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Full text of "Skizzen von Amerika. Zu einer belehrenden Unterhaltung für gebildete Leser und mit besonderer Rücksicht auf Reisende und Auswanderer nach Amerika;"

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XLS. 


P e ee eee 


University of California. 


FROM THE LIBRARY OF 


DR. FRANCIS LIEBER, 
Professor of History and Law in Columbia College, New York, 


THE GIFT ob 
MICHAEL REESE, 
Of San Francisco. 


1873. 


* erer 


Zu einer belehren den Unterhaltung 
fuͤr 
gebildete Leſer 


und mit befonderer Rükſicht 


* 


auf 


Reiſende und Auswanderer nach Amerika; 


von 2 
Aa 


Dr. Ernſt Ludwig Brauns. 


— —— r 8 


Halberſtadt, 
in H. Voglers Verlags buchhandlung. 


1 8 3 0. 


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; Ha, Schoͤpfer Colon! ha, wie haſt Du uns die Welt 


0 Mit Land und Volk und Silbergeld, 


Und Schmuk und Zier und Wiſſenſchaft, 


ums Viertheil uns vermehret! 


Ach, Moͤrder Colon! ach, wie haſt Du uns die Welt, 


Und Alles, was ſie Schoͤnes haͤlt, 
Reiz, Sitten, Leben, Jugenzkraft, 
Mit Deinem Gift verheeret! 


J. G. v. Herder. 
* 1 
Imprimatur. 
Schulenburg. 


5 Magdeburg d. 12. December 1829 


SrY..ercebleng, 


- 


dem Herrn 


Freiherrn H. Chph. E. v. Gagern, 


Königlich Niederländiſchem Staatsrathe und vormaligem Geſandten 
und bevollmächtigtem Miniſter des Königs der Niederlande bei dem 
deutſchen Bundestage zu Frankfurt, Mitgliede der großherzogl. 
heſſen⸗darmſtädtiſchen Landſtände ꝛc. ꝛc. 


tiefſter Ehrfurcht und voll waͤrmſter Verehrung 


a e 


vom Verfaſſer. 


Vorwort. 


Dieſe kleine Schrift iſt nicht nur fuͤr Reiſende 
und Auswanderer nach Amerika *), ſondern fuͤr 
Deutſchlands gebildete Leſer überhaupt, welche über 
die darin abgehandelten Gegenſtaͤnde ſich eine naͤhere 
Kenntniß zu verſchaffen wuͤnſchen, beſtimmt. Moͤgte 
ſie daher, ſowol den Auswandernden, als den 


Zuruͤkbleibenden, eine lehrreiche und angenehme 


) Die Zahl der leztern betrug nach Herrn Dr. Ludwig 
Börne vor wenigen Jahren täglich 200. In 
14 Tagen waren in Amerika 1870 angekommen, und 
zwar in Neuyork 641, Philadelphia 681, Baltimore 
391; die übrigen 157 in anderen Seehäfen. Siehe: 
Geſammelte Schriften von Dr. Ludwig 
Börne. Th. IV. Hamburg 1829. Seite 218. 


VI 


Unterhaltung gewähren, und beitragen, die Kunde 
Amerikas unter uns zu erweitern, und zu beider 
Hemiſphaͤren Vortheile zu berichtigen! | 


Deenſen, im Weſer-Diſtrikt des Herzogthums Braun— 


ſchweig, am 3. Mai 1830. 


Dr. E. L. Brauns. 


Inhaltsverzeichniß. 


Seite. 


J. St das Koloniſationsſyſtem auch in unſerm Zeitalter anwend— 
bar? Mit vorzuͤglicher Ruͤkſicht auf Großbritannien nach 
den Anſichten eines Boulton, Strachan, Duncan, 
Buckingham, Gourlay, M' Gregor u. A. bear⸗ 
beitet ; g 5 2 


J. Skizze von Oberkanada. Nach dem Englifchen des Henry 
John Boulton, nebſt berichtigenden Anmerkungen 
von Brauns 


II. Die Gründung und Geſtaltung der Vereinten: Staaten von 
Amerika von Heinrich Steffens. Mit Anmerkun— 
gen begleitet von Brauns . 


IV. Sitten und Gebräuche der Nordamerikaner. Nach dem Fran: 
zoͤſiſchen des Herrn Grafen Louis Phil. v. Segur . 


J. Die Kolonie des Lord Selkirk am Rothen-Fluſſe (Red- 
river) und Oſſiniboin, und die maleriſchen Waſſerfaͤlle 
des Winnepeek. Aus dem Engliſchen des Keating 


VI Franklin's Reiſen zu den Kuͤſten des Polarmeers, oder 
deſſen Landerpeditionen nach dem Nordpol. Aus dem 
Engliſchen ; “ 


II. Biographiſche Skizze des nordamerikaniſchen Kommodore 


Perry. Nach dem Engliſchen des Gulian C. Ver— 
planck . 5 = . 4 ; 1 


26 


52 


62 


72 


94 


137 


VIII 


Seite. 


VIII. Die Neulaͤnder und das Loos der von ihnen zur Auswan⸗ 
derung nach Amerika verleiteten Deutſchen 


IX. Der Ohioſtaat 


* 


KX. Owen's von Lanark, vorher Rapp's Niederlaſſung zu 
Harmonie am Großen Wabaſh im Staate Indiana. Nach 


dem Engliſchen 


XI. Kanal: Anlagen in den Vereinten-Staaten von Amerika 
XII. Nordamerikaniſche Alterthuͤmer 


XIII. Proben uramerikaniſcher Beredſamkeit. 


liſchen . 


XIV. Ueber die Ureinwohner Nordamerikas. 
Franklin's neueſten Beobachtungen 


XV. Die Chriſtianiſirung der noͤrdlichen Uramerikaner 


Aus dem Eng⸗ 


Nach Kapitain 


XVI. Warum findet der Katholicismus, und ſelbſt der Jeſuitis— 
mus, gegenwaͤrtig in den Vereinten-Staaten Eingang 


und Beifall? 


* 


0 


XVII. Rechtfertigung der Deutſchen in Nordamerika wider die, 
von einſeitigen Reiſenden und Schriftſtellern ſich gegen 


fie erdreiſteten Verunglimpfu ., 


2 


XVIII. Die Freiwerdung der neuen fpanifch = amerikanifchen 


Staaten 
XIX. Kolombien. 


* 


und engliſchen Quellen 


XX. Peru. 


XXI. Braſilien in anſiedleriſcher Ruͤkſicht 


Nach dem Engliſchen des Stevenſon 


* 


0 


Nach den beſten und neueſten franzoͤſiſchen 


XXII. Ueber den gegenwärtigen Zuſtand des braſtlianiſchen Mili— 
Nach Lienau und Ehlers 


tairs im Allgemeinen. 


Ergaͤnzende Zugabe 


Druckfehlerverzeichniß 


* 


158 
166 


235 


J. 


Iſt das Koloniſationsſyſtem auch in un- 
ſerm Zeitalter anwendbar? 


Mit vorzuͤglicher Ruͤkſicht auf Großbritannien nach den 
Anſichten eines Boulton, Strachan, Duncan, Buck— 
ingham, Gourlay, M'. Gregor u. A. bearbeitet. 


Nach einem beinah vierjaͤhrigen Aufenthalt aus Ame— 
rika zuruͤkgekehrt, gewahrte ich mit innigem Schmerz 
die jezt leider taͤglich zunehmende Nahrungsloſigkeit und 
Armuth, und fand mich dadurch bewogen, uͤber die Mit— 
tel nachzudenken, wodurch dieſem jammervollen, unſre 
hoͤchſte Theilnahme in Anſpruch nehmenden Zuſtande ab— 
geholfen und die Lage der zahlreichen Nothleidenden un— 
ſerer Zeit verbeſſert werden koͤnnte. Ich uͤberzeugte mich 
bald, daß ich meine Muße nicht beſſer benuzen koͤnnte, 
als ihren Blik auf ein Land zu leiten, wo ich ſo viele 
Tauſende von Ungluͤklichen, Verfolgten und Her— 
untergekommenen wieder zu Gluͤk und Wohlſtand, 
zu Ruhe und wahrer Zufriedenheit, ſo viel ſie unſer 
un vollkommener Zuſtand hienieden nur geſtattet, habe ge— 
langen ſehen, wo mein theilnehmendes Herz an dem 
erheiternden und hochbelebenden Blik einer verjuͤngten 


4 


Menſchheit ſich innig ergoͤzte. Vorzuͤglich ſolchen Ungluͤk— 
lichen, die zu arbeiten im Stande ſind, aber wegen uͤber— 
haͤufter Kompetenten, (inſonderheit im handels- und 
gewerbetreibenden Stande) keine Arbeit und kei— 
nen Abſaz zu finden vermögen *), empfehle ich dieſe Zeilen. 

Liebe zum Vaterlande iſt wahrlich eine hoͤchſt ſchaͤ— 
zenswerthe Tugend, die Liebe zu ſeinen Kindern und ſei— 
ner Familie iſt unſtreitig aber von hoͤherm Werth. Von 
dieſer Wahrheit uͤberzeugt, frag' ich Jeden, wer am wuͤr— 
digſten handelt: derjenige, der mit ſeiner Familie in dem 
Dorfe, worin er geboren, kaͤrglich und in gaͤnzlicher Ab— 
haͤngigkeit von einem Reichen oder Maͤchtigern lebt, oder 
der, der nach einem geſunden und herrlichen Neulande 
auswandert, wo feiner Arbeit nicht nur die gebuͤhrende 
Achtung gezollt wird, ſondern auch ſeinen Lebensbeduͤrf— 
niſſen weit reichlichere Mittel durch eignen Fleiß zu Ge⸗ 
bot ſtehen? In Oberkanada z. B. kann der fleißige 
und thaͤtige, an Muͤßiggang und Verſchwendung nicht 
gewoͤhnte Auswanderer, wenn er die vom Lande ihm dar— 
gebotenen Vortheile gehoͤrig benuzt, in zwei oder drei Jah— 
ren Geld genug eruͤbrigen, fuͤnfzig Acres Freiland zu er— 
kaufen. Er beſizt dann das Recht, einen Geſchworenen 


*) Wie ſehr die Armuth und die Nahrungsloſigkeit ſowol im noͤrd— 
lichen als ſuͤdlichen Deutſchland gegenwaͤrtig zunehmen, 
belehrt uns ein Blik in die in denſelben erſcheinenden Provin— 
zialblätter. Nach leztern haben die gerichtlichen Verkaufungen 
von Bauernguͤter und Haͤuſern ſeit dreißig Jahren ſich mehr als 
verdoppelt. Was ſollen die armen, von Haus und Hof gejagten 
Leute hier beginnen? Und wie viele von ihnen vermehren noth— 
gedrungen die Reihen der Diebe und Raͤuber? 


5 


(Jury) und einen Repraͤſentanten ins Parlament waͤhlen 
zu duͤrfen, iſt auch zu dieſen Ehrenſtellen eben ſo gut 
wählbar, als der Beamte (Friedensrichter) eines Kirch⸗ 
ſpiels in England; ja er findet ſich dort uͤberall ſo ge— 
achtet und angeſehen, als ein freier Gutsbeſizer nur ir— 
gendwo geachtet werden kann. Seine Familie ſieht er 
um ſich her aufwachſen, alle mit der feſten angenehmen 
Überzeugung in die Zukunft blikkend, daß, wenn ſie zu 
reifern Jahren gelangt, ſie ſich einer gleichen Unabhaͤn— 
gigkeit erfreuen werden. Dies iſt nicht ein phantaſtiſches 
Gemaͤlde, ſondern nur eine ſchwache Darſtellung von dem, 
was ich dort mehrere tauſend Male im wirklichen Leben 
angetroffen. Wäre der leidenden und darbenden Armuth 
kein Mittel vergoͤnnt, ihre elende Lage zu beſſern, waͤre 
fie durch ein hartes Geſchik verdammt, dieſe Übel unver: 
meidlich ewig zu erdulden, ſo wuͤrde ich, glaub' ich, der 
Lezte ſein, der muthwilliger Weiſe die leidende Menſch— 
heit angriffe; doch wenn Menſchen in dieſem Zuſtande 
von den die Auswanderung begleitenden Beſchwerden, 
und den Opfern ſprechen wollen, die der Gedanke daran 
ihren Gefuͤhlen auflegt, ſo muß ich geſtehen, daß ich in 
ſolche Zeichen der Schwaͤche und Thorheit nicht mit ein— 
ſtimmen kann. Allein der Mehrheit derer, von denen ich 
eben geredet, muß ich Gerechtigkeit widerfahren laſſen, 
hier zu bemerken, daß ſie ſehnlich wuͤnſchen, nach Ame— 
rika oder nach irgend einem Lande zu gehen, wo ihnen 
die Hoffnung leuchtet, ſich oder ihre Familien durch eine 
Veraͤnderung verbeſſern zu koͤnnen; nur uͤber den Man— 
gel an Mitteln finde ich ſie klagen, der ſie von der 
Ausfuͤhrung ihres Vorhabens abhaͤlt. Dies veranlaſſt 


6 


mich, hier ein paar Worte an die Hoͤhern und Bor: 
nehmern meines Vaterlandes zu richten. „Seid 
fruchtbar und mehret euch und fuͤllet die Er— 
de,“ ſprach der große Schoͤpfer des Weltalls; allein die 
zu angehaͤufte und gedraͤngte Volksmaſſe meines Vater— 
landes befindet ſich jezt in einem, mit dieſer großen Vor— 
ſchrift unvereinbaren Zuſtande. Manche Perſonen von 
mittelmaͤßigen Vermoͤgensumſtaͤnden fuͤhlen ſich vom Hei— 
rathen aus der Beſorgniß zuruͤkgehalten, ſich und ihre 
Nachkommen in Duͤrftigkeit und Noth zu ſtuͤrzen; Andre 
von groͤßerm Vermoͤgen ſuchen eine Art ehelicher Gemein— 
ſchaft, mehr auf Gleichheit des Vermoͤgens, als auf ge— 
genſeitige Liebe und Zuneigung zu gründen, da doch dieſe 
allein die ſicherſten Grundlagen kuͤnftigen Gluͤks gewaͤhren 
koͤnnen. Unter der niedrigern Klaſſe wird die Ehe durch 
die Wohlhabendern zuruͤkgehalten, wenn ſie nicht im Stande 
iſt, genuͤgende Mittel zur Ernaͤhrung ihrer Nachkommen— 
ſchaft aufzuweiſen. Obgleich ich kein Feind von einer ro— 
mantiſchen „Liebe in einer Huͤtte“ bin, ſo muß ich 
doch geſtehen, daß eine Winkelliebe nur ein trauriger 
Erſaz fuͤr wahre eheliche Liebe iſt; und ich kann daher 
Solche nicht tadeln, welche eine Ehe unter Perſonen, die 
keine hinlaͤnglichen Mittel zur Ernaͤhrung einer Familie 
beſizen, zu verhindern ſuchen. 

Wir duͤrfen uns uͤber dieſen Zuſtand der Geſellſchaft 
nicht wundern, er iſt die natuͤrliche Folge von Reichthum 
und Wohlſtand einer Nation; daß er wirklich ſtatt findet, 
kann nicht bezweifelt werden, und daß man ein gegen 
die daraus hervorgehenden übel bewaͤhrtes Mittel allge: 
mein verlangt, iſt gleichfalls klar, und was dies fuͤr ein 


7 


Mittel fein muß, ſcheint mir gleichfalls klar, naͤmlich 
Auswanderung. Die Erde fuͤllen, heißt: aus 
ſolchen uͤbervoͤlkerten Gegenden, wie wir deren jezt in 
Deutſchland, Frankreich und beſonders England 
nicht wenige antreffen, auswandern; und deshalb ſollte 
man zur Unterſtuͤzung einer uͤberfluͤſſigen Volksmaſſe, die 
troz allem Elend, das einſt unfehlbar die Nachkommen— 
ſchaft duͤrftiger Ehen treffen wird, noch ſtets im Zuneh— 
men begriffen iſt, Mittel ergreifen, dem Theile unſerer 
Bevoͤlkerung, der uns ſonſt ſehr zur Laſt fallen wird, Luft 
zu machen. Dies halt' ich nicht blos in politiſcher 
Hinſicht für den National-Wohlſtand weſentlich nothwen— 
dig, ſondern in moraliſcher und religioͤſer Ruͤkſicht 
fuͤr Pflicht aller Regierungen, denen das Heil ihrer Un— 
terthanen wahrhaft am Herzen liegt. Als Abraham 
und Lot aus Agypten zuruͤkkehrten, und aus den 
Streitigkeiten ihrer Hirten ſahen, daß ihre Heerden zu 
zahlreich wuͤrden, als daß das Land ſie genuͤgend zu er— 
naͤhren vermogte, ſprach Abraham zu Lot: „Lieber, 
laß nicht Zank ſein zwiſchen mir und dir, und 
zwiſchen meinen und deinen Hirten; denn 
wir ſind Bruͤder. Steht dir nicht das ganze 
Land offen? Scheide, ich bitte dich, von mir. 
Und Lot hub ſeine Augen auf und ſahe die 
Ebene des Jordans wohl bewaͤſſert. Da er: 
waͤhlete Lot fuͤr ſich die ganze Gegend am 
Jordan, und zog gegen Morgen. Alſo ſchied 
ein Bruder von dem andern.“ Und ſo hat man 
es in allen folgenden Zeiten bis jezt gemacht, und keine 
Nation hat dies ſowol in politiſcher, als morali⸗ 


8 


ſcher oder religiöfer Hinſicht mit mehr Erfolg gethan, 
als die Englaͤnder. Allein obgleich die engliſche Re— 
gierung in dieſem Betracht viel geleiſtet hat, ſo glaube 
ich doch, hat ſie noch nicht genug gethan. Als ein Streit 
zwiſchen Abrahams und Lots Hirten entſtand, finden 
wir noch keine Strafgeſeze verordnet, Übel zu unterdruͤkken 
oder zu beſtrafen, die als eine natuͤrliche Folge daraus 
hervorgingen, daß „das Land nicht im Stande 
war fie zu ernähren, fo daß fie neben einan⸗ 
der wohnen koͤnnten;“ wir finden aber, daß der 
große Patriarch das natuͤrliche Mittel fuͤr die natuͤrlich 
daraus entſtehende Unordnung vorſchlug, nämlich die Ur!’ 
ſache derſelben durch eine freundſchaftliche Scheidung zu 
entfernen; und Lot waͤhlte ſich „die Gegend am 
Jordan und zog gegen Morgen.“ Dieſer Eri- 
tiſche Zeitpunkt iſt jezt fuͤr Deutſchland einge— 
treten. Die Bevoͤlkerung iſt hier ſo groß, „daß das 
Land ſie nicht mehr zu ernaͤhren im Stande 
iſt;“ und um das daraus entſtandene Elend zu lindern, 
empfehle ich anſpruchlos aber ernſtlich den Nothleidenden 
und allen ihren abnehmenden Wohlſtand Betrauernden 
die fruchtbaren Thaͤler des St. Lorenz, Ohio, Miſ— 
fiffippi und Miſſuri, welche fie „überall wohl 
bewaͤſſert“ finden werden. 

Ich bin feſt uͤberzeugt, Keiner wird es zu verneinen 
wagen, daß neun Zehntheile der taͤglich vor unſern 
Augen beſtraften Verbrechen daraus entſpringen, daß 
den Verbrechern die noͤthigen Subſiſtenz-Mittel fehlen. 
Es iſt daher Pflicht derer, die es koͤnnen, durch ihr An— 
ſehen und ihre Unterſtuͤzung dahin zu wirken, daß ſolche 


9 


Ungluͤkliche, die aus Mangel und Armuth in faſt unwi⸗ 
derſtehliche Verſuchung gerathen, in eine Lage verſezt wer: 
den, wo ſie ſich und ihre Familien ernaͤhren koͤnnen, ohne 
ſich Handlungen wider Gott und ihr eignes Gewiſſen zu 
Schulden kommen zu laſſen, oder ſtatt ihrem Geburts— 
lande zu nuͤzen, demſelben vielmehr zur Laſt fallen. Eine 
Geldunterſtuͤzung iſt fuͤr einen Nothleidenden unſtreitig 
ein Zeichen der chriſtlichen Liebe; ihm aber heilſamen Rath 
zu geben, und ſeinen Einfluß benuzen, um ihn in eine 
Lage zu verſezen, wo er nicht laͤnger eines ſolchen Bei— 
ſtandes bedarf, iſt eine chriſtliche Liebe von einem hoͤhern 


Nange. Die eine iſt vorübergehend, die andere bleibend; 


die eine entfernt eine gegenwaͤrtige Verſuchung zu einem 
Verbrechen, die andere ſezt den Menſchen uͤber jene Ver— 
ſuchung hinweg. Welcher mildthaͤtige Fuͤrſt wird, wenn 
er weiß, daß dreißig Reichsthaler h für die Überfahrt eis 
nes in der Bluͤthe ſeines Lebens ſtehenden Anſiedlers nach 
Amerika dieſen von todeswuͤrdigen Verbrechen abhalten 
wuͤrden, ſich bedenken, dieſe Summe zu geben? Und 
obgleich man das traurige, uͤber einen Ungluͤklichen in 
der Zukunft verhaͤngte Schikſal nicht vorherſehen kann, 
ſo erblikken wir doch taͤglich geſchaͤftsloſe Menſchen ein zuͤ— 
gelloſes Leben fuͤhren und ihrem Verderben entgegenwan— 
deln. Es iſt daher unſre Pflicht, den Fortſchritt ihres 
Laſters zu hemmen, wenn es in unſerer Macht ſteht, ſie 


*) Mehr koſtet eine Reiſe im Verdekke des Schiffs (Steerage) fuͤr 
eine einzelne Perſon gewoͤhnlich nicht, wenn ſie ſich naͤmlich ſelbſt 
bekoͤſtigt. Siehe: Reife von Hamburg nach Philadel— 
phia. Hannover 1800. Seite 6. 


10 


in eine Lage zu verſezen, wo fie ihr Brot auf eine ehr— 
liche Weiſe verdienen koͤnnen. Dies iſt chriſtliche Liebe, 
und chriſtliche Liebe vom hoͤchſten Range; eine chriſtliche 
Liebe, welche, wie ich hoffe, einſt, wenn die Noth noch 
mehr dazu zwingt, die Großen und Reichen ausuͤben wer— 
den. Ich bin ſtolz bei dem Gedanken, daß die Deutſchen 
dieſer unſchaͤzbaren Tugend bei vielen Gelegenheiten oft 
freudig und gern huldigen. 

Wir haben Bibelgeſellſchaften und unzählige 
andere Vereine zur Verbeſſerung der Menſchheit; wir wen— 
den große Koſten an, Miſſionare auszuſenden, den 
Heiden den großen Schoͤpfer ſeines Daſeins anbeten zu 
lehren, und helfen unſern Mitchriſten nicht, denen ein 
ſolches Unterkommen Noth thut, die Waͤlder des Neulan— 
des einzunehmen, daß ſie den hier umherſtreifenden Be— 
wohnern die Kuͤnſte eines buͤrgerlichen Lebens praktiſch 
beibringen? Iſt es nicht unſre Pflicht, die Vortheile 
unſerer buͤrgerlichen und religioͤſen Inſtitu— 
tionen, wodurch Deutſchland auf den Gipfel menſch— 
licher Groͤße gebracht iſt, durch alle nur rechtmaͤßige und 
unſerm eignen Lande nicht ſchaͤdliche Mittel bis zu den 
aͤußerſten Theilen der Erde zu verbreiten? Welch' ein 
Gegenſtand hocherhebender Betrachtung iſt das Feſtland 
von Nordamerika dem Deutſchen! Über eine Million 
ſeiner Landsleute und deren Nachkommen ſieht er dort in 
erfreulichem Wohlſtande leben ); er findet dort nicht nur 
ſeine Sprache und Sitten wieder, ſondern ſieht auch dort 


) Siehe Brauns Mittheilungen aus Nordamerika. 
Braunſchweig 1829. Seite 213. 


11 


feine Glaubens- und Stammgenoſſen ſich der Wohlthaten 
einer ſo freien Verfaſſung erfreuen, wie ſie nur 
einſt in den germaniſchen Wäldern zu Her 
manns Zeiten gefunden werden konnten. Er gewahrt 
den Suͤden Amerikas dieſelben freien Inſtitutionen 
unter ſich einfuͤhren, ſo weit dies der barbariſche Zu— 
ſtand, in welchen Spanien und die Inquiſition 
dies reiche, aber niedergedruͤkte Land verſezte, geſtattet. 
Kann man einen uͤberzeugendern und treffendern Beweis 
von dem herrlichen Einfluſſe verlangen, der die Kolo— 
niſationen unſerer Zeit begleiten wird? Erfahrung 
geht wahrlich weit über alles Raͤſonnement. 
Die aufgeklaͤrten Grundfäze unſerer gemä: 
ßigten Monarchie, und die reinen Lehren unſe— 
rer verbeſſerten Religion koͤnnen daher gewiß nicht 
durch die vielen, faſt taͤglich in unſern Drukkereien erſchei— 
nenden Schriften ſo wirkſam verbreitet werden, als durch 
die zahlreichen Zuͤge einer in dieſen Grundſaͤzen erzo— 
genen und jaͤhrlich aus dieſem fruchtbaren Bienenſtokke 
herausſchwaͤrmenden Volksmaſſe. „Leite das Kind 
auf den Weg, worauf es gehen ſollte, und 
wenn es alt iſt, wird es nicht davon weichen.“ 
überall, wohin des alten Roms Adler ihre ſiegreichen 
Fluͤgel trugen, brachten ſie in ihrem Gefolge ihre Sprache 
und ihre Geſeze mit, welches das neuere Europa 
bis auf dieſen Tag genuͤgend beurkundet. Wann einſt, 
nach dem natuͤrlichen Laufe des Steigens und Fallens 
aller Nationen, auch die Groͤße und Kultur der europaͤi— 
ſchen Nationen dahin geſunken iſt, wird dann nicht in 
dem neuen Abendlande das Andenken Deutſch— 


12 


lands ſtets gefegnet bleiben! Wird man dann nicht 
dort nach Jahrtauſenden noch mit Freuden bekennen, daß 
man deutſchem Fleiße den ſchoͤnſten Anbau der neuen 
abendlaͤndiſchen Fluren dankt; daß vorzuͤglich Deutſche 
es waren, die die grenzenloſen Einoͤden und Waͤlder und 
Suͤmpfe in liebliche Auen und Gefilde verwandelten! Wird 
dann nicht dort nach Jahrhunderten oder Jahrtauſenden 
ein Nachkomme Tuiskons in den Hainen Penns 
und Miflins und Franklins und Morris mit 
dankbarem Hochgefuͤhl auf die ſchoͤnen Tempel hinſehen, 
welche ſeine Vorfahren mit vielem Schweiß und großen 
Koſten erbauten, um ihren Nachkommen das Evangelium 
in ſeiner wiederhergeſtellten Reinheit und Lauterkeit und 
in ihrer Sprache zu hinterlaſſen! Ja wenn die Deut— 
ſchen jenes Aſyl ſo fleißig als bisher ſich auserſehen wer— 
den, um dort die ſchoͤnſten Fruͤchte ihres Fleißes und ih— 
rer Froͤmmigkeit und Rechtſchaffenheit zu hinterlaſſen, ſo 
wird deutſche Sprache, deutſche Sitten und 
deutſche Wiſſenſchaften und Kuͤnſte ſich uͤber je: 
nes ungeheure Feſtland ſo verbreiten, „wie die Fluten 
die See bedekken“ )). 

Betrachten wir aber Koloniſationen blos in 
Ruͤkſicht auf unſern eignen Vortheil und nur 
als ein Mittel, die Lage der Zuruͤkbleibenden 
zu verbeſſern, indem dieſe dann von der Laſt, die 
Armen zu unterſtuͤzen, befreit werden, ſo, bin ich feſt 


*) Siehe Brauns Mittheilungen aus Nordamerika. 
Braunſchweig 1829. Seite 408. 


8 
* 


uͤberzeugt, kann es kein beſſeres Mittel geben, welches 
dieſe beiden Gegenſtaͤnde ſo vollkommen zu erreichen vermag. 

Hätten ſich Koloniſations-Geſellſchaften ) 
in Deutſchland gebildet, und waͤre von ihnen der Ge— 


*) Die zu London erſcheinende Morning Poſt vom 14. Februar 
und 6. Maͤrz 1826 enthaͤlt folgende, in dieſer Hinſicht ſehr wich— 
tige Nachricht: „260 Koloniſten, beſonders ſchottiſ che Fa mi⸗ 
lien, von der kolumbiſchen Akkerbaugeſellſchaft in 
England ausgeſandt, ſind zu Caraccas gegen Ende Decembers 
1825 angekommen.“ — „Das Schiff, die Graͤfinn von Morley, 
wird in Kurzem mit 250 Akkerbauern und Anſiedlern nach Rio 
de la Plata von Plymouth unter Segel gehen. Dies iſt das 
dritte Schiff, welches die Rio de la Plata-Akkerbauge— 
ſellſchaft, Anſiedler nach Amerika zu fuͤhren, angenommen hat. 
Die Niederlaſſung iſt ungefaͤhr 250 Meilen von Buenos Ayres“ 
So wird durch engliſche und ſuͤdamerikaniſche Geſellſchaften euro— 
päifche Civiliſation und Kultur auch nach Amerika verbreitet und 
der europaͤiſche Handel mit jener entfernten Weltgegend befoͤrdert. 
Die in London zur Befoͤrderung des Landbaues am Rio de la 
Plata gebildete Geſellſchaft (Rio de la Plata Agricultural-As- 
sociation) hielt am 3. Oktober 1826 eine Verſammlung. Sie 
hat auf ihre Koloniſationsanlagen bereits 29,824 Pfund 
Sterling verwendet. Im Jahre 1825 — 26 find 400 Koloniſten 
auf drei Schiffen nach Buenos Ayres geſchikt; 50 Familien ſind 
daſelbſt bereits angeſiedelt und leben zufrieden; viele der hinge⸗ 
ſandten fuͤhren ſich ſchlecht auf und wollen nicht arbeiten; 130 
von den Koloniſten find bereits mißvergnuͤgt nach England zuruͤk— 
gekehrt. Der Krieg mit Braſilien im Jahre 1827 — 28 
wirkte nachtheilig auf die weitern Sendungen. Auch findet man 
in Buenos Ayres bereits deutſche Kolonien, die der Buenos 
Ayreſiſche Oberſt Karl v. Heine ſeit 1824 dahin gefuͤhrt hat, 
und denen es nach den neueſten Nachrichten dort wohlgehen ſoll. 
Siehe: Brauns Ideen uͤber die Auswanderung nach 


14 


genſtand, der, wie ich aus eigner Nachforſchung weiß, 
die Lieblingsneigung der Unbemittelten und Duͤrftigen iſt, 
in beſondere Anregung gebracht, naͤmlich nach einem noch 
wenig bebauten, aber fruchtbaren und geſunden Neulande 
in Amerika zu ziehen, ſo glaub' ich, haͤtten wir aus dem 
natuͤrlichen Grunde keinen Armen mehr Unterſtuͤzung zu ge— 
ben, der auch in Nordamerika herrſcht, naͤmlich weil dann 
keine Armen einer Unterſtuͤzung ferner beduͤrftig ſein wuͤrden. 

Folgende Zuͤge zu einem zur Foͤrderung die— 
ſes Gegenſtandes abzufaſſenden Geſeze halte 
ich einer ernſtern Beachtung werth, wobei ich noch be— 
merke, daß, da die Annahme der uns dadurch zufließen— 
den Vortheile wuͤnſchenswerth iſt, ein ſolches Geſez Nie— 
mandem zu fihaden vermag. Die daraus hervorgehenden 
Folgen werden nothwendiger Weiſe ſo nach und nach in 
Wirkſamkeit treten, daß man durchaus nicht befuͤrchten 
darf, es koͤnnten dieſe Maaßregeln bedenkliche Übel nach 
ſich ziehen, welche der durchlauchtigſte deutſche Bun— 
destag zu Frankfurt nicht zeitig zu heben vermoͤgte. 

1. Man bevollmaͤchtige den Municipalrath je— 
der Gemeinde, arbeitsfaͤhigen Unbemittelten zur Ausfüh- 
rung ihres Vorhabens Unterſtuͤzung angedeihen laſſen zu 
duͤrfen, vorausgeſezt, daß es erwieſen iſt, daß dieſe ſich 
keine hinreichende Arbeit in ihrem Kirchſpiele zu verſchaffen 
im Stande ſind, um ſich und ihre Familie ehrlich ernaͤh— 
ren zu koͤnnen. 


Amerika. Göttingen 1827. Seite 820 und an mehren ans 
dern Stellen. Ferner: Brauns Mittheilungen aus Nord— 
amerika. Braunſchweig 1829. Seite 458. 


* 
* 


5 15 


2. Haben ſich die Municipalbeamten von der Schik— 
lichkeit des Geſuches eines zur Auswanderung geneigten 
Nothleidenden genuͤgend uͤberzeugt, ſo bevollmaͤchtige man 
die Polizeibehoͤrden, die noͤthigen Scheine und Paͤſſe zu 
ertheilen, daß die abreiſenden Koloniſten frei nach Ham— 
burg oder Bremen transportirt, und von hier ſobald 
als moͤglich nach Amerika befoͤrdert werden koͤnnen. 

3. Man bevollmaͤchtige die kompetenten Behoͤrden, 
zu dem Ende Unterhandlungen mit den neuen amerikani— 
ſchen Staaten anzuknuͤpfen, um leztere zu veranlaſſen, zu 
den erforderlichen Reiſe- und Zehrungskoſten der Kolo— 
niſten einen verhaͤltnißmaͤßigen Beitrag zu geben, indem 
es klar iſt, daß durch ſolche Koloniſationen Amerikas Flor 
in gleichem Grade befoͤrdert wird. 

4. Einige der neuern, noch nicht ſtark bevoͤlkerten 
Staaten Nordamerikas, am Ohio, Miſſiſſippi 
und Miſſuri und insbeſondere Oberkanada, ſind 
nach genauer Unterſuchung die fuͤr dieſen Zwek am beſten 
geeigneten Gegenden ), indem die Reife dahin mit ge⸗ 
ringern Koſten verbunden iſt, als nach dem Vorgebirge 
der guten Hoffnung, oder Neuſuͤd-Wales 7c. 3 
daher muß auf obige Laͤnder vorzuͤglich Ruͤkſicht genom⸗ 
men werden. 

5. Legt Jemand die Überfahrt auf öffentliche Koſten 
zuruͤk, fo wird er des Rechts, ſich in der fruͤhern Ge⸗ 
meinde wieder niederzulaſſen, verluſtig, und iſt nicht be⸗ 
rechtigt, dort je wieder Unterſtuͤzung zu ſuchen. 


) Siehe Brauns Ideen über die Auswanderung nach 
Amerika. Goͤttingen 1827. Kap. XIII. 


16 


Wuͤrde ein ſolches Koloniſations-Geſez in 
Großbritannien gegeben, ſo wuͤrden die Kirchſpiele 
ſich dadurch in den Stand geſezt ſehen, ihre Armen— 
taxe durch eine große Zahlung auf dieſelbe Weiſe abzu— 
kaufen, wie Einzelne dort ihre Landtaxe abkaufen koͤn— 
nen, und das Land wuͤrde auf jeden Fall von dieſer un— 
ertraͤglichen Laſt befreit werden. Sollte irgend ein ſol— 
cher Plan, als der hier eben angegebene, in Ausfuͤhrung 
gebracht werden, und eine hinreichende Zahl Menſchen 
auswandern, um die Zahl der Haͤnde mit dem Quantum 
der Arbeit in ein richtiges Verhaͤltniß zu bringen, ſo daß 
Jeder in der Gemeinde einen genuͤgenden Lohn fuͤr ſeine 
Arbeit erhalten kann, ſo wuͤrde dies auf die produzirende 
Klaſſe einen herrlichen Einfluß haben. Die bejahrten und 
altersſchwachen Altern werden dann in der Neige ihres 
Lebens von ihrem Kinde, der natuͤrlichen Stuͤze ihrer 
ſinkenden Jahre, ſich nicht, wie leider jezt ſo oft der Fall, 
verſtoßen ſehen; der ungluͤklichen Schweſter oder dem ver— 
kruͤppelten Bruder wird die gluͤklichere Schweſter oder 
der geſundere Bruder dann gern und freudig Beiſtand 
angedeihen, und die natuͤrlichen, nicht mehr durch Un— 
gluͤk erſtarrten Gefuͤhle des Herzens werden dann ihren 
gewohnten Einfluß uͤber das menſchliche Gemuͤth wieder 
einnehmen, und Kinder und Geſchwiſter werden es dann 
nicht länger ertragen koͤnnen, ihren nahen Blutsverwand— 
ten in einem klaͤglichen Armenhauſe oder in einer Ir— 
renanſtalt dahin ſchmachten zu laſſen, waͤhrend ſie 
ſelbſt zu Hauſe behaglich leben und nicht ſelten im Über— 
fluſſe ſchwelgen. | | 

Den Armen Geld zu geben und milde Anflalten zu 


- 17 
ihrer Aufnahme, wann fie alt und ſchwach werden, grün: 
den, heißt das übel vermehren, wenn nicht Aus wan— 
derung mit der Vermehrung des Volks Schritt 
haͤlt. 

Die Hälfte des zur Beförderung der Kolonifation an: 
gewandten Geldes wuͤrde die gegenſeitigen Beduͤrfniſſe und 
Forderungen Eines gegen den Andern in ein heilſames 
Gleichgewicht bringen, und der überflüffige Theil, ſtatt 
einen uͤber das ganze Staatenſyſtem Krankheit verbreiten— 
den Auswuchs zu bilden, wuͤrde dagegen ein geſunder 
Theil des Ganzen werden, indem er alle die Geſchaͤfte 
verrichtete, fuͤr die ihn die Natur beſtimmte. Bei ihrer 
Unabhaͤngigkeit wuͤrden die Juͤngern und Geſunden im 
Stande ſein, ihre ſchwachen und bejahrten Verwandten 
ſelbſt zu erhalten, und die Inwohner des Armenhauſes 
wuͤrden ſich nach und nach vermindern. Die wohlthaͤ— 
tigen Folgen der Auswanderung werden ſich 
nicht blos fuͤr den Augenblik beſchraͤnken, ſondern auf 
Jahrhunderte fortdauern; denn iſt die Bevoͤlkerung des 
Landes gehoͤrig gegen einander ins Gleichgewicht geſezt, 
und werden die fuͤr beide Theile, ſowol fuͤr die Zuruͤk— 
bleibenden als fuͤr die Weggezogenen, hieraus erwachſen— 
den vortheilhaften Folgen erſt gefuͤhlt, ſo wird die arbei— 
tende Klaſſe nie wieder zu lange ohne regelmaͤßige Be— 
ſchaͤftigung bleiben, und ſich nie wieder ſo heruntergebracht 
ſehen, daß ſie ſich fuͤr unfaͤhig halten ſollte, ſich dieſes 
ihren Zuſtand beſſernden Mittels zu bedienen. Sollten 
ſie ſich aber doch zufaͤllig in ſolchem Elend befinden, ſo 
wuͤrden die Wohlhabendern, nachdem ſie einmal die Vor— 


theile dieſes Syſtems haben kennen lernen, gewiß nicht 
Brauns Skizzen von Amerika. 2 


18 


ungeneigt fein, ihnen zur Ausführung ihres Vorhabens 
ihren Beiſtand zu leiſten. 

Schottland und insbeſondere Irland bewahr— 
heiten unſre Behauptung hoͤchſt einleuchtend ). Iſt die 
Bevoͤlkerung jezt zu groß, was wird ſie am 
Schluſſe des gegenwaͤrtigen Jahrhunderts 
werden, wenn ſie in den naͤchſten Jahren ſo zunimmt, 
wie ſeit den lezten ſiebenzig Jahren? Im Jahre 1750 
ward die Bevoͤlkerung Englands und Wales nach 
den Parlamentsnachrichten auf 6,467,000 Seelen geſchaͤzt. 
Im Jahre 1820 nahm die Bevoͤlkerung zu bis an 12,218,500. 
Im Jahre 1749, das ich waͤhle, weil ich keine Nachrichten 
für das Jahr 1750 finden konnte, und das, wie ich ver— 
muthe, nicht ſehr verſchieden hiervon ſein kann, belief ſich 
die zur Unterſtuͤzung der Armen verwandte Summe nur 
auf 689,971 Pfund Sterling, waͤhrend im Jahre 1819 
das zu einem gleichen Zwekke verausgabte Geld, noch oben— 
drein, was wohl beachtet werden muß, in einer Zeit des 
tiefen Friedens, zu der furchtbaren Summe von 7,329,594 
Pfund Sterling ſtieg. Man wird ſehen, daß bei wie— 
derhergeſtelltem Friedenszuſtande die Zahl der aus dem 
Dienſte der See- und Landmacht und andern damit in 
Verbindung ſtehenden Ämtern entlaſſenen Menſchen einen 
ſo großen Theil der Haͤnde außer Beſchaͤftigung ſezte, daß 
die Verbrechen augenbliklich mehr als ein Drittheil zu— 
nahmen. Im Jahre 1815, in welchem der Krieg ſich 
endete, belief ſich die Zahl der wegen Verbrechen Ver— 


) Brauns Ideen Über die Auswanderung nach Ame— 
rika. Göttingen 1827. Seite 764 — 771. 


. 19 


hafteten in England auf 7,818. Im Jahre 1816, dem 
erſten des allgemeinen Friedens, nahmen die Verhafteten 
reißend zu und fliegen bis an 9,091. Aber in dem fol- 
genden Jahre, von dem man denken kann, dieſe entlaſſe— 
nen unbeſchaͤftigten Perſonen haͤtten alle die ihnen bei ih— 
rer Entlaſſung gemachten Prämien und Gnadengelder be— 
reits ausgegeben und ſich daher genoͤthigt geſehen, ſich in 
die allgemeinen Geſchaͤfte der Übrigen zu miſchen, und 
die arbeitenden Klaſſen demnach an Zahl zunahmen, fin— 
den wir, daß Verhaftungen wegen Verbrechen ſich bis zu 
13,932 vermehrten, und bis jezt hat dieſe ſchrekliche Zahl 
nicht abgenommen, ſondern iſt zuweilen bis an 14,000 *) 
geſtiegen. Auch hat der Friedenszuſtand in England nirgends 
einen wohlthaͤtigen Einfluß ſowol auf die Groͤße der Armen— 
taxe als auf die Zahl der Hilfsbeduͤrftigen und Nothleidenden 
geaͤußert; beide naͤmlich wurden durch ihn nicht vermindert. 
Im Jahre 1812, worin außerordentliche militairiſche, den 
britiſchen Waffen hoͤchſt ruͤhmliche, Anſtrengungen gemacht 
wurden, belief ſich die Ausgabe fuͤr die Seemacht und 
die Landtruppen, mit Ausſchluß der Subſidiengelder, auf 
nicht weniger als 49,740,112 Pfund Sterling. In dem⸗ 
ſelben Jahre ſtand der Weizen — Hauptnahrung der 
meiſten Menſchen in England — hoͤher im Preiſe, als er 
ie zuvor, oder nachher geſtanden; er flieg in dem Jahre 
zu dem übermäßigen Durchſchnittspreiſe von 125 Schil— 
ling 5 Pences das Quarter, und in dieſem Jahre war 


*) Im Jahre 1805 wurden in England nur 350 Perſonen zum 
Tode verurtheilt; dagegen 20 Jahre ſpaͤter (1825) 1036. Nek⸗ 
kar Zeitung 1829. Seite 13. 


20 


die zur Unterſtuͤzung der Armen verwendete Summe 
6,656,105 Pfund Sterling, waͤhrend im Jahre 1822, als 
die Ausgabe fuͤr die See- und Landmacht auf 13,900,437 
Pfund herabgeſezt war, und der Weizen im Durchſchnitt 
43 Schilling 3 Pences das Quarter betrug, und der aus— 
waͤrtige Handel und die Manufakturen Großbritanniens 
in einem ſehr bluͤhenden Zuſtande ſich befanden, die zur 
Unterſtuͤzung der Armen verwendete Summe ſich auf 
5,773,096 Pfund Sterling belief. Erwaͤgt man nun den 
Preis des Brotes, der Hauptnahrung der engliſchen Ar— 
mee, ſo muß dies als ein Zeichen der wirklichen Zunahme 
der Armuth im Lande betrachtet werden. 

In den Jahren 1817, 18, 19, einer Periode, von 
betraͤchtlichem Verluſt in den britiſchen Manufakturgegen— 
den begleitet, betrugen die zur Unterſtuͤzung der Armen 
verwendeten Summen jedes Jahr im Durchſchnitt faſt 
acht Millionen Pfund Sterling. So ſehen wir, daß fo: 
wol im Frieden als Kriege, in dem Steigen, oder 
dem Sinken des Handels Armuth, mit ihrem 
verhaßten Gefolge von Verbrechen, mit der Zunahme der 
Bevoͤlkerung gleichen Schritt haͤlt. 

London hat eine Größe erreicht, welche Fremde 
ſchwerlich glauben werden, und faſt jede engliſche Land— 
ſtadt dehnt ihre Grenzen in demſelben Verhaͤltniß aus. 
Wann und durch welche Mittel koͤnnen wir dieſe Ver— 
mehrung gehemmt ſehen? Sollen wir auf eine ſchrekken— 
volle und furchtbare Landplage warten, die gleich einer 
Peſt die Reihen unſerer Bevoͤlkerung verduͤnnen wird, oder 
ſollen wir nicht vielmehr das edle Mittel gebrauchen, den 


21 


zu üppigen Wachsthum allmälig zu verpflanzen, bevor 
die ganze Maſſe unter ihrer eignen Fuͤlle niederſinkt? 

Überflüffige Arbeiter find ſich und Andern 
gleich ſchaͤdlich; fie koͤnnen keine hinlaͤngliche Arbeit fin: 
den, und hindern noch obendrein Andere an der Erlan— 
gung der ihrigen. Z. B. ich beſuchte kurzlich einen Land: 
wirth, der zur Abmaͤhung von zwanzig Morgen Waizen 
vier Tagloͤhner bedurfte, die er auch gerade zur rechten 
Zeit fand. So, dacht' ich, iſt's fuͤr beide Theile am beſten, 
wenn die verlangte Arbeit mit der angebotenen 
Arbeit im rechten Verhaͤltniß ſteht, dabei kann der Land— 
wirth und der Arbeiter beſtehen. Der Landwirth wollte 
einem jeden der obigen vier Tagloͤhner täglich zehn Gu⸗ 
tegroſchen geben, welches ich bei wohlfeilen Preiſen fuͤr 
ein gutes Taglohn halte. In dem Augenblik, wo der 
Landwirth die vier Tagloͤhner zu obigem Preiſe dingen 
wollte, kommt ganz unerwartet ein Überzaͤhliger, der keine 
Arbeit finden konnte, und jezt nun aͤngſtlich um einen Tag: 
lohn beſorgt, ſich zum Landwirth mit den Worten wendet: 
„Nehmen Sie mich, und ich will gern mit zwei Gute— 
groſchen weniger zufrieden ſein.“ Der Landwirth nahm 
ſein Anerbieten an und ſchloß dagegen Einen von den 
Vieren aus, der nun ſogleich ſich in derſelben Lage, wie 
kurz vorher der Hinzugekommene befand, und um ſeine 
Stelle nicht zu verlieren, ſich zu einem noch billigern 
Preiſe zur Arbeit erbot, welches von dem Landwirth auch 
angenommen ward. Durch die Ankunft jenes überzaͤh— 
ligen kam es, daß dieſe armen Tagloͤhner ihre Arntear— 
beit fuͤr einen ſo niedrigen Preis verrichten mußten, daß 
ſie kaum dabei das liebe Brot verdienen konnten. 


22 


In unſerm Zeitalter muß man mit der nöthigen Um- 
ſicht alte Beſchraͤnkungen abſchaffen und durch zeitgemaͤße 
und nuͤzliche Inſtitutionen und Geſeze erſezen; wird der 
Handel und Verkehr von ſeinen laͤſtigen Feſſeln befreit, 
fo wird die Lage der handels- und gewerbtreibenden Klaffe 
ſich gewiß verbeſſern. Man ſollte dem Weiterziehen eines 
Menſchen gar kein Hinderniß entgegenſezen, noch ſeinen 
Muͤſſiggang beguͤnſtigen; denn durch beides wird die Ar— 
muth vermehrt. Man laſſe Arbeiter gehen, wohin ſie 
wollen, und koͤnnen ſie an einem Orte keine Arbeit fin— 
den, ſo laſſe man ſie frei zu einem andern gehen, und 
koͤnnen fie keine Arbeit in der Heimath finden, fo laſſe 
man ſie in ein anderes Land ziehen, was, wenn ſie Mit— 
tel dazu haben, ſie gern thun werden. Koloniſation iſt 
eben ſo natuͤrlich ein Theil der Nationalwirthſchaft, 
als das Unterkommen der Kinder in der Welt ein Theil 
der Pflicht derer iſt, die ſie in dieſelbe hineinſezen. Durch 
jene wird die Macht und Staͤrke des Mutterſtaats gerade 
ſo vergroͤßert, als die Anſtellung und der Wohlſtand von 
Jemandes Kindern dem Familienhaupte Anſehen und Ein— 
fluß verleiht. Sezt man die große Summe der Armen— 
tare in England jährlich auf 5,000000 Pfund Sterling, 
welches noch unter dem Durchſchnitt iſt, welche Reſultate 
koͤnnten nicht daraus entſpringen, wenn man ein Fuͤnf— 
theil dieſer Summe zu den Zwekken einer Koloniſa— 
tion verwendete? Der fuͤnfte Theil dieſer Summe wuͤrde 
hinreichen, jaͤhrlich 50,000 Arme in Oberkana da 
anzuſiedeln, und fie ein Jahr lang mit den nöthigen 
Lebensmitteln und Akkergeraͤthſchaften zu verſehen. Dieſe 
Maſſe wuͤrde eben ſo ſehr jene Provinz durch ihre In— 


23 


duſtrie bereichern, als auch die europaͤiſchen Manu: 
fakturen durch ſtaͤrkern Abſaz in Flor brin 
gen. Wuͤrde dies Syſtem einige Jahre hindurch fortge— 
ſezt, ſo wuͤrden die Auswanderer nach Oberkanada ſo 
viele ihrer engliſchen Nachbaren dort antreffen, daß ſie 
kaum die Veraͤnderung ihres Aufenthalts bemerken wuͤr— 
den. Das Mutterland wuͤrde alsdann von einer Laſt be— 
freit, und die Kolonie durch das Hinzukommen einer ſo 
ſchaͤzenswerthen Bevoͤlkerung bereichert werden. So wer: 
den zehn Jahre eine halbe Million Menſchen aus unbe— 
grenzter Armuth und Duͤrftigkeit in einen Zuſtand der 
Unabhaͤngigkeit und des Wohlſtandes verſezen, und den 
europaͤiſchen Manufakturen einen groͤßern Abſaz verſchaffen, 
ſtatt daß ſonſt dieſe Menſchenmaſſe ein Hinderniß fuͤr die 
Induſtrie der Nation bleiben wuͤrde. Durch Verſuche iſt 
es erwieſen, daß 120 Thaler Preuß. Kourant fuͤr einen 
Koloniſten, mit Einſchluß der Maͤnner, Frauen und Kin— 
der, hinreichen, ihn in Oberkanada anzuſiedeln, und 
ihn ein Jahr hindurch mit den noͤthigen Vorraͤthen, Ge— 
raͤthſchaften und einer Kuh zu verſehen, wenn er dort in 
eine aufmunternde Lage verſezt werden ſoll. Dort koͤn— 
nen unſere armſeligen und ſchmachtenden Huͤttenbewohner 
mit der Haͤlfte obigen Geldes gluͤkliche, freie Landei— 
genthuͤmer werden, wenn ſie ſonſt in Fleiß und Aus— 
dauer nicht ermuͤden. 

Im Frühling fangen die Schiffe an, von Liver: 
pool nach Quebek mit Ballaſt zu ſegeln, um Bau— 
holz zuruͤk zu bringen, und man kann in jenem Hafen, 

vom 1. April bis den 1. Auguſt, die überfahrt fuͤr 


24 


zwölf Thaler die Perſon, mit Ausſchluß von Le: 
bensmitteln, erhalten. Auf zwei Monat ſollte man Le— 
bensmittel mitnehmen, um ſich auf etwaige Zufaͤlle vor— 
zubereiten, obgleich man ſchon in fuͤnf oder ſechs Wochen 
die Reiſe zuruͤklegen kann. Eine erwachſene Perſon kann 
fuͤr 42 Thaler ihre Überfahrt von Liverpool nach 
Quebek, mit Einſchluß der Lebensmittel, bewerkſtelligen. 
Vierzehn Dampfboͤte gehen zwiſchen Quebek und 
Montreal; ein Dampfſchiff geht täglich von Quebek 
nach Montreal, und eins von Montreal nach Que— 
bek ab, zuweilen auch zwei. Die Entfernung — 180 
engliſche Meilen — wird gewoͤhnlich in 17 Stunden ſtrom— 
abwaͤrts und in 30 Stunden ſtromaufwaͤrts zuruͤkgelegt Y. 
Im Verdek⸗Reiſende koͤnnen dieſe Entfernung in 
ſolchen Boͤten fuͤr einen Thaler ſechszehn Gutegroſchen 
à Perſon zuruͤklegen, wobei ſie ſich ſelbſt bekoͤſtigen, und 
Kajuͤten-Reiſende für zehn Thaler, nebſt freier Be— 
koͤſtigung. Von Montreal nach Pres cott ſind 120 
engliſche Meilen, und hier ſieht ſich der Auswanderer in 
einen bluͤhenden Theil Oberkanadas verſezt, wo er, wenn 
er es fuͤr zwekmaͤßig haͤlt, ſich nach Beſchaͤftigung um— 
ſehen mag, ſonſt kann er leicht eine Überfahrt entweder 
in Dampfboͤten oder Schonern zu den weſtlich ern 
Theilen der Provinz finden. Die Reiſe von Mon— 
treal nach Prescott wird hauptſaͤchlich von der nie— 
drigern Volksklaſſe zuruͤkgelegt in einigen der zahlreichen 


*) Siehe J. C. Goßler's amerik. Korreſpondent. Phila⸗ 
delphia 1826. Seite 1130. 


25 


4 


offnen Boͤte von drei bis dreißig Tonnen Laſt, die be⸗ 
ſtaͤndig mit Fracht den St. Lorenz auf- und herab— 
gehen. Die innern Theile der Provinz oberhalb 
Kingston will ich der Guͤte ihres Bodens und der 
Milde ihres Klimas wegen den Auswanderern ganz be⸗ 
ſonders empfehlen. 


II. 
S BE in EN - 


von 


hee Son wel 


Nach 
dem Engliſchen des Henry John Boulton), 
| nebft 
berichtigenden Anmerkungen von Braun 8. 


Lage und Bevölkerung. 


Der kultivirte Theil der Provinz Oberkan ada erſtrekt 
ſich längs dem Lorenz ſtrome und dem Ontario: 
und Erieſee bis zu einer Ausdehnung von ungefaͤhr 
600 Meilen ), mit einer Breite, die an einigen Stellen 
50, an andern bis 150 Meilen beträgt. Seine nord: 


5 Siehe die mit vieler Sachkenntniß abgefaßte kleine Schrift: A 
short sketch of the province of Upper Canada for the in- 
formation of the labouring poor throughout England. By 
Henry John Boulton, his majesty’s Solicitor- general for 
the Province of Upper Canada. London, John Murray. 
1826. Ferner: J. M. Duncan’s travels through a part of the 
United States of America and Canada in 1818 and 1819. 
2 vols. Glasgow 1823.— Hodgson's letters on North 
America. London 1824. 

*) Es werden unter Meilen in dieſem Aufſaze überall eng liſche 

Meilen verſtanden. 


, 27 


oͤſtliche Grenze ift eine Tagereiſe von Montreal, wo 
hin häufig Schiffe von 250 Tonnen Laſt aus dem Ocean 
heraufſegeln, und feine füdliche Grenze kann man in 
ſechs bis zwoͤlf Tagen von Neuyork zu Lande oder zu 
Waſſer erreichen, je nachdem man nach dieſem oder jenem 
Ort in Kanada zu reiſen gedenkt. — Seine Bevoͤlke— 
rung betrug im Jahre 1783 nur 10,000 See , i. J. 


1805 80,000 Seelen und 1825 164,000 Seelen, unter 


denen ſich gegen 9000 Deutſche befinden. Leztere be 


wohnen hauptſaͤchlich die Gegend um Niagara, und 


im Homediſtrikt die beiden Ortſchaften Luther und 
Melanchton; fie bekennen ſich groͤßtentheils zu den 
Taufgeſinnten, der Bruͤdergemeinde und den 
Lutheranern. Leztere hatten im J. 1828 drei deut⸗ 
ſche Prediger dort angeſtellt. 


ma. 


Man kann das Klima von Oberkanada mit allem 
Recht gemaͤßigt nennen, und ich glaube, in keiner 
Jahrszeit wird es ein Deutſcher ſchaͤdlich finden. Die, 
um einen Außenſiz auf einer Diligence waͤhrend des Win— 
ters in England ſich behaglich zu machen, erforderliche 
Bekleidung wird man auf einer Winterreiſe in Oberka— 
nada gegen die gewoͤhnliche Kaͤlte voͤllig genuͤgend finden; 
die Hize im Sommer iſt ſtets von ſtaͤrkender kuͤhlender 
Luft begleitet, wodurch ſie elaſtiſch, und ihrer Schwuͤle 
vorgebeugt wird. Die Naͤchte ſind, nur mit wenigen Aus— | 
nahmen, Eühl und erquikkend nach den heißeſten Tagen. 
Das beſte praktiſche Urtheil über das Klima möge indeſſen 
die Kleidung der Bewohner abgeben, welche, nach den 


28 


verſchiedenen Jahrszeiten abwechſelnd, von jener derſelben 
Klaſſen in England gar nicht abweicht. 


Boden. 


Kein Boden in irgend einem andern Lande von glei— 
cher Groͤße in beiden Hemiſphaͤren uͤbertrifft den Oberka— 
nadas. Dies wird denen, fuͤr die ich Gegenwaͤrtiges ſchreibe, 
noch einleuchtender werden, wenn ich bemerke, daß alle 
Arten Futterkraͤuter, Gemuͤſefruͤchte, Obſt und 
andere, in England in freier Luft gedeihende Produkte 
aufs beſte in Oberkanada gezogen werden koͤnnen. Klee 
und Timothygras ſind die gewoͤhnlichſten, und wahr: 
ſcheinlich auch, da ſie die wenigſte Arbeit erfordern, die 
erſprießlichſten Grasarten. Man baut gewoͤhnlich Wei— 
zen, Rokken, Hafer, Erbſen, Gerſte, Buchwei— 
zen, Wikken (tares) und Mais. Flachs und Hanf 
zieht man ſtark. Der Ertrag der Arnten iſt verſchieden, 
welches wahrſcheinlich mehr von der darauf gewandten 
Muͤhe und dem von dem Landwirth befolgten Akkerbau— 
ſyſtem, als von der Fruchtbarkeit des Bodens herruͤhren 
mag. Ich habe ſechs und einen halben Quarter Weizen *) 
auf einem mittelmäßig guten Acre ) aͤrnten ſehen, der 


*) Ein Quarter beträgt ungefaͤhr fünf Scheffel. (Siehe 
Stein's Handb. der Geogr. und Statiſtik. Aufl. 3. Bd. I. 
Leipz. 1817. Seite 224). Nach Humphry Marſhall be 
traͤgt ein Quarter 8 Buſhel oder 5 Berl. Scheffel und 4 Me— 
zen. Die leztere Angabe iſt genauer und richtiger, als die von 
Stein. 

**) Ein Acre enthält 17% rheinl. Morgen. 


/ ‚ 29 


nach der gewöhnlich guten engliſchen Landwirthſchaft be: 
ſtellt war; doch, glaube ich, wird im Durchſchnitt der Er— 
trag einer guten Arnte halb fo viel betragen. Heu iſt 
verſchieden von einer bis zwei und einer halben Tonne ) 
à Acre, und hauptſaͤchlich aus derſelben Urſache. Alle Arten 
von Nuzholz für Zimmerleute, Schreiner und Tiſchler ꝛc. 
find in allen Theilen des Landes in Überfluß. 


han 


In Oberkanada iſt Arbeit das Hauptkapital des Lan⸗ 
des in ſeiner vollſten Bedeutung. Ein Mann kann, moͤge 
er ein oder kein Handwerk oder Gewerbe verſtehen, wenn 
er maͤßig und arbeitſam iſt, ohne einen Heller in der Taſche 
zu haben, womit er anfangen kann, Oberkanada betreten 
mit getroſtem Herzen und feſtem Schritt, in der feſten 
überzeugung, daß er in vier oder fuͤnf Jahren ein unab— 
haͤngiger, freier Landeigenthuͤmer (Freeholder) werden 
wird, und in wenig Jahren darnach, zur Betreibung 
ſeiner ausgebreiteten Geſchaͤfte, ſelbſt Arbeiter bedarf. Dies 
iſt kein phantaſtiſches Gemaͤlde von dem, was geſchehen 
kann, es iſt die wahre Darſtellung von dem, was die 
Beſſern unter den armen Auswanderern aus allen Laͤn— 
dern haͤufig erreichen. Unter vielen dies beſtaͤtigenden Bei— 
ſpielen faͤllt mir gerade jezt eins ein von einem Auswan— 
derer aus Vorkſhire, der, bei feiner Landung in dem 
Hafen von York, der Hauptſtadt von Oberkanada, zu— 
faͤllig ſeinen Weg nach meinem Hauſe nahm, und mich 
um eine Gabe fuͤr ſich und ſeine Familie erſuchte. Er 


*) Eine Tonne enthaͤlt 20 Etr. 


