux  et  de  dis- 
ioqner  la  plirase.  Las  uns  suppriment  toute  ponctnation ,  bien  que  la 
ponctuation  soit  une  Convention  d'une  absolue  logique  .  .  ."  (Figaro, 
29  avril  1889).  J.  Aymebic. 


Ein  Roman  Victor  Cherbnliez'. 

In  der  Revue  des  dettx  mondes  vom  15.  Juni  y.  J.  beschliesst  der 
auch  in  Deutschland  mit  Recht  wohl  bekannte  Victor  Gherbuliez  seinen 
letzten  Roman  La  vöcaiion  du  comte  de  Ghisfain,  und  ich  glaube,  dass 
mancher  jseiner  Verehrer  das  umfangreiche  Werk  kopfschüttelnd  aus 
der  Hand  legen  wird,  da  es  sich  früheren  Leistungen  des  Verfassers 
nicht  an  die  Seite  stellen  kann.  Ist  auch  die  Charakteristik  von  grosser 
Feinheit,  so  fehlt  doch  dem  Hauptcharakter,  dessen  Zeichnung  mit  be- 
sonderer Breite  angelegt  ist,  jede  Eigenschaft,  die  unser  Interesse  auf 
die  Dauer  fesseln  könnte.  Der  Comte  de  Ghislain  ist  ein  Geistesver- 
wandter von  Olivier  Maugant,  dessen  ich  im  Aprilheft  der  Franco- 
GäUia  1885  gedacht  habe.  Die  dort  angezogenen  Worte,  welche  diesen 
in  Kürze  zeichnen :  vom  avez  un  coßur,  heaucoup  de  ccßur,  et  mime  vous 
en  avez  irop;  mais  votis  rCavez  m  discernemeni  ni  raison  ei  quand  la 
raison  ne  les  garde  pas^  ks  meilleurs  coßurs  foni  les  plus  grosses  sottises, 
passen  auch  auf  jenen. 

Denn  was  ist  dieser  Ghislain  anderes  als  ein  wunderlicher  Kauz, 
dem  nichts  weiter  fehlt,  als  dass  er  zu  reich  ist,  und  der  daher  nicht 
weiss,  was  er  in  dieser  bösen  Welt  mit  seinem  Ich  anfangen  soll.  Die 
voeation,  die  er  glücklich  findet,  ist  in  der  That  nicht  besonders  neuer 
Art :  an  der  Seite  eines  braven  Mädchens  ein  guter  Ehemann  zu  werden. 
Doch  dies  Glück  findet  er  erst  spät  und  nach  manchen  Irrungen.  Als 
einziger  Sohn  eines  nur  durch  die  Gemeinsamkeit  der  Interessen  ver- 
bundenen Paares,  von  dem  jedes  seinem  eigenen  Vergnügen  nachgeht, 
aufgewachsen,  ohne  den  Sonnenschein  der  Elternliebe,  gerät  der  junge 
Graf  zunächst  ganz  in  den  Strudel  des  galanten  Pariser  Lebens,  ja  es 

felin^t  dem  beau  Ghislain,  seinen  eigenen  Vater  bei  einer  russischen 
ürstm  auszustechen.  Doch  bald  folgt  der  Ekel  an  diesem  hohlen 
Leben.  Jl  vous  a  paru  que  les  fleurs  que  vous  attiez  eueilUes,  n'avaieni 
ni  couleur  ni  par/um,  que  vos  joies  e'taient  des  ombres,  ei  vous  n'aper- 
cevez  plus  auiour  de  vous  que  de  irisies  ei  päles  fantomes.  So  sagt  ihm 
jemand  und  bezeichnet  damit  trefflich  seine  Stimmung.  In  dieser  be- 
gegnet Ghislain  einem  Missionar,  einer  kraftvollen  Gestalt,  und,  wie 
es  schwankenden  Menschen  eigentümlich  ist,  will  er  das  Lebensziel, 
das  jenes  Geist  und  Gemüt  so  voll  und  ganz  erfüllt,  zu  dem  seinigen 
machen,  ohne  zu  bedenken,  dass  ihm  dazu  dessen  sittliche  Kraft  fehlt. 
Der  Menschenkenner  durchschaut  den  Jüngling,  der  ihm  vertrauensvoll 
sein  Herz  erschliesst;  er  weiss,  dass  Ghislain  nir  den  entsagungsreichen 
Beruf  eines  Heidenbekehrers  nicht  geschaffen  ist,  doch  lässt  er  ihn, 
wie  Rousseau  seinen  ^Imile,  gewähren,  damit  er  durch  eigene  Erfahrung 
seinen  Irrtum  erkenne.  Ziemlich  leicht  wird  unser  Held  mit  der  Ge- 
wissensfrage fertig,  und  es  ist  zu  charakteristisch  (auch  für  die  Schreib- 
weise Cherbnliez')  Ghislain  über  Protestantismus  und  Katholizismus 
sprechen  zu  hören,  als  dass  ich  der  Versuchung  widerstehen  könnte, 
die  Stelle  hierher  zu  setzen. 

In  Religionssachen,  so  sagt  er,  wählt  man  nicht,  man  verzichtet 
auf  seine  eigenen  Ansichten,  beugt  sich,  unterwirft  sich,  und  diese  frei- 
willige Unterwerfung  ist  vielleicht  die  wahre  Freiheit.    Le  caikoücisme 


MiszeUen,  271 

se  recommande  ä  nous  par  sa  durde,  et  ü  a  Pävidence,  la  majesU  ou,  si 
vous  faimez  mieux,  la  brutalite  (Tun  faii.  La  philosophie  est  la  raison 
contente;  le  protestantisme  est  une  raison  mecontente,  qui  se  donne  beau- 
cotip  de  peine  pour  remplacer  ce  qu'eüe  a  perdu,  EUe  s'ingenie,  eile  a 
recours  aux  succedanes ;  eile  nofts  dit:  „Prenez  ma  chicoree,  vous  la  trou- 
verez  plus  savoureuse,  plus  parfumee  que  le  meiäeur  cafe  de  Moka,^ 
Ihur  ma  pari,  so  meint  dann  Ghislain,  je  ne  Supporte  pas  le  caf4,  maxs 
je  m4prise  toutes  les  Chicorees  et  toutes  les  invenOons  modernes. 

Doch  zu  dieser  Unterwerfung  kommt  es  nicht,  und  wir  brauchen 
nicht  zu  fürchten,  den  Grafen  nun  bald  in  der  Kutte  zu  sehen.  Ein 
Paar  hübsche  Augen,  ein  unschuldiger  Kuss,  den  er  irrtümlich  von 
einem  übermütigen  Mädchen  empfängt,  genügen,  um  ihn  von  seinem 
Entschluss  abzubringen.  Er  findet,  dass  das  Glück  nicht  une  chose  bien 
compliquee  ist,  dass  man  nur  darauf  zu  warten  hat  und  zugreifen  muss, 
wenn  es  sich  uns  bietet. 

Und  Ghislain  bietet  es  sich,  er  ergreift  es  auch,  und  vor  ihm 
liegt  das  reine  Glück  an  der  Seite  eines  geliebten  Weibes,  M^"  de  Trä- 
laz^,  der  Nichte  seines  geistlichen  Freundes,  da  bringt  der  Tod  seiner 
Mutter,  der  allerdings  unter  besonders  grausigen  Umständen  erfolgt, 
einen  neuen  Umschwung  in  seinen  Lebensansichten  hervor.  Von  neuem 
kommt  er  auf  seine  erste  Idee  zurück.  Je  veux  agir,  ruft  er  aus,  ie 
veux  souffrvr  pour  les  autres;  c^ est  par  la  pitie,  par  la  sainte  misMcorde, 
qu*on  rachete  ses  erreurs. 

Und  was  thut  er?  Mit  einer  Grausamkeit,  der  vor  allem  schwache, 
„kontemplative'^  Naturen  —  er  nennt  sich  selbst  un  me'kmcoligue  voui 
ä  la  contemplation  —  fähig  sind,  verlässt  er  die  Geliebte,  mit  der  er 
sich  eben  verlobt  hat,  um  in  Afrika  sich  auf  seine  neue  Laufbahn  vor* 
zubereiten.  Doch  auch  hier  findet  er  nicht  das,  was  er  sucht.  Sein 
Aufenthalt  in  Tunis,  seine  Reisen  ins  Innere  zeigen  ihm  nur,  dass  das 
letzte  Wort  der  orientalischen  Weisheit  ist:  Häte-l&i  de  jouir,  la  mori 
ie  gueite.  Zugleich  wird  er  hier  das  Opfer  einer  Intrigue,  die  sein 
Vater  mit  Eusäbe  Furette,  seinem  Lehrer  des  Deutschen,  einem  lüsternen, 
gemeinen  Charakter,  spielt,  um  dem  Sohn  durch  seinen  Fall  zu  zeigen, 
dass  er  nicht  besser  ist  als  er,  und  sich  so  gleichzeitig  für  seine  früheren 
Erfolge  zu  rächen. 

Die  sentimentale  Kokette,  die  Ghislain  nachgereist  ist,  um  ihn 
zu  fangen,  weiss  ihn  freilich  nur  einen  Augenblick  zn  täuschen.  Er 
erkennt  bald,  in  welche  Schlinge  er  geraten  ist,  sieht  aber  auch  zugleich 
ein,  wie  wenig  er  der  Mann  ist,  einer  hohen  sittlichen  Aufgabe  zu  ge- 
nügen. Nun  ist  er  überzeugt,  dass  er  nicht  für  les  vertus  difficiles  et 
rares  geschafPen  ist,  sondern  für  les  douceurs,  les  däUoes  d^un  amour  pur, 
d*un  amour  jeune,  qui  mSte  ä  la  vie  d'habitude  des  ^motians,  des  gräces 
toujours  nouvelles,  et  procure  aux  ämes  faUguees  du  monde  des  heures 
ä  la  /bis  monotones  et  pleines,  dass  er  nicht  bloss  ein  ^osser  Narr  ge- 
wesen ist,  sondern  auch  hart  und  undankbar  gegen  die,  welche  ihm 
ihr  reines  Herz  geschenkt  hat.  Er  meint,  er  habe  nun  weiter  nichts 
zu  thun,  als  in  die  Arme  der  geduldig  auf  ihn  wartenden  Geliebten 
zurückzukehren,  doch  da  irrt  er  sehr.  Als  er  unerwartet  heimkehrt, 
ist  diese  im  Begriff,  seinem  siebzigjährigen  Vater  die  Hand  zu  reichen, 
und  zwar,  was  die  Sache  noch  unbegreiflicher  macht,  aus  eigenem, 
freiem  Entschluss.  Freilich  sind  es  nicht  die  Reichtümer  des  alten 
unverbesserlichen  Lebemannes,  die  sie  reizen,  auch  ist  sie  kindlich 
genug  zu  glauben,  sie  solle  ihm  nur  die  Tochter  ersetzen  und  für  sein 
einsames  Alter  eine  Stütze  werden,  doch  lockt  sie  der  Gedanke,  an 
dem  Geliebten  eine  kleine  Rache  zu  nehmen,   und  die  Hoffnung,   ihm 


272  Miszeüe. 

dadurch,  wenn  auch  als  Stiefmutter,  näher  zu  stehen.  Als  dieser  nun 
wiederkommt,  da  bittet  das  unschuldige  Din^  ihren  lieben  Gott,  er 
möge  ein  Wunder  geschehen  lassen,  um  sie  der  Erfüllung  ihres  leicht- 
fertig gegebenen  Versprechens  zu  überheben.  Und  dieses  Gebet  geht 
wirklici^  in  Erfüllung.  Der  alte  verliebte  Geck  stirbt  zur  rechten  Zeit; 
ein  Herzschlag  macht  seinem  schalen  Dasein  ein  Ende  in  dem  Augen- 
blicke, wo  die  Liebenden  sich  wieder  gefunden  haben.  Auch  der 
Schatten  des  Toten ,  den  der  strenge  Abb^  zwischen  ihnen  herauf- 
beschwören möchte,  stellt  sich  ihrem  Glück  nicht  entgegen.  Ghislain 
beichtet  dem  Abb^  sein  Unrecht,  auch  M"*  de  Tr^lazö  bereut,  nachdem 
auch  sie  durch  das  ihr  eröffnete  Geständnis  von  Ghislain^s  Schwäche 
eine  Enttäuschung  und  damit  eine  Strafe  für  ihren  eigenen  Fehltritt 
bekommen  hat.  Sie  haben  sich  in  der  That  beide  etwas  zu  vergeben, 
sie  sind  quitt,  und  wir  zweifeln  nun  nichts  dass  beide  die  vierjährige 
Probezeit,  die  ihnen  der  Abb^  auferlegt,  wie  der  Eremit  dem  Max  im 
Freischütz,  ebenso  glänzend  wie  dieser  bestehen  werden. 

Das  ist  der  Inhalt  des  umfangreichen  Romans.  In  der  That  wie 
bei  dem  vorigen,  dem  schon  genannten  Olivier  Maugant,  wenig  Hand- 
lung, indessen  scheint  es  auf  diese  Cherbuliez  weniger  anzukommen 
als  darauf,  eine  Reihe  von  Charakteren  verschiedenster  Art  bis  in  ihre 
kleinsten  Falten  vor  uns  offen  zu  legen.  Und  diese  nimmt  er,  wo  er 
sie  findet:  keine  ausserordentliche  Menschen  mit  starkem  Wollen  und 
Können,  sondern  Menschen  mit  allen  den  Schwächen,  die  der  Leser  an 
sich  selbst  und  anderen  Gelegenheit  genug  hat  zu  beobachten.  Viele 
von  diesen  Charakteren  gefallen  uns  trotz  ihrer  Schwächen ,  vielleicht 
auch  wegen  derselben,  andere  stossen  uns  ab,  so  der  lüsterne  Eusäbe 
Furette  und  der  eitle  Marquis  de  Ghislain.  Doch  ist  es  im  Leben 
anders?  Und  nach  dem  Leben  will  Cherbuliez  zeichnen,  darin  beruht 
auch  seine  Bedeutung.  Doch  ist  er  darum  nicht  zu  den  Naturalisten  zn 
zählen;  er  ist  zu  fein  gebildet,  um  lediglich  in  naturalistische  Roheiten 
zu  verfallen,  wie  er  zu  vielseitig  ist,  um  das  beliebte  Ehebruchsthema  zu 
variieren.  Immerhin  ist  der  Genfer  Cherbuliez  zu  sehr  Franzose,  um 
seine  Natur  verleugnen  zu  können.  Seine  Anschauungsweise  ist  häufig 
nicht  die  unsere,  und  er  spricht  manches  aus,  was  unser  deutsches 
Gefühl  verletzt.  Doch  sollte  man  bei  der  Beurteilung  französischer 
Romane  nicht  so  oft  vergessen,  dass  ihre  Verfasser  zunächst  für  ihre 
eigenen  Landsleute  schreiben.  Hält  man  das  fest,  so  wird  es  vielen 
bei  der  Lektüre  Cherbuliez'scher  Werke  wie  dem  Unterzeichneten  gehen. 
Die  echt  französische  Form  wird  über  den  in  mancher  Weise  anfecht- 
baren und  dürftigen  Inhalt  hinwegsehen  lassen.  Cherbuliez'  Sprache 
gehört  meiner  Ansicht  nach  zu  dem  Besten,  was  die  Revue  bietet;  sie 
ist  jedenfalls  echt  französisch. 

Auch  mutet  uns  des  Verfassers  philosophischer  Standpunkt  an.  Den 
schon  in  la  Ferme  du  Choquard  ausgesprochenen  Gedanken:  le  secret  du 
bonheur  et  de  la  vertu  est  la  äe'sappropriation  berührt  er  auch  hier,  und  in 
dem  Abbä  tritt  uns  eine  Gestalt  entgegen,  die,  wenn  auch  nicht  ohne 
Schärfen,  doch  geeignet  ist,  unsere  Bewunderung  zu  erregen,  und  welcher 
der  Verf.  vielleicht  manche  seiner  eigenen  Erfahrungen  in  den  Mund  legt. 

Jl  avait  fini  par  decouvrir  qu*ü  fCy  a  pas  grand  merite  ä  se  passer 
du  bonheur,  que  la  vie  est  par  eÜe-mime  une  chose  assez  mediocre,  que 
les  volupte's  ameres  du  sacrifice  sont  les  seulesßies  qui  ne  trompent  jamais. 

Liegt  darin  nicht  die  Summe  aller  menschlichen  Weisheit,  zu 
deren  Erkenntnis  viele  freilich  die  raschlebige  Gegenwart  spät  oder 
gftr  nicht  kommen  lässt?  Lohmann. 


Zeitsclirift; 


fttr 


französische  Sprache  und  Litteratur 


unter  besonderer  Mitwirkung  ilirer  Begründer 


Dr.  G.  Koerting   und   Dr.  E.  Koschwiiz 

Professor  s.  d.  Akademie  zn  Mflnster  i.  W.      Professor  s.  d.  UniTendt&t  zu  Greif^ald 


herausgegeben 


▼on 


Dr.  D.  BehreAü    und    Dr.  H.  Kcerting 

Privatdozent  a.  d.  UniTersität  za  Greifiswald.      Professor  a.  d.  Universität  za  Leipzig. 


Band  XI. 

Zweite  Hälfte:  Referate  und  Rezensionen  etc. 


Oppeln  und  Leipzig. 

Eugen  Franck's  Buchhandlung 

(€Feorg  Maske). 

1889. 


INHALT. 


Refkratg  und  Rezensionen. 

Seite 
Armbruster,  iC,,  Geschlechtswandel  im  Französischen.  Maskulinum 

und  Femininum  (D.  Behrens) '.    .      165 

Btidke,   Die  Anfangsgründe   im  Französischen  auf  phonetischer 

Gtundiage  {M.  Walter) :■   .      ISK) 

Beyer,  Franz,  Französische  Phonetik  für  Lehrer  und  Studierende 

(A.  Lange) 289 

Shck,  John,  Beiträge  zu  einer  Würdigung  Diderot*6  als  Dramatiker 

(ß.  Mahrenholtz)      .    • 86 

Siignnerhasseit,  Ch,,  Frau  von  Sta31,  ihre  Freunde  und  ihre  Be- 
deutung in  Politik  und  Litteratur  (0.  Knauer)   .    .     .     .      218 

Bo%tnin,  Gabriel,  LaSoltane.  Trauerspiel.  Paris  1641  (R.  Mahren- 
holtz)      145 

Brenelierie,  G,  de  la,  Histoire  de  Beaumarchais  (B.  M  ah  r  e  n fa  o  It  z)        85 

Carel,  Georges,  Voltaire  und  Goethe  als  Dramatiker  (J.  Sarrazin)      227 

Cledat,  L,,  Nouvelle  Grammaire  historique  du  fran^ais  (£.  Ko sch- 
witz)          10 

Bannheisser,  Ernst,  Studien  zu  Jean  de  Mairet*s  Leben  und  Werken 

(J.  Frank) 65 

Bmjidet,  Alpkonse,   Lettres    de   mon    moulin   p.  p.  E.  Hönncher 

(J.  Aymeric) « 58 

Döhler,  E^,  Coup   d'oeil  sur  Thistoire  de  la  litterature  fran^aise 

(0.  Glöde) 248 

Breyling,  Gustav,  Die  Ausdrucks  weise  der  übertriebenen  Ver- 
kleinerung im  altfranzösischen  Karlsepos  (F.  Perle)    .     .      884 

Dubislaw,  Über  Satzbeiordnung  für  Sat^unterordtiung  im  Alt- 
französischen'  (A.  Haase) , «      1T8 


Seite 

Dupin,  Luigi,  Moli^re,  Commedie  scelte,  con  note  storiche  e  filo- 

logiche  (H.  Fritsche)      .    .    .    • 214 

Englich,  Die  französiBche  Grammatik  am  Gymnasium  (F.  Hörn e- 

mann) 51 

Foerster,  W,,  Louis  Meigret,  Le  Trotte  de  la  gramm^re  Fran90§ze 

(J,  Koch) 261 

Gehrig,  Hermann,  Jean -Jacques  Rousseau,  sein  Leben  und  seine 

pädagogische  Bedeutung.    Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 

Pädagogik  (R.  Mahrenholtz) ,    .      149 

Greierz,  Otto  von,  Beat  Ludwig  von  Muralt  (E.  Ritter)    .    .    .  1 

Grosse,  Syntaktische  Studien  zu  Jean  Calvin  (A.  Haase)  .  .  .  177 
Groih,  J.,  Jean  Antoine  de  Ba'if's  Psaultier,  metrische  Bearbeitung 

der  Psalmen    mit    Einleitung,   Anmerkungen   und    einem 

Wörterverzeichnis  (Gröbedinkel) 213 

Gutersohn,  J,,  Gegenvorschläge  zur  Reform  des  neusprachlichen 

Unterrichts  (F.  Dörr) 53 

Haase,  A,,    Französische    Syntax    des    XVII.   Jahrhunderts   (E. 

Koschwitz) 16 

Harimann's   Schulausgaben   französischer   Schriftsteller.      No.  2 

B^ranger  (F.  Wendelborn) 245 

Horning,  Adolf,  Die  ostfranzösischen  Grenzdialekte  zwischen  Metz 

und  Beifort  (C.  This)       87 

Hämig,  Syntaktische  Studien  zu  Rabelais  (A.  Haase)   .    •    .    .       176 

Humbert,  C,  Molifere,  L'Avare  (H.  Fritsche) .    .      147 

Jarmk^  J.  ?7.,]^Neuer  vollständiger  Index  zu  Diez*  etymologischem 

Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen  (D.  Behrens)  .  286 
Jespersen,  0,,  Fransk  Laesebog  efter  Lydskriftmetoden 

(A.  Western) 239 

Junker,  Heinrich  P.,  Grundriss  der  Geschichte  der  französischen 

Litteratur   von    ihren   Anfängen    bis   zur    Gegenwart   (G. 

Bornhak) 143 

Levertin,  0»,  Studier  öfver  fars  och  farsörer  i  Frankrike  mellan 

Renaissance  och  Moli^re  (J.  Frank) 193 

Mätschke,  Die  Nebensätze  der  Zeit  im  Altfranzösischen  (A«  Haase)  174 
MaLmstedi,   Om  bruket  af  finit  modus  hos   Raoul   de   Houdenc 

(A.  Haase) 175 

Mangold,  W.  und  Coste,  D,,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache. 

IL  Teil  (Kalepky) 241 

Morf,H.,  Aus  der  Geschichte  des  französischen  Dramas  (A.  Mager)  9 

Mosen,  C,  Das  französische  Verb  in  der  Schale  (A.  Rambeau)  94 
Mosen,  C,  Ergänzungsheft  zu  den  Übungen  des  Lehrbuches :  Das 

französische  Verb  in  der  Schule  (A.  Rambeau)  ....  94 
Orlopp,  Über  die  Wortstellung  bei  Rabelais  (A.  Haase)    .    .    .      188 


S«ite 

Okleri,  A.,  Die  Lehre  vom  franzÖBischen  Verb  (A.  Bambeau)   .        94 

—  — ,  Die  Behandlung  der  Verbalflexion  im  französischen  Unter- 
richt (A.  Rambeau) 94 

Platiner,  Ph.,  Unsere  Fremdwörter  vom  Standpunkte  des  fran- 
zösischen Unterrichts  betrachtet  (E.  Weber) »     237 

[Phtdhun,  W.],  Parlons  frangais!    Quelques  remarques  pratiques 

dont  on  pourra  profiter  en  Suisse  et  ailleurs  (H.  Koerting)        43 

Raitkel,  Georg,  Über  den  Gebrauch  und  die  begriffliche  Ent- 
wickelung  der  altfranzösischen  Präpositionen  sor,  desor 
(dedesor),  ensor ;  sus,  desus  (dedesus),  ensus  (F.  T e n d e r in g)        39 

Rambeau,  A.,    Die   Phonetik    im    französischen   und    englischen 

Klassenunterricht  (M.  Walter) 108 

Ricard,  A,,  Aide -Memoire  de  la  conjugaison  des  verbes  fran9ais 

r^guliers  et  irr^guliecs  (A.  Rambeau) 95 

Riese,    W.,    Alliterierender    Gleichklang    in    der    französischen 

Sprache  alter  und  neuer  Zeit  (M.  Köhler) 178 

Ringenson,  Studier   öfver  verbets   syntax  hos  Blaise  de  Monluc 

(A.  Haase) 178 

Rislelhvber^  P„  Heidelberg  et  Strasbourg.  Recherches  bibliogra- 
phiques  et  littäraires  sur  les  ^tudiants  alsaciens  imma- 
tricul^s  ä  runiversit^  de  Heidelberg  de  1386  ä  1662 
(Th.  Süpfle) 129 

Roth  fuchs,  Julius,    Vom  Übersetzen   in   das   Deutsche   und  von 

manchem  andern  (F.  Home  mann) 46 

Sänger,  Syntaktische  Studien  zu  Rabelais  (A.  Haase)     .    .    .    .      176 

Sandeau,  Jules,  Mademoiselle  de  la  Seigli^re  p.  p.  K.  A.  Martin 

Hartmann  (J.  Aymeric) 62 

Sarrazin,  Joseph,  Das  moderne  Drama  der  Franzosen  in  seinen 

Hauptvertretern  (E.  Hönncher)       153 

Schaefer,  Kurt,  Französische  Schulgrammatik  für  die  Unterstufen 

^E.  Mackel)    .    • 250 

Schulze,  A,,  Der  altfranzösische  direkte  Fragesatz  (F.  Kalepky)        19 

Schmidt,  Ferdinand,  Französisches  Elementarbuch  (F.  T  e  n  d  e  r i n  g)        41 

Schmidt,  Otto,  Rousseau  und  Byron  (R.  Mahre n holt z)      .    .     .      150 

Schulausgaben  (C.  Th.  Lion) 180 

Schumann,  W.,   Übersicht   über   die    französische    Formenlehre 

(F.  Tendering) 40 

Seelmann,  E,,   Bibliographie   des  altfranzösischen  Rolandsliedes 

(F.  Pakscher) 27 

Sen^chaud,  P.,  Abr^g^  de  Thistoire  de  la  litt^rature  fran9ai8e  ä 
l'usage  des  ^coles  sup^rieurs  et  de  l'instruction  priv^e 
(E.  V.  Sallwürk) 58 

Kollektion  Spemann  (K.  A.  Martin  Hartmann) 74 


Seite 

Stier,  Georg,    Kanjugations -Tafeln    der    fransösischen    Verben 

(A.  Raxobeau) 94 

Süpfle,  Th„  Geschichte  des  deutschen  Eultureinflasses  auf  Frank- 
reich mit  besonderer  Berücksichtigung    der  litterarischen 

Einwirkung  (0.  Knauer) 136 

Temer,  Jules,  Nos  Poötes  (A.  Odin)  . 98 

Truati,  Henri,  Les  grands  äcrivains  £ran9ais.    Nouvelles  lectures 
commentäes  en  fraKi9ai8  et  en  langues  ^trangäres,  alle- 

mand,  anglais  etc.  (A.  Mager) 191 

Ullrich,  ff,.  Die  französischen  unregelmässigen  Verben 

(A.  Bambeau) 94 

Fillalie,  Cesaire,  Parisismen  (J.  Sarrazin) 30 

VoümöUer,  Karl,  Jean  de  Mairet,  Sophonisbe  (J.  Koch)     .    .    .      255 
Waldmann,  Bemerkungen  zur  Syntax  Monstrelets  (A.  Haase)   .       175 
Walter,  Max,  Der  französische  Klassenunterricht  (£.  v.  Sal  Iwür k)      188 
Wespy,  Paul,  Der  Graf  Tressan,   sein  Leben  und  seine   Bear- 
beitungen der  französischen  Ritterromane  des  Mittelalters 
(F.  Bobertag) 73 

MiSZELLiSN. 

Aymerie,  /.,  Erwldterung 262 

Dan-,  F.,  In  Sache  J.  Gutersohn 283 

Hartmann,  K,  A.  Martin,  Zu  Maderooiselle  de  la  Seigliere      .     .  257 
Kraft,  Ph,,   Verein   für   das   Studium  der  neueren  Sprachen   in 

Hamburg-AHona 128 

Berichtigungen 284 


<»'»«<» 


Referate  und  Rezensionen. 


Greierz,  Otto  von,  Beat  Ludwig  von MuraU.  Inaugural-Dissertatlon, 
der  philosophischen  Fakultät  der  Universität  Bern  znr 
Erlangung  der  Doktorwürde  eingereicht.  Franenfeld,  1888. 
J.  Huberts  Buchdruckerei.     112  8.  8®.    Preis:   Fr.  2,40. 

Ici  meme,  en  1880,  j'avais  publik  sur  B6at  de  Muralt 
quelques  pages,  oü  j'avais  recueilli  et  mis  en  ordre  ce  qu*on  savait 
de  sa  vie  et  de  ses  oeuvres.  Cette  revue  montrait  que  beaucoup 
de  lacunes  existaient  encore.  Un  certain  nombre  d'entre  elles 
ont  et^  heureusement  combl^es  par  M.  de  Greierz,  dans  Tex- 
cellente  dissertation  quHl  vient  de  präsenter  k  la  Facult^  des 
Lettres  de  Berne. 

Parmi  les  r6sultats  de  ses  recherches,  et  les  points  qu^il 
a  6tablis,  on  remarquera:  le  fait  que  B6at  de  Mnralt,  ä  seize 
ans,  ^tait  en  s6jour  k  Gen6ve,  et  que  c'est  dans  cette  vilie  qu41 
s'est  familiaris^  avec  la  langue  fran^aise;  —  les  relations  de 
B6at  de  Muralt  avec  le  litt^rateur  Jacques  Bodmer  (pages  76  et  77) 
qn41  faut  distinguer  du  pi^tiste  Jean -Henri  Bodmer  (page  78) 
lequel  passa  ses  demiöres  ann6es  k  Colombier,  et  mourut  en  1743, 
dans  sa  74®  ann^e  (voir  le  Dictionnatre  de  Leu;  les  documents 
que  j'ai  publi^s  dans  les  ^trennes  chrStiennes  de  1886:  Jeanne 
Bonnet,  ipisode  de  thistoire  du  pietisme  ä  Gen^ve,  avaient  d^ji 
stabil  les  relations  du  pi^tiste  Jean-Henri  Bodmer  avec  B6at  de 
Muralt;)  —  enfin  et  surtout  le  premier  texte  de  la  6*  des  Lettres 
sur  les  Frangois,  qui  contient  la  critique  de  la  Satire  de  Boileau 
sur  les  Emharras  de  Paris,  M.  de  Greierz  a  retrouv6  cette 
premiöre  Edition,  imprim^e  en  Hollande,  d'une  des  Lettres  de 
Muralt,  dont  je  parlais  ici  meme,  dans  Tarticle  rappelt  plus  haut, 
page  189,  note  1. 

A  la  premiöre  page  de  cette  publication,  qui  dato  de  1718, 
,,M.  de  Muralt,  connu  des  gens  de  lettres,"  est  nomm6  en  toutes 

ZBChr.  f.  fn.  Spr.  n.  Litt.    XI^.  .  -^ 


2  Referate  ufid  Rezensionen.    E.  Ritter, 

lettres:  c'est  assez  ponr  montrer  que  si  les  Lettres  sur  les  Anglois 
et  les  Frangois  parurent  en  1725  sans  nom  d'auteor,  tons  ceux 
qni  se  tenaient  au  conrant  du  mouvement  litt6raire  de  r^poqae, 
ont  BU  facilement  le  nom  de  r6crivain  snisse. 

Je  vais  citer  sans  ordre  les  observations  que  j'ai  k  präsenter 
sur  la  diasertation  de  M.  de  Greierz.  La  seule  errenr  grave 
que  yj  ai  trouv6e,  se  rapporte  (page  31,  en  note)  ä  la  date  de 
la  premiöre  Edition  du  Tilimaque,  qui  aurait  paru  en  1717. 
Dans  la  Correspondance  de  F6nelon  se  trouve  une  lettre  de*** 
(libraire)  ä  Dubreuil,  du  26  mars  1699,  oü  on  lit:  ,,11  court 
un  manuscrit  de  monseignenr,  intitul6:  J^ducaMon  ctun  princcy  ou 
les  AverUures  de  T6Umaque,  II  fait  beaucoup  de  bruit;  Ton  dit 
que  Jamals  il  ne  s'est  imprim6  un  plus  bei  ouvrage.'^  Le  Manuel 
de  Brunet  donne  des  d^tails  sur  les  ^ditions  qui  parurent  en 
1699,  1700,  1701  etc.;  quaut  k  Tödition  de  1717,  eile  fut 
publice  aprös  la  mort  de  l'archeveque  de  Oambraj  par  son  petit- 
neven,  le  marquis  de  F6nelon,  et  donn^e  comme  la  premiöre 
Edition  conforme  au  manuscrit  de  l'auteur.  Dans  un 
memoire  adress^  au  p^re  Le  Tellier  en  1710,  F6nelon  disait  en 
parlant  du  Tüimaque:  „Tout  ie  monde  sait  qu'il  ne  m'a  6chapp^ 
que  par  Tinfid^litö  d'un  copiate.'^ 

M.  de  Greierz  n'a  pas  vu  d'exemplaire  de  la  premi^re  Edition 
de  V Apologie  du  caractire  des  Anglois  et  des  Frangois,  et  il  s'appuie 
(page  57,  note  2)  sur  une  gazette  de  Leipzig  ponr  ^tablir  qu'elle 
est  de  rannte  1726.  J'en  ai  un  exemplaire  sous  les  yeux.  Gette 
iödition  a  ^t^  publice  k  Paris  chez  Briasson,  libraire,  1726:  c'est 
un  petit  volume  de  213  pages,  qui  sont  suivies  de  rapprobation 
du  censeur,  dat^e  du  22  avril  1726,  et  du  privilöge  dat^  da 
2  mai  1726. 

Pi^ge  20,  M.  de  Greierz  me  cite  en  ces  termes:  „Ritter 
a.  a.  0.  S.  188  gibt  an  (gestützt  worauf?),  Muralt  sei  nach  ein- 
jährigem Aufenthalt  verbannt  worden.^  —  Je  m'appujais  sur  des 
textes  ojfficiels,  qui  mettent  hors  de  doute  ce  que  j'ai  avanc^: 
que  Muralt  fut  banni  de  Gen^ve  aprös  une  annöe  de  s6jour. 
J'ai  envoj^  la  copie  de  ces  textes  k  M.  Charles  Berthood,  qui 
se  prQpose  de  les  publier  dans  un  article  sur  B6at  de  Muralt, 
qu'il  «pr^pare  pour  le  MusSe  neuchäteiois, 

Page  76,  k  ravant-derni^re  ligne,  il  faut  lire:  yous  r6- 
soudre,  et  non  pas:  vous  r6pondre. 

La  premiöre  Edition  des  Lettres  sur  les  Anglois  et  les 
Frangois  et  sur  les  voyages^  1725:  543  pages  in  8^,  pr6o^d6es 
d'une  feuille  qui  contient  le  titre  et  la  pr^face,  a  öt^  imprimöe 
k  Gen^ve  chez  Fabri  et  Barillot  C'est  ce  <)u'^tablit  T/examen 
des  fleurons,  t^tes  de  pages,  lettres  om^es  et  culs-de-lampe,  qu'on 


0.  von  Greierz,  Beai  Ludwig  von  Murali,  3 

Yoit  dans  cette   Edition;    et  qui  tous  se  retronveat  daps  qnatre 
ouvrages  publica  en  ce  temps  chez  les  meines  64iteurB: 

Ezechiel  Gallatin ,  Sermons.  Gen^ve ,  ch^z  Fabri  & 
Barillot,  1720. 

Benedict  Pictet,  Priores  sur  tous  les  chapüres  de  VEcnbure 
sairUe.     Qenöve,  chez  Fabri  &  Barillot,  1726. 

Spon,  Eistoire  de  Oeuhpe^  in -12®^  G^pfeye^  ciez  Pabri  & 
Barillot,  1730. 

Nouveaux  Sermons  de  feu  M,  Ja&ques  Saurin.  Gen^ve, 
chez  Fabri  &  Barillot,  1733. 

Les  contemporains  savaient  d'ailleurs  que  cette  premiöre 
Edition  avait  paru  chez  Fabri  &  Barillot,  k  6en6ve  (Greierz, 
page  74.)  L'abb6  Desfontaines,  k  la  page  6  de  son  Apologie 
du  caractlre  des  Anglois  et  des  Frangoisy  disait:  ,,0n  a  imprin^ 
k  Gen6ve,  et  on  vient  de  r^imprimer  k  Paris,  (chez  Briasson, 
libraire)  les  Lettres  sur  les  Anglois  et  les  Frangois  et  aur  les 
voyages, " 

Quant  4  l'^dition  corrig6e  de  1728,  —  M.  de  Greierz  en 
donne  le  titre  exact  d^ns  la  seconde  note  de  la  page  34  — 
eile  a  M  imprim6e  k  Zürich.  Le  Journal  de  Trivoux  (MdmoireS' 
pour  Vhistoire  des  sciences  et  des  beaux-arts)  dans  son  num^ro 
d'avril  1727,  donne  panni  ses  Nou volles  litt^raires  une  lettre 
de  Zürich:  „.On  trayaille  ici  k  une  nouvelle  Edition  des  Lettres 
sur  les  Frangois  et  les  Anglois,  L'auteur  les  a  revues,  corrigöes, 
et  augment^es  de  quelques  Lettres  sur  les  Esprits  forts.'^ 

M.  de  Greierz  a  cit6  un  certain  nombre  des  journaux  de 
r^poque,  et  d'autres  t6nu)iguages  contemporains,  qui  6tablissent 
le  succ^s  et  le  retentissement  des  Lettres  sur  les  Anglois  et  les 
Frangqis.  Les  notes  suivantes  aideront  k  completer  cette  liste 
interessante: 

Lettre  de  Jean  Leclerc  k  J. -A.  Turrettini,  dat^e  d^ Amster- 
dam, 14  mars  1725:  „Je  n'ai  pas  encore  reQU  .  . .  le  livre  du 
S'  Muralt,  que  j'ai  tu  entre  les  mains  d'un  Libraire,  k  qui  on 
Tavait  envoyö  pour  le  contrefaire  ici;  mais  je  n'en  ai  rien  lu." 
—  Ce  passage  a  6t6  laiss6  de  c5t6  par  M.  Engine  de  Bud^, 
qui  vient  de  publier  cette  lettre  dans  le  second  volume  des 
Lettres  inidites  adressees  ä  J,'A,  Turrettini^  tMologien  genevois^ 
Gen6ve,  lib.  Carey,  1887. 

Lettre  de  Jacob  Vernet  k  J.-A.  Turrettini,  dat^  de  Paris, 
7  mars  1726:  „Les  Lettres  de  M'  Muralt  sont  fort  goüt6es  ici 
par  tous  les  gens  de  bon  sens.  Ceux  qui  d6clament  contre  la 
corruption  du  goüt  et  du  style  en  France,  se  plaisent  k  relever 
ce  livre  lä,  comme  un  modele   de  belle   et  nerveuse  simplicit^." 

Mimoires  de  Trivoux,  juin  1726,  page  1060— lOSOi  —  On 

1* 


i 
I 
I 


4  Referate  und  Reze^monen,    E.  Ritter, 

sait   que  le    p6re   Sommervogel;    S.  J.,  a  publik   une  excellente 
Table  de  ces  Mimoires  en  trois  volumes,  1864 — 65. 

Journal  littiraire,  annöe  1731.  A  la  Haye,  chez  P.  Gosse 
et  J.  N6aulme,  XVIII,  pages  246  et  suivantes. 

Mercure  suisse^  num^ros  de  mars  1733,  de  novembre  et 
d^cembre  1736. 

Lettres  juives  du  marquis  d'Argens ;  la  lettre  qui  parle  de 
Muralt  est  la  68®  dans  une  6dition,  la  72®  dans  une  autre. 

Les  cinq  annSes  littSraires  de  Pierre  Clement.  Lettres  du 
1®'  mars  1751  et  du  30  döcembre  1752. 

BibliotMque  populaire  de  la  Suisse  romande^  num6ro  de 
juillet  1885.     Article  de  M.  Eugene  Mottaz. 

Quant  aux  Lettres  fanatiquesy  il  en  a  6t6  parl6  dans  le 
Nouveau  Journal  ou  Recueü  littSraire,  Gen6ve,  1740,  pages  101 
et  102. 

Pages  26,  89,  90  et  91,  M.  de  Greierz  attribue  au  pasteur 
De  Koches  les  fragments  (pages  XI,  XII,  XIII)  quil  cite  d'une 
Lettre  qui  forme  la  pr6face  de  la  Defense  du  Christianisme. 
Mais  j'avais  dit  que  cette  Lettre  est  d'un  autre  auteur  genevois, 
Pierre  Galissard  de  Marignac ;  c'est  ce  que  nous  apprend  Senebier 
dans  sa  notice  sur  celui-ci  (Histoire  littiraire  de  Genh)e,  III.  249). 

Les  Lettres  fanatiques  n'ont  eu  qu*une  seule  Edition:  celle 
qui  porte  sur  le  titre :  A  Londres,  aux  d^pens  de  la  Compagnie, 
1739.  Elles  ont  6t6  imprim^es  par  T^diteur  genevois  Marc- 
Michel  Bousquet.  En  effet,  la  plupart  des  t@tes  de  pages  et 
lettres  ornees  qu'on  voit  dans  les  Lettres  fanatiques,  se  retrouvent 
dans  le  livre  du  pasteur  De  Koches:  Difense  du  Christianisme, 
pubK6  k  Lausanne  et  k  Gen6ve,  chez  Marc  -  Michel  Bousquet 
&  Comp.,  1740.  C'est  d'ailleurs  ce  que  savaient  les  contempo- 
rains  (Greierz,  page  88). 

Les  Lettres  fanatiques  sont  un  ouvrage  qu'on  rencontre 
rarement  dans  les  bibtioth^ques  et  les  catalogues  des  libraires; 
les  hommes  vivants  qui  Tont  lu  pourraient  sans  doute  se  compter 
sur  les  doigts.  A  ceux  qui  Tauraient  entre  les  mains,  et  qui 
ne  voudraient  pas  le  lire  d'un  beut  k  Tautre,  je  conseille  de 
choisir  la  premiere  moiti^  du  second  volume  (sur  le  D6mon  de 
Socrate,  la  Keligion  naturelle  et  la  Parole  Interieure). .  Ceux  qui 
voudront  ne  jeter  qu'un  coup  d'oeil  sur  ce  livre,  oü  Muralt  parle 
comme  un  Nestor,  et  ne  sait  plus  s'arrSter,  seront  bien  aises 
peut-^tre  d^utiliser  la  liste  que  j'ai  dress6e,  des  auteurs  que 
Muralt  a  cit6s,  en  les  caract6risant  quelquefois  d*un  trait  juste  et  net: 

Piaton.  Apologie  de  Socrate,  I,  106;  II,  pages  14  et 
suivantes. 

X^nophon.     Mimoires  sur  Socrate.     II,  48. 


0,  von  Greierz,  Beat  Luduuig  von  MuralL  5 

Epict^te.     1,  105,  107. 

Marc-AurMe.     I,  105,  107. 

Montaigne.     II,  pages  22  et  suivantes. 

Jacob  Boßhm.     I,  60,  85. 

Antoinette  Boorignon.     I,  61. 

F6nelon.     Dialogues  des  morts.     11,  pages  21  et  suivantes. 

Bajle  (article  David)  II,  81. 

La  Prädestination  calviniste  (I,  51)  et  le  Systeme  de  Des- 
cartes  snr  Täme  des  b^tes  (I,  52)  sont  nettement  mis  de  cdt6 
par  Mnralt.  Enfin,  dans  les  trois  chapitres  sur  le  Dömon  de 
Socrate,  il  est  parl6  amplement  de  Rollin,  et  de  denx  savants, 
membres  de  VÄcademie  Frangaise,  qni  ont  trait6  de  la  vie  et  du 
caractöre  du  phiiosophe  ath^nien:  Charpentier  et  Tabbö  Fragnier. 

Quant  aux  vnes  apocalyptiques  qui  se  laissent  entrevoir  9a 
et  lä  dans  les  Lettres  fanatiquesy  et  qui  en  remplissent  le  dernier 
chapitre,  j'ai  une  hypothöse  k  soumettre  au  jugement  du  lecteur. 

Aprös  avoir  parld  de  certains  ecclösiastiques  „qui  s'insinuent 
par  un  doux  langage  chez  ceux  qui  se  laissent  gagner  et  s6duire, 
—  intimident  ceux  qui  se  laissent  intimider,  —  et  dans  un  esprit 
de  vengeance,  suscitent  des  pers6cutions  k  ceux  qui  tiennent 
ferme  dans  ce  qu'ils  doivent  k  Dieu^,  B^at  de  Muralt  continue, 
en  prolongeant  sa  pens6e  comme  un  tonnerre  qui  gronde  sans 
fin  pendant  des  pages  entiöres  (II,  pages  310  k  318):  j'abr6ge, 
et  je  Gours  aux  traits  les  plus  expressifs: 

Contre  ceux  qui  pers^cutent,  coiitre  ceux  de  Tordre  politique 
et  de  Tordre  eccl^siastique  qui  prennent  goüt  k  dätruire  l'CEuvre 
de  Dieu  dans  ces  derniers  temps,  Dieu  se  pr^pare  un  vengeur:  il 
arme  de  sa  colere  et  rend  plus  puissant  qu'eux  un  Prince  par  qui 
son  Bras  se  manifestera.  Sa  venue  est  une  des  choses  terribles 
qui  doivent  6tre  annonc^es  aux  hommes.  Ici,  Monsieur,  j'entre 
dans  le  fanatisme  plus  avant  que  je  n*ai  encore  fait. 

Le  Prince  dont  je  parle  est  celui  de  qui  il  est  dit  que  Dieu 
Ta  suscit^  du  Septentrion,  qui  est  le  pays  de  sa  naissance.  Le 
Periode  pour  lequel  ce  Prince  est  pr^parä,  celui  oü  le  Soleil  se 
l^ve  sur  ceux  qui  sont  enfants  du  Jour,  aura  en  sa  personne  un 
h^raut,  qui  hautement  fera  profession  de  d^pendre  de  Tlnt^rieur 
(Muralt,  comme  madame  Guyon,  fait  un  fr^quent  emploi  de  ce 
mot)  et  qui  commencera  son  r^gne  par  mettre  en  ex^oution  ce  que 
Dieu  a  prononc^.  II  marchera  sur  les  Magistrats  comme  sur  le 
mortier;  comme  un  potier  il  foulera  la  boue.  (En  interpr^tant  le 
verset  d'fisaüe  [XLI,  25]  auquel  il  fait  allusion,  Muralt  explique  que 
les  derniers  mots  du  prophäte  s'appliquent  aux  eccl^siastiques  qui 
d^daignaient  les  pi^tistes.) 

Cette  venue  est  proche:  1' Esprit  qui  donne  la  connaissance 
des  choses  l'annonce  comme  teile.  Je  pourrais  faire  voir  que  nos 
temps  demandent  une  r^volution,  que  rScriture  la  place  dans  le 
temps  oü  nous  vivons;  je  pourrais  dire  des  choses  plus  pr^cises 
encore.    Je  crois  voir  une  r^yolution  s'approcher,  et  je  Tannonce, 


6  Referate  und  Rezensionen.    E.  Ritler, 

On  se  demande  quel  est  le  prioce  que  B^t  de  Muralt 
avait  en  vne?  C^est  un  prince  du  Nord,  et  en  1739  soti  av^ne- 
ment  paraissait  proohe:  voilä  les  seales  donnöes  dn  probl6me. 
n  n'y  a  pas  d'apparence  qne  Muralt  pensät  ä  la  Russie,  soamise 
en  ce  temps  k  Fimp^ratrice  Anne,  k  qui  sncc^da,  en  octobre  1740, 
an  enfant  qui  n'^tait  pas  n6  quand  Mnralt  ^erivait;  —  ni  A  la 
Su6de,  oü  le  roi  Fr^d6ric  P'  entrait  dans  la  seconde  moiti6  d'un 
rögne  inglorienx.  En  Danemark,  k  la  ccmr  du  roi  Christian  VI, 
des  pi^tifites  tenaient  lehautbont;  et  son  fils,  le  ftitur  Fr^d^rie  V, 
avait  dil-sept  ans:  est-ce  ce  jenne  prince  danois  que  Muralt 
avait  en  vne?  Je  crois  plutdt  que  le  gentilhomme  bernois,  qui 
6cilvait  ses  r^veries  k  Colombier,  dans  la  principaut6  de  Neu- 
chätel,  pensait  au  futur  souverain  du  pays  qui  lui  donnait  asile. 
Fr6d6ric  -  Guillaume  I",  roi  de  Prusse  et  prince  de  Neuchätel, 
^tait  k  la  fin  de  sa  vie:  le  prince  royal,  si  peu  semblable  k  son 
pöre,  ^veillait  beaucoup  d'esp6ranoes ;  et  la  Prasse  elle^m^me 
avait  de  l'avenir.  Les  grands  ^v6nements  de  l'histoire,  au  mo- 
memt  oü  ils  se  pr^parent,  jettent  dans  Fesprit  des  hommes  qui 
cfaerchent  k  discemer  les  signes  des  temps,  une  ombre  proph^- 
tique  qui  les  annonce,  —  et  qui  les  d^figure. 

L'aitente  de  Mnralt  a  6tö  tromp^e,  si,  comme  je  la  crois, 
l'imagination  ezalt^e  de  Töminent  songeur  avait  en  vne  le  jeune 
prince  qui  allait  devenir  le  grand  Fr6d6ric.  —  A-t-elle  6t6 
tromp6e  beaucoup  plus  qne  celle  de  Voltaire  qui,  mieux  que  Murält, 
connaissait  son  auguate  correspondant,  et  qui  rSvait  pour  lui  une 
carri^re  tranquille,  la  vie  d'un  prince  ami  de  la  paix  et  des  lettres? 
Qu'on  relSse  l'^pttre  quMi  adressait  au  roi  de  Prusse,  äson  av6nement: 

Citoyen  couronn^f  vouß  jurez  dans  mes  malus 
De  prot^ger  les  arts  et  d*aimer  les  humains  .  .  , 
Socrate  est  sur  le  tröne  . . . 

Je  ne  sais  si  mon  hypoth^se  rencontrera  Tassentiment  du 
lecteur;  mais  on  ne  peut  la  combattre  qu^en  lui  en  ^ubstituant 
une  autre:  car  Muralt  avait  certes  quelqu'un  en  vue.  Si  cette 
hypothi&se  ^tait  adopt^e,  eile  tournerait  k  T^loge  du  vieux  pi^tiste ; 
il  a  rSv6  un  grand  r61e  pour  le  fils  de  son  prince:  il  a  rencontr^ 
juste,  et  prÄvu  Tavenir,  lors  m^me  que  ce  röle  et  cet  avenir  ont 
M  tout  autres  qu'il  ne  pensait.  Le  philosophe  de  Sanssouci, 
le  vainqueur  de  Rossbach  ^urait  souri  de  sa  prophetie,  s'il  avait 
jet6  les  yeux  sur  son  livre;  il  ne  lui  en  aurait  pas  voulu. 

A  ce  que  j'avais  dit  dans  mon  premier  article,  des  eitations 
que  Rousseau  fait  de  Lettres  sur  les  Anglcds  et  les  FrangoiSy 
j'ajouterai  quelques  notes  que  j'ai  glan^es  depuis  lors: 

Dai^s  une  lettre  de  Deleyre  ä  Rousseau,  du  2  novembre  1756, 
raou  4e  Jean- Jacques  promet  de  lui  envoyer  cet  ouvrage  de  Muralt. 


0;  von  Greierz,  Beat  Ludwig  von  Mttrali.  7 

Dans  la  NouvdU  Hüoise  (partie  V,  3*  lettre)^  la  descqptioi 
d'une  matin^e  k  Tanglaise  correspoAd  k  ce  que  dit  Muralt  aox 
pages  112  et  113  de  sa  premi^re  Edition  (vers  Ia  fin  de  ta 
IV«  Lettre). 

Dans  une  lettre  k  M.  d'Offrevilley  dat^e  de  Montmovency^ 
4  oetobre  1761,  Rous&eau,  d'aprös  Muralt  (pages  137  et  138 
de  la  premiöre  Edition ,  vers  la  fin  de  la  V*  Lettre)  döcrit  la 
proc6dare  des  Jurys  anglais  en  matiöre  criminelle,  et  cite  une 
anecdote  frappante. 

Dans  l£miley  note  26  du  Livre  second,  Rousseau  fait  allu- 
sion  k  un  passage  de  Muralt  (page  112  de  la  premiöre  Edition). 
G'est  de  cette  note  qu'il  est  question  dans  une  lettre  de  Rousseau 
k  madame  de  Bouffiers  (aoüt  1762):  „J'ai  pris  sur  la  nation 
anglaise  une  libert6  qu^elle  ne  pardonne  k  personne,  et  surtout 
aux  ^trangers,  c'est  d'en  dire  le  mal  ainsi  que  le  bien;  et  vous 
savez  qu'il  faut  Stre  buse  pour  aller  vi  vre  en  Aqgleterre,  mal 
Youlu  du  peuple  anglais.  Je  ne  doute  pas  que  mon  demier  livre 
ne  m'y  fasse  d^tester,  ne  füt-ce  qu'4  cause  de  ma  note  sur  le 
gooäi  nahired  peopUf*^  —  et  dans  la  r^ponse  de  madame  de 
Bouffiers  k  Rousseau  (10  septembre  1762):  „Je  ne  sais  pas  en- 
core  ce  qu'on  aura  dit  en  Angleterre  sur  votre  note  sur  le  peuple 
anglais.  On  l'aura  trouv^e  iiguste^  et  c'est  aussi  mon  opinion; 
mais  je  suis  persuad^e  que  les  Anglais  s'efforceront  de  vous 
donner  sujet  de  changer  d'avis.  U  n^est  pas  d'ailleurs  vraisem- 
blable  que  dans  un  pays  oü  11  est  permis  de  tont  dire,  on  seit 
fort  choquö  de  vos  Ubert^s«" 

Bnfin,  dans  la  cinquiöme  des  Lettves  icfrites  de  la  immtagne^ 
quand  Rousseau  a  dit:  „On  sait  combien  de  eonpabjes  6chappent 
en  Angleterre  k  la  faveur  de  la  molndre  distinction  subtile  dans 
les  termes  de  la  Loi^^,  il  faisait  aUusion  k  un  passage  des  Lettres 
sur  les  Anglais  (vers  le  commencement  de  la  Lettre  IV,  pages  120 
4  122  de  la  premi^re  Edition). 

Page  37,  M.  de  Greierz  cite  d'aprös  moi  ime  Edition  des 
Lettres  sur  les  Anglois,  publice  par  Charles  Pongens  en  Tan  VIII. 
Je  ne  Tai  pas  vue,  et  je  Tai  cit^e  d^apr^s  VIntermidiaire  des 
cherckeurs  et  curieux  (XIII,  693).  Mais  j'ai  sous  les  yenx  le 
second  volume  de  cette  Edition :  Lettres  de  M,  de  Muralt  sur  les 
moBurs  et  le  caradlre  des  Francis;  nouveüe  idition,  abrigie  et 
retouchie  par  un  komme  de  lettves  ^  et  destinee  spedalement  ä 
Instruction  de  la  jetinesse  du  XIX"  si^cHe,  8e  vend  ä  Faris, 
chez  Charles  Pougens;  ä  Leipssicy  chez  Adrien  Teader;  ä  Mets^  chez 
JBekmer;  et  chez  les  prindpaux  lihraires^  de  tEuacope,  Metz,  de 
Vimprmerie  de  Behtner,  An  VIII  (1800).  La  d^dicace  m^rite 
d'etre  cit6e:  eile  n'est  pas  seulement  interessante  pour  les  mural- 


8  Referate  ufid  Rezensionen,    A.  Meiger, 

tistes,  qni  constituent  une  espöce  rare,  comme  on  dit  en  botaniqae ; 
mais  eile  caractörise  bien  la  renaissance  intellectaelle  qui  eut 
lien  en  France  au  temps  da  Oonsulat,  et  les  sentiments  qni  se 
faisaient  jonr  k  ce  moment  chez  les  meilieurs  esprits;  eile  a  k 
ce  titre  une  valeur  vraiment  historique: 

A  la  Jennesse  da  XIX®  si^cle. 

Jeunes  gens, 

La  r^volution  fran^aise,  en  changeant  toutes  les  Institution  8 
sociales,  vous  a  rendus  comme  ^trangers  vos  autears  et  vos  peres. 
Plus  s^par^B  d^euz  par  un  intervalle  de  dix  ann^es  qu'on  ne  Pest 
ordinairement  par  le  laps  de  plnsienrs  siäcles,  ce  n*est  plus  qiie 
par  tradition  que  vous  pouvez  connaitre  les  moeurs  et  les  usages 
en  vigueur  au  temps  de  votre  naiRsänce,  quelque  entour^s  que  vous 
soyez  d'objets  et  d'ßtres  contemporains  a  cette  ^poque.  Comme 
ces  traditions  ne  vous  sont  gu^res  prösent^es  qu'au  travers  le 
prisme  des  passions,  il  vous  est  difficile  de  les  voir  sous  leur 
vöritable  jour.  Combien  serait  pr^cieux,  pour  un  orphelin  qui  n*a 
jamais  connu  ses  parents,  leur  portrait  trac^  avec  la  plus  parfaite 
ressemblance !  C'est  ce  portrait  que  je  vous  ofiFire,  portrait  carac- 
täristique  de  la  nation  franpaise,  et  qui  ressemble  aussi  parfaite- 
ment  aux  Fran^ais  du  r^gne  de  Louis  XVI  qu'a  ceux  du  r^gne 
pr^c^deitt.  En  applaudissant  k  l'esprit  d'impartialit^  de  l'obser- 
vateur  qui  a  fait  ressortir  finement  jusqu'aux  plus  petites  nuances, 
on  a  trouv^  toutefois  le  tableau  plus  severe  que  flatt^.  Jeunes 
gens,  je  le  mets  sous  vos  yeux,  moins  comme  un  modele  ä  imiter 
en  tout  que  comme  une  ätude:  puisse-t-elle  vous  apprendre  ä 
appr^cier  vos  päres,  et  k  valoir  encore  plus  qu'eux! 

Depuis  r^poqne  oü  Charles  Pougens  6crivait  cette  page 
enthonsiaste,  cette  esp6ce  de  proclamation,  Muralt  n'a  pas  troav6 
d'öditeür  en  France.  A  vrai  dire,  les  Lettres  sur  les  Anglois  et 
les  Frangoisy  —  semblables  k  cet  6gard  k  quelques -unes  deQ 
Oeuvres  de  notre  contemporain  Karl  Hillebrand,  —  bien  qu'^crites 
en  langue  fran^aise,  sont  tont  imbues  de  Tesprit  germanique. 
EUes  ont  ^tö  adress6es  par  un  Allemand  k  des  Allemands:  car 
les  trait6s  qui  ont  s^par^  la  Suisse  de  TEmpire,  n'ont  pas  touch6 
aux  liens  du  sang  qui  rattachent  les  Bemois  aux  races  allemandes, 
et  c'est  k  ses  amis  de  Berne  que  Muralt  les  avait  destin^es 
d'abord.  II  serait  piquant,  mais  il  serait  juste  que  ce  füt  un 
^diteur  allemand  qui  r^alisät  le  vcßu  de  Sainte-Beüve :  „On  devrait 
bien  r^imprimer  ces  Lettres  de  M.  de  Muralt;  elles  le  m^ritent.^ 

Quoiqu'il  en  soit,  la  dissertation  de  M.  Otto  ,de  Oreierz, 
qui  est  le  fruit  de  consciencieuses  recherches,  bien  conduites  et 
couronn6es  de  r^ussite,  a  d^sormais  sa  place  au  premier  rang 
des  travaux  qu'on  a  publi^s  sur  Muralt;  et  tous  les  amis  de 
Faimable  et  p6p^trant  moraliste  doivent  lui  en  etre  reconnaissants. 

EüGÄNE    RiTTEB. 


B.  Morf,  Aus  der  Geschichte  des  französischen  Dramas.  9 

Morf,  H.  Aus  der  Geschichte  des  französischen  Dramas.  Aka- 
demischer Vortrag,  gehalten  im  Museum  zu  Bern  am 
11.  Februar  1886.  Heft  21  der  Sammlung  gemeinver- 
ständlicher wissenschafllicher  Vorträge,  herausgegeben 
von  Rud.  Virchow  und  Fr.  v.  Holtzendorf.  Hamburg^ 
J.  F.  Richter.     1887.     38  S.  kl.  8<^. 

Eine  sorgfältige  Betrachtung  der  dramatischen  Richtung  des 
heutigen  Frankreich,  als  deren  Begrenzung  V.  Hugo's  Hemani 
und  Sardou's  Theodor a  genannt  werden  können,  führt  zu  der 
Entdeckung,  dass  der  Geist,  der  aus  den  Dramen  Hemani  und 
Thiodora  spricht,  der  Geist  der  Mysterien  vergangener  Jahr- 
hunderte ist,  d.  h.  dass  das  heutige  Frankreich  zu  der 
romantischen  Bühne  des  französischen  Mittelalters  zu- 
rückgekehrt ist.  Um  den  Zusammenhang  des  heutigen  fran- 
zösischen Dramas  mit  den  alten  Mysterien  zu  illustrieren,  hat 
Morf  die  romantische  Bühne  des  französischen  Mittelalters  in 
einem  ihrer  Anfange  vorgeführt 

Der  Verfasser  tritt  für  die  massgebende  Ansicht  ein,  dass 
das  Schauspiel  ein  Kind  der  katholischen  Kirche  sei,  und  führt 
einen  Sermo  des  heiligen  Augustinus  (den  die  Benediktiner  freilich 
für.  unecht  erklären ,  trotzdem  die  mittelalterliche  Kirche  ihn  für 
echt  hielt)  an,  der  in  seiner  dramatischen  Handlung  einen  frucht- 
baren Keim  enthielt:  die  Zahl  der  Propheten  wurde  vermehrt, 
einzelne  Prophetenzeugnisse  erweitert  und  sogar  zu  kleinen  Szenen 
ausgebildet.  Auch  die  Tendenz  zu  realistischer  romantischer 
Darstellung  ist  schon  vorhanden:  der  Prophet  Bileam  kam  auf 
einer  Eselin  in  das  Chor  der  Kirche  geritten,  der  König  Nebu- 
kadnezar  erscheint  in  prächtigem  Schmuck,  die  drei  Jünglinge 
werden  in  den  bereitstehenden  Ofen  geworfen. 

Durch  die  Weiterentwickelung  einzelner  Prophetenszenen 
bildeten  sich  selbständige  Dramen  heraus,  unter  denen  das  Daniel- 
drama einen  hervorragenden  Platz  einnimmt.  Die  Inszenierung 
ist  hier  geradezu  kompliziert  geworden.  Um  1100  zeigt  sich 
das  Bestreben,  die  Vulgärsprache,  das  Französische,  in  das  Drapia 
einzuführen,  und  die  Schauspiele  mit  den  französischen  Einschiebseln 
sind  die  sogenannten  epttres  fardes.  Bald  war  das  erste  rein  fran- 
zösische Schauspiel  Adam  vorhanden.  Gegen  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts verfasste  Jehan  Bodel  aus  Arras  ein  französisches 
Schauspiel,  das  weltliche  Inspiration  zulässt.  Dies  ist  ein  ro- 
mantisches Schauspiel  (freilich  ohne  Einheit  der  Handlung). 
Jehan  Bodel  ist  Laie  und  mit  ihm  geht  das  Kirch  -  Schauspiel 
vollständig  in  die  Hände  von  Laien  über  und  wird  so  zur  na- 
tionalen  Bühne,  deren  Erzeugnisse  unter  dem  Namen  MysÜres 


\ 


10  Referate  und  Rezensionen.    E.  Koschwitz, 

bekannt  sindi  Als  dae  GFoteak- Komische  das  Schauspiel  des 
ehristtieheo  Glaubens  dem  Gelächter  preisgab,  verbot  ein  Be- 
scblnss  des  Parlaments  von  Paris  (17.  November  1548)  die  Auf- 
führang'  biblischer  Mysterien. 

Morf  aeigt  weiter,  wie  in  dem  Zeitalter  der  Renaissance 
das  alte  Drama  neben  der  antiken  Tragödie  einherschritt  und 
sich  unter  dem  Namen  Tragikomödie  weiter  entwickelt  hat,  be- 
rflhrt  kurz  die  Stellung  Comeille's  und  die  dramatische  Richtung 
des  11,  Jahrhunderts  und  kemmt  zu  dem  Drama  der  roman- 
tischen Schule,  welche  glaubte,  durch  die  Verktlndigung  des  dra- 
maturgischen Prinzips  (Victor  Hugo's  Cromwell)  etwas  Neues  zu 
schaffen,  die  aber,  ohne  es  zu  wissen,  nur  das  Priazip  der  na- 
tionalen Bühne  des  Mittelaltere  wieder  erneuert  hat.  Somit  ist 
das  national  -  religiöse  Mysterium  aus  einem  langen  Kampfe  mit 
der  antiken  Tragödie  in  verjüngter  Gestalt  als  Sieger  hervor- 
gegangen. 

Der  Vortrag  bildet,  so  gedrängt  er  auch  in  bezug  auf  das 
17.  und  18.  Jahrhundert  ist,  einen  nicht  ganz  unwesentiiehen  Bei- 
trag zur  Gesehlehte  des  fi^anzösischen  Dramas  und  vermehrt  die 
genannte  Sammlung  um  ein  fruchtbringendes  Spross. 

A.  MAaEB. 


C^^dat,  L«,    Nouveüe  Grammaire  historique  du  frangais,     Pads, 
1889.     Garnier.     279  S.  8^ 

Über  die  in  seinem  Buche  befolgte  Absicht  gibt  Clödat  in 
einer  kurzen  Vorrede  die  folgende  Auskunft:  La  präsente  Oram- 
maire  historique  paH  .  .  .  de  la  langue  modenu  pour  remaniar 
jusqu'aux  origines.  Je  nigUge  les  particulariUs  de  Vandenne 
langue  qm  ont  disparu  »ans  laisser  de  traces  .  .  .,  mais  finsiste 
8ur  VexpUcaUon  historique  de  toutes  les  rlgles  de  la  grammaire 
moderne  .  .  .  J*ai  essay4  de  mettre  ä  la  port6e  de  tous  et  de 
formuler  aussi  brh)ement  qu*ü  Statt  possible  les  risuttats  les  plus 
certains  et  les  plus  vmportants  des  travaux  contemporains  sur  les 
questions  de  phüologie  fran^aise.  Seinen  Plan  hat  der  Verfasser 
auch  innegehalten.  Nur  darf  man  das  toutes  les  r^gles  de  la 
grammcnre  moderne  nicht  wörtlich  nehmen ;  eine  solche  Vollständig- 
keit würde  sich  mit  dem  Zwecke  der  Grammatik  nicht  vertragen 
haben.  Auch  hat  sich  Cl^dat  nicht  immer  darauf  beschränkt,  in 
bündiger  Kürze  die  Ergebnisse  der  neueren  Forschung  wieder- 
zugeben; in  den  syntaktischen  Kapiteln  finden  sich  auch  durchaus 
selbständige  Erörterungen,  die  den  Charakter  streng  wissenschaft- 
licher Abhandlungen  besitzen   und  darum  zwar  mit  dem  übrigen 


L.  Cledat^  NouveUe  Grammaire  historique  du  franfois,  11 

Kontexte  dishannonieren,  dem  Werke  aber  eben  dadurch  auch 
für  solche  Wert  verleihen,  die,  auf  der  Höhe  der  heutigen  Forschnng 
stehend,  einer  populären  Darstellung  derselben  entbehren  können. 

Im  ersten  Teil  (S.  1— 87(  behandelt  G16dat  „die  Laute  und 
Buchstaben^.  Voraus  gehen  einige  allgemeine  phonetische  Be- 
trachtungen, die  zwar  nichts  irrtümliches  enthalten,  aber  dem  Fach- 
phonetiker hier  und  dort  schwerlich  ausreichend  erscheinen  werden. 
So  §  9  die  Definition  von  son,  —  Bei  Betrachtung  der  französischen 
Vokale  hätten  in  §  11  die  Lautnuancen  g  und  g^  cr  und  q  gleich 
mit  erwähnt  und  bei  an^  ort,  eun  (ä,  Ö,  &)  ihre  genaue  vokatische 
Färbung  mit  angegeben  werden  sollen.  In  den  folgenden  §§  wird 
allerdings  das  Fehlende  zum  Teil  nachgeholt,  aber  der  Verfasser 
begeht  hier  und  noch  öfter  den  Fehler,  scheinbar  eine  Unacht- 
samkeit zu  begehen,  indem  er  etwas  Erwähnenswertes  nicht  gleich 
beim  ersten  Male  anführt,  wo  man  es  erwarten  kann,  sondern 
sich  seine  Behandlung  für  eine  andere  Oelegenheit  aufspart.  Es 
nimmt  sich  dies  aus,  als  habe  Cl^dat  seine  Kritiker  absichtlich 
in  Aufregung  versetzen  wollen,  die  bei  solchen  Gelegenheiten  ihn 
auf  einer  Vergesslichkeit  ertappt  zu  haben  glauben,  um  einige  §§ 
später  belehrt  zu  werden,  dass  sie  sich  darin  geirrt  haben.  — 
§15^  wo  die  mit  %  gebildeten  Halbdiphthongen  zur  Sprache 
kommen,  werden  ia  und  jfa,  2^,  j(e,  ip,  icß,  ic§  etc.  nicht  unter- 
schieden, die  mit  y  bezeichneten  jia,  ie  etc.  ausser  acht  gelassen, 
und  wird  ihre  Zahl  beschränkt  und  werden  echte  Diphthongen 
aus  dem  Französischen  ganz  eliminiert  dadurch,  dass  für  er- 
weichtes l  noch  l  als  offizielle  Aussprache  anerkannt  wird.  Auch 
die  verschiedenen  orthographischen  Darstellungen  der  mit  ^  und  ff 
gebildeter  Halbdiphthonge  sind  nicht  vollständig  berücksichtigt. 
Man  vergleiche  die  entsprechenden  Abschnitte  meiner  Orammaük 
der  neufranzösischen  Schriftsprache,  —  Über  die  Vokalquantität 
geht  G16dat  §  17  ausserordentlich  kurz  hinweg;  gerade  über  sie 
hätte  man  von  einem  Franzosen  von  der  Kompetenz  des  Ver- 
fassers gern  Aufschluss  erhalten.  Satzakzent,  rhetorischer  Akzent 
und  Tonhöhe  kommen  gar  nicht  zur  Sprache. 

Die  Beschreibungen  der  französischen  Konsonanten,  S.  12  ff., 
sind  mehrfach  etwas  gar  zu  kurz  und  darum  ungenau  ausgefallen. 
So  namentlich  die  in  §§  25,  26,  30,  32  gegebenen.  Das  volare 
r  hat  Verfasser  ganz  übersehen,  obgleich  es  im  heutigen  Fran- 
zösisch eine  ao  bedeutende  Rolle  spielt.  —  Die  Schilderung 
§  39:  Le  d  latin  s'est  chang^  en  n  dans  rendre  de  reddercy  et 
nd  s'est  reduit  k  n  dans  prenant  de  prendentem  ist  den  historischen 
Vorgängen  nicht  entsprechend:  n  vor  d  in  rendere  (woriaus  rädr) 
ist  unzweifelhaft  epenthe tisch,  und  n  für  nd  in  prenant  Auf  ana- 


12  Referate  und  Rezensionen,    E,  Koschwiiz, 

logischem  Wege  eingfetreteD.  —  Anch  das  volkstümliche  drUüme 
für  cinquihne  (§  40)  ist  eine  analogische  Erscheinung  und  nicht 
organisch  irgendwie  zu  begründen. 

Mit  grösserer  Sicherheit  als  da,  wo  es  sich  um  die  Be- 
schreibung der  modernen  französischen  Laute  handelt,  tritt  Cl^dat 
in  den  Kapiteln  auf,  wo  er  die  lateinischen  Grundlagen  des 
Französischen  bespricht  (die  altgermanischen  Elemente  sind  von 
ihm  wohl  absichtlich  ausser  Acht  gelassen  worden).^)  Zum  ersten 
Male  wird  hier  in  einer  französischen  Grammatik  die  Scheidung 
in  haupt-,  nebentonische  und  unbetonte  Silben  durchgeführt,  die 
für  die  Sprachentwickelung  von  so  hervorragender  Bedeutung 
war,  und  werden  auch  die  Pro-  und  Enklitika  als  Bestandteile 
von  Lautworten  aufgefasst  und  untergebracht.  Dadurch,  wie 
durch  die  Beachtung  der  Vokalstellung  in  offenen  und  ge- 
schlossenen Silben  (in  freier  und  gedeckter  Stellung)  gewinnt 
dieser  Abschnitt  einen  Vorsprang  vor  allen  früheren  Darstellungen 
dieses  Sprachkapitels,  und  hier,  wie  überhaupt  in  dem  etymo- 
logischen Teile  seiner  Grammatik  zeigt  sich  C16dat  nicht  nur  auf 
das  genaueste  mit  der  neuesten  Forschung  vertraut,  sondern  auch 
für  ihre  kritische  Benutzung  auf  das  beste  veranlagt.  Es  war 
nicht  immer  leicht,  aus  der  Fülle  des  Materials  das  Gate  und 
Sichere  herauszuwählen  und  in  elementarer  Form  wiederzugeben. 
—  Wir  finden  demgemäss  nur  unbedeutende  Dinge  zu  urgieren. 
Die  Definition  §  69:  üne  voyelle  est  dite  entravie  lorsqu'elle  est 
suivie  de  plusieurs  consonnes  cons6cutives,  ist,  wie  auch  der 
Verfasser  weiss,  ungenau,  da  Muta  c.  Liqu.  den  Vokal  nicht 
decken.  —  §  74  und  vorher  wäre  eine  ausdrückliche  Scheidung 
von  laminarem  (mediopalatälem)  und  volarem  lat.  c,  g  wün- 
schenswert gewesen.  —  §  83  mumm  (prononc6  mourom)  soll 
wohl  heissen  mourom'  oder  moüromey  da  om  für  den  Franzosen 
=  5.  —  Bei  Aufzählung  der  Vokale  befolgt  C16dat  die  tradi- 
tionelle Reihenfolge;  wissenschaftlicher  ist  es,  vom  tiefsten  zum 
höchsten  (u,  o,  a,  e,  i)  aufzusteigen,  oder  umgekehrt,  wobei  zu- 
gleich ganz  von  selbst  nahe  verwandte  Erscheinungen  auch  äusser- 
lich  zusammentreten.  —  §  95  und  vorher  in  Worten  wie  m^eäleur, 
feignant  fasst  C16dat  ei  =  ^  auf,  während  er  sonst  richtig  i  zu  U 
und  gn  ^=  I,  n  zieht.  —  §  100  ist  m>on  =  mö  ein  Lapsus;  es 
soll  heissen  mon  vor  Vokal.  —  §  116,  S.  51  Z.  1  ist  e  long 
besser  zu  tilgen  (vgl.  Stella  :  itoüe),  ebenso  §  119.  —  §  120 
hätte  man  gern  gehört,  ob  auch  der  Verfasser  einen  Quantitäts- 


^)  In  Kapitel  3  über  die  französischen  BucbBtaben  fehlen  §  58 
Yi.  a.  f,  ^,  ^,  ei^  und  die  Halbvokale;  in  rose,  case  befindet  sich  s 
(phon.  z)  vom  rein  lautlichen  Standpunkte  aus  betrachtet  natürlich 
nicht  enire  deux  voyeües  (§  68). 


L.  Cle'dai,  Nouveüe  Grammaire  hisiorique  du  fran^is.  13 

unterschied  zwischen  e^^e  =  afrz.  esse  und  esse  =  afr.  ece  vernimmt. 

—  §  123  die  Erklärung  1°  würde  auch  für  ö  passen.  N  darf 
nicht  ohne  folgenden  Vokal  (auch  stummes  e)  stehen.  —  §  135, 
S.  59  Z.  4:  'quand  il  (ie)  termine  le  mot  on  qu'il  est  suivi  d'une 
consonne  non  prononc^e';  auch  im  letzteren  Falle  endet  ie  das 
Wort;  hier  wie  auch  sonst  einigemale  (z.  B.  §  152,  wo  in  une  n 
lautlich  nicht  zwischen  zwei  Vokalen  steht;  s.  auch  oben  zu  §  63) 
hält  G16dat  Lautwort  und  Schriftwort  nicht  genügend  von  einander. 
Bei  der  traditionellen  Gewohnheit,  nur  das  Schriftbild  ins  Auge 
zu  fassen,  ist  es  in  der  That  schwierig,  nicht  hin  und  wieder  in 
diesen  Fehler  zu  verfallen.  —  §  146  Anm.  ist  in  au  XV'  silcle 
XV  wohl  ein  Druckversehen.  Vgl.  meine  Grammatik  S.  84.  — 
§  155.  'On  ne  voit  pas  bien,  d'ailleurs,  la  raison  de  cette  double 
prononciation'  {an  und  ^  =  agn  und  aign^  on  und  i^an  =  ogn, 
oign).  Der  Grund  ist  in  analogischen  Wirkungen  zu  suchen: 
plaigne  nach  plaindre,  j eigne  nach  joindre  etc.,  während  montagne, 
charogne  ohne  solche  Einwirkungen  zur  Entwickelung  gelangten. 

—  §  158  ist  in  seinen  Bestimmungen  etwas  ungenau;  vgl.  S.  74  ff. 
meiner  Grammatik,  —  §  164.  La  graphie  ge(=' i)  d^rive  des 
formes  anciennes  telles  que  geuy  participe  pass6  de  gisiry  qui  se 
pronon9ait  jadis  geU,  et  oü  ge  ^tait  devenu  le  signe  d'un  simple 
g  doux  —  ist  wohl  nicht  ganz  richtig;  schon  vorher  schrieb  man 
mangea    neben    manja   wie   comencea  für  nfrz.  comm£nga  u.  dgl. 

—  §  178  verdankt  pie-t-ä-tere  sein  t  doch  nicht  der  'euphonie', 
sondern  der  Analogie  oder  der  Einwirkung  des  Schriftwortes  auf 
die  Aussprache,  Auch  in  pouvoir  (§  188)  ist  v  schwerlich 
'purement  euphonique'. 

In  dem  zweiten  Teile,  in  dem  (S.  89  — 142)  die  Wort- 
schöpfung (Ableitung,  Zusammensetzung  und  Bedeutungswandel) 
behandelt  werden,  stützt  sich  der  Verfasser  insbesondere  anf  die 
Spezialuntersuchungen  Darmesteter's  (Mots  nouveaux^  TraiU  de  la 
composüion  und  Vie  des  mots),  aus  denen  er  zugleich  unter  Be- 
nutzung auch  der  älteren  Litteratur  mit  seinem  gewöhnlichen 
Geschick  das  Wichtigste  heraushebt.  Ein  böser  Lapsus  findet 
sich  §  199,  wo  schottisch  als  ein  polnisches  Wort  angeführt  wird; 
doch  ist  C16dat  der  Irrtum  nicht  zu  sehr  zu  verargen,  da  der 
französische  schottisch  in  Deutschland  Ecossaise  benannt  wird. 
Auch  die  in  Anmerkung  zu  diesem  §  gegebene  Erklärung,  wie 
un  houc  a  6t^  chang6  en  une  sorte  de  chope  ist  schwerlich  richtig; 
die  Abkürzung  „ein  Bock''  für  „ein  Glas  Bockbier''  hat  durchaus 
deutsches  Gepräge;  der  Commis  voyageur,  der  das  Wort  nach 
Frankreich  brachte,  hat  nur  die  Ausdehnung  auf  jede  Art  von 
Bier  verschuldet.  —  S.  93  wird  sire  als  alter  Nominativ  zu 
seigneur  hingestellt;  richtiger  gehört  sire  zu  (monjsieur^  während 


14  Referate  und  Rezensionen,    E,  Koschwiiz, 

der  Nominativ  zu  seigneur  :  sendre  früh  verloren  ging.  —  §  235 
kanc  man  doch  nicht  allgemein  sagen,  das  Italienische  habe 
lat.  c  vor  e,  i  in  ch  =  $  umgebildet.  —  Die  §  267  adoptierte 
Ansicht  Boucherie's,  wonach  in  Worten  wie  parte-drapeau  u.  dgl. 
das  erste  Element  ein  Adjektiv  vorstellen  soll,  dürfte  nicht  all- 
gemein als  die  'vdritable  explication'  anerkannt  werden.  Vielleicht 
aber  sind  wir  sachlich  mit  dem  Verfasser  einverstanden  und  er- 
regt nur  seine  Formulirung  bei  uns  Anstoss.  —  Die  §  276  ge- 
gebenen Definitionen  le  savoir  =  ce  qv!on  aaii  und  Ze  poüvoir 
=  ce  qu^on  pevJt  sind  sicher  zu  eng.  —  In  §  291  hätten  wir 
gem  die  gelehrten  Ableitungen  vom  Stamme  fac  von  den  volks- 
tümlichen getrennt  gruppiert  gesehen. 

Auch  zu  der  Formenlehre  (S.  143  —  200)  haben  wir  nur 
minder  bedeutsame  Ausstellungen  zu  machen.  §  293  würden 
wir  für  le  ==  *lum  ein  lu(m)  vorziehen,  da  lum  zu  Z5  geworden 
wäre.  Erst  musste  ülum  zu  illo  geworden  sein,  ehe  in  prokli- 
tischer  Stellung  ülo  entstand.  —  In  den  folgenden  Abschnitten 
gibt.  Cl6dat  Flexionsregeln  in  der  hergebrachten  Form,  ohne 
Rücksicht  darauf  zu  nehmen,  wie  sich  die  Dinge  gestalten,  wenn 
man  vom  Wortbilde  absieht  und  nur  die  rein  lautlichen  Wort- 
körper ins  Auge,  oder  richtiger  ins  Ohr  fasst.  Die  Abweichungen 
sind,  wie  wir  in  unserer  Neufranzösischen  Formenlehre  nach  ihrem 
Lautstande  gezeigt  zu  haben  glauben,  hin  und  wieder  doch  recht 
bedeutend  und  in  einer,  wenn  auch  nur  propädeutisch,  wissen- 
schaftliche Zwecke  verfolgenden  Grammatik  in  Zukunft  nicht  zu 
übergehen.  —  Die  Bindung  eresse  (§  298)  in  pecheresse  wird  wohl 
richtiger  aus  dem  alten  Nominativ  pechere  erklärt;  Cl^dat  geht 
vom  Obliquus  aus,  dessen  Suffix  eur  sich  zu  er  geschwächt  hätte, 
ehe  es^e  antrat.  —  Hat  in  afrz.  mute  =  miUia  je  ein  I  bestanden, 
wie  Verfasser  §  315  behauptet?  Wir  glauben  nur  an  ein  afrz. 
müie  =  müie  und  dann  unter  Einwirkung  des  Singular  mdl§,  — 
§  322,  S.  157  Z.  15  füge  man  nach  pronom  relatif  ein:  ou  de  la 
pr^position  de  ein.  —  §  337  hätte  erwähnt  werden  können,  dass 
auch  bei  nous^  vous  eine  Scheidung  in  unbetontes  nous^  vous 
und  betoutes  neus^  ,veus  möglich  gewesen  wäre  und  nur  unter 
analogischen  Einflüssen  unterblieben  ist.  —  §  364  ist  die  Be- 
ha.uptung,  intervokalisches  b  in  den  Imperfekten  sei  'd^s  Torigine' 
gefallen,  etwas  einzuschränken.  —  Das  d6doublement  de  IV 
long  final  in  der  2.  Pf.  asti  (wofür  astii)  in  §  370  erscheint 
uns  zweifelhaft  und  bsauchte  wohl  nicht  vor  den  anderen  eia- 
schlägigen  Erklärujigsversuchen  bevorzugt  zu  werden.  —  In  IPve 
für  liene  ist  nicht  i,  sondern  ein  i  unterdrückt  worden  (§  377). 
—  §  387.     Nur  isc  konnte  vor  hellem  Vokal  is(s)  entwickeln, 


L,  Cledai,  Nouveüe  Grammaire  hisiorique  du  fran^ais.  15 

niobt  auch  isc,  das  eis,  ois  ergeben  hätte.     Dar  hier  bei^rocbene 
Lantvorgang  ist  wohl  überhaupt  etwas  zu  sumnuuriaeh  behandelt. 

Die  meisten  Schwierigkeiten  hatte  der  Verfasser  bei  der 
Behandlung  der  'Conjugaison  morte'  zu  überwinden,  bei  der 
er  sich  erfolgreich  bemüht  hat,  elementare  und  einfache  Dar- 
stellung des  neufranzösischen  Bestandes  und  geschichtlich  richtige 
Auffassung  mit  einander  zu  versöhnen.  Dass  «s  auch  ihm  nicht 
gelungen  ist,  hier  alle  Klippen  zu  umsegeln,  wird  niemand 
Wunder  nehmen.  —  §  390,  S.  185  liest  man:  La  mouillure  de 
Vn  (in  den  Verben  auf  aindrey  eindrej  oindre)  disparait  aussi 
devant  s  et  t).  Das  ist  nicht  ganz  richtig;  ai,  ei^  oi  vor  n  ent- 
standen für  a,  6,  o  dadurch,  dass  die  Erweichung  von  »  vor 
Konsonant  aufgegeben  wurde,  und  ihr  jf- Gehalt  auf  deu  Voraus- 
gehenden Vokal  überging.  Die  Erweichung  ist  also  nicht  ver- 
schwunden, ohne  Spuren  ihres  einmaligen  Vorhandenseins  zu 
hinterlassen.  —  In  Widerspruch  mit  dem  historischen  Verhältnis 
ist  ClMat  geraten  z.  B.  in  §  400,  wo  man  nicht  sageu  darf: 
Vu  de  la  flexion  (in  r^solu  =^  resolutus)  a  fait  disparattre  le  v 
final;  ebenso  in  §  401  bei  Erklärung  der  Pc.  Pf.  sußiy  hdf  nuif 
und  in  §  403  bei  Erklärung  der  Pc.  Pf.  «>,  acquts^  pris,  miß,  — 
§  427,  Anm.  2  hätte  man  gern  gehört,  dass  cUt  seine  Besonder- 
heit der  Analogie  zu  soit  (=  sit)  verdankt.  —  §  429,  Sollte 
nicht  umgekehrt  puisse  eher  dagewesen  sein  als  jmsf 

Im  vierten  Teile,  der  Syntax  (S.  201—271)  veriässt,  wie 
schon  erwähnt,  der  Verfasser  den  sonst  in  der  Grammatik  ein- 
genommenen Standpunkt.  Mit  Rücksicht  auf  seiiie  Grammaire 
du  vieux  fran^ais  hat  er  die  uii veränderlichen  Wortarten  und  die 
Wortstellung  ganz  übergangen;  mit  Unrecht,  da  seine  N&rfnm- 
zösische  Grammatik  vielfach  einen  anderen  Leserkreis  finden  wird| 
als  jene.  Artikel,  Nomen  und  Pronomen  sind  nur  skizzenhaft 
behandelt.  Die  Syntax  des  Verbums  gibt  hingegen  einige  wissen- 
schaftliche Abbandlungen  Cl^dat's  wieder,  die  von  ihm  vorher  an 
den  S.  211  abgeführten  Stellen  für  sich  veröffentlicht  worden 
waren.  Diese  Studien  sehen  mehrfach  von  dem  historischen 
Werden  ab  und  geben  auf  spekulativem  Wege  des  Verfassers 
persönliche  Auffassungen  des  modernen  Gebrauchs  wieder,  die, 
so  anregend  und  Interesse  erweckend  sie  sind,  in  seine  Grammatik 
sich  nicht  recht  hineinfUgeii  wollen.  Der  Fachgelahrte  wird  sie 
gern  hier  wiederfinden.  Besondere  Beachtung  verdienen  dßs 
Verfassers  Betrachtungen  über  die  superkomponierten  Tempora 
und  die  Consecutio  temporum.  Selbst  da,  wo  des  Verfassers 
Ansicht  zum  Wiederspruch  reizt,  bleibt  seine  Meinung  wertvoll, 
weil  sie  ein  zuverlässiges  Zeugnis  fttr  das  Sprachgefühl  eiues 
feinfühlenden  fr^mzösischen  Zeitgenossen  ablegt  —  Deu  S,  213 


16  Referate  und  Rezensionen.    E.  Koschwiiz, 

Z.  1  angenommenen  Einflnss  des  lateinischen  Supinums  halten 
wir  für  unwahrscheinlich;  dasselbe  besass  za  wenig  Lebenskraft, 
um  in  der  angegebenen  Weise  wirken  zu  können.  —  In  seiner 
Analyse  des  Futurum  exactum  S.  225  f.  lässt  der  Verfasser  ausser 
Acht,  dass,  wie  das  einfache  Futurum,  so  auch  das  Futurum 
exactum  oft;  in  modaler  Weise  verwendet  wird;  weil  jede  in  die 
Zukunft  fallende  Handlung  unbestimmt  ist,  kann  ein  futurisches 
Tempus  überhaupt  zum  Ausdruck  der  Unbestimmtheit  dienen. 
Auch  die  Wirkungen  der  Attraktion  werden  hier  und  sonst  nicht 
genügend  berücksichtigt.  —  8.  237  bei  der  Besprechung  des 
Kondizionale  in  Bedingungsnebensätzen  scheint  uns  der  Verfasser 
mit  sich  selbst  in  Widerspruch  zu  geraten,  wenn  er  in  ihneu  die 
Bedingungen  ausschliesslich  durch  die  Konjunktion  und  nicht 
durch  das  Verbum  ausgedrückt  finden  will,  und  in  einer  An- 
merkung dazu  konstatiert,  dass  in  Sätzen  wie  'II  serait  ici  qae 
j'agirais  de  mime'  die  Konjunktion  ganz  fehlen  kann.  Die  wert- 
vollen Spezialuntersuchungen  von  Burgatzky,  Thielmann  und  Vising 
scheinen  dem  Verfasser  noch  unbekannt  geblieben  zu  sein. 

Wir  haben  uns  vorzugsweise  bei  Aufzählung  derjenigen 
Punkte  aufgehalten,  wo  wir  dem  Verfasser  für  eine  sicher  bald 
notwendig  werdende  neue  Auflage  Besserungen  empfehlen  wollten. 
Die  Billigkeit  erfordert,  hinzuzufügen,  dass  wir  noch  weit  mehr 
Stellen  gefunden  haben,  wo  wir  selbst  von  dem  Verfasser  lernten 
und  bedauern  mussten,  nicht  schon  für  unsere  Grammatik  der 
neufranzö'sischen  Schriftsprache  aus  seinem  Buche  Nutzen  ziehen 
zu  können.  Das  Werk  C16dat's,  in  seiner  Gesamtheit  genommen, 
ist  eine  treffliche  Leistung  und  zur  Einführung  in  das  wissen- 
schaftliche Studium  der  französischen  Grammatik  auf  das  beste 
geeignet.  E.  Ko  schwitz. 


Haase,  A.    Französische  Syntax  des  XVJL  Jahrhunderts,    Oppeln, 
1888.     G.  Maske.     287  8.  8^     Preis:    7,00  Mk. 

Haase  ist  den  Lesern  der  Zeitschrift  durch  seine  früheren, 
von  guten  Kenntnissen,  Selbständigkeit  und  Fleiss  zeugenden  Mo- 
nographien über  Villehardouin  und  Joinville  und  über  Pascal 
bekannt,  und  hat  ihre  Sympathien  durch  seine  objektiven,  mit 
gesundem  Urteil  und  peinlicher  Gewissenhaftigkeit  verfassten  Be- 
sprechungen der  neueren  syntaktischen  Untersuchungen  gewonnen. 
Nach  jahrelanger,  höchst  mühsamer  Vorbereitung,  unter  Opfern, 
die  nur  der  würdigen  kann,  der  in  einer  kleinen  bücherarmen 
Provinzialstadt  eine  Arbeit  ähnlicher  Art  unternommen  hat,  liess 
er  das  obengenannte  Werk  erscheinen,    mit    dem    er  gewisser- 


J,  Haasey  Französische  Syntax  des  XVIL  Jahrhunderts.  17 

massen  den  Abschluss  seiner  Vorstudien  gibt,  und  in  dem  die 
Vorzüge,  die  seine  früheren  Arbeiten  zeigten,  in  erhöhtem 
Grade  hervortreten.  Mit  Bienenfleiss  hat  er  aus  dem  Wüste  der 
oft  recht  unergiebigen  Dissertationslitteratur,  die  sich  in  den 
letzten  Jahrzehnten  mit  Einzelfragen  der  Syntax  oder  mit  der 
Syntax  einzelner  Autoren  beschäftigt  hat,  das  Brauchbare  herans- 
gesammelt,  hat  er  die  schätzbaren  grammatikalischen  Beigaben 
der  Ausgaben  der  Grands  J^crivains  de  la  France  für  sich  exzer- 
piert und  in  seinem  Werke  verwendet,  die  grammatische  fran- 
zösische Litteratur  des  17.  Jahrhunderts,  soweit  ihm  erreichbar, 
durchforscht  und  verwertet  und  mit  ausdauerndem  Fleisse  Au- 
toren selber  gelesen  und  auf  ihre  Eigenheiten  geprüft.  Was  er 
so  in  mühevoller  Vorarbeit  gefunden,  hat  er  dann  in  bündigster 
Form  in  seinem  Werke  zusammengestellt,  und  soweit  es  der  augen- 
blickliche Zustand  unserer  Kenntnis  der  geschichtlichen  Sprach- 
entwickelung gestattet,  in  historischem  Lichte  vorgeführt.  Selten 
wird  man  ihn  auf  einem  Irrtum  ertappen,  nur  wenige  und  minder 
wichtige  Eigenheiten  des  syntaktischen  Sprachgebrauchs  des 
17.  Jahrhunderts  sind  ihm  entgangen,  und  wo  die  historische 
Deutung  fehlt,  darf  dieselbe  entweder  als  allgemein  bekannt  an- 
genommen werden,  oder  gebot  der  gegenwärtige  Wissenszustand 
eine  Enthaltsamkeit,  die  einer  voreiligen  Deutung  bei  weitem 
vorzuziehen  ist,  und  die  dem  bescheidenen  Wesen  des  Verfassers 
auf  das  beste'  ansteht.  Sein  Werk  wird  jedem  Fachgelehrten 
treffliche  Dienste  leisten,  der  hier  vereinigt  findet,  was  ihm  sonst 
nur  in  einer  viel  zersplitterten  Einzellitteratur  geboten  war,  und 
jedem  Schulmanne,  der  Autoren  des  17.  Jahrhunderts  zu  edieren 
und  zu  kommentieren  unternimmt,  und  der  nun  hier  eine  zuver- 
lässige Quelle  für  zu  gebende  Erläuterungen  vorfindet.  Es  wird 
in  hohem  Grade  dem  Verfasser  zu  verdanken  sein,  wenn  nun- 
mehr das  oft  recht  niedrige  Niveau  der  syntaktischen  Erklärungen 
in  unseren  Schulausgaben  auf  einen  höheren  Stand  gelangt. 

Wo  viel  Licht  ist,  kann  auch  der  Schatten  nicht  fehlen. 
Man  findet  bei  dem  Verfasser  nichts  von  jener  geistvollen  Detail- 
arbeit, an  die  uns  Tobler's  syntaktische  Aufsätze  gewöhnt  haben, 
von  jener  Miniaturmalerei,  die  auch  das  Kleinste  nicht  unbeachtet 
lässt  und  dadurch  oft  zu  unerwarteten  Aufschlüssen  führt.  Der 
Verfasser  wirft  auch  keine  neuen  Gesichtspunkte  in  die  syntak- 
tische Forschung  hinein :  die  Fragen  z.  B.,  wie  phonetische  Sprach- 
erscheinungen auf  die  Syntax  einwirkten,  wie  die  Syntax  der  ge- 
sprochenen Sprache  sich  zu  der,  der  geschriebenen  verhält  und 
verhielt,  und  wie  vielfach  nur  durch  Nichtberücksichtigung  der 
Lautsprache  spitzfindig  ausgeklügelte  Grammatikregeln  ermöglicht 
wurden;  wie  weit  sich  dialektische  Einflüsse  auch  in  der  Syntax 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  n.  Litt.    XI^.  2 


18  Referate  und  Rezensionen.    F.  Kalepky, 

zur  Geltung  brachten;  wie  die  Macht  der  Analogie  auch  auf  syn- 
taktischem Boden  in  weitem  Umfange  thätig  war,  sind  von  ihm 
entweder  gar  nicht  gestellt  oder  kaum  gestreift  worden.  Haase 
hat  sich  ausschliesslich  auf  dem  Standpunkte  eines  nüchternen 
Sammlers  gehalten,  dem  es  an  kritischer  Begabung  und  reifem 
Urteil  durchaus  nicht  gebricht;  er  hat  aber  nirgends  den  Zweck 
im  Auge  gehabt,  nach  irgend  welcher  Seite  hin  bahnbrechend 
vorzugehen.  Darum  darf  man  aber  sein  Werk  nicht  schmälern; 
es  war  zu  einem  solchen  Vorgehen  seiner  ganzen  Natur  nach 
nicht  geeignet,  und  geriet  H.  durch  Aufwerfung  neuer  Fragen  auf 
bisher  unbetretene  Bahnen,  so  lief  er  Gefahr,  sich  selbst  um  die 
Früchte  seines  Fleisses  zu  bringen.  Aus  dem  von  H.  eingehaltenen 
Verfahren  ist  ihm  also  kein  Vorwurf  zu  machen.  Auch  daraus 
nicht,  dass  er  zu  nennen  unterliess,  was  nach  seinen  Untersuchungen 
im  Sprachgebrauch  des  17.  Jahrhunderts  mit  dem  des  heutigen  über- 
einstimmt. Ferner  wäre  es  auch  unbillig,  zu  verlangen,  dass  er 
jedesmal  die  einschlägige  Litteratur  zitierte,  mochte  er  sich  ihrer 
als  Grundlage  bedienen  oder  sich  ablehnend  gegen  sie  verhalten; 
derartige  Quellenbeigaben  gehören  nur  in  Spezialuntersuchungen; 
dort  allerdings  sind  sie  mit  mehr  Gewissenhaftigkeit  anzuwenden, 
als  in  neuerer  Zeit  üblich  geworden  ist,  wo  man  nicht  selten 
findet,  dass,  in  Anfängerarbeiten  und  auch  in  anderen,  nur  das 
Schulhaupt  und  seine  Schule  zitiert  werden,  während  die  übrigen 
Schriftsteller  nur  mit  Widerstreben,  und  wenn  möglich,  nur  beim 
Bestreiten  ihrer  Ansichten  genannt  werden.  Dagegen  hätte  H. 
eine  einmalige  Aufzählung  der  benutzten  syntaktischen  Litteratur 
nicht  unterlassen  sollen.  Einen  grossen  und  schweren  Fehler 
hat  er  nur  dadurch  begangen,  dass  er  die  von  ihm  zitierten 
Stellen  nur  nach  den  Schriftstellern  bezeichnete,  ohne  Werk, 
Ausgabe  und  Seitenzahl  anzugeben.  Dadurch  ist  eine  genaue 
Kontrolle  fast  zur  Unmöglichkeit  geworden,  und  insbesondere 
der  Leser  ausser  Stande  gesetzt,  sich  zu  überzeugen,  ob  nicht 
diese  und  jene  Erscheinung  durch  den  Versbau,  durch  den  Zu- 
sammenhang zu  erklären  ist,  auf  welche  Möglichkeiten  der  Ver- 
fasser nicht  immer  ausreichende  Rücksicht  genommen  hat.  Wir 
hoffen,  dass  dieser  Hauptfehler  des  H.^schen  Buches  in  einer 
zweiten  Ausgabe,  die  wir  mit  Sicherheit  erwarten,  verschwinden 
wird,  so  viel  Arbeit  auch  dadurch  dem  Verfasser  entstehen  mag. 

E.    EOSOHWITZ. 


A.  Schulze,  Dei"  altfranzösische  direkte  Fragesatz,  19 

Schulze,  Alfred,  Der  altfranzösiache  direkte  Fragesatz.  Ein 
Beitrag  zur  Syntax  des  FVanzö'sischen,  Leipzig,  1888. 
Hirzel.     VUI,  271  S.  8«.     Preis:  5  M. 

Schon  der  Umstand,  dass  der  Verfasser  vorliegender  Arbeit 
nicht  selten  das  Neufranzösische  vergleichend  heranzieht,  dürfte 
eine  Besprechung  derselben  in  dieser  Zeitschrift  rechtfertigen.^) 
Aber  auch  davon  abgesehen  ist  diese  syntaktische  Studie  wegen 
ihrer  musterhaften  Methode  und  nicht  weniger  wegen  ihres  Reich- 
tums an  gesicherten  Ergebnissen  von  solchem  Werte,  dass  nicht 
dringend  genug  auf  sie  hingewiesen  werden  kann.  Der  Verfasser 
untersucht,  nicht  blos  gelegentlich,  sondern  durchgehends,  die 
sprachlichen  Erscheinungen,  mit  denen  er  es  zu  thun  hat,  bis 
auf  ihre  letzten  erreichbaren  Grundlagen.  Überall  auf  reichliches, 
dem  gesamten  Gebiet  der  altfranzösischen  Litteratur  entnommenes 
Material  sich  stützend,  geht  er  auf  die  leisesten  Unterschiede 
der  den  Sprachgebilden  zugrunde  liegenden  Vorstellungen  und 
Gedanken  ein,  weist  er  in  anscheinend  ganz  unbedeutenden 
Modifikationen  des  sprachlichen  Ausdrucks  den  Einfluss  der  die 
Rede  begleitenden  Affekte  nach.  Die  gefundenen  Gesetze,  sowie 
seine  auf  den  Zusammenhang  zwischen  den  geistigen  Vorgängen 
und  ihrem  sprachlichen  Abbild  bezüglichen  Beobachtungen  formu- 
liert er  mit  grosser  Genauigkeit  und  Schärfe;  doch  macht  die 
Gedrängtheit  der  Darstellung,  das  Streben  nach  lückenloser  Aus- 
drucksweise bei  dem  abstrakten  Charakter  des  Gegenstandes  das 
Studium  dieser  Arbeit  zu  einem  keineswegs  leichten;  nur  wenige 
Abschnitte  des  Buches  werden,  wenn  Referent  von  sich  auf 
andere  schliessen  darf,  beim  ersten  Anlauf  genommen  werden 
können:  der  grösste  Teil  erfordert  ein  ausdauerndes,  gründliches 
Studium,  das  aber  mit  reichlicher  Förderung  lohnt.  Soviel  über 
die  Arbeit  im  allgemeinen.  Im  Folgenden  sollen  im  Rahmen 
einer  knappen  Analyse  der  Arbeit  von  ihren  Ergebnissen  vor- 
nehmlich diejenigen  vorgeführt  werden,  welche  das  Verständnis 
des  Neufranzösischen  zu  fördern  geeignet  sind. 

Im  Kapitel  I:  „Allgemeines  über  das  Verhältnis  des 
Fragenden  zur  Antwort"  schafft  sich  der  Verfasser  eine  sichere 
psychologische  Basis  für  die  Untersuchungen  der  nächsten  Kapitel, 
indem  er  (nach  einem  Hinweis  auf  das  Vorhandensein  asserierender 
Elemente  in  beiden  Hauptgattungen  der  Frage,  den  Bestätigungs- 
fragen und  den  Bestimmungsfragen)  die  verschiedenen  Möglich- 
keiten   der    inneren    Stellung    des    Redenden    zu    seiner   Frage 

^)  Zur  Zeit  als  Verfasser  diese  Zeilen  schrieb,  war  die  2^chr. 
noch  nicht  zu  einer   Zschr,  für  franz.  Spr.  u.  Litt,  erweitert  worden. 


20  Referate  und  Rezensionen.    F.  Falepky, 

charakterisiert  and  namentlich  das  besondere  Wesen  der  soge- 
nannten ,,Jafragen^  eingehend  untersucht  und  Überzeugend  dar* 
legt.  Daran  schliesst  sich  eine  Erörterung  des  Begriffes  der 
Fragepartikeln,  welche  Bezeichnung  Schulze,  im  Widerspruch  zu 
Imme,  auf  solche  Wörter  beschränkt  wissen  will,  deren  Form 
oder  Funktion  in  Fragesätzen  eine  eigenartige  ist. 

Kapitel  II  beschäftigt  sich  mit  den  negierten  Fragen  im 
Altfranzösischen.  Schulze  sucht  die  Funktion  der  sogenannten 
Füllwörter  pas^  mie,  point  festzustellen  und  liefert  den  Nachweis, 
dass  das  Altfranzösische  nicht  nur  denjenigen  Unterschied,  welcher 
im  Neufranzösischen  zwischen  der  Verwendung  von  pas  und  point 
in  verneinten  Fragen  besteht  (Lücking,  Franz,  Schulgr,^  §  393), 
nicht  kennt,  sondern  die  Füllwörter  in  Fragen  jeder  Art  ganz 
entbehren  kann.  Wo  sie  gesetzt  werden  —  und  dies  ist  also  ihr 
ursprünglicher,  im  Neufranzösischen  verdunkelter  Sinn  —  da 
drücken  sie  der  Frage  den  Stempel  des  Bescheidenen,  Höflichen 
auf,  nämlich  dadurch,  dass  sie  dem  Angeredeten  zu  verstehen 
geben,  es  komme  das  durch  das  Yerbum  zum  Ausdruck  Gebrachte 
nur  in  ganz  kleinem  Umfange  in  Betracht.  Dieser  Auffassung  der 
Funktion  der  Füllwörter  fügen  sich,  nach  Schulzens  Ansicht,  auch 
eine  grosse  Anzahl  der  neufranzösischen  mit  ne-point  negierten 
direkten  Fragen. 

Das  Kapitel  III:  „Fragen  mit  pas  oder  point  ohne  ne^ 
gewährt  erwünschte  Aufklärung  über  diejenigen  Sätze,  in  welchen 
nach  modernem  Sprachgefühl  ein  pas  oder  point  allein,  ohne 
716,  zur  Negierung  ausreichend  erscheint.  Direkte  Fragesätze 
dieser  Art  finden  sich  in  älterem  Neufranzösisch  häufig,  und  noch 
heute  treten  in  der  Sprache  der  ungebildeten  Volksschichten 
(auch,  wie  man  hinzufügen  darf,  in  zwangloser  Rede  bei  Gre- 
bildeten)  die  Füllwörter  der  Negation  in  asserierenden  Sätzen 
selbständig  negierend  auf.  Schulze  legt  überzeugend  dar,  wie 
es  zu  dieser  offenbaren  Verwirrung  des  Sprachgefühls  gekommen 
ist.  Im  Altfranzösischen  nämlich  finden  sich  zahlreich  direkte 
Fragen  mit  point  ohne  ne  (später  auch  mit  pas  ohne  ne),  in 
denen  point  und  pas^  weit  entfernt  die  Frage  zu  verneinen,  ledig- 
lich die  in  Kapitel  II  nachgewiesene  Funktion  haben,  der  Frage 
ein  höfliches,  bescheidenes  Gepräge  zu  verleihen.  Ganz  dieselbe 
Wirkung  wird  aber,  wie  Schulze  in  Kapitel  I  dargethan,  auch 
durch  Hinzufttgung  der  Verneinung,  also  im  Altfranzösischen 
durch  Hinzufügung  von  ney  oder  auch  von  ne  mit  pas  beziehungs- 
weise point  erzielt,  so  dass  man  im  Altfranzösischen  in  der  Lage 
war,  beispielsweise  den  Satz:  „Wisset  Ihr?"  auf  viererlei  Weise 
auszudrücken:  1)  durch  savez  (vousjf  und  ferner,  mit  dem  Cha- 
rakter des  Höflichen,   2)  durch  ne  savez  (vous)f   3)  durch    savez 


A,  Schulze,  Der  altfranzösische  direkte  Fragesatz,  21 

(vous)  poirUf  4)  durch  ne  aavez  (vous)  pointf  —  Es  war  nun 
natürlich,  dass  das  NebeneiDanderbestehen  dieser  verschiedenen 
Ausdracksweisen  für  den  nämlichen  Gedanken,  und  namentlich 
das  Zusammengehen  von  savez  pointf  und  ne  aavez  pointf  das 
Gefühl  von  der  Entbehrlichkeit  der  Negation  ne  für  direkte  Fragen 
wachrief  and  schliesslich  in  beschränktem  umfange  dazu  führte, 
auch  in  Assertionen  die  Füllwörter  mit  negierender  Kraft  zu  ver- 
wenden. Wie  Vangelas  diese  sprachliche  Angelegenheit  ansah, 
und  welche  Schwierigkeiten  sie  noch  Corneille  bereitete,  möge 
man  bei  Schulze  (S.  30)  selbst  nachlesen. 

In  Kapitel  IV,  welches  den  altfranzösischen  Fragepartikeln 
e^,  enne,  si,  donc,  donc  +  nc,  oref  bten^  oder,  wie  Tobler  zu 
sagen  vorschlägt,  der  Verwendung  gewisser  Partikeln  zur  Ein- 
führung von  Fragen  gewidmet  ist,  bietet  sich  dem  Verfasser 
verhältnismässig  wenig  Gelegenheit,  auf  das  Neufranzösische  ein- 
zugehen. —  Dass  auch  das  Neufranzösische  die  Konjunktion  et 
in  eigentümlicher  Weise  zur  Einleitung  direkter  Fragen  verwendet, 
möge  folgendes  Beispiel  zeigen:  [J^lhye]  MaiSy  Monsieur^  qu'est-ce 
que  votdait  donc  dire  Pierre^  le  cocher  de  la  damef  —  [Mattre] 
Et  qu^est-ce  que  disait  Pierre^  (P.  Bert,  Instruction  civique,  p.  12.) 
Mir  scheint  diese  Verwendung  von  d  derjenigen  altfranzösischen 
gleich  zu  sein,  für  die  Schulze  in  §  37  Beispiele  gesammelt 
und  in  §  38  die  zutreffende  Erklärung  gegeben  hat  Das  Eigen- 
tümliche der  Verwendung  von  et  im  Vergleich  mit  der  ähnlich 
gebrauchter  Fragepartikeln  findet  Schulze  darin,  dass  durch  et, 
indem  es  die  Frage  an  Vorhergehendes  anknüpft,  angedeutet 
werde,  sie  finde  ihre  Berechtigung  lediglich  in  diesem  Vorher- 
gehenden, für  dessen  Thatsächlichkeit  der  Fragende,  indem  er 
sich  der  Anknüpfung  durch  et  bedient,  die  Verantwortlichkeit 
ablehnt.  Aus  dieser  Verwendung  lassen  sich  die  übrigen  Ver- 
wendungen von  etj  welche  Schulze  feststellt,  leicht  begreifen.  — 
Bei  der  Behandlung  der  Zeitpartikel  donc  gedenkt  Schulze  auch 
der  Verwendung  derselben  in  neufranzösischen  Fragesätzen,  wie 
z.  B.  Oü  donc  est  Catherine  f  (Erckmann-Chatrian,  Waterloo,  p.l88) 
und  stellt  auf  Grund  eingehender  Prüfung  des  älteren  Sprach- 
gebrauches die  Ansicht  auf,  dass  die  Beifügung  dieses  donc  auf 
dem  Wunsche  des  Fragenden  beruht,  den  Schein  zu  erwecken, 
als  ergebe  sich  die  Frage  ungezwungen,  ja  mit  Notwendigkeit, 
aus  Vorhergehendem,  und  sei  nicht  etwa  durch  blosse  Wiss- 
begierde veranlasst.  —  Noch  ist  aus  diesem  umfangreichen 
Kapitel  der  §  104  hervorzuheben  (bien  als  Fragepartikel  im 
Neufranzösischen),  wo  Schulze  nachweist,  dass  die  von  Littr6 
unter  bien  adv.  4)  gegebene  Begriffsbestimmung  für  die  richtige 
Auffassung  vieler  neufranzösischer  Beispiele  nicht  genüge^  viel- 


22  Referate  und  Rezensionen.    F»  Kalepky, 

mehr  in  ihnen  hien  nach  altfranz&sischer  Weise  verwendet  er- 
scheine,  um  der  Frage  einen  höflichen  oder  ironisch  höflichen 
Charakter  zu  verleihen. 

Kapitel  V  handelt  von  der  Erweiterung  des  Fragesatzes  durch 
estrey  welchen  Gegenstand  Schulze  unter  steter  Vergleichung  des 
Neufranzösischen  behandelt.  Die  hauptsächlichen  Ergebnisse  dieses 
Kapitels  sind  folgende.  Zunächst  die  Bestimmungsfragen. 
Während  im  Neufranzösischen  die  erweiternde  Umschreibung  mit 
dem  einfachen  Pronomen  gleichwertig  ist  (was  sich  daraus  er- 
gibt, dass  das  Verbum  substantivum  in  den  meisten  Fällen  nicht 
mehr  mit  dem  Verbum  des  folgenden  Relativ-  oder  Konjunktional- 
satzes im  Tempus  kongruieren  darf,  sowie  auch  daraus,  dass  fSr 
den  Nominativ  des  neutralen  Interrogativpronomens  die  Um- 
schreibung obligatorisch  ist),  war  man  sich  im  Altfranzösischen 
des  sachlichen  Unterschiedes  zwischen  beiden  Ausdrucksweisen 
noch  wohl  bewusst.  So  wird  z.  B.  die  Erweiterung  qui  est-ce 
qui  (welche  eigentlich  nicht  Angabe  des  Subjekts,  sondern  eine 
Aussage  über  die  durch  den  folgenden  Relativsatz  bezeichnete 
Person  verlangt)  nur  in  solchen  Fällen  angewendet,  wo  ein  her- 
vorragendes Interesse  an  der  mit  qui  bezeichneten  Person  deut- 
lich erkennbar  ist.  Im  Ganzen  genommen  finden  sich  die  im 
Neufranzösischen  gebräuchlichen  Ei-weiterungen  der  Frage  auch 
im  Altfranzösischen;  doch  scheint  letzterem  diejenige  Art  der 
Umschreibung  zu  mangeln,  welche  ein  neufranzösischer  Satz  von 
der  Form:  De  qui  est-ce  que  vous  parlezf  zeigt.  Im  Altfranzösi- 
schen sagte  man:  Qui  est  cü  de  cui  vo$  parlezf  —  Andererseits 
besitzt  das  Altfranzösische  viele  ihm  ausschliesslich  eigene  Er- 
weiterungen des  direkten  Fragesatzes.  —  Was  nun  die  Be- 
stätigungsfragen anlangt,  so  treten  die  mit  est-ce  que  einge- 
leiteten Fragen  bis  zum  Ende  des  14.  Jahrhunderts  noch  nicht  auf; 
doch  kennt  das  Altfranzösische  bereits  diejenige  Erweiterung  der 
Frage,  durch  welche  ein  Satzglied,  dem  ein  besonderes  Interesse 
anhaftet,  in  prädikative  Stellung  zu  estre  und  dem  formalen  Subjekt 
ce  gebracht  wird,  wobei  das,  was  den  unerweiterten  Satz  aus- 
machen würde,  als  Relativ-  oder  als  Konjunktionalsatz  folgt, 
z.  B.  y^Es'tu  go  qui  parolesf  —  ähnlich  dem  neufranzösischen: 
Est'ce  toi  qui  partes f  —  Interessant  ist,  dass  sich  die  für  das 
Neufranzösische  so  charakteristische  prädikative  Verwendung 
explikativer  Relativsätze,  wie  sie  etwa  der  Satz  „Le  voilä  qui 
vient^*"  zeigt,  altfranzösisch  auch  —  was  neufranzösisch  unmöglich 
wäre  —  in  der  Frage  findet,  dergestalt,  dass  der  altfranzösisch6 
Satz :  Est'ce  mon  phre  qui  €a  battuf  nicht  etwa  das  bedeutet,  was 
er  im  Neufranzösischen  bedeuten  würde,  sondern  vielmehr  den 
Sinn  eines  neufranzösischen:  Est-ce  que  mon  plre  €a  battuf  hat. 


A,  Schulze,  Der  altfranzösische  direkte  Fragesatz»  23 

Kapitel  VI  hat  die  Tempora  und  Modi  zum  Gegenstände, 
soweit  ihr  Gebrauch  im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze  ein 
eigenartiger  ist.  —  Bei  Besprechung  des  sogenannten  jussiven 
Futurums  weist  Schulze  aus  Anlass  der  nicht  ganz  zutreffenden 
Fassung  der  bezüglichen  Regel  bei  Lticking  (Franz.  Schtdgramm^ 
§  295,  2)  darauf  hin,  dass  diese  Verwendung  des  Futurs  im 
direkten  Fragesätze  alt-  wie  neufranzösisch  nur  in  der  1.  und 
3.  Person  möglich  sei.  —  Nachdem  er  im  ersten  Abschnitt 
einige  dem  Altfranzösischen  eigentümliche  Verwendungen  des 
Futurs  erörtert  hat,  behandelt  er  im  zweiten  Abschnitt  das 
Präteritum  Futuri,  in  welchem  Tempus  er,  entgegen  der  von 
Burgatzki  und  Klapperich  vertretenen  Ansicht,  lediglich  einen 
Ersatz  für  einen  von  der  Sprache  nicht  ausgeprägten  Modus  der 
Nichtwirklichkeit  sieht,  dessen  Verwendung  durchaus  nicht  von 
der  Verknlipfting  mit  einem  (ausgesprochenen  oder  verschwiegenen) 
Bedingungssatze  abhängig  sei.  Indem  Schulze  in  Aussicht  stellt, 
auf  diesen  Punkt  am  anderen  Orte  ausführlicher  einzugehen,  führt 
er  die  Untersuchung  über  den  Gebrauch  des  Präteritum  Futuri 
von  seinem  soeben  kurz  gekennzeichneten  Standpunkte  aus  mit 
einem  Erfolge,  der  für  die  Richtigkeit  desselben  zu  sprechen 
scheint.  —  Der  dritte  Abschnitt  ist  dem  Gebrauch  des  Konjunktivs 
im  altfranzösischen  direkten  Fragesatze  gewidmet.  Aus  diesem 
Abschnitt  wollen  wir  ein  wegen  der  Ähnlichkeit  mit  dem  Ver- 
fahren der  englischen  Sprache  interessantes  Beispiel  herausheben: 
jfComment  autrement  peust  ü  Avoir  eschapi  du  pirü  Qua  ja 
passSf^  (Mir,  ND.^  XXIV 690).  —  Den  im  Neufranzösischen  so 
beliebten  Gebrauch  des  reinen  Infinitivs  in  direkten  Fragesätzen 
weist  Schulze  im  vierten  Abschnitt  dieses  Kapitels  auch  für  das 
Altfranzösische  nach  und  sieht  die  Erklärung  für  die  in  Rede 
stehende  Erscheinung  darin,  dass  dem  Geiste  des  Redenden, 
indem  er  sich  des  Infinitivs  bedient,  nur  der  Thätigkeitsbegriff 
des  Verbums,  ohne  die  Vorstellung  einer  demselben  zum  Träger 
dienenden  Person,  vorschwebt,  —  eine  in  ihrer  Einfachheit  völlig 
gentigeleistende  Erklärung,  die  vor  den  von  Diez  (III®  222)  und 
von  Lücking  (§  382)  gegebenen  Erklärungen  meines  Erachtens 
den  Vorzug  verdient. 

Im  Kapitel  VII  „Indirekte  Frage  an  Stelle  der  direkten" 
knüpft  Schulze  an  das  von  Tobler  (Beiträge  S.  56)  über  diesen 
Gegenstand  Gesagte  an  und  bringt  ausser  zahlreichen  neuen 
Beispielen  der  beregten  Erscheinung  auch  solche  Beispiele  bei, 
welche  das  Gegenbild  derselben  darstellen,  nämlich  Beispiele  von 
indirekter  Frage  in  der  Form  direkter.  Aus  dem  Gebiete  des 
Neufranzösischen  gehört  hierher  Moliöre  (MM.  m.  Z.,  III  2):  ^11 
faut  voir  de  quoy  est-ce  qu^eUe  est  malade^  wo   die  Verwendung 


24  Referate  und  Rezensionen.    F.  Kiüepky, 

der  oraUo  recta  anstelle  der  oratio  obliqua  sich  wohl  kaum 
anders  als  aus  der  Lebhaftigkeit  der  Bede  erklärt 

Aus  Kapitel  VIII  „Dilemmatische  Fragen''  verdient  an  dieser 
Stelle  mitgeteilt  zu  werden,  dass  das  Altfranzösische  in  Ent- 
scheidungsfragen, die  mit  lequel  eingeleitet  sind,  noch  fast  gamicht 
das  unlogische  de  vor  den  zur  Wahl  gestellten  Satzgliedern  auf- 
weist, welches  dem  Neufranzösischen  kaum  noch  entbehrlich 
ist  und  dessen  zutreffende  Erklärung  Lücking  (§  252  A.)  ge- 
geben hat. 

Kapitel  IX  handelt  von  den  Wiederholungsfragen  im  Alt- 
französischen. Dieselben  können  hervorgerufen  sein  durch  eine 
Mitteilung,  oder  durch  eine  Aufforderung,  oder  drittens  durch 
eine  Frage.  Gelegentlich  der  Behandlung  des  zweiten  Falles 
stellt  Schulze  das  Verfahren  der  altfranzösischen  Sprache  dem 
des  Neufranzösischen  gegenüber.  Danach  kann  im  Neufranzösischen 
einer  Aufforderung  wie  z.  B,  Rends-moi  la  charte!  eine  Wieder- 
holnngsfrage  in  dreifacher  Form  entsprechen,  entweder :  Moi^  que 
je  V0U8  la  rendel  (nicht  la  vous^  wie  in  §  177  aus  Versehen 
dreimal  steht),  oder:  Je  vous  la  rendraisf  oder:  Mdf  vous  la 
rendref  —  Die  erste  und  die  dritte  Form  der  Wiederholungs- 
frage kennt  auch  das  Altfranzösische;  der  zweiten  Form  würde 
im  Altfranzösischen  am  nächsten  eine  Wiederholungsfrage  mit 
jussivem  Futurum  kommen:  Je  votis  la  (oder  la  vous)  rendraif 
Ausserdem  aber  kann  das  Altfranzösische  noch  mit  blossem  Kon- 
junktiv sagen:  Je  vous  la  rendef  was  neufranzösisch  nicht  mehr 
angeht.  —  Wiederholungsfragen,  welche  durch  eine  Frage  ver- 
anlasst werden,  nehmen  altfranzösisch  wie  neufranzösisch  die 
Form  der  indirekten  Frage  an;  nur  ein  abweichendes  alt^an- 
zösisches  Beispiel  ist  Schulze  begegnet:  La  dame  li  demanda 
Kl  cü  Chevaliers  estoit,  —  Qui  est  ü,  damef  en  non  Did,  on  le 
doü  bien  noumer,     (Th,  fr,  420.) 

Das  den  ursprünglichen  Ausgangspunkt  der  Arbeit  bildende 
Kapitel  X  „Die  Wortstellung  im  altÄ^anzösischen  Fragesatze'' 
(S.  157  —  245),  welches  in  seinem  ersten  Abschnitt  über  die 
Frage-  und  Aussageform  im  altfranzösischen  Hauptsatze  handelt, 
ist  für  dieses  Gebiet  der  Syntax  von  solcher  Wichtigkeit,  dass 
es  eine  besondere,  ausführliche  Besprechung  verdient  Ein 
näheres  Eingehen  auf  dasselbe  würde  indes  die  Grenzen  dieser  An- 
zeige zu  weit  überschreiten.  Hier  sei  nur  angeführt,  dass  Schulze, 
unter  Berufung  auf  Tobler's  Vorlesungen,  bei  der  von  ihm  ver- 
suchten tieferen  Begründung  der  Gesetze  der  Wortstellung  eine 
neue  oder  wenigstens  der  herkömmlichen  Grammatik  nicht  ge- 
läufige Kategorie,  die  des  logischen  Subjektes  (logisch  im  eigent- 
lichen Sinne    des   Wortes)     einführt.      Schulze   nennt    nämlich 


A.  Schulze,  Der  altfranzösische  direkte  Fragesatz.  25 

logisches  Subjekt  dasjenige,  inbezug  worauf  eine  Aussage  gethan 
werden  soll,  dasjenige,  was  die  Grundlage,  den  Ausgangspunkt 
der  Aussage  bildet  und  nicht  immer  identisch  ist  mit  dem  Seienden, 
welches  als  Träger  des  durch  das  Verbum  finitum  zum  Ausdruck 
Gebrachten  erscheint.  So  ist  z.  B.  in  dem  eine  direkte  Rede 
einleitenden  Satze  Dist  OUviers  (welcher  unter  Umständen  etwas 
ganz  anderes  besagt,  als  es  der  Satz  „OUviers  dist'"''  thun  wtlrde) 
das  logische  Subjekt  in  der  mit  dist  verknüpften  Vorstellung  zu 
sehen;  nicht  von  OUviers  geht  die  Aussage  aus,  es  wird  nicht 
das  dist  von  OUviers  prädiziert,  sondern  dist  ist  das  Gegebene 
und  OUviers  das  prädizierte:  das  Sagen  geschah  durch  Olivier, 
der  Sagende  war  Olivier.  Diese  manchem  vielleicht  im  ersten 
Augenblicke  befremdlich  erscheinende,  aber  logisch  unanfechtbare, 
fUr  die  Lehre  von  der  Wortstellung  äusserst  fruchtbare  Be- 
trachtungsweise setzt  Schulze  in  stand,  die  sehr  mannigfaltigen 
Erscheinungen  in  der  Wortstellung  altfranzösischer  Sätze  unter 
wenige  einfache  Gesichtspunkte  zu  begreifen  und  so  dieses 
wichtige  Kapitel  der  Syntax,  dem  in  den  letzten  Jahren  so  viele 
Spezialuntersuchungen  gewidmet  worden  sind,  zu  einem  gewissen 
Abschlüsse  zu  bringen.  —  Im  zweiten  Abschnitte  dieses  Kapitels 
untersucht  Schulze  die  Stellung  der  einzelnen  Satzglieder  im 
direkten  Fragesatze.  Abweichend  vom  Neufranzösischen  trat  in 
der  altfranzösischen  Bestätigungsfrage  das  Subjekt  noch  regel- 
mässig hinter  das  Verbum;  daneben  aber  zeigt  sich  auch  schon 
und  greift  immer  mehr  um  sich  die  im  Neufranzösischen  zur 
Regel  gewordene  Anakoluthie,  vermöge  deren  das  Subjekt  dem 
Fragesatze  in  absoluter  Weise  vorantritt,  um  dann  innerhalb  des- 
selben hinter  dem  Verbum  durch  das  ihm  zukommende  Personal- 
pronomen wieder  aufgenommen  zu  werden.  Ebenso  ist  bei  alt- 
französischen Bestätigungsfragen  einfache  Inversion  auch  eines 
betonten  Subjekts  die  Regel ;  von  dem  neufranzösischen  Verfahren, 
demgemäss  ein  betontes  Subjekt  zwischen  Fragewort  und  Verbum 
tritt,  ist  dem  Verfasser,  abgesehen  von  einem  einzigen,  von 
Tobler  beigebrachten  Beispiele,  keine  Spur  begegnet.  —  Im  dritten 
Abschnitt  dieses  Kapitels  bespricht  Schulze  die  ,,Frage  in  Aus- 
sageform" und  schliesslich  die  der  altfranzösischen  Sprache  zum 
Ausdruck  unseres   „nicht  wahr?"  dienenden  Mittel. 

Den  Schluss  des  Werkes  bildet  ein  Anhang,  in  welchem 
Schulze  die  Beantwortung  der  Frage  im  Altfranzösischen  be- 
handelt. Auch  dieser  Anhang  birgt  eine  Fülle  interessanter 
Beobachtungen,  so  über  Entstehung  und  Verwendung  der  alt- 
französischen Bejahungs-  und  Verneinungspartikeln,  bei  welcher 
Gelegenheit  Schulze  das  von  Perle  für  modern  erklärte  je  dis 
que  non  auch  für  das  Altfranzösische  nachweist,   so  femer  über 


26  Referate  und  Rezensionen.    F,  Pakscher, 

die  Antwort,  welche  durch  Wiederholung  des  in  Frage  gestellten 
zustande  kommt,  bei  welcher  Gelegenheit  Schulze  erwünschte 
Aufklärung  über  das  neufranzösische  st  fait  gibt,  so  über  Be- 
kräftigung der  Antwort  und  über  korrigierende  Antworten  im 
Altiranzösischen. 

Hiermit  sind  wir  zum  Schluss  der  Arbeit  gelangt.  Die  vor- 
stehende Analyse,  welche  sich  auf  Hervorhebung  des  allgemeiner 
Interessierenden,  speziell  des  die  neufranzösische  Sprache  Be- 
treffenden beschränken  musste,  gibt  nur  eine  unvollkommene 
Vorstellung  von  dem  Reichtum  dieser  Schrift  an  feinen  sprach- 
lichen Beobachtungen  und  namentlich  von  der  Förderung,  welche 
die  Kenntnis  des  Alt  französischen  durch  dieselbe  erfährt. 
Hat  doch,  um  nur  eines  zu  erwähnen,  der  Verfasser  teils  auf 
Grund  der  Resultate  seiner  den  altfranzösischen  Fragesatz  be- 
treffenden Untersuchungen,  teils  ganz  beiläufig,  weit  über  100 
altfranzösische  Textstellen  emendiert  (ungerechnet  Herstellung 
richtiger  Flexion  in  den  angezogenen  Beispielen).  Neben  solchen 
Vorzügen  treten  die  Mängel  der  Arbeit,  die  sich  lediglich  auf 
geringfügige  Einzelheiten  erstrecken,  völlig  zurück.  An  Druck- 
fehlern sind  mir  aufgefallen  S.  21  Z.  9  luis  statt  Ivi'^  S.  22  Z.  7 
V.  u.  wollen  statt  können;  S.  40  Z.  10  te  statt  et  Störender  ist 
S.  101  Z.  18  das  Fehlen  des  Wortes  „andersgeartete"  hinter 
„wenn*^;  S.  99  Z.  7  das  Fehlen  von  „es"  hinter  „ist**.  Andere 
Druckfehler,  wie  S.  248  Z.  10  „Verneigungspartikeln**  werden 
niemand  irre  machen.  —  Der  Schluss  von  §  7  würde  verständ- 
licher sein,  wenn  er  lautete:  „Und  so  erklärt  sich  auch  hier  des 
Fragenden  Interesse,  durch  Hervorrufung  einer  nicht  bestätigenden 
Antwort  zu  erweisen,  dass  der  Gefragte  ihm  gegenüber  im  Un- 
recht sei  und  er,  der  Fragende,  nicht  Ursache  habe,  seine  Auf- 
fassung zu  ändern. **  —  Der  Schluss  von  §  29  scheint  mir  mit 
den  Ausführungen  des  §  9  in  Widerspruch  zu  stehen,  insofern 
als  hier  eine  negative  Frage,  dort  aber  eine  positive  Frage 
als  das  zweckdienlichste  Mittel  zur  Erlangung  einer  möglichst 
energischen  Bestätigung  des  Gefragten  hingestellt  wird.  —  Der 
Anfang  des  §  33  wird  zu  lauten  haben:  ,,Da  die  Frage  nicht, 
wie  die  Assertion,  dem  vorstellenden  Geiste  einen  objektiv  fass- 
lichen Inhalt  bietet"  u.  s.  w.  —  Auf  Anderes,  Wichtigeres,  hat 
Tobler  in  seiner  Anzeige  der  Arbeit  (Lüteraüirblatt  ßir  germanische 
und  romanische  Philologie,  Juli  1888)  aufmerksam  gemacht,  auf 
welche  Anzeige  hiermit  noch  ausdrücklich  hingewiesen  sei. 

F.  Kalepkt. 


^. 


E.  Seelmann,  Bibliographie  des  altfranzösischen  Rolandsliedes.      27 


eelmann,  Emil,  Bibliographie  des  altfranzösischen  Rolandsliedes. 
Heilbronn,  1888.    Gebr.  Henninger.    113  S.  8^    M.  4,80. 

Diese  Schrift  gibt  einen  handgreiflichen  Beweis  davon, 
welchen  Aufschwung  die  -RoZawcZforschung  in  den  letzten  beiden 
Jahrzehnten  genommen  hat.  Der  Verfasser  war  von  der  Verlags- 
buchhandlung aufgefordert  worden,  von  dem  Werkchen  Joseph 
Bauquier's,  Bibliographie  de  la  chanson  de  Roland ^  Heilbronn, 
1877,  eine  neue,  ergänzte  Ausgabe  zn  veranstalten,  und  sah  sich 
genötigt,  dasselbe  durch  ein  ziemlich  umfangreiches  Buch  zu 
ersetzen.  Der  grössere  Umfang  ist  allerdings  auch  dadurch  zu- 
stande gekommen,  dass  der  Verfasser  sich  nicht  mit  dem  Nach- 
trag der  inzwischen  erschienenen  Schriften  begnügt  hat,  sondern 
auch,  durch  die  reiche  Göttinger  Bibliothek  unterstützt,  dem  älteren 
Teile  eine  ganz  andere  Vollständigkeit  gegeben  hat,  als  seinem 
mit  ungenügenden  Hilfsmitteln  ausgerüsteten  Vorgänger  möglich 
gewesen  war.  Wir  können  ihm  in  dieser  Beziehung  volles  Lob 
aussprechen;  es  ist  uns  nicht  gelungen,  irgend  eine  Lücke  zu 
entdecken,  und  die  Kenntnis  einiger  versteckter,  allerdings  wenig 
wertvoller  Abhandlungen  verdanken  wir  sogar  erst  seinem  Buche. 
Im  Prinzip  hat  er  die  systematische  Anordnung  Bauquier's  bei- 
behalten, aber  das  reichere  Material  machte  eine  häufigere  Glie- 
derung desselben  notwendig.  Er  zerlegte  es  zunächst  in  drei 
Hauptabschnitte,  die  je  mehrere  Unterabteilungen  umfassen. 
A.  Das  Denkmal  und  seine  Überlieferung  verzeichnet  die 
Handschriften  nebst  den  Abdrücken,  die  sie  erfahren  haben,  die 
Ausgaben  und  die  Übersetzungen.  In  dem  Anhang  dazu  werden 
die  dem  Roland  nahestehenden  Litteraturdenkmale  aufgeführt, 
also  der  Turpin  in  seinen  verschiedenen  Gestalten,  das  carmen 
de  prodiaione  Ghienonis,  das  deutsche  Rolandslied  und  die  Kaiser- 
Chronik,  die  englischen,  niederländischen,  nordischen  und,  was 
besonders  verdienstlich  ist,  auch  die  spanischen  und  italienischen 
Bearbeitungen.  Bei  den  (B.)  historisch-litterarischen  Ar- 
beiten werden  sechs  Gattungen  unterschieden,  wodurch  die  Über- 
sichtlichkeit bedeutend  erleichtert  wird.  Die  Überschriften  sind 
gut  gewählt,  mit  Ausnahme  der  letzten  „Kulturgeschichtliches 
(Volkskunde)",  wofür  vielleicht  passender  „Sitten  und  Kleidung" 
gesagt  worden  wäre.  In  der  dritten  Abteilung  C.  Linguistische 
Arbeiten  werden  ausser  den  eigentlich  grammatischen  mit  Recht 
auch  die  über  Metrik  und  Lexikographie  aufgeführt,  dagegen, 
nach  unserer  Ansicht,  irrtümlich,  die  über  Textkritik,  welche  in 
den  zweiten  Hauptabschnitt  gehören.  Innerhalb  der  einzelnen 
Kapitel    ist   die    Anordnung,    wie    bei  Bauquier,    chronologisch« 


28  Referate  und  Rezensionen.    A.  Pakscher, 

Dass  die  Titel  mit  erschöpfender  Genauigkeit  wiedergegeben 
werden,  Hess  sich  bei  dem  Berufe  des  Verfassers  erwarten,  der 
in  der  umfangreichen  Vorrede  auch  von  der  grossen  Mühe  spricht, 
welche  das  Herbeischaffen  schlecht  zitierter  Bücher  verursacht, 
und  die  oft  mit  dem,  was  sie  bieten,  in  keinem  Verhältnisse 
steht.  Solche  Enttäuschungen  werden  dem,  der  dies  Nachschlage- 
buch benutzt,  erspart  bleiben.  Des  Verfassers  Streben  ist  darauf 
gerichtet  gewesen,  die  Bücher  möglichst  selbst  in  die  Hand  zu 
bekommen.  Es  ist  ihm  dies  bei  der  grössten  Anzahl  gelungen 
und  er  hat  dies  jedesmal  durch  ein  beigesetztes  Sternchen  an- 
gegeben. Zugleich  hat  er  bei  Schriften,  die  in  verschiedenen 
Ausgaben  erschienen  sind,  wie  besonders  Dissertationen,  er- 
mittelt, inwieweit  dieselben  mit  einander  übereinstimmen.  Dem 
Titel  folgen  häufig  die  Angaben  über  Besprechungen,  welche  das 
betreffende  Buch  erfahren  hat;  bei  einer  Reihe  von  Nummern 
wird  auch  der  Inhalt  ausführlicher  angegeben,  und  zwar  einer- 
seits bei  sehr  umfangreichen  Werken,  andererseits  bei  kleinen, 
aber  schwer  erreichbaren  Schriften.  Ja,  ausnahmsweise  hat  S. 
sogar  die  Grenzen  seines  Programms  überschritten,  z.  B.  S.  73, 
wo  er  auf  die  Deutungen  des  aoi,  und  S.  53,  wo  er  auf  die  ver- 
schiedenen Ansichten  über  die  Repetitionsstrophen  eingeht,  aber 
diese  kurzen  Auszüge  sind  mit  Geschick  gemacht,  und,  da  sie 
Arbeit  ersparen,  dankenswert.  Den  letzten  Teil  der  Schrift 
bildet  ein  sehr  ausführlicher  alphabetischer  Index  (S.  81 — 113). 
Dieser  scheint  uns  besonders  gelungen  zu  sein.  Man  findet  z.  B. 
in  ihm  unter  den  Stichwörtern  der  Zeitschriften  alle  einschlägigen 
Artikel  übersichtlich  geordnet.  Ferner  wird  der  Übelstand,  der 
sich  aus  der  detaillierten  Einteilung  des  Textes  ergab,  dass 
nämlich  dasselbe  Buch  manchmal  in  verschiedenen  Kapiteln  zitiert 
werden  musste,  in  dem  Register  dadurch  völlig  ausgeglichen,  dass 
hier  unter  dem  Namen  des  Verfassers  seine  sämtlichen  Arbeiten 
und  die  Seiten,  auf  denen  ihrer  Erwähnung  geschieht,  zusammen- 
gestellt sind.  Wir  können  abschliessend  unser  Urteil  dahin  zu- 
sammenfassen, dass  wir  es  mit  einem  Nachschlagebuch  zu  thun 
haben,  das  an  praktischer  Einrichtung  und  sorgfältiger  Aus- 
führung kaum  übertroffen  werden  kann,  und  das  nur  den  Wunsch 
erweckt,  auch  für  andere  Gebiete  der  romanischen  Philologie 
ähnliche  Hilfsmittel  zu  besitzen. 

Ausserdem  bietet  das  Buch  noch  den  Vorteil,  dass  man 
durch  dasselbe  leicht  Überblicken  kann,  welchen  Gang  die  Roland- 
forschung  eingeschlagen  hat.  Der  Gesichtspunkt,  von  dem  aus 
man  zuerst  an  das  Rolandslied  herantrat,  war  der  litterar- 
historische.  Wegen  der  Ansichten  der  Pasquier,  Fauchet  und 
anderer  Männer  des  16.  bis  18.  Jahrhunderts,  die  sich  nur  ver- 


E,  Seelmann,  Bibliographie  des  allfranzösischen  RolandsUedes,      29 

matungsweise  über  das  damals  noch  nicht  anfgefundene  Rolands- 
lied äussern  konnten,  bezieht  sich  S.  anf  Gautier's  JapopSes  fran- 
gaises  und  nennt  dann  einige  Schriften  aus  dem  Anfange  unseres 
Jahrhunderts.  Dabei  wird  eine  Stelle  aus  Ritson,  Äncient  English 
metrical  romances  (1802)  wiedergegeben ,  die  für  die  damalige 
Zeit  Anerkennung  verdient,  r)^^  ^^^^  chanson  de  Roland 
was,  unquestionahlyy  a  metrical  romance,  of  great  length,  upon  the 
fatal  battle  of  Ronceveaux;  of  which  TaiUefer  orUy  chanted  a  part.^ 
Erst  in  den  30er  Jahren  wurden  die  altfranzösischen  Epen  Gegen- 
stand eingehender  litterarhistorischer  Betrachtungen.  Eine  solche 
widmete  dem  Roland  1832  Henri  Monin,  dann  kamen  noch  im 
selben  und  im  folgenden  Jahre  Raynouard,  Francisque  Michel, 
ühland  und  Ferdinand  Wolf  zum  Wort.  Nachdem  schon  1774 
Tyrwhitt  gelegentlich  der  Erklärung  des  bei  Chaucer  vorkommenden 
Namens  Termagaunt  (=  Tervagan)  von  der  Oxforder  Handschrift 
des  Rol.  gesprochen  hatte,  wird  dieselbe  endlich  im  Jahre  1837 
durch  die  Ausgabe  MicheFs  bekannt.  In  litterarhistorischer  Be- 
ziehung brachten  die  folgenden  Jahre  wenig  Bedeutendes,  bis 
1852  eine  interessante  Studie  von  Yitet  in  der  Revue  des  deux 
mondes  und  eine  solche  von  Paulin  Paris  in  der  Histoire  litte- 
raire  de  la  France  erscheint.  Seitdem  häufen  sich  die  wert- 
vollsten Abhandlungen:  Rosenberg  (1860),  Tobler  (1864),  Gau- 
tier's  Kp,  frangaises  (zuerst  1865),  Pio  Rajna,  Origini  delVepopea 
francese  (1884)  u.  s.  w.  Nächst  diesen  müssen,  hinsichtlich 
ihres  Alters  und  ihres  Umfangs,  die  textkritischen  und  die  gram- 
matischen Untersuchungen  genannt  werden.  Auf  ersterem  Gebiete 
finden  wir  neben  den  Herausgebern  Michel,  Gautier,  Müller  u.  a. 
noch  viele  bewährte  Namen,  dagegen  ist  die  Grammatik  des  RoLy 
allerdings  vorwiegend  in  Verbindung  mit  einigen  anderen  älteren 
Denkmälern,  das  Übungsfeld  jüngerer  Kräfte  geworden,  indem 
sie  ihnen  den  Stoff  zu  den  verschiedensten  Doktordissertationen 
geliefert  hat.  Fast  ganz  dem  letzten  Jahrzehnt  gehören  Unter- 
suchungen über  den  Stil  und  die  Technik  des  Epos  an.  Während 
man  sich  früher  mit  gelegentlichen  Bemerkungen  begnügte,  ist 
von  Graevell  in  einer  eigenen  Schrift  (1880)  die  Charakteristik 
der  Personen  im  Rol,  behandelt  worden,  von  Dietrich  die  Wieder- 
holungen in  den  chansons  de  geste  (1881),  von  Drees  der  Ge- 
brauch der  epUheta  omantia  (1883)  u.  s.  w.  Ebenso  haben  in 
letzter  Zeit,  in  übertriebener  Spezialisierung,  einzelne  kultur- 
geschichtliche Themata  eine  gesonderte  Behandlung  erfahren. 
Die  hier  einschlägigen  Arbeiten  sind  fast  sämtlich  in  den  Mar- 
burger Ausgaben  und  Abhandlungen  erschienen  und  haben  auch 
hinsichtlich  ihrer  Ausführung  von  der  Kritik  nicht  gerade  viel 
Anerkennung   geemtet.     Sie  beschäftigen   sich  mit  der   Stellung 


30  Referate  und  Rezensionen.    J,  Sairazin, 

der  Frau  im  altfranzösischen  Epos,  mit  den  Tieren,  den  Sprich- 
wörtern in  demselben,  den  Gebeten  und  Anrufungen,  den  täglichen 
Lebensgewohnheiten,  den  Angriffs-  und  Verteidigungswaffen.  In 
diesem  Abschnitte  ist  auch  mit  Recht  der  ebenso  schöne  als  ge- 
haltvolle Aufsatz  von  G.  Paris  aufgeführt:  La  chanson  de  Roland 
et  la  nationolite  frangaisej  der  in  dem  Bande  La  poesie  du  moyen 
dge  (1885)  enthalten  ist.  Jetzt  ist  noch  auf  die  verschiedenen 
Abschnitte  in  dem  Manicd  d^ancien  frangais  desselben  Verfassers 
zu  verweisen,  in  welchen  dem  Rol.  ausführliche  Besprechung  ge- 
widmet ist,  besonders  auf  §  36.  Diesen  Andeutungen  lassen 
wir  noch  den  Wunsch  folgen,  dass  eine  neue  Auflage  der  Biblio- 
graphie einen  Zuwachs  von  nur  wenigen,  aber  gediegenen,  Schriften 
zu  verzeichnen  haben  möge.  A.  Paksgher. 


Villatte,  C^saire,  Parisismen.  Alphabetisch  geordnete  Sammlung 
der  eigenartigen  Ausdrucks  weisen  des  Pariser  Argot.  — 
Ein  Supplement  zu  allen  französisch-deutschen  Wörter- 
büchern. Zweite  stark  vermehrte  Auflage.  Berlin,  1888. 
Langenscheidt.    XVI  und  306  S.  8®.    Preis:  M.  4,60  geb. 

Neben  der  klaren,  durchsichtigen  Sprache  Voltaire' s  hat 
sich  schon  vor  alten  Zeiten  auf  dem  unruhigen  Boden  der  fran- 
zösischen Hauptstadt  ein  Jargon  entwickelt,  dessen  absonderliche 
Blüten  im  Laufe  der  Jahre  in  stets  zudringlicherer  Weise  am 
gesunden  Stamme  sich  festsetzen,  so  dass  B6ranger's  scherzhafter 
Ausspruch,  im  Jahre  des  Heils  2000  werde  man  in  Paris  nicht 
mehr  französisch  reden,  nicht  ganz  unberechtigt  erscheinen  darf. 
Die  Tagespresse,  das  moderne  Drama,  die  naturalisti- 
schen Romane  — ,  das  sind  die  drei  wirksamen  Infektionsträger, 
mit  denen  die  puristische  ÄcadSmie  mittels  ihres  Dictionnaire  zu 
kämpfen  hat. 

Schon  vor  vielen  Jahren  hat  diese  Erscheinung  die  Auf- 
merksamkeit der  mit  der  raschlebigen  Zeit  fortschreitenden 
Sprachforscher  gefesselt  und  eine  eigene  reichhaltige  Litteratur 
hervorgebracht.  Dass  das  Werk  des  Herrn  Villatte,  welches  vor 
sechs  Jähren  Referent  in  dieser  Zeitschrift  (V*'^,  209  ff.)  erstmals 
zu  besprechen  hatte,  bereits  in  zweiter,  wesentlich  vermehrter 
Auflage  vorliegt,  ist  ein  Beweis  von  der  dringenden  Notwendigkeit 
solcher  Arbeiten  über  das  Pariser  Argot  in  Deutschland. 

Villatte's  Werk  hat  das  Ziel  verfolgt,  dem  deutschen  Leser 
der  französischen  Tagesblätter  und  der  mit  den  malerischen  Aus- 
drücken des  Pariser  Jargon  durchsetzten  Schriftwerke  unserer 


C.  ViUaiie,  Färisismen.  31 

Zeitgenossen  ein  getreuer  DoUmetsch  zu  sein,  ohne  irgend- 
welchen Anspruch  auf  Gelehrsamkeit  zu  erheben.  Darum  blieb  das 
ältere  Argot  ausser  Acht,  das  aus  der  kraftstrotzenden  Sprache  eines 
Rabelais  dem  heutigen  Leser  so  reichlich  entgegenquillt  und  bei 
Villen,^)  beiTh^ophile  de  Viaud,  Saint-Amand  und  anderen  lustigen 
Brüdern  eine  nicht  unwichtige  Rolle  spielt.  Was  schiert  es  auch 
Freunde  des  heutigen  Boulevardjargons,  oder  Leser  realistischer 
Romane  und  Pariser  Witzblätter,  dass  unter  dem  guten  König 
Heinrich  IV.  und  seinem  Nachfolger  die  deshauchia  den  Wein 
piotj  den  Tabakdunst  petun  und  in  weisser  Voraussicht  der  Zu- 
kunft das  Gelage  crevaüle  nannten?  Für  Philologen  ist  ja  die 
Villatte'sche  Zusammenstellung  nicht  berechnet,  wie  aus  der 
ganzen  Anlage  des  Werkes  und  der  nur  lückenhaften  Benützung 
der  vorhandenen  zugänglichen  Litteratur  hervorgeht.  Der  Ver- 
fasser hat  einfach  das  vbn  Delvau,  Lor^dan  Larchey,  Rigaud  u.  a. 
gruppierte  moderne  Material  verarbeitet  und  mit  eigenen  Lese- 
früchten bereichert.  Wer  also  mit  Hilfe  der  Parisismen  die 
Villon'schen  Jargon balladen  übersetzen  wollte,  würde  seine  Mühe 
verlieren.     Nur  ein  Beispiel: 

Vive  David,  saint  archquani  en  baboue, 
Jehan  mon  amy^  —  qui  les  feuüles  desnoue, 
Le  vendengeur,  hessleur  comme  une  choudy 
LOing  de  son  plaid,  de  ses  flos  curietdx, 
Noue  beaucoup,  doni  ü  regoii  fressoue 
lous  verdoiant,  havre  du  marieux. 

heisst  der  akrostichische  Eingang  einer  der  von  Aug.  Vitu  a,  a,  0, 
edierten  Balladen.  Allerdings  ist  dies  selbst  dem  gewiegtesten 
Pariser  Argotier  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln,  wenn  er  nicht  mit 
der  hassa  latinitas  und  der  Ausdrucksweise  der  archisuppöts  innig 
vertraut  ist. 

Indessen  lässt  auch  in  unerwarteten  Fällen  die  zweite  Auflage 
der  Parisismen^  obwohl  „stark  vermehrt",  nicht  selten  im  Stich. 
„La  momignarde  qui  tette  est  joliment  gouliafre^  sagt  in  Victor 
Hugo's  Quatre-virigt-Treize  ein  Revolutionsoldat  beim  Anblick  der 
heisshungrigen  Georgette.  In  Pailleron's  witzigem  Lustspiel  Le 
Monde  oü  ton  s'ennuie  erzählt  die  urwüchsige  alte  Herzogin, 
dass  die  ganze  kaute  femellerie  zu  den  Vorträgen  des  eleganten 
Professor   Bellac  ( —  lies:    Caro)  sich  drängt.    Augier  stellt  in 


1)  Vitu,  Augustö.  Le  Jargon  du  XV  sihcle,  Eiude  phüologique, 
Onze  baMades  en  Jargon  atiribue'es  ä  Frangois  ViUony  doni  cinq  baüades 
inädites,  pubüees  pour  ia  premiere  fois  d^ apres  le  manuscrit  de  la 
Biblioiheque  royale  de  Stockholm,  precede'es  aun  discours  pre'litninaire 
sur  rongine  des  Gueux  et  forigine  du  Jargon,  et  suivies  d'un  vocabulan^e 
analyiique  du  mrgon,  Paris,  1884.  Gharpentier,  Gr.  in -8.  558  S.  8^. 
25  fr.     (Vgl.  Zschr.  VH»,  17  ff.) 


32  Referate  und  Rezensionen,    /.  Sai^razin, 

Ceinture  dorie  dem  verhassten  tripotage  sehr  wirkungsvoll  le  tapo- 
tage,  das  Brodyirtuosentum,  gegenüber.  Und  alle  drei  Male  suchen 
wir  vergeblich  bei  Villatte  Rat,  nachdem  selbstverständlich  Littr6 
und  die  Acad^mie  ebenso  vergeblich  befragt  worden  sind.  Es  hätten 
aber  Schriftsteller  wie  Hugo  und  die  sogenannten  Salondramatiker 
vor  allen  anderen  auf  Argotismen  untersucht  werden  sollen. 
Leider  sind  die  landläufigen  Ansichten  von  der  sprachlichen 
„Reinheit^  des  Augier'schen  Stiles  seit  P.  Lindau  womöglich  noch 
mehr  befestigt^) 

Eine  gründliche  Durcharbeitung  alier  Dramen  von  Augier, 
Dumas,  Sardou,  Pailleron,  der  meisten  Schwanke  von  Labiche, 
Gondinet  und  der  Tag  für  Tag  aus  dem  Pariser  Boden  empor- 
schiessenden  Possen  müsste  unseres  Erachtens  nicht  allein 
eine  sehr  erhebliche  Nachlese  ergeben,  sondern  auch  für 
das  bereits  von  Villatte  gebuchte  Material  'die  richtigen  Quellen 
nachweisen.  Man  schlage  z.  B.  in  der  Neuauflage  der  Parisismen 
vihrion  auf:  dort  wird  mit  Berufung  auf  einen  Pariser  Litteraten 
Kuhn  die  Bedeutung  „jämmerlicher  Schriftsteller,  Dichter  oder 
Künstler,  Schwächling,  Krüppel"  angegeben,  während  in  Dumas' 
Sittendrama  Vl^ranglre  der  Definition  dieser  Spielart  des  Lebe- 
manns eine  ganze  Seite  (IL  1)  gewidmet  ist.  Wir  drucken  den 
betreffenden  Passus  ab,  da  Dumas'  Dramen  kaum  in  den  Händen 
aller  Leser  dieser  Zeitschrift  sein  dürften  : 

B^monin.  En  realiU  ce  nest  pas  un  komme!  (Es  ist  die  Rede  vom 
hohlköpfigen  Herzog  de  Septmonts.) 

M"*  de  Rumiäres.    Ah!  .  .  .    Qü'est-ce  que  (fest  donc?  .  .  . 

RJ^monin.     Cest  un  vibrion, 

M"*  de  Rumiferes.     Vous  dites? 

Rämonin.    Je  dis:  un  vibrion, 

M"**  de  Rumiöres.    Qü'est-ce  que  c'est  que  ^a? 