30 e * 


war ein ſtarker, muthiger Mann, und ich ward unwillig, 
einen Menſchen, der durch fein Nußeres gewoͤhnlichem Un: 
gluͤck Troz zu bieten ſchien, um Mitleid flehen zu hoͤren, 
und ſtellte ihm vor, wie er ſich ſelbſt dadurch erniedrige, 
wenn er fuͤr das Wenige, was eine anſtaͤndige Arbeit von 
wenig Stunden ihn als ein Recht zu fordern berechtigen 
wuͤrde, als um einen Akt der Barmherzigkeit anflehe. 

Der arme Mann war nicht gefuͤhllos, und verrieth durch 
die ſeinen Augen entquellenden Thraͤnen, daß er kein ge— 
woͤhnlicher Bettler ſei, und ſeine jezige Erniedrigung ſo 
tief fuͤhle, als ich. Er entſchuldigte ſich, indem er mir 
ſagte, er fei auf dem Fahrzeuge gelandet, das eben in 
den Hafen eingelaufen waͤre, habe ſeinen lezten Schilling 
fuͤr ſeine Überfahrt bezahlt, ſei ein Auswanderer von 
Yorkſhire, wie feine Mundart auch zur Genuͤge bezeuge, 
kenne keinen Menſchen und habe für ſich und feine Fa- 
milie nichts zu eſſen, wolle gern arbeiten, habe aber keine 
Zeit gehabt, ſich Beſchaͤftigung zu ſuchen. Ich gab ihm 
paſſende Belehrungen fuͤr ſein kuͤnftiges Betragen und 
eine kleine Summe zur Befriedigung ſeiner jezigen Be— 
duͤrfniſſe. Neun Monate hindurch ſah ich nichts mehr 
von ihm, als er eines Tages auf meinen Hof trat, mit 
einer Ladung Hafer zum Verkauf. Ich kam zu ihm und 
erkannte ihn ſogleich. Sein Äußeres verrieth zugleich 
Dankbarkeit fuͤr die ihm von mir einſt gegebene Kleinig— 
keit, und Stolz in dem Bewußtſein ſeiner gegenwaͤrtigen 
Unabhaͤngigkeit. Ich kaufte ſeinen Hafer, und ſah mit 
innigem Behagen, wie Arbeitſamkeit allein in 
ſolch einem Lande dem Menſchen ſtets ein ſi— 
cheres Auskommen verleiht. Nach ſeiner eigenen 


/ 31 


Erzaͤhlung hatte der Mann ein Landweſen gegen 
gewiſſe Antheile (upon fhare) erpachtet — eine in 
Oberkanada in der Landwirthſchaft ſehr gebraͤuchliche Mo— 
de — und ſein Theil fuͤr das Jahr hatte ihm einen ver— 
haͤltnißmaͤßig großen Überfluß verſchafft. 

Die gewoͤhnlichen Bedingungen, Landguͤter 
in Oberkanada gegen gewiſſe Antheile (on 
[hares) zu beb auen, wenn ber Pächter kein eigenes 
Geſpann beſizt, beſtehen darin, ihm die Hälfte des Er- 
trages des pflugbaren Landes und ein Drittel des 
Heu's zu bewilligen, indem der Eigenthuͤmer den ganzen 
Viehſtapel (Farmingstock) anſchafft, imgleichen Saat: 
korn, Hausgeraͤthe und ein Wohnhaus fuͤr den Paͤchter. 
Land gegen gewiſſe Antheile zu beſtellen, iſt prak— 
tiſchen Akkerwirthen, die ein geringes oder kein Kapital 
beſizen, bei ihrer Ankunft in Kanada ernſtlich zu empfeh⸗ 
len. Landguͤter (Farms) find unter dieſen Bedingungen 
in allen Theilen des Landes in Menge zu pachten, und 
wenn Auswanderer ſie mehr beachteten, als ſie zu thun 
pflegen, ſo bin ich feſt uͤberzeugt, es wuͤrde nicht zu ih— 
rem Schaden gereichen. Ein Auswanderer kann ein Land— 
gut auf ein oder mehrere Jahre in Pacht nehmen, wie 
es ſeinen Anſichten zuſagt; und daher iſt es offenbar, daß, 
wenn er auch weiter nichts thut, als ſich und ſeine Fa— 
milie von feiner jährlichen Ernte zu erhalten, er eines 
Jahrs Erfahrung erlangen und eine Kenntniß des Landes 
ſich verſchaffen wird, welche ihn einen ſolchen Wohnort 
wird waͤhlen laſſen, der ſeinen Erwartungen am beſten 
entſpricht. Niemand ſollte zu eilig ſich einen feſten Wohn— 
ſiz nehmen; denn wenn man einmal ſich angeſiedelt hat, 


32 


fo hält es ſehr ſchwer, fein Geld ohne langen Kredit wie⸗ 
der zu erlangen, und dadurch wird man haͤufig verhin— 
dert, ſich in einem geeignetern Theile des Landes nieder— 
zulaſſen, und bleibt unzufrieden in einer Nachbarfchaft, 
die einem nicht anſteht. 

Iſt ein Auswanderer unverheirathet, ſo wuͤrde ich 
ihm rathen, ſich bei einem der beſten Landwirthe auf ein 
Jahr zu vermieten, um ſich praktiſche Kenntniſſe vom 
Lande zu erwerben, und ſich Erfahrung zu verſchaffen. 
Er wird allenthalben Landwirthe finden, die Neigung ha— 
ben, Arbeiter zu mieten, unter der Bedingung, daß ſie 
laͤndliche Produkte fuͤr ihren Lohn nehmen, wozu Aus— 
wanderer gemeiniglich keine Luſt haben, und dadurch oft 
eine gute Stelle bei einem tuͤchtigen Landwirth verlieren, 
von dem ſie nuͤzlichere Belehrungen haͤtten erhalten koͤn— 
nen, als ihr Lohn werth iſt. Hiezu werden ſie oft durch 
den thoͤrichten Grundſaz verleitet, nichts anders als baa— 
res Geld fuͤr ihre Arbeit zu nehmen, weshalb ſie vorzie— 
hen, in die Staͤdte zu gehen und hier als gelegentliche 
Arbeiter bei Bauten, oͤffentlichen Werken, oder als Do— 
meſtiken weniger Lohn zu verdienen, ſtatt bei Landwirthen 
zu bleiben und Getreide oder Vieh fuͤr ihren Lohn zu neh— 
men. Davon iſt die Folge, daß ſie, aus Mangel an re— 
gelmaͤßiger Beſchaͤftigung, unſtaͤt werden und fluͤchtig, 
Öffentliche Haͤuſer beſuchen und zügellofe Sitten annehmen, 
und oft in gänzlicher Verworfenheit enden. 

Nachdem Jemand ein Landgut fuͤr die Hälfte (upon 
fhares) bebaut, oder bei einem Landwirth ein Jahr ge— 
dient hat, wird er gehoͤrig zu beurtheilen wiſſen, welchen 
Weg er fuͤr die Zukunft einzuſchlagen hat. Beſizt er fuͤr 


33 


ein Jahr Kleidung und Lebensmittel, die er ſich erworben 
haben kann, wenn er arbeitſam und maͤßig geweſen, ſo 
kann er auf Kredit ſo viel noch nicht angebautes Wald— 
land kaufen, als er gewiß bezahlen zu koͤnnen glaubt, und 
in dem folgenden Jahre ſo viel Land lichten (clear) oder 
urbar machen und beſaͤen, als zur Ernaͤhrung ſeiner Fa— 
milie und zur Bezahlung der einjaͤhrigen Zinſen des Kauf— 
preiſes genuͤgend iſt. 

Die gewoͤhnliche Mode, in Kanada Land an Leute 
ohne Vermoͤgen zu verkaufen, iſt die, daß man ihnen 
fuͤnf bis ſieben, oftmals zehn, und ſelbſt funfzehn Jahr 
Kredit gibt, gegen Zahlung von ſechs Procent jaͤhr— 
licher Zinſen, und bei terminlicher Abtragung des Kapi— 
tals nach Verlauf der erſten zwei oder drei Jahre. Zwek— 
dienliche ſchriftliche Vertraͤge werden daher gegenſeitig aus— 
gewechſelt, welche jede Partei an die Vollziehung der Über— 
einkunft binden. Die Sicherheit, die der Verkaͤufer be— 
ſizt, beſteht in dem durch die Bebauung des Kaͤufers taͤg— 
lich im Preiſe ſteigenden Grundſtuͤkke, worauf Erſterer aber 
noch ſtets ſein Recht behaͤlt; der Kaͤufer muß dabei Sorge 
tragen, entweder daß der Verkaͤufer in Betreff des em— 
pfangenen Kapitals feinen eingegangenen Verpflichtungen 
gehörig nachkommt, oder ſich einen Grundbrief (deed) 
geben laſſen, wodurch er genuͤgende Sicherheit erhaͤlt, daß 
der Verkaͤufer wirklicher Eigenthuͤmer des von ihm ver— 
kauften Grundſtuͤkkes war, und ſolches mit vollem Recht an 
den Kaͤufer verkaufen konnte. Dies geſchieht mit we— 
nigen Koſten, die ſich oft nicht uͤber zwei Guineen be— 
laufen, wozu gewoͤhnlich Verkaͤufer und Kaͤufer zu glei— 


chen Theilen beitragen. 
Brauns Skizzen von Amerika. 3 


34 

Für einzelne ausgewanderte Familien halt' ich es für 
vortheilhafter, Land in einer Nachbarſchaft zu kaufen, wo 
ſchon Landſtraßen gebaut ſind, worauf ſie einmal zu ih— 
ren gegenſeitigen Wohnungen reiſen koͤnnen, als um eine 
Verwilligung von Land (Grant) bei der Krone, in einer 
von andern Bewohnern entfernten Gegend, nachzuſuchen, 
die ohne Straßen und von allen jenen Genuͤſſen und Be— 
quemlichkeiten entbloͤßt iſt, die man auf aͤltern Nieder— 
laſſungen findet. 

Wenn eine große Zahl Auswanderer hier zuſammen 
ankommt, und Land in einer Strekke erhalten kann, wo 
ſie gemeinſchaftlich eine Landſtraße anlegen koͤnnen, und 
wo ſie auf einmal eine Nachbarſchaft durch ſich ſelbſt bil— 
den, mag es fuͤr ſie ſehr rathſam ſein, Sr. Majeſtaͤt 
Gnadengeſchenk oder Prämie (bounty) zu benuzen; 
als eine einzelne Familie jedoch fuͤnf bis ſechs Meilen weit 
von einem menſchlichen Weſen entfernt, in die Waͤlder 
zu ziehen, iſt ſchon fuͤr den an die Wildniß gewoͤhnten 
Amerikaner ſchreklich genug; fuͤr einen europaͤiſchen Aus— 
wanderer aber erfordert es mehr denn gewoͤhnliche Über— 
windung, und die mit einer ſolchen Lage verknuͤpften 
Schwierigkeiten ſind von der Art, daß ſie nur ein erfahr— 
ner Waldbewohner (woodsman) überwinden kann. Außer: 
dem muß der Anſiedler gewiſſe Abgaben (fees) Y) für das 


) Fuͤr eine Sektion (Loos) Land — gewoͤhnlich 200 Morgen (Acres) 
haltend — zahlt der Anſiedler einen Lehnkanon von 74 Gul⸗ 
den, und macht ſich dabei verbindlich, jaͤhrlich eine beſtimmte Strekke 
Weges von ſeinem Wohnhauſe aus zu einer Landſtraße einzurichten. 


/ 35 


ihm geſchenkte Land (grant) an die Regierung bezahlen, 
(welches in jenen entfernten Gegenden, wo nur von der 
Regierung Land erhalten werden kann, gewoͤhnlich der Fall 
iſt). Hierzu kommen die Koſten der Anlegung einer Land— 
ſtraße; ferner die Koſten, die Familie hieher zu holen, Le— 
bensmittel und Vorraͤthe zu verſenden, und die Ausſicht, 
die Landſtraße auf eine unendliche Zeit im Stande erhalten 
zu muͤſſen, mit dem Zeitverluſt, den die Entfernung zu 
den benachbarten Niederlaſſungen im Hin- und Zuruͤkge— 
hen verurſacht; denn zu jeder Zeit wird er durch ſeine 
neue und einſame Lage in die Nothwendigkeit verſezt, Bei— 
ſtand oder Rath zu ſuchen; dies Alles iſt mehr, als das 
geſchenkte Land (grant) werth iſt. Nachdem ich alles dies 
wohl erwogen, fuͤhl' ich mich veranlaßt, Leuten in ſolcher 
Lage zu rathen, lieber ihr Land zu kaufen, als es von 
der Krone zu nehmen. Der einfache Lehnkanon von 
unbebautem Lande in theilweiſe bewohnten Ortſchaften wird 
pro Acre zu 7 Schilling 6 Pences, bis zu 50 Schilling 
erkauft, alles vielleicht gleich gutes Land in Betreff der 
Guͤte des Bodens, aber verſchieden in Betreff der in der 
Umgegend gemachten Verbeſſerungen. Beſizt Jemand baa— 
res Vermoͤgen, ſo kann er oft Land ſehr wohlfeil von duͤrf— 
tigen, heruntergekommenen Leuten erhalten, die ſich ge— 
noͤthigt ſehen, es ſo niedrig wie auf Verſteigerungen zu 
verkaufen. 8 

Da ein guter Arbeitsmann den Monat 40 bis 50 
Schilling, nebſt freier Bekoͤſtigung, verdienen kann, ſo iſt 
es klar, daß, wenn er maͤßig iſt, er Geld genug in ei— 
nem Jahre erſparen kann, um eine große Summe für ei- 
nen Kauf von 50 Acres in einer vortheilhaften Gegend 


36 


ab zu bezahlen, der Acre zu 20 Schilling gerechnet, wel- 
ches ſo hoch iſt, als ein umſichtiger Mann unter faſt je— 
den Umſtaͤnden gehen darf. Viele Maͤnner mit Familien 
habe ich gekannt, die keinen Heller beſaßen, und doch 50 
bis 100 Acres Land, den Acre zu 7 Schilling 6 Pences 
bis 15 Schilling, kauften, ſich blos auf ihre eigne Arbeit 
verlaſſend, die Summe fuͤr das gekaufte Land, nachdem 
ſie es angebaut, zu der beſtimmten Zeit anſchafften. 


L an d ba u. 


Wenn ein Anſiedler ſich ein unbebautes Stuͤk Land 
im Walde auswaͤhlt, welches gemeiniglich fuͤr ihn am 
rathſamſten iſt, ſo iſt ſein erſtes Geſchaͤft, einen Acre zu 
klaren (to clear) oder abzuholzen, wobei er keine großen 
Baͤume zu nahe an dem Plaze laͤßt, worauf er ſein Haus 
zu bauen beabſichtigt, damit es nicht in Gefahr geraͤth, 
wenn ein Windſtoß einige von den Baͤumen umſtuͤrzen 
ſollte. Er ſollte einen Plaz ſo nahe als moͤglich an einer 
nie verſiegenden Quelle, oder einem Bache waͤhlen, zur 
Bequemlichkeit fuͤr ſeine Familie und ſein Vieh. Dann 
baut er ſein Haus von mittelmaͤßig großen Staͤmmen, 
die einen Fuß oder achtzehn Zoll im Durchmeſſer haben, 
nach ſeinem Belieben, indem er die Balken nach der Laͤnge 
und Breite ſeines Gebaͤudes durchhaut, und deren Enden 
an den verſchiedenen Ekken des Hauſes ineinanderfügt. Die 
gewoͤhnliche Hoͤhe eines ſolchen Hauſes betraͤgt ungefaͤhr 
eilf Fuß, und es enthaͤlt mit dem Dache ein Erdgeſchoß 
und eine Bodenkammer. Seine Scheune und Stallung 
werden auf dieſelbe Art gebaut. Wenn die Waͤnde des 
Hauſes ſo aufgerichtet ſind, ſo werden in den Waͤnden 


4 37 


die Fenſter und Thuͤren ausgehauen, wo es dem Eigen: 
thuͤmer beliebt, und der Bau kann aufhoͤren nach den 
Mitteln des Anbauers, und ob das Haus entweder eine 
warme und behagliche Wohnung, oder eine bloße Huͤtte 
ſein ſoll — obgleich der aͤrmſte Anſiedler es dadurch warm 
machen kann, wenn er die Raͤume zwiſchen den Balken 
mit Splittern und Lehm ausfuͤllt, und im Beſiz einer 
großen Maſſe Brennholz, leidet Niemand von Kaͤlte, er 
muͤßte denn zu traͤge ſein, Holz zu faͤllen und nach Hauſe 
zu bringen. 

Die Mode, Land zu klaren (ok clearing land) oder 
zu entholzen, iſt einfach, und koſtet gemeiniglich der Acre, 
wenn es Jemand in Verding thut, drei bis vier Guineen, 
die Befriedigung mit Riegeln mit eingeſchloſſen. Das 
Strauchholz wird zuerſt nahe am Boden abgehauen, und 
in Haufen zum Troknen gebracht, dann werden die groͤ— 
ßern Baͤume gefaͤllt, von denen die Stuͤmpfe (Stuken, 
im ſaſſiſchen Dialekt) ſo hoch hervorſtehen, daß ſie 
dem Waldmann an die Bruſt reichen. Dieſe Baͤume wer— 
den alsdann in ſolchen Laͤngen entzwei gehauen, als das 
Geſpann, das ſie fortwaͤlzen ſoll, mit einer Kette am Bo— 
den fortzuziehen im Stande iſt, mit Ausnahme des Hol— 
zes, das ſich am beſten zu Befriedigungen eignet. In 
wenig Jahren ſind die Stuͤmpfe verfault, und dann iſt 
das Feld frei und offen, wie ein ſeit vielen Jahren in 
Europa angebautes. Für die erſten 3 oder 4 Jahre der 
begonnenen Anſiedlung iſt es beſſer, jedes Jahr das, was 
er urbar macht, zum Graswuchs ) zu der Zeit, wann 


„) Wenn der Anſiedler in den erſten Jahren alles urbar gemachte 


38 


er feine Winteraͤrnte anftellt, liegen zu laſſen, und friſches 
Land auf das naͤchſte Jahr urbar zu machen, ohne es im 
Geringſten zu pflügen. Er gewinnt dadurch einen Über— 
fluß an Heu und Weide, gibt den Stuͤmpfen Zeit zu rot— 
ten, und vergroͤßert allmaͤlig das urbar gemachte Land 
ſo lange, bis er es fuͤr eine ordentliche Landwirthſchaft 
hinreichend erachtet. Am Ende des 3., 4., oder 5. Jahrs 
kann er anfangen, das erſte Feld mit dem Pfluge umzu— 
brechen, und ſo von Jahr zu Jahr fortfahren, bis er das 
Ganze unter den Pflug geſetzt hat, was, wenn es einmal 
erreicht iſt, die Bahn zu einer regelmaͤßigen ih 
Landwirthſchaft öffnet. 


Preiſe in Oberkanada für Lebensmittel, Vieh u. ſ. w. 
im Jahre 1826. 
Weizen koſtet von 2 Schilling 6 Penees bis 5 Schill. 0 Pence der Wincheſter Bufhel*) 


Hafer — — 0 — 9 — — 1 — 6 — dito 
Erbſen — — 1! — 6 — — 4 — 0 — dito 
Fett. Rindfleiſch 5 — 0 — —30 — 0 — der Etr. 


Schweinefleiſch ungefähr derſelbe Preis. 
Weihnachten iſt die wohlfeilſte Zeit zum Einkaufen. 
Hammelfleiſch koſtet von 0 Schill. 2 Pences bis 0 Schill. 4 Pences das Pfund 
Butter - — I — ( - -1- 0 — dito 
Wolle im Durchſchnitts⸗ 

preiſe 2 — 0 — — 0 — 0 — dito. 


Land zu Graswuchs liegen laſſen ſoll, wovon n er aber Brot 
bakken? 

* Ein Winch. Buſhel beträgt 10 ¼ Berliner Mezen, gewöhnlich 
betragen 152 engliſche (von denen jedoch Wincheſter Buſhel noch 
verſchieden find) Buſhel 100 Berl. Scheffel. 1 Pfund Sterling 
a 20 Schilling gilt 6 Thlr. 6 Ggr. preuß. Kourant, 1 Schilling 
à 12 Pences 7 Ggr. 6 Pf., 1 Pence 7% Pf., ein Guinee zu 


39 


Heu Eoftet im Herbſte im Durchſchnitt die Tonne“) 
2 Guineen, und wird theurer gegen das Fruͤhjahr. Kuͤhe 
mit dem Kalbe koſten drei bis fuͤnf Guineen das Stuͤck; 
dies iſt aber der hoͤchſte Preis. Zugochſen gelten 15 bis 
20 Guineen das Paar. Schaafe gelten 7 Schilling 6 
Pences bis 15 Schilling das Stuͤck. Akkerpferde ſtehen 
zu verſchiedenen Preiſen, zu 20 bis 50 Guineen das Paar. 
Einen guten Wagen kauft man um 15 — 20 Guineen. 
Och ſen werden gemeiniglich auf neuen Landguͤtern ges 
braucht, und ſind Pferden weit vorzuziehen. 


Geſeze Oberkanadas. 


Die Verfaſſung Oberkanadas iſt ein Auszug aus der 
engliſchen. Es iſt hier ein Parlament, beſtehend aus 
dem Statthalter, welcher Repraͤſentant des Koͤnigs iſt; 
der geſezgebende Rath (Legislative Council), deſſen 
Mitglieder auf Lebenslang von dem Koͤnige ernannt wer— 
den, repraͤſentirt das Oberhaus (House of the Lords); 
und das Unterhaus der Gemeinen (House of Com- 
mons) durch die freie Stimme eines jeden Freiſaſſen (Free- 
holder), der ein Vermoͤgen von 40 Schilling jaͤbr— 
licher Einnahme beſizt, erwaͤhlt, iſt daſſelbe wie in Eng— 


21 Schilling 6 Thlr. 13 Ggr. 6 Pf. preuß. Kourant. Siehe: 
Humphry Marſhall's Beſchreibung der Landwirthſchaft in 
der Grafſchaft Norfolk. Aus dem Engliſchen von dem Grafen 
von Podewils auf Guſow. Th. 1. Berlin 1797. 


*) Eine Tonne enthaͤlt nach Humphry Marſhall 2240 Berli⸗ 
ner Pfunde oder ungefähr 20 Etr. 


40 


land. Die meiſten Bewohner Oberkanadas erfreuen ſich 
des Privilegiums, ihr Stimmrecht ausuͤben zu duͤrfen, 
und jeder Arme in England, der faͤhig und geneigt iſt 
zu arbeiten, kann ſich dieſes Recht gleichfalls nach einem 
zweijaͤhrigen Aufenthalt in Oberkanada erwerben. Daher 
gibt's in Kanada keine Armengeſeze (poor- laws). 
Die Abgaben eines gewoͤhnlichen Landwirths belaufen 
ſich auf zehn Schilling und ſechs Pences des Jahrs, nebſt 
Verpflichtung, fuͤnf oder ſechs Tage auf der vor ſeinem 
Haufe vorbeiführenden oͤffentlichen Straße zu arbeiten. 
Zehnten haben nie ſtattgefunden; um aber die Ge— 
muͤther des Volks zu beruhigen, wurden ſie durch eine 
Parlamentsakte foͤrmlich abgeſchafft. Jeder, der eine Flinte 
borgen, und eine Ladung Pulver und Hagel kaufen kann, 
beſizt das Recht zu ſchießen, was er will, von einem 
Hirſchbock herunter bis zu einem Eichhoͤrnchen, und vom 
koͤniglichen Schwan zur Meiſe herab; folglich ſind hier 
weder Jagdgeſeze, Foͤrſter, noch Wilddiebe. Dieſe, 
nebſt den Bankerottgeſezen, bilden die vornehmſten Aus— 
nahmen zu den peinlichen und buͤrgerlichen Geſezen Eng— 
lands. Die Assizes werden einmal des Jahrs waͤh— 
rend des Sommers in der Provinz gehalten, wo Rechts— 
fälle von Geſchwornen (Juries) des Landes, wie fie 
hier eingefuͤhrt ſind, geſchlichtet werden. Ferner ſind hier 
angeftellt : Sheriffs, Friedensrichter, und Con- 
stables, denen gleiche Pflichten obliegen, wie den Staats— 
dienern in England. Jeder, er ſei hoch oder niedrig, ge— 
nießt hier gleichen Schuz. 


r 41 


Gepaͤk der Auswanderer. 


Das Gepaͤk (baggage) der Auswanderer muß vor— 
nehmlich aus ſtarker Kleidung von verſchiedenen Zeugen 
und dem am wenigſten ſchweren Theile des Bettes beſte— 
hen. Federn kann man das Pfund zu zwei Schilling 
in Oberkanada kaufen. Alles ſchwere und laͤſtige Geraͤth 
ſollte man zuruͤklaſſen, da man es in Oberkanada leicht 
wieder anſchaffen kann. Stuͤhle, Tiſche, Bettſtellen, Schreib— 
ſchraͤnke, Sofas, Kleiderſchraͤnke u. ſ. w. macht man, 
wenn es verlangt wird, in den meiſten Staͤdten Oberka— 
nadas eben fo gut, wie gewoͤhnlich in den engliſchen Land— 
ſtaͤdten. Buͤcher und alle leichten, zum Schmuk dienende 
Moͤbeln und Teppiche ſollten nur Solche mitbringen, de— 
ren Vermoͤgensumſtaͤnde es erlauben. Obgleich die mei— 
ſten Arten engliſcher Manufakturwaaren in den Haupt— 
ſtaͤdten Oberkanadas zu haben ſind, ſo ſind ſie doch na— 
tuͤrlich viel theurer, als in England. 


Öffentliche Straßen und Kommunikationsmittel. 


Außer den zahlreichen oͤffentlichen Straßen, welche 
das Innere des Landes durchſchneiden, gibt es eine große 
Kommunikationslinie von der oͤſtlichen Grenze bis zur 
aͤußerſten weſtlichen Grenze des organiſirten Theiles der 
Provinz im weſtlichen Diſtrikt. Dieſe große Straße iſt 
fahrbar fuͤr Wagen und fuͤr Kutſchen auf mehr als die 
Haͤlfte. Die Straßen indeſſen verbeſſern ſich taͤglich, und 
weſtlich bis Niagara ſind Poſtwagen eingerichtet fuͤr 


42 


folche Jahrszeiten, wo Dampfboͤte nicht gehen. Zwi— 
ſchen Montreal und Prescott gehen taͤglich, 5 bis 
7 Meilen in der Stunde zuruͤklegende und ſehr bequem 
eingerichtete Poſtkutſchen. Von da landeinwärts machen 
die Dampfboͤte im Sommer alle andern Arten des 
Transports uͤberfluͤſſig. Im Winter iſt das Reiſen im 
Schlitten ſehr angenehm und geht in allen Theilen der 
Provinz ſehr raſch. 

Der Wellandskanal, welcher jezt gegraben wird, 
wenige Meilen weſtlich von den Waſſerfaͤllen des Niagara, 
die Gewaͤſſer des Erie- und Ontarioſees mit einan— 
der zu verbinden, iſt ſchon ſchnell und bedeutend vorge— 
ſchritten, und wird die von der Natur durch die Seen 
gegebenen Mittel des innern Verkehrs und den Handel 
des Landes in einem kaum zu denkenden Grade vergroͤ— 
ßern. Vergangenen Herbſt (1825) arbeiteten gegen 700 
Menſchen an dieſem großen Werke, und man hofft, daß 
das Ganze waͤhrend des Jahrs 1827 vollendet ſein wird. 
Dieſer Kanal iſt fuͤr die Fahrt von Schiffen mit 120 Ton— 
nen Laſt berechnet, welche gewoͤhnlich dieſe weiten Gewaͤſ— 
ſer befahren, und wird, wann er beendet iſt, eine unun— 
terbrochene Schiffahrt von Prescott und Ogdensburg auf 
dem Lorenzſtrom fuͤr alle Fahrzeuge eroͤffnen, die zum Be— 
ſchiffen der kanadiſchen Seen gebraucht werden, bis an 
die weſtlichen Ufer der Seen Huron und Michigan, und, 
wären die Hinderniſſe zu Sault of St. Mary beſeitigt, 
bis an die Spitze des Obernſees (Lake Superior) — 
eine Entfernung von mehr als 1200 Meilen, oder gegen 
3000 Meilen von der Kuͤſte. 


43 


Oberkanadas Vorzüge für Auswanderer in Vergleich 
gegen den nordamerikaniſchen Bundesſtaat. 


Allen Auswanderern moͤgte ich rathen, ſich in den 
britiſchen Beſizungen in Nordamerika niederzu— 
laſſen, vor allen andern Gegenden aber ganz vorzuͤglich 
Oberkanada zu beachten, da dieſes Land wirklich vor 
allen andern Kolonien, oder jedem fremden Staate den 
Vorzug verdient. Der Bundesſtaat von Nord— 
amerika iſt gegenwaͤrtig fo bevölkert, daß er keine Ein— 
wanderer mehr bedarf; und die wenigen hier und dort 
uͤber jenes große Land zerſtreuten Einwanderer gleichen 
den Sandkoͤrnern am Ufer des Meers. Sie werden dort 
Fremde ſein, und in ihrem ganzen Verkehr mit den Ame— 
rikanern ſtets finden, daß ſie fuͤr Fremde gehalten werden. 
Sie ſtehen allenthalben in keinem Verhaͤltniß zu den Ein— 
gebornen (die Irlaͤnder in Neuyork machen hier allein eine 
Ausnahme), und deshalb haben ſie kein Gewicht in den 
geſellſchaftlichen Verbindungen; da hingegen in Oberka— 
nada Auswanderer überall fo zahlreich Y find, daß fie 
einen Einfluß auf die Verhandlungen ihrer Nachbarſchaft 
ausuͤben, und in vielen Theilen des Landes die Mehr— 
heit ausmachen. 


) Dies kommt wol daher, daß in Oberkanada eigentlich erſt feit 
783 die Anſiedlung durch Anglo amerikaner, Briten und 
Deutſche begonnen hat, in 10 bis 20 Jahren wird dieſe Pro— 
vinz aber, wenn die zunehmende Einwanderung und Kultur fort⸗ 
dauert, in kolonieller Hinſicht ganz daſſelbe Anſehen haben, wie 
die bevoͤlkerten Gegenden im nordamerikaniſchen Bundesſtaate. 


44 


In den Vereinten Staaten von Nordame— 
rika wird jedes oͤffentliche Amt, das Ehre oder Einkom— 
men gewaͤhrt, natuͤrlich einem Eingeborenen gegeben, und 
dieſer ſtets einem Fremden jeder andern Nation vorgezo— 
gen ). In Oberkanada wird der Auswanderer aus dem 
Mutterlande einen ſolchen zu ſeinem Nachtheil wirkenden 
nationellen Unterſchied nicht finden. Und endlich findet 
ſich [und dies iſt nicht der geringſte von allen Einwuͤrfen, 
welche den Auswanderer gegen den nordamerikaniſchen Bun— 
desſtaat einnehmen]! der Auswanderer in die Nothwendig— 
keit verſezt, wenn er ſeine Tage im nordamerikaniſchen 
Bundesſtaate in Ruhe und Frieden zu beſchließen gedenkt, 
demſelben Treue zu ſchwoͤren, und insbeſondere der Un— 
terthaͤnigkeit gegen ſeinen vorigen Souverain zu entſagen. 
Und wenn er das gethan, muß er bei jedem Vorfall ſich 
ſtellen, alles Amerikaniſche dem bei weitem vorzuzie— 
hen, woran er in ſeiner Heimat gewoͤhnt war; thut er 
das nicht, ſo wird er fuͤr einen verdaͤchtigen Menſchen 


4) Dies iſt doch nicht ſtets der Fall. So bekleidete Gallatin, ein 
ausgewanderter Schweizer, im Jahre 1828 den wichtigen Poſten 
eines Ambaſſadeurs des Bundesſtaats von Nordame— 
rika in London, nachdem er früher ſchon einmal hier Staats- 
ſekretair und Finanzminiſter geweſen; ſo bekleidet der 
ehemalige franzoͤſiſche General Bernard einen gleich ehrenvollen 
Poſten in der Armee des nordamerikaniſchen Bundesſtaats. — 
Morris Birkbeck, der im Jahre 1818 aus England nach It 
linois auswanderte, ward wenige Jahre nach feiner Ankunft 
zum Staatsſekretair im beſagten Staate erwaͤhlt. Und ſo 
koͤnnten wir noch mehrere Beiſpiele anfuͤhren, welche das Gegen— 
theil von Boultons Behauptung beweiſen. 


45 


angeſehen, der, ob er gleich der amerikaniſchen Republik 
den Huldigungseid geleiſtet, doch innerlich kein treuer 
Amerikaner iſt. Doch ſollte er auch durch dies ſeinem 
Gefuͤhle dargebrachte Opfer, oder was noch ſchlechter ſein 
wuͤrde, dadurch ſein Gluͤk machen, daß er wirklich ſeinen 
Geiſt ſowol als Koͤrper, wenn ich ſo ſagen darf, entva— 
terlaͤnderte (expatriate) oder amerikaniſirte, um 
ſich das Vertrauen der niedern Klaſſe zu erwerben, ſo 
kann er feſt verſichert ſein, daß er von der hoͤhern Klaſſe 
ſich um ſo mehr wird verachtet ſehen. 

In allen den aͤltern Staaten Nordamerikas iſt das 
Land im hoͤchſten Preiſe, und kann daher von unbemittel— 
ten Einwanderern gar nicht erſtanden werden. Und geht 
er zu den neugebildeten Staaten oder Gebieten 
in dem weſtlichen Theile des Bundesſtaats, ſo wird er 
keine Urſache finden, den beſten von ihnen Oberkanada 
vorzuziehen, wohl aber ſich ſtark bewogen fuͤhlen, lezteres 
zu wählen. Der Preis des Landes und die Taxen“) 
find in ihnen allen höher, als in Oberkanada; und das 
Klima iſt in keinem ſo gut. Jene weſtlichen Gegenden 
ſind viel waͤrmer im Sommer, nicht ſo gut bewaͤſſert, 
flacher und von großen Savannen oder wuͤſten Wieſen 
durchſchnitten, ohne irgend einige kleine Baͤche, Stroͤme, 
oder Quellen zu beſizen, welche ſie bewaͤſſerten. Daher 
ſind dieſe Theile der Vereinten Staaten jaͤhrlichen 
Fiebern ausgeſezt, welche, wenn auch gemeiniglich nicht 


*) Daß die Taxen in den neuen weſtlichen Staaten Nordamerikas 
hoͤher als in Oberkanada ſind, muͤſſen wir aus gegruͤndeten Ur⸗ 
ſachen ſehr bezweifeln. 


46 


toͤdtlich, nichts deſto weniger für den europäifchen Aus: 
wanderer ſehr nachtheilig find, indem fie die Geſundheit 
ſchwaͤchen, und bei den Einwohnern ein blaſſes, ungeſun— 
des Ausſehen hervorbringen ). Überdies iſt die Entfer— 
nung dieſer neuen Staaten von dem Ocean viel groͤßer, 
als die Oberkanadas, und ihre Lage iſt, wenn man 
von Europa kommt, weit ablegener, folglich iſt es mit 
weit groͤßern Koſten verbunden, eine Familie dahin zu 
bringen, als nach Oberkanada. Dort herrſcht keine ſo große 
Leichtigkeit, Briefe fortzuſenden oder zu empfangen, oder 
Neuigkeiten aus England zu erhalten, wie in Oberkanada, 
wo die Gefuͤhle und Anſichten noch Theil nehmen an de— 
nen des Mutterlandes, das hier durch den theuren 
Namen „Heimat“ ſelbſt von ſolchen Perſonen bezeichnet 
wird, die nie aus der Kolonie abweſend geweſen. Über— 
dies werden in jenen entfernten weſtlichen Theilen des 
nordamerifanifchen Bundesſtaats die Geſeze nicht fo un— 
parteiifch verwaltet ), als in Oberkanada oder Europa, 
was vorzuͤglich aus politiſchen Urſachen herruͤhrt. In je— 


*) An dieſen Fiebern in den neuangebauten Gegenden Nordameri— 
kas iſt die Lebensart, und insbeſondere die Unreinlichkeit 
der Anſiedler wahrſcheinlich mehr Schuld, als das Klima. 

**) Daß dies der Fall — beſonders in Kentucky — iſt, daruͤber 
wird man uͤberzeugende Beweiſe finden in den neueſten, uͤber den 
nordamerikaniſchen Bundesſtaat erſchienenen Schriften: 
Sidons, die Vereinten Staaten Nordamerikas. 
Stuttgart 1827, und The Americans as they are; described 
in a tour through the valley of the Mississippi. By the 
author of „Austria as it is.“ London: Hurst, Chance et 


Co. 1828. 


47 


nen neuen weftlichen Staaten und beſonders in Kentuc— 
Ey ) führt das Volk faft allgemein Dolche und andere 
geheime Waffen bei ſich, gegen einen boshaften Überfall 
ſich zu ſchuͤzen, und oftmals, fuͤrchte ich, ſelbſt Jemanden 
damit zu uͤberfallen; Beiſpiele ſind dort nicht ſelten, daß 
grauſenhafte Mordthaten und Raͤubereien unbeſtraft blie— 
ben, weil der Angreifende einen politiſchen Einfluß hatte. 

Ich wuͤnſche auf keine Weiſe, daß man Obiges fo 
deute, als wolle ich hiermit das Geſagte auf die ganze 
amerikaniſche Bevoͤlkerung bezogen wiſſen; fern ſei das. 
Ich weiß, daß dieſelben Beiſpiele, welche ich nennen koͤnnte, 
eben ſo ſehr ein Gegenſtand oͤffentlicher Verachtung und 
Verabſcheuung in Neuyork und allen den aͤltern 
Staaten jenes Landes ſind, als ſie es in London ſein 
würden. Ich will blos Engländer warnen, nicht jenen 
Gegenden den Vorzug vor unſern eignen Kolonien zu ge⸗ 
ben, in der Meinung, alle jene Unparteilichkeit und vor— 
trefflichen Einrichtungen dort zu finden, welche, wie Ei— 
nige ſich einbilden, in Staaten ſtatt finden muͤßten, in 
denen das Volk ſich ſelbſt regiert. Die hauptſaͤchlich— 
ſten Beweggründe, warum Auswanderer Ober— 
kanada vorziehen, ſind: die Wohlfeilheit des 
Landes und der Lebensmittel; die Gewißheit, 
Arbeit und Beſchaͤftigung zu finden; der frucht⸗ 
bare Boden und das geſunde Klima; die nicht 
zu große Entfernung vom Mutterlande, und die 
Ahnlichkeit ſeiner Geſeze, Sitten, Gewohn— 


Ein Kentuckier ſteht in ganz Nordamerika in demſelben Rufe, 
als bei uns ein Koſak. 


48 


heiten, und der allgemeine geſellſchaftliche Zu: 
ſtand in Vergleich mit dem Englands. Von dieſem Al— 
len findet nichts in demſelben Grade in jenen Theilen des 
nordamerikaniſchen Bundesſtaats ſtatt, in denen ein Aus— 
wanderer das Gluͤk haben wuͤrde, ein Landeigenthuͤmer 
zu werden. Viele gehen aus Unwiſſenheit nach Neu⸗ 
york — einer Stadt fo groß, als Liverpool — zu 
welchem leztern Plaz es eben ſo zwekmaͤßig ſein wuͤrde, 
von jedem andern Theile Englands auszuwandern, als 
nach dem erſtern. Jedes Fach, Handwerk und Ge— 
werbe iſt in den großen Staͤdten des nordame— 
rikaniſchen Bundesſtaats uͤberhaͤuft, und der 
unbemittelte Auswanderer findet dort kein Unterkommen 
mehr. 

Ob ich gleich die Grenzen, welche ich mir vorgeſchrie— 
ben, als ich meine Anſichten zum Gebrauch der leidenden 
Menſchheit zu Papier zu ſezen anfing, weit uͤberſchritten, 
indem ich mich fortgezogen fuͤhlte von der Theilnahme, 
die mir dieſer Gegenſtand einfloͤßte, ſo kann ich mich doch 
nicht enthalten, zum Beſchluß noch ein paar Worte fuͤr 
den auswandernden Kapitaliſten beizufuͤgen. 

Perſonen mit zweihundert Guineen Tjaͤhrli— 
chen Einkommens leben in Oberkanada ſehr behaglich und 
anſtaͤndig auf ihren Landſizen; bei eigner Wirthſchafts— 
fuͤhrung koͤnnen ſie zwei oder drei Domeſtiken halten, mit 
ihrem Pferde und Kabriolet (gig) nach der Kirche fahren, 
und ihre Kinder nach und nach um ſich anſiedeln, und 


| *) Etwas tiber 1300 Thaler pr. Kourant. 


49 


einen achtungswerthen Stand in der Geſellſchaft einneh— 
men ſehen. Maͤnner von groͤßerm Vermoͤgen mit 
ſtarken Familien werden daher bei einer Anſiedlung 
in Oberkanada wohl ihre Rechnung finden; denn, 
wenn gleich ein Mann von ſechs, oder ſiebenhundert Pfund 
Sterling jaͤhrlicher Einfünfte in der Neige feines Lebens 
mehr Annehmlichkeit und Behaglichkeit genießen wuͤrde, 
wenn er bleibt, wo er iſt, ſo wuͤrde er doch am Ende 
ſeiner Laufbahn in Oberkanada viel Erheiterndes in der 
Betrachtung finden, daß er ſeine zahlreiche Nachkommen— 
ſchaft in einer unabhaͤngigen Lage hinterlaſſen wird, was 
ſolch ein Mann mit größerer Gewißheit vermag, als Ei— 
ner, der dreimal ſo viel in England beſizt, auszufuͤh— 
ren hoffen darf. | 

Der heruntergekommene Landwirth und Gewerb— 
treibende, oder die unter ihnen, die nie mehr, als ein 
kleines Kapital beſaßen, koͤnnen es nirgends ſo vortheil— 
haft unterbringen, als in Oberkanada. Mit hundert Pfund 
in der Taſche bei ſeiner Ankunft kann der Landwirth Land 
genug kaufen, ſich und ſeine Familie leicht und angenehm 
zu ernaͤhren; wobei er auch nicht unbeachtet laſſen darf, 
daß jedes auf ſeinem eignen Landgute verlebte Jahr deſſen 
Werth vergroͤßern wird, da urbar gemachtes Land in al— 
len neuen Gegenden reißend ſteigt ). 


*) Oberkanada, aus den im obigen Aufſaze angegebenen Gruͤn⸗ 
den gewiß das empfehlendſte und wichtigſte Land fuͤr den deutſchen 
Anſiedler, iſt in Deutſchland ſelbſt noch faſt gar nicht, oder bei 
weitem nicht zur Genuͤge bekannt; es freut mich daher um fo 
mehr, obigen gediegenen Auffaz von Boulton — General— 

Brauns Skizzen von Amerika. 4 


50 


Über Oberkanada find, außer vorſtehendem Auffaze, 
noch folgende neuere Schriften nachzuleſen: 

Gourla y Statistical account of Upper Ca- 
nada, compiled with a view to a grand system of 
emigration. 3 vols. London 1822. Preis 2 Pfund 
2 Schill. (16 » 8 39e preuß. Kour.); hierin iſt aber feine | 
Reform of the Colonies and Poor Laws mit einbegriffen. 

Reflexions upon the value of the British-West- 
india Colonies, and of the british Northamerican Pro- 
vinces to the mother country. London 1826. 

Three Years in Canada. An account of the ac- 
tual state of that country in 1826, 27, and 1828; by 
John Mactaggart, Civil Engineer in the service of 
the british government. 2 vols. Post 8. London. 
Colbourn. 1829. Preis 18 Schill. 

Forest Scenes and Incidents in the Wilds of North- 
America; being a diary of a Winter's Route from 
Halifax to ihe Canadas, and during four months’ 
Residence in the woods, on the Borders of Lakes 
Huron and Simcoe. By George Head, Esq. I2mo. 
p. 362. London. J. Murray 1829. 

The emigrants Note Book and Guide, with re- 
collections of Upper- and Lower-Canada during the 
late war. London. Longman. 1824. Preis 7 Schill. 
6 D. — J. C. Morgan, ein in Kanada angeſiedelter 
ehemaliger engliſcher Lieutenant, iſt Verfaſſer dieſes Werks. 


Anwald Sr. britiſchen Majeftät für Oberkanada — 
hier einſchalten zu koͤnnen, und wuͤnſche ich herzlich, daß deutſche 
Koloniſten denſelben vorzuͤglich beachten moͤgen. 


51 


John Duncan's Travels through a part of the Uni- 
ted States and Canada in 1818 1819. London 1823. 
II vols. 

Brauns Ideen uͤber die Auswanderung nach Ame⸗ 
rika. Goͤttingen 1827. Seite 486 ff. 

Über Prinz Edwards Inſel, Neufchottland, Kap Ber— 
ton iſt nachzuleſen: 

a J. Me. Gregor historical and descriptive Sketches 
of the maritime colonies of british America. Landon 
Preis 2 » 8 IK- 

Die befte Charte von Ober- und Unterfanada*), 
Neubraunſchweig ) und Neuſchottland iſt 
unſtreitig die von Walker. London 1826. . 20 x® 
20 396. preuß. Kourant. 


*) Unter: oder Niederkanada enthielt im Jahre 1825 ungefähr 
eine halbe Million Einwohner, worunter 76,000 wohlgeuͤbte Pro: 
vinzial⸗ Milizen. 

**) Neubraunſchweig enthielt im Jahre 1825 70,000 Seelen, 
worunter 11,000 Milizen. 

***) Neuſchottland enthielt 1825 86,000 Seelen, worunter 12,000 
Milizen. Die dicht bei Neuſchottland, innerhalb des Meerbuſens 
des St. Lorenz, liegende Prinz Edwards Inſel enthielt im 
Jahre 1825 eine Bevoͤlkerung von 24,000 Seelen, darunter 4000 
eingekleidete Milizen. 


u 
III. 
Die Gruͤndung und Geſtaltung 
der 


Vereinten Staaten von Amerika 


von 
Heinrich Steffens ). 
Mit Anmerkungen begleitet von Brauns. 


Der amerikaniſche Staat zeigte ſchon bei ſeinem 
Entſtehen jenen Grundſaz wechſelſeitiger Duldung. Eng⸗ 
lands zunehmender Handel hatte den Weg gebahnt zu 
jenen Gegenden, wo ein gemaͤßigtes Klima, reich an allen 
Produkten, von ſchwachen herumirrenden Staͤmmen be— 
wohnt war. Als gegen das Ende des ſechszehnten 
Jahrhunderts die erſten engliſchen Kolonien in Nord— 
amerika entſtanden, hatte England ſeinen groͤßten 
Glanz unter Eliſabeth erreicht, die ſpaͤtern ungluͤkli— 
chen Gaͤhrungen unterſtuͤzten die Auswanderungen; die 
Hollaͤnder wurden aus Neuyork vertrieben. — Penn, 
ein vaͤterlicher, frommer, thaͤtiger Mann, deſſen ſchoͤner 
Sinn auf alle ſeine Koloniſten uͤberging, bildete Penn— 
ſilvanien. Die beſtimmte Aufgabe, die er auf eine ſo 
klare Weiſe faßte, ſo beſtimmt im Auge behielt, ſo ver— 


*) Siehe Heinrich Steffens, die gegenwaͤrtige Zeit und wie ſie ge— 
worden, mit beſonderer Ruͤkſicht auf Deutſchland. Th 2. Ber— 
lin 1817. Seite 324 ff. 


53 


ſtaͤndig ausfuͤhrte, gibt ihm faſt ein antikes Gepraͤge, und 
wenige Geſtalten der neuern Geſchichte koͤnnen in dieſer 
Ruͤkſicht mit ihm verglichen werden. Nicht blos Ge— 
winnſucht bildete den Keim zu jenem merkwuͤrdigen 
Staatenbunde. In einer traurigen Zeit fluͤchteten viele 
nach jenen entfernten Laͤndern. Dort wollte man einen 
Staat bilden, der ſchon in ſeiner Entſtehung befreit ſein 
ſollte von allen jenen Widerſpruͤchen, in welche ſich Eu: 
ropa immer tiefer zu verwikkeln ſchien. Nicht England 
allein, auch vorzuͤglich Deutſchland, in ſich ermattend 
zerſtoͤrt, wo alle Verhaͤltniſſe ſich aufzuloͤſen drohten, gab 
viele Einwohner. — Daß hier die ruhige buͤrgerliche 
Freiheit ſo vorzuͤglich gedieh, lag in dem Sinn der Zeit, 
aus welchem der Staat ſich bildete, verbunden mit der 
Art ſeiner Entſtehung. 

Nie haben Kolonien ſich ſo friedlich, ſo ganz ohne 
bedeutende Kaͤmpfe, ſo rein-buͤrgerlich gebildet, wie die 
nordamerikaniſchen Y. In den weiten Laͤndern ſtreif— 
ten die ſchwachen Staͤmme umher, die von den Koloni— 
ſten mehr verdraͤngt, als bekaͤmpft wurden. Daher trat 
jener kriegeriſche Charakter, jene Haͤrte und Strenge der 
Geſinnung nicht hervor, aber auch der großartige Sinn 
konnte ſich nicht entwikkeln. Die Europäer, die dort 
ankamen, hatten alle Beduͤrfniſſe ihrer gebildeten Lands— 
leute, aber auch die Faͤhigkeit, ſie zu befriedigen. Wenn 


*) Wie viel Blut der Ureinwohner und der Anſiedler bei Stiftung 
der Kolonien gegenſeitig vergoſſen ward, iſt noch viel zu wenig 
bekannt. Aeltere amerikaniſche Zeitungen ſind davon voll. 
Der Staat Kentucky (Blutland) erhielt davon ſeinen Namen. 


654 
in uralten Zeiten rohe Helden die Laͤnder einnahmen, ſo 
mußten unterjochte Voͤlker die Akker bauen. Hier waren 
Eigenthum und Erwerb vereinigt. Die Eigenthuͤmer muß— 
ten ſelbſt das rohe Klima baͤndigen, die Waͤlder ausro— 
den, die gewonnenen Felder bauen. Kein großer Kampf 
konnte einem Helden ein gefaͤhrliches Übergewicht geben. 
Wie der wechſelſeitige Glaube wurden die wechſelſeitigen 
Rechte geduldet. Begriffe von bürgerlicher Freiheit, 
durch den Kampf der Schweizer ſchon fruͤh rege gewor— 
den, durch die Niederlaͤnder wieder erwekt, in Eng⸗ 
land zu jeder Zeit vorwaltend, durch Philoſophen 
entwikkelt und mit allem, was die Geiſter in Bewegung 
ſezte, aufs Innigſte verknuͤpft, hatten ſich verbreitet und 
bildeten die Grundlage der Einrichtungen. Als Kolo— 
nien von Großbritannien genoſſen die Nordame— 
rikaner einen maͤchtigen Schuz. Es hat etwas unge— 
mein Anziehendes, die allmaͤlige Entwiklung dieſer Staa— 
ten, zumal in Ruͤkſicht auf ihre innere Verfaſſung, zu 
verfolgen. Nirgends ſieht man deutlicher, wie alle Mo— 
mente des Lebens ein gemeinſames Gepraͤge annehmen, . 
fih auf wahrhaft organiſche Weiſe in und mit einander 
entwikkeln. Es iſt uns aber nicht erlaubt, einen ſo weit— 
laͤuftigen Gegenſtand hier im Einzelnen zu entwikkeln. 
So vorbereitet gab Nordamerika fuͤr Europa den 
erſten maͤchtigen Anſtoß. Was fortſchreitende Bildung 
zum geheimen Wunſch der meiſten Nationen in Europa 
gemacht hatte, das ward dort zuerſt laut. Die Geſchichte 
hat ſo oft gezeigt, daß freie Staaten als Herrſcher De— 
ſpoten werden, ſo auch hier. Der maͤchtige Kampf en— 
digte zum Vortheil der Unterdruͤkten, und Europa 


s5 


frohlokte. Merkwuͤrdige Männer gaben dem Staate eine 
ſchoͤne Verfaſſung. Wohlſtand und Kunſtfleiß gedieh, die 
Volksmenge nahm zu in einem Maße, wie es die Ge— 
ſchichte nie ſah, die befreiten Staaten wetteiferten mit 
England um den Welthandel. Auf dem feſten Lande 
lag unterdeſſen eine druͤkkende Schwuͤle. Der Geiſt regte 
ſich in Vielen, aber die beſtehenden Formen traten dro— 
hend entgegen. Ein unruhiges Treiben aͤußerte ſich al— 
lenthalben, vorzüglich in Deutſchland, aber ohne Hal— 
tung, ohne Mittelpunkt, ohne tiefe Bedeutung. Es war 
die krankhafte Zeit der herrſchenden Hypochondrie, die et— 
was ſuchte, man wußte aber nicht Was. Alle Verhaͤlt— 
niſſe der Welt ſchienen ſo unabaͤnderlich geordnet, alle 
Einrichtungen ſo feſt in einander eingefugt, daß dem un— 
ruhigen Geiſte nur das un beſtimmte Gefühl einer 
unendlichen Sehnſucht, eine ſeufzende Begier . 
nach einem Unbekannten uͤbrig blieb. Man 
traͤumte ſich Ideale, die in der wirklichen 
Welt nicht erreicht werden konnten; denn hier 
war nur Gerichtsordnung und Rechnungswe— 
ſen, Exerciren, Polizei, Finanzen, Fabriken 
und Handel. Alle Seelen waren gezaͤhlt und wurden 
buͤndelweiſe dem Staate uͤberliefert, und dieſer ſchien ein 
allverzehrendes Ungeheuer, welches das Futter vor der 
Bluͤte verzehren muͤſſe, damit ſie gedeihe. Die Beduͤrf— 
niſſe des Staats und der Individuen wuchſen 
gleichmaͤßig, ſo daß keine Schaͤze ſie befriedi— 
gen koͤnnen; aus Armuth entſpringt Zwietracht und 
wechſelſeitiger Hader, durch Betrug wehrte ſich der Ein— 
zelne, durch Gewalt zogen die Regierungen Alles an ſich. — 


56 


Der Staat vergaß über dem Dringenden gegenwärtige 
Beduͤrfniſſe, daß der Reichthum feiner Bewohner feiner 
iſt, die Individuen, daß ſie ohne Staat ein Nichtiges 
ſind. Eigene Klaſſen trieben den Krieg als Handwerk, 
und waͤhrend viele einer beſſern Zeit entgegenſahen und 
Keime der Freiheit im Stillen gediehen, hatten deutſche 
Fuͤrſten ) die furchtbare Frechheit, Eingeborne für Geld 
zu verkaufen, um die Freiheit zu bekaͤmpfen, die dem 
verrathenen Geſchlechte als eine Morgenroͤthe beſſerer Zei— 
ten entgegentrat. Da fuͤhlte man recht tief die Schaͤnd— 
lichkeit einer Anſicht, die die Sache der europaͤiſchen Dy— 
naſtien von der des Volks trennt, und daß ein jeder 
Krieg, der nicht national iſt, ein Frevel gegen den Geiſt 
des Volks genannt werden muß. Da begeiſterte uns der 
nordamerikaniſche Krieg. Wir hatten wenigſtens ein 
Wort gefunden, das Unbeſtimmte zu bezeichnen, leider 
aber auch nichts mehr. Buͤrgerliche Freiheit bedeutete nur 
den negativen Kampf gegen die beſtehende Ordnung. Die 
eigentliche Freiheit aber poſitiv, ja das einzig wahre Po— 


*) Unter dieſe kann der hochſelige Herzog Carl Wilhelm Fer— 
dinand von Braunſchweig, glorreichen Andenkens, auf kei— 
nen Fall mitgezaͤhlt werden, da derſelbe keine eingeborne, ſondern 
nur meiſtens fremde, auf mehrere Jahre fuͤr eine beſtimmte Summe 
angeworbene Truppen, oder eingeborne Straͤflinge und Zuchthaͤus— 
ler, an England uͤberließ, und das dafuͤr empfangene Geld nicht 
in ſeine Privatchatoulle fließen ließ, ſondern zur Tilgung der 
Staatsſchulden verwendete. Ruhe der Aſche dieſes guten Fuͤrſten, 
dem das Wohl ſeines Landes ſtets vorſchwebte, deſſen Andenken 
noch jezt vom Bauer, wie vom Adel, im unveraͤnderten Herzog— 
thum Braunſchweig dankvoll und innigſt geſegnet wird! 


we: 7 


57 


fitive im Leben. Aus ihrem friſchen Daſein geſtaltet fich 
eine maͤchtige Geburt, die ihr Recht behauptet, und eine 
jede nichtige Grenze zerbricht durch die lebendige Gewalt. 
Wer aber nur uͤber die Ketten ſeufzet, ohne zu wiſſen, 
wozu er die freien Arme brauchen ſollte, der iſt ein Frei— 
gelaſſener, wenn man ihm die Ketten abnimmt, kein 
Freier. — Das Ideal der ſehnſuͤchtigen Deutſchen ward 
nach Amerika verpflanzt; dort traͤumte man fi. 
ein idylliſches Leben, eine Art irdiſches Para— 
dies, denn dort wohnte die Freiheit. Was iſt 
nun aus dieſem Nordamerika geworden ſeit faſt vier— 
zig Jahren behaupteter Freiheit? Es gibt eine Parallele, 
die lehrreich iſt; ich mag ſie um deſto weniger unterdruͤk— 
ken, da doch dieſe Betrachtung ihre unmittelbare Bezie— 
hung auf Deutſchland keinesweges verleugnen ſoll. 
Es gab eine Zeit, in welcher man an der Geſchichte ver— 
zweifelte. Sie ſchien ausgeſpielt zu haben, ja ſelbſt in 
den Darſtellungen war ſie ſo matt geworden, daß ſie dem 
unruhig bewegten Gemuͤthe nur Langeweile verurfachte. 
Man mußte ihr zu Huͤlfe kommen, man mußte in Allem 
von Neuem bilden, geſtalten. Da das Gewordene immer 
mehr unter unſern Haͤnden den Sinn verlor, ſo mußte 
man es mit dem Gemachten verſuchen. Allgemeine Be— 
griffe wurden aufgeſtellt, allgemeine Maximen und herrliche 
Grundſaͤze, die mit der Zeit nichts zu ſchaffen hatten, 
vielmehr gleich gut fuͤr alle Zeiten paßten. Aus dieſen 
ſollten ſich die Staaten neu behandeln laſſen, vorzuͤglich 
aber und vor Allem die Menſchen. Man wollte eine Art 
ganz vortrefflicher 9 Menſchen bilden, und die Kinder aus 
allen Gegenden wurden in dieſe Begriffsſchule zuſammen— 


— 


getrieben. Hier preßte man die Jugend in Inſtitute und 
Klaſſen ein, wie die Begriffe in Lehrbuͤcher und Para— 
graphen, und nun ward die Beruͤhrung veranlaßt, da— 
mit man ſah, was wohl erfolgen moͤchte. Sollten die 
Kinder etwa fuͤr Europa zu gut werden, ſo konnten 
ſie nach Nordamerika auswandern; denn dort hatten 
die freien Maͤnner ſich vereinigt, daſſelbe im Großen zu 
thun, was man hier im Kleinen und mit dem Kleinen 
verſuchen wollte. Vierzig Jahre ſind ſeitdem verfloſſen, 
und die Kleinen ſind nun groß und alt geworden. Eine 
gewiſſe Seichtigkeit, ein jaͤmmerliches Wiſſen, ein leeres 
Thun hat ſich freilich hier und da ſpuͤren laſſen, als Folge 
einer ſo kleinlichen Unternehmung, die meiſten ſind aber 
Gottlob! geſund geblieben. Die maͤchtige Zeit, die alten 
Formen der Lehre und des Lebens haben ſie ergriffen, und 
ſie ſind geworden, wie wir andern, die wir ohne ſolche 
Kuͤnſte heranwachſen und gedeihen mußten. 
Nordamerika iſt ein deutlicher Beweis, daß auch 
die trefflichſte, ja die freieſte Verfaſſung nicht hinlaͤnglich 
iſt, um einem Staate Bedeutung zu verſchaffen. Man 
vergleiche die Vereinigten Staaten mit den grie— 
chiſchen Kolonien in Aſien, welche Wiſſenſchaft und 
Kunſt in ſchoͤnem Wetteifer mit dem Mutterſtaate theil— 
ten. Dort gedieh der ewige Homer als Mittelpunkt der 
heroiſchen, der unſterbliche Herodot als Centralpunkt 
der geſchichtlichen Zeit des heiterſten, irdiſchen Daſeins. 
Freilich — reich ausgeſtattet trennte ſich das Kind von 
der Mutter, und die durch aͤußere Verhaͤltniſſe Getrenn— 
ten blieben geiſtig verbuͤndet. — Nordamerika ſteht 
wie eine Statue da — roh genug zugehauen, doch er— 


59 


kennt man die Geſichtszuͤge, die Gliedmaßen. Aber die 
Augen oͤffnen ſich nicht, die Gliedmaßen bewegen ſich nicht, 
es ſchlaͤgt kein lebendiges Herz in der Bruſt. Nordame— 
rika iſt ein trauriges Denkmal einer Zeit, in welcher 
wohl Manches Kraft, aber Nichts hohen, großen Sinn ver— 
rieth, einer Zeit, in welcher man glaubte, Staaten vers 
faſſen zu koͤnnen. Die Religion iſt Privateigenthum der 
Einzelnen, eben daher erſcheint ſie in einer duͤſtern, truͤben 
Form. Der Staat felbft ift irreligiös*. Die Verbind⸗ 
lichkeit der Bürger, daß fie, um ſolche zu werden, an 
Gott, Unſterblichkeit, in einigen Staaten an den Erloͤſer 
glauben muͤſſen, iſt deswegen keine, weil eine Staatsre— 
ligion ohne Form ein Nichtiges iſt ). — Eben fo we: 


. SH RR N En AR 


*) Der Verfaſſer verwechſelt hier Religion und Kirchenthum, 
reines Chriſtenthum mit Hierarchie. Daß erſtere ohne 
das andere, und lezteres ohne die andern beſtehen koͤnnen, hat die 
Erfahrung zur Genuͤge bewieſen. 

**) Wenn wir von Religionsfreiheit, als einem der ſchaͤzbar⸗ 
ſten Guͤter der Menſchheit, reden, ſo frage ich: wie kann dieſelbe 
in den Vereinten Staaten von Amerika beſtehen, wenn 
dieſelbe in die Formen einer Staatsreligion oder Hierarchie hin— 
eingezwaͤngt werden ſoll? Und zu welchem Zwekke ſollte dieſelbe 
dort in das alte abgeworfene hierarchiſche Gewand hineingepreßt 
werden, da dies nicht nur den Grundgeſezen der daſigen Staaten 
widerſtreitet, ſondern ſogar ihrem phyſiſchen Wohl ſehr nachthei— 
lig ſein wuͤrde? Wir erſehen hieraus, daß kein Staat, er mag 
noch fo ſehr auf Vernunftwahrheiten gebaut fein, im Stande ift, 
den Anforderungen aller Philoſophen zu genuͤgen; das, was die 
eine Parthei hoch erhebt, wird der andern entgegengeſezten Parthei 
noch immer Stoff zum Tadel darbieten. Wem fällt hier nicht 
ganz unwillkuͤrlich die bekannte Fabel „des Bauern, der mit ſei⸗ 


60 


nig findet man Wiſſenſchaft und Kunſt — die in der 
tiefften Bedeutung nur da blühen, wo ein Geiſtiges das 
Lebensprinzip des Staats iſt. Nordamerika zeigt am 
unbefangendſten, was man, wenigſtens noch vor kurzer 
Zeit, in Europa auch zu erringen ſuchte, nur daß man 
ſich ſchaͤmte, es ſo naiv laut werden zu laſſen, dieſes, 
daß alle Staaten ihre Abſicht erfuͤllen, wenn ſie eine Art 
thieriſcher Kunſttriebe nur verwikkelter und kuͤnſtlicher dar— 
ſtellen, durch deren Huͤlfe das phyſiſche Daſein ſich be— 
quemer zu geſtalten, der phyſiſche Genuß ſich reicher zu 
entwikkeln vermag. Die Nordamerikaner haben we— 
nigſtens bis jezt noch zu viel Land, und ſo ſehr auch die 
Leiber heranwachſen, ſo muͤſſen ſie ſich doch immer brei— 
ter machen, und werden in dieſem Beſtreben von dem Bo— 
den verſchlungen. Auch hat die amerikaniſche Natur, 
wie ſchon von Andern bemerkt wurde, etwas Unreifes, 
Unguͤnſtiges, ſelbſt fuͤr thieriſche, wie vielmehr fuͤr menſch— 
liche Entwiklung Y. 


nem Sohne einen Eſel zur Stadt treibt und es dabei Keinem 
recht machen konnte“ ein? 

*) Franklin, Washington, Gouverneur Morris, Ir— 
ving, Cooper, Brown, Rittenhaus, Fulton und ſo 
viele andre geiſtreiche und erfinderiſche Köpfe Amerikas haben 
das Raiſonnement des geiſtreichen Verfaſſers, dem auch der Her— 
ausgeber dieſes nicht beiſtimmen kann, zur Genuͤge widerlegt. An 
den vielen falfchen Ideen uͤber Amerika iſt vorzuͤglich der excentri— 
ſche, ſchwaͤrmeriſche Heinrich von Buͤlow Schuld, der durch 
ſeine bekannte Schrift uͤber Amerika vielen Deutſchen ganz 
unrichtige Vorſtellungen uͤber jenes Land und deſſen Bewohner 
beigebracht hat. Haͤtte H. v. Buͤlow ſich uͤber die von ſeiner 


61 


Nordamerika iſt vielleicht nicht weit von einem 
Punkte, wo es ſich in groͤßerm Sinne zu entwikkeln im 
Stande fein wird. Amerika uͤberhaupt ſcheint fuͤr ei— 
nen großen Kampf mannichfaltiger Kraͤfte ein offener 
Spielraum zu ſein. — Nur wird man den Glauben 
wahrſcheinlich bald aufgeben, daß dort eine uͤber alle Na— 
tionalitaͤt ſchwebende, allgemein guͤltige Gluͤkſeligkeit zu 
erringen ſei. Vielmehr muß eben dieſe Nationalitaͤt ſelbſt 
im tiefern Sinne ſich erſt ausbilden, wenn es die noch 
uͤbermaͤchtige Natur erlauben wird. Seit in Europa 
ein neues Leben erwacht iſt, wird das Streben in Ame— 
rika, ein Phantom von Freiheit zu erjagen, ohne allen 
Zweifel verſchwunden ſein. Aber ſelbſt in jenen Zeiten 
des hoͤchſten Druks konnten wir, ſo lange das innere Wi— 
derſtreben, die Hoffnung, der Haß blieben, und mit die— 
ſen die nationale Eigenthuͤmlichkeit, mit dem Apoſtel ſa— 
gen: „Siehe, wir ſind in dieſen Ketten frei.“ 


Geburt an eingeſogenen Vorurtheile wahrhaft erheben koͤnnen, 
waͤre er nicht ſpaͤterhin durch Unvorſichtigkeit und Unbekanntſchaft 
mit der Handelswelt in Amerika um einen ſehr bedeutenden 
Theil ſeines Vermoͤgens gebracht worden, wahrlich ſein Werk 
wuͤrde ganz anders ausgefallen ſein! So aber betrachtet er alles 
durch eine gefaͤrbte Brille, und vergißt des trefflichen Wahlſpruchs 
des großen Hiſtorikers: „sine studio et ira!“ Wie koͤnnen ſolche 
leidenſchaftlichen Erguͤſſe einer bittern Galle, wie wir fie in H. 
v. Buͤlow's Schrift über Amerika fo oft finden, uns zum Maaß⸗ 
ſtabe der richtigen Beurtheilung eines Landes und deſſen Bewoh— 
ner dienen? Wie ganz anders, wie wahr und treffend urtheilt der 
wakkere Graf von Segur, der größte Klaſſiker der neuern Fran⸗ 
zoſen, uͤber Amerika und ſeine Bewohner? 


62 


IV. 
Sitten und Gebräude 


der 


Nord amerikaner. 


Nach dem Franzoͤſiſchen 
des 
Herrn Grafen Louis Phil. v. Segur ). 


Fruͤh macht' ich mich nach Philadelphia auf den 
Weg. So kannte ich Douvres ) — die erſte ameri— 
kaniſche Stadt, worin mich das Schikſal gefuͤhrt — nur 
im Vorbeireiſen. Ihr Anblik ſezte mich in Verwunderung; 
ſie war von dikken Waͤldern umgeben, da ſich hier, wie in 
andern Theilen der dreizehn Staaten, die Bevoͤlkerung 
uͤber einen ungeheuern Raum verbreitete, deſſen kleinſter 
Theil bis jezt angebaut war. Alle Haͤuſer von Do u- 
vres (Dover), in einem einfachen, aber geſchmakvollen 
Styl erbaut, waren von Holz und mit verſchiedenen Far— 
ben angeſtrichen. Dieſe abwechſelnden Farben der Haͤu— 


„ Memoires par M. le Comte Louis Phil. de Segur. Tom. I. 
Paris 1825. Eine Recenſion dieſer geiſtreichen Schrift iſt erſchie— 
nen in den Goͤttingiſchen gelehrten Anzeigen. Jahrg. 
1826. Jan. 14. Stuͤk 8. 

*) Nach der Schreibart der Angloamerikaner Dover, eine Stadt 
im Delaware-Staat, die im Jahr 1826 ungefaͤhr 200 Haͤu⸗ 
ſer mit 1000 Einwohnern enthielt. f 


63 


fer, die darin herrſchende Reinlichkeit und die von polir— 
tem Kupfer erglaͤnzenden Thuͤrklopfer waren Zeichen der 
Ordnung, Thaͤtigkeit, des Verſtandes und Gluͤks der Be— 
wohner. Ein Auge, gewöhnt an den Anblik nnferer präch- 
tigen Städte, an die Ziererei unſerer jungen Gekken (ele- 
gants), an den Abſtand, den bei uns der Luxus der hoͤ— 
hern Klaſſen, mit der plumpen Kleidung unſerer Bauern, 
und mit den Lumpen unſerer zahlloſen Bettler bildet, er— 
ſtaunt, in den Vereinten Staaten, weder zu große 
UÜppigkeit noch Armuth zu finden. Alle Amerika— 
ner, denen wir begegneten, trugen Kleider von ſehr gu⸗ 
tem Schnitt und Stoff, und ſchoͤne, gepuzte Schuhe; 
ihr freies, trauliches Betragen, eben ſo entfernt von baͤu— 
riſcher Roheit, als hoͤflich affectirter Abrichtung, zeigte 
uns Menſchen, unabhaͤngig, aber den Geſezen folgſam, 
ſtolz auf ihre Rechte, aber voll Achtung fuͤr jene. Ihr 
Anblik ſagte uns, man finde in ihrem Vaterlande: Ver— 
nunft, Ordnung und Freiheit. Der Weg, auf 
dem ich ritt, war bereits ſehr gut angelegt und forgfäl- 
tig unterhalten. In allen Örtern,-in denen ich mich auf 

hielt, nahmen mich die Einwohner zuvorkommend auf, | 
und beeiferten fich, ſowol mir, als meinen Begleiter Pferde 
zu verſchaffen. Da Alle lebhaften Antheil an den oͤffent⸗ 
lichen Angelegenheiten nahmen, ſo mußte ich, ehe ſie mich 
fortließen, ſo gut ich konnte, die vielen Fragen, die ſie 
uͤber die am Delaware wiederhallten Kanonenſchuͤſſe, un— 
ſere Landung und die Staͤrke des uns verfolgenden Fein— 
des an mich richteten, beantworten; alle dieſe Fragen 
wechſelten mit ſelten unterbrochener Überreichung von Wein— 
glaͤſern voll Madera ab, die man nicht ohne Unhoͤflich— 


64 


keit abſchlagen, und ohne Schaden nicht fo häufig anneh⸗ 
men durfte. Mein Weg ſchlaͤngelte ſich, wie in einer 
Gartenallee, beſchattet von den ſchoͤnſten und aͤlteſten Baͤu— 
men, fort; ich legte keine halbe Stunde zuruͤk, ohne alte 
Anſiedlungen und neu urbar gemachte Landguͤter zu treffen. 
Ehe ich nach Chriſtianbridge, vierzig engliſche Mei— 
len von Douvres, kam, war ich durch mehrere ſehr 
bevoͤlkerte Gegenden gekommen. Chriſtianbridge liegt 
auf einer Anhoͤhe, an deren Fuße ein kleiner Fluß hin— 
laͤuft, der ſich in den Delawareſtrom ergießt. Ich 
trat in einem, mir bezeichneten, ſehr reinlichen Wirths— 
hauſe ab. — Weiterhin ſagt dieſer treffliche Berichterſtat— 
ter uͤber Amerika: Kaum vier und zwanzig Stunden blie— 
ben mir, um mich in der damaligen Hauptſtadt der Ver— 
einten Staaten und dem Size ihrer Regierung um— 
zuſehen. Beim Anblik Philadelphia's war es un— 
moͤglich, die große und gluͤkliche Beſtimmung nicht zu 
ahnen. Dieſe Stadt, deren Namen Bruderliebe be— 
deutet, liegt am Ufer des Delawareſtroms, zwei 
kleine Meilen von dem Zuſammenfluß deſſelben mit dem 
Schuylkill. Ihre ſechszig Fuß breiten, ſchnurgeraden 
Straßen, ihre ſchoͤnen Trottoirs, die Reinlichkeit und ein— 
fache Eleganz der Haͤuſer uͤberraſchen angenehm das Auge, 
ungeachtet der Unregelmaͤßigkeit der verſchiedenen kleinen 
Werften, die jeder Kaufmann nach ſeinem Belieben am Ufer 


des Fluſſes, an den Thoren der Magazine, mit Vertiefungen, 


um darin die Schiffe vor dem Eisgang zu ſchuͤzen, erbaut hat: 
dieſer Theil iſt niedrig, ungeſund und feucht. William 


Penn, der Gründer dieſer Stadt, hatte einen unge- 


heuern regelmaͤßigen Plan fuͤr ſie entworfen. Die Traͤume 


e 


65 


dieſes rechtſchaffenen Mannes haben nicht länger gedauert, 
als die mancher großen Staatsmaͤnner, aber ſein Name 
wird immerfort leben; denn er war der einzige (2), 
der rechtmaͤßig einen Staat in Amerika grün: 
dete, und ihn nicht durch das Blut der ungluͤklichen 
Voͤlker dieſer Halbkugel beſiegelte. Die einfache, tugend— 
hafte und friedliche Sekte der Freunde, die man verge— 
bens durch den Namen Quaͤker oder Zitterer hatte 
laͤcherlich machen wollen, beſteht noch als Denkmal der 
einzigen Geſellſchaft, die je ohne alle Beimi— 
ſchung und ohne alles Vorurtheil die evangeli— 
ſche Moral und die chriſtliche Liebe in ihrer 
ganzen Einfachheit und Reinheit bekannt und 
aus geuͤbt hat. Selbſt zu ihrer Vertheidigung würden 
ſie kein Blut vergießen, und ſelbſt um der groͤßten Vor— 
theile willen den Namen Gottes nicht durch einen Eid 
entheiligen. Andere haben in allen Zeiten von 
Philoſophie geſprochen, doch ſie allein haben 
als wahre Weiſe gelebt, und leben noch ſo; nie 
habe ich troz der ſpoͤttiſchen Verachtung, mit der man 
uͤberall in Europa von ihnen ſpricht, ſelbſt in dem 
Landſtrich, der ihnen rechtlich gehoͤrt, und deſſen Regie— 
rung man ihnen entriſſen hat, ſie ohne Ruͤhrung 
und Achtung ſehen und hoͤren koͤnnen. Ich weiß wohl, 
daß man ſich, wenn man an unſre Sitten gewohnt iſt, 


) Hier vergißt der geiſtreiche Verfaſſer die in anſiedleriſcher Hinſicht 
auf gleiche Weiſe ausgezeichneten Thaten eines Lord Baltimore, 
Calvert, Oglethorpe, Boon, welchen letztern die Miſ— 

ſourier „the Lord of the wilderness“ nennen, u. m. A. 

Brauns Skizzen von Amerika. 5 


66 


im Anfang an die ihrigen ſtoͤßt, und verſucht wird, ſie 
der Affektation zu beſchuldigen, weil ſie immer mit dem 
Hute auf dem Kopfe ins Zimmer treten und alle Leute 
duzen. Auch ihre Kleidung, obwohl reinlich, ſcheint zu 
baͤuriſch, und die der Frauen wuͤrde, wenn ſie ſchwarz 
waͤre, mit ihren Buſenſchleiern der Tracht unſerer barm— 
herzigen Schweſtern gleichen. Aber dieſes ſtrenge, 
ihnen vorgeſchriebene Außere trägt vielleicht, mehr als 
man glaubt, zur Aufrechthaltung ihrer Sitten 
bei. So ſtreng ſie gegen ſich ſelbſt ſind, ſo iſt doch 
Niemand duldſamer als fie, und ob fie gleich den Krieg 
fuͤr ein Verbrechen halten, und den Soldatenſtand ver— 
wünſchen, fo laſſen fie doch den Kriegern, die fparfam 
mit dem Menſchenblute ſind, und Tugend mit Tapferkeit 
verbinden, gerechte Wuͤrdigung angedeihen. Einer von 
ihnen, der durch ſeinen Geiſt zu den Angeſehenſten ge— 
hörte, ſuchte den General Graf Rochambeau bei ſei— 
nem Durchmarſch in Philadelphia auf, und redete ihn 
folgendermaßen an: Mein Freund, Du treibſt ein ſchlech— 
tes Handwerk; aber man ſagt, daß Du dabei ſo menſch— 
lich und gerecht biſt, als ſich mit demſelben vertraͤgt. 
Dies freut mich ſehr; ich weiß Dir vielen Dank dafuͤr, 
und ich habe Dich aufgeſucht, Dir meine Achtung zu be— 
zeugen.“ Ein anderer allgemein geachteter Freun d 
(Quaͤker), Herr Benezet, ſagte zu dem General Rit— 
ter von Chaftellür: „Ich weiß, das Du ein Gelehr— 
ter und Mitglied der franzoͤſiſchen Akademie biſt. 
Die Gelehrten haben ſeit einiger Zeit viel 
Gutes geſchrieben; fie haben die Irrthuͤmer, 
die Vorurtheile, die Unduldſamkeit vorzuͤg⸗ 


/ 
| 


67 


lich angegriffen; werden ſie jezt nicht auch 


darauf losarbeiten, daß ſie den Menſchen das 


Kriegfuͤhren entleiden, und ſie wie Freunde 
und Bruder zuſammen leben?“ Da die Laͤſterer 
dieſer menſchenfreundlichen Sekte weder ihre Bruderliebe, 
noch die Einfachheit ihrer Sitten angreifen konnten, ſo 
ſuchten ſie wenigſtens ihre Begeiſterung und ihre vorgeb— 


lich hoͤhern Eingebungen laͤcherlich zu machen. Auch be— 


haupteten ſie, daß vor ihrem Intereſſe oͤfters die Strenge 
ihrer Lehre ſich beuge. „Die Grundſaͤze der Quaͤker,“ 
ſagten ſie, „verbieten ihnen ſchlechterdings, irgend einen 
mittelbaren oder unmittelbaren Antheil an einem Kriege 
zu nehmen, den ſie fuͤr ein großes Verbrechen halten. 
Deshalb weigern ſie ſich alle, die von dem Kongreß 
auferlegten Abgaben zur Unterhaltung der amerifanifchen 
Armee zu bezahlen; da ſie aber zugleich den Strafen, 
welchen ſie dieſer Ungehorſam ausſezen wuͤrde, ausweichen 


wollen, ſo ſtekt jeder Quaͤker ſorgfaͤltig die von ihm zu 


bezahlende Summe in einen Beutel, und legt dieſen of— 
fen in ſein Haus, auf ſeinen Schreibtiſch, oder in einen 
unverſchloſſenen Kaſten, ſo daß, wenn die Diener der 
Obrigkeit kommen, ſie ihnen wirklich die ausgeſchriebene 
Summe fuͤr die Kriegskoſten nicht geben, ſich aber 
dieſelbe nehmen laſſen.“ Ich geſtehe, daß man ver— 
ſucht iſt, zu glauben, irgend ein reiſender Jeſuit habe 
ihnen dieſen Kunſtgriff angegeben, ſo, ohne den Buchſta— 
ben ihrer Lehre zu verlezen, dem Geſeze Genuͤge zu lei— 
ſten. Übrigens trieb der ausgeſprochene Widerwille der 
Quaͤker gegen den Krieg ſie natuͤrlich dazu, an den 
Aufſtand gegen das Mutterland nicht Theil zu nehmen, 


68 


indem die meiſten von ihnen Torys waren, wodurch ſich 
die ungerechte Strenge erklaͤrte, mit der die Patrioten 
über fie urtheilten. — Philadelphia reizte in dem 
Zeitpunkte, von dem ich ſpreche, die Augen nur durch 
ſeine Groͤße, ſeine Regelmaͤßigkeit und den Wohl— 
ſtand feiner Einwohner. Man ſah weder Spazier— 
gaͤnge noch oͤffentliche Gaͤrtenz die einzigen merkwuͤrdigen 
Gebaͤude waren: das Hoſpital, das Rathhaus, das 
Zuchthaus und die Chriſtkirche. Das Regierungs— 
gebaͤude enthaͤlt große Saͤle, in welchen der erſte Kon— 
greß ſeine Sizungen hielt, und die amerikaniſche 
Unabhaͤngigkeit proklamirte. Nicht der architektoni— 
ſche Werth der Gebaͤude dieſer Stadt, ſondern die großen 
Erinnerungen ſind es, welche die Aufmerkſamkeit auf ſich 
ziehen und Achtung gebieten. Die ganze Stadt iſt ſelbſt 
ein erhabener Tempel der Duldung; denn man ſieht 
hier Katholiken, Presbyterianer, Kalviniſten, 
Lutheraner, Unitarier, Anabaptiſten, Metho⸗ 
diſten und Freunde in großer Anzahl, alle, ihre Re— 
ligion in voͤlliger Freiheit ausuͤbend, in der vollkommen— 
ſten Einigkeit unter einander leben. — Amerika, ſeit 
40.Jahren frei, durch weiſe Geſeze bluͤhend, durch eine 
Bevoͤlkerung von zehn Millionen maͤchtig, im Nothfall 
von Allen vertheidigt, und den erſtaunten Europa be— 
reits eine achtungswerthe Seemacht zeigend, fuͤrchtet 
f nicht mehr, einen tollkuͤhnen Feind ſeine Kuͤſten betreten, 
ſeine Fluͤſſe hinaufſchiffen und ſeine Staͤdte bedrohen zu 
ſehen. — Herr de la Luzerne verſchaffte mir gleich 
am andern Tage nach meiner Ankunft Gelegenheit, die 
ausgezeichnetſten Perſonen der Stadt zu beſuchen und 


69 


kennen zu lernen: Herrn Morris, Herrn Kriegsmini— 
ſter Lincoln, der ſeinem Vaterlande ſowol als Staats— 
mann, als im Kriege große Dienſte leiſtete, und Herrn 
Livingston, Miniſter der auswaͤrtigen Angelegenhei— 
ten, der damals im groͤßten Anſehn ſtand. Ich ſah auch 
mehrere Damen, die ſowol durch ihre Tugenden als Fa— 
milienmuͤtter, als durch die Reize, mit denen ihr Geiſt 
die Geſellſchaft beſeelte, bewundert zu werden verdienten. 
Ohne den Anſtand der franzoͤſiſchen Damen zu zeigen, 
hatten ſie ihren eigenen, der zwar einfacher, aber nicht 
weniger reizend war. — Das Beduͤrfniß der Ruhe, die 
Wißbegierde und die liebenswuͤrdige Verbindlichkeit mei— 
nes Wirthes floͤßten mir den gerechten Wunſch ein, mei— 
nen Aufenthalt in Philadelphia verlaͤngern zu koͤn— 
nen; aber kaum hatte ich einige Stunden, in die ſuͤße— 
ſten Hoffnungen gewiegt, geſchlafen, als mich ein Offi— 
zier wekte, und mir den Befehl von Herrn von Viome- 

mil brachte, ſogleich nach den nördlichen Staaten abzu— | 
reifen, und die Depeſchen meines Hofes den Generälen 
Rochambeau und Washington, die damals am 
Hud ſon ſtanden, zu uͤberbringen. Die amerikaniſche 
Republik hat ſich vor allen andern nicht nur durch die 
Weisheit ihrer Inſtitutionen und durch den innern Frie— 
den ausgezeichnet, deſſen ſie ſeit einem halben Jahrhun— 
dert genießt, ſondern ſie hat ſich auch nicht des ewigen 
Vorwurfs der Undankbarkeit ſchuldig gemacht, der durch 
die Geſchichte faſt alle republikaniſche Staaten trifft. Bei 
allen Feierlichkeiten, bei allen Feſten, bei allen Toaſts 
werden die Namen Ludwig XVI. und Frankreich 
nie vergeſſen. Noch vor kurzem haben zehn Millionen 


70 


Amerikaner bewiefen , indem fie dem General Lafayette 
einſtimmig den glaͤnzendſten Triumph zuerkannten, mit 
dem ſich je ein Menſch beehrt ſah, daß die ihnen geleiſte— 


ten Dienſte, die Gefahren, denen man getrozt, und die 


Anſtrengungen, die man beſtanden, um ihre Unabhaͤngig— 
keit zu befeſtigen, unausloͤſchlich in ihre Herzen gegraben 
ſeien. Ich kann kaum begreifen, wie einige Finſterlinge 
es nicht fuͤhlen und einſehen wollten, daß dieſe unerhoͤrte, 
einem Franzoſen bezeugte Ehre eine Huldigung für _ 
ganz Frankreich und ſeinen Monarchen war. — 
Boſton war die erſte amerikaniſche Stadt, die den 
Vereinten-Staaten das Signal zur Unabhaͤngigkeit 
gab, und ihre Einwohner waren die erſten, welche die 
aufbluͤhende Freiheit mit ihrem Blute beſiegelten. In 
dieſer noͤrdlichen Gegend ſchlaͤgt ſie die tiefſten Wurzeln, 
der Himmel iſt hier rauher, die Religion ſtrenger, der 
Gleichheitsgeiſt allgemeiner, der Unterricht beſſer. Die ; 
Sitten und der Muth ſcheinen hier eine ſtrengere Thätig: . 
keit zu zeigen. Ich machte in dieſer Stadt die Bekannt— 
ſchaft des Samuel Adams und Hancock, der erſten 
unſterblichen Gruͤnder der amerikaniſchen Freiſtaaten, und 
ſchloß mit dem durch ſcharfſinnige Schriften beruͤhmten 
Dr. H. Cooper eine Verbindung, die wir lange durch 
Briefwechſel unterhielten. Der Doktor Cooper, fühn 
in ſeinen Predigten, hielt auf der Kanzel eben ſowol 
politiſche als religioͤſe Reden; er bediente ſich, um 
die Gemuͤther zu entflammen, ſowol der Waffen der Kir— 
chenvaͤter, als derjenigen Voltaire's und Rouſ— 
ſeau's. Seine großen Talente verſchafften ihm eifrige 
Freunde und gluͤhende Feinde. Wer kann ſich aus— 


4 


zeichnen, ohne Neid zu erregen? Diefer war fo 
blind, ihn einer zu großen Überfpannung in den Grund: 
fügen und einer zu großen Geſchmeidigkeit in feinem Be: 
tragen anzuklagen. Boſton, ſchon lange durch ſeinen 
Handel bluͤhend, ſcheint die Großmutter der andern ame— 
rikaniſchen Hauptſtaͤdte zu fein, und zu der Zeit, als ich 
es ſah, glich ſie vollkommen einer alten, großen engliſchen 
Stadt. Die Demokratie verbannte den Luxus nicht aus 
derſelben. Nirgends in den Vereinten-Staaten findet 
man mehr Wohlhabenheit und eine angenehmere Geſell— 
ſchaft. Europa bietet unſerer Bewunderung keine ſchoͤ— 
nere, geſchmakvollere, beſſer erzogenere und mit mehr Ta— 
lenten geſchmuͤkte Damen dar, als die Damen von Bo— 
ſton, wie die Damen Jarvis, Smith, Tudor, 
Morton. Madame Tudor, die man nachher in 
Frankreich geſehen, hatte ſich durch ſehr geiſtreiche 
Schriften bekannt gemacht, deren eine der Koͤnigin 
von Frankreich gewidmet war, und dieſer Fuͤrſtin durch 
Herrn von Chaftellür uͤberbracht wurde. . 


72 


V. 
Die Ko hon ie 
5 8 des 
Lord Selkirk am Rothen⸗Fluſſe (Red-river) 
und Oſſiniboin, 
und 


die maleriſchen Waſſerfaͤlle des Winnepeek. 


Aus dem Engliſchen des Keating ). 


Am fünften Auguſt 1823 erreichten wir den Rothen— 
fluß (Hed-river) und ſezten in einer Barke nach der 
Niederlaſſung Pembina uͤber, wo wir vier Tage blie— 
ben. Wir hatten dieſe Reiſe von zweihundert ſechszig 
engliſchen Meilen in elf Tagen zuruͤkgelegt, und die 
Buͤffeljagden und unſer Zuſammentreffen mit den 
Uramerikanern abgerechnet, war uns gar nichts 
Merkwuͤrdiges vorgekommen. Nirgends erſchien uns das 
langweilige Einerlei einer Reiſe durch die Wieſen ſo be— 


*) Siehe Narrative of an expedition to the sources of St. Pe- 
ters- River, Lake Winnepeek, Lake of the 
woods etc. etc. Performed in the year 1823 by order of 
the Hon. J. C. Calhoun, Secretary of war, under the 
Command of Stephen H. Long, Major U. S. T. E. 
Compiled from the notes of Major Long, Messrs Say, 
Keating and Calhoun by W. H. Keating. Philadel- 
phia Carey and Lea. 1825. 


73 


ſchwerlich. Nur laͤngs der Fluͤſſe waren einige Baͤume 
zu ſehen, die aus Eichen, Ulmen, Linden, Eſchen, Fich— 
ten u. ſ. w. beſtanden. Am Rothen -See ſollen vor— 
zuͤglich Fichten, Zuckerahorn und Birken wachſen. Das 
Land iſt ſehr flach und arm an Waſſer; Thaͤler ſind 
gar nicht da, und nur wenig Baͤche oder ſogar Quellen. 

Die zum Gebiet des Rothenfluſſes gehoͤrigen 
Nebenfluͤſſe bis zum 49° der Breite find am rechten 
Ufer der Buͤffel⸗, Wildereis-, Sandhügel:, 
Pflaumen-, Rothegabel-, und der Sumpffluß, 
und die Doppelfluͤſſe, am linken Ufer der Pfe-, 
Shienne-, Ulmen-, Gans-, Schildkroͤten-, Sa— 
linen-, Park- und Pembinafluß. Wir muͤſſen je 
doch hierbei bemerken, daß in Hinſicht der Namen eine 
große Verwirrung herrſcht, weil ſowol die Dacotas 
als die Chippewas und die Handelsleute ien ver⸗ 
ſchiedene Namen beigelegt haben. 

Der Buͤffelfluß entſpringt in einer Kette von 
kleinen Seen, welche von einem großen Walde umge— 
ben ſind, der ſich bis zum Miſſiſſippi erſtrekken ſoll. Er 
fließt in nordweſtlicher Richtung etwa ſechszig engliſche 
Meilen weit. Der Wildereisfluß iſt einhundert 
und zwanzig engliſche Meilen lang, und entſpringt in ei- 
nem runden See, der achtzehn Meilen im Durchmeſſer 
hat, und einen unerſchoͤpflichen Reichthum an wil dem 
Reis liefert. Sein Lauf iſt parallel mit dem des vori— 
gen. Der Rothegabelfluß, der aus dem Ro— 
then-See fließt, ſoll ſeinen Namen von Blut haben, und 
alſo wahrſcheinlich von irgend einer in der Naͤhe vorge— 
fallenen Schlacht. Bei hohem Waſſer iſt er bis zum 


4 


See hinauf, alſo einhundert zwanzig engliſche Meilen weit, 
‚für Kaͤhne ſchiffbar, für Canoes zu allen Zeiten. Es iſt 
der bedeutendſte unter den Nebenfluͤſſen des Rothenfluſſes. 
Herr Jeffries ſagte uns, der Rothe-See habe die 
Geſtalt eines halben Mondes, mit der aͤußern Kruͤmmung 
nach Suͤdweſten, und ſei ſechszig engliſche Meilen lang 
und vierundzwanzig engliſche Meilen breit. Die Waͤlder 
laͤngs dieſem Fluſſe ſind ſehr dicht, und erſtrekken ſich 
wohl auf eine halbe Meile von beiden Seiten; beſonders 
waren Haſelnuͤſſe in großer Menge da, und faſt reif. 
Da, wo wir uͤber den Doppelfluß kamen, mochte jeder 
Arm etwa zehn engliſche Ellen (Yards) breit fein. Sie 
ergießen ſich in den Rothenfluß, zehn engliſche Meilen 
unterhalb ihrer Verbindung, und an demſelben befindet 
ſich eine bedeutende Salzquelle. Der Pembina, 
der ſich auf der andern Seite eine Meile oberhalb des 
Dorfes in den Rothenfluß ergießt, iſt naͤchſt dem Rothen— 
gabelfluß der größte Nebenfluß ſuͤdlich vom 49”. 

Es ſind unſtreitig in dieſer Gegend eine große Menge 
Salzquellen, beſonders unterhalb des Rothengabel— 
fluſſes. Auch erfuhren wir, daß haͤufig Salz gefunden 
wird, und die Koloniſten von Pembina es einſammelten. 
Man wuͤrde alſo wahrſcheinlich gar nicht tief zu bohren 
brauchen, um auf Salzquellen zu ſtoßen. Geologi— 
ſche Beobachtungen zu machen, dazu hatten wir gar keine 
Gelegenheit, weil uns keine feſte Felſen vorkamen, und 
nur wenig abgeriebene Steine. Hier und da war der 
Boden auf den Wieſen ſandig, doch im Allgemeinen mehr 
ein trokkener Thon, und ziemlich unfruchtbar, ausgenom— 
men in der Naͤhe der Fluͤſſe, und wo Baͤume wuchſen. 


75 


Es kann indeß auch fein, daß die häufigen Brände 
ihn fo dürftig erhalten. Die Urſachen derſelben find vet: 
ſchieden; ſie geſchehen bald, um die Verfolgungen des 
Feindes zu verhindern, das Land offen zu erhalten und 
den Buͤffel darin einzuladen, ihren Freunden Nachricht 
zu ertheilen u. ſ. w. Kaufleute zuͤnden auch oft die 
Wieſen aus der Abſicht an, und bei trokkenem Wetter 
verbreiten ſich auch wohl die Lagerfeuer. 

Pembina liegt am Rothenfluſſe etwa zwei— 
hundert ſiebenzig engliſche Meilen oberhalb feiner Mündung, | 
und der Fluß iſt hier nur funfzig engliſche Meilen breit, 
aber ſehr tief, in der Mitte des Stroms nicht weniger 
als 10 — 20 Fuß. Er hat ſehr hohe Ufer, fo daß Über: 
ſchwemmungen nicht leicht moͤglich ſind. Pembina iſt 
die oberſte Niederlaſſung auf dem Landſtriche, den die 
Hudſonsbay-Geſellſchaft dem verftorbenen Lord 
Selkirk ertheilte. In Folge einer von Karl II. im 
Jahre 1652 ausgeſtellten Charte machte die Hudſons⸗— 
bay⸗Geſellſchaft Anſpruͤche auf das ganze britiſche 
Gebiet an dieſer Bay, nicht blos in Hinſicht auf Mo— 
nopole des Pelzhandels, ſondern auch des Rechts 
auf den Boden und die Gerichtsbarkeit des Landes. Um 


das Jahr 1812 erhielt Lord Selkirk, einer der vor— RN 


nehmſten Theilhaber deſſelben, einen bedeutenden Strich 
Landes, vernichtete in demſelben die Anſpruͤche der Ur: 
amerikaner durch Bezahlung einer gewiſſen Summe, 
lud hierauf britiſche und deutſche Koloniſten 
ein, und nahm zunaͤchſt mehrere Soldaten von zwei aus 
engliſchem Solde im Jahre 1815 entlaſſenen Regimentern 
Schweizer. Zwei Hauptniederlaſſungen wurden an— 


76 


gelegt, eine bei dem Fort Douglas am Zufammen: 
fluſſe des Aſſiniboin und Rothenfluſſes, die andre in 
Pembina, einhundert und zwanzig engliſche Meilen ober— 
halb derſelben. Dieſe Niederlaſſung beſteht ungefaͤhr aus 
dreihunder funfzig Seelen, die jedoch groͤßtentheils 
keine ſonderliche Koloniſten ſind. Die meiſten ſind Halb— 
uramerikaner, die von ihren Muͤttern die Liebe zur 
herumſchweifenden Lebensart eingeſogen haben, und bei 
dem Pelzhandel, den ſie treiben, Liſt und Betruͤgerei dazu 
lernten. Die meiſten Deutſchen, welche groͤßtentheils 
aus Schweizern beſtehen, ſind ehemalige Soldaten, die 
faſt eben ſo wenig zum Akkerbau taugen, als die Halb— 
uramerikaner. Die einzigen guten Koloniſten find 
die Schotten, die wie gewöhnlich ihre unermuͤdliche 
Ausdauer mitgebracht haben. Daher reicht der Ertrag 
des Landbaues, ſo gut auch der Boden iſt, nicht 
zum Bedarf der Bewohner hin, die einen großen Theil 
der Zeit auf die Jagd verwenden, und eben deshalb im 
Akkerbau nicht viel weiter kommen. Sie fuͤhren den 
Namen der freien Männer, um ſich von den Die: 
nern der Hudſonsbay-Geſellſchaft zu unterſcheiden, 
welche Engagés heißen. Die Halburamerikaner 
haben noch den Spottnamen Bois brule (verbrann— 
tes Holz) wegen ihrer dunkeln Farbe. Dieſe Lezten find | 
liſtig und thaͤtig, und beſonders vortreffliche Läufer. Wir 
hoͤrten von einem, der den Buͤffel zu Fuß zu jagen 
pflegte. Der Ausdruk ihres Geſichts iſt meiſtens liſtig 
und boshaft, und im Zorne wahrhaft teufliſch. 

Die große Miſchung verſchiedener euro paͤiſcher 
Nationen, die ſich mit Uramerikanern von verſchie— 


77 


denen Stämmen vermifchten, hat nachtheilig auf die Sit: 
ten gewirkt, da fie wie gewöhnlich mehr die Laſter als die 
Tugenden jedes Andern annahmen. Sie erheben ſich daher 
nur ſehr wenig über die Uramerifaner. Die wenigen 
Beſſeren treiben allerdings Vieh zucht und Akkerbauz 
doch ſahen wir nirgends einen Pflug, oder eingefpannte 
Ochſen in der ganzen Kolonie. Sie bauen indeß Wei— 
zen, Mais, Gerſte, Kartoffeln, Rüben, Ta- 
bak u. ſ. w., welches alles, ungeachtet der hohen Breite, 
recht gut gedeihet. Alle dieſe Artikel ſtehen auch in ho— 


hem Preiſe; doch iſt baares Geld etwas Ungewoͤhn-— 


liches, indem nur Tauſchhandel getrieben wird. 

Da der Hauptzwek unſerer Reiſegeſellſchaft beim Be— 
ſuch dieſes Ortes die Beſtimmung des 49. Breitengrades 
war, ſo machten wir uns ſogleich an die Arbeit; und als 
es geſchehen war, wurde am achten Auguſt ein eichener 
Pfahl aufgerichtet, die Flagge auf demſelben aufgeſtekt, 
eine Nationalſalve abgefeuert, und eine Erklaͤrung von 
Major Long im Namen der nordamerikaniſchen 
Vereinten -Staaten gegeben, daß das Land am 
Rothenfluſſe oberhalb jenes Grenzpfahls zum Gebiet 
des nordamerikaniſchen Bundesſtaats gehoͤre. 
Die bei dieſer Feierlichkeit verſammelte Volksmenge ſchien 
ſehr erfreut, daß die ganze Niederlaſſung, mit Ausnahme 
eines einzigen Hauſes, zum Gebiet des nordamerika— 
niſchen Bundesſtaats gehoͤre; fo wie auch ſchon 
früher die Hud ſonsbay-Geſellſchaft hier ein Fort 
angelegt hatte, das wieder verlaſſen wurde, als es ſich 
aus den Berechnungen ihrer Aſtronomen ergab, daß es 
auf großbritaniſchem Gebiet liege. Die naͤchſte Be⸗ 


78 


6 merkung, die das Volk machte, als man ihm auf ſeine 
Bitte zeigte, wie die Linie weiter laufe, war, daß ſie die 
Buͤffel alle auf ihrer Seite haͤtten, ein Beweis, wie ſehr 
ihnen die Jagd dieſes Thiers am Herzen liegt. 

Der Pelzhandel in Pembina umfaßt vorzuͤglich 
Biber, Marder, Fiſchotter, Baͤren, Elen— 
thiere, Vielfraße, Fuͤchſe, Wieſel (Mind), wozu 


noch außerdem Büffel, Wölfe, Hafen, Kanin— 


chen und Schwäne gerechnet werden koͤnnten; doch hat 
die Geſellſchaft bei dieſen leztern wenig Vortheil gefunden 
und ſie daher aufgegeben. Der Werth des Ganzen be— 
traͤgt 1700 Dollars jaͤhrlich, iſt alſo weit geringer, als 
der am St. Peter, ſo ſehr derſelbe auch abgenommen 
hat. Indeß muß dieſer Handel in jedem Fall mit der 
zunehmenden Bevoͤlkerung ſich vermindern. In Hin, 
ſicht der Huͤlfsquellen des Akkerbaues aber iſt g 
nicht zu bezweifeln, daß Pembina fuͤr die Zu— 
kunft allen andern Niederlaſſungen am Rothen— 
fluffe wenigſtens gleichkommen muß ). Nur wird 
auf jeden Fall die Kolonie ſich mehr auf ſich ſelbſt be— 
ſchraͤnken muͤſſen, indem wenig Ausſicht vorhanden iſt, 
daß ſie den etwaigen Überfluß ihres Ertra— 
ges vortheilhaft werde verhandeln koͤnnen. 
Einige von den Koloniſten haben ſich große Hoffnungen 
gemacht, ſchaͤzbare Berg werke zu entdekken, und fogar 
behauptet, Silbererz gefunden zu haben; wir ſahen 
nichts dergleichen, auch ſcheinen die Wieſen im Allgemei— 


*) Wichtiges, und um ſo beachtungswertheres Zeugniß, da es aus 
der Feder eines Angloamerikaners fließt. 


79 


nen keineswegs dieſer Hoffnung Raum zu geben. Etwa 
dreißig Seemeilen von der Niederlaſſung liegt ein Berg, 
in welchem man dieſe Gruben vermuthet; auch zeigte man 
uns etwas von dem Erze, doch war es blos gemeiner 
Sch wefelkies. | 
Von den in der Nähe bemerkten Pflanzen koͤnnen 
wir nur den gemeinen Hopfen, die Brombeere, 
die vorzuͤglich ſchoͤn iſt, und eine ſehr große Hei— 
delbeere anfuͤhren. Die Zoologie iſt ebenfalls nicht 
ſehr mannichfaltig. Von Voͤgeln bemerkten wir den 
kahlkoͤpfigen Falken, den rothföpfigen Specht und an— 
dre; Finken, Vogelfalken, Droſſeln, Schwal— 
ben, Reiher, Enten, Kernbeißer, Kraͤhen, Ra— 
ben und Tauben, leztere in großer Menge in den 
Waͤldern. Unter den vierfuͤßigen Thieren ſahen wir die 
Beutelratte, das fliegende Eich hoͤrnchen, das 
Eichhoͤrnchen von der Hudſonsbay, und außerdem 
ſehr viele und kuͤhne Wölfe, die in der Nacht fogar bis 
an unſre Wohnung herankamen, und ein Pferd biſſen, das 
nahe dabei angebunden war. N 
Seinen Inſtruktionen gemaͤß gedachte nun Major Long, 
laͤngs der noͤrdlichen Grenze der Vereinten-Staa— 
ten bis zum Ober n-See fort zu reiſen; doch erklaͤrte 
man uns in Pembina, daß dies unmoͤglich ſei, weil 
das ganze Land vom Rothenſee bis zum Winne— 
peekwald und Obern-See mit kleinen Lagunen und 
Suͤmpfen bedekt und fuͤr Pferde unzugaͤnglich ſei. Die 
einzig mögliche Weiſe ſei, den Hauptfluͤſſen in Canoes 
von Baumrinde zu folgen, die, da ſie leicht waͤren, bei 


Be 5 


Untiefen, bei Faͤllen u. ſ. w. getragen werden koͤnnten. 
Wir verkauften daher unſre Pferde, und da wir nun noch 
einige Leute mehr haben mußten, die an dieſe Art zu 
reiſen gewoͤhnt ſind, ſo begab ſich Major Long zu 
Lande nach dem Fort Douglas, wo er beides, Leute 
und Kaͤhne, unter vortheilhaften Bedingungen zu finden 
hoffte, indeß wir Andern das Anerbieten des Herrn No— 
len, des vornehmſten Einwohners von Pembina, an— 
nahmen, in einem Kahne mit Lebensmitteln den Fluß 
hinab zu fahren. Da uns die Herren Snelling und 
Jeffries als Dolmetſcher nicht mehr noͤthig waren, ſo 
kehrten fie wieder zurüf, und nahmen einen Corporal und 
zwei Soldaten als Begleiter mit ſich, erreichten auch ohne 
Unfall ihren Aufenthaltsort. 

Am gten Auguſt verließ Major Long Pembina, 
und erreichte zwei Tage darauf das Fort Douglas, 
deſſen Entfernung von Pembina er auf ein und ſechszig 
engliſche Meilen ſchaͤzte, wo er von Herrn Mackenzie, 
dem erſten Agenten, und einem der Raͤthe der Geſellſchaft, 
aufs Gaſtlichſte empfangen und mit großer Dienſtfertig— 
keit unterftüzt wurde, noch ehe er ihm den Empfehlungs— 
brief vorzeigte, womit ihn der brit iſche Geſandte Can— 
ning verſehen hatte. Wir Andern verließen Pembina 
am 10ten, und berechneten den Weg bis Douglas zu 
Waſſer auf einhundert zwanzig engliſche Meilen. Der 
Lauf des Fluſſes iſt meiſtens noͤrdlich, er hat aber außer— 
ordentliche Kruͤmmungen, ſo daß die weiteſte Ausſicht auf 
demſelben, die wir vor uns hatten, nur ein einziges Mal 
eine engliſche Meile betrug. Die Breite des Fluſſes iſt 
ziemlich gleichfoͤrmig, und beträgt etwa ſiebenzig Yards. 


’ 81 

Die Fahrt aber wurde hie und da durch Untiefen gehin— 
dert, weil der Waſſerſtand eben ſehr niedrig war. Unſer 
Fuͤhrer verſicherte uns, obwohl wir ſtarken Grund haben, 
ſeine Ausſage zu bezweifeln, daß das Waſſer zuweilen 
bis auf vierzig Fuß hoch ſteige und die Wieſen uͤber— 
ſchwemme. Indeß mag er doch wenigſtens in manchen 
Jahrszeiten Waſſer genug haben, daß ein Dampfboot 
darin fahren kann. Eigentliche Strudel gibt es nicht in 
dem Fluſſe. Die Wieſe reicht zuweilen bis ganz an das 
Waſſer heran; meiſtens aber ſind die Ufer mit Wald be— 
dekt, und zwar von funfzig Yards bis auf eine engliſche 
Meile, zunaͤchſt am Fluſſe mit dichten Weiden, weiter 
hinauf mit Platanen, Eſpen, Ulmen, Eichen 
u. ſ. w. Ungefaͤhr ſiebenzig Meilen von Pembina iſt 
eine Salzquelle, die wir beſuchten, weil ohne dies 
eben zum Fruͤhſtuͤk angehalten wurde, und fanden die 
Salicornia herbacea in großer Menge in der Naͤhe wach— 
ſen. In dem weichen Schlamme nahe am Ufer des 
Fluſſes ſahen wir zuweilen Spuren von Rehen, Elen— 
thieren und Bären, am haͤufigſten aber von Woͤl— 
fen. Von Voͤgeln ſahen wir beſonders Enten und 
Tauben in großer Menge, ſo wie auch am Abend die 
Soldaten eine Menge Fiſche vom Geſchlecht des Hyodon 
fingen. Das ganze Ufer war mit Buͤſchen von wilden 
Kirſchen bedekt. 

Das erſte Haus der untern Kolonie liegt etwa zwan— 
zig engliſche Meilen zu Waſſer oberhalb des Forts; aber 
das Land iſt erſt drei engliſche Meilen von der Muͤndung 
des Aſſiniboin ſtark bewohnt. Die Niederlaffung hat 


zwei Forts, das eine, Gerry genannt, gehoͤrt der 
Brauns Skizzen von Amerika. 6 


82 N 
Hudſonsbay-Geſellſchaft, das andre, Douglas, 
iſt ein Eigenthum der Kolonie. Es ſind auch zwei Kir— 
chen darin, eine katholiſche und eine proteſtanti— 
ſche, welche leztere von der Londoner Bibelgeſell— 
ſchaft unterhalten wird, die zugleich die Koſten zu einer 
Freiſchule hergibt. Der katholiſche Geiſtliche fuͤhrt den 
Titel Biſchof, und ſeine Dioͤces erſtrekt ſich von den 
Grenzen der Vereinten-Staaten und den Felſen— 
bergen bis nach Oberkanada. Eine katholiſche 
Schule, welche die Miſſionare hier nach demſelben Plane 
angelegt haben, wie die des Herrn M' Coy am St. 
Joſeph, ſcheint auch ſich deſſelben Fortgangs zu erfreuen. 

Die Bevoͤlkerung belaͤuft ſich auf etwa ſechshun— 
dert Seelen; die Huͤtten der ſchweizeriſchen und 
ſchottiſchen Anſiedler ſehen reinlich und bequem aus. 
Der Akkerbau macht zuſehends Fortſchritte, und ver— 
mehrt das Gedeihen der Kolonie. Der Boden iſt nicht 
fo gut als in Pembina; doch hat man bedeutende Arn— 
ten an Weizen, Gerſte, Hafer und Kartoffeln 
gehabt; nur der Mais ſcheint nicht recht fortzukommen. 
Woran es am meiſten fehlt, iſt Holz, das nur in der 
Naͤhe des Fluſſes waͤchſt. Auch einige Kaufleute und 
Handwerker ſind hier, unter andern ein Lohgerber, 
der recht gutes Buͤffelleder bereitet. Man hat auch einen 
Verſuch gemacht, die Buͤffelwolle zu verarbeiten. 
Aus der groͤbern iſt derbes Tuch verfertigt worden, die 
feinere wird nach England geſchikt. Wir ſahen 
unter andern einen ſchoͤnen dort verfertigten Hut, bei 
welchem ſie die Stelle des Biberhaars erſezt hatte. — 
Es haben ſich mehrere ehemalige Beamte der Kolonie 


83 


hier niedergelaſſen, von denen einige reich fein follen ; 
dieſe werden nebſt der Familie des Gouverneurs, die man 
taͤglich erwartet, ſchon eine kleine Geſellſchaft bilden und 
zur Verfeinerung der Sitten beitragen. Leider hat man 
eine üble Wahl an Koloniſten getroffen; ſtatt gute Ak— 
kersleute kamen eine Menge Handwerker und andere aus 
der Schweiz, namentlich mehrere Uhrmacher, die 
vom Akkerbau gar nichts verſtehen; vor allen aber be— 
dauerten wir einen armen Apotheker, der viele phar— 
maceutiſche und chemiſche Kenntniſſe hatte, und 
nun ſtatt einen botaniſchen Garten anzulegen, wie er 
gehofft, den Pflug handhaben mußte, um Weizen, Kar— 
toffeln u. ſ. w. zu bauen. 

Die Geſchichte des Rothenfluſſes könnte aus 
einer unpartheiiſchen Feder manche nuͤzliche Lehren dar— 
bieten. Zuerſt wurde der Ort von dem Franzoſen Che— 
valier de la Veranderie beſucht, der ein Fort an 
der Muͤndung des Aſſiniboin baute, worauf die 
Franzof en mehrere Jahre dort allein handelten, bis 
ums Jahr 1776 die erſten engliſchen Kaufleute hinka— 
men, und es vor etwa fuͤnfzig Jahren von engliſchen 
und franzoͤſiſchen Kaufleuten beſucht wurde. Bald 
darauf entſtanden ſechs gegen einander feindlich 
geſinnte Geſellſchaften, die nach einiger Zeit vor 
der beruͤhmten Nordweſtgeſellſchaft verſchwanden, 
einer der thaͤtigſten und unternehmendſten Handelsverbin— 
dungen, die es je gab. Damals war der Handel au— 
ßerordentlich eintraͤglich; man konnte ſich faſt in 
einem Winter ein bedeutendes Vermoͤgen erwerben. Als 
ein Beiſpiel von dem, was er noch vor achtzehn Jahren 


84 


war, wollen wir nur das Eine ahführen, daß Desma— 
rias, der Mann, der unfre Canoes vom Fort Dou— 
glas nach dem Obern-See fuͤhrte, einmal zwei Ballen 
Biberhaͤute, aus einhundert zwanzig Stuͤk beſtehend, von 
einem Ur amerikaner kaufte, wofür er ihm zwei Tuͤ— 
cher gab, acht Maaß Rum und einen Taſchenſpiegel. 
Die Geſellſchaft ſchaͤzte dieſe Artikel auf dreißig Dollars, 
ſie waren aber wahrſcheinlich nicht funfzehn werth, und 
die Biberfelle verkaufte er nachher in Montreal fuͤr mehr 
als vierhundert Dollars. Das nannte man ehrlich mit 
den Uramerikanern verfahren. 

Die er ft ® Kolonie wurde im Jahre 1812 angelegt, 
zu welcher Zeit Miles Macdonell, der als Gouver— 
neur angeſtellt ward, ein Fort am Rothenfluſſe 
erbaute. Bald brachen Streitigkeiten zwiſchen den Kolo— 
niſten und Beamten der Nordweſt-Geſellſchaft aus, 
indem dieſe glaubte, die Kolonie ſei angelegt worden, um 
den Vortheil der Hudſonsbay-Geſellſchaft, ihrer 
Nebenbulerin, gegen ſie zu befoͤrdern. Man fuͤrchtete 
ferner, die Kolonie moͤchte die Uramerikaner civiliſi— 
ren und vom Jagen abhalten, und hierdurch ihrem Han— 
del verderblich werden. So wurden denn die Koloniſten 
mit in den Streit verwikkelt; vielleicht waren aber auch 
beide Theile nicht frei von Schuld. Das Ende war, daß 
die Kolonie von einer Partei der Uramerikaner, 
Bois brulés, die man in Verbindung mit der Nord— 
weſt⸗Geſellſchaft glaubte, im Jahre 1815 angegrif— 
fen, und die Einwohner zerſtreut wurden. Sie kebrten 
zwar wieder in ihre Wohnungen zuruͤk, wurden aber im 
Jahre 1816 nach Ermordung ihres Gouverneurs und 


85 


einiger zwanzig Koloniſten abermals vertrieben, worauf 
denn ein foͤrmlicher Bürgerkrieg zwiſchen den Anhängern 
beider Geſellſchaften erfolgte. Ihre Klagen bei der Re— 
gierung wurden Anfangs nicht beachtet; bis endlich das 
übel ſo groß wurde, daß man ihm durch Verbindung 
beider Geſellſchaften unter Bedingungen, die nicht oͤffent— 
lich bekannt wurden, ein Ende machte. Der Nachtheil, 
der dieſer Gegend dadurch erwuchs, wird gewiß in zwan— 
zig Jahren noch nicht verwiſcht ſein; denn der Geiſt der 
Geſezloſigkeit, den die auf beiden Seiten angeworbenen 
Bois brulés - Uramerikaner einfogen, möchte wohl 
nicht ſo leicht wieder zu zaͤhmen ſein. Wir wollen jedoch 
hoffen, daß man die heilſame Lehre, wie nothwenig es 
ſei, Handelsrivalitaͤten im Zaum zu halten, nicht vergeſ— 
ſen werde. 

Die Bedingungen, unter denen die Koloniſten 
hierher kamen, waren vermuthlich ihren Faͤhigkeiten nach 
verſchieden; allen aber wurden große Vortheile in 
Hinſicht des Akkerbaues, ja ſogar eine Unter— 
ſtuͤzung an Vieh, Geraͤthſchaften u. ſ. w. geſtattet. 
Jezt, da die erſten Schwierigkeiten gehoben ſind, wird 
das Land zum Verkauf ausgeboten, Anfangs zu zwei 
Dollars der Akre; da man aber auch dieſen Preis in dem 
gegenwärtigen Zuſtande der Kolonie zu hoch fand, zu 
einem Dollar. Wenn man bedenkt, daß der ganze Han— 
del der Hudſons bay-Geſellſchaft ſich auf zwei 
Schiffe von dreihundert Tonnen jaͤhrlich beſchraͤnkt, welche 
mit Pelzen nach England fahren, und eine vollkommen 
hinreichende Ladung an engliſchen Waaren zuruͤkbringen, 
nicht blos um Pelze zu kaufen, ſondern auch die Beduͤrf— 


86 


niffe der Kaufleute zu befriedigen, fo kann man um fo 
weniger umhin, der Kolonie Gedeihen zu wuͤnſchen, da 
das Steigen oder Sinken jenes Handels fuͤr Englands 
Wohlfahrt gar nicht weſentlich iſt. Der Schaden aber, 
den er Kanada zugefuͤgt, iſt oft und mit Recht be— 
dauert worden; denn er hat gar Manche von dem Akker— 
bau weg zu dem wandernden Leben eines Handelsman— 
nes und zu den ungezuͤgelten Sitten eines Jaͤgers ver— 
leitet. Ferner haben die aus Kanada abgeſchikten jungen 
Leute mehr als irgend ſonſt etwas zur Sittenverderbniß 
der Uramerikaner beigetragen, indem ſie freigebiger 
als alle andere Kaufleute mit geiſtigen Getraͤnken waren. 

Eine der groͤßten Landplagen der Koloniſten waren 
die Heuſchrekken, die faſt ein Jahr ums andere die 
Arnten verwuͤſteten; dies war jedoch nur bei der untern 
Kolonie der Fall; in Pembina gab es keine. An 
Hornvieh ſcheint es ſehr zu fehlen, und man ſah einer 
Lieferung davon mit großem Verlangen entgegen. Ein 
Theil des zuerſt hinuͤbergebrachten ging waͤhrend der Un— 
ruhen verloren, unter andern alle Merinoſchafe Lord 
Selkirk's. Die zahlreichſten unter den Hausthieren 
ſcheinen die Hunde zu ſein. 

Das Fort Gerry liegt am Zuſammenfluß beider 
Stroͤme, Doug las aber eine engliſche Meile weiter un— 
ten. Der Aſſiniboin iſt ein ſchoͤner Fluß, deſſen 
Breite zwar an ſeiner Mündung nicht funfzig Yards 
uͤbertrifft, der jedoch wichtig iſt wegen ſeiner Laͤnge. Man 
gab ihn uns wenigſtens auf fuͤnfhundert engliſche Meilen 
an. Auch ſoll er ſich ein wenig oberhalb des Forts be— 
deutend erweitern. Seit einiger Zeit ſchreibt man ihn 


87 


Oſſiniboin, was auch wahrſcheinlich bleiben wird, 
weil der dem Lord Selkirk abgetretene Strich den offi⸗ 
ciellen Namen Oſſiniboin erhalten hat. 

Es iſt dem Lord Selkirk gar ſehr zum Vorwurf 
gemacht worden, daß er durch den bekannt gemachten 
Plan ſeiner Kolonien abſichtlich die Koloniſten durch rei— 
zende Schilderungen herbeilokken wollte; indeß ſcheinen 
uns dieſe Anklagen keineswegs gerecht. Sein Plan bie— 
tet die Schilderung eines ſchoͤnen Landes dar, und ſtellt 
die Hoffnung ſeines ſanguiniſchen und edeln Gemuͤths 
auf, das er in ſeinem ganzen oͤffentlichen und Privatle— 
ben erwies, nicht blos durch Aufopferung eines bedeuten— 
den Vermoͤgens, ſondern durch Ertragen mancher perſoͤn— 
lichen Ungemaͤchlichkeiten und Gefahren, um ſeine Kolo— 
niſten gegen diejenigen zu beſchuͤzen, die er fuͤr die Ver— 
folger der Kolonie hielt. Auch iſt nicht zu zweifeln, daß 
die Niederlaſſung ſeine Hoffnungen erfuͤllt haͤtte, waͤren 
die Koloniſten nicht in den Streit der Nordweſt-Ge⸗ 
ſellſchaft verwikkelt worden. 