R^monin.  Comment!  vous  lisez  mes  articles  et  vous  ne  connaissez  pas 
les  vibfions?  Je  vous  en  ferai  voir^  c'est  tres  curieux,  Ce  sont  des 
vegeiaux  nes  de  la  corruption  partielle  des  corps^  qu'on  ne  peut 
distinguer  qu*au  microscope  et  gu'on  a  pris  longiemps  pour  des 
animaux,  ä  cause  d^un  peiit  mouvement  ondtdatoire  qui  leur  est 
propre,  11  sont  charges  kaller  corrompre,  dissoudre  et  de'truire  les 
parties  saines  des  Corps  en  question,  Ce  sont  les  ouvriers  de  la  mort. 
Eh  bien^  les  sodetes  sont  des  corps  comme  les  autres,  qui  se  de'compo- 
sent  en  certaines  parties,  ä  de  ceriains  moments,  et  qui  produiseni 
des  vibrions  ä  forme  humaine,  qu^on  prend  pour  des  itres,  mais  qui 
rCen  sont  pas^  et  qui  fönt  inconsciemment  iout  ce  quüLs  peuvent  pour 
cofTomprCj  dissoudre  et  de'truire  le  reste  du  corps  social.    Heureuse- 


^)  In  seinen  Skizzen  aus  dem  litterarischen  Frankreich  behauptet 
Lindau  S.  88,  Allgier  schreibe  „das  reinste,  von  der  Mode  unab- 
hängige*' Französisch  und  gebrauche  keine  Neologismen.  Diese  Be- 
hauptung habe  ich  in  meinemBuche  Das  moderne  Drama  der  Franzosen 
S.  93  f.  mit  zahlreichen  Beispielen  widerlegt. 


C.  Viüaite,  Jhrisismen.  33 

meni^  la  naiure  ne  veut  pas  la  mori,  mais  la  we,  La  mort  n'esi 
qu*un  de  ses  moyens,  la  vie  est  son  bui.  Elle  faxt  donc  resisiance 
ä  ces  agenis  de  la  desiruction  ei  eile  retourne  contre  eux  les  prmcipes 
morbides  qu'ils  conUennent  Cesi  alors  qu*on  voit  le  vihrion  humain, 
un  sair  qu'ü  a  trop  hu,  prendre  sa  fetUtre  pour  sa  parte,  ei  se 
casser  ce  qui  lui  servait  de  iSie  sur  le  pave  de  la  rtie;  ou,  si  le  jeu 
le  ruine  ou  que  sa  vtbrionne  le  irompey  se  tirer  un  coup  de  pisioki 
dans  ce  qu^ü  croii  itre  son  cosur,  ou  venir  se  heurier  conire  un  vtbrion 
plus  gros  ei  plus  fori  que  lui,  qui  CarrHe  et  le  supprime.  Les  gens 
distraits  ne  voieni  la  qu*un  faxi,  les  gens  aiientifs  voient  lä  une  loi, 
On   eniend  alors    un   ioui   peiii  bruii .  .  .  quelque  chose    qui  faii 

hu  .  .  .  U  .  .  .U  ,  .  .  U  (ü  aoufße  um  peu  d'air  entre  »e»  IhvresJ      Cesi  Ce  qu'on 

avaii  pris  pour  fäme  du  vibrion  qui  s^envole  dans  tair  .  . ,  pas  tres 
haui.    M.  le  duc  se  meuri,  M,  le  duc  esi  mori.** 

In  demselben  Drama  hätte  Yillatte  fQr  un  type  excellent  (=  ein 
herzensguter  Mensch)  einen  Beleg  finden  können  (I.  2).  Ebenso 
'  in  Augier's  JFVZä  de  Giboyer  ein  Beispiel  für  das  Adjektiv  Sterling 
(=  famos  I.  7).  Viele  Argotismen  enthält  z.  B.  auch  Sardou^s 
Fernande,  ferner  La  FamiUe  Benotton  etc.  etc.  Den  Kenner 
neuerer  Litteratur  und  den  fleissigen  Leser  illustrierter  Witz- 
blätter musB  es  fernerhin  stark  befremden,  wenn  für  das  so  häufige, 
ja  alitägliche  Wort /wmtÄfene  (=  Streich)  eine  Nummer  des  Journal 
amüsant  und  wenn  für  das  affektierte  fragrance  nur  die  Goncourts 
als  Fundquellen  angeführt  werden. 

Eine  wünschenswerte  Erweiterung  der  Parisismen  hätte 
auch  durch  reichlicheres  Heranziehen  von  burschikosen  Ausdrücken 
der  verschiedenen  J^coles  der  Hauptstadt  erfolgen  können.  Nur 
teilweise  richtig  ist  die  vom  Verfasser  gegebene  Verdeutschung 
von  bizuty  carriy  cube.  Dieselben  sind  nicht  allein  Zöglinge  ,,der 
speziellen  Mathematik^  an  den  Gymnasien,  sondern  eigentlich 
und  ursprünglich  Schüler  des  ersten,  zweiten,  dritten  Jahrgangs 
des  Polytechnique  und  der  J^cole  Centrede.  Wer  mit  dieser  fröh- 
lichen Jugend  verkehrt  hat,  wird  zu  den  Parisismen  als  Nachtrag 
beisteuern:  fiss!  Ausruf  der  Zuhörer  eines  gewagten  und  unfrei- 
willigen Wortspiels;^)  arriver  sScant  extirieur  =  arriver  trop 
tardj  etre  en  retard;  pitaine  cinima  =  capitaine  cinimaüqv^, 
oberster  Aufseher  der  Zöglinge  etc.  etc.  Mathematik  und  Physik 
müssen  naturgemäss   beim   argot  des  J^coles  stark  herhalten. 

Ein  weiterer  Mangel  der  Neuauflage  ist  ausser  der  behag- 
lichen Breite  einzelner  Artikel  (vgl.  enfoncer)  auch  das  Aufnehmen 

1)  Hierüber  schreibt  Paul  Ginisty  in  Gil  Blas:  Le  fiss  accompagne 
le  jeu  de  mois  ne  de  la  renconire  d^un  ierme  sdeniifique  avec  une  ex- 
pression  qui  a  un  double  sens.  II  esi  Uen  difficile  de  les  eviier,  dans  la 
de'monstraiion  mime  la  plus  iechnique;  mais  aussiioi  qu'une  de  ces  phrases 
vient  d^e'clore,  eüe  esi  souligne'e  par  un  susurremeni  special  qui  se  prodmi 
avec  plus  ou  moins  de  discreiion,  Fissl  murmureni  iouies  les  livres,  ei 
le  professeur  s'arrHe  ei  sourii. 

Zfldur.  f.  firs.  Spr.  n.  Litt.    Xl>.  • 


34  Referate  und  Rezensionen,    J,  Sarrazin, 

von  Wendungen  und  Metaphern,  die  eher  in  ein  allgemeines 
Wörterbuch  der  französischen  Sprache  gehörten.  Z.  B.  ne  pas  avoir 
usi  ses  culottes  sur  les  bancs  du  colUgej  oder  un  grand  travail 
sur  les  caisaes  d'dpargne;  travailler  des  mächoires  (kauen);  un 
dtner  sirieux  (reichliches  Mahl);  troupier^)  etc.  etc.;  ebensowenig 
gehören  Fremdwörter  wie  percentage,  ticket y  select  hierher 
(dies  ist  die  häufigere  Form,  während  Villatte  nur  selected  gibt); 
ebensowenig  rasch  absterbende  humoristische  Bildungen  wie 
wagndrite.  Fand  aber  die  Wagnerschwärmerei  willige  Aufnahme 
bei  Villatte,  so  war  mindestens  die  houlangite  und  midanite  auch 
aufzunehmen,  obwohl  die  zweite  dieser  beiden  pathologischen 
Bezeichnungen  kaum  über  den  Leserkreis  des  Temps  hinausge- 
kommen sein  dürfte.  Midanite  nannte  nämlich  Francisque  Sarcey 
den  Grössenwahn  des  Einsiedlers  von  M^dan,  des  Heilands  der 
naturalistischen  Romanlitteratnr,  Zola,  nachdem  dieser  auf  eine 
abfällige  Kritik  seines  verunglückten  Dramas  Renee  nur  mit 
kernigen  Grobheiten  reagiert  hatte.  Wenn  ferner  für  allgemein 
verständliche  Zunamen  von  Verbrechern  wie  la  Terreur  de  Belle- 
vilhf  la  Terreur  de  Vincennes  (s.  v.  terreur)  in  Villatte 's  Parisismen 
Raum  war,  so  hätte  viel  eher  für  Bezeichnungen  Platz  geschafft 
werden  sollen,  die  in  Witzblättern  zu  stehenden  Typen  geworden 
sind.  Wir  finden  zwar  s.  v.  monsieur  allbekannte  Redensarten, 
wie  Monsieur  PHesec,  Monsieur  Dimanche  (hier  wäre  beizusetzen 
gewesen,  dass  der  Name  aus  Moli^re's  Bourgeois  Gentilhomme 
stammt),  wir  vermissen  aber  das  im  Jargon  des  High-life  wohl 
eingebürgerte  Monsieur  Petdeloup  =  Pedant,  Schulfuchs.  Unter 
den  Mitgliedern  der  Äcademie  Frangaise  unterscheidet  man  be- 
kanntlich die  Fraktionen  der  cabotins  (die  acht  Dramatiker), 
der  ducs  (Anmale,  Broglie  etc.),  der  petdeloups  (Gr6ard  etc.)  etc. 
Auch  vermisst  Referent  den  aus  Dumas'  Diane  de  Lys  allmählich 
ins  Journal  amüsant  übergegangenen  und  in  allen  Boulevard- 
blättern typischen  Künstler  Taupin j  ein  Gegenstück  zum  wohl- 
bekannten Rapiny  der  zur  Bildung  von  tapin  (Trommler)  u.  a. 
führte.  Man  vergleiche  neuere  Jahrgänge  des  Journal  amüsant. 
Eine  Reihe  mehr  oder  minder  bekannter  Parisismen  geht 
in  der  Neuauflage  unter  allzu  spezieller  und  eingeengter  Be- 
deutung um,  weil  sie  dem  Verfasser  wohl  nur  in  einem  einzigen 
Exemplar  vorlagen.  Viatique  ist  nicht  in  Monaco  allein  das  be- 
willigte Reisegeld,  sondern  ein  ganz  allgemein  gebräuchlicher 
scherzhafter  Ausdruck;  boule  de  son  ist  auch  das  Brot  der 
Soldaten,    überhaupt   Schwarzbrot  geringer  Sorte;   der  Ausdruck 


^)  Die  8.  V.  angegebene  Bedeutung  ist  zudem  unrichtig;  troupier 
=  pioupiou  =  Soldat,  und  nicht  alter  Soldat. 


C.  ViUatie,  IhrUismen.  35 

vespasienne  lebt  heute  noch  und  ist  zu  allgemeinerer  Bedeutung 
gelangt;  vert-de-gris  heisst  überhaupt  jeder,  der  eine  grünliche 
Uniform  trägt;  vilo  ist  allbekannte  Abkürzung  für  vüociplde 
(cfr.  VÜO'Cluh);  torche-ad  gehört  keineswegs  dem  Argot  der 
Eisenbahnbeamten  allein  an  (man  denke  nur  an  das  deutsche 
Äquivalent!);  tape-cul  ist  auch  ein  leichter,  eleganter  Zweiräder- 
wagen;  la  gratte  ist  nebenbei  auch  der  Profit  der  Köchin  qm 
fait  danser  Vanse  du  panier,  also  allgemein  ,,der  Schmuh^,  wie 
der  Deutsche  etwa  sagen  würde.  Bei  gaffe  fehlt  die  in  neuester 
Zeit  ungemein  häufige  Anwendung  im  Sinne  von  impertinencej 
oder  parole  mal  ä  propoSj  die  übrigens  Delvau  in  der  1883 
erschienenen  Neuauflage  des  Dictionnaire  de  la  langue  verte  auch 
noch  nicht  kennt.  Berühmte  gaffes  erzählt  man  sich  von  viel- 
genannten Männern.  So  war  nach  der  Einweihung  des  Meusnier* 
denkmals  in  Tours  ein  Spottartikel  der  boulangistischen  Cocarde 
vom  3.  August  1888  üne  gaffe  de  M.  Floquet  betitelt  wegen 
irgend  eines  historischen  Schnitzers  in  der  Festrede  des  Minister- 
präsidenten. Im  Frühjahr  1888  erschien  sogar  eine  Posse  mit 
dem  ominösen  Titel  üne  gaffe. 

Da  Referent  aus  Mangel  an  Zeit  nur  eine  sehr  beschränkte 
Anzahl  von  Artikeln  der  Parisismen  nachschlagen  konnte,  so 
machen  obige  Ergänzungen  keinerlei  Anspruch  auf  Vollständig- 
keit. Jeder,  der  sich  der  zeitraubenden  und  nicht  immer 
fruchtbaren  Arbeit  unterziehen  kann,  die  Tageslitteratur  der 
Weltstadt,  die  für  ganz  Frankreich  den  geistigen  Mittelpunkt 
abgibt,  mit  dem  Auge  des  Sprachforschers  genau  zu  verfolgen, 
wird  eine  namhafte  Anzahl  Nachträge  zu  liefern  imstande  sein. 
Denn  das  Pariser  Argot  erfindet  Tag  für  Tag  neue  eigenartige 
urwüchsige  Ausdrücke,  die  rasch  Aufnahme  finden  und  bald  die 
Runde  durch  Frankreich  machen,  wenn  sie  glücklich  erdacht 
sind.  Die  absonderliche,  aber  sehr  glückliche  Neubildung  hiceptiman 
z.  B.  ist  durch  einen  langen  Artikel  von  l^mile  Faguet  in  der 
litterarischen  Beilage  zum  Figaro  vom  8.  September  1888  end- 
giltig  sanktioniert.  Damit  bezeichnet  man  das  eifrige  Mitglied 
der  seit  1870  zahlreich  aufgetauchten  patriotischen  Tum-  ^nd 
Rudervereine.  Nach  Daudet'«  vielgeschmähtem  Immortd  nennt 
man  struggleforlifeur  in  neuester  Zeit  den  emsigen  „Büffler  und 
Ochser'^,  der  um  jeden  Preis  ein  gutes  Examen  machen,  den 
Streber,  der  zu  einer  höheren  Stellung  gelangen  will  etc. 

Referent  hegt  die  Zuversicht,  dass  schon  eine  ausgiebigere 
Benützung    der   bereits    vorhandenen   Vorarbeiten^)    nicht   allein 


1)   Es  scheinen   dem  Verfasser  u.  a.   die  Arbeiten  von   Charles 
Nisard  (nicht  zu  verwechseln  mit   dem  verstorbenen  katholisierenden 

8* 


36  Referate  und  Rezensionen,    J.  Sarrazin, 

eine  erhebliche  Nachlese  an  „Parisismen"  ergeben  —  da  sie  ein- 
mal 80  heissen  sollen,  —  sondern  auch  zur  Erklärung  einzelner 
Ausdrücke,  die  einfach  als  vorhanden  verzeichnet  worden,  manches 
beitragen  würde.  Hier  ist  noch  sehr  viel  zu  thun  übrig.  Warum 
heisst  ein  vortrefflicher  Regenschirm  parapluie  de  Tolldef  Doch 
wohl  nur  durch  Anlehnung  an  die  lame  de  ToUde  der  im  idealen 
Spaniertum  schwelgenden  Romantiker; 

Überhaupt  wäre  es  bei  dem  immerhin  beschränkten  Wort- 
vorrat des  Argot  keine  herkulische  Arbeit  gewesen,  für  inter- 
essantere Wortgruppen  das  zu  unternehmen,  was  für  die  Schrift- 
sprache Darmesteter  und  Hatzfeld  in  ihrem  Dictionnaire  gineral 
in  so  vortrefflicher  Weise  geleistet  haben,  nämlich  eine 
systematische,  logische  Anordnung  der  einzelnen  Wort- 
bedeutungen und  Redensarten.  Auf  manche  dunkle  Seite  des 
Pariser  Slang  und  Cant,  auf  manchen  psychologischen  Vorgang 
würde  dann  ein  helleres  Licht  fallen.  Man  nehme  z.  B.  die  schier 
zahllosen  Umschreibungen  für  die  an  sich  fatale  Thatsache  des 
Sterbens.  Die  kühne  Metapher  toumer  de  Voeil  zeugt  von  richtiger 
Beobachtung  eines  bekannten  physiologischen  Vorganges,  während 
z.  B.  das  zynische  manger  les  pissenlits  par  la  radne  keinen 
tieferen  Gehalt  birgt;  aus  der  kriegerischen  Zeit  des  ersten 
Napoleon,  da  ein  jeder  Waffen  trug,  stammt  passer  Tarnte  ä  gauche 
(das  Gewehr  wurde  damals  rechts  getragen).  Von  grauenhafter 
Anschaulichkeit  sind  die  beliebten  Euphemismen  casser  sa  pipe, 
divisser  son  hillard^  ddboucher  sa  valise^  fermer  son  vasistas,  di- 
boutonner  sa  colonne,  dimonter  son  poile  oder  son  chouberskyj 
Idcher  la  rampe  (=  Treppengeländer).  Einem  Verstorbenen  ruft 
der  Pariser  Bummler  wehmütig  nach :  ü  est  claque  (auch  ü  a  claquS 
=  geplatzt),  ü  est  nettoyiy  fumiy  fricasse^  rinci,  ratihoisi,  oder 
Ü  est  cuity  il  est  frit,  ü  est  rasibus  (vgl.  tabula  rasa;);  den  engen 
Sarg  nennt  er  une  hotte  ä  dominos,  un  paletot  sans  manches^  was 
an  das  hölzerne  Röcklein  von  Fischart's  liebstem  Buhlen  erinnern 
mag.  Schillerisch  mutet  hinwiederum  das  barsche  son  compte 
est  rigli  an. 

Doch  sind  alle  diese  Argotismen  für  den  Nichteingeweihten 
auch  verständlich,  da  sie  zumeist  mit  dem  vorhandenen  Wortschatz 


Litterarhistoriker  Däsirä  Nisard)  völlig  unbekannt  geblieben  zu  sein. 
[Nisard,  C,  Ettde  sur  le  langage  populaire  ou  paiois  de  Paris  ei  de 
sa  banlieue,  pre'cddee  d^un  coup  aoeü  sur  le  commerce  de  la  France  au 
moyen  äge,  les  chemins  qu*il  suivait  et  Pinfluence  gu'il  a  du  avoir  sur  le 
langage.  In -8®.  Paris,  1872.  (7  fr.  50  c.)  —  Derselbe,  De  quelques 
^arisianismes  populaires,  et  autres  locutiotis  non  encore  ou  plus  ou  moins 
tmparfaitement  explique'es  des  XV  11^,  XVIII*  et  XIX'  siecles.  In-12^ 
Paris,  1876.    (8  fr.)] 


C.  Viäaite,  Fürisismen.  37 

in  eigenartiger  Weise  umgehen,  ähnlich  wie  das  englische  Slang 
den  Schirm  als  Pilz  bezeichnet,  den  rotröckigen  Soldaten  lohster^ 

—  der  französische  Infanterist  heisst  ecrevisse  de  rempart,  — 
das  Kindergeschrei  marriage-mimc  nnd  die  Redaktionsscheere 
nicht  steel'periy  sondern  anzüglich  steal-pen  nennt. 

Von  diesem  humoristischen  und  burschikosen  Argot  wäre 
das  streng  zu  scheiden  gewesen,  was  der  Engländer  Cant  nennt, 
das  Rotwälsch,  die  Sprache  der  professionsmässigen  Gauner  und 
Dirnen,  der  Rougk  und  der  Street  Ärabs,  der  iruands,  rifodSs, 
francs-müeux^  courtauds  de  houtanche  des  mittelalterlichen  Paris 

—  vgl.  V.  Hugo's  Notre-Dame  —  der  escarpesj  grinches  und 
camhrioleurs  der  heutigen  Weltstadt,  Dies  lichtscheue  und  un- 
heimliche Jargon  ist  den  Schwankungen  des  Alltagslebens  weniger 
unterworfen  und  besitzt  nur  wenige  Berührungspunkte  mit  der 
allgemein  verständlichen  Sprache.  So  viel  Ref.  beurteilen  kann, 
ist  es  mit  diesem  Zweige  des  Argot  bei  Villatte  besser  bestellt. 
Alle  Redensarten,  an  die  Ref.  aus  dem  Lesen  von  Kriminal- 
romanen und  aus  den  in  den  has-fonds  de  Paris^)  aufgefangenen 
Brocken  sich  erinnern  konnte,  finden  sich  thatsächlich  in  den 
Parisismen  verzeichnet.  Aber  ist  dies  wohl  die  Aufgabe  eines 
unter  dem  Titel  „Parisismen"  in  die  Welt  gehenden  und  für 
deutsche  Leser  bestimmten  Buches?  Allerdings  ist  nicht  zu  be- 
streiten, dass  das  eigentliche  Rotwälsch  der  Gauner  und  sonteneurs 
nicht  allein  in  Kriminalromanen  auftritt.  Die  müssigen  Köpfe 
der  Chat  ^ozV-Gesellschaft  —  auch  eine  Pariser  Spezialität  — 
leisten  sich  hin  und  wieder  in  ihrem  Vereinsblatt  Cbnfgedichte, 
um  zu  zeigen,  in  welcher  Gesellschaft  sie  verkehren.  Hier  als 
Probe  solcher  „poetischer"   Kraftmeyerei  das  angebliche  Sonett 


1)  Kulturhistorisch  und  sozialpolitisch  ist  ein  Rundgang  durch 
die  dem  allmählichen  Untergang  geweihten  Nebengässchen  der  Git6 
und  der  linksufrigen  Stadt  von  grösstem  Interesse  und  auch  ungeföhr- 
lich,  wenn  man  beherzt  und  mit  einem  kräftigen  Stock  versehen  ist. 
Stellenweise  ist  der  Charakter  der  alten  Cottr  des  Miracies  noch  er- 
kennbar. Die  krummen  Gässchen  hinter  dem  alten  Kloster  Saint-Möry 
(Rue  Brisemiche,  Rue  Taillepain,  Rue  de  Venise,  Rue  du  Renard  etc.), 
die  verrufenen  Seitenstrassen  des  Quartier  Latin  links  am  Eingang  des 
Bour  MicK  (Rue  Huchette,  Rue  Galande,  Rue  des  Anglaie,  Rue  du 
Chat  qui  pöche  etc.),  überhaupt  das  ganze  Stadtviertel  bei  der  Pktce 
Maubert,  wo  die  Zigarrenstummelbörse  früher  abgehalten  wurde,  die 
schmierige  BUnne  du  Phre  Luneite,  —  die  übrigens  der  Verlängerung 
der  Rue  Monge  zum  Opfer  fallen  soll,  —  die  Nachtherberge  zum  Chäieau 
Rouge  sind  Fundgruben  für  den  nach  Argotismen  jagenden  Lexiko- 
graphen, und  für  den  vom  tiefen  Elend  der  Menschheit  unserer  Gross» 
städte  noch  nicht  überzeugten  Sozialpolitiker.  In  wenigen  Jahren  sind 
diese  Geschwüre  am  Leibe  der  buntschillernden  französischen  Haupt- 
stadt gewaltsam  entfernt  —  par  la  pioche  du  dSmoUsseur, 


■ 


38  Referate  und  Rezensionen,    F.  Tendering, 

eines  jener  Träger  der  casquette  ä  irots  pantSj  die  man  in  Deutsch- 
land Louis  nennt: 

SONNET. 

Eh  hen!  fveux  gouaper,  moil  rturhin  c*est  pas  man  flanche; 
ET  brich  ton,  c*est  au  irepe,  et  fen  veux  mon  fad*,  na ! 
Tveux  fnir  Vassiette  att  beurre  ä  mon  tour,  pour  Nana 
Qui  nCpagnot'  dans  son  pieu,  sauf  la  sorgue  eV  dimanche, 

Qt^eü  fit  chez  un*  panache  au  coin  ed*  la  place  Blanche^) 
Ousgu'un  birbe  tres  vioc  ecUar*  tant  qu*il  en  a 
Pour  voir  ma  gösse  au  truc  avec  la  yotiir'  Dinah, 
ün*  menesse  ed^  la  haute  et  qui  s*en  paye  un*  tranche. 

Vlen/£mmn  Nana  rappUque,  aboulant  euT  poignon, 

CPqui  nCcarre  ed*  touf  la  rousse  et  des  vacKs  ä  Gragnon^ 

Qui  m*poiss*raient  pour  euFschlard  comme  un  d'la  dynamiie . . . 

Queu*  tourfs  que  ces  gonc*s-lä!  ^a  rCfait  qxCfoutimasser, 
(}a  rouspeie  et  qa  r'naud* . . .  Taut  au  lieur  ed*  masser, 
Qu^ga  sfass  donc  comrrC  mezigue:  e'cumeur  ed^  marmite. 

Aber  wer  liest  in  Deutschland  das  Blatt  le  Chat  Noirf 
Als  Käufer  der  Villatte'schen  Parvttsmen  denken  wir  uns  Leser 
der  naturalistischen  Romane  und  der  französischen  Tagesblätter. 
So  sehr  wir  demnach  die  eingehende  Berücksichtigung  des  Gauner- 
jargons anerkennen,  ebenso  stark  müssen  wir  die  Notwendigkeit 
betonen,  dass  künftige  Auflagen  der  Partsismen  eine  gründliche 
Umarbeitung  erfahren.^)  Was  Darmesteter  in  dem  hochinter- 
essanten Büchlein  La  vie  des  mots  (Paris,  1887.  Delagrave) 
für  die  Schriftsprache  in  grossen  Zügen  entworfen,  iässt  sich  auf 
dem  beschränkten  Gebiet  der  langue  verte  ziemlich  leicht  durch- 
führen. Denn  auch  die  ungezogenen  Rangen,  welche  nicht  daran 
denken,  jemals  bei  der  gestrengen  Grossmutter  Acad6mie  um  Auf- 
nahme ins  amtliche  Dictionnaire  zu  bitten,  beugen  sich  unwill- 
kürlich den  Gesetzen  des  enchatnement,  des  rayonnement  und  wie 
alle  semasiologische  Faktoren  heissen  mögen. 


1)  Hauptquartier  der  horizonteUes. 

^  Damaliger  Polizeipräfekt. 

B)  In  der  Besprechung  der  1.  Auflage  von  Yillatte*s  Parisismen 
hatte  Ref.  einen  milderen  Massstab  der  Beurteilung  anlegen  zu  müssen 
geglaubt,  der  ihm  von  berufenen  Kritikern  verübelt  worden  ist.  (Vgl. 
Zeitschrift  Bd.  V«,  209  ff.,  dazu  Koschwitz,  Bd.  VP,  45  ff.)  Bei  der 
zweiten  Auflage  darf  man  einem  anerkannt  tüchtigen  und  leistungs- 
fähigen Autor  schon  schärfer  auf  die  Finger  sehen. 

J.  Sarrazin. 


G,  Raithei,  Ober  den  Gebrauch  u.  die  begriffliche  Eniwickelung  etc.      39 

Raithel,  Greorg,  Über  den  Gebrauch  und  die  begriffliche  Eni- 
wickelung der  altfranzösischen  Präpositionen  sor^  desor 
(dedesorjj  ensor;  sus,  desus  (dedesusjj  ensus.  Programm 
der  Realschule  zu  Metz.     Metz,  1888.     45  8.  4^. 

Auf  Grund  umfangreicher  Lektüre  altfranzösischer  Texte 
der  verschiedensten  Litteraturgattungen  gibt  Raithel  eine  durch 
zahlreiche  Beispiele  belegte  Darstellung  des  Gebrauchs  und  der 
begrifflichen  Entwickelung  der  Präpositionen  sor  etc.  von  den 
ältesten  Denkmälern  bis  zu  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  unter 
Angabe  der  Zeit,  wann  eine  bestimmte  Art  der  Beziehung  dieser 
Präpositionen  zuerst  in  Anwendung  kommt. 

Es  ist  natürlich,  dass  „die  Einreihung  der  Fälle  in  die 
einzelnen  Kategorien  vielfach  von  der  subjektiven  Auffassung 
abhängt^  (8.  28).  Wenn  sich  auch  im  allgemeinen  deshalb 
darüber  nicht  rechten  lässt,  so  möge  doch  für  einige  wenige 
Fälle  eine  abweichende  Anschauung  dargelegt  werden. 

In  den  Beispielen  8.  9  ü  prent  le  pain  quant  ü  puet  sor 
la  table  etc.  kann  meines  Erachtens  zunächst  von  einer  Be- 
deutungsgleichheit der  Präposition  mit  desor  in  der  Bedeutung 
„von  (über  auf)  weg^  nicht  die  Rede  sein.  Eine  doppelte  Auf- 
fassung ist  möglich;  entweder  gehört  der  präpositionale  Ausdruck 
sor  la  table  zu  dem  Substantiv  le  pain^  oder  er  bezeichnet  den 
Gegenstand,  auf  welchem  eine  Thätigkeit  sich  vollzieht.  Ebenso 
bin  ich  geneigt,  auch  die  Beispiele  für  sus  und  desus  (ib.)  anzu- 
sehen, bei  denen  der  Verfasser  zum  Teil  auch  die  letztere  Mög- 
lichkeit zugibt. 

Wie  bei  den  meisten  in  §  10^*  aufgeführten  Ausdrücken 
scheint  mir  auch  in  s^arester  sor  qn,  (§  11^^)  und  avoir  envie 
sor  qn.  u.  a.  (§  IIb)  die  Präposition  nur  den  Begriff  des  Räum- 
lichen zum  Ausdruck  zu  bringen,  während  der  Begriff  des  Feind- 
seligen sich  erst  aus  dem  Zusammenhang  ergibt,  dies  erhellt 
auch  daraus,  dass  einerseits  s'arester  sor  sich  öfter,  wie  Raithel 
(ib.)  anführt,  ohne  die  Nebenbeziehung  der  Feindseligkeit  findet, 
sowie  dass  andererseits  sor  auch  bei  solchen  Ausdrücken  ein- 
tritt, welche  eine  freundliche  Gesinnung  bezeichnen.  Man  ver- 
gleiche das  Beispiel:  il  ne  me  piaist  mie  qü'ü  ait  seur  vous  mde 
cointie  §  12  c. 

Wie  Raithel  in  dem  Beispiele:  or  me  convient  prouver  sor 
lui  mon  vassdage  eine  doppelte  Deutung  zulässt,  indem  er  in 
§  10^  sor  gleich  „im  Kampfe  gegen^  setzt,  während  er  in  %  Ib^ 
die  Möglichkeit,  sor  im  Sinne  der  Macht,  Gewalt,  welche  Jemand 
über  eine  Person  oder  Sache  hat,  zu  fassen  zugibt,  so  möchte 
ich  in  allen  in  dem  betreffenden  Abschnitt  des  §  10^  aufgeführten 


40  Referate  und  Rezensionen.    F.  Tendering, 

Beispielen  sor  zur  BezeichnuDg  der  Überlegenheit,  des  Hervor- 
ragens  über  eine  Person  oder  Sache  annehmen  statt  des  ans 
dem  sor  znm  Ausdruck  der  feindlichen  Bewegung  oder  Thätig- 
keit  abgeleiteten  „im  Kampfe  gegen. '^ 

Für  die  Stelle  aus  Chart.  682  (§  8  Anm.)  d'un  grant 
peissun  marage^  ki  fu  fait  sure  mer  bleibe  ich  noch  bei  der 
Auffassung  »i/re  =  jenseits  stehen.  Der  an  sich  naheliegende 
Bedeutungsübergang  von  sor  =  „über  hinaus"  in  „jenseits*^ 
scheint  mir  doppelt  gerechtfertigt  in  Verbindung  mit  mer  über  die 
Höhe  des  Meeres  hinweg. 

Zum  Schluss  noch  ein  Wort  über  die  Stelle  puis  m'en  istrai 
ensus  demie  liue  large  (S.  39  u.)  S'en  aler  ensus  als  verstärktes 
s^en  aler  zu  betrachten  scheint  mir  nicht  zulässig.  Es  würde 
der  Bedeutungsentwickelung  von  ensus  nicht  widersprechen,  wenn 
man  es  als  „über  (das  Ziel)  hinaus"  fasste,  also  gleich  „weiter". 

Ich  möchte  von  der  Arbeit  Raithers  nicht  scheiden,  ohne 
ausdrücklich  volle  Befriedigung  über  die  feindurchdachte  Leistung 
des  Verfassers  zu  konstatieren,  welcher  ein  klares  Bild  von  dem 
Gebrauch  und  der  logischen  Entwickelung  der  Bedeutung  der 
behandelten  Präpositionen  vor  uns  entrollt.  Möge  die  in  Aussicht 
gestellte  Abhandlung  über  die  sämtlichen  französischen  Präpo- 
sitionen von  den  ältesten  Denkmälern  bis  auf  die  Gegenwart 
bald  folgen.  Von  Interesse  wäre  es,  wenn  der  Verfasser  dann 
auch  kurze  Andeutungen  über  den  Gebrauch  der  entsprechenden 
lateinischen  Präpositionen  beifügte.  F.  Tendering. 


W.  Schumann^  Übersicht  Über  die  französische  Formenlehre. 
Programm  des  Progymnasiums  zu  Trarbach  Das.,  1888. 
20  S.  4°. 

Die  Anstalt,  deren  Programm  die  obige  Abhandlung  beige- 
legt ist,  hat  die  Lehrbücher  von  Ploetz  jetzt  neu  eingeführt,  ge- 
wiss eine  Seltenheit  heutzutage.  Um  den  Schülern  „ein  Repeti- 
torium  an  die  Hand  zu  geben,  das  alles  enthält,  was  der  Gym- 
nasiast auf  dem  Gebiete  der  französischen  Formenlehre  wissen 
muss",  hat  Schumann  die  vorliegende  Zusammenstellung  gemacht. 
Im  wesentlichen  ist  dieselbe  nichts  anderes  als  ein  Auszug  aus 
Ploßtz,  nur  bezüglich  des  Verbums  unterscheidet  er  sich  etwas 
von  seiner  Vorlage,  insofern  die  Verben  auf  —  evoir  nicht  als 
regelmässige  3.  Konjugation  gezählt,  sondern  mit  den  übrigen 
auf  —  oir  als  unregelmässig,  nach  dem  Paradigma  rompre  gehend, 
zusammengestellt  werden.  Die  Auswahl  ist  nicht  ungeschickt, 
einzelne  Zusätze  scheinen  mehr  gemacht  zu  sein,  um  doch  Ploetz 


F.  Schmidt,  Französisches  Elementarbtich.  41 

nicht  gar  zu  trea  zu  folgen ;  so  die  Vermehrung  der  Substantive, 
deren  Geschlecht  von  dem  Lateinischen  abweicht.  Warum  gibt 
Schumann  hier  nicht  den  Akkusativ  als  lateinische  Grundlage 
an?  front  von  frontem^  cendre  von  cmerem  dürfte  dem  Schüler 
doch  auch  verständlicher  sein,  als  die  Herleitung  vom  Nominativ, 
ganz  abgesehen  von  der  historischen  Richtigkeit.  Die  Erklärung 
grammatischer  Erscheinungen  ist  auch  da,  wo  sie  von  Ploetz  ab- 
weicht, unvollkommen,  so  wenn  §  22  von  der  Ergänzung  einer 
Präposition  in  Beispielen  wie  timhre-poste  die  Rede  ist,  oder 
wenn  es  §  25  heisst:  „der  Genetiv  wird  gebildet  durch  Vor- 
setzen von  de  etc.^,  oder  endlich  §  42:  ;,einige  Adverbien  nehmen 
auf  das  weibliche  e  einen  accent  aigu.  Schumann  hat  versucht, 
Ploötz  zu  verbessern  durch  die  Regel:  (§  74.  1)  „die  stamm- 
betonten  Formen  des  Frisent  du  suhjonctif  werden  gebildet  wie 
die  dritte  Person  Pluralis  des  Indikativs  ...  die  en düng s betonten 
wie  die  erste  Person  Pluralis." 

Da  die  Schüler  nun  doch  den  PloBtz  in  der  Hand  haben, 
hätte  Schumann  seinen  Zweck  in  einfacherer  Weise  erreichen 
können,  wenn  er  dieselben  in  ihrem  Buche  das  zu  Erlernende 
oder  zu  Wiederholende  anstreichen  Hess.  Für  die  notwendige 
Orientierung  in  ihrer  neuen  Grammatik  wäre  das  jedenfalls  von 
Nutzen  gewesen.  F.  Tendebino. 


Schmidt,  Ferdinand,  Französisches  Elementarbuch.  Bielefeld 
und  Leipzig,  1888.  Velhagen  &  Klasing.  112  S.  8®. 
Preis:  1  M. 

Der  Grundsatz,  den  Schmidt  in  diesem  Buche  vertritt,  dass 
die  Methode  des  fremdsprachlichen  Unterrichts  von  der  Art,  in 
welcher  das  Kind  zur  Herrschaft  über  seine  Muttersprache  ge- 
langt, zu  lernen  habe,  ist  an  sich  gewiss  ein  berechtigter.  Es 
lässt  sich  aber  aus  diesem  Grundsatz  nicht  ableiten,  dass  aus 
dem  Anfangsunterricht  in  einer  fremden  Sprache,  da  das  Kind 
seine  Muttersprache  nur  durch  Nachahmung  erlernt,  jede  Re- 
flexion ferngehalten  werden  müsse,  und  dass  alles,  was  dem 
Kinde  gesagt  wird,  durch  die  sinnliche  Anschauung  oder  durch 
das  Bedürfnis  des  Lebens  in  Verbindung  stehen  müsse.  Wir 
haben  es  im  Unterricht  nicht  mit  unmündigen  Kindern  zu  thun, 
sondern  mit  etwa  zehnjährigen  Knaben,  deren  geistige  Bethäti- 
gung  durch  Reflexion  zu  entwickeln  ist;  das  muss  eine  der  Haupt- 
aufgaben des  erziehenden  Unterrichts  bleiben.  Auch  ist  es  eine 
Täuschung  zu  glauben,  der  Schüler  könne  durch  blosse  Nach- 
ahmung  zu   einem   Beherrschen    der  fi*6mden  Sprache   innerhalb 


42  Referate  und  Rezensionen.    H,  Kcerting, 

des  ihm  überlieferten  Stoffes  kommen,  denn  es  kann  ihm  in  der 
beschränkten  Zeit  des  Unterrichts  derselbe  Sprachstoff  nicht  in 
so  zahlreichen  Fällen  vorgeführt  werden,  dass  hierdurch  allein 
alle  Vokabeln  und  Formen  nebst  der  Art  der  Verbindung  unter 
einander  haften  blieben.  Es  bedarf  namentlich  für  die  meisten 
Formen  eines  besonderen,  oft  wiederholten  Hinweises  des  Lehrers 
und  schliesslich  einer  Zusammenfassung,  wie  sie  auch  der  Ver- 
fasser nach  der  Übersetzung  eines  in  der  That  recht  massen- 
haften Materials  eintreten  lässt.  Das  ist  doch  wieder  reflektie- 
rende Aneignung  der  Sprache,  verbunden  mit  unmittelbarer  und 
durch  sie  in  naturgemässer  Weise  unterstützt,  indem  die  An- 
schauung der  Reflexion  vorangeht. 

Nur  auf  dem  Wege  der  Nachahmung  die  praktischen  Ziele 
des  fremdsprachlichen  Unterrichts  erreichen  wollen  heisst  ab- 
sichtlich weite  Umwege  machen  und  alle  Richtwege,  welche  zu 
demselben  Ziele  führen,  unberücksichtigt  lassen  und  damit  später 
zum  Ziele  gelangen.  So  kann  denn  auch  der  Umfang  des  gram- 
matischen Wissens  eines  nach  dem  vorliegenden  Buche  ein  Jahr 
lang  unterrichteten  Realschülers,  also  nach  etwa  320  Stunden, 
nicht  als  ausreichend  betrachtet  werden,  da  er  nur  weniges  von 
der  Konjugation,  nämlich  die  er -Verben  und  avoir  und  eire  mit 
Ausschluss  des  Konditionalis  und  des  Subjonctivs  sich  angeeignet 
hat.  Den  Schüler  so  lange  bei  diesem  geringen  Material  festzu- 
halten, denn  auch  der  sonstige  grammatische  Stoff  ist  unbedeutend, 
erscheint  um  so  weniger  gerechtfertigt,  da  S.  ihn  nicht  durch  die 
Lektüre  zusammenhängender  Stücke  in  die  lebendige  Sprache 
einführt,  sondern  zum  grössten  Teile  nur  Einzelsätze  vorlegt,  die 
allerdings  sich  in  einer  Weise  aneinander  anschliessen,  dass  jede 
Lektion  doch  immer  wieder  ein  Ganzes  bildet.  Als  Ergebnis 
kann  aus  diesen  kaum  mehr  als  die  Kenntnis  einer  Anzahl  von 
Vokabeln  stammen. 

Das  Buch  enthält,  wie  nach  den  hier  erörterten  Grund- 
sätzen des  Verfassers  natürlich  ist,  keine  Übungsstoffe  zum  Über- 
setzen aus  dem  Deutschen.  Die  Einübung  des  gewonnenen 
Sprachstoffes  soll  durch  Diktate,  Sprechübungen,  Rückübersetzungen 
und  endlich  durch  freie  mündliche  und  schriftliche  Arbeiten  statt- 
finden. Es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  die  Schüler  bei  ge- 
nügender Vorbereitung  im  Unterricht  bald  imstande  sein  werden, 
einige  Gedanken  aus  dem  Gelesenen  in  französischer  Sprache  zu 
reproduzieren,  aber  der  Stoff  ist  doch  zu  spröde,  um  etwas 
anderes  zu  liefern  als  zusammenhanglose  Sätzchen.  Wirklich 
zusammenhängende  einfache  Geschichten  würden  sich  zu  einer 
Nacherzählung  besser  eignen. 

Die    methodische   Durchführung  der  Grundsätze    des    Ver- 


W,  Pludhun,  Parlons  fran^aus!    Quelques  remarques  pratiques  etc,     43 


fassers  in  dem  Anschauungsstoffe  verdient  nneingeschränktes  Lob. 
Der  Bchüler  wird  in  Gebiete  geführt,  die  seinem  Ideenkreise  nahe 
liegen,  nnd  es  werden  ihm  Sätze  vorgelegt,  die  wirklichen  Inhalt 
haben  und  die,  wie  schon  erwähnt,  sich  zu  einem  Ganzen  zu- 
sammenschliessen;  zusammenhängende  Erzählungen  treten  erst  in 
den  letzten  Lektionen,  bei  der  Einübung  des  Imperfekts  und  des 
historischen  Perfekts,  auf. 

Vorausgeschickt  sind  dem  Buche  Lauttabeilen,  mit  deren 
Hilfe  die  Laute  geübt  werden  sollen.  Eine  Lautschrift  hat  der 
Verfasser  nicht  beigefügt;  von  den  hierfür  angeführten  Gründen 
stimme  ich  namentlich  dem  bei,  dass  eine  neue  Schrift  ein  zehn- 
jähriges Eänd  verwirren  muss. 

Abgesehen  von  den  grundsätzlichen  Bedenken  stehen  wir 
nicht  an,  das  vorliegende  Elementarbuch  als  eine  recht  tüchtige 
Leistung  zu  bezeichnen;  der  Verfasser  hat  das,  was  er  gewollt, 
erreicht,  und  es  ist  nicht  zu  bezweifeln,  dass  in  der  Hand  eines 
eifrigen  Lehrers  das  Buch  sich  in  seiner  Art  bewähren  wird. 

F.  Tendebino. 


[Pludhan,  W. ,]  Parlons  fran^ais!  Quelques  remarques  pratiques 
dont  on  pourra  proJUer  en  Suisse  et  aiUeurs.  Gen6ve, 
1888.     Henri   Stapelmohr.     25  S.  8o.     Preis:    50  cent. 

Ein  nicht  eben  systematisch  angelegtes  und  tief  blickendes, 
aber  ein  nützliclies  und  teilweise  auch  recht  ergötzliches  Büch- 
lein, empfehlenswert  nicht  nar  für  solche,  die  sich  mit  den  Sünden 
eines  speziell  schweizerischen  Französisch  behaftet  fühlen,  oder 
die  bei  einem  Aufenthalte  in  der  französischen  Schweiz  die  Rede 
des  Volkes  verstehen  wollen,  sondern  für  alle  diejenigen,  die  als 
Ausländer  französisch  zu  reden  gezwungen  sind  und  sich  noch 
nicht  wider  jeden  Verstoss  gegen  den  Sprachgebrauch,  die  Aus- 
sprache u.  s.  f.  gefeit  wissen.  Verfasser  zeigt  zunächst,  wie  in 
der  Schweiz  und  wohl  auch  anderwärts  gelegentlich  „französisch^ 
gesprochen  wird^)  und  fordert  dann  alle,  denen  daran  liegt,  unter 
die  Gebildeten  gezählt  zu  werden,   dringlich  zur  Bekehrung  auf. 


^)  Des  fois  on  y  va,  mon  cousin  et  moi;   on  y  a  äie  souvent. 

C*esi  quand  m^rne  tr^s  dommage:  c^eimt  bien  tentatif. 

Je  lui  ai  cause  —  depiiis  mon  jardm,  je  m*en  rappeUe, 

fai  rencontre  des  beaux  equipages,  mais  dans  cette  longue  lign^e 
de  ooiiures,  je  n'ai  personne  vu  de  connaissance. 

Viens  d'abord,  viens  t'aider.  Je  favais  du  de  venir  de  snite. 
Jules  rCesi  pas  encore  lein.    Allez  porter  ce  paquei  las  deux. 

Si  au  Ueu  de  laisser  tratner  les  affaires,  tu  les  r^duisais,  si  tu  les 
soignais  dans  ta  commode  ou  les  crochais  dans  ton  armoire,  tu  n*aurais 
pas  besoin  de  les  faire  ranger  si  souvent. 


44  Referate  und  Rezensionen.    H.  Kceriing, 

Sechszehn  Seiten  lang  werden  den  fehlerhaften  Wendungen  (Ne 
cUtes  paa!)  die  korrekten  (Dites!)  gegenübergestellt,  bisweilen 
mit  einer  knappen,  dem  Laienverstande  angemessenen  Begründung. 
Verf.  hat  eine  Anordnung  versucht,  indem  er  eine  Klassifikation 
in  Erreurs  de  verbes,  Erreurs  de  prepositions,  Erreurs  d^adverbeSy 
Erreurs  de  noms,  d^adjectifs  et  de  pronoms  und  Erreurs  diverses 
vornimmt,  aber  sehr  vieles  steht  augenscheinlich  am  unrichtigen 
Platze,  und  überhaupt  erweist  sich  die  Einteilung  nicht  nur  als 
wissenschaftlich  ungenügend,  sondern  auch  als  in  praktischer 
Hinsicht  mangelhaft  Es  waren  zunächst  wohl  diejenigen  Fälle  zu- 
sammenzustellen, in  denen  die  Rede  der  minder  Gebildeten  weniger 
gegen  die  französische  Sprache,  als  gegen  die  jeder  Sprache  zu 
gründe  liegende  Logik  verstösst,  wie  z.  B.:  lehnt  est  remplij  dans 
le  but  de  . .  ,y  traverser  le  pont,  iL  ressemhle  ä  X.  comme  deitx  gouttes 
d^eaUy  geler  de  froid,  marcher  ä  pied  u.  s.  f. ;  dann  Verschmelzung 
zweier  richtiger  Redensarten  zu  einer  falschen:  la  conduite  qu'ü  a 
men6e  aus  la  condmte  qu*ü  a  tenue  und  la  vie  qv!ü  a  menie; 
donner  une  confirence  aus  douTier  des  legons  und  faire  une  con- 
fSrence;  un  mot  de  hület  aus  un  mot  d^ecrit  und  un  bout  de 
billet,  etc.  Femer:  falsche  Analogien;  z.  B.  je  m'en  rappelle 
nach  je  m'en  satwiens,  je  lui  ai  causi  nach  je  lui  ai  parli;  partir 
ä,  bezw.  en,  nach  dem  so  konstruierten  aUer;  u.  ä.  m.  Weiterhin: 
Vertauschung  begriffsverwandter  Worte,  namentlich  Verba :  je  de- 
stre  m'^viter  cette  peine  für  m'^pargner;  ü  s'ennuie  aprls  son 
frlre  u.  s.  w.  Daran  würden  sich  offenbare,  vom  Verf.  häufig 
verkannte,  Qermanismen  zu  schliessen  haben;  z.  B.:  la  tache  est 
loin  (der  Fleck  ist  weg,  =  a  disparu),  ü  a  marii  une  instäu- 
tricey  choisir  une  vocation,  friquenter  Vuniversiti,  fixer  qn.,  le  thd 
est  iiri  (hat  gezogen),  ü  brüle  ä  Y,,  ü  reste  devoir  (er  bleibt 
schuldig),  contre  la  fin  du  moiSy  saluer  avec  la  main,  venez-vous 
aveef,  une  masse  d^enfants,  impossible  de  trouver  quelque  chose 
de  bon.  Auch  einige  Italianismen  wären  zu  verzeichnen  (la  bonne- 
main  [Trinkgeld],  la  banque  /=  le  comptoir]).  Fernerhin  syn- 
taktische Verstösse:  solche  gegen  die  Tempus-  und  Moduslehre, 
Simplex    des  Verbs   für  das  Kompositum   und  das    umgekehrte, 


Voire  chambre  est  crue,  ü  fait  bon  chaud  ici.  Resiez  seulemeat 
avec  nous  ;  vous  ne  voulez  pas  nous  deranger, 

J)u  momeni  oü  vous  tenez  ä  une  banne  piece,  je  ne  connais  per- 
sonne  d'autre  que  je  puisse  mieux  vous  recommander ;  ü  est  exceseive- 
uient  fori  enr  sa  pariie,  et  ü  travaiUe  träs  bon  march^.  Maiheureuse- 
ment,  eiani  ä.  court  ä^argeni  cee  jours,  il  a  tout  liquid^  ses  montres 
comme  celle-ci,  mais  qu'esi-ce  qui  empiche  qu^il  vous  en  etahlisse  une  la 
m^me  chose?  Malgrä  qu'il  est  ires  occupe,  Je  suis  sür  que  vous  Cawrez 
encore  assez  viie,  et  comme  de  juste,  vous  ne  la  paierez  qu^ apres 
livraison. 


fF.  Pludhun,  Pixrlons  fran^ais.    Quelques  remarques  praÜques  etc.      45 

Reflexiya  für  einfache  Verba  (ein  sehr  hSafiger  Fall),  der  Transi- 
tiva  für  die  Intransitiva  —  beides  wieder  auch  umgekehrt  — , 
unrichtige  Verwendung  der  Hilfsverba.  £inen  Unterschied  hätte 
übrigens  Verf.  machen  sollen  zwischen  wirklichen  Fehlern  und 
entschieden  berechtigten  dialektischen  Ausdrücken.  So  sind 
ja  gewiss  falsch:  pc^sionner  le  jeu  f=  aimer  pcLSstonnSment), 
Vaffaire  est  houclh  für  bäclie,  se  revanger  ftlr  se  revancher,  des 
carrons  für  des  carreaux,  tuüih'e  für  hdleriej  aber  gute,  freilich 
eben  nur  landesübliche  Worte  und  Wendungen  sind  doch  z.  B. 
sucler  =  roussir  (la  barbe),  SmoustiUer  =  exctter,  affaner  (de 
Vargent),  bisquer,  jicler^  mailler ^  die  interessanten  Komposita  eu 
pondre:  appondre  (une  corde  =  attacher),  dipondre  (sa  robe  = 
se  deskabüler)\  greuler  un  arbrcy  greuler  de  froidy  Mole  (==  bou- 
leau),  une  paume  de  neige.  Nicht  unrichtig,  sondern  lediglich 
veraltet  sind  z.  B. :  le  fils  d  . . . ,  tomber  ä  bouchan  (von  boucke)^ 
fruit  mal  mür  u.  ä.  m. 

Für  deutsche  Leser  des  Werkchens  wertvoll  dürften  auch  die 
Remarques  sur  la  prononciation  S.  17  ff.  sein,  obschon  allerdings 
des  Verf. 's  Angaben  ganz  elementar  vorgetragen  werden  und  eine 
lautphysiologische  Schulung  vermissen  lassen.  Ref.  scheinen  na- 
mentlich die  folgenden  Behauptungen  richtig  zu  sein  und  doch  von 
französisch  sprechenden  Deutschen  nicht  immer  beachtet  zu  werden: 
1)  in  Formen  des  Konj.  Impf.,  wie  ü  aUdt,  il  füy  ü  regüt,  und  des 
Perf.,  wie  nous  allämes,  vous  alldtes,  nousftmes,  vous  re^tes  sind 
die  mit  dem  ""  versehenen  Vokale  dennoch  nicht  lang;  2)  nation, 
Station,  ovation  und  andere  auf  -ation  haben  langes  (geschlossenes)  a. 
3)  Lang  (geschlossen)  ist  a  auch  vor  ss:  passer,  passion,  lasser, 
casser,  tasse  wie  päcer,  pädon  u.  s.  w.  (Ausnahmen :  chässe,  mässe 
und  deren  Ableitungen).  4)  a  lang  (geschlossen)  in  Marianne  [das 
zweite  a],  baron,  carri,  m^nne,  gagner,  il  bat,  acdame'^  Sachs  ver- 
zeichnet nur  halblanges  a.  Nicht  jedem  dürfte  auch  geläufig  sein, 
dass  man  appendice  =  appindice  spricht;  dass  Europe,  Eughne 
==  Urope,  üghie  veraltet  sind;  dass  hdpital  kurzes  (offenes)  o, 
groseille  z.B.  dagegen  langes  (geschlossenes)  o  hat,  ebenso /o««e, 
fossoyer;  dass  ineocpugnable  mit  gutturaler  Media  und  nicht  n 
gesprochen  wird;  Machiavel  mit  A;,  dagegen  maehiavüisme  mit 
dem  Zischlaute;  dass  in  impromptu  das  zweite  p  hörbar,  in  asüims 
tk  stumm  ist;  dass  Xerxes  und  Xir^s  verschieden  anlauten;  dass 
mark  ebenso  wie  marc  (Kaffeesatz)  stummen  Guttaral  hat, 
Madrid  und  salut  stummen  auslautenden  Dental;  dass  quidam 
gleich  Adam  auf  nasales  a  ausgeht,  dass  in  susdit  s  hörbar  ist, 
und  von  respect,  aspect,  suspect  nicht  -t,  sondern  der  Guttural 
übergezogen  wird.  H.  KosBTiNa. 


46  Referate  und  Rezensionen,    F,  Homemann, 

Rothfaclis ,  Julius,  Vom  Übersetzen  in  das  Deutsche  und  von 
manchem  andern.  Programm  [No.  333]  des  evangelischen 
Gymnasiums  in  Gütersloh.     Das.,  1887.     4^  36  S. 

Ein  köstliches  „Geständnis  aus  der  didaktischen  Praxis^, 
kurz,  aber  sehr  inhaltreich,  geistvoll,  klar  und  treffend  wie 
Jäger's  Testament. 

Der  Kern  der  vonRothfncbs  entwickelten  Übersetzungsmethode 
liegt  in  dem  Satze:  „Jedes  mündliche  und  schriftliche  ^zVi- 
übersetzen  soll  von  gutem  Deutsch  ausgehen,  und  —  was 
noch  ungleich  wichtiger  ist —  jedes  mündliche  und  schrift- 
liche ITerübersetzen  soll  zu  gutem  Deutsch  gelangen."^) 

Beim  ersten  Übersetzen  (Yorübersetzen)  liest  zuerst  der 
Lehrer  selbst  den  fremdsprachlichen  Text  (auch  des  Prosaikers) 
vor;  dann  übersetzt  der  Schüler  unter  dem  Schweigen  des 
Lehrers  und  der  Klasse.  Nur  wenn  er  stockt,  hilft  ihm  der 
Lehrer  (oder  lässt  ihm  helfen),  aber  nicht  durch  Vorsagen  des 
Richtigen,  sondern  zunächst  nur  durch  die  Frage  nach  dem 
Grunde  seiner  Verlegenheit.  Häufig  genügt  dann  die  Er- 
laubnis,  die  schwierigen  Worte  zunächst  wegzulassen  (vergL 
S.  20,  Anm.^));  andernfalls  muss  auf  die  Konstruktion  des 
Satzes  zurückgegangen  werden.  Von  den  vier  Regeln,  welche 
Rothfuchs  dafür  S.  19  gibt,  ist  die  zweite  freilich  nicht  ohne 
Bedenken ;  denn  das  Interrogativ-,  ja  selbst  das  Relativ-Pronomen 
kann  auch  an  der  Spitze  eines  Hauptsatzes  stehen,  und  nicht 
jede  Konjunktion  ist  eine  unterordnende. 

Nach  Beendigung  des  Vorübersetzens  gibt  es  noch  vieles 
zu  verbessern  und  zu  erläutern.  Dabei  sollen  die  Schüler 
möglichst  selbst  arbeiten,  indem  der  Lehrer  ihnen  durch  Dar- 
bietung von  Apperzeptions-Stützen  und  -Leuchten  hilft. 

Sind  dann  die  Gedanken  des  Schriftstellers  zu  klarer  Er- 
kenntnis gebracht,  so  ist  der  deutsche  Ausdruck  festzustellen: 
aus  der  wortgetreuen  Übersetzung  muss  eine  sinngetreue  Ver- 
deutschung hervorgehen.  Endlich  liest  der  Lehrer  am  Schluss 
der  Stunde  die  Musterübersetzung  unter  dem  Lauschen,  aber  nicht 
unter  dem  Nachschreiben  der  Klasse  noch  einmal  vor. 


1)  Dadurch  sollen  die  Schädigungen  vermieden  werden,  welche 
der  deutsche  A-usdruck  durch  den  üblichen  Betrieb  des  fremdsprach- 
lichen Unterrichts  oft  erleidet.  Welche  dies  sind,  sagt  Rothfuchs  S.  22 
Anm.^.  Aber  es  gibt  noch  eine  von  ihm  nicht  angeführte  Schädigung, 
gegen  die  er  auch  in  seiner  eigenen  Schreibweise  wohl  etwas  strenger 
sein  könnte:  die  Entstellung  des  deutschen  Ausdrucks  durch  über- 
flüssige Fremdwörter.  Ist  es  z.  B.  wirklich  schön  oder  notwendig,  von 
dem  „codex  einer  bis  ins  Detail  fixierten  Methode"  zu  sprechen, 
wie  S.  14  geschieht? 


/.  Rothfuchs,  Vom  Übersetzen  in  das  Deutsche  etc.  47 

Ist  80  die  erste  Übersetzung  eines  Abschnittes,  der  inhalt- 
lich eine  Einheit  bildet,  in  einer  oder  wenn  nötig  in  mehreren 
Stunden  beendigt,  so  lasse  man  den  Inhalt  mündlich  wiedergeben 
und  den  Gedankengang  in  seinen  Hauptpunkten  entwickeln.  Zu- 
letzt mögen  Konzentrationsfragen  zeigen,  ob  der  Inhalt  des  Ge- 
lesenen auch  geistig  aufgenommen  ist. 

In  der  nächsten  Stunde  folgt  dann  das  zweite  Über- 
setzen (Nachübersetzen).  Dieses  geschieht  ex  cathedra,  der 
Schüler  liest  den  Text  jetzt  selbst  vor,  jeder  Fehler  wird  ein- 
fach berichtigt,  auch  nach  dem  beim  ersten  Übersetzen  Erklärten 
wird  kurz  gefragt. 

Endlich  nach  Erledigung  grösserer  Teile,  ganzer  Reden, 
Tragödien,  Dialoge  usw.  tritt  das  dritte  Übersetzen  (die 
Generalrepetition)  ein.  Dieses  soll  nicht  hastig,  aber  sicher  und 
schnell  (120 — 200  Zeilen  Teubnerschen  Textes  jede  Stunde)  ge- 
schehen. Erklärt  wird  gar  nichts  mehr;  die  Klasse  soll  „ge- 
messen wie  einer,  der  eine  schöne  Gegend  wiedersieht^.  Jetzt 
mag  man,  wenn  man  will,  zum  Schlüsse  auch  eine  eingehendere 
Einleitung  in  das  gelesene  Schriftwerk  geben,  die  vor  der  Lektüre 
doch  nicht  verstanden  wäre;  jetzt  soll  die  Anordnung  und  der 
Gedankengang  des  Ganzen  in  seinen  Hauptzügen  entwickelt  und 
eine  ästhetische  Gesamtwürdigung  gegeben  werden;  jetzt  (nicht 
früher)  mag  man  auch  eine  weitere  Durcharbeitung  zur  Erregung 
des  vielseitigen  Interesses  versuchen.  Namentlich  mag  jetzt  ein 
„warmes  Wort"  auch  das  ethische  Interesse  erwecken,  aber  hier 
besonders:  stt  modus  in  rebus,  sint  certi  denique  fines! 

Das  sind  die  Grundzüge,  gleichsam  das  Gerippe  von  Roth- 
fuchs' Schrift  —  leider  der  Kürze  halber  nur  allzu  vollständig 
von  dem  Fleische  und  Blute  entkleidet!  Rothfuchs  gibt  sein 
Verfahren  nur  als  eines  von  vielen  möglichen;  meines  Erachtens 
erfüllt  es  die  Zwecke  des  Herübersetzens  so  vollständig,  dass  es 
wenigstens  in  der  altsprachlichen  Lektüre  stets  angewandt  werden 
sollte.  Nur  ein,  allerdings  nicht  unwichtiger  Funkt  scheint  mir 
vernachlässigt.  Soll  die  Eingewöhnung  in  die  Formen  der 
Fremdsprache  nur  durch  das  Übersetzen  aus  dem  Deutschen 
und  den  grammatischen  Unterricht  erfolgen?  Hat  nicht  vielmehr 
auch  die  Lektürestunde  dazu  mitzuwirken,  und  wie?  Ich  glaube, 
dass  Rückübersetzungen,  fremdsprachliche  Fragen  und  Antworten 
über  den  Inhalt  des  Gelesenen,  Zusammenfassungen  desselben  in 
der  fremden  Sprache  an  die  Lektüre  angelehnt  werden  sollten. 
Im  Lateinischen  wären  sie  besonders  in  den  unteren  Klassen 
förderlich,  um  die  rechte  Grundlage  für  die  Übersetzungen  aus 
dem  Deutschen  zu  gewinnen  (Perthes  empfiehlt  sie  in  Quinta);  in 
den   neueren   Sprachen   müssten    sie   bis    zur  Prima   hinauf  ge- 


48  Referate  und  Rezensionen,    F.  Hornemann, 

pflegt  werden )  als  Vorttbungen  für  freie  Arbeiten  und  für 
etwaiges  späteres  Sprechenlemen.  Sie  könnten  nach  Beendigung 
jeder  kleineren  Einheit,  also  in  der  Regel  am  Ende  jeder  Stunde 
eintreten,  beziehungsweise  einen  Teil  der  Besprechung  des  Inhalt 
ersetzen. 

Aber  Rothfuchs  verbindet  nut  der  Darlegung  seiner  Ge- 
danken über  das  Herübersetzen  besonders  in  den  Anmerkungen 
noch  ,, manches  andere^,  was  ^vielleicht  weiter  vom^  Thema  ab, 
aber  dem  Herzen  desto  näher,  liegt.  ^  Einiges  davon  hängt  mit 
der  Hauptaufgabe  seiner  Schrift  noch  ziemlich  eng  zusammen; 
so  die  trefflichen  Bemerkungen  über  das  Vokabellernen  und  den 
Wert  des  Etymologisierens  (S.  15  Anm.^)),  sowie  der  Vorschlag, 
in  Prima  aus  leichten,  früher  schon  gelesenen  Schriftstellern 
grössere  Abschnitte  kursorisch  lesen  zu  lassen  (S.  33  Anm.^)^). 
Anderes  dagegen  hat  viel  allgemeinere  Bedeutung. 

Nach  Rothfuchs  ist  der  Zweck  der  Erziehung  die  Ent- 
Wickelung  der  geistigen  Kräfte  zu  freier  Bethätigung.  In  Prima 
soll  daher  das  Motiv  des  wissenschaftlichen  Interesses  vorherrschen; 
in  den  anderen  Klassen  suche  der  Lehrer  zwar  auch  Interesse 
zu  erregen,  lasse  aber  hinter  demselben  mehr  oder  weniger  deut- 
lich das  „Glück  des  Müssens'^  stehen  (S.  14  Anm.^)).  Bei 
schwierigen  Stellen  bemerke  er  schon  im  voraus,  dass  die  Lösung 
nicht  verlangt  werde.  Gerade  dann  setzen  manche  Schüler  be- 
sonders gern  ihre  ganze  Kraft  daran,  sie  zu  finden  (S.  15). 
S.  16  Anm.*)  gibt  Rothfuchs  weitere  vortreffliche  Bemerkungen 
über  die  Hanptbebel  zur  Erregung  freier  Auftnerksamkeit. 

Auch  die  Persönlichkeit  des  Lehrers  soll  sich  im 
Unterricht  frei  entfalten  können.  „Man  soll  den  Geist 
der  Pädagogik  nicht  dämpfen  durch  den  codex  einer  bis  ins 
Detail  fixierten  Methode^.  „Fremde  Erfahrung  nützt,  doch  nur, 
wenn  sie  sich  in  der  eigenen  erprobt.^  Für  den  angehenden 
Lehrer  ist  Anleitung  zu  einer  Methode  „geradezu  nötigt,  aber 
sie  muss  praktisch  und  so  weitherzig  sein,  dass  sie  die  Persön- 
lichkeit nicht  fesselt  (S.  13  Anm.^)  und  S.  14). 

Der  Didaktik  Herbart's  gegenüber  teilt  Rothfuchs  den 
freieren  Standpunkt  Frick's  (S.  28  Anm.^);  vergl.  auch  S.  7 
Anm.^)).  Mit  den  Herbartianern  bezeichnet  er  Erziehung  als  die 
Aufgabe  der  Schule;  seine  allgemeine  Äusserung  über  die 
Methode  des  Herübersetzens  S.  12  f.  zeigt  ebenfalls,  wie  nahe 
er  Herbart  steht;  auch  die  Herbart-Ziller-Stoysche  Didaktik  findet 
er  förderlich,  wenn  der  Lehrer  sich  von  ihr  anregen,  aber  nicht 


1)  Vergl.  den  ähnlichen  Vorschlag  Heussner's  für  das  Lateinische, 
Schriften  des  Deutschen  Einheiisschulvereins  Heft  4,  S.  73  und  74. 


/.  Roikfuchs,  Vom  Übersetzen  in  das  Deutsche  etc.  49 

fesseln  lässt  (S.  32).  £r  richtet  sich  gegen  alle  Künstelei  mit 
Fonnalstufen-  und  Interessen-Didaktik  (§  32 — 35),  aber  —  wie 
oben  bemerkt  —  an  ihrer  rechten  Stelle  verwertet  er  auch  diese. 
Indem  er  den  Grundsatz  hervorhebt,  dass  Sprachunterricht  zu- 
gleich Sachunterricht  sei,  fordert  er  doch  Masshaltung  in  Sach- 
erklärungen ;  denn  das  übersetzen  ist  und  bleibt  in  der  Lektüre- 
stunde  die  Hauptsache. 

So  steht  Rothfuchs  in  den  didaktischen  Tagesfragen  frei 
über  den  Parteien ;  dasselbe  ist  auch  der  Fall  in  der  Frage  der 
Schulreform.  Warm  tritt  er  für  den  Wert  der  klassischen 
Sprachen  ein  (§  14  —  15);  er  verteidigt  die  Grammatik,  welche 
„ihre  Anfeindung  mit  Ehren,  trage",  und  fordert  nicht  allein 
grammatisch  genaue  Erklärung  der  Schriftsteller,  sondern  gibt 
ihr  auch  besondere  Stunden,  wo  sie  „Herrin  sein  soll".  Vergl. 
S.  25  Anm.2),  S.  27  Anm.*),  S.  21  und  Anm.^).  Vermehrung 
der  Lehrstunden  für  das  Deutsche  fordert  er  nicht,  aber  seine 
ganze  Schrift  wird  beherrscht  von  dem  Gedanken,  den  fremd- 
sprachlichen Unterricht  für  die  Hebung  der  Sprachkraft  in  der 
Muttersprache  fruchtbar  zu  machen.  Auch  S.  30  Anm.^)  ist  für 
diesen  Zweck  wichtig.  Doch  erwartet  Rothfuchs  von  der  Ent- 
Wickelung  der  Sprachkraft  noch  eine  tiefere  Wirkung.  „Der 
Mensch '^,  sagt  er,  „bildet  den  Stil,  aber  auch  der  Stil  den 
Menschen. '^  Das  heisst  doch  wohl:  Durch  den  Stil  influiert 
etwas  von  dem  fremden  Wesen  in  das  eigene  herüber,  prägt 
sich  etwas  von  jenem  dem  eigenen  auf.  So  präge  sich  denn 
vom  Wesen  der  klassischen  Litteratur  der  Alten  derjenige  Cha- 
rakter dem  deutschen  auf,  den  unsere  beiden  grossen  Dichter- 
heroen uns  raten  in  dem  Worte,  welches  wir  unserem  Geständnis 
als  Motto^)  an  die  Stirn  geschrieben:  Römische  Kraft  und 
griechische  Schönheit!"  Dies  ist  der  ideale  Zweck,  dem 
Rothfuchs'  Methode  dienen  soll;  darum  fordert  er,  dass  der 
fremde  Schriftsteller  nicht  bloss  wortgetreu  übersetzt,  sondern 
durch  wirkliche  Verdeutschung  ganz  in  den  deutschen  Geist 
hintibergeführt  werden  soll.  Freilich  muss  Rothfuchs  vom  Lehrer 
hervorragende  Übersetzungskunst  verlangen,  um  dies  Ziel  er- 
reichen zu  können.  Homer  soll  naiv  und  lieblich  übersetzt 
werden,  Herodot  einfach  und  treuherzig,  Demosthenes  feurig  und 
und  patriotisch,  Sophokles  erhaben  und  geistvoll,  Tacitus  ernst 
und  scharf,  bisweilen  bitter,  Horaz  lebensvoll  und  heiter,  Cäsar 
sachlich  und  gehaltvoll,  Plato  ideal  und  tief,  alle  aber  kraftvoll 
und   masBvoll.     Dies   zu  leisten,   ist   die   schwerste,    aber  auch 


^)  Ringe,  Leutscher,  nach  römischer  Kraft  und  griechischer  Schönheit! 
Beides  gelang  Dir,  doch  nie  glückte  der  gallische  Sprung, 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  n.  Litt.    XI^.  a 


50  Referate  und  Rezensionen,    F,  Homemann, 

BohöBste  Aufgabe;  welche  RothfuchB  uns  Schulmännern  in  vor- 
liegender Schrift  stellt;  vermögen  wir  sie  zu  erfüllen,  so  werden 
wir  auch  jenen  hohen  Zweck  verwirklichen  können. 

Wer  die  Bedeutung  der  SchriftstellerlektUre  so  tief  und 
ideal  auffasst,  kann  kein  Freund  des  modernen  Utilitarismus  sein. 
Rothfuchs  tadelt  die  Sprachroutiniers,  welche  von  unsern  Schulen 
Leistungen  fordern,  in  denen  uns  die  Kellner  doch  über  sind, 
und  verweist  auch  die  Aneignung  der  Vorkenntnisse  für  das 
Fachstudium  —  besonders  das  medizinische  und  naturwissen- 
schaftliche —  auf  die  Universität  (§15  mit  Anm.^)  und  ^)).  Die 
Schule  soll  nur  „die  Tüchtigkeit  verbürgen,  sich  weiter  bilden 
und  ein  Fachstudium  beginnen  zu  gönnen. "" 

Aber  wenn  er  so  den  eifrigen  Schulreform ern  gewiss  viel 
zu  sehr  am  Alten  zu  hängen  scheint,  freut  er  sich  andererseits 
über  Fortschritte,  „  welche  neues  Gute  erstreben,  ohne  altes  Gute 
preiszugeben^  (S.  32  Anm.^)).  Gerade  in  den  beiden  Punkten, 
welche  auch  ich  als  die  wichtigsten  betrachte,  scheint  er  eine 
Weiterentwickelnng  des  Gymnasiums  zu  wünschen.  Er  mahnt, 
das  Gymnasium  möge  in  der  Pflege  des  Beobachtens  ja  nicht 
zu  weit  hinter  dem  Realgymnasium  zurückbleiben,  und  er  schätzt 
in  besonderem  Masse  das  Griechische  als  ideales  Bildnngs- 
mittel.  Ganz  besonders  von  dem  Werte  der  griechischen 
Litteratur^)  soll  der  Schüler  einen  bleibenden  Eindruck  ge- 
winnen; und  der  Vergleich^  welcher  S.  31  Anm.^)  zwischen  Cicero 
und  Demosthenes  inbezug  auf  den  Gehalt  ihrer  Reden  angestellt 
wird,  fällt  sehr  zu  gunsten^des  Griechen  aus.  Würde  Rothfuchs 
nicht  vielleicht  zustimmen,  wenn  man  behauptete,  der  Bildungs- 
wert des  Lateinischen  liege  vorzugsweise  in  den  unteren  und 
mittleren  Klassen,  während  es  in  den  oberen  Klassen  etwas 
verkürzt  werden  könnte?  Hat  er  doch  schon  früher  seine  Mei- 
nung dahin  erklärt,  man  könne  den  lateinischen  Aufsatz 
schenken.  (Zur  Methodik  des  altsprachlichen  Unterrichts,  2.  Aufl., 
S.  44  mit  Anm.) 

Doch  hierüber  wie  über  manche  andere  Fragen  enthält  die 
vorliegende  Schrift  höchstens  Andeutungen;  möge  Rothfuchs  das, 
was  dem  diesmaligen  Thema  femer,  aber  seinem  Herzen  desto 
näher  liegt,  in  einem  weiteren  Geständnis  aus  den  Anmerkungen 
entfernen  und  in  vollerer  Darstellung  als  Hauptaufgabe  behandeln  1 
Er  würde  sich  den  Dank  der  pädagogischen  Welt  verdienen  und 
dazu  mitwirken  können,  die  Reformbewegung  auf  dem  Gebiete 
des  Schulwesens  in  die  richtigen  Bahnen  zu  leiten. 

^)  Über  deren  Auswahl  S.  28  Anm.*)  ausführlicher  gesprochen  wird. 

F.    HOSNEMANN. 


Engtich^  Die  französische  Grammatik  am  Gymnasium,  51 

Englich,  Die  französische  Grammatik  am  Ghymnasium,  Progrmmm 
[No.  28]  des  Eönigl.  GymnasianiB  in  Danzig.  Das.;  1886. 
42  S.  40. 

Diese  Schrift,  die  aas  langjähriger  und  vielseitiger  Unter- 
richtserfahmng  hervorgegangen  ist,  hat  vor  allem  den  Zweck, 
nachzuweisen,  dass  und  in  welchen  Punkten  unsere  fran- 
zösischen Schulgrammatiken  am  Gymnasium  gekürzt 
werden  müssen.  Gerade  die  besten  derselben,  wie  die  Lücking's, 
Flattner's,  Knebel  -  Probst's,  bieten  viel  mehr,  als  in  der  dem 
Französischen  gewidmeten  Zeit  durchgenommen  werden  kann« 
Di^  sogenannten  Normalgrammatiken  aber  sind  aus  verschiedenen 
Gründen  zu  verwerfen,  darunter  auch  —  was  Englich  nicht  an- 
führt —  deshalb,  weil  sie  die  dem  Schüler  so  förderliche  Über- 
sichtlichkeit kurzer,  auf  das  Notwendige  beschränkter  Auszüge 
aus  der  Grammatik  nie  erreichen  können.  Allerdings  bieten 
xPlcetz'  Lehrbücher  eine  praktischere  Auswahl  des  Stoffes,  aber 
„der  Weg,  den  er  uns  führt,  ist  ein  zu  praktischer  und  zu  sehr 
zuHÜliger,  ein  solcher,  welcher  das  Ziel  des  Gymnasiums,  allge- 
meine Bildung  zu  geben,  zu  wenig  berücksichtigt  und  deswegen 
in  dem  Schüler  das  Bewusstsein,  nach  einem  bestimmten  Ziele 
geleitet  zu  werden,  überhaupt  nicht  erwachen  lässt.'^  So  bleibt 
also  nur  das  Mittel,  Grammatiken  wie  die  Lücking's  oder  Knebel- 
Probst's  zu  verkürzen.  Da  Englich  nach  letzterer  unterrichtet, 
so  schliesst  er  seine  Vorschläge  an  diese  an  und  zeigt,  indem 
er  sie  Abschnitt  für  Abschnitt  durchmustert,  dass  sie  durch 
Ausmerzung  des  Überflüssigen,  knappere  Fassung  der  Regeln  und 
Überweisung  zahlreicher  Einzelheiten  an  die  Lektürestunde  — 
denn  was  in  der  besonderen  Grammatikstunde  einzuüben 
ist,  will  Englich  feststellen  —  „mindestens  um  die  Hälfte  redu- 
ziert  werden  kann.«  Man  wird  seinen  Auslassungen  durchweg 
zustimmen,  ja,  wenn  ich  nicht  irre,  noch  beträchtlich  weiter  in 
den  Kürzungen  gehen  können  als  er. 

Aber  Englich  beschränkt  nicht  allein  den  grammatischen 
Stoff,  er  schlägt  auch  Verbesserungen  in  der  Anordnung 
und  im  Inhalt  der  Regeln  vor.  Dabei  strebt  er  mit  Recht 
nach  schärferer  Scheidung  der  Formenlehre  von  der  Satzlehre  — 
z.  B.  in  der  Lehre  vom  Fürworte  Kn.-Pr.  §  35  ff.  — ,  sowie  nach 
Entfernung  lexikalischen  und  stilistischen  Stoffes  aus  der  Gram- 
matik; so  mehrfach  S.  27  und  28.  In  mehreren  Punkten  kommt 
er  auch  den  gegenwärtig  so  lebhaft  umstrittenen  methodischen 
Reformforderungen  auf  dem  Gebiete  des  Sprachunterrichts  nahe. 
Wiederholt  will  er  an  Stelle  der  vielen  Einzelregeln  das  zu 
Grunde   liegende    allgemeine  Prinzip    setzen;    so   S.    20   in   der 

4* 


52  Referate  und  Rezensioften.    F.  J)ötT, 

Lehre  yob  der  Wortstellung,  S.  33  in  der  Lehre  von  den  Modi, 
S.  24  in  der  Lehre  von  der  Stellang  des  Adjektivs,  wobei  mir 
freilich  zweifelhaft  bleibt,  ob  er  das  Prinzip  ftir  die  letztere  zu- 
treffend bestimmt.  Mit  vollem  Rechte  betont  Englieh,  dass  hier- 
durch der  Unterricht  bildender  und  interessanter  wird.  Dabei 
benutzt  er  die  Ergebnisse  der  neueren  Sprachwissenschaft,  z.  B. 
S.  16  für  die  Behandlung  der  unregelmässigen  Verben.  Freilich  will 
er  diese  erst  mechanisch  einüben  und  nachher  erläutern,  während 
man  doch  zweckmässiger  Verständnis  und  gedächtnismässige  An- 
eignung sich  von  vornherein  gegenseitig  untersttitzen  lässt.  Auch 
verbessert  er  die  unwissenschaftlichen  Regeln  über  die  Bildung 
der  regelmässigen  Verbalformen  Kn.-Pr.  S.  76  nicht,  obwohl  doch 
eine  denkende  Erlernung  der  unregelmässigen  Verbalformen  eine 
entsprechende  Behandlung  der  regelmässigen  voraussetzt.^) 

Auf  das  Einzelne  näher  einzugehen  und  auszuführen,  welche 
von  Englich*s  Verbesserungsvorschlägen  mir  gelungen  scheinen, 
welche  nicht,  verbietet  mir  der  dieser  Anzeige  zugemessene 
Raum;  nur  auf  einen  wichtigen  allgemeineren  Gedanken  mache 
ich  noch  aufmerksam,  der  die  ganze  Schrift  Englich's  durchzieht, 
ich  meine  das  Streben,  die  französische  Grammatik  aus 
ihrer  Vereinzelung  zu  befreien  und  mit  der  der  anderen 
Sprachen,  vornehmlich  natürlich  mit  der  lateinischen, 
in  Beziehung  zu  setzen.  S.  2  bezeichnet  er  die  Anlehnung 
an  das  Lateinische  geradezu  als  ein  wesentliches  Erfordernis 
einer  französischen  Grammatik  für  Gymnasien;  denn  durch  die- 
selbe werde  nicht  allein  eine  bedeutende  Entlastung  erzielt, 
sondern  auch  die  sprachliche,  ja  die  allgemeine  Bildung  gefördert, 
da  ja  dem  Schüler  der  Begriff  des  Historischen,  von  dem  unsere 
ganze  heutige  Wissenschaft  durchdrungen  ist,  inbezug  auf  die 
Sprache  dadurch  zum  Bewusstsein  gebracht  werde.  S.  32  fügt 
er  bei  Gelegenheit  der  Lehre  von  den  Tempora  hinzu,  dass 
auch  die  Terminologie  in  der  französischen  Grammatik  soweit 
wie  möglich  der  lateinischen  folgen  müsse,  „da  man  dadurch 
nicht  nur  der  Verwirrung,  die  durch  neue  Namen  stets  leicht 
herbeigeführt  wird,  vorbeugt,  sondern  auch  noch  die  Begriffe, 
welche  die  lateinische  Grammatik  mit  gewissen  Namen  verbindet, 
befestigt.^  So  ist  Englich's  Arbeit  auch  ein  Beitrag  zu  einer 
vergleichenden  Darstellung  der  Grammatik  für  den  Schulunter- 
richt, deren  Durchführung  fOr  alle  fünf  Schulsprachen  (Deutsch, 
Lateinisch,    Griechisch,    Französisch    und   Englisch)   meines   Er- 

^)  Sehr  zu  billigen  ist  auch  der  gelegentlich  ausgesprochene 
Grundsatz,  in  V  und  I  v  überwiegend  viel  französisch  lesen,  wenig  aus 
dem  Deutschen  übersetzen  zu  lassen,  sowie  die  Forderung  S.  17,  den 
Schwerpunkt  des  Unterrichts  wirklich  in  die  Klasse  zu  verlegen. 


J.  Gfitersohn,  Zur  Reform  des  fremdsprachlichen  Unterrichts  etc,      53 

achtens  eine  der  bedeutendsten  und  fruchtbarsten,  freilich  auch 
schwierigsten  Aufgaben  der  heutigen  Methodik  ist.  Vergleiche 
meine  Gedanken  und  Vorschläge  zur  Parallelgrammatik  im 
3.  Hefte  der  Schriften  des  deutschen  Einheitsschulwesens,  sowie 
den  soeben  bei  Alfred  Holder  in  Wien  erschienenen  Ahrisg  der 
französischen  Syntax  mit  Rücksicht  auf  lateinische  und  griechische 
Vorkenntnisse,  dargestellt  von  Em.  Feichtinger,  und  die  bei  Swan 
Sonnenschein  in  London  herausgegebene  ParaUd  Grammar  Series, 
So  sei  denn  die  anregende  Schrift  Englich's  allen  Fach- 
genossen zur  Lektüre  und  zu  eingehender  Prüfung  bestens 
empfohlen!  F.  Hobnemann. 


Gntersolin,  J«,  Gegenvorschläge  zur  Reform  des  neusprachüchen 
Unterrichts.  Sonderabdruck  aus  den  Verhandlungen  des 
Vereins  akademisch  gebildeter  Lehrer  an  badischen  Mittel- 
schulen (Pfingsten,  1887).  Karlsruhe,  1888.  Braun.  26  S.  8«. 
Preis:  0,60  Mk. 

Guter  sehn  äussert  sich  nach  einigen  einleitenden  Worten  zuerst 
über  „Phonetik",  dann  über  den  „Anfangsunterricht",  und  weiter 
über  die  „zweite  ünterrichtsstufe"  (am  Schluss  folgen  noch  einige 
Bemerkungen).  Der  Vortrag  soll  „vorzugsweise  die  Bedürfhisse  der 
lateinlosen  Realschulen  berücksichtigen",  die  nach  Gutersohn's  Meinung 
„bis  jetzt  allein  noch  in  keiner  Weise  ausgesprochene  Stellung  (wie 
kann  man  eine  Stellung  aussprechen?)  zu  der  Frage  genommen 
hätten".  Die  einleitenden  Worte  bringen  „mit  Rücksicht  auf  die  Zu- 
sammensetzung der  Versammlung,  deren  grösserer  Teil  bis  jetzt  wohl 
der  Frage  etwas  ferner  gestanden",  „einige  kurze  Notizen  und  kritische 
Bemerkungen  über  den  geschichtlichen  Verlauf  der  neusprachlichen 
Reformbewegung".  Es  werden  genannt  Perthes  (beifällig),  Quousque 
Tandem  (mit  Hinweis  auf  Ulbrich,  der  geäussert  habe,  Quousque  Tan- 
dem sei  in  der  Negation  und  in  der  Invektive  ausführlicher  und  klarer, 
als  in  seinen  positiven  Vorschlägen ;  und  mit  Berufung  auf  Ickelsamer, 
der  schon  1529  auf  den  Unterschied  zwischen  Buchstaben  und  Laut 
hingewiesen  habe).  Kühn  (abfällig),  Münch,  Rambeau  („in  mancher 
Hinsicht"  beipflichtend);  Hornemann,  Eidam,  Ohlert  (als  „mehr 
gemässigt"  bezeichnet)  und  die  Beschlüsse  mehrerer  Schul- und  Fach- 
männer-Versammlungen, insbesondere  der  Hauptversammlung  des 
Deutschen  Vereins  für  höhere  Mädchenschulen  in  Berlin,  1886,  und  des 
Neuphilologentags  in  Frankfurt  a/M. ,  1887  (beide  ebenfalls  „mehr  ge- 
mässigte Stellungsnahme").  Dann  verweist  Gutersohn  auf  die  Anord- 
nungen der  Badischen  Schnlbehörde  bezüglich  des  Betriebs  des 
französischen  Unterrichts  an  den  Gymnasien  und  auf  die  „meist  auf 
eigenen  Antrieb"  durchgeführten  Neuerungen  an  höheren  Mädchenschulen 
in  Baden.  —  Auswahl  wie  Urteil  sind  natürlich  durchaus  subjektiv. 
Es  konnte  noch  mancher  mehr  oder  minder  hervorragende  Vertreter 
und  Gegner  der  „Reform"  genannt  werden,  wenn  selbst  Eidam  in  der 
Liste  prangen  durfte.  Manche  Versammlung,  auf  welcher  sich  weit 
mehr  und  kompetentere  Fachleute  befanden,  als  auf  der  berühmten 
des  Mädchenschulvereins  zu  Berlin,  war  zu  erwähnen.  Und  neben  dem 
einsamen  Ickelsamer  konnte  auch  noch  mancher  andere  genannt  werden 


54  ReferaU  und  Rezensionen,    F,  Dan-, 

(nebenbei  bemerkt  ist  das  „Lautieren*'  in  unseren  Volks-  und  Vor- 
schulen etwas  ganz  anderes,  als  was  sich  Gutersohn  darunter  zu  denken 
scheint,  wenn  er  meint,  Quousque  Tandem -Vietor  habe  sich  diese 
Präzedenzfälle  entgehen  lassen  —  in  Wirklichkeit  kennt  Vietor  nicht 
nur  Ickelsamer,  sondern  auch  noch  andere  Leute  ganz  gut,  wie  ich 
weiss,  und  vielleicht  besser  als  Gutersohn,  wie  ich  mir  zu  vermuten 
gestatte).  Gutersohn  nennt  auch  nachher  noch  viele  und  vieles  selbst, 
l^ennzeichnend  für  sein  Verfahren  ist  aber  auf  diesen  ersten  zwei 
Seiten,  dass  er  Psychologie  und  Pädagogik,  beziehungsweise  Geschichte 
der  Methodik  fCir  sich  zu  verwenden  bestrebt  ist ;  mit  welchem  ßrfolge, 
zeigt  sich  wohl  noch  später. 

In  Abschnitt  I  „Phonetik"  sucht  Gutersohn  mit  Heranziehung 
einzelner  Äusserungen  verschiedener  Reformer  und  Gegenreformer  dar- 
zulegen, dass  phonetische  Umschrift  und  Begründung  der  Formenlehre 
auf  die  Lautlehre  „für  die  Schule  nicht  verwertbar**  und  „vollkommen 
gerichtet"  seien.  Den  Thesen  Ahn's  vom  Neuphilologentag  1886  stimmt 
Gutersohn  zu:  „Das  ist  nun  wohl  ein  Standpunkt,  der  einer  besonderen 
Begründung  nicht  mehr  bedarf,  dem  vielmehr  jeder  erfahrene  Lehrer 
ohne  weiteres  beistimmen  wird."  Gutersohn  erkennt  auch  „laut  und 
lobend"  an,  dass  Ploetz'  „systematische  Darstellung  der  französischen 
Aussprache"  „immer  noch  ein  zuverlässiger  und  unentbehrlicher  Rat- 
geber für  den  Studierenden  und  den  angehenden  Lehrer,  besonders 
wertvoll  auch  bei  einem  Aufenthalt  im  fremden  Lande  selbst"  bleibt. 
Er  findet  es  „unerklärlich",    „wie   sich   einige    der  Reformer    so   sehr 

fegen  die  sogenannte  Ausspracheregeln  (bei  ^loetz  u.  a.)  ereifern 
önnen."  Br  erklärt,  „es  ist  wenigstens  für  das  Französische  kaum 
eine  kläglichere  Unterrichtsbrücke  (Unterrichtsbröcke  —  nebenbei  be- 
merkt, ein  eigener  Ausdruck,  Gutersohn  ist  überhaupt  nicht  immer 
glücklich  mit  seinen  bildlichen  Ausdrücken)  denkbar,  als  gerade  die 
phonetische  Umschrift.  Er  sagt  „getrost":  „Wo  es  bei  dem  Lehrer 
an  der  guten  Aussprache  oder  der  nötigen  phonetischen  Schulung  fehlt, 
da  wird  auch  mit  dem  gelungensten  Lautschriftsystem  in  der  Schule 
nicht  viel  erreicht  werden"  ...  Er  verlangt,  es  solle,  wie  beim  ersten 
Unterrichte  in  der  Muttersprache,  „Anschauungs-,  Schreib-  und  Lese- 
unterricht" vereinigt  sein,  so  auch  im  fremdsprachlichen  Unterrichte 
an  dem  Grundsatze  festgehalten  werden,  „dass  die  Kinder  schreibend 
lesen  und  lesend  schreiben  lernen  sollen" :  „nur  wenn  Laut  und  Zeichen 
untrennbar  vereint  bleiben,  kann  das  fremde  Wort  im  Bewusstsein 
haften."  Dieses  „kann"  ist  etwas  kühn.  Welche  Zeichen  werden 
denn  in  dem  Bewusstsein  des  Babys  untrennbar  mit  den  Lauten:  Mama, 
Papa  etc.  vereint?  Und  hat  Herr  Gutersohn  nie  ein  französisches  oder 
englisches  Wort  von  einem  Franzosen  oder  Engländer  gehört  und  be- 
halten, ohne  dass  dieser  es  ihm  mindestens  vorbuchstabierte?  Das  ist 
die  unglückselige  deutsche  Schulmeisterei ,  für  welche  die  handgreif- 
lichsten Thatsachen,  die  alle  Tage  hundertmal  geschehen,  nicht  vor- 
handen sind.  Und  hat  Herr  Gutersohn  noch  nie  gehört,  dass  ein- 
sichtige Volksschnllehrer  sehr  darüber  zu  klagen  haben,  wie  verdriess- 
lieh  es  sei,  dass  Laut  und  Schrift  einander  so  weni^  decken?  Hat  er 
noch  nicht  bemerkt,  dass  solche,  die  weniger  einsichtig  sind,  der  Schrift 
zuliebe  ganz  falsche  Laute  lehren?  Hat  er  noch  nie  gesehen,  wie  die 
ersten  schriftlichen  Arbeiten  z.  B.  eines  englischen  kleinen  Schuljungen 
sich  präsentieren?  Es  könnte  ihm  die  erste  beste  Mutter,  welche  sich 
um  ihr  6 jähriges  Söhnchen  oder  Töchterchen  ein  wenig  kümmert, 
verraten,  wie  sehr  sie  in  Verlegenheit  gerät,  wenn  das  kleine  Wesen 
lautrichtig:  un^,  Hun<  =  bunt  etc.  schreibt;  oder  eine  Bitte  um  Ein- 


/.  Guiersohn,  Zur  Reform  des  fremdsprMhUchen  Unterrichts  etc.      55 

Bendang  eines  Aufsatzes  eines  englischen  Schuljungen  (es  könnten 
als  Ersatz  einige  im  Januar-  und  Februarheft  1889  von  Lofwman^e 
Magazine  abgedruckte  Proben  dienen)  an  einem  School  Board  Teacher 
ihn  darüber  aufklären,  dass  Laut  und  Zeichen  sich  bei  der  her- 
kömmlichen Orthographie  sehr  mit  Widerstreben  kopulieren  lassen. 
Es  wäre  ein  Ziel  „aufs  innigste  zu  wünschen'',  dass  die  Phonetiker  sich 
über  ein  möglichst  einfaches  Standard  alphahet  einigten  und  dies  dann 
als  ,, Orthographie"  in  den  Schulen  gelehrt  würde,  anstatt  des  Misch- 
masches, der  heutigen  Tages  leider  die  Köpfe  der  Lehrer  und  Kinder 
verwirrt.  ^-  In  Abschnitt  I  hat  Gutersohn  also  den  Vogel  nicht  ab- 
geschossen.^) 

In  Abschnitt  II  behandelt  Gutersohn  den  Anfangsunterricht.  Er 
beginnt  mit  einem  Hinweis  auf  eine  von  ihm  selbst  verfasste  fran- 
zösische Leseschule^):  „gerade  für  die  Anfangsstufe  wird  kaum  je  ein 
wesentlich  verschiedenes  Lehrverfahren  gefunden  werden  können,  das 
ebenso  rasch  und  leicht  zu  einem  befriedigenden  Ziele  führte/  Dieses 
einzige  Lehrverfahren  beginnt  in  §  1  mit  dem  Alphabet  und  An- 
weisungen wie  folgt :  „C  c  (ce)  . .  .  (sseh),  G  g  (gS)  .  .  .  (scheh  —  sehr 
weich)'*  etc.,  lehrt  in  der  ersten  Leseubung  einzelne  Wörter  lesen,  die 
ohne  Zusammenhang  und  zum  geringsten  Teile  mit  Angabe  der  deutschen 
Bedeutung  erscheinen,  darunter:  malotru,  abrutir,  primitif  pyramidal, 
matrimonial^)  Hoffentlich  verzeiht  Herr  Gutersohn  den  „Reu>rmem", 
wenn  sie  kühn  genug  sind,  zu  glauben,  es  könne  doch  noch  ein  Lehr- 
verfahren gefunden  werden,  ja,  es  sei  schon  gefunden,  das  nicht  un- 
erheblich anders  und  besser  sei  als  dieses  ^gute,  solide  und  sichere/^) 

Für  die  späteren  Stufen  des  Unterrichts  erklärt  Gutersohn,  seien 
„grosse  und  weitgehende''  Reformen  „wünschenswert  und  nötig."  Er 
verweist  sodann  auf  die  „Prinzipien",  welche,  „als  für  die  Didaktik 
massgebend  nachgewiesen  sind":  „die  Forderung  des  Unterrichts- 
ganges vom  Leichteren  zum  Schwereren,  vom  Bekannten  zum 
Unbekannten,  endlich  vom  Konkreten  zum  Abstrakten."  Von 
diesen  schweren  Dingen  haben  die  „Reformer"  natürlich  nie  ett^as 
gehört;  deshalb  gerät  auch  Gutersohn  alsbald  „in  schroffen  Gegen- 
satz zu  einer  weiteren  Forderung  der  Sprachreformer,  nämlich  den 
Lesestoff  gleich  von  Anfang  an  zum  Ausgangs-  und  Mittelpunkt 
des  Unterrichts  zu  machen."  Gutersohn  beginnt  mit  Einzelsätzen, 
weiss  sich  dabei  „im  Einklang  mit  Perthes  selbst"  und  verweist 
auf  Herbart  und  Ziller  und  die  „wissenschaftliche  Pädagogik."  Es 
folgt  eine  Belehrung  über  das  „eigentliche  Wesen  des  Lernprozesses", 
über  analytisch  und  synthetisch  (was  natürlich  für  akademisch  ge- 
bildete Lehrer  höchst  nötig  ist),  und  es  wird  auseinandergesetzt,  dass 
naturgemäss  beim  Erlernen  der  fremden  Sprache  an  die  Muttersprache 
anzuknüpfen    sei.      „Die   Sprachform    allein    ist   und    bleibt   für   den 

1)  Ich  darf  nicht  versäumen,  darauf  hinzuweisen,  dass  er  auf 
Seite  3  Vietior  gegenüber  noch  ganz  besonderes  Unglück  hat,  indem 
er  ihn,  ohne  den  Sachverhalt  zu  ahnen,  durch  ein  Zitat  aus  Sweet 
nach  Victors  eigener  Übersetzung  belehren  will.  Vgl.  Phonetische 
Studien  II  1888,  S.  101  f. 

3)  Dresden,  1886.     Ehlermann. 

8)  Vgl.  „Mädchenschule"",  II  1889,  S.  45--4«. 

*)  S.  15.  „Wie  überhaupt  die  sogenannte  „phonetische  Schu- 
lung", die  ja  fast  von  allen  Sprachreformern  angestrebt  wird,  auf  einem 
ajidern  Wege  als  dem  in  der  LeseschtUe  eingeschlagenen  erreichbar 
wäre,  ist  unerfindlich." 


56  Referate  und  Rezensionen,    F,  Dörr, 

Lernenden  das  Neue,  fast  gänzlich  Unbekannte  und  darf  als  solches 
nach  allen  Gesetzen  der  Logik  und  der  Psychologie  nur  auf  synthe- 
tischem Wege  ihm  zugeführt  werden."  Also  „vom  Laute  oder  Buch- 
staben zum  Worte,  dann  zum  Satze  und  zuletzt  zum  zusammen- 
hängenden Lesestücke."  „So  scheint  uns  denn  gerade  die  richtige  An- 
wendung der  von  der  „wissenschaffclichen  Pädagogik"  gebotenen 
Grundwahrheiten  im  wesentlichen  zu  einer  Bestätigung  und  tieferen 
Begründung  der  im  geschichtlichen  Verlaufe  ganz  naturgemäss 
entstandenen  synthetischen  Methode  des  fremdsprachlichen  Unterrichts 
zu  führen.  Wer  nur  einigermassen  mit  der  Geschichte  der  Pädagogik 
bekannt  ist,  der  weiss,  dass  besonders  in  diesem  Zweige  des  Unter- 
richts erst  nach  grenzenlosen  Verirrungen  und  grossartigen  Mi^^serfolgen 
ein  besserer,  psychologisch  richtigerer  Lehrgang  angebahnt  worden  ist, 
und  zwar  ist  cÜes  in  erster  Linie  den  Anstrengungen  des  Comenius, 
den  trefflichen  Grundsätzen  seiner  ^Grossen  ünierrichislehre  ...  zu  ver- 
danken .  . .,  durch  letztere  trat  er  erfolgreich  dem  alten  Irrweg  ent- 
gegen, den  Unterricht  sofort  mit  der  Lektüre  der  fremden  Klassiker 
zu  beginnen  .  .  ."  ,,Meine  Leseschule  .  .  ."  „Im  allgemeinen  .  .  .  darf .  .  . 
der  Anfangsunterricht  nicht  von  der  auf  psychologischer  Basis  ruhenden, 
wesentlich  synthetischen  Methode  abweichen.  Wie  fest  und  gut 
aber  diese  Basis  gerade  durch  die  Kerbart -Zillersche  Pädagogik  be- 
gründet ist,  das  beweist  in  letzter  Linie  noch  ein  Blick  in  die  Geschichte 
der  Pädagogik."  Nun  folgt  ein  wiederholter  Verweis  auf  Comenius, 
etwas  Polemik  gegen  Kühn  und  Plattner  und  der  Rat:  „Man  lese  über- 
haupt in  einer  ausführlichen  Geschichte  der  Pädagogik,  in  den  Werken 
des  Comenius  u.  dergl.  nach,  zu  welch  traurigen  Resultaten  jene 
Methode  des  Sprachunterrichts  noch  immer  geführt  hat,  wo  man  gleich 
mit  dem  Lesen  eines  zusammenhängenden  Textes  begonnen."  Zum 
Schlüsse  des  Abschnittes  II  5  Thesen,  die  das  Vorgetragene  zu- 
sammenfassen. 

In  diesem  Abschnitte  verfährt  Gutersohn  mit  wahrhaft  ver- 
blüffender Kühnheit.  Auf  welche  Hörer,  beziehungsweise  Leser  rechnet 
er  wohl?  Danach  muss  doch  der,  welchem  bis  dato  Comenius,  Uerbart, 
Ziller  etc.  terra  incognita  waren,  sicher  glauben,  diese  Heroen  der 
Pädagogik  fingen  fremdsprachlichen  Unterricht  mit  Einzelsätzen  be- 
liebigen Inhalts  an;  denn  so  will  es  ja  der  in  Geschichte  und  Theorie 
der  Pädagogik  so  fest  gegründete  Herr  Gutersohn,  und  auf  sie  beruft 
er  sich  ja  immerzu.  Nun,  dann  rate  ich,  gleich  ihm,  zu  einer  ge- 
fälligen ,  wenn  auch  nur  kursorischen  Lektüre  des  Comenius,  Herbart's, 
Ziller's  etc.,  da  wo  die  Herren  von  diesen  Dingen  sprechen.  Dann 
wird  die  Autorität  Gutersohn's  in  etwas  eigenem  Lichte  dastehen. 

Comenius  z.  B.  hat  stets  Sätze,  welche  inhaltlich  zusammen- 
hängen; er  lehrt  nie  die  Worte  ohne  die  Sache  (man  sehe  sich  nur 
den  Orbis  pictus  an  und  vergleiche  damit  Gutersohn's  Französische 
Leseschule /)^).  Herbart  verlangt  ausdrücklich  beim  fremdsprachlichen 
Unterricht  Ausgehen  von  inhaltlich  bedeutendem,  zusammenhängendem 
Lesestoff  (Homer  ist  der  erste !).  Ziller  steht  ganz  auf  Herbart's  Stand- 
punkt (man  sehe  nur,  was  bei  ihm  selbst,  in  den  Jahrbüchern  des  Ver- 
eins für  wissenschaftliche  Pädagogik^   in   den   nach   seinen  Ideen   ge- 

^)  Vgl.  eine  etwas  ausführlichere  Auseinandersetzung  in  der 
„Mädchenschule"' ,  II  (1889),  S.  47-48. 

^  Besonders  schlagend  von  Günther  im  XIII.  Jahrgang,  1881, 
in  einem  für  die  Verteidiger  der  Einseisätze  geradezu  vernichtendem 
Aufsatze. 


/.  Gutersohn,  Zur  Reform  des  fremdsprachlichen  Unterrichts  etc.      57 

arbeiteten  Lehrbücherni),  hierüber  zu  finden  ist).  Ich  mass  mir  ver- 
sagen, dies  hier  weiter  anzuführen;  aber  ich  kann  nicht  umhin, 
wiederholt  zu  gestehen,  dass  die  Kühnheit,  mit  welcher  Gutersohn  hier 
Comenius,  Herbart,  Ziller,  Geschichte  der  Pädagogik  und  Psychologie 
für  die  Einzelsätze  ins  Feld  führt,  wahrhaft  atembenehmend  ist.  Da- 
nach könnte  man  auch  aus  Kopernikus  und  Galilei  beweisen,  dass  die 
Erde  still  steht. 

Der  III.  Teil  behandelt  auf  S.  18 — 25  die  „zweite  Unterrichts- 
stufe''. Jetzt  darf  auch  das  zusammenhängende  Lesestück  seine 
Reverenz  machen,  und,  „was  an  den  Reformbestrebuugen  ausser  der 
Phonetik  wirklich  Gutes  ist",  die  „Förderung  der  Sprechübungen", 
wird  ebenfalls  gestattet.  Ploetz  und  Comenius,  die  induktive  Be- 
handlung, Masberg,  Kemnitz,  d'Hargues,  Luppe  und  Ottens,  J.  Baum- 
garten, H.  Breymann  u.  H.  Möller,  J.  Aymeric,  Curt  Schäfer,  Ricken, 
Löwe,  Kühn,  ülbrich,  Mangold  und  Coste,  Plattner,  Schmitz -Aurbach, 
Rufer,  A.  Baumgartner  u.  a.  werden  in  schnellem  Fluge  vorgeführt, 
und  3  weitere  Thesen  (S.  24)  fassen  das  Gesagte  zusammen.  Auf 
diesen  paar  Seiten  (18 — 25)  lässt  sich  natürlich  über  so  vieles  nur 
aphoristisch  handeln,  und  den  Urteilen  Gutersohn's  liesse  sich  oft  mit 
gleicher  Berechtigung  die  gegenteilige  Behauptung  gegenüberstellen; 
welchen  Wert  aber  können  ein  paar  Zeilen  als  Urteil  über  ein  ganzes 
Buch  haben,  wenn  sie  lauten  wie  folgt:  „Ein  erfolgreicher  Anfangs- 
unterricht ist  gewiss  auch  möglich  nach  den  Exercices  et  Lectures  des 
schweizerischen  Sekundarlehrers  H.  Rufer.  Eigentümlicher  Weise 
wird  das  Buch  auch  von  Prof.  J.  Bierbaum,  dem  Hauptvertreter  der 
sogenannten  direkten  Methode,  empfohlen,  welche  der  Theorie 
nach  wohl  eigentlich  das  Gegenstück  der  von  uns  verteidigten  syn- 
thetischen Lehrweise  sein  sollte.  Es  ist  aber  doch  zu  beachten,  dass 
dasselbe  bis  jetzt  vorwiegend  in  gemischtem  Sprachgebiete  im  Ge- 
brauch ist;  auch  ist  es  in  ganz  anspruchsloser  Weise  in  die  Welt  ge- 
treten, nicht  durch  endlose  Broschüren  als  das  eine  Umwälzung  des 
Sprachunterrichts  anbahnende  Evangelium  voraus  verkündet"  — ?! 

Ich  bin  mit  Gutersohn's  Gegenvorschlägen  und  der  in  seiner 
Broschüre  verkündeten  Französischen  Leseschule  zu  Ende.  Leider  habe 
ich  nicht  viel  freundliches  darüber  zu  sagen  gehabt.  Vielleicht  bin 
ich  hier  und  da  scharf  gewesen;  daran  ist  aber  Gutersohn  selbst 
schuld.  Warum  fordert  er  zum  Studium  des  Comenius  „u.  dergl." 
selber  auf?  Es  wäre  recht  gut,  wenn  recht  viele  Herren  Kollegen 
Comenius,  Herbart,  Ziller  „u.  dergl."  recht  eifrig  studierten;  dann 
brauchten  wir  uns  erheblich  weniger  mit  Vorschlägen  und  Gegenvor- 
schlägen zu  beschäftigen,  die  nicht  viel  für  sich  haben  ausser  dem 
Umstände,  dass  ihre  Herren  Verfasser  es  herzlich  gut  gemeint  haben 
mögen.2) 


^)  Zum  Beispiel  Barth's  Lateinisches  Lesebuch. 

2)  Ich  darf  nicht  versäumen,  zu  erwähnen,  dass  die  neusprach- 
liche Sektion  der  Züricher  Philologen -Versammlung  Gutersohn's  Thesen 
mit  geringen  Änderungen  „fast  einstimmig"  angenommen  hat.  Vgl. 
Pröscholdt's  Bericht  i.  d.  Engl.  St.,  XI,  551—2. 

F.    DÖER. 


58  Referate  und  Rezensionen.    J.  Aymeric, 

fi^n^ehaad,  P»,  Abrege  de  Utteratwre  fran^aise  ä  Ftuage  des  eeoles 
sfiperieures  et  de  finstruction  privee,  Eisenach,  1889.  Bac- 
meister.    III,  110  S.  kl.  8«.    Preis:  1  Mk. 

Das  kleine  Bach  soll  wohl  den  Bedürfnissen  höherer  Mädchen- 
schulen dienen;  es  fehlt  auch  das  in  derartigen  Leitföden  herkömm- 
liche Bedauern  nicht,  dass  die  französische  Litteratur  manchmal  so 
wenig  fromm  und  anständig  sei.  Der  StofiF  ist  eigentümlich  verteilt. 
S.  10  stehen  wir  bei  Malherbe,  S.  13  bei  Racine,  S.  35  bei  Voltaire,  S.  61 
bei  der  Romantik,  S.  79  bei  Barbier,  mit  dem  das  Buch  wohl  hätte 
schliessen  können.  Dem  Leitfaden  geht  ein  Livre  de  lecture  zur  Seite, 
auf  welches  oft  verwiesen  wird;  dem  ungeachtet  sind  auch  hier  zahl- 
reiche und  manchmal  verhältnismässig  umfängliche  Proben  mitgeteilt. 
So  nimmt  denn  Madame  de  S^vign^  3  Seiten  ein,  J.-J.  Rousseau  2Y2> 
Voltaire  ^g  Seite,  Diderot  4  Linien,  Töpifer  dagegen  über  5  Seiten. 
Dass  dabei  eine  eigentliche  Kenntnis  der  geistigen  Bewegung,  welche 
in  der  Litteratur  des  französischen  Volkes  sich  ausspricht,  nicht  erzielt 
werden  kann,  liegt  auf  der  Hand.  Das  Biographische  überwiegt  und 
ist  im  Ganzen  richtig;  doch  hätten  Druckfehler  vermieden  werden 
sollen  wie  Ruitebeuf,  Cherbulier,  Lanfray.  Die  bekannte  Komödie 
von  Piron  heisst  auch  nicht  Le  Meiromane.  Wir  wollen  von  den 
ersten  Partien  schweigen,  welche  von  Troubadours  und  Trouveres 
sprechen.  Aber  die  Darstellung  ist  auffallend  ungeschickt.  Was  soll 
sich  z.  B.  ein  Schüler  denken  bei  dem  Satze  (S.  61):  Dejä  dans  Vepoque 
pre'cedante,  quelqi^s  ecrivains  aimient  iniroduit  dans  la  liiierature  des 
idees  qui  trouvereni  fadlemeni  de  nombreux  imitateurs.  Welches  diese 
Ideen  gewesen  sind,  erfährt  er  nirgends.  S.  7  liest  man  den  merk- 
würdigen Satz:  La  tt^oisieme  epoque  ...  est  Celle  de  P&iidition  et  du 
pe'dantisme,  ainsi  que  celle  de  la  Renaissance  par  la  prise  de 
Constantinople  par  les  Turcs.  Das  sei,  fährt  der  Verfasser  fort, 
auch  re'poque  preparatoire  des  ecrivains  du  XVll^  siede  gewesen:  quant 
ä  ceux  de  ce  temps-lä,  ce  ne  sont  pour  la  plupart  que  des  traducteurs 
ou  des  imitateurs  sans  jugement  et  sans  aoüi  de  ces  savants  fugitifs!  -- 
nämlich  der  aus  Konstantinopel  entflohenen!  Dass  Richelieu  die 
Akademie  gegründet,  dass  Hötel  Rambouillet  die  Sprache  gereinigt, 
qtii  laissait  heaucoup  ä  desirer  (S.  11),  und  dass  Corneille  der  wahre 
Schöpfer  des  französischen  Theaters  gewesen  sei,  erfahren  wir  aus 
diesem  Leitfaden,  wie  aus  den  unzähligen  anderen  dieser  Art,  die 
jedenfalls  das  gegen  sich  haben,  dass  sie  der  wünschenswerten  Aus- 
dehnung der  Lektüre  und  damit  einer  wirklichen  Kenntnis  französischer 
Litteratur,  wenn  auch  nur  auf  eng  begrenztem  Gebiete,  im  Wege 
stehen.  E.  v.  Sallwübk. 


Dandet,  Alpltonse,  Lettres  de  mon  mouän.  Ausgewählte  Briefe 
mit  Einleitung,  Anmerkungen  und  einem  Anhang  herausgeg. 
von  Erwin  Hönncher.  Leipzig,  1889.  E.  A.  Seemann. 
XU,  81  +  41  S.  kl.  8^.  (Martin  Hartmann's  Schulausgaben  No.  4.) 

Les  ouvrages  d'Alphonse  Daudet  ofFrent  parfois  beaucoup  de 
difficult^s  et  il  faut  savoir  grö  ä  M.  Hönncher  de  n'ötre  pas  trop  restö 
au  dessouB  de  sa  täche.  II  a  ä  peu  pr^s  rompu  avec  le  Systeme  inaugur^ 
dans  M^*  de  la  Seiglibre,  consistant  en  de  perp^tuelles  comparaisons 
—  en  franfais!  —  entre  les  divers  ouvrages  du  m^me  auteur.  Les 
Lettres  de  mon  moulin  sont  donc  plus  ä  la  portäe  des  äl^ves;  le  choix 
en  est  judicieux  et  Vöditeur  a  employö  tous  les  moyens  pour  s'orienter 


Daudet,  Lettres  de  man  mouUn,  hernusgeg,  van  Bönncher^         69 

dans  les  ne  et  cofltumes  du  midi  de  la  France.  II  n'y  a  pas  toujourt 
r^usBi,  c'est  vrai:  c^eet  une  t&che  si  difficile!  G'est  surtout  dans 
Texplication  concernant  les  choees  de  T^glise  catholique  ^-  et  les 
Lettres  de  mon  moulin  en  sont  remplies  —  que  ses  sourceH  lui  ontfait 
d^faut.  De  Ik  rabsence  de  notes  trös  interessantes  qu*on  aurait  pu 
faire  sur  la  plupart  des  d^tails  de  ces  belles  solemnit^s  d^crites  par 
Daudet.  Et  malgr^  cela,  je  ne  fais  aucune  difficultä  de  le  reconnaitre, 
cette  Edition  est  ä  recommander  et  eile  dänote  des  connaissances  solides. 

Voici  les  passages  que  je  crois  devoir  redresser.  P.  4.  [das  pro- 
venzalische  nu^  erklärt  der  Dichter  selbst  mit  ferme  .  .  .]  Daudet  met 
bien  entre  parenthöses  le  mot  ferme  ^  cöt^  de  mos,  mais  c'est  lä  un 
cas  iout  particulier.  Le  mot  mos  d^signe  un  tont  petit  yillage,  soit 
qu'il  consiste  en  une  ou  plusieurs  maisons;  j'en  connais  qui  en  ont  dix, 
comme  aussi  qui  n^en  ont  qu'une.  —  [Le  portail  von  einer  Schäferei  ge- 
sagt, ist  wohl  scherzhafb  zu  verstehen.]  Le  mot  portail  ne  se  rapporte 
pas  ici  ä  la  bergerie,  mais  seulement  ä  la  ferme  elle-mSme.  —  fau 
Paradou.  Dieser  in  Südfrankreich  öfters  vorkommende  Ortsname  ent- 
spricht dem  in  Mittel-  und  Nordfrankreich  sehr  häufigen  DstraäisJ 
Exceptä  ce  Paradou,  dont  il  est  ici  question  et  qui  se  trouve  dans 
Parrondissement  d'Arles,  je  ne  connais  aucun  autre  endroit  de  ce 
nom.  Paradou  vient  du  latin  (partes,  -etem)  et  signifie  Ueu  de  defense, 
refuge,  rode,  —  P.  6  fniche  =  Hundestall,  chenü.J  En  lisant  le  passage 
dans  son  entier,  il  est  bien  clair  que  niche  et  chenil  sont  bien  diff^rents 
Fun  de  l'autre.  La  niche  est  une  Bundehütte,  en  bois,  au  milieu  de  la 
cour,  et  le  chenil  est  une  Stahle,  en  ma^onnerie,  dans  lequel  on  enferme 
plusieurs  chiens;  dans  la  niche,  il  n'y  en  a  qu'un.  —  fla  petite  porie 
ä  claire-voie,  kleine  Thüre  mit  Luke.]  C'est  une  porte  en  treillage, 
gitter förmig ;  eile   a  par  consäquent  un  grand  nombre  de  Luken. 

II  est  dit  (p.  10)  que  Br^bant  n'est  plus  Restaurateur,  Je  Vignore, 
mais  le  Figaro  disait  la  semaine  derniero:  Br^bant,  le  c^läbre  restau- 
rateur du  Boulevard  Poissonniäre,  ^tablira  une  succursale  sur  la  tour 
EiflFel ...  —  P.  7  [gambader  .  . .  verwandt  mit  jambe.  Die  altfranzösische 
und  noch  jetzt  südromanische  Form  lautete  mit  g  an;]  Si  par  süd- 
romanische il  faut  entendre  provenzalische  la  remarque  n^est  pas  juste: 
le  proveuQal  dit  camba,  L'auteur  aurait  pu  comparer  avec  le  mot 
ingambe.  —  [Das  von  chevre  abgeleitete  chevroter  wird  nur  vom  Zittern 
der  Stimme  gebraucht.]  Chevroter  veut  dire  encore  et  en  premi^re 
ligne  Zickeln.  —  P.  9  [je  me  languis  ich  werde  krank.]  On  aurait  pu 
faire  remarquer  que  cette  expression  n'est  pas  fran9ai8e,  mais  proven^ale. 
—  [Ce  n'est  pas  la  peine  =  cela  ne  vaut  pas  la  peine.]  Ici,  ce  n'est 
pas  cela.  Sesuin  dit  k  sa  chevre:  Veux-tu  que  j'allonge  la  corde?  — 
Ce  n'est  pas  la  peine.'*  Es  ist  nicht  nötig,  et  non  pas:  es  ist  nicht 
der  Mühe  werth.  —  P.  8.  [Jnsque  par  dessus  les  cornes,  eine  ähnliche 
Umformung  des  familiären  Ausdrucks  jusque  par  dessus  les  oreilles,  wie 
wenn  Lafontaine  sagt: 

Th^mis  n'avait  point  travaill^, 

De  memoire  de  singe,  ä  fait  plus  embrouillä. 

J'avoue  que  je  ne  vois  lä  rien  de  semblable,  et  cette  explication 
est  une  ^nigme  pour  moi.*)  —  A  la  p.  14,  menager  devait  §tre  traduit 

^)  Die  Ähnlichkeit  liegt  doch  wohl  deutlich  genug  in  de  memoire 
de  singe,  Umformung  des  Ausdrucks  de  memoire  d'hommes,       B,  K. 

Die  Ähnlickkeit  wäre  deutlich  genug,  wenn  der  Herausgeber  de 
memoire  d' komme  erwähnt  hätte,  was  nicht  der  Fall  ist.  Aber  die 
Schüler  werden  sie  wohl  finden!  Aymeric, 


60  Refe^^ate  und  Rezensionen.    J,  Aymeric, 

par  Hatiswiri,  Besitzer,  comme  il  l'a  d^jä  6t6  ä  la  page  2,  et  non  par 
Senner,  —  [ie  train  des  fites  .  . .  Ergänze :  il  n*v  avaitj  On  ne  eaurait 
employer  ici  l'imparfait,  et  il  faudrait  dire -.  il  ny  a  eu.  La  description 
de  la  farandole  (p.  11)  n'est  pas  träs  juete;  cette  danse  n^a  lieu  que 
8ur  les  places  publiques;  c'est  ce  que  dit  du  reste  Daudet  dans:  le 
poete  Mistral.  —  P.  13  [souche  Baumstumpf.]  11  s'agit  ici  de  vigne,  et 
souche  veut  dire  Weinstock.  —  [vin  du  cru  einheimischer  Wein.] 
Cela  pourrait  bien  passer,  mais  dans  le  cas  präsent,  ce  n'est  pas  le 
vrai  sens:  il  faut  traduire  par:  eiaenes  Gewächs.  —  dehaucher  = 
seduire.]  C'est  encore  vrai,  mais  devaucher  a  ici  un  sens  special  et 
signifie:  die  Arbeiter  von  der  Arbeit  abziehen,  et  non  pasj  moralisch 
verderben.  —  fla  maitrise  du  pape,  Singschule  der  päpstlichen  Chor- 
knaben.] II  s'agit  ici  d'une  dignit^,  que  je  comparerais  volontiere 
ä  Celle  de  vage.  S*il  s'agissait  d'une  e'cole  de  chant,  comment  Daudet 
dirait-il:  i,la  maitrise  du  pape,  oü  jamais  avant  lui  on  n'avait  repn 
que  des  fils  de  nobles  et  des  neveux  de  cardinaux^?  —  P.  14  [qui  lui 
tenait  chaud,  der  ihn  warm  machte.]  Ce  lui  se  rapporte  ä  la  mule  du 
pape;  or,  T^diteur  traduit  mule  par  Maultier  de  sorte  que  ihn  döroute 
Fäläve.  La  m6me  chose  se  repioduit  trois  lignes  plus  loin:  er  hatte 
Grund  ...  —  P.  22.  On  y  trouve :  nagearit  des  pattes  dans  le  vide  . , . 
II  s'agit  de  la  mule  qu'on  descend  de  la  tour  avec  un  cric  et  des 
Cordes.  Ce  des  est  pour  moi  inezplicable,  et  je  suppose  que  Daudet 
a  äcrit  les  pattes  dans  le  vide.  —  P.  1 6  [une  belle  Ordination,  im  eigent- 
lichen Sinne:  Priesterweihe.]  Rien  de  plus  juste,  seulement  ici  c'est 
un  sens  particulier,  et  apr^s  avoir  lu  cette  remarque,  Täl^ve  n*cn  est 
pas  plus  avancä.  Le  sens  est  ici:  Reihenfolge,  Zusammenstellung,  wie 
bei  einer  Priesterweihe.  —  P.  19  [en  train,  Sinn  hier:  am  Herd,  im 
Kessel.]  11  est  question  d'un  marseillais  qui  a  toujours  quelque  aioli 
en   train,   ce    qui   signifie  ici,   non   im    Kessel,   mais   in    Vorbereitung, 

—  P.  21  [s^archarner  apres  q.  q,  sich  wild  auf  jemand  stürzen.]  Une 
lecture  attentive  du  passage  montre  que  cette  traduction  ne  peut  pas 
aller.  II  est  question  du  vent  qui  s'acharne  (pendant  un  mois);  par 
cons^quent,  il  me  semble  que  hartnäckig  verfolgen  irait  mieux.  — 
[massif  de  petites  lies,  hier:  starke  Grundmauer.]  Daudet  veut  dire 
seulement  Inselgruppe,  et  il  n'est  nuUement  question  de    Grundmauer, 

—  II  est  dit  (p.  22)  que  aumonier  däsigne  den  Seelsorge?'  für  eine  kleine 
Gemeinde,  ce  qui  n'a  jamais  6t4;  un  aumonier  n^est  jamais  attach^  ä 
une  paroisse.  —  Blaguer  (p.  23)  ne  veut  pas  dire  aufschneiden,  mais 
seulement  schwatzen,  Unsinn  sagen.  —  P.  42  [grand*  messe  auch  haute 
messe  . , .]  On  dit  bien  grand*  m^sse,  mais  il  faut  dire:  messe  haute, 
et  non  haute  messe,  —  [sa  rovge  taillole  catalane,  seine  rote  kata- 
lanische Schärpe  . .  .]  Ce  n^est  pas  une  e'charpe^  mais  une  ceinture, 
Gürtel,  comme  en  portent  les  turcos.  —  Dans  la  traduction  d'un 
passage  de  Montaigne  (p.  26):  „souvienne-vous  .  .  /'  il  y  a  un  contre- 
sens;  gub^e  de  gens  a  ät^  traduit  par  niemandes  ...  au  lieu  de 
wenigen,  einigen,  —  Le  mot  aire  (p.  27)  est  pris  au  figurä  et  ne  saurait 
6tre  traduit  par  Adlerhorst,  mais  bien  par  Zufluchtsort,  puisqu'il  s'agit 
d'un  bandit,  et  non  d'un  aigU.  —  Les  pänitents  ne  portent  pas  un  sac 
sur  la  täte,  et  ils  n'ont  pas  le  visage  couvert,  comme  il  est  dit  (p.  28). 

—  Ibid.  lies  jeux  sur  Faire,  ländliche  Spiele  auf  der  Dreschtenne  .  . .] 
En  allemaud,  Dreschtenne  ^=  grange  oü  Von  däpique  le  bl^;  or,  en 
France,  on  däpique  le  blä  sur  la  place  publique,  et  c'est  lä  qu'ont  lieu 
les  jeux  dont  il  est  ici  question.  —  II  est  question^  ä  la  mSme  page, 
d'un  Service  en  fayence  de  Moustier,  et  i'^diteur  place  cette  petita 
ville  dans  le  Departement  de  la  Dordogne.    Elle  est  dans  les  Basses- 


Daudet,  Leitres  de  mon  moidin,  herausgeg,  von  ffönncher,         61 

Alpes,  et  eile  est  connne  par  ses  fabriques  de  papier  et  de  fayence. 
—  P.  31  [des  jours  de  caveau  au  ras  du  sol,  Kellerfenster  .  .  .1  on 
remarqiie  ici  la  confusion  de  caveau,^  Todtengraft,  avec  cave^  Keller; 
et  cette  confusion  est  d'autant  plus  surprenante  que  Daudet  parle  de 
cypres^  de  croix  et  de  iombeaux,  —  P.  33  /ä  Vaise  au  bivouac  eomme 
aux  soirees  de  la  sous-prefete,  d.  h.  willkommen  .  .  .]  Ce  n'est  pas  cela 
qne  veut  dire  Daudet,  mais  bien  sich  frei  bewegen;  comment  pourrait-on 
dire  d*un  soldat  qu'il  est  willkommen  au  bivouac,  oü  se  trouve  sa 
place,  ä  lui!  —  Dans  Lelixir  du  Pere  Gaucher,  Daudet  n'a  pas  voulu, 
comme  le  prätend  l'^diteur  (p.  34),  faire  une  sortie  contre  les  indul- 
gences,  auxquelles  il  n'a  certainement  pas  pensä;  il  a  voulu  amuser 
ses  lecteurs  aux  d^peus  de  ce  brave  Pore,  et  rien  de  plus.  —  II  est 
dit  ä  la  page  suivante  que:  etwa  60  Mönche  aus  Alpenkrduiem  den 
berühmten  Likör  herstellen,  II  sagit  des  Chartreuz.  En  tout,  il  y  a 
bien  soixante  religieux  ä  la  Grande  Chartreuse,  mais  ce  ne  sont  pas 
euz  qui  fabriquent  laliqueur;  ils  occupent  prös  de  deux  cents  ouvriers, 
et  un  ou  deux  religieux  pr^sident  au  mdlange.  L'öditeur  pr^tend  (p.  37) 
qu*ils  fönt,  par  an,  pour  deux  millions  d'affaires.  S'ils  n'en  faisaient 
pas  davantage,  ils  seraient  bientot  ruinös,  car  ils  payent  pr^s  d'un 
million  d'impöts  au  gouvernement  seulement.  —  Pour  expliquer: 
chemin  de  la  croix,  ou  trouve:  Eine  Reihe  von  zwölf  Bildern  .  .  . 
L'äxplication  qui  suit  n'est  pas  juste  non  plus,  mais  je  ne  tiens  k 
relever  qu*un  fait,  ä  savoir  qu'il  y  a  14  stations.  —  P.  40  fsous  le  couvert, 
couvert  hier  in  der  seltenen  Bedeutung  von:  schattiaer  Ilatz,  übersetze: 
im  Schatten.]  Ce  sens  lä  est  ici  impossible:  le  soieil  n'est  pas  encore 
levä  (i^aux  premi^res  clart^s  de  l'aube").  Quelques  lignes  plus  loin, 
Daudet  appelle  ce  couvert:  ^fourre^,  ,ySous  le  bois^,  C'est  donc  Dickicht 
des  Waldes.  —  SPen  donner  q.  c.  (p.  40)  n'est  pas  fran9ais.  —  La  diane 
froide  n'est  pas  kalte  Reveille,  mais  Morgenwache;  le  piston  du  sahn  de 
Mars  n'est  pas  Klarinette,  ma  is  Elapphorn.  —  [Bouisbouis  übersetze: 
Tingeltangel.]  Bouisbmiis  est  un  mot  qui  a  paru  pour  la  premiöre  fois 
en  1854  dans  Paris- Anecdote ;  il  signifie  un  misärable  et  ch^tif  thäätre; 
je  ne  saurais  dire  si  Tingeltangel  est  une  expression  correspondante. 

A  part  ces  quelques  imperfections  qui  m*ont  paru  devoir  §tre 
relev^es,  les  remarques  de  M.  H.  sont  excellentes,  claires  et  ä  la  port^e 
des  ^l^ves.  Quelques  unes  sont,  il  est  vrai,  inutiles  pour  Tintelligence 
du  texte;  par  contre,  il  y  a  dans  Daudet  des  passages  difficiles  que 
V^diteur  a  oubli^  d'annoter:  je  cite  au  hasard  les  suivants:  „une  fois 
remis,  hon  soir^  (Gott  befohlen);  „On  lui  faisait  respirer  ce  vin,  puis 
quand  eile  avait  les  narines  pleines,  passe,  je  fai  vu.'^  Aucun  ^läve 
n'est  capable  de  comprendre  cela.  Ce  coquin  de  Tistet  V^döne  ^tait 
charg^  de  porter  un  vin  chaud  ä  la  mule  du  pape;  il  le  lui  faisait 
respirer,  et,  komm  in  meine  Kehle,  er  ist  verschwunden.  Je  me  contente 
de  donner  le  sens.  „Frommaoe  de  montagne^ ;  il  s'agit  lä  du  fromage 
qu'on  fait  pendant  que  les  bestiaux  passent  six  mois  de  l'annäe  sur 
les  montagnes ;  „chajcun  revint  ä  sa  chaire""  (Klappstuhl) ;  „on  chuchottait 
de  breviaire  ä  bre'viaire^,  chaque  religieux  a  un  pupitre  dans  le  choeur, 
et  sur  ce  pupitre  il  y  a  un  bröviaire  in-folio;  „les  bons  Proven9aux 
que  nous  faisons,^ 

Je  tiens  ä  dire  en  terminant  que  ce  fameux  „moulin^  d'Alphonse 
Daudet  n'est  plus  une  ruine:  il  a  ^tä  remis  ä  neuf,  et  se  trouve  sur 
la  route  d'Arles  ä  S*  Remy,  ä  7  kil.  d'Arles  et  ä,  4  de  Fontvieille.  Le 
village  (mos),  Montauban,  est  situä  ä  2  kil.  de  l'abbaye  de  Mont- 
majour,  qui  n'est  plus  qu'une  ruine,  mais  une  beUe  ruine.    Quant  ^ 


62  Referate  und  Rezensionen.    /.  Aymeric, 

„Pamp^rigOQste",  c'est  un  nom  imaginaire;  il  est  mSme  pass^  en  pro- 
berbe, et  on  dit  „envoyer  k  Pamp^rigouBte^  pour  „envoyer  k  la 
Yalan9oire"  =  Jemanden  aich  vom  Halse  schaffen. 

J.  Aymeric, 


Sandenn,  Jules  9  Mademoiseäe  de  la  Seigliere.  Comedie  en  qttaire 
actes  et  en  prose  mit  Einleitung,  Anmerkungen  und  einem 
Anhang  herausgeg.  von  K.A.  Martin  Hartmann.  Leipzig, 
1887.  E.  A.  Seemann.  XV,  120  +  71  S.  kl.  8».  (Martin 
Hartmann's  SchtUausgaben  No.  1.) 

Je  saisis  cette  ocuasion  pour  reparier  de  Mademoiseüe  de  la  Seigliere 
äditäe'par  M.  Hartmann:  il  en  a  paru  un  certain  nombre  de  comptes- 
rendus,  mais  tellement  superficiels,  que  pas  un  ne  rel^^e  une  erreur  ou  une 
inexactitude  au  point  de  vue  du  fran^ais.  Personne  donc  n'j  ayant  trou^ä 
k  redire,  je  me  permets  de  präsenter  quelques  observations.  Ce  liyre  est 
excellent,  je  le  veux  bien»  mais  la  perfection  n^ätant  pas  de  ce  monde,  je 
ne  saurais  le  regarder  comme  Tidäal  k  atteindre.  D'abord  les  fautes  n'y 
manquent  pas  non  plus,  et  si  les  critiques  n'ont  pas  su  lee  y  voir,  tant  pis 
pour  les  critiques.  En  voici  quelques -unes.  P.  17  [aussi  dotix  comme 
un  mouton  bride,  lammfromm.]  D*abord  aussi  doux  comme  est  une  faute 
dont  on  a  beaucoup  de  peine  k  däshabituer  un  <$l^ve,  et  Sandeau  a  äcrit 
aussi  doux  que;  ensuite  bride  ne  signifie  pas  tenu  par  la  bride.  —  P.  36 
[aprhs  Vavoir  fait  bassiner:  aber  lassen  sie  zuvor  eine  Wärmflasche  (une 
bassinoire)  hereinlegen.]  Bassiner  et  bassinoire  ne  me  semblent  pas  avoir 
ätä  bien  compris.  La  bassinoire  est  un  instrument  en  cuivre,  assez 
semblable  a  une  podle,  mais  fermäe  par  en  haut;  on  y  met  de  la  braise 
et  on  le  promfene  dans  le  lit,  au  moyen  d*un  manche,  pour  Techauffer. 
C'est  Ik  ce  qu'on  appelle  bassiner,  J'ignore  si  on  peut  dire  Wärmpfanne, 
en  allemand,  en  tont  cas,  ce  n'est  pas  Wärmflasche.  Wärmflasche  est 
en  fran9ais  chaufferette,  bouülotte,  et  si  on  en  met  une  dans  le  lit,  on  ne 
dit  pas  b€issititr,  mais  bien  chaujfer  le  lit.  —  11  est  difc  (p.  41):  das  h 
des  Wortes  ist  stumm  wie  bei  huit,  C'est  bien  la  premi^re  fois  que 
j'entends  dire  que  h  est  muette  dans  huit.  —  P.  58.  [Da  das  fi-anzQeische 
Participe  passe  nicht  einfach  substantivirt  werden  kann  .  .  .]  Mais  au 
contraire,  le  fran^ais  aime  beaucoup  cette  mani^re  de  procäder.  Est-ce 
que  un  abrege,  un  communique,  un  re^u,  le  fini,  le  pointille,  un  e'migre, 
le  passe ^  Cenvoye  et  cent  autres  ne  sont  pas  des  participes  pass^?  — 
A  la  ligne  suivante,  on  trouve:  je  vous  le  donne  en  cent,  iah  wette  100 
gegen  1,  dass  Sie  nicht  erraten.  Ce  n'est  pas  cela;  le  frauQais  veut  dire: 
Sie  können  hundert  Mal  raten,  und  werden  doch  es  nicht  herausbekommen 
(v.  Sachs  au  mot  deviner.).  Encore  k  la  m§me  page:  [stupefait  ist  das 
part.  passä  zu  stupe'fierj  Le  part.  p.  de  stupe'fier  est  stupefie\  et  stupefait 
est  le  p.  p.  de  stupefaire.  Si  ce  verbe  n'est  plus  usite  a  l'infinitif,  tant 
pis  pour  lui.  —  Encore  k  la  mdme  page,  pour  expliquer  et  gue  vous 
le  savez  bien,  qye  madame  de  Vaubert  n*est  pas  une  belle  äme  on 
trouve:  [Das  le  vor  savez  que  ist  eine  Feinheit  der  Umgangssprache.] 
Je  suppose  que  M.  H.  a  voulu  dire  der  Schriflß^rvkche.  En  voici  un 
ezemple  dans  la  R.  d.  d.  M.  (1^'  aoüt  1888):  Comment  M.  Daudet  ue 
/'a-t-il  pas  senti  que  de  la  fa^on  dont  il  les  a  peints,  les  personnages  de 
Vlmmortel ...  —  P.  60  [ü  est  du  bois  dont  on  fait  les  flütes,  er  hat 
einen  sanften  Charakter.]  Cette  expression  fraxi^aise  veut  dire:  cW  un 
bomme  qui  fait  et  dit  tont  ce  qu'on  veut  (v,  Littre);  eile  contient  un 
bläme,    En  est-il  de  m§me  de:  er  hat  einen  sanften  Charakter?    Si  oui. 


Sandeau,  M^  de  la  Seigliere,  het^ausgeg.  von  MarU  Hartmann,       63 

je  passe  condamnation  et  c^est  moi  qui  ai  tort.  —  P.  61  [au  coin  du  feu, 
so  viel  als :  sous  le  manteau  de  la  chemmee  . .  J  O'est  loin  d'dtre  la 
mtoe  chose;  au  coin  du  feu  =  an  Winterabenden,  tandis  que  sous  le 
manteau  de  la  chemiuee  est  une  expression  figuräe,  qui  signifie  im  Ge- 
heimen, et  Sandeau  ne  veut  pas  exprimer  cette  pens^.  —  ?.  69  f. , .  je 
veux  Hre  pendu,  oder  j*irai  dire  ä  RomeJ  On  doit  ^rire  et  dire :  j'irai 
le  dire  k  Bome. 

Fassons  maint^nant  auz  points,  qui  sans  toe  präcis^ment  erron^, 
sont  kl  tout  le  moins  un  peu  risques.  P.  4.  [Si  monsieur  veut  passer^ 
Dies  ist  eine  höflichere,  im  Munde  des  Dieners  angemessenere  Form  als: 
Si  vous  voulez  passer.)  II  fiiudrait  dire:  Dies  ist  die  einzige  im  Munde 
des  Dieners  bei  hohen  Herrschaften  zulässige  Form.  A  la  page  8, 
r^diteur  fait  remarquer,  dass  diahle  viel  häufiger  gebraucht  wird  als 
Teufel,  wie  schon  ein  Blick  auf  die  zwei  Artikel  in  den  Wörterbüchern 
lehrt.  J'ai  eu  la  curiositä  de  recourir  ä  Sachs,  et  je  serais  tent^  de  dire 
que  j'y  ai  vu  justement  le  contraire.  Une  remarque  du  m&me  genre 
est  la  suivante,  p.  65.  [Die  französische  Sprache  hat  viel  mehr  Redens- 
arten mit  loup  als  die  deutsche  mit  fVolf.J  Et  M.  H.  cite  onze  lignes 
de  proverbes  fran9ais  oü  se  trouve  le  mot  loup,  et  il  termine  en  disant: 
Gemeinsam  mit  dem  Deutschen  ist  wohl  nur:  m  faut  hurler  avec  les  loups, 
und  appe'iit  de  loup.  Tci  encore  j*ai  recouru  k  Sachs  et  j'y  ai  tronv^ 
d'abord  que  la  colonne  au  mot  Wolf  est  bien  plus  nourrie  que  celle  du 
mot  loup;  et  ensuite  que  presque  toutes  ces  onze  lignes  de  proverbes, 
cit^s  comme  exelusivemeot  franfais,  sont  ^galement  des  proverbes  alle- 
mands:  wenn  man  vom  Wolf  spricht,  ist  er  nicht  weit;  wer  sich  zum 
Schafe  macht,  den  fressen  die  Wölfe;  der  Wolf  stirbt  in  seiner  Haut; 
oder:  der  Wolf  ändert  sein  Haar,  aber  nicht  seine  Art;  den  Wolf  bei 
den  Ohren  halten,  u.  s.  w.  II  y  a  en  outre  quantitä  de  proverbes  allemands 
avec  Wolf,  sans  que  le  mot  loup  se  trouve  dans  le  proverbe  franQais 
correspondant:  Er  macht  es  wie  der  Wolf,  der  davon  läuft,  wenn  man 
ihn  ruft:  C*est  le  chien  de  Nivelle,  qui  s'enfuit  quand  on  Tappelle,  etc. 
—  F.  10.  [lä-baSy  da,  dort  ...  es  kann  auch  ein  unten  Stehender  la^bas 
auf  jemand  beziehen,  der  oben  steht.]  Je  n'ai  pas  connaissance  d'un 
pareil  langage;  en  tout  cas,  cela  ne  peut  se  trouver  que  dans  l'argot,  et 
non  dans  un  livre  classique.  —  P.  18.  fma  fiUe  achevait  de  me  donner 
une  legon,  Achever  de  faire  heisst  etwas  vollends  thun.]  De  sorte  que 
le  panvre  el^ve  doit  traduire:  Meine  Tochter  gab  mir  vollends  eine  Stunde! 
Si  lee  Allemands  sen  contentent,  j'aurais  mauvaise  gräce  d'y  trouver  ä 
redire.  —  P.  29.  [Die  französischen  Richter,  die  unabsetzbar  sind,  wie 
bei  uns  .  .  .]  M.  H.  ignore-t-il  donc  que  le  ministre  de  la  Justice,  Martin 
Fenint,  en  fit  une  h^catombe,  il  y  a  trois  ou  quatre  ans?  Wie  bei  uns! !  1 
Et  plüt  k  Dieu  qu'il  en  füt  ainsi!  Sous  un  gouvemement  regulier,  la 
remarque  serait  juste:  sous  la  Republique,  c'est  comme  dans  la  chanson: 
„Rien  n'est  sacie  pour  un  pompier.^  —  P.  32.  fvoir  du  monäe,  Besuche 
empfangen.]  Et  pourquoi  pas:  Besuche  machen?  L'äditeur  parle  (p*37) 
de  la  bataille  de  Fontenoy  et  dit:  sie  wurde  bekanntlich  nach  allen 
Regeln  des  höfischen  Auslandes  eingeleitet  . .  .  Apr^  cela  vient  la  tar- 
tine  connue:  „tirez  les  premiers,  messienrs  les  Fran^ais**.  Le  duo  de 
Broglie  a  demonträ  dans  la  R.  d.  d.  M,  (15  juin  1884)  que  cet  höfischer 
Anstand  n'est  qu'une  fable,  et  qu'il  ne  faut  y  voir  qu  une  mesure  de 
tactique,  et  non  une  expression  de  politesse.  —  P.  40.  [donaiion  entre 
vifs  .  .  .  sonst  wird  vif  lebendig,  sich  in  der  Regel  nur  auf  Sachen  be- 
ziehen.] Ce  terme  entre  dans  une  foule  d'expressions  pour  däsigner  des 
personnes:  il  est  plus  mort  que  vif;  Stre  brulä  vif;  il  est  vif  comme  la 
poudre  etc.   ?—  P.  55.  [. .  .  es  berührt  geradezu  komisch  da^s  ein  Mann, 


64    /.  Jymeric,  Sandeau,  M^  de  la  SeigÜere,  krgg.  von  Martin  Harimann, 

der  die  Geschichte  der  Hevohition  miterlebt  hat,  Qber  Kleber  erat 
ein  Lexikon  nachschla^n  muss.]  „Aller  aux  informations'',  ne  signifie 
pas  absolument  ein.  Lexikon  nachschlagen.  Et  poarquoi  le  marquis 
n'aurait-il  pas  consult^  Raoul,  le  savant  de  la  pi^ce  et  le  fianc^  de 
sa  fiUe?  Je  seraia  tent^  de  croire  que  le  marquis,  ce  bon  vivant,  ne 
possädait  pas  de  biblioth^qiie  et  encore  moins  de  dictionnaire  de  la  con- 
versation,  s'il  en  existait  k  cette  äpoqne,  ce  que  j'ignore.  —  P.  56.  [Die 
Geographie  Bernard's  ist  hier  nicht  richtig.  Denn  Eckmühl  liegt  nicht 
am  Regen  .  .  .  sondern  an  der  grossen  Laber  . .  .]  Mais  Bemard  ne  dit 
pas  qu*  Eckmühl  seit  situde  sur  le  Regen.  Häl^ne  lui  montre  un  paysage 
qu'elle  yient  de  faire  et  dit:  Est-ce  bien  la  le  cours  de  la  rivi^re?  A 
quoi  Bernard  räpond.  »Oui,  c'est  le  Kegen;  ici  est  Nuremberg,  la  le 
clocher  du  village  d'Eckmühl."  ün  tableau  contient,  j'ima^ine,  une 
certaine  perspective.  —  M.  H.  dit  (p.  47)  que  Tidäe  de  patrie  nätait  pas 
bien  d^velop^e  sous  la  monarchie.  Je  ne  suis  ni  assez  clerc  ni  assez 
philoaophe  pour  vouloir  le  contester,  mais  cette  assertion  me  semble  bien 
hasardee.  L^id^e  de  patrie  ^tait  si  däveloppäe  chez  les  Romains  et  chez 
les  Gtiulois,  qu'il  semblerait  au  moins  Strange  qu'elle  ait  disparu  ensuite 
pour  ne  reparaitre  qu'au  1^^^  si^cle.  La  vieille  Chanson  de  Roland 
respire  d^un  bout  k  Tautre  Tamour  de  la  patrie.  Le  mot  ne  s'y  trouve 
point  encore,  il  est  remplac^  par  celui  de  ^France^ :  noctis  pere,  n'en 
laiser  hunir  France!**  Au  15"  si^cle  Alain  Chartier  dit:  „il  est  louable 
de  combattre  pour  sa  patrie*^,  et  Ba'if  räp^tera  un  peu  plus  tard:  „Pour 
la  patrie. '  c'est  un  beau  mot."  Le  vieux  fran9ais  a  un  proverbe  qni  dit: 
„fiancer  vertu,  espouser  patrie'^  pour  affirmer  que  Tamour  de  la  patrie 
est  ins^parable  de  celui  de  la  vertu.  A  mon  avis,  Tid^e  de  patrie  doit 
gtre  aussi  vieille  que  le  moude,  et  parce  que  le  mot  aura  fait  assez  tard 
son  apparition,  ce  n'est  pas  une  raison  de  dire  que  Tidäe  de  patrie  s'est 
d^veloppee  compl^tement  au  18**  si^cle;  car  Ch.  Fontaine  dit  d^ja  (16** 
sibcle):  „Qui  a  pais,  n*a  que  faire  de  patrie,'* 

Tels  sur  les  principaux  point«  que  j'ai  cru  devoir  si^naler.  Est-ce 
k  dire  que  je  trouve  cette  Edition  d^fectueuse?  Pas  le  moins  du  monde ; 
je  la  trouve  trte  bien  faite,  si  bien  faite  mdme  qu'elle  me  semble  §tre 
beaucoup  trop  savante  pour  des  el^ves.  Ces  perpätuelles  camparaisons 
entre  le  roman  et  la  comedie  peuvent  bien  Stre  utiles  k  des  ätudiants 
de  rUni versitz,  mais  elles  ne  le  sont  pas  pour  de  simples  elbves.  üne 
page  enti^re  est  consacräe  au  caract^re  du  Chevalier  en  g^näral,  et  du 
Chevalier  de  Barbanpr^  en  particulier,  toujours  avec  citations  en  fran^ais 
k  Tappui.  Le  Chevalier  d'Assas  re9oit  60  lignes  d*explication  dont  la 
moitiä  en  fran^ais.  Pour  nous  apprendre  que  Tage  de  vingt  ans  est 
regardä  par  les  Fran9aia  comme  la  fleur  de  la  jeunesse,  l'^iteur  nous 
donne  une  demi  page  de  citations,  toigours  en  fran^ais.  N'eut-il  pas 
mieux  valu  pour  les  äl^ves  expliquer  une  foule  de  termes  di£6ciles  et 
qui  ont  ät^  passäs  sous  silence?  Par  exemple:  ^tiqueter  des  simples; 
les  palmes  de  la  chicane;  j'y  mangerai  mon  dernier  cbamp;  le  duüet 
de  leur  nid;  jeter  la  science  attx  oriies,  etc.  etc.  On  trouve  par  contre: 
nicht  zu  verwechseln  le  chenil  und  la  chenille.  Mais  des  ^l^ves  en  etat 
de  digärer  ces  tirades  t'ran9aise8  ne  feront  jamais  cette  confusion.  Comme 
conclusion,  je  dirai:  travail  excellent  pour  les  maitres,  trop  acad^mique 
pour  les  äl^ves.  J.  Aymeeic. 


Referate  und  Rezensionen. 


Daanheisser,  Ernst,  Studien  zu  Jean  de  Maireifs  Lehen  und 
Wirken.  Münchener  Dissertation.  Ludwigshafen  a.  Rh., 
1888.     Julius   Waldkirch's   Buchdruckerei  (111   S.   8% 

Wir  haben  es  hier  eigentlich  nur  mit  der  ersten  Hälfte 
einer  für  die  Geschichte  Mairet's  und  des  älteren  französischen 
Theaters,  besonders  in  chronologischen  Fragen  immerhin  recht 
bedeutsamen  Arbeit  zu  thun.  Über  den  Wert  der  vom  Verfasser 
gewonnenen  neuen  Resultate  wird  man  sich  erst  dann  ein  rechtes 
Urteil  bilden  können,  wenn  er  uns  im  folgenden  Teile  die  Be- 
weise für  die  von  ihm  aufgestellten  Ergebnisse  erbringen  wird. 
Nichts  destoweniger  darf  auch  schon  dieser  erste  Teil,  der  meist 
nur  den  Pflug  der  kritischen  Forschung  tief  einsetzt,  um  die 
bisher  überlieferten  Angaben  umzustürzen,  eine  eingehende  Be- 
achtung in  Anspruch  nehmen,  und  Niemand,  der  sich  mit  der 
Geschichte  der  neueren .  französischen  Litteratur  befasst,  wird 
ihn  übersehen  dürfen. 

Es  ist  besonders  die  Unzulänglichkeit  und  Flüchtigkeit  der 
älteren  Biographen,  die  den  Verfasser  veranlasste,  sich  mit 
Mairef  s  Leben  eingehender  zu  befassen,  denn  selbst  der  jüngste 
dieser  Biographen,  Gaston  Bizos,  kann  sich  von  den  Irrthümern 
seiner  Vorgänger,  besonders  de  Frasne's,  nicht  recht  losmachen 
und  hat  zu  den  ersten  Quellen  zurückzugehen  vernachlässigt. 
Wir  werden  nun  die  Resultate,  zu  denen  Dannheisser  gelangt, 
besonders  da,  wo  er  mit  den  herkömmlichen  Traditionen  bricht, 
in  gedrängtester  Kürze  wiedergeben  und  da  wo  sie  uns  bedenk- 
lich erscheinen,  dies  in  wenigen  Worten  andeuten.  Mit  Recht 
stellt  Dannheisser  die  Abstammung  Mairet's  aus  Westfalen  als 
zweifellos  hin  und  verweist  Vollmöller,  der  in  seiner  Sophonisbe- 
Ausgabe  dagegen  Einwendungen  erhoben  hat,  auf  den  von  Kaiser 
Leopold  für  Mairet  erneuerten  Adelsbrief,  sl^b  dem  dies  mit 
Sicherheit    hervorgeht.      Das    Geburtsjahr    Mairet's    bildete    den 

Zechr.  £  firz.  Spr.  u.  Litt.    XI^.  5 


66  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

Gegenstand  langer  Kontroversen,  weil  uns  ^er  Dichter  selbst  ab- 
sichtlich auf  falsche  Fährte  zu  führen  bemüht  war.  Er  sagte 
nämlich  in  einem  am  4.  Januar  1636  geschriebenen  Briefe  (der 
Epistre  comique  et  famüüre),  er  stehe  „heute  in  seinem  sechs- 
undzwanzigsten Lebensjahre.^  Da  kamen  die  Parfaict  mit  der 
Nachricht,  ein  Neffe  Mairet's,  M.  de  Romain,  habe  in  einer  ihnen 
zugesendeten  Familiendenkschrift  das  Jahr  1604  (also  nicht  1610!) 
als  Mairet's  Geburtsjahr  bezeichnet,  und  erklärten  die  falschen 
Angaben  Mairet's  als  einen  Ausfluss  seiner  masslosen  Eitelkeit 
Da  die  Parfaict  die  Mitteilung  de  Komain's  nicht  in  ihrem  Wort- 
laute veröffentlichten,  so  suchte  Gaspary  des  letzteren  Nachrichten 
auf  ein  blosses  Versehen  (de  Romain  soll  anstatt  „4.  Januar  1636" 
gelesen  haben  „4.  Januar  1630")  zurückzuführen,  eine  Annahme, 
zu  der  er  sich  besonders  darum  berechtigt  glaubte,  weil  auch 
de  Romain  denselben  Tag  als  Geburtstag  angibt,  wie  Mairet 
selbst.  Allen  diesen  Streitigkeiten  nun  machte  der  von  Tivier 
zuerst  aus  amtlichen  Quellen  veröffentlichte  Taufakt  Mairet's  ein 
Ende,  demzufolge  Mairet  am  10.  Mai  1604  getauft  wurde 
und  wahrscheinlich  etwa  vierzehn  Tage  früher  geboren  worden 
ist.  Dies  ist  also  über  jeden  Zweifel  erhaben.  Wenn  aber 
Dannheisser  den  Parfaict  „Willkür"  vorwirft,  dass  sie  als  Ge- 
burtstag Mairet^s  den  4.  Janaar  bezeichnet,  so  thut  er  ihm 
unseres  Erachtens  entschieden  Unrecht  und  es  scheint  uns  viel- 
mehr unbillig,  die  Parfaict  so  abzukanzeln,  anstatt  es  ihnen  zu 
danken,  dass  sie  durch  die  Veröffentlichung  der  Angaben  de  Romain's 
zuerst  das  richtige  Geburtsjahr  Mairet's  kundgaben.  Die  Gebrüder 
Parfaict  verdienten  diesen  Tadel  um  so  weniger,  als  (wie  wir 
meinen)  in  der  ihnen  mitgeteilten  Familiendenkschrift  der  Ge- 
burtstag Mairet's  gar  nicht  angegeben  war  und  sie  wahrschein- 
lich den  vom  Dichter  selbst  angegebenen  Geburtstag,  den 
4.  Januar,  gelten  Hessen.  Wenn  sie  nämlich  auch  überzeugt 
waren,  Mairet  habe  sein  rechtes  Geburtsjahr  aus  Eitelkeit  ver- 
leugnet, so  lag  doch  absolut  kein  Grund  vor,  dem  Dichter  eine 
Verleugnung  seines  wahren  Geburtstages  zuzumuten!  Und  so 
konnten  die  Parfaict  neben  der  neuen  Angabe  des  Geburtsjahres 
mit  Recht  den  früheren  Geburtstag  gelten  lassen.  Wir  möchten 
auch  jetzt  noch  eher  annehmen,  Mairet  habe  seinen  wahren  Geburts- 
tag nicht  gekannt,  als  er  habe  ihn  absichtlich  falsch  angegeben. 
Schliesslich  wollen  wir  noch  der  Bemerkung  Raum  geben,  dass 
ja  die  Worte  Mairet's  in  der  Epistre  comique  et  famüüre  vom 
4.  Januar  1636:  J^ay  commenci  de  faire  parier  de  moy  de  si 
bonne  heure,  qu* aujourdhui  ä  ma  vingt-sixiesme  annie  etc.  uns 
gar  nicht  so  unbedingt  den  4.  Januar  als  den  Geburtstag  Mairefs 
bezeichnen. 