Ein Hauptungemach der Kolonie waren die ſtren— 
gen Winter; in dem von 1822 — 23 war das Mari: 
mum der Kälte 52° (Fahrenheit); doch erſezen die warmen 
Sommer dieſes Übel. Die Menge von wildem Obſt 
hier herum laͤßt uns vermuthen, daß mit einiger Sorg— 
falt recht gute Obſtgaͤrten angelegt werden koͤnnten; der 
ſchon hier befindliche beſteht aus Apfeln, Pflaumen, ver— 
ſchiedenen Arten von Himbeeren u. ſ. w. 

Die Zubereitungen zu unſerer Fahrt hielten uns ei— 
nige Tage hier auf; doch verging uns die Zeit recht an— 
genehm bei der mannichfachen Ausſicht, die ſich von der 


* 88 — 


Hoͤhe, auf welcher das Fort Gerry ſteht, darbietet. 
Große Wieſen, auf denen Kuͤhe graſ'ten, lagen vor 
uns, indeß der Oſſiniboin und Rothefluß ſich zu 
unſern Fuͤßen vereinten; an beiden Ufern des Fluſſes 
ſtanden einzelne Gruppen von uramerikaniſchen 
Wohnungen und einigen europaͤiſchen Zellen. Auf 
dem Fluſſe glitten eine Menge Canoes, entweder von Holz 
oder Birkenrinde, ſchnell vorüber, indeß kan adiſche 
Kaͤrrner auf der andern Seite ihre magern und traͤgen 
Pferde antrieben. 

Naͤhern Beobachtungen zufolge wurde die Lage des 
Forts Gerry auf 49, 337, 35“ N. B. und 97°, 00%, 
50“ W. L. beſtimmt. 

Sonntags am I7ten Auguſt waren unſre Vorberei- 
tungen fertig; wir verließen alſo dieſen Ort, wo wir 
nicht blos von Seiten des Herrn Mackenzie, ſondern 
auch des Gouverneurs, Herrn Kemp, und mehreren Ein: 
wohnern viel Guͤte erfahren hatten. Zu Mittag fuhren 
wir in unſern Canoes den Fluß hinunter. Wir hatten, 
nachdem in Pembina ſich ſechs Gefaͤhrten von uns 
trennten, uns hier wieder durch einen Dolmetſcher der 
Chippewas, einen Steuermann und neun Ruderer 
verſtaͤrkt, von denen fuͤnf Kanadier und vier Bois 
brulés- Indianer waren. Unſre Zahl belief ſich da— 
her auf 29, die in drei Canoes von Rinde vertheilt wa— 
ren. Ungeachtet dieſe faſt alle auf gleiche Weiſe gemacht 
werden, ſind ſie doch nach der Geſchiklichkeit des Er— 
bauers ſehr verſchieden an Schnelligkeit, Schwere und 
Dauer. 


89 


Wir brachten unfre Reife den Rothenfluß hinab 
in 1% Tagen zu Stande; es ſind, mehrere Strudel 
darin, die mehr wegen des ſeichten und felſigen Bodens, 
als wegen des reißenden Waſſers bedeutend ſind. Bei 
den erſten zwoͤlf engliſchen Meilen unterhalb des Forts 
verwandeln ſich die Ufer aus ſumpfigen in kieſige, und 
waren groͤßtentheils mit kleinen Eſpen bewachſen. In 
der Entfernung von achtundzwanzig engliſchen Meilen 
ſahen wir Kalkſtein, den einzigen, den die Koloniſten 
auf der Oberflaͤche gefunden haben. Bei der Inſel, bei 
der wir uns am I7ten Xuguft lagerten, erweiterte ſich 
der Fluß; der oͤſtliche Kanal war nur ſchmal, der weſt— 
liche aber 200 Yards breit. Oberhalb dieſer Inſel waren 
wir ſchon an einer vorbeigefahren, und unterhalb liegen 
noch mehrere, meiſtens mit Eſpen dicht bewachſen; doch 
befinden ſich dieſe alle nahe an ſeiner Mündung. Weiter 
hinauf iſt er ganz frei davon; auch hat er kein eigent— 
liches Thal, ſondern bildet blos eine Art von Abzugsgra— 
ben in der Wieſe. Nach ſeiner Muͤndung zu wird die 
Gegend ein undurchdringlicher Sumpf. Die Gewaͤſſer, 
die ſich von Pembina bis an die Muͤndung des Ro— 
thenfluſſes in denſelben ergießen, ſind am rechten 
Ufer: der Riedgras- und Biſamrattenfluß; zur 
Linken: der Sumpf-, Blei-, Gratiats-, Sali: 
nen⸗, Schlamm-, Oſſiniboin- und Todtenfluß. 
Dieſer lezte hat feinen Namen von dem Umſtande, daß 
vor fuͤnfundvierzig Jahren zweihundert und fuͤnfzig Woh— 
nungen der Chippewaes von den Dacotas an 
demſelben zerſtoͤrt wurden. 


90 


Der Rothefluß hat vier Ausflüffe in den See 
Winnepeek. Dieſer leztere hat ſeinen Namen von der 
trüben Farbe feines Waſſers. Denn We heißt in der 
Sprache der Chippewaes trüb, und nebee Waſſer. 
Nach Nordoſten bildet das Ufer breite, aber nicht ſehr 
hohe Huͤgel, welche mit Nadelhoͤlzern aller Art, als 
Fichten, Wachholder, Cedern u. ſ. w. ſo wie auch 
mit Birken und einer Art Pappeln bewachſen ſind. Un— 
ter den Straͤuchern gibt es viele Roſenbuͤſche, und eine 
zum Miſpelgeſchlecht gehörige dunkelblaue Beere, die an 
Form und Farbe der Heidelbeere gleicht, aber wohlſchmek— 
kender if. Der See Winnepeek iſt etwa zweihundert 
ſiebenzig engliſche Meilen lang; an der breiteſten Stelle 
achtzig, an der ſchmalſten funfzehn breit. Seine Rich— 
tung iſt nordnordweſtlich. Wir fuhren etwa fuͤnfunddrei— 
ßig Meilen an der ſuͤdoͤſtlichen Kuͤſte hin, und behielten 
dabei zur Rechten das Land im Auge, zur Linken aber 
hatten wir eine unuͤberſehbare Waſſerflaͤche. Nach einer 
Fahrt von achtzehn engliſchen Meilen landeten wir an 
einem ſchoͤnen kieſigen Ufer, hinter welchem ſich, wie man 
uns ſagte, ein tiefer unter dem Namen Grand Marais 
bekannter Sumpf erſtrekt. 

Der See Winnepeek ſcheint derselbe zu ſein, den 
fruͤhere Reiſende mit dem Namen See der Aſſinipoils 
bezeichneten. Seine Lage im Mittelpunkt von Amerika 
hat viel Anziehendes; wenig Binnenſeen nehmen ſo viele 
und ſo große Stroͤme auf; durch mehrere derſelben kann 
man nicht blos eine direkte Verbindung mit dem at: 
lantiſchen Meere, ſondern auch mit dem ſtillen 


91 


Meere unterhalten. Wir berechneten die nördliche Breite 


an den Ufern dieſes Sees auf 50°, 41’, 3”. Ehe wir hinein: 


fuhren, kamen wir auch bei zwei kleinen indianiſchen 
Dörfern vorbei, das eine am Todtenfluſſe, das an— 
dere an der Mündung des Rothenfluſſes. 

Am Abend des 20ſten Auguſts lagerten wir uns gleich 
uͤber dem Portage des Chénes, nachdem wir vierzehn 
engliſche Meilen zuruͤkgelegt hatten, und fanden die Breite 
dieſes Plazes 50, 31’, 30“, die Laͤnge 95°, 55°, 5% ' 
Hier zeigte ſich die herrliche Landſchaft des Win nepeek 
zuerſt vor uns in ihrem Glanze, und verwirklichte 


Alles, was man ſich nur von wilder und er— 


habener Schoͤnheit denken kann. Die Hauptzuͤge 


derſelben ſind die ungeheure Waſſermaſſe, die reißende 


Schnelligkeit des Stroms, die große Mannichfaltigkeit in 
den Formen der Cascaden und Faͤlle, und das wild Ro— 
mantiſche der Umgebung derſelben, die durch ihre duͤſtern, 
unveraͤnderlichen und unbeweglichen Zuͤge einen ſchoͤnen 
Kontraſt mit der glatten Silberflaͤche des Waſſers und 
dem brauſenden und ſchaͤumenden Falle bilden. Das fel— 
ſige Bett des Winnepeeks iſt vorzuͤglich die Urſache, 
daß ſeine vielen Faͤlle alle die, die wir geſehen 


hatten, an Schoͤnheit uͤbertreffen; der Fall des 


Niagara, der ſie weit an Umfange uͤbertrifft, iſt ein— 
foͤrmig in Vergleich mit ihnen. Die Faͤlle dieſes Fluſſes 
haben noch einen Vorzug, daß naͤmlich das ganze Land 


*) Wie vortheilhaft wird dieſe Entdekkung auf die Kultur und das 
Emporkommen der nordamerikaniſchen Binnenlaͤnder wirken! 
* 


92 


ein maleriſches Anſehen hat, wodurch der Geiſt vorberei— 
tet und in gehoͤriger Spannung erhalten wird, um das 
Herrliche der Faͤlle zu wuͤrdigen, indeß die Gegend um 
den Niagara flach, einfoͤrmig und ohne Intereſſe iſt. 
Die Felſen am Winnepeek beſtehen bald aus 
Gneis und Glimmerſchiefer, dann wieder aus dun— 
kelm oder roͤthlichem Granit mit Adern von Feldſpath, 
ſo das hier das ſchoͤne geſtreifte Anſehn, welches einigen 
von den Marmorarten Italiens ihre wohlverdiente 
Beruͤhmtheit verſchafft hat, in einem gigantiſchen Maaß— 
ſtabe ſich zeigt. Unſer Lagerplaz zeichnete ſich noch durch 
eine jener beſondern Wirkungen des Waſſers aus, die 
einmal geſehen, einen unausloͤſchlichen Eindruk zuruͤklaſ— 
ſen. Nachdem das Waſſer naͤmlich uͤber mehrere Felſen 
gefloſſen, und verſchiedene Faͤlle gebildet, deren ganze Hoͤhe 
zuſammen genommen etwa dreißig Fuß betraͤgt, gelangt 
es ploͤzlich in ein von Felſen eingeſchloſſenes Bekken, wo 
es wegen der ſchmalen Offnung, durch die es wieder hin— 
ausfließt, lange bleiben muß. Es bietet daher den Cha— 
rakter eines aufgeregten Meeres dar, deſſen Wellen ſich 
hoch erheben und an die anſtoßenden Ufer und Felſenin— 
ſeln in der Mitte dieſes Bekkens ſchlagen, weshalb auch 
der Ort von den Eingebornen der Fall des wogen— 
den Waſſers genannt wird. Wir kamen zeitig genug 
an, um den herrlichen Wiederſchein der untergehenden 
Sonne auf dem Waſſer zu ſehen, wodurch es einem auf— 
geregten Feuermeer glich. Bald trat der Mond an die 
Stelle, und erhoͤhte den Reiz der Landſchaft durch ſein 
mildes Licht auf den Wellen, und den melancholiſchen An— 


93 


| ſtrich, den er dem Ganzem verlieh. Eine der intereſſan— 


teſten Eigenthuͤmlichkeiten dieſer Faͤlle iſt das furchtbare 
Geraͤuſch, das ſie erregen, und das im Verhaͤltniß ihrer 
Groͤße das des Niagara und anderer beruͤhmten Faͤlle, 
die irgend Einer von unſerer Geſellſchaft geſehen hatte, 
bei weitem übertrifft Y. 


*) Man vergleiche mit Obigem: Nik. Rud. Wyß Reiſe eines 
Schweizers nach dem Rothenfluſſe in Nordamerika, dortiger 
Aufenthalt und Ruͤkkehr ins Vaterland. Bern 1825. Eine ſehr 
leſenswerthe Schrift. f 


VI. 
ne en 
Reiſen zu den Kuͤſten des Polarmeers, 
oder 


deſſen Landerpeditionen nach dem Nordpol. 


Aus dem Engliſchen. 


Reiſen ſind eine der Quellen, aus denen die Geſchichte 
ſchoͤpft. Die Geſchichte fremder Voͤlker reiht ſich 
durch die Erzaͤhlung der Reiſenden an die einzelne 

1 jedes Landes an. 
Chateaubriand. 

Eine zuſammenhaͤngende Erzaͤhlung von Franklin's 

merkwuͤrdiger Unternehmung wird dem denkenden deut— 

ſchen Reiſenden und Auswanderer auf ſeiner Reiſe deſto 
willkommener ſein, da die Ergebniſſe derſelben auf die 

Entſcheidung der, durch Parry's abermals (1829) anzu: 

tretenden Reiſe, wieder in Anregung gekommenen Frage 

von der Wahrſcheinlichkeit einer nordweſtlichen Durch— 
fahrt, ſo viel Einfluß haben. Das von dem unerſchrok— 
kenen Franklin auf Befehl des britiſchen Seeminiſters 
herausgegebene Werk Y, gibt uns viele neue Aufſchluͤſſe 
uͤber die Erdkunde, und Niemand kann es ohne den leb— 


*) Franklin’s Narrative of a journey to the shores of the 
Polar Sea in the years 1819, 1820, 1821 and 1822. London 
1823. 


9 
hafteſten Antheil leſen. Die ungekuͤnſtelte Schreibart des 
Seemanns iſt nicht das geringſte Verdienſt deſſelben, und 
die Erlaͤuterungen und Verſchoͤnerungen, die eine Menge 
trefflicher Kupfer nach den Zeichnungen der beiden Rei— 
ſegefaͤhrten, Hood und Back, darbieten, erinnern an 
die alten Zeiten von Cook und Vancouver. Sie be— 
ſtehen aus Anſichten von Gegenden, aus Abbildungen 
der Eingebornen und naturgeſchichtlicher Gegenſtaͤnde, 
und gehoͤren nicht zu den Steindrukſudeleien, wie man 
ſie ſo haͤufig in neuern Reiſewerken findet, ſondern ſind 
meiſt von dem vielverſprechenden jungen Kuͤnſtler Fin— 
den in Linienmanier ſehr ſchoͤn ausgefuͤhrt, und machen 
dieſes Werk zu einem der praͤchtigſten, das England 
neuerlich geliefert hat. Die Erzaͤhlung liefert neue Be— 
weiſe des Eifers und der Kraft britiſcher Seeleute, 
jener kalten Unerſchrokkenheit, die ſie ſelbſt in den bedenk— 
lichſten Umſtaͤnden nicht verlaͤßt, jener unerſchuͤtterlichen 
Beharrung in den ſchwierigſten Lagen, wo alle Hoffnung 
verloren ſchien. Einen ſchoͤnen Beweis des Sieges gei— 
ſtiger und ſittlicher Kraft uͤber rohe koͤrperliche Staͤrke 
liefert die Thatſache, daß von funfzehn Perſonen, die 
ſeit ihrer Kindheit an Kaͤlte, Beſchwerden und Hunger 
gewoͤhnt waren, nicht weniger als zehn von jenen gehaͤuf— 


ten Übeln, woran fie gewöhnt waren, ſo erdruͤkt wurden, 


N 
ö 


| 


daß fie fich der Gleichguͤltigkeit, der Zuchtloſigkeit und 
Verzweiflung hingaben, und endlich ſtarben, waͤhrend von 
fuͤnf engliſchen Seeleuten, die an die Strenge des 
Klima's und deſſen Beſchwerden nicht gewoͤhnt waren, 
nur Einer erlag, der doch nur durch die Hand eines 


Moͤrders fiel. Ein leichtes und froͤhliches Herz, Vertrauen 


auf eigne Kraft, feſte Zuverſicht auf die Vorſehung ver⸗ 
ließen ſie nie, bewahrten ſie vor Verzweiflung, und fuͤhr— 
ten ſie gluͤklich durch eine Reihe von Truͤbſalen, wie * 
vielleicht nie von Menſchen erduldet worden. | 
Es iſt bekannt, daß die engliſche Regierung zu 
derſelben Zeit, als ſie den wakkern Parry den Auftrag 
gab, die Durchfahrt durch das Polarmeer ins ſtille 
Meer zu erforſchen, glaubte, es werde fuͤr die Unter— 
nehmung jenes unerſchrokkenen Seemannes erſprießlich 
und fuͤr die Erdkunde foͤrderlich ſein, die eigentliche Lage 
der Muͤndung des Kupferfluſſes und die Richtung 
der Kuͤſten des Polarmeers oͤſtlich von jenen zu be— 
ſtimmen. In dieſer Abſicht waͤhlte ſie den damaligen 
Lieutenant (jezt Kapitain) Franklin zum Anfuͤhrer, 
und gab ihm den naturkundigen Dr. Richardſon als 
Schiffswundarzt, die erwaͤhnten kunſtfertigen Maͤnner, 
Hood und Back, zwei Unterſteuermaͤnner, und zwei 
ruͤſtige Matroſen zu Begleitern. Dieſe Reiſegeſellſchaft 
ſchiffte ſich auf dem, der Hudſonsbay-Geſellſchaft 
gehörigen Schiffe, der Prinz von Walis, am 23ſten 
Mai 1819 ein, und kam am Zten Junius nach Strom— 
neß, wo vier Bootsleute angenommen wurden, die in 
der Fahrt auf den amerikaniſchen Fluͤſſen Beiſtand 
leiſten ſollten. Die Gefahr, an den felſigen Kuͤſten der 
Inſel Reſolution zu ſcheitern, wurde gluͤklich uͤberwun— 
den, und am 30ſten Auguſt langten die Reiſenden in der 
Faktorei Vork auf der Kuͤſte der Hudſonsbay an. 
Hier wurden die noͤthigen Vorbereitungen zu der langen 
Reiſe getroffen. Der Vorſteher der Hud ſonsbay— 
Geſellſchaft verſah die Reiſenden mit einem Boote 


97 


und reichlichen Vorraͤthen und ſchikte Umlaufſchreiben an 
alle Niederlaſſungen der Geſellſchaft voraus, mit der Wei— 
ſung, die Seefahrer mit allen Beduͤrfniſſen zu verſehen, 
und ihnen die zur Ausfuͤhrung ihres Unternehmens dien— 


lichen Nachrichten mitzutheilen. Die Reiſe ins Bin— 


nenland ging vom Fort York aus, wo Franklin 
am 9ten September 1819 ſich einſchiffte. Am 22. Okto⸗ 
ber kam er in Cumberland-houſe an, das zu Waſ— 
ſer ſechshundert neunzig engliſche Meilen von jenem Punkte 
entfernt iſt. Franklin beſchloß, ungeachtet der ſpaͤten 
Jahrszeit, nicht hier zu bleiben, ſondern die lange und 
gefahrvolle Reiſe von mehreren hundert Meilen bis zum 
Fort Chipeywan, am weſtlichen Ende des See's Athe— 


basca, anzutreten, wo er durch ſeine Gegenwart die 


Verzoͤgerung der noͤthigen Vorbereitungen zur weitern 
Fahrt zu verhuͤten hoffte. In dieſer Abſicht nahm er 
am 18ten Januar 1820 Abſchied von Richardſon und 
Hood, die im Frühjahr mit dem Gepaͤkke nachkommen 
ſollten, und kam, von Back begleitet, nach einer Reiſe 
von achthundert ſiebenundfunfzig Meilen, mitten im Win: 
ter, wo das Thermometer oft bis vierzig und zuweilen 


fünfzig Grad unter dem Nullpunkt fiel, am 26ften März 
gluͤklich in Chipeywan an. Eine Winterreiſe laͤßt ſich 


nur in Schlitten, die von Hunden gezogen werden, oder 
auf Schneeſchuhen zuruͤklegen. Die Anſiedler bedekken den 
Schlitten mit Leder, um den untern Theil des Leibes zu 
fhüzen. Jeder Reiſende verſieht fi mit Schneeſchuhen, 
einer Bettdekke, einem Beile, Feuerzeug, und gewoͤhnlich 
auch mit Feuergewehr. Im Schlitten traͤgt er einen 


weiten Mantel von Fellen mit einer Kappe, eine Pelz: 
Brauns Skizzen von Amerika. 5 


98 


muͤze, lederne Beinkleider und indianiſche Strümpfe und 
Schuhe. Drei Hunde ziehen eine Laſt von 300 Pfund, 
ohne den Schlitten, täglich fünfzehn engliſche Meilen ) 
weit, wenn der Schnee hart gefroren iſt. Das Gehen in 
Schneeſchuhen vecurfaht dem Unerfahrnen furchtbare 
Schmerzen, wie man ſich denken kann, wenn man weiß, 
daß der Wanderer eine Laſt von zwei bis drei Pfund 
unaufhoͤrlich an aufgeriebenen Fuͤßen und geſchwollenen 
Knoͤcheln zu tragen hat. „Das Elend — ſagt Hood — 
das auf der erſten Reiſe erduldet wurde, war ſo groß, 
daß nichts den Wanderer bewegen konnte, eine zweite 
Reiſe zu unternehmen, ſo lange ſeine Schmerzen waͤhrten. 
Er ſchleppt eine ſchmerzende Laſt an ſeinen Fuͤßen, und 
ſeine Fußſtapfen ſind mit Blut bezeichnet. Die blendende 
Schneeflaͤche ringsumher bietet dem Auge keinen Ruhe— 
punkt dar, und nichts, was die Aufmerkſamkeit von ſei— 
nen ſchmerzlichen Gefuͤhlen ablenken koͤnnte. Vom Schlafe 
erwachend, fuͤhlt er ſich halb erſtorben, bis der Schmerz 
ſeiner Wunden ihn wieder belebt.“ 

Bei der Ankunft im Nachtlager iſt das erſte Ge— 
ſchaͤft des Kanadiers, den Schnee wegzuſchaffen, und 
den Boden mit Fichtenzweigen zu bedekken, worauf der 
Reiſende ſeine Bettdekke, Felle, Maͤntel und Kleider brei— 
tet. Iſt die Schlafſtaͤtte bereitet, ſo werden Leute ausge— 
ſandt, um Holz zum naͤchtlichen Heerdfeuer zu ſammeln. 
Brennt die waͤrmende Flamme, ſo werden die Schlitten 
abgeladen, die Hunde des Geſchirrs entlaſtet, und die Le— 
bensmittel an Baͤumen aufgehangen, wo ſie den Raub— 


*) Oder ungefähr drei deutſche Meilen. 


99 


thieren nicht zugänglich find. Das Abendeſſen wird nun 
bereitet, und die Kanadier unterhalten fich damit, ihre 
fruͤhern Abenteuer zu erzählen, oder zu beſingen. Sie la 
gern ſich dann um das Feuer in der Mitte, dem ſie 
ihre Fuͤße zukehren; die Hunde kriechen zwiſchen ſie, wo 
ſie eine Luͤkke finden, Waͤrme empfangend und mitthei— 
lend, und die Reiſenden genießen eine erquikkende Ruhe, 
„obgleich nur der freie Himmel fie bedekt, und das Ther— 
mometer oft tief unter dem Nullpunkt ſteht. 

Auf ſolchen Reiſen iſt weniger zu befuͤrchten, durch 
ſtrenge Kaͤlte, als aus Mangel an Nahrung umzukom— 
men. Die Beamten der Nordw eſt⸗Geſellſchaft find 
oft genoͤthigt, die indianiſchen Jaͤger aufzuſuchen, um ſich 
mit Pelzwerk zu verſehen. Es entſtehen Windwehen; 
ſie verlieren jede Spur, verirren ſich, und oft bleibt 
ihnen weiter nichts uͤbrig, als ihre Hunde zu toͤdten, um 
nicht Hungers zu ſterben. Selbſt die Indianer muͤſſen 
oft dies Nothmittel ergreifen, und erliegen ſogar dem 
Hunger. Es ſcheint, als ob die Wilden jene zahlreichen 
Heerden von Muſethieren, Rennthieren und Bi— 
ſons zerſtoͤrt oder verjagt haͤtten, die einſt ſo haͤufig in 
den Ebenen waren, uͤber welche der Weg der Reiſenden 
ging. Sie ſahen deren nur ſehr wenige, und es gibt 
auch ſo wenig pelztragende Thiere, daß man auf der gan— 
zen Reiſe zum Polarmeer und auf dem Ruͤkwege nur 
einen einzigen Biber bau fand. | 

Waͤhrend Franklin und Back ihre Schlittenfahrt 
zuruͤklegten, waren Richardſon und Hood in Cu m- 
berland⸗houſe nicht müßig. Der Eine ſammelte na— 
turgeſchichtliche Gegenſtaͤnde, der Andere machte Streife— 


100 


reien ins Gebiet der Indianer, nahm Theil an ihren 
Jagden, und zeichnete, was ihm merkwuͤrdig war. Die 
Indianer, die Crees (von den franzoͤſiſchen Kanadiern 
Kriſteneaux) genannt werden, wohnen auf einem Ge: 
biete von 20,000 Quadratmeilen, find aber bis auf 500 
geſchmolzen, und dieſer einſt ſo wichtige Volksſtamm 
wird vielleicht in Kurzem von der Erde verſchwunden 
ſein. Keuchhuſten und Maſern richten furchtbare 
Verheerungen unter den Kindern an; der Brannt— 
wein, den die Niederlaſſungen der Handelsgeſellſchaft 
liefern, ungewiſſer Unterhalt und Hunger zerſtoͤ— 
ren die Erwachſenen. Sie ſind die Opfer des Aberglau— 
bens, und laſſen ſich freiwillig von den Liſtigern betruͤgen, 
welche ihre Einfalt durch Beſchwoͤrungen hintergehen, 
und durch eine Trommel, eine Klapper und eine 
Schwizſtube übel abzuwenden, und Krankheiten zu 
heilen vorgeben. Die Crees ſind freundlich und gaſt— 
frei, ſo lange ſie etwas mit Freunden oder Fremden zu 
theilen haben. Wenn der Winter kommt, wenn vierfuͤ— 
ßige Thiere und Voͤgel ſuͤdwaͤrts ziehen, Seen und Fluͤſſe 
gefroren ſind, fehlt es ihnen an Lebensmitteln, und ſie 
kommen dann gewoͤhnlich zu den Niederlaſſungen der Ge— 
ſellſchaft, um ſich die Beduͤrfniſſe zu verſchaffen, wo— 
mit ſie ſich fuͤr die Zeit der Noth zu verſorgen unterlaſſen 
haben. Viele zoͤgern ſo lange, bis ſie nicht mehr im 
Stande find, jene Niederlaſſungen zu erreichen, und wer— 
den Opfer aller Schrekniſſe des Hungertodes. Nicht ſel— 
ten ereignet ſich's, daß ſie ſich von den Koͤrpern ihrer An— 
gehoͤrigen naͤhren, um dem Hungertode zu entgehen. 
Richardſon gibt uns folgende Nachricht von einem 


101 


Greigniffe, wovon er Zeuge war. „Eines Abends, zu 
Anfang des Januar, kam ein armer Indianer in 
die Niederlaſſung, mit ſeinem einzigen Kinde auf dem 
Arme und begleitet von ſeinem verhungerten Weibe. 
Sie waren, von andern Wilden getrennt, auf die Jagd 
gegangen, aber ungluͤklich geweſen, und waͤhrend ſie Man— 
gel litten, von der Seuche ergriffen worden. Ein In— 
dianer iſt des Hungerns gewohnt, und es iſt nicht leicht, 
eine Erzaͤhlung ſeiner Leiden von ihm zu erhalten. Die 
Geſchichte des armen Mannes war ſehr kurz. Sobald das 
Fieber nachließ, ging er mit ſeinem Weibe nach Cum— 
berland-houſe, nachdem er ſich dahin gebracht geſe— 
hen hatte, die Überreſte von Haͤuten, und Abfaͤlle von 
geſchlachtetem Vieh zu eſſen, die ſie in der Naͤhe ihres 
Lagers fanden. Selbſt dieſe elende Nahrung war bald 
erſchoͤpft, und ſie wanderten einige Tage umher, ohne 
etwas zu genießen, aber ſie ſtrengten ſich uͤber ihre Kraͤfte 
an, um das Leben ihres Kindes zu retten. Es ſtarb, 
als ſie dem Hauſe nahe waren. Man empfing ſie hier 
mit menſchenfreundlicher Theilnahme, und reichte ihnen 
ſogleich Nahrung, aber keine Sprache vermag es zu bes 
ſchreiben, wie der ungluͤkliche Vater den Biſſen vom 
Munde ſtieß, und den Verluſt ſeines Kindes beklagte.“ 
Zu Anfang des Frühlings folgten Richardſon 
und Hood ihren Reiſegefaͤhrten. Die Ruͤkkehr dieſer 
Jahrszeit iſt, wie man leicht denken kann, eine Zeit der 
Freude, und die Zeichen ihrer Annaͤherung ſind unzwei— 
deutig. Um die Mitte des Ap rils verkuͤndigen Schaa— 
ren von Gaͤnſen, Enten und Schwaͤnen, die aus 
Suͤden kommen, das Aufbrechen des Eiſes. Es fallen 


102 


Regenſchauer, und der geſchmolzene Schnee überfluthet das 
Land. In wenigen Tagen iſt das hoͤher liegende Land 
troffen, und mit den duftenden Kindern des jungen Jah— 
res bedekt. Nichts iſt angenehmer, als die ſchnelle Ver— 
aͤnderung, die im Laufe weniger Tage eintritt. Kaum 
iſt der Schnee verſchwunden, ſo ſind die Baͤume dicht 
belaubt, die Geſtraͤuche oͤffnen ihre Knospen und ſchmuͤk— 
ken ſich mit bunten Bluͤthen. Dazu kommen aber auch 
manche Unannehmlichkeiten. Wolken von großen Mus— 
kitofliegen brechen ploͤzlich hervor und quaͤlen den 
Reiſenden aͤrger als ſelbſt in den tropiſchen Laͤndern. Um 
ſich Ruhe zu verſchaffen, verbrannten die Reiſenden zu— 
weilen Holz in dem verſchloſſenen Zelte, oder zuͤndeten 
Pulver an. Aber auch dieſes Mittel war unwirkſam, 
ſelbſt wenn man es auf die Gefahr, im Rauche zu erſtik— 
ken, gebrauchte. Die Fliegen krochen unter die Bettdek— 
ken, und quaͤlten die Reiſenden mit ihren Stichen. Die 
Muskitofliege naͤhrt ſich von Blut. Sie kann es ſelbſt 
aus der Haut eines Buͤffels ziehen, und wenn ſie nicht 
geſtoͤrt wird, ſaugt ſie ſich ſo voll, daß ſie zu einer 
durchſichtigen Kugel aufſchwillt. Die Wunde ſchwillt 
nicht, wie der Stich der afrikanſchen Muskitofliege, 
iſt aber unendlich ſchmerzhafter. Zu dieſer furchtbaren 
Plage, gegen welches es keine Schuzwehr gibt, kommen 
noch die Angriffe der Pferdeflie ge, die, wie Hood 
verſichert, bei jedem Stich ein Stuͤk Fleiſch wegnimmt. 
Man hat Urſache zu glauben, daß die Muskitos, die zu 
Anfang des Fruͤhlings voͤllig ausgewachſen erſcheinen, 
nicht Erzeugniſſe dieſer Jahrszeit ſind, ſondern im ge— 
frornen Zuſtande uͤberwintert haben, was auch bei andern 


103 


Inſekten der Fall if. So fand Ellis eine gefrorene 
torfartige Maſſe, woraus beim Aufthauen ein Schwarm 
Muskitofliegen kam. Hearne ſah hartgefrorene Spinnen 
am Feuer wieder aufleben. Man hat dieſe Angaben be: 
zweifeln wollen; Verſuche haben bewieſen, das Schnekken, 
Froͤſche und andere Thiere durch kuͤnſtliche Kaͤlte bis auf 
einen gewiſſen Grad gefrieren, und doch wieder aufleben 
koͤnnen. Durch aͤhnliche Verſuche, die man im vorigen 
Winter in England machte, ſoll man gefunden haben, 
daß Froͤſche wieder auflebten, ſelbſt wenn das Herz gefro— 
ren war; ſobald aber der Froſt das Gehirn angegriffen 
hatte, blieb das Leben erloſchen, und das Thier konnte 
eben ſo wenig durch Waͤrme wieder belebt werden, als 
der Gal vanismus eine Wirkung zeigte. Es iſt jedoch 
zu bemerken, daß man den Froſch aus der Erſtarrung 
erwekte, um den Verſuch zu machen, und daß er nicht 
in dem Winterlager, das er ſich bei voller Lebenskraft 
ſelbſt gewaͤhlt hatte, zum Frieren kam. Auch Hood be— 
ſtaͤtigt dieſen Umſtand. Er ſagt, man habe haͤufig ge— 
frorne Froͤſche durch Waͤrme ins Leben zuruͤkkehren ſehen, 
und unmoͤglich haͤtte die Menge von Froͤſchen, die gleich 
nach dem Eintritte der Fruͤhlingswaͤrme ihre Toͤne haͤtten 
hoͤren laſſen, in zwei oder drei Tagen zum vollen Wachs— 
thum gelangen koͤnnen. Franklin ſah Fiſche, ſobald 
ſie aus dem Neze genommen wurden, gefrieren und in 
kurzer Zeit zu einer harten Eismaſſe werden, die man 
mit einem Beile leicht ſpalten konnte. Brachte man ſie 
in dieſem gefrorenen Zuſtande ans Feuer, ſo wurden ſie 
bald wieder belebt, was beſonders bei Karpfen der 
Fall war. 


104 


Als ſich die ganze Reiſegeſellſchaft mit ihren In⸗ 
dianern in Chipeywan verſammelt hatte, ſteuerte 
man am 18ten Julius nordwaͤrts, in der Hoffnung, 
vor Ablauf der guͤnſtigen Jahrszeit das Winterquartier 
an der Muͤndung des Kupferfluſſes zu erreichen, 
und gleich zu Anfang des kuͤnftigen Fruͤhlings im Stande 
zu ſein, die Kuͤſte des Polarmeers in oͤſtlicher 
Richtung zu erforſchen. Es entſtanden aber ſo große 
Schwierigkeiten aus der Unzulaͤnglichkeit der Lebensmittel, 
und aus den Hinderniſſen der Schiffahrt bei zahlreichen 
Fluͤſſen und Seen, wo es bald Stromſchnellen, bald Untie— 
fen gab, und haͤufig Boͤte und Gepaͤk getragen werden 
mußte, daß man nur ſehr langfam reifen konnte. Erſt 
am 20ſten Auguſt erreichte man den Ort, wo man eine 
Winterhuͤtte baute, gegen fuͤnfhundert funfzig engliſche 
Meilen von Chipeywan entfernt. Je weiter unſre 
Reiſenden nordwaͤrts kamen, deſto haͤufiger kamen ſie 
in die Nothwendigkeit, ihre Boͤte zu tragen, und ihre 
Leiden wurden dadurch bei dem Mangel an hinlänglicher 
Nahrung erſchwert. Nicht ſelten geſchah es, daß man 
an einem Tage fuͤnf- bis ſechsmal die Fahrzeuge laden 
und ausladen, und ſie nebſt dem Gepaͤk tragen mußte. 
Kein Wunder daher, daß die Kanadier, die in den 
Niederlaſſungen der Geſellſchaft gaͤnzlich von Fleiſchſpei— 
fen leben, wovon jeder taͤglich acht (2) Pfund erhält, 
endlich muthlos wurden, und Unzufriedenheit und Unge— 
horſam verriethen, als ſie ſich mit einer taͤglichen Mahl— 
zeit von wenigen Unzen Fiſch oder Rehfleiſch begnuͤ— 
gen mußten, und zuweilen auch gar keine Nahrung ſich 
verſchaffen konnten. Ihr Ungehorfam war jedoch nur 


105 


4 vorübergehend, und ſcheint mit der ee 5 
aufgehoͤrt zu haben. 


Franklin mußte den Vorſaz, vor Anfang des 


| Winters die Mündung des Kupferfluſſes zu er 


reichen, aufgeben, weil ſchon am 25ſten Auguſt die 


kleinen Gewaͤſſer mit Eis bedekt waren, und die Gaͤnſe 


ſchon ſuͤdwaͤrts zogen. Der Anfuͤhrer der Kanadier 


erklaͤrte, daß die Unternehmung unbeſonnen und gefaͤhr— 


lich ſei, und er bei ſo offenbarer Lebensgefahr weder mit— 
gehen, noch ſeinen Leuten mitzureiſen erlauben wuͤrde. 
Die Reiſenden mußten ſich daher begnuͤgen, den Ur⸗ 
ſprung des Kupferfluſſes im Point Lake, etwa 
ſechszig Meilen noͤrdlich, zu beſuchen, um deſſen Lage ken— 
nen zu lernen. | 
Die Kanadier waren indeß beſchaͤftigt, eine Win- 


terwohnung zu bauen, der man den Namen Fort En- 


ter prize (Unternehmung) gab. Sie lag auf einer An: 
hoͤhe am Ufer eines Fluſſes, und unweit eines See's, um— 
geben von vielen anſehnlichen Baͤumen, worunter es drei— 


ßig bis vierzig Fuß hohe Fichten gab, die uͤber zer Wur⸗ 
zel zwei Fuß im Durchmeſſer hatten. Auch die Ufer 


des Fluſſes, den man Winterfluß nannte waren mit 
ſolchen Bäumen beſezt, und mit üppig wachfenden Moos 
ſen, Flechten und Strauchwerk bedekt. Die Wohnung 
lag unter 64° 28“ der Breite und 113° weſtlicher Länge; 
die lezte Niederlaſſung der Nor dweſt-Geſellſchaft, 
Fort Providence, liegt unter 62 23“ N. B. und 
114 9“ W. L. 

Alles war nun beſchaͤftigt, Lebensmittel fuͤr den Win⸗ 
ter zu ſammeln. Dieſe beſtanden meiſt in Rennthier⸗ 


106 


fleiſch, das theils gefroren war, theils aber durch Feuer 
und Sonne gedoͤrrt, dann mit Steinen zerſtoßen und mit 
Fett oder Talg zu einem Teige geknetet wurde, den man 
in Nordamerika Pemmikan nennt. Zum Gluͤk 
war die Umgegend reich an Rennthieren, die man 
in Heerden von zehn bis hundert findet. Franklin 
ſah deren einſt an einem Tage gegen zweitauſend. Ehe 
dieſe Thiere ſuͤdwaͤrts wanderten, um mildere Gegenden 
zu ſuchen, ſchoſſen die Jaͤger gegen einhundert achtzig, 
die getrofnet wurden, wozu noch gegen tauſend Weiß— 
fiſche kamen. Dieſe Vorraͤthe waren jedoch kaum hin— 
reichend fuͤr den Winterbedarf der Reiſenden, da ſich bei 
Annäherung der ſtrengen Jahrszeit viele Indianer 
mit ihren Angehoͤrigen zu ihnen geſellten. 

Dies war nicht das Schlimmſte. Auch die uͤbrigen 
Vorraͤthe waren erſchoͤpft, und die Sendung von Bett— 
dekken, Tabak und anderen Nothwendigkeiten, die aus 
den ſuͤdlicheren Niederlaſſungen kommen ſollte, blieb aus. 
Unter dieſen Umſtaͤnden erbot ſich Back nach Fort Pro— 
videnee, und im Nothfall nach Chipeywan zuruͤkzu— 
kehren, um die Bedürfniffe herbeizuſchaffen, die zur Fort— 
ſezung der Reiſe unentbehrlich waren. Er brach am 18ten 
Oktober auf, begleitet von einem Schreiber der Nord— 
weſt⸗Geſellſchaft, zwei Kanadiern und zwei In— 
dianern mit ihren Weibern. Dieſe Fußwanderung mit— 
ten im Winter bis Chipeywan, und zuruͤk nach En— 
terprice, wo Back am 27ſten Maͤrz des folgenden 
Jahres wieder ankam, gehoͤrt zu den merkwuͤrdigſten Bei— 
ſpielen von Anſtrengung und Ausdauer, welche dieſe Un— 
ternehmung darbietet. Er hatte waͤhrend jener Zeit einen 


107 


Weg von eilfhundert vier englifchen Meilen Y mit Schnee: 
ſchuhen zurüfgelegt, und des Nachts in den Wäldern 
keine Bedekkung gehabt, als eine Bettdekke und eine Renn— 
thierhaut, während das Thermometer oft auf 409 und 
einmal auf 57° unter dem Nullpunkt ſtand, und zuweilen 
zwei bis drei Tage ohne Nahrung zugebracht werden muß— 
ten. Ohne dieſe heldenmuͤthige Anſtrengung aber waͤren 
die Reiſenden nicht im Stande geweſen, ihr Winterlager 
zu verlaſſen. Back's Reiſegefaͤhrten hatten hier indeſſen 
eben ſo viel, wenigſtens von der ſtrengen Kaͤlte zu leiden. 
Im December ſtand das Thermometer nie hoͤher als 
6° über Null, und fiel einmal bis auf 577. Die Luft 
war bei dieſer heftigen Kaͤlte gewoͤhnlich ſtill, und die 
Holzhauer gingen ohne befondere Schuzmittel gegen die 
Kaͤlte ihren Beſchaͤftigungen nach, ohne Nachtheile zu fuͤh— 
len. Sie trugen ihren Kittel von Rennthierfellen, lederne 
Handſchuhe mit Leinwand gefuͤttert, und Pelzmuͤzen, aber 
das Geſicht zu verwahren fanden ſie nicht noͤthig. Die 
Meiſten, die vor Kaͤlte umkamen, wurden Opfer der 
Jahrszeit, weil ſie an einem See, oder an einem andern 
unbeſchuͤzten Orte vom Sturmwind uͤberfallen wurden. 
Die Kaͤlte war jedoch in anderer Hinſicht deſto nachthei— 
liger. Die Baͤume gefroren bis zur innerſten Rinde, 
und wurden ſo ſteinhart, daß man ſie nur mit Muͤhe 
faͤllen konnte. Taͤglich zerbrach man Beile, und zu Ende 
des Decembers war nur noch ein einziges zum Faͤllen 
uͤbrig, und das man daher einem Zimmermann anver— 


1 


*) Ungefähr zweihundert zwanzig deutſche Meilen. 


108 


traute, und auf dieſe Weiſe erhielt, bis die Reiſegefaͤhrten 
neue Vorraͤthe brachten. 
Back brachte zwei eskimoiſche Dolmetſcher mit, 
die er in Fort Providence gefunden hatte. Sie hie— 
ßen Tattaniaeuck (Bauch) und Haͤoutaͤrock (Ohr), 
wurden aber gewoͤhnlich Aug uſt und Junius genannt. 
Gleich nach ihrer Ankunft in Enterprize fingen ſie 
an, ein Schneehaus zu ihrer Wohnung zu bauen, 
das nach ihrer Behauptung waͤrmer und bequemer, als 
das bereits erbaute hölzerne Haus war. Franklin's 
Beſchreibung dieſes ſonderbaren Gebaͤudes erinnert an ſo 
viele gelehrte Unterſuchungen uͤber den Urſprung und die 
Erfindung des Gewoͤlbes, und veranlaßte zu der Frage, 
wie dieſes rohe, in dieſes Gebiet des ewigen Eiſes und 
Schnee's eingeſchloſſene Volk, zu den Grundſaͤzen ge— 
kommen ſei, worauf der Bau nicht nur des Gewoͤlbes, 
ſondern ſelbſt der Kuppel, des ſchwierigſten Gewoͤlbes, 
beruht. „Die Winterwohnungen der Eskimoer 
— erzaͤhlt Franklin — ſind von Schnee, und nach 
dem Gebaͤude, das Au guſt errichtete, zu urtheilen, ſehr 
bequem. Als er einen Plaz am Fluſſe ausgeſucht hatte, 
wo der Schnee gegen zwei Fuß hoch lag, und hinlaͤng— 
lich feſt war, zog er zuerſt einen Kreis von zwoͤlf Fuß 
im Durchmeſſer. Der Schnee im Innern dieſes Kreiſes 
ward alsdann mit einem breiten Meſſer in drei Fuß 
lange, ſechs Zoll breite Stuͤkke zertheilt. Dieſe Stuͤkke 
waren feſt genug, daß ſie von der Stelle geſchafft werden 
konnten, ohne zu zerbrechen, oder auch nur ihre ſcharfen 
Ekken zu verlieren, und hatten eine geringe Kruͤmmung, 
die mit der Kreislinie, woraus man ſie geſchnitten hatte, 


109 


übereinftimmte. Sie wurden wie behauene Mauerſteine 


in dem gezogenen Kreiſe auf einander gelegt, wobei man 


Sorge trug, die verſchiedenen Schichten der Schneeſtuͤkke 
mit dem Meſſer abzuglaͤtten und ſie ſo zu ſchneiden, daß 


ſich die Wand ein wenig nach Innen neigte, wodurch 


das Gebaͤude die Geſtalt einer Kuppel erhielt. Dieſe 


Kuppel ſchloß ſich nach oben ziemlich ploͤzlich und flach, 


da man die obern Stuͤkke keilfoͤrmig zuſchnitt, wogegen 


die untern mehr rechtwinklig geſchnitten waren. Die 
Dekke war gegen acht Fuß hoch, und die lezte Öffnung 


wurde durch ein kleines, kegelfoͤrmiges Schneeſtuͤk geſchloſ— 


ſen. Das ganze Gebaͤude ward von Innen erbaut, und 


jedes Stuͤk ſo zugeſchnitten, daß es ſeine Lage behielt, 


ohne einer Stuͤze zu beduͤrfen, bis ein anderes daneben 
gelegt war. Als der Bau vollendet war, wurde lokkerer 
Schnees daruͤber geworfen, um alle Spalten zu verſchlie— 


ßen, und eine niedrige Thuͤr mit dem Meſſer in die Wand 


geſchnitten. Alsdann ward ein Bettplaz angelegt, des 
aus aufeinander gelegten Schneeſtuͤkken beſtand, die man 


mit Fichtenzweigen beſtreute, um das Schmelzen der 


Schuee durch die Koͤrperwaͤrme zu verhuͤten. An jedem 
Ende des Bettes ward ein Schneepfeiler errichtet, worauf 
eine Lampe ſtehen ſollte, und endlich wurde eine Vorhalle 
vor dem Eingange erbaut, und eine helle Eistafel in eine 
Wandoͤffnung geſezt, welche die Stelle eines Fenſters 
vertrat. Das Haus hatte bei der Reinheit des Bauſtof— 
fes, der Zierlichkeit des Baues und der Durchſichtigkeit 
der Waͤnde, die ein ſehr angenehmes Licht einließen, ein 


weit ſchoͤneres Anſehen als ein Marmorgebaͤude.“ 


Die Officiere beſchaͤftigten ſich waͤhrend der Win— 


110 


— 


termonate mit der Abfaſſung ihrer Tagebücher, mit Ent: 
werfung von Reiſecharten, und Berechnung der Ergeb: 
niſſe ihrer Beobachtungen, waͤhrend Hood und Back 
ihre Zeichnungen vollendeten. Die geringern Glieder der 
Reiſegeſellſchaft waren meiſtens beſchaͤftigt, Brennholz zu 
ſuchen. Abends verſammelten ſich Alle in einer gemein— 
ſchaftlichen Wohnung, wo die Officiere an den Spielen 
der Seeleute Theil nahmen, und ſo fand die Langeweile 
nie Raum. Der Sonntag war immer ein Ruhetag, 
wo alle ihre beſten Kleider anlegten. Der Gottes dienſt 
ward regelmaͤßig verrichtet, und die Kanadier, obgleich 
alle katholiſch, und wenig bekannt mit der Sprache, 
worin die Gebete abgeleſen wurden, nahmen andaͤchtig 
Theil daran. Die Nahrung der Geſellſchaft beſtand 
faſt ganz aus Rennthierflei ſch, das zweimal woͤchent— 
lich mit Fiſchſpeiſe und zuweilen mit etwas Mehl ab— 
wechſelte; an Gemuͤſe fehlte es gaͤnzlich. Am Sonntag 
Morgen trank man eine Taſſe Chokoladez der Lieb: 
lingstrank aber war Thee ohne Zukker, den man taͤg— 
lich zweimal nahm. Von Rennthiertalg und Streifen 
von baumwollenen Hemden machte man Lichter, und 
ſelbſt Speiſe bereitete man aus Holzaſche, Talg 
und Salz. 

Die Kupfer-Indianer ſind nach der Erzaͤhlung 
unſerer Reiſenden dem Chipeywan-Stamm aͤhnlich, 
freundlich, wohlwollend und lebhafter Zuneigung faͤhig. 
Back erhielt auf ſeiner langen Reiſe alle Voͤgel und 
Fiſche, die ſie fingen, und nie wollten ſie etwas davon 
genießen, bis er ſeinen Hunger geſtillt hatte, obgleich ſie 
vermuthlich einige Tage lang ohne Nahrung geweſen 


‚ 111 


waren. Auch gegen ihre Weiber waren ſie freundlich und 
liebevoll. Ein alter Haͤuptling hatte eine Tochter, 
die man fuͤr die Schoͤnſte des ganzen Stammes hielt, 
und ſo ſehr ein Gegenſtand der Bewerbung war, daß ſie, 
bbgleich noch nicht ſechszehn Jahre alt, ſchon zwei Maͤn— 
ner gehabt hatte. Hood zeichnete ſie, was ihrer alten 
Mutter ſehr verdrießlich war, da ſie fuͤrchtete, die Schoͤn— 
heit ihrer Tochter wuͤrde den „großen Haͤuptling 
in England“ bewegen, das Original holen zu laſſen, 
ſobald er das Bildniß ſaͤhe. 

Erſt am laten Junius war, nach der Meinung 
der Indianer, das Eis im Kupferfluſſe hinlaͤng— 
lich gebrochen, um für Boͤte ſchiffbar zu fein. Die Bor: 
raͤthe von Lebensmitteln waren um dieſe Zeit ziemlich er: 
ſchoͤpft, und man ſah ein, daß der kuͤnftige Unterhalt der 
Reiſenden von dem Gluͤkke der Jaͤger abhaͤngen werde, 
die am Fluſſe hinabgingen. Dieſe Jaͤger zeigten jedoch, 
als die Zeit der Abreiſe heranruͤkte, einen entfchiedenen 
Widerwillen weiter zu gehen, der nicht ohne Muͤhe uͤber⸗ 
wunden werden konnte. Die ganze Reiſegeſellſchaft ging 
den Kupferfluß hinab, der, wie alle übrigen Fluͤſſe, 
die man zeither beſchifft hatte, viele Felſen, Stromſchnel— 
len und Untiefen hatte, und an vielen Stellen mit bruͤk— 
kenartigen Eismaſſen belegt war. Die graſigen Ebenen 
auf beiden Ufern waren reich an Wild, beſonders an 
Biſamochſen, deren man viele toͤdtete, die aber un— 
genießbar waren. Die Heerden von Rehen und Bi— 
ſamochſen ziehen viele Baͤren und Woͤlfe herbei. Die 
Woͤlfe leben heerdenweiſe, und ſind ſo ſchlau, daß ſie ſich 
ſelten in Fallen fangen laſſen. Dem Muſethier (ame 


112 


rikaniſchen Hirſch) und dem Rennthier an Schnel— 
ligkeit nicht gleich, bedienen ſie ſich, wie man ſagt, in 
Gegenden, wo große Ebenen von ſchroffen Klippen ein— 
geſchloſſen ſind, einer Liſt, die ſelten mislingt. Waͤhrend 
dieſe Thiere ruhig weiden, ſammeln ſich die Woͤlfe in 
großer Anzahl, und einen Halbkreis bildend, ſchleichen ſie 
ſich langſam hinzu, aber ſobald fie die argloſen Thiere 
von der Ebene abgeſchnitten haben, laufen ſie ſchnell und 
treiben mit furchtbarem Geſchrei ihre Beute zu dem ein— 
zigen Auswege, auf den Rand der Klippe, uͤber welche 
die Thiere, wenn ſie einmal in vollem Laufe ſind, einan— 
der draͤngend hinabſtuͤrzen. Die Woͤlfe ſteigen dann ru— 
hig hinab und verzehren die verſtuͤmmelten Thiere. 

Als man zu den Kupferbergen gekommen war, 
an deren Fuße der Fluß fließt, landete ein Theil der Rei— 
ſegeſellſchaft, um Kupfer zu ſuchen. Man rechnet die 
Hoͤhle jener Berge zu zwoͤlfhundert bis funfzehnhundert 
Fuß. In den Baͤchen, welche die Thaͤler durchſtroͤmen, 
fand man gediegenes Kupfer und verſchiedene 
Kupfererze. Die Eskimoer kommen noch häufig 
hierher, um dieſes Metall zu ſuchen, nicht mehr aber die 
Kupfer⸗Indianer, ſeit fie aus den nordwaͤrts 
vorgeruͤkten Niederlaſſungen der Handelsgeſellſchaft 
Eiſen fuͤr ihre Werkzeuge erhalten koͤnnen. 

Jenſeit dieſer Berge zeigte ſich das Land voͤllig von 
Holz entbloͤßt, ausgenommen an den Ufern der Fluͤſſe, 
die mit einigen verkruͤppelten Fichten und Geſtraͤuchen 
eingefaßt waren. Die Ebenen aber waren mit Gras be— 
dekt und von Wild belebt. Man war nun ungefaͤhr zehn 
bis zwoͤlf Meilen von der Stromſchnelle, wo Hearne 


113 


auf die erſten Eskimoer geflogen war, und hielt es für 
nuͤzlich, zwei Dolmetſcher abzuſenden, um dieſe Wilden 
über den Zwek der Reiſe zu beruhigen. An Hearne's 
blutigem Waſſerfall ſtießen ſie auf einen kleinen 
Haufen Eskimoer, die mit fiſchen beſchaͤftigt waren, 
aber nicht bewogen werden konnten, zu den Dolmetſchern 
hinuͤber zu kommen. Man ſprach zwar mit ihnen, und 
gab ihnen die Verſicherung friedlicher Abſichten; als jedoch 
die uͤbrige Geſellſchaft, beſorgt fuͤr die Sicherheit der Dol— 
metſcher, naͤher kam, eilten die Wilden uͤber die Berge, 
und man konnte ſich nur mit einem alten Manne unter— 
halten, welcher, unfaͤhig zu entfliehen, hinter einen Felſen 
gekrochen war. In der Nacht kamen ſie aber wieder, 
riſſen ihre Huͤtten nieder, und warfen ihre Geraͤthſchaften 
und Vorraͤthe umher, die in ſteinernen Keſſeln und Bei⸗ 
len, einigen kupfernen Fiſchlanzen, Haͤuten, etwas ges 
doͤrrtem, aber halb faulen, mit Maden angefuͤllten Lachſe, 
und zwei getrokneten Maͤuſen beſtanden. 

Es lagen mehrere Menſchenſchaͤdel, woran man 
Spuren vonGewaltthaͤtigkeit ſah, und viele Gebeine in der 
Naͤhe der Stromſchnelle umher. Dieſe Gegend in der Naͤhe 
des Meers ſtimmte mit Hearne's Beſchreibung der 
Stelle, wo die Chipeywan-Indianer die Eski— 
mo er ermordeten, vollkommen überein. Sie liegt nach den 
gemachten Beobachtungen unter 67° 42“ 35“ noͤrdli cher 
Breite und 115° 49“ 33“ weſtlicher Länge Hier 
verließen die Indianer, die vor den Eskimoern ſich 
fuͤrchteten, die Geſellſchaft. Einige Kanadier hatten 
gleichfalls Luſt umzukehren, und ließen ſich nur mit 


Muͤhe davon abbringen und mit friſchem Muthe beſeelen. 
Brauns Skizzen von Amerika. 8 


114 


Der erſte Anblick des Meers machte ihnen viel Freude, 
zumal die Robben, die am Strande ſpielten, bald aber 
wurden fie verzagt, und erfchrafen vor dem Gedanken, 
in Rindeboͤten ſich auf die eisbedekte See zu wagen, und 
vor den Gefahren einer langen Reiſe, welche die Unge— 
wißheit, ſich Lebensmittel zu verſchaffen, und die Kaͤlte 
noch furchtbarer ausmalten. Die Unternehmung war 
allerdings gefaͤhrlich. Zwanzig Menſchen, wovon fuͤnf— 
zehn nie das Meer geſehen hatten, fuhren am 21ſten Ju— 
lius in zwei armſeligen Böten von Birkenrinde 
in das eiſige Polarmeer; fie hatten nicht mehr als für 
fünfzehn Tage Lebensmittel bei ſich, uud ſollten einen 
Weg von zwoͤlfhundert geographiſchen Meilen zu— 
ruͤklegen, da Fort Churchill der naͤchſte Ort war, wo 
ſie einen Eu ropaͤer zu finden hoffen konnten. Der 
Gewinn, den dieſe Reiſe fuͤr die Kunde der noͤrdlichen 
Kuͤſte von Amerika gebracht hat, wird ſich am Beſten 
durch einen Blik auf die gut ausgefuͤhrte Charte, die 
alle Entdekkungen darſtellt, ermeſſen laſſen. Die See 
war offen, und, wenige Stellen ausgenommen, ganz frei 
von Eis, das nur in abgeſonderten Maſſen vorkam, ohne 
ſelbſt die Fahrt der Boͤte zu hemmen. Flut war wenig 
oder gar nicht zu bemerken. Treibholz fand man 
auf den Abendſeiten vorſpringender Landſpizen, und es 
beſtand meiſt aus Pappeln, die laͤngs dem Ufer des 
Mackenziefluſſes, nicht aber oͤſtlich deſſelben, wach— 
ſen; Umſtaͤnde, woraus Franklin ſchließt, daß eine 
Stroͤmung in oͤſtlicher Richtung Statt findet. Nur 
ein Theil der Kuͤſte erſtrekt ſich bis zu 68° 31’ der 
Breite, naͤmlich das Vorgebirge Turnaga in, das 


115 


nebſt dem Vorgebirge Barrow unter 60°, die Öffnung 
eines tiefen Golfs einſchließt, der bis zum 66° 307 
fuͤdwaͤrts ſich hinabzieht. Dieſer Golf ift uͤberall mit 
Inſeln bedekt, und hat Meerbuſen, die ſicherſten Buchten 
und Haͤfen mit trefflichen Ankerplaͤzen auf ſandigen Nie⸗ 
derungen, und faſt auf allen dieſen Plaͤzen fallen Fluͤſſe 
von klarem Waſſer herab, die reich an Lachſen, Forel— 
len und anderen eßbaren Fiſchen ſind. Der Tittemai, 
eine Lachsart, die in den Seen lebt, ward auch im Meer 
gefunden. Rehe und Biſamochſen gab es haͤufig, 
doch waren ſie in der Regel mager. Baͤren fand man 
haͤufig auf der Kuͤſte, und ſie wurden leicht getoͤdtet. Sie 
waren gewoͤhnlich fett, und ihr Fleiſch von trefflichem Ge— 
ſchmak. Franklin nannte dieſen großen Meerbuſen 
George IV. Kroͤnungsgolf. Von hier bis zur 
Wager-Bay rechnet man zweihundert Meilen, und da 
in jenem Meerbuſen ein Fluß in oͤſtlicher Richtung, und 
in dieſe Bay einer von Weſten her faͤllt, ſo iſt nicht zu 
zweifeln, daß zwiſchen beiden Buchten eine vielleicht nur 
wenig unterbrochene Waſſerverbindung Statt findet. Die 
beiden vereinten Handelsgeſellſchaften koͤnnten 
in dieſem Falle bei der Fortſchaffung des Pelzwerks und 
der Waaren, womit ſie dieſes einkaufen, einen Weg von 
mehreren tauſend Meilen erſparen. Man wird wahrſchein— 
lich in der Zukunft ein kleines Fahrzeug ausſenden, um 
dies auszumitteln, und zugleich zu unterſuchen, ob eine 
Verbindung mit dem Kup ferf luß zur See da iſt, und 
zwar durch jene Öffnung, die eine Charte aus der an— 
dern, als die Repulſe-Bay aufgenommen hat. Man 
koͤnnte dann zugleich durch Reiſende zu Lande die Ku— 


116 


pferberge unterfuchen laſſen, wo es wahrfcheinlich eine 
reiche Erzgrube gibt. Auf den Ufern des Mackenzie— 
fluſſes und des Baͤrenſees gibt es Steinkohlenlager. 
Wer weiß daher, ob nicht einſt das Polarmeer in 
Dampfboͤten befahren wird, die Pelzwerk, Kupfer, 
Blei und andre Erzeugniſſe Nordamerikas auf die Maͤrkte 
Europas und Aſiens bringen? 
Franklin's urſpruͤngliche Abſicht war, in einer ſo 
geraden Linie, als es die Kruͤmmungen der Kuͤſte erlaub— 
ten, zur Muͤndung des Kupferfluſſes zuruͤkzukeh— 
ren, und dann durch die Waͤlder, die ſich laͤngs des gro— 
ßen Baͤren⸗ und Martinſees bis zum Sklaven— 
ſee ziehen, vorzudringen; da aber ihre geringen Vorraͤ— 
the erſchoͤpft waren, ehe ſie die Muͤndung des Hood— 
fluſſes erreichten, und auf der Kuͤſte in dieſer Jahrs— 
zeit keine Lebensmittel zu erwarten waren, ſo entſchloß er 
ſich, in jenem Fluſſe, ſo weit als moͤglich hinauf zu ſchif— 
fen, und dann in gerader Linie in das Winterquartier 
Fort Enterprize zu reiſen. Man kam jedoch bald 
zu einem großen Waſſerfalle, jenſeits deſſen der Fluß 
zu reißend und zu ſeicht fuͤr Boͤte war. Die Reiſe mußte 
nun zu Fuße fortgeſezt werden, und das erſte Geſchaͤft 
war, die zwei Boͤte in kleinere Fahrzeuge zu verwandeln, 
um uͤber die Seen und Fluͤſſe zu ſezen, die man in die— 
ſem Theile des Landes erwarten konnte. Alles entbehr— 
liche Gepaͤk wurde zuruͤkgelaſſen, und ein Vorrath von 
Lebensmitteln fuͤr zwei Tage mitgenommen. Nach Ver— 
lauf von zwei Tagen bog der Lauf des Fluſſes ſo weit 
von der Richtung ab, der ſie folgen mußten, daß ſie die 
Ufer deſſelben gaͤnzlich verließen, und in gerader Linie 


117 


nach Point Lake gingen. Am Sten September, 
drei Tage nach dem Aufbruche vom Fluſſe, wurden die 
Reiſenden unerwartet vom Winter uͤberfallen, der mit 
ſtarkem Schnee begann. Bis zum 26ſten dieſes Monats 
hatten ſie mit Kaͤlte und ungeſtuͤmen Wetter zu kaͤmpfen, 
und mußten zuweilen zwei Fuß tief im Schnee durch ein 
Land gehen, das keinen Strauch zu Brennholz erzeugte, 
der uͤber ſechs Zoll lang geweſen waͤre. Sie mußten 
ihren Weg durch die unbekannte Gegend errathen, da ſie 
bei der faſt immer verhuͤllten Sonne nicht im Stande 
waren, ſich durch aſtronomiſche Beobachtungen zu helfen. 
Ihr Elend wurde noch erhoͤht, als ſie Rennthiere, Bi— 
ſamochſen und andere Thiere, ſelbſt Waſſervoͤgel ſuͤdwaͤrts 
ziehen ſahen. Auf dieſer Reiſe von einundzwanzig Ta— 
gen konnten ſie ſich nicht mehr friſches Fleiſch verſchaffen, 
als fuͤr fuͤnf Tage hinlaͤnglich war, und waͤhrend der 
übrigen Zeit hatten fie nichts als eine Flechtenart (Pripe 
de Roche), die an den Felſen waͤchſt, aber ſelbſt dieſe 
unſchmakhafte Nahrung mußten ſie nicht ſelten entbehren. 