E.  Dannheisser,  Studien  zu  Jean  de  Mairefs  Leben  und  Wirken.     67 

Im  Jahre  1620  verliess  Mairet  seinen  Geburtsort  Besannen 
und  begab  sich  nach  Paris.  Die  von  Bizos  angegebene  Be- 
gründung, er  habe  der  Pest  entfliehen  wollen,  bezeichnet  Dann- 
heisser mit  Recht  als  aus  der  Luft  gegriffen  und  wir  möchten 
hinzufügen,  dieser  Irrtum  sei  bei  Bizos  entstanden,  weil  Mairet 
(wie  er  in  einem  seiner  Sonnette  angibt)  vor  der  Pest  aus  Paris 
entflohen.  Nun  wüthete  die  Pest  in  Paris  im  Jahre  1623. 
Wollte  man  Mairefs  Angabe,  er  sei  1610  geboren,  aufrecht  er- 
halten, so  müsste  er  (da  er  in  seiner  Epistre  comique  erzählt: 
Blnfin  ce  fut  Vaudacieux  desir  de  porier  mes  par  sur  les  votres 
qui  me  persuada  de  changer  comme  je  fisy  ä  Vage  de  16  ans 
Vair  de  Besangon  ä  celuy  de  Paris  etc.)  erst  1626  nach  Paris 
gekommen  sein,  was  ganz  unhaltbar  ist,  da  wir  mit  Sicherheit 
wissen,  er  sei  1623  schon  im  Dienste  des  Herzogs  von  Mont- 
morency  gestanden.  Dass  Mairet  in  derselben  Epistre  comique, 
wo  er  sein  Alter  um  6  Jahre  verleugnet,  richtig  angibt,  er  sei 
im  Alter  von  16  Jahren  nach  Paris  gekommen,  können  wir  nicht 
mit  Herrn  Dannheisser  Überraschend  finden,  denn  Mairet  konnte 
wohl  aus  Prahlsucht  im  Jahre  1636  von  sich  sagen,  er  sei  schon 
im  Alter  von  26  Jahren  (anstatt  der  thatsächlichen  32)  ein  viel- 
bewunderter Dichter  gewesen,  er  konnte  doch  aber  nicht  sagen, 
er  sei  im  Alter  von  10  Jahren  nach  Paris  gekommen  und  habe 
in  demselben  Alter  seine  Chrisüde  geschrieben,  da  dies  eine 
zu  läppische  Aufschneiderei  gewesen  wäre.  Dass  man  aber  aus 
dieser  richtigen  Altersangabe  von  16  Jahren  zur  Zeit  seiner  An- 
kunft in  Paris  auf  das  unrichtige  Datum  seines  Geburtsjahres 
in  derselben  Epistre  comique  Rückschlüsse  ziehen  werde,  be- 
fürchtete Mairet  im  Jahre  1636  nicht  allzusehr,  da  er  annahm, 
das  Jahr  seiner  ersten  Ankunft  in  Paris  sei  bereits  allgemein 
vergessen.  Für  den  Eintritt  Mairet's  in  die  Dienste  des  Herzogs 
von  Montmorency  gewinnt  Dannheisser  mit  Recht  den  Zeitraum 
innerhalb  1623  —  24.  Mairet  verdankte  diesem  Herzoge  auch 
mannigfache  geistige  Anregung  und  wusste  sich  in  dessen  Gunst 
auch  durch  seine  heldenmütige  Teilnahme  bei  der  Eroberung  der 
Insel  R6  im  Jahre  1625  noch  mehr  zu  befestigen.  Da  lebte  er 
im  schattigen  Chantilly,  im  Schlosse  des  Herzogs,  blieb  aber  mit 
dem  Zentrum  der  litterarischen  Bewegung  in  Paris  in  Fühlung, 
da  der  Herzog  daselbst  ein  Haus  hatte.  Im  Jahre  1625  trat 
er  auch  in  innige  Beziehungen  zu  Th^ophile  de  Viau,  der  damals 
ebenfalls  in  Chantilly  eine  Zuflucht  vor  seinen  Verfolgern  gesucht 
hatte.  Nichts  desto  weniger  wird  man  Desbarraux'  ver- 
dächtigende Ausstreuungen,  als  habe  zur  Sophonisbe,  dem  ge- 
priesensten  Werke  Mairet's,  dieser  nur  den  Namen,  Th^ophile 
aber    den    Geist    hergegeben,    als    eine    blosse    Fabel    ansehen 


68  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

mttSBen.  Der  schon  1626  erfolgte  plötzliche  Tod  Theophile's 
bedeutete  für  Mairet  jedenfalls  einen  herben  Verlust  und  nur  der 
fast  unbestrittene  Erfolg  bei  der  im  selben  Jahre  erfolgten  Auf- 
führung der  Sylvie  spendete  ihm '  einigen  Trost.  Ob  die  Mairet 
von  Montmorency  erteilte  Pension  eine  Anerkennung  für  seine 
heldenmütige  Haltung  im  Jahre  1625,  oder  eine  Prämie  ftir  die 
Sylvie  gewesen  sei,  lässt  sich,  wie  Dannheisser  überzeugend 
nachweisst,  nicht  ermitteln,  ebensowenig  wie  der  Zeitpunkt,  von 
welchem  an  sie  ausbezahlt  worden  sei;  gewiss  sei  nur,  dass 
letzteres  nicht  erst  nach  1627  der  Fall  gewesen  sei.  1632 
starb  Montmorency  auf  dem  Schaffet.  Mairet  aber  gewann  so> 
fort  einen  neuen  Gönner  in  dem  Grafen  von  B6lin,  denn  die 
Dichter  jener  Zeit  mussten  (wie  der  grosse  National  Ökonom  List 
einmal  sagte)  ebenso  notwendig,  wie  die  Hunde,  einen  Herrn 
haben.  B^lin's  gastliches  Haus  versammelte  einen  vornehmen 
Zirkel  der  damaligen  litterarischen  Berühmtheiten  und  diese  Um- 
gebung wie  des  Gastgebers  geistvolle  und  bedeutende  Persönlich- 
keit selbst  wirkte  sehr  befruchtend  auf  des  Dichters  dramatische 
Thätigkeit  und  so  entstanden  während  des  Aufenthaltes  bei  B61in 
in  merkwürdig  rascher  Aufeinanderfolge  innerhalb  dreier  Jahre 
fünf  grosse  Dramen,  während  er  im  Laufe  der  neun  Jahre,  die 
er  in  Chantilly  zugebracht,  nur  drei  Theaterstücke  vollendet 
hatte.  Das  Verhältnis  Montmorency^s  zu  Mairet  scheint  ein  mehr 
gönnerartiges,  das  B61in*s  zu  dem  Dichter  ein  mehr  herzliches  ge- 
wesen zu  sein,  so  dass  man  in  der  Dramatisierung  des  Ariost'schen 
Rasenden  Roland  eine  Konzession  an  den  Geschmack  de  B^lin's 
für  das  Romantische  erblicken  kann.  Seinem  nunmehrigen  Pro- 
tektor zu  Liebe  scheint  Mairet  auch  seine  Vorliebe  für  das 
Pastorale  abgethan  zu  haben.  Besonders  in  Bezug  auf  Bühnen- 
technik scheint  Mairet  bei  B^lin  sich  grosse  Routine  angeeignet 
zu  haben.  In  desselben  Hause  machte  er  auch  die  Bekanntschaft 
von  Rotrou  und  Scudery,  den  beiden  Anführern  der  gegen 
Corneille  aufgestandenen  Klique,  und  knüpfte  er  mit  beinahe 
allen  namhafteren  Dichtem  seiner  Zeit  Verbindungen  an,  wie 
auch  seine  schon  von  Chantilly  her  angebahnten  Beziehungen 
zum  Hofe  jetzt  keine  Störung  erlitten.  Ein  Umschwung  dieser 
Verhältnisse  erfolgte  im  Jahre  1635.  In  demselben  erschienen 
von  Mairet  CUopdtre  und  Soliman,  Ersteres  Stück  konnte 
nicht  durchschlagen,  vom  letzteren  konnte  er  trotz  aller  An- 
strengungen nicht  einmal  die  Aufführung  durchsetzen  und  in 
dieser  gegen  alle  Welt  (vielleicht  sogar  gegen  B61in)  verbitterten 
Stimmung  schrieb  Mairet  seine  schon  wiederholt  erwähnte  Epish'e 
comique,  in  der  er  sich  förmlich  im  Selbstlobe  berauschte  und 
kein  Mittel,  selbst  die  Lüge  nicht,  verschmähte,  um    seine  Vor- 


E,  Dannheisser,  Studien  zu  Jean  de  Moire fs  Leben  und  Wh'ken.     69 

zttge  nur  recht  herauszustreicheii.  Wir  haben  ja  oben  bereits 
eine  Probe  aus  dieser  Schrift  kennen  gelernt  und  darin  gesehen 
wie  sich  Mairet  nach  Art  kleinlicher  Frauen  jünger  machen  will, 
als  er  ist.  Dass  Bizos  Mairet's  Verstimmung  dem  Misserfolge 
der  Athinats  zuschreibt  (anstatt  dem  des  Soliman),  erklärt  Dann- 
heisser als  eine  Folge  der  chronologisch  unrichtigen  Ansetzung 
der  Werke  Mairet's  von  Seiten  dieses  Autors. 

B61in  vermittelte  auch  Mairet's  Bekanntschaft  mit  dem  da- 
mals so  einflussreichen  Kritiker  Ghapelain.  Während  Mairet 
sonst  den  Sommer  über  auf  den  Gütern  des  Grafen  B61in  weilte, 
den  Winter  aber  meist  im  Hause  desselben  Grafen  in  Paris  zu- 
brachte, scheint  er  den  Winter  1637 — 1638  nicht  in  Paris  zu- 
gebracht zu  haben,  obwohl  gerade  damals  sein  Soliman  endlich 
aufgeführt  wurde.  Wennschon  die  ehemals  so  nahen  Beziehungen 
Mairet's  zu  Montmorency  ersteren  dem  Kardinal  Richelieu  sehr 
entfremdeten,  ja  verdächtig  machten,  so  hatten  doch  andererseits 
der  beim  Kardinal  vielvermögende  Boisrobert  (mit  dem  Ghapelain 
den  Verkehr  Mairet's  vermittelte),  ferner  die  hochgestellte  Herzogin 
von  Aiguillon  und  nicht  am  wenigsten  seine  eigenen  dramatischen 
Werke  ihm  den  Weg  zu  demselben  geebnet,  so  dass  er  einmal 
sogar  an  einer  der  Kompagniearbeiten  der  Cinq  auteurs,  wahr- 
scheinlich der  Grande  Pastorale,  teilnehmen  durfte.  Dass  Mairet 
von  Richelieu  eine  regelmässige  Pension  von  tausend  Francs 
bezogen  habe  (Parfaict),  hält  Dannheisser  als  unnachweisbar. 
Im  letzten  Viertel  des  Jahres  1638  starb  B61in,  ein  Verlust,  der 
Mairet  gewiss  sehr  empfindlich  traf,  wenn  man  auch  mit  Dann- 
heisser die  Bemerkung  Ghardon's,  dieser  Tod  habe  Mairet's  Muse 
zum  Schweigen  gebracht,  wird  als  zu  weitgehend  bezeichnen 
müssen.  Hier  müssen  wir  Dannheisser  eine  Flüchtigkeit  vorwerfen 
denn  während  er  (S.  37)  Belin,  wie  wir  soeben  gesehen,  im 
letzten  Viertel  des  Jahres  1638  sterben  lässt,  sagt  er 
(S.  93):  „Im  September  1638  starb  der  Graf  B^lin.'*  Welche 
Angabe  die  richtige  ist,  sind  wir  momentan  zu  konstatieren  ausser 
Stande,  weil  uns  das  hierzu  nötige  Büchermaterial  nicht  zu  Ge- 
bote steht.  In  die  Zeit,  da  Mairet  über  seinen  dahinwelkenden 
Ruhm  sich  in  einer  galligen  Stimmung  befand,  fällt  die  erste 
AuflFührung  von  Corneille 's  Cid.  Wenn  auch,  wie  man  anzu- 
nehmen Grund  hat,  bis  dahin  sogar  ein  freundschaftlicher  Ver- 
kehr zwischen  den  beiden  Dichtern  bestanden  hat,  so  musste 
doch  der  gewaltige  verblüffende  Erfolg  des  Cid  Mairet's  Neid 
in  hohem  Grade  erregen.  Wenn  Mairet  so  that,  als  hätte  nur 
der  verfrühte  Druck  des  Cid  seinen  Unwillen  erregt,  und  als 
habe  nur  die  gegen  sein  den  Schauspielern  gegebenes  Wort 
von  Seiten  Corneille's  erfolgte  Publikation  und   die    dadurch   er- 


70  Referate  und  Rezensionen.    J,  Frank, 

folgte .  Schädigung  der  Akteurs  ihn  in  Bewegung  gesetzt,  so  wird 
man  diese  Motivierung  mit  Recht  als  eine  Heuchelei  Mairet's 
ansehen,  hinter  der  sich  die  verwundete  Eitelkeit  verbarg. 
Dass  bei  Mairet  bei  seiner  Stellungnahme  gegen  den  Oid  auch 
das  Bestreben  mitwirkte,  sich  vor  dem  Kardinal  Richelieu  von 
dem  Verdachte  zu  reinigen,  als  finde  er,  der  ans  der  Franehe 
Comt6  einer  damals  spanischen  Provinz  stammte,  Gefallen  an 
dem  spanischen  Cid^  wird  man  plausibel  finden  können,  ohne  es 
zu  billigen,  dass  Dannheisser  fttr  diese  Wahrnehmung,  als  wäre 
sie  so  bedeutsam,  mit  Emphase  das  Recht  der  Priorität  in  An- 
spruch nimmt  Dass  die  ganze  Polemik  zwischen  Corneille  und 
Mairet  einen  höchst  unerquicklichen  Charakter  annahm,  dass  die 
Apologie  pour  Mairet  von  letzterem  in  einem  Zustande  geschrieben 
wurde,  „in  welchem  der  von  der*  Leidenschaft  benebelte  Geist 
nur  mehr  unzusammenhängend  zu  lallen  vermag  —  im  Paroxis- 
mus  der  Gedankenlosigkeit^  wird  man  eine  zutre fixende  Bemerkung 
nennen  können;  die  sonstigen  in  diesem  §  20  aber  gemachten  De- 
duktionen haben  wenigstens  auf  uns  oft  den  Eindruck  des  Haar- 
spalterischen und  Gezwungenen  oder  mindestens  allzu  Gesuchten 
gemacht,  so  auch  jene,  die  das  Datum  der  Aufführung  des  Oid 
in  den  letzten  Tagen  des  Monats  November  1636  zu  erschüttern 
versucht,  und  die  uns  denn  doch  auf  zu  schwanken  Füssen  zu 
stehen  scheint.  Dannheisser  selbst  gibt  zu,  in  diesen  Fragen 
nichts  Abschliessendes  bieten  zu  können. 

Nach  dem  also  1638  erfolgten  Tode  des  Grafen  Bölin 
scheint  nach  Dannheisser  der  Aufenthalt  Mairet's  in  Maine  im 
Hause  von  Bölin's  Sohne  noch  einige  Zeit  fortgedauert  zu  haben. 
Dagegen    soll    er   zur  Zeit    der  Vollendung    der  Atkenats   (Ende 

1638  oder  Anfang  1639)   ßölin's  Haus    schon   verlassen   haben. 

1639  — 1642  soll  er  sich  meist  in  Paris  aufgehalten,  jedoch 
auch  innerhalb  der  Jahre  1640—1642  ein  halbes  Jahr  in  Maine 
zugebracht  haben,  und  zwar  in  der  Nähe  des  eben  dahin  ver- 
bannten W^^  de  Hautefort.  Innerhalb  der  letztgenannten  Jahre 
wurde  auch  Mairet's  Sidonie  fertig.  M^^®  de  Hautefort  sowohl 
als  ihre  Schwester  wurden  in  einem  Sonnette  Mairet's  mit  den 
widerlichsten  Schmeicheleien  angesungen,  in  der  durchsichtigen 
Tendenz,  ihm  den  Weg  zur  Rasse  der  Königin  zu  ebnen,  bei 
der  sie  vielvermögend  waren.  Er  hatte  eben  im  Laufe  der  Zeit 
sich  vor  den  Grossen  zu  erniedrigen  gelernt.  In  der  nächsten 
Zeit  beschritt  Mairet  die  politische  Karriere.  Auf  die  Empfehlung 
des  gewandtesten  spanischen  Diplomaten  dieser  Zeit,  des  ihm 
befreundeten  Baron  Lisola  hin,  wurde  Mairet  1645  zum  diplo- 
matischen Agenten  in  Paris  ernannt  und  entwickelte  dabei  be- 
sonders eine  segensreiche  Thätigkeit  im  Interesse  der  Franehe- 


E.  Dannheisser,  Studien  zu  Jean  de  Moire fs  Leben  und  Wirken.      71 

Comt6.  Mairet's  Ehrgeiz  jedoch  wollte  noch  höher  hinaus,  er 
wollte  mit  Hilfe  des  Baron  Lisola  Gesandter  des  deutschen 
Reichs  in  Paris  werden^  aber  der  Kardinal  Mazarin  machte  seinem 
diplomatischen  Strebertum  durch  einen  Ausweisungsbefehl  ein 
Ende,  worauf  Mairet  im  Jahre  1658  nach  Besan^on  übersiedelte. 
In  demselben  Jahre  verlor  Mairet  auch  seine  ihm  erst  seit  1647 
angetraute  Gattin ;  die  Ehe  war  kinderlos  geblieben.  Nach  dem 
im  Jahre  1659  abgeschlossenen  pyrenäischen  Frieden  durfte  sich 
der  Dichter  wieder  in  Paris  zeigen,  wo  er  auch  wiederum  durch 
mehrere  Jahre  hindurch  seinen  Aufenthalt  genommen  zu  haben 
scheint.  Die  poetische  Thätigkeit  Mairet's  war  innerhalb  dieser 
Zeit   so  gut  wie  erloschen.     Er  starb  am  31.  Januar  1686. 

Dannheisser  wendet  sich  nun  nach  diesem  biographischen 
Abrisse  Mairet's  der  Aufgabe  zu,  die  dramatischen  Werke 
desselben  chronologisch  zu  fixieren.  Er  glaubt  dies  nur 
auf  Umwegen  thun  zu  können.  Die  Zeitbestimmung  von  Th6ophile's 
Pyrame  et  Thishi  soll  der  erste  Schritt  zu  diesem  Ziele  sein. 
Mairet  sagte  einmal  (1637),  seine  Sylvie  habe  bei  ihrem  Er- 
scheinen darum  einen  so  schwierigen  Standpunkt  gehabt,  weil 
die  dramatischen  Werke  Hardy's,  Racan's  und  Th6ophile's  ihr 
vorausgegangen  seien.  Daraus  folgt:  Fyramus  ist  vor  der  Sylvie 
geschrieben  worden.  Aber  wann?  Die  Parfaict  behaupten, 
T^ophile  müsse  seine  Tragödie  wenigstens  ein  Jahr  vor  seiner 
Abreise  nach  England  geschrieben  haben.  Den  Beweis  hierfür 
bleiben  sie  schuldig.  Es  lässt  sich  auch  mehr  nicht  feststellen, 
als  dass  Th^ophile  in  den  Jahren  1620 — 1621  einmal  in  England 
war.  Das  von  den  Parfaict  für  Fyramus  angesetzte  Jahr  1617 
ist  also  hinfallig.  Einen  weiteren  Stützpunkt  zur  Frage  der  Ab- 
fassungszeit von  Pyramus  könnte  man  in  Theophile's  Elegie  ä 
une  Dame  finden  wollen,  in  der  er  singt: 

Autresfois,  quant  mes  vers  ont  anime  la  sceine, 
L ordre  oit  fesiois  contrainet  m^a  bien  faict  de  (a  peine. 
Ce  travail  importun  nCa  long-temps  martyre, 
Mais  en  fin,  grace  aux  J)ieux,  je  nCen  suis  retire. 

Die  Abfassungszeit  dieser  Elegie  wird,  wie  Dannheisser 
ziemlich  überzeugend  nachweist,  ins  Jahr  1620  zu  setzen  sein. 
Diese  Anspielung  Theophile's  auf  eine  ihm  lästige  dramatische 
Thätigkeit  muss  sich  aber  durchaus  nicht  auf  den  Pyramus 
beziehen;  vielmehr  lässt  sie  sich  viel  natürlicher  auf  die  von 
Theophile  erwiesenermassen  abgefassten  Ballettexte  beziehen  und 
Th^ophile  athmet  also  in  der  Elegie  nur  erlöst  auf,  von  dieser 
Art  Bühnendichtung  erlöst  zu  sein;  sein  Pyramus  kann  aber 
darum  denn  doch  ganz  gut  auch  später  verfasst  worden  sein! 
Auch  ist  es  Th^ophile   gchon  zuzumuten,    dass  er  seinen  angeb- 


72  Referate  utid  Rezensionen.    F.  Bohertag, 

liehen  Widerwillen  gegen  das  Theater  dem  Publikum  zu  Liebe 
tiberwunden  habe.  Aus  einem  Briefe  Th^ophile's  geht  unzweifel- 
haft hervor,  dass  sein  Pyramus  im  Jahre  1625  oder  1626  einmal 
bei  Hofe  und  ungefähr  um  dieselbe  Zeit  auch  im  H5tel  de  Mont- 
morency  aufgeführt  worden  sei.  Dannheisser  ist  geneigt  zu 
vermuten,  dass  diese  AuflTUhrung  für  den  Hof  wenigstens  eine 
Novität  gewesen  sei,  will  es  aber  nicht  als  feststehend  annehmen. 
Wenn  aber  Pyramris  schon  1617  tiber  die  Btihne  Hardy's  ge- 
gangen wäre,  so  könnte  (nach  Dannheisser)  1625  dieselbe  Auf- 
führung bei  Hofe  unmöglich  so  grossen  Eclat  hervorgerufen  haben. 
Es  bleibt  also  Alles  dunkel.  Selbst  die  Angabe,  dass  Pyramus 
schon  1623  gedruckt  gewesen  sei,  möchte  Dannheisser  nicht  für 
unumstösslich  halten.  „Vorher  aber  gewiss  nicht!"  Auch  hier 
gelangt  Dannheisser  mehr  zu  negativen  Resultaten  und  möchte 
nur  hinter  die  in  den  Litteraturgeschichten  herkömmliche  Zahl 
1617  für  Pyramus  ein  Fragezeichen  gemacht  wünschen  und  be- 
wiesen haben,  dass  diese  Zahlenangabe  nicht  als  Substrat  für 
die  chronologische  Fixierung  von  Mairet's  Werken  dienen  könne. 
Weiter  könnte,  wie  wir  aus  dem  oben  zitierten  Ausspruche 
Mairet's  gesehen  haben,  die  Abfassungszeit  von  Kacan's  Bergeries 
zur  chronologischen  Aufhellung  von  Mairef s  Werken  dienen. 
Dannheisser  kommt  zu  dem  Schlüsse,  das  Racan's  Pastorale  nicht 
vor  1622  begonnen  und  erst  (wahrscheinlich  gegen  Ende)  1623 
zum  ersten  Male  aufgeführt  wurde.  Es  wtirde  uns  denn  doch 
zu  weit  führen,  Herrn  Dannheisser  auch  hier  in  die  Details  seiner 
Beweisführung  zu  folgen  und  wir  geben  also  hier  nur  das  Resultat. 
Wir  werden  ja  ohnehin  ein  endgültiges  urteil  tiber  Herrn  Dann- 
heisser's  Studie  erst  dann  abgeben  können,  wenn  er  uns  im 
zweiten  Teile  seiner  Arbeit  das  Positive  seiner  Forschungs- 
resultate: die  Beweisführung  für  seine  neuen  chronologischen 
Angaben  (er  ist  hierin  ganz  radikal!)  bieten  wird.  Bis  dahin 
können  wir  Herrn  Dannheisser  schon  grossen  Fleiss  und  hohe 
Gewissenhaftigkeit  nachrtihmen.  Nur  bezüglich  seiner  Methode 
sind  wir  nicht  einverstanden:  seine  Auseinandersetzung  schleift 
uns  oft  durch  ein  wahres  Labyrinth  und  es  kostet  die  grösste 
Anstrengung  und  Geduld,  ihm  zu  folgen,  besonders  weil  er  es 
liebt,  einen  Beweis  in  den  anderen  einzuschachteln.  Also  mehr 
Etirze  und  Geschlossenheit  der  Beweisführung  und  ein  nicht  so 
breitbehagliches  Verweilen  bei  Geringftigigem  würden  seine  Arbeit 
viel  geniessbarer  machen.  J.  Frank. 


P,  Wespy,  Der  Qraf  Tressan,  sem  Lehen  eic,  73 

Wespy,  Paul,  Der  Qraf  TVessan,  sein  Leben  und  seine  Be- 
arbeitungen der  französischen  Ritterromane  des  Mittel- 
alters, Leipziger  Inaugaral-Dissertation.  Reudnitz-Leipzig, 
1889.     50  S.  80. 

Der  Inhalt  der  kleinen  Schrift  ist  wesentlich  biographisch. 
Ein  einleitender  Abschnitt  handelt  über  die  Vorgänger  Tressan^s 
auf  dem  Gebiete,  welchem  er  den  grössten  Teil  seiner  schrift- 
stellerischen Thätigkeit  gewidmet.  Dann  folgt  ein  Abschnitt 
„Lebenslauf  des  Grafen  Tressan",  in  welchem  die  Biographien, 
welche  bis  jetzt  erschienen  sind,  besprochen  werden.  Hierauf 
kommen  „Vorbemerkungen  über  die  Familie  Tressan's",  femer 
„Jugend  und  Hofleben  (1705 — 1732)**,  „Periode  seiner  mili- 
tärischen Thätigkeit  (1733—1750)",  „Tressan  in  Lothringen  und 
am  Hofe  Königs  Stanislaus  von  Polen  (1750 — 1766)"  (in  welcher 
Überschrift  dem  Referenten  das  Wort  „und"  vom  Übel  zu  sein 
scheint),  „Tressan's  Alter  (1766—1783)"  und  endlich  ein  Über- 
blick der  Ausgaben  der  Werke  Tressans. 

Die  Schlussbemerkung  „Der  zweite  Teil  dieser  Arbeit,  ent- 
haltend eine  Untersuchung  über  Tressan's  Bearbeitungen  alt- 
französischer Kitterromane,  wird  an  anderer  Stelle  erscheinen" 
rechtfertigt  den  Verfasser  dem  Vorwurf  gegenüber,  dass  der  In- 
halt der  Schrift  das  nicht  gebe,  was  der  Titel  verspricht.  Jener 
zweite  Teil  wird  nun  freilich  das  bei  weitem  Interessantere  und 
Bedeutendere  bieten  und  lässt,  wenn  man  von  dem  vorliegenden 
biographischen  Teile  schliessen  darf,  Gutes  erwarten.  Denn 
wir  erhalten  hier  einen  gedrängten  und  doch,  wie  es  scheint, 
vollständigen  Lebensabriss  des  interessanten  Mannes,  U  meüleur 
et  le  plus  aimable  esprit  qui  soit  en  France  nach  Voltaire's  Urteil, 
welches  übrigens  wohl  weniger  gut  ausgefallen  wäre,  wenn  der 
Herr  Graf  sich  mit  dem  litterarischen  Diktator  weniger  gut  zu 
stellen  gewusst  hätte.  Bei  der  Feststellung  der  Thatsachen 
scheint  uns  der  Herr  Verfasser  mit  der  erforderlichen  kritischen 
Vorsicht  zu  Werke  gegangen  zu  sein.  Über  das  Misslingen  der 
dem  Grafen  von  seinem  militärischen  Ehrgeiz  eingegebenen  Pläne 
ist  unseres  Erachtens  aus  dem,  was  an  Material  vorliegt,  keine 
vollständig  genügende  Einsicht  zu  gewinnen.  Es  fehlen  uns 
hierzu,  die  Sache  mag  an  sich  so  wichtig  oder  so  unwichtig 
sein,  wie  sie  will,  zu  sehr  alle  wirklich  objektiven  Anhaltspunkte, 
denn  was  der  Abb6  V.,  Grimm  und  Madame  de  Genlis  erzählen, 
scheint  auf  einseitiger  Auffassung  oder  ungenauer  Kenntnis  der 
Sachlage  zu  beruhen,  und  gegen  Memoirenanekdoten,  von  beissenden 
Epigrammen,  mit  denen  sich  sonst  verdiente  Leute  geschadet 
haben  sollen,  muss  man  ein  grundsätzliches  Misstrauen  haben. 


74  Referate  und '  Rezewanen,    IC,  A,  M.  Hartmann, 

Ml5ge  es  Herrn  Wespy  verstattet  sein,  seine  Arbeit  über 
den  federgewandten  Grafen  bald  zu  einem  befriedigenden  Ab- 
schlüsse zu  bringen,  dem  wir  mit  Spannung  entgegensehen. 

F.    BOBESTAO. 


Kollektion  Spemann^ 

Siehe  hier  Band  JX^,  Seite  93  ff. 

(Fortsetzung.) 

5)   A.  R.  Le  Sage,    Dei'  hinkende    Teufel.     Mit   einer   Einleitung   von 
Ferdinand  Lotheissen.    230  S. 

Dieser  Band  gehört  zu  den  besten  Leistungen  der  Sammlung.  Die 
Einleitung  orientiert  in  knapper,  aber  vortrefflicher  Weise  über  Leben 
und  schriftstellerische  Bedeutung  des  Le  Sage  und  lässt  dieselben  Eigen- 
schaften hervortreten,  welche  die  Litteraturgescbichte  des  zu  früh  heim- 
gegangenen  Verfassers  in  so  hohem  Ma^se  auszeichnen:  die  auf  eigener 
Anschauung  beruhende  Vertrautheit  mit  Land  und  Leuten,  die  er- 
schöpfende Kenntnis  des  Gegenstandes,  die  treffende  massvolle  Beurteilung, 
und  endlich  —  last,  not  least,  —  die  edle,  gefallige  Darstellung.  Auch 
die  Übersetzung  verdient  volle  Anerkennung.  Sie  ist  erstens  in  be- 
sonderem Grade  korrekt,  was  man  ja  nicht  von  allen  Bänden  der  Spe- 
mannscben  Sammlung  sagen  kann,  und  sodann  gibt  sie  den  einfachen, 
leichten,  lebhaften  Ton  des  Originals  sehr  gut  wieder.  Die  Nachlese, 
die  der  Kritiker  hier  halten  kann,  ist  nur  ganz  unbedeutend:  So  findet 
man  S.  17:  der  Dämon  der  Dummen,  wo  Le  Sage  hat:  le  de'mon  des 
du^es.  Es  handelt  sich  hier  wohl  nur  um  einen  Druckfehler.  Ebenso 
ist  S.  116:  »in  meinem  Hause*'  zu  ändern  in:  in  einem  Hause**.  S.  203 
wäre  der  Pentameter  des  lateinischen  Distichons  einzurücken  gewesen, 
und  S.  224  ist  zu  lesen:  „die  ich  übernehme*'  für:  „die  ich  über- 
nahm (dont  je  me  Charge).  Ein  zweimal  (S.  29  und  118)  vorkommender 
Übersetzungsfehler  ist:  „Junggeselle**  für:  hachelier.  Bekanntlich  ist 
diesem  französischen  Worte  die  Bedeutung  des  entsprechenden  englischen 
Ausdrucks  fremd.  S.  159  ist:  je  ne  la  (d.  h.  Poccasion)  ratei^ai  pas  (ich 
werde  sie  nicht  verpassen)  nicht  ganz  genau  wiedergegeben  durch:  ich 
werde  nichts  daran  ändern.  S.  203  liest  man:  „Wir  können  unter- 
haltende Beobachtungen  dort  anstellen**,  was  sich  nicht  völlig  deckt  mit 
dem  Ausdrucke  des  Originals:  nous  ferons  quelques  remarques  rejouissanies. 

Der  Leser  hat  selbst  schon  bemerkt,  wie  geringfügig  diese  Aus- 
stellungen sind  Dieselben  können  nur  dazu  dienen,  den  Wert  des  Bandes 
um  so  mehr  hervortreten  zu  lassen. 


6)  J.  J.  Rousseau's  Netw  Hetoise.   2  Bde.    (312  und  321  SS.) 

Diese  Übersetzung,  deren  Verfasser  nicht  genannt  wird,  wäre  sicher- 
lich besser  ungedruckt  geblieben.  Denn  sie  ist  auch  nicht  im  entferntesten 
dazu  apgethan,  dem  Leser  zu  einem  wirklich  angemessenen  Eindrucke  eines 
80  bedeutenden  Litteraturwerkes  zu  verhelfen,  nicht  nur  wegen  der  zahl- 
reich vorhandenen  groben  Missverständnisse  des  Originals,  das  dem  Über- 
setzer noch  dazu  in  einer  durch  Druckfehler  arg  entstellten  Form  vor- 
gelegen zu  haben  scheint,  sondern  auch  wegen  der  höchst  bedenklichen, 
an  vielen  Stellen  geradezu  unglücklich  zu  nennenden  stilistischen  Form, 


KoUektion  Speman».  75 

in  die  das  Ganze  gekleidet  ist,  und  endlioh  wegen  der  grossen  Menge  von 
Barbarismen,  'Gallizismen,  Provinzialismen  und  Archaismen,  die  einem  die 
Lektüre  verleiden.  Die  letzteren  machen  es  wahrscheinlich,  dass  der  Ver- 
leger hier  einfach  eine  Übersetzung  älteren  Datums  abgedruckt  hat,  mut- 
masslich eine  aas  dem  vorigen  Jahrhundert.  Leider  hat  er  es  aber  ver- 
säumt, eine  gründliche  Überarbeitung  des  Textes  vornehmen  zu  lassen,  und 
so  ist  ein  Werk  entstanden,  bez.  neu  auterstanden,  das  so  gut  wie  un- 
brauchbar ist,  und  niemandem  empfohlen  werden  kann,  auch  nicht  dem 
anspruchslosesten  Leser.  An  nicht  wenigen  Stellen  ist  die  Übei'setzung 
geradezu  unverständlich,  und  man  muss  das  Original  aufschlagen,  um 
Klarheit  zu  erlangen.  Dazu  kommt  noch,  dass  die  typographische  Be- 
handlung des  Textes  in  hohem  Grade  nachlässig  ist,  sowohl  wegen  der 
vielen  falschen  Buchstaben,  die  einem  aufstossen,  als  auch  wegen  der 
zahlreichen  Auslassungen  von  Worten  oder  gar  Sätzen,  so  dass  der  Leser 
oft  vor  Rätseln  steht,  die  nur  mit  Hülfe  von  Rousseau 's  Wortlaut  erst 
gelöst  werden  können. 

Ein  solches  Urteil  scheint  hart,  und  wer  es  ausspricht,  hat  die 
Pflicht,  es  zu  begründen.  Freilich  können  wir  nicht  daran  denken,  das 
ganze  uns  vorliegende  Material  mitzuteilen,  denn  das  würde  den  Rahmen 
eines  Zeitchrifiienartikels  weit  überschreiten.  Die  folgende  Blumenlese 
wird  aber  hinreichen,  um  den  Beweis  zu  liefern,  dass  das  aasgesprochene 
Urteil  durchaus  nichts  unbilliges  hat,  sondern  lediglich  dem  wirklichen 
Thatbestande  entspricht. 

So  sei  denn  zunächst  eine  Auswahl  aus  den  vielfachen  Entstellungen 
des  Originals  gegeben:  1, 13  das  beständige  Absprechen  (deraisonnement), 
1,  14  um  die  Wette  (tour  ä  tour).  1,  15  Der  Schlendrian  (manage)  des 
artigen  Betragens.  Ib.  Die  Märchen  fcofites),  die  Romane,  die  Theater- 
stücke, alles  stichelt  auf  die  Provinzbewohner.  1,  35  Das  Gewirre  meiner 
Umgebungen  (mes  perplexites)  1,  33  von  dem  Du  mir  durchdrungen 
scheinst  (as  paru).  1,  35  Weiche  gute  That,  die  ich  um  ihrer  selost 
willen  schon  vollbracht  hätte,  sollte  ich  jetzt  vollbringen,  mich  Deiner 
würdiger  zu  machen?  (quel  bien  qne  je  n'aurois  pas  fait  pour  lui-mSme, 
ne  ferais-je  pas^  mainienani,  pour  me  rendre  digne  de  toi?)  1,  36  Du 
verlierst  Deine  Zeit  in  leerer  Trauer,  und  kannst  ohne  Furcht  sein,  ob 
Du  Dir  nicht  neue  darüber  bereitest?  (comment  ne  crains-tu  poini  de 
fen  atiirer  d*auires?)  1,  38  Mein  dumpfer  Leichtsinn  fmon  diourderie). 
1,  43  Mein  Humor  (mon  humeur),  meine  Gesundheit  haben  ihr  frohes 
Teil  daran  (s'en  ressentent).  1,  66  Der  Tugenden  mit  der  Goldwage 
wägt  (au  poids  de  Cor).  1,  57  Ein  Taschengeld,  das  von  mir  nie  be- 
rührt werden  darf  (ä  laqueÜe  je  n^aijamais  besoin  de  toucher).  1.  60  Ge- 
schäftsträger (commissionnaire).  1,  62  Die  Gebirge,  soweit  (tandis  qu* 
elles  etc.)  sie  zugänglich  sind.  1,  73  Ich  wusste,  welche  Partie  (q%iel 
parti)  Sie  ergreifen  würden.  1,  76  Ich  schreibe  auf  einem  Viereck 
(quartier) y  welches  das  Eis  vom  Felsen  abgestossen  hat.  1,  98  Dein  Haar- 
putz  (ajustement).  1,  99  unvermögend,  mir  selber  aufzusehen  (me  garder), 
1,  196  Das  Fagott  (violonceUe).  1,  121  Dann  werde  der  Becher  mit 
meinem  wohlbedachten  Willen  (ä  mon  intention)  geleert.  1,  133  Diese 
Stürmer  (ces  hommes  si  ombrageux).  1,  134  Ausschweifung  (extravagance). 
1,  137  verkleinern  favilir).  1,  137  Bomston's  Zufall  (accideni).  1,  138 
Gebärde  (attitude).  l,  156  verstörte  ßouiUanl)  Miene.  1,  156  abreisen 
(partir,  d.  h.  fortgehen).  1,  158  sich  zu  allen  hinkauern  (s*accrocher). 
Ib.  Sie  nahm  leicht  die  veränderte  Richtung  (prit  le  change).  1,  163 
Was  in  diesen  Rücksichten  das  Zuträgliche  sei,  muss  er  wissen  (vaüä 
les  convenatices  dant  U  doii  connaiire).  1,  165  Den  Wunden  einige 
Linderung  (appareü)  versohafifen.    1,  ].69  Die  ehrenvollste  Partie  (le  parti 


76  Referate  und  Rezensionen.    K.  A.  M.  Hartmann, 

EntschldBs).  1,  170  Die  ängstliclie  Verwickelung?  deiner  Lage  (tes  per- 
plexites).  1,  175  Mein  Schicksal  hat  Ihren  Eifer  zum  besten  (C empörte 
sur  votre  zhle).  1,  177  Sieh  zurück  (regarde).  Ib.  Ich  darf  Deine  Wut 
überbieten  (j*en  puis  defier).  Ib.  Kannst  Du  mich  in  Anspruch  nehmen 
(fen  prendre  ä  moij.  1,  179  Wie  schwach  sind  die  Tröstungen  der 
Freundschaft,  wo  der  Liebe  Tröstungen  entstehen  (manquent),  1,  184 
Bin  ich  es  auch  fest-ce  öien  moi)  dem  Sie  Verrat  Schuld  geben?  Ib. 
Übereilung  (extravagance).  1,  185  Trotz  meiner  Stürme  (ombrages).  Ib. 
Das  Opfer,  das  sie  dem  Naturgefühle  (aux  senliments  de  la  nature)  bringt. 
1,  187  Mit  dem  Eifer,  dessen  sie  wert  sind  (anstatt:  nicht  wert  sind. 
1,  188  Die  betrübten  (tristes)  Schwätzer.  1,  205  Ich  müsste  überall  bei 
dem  ersten  zu  beobachten  anfangen  (ü  faut  que  je  commence  par  tont 
observer,  dans  le  premier  ou  Je  me  trouve).    1,  206  Kunstgriffe  (maximes). 

1,  207  Ich  verschliesse  (je  prite)  mein  Ohr.  1,  208  Man  sieht  die  andern 
nur  sobald  (autant)  handeln,  als  man  selbst  handelt.  Ib.  Bei  förmlich 
bestehenden  Gastmahlen  (diners  regles).  1,  214  Fein  pausbäckige  (hien 
ronflants)  Dialoge.  1.  229  Wenn  die  Gatten  hier  Knaben  und  Mädchen 
sind  (garqons  et  fiUes).  1,  235  Klatschhaft  (tracasderes),  1,  252  Kostbare 
(pre'cieuses)  Damen.  1,  254  Wäre  es  nicht  nötig,  zu  sehen  (etoit-ii 
necessaire).  1,  266  Ein  Elternmord  (parricide,  d.  h.  Muttermord,  da  der 
Vater  noch  lebt).  1,  272  Sie  stockte,  ehe  sie  reden  konnte  (tant  qu^eüe 
put  parier).  1,  282  Eine  träumerische  (chimerique)  Tugend.  1,  283  Geh 
(va),  ich  kenne  es  besser.  1,  284  Die  sinnliche  Liebe  kann  des  Besitzes 
nicht  Umgang  haben  (se  passer).  1,  288  Schade,  dass  ich  (feus  beau) 
Sie  entfernt  hielt.  1,  297  Im  Drange  sich  zu  verständigen  (ä  force  de 
s'entendre).  1,  299  Der  Prediger  sprach  angstvoll  (gravement).  1,  307 
Das  Gefühl  ist  so  innig,  dass  es  eine  andere  vielleicht  beruhigte  (une 
autre  seroit  alarme'e).  2,  6  Er  liebt,  so  viel  er  lieben  will  fU  n'aime 
qu*autant  qu*ii  veut  aimer).  2,  8  Alles  zweckt  auf  unsere  Vorteile  ab 
(toume  ä).  2,  13  Hat  Gott  nicht  Macht  über  meinen  Leib  ?  (Dieu  n'a-t-ü 
de  pouvoir  que  sur  mon  corps?)    2,  15  Jeder  sinnige  (sense)  Mensch. 

2,  16  Wenn  man  China  (quinqmna)  gegen  das  Fieber  gebraucht.  2,  19 
Ich  bedarf  nichts  zur  Probe  (preuve).  2,  20  Hundertmal  zurückge- 
schlagene frebatius)  Gemeinplätze.  2, 22  Eine  Wunde  aufschlitzen  (scarifier). 
2,  47  Man  hatte  meine  Chaise  zurückgeschickt  (remise).  2,  52  Sekten- 
geist (esprit  de  Systeme).  2,  54  Durch  ein  standhaft  ehrendes  Benehmen 
(ä  force  d^egards).  2,  70  und  öfters  sonst  war  Fanchon  durch  Fränzchen 
zu  übersetzen.  2,  81  im  Tempel  (au  temple,  d  h.  in  der  protestantischen 
Kirche).  2,  87  sinnreich  (htdicieux).  2,  89  sich  mit  Pfirsichkernen  werfen 
(se  battre  ä  coups  de  pickes).  2,  91  Wasserfall  (jet  d'eau).  2,  103  Tags 
zuvor  (Pautre  jour).  2,  110  Ich  ziehe  mich  auf  der  Stelle  zurück  (je 
me  reiracte).  2,  116  Wirklich  (ä  la  ve'rite)  glaube  ich  nicht,  aber  — . 
2,  127  Leim  (limon),  2,  137  Wenn  sie  ihr  Glück  von  dem  Glücke  aller 
Menschen  unabhängig  machen  wollte  (faire  dependre).  2,  151  So  ein 
Schmecker  (tel  g.).  2,  153  Da  man  desjenigen,  der  sie  verfertigt,  sicher 
ist  (sür  de  ce  qui  les  compose).  2,  155  zur  Wette  (re'ciproquement). 
2,  157  Menschen  von  Gemüt  (sense's).  2,  161  Ein  viel  besser  verstandener 
(beaucoup  plus  e'tendu)  Erfolg.  2,  166  Das  Mannesalter  zu  bedenken, 
das  ist  die  Aufgabe  (c*est  le  cas  de  songer  etc.).  2,  167  Die  Kindheit  für 
sich  zu  betrachten  (ä  conside'rer).  2,  170  bis  auf  einen  namhaften  Punkt 
(ä  point  nomme).  Ib.  Wissenskünste  (lumiere.^).  2,  184  Eine  gediegenere 
(pltis  grossier)  Gottesverehrung.  Ib.  Ich  erniedrige  die  göttliche  Majestät 
nicht  (fe  rabaisse  la  m.  d.).  Ib.  Sie  entschläft  (eüe  s^endort).  2,  187 
Ihn  zu  rühren  fördert  nicht  (ü  ne  s'agit  pas  de  —).  2,  194  Alle  Reize 
des  goldenen  Alters  (de  fäge  d'or).     2,  195  Der  schmetternde  Ton  (le 


Kollektion  Spetnann.  77 

rauq^te  son).  2,  195  Alles  nach  der  eingeführten  Polizei  (police),  2, 196 
Für  deinen  Meister  (maitre,  d.  h.  Lehrer).  2,  197  Mittagspredigt  (priche 
du  soir).  2,  203  Er  Hess  ihn  verbinden  (saigner).  2,  210  von  der  Seite 
zurückführen  framener  du  cöte)  wo  ich  nichts  zu  fürchten  sah.  2,  211 
Eine  übelberechnete  Versuchung  (teniaiives).  Ib.  Unwandelbar  sein  (ne 
pas  prendre  le  change).  2,  213  Er  bemerkt,  sie  befinde  sich  sehr  übel 
(q%CeUe  est  fori  mcU,  d.  h.  sehr  hässlich).  2,  218  ohne  Verstocktheit  (sans 
ruses).  2,  222  Wenn  Du  Deinen  Mann  und  Dein  Murmeltierchen  (mar- 
mols)  auf  acht  Tage  hierher  verpflanzt  hättest  (plante  lä,  d.  h.  verlassen). 
2,  232  Teuer  musste  ich  bezahlen  Q^ai  faUü  payer).  2,  233  Ich  fühlte 
Scham,  der  Meinung  zu  opfern,  die  ich  verachtete;  fühlte  die  Achtung, 
die  ich  ihrem  Werte  schuldig  war  (feus  honte  de  sacrifier  ä  ropinion 
que  je  meprisois  Pestime  que  je  devois  ä  son  merite).  2,  234  unsere  (ses 
d.  h.  ihre)  Versuche.  2,  236  und  242  Künstler  (ariisan).  2,  248  Wer 
ist  in  der  Schmach,  worin  sie  bald  versinkt,  der  Urheber  ihres  Elends, 
der  Misshandlung,  die  sie  an  einem  schlechten  Ort  von  einem  Unhold 
erduldet,  oder  der  Verführung,  die  sie  dorthin  schleppt,  als  denenige, 
welcher  zuerst  einen  Preis  auf  ihre  Gunstbezeugungen  setzte?  (Lequel 
est  Cauteur  de  sa  misere,  du  brutal  qui  la  maltraüe  en  un  mauvais  lieu, 
ou  du  Be'ducteur  qui  Cy  traine  en  mettant  le  premier  ses  faveurs  ä  prix?) 
2,  251  Arge  Scham  (mauvaise  honte).  2,  256  Diese  Buhe  ist  nur  ein 
Traum  (n^est  qu'une  irhve).  2,  260  meine  vorigen  Fehler  (mes  f.  passe'esj. 
2,  264  Er  geht  aber  auf  die  Gründe  ein  (il  entre  pour  beaucoup  dans 
les  raisons),  um  welcher  willen  ich  Sie  hier  wünsche.  2,  268  Ich  fühlte 
mich  mit  gutem  Sinne  geboren  (bien  nee).  2,  272  Lasst  uns  nicht  un- 
ruhig werden  (n'empie'tons  pas).  2.  273  Gehässige  (oiseuses)  Fragen. 
2,  277  Diesen  Teil  auf  die  unsrigen  aufschlagen  (repartir).  2,  286  Hat 
Gott  meine  Vernunft  darüber  (au-delä)  nicht  erleuchtet?  2,  286  Bis  ich 
iUhig  (ificapable)  wäre.  2,  297  Das  ewige  Wesen  wird  nicht  gesehen, 
nicht  begriffen  (ne  se  voit  ni  ne  s^entend).  2,  298  Sie  scherzte  mehr 
(plaisoii  plus). 

Fast  noch  zahlreicher  sind  solche  Stellen,  in  denen  man  den 
richtigen  Ausdruck  vermisst.  So  1,  9  Welche  Ausrufungen.  1,  14  Das 
Für  und  Gegen.  Ib.  Der  Farbenkleister  (coloris)  ihrer  falschen  Tugenden. 
1,  15  Ausgelassene  Viehheit  (hutale  orgie).  1,  17  In  ihrer  ungeglätteten 
(grossiere)  Einfalt.  1,  17  Entzogenheit  (r^trai/^^.  1,  18  befahren  ^t^^«/^/ 
1,  19  sich  berühmen.  1,  22  ihre  Seelen  in  einander  verflössen  (confondre). 
Ib.  Sich  verähnlichen  (se  ressembUr).  1;  23  angestelltes  Wesen  (feinte). 
1,  26  Wandellose  (inalterabU)  Milde.  1,  26  Je  und  dann  (quelquefois). 
1,  29  Halten  Sie  mich  wert,  über  mein  Schicksal  zu  verfügen  (daignez 
disposer  de  man  coeur).  Ib.  Frevel  und  Reue  treiben  mein  Herz  um 
(agitent).  1,  30  Unbesiegliche  (inalterabk)  Güte.  1,  32  Das  Gefühl  Deiner 
Verwerfung  (tes  remorOs).  1,  33  Weg  (va),  ich  sehe  klar.  1,  34  Die 
angstvolle  Empörung  (les  alanfnes)  einer  Liebenden.  1,  35  Selbstverachtung 
beurkunden  (temoigner),  1,  37  Der  Unterricht  ist  mir  unlieblich  (j'ai 
regret).  1,  38  Ein  güterloser  {sans  fortune)  Bürgerlicher.  1,  38  Ist 
Deine  Liebe  auf  dem  höchsten  Grade,  dann  Messe,  sie  durch  gewaltsame 
Mittel  zwingen  wollen,  es  auf  Tragödien  mit  ihr  anlegen  (c*est  Cexposer 
ä  des  traqedies,  que  de  Tattaquer  par  des  moyens  molents).  Ib.  Eine 
achtzehnjährige  Domina  {duegne),  1,  40  Es  solchen  Kämpfen  voraus- 
thuen  (pre'venier).  1,  41  Wenn  ich  mich  mehr  gefallen  Hesse  (quand  je 
deviendrois  supportable).  1,  43  Der  Überschwang  (Fexcts)  des  Glückes. 
1.  44  Wie  grosses  Recht  haben  Sie  (que  vous  avez  raison).  1,  46  Eine 
Wahrheit)  wovon  Ihr  Herz  Sie  überführen  muss.  1,  47  Ihre  Gedanken 
winden   sich    ab   (s'exhalent).    1,  50  Staatsmäkler   (ndgociaieur),    1,  56 


78  Referate  und  Rezensionen.    K*  A,  M,  Hartmann, 

scbanderbare  fvüs)  Qeschenke.  1,  59  Leiden,  die  in  beaseran  Verhältnisse 
stehen  mit  ihrer  Palme  (prix).  1,  61  Wer  am  höchsten  (bien  haut)  über 
Trennung  klagt,  ist  hän^  nicht  dasjenige,  so  am  meisten  leidet.  1,  61 
Ich  öffne  Deinen  Brief,  wie  sich  die  Strasse  krümmt  (au  premier  deiour). 
1,  63  Mit  Aufzählung  all  der  Scienzen  (sciences).  1,  67  eifervolle  Gast- 
freiheit (zele  hospitäier),  1,  68  Weder  sie  noch  ich  drückten  (g^ner) 
einander.  1,  72  ein  Ton,  den  ich  nicht  misshören  (meconnaUre)  kann. 
1,  79  Sie  stiess  ein  hitziges  Fieber  an  (eUe  tomba  dans  etc.)  1,  82  Ein 
liebeklopfendes  (palpilant  damour)  Herz.  1,  84  Der  Missmut,  der  Dich 
besitzt  (assihgent).  Ib.  Eonnte^bh  misskennen  (meconnaitre)  woher  er 
kam.  1,  88  Alles  beobachtete  ^fth  im  Bunde  (de  concerl).  1,  89  neu- 
giervoll  (ciirieux).  1,  90  W^ir  Madame  Delon,  noch  alle  höheren 
Schönheiten  als  sie,  sind  die  Zerstreuung  zu  bewirken  vermögend.  1,  92 
Ein  Unglück,  woran  der  blosse  Gedanke  mich  erzittern  macht  (tiont  la 
seule  pense'e  etc.).  1,  98  Dein  kämpfendes  Gewissen  (tes  remords).  1,  94 
mit  von  der  Heise  sein  (Hre  du  voyage).  1,  96  Eine  geheime  Beengung 
klemmte  mein  Gemüt  (ätouffait).  1,  99  Ich  bin  des  Entschlusses  (fai 
re'solu},  meine  Schuld  zu  vergüten  (reparer).  1,  103  0  des  Glückes,  in 
einer  Sorge  zu  gatten,  was  Liebe  und  Tugend  Reizendes  haben.  1,  104 
Menschen,  die  in  gutem  Verständnisse  (inteüigence)  leben.  1,  106  schöne 
Vemünfteleien  (raisonnements).  1,  107  Es  ist  leicht,  sich  loszuschrauben 
(de  les  eluder).  1,  108  Meine  seinsollenden  {pretendues)  Vollkommen- 
heiten. 1,  111  Dass  die  Eismasse  einmal  warm  (de  la  ckaleur)  gebe. 
1,  112  Nachschleichende  Fussfolge  unserer  Muster.  1,  113  Leere  Schälle 
einer  Sprache.  1,  115  Du  hättest .  Dich  nicht  vertrauern  (ie  desoier) 
dürfen.  1,  115  Ist  es  Zeit,  seine  Tritte  zu  festigen  am  Rande  (au  fond) 
des  Abgrunds.  Ib.  Selbstverwerfung  (remords).  Ib.  Nur  der  Wilikühr 
des  Zufalls  stehe  ich  bloss  für  die  Zukunft  (je  suis  ä  la  merci  etc.)  Ib. 
Nur  von  Glück  und  Klugheit  ist  die  Frage  (la  question).  1,  125  Das 
zärtliche  Stöhnen  (gemissements).  1,  128  Ein  auf  die  Ehre  seines  Hauses 
gesteifter  fentite)  Krieger.  1,  130  Jede  Erstattung  (reparation,  d.  h.  Ge- 
nugthuung).  Ib.  Ausforderung  (für  Herausforderung).  1,  132  verdamm- 
lich  (condamnable).  1,  133  Bei  einem  Thaler  (ä  un  e'cu  presj  wissen, 
was  ihr  Leben  wert  sei.  Ib.  Die  Seelenstärke,  die  ihn  einflösst  (qui 
finspirej.  1.  135  Tiersinn  (brutaUte).  1,  136  Tapfermut  (valeur).  1,  137 
Dein  ängstlicher  Aufruhr  (ies  alarmesj.  1,  132  Im  Namen  eines  Vetters 
von  ungeföhr  (d'un  guidam).  Ib.  Alle  Junker  Korde  (lous  les  hober eaux) 
von  Europa.  1,  145  Deinem  Freunde  böses  Spiel  machen  (faire  un 
mauvais  parti).  1,  148  böse  Scham  (mauvaise  honte).  1,  149  Nächtliche 
Gedanken  (funestes  p).  1,  152  Massregeln  nehmen.  1,  153  Um  ihn 
leichter  zu  bedeuten  (däterminer).  1,  157  Gir'tige  Wunde  (envenimee). 
1,  160  Träumerische  (chim&igues)  Mittel.  1,  161  Ihr  Felsen,  die  mein 
Bück  so  oft  bemass  (mesfira).  1,  162  Schief  gerichtete  (mai  employee) 
Kraft.  1.  165  Anm.  Es  gibt  Länder,  wo  das  Zusagen  (convenance) 
bloss  äusserer  Verhältnisse  so  sehr  dem  Zusagen  der  Naturen  und  Herzen 
vorgezogen  wird,  dass  nur  jenes  fehlen  darf,  um  die  unglücklichsten  (les 
plus  heureux)  Ehen  zu  hindern.  1,  165  Das  Fahren  verdumpft  (alourdit), 
1,  168  ein  ruhevoller  (iranquille)  Ort.  1,  178  Unzärtlicher  Mann  (amant 
Sans  delicatesse).  Ib.  verlarven  (deguiser).  1,  180  weiblicher  (effeminee) 
Brief.  1,  182  Die  Seinigen  (les  siens,  d.  h.  talents)  sind  überwiegend 
(superieurs).  1,  185  Der  sie  höher  bedarf  (qui  en  a  plus  besoin)  als  je. 
1,  186  trauerwelkes  (fleiri  de  tristesse)  Herz.  1,  187  Trennungswehen 
(peines  de  Pahsence),  1,  188  Die  Moralien  (arguments).  Ib.  allstets 
(toujours).  Ib.  Ersahst  Du  Dich  je  (favisois-tu  jamais)  Dir  Krösus" 
Schätze  wünschend?    1,  189  Regulus  in  dem  Umfange  (au  miUeu)  seiner 


KoüekUon  Spenumn.  79 

Qiialen.  1,  196  Bezaubert  von  den  Einsichten  (du  savoir),  die  man  in 
den  Unterhaltungen  der  Weiber  wahrnimmt.  1,  198  Etwas,  wb»  ^nt 
läset  (titie  Sorte  de  bon  air).  1,  198  Der  Finanzbediente  macht  den 
Herren  (le  financier  faxt  le  seigneur).  Ib.  Gewerbsmann  (artisan).  Fb. 
Batmann  (komme  de  palais).  1,  201  Witz  ist  die  Wut  (ta  manie)  der 
Franzosen.  1,  201  Niederschreiben,  wie  die  Bübin  Dich  geschmält  haben 
wollte  (Ids  injures  qtie  ia  mauvaise  a  voidu  fadresseiy,  1,  206  Ange- 
betete Huldin  (ohjet  adore).  1,  207  Die  Schwierigkeiten  des  Weltstudiums 
(de  Pe'tude  du  motUte).  1,  208  Entzogenheit  (retraiie).  Ib.  Jener  Unter- 
redner (interlocuieur).  1,  210  Männer  und  Weiber,  auf  die  Kunde  der 
Welterfahrung  hin  (mstruits  par  rexperiance)  vereinigen  sich  etc.  1,  212 
Ein  schlagendes  Kriegsheer  (re'giment  en  hataifle).  1,  218  Dünklinge 
(imperiinents).  Ib.  Schilderei  (peinture)  des  Volkes.  1.  216  Verttigungen 
des  Wohlanstandes  (les  hienseances).  1,  221  Wer  nähme  alle  meine  Ge- 
danken in  Pflege  (qui  seroit  le  depositaire  de  tous  mes  senüments)?  1,  222 
Die  Frau  eines  Wo  —  bist  —  Du  —  her?  (d'un  parvenu).  Ib.  Ich 
binde  Dir  im  Voraus  ein  (je  favertis)  zu  warten.  1,  226  Die  holde 
Scham  hat  ihnen  niedrig  erschienen  (lewr  a  paru).  1,  227  Ein  Gesicht 
mit  Küssen  decken  (couvHr).  1,  228  Die  Hochgebärden  (ies  grands  airs). 
Ib.  Dieses  Hechtes  sich  zu  verzichten  (se  r^server  ce  droit).  1,  229 
Galanterieverbindung  fliaison  de  galanterie).  1,  231  Theatermummerei 
(representation).  Ib.  Sie  deckten  uns  mit  scherzhaften  Zügen  (accahUrent). 
1,  233  gründlicher  (plus  sürement)  lieben.  Ib.  verschrauben  (defigwrer). 
Ib.  Weltgebruuch  (usage  du  monde).  1,  236  Ich  will  mein  Gelass  (mes 
aises)  haben.  Ib.  entatmet  (hors  d^ haieine).  1,  238  Operist  (acteur  ä 
Copera).  1,  239  Den  Vorhang  bestreifen  (toucher).  Ib.  Opfergedüft 
(enctns).  Ib.  Der  Eckel  des  Volkes  (le  rebut  du  peuple).  1,  241  Das 
starke  Stück  (les  tours  de  force)  des  Gauklers.  1,  242  Das  unzärtlichste 
Ohr  (Cor,  la  moins  delicate).  1,  249  Eine  BedrQckung  (air  ginä)  bemerken. 
1,  262  Satzungen  des  Wohlanstandes  (des  hienseances).  1,  264  Der  Ge- 
fahr entrettet  (sauve).  l,  266  Blendlinge  (colifichets)  von  Briefen.  1,  268 
Eine  jammervolle  (eploree)  Mutter  1,  266  Ich  weihe  den  Rest  meines 
Lebens  Thvänen  (ä  pleurer)  um  die  beste  Mutter.  1,  273  Seine  ganze 
Federkraft  (tous  ses  ressorts)  ist  erschlafft.  1,  276  Ihre  Vorschritte  (vos 
procedes).  Ib.  Diese  Ehre,  die  Sie  rächen  zu  können  sprechen  (qtte  vous 
parlez  de  venger).  Ib.  gothische  (gothigues)  Maximen.  1,  267  Mass- 
regeln nehmen.  Ib.  Zur  Fülle*  des  Entsetzens  (pour  comble  d*hon*eur). 
1,  277  Die  Blüten  meines  Gesichts  (les  aarements).  1,  281  Der  Ball  (le 
jouet)  einer  eitlen  Hoffnung  sein.  1,  284  Die  Gefühle,  die  mich  um- 
treiben  (qui  m*agitent).  Ib.  Dieser  Busen,  in  vollen  Sprudeln  (ä  gros 
bouillons)  Blut  und  Leben  verströmend.  1,  286  Das  Gefühl  der  Selbst- 
verwerfung (les  remords).  1,  286  Die  Achtung,  womit  ich  Sie  umfasste 
(que  feus  pour  vous).  1.  290  Der  Vorschlag  verstrickte  mich  aufs 
äusserste  (mit  le  comble  ä  mes  perplexite's).  1,  294  Was  ward  mir,  als 
ich  sah!     1,  294  Mit  Schmerz  in  die  Gruft  sinken.    1,  296  Abmüdung. 

1,  297  Ihr  Brief  vollendete  mein  Irrsal  (acheva  de  m*ägarer).  1,  299 
Ihr  gesammelter  kiiBtB,nd(maintien).  Ib.  gewichtsvoll  (important)  für 
das  Glück.  1,  302  Mit  Ängstlichkeit  über  dem  Gottesdienst  haltend 
(dttachäe  au  culte  public).  1,  303  Diese  Grösse  verekelt  ihm  (le  d^goüte 
de)  ihren  Hochmut.  1,  304  Schirmhalter  (garant).  1,  312  Holdes  Wonne- 
verschweben  (donces  extases).    Ib.    Köstliche   Lebenspunkte  (moments). 

2,  6  Er  spricht  in  einem  grossen  Sinne  (d'un  aratul  sens).  2,  8  Mit 
dem,  dass  sie  sich  als  Liebende  zu  sehr  liebten  (pour  s^itre  irop  aime's 
amants),  bringen  sie  es  dahin,  dass  etc.  2,  9  Ich  befahre  (je  risque) 
ihn  zu  offenbarem  Nachteile  (ä  pure  perte)  zu  betrüben.    2,  11  Ihr  Ge- 


80  Referate  und  Rezensionen.    K.  A.  M.  Hartmann, 

müt  saugt  sich  an  alles  an  (s'atiache).  2,  11  Strebeziel  (objet).  2,  16 
Unzählbarer  (insolvahle)  Schuldner.  Ib.  Was  heisst  das  sagen  (qu'esi-ce 
ä  dire)?  2.  19  Das  ^]oL\}i'&A%eh^\i  (les  raisonnemenis).  2,  23  Unzärtlicher 
Mann  der  Liebe  (amant  sans  delicatesse).  2,  28  Vortod  (mori  anOctpee). 
2,  33  Wirrwesen  (embarras),  2,  34  Ungelogen  (satis  meniir).  2,  35 
Das  Erlauen  (atiiedir)  meines  Herzens.  2,  36  Die  ankirrende  (agagant) 
Miene.  2,  41  Geglättete  Völker  (p.  polis).  2,  47  Nach  einer  so  süssen 
Bewältigung  (saisissemeni)  verschlingen  sich  (se  confondent)  unsere 
Stimmen.  2,  55  gütevoll.  2,  56  Mein  Handwerk  ist  es  zu  kippeln  (quereller). 
2,  59  Warten,  bis  er  meiner  leidig  geworden  (s'ennvyer  avec  moi).  2,  68 
Du  seist  eine  Närrin  auf  mich  (folie  de  moi).  Ib.  Älterrecht  (droit 
d^ainesse).  2,  64  Luststück  (parterre).  2,  71  Afterkonzilien  (conciiiabtiles). 
2,  72  Stubenhüterische  (casaniere)  Schlaffheit.  2,  73  Durch  Kreuzigen 
und  Quälen  (ä  force  dÜmporiunites).  Ib.  Der  Verstand  kann  sich  ver- 
Bchweifen  (s'egarer).  2,  77  In  tieferer  Ferne  (de  plus  hin).  2,  78  Emst- 
gemessenheit  (gravite).  2,  65  Die  Pflichten,  wogegen  (pour  lesquels)  die 
Sitte  und  der  Lärm  der  Welt  nur  Ekel  einflössen.  2,  87  Niederlassung 
(eiablissement)  =  Verheiratung.  2,  89  Dieser  vorgegebene  (preiendu) 
Baumgarten.  2,  100  afterkünstliche  (factice)  Ordnung.  2,  102  Meine 
Einsichten  (lumieres).  2,  104  Die  Urfeder  (le  principe)  meines  Wesens. 
2,  105  Oartenhelfer  (garqon  jardinier).  2,  108  Mein  Benehmen  sieht 
(a  Vair)  abenteuerlich.  2,  108  Wenn  ihr  eins  des  andern  geworden 
wäret  (si  vous  aviez  ete  Fun  ä  Vautre).  2,  112  Ein  aus  Deinem  Charakter 
gehender  (qui  sort  de  ton  car acter e)  Sinn.  2,  114  Unerlässliches  (irre- 
missible)  Verbrechen.  2, 116  AiFektvolle  (affeciueuse)  Unterhaltung.  2,  116 
Probehaltige  (solides)  Gründe.  Ib.  Übermannungen  (defaites).  2,  117 
Ich  überhudle  (je  brouiUe)  meine  Geschäfte.  2,  118  Ihre  Kinder  Söld- 
lingshänden (mains  mercenaires)  anvertrauen.  2,  119  AusschafiPung 
(exactitude).  2,  120  Ich  verschatte  (ftfface)  ein  Gemälde  durch  ein 
anderes.  2,  124  Zusammensprechende  (correspondants)  Winkel.  2,  126 
Schirmorte  (des  abris),  2,  129  allstets  (tovjours).  2,  134  Kindergesause 
(iracas  des  enfants).  2,  136  Ein  der  Weisheit  angeschlossenes  (otiachee) 
Glück.  Ib.  Unfühlend  (insensible)  für  die  Freude.  2,  147  Auf  Juliens 
Anstehen  (ä  rinstance).  2,  150  Vertragleistender  (coniractant).  Ib.  Ich 
bin  nicht  ungeständig  (je  ne  disconviens  pas),  dass  der  Bau  (la  cu/ture) 
meiner  Güter  mir  Kosten  macht.  Ib.  Überschwang  (exces).  2,  15o 
Mildigkeit  (charite).  Ib.  Ich  bot  Julie  Fehde  (fe  fis  la  guerre  ä  J.). 
Ib.  Eingeschneizel  (ragoüts).  2,  156  Nachdrucksam  (avec  empkase). 
2,  159  Eine  mit  Ausdehnungskräften  begabte  (expa?isive)  Seele.  2,  164 
verschatten  (abrutir).  2,  165  köpfisch  (titu).  2,  167  Brustflösse  (fluxions 
de  potirine).  Ib.  Sonnenschüsse  (coups  de  soleü).  2,  168  Eine  uner- 
leuchtete (peu  ^ckiree)  Mutter.  2,  178  Mündigsprechung  zum  Wort- 
führen (emancipaiion  de  parole).  2,  176  Blütenleere  (sterile)  Kind- 
heit. 2,  178  Heimlich  unter  den  Fuss  geben  (snggerer).  2,  181  Ge- 
wissen Schlages  (ä  coup  sür).  2,  183  Gewährsquelle  (auiorite).  2,  187 
Massnehmung  der  Vorsicht  (pre'caution),  Ib.  Sie  von  ihren  Befürch- 
tungen emporraffen  (la  rassurer  sur).  2,  190  Prozesskrämer  (plaideurs). 
2,  191  Ein  Erhallen  (reteniissemeni)  der  Fröhlichkeit.  2,  194  Wohl- 
diener (parasiies).  2^  201  Empfindlich  (sensible,  d.  h.  dankbar)  für  meinen 
Eifer.  2,  209  Systemenfreund  (komme  ä  systemes).  2,  211  Von  fernher 
beziehend  (indirectemeni).  2,  215  Über  ihre  Andränge  (atteintes)  erhaben. 
2,  222  Auf  den  Herrn  und  Meister  stechen  (trancher  du  seignevr).  2,  229 
Kinder  eines  zweiten  Bettes.  2,  237  Der  sich  ihre  Kinder  zu  üben  vor- 
setzt (se  propose),  2,  240  Die  hohen  Mienen  (les  grands  airs)  der  Frem- 
den.   2,  251  Die  Mittel  wären  der  göttlichen  Macht  anständig  (convenoient). 


Koüektion  Spemann.  81 

2,  254  Verschwebungen  (egarements)  der  Vernunft.  2,  263  Mein  Ver- 
bundener (mon  allie).  2,  264  Soll  ich  bis  zum  Ziele  (jusqu'ati  hont)  geben  ? 
2,  265  Du  hast  mir  nichts  mehr  zu  entraffen  (deroher).  2,  270  Alle 
meine  Vermögen  (toutes  mes  faculies)  sind  dahin.  Ib.  Die  Freuden,  die 
im  Bezirke  meiner  Kraft  (ä  ma  portee)  liegen.  2,  272  Gottesliebe  (amour 
de  Lieu).  Ib.  Andächtler  (devot).  2,  278  Junge  Personen  Q'eunes 
personnes),  2,  283  Sie  durchstiessen  die  Luft  mit  ihrem  Geschrei  (pergoient), 
2,  286  Mein  Sinn  ist  gleich  unverkrümmt  (la  droiiure  d'intention  est  la 
mime).  2,  288  Diese  Ideen  hegen  den  Unglauben  mit  Mutterwärme 
(fomentent).  2,  292  Nichts  was  mich  übel  von  ihm  zu  weissagen  ver- 
anlasst hätte  (qui  me  fit  med  augurer  de  lui).  2,  298  Sprachfertigkeit 
(sentence).  2,  302  Ihre  Arme  in  ausspannender  Bewegung  (ses  bras  en 
contraction).  2,  308  Ich  sterbe  um  eins  mehr  (une  fois  de  plus)  u.  s.  w. 
Nicht  wenig  tragen  endlich  die  zahlreichen  Druckfehler  dazu  bei, 
den  Text  zu  verdunkeln  oder  gar  zu  entstellen.  Auch  hier  geben  wir 
nur  eine  kleine  Auswahl;  1,  6  Er  sage  es,  wem  er  will  (s^ü  veut),  der 
ganzen  Erde.  1,  19  Zuverlässig  ist  die  Ihrige,  nicht  so  die  knechtische. 
(Das  Komma  zu  streichen.)  1,  46  In  dem  Herzen  de^  (=  der)  Geliebten. 
1,  52  Weil  ich  fromm  gewählt  hatte,  erhielt  ich  wie  Salom^  (=  Salomon, 
vgl.  1.  Könige  3,  13)  neben  dem,  was  ich  erbeten,  auch  das,  um  was  ich 
nicht  bat.  1,  64  Alle»?  aufbieten.  1,  84  Ein  Verbrecher  (=  Verbrechen). 
1,  89  Dein  Bild  wützt  (=  stützt)  jene  wie  diese.  1,  98  Alle  Gedanken, 
die  ich  vor  (=  von)  der  Liebe  gedacht.  1,  109  Ihre  Schmeicheleien  sind 
weinem  Sinne  (en  un  sens)  Wahrheiten.  1,  65  Fuhr  ihr  (=  ich)  fort. 
1,  60  Die  einst  zu  ^ben  (aimer)  wusste.  1,  162  Die  Vernunft  hält  sich 
nur  (fehlt:  durch)  dieselbe  Rüstigkeit  der  Seele.  1,  174  Beiil9piel  (exemple). 
1,  178  EntZ>ehrung  (deshonneur),  1,  179  Die  Vergangenheit  entehrt 
mich  (nCavilit).  1,  180  In  meinem  (dans  un  cceur).  1,  181  Missgriffe  — 
machen  dem,  der  sie  mehr  verbessert,  Ehre  als  dem,  der  sie  verzeiht 
(=  machen  dem,  der  sie  verbessert,  mehr  Ehre  etc.)  1,  182  Da^^  sie 
nicht  kennen  (puisque).  1,  184  Eine  Anzeige  (un  indice,  =  Anzeichen). 
1,  187  Fraito  (=  frutto)  senile  in  suH  giovenil  siore  (=  fiore).  1,  188 
Die  Entzückungen,  die  uns  über  uns  selbst  (fehlt:  e'levoient)  bei  der  Er- 
zählung jener  Ueldenthaten.  1,  191  Anhänglichkeit  (dependance).  Ib. 
0  qtial  siamma  (=  fiamma).  1,  199  mi  trasise  (=  trafise).  Ib.  Er  passt 
nicht  wenig  (moins).  1,  213  Die  heurigen  Autoren  (les  a.  d^aujourahui). 
1,  215  Unvermerkt  urteile  ich,  weil  (comme)  ich  die  ganze  Welt  urteilen 
höre.  1,  224  Der  grösste  (ia  nlupart)  der  Beobachter.  1,  236  Welche 
Flammenströme  dringt  (puiseni)   mein  durstiger  Blick  aus  diesem  Bilde. 

1,  238  entwehrt  werden  (deshonorer),  1,  246  Köstliches  (artificiel)  Rot. 
1,291  Mein  Vater  würde  mir  den  Tod  geben  oder  meinem  Geliebten 
(=  meinen  G.).  2,  13  Wenn  ich  glaube  (si  je  croyois).  Ib.  Wenn  Dein 
Sklave  />ich  (=  sich)  tötete.  —  Zwei  Zeilen  weiter  unten  fehlt  „Dich". 

2,  14  Und  fragten  Sie  (=  frage  Sie).  2,  15  Absehen  vor  dem  Streben 
(==  Ste^rben).  Ib.  Fehlt  der  Name  des  Cato  nach  dem  des  Brutus  und 
Cassius,  wodurch  der  Sinn  des  Satzes  unverständlich  wird.  2,  30  Mit 
einem  deutschen  (chasle)  Mädchen.  2,  31  Dich  (=  die)  ich  zu  finden 
glaubte.  2,  35  Eine,  die  ihre  Gefühle  nur  in  der  Masse  (ä  mesure)  aus- 
haucht, als  man  sich  ihnen  hingibt.  2,  40  vento  insido  (=  infido). 
2,  52  Ein  martialisches  Äussere,  das  ihm  um  so  besser  als  sein  Gebärden- 
spiel steht,  feurig  und  rasch,  wenn  er  lebhaft  wird,  ernster  und  ruhiger 
ist ,  als  sonst  (qui  lui  sied  d'aulant  mieux  que  son  geste,  vif  et  prompt 
quand  il  s'anime,  est  d*ailleurs  plus  grave  et  plus  pose  qu'autrefois. 
2,  65  Linden,  die  den  Eingang  beArränzten  (bordoient).  2,  66  Ihr  Blick 
allein   be/euert   (anime)   ihren   Eifer.     2,  74  Machen   «ich  (=   sie)   des 

Zschr.  f.  firz.  Spr.  a.  Litt.    XR  g 


82  Referate  und  Rezensiotien,     £^.  A.  M.  Bar  (mann, 

Dienstes  unföhig.  2,  101  Ich  habe  zwei  Standen  meines  Lebens  in  diesem 
Elysium  zugebracht,  denen  ich  eine  (=  Areine)  Zeit  meines  Lebens  vorziehe. 
2,  111  Des  B^^andes  (secours)  der  Tugend.  2,  113  Du  wirst  nich/  (f.  nichta) 
sehen.  2,  138  Dass  ihre  Wohlthaten  ihr  (leur)  lästig  werden.  2,  164  Ein- 
tracht und  Sitte  geleiten  ^\ch  (f.  sie).  Ib.  Man  kann  sich  (=  sie)  zwingen. 
Ib.  Man  kann  die  Menschen  verdfndern  (f.  verhindern).  2.  184  in  meiner 
(f.  einer)  Art  von  Vernichtung.  2,  192  Minder  genötigt  (exerce)  als  die 
andern.  2,  193  Wissen  Sie,  wodurch  Klara  (d.  h.  Ciarens!)  mir  gefallt? 
2,  204  verwundet  (surpris).  2,  214  Alles  vereinigte  sich,  sie  (f.  mich) 
richtig  zu  leiten.  2,  227  Worüber  er  den  (f.  der)  ersten  vergass.  2,  231 
Es  leben  die  Duennen  von  zwanzig  (de  vingt  ans).  2,  253  Sie  haben 
(f.  habe)  meine  Einbildungen  zum  besten  {qxCeUe  abuse).  2,  255  mio 
temro  (f.  tempo).  2,  262  müssten  sie  mir  die  Ehre  rauben  (hier  ist 
übersprungen:  a elever  vos  enfants,  vous  ne  m'dierez  point  les  verius) 
die  ich  von  ihnen  habe.  2,  267  ohne  Rückfall  (sans  reserve).  2,  278 
6.  Zeile  von  oben  steht  wnd  für:  um.  2.  286  Diese  Heste  eines  Lebens, 
die  das  Le^en  wegsaugt  (obsorbe's  par  la  souffrance).  2,  288  Sie  8tr<?ben 
als  Wärterin  (vous  mourez  martyre).  Ib.  Sie  hielt  hin  (f.  ihn)  zurück. 
—  Fast  zahllos  sind  die  Fälle,  wo  die  Fürwörter  Sie,  Ihr,  Ihuen  mit 
kleinem  statt  mit  grossem  Anfangsbuchstaben  gedruckt  sind,  und  um- 
gekehrt, ebenfalls  ein  Umstand,  der  das  Verständnis  erheblich  erschwert. 
Aus  diesen  Anführungen,  die  wir  aus  dem  reichen  uns  vorliegenden 
Materiale  herausgreifen,  dürfte  zur  Genüge  hervorgehen,  dass  die  in 
Rede  stehende  Übersetzung  der  Nouvelle  aelöise  ein  so  gut  wie  wert- 
loses Erzeugnis  ist,  vor  dessen  Gebrauche  geradezu  gewarnt  werden 
muss.  Einer  solchen  Leistung  gegenüber  sich  alle  Rechte  vorzubehalten, 
wie  es  die  Verlagshandlung  thut,  war  kaum  von  nöten.  Denn  schwer- 
lich werden  nur  einigermassen  einsichtsvolle  Leute  versucht  sein,  sich 
eine  solche  Waare  anzueignen. 


7)  Rousseau' s  Bekenninisse,  übersetzt  von  J.  G.  Heusinger.    Mit  einer 
Einleitung  von  Prof.  Dr.  Stephan  Born.    3  Bde. 

Wahrhaft  erleichtert  atmet  man  auf,  wenn  man  von  der  oben 
beschriebenen  Übersetzung  der  Nouvelle  Beloise  zu  derjenigen  der  Con- 
fessions  übergeht.  Zeichnet  sich  die  erstere  durch  ein  fast  unerträglich 
zu  nennendes  Mass  von  Sprachwidrigkeiten  und  Übersetzungsfehlern  au8, 
verbunden  mit  einer  weitgehenden  typographischen  Nachlässigkeit,  so 
hebt  sich  die  Verdeutschung  der  Confessions  in  der  vorteilhaftesten  Weise 
davon  ab.  Sie  steht  zunächst  in  stilistischer  Beziehung  sehr  hoch.  Hier 
findet  man  eine  wirklich  natürliche,  gefällige,  gewandte  Sprache,  die 
dem  Originale  gegenüber  ihre  volle  idiomatische  Selbständigkeit  zu 
wahren  weiss,  und  dabei  doch  nicht  der  Untreue  geziehen  werden  kann. 
Verfasser  dieser  Übertragung  verfügt  über  eine  weit  umfassendere  Kenntnis 
der  Sprache,  und  die  unrichtigen  Wiedergaben,  die  bei  einer  Nach- 
prüfung aufstossen,  sind  weder  so  zahlreich,  noch  so  gröblicher  Art,  wie 
in  dem  erwähnten  Falle.  Endlich  trägt  auch  die  viel  grössere  Korrekt- 
heit des  Druckes  nicht  wenig  dazu  bei,  dass  man  die  Lektüre  dieser 
Bände  wirklich  mit  Vergnügen  geniessen  kann.  Referent  gesteht,  dass 
er  nur  einen  Teil  dieser  Übersetzung  genau  mit  dem  Originale  verglichen 
hat,  nämlich  die  ersten  70  Seiten  des  ersten  Bandes.  Das  Ergebnis 
dieser  Arbeit  war  ein  so  günstiges,  und  der  sich  aufdrängende  Gesamt- 
eindruck ein  so  vertrauenerweckender,    dass  es  nicht  angezeigt  schien. 


Kollektion  Spemann.  83 

das  ganze  Werk  einer  eingebenden  Prüfung  zu  unterziehen.  Die  kritische 
Ausbeute  war  eine  sehr  geringfügige,  und  die  betreffenden  Einzelheiten 
lassen  sich  rasch  anführen. 

Unter  dem  Gesichtspunkte  des  Stils  möchten  wir  den  Ausdruck 
„Frauenzimmer"  beanstanden,  der  sich  wiederholt  (S.  18,  28,  24,  41) 
im  edelsten  Sinne  findet.  Diese  Besonderheit  möchte  vielleicht  darauf 
deuten,  dass  wir  es  auch  hier  mit  einer  Übersetzung  älteren  Datums  zu 
thun  haben,  die  man  einer  modernisierenden  Überarbeitung  unterzogen 
hätte.  Wenigstens  dürfte  jetzt  schwerlich  noch  Jemand  sagen,  wie  es 
auf  S.  18  heist:  „Die  Seelenreinheit  dieses  vortrefflichen  Frauenzimmers.^ 
Ferner  wird  man  in  einem  deutschen  Texte  die  Verkleinerungsform 
Suzon  kaum  dulden  dürfen,  sondern  dafür  zu  sagen  haben:  Suschen; 
ebenso  wie  man  MademoiseUe  Goion  (S.  37)  nicht  stehen  Ia»Ben  darf  für: 
Fräulein  Gretchen.  Was  heisst  es,  wenn  man  S.  55  Messt:  In  Turin  habe 
ich  den  Degen,  wie  man  zu  sagen  pflegt,  mit  meinem  Rücken  ansehen 
müssen?  Es  möchte  sehr  bezweifelt  werden,  dass  diese  Wiedergabe 
denselben  Eindruck  macht,  wie  die  Stelle  des  Originals:  Je  rne  passois 
Fepee,  comme  on  du,  au  travers  du  Corps,  womit  bekanntlich  ausgedrückt 
wird:  Ich  verkaufte  den  Degen  und  verzehrte  den  Erlös  desselben. 

Wirkliche  Unrichtigkeiten  sind  uns,  wie  schon  bemerkt,  in  dieser 
Übersetzung  nur  selten  aufgestossen.  So  wird  man  S.  24  nicht  sagen 
können:  Mein  Magen  empörte  sich  schon  bei  der  Erinnerung,  für  das 
französische:  Le  cceur  me  soulevoit.  S.  26  ist  fangeux  nicht  schlüpfrig, 
sondern  schmutzig.  S.  29  heisst  $e  meiire  en  nage  sicher  nicht :  sich  ins 
Wasser  stürzen,  sondern:  sich  in  Schweiss  bringen.  S.  49  „ohne  dass 
ich  mich  erniedrigen-  muss,  es  ihm  zu  sagen"  deckt  sich  nicht  mit:  sans 
que  je  m'appesantisse  ä  le  lui  dire.  S.  50  liest  man :  Viel  oder  wenig 
(Petit  ou  grand),  ich  erinnere  mich  nicht,  dass  ich  je  in  meinem  Leben 
auch  nur  das  geringste  an  Geld  gewonnen  habe.  Es  ist  klar,  dass  hier 
ein  Fehler  vorliegt.  Ebenso  ist  es  S.  58  nicht  richtig  zu  übersetzen: 
„In  dem  Gedanken  zu  reisen,  kam  ich  nach  Cousignon.*^  Das  Original 
hat  ä  force  de  voyager  etc.  S.  67  heisst  es:  „Der  Bauer,  der  mit  uns 
speiste."  Damit  wird  aber  der  Sinn  des  Originals  verwischt,  das  hier 
lautet:  qui  dtnoit  pour  nous.  Die  beiden  anderen  Tischgenossen  essen 
nämlich  sehr  wenig,  der  Bauer  aber  um  so  mehr. 

Auch  die  Druckfehler  beschränken  sich  auf  eine  sehr  geringe  Zahl 
Erhebliches  hierin  ist  uns  nur  aufgestossen  auf  S.  49,  wo  man  „Werk" 
(instrument)  für  „Werkzeug"  liest,  und  auf  S.  50,  wo  eine  Zeile  ausge- 
fallen ist,  in  dem  Satze:  „Ich  werde  weniger  von  dem  Gelde  versucht, 
als  von  den  Dingen,  denn  zwischen  das  Geld  und  den  gewünschten  Be- 
sitz und  den  Genuss  aber  kann  nichts  treten."  Es  fehlt  hier  nach  dem 
Worte  „Besitz"  die  Übersetzung  von:  ü  y  a  toujours  un  interme'diaire ; 
(au  Ueu  qv!)entre  la  chose  mime. 

Diese  wenigen  Stellen,  wo  die  vorliegende  Übersetzung  noch  der 
bessernden  Hand  bedarf,  sind  durchaus  nicht  dazu  angethan,  den  vor- 
teilhaften Eindruck,  den  das  Ganze  macht,  zu  verwischen,  und  dieser 
beruht,  wie  gesagt,  wesentlich  auf  dem  fliessenden,  gut  deutschen  Über- 
setzungsstil in  Verbindung  mit  der  sorgfältigen  Wiedergabe  des  Originals. 
Eine  nützliche  Beigabe  ist  die  vorausgeschickte,  von  Prof.  Born  verfasste 
knappe  Charakteristik  Eousseau's  als  Mensch  und  Schriftsteller. 


6* 


84  Referate  und  Rezensionen.     K,  A,  M.  Hartmann, 

8)  B,  de  Saint-Pierre,    Baut  und  Vtrginie.    Mit  einer  Einleitung  und 
in  neuer  Übersetzung  von  Karl  Saar.    (1  Bd.  von  207  S.) 

Auch  hier  ist  die  Arbeit  des  Rezensenten  erfreulicherweise  eine 
sehr  angenehme.  Denn  ist  schon  die  blosse  Eenntnissnahme  dieser  Über- 
setzung mit  ihrer  klaren,  edlen,  glatt  hinfliessenden  Sprache,  die  sich 
der  des  Originals  würdig  an  die  Seite  stellt,  ein  wahrhafter  Genuss,  so 
verdient  andererseits  auch  die  Treue  und  Sorgfalt  der  Verdeutschung 
warme  Anerkennung.  Auf  jeder  Seite  merkt  man,  dass  der  Übersetzer 
den  Forderungen  der  franzöäischen  Sprache  nicht  minder  gerecht  zu 
werden  weiss,  als  den  Forderungen  der  deutschen  Sprache,  und  so  ist 
es  ihm  gelungen,  da.s  berühmte  Tropenidyll  unserem  Publikum  in  einer 
würdigen  Form  vorzuführen,  welche  zugleich,  dies  sei  ausdrücklich  be- 
merkt, das  ganze,  unverkürzte  Original  wiedergibt.  Ein  so  treffliches 
Werk  möchte  man  allerdings  auch  von  kleinen  Fehlern  frei  wissen, 
und  dieser  Wunsch  bestimmt  uns,  die  Stellen  in  Kürze  hierher  zu  setzen, 
die  noch  einer  Verbesserung  bedürftig  sind. 

In  Bezug  auf  den  Ausdruck  erscheint  nicht  ganz  glücklich: 
S.  2ß  Sie  säugte  (aUaitoit)  ihr  Kind  (andererseits  dafür  besser:  stillen). 
S.  37  Moralpredigerei.  S.  60  Der  Kristallschmuck  eines  Lüsters  (lustre, 
d.  h.  Kronleuchters).  S.  66  Ansprache  für  appeüation  wäre  besser  durch : 
Bezeichnung  zu  ersetzen.  S.  90  Knirschende  Fluten  (eaux  mugissantes) 
ist  sicherlich  nicht  deutsch.  Bei  dem  Ausdrucke  (S.  91):  Der  Garten 
war  gänzlich  verschwemmt  und  vermuhrt  (le  jardin  ätoit  bouleverse  par 
d'affreux  ravins)  werden  viele  Leser  vor  einem  Rätsel  stehen.  S.  105 
„Prächtige  Bassins"  wird  schwerlich  jedermann  richtig  auffassen.  S.  136 
Die  Überzahl  der  Menschen  ist  eine  mindestens  sehr  ungebräuchliche 
Wendung  für:  le  reste  des  hommes.  S.  143:  „Deine  niedrige  Geburt 
verrammelt  (ferme)  Dir  jeden  Weg  zu  Staatsämtern. "  „Verschliesst** 
wäre  wohl  der  angemessenere  Ausdruck.  S.  179  liest  man:  Acht  der 
angesehensten  Familientöchter  (huit  demoiselles  des  plus  considerables), 
S.  190  Du  hast  nur  mehr  (ne  plus  que)  jene  auf  der  Welt  etc.  S.  197 
Ich  habe  das  Weltmeer  überschifffc  (traverse).  S.  201  Die  Vernunft  des 
Menschen  ein  Abklatsch  (une  image)  der  göttlichen  Weisheit. 

Kleine  üngenauigkeiten  sind  zu  verzeichnen  S.  30  und  S.  79 
„Roggen**  für  froment.  S.  48  Am  Fusse  des  Baumes  ein  Feuer  an- 
machen (meitre  le  feu  au  pied  de  ce  palmiste).  S.  66  Buschneger  (noirs 
murrons).  S.  78  Feurige  Pfeile  (gerhes  lumineuses).  S.  87  Einer  jener 
furchtbaren  Sommer,  welche  von  Zeit  zu  Zeit  die  Tropengegenden  heim- 
suchen, herrschte  verwüstend  auch  bei  uns  (vint  etendre  ici  ses  ravages), 
d.  h.  kam  mit  seinen  Verwüstungen  auch  hierher).  S.  172  Ein  fahles, 
schales  Zwielicht  (une  lueur  olivätre  et  blafarde),  S.  204  Der  gerechte 
Himmel  gibt  (envoie)  grausamen  Seelen  die  fürchterlichsten  Glaubens- 
meinungen  (suppUces)  ein. 

Der  Text  ist  korrekt  bis  auf  folgende  Kleinigkeiten:  S.  42  Nach 
reiflicher  Überlegung  habe  sie  dem  Herrn  La  Bourdonnaje  bestens 
empfohlen.  Hier  fehlt  das  Objekt:  sie.  S.  50,  9.  Zeile  von  oben:  un- 
beAannt,  für  unbenannt.  S.  66:  rührende  iSa^en  (noms  touchants),  S.  91 
Bengalisten  (=  bengalis).    S.  147  Der  Himmel  hat  dir  Freude  (des  amis) 

feschenkt.  S.  185  Die  Stelle,  wo  sie  vor  Müdigkeit  nicht  mehr  weiter 
onnte/i  (dafür  lies:  konnte),  nach  dem  Original:  oü  eüe  s'assit  ne pouvant 
plus  marcher.  Ein  Druckfehler  erklärt  wohl  auch  den  Übersetzungsfehler 
auf  S.  138  die  hier  sogenannten  Apfelbäume  (bois  de  gomme). 

Ein  empfehlendes  Wort  verdient  auch  die  Einleitung  über  Bernardin 
der  Saint -Pierre.     (S.  5->16)  Vielleicht  könnte  der  Stoff  darin  etwas 


Gudin  de  la  Breneüerie,  Hisioire  de  Beaumarchais.    Memoires  etc.       85 

methodischer  geordnet  sein,  trotzdem  aber  werden  diese  in  ungemein 
warmem  Tone  geschriebenen  Seiten  den  Leser  gewiss  fesseln.  Von  dem 
sprachlichen  Können  des  Verfassers  erhält  man  gleich  hier  einen  vorteil- 
haften Eindruck.  K.  A.  Maktin  Hartmann. 


Block,  John,  Beiträge  zu  einer  WUrdigung  Diderofs  (äs  Dra- 
matiker. Königsberger  Dissertation.  Königsberg,  1888. 
Bnchdrucketei  von  R.  Leupold.     78  S.  8^ 

Eine  jedenfalls  fleissige,  mühevolle  Arbeit,  die  das  über 
Diderot's  ästhetisch-dramaturgische  Anschauungen  und  Rührstücke 
im  wesentlichen  schon  bekannte  eingehend  zusammenstellt  und 
auch  die  dramatischen  Fragmente  des  Aufklärungsphilosophen 
sorgfältig  bespricht.  Durch  dieses  (III.)  Kapitel  (S.  34 — 78)  ge- 
winnt die  Abhandlung  eine  mannigfach  selbständige  Bedeutung. 

Als  Zeugnis,  dass  die  jüngeren  Fachgenossen  sich  vom 
Mittelalter  mehr  und  mehr  zur  Litteratur  der  Neuzeit,  namentlich 
zu  dem  vielfach  bahnbrechenden  XVIII.  Jahrhundert  wenden,  ver- 
dient auch  diese  Dissertation  Beachtung  und  Anerkennung. 

R.  Mahbenholtz. 


Gudin  de  la  Brenellerie,  Histoire  de  Beaumarchais.  MSmoirea 
inidits  puhliis  sur  Ua  mss.  originaux  par  Maurice 
Tourneux.  Paris,  1888.  E.  Plön,  Nourrit  &  C**. 
XXVm,  508  8.   8^.     Preis:  7  fr.  50  cent. 

Zu  den  vertrautesten  Freunden  des  litterarischen  und  poli- 
tischen Abenteurers  Pierre -Augustin  Caron  de  Beaumarchais  ge- 
hörte ein  jetzt  ziemlich  vergessener  Schriftsteller  des  achtzehnten 
Jahrhunderts:  Paul-Philippe  Gudin  de  la  Brenellerie.  Aus  einer 
französischen  Familie  des  Waadtlandes  stammend,  ist  Gudin 
am  6.  Juni  1738,  also  sechs  Jahre  später  als  Beaumarchais,  in 
Paris  geboren.  Wie  sein  bedeutenderer  Zeitgenosse  war  auch 
er  der  Sohn  eines  Uhrmachers.  Ob  er  in  Genf  Theologie  studiert 
habe,  wie  seine  Witwe  behauptet,  ist  nicht  authentisch  nach- 
zuweisen; wir  wissen  nur,  dass  er,  vermutlich  von  Genf  aus, 
nach  Femey  zu  Voltaire  gepilgert  ist.  In  litterarischer  Hinsicht 
hat  er  seit  1760  sich  durch  Tragödien,  die  teils  der  antiken 
Legende  (Agamemnon^ s  Tody  C  M.  Coriolanus,  Lykurg  und 
Solonjf  teils  der  französischen  Geschichte  (Lothar  und  Waldrade, 
Hugo  d.  Or.)  angehören,  teils  durch  ein  Epos  zur  Verherrlichung 
von  Karl's  VIII.   Zug  gegen  I^eapel,   teils  durch  gereimte  Er- 


L 


U 


86  Referate  und  Rezensionen.    C.  This, 

Zählungen  kulturhistorischen  Inhalts,  teils  durch  einen  unvollendet 
und  unveröffentlicht  gebliebenen  Essai  sur  le  progrls  des  arts  et 
de  Vesprit  Tiumain  soics  le  r^gne  de  Louis  XVy  den  Beifall  der 
Correspondance  litter aire,  phüosophique  et  critiquey  aber  keine 
bleibenden  Erfolge  errungen.  Seine  Tragödie  Lothaire  et  Valdrade 
wurde  wegen  ihrer  antikatholischen  Tendenz  am  28.  September 
1768  zu  Rom  feierlich  verbrannt  und  trotz  mehrfachen  Wieder- 
abdruckes von  den  Frommen  fast  gänzlich  aufgekauft  und  ver- 
nichtet. Seine  Freundschaft  für  Beaumarchais  musste  er  mit 
seiner  Haft  im  Temple  büssen,  wofür  er  sich  durch  eine  anonvme 
Satire  rächte.  Voltaire's  Andenken  feierte  er  durch  einen  Eloge 
und  verteidigte  auch  seine  Geschichtswerke  und  die  ihm  von 
der  französischen  Revolution  erwiesene  Ehre  der  Beisetzung  im 
Pantheon.  Mit  dem  Jahre  1789  warf  er. sich  auf  das  Gebiet 
der  Zeitpolitik,  wurde  aber  trotz  oder  wegen  Beaumarchais^  Em- 
pfehlung nicht  zum  Volksvertreter  gewählt  und  sogar  als  Royaiist 
verdächtigt,  weil  er  (1790)  in  einem  Supplement  au  Contrat  social 
das  monarchische  System  verteidigt  hatte.  Er  floh  nach  dem 
Dörfchen  Marcilly  bei  Avallon,  kehrte  später  nach  Paris  zurück, 
suchte  aber  nach  dem  18.  Fructidor  sein  Asyl  wieder  auf.  Seinen 
Freund  Beaumarchais  Überlebte  er  um  fast  dreizehn  Jahre  und  starb, 
nachdem  er  sich  später  verheiratet  hatte,  um  26.  Februar  1812 
zu  Paris,  wohin  er  sich  nach  dem  Sturze  der  Jakobinerherrschaft 
wieder  gewandt  hatte. 

Das  Manuskript  der  Histoire  de  Beaumarchais  ist  bereits 
von  den  Biographen  Beaumarchais^  Lomenie  und  Bettelheim,  be- 
nutzt worden;  Tourneux  ist  ihr  erster  Herausgeber,  wobei  er 
von  Herrn  Eugene  Lintilhac,  der  ein  anderes  Manuskript  des 
Werkes  eingesehen  hatte,  unterstützt  worden  ist.  Wir  haben  uns 
länger  bei  Gudin's  Biographie,  die  Tourneux  in  der  Notice  pre- 
liminaire  gibt,  aufgehalten,  weil  wir  über  die  Histoire  de  Beau- 
marchais selbst  wenig  zu  sagen  haben.  Durch  die  Publikation 
hat  Tourneux  zwar  Gudin,  aber  nicht  Beaumarchais  einen  Dienst 
geleistet,  denn  was  wir  über  letzteren  erfahren,  ist  schon  durch 
Sainte.-Beuve,  Lomenie  und  namentlich  durch  Bettelheim  genauer 
und  ausfuhrlicher  bekannt.  Gudin's  Werk  ist  natürlich  pane- 
gyrisch und  leidet  an  einer  grossen  Überschätzung  der  Dichter- 
begabung Beaumarchais',  nebenbei  auch  an  mannigfacher  Un- 
kenntnis. So  bedauert  Gudin,  dass  sein  Freund  nicht  bei  den 
Jesuiten,  ces  excellents  instructeursy  studiert  hätte,  die  würden  ihn 
u.  a.  auch  mit  dem  Aristophanes  bekannt  gemacht  haben.  Was 
wir  aber  durch  Voltaire,  Morellet  u.  a.  über  jesuitische  Dressur- 
anstalten des  achtzehnten  Jahrhunderts  wissen,  lässt  dieses  Be- 
dauern  in  sehr  zweifelhaftem  Lichte  erscheinen,  namentlich  ist 


A,  Boming,  Die  oslfrz.  Grenzdialekie  zwischen  Metz  u.  Beifort      87 

die  griechische  und  grossenteils  aach  die  römische  Litteratur  der 
besseren  Zeit  in  ihnen  sträflich  vernachlässigt  worden.  Über 
Katharina  IL  Verhältnis  zu  Beaumarchais'  Ausgabe  der  Werke 
Voltaire's  ist  Gudin  wenig  unterrichtet.  Wenn  die  berechnende 
Herrscherin  den  Druck  der  grossen  Ausgabe  nach  St.  Petersburg 
ziehen  wollte,  so  leitete  sie  nicht  der  Eifer  für  die  Sache,  sondern 
der  Wunsch,  die  Veröffentlichung  ihrer  Korrespondenz  mit  Voltaire 
zu  überwachen  und  einzuschränken.  In  diesem  Sinne  hat  sie 
ihrem  litterarischen  Agenten  Grimm  in  Paris  bindende  Instruktion 
gegeben. 

Tourneux  hat  der  Histoire  eine  Anzahl  schätzenswerter 
litterarischer  Notizen  und  drei  Anhänge  beigefügt,  unter  denen 
ein  von  Beaumarchais  unterdrückter  Widmungsbrief  des  Mariage 
de  Figaro  an  Ludwig  XVI.  und  Marie  Antoinette  und  ein  darauf 
bezüglicher  Brief  des  Abb6  Sabatier  de  Castros,  Voltaire's  Gegner, 
an  Gustav  IIL  von  Schweden  besonderes  Interesse  haben. 

Immerhin  ist  Gudin*s  Werk  zwar  wegen  der  nahen  Be- 
ziehungen des  Autors  zum  Helden  von  Bedeutung,  aber  weder 
eine  parteilose,  noch  eine  besonders  wichtige  Quellenschrift. 

R.  Mahbenholtz. 


Horning,  Adolf,  Die  ostfranzösischen  Chenzdialekte  zwischen  Metz 
und  Beifort  Mit  einer  Karte.  (Französische  Studien^ 
herausgegeben  von  G.  Koerting  und  E.  Koschwitz,  V.  Bd., 
4.  Heft.)  Heilbrönn,  1887.  Gebr.  Henninger.  122  S. 
gr.  8^.     Preis:  M.  4,40. 

Seit  wenigen  Jahren  erst  ist  man  bestrebt  die  Dialekte 
unter  Zugrundelegung  der  Forderungen,  welche  eine  wissenschaft- 
liche Behandlung  derselben  erheischt,  zu  bearbeiten.  Auf  diesem 
Gebiete  haben  wir  bis  jetzt  nur  wenige  gute  Arbeiten  der  Art 
zu  verzeichnen:  von  Ascoli  für  das  Italienische,  von  Gärtner  für 
das  Rätoromanische,  für  das  Französische  von  Oornu,  Joret, 
Gilli^ron,  für  das  Rumänische  von  Tiktin.  Diesen  Arbeiten  stellt 
sich  ebenbürtig  an  die  Seite  die  obige  Schrift  Homing's  über 
die  ostfranzösischen  Dialekte  zwischen  Metz  und  Beifort. 

Das  sehr  bedeutende  Material,  welches  Verf.  in  den  Jahren 
1883 — 1886  gesammelt  hat  und  welches  aus  siebenundsechzig 
Ortschaften  Lothringens  und  der  Vogesen,  die  an  der  Sprach- 
grenze zwischen  Metz  und  Beifort  liegen,  stammt,  ist  zum  grössten 
Teil  vom  Verfasser  an  den  Orten  selbst  gehört  und  aufgezeichnet 
worden.  Für  die  wenigen,  von  ihm  nicht  selbst  aufgesuchten 
Ortschaften  hat  er  das  Material  von  Eingeborenen  erhalten.    Die 


88  Referate  und  Rezensionen,    C,  This, 

von  mir  in  den  unmittelbar  an  der  Sprachgrenze  gelegenen  Ort- 
schaften gemachten  sprachlichen  Erhebungen  stimmen,  abgesehen 
von  unbedeutenden  Einzelheiten,  ziemlich  genau  mit  den  von 
Homing  gemachten  Aufzeichungen  überein.  Der  behandelte  Wort- 
schatz ist  graphisch  genau  fixiert  worden.  Bis  auf  zwei  Punkte 
bin  ich  mit  der  Lautbezeichnung  des  Verfassers  einverstanden. 
Verfasser  hätte  zwischen  e-  und  z- Nasal  unterscheiden  sollen; 
ich  habe  auch  t;- Nasal  gefunden.  Da  er  femer  den  dem  fran- 
zösichen  ch  entsprechenden  Laut  mit  j  bezeichnet,  so  wäre  es 
wohl  folgerichtiger  gewesen,  wenn  er  den  entsprechenden  sanften 
Laut  mit  z  (statt  mit  j)  wiedergegeben  hätte,  zumal  er  s  für  den 
scharfen  «-Laut  und  z  fUr  den  sanften  schreibt. 

Verfasser  gibt  S.  7  —  86  eine  ausführliche  Lautlehre  des 
ganzen  Gebietes,  an  welcher  die  Methode  und  die  Klarheit  der 
Darstellung  besonders  hervorgehoben  zu  werden  verdienen.  Dabei 
geht  er  naturgemäss  vom  Lateinischen  aus.  Beim  Vokalismus  er- 
gibt sich  die  Anordnung  von  selbst.  Beim  Konsonantismus  werden 
zunächst  die  Gutturale  (h,  c  vor  a,  o,  u  und  vor  Konsonanten, 
c  vor  e  und  i,  g  und  j,  qu)  behandelt,  an  welche  s  (x)  und  r 
angeschlossen  werden;  dann  folgt  die  Darstellung  der  Dentalen 
(d,  t),  der  Liquiden  (7,  m  und  n)  und  der  Labialen  C5,  jp,  /,  v 
und  deutsches  w). 

Dadurch  dass  mehrere  unter  einander  verwandte,  lautlich 
aber  verschieden  gefärbte  Mundartgruppen  verglichen  werden,  ist 
es  dem  Verfasser  möglich  geworden  in  die  Erklärung  der  meisten 
lautlichen  Erscheinungen  einzudringen.  Ganz  besonders  interessant 
sind  die  Exkurse  über  dem  Lothringischen  eigentümliche  Laut- 
erscheinungen: S.  34  ein  historischer  Exkurs  über  e,  S.  56  die 
ce- Laute,  S.  58  vortoniges  o  im  Hiat  zu  aw,  S.  81  das  Ver- 
hältnis der  Laute  /  (li)  zu  s  (j),  S.  84  die  Aussprache  der  sanften 
Konsonanten  am  Wortende. 

Zu  §  3  und  S.  82  bemerke  ich:  Die  Form  syqV  erstreckt 
sich  in  A  von  Deutsch -Oth  bis  Rollingen;  im  übrigen  A- Gebiet 
findet  sich  der  o-Laut,  und  zwar  in  der  Form  jföZ',  in  B  und  C 
überall  a,  und  zwar  für  B  in  der  Form  säl\  flir  C  in  der  Form 
^äl\  Für  D  glaube  ich  einen  Laut  zwischen  a  und  q  konsta- 
tieren zu  können,  den  ich  mit  oo  und  mit  oa  bezeichnete,  je 
nachdem    der  Laut  dem  a  oder  dem  o  näher  kam. 

Zu  §  73.  Mit  der  Bezeichnung  ly  für  Vorlage  i  -\-  no  kann 
ich  mich  nicht  einverstanden  erklären.  Das  Aussprechen  von 
reinem  geschlossenen  i  -f-  blossem  Ansatz  zur  Artikulation  des 
n  (y)  kann  ich  mir  nicht  denken,  ohne  dass  dieses  i  nasaliert 
wäre.  Ich  erkläre  mir  den  Vorgang  folgendermassen.  Zwischen 
ursprüngliches  i  -f-  n  schob    sich  als  Übergangslaut  von  i  zu  n 


A.  Hommg,  Die  osifrz.  GrenzdialekU  zwischen  Metz  ti.  Belfori,     89 

eis  »-Nasal  (l)  ein,  so  dass  i^n  entstand.  Das  reine  i  ver- 
schwand mit  der  Zeit;  von  n  blieb  ein  blosser  Ansatz  zurück, 
den  man  in  Ermangelung  eines  besseren  Zeichens  mit  y  be- 
zeichnen mag,  so  dass  die  Aussprache  wohl  eher  %y  ist.  Diesen 
Laut  habe  ich  in  einigen  Ortschaften  des  D- Gebiets  notiert 
Den  Ansatz  zur  Artikuiierung  des  n  fand  ich  in  A  nicht  mehr 
vor,  sondern  nur  %  (V-Nasal),  dem  bei  ausdrucksvollem  Sprechen 
bei  der  Auflösung  ein  f  nachklang  =  r^.  In  anderen  Gebieten 
ist  nicht  allein  der  Ansatz  zur  Artikulierung  des  n  verschwunden, 
sondern  auch  die  Nasalierung.  Wir  hätten  also  aus  ursprüng- 
lichem t-f-  n  *Sn,  ?9,  t,  i.  In  den  Gebieten,  wo  » +  «  ^u  c-Nasal 
(e)  wird,  haben  wir  entsprechend  *e7^,  e  und  §;  für  g  führt  Ver- 
fasser mehrere  Beispiele  auf. 

Zu  §  127.  Für  Gruppe  B  kann  ich  folgende  Einzelheiten 
hinzufügen.  In  lothringisch  offener  Silbe  findet  sich:  1)  in  den 
Verben,  welche  dem  Bartsch'schen  Gesetze  folgen,  auf  dem 
ganzen  Gebiete  iis'nayi  (se  noyer);  —  2)  bei  Suffix -an««  Cß: 
lazcR  (Uger),  nmicß  (le  noyer);  das  Fem.  ist  er'  von  Conthil  bis 
Bensdorf-Nebing,  aber  ä/  von  Albesdorf-Dorsweiler  ab;  —  3)  bei 
§  -f"  y  ^omh.  i  von  Gruppe  A  bis  Bensdorf-Nebing,  cb  von  Dors- 
Weiler  ab  gegen  Gruppe  C:  löd  (lectus). 

In  lothringisch  geschlossener  Silbe  entwickelt  sich  in  B  aus 
freiem  f  ein  i:f%f  (fehris),  ptr*  (petra),  ür  (terra).  Aus  g  +  y 
wird  Cß:  scer^  (sequere),  §cߧ  (sex).  Decem  ist  auf  dem  ganzen 
Gebiete  d§*s. 

Zu  §  166.  B  vor  d^  t  ist  erhalten  in  Gruppe  A  von  Deutsch- 
Oth  bis  Kürzel  excl.:  m^rt^  (marteau),  r  ist  einfach  geschwunden 
von  Kürzel  bis  B  und  in  B  bis  Rohrbach:  mete. 

Grosses  Interesse  gewähren  die  Resultate,  welche  Verfasser 
aus  seiner  Untersuchung  zieht,  auf  Grund  deren  er  das  ganze 
von  ihm  behandelte  Gebiet  in  eine  Reihe  von  sprachlichen  Gruppen 
einteilt  (S.  1 — 5).  Er  führt  zunächst  eine  Reihe  sprachlicher 
Merkmale  auf,  welche  dem  ganzen  Gebiet  oder  doch  dem  grössten 
Teile  desselben  im  Gegensatz  zum  Französischen  eigen  sind.  Es 
sind  deren  sieben,  welche  in  dem  ganzen  Gebiet,  und  zwei, 
welche  in  dem  grössten  Teile  Messelben  gefunden  werden.  Die- 
selben Resultate  habe  ich  zu  verzeichnen.  Nur  bei  acht  würde 
ich  sagen:  Die  Endung  -ata  =  ay\  §y  oder  ey\  Ich  notierte  fy' 
für  Baronweiler  und  Landorf  (Kreis  Forbach,  Kanton  Grosstänchen), 
für  das  von  mir  in  Die  Mundart  der  französischen  Ortschaften 
des  Kantons  Falkenberg  (Kreis  Beiden  in  Lothringen)  behandelte 
Gebiet,  für  Burtoncourt  (Landkreis  Metz,  Kanton  Vigy)  und  Abon- 
court  (Kreis  Diedenhofen,  Kanton  Metzerwiese)  und  für  Netzenbach 
und  Grandfontaine  (Kreis  Molsheim,  Kanton  Schirmeck).  In  einigen 


90  Referate  und  Rezensionen,    C.  This, 

anderen  Ortschaften  konnte  man  zweifelhaft  sein  in  der  Bezeich- 
nung des  Lautes;  er  schwankte  an  Übergangsstellen  zwischen  at/ 
und  gy'  oder  ^1/  und  ey\ 

In  einer  Anmerkung  S.  2  sagt  der  Verfasser,  die  Merkmale 
2,  6  und,  was  r  betrifft,  5  fehlten  dem  Wallonischen.  Diese 
Merkmale  finden  sich  in  dem  nordwestlichen  Teile  von  Lothringen 
nicht  mehr  vor.  Sie  erstrecken  sich  nur  bis  Fameck  (Kreis  und 
Kanton  Diedenhofen),  von  da  ab  nordwestlich,  d.  h.  von  Ersingen 
ab  fehlen  sie  gänzlich.  Soll  man  darnach  annehmen,  dass  das 
Wallonische  sich  bis  in  das  heutige  Lothringen  erstreckt? 

In  dieser  Arbeit  ist  zum  ersten  Male  der  Versuch  gßmacht 
worden  die  von  Groeber,  Grundrissy  I  415  ff.,  formulierte  Frage 
zu  beantworten,  ob  es  natürliche,  durch  eine  Reihe  gemeinsamer 
Merkmale  bestimmte  sprachliche  Gruppen  gibt,  dabei  hätten  die 
sprachlichen  Erhebungen  von  sicher  gegebenen  Grenzen  des 
Sprachverkehrs  auszugehen.  Hier  sind  es  Spracharten  an  der 
Grenze  gegen  das  Deutsche.  Des  Verfassers  Ausführungen  geben 
einen  deutlichen  Beleg  für  die  Richtigkeit  der  von  Groeber  ver- 
tretenen Ansicht.  Auf  Grund  einer  Anzahl  von  lautlichen  Eigen- 
tümlichkeiten hat  er  für  das  ganze  von  ihm  behandelte  Gebiet 
sieben  Gruppen  aufgestellt,  welche  er  mit  A,  B,  C,  D,  E,  F,  G 
benannt  hat,  während  er  die  einzelnen  Ortschaften  einer  jeden 
Gruppe  mit  a^  sfi,  b^  b^,  u.  s.  w.  bezeichnet  hat.  Die  von  mir 
an  Ort  und  Stelle  gemachten  Beobachtungen  bestätigen  diese 
Gruppeneinteilung.  Von  den  Bewohnern  selbst  wird  das  that- 
sächliche  Bestehen  derselben  empfunden.  Die  Bewohner  der 
Grenzortschaften  der  einzelnen  Gruppen  sind  sich  des  Unterschieds 
der  von  ihnen  gesprochenen  Sprachart  mit  der  angrenzenden 
anderen  sprachlichen  Gruppe  wohl  bewusst;  diese  einzelnen 
Gruppen  führen  im  Volke  sogar  besondere  Namen.  Ich  verweise 
dafür  auf  meine  Besprechung  von  Horning's  Arbeit  in  der  Deutschen 
Läteraturzeitungy  1888,  No.  34.  Der  Verfasser  führt  für  jede 
einzelne  Gruppe  eine  Anzahl  charakteristischer  Merkmale  auf, 
welche  mit  meinen  Erhebungen  genau  identisch  sind.  Darnach 
wären  längst  der  deutsch  -  französischen  Sprachgrenze  für  eine 
jede  Gruppe  die  äussersten  Grenzen  durch  folgende  Ortschaften 
gekennzeichnet.  Gruppe  A  erstreckt  sich  von  Deutsch-Oth  (Kreis 
Diedenhofen,  Kanton  Fentsch)  bis  Conthil  exkl.  (Kreis  und  Kanton 
Chäteau-Salins),  Gruppe  B  von  Conthil  bis  Langenberg  (Kreis 
Saarburg,  Kanton  Rixingen),  Gruppe  C  von  Kappel  (Kreis  und 
Kanton  Saarburg)  bis  Schirmeck  (Kreis  Molsheim,  Kanton  Schirmeck), 
Gruppe  D  von  Rothau  (Kreis  Molsheim,  Kanton  Schirmeck)  bis 
Klein-Rumbach  (Kreis  Rappoltsweiler,  Kanton  Markirch),  Gruppe  E 
von  Altweier  (Kreis  Rappoltsweiler,  Kanton  Markirch)  bis  Urbeis 


A.  Horning,  Die  ostfrz.  GrenzdkUekie  zwischen  Metz  u.  Bei  fort.      91 

(Kreis  Rappoltsweiler,  Kanton  Sohnierlach);  Gruppe  F  trifft  das 
elsässische  Gebiet  nicht;  Gruppe  G  endlich  erstreckt  sich  von 
Welschensteinbach  bis  Menglatt  (beide  Kreis  Altkirch ,  Kanton 
Dammerkirch). 

Natürlich  ist  der  Übergang  von  einer  Gruppe  zur  anderen 
nicht  ein  schroffer,  gewisse  lautliche  Besonderheiten  hören  früher 
auf  oder  erstrecken  sich  noch  weiter  bis  zu  den  nächsten  Orten. 
So  erstreckt  sich  für  Gruppe  A  Merkmai  1  von  Deutsch-Oth  bis 
Conthil  exkl.,  Merkmal  2  von  Deutseh-Oth  bis  Baronweiler  exkl., 
Merkmal  4  von  Deutsch -Oth  bis  Conthil  excl.;  für  Merkmal  3 
fehlen  in  meinen  Aufzeichnungen  die  nötigen  Belege.  Für  die 
Gruppe  0  finde  ich  bei  mir  nur  die  Merkmale  1  und  4  belegt; 
von  diesen  erstreckt  sich  1  von  Kappel  bis  Schirmeck  und  4 
von  Losdorf  (in  B)  bis  Schirmeek.  Für  Gruppe  G,  für  welche 
meine  Aufzeichnungen  mit  den  aufgeführten  sechs  Merkmalen 
übereinstimmen,  kann  ich  leider  nicht  angeben,  wie  weit  die 
einzelnen  Merkmale  sich  in  den  Orten  längst  der  Sprachgrenze 
erstrecken,  da  auf  dem  grössten  Teile  dieser  Strecke  die  Sprach- 
grenze mit  der  politischen  Grenze  zusammenfUlIt,  ich  aber  nur 
die  Orte  auf  elsässischem  Gebiete  untersucht  habe.  Diese  Gruppe 
gehört  übrigens  schon  dem  burgundischen  Sprachgebiete  an. 

Zur  Charakterisierung  der  Gruppen  A,  B,  C  und  G  führe 
ich  noch  folgende  Eigentümlichkeit  an.  Lat.  inus  wird  in  der 
Gruppe  A  von  Deutsch -Oth  bis  Fameck -Remelingen  zu  e  (ich 
muss  hier  von  der  Lautbezeichnung  des  Verfassers  abweichen. 
Derselbe  bezeichnet  den  e- Nasal  mit  t,  den  ich  genauer  mit  e 
wiedergeben  möchte,  während  ich  mit  t  den  i- Nasal  bezeichne, 
wofür  der  Verfasser  i(y)  schreibt,  welcher  Laut  meines  Erachtens 
nicht  Immer  mit  dem  von  mir  gehörten  sich  deckt);  von  Buss 
bis  Baronweiler  inkl.  t'  (ich  verweise  zur  Erklärung  dieses  Lautes 
auf  meine  Mundart  der  französischen  Ortschaften  des  Kantons 
Falkenberg),  in  B  zu  e,  in  C  zu  i^  und  in  G  zu  i;  lat.  ina  wird 
in  Gruppe  A  ^n'  von  Deutsch-Oth  bis  BoUingen,  in'  von  Hemilly 
bis  B,  ferner  in  B  und  C,  ^n'  in  G.  Durch  Einwirkung  eines 
vorhergehenden  Nasals  wird  in  A  i  nasaliert;  lat.  missus  ist  me 
von  Deutsch-Oth  bis  Fameck-Remelingen,  d.  h.  auf  dem  Gebiete, 
wo  intis  zu  e  wird;  auf  dem  übrigen  Gebiete  von  A,  wo  inus 
zu  tf  wird,  heisst  die  Form  mj*. 

Mit  Recht  macht  der  Verfasser  noch  darauf  aufmerksam, 
dass  die  in  Elsass-Lothringen  gesproehenen  Dialekte  keine  ein- 
heitliche Mundart  bilden,  dass  sie  die  Fortsetzung  in  östlicher 
Richtung  der  auf  französischem  Gebiete  sieh  befindliehen  Gruppen 
sind. 

Homing's  Schrift  darf  infolge  der  guten  darin  angewandten 


92  Referate  und  Rezensionen,    A,  Odin, 

Methode  und  der  Klarheit  der  Darstellang  mit  Recht  jedem  zum 
Studium  und  als  Muster  empfohlen  werden,  welcher  an  die  Bear- 
beitung lebender  Sprachen  herantreten  will.  G.  This. 


Tellier,  Jules,  Nos  Poetes,    Paris,  1888.    A.  Dupret  257  S.  8°. 
Preis:  3  fr.  50  cent. 

Un  joli  voIume  qui  m^rite  d'Stre  bien  accueilli  par  tous 
ceux  qui  s'int^ressent  k  la  litt^rature  fran9aise  contemporaine, 
quoi  qu'on  pense  d'ailleurs  de  la  fagon  dont  Tauteur  a  rempli 
la  täche  qu'il  8'6tait  propos6e.  M.  Tellier  a  voulu  nous  parier 
„de  nos  po^tes  d'ä,  präsent,  et  de  leur  po^sie^.  Tous  ceux  qui 
pensent  que  pour  ^tre  po^te  11  suffit  de  savoir  ^crire  k  terminaisons 
plus  ou  moins  semblables,  verront  avec  plaisir  que  la  France 
actuelle  possMe  plus  de  150  „po^tes^.  Un  beau  chiffre,  assur6- 
ment,  et  qui  parait  donner  un  6clatant  d6menti  k  ceux  qui  se 
plaignent  du  prosaXsme  contemporain!  II  est  vrai  qu'il  y  a  des 
gens  que  cet  argument  risque  de  ne  pas  conyaincre.  Ils  estiment 
que  poSsie  n^est  pas  n^cessairement  synonyme  de  versificationj 
et  que  Rousseau  et  Georges  Sand,  pour  ne  parier  que  des  morts, 
ne  le  c6dent  gu^re  en  fait  de  g6nie  po6tique  k  Tabb^  Delille 
et  k  Th^ophile  Gautier.  M^me  ceux-lä,  auraient  mauvaise  gräce 
k  ne  pas  accepter  le  point  de  d^part  de  M.  Tellier,  et  k  ne  pas 
lui  ^tre  reconnaissants  de  nous  avoir  montr6  l'^tat  actuel  en 
France  de  ia  poSsie  en  vers. 

Peut-etre  pourrait-on  souhaiter  que  Tauteur  eüt  suivi  un 
plan  un  peu  plus  rigoureux,  qu'il  ne  se  füt  pas  bornö  simplement 
k  nous  dire  quelques  mots,  un  peu  au  hasard  de  la  plume,  de 
tous  ceux  qu'il  honore  du  titre  de  po^tes,  qu'il  eflt  aussi  cherch6 
k  indiquer,  autant  que  faire  se  pouvait,  les  liens  qui  unissent 
les  plus  importants  d'entre  ces  po^tes  k  leurs  contemporains  et 
k  leurs  pr^d^cesseurs.  M.  Tellier  nous  parle  bien  k  differentes 
reprises  de  po6tes  qui  ont  tmitS  Musset,  d^autres  qui  ont  imiti 
Baudelaire  etc.  C'est  fort  bien!  Pourquoi  ne  nous  dirait-il  pas 
ce  qu'il  pense  de  MM.  Verhaeren  et  Stanislas  Guaita?  Mais  il 
est  regrettable  que  la  place  lui  ait  manqu6  pour  nous  parier  de 
ce  que  Lecomte  de  Lisle,  un  vrai  poete  celui-lä,,  a  de  conmiun 
ayec  Alfred  de  Vigny  et  Andr6  Gh6nier.  II  est  vrai  que  nous 
apprenons  en  revanche  que  Lecomte  de  Lisle  a  fait  un  plus 
fr^quent  usage  que  personne  de  la  lettre  Jß,  ce  qui  d'ailleurs, 
seit  dit  en  passant,  ne  me  paratt  nullement  stabil. 

Je  reprocherai  donc  sourtout  k  M.  Tellier  de  s' Clever  trop 
rarement  k  un   point   de   vue   g6n6ral,   de    trop   consid^rer    ses 


/.  lemer,  Nos  Pottes.  93 

poötes  en  enx-memes,  en  an  mot  de  trop  nous  parier  de  poötes 
et  pas  assez  de  po6sie.  Sans  doute  son  style  y  a  gagn6  en 
gräce  et  en  16g^ret6.  C'est  charmant  de  dire  que  ^M.  Vignier 
est  nn  grand  po^te  si  on  le  compare  k  M.  Gustave  Kahn  .  .  . 
et  M.  Kahn  est  un  grand  poMe  si  on  le  compare  k  M.  Ghil^, 
et  de  nous  parier  sur  la  mSme  note  de  tonte  Töcole  d^cadente 
et  symboliste.  Pour  ma  part  j'eusse  pr6f6r6  connaitre  ropinion 
de  Tauteur  sur  le  genre  d^cadent  lui-m^me,  et  sur  la  fa9on  dont 
on  peut  expliqner  son  apparition  dans  la  littörature  fran^aise. 
Qn'on  pense  ce  qu'on  vondra  de  la  po6sie  d^cadente,  on  ne 
Tempechera  pas  d'offrir  un  certain  int6r^t  pour  rhistoure  litt^raire, 
quand  ce  ne  serait  que  par  le  seul  fait  de  son  existence,  et 
M.  Tellier  aurait  peut-Stre  fait  preuve  de  plus  d'esprit  k  en 
parier  moins  spirituellement. 

Indiquons  en  quelques  mots  la  disposition  g6n6rale  du 
volume.  II  comprend  quatre  Livres,  Le  premier  a  pour  titre: 
Quatre  maUres.  Les  mattres  sont,  pour  les  citer  dans  l'ordre 
adoptö  par  Tauteur,  Lecomte  de  Lisle,  Theodore  de  Banville, 
Sully-Prudhomme  et  Fran9ois  Copp6e.  II  serait  pueril  de  pro- 
tester contre  le  rang  que  M.  Tellier  assigne  k  chaeun  de  ces 
po^tes  ou  de  regretter  que  tel  d'entre  k  Richepin  par  exemple, 
qui  se  trouve  r616gu6  dans  la  dolente  et  innombrable  foule  des 
poetes  contemporains^.  De  tels  jugements  par  numöros  d'ordre 
sont  beaucoup  trop  affaire  de  goüt  individuel  et  de  temp^rament 
pour  qu'on  puisse  leur  accorder  une  grande  attention. 

Je  me  bome  k  constater  que  Theodore  de  Banville  jouit 
k  un  degr6  tout  particulier  de  la  Sympathie  de  M.  Tellier.  C'est 
„un  Ovide  bien  supörieur",  voire  mSme  „ä  la  fois  un  Ovide  et 
Pindare".  Sans  doute  ses  vers  ne  disent  pas  grand'chose,  mais 
11  n'en  est  pas  moins  grand  poöte  pour  cela.  „II  y  a  quelque 
chose  de  divin  dans  le  don  de  parier  pour  ne  rien  dire^  {k  lire 
en  toutes.lettres  p.  40!).  Et  M.  Tellier  nous  le  prouve,  car, 
dit-il,  un  bois  qui  murmure  n'a  aucune  id6e,  et  cependant  11  y  a 
dans  son  murmure  quelque  chose  de  divin.  Oh!  le  beau  raisonne- 
ment!  L'auteur  oublie  que  si  un  bois  n'a  aucune  id6e,  du  moins 
il  peut  6veiller  en  nous  des  id6es  et  des  sensations,  tandis  que 
des  vers  qui  ne  renferment  aucune  id6e  ne  sauraient  ^veiller  en 
nous  quoi  que  ce  soit,  le  lecteur  me  dispensera  sans  doute  de 
dire  pourquoi.  M.  Tellier  se  röclame  aussi  de  la  v6n6ration  que 
les  Arabes  ont  pour  les  fous.  Je  ne  sais  si  les  Arabes  v6n^rent 
la  poösie  de  Theodore  de  Banville,  mais  il  me  parait  incon- 
testable  qu'un  homme  dont  les  id6es  sont  incoh^rentes  est  infini- 
ment  plus  interessant  qu'un  homme  qui  n'a  pas  d'id^es  du  tout. 

Le  second  Livre  nous  parle  de  Quelques  c^hUs^  c'est  k  dire 


94  Referaie  und  Rezensionen»    A,  Rambeau, 

de  ^quelques  survivants  des  g^n^rations  ant^rieores^,  parmi  les- 
quels  je  note  au  paesage  Alphonse  Daudet. 

Le  Livre  III  est  consacre  aux  PoUes  divers,  C'est  assure- 
ment  la  partie  la  plus  neuve  du  livre,  en  ce  s^na  qu'elle  renferme 
une  multitude  de  noms  dont  on  n'a  que  rarement  roccasion 
d'entendre  parier.  C'en  est  aussi  la  plus  interessante.  L'auteur 
sV  montre  en  g6n6ral  plus  indöpendant  qu'ailleurs,  plus  sinc^re 
dans  ses  appröciations.  II  n'est  pas  retenu,  comme  dans  ie 
Premier  Livre,  par  la  crainte  de  manquer  de  respect  k  des 
autorües  constitu^es,  et  d'autre  part  il  a  moins  ä  gagner  ä  faire 
rire  la  galerie  aux  döpens  du  po^te  que  lorsqu'il  parle  des  d6- 
cadents  et  des  symboiistes.  Surtout  il  a  eu  la  bonne  id6e 
d'6nmiller  son  texte  de  nombreuses  et  souvent  a^see  longues 
citations,  ce  qui  est  doublement  heureux  lorsqu'il  s^agit  de  po6tes 
dont  on  courrait  sans  cela  le  danger  de  ne  jamais  lire  un  seul 
vers,  et  qui  ne  paraissent  pas  toiyours  m6riter  cette  indiff6rence. 
Ces  citations  ne  sont  sürement  pas  ce  que  Nos  Pontes  renferment 
de  moins  interessant. 

Le  troisi^me  Livre  se  subdivise  en  plusieurs  chapitres  dont 
il  suffira  d'indiquer  les  titres:  I.  Les  Rustiques.  II.  Les  Modernistes. 
III,  PhilosopheSy  historienSy  psychologues.  IV.  Les  Lyriques.  V.  Les 
Baudelairiens.     VI.  Les  Hahües. 

Dans  le  dernier  Livre  enfin  M.  Tellier  a  r^uni  les  Ddcadents 
et  symbolistes.  II  y  dit  passablement  de  bien  de  Paul  Verlaine, 
ce  qui  n'est  que  justice  et  ce  qui  est  d'ailleurs  de  mode,  et  il 
d^pense  6nonn6ment  d'esprit  pour  dire  du  mal  des  autres  d6ca- 
dants,  ce  qui  n'est  pas  absolument  nouveau. 

Le  volume  se  termine  par  une  courte  Condusion  dans  la- 
quelle  Tauteur  constate  que  la  po6sie  frangaise  est  sur  son  lit 
de  mort  et  qu'elle  ne  s'en  rel^vera  plus.  Chi  lo  säf  Au  reste, 
s'il  ne  s'agit  qae  de  la  po6sie  teile  que  Tentend  M.  Tellier,  le 
mal  ne  serait  apr^s  tout  pas  si  grand.  A.  Odin. 


Kleinere  Lehr-  und  Übungsbücher. 

1.  Stier,  Georg,  Konjugations-Tafeln  der  französischen   Verben.    Ein 

Ergänznngsheft  zu  jeder  französischen  Grammatik.  Berlin, 
1887.    A.  Asher  &  Co.    VII,  75  S.  40. 

2.  Mosen,  Carl,  a)  Das  französische  Verb  in  der  Schule  auf  Grund 

der  Ergebnisse  der  hisioiischen  Grammatik.  Zweite,  umge- 
arbeitete Auflage.  X,  49  S.  8®.  —  b)  Ergänzungsheft  zu  den 
Übungen  des  Lehrbuches:  Das  französische  Verb  in  der  Schule, 
Zweite,  umgearbeitete  Auflage.  Wien,  1888.  KommisBions- 
Verlag  von  Rudolf  Lacbi&er.    16  S.  8<>. 


Kkin^e  Lehr-  und  Übtmgsbücher,  95 

3.  Oblert)   A.y  a)  Die  Lehre  vom  französischen  Verh.    Ein  Hüfsbuch 

für  die  systematische  Behandlung  der  Verbalflexion  auf  der 
Mittelstufe.  VI,  46  S.  8^.  Preis:  Mk.  0,50;  kart.  0,70.  b)  Die 
Behandlung  der  Verhalfiexion  im  französischen  Unterricht. 
Eine  Begleitschrift  zur  „Lehre  vom  französischen  Verb**.  Han- 
nover, 1887.     Carl  Meyer  (Oustav  Prior).     81  S.  8^. 

4.  IJllrlcli,  K.9  Die  französischen  unregelmässigen  Verben,    Ein  Hüfs- 

buch für  Schüler  besonders  lateinloser  Schiden.  Leipzig,  1888. 
Renger  (Gebhardt  &  Wiliach).  IV,  82  S.  8».  Preis:  M.  0,50; 
kart.  0,60. 

5.  Ricard,  A*,  Aide -Memoire  de  la  conjugaison  des  verbes  fran^ais 

re'guliers  et  irre'guliers.  Vade-mecum  des  eUves  de  tout  ordre, 
des  e'tudiants,  des  candidats,  des  employes  preposes  aux  corres- 
pondances,  des  iraducteurs,  des  hommes  de  banque  et  de  bureau, 
etc.  Hilfstabellen  für  die  Konjugation  u.  s.  w.  Prag,  o.  J. 
Guatay  Neugebaüer.    Preis:  12  kr. 

In  den  Schriften  von  Stier,  Mosen,  Ohlert  und  Ullrich  zeigt 
sich  das  gleiche  rühmenswerte  Bestreben,  die  sicheren  Ergebnisse  der 
historischen  Grammatik  für  die  Lehre  vom  französischen  Verb  im 
Schulunterricht  nutzbar  zu  machen.  Allerdings  stimmen  die  Verfasser 
in  dem  Masse  der  Verwertung  der  Eesultate  der  V^issenschaft  nicht 
überein.  Einerseits  stehen  sie  auf  einem  verschiedenen  Standpunkt  in 
bezug  auf  diese  Frage,  andererseits  verfolgen  ihre  Schriften  zum  Teil 
verschiedene  Zwecke,  insofern  sich  Ullriches  Arbeit  besonders  an  Schüler 
lateinloser  Schulen  wendet,  die  anderen  aber  eine  ähnliche  Beschränkung 
gar  nicht  oder  wenigstens  nicht  deutlich  hervortreten  lassen.  Offenbar 
bemühen  sie  sich  jedoch  alle,  durch  eine  geeignete  Einteilung  und  Er- 
klärung, der  Formen  den  wissenschaftlichen  Thatsachen  sowohl  als 
den  Anforderungen  der  Praxis,  die  einer  Vergeistigung  und  einer  wahr- 
haft verständigen  Auffassung  dieses  wichtigsten  Teils  der  Formenlehre 
ffewiss  nicht  entgegensteht,  aber  doch  selbstverständlich  eher  eine  Er- 
leichterung .  als  eine  Erschwerung  des  bezüglichen  Lernstoffes  verlangt, 
Rechnung  zu  tragen.  In  dieser  Hinsicht  scheinen  mir  die  vorliegenden 
Schriften  Nr.  1 — 4  alle  beachtenswert  und  nützlich,  obgleich  ich  an 
und  für  sich  von  der  Notwendigkeit  eines  besonderen  Lehrbuches  für 
die  Konjugation  in  der  Schule,  mag  man  es  mit  Ohlert  und  Ullrich 
Bilfsbuch  nennen,  oder  mag  man  es  mit  Stier  als  ein  Ergänzungsheft 
zu  jeder  französischen  Grammatik  bezeichnen,  keineswegs  überzeugt 
bin.  Denn  auch  das  beste  Hilfsbuch  oder  Ergänzungsheft  dieser  Art 
ist  in  den  Händen  der  Schüler  überflüssig,  wenn  man  von  den  mittleren 
Klassen  an  eine  vollständige,  auf  wissenschaftlicher  Grundlage  auf- 
gebaute systematische  Grammatik,  wie  die  von  Lücking,  Plattner  oder 
Kühn  u.  ä.  gebraucht,  und  kann  geradezu  störend  und  gefährlich 
werden,  falls  es  in  seiner  Einteilung  und  in  der  Durchführung  wissen- 
schaftlicher Prinzipien  von  der  einmal  eingeführten  Grammatik  stark 
abweicht.  V^ahrscheinlich  haben  die  Verfasser  zunächst  oder  aus- 
schliesslich die  Schulen,  in  denen  noch  im  französischen  Unterrichte 
die  „alte^,  „bewährte^  Lektionsmethode  von  Sexta  oder  Quinta  an  bis 
zur  höchsten  Klasse  hinauf  herrscht,  —  und  diese  Anstalten  sind  ja 
leider  immer  noch  die  zahlreichsten  —  im  Auge  gehabt.  Aber  in 
diesem  Falle  wäre  es  ein  auffällig  inkonsequentes  Verfahren,  den 
grammatischen  Unterricht  nur  in  dem  wenn  auch  noch  so  wichtigen 
Teile  der  Formenlehre,  der  Konjugation,  mittelst  eines  speziellen  Hilfs- 
buches  zu  fördern  und  nach  vernünftigen  Grundsätzen  zu  behandeln, 


96  Referate  und  Rezensionen.    A.  Rambeau, 

dagegen  in  den  übrigen  Teilen  der  Grammatik  alles  beim  Alten  zu 
lassen  und  nach  der  Routine  der  üblichen  Lektionsmethode  weiter  zu 
arbeiten.  Möglicherweise  ist  jedoch  ein  solches  Verfahren  nicht  selten 
und,  so  inkonsequent  es  auch  sein  mag,  es  hat  wenigstens  den  Vorteil, 
dass  endlich  ein  guter  Anfang  gemacht  wird,  der  vielleicht  einen  all- 
gemeinen, allmählichen  Fortschritt  zum  Bessern  einleitet  und  hoffent- 
lich einen  Übergang  zur  systematischen  Behandlung  der  ganzen  Gram- 
matik nach  wissenschaftlichen  Prinzipien  den  Direktoren  und  Behörden 
um  so  wünschenswerter  und  notwendiger  erscheinen  l'ässt.  In  diesem 
Sinne  mögen  die  Verfasser  geurteilt  haben;  jedenfalls  haben  sie  durch 
ihre  eigene  Erfahrung  erkannt,  dass  ein  Bedürfnis  nach  einem  speziellen 
Hilfsbuche  für  die  Konjugationslehre  an  manchen  oder  vielen  Schulen 
vorhanden  ist. 

Die  Frage,  ob  die  vorliegenden  Schriften  (Nr.  1,  2,  Sa  und  4) 
als  Schulbücher  oder  Lehrbücher  brauchbar  und  zu  empfehlen 
sind,  will  ich  daher  bei  meiner  Besprechung  und  Beurteilung  nicht 
als  wesentlich  betonen.  Beachtenswert  und  nützlich,  wie  ich  sie  oben 
genannt  habe,  scheinen  mir  alle  diese  Schriften,  auch  die  Vorreden 
und  Einleitungen  und  hauptsächlich  die  allgemein  gehaltene,  methodische 
Arbeit  von  Ohlert  (Nr.  3  b),  vor  allem  deshalb  zu  sein,  weil  sie  dem 
Fachmann,  dem  selbständigen,  vom  Lehrbuche  unabhängigen,  philo- 
logisch (romanistisch)  vorgebildeten  Lehrer  Anregung  und  neue  Ge- 
sichtspunkte für  seine  individuelle  Behandlung  des  grammatischen 
Unterrichts  gewähren,  und  weil  sie  dem  künftigen  Verfasser  einer 
ideal  guten  französischen  Schulgrammatik,  die  den  Anforderungen  der 
Praxis  und  der  Wissenschaft  zugleich  gerecht  wird,  neues,  fruchtbares 
Material  liefern. 

Wer  den  hohen  Wert  der  Phonetik  für  den  gesamten  neusprach-, 
liehen  Unterricht  im  Gegensatz  zum  altsprachlichen,  für  den  derselbe 
nicht  vorhanden  sein  kann,  erkannt  und  schätzen  gelernt  hat,  den 
muss  es  angenehm  berühren,  dass  die  Lehren  dieser  Hilfswissenschaft 
von  keinem  der  vier  Verfasser  ganz  unbeachtet  gelassen,  von  Mosen 
und  besonders  von  Ohlert  sogar  in  ziemlich  ausgedehntem  Masse  be- 
rücksichtigt worden  sind.  Zu  einer  konsequenten  und  systematischen 
Verbindung  des  sprachhistorischen  Standpunktes  mit  dem  phonetischen 
hat  sich  freilich  keiner  entschliessen  können.  Und  doch  bietet  sich 
dem  Lehrer  eine  solche  Verbindung  gerade  im  Schulunterricht  wie  von 
selbst  dar,  ja  sie  drängt  sich  ihm  auf  —  bei  einer  Sprache,  deren 
Orthographie  von  der  Aussprache  bedeutend  abweicht,  also  fast  gar 
nicht  phonetisch,  sondern  zum  grossen  Teil  historisch  ist.  Die  Schüler 
lernen  im  französischen  Unterrichte,  wenn  sie  von  Anfang  an  von 
wirklichen  Fachmännern  in  richtiger  Weise  unterrichtet  werden,  zwei 
verschiedene  Sprachen,  die  jetzt  gesprochene  Sprache  und  die  herrschende 
Orthographie,  in  der  manches  willkürlich  und  unhistorisch  ist,  in  der 
aber  die  früheren,  wirklich  (lautlich)  vorhanden  gewesenen  Sprach- 
stufen sehr  viele  deutliche  Spuren  zurückgelassen  haben.  Sobald  sie 
daher  die  Aussprache  gründlich  gelernt,  durch  die  Lektüre  und  die 
sich  daran  anschliessenden  Übungen  eine  ausreichende  Vokabelkenntnis 
erworben  und  zugleich  die  Elemente  der  Formenlehre  bewältigt  haben 
und  nun  zur  systematischen  Grammatik  übergehen,  finden  sie  bei 
richtiger  Anleitung  in  der  französischen  Sprache  selbst  die  beste  Ge- 
legenheit, verwandte  Sprachen,  die  heutige  (Lautsprache)  und  die  in 
Trümmern  noch  erhaltenen  alten  Sprachstufen  (Schriftsprache),  zu  ver- 
gleichen und  grammatische  Erscheinungen  auf  diese  Weise  sprach- 
bistorisch    aufzufassen.     Nicht   das  Erwähnen    von    vulgärlateinischen 


Kleinere  Lehr-  und  Übungshüchcr,  97 

und  altfranzösischen  Formen  und  Wörtern,  die  dem  Schüler  vollständig 
fremd  und  unvermittelt  entgegentreten  und  ihn  daher  leicht  verwirren, 
auch  nicht  das  Erwähnen  von  lateinischen  Formen  und  Wörtern,  die 
ihm  etwa  aus  dem  lateinischen  Unterricht  bekannt  sind,  verbürgt  die 
Verwendbarkeit  der  Ergebnisse  der  historischen  Grammatik  für  den 
Schulunterricht  und  das  Verständnis  des  Schülers  für  wissenschaftliche 
Erklärungen,  sondern  —  diese  Gewähr  leistet  in  vollem  Masse  nur 
oder  vor  allen  Dingen  das  Ausgehen  vom  Laute  und  das  beständige 
Vergleichen  desselben  mit  der  Schrift,  da  beide  Faktoren  —  und  zwar 
diese  beiden  Faktoren  allein  —  dem  Lernenden  vollkommen  bekannt 
sind  oder  nach  und  nach  vollkommen  bekannt  werden.  In  lateinlosen 
Anstalten  muss  man  von  vornherein  vom  Latein  absehen,  und  wenn 
man  auch  in  Gymnasien  und  Realgymnasien  die  lateinischen  Kenntnisse 
der  Schüler  gewiss  mit  grossem  Nutzen  für  den  französischen  Unter- 
richt verwenden  kann,  so  darf  doch  dieser  Nutzen  nicht  überschätzt 
werden.  Das  Latein,  das  Gymnasiasten  und  Realgymnasiasten  lernen, 
—  und  von  diesem  kann  mit  Ausnahme  verhältnismässig  weniger  Fälle 
nur  die  Rede  sein  —  ist  eine  Sprachstufe,  die  dem  Französischen  im 
allgemeinen  recht  fern  steht,  und  deren  fortwährende  und  konsequente 
Benutzung  leicht  zu  groben  und  doch  verzeihlichen  Irrtümern  ver- 
führt. Vgl.  z.  B.  amiiie  nicht  =  kla^s.-lat.  amiciiiam,  sondern  =  vulg.- 
lat.  amicitatem  u.  v.  a.  dgl.  Zu  dem  klassischen  Latein  mögen  noch 
einige  spätlateinische  oder  vulgärlateinische  Wörter  und  Formen,  die 
der  Schüler  sonst  noch  im  Unterrichte  gelegentlich  kennen  lernt  oder 
etwa  aus  französischen  Wörtern  durch  Rückschlüsse  ohne  Mühe  bilden 
kann,  hinzukommen.  Trotzdem  wird  man  zugeben  müssen,  dass  die 
beständige  Gegenüberstellung  des  Lautes  und  der  Schrift  zum  kompa- 
rativen und  sprachhistorischen  Betreiben  der  französischen  Sprache, 
soweit  es  überhaupt  in  der  Schule  möglich  und  ratsam  ist,  mehr 
brauchbaren  und  sicheren  Stoff  bietet.  Allerdings  ist  dies  ein  Unter- 
nehmen, das,  wenn  es  systematisch  in  einer  Schulgrammatik  durch- 
geführt werden  soll,  seine  grossen  Schwierigkeiten  und  Gefahren  hat, 
vor  denen  man  noch  lange  zurückschrecken  wird.  Aber  ich  glaube 
und  hoffe,  dass  es  einmal  gelingen  wird,  diese  Schwierigkeiten  und 
Gefahren  zu  überwinden  und  den  phonetischen  und  sprachhistorischen 
Standpunkt  in  einer  wahrhaft  wissenschaftlichen  Schulgrammatik  ohne 
Schaden  oder  vielmehr  zum  Nutzen  für  die  Bedürfnisse  der  Praxis  zu 
vereinigen. 

1.  Die  grossen,  weitläufig  angelegten  dreissig  Konjugations- 
Tafeln  (S.  1—61)  von  Stier  eignen  sich  am  besten  für  die  Anstalten, 
in  denen  das  Französische  an  Stelle  des  Lateinischen  als  hauptsäch- 
liche fremde  Sprache  neben  der  Muttersprache  die  Aufgabe  hat,  den 
Schülern  ein  Verständnis  für  Grammatik  überhaupt  zu  übermitteln. 
Die  Konjugationsschemata  sind  mit  übertriebener  Ausführlichkeit,  die 
wahrscheinlich  manchem  Lehrer  missfallen  wird,  aufgestellt,  aber  die 
Anordnung  der  Verbalformen  ist  zugleich  infolge  des  grossen  Formats 
der  Seiten  und  der  tabellarischen  Gestalt  so  übersichtlich,  dass  der 
Schüler  ohne  Zweifel  dadurch  ein  deutliches  Bild  von  der  französischen 
Konjugation  erhalten  muss  und,  was  Stier  als  einen  besonderen  Vorzug 
seiner  Tafeln  rühmt  (S.  VI),  keiner  schriftlichen  Konjugier -Übungen 
und  dergl.  bedarf,  um  sich  die  Formen  einzuprägen. 

Bei  der  Einteilung  der  Verba  in  verschiedene  Konjugationen 
hat  sich  Stier  an  das  alte  Schema,  „das  sich  in  der  Praxis  bewährt 
hat",  gehalten  und  es  nach  dem  Vorgang  von  Isaac  (S.  IV)  nur  wenig 
modifiziert.    Er  unterscheidet  nach  den  Infinitivendungen   drei  regel- 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  n.  Litt.    XK  7 


98  Referate  und  Rezensionen.    A.  Ramheau, 

m&8Bige  Konjugationen  (er,  ir,  re)  und  yier  unregelmässige  (er,  ir,  re, 
oir).  Als  Paradigma  der  Konjugation  auf  -ir  gibt  er  finir  (Tafel  VI), 
also  ein  Verb  mit  der  Stammerweiterung  -iss-.  Auf  S.  84 — 85  (Tafel 
XVII)  führt  er  aber  unter  der  Rubrik  „Besonderheiten  von  Verben  der 
zweiten  Konjugation"  neben  den  „Verben  mit  Stamm erweiterung'^ 
b^nir,  fleurir,  hälr  auch  die  „Verben  ohne  Stammerweiterung"  bomUir 
und  servir  an.  Konsequenterweise  hätte  er  hier  an  servir  auch  die 
übrigen  „regelmässigen  Verben  der  zweiten  Konjugation  ohne  Stamm- 
erweiterung" dormir,  pariir  u.  s.  w.  anreihen  müssen;  oder  er  hätte 
am  besten  gethan,  sich  auch  in  dieser  Beziehung  an  das  Schema,  das 
sich  nach  seiner  eigenen  Ansicht  in  der  Praxis  bewährt  hat,  zu  halten, 
demnach  in  der  zweiten  Konjugation  zwei  Klassen  zu  scheiden  und 
neben  finir  als  zweites  Paradigma  serpir  auf  Tafel  VI  zu  bringen. 

Bei  der  Anordnung  der  einzelnen  Verbalformen  auf  den  Kon- 
jugationstafeln  ist  Stier  nach  drei  Prinzipien,  die  er  selbst  als  Forde- 
rungen  bezeichnet,  verfahren.  Vgl.  S.  V:  „Erste  Forderung:  Die  zu- 
sammengehörigen Zeiten  (?)  müssen  zusammenstehen."  (Er  meint  die 
ihrer  Ableitung  oder  Ähnlichkeit  nach  zusammengehörigen  Verbal- 
fomuen.)  —  „Zweite  Forderung:  Stamm  und  Endung  resp.  Infinitiv 
und  Endung  müssen  deutlich  erkennbar  sein."  —  „Dritte  Forderung: 
Der  Schüler  muss  sämtliche  Formen  eines  Verbs  auf  einmal  übersehen 
können."  —  Entsprechend  der  ersten  Forderung,  die  dem  Ausdrucke 
nach  falsch,  aber  dem  Sinne  nach  sehr  zu  billigen  ist,  stellt  Stier  vier 
Gruppen  von  Verbalformen  auf,  die  sich  alle  leicht  übersehen  lassen. 
Es  sind:  1.  die  Infinitiv- Gruppe  —  Infin.  mit  Futur  und  Conditionnel; 
2.  die  Präsens -Gruppe  —  alle  drei  Modi  und  das  Partizip  des  Präsens 
samt  Ind.  Impf.;  8.  die  />^/im'- Gruppe  (mit  gleichem  Kennlaut  oder 
Charaktervokal)  —  bist.  Perf.  und  Konj.  Impf.;  4.  die  Partizip-Gruppe 
—  Part.  Perf.  und  die  damit  zusammengesetzten  „Zeiten"  (soll  heissen 
„Verbalformen").  Der  zweiten  Forderung  gemäss  gibt  er  in  seinen 
Tabellen  unter  dem  Infinitiv  jedes  Verbs  den  Stamm  an,  wobei  ich 
jedoch  ein  einheitliches,  streng  durchgeführtes  Prinzip  vermisse. 
Vgl.  z.  ß.  S.  12  finir  Stamm  fin-;  S.  44  bdnir  Stamm  be'n-;  fleurir 
Stamm  fleur-;  hatr  Stamm  ha-;  bouülir  Stamm:  vor  Vokalen  oouill', 
vor  Konson.  bau-;  servir  Stamm:  vor  Vok,  serv-,  vor  Kons,  ser-;  S.  42 
ouvrir  Stamm  attvr-;  S.  52  connatire  Stamm:  vor  Vok.  connaiss-,  vor 
Kons,  connai-;  crotire  Stamm:  vor  Vok.  craiss-,  vor  Kons,  croi';  S.  54 
vivre  Stamm:  vor  Vok.  vio-,  vor  Kons,  vi-;  nalire  Stamm:  vor  Vok. 
naiss-,  vor  Kons,  nai-  u.  ä.  Vgl.  dazu  Vorwort  S.  VI :  „Formen  wie  je 
bouiU-s,  tu  bouill-s,  il  bouiü-i  oder  je  connaiss-s,  tu  connaiss-s,  ü  conaiss-t  etc. 
hat  es  nie  gegeben,  folglich  kann  von  einem  Ausfall  von  -t//  oder  -ss 
hier  keine  Rede  sein."  Gewiss  nicht,  wenn  man  sprachhistorisch  ffanz 
genau  verfahren  und  alle  ursprünglichen  und  Übergangsformen  neben- 
einander stellen  will.  Dies  geht  aber  im  Schulunterrichte  und  in 
einer  Schulgrammatik  nicht  an,  und  der  Lehrer  kann  sich  sehr  wohl 
darauf  beschränken,  von  einem  Ausfalle  des  l  oder  u  (vokalisiert  aus  l) 
statt  ill  nach  ou  vor  Konsonanten  und  von  einem  Verstummen  des 
stimmlosen  s  =  ss  (nur  graphisch)  vor  Konsonanten  zu  sprechen,  um 
die  nur  supponierten  Formen  *bouiü-t  und  *comaiss-t  u.  ä.  zu  erläutern. 
Im  Grunde  genommen  haben  solche  Formen  ebensoviel  Berechtigung 
als  Stämme  wie  bouiU-  und  bou-,  connaiss-  und  connai-  u.  dgl.,  die  auch 
nur  vom  Verstände  konstruiert  sind  und  nie  wirklich  existiert  haben. 