Die Muͤhſale der Reiſenden, die ſich mit ihrem Ge— 
paͤk durch den Schnee ſchleppen mußten, war mit dem 
Tage nicht zu Ende. Hatten ſie auch keine Speiſen zu 
bereiten, ſo mußten ſie doch ein kleines Feuer anzuͤnden, 
um ihre gefrorene Schuhe aufzuthauen, und es war nicht 
leicht, unter dem Schnee fo viel zwergartiges Geſtraͤuch, 
als dazu noͤthig war, aufzufinden. Ermuͤdung und Man— 
gel an Nahrung machten einen ſehr fuͤhlbaren Eindruk 
auf die Kanadier, deren Kraͤfte und Muth ſchnell ab— 
nahmen; doch ertrugen ſie, von den Anfuͤhrern ermuntert, 
noch eine Zeitlang ihr Elend ſo geduldig, als man es 


118 


nur erwarten konnte. Als fie aber endlich fanden, daß 
die Richtung ihres Weges haͤufig von Seen unterbrochen 
ward, und keine Hoffnung ſahen, das Ziel bald zu er— 
reichen, uͤberließen ſie ſich der Verzweiflung, und gleich⸗ 
guͤltig gegen Verſprechungen, wie gegen Drohungen, glaub— 
ten fie ſich alles Zwanges entbunden. Um das Maaß 
des Ungluͤks voll zu machen, ward ein Boot durch Zu— 
fall unbrauchbar, und bald nachher wurde das andre durch 
Nachlaͤſſigkeit zerbrochen, obgleich diejenigen, die es tru— 
gen, nach dem Laufe des Kupferfluſſes wohl urthei— 
len konnten, daß es ihnen unentbehrlich war, um uͤber 
denſelben zu ſezen. 

Am 26ſten September kamen Alle am ufer dieſes 
Fluſſes an, und als ſie fuͤnf kleine Rehe erlegt hatten, 
prieſen ſie ſich gluͤklich, ſo viel friſches Fleiſch ſich ver— 
ſchafft zu haben, als bei gehoͤriger Sorgfalt bis zur An— 
kunft in Fort Enterprize hinlaͤnglich war. Auch 
das Wetter war milder, und die Kanadier glaubten, 
das Ende ihres Elends zu ſehen, aber leider hatte es erſt 
angefangen. Sie vergaßen bei ihrer Freude, daß ſie in 
ihrem Wahnſinn ſich des einzigen Mittels beraubt hatten, 
uͤber den Fluß zu ſezen, der zwiſchen ihnen und dem 
Orte ihrer Beſtimmung lag. Vergebens ſuchte man an 
den Kuͤſten des Point Lake Fichten, um ein Floß zu 
machen. Man kam auf den Gedanken, Buͤndel von trok— 
nen Weiden zu einer Art von Floß zu benuzen, aber es 
zeigte ſich bald, daß man es ohne Huͤlfe von Rudern 
oder Stangen in einem Fluſſe nicht lenken konnte. Kurz, 
es gingen acht Tage, wo meiſt ſchoͤnes Wetter war, ver— 
loren, waͤhrend man auf Mittel ſann, uͤber den Fluß zu 


119 


ſezen. In diefer hoffnungsloſen Lage, wo man den Dun: 
gertod vor Augen hatte, unternahm Dr. Richardſon 
das gefaͤhrliche Wageſtuͤk, uͤber den gegen 130 engliſche 
Ellen (Yards) breiten Fluß mit einem Seile um den 
Leib zu ſchwimmen, zu einer Zeit, wo das Thermometer 
in freier Luft unter dem Eispunkt und im Waſſer 30° 
darunter ſtand. Er hatte das jenſeitige Ufer beinahe 
erreicht, als er, von der Kaͤlte erſtarrt, die Kraft verlor 
ſich zu bewegen, und bereits unterzuſinken begann. Man 
zog ihn ſogleich an dem Seile zuruͤk, und als man ihn 
ans Ufer brachte, ſchien wenig Hoffnung zu ſeiner Wie— 
derbelebung zu ſein, aber durch Anwendung paſſender 
Mittel gelang es, ihn wieder zu erwekken, wiewol er eine 
Zeitlang ſehr ſchwach blieb. Niemand wollte den Ver— 
ſuch wiederholen. Endlich flocht man eine Art von Korb, 
welcher, mit etwas Segeltuch umwikkelt, brauchbar zu 
ſein ſchien, ſie uͤber den Strom zu ſezen, aber nur einen 
Menſchen faſſen konnte. Zuerſt wagte es einer der Dol— 
metſcher, in dieſem Fahrzeuge mit einer Leine uͤberzuſezen, 
und als es gluͤklich gelang, folgte ihm Einer nach dem 
Andern, ohne daß ein Unfall Statt gefunden hätte, ob: _ 
gleich das gebrechliche Fahrzeug bei jeder überfahrt ſich 
mit Waſſer fuͤllte, und gewoͤhnlich ſank, ehe es die Kuͤſte 
erreichte. | 

An dieſem Tage, den Aten Oktober, waren die 
Reiſenden noch vierzig engliſche Meilen von Fort En— 
terprize. Das Wetter wurde wieder ſtrenger, der Bo— 
den war mit Schnee bedekt, der lezte Biſſen war aufge— 
zehrt, und Alle waren durch Hunger und die Anſtrengun— 
gen bei der Überfahrt erſchoͤpft. Unter dieſen Umſtaͤnden 


120 


hielt es Franklin fuͤr nuͤzlich, Back mit drei andern 
Reiſegefaͤhrten voraus zu ſenden, um die Indianer zu 
ſuchen, die man in der Naͤhe des Fort Enterprize 
zu finden hoffte. Am folgenden Tage brachen auch die 
übrigen auf, und fanden ein Mahl von Flechten, das 
aber Einigen ſehr uͤbel bekam, und ſie ſo ſchwach machte, 
daß ſie genoͤthigt waren, Alles zuruͤkzulaſſen, außer ihrem 
eigenen Gepaͤkke, und ſelbſt mit dieſer leichten Laſt, konn— 
ten zwei von ihnen am zweiten Tage nicht fortkommen, 
und mußten von Schwaͤche erſchoͤpft, liegen bleiben. Ri: 
chardſon, fo ſchwach er ſelber noch war, ging zuruͤk, um 
die Ungluͤklichen zu ſuchen. Er fand Einen von ihnen, in 
nicht großer Entfernung, dem Tode nahe im Schnee lie— 
gen, von den Andern aber keine Spur. Als er mit die— 
ſer Nachricht zuruͤkkehrte, wurde Halt gemacht, ein Feuer 
von Weidenzweigen angezuͤndet, und Alles aufgeboten, 
die Ruͤſtigſten zu bewegen, den Sterbenden zuruͤkzubrin— 
gen und den Andern zu ſuchen; aber Alles war verge— 
bens, und man mußte Beide ihrem Schikſale uͤberlaſſen. 

Man hatte alle Urſache zu befürchten, daß die Übri: 
gen, bald dem Drukke des Hungers, der Ermuͤdung und 
des rauhen Wetters erliegen wuͤrden, und die Staͤrkſten 
wiederholten die Drohung, ihre Buͤrde abzuwerfen und 
mit der groͤßten Schnelligkeit zum Fort Enterprize 
zu eilen, obgleich ſie den Weg gar nicht kannten. Unter 
dieſen Umſtaͤnden erboten ſich Richardſon und Hood, 
auf dem erſten Plaze, wo man Brennholz faͤnde, Halt 
zu machen, und mit den Schwachen und Erſchoͤpften zu— 
ruͤkzubleiben, bis man ihnen Beiſtand aus dem Fort 
ſchikken koͤnnte. Franklin gab es ungern zu, da er 


121 


aber hoffen durfte, im Fort Vorraͤthe von Lebensmitteln 
und einen Haufen von Indianern in der Umgegend zu 
finden, wie es fruͤher war beſtellt worden, ſo ſahe er kein 
anderes Mittel zur Rettung. Ein wakkerer engliſcher 
Seemann, Namens Hepburn, blieb gleichfalls mit 
5 Rich ardſo n freiwillig zuruͤk. Ein Zelt wurde aufge— 
ſchlagen; man ſammelte etwas Weidenholz und ließ alle 
Vorraͤthe zuruͤk, ausgenommen die Kleidungen der Rei: 
ſenden, ein anderes Zelt, hinlaͤngliche Vorraͤthe für die 
Reiſe und die Tagebuͤcher. Es wurde Jedem, der ſich zu 
ſchwach fuͤhlte, die Reiſe fortzuſezen, frei geſtellt, mit 
Richardſon und Hood zuruͤk au bleiben , aber Keiner 
nahm es an. 

Die Geſellſchaft trennte ſich am 7ten Oktober in 
einer Entfernung von ungefaͤhr fuͤnfundzwanzig Meilen 
vom Fort Enterprize. Franklin reiſ'te mit acht 
Begleitern ab, von welchen Zwei, zu ſchwach weiter zu 
gehen, ihn am folgenden Tage verließen, um zu Ri: 
chardſon zuruͤkzukehren. Am naͤchſten Tage erlag ein 
Dritter ſeiner Schwaͤche, und ein Vierter wurde zuruͤkge— 
ſchikt. Nur Einer von dieſen, ein Irokeſe, kam an, 
und von den Übrigen hoͤrte man nichts mehr. Mit den 
vier Andern erreichte Franklin das Fort am IIten 
Oktober in einem Zuſtande gaͤnzlicher Erſchoͤpfung, 
da ſie ſeit fuͤnf Tagen nichts genoſſen hatten als eine 
Mahlzeit von Flechten. Dies war nicht das Schlimmſte; 
zu ihrem Leidweſen und Schrekken fanden ſie das Fort 
verodet; keine Vorraͤthe, keinen Back, keinen 
Brief von ihm, keine Spur eines lebendigen Thieres, 


122 


und den Boden mit tieferem Schnee bedekt, als im Di. 
cember des verfloſſenen Jahres. | 

Als man ſich von dem erſten Schreffen erholt hatte, 
bemerkte man einen Zettel von Back's Hand, der mel— 
dete, daß er das Haus am gten erreicht habe und weiter 
gegangen ſei, die Indianer aufzuſuchen. Vier Tage 
ſpaͤter brachte ein Bote von ihm den erſchoͤpften Reiſen— 
den die Trauernachricht, daß dieſes Suchen ohne Erfolg 
-gewefen ſei. Bekuͤmmert um das Schikſal, dem Richard⸗ 
ſon und deſſen Gefaͤhrten nicht entgehen konnten, ſelber 
unfaͤhig groͤßere Anſtrengungen zu ertragen, und des Bei— 
ſtandes des einzigen noch übrigen kan adiſchen Jaͤgers 
beraubt, der krank geworden war, befand ſich Frank— 
lin in einer Lage, die ſich nicht beſchreiben laͤßt. Er 
ließ jedoch den Muth nicht ſinken, und als er einige alte 
Schuhe und Stuͤkchen von Leder und Haͤuten, wovon die 
Haare abgeſengt waren, ihre einzige Nahrung ſeit der 
Ankunft im Fort, geſammelt hatten, brach er mit zwei 
Kanadiern auf, um die Indianer zu ſuchen; aber 
unfaͤhig, weiter zu gehen, kehrten ſie am folgenden Tage 
in die Wohnung des Elends zuruͤk. Der ſtandhafte 
Franklin verzagte ſelbſt unter dieſen Umſtaͤnden nicht. 
Er ſchikte zwei ſeiner ſtaͤrkſten Begleiter aus, um die 
Indianer aufzufinden, und ſie mit ſeiner furchtbaren 
Lage bekannt zu machen, die drei uͤbrigen aber behielt er 
bei ſich, und ertrug mit ihnen die ſchreklichſte Noth. 
Achtzehn Tage brachten ſie in dieſer Lage zu, und hatten 
keine Nahrung als die Knochen und Haͤute des im vori— 
gen Winter verzehrten Rothwildes, die man zu einer 
Art von Suppe kochte. 


123 


Am 29ſten Okto ber erſchienen ploͤzlich Richard— 
ſon und Hepburn ohne die Übrigen, abgemagert und 
erſchoͤpft. Auch ſie hatten mit dem furchtbarſten Elend 
kaͤmpfen muͤſſen. An den beiden erſten Tagen hatten ſie 
nichts zu eſſen. Am Abend des dritten kam der Jro— 
keſe mit einem Haſen und einem Rebhuhn zuruͤk, wo— 
mit die Ungluͤklichen das lange Faſten brechen konnten. 
Am naͤchſten Tage mußten fie wieder hungern. Ho od 
wurde krank. Am IIten brachte der Iro keſe ein Stuͤk 
Fleiſch, das nach ſeiner Verſicherung von einem Wolfe 
war, der, wie er ſagte, durch den Stoß eines Rehhorns 
getödtet war. Man glaubte feiner Erzählung, ſpaͤter 
ſchoͤpfte man aber aus manchen Umſtaͤnden die Überzeu— 
gung, daß das Fleiſch von einem der Ungluͤklichen gewe— 
ſen war, die Franklin zuruͤkgeſchikt hatte, und die, 
wie man argwoͤhnen mußte, von der Hand des Iroke— 
fen gefallen waren. Das Betragen dieſes Wilden wurde 
nach ſeiner Ruͤkkehr taͤglich ſchlimmer. Er entfernte ſich 
oft von ſeinen Gefaͤhrten; wollte weder jagen noch Holz 
ſuchen, und drohte oft, ſie ganz zu verlaſſen. Hood 
ward immer ſchwaͤcher, und konnte die Flechten, ihre 
einzige Nahrung, nicht genießen, weil ſie ihm ſtets un— 
leidliche Schmerzen verurſachten. In dieſer ungluͤklichen 
Lage konnten ſie vor Verzweiflung ſich nur durch die 
Troͤſtungen bewahren, welche das Vertrauen auf die Vor— 
ſehung ihnen einfloͤßte, und dieſe Stimmung ward durch 
das Leſen einiger andaͤchtigen Buͤcher befeſtigt, die lezten 
Überrefte einer kleinen Sammlung ſolcher Schriften, die 
eine fromme Frau in London den Reiſenden mitgege— 
ben hatte. Man brachte wieder fuͤnf Tage ohne andre 


124 


Nahrung zu, als die Flechten, die Hepburn einſam— 
melte. Der J ro keſe blieb muͤrriſch, und obgleich der 
ruͤſtigſte unter ſeinen Gefaͤhrten, wollte er doch nichts zu 
ihrer Unterſtuͤzung thun, aber man hegte ſtarken Arg— 
wohn, daß er einen verborgenen Vorrath von Lebensmit— 
teln habe. Als Richardſon die Hartnaͤkkigkeit und 
Widerſpenſtigkeit dieſes Menſchen ſah, ſagte er ihm, er 
wollte, wenn bis zum 20ſten kein Beiſtand anlangte, in 
Hepburns Geſellſchaft mit Huͤlfe eines Kompaſſes das 
Fort Enterprize aufſuchen. An demſelben Tage aber, 
waͤhrend Hepburn Holz faͤllte und Richardſon Flech— 
ten ſuchte, wurde der ungluͤkliche Hood, als er, dem 
Tode nahe, am Feuer ſaß, von dem Irokeſen hinter— 
ruͤks erſchoſſen, wie alle Umſtaͤnde verriethen. Hätte noch 
Zweifel uͤbrig bleiben koͤnnen, ſo wuͤrde das Betragen 
des Irokeſen ſie entfernt haben. Er wollte von dieſer 
Zeit an ſeine beiden Reiſegefaͤhrten nie einen Augenblik 
allein laſſen; fragte ſtets, ob fie ihn für einen Mörder 
hielten, ſtieß oft Drohworte aus, und ließ zuweilen 
dunkle Winke fallen, daß er ſich von allem Zwange be— 
freien wolle. Als alle drei die ungluͤkliche Reiſe antra— 
ten, um ihre Gefaͤhrten in Fort Enterprize zu tref— 
fen, wurde das Betragen des Irokeſen fo heftig und 
beleidigend, daß Richardſon und Hepburn ſich uͤber— 
zeugten, er werde die erſte Gelegenheit ergreifen, ſie zu 
ermorden. Er war beiden an Stärke überlegen, und 
hatte außer ſeiner Flinte ein Paar Piſtolen, ein Bajonett 
und ein Meſſer. Als man zu einem Felſen kam, ließ er 
beide bei einander, und unter dem Vorgeben, er wollte 
Flechten ſuchen, ſagte er ihnen, ſie ſollten voran gehen. 


125 


Hepburn erinnerte an einige Umſtaͤnde, woraus Ri— 
chardſon erkannte, daß nur der Tod des Wilden fie 
ſicher ſtellen koͤnnte, und bot ſich an, das Werkzeug deſ— 
ſelben zu fein. Richard ſon aber, von der Nothwendig— 
keit einer ſolchen Handlung uͤberzeugt, wollte alle Ver— 
antwortlichkeit ſelbſt übernehmen, und fobald der Iro— 
keſe zuruͤkkam, toͤdtete er ihn durch einen Piſtolenſchuß. 
Der Wilde hatte Flechten geſammelt, und es war offen— 
bar, daß er blos in der Abſicht Halt gemacht hatte, ſein 
Gewehr in Ordnung zu bringen, um ſie an demſelben 
Tage beim Aufſchlagen des Zeltes zu ermorden. 

Die Lage der Reiſenden wurde noch ſchlimmer, als 
zwei Tage nach Richardſons und Hepburns An: 
kunft zwei Gefaͤhrten Franklins ſtarben. Franklin 
und ſein einziger Geſellſchafter waren ganz erſchoͤpft, und 
Richardſon mußte mit Hepburn die Muͤhe allein 
uͤbernehmen, Holz zu ſuchen und alte Fezen von Haͤuten 
und Knochenſtuͤkken zuſammen zu ſcharren. Auch ſie aber 
erlagen beinahe ihren Anſtrengungen, als endlich am 7ten 
November die lang erwartete Hülfe kam, die Back 
durch drei Indianer ſchikte. Den Zuſtand, worin ſich 
die vier Überlebenden befanden, beſchreibt Franklin 
mit folgenden Worten: „Ich muß bemerken, daß durch 
unſre Abmagerung und durch das harte Lager, wovon 
uns nur eine Dekke trennte, beſonders diejenigen Theile 
des Leibes, worauf wir lagen, wund waren, und uns 
umzuwenden, um Erleichterung zu finden, war muͤhſam 
und beſchwerlich. Wir genoſſen jedoch waͤhrend dieſer 
ganzen Zeit und troz des empfindlichen Hungers, den 
wir drei bis vier Tage erlitten, gewoͤhnlich die Erqikkung 


126 


eines kurzen Schlafes. Die Träume, die gewöhnlich doch 
nicht immer, ihn begleiteten, waren meiſt froͤhlicher Art, 
und bezogen ſich ſehr oft auf die Freuden der Tafel. Bei 
Tage ſprachen wir in der Regel nur uͤber gewoͤhnliche 
und gleichguͤltige Dinge, zuweilen aber wurden auch 
ernſte, mit der Religion verbundene Gegenſtaͤnde eroͤrtert. 
Gewoͤhnlich vermieden wir es, geradezu von unſern gegen— 
waͤrtigen Leiden zu ſprechen, ja ſelbſt der Ausſichten auf 
Huͤlfe zu erwaͤhnen. Ich bemerkte, daß in dem Verhaͤlt— 
niſſe, wie unſre koͤrperlichen Kraͤfte abnahmen, auch 
unſre Seele Zeichen von Schwaͤche verrieth, die ſich in 
einer unverſtaͤndigen Mislaune zeigte, welche Einer gegen 
den Andern aͤußerte. Jeder von uns hielt den Andern 
fuͤr ſchwaͤcher am Verſtande und des Rathes und Bei— 
ſtandes beduͤrftiger. Selbſt ein ſo unbedeutender Umſtand 
als die Veraͤnderung eines Plazes, den der Eine als waͤr— 
mer und bequemer empfahl, und den ein Anderer, aus 
Furcht ſich zu bewegen, ablehnte, rief oft die verdruͤßlich— 
ſten Außerungen hervor, welche, kaum ausgeſprochen, 
wieder abgebuͤßt wurden, um in wenigen Minuten wie— 
derholt zu werden. Daſſelbe ereignete ſich, wenn wir 
uns einander Beiſtand leiſten wollten, Holz zum Feuer 
zu tragen, da Keiner von uns Beiſtand annehmen wollte, 
obgleich unſre Kraͤfte der Arbeit nicht gewachſen waren. 
Bei einer ſolchen Gelegenheit war Hepburn von ſeiner 
wunderlichen Laune ſelbſt ſo uͤberzeugt, daß er ausrief: 
„Wahrhaftig, wenn wir's erleben, daß wir wieder nach 
England kommen, ſo ſoll's mich wundern, wenn wir 
unſern Verſtand wieder erhalten.“ 

Mit dem wohlwollenden Betragen der Indianer 


* 


J 


m a nn 


127 


war man ungemein zufrieden. Sie reinigten die Woh— 
nung, kochten die Lebensmittel, und als die Reiſenden 
das Fort verlaſſen hatten, geleiteten ſie dieſelben zu dem 
Orte, wo ſich ihr Stamm mit Jagen beſchaͤftigte, lei— 


ſteten ihnen allen Beiſtand und brachten fie endlich ſicher 


zu der naͤchſten Niederlaſſung der Han delsgeſell— 
ſchaft, wo man den Reiſegefaͤhrten Back fand, der 
nicht weniger Leiden ertragen hatte, deſſen Anſtrengungen 
die überlebenden aber unſtreitig ihre Rettung verdankten. 

über die Gegend, welche die Reiſenden theils zu 
Lande, aber meiſt zu Waſſer in einer Strekke, die mit 
Einſchluß der Fahrt, auf dem Polarmeer nicht weni— 


ger als 5500 engliſche Meilen ) betrug, durchzogen, ha— 


ben wir wenig zu ſagen. überall iſt das Land ſehr ein— 
foͤrmig; jedes Thal ein See, jeder Fluß eine Reihe von 
Seen. Unter den Baͤumen findet man wenig Man— 
nichfaltigkeit; fie beſtehen meiſt aus Lerchen baͤumen, 
Pechtannen und Pappeln, die feltener und kleiner 
werden, je weiter man nordwaͤrts kommt. Geſtraͤuche, 
Kräuter, Vögel, vierfüßige Thiere und Fiſche 
ſind uͤberall faſt dieſelben. Auch die wenigen zerſtreuten 
Indianerſtaͤmme find wenig verſchieden. Richard— 
ſon ſammelte mit großer Sorgfalt viele naturgeſchicht— 
liche Gegenſtaͤnde, die ein Anhang des Werks beſchreibt. 
Seine Bemerkungen uͤber die geognoſtiſche Beſchaf— 
fenheit des Landes ſind ſehr ſchaͤzbar. Überall fand 
man die Gebirgsfor mationen, Urgebirge, 
übergangsgebirge, Floͤzgebirge und aufge— 


) Folglich über eintauſend und einhundert deutſche Meilen. 


128 


ſchwemmtes Land, von derſelben allgemeinen Bildung, 
Lage und Vertheilung, wie in andern Theilen von Ame— 
rika, und wie dieſe in allen Beziehungen mit den Ge⸗ 
birgsformationen in Europa und Aſien uͤberein⸗ 
ſtimmen. | 

Zwei Aufſaͤze des Anhangs enthalten Franklins, 
Richardſons und Hoods Beobachtungen uͤber das 
Nordlicht. Dieſe Lufterſcheinungen ſind, wie es ſcheint, 
am ſtaͤrkſten und haͤufigſten um den Polarkreis, oder 
zwiſchen dieſem und dem 64ſten Breitengrade. Die zahl: 
reichen und zuweilen an verſchiedenen Orten gemachten 
Beobachtungen jener Maͤnner fuͤhren zu Ergebniſſen, die 
von den gewoͤhnlichen Anſichten dieſer Erſcheinung ab— 
weichen. So haben ſie unter andern, wie man anneh— 
men darf, uͤber allen Zweifel hinaus, dargethan, daß 
die Höhe des Nordlichts, ſtatt, wie Dalton und 
Andere vermuthen, über. das Gebiet der Atmoſphaͤre hin— 
auszureichen, ſelten uͤber ſechs bis ſieben Meilen betraͤgt. 
Dies iſt genuͤgend bewieſen durch Meſſungen, die zu 
gleicher Zeit an verſchiedenen Orten vorgenommen wur— 
den, ſo wie durch die außerordentliche Schnelligkeit, wo— 
mit ein Strahl von der einen Seite des Horizonts zur 
entgegengeſezten ſchießt, und endlich durch den Umſtand, 
daß die Strahlen oft unter die Wolken hinabſchießen und 
daß der Wind darauf wirkt. Hood erfuhr von einem 
Beamten der Nord weſt-Geſellſchaft, er habe einſt 
den Schein des Nordlichtes ſo lebhaft und tief geſehen, 
daß die Kanadier auf das Geſicht gefallen waͤren, und 
zu beten und zu ſchreien angefangen haͤtten, aus Furcht 
getoͤdtet zu werden, und er habe Gewehr und Meſſer 


129 


weggeworfen, damit fie die Blize nicht anziehen follten, 
die ſich mit unglaublicher Schnelligkeit nahe uͤber der 
Oberflaͤche der Erde bewegt haͤtten. Er erwaͤhnte auch 
des raſſelnden Geraͤuſches, das andere Bewohner der Nie— 
derlaſſungen gehört zu haben einſtimmig verſicherten, das 
aber unſere Reiſenden nie vernahmen. Franklin be 
zweifelt dieſe Angaben um ſo weniger, da die von ihm 
und feinen Gefährten gemachten Beobachtungen die Wahr: 
ſcheinlichkeit derſelben eher erhoͤhen als vermindern. Sie 
hoͤrten, wie er ſagt, beim Nordlicht haͤufig Toͤne, die 
dem Pfeifen einer Flintenkugel oder dem Schwingen eines 
duͤnnen Stoͤkchens in der Luft glichen. Man hat zeither 
vorausgeſezt, daß das Nordlicht nicht auf die Magnetna— 
del wirke; aber ſehr viele in dem vorliegenden Werke 
mitgetheilten Beobachtungen beweiſen, daß bei gewiſſen 
Stellungen des Nordlichts die Nadel betraͤchtlich abwich, 
beſonders wenn das Leuchten zwiſchen den Wolken und 


der Erde Statt fand, oder das Licht lebhaft, und die 


Atmoſphaͤre dunſtig war. Die Bewegung der Nadel war 
jedoch nicht zitternd, ſondern blos eine Abweichung von 
der gewoͤhnlichen Richtung. Man kann nicht bezweifeln, 


daß dieſe Erſcheinung die Folge einer verduͤnnten Ele k— 


| 
| 
| 


1 
I 


tricität iſt, wiewol ein Elektrometer keineswegs 
eine elektriſche Atmoſphaͤre anzeigt, was beſonders 
auf der Mel ville-Inſel der Fall war, wo aber das 
Nordlicht weit ſchwaͤcher ſich zeigte, als im Fort En— 
terprize. 

Das Klima iſt ſo ſchlecht, als die Gegend unan— 
genehm. Drei oder vier Tage waͤhrend des Sommers 
ſtieg das Thermometer auf 80° oder 90°, und eben fo 


Brauns Skizzen von Amerika. 9 


1 1 


130 


viele Monate im Winter fiel es auf 30°, 40° bis 50° 
unter Null, und auf einmal auf 57, oder zwei Grade 
unter den tiefſten Stand, den Parry auf der Mel: 
ville-Inſel beobachtete. 

Franklins Meinung iſt entſchieden fuͤr die Wahr— 
ſcheinlichkeit einer nordweſtlichen Durchfahrt. Die 
Nordkuͤſte von Amerika läuft, wie man fand, faſt 
durchaus in der Richtung von Oſt und Weſt, und wie 
Franklin glaubt, wenig abweichend von den Breiten— 
graden der Repulſe-Bay, Hearne's Fluß und 
Kotzebue's Sund. Es iſt zu bedauern, daß Kotze— 
bue die noͤrdlichen und oͤſtlichen Kuͤſten dieſes Sundes 
nicht genauer unterſuchte, um mit Gewißheit zu beſtim— 
men, ob nicht eine Verbindung deſſelben mit dem Po— 
lar meer beſtehe, wodurch denn das Land, das im Eis— 
vor gebirge endigt, zu einer Inſel würde. 

Franklin berichtet, daß zwiſchen einer Reihe von 
Inſeln, die mit dem Feſtlande faſt parallel und in ge— 
ringer Entfernung von demſelben liegen, die See fuͤr 
Fahrzeuge von jeder Groͤße ſchiff bar iſt, da das Waſ— 
ſer bis zu den Kuͤſten der Inſeln und des Feſtlandes 
tief iſt, und kein Eis ſelbſt die Fahrt eines Bootes hin— 
dert. Die Inſelkette bietet Schuz gegen die Nordwinde, 
und auf der Kuͤſte findet man treffliche Haͤfen, friſches 
Waſſer und gute Fiſche in Überfluß. Zu den vielen be— 
reits aufgeſtellten Beweiſen fuͤr das Daſein einer öftli- 
chen Stroͤmung, welche von der Behringsſtraße 
anfangend, laͤngs der Kuͤſte von Amerika ſich zieht, 
und durch Welcome-Bay geht, laͤßt ſich noch ein 
anderer hinzufuͤgen, den Franklin aus der Lage, worin 


131 


er das Treibholz auf der Kuͤſte fand, und dem Orte, 
woher es kam, ableitet. Es gibt jedoch noch andre Be— 
weiſe fuͤr die Richtigkeit der aufgeſtellten Behauptung. 
Zwei ruſſiſche Fahrzeuge kamen im vorigen Jahre drei: 
ßig bis vierzig Meilen nördlich vom Eis vorgebirge. 
Laͤngs der Kuͤſte von Amerika fanden ſie ein offenes 
Meer und eine nordwaͤrts gehende Strömung; jenſeit des 
Eis vor gebirgees aber wendete ſich die Strömung nach 
Nordoſt und gerade nach Oſt. Man ſah in der Naͤhe 
jenes Vorgebirges Eismaſſen, die aber keinesweges die 
Schifffahrt hemmten. So ſchwinden die Zweifel gegen 
die voͤllige Trennung Aſiens von Amerika und gegen 
die Verbindung zwiſchen dem ſtillen und dem atlan— 
tiſchen Meer. Merkwuͤrdig iſt in dieſer Hinſicht, was 
das Quaterly Review (Stuͤk 76. 1823) von der 
Seereiſe des Barons Wrangel im Winter 1821 — 
22 mittheilt. Er kam am 7/9 Mai nach Koluͤmsk 
zuruͤk, nachdem er 58 Tage lang im Eiſe des Polar— 
meers geweſen war, um das fabelhafte Land aufzuſuchen, 
das nach dem verſtorbenen Admiral Bur ney ein Theil 
von Amerika ſein ſoll. Wrangel fand, indem er 
nordwaͤrts ſteuerte, ein offenes Meer unter 76° 4“7 der 
Breite. Erinnert man ſich bei dieſer offenen See an das 
700 Faden tiefe Meer im alten Lancaſter-Sund, und 
an das von Parry geſehene Meer im Wellington— 
Kanal, fo darf man mit dem alten Seemann Davis 
ſagen, die tiefe See gefriert nicht, und die Behauptung 
wiederholen, daß das Polarmeer bis zum Pol ſchiff— 
bar ſein kann, wofern entweder keine Inſeln dazwiſchen 
liegen, oder ein zuſammenhaͤngendes Land, oder eine In: 


132 


felgruppe gefunden werde. Iſt das lezte der Fall, fo wiſ— 
ſen wir, daß die Schifffahrt nicht durch Eis gehindert 
wird. Franklin hat dieſe Thatſache voͤllig dargethan, 
die man auch auf den Kuͤſten von Spizbergen, Alt— 
groͤnland, Baffinsbay, Barrowſtraße, Beh— 
ringsſtraße, und neuerlich auf der Kuͤſte von Nova 
Zembla beobachtet hat, deren noͤrdlichſte Spize nach den 
neuern Beobachtungen der Ruſſen unter 76° 3° der 
Breite und 63° 15“ oͤſtlicher Länge, alſo 7 Grade weni— 
ger oͤſtlich liegt, als auf den Charten angegeben wird. 
In einem Briefe, den Parry (nach dem angefuͤhr— 
ten Stuͤkke des Quaterly Review) kurz vor ſeiner 
Abreiſe ſchrieb, ſprach er ſeine überzeugung von dem Da— 
ſein der nordweſtlichen Durchfahrt und der durch die 
Behringſtraße vermittelten Verbindung mit dem ſtil— 
len Meere beſtimmt aus. Die im Jahre 1819 und 
1820 gemachten ungluͤklichen Verſuche, weſtlich von der 
Melville-Inſel weiter zu ſteuern, machen es ihm 
ſehr unwahrſcheinlich, daß man unter dieſem Breitengrade 
die Durchfahrt finden werde. In niederen Breiten aber 
koͤnnte man, meint er, ein milderes Klima und eine 
laͤngere Zeit zu Unterſuchungen finden; denn wiewol das 
Klima nicht gaͤnzlich von dem Breitengrade abhange, ſon- 
dern auch von andern oͤrtlichen Umſtaͤnden, ſo finde man 
doch unter jedem Meridian in Nordamerika unter 
dem 69° ein beſſeres Klima als unter dem 755, wo man 
zu jener Zeit uͤberwintert habe. Er glaubt daher, an der 
Kuͤſte von Amerika weniger Hinderniſſe zu finden, als 
man bei der Melville-Inſel fand. überdies werde 
dieſer Weg, ſezt er hinzu, durch die Wahrſcheinlichkeit, 


ball ER 
hier Holz, Lebensmittel und dem Skorbut vorbeugende 
Pflanzen zu finden, ſo wie durch die groͤßere Leichtigkeit, 
Nachrichten abzuſenden, empfohlen. So weit Franklin 
die Kuͤſte ſah, ſind Parry's Vermuthungen vollkommen 


beſtaͤtigt worden. Parry ſagt daruͤber in dem angefuͤhr— 


ten Briefe Folgendes: „Cumberlandſtraße, Wel— 
com ebay und Repulſebay ſchienen mir die Punkte 
zu ſein, welche die groͤßte Aufmerkſamkeit verdienen, und 
man darf hoffen, daß einer derſelben, oder vielleicht jeder 
eine fahrbare Straße ins Polarmeer darbietet. Die 
ganze Unternehmung muß mithin von vorn wieder ange— 
fangen werden; denn was man auch fuͤr Vermuthungen 
bei der Anſicht der Charte haben mag, ſo wiſſen wir 
doch von jenen Gegenden nichts, was uns mehr als ge— 
gruͤndete Hoffnung geben koͤnnte, dort eine Durchfahrt 
zu finden. Faͤnde man nun Cumberlandſtraße durch 


Land geſchloſſen, ſo wuͤrde man bei der Unterſuchung 


derſelben wohl ſo viel Zeit verloren haben, daß man in 
dieſer Jahrszeit ſonſt nicht viel mehr vornehmen koͤnnte, 
und unter ſolchen Umſtaͤnden iſt es leicht moͤglich, daß 
der erſte Sommer verloren ginge.“ 

Wir wiſſen ſchon aus den vorlaͤufigen Nachrichten, 
die uns uͤber die Unternehmung des wakkern Seemannes 
aus England zugekommen, daß der erſte Sommer ſo— 
wol als alle uͤbrigen durch die Ungunſt der Umſtaͤnde, 
doch nicht aus Mangel an Klugheit, Vorſicht und Muth 


bei dem Anfuͤhrer und ſeinem Gefaͤhrten, verloren gegan— 


gen ſind. Obgleich aber Manche, die gegen Barrows 
und Baringtons gewichtige Gründe an der Wahr: 


ſcheinlichkeit einer nordweſtlichen Durchfahrt zweifel— 


mn 


ten, in den Ergebniffen der neueſten Reiſe eine Beſtaͤti— 
gung finden, und uns auf den trefflichen Scores by, 
der es allerdings vorher geſagt hat, daß man keine 
fahrbare Straße ins Polarmeer finden koͤnne, 
verweiſen werden, ſo glauben wir doch, Parry's Reiſe— 
bericht werde uns von Neuem zu dem Wunſche anregen, 
daß die engliſche Regierung mit den Verſuchen zur 
Loͤſung der großen Aufgabe fortfahren werde. 

Der Mangel an Lebensbeduͤrfniſſen, und an einer 
freundſchaftlichen Mitwirkung der Compagnie-Agenten, 
ſo wie die Leiden des Kapitains Franklin und ſeiner 
Genoſſen, verhinderten weitere Verſuche, und ſie kehrten 
nach England zuruͤk. So blieb die Sache bis 1824, 
als Kapitain Parry, Kapitain Franklin und Kapi⸗ 
tain Lyon ſaͤmmtlich in London eintrafen, und von der 
engliſchen Regierung beſchloſſen ward, drei Expeditionen 
auf Einmal auszuruͤſten, und die Unterſuchung von drei 
verſchiedenen Punkten anzuſtellen. 

1. Sollte Kapitain Parry nach Prince-Regent's 
Einlauf ſegeln, verſuchen ſich bis Point-Turnagain, 
oder bis zum Kup ferminenfluß Bahn zu brechen, 
und von dort die Behringsſtraße zu erreichen. f 

2. Sollte Kapitain Lyon im Griper nach der 
Repulſe-Bay ſegeln, dort uͤber die Landzungen nach 
der Polar-See (ungefähr funfzig engliſche Meilen nach 
Iliglink), vordringen, und in Canots die Kuͤſte bis 
Point-Turnagain unterſuchen, wo Kapitain Franklin 
ihn erwarten ſollte. Dieſe Expedition iſt leider mislun— 
gen, da Kapitain Lyon ſich genoͤthigt ſah, mit Verluſt 
von Ankern u. ſ. w. zuruͤkzukehren, und bei dem Ver— 


135 


ſuche, die Repulſe-Bay zu erreichen, kaum dem Schiff: 
bruch entrann. | 

3. Die dritte Expedition ſteht unter dem Befehl 
des Kapitains Franklin, und will durch Kanada bis 
zur Mündung des M'Kenziefluſſes vordringen, dort die 
Bootfahrt beginnen, und weſtlich nach dem Eiskap ſegeln. 
Sollte ſie nicht ſo gluͤklich ſein, Kapitain Parry zu 
treffen, ſo wird die Bloſſom von 28 Kanonen ſie in 
der Behringsſtraße erwarten, falls die Expedition 
dieſen Punkt erreichen ſollte. Wenn der M' Kenzie⸗ 
fluß erreicht iſt, ſoll eine Abtheilung unter Dr. Ri— 
chardſon und Lieutenant Kendall nach Oſten abgehen, 
und die Linie der Kuͤſte zwiſchen jenem Fluße und dem Ku— 
pferminenfluſſe unterſuchen. Ein Detaſchement der 
Expedition iſt bereits uͤber die Hudſonsbay abgegangen. 
Die Officiere derſelben ſind: Kapitain Franklin, als 
Kommandeur, Lieutenant Kendall, als Aſtronom, Dr. 
Richardſon, als Chirurg und Naturforſcher, Lieute— 
nant Bock, und Herr Drummond als Botaniker; die— 
ſelben gehen über Mork in Oberkanada, und die 
ganze Expedition wird ſich am Baͤrenſee vereinigen. 
Im Frühling 1826 werden fie den M' ͤKenziefluß 
herabſegeln, und ſich im Julius des naͤmlichen Jahrs auf 
dem Polarmeere einſchiffen. 

Ein Brief des Doktors Richardſon vom 22ften 
April 1825 aus Penetanguishene am Huronſee 
gibt uns folgende Nachrichten uͤber dieſe hoͤchſt wichtige 
Landerpedition nach dem Nordpole: „Unſre kanadiſchen 
Begleiter ſind aus Montreal angekommen, und wir 
gehen morgen mit zweiunddreißig Mann nach St. Ma— 


136 


rienfall und dem Fort William am Obernſee 
ab; von dort aus werden wir auf vier Booten nach den 
Seen Lapluie (Regen-), Wood (Holz-), Winni— 
peg- See, dem Fluſſe Saskatchevan, dem Biber— 
ſee u. ſ. w. abgehen, und uns ſodann nach Methye 
und ins Land Athaebaska begeben. Wir hoffen bei 
Methpe oder bei Chipeywan die im lezten Sommer 
von England abgegangenen Fahrzeuge anzutreffen, und 
alsdann werden wir einen Theil unſerer kan adiſchen 
Begleiter zuruͤkſchikten. Wir haben bisher auf unferer 
Reiſe noch nichts Merkwuͤrdiges erlebt, und keine Bemer— 
kung gemacht, die aufgezeichnet zu werden verdient. Wir 
beſinden uns gegenwaͤrtig auf der weſtlichen Grenze 
Oberkanadas. Die Hausratte hat noch nicht bis hier— 
her dringen koͤnnen, und man kennt ſie im Weſten von 
Kingſton am See Ontario nicht. Der Lachs und 
die anderen Fiſche, welche periodiſche Wanderungen ins 
Meer machen, koͤnnen nicht uͤber den Waſſerfall bei Nia— 
gara kommen, deswegen findet man jenſeits des On— 
tarioſees keine mehr. Jener ungeheure Waſſerfall haͤlt 
auch den Aal auf, obſchon dieſer Fiſch mehrere Meilen zu 
Lande zuruͤklegen kann. Nichts deſto weniger ſoll man in 
den Fluͤſſen, welche ſich in den Huronſee ergießen, 
ſchoͤne Stoͤre finden; ich ſelbſt habe deren keine geſehen. 
Wir hoffen gegen Ende Septembers in unſere Win— 
terquartiere anzukommen; alle unſre Leute ſind voll 
Muth und ſehr geſund u. ſ. w.“ 


137 


VII. 
Biographiſche Skizze 
des i 
nordamerikaniſchen Kommodore Perry. 


» Nach dem Engliſchen des Gulian C. Verplanck ). 


Oliver Hazard Perry, aͤlteſter Sohn des Chri— 
ſtoph Raymond Perry, Esg., Officiers der Marine 
der Vereinten: Staaten von Nordamerika, 
ward zu Newport im kleinen Staate Rhode-Eiland, 
im Auguſt 1785 geboren, und trat, in fruͤher Jugend 
fuͤr das Fach ſeines Vaters beſtimmt, 1798 als Seekadet 
(Midshipman) auf der von ſeinem Vater befehligten 
Kriegsfchaluppe, General Greene, in Dienſt. Als 
bald darauf der Krieg mit Tripolis ausbrach, bat er 
um die Verguͤnſtigung, dieſen auf einem nach dem mit— 
tellaͤndiſchen Meere befehligten Geſchwader mitma— 
chen zu duͤrfen, welche Bitte ihm auch bewilligt ward, 
und ſeinem nach Ruhm und Auszeichnung duͤrſtenden 
Geiſte keine geringe Befriedigung gewaͤhrte. In dieſem 
Kriege zeichnete er ſich bei jeder Gelegenheit eben ſo ſehr 
durch Tapferkeit und Muth, als durch treue und ein— 
ſichtsvolle Verrichtung feiner Pflichten ruͤhmlichſt aus, 
und erwarb ſich dadurch eben ſo ſehr die Achtung und 


) Siehe The Analectic Magazine. Newyork 1815. 


Rx 138 
Freundſchaft feiner Gefährten, als auch die Liebe feiner 
vorgeſezten Officiere. 

Nach ſeiner Ruͤkkehr vom mittellaͤndiſchen Meer feſ— 
ſelte ihn ſeine Liebe zum Seedienſt an die Flotte, obgleich 
die amerikaniſche Seemacht damals des Friedens wegen 
ſehr verringert, und in einem hohen Grade vernachlaͤſſigt 
ward, wodurch viele Officiere ſich bewogen fanden, ihren 
Abſchied zu nehmen. Im Jahre 1810 ward er als Lieu— 
tenant auf den Schooner Revenge verſezt, der da— 
mals zu dem Geſchwader des Kommodore Rodgers 
gehörte, das bei Neu-London kreuzte, um das Em: 
bargo-Geſez in Vollziehung zu bringen. In dem 
folgenden Frühling hatte er das Misgeſchik, die Re— 
venge an Watch-hill-Reef, Stonytown gegenuͤ— 
ber, zu verlieren. Als er naͤmlich an einem Abend ſpaͤt 
von Newport nach Neu-London unter einem ſtar— 
ken mit dikkem Nebel begleiteten Oſtwind abſegelte, wo— 
bei noch obendrein die See ſehr hoch ging, ſo daß er 
nicht wußte, wo er ſich befand, und deshalb auch nicht 
die noͤthigen Vorkehrungen gegen etwanige Gefahren tref— 
fen konnte, gerieth das Schiff auf eine Sandbank, und 
zerſchellte. Bei dieſer Gelegenheit gab Perry einen Be— 
weis von der ihm in einem ausgezeichnet hohen Grade 
eignen Kaltbluͤtigkeit und Geiſtesgegenwart. Er benuzte 
jegliche Vorſichtsmaßregel, um die Kanonen und andere 
Sachen zu retten, welches ihm auch groͤßtentheils ge— 
lang. Die ſaͤmmtliche Schiffsmannſchaft ward gerettet; 
er ſelbſt verließ als der Lezte das Schiff. Auf ſein eignes 
Anſuchen ward ſein Betragen bei dieſem Unfall durch 
ein Militair-Gericht unterſucht, das ihn nicht nur 


von aller Schuld freifprach, ſondern noch obendrein fei: 
ner Umſicht, Unerſchrokkenheit und Ausdauer wegen, die 
groͤßten Lobſpruͤche ertheilte. Auch ſchrieb ihm der Se— 
kretaͤr des Seeweſens, Hamilton, bei dieſer Ge— 
legenheit einen ſehr verbindlichen Brief. Kurz nach die— 
ſem Vorfall ging er nach Newport zuruͤk, und verhei— 
rathete ſich hier mit einer Tochter des Dr. Maiſon. 5 
Zu Anfange des Jahrs 1812 ward er zum Schiffs— 
kapitain ernannt, und ihm der Befehl uͤber die in 
dem Hafen von Neupyork liegenden Kanonenboͤte über: 
tragen. In dieſer Stelle, die er ungefähr ein Jahr be 
kleidete, uͤbte er ſeine Schiffsmannſchaft im Land- und 
Seedienſt, und ſezte uͤberhaupt ſeine Flottille in einen 
ſehr achtungswerthen Zuſtand. Der Dienſt auf den Ka- 
nonenboͤten iſt wenig erheiternd, ſondern im Gegentheil 
ſehr beſchwerlich; nichts kann fuͤr aufſtrebende und un— 
ternehmende Gemuͤther entmuthigender ſein, als in dieſen 
Diminutiv-Schiffen in den Haͤfen und Fluͤſſen herum— 
zuſchleichen (to skulk), ohne die geringſte Hoffnung, ſich 
durch kuͤhne und große Thaten fuͤr dies wenig zuſagende 
Leben zu verguͤten. Bald ward Perry dieſes unruͤhm— 
lichen Dienſtes muͤde, und hielt bei dem Sekretair 
der Marine um eine andere, ſeinen Anſichten und ſei— 
nem Muthe entſprechendere Stelle an, wobei er ohnmaß— 
geblich bemerkte, daß er den Dienſt auf den Seen (on 
the Lakes) vorziehen wuͤrde. Sein Geſuch ward ſogleich 
bewilligt, und er erhielt Befehl, nach Sackets-Har— 
bor am Ontarioſee mit einer gewiſſen Zahl Seeleute 
zur Verſtaͤrkung des Geſchwaders des Kommodore 
Chauncey abzugehen. So beliebt war er bei den Ma— 


149 


trofen, daß, als kaum obige Nachricht unter ihnen be: 
kannt ward, faſt feine ganze Mannfchaft fich freiwillig 
entſchloß, ihn zu begleiten. 

In wenig Tagen war er reiſefertig, und ſich den 
Armen einer jungen und ſchoͤnen Gattin, und eines bluͤ— 
henden Kindes mit unterdruͤkter Wehmuth entreißend, mar— 
ſchirte er, an der Spizze einer großen Zahl auserleſener 
Seeleute, nach ſeiner Expedition in der Wildniß ab. In 
der Mitte des Winters, als alle Fluͤſſe zugefroren wa— 
ren, ſah er ſich genoͤthigt, die Reiſe mit ſeinen Leuten 
zu Lande zu machen. Troz der groͤßten Beſchwerlichkei— 
ten und Anſtrengungen herrſchte unter dieſer kuͤhnen 
Heldenſchaar auf ihrer ganzen Reiſe die beſte Ordnung 
und die erfreulichſte Aufgeraͤumtheit. Sie betrachteten die 
Expedition als ein Freudenfeſt, und waren froh, einmal, 
wie ſie ſich ausdruͤkten, eine Gelegenheit zu haben, eine 
Kreuzfahrt zu Lande machen zu koͤnnen. 

Nicht lange nach Perrys Ankunft in Sackets— 
Harbor befehligte ihn der feine Vorzuͤge richtig ſchaͤ— 
zende Kommodore Chauncey nach dem Erieſee, 
um hier die Befehligung der Flotte und die Aufſicht uͤber 
die im Bau begriffenen Schiffe zu uͤbernehmen. Die 
amerikaniſche Macht auf dem Erieſee beſtand nur 
aus wenigen kleinen Schiffen; die beiden beſten wurden 
kurz vorher auf die tapferſte Weiſe durch Kapitain El— 
liot, dicht unter den Batterien von Fort Erie, den 
Engländern abgenommen. Die weit ſtaͤrkere briti— 
ſche Macht ward vom Kommodore Barclay, 
einem erfahrnen und kuͤhnen Officier, befehligt. Kom— 
modore Perry bemühte ſich nun aus allen Kräften, feine 


141 


Macht zu vergrößern, und brachte es bald, da er von 
der atlantiſchen Kuͤſte Schiffszimmerleute mitgenom, 
men hatte, durch ſeine unermuͤdeten Anſtrengungen da— 
hin, daß zwei Brigs, jede von 20 Kanonen, von Erie, 
dem amerikaniſchen Hafen an jenem See, auslaufen 
konnten. 

Waͤhrend dieſe Schiffe erbaut wurden, zeigte ſich 
das britiſche Geſchwader, unternahm aber keine Feind— 
ſeligkeiten. Endlich wurden die Schiffe am 4ten Auguſt 
bemannt und mit allem Noͤthigen verſehen, worauf Kom— 
modore Perry ſein ganzes Geſchwader dicht vor den 
Hafen fuͤhrte. Das Waſſer im Hafen war an einigen 
Stellen unfern der Kuͤſte nur fuͤnf Fuß tief, und die 
größern Schiffe mußten im Angeſicht der Briten hinuͤ— 
ber gehoben werden, die gluͤklicherweiſe nicht fuͤr gut fan— 
den, einen Angriff zu unternehmen. Den folgenden Tag 
ſuchte Perry den Feind auf, kehrte aber am sten zu— 
ruͤk, ohne ihm begegnet zu ſein. Verſtaͤrkt durch das 
Eintreffen des tapfern Elliot, den mehrere Officiere 
und 89 Matroſen begleiteten, ſah er ſich in Stand ge— 
ſezt, ſein Geſchwader voͤllig zu bemannen, und ſegelte 
am 12ten wieder ab, den Feind aufzuſuchen. Am 15ten 
a erreichte er Sandusky-Bay, wo das Lager der ame— 
rikaniſchen Armee unter General Harriſon 
ſtand. Von dort kreuzte er vor Malden, wo das bri— 
tiſche Geſchwader, unter den Kanonen des Forts, vor 
Anker lag. Die Erſcheinung von Perrys Geſchwader 
verbreitete an der Kuͤſte einen großen Schrekken; Weiber 
und Kinder rannten weinend durch Malden, einen au— 
genbliklichen Angriff befuͤrchtend. Die Uramerikaner, 


142 


vulgo Indianer, ſollen mit Staunen auf die amerifa- 
niſche Flotte herabgeſehen, und die Englaͤnder aufge— 
fordert haben, auszulaufen und anzugreifen. Da Kom— 
modore Perry den Feind nicht geneigt fand, eine Schlacht 
zu wagen, fo kehrte er nach Sandusky zuruͤk. 
Nichts Bedeutendes ereignete ſich bis auf den 10ten 
September. Die amerifanifche Flotte lag damals in 
Put⸗ in⸗bay vor Anker, und beſtand aus den Brigs: 
Lawrence, mit 20 Kanonen, befehligt vom Kommo— 
dore Perry; Niagara mit 20 Kanonen, befehligt 
vom Kapitain Elliot; Caledonia mit 3 Kanonen, 
befehligt vom Zahlmeiſter M. Grath; den Schooners: 
Ariel, mit 4 Kanonen, unter Lieutenant Pakket; 
Skorpion, mit 2 Kanonen, unter dem Segelmeiſter 
Champlin; Somers, mit 2 Kanonen und 2 Dreh— 
baffen (swivels), unter dem Segelmeiſter Almy; Ti— 
greß, mit 1 Kanone, unter dem Lieutenant Conklin; 
Porcupine, mit I Kanone, unter dem Seekadet (Mid- 
shipman) G. Senat, und der Schaluppe (sloop) 
Trippe, mit 1 Kanone, unter dem Lieutenant Smith; 
im Ganzen 54 Kanonen. 

Bei Sonnenaufgang entdekten ſie den Feind, gingen 
ihm ſogleich entgegen, und ſtanden bei einem leichten 
Suͤdweſtwinde vor ihm. Die britiſche Macht beſtand 
aus dem Schiffe Detroit, von 19 Kanonen (und Jam 
Pivot) und 2 Haubizen; der Queen Charlotte, von 
17 Kanonen (und 1 am Pivot); Lady Prevoſt, 13 
Kanonen (und 1 am Pivot); Hunter, 10 Kanonen; 
Schaluppe (sloop) Little Belt, 3 Kanonen, und dem 


143 
Schooner Chippeway, mit I Kanone und 2 Dreh: 
baſſen (swivels)z im Ganzen 63 Kanonen. 

Um zehn Uhr Vormittags drehte ſich der Wind ge— 
gen Suͤdoſt, und brachte das amerifanifche Geſchwader 
gegen den Wind. Perry ließ hierauf die Unionsflagge 
aufziehen, worauf die Worte des ſterbenden Lawrence: 
„Gebt das Schiff nicht auf!“ zum Motto ſtanden. 
Mit großem Freudengeſchrei ward ſie von den Officieren 
und Soldaten bewillkommnet. — Nachdem der Kommo— 
dore ſeine Flotte geordnet, ging er auf den Feind los, 
welcher ſich unterdeſſen ebenfalls zum Gefecht geruͤſtet 
hatte. Es iſt hoͤchſt anziehend, uns das Zuſammentref— 
fen dieſer an Tapferkeit nichts und an Staͤrke wenig nach— 
gebenden Flotten zu einem Kampfe vorzuſtellen, der hart: 
naͤkkig und blutig, und für den Ausgang des dortigen 
Krieges beinahe entſcheidend werden mußte. a 

Der leichte Wind ließ ſie ſich nur langſam einander 
nähern, und verlaͤngerte dadurch die ſchauervolle Pauſe 
der Ungewißheit, und die einer jeden Schlacht vorange— 
hende aͤngſtliche Stimmung. Dies iſt die Zeit, wo die 
Pulſe des muthigſten Herzens ſchneller ſchlagen, und der 
Kuͤhnſte den Athem an ſich haͤlt; es iſt der ſtille Augen— 
blik der grauſamſten Erwartung, in der man der fuͤrch— 
terlichſten Niedermezelung und Verheerung entgegen ſieht, 
wo ſelbſt der heiße Durſt nach Ehrgeiz und Stolz eine 
Weile erliſcht, und die Natur vor dem furchtbaren Wa— 
geſtuͤk zuruͤkſchaudert. Selbſt durch die Ordnung der 
Marinedisciplin wird die ehrfurchteinfloͤßende Ruhe dieſes 
Moments erhöht. Kein Geraͤuſch, kein Laͤrmen hört man, 
das Gemüth zu zerſtreuen, ausgenommen zu verſchiede— 


144 


nen Malen die gellende Stimme des Hochbootsmanns, 
oder das leiſe Fluͤſtern der unerſchrokkenen Seeleute, die 
bei ihren Kanonen ſtehen, und die feindlichen Bewegun— 
gen aufmerkſam beobachten, dann und wann einen ſchwer— 
muͤthigen, bangen Blik auf ihre Officiere werfend. So 
in ſtiller Vorſicht und ſchreklicher Ruhe ſich beobachtend, 
naͤherten ſich einander die beiden Flotten, als ploͤzlich ein 
Horn am Bord der feindlichen Detroit erſchallte, und 
mit einem lauten Hurra von ihrer ganzen Mannſchaft 
begleitet ward. 

Sobald die Lawrence in Bereich der langen Ka: 
nonen der feindlichen Flotte kam, eroͤffnete dieſe ein hef— 
tiges Feuer gegen ſie, das ſie ihrer kurzen Kanonen we— 
gen nicht erwiedern konnte. Perry, ohne die Ankunft 
ſeiner Schogner abzuwarten, ſegelte ſo entſchloſſen und 
herzhaft auf den Feind los, daß dieſer befuͤrchtete, er 

haͤtte Abſicht zu entern. In wenig Minuten, nachdem 
er dem Feinde naͤher gekommen, eroͤffnete er ein Feuer 
gegen ihn. Die Laͤnge der feindlichen Kanonen gab ihm 
ein großes übergewicht, und ehe die Lawrence dem 
Feinde einen bedeutenden Schaden zufuͤgen konnte, war 
ſie faſt vernichtet. Die feindlichen Kugeln hatten ſie von 
allen Seiten durchſchoſſen, und ihre Mannſchaft auf dem 
Verdek und im Schiffsraum, wohin ſie gebracht wurden, 
um verbunden zu werden, faſt ganz getoͤdtet. Ein Schuß 
haͤtte beinahe eine ungluͤkliche Erploſion hervorgebracht; 
er fuhr nämlich in die Kajüte (light room), und ſchlug 
den brennenden Docht eines Lichts in das Pulvermaga— 
zin, ward aber gluͤklicherweiſe von einem Kanonier 


145 


bemerkt, der die Geiſtesgegenwart beſaß, ihn fogleich mit 


der Hand auszuloͤſchen. | | 
Es ſchien wirklich der Plan des Feindes zu fein, 


das Schiff des Kommodores zu zerſtoͤren, und dadurch 


die amerikaniſche Flotte in Verwirrung zu bringen. Zu 


dem Ende ward ſein heftigſtes Feuer auf die Lawrence 


gerichtet, und dieſe unaufhoͤrlich von ſeinen groͤßten 


Schiffen beſchoſſen. Das Gefährliche feiner Lage einſe— 


hend, ließ Perry die Segel ſpannen, und befahl den 


andern Schiffen, ihm zu folgen, um den Feind einzu— 


ſchließen. — Das fuͤrchterliche Feuer aber, dem die Law— 


ren ce ausgeſezt war, brannte bald ihre ſaͤmmtliche Se— 
gelſtrikke durch, und fie konnte nicht mehr fortgebracht 


werden. In dieſer traurigen Lage hielt ſie dennoch den 
Kampf uͤber zwei Stunden lang aus, in einer Entfernung 
von einem Kartaͤtſchenſchuß, obgleich ſie faſt in dieſer 
ganzen Zeit nur drei Kanonen auf ihren Gegner richten 
konnte. Mit Bewunderung ſah man die groͤßte Ord— 
nung unter ihrer tapfern und dem Tode geweihten Mann— 
ſchaft waͤhrend dieſer Schrekkensſcene herrſchen. Kein 
verwirrender Schrekken fand auch nur einen Augenblik 


ſtatt; ſo wie Einer verwundet ward, brachte man ihn 


herunter, und ein Anderer trat in ſeinen Plaz; die Tod— 
ten ließ man bis nach der Schlacht auf der Stelle liegen, 
wo ſie fielen. Lange war die Schlacht unentſchieden, 
und ſchon glaubte der Feind des Sieges gewiß zu ſein. 
Die Lawrence war jezt ein wahrer Wrak; ihr Verdek 
ſtroͤmte von Blut uͤber und war mit den abgeſchoſſenen 


Gliedmaßen und Koͤrpern der Getoͤdteten bedekt; faſt ihre 


ganze Mannſchaft war getoͤdtet oder verwundet; ihre 
Brauns Skizzen von Amerika. 10 


146 


Kanonen waren abgeworfen, und der Kommodore und 
ſeine Officiere bedienten die lezte, die man noch brauchen 
konnte. Mitten in dieſer verzweifelten Lage ſoll der junge 
Held ganz gleichmüthig geblieben fein, wie man aus feis 
nem heitern und liebreichen Ausſehen und daraus ſchloß, 
daß er keine leidenfchaftlichen, oder von hoher Reizbarkeit 
zeugenden Worte ſich erlaubte, ſeine Befehle mit Ruhe 
und Überlegung ertheilte, und Jedem durch ſein unver— 
zagtes heldenmuͤthiges Benehmen Muth einflößte. 

Einſehend, daß die Lawrence fuͤr einen fernern 
Dienſt untuͤchtig war, und die gefaͤhrliche Lage des Kam— 
pfes bemerkend, faßte er den kuͤhnen Entſchluß, ſeine 
Flagge zu wechſeln. Er uͤbertrug die Befehligung der 
Lawrence dem Lieutenant Yarnall, der ſich bereits 
durch ſeine Tapferkeit ausgezeichnet hatte, zog ſeine Uni⸗ 
onflagge, auf welche das Motto des ſterbenden Lawrence 
geſchrieben war, herunter, nahm ſie unter den Arm, und 
befahl, ſie auf der in einem heftigen Kampf begriffenen 
Niagara aufzuſtekken. Beim Verlaſſen der Lawrence 
ſtellte er es ganz dem Belieben ſeines Lootſen anheim, 
entweder auf dem Schiffe zu bleiben, oder ihn zu beglei- 
ten. Dieſer treue Seemann ſagte ihm aber, er wolle 
mit ihm leben und ſterben, und ſprang in Perrys 
Boot. Perry ging nun von ſeinem Schiff ab, und 
ſtand nach ſeiner gewoͤhnlichen tapfern Weiſe im Hinter— 
theil des Boots fo lange, bis ihn die Mannfchaft ins 
Boot herunter zog. Ganze Schiffslagen nebſt dem Mus— 
ketenfeuer der Mannſchaft wurden nach ihm abgefeuert; 
zwei feindliche Schiffe waren ihm auf einen Musketen— 
ſchuß nahe, und ein drittes war noch naͤher. Seine bra— 


— 


ven Schiffsgenoſſen, die zuruͤkgeblieben waren, beobachte— 


ten ihn mit athemloſer Beaͤngſtigung; die Kugeln flogen 


in allen Richtungen um ihn her; aber die Vorſehung, 


„ 


welche den jungen Helden, waͤhrend dieſer verzweifelten 
Schlacht beſchuͤzte, leitete ihn auch ſicher durch die fuͤrch— 
terliche Kugelſaat, und bald ſahen die amerikaniſchen 


Seeleute mit Entzuͤkken ſeine begeiſternde Flagge auf den 
+ böchften Maſt der Niagara aufgeſtekt. Kaum war er 


an Bord der Niagara angekommen, als Kapitain El: 


liot freiwillig in einem Boot abging, um auch die durch 


den leichten Wind zuruͤkgehaltenen Schooners in das Ge: 


fecht zu bringen. 


Um dieſe Zeit gewahrte der Kommodore mit tiefem 
Schmerz, daß die Lawrence ihre Flagge ſtrich. Die— 
ſer Unfall war unvermeidlich; ſie hatte das ganze Feuer 
des Feindes ausgehalten, und konnte nicht laͤnger ver— 


theidigt werden; jeder fernere Verſuch eines Widerſtandes 
wuͤrde nuzlos ſich gezeigt, und die überlebenden dieſer 


tapfern und beherzten Mannſchaft dem grauſamen Blut— 
bade eines aufgebrachten Feindes uͤbergeben haben. Der 
Feind vermochte aber nicht, ſie in Beſiz zu nehmen, und 
die nachherigen Ereigniſſe geſtatteten ihr, in der Folge 
ihre Flagge wieder aufzuziehen. Kommodore Perry ließ 
jezt ſaͤmmtliche Schiffe in das Gefecht bringen, worauf 
die kleineren Schiffe alle Segel aufzogen. Findend, daß 


die Niagara nur wenig beſchaͤdigt war, beſchloß er, wo 
moͤglich die feindliche Linie zu durchbrechen. Zu dem 


Ende ſegelte er vor, kam bei zwei Schiffen und einer 
Brigg vorbei, die er nebſt einem großen Schooner und 


einer Schaluppe mit ſeinen Steuerbordkanonen innerhalb 


148 


eines Piſtolenſchuſſes ſtark beſchoß. Nachdem er nun die 
ganze feindliche Flotte vorbeipaffirt war, legte er ſich ne— 
ben das Schiff des britiſchen Kommodore; die klei 
nern Schiffe unter dem Kommando des Kapitains El- 
liot kamen unterdeſſen innerhalb eines Kartaͤtſchenſchuſ— 
ſes nahe, und machten ein wohlgerichtetes Feuer, wor- 
auf die ganze feindliche Flotte die Segel ſtrich, ausge- 
nommen zwei kleine Schiffe, welche zu entfliehen ſuchten, 
aber genommen wurden. . 
Das Gefecht dauerte ungefaͤhr drei Stunden, und 
nie war ein Sieg entſchiedener und vollkommener als die— 
ſer. Die genommene feindliche Flotte war der amerika— 
niſchen an Zahl und Schwere der Kanonen, wie wir oben 
geſehen, uͤberlegen; auch ihre Beſazung war zahlreicher. 
Die amerikaniſche Mannſchaft war ſehr buntſchekkig zu: 
ſammengeſezt; fie zählte gute Seeleute, aber mit Solda— 
ten und Buben untermiſcht, von denen viele uͤberdem 
auf der Krankenliſte ſtanden. Die Amerikaner mach⸗ 
ten mehr Gefangene, als ſie Leute zur noͤthigen Bewa— 
chung derſelben aufbringen konnten. Der Verluſt auf bei— 
den Seiten war beträchtlich. — Beinahe nicht in Mann 
von der Beſazung der Lawrence war ohne Wunden. 
Unter den Todten befand ſich der Lieutenant Brooks 
von den Seeſoldaten, ein lebhafter und huͤbſcher junger 
Officier, voll Feuer, und ſeiner liebenswuͤrdigen Manie— 
ren und perſoͤnlichen Schoͤnheit wegen ausgezeichnet. 
Lieutenant Yarnall, obgleich zu wiederholten Malen 
verwundet, weigerte ſich, waͤhrend des ganzen Gefechts 
das Verdek zu verlaſſen. Kommodore Perry, obgleich 
er ſich ſtets an den am meiſten ausgeſezten Lagen waͤh— 


149 


; rend des Gefechts befand, erhielt keine Wunde; er hatte 
gemeine Seemannskleider angezogen, welche ihn wahr— 
N ſcheinlich vor den Kugeln der feindlichen Scharffchüzen 
bewahrten. Er hatte einen juͤngern Bruder als Seekadet 
mit an Bord der Lawrence, der gleichfalls das Gluͤk 
hatte, keine Wunden zu erhalten, obgleich alle ſeine 
Schiffskameraden um ihn her fielen. Zwei Anfuͤhrer der 
Uramerikaner (Indian - chiefs) waren auf der De— 
troit auf dem Maſtbaum aufgeſtellt, die amerifanifchen 
Officiere niederzuſchießen; als aber das Gefecht heiß ward, 
wurden ſie durch die Schrekkensſcenen und die große Ge— 
fahr, in welcher ſie ſchwebten, ſo in Furcht geſezt, daß 
ſie ſich ploͤzlich in den Untertheil des Schiffes fluͤchteten, 
wo man ſie nach dem Treffen in der groͤßten Verwirrung 
fand. Am folgenden Tage fol man an der Kuͤſte des 
Sees die Leichname mehrerer Uramerikaner gefunden 
haben, welche vermuthlich waͤhrend des Treffens getoͤdtet 
und uͤber Bord geworfen wurden. 

Es iſt nicht moͤglich, den Werluſt der Briten 
an Getoͤdteten anzugeben; er muß aber auf jeden Fall 
ſehr groß geweſen ſein, da ihre Schiffe buchſtaͤblich in 
Stuͤkken zerſchoſſen, und die Maſten ihrer beiden vor— 
nehmſtem Schiffe ſo zerſchmettert waren, daß ſie beim 
erſten Sturm über Bord fielen. — Kommodore Bar— 
clay, der britiſche Befehlshaber, erwarb ſich unſtrei— 
tig durch ſeinen verzweifelten Widerſtand große Ehre. 
Er war damals ein ſchoͤner, junger Officier von 36 Jah- 
ren, und hatte ſchon lange gedient. In der Schlacht bei 
Trafalgar ward er ſchwer verwundet, und verlor nach— 
her in einem andern Gefecht mit den Franzoſen einen 


6 TERN A 


Arm. In dieſem Gefecht ward er zweimal wegen ſeiner i 
Wunden heruntergetragen. Wie er ſich zum zweitenmal i 
unten befand, kam ein Officier und ſagte ihm, daß ſie 
ihre Flagge ſtreichen müßten, indem ihre Schiffe in Stuͤk— 
ken zerſchoſſen waͤren, und die Leute nicht mehr bei den 
Kanonen aushalten koͤnnten. Barclay ließ ſich nun 
auf das Verdek tragen, und, nachdem er die hoffnungs— 
loſe Lage, worin ſich ſeine Macht befand, uͤberſehen, be— 
fahl er nach langem Zaudern, die Flagge zu ſtreichen. | 
Dieſes Treffen gibt uns einen unwiderlegbaren Be- 
weis, wenn es eines ſolchen wirklich bedarf, daß die 5 
amerikaniſche Seemacht nicht durch Zufall oder 
übermacht ihre Siege uͤber die Briten erfocht, ſondern 
durch Gleichmuͤthigkeit, Muth, Einſicht und Geſchiklich⸗ 
keit ihrer Seeofficiere, durch die Tapferkeit ihrer Seeleute 
und durch die treffliche Diſciplin auf ihren Schiffen; 
Grundſaͤze, welche in der Folge ihre Kaͤmpfe mit Erfolg 
kroͤnen, und den erfochtenen hohen Ruf ſichern werden. 
In dem lezten Kriege mit England haben ſie einen 
Seeſieg nach dem andern erkaͤmpft, und alle Entſchul— 
digungen der Briten, wodurch ſie ihren Verluſt zu be— 
maͤnteln oder zu verſtekken ſuchten, in ihrer Bloͤße und 
Nichtigkeit dargeſtellt. Nachdem fie dem Feind zuerſt ge 
zeigt, daß ſie ſeine einzelnen Schiffe angreifen und neh— 
men konnten, gingen ſie bald weiter, und haben ihm 
ferner gezeigt, daß fie es gleichfalls mit feinen Geſchwa— 
dern und Flotten aufzunehmen vermochten, und, wenn 
leztere ſogar ihnen wirklich an Staͤrke uͤberlegen waren, 
uͤber dieſe dennoch den Sieg davon zu tragen verſtanden. 
Einen Blik auf die einzelnen Begebenheiten dieſer 


6 


* 


151 


— 


Schlacht werfend, fühlen wir uns von Staunen hinge— 


riſſen, wenn wir bemerken, welch einen hervorſtechenden 


\ Antheil der nordamerikaniſche Befehlshaber an diefem Ge: 


fecht nahm. Gleichwie der Held des Alterthums einem 
Meteore aͤhnlich uͤber das Schlachtfeld hervorbrach, und 
Wunder wirkte mit ſeinem einzelnen Arm, ſo unſer Held, 


* der, von keinen Gefahren erſchuͤttert, dem Tode kuͤhn und 
unerſchrokken ins Angeſicht ſchaute. Der Ausgang des 


Gefechts ſchien ganz von ſeinem Schwert abzuhaͤngen; 
er war der große Geiſt, der den Sturm der Schlacht lei— 


tete, mitten unter Flammen und Dampf und Leichen 


* 


einherſchreitend, allenthalben erſcheinend, wo der Kampf 
am heißeſten und verzweiflungsvollſten war. Nachdem 
er auf der Lawrence das ganze feindliche Kanonenfeuer 
ausgehalten, und gefochten, bis Alles um ihn her nichts 
als Wrak und Blutbad zeigte, ſehen wir ihn mit uner— 
ſchuͤttertem Blikke herabſchauen von ſeinem zertruͤmmer— 
ten Verdek auf die ſchreklichen ihn umringenden Gefah— 
ren, vorſichtig den Ausgang der Schlacht erwaͤgend, ploͤz— 
lich auf dem Meere dahinfliegen, und ſeine Flagge auf 
einem andern gerade in dem heißeſten Kampfe begriffenen 
Schiffe aufſtekken. Dies war einer jener erhabenen Mei: 
ſterzuͤge, wodurch große Thaten vollbracht, und große 
Geiſter mit einem Zuge bezeichnet werden. Solch ein Zug 
beſagt die ſeltene Verbindung des Genies, welches das, 


was gerade der Augenblik erheiſcht, aufzufaſſen, und es 


eben ſo ſchnell und muthvoll auszufuͤhren vermag. Viele 
Anfuͤhrer haben zu einer oder der andern Zeit ſolche Ge— 
legenheiten, ſich auszuzeichnen, in ihrer Gewalt; es erfor: 
dert aber die Kraft eines Helden, den mit großer Gefahr 


152 


= 


umgebenen rechten Zeitpunkt mit Erfolg zu ergreifen. 
Wir gewahren Perry ſeine kuͤhnen Unternehmungen mit 
unermuͤdeter Anſtrengung fortſezen; wir ſehen ihn in die 
feindliche Flotte eindringen, ihre Linien durchbrechen, ihr 
Steuerbord und Larbord (larboard) zerftören, und auf 
dieſe ruhmvolle Art einen vollkommenen Sieg erringen. 
Bewundern wir aber die Geiſtesgegenwart und die 
unerſchrokkene Tapferkeit des Kommodore Perry in der 
Stunde der Gefahr, ſo werden wir nicht weniger erfreut 
über feine Beſcheidenheit und Selbſtuͤberwin- 
dung bei dem glorreichſten Triumph. Ein kuͤhnes tapfe 
res Herz kann einen Mann durch eine Schlacht aufs herr— 
lichſte bewaͤhren; es verraͤth aber nicht wenig große Gei— 
ſtesanlagen, die benebelnde Schaale des Sieges mit hoher 
Selbſtbeherrſchung auszutrinken. Perrys erſte Sorge 
ging dahin, den Verwundeten auf beiden Flotten die 
noͤthige Pflege zu verſchaffen; die Kranken und Verwun— 
deten wurden ſobald als moͤglich aufs Land gebracht, und 
Alles angewandt, ihre traurige Lage zu erleichtern. Sonn— 
tags Morgens wurden die auf beiden Seiten gefallenen Of— 
ſiciere auf einer Inſel des Sees unter kriegeriſchen Ehren— 
bezeugungen beerdigt. Den uͤberlebenden Officieren ſtrekte 
er aus feiner eignen beſchraͤnkten Kaffe 1000 Dollars vor; 
kurz fein Benehmen in dieſer Ruͤkſicht kann man am be: 
ſten durch die Worte des britiſchen Kommodore be— 
zeichnen, der voll warmer Großmuth und Freimuͤthigkeit 
ſprach, daß Kommodore Perrys Betragen gegen die 
gefangenen Officiere allein genuͤge, ſeinem Namen Un— 
ſterblichkeit zu verleihen. Die Briefe, worin er die Nach— 
richt des Sieges meldete, zeichneten ſich durch ihre Ein— 


1 
Pd 


18 


fachheit und Kürze aus. An den Sekretär des See— 
weſens ſchreibt er: „Es hat dem All maͤchtigen ge— 
fallen, den Waffen der Vereinten-Staaten einen 
entſcheidenden Sieg auf dieſem See zu verleihen. Die 
britiſche, aus zwei Schiffen, zwei Brigs, einem Schoo⸗ 
ner und einer Schaluppe beſtehende Flotte hat ſich ſo eben 
nach einem hizigen Gefecht an die von mir befehligte 
Flotte ergeben.“ — Dies hat man eine Nachahmung — 
von Nelſons Brief nach der Schlacht bei Abukir ge⸗ 
nannt; wir muͤſſen aber bekennen, er waͤhlte ein edles 
Muſter, und der wichtige bedeutende Erfolg dieſer Schlacht 
fuͤr die Nation rechtfertigte dieſe Sprache. Wollen wir 
auch den großen Ruhm, der aus dieſer Schlacht der Ma⸗ 
rine der Vereinten-Staaten zufloß, nicht einmal 
in Anſchlag bringen, ſo duͤrfen wir hier doch nicht unbe— 
achtet laſſen, daß dieſer Sieg nicht nur die Einnahme 
von Detroit, ſondern auch die Niederlage der briti— 
ſche Armee, und die Unterwerfung der ganzen Habbinſel 
von Oberkanada vergewiſſerte, und waͤre er ſo benuzt, 
wie er haͤtte benuzt werden ſollen, ſo haͤtte er dem 
Kriege im Norden für die Amerikaner den herr: 
lichſten Ausſchlag gegeben. Mit Recht konnte Perry 
ſagen: „Es hat dem All maͤchtigen gefallen“; 
indem er durch dieſe Heldenthat ſogleich einem großen 
| Strich Landes eine beglüffende Ruhe wiedergeſchenkt ſah. 
Muͤtter fuhren nun nicht mehr bebend und erſchrokken 
zuſammen, ihre Kinder an ihre Bruſt druͤkkend, wenn 
ſie das Geheul der Wilden hoͤrten, oder den Schall der 
Trompeten; der betagte Vater fuͤrchtete nun nicht mehr 
die Schatten der Nacht, daß Verderben ploͤzlich über ihn 


2 


in der Stunde der Ruhe ausbrechen, und feine Hütte 
wuͤſte und öde machen werde durch grauſenerregende 
Mordbrenner und ihre Skalpmeſſer. — Michigan ward 
befreiet von der Herrſchaft des Schwertes, und Ruhe und \ 
Sicherheit wurden den hart geplagten Grenzbewohnern 
vom Huron bis zum Niagara wiedergegeben. Einen 
beſonders hohen Genuß gewährt Perrys Brief, worin 


* die genauern Umſtaͤnde und Einzelnheiten der Schlacht 


beſchreibt. Er iſt ſo klar, deutlich und gemaͤßigt, gleich 
frei von prahlender Großſprecherei und erfünftelter Be: | 
ſcheidenheit, weder ſich zu ſehr hervorhebend, noch ſich 
zu ſehr in den Hintergrund ſtellend. Seine perſoͤnlichen 
Verdienſte koͤnnen zwar aus dem Briefe erſehen wer- 
den, obgleich ſie hier nicht ausdruͤklich erwaͤhnt ſind. Es 
war wirklich, wo des Tages Gluͤk ſo weſentlich von ihm 
abhing, fuͤr ihn unmoͤglich, einen treuen Bericht abzu— 
ſtatten, ohne ſich ſelbſt darin klar zu bezeichnen. Wir 
fuͤhlen uns veranlaßt, hier dieſer Briefe vorzuͤglich des— 
halb zu gedenken, weil wir ſehen, daß die Kunſt des 
Briefſchreibens eine eben ſo ſeltene als wichtige Fertig— 
keit unter dem Militaͤr iſt. Wir fuͤhlen uns von der 
Tapferkeit der Feder und den Siegen des Dinteſtechers 
ermuͤdet. Man hat ein franzoͤſiſches Spruͤchwort: 
„Grand parleur, mauvais combattant“ („ein gro- 
ßer Raiſonneur, ein ſchlechter Soldat“), wel⸗ 
ches wir auch bei uns eingefuͤhrt und den Schwertern 
unſerer Officiere eingegraben zu ſehen wuͤnſchen. Wir 
wuͤnſchen, daß dieſe ſich in ihren Berichten auf einfache 
Thatſachen beſchraͤnken, weder großthuend vor der Schlacht, 
noch prahlend nachher. Es iſt thoͤricht, vor der Schlacht 


N 


a 
1 * 


4 


. 155 


"fie breit zu wachen; dun ſie kann verloren gehen / und 


es iſt üͤberfluͤſſig, nachher zu übertreiben, denn die That 


I, 


fpricht für ſich ſelbſt. Der, welcher nichts verſpricht, 


1 mag ohne Ahndung nichts ausrichten, und er wird An— 


’ erkennung finden, wenn er nur etwas ausrichtet; allein 


dem, der viel verſpricht, wird man wenig Lob ſpenden, 
wenn er nicht Wunder wirkt. Hat ein Anfuͤhrer ſeine 


Pflicht wohl gethan, ſo kann er verſichert ſein, das va— 


terlaͤndiſche Publikum werde ſie nicht ohne Anerkennung * 
in Vergeſſenheit gerathen laſſen, ſondern ſie nach richti— 


gem Verhaͤltniß zu ſeiner Beſcheidenheit wuͤrdigen. Be— 
wunderung iſt eine Münze, mit der wir, wenn fie uns 


ſelbſt uͤberlaſſen wird, verſchwenderiſch umgehen, aber 
jedes Mal die Hand zudruͤkken, wenn wir an ſie ge— 


mahnt werden. 


Kommodore Perry iſt, ſo wie die meiſten der 
nordamerikaniſchen Seeofficiere, noch in der Bluͤthe 


ſeiner Jahre, beſizt ein maͤnnliches und einnehmendes 


g Ausſehen, iſt mild und anſpruchslos im Geſpraͤch, lie— 


benswuͤrdig in ſeinen Manieren, und mit großer Feſtigkeit 
und Entſchloſſenheit begabt. Schon in fruͤher Jugend 
im Seefache, wo ſo leicht die Gemeinheit in Ungebunden— 
heit und Zuͤgelloſigkeit ausarten kann, aufgewachſen, hielt 
ihn die ihm angeborene Feinheit und fein geſeztes Betra- 
gen ſtets in den gebuͤhrenden Grenzen des Anſtandes, 


ohne jedoch der Freiheit der Freundſchaft Zwang aufzule— 


gen. Es gewaͤhrt einen hohen Genuß, ausgezeichnete 
Maͤnner mit haͤuslichen Tugenden geziert zu ſehen, wo— 
durch unſre Achtung gegen ſie in einem hohem Grade 
zunimmt; denn keine niedrige Schwaͤche vermoͤgen wir 


156 


an denen zu bewundern, bei denen wir einen hohen ſitt— 
lichen Charakter, ein feines gebildetes Benehmen und eine 
unbeflekte Ehre erwarten. Sollte noch etwas mangeln, 
den Ruhm dieſes Sieges auf die Nachwelt zu bringen, 
ſo wird die Gegend, wo er gefochten ward, hinreichend 
genuͤgen, dies zu erſezen. Der lezte Krieg der Nord— 
amerikaner mit den Briten (von 1812 — 15) zeich⸗ 
nete ſich durch einen neuen und eigenthuͤmlichen Charak— 
ter aus. Der Seekrieg ward naͤmlich in das Innere 
des Feſtlandes verſezt, und gleich wie durch einen Zauber 
gingen Schiffe aus den Waͤldern hervor. Die friedlichen 
Binnen-Seen, welche kurz vorher kaum einen Men— 
ſchen, außer dem Uramerikaner, nebſt ſeinem leichten 
Boot getragen, wurden auf einmal von feindlichen Schif— 
fen durchſchnitten. Die große Stille, die Jahrtauſende 
hindurch auf dieſen großen Gewaͤſſern geherrſcht, unter— 
brach jezt der Donner der Kanonen, und der in Schrek— 
ken geſezte wilde Ur amerikaner floh mit Staunen 
aus ſeinem Schlupfwinkel bei dem ploͤzlichen Anblik einer 
in der Mitte der einſamen Wuͤſte gefochtenen Seeſchlacht. 

Wenn einſt in kuͤnftigen Jahrhunderten des Erie 
Geſtade wimmeln werden von einer geſchaͤftigen Bevoͤlke— 
rung; wenn einſt dort Staͤdte und Doͤrfer erglaͤnzen, wo 
jezt des Waldes Dikkicht alles in Schatten birgt; wenn 
einſt Haͤfen dort ihre Schuzwehren erheben, und luftige 
Schiffe dort die Fluthen durchſchneiden, wo jezt des Ur— 
amerikaners winziges Kanon an einem Pfahl haftet 
— wenn auf dem jezigen Jahrhundert einſt ehrwuͤrdiges 
Alterthum ruht, und eine erhizte Romantik ihre Nachleſe 
auf dem Felde der Geſchichte beginnt, dann werden 


1357 


Nordamerikas Bewohner auf Perrys obige Schlacht 
als auf die glaͤnzendſte Begebenheit der Vorzeit zuruͤkblik— 
ken; der Vater wird fie einſt feinem Sohn erzählen, und 
obenan wird ſie ſtehen in den Legenden und Chroniken 
der Bewohner der Binnen-Seen. Laͤngs dem Ufer: 
rande hinrudernd, wird dann der friedliche Schiffer auf - 
die halb begrabenen, vom Roſte der Zeit faſt zernagten, 
Kanonen hinweiſen, und von den Seehelden reden, die . 
einſt von der Kuͤſte des atlantiſchen Meeres herkamen, 
waͤhrend, der Bootsmann ſeine Segel fuͤr einen guͤnſtigen 
Wind ſpannend, in einem ungekuͤnſtelten Liede den Na— 
men Perrys beſingt, des erſten Helden auf dem 
Erieſee. 

Schließlich bemerken wir, daß Perry bei dem bald 
(1815) erfolgten Frieden des anglo-nordamerikani— 
ſchen Bundesſtaats mit England, der die auf den 
Friedensfuß geſezte Kriegsmacht des erſtern von 60,000 
Mann auf ungefaͤhr den zehnten Theil herabſezte, ſeiner 
6 glaͤnzenden Tapferkeit wegen im Dienſt blieb, und ſeit— 
dem den im Kriege erlangten Ruhm durch treffliche Ei— 
genſchaften und Geſinnungen bewaͤhrt. 


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| VIII. 
Die Neulaͤn der 
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das Loos der von ihnen zur Auswanderung nach 
Amerika verleiteten Deutſchen. 


Unter Neulaͤndern verſteht man Deutſche, welche aus 
Amerika nach Deutſchland zuruͤkreiſen, um ihre Erbſchaft 
zu holen, oder auch fuͤr andere nach Amerika Eingewan— 
derte Gelder, welche dieſe noch in Deutſchland zu fordern 
haben, zu erheben, und dafuͤr gewoͤhnlich Waaren einkau— 
fen, und in Amerika mit großem Gewinn abzuſezen pfle⸗ 
gen. Dies iſt ein ordentliches und erlaubtes Gewerbe, 
wogegen Niemand etwas einwenden kann. Eine andere 
Klaſſe von Neulaͤndern iſt tadelnswuͤrdiger; dieſe be— 

ſteht aus ſolchen Individuen, welche nicht Luſt haben, 
ſich durch ihrer Hände Arbeit in Amerika redlich zu nähe 
ren, ſondern nach Deutfchland veifen, auch wohl hier 
und da Vollmachten zu Erhebung von Geldern mitneh— 
men, deren Hauptzwek aber vornehmlich dahin geht, in 
Deutſchland eine Menge Menſchen anzuwerben, und dieſe 
auf allerlei Art und Weiſe zu bereden, daß ſie ihr Va- 
terland mit Amerika vertaufchen ſollen. Dieſe Neulaͤnder 
oder amerikaniſchen Werber machen ſich zuerſt mit 
einem Kaufmann in Holland bekannt, von dem ſie, 
nebſt freier Fracht, eine gewiſſe Belohnung fuͤr eine jede 
Familie, oder auch jede ledige Perſon, die ſie in Deutſch— 


4 4 
+ 


159 * 


5 
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land anwerben, und nach Holland zu dem Kaufmann 
bringen, erhalten. Damit ſie nun ihren Zwek, recht 
Viele anzuwerben, deſto beſſer erreichen moͤgen, gebrauchen 
ſie alle moͤglichen Kunſtgriffe. Sie pflegen, ſo lange es 
die Auffuͤhrung der Komoͤdie erfordert, in vornehmen 
Kleidern einherzugehen, die Taſchenuhren fleißig zu beſe— 
hen, und in allen Stuͤkken den großen Herrn zu ſpielen, 


um dadurch die Begierde der Leute deſto mehr zu reizen, — 


in ſolch ein gluͤkliches und reiches Land zu ziehen, wo 
auch fie ſchnell zu Reichthum und Wohlſtand gelangen 
koͤnnten. Dieſe Neulaͤn der machen ſolche Beſchreibung 
von Amerika, daß man glauben ſollte, es waͤren dort · 
lauter elyſaͤiſche Gefilde, welche fi ohne Muͤhe und Arbeit 
ſelbſt beſaameten; als wären dort die Berge voll gediege⸗ 
nen Goldes und Silbers, und dem Brunnen entquölle 
die ſchoͤnſte Milch und der lieblichſte Honig. Jeder von 
ihnen bethoͤrte Knecht glaubt, er wuͤrde, wenn er mit 
ihnen gehe, in Amerika ein Herr, jede Magd waͤhnt, ſie 
wuͤrde dort eine gnaͤdige Frau, jeder Bauer denkt, er 
wuͤrde dort ein Edelmann, jeder Bürger und Gewerb— 
treibende, er wuͤrde dort ein Baron; auf Alle macht vor— 
| zuͤglich die Vorſtellung, daß in Amerika die Beamten 
| von dem Volk gewählt und nach Belieben wieder entlaſ— 
ſen wuͤrden, den außerordentlichſten Eindruk. Da Jeder 
ſich gedrungen fuͤhlt, ſeinen Zuſtand zu verbeſſern, wer 
wollte denn nicht gern in eine ſolche neue Welt reiſen, 
zumal da viele Theile Deutſchlands uͤbervoͤlkert, und vor: 
zuͤglich durch dieſe Übervoͤlkerung die Armen und Bauern 
oft ſolche Noth empfinden, daß ſie die Abgaben und 
Frohndienſte nicht mehr leiſten koͤnnen. Schaarenweiſe 


160 


brechen die Familien nach Amerika auf, machen ihre ge 
ringen Habſeligkeiten zu Gelde, bezahlen ihre Schulden, 
und was fie dann noch übrig behalten, geben fie den 
Neulaͤndern in Verwahrung, und begeben ſich ſo ſchnell 
als moͤglich auf die Reiſe. Sobald ſie auf den Rhein 
kommen, wird Alles ihnen angerechnet. Von Holland 
koͤnnen ſie nicht immer ſogleich abfahren, und nehmen 
oft Vorſchuß von dem Kaufmann auf ihre Rechnung. 
Hierzu kommt die theure Seefracht von Holland nach 
Amerika. Ehe ſie von Holland abfahren, muͤſſen ſie eine 
Übereinkunft in engliſcher Sprache unterſchreiben, und 
werden dann von den Neulaͤndern beredet, daß ſie, 
als unpartheiiſche Freunde, bei dem Akkord dahin ſehen 
wuͤrden, daß ihren Landsleuten kein Unrecht geſchaͤhe. 
Je mehr Frachten an Perſonen der Kaufmann und Ka- 
pitain in ein Schiff bringen, deſto groͤßer iſt ihr Vor— 
theil, wenn jene nicht unterwegs ſterben, ſonſt haben ſie 
wohl gar zuweilen Schaden. Daher werden die Schiffe 
reinlich gehalten, und allerlei Mittel angewandt, um die 
Menſchen beim Leben zu erhalten, um geſunde Waare 
zu Markte zu bringen. Vor der amerikaniſchen Revolu— 
tion waren ſie wohl nicht ſo vorſichtig, ſondern waren 
ganz gleichguͤltig dagegen, wenn Jemand auf dem Schiffe 
ſtarb. Wenn etwa Altern auf dem Schiffe ſtarben und 
Kinder hinterließen, ſo pflegten die Kapitaine und Neu— 
laͤnder als Vormuͤnder und Waiſenvaͤter aufzutreten, die 
Kiſten und Hinterlaſſenſchaft der Verſtorbenen in ſichere 
Verwahrung zu nehmen, und wenn die Waiſen ans Land 
kamen, wurden ſie fuͤr ihre eigene und ihrer verſtorbenen 
Altern Fracht verkauft, und die gar zu kleinen verſchenkt, 


161 


und ihrer Altern Nachlaß ging gerade auf für die vieler: 
lei gehabte Muͤhe der Vormuͤnder. Solche himmelſchreiende 
Betruͤgereien bewog verſchiedene wohlmeinende Deutſche 
in Pennſilvanien, befonders in und um Philadel— 
phia, daß fie eine Geſellſchaft errichteten, um fo viel 
als moͤglich bei der Ankunft der armen Auswanderer da— 
hin zu ſehen, daß gegen dieſe Recht und Billigkeit geuͤbt 
werde. Sobald die Schiffe in Holland befrachtet ſind, 
ſo gehet die beſchwerliche und gefaͤhrliche Seereiſe an. 
Die harten Zufaͤlle auf der Seereiſe in Krankheiten, 
Stuͤrmen und dergleichen werden etwas erleichtert durch 
die ſuͤße Hoffnung, daß man bald die neue Welt, und 
in derſelben das Paradies erreichen werde. 

Nach langem Warten kommt endlich ein Schiff nach 
dem andern in Philadelphia an, wenn der rauhe und 
bittere Winter ſehr nahe iſt. Ein dortiger Kaufmann 
empfaͤngt die Liſte von den Frachten und den Akkord, 
welchen die Auswanderer in Holland eigenhaͤndig unter— 
ſchrieben haben, nebſt den uͤbrigen Rechnungen von der 
Rheinfahrt, und dem von dem Neulaͤnder geleiſteten 
Vorſchuß fuͤr Erfriſchungen, welche die Auswanderer auf 
dem Schiffe von ihnen auf Rechnung empfangen haben. 
Fruͤher war die Fracht für eine einzelne erwachſene Pers 
ſon 6 — 10 Louisd'or, jezt aber betraͤgt dieſe 14— 17 
Louisd'or. Ehe die Schiffe vor der Stadt Anker werfen 
duͤrfen, muͤſſen ſie erſt nach einem dortigen Geſez von 
einem Arzt unterſucht werden, ob keine anſtekkende 
Seuchen auf denſelben herrſchen. Dann wird in den 
Zeitungen bekannt gemacht, daß ſo und ſo viel Deutſche 


fuͤr ihre Fracht verdingt werden ſollten. Wer aber ſo 
Brauns Skizzen von Amerika. 11 


162 


viel Vermögen befizt, daß er feine Fracht felbft bezahlen 
kann, der wird fogleich frei gelaſſen. Wer vermögende 
Freunde hat, der fucht bei ihnen Vorſchuß, um die 
Fracht zu bezahlen; deren gibt es aber dort wenige. 
Das Schiff iſt der Markt. Die Kaͤufer ſuchen ſich die— 
jenigen aus, welche ihnen am beſten gefallen, akkordiren 
mit ihnen auf Jahre und Tage, fuͤhren ſie zum Kauf— 
mann, bezahlen die Fracht und uͤbrigen Schulden, und 
laſſen ſie ſich als Dienſtboten vor der Obrigkeit durch ein 
ſchriftliches Inſtrument auf die beſtimmte Zeit verpflich— 
ten. Die jungen, ledigen Leute beiderlei Geſchlechts gehen 
am beſten ab, und erhalten eine gute oder boͤſe Stelle, 
je nachdem ihr Herr beſchaffen iſt. Man hat oft bemerkt, 
daß diejenigen Kinder, welche ihren Altern ungehorſam 
geweſen, und aus Eigenſinn ohne ihrer Altern Willen 
aus Deutſchland weggegangen, in Amerika oft ſehr boͤſe 
Herrſchaften erhalten haben. Alte verehlichte Leute, Witt— 
wen, oder Gebrechliche will Niemand in Dienſt nehmen, 
weil der Armen und Unbrauchbaren, die dem gemeinen 
Weſen zur Laſt werden, ſchon mehr als zu Viele in 
Amerika ſind. Wenn ſie aber geſunde Kinder haben, ſo 
wird die Fracht der Alten zu jener der Kinder geſchla— 
gen, und die Kinder muͤſſen deſto laͤnger dienen, und 
werden nicht ſelten weit und breit von einander unter 
allerlei Nationen, von verſchiedenen Sprachen zerſtreut, 
ſo daß ſie ſelten ihre alten Altern, oder auch die Geſchwi— 
ſter ſich einander im Leben wieder zu ſehen bekommen, 
auch wohl ihre Mutterſprache vergeſſen. Die Altern kom— 
men auf dieſe Weiſe frei vom Schiffe, ſind aber arm, 
nakkend und kraftlos, ſehen aus, als ob ſie aus den 


| 
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— mn nn 


Gräbern gezogen wären, und gehen in der Stadt bei deut: 
ſchen Familien betteln; denn die englifchen ſchließen ge— 
woͤhnlich die Thuͤren vor ihnen zu, weil ſie befuͤrchten, 
angeſtekt zu werden. In ſolchen Verhaͤltniſſen blutet dem 
Menſchenfreunde das Herz, wenn er gewahrt, wie die ar— 
men Auswanderer, welche mitten aus chriſtlichen Laͤndern 
nach Amerika kommen, zum Theil winſeln, ſchreien, 
klagen, und die Hände über dem Kopfe zuſammenſchlagen 
uͤber den Jammer und das Elend, welches ſich in Deutſch— 
land Niemand vorſtellt; und wie hingegen andere alle 
Elemente und Sakramente, ja gar alle Gewitter und 
ſchreklichen Einwohner der Hoͤlle beſchwoͤren und anrufen, 
daß fie die Neulaͤn der, und die hollaͤndiſchen 
Kaufleute, von denen ſie verfuͤhrt waͤren, in unzaͤh— 
lige Theilchen zerknirrſchen und martern moͤchten. Die 
Leztern, von dieſer Scene des Jammers weit entfernt, 
hoͤren nichts davon, die verhaͤrteten Neulaͤnder aber 


lachen nur daruͤber, und geben keinen andern Troſt, als 


die Phariſaͤer dem Judas Iſcharioth ertheilten: 
„Was gehet das uns an? da ſiehe du zu.“ 
Matth. 27, 5. Die Kinder ſelber, wenn ſie hart ge— 


halten und gewahr werden, daß ſie um ihrer Altern wil⸗ 


6 


len deſto länger in der Dienſtbarkeit bleiben muͤſſen, be: 
kommen Haß und Bitterkeit gegen dieſe. 
Die deutſche Geſellſchaft in Philadelphia 


und in Neuyork hat den groͤßten Anlauf. Die Glieder 


| 


derſelben legen alle Vierteljahr ihre Gaben und Scherflein 


zuſammen, und bekommen auch ein und andere Beihuͤlfe 
von liebthaͤtigen Chriſten aus dem Innern des Staats, 


welches aber nicht gar viel betraͤgt. Sie kaufen Brot 


164 


und andere erfrifchende Nahrungsmittel, und vertheilen 
ſolche unter die Nothleidenden; aber was ift das un: 
ter ſo Viele? Sie laſſen die Kranken in Haͤuſer brin— 
gen, mit Arzenei und Pflege verſorgen, vertheidigen die— 
ſelben auch bei der Obrigkeit, wenn etwa Einem oder 
Andern Unrecht geſchehen ſein ſollte. Damit iſt aber der 
ganzen Noth noch nicht abgeholfen. Die leichtglaͤubig 
betrogenen Auswanderer bilden ſich wohl gar ein, daß 
die deutſche Geſellſchaft der Neulaͤnder ihre phan— 
taſtiſche Beſchreibung realiſiren, und das neue rauhe 
Land in elyſaͤiſche Gefilde verwandeln ſollte. Dies ift 
aber ganz unmoͤglich, und die Geſellſchaft ſchikt auch keine 
Neulaͤnder auf die Werbung aus. Deſſen ungeachtet 
verlangen die neuangekommenen Auswanderer, daß die 
Geſellſchaft doch wenigſtens alle Arme, Alte, Unbrauch— 
bare, Kranke, Schwangere, Lahme und Säuglinge los— 
kaufen, verpflegen, ernaͤhren, kleiden und nach dem Tode 
begraben laſſen muͤßte. Auch das iſt unmoͤglich; denn 
es wuͤrde einen Fond von mehrern tauſend Pfunden er— 
fordern, da die Einlagen der Mitglieder kaum ſo viele 
Kreuzer betragen, und Jeder mit ſich ſelbſt zu thun hat, 
wenn er ſich und die Seinigen ehrlich durchbringen will. 
Dann ergeht der Anlauf auf die armen Prediger, weil 
die Leute, welche aus wohlbeſtellten proteſtantiſchen Lanz 
dern kommen, ſich erinnern, daß die Paſtoren ihre or- 
dentliche Beſoldungen, und zum Theil den Zehnten von 
allerlei Fruͤchten und Wein u. ſ. w. zum Gehalt haben, 
und meinen, die Prediger in der neuen Welt muͤßten 
noch weit mehr Vorrath und überfluß beſizen. Daher 
bitten ſie um leibliche Huͤlfe von den Predigern, oder 


165 


aus dem Gotteskaſten. Aber ach leider! woher follen 
dieſe helfen, von der Tennen oder Kelter? Weil Kirchen 
und Schulen von Liebesgaben und Scherflein gottfuͤrch— 
tender Glieder aufgerichtet ſind, und noch kuͤmmerlich 
unterhalten werden muͤſſen, ſo iſt auch hier wenig zu 
erwarten. 


IX. | 
Der Ohioſtaat. 


„Eine vernünftigere Auswanderung wendete 
ſich nach den Ufern des Ohio; ein Land 
der Freiheit oͤffnete ſein Aſyl denjeni— 
gen, welche vor der Freiheit ihres Va— 
terlandes flohen. Nichts beweiſt beſſer 
den hohen Werth edelfinniger Staats— 
einrichtungen, als dieſes freiwillige Exil 
der Anfänger der abſoluten Macht in 
einer republikaniſchen Welt.“ 

Chateaubriand. 


Die Auswanderungen der Europaͤer nach Ame: 
rika nehmen mit jedem Jahre zu. Merkwuͤrdig dabei 
iſt, daß die Auswanderungen in den von den Schriftſtel⸗ 
lern bisher am meiſten geprieſenen Laͤndern der alten 
Welt am haͤufigſten Statt finden. Keine Portugieſen, 
Spanier, Ungarn, Slaven, Lapplaͤnder, ſuchen jenſeits 
des Oceans ein beſſeres Vaterland; aber aus dem herr— 
lichen Suͤddeutſchland ziehen jaͤhrlich mehrere Tau— 
ſende hinweg. Eben ſo viele, und noch mehrere verlaſſen 
in großen Schaaren das, wegen ſeiner muſterhaften Ver— 
faſſungen hochgeprieſene, Großbritannien; Viele ver: 
laſſen Italiens vielbeſungene, reizende Fluren; Andere 
die wegen ihrer Freiheit geruͤhmte Schweiz; ſelbſt das 
ſchoͤne Frankreich verlaſſen nicht Wenige. Woher 
dies? Bei den Meiſten gehen die Auswanderungen aus 
materiellen Urfachen hervor. Es iſt die Übervölfe: 


167 


rung, ja felbft die Hungersnoth, welche jährlich Tauſende 
von Armen uͤber das Meer treibt. Bauern, denen ihre 
Hoͤfe gerichtlich verkauft wurden, Handwerker, welche 
in ihrer Werkſtaͤtte keine Beſchaͤftigung haben, weil fie 
keinen Abſaz finden, ſind unſtreitig die groͤßere Zahl, 
welche Europens Gefilde mit den amerikaniſchen Wildniſ— 
ſen vertauſchen. Insbeſondere durch die Aufhebung 
der Kloͤſter ) hat die Armuth in Deutfchland einen 
faft unerſezlichen Stoß erlitten. In den Kloͤſtern nam: 
lich fanden die Armen jederzeit eine freundliche Aufnahme; 
hier wurden ſie nicht nur mit kraͤftig naͤhrender Speiſe 
(keiner magern Rum ford ſchen Knochenſuppe) 
und geſundem Biere erquikt, ſondern auch nicht ſelten 
mit den noͤthigſten Kleidungsmitteln verſehen. Das be— 
noͤthigte Holz erhielten fie faſt umſonſt, und fo viel Lein- 
und Kartoffelnland, als ſie nur wollten, um einen ſehr 
billigen Preis. Seit Aufhebung der Kloͤſter iſt es hierin 
aber ganz anders geworden. Seit dieſer Zeit erhalten hier 
die Armen weder Speiſe noch Trank, das benoͤthigte 
Brennholz und Lein- und Kartoffelnland muͤſſen ſie jezt 
mehr als zehn Mal ſo hoch bezahlen als vorhin. Oft 
gibt ihnen fuͤr dieſen hochgeſteigerten Preis der jezige Klo— 
ſterinhaber das ſchlechteſte Land zu ihrem Lein- und Kar— 
toffelnbau, wofuͤr ſie jenem faſt das ganze Sommerhalb— 
jahr hindurch, taͤglich von des Morgens fruͤh bis des 


4) Der Verf. will hier wahrlich nicht der Beibehaltung der Kloͤſter 
das Wort reden; aber warum hat man bei ihrer Aufhebung nicht 
beſſer den armen, nothleidenden Theil der Menſchheit bedacht, zu 
deren Beſten ſie ja vorzugsweiſe beſtimmt waren? 


168 


Abends ſpaͤt, härter als die weſtindiſchen Sklaven arbei— 
ten muͤſſen, und aͤrnten dafuͤr auf den kaͤrglichen, ihnen 
eingeraͤumten Ruthen Lein- und Kartoffelnlandes wenig, 
oft kaum die Einſaat, wobei ſie ſelten oder nie den ge— 
ringſten Nachlaß von ihren hartherzigen Herren empfan— 
gen. So kommt der Winter heran, wo ſie gleichfalls 
allem Hunger und Kummer ausgeſezt ſind, indem ihre 
kaͤrgliche Einnahme ihnen nicht erlaubt, das fuͤnf- bis 
zehnfach erhoͤhte Holz zu kaufen, und dagegen die Auf— 
ſicht uͤber die Forſten im hoͤchſten Grade ſtreng und un— 
nachſichtsvoll geuͤbt wird. Daher wird man ſich nicht 
wundern, wenn man in jenen Gegenden, wo ſeit dem 
Luͤneviller Frieden die Klöfter aufgehoben find, die zahl: 
reiche arme Volksklaſſe fragt: „Unter welcher der ver— 
ſchiedenen Regierungen habt ihr's am beſten gehabt?“ von 
dieſen durchgaͤngig die Antwort erhaͤlt: „So gut wie 
unter unſerm geiſtlichen Churfuͤrſten (oder Fuͤrſten) krie— 
gen wir's nimmer wieder.“ Man gehe aufs Eichsfeld, 
ins Hildesheimſche, Paderbornſche, und man 
wird ſich von der Wahrheit des Geſagten jeden Augen— 
blik uͤberzeugen koͤnnen. Nur in Eng land ward durch 
eine beſondere Armenſteuer fuͤr die nothleidende Klaſſe 
beſſer als in dem ganzen uͤbrigen proteſtantiſchen Europa 
geſorgt, und doch iſt hier die Volksnoth gegenwaͤrtig auf 
den hoͤchſten Gipfel geſtiegen. Die engliſche Zeitung 
The Standard vom 2ten December 1829 gibt in dieſer 
Ruͤkſicht folgendes Schreiben des Herrn Cob bet uͤber 
den Zuſtand verſchiedener Grafſchaften in Eng—⸗ 
land, die er vor Kurzem durchreiſ't hat: „Man ſagte 
in London, das Elend habe zu Birmingham bei 


169 


Weitem keinen fo hohen Grad erreicht, als in andern 
Gegenden des Landes. Der Leſer urtheile hieruͤber aus 


folgenden, völlig wahrheitsgemaͤßen Thatſachen: Die Fa: 


brikanten und Manufakturiſten zahlen ihre Ar— 
beiter nicht mehr im Gelde, ſondern liefern ihnen die 
zum Lebensunterhalte noͤthigen Beduͤrfniſſe; ſo ſelten ſind 
jezt Baarſchaften geworden. Ja, noch mehr: Sie ſchlie— 
ßen Übereinkuͤnfte mit den Barbierern ihrer Arbeitsleute 


ab, um dieſelben zu einem gewiſſen Preis monatlich oder 


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ö 
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nach dem Duzend raſiren zu laſſen. Die Arbeiter wuͤr— 
den ſich gern gegenſeitig raſiren, wenn man ihnen dazu 
einen kleinen Beitrag bewilligte, aber man will ihnen 
durchaus kein Geld geben. Es herrſcht ein ſtrenges 
Tauſchſyſtem im eigentlichen Sinn des Worts. Aber 
das iſt noch nicht Alles. Mehrere Barbiere von Bir: 
min gham, einſehend, daß die Raſirerei im Großen 
ihrem Geſchaͤfte ſchade, haben bekannt machen laſſen, 
daß ſie bereit waͤren, Jeden gegen Abgabe eines geraͤu— 
cherten Herings (leztere ſind in dieſer Gegend ſehr wohl— 
feil) zu barbieren. Dieſe Thatſachen beweiſen doch wohl, 
daß es in England am Gelde fehlt, und Handel und 
Gewerbe voͤllig ſtokken. Die Lage des groͤßten Theils der 
Fabriken in Nottinghamſhire und Leiceſterſhire 
iſt noch jaͤmmerlicher. Der Lohn der Weber iſt dort 
ſo gering, daß die armen Leute Jahr ein, Jahr aus, Hun— 
ger leiden muͤſſen; denn wer kann mit ſechs Pences 
(achtzehn Kreuzer oder ſieben Mariengroſchen) die Woche 
leben? Auch zeugen ihr mageres Ausſehen, ihre ent— 
fleiſchten Koͤrper, ihre hohle Stimme von den ſtrengen 
Faſten, die ſie, obgleich wider Willen, beobachten. Kar— 


170 


—— — ENE) 


toffehn gehören für fie ſchon zu den Luxusartikeln. 
Mehrere leben allein von geſalzenem Kraute; Andere naͤh— 
ren ſich von geſottener Kleie. Der Leſer weiß, daß die 
leztere ein Mittel iſt, welches in Pferdekrankheiten haͤufig 
gebraucht wird. Kleie, Kraut und Kartoffeln ſind 
eine ſchlechte Nahrung im Winter, ſelbſt fuͤr die Schwei— 
ne. Noch verdient hier angefuͤhrt zu werden, daß die 
Herren, welche verheirathete Arbeiter haben, nur ſehr ſel— 
ten den Mann erlauben, ſeine Frau zu ſehen, und das 
nur in Gegenwart von Zeugen. — So weit iſt es in 
England gekommen!“ Und doch hat England von 
1788 bis 1821, 33,155 Verbrecher nach Neuſuͤdwales ge— 
ſandt, und dafür die Summe von 5,301,023 Pfund Ster— 
ling aufgewandt, und ſeit 1820 — 1830, über 20,000 
Arme nach dem Vorgebirge der guten Hoffnung 
und Oberkanada koloniſirt! Um wie viel hoͤher wuͤrde, 
ohne Ergreifung dieſer weiſen Maaßregel, die Noth und 
das Elend in England geſtiegen ſein! Um zu zeigen, 
daß wir nichts uͤbertreiben wollen, erwaͤhnen wir hier 
blos zur Beſtaͤtigung des oben Geſagten, daß die Grand 
Jury (eine in England immer ſehr wichtige Autori— 
tät) von Kent, im December 1829 an den Herzog 
von Wellington ein Schreiben ergehen ließ, worin es 
unter Andern heißt: „Die Noth herrſche jezt un: 
ter allen Klaſſen im Lande in einem fo hohen 
und beiſpielloſen Grade, daß ſie nicht blos 
dem Intereſſe von Einzelnen Gefahr drohe, 
fondern ſogar in einem nicht mehr entfern— 
ten Zeitpunkte ernſthafte Folgen auf das Na— 
tionalwohl aͤußern muͤſſe,“ oder mit andern Wor⸗ 


171 


ten: daß nicht nur die großen Landeigenthuͤmer auf einen 
Theil ihrer Einkuͤnfte wuͤrden verzichten, ſondern auch 
troz dieſer Verminderung eine hoͤhere Armenſteuer tragen 
muͤſſen; denn ſchon jezt nehmen die Armen auf mittlerm 
Boden im Lande 25 Procent vom reinem Ertrage des 
Gutsbeſizers in Anſpruch. Obgleich die meiſten der Ar— 
men wohl wiſſen, welche Beſchwerlichkeiten und Erdul— 
dungen waͤhrend der Seereiſe und der erſten Anſiedlung 
ihrer unvermeidlich warten, indem ſie dort in den er— 
ſten Jahren ihrer Anſiedlung vielen in der alten Heimath 
gewohnten Lebensbequemlichkeiten entſagen, und dagegen 
auf ein Leben voll großer Entſagungen und Erduldungen 
ſich gefaßt machen muͤſſen, ergreifen ſie dennoch den Wan— 
derſtab; nichts haͤlt ſie zuruͤk. 

Nicht Wenige treiht auch die Idee, „in Amerika 
großere Freiheit zu genießen, und zu eigenem 
Beſizthum zu gelangen“ uͤber das Meer. Bei 
der fortſchreitenden Bildung haben ſich vorzuͤglich in Eng— 
land und Frankreich gewiſſe Begriffe durch die 
Maſſe der Voͤlker verbreitet, welche vor Zeiten nur das 
Eigenthum einzelner Auserleſener waren. Die unter einer 
liberalen Konſtitution einſt lebenden, gegenwaͤrtig unter 
eine legitime Monarchie zuruͤkgefuͤhrten, Spanier und 
Portugiefen quälen ſich jezt mit peinigenden Ber: 
gleichungen uͤber das, was von Rechtswegen ſein 
ſollte, und uͤber den mit Jenem ſtarr kontraſti— 
renden, durch die Gewalt begruͤndeten Zu— 
ſtande der Wirklichkeit. Solche Betrachtungen 
vergaͤllen ihnen den Aufenthalt in der alten Welt, und 

erloͤſchen ihre Liebe zum angeſtammten Vaterlande gaͤnz— 


| 
/ 


172 


lich. Ehemals dienten die Voͤlker im füdmweftlihen 
Europa mit mechanifcher Gewohnheit und ſtummer 
Hingebung, jezt gehorchen die Voͤlker, aber ſie denken 
dabei. Darum eben ſind die zunehmenden Auswanderun— 
gen in denjenigen Laͤndern am haͤufigſten, deren Bewoh⸗ 
ner zu den gebildetern gehoͤren. Hungersnoth hat die 
Vaterlandsliebe noch ſelten ſo ſehr geſchwaͤcht, als eine 
Idee. Nicht Übervoͤlkerung, nicht Gewerbsmangel machte 
ehemals Tauſenden das Leben in Frankreich, in der 
Pfalz, in Salzburg ſo unertraͤglich, daß ſie aus— 
wanderten, ſondern der Widerſpruch ihrer religioͤſen Über: 
zeugungen mit Landesgeſezen, der Mangel an Ge— 
wiſſensfreiheit. Die Ungeſchiklichkeit und Ungerech— 
tigkeit eines Ludwig XIV., der Stuarte und ihrer 
Staatsdiener bewirkte damals die Auswanderungen. 

Man taͤuſche ſich jezt nicht, und ſage: „Die 
Bauern und Handwerker im ſuͤdlichen Europa 
haben noch keinen ſo hohen Grad der Verſtan— 
desbildung, daß ſie dadurch im Widerſpruch 
mit den beſtehenden innern Landes verhaͤltniſ— 
fen gerathen koͤnnten.“ Aber fie denken und — 
wandern aus. Und ſie am meiſten, weil auf ihnen der 
Druk der Laſten am ſchwerſten ruht. Der Staatsbeamte, 
der Gelehrte, der Officier ſteht hoͤher, iſt geachteter, freier, 
darum wandern dieſe nicht aus. 

Man rede dem gemeinen Manne in Spanien und 
Portugal von allen Opfern der Bequemlichkeit vor, die 
er in Amerika zu bringen habe, obgleich das Land wohl— 
feil ſei, und er ſich allerdings bei angeſtrengtem Fleiß 
darauf ernaͤhren koͤnne; man ſage ihm aber: dort ſind 


173 


die Feu dallaſten aufgehoben, dort hat Niemand Der: 
rendienſt zu leiſten, Niemand Zehnten zu entrichten; der 
Arme braucht dort nicht jaͤhrlich einen ihm ſehr ſchwer 
aufzubringenden Schuzthaler zu bezahlen; dort biſt Du, 
dort ſind Deine Soͤhne zu allen Geſchaͤften, Gewerben 
Handthierungen, Ämtern zugelaſſen, wozu fie Luft und 
Faͤhigkeit haben; dort beſizt keiner, blos ſeiner Geburt 
wegen, einen geſezlichen Vorzug und Vortheil; dort iſt 
auf der einen Seite Niemand bevorrechtet, und auf der 
andern Seite der Buͤrger oder Bauer kein Stiefkind des 
Staates; dort kannſt Du Deinen Gott nach den Aus— 
ſpruͤchen Deines Gewiſſens anbeten, dort draͤngt Dich 
kein Vorurtheil wegen Deines Gewerbes oder Standes 
aus angenehmen Verbindungen; dort iſt Dein Eigenthum 
Dein Eigenthum, und ohne Ausgaben zur Unterhaltung 
eines ſtehenden Heeres, dem der Buͤrger, wenns zum 
Kriege kommt, doch noch am Ende, nicht nur mit ſei— 
nem Gut, ſondern auch mit ſeinem Blut beiſtehen muß; 
man ſage dies dem gemeinen Manne, und es wird ſich 
in ihm regen, alle hieſigen Bequemlichkeiten aufzuopfern, 
und dahin zu ziehen. Und ſo iſt's wirklich; denn es iſt 
der Menſchheit von der guͤtigen Natur geſunder Men— 
ſchenverſtand verliehen, durch welchen ſie denken und 
prüfen kann. Entweder muß man nun dieſen gefun: 
den Menſchenverſtand wieder, ſammt aller Kennt: 
niß des Beſſeren, ausrotten, oder man muß die politi— 
ſchen Inſtitutionen in den Laͤndern dieſem geſunden Men⸗ 
ſchenverſtande gemaͤß einrichten. 