Indes  habe  ich  aus  praktischen  Gründen  gegen  die  Ansetzung 
von  Stämmen  wie  botiiü-,  connaiss-  vor  Vok.  und  bau%  connai-  vor  Kons, 
nichts  einzuwenden;  bei  einigen  Verben  ist  man  ja  aus  Wissenschaft- 


Kleinere  Lehr-  und  Ohingsbücher.  99 

liehen  und  auch  praktischen  Gründen  sogar  dazu  genötigt,  solche 
Doppalformen  des  Stammes  für  das  Französische  anzusetzen :  z.  B.  dhre^ 
dis-  vor  Vok.,  di-  vor  Eons,  (ursprünglich  ein  Stamm  die-  für  lateinisch 
lernende  Schüler,  vgl.  dicter,  diciion  u.  a.).  Nur  vermisse  ich  auch 
hier  die  Gleichartigkeit  und  Konsequenz,  die  bei  der  tabellarischen 
Darstellung,  wie  sie  Stier  anwendet,  in  derartigen  Dingen  um  so  not- 
wendiger ist.  Z.  B.  dürfte  er  finir,  hdnir,  fleurir,  hair  in  dieser  Be- 
ziehung nicht  anders  als  connaitre,  croitre,  naiire  behandeln.  In  allen 
diesen  Verben  zeigt  sich  die  Inchoativsilbe  -iss-,  -aiss-,  -oiss-,  -aiss-^ 
bestehend  aus  dem  ursprünglichen  (lateinischen)  Ableitungsvokal  i,  o, 
e,  a  und  lat.  sc  =  franz.  ss.  Also  erwartet  man  in  den  Tabellen  zu 
lesen:  finir  Stamm  1)  /?»-,  2)  (in  der  Präsens-Gruppe,  um  die  Bezeich- 
nungsweise Stier's  zu  gebrauchen)  finiss-  vor  Vok.,  fini-  vor  Eons.; 
ähnlich  benir;  fleurir  Stamm  l)  fleur-,  2)  (Präsens -Gruppe)  fteuriss- 
neben  arch.  flariss-  vor  Vok.,  fleuri-  vor  Kons.;  hair  Stamm  1)  ha-, 
2)  hat-  (Präs.  Ind.  u.  Imper.  Sing.),  3)  (in  den  übrigen  Formen  der 
Präsens-Gruppe)  hmss-  vor  Vok.,  hat-  vor  Eons. ;  connaiire  Stamm 
1)  conn-,  2)  (Infinitiv-Gruppe  und  Präsens-Gruppe)  connaiss-  vor  Vok., 
connai-  (connai-)  vor  Kons.;  ähnlich  croitre:  nmire  Stamm  1)  n-  (Part. 
Perf.),  2)  Infinitiv- Gruppe  und  Präsens  -  Gruppe)  naiss-  vor  Vok.,  nai- 
(naU)  vor  Kons.,  3)  nagu-  ('Z>e?/f«t- Gruppe).  Ferner:  ouvrir-  Stamm 
1)  ouver-  vor  Kons.  (Part.  Perf.),  2)  ouvr-  vor  Vok.;  vivre  Stamm 
1)  (Infinitiv-Gruppe  und  Präsens-Gruppe)  viv-  vor  Vok.,  vi-  vor  Kons, 
ausg.  r  2)  D^/fm-Gruppe  und  Partizip-Gruppe)  v^c-  u.  ä.  —  Die  Hinzu- 
fügung der  Namen  der  bezüglichen  Gruppen  und  der  Ausdrücke  „vor 
Vok."  und  „vor  Konson."  neben  dem  Stamme  ist  auf  den  Tafeln  un- 
nötig. Denn  nach  einer  vorausgegangenen  Erklärung  des  Lehrers  bei 
einigen  Verben  wird  sich  der  Schüler  sehr  bald  selbst  überall  zurecht 
finden  und  jederzeit  angeben  können,  zu  welchen  Verbalformen  oder 
Gruppen  die  verschiedenen  Formen  des  Stammes  gehören.  Es  würde 
demnach  genügen,  zu  sagen:  finir  Stamm  1)  fin-  2)  finiss-  (fini-);  nattre 
Stamm  1)  n-  2)  naiss-  (nai-,  nai-)  3)  nagu-  u.  s.  w. 

Stier's  Bestreben,  von  der  Konjugation  der  Verba  auf  den  Tafeln 
ein  möglichst  ausführliches  Bild  zu  geben,  hat  ihn  dazu  verleitet, 
manchmal  ganz  ungebräuchliche  oder  falsche  Formen  aufzustellen:  z.  B. 
S.  14  donne-je  (veraltet  oder  sehr  selten  statt  est-ce  que  je  donne); 
vgl.  S.  68  prefere'-je,  menä-je,  cele-je,  achete-je,  appele-je,  jete^je  (miss- 
tönende Bildungen,  die  ich  noch  nie  gehört,  noch  nie  gesehen  habe) 
mit  der  Bemerkung  „doch  zieht  man  —  des  Wohlklangs  halber  —  in 
der  Regel  (immer!)    die  Umschreibung   mit   est-ce   que  vor  und  sagt: 

est-ce  que  je  prefere " ;  und  gar  romps-je  S.  18,  me  defends-je  S.  26 

(durchaus  ungebräuchlich!). 

Im  Anhang  S.  63  ff.  finden  sich  manche  gute  Bemerkungen, 
aber  daneben  auch  einige,  die  berichtigt  werden  müssen:  z.  B.  S.  71 
„/  erweichte  (?)  zu  m".  S.  64  lässt  Stier  den  Leser  darüber  im  un- 
klaren, warum  bei  couäre  ein  d,  aber  bei  croitre  u.  s.  w.  ein  i  als  ver- 
mittelnder Laut  [Stier  sagt  „Hilfsbuchstabe"  (?)]  zwischen  ursprünglichem 
s  und  r  eingeschoben  ist.  Dagegen  sind  seine  Erklärungen  an  anderen 
Stellen  ohne  Not  und  übermässig  genau,  wo  er  altfranzösische  Formen 
anführen  zu  müssen  glaubt,  z.  B.  bei  vivre,  naitre  S.  71,  bei  pouvoir, 
dechoir,  echoir  S.  72  u.  a. 

2.  Moisen^S  Arbeit  ist  ursprünglich  (1887)  in  grossem  Oktav- 
format in  drei  Heften  herausgegeben  worden  und  muss  sich,  sei  es 
als  Hilfsbuch  für  Fachgenossen,  sei  es  als  eigentliches  Schulbuch, 
sehr   schnell   bewährt  haben.     Denn    es  liegt   mir  neben  jener  schon 


100  Referate  und  Rezensionen.    A,  Rambeau, 

eine  zweite,  umgearbeitete  Auflage  vor,  die  ein  Jahr  darauf  in 
kleinerem,  dem  gewöhnlichen  Oktavformat  in  nur  zwei  Heften  er- 
schienen ist. 

Nach  einer  kurzen  „Einleitung:  Zur  geschichtlichen  Entwickelung 
der  französischen  Verbalformen"  spricht  Mosen  zuerst  (1.  Teil,  S.  1 — 13) 
über  „die  Verben  und  ihren  Formenbau  im  allgemeinen".  Wie  Stier, 
hält  auch  er  sich  im  ganzen  an  die  alte  Einteilung  der  Verba  nach 
ihren  Infinitivendungen,  vermeidet  aber  die  Bezeichnungen  „regelmässig" 
und  „unregelmässig"  und  spricht  von  „bestimmten  flexivischen  Rich- 
tungen in  der  Konjugation".  Danach  unterscheidet  er  Verben  auf  -er 
mit  -e,  -es,  -e  im  Präs.  Ind.  Sing.  =  „vokalische  Richtung"  und  Verben 
auf  -ir  (und  zwar  reine  und  erweiterte),  auf  -re,  auf  -oir  mit  -s,  s,  -i 
im  Präs.  Ind.  Sing.  =  „konsonantische  Richtung".  Die  Ausdrücke 
„lebende"  und  „tote  Konjugation"  erklärt  er  in  einer  Anmerkung  (§  5). 
Auf  der  Tabelle  der  Paradigmen  (S.  10 — 11)  gibt  er  die  Konjugation 
von  I.  donner,  IIa.  servir,  b.  finir,  III.  rompre,  aber  nur  die  einfachen 
Formen  mit  Präs.  Fut.  und  Imperf.  Fut.  Im  zweiten  Teile  (S.  14 — 20) 
behandelt  Mosen  „Verben  mit  phonetisch- graphischen  Eigentümlich- 
keiten" und  im  dritten  (S.  21 — 48)  „die  Verben  als  'schwache'  und 
'starke'  mit  Beziehung  auf  das  Präteritum"  und  „weitere  Eigentümlich- 
keiten unter  dem  Einflüsse  der  allgemeinen  Lautgesetze  und  der  Ana- 
logie". Erst  in  diesem  letzten  Teile  finden  neben  den  Verben  auf  -er, 
'ir  und  -re  auch  die  auf  -oir  ihre  Stelle,  die  er  —  ähnlich  wie  die 
übrigen  abweichenden  Verben  —  je  nach  der  Betonung  im  Präterit. 
und  Part.  Perf.  einteilt  in:  1.  schwache  M-Verben,  valoir  etc.;  2.  a.  starke 
w- Verben,  recevoir  etc.;  2.  b.  starke  i-Verben,  a)  asseoir,  Part.  Perf. 
auf  -s,  stark,  ß)  voh',  Part.  Perf.  auf  -u,  stark  (?). 

Mosen  ist  in  der  Durchführung  seines  Planes  und  der  Benutzung 
der  Ergebnisse  der  historischen  Grammatik  ebenso  gewissenhaft  als 
in  phonetischer  Beziehung.  Er  bestrebt  sich,  Laut  und  Schrift  streng 
auseinander  zu  halten.  Auch  hat  er  manches  in  der  zweiten  Auflage 
verbessert,  z.  B.  Diphthong  uä  :=  oi.  Jedoch  hat  er  trotz  aller  Sorg- 
falt einige  Fehler  stehen  lassen,  die  er  bei  einem  gründlichen  Studium 
der  in  den  letzten  Jahren  veröffentlichten  phonetischen  Schriften  hätte 
vermeiden  können. 

S.  2  §  2  „Anmerkung.  Der  betonte  Stamm  hat  meist  einen 
volleren  Vokal  als  der  unbetonte".  Diese  Bemerkung  ist  für  die  Flexion 
der  Verba  und  überhaupt  für  die  Formenlehre  und  auch  sonst  für  die 
Wortbildung  im  Französischen  richtig,  falls  man  unter  einem  „vollem" 
Vokal  entweder  einen  Diphthong  (acguerons  —  acquiers)  oder  einen 
der  Quantität  nach  längeren  und  eventuell  auch  stärker  artikulierten 
Vokal  (levons  —  leve  u.  dgl.)  versteht.     Aber  Mosen  fährt  fort:  So  ist 

ai  in  faime,  tu  aimes  =  e,  in  aimons,  atmez  =  e;  eu  in  pleure  =  ^  in 
sceur,  in  pteurons  :=  o  in  peu ;  e  in  sers  ist  offener  als  e  in  servons^  und 
transkribiert  diesen  Beispielen  gemäss  an  mehreren  Stellen  seines 
Buches.  Die  Aussprache  e  =  <d  in  aimons,  o  =  eu  in  pleurons  kommt 
manchmal  vor,  die  erstere  ist  besonders  südfranzösisch.  Aber  die  ge- 
wöhnliche oder,  wenn  man  will,  „richtige"  Aussprache  ist  es  nicht. 
Man  hat  die  Vokale  ö,   e,  o   oder   speziell  die  langen,  offenen  Vokale 

d,  S,  d,  um  die  es  sich  hier  zunächst  handelt,  wenn  sie  aus  der  be- 
tonten in  die  unbetonte  Silbe  treten,  in  gleicher  Weise  zu  beurteilen. 
Vgl.  je  pleure  —  nous  pleurons,  faime  —  nous  aimons.  Je  dare  — 
nous  dorofis.    Entweder  erscheinen    die   bezüglichen  Stammvokale   in 

der  unbetonten  Silbe  als  kurze,  offene  ö,  g,  ö,  oder  sie  werden,  was 
wohl  in   der  Umgangssprache   häufiger  geschieht,   zu   den    dem  fran- 


Kleinere  Lehr-  und  Übungsbücher,  101 

zösischen  Lautsystem  eigentümlichen  „mittleren"  Vokalen^)  ff,  e,  o,  die 
weniger  deutlich  als  die  übrigen  französischen  Vokale  sind  und  nur 
in  unbetonter  Silbe  und,  wie  ich  glaube,  alle  nur  kurz  vorkommen: 
Q  (zwischen  6  und  d  =  sog.  e  sourd  in  le,  me,  degre'),  das,  wenn  das 
Wesen  und  die  Häufung  der  umgebenden  Konsonanten  es  nicht  ver- 
bietet, in  der  vulgären  Sprache  sogar,  wo  es  für  eu  in  der  Schrift 
eintritt,  ausfallen  kann,   und  in  ähnlicher  Weise  e  zwischen  e  und  e, 

0  zwischen  6  und  ö.  Die  Aussprache  ^,  S,  ö  (offen,  aber  kurz)  in  der 
unbetonten  Silbe  wird  jedenfalls  häufig  genug  gehört  und,  wie  es  mir 
scheint,  als  die  „korrekte"  empfunden.  Daher  verwandelt  sie  sich 
sehr  leicht  in  ein  langes  oder  halblanges  offenes  d,  e,  o,  sobald  der 
flüchtige  und  dem  germanischen  Gehör  meist  kaum  vernehmbare 
französische  Wortaccent  auf  der  letzten  Silbe  von  pleurons,  aimons^ 
dorons  u.  ä.  schwindet,  dagegen  infolge  des  Sinnes,  des  Gegensatzes, 
des  Nachdruckes  die  Stammsilbe  hervorgehoben  wird:  z.  d,  ^Nous 
aimons  nos  amis,  nous  haissons  nos  ennemis**  und  „Nous  pleurons j  nous 
fie  rions  pas^  u.  ä.  ^ 

§  8  S.  5  als,  all,  aient,  €rent:  das  lange  e  ist  offen  (=  ^)".  Das 
e  =  ai  in  den  ersten  drei  Endungen  ist  zweifellos  kurz  nach  der  be- 
kannten phonetischen  Regel,  das  die  vokalisch  auslautenden  Silben 
der  französischen  Wörter  kurz  sind, 

§  8  S.  6  ämes,  ätes,  äi:  das  lange  (zirkumflektierte)  ä  ist  ge- 
schlossen. —  ässe^  ässes,  ässeni:  das  lange  (nicht  zirkumflektierte)  d 
ist  offen.  —  äs,  ä  (Präterit.  Ind.);  ässions,  ässiez:  das  kurze  ä  ist 
offen.  —  OS,  a  (von  avoir;  Futur):  das  mittellange  a  ist  geschlossen." 
Dazu  eine  Anmerkung:  „Geschlossenes  a  (auf  dem  Plane  a)  ist  heller 
als  a  in  „Kahn" ;  offenes  a  ist  dunkel,  gleich  a  in  „kann".  An  dieser 
Stelle  herrscht  eine  erstaunliche  Verwirrung  in  der  Auffassung  der 
Quantität  und  der  Qualität  des  französischen  a,  eine  Verwirrung,  die 
durch  den  Vergleich  mit  dem  deutschen  a  (hochdeutsch  oder  dialektisch?) 
nur  noch  schlimmer  wird.  Ich  kann  eine  Berichtung  hier  nur  an- 
deutungsweise vorschlagen:  Das  a  in  nous  aimdmes  ist  identisch  mit 
dem  a  des  Subst.  dme,  lang,  dem  deutschen  a  in  Kahn  (wenigstens  in 
der  gewöhnlichen  norddeutschen  Aussprache  der  Gebildeten)  am  nächsten 
stehend.  Dieses  a  würde  ich  eher  als  „dunkel",  „offen"  bezeichnen. 
Die  entsprechende  Kürze  dazu  findet  man  in  pas,  ähnlich  dem  deutschen 
a  in  kann.  Das  a  in  tu  as^  il  a,  il  aimera,  ü  aima,  von  welcher  Form 
sich  il  aimät  in  der  heutigen  Aussprache,  wenn  man  nicht  affektiert 
und  schulmeisterlich  sprechen  will,  trotz  des  accent  circonflexe  (1) 
schwerlich  unterscheiden  lässt,  würde  ich  als  das  „hellere",  „ge- 
schlossene", „mehr  nach  e  zu  liegende"  d  beschreiben.  Es  ist  mit  dem 
d  in  femme  identisch  und  zwar  kurz.  Die  entsprechende  Länge  dazu 
zeigt  sich  in  rare,  page. 

Den  „Anhang  2"  zum  1.  Teile  auf  S.  13,  der  ein  Zusatz  der 
zweiten  Auflage  ist,  hätte  sich  Mosen  ohne  Schaden  für  sein  Buch 
sparen  können.  Die  Reime,  welche  „die  Verbalendungen,  soweit  sie 
für  die  gesprochene  Sprache  ausser  der  Bindung  in  Betracht  kommen, 
klar  veranschaulichen  und  darthun  sollen,  wie  noch  viel  einfacher  sich 
die  lautliche  Konjugation  gegenüber  der  geschriebenen  im  Französischen 
gestaltet",  sind  abscheulich  und  verunstalten  die  sonst  in  so  wissen- 
schaftlichem   Tone    gehaltene    Schrift.      Der   von   Mosen   angegebene 


1)  Vgl.  über  die  Zungenlage  (posiiion  mixte  ou  intermediaire) 
Passy,  Les  sons  du  frangais,  S.  30^-31.  Besondere  Zeichen  für  die 
„mittleren"  e  und  o  halte  ich  hier  für  unnötig. 


102  Referate  und  Rezensionen,    A..  Rambeau, 

Zweck  dieser  Reimregeln   ist   gut,   aber   er  hätte   denselben  mit  ein- 
facher, klarer  Prosa  weit  besser  erreicht.    Vgl.  folgende  Reime: 

„A.  Indikativ:    Präsens. 

Nur  zwei  Endungen  das  Präsens  spricht: 

ö,  e',  als  hier  die  einzigen  mit  des  Tons  Gewicht. 

Imperfekt. 

Viermal  e  —  Das  ist  das  imparfait  (?); 

Es  bleibt  noch  i5,  i4  -^  Dort  wo  im  Präsens  5  und  e, 

B.  Konjunktiv.    Präsens, 

Auch  dies  Präsens  nur  zwei  Endungen  spricht: 
iJ5,  le  und  sieh!  hier  zweien  Zeiten  ein  Gesicht. 

Präteritum, 

Der  Eennvokal  mit  s  als  Lautkomplex  (!) 

—  (Die  dritte  Singularis,  J-los  allerdings,  hat  Cirkumflex)  — 

Kommt  zu  Gehör; 

Bekanntenorts  nach  id,  {4  —  nichts  mehr." 

§  18  S.  18  yfuyionSy  ftiyiez  (=  f^-jUans,  fai-j-iez),^^  Eine  sonder- 
bare Transkription!  Der  Verfasser  mag  mir  glauben,  dass  sich  fuyions, 
fuyiez  lautlich  in  keiner  Weise  von  fuyons,  fuyez  unterscheidet. 

Die  „Übersicht  der  Verben  im  Infinitiv,  Präteritum  und  Perfekt- 
partizip" S.  48  ist  wohl  gelungen. 

Das  beigegebene  „Ergänzungsheft"  enthält  oder  vielmehr  soll 
die  Übungen  zu  den  Paradigmen  und  Verben  des  1.  und  2.  Teiles  der 
Hauptschrift  regeln,  die  darin  bestehen,  dass  die  Schüler  selbst  unter 
Anleitung  des  Lehrers  die  mit  den  Namen  der  verschiedenen  Nominal- 
formen, Tempora  und  Modi  und  mit  den  bezüglichen  Endungen  ver- 
sehenen, resp.  nur  mit  den  Formen  des  Infinit,  und  der  1,  Pers.  Sing. 
Präs.  Ind.,  dem  Stamm  u.  dgl.  angedeuteten  Konjugationsschemata 
durch  Aufsagen  oder  Niederschreiben  aller  Formen  ohne  Pronom. 
person.  ausfüllen.  Ähnliche  schematische  Übungen  zu  den  Verben  des 
dritten  Teiles  findet  man  in  der  Hauptschrift  selbst.  Wie  Stier,  sieht 
sich  auch  Mosen  bemüssigt,  ungeheuerliche  oder  hässlich  klingende  und 
ganz  ungebräuchliche  Formen  wie  paye-je,  employe-je,  appuye-je, 
mend'je^  appele-je,  re'gne-je  (Ergänzungsheft  S.  8  ff.)  aufzustellen. 

3.  OUert's  Lehre  vom  französischen  Verb  ist  eine  hervor- 
ragende Leistung,  die  sich  durch  wissenshaftliche  Gründlichkeit  und 
klare  Darstellung  auszeichnet.  Ich  sehe  aber  nicht  ein,  warum  „es 
nötig  sein  wird,  (nur?)  die  schwierige  Verbalfiexion  im  Unterricht  von 
der  Lektüre  loszulösen  und  ihr  eine  systematische  Behandlung  auf  der 
Mittelstufe  zu  widmen"  (Vorwort,  S.  III).  „Dass  die  französische 
Grammatik  an  der  Hand  der  Lektüre  betrieben  werden  müsse,  ist  eine 
Forderung",  die  man  natürlich  für  den  Anfang  und  im  grossen  und 
ganzen  noch  für  die  Mittel-  und  Oberstufe  als  richtig  anerkennen 
muss.  Aber  man  kann  diese  Forderung  erfüllen  und  doch  von  der 
Mittelstufe  an,  besonders  an  Schulen,  die  auf  den  französischen  Unter- 
richt 8 — 9  Jahre  verwenden,  eine  vollständige  systematische,  auf  wissen- 
schaftlichem Grunde  aufgebaute  Grammatik  zur  Wiederholung,  Zu- 
sammenfassung und  Vertiefung  des  induktiv  gelernten  grammatischen 
Stoffes  gebrauchen.  Die  mir  vorliegenden  Schriften  von  Ohlert  be- 
weisen mir,  dass  er  das  nötige  Wissen  und  die  Fähigkeit  dazu  besitzt, 
eine  solche  vollständige  Grammatik,  die  sich  den  Büchern  von  Lücking, 


kleinere  Lehr-  und  Übungsbücher.  103 

Plattner  und  Kühn  an  die  Seite  stellen  könnte,  zn  verfassen  und  dabei 
vielleicht  das  schwierige,  gefahrvolle  Ziel  der  „Zugrundelegung  einefv 
reinen  Lautgrammatik",  die  ihm  vorläufig  noch  „keine  Gewähr  für  die 
Aneignung  der  Sprachformeu,  wenigstens  nicht  bei  unseren  heutigen 
Schul  Verhältnissen,  bietet",  („Behandlnug . . . ."  S.  18,  Anm.)  zu  erreichen. 

Sein  Standpunkt,  über  den  er  sich  im  Vorwort  zur  „Lehre  vom 
französischen  Verb"  und  in  der  beigegebenen  methodischen  Schrift 
in  lichtvoller  Weise  ausspricht,  ist  dem  Mosen's  ähnlich.  Er  bemüht 
sich,  bei  Erläuterung  der  grammatischen  Erscheinuogen  Laut  und 
Schrift  stets  scharf  von  einander  zu  scheiden,  was  ihm  noch  besser 
als  Mosen  gelingt,  weil  er  die  phonetische  Litteratur  sorgfältiger 
studiert  zu  haben  scheint,  und  die  sicheren,  für  den  Schulunterricht 
verwendbaren  Ergebnisse  der  historischen  Grammatik  nach  bestimmten 
Prinzipien  zu  ordnen.  Im  allgemeinen  habe  ich  an  seiner  Darstellung 
sehr  wenig  auszusetzen.  Altfranzösische  Formen  meidet  er;  Hinweise 
auf  das  Latein  sind  in  einem  Anhang  (II,  S.  46)  „für  Latein  lernende 
Schüler"  abgesondert. 

Die  „Einleitung"  des  kleinen  Lehrbuches  (S.  1 — 5)  enthält: 
„1.  Erklärung  der  technischen  Ausdrücke;  2.  Lautschrift;  8.  Auszug 
aus  der  Lautlehre;  5.  Orthographische  Eigentümlichkeiten."  In  det 
Bezeichnung  der  Laute  folgt  0.  Vietor,  begeht  aber  bei  der  Au&ssung 
des  französischen  a  einen  ähnlichen  Irrtum  wie  Mosen.  Das  „helle  a" 
ist  nicht  bloss  kurz  (ma,  adors),  sondern  auch  lang,  z.  B.  in  rure,  und 
oft  halblang  (durch  Kachdruck)  in  nation  u.  a.  Beide  Wörter,  rare 
und  nation,  hat  Ohlert  fälschlich  als  Beispiele  zu  dem  andern  a  neben 
äme,  bdton  gestellt  (S.  2). 

In  der  „Lehre  vom  Verb"  (S.  6—40)  befolgt  er  dieselbe  Ein- 
teilung in  Konjugationen  als  Mosen,  nur  gebraucht  er  andere  Namen: 
„lebende"  (Inf.  -er)  —  „erstarrte  Konjugationen"  (Inf.  -ir,  -re,  -pir), 

S.  9  aller  Hauptstamm  all-,  Nebenstämme  va  —  «r  — ."  Warum 
nicht  Nebenstamm  i-,  Inf.  ir-  in  der  Zusammensetzung  firai,  firais? 
Ebenso  wenig  kann  ser-  als  Nebenstamm  zu  es-  von  Hre  (auf  der 
folgenden  Zeile)  angesehen  werden. 

S.  10   „Stammbetonte  Formen  sind :    4.  der  Indikativ 

der  Perfekte  ohne  Kennlaut  ....".  Ich  würde  das  stammhafte  t  in 
Je  pris  u.  a.  immerhin  einen  Kennlaut,  das  t  in  je  punis  u.  a.  sowohl 
nennlaut  als  Ableitungsvokal  nennen.    Vgl.  auch  S.  22  u.  a. 

S.  12  Qe  7'egne  (re,n)  ,  ,  .  .  nous  regnons  (re-n^)  ,  * ,  .  je  regnerai 
(re'nre  ),'^  Das  e  der  endungsbetonten  Formen  dieses  Verbs  nähert 
sich  in  der  modernen  Aussprache  schon  sehr  dem  offenen  ^,  besonders 
im  Präs.  Fut.  und  Impf.  Fut.,  oder  wird  zu  dem  „mittlei*Bn"  e  zwischen 
e  und  e,  vgl.  maison  und  oben  eine  Bemerkung  zu  Nr.  2.  Die  Aus- 
sprache eilt  der  Schrift  voraus.  Ähnlich :  evdnement  (Orthographie  der 
neuesten  Auflage  des  Dici.  de  VAcad,  1879)  =  evenement  u.  a.,  früher 
College  =  College  u.  a. 

S.  14,     „Schwaches  ö  (Ohlert  meint  ff  =  e  sourd)  wird  in  den  * 
stammbetonten  Formen  zu  e.  [ai]  bei  faire»^     Besser :  Der  ursprüngliche 
offene  ^-Laut  (=  ai)  erscheint  in   den  endungsbetonten  Formen   als  q 
oder  verstummt,   meist   noch   geschrieben   ai,    aber   regelmässig  e  im 
Präs.  Fut.  und  Impf.  Fut.  (je  faisais,  je  ferais). 

S.  14—15.  Die  Qualität  des  ö  =^  eu  in  den  stammbetonten 
Formen  des  Präs.  von  mouvoiry  pouvoir,  vuloir  ist  nicht  immer  ge- 
schlossen, wie  Ohlert  meint,  sondern  vor  lautbaren  Endkonsonanten 
des  Stammes  offen:  üs  meuvent,  qiie  je  meuve,  ils  peuveni,  Hs  veuleni, 
que  je  veuille  etc. 


104  Referate  und  Rezensionen.    A.  Rambeau, 

S.  21  „au-  (o)  i*aur-m,  sau-  (so*)  Je  saur-ai.^  Der  Laut  o  ==  au 
dieser  Formen  ist  oit  ein  kurzes  offenes  ^  oder  das  „mittlere"  o 
zwischen  ö  und  ö.  Vgl.  o  in  dorer,  wie  oft  e  zwischen  e  und  e  in 
maison  und  feter,  und  eine  Bemerkung  oben  zu  Nr.  2. 

S.  22  „w-w",  Druckfehler  (mü), 

S.  25  ^'e  vais  (vq)",  Druckfehler  für  ve .  (offenes  e,  nicht  nasaliert). 

S.  35  „conclure  ....  Die  Endungen  des  Perfekts  und  Partizips 
treten  an  den  verkürzten  Stamm."  Warum  soll  man  nicht  den  un- 
verkürzten Stamm  conclu-  auch  für  das  hist.  Perf.  je  conclus  und  das 
Part.  Perf.  conclu  (mit  abgefallenem  s,  vgl.  reclus)  annehmen?  Vgl. 
Ohlert  S.  23 :  rire.  Stamm  n-,  hist.  Perf.  je  ris,  Part.  Perf.  ri  (mit  ab- 
gefallenem s), 

S.  36  „moudre  ....  Scheidelaut  d  im  Infinitiv  und  Indik.  des 
Präsens."  Besser:  Der  vermittelnde  Laut  d  zwischen  ursprünglich  / 
(=  u  vokalisiert)  und  (ursprünglich  lingual.)  r  im  Infin.,  nur  graphisch 
im  Indik.  und  Imper.  Präs.  Sing. 

S.  37  „naUre  (ne.tr)^,    Druckfehler;  n€Jr  (langes  offenes  e). 

S.  45  „Stre  (e.tr).^     Druckfehler:  i.tr,  richtig  S.  37. 

S.  39  „pleuvoir  (plo*Vuar]j^  Druckfehler:  d*.  (kurzes  offenes  ö) 
in  unbetonter  Silbe  oder  manchmal  q  (=^  e  sourd)^  selten  geschlossenes  ö, 
vgl.  oben  eine  Bemerkung  bei  Nr.  2. 

S.  46  „Anhang  IL  (Für  Latein  lernende  Schüler) 2.  Die 

Kennlaute  des  Perfekts  entsprechen  den  lateinischen  Ableitungs- 
vokalen:   u  1)  =  «I . . . ."     Besser:  ui  mit  vorgerücktem  Accent, 

je  valus  =  lat.  valüi  st.  vdlui  wegen  valüimus. 

Ferner  „9.  Das  s  der  Partizipien  (zu  ergänzen :  Perf.)  ist  ursprüng- 
lich   und    stammhaft:    acquis   —    acquisiiturn) "      Druckfehler: 

acquis(it)um. 

„11.  Das  doppelte  rr  in  pourrai,  verrai  ist  durch  Assimilation 
entstanden:  potero  —  potrai  —  pourrai;  videre  —  vedrai  —  verrai."" 
Die  Anführung  der  lateinischen  Form  potei'o  in  der  Weise,  wie  sie 
hier  geschieht,  gibt  leicht  zu  einem  Miss  Verständnis  Anlass.  Besser: 
Assimilation  der  Dentalis  an  r  nach  Ausfall  des  durch  die  Zusammen- 
setzung des  Infinitivs  mit  dem  Präs.  resp.  Imperf.  von  habere  unbetont 
gewordenen  lat.  Ableitungs-^  :  je  verrai  =  videre  habeo,  je  verrais  = 
videre  habeham;  ähnlich  je  pourrai,  je  pourrais  (Infin.  pot-Sre  st.  posse, 
vgl.  potesi,  poieram,  potero  u.  a.). 

„Die  Behandlung  der  Verbalflexion  .  .  .  ."  S.  9.  Den  Stamm 
durch  Abtrennung  der  Endung  von  der  l.  Pers.  Plur.  Präs.  Ind.  finden 
zu  lassen,  wie  es  Ohlert  empfiehlt  und  verteidigt,  ist  gewiss  praktischer 
und  für  das  Französische  richtiger,  als  den  Infinitiv  zu  diesem  Zweck 
zu  benutzen,  da  hier  häufig  eine  konsonantische  Endung  folgt,  die  den 
ursprünglichen  Stamm  lautlich  und  sehr  oft  auch  graphisch  beeinflussst 
und  verändert. 

S.  14  Anm.  „Auch  die  Ansetzung  verschiedener  Stämme  fälscht 
*  den  Thatbestand.  Denn  es  liegt  doch  nur  ein  ursprünglicher  Stamm 
zu  Grunde,  der  nur,  je  nachdem  ein  Vokal  oder  Konsonant  folgte, 
anders  behandelt  wurde."  Auch  der  ursprüngliche  und  ursprünglichste 
(lateinische  oder  gar  vorlateinische)  Stamm  ist  immer  nur  etwas 
vom  Verstände  konstruiertes,  nicht  etwas  wirklich  in  der  Sprache 
existierendes.    Vgl.  eine  Bemerkung  oben  zu  Nr.  2. 

S.  28  ^pedal  —  ptVrf."    Druckfehler  für  pe'dale. 

S.  29  „Cafe  —  cafetiere  —  cafeiere,^     Druckfehler  für  cafeiere. 

4.  miriell's  Schrift  unterscheidet  sich  von  den  eben  be- 
sprochenen drei  Schriften  dadurch,  dass  sie  als  „Hilfsbuch  für  Schüler 


Kleinere  Lehr-  und  Übungsbücher.  105 

besonders  lateinloser  Schulen"  bestimmt  ist,  wodurch  der  Verfasser 
„die  Beschränkung  im  Punkte  der  Lautgesetze  genügend  rechtfertigt" 
(Vorwort,  S.  IV),  ferner  dass  er  nur  die  sogenannten  unregelmässigen 
Verben  ausführlich  behandelt  und  diese  ausdrücklich  nicht  nach  den 
Perfektformen,  sondern  nach  den  Präsensformen  ordnet.  „Es  will  mir 
nämlich  scheinen",  sagt  Ullrich  im  Vorwort  (S.  III),  ,,als  wenn  die 
bisher  beliebte  Anordnung  der  Verben  nach  den  Perfektstämmen  als 
ein  methodischer  Missgriff  befrachtet  werden  müsse,  da  meine  Lehr- 
thätigkeit  mir  gezeigt  hat,  dass  der  Stein  des  Anstosses  für  den 
Schüler  nicht  sowohl  in  den  Perfektformen,  als  in  den  Präsensformen 
liegt,  eine  Anordnung  nach  diesen  also  schon  ein  Moment  der  Er- 
leichterung enthält."  Dies  ist  sicherlich  ein  Gesichtspunkt,  der  be- 
achtet zu  werden  verdient,  den  man  aber  füglich  nicht  ausser  acht  zu 
lassen  braucht,  auch  wenn  man  ebenfalls  die  Bildung  des  bist.  Perf. 
und  zugleich  die  des  Part.  Perf.  bei  der  Gruppierung  der  Verben  be- 
rücksichtigt. 

Was  die  Einteilung  in  Konjugationen  betrifft,  so  stimmt  Ullrich 
hierin  fast  ganz  mit  Stier  überein,  aber  er  fasst  den  Begriff  „regel- 
mässig" viel  enger  und  den  Begriff  „unregelmässig"  viel  weiter.  Am 
Anfang  gibt  er  auf  einer  Tabelle  (S.  1 — 3)  eine  vergleichende  Übersicht 
der  „drei  regelmässigen  Konjugationen"  mit  Infin.  -er,  -re,  -ir,  eine 
sehr  nützliche  Zusammenstellung  der  Endungen  1)  ihrer  „gleichen 
Formen"  und  2)  ihrer  „ungleichen  Formen".  Zur  regelmässigen  ir- 
Konjugation,  wie  sie  Ulrich  nennt,  rechnet  er  nur  die  Verba  mit  der 
Stammerweiterung  -iss-  (bannir  u.  a.),  zur  regelmässigen  r^-Konjugation 
nur  die  wenigen  Verba,  deren  Stamm  auf  p  und  d  ausgeht.  Von  allen 
„drei  regelmässigen  Konjugationen"  sind  ausgeschlossen  1)  die  Verba, 
in  deren  Endungen  irgend  eine  orthographische  Abweichung  oder  Be- 
sonderheit zu  bemerken  ist,  also  sogar  Verben  wie  lauer  und  scduer 
wegen  des  trema  (nous  lomons,  vous  salutez),  2)  die  Verba,  die  in  der 
Schritt  —  auf  den  Laut  kommt  es  dem  Verfasser  zunächst  nicht  an  — 
irgend  eine  Veränderung  des  Stammes  zeigen,  also  menacer^  venger, 
employer,  celer,  battre,  fleurir  u.  ä.  —  Es  ist  auffällig,  dass  sich  avouer 
neben  chercher  u.  a.  unter  den  regelmässigen  VerJjen  findet  (S.  3), 
dagegen  louer  und  vouei\  devouer  u.  ä.  unter  den  unregelmässi^en  auf- 
geführt sind  (S.  8).  Um  die  sogenannte  „regelmässige"  r^-Konjugation 
gegenüber  den  zahlreichen  „unregelmässigen"  Verben  auf  -re  nicht 
allzu  dürftig  erscheinen  zu  lassen  und  wenigstens  rompre  und  vcndre 
und  6  andere  Verba  mit  einem  auf  d  ausgehenden  Stamme  zusammen- 
zubehalten, gibt  Ullrich  (S.  2)  zu  Präs.  Indik.  „Stamm  ^-  s,  •\-  s,  +  ^" 
die  Bemerkung:  „Dritte  Person  ohne  Endung  nach  d,  t,  c."  „Nach  fl^* 
würde  hier  schon  genügt  haben:  Denn  baiire  und  vaincre  sind  ja  nach 
seiner  Auffassung  unregelmässig.  Vom  phonetischen  Standpunkte  aus 
und,  wenn  man  die  wirklich  jetzt  gesprochene  Sprache,  die  heutige 
Lautsprache,  als  massgebend  ansieht,  muss  man  jene  Einschränkungen 
und  Ausschliessungen  zum  Teil  als  sehr  willkürlich  und  falsch  be- 
zeichnen. Z.  B.:  romps  =  rS  neben  rompons  =  r5p5  ist  keineswegs 
„regelmässiger"  als  bats  =  bd  neben  baitons  =  bdtn;  oder  beide  Formen 
r5  und  bd  müssen,  da  der  Stamm  verändert  ist,  als  „unregelmässig" 
gelten.  Wenn  man  dann  die  übrigen  von  Ullrich  (S.  3)  angeführten 
Verba  auf  -re  in  ähnlicher  Weise  vergleicht  und  beurteilt,  kann  natür- 
lich von  einer  regelmässigen  rcJ-Konjugation  überhaupt  nicht  die  Rede 
sein.  Denn  in  diesem  Falle  müssen  alle  Verba  auf  -re  ebenso,  wie 
alle  Verba  auf  -mr,  zu  den  unregelmässigen  oder  anomalen  gestellt 
werden.     Aber  Ullrich  steht  in  dieser  Beziehung  auf  dem  reinen,    un- 


106  Referate  und  Rezensionen,    A,  Rambeau, 

verfälschten  Standpunkte  der  Schriftsprache,  und  man  musa  augeben, 
dass  er  insofern  seinem  Standpunkte  gemäss  im  Einschränken  und 
Ausschliessen  im  allgemeinen  mit  richtiger  Eonsequenz  vorgegangen  ist. 
Die  vier  unregelmässigen  Konjugationen  sind  in  derselben  Reihen- 
folge geordnet,  wie  in  Stier's  Tabellen,  also  unnötigerweise  anders, 
als  die  drei  regelmässigen: 

„I.  Anomale  Verba  der  .  .  ^-Konjugation. 
IL  Anomale  Verba  der  . ,  tr-Konjugation. 

III.  Anomale  Verba  der  .  .  r^-Konjugation. 

IV.  Verba  auf  -ö«r." 

S.  10 — 11.     „mourir Erklärung:    Die  stammbetonten 

Formen  lauten  ou  zu  eu  um."  D.  h.  die  stammbetonten  Formen  des 
Präsens  .  .  .  :  Diese  notwendige  Beschränkung  ist  an  allen  Stellen,  wo 
ich  eine  ähnliche  Erklärung  bemerkt  habe,  weggelassen,  so  bei  venir 
S.  11,  devoir  S.  24. 

S.  15.     „ü  echt''    Druckfehler  für  eciot 

S.  25 — 26.  „pmwoir Erklärung :  Ausser  der  Vorbe- 
merkung bezüglich  des  v,  beachte  den  Stammumlaut,  sowie  das  x  der 
ersten  und  zweiten  Person  (nach  Analogie  der  Pluralbildung  der  Sub- 
stantiva  auf  eu); ..."  Der  Ausdruck  „Analogie"  ist  hier  durchaus 
unpassend  und  missverständlich.  Besser:  x  statt  s  nach  eu,  vgl. 
Subst.  z.  B.  cheveu  —  cheveux.  Ferner:  „endlich  das  Futur,  in  welchem 
V  dem  folgenden  r  assimiliert  ist."  Diese  Erklärung  ist  lautphysiologisch 
(eine  Labiab's  dem  ursprünglich  lingualen  r  assimiliert!?)  und  sprach- 
historisch falsch;  und  wissenschaftlich  Falsches  darf  unter  keinen  Um- 
ständen in  einer  Schulgrammatik  gelehrt  werden.  Selbst  die  Schüler 
lateinloser  Anstalten,  für  die  Ullrich  seine  Schrift  hauptsächlich  be- 
stimmt hat,  können  die  Entstehung  des  Präs.  Futur  (Infinitiv  +  Präs., 
resp.  Impf,  von  avoir)  begreifen,  und  da  sie  das  v  in  den  bezüglichen 
Formen  von  pouvoir  nur  zwischen  Vokalen  sehen  (vgl.  nous  pouvons, 
ils  peuveni  —  ü  peut,  vgl.  auch  pouvani  —  puissant  u.  ä.),  so  ist  es 
für  sie  auch  nicht  schwer  zu  verstehen,  dass  das  v  ursprünglich  nicht 
stammhaft,  sondern  nur  hiatustilgend  ist.  Wenn  aber  Ullrich  aus 
praktischen  Gründen  die  richtige  wissenschaftliche  Erklärung  (Assi- 
milation der  Dentalis  an  ursprünglich  linguales  r;  dr,  Ir  ==  rr,  vgl. 
je  pourrai  mit  je  verrat,  je  de'cherrai,  ü  däckerra,  vgl.  lat.  pot-esi, 
videre,  cadere,  franz.  potentat,  providence,  decadence  u.  ä.)  nicht  geben 
oder  auch  nicht  einmal  andeuten  wollte,  so  hätte  er  die  Formen  pourrai, 
pourrais  neben  pouvoir  einfach  als  unregelmässige  —  gegenüber  devrai, 
devrais  von  devoir  u.  a.  bezeichnen  und  dabei  nur  aaf  verrat,  verrais 
—  de'cherrai,  decherrais  —  e'cherra,  echerrait  neben  voir  —  dechoir  — 
e'choir  verweisen  sollen,  zumal  da  er  bei  diesen  Verben  (S.  28)  auf 
jede  Erklärung  des  Futur,  verzichtet. 

S.  26 — 27  y^vatoir,  faüoir Erklärung.  Beachte  1.  x  statt  sJ^ 

Ergänze:  x  statt  s  nach  au,  vgl.  die  Subst.  und  Adj.,  z.  B.  cheval  — 
chevaux,  chapeau  —  chapeaux,  heau  —  heaux,  —  Weiter:  „2.  die  Mouil- 
lierung der  Stämme  «>«/-  und  faü-  im  Konjunktiv,  wie  bei  «//<?>•." 
Ergänze  „in  den  stammbetonten  Formen  des  Konjunktivs",  und  ebenso 
an  anderen  Stellen  der  Schrift.  —  Ferner :  „4.  Futur  hat  euphonisches  d.^ 
Unverständlich  ohne  Zusatz:  d  eingeschoben  zwischen  l  und  ursprüng- 
lich lingual,  r;  l  =  u  erst  später  vor  folgenden  Konsonanten  vokali- 
siert,  daher  auch  vaux,  vaut,  faut,  wie  vaudrai,  faudra. 

S.  27.     „voiäoir ....  Erklärung Umlaut  von  u  zu  eu  in 

den  stammbetonten  Formen."     Druckfehler.   Verbessere:  ou  zu  eu  • .  .<, 


Kleinere  Lehr-  und  Übungsbücher.  107 

oder  (phonetisch):   u  zu  ö,  das  offen  oder  geschlossen  ist,  je  nachdem 
der  Endkonsonant  des  Stammes  lautet  oder  verstummt. 

Der  „Rückblick"  (S.  29 — 82)  enthält  einige  allgemeine  Be- 
merkungen über  die  Behandlung  der  Endungen  und  des  Stammes,  die 
sehr  kurz  und  knapp  gehalten,  aber  doch  zum  grössten  Teil  verständ- 
lich und  verständig  sind. 

S.  80.  „Die  Silbe  t^  in  bomlür  schwand  vor  s  und  t"  Die 
drei  Buchstaben  ill  bezeichnen  in  diesem  Worte  keine  Silbe,  sondern 
bedeuten  jetzt  nur  einen  halbvokalischen  (halbkonsonauti sehen)  Laut, 
nach  Passy's  Auffassung  einen  Konsonanten,  =  /.  Auch  früher  bildeten 
diese  Buchstaben  im  Französischen  nie  eine  äilbe:  im  älteren  Fran- 
zösisch und  noch  jetzt  im  Dialekt  oder  in  der  dialektisch  gefärbten 
Aussprache  =  //  oder  =  palat.  /.  Vor  -s,  -t  konnte  der  Stammauslaut 
von  bouülir  =  lat.  btiläre,  als  jene  konsonantischen  Endungen  noch 
gesprochen  wurden,  nur  als  einfaches  /  erscheinen  (bouiä-,  bouU-,  botd-; 
vgl.  lat.  1.  buäio,  ursprünglich  dreisilbig,  yulg.-lat.  zweisilbig,  äi  =  IJ, 
2.  btfUis,  8.  buUit)  und  musste  später  in  u  übergehen,  das  mit  dem 
Stammvokal  verschmolz:  Je  bons,  tu  bous,  ü  bout. 

Ferner  S.  80.  „Desgleichen  wurde  der  mouillierte  Stammauslaut 
gn  in  den  Verben  auf  .  .  indre  vor  s  und  t  zu  blossem  n  (nasal):  je 
crains^  ü  craini  (auch  Partizip)."  unklar  oder  falsch,  wie  die  Erklärung 
zu  craindre  S.  18.  Besser:  craindre,  peindre,  joindre  u.  s.  w.;  der 
Stamm  geht  aus  auf  gn  =  n  (palat.  n)  vor  vokalischen  Endungen, 
auch  vor  dem  verstummten  e,  —  aber  vor  konsonantischen  Endungen 
in  der  Schrift  auf  n,  das  in  der  lebenden  Sprache  verstummt,  jedoch 
die  nasale  Aussprache  des  Stammvokals  bewirkt:  ain,  ein  =  ^,  oin  =  **^. 

S.  31.  Über  Konj.  Präs.  und  Imper.  drückt  sich  Ullrich  allzu 
kurz  und  wohl  deshalb  undeutlich  und  angenau  aus. 

Die  drei  letzten  Absätze,  die  überschrieben  sind:  „Merke  folgende 
Basses  definis^,  „Merke  folgende  Pärticipes  passes*'  und  „Merke  folgende 
Futurs^,  sind  ziemlich  wertlos,  da  die  hier  angeführten  Formen  des 
bist.  Perf.,  des  Part.  Perf.  und  des  Futur,  ohne  ein  —  wenigstens  für 
mich  —  ersichtliches  Prinzip  zusammengestellt  sind.  Auch  hätte  Ullrich 
an  dieser  Stelle  endlich  die  Bildung  des  französischen  Futur,  und  die 
Änderungen,  die  bei  der  Zusammensetzung  des  Infin.  mit  dem  Präsens 
von  avoir  vor  sich  gehen,  erwähnen  und  andeutungsweise  erklären 
müssen. 

Trotz  der  Einwände,  die  ich  in  meiner  Besprechung  erhoben, 
und  trotz  der  Ausstellungen,  die  ich  an  einigen  Einzelheiten  gemacht 
habe  und  noch  an  manchen  anderen  hätte  machen  können,  erkenne 
ich  gern  an,  dass  die  Schrift  von  Ullrich  brauchbar  zu  nennen  ist  und 
hauptsächlich  zwei  nicht  unwesentliche  Vorzüge  aufweist:  eine  im 
im  ganzen  geschickte  und  übersichtliche  Anordnung  der  Verben  und 
Verbalformen  und  eine  knappe  und  doch  auf  kleinem  Räume  er- 
schöpfende Darstellung. 

5.  Ricardos  „Hilfstabellen  für  die  Konjugation  der  franzö- 
sischen regelmässigen  und  unregelmässigen  Zeitwörter",  von  denen 
auch  auf  Pappe  gespannte  Exemplare  auf  Wunsch  der  Besteller  vom 
Verleger  geliefert  werden,  haben  nur  einen  rein  praktischen  Zweck. 
Durch  den  vollständigen  Titel,  den  ich  oben  mitgeteilt  habe,  mögen 
sie  sich  selbst  empfehlen,  wie  auch  durch  folgende  Worte  des  Ver- 
fassers innerhalb  des  Umschlages,  die  sich  auf  ihren  Inhalt  und  Zweck 
beziehen:  „La  conjugaison  franqaise  offre  ä  la  fois  une  gründe  clarte' 
et  une  incomparäble  pre'cision;  eile  peut  se  re'sumer  en  tableaux  synoptiques 
garantissant  de  taute  erreur^ 


108  Referate  und  Rezensionen,    M,  Walter, 

I.  Pitts  de  6000  verbes  se  conjuguent  comme  pa/rler. 
IHus  de  850  comme  ptmirm 
Environ  400  comme  vend/re. 

En  un  mot,  tous  les  verbes  reguUers  ont  lä  leurs  modeles. 
IL  Dans  le  second  tahleau,  on  a  compris  tous  les  verbes  irrdguUers 

(225)  et  les  defectifs. 
Par  conse'quent,   ces  deux  tableaux  remplacent  exaciement  toute 
grammaire  et  tout  dictionnaire. 

lls  ont  comme  but  pratique  Pavantage  de  pouvoir  Stre  suspendus 
dans  les  maisons  d^'e'ducation  et  les  comptoirs,  de  se  placer  sotts  tceü  de 
räcrivain  ainsi  que  dans  le  portefeuüle  de  chacun,*^ 

Die  Anordnung  iflt  Bchematisch  und  teilweise  alphabetisch;  sie 
weicht  von  der  Ploßtz'schen  wenig  ab.  Nur  einen  Druckfehler  habe 
ich  entdeckt:  asseye  statt  asseye.  A.  Rambeaü. 


Rambean,  A«,  Die  Phonetik  im  französischen  und  englischen 
Klassenuntenricht,  (Eine  Begleitschrift  zu  den  Lauttafeln 
des  Verfassers.)  Hamburg,  1888.  Verlag  von  Otto 
Meissner.     Preis:  1  Mark. 

Die  von  Rambeau  herausgegebenen  Wandlauttafeln  sind, 
abgesehen  von  mehreren  hinzugekommenen  Verbesserungen  die- 
selben, welche  er  in  seiner  Schrift  Über  den  französischen  und 
englischen  Unterricht  in  der  deutschen  Schule  (Hamburg,  1886. 
Herold)  veröffentlicht  hat.  Der  Wunsch,  diese  Tafeln  in  allen 
Klassen  der  bedeutend  vergrösserten  Anstalt  des  Wilhelms- 
Gymnasinms  zu  Hamburg  benützen  zu  können  und  sie  somit  auch 
den  Kollegen  auf  bequemere  Weise  zugänglich  zu  machen,  bat 
Rambeau  veranlasst,  die  Tafeln  auf  lithographischem  Wege  ver- 
vielfältigen zu  lassen. 

Über  seine  Begleitschrift  lässt  er  sich  im  Anfang  folgender- 
massen  aus:  „Was  ich  im  folgenden  über  die  Phonetik  im  fran- 
zösischen und  englischen  Klassenunterricht  zu  sagen  gedenke, 
soll  keineswegs  der  Versuch  einer  vollständigen,  wenn  auch  nur 
ganz  elementaren,  Darstellung  des  französischen  und  englischen 
Lautsystems  für  Scbulzwecke  sein.  Für  Schüler  ist  die  Begleit- 
schrift überhaupt  nicht  bestimmt,  und  Lehrer  finden  in  den  seit 
etwa  zwölf  Jahren  erschienenen  vortrefflichen  Büchern  über  Laut- 
physiologie die  nötige  Belehrung  und  vielleicht  bessere  Auskunft 
in  wissenschaftlicher  Beziehung,  als  ich  sie  an  dieser  Stelle  zu 
geben  im  stände  wäre.  Dagegen  möchte  ich  wenigstens  mit 
meinen  Bemerkungen  über  den  Gebrauch  der  Lauttafeln  zeigen, 
auf  welche  Weise  man  mit  Hilfe  dieser  Tabellen  den  Schülern 
allmählich  —  von  Stufe  zu  Stufe  im  mehrjährigen  Schulunterricht  — 
eine  genaue  und  gründliche  Kenntnis  der  zwei  fremden  Laut- 
systeme  verschaffen  kann  —  ohne   Lehrbuch,   und   ohne  sie  im 


A.  Rambeau,  Die  Phonetik  im  firanz,  u,  engl,  KlassenunierrichU      109 

geringsten  Grade  zu  überbürden  oder  mit  unverdaulichen  abstrakten 
Dingen  zu  belästigen.  Den  Fachgenossen,  welche  den  phone- 
tischen Studien  noch  abgeneigt  sind,  möchte  ich  femer  beweisen, 
dass  man  nach  meiner  Methode  ohne  „Regeln^  die  Aussprache 
der  Schüler  wenn  nicht  fehlerlos,  so  doch  jedenfalls  gleichmässig 
und  der  eigenen  Aussprache  vollkommen  gleich  machen  und  da- 
durch ihren  Oenuss  an  der  fremden  Sprache,  die  sie  lernen, 
wesentlich  heben  und  ihr  Interesse  dafür  in  hohem  Orade  fördern 
kann.^ 

Nach  der  allgemeinen  Hervorhebung  der  Bedeutung  der 
lautlichen  Schulung  für  die  genaue  Aussprache  der  fremden 
Sprachen  und  der  Muttersprache  selbst,  deren  lautlich  reine 
Erlernung  schon  im  Elementar- Unterricht  zum  Gegenstand  der 
sorgfältigsten  Pflege  gemacht  werden  müsste,  bespricht  nun 
Rambeau  zunächst  die  französischen  Lauttafeln,  deren  eine  die 
Vokale,  die  andere  die  Konsonanten  enthält.  Eine  Zusammen- 
stellung von  Musterbeispielen  mit  Rücksicht  auf  die  Einzellaute 
befindet  sich  unter  jeder  Lauttafel.  Den  Vokalen  hat  er  die 
Dreieckform  zu  Grunde  gelegt,  bei  der  das  Verhältnis  der  Zungen- 
stellung der  einzelnen  Laute  veranschaulicht  wird.  Die  ge- 
schlossenen Laute  werden  mit  ',  die  offenen  mit  ^  bezeichnet. 
Die  Quantität  wird  durch  die  Lauttafel  nicht  angegeben,  sondern 
durch  Vorsprechen  erlernt.  Die  unter  der  Vokaltafel  angeführten 
Musterbeispiele  sind  indessen  nach  der  Quantität  geordnet, 
indem  Rambeau  sowohl  bei  den  reinen  als  den  nasalen  Vokalen 
Beispiele  1)  für  lange,  2)  für  weniger  lange  oder  kurze  Laute 
angibt. 

Die  Konsonanten  ordnet  Rambeau  nach  Verschluss-  und 
Engelauten  an,  so  dass  die  einander  entsprechenden  stimmhaften 
und  stimmlosen  Laute  nach  ihren  verschiedenen  Bildungsstellen 
neben  einander  stehen:  A.  Labiale,  B.  Linguale  (Dentale),  C.  Pala- 
tale (Gutturale),  D.  Hauchlaut. 

Rambeau  beginnt  mit  der  Einübung  der  reinen  Vokale,  die 
er  zunächst  auf  deutsche  Weise,  dann  mit  verstärkter  Artikulation 
auf  französische  Weise  vorspricht. 

Beim  Nachsprechen  der  Lautreihen  i-a-u  und  u-a-i  haben 
die  Schüler  auf  die  Veränderung  der  Lippen-  und  Zungenstellung 
zu  achten,  so  dass  sie  sich  der  Stellung  der  Sprachorgane  be- 
wusst  werden. 

Die  weiteren  Übungen  an  der  Vokaltafel  bestehen  im 
Lautieren  der  folgenden  Vokalreihen: 

i-  4-  a 
U'6-a 
i'i'l-a 


110  Referate  nnd  Rezensionen.    M,  Walter, 


U'ö'b-a 


ü'O-a 

U'O'O'CL, 

Zum  Schluss  werden  die  drei  vollständigen  Vokalreihen 
geübt: 

u-6'b-a 

U'O-o-a. 
Diese  Übungen  haben  die  Schüler  einzeln  und  im  Chore 
vorzunehmen.  ^Sie  werden  so  lange  fortgesetzt,  bis  sie  mindestens 
von  der  Mehrzahl  der  Schüler  ohne  Fehler  und  ohne  Zögern 
ausgeführt  werden  können.^  ^Die  straffe  Artikulationsweise  ist 
bei  allen  französischen  Vokalen  zu  betonen  und  eher  zu  über- 
treiben als  zu  massigen.  Der  Unterschied  zwischen  den  ge- 
schlossenen Lauten  ^60  und  den  offenen  Lauten  h  b  o  musB 
jedem  Schüler  ganz  geläufig  werden.^ 

Zu  den  obigen  Lautreihen  möchte  ich  die  folgenden  Reihen 
hinzufügen,  deren  sorgfältige  Übung  der  Aneignung  einer  klaren 
Aussprache  der  französischen  Vokale  sehr  förderlich  ist: 

i    U    u 

i     06 

lob. 

Zunächst  wird  der  Übergang  innerhalb  der  beiden  ersten 
Lautreihen  geübt.  Hierbei  behält  der  Schüler  die  Zungenstellung 
der  ersten  Reihe  i  i  l  bei  und  nimmt  nur  die  Lippenstellung 
von  u  6  b  Kd.  Beim  Übergang  von  ü  o  0  vssl  u  6  b  behält  er 
umgekehrt  die  zuletzt  eingenommene  Lippenstellung  bei,  indem 
er  die  Zungenlage  schnell  verändert.  Überall,  wo  die  Lippen- 
artikulation im  Deutschen  mangelhaft  ist,  sind  diese  Übergänge 
aus  der  spaltförmigen  in  die  gerundete  Form  von  grossem  Werte. 
Der  Schüler,  der  oft  im  Deutschen  statt  o  oder  ü  i,  bzw.  i,  zu 
sprechen  gewöhnt  ist,  wird  durch  das  Gegenüberstellen  dieser 
entsprechenden  Laute  zur  genauen  Beachtung  ihrer  Verschieden- 
heit und  zu  ihrer  sicheren  Nachahmung  geführt.  Besonders 
empfiehlt  sich  hierzu  die  Übung  der  nach  ihrer  wagereehten 
Lippenstellung  am  weitesten  auseinanderliegenden  Vokale  i  und  ü 
und  umgekehrt. 

Das  Übergehen  von  einem  Vokal  zum  andern  innerhalb 
derselben  Lautreihe  geschieht  dadurch,  dass  unter  anhaltendem 
Stimmton  der  Wechsel  der  zur  Bildung  der  einzelnen  Vokale 
erforderlichen  Mundstellung  erfolgt.  Hierbei  lernt  der  Schüler 
zugleich  den  im  Deutschen  den  Vokalen  vorangehenden  Kehl- 
kopfverschlusslaut vermeiden  und  gewöhnt  sich  somit  an  den  im 
Französischen  üblichen  leisen  Stimmansatz. 


j4,  Rambeau,  Die  Phonetik  im  /ranz,  «.  enpL  Kiassenunierrichi.     111 

Von  den  reinen  Vokalen  geht  Rambeau  zu  den  nasalen 
Vokalen  über.  Die  Schüler  werden  in  einfacher  Weise  auf  den 
Unterschied  zwischen  beiden  Arten  hingewiesen.  Durch  Über- 
gang vom  Grandvokal  zum  Nasalvokal,  der  im  singenden  Tone 
gesprochen  wird,  ergibt  sich  folgende  Übung:  a-ä,  l-^,  b-ö,  o-S. 

Wegen  der  auch  von  Rambeau  hervorgehobenen  oft  statt- 
findenden Verwechslung  der  Nasalvokale  ä  mit  5^  i  mit  i  ist  es 
von  Vorteil,  die  Beziehungen  der  Nasalvokale  zu  ihren  bezüg- 
lichen Grundvokalen  auch  an  der  Lauttafel  dadurch  zu  veran- 
schaulichen, dass  man  sie  den  betreffenden  offenen  Lauten 
gegenüberstellt  Um  bei  der  hierdurch  verursachten  Häufung 
von  Lautzeichen  die  Übersichtlichkeit  zu  wahren,  empfiehlt  es 
sich  dann,  wie  es  bei  uns  geschieht,  verschiedene  Farben  fUr 
die  verschiedenen  Lautarten  zu  verwenden.  So  sind  bei  uns 
iihaäböu  schwarz,  ü  6  o  o  grün  und  die  Nasalvokale 
ä  e  ö  S^)  rot  dargestellt.  Kommt  es  nun  vor,  dass  ein  Schüler 
z.  B.  ä  statt  ö  spricht,  wie  es  hier  oft  geschieht,  so  wird  er 
sofort  auf  den  entsprechenden  Grundvokal  verwiesen,  indem  er 
unter  Beibehaltung  der  a- Mundstellung  den  Übergang  von  a  zu  ä 
übt.  Ausserdem  ist  als  Grund  des  Fehlers  anzugeben,  dass  der 
Schüler  anstatt  der  a-Mundstellnng  die  von  b  eingenommen  hatte. 
Von  Bedeutung  für  unsere  Gegend  sind  die  Bemerkungen  Rambeau's 
über  die  Schüler,  welche  im  Deutschen  anstatt  der  reinen  Vokale 
genäselte  verwenden  und  nun  diese  auch  auf  das  Französische 
zu  übertragen  pflegen.  Da  gilt  es  durch  viele  Lautübnngen  dem 
Schüler  recht  klar  zu  machen,  dass  der  Mund  weit  zu  öffnen  ist, 
und  der  Hauch  durch  Mund  und  Nase,  nicht  etwa  wie  im  Dialekt 
ganz  oder  zum  grössten  Teile  durch  die  Nase  strömt.  Bei  diesen 
Fehlem  ist  es  notwendig,  nach  den  Übungen  der  reinen  und  der 
Nasalvokale  die  Schüler  auf  die  Unterscheidungsfähigkeit  der 
Nasalvokale  hin  zu  prüfen. 

Dazu  empfiehlt  es  sich  die  vier  Nasalvokale  an  die  Tafel 
zu  schreiben  und  mit  den  Nummern  1  bis  4  zu  versehen: 

ä     e     ö     ö 
12     3     4 
Der  Lehrer   spricht  nun  reine  Vokale  und  Nasalvokale  in 
beliebiger  Reihenfolge  vor;  sobald  ein  Nasalvokal  an  die  Reihe 
kommt,  hat  dann  der  Schüler  nur  die  Nummer  des  betreffenden 


1)  Behufs  Vereinfachung  der  Lautzeichen  halte  ich  es  für  ange- 
bracht, die  Akzente  auf  den  Nasalvokalen  wegzulassen.  Dass  diese 
Laute  im  Französischen  nur  offen  sein  können,  lernt  der  Schüler  ja 
schon  durch  die  so  häufig  geübte  Gegenüberstellung  der  offenen  Grund- 
vokale  und  der  bezüglichen  mit  derselben  Mundöffnung  gesprochenen 
Nasalvokale. 


112  Referate  und  Rezensionen.    M,   Walter, 

Vokals  anzugeben.  Spricht  der  Lehrer  z.  B.  h  vor,  nnd  der 
Schüler  gibt  dafür  2  ==  5  an,  so  ist  dies  ein  Beweis  dafür,  dass 
der  Schüler  durch  die  fehlerhafte  Gewohnheit  des  Näseins  zu 
dieser  falschen  Lautauffassung  geführt  wird ;  und  so  muss  wieder 
auf  die  entsprechenden  Artikulationsübungen  zurückgegangen  und 
der  Grund  des  Fehlers  in  einfacher  Weise  erklärt  werden. 

Bezüglich  der  fehlerhaften  Aussprache  der  Nasalvokale  in 
Norddeutschland  sagt  Rambeau:  ^Mag  der  Lehrer  auch  selbst 
die  französischen  Nasalvokale  noch  so  gut  vorsprechen,  er  kann 
ziemlich  sicher  darauf  rechnen,  dass  seine  norddeutschen  Schüler 
ohne  eine  sorgfältige  „Artikulationsgymnastik  ^,  wenn  er  die  Laute 
ihrer  akustischen  Auffassung  und  blossen  Nachahmung  überlässt, 
fast  alle  a^,  h)  oder  tn}^  o^,  oder  o^,  o^  oder  ot^  und  ähnliche 
Lautverbindungen  hören  und  nachsprechen.  ^  Rambeau  hebt  recht 
treffend  hervor,  wie  schwer  es  ist  eine  derartig  Jahre  lang  hin- 
durch geübte  falsche  Aussprache  der  Nasalvokale  zu  beseitigen, 
während  bei  der  lautlichen  Schulung  im  Anfangsunterricht  alle 
Schüler  zur  richtigen  Wiedergabe  der  dem.  Französischen  eignen 
Laute  gelangen  müssen. 

Da  die  Schwierigkeiten  der  lautgetreuen  Nachahmung  der 
französischen  Nasalvokale  immerhin  gross  genug  sind,  so  scheint 
es  mir  hier  geboten,  in  einfacher  Weise  eine  Erklärung  der 
Bildung  dieser  Laute  im  Unterschied  zu  den  deutschen  Nasal- 
konsonanten zu  geben. 

Der  Schüler  spricht  zunächst  deutsche  Wörter  aus,  die  auf 
ng  endigen,  wie  6an^,  häng*.  Verschliesst  er  die  Nase  durch 
Zuhalten  mit  den  Fingern,  so  wird  der  Nasalkonsonant  plötzlich 
abgebrochen;  im  Gegensatz  hierzu  zeigt  ihm  der  Lehrer,  wie  bei 
demselben  Verfahren  die  französischen  Nasallaute,  wenn  auch 
gedämpft,  forttönen.  Woher  kommt  das?  Beim  deutschen  Nasal- 
konsonanten verhindert  der  Ansatz  der  Zunge  am  Gaumen  das 
Ausströmen  der  Luft  aus  dem  Mundraum;  die  Luft  geht  somit 
allein  durch  die  Nase.  Wird  nun  dieser  Ausweg  der  Luft  durch 
Zuhalten  der  Nase  verschlossen,  so  muss  der  Laut  zu  tönen  auf- 
hören. Bei  der  Aussprache  der  französischen  Nasallaute,  welche 
vokalen  Charakter  und  dieselbe  Mundstellung  wie  die  ent- 
sprechenden Grundvokale  haben,  findet  keine  Berührung  der 
Zunge  mit  dem  Gaumen  statt,  so  dass  die  Luft  auch  bei  Nasen- 
verschluss  noch  immerhin  ihren  Ausweg  durch  den  Mund  findet 
und  so  den  Laut  weitertönen  lässt. 

Aus  dieser  Verschiedenheit  der  beiden  Lautarten,  die  dem 
Schüler  zugleich  die  Verkehrtheit  der  Bezeichnung  des  einfachen 
französischen  Nasallautes  mit  ang  nachweist  (drei  Buchstaben 
für  einen  Laut  und  konsonantischer  für  vokalischen   Lautansatz) 


A.  Ramheau,  Die  Phonetik  im  franz.  u.  engl,  Klassenunierricht,      113 

ersieht  der  Schüler,  dass  er  zur  Wahrung  des  vokalischen  Lant- 
wertes  die  Zunge  stets  vom  Gaumen  fernhalten  muss. 

Oelingt  ihm  dies  zuerst  nicht,  so  weist  ihn  der  Lehrer  an, 
die  Zunge  mit  einem  Stift  herabzudrücken  und  somit  in  der  Lage 
des  entsprechenden  Grundvokals  zu  erhalten.  Am  besten  üben 
die  Schüler  diese  Nasallaute,  wie  auch  Rambeau  hervorhebt, 
dadurch  ein,  dass  sie  dieselben  in  singendem  Tone  möglichst 
lange  aushalten.  Überhaupt  gibt  es  kein  besseres  Mittel  für  die 
Aneignung  und  Befestigung  einer  guten  Aussprache  als  das  Singen 
von  Liedern,^)  das  auch  ausserdem  dazu  angethan  ist,  die  Lust 
und  Freude  des  Schülers  an  der  Sprache  wesentlich  zu  erhöhen. 

In  der  Besprechung  der  Konsonanten  und  Mittellaute,  deren 
Absonderung  von  den  Konsonanten  ich  übrigens  nicht  für  ange- 
bracht halte,  lässt  Rambeau  die  Schüler  in  elementarer  Weise 
den  Unterschied  zwischen  Vokalen  und  Konsonanten  feststellen, 
um  dann  die  einzelnen  Laute,  wie  schon  oben  bemerkt,  zusammen- 
zustellen. „Bei  diesen  und  den  folgenden  Erörterungen,  sagt 
Rambeau,  berücksichtige  ich  am  meisten  die  Labialen,  weil  die 
Schüler  die  verschiedenen  lautphysiologischen  Vorgänge  bei  diesen 
Lauten  nicht  bloss  durch  ihre  eigene,  von  mir  geleitete  Über- 
legung an  ihren  Organen  selbst  wahrnehmen,  sondern  auch  an 
meinen  Lippen  und  Zähnen  beim  Sprechen  deutlich  sehen  können.^ 
Rambeau  verweilt  dann  besonders  auf  dem  wichtigen  Unterschied 
der  stimmlosen  und  stimmhaften  Laute,  welche  die  Schüler  sicher 
von  einander  unterscheiden  und  genau  nachahmen  lernen  müssen. 
„Besonders  in  Mittel  und-  Siiddeutschland,  wo  die  Vermischung 
von  „harten^  und  „weichen^  Konsonanten,  der  Gebrauch  von 
stimmlosen  schwachen  (weichen)  Konsonanten  in  der  dialektisch 
gefärbten  Muttersprache  sogar  unter  den  Gebildeten  vorherrscht, 
hat  der  Lehrer  viele  sorgfältige  und  langwierige  Übungen  anzu- 
stellen, damit  seine  Schüler  den  Unterschied  zwischen  stimmhaft 
und  stimmlos  in  der  fremden  Sprache  nicht  nur  theoretisch  ver- 
stehen, sondern  auch  in  der  Praxis  immer  ohne  Schwanken  und 
Irren  durchführen  lernen." 

Bei  dem  paarweisen  Aussprechen  der  Verschluss-  und  Reibe- 
laute empfiehlt  es  sich  von  den  leichter  aussprechbaren  stimmlosen 
Lauten  auszugehen  und  diesen  die  stimmhaften  Laute  anzuschliessen. 

Die  Reibelaute  /-v,  s-z^  S-i  werden  ausgehalten  und  das 
Ansetzen  beziehungsweise  Aussetzen  des  Stimmtons  erfolgt  dann 
unter  Beibehaltung  der  entsprechenden  Mundstellung  auf  ein  be- 
stimmtes Zeichen  des  Lehrers. 


^)  In  der  zweiten  Auflage  des  Kühn'schen  Lesebuches  sind  die 
Noten  für  die  darin  enthaltenen  singbaren  Lieder  angegeben. 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.    XR  g 


114  Referate  und  Rezensionen.    M.   Walter, 

So  lernt  z^  B.  aacb  der  miifttel-  und  süddeutiK^he  Sofattler 
die  von  seinem  Dialekt  abweiebende  Bildung  des  fi'anzi^sisoheii 
nnd  englischeii  v,  indiem  er  die  /-Mundstelliuig  (Berttbrung  der 
Unteiiippe  mit  den  oberen  Schneidezähnen)  beibehält  und  durch 
HiBZutreten  des  Stimmtons  zu  tf  tibefgeht.^)  Um  sich  davon  zm 
ttberzengen^  dass  die  Schiller  die  stimmloBen  von  d<ni  stimm*- 
hi^etf  Lauten^  genau  unterscheiden  köimeH)  ist  auch  folgende 
Übung  zu  eilipfehlen:  Der  Lehrer  spricht  dld  stiminblifteii  usd 
stimmlosen  Laute  in  beliebiger  Aufeinande^olge  ror  und  lässt 
den  Lautwert  von  den  Sehttlem  duroh  die  blosse  Angabe  ob 
stimikiloB  oder  stimmhaft  bestimmeo. 

Bei  det  EitfHbung  ron  b,  d  uiid  g  empfiehlt  Rambeau  zuerst 
mby  nd  Und  ^  sprechen  zu  lassen,  ^ damit  den  Schülern  die 
Eigentümliehkek  der  französischen  stimmhaften  Versohlusälaute 
noch  lH0hr  zum  Bewiisstsein  kommt.  ^  Es  scheint  mir  hier 
besser^  das  ^ahre  Wesen  dieser  Laute  dem  Schüler  dodur^ 
klar  zu  machen^  dass  er  den  Blählaut,  weloheir  den  stimmhaften 
Verschlusslauten  mangelt,  mit  den  Schttlera  einübt.  Es  wird  nur 
scheinbar  ein  m,  n  und  j  volr  b,  d  und  g  gehört.  Während  bei 
THy  n,  y  die  Luft  in  die  Nase  tritt,  gelangt  sie  bei  dem  Blählaut 
nur  in  den  Muiid.  Die  Dauer  dieses  Lautes  hängt  also  von  der 
Gröese  des  Mundraumes  ab,  der  bis  zur  Lösung  des  Versohlusses 
mit  Luft  erfüllt  wird,  sie  wird  also  entsprechend  den  Artö- 
kulätionsstelleii  von  b  nach  g  zu  abnehmen:  b  >  d  >  g. 

Bezüglich  der  Aussprache  des  r  stimme  ich  mit  Rambeau 
darin  überein,  dass  je  nachdem  der  deutsche  Schüler  Zungen-r  oder 
Zäpfchen -r  spricht,  er  den  ihm  gewohnten  Laut  auf  das  Fran^ 
zösische  übertrage,  da  dort  auch  beide  Bildungsweisen  vorhanden 
sind,  wenn  auch  die  Verbreitung  des  Zäpfchen -r  mehr  und  mehr  zu- 
nimmt. Dagegen  hat  der  Lehrer  den  in  manchen  Oegenden  für  r 
im  Deutschen  eintretenden  gutturalen  Ersatzlaut  (=  eh)  aufs  ent<- 
schiedänste  zu  bekämpfen.  Auch  möchte  ich  bei  der  Aussprache 
dies  r  noch  bemerken,  dass  der  Lehrer  darauf  achten  muss,  dass 
das  im  deutschen  Dialekt  vor  Konsonanten  öfters  eintretende 
Schwindbn  des  r,  sowie  das  Übergehen  des  auslautenden  r  in 
den  unartikulierten  Stimmton  o  Im  Französisch  nicht  eintritt, 
sondern  dass  r  auch  in  diesen  Fällen  rein  ausgesprochen  wird, 
also  jaur  =  hsr   nicht  iüQy    lärme  =»  lärm,   nicht   lam.     Auch 


1)  Unsere  Eonsonantentafel  weicht  insofern  von  der  Rambeau'schen 
ab,  als  wir  entsprechend  dem  obigen  zaerst  die  stimmlosen  und  dann 
die  stimmhaften  Laute  geben.  Da  jedoch  die  Übungen  in  verschiedener 
Reihenfolge  stattfinden,  ist  diese  Abweichung  im  Grunde  genommen 
von  untergeordneter  Bedeutung. 


J.  Raniheau,  Die  Phonetik  im  franz.  u.  engl,  Kiassenunterricht.     115 

darauf  ist  noch  hinzu  weisen,  dass  das  deutsche  Latlgesetz:  ^Im 
Auslaut  wird  jeder  stimmhafte  Konsonant  stimmlos^  fürs  Fran- 
zösische, ebenso  wie  fürs  Englische  keine  Gültigkeit  hat,  dass 
da  vielmehr  der  volle  stimmhafte  Laut  auch  im  Auslaut  erhalten 
bleiben  muss,  z.  B.  rohe  =  rbh. 

Bezüglich  der  Auffassung  des  französischen  n  sowie  auch 
des  Neutralvokals  o  sind  die  interessanten,  lehrreichen  Aufschlüsse 
zu  vergleichen,  welche  P.  Passy  in  einem  Aufsätze  „JSTurze 
Darstellung  des  französischen  Lautsystems^  (Phonetische  8tudien  I, 
1—3)  gibt. 

Weiterhin  bespricht  Rambeau  die  Halbvokale  wnd  die  Diph- 
thonge. Was  die  Bezeichnung  des  ^'-Lautes  in  bien  etc.  anlangt,  so 
bin  ich  mit  Rambeau  der  Ansicht,  dass  es  für  unsere  deutschen 
Schüler  entschieden  besser  ist,  das  i  beizubehalten,  da  das 
Zeichen  j  leicht,  zumal  im  Auslaut  Veranlassung  zur  konsonan- 
tischen Aussprache  des  stimmlosen  palatalen  Reibelautes  Anlass 
gibt.  Durch  die  enge  Verbindung  zwischen  i  und  dem  folgenden 
Vokal  gelangt  der  Schüler  von  selbst  zur  richtigen  Aussprache 
der  betreffenden  Lautverbindung.  Würde  aber  doch  das  Zeichen  j 
nach  stimmhaften  Lauten  verwandt,  so  müsste  nach  stimmlosen 
Lauten  ein  anderes  Zeichen  zur  Bezeichnung  der  Stimmlosigkeit 
des  j  eintreten.  Für  eine  Schullauttafel  empfiehlt  es  sich  jedoch, 
die  Anzahl  der  Lautzeichen  möglichst  zu  beschränken,  so  dass 
es  auch  deshalb  schon  ratsam  ist,  von  den  zwei  neuen  Zeichen 
Abstand  zu  nehmen.  Aus  dem  gleichen  Ghmde  könnte  nlan 
ebenso  das  von  Rambeau  angegebene  w  =^  u  in  roi,  y  ^=  U  in 
lui  entbehren,  und  sich  mit  dem  ähnlichen  Hinweis  wie  oben  be- 
gnügen, dass  durch  die  enge  Verbindung  von  u  und  ii  mit 
folgendem  Vokal  jene  Laute  den  Lautwert  von  Reibelauten  an- 
nehmen. Zum  Unterschied  von  den  vollen  Lautwerten  der  Vokale 
^,  Uy  ü  könnten  ja  auch  diese  Übergangslaute  das  Zeichen  der  Kürze 
erhalten,  also  bien  =  6ie,  loin  =  lue;  lui  =  lÜL  Jedenfalls  ist 
ebenso  hier  schon  aus  praktischen  Gründen  eine  Vereinfachung 
geboten.  Weitden  aber  bestimmte  konsonantische  Zeichen  ange- 
wandt, so  müssten  wie  vorhin  nach  stimmlosen  Lauten  wieder 
andere  Zeichen  eintreten.  Was  die  von  Rambeau  benützten 
Merkwörter  betrifft,  so  habe  ich  mich  damit  begnügt,  zur  Unter- 
stützung der  Einübung  der  stimmhaften  und  stimmlosen  Lautpaare 
Wörter  zusammenzustellen,  die  sich  nur  durch  den  Anlaut  unter- 
scheiden.    Rambeau  gibt  dafür  die  folgenden  Wörter: 

bain  pain  vin  faim 

dd  ihi  zUe  sei 

Jean        champ 

goUH  coup. 

8» 


116  Referate  und  Rezensionen.    M.  Walter, 

Späterhin  beim  Gebrauch  von  Lautschrift  und  l>ei  der  somit 
länger  fortgesetzten  rein  lautlichen  Schulung  habe  ich  auch  die 
Einübung  durch  Merkwörter  für  nicht  mehr  erforderlich  gefunden. 
Will  man  aber  doch  Merkwörter  verwerten,  so  verspreche  ich 
mir  eine  grössere  Wirkung  davon,  wenn  sie  der  Lehrer  nicht 
von  Anfang  an  lernen,  sondern  sie  aus  dem  den  Schülern  schon 
vertraut  gewordenen  Sprech-  und  Lesestoff  gewinnen  und  als 
Belegstellen  für  die  Einzellaute  zusammenstellen  lässt.  Da  sie 
so  bekanntem  Zusammenhange  entnommen  werden,  sind  es  dann 
nicht  bloss  leere  Wörter  für  den  Schüler,  sondern  mit  der  im 
Satzgefüge  eingeprägten  Aussprache  des  Einzelwortes  tritt  dem 
Schüler  stets  der  Zusammenhang  entgegen,  in  dein  er  das  Wort 
kennen  gelernt  hat. 

Zur  elementaren  Besprechung  der  französischen  Lauttafeln 
verwendet  Rambeau  zwei  bis  drei  höchstens  vier  Stunden.  Weitere 
Übungen  und  Belehrungen  schliessen  sich  bei  der  Einübung  der 
Texte  an. 

„Alles,  was  in  lautlicher  Hinsicht  zu  lernen  ist,  wird  nur 
in  der  Klasse  gelernt.^ 

„Nichts  ist  wirklicher  Lernstoff,  als  die  wenigen  Merk- 
wörter, die  sich  die  Schüler  in  einem  besonderen  Heft  für  häus- 
liche Wiederholungen  aufzuschreiben  haben.  ^. 

Über  die  weitere  Behandlung  der  Phonetik  und  Benutzung 
der  Lauttafeln  verweist  Rambeau  auf  seinen  Aufsatz  über  Das 
erste  Lesestück  und  Überleitung  von  der  Lektüre  zur  Grammatik 
im  französischen  AnfangsunterricM,  (Frick  &  Richter,  Lekrproben 
und  Lehrgänge^  Halle,  Heft  IX,  S.  93  ff.) 

Das  Ohorsprechen,  welches  Rambeau  als  ein  gutes  Mittel, 
die  Aussprache  zu  befestigen  und  den  Tonfall  der  fremden 
Sprache  zu  erlernen  empfiehlt,  kann  nicht  genug  in  Anwendung 
gebracht  werden,  zumal  bei  grossen  Klassen,  wo  jeder  Schüler 
nur  selten  an  die  Reihe  kommen  kann. 

„Nach  den  ersten  grundlegenden  Stunden  des  Anfangsunter- 
richts —  sagt  Rambeau  — ,  in  dem  die  Lauttafeln  ihre  hauptsächliche 
Verwendung  finden,  werden  diese  von  mir  systematisch  nur  noch 
selten,  je  nach  Bedürfnis,  benutzt.  Fernerhin  haben  die  phonetisch 
schwächer  beanlagten  und  schwerfälligeren  Schüler  bei  Beginn 
jeder  Stunde  vorzutreten  und  zuerst  der  Reihe  nach  alle  vier 
Tabellen  auf  den  zwei  Karten,  später  nur  noch  eine  mit  ihren 
Lauten  und  Merkwörtem  abzulesen.  Die  übrigen  müssen  die 
Fehler,  die  etwa  noch  vorkommen,  verbessern."  Nach  den  Ferien 
lässt  Rambeau  jedesmal  eine  gründliche  systematische  Wieder- 
holung aller  Lauttabellen  vornehmen  und  während  des  Lesens 
französischer  Texte  verwendet  er  die  Tafeln  als  Mittel  zur  Ver- 


J.  Rambeau,  Die  Phonetik  im  franz.  u.  engl.  Klassenunterrieht.     117 

besseruDg  d6r  Aussprache,  indem  er  für  die  falsch  gesprochenen 
Laute  diese  und  die  richtigen  an  den  betreffenden  Stellen  der 
Tafeln  zeigen  lässt. 

Rambeau  verwertet  die  Tafeln  tnii  grossem  Nutzen  bis  in 
die  obersten  Klassen,  welche  hierbei  noch  weitere  Einblicke  in 
die  praktische  Phonetik  erhalten.  ,,Das  richtige  Mass  dieser 
Belehrungen  muss  jeder  Lehrer  selbst  durch  eigene  Erfahrung 
erproben  und  zu  finden  verstehen.  Keinem  kann  es  erlassen 
bleiben,  sich  in  der  Lautphysiologie  auf  dem  Laufenden  zu  er- 
halten, da  diese  Wissenschaft  dem  praktischen  Sprachunterricht 
in  der  Schule  mehr  unmittelbaren  und  direkt  fühlbaren  Nutzen, 
als  irgend  eine  andere  Hilfswissenschaft  gewährt.^  Als  besonders 
geeignet  für  die  Zwecke  des  Unterrichts  empfiehlt  er  das  Studium 
der  betreffenden  Werke  von  Victor,  Passy  und  Beyer,  die 
jedem  Lehrer  des  Französischen  unentbehrlich  seien.  An  die 
Besprechung  der  französischen  schliesst  sich  in  ähnlicher  Weise 
die  der  englischen  Lauttafeln. 

Die  hohe  Bedeutung  der  Lauttafeln  für  den  Unterricht 
veranlasst  mich  nun  noch  einige  Bemerkungen  und  Ergänzungen 
zu  liefern,  wie  sie  sich  aus  meinem  Unterricht  ergeben.  Es 
kommt  mir  hierbei  zugleich  darauf  an,  den  Übergang  vom  Ge- 
brauch der  Lauttafeln  zur  Lautschrift  zu  erklären. 

Nach  der  Ausspracheübung  jedes  Einzellautes  zeigt  der 
Lehrer  das  Lautzeichen  an  der  Lauttafel.  Dadurch  lernt  der 
Schüler  mit  dem  Laute  das  entsprechende  Zeichen  verbinden 
und  erinnert  sich  dann  infolge  der  vielfachen  Wiederholung  dieser 
Verbindung  von  Laut  und  Zeichen  zu  gleicher  Zeit  an  die  vom 
deutschen  Laut  abweichende  Lautbildung.  Nachdem  der  Lehrer 
bei  der  Aussprache  des  Einzellautes  wiederholt  die  betreffenden 
Lautzeichen '  angegeben  hat,  haben  die  Schüler  die  Lautzeichen 
für  die  vom  Lehrer  oder  ihren  Mitschülern  vorgesprochenen 
Laute  an  der  Tafel  zu  zeigen.  Hiermit  weisen  sie  nach,  dass 
sie  die  gehörten  Laute  richtig  auffassen  und  sie  mit  den  ent- 
sprechenden Zeichen  verbinden. 

Wie  nun  der  Schüler  mit  dem  Laut  das  betreffende  Zeichen 
verbinden  lernt,  so  muss  er  andererseits  aus  den  Lautzeichen 
die  betreffenden  Laute  erschliessen  können.  Zu  diesem  Zwecke 
zeigen  Lehrer  oder  Schüler  die  einzelnen  Zeichen,  während  die 
Klasse  im  Chor  und  einzeln  die  Laute  dafür  angibt. 

Diese  Lautübungen  lassen  sich  nun  in  der  vielseitigsten 
Weise  anstellen.  Da  dem  Schüler  in  der  fremden  Sprache  viele 
ihm  bisher  ungewohnte  Lautverbindungen  entgegentreten,  so 
kommt  es  darauf  an,  dass  der  Schüler  schnell  von  einem  Laute 
zum  andern  in  beliebiger  Reihenfolge  übergehen  lernt,  ohne  dass 


118  R&fer4iie  und  Eezensionen.    M,  Walier, 

die  Genauigkeit  tmd  Schärfe  der  Lautbildung  der  Einzellaute 
dabei  irgendwie  Einbusse  erleidet.  Daher  lässt  der  Lehrer  nach 
der  geordneten  Einübung  der  Laute  diese  in  möglichster  Ab- 
wechslung hintereinander  aussprechen.  Der  Lehrer  zeigt  daher 
die  verschiedensten  Lautzeichen  an  den  Lauttafeln,  und  die 
Schüler  geben  die  Lautwerte  dafür  an. 

Jeden  lautlichen  Fehler,  der  sich  bei  dem  so  vorteilhaften 
gleiehmässigen  Ohorsprechen  leicht  feststellen  lässt,  haben  die 
Schüler  selbst  zu  melden.  Der  Fehler  wird  dann  von  den 
Schülern,  die  ihn  machten,  verbessert  unter  Angabe  der  Quelle 
desselben  und  unter  Bezeichnung  der  etwa  verwechselten  Laute 
an  der  Tafel.  Hierdurch  gelangen  die  Schüler  zur  Erkenntnis 
der  Fehler,  die  sie  allmählich  zu  deren  Beseitigung  führt.  So 
lassen  sich  die  Übungen  an  der  Lauttafel  recht  anregend  ge- 
stalten, ohne  den  Schüler  zu  ermüden.  Derjenige,  welcher  den 
Versuch  mit  Lantt^eln  macht,  wird  sich  bald  hiervon  über- 
zeugen, welches  Interesse  die  Schüler  an  den  vielfach  ab- 
wechselnden Übungen  nehmen,  deren  Nützlichkeit  deutlich  zu 
Tage  tritt 

Mit  den  Lauttafeln  ist  der  Übergang  zum  rein  lautlichen 
Verfahren  ohne  weiteres  gegeben. 

Nachdem  ich  im  englischen  Anfangsunterricht  gute  Er- 
fahrungen mit  dem  Gebrauch  der  Lautschrift  gemacht  hatte,  habe 
ich  sie  nun  auch  im  Französischen  erprobt  und  dabei  gefunden, 
dass  ihr  Gebrauch  die  Aneignung  einer  guten  Aussprache,  zumal 
in  grossen  Elafisen,  weficntlich  fördert,  und  ohne  den  Schüler 
zu  belasten,  die  anstrengende  Arbeit  des  Lehrers  erheblich  er- 
leichtert. 

Der  Übergang  zum  Gebrauch  der  Lautschrift  gestaltet  sich 
dann  folgendermassen:  Nach  zwei  bis  dreistündiger  Übung  im 
Hören  und  Nachahmen  der  Laute  und  der  im  obigen  Sinne  ge- 
schilderten vielseiägen  Benützung  der  Lauttafeln  geht  der  Lehrer 
sofort  zu  einem  kleinen  Gedicht  über,  dessen  Erlernung  dem 
Schüler  durch  Reim  und  Rhythmus  wefientiieh  erleichtert  wird. 
Jede  vorgesprochene  und  von  den  Schülern  nachgeübte  Lautgruppe 
wird  in  ihre  Worte  und  diese  wieder  in  ihre  Einzellaute  zerlegt. 
So  hat  der  Schüler  in  dem  kl/einen  Gedicht  aus  Kühn's  Lesebuch 
No.  16  Bonjoury  Lundd^  zunächst  bonjour  zu  lautieren,  also  das 
Wort  zu  zerlegen  in  die  Laute  b  d  &  u  r,  die  ein  anderer  Schüler 
an  der  Lauttafel  zeigt,  femer  Lundi  in  l  ö  d  i  u.  s.  w.  Diese 
von  einzelnen  Schülern  an  der  Tafel  gezeigten  Laute  werden 
dann  von  der  Klasse  unter  genauer  Beachtung  des  jedem  Einzel- 
laute zukommenden  Lautwertes  ausgesprochen  und  zum  Schluss 
j«des  Wortes  und  jeder  Laut^uppe  wird  das  Gaaze  wiedieiholt. 


A.  RambeoH,  JHe  Phonetik  im  frünz.  u.  engl.  Kiassenunterrichi,     119 

Die  Übersiebt  ttber  die  eioBelnen  beattgliehen  Laoie  iH4rd 
nun  dadurch  gewonnen,  dass  der  Lehrer  die  genannten  von  den 
Schülern  bezeichneten  Laute  an  der  Wandtafel  ^u  Wosten  zu- 
sammenstellt, also  oben:  hHur  ISdi.  Auf  diese  Weise  gewinnt 
der  Schüler  einen  festen  Einblick  in  die  Laute  der  fremden 
Sprache  und  zugleich  eine  Stütze  für  das  Festhalten  der  in  der 
EJasse  geübten  Laute. 

Wird  er  nun  in  der  ersten  Zeit  der  Erlernung  nur  nüt  den 
Lauten  der  Sprache  und  deren  entsprechendem  Lautbilde  ver- 
traut gemacht,  so  ist  hierin  eine  grössere  Sicherheit  für  eine 
gute  Aneignung  des  lautlichen  Teils  der  fremden  Sprache  ge- 
gisben,  als  wenn  ihm  nach  der  lautlichen  Übung  sofort  das  seu 
Verwechselungen  Anlass  bietende  orthographi«ohe  Bild  entgegen- 
tritt. Erst  wenn  an  einer  Anzahl  von  Lauttexten  (besonders  Ge- 
dichten) die  fremden  Laute  jedem  Schüler  fest  vertraut  geworden 
sind,  sollte  der  Übergang  zur  Orthographie  edrfolgen,  wodurch 
dann  der  Schüler  die  lautlich  fest  verarbeiteten  Stücke  in  der 
gewöhnlichen  Orthographie  kennen  lernt.  Aus  den  von  ver- 
schiedenen Selten  gemachten  Erfat^rungen  ergibt  sich,  dass  der 
80  sehr  gefUrchtete  Übergang  ohne  Schwierigkeiten  vor  sich  g^t. 
Bei  der  Übereinstimmung  zwischen  Laut  und  Schrift  kommt  dem 
Schüler  die  lautliche  Schulung  zu  gute,  indem  er  sich  die  be- 
treffenden Zeichen  nicht  gedächtnisinässig  einzuprägen^  sondern 
nur  die  fest  mit  dem  Gehör  aufgenommenen  Laute  durch  die 
entsprechenden  Zeichen  wiederzugeben  braucht.  Alles  andere 
erlernt  er  zunächst  durch  vielfache  Anschauung  ]and  Schreib- 
übungen. Die  weiteren  Beziehungen  zwischen  Laut  und  Scl^rift 
gewinnt  er  dann  allmählich  durch  die  Erfahrung,  indem  er  an- 
geleitet wird  aus  einer  grossen  Zahl  von  Eiinzelftlllen  das  Gemein- 
same herauszufinden. 

Bambeau  selbst  steht  dem  Gebrauch  der  Lautschrift  wohl- 
wollend gegenüber  und  empfiehlt  die  Benutzung  von  P.  Passy: 
Le  fran^ais  parUy  F.  Franke:  Fhrases  de  tatis  les  jcurs  und 
die  von  P.  Passy  herausgegebene  Zeitschrift:  Le  Maitre  foniUque, 
Für  das  Englische  empfiehlt  er  Sweet's  ElemerUarbuc^  des  ge- 
sprochenen Englisch,  sowie  eine  im  Druck  befindliche  Gedicht- 
sammlung von  Dr.  Fick  in  Hamburg. 

Nach  dem  Vorhergehenden  kann  ich  zum  Schluss  meiner 
Besprechung  allen  Fachgenossen  die  Benutzung  der  tRainbeau*schen 
Lauttafeln  für  den  Unterricht,  sowie  das  Studium  der  kleinen, 
aber  inhaltsreichen  und  belehrenden  Begleitschrift,  von  der  ich 
hier  nur  den  französischen  Teil  behandelt  habe,  aufs  dringendste 
und  wärmste  empfehlen.  M.  WAXTrEft, 


120  Referate  und  Rezensionen.    M.   Walter, 

Badke«   Die  Anfangsgründe  im  Französischen  auf  phonetischer  Grund- 
lage, Programm  des  Realgymnasiums  zu  Stralsund  Ostern  1888. 

Badke  weist  auf  die  Bedeutung  und  die  Notwendigkeit  einer 
lautgetreuen  Aussprache  der  lebenden  Sprachen  hin  und  setzt  aus- 
einander, wie  die  Wissenschaft  der  Phonetik  jedem  Lehrer  die  Mittel 
an  die  Hand  gibt,  sich  auch  ohne  jahrelangen  Aufenthalt  im  Ausland 
eine  genaue  und  gute  Aussprache  anzueignen.  Nachdem  Badke  als 
Musterbücher  für  das  Studium  englischer  und  französischer  Aussprache 
S  w  e  e  t '  s  Elementarbuch  des  gesprochenen  Englisch,  P  a  s  s  y '  s  Le  fran^ais 
parle  und  Frankens  Phrases  de  tous  les  jours  empfohlen  hat,  sucht  er 
die  Frage  zu  beantworten,  inwieweit  sich  auch  die  Schule  die  Ergebnisse 
der  Phonetik  aneignen  soll. 

„Vor  allen  Dingen,  sagt  er,  scheint  mir  die  Kluft,  die  zwischen 
dem  phonetischen  Anfangsunterricht  und  der  eigentlichen  Beschäftigung 
mit  dem  Französischen  liegt,  noch  nicht  überbrückt  zu  sein.  Soll  die 
Phonetik  einmal  Grundlage  des  fremdsprachlichen  Unterrichts  sein, 
so  muss  man  auch  auf  dieser  Grundlage  konsequent  den  ganzen  Unter- 
richt aufbauen." 

Badke  bespricht  alsdann  die  Hindemisse,  welche  im  Deutschen  der 
Feststellung  eines  „Standard" -Deutsch  entgegentreten  und  fährt  dann 
so  fort:  ^So  viel  aber  steht  fest,  dass,  so  lange  wir  nicht  imstande 
sind,  als  gebildete  Deutsche  in  der  Öffentlichkeit  unsere  dialektischen 
Spracheigentümlichkeiten  aus  unserer,  alle  Stämme  verbindenden,  ge- 
sprochenen Schriftsprache  streng  zu  verbannen,  gar  iseine  Rede  davon 
sein  kann,  dass  wir  eine  fremde  Sprache  auf  Grund  einer  Laut- 
beschreibung, die  sich  auf  unser  jetzt  gesprochenes  Hochdeutsch  stützt, 
und  von  ihm  ausgeht,  richtig  erfassen,  lehren  oder  lernen  können. 
Eine  Sprache,  in  der  viele  Buchstaben  in  verschiedenen  Landschaften 
ihres  Gesamtgebiets  verschiedene  Laute  bezeichnen,  kann  nicht  als 
Grundlage  für  die  Bezeichnung  fremder  Laute  benutzt  werden.  Wenn 
wir  so  weiter  verfahren,  so  wird  es  bei  uns  stets  ein  mecklenburgisches, 
sächsisches,  baierisches,  schwäbisches,  westfälisches  u.  s.  w.  Französisch 
geben. 

Wir  müssen  uns  also  eine  einheitliche  Basis  für  den  Unterricht 
schaffen,  und  diese  kann  uns  einzig  und  allein  die  Phonetik  geben. 
Ohne  diese  Wissenschaft  ist  auf  diesem  Gebiet  ein  blindes  &runi- 
tappen,  ein  planloses  Experimentieren." 

Badke  beklagt  es,  dass  auf  dem  Gebiet  des  Unterrichts  in  der 
Muttersprache  gerade  dem  gut  gesprochenen  Worte,  —  in  dem  ein  so 
mächtiger  Zauber  liegt,  den  wir  als  mitwirkenden  Paktor  bei  der  Er- 
ziehung der  Jugend  nicht  entbehren  möchten,  —  noch  nicht  genügend 
Wert  beigelegt  werde.  Für  diese  Vernachlässigung  macht  er  vor  allem 
den  Elementarunterricht  verantwortlich,  wo  sich  der  Schüler  die  Grund- 
bedingungen alles  guten  Sprechens  und  eines  gediegenen  Vortrags, 
die  klare,  saubere  Aussprache  der  Einzellaute  anzueignen  habe. 

Badke  wendet  nun  die  Phonetik  nicht  unmittelbar  aufs  Fran- 
zösische an,  sondern  gibt  sie  entsprechend  dem  vorher  Bemerkten  in 
allgemeinerer  Form. 

„Die  Laute  sollen  dem  Quintaner  so  im  Zusammenhang  vorge- 
führt werden,  dass  der  Lehrer  des  Englischen  in  Unter- Tertia  das 
Gebäude  nicht  neu  aufzuführen,  sondern  nur  auszubauen  braucht. 
Auch  sehe  ich  die  Phonetik  nicht  als  eine  Wissenschaft  an,  die  nur 
gewisse  Laute  der  fremden  Sprache  erklären  helfen,  sondern  als  eine 
solche,    die  den  Schüler   überhaupt   zu   einem  tieferen,   gründlicheren 


Die  Anfangsgründe  im  Französischen  auf  phonetischer  Grundlage,    121 

Verstäiidnis  des  Sprechens  und  der  Sprache  (auch  seiner  Muttersprache) 
befähigen  soll.'' 

Aus  dieser  Auffassung  der  Verwertung  der  Phonetik  in  der 
Schule  ergibt  sich  schon,  dass  Badke  aufs  eingehendste  die  Sprach- 
laute und  deren  Bildung  erörtert.  Er  bespricht  die  Laute  in  folgender 
Reihenfolge:  I.  Verschlusslaute  (stimmlos).  II.  Reibelaute  (stimmlos). 
III.  Vokale  (Töne).  IV.  Stimmhafte  Konsonanten.  V.  Zitterlaute. 
VI.  Nasenlaute:  a)  Nasal konsonanten;  b)  Nasalvokale.  Hierauf  folgt 
die  Zusammenstellung  der  Laute  des  Französischen  und  die  Übersicht 
des  französischen  Lautsystenis  (im  Anschluss  an  Bell-Sweet). 

Badke  sucht  die  Schüler  anzuleiten,  die  Eigentümlichkeiten  der 
vorgesprochenen  Laute,  die  Entstehung,  Bildung  und  Benennung  der- 
selben selbst  herauszufinden.  Zu  diesem  Zwecke  stellt  er  meist  Fragen, 
deren  Beantwortung  er  den  Schülern  in  den  Mund  legt.  Die  in  ge- 
ordnetem Zusammenhange  gewonnenen  Laute  lässt  er  am  Schluss  jeder 
Lautgattung  zusammenstellen  und  später  mit  den  anderen  Lauten  ver- 
gleichen. Es  würde  zu  weit  führen,  näher  hierauf  eingehen  zu  wollen; 
nur  einzelnes  sei  daraus  erwähnt:  Bei  der  Besprechung  der  Vokale 
untersucht  Badke  jeden  Laut  bezüglich  der  Zungenstellung,  Lippen- 
stellung und  Kiefernweite.  Ferner  hat  der  Schüler  das  Wesen  der 
engen  oder  geschlossenen  und  der  weiten  oder  offenen  Vokale  an 
folgenden  Beispielen  festzustellen:  Hiebe  —  Eirie;  Heda  —  ^n; 
H(ü>e  —  (frz.  femme);  hoch  —  korb;  Hugo  —  kurz;  Höhle  —  Hölle; 
Hüte  —  Hütte. 

Zur  Bildung  der  stimmhaften  Konsonanten  spricht  Badke  in 
singendem  Tone  lang  angehaltenes  a  vor,  indem  er  hierauf  den  Ver- 
schluss der  entsprechenden  stimmlosen  Laute  pik  eintreten  lässt. 

Der  Verschluss  wird  so  lange  angehalten,  bis  der  Mund  bis  zur 
betreffenden  Ansatzstelle  mit  Luft  gefüllt  ist,  dann  öffnet  sich  der 
Verschluss  und  a  ertönt  wieder,  und  so  fort.  Wird  dann  a  fortge- 
lassen, so  entstehen  die  stimmhaften  Laute  b  d  g,  und  so  entsprechend 
auch  die  Reibelaute. 

Um  die  Schüler  das  Schwingen  der  Stimmbänder  fühlen  zu  lassen, 
weist  Badke  auf  die  bekannten  Hilfsmittel  hin:  Auflegen  der  Finger 
auf  den  Keilkopf,  Verschliessen  der  Ohren  mit  den  flachen  Händen, 
Auflegen  der  flachen  Hand  auf  den  Schädel. 

Die  Nasenlaute  übt  Badke  im  Anschluss  an  die  Verschlusslaute 
ein,  indem  er  die  Schüler  veranlasst,  die  im  Mund  befindliche  Luft 
nicht  wie  bei  obigen  Lauten  durch  Lösung  des  Verschlusses  aus  dem 
Munde,  sondern  unter  Beibehaltung  derselben  durch  die  Nase  entweichen 
zu  lassen.  Zum  Unterschiede  von  den  deutschen  Nasalkonsonanten 
bespricht  er  alsdann  die  Nasalvokale,  welche  den  einfachen  offenen 
Vokalen  entsprechen. 

Verweilen  wir  nun  bei  diesem  I.  Teil  der  Badke'schen  Abhand- 
lung, so  müssen  wir  anerkennen,  dass  sie  mit  grosser  Sorgfalt  und 
Genauigkeit  die  Lautbildung  und  die  Beziehung  der  einzelnen  Laute 
zu  einander  erörtert.  Seinen  Grundsatz,  „den  Schülern  eine  feste 
phonetische  Grundlage  zu  geben,  auf  die  sich  der  Lehrer  bei  Bildung 
und  Einübung  der  spezifisch  französischen  Laute  zurückbeziehen  kann", 
hat  er  genau  bis  ins  Einzelne  durchgeführt.  Jedoch  ist  meine  Ansicht, 
dass  sich  in  dem  Alter,  in  welchem  unsere  Schüler  Französisch  zu 
lernen  anfangen,  auch  eine  sichere  phonetische  Grundlage  legen  lässt, 
ohne  allzu  sehr  in  die  Einzelheiten  einzudringen.  Die  Antworten,  welche 
Badke  seinen  Schülern  in  den  Mund  legt,  scheinen  mir  auch  bisweilen 
über   das  Verständnis  eines  Durchschnitts -Quintaners   hinauszugehen. 


122  ReferaU  und  Rezension/m^    M,  Walier, 

Wir  müBsen  ferner  dajran  denken,  dass  im  jugendliehen  Alter  die 
Nachahmung  des  gesprochenen  Wortes  noch  eine  viel  grössere  Rolle 
spielt  als  im  spätiaren  Alter,  wo  diese  Fähigkeit  mehr  und  mehr 
nachlässt. 

Ich  bin  der  Ansicht,  dass  beim  A&fangsunterricht  da  die  Phonetik 
eintreten  soll,  wo  die  bloßse  Nachahmung  nicht  genügt,  und  wo  das 
wahre  Wesen  der  Laute  dem  Schüler  erst  erschlossen  werden  muss, 
damit  er  zu  einer  dauernd  richtigen  Aussprache  der  betreffenden  L^iute 
gelange. 

Dies  gilt  in  Mittel-  und  Süddeutschland  besonders  für  die  do 
wichtige  Unterscheidung  der  Konsonanten  in  stimmlose  und  stimmhafte. 

Die  Hauptsache  bei  dem  Aussprache -Unterricht  ist  aber  die, 
dass  der  Lehrer  neben  einer  genauen  Aussprache  zugleich  eine  genaue 
Kenntnis  der  Vorgänge  besitzt^  welche  beim  Sprechen  in  Betracht 
kommen  und  zur  Erzeugung  reiner  Lautbildung  führen. 

Weiss  der  Lehrer  seine  eigene  Aussprache  genau  zu  zergliedern, 
kennt  er  das  Verhältnis  der  verwandten  Laute  in  den  verschiedenen 
Sprachen  und  die  Gründe  für  die  von  einander  abweichende  Klang- 
wirkung, so  wird  er,  auch  ohne  den  Schjälern  selbst  besonders  ein- 
gehende phonetische  Kenntnisse  zu  übermitteln,  dennoch  in  der  Lage 
sein,  aufs  vorteilhafteste  gegen  di«  jaus  dem  Dialekt  der  Muttersprache 
in  die  fremde  Sprache  übergehenden  Fehler  anzukämpfen.  Der  erste 
Grundsatz  scheint  mir  hierbei  nvix  der  zu  sein,  dass  der  Lehrer  uu- 
nachsichtlich  alle  Nachlässigkeiten  der  Aussprache  zurückweisen,  alle 
Fehler  hören  und  die  Schüler  zum  H/>£en  und  Erkennen  der  Fehler 
anleiten  muss. 

Bei  der  Säuberung  der  deutschen  Aassprache  wird  es  alao  be- 
sonders auf  unaufhörliches  reines  Vorsprechen,  genaue  Artikulations- 
übung^i  und  vieles  Nachsprechen  und  Lesen  ankommen,  wobei  jeder 
Fehles*,  selbst  auf  die  Gefahr  hin,  zunächst  fortwährend  zu  unter- 
brechen, sofort  beseitigt  werden  muss.  Hierdurch  wird  auch  das  G^ör 
und  die  Aufmerksamkeit  der  Schüler  aufs  schärfste  .auf  die  Spreejh- 
und  Lesefehler  der  Klasse  gelenkt.  Bei  der  fremden  Spraöhe  tritt 
ebenfalls  die  Nachachmung  der  genau  und  rein  v$>rge&prochenen  Laute 
in  den  Vordergrand.  Sobald  aber  die  Eigenheiten  neuer  Laute  oder 
der  von  den  verwandten  deutschen  Lauten  abweichenden  fremden 
Laute  nicht  durch  die  Nachahmung  allein  erfasst  werden,  tritt  als 
Hilfe  die  Phonetik  ein,  welche  eine  dem  Verständnis  des  Schülers  an- 
gepasste  Erk^ung  über  die  Bildung  des  Lautes  bietet.  So  lernt  disr 
Schüler  diese  vom  Deutschen  abweichenden  Laute  erst  mit  Bewusst- 
sein  richtig  nachbilden,  um  sie  nach  vielfachem  Hören  und  Nachsprechen 
späterhin  auch  unbewusst  richtig  wiederzugeben.  In  den  Fällen,  wo 
der  Lehrer  zur  leichteren  Nachahmung  phonetische  Winke  gibt,  wird 
dann  bei  den  vorkommenden  Fehlern  nicht  nur  ein  einfaches  Verbessern 
eintreten  müssen,  sondern  stets  auf  den  Grund  des  Fehlers  zurückzu- 
gehen sein. 

Natürlidh  ist  es  bei  den  heutigen  Verhältnissen  noch  ein  Not- 
behelf, wenn  der  Lehrer^  welcher  Aussprache  des  Französischen  lehren 
soll,  noch  überall  gegen  die  Fehler  der  deutschen  Aussprache  zu 
kämp&n  und  das  Gehör  der  Schüler  für  Lautunterschiede  im  Deutschen 
zu  schärfen  hat.  Daher  ist  der  Wunsch,  den  Badke  ausspricht,  und 
der  in  der  letzten  Zeit  schon  vielfach  durch  Wort  und  Schrift  betont 
worden  ist,  nur  allzu  sehr  berechtigt,  dass  nämlich  der  Elementar- 
unterricht im  Deutschen  mehr  dahin  streben  mög«,  den  Schülern  eine 
guie  Aussprache  der  Muttersprache  in  Fleisch  und  Blut  übergehen  zu 


Die  Anfangsgründe  im  Französischen  auf  phonetischer  Grundlage.    103 

lassen.  Hier  wird  es  bei  den  verschiedenen  dialeküscben  Eigenheiten, 
die  uns  von  Natur  aus  mehr  oder  weniger  anhaften,  Aufgabe  des 
YolksschuUehrer-Seminars  sein  müssen,  die  Phonetik  als  einen  wesent- 
lichen Zweig  des  Unterrichts  in  den  Lehrplan  aufzunehmen.  Werden 
die  jungen  Seminaristen  streng  lautlich  geschult  und  mit  den  wichtig- 
sten Kenntnissen  der  Phonetik  vertraut  gemacht,  so  wird  eine  günstige 
Einwirkung  auf  die  Aussprache  ihrer  Schüler  nicht  ausbleiben.  Ver- 
gegenwärtigen wir  uns  dann,  dass  die  im  sechsten  Jahre  in  die  Elementar- 
schule eintretenden  Schüler  von  Lehrern  unterrichtet  werden,  die  alle  im 
Dialekt  der  betreffenden  Gegend  begründeten,  sowie  alle  individuellen 
Fehler  genau  erkennen  und  sich  stets  vor  ihren  Schülern  der  reinsten 
Aussprache  bedienen,  so  wird  der  Schüler  zu  einer  festen  Gewöhnung 
an  eine  gute  Aussprache  des  Deutschen  gelangen,  auch  wenn  er  in 
der  Familie  den  Dialekt  immer  weiter  hört  und  spricht.  Die  durch 
Lautier-,  Sprech-  und  Leseübungen  geförderte  und  in  allen  anderen 
Schulstunden  gepflegte  gute  Aussprache  des  Deutschen  wird  dann  auch 
der  Orthographie  zu  gute  kommen.  Denn  überall  wo  Laut  und  Schrift 
übereinstimmen,  muss  der  Schüler  ohne  sich  die  Schriffczeichen  ge- 
dächtnismässig  durch  Anschauung  angeeignet  zu  haben,  durch  die 
scharfe  Schulung  des  Gehörs  beföhigt  sein,  aus  dem  sicher  erkannten 
Laute  auf  den  Buchstaben  zu  schliessen.  Damit  wird  zugleich  das  Ge- 
dächtnis wesentlich  entlastet. 

Haben  so  unsere  Schüler  eine  mehrjährige  gründiliche  lautliche 
Schulung  im  Deutschen  durchgemacht,  ehe  sie  zur  Erlernung  der 
fremden  Sprachen  übergehen,  so  wird  sich  hierauf  der  Unterricht  in 
der  Aussprache  der  fremden  Sprachen  viel  leichter  und  sicherer  auf- 
bauen lassen. 

Im  IL  Abschnitt  geht  Badke  zu  den  französischen  Lauten  im 
Worte  und  Satze  über.  Nachdem  der  Sdiüler  durch  die  im  1.  Ab- 
schnitt bezeichneten  Übungen  eine  feste  phonetische  Grundlage  ge- 
wonnen hat,  ist  es  nunmehr  die  Aufgabe  des  Lehrers,  dem  Schüler  die 
besonderen  Lautföxbungen  der  französischen  Laute  in  ihrer  Abweichung 
von  den  „Grundlauten"  zu  lehren. 

Erst  lässt  Badke  die  Einzellaute  üben  und  sie  dann  zu  Wörtern 
zusammenstellen.  Wenn  Badke  sagt,  dass  bei  diesen  Übungen  die 
Bedeutung  der  Worte  noch  ganz  übergangen  werden  kann,  so  möchte 
ich  dagegen  erwidern,  dass  es  mir  pädagogisch  richtiger  erscheint, 
wenn  der  Schüler  erst  die  Bedeutung  dessen,  was  er  nachsprechen 
soll,  erfährt  und  so  einen  bestimmten  Sinn  damit  verbindet.  Dies 
geschieht  eben  dadurch,  dass  er  im  Anfang  eine  genaue  Übersetzung 
des  Textes  erhält,  der  zur  lautlichen  Einübung  ausgewählt  wird.  Mit 
Kecht  weist  Badke  darauf  hin,  dass  der  Lehrer  besondere  Aufmerksam- 
keit der  Unterscheidung  der  stimmlosen  und  stimm hafben  Konsonanten, 
namentlich  im  Auslaute  und  zwischen  Vokalen  zuwenden  müsse. 

Ebenso  verweist  er  auf  die  Bedeutimg  der  Länge  oder  Kürze 
der  Silben  und  Vokale»  und  auf  die  Natur  des  Vokals  (ob  geschlossen 
oder  offen)  die  oft  noch  im  Unterricht  vernachlässigt  werde. 

„Kein  langer  oder  geschlossener  Vokal  darf  durchgehen,  wo  ein 
kurzer  oder  offener  stehen  sollte,  dean  das  Übel  ist  unausrottbar,  wenn 
es  sich  erst  eingenistet  hat."  Nach  der  Übung  der  Laute  und  einzelner 
dem  ersten  Lesestück  entnommenen  Wörter  geht  Badke  zum  Lesesttick 
über,  „bei  dessen  Einübung  besonders  4ie  Gleitlaute  und  der  gehauchte 
französische  Stimmansatz  neben  der  eigentümlichen  Betonung  der 
Satztakte  zu  beachten  ist."  Als  erstes  Leseetück  hat  der  Verfasser 
einen   Abschnitt   nach   Jost   und   Humbert's  Lectures  praUfues  zu- 


124  Referate  und  Rezensionen.    M.   Walter , 

sammengestellt:  Le  corps  humain.  In  dem  von  Badke  wiedergegebenen 
Abschnitte  befindet  sich  die  Beschreibung  des  Kopfes.  Badke  schreibt 
die  einzelnen  Sätze  in  Lautschrift  nieder,  deren  Zeichen  der  Schüler 
auf  den  Lauttafeln  kennen  gelernt  hat.  Durch  senkrechte  Striche  be- 
zeichnet er  die  Sprachtakte.  Die  einzelnen  Wörter  der  Sprachtakte 
werden  durch  Bindestriche  mit  einander  verbanden. 

„Der  Satz  wird  nach  den  bezeichneten  Sprachtakten  einzeln  und 
dann  im  Chor  bis  zu  vollendeter  Sicherheit  eingeübt.  Erst  dann 
werden  die  Takte  in  Worte  aufoelöst,  und  deren  Bedeutungen  durch- 
genommen und  durch  öfteres  Vorsprechen  und  Abfragen  sofort  ein- 
ffepräfft/  Natürlich  müssen  hierbei  die  Sprachtakte  im  Anfang  recht 
klein  oemessen  werden,  damit  sie  der  Schüler  lautlich  rein  nachzu- 
ahmen vermöge.  Sobald  auch  hier  Schwierigkeiten  vorliegen,  halte 
ich  es  für  angemessen,  auf  die  Einübung  der  Einzelwörter  und  Einzel- 
laute zurückzugehen,  die  dann  zur  zusammengehörigen  Lautgruppe 
verbunden  werden.  Eine  fortgesetzte  Übung  der  Artikulation  der 
Einzellaute  empfiehlt  sich  besonders  da,  wo  der  heimische  Dialekt  der 
Aussprache  der  fremden  Sprache  Schwierigkeiten  »bereitet.  Daher  ist 
es  auch  aus  diesem  Grunde  gut,  anfangs  jedes  Wort  in  seine  Einzel- 
laute zerlegen  und  diese  an  der  Lauttafel  angeben  zu  lassen.  Der 
Lehrer,  der  sich  der  Lautschrift  im  Unterricht  bedient,  wie  es  auch 
Badke  thut,  wird  dann  nur  vor  den  Augen  der  Schüler  die  an  der 
Lauttafel  angegebenen  Lautzeichen  zu  Worten  zusammenzustellen 
haben.  Durch  dieses  Verfahren  geht  die  Lautschrift  in  natürlicher 
Weise  aus  der  genauen  Einübung  der  Einzellaute  hervor,  und  es  bietet 
den  Vorteil,  dass  sich  der  Schüler  über  den  Wert  eines  jeden  Lautes 
völlig  klar  werden  muss.  Die  in  Badke' s  Text  enthaltene  ausführliche 
Beschreibung  des  Kopfes  bringt  zum  Teil  seltene  Wörter  und  scheint 
mir  überhaupt  als  erstes  Stück  wenig  geeignet.  Ich  ziehe  kleine  Ge- 
dichte und  Erzählungen  vor,  an  die  sich  alsdann  Beschreibungen  (bei 
uns  benutzen  wir  dazu  die  Hölzel'schen  Anschauungsbilder  der  vier 
Jahreszeiten)  anschliessen.  Jedenfalls  wäre  es  Kollegen,  die  noch  keine 
Versuche  damit  gemacht  haben,  den  Unterricht  in  den  neueren  Sprachen 
mit  einem  zusammenhängenden  Stück  zu  beginnen,  nur  zu  empfehlen, 
im  Anfang  einige  kleine  Gedichte  lernen  zu  lassen,  deren  Aneignung 
durch  Reim  und  Rhythmus  sehr  erleichtert  wird  und  dem  Schüler 
grosse  Freude  macht.  Wir  haben  in  dieser  Hinsicht  mit  den  in 
Kühnes  Französischem  Lesebuch  und  in  Dörr  und  Vietor's  Eng- 
lischem Lesebuch^)  befindlichen  kleinen  Kindergedichten  sehr  gute  Er- 
fahrungen gemacht.  Von  grossem  Werte  ist  es,  dieselben  Lautver- 
bindungen  recht  häufig  wiederholen  zu  lassen,  damit  sie  jedem  Schüler 
ganz  ge^ufig  werden.  Die  Übungen  an  den  kleinen  Gedichten  und 
Lesestücken  lassen  sich  besonders  unter  Benützung  der  Lauttafeln  so 
anregend  gestalten,  dass  der  Schüler  genug  Abwechslung  hat  und  die 
Gefahr  der  Ermattung  durch  längere  Beschäftigung  mit  demselben 
Stoff  ausgeschlossen  ist. 

Badke  gibt  nun  gleich  beim  ersten  Stück  eine  ganze  Zahl 
grammatischer  Bemerkungen.  Ich  bin  der  Ansicht,  dass  man  sich  in 
der  ersten  Zeit  nur  mit  der  rein  lautlichen  Schulung  befassen  soll,  und 
dass  der  Lehrer  erst  dann,  wenn  schon  genügend  Stoff  verarbeitet  ist, 
zur  grammatischen  Ausbeutung  desselben  übergeht.  Es  soll  dann 
aber  auch  noch  langsam  vorgegangen  und  erst  das  gewonnen  werden, 

^)  Beide  Bücher  sind  seit  Ostern  1888  an  unserem  Realgymnasium 
eingeführt. 


Die  Anfangsgründe  im  Französischen  auf  phonetischer  Grundlage,    125 

was  der  Schüler  auf  dem  Wege  der  Indaktion  unter  Anleitung  des 
Lehrers  selbst  zu  finden  und  zu  erkennen  vermag.  Ein  weiterer  Schritt 
ist  dann  der,  dass  er  die  selbst  gewonnenen  grammatischen  Kenntnisse 
auch  richtig  anzuwenden  vermag,  und  dies  geschieht  im  engsten  An- 
schluss  an  die  fremde  Sprache  selbst,  nicht  durch  übersetzen  aus  dem 
Deutschen  in  die  fremde  Sprache,  welches  aus  dem  Anfangsunterricht 
auszuschliessen  ist.^) 

Da  ich  die  Herstellung  der  fremden  Sprache  aus  dem  Deutschen 
nicht  zu  billigen  vermag,  sondern  der  Ansicht  bin,  dass  das  Deutsche 
nur  zur  Erklärung  und  zum  Verständnis  der  fremden  Sprache  herbei- 
gezogen, im  übrigen  aber  aus  dieser  allein  die  Kenntnis  derselben  ge- 
schöpft werden  soll,  so  kann  ich  mich  auch  mit  den  Fragen  nicht  ein- 
verstanden erklären,  bei  denen  Badke  der  Übersetzungsmethode  folgt, 
so  z.  B.:  n^^ie  ist  von  dem  Menschen,  von  dem  Körper,  zu  dem  Körper 
zu  übersetzen?''  Die  vorkommenden  Verbindungen  mit  Präpositionen 
werden  eben  zuerst  wörtlich,  dann  im  guten  Deutsch  gegeben,  und  so 
findet  der  Schüler  nach  einer  Anzahl  von  Fällen  selbst  heraus,  dass 
das  Französische  keine  Deklination  kennt,  sondern  zur  Kasusbezeichnung 
die  Präpositionen  de  und  ä  verwendet. 

Welche  Freude  es  den  Schülern  macht,  den  Lesestoff  auf  be- 
stimmte grammatische  Erscheinungen  hin  zu  untersuchen  und  die  Ge- 
setze unter  Leitung  des  Lehrers  selbst  zu  gewinnen,  davon  wird  sich 
jeder  überzeugen  können,  der  ohne  Vorurteil  an  eine  ehrliche  Probe 
des  induktiven  Verfahrens  herangeht. 

Diese  Freude  am  Selbstfinden  ist  ein  grosser  Sporn  für  den 
Schüler  und  erhöht  das  Interesse  ausserordentlich,  ganz  abgesehen 
davon,  dass  das  durch  eigene  Erfahrung  Gewonnene  und  der  fremden 
Sprache  Eigenartige  sich  auf  diesem  Wege  viel  fester  einprägt  als 
durch  Übersetzung  eigens  zur  Einübung  von  Regeln  berechneter  un- 
zusammenhängender Einzelsätze. 

In  den  Sprechübungen  zur  Wiederhohina,  welche  sich  an  die 
Durchnahme  des  Lesestückes  anschliessen,  stellt  Badke  Fragen  nach 
dem  Inhalt.  Die  in  der  Frage  enthaltenen  neuen  Wörter  lässt  Badke 
der  Bedeutung  nach  einüben  und  einprägen,  bevor  die  Fragen  gestellt 
werden.  Ich  kann  dies  nicht  billigen;  denn  damit  nimmt  der  Lehrer 
manches  voraus,  was  der  Schüler  beim  Hören  der  ganzen  Frage  selbst 
zu  finden  vermag.  Ausserdem  wird  die  Aneignung  neuer  Wörter  im 
Zusammenhange  mit  schon  bekannten,  wesentlich  erleichtert,  da  der 
Schüler  mit  der  gewonnenen  Vorstellung  zugleich  auch  den  neuen 
Worten  die  entsprechende  Bedeutung  beilegen  lernt.  Das  ist  ja  auch 
gerade  der  grosse  Vorteil  des  zusammenhängenden  Lesestoffes,  dass 
die  Wörter  sich  viel  schneller  und  fester  dem  Gedächtnis  einprägen, 
weil  sie  sich  an  geordnete  Vorstellungsreihen  anlehnen,  die  sich  der 
Schüler  leichter  zu  behalten  vermag,  während  z.  B.  bei  den  unza- 
sammenhängenden  Einzelsätzen  der  fortwährende  Wechsel  von  Vor- 
stellungsreihen dazu  führt,  dass  Inhalt  und  Form  gewissermassen  von 
einander  losgelöst  werden  und  der  Schüler  nur  Worte  der  einen  Sprache 

1)  Denjenigen  Kollegen  gegenüber,  welche  behaupten,  dass  eine 
grammatische  Schulung  in  der  fremden  Sprache  nur  durch  Übersetzen 
aus  dem  Deutschen  in  die  fremde  Sprache  möglich  wäre,  möchte  ich 
auf  die  in  meinem  Entwurf  eines  Lehrplans  Der  französische  Klassen- 
Unterricht  Marburg,  1888  (El wert)  für  unsere  Schule  festgesetzten 
Übungen  hinweisen,  welche  bezwecken,  die  Grammatik  der  fremden 
Sprache  aus  ihr  selbst  lernen  zu  lassen.    (S.  81 — 61.) 


126  Referate  und  Rezensionen»    M,   Walter, 

duifch  die  der  anderen  meohamsch  wiedergeben  lernt,  ohne  dass  im 
Gedächtnis  eine  enge  Verbindung  zwischen  Vorstellung  und  sprach- 
lichem Ausdruck  hergestellt  wird. 

Badke  stellt  alle  Übungen  nur  mündlich  an  und  lässt  bei  den 
ersten  Stücken  noch  gar  nichts  schreiben:  „Da?  Ohr  der  Schüler  wird 
bei  diesen  Übungen  an  die  riebtige  Aussprache  der  Laute  und  Laut- 
komplexe gewöhnt,  die  sichere  Aneignung  derselben  durch  kein  Schrift- 
bild gestört,  und  das  ist  zunächst  das  Wichtigste.''  »Auf  lautliche 
Erscheinungen  kommt  man  immer  wieder  zurück;  sie  werden  mit 
grÖBster  Gewissenhaftigkeit  eingeübt,  wiederholt  und  befestigt« 

Man  wird  auf  diese  Weise  zuerst  scheinbar  langsamer  vorwärts 
kommen,  als  z.  B.  mit  den  bei  Plötz  portionsweise  Torgeschnittenen 
Tagesrationen^  aber  die  Schüler  werden  in  anderer  Zusammenstellung 
in  kurzer  Zeit  manches  lernen,  was  ihnen,  obwohl  es  für  die  einfachste 
vernünftige  Satzbildung  sehr  wichtig  ist,  dort  lange  vorenthalten  bleibt, 
und  sie  zum  Verweilen  bei  ermüdenden,  und  den  Verstand  einschläfern- 
den Sätzen  zwingt.  Einzelne  Verbalformen,  selbst  von  sogenannten  un- 
regelmässigen Verben,  werden  als  Vokabeln  gelernt. 

Allmählich  stellt  man  dann  einzelne  Tempora  des  regelmässigen 
Verbs,  und  wo  die  unregelmässigen  mit  ihnen  übereinstimmen,  wie  z.  B. 
in  manchen  Formen  des  Präsens,  im  Imperfekt  u.  s.  w.  schematisch 
zusammen,  und  übt  sie  auch  einmal  im  Zusammenhange  durch.  Überall 
aber  hält  man  die  Schüler  dazu  an,  durch  eigenes  Nachdenken,  von 
der  Form  eines  Verbs  aus  die  des  andern  zu  finden." 

Hiermit  bin  ich  vollkommen  einverstanden,  auch  freut  es  mich, 
dass  Badke  besonders  hervorhebt,  dass  ,,die  Schüler  nach  diesem 
Verfahren  ein  viel  regeres  Interesse  am  Unterricht  bethätigen,  als 
wenn  sie  einen  bestimmten  Vokabelvorrat  zu  Hause  mechanisch  dem 
Gedächtnis  einpifägen  und  in  der  Schule  sich  an  nichtssagenden  Sätzen 
üben." 

„Die  Plötz'sche  Methode  macht  die  Arbeit  nur  dem  Lehrer  leicht, 
nicht  dem  Schüler;  interessant  aber  keinem  von  beiden." 

Beim  später  erfolgenden  Übergang  zur  gewöhnlichen  Orthographie, 
die  Badke  möglichst  hinauszuschieben  wünscht,  „damit  die  Schüler  um 
so  weniger  durch  das  Auge  irregeleitet  werden,  und  desto  sicherer  das 
Lautbild  festhalten",  sucht  Badke  auch  sogleich  die  Beziehungen 
zwischen  Laut  und  Schrift  zu  ermitteln.  Ich  bin  auch  hier  der  An- 
sicht, dass  der  Schüler  erst  durch  vielfache  Anschauung  und  Schreib- 
übungen die  Orthographie  einiger  bisher  lautlich  durchgenommener 
Stücke  erlernen  soll,  ehe  er  die  Kenntnis  des  Verhältilisses  zwischen 
Laut  und  Schrift  nach  und  nach  allmählich  aus  dem  nach  Laut  und 
Schrift  durchgearbeiteten  Sprachstoff  selbst  gewinnt. 

Dies  gilt  z.  B.  für  Regeln,  welche  Badke  gleich  am  ersten  Stück 
entwickelt,  wie:  »Vor  Lippenlauten  wird  der  Nasalvokal  immer  durch 
m  bezeichnet,  (vgl.  latein.  imbuo  statt  i»buo)  oder  in  komme  zeigt  die 
Verdoppelung  des  m  einmal  an,  dass  das  m  hier  seinen  ihm  zukommen- 
den Laut  behalten  soll)  dann  aber  auch,  dass  der  vorhergehende  Vokal 
kurz  ist.''  Diese  Beziehungen  gleich  zu  lernen,  ist  schon  deshalb  nicht 
nötig,  weil  ja  im  Anfangeunterricht,  wie  es  auch  Badke  thut,  das  Lesen 
immer  erst  folgt,  nachdem  der  Text  bei  geschlossenem  Buche  lautlich 
verarbeitet  worden  ist.  Wenn  der  Schüler  liest,  so  kennt  er  die  Laute 
schon ;  er  kann  dann  seine  Aufmerksamkeit  auf  das  neu  Hinzukommende, 
die  Orthographie,  lenken.  Dass  deren  Aneignung  hauptsächlich  auf 
mechanischem  Wege  erfolgen  müsse,  gibt  auch  Badke  zu. 

Zum  Schluss  stellt  Badke  einige  Gesichtspunkte  zusammen,  welche 


Die  Anfangsgründe  im  Französischen  auf  phonetischer  Grundlage.    127 

der  Einübung  der  Orthographie  förderlich  sein  können,  und  hebt  dann 
nochmals  die  'Vorteile  des  neuen  Unterrichtsverfahrens  dem  alten  Ver- 
fahren gegenüber  hervor.  In  den  Anmerkungen  gibt  der  Verfasser 
weitere  Ausführungen  zu  einzelnen  Punkten  seiner  Abhandlung. 

Hierin  offenbart  sich  eine  ausserordentlich  feine  Beobachtungs- 
gabe lautlicher  Erscheinungen  und  eine  gründliche  Kenntnis  des  Laut- 
bestandes und  der  Lautbildung  der  verschiedensten  Sprachen,  die  der 
Verfasser  zur  Vergleichung  und  Bölehrting  heranzieht. 

So  wird  kein  Kollege  diese  Arbeit  aus  der  Hand  legen  ohne 
vielfache  Anregung  und  Belehrung  daraus  geschöpft  zu  haben. 

M.  Walter. 


Miszelle. 

Verein  fttr  das  Studium  der  neueren  Sprachen 

in  Hambnrg-Altona. 

Der  Verein  zählte  im  Vereinsjahr  Ostern  1888  bis  Ostern  1889 
etwa  45  Mitglieder.  Der  Vorstand  bestand  aus  den  Herren:  Ober- 
lehrer Dr.  Paul  (Vorsitzender),  Günzel  (stellvertr.  Vorsitz.),  Kraft 
(Schriftführer),  Dr.  Schnell  (Bucherwart),  Dr.  Carstens  (Kassierer), 
im  Winter  Professor  Dr.  Wen  dt.  Die  Sitzungen  fanden  allwöchent- 
lich statt  und  wurden  durch  Vorträge,  Referate  und  Lektüre  ausgefallt. 

1.  Vortrige. 

Zur  Einleitung  in  die  Lektüre: 

a)  Oberlehrer  Dr.  Paul:  Der  Fokalismus  des  Dänischen. 

b)  Dr.  Nissen:  Formenlehre  des  Dänischen. 
Oberlehrer  Dr.  Fernow:  Reisebericht  über  Birmingham. 
Schulvorsteher  Krüger:    Reisebericht  über  Däfiemark^  speziell  Kopen- 
hagen. 

Professor  Dr.  We n d t :  Ein  Besuch  auf  den  normannischen  Inseln. 
Oberlehrer  Dr.  Paul:   Bolberg's  Leben  und  Werke,  zur  Einleitung  in 
die  Lektüre. 
8.  Referate. 
Dr.  Carstens:  Das  wissenschaftliche  Studium  der  netteren  Sprachen  an 

der  Universität  Cambridge  (Englische  Studien). 
Oberlehrer  Dr.  Fernow:  Shakespeare  und  Shakspere.    Zur  Genesis  der 
Shakespeare  -  Dramen.    Von  Graf  Vitzthum  von  Eckstädt.     Stutt- 
gart, 1888.    Cotta'scher  Verlag. 
In  regelmässiger  Folge  referierten  die  Herren  Prof.  Dr.  Rambeau 
über  die  Romania,  Prof.  Dr.  Wen  dt  über  die  Anglia,  Dr.  Lange  über 
die  Phonetische  Studien  und  Dr.  Carstens  über  die  Englische  Studien. 
8.  Die  Lektttre  beschäftigte  sich  mit  dem   Dänischen,    (belesen 
wurden   im    Sommer   Hostrup,    Gjenboeme,   im  Winter   Holberg,   Den 
politiske  Kandstöber  und  Ibsen,   Den  Folkefjende.    Im  Sommersemester 
1889  wird  der  Verein  Chaucer,  The  Canterbury  Tales  lesen. 

4.  LeseairkeL  Der  Verein  hält  in  seinem  Lesezirkel  die  hervor- 
ragendsten Zeitschriften  auf  dem  Gebiet  der  französischen  und  eng- 
lischen Sprache  und  Litteratur. 

Zum  dritten  allgemeinen  deutschen  Neuphilologentag  entsandte 
der  yerein  Herrn  Prof.  Dr.  Wen  dt  mit  dem  Aufkrage,  bei  allen  den 
neusprachlichen  Unterricht  betreffenden  Fragen  den  Verein  im  Sinne 
einer  besonnenen  Reform  zu  vertreten. 

Der  Vorstand  für  das  nächste  Semester  wird  bestehen  aus  den 
Herren  Dr.  Schnell  (Vorsitz,  und  Bücherwart),  Dr.  Nissen  (stellvertr. 
Vorsitz.),  Dr.  Bönsel  (Schriftführer),  Prof.  Dr.  Wen  dt  (Kassierer). 

Fe.  Kraft. 


i 


Referate  und  Rezensionen. 


Ristelhnber,   P.,   Heidelberg  et  Strasbourg,     Recherches  biogra- 
phiques  et  littiraires  sur  les  ^tudiarUs  cdsaciens  immatri- 
cules  ä  Vuniversiti  de  Heidelberg  de  1386  ä  1662.    Paris, 
1888.     Eraest  Leroux.     141  S.  gr.  8°. 

An  die  litterarischen  Festgaben,  welche  zu  der  Feier  des 
fünfhundertjährigen  Bestehens  der  Universität  Heidelberg  vor  bald 
drei  Jahren  von  nah  und  fern  dargebracht  wurden,  schliesst  sich, 
wenn  auch  nicht  genau  der  Zeit,  so  doch  der  freundlichen  Ab- 
sicht des  Verfassers  nach,  obige  Arbeit  in  willkommener  Weise  an. 

Der  in  Strassburg  geborene  und  daselbst  vielseitig  thätige 
Schriftsteller  Paul  Ristelhüber  ist  in  ihr  den  engen  Beziehungen, 
welche  sein  Heimatland,  das  Elsass,  in  einer  langen  und  wichtigen 
Periode  mit  der  nahegelegenen  und  berühmten  Universität  am 
Neckar  unterhalten  hatte,  sorgsam  nachgegangen  und  hat  ein  voll- 
ständiges Verzeichnis  der  elsässischen  Studenten  aufgestellt,  welche 
in  Heidelberg  in  den  drei  ersten  Jahrhunderten  nach  der  Gründung 
des  Studium  generale  Anregung  und  Belehrung  gesucht  haben. 

Diese  Liste  ist  unter  Zugrundelegung  der  Universitäts- 
matrikel, also  in  streng  urkundlicher  Weise,  angefertigt.  Er- 
läuternd und  ergänzend  sind  vielen  Namen  der  zahlreichen 
Besucher  genaue  biographische  und  litterarische  Nachweise  bei- 
gegeben, durch  welche  an  verschiedenen  Stellen  die  Angaben 
früherer  Forscher  berichtigt  oder  vervollständigt  werden.  Diese 
dankenswerten  Mitteilungen  beziehen  sich  übrigens  nicht  bloss 
auf  die  Studenten.  Neben  Lernenden  hatte  das  Elsass  frühe 
auch  Lehrende  nach  Heidelberg  entsandt,  und  unter  ihnen  hatten 
nicht  weniger  als  neun  das  Amt  als  Rektoren  der  Universität 
bekleidet.  Mit  ihnen  beginnt  das  Buch  und  gibt  über  sie,  be- 
sonders auch  über  die  zwei  bekanntesten,  Jakob  Wimpheling  aus 
Schlettstadt  und  Jakob  Micyllus  aus  Strassburg,  eingehende,  aus 

Zschr.  t  fn.  Spr.  n.  Litt.  X^.  9 


130  Referate  vnd  Rezensionen.     Th.  Süpfle, 

den  unmittelbarsten  Qaellen  geschöpfte,   Nachweise   in  chronolo- 
gischer Reihenfolge. 

Auf  das  Verzeichnis  der  elsässischen  Rektoren  folgt  das 
natürlich  weit  umfangreichere  der  elsässischen  Studenten,  gleich- 
falls genau  der  Zeit  nach  geordnet.  An  erster  Stelle  werden  die 
aus  Strassburg  stammenden  Studierenden  aufgeführt,  dann  die- 
jenigen aus  Unter-  und  Ober-Elsass.  Von  besonderem  Interesse 
sind  die  Mitteilungen,  welche  zu  den  Namen  derjenigen  hinzugefügt 
sind,  welche  später  durch  ihre  litterarische  Bedeutung  hervor- 
traten und  so  der  Universität  Heidelberg  ihren  Dank  auf  das 
würdigste  ausdrückten.  Wir  erwähnen  namentlich  die  Ergänzungen, 
welche  Ristelhüber  über  Grib,  Nachtgall  und  Schach  gegeben  hat. 

Unter  den  zahlreichen  jungen  Elsässern,  welche  zu  der 
Alnia  mater  am  Neckar  pilgerten,  hatten  sich  mehrere  schon  in 
den  allerfrühiesten  Zeiten  eingefunden.  Einer,  Werner  Rynow  aus 
Strassburg,  war  Sogar  gleich  im  Grtindungsjahr  gekommen. 

Wenn  wir  richtig  gezählt  haben,  so  beträgt  die  Zahl  der 
von  1386  — 1667  immatrikulierten,  aus  dem  Elsass  stammenden 
Stttdiierenden  nicht  weniger  als  neunhundert.  Im  16.  Jahrhundert, 
der  Glanzperiode  der  Universität,  war  der  Besuch  am  zahlreichsten, 
im  17.  Jahrhundert  war  er  aus  begreiflichen  Gründen  am  schwächsten. 

Als  Zugabe  hat  Ristelhüber  auch  noch  für  den  Zeitraum 
von  1705  —  1809  die  Namen  der  inskribierten  Elsässer  beigefügt. 
Diese  gehörten  nun  politisch  zu  Frabkreich,  und  so  ist  es  nicht 
zu  verwundern,  dass  ihre  Zahl  in  diesem  langen  Zeitraum  vier- 
unddreissig  nicht  überstieg. 

Auf  Grund  eigener  Forschungen  bemerken  wir,  dass  auch 
späterhin  der  elsässische  Besuch  nicht  mehr  ein  bedeutender 
wurde.  Trotz  der  neuen  Blüte,  welche  für  Heidelberg  bald  nach 
seiner  Vereinigung  mit  dem  Grossherzogtum  Baden  begann,  war 
der  Zufluss  aus  dem  Elsass  ein  sehr  schwacher.  Während  die 
grosse  Anziehungskraft  von  Männern  wie  Zachariä,  Kreuzer, 
Schlosser,  Chelius,  Vangerow  und  dem  Geschichtsforscher  Häusser 
aus  ganz  Europa  und  selbst  aus  Amerika  Zuhörer  herbeiftihrte, 
kamen  in  den  Jahren  1810 — 1847  nur  achtundzwanisig  Studenten 
ans  dem  benachbarten  Elsass.  Ähnlich  blieb  das  Verhältnis  bis 
zu  dem  Ausbruche  des  Krieges  1870 — 1871.  Als  das  Elsass  nun 
wieder  deutsch  wurde,  trat  nicht,  wie  man  an  und  für  sich  er- 
warten konnte,  ein  neues  mächtiges  Zuströmen  nach  Heidelberg 
oder  eine  andere  benachbarte  Universität  ein.  Durch  die  Gründung 
der  Landesuniversität  Strassburg  blieben  die  Elsässer  vielmehr 
von  den  Universitäten  Alt-Deutschlands  erst  recht  fern. 

Man  würde  Übrigens  sehr  irren,  wenn  man  glaubte,  dass 
von  der  Westgrenze  her  bloss    die    deutschen  Elsässer  und   die 


P.  Ristelhuher,  Heidelberg  ei  Strasbourg.    Recher ches  biogr.  etc,      131 

gleichfalls  deutschen  Lothringer  über  den  Rhein  an  die  Univer- 
sität am  Neckar  gewandert  seien.  Es  kam  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  auch  eine  beträchtliche  Zahl  Stu- 
dierender aus  dem  eigentlichen  Frankreich.  Dieser  national- 
französische Besuch,  welcher  in  seinem  Auf-  und  Absteigen  ein 
ähnliches  Verhältnis  wie  derjenige  aus  dem  Elsass  zeigt,  bildet 
einen  nicht  unwichtigen  kulturhistorischen  Berührungspunkt 
zwischen  Frankreich  und  Deutschland.  Da  er  bis  jetzt  kaum 
als  Thatsache,  noch  viel  weniger  in  seinen  einzelnen  Momenten 
beachtet  worden  ist,  wollen  wir  die  gegebene  Gelegenheit  be- 
nutzen, um  auf  Grund  der  Matrikel  und  anderer  Akten  der  hiesigen 
Universität  einige  nähere  Nachweise  hierüber  zu  geben. 

Den  ersten  Anstoss  zu  französischem  Besuche  der  Heidel- 
berger Hochschule  gab  jene  folgenreiche  religiöse  Bewegung, 
durch  welche  überhaupt  Deutschland  sich  zuerst  in  seiner  inneren 
Grösse  vor  Europa  geoffenbart  hat.  Während  vor  der  Refor- 
mation kein  einziger  Franzose  des  Studiums  halber  in  die  Musen- 
stadt am  Neckar  gezogen  war,  so  strömten  seit  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts  reformierte  Angehörige  dieses  Volkes  ungefähr 
siebzig  Jahre  lang  in  fast  immer  wachsender  Zahl  herein. 

Die  ersten  derselben  kamen  in  einer  durch  Kriegsunruhen 
und  verheerenden  Krankheiten  für  den  Besuch  Heidelbergs  un- 
günstigen Zeit,  nämlich  in  dem  Jahre  1553.  Es  waren  drei 
junge  Adelige  aus  Besan9on,  nämlich  Claude,  Guillaume  und  Jean 
de  Montefort.  In  demselben  Jahre  kam  auch  noch  ein  junger 
Burgunder,  Claudius  Bocecius,  welcher  in  Paris  artium  licentiatus 
geworden  war.  Im  Jahr  1557  kam  ein  Südfranzose,  Petrus  Jor- 
danus,  aus  Toulouse,  im  folgenden  Jahre  ein  Student  aus  Bou- 
logne,  und  —  am  6.  Juni  1558  —  die  zwei  ersten  Pariser 
Studenten,  deren  einer  von  vornehmer  Geburt  war,  nöbüis  et 
patrtctus,  wie  es  in  der  Matrikel  heisst,  nämlich  Johannes  San- 
drasius.  So  belohnte  sich  also  sofort  durch  Zuzug  aus  Frank- 
reich die  Erneuerung,  welche  der  entschiedene  Anhänger  der 
lutherischen  Lehre,  Otto  Heinrich  der  Grossmütige,  in  eben  diesem 
Jahre  der  Universität  hatte  angedeihen  lassen,  indem  er  sie  dem 
mittelalterlichen  Scholastizismus  entrückte,  um  sie  auf  die  Höhe 
der  wissenschaftlichen  und  kirchlichen  Bewegung  seiner  Zeit 
emporzuheben. 

Als  nach  seinem  Tode  mit  Friedrich  III.  ein  neues  Fürsten- 
geschlecht zur  Herrschaft  kam,  begann  für  Heidelberg  und  die 
ganze  Pfalz  eine  an  umfassender  Wichtigkeit  noch  reichere  Epoche. 
Nach  aussen  hin  trat  das  Land  nicht  bloss  in  Deutschland, 
sondern  auch  in  Europa  in  den  politischen  Vordergrund.  Im 
Innern  blühte  alles,  Wissenschaft,   Kunst,  Poesie  und  feine  Bil- 

9* 


132  Referate  und  Rezensionen,    Th.  Süpße, 

düng.  Die  Zierlichkeit  Italiens  und  die  Eleganz  des  französischen 
Lebens  —  die  meisten  Prinzen  des  pfälzischen  Hauses  waren  in 
Frankreich  erzogen  worden  —  schlug  in  der  Pfalz  ihren  Wohn- 
sitz auf. 

All  dies  wirkte  einladend  auf  das  Zuströmen  von  Ausländem, 
noch  mehr  aber  die  Einführung  des  Kalvinismus,  dessen  be- 
geisterter Held  Friedrich  HI.  war.  Heidelberg  wurde  nun  neben 
Genf  die  einzige  Zufluchtsstätte,  und  seine  Universität  die  einzige 
Bildungsstätte  für  die  aus  Frankreich  vertriebenen  Reformierten, 
sowie  für  viele  Italiener,  Schweizer  und  Niederländer.  Gerade 
damals  hatte  durch  den  Zufluss  vieler  ausgezeichneter  Lehrer  die 
Hochschule  einen  Ruf  wie  keine  andere  jener  Zeit  erlangt. 

In  der  nun  eingetretenen  Glanzzeit  bildeten  die  französischen 
Studenten  —  wir  scheiden  diejenigen  aus  der  französischen 
Schweiz  aus  —  zunächst  der  Zahl  nach  ein  recht  ansehnliches 
Element.  In  der  Zeit  von  der  Mitte  bis  zu  Ende  des  16.  Jahr- 
hunderts haben  nicht  weniger  als  dreihundert  Franzosen  die  Uni- 
versität besucht.  Ein  Jahr  tritt  in  diesem  Besuche  besonders 
hervor:  das  Jahr  1586,  in  welchem  63  Franzosen  hier  studierten. 

Ihrer  Herkunft  nach  sind  in  obiger  Gesamtzahl  die  meisten 
Provinzen  Frankreichs  vertreten,  zunächst  die  östlichen,  aber  auch 
die  nördlichen,  besonders  die  Champagne  mit  Sedan,  die  Pikardie, 
die  Normandie,  dann  der  Süden  bis  zu  B6am;  nicht  wenige 
kamen  aus  Lyon  und  Ntmes.  Aus  der  Hauptstadt  des  König- 
reiches kamen  42  Studenten,  darunter  im  Jahr  1567  zu  gleicher 
Zeit  vier  Brüder  Harl6.  Einige  waren  übrigens  zu  jung,  um  den 
vorgeschriebenen  Eid  bei  der  Aufnahme  zu  leisten. 

Dem  Stande  nach  waren  sowohl  die  höheren  als  die 
niederen  Klassen  vertreten;  unter  letzteren  wurden  mehrere  als 
pauperes  angeführt  und  unentgeltlich  immatrikuliert. 

Das  Fachstudium,  welchem  die  einzelnen  französischen 
Studenten  oblagen,  ist,  wie  bei  allen  anderen  überhaupt  nur  ganz 
ausnahmsweise  in  jener  früheren  Zeit  in  der  Matrikel  angegeben. 
Doch  kann  man  mit  Sicherheit  annehmen,  dass  die  allermeisten 
Theologie  studierten.  Einige  allerdings  werden  ausdrücklich  als 
Juristen  bezeichnet.    Im  Jahre  1586  studierte  ein  Burgunder  Medizin. 

Wie  die  anderen  ausländischen  Studenten  hatten  die  fran- 
zösischen neben  den  gewöhnlichen  Öffentlichen  Vorlesungen  auch 
ihre  privata  collegiay  logicüj  physica,  und  theologica.  Was  aber 
die  französischen  Studierenden  ganz  besonders  eigentümlich  hatten, 
das  war  ein  besonderer  Gottesdienst,  der  für  sie  in  ihrer  Sprache 
eingerichtet  wurde.  •  Die  Predigten  fanden  in  dem  theologischen 
Hörsaale  statt,  zunächst  durch  den  Franzosen  Daniel  Toussaint, 
welcher  Dekan  der  theologischen  Fakultät  war. 


P.  Ristelhuher,  Heidelberg  ei  Strasbourg.    Recherches  biog?\  etc,      133 

Überhaupt  kamen  in  dieser  Zeit  Hugenotten  nicht  aus- 
schliesslich als  Lernende  nach  Heidelberg,  mehrere  derselben 
lehrten  auch,  und  zum  Teil  in  hervorragender  Weise.  Wir  nennen 
unter  den  Juristen  Franz  Bauduin  und  besonders  den  berühmten 
Hugo  Donellius  (Doneau),  welcher  1576  das  Rektorat  bekleidete. 
Länger  als  er  blieb  in  Heidelberg  in  der  juristischen  Fakultät 
Dionysius  Godefredus  aus  Paris,  der  von  1598 — 1620  wirkte. 

Auch  in  der  theologischen  Fakultät  waren  bedeutende  Fran- 
zosen als  Lehrer  thätig.  So  Pierre  Boquin,  welcher  in  Witten- 
berg zu  der  lutherischen  Lehre  übertrat  und  im  Jahre  1557  als 
Professor  des  neuen  Testaments  nach  Heidelberg  berufen  wurde. 
Neben  dem  schon  genannten  Daniel  Toussaint,  welcher  Theologe 
und  zugleich  Hofprediger  war,  ist  sein  gleichnamiger  Verwandter 
zu  nennen,  der  später  in  beiden  Eigenschaften  gleichfalls  hier 
wirkte.  Als  Lehrer  des  Evangeliums  war  mit  Erfolg  auch  Fran- 
ciscus  Junius  (Du  Jon)  thätig. 

In  der  philosophischen  Fakultät  endlich  lehrte  hier, 
obwohl  nur  für  kurze  Zeit,  der  berühmte  Bekämpfer  der  mit  dem 
gefälschten  Namen  des  Aristoteles  prangenden  scholastischen 
Methode  des  Unterrichts  Petrus  Ramus  (Pierre  de  la  Ramöe). 

Nicht  als  Lehrer,  sondern  als  politischer  Unterhändler, 
kam  1574  der  berühmte  Schriftsteller  Theodor  von  Beza  in  die 
Hauptstadt  der  Pfalz.  Zu  rein  litterarischen  Zwecken  reiste  der 
berühmte  Philologe  Claudius  Salmasius  (Saumaise)  hierher,  um 
die  kurfürstliche  Bibliothek  zu  benützen.  Er  erzählt,  dass  er 
während  seines  Aufenthalts  immer  zwei  von  drei  Nächten  auf  der 
Bibliothek  zubrachte,  um  die  so  seltenen  Schätze  so  viel  als 
möglich  zu  verwerten. 

Auch  mehrere  französische  Sprachmeister  kamen  an  die 
Universität.  Zuflucht  suchten  auch  mehrere  gelehrte  Buchdrucker, 
wie  z.  B.  Gommelin  und  Franciscus  Stephanus  (Etienne),  der 
Sohn  des  berühmten  Robert  Stephanus.  Sogar  Buchbinder  fanden 
Aufnahme.  So  steht  unter  dem  5.  November  1599  in  der  Ma- 
trikel verzeichnet:  Ludovicus  Faher^  ParisiensiSy  Compactor  li- 
brorum,  cum  suis  inscriptus  ex  senatus  consulto. 

Den  jungen  Franzosen  folgten  auch  Tanzlehrer  aus  der 
Heimat  nach.  In  der  Matrikel  ist  im  Jahre  1665  Pierre  la  Vil- 
lette  als  mattre  de  danse  ä  Vacadimie  eingeschrieben. 

Die  zweite  Periode  des  französischen  Besuches  hatte  mit 
dem  17.  Jahrhundert  begonnen.  Wir  finden  in  diesem  Zeit- 
räume infolge  der  grossen  religiösen  und  politischen  Umwälzungen 
natürlich  nicht  mehr  die  hohen  Ziffern  wie  in  der  zweiten  Hälfte 
des  vorhergehenden  Jahrhunderts.  Gleichwohl  weist  die  Ma- 
trikel,   obschon  die   Angaben  von  dem  Jahre  1663 — 1792  ver- 


134  Referate  und  Rezensionen.     Th.  Süpfle, 

loren  gegangen  sind  und  nur  ganz  teilweise  ergänzt  werden 
können,  die  noch  immerhin  stattliche  Zahl  von  209  französischen 
Studierenden  auf. 