Jenes kann man nicht; dieſes findet große Hinder— 
niſſe, folglich dauern die Auswanderungen fort. Sin: 

* 


* 


174 


dert man fie mit Gewalt, ſo werden Staatsumwaͤlzun— 
gen davon die unvermeidliche Folge ſein, weil alsdann 
unvorſichtiger Weiſe der Brennſtoff ſich ſelbſt anhaͤuft. — 
Iſt Amerika einſt ſo bevoͤlkert, daß die Auswanderungen 
von ſelbſt aufhoͤren, und die Verfaſſungen, Vorurtheile 
und Einrichtungen Europens ſind noch die heutigen, ſo 
werden dennoch die Umwaͤlzungen erfolgen, wenn man 
nicht nach andern ſeitdem entdekten Laͤndern oder Inſeln 
einen gluͤklichen Ausweg oͤffnet. Jezt ſtroͤmen die mei— 
ſten Auswanderer von Europa nach dem Ohioſtaat, 
einem der fruchtbarſten Staaten des noͤrdlichen Amerika. 
Es iſt fuͤr uns nicht ganz unwichtig, wohin unſere 
Stammgenoſſen kommen; denn bei ihnen erhaͤlt der aus— 
wanderungsluſtige Deutſche doch gemeiniglich eher treuen 
Rath, und fuͤhlt ſich deshalb unter ihnen heimiſcher als 
unter Eiriſchen (Irlaͤndern) und Franzoſen. Nicht 
umſonſt fuͤhrt der Ohio (ſchoͤner Strom) ſeinen Namen. 
Das Land an ſeinem jenſeitigen Ufer iſt fruchtbar, mei— 
ſtens eben, von ſanften Huͤgeln durchzogen, von Fluͤſſen 
und Baͤchen reich bewaͤſſert, von großen Waldungen uͤber— 
ſchattet, mit einem milden und geſunden Klima geſegnet. 
Hier findet man eine üppige Pflanzenwelt. Die Wal: 
dungen ſtrozen von den ſchoͤnſten Holzarten; Eichen, 
Fichten, Eſchen und Ahorn wachſen hier in ungewoͤhn— 
licher Größe, über alle aber ragt der majeſtaͤtiſche Sy— 
camore hervor, der zuweilen die ungeheure Dikke von 
15 — 20 Schuh erreicht ). Neben den vortheilhafteſten 


— 3 — 


*) John Melifh erzählt von einem hohen Sycamoreſtamm, in 
welchen im Jahr 1806 dreizehn Maͤnner ihre Roſſe hinein⸗ 


* 


175 


Erzeugniſſen europaͤiſcher Gärten und Akker gedeihen hier 
Zukkerrohr und Baumwollenſtaude. Maulbeer -, Nuß-, 
Kirſch- und Kaſtanienbaͤume werden haͤufig gepflanzt, 
wo ſie nicht ſchon wild wachſen. Europaͤiſches Haus— 
und Heerdenvieh artet ſich unter dieſem milden Himmel 
gut; wilde oder ſchaͤdliche Thiere ſind hier ſo ſelten, wie 
in Europa. 

So ſchnell auch die Bevoͤlkerung anwaͤchſt, ſo ſind 
doch noch ungeheure Strekken des fruchtbarſten Landes 
unbewohnt und unangebaut, von welchem der Morgen 
(Akre) um 2 — 5 Dollars, in billigſten Friſten zahlbar, 
verkauft wird. Am meiſten ward bisher das Land am 
Ufer des Ohioſtromes geſucht. Hier wird jezt Alles kul— 
tivirt. Auf einer Strekke von beinahe 100 deutſche Mei— 
len, von Pittsburg bis zum Ohiofall, trifft man ſchon 
eine lange Kette von Dörfern, Städten, Weilern, Hd» 
fen, deren Zahl ſich mit jedem Jahr vermehrt. Noch 
vor einem halben Jahrhundert war hier Alles eine gren— 
zenloſe, ſchauerliche Wildniß; vor vierzig Jahren fand 
man zuweilen ſchon einſame Anſiedler, die von da an 
ſich außerordentlich vermehrten. Vor 35 Jahren betrug 
die Anzahl der Weißen beinahe ſchon 4000 Seelen Y, 
welches freilich auf einem ſo weitlaͤuftigen Raume eine 
dünne Bevoͤlkerung war, ſelbſt wenn man noch die Zahl 
der meiſtens unſtaͤten Uramerikaner dazu rechnet, die 


ſtellten. Siehe Meliſh Reiſen. Deutſch von Brauns. 
Weimar. 1819. 

) Nach de la Rochefaucauld-Lianeourt, der dieſe Gegenden 
von 1795 — 97 beſuchte. 


176 


aber ebenfalls gering war. Deſſen ungeachtet theilte das 
Geſez des Kongreſſes vom 13ten Junius 1787 das Land 
ſchon in neun Bezirke, ernannte ihm einen Gouverneur, 
dem drei Richter und ein Sekretaͤr zugeordnet wurden, 
ſtellte auch feſt, daß es, ſobald die Zahl der weißen Ein— 
wohner auf 50,000 geſtiegen ſein wuͤrde, eine eigene ge— 
ſezgebende Verſammlung konſtituirt werden ſollte. — Im 
Jahr 1800 ward eine neue Volkszaͤhlung veranſtaltet. 
Man fand 42,365 Einwohner. Schon im Jahre 1802 
flieg aber die Seelenzahl über 50,000. Im Jahr 1804 
wurden 98,462 Einwohner gezählt. Im Jahr 1808 be- 
trug die Menge 230,760, im Jahr 1816 uͤber 600,700 
und jezt (1830) ſoll ſie eine Million betragen. Dieſes 
ungeheure Fortſchreiten der Bevoͤlkerung zeigt eben ſo 
ſehr, wie noch immer viele tauſend Morgen Landes den 
urbarmachenden Fleiß erwarten ); es zeugt auch für die 
Guͤte der Staatsverfaſſung. Der Ohioſtaat, jezt mit ei— 
ner Million Einwohner, die ſich in zehn Jahren leicht 
verdoppeln moͤgen, beſizt einen Flaͤchenraum von mehr 
als drei tauſend deutſchen Quadratmeilen; iſt alſo um 
ein Drittel groͤßer, als das ganze Koͤnigreich Portugal. 
Schon im Jahre 1802, da die geſezliche Anzahl der Ein— 
wohner vorhanden war, trat Ohio als ſelbſtſtaͤndiger 
Freiſtaat in den Verein der nordamerikaniſchen Staaten. 
Er empfing ſeine eigene geſezgebende Verſammlung und 
Lokalregierung. Seine neun Bezirke ſind: Konnektikut— 


*) de la Rochefaucauld-Liancourt gab im Ohiobezirk 250 
Million Akres an, John Meliſh nur 28 Millionen 70,400 


177 


Reſer ve, mit dem Hauptort Wareen, Steu— 
benville, mit dem Hauptort gleiches Namens, wozu 
auch Neuliſſabon, Kaoton und Clairville gehoͤ— 
ren; Zanes ville, mit dem Hauptort gleiches Namens, 
nebſt Koshokton und Neu philadelphia, Ma— 
rietta, mit der Ortſchaft gleiches Namens; O hiokom— 
pagnieland, mit Athen und Gallipolis; Chil— 
likothe, mit Newark, Worthington, Neulan: . 
kaſter; Virginiſches Militaͤrland, mit Fran— 
klinton, Chillikothe, Zenia, Weſtunion, Wil— 
liams burg; Symmesland mit Libanon, Deer— 
field, Hamilton, Cincinati; Cincinatiland, 
mit dem Hauptort Dayton. 

Im Norden des ſchoͤnen Stromes befindet ſich noch 
ein weiter Landſtrich mit zahlreichen Niederlaſſungen, 
welcher vom Ohioſtaat getrennt, am Eten December 1816 
unter dem Namen Indiana in den Bund als ſelbſt— 
ſtaͤndiger Staat aufgenommen ward. Hier bluͤht Neu— 
ſchweizerland-Kreis (New - Swizerland County) 
immer mehr auf. Dieſer Ort war meiſtens von ausge 
wanderten vermoͤglichen Waadtlaͤndern gegruͤndet, 
unter denen die Gebrüder Dufour, Gex-Obuͤſſier, 
Raymond die angeſehenſten ſind. Die Stadt dehnt 
ſich gegen zwei engliſche Meilen an den Ufern des Ohio 
aus. Im Mittelpunkt der Landſchaft haben die vornehm— 
ſten Anbauer auf den Laͤndereien der Herren Dufour die 
Stadt Neu vevay angelegt. Sie iſt ſehr regelmäßig 
gebaut, und zaͤhlte im Jahre 1816 ſchon uͤber 200 Haͤuſer, 
alle von Handwerkern, Kuͤnſtlern und Kaufleuten be— 


wohnt, deren Seelenzahl uͤber 700 betrug. Viehzucht, 
Brauns Skizzen von Amerika. 12 


178 


Akkerbau und Weinbau werden hier mit eben fo vielem 
Gluͤk, als Fleiß betrieben; denn der Boden iſt ungemein 
fruchtbar. Strohgeflecht, Tuch- und Leinwandwebereien, 
Gaͤrbereien, Zukkerbereitung aus Ahornſaft, allerlei 
Holzwaaren u. ſ. w. werden ſtark in die benachbarten 
Gegenden, nach Madiſon, Marietta u. ſ. w. ausgefuͤhrt. 

Wer Buͤrger der Vereinigten-Staaten iſt, ein Jahr 
lang in Ohio anſaͤſſig war, und Abgaben zahlt, kann 
zu Verſammlungen des Bezirks treten, ſeine Stimme zu 
den obrigkeitlichen Wahlen geben, und ſelbſt gewaͤhlt wer— 
den. Die Wahlmaͤnner erwaͤhlen eine oberſte, geſezge— 
bende Verſammlung, in welcher die Souveraini— 
taͤtsrechte des Volks geuͤbt werden. Die geſezgebende 
Macht (Assembly) beſteht aus den zwei Haͤuſern. Der 
Senat beſteht aus 72 Gliedern, deren keines unter 25 
Jahre alt ſein darf; das Haus der Repraͤſentan— 
ten aus wenigſtens 24, hoͤchſtens 36 Gliedern, deren 
keines juͤnger als 30 Jahre ſein kann, auch ſchon zwei 
Jahre im Staat anſaͤſſig geweſen ſein muß. Jeder der 
Repraͤſentanten wird auf ein Jahr, jeder des Senats 
auf zwei Jahre ernannt. Eben fo wird der Gouver— 
neur des Ohioſtaats erwaͤhlt, dem die Vollziehung der 
Geſeze, die Aufſicht uͤber alle Zweige der oͤffentlichen 
Verwaltung, und die Anfuͤhrung des Heeres anvertraut 
iſt. Er wird nur auf zwei Jahre gewaͤhlt. In acht 
Jahren iſt er nur dreimal waͤhlbar. Er muß wenigſtens 
zwoͤlf Jahre Buͤrger der Vereinten-Staaten, vier Jahre 
Einwohner des Landes ſein, und das dreißigſte Jahr zu— 
ruͤkgelegt haben. 

Jede Gemeinde hat ihren von ihnen erwaͤhlten Mu— 
nicipalrath und ihren Friedensrichter, jeder 


179 


Kreis (County) fein Untergericht; das ganze Land einen 
Obergerichtshof von drei Gliedern, die von der geſezge⸗ 
benden Verſammlung auf ſieben Jahre ernannt werden. 
In der Miliz waͤhlt jede Kompagnie ihren Haupt— 
mann, ſo wie die uͤbrigen hoͤhern und niedern Befehlsha— 
berſtellen, nur mit Ausnahme der Feldherrn und einiger 
andern hoͤchſten Militairbeamten, welche die geſezgebende 


Verſammlung ernennt. 


Dieſe Staatsverfaſſung iſt hoͤchſt einfach; das Volk 
hat Niemanden uͤber ſich, als das Geſez. Es gehorcht, 
nicht aus Furcht vor Stok und Kerker, ſondern aus 


Liebe zur Gerechtigkeit fuͤr ſich ſelbſt, aus jener vernuͤnf— 


tigen Einſicht des eigenen Nuzens, die darum noch lange 
nicht ein tadelnswerther Eigennuz iſt. ö 

Das Leben iſt in der That keine ſchwierige Kunſt, 
auch nicht das Beiſammenleben in den mannichfachſten 
Verhaͤltniſſen, ſo lange man ſich in den geſellſchaftlichen 
Verbindungen nicht von den einfachſten und natürlichften 
Grundſaͤzen der Vernunft und Natur entfernt. Das Le— 
ben im Staat wird erſt dann zur Kunſt, wenn der Menſch, 
abgefallen von der Natur, darin ſelbſt nichts anders, denn 
ein Kunſtwerk oder richtiger eine Karikatur wird. — Das 
Naturgemaͤße erhält ſich von ſelbſt; nur das Unnatürliche 
muß durch Zwangsmittel und kuͤnſtliche Stuͤzen aufrecht 
erhalten werden. Daher iſt in Europa alles, was zum 


Staatsrecht, zur Staatsverwaltung und zur Staatsfuͤh— 


rung gehoͤrt, mit großer Schwierigkeit und Muͤhſamkeit 
verknuͤpft, waͤhrend in Amerika ungelehrte Staatsmaͤnner 
hoͤchſt praktiſche und heilſame Anordnungen machen. Da: 
her geriethen alle diejenigen zu den auffallendſten Be— 
hauptungen, welche, ihre Grundſaͤze aus der Erfahrung 


180 


allein hervorziehen wollten, indem fie beftändig ruͤkwaͤrts 
auf jenem klaͤglichen Zuſtand der Menſchheit blikken, wo 
ſie ſich erſt allmaͤlig aus dem Schlamme der Thierheit 
emporhob zu einem goͤttlichen Sinn, ſtatt daß ſie haͤt— 
ten vorwaͤrts ſchauen ſollen zu dem Beſſern, zu welchem 
wir als gottaͤhnliche Weſen berufen ſind, und wohin der 
vernuͤnftige Geiſt uns deutet. Die alte und die neue 
Welt unterſcheiden ſich nicht blos durch die Verſchieden— 
heit der phyſiſchen Natur, ſondern auch der politiſchen 
Inſtitutionen ihrer Bewohner. In Europa ſind alle 
buͤrgerliche Verhaͤltniſſe nach und nach mit der europaͤi— 
ſchen Menſchheit ſelbſt aus der Tiefe der Barbarei und 
ihrer wilden Rohheit und Vorurtheilsfaͤlle entſtanden, und 
haben ſich nur mit der Erweiterung der Kenntniſſe, mit 
der Ausbildung des Geiſtes und unter den Anſtoͤßen der 
alles erſchuͤtternden Zeit entwikkelt. Daher kleben auch 
noch immer den gebildetſten Voͤlkern hier Spuren alter 
Barbarei, Vorurtheile und zuruͤkſchrekkende Begriffe an, 
welche, obſchon von den Meiſten gemisbilligt, doch durch 
den Sieg der Gewohnbeit ſich aufrecht erhalten. Daher 
koͤmmt es, daß wirklich ſchon jezt ein großer Theil der 
europaͤiſchen Menſchheit hoͤher ſteht, als — wie man zu 
ſagen pflegt — ihr Zeitalter. In Amerika, welches 
meiſtens von ſolchen Individuen bevoͤlkert ward, welche, 
gerade wegen der Zwietracht ihrer Grundſaͤze mit den in 
Europa herrſchenden Verhaͤltniſſen, uͤber das Weltmeer 
zogen, wurden neue Staaten gegruͤndet, nicht alte aus— 
gebildet. Hier fielen die alten Gewohnheiten und Vorur— 
theile von ſelbſt mit dem Eintritt in ganz neue Umſtaͤnde 
weg. Hier wurden nach den Ausſpruͤchen des geſun— 
den Menſchenverſtandes Staatsverfaſſungen ent— 


181 


worfen, die ohne kuͤnſtliche Überfpannung die Beduͤrfniſſe 
der neuen Bewohner befriedigten, und gleichweit von Bar— 
barei und Unterdruͤkkung entfernt waren. Die Grund— 
ſaͤze dieſer Verfaſſung find folgende: 

Alle Menſchen werden frei geboren. Erbliche Vorzuͤge, 
Vorrechte und Auszeichnungen ſind auf ewig verboten. 

Jeder Menſch hat von Natur Recht, Gott nach ſei— 
nen Überzeugungen zu verehren. Niemand kann uͤber 
Gewiſſen und Glauben des andern gebieten. — Die Skla— 
verei iſt auf ewige Zeiten verboten. — Die Freiheit der 
Preſſe iſt unwiderruflich erklaͤrt. 

Der oͤffentliche Unterricht ſoll ſtets von der Regierung 
ermuntert und unterſtuͤzt werden, ſo weit es die Gewiſ— 
ſensfreiheit erlaubt. — Das Volk iſt befugt, ſich in allge— 
meinen Verſammlungen uͤber ſein Wohl zu berathen, und 
zur Vertheidigung deſſelben die Waffen zu fuͤhren. Die 
Einrichtung von Geſchwornengerichten (Jury) iſt ein uns 
antaſtbares Heiligthum der Rechtspflege. 

John Meliſh (in feinen Reiſen durch die 
Vereinten -Staaten) hält die Verfaſſung von 
Ohio fuͤr die beſte aller uͤbrigen nordamerikaniſchen Frei— 
ſtaaten. Er erklaͤrt ſich dies aus dem Umſtande, daß die 
Verfaſſer dieſer Konſtitution von den uͤbrigen das Beſ— 
ſere gelernt haͤtten. Dies mag im Einzeln wahr ſein, 
in der Hauptſache gewiß nicht, ſondern die fruͤhern ſind 
darum unvollkommner, weil in ſie noch vieler Sauerteig 
damals herrſchender Vorurtheile und Begriffe uͤbergegan— 
gen iſt, indem ſie nicht ſogleich als freie Staaten, ſon— 
dern urſpruͤnglich als britiſche Kolonien zum Vortheil 
Englands ſich geſtalteten. Ein Englaͤn der, der ſich 
im Ohioſtaat niedergelaſſen, gibt uͤber denſelben folgende 


* 


182 


oͤffentliche Nachrichten. „Ich habe in Ohio Alt-England 
wiedergefunden, ohne ſeine Maͤngel und Gebrechen. Man 
hoͤrt hier keine Klagen uͤber Taxen, Abgaben und oͤffent— 
liche Laſten, und obgleich man hier nicht von der uns 
ſo druͤkkenden Armenſteuer weiß, ſo gibt es doch keine 
Arme. Die allgemeine Zufriedenheit traͤgt viel zum 
oͤffentlichen Gluͤk bei. Die Beamten genießen das Ver; 
trauen des Volks, von dem ſie erwaͤhlt werden, und 
Keiner erlaubt ſich einer willkuͤrlichen Handlung, weil 
das Geſez allein herrſcht, und von Allen geachtet wird. 
Entſteht ein Streit, ſo tritt der Friedensrichter ins Mittel, 
und die Sache iſt meiſtens bald abgethan, ohne große Umſtaͤn— 
de, ohne Koſten und Prozeſſe. Militair ſieht man gar nicht 
und Schildwachen nirgends, und doch geht Alles ſeinen ruhi— 
gen, ordentlichen Gang, ſchlicht und recht. Die Regie— 
rung bekuͤmmert ſich gar nicht um der einzelnen Bürger 
und Familien Thun und Treiben, weil Jedem Alles zu 
thun und zu treiben geſtattet iſt, wenn er nur das Ge 
ſez beachtet. Man kann aber hier unbekuͤmmert leben, 
ohne Landesgeſeze beſonders zu ſtudiren; denn dieſe ſind 
gar zu vernuͤnftig, und wenn man nur thut und unter: 
laͤßt, was man will, daß Andere thun und unterlaſſen 
ſollen, ſo iſt das ſchon genug. Kuͤnſtlich iſt gar nichts 
hier bei der Verwaltung, ſondern Alles ganz einfach, ſo 
daß ſich das Meiſte ſchon ſelbſt macht. 
Die Natur iſt ſchoͤn uͤberall, 


Wo der Menſch nicht hinkommt mit ſeiner Quaal! 
Schiller. 


183 


X. 


Owen's von Lanark, 
vorher Rapp's Niederlaſſung zu Harmonie 


am 


Großen Wabafh im Staate Indiana. 


Nach dem Engliſchen x), 


„Die 


menſchliche Geſellſchaft follte eine Brüder: 
gemeinde im hoͤhern Sinn des. Worts 
werden; fie ſollte ſich von hundert zu hundert Fa: 
milien eng verbinden, und darauf halten, daß kein 
Menſch in ihren Familienbund eintrete, welcher 
nicht ſo viel phyſiſche Kraft, Kenntniſſe und Sitt⸗ 
lichkeit beſaͤße, um ein guter Buͤrger und gluͤklicher 
Hausvpater zu werden. Einen ſolchen Mann wuͤrde 
die Geſellſchaft in Krankheits- und andern Ungluͤks⸗ 
fällen gewiß nach Kräften unterſtuͤzen. Wie viel 
verlorne Menſchen gibt es in der Geſellſchaft, aus 
welchen durch einen ſolchen Familienrath doch noch 
etwas geworden waͤre!“ a 
Dr. C. A. Weinhold. 


ſcheint mir zeitgemäß, einen Tugend bund zu ſtif— 
ten, ſo daß man die Guten und Tugendhaften aus 
allen Voͤlkern zu einer ordentlichen Gemeinde ver— 
einte, die durch angemeſſene, gute und weiſe Ge⸗ 


„) Siehe The Americans as they are. By the author of „Au- 


stria as it is.“ London 1828. 


184 


ſeze regiert werden, welchen gute und weiſe Maͤn⸗ 
ner wahrſcheinlich einmüthiger ſich unterwerfen, als 
das gemeine Volk den gewoͤhnlichen Geſezen ſich 
unterwirft.“ 

Benjamin Franklin. 


Hundert und fuͤnfzig Haͤuſer, ſaͤmmtlich nach ſchwaͤbiſcher 
Bauart errichtet, mit einziger Ausnahme von Rapp's 
vormaligem, aus Bakſtein erbautem Wohnhauſe, ſind 
hier von den wirtembergiſchen Separatiſten 
während ihres zehnjaͤhrigen Aufenthalts angelegt ). Man 


*) Achtzehn Meilen von Pittsburg auf dem Wege nach Beaver 
hatte Rapp, ein in der Union wegen feines hellen durchdringen⸗ 
den Verſtandes als Landmann beruͤhmter Mann, vor zwei Jah— 
ren, 1824, die neue und dritte Niederlaſſung der ſchwaͤbiſchen 
Separatiſten, Oekonomie (Economy) genannt, angelegt. 
Dieſer Mann liefert uns ein Beiſpiel von dem Erfolg, den aus: 
dauernder Fleiß, verbunden mit richtigen klaren Anſichten, hervor- 
zubringen vermag. — Als er vor zwanzig Jahren mit ſeinen 
400 Anhaͤngern aus Deutſchland ankam, belief ſich ihr Kapi— 
tal auf 35,000 Dollars, und ſie waren Anfangs ſo arm, daß ihr 
Fuͤhrer kein Faß Salz auf Kredit erhalten konnte; jezt beſizen 
ſie ein Vermoͤgen von wenigſtens einer Million Dollars. Ihre 
neue Niederlaſſung verſpricht zu gedeihen, und die von ihnen fruͤ⸗ 
her angelegten, jezt verkauften Anſiedlungen, in Buttler-Krei⸗ 
ſe des Staats Penſilvanien und Indiana am Wabaſh 
weit zu uͤbertreffen. Niemand vermag ſich ein groͤßeres Anſehn 
uͤber ſeine Gemeinde zu erfreuen als dieſer Mann. In ſeiner 
eigenen Perſon vereint er ſowol die geiſt liche als weltliche 
Macht. Neben ſich hat er eine Art von Vize-Diktator in der 
Perſon feines adoptirten, an feine Tochter verheiratheten Soh— 
nes, und einen Rath von zwoͤlf Aelteſten, welche die haͤusli⸗ 
chen Angelegenheiten der ſich jezt auf 1000 Seelen belaufenden 


185 


führte uns zu einem der Verwalter, zu Herrn Schnee, 
einem ehemaligen deutſchen evangeliſch-lutheriſchen Geiſt— 


Gemeinde leiten. Als er noch in Alt-Harmonie, acht und 
zwanzig Meilen noͤrdlich von Pittsburg, wohnte, bedurfte die 
Bruͤkke uͤber einen Fluß, der bei dem Dorfe vorbeifloß, einer 
Verbeſſerung. Einſt im Winter ſchien das Eis dik genug, um 
uͤber dieſen tiefen und breiten Fluß gehen zu koͤnnen. Rapp 
ging auf die Eisdekke des Fluſſes, um den Bruͤkkenpfeiler zu be— 
ſehen. Kaum befand er ſich in der Mitte des Fluſſes, als das 
Eis hrach. Mehrere ſeiner an dem Ufer ſtehenden Anhaͤnger wa— 
ren eifrig beſchaͤftigt, ihm zu helfen. — „Denkt Ihr,“ rief 
Rapp, „daß der Herr ſeine Hand von ſeinem Auserwaͤhlten 
abziehen werde, und daß ich Eure Huͤlfe beduͤrfe?“ Die armen 
Leute ließen ſogleich die Bretter liegen; zu gleicher Zeit aber ſank 
Rapp tiefer in den Fluß. Die Gefahr beſiegte endlich ſeine 
Schaam und fein Vertrauen auf uͤbernatuͤrliche Huͤlfe, und er 
rief laut um Huͤlfe. Ungeachtet des Schreiens der umherſtehen— 
den Amerikaner: „laßt, verdammte Thoren, den Tyrannen un— 
tergehen, ihr werdet ſein Geld erhalten und frei werden,“ war— 
fen ſie ſogleich Bretter aufs Eis, kamen zu ihm, und zogen ihn 
nnter großem Gelächter der unglaͤubigen Anglo amerikaner. 
aus dem Waſſer. Am folgenden Sonntage hielt er ihnen eine 
Predigt, worin er das Thema entwikkelte, „daß der 
Herr ihre Suͤnden an ihm habe heimgeſucht, und 
daß ihr Ungehorſam gegen feine Vorſchriften die 
Urſache feines Sinkens geweſen.“ Die armen Troͤpfe 
glaubten dies Alles buchſtaͤblich, verſprachen Gehorſam, und beide 
Theile waren zufrieden. Verſchiedene ſeiner Anhaͤnger fuͤhlten ſich 
zurükgeſtoßen und beleidigt durch ſein Eheloſigkeit vorſchrei— 
bendes Geſez; aber der Einfluß uͤber den weiblichen Theil der 
Gemeinde war ſo groß, daß dieſer eher ſeine Maͤnner als ſeinen 
Vater Rapp, wie ſie ihn nennen, verlaſſen wollte. Im ver⸗ 
gangenen Jahr (1826) jedoch ſchaffte er dieſe Art des bisher ſo 


186 


lichen, welcher ſich bald über Owen's kuͤnftige Plaͤne 
auf eine ſehr hochtrabende Weiſe ausließ. Dieſe Nieder— 
laffung, gegen dreißig Meilen oberhalb der Mündung des 
großen Wabaſh in Indiana gelegen, ward zuerſt 
von Rapp im Jahre 1815 gegruͤndet, und im Jahre 
1824 von Owen von Lanark fuͤr 150,000 Dollars 
erkauft. Die Geſellſchaft ſoll nach, von dem fruͤher in 
Schottland befolgten Plane abweichenden, Anſichten 
und nach einem groͤßern Maßſtabe geleitet werden. Herr 
O wen hat, ſagt man, ſowol die Geldmittel, als die 
Faͤhigkeit, etwas Bedeutendes auszufuͤhren. Man zeigte 
uns einen Plan, den wir kauften, nach welchem hier ein 
Gebaͤude von koloſſaler Groͤße aufgefuͤhrt werden ſoll, das, 
wenn Owen's Vermoͤgen ſeinem guten Willen gleich 
kommt, unſtreitig einſt das hoͤchſte Werk der Architektur 
in den Vereinten-Staaten, mit einziger Ausnahme des 
Kapitols zu Waſhington, werden wird. Dieſer Pallaſt 


genau beobachteten Coͤlibats ab, und am 4ten Julius ward 
achtzehn Paaren erlaubt, zu heirathen. Dieſe Niederlaſſung iſt 
eins der fchönften Dörfer in dem weſtlichen Theile Penſil— 
vaniens. Eine Manufaktur von Dampfmaſchinen, 
große Thier gaͤrten, worin auch zwei Elenthiere (Elks) 
befindlich, und ein praͤchtiger fuͤr ihn erbauter, mit geſchmakvollen 
Moͤbeln verſehener Pallaſt beweiſen, daß er ſeinen zunehmen— 
den Reichthum wohl zu benuzen verſteht. Pittsburgs Be— 
wohner machen haͤufige Ausfluͤge nach dieſer Niederlaſſung, und 
wenn gleich ſeine Sitten noch den ſchwaͤbiſchen Bauer verrathen, 
ſo haben doch ſein Wohlſtand und ſeine Gaſtfreiheit die Verach— 
tung, worin er fruͤher bei den Angloamerikanern ſtand, 
betraͤchtlich vermindert. 


187 


fol, fobald er vollendet ift, feine Geſellſchaft aufnehmen. 
Zufolge den, in feinem öffentlichen Bekanntmachungen, 
und in den von ihm zu Waſhington und Neuyork 
gehaltenen Vorleſungen mitgetheilten Anſichten, und nach 
den mir mitgetheilten muͤndlichen Verſicherungen von 
Perſonen, die man als ſeine Vertreter anſehen kann, will 
Owen eine, von allen durch Religion, Erziehung, Vor— 
urtheile und Sitten aufgebuͤrdeten Feſſeln befreite Geſell— 
ſchaft bilden, und ſeine Anhaͤnger werden der Welt ein 
neues und anziehendes Beiſpiel einer Gemeinde geben, 
die mit Beſeitigung jeder Art von Gottesverehrung und 
jedes religioͤſen Bekenntniſſes befaͤhigt werden ſoll, den 
hoͤchſten Grad des von der geſellſchaftlichen Ordnung aus— 
fließenden Gluͤks durch kein anderes Mittel, als den An— 
trieb einer angebornen Selbſtliebe (egoism) zu genießen. 
Auf eine ſehr rationale (1) *) Weiſe hat Owen die Ver— 
edlung und hoͤchſt moͤgliche Volkommenheit dieſes Eigen— 
nuzes zum Gegenſtand ſeines Studiums gemacht, und 
in dieſem Sinne hat er die Verfaſſung bekannt ge: 
macht, welche von der Gemeinde angenommen werden 
ſoll. Sie iſt, wenn ich mich recht erinnere, in drei Ab— 
ſchnitte mit ſiebenzig oder mehren Artikeln eingetheilt. — 
Handwerker jeder Art, Leute, die irgend eine nuͤzliche 
Kunſt erlernt haben, werden in die Gemeinde aufgenom- 
men. Die, welche 500 Dollars bezahlen, find von jeder 


) Man ſieht hier recht einleuchtend, in welche Irrthuͤmer die ſich 
ſelbſt uͤberlaſſene, das Licht der göttlichen Offenbarung verfchmä- 
hende Vernunft gerathen kann. Möchten dies unſre rationalen 
Theophilanthropen wohl beachten! ö 


* 


188 


Verbindlichkeit zu arbeiten frei. Die Zeit der Mitglieder 
iſt zwiſchen Arbeiten, Leſen und Tanzen vertheilt. Ein 
Ball wird taͤglich gegeben, und regelmaͤßig von der Ge— 
meinde beſucht. Gottesdienſt, oder kirchliche Ge— 
ſchaͤfte jeder Art find gänzlich ausgeſchloſſen, anſtatt 
deren wird dagegen Sonntags ein Ball gegeben. Durch 
Trommelſchlag werden die Kinder zur Schule entboten. 
Man gibt hier eine Zeitung heraus, welche vorzuͤglich 
von ihren eigenen Angelegenheiten und den Unterhaltun— 
gen und Regeln der Gemeinde handelt. Leztere belaͤuft 
ſich auf 500 Glieder beiderlei Geſchlechts, und beſteht aus 
lauter, hier freudenvolle Tage erwartenden Gluͤksrittern 
jeder Nation. Die Niederlaſſung hat ſeit dem Ankauf 
von Owen nicht zugenommen, und es ſchien hier die 
groͤßte Unordnung und Unreinlichkeit zu herrſchen. Dieſe 
Gemeinde hat ſich ſeitdem aufgeloͤſt, wie zu erwarten 
war. Der Schottlaͤn der ſcheint einen ſehr hohen Be— 
griff von der Macht des Egoismus zu haben. In die— 
fer Ruͤkſicht iſt er gewiß nicht im Irrthum; wenn er aber 
dieſem in der nordamerikaniſchen Republik ſchon zu eins 
flußreichen Geiſte des Eigennuzes eine noch groͤßere Macht 
zu verleihen denkt, ſteht zu befuͤrchten, daß er bald die 
Bande der Geſellſchaft ganz auseinander reißen wird. 
Seinen und ſeiner Anhaͤnger Anſichten zufolge waren 
alle religioͤſen als politiſchen Geſezgeber des 
Alterthums und unſerer Zeit entweder Thoren, oder Be— 
truͤger, welche Gluͤk und Heil nach einem verkehrten, jezt 
von Owen verbeſſerten, Plane ſuchten. Es iſt bekannt, 
daß Schottlaͤnder oft auffallende Ideen hegen, die ſie 
ſtets fuͤr untruͤglich halten. Ich bin mit einem anſehn— 


FM 


189 


lichen Praͤſidenten eines hohen Gerichtshofes bekannt, der 
wie ein wahrer Schwedenborgianer, voͤllig überzeugt 
iſt, daß er in der kuͤnftigen Welt als Richter wieder praͤ— 
ſidiren wird, und welcher glaubt, daß die deutſch-ameri— 
kaniſchen Landwirthe dort die naͤmlichen Thoren wieder 
ſein werden, wie in Amerika, die er daher auch in jener 
Welt um ihr Eigenthum zu bringen fortfahren koͤnne. 
Großbritannien hat keine Urfache, die Vereinten- Staaten 
um dieſen Erwerb zu beneiden. 


190 


! XI. | 
Kanal⸗ Anlagen 
in | 


den Bereinten- Staaten von Amerika. 


Naͤchſt England ſind die Vereinten-Staaten 
von Nordamerika das einzige Land, wo fuͤr die 
Verbindung im Innern das Meiſte geſchieht. 1817 
wies die Regierung der Leztern bedeutende Summen zum 
Kanalbau) an. Der Cham plain- und Erieſee 


) Ueber die neuen hoͤchſt wichtigen Kanal-Anlagen find folgende 
Schriften nachzuleſen: 

A topographical and statistical Manual of the State of 
New York. Second Edition. Containing an Account of the 
Grand Canals, Schools, Finances, etc. — A Report of the 
Board of Engineers of the Examination which has been 
made witha View of Internal Improvement. New York, 1825. 
— Report of the Canal Commissioners to the General As- 
sembly of Ohio. Published by. Authority. Columbus, 
Ohio. 1826. — ‚Report of the Canal Commissioners of the 
State of Illinois, made to the General Assembly on the 
3d. of January, 1825, and the Law to Incorporate a Com- 
pany to open a Canal, to connect the Waters of Lake 
Michigan with those of Illinois River. Vandalia. 1826. 
— The first Annual Report of the Acting Committee of 
the Society for the Promotion ot Internal Improvement in 
the Commonwealth of Pennsilvania. Philadelphia. 
J. R. Skerret 1826. — The Claims of the Delaware and 


191 


ſollten mit einander verbunden werden. Im Julius 1817 
begann die Arbeit, und am 2lſten Oktober 1819 wurde 
das Waſſer eingelaſſen. Am 22ſten Julius ſegelte das 
erſte Schiff darauf, indem er bis Utika fertig war. Im 
folgenden Jahr hatte ſich ſchon ein Strich von 96 engli— 
ſche Meilen gebildet, und der Zoll trug weit uͤber 5000 
Dollars ein. Im Jahr 1825 iſt der Champlainſee 
mittelſt des Erieſees mit dem Hudſonsfluſſe in 
Verbindung geſezt, wozu denn, um 425 engliſche Meilen 
zu durchſtechen, acht Jahre noͤthig geweſen ſind. Dieſe 
Kanaͤle haben vierzig Fuß Oberflaͤche, acht und zwanzig 
Fuß Breite in der Tiefe und vier Fuß Tiefe. Sie tra— 
gen Fahrzeuge von 40 — 100 Tonnen, welche in der Stunde 
fuͤnf engliſche Meilen machen. Zwiſchen Utika und Mon— 
tezuma gehen über den Kanal bereits 100 ſchoͤne Bruͤk— 
ken, fuͤnfzig Straßen treffen uͤber ihm zuſammen und ge⸗ 
hen daruͤber weg, Waſſerfaͤlle aus kleinen Fluͤſſen, die 
auf Hoͤhen von 25 — 30 Fuß herabkommen, muͤſſen ihm 
auf geradem Wege ihr Waſſer geben. Laͤngs den Ufern 
wechſeln Felder, Gaͤrten, Waͤlder und Thaͤler. Eine 
Menge Paketboote beleben ihn regelmaͤßig, und nehmen 
bis auf neunzig Paſſagire an Bord. Die Abgaben fuͤr 
die ihn Befahrenden ſind aͤußerſt mäßig und vom Staate 
feſtgeſezt. Die Koſten der Anlagen bleiben unter der Be— 
rechnung, was ſonſt nicht leicht der Fall iſt. An Fracht 
erſparen die Waarenhaͤndler bei manchen Produkten acht 


Rariton Canal Company to a Repeal of the Law of Penn 
sylvania, passed April 6. 1825. on the subject of that Ca- 
nal. Philadelphia. 1826. u. m. a. 


192 


p== 


bis neun Zehntel. Städte, Dörfer, Flekken werden ſich 
bald an ſeinen Ufern erheben, zumal da er auch durch 
die Alleghanygebirge einen Weg nach dem Miſ— 
ſiſſippi gefunden hat; ein Plan, der bereits 1820 ent— 
worfen und ausgefuͤhrt iſt. Der Erieſee bot dazu die 
beſte Gelegenheit. — Im Jahre 1826 hat der Kongreß 
ſich mit dem Plane zu einem neuen Kanal beſchaͤftigt, 
welcher an Groͤße ſelbſt den Erie-Kanal, den groͤßten 
aller bekannten Kanaͤle, uͤbertreffen ſoll. Eine kurze No— 
tiz hieruͤber kann dazu dienen, einen Begriff von der 
Größe der Huͤlfsmittel der Vereinten-Staa⸗ 
ten und den Bedingungen zur Realiſirung eines ſolchen 
Unternehmens zu geben. Der Plan beſteht naͤmlich darin, 
zuerſt mit einem großen Kanal die breite Landſpize der 
Floridas zu durchſchneiden, um eine Schifffahrt zwi— 
ſchen dem megikaniſchen Meerbuſen und dem 
atlantiſchen Meere moͤglich zu machen, ſo daß man 
der gefaͤhrlichen Paſſage um Florida entgehen kann. 
Ferner liegt es in dieſem Plan, auf der einen Seite den 
Florida-Kanal mit dem Miſſiſſippi in Verbin: 
dung zu ſezen, vermittelſt einer fortgeſezten innern 
Waſſer-Kommunikationslinie (inland naviga- 
tion), welche durch Kanaͤle, Seen und Fluͤſſe gebildet 
wird. — Auf der andern Seite iſt es der Plan, den 
beabſichtigten Florida-Kanal mit dem großen Dis— 
mal⸗Swamp⸗Kanal, und endlich mit der Cheſa— 
peakbay und dadurch mit den vielen ſchiffbaren Fluͤſſen 
und Kanaͤlen in den mittlern und noͤrdlichen Staa— 
ten zu verbinden, welche mit dieſer Bay in Kommunika⸗ 
tion ſtehen. Wenn dieſe Kommunikationslinie fertig wird, 


193 


fo Eönnen Fahrzeuge von Neuorleans, Mobile, 
Tallahaſſee, Savannah, Charleston und Nor— 
folk, den vornehmſten Stapelplaͤzen fuͤr die Produkte 
von Louiſiana, Miſſiſſippi, Alabama, Flori- 
da, Georgien, Karolina und Virginien nach 
Baltimore, Philadelphia und Neu york gehen, 
ohne den megikaniſchen Meerbuſen oder das atlan— 
tiſche Meer befahren zu duͤrfen, und im Fall eines 
Kriegs mit England koͤnnen dennoch die noͤrdlichen 
Staaten eben ſo ſicher wie in Friedenszeiten ihren Han— 
del mit den füdlichen Staaten fortſezen, ohne befuͤrch— 
ten zu muͤſſen, daß ein einziges Fahrzeug von engliſchen 
Kapern oder Kriegsſchiffen genommen werde, und ohne 
daß eine Blokade ihrer Häfen irgend dem Verkehr ſchadet. 
Dieſe ganze Waſſer-Kommunikationslinie hat 
außerdem den Vortheil, daß waͤhrend eines Kriegs, wenn 
irgend ein Punkt der Kuͤſte bedroht wird, Kriegsbeduͤrf— 
niſſe, Waffen, Mannſchaft und kleinere Kriegsfahrzeuge 
mit Leichtigkeit und Schnelle von allen andern Punkten 
der Kuͤſte nach den bedrohten Stellen gefuͤhrt werden 
koͤnnen, ohne feindlichen Kreuzern bloßgeſtellt zu ſein. 
Zu dieſem Zwekke ſollen zwiſchen den Fluͤſſen Miffif: 
ſippi und Apalachicola am megikaniſchen Meer— 
buſen verſchiedene Landzungen durchſchnitten, oder 
kuͤnſtliche Meerengen gebildet werden, welches fuͤr 
eine Küftenfahrt von 350 englifhen Meilen doch nicht 
mehr als zwoͤlf ſolcher Meilen Ausgrabung verurſacht; 
ferner wird der Apalachicola mittelſt eines Kanals 
mit dem noͤrdlich von Flori da in den atlantiſchen 


Ocean fallenden Fluſſe St. Mary vereinigt. — Der 
Brauns Skizzen von Amerika. 13 


194 


Alabama-Staat, vorhin wegen Unficherheit des me— 
gikaniſchen Meerbuſens, des einzigen ſchiffbaren Ge— 
waͤſſers, an welches er grenzt, von aller Waſſerkommu— 
nikation mit den uͤbrigen Staaten abgeſchnitten, gewinnt 
beſonders durch dieſe Anſtalt. Auch ſoll, um den ge— 
wöhnlichen überſchwemmungen des Miſſiſſippi vor- 
zubeugen, einer ſeiner Flußarme ſo erweitert werden, daß 
das zu viele Flußwaſſer ſeinen Ablauf erhaͤlt. Die Wich— 
tigkeit dieſer Kanaͤle in merkantiliſcher Ruͤkſicht er— 
kennt man, wenn man erwaͤgt, wie groß der Verkehr 
bereits auf dem Miſſiſſippi und auf dem in dieſen 
ſich ergießenden Ohio iſt. Blos die Zahl der Dampf: 
ſchiffe ), welche jezt regelmäßig zwiſchen dem Ohio— 
ſtaat unter dem Fall des Ohio und auf dem Miſſiſ— 
ſippi nach Neuorleans gehen, enthielt im Anfang 
des Jahrs 1826 eine Zahl von 3,895 Laſten, und nicht 
geringer iſt die Menge der Dampfſchiffe auf dem 
Ohio oberhalb dieſes Falls. Die Zahl der kleinen 
platten Fahrzeuge, welche durch den Fall des Ohio 
und weiter nach Neuorleans gehen, ſtieg uͤber 5000. 
Aus den Staaten und Gebieten am Miſſiſſippi ſelbſt 
kamen ungefähr 3000 ſolcher Fahrzeuge nach Neuor— 
leans. Jezt iſt man gleichfalls beſchaͤftigt, einen Kanal 


*) Nach dem Louisville Advertiser befuhren im Jahre 1825 56 
Dampfboͤte den Ohio, zu denen im Jahre 1826 noch 30 
neue Dampfboͤte hinzukommen ſollten. Da jedes derſelben in der 
Regel ſechs Frachten hat, und bei der Ankunft in Shipping— 
port im Durchſchnitt 75 Tonnen Laſt herbringt, und 150 Ton⸗ 
nen zuruͤkfuͤhrt, ſo wuͤrde dies einen Zuwachs von 232,200 Ton⸗ 
nen ergeben. 


195 


zwiſchen dem Ohio oberhalb und unterhalb 
des Falls ) zu eröffnen. Nach Vollendung dieſer Ar: 
beit, welche nahe bevorſteht, werden die groͤßten Schiffe 
direkte von Pitts burg nach Neuorleans gehen koͤn— 
nen. Die Koſten des großen Erie-Kanals und des 
Champlain-Kanals belaufen ſich zuſammen auf 
9,123,000 ſpaniſche Thaler. Die dazu negociirte Staats— 
ſchuld belief ſich nur an 7,777,106 ſpaniſche Thaler, deren 
jaͤhrliche Zinſen zu ungefaͤhr 4½ pCt. 419,000 ſpaniſche 
Thaler betrugen. Schon im Jahre 1825 brachten die 
Kanaleinkuͤnfte uͤber das Doppelte dieſer Summe, 
nämlich gegen 900,000 fpanifche Thaler ein, und im. 
Jahre 1826 haben ſie noch ſehr bedeutend zugenommenz 
denn der Waarentransport iſt ſo ungeheuer, daß auch 
der große Erie-Kanal ihm bald nicht mehr genuͤgen 
wird, ſondern man wird ſich genoͤthigt ſehen, neue Schleu— 
ſen anzulegen, um den Zeitverluſt fuͤr die außerordent— 
lich große Zahl der ihn paſſirenden Schiffe zu vermin— 
dern. Um aber die dadurch veranlaßten neuen bedeuten— 
den Koſten zu vermindern, hat die Regierung des Staats 
Neuyork im Maͤrz 1826 ein fuͤnfzigjaͤhriges Privile— 
gium zur Anlegung einer Eiſenbahn vom Hudſons— 
fluß bei Albany bis an den Mohawkfluß bei 
Schenectady ertheilt; gluͤkt dieſer erſte Verſuch von 
Eiſenbahnen nach groͤßerm Maaßſtabe, wie man zu glau— 
ben Urſache hat, ſo werden dergleichen laͤngs des ganzen 
Erie-Kanals und des ganzen Mohawkfluſſes an— 


*) Man nennt dieſen Kanal auch: „den Louisville- und Port: 
landkanal.“ 


196 


gelegt werden. — Pennſilvanien und Maryland 
haben mehrere Kanaͤle angelegt, um auf der einen Seite 
den Delaware und Susquehanna mit dem Ohio 
bei Pittsburg, wo der Alleghany in den leztern 
fällt, und auf der andern Seite den Alleghanyfluß 
mit dem Erieſee zu verbinden. Pennſilvanien 
ſchießt 300,000 fpanifche Thaler dazu, und Maryland 
1,500,000 ſpaniſche Thaler, von welcher leztern Summe 
500,000 ſpaniſche Thaler zum Cheſapeak-Kanal, 
eine eben ſo große Summe zum Ohio-Kanal, und 
eben ſo viel zu einer Durchſchneidung der Landſpize zwi— 
ſchen der Cheſapeak- und Delawar ebay, auf wel: 
cher der Delawareſtaat liegt, verwendet werden ſol— 
len. Bei dieſer Arbeit waren im Jahre 1826 2,500 
Arbeiter angeſtellt, lauter Irlaͤnder, Schotten, 
Deutſche, Schweizer und Neger. Die Irlaͤn— 
der und Neger arbeiten an entgegengeſezten Seiten, 
um Streitigkeiten zwiſchen ihnen vorzubeugen. Gewoͤhn— 
lich arbeiten Neger und Deutſche, weil dieſe ſich am 
beſten mit einander vertragen, zuſammen. Nordame— 
rikaner findet man unter den Arbeitern gar nicht. Zu 
den uͤbrigen Kanaͤlen, welche gegenwaͤrtig in den Ver— 
einten-Staaten angelegt werden, gehören der Black: 
tiver:Kanal, welcher den großen Erie-Kanal mit 
dem Ontarioſee verbinden ſoll, deſſen Umgebung 
einen Überfluß ſehr guten Eiſenerzes beſizt; der Chenan— 
go⸗Kanal zwiſchen dem Erie-Kanal und Sus— 
quehanna-Kanal, der Chatauque-Kanal vom 
Erieſee zum Chautaqueſee, der Geneſſee-Kanal 
zwiſchen dem Erie-Kanal und dem Alleghanyfluß, 


197 


der Buffaloe-Kanal und der Alleghany-Kanal. 
— Der dem Ohiofluß mit dem Erieſee verbindende 
Kanal im Ohioſtaate nahte ſich im Jahre 1826 be⸗ 
reits feiner Vollendung. Er beginnt am Sucrefluß 
im Norden des in den Ohiofluß bei Mariette ſich 
ergießenden Muskingum. Von Mariette bis zu dem 
bei Hamburg, im Kreiſe Stark, anfangenden Kanal 
betraͤgt die Entfernung zwanzig Meilen. Der Kanal 
geht nordweſtlich nach Kendall, führt durch 44 Schleu— 
ſen zu dem ſchiffbaren Cuyohoga bei Northamp— 
ton, an den Grenzen der Kreiſe Medina und Por— 
tage. Schon im September 1826 waren 30 Schleuſen 
dieſes Kanals fertig. Seit Julius 1826 haben an dem— 
ſelben 2000 Tagloͤhner und 300 Geſpanne ununterbrochen 
gearbeitet, wofür woͤchentlich 40 — 50,000 fpanifche Tha— 
ler ausgegeben wurden. | 


198 


. XI. 
Nordamerikaniſche Alterthuͤmer. 


Am weſtlichen Ufer des Konnektikutſtroms, im 
Staate Vermont, findet ſich ein Fels mit menſchlichen 
eingegrabenen Geſtalten, die uramerikaniſchen Ur: 
ſprungs ſind. Der Felſen iſt hohl, und uͤber ihn ſtuͤrzt 
ſich ein Waſſerfall herab. Das Geſtein iſt der feſteſte Gra— 
nit. Die Hoͤhe betraͤgt vier, die Laͤnge ſechs Fuß. Der 
vorbeigehende Strom ſchwillt nur einige Mal im Jahre 
ſo an, daß er ihn beſpuͤlt und durch den mitgefuͤhrten 
Sand das Geſtein abgeglaͤttet hat. Die Figuren ſind 
kraͤftig ausgearbeitet; eine iſt in Relie vo basso, und 
zum Theil vollkommen erhalten. Die Arbeit ſcheint nichts 
weniger als roh. Wie ſie nun beim Mangel eiſerner 
Inſtrumente bewerkſtelligt wurde, zu welcher Zeit, zu 
welchem Zwekke, iſt ein Raͤthſel, das wohl nie geloͤſ't 
werden wird. Die Hoͤhe umher, berichtet die Sage, war 
ein Begraͤbnißplaz. Dafuͤr ſpricht auch, daß oft Tod— 
tengebeine und Bogen ausgegraben werden. Vielleicht 
ſind alſo die Figuren Bildniſſe verdienter uramerika— 
niſcher Anfuͤhrer und Helden. — Vor allen verdienen 
die foſſilen Menſchengerippe in Nordamerika 
von dem Naturforſcher beachtet zu werden. Zu den 
merkwuͤrdigſten Ergebniſſen der bisherigen Forſchungen 
uͤber foſſile, organiſche Koͤrper gehoͤrt es, daß das Vor— 


199 


kommen foffiler Menſchengerippe nirgends noch 
unzweideutig und zuverlaͤſſig dargethan werden konnte, 
obgleich daſſelbe verſchiedentlich behauptet worden iſt. 
Eine genauere Pruͤfung hat jedesmal den Irrthum der 
angeblichen Thatſachen nachgewieſen, und vielleicht duͤrfte 
das Naͤmliche auch hinſichtlich der kuͤrzlich in Amerika 
gemachten Entdekkungen foſſiler Knochen, deren 
menſchliche Abkunft vermuthet wird ), der Fall fein. 
Sie wurden im alten rothen Sandſtein (gres rouge 
ancien) gefunden. Es dehnt ſich dieſe Gebirgsformation 
von den Seekuͤſten bei Newhaven uͤber die Staaten 
von Vermont, Konnektikut und Maſſachuſetts, 
uͤber 110 Meilen lang, bei wechſelnder Breite von 30 bis 
35 Meilen, aus. Zu beiden Seiten wird ſie durch Urge— 
ſteine benezt; auf der Nordſeite beſteht dieſes aus Glim— 
merſchiefer und Thonſchiefer. Als Herr Salomon Ells— 
worth von Eaſt-Windſor in Konnektikut, zum 
Behuf eines Brunnes, bei 23 Fuß tief dies Geſtein durch— 
brechen ließ, kamen eine Menge foſſiler Knochen, 
die im Sandſtein eingeſchloſſen waren, zum Vorſchein. 
Ehe jedoch Herr Ellsworth davon Kenntniß erhielt, 
war leider das Gerippe mit ſeiner Steinmaſſe zerſchlagen 
und mehrere Knochen theils zerbrochen, theils verloren 
worden. Diejenigen, welche der Profeſſor Smith am 
Yale-Kolleg ium geſehen hat, waren noch in dem 
Geſtein eingeſchloſſen. Ihr Ausſehen war ſo, daß ſie 
fuͤr Menſchenknochen angeſehen werden konnten; indeß 


* Journal de Soliman. Paris tom. II. pag 46. 


200 


— — — 


kam ihm die Sache zweideutig genug vor, um ſich eines 
abſprechenden Urtheils zu enthalten. Es haben zwei 
Profeſſoren der Arzeneikunſt am Pale-Kollegiu m, 
die Herren Ives und Knight, dieſe Knochen gleich- 
falls unterſucht, und ein eben ſo vorſichtiges Befinden 
daruͤber ausgeſtellt. Der Profeſſor Mitchell in Neu— 
york theilt ihre Zweifel Y. 


- — 


*) Journal de Physique. Paris. Oct. 1820, 


,a 


PO DEN | 
uramerikaniſcher Beredſamkeit. 


Aus dem Engliſchen ). 


Als mir vor einigen Tagen ein Band der Schriften des 
Lord Erskine in die Hand fiel, ward ich von einer 
Rede in demſelben beſonders ergriffen, durch welche ein 
amerikaniſcher Haͤuptling ſeinen Haß gegen 
die in fein Vaterland eingedrungenen Frem— 
den zu rechtfertigen ſucht, und feinen Ent: 
ſchluß, es zu vertheidigen, zu erkennen gibt. 
Ob Lord Erskine dieſe Rede erfunden hat , oder 
ob ſie in Wahrheit von einem amerikaniſchen Urein— 
wohner gehalten, kann ich nicht beſtimmen; mag dem 
aber ſein, wie ihm wolle — es iſt eine herzerſchuͤtternde 
Kraft darin, die nicht leicht Jemand unbewegt laſſen 
wird; es iſt ein kurzer und glaͤnzender Beweis der na— 
tuͤrlichen Beredſamkeit, die ihre Quelle im Herzen hat, 
und in dem Herzen ihre Wirkung ſucht. Nie waͤre we— 


*) Des New monthly Magazine. London 1821. 


*) Nach den glaubwuͤrdigſten und zuverlaͤſſigſten Nachrichten ame— 
rikaniſche Kritiker, entſtammen die nachfolgenden Proben 
uramerikaniſcher Beredſamkeit dem Boden des transatlanti— 
Then Frankhn's. 


202 


nigſtens bei der Studirlampe etwas hervorgebracht, was 
mehr das Gepraͤge der Natur an ſich truͤge. Der Red— 

ner nimmt alle Gefühle in Anſpruch; feine einfache, kla- 
gende Trauer iſt eingreifend; fein wilder, entſchiedener, 
gereizter Muth unwiderſtehlich. Es liegt fuͤr uns etwas 
ungemein Anziehendes in dieſem Zuruͤkziehen (wenn wir 
es fo nennen dürfen) der amerikaniſchen Aborigines in 
ihre Waͤlder und Wildniſſe. Ihre Vertheidigungen, ihre 
Vortraͤge, ihre Reden, ihre Berathſchlagungen, die tau— 
ſend Entwuͤrfe und Liſten, durch welche ſie das Eindrin⸗ 
gen der „weißen Maͤnner“ zu hemmen ſuchen — 
Alles iſt hoͤchſt merkwuͤrdig. Wenn ſie einerſeits die reife 
Klugheit, die erfinderiſche Argliſt zeigen, welche die Hab— 
ſucht und der Luxus den gebildetern Nationen eingibt, 
fo rührt uns auf der andern Seite wieder die natürliche 
Unruhe eines eingebornen und zufriedenen Volkes, zu ehr— 
lich zum Unterhandeln, zu ſchwach, Widerſtand zu leiſten, 
und doch lebhaft von dem Gefuͤhl durchdrungen, daß es 
ohne Kampf ſich das geliebte, von den Vaͤtern ererbte 
Land nicht duͤrfe rauben laſſen. Das Bruchſtuͤk des 
Lord Erskine veranlaßt uns, nach Mehreren zu ſuchen. 
Gluͤklicherweiſe ſezte uns die Güte eines amerikaniſchen 
Freundes in den Stand, dem Publikum einige urameri— 
kaniſche Anekdoten und einige Proben ihrer Beredſamkeit 
vorlegen zu koͤnnen, die wohl verdienen, unſern Lands— 
leuten bekannt zu werden. Die folgende Rede ward in 
dem Rath zu Portage von dem Häuptling (chief) 
eines uramerikaniſchen Stammes an den er: 
ſten Bevollmaͤchtigten der Vereinten-Staaten 
gerichtet. Zu beſſerm Verſtaͤndniß iſt noͤthig, die Um— 


203 


ſtaͤnde zu erklären, unter denen fie gehalten worden. Der 
amerikaniſche Abgefandte wünfchte eine Verſammlung 
verſchiedener verbächtiger Stämme, dem Vorgeben nach, 
nicht um als Klaͤger oder Unterhaͤndler aufzutreten, ſon— 
dern als einen Beweis ihrer, Treue und Redlichkeit. Die 
Staͤmme kamen zuſammen, und der Geſandte, der Be— 
dingungen und des Zweks der Verſammlung uneingedenk, 
ergoß ſich ohne Zuruͤkhaltung in Vorwuͤrfen, und nannte 
in den heftigſten und beleidigendſten Ausdruͤkken alle Ver— 
raͤther, die daran denken koͤnnten, die heilig beſchwornen 
Verträge mit den Vereinten: Staaten zu brechen. 
Der erſte Haͤuptling, der antwortete, verrieth ganz das 
Bewußtſein von Schuld. Er zitterte wie ein Espenlaub, 
und ſchien kaum faͤhig zu ſprechen. Gleich nach ihm be— 
gann ein beruͤhmter Haͤuptling, der ſchwarze Don— 
ner zubenamt, zu reden. Seine Seele war frei von 
jedem Gedanken von Verraͤtherei, aber er argwohnte, daß 
dieſe Anklage nur ein Vorwand ſei, einen neuen Eingriff 
in ſein Recht einzuleiten. Er war ſowol uͤber den aus— 
geſprochenen Verdacht, als uͤber die Feigheit, mit welcher 
jener ſich vertheidigt, erzuͤrnt, und ſprach mit feſter maͤnn— 
licher Wuͤrde zu dem Bevollmaͤchtigten: 

„Mein Vater, bezwinge Deine Gefuͤhle, und hoͤre 
ruhig an, was ich Dir ſagen werde. Ich werde offen 
reden. Ich werde nicht mit Furcht und Zittern reden. 
Ich fuͤhle keine Furcht, denn ich habe keinen Grund zur 
Furcht. Ich habe Euch nimmer beleidigt, und die Un— 
ſchuld kennt keine Furcht. Ich wende mich an Euch Alle, 
mit rother Haut, oder mit weißer — wo iſt der Mann, 
der als ein Anklaͤger auftreten will? Vater, ich weiß 


204 


nicht, was daraus werden ſoll; ich bin eben in Freiheit 
geſezt, ſoll ich von Neuem in Ketten geſchlagen werden? 
Zornige Blikke ſehe ich ringsum — aber ich bin keiner 
Veraͤnderung faͤhig. Dir vielleicht iſt unbekannt, was 
ich Dir ſage, aber es iſt wahr, ich nehme Himmel und 
Erde zu Zeugen! Ich kann Dir es leicht beweiſen, daß 
ich auf alle Weiſe angegriffen worden bin, daß Alles ver— 
ſucht ward, meinen Stolz, mein Gefuͤhl, oder meine Furcht 
und Eigenliebe zu reizen — daß ſie mich zwingen woll— 
ten, die Tomawhawek gegen Euch zu erheben. Aber 
Alles umſonſt! nie wollte ich in Euch meine Feinde ſehen. 
Wenn dies das Betragen eines Feindes iſt, 
ſo werde ich nimmer Euer Freund ſein.“ 

„Ihr wißt, mein Vater, daß ich von meinem Wohn— 
ſiz vertrieben ward. Ich kam hierher, ich ließ mich hier 
nieder, ich rief meine Krieger um mich her. Wir pflo— 
gen Rath, wir faßten unſern Entſchluß, und wichen nim— 
mer davon. Wir wuͤnſchten und beſchloſſen, mit den Ver— 
einten- Staaten gemeinſame Sache zu machen. Ich 
ſandte Euch die Pfeife, ſie glich dieſer; ich ſandte ſie Euch 
durch Umwege, daß die Ureinwohner des Miſſiſſippi 
nicht wiſſen ſollten, was wir vorhaͤtten. Ihr empfingt 
ſie. Ich ſagte Euch, daß Eure Freunde meine Freunde 
ſein ſollten; — daß Eure Feinde meine Feinde ſein ſoll— 
ten; und daß ich nur Eures Zeichens harrte, den Krieg 
zu beginnen. Wenn dies das Betragen eines 
Feindes iſt, ſo werde ich nimmer Euer Freund 
ſein.“ | 

„Warum ſag' ich Euch dies Alles? Weil es wahr 
iſt, ach! leider wahr, daß die guten Thaten der 


205 


Menſchen mit ihnen in das Grab geſenkt wer— 
den, waͤhrend man die Boͤſen nakt auszieht, 
und fie den Blikken der Welt ausſezt ).“ 

„Mein Vater, als ich hierher kam, kam ich als Euer 
Freund. Mich vertheidigen zu muͤſſen, glaube ich nicht. 
Ich habe mich nicht zu vertheidigen. Wenn ich ſchuldig 
waͤre, ſo haͤtt' ich mich vorbereitet; doch ich habe ſtets 
Dich bei der Hand gehalten, und bin ohne Entſchuldigun— 
gen gekommen. Wenn ich gegen Dich gefochten haͤtte, 
wuͤrd' ich Dir's bekannt haben; allein hier in Eurem 
Rathe weiß ich nichts zu ſagen, als was ich fruͤher mei— 
nem großen Vater, dem Praͤſidenten Eures Volkes, 
ſagte. Du hoͤrteſt es, und entſinneſt Dich deſſen ohnbe— 
zweifelt noch. Es war in wenig Worten dies: Mein 
Land kann ich Euch nimmer uͤbergeben. Ich ward be— 
trogen, niedrig betrogen in dem Vertrag. Ich will 
von meinem Lande nicht eher als von mei— 
nem Leben laſſen.“ 

„Noch einmal ruf' ich Himmel und Erde zu Zeugen, 
und ich rauche dieſe Pfeife, zum Beweiſe meiner Redlich— 
keit. Wenn Du es auch redlich meinſt, ſollſt Du ſie von 
mir empfangen. Mein einziger Wunſch iſt, daß wir ſie 
zuſammen rauchen moͤgen, daß ich Deine heilige Hand 
faſſen, und fuͤr mich ſelbſt und meinen Stamm um den 
Schuz Deines Landes bitten darf. Wenn dieſe Pfeife 


) Die Verwandtſchaft zwiſchen dieſer Stelle und dem beruͤhmten 
Verſe Shakſpeare's iſt bemerkenswerth: 
The evil, that men do, lives after them, 


The good is oft interred with their bones. 