Im  Anfange  dieses  17.  Jahrhunderts  war  der  französische 
Zuzug  sogar  stärker  als  zuvor.  Der  pfälzische  Hof  war  nämlich 
unter  Friedrich  IV.,  der  bei  dem  reformierten  Herzog  von  Bouillon 
in  Sedan  erzogen  worden  war,  nicht  bloss  fortwährend  kalvi- 
nistisch,  sondern  er  war  auch  stark  mit  französischer  Sprache, 
Bildung  und  Sitte  erfüllt.  So  kamen  in  der  Zeit  von  1600—1720 
nicht  weniger  als  125  Franzosen.  Diese  waren  vielfach  aus 
Sedan,  dem  Sitze  des  strengsten  Kalvinismus.  Aber  auch  Paris 
hatte  neunzehn  Studenten  entsandt. 

Freilich  folgte  nur  allzubald  auf  diese  glückliche  Zeit  die 
Verödung  und  Verheerung  durch  den  dreissigjährigen  Krieg, 
welchem  der  Fürst,  das  Land,  die  Universität  und  die  Bibliothek 
als  ein  trauriges  Opfer  fielen.  Und  als  seit  1656  der  Fremden- 
besuch der  Universität  sich  wieder  zu  heben  begonnen  hatte,  so 
wurde  der  Zuzug  kurz  nachdem  Heidelberg  und  die  Universität 
sich  mildthätig  gegen  vertriebene  Franzosen,  nämlich  gegen  die 
1685  und  1686  nach  Aufhebung  des  Edikts  von  Nantes  herbei- 
geeilten R6fugi6s,  gezeigt  hatte,  durch  die  barbarischen  Ver- 
wüstungen des  orleanischen  Erbfolgekriegs  in  betrübendster  Weise 
gestört.  Die  Franzosen  erwiesen  Heidelberg  schlimmen  Dank 
für  die  in  zwei  Jahrhunderten  wiederholt  gegen  Angehörige  ihres 
Landea  erwiesene  Gastfreundschaft. 

Den  grossen  Rückgang  an  fremden,  französischen  und 
anderen  Studenten  konnten  die  Verhältnisse  des  18.  Jahrhunderts 
nicht  wohl  hemmen.  Italiener  und  Engländer  fehlen  in  dieser 
dritten  Periode  ganz.  Franzosen  sind  in  der  Zeit  von  1703  bis 
zum  Ende  der  kurpfälzischen  Herrschaft  nur  in  der  kleinen  Zahl 
von  43  eingeschrieben.  In  ihr  finden  sich  wenig  Nationalfran- 
zosen, vielmehr  meist  Lothringer,  welche  arm  und  Zöglinge  der 
Jesuiten  waren.  Doch  ist  Paris  durch  13  Studierende  vertreten, 
welche  meist  Philosophie  hörten.  Die  Mehrzahl  letzterer,  neun, 
kam  allerdings  mehr  aus  äusseren  als  wissenschaftlichen  Antrieben. 
Sie  suchten  in  den  Jahren  1792  und  1793  offenbar  Schutz  vor 
den  Ausschreitungen  der  in  ihrem  Lande  wogenden  Revolution. 
Einer  und  der  andere  derselben  strebte  hier  sogar  nach  Gelegen- 
heit zu  politischen  Anknüpfungspunkten.  So  musste  der  Graf 
Saillant  im  Jahre  1794  wegen  verbotener  Werbungen  aus  der 
Universität  ausgewiesen  werden. 

Wie  die  Franzosen  die  Universität  und  Stadt  gegen  Ende 
des  17.  Jahrhunderts  stark  geschädigt  hatten,  so  schlugen  sie 
ihr  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  eine  noch  viel  tiefere  Wunde, 


P.  Risielhuber,  ß^ideHifirff  ei  Strasbourg,    Recherches  biogr.  etc.    135 

iDdem  sie  m  dem  Frieden  von  LuneviUe  alle  Gitter  und  GefHUe^ 
welche  die  Hochechule  jenseits  des  Bheins  besass,  iin  sich  rissen. 

^ach  dem  Wiederaufblübeo  der  Universität  unter  dem 
neuen  Fürsten,  dem  Gros9herzog  von  Qadep  Karl  Friedrio)}, 
kamen  aUiP^hlich  auch  wieder  Franzosen. 

Der  erste,  welcher  die  nunmehrige  Ruperto-Carola  aufsuchte, 
war  aus  dem  Rhein-  und  Mosel -Departement,  er  studierte  1809 
lutherische  Theologie.  Bald  auch  zeigten  sich  wieder  National- 
ftanzosen,  besonders  gegen  das  Ende  des  dritten  und  während  des 
vierten  Jahrzehnts  unseres  Jahrhunderts.  £s  hing  dies  teils  über- 
haupt mit  dem  damaligen  Streben  zusammen,  4^B  bei  unseren 
Nachbarn  erwacht  war,  durch  Aufenthalt  an  süddeutschen  Hoch- 
schulen auf  das  unmittelbarste  sich  mit  unserer  Jjitteratur  und 
Philosophie  bekannt  zu  machen,  teils  hatten  4i^  Franzosen  für 
das  so  nahe  und  so  herrlich  gelegene  Heidelberg  eine  ganz  be- 
sondere Vorliebe. 

Jetzt  war  die  Neckarstadt  nicht  mehr,  wie  im  16.  Jahr- 
hundort, durch  den  Kalvinisnus,  sondern  durch  ihre  befruchtende 
Wissenschaft  und  die  Heize  ihrer  Natur  ein  Zielpunkt  wander- 
lustiger junger  Franzosen.  Die  juristische  Fakultät  zog  durch 
die  genauen  Kenner  der  französischen  Gesetzgebung,  durch 
Zachariä,  Thibaut,  Mittermaier  an.  Daneben  locl^te  die  dort 
glänzend  vertretene  Romantik  und  Philosophie  mächtig  an.  Aus 
ihr  schlürfte  in  vollen  Zügen  Edgar  Quinet,  vor  welchem  schon 
Victor  Cousin  sich  einige  Zeit  aufgehalten  hatte.  Die  Briefe, 
welche  der  Verbreiter  von  Herder's  tiefsinnigen  Ideen  in  ^eine 
französische  Heimat  von  hier  aus  1826  und  1827  sehrieb,  sind 
ein  ununterbrochener  Hymnus  auf  Heidelberg:  Ce  Beidell^rg  e^t 
le  pays  de  Vdme,  rief  er  begeistert  aus.  Ein  ^nderesmal  schri^h 
er :  ü  nest  pas  de  jour  oü  je  ne  beni^ee  le  oiel  de  m!avoir  conduit 
dans  ces  montagnes  oü  tout  ni'apai^e  ef  m^  calme  mälgr4  m^i, 
Ces  savants  me  cammuniquent  quelque  chose  de  leur  douce  s6ri- 
nite !  Tout  me  parle  ici  de  ce  gu'ü  y  a  de  consolant  sur  la  terre. 
C'est  Vantiquiti  grecque  et  Orientale,  C^e$t  la  grande  et  noble 
Philosophie  de  Kant. 

Nach  den  vierziger  Jahren  trat  dann  wieder  eine  Abnahnie 
in  dem  Besuche  französischer  Studenten  und  Schriftsteller  ein. 
Victor  Hugo  hatte  zwar  gesagt,  es  genüge  nicht,  Heidelberg  ^n 
besuchen,  man  müsse  hier  sich  lange  aufhallten.  Auch  Anfiel 
hatte  der  reizenden  Musenstadt  ein  liebevolles  Andenken  l^e- 
wahrt.  Aber  seit  dem  letzten  Kriege  ist  das  Band,  welches 
während  mehr  als  dreihundert  Jahren  zwischen  Frankreich  und 
der  Universität  Heidelberg  bestanden  hatte,  nahezu  ganz  zer- 
rissen.    Es   besteht  zwar   ein  Austausch  akademischer  Schriften 


136  Referate  und  Rezensionen,    0.  Knauer, 

zwischen  ihr  und  den  französischen  Universitäten,  aber  unter 
den  zahlreichen  europäischen  und  aussereuropäischen  Besuchern 
der  hiesigen  Hochschule  war  in  dem  Wintersemester  1888/89 
nur  ein  einziger  Franzose  eingeschrieben. 

Th.  Süpple. 


Th.  Süpfle,  Geschichte  des  deutschen  Kultureinflusses  auf  Frank- 
reich mit  besonderer  Berücksichtigung  der  litter  arischen 
Einwirkung.  Zweiter  Band.  Erste  Abteilung.  Von 
Lessing  bis  zum  Ende  der  romantischen  Schule  der 
Franzosen.  Gotha,  1888.  Verlag  von  E.  F.  Thiemann's 
Hofbuchhandlung.     8^  XIV,  210  S. 

Es  bedarf  bei  uns  einiger  Zeit,  bis  wissenschaftliche  Werke, 
die  weder  der  Schule  noch  der  Universität  direktem  Bedürfnis 
entgegenkommen,  und  die  in  keiner  Beziehung  zu  irgend  einem 
—  sagen  wir  —  Gelehrtenring  stehen,  bekannt  werden  und  sich 
verbreiten.  So  ist  es  dem  ersten  Bande  dieses  Werkes^)  er- 
gangen, und  der  anscheinende  Misserfolg  wollte  dem  Verfasser 
schon  die  Lust  zur  weiteren  Arbeit,  beziehentlich  Veröffentlichung 
rauben.  Vielleicht  mit  der  wachsenden  Zahl  der  Besprechungen, 
die,  wenn  auch  mit  der  oder  jener  Einschränkung,  das  Verdienst 
des  Werkes  anerkannten,  den  sich  mehrenden  Verweisen  auf 
sein  Buch  und  dem  (wie  wir  hoffen)  steigenden  Absatz  ist  sie 
ihm  wiedergekehrt,  und  er  hat  sich  zu  unserer  Freude  ent- 
schlossen, zunächst  einen  neuen  Halbband  folgen  zu  lasseh,  der 
gerade  den  interessantesten  Teil  des  Gegenstandes,  das  Be- 
kanntwerden und  die  Einwirkung  unserer  grössten  Klassiker  in 
Frankreich,  zu  behandeln  hat. 

Wie  in  der  zweiten  Hälfte  des  ersten  Bandes  bearbeitet 
auch  hier  der  Verfasser  selbständig  und  mit  vollster  Sachkenntnis 
einen  mit  Mühe  und  Forscherfleiss  aus  verstreuten  und  zum  Teil 
schwer  erreichbaren  Quellen  erster  Hand  gesammelten  Stoff,  der 
sich  vor  uns  zu  einem  bald  mehr,  bald  minder  anschaulichen 
Bilde  gestaltet;  denn  unter  den  vielen  interessanten  Einzelheiten, 
die  trotz  umfangreicher  Anmerkungen  auch  im  Texte  vorkommen, 
(Namen  und  Titel  zu  Übersetzungen,  Bearbeitungen,  Nach- 
ahmungen, kritischen  Besprechungen)  treten  die  grossen  Umrisse 
samt  der  chronologischen  Folge  der  Entwickelung  vielleicht  nicht 
allenthalben    mit   gleicher  Deutlichkeit    hervor,    wenn    auch    die 


1)  Vgl.  Zschr.  V1II2,  S.  218. 


Th.  Süpfle,  Geschichte  des  deutschen  Kultureinflusses  etc,         137 

Kapiteleinteilung  und  ein  deren  Inhalt  skizzierendes  ausführliches 
Inhaltsverzeichnis  ein  stetes  Verfolgen  des  Fadens  leicht  machen. 

Das  erste  der  vierzehn  Kapitel  handelt  von  Lessing's 
Dichtungen  und  Dramaturgie.  Nicht  erst  französische 
Schriftsteller  des  19.  Jahrhunderts  stehen  bewusst  oder  unbe- 
wusst  unter  dem  mächtigen  Einfluss  seines  hellstrahlenden  Geistes, 
schon  seit  1757  und  den  folgenden  Jahren  wurden  die  Franzosen 
auf  seine  Lustspiele  und  sein  bürgerliches  Trauerspiel  Miss  Sara 
Sampson  aufmerksam  gemacht,  und  letzteres,  das  der  Zeitströmung 
besonders  entsprach,  fand  bald  verschiedene  Übersetzer  und 
anscheinend  einen  Nachahmer,  während  die  späteren,  eigenartigen 
dramatischen  Schöpfungen  weniger  Aufsehen  machten  und  zu- 
nächst nur  in  sehr  freier,  dem  französischen  Geschmacke  ange- 
passter  Nachbildung  (wie  die  Minna  von  Bamhelm  in  Les  Amans 
g^nereux  von  Rochon  de  Chabannes  und  der  Nathan  in  einer 
poetischen  und  einer  prosaischen  Bearbeitung)  in  Frankreich 
Boden  gewannen  oder  (wie  die  Emüia  Galotti)  erst  nach  längerem 
Zeitraum  übersetzt  und  dann  Gegenstand  kritischer  Betrachtung 
wurden.  Selbst  die  franzosenfeindliche  Dramaturgie  wurde  unter 
Lessing's  Augen  von  dem  Franzosen  Cacault  in  gekürzter  Form 
übersetzt  und  den  Franzosen  dargeboten,  wenn  sich  vorsichtiger 
Weise  der  Übersetzer  auch  auf  dem  Titel  nicht  nannte,  und  den 
einsichtigen  Geistern  unter  ihnen  ging  ihre  grosse  Bedeutung 
bald  auf.  Lange  vorher  schon  hatten  die  Fabeln  erfolgreichen 
Eingang  gefunden  trotz  der  sie  begleitenden  Abhandlungen  über 
die  Fabelgattung,  welche  der  französischen  Auffassung  scharf 
entgegentraten  und  einen  lebhaften  Sturm  erregten. 

Das  zweite  Kapitel  —  Kenntnisnahme  von  den  Fort- 
schritten der  deutschen  Ästhetik  —  geht  zwar  auch 
wieder  von  Lessing  aus,  indem  es  das  Bekanntwerden  seiner 
kritisch -wissenschaftlichen  Werke,  besonders  des  Laokoon  ver- 
folgt, der  schon  1766  (nicht  erst  1792)  in  einer  französischen 
Zeitschrift  eingehend  besprochen,  doch  erst  1802  in  das  Fran- 
zösische übersetzt  ward;  es  handelt  aber  ausserdem  von  der 
gewaltigen  Wirkung  der  Schriften  Winckelmann's  in  Frank- 
reich und  von  der  Anerkennung  oder  Beachtung,  der  sich  Hage- 
dornes 'Betrachtungen  über  die  Malerei,  Moses  Mendelssohn's 
Untersuchungen,  Sulz  er' s  und  Lavater's  Werke  dort  zu  er- 
freuen hatten. 

Im  dritten  Kapitel  begegnen  wir  Wieland,  dessen 
Dichtungen  verschiedenster  Art,  die  gehaltvolleren,  besonders 
einige  von  den  Romanen,  mehr  als  die  stark  sinnlichen,  in 
mannigfachen  Übersetzungen,  die  freilich  zum  Teil  recht  frei  und 


138  Referate  und  Rezensionen.    0,  Knatier, 

willkürlich  zu  Werke  gingen,  die  Bewunderung  der  Franzosen 
erregten  und  ihrem  Verfasser  später  Ehren  wie  die  Mitgliedschaft 
des  Institiit  de  France  und  das  Kreuz  der  Ehrenlegion  ein- 
brachten. Nach  der  ausführlichen  Behandlung  der  Wieland'schen 
Romane  fällt  noch  ein  Blick  auf  die  Verbreitung  anderer  deutscher 
Werke  ähnlicher  oder  nahestehender  Art  in  Frankreich,  der  uns 
Meissner  und  Aug.  Lafontaine  als  ebenso  beliebt  zeigt  wie 
Gampe's  Rohinaon  und  Weisse's  Kinderfreund  in  Berquin's 
Bearbeitung. 

Das  vierte  Kapitel  führt  uns  zu  Goeth«  und  seinen 
Jugendwerken,  von  welchem  Dichter  Herr  Stipfle  hier  schop 
allgemein  bemerkt:  „Den  umfassendsten  und  tiefsten,  wenn  auch 
aus  Unkenntnis  oft  bestrittenen  Einfluss  auf  Frankreich  hat 
QoBthe  ausgeübt.  Was  er  einst  in  seinem  Bildungsgange  dem 
Nachbarlande  verdankt  hatte,  das  hat  er  durch  die  herrlichsten 
Spenden  tausendfach  zurückgegeben.  Sein  wahrhaft  universaler 
Geist,  seine  Meisterwerke  jader  Art  und  ganz  neuer  Art,  seine 
ebenso  künstlerisch  gestaltende  als  schöpferische  Phantasie,  die 
Mannigfaltigkeit  seiner  Stoffe,  Motive,  Ziele  und  ästhetischen 
Formen  haben  die  Franzosen  in  ungeahnte  Gebiete  des  Schönen 
eingeführt,  erfrischend  und  verjüngend  auf  ihre  nach  glänzenden 
Thaten  erpaattete  LJtteratur  eingewirkt"  (S.  52).  Im  Jahre  1774 
zuerst  als  Verfasser  des  Clavigo  genannt,  welches  Stück  später 
auch  übersetzt  ward,  zündete  Goethe  bald  darauf  in  Frankreich 
vor  Allem  mit  Werther's  Leiden,  die  auch  von  dem  nachhaltigsten 
litterarischen  Einfluss  waren  und  nicht  bloss  zahlreiche  fade  Nach- 
ahmungen noch  im  18.  Jahrhundert  weckten,  sondern  auch  in 
bedeutenden  Werken  aus  dem  Anfang  unseres  Jahrhunderts  und 
späterer  Zeit  (Chateaubriand's  Een^y  Nodier's  Peintre  de 
Salizbourg,  Benjamin  Constant's  Adolphe,  Musset's  Con- 
feanons  d*un  enfant  du  si^cUf  Lamartine^s  Baphael  u.  A.)  nach- 
klingen. Sein  Götz  wurde  noch  vor  dem  Erscheinen  der  ersten 
französischen  Übersetzung  das  Vorbild  zu  dem  freilich  unge- 
heuerlichen und  in  Frankreich  unbeachteten  Drama  eines  mit 
Lern  befreundeten  elsassischen  Edelmanns:  la  Guerre  d^Älsace 
(1780).  Seine  Stella,  1782  übersetzt,  genoss  seit  1791  in 
vaudevilleartiger  Umarbeitung,  die  Goethe's  Namen  verschwieg, 
die  Gunst  der  pariser  Theaterwelt. 

Wenn  im  fünften  Kapitel  von  Schiller's  Jugend- 
dramen gehandelt  wird,  so  ist  vor  Allem  von  den  Räubern  zu 
reden,  die,  schon  1785  getreu  übersetzt,  und  später  wiederholt 
übersetzt  oder  bearbeitet,  in  kläglicher  Verstümmelung  (durch 
den  Glsässer  Schwindenhammer,  der  sich  laMarteliere  nannte) 
auf  zwei  pariser  Bühnen  nacheinander   das  Publikum   der  Revo- 


Th.  Süpfle,  Geschichte  des  deutse^en  Ktdiureinflusses  etc.         ].ß9 

lutionsjahre  1792 — 93  begeiBterten,  ohne  dass  das  BtUck  dea 
eingeweihten  Kreisen  bekannten  Namen  des  Verfassers  oder  auch 
nur  des  Bearbeiters  trug.  Die  oft  erwähnte  Verleihung  des 
französischen  Bürgerrechts  an  Schiller  (am  26.  August  179^ 
durch  die  AssemhUe  legislative)  scheint  dagegen  in  diretiteoi 
Zusammenhang  eher  mit  dem  Fiesco  als  ^republikanischer 
Tragödie^  zu  stehen,  auf  weichen  im  Jahre  179^  im  Moniteur 
aufmerksam  gemacht  wordep  war,  yriewohl  die  erste  Übersetzung 
erst  siebzehn  Jahre  später  folgte.  Ebenso  wurden  seit  1790 
Kabale  und  Liebe  sowie  Don  Carlos j  zum  Teil  in  guter  Form, 
in  die  französische  Litteratur,  das  erstere  Stück  auch  auf  die 
französische  Bühne  eingeführt,  während  dem  letzteren  M.-J. 
Chenier  den  Stoff  zu  seinem  Philippe  II  entlehnte.  Mehr  Er- 
folg als  die  Btihnenbearbeitungen  SchiUer'scher  Jngenddramen 
hatten  allerdings  die  Stücke  Kotz  ebnes,  beßondjers  siei^ 
Menschenhass  und  Reue,  das  zuerst  1792  das  pariser  Theater- 
publikum aufs  tiefste  rührte. 

Im  sechsten  Kapitel  gelangen  wir  zu  Herder  und  Kunt 
und  werden  belehrt,  dass  von  den  Schriften  des  ersteren  im 
vorigen  Jahrhundert  vor  den  Bestrebungen  Diegerando^s  (1804) 
wenig  nach  Frankreich  gelangte,  währei^d  die  Einführung  ^ant's 
schon  mit  dem  Jahre  1796  begann  und  in  dcQ  letzten  J^jiren 
des  alten  und  den  ersten  des  neuen  Jahrhunderts  mit  gan?  be- 
sonderem Eifer  durch  den  bekannten,  in  Deutschland  lebenden 
Charles  Villers,  dessen  Anregung  bajid  Andere  folgten,  be- 
trieben wurde.  In  der  Folge  sind  beide  —  Hefder  und  Kant  — 
im  Verein  mit  Lessing  auch  für  Frankreich  als  die  Begründer 
der  Geschichtsphilosophie  anzusehen. 

Näher  noch  geht  auf  die  Thätigkeit  von  Villers  und 
Degerando  das  siebente  Kapitel  Qin  —  Entfremdung 
Frankreichs  gegen  die  deutsche  Litteratur  am  Ende 
des  18.  und  am  Anfange  des  19.  Jahrhunderts  —  ipdem 
es  ihr  und  Anderer  Ankämpfen  gegen  jene  durch  die  polid^chen 
Umstände  erzeugte  Entfremdung,  die  mit  d^em  Aufenthalt  ^aa- 
zösischen  Emigranten  iq  Deutschland  und  n^it  dem  Eindriiigen 
eroberungslustiger  französischer  Heere  eher  wuchs  als  abnahm, 
schildert  und  uns  die  verschiedenen  Zeitschriften  vorführt,  die 
sich  als  Prediger  in  der  Wüste  zu  Vermittlern  des  deutsehen 
Geisteslebens  für  Frankreich  aufwarfen  (den  Spectateu/r  du/,  Nord, 
die  Decade  phüosophique  und  die  Archives  litUraires  de  VEuropie). 

Hat  der  Verfasser  mit  Recht  die  Teile  seines  Werkes 
weiter  ausgesponnen,  die  wesentlich  Neues  bieten,  so  d^rf  er 
sich  kürzer  fassen.,  wo  er  bekanntere  Thatsachen  berührt. 

Dies  ist  i^i  ^cbtan  Kap^t^l  4er  Fal),  d^«  ypQ  Frau  y^v 


140  Referate  und  Rezensionen.    0,  Knauer, 

Stael  und  der  wahren  Bedeutung  des  Buches  de  VAllemagne 
handelt  und  in  schwungvoller,  abgerundeter  Darstellung  auf  dem 
Hintergrunde  der  vorausgehenden  Wirksamkeit  von  Mercier, 
Degörando,  Villers,  Benj.  Constant  (als  Nachbilder  des 
Wallenstein)  jene  berühmte  Frau  und  ihr  herrliches  Werk  in  der 
richtigen  Beleuchtung  mit  wenigen  kräftigen  Umrissen  malt. 

Das  folgende  (neunte)  Kapitel  schildert  die  nächste 
Wirkung,  weiche  die  neue  Geistesrichtung  in  den  zwanziger 
Jahren  dieses  Jahrhunderts  auf  die  französische  Litteratür  aus- 
übte, und  welche  besonders  in  dem  von  den  jungen  vor- 
romantischen Dichtem  unternommenen  Versuche  bestand,  die 
ernste  dramatische  Muse  neu  zu  beleben.  Sie  hatten  Belehrung 
in  den  theoretischen  Werken  der  Gebrüder  Schiegel  geschöpft 
und  Hessen  dem  Studium  der  deutschen  Vorbilder  zunächst  zahl- 
reiche Nachbildungen  der  Stücke  Schiller's  folgen,  den 
sie  als  Führer  gewählt,  von  der  Hoffnung  erfüllt,  eine  Ver- 
mittelung  zwischen  Racine  und  Schiller  finden  zu  können.  Der 
Verfasser  leitet  uns  durch  alle  jene  mehr  oder  minder  geschickten 
und  erfolgreichen  Bearbeitungen  der  Schiller'schen  Dramen  hin- 
durch, die  in  jener  Zeit  und  später  in  Frankreich  auftauchten, 
und  aus  depen  wir  nur  Lebrun's  Marie  Stuart,  Ancelot's  Fiesque, 
Soumet's  Jeanne  d'Arc  herausheben  wollen.  Kein  einziges  fast 
blieb  unbearbeitet;  es  war,  als  sei  der  dramatischen  Kunst  eine 
neue  Mine  erschlossen  worden,  bei  deren  Ausbeutung  Alles 
wetteiferte.  Das  Gesamtergebnis  dieser  Bestrebungen  fasst  Herr 
Süpfle  in  die  Worte  zusammen:  „Zwar  ist  der  Versuch,  sein 
(Schiller' s)  Theater  dem  alten  System  der  Franzosen  anzupassen, 
misslungen.  Aber  befruchtend,  erneuernd  und  erhebend  hat  er 
gleichwohl  gewirkt  ...  So  bereiteten  seine  Dramen,  wie  auch 
einige  von  Goethe,  auf  diejenigen  Shakespeare^s  vor,  welcher 
einen  so  grossen  Einfluss  auf  das  neue  dramatische  System 
unserer  Nachbarn  ausübte  ....  Überhaupt  war  der  echte 
Shakespeare  erst  durch  deutsche  Vermittelung,  namentlich  durch 
A.  W.  Schlegel,  jenseit  des  Rheines  bekannt  geworden  .  .  .  Selbst 
Victor  Hugo  war  auch  von  unserer  Litteratür  beeinflusst,  nicht 
bloss  von  Shakespeare."  (S.  118  und  119).  In  späterer  Zeit 
wurden  die  Schiller'schen  Dramen  durch  zahlreiche  Übersetzungen 
in  Frankreich  eingebürgert  und  in  weite  Kreise  getragen.  Dem 
litterarisch- ästhetischen  Einfluss,  den  sie  übten,  gesellte 
sich  ein  sittlich  erhebender  und  veredelnder  bei,  indem 
auch  französische  Herzen  sich  an  Schiller'schen  Idealen  begeistern 
lernten. 

Neben  Schiller  trat  natürlich  Goethe  mit  dem  (zunächst 
durch   die   Stapfer'sche  Übersetzung  derselben  vermittelten)  Ein- 


7%.  Süpfle,  Geschichte  des  deutschen  ICultureinflusses  etc,         141 

fluBS  seiner  dramatischen  Schöpfungen,  wie  uns  das  zehnte 
Kapitel  darthut.  Am  gewaltigsten  wirkte  der  Götz,  und  auf  ihn 
(nicht  ausschliesslich  auf  W.  Scott's  Romane)  führt  Herr  Süpfle  im 
Einklang  mit  französischen  Litterarhistorikern  das  Streben  nach 
Lokalfarbe  in  geschichtlichen  Dramen  zurück,  wie  es  bei  Vitet, 
M6rim6e,  Alex.  Dumas  und  Victor  Hugo  zu  Tage  tritt.  Von  den 
anderen  Stücken  sehen  wir  die  Geschwister  und  in  schwacher 
Nachbildung  den  Tasso  auf  der  pariser  Bühne  Aufnahme  finden, 
die  Iphigenie  und  den  Egmont  die  Bewunderung  der  Kritik  er- 
regen, den  Faust  endlich  zwar  langsam  bekannt  werden,  dann 
aber  nicht  bloss  als  Gegenstand  der  lebhaften  Bewunderung  und 
als  Urquell  zahlreicher  und  sehr  verschiedenartiger  dramatischer 
Erzeugnisse  oder  einzelner  Züge  und  Scenen  in  solchen,  sondern 
auch  als  Ausgangspunkt  für  philosophisch-ästhetische  Betrachtungen, 
unter  denen  die  von  Henri  Blaze  de  Bury  (1840)-  besonders  her- 
vorstechen, und  die  sich  bis  auf  die  neueste  Zeit  noch  nicht 
erschöpft  haben. 

Das  elfte  Kapitel  wendet  sich  der  Betrachtung  des 
Epikers  Goethe  in  Frankreich  zu  und  verfolgt  das  Bekannt- 
werden und  die  Würdigung  von  Hermann  und  Dorothea  (seit 
1798)  und  von  seinen  verschiedenen  späteren  Romanen,  von 
denen  allerdings  keiner  solche  Sympathien  wieder  weckte  wie 
der  Werther  und  nur  Wahrheit  und,  Dichtung  nut  lebhaftem 
Interesse  aufgenommen  ward.  An  Hermann  und  Dorothea  lehnt 
sich  nachmals  Laprade^s  ländliches  Epos  Pemette  (1868)  an, 
uud  aus  den  Romanen  ist  wenigstens  die  Gestalt  seiner  Mignon, 
die  auch  in  Victor  Hugo's  Esmeralda  wiederkehrt,  den  Franzosen 
fast  ebenso  vertraut  wie  sein  Gretchen  geworden. 

Bei  der  Betrachtung  der  weiteren  Einwirkungen  der 
deutschen  Litteratur  auf  die  französische  Romantik 
(zwölftes  Kapitel)  wird  unser  Blick  auf  Jean  Paul,  der  erst 
sehr  spät  bekannter  wurde,  auf  *Ludw.  Tieck,  der  zeitiger  bei 
kleineren  Kreisen  in  Gunst  kam,  auf  den  auch  in  Frankreich 
vielbewunderten  Zach.  Werner  und  einige  andere  Dramatiker 
gelenkt,  vor  Allem  aber  auf  E.  Th.  A.  Hoffmann^  dessen 
phantastische  Romane  den  grösten  Anklang  fanden  und  den 
stärksten  litterarischen  Einfluss  ausübten,  wie  sich  dies  in  den 
Werken  von  Nodier,  Gerard  de  Nerval,  Th^oph.  Gautier,  Jules 
Janin,  ja  Balzac,  George  Sand  und  Erckmann -  Chatrian  verrät. 
Hatte  das  vorangehende  Jahrhundert  die  deutsche  Litteratur  zeit- 
weilig in  G essner  verkörpert  gesehen  und  nur  ihre  sentimentale 
Seite  gekannt,  so  sah  sie  das  neunzehnte  geraume  Zeit  beinahe 
in  der  phantastischen  Richtung  Hoffmann's  aufgehen. 

Das   vorletzte   Kapitel   handelt  von  dem  Einfluss   der 


14Ä  Repsraie  und  Rezensionen.    6.  Bomhak, 

deHtBchen  Lyrik  auf  die  französische  Romantik,  der  sich 
als  ein  sehr  wirksamer  erweist.  Er  knüpft  sich  an  die  Namen 
Bürger,  dessen  Balladen  eigentlich  erst  seit  1814  bekannt,  später 
aber  wirklich  volkstümlich  wurden;  Schiller,  von  dessen  Ge- 
dichten die  Glocke  besonders  häufig  übersetzt  wurde,  dessen  be- 
geißtelter  Schwung  aber  überhaupt  die  Franzosen  gewaltig  packte 
und  zur  Nachahmung  hinriss;  Goethe,  dessen  Eigenart  mit  ihrer 
tiefen  Innerlichkeit  und  Einfachheit  der  sprachlichen  Form  sich 
der  grossen  Masse  der  litterarisch  Gebildeten  weit  schwerer  in 
Übersetzung  erschloss,  auf  die  französischen  Dichter  aber,  die 
am  Urquell  schöpften,  befruchtend  wirkte  und  sie  zum  Schaffen 
anregte.  Auch  des  sprachlichen  Einflusses,  der  von  unserer 
Lyrik  auf  die  Romantiker  ausging  und  sie  antrieb,  der  spröden 
französischen  Sprache  neue  Formen  abzugewinnen,  sowie  der 
hohen  Meisterschaft  im  Übersetzen,  zu  welcher  um  die  Mitte 
dieses  Jahrhunderts  gerade  die  nämliche  Lyrik  einzelne  Franzosen 
wie  Henri  Blaze  de  Bury  und  Schur6  emporgeleitet  hat,  wird 
zuid  Schltt&se  gedacht. 

Den  Einfluss  der  deutschen  Wissenschaft  zur  Zeit  der 
Restauration  und  bald  nach  der  Julirevolution  schildert  endlich 
das  vierzehnte  und  letzte  Kapitel  dieses  Halbbandes.  Auf  dem 
Gebiete  der  Philosophie  wurden  nicht  nur  Herder' s  Ide&a 
zur  Philosophie  der  Geschichte  der  Menschheit  den  Franzosen  jetzt 
wirksam  vermittelt  durch  Edgar  Quinet,  sondern  besonders  durch 
Victor  Oonsin  auch  den  spekulativen  Schulen  Eingang  ver- 
schafft, so  dasB  der  Bann  des  alten  Sensualismus  gebrochen  ward. 
Wenn  der  Begriff  unserer  Ästhetik  und  dessen,  was  man  wissen- 
schaftliche Kritik  nennt,  ihnen  schon  von  der  genaueren  Bekannt- 
schaft mit  Lessing  an  aufgegangen  war,  so  lernten  sie  nun  bei 
der  deutschen  Rechtswissenschaft  und  vor  Allem  bei  unserer 
Geschichtssehreibung  in  die  Schule  gehen. 

Zu  dieser  gedrängten  Skizze  des  Inhalts  fttgen  wir  nur 
wenige  Einzelbemerkungen. 

In  den  Anmerkungen,  die  auch  diesen  Halbband  begleiten, 
ist  uns  bei  1)  [zu  S.  2]  aufgefallen,  dass  unter  „neueren  Arbeiten 
über  Leasing**  auch  Lessing  et  Klopstock  par  A,  C.  (d.  i.  A. 
Chnquet)  in  der  Revue  criUque  genannt  ist,  als  ob  dies  eine 
selbständige  Leistung  sei,  während  es  nur  eine  Anzeige  in  wenig 
Zeilen  von  Mnncker's  Buch  Lessing^s persönliches  und  litterarisches 
Verhältnis  zu  Klopstock  ist. 

Zu  S.  143  tragen  wir  die  Prosaübersetzung  von  Hei  mann 
und  Dorothea  von  B.  Levy  (Avec  le  texte  allemand  et  des  notes) 
nach,  Paris  bei  Hachette  1877  erschienen. 

Einige  kleine  Sprachsünden  ähnlicher  Art  wie  die  bei  dem 


Ä  P.  Junker,  GründHss  der  Geschichte  der  französischen  lAtieratur  etc,    143 

erBten  Bande  voti  uns  gerügten  werden  dem  aufmerksamen  Leset* 
auch  in  dem  neuen  Halbbande  aufstos&en  (so  S.  35,  51,  74,  90, 
155,  163,  171)^).  Den  Gebrauch  von  man  im  Vorwort  (8.  V) 
mit  Bezug  auf  die  eigene  Person  des  Verfassers  können  wir 
nicht  als  gut  deutsch,  sondern  nur  als  französisch  gelten  lassen. 
Hoffentlich  bringt  uns  dieses  Jahr  noch  den  Abschluss  des 
interessanten  und  verdien stlicheil  Werkes. 

0»  Kkausb. 


Janker,  Heinrich  P.,  Grundriss  der  Geschichte  der  französiscken 
Litteratur  von  ihren  Anfängen  bis  zur  Gegenwart.  Samm- 
lung von  Kompendien  für  das  Studium  und  die  Praxis  /,  2. 
Münster  i.  W.,  1889.  Heinrich  Schöningh.  436  S. 
Preis:  4  Mk. 

Die  Litteraturgeschichte  ist  bekanntlich  ein  Teil  der  Kultur- 
geschichte und  lässt  sich  bei  Vernachlässigung  derselben  nicht 
ohne  grosse  Nachteile  behandeln.  Denn  alle  litterarischen  Er- 
zeugnisse erwachsen  auf  dem  Boden  der  jeweiligen  Kultur.  Die 
herrschenden  Geistesströmungen  und  ihre  Äusserungen  in  der 
Litteratur,  so  verschiedenartig  sie  auch  scheinen  mögen,  gewinnen 
durch  das  Studium  der  Kulturgeschichte  erst  ihre  Begründung 
und  innere  Verbindung,  durch  welche  jedes  einzelne  Gesehichts- 
bild  als  ein  vollberechtigtes  Glied  in  einem  wohlgeordneten 
Ganzen  erscheint.  Von  solchen  Erwägungen  ist  der  Verfasser 
des  vorliegenden  Buches  nicht  ausgegangen,  denn  er  erklärt  in 
der  Vorrede  8.  VHI,  dass  er  den  Stoff  im  wesentlichen 
chronologisch  geordnet  habe. 

Er  hat  den  einzelnen  Perioden  sogenannte  Charakteristik  en 
vorausgeschickt,  welche  zum  grossen  Teil  nichts  Anderes  ent- 
halten, als  eine  Aufzählung  vom  Inhalte  der  nachfolgenden  Para- 
graphen, wie  z.  B.  8.  270  ff.  der  Abschnitt:  Das  Jahrhundert 
der  Aufklärung.  Charakteristik  desselben.  S.  20  be- 
zeichnet er  den  Abschnitt  über  die  Chansons  de  gesie  als  die 
Periode  des  volkstümlichen  Epos,  während  doch  nur  die 
Feudalen  an  den  Schilderungen  der  feudalen  Herrlichkeit,  zu 
denen  die  alten  Sagen  gewissermassen  als  Rahmen  dienen  mussten, 
Gefallen   finden   konnten,   nicht   aber   der  von   der  Kampf-  und 

1)  Die  bedenklichste  liegt  in  dem  Satze  vor:  „Sogar  George 
Sand,  welche  ja  ausdrücklich  hervorhob,  dass  die  Erzählungen  Hoff- 
mann*s  die  französische  Jugend  entzückt  haben,  und  die  man  nie 
wieder  lese,  ohne  .  .  .  hat  ihn  auf  sich  einwirken  lasseti.'*     (S,  155.) 


144  Referate  und  Rezensionen,    R,  Mahrenholtz, 

Raublust  der  Fürsten  und  Edelleute  schwer  helmgesuchte  Bürger 
und  Bauer.  Erst  unter  Philipp  IL  August  (1180—1223)  ge- 
wannen die  Bürger  einen  wirksamen  Schutz  gegen  die  Anfälle 
des  Raubadels  und  dieser  Wechsel  zeigt  sich  nun  auch  in  der 
Litteratur,  indem  die  Epik  sich  zur  Didaktik  und  Bekämpfung 
der  feudalen  Anschauungen  neigt,  während  die  feudalen  Herren 
noch  lange  nicht  die  Waffen  strecken,  sondern  in  ihren  Chansons 
fortfahren,  das  feudale  Leben  zu  verherrlichen.  Es  ist  die 
Periode  des  Kampfes  des  mit  dem  Köntgtum  verbundenen  Bürger- 
tums gegen  den  feudalen  Unfug.  Der  Verfasser  bezeichnet  diesen 
Abschnitt  als  die  Periode  des  allegorisch-moralisierenden 
Epos,  bekennt  aber  selbst  S.  117,  dass  diese  Bezeichnung 
keine  ganz  zutreffende  sei. 

Wie  die  Charakteristik  ist  auch  die  Begründung  wichtiger 
litterarhistorischer  Thatsachen  mangelhaft  oder  fehlt  ganz.  So 
ist  die  Begründung  der  Hofdichtung  unter  Franz  L  und  ihre  Er 
neuerung  unter  Heinrich  IV.  nach  der  durch  die  Hugenotten- 
kriege eingetretenen  Unterbrechung  gar  nicht  erwähnt,  S.  203 
der  Rückschlag,  der  auf  die  Zeit  des  regsten  Schaffens 
und  Blühens  (unter  Ludwig  XIV.)  naturgemäss  folgte,  gar 
nicht  historisch  begründet;  S.  204  heisst  es  von  Malherbe,  dass 
er  einen  Reim  gefordert  habe,  der  für  das  Auge  und 
Ohr  richtig  sein  müsse,  es  wird  aber  nicht  gesagt,  was  jener 
unter  einem  richtigen  Reim  verstand,  auch  bleibt  Malherbe's  Ver- 
dienst um  die  Schriftsprache  unerwähnt;  S.  206  werden  unter 
Balzac's  Werken  auch  dessen  Lettres  angeführt,  ohne  dass  die 
Bedeutung  derselben  für  jene  Zeit  nur  angedeutet  wird;  S.  215 
ist  nicht  begründet,  warum  Corneille  zwischen  antiker  und 
romanesker  Richtung  im  Drama  schwankte ;  S.  233  vermisst  man 
die  Angabe  des  Einflusses,  den  Descartes,  auf  S.  333,  den  St. 
Simon  und  seine  Nachfolger  auf  die  Litteratur  ihrer  Zeit  ausgeübt. 

Oft  ist  Verwandtes  und  Zusammengehöriges  auseinander- 
gerissen; S.  109  ist  der  Abschnitt  Geschichte  zwischen  der 
didaktischen  und  lyrischen  Poesie  eingeschoben;  S.  215  ff. 
Corneille  von  den  anderen  grossen  Dramatikern  Moli^re  und 
Racine  durch  die  Abschnitte  über  Salons,  Romane,  Des- 
cartes und  Pascal  getrennt;  ferner  fragt  man  sich,  warum 
S.  207  der  Abschnitt  Das  Hotel  de  Rambouillet  nicht  mit 
dem  verwandten  S.  225  Salons  und  Preziösentum  zusammen- 
gelegt ist,  oder  wie  in  einem  Paragraphen  S.  278  der  Memoiren- 
schreiber  St.  Simon  mit  dem  Eanzelredner  Massillon  zu- 
sammenpasst.  Das  Ganze  erscheint  als  eine  Sammlung  von  an- 
einandergereihten Notizen  über  Dichter  und  Schriftsteller,  ohne 
inneren   Zusammenhang.     Es   ist   dies    ein   grosser   Nachteil   für 


Gabriel  Bounin,  La  Soliane.  145 

das  Buch,  da  hierdurch  die  Übersicht,  das  Verständnis  und  die 
Aneignung  des  Stoffes  ungemein  erschwert  wird. 

Mit  grosser  Ausführlichkeit  hat  de»  Verfasser  die  Ab- 
schnitte über  die  Chansons  de  geste,  über  das  Zeitalter  Lud- 
wig's  XIV.,  Voltaire  u.  a.  behandelt,  reichhaltige  bibliographische 
Nachweise  und  schätzenswerte  Inhaltsangaben  der  betreffenden 
Werke  hinzugefügt,  wobei  allerdings  einzelne  zu  kurz  abgethan 
sind,  wie  z.  B.  S.  368  bei  G.  Sand,  S.  381  bei  Augier,  oder 
sie  fehlen  wie  S.  361  bei  Gautier.  Auch  wäre  eine  genauere 
Inhaltsangabe  des  Romans  Jehan  de  Saintre  S.  168,  der  mehr 
als  manches  Andere  die  höfischen  Anschauungen  aus  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  charakterisiert,  sowie  eingehendere 
Mitteilungen  über  den  Lebensgang  des  doch  gewiss  hinlänglich 
merkwürdigen  Rabelais  zu   wünschen  gewesen. 

G.    BOBNHAK. 


Bounin,  Gabriel,  La  Soltane,  Trauerspiel.  Paris,  164L  Neu- 
druck besorgt  von  E.  Stengel  und  J.  Venena.  Mit 
einer  litterarischen  Einleitung  von  Johannes  Venena. 
Marburg,  1884.  N.  G.  Elwert'sche  Verlagsbuchhandlung. 
64  S.  80.  (Ausg.  u.  Abk.  aus  dem  Geb.  der  rom.  Phil 
veröff.  von  E.  Stengel).     Preis:  1  M.  50. 

Gabriel  Bounin,  der  fast  verschollene  Autor  einer  ver- 
schollenen Tragödie:  la  Soltane  und  mancher  politischen  und  nicht 
politischen  Dichtereien,  wurde  wahrscheinlich  bald  nach  1530  zu 
Chäteauroux  in  Berry  geboren,  und  war  1586  noch  am  Leben.  In 
Paris  studierte  er  die  Rechte  und  klassische  Philologie,  bekleidete 
verschiedene  Ämter,  erfreute  sich  der  Gunst  des  Kanzler  L'Ho- 
pital,  vielleicht  auch  des  gnädigen  Beifalls  Katharinens  von  Me- 
dici.  Er  trat  in  den  Dienst  des  Herzogs  von  Alen^on,  des 
Sohnes  der  letzteren,  den  er  in  seinen  Gedichten  nach  herkömm- 
licher Art  feierte.  Hiemach  wäre  er  nur  einer  der  vielen  schön- 
geistigen Hofschranzen  und  Schweifwedler  in  jener  Zeit  des 
poetischen  Bettlertums  gewesen,  aber  dass  er  in  einer  Rede  an 
den  ohnmächtigen  Karl  IX.  sich  für  Erhaltung  des  konfessionellen 
Friedens  ausgesprochen  hat,  beweist  eine  freie  Geistesrichtung, 
die  damals  wohl  bei  den  Politikern  aus  Machiavelli's  Schule, 
aber  nicht  bei  dichtenden  Parasiten  zu  finden  war.  Die  in 
der  obenerwähnten  Sammlung  abgedruckte  Tragödie:  la  Soltane 
soll  nach  den  fr^res  Parfaict  (die  nach  meinen  Erfahrungen  aller- 
dings nicht  immer  zuverlässig   sind)    spätestens   1560  aufgeführt 

Zsclur.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.    XI^.  ^q 


146  Referate  und  Rezensionen.    Fritsche, 

sein,    wahrseheinlieh    am    französisch en    Hofe;    gedruckt    wurde 
sie  1561. 

Sie  behandelt  die  Ermordung  Mustapha's,  des  Sohnes  und 
Thronfolgers  Sa>iman^s  IL,  den  sein  Kebsweib  Roxolane  (bei 
Bounin  heisst  sie  Rose)  gegen  diesen  edlen  Prinzen  aufgehetzt 
hatte,  weil  sie  ihrem  Sprössling  Selim  die  Nachfolge  sichern 
wollte.  Bounin  hallt  sich  ziemlich  treu  an  die  geschichtliche 
ÜbeHieferuBg,  beobachtet  aber  das  Zeit-  und  Lokalkolorit  so 
wenig,  wie  seine  diehterischeti  Zeitgenossen  es  thaten,  prunkt 
mit  mythologischen  Reminiszenzen  und  Figui^n,  führt  einen  sta- 
tistenhaften  Chor  ein  und  hält  sich  an  das  Vorbild  von  Seneca's 
Medea,  (Auf  die  Frage,  ob  Medea  wirklich  ein  Werk  des  be- 
kannten Seneca  sei,  gehen  wir  nicht  ein.)  Die  Unnatur  und 
die  grausen  Effekte  der  Tragödien  dieses  römischen  Philosophen 
mussten  eine  Zeit  anmuten,  welche  in  den  Blutthaten  innerer  und 
äusserer  Kriege  sich  behaglich  fühlte,  die  poesielose  Rhetorik 
derselben  denen  zusagen,  welche  an  den  klassischen  Phrasen  und 
Reminiszenzen  von  Jugend  an  sich  erbaut  hatten.  So  ist  denn 
Bounin  gerade  wie  Jodelle  der  gelehrige  Nachahmer  des  schwül- 
stigen Hofphilosophen,  aber  mit  souveränerer  Selbständigkeit,  als 
dieser,  setzt  er  sich  über  die  Schranken  der  Orts-  und  Zeiteinheit 
hinweg  und  wagt  sich  an  einen  Stoff  aus  der  unmittelbaren 
Gegenwart,  statt  sich  mit  den  oft  auseinander  gezerrten  Gräuel- 
stoffen  aus  der  hellenischen  Vorzeit  zu  begnügen. 

Wie  so  viele  Stücke  jener  Übergangsperiode  zum  Klassisch- 
Regelrechten,  ist  auch  die  Soltane  eine  unbewusste  Parodie  auf 
alle  dramaturgischen  Gesetze,  alle  Regeln  der  Kunst  und  Schön- 
heit. Von  Charakterzeichnung  und  dramatischer  Entwickelung, 
von  Wahrscheinlichkeit  und  psychologischer  Motivierung  ist  kaum 
die  Rede,  das  grell  verzenie  Laster  tritt  der  ebenso  grell  ver- 
zeichneten Tugend  schroff  gegenüber,  ein  Hauptheld  und  ein 
Hauptinteresse  fehlt.  Zudem  müssen  wir  uns  durch  1842  Verse, 
wovon  400  auf  die  inhaltsleeren  Chorgesänge  kommen,  hindurch- 
quäleti.  Gleichwohl  ist  der  Abdruck  dieses  ganz  seltenen  Stückes 
sehr  verdienstlich,  denn  unsere  Kenntnis  der  französischen  Litte- 
ratur  des  XVL  Jahrhunderts  bedarf  noch  einer  auf  Neuent- 
deckungen und  Neuabdrücken  sich  stützenden  Erweiterung. 

Herr  Venena  weist  nach,  dass  das  Bounin'sche  Machwerk 
auf  Racine's  Bajazet  ohne  Einfluss  geblieben  sei,  bringt  auch 
sonst  über  die  französischen  Schauer-  oder  Stelzentragödie  des 
XVL  Jahrhunderts  manches  Belehrende  und  Treffende,  und  erörtert 
deren  Verhältnis  zu  Seneca  genau.  Wenn  übrigens  bei  Bounin 
der  Chor  nicht  in  die  Handlung  sich  einmischt,  wie  bei  Seneca 
und  Jodelle,    so    zeigt   hierin    gerade   der  Dichterling  richtigere 


C.  Humhert,  MoHere,  L'Anare.  147 

Kenntnis   der  griechischen  Tragödie,    in   welcher    der  Chor  nur 

Echo    der    Volksstimme,    aber    kein    mitbewegender    Hebel  der 
Handlung  ist.                                              R.  Mahrenholtz. 


Moli^re^  LAvare,  Mit  Einleitung,  Anmerkungen  und  einem  Anhang 
herausgegeben  von  C.  Humbert.  Leipzig,  1889.  E.  A.  See- 
mann (5.  Band  der  Martin  Hartmann^scJien  Schulausgaben 
französischer  Schriftsteller).  XVI  u.  86,  nebst  84  S.  besonders 
geheftete  Anmerkungen. 

Man  kann  bald  sagen:  Moliere  und  kein  Ende!  Wenigstens  der 
Schulausgaben  dürfte  nun  wohl  genug  sein.  Die  Kommentare  be- 
weisen, dass  der  Stoff  nahezu  oder  ganz  erschöpft  ist ;  nur  wenig  Neues 
bringen  sie  noch  bei,  und  dies  Wenige  könnte  man  füglich  in  einer 
Zeitschrift  auf  ein  paar  Seiten  vereinigen.  Niemand  wird  dem  neuesten 
Herausgeber  des  Avare  das  Recht  absprechen,  über  Moliöre  ein  Wort 
mitzureden,  aber  doch  bezweifeln  wir,  dass  seine  Ausgabe  eine  fühl- 
bare Lücke  ausfüllt.  Dazu  ist  es  auch  fraglich,  ob  er  gerade  der  ge- 
eignete Mann  ist,  philologische  Noten  und  kurze  Übersichten  zu 
schreiben.  Humbert*s  Stil  ist  dazu  nicht  scharf  genug,  leidet  an  un- 
nützen Worten,  unbestimmten  Wendungen,,  nimmt  leicht  den  Mund  zu 
voll  von  tönenden  Phrasen,  die  den  Sinn  verdunkeln,  so  sehr  der 
Inhalt  auch  von  umfassender  Belesenheit  zeugt.  Ein  paar  Beispiele 
statt  vieler. 

Was  soll  man  zu  dem  ersten  Satze  der  Einleitung  („Moliere's 
Leben  und  Werke")  sagen:  Das  Lehen  des  Künstlers  sind  seine  Werke 
(Bitte,  was  heisst  das  in  einfacher  Sprache?),  von  ihm  selbst  erricktete 
Denkmäler  geistiger  Eroberungen  und  Schlachten  (hu!),  und  die  Zeit^  die 
er  auf  Erden  weilte,  hat  nur  für  die  Nachwelt  Bedeutung,  (also  nicht 
für  seine  Zeitgenossen?  Keineswegs  will  Humbert  dies  sagen,  das  nur 
steht  an  falscher  Stelle  und  gehört  vor  das  Folgende)  soweit  sie  dazu 
diente,  das  was  in  ihm  gelebt,  in  solchen  (?)  mustergültigen  (sind  denn 
alle  Kunstwerke  mustergiltig?)  Denkmälern  zu  verkörpern.  Wie  wäre 
es,  wenn  Jemand  das  Wort  Schiachton  selbst  im  eigentlichen  Sinne 
gebrauchend,  sagte.  „Das  Leben  Napoleon's  sind  die  Schlachten  von 
Maren^o,  Austerlitz,  Jena,  Borodino,  Leipzig  und  Waterloo"?  Würde 
man  dieser  Rede,  deren  Sinn  sich  ja  iällenfälls  erraten  Hesse,  nicht 
einen  schlechten  Feuilletonstil  beimessen?  —  Das  ,,Leben"  beginnt  so: 
Im  Jahre  des  Heils  1622,  wahrscheinlich  am  22.  Jenner,  ward  in  der 
guten  Stadt  Paris  dem  ehrsamen  Tapeziermeister  Hans  Poquelin  und  der 
Marie  de  Cresse  der  erste  Sprössling  geboren.  Man  nannte  ihn  Jean- 
Baptiste  Poquelin,  Die  Nachwelt  kennt  ihn  unter  dem  Namen  Moliere. 
Wie  viel  unnütze  Worte  und  wie  viel  Schiefheiten!  Sollen  die  Zu- 
thaten  des  Heils,  der  guten  Stadt,  ehrsamen  scherzen,  spotten,  charakteri-r 
sieren?  Nichts  davon,  sie  sind  schlechthin  überflüssig.  Der  Vater 
hiess  aber  nicht  Hans,  sondern  Jean,  oder  man  müsste  Moliere  nicht 
in  demselben  Athem  Jean-Baptiste,  sondern  Hans -Baptist  nennen. 
Man  nannte  diesen  nicht  erst  in  der  Taufe  Poquelin,  denn  ein  Poquelin 
war  er  schon  von  Geburt.  Die  Nachwelt  kennt  ihn  zwar  unter  dem 
Namen  Moliere,  aber  die  Mitwelt  nannte  ihn  auch  schon  so.  —  Andere 
Stilfehler  aus  den  Anmerkungen:  S.  3  schliesst  sich  in  dem  Satze: 
Eine   äusserliche  Hauplhandlung  u.  s.  w.   die  zunächst   an  MariOMe  an 

10* 


148  Referate  und  Rezensionen.     R.  MahrenJioltz, 

soll  aber  auf  ßaupihandlung  gehen.  —  S.  12  heisst  es:  J'en  vois. 
Fritsche  und  Lion  beziehen  en  auf  Mariane,  Lavigne  auf  ihre  Tugenden, 
Unklar!  Wahrscheinlich  ersieres  u.  s.  w.  Was  in  aller  Welt  ist  un- 
klar? Was  die  beiden  ersten  Erklärer  sagen,  oder  was  der  dritte 
sagt,  oder  was  Moliere's  Text  sagt?  —  Ob  wohl  bildliche  Ausdrücke 
wie  folgender  in  eine  solche  Ausgabe  gehören:  So  werden  die  Szenen 
enge  mit  einander  verbunden,  und  der  elektrische  Strom,  der  den  Zu- 
schauer fortreisst,  wird  nicht  unterbrochen  (S.  8).  Gleich  darauf  S.  4: 
Die  Einheit  der  Zeit  und  des  Ortes  begünstigte  die  Nichtunterbrechun^ 
des  elektHschen  Stromes,  Also  die  interessante  Handlung  wird  mit 
einem  elektrischen  Strome  verglichen,  worunter  sich  Jedermann  denken 
mag  was  er  will;  wer  aber  hat  schon  gehört,  dass  ein  elektrischer 
Strom  Menschen  fortreisst!  Ein  wirklicher  Strom  thut  das  wohl,  ein 
elektrischer  Strom  nie;  er  tötet,  lähmt,  zersetzt,  erzeugt  Krämpfe. 
Und  wer  begünstigt  wen?  Die  Einheit  die  NichtUnterbrechung  oder 
umgekehrt?  Man  könnte  ja  Beides  verteidigen,  weil  die  doppelte 
Metapher  verschiedene  Deutungen  zulässt. 

Es  steht  wirklich  traurig  um  den  deutschen  Stil,  wenn  solche 
Verwilderung  schon  in  Schulbüchern  zu  finden  ist.  Und  doch  hätte 
Niemand  mehr  die  Pflicht,  als  wir  Lehrer,  dieser  Verwilderung  durch 
gutes  Beispiel  Einhalt  zu  thun.  Ich  möchte  nicht  für  mürrisch  gelten, 
aber  le  mauvais  goüt  du  siicle  en  cela  me  fait  peur. 

Was  die  Sachen  betrifft,  so  erlauoe  ich  mir  nur  wenige  Be- 
merkungen. Der  Ausdruck:  1631  ward  der  Vater  Hoftapezierer  und 
Kammerdiener  Ludwigs  XIll  hilft  den  alten  Irrtum  weiter  verbreiten, 
Poquelin  sei  jemals  der  Kammerdiener  des  Königs  gewesen.  Er  war 
nichts  als  Hoftapezierer  und  hatte  als  solcher  den  Rang  eines  könig- 
lichen Kammerdieners.  Dies  und  nichts  Anderes  ist  der  Sinn  der 
immer  wiederholten  Titulatur  valet  de  charnbre  Tapissier  du  roi.  —  Der 
Dichter  vertauschte  nicht  den  Namen  Jean-Baptiste  Poquelin  mit  dem 
Namen  Moliere,  sondern  nur  den  Namen  Poquelin  mit  dem  Namen 
Moli^re;  er  heisst  ja  stets  und  unterschrieb  sich  oft  Jean-Baptiste 
Moliere.  —  Dass  als  Moliere  die  Pre'c.  rid,  aufführte,  er  ein  ve7'bo?-gener 
Schauspieler  gewesen  sei,  kann  man  nicht  zugeben ;  er  war  damals 
schon  das  bekannte  Haupt  einer  in  ganz  Frankreich  gut  berufenen 
Truppe.  Wahrscheinlich  liegt  auch  hier  einer  der  zahllosen  schiefen 
Ausdrücke  des  Herausgebers  vor.  —  Die  ßegriffsunterscheidungen  auf 
S.  IV  verstehe  ich  beim  besten  Willen  nicht.  Humbert  nennt  folgende 
Gattungen:  Komisches  Schauspiel,  gewöhnliches  Lustspiel,  komische 
Komödie,  komisches  Charakterschauspiel,  Phantasiekomödie  (soll  wohl 
sein  was  man  gewöhnlich  Situationslustspiel  nennt)  und  Intriguen- 
komödie.  Die  letzten  drei  Arten  lassen  sich  trennen,  aber  wie  unter- 
scheiden sich  die  drei  ersten?  Gibt  es  auch  eine  tragische  Komödie? 
Vielleicht  was  man  sonst  Tragikomödie  nennt?  Ist  das  gewöhnliclie 
Lustspiel  etwas  anderes  als  eine  Komödie  oder  als  eine  komische 
Komödie?  Gibt  es  auch  eine  nicht  komische  Komödie,  und  warum 
heisst  sie  Komödie,  wenn  sie  nicht  komisch  ist?  —  Nach  diesen  un- 
klaren, für  Schüler  ganz  un fassbaren  Unterschieden  kommt  Humbert 
auf  Moliere's  komische  Charaktere  zu  sprechen.  Hier  stellt  er  folgende 
ungeheuerliche  Behauptung  auf:  Die  Hauptpersonen  gewöhüicher  Lust- 
spiele, wie  auch  die  der  meisten  Shakespeare* s  sind  sentimental,  höchstens 
lustig,  witzig  und  heiter;  ihre  Komik  beschränkt  sich  auf  Nebenpersonen, 
und  wo  diese  in  Charakteristik  hinüber  spielt,  auf  die  am  leichtesten  zu 
behandelnde  possenhafte  Dummheit,  Man  kann  darauf  nur  erwidern, 
dass  man  nicht  um  jeden  Preis  etwas  Neues  sagen  wollen  muss,  sonst 


Hermann  Gehrig,  Jean-Jacgties  Rousseau,  sein  Leben  etc.         149 

gerät  man  in  eine  unfreiwillige  Komili,  selbst  wenn  man  eine  Haupt- 
person ist.  Irgend  ein  „gewöhnliches  Lustspiel"  biete  eine  Anwendung: 
Scribe's  Glas  Wasser,  Sind  die  Hauptpersonen,  Bolingbroke  und  die 
Herzogin,  sentimental?  sind  sie  höchstens  lustig,  witzig,  heiter?  Weiter 
gar  nicht  charakterisiert?  Sind  blos  die  Nebenpersonen  komisch? 
Wer  ist  in  dem  Stücke  possenhaft  dumm?  Entsprechende  Fragen  in 
Betreff  von  Freytag's  Journalisten.  Nun  ein  Lustspiel  Shakespeare's: 
Viel  Lärm  um  Nichts,  Sind  die  Hauptpersonen,  Benedikt  und  6ea.trice, 
sentimental?  sind  sie  höchstens  lustig,  witzig,  heiter?  Haben  sie  sonst 
keine  Charakteristik?  Sind  blos  die  Nebenpersonen  dumm?  Ist  Don 
Juan  eine  Nebenperson?  Doch  gewiss,  und  ist  er  dumm?  G-anz  im 
Gegenteil!  Ist  der  stockdumme  Holzapfel  eine  Nebenperson?  Das  ist 
doch  sehr  zweifelhaft.  Und  so  frage  man  nach  den  Personen  von 
Was  Ihr  wollt  und  beliebigen  anderen  Lustspielen  der  grossen  Briten. 
—  Doch  genug ;  ich  greife  nur  einige  Stellen  heraus,  um  zu  zeigen, 
dass,  wenn  nicht  der  Lehrer,  so  der  Schüler  im  Kopfe  durch  Humbert's 
Erklärungen  nicht  klarer  wird.  Humbert  möchte  sein  Idol  Moliäre 
gern  über  alle  Mitbewerber,  selbst  über  Shakespeare,  hinausheben  und 
wird  dadurch  zu  grossen  Übertreibungen  veranlasst.  Den  Unter- 
zeichneten wird  Niemand  beargwöhnen.  Meliere  gering  zu  schätzen, 
aber  zu  Humbert's  bedingungsloser  Bewunderung  kann  er  sich  nicht 
aufschwingen. 

Im  Kommentar  findet  sich  neben  dem  Vielen,  das  ein  Heraus- 
geber mit  lächelnder  Miene  dem  anderen  abnimmt,  viel  Klein meister ei 
und  wenig  Neues.  Einige  Bemerkungen  aus  der  Ausgabe  von  Lavigne, 
die  ich  nicht  kenne,  und  einige  andere  aus  Fournier's  französischem 
Theater  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  erschienen  mir  als  das  Beachtens- 
werteste. Grossen  Fleiss  kann  man  der  Notensammlung  nicht  ab- 
sprechen. Pritsche. 


/)^GeIirig9  Hermann,  Jean- Jacques  Rousseau,  sein  Leben  und  seine 
pcedagogische  Bedeutung.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 
Poedagogik.  2.  billige  Auflage.  Neuwied  und  Leipzig,  o.  J. 
[1888*].  Heuser's  Verlag  (Louis  Heuser).  192  S.*  kl.  8®. 
Preis :  1   Mk. 

Diese  kleine  Schrift  ist  aus  einem  Vortrag  entstanden,  den  der 
Herr  Verfasser  vor  11  Jahren  zum  Andenken  au  Rousseau's  100jährigen 
Todestag  in  einer  Elementaflehrer -Versammlung  zu  Neuwied  gehalten 
hat  und  schildert  hauptsächlich  Rousseau  als  Pädagogen  vom  Stand- 
punkte eines  Seminarlehrers  aus.  Gehrig  rühmt  sich  allerdings,  auch 
die  neueste  Rousseau  -Litteratur  gewissenhaft  benutzt  zu  haben,  das 
trifft  aber  selbst  für  das  Jahr  1878  nicht  zu.  Vielmehr  ist  Hermann 
Hettner  seine  Hauptquelle,  die  er  mit  der  Gewissenhaftigkeit  eines  mittel- 
alterlichen Chronisten  ausschreibt,  so  sehr  auch  die  Darstellung,  welche 
der  verstorbene  Dresdener  Professor  von  Rousseau  noch  in  der  letzten 
Auflage  seines  Werkes  gegeben  hat,  von  der  Forschung  überholt  ist. 
Nebenbei  hat  er  Brockerhoff*s  Rousseau-Biographie  herangezogen  und 
sich  mit  neueren  pädagogischen  Beurteilungen  des  Emile  vertraut  ge- 
macht. 

Seine  Kenntnis  von  den  allgemeinen  Zeitverhältnissen  im 
XVIU.  Jahrhundert  ist  aus  Schlosser  und  aus  —  Weber  geschöpft. 
Die  Werke  Rousseau's  citiert  er  nach  der  —  Frankfurter  Ausgabe 
vom  Jahre  1859,  kennt  aber  von  diesen  Werken  augenscheinlich  nur 


150  Referate  und  Rezensionen,    R.  MahrenhoUz, 

den  Emile  und  den  Proiet  pour  Ve'ducation  genauer,  während  er  sich  in 
der  Inhaltsangabe  und  Beurteilung  des  Contrat  social  wieder  an  Hettner 
anlehnt.  Hätte  er  die  Confessions  sorgfältiger  gelesen,  so  würde  er 
Therese  Levasseur  nicht  mit  Brockerhoff  zur  „Vorsteherin  eines  Wäsche- 
Departements"  avancieren  lassen,  während  sie  doch  im  Pensionate 
St  -Quentin  nur  pour  iravailler  en  linge,  d.  h.  als  Schneidermädchen, 
allgestellt  war.  Theresen's  Verhältnis  zu  Rousseau  wird  wieder  nach 
Hettner  idealisiert,  die  Berufung  auf  die  Confessions  kann  nichts  be- 
weisen, da  Rousseau  den  Charakter  seiner  Zuhälterin  und  seine  wilde 
Ehe  hier  bedeutend  verschönert.  (Referent  hat  sich  über  Therese 
Levasseur  unlängst  eingehender  in  einer  in  der  Zeitschnfi  erschienenen 
Abhandlung  geäussert). 

Qehrig^s  Urteile  über  den  ihm  mehrfach  sympathischen,  doch 
leider  weder  streng  moralischen,  noch  biblischen  Philosophen  von  Genf 
sind  herkömmlicher  Art,  bisweilen  sogar  durch  Schrader's  Einfluss 
pietistisch  gefärbt. 

Eine  volkstümliche  Biographie  Rousseau's,  in  der  auch  seine 
pädagogische  Bedeutung  recht  eingehend  hervorgehoben  werden  konnte, 
wäre  im  Jahre  1889,  dem  Säkularjahre  der  französischen  Revolution, 
sehr  erwünscht  gewesen,  aber  sie  müsste  auf  viel  eingehenderen  Studien 
ruhen.  Dieses  Volksbüchlein  kann  auch  den  Elementarlehrern,  an  die 
es  sich  vorzugsweise  wendet,  nicht  viel  nützen,  in  mancher  Hinsicht 
sogar  schaden,  für  den  Rousseau-Forscher  ist  es  wertlos.  Einen  Aus- 
fall gegen  Darwin,  S.  57,  hätte  ein  Gehrig  sich  besser  sparen  sollen. 

R.  Mahrenholtz. 


i/  Schmidt,  Otto,  Rousseau  und  Byron.  Ein  Beitrag  zur  ver- 
gleichenden Litteratargeschichte  des  Revolutionszeitalters. 
Greifswald,  1889.     Jul.  Abel.     182  S.  8^ 

Vergleiche  zwischen  grossen  Dichtern  und  Denkern  ver- 
schiedener Zeiten  und  Völker  sind  von  jeher  eine  Lieblings- 
neigung deutscher  Litterarhistoriker  gewesen.  Was  hat  man  nicht 
alles  verglichen!  Shakespeare  mit  Händel,  R.  Wagner  mit 
Äschylus  und  Euripides;  Byron,  der  in  der  obigen  Schrift  Gegen- 
stand der  Vergleichung  mit  J.-J.  Rousseau  ist,  sagt  von  sich 
selbst,  dass  er  innerhalb  neun  Jahre  mehr  als  fünfzehnmal  als 
Mensch  und  als  Dichter  mit  anderen  geschichtlichen  und  my- 
thischen Personen  verglichen  sei,  darunter  mit  Rousseau  und 
GoBthe  sowohl,  wie  mit  Arlechino  und  dem  Zirkus-Clown.  Daher 
könnte  der  ausschliesslich  komparative  Charakter  der  Scbmidt'schen 
Schrift  leicht  Bedenken  erregen,  indessen  zum  Glück  hält  sich 
der  Verfasser  auf  dem  Boden  des  litterarhistorisch  Gegebenen 
und  positiv  Feststehenden.  Byron's  Mutter  hat  schon  in  dem 
zwanzigjährigen  Sohne  einen  zweiten  Rousseau  erblickt,  M°*® 
de  Stall  dann  auf  Grund  ihrer  persönlichen  Bekanntschaft  mit  dem 
englischen  Dichter  diesen  Vergleich  wieder  aufgenommen,  misslich 
ist  nur,    dass   Byron   selbst  zweiundzwanzig  unterscheidende 


Otto  Schmidt,  Rousseau  und  Byrnn.  151 

Jtferkinale  iwfUbrt.  Schmidt  bemerkt  dazu  allerdings  mit  Becfat,  dasß 
siebzehn  dieser  Punkte  „rein  äusserli^her  Natur'',  die  übrigen 
fUnf  widerlegbar  seien  und  er  ziebt  nun  eine  Parallele  zwüoben 
beider  Leben,  Lebeasanftcbanaxig  und  tittenurisehea  Tb^gkeit 

Die  Vorfahren  beider  stammten  aus  Frankreich,  die  Bou3- 
sean's  aus  Paris,  die  Byroo^s  aus  der  Normandie,  beider  Vät^r 
leiteten  die  Erziehung  der  Söhne  in  uuverantwortUch  schlechter 
Weise,  sie  standen  Auch  moralisch  nicht  eben  hoch.  XXie  Büdung 
Rousseau's,  wie  Byron^s,-  war  eine  vielseitig  aJI>er  ungeregelte, 
für  einen  enggegrenzten  Lebensberof  nicht  passende,  mit  Ver- 
kenoung  ihrer  beiderseitigen  Eigentümlicbkeüien  wollten  sie  als 
Diplomaten  glänzen.  Frühe  und  ungeeignete  EonuanleklTÜre  gab 
beider  Lebensanschauung  etwas  phantastisch -unrichtiges;  wie 
Eousseau  schon  als  Kind  Bücher  ohne  Wahl  und  Verständnis 
durchjagte,  so  begeisterte  sich  der  sechszehigährige  9jro^n  jvi 
der  NoiüoeUe  Helo'isey  las  mit  neunzehn  Jahpeiu  die  Conf^»ons. 
Hang  zur  Einsamkeit  und  Naturschwärmerei,  zu  unnatürlicher 
Geftthlsweicbbeiit  ist  ihnen  «eben  in  jungen  Jahren  ej^gentttvaUGb, 
abenteuerliches  U<mberirren,  wobei  Byron  sich  eunäohst  ^UerdiiOgs 
auf  sein  Vaterland  hescbTänkte,  binderte  äire  sittliehe  Festigung 
und  Charakterentwiekelung.  Allzufr4£b  lernten  sie  die  Nachtseiten 
des  Lebens  und  die  Schwächen  des  Weibes  kennen,  ein  w<eib- 
liches  Wesen,  das  ihrer  würdig  iwar,  famden  beide  «nur  eiunwaj  in 
ihrem  vielgestaltigen  Leben.  Um  in  der  Gesellschatf^t  zu  leib.en 
und  hervorzAiragen,  fehlte  Rousseau  tdie  feste  Gesundheit^  fUr 
Byron  war  sein  körperliches  Gebrechen  trotz  sonst  Tolleiideter 
Schönheit  ein  fortwährendes  Qj^idemis.  Das  Missbehagen,  weiches 
sie  von  vornherein  der  Gesellschaft  enige^€wtruge»n ,  artete  all- 
mählich in  einen  feindlichen  Gegensatz  aus,  den  die  Mit-  und 
Nachweit,  ungeachtet  der  Begeisterung  für  beider  Dichtungen, 
durch  Hass  und  Verleumdung  erwiderte.  Selbst  die  unparteiisch 
Urteilenden  späterer  Tage  haben  ihnen  nur  selten  "volle  Gerech- 
tigkeit widerfahren  lassen.  Byron  glänzte  schon  mit  dem  4icht- 
zehnten  Jahre  als  Dichter  und  eidiob  sich  zum  ersten  S<^bnrift- 
steller  seiner  Zeit  trotz  aller  Anfeindungen  der  Kritik^  auch 
Rousseau,  obwohl  erst  von  seinem  neununddreiasigstesi  Jsdur«  ab 
ein  allgemein  gefeierter  Schriftsteller,  ist  bereits  in  gleichem 
Alter  dichterisch  thätig.  Von  der  Zunft  der  Kritiker  a,ppe]lieren 
beide  mit  £rfo^  an  ihre  Zeit,  Byron  als  Dichter,  Bousseau 
namentlich  als  Musikreformator. 

Aber,  soviel  sie  auch  von  der  feingebildeten  Aristokra^tie 
gefeiert  und  selbst  vergöttert  wurden,  behalten  konnten  sie  ihre 
.hervorragende  Steüupg  nicht  bis  ^n  ihres  Lebens  finde.  Daher 
die  Opposition,  welche  sie  den  herrschenden  Anschanwif  en  in  der 


152  Referate  und  Rezensionen,    E.  Hönncher, 

Gesellschaft,  im  Staate  und  in  der  Kirche  machten.  Die  Ab- 
wendung von  der  herrschenden  Aristokratie  und  Regierung,  die 
Befreiung  gedrückter  und  geknechteter  Völker  wirft  auf  ihre  letzten 
Tage  ein  verklärendes  Licht.  Was  für  Rousseau^s  Freiheits- 
ti'äume  Korsika  und  Polen,  das  war,  freilich  mit  ganz  anderer 
Aufopferung  seines  Lebensglückes,  für  Byron  Griechenland.  Wie 
ihr  Leben  vielfache  Übereinstimmung  zeigt,  ist  auch  ihr  Dichten 
ein  oft  verwandtes.  Der  Verherrlichung  der  Liebe  sind  beider 
Hauptdichtungen  gewidmet,  und  so  wenig  sie  auch  das  weibliche 
Geschlecht  im  ganzen  hochstellten  und  ihm  eine  vorherrschende 
gesellschaftliche  Stellung  gönnten,  so  sehr  lassen  sie  die  Weiber 
stets  als  Besiegerinnen  der  wie  Sklaven  behandelten  Männer  her- 
vorgehen. Edle  und  tugendhafte  Frauen  vermochten  sie  nicht 
zu  schildern,  weil  sie  solclie  nicht  kannten,  ebensowenig  gelang 
ihnen  die  Darstellung  des  Grossen  und  Selbstlosen  im  Manne,  weil 
beider  sittliches  Ideal  durch  des  Lebens  Schickungen  getrübt  war. 

Die  Nachahmung  Rousseau's  ist  in  Byron's  Dichtungen 
recht  häufig,  für  diese  meist  augenfälligen  Einzelheiten  verweisen 
wir  auf  die  Schrift  selbst.  Vor  allem  ist  Rousseau  sowohl  wie 
Byron  der  Prophet  der  kommenden  Umwälzung  im  staatlichen 
und  litterarischen  Leben,  nur  dass  der  letztere  die  erste  jener 
grossen  ümsturzbewegungen  des  XIX.  Jahrhunderts,  die  griechische 
Revolution,  noch  durchlebte  und  durchlitt,  Rousseau's  Lebensende 
von  dem  Ausbruche  der  französischen  Revolution  um  mehr  als 
ein  Jahrzehnt  getrennt  ist.  Aber  in  litterarischer  Hinsicht  sind 
sie  für  Mit-  und  Nachwelt  gleich  bahnbrechend  gewesen,  ihren 
Einfluss  haben  auch  diejenigen  Zeitgenossen  gespürt,  die  in  ihrem 
innersten  Wesen  beiden  abgeneigt  waren. 

Herr  Schmidt  kennt  offenbar  seinen  Byron  genau  und  kann 
sogar  einige  übereilte  Urteile  K.  Elze^s  berichtigen,  für  Rousseau 
fusst  dagegen  seine  Kenntnis  zum  Teil  auf  sehr  abgeleiteten 
Quellen.  Daher  weiss  er  zwar  Paralellen  und  Parallelstellen  aus 
Rousseau's  Schriften  zu  finden,  ist  aber  doch  über  wichtige  Be- 
ziehungen seines  Lebens  nicht  immer  unterrichtet.  So  sollte  die 
Untreue  der  Therese  Levasseur  und  ihre  spätere  Ehe  mit  einem 
„Stallknecht"  (genauer  Reitknecht)  des  Marquis  Girardin  nicht 
als  eine  unbezweifelte  Thatsache  hingestellt  werden,  und  der 
Vergleich  Theresens  mit  Klytämnestra  entbehrt  jeder  Realität. 
Auch  hätte  neben  den  Übereinstimmungen  zwischen  Rousseau  und 
Byron  das  Trennende  in  beider  Leben,  Charakter  und  Dichter- 
thätigkeit  in  Betracht  gezogen  werden  müssen,  wobei  die  zwei- 
undzwanzig von  Byron  selbst  aufgestellten  Merkmale  —  trotz 
ihrer  „äusserlichen"  Natur  —  wohl  einige  Leitmotive  gaben,  falls 
sie  nur  weiter  durchgeführt  und  vertieft  wurden.    So  ist  die  Ab- 


Joseph  Sarrazin,  Das  moderne  Drama  der  Franzosen  etc.        153 

stammnng  Byron's  aus  der  englischen  Aristokratie,  Ronsseau's 
aus  dem  Genfer  Kleinbürgertum  in  der  That  etwas  sehr  ent- 
scheidendes. Byron  blieb,  trotz  seines  Hasses  gegen  volks- 
feindliche heuchlerisch -fromme  Aristokraten  sein  Lebenlang  der 
englische  Lord,  Rousseau,  auch  da,  wo  er  sich  der  Gesellschaft 
von  Paris,  der  Chevrette  und  von  Montmorency  nach  Möglichkeit 
assimilierte  und  selbst  den  Geburtsstolz  für  berechtigt  erklärte, 
doch  der  in  fremde  Sphären  verschlagene  Plebejer,  Der  Einfluss 
der  Genfer  Jugendeindrticke  und  der  nie  verleugneten  Liebe  für 
das  französische  Volk,  dem  seine  Ahnen  entstammten,  musste  bei 
Rousseau  ebenso  hervorgehoben  werden,  wie  bei  Byron  die 
englische  Geburt  und  Erziehung. 

Ungeachtet  dieser  Mängel  kann  der  Schrift  sorgfältiges 
Studium,  besonnenes  Urteil  und  sachgemässe  Darstellung  nach- 
gerühmt werden,  und,  da  sie  manches  bisher  wenig  Beachtete 
treffend  hervortreten  lässt,  so  verdient  sie,  gelesen  und  gekannt 
zu  werden.  R.  Mahrenholtz. 


Sarrazin,  Joseph,  Das  moderne  Drama  der  Franzosen  in  seinen 
Hauptvertretern,  Mit  zahlreichen  Textproben  aus  her- 
vorragenden Werken  von  Augier,  Dumas,  Sardou  und 
Pailleron.  Stuttgart,  1888.  Friedrich  Fromman's  Verlag 
(E.  Hauff.)     Vni,  325  S.  8o.     Preis:  4  M. 

Sarrazin's  Beitrag  zur  Geschichte  des  modernen  französischen 
Dramas  zerfällt  in  zwei  Hauptabschnitte:  L  Die  Vorläufer  des 
sozialen  und  Sittendramas,  S.  1  —  50,  und  IL  Das  zeitgenössische 
soziale  und  Sittendrama,  S.  51—319.  In  rascher  Übersicht  führt 
uns  der  Verfasser  im  I.  Abschnitt  die  Herausbildung  des  bürger- 
lichen Dramas  durch  Diderot  und  Beaumarchais  (Kapitel  I)  vor, 
um  darauf  das  Drama  der  Romantiker  (Kapitel  II),  sowie  die  Ecole 
du  hon  sens  nebst  „Scribe  und  Konsorten"  (Kapitel  II)  zu 
würdigen.  Bietet  dieser  Teil  auch  nichts  wesentlich  Neues,  so 
verdient  er  doch  die  Beachtung  wegen  der  oft  treffenden  Urteile, 
die  Sarrazin  als  geborener  Franzose,  begabt  mit  feinem  Ver- 
ständnis für  das  spezifisch  Französische,  fällt.  Mit  den  Quellen- 
schriften zur  neuesten  Litteratur  zeigt  sich  Verf.  durchweg  ver- 
traut. Abschnitt  II  behandelt  darauf  in  Kap.  I  Ämile  Augier's 
Leben  und  Werke  und  bietet  Textproben  aus  Les  Lionnes  pauvres 
IV,  7  und  8;'  Les  Effrontes  III,  1 — 5;  Les  Fils  de  Gihoyer  I, 
7  und  III,  16;  Les  FourchamhauUll^  1  und  V,  5 — 7,  dergestalt, 
dass  den  vorausgeschickten  gründlichen  Analysen  einige  der 
packendsten  Szenen  aus  den  Hauptwerken  folgen.    (S.  55 — 132.) 


154  Referate  und  üezensioneH,    D.  Behrens, 

Kap.  II  beschäftigt  sich  mit  Alexandre  Dumas  ßs  «uid  ^Wii  Text- 
proben  aas  dessen  Dramen  VAmi  des  Femmes  I,  5  und  III,  2; 
La  Princesse  Georges  II,  1 ;  L'Etrangere  I,  2  und  3 ;  sowie  einen 
Abschnitt  aus  der  Vorrede  zu  Claude  (S.  133 — 208).  Von  be- 
sonderem Interesse  für  den  Kenner  des  modernen  Theaters  sind 
die  Kap.  III  und  IV,  welche  Victorien  Sardou  (S.  209  —  272) 
(Proben  aus  dessen  Fernande  II,  10 — 13,  Divor^ns  II,  7  u.  III,  4), 
sowie  Edouard  Pailleron,  Halevy  und  Meilhac,  Zola  behandeln. 
Als  Textproben  folgen  Pailleron's  Le  Monde  oü  Von  8*ennuie 
II,  1  und  III,  4 — 9,  sowie  ein  Gedicht  zu  dessen  Fav^  Minages 
S.  273 — 320.  Ein  sorgfältig  ausgearbeitetes  Register  schliesst  das 
Ganze.  —  Was  den  Leser  unmittelbar  angenehm  berührt,  ist  der 
warme,  gemtitreiehe  Ton,  mit  dem,  frei  von  aller  Pedanterie, 
Sarrazin  sich  ausspricht.  Eine  gründliche  Kenntnis  modernster  fran- 
zösischer Theater-  und  Lebensverhältnisse  wird  niemand  dem  Ver- 
fasser absprechen  mögen ;  dass  er  sie  uns  in  diesem  Werke  zu- 
weilen verbirgt,  sie  bescheiden  zurückhält,  um  auch  dem  weniger 
mit  Litterarhistorie  vertrauten  Leser  ein  scharfgezeichnetes  Bild 
des  modernen  französischen  Dramas  zu  entwerfen,  wer  wollte  ihm 
das  verargen?  Wenn  deshalb  die  Deutsche  Litter aturzeitung,  1888, 
Nr.  49  vom  8.  Dezember,  Spalte  1785  — 1786  sagt:  „Bei  der 
Bedeutung,  die  das  französische  Sittendrama  für  unsere  Bühne 
gewonnen  hat,  wäre  der  Gegenstand  einer  gründlicheren  Be- 
handlung wert  gewesen",  so  widerlegt  sich  dieser  Vorwurf  wohl 
durch  die  Absicht  des  Verfassers,  das  Thema  für  einen  weiteren 
Leserkreis  zu  behandeln.  Der  Kritiker  fährt  an  genannter  Stelle 
fort:  „Dazu  aber  müssten  die  Lebensbedingungen  des  zeitgenös- 
sischen französischen  Dramas,  die  in  Stammesart  und  Sitte  der 
Nation,  in  4er  Stellung  der  Gebildeten  zur  Religion  und  Ethik,  in 
der  politischen  Entwickelung  Frankreichs,  in  der  Erziehung  der 
Frau  und  ihrer  Rolle  in  Staat  und  Gesellschaft,  in  dem  Erwerbs- 
und Genussleben  der  oberen  Schichten,  in  der  litterarischen  Ab- 
geschlossenheit Frankreichs  Hegen,  aufgesucht  und  entwickelt 
werden. "  So  sehr  wir  hier  im  Grunde  beipflichten  müssen,  dürfen 
wir  doch  andererseits  nicht  vergessen,  dass  es  etwas  viel  ver- 
langen heisst,  in  der  Zeit  und  aus  ihr  heraus  ein  abschliessendes 
Endurteil  über  zeitgenössische  dramatische  Erscheinungen  zu 
fällen.  Wir  begrüssen  also  Sarrazin's  Buch  so,  wie  es  vorliegt, 
freudig  als  ein  zur  rechten  Zeit  und  vom  rechten  Manne  ge- 
schriebenes Werk,  als  einen  willkommenen  Führer  beim  Studium 
des  modernen  französischen  Dramas.  * 

E.    HÖNNCHER. 


K,  Armhruster,  GtscMechiswandel  im  Französischen.   Mask,  u.  Fem.    155 

Armbraster,  Karl,  GescMechtstvändelim Franzimsckm.  MoiHeuiimim 
und  Femininum.  Heidelberger  Dissertation.  Earlsmhey  1^888. 
Maisch  &  Vogel.     154  S.  S». 

Während  in  den  letzten  Jahren  die  Geschichte  des  Neutnußis 
im  Lateinischen  und  in  den  romanischen  Sprachen  vorzügliche  Dar- 
stellungen gefanden  hat,  steht  eine  solche  für  das  Femininum  und 
Maskulinum  noch  aus.  Abgesehen  von  den  gehaltreichen,  aber  sehr 
kurzen  Bemerkungen,  welche  Diez  im  zweiten  Bande  seiner  Qrammatik 
und  W.  Meyer  in  der  Einleitung  zu  seiner  Schrift  über  das  Neutrum 
gegeben  haben,  wurden  einschlägige  Untersuchungen  stets  nur  entweder 
mit  Beschränkung  auf  ein  einzelnes  Problem  des  Genuswandels  oder  sber 
mit  Beschränkung  auf  eine  einzelne  romanische  Sprache  unternommen. 
Für  das  Französische  sind  hier  mit  Ausschluss  derjenigen,  welche  mit 
einer  einzelnen  Wortgruppe  sich  beschäftigen,  etwa  die  folgenden  Arbeiten 
zu  verzeichnen:  Fr.  Strehlke,  Der  Geschlechtswechsel  der  Substanüva 
beim  Übergang  vom  Lateinischen  ins  Französische  (Herrig' s  Arch.  Bd.  13, 
S.  116 — 129);  Baale,  Remarques sur  legenre des substantifs(TaalstudielS.) 
Spelthahn,  Das  Genus  der  französischen  Substantiva,  Amberg  1888 
Jahn,  Über  das  Geschlecht  der  Substantiva  bei  Froissart,  Halle  1882 
L.  Hirsch,  Das  Genus  der  französischen  Substantiva  mit  besonderer  B&- 
riicksichUgung  des  Lateinischen  (Jahresberichte  der  Staats- ünterrealschule 
im  F.  Bezirke  in  Wien  für  das  Schuljahr  1886/7  und  fm  1887/8),^)  — 
Die  genannten  Spezialuntersuchungen  werden  durch  die  vorHegeade 
Broschüre  Armbruster's  teils  mit  Rücksicht  auf  die  Beichhaltigkert  des 
herangezogenen  Materials,  teils  mit  Rücksicht  auf  die  Verarbeitung  des- 
selben erheblich  überholt.  In  dem  an  sich  löblichen  Bestreben.,  nicht 
mit  dem  blossen  Registrieren  der  Thatsachen  sich  zu  begnügen,  sondern 
stets  auch  den  Grund  der  Erscheinung  anzugeben,  scheint  uns  der  Ver- 
fasser freilich  manchmal  zu  weit  gegangen  zu  sein,  weiter  als  dies 
die  Mittel  der  Einzelsprache  und  weiter  als  es  ein  von  ihm  öfter  an- 
gewandtes nur  allzu  unsystematisches  Verfahren  im  Heranziehen  der 
anderen  romanischen  Sprachen  gestatteten.  Wird  so  der  Leser  das 
Schriftchen  nicht  aus  der  Hand  legen,  ohne  dem  Autor  für  Anregung  und 
Belehrung  Dank  zu  wissen,  so  wird  er  andererseits  in  nicht  wenigen 
Fällen  gegenüber  den  Ausführungen  desselben  sich  ablehnend  oder 
zweifelnd  verhalten. 

Erster  Hauptabschnitt.  Geschlechtswandel,  hervorge- 
rufen durch  die  äussere  Form  des  Wortes.  Teil  I.  Die  Er- 
klärung des  Wandels  bietet  sich  auf  dem  Boden  der  fran- 
zösischen Sprache.  a)DieEndung  eines  Wortes  ist  die  Ursache 
seines  Genuswechsels.  1.  Maskulina  treten  infolge  ihrer 
Endung:  stummes  -e  zum  weiblichen  Geschlechte  über.  Ver- 
fasser stellt  hierher  zunächst  einige  Wörter,  welche  im  Lateinischeil 
Maskulina  der  ersten  Deklination  waren  und  „infolge  ihrer  Endu]a:!g  -<a, 
franz.  -e,  zum  Femininum  übertraten."  Ob  der  Übergang  von  lat.  -a  zu 
franz.  -e  dem  Geschlechtswandel  voranHegt  oder  später  erfolgte,  lässt 
sich  nicht  wohl  entscheiden.  Dass  franz.  comete  fem.  nicht  nur  ital. 
cometa  fem.,  sondern  auch  nprov.  coumeto  fem.  (s.  Mistral  Tresor,  s.  v.),  portg. 
cometa  fem.  und  —  mit  veränderter  Bedeutung  —  span.  cometa  fem.  zur 


^)  Eine  von  Sachs  als  Fortsetzung  zu  seiner  Abhandlung  über  ^as 
Neutrum  im  Französischen  (Göttinger  Dissertation,  1886)  in  Aussicht  ge- 
stellte Untersuchung  über  das  Maskulinum  und  Femininum  ist  bis  jetzt 
nicht  erschienen. 


156  Refei^aie  und  Rezensionen.    D,  Behrens, 

Seite  stehen,  verdiente  immerhin  bemerkt  zu  werden.  Zu  den  Autoren, 
welche  das  Wort  im  XVI.  Jahrhundert  als  Maskulinum  gebrauchen,  hätten 
R.  Garnier  (s.  W.  Procop,  Syntaktische  Studien  zu  B.  Garnier,  Eichstätt 
1885,  S.  25)  und  Du  Bartas  (s.  Pellissier,  La  vie  et  les  oeuvres  de  Du 
Bartas,  Paris  1882,  S.  194)  gestellt  werden  können.^)  Die  Annahme,  dass 
das  Geschlecht  des  Oberbegriffes  Stella  auf  dasjenige  von  cometa  Einfluss 
geübt  habe,  weist  Armbruster  als  unnötig  zurück  mit  Hinweis  auf  das 
Vorkommen  von  la  pape  und  la  prophete  und  lässt  dabei  unerwogen,  dass 
bei  cometa  die  Genusveränderung  in  sehr  viel  ausgedehnterer  Weise  Platz 
griff,  als  dies  bei  papa  und  hei  propheta  der  Fall.  —  Unter  planet  e 
bemerkt  Verfasser  „ital.  pianeta  mask."  Dieselbe  Angabe  hätte  für  das 
Spanische,  Portugiesische  (hier  daneben  fem.  s.  Comu  in  Gröberes  Grund- 
riss  der  rom.  Philologie  I,  788)  und  Altprovenzalische  (mask.  und  fem., 
s.  Raynouard)  gemacht  werden  können.  Ich  vermisse  eine  Bemerkung 
darüber,  dass  im  Altfranzösischen  neben  planete  —  planet  vorkonmit  und 
dass  das  Wort  als  wissenschaftlicher  Terminus  noch  im  XVII.  Jahrhundert 
im  Französischen  als  Mask.  im  Gebrauch  gewesen  ist.  —  Während 
comete  und  planete  endgültig  das  feminine  Genus  annahmen,  begegnen 
die  persönliche  Begriffe  ausdrückenden  Wörter  pape  und  prophete  nur 
vereinzelt  als  Feminina.  Dass  man  in  Montpellier  noch  heute  papo  weib- 
lich gebraucht  (s.  Mistral,  Tres.),  hätte  bemerkt,  mit  Bezug  auf  prophete 
noch  auf  cele  prophete  J.  von  Arimathia  (ed.  Weidner)  191  verwiesen 
werden  können.  Dass  auch  in  diesen  beiden  Wörtern  die  Endung  -e 
resp.  -a  allein  für  den  Geschlechts  Wechsel  verantwortlich  zu  machen  ist, 
ist  eine  Ansicht,  an  deren  Richtigkeit  ein  Zweifel  gestattet  sei.  Bekannt- 
lich haben  mehrere  Substantiva,  die  ursprünglich  Feminina  waren  und 
keine  Personen  bezeichneten,  im  Laufe  der  Zeit  persönlichen  Begriff  an- 
genommen und  mit  diesem  Bedeutungswandel  einen  Geschlechtswechsel 
verbunden.  Das  fem.  aide,  Hilfe,  wurde  mask.  aide,  Helfer.  Ebenso  ver- 
hält es  sich  mit  span.  el  cura,  der  Pfarrer,  franz.  garde,  Wächter, 
franz.  trompette^  Trompeter,  und  einer  Reihe  anderer  Wörter,  über  die 
Armbruster  S.  132  ff.  seiner  Arbeit  gehandelt  hat.  Ist  es  nun  von  vorn- 
herein wahrscheinlich,  in  einigen  Fällen  historisch  nachweisbar,  dass  in 
derartigen  Wörtern  zur  Zeit,  in  der  die  Bedeutungsveränderung  vor  sich 
ging,  das  Geschlecht  nicht  der  veränderten  Bedeutung  entsprechend  sofort 
fixiert  wurde:  also  z.  B.  trompette  fem.  :=  Trompete  eine  Zeitlang  trom- 
pette  =  Trompeter  als  fem.  und  mask.,  span.  cura  fem.  eine  zeitlang 
cura  =  Pfarrer  als  fem.  und  mask.  zur  Seite  standen,  bevor  mit  dem 
persönlichen  Begriff  das  männliche  Geschlecht  endgültig  verknüpft 
worden  ist,  so  darf  es  möglich  erscheinen,  dass  das  schwankende  Ge- 
schlecht dieser  Wörter  auf  dasjenige  von  pape  und  prophete  Einfluss 
gewonnen  und  hier  gleiches  Schwanken  verianlasst  hat.  Dass  gleichzeitig 
die  Endung  auf  den  Wechsel  des  Genus  eingewirkt  hat,  soll  nicht  in 
Abrede  gestellt  werden.  —  Das  in  diesem  Zusammenhange  von  Arm- 
bruster noch  behandelte  capitaine,  das  ebenso  wie  die  sämtlichen  vorher 
genannten  Wörter  nicht  Erbwortcharakter  trägt,  ist  als  Femininum  ausser 


1)  Über  die  sich  widerstreitenden  Auffassungen  im  XVII.  Jahrhundert 
gibt  Manage  eine  drastische  Anekdote,  die  hier  (nach  Richelet,  Dictionn, 
8.  V.  comette)  nachgetragen  sei:  Le  gemre  de  ce  mot  fut  fort  agite  ä  la 
Cour  dwrant  Faparition  de  la  demi^re  comete,  dit  Mr.  Menage j  tome  1 
de  ses  observ.,  eh.  74,  et  quelcun  dit  fort  pHaisamment ,  qu'ü  fcUaü  lui 
regarder  sou^  la  queu'e  pour  savoir  si  eile  etoit  male,  ou  femeUe:  Ü  croit 
que  ce  mot  est  feminin. 


E.  Armbrusier,  Geschlechtswandel  im  Französüchen.   Mask.  u.  Fem.      157 

bei  Proiflsart  bei  Monstrelet  nachgewiesen:    en  ce  temps  furent  envoyees 
plusieurs  capitaines  III,  281  (s.  Waldmann,    Unters.,  S.  10). 

Verfasser  schliesst  die  Besprechung  einer  langen  Reihe  anderer 
Wörter  an,  deren  auslautendes  e  nicht  auf  lat.  a  zurückgeht.  Von  diesen 
sind  ein  Teil  (acanthe,  aetite,  affaire,  alarme,  amarante,  asperge,  äuge, 
bamboche,  caracole,  carne,  darique,  datte,  disparaie,  echarde,  equivoque, 
escape,  halte,  hysope,  impasse,  Insulte,  intrigue,  jusquiame,  limite,  morve, 
obole,  opale,  pampe,  rame,  r egale,  rondaclie,  tafle,  topaze,  transe)  heute 
ausschliesslich  als  Feminina  in  der  Schriftsprache  gebräuchlich,  während 
andere  (abime,  bronze,  Centime,  automne,  cigare,  coude,  crabe,  episode, 
galbe,  geste,  glaive,  hyacinthe,  jacque,  mode,  naphte,  ome,  pagne,  panache, 
psaume,  renne,  rythme,  tumidte,  triomphe),  nachdem  sie  zeitweilig  im 
Geschlecht  schwankten,  in  der  Schriftsprache  zum  ursprünglichen,  männ- 
lichen Geschlecht  zurückkehrten  oder  als  Maskulina  und  Feminina 
(zum  Teil  mit  differenzierter  Bedeutung)  sich  erhielten.  Es  ist  Arm- 
bruster nicht  entgangen,  dass  es  sich  meist  um  gelehrte  Wörter  handelt. 
Auch  daran,  dass  es  in  denselben  überall  das  auslautende  e  gewesen, 
welches  den  Geschlechtswandel  bedingte,  äussert  er  leisen  Zweifel.  Ich 
glaube,  dass  Verfasser  den  Einfluss  des  End-e  auf  das  Geschlecht  dieser 
Wörter  im  Französischen  gleichwohl  noch  bedeutend  überschätzt.  Es 
bleibt  zu  beachten,  dass  sehr  viele  derselben  auch  in  anderen  romanischen 
Sprachen  unter  anderen  Bedingungen  als  der  von  Armbruster  für  den 
Geschlechtswandel  im  Französischen  in  erster  Linie  angenommenen  mit 
weiblichem  Geschlecht  erscheinen.  Auch  span.  portug.  etites  ist  fem., 
desgleichen  neuprov.  acanto,  amaranto,  espargo,  rum.  sparanga  (aus  dem 
Griechischen),  rum,  dlhia,  neuprov.  autouno  neben  autoun  (mask.),  rum. 
toamnä,  neuprov.  bambocho,  brounzo  (neben  mask.  brounze)  camo  cigaro, 
eschardo,  gesto  (neben  gest  maak.),  alto,  instdto,  catal.  insvlta,  neuprov. 
entrigo,  span. -portug.  intriga,  span.  fjäca  (neben  jaco  mask.),  neuprov. 
jusquiamo  (neben  jusquiam  mask.),  portug.  linda  linde,  neuprov.  limito 
demito ,  sard. ,  ital. ,  span. ,  portug.  moda ,  neuprov.  modo  mouodo 
(s.  Schuohardt,  KuhrCs  Zs.  XXII,  165),  neuprov.  bormo  morvo,  span. 
nafta,  portug.  naphta,  neuprov.  nafto,  ital.  nafta,  neuprov.  oubolo,  portug. 
opala,  altprov.  pampa,  neuprov.  pampo  (auch  m.),  catal.  pampa,  span. 
pampana  neben  pampano,  neuprov.  ram^,  altprov. -catal.  rama  (neben 
ram),  ital.  rama  und  ram^  (s.  Canello,  Arch.  gl.  III,  404),  neuprov.  regalo 
roundacho  (auch  mask.)  toupazi  tränst  (auch  mask.).  Diese  Entsprechungen 
in  den  anderen  romanischen  Sprachen,  welche  eine  verschiedene  Be- 
urteilung fordern  —  ein  Teil  derselben  wird  durch  das  Französische 
direkt  beeinflusst  worden  sein  — ,  hätte  Verfasser  trotz  des  Lehnwort- 
charakters der  meisten  nicht  mit  Stillschweigen  übergehen  sollen.  Im 
einzelnen  sei  zu  seinen  Ausfahrungen  in  diesem  Absclmitt  folgendes  an- 
gemerkt: abime  ist  bereits  vor  dem  XVI.  Jahrhundert  als  Femininum 
nachgewiesen:  Les  jugemens  de  Dieu  sont  une  profonde  ahisme  (Alain 
Chartier),  was  Palsgrave,  Edaire.  S.  173  tadelt.  Noch  Vaugelas  (Rem,, 
ed.  Chassang,  II,  457)  hebt  hervor,  dass  es  zu  seiner  Zeit  von  einigen  als 
Femininum  gebraucht  werde,  und  Richelet  hält  es  in  seinem  Dict,  s.  v. 
nicht  für  überflüssig,  ausdrücklich  (mit  Hinweis  auf  Manage  tom.  2, 
observ.  eh.  74)  zu  bemerken,  dass  dem  Wort  männliches  Genus  zukommt. 
Heute  ist  aibtme  fem.  im  Patois  des  Morvan  (s.  De  Chambure,  Glossaire  s.  v.), 
—  acanthe  verzeichnet  Cotgrave  als  Maskulinum.  Sollten  die  volks- 
tümlichen Synonyma  franz.  pate  d^ours,  prov.  pato  d^ours,  franz.  acanthe 
und  prov.  acantho  im  Genus  beeinflusst  haben  ?  Auch  ist  bei  dem  Worte 
gelehrten  Imports  zu  berücksichtigen,  dass  im  Lateinischen  neben 
acanthus  mask.  (Bärenklau)  acanthus  fem.  (äxau^oq  ö  und  ^  =■  Schoten- 


158  Referate  und  Rezensionen*    D,  Behrens, 

dorn)  stebt,  wie  bei  der  Beurteilung  von  aetüe  nicht  ausser  Acht  zu 
lassen  ist,  dass  neben  lat.  aetites  mask.  aetiiis  (dsTtriq)  fem.  (als  Be- 
Zeichnung  eines  Edelsteins)  vorkommt.  —  af faire  begegnet  im  XVI.  Jahr- 
hundert auch  bei  Amyot  (hier  ausschliesslich  nach  Vaugel.,  Bern,  I,  386) 
imd  bei  R.  Garnier  (s.  Procop,  L  c,  S.  24)  als  Femininum.  Einen  längeren 
Exkurs  über  das  Greschlecht  des  Wortes  im  XVII.  Jahrhundert  gibt  Vaugel. 
L  c.  Das  ursprüngliche,  männliche  Geschlecht  begegnet  auf  nordfran- 
zösischem  Sprachgebiet  noch  heute  in  Puybarraud  (Charente,  s.  R.  des 
Patois  g.-r.  11,  56).  —  alarme,  asperge  und  äuge  gibt  Cotgrave  als 
Maskulma.  Beispiele  für  attge  mask.  (das  noch  heute  in  ürimdnil  nach 
Haillant,  Essai  III,  männliches  Genus  hat),  die  Armbruster  vermisst, 
begegnen  bei  Du  Bartas  (s.  Pellissier,  /.  c,  S.  194).  —  automne  ist 
nach  Cotgrave  maskulin,  nach  Vaugelas,  Rem.  II,  454  stets  feminin. 
Vgl.  femer  Richelet's  Dktionn.  s.  V.  und  Girault-Duvivier's  Gram,  des 
Grram.'^j  S.  43,  woselbst  wertvolle  Angaben  über  den  Sprachgebrauch  des 
XVIII.  Jahrhunderts  zusammengetragen  sind.  Zum  Lateinischen  s.  E.  Appel, 
De  genere  neutro  S.  44,  100.  —  Bronze  begegnet  nach  Richelet  im 
XVEI.  Jahrhundert  als  Femininum  bei  Voiture  (I,  33.)  —  Dasscaracole  auf 
ein  arabisches  Grundwort  zurückgeht,  halte  ich  nicht  für  ausgemacht. 
Diez,  E.  W.  I,  s.  v.  caragoUo  äussert  sich  sehr  vorsichtig  und  weder  in 
Engelmann-Dozy's  Glossaire  noch  in  Eguilaz  y  Yanguas'  Glosario  haben 
^an.  caracoly  ccMracola  Aufnahme  gefunden.  Im  Französischen  war  das 
Wort  im  XVII.  Jahrhundert  nach  Richelet  vorwiegend  maskulin :  „Qnelqu€S- 
uns  fönt  caraccd  ßminin,  et  Fecrivent  avec  u/n  e  ä  la  fin,  mais  tous  ceux 
qui  parlent  bien,  le  fontmasculin,  et  Vecrivent  sans  e  final."  —  Centime 
(daher  span.  ceniima)  ist  heute  fem.  gen.  in  Roubaix  (s.  A.  Faidherbe, 
Causerie  humor.,  S.  21),  Däp.  Meuse  (s.  Labourasse  Gloss.  S.  41),  pat.  blaisois 
(s.  Talbert,  S.  269),  Normandie  (s.  Moisy,  S.  LEI),  Puybarraud  (s.  Rev. 
des  Pat.  g.^.  II,  57),  cigare  im  pat.  blaisois  (s.  Talbert,  l.  c),  crabe 
(vgl.  Gram,  des  Gram.'^^  S.  58  Anm.  81)  im  normannischen  Patois  von 
Grävüle  (s.  Fleury,  Essai,  S.  53),  im  Bessin  (crape,  s.  Joret,  Essai,  S.  75), 
wallon  montois  (s.  Sigart,  Gloss.  und  Rolland,  Faune  pop.  III,  225). 
—  datte  war  im  XVII.  Jahrhundert  maskulin  nach  Cotgrave,  feminin 
nach  Vaugelas,  Rem.  II,  29.  —  disparate  verzeichnet  Richelet  als 
Femininum  mit  der  Bemerkung  quelques -uns  se  servent  de  ce  mot, 
quoiq%C Espagnol,  pour  signifier  des  choses  dites  ä  contre-tems,  woraus  her- 
vorgeht, dass  es  im  XVII.  Jahrhundert  als  Fremdwort  empfunden  wurde. 
Cotgrave  hat  es  nicht  aufgenommen.  —  Zu  äpisode  vgl.  Vaugelas,  Rem., 
ed.  Chassang  II,  67  f.  und  Gram,  des  Gram.'^,  S.  58,  zu  öquivoque 
Vaugelas,  l.  c.  I,  S.  85  und  Corneille,  (Euvres  (Ausgabe  der  Grands 
Ecrivains)  VI,  469  Anm.  3.  —  Ich  vermute,  dass  das  Geschlecht  von 
altfrz.  glaive  durch  dasjenige  von  espee  beeinflusst  wurde,  wie  auch  der 
umgekehrte  Einfluss  sich  geltend  gemacht  zu  haben  scheint.  Einige  Belege, 
welche  das  Geschlecht  von  glaive  im  Altfranzösischen  erkennen  lassen, 
findet  man  auch  bei  Sternberg,  Ausgaben  imd  Abh.  XL VIII,  S.  25  ver- 
zeichnet. —  Den  von  Armbruster  nach  Sachs  gegebenen  Unterschied 
zwischen  hyacinthe  mask.,  wenn  es  die  Blume  bezeichnet,  fem.,  wenn 
der  Edelstein  gemeint  ist,  kennt  die  neueste  Auflage  des  Wörterbuches 
der  Akademie  nicht.  Dieselbe  bezeichnet  das  Wort  in  beiden  Bedeutungen 
als  Femininum.  Im  XVII.  Jahrhundert  gibt  Cotgrave  hyacinthe  und  iacmthe 
ausschliesslich  als  maskulin ,  während  Riegelet,  s.  v.  hiadnthe  be- 
merkt ce  mot  est  feminin,  lorsqu^ü  signifie  une  sorte  de  fleur,  et  meme 
ahrs  il  ^eorit  jadnthe  und  ib.  s.  v.  jacvnthe  Flusiewrs  Flewristes  disent 
le  Jakute;  et  üs  ont  guelque  raison:  car  ü  vient  de  lacinte  changi  en 
fleur,  sdon  la  fable.  Cependant  presque  tout  le  monde  le  fait  feminin . . . 


K.  Armbrt^ter,  Geschkchtstvandel  im  Französischen,   Mask.  w.  Fem,     159 

—  Neben  lat.  hyssopns  fem.  steht  hyssopum  n.  (neben  ^ech. 
!j<nrü}ito<;  to  fjtrtnomt)/).  Armbriister  irrt  in  der  Annahme  n<^3  mask. 
Formen  der  anderen  Sprachen  lassen  darauf  schliessen,  dass  sich  das 
französische  Femininum  erst  auf  französischem  Boden  gebildet  hat  und 
nicht  als  das  etymologische  Geschlecht  zu  betrachten  ist.''  —  Dass 
Insulte  im  XVII.  Jahrhundert  keineswegs  ausschliesslich  als  Maskulinum 
im  Gebrauch  gewesen  ist,  wie  es  nach  der  bei  Armbruster  gemachten 
Angaben  den  Anschein  gewinnen  könnte,  lehrt  Richelet:  Mr.  Flechier  a 
faü  ce  mot  masaUin  (Gabinius  representa,  gue  cfHait  un  instUte  quUon  lui 
faisait),  L'Academie  Va  fait  aussi  mascidin.  Cet  uaage  fait  toujours 
ttne  grande  insulte  ä  Vuaage  regu  .  .  ."  Was  nötigt,  franz.  (gelehrtes) 
inatUte  auf  ital.  inatUto  zurückzuführen?  —  Zu  intrigue  vgl.  Vaugelas, 
Rem.  I,  220,  woselbst  auch  die  Herkunft  aus  dem  Italienischen  ausdrück- 
lich hervorgehoben  wird.  —  Jusquiame  gibt  Cotgrave  als  maskulin, 
Richelet  als  feminin.  —  Über  limite  s.  Vaugelas,  B&m.  II,  422.  —  Über 
morve  vgl.  auch  Gröber,  Arch.  f.  lat  Lex.  IV,  122  f.  und  meine  Beciproke 
Metathese f  S.  78  f.  Cotgrave  verzeichnet  morve  als  Maskulinum,  desgl. 
obole  und  opale.  —  Orne  ist  heute  feminin  in  Berry  (s.  Jaubert, 
Gloss.).  —  pampre  hat  bei  Cotgrave  weibUohes  Genus.  Richelet  be- 
merkt „quelques  vignerons  que  fai  ms  sur  ce  mot  le  fowt  feminin,  mads 
mal.  Tous  ceux  qui  parlent  bien  &  q^e  fai  consultez  fönt  sans  contestation 
le  mot  de  pampre  masculin.  —  Zu  r^gale  sei  mittellat.  fem.  regaiis 
(statt  gewöhnlichem  regalia)  angemerkt,  das  Du  Cange  verzeichnet: 
Concedimus  per  Begalem  nostram).  —  rythme  begegnet  als  Femininum 
auch  bei  Des  Periers  (s.  Chenevriöre,  Bonaventure  des  Periers,  8a  vie, 
ses  poesies  S.  186.  —  Gel.  topaze  fem.  möchte  ich  =  lat.  topazus 
fem.  setzen. 

2.  Einfluss  anderer  Endungen  und  Endungsgruppen 
auf  das  Genus.  In  alphabetischer  Folge  werden  die  Substantiva  auf 
-ace,  -age,  -ange,  -ige,  -ette,  -eile,  -ice,  -idre  -ere,  -m,  -ain,  -oire,  -ow,  4e,  -e 
behandelt.  Auf  S.  23,  wo  ausgeführt  wird,  dass  populace  und  pr^face 
vorübergehend  mask.  waren  unter  dem  Einfluss  von  espace  etc.,  konnte 
auf  J.  Rothenberg,  De  auf  fix.  mutatione  S.  71  f ,  verwiesen  werden.  Be- 
achte noch  zu  populas  m.  Godefroy,  Dict  s.  v.,  zu  preface  die  Zusätze  der 
Akademie  und  Th.  Comeille's  zu  Vaugelas*  Bern,  (ed  Chassang  I,  141.)  — 
S.  23 — 26  wird  von  cartilage  und  putrilage  gehandelt,  die  heute 
mask.  sind,  und  von  image,  das  im  Alt-  und  Mittelfranzösischen  vielfach 
als  Mask.  begegnet,  in  der  heutigen  Schriftsprache  das  etymologische  Ge- 
schlecht gewahrt  zeigt.  Auf  die  zahlreichen  Belege  bei  Rothenberg,  /.  c., 
S.  6,  für  mask.  image  hätte  Verfasser  auch  hier  verweisen  und  ausserdem 
bemerken  können,  dass  in  den  Volksmundarten  (z.  B.  in  Blois,  Puybar- 
raud,  Normandie)  das  Wort  heute  vielfach  ausschliesslich  als  Mask.  vor- 
kommt. Nachzutragen  siad  tussilage^)  mask.  und  farrage  ma»k. 
(s.  Littr^'s  Beispiel  s.  v.).  Verfasser  macht  für  den  Genuswandel  den  Ein- 
fluss der  zahlreichen  Subst.  auf  -age  =  -aticum  wohl  mit  Recht  verant- 
wortlich. Wie  sind  aber  altfrz.  ymagene  masc.  (Oxf.  Bol.  3268)  und  span. 
(gleichfalls  nicht  volkstümlich  entwickeltes)  cartüagen  masc,  die  Arm- 
bruster unerwähnt  lässt,  zu  erklären?  —  Was  Verfasser  S.  25  ff.  über 
die  Wörter  auf  -ange  und  -onge  ausfahrt,  befriedigt  ihn  selbst  nicht. 
Bemerkt  werden  konnte,  dass  nfrz.  los  ange  fem.  iial.  lozanga  fem.,  pg. 


^)  Lat.  tuasHaginem  fem.,  ital.  tusaÜagine  fem.,  pg.  iussHagem  fem., 
prov.  toussiUige  mask.  (auch  nprov.  image  und  cartilage  zeigen  weder  das 
etymologische  Geschlecht  noch  das  volkstümlich  entwickelte  Sufßx. 
Vgl.  über  dieses  Gröber,  Arch,  f,  lat.  Lex.  IV,  443). 


160  Referate  und  Rezensionen.    D,  Behrens, 

losango  mask.,  nprov.  lausange mask.  entsprechen.  Zumälange  mask.  (fem. 
Cotgrave!)  vgl.  prov.  meilange,  melenjo  mask.,  zu  chalonge  W.  Meyer's 
Neutrum  S.  156,  woselbst  *calumnium  aus  calumnia  nach  dem  Muster  von 
blaspJiemium  —  blasphemia  angenommen  wird.  —  S.  27.  Dass  t ige  als 
Mask.  erst  aus  dem  XVI.  Jahrhundert^)  nachgewiesen  wurde,  kann  auf  Zufall 
beruhen,  dass  es,  wie  Armbruster  meint,  unter  dem  Einfluss  von  prestige, 
vestige,  prodige  dieses  Geschlecht  annahm,  zweifelhaft  erscheinen,  wenn 
man  neuprov.  mask.  tige  (neben  fem.  tijo)  vergleicht.  Es  kann  prov.  tige 
völlig  unabhängig  von  franz.  mask.  tige  nach  Analogie  entstanden  sein,  es 
kann  an  das  Wort  der  französischen  Schriftsprache  sich  angelehnt  haben, 
es  kann  aber  auch  bereits  gallo-romanisches  Hibium  neben  tibia  die  ge- 
meinschaftliche Basis  für  franz.  und  prov.  tige  mask.  gebildet  haben.  — 
S.  28.  Mit  franz.  kyrielle  fem.  vgl.  nprov.  kirieUo  fem.  und  berücksichtige, 
dass  im  Portugiesischen  auch  die  nicht  weiter  gebildeten  hyrie  und  kyrie 
eleison  (unter  dem  Einfluss  von  litania?)  weibl.  Geschlecht  annehmen 
konnten.  —  S.  28f.  -ice:  caprice  bezeugt  auch  Cotgrave  als  Fem.  Wie 
verhält  sich  dazu  neuprov.  caprigo  fem.?  —  Für  mask.  malice  s.  weitere 
Belege  bei  Rothenberg  S.  71  und  Scheler  (zu  Watriquet).  —  Zu  r^glisse 
vgL  Vaugelas  Bern.  11, 132,  Eichel,  s.  v.,  Gram,  des  GhramJ  die  Bern,  detachees 
und  beachte  span.  regaliz  mask.  neben  regaliza  fem.  —  S.  29.  Die  An- 
nahme, dass  coläre,  über  dessen  Geschlecht  bei  R.  Garnier  man  auch 
Procop  l.  c.  S.  25  vergleiche,  „erst  im  XV.  Jh.  ins  Französische  kam"  ent- 
behrt ausreichender  Begründung.  —  Patereist  heute  mask.  im  Normanni- 
schen (s.  Moisy,  Dict),  —  S.  30  -in,  ain:  Zu  avertin  (auch  span.  avertin 
mask.)  s.  Tobler,  Mise,  CaixhCanello  S.  74  und  Bomania  XV,  S.  454.  Dass 
plantain  (vgl.  neuprov.  plantan  mask.  neben  plantage ;  altfrz.  auch  plan- 
teine  nach  Earle,  Engl.  Plant  Nam^es  S.  46)  unter  dem  Einfluss  von  airain, 
terrain  etc.  männlich  geworden  ist,  mag  richtig  sein.  Wie  erklärt  es 
sich,  dass  span.  llanten,  dem  ursprüngliche  mask.  auf  -en  nicht  zur  Seite 
stehen,  gleiches  Genus  hat?  Hmzuzufugen  ist  altfrz.  chalin,  worüber 
Tobler  /.  c.  gehandelt  hat.  —  S.  30  -oir:  Belege  für  mask.  histoire  gibt 
auch  Settegast  J.  Cesar,  EinL  S.  XXVIII.  —  Unter  memoire  war  altes  me- 
morium  (s.  W.  Meyer  Neutrum  S.  151  und  E.  Appel  l.  c.  S.  76)  nicht  zu  über- 
sehen, über  ivoire  vgl.  Gram,  des  Gram.'^  S.  59,  Heute  ist  es  feminin 
im  Patois  blaisois  (s.  Talbert  S.  269).  —  S.  32  -on:  Die  Richtig- 
keit der  Bemerkung,  frisson  (neuprov. /msoun  mask.)  sei  altfranzösisch 
regulär  feminin  gewesen,  hätte  ich  durch  einige  Belege  bestätigt  zu 
sehen  gewünscht,  umsomehr  als  auch  Littr^  solche  nicht  gibt.  —  Mit 
neufrz.  maudisson  mask.  vgl.  benechon,  benesson  mask.  in  schweizer 
Mundarten  (Bridel).  —  Poison,  wozu  auch  Vaugelas  Bern.  I,  97  und  II,  308 
zu  vergleichen,  ist  noch  heute  feminin  in  Ürim^nil  (s.  flaillant  III,  4), 
Departement  Meuse  (s.  Labourasse),  Berry  (s.  Jaubert),  Haut -Maine  (De 
Montesson),  einem  Teü  der  Normandie  (s.  Moisy,  mask.  pouesoun  in 
Gröville  nach  Fleury,  Essai  s.  v.).  —  Soup9on  wird  noch  von  Cotgrave 
als  Femininum  verzeichnet.  Den  Übertritt  zum  Maskulinum  zeigt 
gleichfalls  neuprov.  sougoun,  —  Dem  gel.  frz.  talion  entsprechen,  soweit 
ich  sehe,  auch  in  den  anderen  romanischen  Sprachen  ausschliesslich 
Maskulina:  neuprov.  talioun,  altprov.  talio,  span.  talion^  portug.  taliäo, 
itaJ.  taglione.  —  S.  35  S,  -te,  -e:  Vgl.  Rothenberg  l.  c.  und  Willenberg 
Zs.  f.  nfrz.  Spr.  III,  566  ff.  Die  Frage,  ob  im  einzelnen  Falle  der 
Genuswandel  älter  ist  oder  jünger  als  der  Übergang  von  lat.  -at  in 
franz.  -et   wird    flüchtig    gesü'eift.      Erwähnt   wird    u.  a.,    dass    prov. 


1)  Vgl.  auch  zu  Du  Bartas:  Pellissier  L  c.  S.  196,  zu  Magny:  Favre, 
Olivier  de  Magny.    Paris,  1885,  S.  318. 


K.  Armbrtister,  GescMechiswandel  im  Französischen.   Mask,  u,  Fem.     161 

comtatj  estat  wie  im  Französischen  maskulin  und  feminin  sind.  Nicht 
erwähnt  werden  prov.  viacoumtat  comm. ,  prov.  d/ucat  comm.,  nordital. 
istä  mask.  (s.  Ascoli,  Arch.  gl,  Yll,  495;  neuprov.  iatd  mask.  dans 
les  AlpeSf  Mistral).  Prov.  parentat  hätte  nicht  ausschliesslich  als  Masku- 
linum verzeichnet  werden  sollen.  Altfrz.  patriarche,  patriarchee  fem. 
neben  patriarchie  mask.  (Godefroy)  und  d^te  mask.  (z.  B.  Chron.  des 
J.  d^Outremeuse  I,  72 ;  vgl.  Marty-Laveaux  zu  Du  ßellay  Ausgabe  Bd.  I, 
502)  bleiben  unerwähnt.  Im  Einzelnen  sei  noch  folgendes  angemerkt: 
Dass  comt^  im  Altfranzösischen  stets  feminin  gewesen  (S.  85),  nimmt 
Verfasser  selbst  auf  S.  36  zurück.  Vgl.  zu  dem  Worte  auch  Vaugel. 
Rem,  11,  71  f  woselbst  noch  von  evesche  und  dtiche  gehandelt  wird,  und 
Richelet  8,  v.  Letzterer  kennt  auch  m.  vicomte,  das  Armbruster  vermisst. 
Weshalb  wird  zu  comtee  der  Zusatz  „gewissermassen  =  *comitata"  ge- 
macht? —  Über  ducke,  das  als  Femininum  bei  La  Rochefoucauld  (s.  Aus- 
gabe der  Qr,  Ecriv.  III,  2  S.  XLV)  und  Balzac  (s.  jetzt  Leest,  Synt. 
Studien  S.  21)  begegnet,  vgl.  ebenfalls  Bichelet  a.  v,  —  Jüngern  Nachweis 
für  ^vdchä  fem.,  als  den  von  Armbruster  gegebenen,  findet  man  in  der 
Gram,  des  GhramJ  S.  42.  Martdnus  bemerkt  dazu  Mopo^i^xeou  xeXuxdif 
S.  90  est  di^j:  sed  saepius  foeminini.  —  Zu  parent^  vgl.  noch  Gk>defroy, 
der  auch  parente  fem.  (Geste  de  Lüge  908  Qui  fu  de  sa  parente:  mente) 
verzeichnet.  —  Dass  e  (apis)  männliches  Genus  erhalten  habe  unter  dem 
Einfluss  von  gre,  hU,  gue  etc.,  wie  Armbruster  anninunt  unter  Berück- 
sichtigung der  Einsilbigkeit  und  des  vokaHschen  Anlautes,  halte  ich  für 
wenig  wahrscheinlich  und  vermute  die  Existenz  eines  vulgärlat.  apis 
comm.,  das  mit  den  zahlreichen  anderen  Wörtern  auf  -iSy  deren  Ge- 
schlecht schwankte,  auf  gleiche  Stufe  zu  stellen.  Dass  auch  im  Frei* 
burger  Dialekt  die  dem  Französischen  entsprechenden  Wörter  'a  (Bridel 
au),  as,  es  neben  dem  weiblichen  männliches  Genus  haben,  erwähnt  Ver- 
fasser selbst.  —  Ett  ist  heute  fem.  im  Departement  Meuse  (s.  Labourasse 
Glossaire  S.  41),  asti  in  Berry  (Jaubert). 

Es  folgt  (S.  39  jff.)  die  Besprechung  solcher  Wörter,  in  denen  aus- 
lautendem sogenanntem  Stütz-e  Liquidenkompositionen  vorangehen:  -hre, 
'Cre,  -dre,  -fre,  -tre,  -vre,  -de,  -pU,  -sie,  -tle,  -rle.  Indem  Verfasser  be- 
merkt „Kurz  und  dem  Thatbestand  entsprechend  ausgedrückt  findet  eine 
Verwechselung  des  sogenannten  Stütz-e  mit  dem  aus  a  ent- 
standenen statt,  wobei  die  Analogie  bald  nach  der  einen,  bald  nach 
der  anderen  Seite  ausschlägt^  wiU  es  mir  scheinen,  dass  er  vielfach  auch 
hier  zu  weit  gegangen  in  dem  Bestreben,  die  Veränderungen  des  Genus 
als  innerhalb  des  Französischen  durch  die  äussese  Wortform  bedingt  hin- 
zustellen. So  soU  couple  Wörtern  mit  der  Endung  -ple  wie  peuple, 
exemple,  temple  sich  im  Genus  angeschlossen  haben.  Übersehen  ist  dabei, 
dass  auch  das  ProvenzaUsche  mask.  couhle,  couple  (altprov.  nach  Mistral 
coble)  kennt,  für  das  Provenzalische  aber,  was  Armbruster  für  den  Genus- 
wandel im  Französischen  geltend  macht,  dass  ursprünglich  lat.  -plu(m) 
und  -pla(m)  in  -ple  sich  begegnen,  nicht  mehr  zutrifft.  Es  ist  daher  wohl 
die  Vermutung  berechtigt,  dass  bereits  in  galloromanischer  Zeit  copulum 
existierte,  das  sich  zu  copida  verhalten  wie  memorium  zu  m,€moria,  blas- 
phemium  zu  blasphemia  etc.  und  die  gemeinsame  Basis  für  prov.  coble 
mask.  und  franz.  couple  mask.  geworden.  Belegt  ist  spätes  lat.  copulum  von. 
E.  Appel  l.  c.  S.  75.  Auch  den  Beweis  dafür,  dass  das  altfrz.  gelehrte  triacle 
sein  Qenus  der  Endung  -cle  verdankt,  die  Endung  -de  also  älter  ist  als 
das  männliche  Geschlecht,  wird  man  durch  Verfassers  Ausführungen  nicht 
für  erbracht  halten.  Wenn  aus  altfranzösischer  Zeit  nur  triacle  mask., 
kein  triac  oder  theriac  mask.  (erst  seit  dem  XVQ  .Jahrhundert  ist  th^riacgue 
mask.  und  fem.  bezeugt),   nachgewiesen  wurde,  so  kann  das   auf  Zufall 

Zschr.  f.  frx.  Spr.  u.  Litt.    XI2.  ^ 


162  Referate  und  Rezensionen.     D,  Behrens, 

beruhen.  Wenn  Verfasser  dntre  mask.  wohl  mit  Recht  mit  Diez 
als  Verbalsubstantiv  von  cintrer,  wölben,  erklärt  und  dann  weiter 
meint»  da  Span.,  katal.,  ital.  das  Verbalsubstantiv  weibliches  Geschlecht 
zeigt,  so  dürfe  auch  ffirs  Französische  auf  ursprüngliches  feminines 
Genus  geschlossen  werden,  das  Maskulinum  werde  sich  durch  ^e 
Endimg  erklären,  so  liegt  es  auf  der  9and,  dass  ein  Schluss  wie  er  hier 
von  den  anderen  romanischen  Sprachen  (übrigens  kennt  das  Prov.  auch 
dntre,  cmdre  etc.  mask.  neben  dntro,^  dndro  fem.)  auf  das  Französische 
gemacht  wird,  nicht  statthaff;  ist.  Ahnliche  Einwendungen  Hessen  sich 
zu  anderen  in  diesem  Abschnitt  enthaltenen  die  Zeit  und  Art  des  Genus- 
wechsels betreffenden  Ausfährungen  machen.  Im  Einzelnen  bemerke  ich 
noch  folgendes:  S.  40.  Unter  ambre  beachte  auch  neuprov.  ambre 
mask.  (Raynouard  belegt  ambre  Eluc)  neben  ambro  fem.  —  l  ambre  lässt 
sich  nicht  mit  Diez  aus  lamma  gewinnen,  wie  Gröber  Areh.  f.  l.  Lex.  III, 
275  bemerkt  hat.  —  Zu  ombre  (altfrz.  mask.),  das  nach  Armbruster  in 
französischer  Zeit  an  concombrey  decem^e,  nombre  etc.  sieh  angelehnt  hat, 
drängt  sich  die  Frage  auf,  ob  dasselbe  nicht  vielmehr  mit  (von  Arm- 
bruster nicht  erwähnten)  franco-prov.  (Pribourg,  s.  Haefelin,  Jahrbuch  XV, 
295)  omftrM,  ombro  mask.  auf  ein  bereits  im  Galloromanischen  neben 
umira  vorhanden  gewesenes  *umbn(m  zurückgehe.  —  Wenn  cone ombre 
gelegentlich  als  Femininum  erscheint,  so  sehe  ich  darin  lieber  eine  An- 
lehnung an  zahlreiche  weibliche  Fruchtbenennungen  als  an  „chambre  und 
ähnliche.'*  Auch  rum.  cucuma  ist  fem.  —  Dass  ancre  (früher  auch  mask.) 
sich  im  Geschlecht  nach  encre  (Tinte)  gerichtet  habe,  vermutet  Verfasser. 
Wie  erklärt  es  sich,  dass  das  entsprechende  auf  lat.  ancora  zurück- 
gehende germanische  Wort  seit  sehr  früher  Zeit  als  Maskulinum  be- 
gegnet? —  Das  etymologische  Geschlecht  von  acre  ist  entgegen  der 
Annahme  Armbrusters  doch  wohl  das  männliche.  Dasselbe  besteht  noch 
heute  zu  Recht  im  Normannischen  (s.  Moisy).  Auch  Richelet  kennt  das 
Wort,  wie  es  scheint,  ausschliesslich  als  Maskulinum.  —  Zu  ocre  vgl. 
neuprov.  ocre,  ocro  mask.  fem.,  zu  coudre  neuprov.  cudra  fem.  (Bridel), 
zu  lierre  neuprov.  Mre,  IMre,  eure  etc.  mask.  neben  eäro,  ledro  etc.  fem. 
In  Nordfrankreich  lebt  lierre  fem.  fort  im  Patois  von  Puybarraud.  — 
Chiffre  begegnet  als  Fem.  bei  DuBartas  (s.  Pellissier,  l.  c.  S.  194).  —  Die 
Vermutung,  ^peautre  entspreche  ein  lat.  *speltula,  wird  nicht  ausreichend 
begründet.  Mit  Rücksicht  auf  das  Genus  von  ^ea;utre  und  f  enötre  (altfrz. 
mask.  neben  fem.)  sei  daran  erinnert,  dass  auch  nhd.  Speit^  Spelz  mask. 
ahd.  spelta  spdza  fem.  und  ahd.  venstar  n.  lat.  fenestra  fem.  entsprechen.  — 
Das  nach  Armbruster  erst  in  neufranzösischer  Zeit  eingeführte  Lehnwort 
outre  soll  sich  an  Wörter  wie  poutre,  fenetre  im  Geschlecht  angelehnt 
haben.  Beachte,  dass  die  Sprache  ältere  ovre,  ouire  (utria  als  Neutr. 
plur.  wird  von  E.  Appel  l.  c.  S.  106  aus  spätlateinischer  Zeit  belegt) 
besass,  die  mit  weiblichem  Genus  sich  nachweisen  lassen  (s.  Godefroy  «.  v.) 
und  das  später  aufgenommene  outre  beeinflusst  haben  werden.  Im  Neuprov. 
steht  ouiro  fem.  neben  ouire,  hudre  mask.  —  Zu  manicle  vgL  Godefroy, 
Didionn.  s.  v.  manicle,  menicle,  mennicle  s.  fem«  et  masc.  It.  manigHo 
neben  maniglia  (vgl.  d'Ovidio,  ArcÄ.  gl.  IV,  163  und  Born.  IX,  628).  — 
Zu  th^riaque  oemerkt  Richelet  $.  v,  „8.  f.  [TheriacaJ,  Mot  qui  vient 
du  Orec,  C^est  une  composiUon  de  mededne  dont  on  se  eert  con^e  le 
poison.  Taug.  Rem.  a  d^dde  que  le  mot  de  teriaque  Hoit  mascf/Uin  et 
feminin,  tPai  constUti  lä-dessus  cPhabHes  Epidera  d:  ÄpoticaireB  qui  me 
Font  fait  toua  feminin,  &  pas  un  masculin;  ainsi  sur  ee  mot  je  didinerois 
la  Jurisdiction  de  Yau^das  (s.  Vaugel.  ed.  Chassang  II,  182  die  Zosätee 
von  Th.  Com.  und  diejenigen  der  A.  F.).  —  Zu  aigle  beachte  auch 
die  Bemerkungen  E.  AppeFs   l.  c.   S.  37,   W.  Meyer*»  l.  e.  S.  12 'und 


K,  Armbrustef^,  Geschlechtswafidel  im  Französischen.    Mask.  n.  Fem.     163 

einen  längeren  Exkurs  über  das  Geschlecht  des  Wortes  im  XVII.  und 
XVni.  Jahrhundert  Gram,  des  Ghram.'^  S.  490.. —  Zu  ongle  vgl.  noch 
Vaugela«  Bern.  U,  422  f.  Cotgrave  gibt  das  Wort  als  feminin.  Heute 
hat  es  dieses  Genus  im  patois  blaisois  (Talbert  S.  266),  Departement 
Meuse  (Labourasse  S.  41),  Puybarraud  (R.  d.  pat  g.-r.  II,  67),  Ürim^nil 
(Haillant  III ,  4) ,  Boubaix  (A.  Faidherbe  S.  21).  Neuprov.  auch  owngle 
maskulin!  —  Regle  begegnet  als  Mask.  auch  bei  Monstrelet  (s.  Wald- 
mann l.  c.  S.  11)  und  heute  in  der  Bedeutung  bätonet  in  Roubaix  (A. 
Faidherbe  S.  21)  und  im  Norm.  (Moisy  L  c).  —  Belege  för  ile  mask. 
gibt  auch  Settegast,  J.  Cesar  Einleitung  S.  XXVni.  —  Die  Richtigkeit  der 
Herleitung  von  perle  aus  *pinda  wird  von  Gröber  Ärch.  f.  tat.  Lex.  IV, 
433  in  Zweifel  gezogen.  Als  Mask.  hat  es  ausser  Jahn  A.  Scheler,  Bast 
de  BouiUon  5247  und  in  einer  Anmerkung  zu  Watriquet  4111  nach- 
gewiesen. 

S.  49.  Besondere  Fälle,  b.  Gennsaustausch  bei  Homo- 
nymen und  Reimwörtern.  Scheinbare  oder  wirkliche  Kom- 
posita richten  sich  nach  dem  Simplex  und  Verwandtes.  Ver- 
fasser wendet  sich  hier  nochmals  nachdrucklich  gegen  diejenigen,  welche 
„vor  allem  die  Bedeutung  eines  Wortes  zur  Erklärung  einer  Geschlechi»- 
änderung  beizuziehen  suchten^.  Sind  wir  auch  weit  entfernt,  den  Einfluss 
von  der  Hand  weisen  zu  woUen,  den  die  Wortform  auf  das  Genus  geübt 
hat,  so  glauben  wir  doch,  dass  Verfasser  in  der  Zurückweisung  der  ent- 
gegenstehenden Ansicht  über  das  Ziel  hinausgehe,  und  glauben  nicht, 
dass  er,  wenn  er  zur  Begründung  seiner  Ansicht  bemerkt :  „doch  ist  nicht 
einzusehen,  warum  ein  als  Erbwort  vorhandenes  Substantiv,  wenn  es 
lange  Zeit  sein  etymologisches  Genus  bewahrte,  dies  plötzlich  geändert 
haben  soll,  weil  vielleicht  ein  Synonymen  das  andere  Geschlecht  besass, 
es  müssten  beide  Synonyma  durch  den  Sprachgebrauch  in  stereotype 
Verbindung  getreten  sein"  durch  ein  derartiges  Raisonnement  seine 
Gegner  in  ihrer  Auffassung  beeinflussen  wird.  Manchmal  wäre  ein  näheres 
Eingehen  auf  die  Geschichte  der  behandelten  Wörter  angezeigt  gewesen. 
Wenn  es  S.  50  heisst,  piege  mask.  verdanke  sein  Geschlecht  dem  Reim- 
wort siege,  so  hätte  ich  gewünscht,  dass  Armbruster  portug.  p^o  mask. 
(neben  pea  fem.)  von  seinen  Betrachtungen  nicht  ausgeschlossen.  Es 
gibt  ein  altfranzösisches  Verbum  pieger,  zu  dem  sich  piege  mask.  verhalten 
könnte,  wie  portug.  jp^o  mask.  zu  pejar.  S.  57  vermutet  Armbruster, 
dass  franz.  er  ine  fem.  „als  Fremdwort  aufgenommen  wurde  und  dann 
gewissermassen  als  Femininum  zum  männlichen  crin  betrachtet  worden 
ist",  ohne  uns  zu  sagen,  wie  er  neuprov.  crino  fem.,  portug.  crina  fem. 
(neben  crine  fem.),  ital.  crina  (neben  mask.  crine,  crino,  s.  Canello  Arch.  gl. 
in,  402)  beurteilt.  S.  61  heisst  es  mit  Bezug  auf  altfrz.  formi  mask. 
und  formie  fem.  u.  a.:  „Es  konnte  das  e  nach  Vokal  in  der  Aussprache 
bald  [?,  jedenfalls  vor  dem  XIV.  Jh.  in  sehr  beschränktem  Umfange]  weg- 
fallen. Die  so  entstandene  Form  formi  war  geneigt,  sich  Masc,  wie'cri,  pli 
im  Genus  anzuschliessen ,  zumal  da  dialektisch  neben  formi  immer  noch 
formie  fem.  bestand,  wodurch  eine  Auffassung  der  ersteren  Form  als 
Mask.  zur  zweiten  veranlasst  wurde".  Dass  auch  im  Provenzalischen 
fourmigo  und  formie  als  Mask.  und  Fem.  nebeneinander  stehen  (s.  Mistral) 
und  wie  dieselben  zu  erklären,  sagt  Verfasser  nicht.  Mistral  verzeichnet 
lat.  formicum  ohne  Angabe  des  Fundortes.  S.  51  ff.  Unter  licorne  fem. 
waren  neuprov.  licorno  alicomo  fem.  (s.  Mistral,  Tresor)  zu  beachten. 
Weshalb  „muss"  das  heutige  licorne  aus  dem  Italienischen  kommen?  — 
Zu  mensonge  vgl.  Vaugelas  Bern.  I,  97  f.,  IL  483.  —  Unter  palus 
war  zu  bemerken,  dass  prov.  palut  auch  als  Mask.  begegnet  (s.  Mahn, 
Gram.  S.  284).     Der  Erklärungsversuch  des  mask.  Genus  von  altfir.  pdlut, 

11* 


164  Referate  und  Rezensionen.    D.  Behrens, 

das  an  ein  männliclies  *paul  =  nordital.  padvUis,  dieses  volksetymologisch 
an  den  Flussnamen  Padies  (campus  padulis)  angebildet  wäre,  ist  wenig 
bestechend.  Dass  sard.  patUe  und  rum.  padure  fem.  sind,  wird  nicht  er- 
wähnt. Mit  Rücksicht  auf  das  gelehrte  neufrz.  palus  sei  noch  bemerkt, 
dass  Cousin,  Histoire  Romaine,  la  palus  M^otide  schreibt,  was  Richelet 
für  fehlerhaft  hält.  —  Annehmbarer  als  Armbruster's  Ansicht,  d  e  n  t  habe 
sich  im  Geschlecht  im  Provenzalischen  und  Französischen  nach  gent  und 
ment  gerichtet,  finde  ich  diejenige  E.  Appel's  (Arch,  f.  L  Lex.  I,  449),  wo- 
nach partieller  Genuswechsel  für  dens  u.  a.  bereits  in  lateinischer  Zeit 
anzunehmen,  weil  im  Latein  die  meisten  Substantiva  auf  8  mit  vorher- 
gehendem Konsonanten  Feminina  waren.  Guarnerio  weist  Arch.  gl.  IX,  349 
dens  fem.  im  Cat.  d'Alghero  nach.  In  Nordfrankreich  begegnet  heute 
dent  als  Mask.  in  ürim?nil,  Mons,  Boubaix  und  Departement  Meuse.  — 
S.  57  f.,  wo  mit  Bezug  auf  gl  and  bemerkt  wird:  „im  Französischen  be- 
steht die  dem  ital.  ghianda  entsprechende  Form  glande  neben  gland,  was 
die  Veranlassung  abgab,  dass  gland  männlich  wurde"  beachte  auch 
vulgärportug.  landea  fem.  (neben  lande  fem.,  s.  Cornu  Gröber's  Grundriss 
I,  789),  neuprov.  glando  fem.  (neben  aglan,  glan  mask.),  rum.  ghinda  fem. 
mit  geschlechtlicher  Endung  und  ital.  mask.  ghiande  neben  fem.  ghianda 
(s.  CaneUo,  Arch.  gl.  III,  402).  —  S.  62  ist  unter  soif  zu  bemerken,  dass 
neuprov.  set  und  neuprov.  fam  beide  als  Maskulina  und  Feminina  eben- 
falls vorhanden  sind. 

Teil  IL  A.  Genus  und  Genuswandel  im  Latein.  1.  Baum- 
namen. P.  63  „Allmählich  schliessen  sich  im  Vulgärlatein  sämtliche 
Baumnamen  dem  Genus  der  Maskulina  zweiter  Deklination,  wenn  sie 
mit  ihnen  formgleich  waren,  an."  Ich  vermute,  dass  dieser  Anschluss 
nur  ein  partieller  gewesen  ist  oder  vermisse  anderenfalls  bei  Armbruster 
eine  Erklärung  für  nicht  erwähnte  mdtl.  ital.  alna  fem.  (s.  Salvioni, 
Arch.  gl.  IX,  226),  neuprov.  ourmo,  oumo  fem.  (daneben  oum  mask.), 
neuprov.  piblo  etc.  fem.,  neuprov.  sapino  fem.  (daneben  sapin  mask.)  u.  s.  w. 
neben  franz.  aune  (mask.  und  fem.),  orme  (mask.),  peuple  (mask.), 
s  a  p  i  n  (mask.)  etfe.  Im  Einzelnen  habe  ich  zu  Armbruster's  Ausfühnmgen 
noch  folgendes  zu  bemerken:  charme  begegnet  bei  Rotrou  (s.  Sölter, 
Stitdien  S.  30)  als  Fem.  Weshalb  wird  zu  cypräs  mask.  der  Zusatz  ge- 
macht „lat.  cypressus  fem.",  da  lat.  cupressus,  wie  Armbruster  S.  63  selbst 
bemerkt  hat,  als  Mask.  nachgewiesen  ist?  Eine  strenge  Scheidung  der  Lehn- 
wörter und  Erbwörter  hat  Verfasser  selbst  in  diesem  Teile  seiner  Arbeit 
nicht  angestrebt.  —  Mit  altfrz.  fraisse  mask.  vgl.  prov.  frais,  fraisse, 
woneben  neuprv.  fraisso  fem.  =  frene,  femeUe  (Mistral)  vorkommt.  —  Altfrz. 
saus  begegnet  als  Fem.  Baud  de  Seb.  I,  490.  D.  Martinus  verzeichnet  es 
im  Mopoy^xtou  (S.  88)  als  Femininum  mit  dem  Zusatz:  tarnen  apud  du 
Vair  p.  1092  ma^ctdinum  est.  Heute  ist  es  feminin  in  Urim^nil  (s.  Hail- 
land  l.  c.)  und  Mons  (enne  sau  Sigart  S.  29).  Neben  ital.  saldo  mask.  etc. 
waren  ital.  salice  fem.,  nordital.  sarza  fem.  (Salvioni,  Arch.  gl.  IX,  226) 
und  rum.  salce  fem.  anzumerken.  —  Säule  hat  bis  heute  auf  nordfran- 
zösischem Sprachgebiet  sein  etymologisches  Geschlecht  in  dem  Patois  des 
Departement  Meuse  (s.  Labourasse  l.  c,  S.  41)  behalten.  Die  bei  Mistral 
verzeichnete  prov.  Form  assale  (mask.)  scheint  darauf  hinzudeuten,  dass 
auch  im  Provenzalischen  das  Wort  einmal  als  Femininum  vorhanden  ge- 
wesen ist :  assale  =  Ifa  sale.  —  Ich  vermisse  in  Armbruster's  Verzeichnis  der 
Baumnamen  u.  a.  orme  mask.  (Bergesche),  lentisque  mask.,  genievre 
mask.  (norm,  ^ent^e  fem.  Moisy),   altfrz.  lor  mask.  und   laure  (fem.  s. 

Godefroy,  lat.  laurus  fem.  und  mask.). 2.  DieWörter  auf-cwr. 

Armbruster  bekämpft  die  Ansichten  von  Littrd,  G.  Koerting,  Suchier,  Horning 
—  der  Vollständigkeit  wegen  hätten  auch  die  Ausführungen  Le  Hericher's 


K,  Armbrusier,  Geschlechismandel  im  Französischen,   Mask,  u.  Fem,     165 

in  der  Rev,  de  ling.  XTV,  wonach  keltischer  Einfluss  thätig  war,  erwähnt 
werden  können  — ,  um  seinerseits  einen  neuen  Erkl'ärungsyersuch  zu  geben. 
Nach  ihm  erfuhren  die  hier  einschlägigen  Wörter  im  Vulgärlatein  Formen- 
veränderung nach  Analogie  in  der  Weise,  dass  zum  ObUquus  florem  ein 
Nom.  fioriSf  zum  Obl.  calorem  ein  Nom.  caloris  etc.  neu  gebildet  wurde. 
Infolge  dieses  Flexionswandels  hätten  sie  sich«  dann  im  Genus  der  grossen 
Mehrzahl  gleichsilbiger  Wörter  auf  -w,  dem  Femininum,  angeschlossen. 
Diese  Ansicht  erscheint  mir  sehr  der  Beachtung  wert,  schHesst  aber  nicht 
aus,  dass  daneben  andere  Faktoren,  welche  Armbruster  zurückweist,  im 
einzelnen  Falle  wirksam  gewesen  sind.  Im  einzelnen  bemerke  ich  fol- 
gendes; Wenn  S.  74  zu  aniour  ausgeführt  wird:  „dass  im  Neufranzö- 
sischen  sich  das  Wort  als  Mask.  halten  konnte,  liegt  an  seiner  Form.  Es 
hatte  sich  den  anderen  auf  -eur,  weil  es  das  ältere  -oimt  erhalten  hat, 
entfremdef*,  so  befriedigt  diese  Begründung  nicht  voU,  solange  Verfasser 
nicht  erklärt,  weshalb  auch  neuprov.  amour,  amou  (s.  Mistral)  als  Masku- 
lina begegnen.  Hat  etwa  die  nfrz.  Schriftsprache  hier  auf  das  Neupr. 
eingewirkt?  —  S.  75  ardeur  gebrauchen  auch  Corneille  (s.  Ausgabe 
der  6rr.  Ecriv.  I,  465  die  Anm.)  und  du  Bartas  (s.  Pellissier  l.  c.  S.  194) 
als  Maskulinum.  —  S.  76.  Dafür  dass  candeur  „erst  im  XVI.  Jahrhundert 
eingeführt  wurde",  legt  die  Behandlung  des  Anlauts  schlechtes  Zeugnis 
ab.  —  Unter  couleur  konnten  nfrz.  le  couleur  de  feu,  le  cotdeur  de  rose  etc. 
erwähnt  werden.  —  S.  77.  —  Honneu r  ist  nach  Armbruster  maskulin  ge- 
worden in  Angleichung  an  das  Greschlecht  des  Reimwortes  bonheur.  Wie 
ist  es  zu  erklären,  dass  auch  neuprov.  ounour,  dem  ein  Beimwort  bonhour 
nicht  zur  Seite  steht,  maskulin  ist?  —  S.  80.  Moeurs  verzeichnet  auch 
Cotgrave  als  Maskulinum.  —  S.  81.  Pleur  ist  heute  comm.  im  Patois 
von  Blois  (s.  Talbert  S.  266).  Über  das  Geschlecht  des  Wortes  im 
XVII.  Jahrhundert  vergl.  die  Bemerkungen  Vaugelas'  L  c,  II,  146  f.  und 
Richelefs  8,v,  —  Rancoeur  gibt  bereits  Cotgrave  als  Maskulinum,  Garnier 
gebraucht  es  als  Maskulinum  und  Femininum  (s.  Procop  l.  c),  Ronsard 
auch  als  Maskulinum.  —  S.  82.  Ein  Substantiv  tristeur  fem.  gibt 
noch  Cotgrave.  —  Zu  vapeur  fem.  (rum.  abur  mask.)  ist  neufrz.  vapeur 

mask.   mit   differenzierter  Bedeutung   anzumerken. 3.   Kleinere 

Gruppen,  deren  Geschlechtswechsel  im  Lateinischen  basiert, 
a.  Lateinische  Communia.  S.  84  ist  die  Angabe,  pons  sei  ausser 
im  Spanischen  überall  männlich,  unrichtig.  Armbruster  selbst  erwähnt 
S.  64  rum.  punte  fem.  —  Zu  ais  vergl.  Settegast,  J.  C^ar  Einleitung 
S.  XXVIII.  Bei  Veget.,  den  Armbruster  nach  Neue  zitiert,  kommt  axis 
als  Femininum  nicht  vor  (s.  Georges).  —  Unter  chartre  konnten  portug. 
carcere  mask.,  unter  cendre  (S.  85)  prov.  cendre  comm.  (altprov.  cenre 
fem.  s.  Mahn,  Gram.  S.  284),  unter  chenal  (S.  86)  altprov.  canal  fem. 
(s.  Mahn  l.  c.  S.  284)  erwähnt  werden.  Für  altfrz.  achenal  und  eschenal 
werden  *ad-canalvs  und  *ex-canalis  konstruiert.  Ist  nicht  vielmehr  in 
dem  vokalischen  Anlaut  dieser  Wörter  der  vokaUsche  Auslaut  des  weib- 
lichen Artikels  zu  sehen:  Ifa  chenal,  wofür  dialektisch  echenal  eintrat? 
VgL  Born,  Zs.  Xin,  388.  —  Zu  lente  vergleiche  AscoU's  Bemer- 
kungen im  Arch,  gl,  IV,  398  —  401.  Prov.  lende  ist  heute  nach  Mistral 
comm.  —  S.  87  f.  Unter  marge  vergleiche  portug.  margem  fem.,  rum. 
margine  fem.,  unter  ost  neuprov.  ost  mask.,  rum.  oaste  fem.  —  Unter 
paroi  hätte  für  altprov.  paret  fem.  auf  Raynouard's  Lex,  verwiesen  und 
rum.  parete  mask.  verzeichnet  werden  können.  In  der  französischen 
Volkssprache  begegnet  heute  paroi  als  Maskulinum  nach  Chevallet, 
Orig.  in,  73  (Anmerkung).  Richelet  bemerkt  8.  v.:  Ce  mot  en  terme-s 
W Anatomie  est  masculin,    Cest  ce  gp/ti  aepare  les  dewjc  narines  depuis  le 


166  Referate  und  Rezensionen,    D.  Behrens, 

haut  du  nez  jusqttes  ä   la   Ihre. b.    Tiernamen.     Besprochen 

werden  hrehia,  cohmbe,  dainif  hydre,  lüwe,  lynxy  merle,  poutre,  ser- 
pent^  tourtre.  Andere  Tiernamen  werden  von  Armbmster  nach  anderen 
Gesichtspunkten  anderwärts  behandelt.  Eine  erschöpfende  Betrachtung 
haben  dieselben  nicht  gefunden.  Ich  vermisse  z.  B.,  sei  es  hier  oder  an  einem 
anderen  Orte  der  Armbroster^schen  Arbeit,  eine  Bemerkung  über  franz. 
rossignol  mask.  (s.  dazu  E.  Appel  L  c.  S.  38),  perdrix  fem.  (lat.  auch 
mask.;  vgl.  Mahn,  Prov.  Ghram.  S.  284),  altfrz.  balain  mask.  (neben  fem. 
balaine,  neufrz.  bcUaine  fem.),  franz.  ibis  mask.  (seit  dem  Xin.  Jahrhundert 
belegt;  lat.  ibis  fem.),  alcyon  mask.  (lat.  fem.),  phoque  mask.  (lat. 
phoca  fem.),  tigre  mask.  (altfrz.  auch  fem.,  lat.  comm.),  musaraigne 
fem.  (altfrz.  auch  musarain  mask.,  s.  E.  Rolland,  Faune  I,  17  und  E.  Appel 
l.  c.  S.  37),  couleuvre  fem.  (bei  Du  Bartas  mask.,  lat.  colvber  mask.  neben 
colubra  fem.),  altfrz.  passe  mask.  und  fem.  (lat.  passer  mask.,  vergl. 
Rolland,  Faune  11,  155),  m^ sänge  (früher  auch  mask.,  s.  Gram,  des 
Gram.  S.  62).  mau  vis  mask.  (früher  auch  fem.,  s.  Littrd,  heute  fem.  in 
der  Normandie  nach  Moisy  l.  c),  pivoine  mask.  und  fem.  (s.  Littr^), 
boeuf  mask.  (lat.  bos  comm.),  grue  fem.  (lat.  grus  comm.,  vergl.  zum 
Provenzalischen  Mahn,  Gram.  S.  284).  Zu  Verfassers  Ausfuhrungen 
in  diesem  Abschnitt  sei  im  einzelnen  noch  folgendes  bemerkt:  S.  91.  Im 
XVn.  Jahrhundert  verzeichnet  Cotgrave  neben  colombe  fem.  colom  mask. 
und  noch  heute  ist  letzteres  (als  allgemeine  Bezeichnung  des  Vogels  ohne 
Rücksicht  auf  das  natürliche  Geschlecht)  gebräuchlich  im  Wallonischen, 
Lothringischen,  desgleichen  Tarentaise,  Haute-Savoie  (colan;  s.  Rolland, 
Faune  IV,  122).  —  Das  neufrz.  fem.  zu  da  im  lautet  nicht  daime  sondern 
dame^  das  in  sekundärer  Entwickelung  aus  dem  frz.  Mask.  entstanden  ist. 
—  Neben  altprov.  idre  mask.  war  neuprov.  idro  fem.  anzumerken,  zum 
Geschlecht  des  Wortes  im  Französischen  auch  das  Gram,  des  Gram."^  S.  61 
Bemerkte  zu  beachten.  —  S.  92.  liävre  ist  heute  feminin  in  Puybarraud 
und  Vosges  (lieuffe  s.  Rolland  l,  c).  —  Merle  begegnet  als  Fem.  in 
Nordfrankreich  noch  heute  im  Patois  des  Departement  Meuse  (s.  Labourasse 
Glossaire  S.  41,  vgl.  Rolland,  Faune  pop.  U,  245  f.).  Auch  das  Neu- 
provenzalische  kennt  merlo  fem.  neben  merle  mask.  —  S.  93  waren  unter 
tourtre  altprov.  tortre  fem.,  neuprov.  tourtouro  fem.  taurtour  mask.  zu 
erwähnen.  —  Verfasser  schliesst  hier  die  Behandlung  von  jaspe  an 
und  folgert  doch  wohl  mit  Unrecht  aus  dem  Geschlecht  des  Wortes  in 
den  romanischen  Sprachen,  dass  es  bereits  im  Lateinischen  sein  Genus 
änderte.  Neben  jaspe  hätten  andere  Steinnamen  gelehrten  Imports  wie 
agate  fem.  (XVI.  Jahrhundert  auch  mask.,  lat.  comm.),  onyx  fem.  und 
mask.  bei  La  Bruyfere  (s.  Ausgabe  der  Gr.  J^criv.  III,  S.  XXXIV  Lex., 
zum  Lateinischen  E.  Appel  l.  c.  S.  38),  saphir  mask.  (vgl.  E.  Appel  L  c. 
S.  32)  gleiches  Anrecht  auf  Berücksichtigung  gehabt. 

B.  Genusunregelmässigkeiten,  die  mit  dem  verkannten 
Etymon  zusammenhängen.  Falsche  oder  unsichere  Etyma- 
Prüfung  des  Etymons.  1.  Lateinische  Wörter  auf  -ex,  ^icis; 
'iXy  'icis  etc.  Die  Gleichung  souche  =  *codica  ist  mit  Rücksicht  auf 
die  Bedeutung  beider  Wörter  ansprechend.  Ist  die  Herleitung  richtig, 
so  dürfte  das  anlautende  s  zuerst  in  der  Nebenform  choche  =  *caudica 
sich  eingestellt  haben,  woraus  mit  DifPerenzierung  der  Silbenanlaute  soche 
hervorgegangen  wäre.  —  S.  96.  Herse  begegnet  mit  etymologischem 
Geschlecht  als  Maskulinum  heute  im  Patois  von  ürim^nil  (s.  Haillant, 
Gram.  III,  4).  —  Zu  pause  vergleiche  auch  neuprov.  panso  fem.,  ital. 
panza  (span.  pancho  ist  Fremdwort),  zu  ponce  (S.  97)  neuprov.  powngo 
fem.,  span.  pomez  fem.  Bei  der  Geschlechtsveränderung  des  letztgenannten 
Wortes  werden  der  Oberbegriff  petra,   respektive   die  romanischen  Ent- 


K.  Armbrustei^  GeschkchUwandel  im  Französischen,   Mksk,  t/.  Fem,     1^7 

sprechungen  Ton  petm  mitgewirkt  haben,  vgl.  franz.  pierre-ponce,  nevprov. 
peiro-poungo,  span.  piedra-pomez.  —  Dem  unter  puce  (s.  dazu  Mussafia, 
Zschr.  f,  d.  Bealschtdw.  aIV,  79)  erwähnten  portug.  puilga  fem.  steht 
pulgo  mask.  (der  männliche  Floh  nach  H.  Michaelis),  dem  sich  neuprov. 
mask.  potduc  (s.  Rolland  III,  257)  vergleicht,  zur  Seite.  —  Unter  ronce 
war  zu  bemerken,  dass  auch  lat.  rumex,  desgleichen  unter  vertiz,  dass 
lat.  Vertex  als  fem.  nachgewiesen  wurden  (s.  Georges  und  E.  Appel 
L  c.  S.  38).  Neuprov.  rounse  ist  mask.  und  fem.  —  Souris  erklärt  Arm- 
bruster aus  *8orix  -dcem,  dieses  nach  radioc  -icem.  Anders  Gröber,  Arch, 
f.  lat.  Lex.  V,  473.  (S.  Mussafia,  Zschr.  f.  d.  Bealachuhß.  XIV,  71).  Als 
Maskulinum  begegnet  das  Wort  heute  auch  im  Wallonischen  (söri),  in 
Berry  (souris),  Langres  (seri),  wozu  man  Rolland,  Faune  I,  28  vergleiche. 
—  Unter  cerviz  (vgl.  dazu  auch  Scheler  zu  Watriquet  300)  vermisse 
ich  die  Erwähnung  von  rum.  cerbice  mask.  —  Armbruster  vermutet, 
dass  TB,ifort  sein  maskulines  Genus  der  Form  fort  verdanke,  ohne  zu 
erwähnen ,  dass  auch  die  nicht  mit  einem  eingeschlechtigen  Adjektiv 
verbundenen  prov.  rais,  raisse  etc.  heute  maskulin  (daneben  feminin)  sind. 
Nachgetragen  sei  franz.  varice  fem.  (lat.  varix  comm.).  Littr^  zitiert 
aus  dem  iQV.  Jahrhimdert  auch  la  grand  Calice,  —  2.  Einzelfälle. 
Die  hier  gegebenen  etymologisohen  Erörterungen  bieten  neben  Beachtens- 
wertem anderes  das  zum  Widerspruch  herausfordert.  Ich  muss  mich 
auf  einige  Bemerkungen  beschränken.  S.  101  wird  das  weibliche 
Geschlecht  von  aise  aus  dem  „stummen  e  der  Endung^  erklart,  wo- 
mit nichts  gewonnen  ist,  solange  dieses  e  selbst  nicht  zuverlässig  ge- 
deutet wird.  Aus  ^asium,  das  Armbruster  mit  Bugge  ansetzt,  lässt 
sich  in  volkstümlicher  Enwickelung  wohl  nur  ais  gewinnen.  —  S.  102 
vergleiche  zu  dem  unter  alcove  erwähnt«!  altfrz.  aucube  auch  altprov. 
aicuba,  —  Wenn  Armbruster  bezüglich  ambassade  bemerkt  „das 
Wort  war  im  XYI.  Jahrhundert  doppelgeschlechtig^,  eine  Thatsache,  die 
sich  aus  dem  ursprünglichen  Vorhandensein  emer  maskulinen  und 
einer  femininen  Form  mi  Altfranzösischen  erklärt  (vgl.  prov.  amhais- 
sada  neben  ambassat)^,  so  ist  damit  die  Lösung  des  Problems  nicht 
gefordert.  Vgl.  zu  dem  Worte  Gröber,  Arch,  f.  lat.  Lex.  I,  238.  —  Unter 
aspic  waren  auch  altfrz.  aspide  mask.  (Godefroy),  portug.  aspid,  aspide 
mask.  und  lat.  aspis  mask.  (Georges)  zu  beachten,  wodurch  ein  Zusammen- 
hang des  Geschlechtswechsels  mit  der  formalen  Anlehnung  an  espic  noch 
unwahrscheinlicher  wird.  Heute  begegnet  aspi  fem.  in  Berry  (s.  Jaubert), 
aspi  mask.  im  Normannischen  (s.  Moisy).  —  Bouge  leitet  Armbruster 
mit  Diez  aus  *bulgea  ab.  Anders  Gröber,  Arch.  f.  lat.  Lex.  I,  253.  — 
Für  carde  fem.  vermutet  Armbruster  ab  Etymon  span.  carda  „daher 
auch  c  statt  ch  im  Anlaut".  Dass  das  Wort  auf  gallischem  Boden  schon 
früh  vorhanden  gewesen  ist,  möchte  ich  aus  neuprov.  chardo  (neben  cardoj 
schliessen.  —  S.  104.  Unter  cercle  konnte  mit  Rücksicht  auf  ital.  cerchw 
cerchia  auf Canello,  Arch. glott. 111^403,  verwiesen  werden.  —  Unter  cou turne 
wird  span.  costumbre  auf  *con8uetumina,  das  doch  nur  costumbra  ergeben 
konnte,  zurückgeführt.  —  Zu  d^lice  (S.  105)  vgl.  auch  Poitevin,  Gram. 
I,  55  und  Crram.  des  Gram.'^  S.  44,  woselbst  über  das  Schwanken  des 
Genus  im  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert  Nachweise  gegeben  sind.  —  S.  106 
befindet  sich  Armbruster  mit  sich  selbst  im  Widerspruch,  wenn  er  mit 
Rücksicht  auf  dimanche  und  diemaine  bemerkt  „doA  Wort  ist  stets 
feminin  im  Altfranzösischen"  und  einige  Zeilen  weiter  unten:  „Doch 
auch  der  Übertritt  zum  Maskulinum  ftadet  sich  trotz  der  viersilbigen 
Form  schon  ziemlich  früh"  und  hierfür  Belege  aus  Berte  au  gr.  p.,  Villeh. 
und  Hörn  beibringt.  Nicht  überzeugt  hat  mich,  was  gegen  die  Herleitung 
von  dümanche  aus  (festajdominica  vorgebracht  wird.  —  Weibliches  la  N  o  öl^ 


168  Referate  und  Rezensionen.    Z>.  Behrens, 

das  Armbruster  aus  dem  Jovmal  de  Geneve  vom  8.  Januar  1888  beibringt, 
begegnet  auch  sonst  nicht  ganz  selten.  Mistral  8.  v,  nadalet  schreibt 
huitaine  qui  pricede  la  Noel,  sonnerie  de  cloches  qui  annonce  la  Noel, 
pendant  lea  neufjours  quiprtcldent  cette  fete  ...  —  S.  108.  Dime  mask. 
begegnet  noch  im  16.  Jahrhundert  bei  Du  Bartas  (s.  Pellissier  l.  c.  S.  194). 
Im  17.  Jahrhundert  bemerkt  Bichelet  on  appeUe  aussi  dime,  au  maaculin, 
un  canton  de  terre,  sur  lequd  on  a  droit  de  dimer,  —  Unter  doit  waren 
Homing's  Ausführungen  Zwr  Gesch.  des  lat  c  S.  14  (s.  auch  Gröber, 
Ärch.  f.  lat  Lex.  II,  107)  zu  beachten,  unter  dot  seltenes  franz.  dote 
fem.  (Patru,  plaid.  16,  s.  Richelet;  vgl.  ital.  dota)  zu  verzeichnen.  Cot- 
grave  schreibt  dost.  —  S.  108.  £meraude  begegnet  als  Maskulinum 
bei  Balf:  La.  Vemeraude  verdoiant,  wozu  Bichelet  s.  v.  bemerkt  mai»  ü 
est  certainement  ßminin,  —  Zu  der  unter  flasque  gemachten  Bemerkung, 
nach  Richelet  werde  das  Wort  „von  technischen  Schriftstellern"  offc  sSs 
Femininum  gebraucht,  fehlt  ein  näherer  Hinweis.  In  seinem  Dict.  schreibt 
Richelet:  Les  uns  croient  ce  mot  masculin,  &  les  autres  feminin,  mais  ü 
y  a  plus  de  gens  qui  le  fönt  musculin  . .  .  Vgl.  über  das  Wort  Arch, 
f  lat  Lex.  n,  424.  —  S.  109  wird  flotte  von  flotter,  dieses  von  lat. 
fluctuare  hergeleitet,  ohne  dass  versucht  wurde,  diese  Herleitung  mit  den 
Lautgesetzen  in  Einklang  zu  bringen.  Vgl.  G.  Paris,  Bomania  XYUI, 
S.  520.  —  S.  110.  Glu  mask.  möchte  ich  nicht  mit  Verfasser  auf  lat. 
gluten  n.  zurückfuhren.  Noch  D.  Martinus  bemerkt  zu  dem  Wort 
Mupo^-^xtov  S.  87  NowMiUi,  sed  levis  autoritatis,  glu  masadinum  volunt: 
at  premenda  videntur  domini  Urfei  vestigia,  qui  sie  in  Astrea  hquitur. 
In  nordfranzösischen  Patois  begegnet  es  heute  als  Maskulinum  in  Roubaix 
(s.  A.  Faidherbe  l.  c.  S.  21)  und  im  Morvan  (aigieu,  s.  De  Chambure).  —  Zu 
gorge  etc.  vgl,  Arch.  f.  lat  Lex.  H,  443.  —  Unter  l^zard  waren  neben 
portug.  lagarto  (wie  entstanden?)  ein  fem.  ku/arta  (s.  Oomu,  Gröber's 
Grundriss  I,  788  Anm.)  und  ausserdem  prov.  lesert  mask.,  leserto  lesardo 
fem.  zu  verzeichnen.  —  Zur  Etymologie  von  masque  s.  Eguilaz  y 
Yanguas  Glosario  s.  v.  mascara.  Das  Neuprov.  kennt  nach  Mistral  ma^co 
als  Mask.  und  Fem.  —  Unter  G^defroy's  Belegen  fär  moufle  (Faust- 
handschuh) findet  sich  eins  mit  männlichem  Geschlecht.  Neuprovenzalisch 
entspricht  mouflo  fem.,  span.  fmoufla.  —  Orle  gibt  Cotgrave  ausschliess- 
lich als  Fem.  —  Die  Annahme,  pieuvre  müsse,  wof&  die  Bedeutung 
spreche,  aus  der  südlichen  Seegegend  heraufgewandert  sein,  scheint  mir 
unbegründet.  Könnte  das  Wort  nicht  auch  an  der  Küste  der  Normandie 
seine  französische  Gestalt  erhalten  und  von  hier  aus  in  die  Schriftsprache 
gedrungen  sein?  Ist  doch  auch  im  Kanal  der  Octopus  (Ouvier)  (der 
in  V.  Hugo's  Meerarbeiter  als  Bekämpfer  Gilliat*s  bekanntlich  eine 
Rolle  spielt)  wirklich  heimisch!  In  Guemesey  ist  heute  ein  fem.  pievre, 
peuvre,  peuvre  im  Gebrauch,  während  Bouches- du -Rhone  pourpre  mask., 
Marseille  poupre  mask.  entsprechen.  Ob  franz.  pieuvre  auf  *poluptdwn  — 
*ploprum  zurückgeht,  wie  Armbruster  vermutet,  vermag  ich  nicht  zu 
entscheiden.  Bemerkt  sei  nur,  dass  auch  in  nordwestfranzösischen  Mund- 
arten anlautendes  pl  zvipl,  pi  werden  kann.  Mit  Rücksicht  auf  das  Ge- 
schlecht des  Wortes  hätte  bemerkt  werden  sollen,  dass  im  Griechischen 
polypös  als  fem.  begegnet.  —  Rosse  verzeichnet  Cotgrave  als  Maskulinum. 
—  Rouille  und  rouü  kommen  wahrscheinlich  nicht  von  *r6bigula, 
*r(>bigtUum.    Vgl.  über  die  Wörter  jetzt  Arch.  f.  lat  Lex.  V,  238. 

C.  Über  das  Geschlecht  deutscher  Wörter.  Auf  eine  ein- 
gehende Untersuchung  aller  hier  einschlägigen  Fälle  hat  Verfasser  leider 
verzichtet.  Es  fehlen  daher  in  seiner  Zusammenstellung  altfrz.  mague  fem., 
m^gle  (mask.  und  fem.),  altfrz.  potas  mask.,  frz.  stalle  fem.  (altfrz. 
mask.)  und  viele  andere.    Wenn  es  auf  S.  118  heisst:    „Wörter  neuerer 


K,  Ärmbi'uster,  GescMechismandel  im  Französischen.    Mask.  u.  Fem.      169 

Aafhahme,  die  auf  einen  Konsonanten  enden,  müssen,  um  diesen  Kon- 
sonanten in  seiner  Aussprache  festhalten  zu  können,  im  Französischen 
ein  stunmies  -e  anhängen.  Infolge  dessen  werden  sie  Feminina",  so  l'asst 
sich  Verfasser  in  seinem  Bestreben,  für  den  Genuswechsel  die  Ursache  in 
der  Wortform  zu  finden,  wiederum  allzu  weit  hinreissen.  Wenn  unter  den 
Wörtern  „neuerer  Auftiahme"  zur  Bes<«itigung  dieser  Regel  digue 
(beachte  indessen  Ch.  Joret,  Des  caract.  et  de  Vext.  du  pat.  norm.  S.  96, 
Anm.  2)  aufgeführt  wird,  so  hätte  Verfasser  nicht  unterlMsen  sollen,  für  ital. 
diga  und  nprov.  digo  fem.  eine  ausreichende  Erklärung  zu  geben.  Dasselbe 
gilt  von  estäque,  woneben  ital.  stecca  und  neuprov.  esteco  fem.,  von 
griffe,  woneben  nprov.  grifo  fem.,  von  gaude,  woneben  span.  gualda 
fem.  neuprov.  gaudo  fem.,  von  leurre  (f.  in  G«nf),  woneben  katal.  hyray 
neuprov.  luro  lem.  stehen.  Die  Möglichkeit,  dass  die  Bedeutung  dieser 
Wörter  das  Geschlecht  derselben  in  der  aufnehmenden  Sprache  bedingt 
haben  könne,  wird  von  Armbruster  kaum  einmal  in  Erwägung  gezogen. 
Liegt  es  denn  so  fern,  anzunehmen,  dass  z.  B.  frz.  biäre,  neuprov.  bierro, 
ital.  birra  durch  cervoise,  cermza,  cervogia,  dass  frz.  ^cume,  prov.  escumay 
ital.  schiuma,  span.  portug.  escum^  durch  eapume  (altfr^.),  prov.  span. 
espuma,  ital.  portug.  spuma  beeinflusst  worden  sind?  Wenn  Armbruster 
zu  frz.  liiere,  ital.  birra,  frz.  bivac,  ital.  bivacco  etc.  bemerkt:  „Andere 
Wörter,  die  auch  in  den  anderen  Sprachen  vorhanden,  sind  älter  und 
haben  im  Italienischen,  das  konsonantischen  Auslaut  nicht  duldet,  ent- 
weder fem.  a  oder  mask.  o  angenommen",  so  ist  damit  nichts  ge- 
wonnen, handelt  es  sich  doch  darum,  zu  konstatieren,  weshalb  in  dem 
einen  Falle  a,  weshalb  in  dem  anderen  o  angetreten  ist.  —  Zu 
altfrz.  onte  mask.  vgl.  auch  F.  Tendering,  Herrief a  Arch.  67,  S.  296 
und  F.  Settegast,  J.  Cesar  Einl.  S.  XXVÜI.  Näher  als  Verfassers  Ver- 
mutung, onte  mask.  habe  sich  nach  conte  gerichtet,  liegt,  glaube  ich,  die 
Annahme,  dass  das  Schwanken  des  Geschlechts  des  synonymen  deshonneur 

im  Altfrunzösischen  auf  dasjenige  von  onte  einwirkte. Anhangsweise 

handelt  Verfasser  (S.  120  f.),  nachdem  er  mit  Bücksicht  auf  das  Geschlecht 
der  zusanmiengesetzten  Substantiva  im  allgemeinen  auf  Darmesteter, 
Format,  des  m.  comp,  verwiesen  und  einige  auffallende  Erscheinungen 
besprochen  hat,  von  dem  Greschlecht  der  Verbalsubstantiv a.  S.  126 
wird  man  Verfasser  zustimmen,  wenn  er  bemerkt,  dass  frz.  glas,  prov. 
glatz,  ital.  ghiaccio  (vgl.  rät.  glatsch,  Arch.  f.  lat.  Lex.  II,  438  f.)  nicht 
auf  glades  zurückführen,  dagegen  an  der  Richtigkeit  der  weiteren  Be- 
hauptung, es  seien  diese  Wörter  Verbalsubstantiva  von  ghiacciare,  glassar, 
glacer  Zweifel  hegen  dürfen.  —  Wenn  frz.  los  auf  prov.  lau  (dieses  =  lat. 
laudo,  woher  ital.  lodo)  zurückgeführt  wird,  so  bedajf  es  vielleicht  der  An- 
nahme, die  französische  Form  sei  dem  provenzalischen  Nominativ  ent- 
nonmien,  nicht,  da  auch  die  obliquen  Kasus  im  Provenzalischen  mit  a  vor- 
kommen (s.  Mahn,  Gram.,  S.  280).  Neuprov.  laus  (neben  laud)  hat  festes  a. 
—  S.  127  ächange  begegnet  heute  als  Fem.  im  Normannischen  (s. Moisy, 
l.  c,  S.  LIII),  doute  imPatois  du  Centre  (Jaubert),  enge  im  Normannischen 
(Moisy).  —  S.  130.  Ober  das  Geschlecht  von  rencontre  bei  Du  Bartas 
vgl.  Pellissier,  /.  c,  S.  196,  bei  La  Bruy^re,  Ausgabe  der  Gr.  Ecriv., 
Bd.  III  (Lexique),  bei  La  Rochefoucauld,  ib.  III,  2,  S.  XLV.  —  S.  131 
ist  unter  reste  ital.  resto  übersehen.  Nicht  nur  das  Substantiv  reste, 
sondern  auch  das  Verbum  rester  weist  Littrö  nicht  vor  dem  XV.  Jahr- 
hundert nach.  —  Dem  wortauslautenden  e  wird  auch  in  diesem  Abschnitt 
weitgehender  Einfluss  auf  das  Geschlecht  der  Substantiva  eingeräumt. 
So  wenn  es  unter  risque  heisst  „die  Endung  -e  wandelte  das  männliche 
G^nus  zuweilen  ins  Femininum."  Dass  auch  das  Portug.  risca  neben 
risco  (beachte  Comu*s  Erklärung  in  Gröber's  Grundrias  I,  788)  und  das 


i 


VfQ  Referate  und  Rezensionen,    D.  Behrens, 

Neuproy.  risoo  fem.  neben  rieque  maak.  aufweiaen,  wird  mit  keinem 
Worte  erwähnt.  Zum  Französischen  ygl.  noch  Qram.  des  GramJ^  S.  554. 
Im  Normannischen  ist  rieque  heute  weiblichen  Geschlechts  nach  Moisy, 
L  c.  —  Mehrere  Yerbalsubstantiva ,  die  im  Französischen  nebeneinander 
mit  männlichem  und  weiblichem  Genus  vorkommen,  Hessen  sich  zu  den 
von  Armbruster  aufgeführten  hinzufügen:  z.  B.  frai  mask.  fraie  fem., 
alt&z.  pens  ma^k.  pense  fem.,  ciain  mask.  dame  fem.,  neufrz.  ap- 
pro  che  fem.,  früher  auch  maak.  (s.  Pellissier  zu  Du  Bartas,  S.  195), 
re lache  mask.  und  fem.  (s.  La  Bochefoucauld,  Ausgabe  der  Grrands 
Ecriv.  in,  2,  S.  XL  VI),  däbauche  fem.  (früher  comm.,  s.  Darmesteter 
und  Hatefeld,  Le  XVF  sücle^  S.  251),  contraste  mask.  (früher  auch 
fem.,  s.  Darmesteter  und  Hatzfeld,  Lc.)^  accord  mask.  altfrz.  auch  fem. 
accorde  (s.  Littr^s  Belege),  de  man  de  fem.  altfrz.  auch  demant,  com- 
mande  fem.  altfrz.  auch  i^mimant  m. 

Zweiter Hanptabscknitt.  Geschlechts wandel,  hervorgerufen 
durch  die  Bedeutung  des  Wortes,  unter  den  hier  aufgeführten 
Substantiven,  die  mit  persönlichem  Begriff  männliches  Geschlecht  ange- 
nommen haben  (aide,  garde,  guide  etc.)  vermisse  ich  barbe  mask.  (s.  Diez, 
E.  W.  II*  barba,  Litträ,  s,  v,  und  E.  Appel,  L  c»,  S.  36),  justice  mask. 
(vgL  sp.  el  justida  mask.  und  s.  Diez,  Ghramß^  II,  17,  Littrd,  9.  v,  14°),  altfrz. 
poestet  mask.  —  Camarade  stammt  nicht  aus  dem  Italienischen, 
sondern  aus  dem  Spanischen.  —  Über  den  Greschlechtswandel  von  prison, 
poin^on,  s.  Ascoli,  Ärch.  gl,  III,  ^44  f.  —  Prison  begegnet  als 
Maskulinum  noch  heute  in  Mons  (Sigart,  Ghss.,  S.  29)  und  in  RoubaLx 
(Faidherbe,  L  c.  8.  21).  —  Gens,^en^e«  kommen  auch  im  Lateinischen 
als  Maskulina  vor  (s.  E.  Appel,  S.  B6).  —  Über  das  Geschlecht  von 
personne  vgl.  Litträ,  8.  v.  Rem.,  Bichelet,  8,  v,,  La  Bruyere,  Ausg.  der 
Gr.  ißcriv.  Lexique,  S.  269,  La  Eochef.  (Lex.)  III,  2,  S.  XCJX.  Den  Schluss 
dieses  Abschnittes  (S.  136 — 139)  bildet  die  Aufzählung  einer  Anzahl  Sub- 
stantive, die  nach  Armbruster  ihr  Geschlecht  einem  Synonymen  oder  dem 
Oberbegriff  entliehen  haben.  —  Altfrz.  minuit  (statt  gewöhnlichem  mie- 
nuit)f  das  Armbruster  vermisst,  findet  sich  bei  Froiss.,  Foi8.  II,  230,  345. 
Nicht  bemerkt  finde  ich,  dass  auch  allein  stehendes  nuit  vereinzelt  unter 
dem  Einfluss  von  jour  und  di  als  Maskulinum  im  Altfranzösischen  be- 
gegnet :  s.  Alton,  Claris  und  Lari8 15337,  Scheler  zu  Bast  de  Bouillon  4293. 
—  Dass  vallis  sich  im  Geschlecht  nach  mons  (resp.  frz.  val  nach  mont) 
richtete,  nimmt  Ver&sser  in  Übereinstimmung  mit  W.  Meyer  (Neutrum, 
S.  12)  an,  ohne  die  entgegenstehende  Ansicht  E.  Appel's  (Arch,  für  lat. 
Lex,  I,  S.  450)  zu  berücksichtigen,  der  vallis  mask.  „durch  das  Schwanken 
der  Wörter  auf  «"  erklärt. 

Anhang  I.  Gelehrte  und  wissenschaftliche  Ausdrücke. 
Nach  welchem  Prinzip  die  gebotene  Auswahl  getroffen  ist,  ist  aus  der  Über- 
schrift nicht  ganz  klar  ersichtlich,  da  Armbruster  auf  den  vorhergehenden 
Seiten  seiner  Arbeit  untermischt  mit  Erbwörtern  zahlreiche  gelehrte  Wörter 
bereits  behandelt  hat.  Mit  mehr  Recht  lassen  sich  die  hier  behandelten 
Wörter  etwa  als  „Nicht  eingebürgerte  Fremdwörter"  bezeichnen.  Ver- 
&Bsers  Ansicht,  das  Geschlecht  derselben  werde  „oft;  ganz  willkürlich 
gehandhabt"  und  es  bieten  „diese  Unregelmässigkeiten  nur  geringes 
Interesse"  wird  kaum  unbedingte  Zustimmung  finden.  Das  Interesse, 
welches  diese  Wörter  bieten,  wird  doch  nicht  etwa  dadurch  ein  geringeres, 
dass  wir  an  ihnen  in  der  Gegenwart  dasselbe  Schwanken  beobachten 
können,  welches  der  gesamte  heute  eingebürgerte  gelehrte  Import 
des  französiflchen  Sprachschatzes  in  einer  früheren  Zeit  gleichfalls 
durchgemacht  hat!  Entweder  —  um  mit  Verfassers  eigenen  Worten  zu 
spreohiBn  —  behalten  die  Substaativa  dieser  Gattung  ihr  etymologisches 


K.  Armbritsier,  GeseMechiswandel  im  Französischen.   Mask,n,Fem.      171 

Geschlecht  bei,  oder  sie  schliessen  sich  im  Genus  an  einen  schon  vor- 
handenen ähnlichen  Begriff  an,  oder  endlich  ihre  Form  gibt  den  Aus- 
schlag. Zu  billigen  ist  es  selbstverständlich,  dass  Armbruster  die  Aus- 
drücke dieser  Art  von  den  Erbwörtem  getrennt  behandelt,  zu  bedauern 
nur,  dass  er  nicht  in  gleicher  Weise  eine  Aussonderung  auch  aller  heute 
bereits  eingebürgerten  Lehn-  und  Fremdwörter  vorgenommen  hat.  — 
S.  140  lies  varicocöle  statt  variocUe.  —  Car rosse  ist  heute  fem.  im 
Patois  von  Roubaix  (s.  A.  Faidherbe,  S.  21)  und  von  Ürimönil  (s.  Haillant, 
l.  c.)  —  Zu  ^pithete  vgl.  Richelet,  Dict  s.  v.,  Gram,  des  GramJ^  S.  61, 
Corneille,  (EJuvres  (Gr.  ficriv.)  III,  236,  Anm.  1.  —  S.  142  Vipäre  ist  auch 
mask.  bei  Botrou  (s.  Sölter,  Studien,  S.  32)  und  heute  in  vielen  Patois 
(Normandie,  Centre,  Meuse  etc.). 

In  einem  zweiten  Anhang  notiert  Verfasser  unter  der  nicht  sehr 
glücklich  gewählten  Überschrift  Besonderheiten  des  Genfer  Dialekts 
im  Geschlecht  der  Wörter  eine  Anzahl  Wörter,  welche  heute  in 
Genf  anderes  Genus  haben,  als  es  das  Dictionnaire  der  Akademie  vor- 
schreibt. Mehrere  dieser  Wörter  zeigten  oder  zeigBi  Schwanken  auch 
im  Altfranzösischen  und  in  der  französischen  Schriftsprache  und  wurden 
mit  Bücksicht  hierauf  bereits  an  anderem  Orte  von  Armbmster  behandelt: 
aiseSf  chenal,  comUf  episodd  eta.  etc.  Dasselbe  gilt  von  anderen  Wörtern 
wie  arÜre,  fuste,  paire  (z.  B.  maskulin  bei  Corneille  und  Magny)^),  uloere 
u.  a.,  die  Armbruster  in  den  vorangehenden  Ausführungen  seiner  Arbeit 
nicht  hätte  unberücksichtigt  lassen  sollen.  Eine  dritte  Gruppe  hier  auf- 
geführter Substantiva  eudlieh,  deren  Gtenus  als  eine  „Besonderheit  des 
Genfer  jDialekts'^  hingestellt  wird,  weichen  ebenso  in  nordfranzösischen 
Patois  von  dem  schriftüblichen  Gebrauch  ab.  Dahin  gehören  argewt,  as, 
chattd,  dinde,  empldtre,  hotel,  incendie,  narcisse,  scorsoneres,  vis  u.  a. 

Ich  bin  hiermit  am  Schluss  meiner  Besprechung  der  Armbruster'schen 
Schrift  angelangt.  Verfasser  hebt  einige  Male  im  Laufs  seiner  Unter- 
suchung hervö»,  dass  er  nicht  beabsichtigte,  die  Substantiva,  deren 
Geschlecht  im  Französischen  schwankte  oder  noch  schwankt,  vollständig 
zu  verzeichnen.  Wer  mit  dem  Referenten  der  Ansicht  ist,  dass  in  Mono- 
graphieen  von  der  Art  der  vorliegenden  das  Material  so  ausführlich 
wie  nur  irgend  möglich  mitgeteilt  werden  müssen  wird  daher  zahlreiche 
Worte  ungeme  vermissen.  Ich  habe  im  Vorstencfbden  einige  Male  Ge- 
legenheit genommen,  an  geeigneter  Stelle  Nachträge  zu  geben  und  stelle 
hier  zum  Schlüsse  in  alphabetischer  Anordnung  noch  eine  Reihe  uiderer 
Substantiva  mit  verändertem  oder  vorübergehend  schwankendem  Ge- 
schlecht zusammen:  '       ;. 

amadou  mask.  und  auch  fem.,  s.  Littr^,  s.  v. 
ante  fem. 

apostrophe,  begegnet  als  Mask.,  s.  Litträ,  s,  v, 
argile  mask.  bei  Voltaire,  s.  Litträ,  s.  v,  ;     .       .  . 

as  beste  mask. 

atome  mask.,  s.  zum  Lateinischen  E.  Appel,  l.  c,  S»  74. 
aub^pine  fem.  und  aubepin  mask.,  s.  Littr^^  s.  t^. 
besicles,  s.  die  Belege  bei  Litträ,  s,  v. 

clyst^re,  wird  von  Litträ  aus  dem  XIII.  Jahrhundert  als  Fem.  belegt, 
continent  mask.,  lat.  continens  meist  fem. 
crise  mask.  bei  Du  Bartas,  s.  Pellissier,  S.  194. 

ächo  mask.  und  fem.    Früher  wurde  das  Wort  im  Französischen  auch 
dann  als  Femininum  gebraucht^   wenn  es  nicht  die  heidnische  Gk)tt- 


1)  Vgl.  zu  dem  Worte  W.  Foerster,  Aiol  992. 


172  Referate  und  Rezensionen.    A.  Haase, 

hcdt  bezeichnet.  Ctr.  SOlter,  Gram.  und^lexHc.  Studien  zu  J.  BiOtrou, 
S.  80  und  Corneille,  Ausgabe  der  Gr.  Ecriv.,  Bd.  X,  236,  Anm.  1. 

äphämärides  fem.,  früher  auch  miiBk.,  b.  Iiitträ. 

epistre  begegnet  als  Maak,  bei  Christ,  de  Pia.,  z,  E.  Müller,  Zw  Syntat 
der  Christine  de  Pisan,  S.  3. 

ermes  mask.,  zum  Grundwort  b.  E,  Appel,  l.  c,  S.  32. 

eapöe,  altfrz.  auch  maak.?     S.  Diez,  E.  W.  I  spada. 

faB^ole  fem.,  vgl.  E.  Appel,  l.  c,  S.  108. 

fötu  maak..,  a.  Diez,  B.  Gram.»,  II,  18. 

foy  mask.  bei  Jodelle?  b.  Mart^-Laveaox'  Ausgabe,  Bd.  II,  S.  355, 
Note  6. 

gen€t  maak. 

grade  maak.,  früher  auch  fem.,  s.  Littrö  grade,  Hiet.  XVI'  siiele  und 
zum  Lateinischen  E.  Appel,  l.  c,  S.  S. 

groupe  wird  als  Fem.  und  Mask.  verzeichnet  in  (De  U  Toucbe'a)  L'art 
de  bien  parier  franQMS,  S.  92. 

h^catombe  mask.  bei  Du  Bartas,  b.  Fellisaier,  l.  c,  S.  195. 

heliotrope,  ist  nach  Gram,  des  Gram.'',  S.  48  mask.,  wenn  es  die 
Pflanze,  fem.,  wenn  es  den  Edelstein  bezeichnet.  Weder  Littr^  noch 
die  letzt«  Ausgabe  des  Dict.  de  VAcad.  machen  diesen  Unterschied. 

introite,  altfrz.  mask.  und  fem. 

laqne,  s.  Littr^,  s.  v. 

Alärz.  mes  fem.,  s.  Qodefroy;  lat.  mesaia  comm. 

Altfrz.  met  mask.  und  fem,,  s.  Godefroy,  Dict.  und  Diez,  E.  W.  II* 
madia,  norm,  met  mask. 

Altfrz.  mitant  fem.  und  mask. 

monarque  fem.    Marot  IV,  125  (Littr^). 

Alt&z.  mnse,  mouse  mask.  und  fem. 

Altfrz,  ortie  mask.  und  fem.  s.  Dreyling,  Die  Äusdruekmeeiae  der  Über- 
triebenen Verldeinerung  im  altfranzikisvken  Karlspus,  S.  43.  Heute 
ist  dag  Wort  maskulin  im  Normannischen  nsich  Moisy,  l.  c. 

paragraphe  mask.,  norm,  parafe  fem,  (Moisy). 

phare  mask. 

Altfrz.  penple  fem.  —  poptUaUon,  s.  Godefroy. 

portique  mask.,  porche  mask. 

pourpre  maak.  und  fem.  mit  unterschiedener  Bedeutung. 

primevere,  s.  Littrö. 

pyrite  fem. 

qnenx,  altfrz.  auch  mask.,  s.  Belege  bei  Litträ. 

raie  fem.,  altfrz.  auch  rai  mask.,  s.  Diez,  E.   W.  I  raggio  und  E.  Appel, 

;.  c,  s.  105. 

Altfrz.  reane  mask.  und  fem.,  a.  W.  Fcerater  zu  Aiol  1731. 

sandara^ue  verzeichnet  Bichelet  als  Mask. 

Altfrz.  seips  mask.  und  fem,, 

Altfrz.  eorame  mask.?,  a.  Scheler'a  Anm.  zu  Watri^et  XVllI,  79, 

Synode  maak.,  s.  E.  Appel,  U  c,  S.  32. 

Altfrz.    tour    auch  mask.?,    a.  A.   Scheler'a  Anm.   zn   Bogt,  de   BouiUon 

2266. 
trafic  maak.,    früher  auch  trafiqne  fem.,   s,   Pelliaaier  zu  Du  Bartas, 

S.  196,  Glauning  zu  Montaigne,  S.  327,  Chenevifere  zu  Des  Periera, 

8.  186,  Darmeateter  und  Hatzfeld,  XVi'  siede^,  S.  250, 
tuile  fem.,    früher   auch   mask.    tuiL     VgL   zum   Lateinischen  E.  Appel, 

I.  c,   S.  9  und  W.  Meyer,   Netitrvm,   S.  132,  zum   Romanischen 

Gröber,  Arch.  f.  lat.  Lex.  VI,  122  f. 


SyntakUtcke  Arbeiten.  V, 

1  mask.,  oacb  Richelet  fem.,  nach  MartinnB  im  Mupoft^ttuu  maa 

.re  (Weit  etc.),  a.  zu  Moliöre,  ATisg.  der  ffr.  tcriv.  VIII,  «8. 
e  maek.  =  wn  ckaptoM  faxt  df.  vigogne. 

D.  Behrens. 


Syntaktische  Arbeiten. 

Ein  «mfangreichpH  Thema  au?  der  altfranaCsiaclien  Sjntai  be- 
handelt DDblsiBW,  ÜhiT  Satzbfiordnung  für  Sattunterordnujig  im  Alt- 
französiscIuH.  Halle  a.  S.,  1888.  tUiBsertution.)  Die  Leistung  den  Ver- 
fkB9era  verdient  Anerkennung.  Im  AnschluB»  an  Hätzner'fa  Grammatik 
werden  die  einzelnen  Fälle  erörtert,  in  welchen  die  Beiordnung  statt 
der  in  der  neueren  Sprache  notwendigen  Unterordnung  vorkommt. 
Freilieh  ist  sehr  Vieles  von  dem ,  wan  der  Verfasser  gibt,  bekannt, 
und  „die  psychologische  Erklärung"  (S.  3)  wird  sich  schlieaslicfa  auch 
jedermann  ohne  Schwierigkeit  selbst  geben.  Wenn  die  Arbeit  blei- 
benden Wert  haben  sollte,  so  hätte  der  Bprachhistorische  Standpunkt 
für  den  Verlauf  der  einzelnen  Erscheinungen  festgehalten  werden 
milssen.  Nicht  darauf  kommt  es  an,  Beispiele  filr  die  einzelnen  (%lle 
beizubringen,  sondern  das  Verhältnis  der  allmählich  verschwindenden 
Satafilgnng  und  der  fflr  diese  mit  der  Zeit  mehr  und  mehr  eindringenden 
zu  beleuchten.  Das  wäre  eine  schätzenswerte  und  recht  nützliche 
Untersuchung  gewesen,  die  freilich  über  den  Rahmen  einer  DUsertation 
weit  hinausgegangen  wäre.  Der  Verfasser  hätte  auch  wohl  beriick- 
aichtigen  können,  was  bereits  über  die  Punkte,  welche  er  behandelt, 
von  anderer  Seite  gebracht  worden  ist.  Es  wäre  dann  z.  B.  der  Passus 
über  die  Adjektivs'ätze  (S.  G  f.)  anders  ausgefallen,  und  schwerlich 
hätte  er  sich  dann  noch  die  Mühe  gegeben,  diejenigen  zu  bekämpfen, 
welche  eine  Auslassung  des  Relativ  annehmen,  ein  Pasaus,  der  auch 
durch  den  Ton  (n.  B.  „dieser  Thatsache  werden  sich  diejenigen  mit 
grosser  Herzenaerleichtetnng  entsinnen  etc.")  nicht  gerade  angenehm 
berührt,  wie  denn,  und  Referent  fQhlt  sich  verpflichtet,  dieses  zu  be- 
merken, auch  sonst  der  Verfasser  unbeschadet  seiner  Oberzeugungs- 
treue den  Ton  etwas  hätte  herabstimmen  können.  Ausser  Diez  und 
Tobler,  deaaen  V.  B.  oft  berückaichtigt  sind  [überflüssig  iat  S  20  Anm. 
„Wie  ich  nachträglich  aehe,  ist  die  besprochene  sprachliehe  Erachoinnng 
schon  von  Tobler,  V.  B,  S.  207,  nachgewiesen  und  erklärt  worden"), 
und  aus  dessen  Vorlesungen  viel,  manches  ohne  Not,  manches  auch, 
was  lange  bekannt,  beigebracht  ist,  wird  kaum  etwas  von  der  ein- 
schlägigen Littei-atur  benutzt,  und  doch  ist  das  Thema  oft,  wenn  auch 
nicht  behandelt,  so  doch  mehr  oder  minder  nahe  gestreift  worden. 
Referent  will  aich  nicht  die  Mffhe  geben,  die  Dissertationen  zu  durch- 
suchen, welche  ihm  im  Laufe  der  letzten  Jahre  durch  die  Hände  ge- 
gangen sind,  er  will  nur  eine  wichtige  Arbeit  erwähnen,  Bisohoff, 
Konj.  bei  UkresUen,  dessen  schätzenswerte  AusführunKen  der  Verfasser 
hätte  verwerten  können  und  mQssen.  Im  übrigen  will  Referent  keines- 
wegs verkennen,  dass  der  Verfasser  gründlich  gearbeitet  hat  und  in 
seiner  Auflassung  sprachlicher  Erscheinungen  eine  tüchtige  grammatische 
Ausbildung  zeigt,  so  dass  einzelne  Erklärungen  ganz  ansprechend 
acheinen,  wenn  man  auch  nicht  durchweg  seinen  Ausführungen  wird 
beitreten  können.  Auf  Einzelheiten  aoll  nicht  weiter  eingegangen 
werden,  nur  möchte  Referent  anf  S.  26 — 31  hinweiaen,  einen  Abschnitt, 


174  Referate  vnd  Rezensionen^    A.  Haase, 

• 

mais  que  abweichende  Erklärung  gegeben  wird.  Er  wird  nämlich  mauf 
qtte  als  ^Adverbium  nur"  gefasflt,  so  dass  der  folgende  Wunschsatz 
selbständig  dasteht.  In  der  hübschen  Untersuchung  scheint  dem 
Referenten  der  Fehler  darin  zu  liegen,  dass  adverbiales  mais  und 
konjunktionales  nicht  scharf  genug  auseinander  gehalten  sind.  Dass 
mais  ursprünglich  adverbial  ist  und  sich  in  einzelnen  Wendungen  bis 
heute  so  erhalten  hat,  ist  ja  eine  bekannte  Thatsache,  dass  dasselbe 
aber,  wo  es  nicht  mehr  in  seiner  etymologischen  Bedeutung  auftritt, 
sondern  einen  mehr  oder  minder  scharfen  Gegensatz  einführt,  schon 
in  die  Bedeutung  einer  Konjunktion  übergetreten  ist,  liegt  doch  auf 
der  Hand.  Dies  ist  aber  stets  der  Fall,  wo  mais  que  einen  Wunsch- 
satz einführt,  es  ist  in  jedem  Falle  Konjunktion,  ob  man  nun  mais 
que  als  „aber  dass"  auffassen  mag,  oder  ob  man  annimmt,  dass  der 
ganze  ursprünglich  adverbiale  Ausdruck  (magis  quam  =  ausser,  nur) 
zur  Konjunktion  geworden  ist  und  einen  an  und  für  sich  selbständigen 
Wunschsatz  anfügt.  Und  da  ist  es  denn  doch  wohl  viel  natürlicher, 
dieses  que,  das  ja  an  und  für  sich  nicht  nötig  ist  und  auch  oft  genug 
nicht  auftritt,  als  que  „dass"  zu  fassen.  Dass  sich  übrigens  die  Be- 
deutung „lieber,  vielmehr"  erst  aus  „aber,  sondern"  entwickelt  haben 
sollte,  eine  Annahme,  welche  für  den  Verfasser  die  wahrscheinlichere 
ist  (S.  28),  ist  nicht  denkbar.  Ferner  erklären  sich  die  scheinbaren 
Judikative  nach  mais  que  (S.  29),  welche  dem  Verfasser  Schwierig- 
keiten bereiten  (cf.  S.  30  „zur  Erklärung  dieses  Modus  liesse  sich 
darauf  hinweisen,  dass  mais  que  allmählich  ganz  den  Charakter  einer 
Konjunktion  annahm  [man  beachte  den  Widerspruch,  vorher  verwahrt 
er  sich  wiederholt  gegen  eine  Konjunktion]  und  nun  nach  Analogie 
von  anderen  konditionalen  Konjunktionen  mit  dem  Indikativ  kon- 
struiert wurde")  einfach  als  Konjunktive,  eine  Erscheinung,  die  unend- 
lich oft  besprochen  worden  ist,  vgl.  z.  B.  zu  faiies  und  äites  Tobler, 
V,  B.  S.  26.  Endlich  möchte  Referent  noch  auf  S.  8  hinweisen,  wo 
der  Verfasser  von  Adverbialsätzen  des  Ortes  spricht,  zu  denen  er  „nur 
ein  Beispiel  zitieren  kann"  Bartsch,  Chr,  337,  29,  das  nicht  zutreffend 
ist  und  es  nicht  sein  kann.  Ein  lokaler  Adverbialsatz  könnte  in  bei- 
geordneten Sätzen  doch  nur  da  erblickt  werden,  wo  beziehungsloses 
oü  resp.  lä  oü  in  der  neueren  Sprache  unbedingt .  erforderlich  wäre. 
Nun  können  sehr  wohl  zwei  Sätze  einander  beigeordnet  sein,  von 
denen  der  eine  eine  lokale  Bestimmung  zum  anderen  enthält,  ohne 
dass  dieselben  durch  oü  verknüpft  sind ;  es  sind  dann  a,ber  Hauptsätze 
welche  sich  so  in  der  alten  und  neuen  Sprache,  wie  überhaupt  in  allen 
Sprachen  finden,  so  dass  von  Beiordnung  statt  Unterordnung  nicht  die 
Rede  sein  kann.  Schliesst  sich  aber  das  Fügewort  des  Lokalsatzes  an 
ein  vorhergehendes  Beziehungswort  an,  so  liegen  Adjektivsätze  vor. 
Alle  Anerkennung  verdient  auch  die  Arbeit  von  IMrAtscbke«  Die 
Nebensätze  der  Zeit  im  AUfranzösischen,  Kiel  1887  (Dissertation).  Der 
Verf.  hat  sehr  fleissig  gearbeitet.  Das  sieht  man  aus  der  ansprechenden 
Disposition,  die  ebenso  sorgfältig  ist  wie  die  Ausführung  im  einzelnen. 
Für  die  Anlage  der  Arbeit  ist  der  sprachhistorische  Standpunkt  nicht 
massgebend  gewesen,  was  zu  bedauern  ist.  Zwar  ist  in  Kürze  der 
entsprechende  lateinische  Gebrauch  und  der  neufranzösische  erwähnt, 
doch  treten  die  Punkte,  auf  welche  es  besonders  ankommt,  ganz  zurück 
und  müssten,  wenn  die  Arbeit  als  Beitrag  zur  historischen  Grammatik 
verwertet  werden  sollte,  aus  dei:  Fülle  des  Gegebenen  erst  heraus- 
gesucht werden.  Referent  hat  bereits  einmal  in  der  ZeitschHft 
(VP,  52)  seine  Ansichten  über  Spezialabhandlungen  anzuführen  sich 
erlaubt  und   muss    dieselben  anch  jetzt   noch  ihrem  ganzen  Umfange 


Syniaktisohe  Arbeiten.  175 

nach  aufrecht  erhalten.  Doch  trotz  seines  prinzipiell  verschiedenen 
Standpunktes  kann  Referent,  wie  gesagt,  die  Arbeit  nur  loben.  Im 
einzelnen  hätte  er  ein  näheres  Eingehen  auf  die  Konjunktionen  ge- 
wünscht, welche  der  Verfasser  angibt,  so  z.  B.  hätte  S.  8  das  droutre 
der  Passion  kurz  erklärt  resp.  in  Parenthese  die  beiden  lateinischen 
Bestandteile  des  Wortes  angegeben  werden  können.  Einiges  hätte 
richtiger  aufgefasst  resp.  ausgedrückt  werden  müssen;  so  ist  z.  B. 
wiederholt  von  einem  ,,Fehlen  des  gue^  im  Nebensatze  die  Rede, 
z.  B.  S.  25,  43,  47,  48  und  sonst.  Was  S.  26  über^.v^M'fl  fheure  que  u.  ä. 
gesagt  ist,  S.  48  aifis  qu'ü  dut  redrecier  ist  nicht  genau  and  nicht 
scharf  genug  ausgedrückt.  Eine  kurze  Erklärung  wäre  auch  z.  B. 
S.  56  Fut.  II  —  Perf.  II ,  S.  44  ains  que  mit  dem  Präsens  am  Platze 
gewesen. 

Einen  einzelnen  Punkt  der  Syntax  eines  Autors  aus  dem  18.  Jahi*- 
hundert  behandelt  Ilfalliisteclt,  Om  brukei  af  ftmt  modus  kos  RaotU 
de  Houdenc,  Stockholm,  1888  (Dissertation  von  üpsala).  Auf  diese 
Arbeit  will  Referent  nur  hinweisen  und  aufmerksam  machen,  da  er 
dieselbe  richtig  zu  würdigen  und  zu  beurteilen  wegen  seiner  Unkenntnis 
der  schwedischen  Sprache  nicht  vermag.  Er  bedauert,  dass  die  Ab- 
handlung in  dieser  Sprache  geschrieben  ist,  denn,  so  viel  er  sehen 
konnte,  ist  sie  gründlich  gearbeitet  und  scheint  auch  Dinge  von  all- 
gemeinerer Bedeutung  zu  enthalten.  Jedenfalls  zeigt  sich  der  Verfasser 
mit  der  ganzen  syntaktischen  Litteratur  Deutschlands  bis  in  die  Details 
hinein  gründlich  vertraut. 

Ins  15.  Jahrhundert  führt  uns  Waldmann,  Bemerktmaen  zur 
Syntax  Monsirelefs.  Würzburg,  1887.  Das  Thema  ist  insofern  glücklich 
gewählt,  als.  wie  der  Verfasser  das  auch  bemerkt,  bereits  Froissart 
und  Commines  auf  ihre  Syntax  hin  untersucht  worden  sind.  Der  Ver- 
fasser hat  nun  auch  den  sprachhistorischen  Standpunkt  inne  halten 
wollen,  um  „sein  Scherflein  zur  Ausarbeitung  einer  umfassenden 
historischen  Grammatik  beizutragen."  Leider  ist  dieser  Standpunkt 
nicht  in  der  Weise  gewahrt  worden,  wie  es  wünschenswert  gewesen 
wäre,  und  auch  sonst  zeigt  die  Arbeit  recht  erhebliche  Mängel.  Der 
Vergleich  mit  Froissart  und  Commines  hätte  stets  gründlich  durch- 
geführt werden  müssen.  Der  Verfasser  hätte  sich  nicht  darauf  be- 
schränken müssen,  das  Vorkommen  gewisser  Erscheinungen  bei  seinem 
Autor  zu  konstatieren,  sondern  auch  auf  das  Verhältnis  moderner  und 
alter  Fügungen  näher  eingehen  und  in  besonders  wichtigen  Fällen 
geradezu  statistische  Angaben  machen  sollen.  In  der  Weise  wie  sie 
nun  vorliegt,  macht  die  Arbeit  hinsichtlich  des  Materials  einen  recht 
skizzenhaften  und  oberflächlichen  Eindruck.  Ausserdem  ist  die  Aus- 
drucksweise  zumteil  recht  unwissenschaftlich,  auch  finden  sich  schiefe 
und  unrichtige  Auffassungen  in  grosser  Zahl,  einiffe  Stellen  müssen 
sogar  als  grob  falsch  bezeichnet  worden.  Vieles  ist  angeführt,  was 
auch  noch  heute  im  Gebrauch  ist,  doch  will  Referent  das  nicht  zu 
scharf  rügen,  da  er  aus  eigener  Erfahrung  weiss,  wie  schwierig  hier 
oft  die  Entscheidung  ist.  Dagegen  ist  das  zu  tadeln,  dass  viele  Bei- 
spiele so  kurz  angeführt  sind,  dass  die  zu  belegende  sprachliche  Er- 
scheinung nicht  immer  mit  voller,  jeden  Zweifel  ausschliessenden  Deut- 
lichkeit zu  Tage  tritt.  Das  Gesagte  durch  Beispiele  zu  illustrieren, 
davon  will  Referent  abstehen.  Was  nützt  es,  solche  Sachen  aufzu- 
zählen, die  jeder  Leser  selbst  verbessern  kann,  Dinge,  von  denen  oft 
genug  die  Rede  gewesen  1  Es  genügt,  darauf  hinzuweisen,  dass  Bei- 
spiele zu  dem,  was  gerügt  ist,  in  nicht  unerheblicher  Zahl  sieh  finden. 
Immerhin  wird  das  niedergelegte  Material  als  solchea  wohl  brauchbar 


176  Referate  und  Rezensionen,    A,  Haase, 

sein,  wenngleich  dasselbe  einer  scharfen  Sichtung  und  der  Vervoll- 
ständigung bedarf. 

Aus  dem  XVI.  Jahrhundert  liegen  allein  über  Rabelais  drei 
Arbeiten  vor,  von  denen  zwei,  beide  völlig  unabhängig  von  einander, 
teilweise  dasselbe  Thema  behandeln.  SAnger,  Syntaktische  Unter- 
suchungen zu  Rabelais.  Halle  a.  S.,  1888  (Dissertation),  behandelt  das 
Verbum  und  die  Präpositionen.  Die  Abhandlung  ist  sorgfältig  ge- 
arbeitet, sprachhistorisch  gehalten  und  deshalb  recht  übersichtlich. 
Dieselbe  berücksichtigt  auch  da,  wo  es  darauf  ankommt,  das  Ver- 
hältnis des  alten  und  des  neuen  Gebrauchs  und  kann  als  ganz  brauch- 
bar bezeichnet  werden,  obwohl  im  einzelnen  mancherlei  Ausstellungen 
zu  machen  sind.  Zu  rügen  ist,  dass  die  Arbeit  von  Weissgerber  über 
den  Konjunktiv  im  XVI.  Jahrhundert,  welche  in  Band  VII  und  VIII 
dieser  Zeitschrift  erschienen  ist,  nicht  herangezogen  worden  ist.  Auch 
dürfte  die  ältere  Arbeit  Schönermark's  über  Kabelais  nicht  so  selten 
sein,  wie  der  Verfasser  das  in  der  Vorrede  behauptet. 

Einen  Teil  desselben  Themas,  nämlich  den  Gebrauch  des  Kon- 
junktivs und  den  der  Tempora  und  Modi  in  hypothetischen  Sätzen, 
behandelt  Hornig,  Syntaktische  Untersuchungen  zu  Rabelais.  Leipzig, 
1888  (Dissertation),  eine  Leistung,  über  welche  man  sich  ebenfalls  an- 
erkennend aussprechen  kann.  Die  Untersuchung,  welche  unter  steter 
Berücksichtigung  dessen,  was  Weissgerber  bereits  gegeben  hat,  geführt 
wird,  erstreckt  sich  auch  auf  die  Konjunktionen,  welche  den  konjunk- 
tivischen Nebensatz  einleiten,  auf  die  Pronomina  resp.  Adverbia  der 
verallgemeinernden  Konzessivsätze,  die  Negation  im  abhängigen  Satze, 
ist  sprachhistorisch  gehalten  (wobei  jedoch  zu  bemerken  ist,  dass 
manche  dem  modernen  Gebrauch  entsprechende  Erscheinungen  nur 
kurz  anzuführen  und  nicht  durch  viele  Beispiele  zu  belegen  gewesen 
wären)  und  zeigt  eine  ausserordentliche  Belesenheit  in  der  syntaktischen 
Litteratur.  Über  vier  Seiten  braucht  der  Verfasser,  um  die  Titel  der 
benutzten  Abhandlungen  zu  zitieren,  und  dabei  hat  er,  wie  aus  den 
Anführungen  an  einzelnen  Stellen  der  Arbeit  ersichtlich  ist,  noch 
andere  herangezogen.  Die  Durchsicht  dieser  langen  Reihen  veranlasst 
Referenten  zu  dem  wohlgemeinten  Rat,  in  dieser  Hinsicht  sich  zu  be- 
schränken und  nur  die  Abhandlungen  auszuwählen,  welche  wegen  ihrer 
sprachhistorischen  Angaben  und  der  grammatischen  Erklärung  wegen 
wichtig  sind.  Es  muss  ja  für  einen  jungen  Menschen  eine  fast  ab- 
schreckende Aufgabe  sein,  sich  durch  diesen  von  Jahr  zu  Jahr  zu- 
nehmenden Berg  von  Schriften  hindurch  zu  arbeiten !  Bei  einer  solchen 
Beschränkung  (und  eine  Auswahl  für  das  vorliegende  Thema  Hesse 
sich  unschwer  treffen)  wäre  eine  desto  intensivere  Benutzung  der  ein- 
schlägigen Litteratur  möglich.  So  hätte  auch  leicht  der  Verfasser  es 
vermieden,  S.  47  afin  que  vous  dicies  mit  Schönermark  für  einen  Indi- 
kativ zu  halten.  Wenn  er  die  von  ihm  daselbst  zitierte  Stelle  bei 
Vogels  genauer  angesehen  hätte,  so  hätte  er  die  Erklärung  eines 
anakoluthischen  Imperativs  gefunden,  eine  Erscheinung,  von  welcher 
er  selbst  bei  den  Verben  der  Aufforderung  S.  27  spricht.  Übrigens 
könnte  ja  dictes  auch  in  konjunktivischer  Funktion  stehen.  Dass  that- 
sächlich  der  Indikativ  nach  afin  que  in  Stellen,  die  jede  andere  An- 
nahme oder  Deutung  ausschliessen,  im  XVI.  Jahrhundert  vorkommt, 
mag  nebenbei  angemerkt  werden.  Soweit  Referent  solche  in  der  Er- 
innerung sind,  zeigen  sie  stets  fut.  Tempora,  so  dass  von  Finalsätzen 
dann  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann.  Doch  auf  Einzelheiten  soll  nicht 
eingegangen  werden. 

Referent   hat   die  Resultate  der  beiden  Abhandlungen  und   die 


Syntaktische  Arbeiten.  177 

Ausführungen  derselben  im  einzelnen  verglichen.  Er  will  die  Notizen, 
die  er  sich  gemacht,  nicht  hier  wiedergeben,  sondern  nur  das  be- 
merken, dass  beide  Abhandlungen  Anlass  zu  mancherlei  Ausstellungen 
im  einzelnen  bieten  und  beide  das  Material  nicht  ganz  vollständig  er- 
schöpfen. Immerhin  ist  die  letzte  Arbeit,  wie  das  bei  dem  beschränk- 
teren Stoffe  natürlich  ist,  im  allgemeinen  etwas  vollständiger,  wogegen 
auch  Sänger  manches  gibt,  was  Hörnig  übersehen  hat,  während  er 
anderes  hätte  weglassen  müssen.  Auffallend  ist  der  Widerspruch  hin- 
sichtlich der  Verba  des  Affekts  und  der  Ausdrücke  der  Furcht  (cf.  Sänger, 
Sp.  28  u.  Hörnig,  Sp.  36  u.  82). 

Mit  demselben  Autor  beschäftigt  sich  Orlopp,  Ober  die  Wort- 
steilung bei  Rabelais.  Jena,  1888  (Dissertation).  Diese  Arbeit  trägt  Re- 
ferent kein  Bedenken  als  eine  musterhafte  Leistung  zu  bezeichnen. 
Nach  wissenschaftlicher  Disposition  und  Methode  gearbeitet,  vollständig 
sprachhistorisch  gehalten,  behandelt  die  Dissertation  unter  Benutzung 
alles  dessen,  was  über  die  Wortstellung  in  besonderen  Monographieen 
und  auch  sonst  zerstreut  in  Abhandlungen  niedergelegt  ist,  das  Thema 
erschöpfend  und  im  Zusammenhange  der  historischen  Syntax.  Durch 
die  sprachhistorische,  sorgfältig  zusammengestellte  Einrahmung  des 
Materials,  welche  den  Sprachgebrauch  von  der  ältesten  bis  auf  die 
neuere  Zeit  nicht  nur  im  allgemeinen  angibt,  sondern  auch  bis  in 
seine  einzelnen  Wandlungen  hinein  verfolgt,  ist  diese  fleissige  Arbeit, 
welche  79  Seiten  in  kleinem  Druck  enthält  und  alle  nur  irgend  mög- 
lichen Abkürzungen  zeigt,  ganz  besonders  wertvoll  geworden.  Referent 
hat  den  allergünstigsten  Eindruck  gewonnen  und  kann  diese  hervor- 
ragende Abhandlung  aufs  wärmste  empfehlen. 

Calvin's  Institution  hat  eine  erneute  Bearbeitung  erfahren  durch 
Grosfiie«  Syntaktische  Studien  zu  Jean  Calvin.  Giessen,  1888  (Dissertation). 
Wie  der  Verfasser  selbst  bemerkt,  ist  diese  Abhandlung  bereits  1879 
in  Herrig's  Aixhiv  zum  Abdruck  gelangt  und  erscheint  jetzt  in  „ver- 
änderter Gestalt."  Weil  j^ne  Arbeit  viel  benutzt  worden  ist  und  be- 
nutzt wird,  da  eine  andere  Darstellung  der  Syntax  Calvin's  nicht 
existiert,  will  Referent  auf  diese  zweite  Auflage  aufmerksam  machen, 
und  dies  ist  der  einzige  Grund,  weshalb  die  Schrift  überhaupt  erwähnt 
zu  werden  verdient.  Wie  es  mit  der  „veränderten  Gestalt"  steht,  will 
Referent  nicht  untersuchen.  Er  kennt  die  erste  Arbeit  genau  und 
hat  dieselbe  noch  so  weit  im  Gedächtnis,  dass  er  behaupten  kann, 
diese  Veränderung  kann  nur  in  ganz  unwesentlichen  Einzelheiten  be- 
stehen. Im  ganzen  ist  die  vorliegende  Abhandlung  nur  ein  aufge- 
wärmtes Gericht,  das  deshalb  viel  weniger  schmackhaft  ist  als  das 
frische.  Eine  Arbeit,  die  vor  neun  Jahren  noch  für  ganz  leidlich  gelten 
konnte,  ist  heute,  wenn  sie  ganz  auf  dem  früheren  Standpunkte  stehen 
geblieben  ist,  als  wertlos  zu  bezeichnen.  Zwar  gibt  der  Verfasser  auf 
der  ersten  Seite  einige  neuere  Werke  an,  die  er  benutzt  hat  (darunter 
einige,  von  denen  man  nicht  recht  einsieht,  wie  dieselben  für  eine 
Syntax  verwertet  werden  können),  doch  ist  von  einer  auch  nur  einiger- 
massen  genügenden  Benutzung  der  einschlägigen  Litteratur  nicht  die 
Rede.  Nicht  einmal  die  Sprache  des  XVI.  Jahrhunderts  ist  heran- 
gezogen. Nur  sporadisch  finden  sich  Ansätze  zu  sprachhistorischer 
Methode  (z.  B.  S.  29,  32,  41),  und  mitunter  ist  die  ältere  Arbeit 
Schönermark's  über  Rabelais  berücksichtigt.  Die  Methode  ist  unwissen- 
schaftlich, und  ebenso  oft  die  Ausdrucks  weise.  Im  einzelnen  finden 
sich  falsche  Auffassungen,  ja  zum  teil  recht  arge  Versehen.  Auch  das 
gegebene  Material  ist  zu  dürftig.  Nur  S,  32  und  46  ist  eine  nähere 
Angabe  über  das  Verhältnis  der  alten  und  der  modernen  Fügung  zu 

JSsclur.  f.  fin.  Spr.  u.  Litt.    XI^.  ^2 


178  Referate  imd  Rezensionen,    M.  Köhkr, 

entdecken.  Wenn  S.  29  Tönnies  kritisiert  wird,  so  wirkt  diese  ver- 
einzelte,  ganz  unnütze  Ausstellung  geradezu  komisch.  Es  wäre  zu 
wünschen,  dass  die  Syntax  dieses  so  wichtigen  Autors  einmal  gründ- 
lich untersucht  würde. 

Sehr  schätzbares  Material  liefert  Ringeiiseii,  Studier  öfver 
verbets  syntax  hos  BUtise  de  Monlue»  üpsala,  1888  (Dissertation).  Leider 
muss  Referent  auch  hier  ee  sich  versagen,  ein  Urteil  abzugeben.  Er 
will  nur  bemerken,  dass  die  Arbeit  sprachhistorisch  gehalten  ist,  so 
viel  er  aus  den  Zitaten  ersehen  konnte,  gründlich  gearbeitet  ist,  und, 
wie  bereits  bemerkt,  viel  Material  liefert.  .  Namentlich  sind  viele 
sprachliche  Erscheinungen,  die  man  nicht  bei  allen  Schriftstellern  der 
Zeit  findet  und  die  überhaupt  nie  allgemein  geworden  sind,  durch  Bei- 
spiele belegt,  so  dass  man  in  der  Arbeit  mehr  findet  als  in  anderen 
ähnlichen  Abhandlungen.  Darauf  ganz  besonders  hinzuweisen  sieht 
sich  Referent  nach  der  Durchsicht  des  Materials  veranlasst. 

A.  Haase. 


Riese,  Wilhelm,  Alliterierender  Gleichklang  in  der  franzö'siscken 
Sprache  alter  und  neuer  Zeit,  Hallenser  Dissertation. 
Halle,  1888.     38  8.  8o. 

Die  Alliteration  in  den  romanischen  Sprachen  ist  bis  jetzt 
ein  noch  fast  unangebantes  Gebiet.  Vor  der  Yeröffentlichong 
Torliegender  Dissertation  existierten  darüber,  abgesehen  von 
einigen  gelegentlichen  Erwähnungen  in  Monographien,  nur  zwei 
AHikel  geringeren  Umfanges:  von  G.  Gröber  (Zeitschrift  für  rom. 
FhiL  VI,  467)  und  P.  Meyer  (Romania  X,  572),  und  auch  diese 
gingen  über  einige  Beispiele  und  die  Aufstellung  von  Gesichts- 
punkten fUr  eine  eingehendere  Bearbeitung  des  Themas  nicht 
hinaus.  Verfasser  vorliegender  Dissertation  bespricht  den  Gegen- 
stand auf  nur  achtzehn  Seiten;  der  übrige  Teil  enthält  eine  Bei- 
Spielsammlung,  nach  Wortarten  geordnet,  jedoch  ohne  Sonderung 
nach    der  Zeit  der  Schriftsteller. 

Die  Einleitung  (8.  5 — 8)  der  Arbeit,  welche  durch  den  oben 
erwähnten  Artikel  Gröberes  hervorgerufen  wurde,  bespricht  den 
Ursprung  der  Alliteration,  d^r  nicht  im  Germanischen  zu  suchen, 
sondern  als  Wirkung  eines  in  jeder  Sprache  vorhandenen  Triebes 
anzusehen  sei,  die  Entstehung  des  Wortes  Alliteration,  die  Er- 
klärung desselben  in  französischen  Wörterbüchern  und  Metriken, 
die  alle  den  Begriff  der  Alliteration  anders  fassen,  als  wir,  und 
stellt  für  vorliegende  Arbeit  den  Begriff  so  fest,  wie  er  in  Deutsch- 
land und  auch  von  den  hervorragenden  französischen  Romanisten 
jetzt  verstanden  wird. 

Abschnitt  I  (8 — 11)  handelt  von  einigen  Besonderheiten  der 
lautlichen  Seite  der  Alliteration  im  Französischen  (Verhältnis  der 
yokalisehen  zur  konsonantiselien  Alliteration,  AlliteratioB  gleich- 


W.  Riese,  Alliterierende^'  Gleichklang  m  der  flranz.  Sprache  etc.      179 

lautender  Konsonanten  mit  versohiedener  Schreibang,  Verbaltefi 
von  mit  Präpositionen  zasammengesetzten  Wörtern)  und  unter- 
scheidet zwischen  Alliteration  und  ähnlichen  Figuren,  namentlich 
der  etymologischen  und  grammatischen  Figur. 

Abschnitt  II  (11 — 16)  will  eine  Untersuchung  geben  über 
das  logische  Verhältnis  der  alliteHerenden  Elemente  und  die 
grammatische  Beschaffenheit  ihres  Zusammenhangs,  bespricht 
jedoch  inbezug  auf  den  ersten  Punkt  fast  nur  die  namentlich  in 
den  Chansons  de  geste  häufig  vorkommende  Zusanmienstellung 
gleich  anlautender  Eigennamen.  Nach  grammatischer  Beziehung 
werden  die  Alliterationen  eingeteilt  in  koordinierte  und  sub- 
ordinierte, von  denen  die  letzteren  als  sehr  selten  und  weil  sie 
dem  Sinne  nach  doch  oft  koordiniert  seien,  sehr  kurz  abgethan 
werden.  Die  koordinierten  werden  eingeteilt  in  synthetische 
(z.  B.  fueiUes  ne  flours),  synonyme  (z.  B.  feu  et  flame),  anti- 
thetische (z.  B.  soient  blanches,  soimU  hrtmettes)  und  di0|anktive 
(affirmativ  z.  B.  par  armes  ou  par  amour,  negativ  ne  bon^  ne  beles). 

Abschnitt  III  (S.  16 — 23)  geht  ein  auf  die  Neigung  der 
Völker  zur  Alliteration,  die  sich  bethätigt  in  der  Wortbildung, 
besonders  bei  der  Reduplikation,  die  jedoch  fUr  das  Französische 
nicht  existiert,  und  bei  der  Bildung  von  Intensivstämmen.  Die 
Neubildungen  auf  französischem  Gebiete  werden  besprochen  im 
Anschluss  an  Diez:  Gemination  und  Ablaut  im  Romanischen 
(Zeitschrift  fllr  die  Wissenschaß  der  Sprachen,  3.  Bd.)  Die  Ab- 
handlung geht  dann  Über  auf  die  Gewohnheit  vieler  Dichter,  die 
Schönheit  ihrer  Verse  zu  erhöhen  durch  gleichen  Anlaut  mehrerer 
Wörter  im  Verse,  die  syntaktisch  nicht  verbunden  zu  sein  brauchen, 
woraus  sich  die  Spielerei  der  Tautogramme  oder  rtmes  senies 
entwickelt  hat.  Nach  Erwähnung  einiger  Alliterationsscherze,  wie 
des  von  P.  Meyer  in  dem  oben  erwähnten  Artikel  besprochenen  über 
die  Epitheta  des  Weines,  schliesst  der  abhandelnde  Teil  mit  kurzen 
Bemerkungen  über  das  Vorkommen  der  Alliteration  in  der  Prosa. 

Wenn  es  dem  Referenten  erlaubt  ist,  dieser  Inhaltsangabe 
einige  Anmerkungen  hinzuzufügen,  so  hält  er  es  zunächst  für  ver- 
kehrt, die  gefundenen  Beispiele  einfach  alphabetisch  aneinander 
zu  reihen.  Eine  wirklich  brauchbare  Arbeit  über  dieses  Thema 
muss  das  Material  sichten  nach  der  Zeit  der  Schriftsteller,  in 
denen  es  sich  findet^  nach  Dichterschulen,  Sagenkreisen  u.  s.  w., 
am  dann  Schlüsse  ziehen  zu  können,  in  welchen  Perioden,  in 
welchen  Dichtungsarten,  vielleicht  auch  in  welchen  Gegenden  die* 
Alliteration  mehr  oder  weniger  beliebt  war  und  noch  ist.  Auch  hätte 
das  Verhältnis  näher  untersucht  werden  müssen,  in  welchem  inbezug 
auf  die  zu  behandelnde  sprachliche  Eigentümlichkeit  die  lateinische 
Sprache  zur  französischen  steht.     Für  diese  beiden  Fragen  geben 

12* 


180  Beferaie  und  Rezensionen.     Th.  Lion, 

die  zahlreich  vorhandenen  Abhandlungen  über  lateinische  Allite- 
ration, allen  voran  die  vorzügliche  Arbeit  von  E.  Wölfflin  in 
den  Sitzungsberichten  der  philos.'phüoL  und  hist  Klasse  der  känigl, 
bayer,  Akad,  d,  Wiss,  1881,  2,  S.  1  ff.,  gute  Anhaltspunkte. 

Abschnitt  III,  wenigstens  soweit  er  die  ursprünglichsten 
Äusserungen  des  Alliterationstriebes  behandelt,  hätte  sich  besser 
direkt  an  die  Einleitung  angeschlossen. 

Die  Arbeit  enthält  zahlreiche  Druckfehler  und  Ungenauig- 
keiten,  namentlich  in  den  Litteraturangaben,  so  ist  das  Buch  von 
Becq  de  Fouqui^res  über  französische  Metrik  mehrfach  mit  un- 
vollständigem Titel  angegeben.  Ausdrücke  wie  der  S.  13  „ein 
näheres  Verhältnis  der  alliterierenden  Seienden^  waren  zu 
vermeiden.  M.  Köhler. 


BibUoth^ue  frtm/^ise  d  Vuaage  des  Reales.  CoUecHon  Fried' 
berg  2b  Mode»  Nr.  V7.  Leciures  faciles  et  insirnciives.  Heraus- 
gegeben und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Adolf  Lundehn. 
Berlin,  1886.  In-ie»  VI  ti.  160  S.  geb.,  1  M.  Wörterbuch  dazu. 
35  S.  geh.  20  Pf.  —  Nr.  18.  Choix  de  Poesies.  Ausgewählt,  mit 
einer  kurzen  französischen  Verslehre,  biographischen  Notizen  und 
Anmerkungen  versehen  von  A.  Lundehn  und  E.  Meves.  Berlin, 
1887.  In-160,  XXIV  u.  218  S.  geb.,  1,20  M.  Wörterbuch  dazu  von 
A.  Lundehn,  19  S.  geh.  20  Pf.  —  Nr.  19.  Les  campannes  de 
1806  et  de  1807.  Reduction  de  la  partie  correspondante  de  iliistoire 
de  Napoleon  I^  par  P.  Lanfrey.  Bearbeitet  und  mit  Anmerkungen 
versehen  von  W.  Bertram.  Mit  2  Karten.  Berlin,  1888.  8^. 
VIII  u.  129  S.,  geb.  Anmerkungen  dazu  geh.  S.  131—168.  1,20  M. 
Wörterbuch  dazu.  24  S.  20  Pf.  —  Nr.  20.  Hommes  celeh-es  de 
rhistoire  romaine.  Nach  Dur uy.  Ein  französischer  Cornelius  Nepos 
für  Quarta  und  Untertertia  s'ämtlicher  höherer  Lehranstalten.  Mit 
kulturgeschichtlichen  Anmerkungen,  zwei  Karten  und  einem  Wörter- 
buche. Bearbeitet  und  herausgegeben  von  H.  W.  G lab b ach, 
Berlin,  1888.  8^.  VII  u.  112  S.,  geb.  Anmerkungen  dazu  S.  118 
bis  S.  158,  geh.,  1,20  M.  Wörterbuch  dazu  58  S.  geh.  30  Pf.  — 
Nr.  21.  Le  siede  de  Louis  XIV.  Histoire  de  France  de  1661  ä 
1715  par  Victor  Duruy.  Mit  Anmerkungen  und  einem  Wörterbuche 
versehen  und  zum  Gebrauch  in  höheren  Lehranstalten  herausgegeben 
von  K.  A.  Martin  Hartmann.  Mit  einer  Karte.  Berlin,  1888. 
80  VIII  u.  189  S.,  geb.  Anmerkungen  dazu  8.  141  — 194,  geh., 
1,20  M.  Wörterbuch  dazu  81  S.  geh.  20  Pf.  —  Hr.  22.  Histoire 
de  la  Revolution  fran^aise.  Par  Mignet.  Herausgegeben  und  mit 
Anmerkungen  versehen  von  M.  Schaunsland.  Berlin,  1888.  8°. 
VI  u.  145  S.,  geb.  Anmerkungen  dazu  S.  147—170,  geh.,  1,20  M.(?) 
Wörterbuch  dazu  40  S.  geh. 

"NVm  17  ist  eine  Sammlung  umfangreicherer  Lesestücke,  „für  die- 
jenige Klasse  höherer  Lehranstalten  —  in  erster  Reihe  Mädchenschulen  — 
[dem  Inhalte  nach  lediglich  für  diese]  bestimmt,  in  welcher  die  nn- 
regelmässigen  Zeitwörter  der  französischen  Sprache  erlernt  werden 
Bollen,  also  für  das  dritte  Jahr  dieses  Unterrichtes  [!],  beziehungsweise 


Schulausgaben,  181 

für  Mädchen  im  zwölften  Lebensjahr."  Der  Herausgeber  findet  es  im 
Vorworte  sodann  für  angemessen,  bei  der  grossen  Zahl  französischer 
Lesebücher,  welche  für  diese  Stufe  verwendbar  sind,  die  Berechtigung 
einer  neuen  derartigen  Sammlung  nachzuweisen.  Lundehn  wünschte 
dafür  einen  solchen  Inhalt,  der  dem  Lernenden  am  wenigsten  fremd- 
artig sei,  und  meint,  dass  sich  dafür  wohl  am  besten  interessante  Bilder 
aus  dem  Familien-  und  gesellschaftlichen  Leben  der  Franzosen  eignen; 
„das  Elternhaus,  die  Spiele  der  Jugend,  die  Puppen  der  Mädchen,  der 
Herr  Pate  u.  dergl.  m.,  da  sind  unsere  Schülerinnen  au  pays  de  con- 
naissance  und  lernen  zugleich  mit  Leichtigkeit  eine  Menge  von  Aus- 
drücken für  die  Umgangssprache."  Dies  die  Absicht  des  Herausgebers, 
über  die  ich  mich  ein  Urteil  abzugeben  enthalte;  vielleicht  sind  der- 
gleichen Lesestücke  für  die  betreffende  Stufe  einer  höheren  Mädchen- 
schule ganz  angemessen,  vielleicht  wünschen  andere  einen  etwas  ge- 
diegeneren Inhalt,  ich  lasse  das  dahingestellt  und  gehe  nur  noch  kurz 
auf  die  Art  und  Weise  ein,  wie  der  Herausgeber  seine  Absicht  ver- 
wirklicht hat.  Eine  Anzahl  Druckfehler  fallen  unangenehm  auf;  es  ist 
dabei  nicht  immer  ersichtlich,  ob  sie  als  Druckfehler  anzusehen  sind. 
So  findet  sich  fast  durchweg  M^,  für  M^  oder  Mme,  ebenso  S.  6  Mr. 
für  M.  oder  M^,  MUe.  für  ^"^  ebendaselbst  15,  mai  und  12.  mai  für 
15  mai  und  12  mai,  S.  53  Predsement  für  Precisement  u.  dgl.  m.  Für 
das  Mass  der  beigegebenen  Anmerkungen  scheint  kein  fester  Grundsatz 
geherrscht  zu  haben.  Warum  die  erste  Anmerkung:  „/<?  viens  de  faire 
ich  habe  so  eben  gemacht?"  Bei  der  Einübung  des  Verbs  venir  lernt 
die  Schülerin  doch  das  sicherlich.  Mehrere  Anmerkungen  hätten  in 
das  besonders  beigegebene  Wörterbuch  verwiesen  werden  können,  z.  B. 
3,  2:  avoir  lieu  stattfinden.  Andere  Spracherscheinungen  wiederum 
wären  besser  durch  einen  kurzen  Hinweis  erledigt,  als  durch  die  voll- 
ständige Anführung  einer  Regel,  deren  Fassung  mitunter  recht  be- 
denklich ist;  z.  B.  S.  8,  5:  „Wenn  die  Verben  faire,  laisser,  voir,  en- 
tendre  mit  dem  Infinitiv  eines  transitiven  Verbums  verbunden  sind  und 
zwei  Objektsakkusative  bei  sich  haben,  so  wird  im  Französischen 
das  persönliche  Objekt  in  den  Dativ  gestellt."  Dieselbe  Regel  kehrt 
S.  80,  2  in  etwas  anderer  Fassung  wieder.  S.  2,  3:  „une  batterie  de 
cuisine  das  Küchengeschirr."  Die  Schülerin  begreift  nicht,  wie  une 
durch  das  wiedergegeben  werden  kann.  Besser  wäre:  eine  Küchenein- 
richtung. Das  Wörterbuch  scheint  im  allgemeinen  ausreichend;  auf 
einem  merkwürdigen  Versehen  beruht  indes  die  Angabe:  nfourneau  m. 
Küchengarten."  S.  2  lesen  wir  bei  der  Aufzählung  der  Küchen einrich- 
tung  un  peiit  fourneau  en  faience.  Die  Aufnahme  von  faience  f.  Stein- 
gut in  das  Wörterbuch  wäre  zu  empfehlen,  damit  die  Schülerinnen  das 
gute  deutsche  Wort  für  faience  kennen  lernen.  Vorstehendes  und  ähn- 
liches der  Art  sind  Versehen,  die  den  Gebrauch  des  Büchleins  nicht 
hindern,  sobald  man  nur  mit  dessen  Absicht  einverstanden  ist. 

Nr.  18.  Die  Herausgeber  gehen  von  der  Ansicht  aus,  dass  es 
sich  empfehle,  „auf  der  Oberstufe,  etwa  im  zweiten  und  dritten  Jahre 
derselben,  unter  Voraussetzung  eines  vierjährigen  Kursus,  in  jedem 
Semester  einige  Wochen  der  eingehenden  Lektüre  poetischer  Erzeug- 
nisse zu  widmen."  Die  epische  Poesie  entspreche  am  besten  den  ünter- 
richtszwecken.  Sie  haben  deshalb  eine  Auswahl  französischer  Gedichte 
zusammengestellt,  „die  teils  unbestritten  dem  epischen  Gebiete  an- 
gehören, teils  dasselbe  mehr  oder  weniger  nahe  berühren."  S.  V — XV 
enthalten  einen  kurzen  Abriss  der  französischen  Verslehre  und  Bemer- 
kungen über  das  Lesen  der  Verse:  dass  in  diesem  Abschnitt  die 
griechischen  Versfussnamen  überhaupt   und   zwar  nicht  bloss  die  be- 


162  Referate  und  Bezensionen^    Th.  Lion, 

kannten,  Jambus,  Trochäns,  Daktylas  und  Anapäst,  sondern  auch  die  der 
obersten  Stufe  des  Gymnasiums  vorbehaltenen,  Päon,  Choriambus,  Cre- 
ticus,  Molossus  Verwendung  finden,  dürfte  schwerlich  zu  billigen  sein, 
zumal  da  der  Verfasser  dieses  Abschnittes,  Herr  Meves,  es  verabsäumt 
hat,  ausdrücklich  zu  betonen,  dass  von  der  Quantität  der  Silben  bei 
dem  französischen  Vers  kaum  die  Bede  sein  kann;  er  will  diese  Art 
der  Versmessung  mit  dem  Rhythmus  und  dem  Reim  begründen,  während 
der  erstere  doch  nur  durch  die  Verbindung  der  verschiedenen  Tonein- 
heiten zustande  kommt.  Auch  der  Satz  §  2 :  „ Jedes  französische  Wort 
besitzt  nur  eine  einzige  Betonung,  welche  auf  der  letzten  vollen  Silbe 
des  Wortes  ruht  (acceni  ionique)^  ist  in  dieser  Ausdehnung  unrichtig; 
auch  das  französische  drei-  und  mehrsilbige  Wort  trägt  ausser  dem 
Hochton  den  Tiefton,  man  vergleiche  z.  B.  soupir  und  soupirer  inbezug 
auf  die  verschiedene  Betonung  der  ersten  Silbe.  S.  XVI — XXIV  werden 
bio|p:aphische  Nachrichten  über  die  Dichter  gegeben,  die  in  alpha- 
betischer Ordnung  aufgezählt  werden.  S.  XXI  v  spricht  sich  Meves 
über  Voltaire  dahin  aus:  „Von  ausserordentlichem  Talent,  dabei  hab- 
süchtig, eitel  und  frivol,  hat  er  unarmesslichen  Einfluss  auf  die  Er- 
schütterung des  herrschenden  Despotismus  in  Kirche,  Staat  und  Gesell- 
schaft gehabt.  Seine  leidenschaftliche  Ruhmbegierde  und  sein  Hass 
gegen  Aberglauben  und  Vorurteile,  von  dem  er  von  Jugend  auf  erfüllt 
war«  nahm  mit  seinem  Alter  zu  und  artete  endlich  zu  einem  wahren 
Fanatismus  des  Unglaubens  aus^  —  Worte,  die  wohl  kaum  geeignet  sind, 
der  Schuljugend  eine  richtige  Vorstellung  von  Voltaire's  Wesen  und 
Wirken  beizubryigen.  —  Der  Mangel  eines  Inhalts  fällt  unangenehm 
auf  und  erschwert  den  Gebrauch  des  Buches,  der  auch  dadurch  nicht 
gerade  erleichtert  wird,  dass  die  Amnerkungen  S.  194 — 218  dem  Texte 
nachfolgen.  Auch  deshalb  ist  die  Benutzung  der  Anmerkungen  schwierig, 
weil  sie  auf  die  Nummer  des  Lesestücks,  die  nicht  über  der  Textseite 
bezeichnet  ist,  Bezug  nehmen.  An  den  Anmerkungen  Hessen  sich  hier 
und  da  Ausstellungen  machen,  z.  B.  S.  198,  34:  „Je  devais  hier  =  ich 
hätte  müssen;  die  der  Vergangenheit  angehörende  Thätigkeit  ist  nicht 
zur  Vollendung  gekommen.'^  Ich  nehme  namentlich  an  dem  nhier** 
Anstoss,  da  es  sich  doch  um  einen  ganz  gewöhnlichen  Sprachgebrauch 
handelt,  der  dem  lateinischen  hoc  facere  dehehas  u.  dergl.  entspricht 
(vergl.  Knebel -Probst,  Französ.  Schülfpramm.,  §  99,  3).  £in  ähnliches 
missbräuchliches  hier  findet  sich  übrigens  mehrfach  in  Lundehns'  An- 
merkungen. Wer  der  oben  angegebenen  Absicht  der  Herausgeber  bei- 
pflichtet, wird  übrigens  das  Buch  im  Unterricht  dementsprechend  ver- 
wenden können. 

IM^r«  19«  In  dieser  und  den  folgenden  Nummern,  bei  denen  das 
Format  sich  zu  dem  Oktav  der  Weidmännischen  Sammlung  vergrössert, 
wird  die  Zeilenzahl  des  Textes  am  Rande  mit  5,  10,  15  u.  s.  f.  be- 
zeichnet, die  Anmerkungen  werden  ebenso  wie  das  Wörterbuch  in 
einem  besonderen  Heft  beigegeben:  damit  werden  wohl  die  Wünsche 
der  meisten  Schulmänner,  die  einen  reinen  Text  in  den  Händen  der 
Schüler  sehen  wollen,  befriedigt  sein.  Ich  meinerseits  betrachte  die 
Fussnoten,  sobald  sie  nur  streng  schulf^emäss  gehalten  sind,  d.  h.  dem 
Schüler  da  zu  Hilfe  kommen,  wo  die  eigene  Kraft;  nicht  ausreicht  und 
lediglich  erklären,  was  wirklich  der  Erklärung  bedarf,  nach  wie  vor 
als  die  zweckmässigste  Einrichtung  für  eine  Schulausgabe.  Daneben 
scheint  mir  nur  das  jetzt  hier  eingeschlagene,  auch  in  den  Ausgaben  B. 
der  Prosaieurs  frangais  (Velh.  &  Klasing)  befolgte  Verfahren  zulässig. 
Bei  diesem  weiss  der  Schüler  nicht,  ob  er  in  dem  Heft  eine  Anmerkung 
finden  wird  oder  nicht,  er  gerät  also  in  die  Versuchung,  die  Anmer* 


Sckfdausgaben.  163 

kaogen  ganz  unbenutzt  zu  lassen,  nur  die  Not  kann  ibn  dazu  veran- 
lassen, sie  einzusehen.  Mir  scheint  es  dann  fast  ebenso  gut  die  Bei- 
gabe der  Anmerkungen  ganz  zu  unterlassen,  diese  auf  diu  alphabetisches 
Namensverzeichnis,  das,  wenn  ein  Wörterbuch  beigegeben  wird,  diesem 
einverleibt  werden  könnte,  zu  beschränken.  Aber  auch  die  Beigabe 
der  Wörterbücher  wird  wohl  die  Mehrzahl  der  SchulmänneT  min* 
destens  für  unnötig  erachten.  Doch  wie  gesagt  ich  glaube,  dass  trotz 
alledem  ein  schön  gedruckter,  gut  gebundener  Text,  An- 
merkungen in  einem  besonderen  Heft,  Wörterbuch  für  den, 
der  es  besonders  begehrt,  dasjenige  ist,  was  bei  der  Lehrerwelt 
am  meisten  Anklang  findet,  die  Sehülerwelt  wird  besonders  am 
Wörterbuch  Gefallen  finden  und  gern  die  kleine  Mehrausgabe  daran- 
wenden. —  Zu  den  vorhandenen  Lanfrerausgafoen  (vergl.  diese  Zeä- 
sckrifi  Bd.  11  S.  408—411,  Bd.  Vil»  S,  176  f.,  Bd.  VUia  S.  119-322) 
gesellt  sich  nun  die  dritte:  alle  drei  greifen  aus  der  Hisimre  de  N4ir 
poleon  ^^  die  Feldzüge  von  1806  und  1807  heraus.  Wie  sind  sie  mit 
dem  Texte  umgegangen?  Bamsler  bietet  die  betreffenden  Kapitel 
ziemlich  unverkürzt,  aus  der  Vergleichung  seiner  und  Bertrames  Aus- 
gaben im  ersten  Kapitel  ergibt  sich,  dass  Absatz  XXIV  und  XXV 
Bertram  bei  Ramsler  fehlen,  Sairazin  und  Bertram  haben  grösaere 
Kürzungen  vorgenommen;  hier  ist  es  nur  meine  Aufgabe,  dia  Beftram'sche 
Ausgabe  darauniin  etwas  näher  zu  prüfen.  Es  ist  zunächst  anzuerkennen, 
dass,  wo  Auslassungen  stattgefunden  haben,  dies  durch  Gedankenstriche 
kenntlich  gemacht  ist.  S.  4,  7  Bertram  fehlen  8.  10  Talleyr^md  eiadt 
resie  fidek  bis  S.  14  fue  s'ü  Cavaii  de  ja  (Ramsler^).  Es  wird  hier  nichts 
vermisst,  zumal  da  die  Anmerkungen  sich  über  den  Inhalt  des  Weg- 
gelassenen aussprechen.  S.  6,  U  Bertram  fehlen  S.  16—29  Bamsler, 
ohne  weitere  Bemerkung:  es  ist  wohl  selbstverständlich,  dass  der  An- 
fang des  folgenden  Absatzes:  Le  conrotmement  naiurel  de  4i^t  edifice 
grandiose^  womit  le  Systeme  des  grands  fiefs  gemeiBtistj  in  Bertrames 
Ausgabe  unverständlich  bleiben  muss.  Nicnt  anders  verhält  es  sieh 
S.  8,  31,  wo  der  Schluss  des  Absatzes  X  ohne  weiteres  weggelassen  ist, 
und  Absatz  XI  mit  seinem  Mais  cetie  chance  heureuse  darauf  hinweist. 
Der  bei  Ramsler  vorhergehende  Satz:  Quelle  forlune  inesp^re'e  que  la  Sub- 
stitution du  bon  et  gdnereux  Fax  ä  cet  komme  hauiain  etc,  gibt  die  Er- 
klärung dieser  chance  heureuse.  Wir  sehen,  dass  das  Bemühen  des 
Herausgebers,  „die  Auswahl  so  zu  treffen,  dass  die  aneinandergereihten 
längeren  oder  kür^ren  Bruchstücke  trotz  der  aus  verschiedenen  Gründen 
gebotenen  Auslassungen  den  Eindruck  des  Einheitlichen,  in  sich  Zu- 
sammenhängenden machen  möchten,^  nicht  durchweg  gelungen  ist. 
Die  Anmerkungen  sind  im  allgemeinen  angemessen,  der  Herausgeber 
sucht  mit  unrecht  in  le  plus  gros  de  son  aimee  S.  43,  35/36  und  42,  24/25 
etwas  Verschiedenes.  S.  4,  16/17  de  gtterre  lasse  hätte  eine  andere  Er- 
klärung verdient,  als  die  das  Wörterbuch  in  Gestalt  einer  blossen 
Übersetzung  unter  guerre  an  einem  Orte  gibt,  wo  man  sie  nicht  sucht. 
Die  erste  Auflage  von  Ramler's  Ausgabe  taugt  nichts,  die  zweite 
wesentlich  verbesserte  und  die  Sarrazin's  kenne  ich  nicht,  ich  lasse 
also  unentschieden,  welcher  der  drei  Ausgaben  der  Vorzug  zuzuerkennen 
ist,  inbezug  auf  die  Ausstattung  der  vorliegenden  hat  die  Verlags- 
handlung vorzügliches  geleistet. 

lÜTm  30*  Der  Herausgeber  bestimmt  das  Buch,  das  die  hervor- 
ragenden Männer  der  römischen  Geschichte  von  Romulus  bis  auf  Au- 
gufitus  in  25  Kapiteln  behandelt,  für  die  Quarta  und  Untertertia  sämtlicher 
höherer  Lehranstalten;  er  meint  sogar,  dass  die  vier  ersten  leichten 
Biographien  sehr  gut    in  d^n  letzten   Tertial    einer   Realeehulquinta 


184  Referate  und  Rezensionen.     Th,  Lion, 

gelesen  werden  könnten.  Immerhin  muss  dafür  die  Vollendung  des 
Elementarkursus  vorausgesetzt  werden,  der  ja  übrigens  auch  besser 
zusammenhängende  Lesestücke  als  Einzelsätze  zu  Grunde  legt;  was  die 
Wahl  des  Stoffes  anlangt,  so  ist  dagegen  kein  besonderer  Einwand  zu 
erheben,  es  ist  vielmehr  als  ein  Fortschritt  zu  begrüssen,  dass  man 
dergleichen  Gedanken  nun  nicht  mehr  mit  dem  veralteten  Rollin  zu 
verwirklichen  sucht.  Freilich  meine  ich,  dass  unsere  Schüler  gerade 
auf  der  betreffenden  Stufe  sonst  schon  genug  von  der  alten  Geschichte 
zu  hören  und  zn  lesen  bekommen ,  dass  man  ihnen  deshalb  r  für  erste 
französische  Lektüre,  die  nicht  rein  grammatische  Zwecke  verfolgt, 
anderen  Inhalt  bieten  könnte,  indessen  ist  das  noch  kein  Grund,  diese 
sonst  angemessene  Auswahl  aus  Duruy's  Peiiie  Histoire  romaine  von  der 
Hand  zu  weisen.  Sprachliche  Bemerkungen  hat  der  Herausgeber  in 
wohlgelungener  Weise  dem  Wörterbuch  einverleibt,  die  Anmerkungen 
sind  lediglich  kulturgeschichtlichen  Inhalts,  eine  immerhin  dankens- 
werte Arbeit,  wenn  auch  deren  Bestimmung,  insbesondere  die  Möglich- 
keit ihrer  Verwertung  im  französischen  Unterricht  nicht  recht  ersichtlich 
ist  (es  wird  z.  B.  zu  S.  4,  35  eine  15  Zeilen  lange  Anmerkung  über  die 
Lage  des  tarpejischen  Felsens,  die  jetzt  dort  befindlichen  Gebäude,  die 
gegenwärtige  Höhe  desselben  u.  dergl.  m.  gegeben). 

Hr,  21*  Das  Buch  enthält  einen  Abdruck  der  chapiires  L — LIV 
der  Histoire  de  France  par  Victor  Duruy:  der  Herausgeber  ist  der  Mei- 
nung, dass  sich  Voltaire* s  Siecle  de  Louis  XIV  als  Schullektüre  nicht 
recht  habe  einbürgern  wollen,  weil  es  der  Zeit  seiner  Veröffentlichung 
nach  nicht  auf  der  Höhe  einer  objektiven  geschichtlichen  Darstellung 
stehe  und  stehen  konnte.  Wenn  nun  damit  auch  kein  vollwichtiger 
Grund  für  die  Verwerfung  des  Voltaire'schen  Werkes  als  Schullektüre 
gegeben  ist  und  die'  treffliche  Ausgabe  Pfundheller's  zudem  das  ihrige 
thut,  um  die  geschichtlichen  Thatsachen  im  rechten  Lichte  erscheinen 
zu  lassen,  so  ist  es  doch  immerhin  ein  guter  Gedanke,  daneben  eine 
Darstellung  jener  bedeutsamen  Zeit  von  einem  tüchtigen  Geschichts- 
forscher der  neueren  Zeit  allgemeiner  zugänglich  zu  machen,  und  es 
ist  nur  zu  billigen,  dass  die  Wahl  auf  Duruy  gefallen,  bei  dem  der 
betreffende  Abschnitt  in  einem  gerade  für  Schullektüre  angemessenen 
Umfange  behandelt  ist.  Die  Anmerkungen  beschränken  sich  darauf, 
das  sachliche  Verständnis  des  Textes  den  Lesern  nahe  zu  bringen,  was 
um  so  eher  möglich  war,  weil  der  glatte  Stil  Duruy's  sprachliche  Be- 
merkungen überflüssig  macht.  Der  Herausgeber  hat  es  unterlassen 
bestimmt  die  Schulklasse  anzugeben,  für  die  er  die  betreffende  Lektüre 
geeignet  hält,  er  spricht  sich  nur  dahin  aus,  dass  es  zweckmässig  sei, 
„wenn  die  Schüler,  ehe  sie  an  das  klassische  Drama  herantreten,  die 
Zeit,  in  der  es  entstanden  ist,  und  die  es  erklärt,  aus  einem  guten 
Geschichts werke  näher  kennen  lernten."  In  Übereinstimmung  damit 
möchte  ich  die  betreffende  Lektüre  der  Obersekunda  zuweisen. 

ÜTm  I32*  Der  Titel  Histoire  etc.  par  Mianet  ist  unberechtigt; 
wenn  die  Einleitung  mit  den  Worten  beginnt:  „ßer  vorliegende  Auszug 
aus  Mignefs  Histoire  de  la  rev.  fraw^.  umfasst  das  1.  bis  13.  Kapitel  incl.", 
so  ist  das  auch  irreführend,  indem  keineswegs  das  1. — 13.  Kapitel  voll- 
ständig abgedruckt  sind.  Der  Herausgeber  erklärt  auch  weiter  unten, 
dass  er  alles  fortgelassen  habe,  ,,wa6  nicht  unumgänglich  nötig  schien 
und  mit  Leichtigkeit  ausgeschieden  werden  konnte,  ohne  dass  der  doch 
wünschenswerte  Zusammenhang  gestört  wurde."  Abgesehen  davon,  dass 
S.  10,  Zeile  17  f.:  On  dedda  qu*il  se  rendrait  infolge  solcher  Auslassung 
ü  nicht  einmal  grammatische  Beziehung  hat  (es  hätte  in  le  roi  ver- 
ändert werden  müssen),  wird   das   für   Mignet    Charakteristische,  die 


Schulausgaben,  185 

Betrachtungen f  die  er  über  die  Ereignisse,  das  Verfahren  der  einzelnen 
Personen  anstellt,  schlechtweg  ausgeschieden;  so  ist  es  möglich  ge- 
worden, dass  das  erste  Kapitel,  welches  in  KoreU's  Ausgabe  S.  22 — 58 
(gr.  8»),  in  Seedorfs  (kl,  8»)  S.  48—110  umfasst,  auf  die  Seiten  7—20 
beschnitten  werden  konnte.  Dass  bei  solchem  Verfahren  vom  eigent- 
lichen Mignet  nicht  viel  mehr  bleiben  kann,  dass  Mignet,  der,  wie  sich 
aus  den  verschiedenen  Ausgaben  ergibt,  auf  den  Wortlaut  seines  Werkes 
so  grosse  Sorgfalt  verwandt  hat,  solchen  Auszug  nimmer  als  sein  Eigentum 
anerkennen  würde,  ist  selbstverständlich,  und  auch  dem  Schüler  darf 
die  Bekanntschaft  mit  einem  doch  immerhin  bedeutenden  Schriftwerke 
und  Schriftsteller  nicht  in  dieser  Weise  verkümmert  werden.  Man  gebe 
in  solchem  Falle  einen  grösseren  Abschnitt  unverkürzt,  oder  da  sich 
dafür  schlecht  allgemeine  Vorschriften  machen  lassen,  deute  jede  Aus- 
lassung im  Texte  durch  Punkte  oder  Gedankenstriche  an:  der  Schauns- 
land*sche  Text  würde  dann  freilich  wunderlich  genug  aussehen. 
Schaunsland  hat  bei  seiner  Ausgabe  von  Montesquieu,  Considera- 
tions  etc.  ein  ähnliches  Verfahren  beobachtet,  das  sich  in  dem  Falle 
jedoch  weit  eher  rechtfertigen  Hess,  als  in  dem  vorliegenden:  dort  blieb 
immerhin  noch  genug  für  den  Schriftsteller  Charakteristisches  übrig, 
für  Miffnet  aber  muss  ich  das  in  Abrede  stellen,  und  jeder,  der  eine 
Vergleichung  des  echten  Mignet'schen  Textes  mit  dem  Schaunsland's 
anstellt,  wird  zu  demselben  Ergebnis  gelangen.  In  der  Einleitung  ver- 
misse ich  die  Angabe  des  Todesjahres  Mignet's,  von  dem  Korell  in 
seiner  Ausgabe  vou  1877  noch  schreibt:  „Möge  er  noch  genug  Lebens- 
und Arbeitskraft  besitzen,  um  das  grosse  Werk  Vhistoire  de  la  reforme 
religieuse  zu  vollenden,  an  dem  er  seit  vielen  Jahren  gearbeitet  hat!** 
Er  starb  am  24.  März  1884.  Die  Anmerkungen  sind  im  allgemeinen 
zweckentsprechend;  S.  7  Z.  14  (lies  Z.  21):  „les  gräces,  in  der  Bedeutung, 
die  das  Wort  an  dieser  Stelle  hat,  nämlich  „AJnmut",  braucht  auch  der 
Franzose  wie  der  Deutsche  nur  den  Singular."  Aber  wie  geht  es  denn 
zu,  dass  Mignet,  auch  ein  Franzose,  den  Plural  gebraucht?  S.  8,  4/5: 
ce  jour  que  mon  cceur  attendaii  tant  est  enfin  arrive;  dazu  wird  bemerkt : 
j^ce  jour  que  hier,  wie  in  du  moment  que,  ä  pre'sent  que,  mainienemt  que, 
de  la  fagon  que,  du  coie  que  und  ähnlichen  Ausdrücken  bildet  que  den 
Übergang  vom  pron.  rel.  zur  conj."^  als  ob  wir  hier  nicht  einen  ganz 
gewöhnlichen  Relativsatz,  der  nicht  das  geringste  Aufiällige  zeigt,  vor 
uns  hätten!  Es  ist  das  eine  zu  der  Stelle  an  den  Haaren  herbeigezogene 
Anmerkung.  Zu  S.  8,  25  bemerkt  Schaunsland:  „/^  bonheur  et  la  pros- 
perite  bilden  im  Französischen  einen  Begriff  wie  im  Deutschen  Glück 
und  Wohlergehen,  ohne  sich  wesentlich  von  einander  zu  unterscheiden." 
Wollte  man  eine  Bemerkung  zu  der  Zusammenstellung  der  beiden  Aus- 
drücke machen,  so  wäre  es  viel  angemessener  gewesen,  den  Unterschied 
der  Synonyma  hervorzuheben,  den  ich  in  Boiste,  Dict.  univ.,  so  angegeben 
finde:  le  bonheur  est  Feffet  du  hasard;  la  prospe'rite  est  le  succes  de  la 
condition. 


Sammlung  französiseher  und  englischer  SchriftsteUer  fWr  den 
Schuld  und  PHvfUgebrauch.  Ausgaben  Velhagen  und 
JSlaMng»  Prosateurs  frani^ais.  70.  Lieferung.  (Doppelausgabe.) 
Ausgabe  A.  Mit  Anmertungen  unter  dem  Text.  Bistoire  d^ Alexandra 
le  Grand  par  Charles  Rollin.  Mit  Anm.  z.  Schulgebr.  herausg.  von 
Gerhard  Franz.  1888.  175  S.  kl.  8»  kart.  1  M.  Wörterbuch 
dazu  geh.  46  S.  20  Pf.  —  71.  Lieferung.  (Doppelausgabe.)  Ausg.  A. 
Cervantes.    Don  Quichotte  de  la  Manche  traduit  par  Florian.     Im 


186  Referate  und  Bez^nsiomen,     Th.  Lion, 

Ausznge  mit  Anm.  zam  Schulgebr.  herausgg.  von  J.  Wychgram. 
Leipzig,  1888.  164  S.  kart.  90  Pf.  Wörterb.  dazu  geh.  64  S.  30  Pf. 
Thdätre  fran(;a%s,  XVI.  Folge.  3.  Lieferung.  Cinna,  Tragedie  en 
üinq  acies  par  Corneille,  Mit  Anmerkungen  zum  Schulgebr.  herausgg. 
Ton  S.  Waetzoldt.  1887.  105  u.  XX  S.  kart.  50  Pf.  Wörterbuch 
dazu  geh.  12  S.  15  Pf. 

Prosatettrs,  70.  Lieferung.  Über  den  Wert  der  Werke  des 
alten  BoUin  für  8chullekture  vergleiche  man  £.  v.  Sallwürk  in  Bd.  I  ' 
dieser  Zeitschrifi  S.  429  f.  über  die  entsprechende  Ausgabe  der  Weid- 
mannschen  Sammlung  (von  Collmann)  I,  S.  267  f.  Die  vorliegende  Aus* 
gäbe  gibt  den  Text  mit  noch  grösseren  Kürzungen  als  sich  Collmann 
gestattet  hatte;  die  Schule  verliert  freilich  nicht  viel  dabei,  wenn  z.  B. 
der  Schlussabsatz  des  ersten  Kapitels  bei  Collmann,  in  dem  allerlei 
ausserordentliche  Geschichten  von  dem  Bukephalos  des  Alexander  er^ 
zählt  werden,  u.  dergl.  mehr  wegfällt.  Es  handelt  sich  in  diesem  Falle 
überhaupt  um  ein  experimeninm  in  corpore  viii,  so  dass  sich  gegen  die 
Art  der  Textbehandlung  kein  wesentlicher  i  Einwand  erheben  lässt. 
Ebenso  halten  sich  die  Anmerkungen  im  Bahmen  der  für  die  Prosaieurs 
gültigen  Vorschrift  und  sind  im  allgemeinen  zweckentsprechend:  auch 
hier  zeigt  sich  mehrfach  wie  überhaupt  in  den  Ausgaben  dieser  Samm* 
lung  eine  mechanische  Behandlung  der  Grammatik  z.  B.  „S.  77,  2) 
encore  plus  que  ne  faisaieni,  etc,  Pleonastisches  ne  nach  vorausgehendem 
affirmativem  Satz  mit  Komparativ."  S.  50,  3  wird  die  Regel  in  einer 
anderen  (nicht  viel)  besseren  Fassung  gegeben.  Besser  wäre,  wie  das 
ja  im  Plane  der  betreffenden  Ausgaben  liegt,  ein  Hinweis  auf  die 
Grammatik  (Benecke),  die  allerdings  an  den  betreffenden  Stellen  auch 
nur  die  Thatsache  ohne  Angabe  einer  Erklärung  anführt:  das  kann 
ja  auch  dem  Lehrer  überlassen  bleiben;  es  ist  jedoch  sehr  fraglich, 
ob  sich  nicht  mehr  als  ein  Lehrer  beziehungsweise  eine  Lehrerin  des 
Französischen  die  Rechenschaft  von  diesem  ne  schuldig  geblieben  ist. 
Ebenso  mechanisch  ist  die  Angabe  der  Regel  S.  8,  S  (vgl.  S.  54,  3)  zu 
pow  Im  faire  declarer  etc.,  sowie  S,  80,  2  über  du  coiS  und  S.  99,  1 
über  das  zur  Einleitung  des  logischen  Subjekts  dienende,  einem  ce 
als  Korrelat  entsprechende  que,  S.  87,  1  wird  die  Angabe  von  S.  14,  3 
(traiter  de  etc.)  wiederholt. 

Die  71.  Lieferung  ist  ein  für  Schullektüre,  falls  solche  einmal 
beliebt  werden  sollte,  und  für  die  Privatlektüre  empfehlenswerter  Aus- 
zug aus  Florian's  Übersetzung  von  Cervantes'  Meisterwerk.  Da  man 
doch  auf  die  eine  oder  andere  Weise  die  Thaten  des  edlen  Ritters  von 
la  Maneha  kennen  lernen  muss,  erscheint  mir  für  die  Jugend  be- 
sonders die  Bearbeitung  Florian's  in  ihrem  leichten  gefälligen  Stil  als 
eine  vortreffliche  Privatlektüre:  die  Anmerkungen  sind  nament- 
lich in  dieser  Hinsicht  wohl  geeignet,  ihren  Zweck  zu  erfüllen,  sonst 
dürften  die  lexikalischen  Angaben  etwas  sparsamer  sein;  z.  B.  »112,  4: 
daianer  faire  geh,  etwas  zu  thun  geruhen"  ist  eine  namentlich  unter 
Beigabe  des  Wörterbuches  überflüssige  Anmerkuug.  Dass  der  Text 
durch  deutsche  Inhaltsangaben  unterbrochen  wird,  die  zudem  nicht 
sonderlich  gelungen  sind,  weil  sie  dem  Leser  einen  wenig  befriedigenden 
Eindruck  hinterlassen,  wird  manchem  nicht  sonderlich  gefallen. 
I  Wsetzoldt's  Ausgabe  von  Corneille* s  Cinna  ist  als  Schulausgabe 
leidlich  verwendbar,  die  Anmerkungen  geben  im  allgemeinen  das  zum 
Verständnis  des  Inhalts  Notwendige.  Die  Ausgabe  Strehlke's  ist 
ausgiebig,  jedoch  mit  Selbständigkeit  benutzt;  auch  von  Gernzez 
sind   manche  Anmerkungen   übernommen,   sowie   von   Voltaire,   an 


deren  Angemesaenheit  hin  und  wieder  Zweifel  rege  werden  kann; 
z.  B.  1,  11,  6:  £iU  a  povr  la  biämer  une  trop  ßisie  canxe.  Elle  a  p/>ur 
la  bläme?'  ne  presenie  pas  ttn  sens  nel,  Elle  sd  rapporie  ä  loi,  ei 
pour  la  biämer  sigmfie  pour  qu'on  la  hUtme  (Geruzez)."  Geruzez  ist 
imstande,  die  Stelle  richtig  zu  erklären,  und  doch  behauptet  er,  dass 
sie  keinen  kl0.ren  Sinn  biete,  nur  deshalb,  weil  der  beschränkte 
grammatische  Formalismus  es  nicht  zulassen  möchte»  dem  Infinitiv  ein 
unbestimmtes  Subjekt  zuzuerkennen.  An  dieser  Stelle  hätte  die  ein- 
fache Bemerkung  genügt:  „Das  logische  Subjekt  des  Infinitivs  biämer 
ist  ein  unbestimmtes:  man.^  Sonst  ist  mir  Folgendes  aufgefallen. 
S.  14,  11:  Das  Substv  le  massacre  (deutsch  Metzger)  wird'  mit  Bezug 
auf  ein  einzelnes  Opfer  nur  fig.  gebraucht  ss:  Verhunzung.^  Strehlke 
bemerkte  zu  Vers  11:  „Das  Verbum  [massacrer]  (nicht  das  Substantiv) 
kann  auch  in  Beziehung  auf  einen  einzelnen  gebraucht  werden.*^  Bei- 
läufig waren  die  eingeklammerten  Worte  bei  Strehlke  zur  Erklärung 
der  Stelle  überflüssig,  sie  haben  die  Anmerkung  Wsetzoldt's,  die  sich 
dazu  in  einen  Gegensatz  stellt,  hervorgerufen,  diese  musste  indessen 
nun  auch  des  näheren  begründet  werden.  Zu  Vers  87  bemerkt  Waetzoldt: 
„Die  folgenden  Verse  sind  sehr  geschraubt;  der  Sinn  ist:  'Zu  grausam 
ist  ein  Herz,  das  einer  Liebe  sich  freut,  deren  Wonne  Thränen  ver* 
bittern,  und  der  Tod  eines  Feindes,  der  zugleich  den  Freund  uns  ent- 
reisst,  ist  ein  brennender  Schmerz  (statt  einer  Genugthuung).*  *^  Strehlke 
hatte  sich  mit  der  Anmerkung  begnügt :  „87— 40.  Ein  wenig  bedeutender 
Gedanke,  der  mit  vielem  Pathos  hier  ausgedrückt  ist:  Es  Eegt  zu  grosse 
Grausamkeit  darin,  wenn  man  den  Tod  eines  Feindes  mit  dem  eines 
Freundes  erkaufen  will/  Der  Hauptgedanke  ist  darin  richtig  wieder- 
gei^eben«  ebenso  wie  in  den  Worten  Wsetzoldt's:  und  der  Tod  eines 
Feindes  u,  s.  w.  Aber  Strehlke  hat  die  Schwierigkeit  umgangen  und 
WsBtzoldt  die  Stejle  meiner  Ansicht  nach  falsch  aufgefasst.  Die 
Herzensgrausamkeit  der  Liebenden  kann  sich  doch  nicht  in  der  Freude 
an  ihrer  Liebe  bethätigen,  sondern  nur  in  der  Freude  an  ihrer  Bache, 
der  es  nicht  darauf  ankommt,  auch  den  Geliebten  zu  vernichten.  Eine 
erläuternde  Übersetzung  der  Stelle  wird  meifie  Auffassung  derselben 
klar  machen:  Zu  grausam  ist  ein  Herz,  wenn  es  Beiz  findet  an  der 
Süssigkeit  (die  Bache  ist  süss,  also  an  einer  Bache),  welche  durch  die 
Bitterkeit  der  (um  den  Geliebten  vergossenen)  Thränen  vergällt  wird. 
—  In  Vers  42:  EsUil  pe?-te  ä  ce  prix  qui  ne  semble  legere?  lassen 
Strehlke  und  Wsetzold  ä  ce  prix  von  legere  abhängen.  Man  ver- 
gleiche I,  II,  61  (Vers  118):  Foire  emour  ä  ce  prix  rCest  qu*un  preseni 
Tuneste  und  man  wird  um  so  eher  geneigt  sein,  die  viel  ungezwungenere 
Verbindung  perle  ä  ce  prix  „ein  Verderben,  aus  dem  solcher  Preis 
sichergibt''  nicht  zu  zerstören.  S.  17,  23:  „Für  ä  celui  qui  kann  auch 
in  Prosa  ä  qui  gesetzt  werden,  wenn  celui  qui  =  quiconque.  Vergl. 
„31  pour  qui^  Dazu  vgl.  S.  20,  78:  „qui  hier  ^  quiconque.^  Daraus 
wäre  zu  entnehmen,  dass  etwa  ein  ä  quiconque  unzulässig  sein  würde. 
Qui  entspricht  unserem  deutschen  Relativpronomen  wer,  und  der 
Relativsatz  gilt  einem  Substantiv  gleich:  damit  ist  meines  Erachtene 
der  so  häufige  Sprachgebrauch,  der  bei  Corneille  kaum  noch  einer  Er- 
läaterung  bedarf,  hinlänglich  klargestellt.  S.  25,  111:  j^arricide  ur- 
sprünglich nur  Vatermörder."  Schon  der  altklassische  Gebrauch  des 
lateinischen  parridda  steht  dem  entgegen,  es  lässt  sich  also  das  „ur- 
sprünglich" nicht  rechtfertigen.  S.  29,  54:  rX^^  "wxvdi  von  Corneille 
noch  im  positiven  Sinne  =  quelque  chose  gebraucht."  Ebenso  bemerkt 
Strehlke  zu  Vers  333:  „rien  etwas  =  quelqfie  chose  ist  bei  Corneille 
häufig  und   kommt  auch  noch   bei  Bacine  vereinzelt  vor/    Ich  sehe 


188  Referate  und  Rezensionen,    E.  v.  Saüwürk, 

nicht  ein,  warnm  nicht  auch  nach  heutigem  Sprachgebrauche  zum 
Ausdruck  unseres  deutschen  etwas  rien  in  dem  Verse  338  stehen 
müsste.  Der  Vers  lautet:  iV<?  crains  pas  qu* apres  toi  rien  ici  me  retienne. 
Über  den  heutigen  Sprachgebrauch  vergleiche  man  Lücking,  Franz. 
Gr,  f.  d.  Schulgdn-ailch  S.  197  §  320.  —  Zu  Vers  466  ff.  hatte  Strehlke 
bemerkt:  „Der  etwas  geschraubte  Gedanke  ist  folgender:  Nach  Cinna's 
Ansicht  wird  durch  die  höchste  Tugend  der  Ruhm  geschändet;  sie 
muss  daher  nur  ein  Gegenstand  unserer  Verachtung  werden,  wenn  die 
Schande  der  Preis  ihrer  vollsten  Bethätigung  ist."  S.  36,  114  (II,  I) 
bemerkt  dagegen  Waetzoldt:  „Der  Sinn  dieser  geschraubten  Phrasen 
ist  dieser:  Cinna  glaubt,  dass  des  Augustus  Ruhm  geschändet  werde 
durch  das,  was  für  Maxime  höchste  Tugend  ist:  Das  patriotische  Ver- 
zichtleisten auf  die  Alleinherrschaft  zu  Gunsten  der  Republik.  Dann 
also  ist  diese  gloire  verächtlich,  denn  nur  um  den  Preis  der  Schande 
kann  sie  sich  voll  bethätigen."  Die  beiden  Erklärungen  würden  dann 
mit  einander  übereinstimmen,  wenn  Waetzoldt  vertu  an  der  Stelle  von 
gloire  geschrieben  hätte ;  er  aber  bezieht  Vers  467  und  somit  auch  ses 
in  Vers  468  Viui gloire:  Dann  gibt  freilich  Vers  468:  „wenn  die  Schande 
der  Preis  der  vollen  Bethätigung  des  Ruhmes  ist''  so  gut  wie  gar 
keinen  Sinn.  Wird  jedoch  die  Schande  der  Preis  der  vollen  Bethätigung 
der  höchsten  Tugend  genannt,  so  lässt  sich  damit  in  dem  gegebenen 
Zusammenhange  wohl  ein  Sinn  verbinden ;  daraus  folgt  denn  mit  Not- 
wendigkeit, dass  das  objet  digne  de  nos  me'pris  nur  la  haute  vertu  sein 
kann,  dass  wir  somit  bei  Strehlke's  Erklärung  stehen  bleiben  müssen. 
—  S.  38,  II,  I,  144  (Vers  498)  „nous  avons  pu  hier  =  nous  aurions  pu^ 
ist  keine  Erklärung:  es  ist  hier  an  den  entsprechenden  lateinischen 
Sprachgebrauch  zu  erinnern  und  dessen  von  der  deutschen  verschiedene 
Anschauungsweise  zu  erörtern.  Q,  Xh.  LiON.        • 


Walter,  Max,    J)er  französische  Klassenunterricht.     I.    Unterstufe. 
Entwurf  eines  Lehrplans.    Marburg,    1888.    Elwert.   IV,  77  S. 

Der  Verfasser  hat  nach  einem  von  zusammenhängenden  Texten 
ausgehenden  und  auf  phonetische  Übungen  gegründeten  Lehrplan  in 
der  Kasseler  Realschule  unterrichtet  und  will  seine  Versuche  nun  am 
Realgymnasium  in  Wiesbaden  fortsetzen.  Wie  er  seinen  Unterricht  in 
Quinta  und  Quarta  der  letztgenannten  Anstalt  gestalten  will,  darüber 
berichtet  die  uns  vorliegende  Schrift.  Sie  ist  nebst  Klinghardt's  gleich- 
zeitig erschienenem  Buch  Ein  Jahr  Erfahrungen  mit  der  neuen  Methode. 
Bericht  über  den  Unterricht  mit  einer  englischen  Anfänge^'klasse  (ebendas. 
1888)  und  Walter's  Aufsätzen  Über  den  Anfangsunterricht  im  Englischen 
in  Victor 's  Phonetischen  Studien  (1,  1  und  2)  das  Bedeutendste,  was 
die  sogenannte  Reformlitteratur  in  den  letzten  Jahren  hervorgebracht 
hat.  Die  genannten  Schriften  werden,  wenn  wir  uns  nicht  ganz  täuschen, 
nicht  blos  der  Reform  des  neusprachlichen  Unterrichts  neue  Bekenner 
zuführen,  sondern,  was  wir  beinahe  noch  für  wichtiger  halten  möchten, 
die  verschiedenen  Abschattungen  der  neusprachlichen  Unterrichtsreform 
einander  näher  bringen  und  in  ihrer  praktischen  Thätigkeit  bestärken 
und  fördern. 

Die  sprachunterrichtliche  Reform  ist  mit  grosser  Lebhaftigkeit 
ins  Feld  gerückt.  Sie  hat  mehr  Feinde  vor  sich  zu  sehen  geglaubt, 
als  ihr  nachher  entgegengetreten  sind;  denn  sie  gedachte  im  Anfang 
mit  allem  alten  Zopf  und  aller  Ungebühr,  in  welcher  Art  von  Schulen 
sie  sich  finden  mochte,  es  aufzunehmen.    Man  hat  sogar  die  schlimme 


M.   Walter,  Der  französische  Klassenunierricht.  189 

Überbürdung  aus  dem  Felde  schlagen  und  die  klassische  Philologie 
aus  ihrem  ererbten  Besitz  verjagen  wollen.  Mit  der  Zeit  hat  man  auf 
dem  eigensten  Gebiete  Arbeit  genug  gefunden,  und  was  eben  an  den 
angezogenen  Lehrberichten  Walter^s  und  Klinghardt's  so  äusserst  an- 
genehm berührt,  ist  die  Ruhe  und  Behutsamkeit  der  bis  ins  Kleinste 
gehenden  Arbeit  und  die  völlige  Abwesenheit  von  polemischen  Neben- 
absichten und  unklaren  Übertreibungen.  Die  Reform  will  sich  jetzt 
nicht  mehr  einen  Standpunkt  erobern;  sie  legt  die  ersten  Proben  ihrer 
Arbeit  vor.  Dass  dies  mit  ganzer  Aufrichtigkeit  geschehen  sei,  darüber 
kann  kein  Zweifel  bestehen. 

Walter  beginnt  seinen  Unterricht  mit  kleinen  Gedichten 
(aus  Kühn's  Lesebuch),  Die  Worte  werden  vorgesprochen;  die  Schüler 
wiederholen  sie  im  Chor  und  einzeln.  Dann  wird  jedes  Wort  in  seine 
Laute  zerlegt  und  diese  in  einer  Lautschrifttafel  nachgesncht,  später- 
hin das  Ganze  in  Lautschrift  an  die  Wandtafel  geschrieben.  Zuvor 
aber  erhält  der  Schüler  die  wörtliche  Übersetzung.  Dass  sich 
an  die  Einübung  des  Lesestücks,  für  welches  im  Anfang  die  häusliche 
Arbeit  des  Schülers  nicht  in  Anspruch  genommen  wird,  Laut  Übungen 
der  mannichfachsten  Art  anschliessen,  ist  selbstverständlich.  Man  wird 
gegen  diese  Art,  den  Unterricht  einzuleiten,  höchstens  von  dem  Stand- 
punkte aus  Bedenken  haben  können,  welcher  das  Einlernen  von  je  suis, 
tu  es,  ü  est  für  systematische  Denkarbeit  hält.  Auch  gegen  die  Texte, 
welche  Walter  benützt,  kann  nichts  eingewendet  werden.  Klinghardt 
benutzt  fürs  Englische  die  sehr  zweckmässigen  Texte  des  Sweet*8chen 
Elementarbuches;  ähnlich  passende  liegen  fürs  Französische  nicht  vor. 
Dass  aber  mit  zusammenhängenden  Texten  und  nicht  mit  blossen 
phonetischen  Übungen  begonnen  wird,  halten  wir  für  einen  grossen 
Vorzug  des  Walter'schen  Lehrplans.  Der  Schreiber  dieser  Zeilen  hat 
sich  überzeugt,  dass  in  unteren  Klassen  das  Interesse  der  Schüler 
durch  phonetische  Belehrungen  oder  Übungen  nicht  gefesselt  werden 
kann.  Das  möchte  fürs  Englische,  das  später  beginnt  und  grössere 
phonetische  Schwierigkeiten  bietet,  anders  sein  und  Klinghardt  lässt 
in  der  That  zusammenhängende  Texte  erst  später  eintreten;  aber  es 
scheint  uns,  dass  der  glücklicherweise  nun  anerkannte  Grundsatz,  dass 
der  Unterricht  in  fremden  Sprachen  nicht  mit  Formen,  sondern  mit 
Dingen  zu  beginnen  habe,  gebieterisch  verlange,  dass  nicht  Laute, 
die  eben  auch  nur  Formen  sind,  den  ersten  Gegenstand  dieses  Unter- 
richts bilden.  Da  nun  von  einem  Anhänger  der  direkten  Methode 
selbst  der  zusammenhängende  Text  zum  Ausgangspunkt  des  Unterrichts 
gemacht  wird,  so  dürfen  diejenigen,  welche,  wie  der  Unterzeichnete, 
bei  aller  Wertschätzung  unserer  trefflich  ausgearbeiteten  neusprach- 
lichen Phonetik  die  phonetischen  Vorkurse  glauben  ablehnen  zu  müssen, 
in  solchen  nicht  mehr  ein  wesentliches  Merkmal  der  direkten  Methode 
ansehen,  das  sie  gegen  dieselbe  misstrauisch  machen  könnte.  —  Das 
nächste  Gedicht  gibt  dem  Verfasser  Anlass  zur  Einübung  der  fran- 
zösischen Zahlen;  später  werden  die  Wochentage  in  ähnlicher  Weise 
eingelernt  und  nach  und  nach  der  ganze  Anschauungskreis  des 
Schülers  in  der  fremden  Sprache  durchgearbeitet.  Dies  ge- 
schieht schon  mit  Benützung  der  französisch  gestellten  Frage,  sodass 
neben  die  Lautübung  gleich  die  Sprechübung  tritt.  Der  Verfasser 
hat  also  Unrecht,  wenn  er  (S.  14)  behauptet,  dass  die  ersten  Wochen 
„nur  der  lautlichen  Schulung  gewidmet  seien.''  Gerade  das  Durch- 
sprechen der  Texte  gehört  zu  den  Vorzügen  des  Walter^schen  Lehr- 
planes. Mit  der  (historischen)  Orthographie  werden  die  Schüler 
„nach  einigen  Wochen"  bekannt  gemacht;  auch  das  ist  früher  erhobenet) 


IdO  Referate  und  Rezensionen,    A.  Mager, 

Forderungen  gegenüber  eine  grosse  Mässigung.  Der  Referent,  welcher 
von  der  Lautschrift  von  Anfang  an  einen  viel  beschränkteren  Gebranch 
macht,  hält  seinerseits  daranf,  dass  die  ersten  Texte  bei  geschlossenem 
Buche  erklärt  und  eingeübt  werden ;  später,  wenn  die  Schüler  die  Texte 
selbst  lesen,  lässt  er  nicht  gleich  übersetzen,  sondern  den  Sinn  der 
Stelle  in  fremder  Sprache  erfragen,  sodass  sich  die  Übersetzung  nie 
unmittelbar  an  einen  gelesenen  Text  anschliesst.  Er  glaubt  damit  zu 
erreichen,  dass  das  Lesen  sich  bessert,  weil  der  Schüler  dureh  den 
Gedanken  an  die  demnächst  zu  leistende  Übersetzung  in  seiner  Auf- 
merksamkeit nicht  gestört  wird,  und  dass  Ohr  und  Mundorgane  durch 
das  fortwährende  Übergehen  von  einer  Sprache  in  die  andere  nicht 
indifferent  werden.  Wenn  sich  bei  vorgerückteren  Schülern  aus  dem 
Lesen  und  dem  Erfragen  ergibt,  dass  die  Stelle  verstanden  ist,  hält  er 
es  für  überflüssig  zu  übersetzen,  wodurch  die  Lektüre  einen  lebhafteren 
Gang  erhält.  Er  würde  daher  auch  gegen  diesen  Teil  des  Walter*8chen 
Planes  keine  Einsprache  erheben.  —  Phonetische  Umschriften 
haben  den  Vorteil,  dass  man  den  Schülern  auch  das  Lautliche  zum 
Gegenstand  ihrer  hänslichen  Aufmerksamkeit  machen  kann.  Wir 
glauben  indessen,  dass  für  den  Anfang,  um  den  es  sich  ja  hier  nur 
handelt,  die  häuslichen  Arbeiten  fast  ganz  wegfallen  können.  —  An 
schriftlichen  Arbeiten  bietet  Walter  Diktate,  Niederschreiben  er- 
klärter Texte  aus  dem  Gedächtnisse,  Beantwortung  von  französisch 
gestellten  Fragen  in  französischer  Sprache,  Umformung  von  Lesestücken, 
Nacherzählen  mündlich  mitgeteilter  Stoffe,  Zusammenstellen  und  Bilden 
grammatischer  Formen  u.  s.  w.  Das  grammatische  Extemporale 
und  das  Übersetzen  aus  dem  Deutschen  kommt  nicht  vor.  Dass  beide 
im  Anfangsunterricht  für  Schüler  uud  Lehrer  eine  ziemlich  nutzlose 
Plage  sind,  ist  des  Referenten  alte  Erfahrung.  Späterhin  möchte  er 
das  Übersetzen  in  der  fremden  Sprache  nicht  entbehren.^)  Es  kommt 
doch  darauf  an,  die  durchgreifende  und  gesetzmässige  Verschiedenheit 
der  Sprachen  in  der  Abscheidung  der  Begriffskreise  gegen  einander 
und  in  der  Verwendung  der  formalen  Mittel  klar  zu  erkennen;  denn 
das  kennzeichnet  eben,  was  wir  sprachliche  Bildung  heissen,  im 
Gegensatz  zur  sprachlichen  Fertigkeit,  welche  auch  der  Ungebildete 
im  Umgang  mit  Fremdsprechenden,  freilich  immer  in  beschränktem 
Umfange,  sich  aneignen  kann.  Diesem  Zwecke  dienen  aber  am  besten 
Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  in  die  fremde  Sprache.  Zu  fürchten 
ist  ja  nicht,  dass  solche  Übungen  wieder  wie  ehedem  und  teilweise 
noch  im  altsprachlichen  Unterricht  als  eigentlicher  Unterrichtsaweok 
angesehen  werden  könnten.  —  Eines  besonderen  Vokabellernens 
wird  es  bei  analytischer  Durcharbeitung  der  Lesestüeke  kaum  bedürfen, 
und  das  ist  ein  wesentlicher  Vorteil  der  neuen  Methode  unseres  Sprach- 
unterrichts, der  aber  nur  festgehalten  werden  kann,  wenn  zusammen- 
hängende Texte  ihm  zu  Grunde  gelegt  werdet).  Das  Einprägen  der 
Vokabeln  ist  bei  d«n  Synthetikern  ebenso  unerlässlich,  wie  es  als  eine 
fruchtlose  Arbeit  den  Schüler  drückt  und  missmutig  macht.  Das  Ge- 
dächtnis hält  nur  gut  Verbundenes  fest,  und  dieser  alte  Unterricht 
hatte  alles  grundsätzlich  auseinandergerissen  und  des  geistigen  Zu- 
sammenhangs beraubt.  Daher  ist  es  richtig,  wenn  Walter  (wie  Kling- 
hardt)  unbekannte  oder  vergessene  Wörter  durch  Erinnerung  an  den 
Zusammenhang,   in   welchem    sie    zum    ersten   Male   vorkamen,    dem 

*)  Aus  einer  Bemerkung  auf  S.  71  und  au«  S.  74  geht  hervor, 
dass  auch  Walter  Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  nur  für  den  An- 
fangsunterrieht  missbilligt. 


B.  Druan,  Les  grands  ecHvains  franK^ais.    Nouv&llei  leciures  etc.    191 

Sohüler  nahe  bringt  (S.  22).  Beim  ersten  Vorkonmien  benütst  Walter 
aaeh  etymologische  (Hilfen.  —  Nach  all*  den  einschränkenden  Be- 
dingungen« unter  welchen  Walters  Lehrplan  die  direkte  Methode  zuy 
Anwendung  bringt,  werden  wir  es  billigen,  dass  er  die  Hilfe  der  Mutter- 
sprache, sobald  es  irgend  möglich  ist,  nicht  mehr  in  Anspruch  nimmt. 
Für  den  psychologischen  Fehler,  welcher  in  der  Benennung  der 
„direkten"  oder  „natürlichen*'  Methode  liegt,  ist  Felix  Franke  yerant- 
wortliek.  Wir  haben  hier  um  so  weniger  Veranlassung,  auf  diesen 
Punkt  näher  einzugehen,  da  man  in  diesem  Namen  nur  noch  das  Feld- 
geschrei einer  mutigen  und  jugendlichen  Schar  erkennen  kann,  welche 
sich  jetzt  zu  ruhiger  und  gedeihlicher  Arbeit  gewendet  hat. 

Der  grammatische  Stoff  wird  auf  induktivem  Wege  gewannen. 
In  dem  darüber  handelnden  Abschnitte  der  Walter'schen  Schrift  ist 
alles  klar  und  didaktisch  richtig.  Wir  übergehen  aber  diesen  Teil, 
weil  der  Verfasser  sich  hier  aus  äusseren  Gründen  an  einen  an  seine 
Methode  sich  nicht  anschliessenden  Lehrplan  halten  musste. 

Wir  haben  der  Fortsetzung  dieses  Lehrplanes  durch  Kühn  ent- 
gegenzusehen^)  und  zweifeln  nicht,  dass  der  Erfolg  dieses  ersten  Schrittes 
die  Fortsetzung  der  Mühe  wert  erseheinen  lassen  werde* 

E.  V.  Sallwü&k. 


TrMaUy  Henri,  £es  grtmds  ^criuains  fran^ais'.  NouveWis  leciures 
MmmenUes  en  fran^ais  et  en  langues  etrangeres,  aUemand, 
anglais,  etc.  Deuzi^me  ^ition  des  äcoles.  raris,  o.  J.  P. 
Monnerat.     708  S.  8»     Preis: 

Einen  übersichtlichen  Blick  über  Frankreichs  Sprache  und  litteratur 
und  eine  historische  Darstellung  der  nationalen  Entwickelung  des  fran- 
zösischen Volkes  will  Truan  in  diesem  Buche  geben,  und  er  hat  dieses 
Ziel  auch  vollkommen  erreicht.  Indem  er  den  hervorragendsten  Schrift- 
stellern das  Beste  entlehnt  und  inhaltlich  in  chronologischer  Eleihenfolge 
zu  einem  Ganzen  zusammengestellfc  hat,  können  wir  zwei  Teile  innter- 
scheiden:  den  historischen  und  den  litterarisehen.  In  dem  ersteren,  dem 
bei  weitem  grösseren,  wird  der  Leser  mit  dem  kampfesmutigen  Gallier, 
seinen  Kämpfen  mit  Cäsar,  seinen  Sitten  und  Gebräuchen  bekannt.  Eine 
französische  Übersetzung  eines  Auszuges  des  Bolandsliedes,  die  Kämpfe 
zwischen  England  und  Frankreich,  die  Beteiligung  der  französischeA 
Bitterschaffc  an  den  Kreuzzügen,  Charakterzüge  Ludwig's  XI.,  Franz  1., 
Heinrich  IV.,  Ludwig's  XIV.  etc.  bieten  nicht  allein  eine  angenehme, 
sondern  autsh  höchst  lehrreiche  Lektüre. 

Der  zweite  Teil  umftisst  die  ffrands  eerwains  des  XVII.  .lahr- 
hnnderts.  Descartes,  Corneille,  Pascal,  Scarron,  Moli^re,  La  Fontaine; 
Boileau,  La  Rochefoucauld  etc.  sind  kurz  und  treffend  skizziert  und  Au»- 
Züge  ans  ihren  hauptsächlichsten  Werken  angegeben.  Dais  XVIII.  Jahr- 
hundert ist  nur  durch  Le  Sage  und  M^oatesquieu  vertteten.  Dichter 
unseres  Jahrhunderts  haben  in  diesem  Teile  keinen  Piate  gefunden,  und 
Truan  sagt  in  der  Vorrede:  Quand  U  ^ugü  des  contempetaiHs,  notre 
jugemerU  n*est  pas  encore  assez  sür  pour  qne  nous  puisskms  nous  rendre 
compte  absolument  du  verdict  de  la  posterite! 

1)  Dieselbe  ist  seitdem  erschienen  unter  dem  Titel :  Entwurf  eines 
Lehrplans  für  den  französischen  ünterriehi  am  Realgymnasium.  11.  Mittel- 
und  Oberstufe.    Marburg,  1889.    Elwert.    IV,  55  S.    Preis:  1  Mk. 


192     Refer,  u,  Ret.   A.  Mager,  ff.  Tr%utn,  Les  grands  ecrivains  frangais. 

Eine  grosse  Anzahl  von  Bemerkungen  begleiten  den  Text  und 
suchen  nach  allen  Richtungen  hin  das  Verständnis  zu  fördern.  Ausser 
den  historischen,  geographischen,  naturhistorischen  und  litterarischen  Er- 
klärungen nehmen  die  etymologischen  Bemerkungen  eine  hervorragende 
Stellung  ein,  nicht  allein  durch  ihren  wissenschaftlichen  Wert,  sondern, 
weil  sie  auch  da«i  Bestreben  des  Herausgebers  zeigen,  bisher  dunkle,  un- 
sichere Wörter  zu  erklären:  Gavlois  et  Celie  ne  aont  qu'un  seul  et  mime 
mot.  En  gaelique  koüie  signifie  forit;  les  Celtes  itaieni  les  hommes  des 
foriis.  Etuv-mSmes  pronongaieni  leur  nom  Gadhel  ou  Gaidhel,  ei  par 
cofitraction,  Gail,  Gal,  Gaü,  Gaul;  en  grec  KaU  ou  Kelte,  ei  Gailus  en 
laiin.  Die  etymologischen  Erklärungen  sind  zu  Anfang  und  zu  Ende  des 
Buches  sehr  häufig,  während  auf  manchen  Seiten  in  der  Mitte  eine  Er- 
lahmung zu  bemerken  ist,  denn  hier  kommen  ebenso  interessa-nte  Wörter 
vor  wie  dort.  Der  Rezensent  will  nicht  leugnen,  dass  die  Etymologien 
für  die  Schule  bis  zu  einem  gewissen  Grade  vorteilhaft  sind,  indem  sie 
den  Verstand  der  Schüler  schärfen,  einen  Einblick  in  den  Bau,  in  die 
Entwickelung  der  Sprache  gewähren.  Aber  nur  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  sind  sie  verständlich !  Wenn  nicht  nur  lateinische  und  griechische 
Wörter,  sondern  auch  Sanskrit,  Althochdeutsch,  Angelsächsisch  etc.  heran- 
gezogen werden,  so  müssen  wir  derartige  sprachliche  Untersuchungen 
mit  Vorsicht  aufnehmen,  denn  der  Schüler  ist  zu  schwach  dazu,  der 
angehende  Lehramtskandidat  hat  andere  Hilfsmittel  zur  Verfügung,  um 
seine  etymologischen  Kenntnisse  zu  erweitern. 

Nicht  allein  Franzosen,  auch  Deutsche  und  Engländer  sollen  dieses 
Buch  als  willkommene  Lektüre  benützen.  Zu  diesem  Behufe  gibt  der 
Herausgeber  eine  grosse  Anzahl  von  deutschen  und  englischen  Be- 
deutungen an,  die  *das  Verständnis  erleichtern  sollen.  Manche  dieser 
deutschen  und  englischen  Vokabeln  halte  ich  für  überflüssig,  da  man 
von  einem  Leser  dieses  Buches  voraussetzen  muss,  dass  er  mit  der  fran- 
zösischen Sprache  so  vertraut  ist,  um  zu  übersetzen  und  zu  verstehen: 
monsire  Ungeheuer,  hestiaux  Vieh,  dedaigneux  verachtend,  farouche  wild, 
etc.    Dies  gilt  auch  für  das  Englische. 

Ungemein  störend  wirken  bei  der  Lektüre  die  Ziffern  und  Klammern 
der  unten  stehenden  Erklärungen  und  Übersetzungen.  Stellen  wie :  mais 
setdement  au  par  ^[7("  de  PiMers,  et  la  foudroyanie  ^[^(^  occupaient, 
le  regan'd  farouche  2 [6 (8  ßf  mena^ent,  etc.  etc.  bilden  wahre  Hindemisse 
für  den  lesenden  Schüler.  Besser  wäre  es  gewesen,  den  Text  nach  Zeilen 
abzuteilen  und  die  Bemerkungen  nach  der  Anzahl  der  Zeilen  anzubringen, 
wie  auch  die  übersetzten  Stellen  durch  ein  im  Anhang  befindliches 
deutsches  und  englisches  Wörterverzeichnis  nicht  nur  verringert,  sondern 
auch  übersichtlicher  hätten  angebracht  werden  können. 

Druckfehler  fand  ich :  S.  8  dans  le  Gaule,  S.  27  [^  aufgesöst. 

Der  vorzüglich  zusammengestellte  Text  mit  seinen  sachlichen  Er- 
klärungen macht  dieses  Buch  nicht  allein  den  Schüler-  und  Lehrerkreiseu 
empfehlenswert,  sondern  wird  auch  wegen  seiner  etymologischen  und 
litterarischen  Bemerkungen,  die  dem  Fortschritte  der  Wissenschaft  an- 
gepasst  sind,  den  Kreisen  grosse  Dienste  leisten,  welche  wissenschaftlich 
gebildete  Lehrer  der  französischen  Sprache  werden  wollen,  sobald  sie 
sich  einer  kurzen  Wiederholung  ihrer  etymologischen  Studien  zu  unter- 
ziehen beabsichtigen.  A.  Mager. 


Referate  und  Rezensionen. 


Levertin,  Oskar,  Studier  öfver  fars  och  farslfrer  i  Franknke 
mellan  Renaissance  och  Molih'e.  Akademisk  afbandling. 
Upsala,  1888.  Akademiska  boktryckeriet  (Edv.  Berling). 
176  S.  8^ 

Den  Versuch,  eine  Geschichte  der  Farces  nnd  Farceurs  in 
Frankreich  zwischen  der  Renaissance  und  Moli^re  zu  schreiben, 
wird  man  im  Vorhinein  als  ein  verdienstliches  Beginnen  begrtissen 
müssen;  nun  wird  man  aber  seine  helle  Freude  daran  haben, 
wenn  man  wahrnimmt,  mit  welchem  ernsten  Fleisse,  mit  welcher 
peinlichen  Gewissenhaftigkeit,  mit  welcher  vollkommenen  Be- 
herrschung der  Quellen  und  der  gesamten  einschlägigen  Litteratur 
Oskar  Levertin  dies  gethan  hat.  Das  Buch  macht  der  schwedischen 
Wissenschaftlicbkeit  alle  Ehre.  Einen  äusserst  wohlthuenden 
Eindruck  bewirkt  auch  die  Anspruchslosigkeit,  mit  welcher  der 
Verfasser  sein  Buch  einführt  und  mit  der  er  zuweilen  die  Er- 
gebnisse mühevoller  Forschung  ohne  die  übliche  Gala  gelehrter 
Polemik  in  einer  unscheinbaren  Fussnote  unterbringt.  Er  ver- 
schmäht sogar  den  Luxus  einer  Vorrede;  am  Schlüsse  des  Buches 
erst  bezeichnet  er  seine  Schrift  bescheiden  als  einen  Versuch, 
den  durch  die  reiche  komische  französische  Litteratur  der  voran- 
gegangenen Zeit  zu  Moliöre  emporsteigenden  Weg  zu  verfolgen, 
und  wenn  auch  diese  rauhe,  steile  und  mühsame  Wanderung 
weniger  an  und  für  sich  als  mit  Hinblick  auf  das  herrliche 
Endziel  anlocke,  so  übe  es  auf  den  Litteraturhistoriker  dennoch 
einen  mächtigen  Reiz,  dem  Dichter  beim  Schaffen  über  die 
Schulter  zu  sehen  und  nach  den  teils  verborgenen,  teils  ver- 
schütteten Kanälen  zu  suchen,  durch  die  ein  Teil  des  grossen 
Reichtums  hineinströmte.  Wir  haben  nun,  wie  wir  schon  an- 
gedeutet,  den  Eindruck,  als   ob  dies  dem  Verfasser  vortrefflich 

Zschr.  f.  tn.  Spr.  n.  Litt.    XK  ^3 


194  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

gelungen  sei,  und  meinen,  den  Lesern  der  Zeitschrift  nicht 
unwillkommen  zu  sein,  wenn  wir  sie,  besonders  aber  jene, 
denen  der  schwedische  Text  Schwierigkeiten  machen  könnte, 
mit  dem  Hauptinhalte  des  Buches  bekannt  machen.  Es  liegt  uns 
dabei  selbstverständlich  ferne,  dadurch  das  Studium  des  Buches 
ersetzen  zu  wollen;  wir  wollen  dem  Bedürfnis  der  wissenschaft- 
lichen Halbwelt,  kondensierte  Litteraturgeschichte  in  der  sprich- 
wörtlichen Nussschale  einzunehmen,  nicht  dienen,  und  mit  Recht 
sagte  man,  die  Lektüre  eines  Buches,  aus  dem  man  einen  Aus- 
zug machen  könne,  dürfe  man  sich  noch  mehr  abkürzen,  indem 
man  es  gar  nicht  lese.  Wir  wollen  nur,  wie  bemerkt,  denjenigen, 
denen  das  Werk  wegen  seiner  Sprache  unzugänglich  ist,  den 
wertvollen  Inhalt  nicht  ganz  verloren  gehen  lassen,  die  anderen 
aber  von  dem  Reichtume  des  darin  aufgespeicherten  Materials 
überzeugen;  es  wird  uns  letzteres  aber  kaum  ganz  gelingen,  weil 
wir  die  vielen  Belegstellen  und  Beispiele,  die  erst  recht  die 
Emsigkeit  des  Autors  hervortreten  zu  lassen  geeignet  sind,  hier 
kaum  auch  nur  andeuten  können. 

Die  Abhandlung  gliedert  sich  in  folgende  Teile:  L  Ein- 
leitung: Die  Farce  im  Mittelalter.  U.  Die  Farcen  zwischen  der 
Renaissance  und  Moli^re,  a)  die  letzten  Farceproduktionen,  b)  die 
Renaissanceästhetik  und  die  Farcen,  c)  Farcereminiszenzen  in 
den  Lustspielen.  HL  Die  Farceurs  zwischen  der  Renaissance 
und  Moli^re,  a)  die  ersten  Komiker  des  französischen  Theaters, 
b)  die  Gassenfarceurs. 

L  Der  Ursprung  des  französischen  Lustspiels  ist  viel 
dunkler  als  der  der  französischen  Mysterien.  Adam  de  la  Halle 
nimmt  in  der  älteren  Zeit  eine  ebenso  hervorragende  als  ver- 
einzelte Stellung  ein.  Die  beissende  Satire  und  das  Gemisch 
von  bunter  Phantastik  und  Selbstpersiflage  in  seinem  Jeu  d'Adara 
ou  de  la  FeuilUe  gemahnen  ebenso  an  die  Stücke  des  Aristo- 
phanes,  wie  an  Shakespeare^s  Sommemachtstraum ;  sein  Jeu  de 
Rohin  et  Marion  wurde  mit  Recht  als  die  älteste  französische 
Oper  bezeichnet  und  behandelt  einen  besonders  in  Arras  (wo 
beide  Stücke  aufgeführt  wurden),  aber  auch  anderswo  von  alters- 
her  sehr  volkstümlichen  und  viel  benützten  Stoff  mit  grosser  Frische 
und  Lebendigkeit.  Nach  Adam  (also  mit  dem  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts) gähnt  uns  bis  ins  15.  Jahrhundert  eine  Lücke  ent- 
gegen, die  aber  höchst  wahrscheinlich  nicht  so  sehr  auf  die 
Sterilität  der  Epoche,  als  auf  viele  Verluste  zurükzufUhren  sein 
dürfte.  Beruht  doch  unsere  ganze  Kenntnis  des  älteren  fran- 
zösischen komischen  Theaters  fast  ausschliesslich  auf  dem  glück- 
lichen Zufalle,  dass  1845  auf  einem  Dachboden  in  einer  deutschen 
Kleinstadt  eine  Hauptquelle  zu  Tage  gefordert  wurde!    Vorhanden 


0.  Levertin,  Studier  öfver  fars  och  farsörer  i  Frankrike  etc.         195 

aber  ist  aus  der  Zeit  zwischen  Philipp  dem  Kühnen  und  Karl  VII. 
allerdings  nur  die  kleine  Farce  Du  Gargon  et  de  VAveugle  (zwischen 
1266  und  1290),  die  in  ihrer  Art,  körperliche  Gebrechen  als 
komischen  Stoff  gut  zu  finden,  in  späterer  Zeit  viel^ch  nachgeahmt 
wurde.  Die  BasocMens,  diese  klassischen  Darsteller  der  caitse 
grosse  und  der  Farcen  dürften  ihre  Wirksamkeit  um  1350  be- 
gonnen haben,  und  die  sichere  Nachricht  von  einer  Vorstellung 
der  Enfants  sans  Soulcy  in  Ronen  aus  dem  Jahre  1385  beweist, 
dass  auch  in  der  Provinz  im  14.  Jahrhundert  die  komische  Bühne 
nicht  ganz  feierte  und  dass  manches  nunmehr  abhanden  gekommene 
komische-  Btihnenprodukt  aus  dieser  Zeit  Stoff  für  spätere 
verwandte  Dichtungen  geboten  haben  dürfte.  Von  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  aber  datiert  ein  Aufschwung  und  ein 
nunmehr  ununterbrochener  Fortgang  des  komischen  Theaters.  Die 
Organisation  von  besonderen  Vereinen  für  heitere  Aufführungen 
auch  in  vielen  Provinzstädten  beweist  dies  ebenso  sehr,  als  der 
Umstand,  dass  die  Farcen  die  bis  dahin  fast  ausschliesslich 
herrschenden,  das  Bedürfnis  des  Volkes  nach  kurzweiliger  Er- 
heiterung aber  nicht  befriedigenden  Mysterien  zuerst  in  der  Form 
einer  komischen  Einlage  zu  durchbrechen  beginnen,  so  dass  der 
Lustigmacher  in  den  Mysterien  des  15.  Jahrhunderts  als  stehende 
Person  zu  finden  ist.  Aus  dem  15.  und  16.  Jahrhundert  sind 
auch  eine  Reihe  meisterhafter  Farcen  auf  uns  gekommen. 
Charakteristisch  für  dieselben  ist  die  recht  unbeholfene  Technik, 
ihre  Kürze,  das  schwache  Zeitkolorit,  der  achtfüssige  Vers  mit 
regelmässig  abwechselnden  Reimen,  die  Lebhaftigkeit  und  Schlag- 
fertigkeit des  mit  Sprichwörtern  und  volkstümlichen  Redensarten 
gesättigten  Dialoges,  die  zu  geringe  Umschreibung  des  Obszönen, 
was  allerdings  weniger  verletzt,  als  versöhnt,  da  es  in  seiner  Ver- 
schleierung noch  unzüchtiger  als  die  Nacktheit  selbst  ist.  Man  hat 
diejenigen  dieser  Farcen,  die  schlüpfrige  Stoffe  mit  spitzfindiger 
Kasuistik  und  dem  Aufgebote  der  ganzen  lateinischen  juristischen 
Terminologie  behandeln,  als  dem  Kreise  der  BasochienSf  die  sich 
um  Prüfungsangelegenheiten  drehen,  dem  der  Studenten  und  die 
unbedeutendsten  und  rohesten  derselben  dem  der  Taschenspieler 
entstammend  erkennen  wollen;  doch  ist  für  uns  die  Pointe  ihrer 
auf  bestimmte  Klassenverhältnisse  gerichteten  Anspielungen  nicht 
selten  dunkel;  manche  streifen  auch  hart  an  das  Gebiet  der 
Moralitis  und  Sotties  und  ausser  Andr6  de  la  Vigne,  Gringoire, 
Roger  de  la  OoUerye  und  wenigen  Namen  der  Verfasser  von 
Monologues  (ist  ja  sogar  der  Autor  des  Patelin  nicht  sicher  zu 
ermitteln!),  haben  wir  es  fast  nur  mit  anonymen  Werken  zu  thun. 
Die  Stoffe,  welche  die  Farcen  mit  Vorliebe  behandeln,  lassen  sich 
bei  der  sprunghaften  und  losen  Art  der  letzteren  schwer  angeben. 

13* 


196  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

Im  allgemeinen  haben  die  Fabhaux,  deren  Abblühen  mit  dem 
Aufblühen  der  Farce  ziemlich  zusammenfällt,  der  letzteren  ein 
reiches  Erbe  hinterlassen;  aber  auch  andere  Fabelschätze  (wie 
der  indische  Hitopadesa-  und  Sindabadkreis)  und  die  orientalischen 
Sagenkreise  haben  die  Kosten  für  die  Vorwürfe  dieser  Farcen 
bestreiten  müssen  (die  zahlreichen  sehr  instruktiven  Beispiele 
hierfür  muss  man  bei  Levertin  nachlesen).  Besonders  innig 
scheinen  sich  die  komischen  Monologues  an  die  alten  Fableattx 
anzulehnen  und  die  gleichen  Typen  zu  enthalten:  den  gewissen- 
losen, sinnlichen  Pfaffen,  den  täppischen,  von  allen  maltraitierten, 
von  niemandem  bemitleideten  Ehemann  (der  sich  einmal  *  einreden 
lässt,  er  sei  ein  Kalb,  ein  andermal,  er  sei  tot),  das  lügnerische, 
keifende  Eheweib  ohne  jede  sittliche  Fährte  (das  übrigens  mehr 
auf  eine  orientalische  Vorstellung  zurückzuführen  sein  dürfte). 
Aber  diese  Farcen  weisen  allerdings  einen  viel  grösseren  Reichtum 
von  Charaktergestalten  auf,  als  die  Fableaux,  sie  haben  den  ganzen 
Kreis  der  adligen  und  bürgerlichen  Gesellschaft  des  Mittelalters 
in  den  Bereich  ihrer  Darstellung  gezogen  und  mit  mehr  oder 
minder  individuellen  Zügen  ausgestattet;  in  ganz  ausgezeichneter 
Weise  aber  haben  sie  in  dem  pfennigfuchserischen  Bauem- 
advokaten  Patelin  eine  unvergängliche  Verkörperung  von  Prozess- 
sucht und  rabulistischer  Findigkeit  geschaffen,  eine  Figur,  in  der 
sich  gewissermassen  der  ganze  unversiegbare  „Humor  der  Basoche 
krystallisierte."  Der  Hauptvorzug  dieser  Stücke  liegt  in  der 
noch  nicht  im  Manierismus  und  Eklektizismus  aufgegangenen .  Ur- 
verstände,  der  Naivität  des  sicher  und  unbewnsst  schaffenden 
Volkshumors,  der  gerade  („Geist  geistet,  wo  er  will")  in  den 
niedrigsten  Volksschichten  waltet.  Die  Stärke  der  Wirkung  leidet 
nicht  darunter,  dass  die  Witze  derb,  die  Spässe  grobdrähtig  sind 
und  dass  man  in  ihnen  niemals  der  gemeinen  Erdenschwere  des 
alltäglichsten  Pfahl bürgertums  entflieht.  Spuren  zarterer  idealer 
Regungen  begegnen  wir  nur  in  der  in  den  politischen  Farcen 
immer  wiederkehrenden  Sehnsucht  nach  der  milden  Regierung 
Astraea's,  in  der  überall  Friede,  Glück  und  Überfluss  herrschen 
wird:  Jacques  Bonhomme,  der  vergeblich  auf  Roger  Bontemps 
wartet. 

IIa.  In  dieser  Periode  tritt  das  religiöse  Element  in  den 
Vordergrund.  Wennschon  auch  in  der  Dichtung  des  Mittelalters 
der  Geistliche  gern  zum  Stichblatte  des  Spottes  genommen  wurde, 
so  geschah  dies  ohne  aggressive  Tendenz  und  man  wollte  nur 
Heiterkeit  erregen;  im  ganzen  unterwarf  man  sich  doch  der 
Autorität  der  Kirche,  überzeugt,  dass  die  Meinung  des  Einzelnen 
nie  so  gesund  sein  könne,  als  der  allgemein  herrschende  Glaube, 
ßowie  ein  einzelner  Wassertropfen  leichter  verdirbt,  als  der  Ozean. 


0.  Levertin,  Studier  öfver  fars  och  farsörer  i  Frankrike  etc.       197 

Jetzt  aber  wird  ein  ganzes  Geschwader  von  Theaterstücken  gegen 
die  religiösen  Dogmen,  gegen  die  verderbten  Bibeltexte,  gegen 
den  Reliqaienhandel  (der  Kamm  des  Hahnes,  der  dem  Petrus 
krähte,  wird  in  einer  Farce  als  Reliquie  verkauft,  einem  Wirte 
werden  in  einer  anderen  Farce  für  seinen  guten  Wein  anstatt  eines 
angeblichen  heguin  d!un  des  Innocens  ein  Paar  baufällige  Hosen 
untergeschoben  u.  s.  w.),  gegen  die  katholische  Kirche  überhaupt 
losgelassen,  die  aber  zum  grossen  Teile  wegen  ihrer  Steifheit 
und  Trockenheit  mehr  den  Moralitis  beizuzählen  sind  und  daher 
nicht  mehr  in  den  Rahmen  einer  Betrachtung  der  Entwickelung 
der  Farce  fallen.  Erwähnung  verdienen  dagegen  die  Stücke  der 
Marguerite  von  Navarra,  einer  Dame,  die  trotz  ihres  in  religiösen 
Dingen  mystisch  grüblerisch  angelegten  und  nach  innen  gekehrten 
Geistes  zwei  gelungene  Farcen  geschaffen  hat:  die  Farce  du  Pape 
malade  (die  kranke  Christenheit  wirft,  das  letzte  Mittel  ver- 
suchend, die  theologischen  Kurpfuscher  hinaus  und  wendet  sich 
an  Gott  selbst)  und  die  Farce  de  Trop,  Prou,  Peu,  Moins  (um 
1516  verfasst),  in  der  besonders  der  in  der  gesunden  Religions- 
auffassung des  Volkes  ruhende  tüchtige  Kern  desselben  ge- 
priesen wird.  Die  folgenden  verwandten  Schöpfungen  stechen 
mehr  durch  ihren  fanatischen  Hass,  als  durch  ihren  poetischen 
Wert  hervor.  In  technischer  Beziehung  konnte  die  Renaissance 
auf  die  Farce  keine  besondere  Einwirkung  ausüben;  sie  bewirkte 
mit  ihren  gelehrten  Tendenzen  nur,  dass  sich  die  komischen 
Talente  von  der  wegen  ihrer  kunstlosen  üngebundenheit  minder- 
wertig geltenden  Farce  weg  und  mehr  der  stilgerechten  Nach- 
ahmung der  klassischen  und  italienischen  Komödie  zuwendeten, 
und  es  wiederholt  sich  auch  hier  die  Erscheinung,  dass  jeder  Fort- 
schritt der  Wissenschaft  ein  Stück  des  Malerischen,  Urwüchsigen, 
Unmittelbaren  aus  der  Poesie  wegnimmt.  So  wenig  diese  neuen 
Schöpfungen  trotz  ihrer  mehr  künstlerischen  Gewandung  ihre  Her- 
kunft von  den  alten  Farcen  verleugnen  können,  so  blieb  die  eigent- 
liche Farce  nunmehr  doch  vorherrschend  auf  die  niedrigeren 
Volksklassen  beschränkt.  Nur  drei  Farcen  (die  sämtlich  während 
des  Erlasses  des  Kriegsmanifestes  des  Plejade  erschienen),  haben 
gewissermassen  „etwas  von  dem  Sonnenlichte  der  Renaissance" 
und  erheben  sich  durch  ihre  liebevolle  Charakterzeichnung  und 
Lokalfarbe  über  die  anderen:  Marot's  Dialogue  des  deux  Amoureux 
(um  1541),  den  man  wegen  seines  duftigen,  stimmungsvollen 
Zwiegesprächs  zweier  Liebender  mit  Recht  als  das  erste  fran- 
zösische Proverhe  bezeichnet  hat ;  Marguerite  von  Navarra's  La 
Vieille  (gedruckt  1547),  worin  Probleme  aus  dem  Liebesleben 
sehr  anziehend  behandelt  werden  und  man  zum  Schlussergebnisse 
gelangt,   dass   obgleich  Liebe  stets  mit  Leide   ende,   fortgeliebt 


198  Referate  und  Rezensionen.    /.  Frank, 

werden  solle ;  und  Jean  d'Abundance's,  eines  sonst  fast  unbekannten 
Verfassers,  Farce  de  la  Comette  (gedruckt  1545)  eine  recht  ge- 
lungene Charakterkomödie,  die  schon  wegen  der  mannigfachen 
Entlehnungen,  die  Moliöre  in  seinem  Ävare  aus  derselben  vor- 
nahm, ein  erhöhtes  Interesse  verdient.  Dass  die  Farce  um  1540 
noch  in  Blüte  steht,  ersieht  man  auch  aus  der  (14  Stücke  ent- 
haltenden), aus  dieser  Zeit  stammenden  Farcen-Sammlung  YioUet 
le  Duc's.  Dieselben  mögen  allerdings  meist  älteren  Ursprungs 
sein,  aber  dass  sie  eben  damals  gedruckt  wurden,  beweist,  dass 
nach  ihnen  noch  eine  bedeutende  Nachfrage  vorhanden  war.  So 
konnte  die  Renaissance,  wie  gesagt,  die  Farcen  wohl  auf  die 
Schaubühne  für  die  niederen  Volksklassen  hinabdrücken;  ganz 
verdrängen  konnte  sie  dieselben  ebenso  wenig  wie  die  Mysterien. 
Das  1548  gegen  die  Aufführungen  der  Conf vires  de  la  Passion 
gerichtete  Verbot  war  ja  lediglich  eine  zeitweilige  Konzession  an 
den  verfeinerten  Geschmack  der  Hauptstadt,  blieb  aber  ohne 
nachhaltige  Wirkung.  Es  fehlte  den  Farcen  auch  im  XVII.  Jahr- 
hundert nicht  an  dem  Spätsommer  eines  reichen  Repertoires  der 
Basoche  und  anderer  lustiger  Darsteller.  Allerdings  ist  uns 
dasselbe  nur  zum  kleinsten  Teil  erhalten,  der  aber  doch  genügt, 
uns  das  Wesen  der  Farce  in  ihrer  letzten  Existenzphase  erkennen 
zu  lassen:  sie  greift  besonders  in  den  Provinzstädten  stark  in 
das  Stoffgebiet  der  Sotties  über,  oder  sie  entwirft  Sittengemälde 
von  sehr  fraglicher  Originalität,  die  oft  erst  gedruckt  wurden, 
nachdem  sie  bereits  allenthalben  in  den  Gassen  abgespielt  worden 
waren.  In  den  beiden  letzten  abschliessenden  Sammlungen  von 
1612  bis  1619  erweist  sich  der  Strom  der  Erfindung  so  flach, 
dass  man  ihm  auf  den  Grund  sieht. 

Von  den  Farcen  nach  1549  kann  hier  nur  die  vorzüglichste, 
die  Farce  des  trois  Galans  (1570 — 1571)  näher  erwähnt  werden, 
eine  so  prächtige,  „schöne  Blüte,  dass  man  den  ihr  so  bald 
nachfolgenden  Winter  nicht  ahnen  möchte."  Dieselbe  führt  einen 
Narren  vor,  der  bei  Tage  träumt,  etwas  Grosses  zu  werden. 
Die  Aussicht,  Papst  zu  werden,  reizt  ihn  nicht  besonders,  denn 
der  Papst  (Pius  V.)  sei  gar  so  kriegerisch  und  es  sei  da  beinahe 
gemütlicher,  in  der  Stellung  eines  Narren  zu  verbleiben.  Er  will 
gleich  der  liebe  Gott  selbst  werden,  die  heilige  Jungfrau  soll 
seine  Frau,  die  heilige  Katharine  seine  Schwester  werden.  Da 
sollte  man  es  dann  im  Paradiese  gut  haben:  keiner  der  Schweren- 
nöter  und  Störenfriede  dieser  Welt  sollte  da  Einlass  finden,  weder 
die  geschwätzigen,  alles  in  Grund  und  Boden  klatschenden  Weiber, 
noch  die  Schelme  von  Advokaten,  weder  die  Bäcker,  die  die 
kleinen  Brote  machen,  noch  die  diebischen  Müller;  dagegen 
sollen  ihm  die  heiteren  Gesellen:  die  Spielleute,  die  braven  Köche 


0.  Levertin,  Studier  öfoer  fars  och  farsörer  %  Frankrike  etc.        199 

und  fröhlichen  Zechbrüder  willkommen  sein.  Der  Stoff  gehört 
der  Weltlitteratur  an^  in  der  sich  allenthalben  die  sehnsuchtsvolle 
Erinnerung  an  das  goldene  Zeitalter  und  dessen  Schlaraffenleben, 
da  ein  Lieht  leuchtete,  in  dem  die  Körper  keine  verdunkelnden 
Schatten  warfen,  poetisch  verwertet  findet.  Das  nächste  Vorbild 
für  die  Farce  des  trois  Galans  bot  Li  Tabliaus  de  Ooquaigne; 
auch  die  anderen  teils  viel  späteren  Bearbeitungen  dieses  Stoffes 
zeigen  (wie  die  Kinder  des  Pfarrers  von  Wakefield)  eine  über- 
raschende Familienähnlichkeit,  keine  aber  kann  sich  an  reich- 
quellender Phantasie  und  munterer  Launigkeit  mit  unserer  Farce 
messen.  Ein  vielfach  ventiliertes  Lieblingsthema  der  Farcen- 
spätlinge, die  auch  gern  bei  Hochzeitsfeierlichkeiten  aufgeführt 
wurden,  bilden  Prügelszenen  zwischen  Ehegatten,  die  sich  nicht 
bloss  auf  die  Niederungen  der  breiten  Volksmassen  beschränken, 
und  in  denen  die  Frau  zuweilen  die  Oberhand  behält.  Die  auf 
uns  gekommenen  Sammlungen  aus  dem  Anfange  des  XVIL  Jahr- 
hunderts sind  bloss  in  so  später  Zeit  gedruckt,  gehören  aber 
ihrer  Abfassung  nach  mit  ganz  wenigen  Ausnahmen  einer  früheren 
Zeit  an.  Hervorgehoben  zu  werden  verdienen  von  diesen  nur 
noch  die  Farce  du  Meunier  et  du  Gentühomme  (1628),  welche  den 
durch  die  Bürger'sche  Ballade  Der  Kaiser  und  der  Abt  so  be- 
kannt gewordenen  Stoff  behandelt,  der  ebenfalls  seit  lange  her 
ein  Gemeingut  aller  Nationen  gewesen  zu  sein  scheint.  Das 
wesentliche  dieser  Fabel  bleibt  in  allen  Bearbeitungen  dasselbe, 
nur  die  Staffage  und  die  Rätselfragen  wechseln.  (Wir  müssen 
bezüglich  der  hochinteressanten  Details  dieser  Untersuchung  auf 
Levertin's  Buch  verweisen.) 

1536  führte  Franz  I.  eine  strenge  Zensur  für  die  Auf- 
führungen der  Basoche  ein;  ihre  Wirksamkeit  zeigt  sich  nunmehr 
im  ganzen  im  starken  Niedergange  und  die  ihnen  1582  erteilte 
Spiellizenz  schränkte  ihre  Thätigkeit  auf  ein  so  enges  Gebiet 
ein,  dass  dies  einer  Unterbindung  ihrer  Lebensader  gleichkommt. 
Im  Jahre  1618  brannte  die  Salle  des  Procureurs  ab,  der  Schau- 
platz, auf  dem  sie  mit  ihren  Farceaufführungen  so  herrliche 
Triumphe  gefeiert  hatte.  Die  Basochtens  kehrten  daher,  da  ihnen 
das  Hauptgebiet  ihrer  Thätigkeit,  die  Verspottung  menschlicher 
Schwächen  und  die  Karrikierungen  von  Persönlichkeiten,  abge- 
graben war,  wieder  zur  Pflege  der  cause  grosse  zurück,  und  es 
kann  über  ihren  Verfall  nicht  täuschen,  wenn  sie  dies  1634  mit 
grosser  Reklame  als  etwas  Neues,  Ausserordentliches  ankündigten. 
Eine  wirklich  ausgebreitete  und  intensive  Thätigkeit  hingegen 
scheinen  die  Basochtens  auch  jetzt  noch  in  den  Provinz- 
städten, besonders  in  Ronen  und  Poitiers,  entfaltet  zu  haben, 
wo  wir  auch  ihren  ursprünglichen  Ausgangspunkt,  die  Darstellung 


200  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

komischer  Prozesse,  in  ihrem  Repertoire  wiederfinden.  Es  ist 
nns  da  manches  schätzenswerte  von  ihnen  aufgeführte  Stück  er- 
halten, in  anderen  Fällen,  von  den  Basochiens  in  Marseille,  sind 
wohl  keine  vollständigen  Stücke,  aher  einzelne  Lieder  auf  uns 
gekommen.  Spärlicher  sind  aus  dieser  Zeit  die  Berichte  über 
die  Enfans  sans  Sotdcy:  ihre  Thätigkeit  scheint  in  Paris  mit  dem 
XVI.  Jahrhundert  ganz  beschlossen  worden  zu  sein;  dagegen 
haben  sich  in  der  Provinz  ihnen  verwandte  Gesellschaften  länger 
gehalten,  so  die  Mere  folle  in  Dijon,  Les  suppdts  du  seigneur  de 
la  CoquiUe  in  Lyon  und  die  Connards  in  Ronen  und  Evreux.  Die 
Anhänger  der  M^re  folle  gehen  auf  die  berühmte  1381  gestiftete 
Cleve'sche  Narrengilde  zurück,  aber  erst  zwischen  1482  und  1579 
konstituierte  sie  sich  als  Gesellschaft,  um  bei  Prozessionen,  üoch- 
zeiten,  Faschingsaufzügen  und  Theatervorstellungen  mitzuwirken, 
bis  sie  1630  sich  in  politische  Zetteleien  einliess  und  daran  zu 
Grunde  ging.  Die  Suppdts,  von  einer  Lyoner  Buchdruckergesell- 
schaft gestiftet,  standen  zur  Mere  folle  in  einer  Art  Kartell: 
während  nämlich  letztere  die  ihre  Frauen  prügelnden  Männer 
aufs  Korn  nahmen,  sollten  die  Suppdts  die  von  ihren  Frauen 
geprügelten  Männer  durchhecheln.  Die  berühmtesten  aber  waren 
die  Connards,  so  dass  du  Bellay  von  einer  besonderen  Mu8e 
Connardih'e  spricht;  ihre  Verbindung  scheint  erst  unter  Richelieu 
aufgelöst  worden  zu  sein,  und  charakteristisch  für  ihre  Thätigkeit 
ist  die  persönliche,  unerbittliche  Art  ihrer  Angriffe,  die  auch  ' 
Hochgestellte  nicht  schonte.  Eine  andere  Rouener  Theater- 
gesellschaft, La  Grand  Confrairie  des  Saouls  d^ouvrer,  ist  be- 
sonders wegen  der  von  ihr  1550  beim  Einzüge  Heinrich  H.  in 
Ronen  gespielten  Farce  de  Vaux  nennenswert,  die  eine  Art  Rund- 
schau über  die  verschiedenen  Narren  der  Stadt  (hs  veaux  de  dtme)^) 
enthält,  wie  überhaupt  unter  dem  Titel  les  Vaux  mehrere  Stücke 
dieser  Art  zirkuliert  zu  haben  scheinen.  Der  gegen  Nicolas 
Joubert  (bekannt  unter  dem  Namen  Mr.  d'Angoulevent)^)  anhängig 
gemachte  Prozess  versetzte  allen  diesen  Vereinigungen  für  Humor 
und  komische  Bühnendarstellung  den  Todesstoss.  Dieses  letzte 
Oberhaupt  der  Enfants  sans  Soulcy  hatte  nämlich  als  Prince  des 
Sots  das  Privileg,  durch  die  Hauptpforte  ins  Hotel  de  Bourgogne 
seinen  Einzug  zu  halten  und  auch  eine  Loge  zu  seiner  Verfügung 
zu  haben.  Ein  Gläubiger  wollte  dieses  Privileg  des  insolventen 
Joubert  mit  Beschlag  belegen  und  fand  bei  den  Confrhres  de  la 

1)  Dies  erklärt  auch  eine  dunkle  Stelle  in  der  Saiyre  Menippee 
in  den  Pieces  de  Tapisserie,  wo  es  heisst:  Gardez  vous  de  faire  le 
veau.    (Vgl.  des  Ret.  /^/<?m/?/?^«fau8gabe,  Oppeln  1884.) 

2)  Auch  ihm  begegnen  wir  in  der  Satyre  Menippee  nach  der 
Rede  de  Rieux'. 


0,  Leveriin,  Studier  öfver  fars  och  farsörer  i  Frankrike  etc.       201 

Passion  warme  Unterstützung.  Zwar  siegte  Joubert  schliesslich 
1608,  aber  der  Prozess  brachte  doch  die  Narrenburg  und  die 
Narren  zu  Falle  und  die  Farce  hatte  als  solche  ausgelebt. 

IIb.  Der  Ronsardismus  äusserte  sich,  wie  man  weiss,  be- 
sonders in  der  fast  ausnahmslosen  Geringschätzung  der  voran- 
gegangenen, als  eine  geistige  Venrrung  angesehenen  Litteratur. 
Von  der  Nachahmung  der  Griechen  und  Römer  sollte  das  Heil 
kommen.  Es  gibt  aber  auch  keinen  denkbar  grösseren  Kontrast,  als 
den  geschraubten  Ronsardismus  mit  seiner  Verachtung  des  Ge- 
schmackes der  Menge  einer-,  und  die  mit  ihrem  Treppenwitze  auf 
drastische  Effekte  hinarbeitenden  Farcen  andererseits.  Ronsard  und 
seiner  Schule  Werke  richteten  sich  beinahe  ausschliesslich  „an 
einen  hohen  Adel".  Seine  Lustspiele  waren  blosse  Ableger  der 
altklassischen  Komödie.  Schon  Sibilet  hebt  den  schroffen  Gegensatz 
zwischen  der  allgemeine  Interessen  behandelnden  altklassischen 
Komödie  und  den  Farcen  hervor,  die  bloss  einem  geilen  Lach- 
kitzel zur  Befriedigung  dienen,  und  dieser  Gedanke  kehrt  bei 
den  Anhängern  der  Rondsardischen  Schule  oft  wieder.  Ronsard' s 
Hochhaltung  der  Zeiteinheit  muss  ihn  gegen  die  Farce  ebenso 
einnehmen,  wie  ihn  der  Umstand  abstösst,  dass  dieselbe  haus- 
backene Szenen  aus  dem  Werkeltagsleben  des  Volkes  behandelt. 
Auch  Jodelle  und  Gr^vin,  die  ihren  stofflichen  Zusammenhang 
mit  der  alten  Farce  nicht  ganz  verleugnen  können  (sie  thun  es 
allerdings,  indem  sie  diesen  als  einen  Abfall  vom  Klassizismus 
entschuldigen)  erklären  ihrer  Stil-  und  Formlosigkeit  und  ihrer 
Vorliebe  für  allegorische  Figuren  den  Krieg.  Am  schonungs- 
losesten aber  bricht  Jean  de  la  Taille  über  die  alte  Farce  den 
Stab,  und  die  minder  berühmten  Mitglieder  der  Schule,  die  die 
alten  Farcen  kaum  vom  Hörensagen  kannten,  stammten  in  diese 
vernichtenden  Urteile  mit  ein.  Die  Farce  in  ihrer  alten  Form 
hatte  sich  thatsächlich,  wie  gesagt,  im  XVII.  Jahrhundert  über- 
lebt, was  sich  auch  daraus  erweist,  dass  man  nunmehr  jedes 
Pamphlet  mit  dem  Namen  „Farce"  bezeichnete. 

IIc.  Nichtsdestoweniger  bildet  die  Farce  noch  immer 
eine  mächtige  Unterströmung  in  der  neueren  französischen  Ko- 
mödie von  Jodelle's  Euglne  bis  Moli^re.  Diese  behauptet  sich 
auch,  als  im  XVI.  und  XVII.  Jahrhundert  die  italienische  und 
französische  Einwirkung  sich  sehr  fühlbar  machten.  Dies  ersieht 
man  am  besten  aus  dem  Eughie,  dessen  Aufführung  neben  der 
der  Cleopäire  im  Jahre  1552  für  das  neue  französische  Theater 
bahnbrechend  genannt  werden  kann.  Bei  aller  Verschiedenheit 
des  szenisch  wohlgegliederten  Eugene  mit  seiner  Zeit-  und  Raum- 
einheit, mit  seiner  rhetorischen  Breite  und  den  in  „didaskalischer" 
Behaglichkeit  sich  ergehenden  Reflexionen  zu  der  epigrammatisch 


202  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

knrz  gehackten  Frikasseesprache  der  alten  Farcen,  können  ihre 
verwandtschaftlichen  Züge  niemandem  leicht  entgehen.  Allerdings 
ist  der  abb^haft  geleckte,  lüstern  raffinierte  Eugene  von  der  ent- 
sprechenden mehr  derbsinnlichen,  dummklugen,  rüpelhaften  Gestalt 
der  Farce  sehr  verschieden,  und  doch  hat  der  Eughte  mit  den  alten 
Farcen  wieder  so  vieles  gemeinsam:  die  zynische  Handlung,  das 
wüste  Treiben,  in  dem  der  Verkehr  mit  anständigen  Frauen  nur 
eine  seltene  Unterbrechung  bildet,  die  rohe  wenn  auch  im  Eugene 
etwas  tiberfirnisste  Sprache,  die  Art  der  übertölpelten,  betrogenen 
Ehemänner,  ihre  Frauen  noch  zu  rühmen,  die  wiederholte  Lieb- 
lingsbezeichnung der  Geliebten  als  „Kousine".  Auch  in  einigen 
Nebenpersonen  des  Euglne  begegnen  wir  uns  aus  den  Farcen 
wohlbekannten  Typen.  Auch  die  Hauptperson  von  Grövin's 
Tresorüre,  Constance,  erinnert  an  die  mit  den  schwärzesten  Farben 
geschilderten  Frauen  der  alten  Farce,  wie  das  Stück  auch  die 
mit  Zweideutigkeiten  gespickte  Sprache  und  die  grausame  Moral, 
dass  auch  in  der  Liebe  das  Geld  alles  bedeute  und  dieselbe  nur 
mit  der  Brieftasche  errungen  wird,  mit  derselben  gemein  hat. 
Auch  Remi  Belleau's  La  Reconnue  gemahnt  trotz  ihrer  der  Farce 
fremdartigen  langatmigen  Betrachtungen  durch  die  Wahl  der 
Szenen  aus  dem  Kleinleben  der  mittleren  Klassen  an  die  Farcen 
und  die  Basochiens.  Geradezu  überraschend  ist  die  (aus  Levertin's 
Zitaten  näher  ersichtliche*)  innige  Anlehnung  von  Le  Loyer's 
Le  Muet  insense  an  einige  ältere  Farcen.  Wir  müssen  hier  in 
der  Aufzählung  der  weiteren  (bei  Levertin  nachzulesenden)  dies- 
bezüglichen Beispiele  innehalten  und  erwähnen  nur,  dass  wir  auch 
in  dem  uns  erhaltenen,  im  XVIL  Jahrhundert  gedruckten  (that- 
sächlich  aus  älteren  Traditionen,  Lokalsagen  und  festlichen  Auf- 
zügen stammenden)  Repertoire  der  Provinztheater  wahrnehmen, 
dass  nur  ein  geschickter  Regisseur  den  alten  Bekannten  der 
Farce  notdürftig  eine  neue  Larve  vorgebunden  hat.  Hier  sei 
bloss  von  dem  merkwürdigen  obgleich  ausser  von  Baluffe  von 
niemandem  beachteten  Repertoire  von  Beziers  die  Rede,  denn 
diese  Dichtungen  haben  etwas  von  dem  Dufte  der  würzigen  Erd- 
beeren, die  abseits  von  der  bequemen  aber  staubigen  Chaussee, 
im  heimlichen  Schatten  breitästiger  Waldesriesen  wachsen.  Es 
sind  uns  von  diesen  Stücken  nur  dreiundzwanzig  erhalten.  Sie 
alle  knüpfen  an  die  dunkle  Erinnerung  der  Befreiung  der  Stadt 
von  etwas  mysteriösen  Feindeseinfällen  an,  zu  deren  Andenken 
am  Himmelfahrtstage  ein  grosses,  allgemeines  Fest  stattfand. 
Den  Mittelpunkt  des  dabei  stattfindenden  Festzuges  bildete 
ein  Triumphwagen  mit  dem  Konterfei  des  angeblichen  Stadt- 
retters, Namens  Pepesuc,  der  in  anderen  Städten  (wo  ähn- 
liche Feste    gefeiert  wurden)    auch    als   Drachentödter    verherr- 


0.  Leveriin,  Studier  öfoer  fars  och  farsörer  i  Frankrike  etc.       203 

licht  wurde.  Die  Verfasser  der  an  diesem  Tage  aufgeführten 
Theaterstücke  sind  bis  auf  einen,  Jean  Bonnet,  unbekannt,  aber 
der  Zuschnitt  und  die  Anordnung  derselben  (besonders  der  älteren), 
die  auch  in  ihnen  wiederholt  durchbrechende  Friedenssehnsucht 
und  ihre  Kürze  rufen  uns  lebhaft  die  alte  Farce  ins  Gedächtnis. 
Ähnliche  Feste  aber  gab  es,  wie  gesagt,  auch  in  anderen  Provinz- 
städten  des  südlichen  Frankreichs,  besonders  in  Aix,  und  auch 
die  daselbst  bei  dieser  und  anderen  Gelegenheiten  aufgeführten 
Theatervorstellungen  weisen  dieselben  Grundmotive  und  Helden 
auf  wie  die  alten  Farcen.  (Das  Nähere  hierüber  studiere  man 
bei  Levertin.)  Hier  sei  nur  noch  des  einschlägigen  Stückes 
La  Tasse  gedacht,  des  ausser  aller  Frage  besten  Lustspiels  vor 
Moliöre.  Ein  Doktor  Jerosme  hat  einen  fein  ziselierten  Silber- 
kopf, den  er  beim  Antritte  einer  Reise  der  besonderen  Wach- 
samkeit seiner  Frau  empfiehlt.  Zwei  Schelme,  die  das  Haus 
umspähen,  schleichen  sich  als  angebliche  Sendboten  Jerosme's 
ein  und  entlocken  ihr  den  Silberkopf.  Jerosme  kommt  heim  und 
ist  über  das  Vorgefallene  so  ausser  sich,  dass  er  seine  Gattin 
und  ihr  Stubenmädchen  halb  tot  prügelt.  Die  Frau  entgeht 
weiteren  Misshandlungen  nur  dadurch,  dass  sie  sich  tot  stellt. 
Da  er  ihr  aber  einen  brennenden  Strohhalm  unter  die  Nase  hält, 
springt  sie  auf.  Das  Stubenmädchen  führt  ihrer  Gebieterin,  um 
an  Jerosme  Rache  zu  nehmen,  einen  italienischen  Liebhaber  zu, 
der  ein  Muster  von  Diskretion  ist.  Trotzdem  wird  das  Verhältnis 
Jerosme  durch  seinen  Diener  entdeckt.  Die  Frau  rettet  sich 
durch  eine  List,  und  nach  einer  thränenreichen  Szene  wird  die 
Versöhnung  gefeiert.  Auch  die  beiden  Strolche  entgehen  der 
Strafe,  indem  sie  sich  nach  einer  ebenso  langen  als  komischen, 
genalogischen  Auseinandersetzung  als  Verwandte  des  Ehepaares 
herausstellen.  Man  wird  auch  in  diesem  Stücke  leicht  vieles 
herausfinden,  was  auf  die  Farcen  zurückzuführen  ist.  Die  in 
Grenoble  aufgeführten  Stücke  Jean  Millet's  gehören  dem  pasto- 
ralen  Genre  an  und  haben  manche  Verwandtschaft  mit  denen  Adam 
de  la  Halle's  und  anderer  Farcendichter.  Wenn  man  bedenkt,  dass 
Moliöre  in  Languendoc  so  manches  seiner  Wander-  und  Lehrjahre 
zubrachte,  wird  man  sich  der  Überzeugung  nicht  verschliessen 
können,  dass  er  daselbst  manche  reiche  Anregung  empfing,  deren 
Spuren  man  in  seinen  Stücken  noch  (wie  dies  bei  Levertin  ge- 
schieht) gut  verfolgen  hann.  Alexandre  Hardy  hat  man  mit  Unrecht 
besondere  Hinneigung  für  die  mittelalterliche  Farce  zugeschrieben, 
mit  noch  weniger  Grund  hat  man  verspüren  wollen,  dass  aus 
seinen  Werken  ein  Hauch  von  Patelin's  Natui-frische  und  realis- 
tischer Komik  entgegenwehe,  wenn  er  auch  den  Marinismus  und 
Pseudoklassizismus  nachdrücklich  bekämpfte.    Dagegen  erwecken 


204  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

Pierre  Troterel's  Stücke  vielfache  Reminiszenzen  an  die  mittel- 
alterliche Farce,  besonders  seine  1620  verfasste  Gillette.  Im 
XVIl.  Jahrhundert  werden  wir  die  Farce  als  von  grossen  Schau- 
spielern mündlich  fortgepflanzte  Tradition  wiederfinden.  Allmählich 
geht  sie  in  die  verjüngte  Form  des  mehr  geordneten  Possen- 
Einakters  über,  der  (wie  früher  die  Farce  nach  dem  Mysterium) 
nach  einem  grösseren  Stücke  aufgeführt  wurde  und  zur  Zeit,  als 
Moli^re's  Stücke  einen  so  unerhörten  Beifall  erhielten,  den  letzteren 
eine  gewisse  Konkurrenz  zu  machen  berufen  war.  Auch  diese 
zeigen  bei  näherer  Betrachtung,  dass  wir  es  auch  hier  nur  mit 
neuem  Most  in  alten  Schläuchen  zu  thun  haben. 

Illa.  Über  die  Farceschauspieler  im  Mittelalter  wissen  wir 
nur  sehr  wenig.  Es  scheint  im  allgemeinen  die  Person  des  Dar- 
stellers hinter  dem  traditionell  gewordenen  Typus  gewisser 
stationärer  Rollen  (wie  Angoulevent's,  der  Mlre  Sötte,  des  Abbe 
des  Fr^vaulx)  zurückgetreten  zu  sein  und  nur  der  erste  Schöpfer 
einer  solchen  Figur  erscheint  hie  und  da  erhalten.  Erst  im 
XVI.  Jahrhundert  und  während  der  Renaissance  gab  es  über- 
haupt in  Frankreich  Berufsschauspieler,  deren  erste  Gastspiele 
allerdings  unter  der  dem  Stande  entgegengebrachten  Verachtung 
und  wegen  des  bisherigen  Monopols  der  Dilettanten -Genossen- 
schaften geringen  Anklang  fanden,  die  aber  bald  zu  grösserer 
Geltung  gelangten.  Unter  diesen  ältesten  Schauspielern  sind  be- 
sonders Pontalais  und  Jean  Serre  erwähnenswert.  Pontalais, 
bekannter  unter  dem  Namen  Songecreux,  machte  verschiedene 
Kunstreisen,  wagte  es  sogar  die  Königin- Mutter  zu  parodieren, 
und  kam  dafür  ins  Gefängnis;  er  wurde  in  seiner  Eigenschaft 
als  Hanswurst  äusserst  populär.  Sein  nicht  minder  berühmter 
Kollege  war  Jean  Serre,  dem  Marot  einen  unvergänglichen  Nekro- 
log hinterlassen  hat.  Aber  gerade  die  Mitte  des  XVI.  Jahr- 
hunderts scheint  ein  für  die  Entwicklung  des  Farcentums  wenig- 
stens in  Paris  ungünstiger  Zeitpunkt  gewesen  zu  sein.  Die  Ur- 
sachen hiervon  waren  verschiedene.  Hier  sei  bloss  die  wichtigste 
erwähnt,  der  überhandnehmende  Einfluss  der  italienischen  Schau- 
spieler seit  Franz  L,  der  in  der  1571  erfolgten  Ankunft  der 
Gelöst  seinen  stärksten  Ausdruck  findet.  Auch  Heinrich  IV.  war 
weit  entfernt,  die  wiederholten  Einwanderungen  italienischer 
Schauspieler  zu  unterdrücken,  dennoch  hat  dieser  nationalste  König 
(„Ihr  braucht  nichts  von  ihm  zu  sagen,  ihr  redet  mit  Franzosen!" 
sagt  Montesquieu  von  ihm)  mit  seiner  geringen  Bildung  und 
seinem  ausgesprochenen  Geschmacke  für  das  Derbkomische  den 
einheimischen  Farcen  ein  nur  günstiges  Vorurteil  entgegenbringen 
müssen.  Dazu  kam,  dass  gerade  mit  Heinrich's  IV.  Regierungs- 
antritte die  Bühne  im  Hotel  de  Bourgogne  mit  mehr  geordneten 


0,  Leve7'iin,  Siudier  öfver  fars  och  farsör^^  i  Frankrike  etc.       205 

Verhältnissen  zu  arbeiten  begann,  and  es  erscheint  so  gut  wie 
gewiss,  dass  man  daselbst  gerade  durch  die  Aufführung  zug- 
kräftiger nationaler  Farcen,  die  man,  in  jeder  Richtung  das  Erbe 
der  alten  Basochiens  und  Enfants  sans  Scndcy  antretend  (vielleicht 
ohne  bestimmten  unterlegten  Text  mit  einem  blossen  scenariof) 
abspielte,  den  Italienern  die  Spitze  bieten  wollte.  Es  begegnen 
uns  da  eine  ältere  und  eine  jüngere  Schauspielergeneration;  unter 
den  ersteren  sind  Agnan,  Valeran,  Alizon  und  Dame  Gi- 
gogne,  unter  den  letzteren  Gros-Guillaume,  Gaultier-Gar- 
guille  und  Turlupin,  Guillot  Gorgu  und  Bruscambille  her- 
vorzuheben. Von  der  ersten  Serie  dieser  Komiker  des  Hotel  de 
Bourgogne  ist  uns  nicht  viel  bekannt,  und  sei  hier  nur  gesagt,  dass 
Alizon  und  Dame  Gigogne  zwei  von  männlichen  Schauspielern  ge- 
spielte Frauenrollen  bezeichnen.  Viel  merklichere  Spuren  hat  die 
zweite  Gruppe  zurückgelassen.  Auch  ihre  oben  bezeichneten  Namen 
sind  nicht  wirkliche  Personennamen,  sondern  angenommene  noms 
de  guerre.  Gewisse  Namen  hatten  nämlich  im  Volksmunde  eine 
konventionelle  Bedeutung  erlangt,  so  waren  Jean  und  Guillaume 
besonders  in  der  Verbindung  Gros -Jean  und  Gros-Guillaume  die 
verbreitetste  Bezeichnung  für  einen  Dummkopf  oder  Tölpel. 
Guillaume  hiess  auch  der  Hofnarr  Heinrich's  IV.  Gros-Guillaume 
bedeutete  auch  eine  grobe  Brotsorte  (man  vergleiche  damit  unser 
Pumpernickel^).  Wenn  aber  Francisque  Michel  annimmt,  der 
Komiker  Robert  Guerin  habe  den  Namen  Gros-Guillaume  darum 
gewählt,  weil  er  sein  Gesicht  auf  dem  Theater  zu  pudern  pflegte 
und  früher  ein  Bäckergeselle  gewesen  sei,  so  wird  sich  die  Sache 
umgekehrt  verhalten  und  die  Sage,  Rob.  Gu6rin  sei  ein  Bäcker 
gewesen,  eben  durch  die  angeführte  Nebenbedeutung  von  Gros- 
Guillaume  u.  s.  w.  entstanden  sein.  Mit  Guillaume  verband  man 
auch  gerne  den  Namen  Gaultier,  um  geringschätzend  Personen 
ohne  Gewicht  und  Ruf  zu  bezeichnen,  etwa  wie  unser  „Hinz 
und  Kunz^.  Ausserdem  lässt  sich  dieser  Name  auch  als  die 
Benennung  für  einen  Bauernlümmel,  für  einen  närrischen,  aber 
guten  Kerl  nachweisen.  Während  die  angeführten  Namen  in  der 
meist  verächtlichen  allgemeinen  Bedeutung  eher  gang  und  gäbe 
waren,  bezeichnet  Garguille  mehr  einen  komischen  Lokaltypus. 
Garguille  ist  auch  das  Gegenstück  zu  Gaultier,  in  der  Weise, 
dass  ersterer  mehr  den  Hanswurst,  letzterer  (wie  Angoulevent) 
den  immer  gut  aufgelegten  Fresser  bedeutet.  Gargouille  be- 
zeichnete aber  auch  eine  Drachenfratze  und  steht  besonders  in 
Beziehung  zu  dem  Gargouille -Feste  in  Ronen.     In   dieser  Stadt 

1)  Es  würde  sich  auch  hier  die  Erscheinung  wiederholen,  dass 
der  Name  einer  Lieblingsspeise  zur  Bezeichnung  eines  Possenreissers 
benützt  wird. 


206  Referate  und  Rezensionen.    J.  Frank, 

lebte  nämlich  besonders  stark  die  Erinnerung  an  einen  von  dem 
Bischof  St.  Romain  besiegten  Drachen.  Bei  diesem  Rettangs- 
werke wollte  ihn  Niemand  als  ein  zum  Tode  verurteilter  Ver- 
brecher unterstützen,  und  seit  dieser  Zeit  erhielt  die  Rouener 
Geistlichkeit  das  Privileg^),  zum  Tode  verurteilte  Verbrecher  be- 
freien zu  können.  Zur  Erinnerung  daran  wurde  am  Himmelfahrts- 
tage ein  Fest  mit  feierlicher  Prozession  gefeiert,  bei  der  auch 
ein  Drachenbild  la  GargouiUe  vorangetragen  und  allerhand  über- 
mütige Schwanke  aufgeführt  wurden,  bei  welchen  der  Confrerie 
des  Gargouülards  die  Hauptrolle  zufiel.  So  erklärt  sich  leicht 
die  Bedeutung  dieses  Namens.  Er  scheint  aber  auch  aus 
onomatopoetischen  Gründen  für  das  aus  der  Dachrinne  her- 
vorgurgelnde Wasser  und  dann,  da  diese  Dachrinnen  gewöhnlich 
in  einen  Drachenkopf  endigten,  in  kombiniertem  Sinne  gebraucht 
worden  .zu  sein.  Um  1530  hat  ein  Schauspieler,  der  den 
Garguilletypus  spielte,  für  denselben  auch  den  Namen  Gaultier 
dazu  genommen  und  seit  dieser  Zeit  dürften  sich  die  beiden 
Namen  einander  beinahe  gedeckt  haben.  So  reich  und  noch 
reicher  ist  die  Entwickelungsgeschichte  des  Komikertypus,  den 
der  normanische  Schauspieler  Hugues  Gu^ru  sich  auserkoren 
hatte.  Der  Name  Turlupin  findet  sich  zunächst  als  Bezeichnung 
für  die  waldensischen  Ketzer,  er  bezeichnet  aber  auch  den 
Sündenbock,  den  Pechvogel.  Der  Turlupin,  wie  ihn  Henry 
Legrand,  der  berühmteste  Träger  dieser  Rolle  auffasste,  als 
schnabelschnellen  und  fingerfertigen  intriganten  Bedienten,  als 
den  Vorläufer  Scapin's  und  Mascarille's,  scheint  aber  anderer 
Herkunft  zu  sein.  Turlupin  scheint  auch  spottweise  ein  Mitglied 
eines  geistlichen  Ordens  bedeutet  zu  haben.  Nach  Despois  soll 
bei  Rabelais  Turlupin  mehr  den  Pechvogel,  Tirelupin  aber  den 
Spitzbuben  bedeuten,  am  seltsamsten  klingt  die  Erklärung  dieses 
Namens  in  Hotman's  Antichoppimu%  doch  meinen  wir  hier  darauf 
nicht  weiter  eingehen  zu  sollen.^)  Der  von  Bertr.  Harduin  ange- 
nommene Name  Guillot  Gorgu,  unter  dem  er  berühmt  geworden 
ist,  knüpft  ebenfalls  an  altüberlieferte  Vorstellungen  an,  da  er 
neben  seiner  mehr  allgemein  komischen  Bedeutung  noch  besonders 
einen  Schelm,  aber  auch  einen  „Hans  der  Träumer",  bezeichnet. 
Nach  dieser  Erklärung  der  noms  de  guerre  sei  das  Wich- 
tigste, was  uns  von  der  Geschichte  ihrer  berühmtesten 
Träger  bekannt  ist,   hier  angeführt.     Es   war   schon   oben   die 


1)  Vgl.  auch  hierin  die  Sai,  Men.  am  Ende  des  6.  Vertu  du 
Chaiolicon:  ...  il  se  fust  hien passe  de  lever  la  Fierte  de  St.-Romain. 

2)  Hier  entging  dem  sonst  umsichtigen  Verfasser,  dass  in  der 
Satire  des  Satires  des  Abb^  Cotin  (wie  in  der  Zlchr.  gezeigt  wurde)  der 
Name  „Turlupin"  eine  grosse  Rolle  spielt. 


0.  Levertin,  Studier  öfver  fars  och  farsörer  %  Frankrike  etc.       207 

Sage  erwähnt,  die  Robert  Gu6rin,  Hugues  Gu6ru  und  Henry 
Legrand  zu  ehemaligen  Bäckergesellen  macht.  Dieselben  sollen 
plötzlich  den  Weihekuss  der  Musen  empfangen,  ihr  früheres  Ge- 
werbe auf  den  Nagel  gehängt  und  im  Jeu  de  Paume  ein  Theater 
aufgeschlagen  haben.  Das  Unternehmen  blühte  so,  dass  die  sich 
geschädigt  fühlenden  Künstler  des  H6tel  de  Bourgogne  bei 
Sr.  Eminenz  dem  Kardinal  Richelieu  Beschwerde  führten.  Die 
Sage  lässt  sie  auch  in  einer  Woche  sterben:  Gros-Guillaume  an 
einer  im  Gefängnisse  (in  das  er  wegen  seiner  Karrikierung  hoher 
Persönlichkeiten  gekommen  war)  acquirierten  Krankheit,  und  seine 
beiden  Genossen  aus  Kummer  über  dessen  Tod.  Auch  der  in 
Gougenot's  ComSdie  des  Comediens  erzählte  Streit  zwischen  den 
Dreien  wegen  ihres  gegenseitigen  Rangverhältnisses  ist  nicht 
glaubwürdig.  Sicherstellen  lässt  sich  nur  folgendes:  Gros-Guil- 
laume, also  Robert  Guerin  (in  'ernsten  Rollen  nannte  er  sich 
La  Fleur),  wurde  zuerst  unter  Heinrich  IV.  wegen  seines  be- 
rühmten Nachahmungstalentes  zu  Hofe  berufen.  Er  stammte  wahr- 
scheinlich aus  der  Normandie,  kam  um  1596  nach  Paris,  von 
den  Jahrmarktstheatern  angelockt.  Er  spielte  wahrscheinlich 
zuerst  im  Hotel  de  Bourgogne,  1622  tritt  er  im  Marais  auf,  denn 
wir  haben  von  diesem  Jahre  einen  Bescheid,  demzufolge  er  und 
seine  beiden  Genossen  für  die  Zulassung  ihrer  Vorstellungen  den 
privilegierten  Confr^res  de  la  Passion  einen  Tribut  entrichten 
mussten.  Im  Jahre  1629  trat  das  Komikerkleeblatt  wieder  zum 
Hotel  de  Bourgogne  über.  Guerin  scheint  1634  gestorben  zu 
sein.  Er  spielte  ältere,  geistreiche  Bonvivants  und  Fallstaffrollen 
und  brachte  mit  seinem .  frischgepudertem  Gesichte,  das  zuweilen, 
wenn  ihm  die  Steinschmerzen  (an  deren  er  litt)  marterten,  sich 
plötzlich  verzerrte,  und  mit  seinem  biertonnenartigem  Bauche  ein 
unfehlbares  Gelächter  hervor.  Der  (rawZfier-öar^MiYZe- Darsteller 
H.  Gu6ru  (in  ernsten  Rollen  nannte  er  sich  auch  Fleschelles) 
war  in  Caen  in  der  Normandie,  wie  er  selbst  von  sich  sagt: 
entre  la  poire  et  le  frortiage,  geboren,  1598  soll  er  im  Marais 
debütiert,  1615  — 1622  (in  den  letzten  Jahren  finden  wir  ihn 
wieder  im  Marais)  zum  Hdtel  de  Bourgogne  gehört  haben,  1633 
wurde  er  beerdigt.  Neuere  Forschungen  (Jal's)  erwiesen  noch, 
dass  er  1623  mit  seinem  berühmten,  später  noch  zu  erwähnenden 
Schwiegervater  Tabarin  (dessen  Tochter  Alienor  gebar  ihm  drei 
Kinder)  auf  der  He  de  la  Cite  wohnte;  1627  wohnte  er  beim  Hotel 
de  Bourgogne.  Er  hatte  für  eine  bürgerlich  geordnete  Lebens- 
weise Sinn,  und  genug  Stolz,  um  eine  vornehme  Einladung  zum 
Diner  zurückzuweisen,  weil  er  studieren  müsse.  Auf  der  Bühne 
spielte  er,  wie  der  italienische  Pantaleone,  alte  Väterrollen,  er 
war  auch  als  Darsteller  der  Biersüffe  und  Weinschwelge  berühmt^ 


208  Referate  und  Rezensionen,    J.  Frank, 

besonders  aber  ergötzte  sein  Kouplet -Vortrag,  der  einen  Haupt- 
roagnet  für  das  Publikum  bildete.  Der  Text  vieler  dieser  Kou- 
plete  stammt  aus  alter  Zeit,  allen  aber  hat  er  durch  seine  originelle 
Pointierung  und  sein  Arrangement  erst  die  rechte  Prägung  ver- 
liehen. Der  Turlupm-D&TsteWer  Henry  Legrand  (in  ernsten 
Rollen  auch  Belleville  genannt)  wurde  1587  geboren  und  starb  1637. 
Wir  wissen  bereits,  dass  er  verschmitzte  Lakaienrollen  spielte. 
Sein  Talent  wird  über  alle  Massen  gerühmt.  Auch  sein  Privat- 
leben wird  gelobt,  er  soll  es  z.  B.  nicht  geduldet  haben,  dass 
seine  Frau  die  Bühne  besteige.  Guillot  Gorjus  hiess  eigentlich 
Bertrand  Harduin  und  war  der  Sohn  eines  berühmten  Arztes. 
Er  studierte  in  seiner  Jugend  Medizin,  führte  zuerst  ein  Wander- 
leben als  Operateur,  um  nach  dem  Tode  Gargouille's,  von  diesem 
feierlich  als  Erbe  seiner  Rollen  eingesetzt,  im  ffötel  de  Bourgogne 
aufzutreten  und  endlich  seine  Laufbahn  wieder  als  Arzt  zu  be- 
schliessen.  Ausser  der  von  Gargouille  übernommenen  Pflege  der 
Kouplets  liebte  er  es  besonders,  die  Arzte  auf  der  Bühne  zu 
persiflieren.  Bruscambille  (auch  Deslauriers  genannt)  war  von 
1606  bis  1634  im  Hdtel  de  Bourgogne  thätig,  scheint  aber  in- 
zwischen auch  zeitweilig  im  Marais  gespielt  zu  haben.  Seine 
Berühmtheit  beruht  besonders  auf  den  von  ihm  verfassten  Pro- 
logen oder  komischen  Monologen,  die  in  ihrer  grotesken  und 
burlesken  Manier  stark  an  Cyrano  de  Bergerac  erinnern.  Inter- 
essant ist  seine  gelegentliche  Bemerkung:  Wenn  die  Posse,  wie 
man  ihr  vorwerfe,  so  entartet  sei,  so  sei  das  die  Schuld  des 
Publikums,  das  ja  eben  solch'  grobe  Kost  wünsche,  und  die 
italienische  Komödie  sei  übrigens  noch  viel  schlimmer.  Neben 
diesen  ersten  Grössen  der  damaligen  Komiker  sind  noch  einige 
dii  minores  kurz  zu  erwähnen:  Jean  Farine  und  Goguelu. 
Der  erstere  soll  auch,  erst  nachdem  er  längere  Zeit  den  chirur- 
gischen Beruf  ausübte,  zur  Bühne  des  Hotel  de  Bourgogne  über- 
getreten sein,  doch  klingen  diese  Nachrichten  immer  un verläss- 
licher, wenn  man  hört,  dass  sich  mehrere  Akteurs  hinter  diesen 
Schauspielernamen  steckten.  Etwas  besser  gestaltet  sich  unsere 
Kenntnis  von  Goguelu.  Der  Name  hat  von  altersher  die  Be- 
deutung eines  Prahlhans  und  Aufschneiders.  Goguelu  scheint 
sich  Gros-Guillaume  als  Vorbild  ausersehen  zu  haben,  sogar  seine 
Art  mit  eingepudertem  Gesichte  aufzutreten.  Er  spielte  meist 
unverschämte  Schmarotzer.  Während  diese  jüngeren  Schauspieler 
von  zeitgenössischen  Schriftstellern  wenig  angeführt  werden,  hat 
die  nach  ihrem  Tode  mit  einem  ganzen  Sagenkreis  umsponnene 
Persönlichkeit  der  älteren  Komiker  die  Litteratur  derart  be- 
fruchtet, dass  sie  und  ihre  wirklichen  oder  erfundenen  Schick- 
sale zu  einer  ganzen  Reihe  von  Lustspielen  anregten.     Hier  sei 


0»  Levertifi,  Studier  öfver  fars  och  farsörer  i  Frankrike  etc.       209 

nar  erwähnt ,  dass  sich  Turlupin  weniger  als  Individuum  denn 
als  Typus  für  den  losen  Vogel  in  diesen  Theaterstücken  und  den 
sonstigen  Schriftwerken  erhalten  hat.  Aber  erst  nach  Moli^re 
kommt  der  Ausdruck  in  die  Mode.  Man  benützte  diesen  von 
Moliäre  für  den  gezierten,  lüsternen,  hohlköpfigen  Marquis  auf- 
genommenen Spitznamen,  um  bei  Hofe  gegen  ihn  zu  hetzen,  aber 
die  Treffsicherheit  des  Genies  hatte  sich  so  bewährt,  dass  die 
Getroffenen,  zum  bösen  Spiele  gute  Miene  machend,  selbst  sich 
untereinander  scherzweise  so  zu  nennen  begannen.  Sehr  inter- 
essant ist  dann  auch  die  Anwendung  von  Turlupin  bei  Boileau, 
B^ranger  und  Goethe  (wie  man  dies  bei  Levertin  näher  lesen 
kann).  Ohne  allem  Zweifel  hat  das  Leben  und  das  Repertoire 
dieser  Komiker,  die  Möllere  ziemlich  sicher  noch  selbst  auftreten 
sah,  auf  letzteren  hohen  Einfluss  geübt,  wenn  sich  auch  förmliche 
Entlehnungen  darum  nur  in  selteneren  Fällen  in  seinen  Stücken 
nachweisen  lassen,  da  die  Possen,  in  denen  diese  Schauspieler  auf- 
traten, nur  zum  kleinsten  Teile  jemals  gedruckt  worden  und  noch 
weniger  uns  erhalten  sind.  Die  einzige  uns  vollständig  erhaltene 
erweist  sich  thatsächlich  als  Fundort  für  eine  der  wirksamsten 
Szenen  im  Bourgeois  Gentilhomme  (der  nämlich,  in  welcher  Dorante 
die  gegenseitigen  Geschenke  zweier  Liebesleute  unterschlägt  und 
es  schlau  zu  verhindern  weiss,  dass  dies  ruchbar  wird).  Die  nicht 
zu  leugnende  Thatsache  seines  innigen  geistigen  und  schau- 
spielerischen Zusammenhanges  mit  der  alten  Farceurs  machte  es 
auch  allein  möglich,  dass  Moliere's  Feinde  (Jaulnay,  de  Roche- 
mont)  ihm  keine  höhere  Bedeutung  als  diesen  Possenreissern 
zuerkennen  wollten  und  ihn  in  den  gegen  ihn  geschleuderten  Pam- 
phleten von  der  feineren  Komödie  wegweisend,  mit  den  Hans- 
wursten zusammenstellten.  Auch  Moli^re's  neuester  Biograph, 
Gust.  Larroumet,  hat  dies  hervorgehoben,  und  Saumaize  hat  ja 
sogar  schon  früher  das  Gerücht  ausgesprengt,  Moli6re  habe  von 
Guillot  Gorjus'  Witwe  den  Nachlass  desselben  erworben  und  ihn 
für  seine  Stücke  ausgeplündert. 

Hlb.  Früh  nehmen  wir  in  Frankreich  innige  Wechsel- 
beziehungen zwischen  dem  Stande  der  Schauspieler  und  Ärzte 
wahr,  und  nicht  immer  waren  die  den  ärztlichen  Charlatanen 
affinierten  Komödianten  schlechter  bezahlt,  als  die  bei  grösseren 
festen  Verbänden  Angestellten.  So  ergänzt  das  Hotel  de  Bourgogne 
wiederholt  entstandene  Lücken  aus  der  Truppe  des  Quacksalbers 
Mondor,  während  Galinette  la  Galline  vom  Hotel  de  Bourgogne 
zum  Marktschreier  Orvi^tano  übergeht.  Die  Komiker  von  der  Gasse 
spielten  besonders  in  den  Jahrmarktsbuden  des  Pont  Neuf  und 
von  Saint-Germain,  und  schon  in  recht  früher  Zeit  1595  erhielten, 
trotz  des  Widerstandes  des  HStel  de  Bourgogne,  Courtin  und  Potau, 

Zschr.  f.  tn.  Spr.  n.  Litt.    XI^.  24 


210  Referate  und  Rezensionen,    J,  Frank, 

1618  Soliel  und  Legendre  die  KonzessioD  zu  theatralischen  Jahr- 
marktsspektakeln. 1662  machte  in  gleicher  Weise  ein  gewisser 
Raisin  mit  einer  Kindertruppe  und  einer  Spieldose  Aufsehen,  so 
dass  in  einer  obligateren  Weise  die  Farceurs  zu  dem  Beiwerk 
der  Jahrmärkte  gehörten.  Ein  besonders  klassischer  Ort  für  diese 
Art  Volkshumors  war  der  Pont  Neuf;  auf  demselben  gab  auch 
Br.  Dateiin  Vorstellungen  mit  seinem  berühmten  Affen,  den  Cyrano 
de  Bergerac  im  Zorne  tötete. 

Die  anderen  Spielarten  von  Berufsnarren  und  Originalkünstlern 
des  Pont  Neuf  beiseite  lassend,  wollen  wir  hier  nur  noch  einiges 
über  jene  besoldeten  Marktschreier  sagen,  die  ihre  ganze  Lungen- 
kraft und  ihren  drastischen  Humor  aufboten,  um  für  die  Mixturen 
und  Salben  ihres  ärztlichen  Herrn  und  Meisters  Reklame  zu 
machen.  Diese  Kombination  des  Arztes  mit  dem  Possenreisser 
ist  sehr  alt,  doch  stammt  die  Art  der  Charlatane,  ihr  Geschäft 
en  gros  zu  betreiben  und  sich  gleich  einer  ganzen  Schau- 
spielergesellschaft beizugesellen,  erst  aus  dem  XVII.  Jahr- 
hundert. In  einer  solchen  medizinischen  Theatertruppe  war  be- 
sonders die  Marquise  Th^röse  du  Parc  berühmt,  und  im  Dienste 
seines  Protektors,  des  bei  dem  Herzoge  von  Conti  angestellten, 
und  für  die  du  Parc  in  Liebe  entbrannten  Sekretärs  Sarrazin, 
musste  Moli6re  den  Kampf  mit  einem  Konkurrenzunternehmen 
Cormier's  aufnehmen.  Bei  Scarron  kann  man  sehen,  wie  die  Ärzte 
und  Komödianten  im  buchstäblichen  Sinne  Kameraden  sind.  Alle 
gegen  diese  Gesellschaften  von  vielleicht  gewissenhafteren  Ärzten 
oder  aus  Brotneid  ausgesandten  Schmähschriften  konnten  ihnen 
nicht  das  unsaubere  Handwerk  legen;  vielmehr  stand  ihr  Geschäft 
in  der  Umgebung  des  Pont  Neuf  in  höchster  Blüte.  Ein  Haupt- 
vertreter desselben  war  Barry,  dessen  von  seiner  Tochter  her- 
rührende Biographie  auf  uns  gekommen  ist.  Ihm  stand  eine 
stattliche  Künstlerschar  zu  Gebote,  mit  der  er  durch  Italien  und 
Frankreich  eine  an  Ehren  reiche  Tournee  unternahm,  die  auch 
eine  besondere  Schilderung  durch  Fournel  erfahren  hat.  Er  be- 
schloss  seine  glänzende  Laufbahn  traurig  im  Spitale  von  Amiens. 
Nicht  minder  berühmt  wurde  ein  anderer  Charlatan,  Orvi6tano, 
so  dass  sogar  auch  die  späteren  Vertreter  des  Metiers  seinen 
Namen  adoptierten,  und  orvUtan  die  allgemeine  Benennung  für 
allerlei  Geheimmittel  wurde.  Der  erste  Träger  dieses  Namens 
scheint  Jeronimo  Ferranti  gewesen  zu  sein,  der  in  Orvieto  geboren 
war.  Er  arbeitete  mit  dem  Apparate  von  vier  Geigern,  die  in 
Verbindung  mit  einem  aus  dem  Edtel  de  Bourgogne  verschriebenen 
Farceur,  Galinette  la  Galina,  die  Menschen  zum  Kaufe  seiner 
Ärcana  anlockten.  Von  Grattelard,  dem  Hanswurst  eines  ge- 
wissen   Descombesy    sind    sogar    Schriften    auf    uns    gekommen^ 


0.  Levertin,  btttäier  öß-er  fars  och  farsörei-  i  Frankrtke  etc.       211 

die  aber  zom  grossen  Teile  sich  als  Plagiate  erwiesen  habea. 
Die  allererste  Firma  dieser  Art  war  jedoch  Mondor  und  Ta- 
barin,  beide  einander  koordiniert  und  so  auch  iu  die  Volkssage 
übergegangen.  Tabarin'e  Schriften  erschienen  zweimal  mit  Ein- 
leitung und  Bemerkungen.  Trotz  einer  bereits  vorangegangenen 
Biographie  Taharin's  hat  doch  erst  Jal  Gründliches  über  seine 
Lebensgeschichte  zu  Tage  gefördert.  Hondor  hiess  ursprünglich 
Phil.  Girard  und  Tabarin  Jean  Salomon.  Ihre  Stätte  auf  der 
Place  Dauphins  scheinen  sie  erst  1619  aufgeschlagen  zu  haben. 
Auch  sie  hatten  Courval's,  des  erbitterstea  Feindes  dieses  medi- 
zinischen Schwindels,  geschriebene  Angriffe  auszuhalten.  Ihre 
Pomaden  werden  in  zeitgenössischen  Schriften  rühmlich  erwähnt. 
Aus  1624  haben  wir  eine  Verteidigungsschrift  Tabarin's,  in  der 
er  geringschätzende  Äusserungen  eines  protestantischen  Geist- 
lichen von  sich  abwehrt.  1627  fungierte  Mondor  als  Pate  bei 
dem  zweiten  Kinde  Gaultier  Garguille's,  während  Tabarin  1628 
in  derselben  Eigenschaft  bei  dem  dritten  und  letzten  Kinde  seines 
Schwiegersohnes  fungierte.  Seit  1628  verschwinden  sie  auch 
vom  Öffentlichen  Schauplätze,  obgleich  sie  noch  einige  Jahre  bis 
etwa  1634  lebten:  beide  hatten,  wie  man  ans  dem  ihrem  Namen 
beigegebenen  de  Tr&ry  ersehen  kann,  von  ihrem  angesammelten 
Vennögen  ein  Landgut  (in  der  Nähe  von  Rocroy)  erworben. 
Der  von  Salomon  angenommene  Name  Tabarin  ist  auf  das  altfrz. 
iabar,  tabart  ^=  Hantel  zurUckznfUhren.  Er  nahm  ihn  von  einem 
Mitgliede  der  italienischen  Gesellscbaft  Ganassa's,  namens  Taba- 
rino,  an.  Zu  eigentlichem  Kuhme  und  zu  sprichwörtlicher  Grösse 
gelangte  der  Name  aber  erst  durch  J.  Salomoii  und  sein  Renom^e 
Überschritt  sogar  Italiens  und  Frankreichs  Grenzen.  Auf  einer 
uns  erhaltenen  Vignette  sehen  wir  Tabarin  dem  Mondor  Rätsel 
aufgeben.  Mondor  strengt  sein  armes  Gehirn  an,  um  dieselben 
mit  Hilfe  tiefsinniger  Gelehrsamkeit  zu  l(5sen.  Tabarin  aber  weiss 
mit  herausforderndem  Übermut  der  gradlinigen  Schallogik  ein 
Schnippchen  zu  schlagen  und  alles  als  einen  blossen  Anfsitzer 
erscheinen  zu  lassen.  Die  Fragen,  eine  Art  Mausefallen,  sind 
meist  sehr  alt  und  finden  sich  fast  in  der  Litteratur  aller  Vdlker 
wieder.  Tabarin  ist  auch  eine  Art  Till  Eulenspiegel,  der  sich 
durch  einen  paradoxen  Einfall  aus  den  verwickeisten  Situationen 
zu  ziehen  weiss  und  den  Knoten,  den  er  nicht  lösen  kann,  zer- 
haut Dies  zeigt  sich  anch  in  den  von  ihm  oder  unter  seinem 
Namen  Linterlassenen  Schriften,  in  den  von  Tabarin  hinter- 
lassenen  Farcen  f^llt  neben  mancher  liberrasch  enden  Ähnlichkeit 
mit   den   älteren,    besonders    die  Verwandtschaft    aller    mit    den 


212  Referate  und  Rezejisionen.     P.  Gröbedinkel, 

fluss  der  Komiker  des  Hdtel  de  Bourgogne  auf  Moli^re  ausser 
allem  Zweifel  steht,  gilt  dies  auch  von  den  Gassenfarceurs.  Ab- 
gesehen davon,  dass  er  selbst  dies  bunte  Treiben  der  Jahrmarkts- 
komödianten  so  trefflich  schildert,  dass  man  schon  daraus  auf 
seine  eigene  Anschauung  derselben  zurtickschliessen  darf,  können 
wir  dies  direkt  folgern,  da  sein  Vater  als  Tapezierer  auf  der 
Foire  St  Germain  eine  besondere  Verkaufsbude  bezogen  hatte, 
in  derselben  Reihe,  wo  eben  die  Jahrmarktsbelustigungen  im 
vollen  Gange  waren.  Und  dass  er  diesen  Jahnnarktskomikern 
vieles  verdankte,  lässt  sich  in  seinen  Werken  so  genau  verfolgen, 
dass  ihm  sein  Feind  Dorimond  vorwerfen  konnte,  er  habe  sich 
von  Prosper,  dem  Narren  des  Operateurs  Braquette,  das  Manuskript 
einhändigen  lassen  und  dasselbe  in  freibeuterischer  Weise  be- 
nützt, ein  anderer,  Boulanger,  ihn  beschuldigen  konnte,  er  sei  bei 
Orvi^tano  in  die  Schule  gegangen,  und  wenn  man  die  Sache  ge- 
nauer verfolgt,  erscheinen  diese  Zumutungen  nicht  einmal  ganz 
bodenlos. 

Unser  Urteil  über  das  Buch  Levertin's  haben  wir  bereits 
abgegeben.  In  eine  Kritik  der  Details  Hessen  sich  wohl  manch- 
mal die  Haken  einschlagen,  doch  würde  uns  dies  zu  weit  führen. 
Nicht  unterdrücken  können  wir  aber  den  Wunsch,  der  Verfasser 
hätte,  nachdem  er  uns  nicht  nur  die  Pfahlwurzeln,  sondern  auch 
zuweilen  die  Triebwurzeln  des  neueren  französischen  Lustspiels 
bis  in  ihre  feineren  Verzweigungen  und  Verästelungen  biosgelegt 
hat,  Molifere  mehr  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen  sollen.  So 
wie  in  besonders  beanlagten  Familien  die  Begabung,  wie  durch 
eine  Art  Züchtung,  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  sich  steigert, 
bis  schliesslich  ein  Individuum  erscheint,  in  dem  die  Vorzüge 
des  Stammes  alle  vereinigt  zu  gipfeln  scheinen,  so  bedeutet 
Molifere  den  höchsten  Ausdruck  des  komischen  Talents  der  Fran- 
zosen. Während  aber  die  Figuren  der  früheren  Farcen  oft 
blutleere  Schatten  blieben,  die  ein  blosses  Theaterleben  führten, 
hat  erst  Moli^re's  Genie  Personen  aus  dem  wirklichen  Leben 
auf  der  Bühne  dargestellt  und  man  muss  sich  stets  vor  Augen 
halten:  „Kunstwerke  höchsten  Ranges  bleiben  doch  immer  wie 
goldene  Apfel,  die  vom  Himmel  herabfallen  und  selbst  wenn  der 
eine  oder  andere  die  Hand  gesehen  zu  haben  glaubt,  die  sie 
herunterwarf,  so  würden  schliesslich  doch  nur  diese  Hände  sichtbar 
gewesen  sein." 

J.  Frank. 


Jean  Antoine  de  Baifs  PsauUier,  hgg.  von  E  J.  Groth.  213 

Jean  Antoine  de  Ba¥f  s  Psaultier,  metrische  Bearbeitung  der 
Psalmen  mit  Einleitung^  Anmerkungen  und  einem  Wörter- 
verzeichnis. Zum  ersten  Male  herausgegeben  von  Ernst 
Job.  Grotb.  9.  Bändeben  der  Sammlung  französischer 
Neudrucke,  berausgegeben  von  K.  Vollmöller.  Heil- 
bronn, 1888.  Gebr.  Henninger.  XIV,  109  S.  kl.  8^. 
Preis:  2  Mk. 

Freudig  wird  gewiss  ein  jeder  Freund  der  französiseben 
Litteratur  dieses  Bändeben  begrüssen,  welcbes  ibm  die  Gelegen- 
heit bietet,  sich  ein  eigenes  Urteil  zu  bilden  über  einen  Dichter, 
welchen  man  bisher  entweder  ganz  totgeschwiegen  oder  vor 
dem  man  wohl  gar  als  einem  „seltsamen  Querkopf'^,  als  einer 
„durch  und  durch  unerfreulichen  Gestalt^  geradezu  gewarnt  hat. 
Wohl  erscheint  seit  1881  eine  Gesamtausgabe  der  Werke  Balfs, 
welche  von  Marty  -  Laveaux  besorgt  wird  und  von  welcher  be- 
reits vier  Bände  erschienen  sind;  doch  da  dieselbe  infolge  der 
geringen  Auflage  und  des  hohen  Preises  nur  auf  Bibliotheken 
einen  Platz  finden  wird,  so  ist  die  kleine  Separatausgabe  des 
PsauUier  nicht  weniger  willkommen.  Neben  den  Chansonnettes  und 
den  Etrennes  de  poesie  frangaise  ist  es  die  vorliegende  Psalmen- 
übersetzung, die  in  sogenannten  vers  mesurSs  abgefasst  ist  und  uns 
daher  ein  treues  Bild  geben  kann  von  den  Bestrebungen  Baff  s, 
die  antike  Verskunst  mit  ihrem  Quantitätsprinzipe  auf  die  fran- 
zösische Poesie,  deren  Metrik  auf  der  Betonung  und  der  Silben- 
zahl beruht,  zu  übertragen.  Wenn  auch  Balf  nicht  der  erste 
war,  der  diesen  Bestrebungen  huldigte,  so  war  er  es  doch  zuerst, 
der  auch  das  musikalische  Element  dabei  im  Auge  hatte  und 
eine  enge  Verbindung  der  Poesie  mit  der  Musik  herbeizuführen 
suchte,  was  ihn  sogar  zur  Gründung  einer  Academie  de  poSsie  et 
de  musique  veranlasst  hat.  Ob  und  wiefern  ihm  dies  gelungen, 
ist  freilich  eine  Frage,  die  noch  zu  lösen  ist.  Jedenfalls  ist  ein 
Eingehen  auf  diese  musikalischen  Tendenzen  Baüfs  bei  Be- 
urteilung seiner  Verse  unerlässlich.  Darauf  weist  uns  auch  schon 
das  Urteil  seines  Zeitgenossen  d'Aubign6  hin,  der  von  seinen 
Versen  sagt:  A  la  saulse  de  la  musique  que  leur  donna  Claudin 
le  jeuncj  ils  furent  agriahles,  mais  prononcis  sans  cette  aide,  ils 
furent  trouvis  fades  et  fächeux  (Darmesteter  und  Hatzfeld,  La 
litterature  frangaise  au  XVP  siede  S.  115). 

Von  den  drei  Psalmenbearbeitungen  Baifs  —  von  denen 
bisher  noch  keine  herausgegeben  war  —  hat  Grotb  die  älteste 
vom  Jahre  1567  gewählt,  die  zwar  nur  bis  Psalm  68  reicht, 
aber  insofern  die  interessanteste  und  lehrreichste  ist,  als  Baif 
jedem  Psalm   das   gebrauchte  Versmass  mit   Schema  voransetzt. 


214  Referate  und  Rezensionen,    R,  Friische, 

Bis  auf  einige  Veränderungen  in  den  Schriftzeichen  haben  wir 
einen  genauen  Abdruck  des  Manuskriptes,  welches  sich  in  der 
Nationalbibliothek  zu  Paris  befindet,  vor  uns,  „selbst  da,  wo 
offenbare  Inkonsequenzen,  auffallende  Interpunktionen  u.  s.  w. 
BaXf 8  vorliegen".  Diesem  Abdruck  sind  zur  Vergleichnng  Balfs 
Übertragungen  des  23.  Psalms  aus  der  gereimten  Ausgabe  vom 
Jahre  1587  und  aus  der  metrischen  Bearbeitung  vom  Jahre  1573 
angefügt.  Ein  kleines  Wörterverzeichnis  soll  das  Verständnis 
des  Textes  erleichtern.  In  seiner  jetzigen  ünvollständigkeit  hätte 
es  freilich  ohne  Schaden  wegbleiben  können.  In  die  veraltete 
oder  speziell  Balfsche  Schreibweise  liest  man  sich  schnell  ein, 
während  schon  ein  deutscher  Psalter  an  zweifelhaften  Stellen 
meist  auf  das  Richtige  führt.  Was  den  Text  selbst  anbetrifft, 
so  ist  der  Herausgeber,  soweit  eine  Beurteilung  möglich  ist,  mit 
grosser  Sorgfalt  verfahren.  Augenscheinliche  Druckfehler  habe 
ich  bei  der  Lektüre  nur  wenige  gefunden.  Vers  291  ist  wohl 
statt  deto^'vant  zu  lesen  devant  tq;  363  statt  Par:  Car ;  793 
statt  me:  ne;  1413  statt  F^s:  Tes;  1655  statt  N'dtre:  N'Ste. 

P.  Gböbedinkel. 


Moliire,  Commedte  scelte,  Gon  note  storiche  e  filologiche  del  Prof, 
Luigi  Dupin;  precedute  da  un  Sunio  Storico  del  Teatro 
Francese,  Ad  uso  delle  scuole.  Vol.  I.  Les  Precieuses 
ndicules.     Milano,  1888.     ü.  Hoepli. 

Der  Herausgeber  lässt  zwar  auf  die  Kehrseite  des  Titel- 
blattes das  übliche  Proprietä  letteraria  drucken,  vergisst  aber 
leider  hinzuzusetzen,  wessen  litterarisches  Eigentum  er  hier  zu 
Markte  bringt.  Der  Unterzeichnete  steht  nicht  an  zu  behaupten, 
dass  die  note  storiche  e  filologiche  nicht  von  Herrn  Dupin,  sondern 
von  einem  deutschen  Herausgeber,  gegenwärtigem  Berichterstatter, 
verfasst  sind.  Zwar  nennt  Herr  Dupin  unter  seinen  siebzehn 
„Quellen"  auch  die  bei  Weidmann  von  mir  besorgte  Ausgabe  der 
PE,  und  fügt  insgemein  hinzu,  er  werde  nicht  jedesmal  sagen, 
woher  er  diese  oder  jene  Notiz  habe;  aber  das  wäre  auch  kaum 
nötig  gewesen,  er  hätte  nur  zu  sagen  brauchen,  dass  von  den 
158  Anmerkungen  seiner' Ausgabe  141  von  mir  verfasst  und  von 
ihm  mit  einigen  Kürzungen  übersetzt  sind. 

Die  aus  drei  Stücken  bestehende  Einleitung  kommt  aller- 
dings nicht  auf  mein  Konto.  Das  erste  Stück,  Compendio  deUa 
Storia  del  Teatro  francese  lohnt  nicht  zu  zergliedern;  wer  seine 
Vorzüge  erkennen  will,  lese  S.  11  den  Absatz,  worin  Dupin  die 
Gründung  des  Hotel  de  Bourgogne  und   des  Hotel  d'Argent   an 


L.  Dupin,  Moliere,  Commedie  sctlie,  con  note  storiche  e  filologiche  etc.     215 


das  Ende  des  XVIL  Jahrhunderts  verlegt  und  mit  bezug  auf.  die 
Zeit  Ludwig  XIV.  immer  von  den  Comidiens  ordinaires  de  Tem- 
pereur  spricht.  Ebenso  wertlos  ist  die  Biografia  di  Moliere. 
Die  dann  folgenden  Notizie  sulle  PR,  bestehen  aus  den  herkömm- 
lichen, irgendwo  zusammengerafften  Redensarten  über  das  Stück; 
an  der  ernsthaften  Arbeit,  die  in  meiner  Einleitung  steckt,  geht 
Herr  Dupin  vorsichtig  vorüber.  Indessen  fängt  er  doch  schon 
an,  meine  Ausgabe  nebenher  auszubeuten.     Man  vergleiche: 

Pritsche,  S.  12. 
In  ihrem  Bestreben  alles   All- 


tägliche zu  vermeideD  nahmen  die 
preziösen  Herren  und  Damen  in 
ihrem  Verkehre  unter  sich  Namen 
aus  der  Schäfer-  und  Ritterdichtung 
an,  oder  modelten  ihren  eigenen 
zu  einem  griechisch-klingenden  um. 
(Folgt  eine  Reihe  von  Beispielen.) 
Die  ungeheuerlichsten  Namen 
werden  gebildet:  Sidroaste,  Gala- 
cerie,  Liadamire,  Felixerie  u.  s.  w. 
(Folgen  die  Ortsnamen.) 


Dupin,  S.  37  f.  (mit  einer  unzweck- 
mässigen  Kürzung). 

Per  eviiare  tutio  cid  che  seniiva 
di  Vulgare,  1  precieux  e  le  pre- 
cieuses  neue  hro  relazioni  cam- 
biavano  anche  il  proprio  nome  mo- 
dellandolo  in  uno  che  sembrasse 
greco. 

(Folgen  dieselben  Beispiele.) 

Chi    si   chiamö    Sidroaste,    chi 

Galace7ie,  Ligdamire,  Felixerie  etc. 

(Folgen  dieselben  Ortsnamen  in 

Auswahl.) 


Der  darauf  abgedruckte  Titel  der  Originalausgabe  zeigt 
merkwürdigerweise  denselben  Fehler,  den  ich  bei  der  Anordnung 
der  Zeilen  begangen  hatte.  Es  musste  bei  mir  nicht  heissen 
au  Petit -Bourhon  ä  Paris.  —  Chez  Claude  Barhin  u.  s.  w., 
sondern  au  Petit -Bourhon.  —  A  Paris.  —  Chez  Claude  Barhin, 
Wer  solche  alte  Btichertitel  zurechtgesetzt  hat,  versteht,  wie  ich 
zu  der  falschen  Einteilung  kommen  konnte.  Hätte  ich  nicht 
übersehen  gehabt,  dass  Despois  II,  42  den  Titel  mit  diploma- 
tischer Genauigkeit  schon  wiedergegeben  hatte,  so  würde  ich 
und  auch  Herr  Dupin  den  Fehler  nicht  begangen  haben. 

Kühner  wird  Herr  Dupin  in  den  Noten  zur  Priface.  Aber 
die  Vorsicht  hat  ihn  noch  nicht  ganz  verlassen.  Seine  erste 
Anmerkung  steht  bei  mir  nicht  unter  dem  Text,  sondern  ist  ein 
Satz  aus  der  Einleitung: 


Fritsche,  S.  22. 

Der  grosse  Beifall,  den  das 
Stück  fand,  bewog  einen  Buch- 
händler, Jean  Ribou,  sich  eine 
Kopie  desselben  zu  verschaffen  und 
ohne  Zustimmung  des  Verfassers 
zu  drucken.^)  Dies  erfuhr  Moliere 
und  veranlasste,  dass  das  Ribou 
bereits  erteilte  Druckprivileg  auf- 
gehoben wurde  (Despois  II,  43); 
um  sich  aber  vor  ähnlichen  Ver- 
suchen zu  schützen,  gab  der  Dichter 


Dapin,  S.  43. 

11  successo  strepitoso  deUa  com- 
media  indusse  un  libraio,  Jean  Ribou, 
a  procurarsene  nna  copia  c  stam- 
parla  col  consentirnento  della  po- 
lizia  e  senza  quello  '  delCauiore. 
Moliere  lo  seppe  e  fece  in  modo 
che  il  privilegio  della  stampa  dato 
a  Ribou  fosse  annuUaio;  ma  per 
togliersi  le  seccature  d^attomo,  Mo- 


216 


Referate  und  Rezensionen.     H.  Fritsche, 


seia  Stück  an  den  Verleger  de 
Luynes,  der  sein  Privileg  wieder 
mit  CharleR  de  Sercy  und  Claude 
Barbin  teilte.  So  erschienen  denn 
1660  die  Pä.,  als  das  erste  Stück 
MoliÖre's,  im  Druck,2)  in  drei  gleich- 
lautenden oder  doch  nur  durch 
ganz  geringfügige  Änderungen  von 
einander  abweichenden  Drucken. 


1)  Dies  ist  ein  nnrichtiger  Ausdruck ;  ich 
hätte  sagen  sollen :  und  ohne  . . .  einen  Druck 
vorzubereiten. 

2)  Ich  liess  hier  die  Frage  über  den 
ersten  Druck  der  ^ourdi  als  unerheblich 
beiseite. 


liere  diede  la  sua  commedia  alPediiore 
de  Luynes  ü  qitale  divise  ü  privi- 
legio  con  Charles  de  Sercy  e  Claude 
Barbin.  Cosi  esci  nel  1660  les  Pre- 
cieuses  ridicules  in  Ire  edizioni  quasi 
eguali  differenii  solamenie  per  ]nc- 
coli  cambiamenii.  Quella  del  Ribou 
non  aveva  quindi  prefazione.^) 


1)  Dieser  letzte  Satz  ist  freie  Erfindung 
des  Herrn  Dupin,  hervorgegangen  aus  dem 
nebenbemerkten  unrichtigen  Ausdruck.  Bei 
Ribou  sind  die  PR.  überhaupt  nicht  erschienen. 


Meine  Anmerkung  3  zur  Preface  (S.  25)  ist  in  zwei  zer- 
legt (S.  44).  Dupin's  Nr.  3,  S.  44,  ist  meine  Anmerkung  4, 
etwas  gekürzt,  seine  Nr.  4  ist  mit  einem  ganz  belanglosen  Zu- 
satz meine  Nr.  5.  Meine  Nr.  7  gibt  ihre  erste  Hälfte  zu  seiner 
Anmerkung  1,  S.  45,  her.  Dupin's  Note  2,  ibid.  ist  aus  meiner 
Nr.  8.  So  geht  es  die  ganze  Preface  hindurch.  Einzelne  An- 
merkungen schöpft  Dupin  aus  Brunnemann  und  anderen  „Quellen^, 
aber  nicht  immer  mit  Glück,  so  Anmerkung  3,  S.  43,  aus  Brunne- 
mann's  Anmerkungen  3,  S.  25. 

Ganz  unverfroren  aber  verfährt  der  Plagiator  in  den  Noten 
zum  Stück  selber.  Ganze  17  von  158  sind  nicht  aus  meiner 
Ausgabe  übersetzt;  diese  17  fast  ausnahmslos  ohne  Belang.  Die 
übersetzten  sind  hier  und  da  gekürzt,  oder  durch  einen  müssigen 
Zusatz  erweitert,  im  wesentlichen  aber  nach  Form  und  Inhalt 
mir  abgenommen.  Meine  Irrtümer,  Druckfehler  und  Verweisungen 
auf  frühere  Noten  wiederholt  er  getreulich,  versteht  mich  aber 
allerdings  mitunter  falsch.  Hierfür  hat  E.  Koschwitz  in  der 
DLZ,  vom  4.  Mai  d.  J.  schon  so  viel  Beispiele  beigebracht,  dass 
ich  sie  hier  wohl  sparen  kann.  Manchmal  versucht  Herr  Dupin 
eine  Verbesserung,  hat  aber  kein  Glück  damit.  So  schreibt 
er  S.  62  Anm.  3  au  port  de  Chuchoter,  weil  er  denkt  Chucheter 
sei  ein  Druckfehler  für  Chuchoter,  während  Littr6  ihn  in  Kürze 
belehren  konnte,  dass  Chucheter  eine  früher  nicht  ungebräuchliche 
Form  war.  ^anz  zweideutig  klingt  es,  wenn  er  S.  65  Anm.  2 
que  nous  soyons  erdres  für  ü  presente  del  soggiuntivo  erklärt. 
Auch  ist  Herr  Dupin  nicht  sehr  sorgfältig;  S.  72  Anm.  4  sagt 
er  kurz  Etre  en  passe  de  Vetre,  espressione  di  giuoco.  Ich  hatte 
S.  50  gesagt,  der  Ausdruck  sei  vom  Kolbenspiel  abgeleitet  und 
mich  auf  meine  Note  zu  den  Fach,  275  berufen.  Aber  Herr 
Dupin  hat  den  Ausdruck  Kolbenspiel  nicht  verstanden  und  ist  zu 
bequem  gewesen,  die  Fdcheux- Ausgabe  zu  befragen.  Hier  und  da 
übersetzt  er  ohne  Not  ungenau,    wie  S.  91,   wo    er  Bürgersfrau 


Z.  Dupin,  Moliere,  Commedie  scelie,  con  note  sioriche  e  ßologiche  etc.     217 

durch  borghese,  Bürger,  statt  etwa  durch  cittadina  wiedergibt. 
Auch  riskiert  er  wohl,  sein  Original  zu  verbessern,  wie  A.  1  auf 
S.  99,  aber  den  Beweis  für  seine  Erklärung  von  courante  bleibt 
er  schuldig.  —  Doch  genug.  Jeder  Erklärer  nützt  seine  Vor- 
gänger aus,  aber  Herr  Dupin  hat  doch  eine  zu  einseitige  Vorliebe 
für  meine  Ausgabe  gehabt. 

Es  sei  mir  gestattet,  zu  letzterer  bei  dieser  Gelegenheit 
hier  einige  Zusätze  und  Verbesserungen  kurz  anzugeben.  —  Zum 
SchluBS  des  mittleren  Absatzes  auf  S.  6:  Dies  bemerkt  schon 
Foumel  in  den  Contemporains  de  Molüre  III,  400,  Note  3.  — 
Zu  8.  9:  Über  die  preziösen  Damen  zur  Zeit  Marot's  lese  man 
Marot,  6d.  Guiffrey  III,  381;  über  den  Spott  des  Nicolas  Le  Digne 
gegen  die  Preziösen  seiner  Zeit  s.  L6nient,  La  Satire  en  France 
S.  561.  —  Die  von  den  Preziösen  angewandte  Schreibung  repren 
für  reprend.  ist  wohl  nicht  ihre  Erfindung,  sondern  Reminiscenz 
an  Schreibungen  des  XVI.  Jahrhunderts;  s.  Darmesteter  et  Hatz- 
feldt,  Le  seizüme  stiele  I,  234,  §  108  am  Schluss.  —  Morf  be- 
hauptet in  dieser  Zeitschrift  IV,  213  Somaize's  Grand  Dictionnaire 
des  Pritieuses  ou  la  Clef  de  la  langue  des  ruelles  sei  erst  1660, 
nicht  1659  gedruckt.  Woher  er  dies  hat,  weiss  ich  nicht;  meine 
Angabe  stützt  sich  auf  Livet's  Neudruck,  Pref.  XXXIII  und  darauf, 
dass  der  dann  folgende  Abdruck  der  Ausgabe  von  1660  als 
zweite  vermehrte  und  verbesserte  Ausgabe  bezeichnet  ist.  —  Zu 
Molifere*s  Ausfall  gegen  die  Gerichte  in  der  Priface  lese  man 
Paringault's  bekannte  Abhandlung  in  der  Eevue  historique  du  droit 
frangais  et  Hranger  VII,  317  ff.  Auch  nach  der  Ordonnanz 
von  1667  wurden  die  Klagen  nicht  geringer;  vgl.  Boileau,  Le 
Lutrin  V,  57 — 58.  —  Zu  den  Porteurs  de  chaise,  S.  30,  vgl. 
Foumel,  Contemp.  I,  323,  Note  2.  —  Die  Übertragung  von  Schau- 
spielernamen auf  Personen  der  Schauspiele  (ibid.)  war  gewöhnlich; 
s.  Parfaict  VII,  24.  —  Zu  Anm.  22:  Zwischen  lat.  pectzs  und 
frz.  picore  liegt  ital.  pecora,  Lat.  Pecora  campi  gebraucht  La- 
rivey  als  fem.  sing.  In  Le  Fidelle  II,  sc.  14  sagt  der  Pedant 
M.  Josse  von  Babille:  qui  est  ceste  mal  morigeree  pecora  campi f 
—  Über  die  Toilettenkünste  der  Damen,  von  denen  Gorgibns 
S.  34  spricht,  vgl.  Boucher*s  Champagne  le  Coiffeur,  besonders 
Sc.  X,  bei  Fournel  III,  270  ff.  —  Rotfou  hat  das  Wort  eglise 
nicht  bloss  Ciarice  I,  5,  wie  Anm.  44  gesagt  ist,  sondern  auch 
in  La  Soeur  11,  2  zweimal.  —  Ich  bekenne,  dass  mich  die  Er- 
klärung in  Anm.  52  auch  nicht  befriedigt;  aber  ich  weiss  keine 
bessere  zu  geben.  Ist  die  Redensart  de  but  en  blanc,  die  auch 
litterarisch  gebildete  Franzosen  mir  nicht  genügend  erklären 
konnten,  vielleicht  eine  übliche  Entstellung?  Charron,  De  la  Sa- 
gesse  II,    chap.  12,  hat  den  Satz:    11  ne  peid  bien   agir  qui  ne 


218  Referate  und  Rezensionen.    0,  Knatier, 

vise  au  hut  et  au  blanc.  —  Zu  Anna.  116:  Fureti^re  beschreibt 
im  Eom,  bourg,,  Ausgabe  von  1704,  S.  11,  einen  Advokaten, 
der  sich  als  Edelmann  aufspielt:  Ses  cheveux . ! ,  dtatent  couverts 
le  soir  d'une  belle  perruque  blonde  tres  frequemment  visitee  par 
un  peigne  quil  avait  plus  souvent  ä  la  main  que  dans  la  poche. 
Auch  zu  Anm.  120  findet  man  bei  Furetiere  1.  c.  S.  21  einige 
ergötzliche  Bilder.  —  S.  52  in  der  letzten  Zeile  des  Textes  lies 
de  ma  manihrt.  Zu  Anm.  140:  Die  erste  Behauptung  ist  nicht 
richtig;  man  sagt  noch  jetzt:  je  fus  ouvrir  la  porte  u.  dgl.  — 
Noch  eine  Stelle  zu  der  Sammlung  in  Anm.  143  findet  sich  bei 
Tristan  THermite  im  Parasite  V,  5  (von  1654):  II  a  voU  le  ccßur 
ä  qui  voloit  le  sien,  (Foumel  III,  63.)  —  Der  Scherz  über  das 
Impromptu,  das  man  ä  loisir  machen  werde,  findet  sich  ähnlich 
bei  Fureti6re  1.  c.  S.  158.  H.  Fritsche. 


Blennerhassett,  Lady  Charlotte,  geb.  Gräfin  Leyden,  Frau  von 
Staely  ihre  Freunde  und  ihre  Bedeutung  in  Politik  und 
LiUeratur.  Zweiter  Band.  Berlin,  1888.  Gebr.  Paetel. 
472  S.  gr.  8^.     Preis:  10  Mk. 

In  jeder  Hinsicht  würdig  reiht  sich  dem  ersten  Bande^)  des 
grossen  Werkes  der  zweite  an,  der  die  Zeit  vom  Herbst  1790 
bis  zu  der  ersten  Reise  der  Heldin  nach  Deutschland  umspannt. 
Der  an  jenem  gerügten  sprachlichen  Sünden  macht  sich  freilich 
die  Verf.,  wie  wir  unten  belegen  werden,  hier  nicht  weniger  schuldig. 

Versuchen  wir,  von  dem  tiberreichen  und  interessanten 
Inhalt  der  sieben  Kapitel  eine  gedrängte  Skizze  zu  entwerfen. 

Das  erste  Kapitel  (S.  1 — 56)  führt  uns  zunächst  nach 
Coppet,  wo  Frau  von  Staöl  zum  ersten  Male  wieder  seit  sechs 
Jahren  vom  Oktober  1790  bis  zum  Januar  1791  und  dann  wieder- 
holt in  letzterem  Jahre  bei  ihren  Eltern  weilte,  und  fügt  zu  dem 
Bilde  des  Vaters  und  der  Tochter  sowie  zu  seinem  geschichtlichen 
Hintergründe  manche  bemerkenswerte  Züge.  Necker's  Cours  de 
Morale  religieuse  erscheint  als  eine  Art  von  Vorläufer  des  Genie 
du  Christianisme.  Wir  sehen  die  StaSl  als  Gegenstand  des 
Parteihasses,  in  der  Beleuchtung  der  Rivarorschen  Spottschriften, 
und  lernen  den  dort  als  ihren  bevorzugten  Liebhaber  bezeichneten 
Grafen  Louis  von  Narbonne  näher  kennen,  dessen  wirkliche 
Mutter  keine  andere  als  Ludwig's  XV.  Tochter,  Madame  Adelaide, 
gewesen  zu  sein  scheint.  Wir  verfolgen  den  Wandel,  der  sich 
allmählich  in  den  Beziehungen  des  Barons  von  Stael  zu  König 
Gustav  III.  vollzog,  und  der  bei  dem  sich  mehr  und   mehr  ver- 


1)  Vgl.  Zischr,  X,  S.  100. 


Lady  Charlotte  Btennerhassett,  Frau  von  Stael,  ihre  Freunde  etc.      219 

schärfenden  Gegensätze  in  den  politischen  Anschauungen  Beider 
zu  einer  Art  schwedischen  Nebengesandtschaft,  deren  Träger  Graf 
Fersen  war,  geführt  hatte.  Einblick  wird  uns  gewährt  in  die 
Parteipläne  unmittelbar  vor  dem  unglücklichen  Fluchtversuch  der 
Königsfamilie,  in  die  Flucht  nach  Varennes  selbst  mit  ihren 
nächsten  Folgen,  in  die  letzten  Möglichkeiten  einer  Rettung  der 
französischen  Monarchie  und  in  die  abschliessenden  Thaten  der 
Nationalversammlung.  Mitteilungen  aus  einem  ungedruckten  Briefe 
der  Frau  von  Stael  an  Nils  von  Rosenstein  und  aus  einem  von 
ihr  an  Gustav  III.  bilden  den  interessanten  Abschluss. 

Das  zweite  Kapitel  (S.  57 — 120)  schildert  Frankreich 
unter  der  Legislative  bis  zum  10.  August  1792.  Vorgeführt 
wird  uns:  das  Schwanken  des  Hofes  zwischen  den  Parteien; 
Narbonne,  der  Freund  der  Stael  und  Vertreter'  der  konstitutionellen 
Partei,  als  Minister;  der  merkwürdige  Versuch,  den  Herzog  von 
Braunschweig  zum  Führer  der  französischen  Heere  und  vielleicht 
zum  dereinstigen  Träger  der  französischen  Krone  zu  gewinnen; 
das  Ministerium  Roland;  die  Abberufung  des  Barons  von  Stael 
aus  Paris  unmittelbar  vor  Gustav's  III.  Ermordung;  die  noch- 
maligen Anzeichen  einer  möglichen  Rückbewegung  und  das  immer 
stärkere  Aufwallen  der  revolutionären  Leidenschaften  bis  zu  dem 
verhängnisvollen  Manifeste  des  Herzogs  von  Braunschweig.  Frau 
von  Stael  erscheint  teils  als  Beobachterin  der  Ereignisse,  teils 
bemüht,  in  dieselben  einzugreifen,  wie  durch  ihren  vergeblichen 
Plan  zu  einem  neuen  Fluchtversuch  der  königlichen  Familie. 

In  dem  dritten  Kapitel  (S.  121 — 18«S),  das  mit  dem 
10.  Angust  1792  beginnt  und  an  äusseren  Momenten  aus  der 
Revolutionsgeschichte  besonders  die  Septembermorde,  die  Hin- 
richtung des  Königs  und  den  Sturz  der  Gironde,  andererseits  die 
Kriegsereignisse  und  die  Versuche  einer  Allianz  zwischen  Frank- 
reich und  Schweden  verzeichnet,  beruht  die  Darstellung  zu  einem 
grossen  Teile  auf  den  Considiraiions  der  Frau  von  Stael,  und 
neben  Gestalten  wie  Anacharsis  Cloots,  Eulogius  Schneider,  Graf 
Schlabrendorf,  J.  E.  Bollmann,  dem  scharf  beobachtenden  Augen- 
zeugen der  damaligen  pariser  Verhältnisse,  Miss  F.  Burney, 
Graf  Joseph  de  Maistre  tritt  auch  die  eigene  Person  der  Stael 
wieder  mehr  in  den  Vordergrund.  Wir  verfolgen  ihre  Flucht 
aus  Paris,  ihren  Aufenthalt  in  Coppet  während  der  letzten  Monate 
des  Jahres  1792,  wo  sie  ihren  Sohn  Albert  gebar,  ihren  Aufent- 
halt in  England  vom  Januar  bis  Juni  1793  und  ihre  Rückkehr 
von  dort  nach  Coppet,  wo  sie  im  Mai  1794  am  Sterbelager  ihrer 
Mutter  stehen  sollte.  Allenthalben  sehen  wir  die  mutige  Frau, 
welche  die  Feder  zur  Verteidigung  der  Königin  ergreift,  um  die 
Rettung  bedrohter  Freunde  und  Gesinnungsgenossen  bemüht.   Die 


220  Referate  und  Rezensionen.     0.  Knauer, 

Schilderung  ihrer  Beziehungen  zur  englischen  Gesellschaft  und 
ihrer  in  England  gewonnenen  Eindrücke  darf  in  diesem  Abschnitt 
besonderes  Interesse  in  Anspruch  nehmen. 

Das  vierte  Kapitel  (8.  184 — 253),  das  mit  dem  neunten 
Thermidor  anhebt  und  von  der  moralischen  Entartung  ausgeht, 
in  welche  die  langen  Revolutionsjahre  die  französische  Gesell- 
schaft hatten  versinken  lassen,  muss  den  Herzensbeziehungen  der 
Frau  von  StaSl  näher  treten:  an  Stelle  des  durch  Schuld  des 
männlichen  Teiles  gelösten  Verhältnisses  mit  Narbonne,  dessen 
Intimität  durch  ein  Zitat  aus  Sainte-Beuve  eingeräumt  wird,  tritt 
seit  September  1794  das  neue,  folgenwichtige  mit  Benj.  Constant. 
Wir  lernen  Vergangenheit  und  Charakter  dieses  Mannes  kennen  und 
erfahren  andeutungsweise  aus  seinem  erst  kürzlich  veröffentlichten 
Journal  intime,  dass  es  ihm  an  einem  gewissen  Tage  wohl  ge- 
lungen sein  mag,  endlich  auch  die  letzte  Gunst  der  geliebten 
Frau  zu  gewinnen  (vgl.  S.  205),  die  ihn  zum  Genossen  ihrer 
politischen  Anschauungen  und  Pläne  erhebt  und  seine  Lebens- 
richtung nunmehr  auf  lange  Jahre  bestimmt.  Das  politische 
Glaubensbekenntnis  der  Staöl  für  jene  Zeit,  wie  sie  es  in  den 
Reflexions  sur  la  paix  (1794)  und  den  Reflexions  sur  la  paix 
Interieure  (1795)  niedergelegt  hat,  ist  im  Gegensatz  zu  dem  ihres 
Vaters  ein  entschieden  republikanisches:  damit  hält  sie  im 
Mai  1795  *kurz  nach  der  Anerkennung  der  französischen  Republik 
durch  ihren  Gatten  als  schwedischen  Gesandten  ihren  Wieder- 
einzug in  die  französische  Hauptstadt,  wo  ihr  Salon  in  den 
letzten  Tagen  des  Konvents  sich  bald  wieder  zu  Glanz  und  Ein- 
fluss  erhebt.  Fesselnd  geschriebene  Seiten  versetzen  den  Leser 
in  das  Parteitreiben,  das  Verfassungswerk,  das  Gesellschaftsleben 
und  die  Zustände  des  Jahres  1795  und  lassen  die  damalige  be- 
deutsame Rolle  der  Frau  von  StaSI,  welche  Talleyrand  die  Rück- 
kehr erwirkt,  der  gemässigten  republikanischen  Presse  in  Benj. 
Constant  einen  neuen  Kämpfer  zuführt  und  an  den  politischen 
Streitfragen  lebhaften  Anteil  nimmt,  deutlich  hervortreten. 

Im  fünften  Kapitel  (S.  254—320)  begegnen  wir  der 
Heldin  zuerst  in  Coppet  (bezw.  Lausanne),  wo  sie  die  Zeit  von 
1795  bis  zum  Frühjahr  1797  litterarisch  thätig  verbringt,  seit 
Ende  1796  mit  ihrem  Gemahle  zusammenlebend,  den  eigen- 
mächtiges Gebaren  um  seinen  Gesandtschaftsposten  gebracht 
hatte^),   und  finden    im   Eingang  ihre    Schriften    aus  jener  Zeit: 


1)  Die  Darstellung  Strodtmann's  Dichierprofile  II,  S.  12,  wonach 
Frau  von  Stael  1796  hauptsächlich  um  Benj.  Constants  willen  die  Ver- 
bindung mit  ihrem  Gemahl  löste,  während  seine  Trennung  von  ihr 
1798  gar  nicht  erwähnt  wird,  ist  also  nicht  völlig  zutreffend.  Mindestens 
war  die  Trennung  im  Jahre  1796  keine  dauernde. 


Lady  Charlotte  Blennerhasseii,  Frau  von  Siael,  ihre  Freunde  eic,      221 

Essai  suT  les  fictions  und  De  Vinfluence  des  passions  sur  le 
bonheur  des  individus  et  des  nations  mit  Geist  zergliedert  und 
gewürdigt. 

Die  nächsten  Seiten  schildern  bei  Gelegenheit  ihrer  Rück- 
kehr nach  Paris  durch  Barras'  Vermittelung  die  inzwischen  er- 
folgte Veränderung  der  politischen  Lage  durch  das  -Hervortreten 
Bonaparte's  im  italienischen  Feldzuge  und  durch  Babeufs  Ver- 
schwörung (zu  deren  Verständnis  die  Verfasserin  die  Entwickelnng 
der  sozialen  Frage  seit  der  Revolution  in  Kürze  darlegt)  und 
weiterhin  das  Eintreten  der  Stael  und  Oonstant's  gegen  die 
Reaktion,  die  Stellung  der  Ersteren  zu  den  Bonaparte's,  zum 
Staatsstreich  vom  18.  Fructidor  und  ihre  gegensätzliche  Haltung 
gegenüber  der  ungerecht  -  gewaltthätigen  zweiten  Hälfte  der 
Direktorialregierung.  Die  hier  erwähnte  Geburt  ihrer  Tochter 
Albertine  gibt  der  Verfasserin  noch  keinen  Anlass  auf  die  Frage 
näherer  Beziehung  derselben  zu  Benj.  Constant  einzugehen.  Lady 
Blennerhassett  schliesst  nach  Verweilen  bei  dem  Kreise  der  Frau 
von  Beanmont  und  Erwähnung  der  schweizer  Revolution  mit 
Baron  Stael's  Rückkehr  auf  seinen  Gesandtschaftsposten  und 
seiner  Trennung  im  Sommer  1798  von  seiner  Gemahlin,  wobei 
nach  der  eigenen  Vermutung  der  letzteren  (vgl.  8.  319)  politische 
Rücksichten  mitgesprochen  zu  haben  scheinen. 

Überaus  reich  an  Inhalt,  erstreckt  sich  Kapitel  sechs 
(S.  321  —  395)  bis  zu  dem  Tode  des  Baron  Sta61  am  9.  Mai 
1802  und  begleitet  somit  die  Entwickelnng  der  französischen 
Verhältnisse  durch  die  letzten  Zeiten  der  Direktorialregierung, 
über  die  Staatsstreiche  des  30.  Prairial  und  18.  Brumaire  hinweg 
bis  mitten  in  das  Konsulat  hinein.  Die  Beteiligung  Constanf  s 
und  der  Stael  an  der  politischen  Entwickelnng  sowie  die  Heraus- 
bildung der  Feindschaft  letzterer  mit  Bonaparte  treten  gebührend 
hervor,  während  uns  als  Ausdruck  ihrer  unentwegten  Überzeugung 
von  der  menschlichen  Vervollkommnungsfähigkeit  ihr  Werk  De 
la  littiraturey  considSrie  dans  ses  rapports  avec  les  institutions 
sociales  begegnet.  Bei  diesem  verweilt  Lady  Blennerhassett 
länger,  um  seinen  Zusammenhang  mit  älteren  Ideen  und  mit  der 
Anschauung  der  Zeit,  seine  neuen  fördernden  Impulse  in  der 
Heranziehung  der  englischen  und  deutschen  Litteratur  und  sein 
Schicksal  nachzuweisen,  dass  es  in  seinen  politischen  Gedanken 
und  in  den  Ansichten,  die  noch  unter  dem  Banne  des  XVIII. 
Jahrhunderts  stehen,  zu  spät,  in  seinen  Vorgefühlen  der  Ro- 
mantik aber  zu  früh  erschienen  war.  Unter  den  tadelnden 
Stimmen,  die  das  Buch  weckte,  berührt  Lady  Blennerhassett  be- 
sonders die  verschiedenen  Äusserungen  Chateaubriand's  und 
gehaltet    eine   geistvolle  Charakteristik  dieses   ersten  Heros  der 


222  Referate  und  Rezensionen,    0.  ^nauer, 

französischen  Romantik  ein.  Die  Beziehungen  der  Stael,  die 
sich  mit  der  Familie  de  Gerando  und  mit  Mad.  R6camier  an- 
knüpfen, ihr  Leben  in  Paris  im  Winter  1800  auf  1801  (der 
Seitenkopf  S.  384  zeigt  fölschlich  1801—1802),  in  Coppet  vom 
Sommer  1801  bis  März  1802,  in  welche  Zeit  die  Veröffentlichung 
von  Necker^s  Werk  Demih'es  Vues  de  politique  et  de  finance 
fällt,  eine  neue  Reizung  von  Bonaparte's  Zorn ;  endlich  ihr  letztes 
Verweilen  in  der  mehr  und  mehr  dem  Bonapartismus  verfallenden 
Hauptstadt  im  Frühjahr  1*802  füllen  weitere  Seiten. 

Der  Eingang  des  letzten  Kapitels  (S.  396 — 472)  ist  aus- 
führlicher Betrachtung  der  im  Herbst  1802  erschienenen  Delphine 
gewidmet.  Frau  von  Stael  verlässt  als  ständigen  Wohnsitz 
Coppet  in  einem  Zeitraum  von  anderthalb  Jahren  nur,  um  im 
September  1802  in  der  Nähe  von  Paris  den  Druck  dieses  Werkes 
zu  leiten,  und  so  ist  Lady  Blennerhassett  veranlasst,  ein  Bild 
von  dem  Leben  und  der  Gesellschaft  in  Genf  zu  entwerfen,  wo 
die  Staöl  mit  Personen  wie  Mad.  Rilliet- Huber,  Mad.  Necker  de 
Saussure,  Sismondi,  Frau  von  Krüdener,  Bonstetten,  Friederike 
Brun  Verkehr  pflegt,  und  uns  zugleich  ihre  Heldin  in  der  Familie, 
bei  der  Erziehung  ihrer  Kinder  (nach  der  Notice  der  M™® 
Necker  de  Saussure)  und  in  dem  Verhältnis  zu  ihrem  Vater  zu 
malen.  • 

Der  Versuch  einer  Näherung  an  Paris  im  Herbst  1803, 
die  Verbannung  auf  vierzig  Meilen  von  der  Hauptstadt,  die  der- 
selbe zur  Folge  hatte,  und  der  Antritt  der  ersten  Reise  nach 
Deutschland  bilden  samt  einer  Beleuchtung  der  geistigen  Fäden, 
welche  sich  bereits  von  dort  nach  Frankreich  hintiberspannen, 
für  Kapitel  und  Band  den  Schlnss. 

Die  Masse  der  von  der  Verfasserin  benutzten  Litteratur 
ist  gegen  den  ersten  Band  erstaunlich  gewachsen.  Wir  nennen 
von  den  hinzukommenden  allgemeinen  historischen  oder  litterar- 
geschichtlichen  Werken:  Geijer's  Geschichte  Schwedens;  Reuchlin's 
Geschichte  Italiens;  Girtanner's  Politische  Annalen;  Lecky,  History 
of  England  in  the  XVllV^  Century;  Adolf  Schmidt^s  Pariser  Zu- 
stände; Louis  Blanc's  Histoire  de  la  revolution;  Lanfrey's  Essai 
sur  la  rivol,  fr,  und  Histoire  de  Napoleon;  Toulongeon's  Histoire 
de  France  depuis  1789;  Granier  de  Cassagnac's  Histoire  du 
Directoire  und  les  Girondins,  Lamartine's  Histoire  des  Girondins; 
Forneron's  Histoire  des  itnigris,  Lebon's  VAngleterre  et  Vemigration 
frangaise;  E.  et  J.  de  Goncourt's  la  Femme  au  XVIlP^^  silcle; 
V.  Pierre's  La  Terreur  sous  U  Directoire;  —  Haym,  Die  romantische 
Schule;  die  verschiedenen  litterarischen  Portraits  von  Sainte-Beuve, 
Vinet,  Etudes  sur  la  litter ature  frangaise ;  Brandes,  Die  Litteratur 
des  XIX,  Jahrhunderts  in  ihren  Hauptströmungen;  Taine,  Histoire 


L(uly  Charlotte  Blennerhassett ,  Frau  von  Siae'l,  ihre  Freunde  etc.      223 

de  la  littirature  anglaise;  M.-J.  Ch^nier,  Tahleau  historique  de  la 
litter ature  fran^aise  depuis  1789;  A.  MicliielS;  Histoire  des  idSes 
litteraires  en  France]  Weddigen,  Geschichte  der  Einwirkungen  der 
deiäschen  Liüeratur ;  Süpfle,  Geschichte  des  deutschen  Ridturein- 
flusses  auf  Frankreich;  Gaulliear,  Etudes  sur  Vhistoire  littiraire 
de  la  Suisse  frangaise. 

Von  Monographieo,  bezw.  biographischen  Werken  sind  hin- 
zugekommen: Janssen,  Fr,  C.  Graf  von  Stolberg;  Michaad, 
Talleyrand  und  Bulwer,  Life  of  Talleyrand;  L6onzon-Le  Duo, 
Gustave  ni;  Hamelj  Eobespierre ;  Helen  Zimmern,  Miss  Edgeworth; 
Bardoux,  Lc  Comte  de  Montlosier;  Hess,  J.  C.  Schweizer;  ühde, 
üeichardtj  eine  Selbstbiographie;  Avenel,  An.  Cloots;  Kapp,  Boll- 
mann;  Rondelet,  M^^  de  Stael  et  Rousseau;  Stevens,  Mad.  de 
Statt;  Vicomtesse  de  Noailles,  La  Princesse  de  Foix;  A,-D.  de 
Noailles,  La  Marquise  de  Montagu;  Beauchesne,  Louis  XVII; 
Costa  de  Beauregard,  ün  homme  d'avtrefois  (Necker);  Stanhope, 
Life  of  Pitt;  de  Martel,  Fouche;  Lavergne,  Molinari;  A.  de  Foville, 
Etudes  sur  la  propriete  foncih'e;  Buonarotti,  Conspiration  pour 
Vegalitt;  Advielle,  Histoire  de  Babeuf  et  du  Babouvisme;  Stein, 
Begriff  der  Gesellschaft;  Guizot,  Le  Duc  de  Broglie;  die  Biographien 
Chateaubriand^s  von  Sainte  -  Beuve,  Villemain  und  Marcellus;  die 
der  Frau  von  Krüdener  von  Jacob  le  Bibliophile  und  von  Eynard; 
de  la  Rive,  La  sociite  intellectuelle  ä  Genhye;  Welschinger,  La 
Censure  sous  le  premier  Empire. 

An  Memoirenwerken  verzeichnen  wir:  die  von  Mad.  Campan, 
Villemain,  dem  Herzog  von  Broglie,  Greville,  Burke  (ThoughU 
an  the  Affairs  of  France),  Dumouriez,  d'AUonville,  Romilly,  M°^® 
de  Remusat,  Lacretelle  (Dix  annees  d'Spreuves),  Weber,  Alfieri, 
Vaublanc,  Rist,  Bumey,  d'Haussonville,  Miss  Berry,  Graf  Beugnot, 
Graf  de  Merode,  Thibeaudeau,  Nodier,  Graf  Miot  de  Melito, 
Gourgaud  et  Montholon,  Arnault,  Baron  de  VitroUes,  Lucian  und 
Joseph  Bonaparte,  M°^®  Röcamier,  Barthölemy,  Fauche -Borel, 
Gohier,  Bourrienne,  Metternich,  Lamartine,  Savary,  Öhlenschläger. 

Von  Briefwechseln,  die  zwischen  Maria -Antoinette  und 
Joseph  n.,  sowie  Leopold  IL,  die  von  Sismondi,  Gräfin  Dönhoff 
und  M°^®  de  Charrifere,  Benj.  Constant,  Napoleon  L,  Villers, 
M™®  Recamier  mit  Frau  von  Stael,  Frau  von  Stael  mit  der 
Herzogin  Louise  von  Weimar,  Guizot,  Reichardt,  Jean  Paul, 
Knebel,  W.  v.  Humboldt,  Goethe  und  Schiller,  Goethe  und  Gebr. 
V.  Humboldt,  Goethe  mit  seiner  Mutter, 

Benutzte  Werke,  die  zugleich  Erinnerungen  und  Briefe  um- 
schliessen,  sind  endlich:  de  G6rando  (Lettres  inidües  et  Souvenirs 
biographiquss  de  itf"*^  Ricamier  et  de  M^  de  ^tael),  Lord 
Malme sbury    (Diaries    and    Correspondence),   Joubert   (Pensdes  et 


224  Refe^-aie  und  Rezensionen.     0.  Knauer, 

Oorrespondance),  Henry  Crabb  Robinson  (Diary,  Eemmiscences 
and  Correspondence),  Th.  Moore  (Letters  and  Journals  of  Lord 
Byron),  Ticknor  (Life,  Letters  and  Journals), 

Dass  die  Werke  Chateaubriand's ,  Constanfs,  Jos.  de 
Maistre's,  Villers'  u.  A.  mit  Quellen  der  Schriftstellerin  gewesen 
sind,  bedarf  kaum  der  Erwähnung. 

Von  ungedrucktem  Material  aber  zieht  Lady  Blenner- 
hassett  ausser  den  auf  der  Universitätsbibliothek  Upsala  ver- 
wahrten Briefen  der  Stael,  die  wir  schon  bei  Besprechung  des 
ersten  Bandes  zu  erwähnen  hatten^  solche  an  Meister  von 
Necker  und  Frau  von  Stael  heran,  die  sich  in  Winterthur  in 
dem  Privatbesitz  eines  Herrn  Dr.  Th.  Reinhart  befinden. 

Die  Darstellung  des  Werkes  geht  derartig  in  die  Breite 
und  Tiefe  und  bietet  des  Interessanten  so  viel,  dass  die  Wahl 
schwer  fällt,  wenn  man  aus  dem  zweiten  Bande  Einzelnes  heraus- 
greifen und  hervorheben  will.  Doch  deuten  wir  in  dieser  Hin- 
sicht auf  die  Briefe  Bollmann's  (S.  134  flF.  und  161  ff.,  aus  Varn- 
hagen's  Denkwürdigkeiten  genommen),  aus  denen  uns  das  Bild 
der  Stael  überaus  lebendig  entgegientritt,  auf  einen  Brief  Joseph 
de  Maistre's  (S.  180),  auf  die  genauen  Angaben  über  die 
finanziellen  Verhältnisse  des  Sta^rschen  Ehepaares  (S.  267  und 
377),  auf  den  authentischen  Nachweis  der  ursprünglich  (noch 
im  Jahre  1797)  spröden  und  fremden  Stellung  der  Stael  zur 
deutschen  Litteratur  (S.  460)  hin. 

Im  Vergleich  mit  Stevens  scheint  uns  Lady  Blennerhassett 
besonders  deshalb  Anerkennung  zu  verdienen,  weil  sie  den 
Herzensbeziehungen  ihrer  Heldin  wirklich  auf  den  Grund  geht 
und  nicht  sie  zu  vertuschen  beflissen  ist. 

Was  die  Sorgfalt  im  Kleinen  anlangt,  so  sind  uns  aller- 
dings beim  Studium  des  Werkes  einige  Zweifel  beigegangen,  ob 
sie  von  der  Verfasserin  durchweg  geübt  worden  ist.  Wir  haben 
die  Unmasse  der  Zitate,  der  tibersetzten  und  ausgezogenen  Stellen 
natürlich  nur  zu  einem  ganz  kleinen  Teile  nachgeprüft  und  schon 
aus  dem  Grunde  vielfach  nicht  nachprüfen  können,  weil  die  be- 
treffenden Werke  schwer  erreichbar  sind;  aber  ganz  gelegentlich 
sind  wir  doch  auf  manche  Ungenauigkeiten  in  jenen,  sowie  auf 
andere  kleine  Versehen  gestossen.  So  ist  S.  287  vom  gesetz- 
gebenden Körper,  wo  der  Regierung  (1797)  von  fünfhundert 
nur  zweihundert,  und  vom  Rat  der  Fünfhundert,  wo  ihr  von 
zweihundertfünfzig  nur  siebzig  Stimmen  geblieben  seien,  die  Rede. 
Offenbar  soll  es  an  der  zweiten  Stelle  „Rat  der  Alten" 
heissen,  während  „gesetzgebender  Körper"  (die  gemeinsame 
Benennung  beider  Versammlungen:  vgl.  Thiers,  Hist  de  la  revol, 
fr.  Livre  XXX:  on  consentü  ä  V itahlissement  d^un  corps  legislaUf 


Lady  Charlotte  Blennerhasseit ,  Frau  tum  Siael,  ihre  Freunde  etc.      225 

partagi  en  deux  Assemblees  und  Mignet,  Hist  de  la  revoL  fr, 
Chap.  XI)  fälschlich  für  „Rat  der  Fünfhundert"  gebraucht 
ist.  —  S.  289  steht  filoux  en  troupe  statt  filous.  —  S.  307  wird 
Napoleon's  Vertrauter  auf  Helena  Las  Gases  zu  Las  Oasas.  — 
S.  320  ist  eine  Stelle  aus  De  VAllemagne  (T.  3,  Kap.  19)  nicht 
nur  im  Ganzen  sehr  frei  übersetzt,  sondern  ein  Wort  geradezu 
sinnstörend  falsch  gelesen:  im  Text  steht  une  esclave^  während 
Lady\  Blennerhasseit  schreibt:  damit  etwas  heilig  bleibe  auf 
Erden,\sei  es  besser  in  der  Ehe  einen  Sklaven  als  zwei  Frei- 
geister zu  finden."  —  S.  388  kommt  Z.  10  v.  u.  der  Druck- 
fehler on  für  ou  vor.  —  S.  397  ist  Therese  d'Ervin's  aus 
Delphine  als  die  „sterbende"  Freundin  bezeichnet,  während 
sie  nur,  wie  weiter  unten  richtig  erzählt  wird,  in  das  Kloster 
geht  (vgl.  Delph,  I,  Lettre  XXXII  und  II,  Lettre  XIX).  —  S.  434 
wird  Mad.  Necker  de  Saussure  Necker's  „Cousine"  statt  „Nichte" 
genannt.  —  S.  446  wird  ein  Aufsatz  von  Süpfle  aus  dem 
GoRthe- Jahrbuch  von  1987  zitiert.  —  S.  460  steht  aus  einem 
Briefe  der  Stael:  c^est  ce  qui  vous  ne  me  verrez  pas  faire^  was 
Frau  von  StaSl  schwerlich  geschrieben  hat  oder  gewiss  nicht 
hat  schreiben  wollen.  —  S.  465  fehlt  der  Verweis  auf  Villers' 
Briefwechsel,  herausgegeben '  von  Isler:  der  Brief  steht  dort 
S.  268  ff.  (vom  1.  August  1802)  und  ist  von  Lady  Blennerhassett 
in  einzelnen  Punkten  ungenau  wiedergegeben.  Sie  schreibt 
(S.  464):  ,,Wenn  er  ein  Wesen  beschreibt,  das  mit  jedem  neuen 
Sinn  neue  Ideen  erhält,  hätte  sich  ebenfalls  berechnen  lassen, 
was  ein  der  Reihe  nach  aller  seiner  Sinne  beraubter  Mensch 
dennoch  ohne  dieselben  an  Ideen  behält",  während  es  im 
Texte  lautet  (a.  a.  0.  S.  270)  tout  ce  que  Vhomme  privd  successivement 
de  chacun  de  ses  sens  pourrait  non  seulement  conserver  maia 
acquerir  d'idSes  sans  ewa?,  und  lässt,  ohne  die  Auslassung 
anzudeuten,  hinter  den  Worten:  „wenn  Sie  dem  Gedanken  ent- 
sagten, uns  Kaufs  übrige  Werke  zugänglich  zu  machen"  die 
sehr  bezeichnende  Stelle  unübersetzt:  üs  (les  ouvrages  de  Kant) 
ne  seront  jamais  entendus  sans  vouSy  vous  avez  au  supreme  (sie!) 
degrS  la  clarte  qui  lui  manque.  —  S.  469  soll  es  in  dem  Zitat 
aus  den  Nouveaux  Lundis  255  statt  235  heissen:  da  beginnt 
der  Aufsatz,  der  zitierte  Brief  steht  S.  300.  —  Dasselbe  Werk 
von  M.  J.  Chenier  tritt  S.  412  richtig  als  Tdbleau  historique  de 
la  Litterature  frangaise  depuis  1789  und  S.  449  als  Tdbleau  de 
la  litterature  frangaise  au  XVIII.  si^cle  auf.  —  Aus  A.  Michiels' 
Ilistoire  des  Idies  litter air es  en  France  (S.  339  angeführt)  ist 
S.  445  eine  Histoire  des  Litteratures  etrang^res  en  France  ge- 
worden ;  dass  die  Seitenzahlen  dabei  zu  der  Ausgabe  des  Werkes 

Zschr.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.    XI«.  jg 


226  Referate  und  Rezensionen.    J.  Sarrazin, 

von  1842,  die  uns  zur  Hand  ist,  nicht  stimmen,  mag  an  der  Be- 
nutzung einer  späteren  Ausgabe  liegen. 

Man  sei  also  in  solchen  Dingen  bei  der  Benutzung  des 
Werkes  auf  seiner  Hut. 

Wir  geben  endlich  noch  eine  Blumenlese  von  den  im  Ein- 
gang dieser  Besprechung  angedeuteten  undeutschen,  ja  fehler- 
haften Wörtern  und  Wendungen,  welche  die  Verfasserin  auch 
im  zweiten  Bande  braucht.  Nicht  nur  verbindet  sie  wieder  „be- 
gegnen" an  zahlreichen  Stellen  mit  dem  Akkus.  (S.  124,  205, 
300,  303,  359,  402,  450),  lässt  wieder  „dem  Gesandten  etwas 
wissen"  (S.  24)  und  braucht  wieder  „die  erste  zu  .  .  ."  mit  In- 
finitiv (S.  389),  sie  bildet  auch  die  schöne  Form  3.  Sg.  Präs. 
Ind.  „verratet"  (S.  249).  S.  85  „präludiert"  Jos.  Ch6nier 
„seinem  Bastillendrama"  durch  gewisse  Verse;  S,  352  „plaidiert" 
Chateaubriand  „die  Sache  der  Monarchie";  S.  427  „applaudiert" 
Bonstetten  Hernani  und  „die  Revolution"  von  1830;  nach  S.  422 
^wusste"  Mad.  Necker  de  Saussure  Griechisch  und  Latein; 
S.  27  steht  „warnen"  in  undeutschem  Sinne  statt  „aufmerksam 
machen,  mitteilen"  (avertir  also  falsch  Übersetzt);  S.  42  „ver- 
hindern" mit  dem  Dativ  der  Person  statt  des  Akkusativ  (wohl 
Vermengung  mit  „verbieten");  S.  238  „schmeicheln"  mit  dem 
Akkusativ;  S.  103  ist  das  Futurum  in  „Fortan  wird  sich  der  Ehr- 
geiz .  .  .  unter  dem  republikanischen  Ideal  bergen  .  .  .  Am  Rande 
des  Blutstroms  angelangt,  wird  sie  .  .  .  denselben  tiberSchreiten" 
undeutsch.  S.  132  macht  sich  der  Gallicismus  „Jemanden  flir 
Jemanden  verlassen"  und  S.  154  die  ähnliche  Wendung  „einen 
Standpunkt  für  einen  anderen  aufgeben"  bemerklich;  S.  340 
„bricht"  ein  Verbindungsfaden;  S.  390  steht  „lernen"  für 
„lehren"  („sie  lerne  Leuten  denken");  S.  436  „sehen"  für  „auf- 
suchen" (voir  oder  aller  voirj.  Wie  endlich  die  Apposition 
misshandelt  wird,  zeigen  die  Stellen:  „war  auch  er  zur  Inter- 
vention ...  als  letztes  Mittel  zur  Rettung  .  .  .  bereit"  (S.  37) 
und  „die  Kriegserklärung  der  wahren  Patrioten  gegen  die  Ge- 
mässigten, dieser  Feinde  der  Freiheit  und  Gleichheit"  (S.  89). 

Trotz  aller  Verdienste  des  Werkes,  denen  wir  vollauf  ge- 
recht geworden  zu  sein  glauben,  können  wir  mit  erneutem  Tadel 
gegenüber  solcher  Behandlung  der  deutschen  Sprache  unmöglich 
zurückhalten,  so  wenig  wir  vorher  unsere  Bedenken  betreflFs  der 
Verlässlichkeit  im  Einzelnen  und  Kleinen  verschweigen   durften. 

0.  Knauer. 


G.  Carel,   Voltaire  und  Gmlhe  als  Dramatike?\  227 

1/  Carel,  George,  VoUaire  und  Oosthe  als  Dramatiker.  Ein  Beitrag 
zur  Litteraturgeschichte.  (Wissensch.  Beilage  zum  Jahres- 
bericht der  Sophienschule  zu  Berlin,  Ostern  1889.) 
Berlin,  R.  Gärtner's  Buchhandlung.  38  S.  4^.  Preis: 
1  Mk. 

Wie  für  die  Goetheforschung  Hermann  Grimm,  so  haben 
Desnoiresterres  und  Mahrenholtz  fiir  die  Voltaireforschung  neue 
Bahnen  betreten.  An  Stelle  der  Verhimmelung  seitens  der  Fran- 
zosen und  der  grenzenlosen  Verurteilung  seitens  der  Lessing- 
freunde beginnt  denn  auch  eine  objektive  AuflFassung  Voltaire^s 
sich  geltend  zu  machen. 

Die  gründliche,  klar  durchdachte,  übersichtlich  geordnete 
und  vortrefflich  geschriebene  Arbeit  Carel's  beginnt  mit  Goßthe's 
Urteilen  über  Voltaire,  wie  sie  in  gelegentlichen  Abhandlungen 
und  im  Briefwechsel  mit  Schiller  ausgesprochen  wurden.  Hierauf 
geht  der  Verfasser  auf  die  hervorragende  Individualität  des 
grössten  Franzosen  und  des  grössten  Deutschen  ihrer  Zeit  ein, 
auf  ihre  litterarische  Stellung  und  insbesondere  auf  die  dramatische 
Wirksamkeit  beider  Dichter. 

Goethe  hatte  vor  Voltaire  den  gewaltigen  Vorteil  voraus, 
dass  er  nicht  am  Schluss  einer  in  Auflösung  begrifi^enen,  sondern 
am  Anfang  einer  aufgehenden  Zeit  stand.  Auch  wurde  dem 
Franzosen  der  Racine'sche  Klassizismus  zur  drückenden  Fessel, 
während  Goethe  durch  Lessing  auf  die  Bahn  der  nationalen 
Litteratur  gewiesen  wurde  (S.  11).  In  Strassburg  lernte  der 
junge  Student  den  Einfluss  des  Patriarchen  von  Ferney  auf  die 
Zeitanschauungen  kennen  und  fühlte  sich  dadurch  wenig  sym- 
pathisch berührt  (vgl.  Wahrheit  und  Dichtung,  passim).  Wenn 
er  trotzdem  als  Theaterintendant  in  Weimar  klassische  Dramen 
der  Franzosen  auf  die  Bühne  brachte,  so  ist  das  ein  neuer  Be- 
weis dafür,  wie  sehr  Goethes  deutsches  Denken  und  Empfinden 
mit  französischem  Bildungsmaterial  arbeitete.  Dasselbe  war  bei 
fast  allen  grossen  Geistern  jener  Zeit  der  Fall  (vgl.  S.  32—33). 
Den  Einfluss  Voltaire's  auf  die  einzelnen  Stücke  Goethe's  gedenkt 
der  Verfasser  in  einer  späteren  Abhandlung  zu  untersuchen. 
Was  Goethe  insbesondere  zur  Verdeutschung  Voltaire'scher  Dramen 
veranlasste,  war  die  durch  Zeitgenossen  beklagte  Wahrnehmung, 
dass  Shakespeare's  Dramen  der  gediegenen  Durchbildung  der 
Schauspieler  Eintrag  that  (Nachweise  S.  34 — 35).  Das  ge- 
messene, feierliche  Wesen  der  französischen  Klassiker  schien 
dem  Bühnenleiter  Goethe  angemessener.  Voltaire  aber  ist  im 
Drama  ein  Epigone  Corneille's,  dessen  rauschende  Rhetorik  und 
heldenhafter  Pathos   ihm   näher  lag,   als  Racine's   unübertrofi^ene 

15* 


ji 


228  Referate  und  Rezensionen,     A.  Lange, 

Schilderung  der  Liebe  und  des  Frauenberzens.  Den  Dramatiker 
Voltaire  mit  einem  Shakespeare  zu  vergleicben,  kam  böcbstens  dem 
Zeitgenossen  Lessing  zu,  welcher  den  verbassten  ^französischen 
Skribenten"  nicht  objektiv  im  Rahmen  der  Zeit  betrachten  konnte, 
wie  wir  es  ein  Jahrhundert  später  gelernt  haben.  Mit  gutem 
Recht  tadelt  also  Carel  das  sichtliche  Wohlbehagen,  mit  welchem  in 
neuerer  Zeit  wieder  an  Lessing's  Kritik  angeknüpft  wird,  um  die 
Hiebe  hageldicht  auf  Voltaire  nieddrsausen  zu  lassen.  Denn 
einmal  vergessen  die  gestrengen  Richter,  der  völlig  entgegen- 
gesetzten nationalen  Eigenart  Rechnung  zu  tragen,  ferner  lassen 
sie  ausser  acht,  dass  Voltaire  für  die  Sünden  seiner  beiden  Vor- 
gänger mit  btissen  musste.  Voltaire  dachte  nicht  daran,  —  dies 
betont  Carel  ausdrücklich,  —  den  konventionellen  Gepflogen- 
heiten entgegenzuarbeiten  und  den  hergebrachten  klassischen  Ge- 
schmack zu  bekämpfen:  Je  rCai  voulu  comhattre  en  rien  le  goüt 
du  public,  sagt  er  in  der  Einleitung  zur  Mariamne,  c'est  pour  lui 
et  non  pour  moi  que  j'icris;  ce  sont  ses  sentiments  et  non  les 
miens  que  je  dois  suivre.  Ein  allerdings  sehr  anfechtbarer  Stand- 
punkt des  geschmeidigen  Voltaire. 

Wenn  der  Verfasser  am  Schluss  der  Einleitung  sagt,  Des- 
noisterres,  Strauss  und  Mahrenholtz  seien  ihm  für  Voltaire  in  ihrer 
Objektivität  Vorbild  gewesen,  ebenso  wie  H.  Grimm  für  Goethe, 
und  Hettner  für  das  ganze  Aufklärungszeitalter,  so  kann  ihm 
das  Zeugnis  nicht  versagt  werden,  dass  er  seine  Vorbilder  nahezu 
erreicht  hat.  Die  ganze  Abhandlung  hinterlässt  einen  wohl- 
thuenden  Eindruck.  —  Zum  Schluss  seien  dem  Referenten  einige 
Nachträge  verstattet.  (Edipe  wurde  nicht  1719,  sondern  am 
18.  November  1718  aufgeführt.  Bei  den  im  allgemeinen  voll- 
ständigen Litteraturnach weisen  wären  nachzutragen:  A.  Schmidt, 
Voltaire's  Verdienste  um  die  Einführung  Shakespeare* s,  Progr. 
Königsberg,  1864.  H.  Morf,  Die  Cäsartragödien  Voltaire\^  und 
Shakespeares,     Zschr.  Bd.  X^,  S.  214  fl^. 

Bei  Piron,  dem  boshaften  Apothekersohn  aus  Dijon  (S.  19, 
Anm.),  vermisst  Referent  die  ziemlich  wichtige  Angabe,  dass  auch 
die  „Melromanie"  gegen  Voltaire  gerichtet  ist,  welcher  sich  von 
einem  Dichterling  Desforges  -  Maillard  in  ähnlicher  Weise  düpieren 
Hess,  wie  Damis  vom  alten  Francaleu  (vgl.  H.  Bonhomme,  Ein- 
leitung zu  den  (Euvres  de  Desforges- Maillard,  Paris  1880). 

Eine  auffallende  Ähnlichkeit  beider  Dichter  tritt  meines  Er- 
achtens  an  geeigneter  Stelle  nicht  ganz  genügend  hervor.  Richtig 
wird  Goethe,  der  kühle  Olympier,  in  Gegensatz  zu  dem  von 
Humanitätsgedanken  und  Rousseau'scher  Naturschwärmerei  er- 
füllten Schiller  gesetzt.     Nimmermehr  hätte  Schiller  dem  Dichter 


J^.  Beyer,  Französische  Phomiik  für  Lehrer  und  Studierende.       229 

des  Faast  II  zugestimmt,  der  beim  Anbliek  der  Volksmenge  un- 
willig ausruft: 

Man  freut  sich,  dass  das  Volk  sich  mehrt, 
Nach  seiner  Art  behaglich  nährt, 
Sogar  sich  bildet,  sich  belehrt  — 
und  man  erzieht  sich  nur  Rebellen! 

Auch  Voltaire,  der  eingefleischte  Aristokrat,  der  Verächter  der 
von  Rousseau  verteidigten  populace,  dachte  wie  der  Geheimrat 
von  Goethe  am  Abend  seines  Lebens  und  hat  es  in  seinem  um- 
fangreichen Briefwechsel,  oft  genug  unzweideutig  ausgesprochen. 

J.  Sarrazin. 


Beyer,  Franz,  Französische  Phonetik  für  Lehrer  und  Studierende, 
Cöthen,  1888.     Otto  Schulze.     IX  u.  186  S.  8^. 

In  seinem  Lautsystem  des  NeufranzÖsischen^)  hatte  der 
Verfasser  der  vorliegenden  Arbeit  versprochen,  auf  die  dort 
gegebene  Analyse  der  französischen  Sprachlaute  bald  eine 
Synthese  derselben  folgen  zu  lassen.  Es  war  ein  glücklicher 
Gedanke,  statt  dessen  vielmehr  beides  zu  vereinigen  und  uns 
so  eine  vollständige  französische  Phonetik  zu  bieten,  an  die 
sich  dann  noch  als  Supplement  eine  Orthoepik  anschliessen 
soll.  Der  Stoff  des  Lautsystems  hat  bei  der  Neubearbeitung  in 
der  Phonetik  mancherlei  Veränderungen  erfahren,  meist  Kürzungen, 
zum  Teil  Erweiterungen.  Während  dort  „die  wissenschaftliche 
Erörterung  hin  und  wieder  durch  nnterrichtliche  Fragen  ge- 
kreuzt wird",  ist  der  Verfasser  hier  bemüht,  „das  phonetische 
System  sauber  aus  einem  Guss"  zu  geben.  Mich  will  bedünken, 
er  hätte  in  diesem  Streben  nach  Objektivität  noch  weiter  gehen 
können,  als  thatsächlich  geschehen  ist.  Auch  in  der  Phonetik 
macht  die  Darstellung  an  einzelnen  Stellen,  so  namentlich  in 
manchen  der  Anmerkungen,  mehr  den  Eindruck  persönlicher  Aus- 
einandersetzung mit  den  Mitforschern,  als  knapper,  systematischer 
Belehrung.  So  sind  denn  auch  die  im  Schlusskapitel  gegebenen 
brieflichen  Mitteilungen  von  Passy,  Storm  und  Victor  zwar  für  den 
Phonetiker  äusserst  interessant  und  schätzenswert,  thun  aber  dem 
Charakter  des  Buches  als  eines  „Handbuches  der  neufranzösischen 
Lautwissenschaft"  Abbruch.  Dergleichen  Nachträge  sind  ja  seit 
Storm's  Englischer  Philologie  vielfach  Sitte  geworden,  sie  gehören 
im  Grunde  aber  doch  mehr  in  die  wissenschaftliche  Diskussion 
der  Fachzeitschriften.     Nun  ist  freilich  bei  einer  noch  so  wenig 


1)  Vgl.  meine  Besprechung  in  der  Zeitschrift  IX 2,  S.  180  ff. 


230  Referate  und  Rezensionen.     A.  Lange, 

abgeschlossenen  Wissenschaft,  wie  der  Phonetik,  die  Forderung 
objektiver  Bündigkeit  leichter  gestellt  als  erfüllt.  Immerhin  darf 
wohl  die  Hoffnung  ausgesprochen  werden,  dass  dem  Verfasser 
bei  einer  neuen  Auflage  eine  mehr  zusammenfassende  Verarbeitung 
dessen,  was  jetzt  zum  grossen  Teil  nur  erst  in  behaglicher  Breite 
als  Material  vorliegt,  gelingen  möge. 

Noch  in  einer  anderen  Beziehung  scheint  mir  der  Rahmen 
eines  Handhruches  „für  Lehrer  und  Studierende"  nicht  inne  ge- 
halten zu  sein.  Seit  Sweefs  EUmentarhuch  des  gesprochenen 
Englisch  ist  es  ein  charakteristisches  Merkmal  neuphilologischer 
Reformbestrebungen  geworden,  gerade  den  Eigentümlichkeiten  der 
Umgangssprache  nachzugehen  und  den  lautlichen  Abschleifungen, 
welche  diese  naturgemäss  erleidet,  wohl  gar  vorbildliche  Be- 
deutung beizulegen.  Gewiss  ist  es  nur  zu  loben,  dass  auch  dies 
Gebiet  mehr,  als  es  früher  geschehen  ist,  wissenschaftlich  erforscht 
wird,  und  sehr  begreiflich  ist  es,  dass  Phonetiker  ein  besonderes 
Interesse  daran  finden,  gerade  ihre  Muttersprache,  Sweet  das 
Englische,  Passy  das  Französische,  nach  dieser  Richtung  zu 
beobachten.  Für  den  Ausländer  aber,  insbesondere  für  den 
»Lehrer  und  Studierenden**  einer  fremden  Sprache  liegt  die  Sache 
doch  etwas  anders.  Mögen  immerhin  die  Nachlässigkeiten  der 
Umgangssprache,  ja  selbst  die  Rede  des  gemeinen  Volkes  an- 
merkungsweise mit  berücksichtigt  werden;  dass  aber  dies 
Entartungsgebiet  der  Sprache  einen  so  breiten  Raum  im  Texte 
selbst  einnimmt,  wie  es  bei  Beyer  der  Fall  ist,  dass  es  geradezu 
als  allgemeine  Musteraussprache  hingestellt  wird,  dagegen  erhebe 
ich,  und  ich  glaube,  mit  mir  viele,  die  gerade  an  der  Reinheit 
der  französichen  Artikulation  ein  besonderes  ästhetisches  Wohl- 
gefallen finden,  auf  das  Nachdrücklichste  Einspruch.  Verfolgt 
man  den  von  Beyer  betretenen  Weg  weiter,  so  ist  zu  befürchten, 
dass  die  /S^andardaus spräche  auf  ein  Niveau  herabgedrückt  wird, 
welches  für  das  heutige  Französisch  in  seiner  Gesamtheit  viel 
zu  niedrig  liegt.  Gibt  es  doch  für  uns  nicht  bloss  ein  Gesprächs- 
französisch, das  sich  gehen  lässt.  Laute  verschluckt  und  trübt 
wie  andere  Conversationssprachen  auch.  Hat  nicht  gerade  für 
den  Ausländer  das  gelesene,  das  vorgetragene,  das  deklamierte 
Französisch  oft  eine  weit  grössere  Bedeutung?  Entweder  müssen 
also  stets  die  verschiedenen  Redegattungen  neben  einander  be- 
handelt und  sorgfältig  geschieden  werden,  oder  es  muss  ein 
Durchschnitt  aus  allen  zusammen  genommen  werden,  ähnlich  wie 
Passy  in  anderem  Sinne  aus  den  verschiedenen  Dialekten  ein 
Landesfranzösisch  konstruiert.  Dass  aber  Beyer  diesen  Durch- 
schnitt zu  tief  macht,  zeigt  am  besten  ein  Blick  auf  seine 
transkribierten  Texte.     Wenn    in   dem  ersten  derselben,    der   ein 


F.  Beyer,  Französische  PfioneUk  für^  Lehrer  imd  Studiereiule,       231 

dem  wirklichen  Leben  abgelauschtes  Gespräch  zwischen  zwei 
Kindern  bringt,  alle  lautlichen  Verkümmerungen  desselben  getreu 
wiedergegeben  sind^),  so  wird  man  freilich  dagegen  höchstens 
einwenden  können,  dass  der  Standard  der  gebildeten  Umgangs- 
sprache immerhin  höher  gestellt  werden  darf  als  das  unbeobachtete 
Plaudern  von  Kindern.  Aber  auch  in  den  Lesestücken,  ja  in 
den  Versen  findet  sich  dergleichen.  Nur  ein  Beispiel,  das  mir 
ganz  besonders  ein  Dorn  im  Auge  ist.  Passy  hat,  von  Jespersen 
aufmerksam  gemacht,  neben  dem  tonlosen  e  noch  zwei  andere 
getrübte  Vokallaute  aufgestellt,  die  sich  in  Vortonsilben  statt 
eines  vollen  e  (oder  auch  e)  und  b  finden,  ohne  sie  indessen  als 
die  Regel  hinzustellen.  Bei  Beyer  sind  sie  dies  aber  durchaus, 
sogar  in  der  Deklamation  der  Verse,  und  in  seiner  vereinfachten 
Lautschrift  wird  jener  getrübte  c-Laut  auch  da,  wo  er  für  e 
eintritt,  regelmässig  mit  e  identifiziert,  während  doch  z.  B.  Legouv^ 
selbst  in  tonlosen  Wörtern  wie  Ze»,  mes  u.  a.  aufs  Nachdrück- 
lichste e  verlangt. 

Ist  es  mir,  ich  möchte  sagen,  ein  Herzensbedürfnis  gewesen, 
diese  Verschiedenheit  meines  Standpunktes  von  dem  Beyer's  in 
Bezug  auf  das  Niveau  des  /SZandar(2französisch  so  energisch  zu 
betonen,  so  muss  ich  nun  andererseits  der  ausführlichen  Be- 
handlung volles  Lob  spenden,  welche  Beyer  gerade  den  Fragen 
der  Satzphonetik  angedeihen  lässt  und  welche  fast  durchweg 
Neues  bieten  würde,  wenn  nicht  kurz  zuvor  Passy  im  zweiten 
Heft  der  Phonetischen  Studien^)  die  meisten  Punkte  in  seiner  be- 
wundernswürdig knappen  und  klaren  Weise  bereits  erledigt  hätte. 

In  der  Einleitung  „über  Sprechorgane  und  Sprachlaute" 
bleibt  Beyer  im  ganzen  bei  dem  Bell-Sweet'schen  System,  fügt 
aber  nach  dem  Vorgange  von  W^estern  den  drei  Reihen  der 
vorderen,  hinteren  und  gemischten  Vokale  eine  vierte  Artikulations- 
art,  die  der  a- Laute  hinzu:  eine  Änderung  des  englischen  Schemas, 
zu  der  er  sich  im  Laiäsystem  noch  nicht  verstehen  konnte. 
.  Vietor  (Nachtrag  S.  155  f.)  verhält  sich  mit  Recht  gegen  diese. 


^)  Es  muHs  sogar  aufiTalleD,  dass  Beyer,  wie  überhaupt,  so  auch 
hier  vollen  Nasalvokal  selbst  vor  hinübergezogenem  n  vorschreibt. 
Trotz  der  Autorität  Passy's,  dessen  Sons  du  fravisais  das  Stück  entlehnt 
ist,  fällt  es  mir  schwer  zu  glauben,  dass  die  Kinder  für  gewöhnlich  en 
aUons-nous  =  änäl5-nu  sprechen.  Gerade  in  diesem  Punkte  möchte 
ich  lieber  die  weit  verbreitete  Aussprache  ohne  Nasalität  des  Vokals 
als  Norm  hinstellen.  Ich  sehe  darin  nicht  sowohl  eine  Entartung  als 
vielmehr  die  etwas  modifizierte  Erhaltung  ursprünglicher  Doppelformen, 
je  nachdem  ein  Konsonant  oder  ein  Vokal  folgt,  ähnlich  wie  beau  und 
bei.  Demgegenüber  macht  mir  die  Aussprache  mit  Nasalvokal,  die 
freilich  schon  im  XVI.  Jahrhundert  von  den  Grammatikern  als  die 
bessere  gelehrt  wird,  den  Eindruck  des  Künstlichen. 


J 


332  Rufa-ale  und  Rezensionai.    A.  Lauge, 

wie  «och  gegen  die  ganze  KUnse  der  miaxd  vowtls  ablehnend. 
Über  die  letzteren  äussert  sich  Beyer  ziemlich  unbestimmt  und 
meint  selber,  dass  es  „wohl  angezeigt  wäre,  dieselben  noch  ein- 
mal grllndlicb  zu  untersuchen.'^  Auch  sonst  stimmen  seine  Aus- 
führungen nicht  immer  zu  dem  englischen  Viereck,  so  z.  B. 
wenn  er  sagt  {S.  16),  „dass  die  Zunge  bei  der  Abwartsbewegung 
von  der  i- Höhenlage  durch  e,  (e  zu  a  sich  zugleich  nach  rück- 
wärts zieht,  was  eine  Art  Diagonalbewegung  ergibt."  Das  passt 
schon  ganz  anf  das  Dreieck.  Andererseits  hätte  ich  die  englische 
Scheidnng  zwischen  engen  und  weiten  Lauten  gern  noch  mehr 
betont  und  als  grundlegenden  Unterschied  zwischen  romanischer 
und  gennanischer  Artikulation  durchgeführt  gesehen. 

Mit  Unrecht  bringt  Beyer  {8.  24)  die  Bevorzugung  des 
hellen  d  mit  der  Neigung  zur  Degenerierung  tonloser  Vokale  zu- 
sammen. Denn  wenn  Ricard  sagt:  a  dann  „balle"  retombe  vers  /, 
so  handelt  es  sich  um  betontes  a.  In  dem  Vorrilcken  desselben 
nach  der  palatalen  Seite  hin  ist  also  nicht  sowohl  eine  „erste 
Verschiebung  des  Lautes  nach  der  Neutrallage"  —  dieser  nähert 
sich  ä  mehr  als  d  —  sondern  vielmehr  gerade  eine  Wirkung 
des  Strebens  nach  straffer  Artikulation  zu  sehen,  die  sich  im 
vorderen  Mundraum  leichter  vollzieht  als  im  hinteren.  Man  ver- 
gleiche z.  B.  die  Nasalvokale,  deren  „halbweiter"  Charakter  im 
wesejitlicben  eine  Folge  davon  ist,  dass  „die  Zunge  etwas  weiter 
zurlfck  und  tiefer  artikuliert  als  gewöhnlich"  (8.   28). 

Am  Schluss  des  Kapitels  von  den  Diphthongen  findet  sich 
ein  störender  Druckfehler:  statt  nüa  und  Hia  muss  es  offenbar 
heissen  swa  und  tiea.  übrigens  scheint  Beyer  auf  seiner  Theorie 
von  dem  konsonantischen  Werte  des  ersten  Elementes  solcher 
„sogenannter  diphthongischer"  Verbindungen  namentlich  deshalb 
zu  beharren,  weil  die  französischen  Phonetiker  „hier  doch  wohl 
in  erster  Linie  kompetent"  seien.  Ganz  im  Gegenteil:  gerade 
hier  sind  wir  Deutsche  es  mehr,  weil  wir  wirklich  spirantisches 
/  in  nnserer  Sprache  haben  und  daher  den  Unterschied  zwischen 
einem  solchen  und  tranzösischem  i  viel  deutlicher  auffassen 
können:  vgl.  deutsch  Jena  und  französisch  I^na. 

Als  devokaliaiertes  j  erklärt  Beyer  auch  jenen  stimmlosen 
t-Lant  am  Schlüsse,  also  in  der  Nachdruckssilbe  längerer  Laut- 
körper  wie  in  arüiueratie.  Die  Erscheinung  ist,  so  viel  ich 
beobachtet  habe,  nicht  auf  i  beschränkt,  sondern  findet  sich 
ebenso  häufig  hei  ü  und  u,  und  zwar  auch  nach  stimmhaften 
Konsonanten  (z.  B.  je  Tat  vendu),  besonders  im  Munde  solcher 
Franzosen,  welche  die  Stimme  lebhaft  modulieren  imd  ausgiebigen 


)  Vgl.  Ai€r  X«  137  ff. 


F.  Beyer,  Französische  Phonetik  für  Lehrer  und  Studierende,       233 

Gebrauch  von  dem  musikalisch -rhetorischen  Akzent  im  Innern 
des  Sprechtaktes  machen,  jedoch  immer  nur  dann,  wenn  ein 
solcher  starker  Nebenakzent  auf  der  unmittelbar  vorhergehenden, 
also  vorletzten  Silbe  liegt.  Der  dazu  erforderliche  Kraftaufwand 
verschlingt  dann  den  Stimmton  der  letzten  Silbe,  deren  Vokal 
nur  geflüstert  wird,  ohne  darum  den  Wortton  zu  verlieren. 

Endlich  soll  auch  auslautendes  j  wie  in  scintüle,  fille  „zu- 
weilen" devokalisiert  werden.  Zum  Schluss  heisst  es  dann 
(S.  42):  „Aus  jenem  j  in  fille  hören  ungeübte  Ohren  das  übel- 
bekannte fi.](  heraus!"  Allein,  was  ist  denn  devokalisiertes  j 
schliesslich  anderes  als  jf,  das  doch  offenbar  den  stimmlosen 
Laut  zu  j,  den  sogenannten  deutschen  ^c^-Laut  bezeichnen  soll? 
Da  nun  das  „übelbekannte"  fi.^y  ja  selbst  fi,j  mit  wirklich 
spirantischem  j  zweifellos  unfranzösisch  ist,  so  folgt  daraus, 
dass  die  Darstellung  des  französischen  Lautes  als  eines  konso- 
nantischen j  oder  j  unrichtig  ist  und  Unkundige  notwendig  irre 
führen  muss. 

Eine  Beobachtung  Beyer's,  welche  Passy  in  den  Schluss - 
noten  (S.  165)  als  „fein  und  wichtig"  lobt,  ist  die,  dass  in  den 
Fällen,  wo  die  Umgangssprache  ein  nachkonsonantisches  Schluss-Z 
unterdrückt,  wie  in  tab\  meul)  statt  tabUy  meuhle,  eine  voran- 
gehende Media,  die  nun  in  den  Auslaut  tritt,  nicht  wie  sonst 
mit  stimmhaftem,  sondern  mit  stimmlosem  aff-glide  absetzt,  „eine 
Erscheinung,  die  sich  erklärt  durch  rückwirkende  Assimilation 
des  in  Wegfall  gekommenen  (devokalisierten)  /."  Die  Thatsache 
ist  jedenfalls  richtig  beobachtet.  Zweifelhaft  ist  mir  nur,  ob 
derselbe  Sprechende,  welcher  sich  diese  Nachlässigkeit  erlaubt, 
nicht  in  anderen  Fällen  auslautender  Media,  z.  B.  in  malade  die 
Mühe  des  stimmhaften  off-glide  ebenfalls  scheuen  wird.  Übrigens 
ist  für  Beyer's  Standpunkt  wiederum  bezeichnend,  dass  ihm 
peuple  „bereits  ganz  gewöhnlich"  poep  lautet,  dass  cMe  =  sibl, 
cadre  =  kadr  mit  devokalisiertem  /  und  r  „die  gebräuchliche, 
zur  lautlichen  Thatsache  gewordene  Aussprache"  ist,  während 
sibl,  mit  stimmhaftem  Z,  nur  in  „sorgfältiger,  mehr  theoretischer  Aus- 
sprache" und  zweisilbiges  sibl^  überhaupt  nicht  vorkommt  (S.  69). 

So  viel  von  Einzelheiten. .  Auf  die  zum  Teil  sehr  schwierigen 
allgemeineren  Fragen  der  Satzphonetik  einzugehen,  würde  hier 
zu  weit  führen.  Ich  beschränke  mich  daher  zunächst  darauf, 
nur  den  Inhalt  dieses  zweiten  Teiles  kurz  anzugeben: 

I.  Silbenbildung:  a)  Schallstärke,  Expirationsenergie, 
Lautintensität;  b)  die  Silbe  (Silbenträger,  Silbengrenze,  Bindung, 
Gemination). 

IL  Dauer  (hauptsächlich  der  Vokale,  Verhältnis  von  Dauer 
zu  Klang). 


234  Referate  und  RezensionetL    F.  P^te,     . 

m.  Nachdruck  (Silben-,  Wort-,  Satzah;zent;  Einwirkungen 
des  Rhythmus  und  der  Quantität;  Reduktion  und  Degenerierung 
der  unbetonten  Silben;  Sprech-  und  Sprachtakte). 

IV.  Ton  (Stimramodulation). 

V.  Sandhi- Erscheinungen:  a)  Gegenseitige  Beein- 
fiuBBUngen  der  Artikulationen;  b)  Einwirkungen  des  Nachdrucks 
auf  den  Lautkörper. 

Es  folgt  dann  noch  eine  dritte  Abtcilnug: 

Akzessorien  der  franzöeiBchen  Lautaprache:  1)  Zeit- 
masB  der  Rede;  2)  Sprechetärke;  3)  Geete  und  Mimik;  4)  Stimm- 
qnalität  und  endlich  eine  kurze  vierte  Abteilung  über  Trans- 
skription.  Adodst  Lange. 


.  Dreyling,  Gustav,  Die  Äusdmcksweise  der  abertrieberten  Ver- 
kleinerung im  altframöidschen  Karlsepos.  [Ausgaben  und 
Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  romanischen  Philo- 
logie. Veröffentlicht  von  E.  Stengel.  LSXXIl.]  Mar- 
burg, 1888.     166  S.  S".     Preis:  4  Mk. 

Der  Herr  Verfasser  hat  eine  schon  wiederholt  mehr  oder 
minder  eingehend  besprochene,  bisher  jedoch  noch  nicht  als 
eigene  Aufgabe  behandelte  Frage  der  altfranzÖBischen  Syntax 
zum  Gegenstand  eines  Uberaus  fieiesigen  und  umsichtigen  Studiums 
gemacht.  Erhebt  Beine  Arbeit  bei  ihrer  Beschränkung  auf  gewisse, 
freilich  für  den  Verfolg  der  geschichtlichen  Entwickelungder  Sprache 
hervorragend  wichtige  Denkmäler  nicht  den  Anspruch  auf  eine 
völlig  erledigende  Erschöpfung  des  untersuchten  Prinzips,  so  hat 
er  doch  ebendeswegen  in  mancher  Hinsicht  einzelne  Erscheinungen 
desto  genauer  verfolgt.  Auch  ist  er  —  anscheinend  als  Neben- 
produkt seiner  Untersuchung  —  zu  mancherlei  wertvollen  Schlüssen 
llber  die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  zwischen  den  einzelnen 
dem  Karlszyklus  angehörenden  Epen  gelangt.  Des  näheren  be- 
deutet Dreyling's  Arbeit  der  Hauptsache  nach  eine  Ergänzung 
der  bisherigen  Litteratur  Über  die  verstärkte  Negation  im  Alt- 
französischen unter  dem  Gesichtspunkte  des  verkleinernden  Ver- 
gleichs. Die  sehr  umfangreiche  Material  Sammlung  (S.  7^91), 
die  seinen  Ausführungen  über  die  versdtiedenen  Arten  der  hyper- 
bolischen Verkleitierung  (8.  125),  die  Entutehungs-,  Blüte-  imd 
Verfallzeii  (8.  137)  und  die  verschiedenen  Quellen  der  hyperbolischen 
Verkleinerung  [8.  138)  voraufgeht,  wird  in  zwei  Kapiteln  (eigent- 
liche und  verblasste  Hyperbeln)  dargeboten,  wobei  wieder  die 
einzelnen  Zitate,  innerhalb  ihrer  besonderen  Gruppierung  (der 
hyperbolischen  Verwendung  von  Personen-,  Tier-,  Frucht-,  MUnz- 
namen  u.  a.  m.)  zweckentsprechend   so  geordnet  sind,    dass   die 


/  / 


•t  . 


G.  Dreyling,  Die  Ausdruckstveise  der  ühertricbencn  Verkleinerung  etc.    235 

den  späteren,  verblassten,  Gebrauch  der  Verkleinerungen  be- 
kundenden Stellen  denjenigen  folgen,  in  welchen  dem  besprochenen 
Tropus  noch  seine  ursprüngliche  Bedeutung  erhalten  erscheint. 
Bei  der  vom  Verfasser  gewählten,  einigermassen  schwerfälligen 
Anlage  seiner  Arbeit  konnten  die  mehrfach  entgegentretenden 
Wiederholungen  nicht  wohl  ausbleiben. 

Im  einzelnen  Folgendes:  In  Aiol  3593  [544c)  Ja  mais  ior 
de  ma  vie  ne  Varai  der  dürfte  ior  de  ma  vie  keine  Verkleinerung, 
sondern  eine  die  *  Negation  verstärkende  Betheuerung  aus- 
drücken. —  Im  Absatz  1294  ist  statt  897,  897^  zu  lesen.  — 
Die  S.  105  ausgesprochene  Ablehnung  meines  Zitats  (Zeitschr, 
f.  r,  Ph,  II)y  betreflFend  den  Gebrauch  eines  von  mie  abhängigen 
Genetivs  De  ce  ne  sai  —  ge  mie  (Ch.  de  N.  917)  vermag  ich 
nicht  anzuerkennen,  da  savoir  transitives  Verbum  ist.  Natürlich 
gilt  für  Dreyling's  Zitat  Encor  ne  sei  mie  de  son  fils  (Aiol  8552) 
meines  Erachtens  dasselbe.  —  Nach  den  S.  125  ff.  gegebenen 
Ausführungen,  namentlich  von  Absatz  1295  ab,  zu  schliessen, 
ist  der  Herr  Verfasser  äer  Meinung,  dass  es  sich  bei  der  Aus- 
drucksweise der  übertriebenen  Verkleinerung  stets  um  einen  Ver- 
gleich handele,  nur  dass  derselbe  nicht  immer  unmittelbar  zu 
Tage  liege.  Dem  ist  jedoch  nicht  s(K  Vielmehr  bekunden  zahl- 
reiche von  ihm  beigebrachte  Belegstellen  nur  die  dem  Volkgepos 
überhaupt  eigentümliche  Neigung,  vor  abstrakten  Redewendungen 
sinnlich  anschauliche  zu  bevorzugen,  allerdings  vornehmlich,  aber 
keineswegs  ausschliesslich,  in  verneinten  Sätzen.  So  unter 
anderem  in  den  unter  19^—0^  35,1084,  1096b  gegebenen  Stellen. 
Wenn  es  z.  B.  [38]  im  Aiol  10562  heisst  ne  diroie  parole,  dont 
il  fust  enpiries  oder  aber  [17a]  Ji  sunt  maleite  gent  ne  s'en  ira 
uns  piez  (Hörn  1558),  so  sind  derartige  nachdrückliche  Ver- 
neinungen, ganz  wie  etwa  unsere  deutsche:  Er  hat  keinen  Pfennig 
Vermögen^  keinen  Fuss  breit  Landes  dahin  aufzufassen,  dass  die 
blosse  Negation,  selbst  mit  Rücksicht  auf  ihre  besondere  Be- 
ziehung, so  etwa  oben  statt  ne  —  uns  pieZy  ne  —  uns  guerriers, 
dem  Sprechenden  nicht  farbenreich  anschaulich  genug  erscheint, 
und  nunmehr  selbst  ein  kleiner,  unbedeutender  Teil  oder  Ver- 
treter des  fraglichen  Gegenstandes  in  seiner  besonderen  Be- 
ziehung und  damit  der  ganze  Gegenstand  sehr  anschaulich  ver- 
neint wird.  Häufig  scheint  bloss  das  inhaltlose  ne  —  rien  um- 
gangen werden  zu  sollen.  Dass  es  sich  in  zahllosen  anderen 
Fällen,  wie  namentlich  bei  dem  Gebrauch  der  sogenannten  Füll- 
wörter der  Negation,  wirklich  um  einen  latenten  Vergleich  handelt, 
soll  hiermit  selbstverständlich  nicht  bestritten  werden.  —  Sehr 
dankenswert  sind  die  unter  1311  und  1316 — 1318  dargebotenen 
Beobachtungen.    Vielleicht  lassen  sich  dieselben,  namentlich  unter 


236  Referate  und  Rezensionen.    E,  Weher, 

Bezug  auf  miey  pas,  poiniy  noch  insofern  ergänzen,  als  bisher 
nicht  festgestellt  ist,  ob  der  Verfall  von  non  zu  nen  und  schliess- 
lich zu  dem  im  Verse  bedingungsweise  nicht  gezählten,  in  der 
gesprochenen  Sprache  kaum  gehörten  ne  den  Gebrauch  der  Flill- 
wörter  der  Verneinung  beeinflusst  hat.  Letzteres  möchte  bei  der 
grossen  logischen  Bedeutung  der  Negationspartikel  im  allge- 
meinen und  der  Tonlosigkeit  des  französischen  Negationsadverbs 
und  seiner  so  häufigen  anderweitigen  Unterstützung  im  besonderen 
an  und  für  sich  anzunehmen  sein.  F.  Perle. 


Jarnik,  J.  U.,  Neuer  vollständiger  Index  zu  Diez  etymologischem 
Wörterbuch  der  romanischen  Sprachen  mit  Berücksichtigung 
von  Scheler's  Anhang  zur  fünften  Ausgabe,  Heilbronn, 
1889.    Gebr.  Henninger.    VHI,  382  S.  8^    Preis:  8  Mk. 

Mit  vorliegendem  Buch  bietet  uns  Jamik  eine  gründliche 
Neubearbeitung  seines  bereits  in  der  vor  10  Jahren  erschienenen 
ersten  Ausfuhrung  mit  Recht  geschätzten  Index  zu  Diez'  Meister- 
werk. Zu  dem  in  der  ersten  Ausgabe  allein  enthaltenen  romani- 
schen Teil,  der  durch  Aufnahme  sämtlicher  von  Diez  aus 
irgend  einem  Grunde  erwähnten  romanischen  Wörter  und  durch 
Berücksichtigung  von  Scheler's  Anhang  erweitert  wurde,  ist  jetzt 
noch  ein  143  Seiten  umfassender  nicht  allein  für  Romanisten, 
sondern  auch  für  Forscher  auf  anderen  Sprachgebieten  äusserst 
wertvoller  nichtromanischer  Teil  hinzugekommen.  Derselbe  ent- 
hält in  Sprachgruppen  geordnet  unter  den  Überschriften  Lateinisch, 
Griechisch,  Germanisch,  Celtisch,  Englisch,  Baskisch,  Arabisch, 
Slavisch,  Onomatopoetische  oder  Naturausdrücke,  Verschiedenes 
in  alphabetischer  Reihenfolge,  Eigennamen  als  Etyma  —  alpha- 
betisch angeordnete  Verzeichnisse  aller  nichtromanischen  Wörter, 
welche  Diez  als  Etyma  romanischer  bezeichnet  oder  zum  Ver- 
gleich herangezogen  hat.  Die  Einrichtung  des  Buches  im  Einzelnen, 
über  welche  das  Vorwort  orientiert,  muss  als  praktisch,  die  Aus- 
führung als  musterhaft  sorgfältig  bezeichnet  werden.  Mir  sind 
bis  jetzt  die  folgenden  Versehen  aufgefallen,  die  von  Jarnik  im 
Nachtrag  nicht  berichtigt  wurden:  S.  139  lona  pr.  npr.  findet 
sich  nicht  IIb  sondern  IIc;  S.  237  war  unter  addus  srnf  lazzo  IIa 
statt  auf  loro  IIa  zu  verweisen;  S.  247  wird  unter  callidtuf  mit 
Unrecht  auf  tosto  verwiesen,  da  die  hier  von  Diez  erwähnten 
it.  caldo,  afrz.  ehalt  3lu{  calidus  zurückgehen;  8.  312  ist  statt  ahle 
mhd.  ahte  mhd.  zu  lesen;  S.  316  lies  bränte  schwz.  statt  bränte 
nhd.  Diez  erwähnt  das  Wort  IIa  unter  brenta  mit  dem  Zusatz 
„bei  Stalder  ein  hölzernes  Gefäss";  S.  360  1.  ceck-chafer  st.  cock 
6häf€T.  D.  Behrens. 


PL  Plaiiner,  unsere  Fremdwörter  etc.  237 

Plattner,  Ph.,  Unsere  Fremdwörter  vom  Standpunkte  des  fran- 
zösischen Unterrichts  betrachtet.  Beilage  zum  Jahres- 
bericht der  Realschule  zu  Wasselnheim  i.  E.  Strass- 
burg  i.  E.,  1889.    M.  Du  Mont-Schauberg.    34  S.  4^. 

Jeder  Lehrer  des  Französischen  wird  diese  von  einem 
tüchtigen  Kenner  dieser  Sprache  geschriebene  Abhandlung  mit 
Vergnügen  nnd  Nutzen  durchlesen.  Ein  unmittelbarer  Gewinn 
für  den  Unterricht  wird  sich  freilich  daraus  kaum  ziehen  lassen. 
Vielmehr  wird,  wer  selbst  Gelegenheit  gehabt  hat,  Erfahrungen 
im  Unterrichte  zu  sammeln,  die  dieser  Abhandlung  zu  Grunde 
liegende  Frage:  Kommt  die  Kenntnis  unserer  Fremdwörter  dem 
Schüler  bei  dem  französischen  Unterricht  zu  statten  oder  ist  sie 
ihm  eher  schädlich?  ganz  in  dem  von  dem  Verfasser  angedeuteten 
Sinne  beantworten  und  ihm  durchaus  darin  beistimmen,  dass  die 
gründliche  Kenntnis  und  der  sichere  Gebrauch  gerade  des  Fran- 
zösischen durch  unsere  Fremdwörter  erschwert  wird.  „Nur  die 
Oberflächlichkeit,  welche  es  sich  an  müheloser  Aneignung  ge- 
nügen lässt  und  das  Übrige  dem  guten  Glück  anheimstellt,  hat 
von  jener  Ähnlichkeit  einen  Vorteil;  für  jeden,  der  es  gründlich 
nimmt,  bilden  im  Anfang  unsere  Fremdwörter  eine  Reihe  der 
unheilvollsten  Klippen.  Nichtwissen  ist  ein  geringes  Übel  im 
Vergleich  zu  vermeintlichem  Wissen.  Durch  die  Fremdwörter 
verleitet,  glaubt  man  oft  zu  wissen  und  wird  schwer  seines  Irr- 
tums gewahr.  Auch  wenn  der  Irrtum  erkannt  ist,  bildet  die 
vorhandene  andere  Gewöhnung  .eine  stete  Gefahr,  die  kaum  durch 
Aufmerksamkeit  und  Sorgfalt,  sondern  nur  durch  neue  stärkere 
Gewöhnung  abzuwenden  ist.  Wollte  man  auch  solchen,  die  über 
eine  ziemlich  gute  Kenntnis  des  Französischen  verfügen,  eine 
Aufgabe  stellen,  die  Fallstricke  ohne  Zahl  enthält,  so  wäre  hierzu 
ein  absichtlich  mit  möglichst  viel  Fremdwörtern  ausgestattetes 
Stück  unzweifelhaft  das  geeignetste." 

An  dies  durchaus  richtige  und  wohl  begründete  Urteil 
schliessen  sich  dann  noch  die  beherzigenswerten  Worte:  „Man 
schlägt  überhaupt  den  Wert  des  bekannten  Ähnlichen  bei  der 
Spracherlernung  meist  zu  hoch  an,  weil  man  an  die  schwere 
Mühe  nicht  denkt,  welche  es  kostet,  Fehler  zu  beseitigen,  die 
sich  aus  derselben  Quelle  herleiten."  An  einer  Reihe  gut  ge- 
wählter Beispiele,  zu  denen  jeder,  der  selbst  Knaben  im  Fran- 
zösischen unterwiesen  hat,  Nachträge  beisteuern  könnte,  wird 
dieser  allgemein  geltende  Satz,  insofern  er  sich  auf  unsere  Fremd- 
wörter bezieht,  erläutert.  Dieser  Wahrheit  sollten  jene  stets 
eingedenk  sein,  die,  ausserhalb  der  Schule  stehend,  dem  fran- 
zösischen Schulunterrichte  eine  beständige  Vergleichung  mit  den 


238 


Reftn-aie  und  Rezensionen,  A.  Western, 


älteren  und  ältesten  Entwickelungsstufen  dieser  Sprache  auf- 
nötigen möchten. 

Es  kann  nur  gebilligt  werden,  dass  Herr  Plattner  darauf 
verzichtet,  unsere  sämtlichen  Fremdwörter  auf  ihr  Verhältnis  zum 
Französischen  hin  zu  prüfen.  Die  Wissenschaften  und  Erfindungen 
unseres  Zeitalters  haben  in  allen  Sprachen  Europas  in  üppiger 
Fülle  eine  schier  unabsehbare  Menge  von  Bezeichnungen  hervor- 
gebracht, die  meistens  aus  griechischen  und  lateinischen,  auch 
aus  französischen  und  englischen  Wörtern  oft  in  seltsamer  Weise 
abgeleitet  worden  sind.  Man  würde  sieh  über  diese  nicht  immer 
schönen  Bildungen  noch  zu  trösten  wissen,  wenn  man  nur  sicher 
sein  dürfte,  dass  sie  überall  dieselben  sind.  Die  Gelegenheit 
zu  einheitlichem  Vorgehen  ist  hier  bis  jetzt  versäumt  worden 
und  es  scheint  fast,  als  ob  sie  auch  in  Zukunft  nicht  immer  be- 
nutzt werden  sollte. 

Die  von  Herrn  Plattner  gegebene  Auswahl  ist  reichhaltig 
genug  und  enthält  wohl  manches  Wort,  das  beim  Unterricht 
kaum  jemals  vorkommen  dürfte  oder  mit  leichter  Mühe  ver- 
mieden werden  könnte.  Die  meisten  der  hier  vorgeführten  Wörter 
gehören  eben  nicht  der  allgemeinen  Sprache  des  Umgangs  oder 
der  schönen  Litteratur  an,  sondern  sind  Fachausdrücke  eines 
eng  umgrenzten  Einzelgebietes.  Wenn  man  freilich  die  Termino- 
logie einer  bestimmten  Wissenschaft  nachprüft,  so  wird  man  bald 
dieses  oder  jenes  Wort  vermissen,  ohne  dass  man  darum  be- 
rechtigt wäre,  dem  Verfasser  einen  Vorwurf  zu  machen.  So 
scheint  z.  B.  die  Liste  der  matheaiatischen  Wörter  für  den  vor- 
liegenden Zweck  mehr  als  ausreichend  zu  sein.  Wer  dagegen 
jemals  auf  den  Einfall  kommen  sollte,  deutsche  Knaben  die 
Mathematik  in-  französischer  Sprache  lehren  zu  wollen,  würde  es 
oft  zu  bedauern  haben,  dass  in  dieser  Sprache  Wörter  für 
Minuendus,  Subtrahendus ,  potenzieren,  radizieren,  quadrieren, 
Radikandus,  Kathete,  Planimetrie,  Stereometrie,  Antiparallelogramm^ 
Peripheriewinkel  entweder  ganz  fehlen  oder  von  den  bei  uns 
üblichen  Bezeichnungen  verschieden  sind. 

Zu  Ausstellungen  bietet  diese  sorgfältig  geschriebene  Ab- 
handlung nur  geringen  A'nlass.  Olympia  heisst  Olympie;  Olympe 
ist  wohl  nur  Druckfehler.  Accusativus  cum  infinitivo  wird  jetzt 
wohl  meistens  durch  accusatif  avec  Vinfinitif  gegeben.  —  Averbo 
hätte  durch  temps  princtpaux  du  verbe  übersetzt  werden  können. 
Der  gewöhnlichste  Ausdruck  für  Australien  ist  Oceanie,  so  stets 
in  Lehrbüchern  der  Erdkunde  bei  Aufzählung  der  fünf  Erdteile. 
Für  Tantieme  ist  tantüme  zum  mindesten  nicht  das  allgemein 
übliche  Wort.     Da   endlich   zu   miasme  die  Bemerkung  gemacht 


0.  Jespersen,  Fransk  Ldesebog  efier  Lydskrifimeioden.  239 

wird,  dass  es  kaum  im  Singular  vorkomme,  so  sei  auf  II  525 
der  Zeitschrift  verwiesen,  wo  zwei  Stellen  aus  Victor  Hugo 
angeführt  werden,  in  denen  dies  Wort  im  Singular  steht. 

E.  Weber. 


Jespersten,  Otto,  Fransk  Ldesebog  efier  Lydskrifimeioden,    Koben- 
havn,  1889.     Carl  Larsen.     145  Seiten  klein  8®. 

Obengenanntes  Buch  ist  der  erste  Versuch  im  Norden  rein 
phonetische  Texte  für  den  Schul  gebrauch  zu  liefern.  Es  besteht  aus 
.58  Seiten  Text  in  reiner  Lautschrift,  14  Seiten  in  gewöhnlicher  Ortho- 
graphie mit  interlinearer  Lautschrift  und  20  Seiten  ohne  solche.  Weiter 
folgen  Glossen  und  Erläuterungen  zu  den  einzelnen  Stücken  sowie  das 
Wichtigste  von  der  Grammatik  der  gesprochenen  Sprache. 

Von  den  Lesestücken  in  reiner  Lautschrift  machen  kleine  Reime 
und  Gedichte  etwa  die  Hälfte  aus,  während  in  dem  späteren  Teile  des 
Buches  die  prosaischen  Stücke  das  Übergewicht  haben.  Man  kann 
natürlich  darüber  streiten,  ob  es  vorteilhaft  ist,  so  viel  Gedichte 
in  ein  Buch  für  Anfänger  aufzunehmen.  Wir  glauben,  es  kommt 
darauf  an,  ob  das  Buch  für  ganz  kleine  Anfänger  oder  für  schon  etwas 
ältere  Schüler  bestimmt  ist.  Ist  ersteres  der  Fall,  so  ist  es  gewiss 
nur  zu  billigen,  dass  Kinderreime  und  entsprechend  leichte  Gedichte 
einen  grossen  Teil  des  Inhalts  bilden;  denn  diese  sprechen  den  kind- 
lichen Geist  ganz  anders  lebhaft  an,  als  die  mehr  dürren  Prosastücke. 
Sind  die  Schüler  dagegen  älter,  und  haben  sie  schon  eine  oder  zwei 
fremde  Sprachen  betrieben,  so  empfehlen  sich,  wie  wir  glauben,  Ge- 
dichte weniger.  Dagegen  wird  man  wohl  leicht  darüber  einig  werden, 
dass  selbst  für  reifere  Schüler  leichte  Gedichte  sich  als  Anfangslektüre 
sehr  gut  eignen,  um  eine  gute  Aussprache  einzuüben,  da  sowohl  Metrum 
wie  Reim  die  Bewegungen  der  Sprechwerkzeuge  erleichtern.  Da  nun 
Herr  Jespersen's  Buch  eben  für  kleine  Anfanger  bestimmt  ist,  so  ist 
es  auch  in  jeder  Hinsicht  zu  billigen,  dass  die  Gedichte  einen  so  be- 
deutenden Teil  des  Inhalts  ausmachen.  Auch  finden  wir,  dass  die  ge- 
troffene Wahl  der  Gedichte  im  allgemeinen  eine  sehr  glückliche  ist. 
Solche  wie  La  chevre,  SoleÜ  et  lune,  Les  cadeanx  du  jour  de  Van,  Aux 
enfanis  de  Cecole,  La  honne  aventure,  Le  petit  mari,  La  peiiie  veuve, 
Monsieur  Baraban,  Les  mensonges,  Les  maris,  Le  livre  werden  gewiss 
von  der  Klasse  mit  Freude  und  Begeisterung  aufgenommen  werden. 
Als  weniger  glücklich  gewählte  nennen  wir  St.  Pierre  (S.  22),  das  wohl 
nur  von  katholischen  Kindern  recht  goutiert  werden  kann,  La  joie  du 
veuf  (S.  39),  dessen  Humor  mehr  für  reifere  Schüler  zu  passen  scheint, 
Les  Couleurs  des  yeux  (S.  41),  dessen  Inhalt  die  Kleinen  vielleicht  zu 
dogmatisch  auffassen  könnten,  und  Vavocai  (S.  43),  das  nur  schwer 
von  nordischen  Kindern  verstanden  werden  kann,  da  sich  die  Advokaten 
im  Norden  in  ihrer  äusseren  Erscheinung  gar  nicht  von  anderen  Sterb- 
lichen unterscheiden;  sie  haben  weder  rabais,  noch  manches  longues, 
noch  perrugues. 

Da6  grösste  Interesse  aber  erweckt  das  Buch  nicht  durch  die 
Wahl  des  Lesestoffes,  sondern  durch  die  phonetischen  Texte.  Auch 
ist  es  wohl  diese  Seite  des  Buches,  welche  einerseits  den  grössten  Bei- 
fall, andererseits  aber  den  grössten  Vorwurf  hervorrufen  wird.  Die 
Gegner  der  phonetischen  Methode  werden  ganz  einfach  das  Buch  als 
wertlos  und  unbrauchbar  wegwerfen,  und   auch  unter   den  Anhängern 


240  Referate  und  Rezensionen.     Kalepky, 

werden  vielleicht  einige  nicht  mit  allen  Notierungen  zufrieden  sein. 
Die  angewandte  Lautschrift  schliesst  sich  in  allen  wesentlichen  Punkten 
an  die  von  Franke  in  Phrases  de  tous  /e'5  y^wr^  angewandte  an.  Die 
Abweichungen  sind  nicht  so  bedeutend,  dass  sie  die  Benutzung  der 
zwei  Bücher  gleichzeitig  oder  nach  einander  erschweren  würden.  Da- 
gegen schliesst  sich  die  dargestellte  Aussprache  etwas  näher  an  die 
alltägliche  Rede  als  bei  Franke.  Dies  zeigt  sich  teils  in  einer  be- 
schränkteren Anwendung  der  Bindung,  teils  in  einigen  Weglassungen, 
z.  B.  von  /  und  r  in  Wörtern  wie  table  und  quatre,  sur,  1/ vor  Konsonanten. 

Es  ist  natürlich  eine  Frage,  wie  weit  man  in  einem  Schulbuche 
die  alltägliche  Rede  oder  die  mehr  soignierte  Lesesprache  darstellen 
soll.  Es  würde  gewiss  unrichtig  sein,  den  Versuch  zu  machen,  ein 
photographisch  genaues  Bild  der  schnellen  Rede  darzustellen,  und  man 
hat  vielleicht  nicht  mit  unrecht  dem  Elementarbuche  Sweet's  den 
Vorwurf  gemacht,  dass  es  in  dieser  Hinsicht  weiter  geht,  als  sich 
für  ein  Schulbuch  eignet.^)  Es  würde  indes  ebenso  unrichtig  sein, 
die  Wörter  nur  in  ihrer  isolierten  Lautform  vorzuführen,  denn  die 
Sprache  besteht  nun  einmal  nicht  aus  isolierten  Wörtern.  Es  gilt 
hier  den  rechten  Mittelweg  zu  finden,  und  im  allgemeinen  scheint  Herr 
Jespersen  ihn  gefunden  zu  haben.  Jedoch  würde  nicht  viel  dadurch 
verloren  gegangen  sein,  wenn  die  Präposition  snr  überall  durch  si/r 
wiedergegeben  worden  wäre,  denn  die  Schüler  werden  kaum  den 
phonetischen  Unterschied  zwischen  su?'  le  houlevard  und  sur  mon  papier 
empfinden;  auch  ist  es  fraglich,  ob  die  Differenzierung  von  il  und  T 
nötig  ist  in  solchen  Beispielen  wie  il  fait  tres  froid  (=  %')  und  il  vUest 
pas  tres  grand  (=  ü);  es  wäre  wohl  hier  das  Beste  der  auch  im  Buche 
selbst  gegebenen  Regel:  il  vor  Vokalen,  «'  vor  Konsonanten  zu  folgen. 
Eine  Differenzierung,  die  durch  eine  einfache  Regel  nicht  klar  dar- 
gelegt werden  kann,  wird  kaum  von  Nutzen  sein,  da  sie  die  Schüler 
nur  dazu  verleiten  wird,  die  verschiedenen  Formen  auf  unrichtigen 
Stellen  anzuwenden.  Aus  demselben  Grunde  ist  wohl  eile  stets  durch 
cel  zu  bezeichnen,  da,  wie  auf  Seite  141  bemerkt  wird,  die  Abkürzung 
ce'  seltener  vorkommt. 

Was  die  einzelnen  Ausspracheformen  im  übrigen  betrifft,  so 
haben  wir  nicht  viel  gefunden,  das  zum  Widerspruche  herausfordert. 
Die  Notierung  o  rwar  (au  revoir)  scheint  ein  Bischen  zu  alltäglich  zu 
sein;  mdez^  (maison)  aber  rezS  (raisin)  ist  nicht  konsequent,  besonders 
da  in  maison  der  Vokal  der  ersten  Silbe  wohl  gewöhnlich  in  ge- 
schlossenes e  übergeht;  fzä  (faisani)  findet  sich  wohl  eben  in  der  all- 
täglichen Rede  nicht:  eutweaer  fsä  oder  fgzä. 

Im  Ganzen  muss  dieser  erste  Versuch  als  ein  sehr  glücklicher 
bezeichnet  werden,  und  es  wäre  dringend  zu  wünschen,  dass  auch 
deutsche  Lehrer  sich  mit  dem  Büchlein  bekannt  machten,  obschon  es 
natürlich  für  die  deutsche  Schule  nur  indirekt  verwertet  werden  kann. 
Junge  Lehrer  und  Philologen  werden  daraus  auch  selbst  manches  lernen 
können;  es  wird  in  mancher  Hinsicht  für  das  Französische  dasselbe 
sein  wie  Sweet's  Elementarbuch  fürs  Englische. 

Fredriksstad.  A.  Webte RN. 


1)  D.  h.  falls  man  das  Elementarbuch  als  ein  Schulbuch  ansieht. 
Dies  ist  es  jedoch  wohl  nur  auf  dem  Titelblatt,  denn  in  Wirklichkeit 
wird  es  wohl  meist  nur  von  Lehrern  benutzt,  und  dann  kann  man  dem 
Verfasser  nicht  dankbar  genug  sein,  dass  er  ein  so  getreues  Bild  seiner 
eigenen  gesprochenen  Sprache  dargestellt  hat. 


W.  Mangold  und  D,  Coste,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  etc.    241 

USangold,  W«  nnd  Coste«  ]>•,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache 
für  höhere  Lehr  ansialten.  Zweiter  leil.  Grammatik  für  die 
obere  Stufe.  Ausgabe  A:  Für  Gymnasien  und  Realgymnasien; 
Ausgabe  B:  Für  Beal-,  höhere  Bürger-  und  Töchterschulen. 
Berlin,  1889.    J.  Springer.    Preis:  1,40  Mk. 

Ihrem  Lese-  und  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  für  die 
untere  Stufe  höherer  Lehranstalten  (Berlin,  1886.  Springer)  haoen  die 
Verfasser  nunmehr  die  versprochene  vollständige  Schulgrammatik  folgen 
lassen.  Die  beiden  im  Titel  erwähnten  Ausgaben,  durch  deren  Ver- 
anstaltung recht  verschiedenartigen  Bedürfnissen  genügt  werden  soll, 
unterscheiden  sich  von  einander  dadurch,  dass  die  für  Schulen  mit 
Lateinunterricht  bestimmte  Ausgabe  A  eine  Einleitung,  betitelt  „Ver- 
hältnis zum  Lateinischen '*,  sowie  an  verschiedenen  Stellen  Hinweise 
auf  den  lateinischen  Sprachgebrauch  enthält,  die  für  lateinlose  Schulen 
berechnete  Ausgabe  B  dagegen  dieser  Zuthaten  ermangelt.  Der  nach- 
folgenden Besprechung  liegt  die  Ausgabe  A  als  die  umfassendere 
zugrunde. 

Die  erwähnte  Einleitung  ist  „ein  Versuch,  einige  der  wichtigsten 
Ergebnisse  der  romanischen  Sprachforschung  in  fasslicher  und  doch 
nicht  unwissenschaftlicher  Foim  für  Gymnasiasten  aufzuzeichnen  und 
dem  Lehrer  hierin  einen  Anknüpfungspunkt  für  weitere  gelegentliche 
Mitteilungen  zu  geben".  Einem  solchen  Versuch  wird  Niemand  mehr 
die  Berechtigung  absprechen.  Den  reiferen  Gymnasiasten  über  das 
Verhältnis  zweier  verwandten,  von  ihm  Jahre  hindurch  gleichzeitig 
betriebenen  Sprachen  nicht  aufzuklären,  soviel  es  die  dafür  zur  Ver- 
fügung stehende  Zeit  und  der  Stand  seiner  Kenntnisse  nur  irgend  ge- 
statten, hiesse  ihm  eine  der  wertvollsten  Früchte  seiner  Arbeit  vor- 
enthalten, ihm  eine  Gelegenheit  zu  förderlichster  Beobachtung  und 
Vergleichung  entziehen.  Dem  Lehrer  aber,  welcher  ihn  zu  dieser 
Thätigkeit  anleiten  will,  wird  es  erwünscht  sein,  an  eine  systematische 
Übersicht  der  dabei  in  Betracht  kommenden  Gesichtspunkte  und  That- 
sachen  anknüpfen  zu  können,  und  hierfür  kann  diese  der  Grammatik 
vorangeschickte  Einleitung  als  recht  zweckdienlich  bezeichnet  werden. 
Unter  strenger  Ausschliessung  aller  vulgärlateinischen  und  altfranzö- 
sischen Sprachformen,  gegen  deren  Einführung  in  eine  Schulgrammatik 
leicht  begreifliche  pädagogische  Gründe  sprechen,  bringt  die  Einleitung 
das  Verhältnis  der  französischen  Sprache  zur  Lateinischen  in  der 
Weise  zur  Anschauung,  dass  nach  Voranschickung  einiger  sprach- 
geschichtlicher Daten  der  für  die  Erkenntnis  des  Neufranzösischen  so 
wichtige  Unterschied  zwischen  mots  popidaires  und  mots  savants  an 
zahlreichen  neufranzösischen  Scheideformen  aufgezeigt  und  hieran  der 
Hinweis  auf  die  Bolle  des  Akzents  beim  Übergange  lateinischer  Wörter 
ins  Französische  geknüpft  wird.  Hierauf  folgt  eine  knapp  gehaltene 
Vergleichung  des  lateinischen  Lautstandes  mit  dem  neu^anzösischen, 
bei  welcher  jedoch  die  Gegenüberstellung  von  Wörtern,  die  sich  in 
der  aufgeführten  Form  lautlich  nur  teilweise,  oder  gerade  in  der  Haupt- 
sache, dem  Akzent,  garnicht  entsprechen,  wie  mori — mourir,  fuerunt — 
furent,  lumen--  lumiere,,  recipere  —  recevoir,  respond^re — repondre,  sapien- 
tem—savant,  plungimus — plaignons  u.  a.  besser  vermieden  worden  wäre. 
Der  zweite  Abschnitt  der  Einleitung  vergleicht  den  lateinischen  Pormen- 
bestand  mit  dem  französischen,  in  der  Ordnung  der  Wortklassen. 
Wenn  die  Verfasser  sich  hier  scheuen,  zu  faimasse  die  synkopierte 
lateinische  Form  amassem  (für  amavissem,  welches  sie  hinsetzen)  zu 
stellen,  so  scheint  mir  diese  Ängstlichkeit  zu  weit  getrieben.  —  Von 

Zschr.  f.  firs.  Spr.  n.  Litt.    XP.  ^q 


242 


Referate  und  Rezensionen,    Falepky, 


den  Verben  auf  -er  mit  dumpfem  und  geschlofitenem  e  in  der  letzten 
Stammsilbe  heiest  es  §  YIII,  dass  der  von  der  Betonung  abhän^ge 
Wechsel  des  Stammvokals  im  Neufranzösischen  wieder  eingetreten 
seL  Hat  ihn  denn  die  Sprache  jemals  aufgegeben?  =  Das  über  die 
inkohativen  Verba  (§  IX)  Gesagte  wird  durch  das  Beispiel  floresco, 
flortä  —  finis,  finis  schlecht  illustriert.  —  De  ante  (statt  de  ab  ante) 
als  Grundlage  für  devant  ist  wohl  Druckfehler.  —  Der  Abechnitt  über 
das  Pronomen  wird,  wenn  die  mitgeteilten  Angaben  nicht  unrichtig 
aufgefasst  werden  sollen  (ich  denke  an  ecce  ille  =>  oelui,  ecce  iste  =z  ce), 
einer  gründlichen  ErUiuterung  durch  den  Lehrer  bedürfen,  wie  sie  ja 
auch  von  den  Verfasflem  für  die  Benutzung  dieser  —  keineswegs  für 
das  Selbststudium  der  Schüler  geschriebenen  —  Einleitung  voraus- 
gesetzt wird.  Ein  dritter  Abschnitt  ,, Wortbildung^  betitelt,  stellt  die 
wichtigsten  lateinischen  Suffixe  und  Präfixe  den  entsprechenden  fran- 
zösischen gegenüber  und  gedenkt  auch  der  Ableitung  ohne  Suffix,  sowie 
der  Wortzusammensetzung.  Den  Beschlues  bildet  eine  Zusammen- 
stellung der  wichtigsten  Vorgänge  auf  dem  Gebiete  des  Bedeutungs- 
wandels. 

Die  eigentliche  Grammatik  gliedert  sich,  wie  herkömmlich,  in 
Lautlehre,  Formenlehre  und  Syntax.  „Die  Lautlehre",  heisst  es  im 
Vorwort,  „vermeidet  es,  auf  systematische  Phonetik  einzugehen,  die 
als  solche  nicht  in  die  Schule  gehört,  wenn  sie  auch  dem  Lehrer  be- 
kannt sein  muss,  der  sie  in  der  Schulpraxis  zu  verwerten  hat.''  Sie 
unterscheidet  sich  nicht  wesentlich  von  dem  entsprechenden  Abschnitt 
anderer  neuerer  Schulgrammatiken ^  macht  aber  in  ihrer  zwanglosen 
Gliederung  und  der  zweckmässigen  Auswahl  des  StofPes  einen  an- 
sprechenden Eindruck. 

Der  Lautlehre,  die  gelegentlich  bereits  auf  Aussprache  und 
Silbenzählung  im  Verse  Rücksicht  nimmt,  schliessen  sich,  etwas  mehr 
als  eine  Seite  füllend,  einige  Mitteilungen  „Aus  der  Verslehre''  an. 
Diese  vermeiden  die  Irrtümer,  welche  noch  immer  in  Schulbüchern 
über  metrische  Dinge  im  Schwange  sind  (ich  denke  an  die  Lehre  von 
französischen  Versfüssen  oder  Verstakten,  von  den  vier  Tonstellen  im 
Alexandriner  u.  a.  m.)  und  bieten  dem  Schüler  alles,  was  ihm  auf 
diesem  Gebiete  zu  wissen  Not  thut.  Auf  S.  25  (unten),  sowie  im  Re- 
gister unter  „Verslehre"  vermisse  ich  den  Hinweis  auf  das  S.  57  (oben) 
über  Elision  des  e  bei  nachbestelltem  le^  sowie  auf  das  Seite  8  (oben) 
über  den  Wegfall  des  flexivischen  -s  Gesagte. 

In  die  Formenlehre,  welche  nach  der  Absicht  der  Verfasser 
gleich  der  Lautlehre  nur  zur  Wiederholung  und  Vervollständigung 
einzelner  Kapitel  des  Lehr-  und  Lesebuches  dienen  soll,  ist  der  grösste 
Teil  des  über  die  syntaktische  Verwendung  der  Pronomina  zu  Sagenden 
mit  aufgenommen^  nämlich  alles  das,  was  sich  den  von  den  Verfassern 
angestellten  Kapiteln  der  Syntax  nicht  hat  einordnen  lassen.  Bei 
dieser  Verteilung  der  Lehre  vom  Pronomen  auf  Formenlehre  und  Syntax 
hat  sich  eine  gewisse  Willkür  nicht  vermeiden  lassen,  was  auch  der 
Umstand  beweist,  dass,  trotzdem  manche  GegensfUnde  eine  dopp^te 
(das  dem  Relativ  nach  totti  zur  Stütze  dienende  ce  sogar  eine  drei<- 
fache)  Erwähnung  gefunden  haben,  dennoch  die  Verweisungen  von  der 
Formenlehre  auf  die  Syntax  und  umgekehrt  zahlreicher  sind,  als  im 
Interesse  der  Übersichtlichkeit  und  Bequemlichkeit  zu  wünschen  wäre. 
Die  Verfasser  unterscheiden  beim  Verbum  (nach  Lücking*8  Vorgange) 
zunächst  lebende  und  abgestorbene  Konjugation,  wofür  sie  den  Beifall 
aller  derer  ernten  werden^  die  für  die  bislang  herrschende  willkürliche, 
Lehren  und  Lernen  erschwerende  Aufstellung  von  drei  oder  mehr  regel- 


W.  Mangold  und  D.  Cosie,  Lehrbuch  der  französischen  Sprache  etc.    243 

mäBsigen  Konjugationen  weder  einen  praktischen,  noch  einen  in  der 
Sache  liegenden  Grund  finden  können.  Sie  teilen  alsdann  die  Yerba 
der  abgestorbenen  Konjugation  (ich  würde  unbedenklich  starke  Konju- 
gation sagen,  wie  im  Deutschen  und  Englischen)  nicht,  wie  sonst  üblich,, 
nach  der  Infinitivendung,  sondern  nach  wesentlichen  Merkmalen  ihrer 
Stammbildunff  in  folgende  drei  Gruppen  a)  Verba  auf  -ir  ohne  Stamm- 
erweiterung, b)  Verba  auf  -re^  c)  unregelmässige  Verba  auf  -ir,  -re  und 
'Oir  mit  Umlaut  und  Vokalverschmelzung.  Diese  Gruppierung  hat  vor 
der  sonst  üblichen  nach  der  Infinitivendung  manches  voraus ;  indes  be- 
kenne ich  mich  zu  der  Ansicht  (und  zwar  auf  Grund  reichlicher  Er- 
fahrung, da  ich  in  mehr  als  dreitausend  französischen  Unterrichts- 
stunden der  Einübung  der  unregelmässigen  Verba  als  hauptsächlichster 
Aufgabe  habe  obliegen  müssen),  dass  es  für  das  sichere  Können  der 
unregelmässigen  Verba  weniger  auf  die  feineren  unterschiede  der 
Klassifizierung  (falls  diese  nur  im  Grossen  und  Ganzen  vernünftig  ist) 
als  auf  festes  Einprägen  der  typischen  Formen  (nach  Art  des  lateinischen 
a  verho)  und  auf  Sicherheit  und  Schnelligkeit  des  Ableitens  der  übrigen 
Formen  von  jenen  ankommt,  und  dass  das  Nützlichste,  was  die  Schul- 
grammatik dem  Schüler  für  dieses  Kapitel  der  Formenlehre  bieten 
kann,  eine  für  wörtliches  Einprägen  berechnete,  alles  nicht  durchaus 
notwendige  ausschliessende  Zusammenstellung  der  Stammformen  ist, 
wie  sie  z.  B.  die  Schulgrammaiik  der  französischen  Sprache  von  Ulbrich, 
oder  in  anderer  Ai-t  der  dritte  Teil  des  Elementarbuches  der  franzö- 
sischen Sprache'  von  Luppe  und  Ottens  bietet.  —  Im  Einzelnen  ist  an 
der  Formenlehre  wenig  auszustellen.  In  §  29  (Stämme  auf  oy,  ay,  uy) 
wäre  ein  Hinweis  auf  den  mit  dem  orthographischen  Wechsel  ver- 
bundenen Wechsel  der  Aussprache  nützlich.  —  Bei  ge'sir  fehlt  (auch 
in  der  Lautlehre)  die  Erwähnung  der  unregelmässigen  Aussprache  des  s. 
Andererseits  ist  zu  bemerken,  dass  sich  viele  Kegeln  und  Angaben 
durch  besonders  wohlgelungene  Fassung  auszeichnen;  so  namentlich 
die  über  Lautverstärkung  bei  Verben  auf  -er  (§  28).  Der  Unterschied, 
welcher  sich  mit  dem  Gebrauch  von  avoir  oder  von  iire  bei  intransi- 
tiven Verben  verknüpft,  wird  durch  reichliche  Beispiele  seinem  Grade 
und  seinem  Wesen  nach  zu  deutlicherer  Anschauung  gebracht,  als 
sonst  zu  geschehen  pflegt.  Gutzuheissen  ist  auch  die  Erwähnung  des 
nicht  gerade  seltenen  Gebrauches  des  betonten  Possessivpronomens 
ohne  Artikel  (§  66),  sowie  der  temps  surcompose's  (§  46). 

Wir  kommen  zur  Syntax,  in  welcher,  wie  die  Verfasser  sagen, 
der  Schwerpunkt  einer  systematischen  Grammatik  für  die  obere  Stufe 
liegt;  und  gerade  dieser  Teil  ist  auch  der  eigentümlichste  und  inter- 
essanteste der  vorliegenden  Grammatik.  Die  Verfasser  legen  das 
Hauptgewicht  nicht  auf  die  Regeln,  sondern  auf  die  in  grosser  Zahl 
gegebenen  Beispiele.  Diese  sind  fast  ausschliesslich  dem  Dictionnaire  de 
VAcaddmie  entnommen,  und  dass  sie  sich  für  die  an  ihnen  vorzunehmende 
grammatische  Beobachtung  und  Vergleichung  besonders  gut  eignen, 
muss  zugegeben  werden.  Sie  sind  kurz,  leicht  verständlich  und  be- 
gflnstigen  durch  ihren  reizlosen,  die  Phantasie  wenig  beschäftigenden 
Inhalt  die  Eeflexion  auf  die  sprachliche  Form  in  wünschenswerter 
Weise.  Die  Kegeln  und  Beobachtungen,  zu  deren  Veranschaulichung 
sie  dienen,  sind  mit  Verzicht  auf  peinliche  Vollständigkeit  des  Ge- 
dankenausdruckes auf  die  denkbar  kürzeste,  knappste  Form  gebracht, 
oft  garnicht  in  Satzform  ausgedrückt,  sondern  nur  mittelst  eines  Stich- 
wortes angedeutet;  so  dass  eine  weitere  Vereinfachung  und  Kürzung 
der  Regeln,  wie  sie  der  Schüler  beim  Gebrauche  anderer  Grammatiken 
behufs   leichteren    Einprägens  und    Wiederholens   auf  Grundlage   des 

16* 


244 


Referate  und  Rezensionen,    F.  WendeWom, 


Lehrbuches  meist  anzustellen  gezwungen  ist,  und  wie  sie  auch  der 
Lehrer  nicht  verschmäht,  hier  ausgeschlossen  ist.  Besonders  ansprechend 
wegen  ihrer  Klarheit,  Kürze  und  äusseren  Übersichtlichkeit  (für  welche 
in  dem  ganzen  Buche  durch  Verwendung  mannigfaltiger  Typen  das  irgend 
Mögliche  geleistet  ist)  ist  die  Moduslehre,  deren  Darstellung  man  in 
jedem  Worte  anmerkt,  dass  sie  das  Ergebnis  praktischer  Erfahrung 
im  Unterrichte  ist.  Durch  die  Anlage  der  Syntax  nach  Redeteilen, 
statt  nach  Wortklassen,  wird  die  Übersichtlichkeit  und  somit  die 
Brauchbarkeit  derselben  wesentlich  erhöht.  Nicht  unterschätzt  darf 
auch  der  Reichtum  an  phraseologischen  Gebilden  und  idiomatischen 
Wendungen  werden,  der  aus  der  Wahl  der  Beispiele  fliesst. 

Was  nun  die  Fassung  der  Regeln,  die  Richtigkeit  der  Angaben 
im  Einzelnen  betrifft,  so  bedürfen  einige  Punkte  der  Berichtigung  oder 
der  Änderung.  Zu  äusserlich  ist  die  Fassung  der  Regel  in  §  68,  wo 
von  celui'Ci  qui  die  Rede  ist,  in  §  72  (de  dcux  jours  hm),  vor  allem 
aber  in  §  114,  wo  von  dem  Konjunktiv  in  einer  gewissen  Art  von 
Relativsätzen  gesagt  wird,  er  stehe  „abhängig  von  einer  Verneinung." 
Die  richtige  ErWärung  des  Sachverhaltes  hat;  wie  den  Verfassern  ohne 
Zweifel  bekannt  ist,  Tobler  in  seinen  Beiträgen  (S.  99  Anmerkung) 
gegeben,  und  sie  hätte  um  so  eher  berücksichtigt  werden  müssen,  als 
es  sich  um  eine  sehr  wichtige  sprachliche  Erscheinung  handelt,  die 
von  den  meisten  Schulgrammatiken,  auch  den  allerneuesten,  falsch  be- 
urteilt und  dargestellt  wird.  —  Zu  äusserlich  ist  auch  die  mit  der 
vorigen  im  Zusammenhange  stehende  Regel  (§  114),  welche  den  Kon- 
junktiv ait  in  dem  Satze  Qui  que  ce  soit  qui  aii  fait  cela  .  .  .  erklärt.  — 
Der  nämliche  Vorwurf  trifft  auch  die  Regel  (§  186):  „Nach  faire  thun 
steht  pour."^  —  In  §  178,  wo  von  dem  Prädikatsnomen  nach  Stre  die 
Rede  ist,  muss  gesagt  werden,  dass  dasselbe,  wie  im  Genetiv,  so  auch 
im  Dativ  stehen  kann,  wofür  der  Schüler  auf  derselben  Seite  (133) 
Beispiele  sieht.  —  An  der  Verwirrung,  welche  der  Gebrauch  des 
Terminus  „logisches  Subjekt"  unablässig  in  der  französischen  Satzlehre 
anrichtet,  nimmt  auch  die  vorliegende  Syntax  teil.  In  §  178  und  §  63 
werden  die  Satzglieder  lui  und  moi  in  den  Sätzen  c*est  lui  und  dest 
moi  qui  vous  en  reponds  (nicht  re'pond,  wie  verdruckt  ist)  ganz  richtig 
als  Prädikat  bezeichnet;  dagegen  werden  in  §  145  die  Sätze  c*est  nous 
und  c*est  vous  als  Beispiele  dafür  gegeben,  dass  „bei  doppeltem  (!)  Sub- 
jekt das  Verbum  gewöhnlich  mit  dem  grammatischen,  nicht  mit  Mem 
logischen,  kongruiert."  Ähnlich  ist  folgendes.  Als  Beispiel  dafür,  dass 
ein  bei  c'esi  das  logische  Subjekt  bildender  Infinitiv  auch  ohne  de 
stehen  könne,  wird  (§  177)  der  Satz  gegeben:  Cest  trop  delibei-er,  ü 
faui  agir.  Die  Verfasser  sehen  also,  wie  aus  der  Regel  zu  entnehmen 
ist,  deliöerer  als  das  logische  Subjekt  zu  dem  Prädikat  c'esi  trop  an, 
so  dass  der  Satz  einem:  De'liberer,  c'est  trop!  gleich  zu  setzen  wäi*e. 
Nun  finden  sich  zwar  Sätze  dieser  Art  im  XVI.  Jahrhundert,  wie  die 
folgenden  Beispiele  lehren,  auf  die  mich  mein  Kollege  Dr.  Lohmann 
aufmerksam  macht:  Ce  seroit  chose  irop  facüe,  se  faire  eiernel  par 
renomm^e  (zitiert  aus  Du  Bellay  lllustr.  II,  bei  Darmesteter  und  Hatz- 
feld,  Tdbleau  de  la  liiterature  et  de  la  Umgue  frangaise  au  XVl^  siecie, 
2töme  ^d.,  p.  275)  und  C^est  trahison  se  marier  sans  s'espouser  (a.  a.  0. 
S.  269  zitiert  aus  Montaigne  III,  5).  Aber  sowohl  der  Sinn,  wie  der 
neufranzösische  Sprachgebrauch  verbieten  meines  Erachtens  die^e  Auf- 
fassung des  obigen  Satzes.  Vielmehr  ist  trop  als  adverbiale  Be- 
stimmung zu  delihe'rer  zu  ziehen,  und  das  ce  nicht  sogenanntes 
„grammatisches",  sondern  wirkliches,  auf  ein  Geschehen  zurück- 
deutendes Subjekt.    Ist  dem  aber  so,   dann  ist  natürlich  trop  detiberer 


K.  A.  Martin  HarimanfCs  Schulatisgaben.    Nr.  2.  .245 

Prädikat  zu  c^esi,  und  nicht  logisches  Subjekt;  wie  denn  auch  in  dem 
ganz  gleichartigen  Satze  c*esi  iire  fou  (§  181)  der  Infinitiv  richtig  als 
Prädikat  bezeichnet  ist.  Wenn  nun  femer  in  folgenden  Sätzen:  //  y 
avaii  une  fois  un  rot  ei  une  reine  (§  174).  —  Cest  quelque  chose  que  de 
bien  commencer  (%  175).  —  11  me  faut  cent  e'cus  (§  192)  die  Bezeichnung 
„logisches  Subjekt"  (die  doch  übrigens  auch  etwas  bedeutet  und  kein 
leerer,  zu  beliebigem  Gebrauche  freistehender  Terminus  ist)  auf  so  ver- 
schiedenartige Gedankenglieder  angewendet  wird,  wie  un  roi  ei  une 
reine  im  ersten  Satz,  bien  commencer  im  zweiten  Satz,  und  me  im 
dritten  Satz,  so  stimmt  dies  zwar  mit  der  Darstellungsweise  der  meisten 
Grammatiken  überein,  beruht  aber  meines  Erachtens  auf  völliger 
Willkür.  —  In  §  147  heisst  es  (etwas  ausführlicher  ausgedrückt  als 
im  Lehrbuch):  „Mit  dem  Beziehungsworte  kongruiert  das  Verbum  des 
Relativsatzes."  Dazu  wird  unter  anderem  das  Beispiel  gegeben:  Cest 
nous  qm  (die  wir)  avons  remporte  la  vicloire.  Dies  Beispiel  ist  in  zwie- 
facher Hinsicht  unrichtig.  Erstens  ist,  wie  Tobler  (a.  a.  0.  S,  160  An- 
merkung) darthut,  fwus  nicht  das  Beziehungswort  des  Relativs,  viel- 
mehr gehört  der  Relativsatz  dieses  Beispiels  zu  den  beziehungslosen 
Relativsätzen  (denen  auch  in  dieser  Syntax  ein  Abschnitt  gewidmet 
ist,  ohne  jedoch  das  zu  vereinigen,  was  in  ihn  gehört).  Zweitens  ist 
in  dem  gegebenen  Beispiele  die  Übersetzung  des  qui  durch  „die  wir" 
durchaus  unrichtig;  und  es  kann  den  Verfassern,  da  von  den  drei  ge- 
gebenen Beispielen  keines  den  in  der  Regel  dargestellten  Sachverhalt 
bestätigt,  der  Vorwurf  nicht  erspart  bleiben,  diejenige  Vermengung 
zweier  verschiedener  sprachlicher  Erscheinungen,  vor  der  Tobler 
(a.  a,  0.)  warnt,  so  weit  sie  nur  möglich  ist,  begangen  zu  haben ;  denn 
nur  bei  wirklicher  Beziehung  des  qui  auf  das  Pronomen  (wie  sie  statt- 
finden würde,  wenn  das  Beispiel  lautete:  JNous  qui  avons  remporie  la 
victoire,  twus  etc.)  entspricht  das  qui  einem  deutschen  „die  wir".  — 
Indem  ich  von  der  Erwähnung  kleinerer  Ungenauigkeiten  im  Ausdruck 
oder  in  der  Wahl  der  Beispiele  zu  den  Regeln  absehe,  weil  die  Ver- 
fasser dieselben  beim  Gebrauche  ihres  Buches  selbst  entdecken  und 
verbessern  werden,  setze  ich  noch  die  von  mir  bemerkten  Druckfehler 
her:  S.  67  Z.  18  v.  u.  frt  statt  gä;  S.  92  Z.  3  v.  u.  ou  statt  oü;  S.  98 
Z.  4  V.  u.  croyez  statt  croyiez;  S.  138  Z.  6  v.  u.  deployes  statt  deployees; 
S.  151  Z.  17  V.  0.  guerir  statt  flrwmr.  Unrichtige  Interpunktionszeichen 
stehen  S.  71  Z.  5  v.  u.,  S.  92  ^  2  v.  o.,  S.  140  Z.  6  v.  u.,  S.  154  Z.  18 
V.  0.,  S.  156  Z.  10  V.  0.,  S.  160  Z.  8  v.  o.  Kalepky. 


Martin  Hartmann'a  Schvlausgahen  französischer  Schrift^ 
steUer,  Nr.  2.  B^ranger.  Eine  chronologisch  geordnete 
Auswahl  seiner  Lieder  mit  Einleitung  und  Anmerkungen  heraus- 
gegeben von  K.  A.  Martin  Hart  mann.  Leipzig,  1888. 
Seemann.    XX,  68  S.  8«. 

Der  Herausgeber  denkt  sich  die  Lektüre  einer  Liederauswahl  von 
ß^ranger  in  Verbindung  mit  der  von  Sandeau's  MademoiseUe  de  la 
Seigliere  als  fruchtbringend  für  die  Schule.  Und  mit  Recht,  denn  beide 
Stofi^e  gehören  Schriftstellern  derselben  Zeit  an,  welche  es  auf  beson- 
deren Gebieten  zu  litterarischer  Meisterschaft  brachten,  und  beide  ge- 
währen neben  dem  poetischen  Bildungswerte  interessante  Einblicke  in 
die  Verhältnisse,  welche  vom  alten  zum  neuen  Frankreich  hinüber- 
führen,  und  sind  wohl  geeignet  das  historische  Wissen  des  Schülers 


246  •  Referate  und  Rezensionen.     F,  Wendelborn, 

über  EreignisRe  und  Ideen  der  Zeit  Napoleons  sowie  der  Restauration 
zu  vertiefen  (Vorwort  S.  VI).  Die  Einleitung  gibt  das  für  das  Ver- 
ständnis der  Lieder  wichtige  aus  dem  Leben  des  Dichters,  eine  kurze 
Würdigung  der  Bedeutung  B^rangers  für  das  sangbare  französische 
Lied  und  leider  nur  allzu  kurze  Bemerkungen  über  Böranger's  Vers- 
technik. Der  Satz  S.  XIV  u.:  „Sein  Lieblingsvers  ist  der  dem  Volke 
besonders  vertraute  Zehnsilbler,  der  älteste  aller  französischen  Verse 
u.  s.  w."  bedarf  der  Verbesserung.  Denn  erstens  ist  der  französische 
Zehnsilbler  nicht  älter  als  der  Achtsilbler,  und  er  ist  keineswegs  immer 
dem  Volke  besonders  vertraut  gewesen.  Er,  der  im  Altfranzösischen 
der  heroische  Vers  war  und  noch  im  XVI.  Jahrhundert  vers  commun 
hiess,  ward  in  der  Folgezeit  so  gut  wie  vergessen  und  ist  erst  während 
der  dritten  Blüteperiode  der  französischen  Litteratur,  nicht  zum  min- 
desten durch  B^ranger,  wieder  populär  geworden.  —  Die  Sammlung 
selbst  enthält  siebe nunddreissig  Lieder  aus  der  Zeit  von  1809  — 1851. 
Liebes-  und  Trinklieder  sind  nicht  aufgenommen.  —  Der  Text  ist  mit 
grosser  Sorgfalt  hergestellt.  Es  ist  mir  nur  ein  Druckfehler  aufgefallen : 
S.  51  Z.  1  ist  zu  lesen  ßtes  statt  feUs.  Aus  pädagogischen  Rücksichten 
werden  cestrichen  sein  Le  Grenier  Strophe  8,  les  Gtteux  Strophe  14 
und  le  marquis  de  Carabas  Strophe  6.  Ob  Roger  Bontemps  Vers  53 
perdrez  oder,  wie  Hartmann  schreibt,  perdez  zu  lesen  ist,  vermag  ich 
im  Augenblick  nicht  zu  entscheiden.  Das  Wertvollste  der  Ausgabe 
bleibt  der  Kommentar,  welcher  gemäss  dem  Plane  der  Sammlung  als 
besonderes  Heft;  dem  Text  beigegeben  ist.  Er  enthält  vor  allem  sach- 
liche Erläuterungen  und  zwar  der  Art,  wie  sie  uns  auch  bei  Schulaus- 
gaben deutscher  Klassiker  willkommen  sein  würden.  Hartmann  hat 
natürlich  die  Erläuterungen  seiner  Vorgänger*)  benutzt  und  nicht  selten 
berichtigt,  vgl,  Anm.  zu  No.  11,  27,  32  etc.  Aber  wenn  die  Anmer- 
kungen auf  eine  des  französischen  Dichters  und  der  deutschen  Schule 
gleich  würdige  Stufe  gehoben  werden  sollten,  blieb  viel  zu  thun  übrig. 
H.  hat  denn  auch  neue  Quellen  zur  Erläuterung  der  Realien  durch- 
forscht, vrie  die  Korrespondenz  des  Dichters,  die  Memoirenlitteratur 
der  Zeit  und  natürlich  die  einschlägigen  historischen  Werke.  Er 
geht  dem  Ursprung  der  Lieder  nach,  er  zeigt  wie  B^ranger  gleich 
anderen  Dichtern  ältere  Lieder  benutzte  und  umschuf,  vgl.  No.  2,  11 
etc.  Allerdings  ist  noch  nicht  alles  ^anz  klar,  wie  z.  B.  der  Ursprung 
des  Liedes,  auf  welches  wahrscheinlich  das  Abschiedslied  der  Maria 
Stuart  zurückgeht,  auch  bedarf  noch  der  Einfiuss  La  Fontaine's  auf 
B^ranger  der  Untersuchung,  aber  es  ist  doch  ein  sachlicher  Kommentar 
entstanden,  welcher  nicht  hinter  früheren  Leistungen  des  wohlbekannten 
Verfassers  zurückbleibt,  und  für  den  alle  deutschen  Freunde  B^ranger's 
dankbar  sein  werden.  Und  der  Verfasser  hält  massvoll  zurück  mit 
Mitteilungen,  wenn  es  dem  Schüler  möglich  ist,  durch  Nachdenken 
Angedeutetes  zu  finden  (Anm.  No.  IX  etc.).  Andererseits  benutzt  er 
z.  B.  die  poetische  Einkleidung  dieser  oder  jener  Stelle  um  hinzuweisen 
auf  die  Verschiedenheit  der  poetischen  Attribute  bei  antiken  und 
modernen  Dichtern,  vgl.  Anm.  No.  III.  v.  47  über  den  Schleier  der 
Nacht  u.  s.  w.  Hier  konnte  hinzugefügt  werden,  dass  auch  die 
lateinische  Dichtung  das  Bild  noch  nicht  kennt,  obgleich  einzelne 
Poeten  der  modernen  Vorstellung  ganz  nahe  kommen.    Ovid  schreibt: 

1)  Es  sind  noch  vier  deutsche  Schulausgaben  von  B^ranger  er- 
schienen von:  1)  A.  Kühne,  2.  Aufl.  Berlin,  1887.  Weidmännische 
Buchhandlung.  2)  L.  W.  Hasper,  ib.  1882.  3)  G.  Voelker,  Leipzig, 
1877.  Teubner.   4)  Jos.  Sarrazin,  Bielefeld,  1885.  Velhagen  ft  Klasing. 


K,  A.  Mortui  Hartmatm's  Schulausgaben,    Nr.  2.  247 

Cum  nox  nigro  polos  mvoivit  ttmiciu  und  Silius  Italiens:  Ei  ni  caeca 
sinu  terras  nox  conäerei  atro.  (Nach  G.  A.  Koch's  Gradus  adPamassum, 
Leipzig,  1874,  unter  nox.)  —  Einzelne  Erklärungen,  wie  diejenigen  zu 
Cheronee  S.  70,  FMdias,  Tyrtee,  rihssus  S.  64,  fattesie  TEvangäe  II,  15 
etc.  könnten  meines  Erachtens  in  einer  zweiten  Auflage  unbedenklich 
gestrichen  werden.  Desgleichen  Anmerkung  XII  29,  wo  nur  YIII  37 
wiederholt  wird,  oder  XXII 80  sabots,  worüber  schon  II 31  gehandelt  wurde. 

Auch  die  sprachlichen  Anmerkungen  sind  mit  Umsicht  abse- 
fasst.  An  vielen  Stellen  verhindert  H.,  dem  eine  grosse  Summe  päda- 
.  gogischer  Erfahrungen  zu  Gebote  steht,  in  belehrender  Weise  eine 
schiefe  Auffassung  oder  halbrichtige  Übersetzung  durch  eine  rechtzeitige 
Note,  und  den  sprachlichen  Eigentümlichkeiten  B^ranger's  ist  er  durchaus 
gerecht  geworden  (Belege  unnötig).  Doch  könnte  insofern  hier  eine 
Beschränkung  eintreten,  als  den  Ausdrücken,  welche  der  Schüler  im 
Thibaut  oder  in  der  kleinen  Ausgabe  von  Sachs  genügend  erklärt 
findet,  die  Aufnahme  in  die  Anmerkungen^)  versagt  werden  sollte. 
Dahin  rechne  ich  renommer  rühmen  VI  8,  abandanner  im  Stich  lassen 
XXVIII  41,  sauter  in  die  Luft  fliegen  XXXI  4,  miraae  Luftspiegelung 
XX  45,  suppot  Helfer  IV  25,  voliiger  herumflattem  &  6.  Siehe  auch 
XIII  47,  XVI  49,  XVII  43,  XXXIV  58  u.  8.  w.  Ferner  glaube  ich,  dass 
Schüler  oder  Schülerinnen,  mit  welchen  man  B^ranger  liest,  fühlen 
werden,  das  objet  cheri  XI  88,  daigna  me  consoier  I  2^,  faute  d*Stre 
assez  granä  1  4  oder  fais-nous  danser  XXIV  7  nicht  wörtlich  übersetzt 
werden  können.  Sie  werden  auch  im  Stande  sein,  dafür  deutsche  Aus- 
drücke zu  finden,  welche  in  das  Kolorit  der  betreffenden  Stelle  passen. 
Der  Verfasser  wird  wohl  im  Grunde  derselben  Meinung  sein.  Meine 
Bemerkung  gilt  nur  dem  Mass  der  Beschränkung  und  verkennt  nicht, 
wie  schwer  es  ist,  gerade  hierin  es  jedem  recht  zu  machen. 

An  Einzelheiten  bleibt  noch  folgendes  zu  bemerken: 

I  13  würde  ich  morgue  tranchanie  mit  Sarrazin  (S.  22  seiner 
Ausgabe)  Lieber  durch  „verletzenden"  Dünkel  als  mit  H.  durch  „ab- 
sprechenden" Dünkel  übersetzen. 

II  7  venge  heisst  „in  Schutz  nimmt"  vgl.  vindware  in  seinen  Be- 
deutungen. 

VIII  15.  Der  französische  Adel  war  vor  der  Revolution  nicht 
absolut  steuerfrei.     Vgl.  von  Sybel  oder  Gucken. 

Den  Tadel  gegen  XIII  35  vermag  ich  nicht  zu  teilen. 

XIX  7.  Dass  man  bei  Pariser  Kindern  nicht  sehr  häufig  tiefes 
Katurgefühl  finde,  glaube  ich  nicht.  Bekannt  ist  doch  der  Drang  der 
Pariser  an  Feiertagen  aufs  Land  zu  kommen  zum  manger  gur  fherbe. 
Vgl.  auch  Bulwer,  Night  and  Morning  S.  247.    Tauchn.    Ed. 

XX  2  heisst  es:  „Wie  es  scheint,  ist  B^ranger  der  erste  fran- 
zösische Dichter,  der  es  gewagt  hat,  eine  Jahreszahl  in  den  Vers  zu 
setzen."  Es  muss  wohl  heissen :  der  erste  französische  Dichter,  welcher 
es  nach  der  zweiten  klassischen  Periode  wagte  u.  s.  w.,  denn  im  Alt- 
französischen sind  Jahreszahlen  im  Verse  sehr  oft  zu  belegen.  Vgl. 
z.  B.  Philippe  Mousket  Vers  27530  Qu*en  Vom  de  Pincarnation  M.  et  €C. 
et  vmt  et  sis  SU  moru  eis  rais  Loeys. 

XXV  27.  Der  angeführte  unterschied  zwischen  convier  und  inviter 
besteht  meines  Ehrachtens  trotz  Lafaye  nicht.  Vgl.  auch  te  fdn  Tinvite 
XIX  56. 


^)  Bei  den  Liedern  Bäranger^s  kann  es  doch  nicht  wünschenswert 
sein,  besonders  flott  zu  übersetzen.  Vgk  Hartmann,  Mademoiseüe  de  h 
Seigliere  S.  VI. 


-  *.     _ 


248  Referate  und  Rezensionen,     0.  Glöde, 

XXIV  17  hätte  wohl  die  Stellung  den  persönlichen  Fürworts  in 
qui  roscUent  entendre  eine  Bemerkung  verdient.    Vgl.  Lücking  §  208,  3c. 

XXVI  10  sagt  H.  zu  mon  lit  cheiif:  „Mit  bten  versetzt  sich  der 
Dichter  im  Geiste  lebhaft  zurück  und  fühlt  die  Ärmlichkeit  noch  einmal 
mit  durch".  Das  liegt  doch  wohl  nicht  alles  in  Uen.  Vgl.  'ähnliche 
Anm.  IV  45,  XVIII  43. 

XXVII  9  dans  Athene.  Die  Bemerkung  könnte  etwas  weiter  ge- 
fasst  noch  mehr  nützen;  denn  in  dans  Vienne  XXXIV  31,  dans  Paris 
XXXV  33  und  dans  Saint- Helene  XXXVI  15  ist  die  Präposition  nicht 
durch  die  Silbenzahl  des  Verses  oder  durch  zu  vermeidenden  Hiatus 
bedingt.  Auch  die  Grammatiken  beschränken  oft  willkürlich  den  Ge- 
brauch von  dans  vor  Städtenamen  zu  sehr.  Vgl.  Lücking  §  458.^) 
Auf  die  Schreibung  von  Athene  (ebenso  XXIII  34  in  der  Zäsur)  könnte 
auch  bei  Jemmape  XXII  18  verwiesen  werden,  wo  gleichfalls  das  s 
unterdrückt  ist,  um  die  in  der  Sprache  bestehende  Elision  ins  Auge 
fallen  zu  lassen.  V.  Hugo  gebraucht  z.  B.  oft  Londres  est  als  zwei- 
silbig, der  Aussprache  gemäss. 

XXXV  55  sollte  hinzugefügt  werden,  dass  die  irdischen  Überreste 
Napoleon's  I.  1840  nach  Paris  überführt  wurden  und  in  der  Kapelle 
des  Invalidenhötels  ruhen. 

XXXIV  S.  84  0.  Die  Worte  über  die  Wiederholung  am  Schluss  einer 
Strophe  entsprechen  nicht  ganz  der  Thatsache.  Vgl.  Strophe  10,  8,  2,  4,  13. 

Dem  vorliegenden  Bändchen,  welches  die  Verlagsbuchhandlung 
wiederum  vorzüglich  ausgestattet  hat,  gebührt  somit  das  beste  Lob. 
Wir  machen  alle  Fachgenossen,  besonders  aber  die  Herren  Studierenden, 
auf  Martin  Hartmann's  Bäranger  -  Ausgabe  aufmerksam  und  wünschen 
ihr  die  weiteste  Verbreitung.  F.  Wendelboen. 


Hobler,  £•,  Coup  d'oeü  sur  Phistoire  de  la  litierature  frangaise.  Für 
den  Schulgebrauch.     Dessau,  1889.     Paul  Baumann. 

Zu  den  vielen  Grundrissen,  Abrissen,  Precis  der  französischen 
Litteraturgeschichte  fügt  der  Verfasser  einen  kurzen  Oberblick  über 
dieselbe  hinzu.  Das  Büchlein  ist  für  den  Schulgebrauch  bestimmt  und 
soll  wohl  dem  Lehrer  das  leidige  Diktieren  ersparen.  Döhler  scheint 
zunächst  an  Mädchenschulen  bei  der  Abfassung  gedacht  zu  haben,  in 
denen  häufiger  als  in  Knabenschulen  französische  Litteraturgeschichte 
in  einer  besonderen  Stunde  behandelt  wird.  Eine  Schülerin  der  II. 
oder  I.  Klasse  soll  im  Grundriss  einen  Anhalt  für  das  finden,  was  der 
Lehrer  vorgetragen  hat,  also  den  Namen  von  Schriftstellern,  einige 
wichtige  Daten  aus  seinem  Leben,  vielleicht  das  Todesjahr,  das  der 
Zeit  seiner  grössten  Schaffenskraft  in  den  meisten  Fällen  am  nächsten 
liegt,  und  die  Titel  einzelner  Hauptwerke.  Der  Verfasser  eines  solchen 
Überblickes  hat  also  auszuwählen  für  einen  bestimmten  Zweck,  und  es 
ist  nur  zu  natürlich,  dass  er  zuweilen  falsch  wählt  oder  anders  wählt, 
als  es  ein  Fachgenosse  gethan  haben  würde.  Das  wird  sich  stets  nach 
dem  Lehrer  richten  müssen;    man   kann    nicht  viel   von   einem  Mann 


1)  Auch  Lücking's  Fussnote  2  zu  §  476  betreffs  des  Gebrauchs 
von  dans  vor,  singularischen  Ländernamen  bedarf  der  Erweiterung,  vgl. 
z.  B.  Mol.,  Ecol.  d.  F,  1  4  biens  qü'il  s'est  en  quatorze  ans  acquis  dans 
l^Amerique  odet  Michaud,  i^«  Croisade  I  (S.  12  Goebel)  lorsque  les 
pelerins  de  PSglise  latine,  apres  avoir  traverse  des  contrees  ennemies  et 
couru  müU  dangers,  arrivaient  dans  la  Palestine. 


E,  Döhler,  Coup  d^oeü  snr  Thisioire  de  la  Uiteraiure  francaise,        249 

reden,  von  dem  man  gar  nichts  oder  so  gut  wie  nichts  gelesen  hat^ 
von  einem  Werke,  dessen  Inhalt  man  nur  aus  einer  Litteraturgeschichte 
kennen  gelernt  hat.  Der  Lehrer  dart  deine  Kenntnis  der  Litteratur 
nur  aus  der  eigenen  Anschauung  schöpfen,  durch  fleissiges  und  ver- 
ständiges Lesen,  die  meisten  werden  auch  ein  schriftliches  Fixieren 
nicht  entbehren  können.  Je  länger  man  in  dieser  Weise  lehrt,  desto 
grösser  wird  das  Repertoire,  aber  auch  desto  schwieriger  die  Auswahl, 
desto  ernster  die  Mahnung  an  den  Gelehrten,  dass  er  Lehrer  ist  und 
von  seinen  Schülern  verstanden  sein  will.  Nur  ein  kleiner  Bruchteil 
von  dem,  was  den  Litterarhistoriker  bewegt,  gehört  in  die  Schule; 
aber  dies  wenige  stellt  der  Gelehrte  lebendiger,  mit  weiterem  Blicke 
dar  als  der  sich  mühsam  durch  Zahlen  und  «Titel  hindurchfühlende 
Lehrer,  der  die  Wahrheit  seiner  Behauptungen  nicht  zu  beweisen  ver- 
mag durch  eigene  Gründe. 

Femer  hängt  der  Unterricht  in  der  Litteraturgeschichte  aufs 
engste  zusammen  mit  der  Lektüre,  ja  an  manchen  Anstalten  wird  er 
direkt  in  einer  Lehrstunde  damit  behandelt  und  gewiss  mit  Kecht, 
denn  die  Lektüre  ist  der  Hauptbestandteil  des  Unterrichts  in  der 
Litteraturgeschichte;  nach  der  Anzahl  der  Lektürestunden,  nach  den 
gelesenen  Werken,  den  benutzten  Chrestomathien  richtet  er  sich  also 
in  erster  Linie. 

Alle  diese  Momente  hat  Döhler  beachtet;  im  einzelnen  bemerke 
ich  noch  folgendes:  S.  6  hätte  mindestens  noch  der  Chev.  au  Hon  hin- 
zugefügt werden  müssen.  S.  10  wird  von  Racine  gesagt:  Racine  iomba 
en  disgräce  aupres  du  rot  ä  cause  d'un  pamphlet  et  ne  dui  plus  parmire 
ä  la  conr.  11  mourut  de  chamin  en  1699.  Der  Grund,  der  hier  für 
die  Ungnade  Racine's  angegeben  wird,  ist  litterarhistorisch  wohl  nicht 
stichhaltig.  Mir  scheint  vielmehr  jene  Angabe  wahrscheinlich,  dass 
Racine  sich  in  politische  und  finanzielle  Fragen  mischte,  was  der  König 
durch  M™«  de  Maintenon  erfuhr. 

S.  10  heisst  es  von  Moli^re:  Son  grand-pere,  ä  qui  Peducation 
de  Jean  avaii  ete  confiee,  —  la  mere  etarit  morie  —  le  menaii  souvent 
au  thdäire  ei  eveiUa  ainsi  le  goüt  du  jeune  komme  pour  la  scene.  Dies 
ist  nach  den  Ausführungen  von  Mahrenholtz  u.  a.  mindestens  sehr 
zweifelhaft;  denn  Moli^re's  Grossvater  soll  schon  1626  gestorben  sein, 
wird  also  den  kaum  vierjährigen  Knaben  noch  nicht  in  das  Theater 
mitgenommen  haben.  Mir  scheint  Moli^re  aus  Liebe  zur  M.  B^jart 
zum  Theater  gegangen  zu  sein,  nicht,  wie  EUomire  hypocondre  sagt, 
weil  er  zu  keinem  vernünftigen  bürgerlichen  Beruf  mehr  föhig  war, 
auch  nicht  durch  den  täglichen  Anblick  der  Marktspiele  der  Enfants 
Sans  Souci  bewogen,  wie  Moland  und  Schweitzer  meinen. 

Bei  der  Inhaltsangabe  des  Tariuffe  wird  nur  gesagt,  dass  Elmire 
den  Betrüger  entlarvt;  das  Auftreten  des  königlichen  Kommissars  hätte 
hinzugefügt  werden  müssen.  Bei  Montesquieu  vermisse  ich  die  Con- 
side'raiions,  da  die  Letires  persanes  angeführt  sind.  Das  XVIII.  und 
vor  allen  Dingen  das  XIX.  Jahrhundert  sind  sehr  knapp  behandelt.  An 
Druckfehlem  sind  mir  aufgefallen: 

S.  3  Z.  6  V.  u:  (7M  statt  on. 

S.  11  Z.  19  V.  o.:  hei  statt  bei. 

S.  11  Z.  9  V.  u. :  casette  statt  casseiie. 

S.  22  Z.  6  V.  0.:  Lelorme  statt  Delorme. 

S.  22  Z.  17  V.  u,:  Delavigne  statt  Delavigne. 

Plus  iard  ist  S.  7,  12,  14,  15,  hkn  que  8.  16  und  tandis  que  S.  8 

in  einem  Wort  gedruckt,  vielleicht  mit  Absicht.  /^     ^^    .. 

0.  Glode. 


250  Referate  und  Rezensionen,    /.  ffoch, 

fikshaefer,  Kart,  Französische  SchiUaramnuUik  für  die  Unterstufen, 
Zweite  Auflage.  Berlin,  1889.  Winckehnann  und  Söhne.  251  S. 
80.    Preis:  2  Mk.,  geb.  2  Mk.  50  Pf. 

Es  ist  eine  unbestrittene  Thatsache,  dass  die  Reformgraminatiken 
bisher  verhältnismässig  geringen  Eingang  in  den  Schulen  gefunden 
haben.  Den  Grund  davon  finde  ich  nicht  ausschliesslich  in  der  Gleich- 
gültigkeit vieler  Lehrer,  die  allerdings  bedauerlicherweise  immer  noch 
gross  ist,  auch  nicht,  wie  viele  wollen,  darin,  dass  einige  Fragen  der 
Reform  wirklich  noch  der  Klärung  bedürfen.  In  grösserem  Massstabe 
schreibe  ich  sie  dem  Umstände  zu,  dass  in  kurzer  Zeit  zu  viel  brauch- 
bare Lehrbücher  auf  dem  Boden  der  Reform  erwachsen  sind,  und  der 
daraus  entstehenden  Besorgnis,  es  könnten  bald  noch  brauchbarere 
veröffentlicht  werden.  Ich  rechne  das  Elementarbuch  und  die  mir  vor- 
liegende Schulgrammatik  von  Schaefer  zu  den  besten  aller  Hülfsbücher, 
die  bislang  von  Anhängern  einer  massvollen  Reform  geschrieben  sind. 
Wirklich  auch  hat  diese  Schulgi*ammatik  (ebenso  wie  der  I.  Teil  der 
Schulgrammatik  für  Oberstufen)  trotz  aller  Hindernisse  schon  die  zweite 
Auflage  erleben  dürfen,  so  zwar,  dass  nunmehr  die  beiden  Abteilungen 
der  ersten  Auflage  (1887)  nach  einer  Umarbeitung  zu  einem  Buche 
verschmolzen  sind. 

Die  besonderen  Vorzüge  der  beiden  genannten  Schaefer'schen 
Bücher  lassen  sich  kurz  etwa  folgendermassen  zusammenfassen: 
1)  Zusammenhängende  Lesestücke  bilden  den  Ausgangspunkt  des  Unter- 
richts für  die  Aussprache,  den  anzueignenden  Vokabelschatz,  die 
Kenntnis  der  Formen  und  die  wichtigsten  Regeln  der  Syntax.  2)  (jrram- 
matik  und  Lektüre  greifen  beständig  ineinander.  3)  Das  Gedächtnis 
wird  entlastet,  das  Denken  aber  geübt  durch  „Darstellung  der  inneren 
Gesetzmässigkeit  des  Sprachbaues",  was  für  unsere  Stufe  Ableitung 
der  Formen  aus  allgemeinen  Lautgesetzen  bedeutet.  Als  weiteren 
Vorzug  möchte  ich  den  gründlichen  Betrieb  der  Grammatik  und,  z.  T. 
im  Gegensatz  zu  Rambeau  (s.  Zschr.  IX 3,  33  fll  u.  IX ^,  251),  die  um- 
fangreiche Verwendung  von  Übersetzungsübungen  aus  dem  Deutschen 
hervorheben,  in  der  Art,  wie  Schaefer  sie  gibt:  zusammenhängende 
Texte,  die  inhaltlich  interessant  sind  und  sich  dabei  beständig  an  das 
Dagewesene  anlehnen. 

Im  einzelnen  möchte  ich  mich  nur  gegen  die  Fassung  einiger 
Regeln  wenden.  S.  158  wird  unter  332  der  Unterschied  zwischen 
Imperf.  und  histor.  Perf.  klar  und  verständlich  angegeben.  Unter  338 
heist  es  dann  weiter:  Daher  steht  fast  stets  das  Imperf.  c)  in  Neben- 
sätzen des  Grundes  (parce  que).  Die  entsprechende  Rubrik  für  das 
bist.  Perf.  ist  leer  gelassen.  Sie  würde  sehr  passend  ausgefüllt  sein, 
wenn  der  Verfasser  hinzufügte :  Daher  steht  das  histor.  Perf.  fast  stets 
c)  in  Nebensätzen  der  Folge  (de  sorte  que,  de  moniere  que,  de  fa^on 
que,  si  que,  teÜement  que).  Es  ist  nämbch  thatsächüch  so,  und  ganz 
naturgemäss,  wenn  auch  die  Lehrbücher  nicht  davon  sprechen. 

Die  Fassung  der  Regel  S.  167  unter  853:  Es  steht  der  reine  In- 
finitiv S)  nach  den  Verben  des  Sagens  und  Denkens  wie  croire  etc. 
4)  nach  den  Verben  des  Wünschens,  wie  däsirer  etc.  erweckt  die  Mei- 
nung, dass  nach  den  Wörtern  des  Wünschens  der  reine  Infinitiv  mit 
derselben  Regelmässigkeit  stehe  wie  nach  den  Wortern  des  Sagens 
und  Denkens.  Ich  würde  vorschlagen:  nach  folgenden  Wörtern  des 
Wünschens  oder  besser  nach  folgenden  Wörtern  der  Willensäusserung 
als  Übergang  zu  der  allgemeinen  Regel,  dass  nach  den  Wörtern  der 
Willensäusserung  der  Infinitiv  mit  de  steht.    Ich  würde  auch  ordnen: 


Z.  Meigrei,  Le  Tretie  de  la  Gramm fre  FranifOfze,  Hrgg,  v»  W,  Fcerster,    251 

Wörter  des  Denkens  und  Sagens,  nicht  des  Sagens  und  Denkens, 
aus  demselben  Grunde,  aus  welchem  die  Wörter  des  Bittens  hinter 
den  Wörtern  des  Wünschens  aufgezählt  werden  müssen:  das  Sagen 
ist  der  Ausdruck  des  Denkens,  wie  das  Bitten  der  des  Wunsches. 

E.  Magkel. 


Melgret,  IJoilUl,  Le  Treue  de  la  grammfre  Frar^ofze,  Nach  der 
einzigen  Pariser  Ausgabe  (1550)  neu  herausgegeben  von 
Wendelin  Fcerster.  Heilbronn,  1888.  Henmnger.  XXX, 
211  S.  8^  Preis:  3,80  Mk.  Sammlung  französischer  Neudrucke, 
herausgegeben  von  Karl  Vollmöller. 

Wenn  auch  spät  (andere  Arbeiten  nahmen  meine  freie  Zeit  völlig 
in  Anspruch),  so  hoffentlich  nicht  zu  spät  kommt  diese  Anzeige  der 
sorgfältigen  Ausgabe  eines  in  mehrfacher  Hinsicht  interessanten  Buches. 
Denn  einmal  bietet  es  uns  in  einer  vollständig  durchgeführten  pho- 
netischen Rechtschreibung  ein  wertvolles  Mittel,  die  Aussprache  des 
Französischen  im  XVI.  Jahrhundert  kennen  zu  lernen;  ferner  enthält 
es  den  ersten  Versuch,  die  Satzbetonung  durch  Angabe  der  Tonhöhe 
der  einzelnen  Wörter  zu  bestimmen;  und  endlich  finden  wir  in  dem- 
selben reichhaltiges  Material  zur  Geschichte  der  französischen  Grammatik. 

Obwohl  dieses  seltene  Werk  schon  in  Bezug  auf  seine  Beiträge 
zur  Darstellung  der  französischen  Orthographie  und  Aussprache  von 
andern  (A.  F.  Didot  und  Ch.  Thurot)  gründlich  durchforscht  ist,  wird 
man  Fcerster  für  seine  Separatausgabe  dennoch  Dank  wissen,  besonders 
da  sie  jeden  in  den  Stand  setzt,  den  Treite  in  grammatischer  Hinsicht 
auszunutzen,  was  bisher  noch  nicht  genugsam  geschehen  ist. 

In  der  Einleitung  spricht  der  Herausgeber  zunächst  sein  Be- 
dauern darüber  aus,  dass  die  so  verständige  Reformbestrebung  Meigret's 
auf  orthographischem  Gebiete  seiner  Zeit  so  wenig  Erfolg  gehabt  hat, 
ja  sogar  als  Zielpunkt  des  Spottes  .diente.  Doch  wenn  man  jetzt, 
nach  340  Jahren,  sieht,  wie  wenig  Theilnahme  diese  Bestrebung  bei 
Gelehrten  und  Gebildeten  findet,  so  wird  man  auch  für  die  nächste 
Zukunft  kaum  eine  durchgreifende  Besserung  der  so  unnütz  erschwerten 
und  prinziplosen  Rechtschreibung  nach  vernünftigen  und  sprachlichen 
Gesetzen  erhoffen  können. 

Über  die  Lebensverhältnisse  Meigret's  wissen  wir  herzlich  wenig. 
Dass  er  aus  Lyon  stammte,  geht  aus  den  Angaben  auf  den  Titeln 
seiner  Werke  hervor;  ausserdem  möchte  ich  noch  darauf  aufmerksam 
machen,  dass  im  vorliegenden  Tretie  mehrfach  in  ziemlich  auffälliger 
Weise  die  Ausdrücke  Eion  und  Lionofs  (z.  B.  27,  1;  28,  16;  81,  25; 
32,  19;  43,  6;  166,  16)  in  den  grammatischen  Beispielen  benutzt  werden; 
S.  7,  7  steht  sogar  eine  Lyoner  Redensart:  Mal  avize  a  prov  pein&, 
Meigret  dürfte  jedoch  spätestens  1530  nach  Paris  gekommcm  sein,  wo 
die  meisten  seiner  Schriften  gedruckt  und  verlegt  sind.  Bald  nach 
1558  muss  er  jedoch  gestorben  sein,  da  dann  sein  letztes  Werk,  die 
Neuauflage  seiner  Übersetzung  der  fünf  ersten  Bücher  des  Polybius, 
in  diesem  Jahre  erschien.  Da  es  in  Lyon  gedruckt  ist,  liegt  die  Ver- 
mutung nahe,  dass  er  in  seine  Vaterstadt  zurückgekehrt  war. 

Was  seine  litterarische  Thätigkeit  angeht,  so  besteht  sie  zu- 
meist in  Übersetzungen  lateinischer  und  griechischer  Autoren ;  daneben 
in  einigen  grammatischen  Abhandlungen  und  Streitschriften  etc.  Der 
Herausgeber  bringt  ein  ausführliches  Verzeichnis  derselben  auf 
S.  IX — XV,  ist  jedoch  nur  in  der  Lage  gewesen,  eisen  Teil  von  ihnen 


252  Referate  and  Rezensionen.     J.   Koch, 

selbst  ebauaehen.  Nachdem  er  dann  das  VerhältniB  Meigret'n  ku 
Beinen  ZeitgenosBen,  seinen  Freunden  und  asinen  Gegnern  daigeBtellt, 
hebt  Fcerster  kurz  diejenigen  Punkte  hervor,  in  denen  sich  sein  Autor 
von  den  vorangehenden  französischen  Gcammatiken,  namentlich  von 
der  de»  Jacobus  Silvins  unterscheidet,  und  meint  schliesBlich,  ihm  die 
Einführung  der  Apostrophe,  der  Accente  und  der  Cedille  zuschreiben 
zu  müssen.  Wie  mir  jedoch  Herr  Professor  Lamprecht  mitteilt,  werden 
diese  Zeichen  bereits  von  Geoff  ro;  Torj  in  seinem  1529  erschienenen 
Cfiamp  fleury  gefordert,  einem  Buche,  weloheä  »ich  der  Herausgeber 
leider  nicht  seuist  verschafien  konnte. 

Auf  diese  Einleitung  folgt  dann  bis  S.  196  der  Text,  aus  dem 
ich  einige,  für  den  Autor  und  seine  Eigenart  charakteristiBche  Stellen 
anführen  machte.  In  dem  ersten  Jo'  LecUars  übe rschri ebenen  Ab- 
schnitte finden  wir  (S.  4,  30  S.)  den  sehr  vernünftigen  Grundsatz: 
Come  tecriture  ne  foft  qe  ta  sray'  imaje  de  la  paroile,  a  l/otie  rpzon  on 
reftmera  faof  f  aouziue,  ß  eile  ne  luv  ft  conforme  par  vn  aff^mbiement 
de  teures  eotmenantes  ao  hatiatfnt  de  rxi'p.  Und  ähnlich  weiter  unten 
(12,  23  f.):  fiy  ne  feu  pottrgof  la  plume  dofiie  porter  fn  fon  ecrittttre 
plus  grantle  reuerfnc  a  tantigile,  qe  ne  luy  /gt  la  lang'  fn  fa  pro- 
nonfia^n.  Uemgemäss  schreibt  Meigret  der  Auespracne  seiner  Zeit 
Znfolge  z,  B.  die  gewöhnlich  durch  au  und  oi  dargestellten  Laute  ao 
und  of,  lässt  die  im  Inlaute  verstummten  Zeichen  einfach  fort  und 
setzt  fSr  die  im  Auslaute  fakultativ  verstiiiniu  enden  e,  fund  I  Apostrophe. 
Bezüglich  der  Konsonanten  hetsst  es  (16,  2S):  Je  f^s  .  .  .  soiier  .  ,  . 
toutes  confonanles  d'un  rngme  fon  auant  lautes  voyelles.  Daher  be- 
zeichnet er  sl^mmlOBes  s  durch  f  im  An-  und  Inlaut,  ^  im  Auslaut; 
stimmhaftes  durch  z;  er  setzt  durchaus  g  für  den  Verachbisslaut,  _;'  für 
den  Reibelaut;  die  sogenannten  mouilliorten  Laute  giebt  er  durch  n 
und  /  mit  einem  Häkchen  (in  FiBrster's  Druck  durch  t  ausgedrückt)  etc. 
Inkonsequent  ist  es  dagegen,  wenn  Meigret  den  Ar-Laut  vor  a  o  u  durch 
C,  vor  e  i  y  durch  q  darstellt.  Mit  Recht  wendet  er  aich  aber  gegen 
die  sinnlose  Nachahmung  lateinischer  Orthographie  und  latinisieren  de 
Ausdrücke  und  Konstruktionen  (s.  8.  138  ff,  ii.  195).  Andererseits  sind 
seinn  Kenntnisse  in  der  altfranzSsischen  Sprache  mangelhafte,  woraus 
ihm  aber  in  Anbetracht  des  damaligen  Standes  der  Gelehrsamkeit  kein 
Vorwurf  gemacht  werden  soll.  So  erklärt  er  %.  B.  die  althergebrachte 
Schreibung  der  Imperfektendung  -oient.  die  zu  seiner  Xeit  -o^t  tönte, 
durch  Vermischung  der  Endungen  -oinl  uud  -ient  (14,  12  ff.) ;  die  Plural- 
formen des  Präsens  von  choir  (fhofr)  leitet  er  von  einem  infimtif 
inuzite  fhauer  ab  (105,  30);  ebenso  die  von  ecrh-e,  von  ecriuer,  von 
boire,  von  buner  (108,  17  ff.),  die  von  souffrir,  von  souffrer  (112,  17)  etc. 
Die  drei  Stämme  des  Verbs  aller  sind  nach  ihm  (124,  19  f.)  vailo,  ire 
und  das  hebräische  Aallac;  die  Negationspartikel  pas  soll  dagegen  das 
griechische  iräf  sein  (175,  6)! 

Im  übrigen  die  auf  Priscian  beruhende  und  nach  den  Redeteilen 
angeordnete  Grammatik  durchzugehen ,  würde  hier  zu  weit  führen. 
Doch  mögen  einige  kurz  zitierte,  nach  Belieben  herausgegriffene  Stellen 
über  die  sonstigen  Belehrungen,  die  uns  das  Duette  bietet,  Audeutungen 
geben,  —  12,  5.  Meigret  konstatiert  die  Auesprache  eaje  neben  aß 
(ägej.  —  IS,  34.  DerVerf.  kennt  bereitB  die  Liaison  des  n  und  die  des  /, 
doch  nicht  die  des  s  (vgl.  Anm.  zn  111,  23).  —  23,  30.  Die  Aussprache 
faitnes  ist  gewöhnlicher  als  pfalmes.  —  30,  32  Als  unterscheidende 
Zahl  bei  Kegentennamen  führt  Meigret  nur  die  ordinale  mit  Artikel 
an:  ^hartes  le  qmt,  g  le  ßzieme.  —  31,  1  Zwei  Vornamen  derselben 
Person   sind    wenig   gebräuchlich.   —   4S,   30   u.   49,    17    Das  a   in   lac. 


Z.  Meigret,  Le  Tretiede  la  Gramm fre  Frangofze.  Brgg.  v,  W.  F(Brster.     253 

hanap  ist  kurz,  in  läcs,  hanäps  lang;  c,  p,  q  verstiniimen  fast  vor  aus- 
lautendem s.  —  52,  10  Die  Zahlwörter  fofffanf  f  dis,  qaire  vins  etc. 
sind  beliebter  q\s  ßUanie,  huyiiante.  —  68,  23;  173,  37;  175,  13  In  der 
Frageform  verbindet  sich  öfters  das  Pronomen  der  2.  Pluralis  mit  dem 
Verb  der  2.  Singularis:  ö'  von'  fft  cela?  —  75,  17  Don  Einschub  des  t 
nach  der  3.  Sing,  derer  auf  -^*  in  der  Frage  vor  vokalisch  auslautendem 
Pronomen  hält  Meigret  für  unzulässig;  besser  fyme  Von  BÜseyme  fon 
(vgl.  192,  20).  —  82,  4  Je  mfme  neben  mof  m§me,  —  88,  18  ff  Meigret 
verwirft  die  Flexionsfähigkeit  des  Part.  Perf.  bei  Reflexiven  und  nach 
vorangehendem  Objekt.  —  101,  9  ff.  Der  Verfasser  erklärt  den  Aus- 
druck (f§i  mof  für  unlogisch  und  empfiehlt  dafür  c^  fvys  je.  —  104,  6 
Einige  sagen  vons  statt  allons.  —  104,  17;  106,  4;  107,  14  u.  31  etc. 
In  der  1.  Sing.  Präs.  ist  der  Abfall  des  auslautenden  s  bei  mehreren 
Verben  fakultativ ;  so  veu  und  veus,  puy  und  puys,  f^  und  f^s,  bo§  und 
boes  etc.  109,  34  Von  rompre  sind  die  Formen  Je  rons,  tu  rons,  ü  ront 
beliebter  als  rom(s),  romt;  ebenso  spricht  man  lieber  proni  statt  prompt, 
tens  statt  tfmps;  übrigens  die  einzige  Andeutung  der  Nasalierung  bei 
Meigret  (vgl.  Victor,  Elem.  d.  Phonetik,  §  69,  A.  5.).  —  112,  6  u.  122,  25 
ferir  und  seine  Formen  gehören  mehr  dem  poetischen  Gebrauch  an.  — 
115,  8  u.  147,  25.  Die  3.  Plur.  des  bist.  Perf.  derer  auf  -er  lautet  so- 
wohl auf  -aret  wie  auf  -eret ;  die  1.  Sing,  sowohl  auf  -e  wie  auf  ey ; 
die  1.  Plur.  auf  -imes  derselben  Konjugation  (115,  18)  wird  freilich  als 
falsch  verworfen,  immerhin  aber  der  Erwähnung  wert  gehalten.  —  119, 15. 
Das  Partizip  mors  von  moräf'e  wird  für  besser  gehalten,  obwohl  mordu 
regelmässiger  sei.  —  121,  14  Prittes  und  priret  (H.  P.  von  prendre) 
werden  den  Formen  printes  und  prin(d)ret  vorgezogen.  —  123,  20.  Tey 
paffe  (par  Paris)  ist  sicherer  als  je  puys  faffe.  —  125,  10.  Neben /aör^y 
und  je  faorey  (faurai,  je  saurai)  billigt  Meigret  farey  und  je  farey.  — 
126,  23  ff.  Als  Imperativformen  von  alier  werden  vas  und  va  für  die  2.  Sg., 
vo^ze  und  vofzet  für  die  3.  Sing.  bezw.  PI.  angeführt.  —  139,  32  Die 
Pariser  Maurer  haben  liueao  und  liueler  in  niueao  und  miielcr  verderbt. 
—  141,  20.  Das  auslautende  s  der  Partizipien  wird  bei  der  Anfügung 
des  Feminin  -e  zu  z,  nur  ars  bildet  arfe.  —  167,  21.  Man  sagt  wohl  je 
fuys  §n  la  Franke,  aber  es  ist  eleganter  zu  sagen  je  m*^n  voes  fn  Franke. 
Besonderes  Interesse  verdient  der  S.  179  beginnende  Abschnitt: 
Dfs  acg^nSy  ou  tons  d§s  fyllabes  4r  dicgions,  in  welchem  Meigret  die 
Tonhöhe  der  einzelnen  Wörter  im  Satzganzen  untersucht.  Er  findet, 
dass  dieselbe  von  der  Silbenzahl  und  von  dem  Umstände  abhängt,  ob 
der  Satz  nur  aus  einsilbigen  Wörtern  besteht,  oder  ob  auch  mehrsilbige 
zu  demselben  gehören.  Bei  diesen  unterscheidet  er  wieder  solche, 
deren  letzte  Silbe  betont  ist  von  solchen,  die  an  dieser  Stelle  ein  ton- 
loses e  haben,  etc.  Seine  Aufstellungen  veranschaulicht  er  dann  durch 
Musiknoten;  bei  den  folgenden  Beispielen  bediene  ich  mich  einer  1,  um 
einen  höheren,  einer  2,  um    einen   tieferen  Ton   wiederzugeben.     Auf 

1818  8189 

S.  181  sehen  wir:   g'ft  mon  maleur,   dagegen  ^*ft  man  frere;  ebenda: 

8  1  8  18         19  8        18        8 

q^t  mon  ceur;  S.  185.   Vne  fame,  gft  vname,  etc. 

Im  Vorbeigehen  noch  die  Bemerkung,  dass  Meigret  sich  über 
den  Missbrauch  der  Passionsspieler  beklagt  (180,  16),  eine  tonlose  Silbe 
zu  accentuieren,  wie  in  Sire  PUate  statt  Pilaie. 

Aus  dem  Kapitel  über  den  Apostroph  sei  hier  erwähnt  (192,  20), 
dass  die  Apokope  des  tonlosen  e  in  der  Frageform  vor  vokalisch  an- 
lautendem Pronomen  unzulässig  ist,  z.  B.  in  §yme  il?  fyme  eile?  Sie 
unterbleibt  auch  besser  im  Konjunktiv  j'uffe  und  j*aye  (vgl.  jedoch 
146,  19  j^uff'ete,  149,  3  j^uff'eyme)  in  der  Satzpause,  und  nach  Ver- 


2&4  ReferaU  und  Rezensionen.    J.  Koch, 

BchluBilaut  +  Liquida,  wie  io  entre  gUes  (vgL  jedoch  9,  9  f»tr'  ellat; 
77.  14  artieT  api-gs;  81,  30  ainjomdr'ao'  nonu;  86,  IT  ßii/r'  en;  95,  34 
raoir'  a  pari;  106,  2  ßu/r'  ajouter;  130,  7  vavtr'  imp-e;  I6d,  19  efr' 
ü^fere,  etc.). 

Den  BeachlusB  des  Buches  (S.  197— 211)  bilden  A.iunerkuageu,  in 
denen  Förster  zun&chst  die  GmndHätze  erörtert,  nach  denen  er  den 
Text  behandelt  hat,  worauf  mehrere  Seiten  mit  nachträglichen 
BeBtetungen   oder  den  Lesarten   des  OriginaU  folgen,  die  in  der  äub- 

fabe  bereite  gebeBsert  sind.  Waa  die  erateren  angeht,  ao  wird  man 
em  Herausgeber  jedenfallB  beistimmen,  dass  grosse  Vorsicht  in  der 
fioTrektur  der  zahlreichen  Fehler  des  überlieferten  Textes  2U  beobachten 
war,  die  nicht  alle  von  dem  in  der  neuen  Orthographie  ungeübten 
Setzei  verechuLdet  sein  dürften,  sondern  auch  auf  lakooBequenzen  and 
der  Zulassung  von  Dop^elformen  seitens  des  Veifaaiers  herutten  können. 
Dasa  solche  thatsächlicli  vorkommen,  geht  aus  den  ausdrücklichen 
Worten  des  letzteren  selbst  an  einigen  Stellen  hervor;  so  heisat  es 
11,  22  ai,  ou  ay  (cor  j't  ne  ffs  point  de  differ^nq'  fnlre  fi,  f  y  Gr^c); 
105,  S6  pluuofr  ou  plouuofr;  174,  SO  votdontiers  ou  voulentters,  wozu 
noch  die  yorhin  schon  erwähnten  Verbalformen  wie:  j'arof,  oa  aorof, 
ou  Off  (143,  23),  Je  vof,  ov  üofs  (150,  31),  ja  vi,  ou  vis  (151,  5),  fuffn  u 
und  j'uff  n  u.  s.  w.  kämen.  An  anderen  Stellen  drückt  sich  M.  zu 
unbestimmt  aus,  als  dass  man  ein  festes  Prinzip  auf  seine  Worte 
basieren  könnte;  so  S.  25,  l  über  daa  Verstummen  von  auslautendem 
s  oder  z,  S,  49  über  den  Gebrauch  von  s  und  z  als  PluraUeichen. 
Dennoch  glaube  ich,  dass  der  Herausgeber  in  einigen  Fällen,  wo  sich 
nur  vereinzelte  Abweichungen  ron  einer  überwiegenden  Hehizabl  einer 
Schreibweise  finden,  und  wo  die  eigenen  Worte  des  Verfassers  dies 
n»he  legen,  iu  der  Besserung  hätte  weitergehen  können,  als  er  sich 
für  berechtigt  hielt.  Z.  B.  (von  vornherein  bemerke  ich  jedoch,  dass 
ich  auf  eine  absolut  vollständige  Zählung  nicht  Anspruch  erhebe)  zeigt 
es  sich,  dass  die  Wörter  auf  -if  in  der  Regel  den  Plural  auf  -ifs  bilden 
(so  10,  38;  40,  7  und  35;  41,  15;  43,  i;  61,  3;  70,  12  und  33;  71,  15; 
76,  12;  79,  16,  ebenda  19  und  21;  164,  14  und  S8  etc.  etc.),  so  dasa 
die  seltenen  Schreibungen  ajfctiz  (40,  34),  coUgctiz  (50,  13)  und  partiliz 
(164,  11)  danach  hätten  'reguliert  weiden  kOnnen,  zumal  Meigret  nur 
den  Schwund  des  ä  und  I  vor  piuralem  -r  odei  -z  kennt  ^S.  49).  — 
Bezüglich  des  verstummenden  s  im  Auslaut  gilt  im  allgemeinen,  da»s 
es  am  Ende  der  Artikel  und  der  attributiv  gebrauchten  Pronomina 
und  Zählwöitei  duich  einen  Apostroph  ersetzt  wird;  doch  bleibt  es 
fast  regelmässig  vor  Zischlaut  lind  Vokal;  nui  in  i^  veisohwindet  es 
auch  vor  leteterem  (s.  besonders  die  Paradigmen  5.  142  ff.).  Dahei 
w^en  meiner  Ansicht  nach  auch  folgende  Stellen  unbedenklich  z,\x 
bessern  gewesen;  dev'  für  deus  S.  52,  36  fdeus  qatre)  und  56,  14  gegen- 
über 14,  9;  17,  12;  22,  4  und  82;  23,  17;  24,  26;  26,  14;  52,  36;  54,  6 
und  ebenda  18  und  28;  55,  5;  56,  5  und  15;  57,  1;  85,  19;  144,  12 
nnd  14;  193,  16  etc.;  iou'  fär  toKs  46,  26;  51,  22  und  78,  2  gegenOber 
lou'  46,  31;  48,  7,  20  und  38;  BS,  21;  54,  11  und  27;  55,  20;  65,  IG; 
82,  4  und  10;  89,  34  und  37;  136,  38;  141,  6;  163,  18  und  19;  173,  24; 
1T9,  26  etc.;  (T  in  üs  vor  anlautendem  s  80,  25;  102,  14;  146,  25  im 
Vergleich  mit  48,  9;  Sl,  23;  67,  2;  80,  13  und  26;  145,  6,  31  and  36; 
146,  5  etc.;  ebenso  filr  ff  vor  Vokal  90,  13  und  iis  in  ff  vor  Konsonant 
20,  29  und  80,  l,  womit  u.  a.  die  zahlieichen  Formen  in  den  Paradigmen 
142  ff.  zu  vergleichen  wären.  —  72,  10  ist  voyes  in  voyez  zu  ändern, 
besonders  mit  Rücksicht  auf  Meigiet's  Bemerkung  10,  4.  ~  Andererseits 
wQrde  ich  allerdings  Bedenken  tragen,  das  s  in  plus,  pas,  sans,  apres 


Jean  de  Mairei,  Sophonisbe.    Rrgg.  von  E,  Voämöätir,  255 

etc.  ohne  weiteres  zu  apostrophieren,  da  hier  die  Unterlassungen  im 
Text  häufiger  sind. 

Als  offenbare  Druckfehler  oder  Versehen  betrachte  ich  dagegen 
folgende  von  Fcerster  übersehene  Fälle:  4,  27  hätte  farians  nicht  in 
faorions  verändert  werden  sollen,  s.  125,  10;  5,  27  bessere  eß  in  p; 
6,  18  l.  on  peüoft;  7,  5  1.  conßdere;  11,  17  grant  (s.  24,  17);  11,  33 
cor^omtes  (vgl.  12,  3);  12,  20  acjourdhui;  14,  9  faqofis;  15,  3  1.  aoqel 
st.  aaquel:  29,  37  1.  beaocoup  st.  öeaucoup;  ebenso  43,  27 ;  64,  1 ;  76,  3^. 
—  53,  34  1.  jfbeffani'  f  dis  (vgl.  52,  12  ff.);  61,  3  lies  das  letzte  Wort 
dizeme;  ebenda  21  aui'  vous  (vgl.  unten  86,  24);  62,  29  1.  propos; 
70,  29  1.  if  nams;  73,  24  l.  reculii;  80,  3  df  tiens  st.  d§s  i.;  85,  11  je 
f^s  st.  ie  f,  (vgL  F.'s  Besserung  zu  94,  27);  86,  24  ürere^  st.  tirere' 
(vgl.  61,  12;  76,  22;  78,  7  Anm.;  172,  26  u.  29);  91,  22  l§'  dames  st. 
Ifs  d.;  96,  13  Anm.  bessert  F.  ßnififr  in  ßnifier,  lässt  jedoch  97,  24 
ßnifier;  98,  26  n'oni  st.  nont  (vgl.  99,  3  und  F.'s  Besserungen  zu  43,  19 ; 
49,  16;  55,  7;  66,  2 ;  67,  15;  69,  28;  70,  35  u.  ö.);  daher  auch  n'a  102,  18; 
99,  15  1.  Vfrhes  st.  V^rbes^;  103, 1  scheint  mir  die  Korrektur  zu  i^  aoires 
ebenso  wahrscheinlich  wie  111,  23,  da  Verstummung  des  s  in  diesen 
Fällen  doch  nur  ausnahmsweise  durch  die  Schrift  ausgedrückt  wird; 
119,  23  regar'  oder  lieber  noch  regard,  wie  es  sonst  wohl  stets  lautet; 
z.  B.  120,  34;  121  12,  und  16,  122,  6  und  22,  u.  s.  w.;  156,  34  bdiir  st. 
häiir;  161,  34  nou'  etyons  scheint  mir  ebenso  fraglich  wie  If^  aoirds 
(s.  103,  1);  162,  34  1.  recomande  st.  -e;  184,  21  wohl  l'aue'  st.  /'««'; 
ebenso  190,  26  ft^  stef;  192,  14  confiance  st.  -(^e;  198,  3  tiire  st  tüire. 

Was  schliesslich  die  Gesamteinrichtung  des  Textes  angeht,  so 
verbot  allerdings  der  Plan  der  ganzen  Sammlung:  möglichst  getreue 
Abdrücke  der  Originale  zu  liefern,  das  Hervorheben  einzelner  Wörter 
durch  den  Druck.  Dennoch  wäre  es  gewiss  manchem,  besonders  dem- 
jenigen, der  den  Treite  nur  zum  gelegentlichen  Nachschlagen  benutzen 
will,  willkommen  gewesen,  wenn  demselben  eine  übersichtlichere  Gestalt 
gegeben  wäre,  da  die  Kapitelüberschriften  hierzu  kaum  ausreichen. 
Viele  wären  daher  gewiss  dem  Herausgeber  zu  noch  grösserem  Danke 
verpflichtet  gewesen,  wenn  er  diesem  Mangel  durch  Marginalnoten 
oder  durch  ein  kurzes  Sachregister  abgeholfen  hätte. 

J.  Koch. 


Malret,  JTean  lle»  Sophonisbe.  Mit  Einleitung  und  Anmerkungen 
herausgegeben  von  Karl  Vollmöller.  Heilbronn,  1888. 
Hetminger.    XLIV,  79  S.  8^.    Dieselbe  Sammlung. 

Obwohl  der  Sophonisbe  Mairet's,  trotz  mancher  wohlgelungener 
pathetischer  Stellen,  nach  der  heutigen  Kunstschätzung  kein  besonders 
hoher  Wert  beizumessen  ist,  so  wird  der  Litterarhistoriker  und  Sprach- 
forscher den  vorliegenden  Neudruck  derselben  mit  Freuden  begrüssen, 
da  die  Werke  M.*s  den  meisten  schwer  zugänglich  sein  dürften. 

In  der  „Einleitung"  diskutiert  Vollmöller  zunächst  die  Frage 
nach  Mairet's  angeblicher  deutscher  Abstammung  auf  Grund  von  Mit- 
teilungen aus  Dokumenten,  deren  Ergebnis  wenig  Positives  liefert. 
Weder  in  Dortmund  noch  in  Ormont,  an  welchen  Orten  man  nach  dem 
Memoire  eines  Neffen  des  Dichters  die  Heimat  seiner  Vorfahren  ver- 
muten könnte,  lässt  sich  eine  Familie  dieses  oder  eines  ähnlichen 
Namens  nachweisen,  und  auch  der  S.  XLIIl  im  Nachtrag  zitierte  Thys 
Megrait  aus  Reifferscheid  kann  nach  den  bisher  bekannten  Notizen 
nicht  mit  Sicherheit  als  Ahnherr  Mairet*s  angesehen  werden.    Dennoch 


256  Ref,  u,  Rez.    J.  Koch,  Jean  de  Mairety  Sophonisbe, 

glaube   ich,   dass   nach  den  S.  VI  angezogenen  eigenen  Worten   des 
Dichters  die  Herkunft  seiner  Familie  aus  Deutschland  nicht  in  Abrede 

gestellt  werden  kann,  bis  ein  positiver  Gegenbeweis  erbracht  ist.  — 
ilücklicher  ist  Vollmöller  jedoch  im  Nachweis  des  Geburtsjahres 
Mairet's,  als  welches  das  Taufregister  von  Be6an9on  1604  angibt;  der 
Tag  ist  vermutlich  der  9.  Mai  (S.  IX). 

Den  übrigen  Teil  der  Einleitung  nimmt  eine  sehr  sorgföltige 
bibliographische  Übersicht  der  Ausgaben  von  Mairet's  Werken  ein, 
von  denen  ein  grosser  Teil  dem  Herausgeber  zur  Verfügung  stand. 
Auf  S.  XXX — XXXIV  finden  sich  die  Varianten  von  sechs  Drucken  zu 
dem  der  Neuausgabe  zu  Grunde  liegenden  Text  vom  Jahre  1635,  die 
jedoch  nur  in  wenigen  Fällen  beachtenswerte  Lesarten  bieten. 

Hierauf  folgt,  nach  Vorausschickung  der  Dedikation,  eines  kurzen 
Vorworts  und  des  Privilegs,  das  Drama  selbst,  welches  übrigens  die 
drei  Einheiten  noch  nicht  so  strenge  durchführt  wie  der  spätere 
Klassizismus,  da  die  Handlung  an  zwei  auf  einander  folgenden  Tagen 
(s.  z.  B.  V.  1147)  vor  sich  geht  und  der  Schauplatz  in  verschiedene 
Gemächer  desselben  Palastes  (s.  z.  B.  v.  1108  u.  1777)  verlegt  erscheint. 

Zu  dem  Texte  selbst  bleibt  wenig  zu  erinnern,  da  Vollmöller 
S.  XXVII  und  in  den  Anmerkungen  S.  77  f.  einige  Druckfehler  und 
Unrichtigkeiten  selbst  korrigiert.  Akt  III,  Szene  1  hätte  vielleicht  die 
Überschrift  nach  den  S.  XXXI  angeführten  Ausgaben  in  Mafsimsse, 
Philip  (der  übrigens  im  Personenverzeichnis  auf  S.  8  fehlt),  Soldats 
Romains  verbessert  werden  können.  —  V.  688  schlägt  V.  in  den  Anm. 
die  Änderung  von  je  propose  in  qu^on  me  propose  vor;  wie  ich  glaube, 
unnötig;  denn  Belege,  di2i,%^  proposer  „vorhaben,  beabsichtigen '^  heissen 
kann,  bringt  Littr?  s.  v.;  so  aus  Oresme:  Je  propose  iranslater;  auch 
dem  Sinne  nach  schliesst  sich  dieser  Vers  der  überlieferten  Form  recht 
gut  dem  Vorhergehenden  (s.  v.  615)  an.  —  V.  1285  ist  in  eftoii  ein 
deutsches  i  hineingeraten.  —  V.  1497  ist  violans  mit  Rücksicht  auf  die 
Schreibungen  in  vv.  911,  1187  und  1786  wohl  in  violeftftjs  zu  bessern. 
—  Der 'Halbvers  1532  wäre  einzurücken  gewesen.  —  Akt  V,  Sz.  3  und 
ebenda  6  fehlt  die  Angabe,  dass  der  in  der  Überschrift  genannte 
Mefsager  dieselbe  Person  ist,  welche  sonst  mit  CaUiodore  bezeichnet 
wird.  —  V.  1606  ist  das  f  in  fon  aus  Versehen  fett  gedruckt.  — 
V.  1760.  Die  0  in  der  Verszahl  fehlt.  —  V.  1788  möchte  ich  mit  den 
anderen  Ausgaben  (s.  S.  XXXIV)  n^est  point  st.  est  p.  setzen.  —  Endlich 
sei  noch  auf  die  merkwürdigen  Reime  1164/65:  feur  (sür):  douceur, 
und  1216/17  adueu  (=  avoeu):  veu  (vu)  aufmerksam  gemacht. 

J.  Roch. 


Miszellen. 


Zu  Mademoiselle  de  la  Seigliere. 

Die  Leser  mögen  verzeihen,  dass  in  dieser  Zeitschrift  noch  einmal 
auf  die  Schulausgabe  des  Unterzeichneten  zurückgekommen  wird.  Das 
wurde  von  meiner  Seite  aus  auch  unterblieben  sein,  wenn  nicht  die  von 
J.  Aymeric  in  Heft  2  dieses  Bandes  veröffentlichte  Besprechung  in  mehr 
als  einer  Hinsicht  eine  Erwiderung  herausforderte.  Aymeric  glaubt  be- 
merkt zu  habfen,  dass  die  bisher  erschienenen  Rezensionen  der  in  Rede 
stehenden  Sandeau-Ausgabe  oberfl'achlich  sind,  und  unternimmt  es  daher 
seinerseits,  eine  Rezension  anderer  Art  zu  schreiben.  Wird  nun  diese 
dem  Gegenstande  einigermassen  erschöpfend  gerecht?  Der  Leser  möge 
selbst  urteilen.  Das  was  die  berührte  Ausgabe  dieses  Lustspiels  von  den 
früheren  unterscheidet,  erwähnt  Aymeric  mit  kaum  einem  Worte.  Dafür 
heftet  er  sich  an  einige  Einzelheiten  und  sucht  dem  Herausgeber  ver- 
schiedene Fehler,  im  ganzen  elf,  und  verschiedene  gewagte  Behauptungen, 
im  ganzen  dreizehn,  nachzuweisen.  Angenommen  einmal,  Aymeric 
hätte  mit  allen  seinen  Ausstellungen  recht,  so  würde  der  Herausgeber 
darnach  doch  immer  noch  Grund  haben ,  mit  seiner  Arbeit  zufrieden 
zu  sein.  Denn  wenn  ein  geborener  Franzose  an  einem  Kommentar, 
der  über  siebenhundert  Anmerkungen  enthält,  nicht  mehr  Fehler  als 
elf  findet,  und  nur  dreizehn  Anmerkungen  von  zweifelhafter  Richtigkeit, 
so  ist  dieses  Ergebnis  einer  offenbar  sehr  aufmerksamen  Prüfong  im- 
merhin beruhigend.  Freilich  sind  die  Einwendungen  Aymeric's  nur  in 
einigen  Fällen  stichhaltig.  So  ist  ja  richtig  bemerkt,  dass  auf  S.  25 
(nicht  17!)  des  Kommentars  comme  nn  mouton  bfide  fälschlich  für 
qu*un  m,  br.  gedruckt  steht.  Die  Billigkeit  hätte  aber  verlang  zu 
bemerken^  dass  an  der  hierher  gehörigen  Textesstelle  die  Worte  richtig 
stehen.  —  Dass  hride  an  obiger  Stelle  tenu  pur  la  bride  bedeutet,  be- 
streitet Aymeric,  verschweigt  aber  leider,  wie  er  selbst  den  Ausdruck 
auffasst.  Es  sei  hier  bemerkt,  dass  die  im  Kommentar  gegebene  Er- 
klärung von  einem  Landsmanne  des  Herrn  Rezensenten  stammt,  der 
hierüber  befragt  wurde,  da  die  .Lexika  keine  Auskunft  geben.  —  Mit 
seiner  Kritik  der  Übersetzung  von  „Wärmflasche"  für  bassinoire  hat 
Aymeric  vielleicht  Recht,  nur  gibt  er  auch  hier  nicht  an,  welches  nach 
seiner  Meinung  die  richtige  Obersetzung  sein  soll.  „Wärmflasche"  ist 
in  Deutschland  jedenfalls  ein  viel  gebräuchlicheres  Wort  als  „Wärm- 
pfanne". Der  Sicherheit  halber  fragte  der  Unterzeichnete  in  einem  der 
grössten  Leipziger  Geschäfte  für  Haushaltungsgegenstände  nach  einer 
„Wärmpfanne"  und  gab  dabei  die  Beschreibung  dieses  Dinges,  wie  sie 
auch  von  Aymeric  mitgeteilt  wird.  Da  stellte  sich  heraus,  dass  der 
Inhaber  des  Geschäftes  von  solchen  „Wärmpfannen"  schlechterdings 
nichts  wusste.  Er  kannte  nur  Wärmflaschen  und  Wärmsteine.  —  2n 
S.  41  will  Aymeric  nicht  zugeben,  dass  huit  ein  stummes  h  habe.  Nun, 
im  Sinne  der  rein  empirischen  Grammatik  hat  er  ja  recht,  aber  sicher 
nicht  vom  Standpunkte  einer  wissenschaftlichen  Auffassung  der  frag- 
lichen Erscheinung.  Das  Wort  huit,  das  von  octo  herkommt,  hat 
ebensowenig  ein  h  aspiree  als  onze.  Wenn  man  vor  diesen  zwei  Worten 
nicht  bindet  und  nicht  elidiert,  so  erklärt  sich  dies  einfach  daraus, 
dass  die  wenigen  Zahl  werte,  welche  vokalisch  anlauten,  in  diesen 
Punkten  ebenso  behandelt  werden  wie  die  grosse  Masse,  welche  kon- 
sonantisch anlautet.  Die  Minderheit  muss  sich  auch  hier  der  Mehrheit 
fügen.    Ich  hätte  geglaubt,  durch  die  ganze  Fassung  meiner  Anmerkung 

Zsclir.  f.  frz.  Spr.  u.  Litt.  XK  ^n 


258  Miszeüen, 

vor  einer  irrigen  Auffassung  geschützt  zu  sein.  —  Zu  der  Stelle  auf 
S.  58:  ^La  femme  q%iü  aime:  Seine  Geliebte.  Da  das  französische 
Participe  pass^  nicht  einfach  substantiviert  werden  kann,  so  muss  für 
unser  „GeUebte"  eine  Umschreibung  eintreten,**  belehrt  Aymeric  den 
Herausgeber,  dass  es  doch  recht  viele  solcher  substantivierter  Partizipia 
gibt,  wie  abrede,  communique,  regu  etc.  Diese  Thatsache  war  dem 
Herausgeber  nicht  ganz  neu.  An  der  fraglichen  Stelle  handelt  es  sich 
aber  natürlich  nur  um  das  p.  p.  atme,  das  durch  ein  Versehen  im  Texte 
ausgefallen  ist.  Bei  einigem  guten  Willen  wird  man  es  vielleicht  aus 
dem  Zusammenhange  ergänzen.  —  Recht  hat  Aymeric  mit  seiner  Be- 
merkung zu:  je  vous  le  aonne  en  cent,  und  zu  siupdfaii.  *Weniger  aber 
mit  der  Besprechung  der  Stelle:  vous  le  savez  bien,  que  madame  de 
Vauheri  h'est  pas  une  belle  ätne^  Ich  hatte  dazu  bemerkt,  und  kann 
das  heute  nur  wiederholen :  „das  le  vor  savez  que  ist  eine  Freiheit  der 
Umgangssprache".  Fälschlich  lässt  Aymeric  mich  dafür  sagen:  „Das 
le  vor  savez  ist  eine  Feinheit  der  Umgangssprache",  und  vermutet, 
dass  ich  habe  sagen  wollen:  „der  Schriftsprache".  Ganz  und  gar  nicht! 
Die  in  Rede  stehende  Freiheit  gehört  sicher  ursprünglich  der  Umgangs- 
sprache an,  und  ist  von  da  auch  in  die  Schriftsprache  eingedrungen, 
wie  das  Beispiel  in  der  R,  d.  d.  m.  zeigt.  —  Zu  S.  60  tadelt  Aymeric 
die  Stelle:  Jl  est  du  bois  doni  on  faxt  les  flütes:  er  hat  einen  sanften 
Charakter".  Hierzu  sei  bemerkt,  dass  diese  Übersetzung  wörtlich  aus 
Sachs  entlehnt  ist.  Wenn  sie  ja  auch  an  sich  keinen  tadelnden  Sinn 
hat,  so  kann  ein  solcher  doch  durch  die  ganze  Art  der  Aussprache 
und  Betonung  ausgedrückt  werden.  —  Unzweifelhaft  im  Rechte  ist 
Aymeric,  wenn  er  Anstoss  nimmt  an  der  Erklärung  von:  au  coin  du  feu, 
ebenso  wie  an  der  Stelle :  firai  dxre  ä  Rome,  Es  hatte  ursprünglich 
da  gestanden  je  Firai  d.  ä  Ü, 

Was  nun  die  Anmerkungen  betrifft,  die  nach  Aymeric's  Ansicht 
zwar  nicht  geradezu  irrig,  aber  doch  mindestens  sehr  gewagt  sein 
sollen,  so  lehrt  ein  näheres  Hinsehen  auch  hier,  dass  die  Ausstellungen 
des  Rezensenten  bei  weitem  nicht  in  allen  Fällen  stichhaltig  sind.  So 
wird  auf  S.  4  des  Kommentar  gemissbilligt ,  wenn  bei  der  Textstelle: 
Si  monsieur  veui  passer  erklärend  steht :  „Dies  ist  eine  höflichere,  im 
Munde  des  Dieners  angemessenere  Form  als:  Si  vous  voulez  passer^. 
Aymeric  meint:  11  faudrait  dire:  „Dies  ist  die  einzige  im  Munde  des 
Dieners  bei  hohen  Herrschaften  zulässige  Form".  Dabei  wird  nur  der 
eine  Umstand  übersiehen,  dass  der  Diener  an  der  fraglichen  Stelle  gar 
nicht  mit  hohen  Herrschaften  redet,  sondern  mit  einem  unbekannten 
jungen  Manne,  der  den  Marquis  sprechen  will.  —  Zu  S.  8  will  Aymeric 
nicht  gelten  lassen,  dass  ^diäble  viel  häufiger  gebraucht  wird  als  Teufel, 
wie  schon  ein  Blick  auf  die  zwei  Artikel  in  den  Wörterbüchern  lehrt." 
Er  will  im  Sachs  gerade  das  Gegenteil  von  dem  finden,  was  in  der 
Anmerkung  gesagt  wird.  Nun,  ich  habe  mir  darauf  hin,  obgleich  nicht 
viel  darauf  ankommt,  die  Mühe  genommen,  meine  Behauptung  an  den 
zwei  Artikeln  im  Sachs  nachzuprüfen,  und  kann  nur  sagen,  dass  ich 
sie  bestätigt  gefunden  habe.  Diable  ist  jedenfalls  in  viel  höherem 
Grade  bei  den  Franzosen  salonfähig,  als  „Teufel"  bei  den  Deutschen. 
—  Ähnlich  bezweifelt  Aymeric,  dass  das  Wort  „Wolf"  nicht  so  viel 
zur  Bildung  von  landläufigen  Redensarten  verwandt  wird  wie  loup. 
Auch  hier  muss  ich  aufrecht  halten,  dass  der  Artikel  hup  im  Sachs 
weit  mehr  solcher  Redensarten  enthält  als  der  Artikel  ^Wolf"  ebenda ; 
jeder  Leser,  der  sich  die  Mühe  des  Zählens  nehmen  will,  kann  sich 
davon  überzeugen.  Von  den  achtzehn  Redensarten  mit  loup,  die  in 
meiner  Anmerkung  als  dem  Französischen  allein  eigen,  gegeben  werden. 


MiszelUm.  259 

(wohlgemerkt  dies  in  yonichti^rf  durchaus  nicht  apodiktischer  Form !), 
sagt  Ajmeric,  dass  sie  fast  insgesamt  zugleich  auch  deutsche  sind. 
Prüfen  wir  seine  Kritik  an  den  einzelnen  Fällen:  1)  loup  de  mer  Seebär. 
2)  manger  comme  un  hup  wie  ein  Wolf  fressen.  Hier  hat  Ä.ymeric 
recht.  3)  un  froid  de  loup  eine  Hundekälte.  4)  marcher  ä  pas  de  loup 
leise  schleichen.  5)  les  loups  ne  se  mangent  pas  enire  eux  eine  Krähe 
hackt  der  andern  nicht  die  Augen  aus.  6)  avoir  vu  le  loup  mit  allen 
Hunden  gehetzt  sein.  7)  ienin'  le  hup  par  les  oreüies.  Hierfür  kannte 
ich  nur  die  Übersetzung :  Zwischen  Thür  und  Angel  stecken.  Aymeric 
führt  eine  wörtlich  entsprechende  deutsche  Form  an.  8)  se  jeter  dans 
la  guevle  du  loup  sich  in  schwere  Gefahr  begeben.  9)  entre  cMen  et 
hup  in  der  Dämmerung.  10)  en/ertner  le  hup  dans  la  beraerie  den 
Bock  zum  Gärtner  machen.  11)  itre  connu  comme  un  hup  ohne  wie 
ein  bunter  Hund  (oder:  wie  ein  grüner  Esel)  bekannt  sein.  \2)  h  faim 
chasse  le  hup  du  bois  der  Hunger  treibt  den  Fuchs  aus  dem  bau. 
13)  qui  se  fait  brebis  le  hup  le  mange.  Hier  hat  Aymeric  recht.  Mir 
hatte  die  Form  vorgeschwebt:  Wer  sich  grün  macht,  den  fressen  die 
Ziegen.  14)  Dieu  garde  h  lune  des  hups  es  ist  dafür  gesorgt,  dass  die 
Bäume  nicht  in  den  Himmel  wachsen.  15)  le  hup  n'engenSre  point  de 
mouton  der  Apfel  fällt  nicht  weit  vom  Stamme.  16)  Za  guen^e  est  bien 
forte  quand  les  hups  se  mangent  Tun  Cautre  Bruderkrieg  ist  heiss. 
\1)  le  hup  mourra  dans  sa  peau  und  18)  quand  on  parh  du  hup  on 
en  voit  h  queue.  Diese  beiden  letzten  Fälle  gehören  wiederum  zugleich 
dem  Deutschen  an.  Im  ganzen  also  sind  nicht  „fast  alle^  der  ange- 
führten Beispiele  beiden  Sprachen  gemeinsam,  sondern  nur  fünf  unter 
achtzehn.  —  Auf  S.  10  des  Kommentars  war  zu  la-bus  bemerkt,  dass 
der  eigentliche  Sinn  dieses  Ausdrucks  fast  verschwunden  sei  und  dass 
sogar  ein  unten  Stehender  lä-bas  auf  Jemand  beziehen  kann  der  oben 
steht.  Aymeric  sagt  hierzu:  Je  n*ai pas  connaissance  d'un  pareil  hngage; 
en  hut  cos,  ceh  ne  peut  se  trouver  que  dans  Cargot^  et  non  dans  un 
livre  classique.  Ich  Kann  sagen,  dass  ich  diesen  Gebrauch  in  Paris  mit 
eigenen  Ohren  beobachtet  habe,  und  auch  andere  Leute  ausser  mir; 
wenn  Aymeric  ihn  nicht  kennt,  so  ist  das  schade,  beweist  aber  nichts 
gegen  mich.  Gktnz  ähnlich  sagt  er  in  seiner  Rezension^)  über  Hönncher's 
Uaudetausgabe ,  dass  er  ausser  dem  Orte  Paradou  im  Kreise  Arles 
keinen  einzigen  dieses  Kamens  kenne.  Das  mag  ja  sein,  beweist  aber 
nur  Aymeric  8  mangelhafte  Kenntnis.  Denn  das  Dictwnnaire  des  festes 
de  h  RepubUque  7.  Auü.  verzeichnet  auf  S.  861  nicht  weniger  als  acht 
Orte  dieses  Namens  und  zwar  sämtlich  in  Südfrankreich  gelegen.  — 
Unzweifelhaft  im  Recht  ist  Aymeric,  wenn  er  auf  S.  18  die  Wiederirabe 
achever  de  faire  durch  „vollends  thun"  tadelt.  Diese  in  vielen 
Fällen  richtige  Obersetzung  passt  nicht  an  der  angezogenen  Stelle.  — 
Anders  steht  es  auf  S.  29,  wo  der  Rezensent  meine  Bemerkung  auf- 
flnreift:  „die  französischen  Richter,  die  unabsetzbar  sind  wie  bei  uns*'. 
Hierzu  sagt  Aymeric:  M.  H.  ignore-t-il  donc  que  le  ministre  de  h  Justice, 
Martin  FewÜee  en  fit  une  he'catombe,  ü  y  a  trois  ou  quatre  ans?  Wie  bei 
uns !  ! !  Et  plüt  ä  JHeu  qu'il  en  füt  ainsi!  Sous  un  gouvemement  re- 
gulier, h  remarque  serait  Juste;  sous  h  Re'publique  ,  c'est  comme  dans 
la  chanson:  Rien  n^est  sacre  pour  un  pompier.  Das  ist  wahrlich  eine 
seltsame  Bemerkung.  Zunächst  könnte  man  den  Rezensenten  fragen, 
was  er  denn  eigentlich  unter  einer  „regelmässigen'*  Regierung  in  Frank- 
reich versteht,  ob   er  das  auf  dem   Staatsstreiche  beruhende  zweite 

1)  Auch  diese  Rezension  enthält  viel  Problematisches  und  Unan- 
nehmbares. Indessen  kann  hier  nicht  weiter  darauf  eingegangen  werden. 

17» 


260  Miszeiien, 

Kaiserreich  meint  oder  die  aus  der  Revolution  von  1848  hervorge- 
gangene zweite  Republik,  oder  das  gleichfalls  auf  revolutionärem  Ur- 
sprünge, beruhende  Julikönigtum  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Thatsache  ist  jeden- 
falls, dass  alle  die  verschiedenen  Regierungen  Frankreichs,  welche  die 
Ernennung  der  Richter  durch  die  Staatsgewalt  angenommen  haben, 
den  Grundsatz  der  ünabsetzbarkeit  der  Richter  anerkannten,  sogar 
die  zweite  Republik,  die  ihn  anfiinglich  verwarf.  Man  hat  eben  be- 
griffen, dass  eine  unparteiliche  Rechtspflege  diesen  Grundsatz  notwendig 
verlängt.  Selbstverständlich  aber  wird  er  in  der  Praxis  nicht  eine 
absolute  Anwendung  erfahren,  denn  man  kann  z.  B.  einem  Staate  nicht 
wohl  zumuten,  Beamte  zu  besolden,  die  ihn  selbst  bekämpfen.  Darum 
verlangten  Ludwig  Philipp  und  Napoleon  III.  von  ihren  Richtern  den 
Eid  der  Treue,  darum  hat  die  Dritte  Republik  solche  Richter,  die  ihr 
direkt  feindselig  gegenüberstanden,  zwar  nicht  einfach  abgesetzt,  wie 
Aymeric  anzudeuten  scheint,  sondern  entweder  vor  der  Zeit  pensioniert, 
oder  sie  genötigt,  um  ihre  Pensionierung  einzukommen,  indem  sie  die- 
selben in  Stellen  versetzte,  die  geringer  dotiert  waren  als  die,  welche 
sie  schon  innehatten.  So  verhält  sich  diese  Sache,  über  die  mein 
französischer  Rezensent  nicht  hinreichend  orientiert  zu  sein  scheint. 
Der  Grundsatz  der  ünabsetzbarkeit  des  Richters  gilt  trotzdem  auch 
unter  der  Dritten  Republik,  und  darum  hatte  der  Herausgeber  recht, 
seine  Anmerkung  so  zu  fassen,  wie  er  es  gethan  hat.  Die  besonderen 
Abweichungen,  die  das  Prinzip  nicht  umstossen  sondern  lediglich  be- 
stätigen, konnte  und  musste  er  an  dieser  Stelle  übergehen.  —  Zu  S.  32 
„voir  du  monde,  Besuch  empfangen",  bemerkt  Aymeric:  Ei  pourquoi 
pas:  Besuche  machen?  Darauf  sei  erwidert,  1)  dass  Sachs  u.  d.  W, 
monde  nur  die  angegebene  Bedeutung  gibt,  und  2)  dass  es  sich  im 
Zusammenhange  des  Textes  nur  um  das  Empfangen  von  Besuchen 
handeln  kann.  Denn  es  ist  da  die  Rede  vom  Verhältnisse  ^et  Familie 
des  Marquis  zum  alten  Stamply.  Dass  letzterer  bei  Besuchen,  die  man 
auswärts  abstattete,  mitgenommen  wurde,  daran  ist  nicht  wohl  zu 
denken.  Dagegen  war  der  alte  Mann  allerdings  bei  den  Gesellschaften 
zugegen,  die  der  Marquis  in  seinem  Schlosse  gab.  Zum  Überfluss  wird 
die  Auffassung  des  Herausgebers  auch  noch  durch  den  Roman  M^  de 
la  Seiglih'e  bestätigt,  in  dem  die  betreffende  Stelle  Kapitel  IV  lautet: 
D'abord  ioui  cdla  bten,  —  On  recevaii  peu  de  monde:  les  soirees  se  pas- 
saieni  en  famüle.  Siamply  e'iaii  de  toutes  les  re'unions,  choye,  gät^  comme 
un  enfani.  Das  ist  wohl  entscheidend,  und  mag  dem  Rezensenten 
zugleich  zeigen,  dass  die  Vergleichung  zwischen  Roman  und  Drama, 
die  er  an  meiner  Ausgabe  nicht  billigt,  unter  Umständen  doch  ihren 
Nutzen  haben  kann.  —  Auf  S.  37  hat  Aymeric  an  der  Anmerkung  über 
die  Schlacht  bei  Fontenoy  eine  Ausstellung  zu  machen.  In  der  Rev. 
d.  d.  m,  von  1884  ist,  wie  er  sagt,  nachgewiesen  worden,  dass  die  be« 
kannte  Überlieferung  von  der  höfischen  Art,  mit  der  diese  Schlacht 
eingeleitet  worden  sei,  in  Wirklichkeit  nur  eine  Fabel  sei.  Der  Hinweis 
ist  ja  dankenswert,  und  Herausgeber  gesteht  ein,  dass  ihm  die  Stelle 
entgangen  war.  Schade  nur,  dass  nicht  auch  der  Marquis  von  la 
Seigliöre  den  betreffenden  Revueband  gelesen  hatte.  Dieser  glaubt  an 
die  bekannte  Überlieferung,  wie  Sandeau  selbst  es  gethan  hat,  und 
darum  wird  die  fragliche  Anmerkung  im  wesentlichen  stehen  bleiben 
können.  —  Auf  S.  40  liest  man:  y^donation  entre  vifs:  vif  für  Lebenden 
ist  ein  aus  dem  Lateinischen  stammender  Ausdruck  der  Rechtssprache 
^donatio  inter  vivos,  bei  *Jusiin,  Inst.  II.  7).  Sonst  wird  sich  vif,  lebendig, 
in  der  Regel  nur  auf  Sachen  beziehen."  Dazu  sagt  Aymeric :  Ce  terme 
entre  äans  nne  foule  d*expressions  pour  de'signer  des  personnes  (folgen 


MiszeUen.  261 

drei  Ausdrücke).  Hier  übersieht  der  Eezensent,  dass  ich  sage :  »in  der 
Regel".  Die  zitierten  PftUe  sind  mir  nicht  neu.  —  Der  Streit  über  die 
Stelle  auf  S.  55,  ob  aUei"  aux  informaiians  bedeutet  ein  Buch  nach- 
schlagen oder  sich  mündliche  Auskunft  holen,  ist  zu  müssig  und  un- 
bedeutend, als  dass  es  sich  verlohnte  ein  Wort  zu  verlieren.  Die  eine 
Auffassung  ist  ebenso  annehmbar  wie  die  andere.  Das  wird  sich  aber 
nicht  sagen  lassen  von  der  Stelle  auf  S.  56.  Da  sagt  nämlich  im 
Texte  Helene,  die  mit  einer  Zeichnung  beschäftigt  ist,  zu  Bemard: 
Voyez  donc,  est-ce  bien  lä  le  cours  de  la  rivih-e?  Und  dieser:  Om, 
Mademoiseiie,  c'est  le  Regen;  la  grande  roule  le  (raverse,  ici,  de  Nuremberg  ä 
Raiishonne;  voHa  le  clocher  du  petit  tnüage  d*EckmÜhl,je  le  reconnais. 
Die  Anmerkung  wies  darauf  hin,  dass  cue  in  diesen  Worten  liegende 
geographische  Vorstellung  nicht  ganz  richtig  sei.  „Denn  £ckmühl 
liegt  nicht  am  Regen,  der  links  in  die  Donau  fliesst,  sondern  weit  ab 
von  der  Donau,  an  der  grossen  Laber,  die  sich  rechts  in  die  Donau 
ergiesst."  Dazu  Aymeric:  Mais  Bemard  ne  dii  pas  qu^Eckmühl  soit 
sitnee  sur  le  Regen,  —  Vn  iableau  coniieni,  fimagine,  une  certame  per- 
spective. Freilich  sagt  das  Bemard  nicht  ausdrücklich,  es  scheint  aber 
doch  in  seinen  Worten  zu  liegen.  Denn  dass  Helene  eine  Landschaft 
zeichnet,  auf  der  man  zugleich  den  Kirchturm  von  Eckmühl,  etwa 
zweiundzwanzig  Kilometer  südlich  von  der  Donau  und  die  Landstrasse 
von  Nürnberg  nach  Regensburg  nördlich  von  der  Donau  bemerkt,  das  ist 
nicht  recht  glaublich.  Zum  mindesten  dürfte  der  Fehler  vorliegen, 
dass  Sandeau  Eckmühl  und  die  Landstrasse  von  Regensburg  nach 
Nürnberg  auf  ein  und  dasselbe  Donauufer  verlegt.  Es  handelt  sich 
ja,  wie  Aymeric  selbst  zugibt,  um  eine  wirkliche  Landschaftszeichnung, 
nicht  etwa  um  eine  rein  geographische  Skizze.  Das  geht  unzweifelhaft 
aus  dem  Ausdrucke:  Je  le  reconnais  hervor:  der  Kirchturm  ist  nicht  bloss 
durch  ein  Zeichen  markiert,  sondern  in  seiner  ganzen  Eigenart  klar 
erkennbar  gezeichnet.  —  Endlich  will  Aymeric  nicht  zugeben,  wenn  es 
S.  47  heisst:  „Der  Begriff  pairie,  wie  auch  pairiote,  patriotisnie  war 
unter  der  alten  Monarchie  noch  nicht  voll  entwickelt,  da  vertrat  der 
König  das  Vaterland."'  Ich  gestehe,  dass  ich  hier  bei  „alter  Monarchie" 
vor  allem  an  das  XVII.  und  XVIII.  Jahrhundert  gedacht  habe.  Wie 
das  Verhältnis  bei  den  alten  Römern,  bei  den  Galliern  und  bei  den 
Franzosen  des  Mittelalters  gewesen  ist,  das  ist  eine  andere  Frage.  Für 
die  Zeit  Ludwig's  XIV.,  d^s  Hauptvertreters  der  alten  Monarchie,  der 
vielleicht  das  Wort:  VEtat,  f^esl  moi  nicht  gesagt,  aber  sicher  im 
Geiste  desselben  regiert  hat,  für  diese  Zeit  ist  die  berührte  Anmerkung 
wohl  unanfechtbar.  Damals  begeisterte  man  sich  thatsächlich  nicht 
für  das  Vaterland,  sondern  für  den  König.  Im  XVIII.  Jahrhundert 
wurde  das  allmählich  anders.  Im  Jahre  1750  bricht  zum  erstenmale 
die  französische  Akademie  mit  dem  bis  dahin  beibehaltenen  Gebrauche, ^ 
alljährlich  einen  Preis  auf  das  beste  Lob  des  Königs  zu  setzen.  Das 
war  ein  Zeichen  der  Zeit,  ein  Zeichen  der  Wandlung. 

Zum  Schluss  findet  Aymeric  meine  Ausgabe  mr  Schüler  zu  ge- 
lehrt. Nun,  es  fragt  sich  nur,  was  für  Schüler  man  im  Auee  hat. 
Wenn  man  an  Fachschulen  denkt,  an  Gewerbe-  oder  Handelsschulen,  so 
hat  er  vielleicht  recht.  Der  Heransgeber  denkt  allerdings  bei  seinen 
Ausgaben  an  die  oberen  Klassen  von  sogenannten  höheren  Bildungs- 
schnlen,  an  deutsche  Gymnasien  und  Realgymnasien,  und  nach  allem, 
was  er  bis  jetzt  in  Erfahrung  gebracht  hat,  kann  er  nicht  annehmen, 
dass  seine  Ausgaben  über  den  Horizont  dieser  Schulen  hinausgehen. 
Um  die  gebotenen  Vergleiche  zwischen  Roman  und  Drama  zu  mssen, 
dazu  braucht  man  keineswegs  ein  Gelehrter  zu  sein.   Eine  unbefangene 


fm  Miszeäen. 

Kritik  wird  anerkennen,  und  hart  dies  auch  gethan,  dass  gerade  durch 
diese  Vergleiche  für  die  Erklärung  des  Lustspieles  manches  gewonnen 
worden  ist.  Ipt  denn  früher  die  Stelle  vom  Ritter  von  Barbanprä 
(S.  7  des  Textes)  allerseits  richtig  aufgefasst  worden?  Ich  für  meinen 
Teil  gestehe  sofort,  dass  ich  sie  lange  Zeit  hindurch  nur  halb  ver- 
standen habe.  Hat  man  denn  früher  darauf  geachtet,  um  ein  anderes 
von  Aymeric  gewähltes  Beispiel  heranzuziehen,  dass  vingi  ans  im 
Französischen  als  die  Blüte  der  Jugend  angesehen  wird?  Der  grosse 
Sachs  vorzeichnet  diesen  Gebrauch  weder  unter  vingi  noch  unter  an, 
und  darum  war  es  durchaus  nicht  überflüssig,  ihn  mit  einigen  Zitaten 
zu  belegen.  Für  geborene  Franzosen  ist  das  ja  natürlich  nichts  neues, 
aber  meine  Ausgabe  ist  nicht  für  Franzosen  geschrieben,  sondern  für 
Deutsche.  K.  A.  Maetin  Hartmann. 


Auf  vorstehende  Erwiderung  will  ich  nur  eine  kurze  Antwort 
geben,  bitte  aber  die  Leser,  meine  Kritik  selbst  (Zschr.  f,  fr.  Spr,  w. 
Litt.  XI  ^)  lesen  zu  wollen.  Alles,  was  ich  dort  gesagt  haoe,  halte  ich 
aufrecht,  ausser  der  Anmerkung  über  Paradou,  in  der  ich  mich  geirrt 
habe.  Hartmann  sagt  zu  mehreren  meiner  Ausführungen,  dass 
„Aymeric  im  Rechte  ist",  bestreitet  aber  andere  Punkte.  Er  be- 
hauptet immer  noch,  dass  ein  Untenstehender  lä-bas  auf  Jemanden 
beziehen  kann,  der  oben  steht.  Ich  hatte  bemerkt,  das  sei  Jargon- 
sprache, und  das  behaupte  ich  auch  noch,  bis  ich  durch  Beispiele  vom 
Gegenteil  überzeugt  werde.  Lä-bas  ist  eine  adverbiale  Redensart, 
welche  nach  Littr^  un  lieu  moins  eleve  que  celui  ou  fon  est  bezeichnet. 
Wie  kann  man  z.  B.  von  der  Strasse  nach  dem  vierten  Stock  Jemandem 
zurufen:  eh!  lä-bas!  Das  wäre  ja  babylonische  Sprachverwirrung! 
Aber  Hartmann  hat  das  „mit  eigenen  Ohren  beobachtet'^  und  „andere 
Leute  auch".  Unter  diesen  „Leuten"  ist  vielleicht  auch  „der  Lands- 
mann des  Herrn  Rezensenten"  zu  verstehen,  „der  hierüber  befragt", 
erklärte:  mouion  bride  bedeutet:  tenu  d  la  bride.  Dieser  Landsmann 
scheint  es  in  seiner  Muttersprache  nicht  weit  gebracht  zu  haben,  wenn 
er  statt  ienir  pa/r  (a  bride  sagt:  ienir  it  la  bride.  Ausserdem  ist  es 
ganz  verkehrt,  zu  behaupten,  dass  aiissi  doux  qu*un  mouion  bride  be- 
deutet: ienu  par  la  bride. 

Hartmann  hat  sich  die  Mühe  gemacht,  in  ein  Geschäft  zu  gehen, 
um  eine  „Wärmpfanne"  zu  verlangen;  und  natürlich  gab  es  keine. 
Wenn  Hartmanu  in  ein  Bekleidungsgeschäft  ginge  und  eine  Kniehose 
verlangte,  würde  man  vielleicht  auch  keine  haben,  was  aber  nicht 
ausschliesst,  dass  es  früher  deren  gegeben. 

Ebendeshalb  behaupte  ich  nochmals,  dass  bassinoire  nicht  „Wärm- 
flasche" bedeutet.  Weiterhin  will  Hartmann,  dass  der  richtige  Sinn 
der  Stelle:  il  esi  du  bois  doni  on  faii  les  flüies,  sei:  „er  hat  einen 
sanften  Charakter".  Es  sei  diese  Übersetzung  wörtlich  aus  Sachs  ent- 
lehnt. Er  hätte  hinzufügen  können,  dass  Sachs  hinzufügt:  „sich  alles 
gefallen  lassen",  was  dasselbe  ist,  was  ich,  nach  Littr^,  behauptet 
habe.  Über  die  Unabsetzbarkeit  der  Richter  und  der  Redensarten  mit 
dem  Worte  loup  habe  ich  nichts  hinzuzufügen. 

Zum  Schluss  meint  Hartmann,  ich  hätte  vielleicht  Recht,  seine 
Ausgabe  für  Handelsschulen  zu  gelehrt  zu  finden.  Ich  will  diese  Be- 
merkung nicht  als  eine  Herabsetzung  der  Handelsschulen  betrachten, 
sonst  müsste  ich  behaupten,  dass  in  Bezug  auf  französische  Sprache 
die  Handelsschulen  den  Gymnasien  nicht  nachstehen.    Ich  finde  aber 


Miszeäen.  263 

die  Ausgabe  selbst  für  deutsche  Gymnasien  zu  schwer.  Da  ich  die 
Ehre  hatte,  früher  an  einem  deutschen  Gymnasium  zu  unterrichten,  so 
habe  ich  mir  ebenfalls  ein  Urteil  bilden  können,  was  man  der  reiferen 
Jugend  zumuten  kann.  Ich  wiederhole  und  das  ist  mein  letztes'iWort 
in  dieser  Angelegenheit,  was  ich  in  der  Kritik  selbst  sa^e:  iravetä 
exceüent  pour  les  maiires,  mais  trop  ncademique  pour  les  e'leves. 

J.  Aymebio. 


Sehr  geehrter  Herr  Redakteur! 

Die  Besprechung,  welcher  ich  J.  Gutersohn's  Gegenvorschläge  etc. 
in  der  Zeitschrift  (XI 2,  Heft  2,  S.  52—57)  unterzogen  habe,  bringt  mir 
heute  auf  einer  Postkarte  nachstehende  Mitteilung: 

„Durch  einen  Zufall  ist  mir  Ihre  Rezension  meiner  Geaenvor- 
schlage  etc.  zugekommen.  Ihr  Machwerk  ist  wirklich  so  alberner 
Art,  dass  es  einer  eingehenden  Widerlegung  nicht  bedarf,  um  so 
mehr,  als  mir  die  Hexenküche  wohl  bekannt  ist,  welcher  der 
saubere  Brei  entstammt.  Wenn  Sie  nicht  ganz  yerblendet  wären, 
so  hätten  Sie  herausgefunden,  dass  meine  ganze  Arbeit  nichts 
anderes  bezweckt,  als  dem  Lehrer  die  für  die  erfolgreiche  päda- 
gogische Arbeit  so  unbedingt  nötige  Freiheit  der  Methode  zu 
wahren  gegenüber  engherziger  Bevormundung  seitens  der  Beamten- 
hierarchie. Wenn  Sie  also  einen  Funken  von  dem  Ehrgefühl  hätten, 
wie  es  der  gerechte  Kritiker  besitzen  soll,  so  würden  Sie  es  ver- 
schmähen, mit  den  gemeinen  Waflfen  plumper  Verdrehung  oder 
Entstellung  und  seichten  Spottes  gegenüber  einer  Arbeit  genannter 
Art  zu  kämpfen.  Da  ich  aus  einem  Lande  stamme,  wo  zum  Glücke 
das  Wort  „Freiheit^  noch  etwas  mehr  Bedeutung  hat,  als  in  dem 
Gehirne  eines  schulmeisterlichen  Pedanten,  so  kann  ich  mit  der 
Versicherung  schliessen,  dass  ich  Ihre  ganze  Leistung  mit  der  Ver- 
achtung betrachte  und  behandle,  die  sie  unstreitig  verdient. 

gez.:  J.  C&tersolm.'' 

Ich  bin  bereit,  die  wörtliche  Übereinstimmung  vorstehender  Ab- 
schrift mit  dem  Originale  notariell  beglaubigen  zu  lassen.  WoUte  ich 
ganz  christlich  handeln,  so  begrübe  ich  die  Karte  des  Herrn  Gutersohn 
wo  sie  keinen  Schaden  mehr  thun  könnte.  Allein,  wenn  ich  auch  der 
verehrten  Redaktion  der  Zeitschrift  und  mir  etwas  zu  vergeben  fürchtete, 
falls  ich  mit  einem  Worte  nur  ihre  und  meine  Redlichkeit  gegen 
Herrn  Gutersohn's  zarte  Winke  verteidigen  wollte  —  so  muss  ich  doch 
gestehen,  dass  ich  besorge,  es  könne  völliges  Schweigen  missverstanden 
werden,  und  dass  ich  (obwohl  die  Veröflfentlichung  der  dem  stillen 
Schosse  einer  Postkarte  anvertrauten  wohlwollenden  Gefühle  wiederum 
davon  zeugen  könnte,  ich  besitze  nicht  „einen  Funken  u.  s.  w.**  (siehe 
oben),  leider  durchaus  kein  anderes  Mittel  weiss,  um  zu  zeigen,  dass 
ich  Herrn  Gutersohn's  freundliche  Mitteilung  erhalten  und  nach  Gebühr 
gewürdigt  habe. 

Solingen,  28.  Oktober  1889. 

P.    DÖRB.