206 


Deine Lippen berührt, fo möge es meinem ganzen Stamm 
zum Seegen werden! moͤge der Rauch aufſteigen 
gleich einer Wolke und alle Feindſchaft mit 
ſich weg fuͤhren, die zwiſchen uns erwacht iſt.“ 

Wenn man bedenkt, daß dieſe Rede aus dem Steg⸗ 
reife gehalten ward, ſo muß man ihre Kraft und Ein— 
fachheit doppelt bewundern. Wir finden, daß es zuwei— 
len den amerikaniſchen Miſſionaren gelungen, die 
beruͤhmteſten Stammesfuͤrſten zu bekehren, ſo einiger— 
maßen fuͤr das wenig friedliche Zudraͤngen ihrer kriegeri— 
ſchen Bruͤder Erſaz gebend. Einer der merkwuͤrdigſten 
unter dieſen Bekehrten iſt der Krieger von Oneida, 
Skenandoh, der vor Kurzem in feiner Veſte in den 
Vereinten-Staaten in einem Alter von einhundert 
und zehn Jahren ſtarb. Er war von dem Miſſionaͤr 
Kirkland bekehrt worden, der fruͤh in ſein Land kam, 
und ihn aus einem dem Kriege, der Trunkenheit und 
allen Laſtern der Rohheit ergebnen Juͤngling in einen 
Schmuk und eine Ehre der chriſtlichen Religion verwan— 
delte. Die Art ſeiner Bekehrung von der abſcheulichen 
Suͤnde, die, wie wir hoͤren, nicht allein unter den wil— 
den, ſondern auch unter den civiliſirten Amerikanern zu 
Hauſe iſt, deutet allein ſchon auf eine edle und unge— 
woͤhnliche Geſinnung. Als der Haͤuptling ſeines Stam— 
mes, war er im Jahre 1785 bei einem Vertrag, der in 
Albanien abgeſchloſſen ward, gegenwaͤrtig; hier uͤber— 
ließ er ſich waͤhrend der Nacht einer ſeiner angewoͤhnten 
Ausſchweifungen, und fand ſich den folgenden Morgen 
beim Erwachen auf der Straße liegend, all ſeines Smuk— 
kes und ſelbſt der Zeichen ſeiner Haͤuptlingſchaft beraubt. 


207 


Vielleicht hätte alle moraliſche Beredſamkeit nicht folche 
Wirkung auf ihn machen koͤnnen, als dies demuͤthigende 
Bewußtſein von Entehrung. Skenandoh war einer 
der faͤhigſten Urbewohner, der je in Nordamerika geboren; 
und wenn die Kolonien ihn mit Recht vor der Revolu— 
tion fuͤrchteten, ſo hatten ſie waͤhrend derſelben Urſache, 
ſich mit ihm zu verſoͤhnen. Sein Grundſaz war, daß in 
jedem Falle die Rechte der Landeseingebornen 
vertheidigt werden muͤßten. Die naͤmliche Ur— 
ſache, die ihn zuerſt bewog, ſich den Angloamerika— 
nern entgegen zu ſtellen, trieb ihn an, ſich mit ihnen 
zu vereinigen, als ein noch fremderes Geſchlecht in das 
Land eindringen wollte. Er wuͤrde die Anſiedler vertilgt 
haben, wenn er gekonnt haͤtte, aber ſchon hatte ein Zeit— 
raum von mehreren Geſchlechtsfolgen etwas von der 
rothen Maͤnner Blut in ihre Adern gemiſcht, und er 
zog ſie darum den Briten vor, die oft waͤhrend des 
Krieges Urſache hatten, dieſen Vorzug zu beklagen. Die 
Vereinten-Staaten ehrten ihn durch ein oͤffentliches 
Begraͤbniß, und die Ureinwohner gaben ihm den Namen 
„der weißen Maͤnner Freund;“ denn obwohl „ein 
Sturmwind im Kriege,“ war er doch im Frieden 
„ein ſaͤuſelndes Luͤftchen,“ und der waͤrmſten 
Freundſchaft faͤhig. Ohngefaͤhr einen Monat vor ſeinem 
Tode ſagte er, in Bezug auf ſein langes Leben und die 
traurige Einſamkeit des Alters, eben ſo ſchoͤn als ruͤh— 
rend: „Ich bin ein alter Stamm. Die Stuͤrme von 
hundert Wintern haben durch meine Zweige gerauſcht; 
mein Wipfel iſt erſtorben. Das Geſchlecht, dem ich an— 
gehoͤre, iſt dahin geſchwunden, und hat mich allein gelaſ— 


208 


fen. Warum ich lebe, weiß der gute, große Geiſt allein. 
Betet zu meinem Jeſus, daß er mir Geduld gebe, zu 
warten, bis die beſtimmte Stunde komme!“ — 
Dieſe beſtimmte Stunde kam bald, und ſein lezter 
Wunſch war, an der Seite des frommen Miſſionars be— 
graben zu ſein, der ihn bekehrt habe. — 

Folgendes ſpricht eine ganz andre Geſinnung aus. 
Es ſind die wilden, entſchloſſenen, trozigen Worte, die 
ein Haͤuptling des Creekſtammes an den Gene— 
ral richtete, der ihn gefangen nahm: 

„Ich focht gegen Euch bei Fort Mimms. Ich 
focht gegen Euch in Georgien. Ich that Euch alles 
Leid an, das in meiner Macht ſtand. Haͤtte nicht der 
Verrath mich umſponnen, ſo haͤtte ich Euch mehr ge— 
than. Die Krieger, die mir treu waren, ſtarben Alle an 
meiner Seite — ſie ſtarben in dex Schlacht! Ich weine 
uͤber ihren Verluſt, aber ſie ſind zum Ruhme gegangen. 
Ich bin ihr Fuͤrſt — ein Gefangener, aber ein Soldat. 
Thut, was Ihr wollt — ich will ihr Gedaͤchtniß nicht 
beſchimpfen!“ 

Unſere Leſer ſehen ein, daß Worte, wie dieſe — nicht 
bloße Worte ſind. Sie bedeuten, was ſie ausſprechen: 
und wenn die Flamme des Todes lodert, und die Fol— 
terwerkzeuge in Thaͤtigkeit geſezt find, das Opfer zu quä- 
len, ſo zeigt ſein heiteres Laͤcheln, wie wenig alle koͤrper— 
liche Martern uͤber eine Seele vermoͤgen, die in der Aus— 
dauer den Weg zu einer Art Heiligſprechung ſieht. Ein 
Seufzer, ein Schwanken wuͤrde ihn auf ewig ſeines Vol— 
kes Achtung und des Helden Paradies rauben. So ge— 
waͤhrt ihm ſeine Gefangenſchaft den dauerndſten und 


209 


glaͤnzendſten Triumph über feine Feinde. Ein ſehr ſchoͤ— 
nes Beiſpiel ſolches Heldenmuthes gab der virginiſche 
Anfuͤhrer Opechauchanough. Kuͤhn, verſchlagen 
und einſchmeichelnd, ein Meiſter in Unterhandlungen wie 
in den Waffen, noͤthigte er die erſten Anſiedler von Vir— 
ginien, in beſtaͤndigem Kriegsſtand zu ſein; und als das 
Alter ihn ſchon ſo hinfaͤllig gemacht, daß er nicht mehr 
gehen konnte, befehligte er aus einer Saͤnfte bei dem 
furchtbaren Überfall der Kolonie im Jahre 1641, durch 
welchen dieſe faſt vernichtet ward; und darauf auch bei 
dem Ruͤkzug ſeiner Krieger. Endlich ward er, entkraͤftet, 
erſchoͤpft, und faſt blind zum Gefangenen gemacht, und 
nach Jamestown gebracht, wo er von einem, weniger 
civiliſirten Wilden, der ihn bewachen ſollte, toͤdtlich ver— 
wundet ward. Sein Muth blieb bis zum lezten Augen- 
blik ungebrochen. Wie der Stab des Propheten, war er 
im Gluͤk und Truͤbſal, in Krankheit und im Tode ſeine 
Stuͤze. Seine lezten Worte bezeugten dies auf eine 
merkwuͤrdige Weiſe. Als er im Sterben lag, hoͤrte er 
ein ungewoͤhnliches Geraͤuſch in ſeinem Gefaͤngniß, und 
die Augen ein wenig oͤffnend, ſah er ſich von einer Menge 
Menſchen umgeben, die ſaͤmmtlich ihre grauſame und 
unzeitige Begierde befriedigen wollten. Der ganze Zorn 
des Sterbenden entbrannte. Ohne daß er die Eindrin- 
genden zu bemerken ſchien, erhob er ſich von ſeiner Matte, 
und verlangte mit Wuͤrde und Anſehen, daß man gleich 
nach dem Gouverneur ſchikken ſolle. Als dieſer kam, 
ſah der Uramerikaner ihn ſtarr und veraͤchtlich an, und 
ſagte: „Waͤre es mein Loos geweſen, Sir William 


Berkeley gefangen zu nehmen, wahrhaftig, ich haͤtte 
Brauns Skizzen von Amerika. 14 


210 


es fuͤr unwuͤrdig gehalten, ihn fo meinem Volke auszu⸗ 
ſezen.“ Er wollte mehr ſprechen; allein der ploͤzliche 
Ausbruch von Leidenſchaft war zu viel fuͤr ſeinen entkraͤf— 
teten Körper. Die Natur unterlag, und er fiel zuruͤk, 
als noch die Roͤthe des Zorns auf ſeinem Geſichte gluͤhte. 

Bisweilen treffen wir unter dieſen Voͤlkerſchaften eine 
politiſche Weisheit, deren Grundſaͤze vielleicht gebildetere 
Nationen ohne Nachtheil ſich aneignen koͤnnten. Folgende 
Rede eines cherokeſiſchen Anfüh rers an ſeine Lands— 
leute, die Willens waren, ſich mit den engliſchen Trup⸗ 
pen gegen die Koloniſten zu vereinigen, enthaͤlt einige 
Vorſchriften, die nur einer kleinen Veraͤnderung beduͤrf— 
ten, um fuͤr jedes Volk der Erde lehrreich zu ſein 
— vorzuͤglich aber fuͤr diejenigen, die innere Streitigkei— 
ten zu dem wahnſinnigen Schritt verleitet haben, fremde 
Huͤlfe herbeizurufen. 

„Meine Landsleute! Gott ſchuf uns Alle, rothe 
und weiße Amerikaner, in einem Lande zu leben. 
Da er nun geſagt hat, wir ſollen mit einander leben, 
warum geſellen wir uns zu dem Volke, das uͤber die ſal— 
zigen Gewaͤſſer kommt? Wir koͤnnen ohne ſie fertig 
werden, wir und unſre Kinder. Als der große Geiſt 
uns unſer Land gab, gab er es uns als einen Wohn— 
ſiz für unſer Leben, als einen Ruheort fuͤr 
unſre Gebeine, und das ſagte er Allen, denen er ein 
Land gab. Das kalte Waſſer, das er uns gab, fließt 
noch, die Waͤlder, die er wachſen ließ, gruͤnen noch. 
Einfaͤltig wie ich bin, ſagt mir doch mein geringer Ver— 
ſtand, wenn ich alle dieſe Dinge ſehe, daß ſie Gottes 
Werke ſind. Als das weiße Volk zuerſt unter uns kam, 


211 5 


—ͤ— —e— — 


verbot der große Geiſt unſre Miſchung — wir unter: 
miſchten uns, und er erließ uns die Strafe, trennte nicht 
den Mann von dem Weibe, den Vater von den Kindern, 
den Bruder von der Schweſter, und duldete das ver, 
miſchte Blut in unſern Adern. Es muß ſo bleiben, weil 
er es ſo will. Aus der Miſchung unſers Bluts, aus 
der Verſchmelzung unſerer Kraͤfte hat Waſhington, 
der weißen Männer Bruder, ſich einen Namen er- 
worben in der Schlacht — einen Namen, weit uͤber die 
Namen der weißen Maͤnner. Aber ihr Alle wißt, 
wie langſam er vorwaͤrts ſchritt, als die vereinten Arme 
unferer Vaͤter ihn hemmten; und ihr Alle wißt, wie rei— 
ßend ſchnell, ſeit der Branntwein und der Kattun uns 
getrennt. O denket daran, daß wir Ein Volk ſind“! — 

Es gibt Laͤnder in Europa, denen in alten und 
neuen Zeiten der Rath der Cherokeſen manches 
Leid erſpart haben wuͤrde. — Unſre Miſſionare ha— 
ben bemerkt, daß unter einigen Staͤmmen die Anlagen 
zu den Kuͤnſten des Friedens ihren kriegeriſchen Faͤhigkei— 
ten gleich kommen, und fie haben klug und gluͤklich die 
Mitwirkung derſelben zu benuzen gewußt. Selbſt in der 
Fortpflanzung des Evangeliums und in der Verbreitung 
der chriſtlichen Kenntniſſe ſind ſie ihnen ſehr behuͤlflich 
geweſen. Enthuſiasmus iſt der natürliche Charakter eines 
wilden Lebens. Die Jagd, die Umgebungen, die Frei⸗ 
heit, uͤberall zu ſein, wo die Phantaſie es augenbliklich 
will, und das übergewicht, das aus geiſtigen oder koͤr— 
perlichen Vorzuͤgen natuͤrlich entſpringt — alles dies ſezt 
den Wilden in einen geſpannten Gemuͤthszuſtand, in 
welchem er hoͤchſt empfaͤnglich und erregſam iſt. Alle die 


212 


Träume und Erſcheinungen, die die Mönche zur Zeit der 
Kirchenverderbtheit erfanden, die Leichtglaͤubigen zu be: 
truͤgen, find von den uramerikaniſchen Schwärmern 
wirklich in Augenblikken der Verzukkung erlebt, oder fie 
haben ſich wenigſtens, was am Ende auf Eins hinaus— 
laͤuft, eingebildet, ſie zu erleben. Eins der merkwuͤrdig— 
ſten Beiſpiele bietet ein Haͤuptling der Allegha— 
nyer, der wegen ſeiner wunderbaren Bekehrung und 
feines raſtloſen Eifers der indianiſche Prophet (In- 
dian prophet) genannt wird. Waͤhrend der erſten fuͤnf— 
zig Jahre ſeines Lebens zeichnete er ſich durch nichts aus, 
als durch Stupiditaͤt und Leidenſchaft zum Trunk. In 
ſeinem fuͤnfzigſten Jahre aber ſaß er einmal auf einem 
Baumſtamm, und zuͤndete ſeine Pfeife an, als er ploͤzlich 
zuruͤkfiel und mehrere Stunden lang in einem bewußtlo— 
ſen Zuſtande blieb. Die Seinigen hielten ihn fuͤr todt, 
und bereiteten ſich, ihn nach ihrer Weiſe zu beſtatten. 
Alle Verwandten wurden zu der Begraͤbnißfeier geladen, 
und man war eben beſchaͤftigt, ihn fortzubringen, als er 
erwachte. Seine erſten Worte waren: „Beunruhigt euch 
nicht, ich habe den Himmel geſehn. Ruft das Volk zu— 
ſammen, daß ich ihm ſage, was mir begegnet iſt.“ 

Das Volk verſammelte ſich darauf um ſeinen Fuͤh— 
rer, und er begann feierlich zu erzaͤhlen, wie vier ſchoͤne 
Juͤnglinge zu ihm gekommen waͤren, und zu ihm ge— 
ſprochen haͤtten: 

„Der große Geiſt zuͤrnt Dir und allen rothen Maͤn— 
nern; und wenn Du nicht von der Trunkenheit laͤſſeſt, 
und vom Luͤgen und Stehlen, und Dich nicht zu ihm 


213 


wendeft, wirft Du nie an den herrlichen Ort kommen, 
den wir jezt Dir zeigen wollen!“ 

Er erzaͤhlte darauf weiter, wie die Juͤnglinge ihn 
zu der Himmelsthuͤr gefuͤhrt, die geoͤffnet, aber nicht von 
ihm betreten werden durfte; daß es darin ſchoͤner geweſen 
ſei als irgendwo; daß die Bewohner des Himmels einer 
ungetruͤbten Gluͤkſeligkeit genoſſen u. ſ. w. Endlich ſei 
er zuruͤkgefuͤhrt, und ihm geboten, den andern Indianern 
mitzutheilen, was er erlebt. Er reiſ'te darauf bei den 
weſtlichen Staͤmmen umher, nur zu den Oneida's 
ging er nicht. Sie alle gaben ſeinen Erzaͤhlungen unbe— 
dingten Glauben, und verehrten ihn als einen Propheten. 
Die Folgen waren hoͤchſt merkwuͤrdig. Sein Stamm, 
bisher ſchmuzig, traͤge und dem Trunke ergeben, ward 
ein reinliches, arbeitſames, maͤßiges und gluͤkliches Volk. 
Der Prophet behauptete, jaͤhrlich ſolche himmliſche Er— 
ſcheinungen zu haben, und nach einer jeden reiſ'te er un— 
ter den Staͤmmen umher. Waͤhrend einer dieſer Reiſen 
ſtarb er. Man nannte ihn den Prophet des Frie— 
dens, zum Unterſchied von dem Bruder des wilden 
Fuͤrſten Tekumſeh, der der Prophet des Krieges 
hieß. Viele Uramerikaner betrachten indeß den Eifer der 
Miſſionare als ungehoͤrig, und beklagen ſich laut 
daruͤber. 

Obigem aus dem New monthly Magazine Entlehn⸗ 
ten fügen wir noch hinzu. Als im Jahr 1823 die Haͤup⸗ 
ter des indianiſchen Stammes Choctaw zu Waſhing— 
ton dem General Lafayette vorgeſtellt wurden, hielt 
der Fuͤhrer Washalatubee folgende Anrede: 

„Ich reiche Dir die Hand, mein Vater und Freund, 


214 


denn Du haft an der Seite des großen Waſhington 
gefochten. Wir ſind immer den Weg des Friedens ge— 
wandelt, und nie hat amerikaniſches Blut unſere Hände 
beflekt. Fern vom Mittag, wo wir unter den brennen— 
den Strahlen der Sonne wohnen, ſind wir hierher ge— 
kommen. Sonſt waren Franzoſen, Spanier und 
Englaͤnder unſre Nachbaren; jezt aber leben wir mit— 
ten unter Amerikanern allein als Bruͤder und gute 
Freunde.“ Darauf nahm Pushamata, der Fuͤhrer, 
das Wort und ſprach alſo: 

„Schon vor fuͤnfzig Jahren haſt Du, mit dem 
Schwerte umguͤrtet, dieſe Kuͤſte betreten, und an der Seite 
des großen Waſhington Amerikas Feinde bekaͤmpft. 
Neben dem Blut der Feinde hat auch das Deine den 
Boden geroͤthet, und Du haſt gezeigt, daß Du Ameri— 
kas Sohn biſt. Und nachdem Du die Friedenspfeife ge— 
raucht hatteſt, kehrteſt Du in Dein Vaterland zuruͤk — 
jezt aber biſt Du wieder in das Land gekommen, wo ein 
großes und maͤchtiges Volk Dich liebend empfaͤngt. Die 
Soͤhne der Krieger, mit denen Du ausgezogen, draͤngen 
ſich nun um Dich her und druͤkken Dir die Haͤnde, denn 
Du biſt ihr Vater. Das Geruͤcht von Deiner Ankunft 
iſt bis in unſre fernen Huͤtten gedrungen, und wir kom— 
men, Dich zu ſehen. Nun wir Dein Angeſicht geſchaut 
haben, ſind wir zufrieden in unſerem Herzen. Lebe wohl! 
Wir kehren in unſre Heimath zuruͤk, und auf dieſer Erde 
ſehen wir uns nicht wieder.“ 

Im vorigen Jahre las man in einer engliſchen 
Zeitung die Rede, die der Haͤuptling der kanadiſchen 
Ureinwohner an den Koͤnig von England gehalten hat, 


215 


als jene Häuptlinge ihm im März v. J. in London 
vorgeſtellt wurden. Er ſprach dieſe Rede in ziemlich gu— 
tem Franzoͤſiſch: „die Sonne, die ihre wohlthaͤtigen Strah— 
len uͤber unſer Haupt ſendet, erinnert uns an den großen 
Schoͤpfer der Welt, an ihn, der Leben gibt, und Leben 
nimmt. Möge dieſes allmaͤchtige und barmherzige Weſen 
ſeine Segnungen uͤber Deine Majeſtaͤt ausgießen! Moͤge 
es Dir Geſundheit verleihen und langes Leben! Dies iſt 
der heiße Wunſch der ganzen Nation, deren Stellvertre— 
ter wir find, denn Du biſt ihr guter Vater!“ Der Koͤ— 
nig, der aͤußerſt gelaͤufig franzoͤſiſch ſpricht, anwortete in 
derſelben Sprache, und unterhielt ſich lange Zeit mit die— 
ſen Uramerikanern uͤber ihre Sitten und ihre Re— 
gierungsform. 


* 
* 


216 


XIV. 


über die 
Ureinwohner Nordamerikas. 


Nach Kapitain Franklin's neueſten Beobachtungen ). 


Die nordamerikaniſchen Ureinwohner ſind un⸗ 
gemein geſchikt, Wild aller Art zu fangen. Nichts in der 
Luft, im Waſſer, oder auf der Erde entgeht ihnen. 
Franklin erzaͤhlt von zwei Uramerikanern, die blos mit 
einem Beile zwei Rehe, einen Habicht, einen Brachvogel 
und einen Stoͤhr gefangen hatten. Sie treiben die Buͤf— 
fel in Huͤrden, auf dieſelbe Art, wie die Eingebornen von 
Ceylon Elephanten fangen. Der Buͤffel iſt der anfe- 
rikaniſche Biſon, und läßt ſich leicht mit Pferden jagen. 
Richardſon ſagt, der wilde Buͤffel kraze den Schnee 
mit feinen Füßen weg, um das Gras darunter zu finden, 
und das von den Spaniern eingefuͤhrte Pferd thue 
daſſelbe; der neuerlich aus Europa gebrachte Ochs 
aber habe noch nicht eine Kunſt erlernt, die er ſo noͤthig 
hat, ſich Nahrung zu verſchaffen. Man hat es ſchon be— 
merkt, daß man unter allen Volksſtaͤmmen, ſowol im 
ſuͤdlichen als noͤrdlichen Amerika, viele Spuren 
aſiatiſcher Sitten und Gebraͤuche findet. A. v. Hum— 


*) Franklin’s Narrative of a journey to the shores of the 
Polar Sea in the years 1819 — 1822. London 1823. 


217 


boldt glaubte fogar Spuren der chineſiſchen Sprache 
in der merifanifchen zu entdekken. Allgemein glaubt 
man an ein gutes und boͤſes Urweſen, des Kat— 
ſchi-Manihto und des Mautſchi-Manihto. Man 
hat die Sage von einer Zerſtoͤrung der Welt durch eine 
Fluth, und glaubt an einen Zuſtand nach dem Tode. 
„Als ich in Carlton war — erzaͤhlt Richardſon — 
nahm ich Gelegenheit, einen geſpraͤchigen alten Ur ame— 
rikaner uͤber ſeine Meinung von dem kuͤnftigen Leben 
zu befragen. Er antwortete, ſie haͤtten von ihren Vor— 
aͤltern gehoͤrt, die Seelen der Verſtorbenen muͤßten mit 
großer Muͤhe einen ſteilen Berg erklettern, auf deſſen 
Gipfel ſie durch die Ausſicht auf eine weite Ebene belohnt 
wuͤrden, die hier und da mit neuen anmuthigen Zelten 
bedekt waͤre, und an Wild aller Art Überfluß haͤtte. In 
den Anblik dieſes entzuͤkkenden Schauſpiels verloren, wer: 
den ſie von den Bewohnern des gluͤklichen Landes ent— 
dekt, welche, in neue Felle gekleidet, zu ihnen kommen, 
und diejenigen Uramerikaner, welche gut gelebt haben, 
freundlich bewillkommnen; den boͤſen aber, die ihre Haͤnde 
in das Blut ihrer Landsleute getaucht haben, befiehlt 
man hinzugehen, woher ſie gekommen ſind, und ſtuͤrzt 
ſie ohne Umſtaͤnde den ſteilen Berg hinab. Weiber, die 
ſich des Kindermordes ſchuldig gemacht haben, erreichen 
den Berg nie, ſondern muͤſſen um den Schauplaz ihrer 
Verbrechen wandern, waͤhrend Baumzweige an ihre Beine 
gebunden ſind. Die traurigen Toͤne, die man an ſtillen 
Sommerabenden hoͤrt, und welche die unwiſſenden Eu— 
ropaͤer fuͤr das Geſchrei des Geismelkers halten, 


218 


find nach meinem Uramerikaner das Jammern jener Uns 
gluͤklichen.“ 

Selbſt die noͤrdlichſten Wilden, die Felſenberg— 
die Starkbogen-(Strongbows) und die Hu ndsrip⸗ 
pen⸗Uramerikaner haben die Sage, fie feien von 
Weſten aus einem ebenen Lande gekommen, wo kein 
Winter geweſen ſei, wo es Baͤume und Fruͤchte gegeben 
habe, die ſie jezt nicht kennen, und unter den ſeltſamen 
Thieren, ganz verſchieden von der thieriſchen Schoͤpfung 
ihrer jezigen Heimath, ſei eins geweſen, deſſen Geſicht eine 
auffallende Ahnlichkeit mit dem Menſchenantliz gehabt 
habe, aus dieſem Lande aber ſeien ſie durch das An— 
ſchwellen des Waſſers vertrieben worden, und nordwaͤrts 
ziehend, zu einer Meerenge gekommen, uͤber welche ſie auf 
einem Floß gefahren ſeien, die jedoch ſeitdem zugefroren. 

Das Tattowiren iſt allgemein uͤblich unter den 
Creeks und den fſuͤdlichern Uramerikanern, als 
in den oͤſtlichen Inſeln. Es iſt aͤußerſt ſchmerzlich, 
da man mit einer Pfrieme unter die Oberhaut faͤhrt, und 
dann einen mit Kohlenſtaub und Waſſer benezten Faden 
durch die Offnung zieht. — Die Abkoͤmmlinge der 
Beamten beider Handelsgeſellſchaften und ur— 
amerikaniſcher Weiber ſind von gutem Ausſehen, 
geſchikt und lernbegierig, wiewol ihre Erziehung zeither 
gaͤnzlich vernachlaͤſſigt worden iſt. Die Maͤnner ſind un— 
ſittlich, die Weiber unzuͤchtig. Viele von ihnen verhei— 
rathen ſich mit den Uramerikanerinnen. Die Maͤd— 
chen in den Niederlaſſungen find im zwölften Jahre 
Weiber und im vierzehnten ſchon Muͤtter, und 
nicht ſelten nimmt ein Reiſender ein zehnjaͤhriges. 


219 


Kind zur Geliebten. Die Vorſteher der Geſellſchaften dul— 
den dieſe Laſterhaftigkeit unter ihren Dienern. Dieſer 
Menſchenſchlag hat ſo wenig ſittliches Gefuͤhl, daß es 
nichts Ungewoͤhnliches iſt, eine Geliebte von zwei Maͤn— 
nern auf gemeinſchaftliche Koſten zum gemeinfchaftlichen 
Genuſſe unterhalten, oder ein Maͤdchen auf eine gewiſſe 
Zeit, oder für immer für eine Summe verkaufen zu ſehen, 
die gewoͤhnlich geringer als der Preis fuͤr ein Geſpann 
Hunde iſt ). Unter den Chipeywan-Uramerika— 
nern fand man einen Stamm im traurigſten Zu— 
ſtande. Sie hatten Alles zerſtoͤrt, was ſie beſaßen, zum 
Beweiſe ihres Kummers uͤber den Verluſt, den ſie durch 
die Maſern, den Keuchhuſten und die Ruhr erlit— 
ten hatten. Nichts wird, wie es ſcheint, gefchont, wenn 
ein Verwandter ſtirbt; Kleider und Zelte werden zerſchnit— 
ten, Flinten zerbrochen und alle Waffen unbrauchbar ge— 
macht. Die noͤrdlichen Uramerikaner glauben ur— 
ſpruͤnglich von einem Hunde abzuſtammen. Vor unge— 
faͤhr fünf Jahren wußte ein Schwaͤrmer die Unſchiklich— 
keit, dieſe Thiere, ihre Verwandten, zur Arbeit zu be— 
nuzen, ſo kraͤftig vorzuſtellen, daß man einmuͤthig be— 
ſchloß, ſie nicht mehr zu gebrauchen, und ſeltſam genug 
den Entſchluß faßte, ſie zu vernichten. Sie muͤſſen nun 
ihre Schlitten ſelbſt ziehen, und dieſe Laſt faͤllt meiſtens 
auf die Weiber. Wenn ein Haufen auszieht, muͤſſen die 
Weiber Zelt, Eſſen und was der Jaͤger ſonſt beſizt, zie— 


*) Alerander Henry führt ſolche graͤßliche Beiſpiele der Unzucht 
und Blutſchande der Uramerikaner an, daß ich dieſelben hier 
nicht anzufuͤhren wage. 


220 


hen, während er nur fein Gewehr und feine Arzneibüchfe 
trägt. Abends bringen fie ihr Lager in Ordnung, hauen 
Holz, ſuchen Waſſer und kochen das Eſſen, und duͤrfen 
dann vielleicht nicht eher etwas genießen, bis der Mann 
gegeſſen hat. Ein gluͤklicher Jaͤger hat zuweilen zwei bis 
drei Weiber, von welchen die Beguͤnſtigte uͤber die an— 
dern Gewalt hat, und die Aufſicht im Zelte fuͤhrt. Die 
Maͤnner behandeln ihre Weiber gewoͤhnlich unfreundlich, 
ja hart, ausgenommen zur Zeit der Schwangerſchaft, wo 
man ihnen viel Nachſicht gewaͤhrt. Ihre Kinder lieben 
ſie zaͤrtlich. Folgende Erzaͤhlung erinnert an eine ganz 
aͤhnliche Thatſache, die A. v. Humboldt in Suͤdame— 
rika erfuhr. „Ein junger Chipeywan-Urameri—⸗ 
kaner hatte ſich von ſeinen uͤbrigen Gefaͤhrten getrennt, 
um Biber zu fangen, als ſeine Frau, die allein ihn be— 
gleitete und in ihrer erſten Schwangerſchaft war, Wehen 
fuͤhlte. Sie ſtarb drei Tage nach der Geburt eines Kna— 
ben. Der Mann war untroͤſtlich, und gelobte in ſeinem 
Schmerz, nie ein anderes Weib zu nehmen; aber ſein 
Kummer wich bald einigermaßen der Beſorgniß um das 
Schikſal ſeines Kindes. Um ihm das Leben zu erhalten, 
uͤbernahm er das Geſchaͤft einer Amme, das in den Au— 
gen eines Uramerikaners entehrend iſt, weil es zu 
den Weiberpflichten gehoͤrt. Er wikkelte es in weiches 
Moos, naͤhrte es mit Rehfleiſchbruͤhe, und um ſein 
Schreien zu ſtillen, legte er es an ſeine Bruſt, und bat 
den großen Herrn des Lebens, ſeine Bemuͤhungen 
gelingen zu laſſen. Die Staͤrke der heftigen Gemuͤthsbe— 
wegung, die ihn aufgeregt hatte, brachte hier dieſelbe 
Wirkung hervor, die ſie in einigen andern Faͤllen gehabt 


1 


221 


hat, die Milch floß aus ſeiner Bruſt. Es gelang ihm, 
ſein Kind aufzuziehen; er bildete es zum Jaͤger und gab 
dem erwachſenen Juͤngling ein Weib aus ſeinem Stamme. 
Er hielt ſein Wort, nie wieder zu heirathen, und fand 
ſeine Freude darin, ſeines Sohnes Kinder zu pflegen, 
und wenn ſeine Schwiegertochter ihn davon abhalten 
wollte, mit der Bemerkung, es ſei keine Maͤnnerbeſchaͤf— 
tigung, ſo gab er zur Antwort, er habe dem großen 
Herrn des Lebens verſprochen, wenn ſein Kind auf— 
komme, nie ſtolz zu ſein, wie die uͤbrigen Uramerika— 
ner. Er pflegte es als einen ſichern Beweis der Billi— 
gung der Vorſehung anzufuͤhren, daß ſein Kind, obgleich 
er es auf der Jagd ſtets auf dem Ruͤkken habe tragen 
muͤſſen, doch nie geſchrien habe, ſondern gerade dann recht 
ſtill geweſen ſei“. Der Gewaͤhrsmann, von welchem 
Franklin dieſe Geſchichte erfuhr, ſezte hinzu, die linke 
Bruſt des Uramerikan ers habe ſelbſt in feinem hohen 
Alter noch die ungewoͤhnliche Groͤße gehabt, die ſie von 
dem Ammenberufe erhalten habe. 


222 


XV. 
Die Chriſtianiſirung 
der 


nördlichen Ur amerikaner. 


„Es iſt ſchoͤn, es iſt groß, aus der Dunkelheit 
der Wälder barbariſche Horden reißen 
und aus ihnen Menſchen machen“! 

de Pauw. 


Schon ſind zwei Jahrhunderte verfloſſen, ſeikdem „die 
weißen Männer’ dauernde Niederlaffungen in Nord: 
amerika gruͤndeten, die ſeitdem zu einer für den Men: 
ſchenfreund hoͤchſt erfreulichen Kulturſtufe gelangt ſind. 
So erhebend dies auf der einen Seite iſt, ſo auffallend 
iſt es auf der andern Seite, daß ſeit dieſem langen Zeit— 
raume die Chriſtianiſirung der Ureinwohner 
Nordamerikas im Ganzen nur wenige Fortſchritte 
gemacht hat. In unſerm Welttheile folgte Geſittung, 
Landbau, Gewerbe, Handel und Verkehr dem 
oft mit damaliger uͤblichen Rohheit eingefuͤhrten Chri— 
ſtenthume auf dem Fuße nach, ſo daß man dreiſt be— 
haupten kann, lezteres hat den holden Kuͤnſten des Frie— 
dens, welche das Leben der Menſchen verſchoͤnern und 
erheben, die Pforten geoͤffnet und den Weg gebahnt. Aus— 
breitung des Chriſtenthums — nicht blos chriſtlicher Kir— 
chengebraͤuche — iſt mithin Ausbreitung der Aufklaͤrung, 
der Geſittung, der Geiſtesfreiheit. Man kann folglich 
nicht Freund der Menſchheit, nicht Freund ſeiner eigenen 


223 


Vernunft fein, ohne die Erweiterung des Alles verklärens 
den Gottesreiches zu wollen, und mit Entzüffen die Ver: 
edlung unſers Geſchlechts unter allen Himmelsguͤrteln zu 
ſehen. Wer weiß, wenn die Lehre des Goͤttlichen von 
Nazareth ihre Richtung oſtwaͤrts oder ſuͤdwaͤrts 
genommen hätte, ſtatt gegen Mitternacht und Wie: 
dergang, ob dort nicht heute die gebildetſten Voͤlker des 
Erdballs herrſchen würden, während wir neben ihnen 
Halbwilde geblieben waͤren? Denn warum richteten ſich 
Griechenland, Aſien, Agypten und Karthago 
nach den Voͤlkerwanderungen nicht ſo ſchnell und kraͤftig 
wieder auf, als Italien, Gallien, Deutſchland? 
— Dort endeten Mongolen und Muhamedaner die 
allgemeine Umwaͤlzung; aber die Eroberer Italiens, 
Galliens, Deutſchlands: Gothen, Longo— 
barden, Franken, waren ſchon Chriſten. Ein Haupt⸗ 
grund dieſer Erſcheinung ſcheint uns darin zu liegen, daß 
die ſanfte Lehre Chriſti die Monogamie und die 
daraus hervorgehende gemaͤßigte und auf rationellem 
Grund gebauete Monarchie, dagegen der Islam die 
Polygamie und den darauf gegruͤndeten rohen Des— 
potismus beguͤnſtigt. Wo noch thieriſche Gewalt den 
mit Blut, beflekten Scepter fuͤhrt, wo die Nation, gleich 
einer Viehheerde, beliebiges Eigenthum eines uͤppigen und 
die Menſchheit verrachtenden einzigen Gewalthabers iſt, da 
kann die herrlich belebende und erquikkende Blume der 
Kultur nie gedeihen und dauernd wurzeln. Alle Aufmun— 
terung dazu fehlt, ja Auszeichnung in den Kuͤnſten des 
Friedens iſt ſelbſt in ſolchen Zwingherrſchaften gefaͤhrlich. 
Beweis dieſer Behauptung liefern genug jene ungluͤklichen 


224 


Länder, die, von der Natur mit dem heiterften Klima 
und den herrlichſten Gütern ausgeſtattet, einſt das Ba- 
terland eines Herodot, Polybius, Alexander des 
Großen, der erſten Glaubensboten der Chriſten— 
heit, ja ſelbſt des Stifters derſelben, ſchon ſeit faſt 
drei Jahrhunderten unter dem ſchweren Joche des tuͤr— 
kiſchen Despotismus ſeufzen. Zur Genuͤge haben jene 
Laͤnder in unſern Tagen gezeigt, daß ihr Boden noch 
jezt faͤhig iſt, neue Miltiades, Themiſtokles und 
der untergegangenen Vorwelt aͤhnliche Geiſteshelden und 
Kraftmaͤnner hervorzubringen, wenn zu deren Zeitigung 
und Vollendung ihnen nur die unſchaͤzbare Wohlthat der 
Freiheit vom unbiegſamen Sultan und ſeinen rohen 
Helfershelfern nicht geraubt waͤre. Kaum iſt es ihnen 
vergoͤnnt, in ihren Feſſeln die belebende Luft des Athers 
frei einzuathmen; mit Sicherheit und Ruhe koͤnnen ſie 
keinen Augenblik Waſſer und Brodt zur Unterhaltung ihres 
phyſiſchen Lebens genießen; an ein geiſtiges Leben 
duͤrfen ſie gar nicht denken; Schulen und Univerſi— 
täten find ihnen fremd; denn dieſe haben ihre Draͤnger 
verpoͤnt. Seit laͤnger als acht Jahren ſieht das geſit— 
tete und gebildete Europa, das einſt die Keime 
und Nahrung ſeiner Geſittung und Bildung von dieſem 
Heldenvolke empfing, dieſes ſchmaͤhlig hingewuͤrgt von 
den barbariſchen Horden Europas, Aſiens und Afri— 
kas, angefuͤhrt von Frankreichs abgefallenen Soͤhnen 
des Kreuzes, den ehemaligen Trabanten des neuern At— 
tila. Noch hat ſich kein neuer Alexander der Gro— 
ße gefunden, der Europa mit Aſien wieder verbaͤnde; 
fo viele Monarchen auch einſt in feinem Siegesglanze 


225 


Buonaparte ſchuf, bis jezt hat ſich kein einziger Die: 
ſer ſchnell geſchaffenen und eben ſo ſchnell wieder geſtuͤrz— 
ten Fuͤrſten, noch einer der legitimen Regenten dieſer un— 
gluͤklichen Nation erbarmt, und gewagt, fie dem Wuͤrger— 
ſchwert des auf ſeine hohen Alliirten dreiſt und ſtolz 
ſich flügenden Sultans gänzlich zu entreißen. Der 
Friede zu Adrianopel hat dies wohl einigermaßen ge— 
than, doch iſt jezt (Decb. 1. 1829) noch Alles zu ungewiß, 
um uͤber denſelben ein genuͤgendes Urtheil faͤllen zu koͤnnen. 

Doch wende dich weg, mein Geiſt, von dieſer Scene 
des Jammers und Elends, dem unausloͤſchlichen Flekken 
des kultivirten Europa, und erwaͤge dagegen, wie das 
Leztere ſeit drei Jahrhunderten, nachdem das ſchwere Joch 
der Hierarchie gelöfet, und vorzüglich ſeit ein Friedrich 
II. und Joſeph II. an beiden Polen Germaniens 
die Fakkel der Aufklaͤrung ſelbſt angezuͤndet und beguͤn— 
ſtigt haben, der Wohlſtand ſich verbreitet und dagegen 
Aberglaube und erniedrigende Unwiſſenheit uͤberall abge— 
nommen haben! Dieſe herrlichen Folgen gemaͤßigter 
monarchiſcher Regierungen, einer auf Vernunft und 
Religion gegründeten Verfaſſung, find fie nicht hervorge— 
gangen aus jener ſanften Liebesreligion, welche uͤberall 
Achtung der Menſchenrechte, Erkennung ſeines Gleichen 
in Jedermann ſo laut verkuͤndet? Hat nun das von heid— 
niſchen Gebraͤuchen und Ceremonien gereinigte und gelaͤu— 
terte Chriſtenthum in unſerer occidentalifchen Hemi⸗ 
ſphaͤre ſolche herrliche Fruͤchte fuͤr die Menſchheit hervor— 
gebracht, ſo iſt es um ſo auffallender, daß wir nicht eine 
gleich erfreuliche Erſcheinung in der neuen weſtlichen 


Hemiſphaͤre wahrnehmen. Wer es weiß, wie viele tau— 
Brauns Skizzen von Amerika. 15 


226 


ſende unſchuldiger Grenzbewohner dort unter der martern— 
den Tomahawk des heidniſchen Ureinwohners gefallen 
ſind, und noch jaͤhrlich fallen, wie die ſo hoͤchſt fruchtba— 
ren Grenzen des Suͤdweſten der nordamerikgniſchen 
Union durchaus nicht eher kultivirt werden koͤnnen, bis 
jene gefaͤhrlichen Nachbaren entweder ganz ausgerottet 
oder, was weit vorzuziehen iſt, in friedliche Bewohner 
verwandelt ſind, der wird ſich hoͤchlich wundern, daß bis 
jezt in dieſem, ſo hoͤchſt wichtigen, Gegenſtande ſo wenig 
von oben herab geſchehen iſt. Bis jezt verhalten ſich 
die Bekehrungen der nordamerikaniſchen Ureinwoh— 
ner wie wenig ſchwache Sternlein am dunkeln Horizonte. 
Das Meiſte fuͤr die Geſittung der Überbleibſel dieſer Ur— 
nation, welche im Gebiete der Vereinten -Staaten 
ſich ungefaͤhr auf eine halbe Million Seelen und daruͤber 
belaufen kann, verdankt Amerika einem Deutſchen, 
dem begeiſterten Grafen von Zinzendorf, der ſich 
den Vergnuͤgungen und Reizen eines fuͤrſtlichen Hofes 
entriß, um durch die Verkuͤndung der Lehre des Goͤt t— 
lichen von Nazareth jenſeits des Weltmeeres die trau— 
rige Ode und finſtere Wildniß in anmuthige Auen und 
liebliche Gefilde zu verwandeln, um da, wo vorhin ein— 
ſame Huͤtten des Wilden ſtanden, freundliche Doͤrfer und 
Staͤdte anzulegen, aus denen jezt Jehova Loblieder 
erſchallen, und eine Lehre verkuͤndigt wird, deren Zwek 
Anbetung des Hoͤchſten im Geiſte und in der Wahrheit 
und wahre echte Menſchenliebe iſt, geſtuͤzt auf Vernunft 
und Offenbarung. Die Miſſionare der Bruͤderge— 
meinde ſind weder außerordentlich ſtreng, noch große 
Gottesgelehrte, aber ſie geben einfache Regeln, und befol— 


227 


gen fie genau. Sie ſtehen weder durch Rang noch theo— 
logiſche Kenntniß erhaben, aber ſind hochgeachtet und fromm. 
Sie kennen keine andere Vorſchrift als das Evange— 
lium, welches ſie ohne alle philoſophiſche Kuͤnſtelei und 
dem gemeinen Menſchenverſtande unzuſagende Verdrehun— 
gen rein und lauter verkuͤnden. Sie leben arm, und 
ernaͤhren ihre Familien durch ihre eigene Arbeit, etwas 
unterſtuͤzt von der Bruͤder-Direktion. Naͤchſt ihnen 
haben die Glaubensgenoſſen William Pen n's, jene 
ſanften Luxusfeinde und thaͤtigen Menſchenfreunde, dann 
die Methodiſten, Presbyterianer und Taufge— 
ſinnten das Meiſte, am wenigſten bis jezt die Katho— 
liken, Biſchoͤflichen, Lutheraner und Refor— 
mirten gethan, um durch das Chriſtenthum jenen rohen 
Heiden Geſchmak an den Kuͤnſten und Gewerben des 
Friedens beizubringen. Auffallend bleibt es aber, daß die 
ſonſt ſo aufgeklaͤrte Regierung der Union ſich dieſer wich— 
tigen Sache mit ſo unbedeutendem Erfolge angenommen 
hat. Wie ganz anders wuͤrden ſich in ihrer Stelle ein 
Friedrich der Weiſe, Philipp von Heſſen, 
Maximilian II., Herzog Julius von Braun— 
ſchweig und andere fromm- und gottſelige Regenten 
des Reformationszeitalters benommen haben! Eine ſo 
wichtige Sache erfordert große Opfer; eine kleine unbe— 
deutende Unterſtuͤzung iſt ſo gut wie gar keine, weil ſie 
keinen Erfolg hat, und oft, wenn eine ſolche Unterſtuͤzung 
uͤbel verwandt wird, ſtiftet ſie mehr Schaden als Nuzen. 
Der Grund dieſes Verfahrens der amerikaniſchen Foͤde— 
ralregierung ſcheint aus einer zu weit getriebe— 
nen religioͤſen Toleranz hervorzugehen, wofür die 


228 


unſchuldigen Grenzbewohner aber leider oft mit ihrem 
Blute buͤßen muͤſſen. Moͤgte das, was dem religioͤſen 
Gefuͤhl verſagt iſt, durch eine wohlthaͤtige, menſchenfreund— 


liche Politik zu Stande gebracht werden! 
Um dem Leſer einen Überblif zu geben von dem 


neueſten Zuſtande des Miſſionsweſens 


in 


Nordamerika, theilen wir hier mit: 


Tabellariſche Ueberſicht ſaͤmmtlicher pro— 
teſtantiſchen Miſſionsanſtalten in 
Nordamerika im Jahre 1826. 


——— nn = u 
Niederlaſſun— Miſſionsge⸗ Miſſionare, Prediger, Schul— 
gen und ſelſchaft lehrer, Schullehrerinnen, Ge— 
Wohnſize. i huͤlfen u. ſ. w. 
Mosquiten. 
Balize, Hon-Baptiſten⸗Geſell⸗JI. Bourne. 
duras. ſchaft. 
Oſadſchen. 
1. Union nahe Vereinte Miſſi⸗W. F. Vaill. 
am Arkanſas onsgeſellſchaft. Chapman, Miffionar; M. Pal: 


bei den kleinen 


mer, Arzt; W. G. Requa, St. 


O ſadſchen. Fuller, Abſ. Redfield, J. M. 
Spalding, A. Woodruff, G. 
2 Harmonie 0 Requa, Gehuͤlfen. 
am Miſſouri oder. dieſelbe. N. B. Dodge, B. Pirley, W. B. 
bei den großen Montgomery, Miſſionare; W. 
Oſadſchen. N. Belcher, Arzt; D. H. Auſtin, 
S. Newton, S. B. Bright, 
e Amara Io: 
i nes, Gehuͤlfen. 
Krihks. ae 
1. Coweta in Amerikaniſche J. Smith, W. Capers, Miſſio⸗ 
Georgien. Methodiſten-nare; Andr. Hammit, Gehuͤlfe. 
Miſſion. 
2. Withing⸗ Amerikaniſche Lee Compere, Miſſionar; Si— 
ton. 7 Ba Gehuͤlfe. 
ion. 


229 


222 mean 
Niederlaffuns| aeg Dirfionare, Prediger, Schul: 
Miſſionsge⸗ |[eprer, Schullehrerinnen, Ge: 


gen und 
Wohnſize. 


Tſchaktahs. 
1. Elliot, im 
Staat Miffif 

ſippi. 


2. Mayhew. 


3. Bethel, 
auf French, 
Camps und 

Newell. 

4. Long Prai⸗ 

ries. 


Chickaſas. 


Tſcherokeſen. 


1. Spring 
Place, im Nor- 
den von Geor: 

gien. 
2. Oochge⸗ 


logg. 
3. Brain erd 
in Tenneſſee. 


4. Carmel, 
vormals a: 
lony. 

5. Creek⸗ 
Path. 


ſellſchaft. 


Amerikaniſche 
Miſſionsgeſell⸗ 
ſchaft. 


Amerikaniſche 
Miſſionsgeſell— 
ſchaft. 


dieſelbe. 


dieſelbe. 


Synode von 
Suͤdkarolina 
und Georgien. 


Evangeliſche 
Bruͤdergemeinde. 


dieſelbe. 


Amerikaniſche 
Miſſionsgeſell⸗ 
Schaft. 


dieſelbe. 


dieſelbe. 


huͤlfen u. ſ. w. 


C. Byrigton, Miſſionar; W. Ri⸗ 
de, Arzt; J. Wood, A. Dyer, 


PAY) 
3. Howes, J. Smith, El. 


Bardwell, Gehuͤlfen. 


C. Kinsb urg, A. Wrihgt, Mif: 
ſionare; C. Cushman, W. Hoo— 
pes, S. Wisner, Ph. P. Stew⸗ 
art, D. Remington, Gehülfen. 


Loring S. Williams. 


Moſes Jewell. 


„ 
T. E. Stewart. 


. R. Schmidt, J. G. Proſke. 


J. Gambold. 
3 


E. Elsworth, Dean, Par: 
ker, Ellis, Blunt, Prodor, 
Fr. Elsworth neuangekommene 
Miſſionare. Ard. Hoyt, D. S. 
Butrik, W. Chamberlain, Mif: 
ſionare; El. Butler, Arzt; Ab. 
Conger, J. Vait, J. E. Els⸗ 
worth, Er. Dean, Silv. El: 
lis, Ainsw. E. Blunt, Gehuͤl⸗ 
fen; J. Arch, Chr. Cherokee, 
Dolmetſcher. 


M. Hall, N. Parker. 


W. Potter. 


= se nn nen neuesten ne en ne eg 
Niederlaſſun⸗ meer: Miſſionare, Prediger, Schul: 
gen und ar lehrer, Schullehrerinnen, Ge— 
Wohnſize. geſellſchaft. huͤlfen u. ſ. w. 
6. Dwight. Amerikaniſche A. Zinney, C. Waſhington, 
Miſſionsgeſell- Miſſionare; Jac. und Aſa Hitch cock, 
ſchaft. J. Orr, Gehuͤlfen. 
7. Valley Amerikaniſche T. Roberts, Miſſionar; Ev. Io: 
towns. Baptiſteng ſell- nes, Gehülfe. 
ſchaft. 
Tſchippe⸗ Methodiftene |Eramwford. 
Br Miſſionsgeſell— 
5 ſchaft. 
ev: Vereinte Miſ— W. M. Ferry. 
Inſel zwiſchen | fon . 
r ſionsgeſellſchaft 
und Michi: | © 
gan fee. * 
Myandotst).| Amerikaniſche James B. Finley. 
1. Ober⸗San⸗ Methodiſten⸗ 


dusky im Nor⸗ 
den des Ohio. 
Die ſechs Natio— 
nen der Iroke⸗ 
fen (six na- 
tions.) 


Oneidas. 
1. Oneida⸗ 
caftle. 


Senekaer und 


Duondagas. 
1. Senekaer. 


2. Catarau⸗ 
cus. 


Tuscaroras. 


230 


Vereinte Mif- 
ſionsgeſellſchaft. 


dieſelbe. 


dieſelbe. 


Amerikaniſche bi⸗ 
ſchoͤfliche Kirche. 


El. Williams. 


Thompſon, S. Harris, Miffto: 
nare; J. Young, Gehuͤlfe nebſt 
zwei Schullehrerinnen. 


W. A. Thayer nebſt einer Schul⸗ 
lehrerin. 


J. C. Crane nebſt einer Schullehrerin. 


*) Die Wyandots ſind die naͤmlichen, welche die Franzoſen Hu’ 


ronen nennen. 


Siehe Heckewaͤlder's uramerikaniſche Voͤl⸗ 


kerſchaften, deutſch von Heſſe. Seite 26. Goͤttingen 1821. 


231 


Niederlaſſun⸗ an Miſſionare, Prediger, Schul— 
Miſſionsge- |Y,r Schur f 5 
gen und schaft lehrer, Schullehrerinnen, Ge— 
Wohnſize. geſellſchaft. huͤlfen u. ſ. w. 
Delawaren. 
New Fair⸗ Bruͤdergemeinde⸗ Alb. Luckenbach, Adam Ha: 
field in Miſſionsgeſell- [mann. 
Oberkanada. ſchaft. 
Nordweſt Ur⸗ 5 
amerikaner. 5 | 
Red⸗riwer Engliſche Kirche. J. Weſt, D. Jones, Miſſionare; 
Niederlaſ— G. Harbidge und Frau, Lehrer. 
ſung. f 
Labrador. 
1. Nain. Bruͤdergemeinde-Beck, Glitſch, N Herzberg, 
2. Okkak. Miſſionsgeſell- [Knoch, Knaus, Körner, Eu: 
3.Hopedale ſchaft. nis, Zandberh Meisner, Men: 
Groͤnland zel, Murhardt, Muͤller, Stock, 
ronland. Steuermann, Miſſionare. 
1. Neu⸗ 
KE Albert, Bauß, Eberle, Fleig, 
"Fels Grillich, Gercke, Ihrer, Mehl: 
3 Lichte⸗ Brüdergemeinde. hoſe, Mohne, Müller, Popp, 
Er Fries, Koͤgel, Lehmann, 
4. Fried⸗ Tietzen. 
richsthal. 


Wenn auf der einen Seite die Indifferenz der Foͤ— 
deralregierung und die Hartnaͤkkigkeit, womit 
die amerikaniſchen Ureinwohner bei ihren alten Sit⸗ 
ten und Gewohnheiten verharren, uns den bisherigen ge— 
ringen Fortgang des Chriſtenthums unter denſelben erklaͤ— 
ren, ſo tragen auf der andern Seite vielleicht auch die 
Miſſionare ſelbſt ) einen Theil der Schuld, daß die chriſt— 


*) Mit Ausnahme der, von der Bruͤdergemeinde geſandten 
Evangeliumsverbreiter, indem es durchaus von Niemandem in 
Abrede geſtellt werden kann, daß die Bruͤdergemeinde im 


232 


liche Religion fo wenig Eingang bei ihnen gefunden hat, 
wie man aus folgender Nachricht ſchließen muß. „Unter 
den am 16ten Maͤrz 1825 dem geſezgebenden Koͤr— 
per des Staats Neuyork eingereichten Petitionen be— 
fand ſich eine Bittſchrift der Seneka-Uramerikaner, 
worin ſie ſich beſchweren, daß ſie durch hungrige Prieſter 
(Miffionare) geplagt würden, die zu ihnen gekom— 
men ſeien, und ihnen eine Lehre predigten, die ſie (die 
Ureinwohner) weder verſtehen, noch glauben koͤnnten. Dieſe 
Prieſter waͤren Faullenzer, die nicht arbeiten wollten; 
ſeit ihrer Ankunft haͤtten die Weiber ſich verſchlimmert, 
die Maͤnner traͤnken mehr Branntewein, waͤren ſchlech— 
tere Freunde und Nachbarn geworden u. ſ. w. Die Ur⸗ 
amerikaner bitten den geſez gebenden Körper, 
dieſen Prieſtern einen laͤngern Aufenthalt unter ihnen zu 
verbieten.“ Dieſe Bittſchrift erinnert uns an die Ant— 
wort, welche der irokeſiſche Geſandte im Jahre 1682 
dem franzoͤſiſchen Statthalter Herrn de la Borde bei 
der Friedensunterhandlung gab, als dieſer fragte: warum 
die Srofefen ausdruͤklich darauf beſtaͤnden, daß keine 
Jeſuiten mehr zu ihnen kommen ſollten? der ehrliche 
Uramerikaner antwortete: „Dieſe langroͤkkigen ſchwar— 
zen Maͤnner kaͤmen gewiß nicht zu uns, wenn wir keine 
Weiber und keine Biber haͤtten!“ *) 


Geiſte ihres edeln Stifters ſich vor allen chriſtlichen kirchlichen 
Partheien in dieſer wichtigen Angelegenheit der Menſchheit auf 
das Ruͤhmlichſte ausgezeichnet, und das groͤßte Verdienſt erwor⸗ 
ben hat. 5 

*) ueber die Geſchichte, Sitten und Gebraͤuche der Ur: 


233 


amerikaner beſizen wir ein treffliches und zuverlaͤſſiges Werk 
des alten wohlverdienten mehrjährigen Miſſionars der Brüder: 
Unitaͤt, naͤmlich: Johann Heckewaͤlder's Nachricht von der 
Geſchichte, den Sitten und Gebraͤuchen der uramerikaniſchen 
Voͤlkerſchaften, welche ehemals Pennſilvanien und die 
benachbarten Staaten bewohnt haben. Aus dem Engliſchen 
und mit den Angaben anderer Schriftſteller uͤber eben dieſelben 
Gegenſtaͤnde vermehrt von Fr. Heſſe, vormals luth. Prediger 
auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung, jezt in Nien— 
burg. Nebſt einem die Glaubwuͤrdigkeit und den anthropologi— 
ſchen Werth der Nachrichten Heckewaͤlder's betreffenden Zu— 
ſaze von G E. Schulze, Hofrathe und Profeſſor in Göttin: 
gen. Goͤttingen 1821. | 
Ferner: 

Archaeologia Americana. Worcester 1820. Friedrich 
Schmidt 's Verſuch über den politiſchen Zuſtand der Verein- 
ten -Staaten von Amerika. Bd. 2. Stuttgart 1822. Seite 
102 — 499. 522 — 537. 

W. Bartram's Reiſen durch Nord- und Südfaro: 
lina, Georgien, Oſt- und Weſtflorida, das Gebiet der 
Tſcherokeſen, Krihks und Tſchaktahs. Aus dem Eng— 
liſchen von Zimmermann. Berlin 1793. 

Carver's travels through the interior Parts of North- 
America in the years 1766 — 68. London 1778. Deutſch 
von Ebeling. 

Long's voyages and travels, describing the manners 
and customs of the North american Indians etc. London 1791. 

Aexander Henry's travels and adventures in Ca- 
nada and the indian territories. Newyork 1829. 

North American Review. No. L. January 1826. Boston 
published by Cummings. Hier wird die Glaubwürdigkeit des 
wohlverdienten Heckewaͤlders verdaͤchtig zu machen geſucht; 
doch mit dem groͤßten Unrechte. 

Georg Heinrich Loskiel's Geſchichte der Miſſion der 


234 


evangeliſchen Brüder unter den Uramerifanern in Nord: 
amerika. Barby 1789. Sehr belehrend und treu. 

Volney tableau du climat et du sol des états unis 
d' Amerique. Paris 1803. 

Manners and customs of several Indian Tribes, 
located west of the Mississippi, including some Ac- 
count of the Soil, Climate and vegetable Productions; and 
the Indian Materia medica; to which is prefixed the History 
of the Author’s Life during a Residence of several Years 
among them. By John D. Hunter. Philadelphia 1823. 
8vo. pp. 402. Deutſch von W. Lindau. 3 Thle. Dresden 1824. 

Historical Notes respecting the Indians of North 
America, with Remarks on the Attempts made to con- 
vert and civilise them. By John Halkett, Esq. vo. 
pp- 408. London 1825. 

Narrative of an Expedition to the Sources of St. Pe- 
ter’s River, Lake Winnepeek, Lake of the Woods etc. etc. 
Performed in the Yeur 1823 by Order of the Hon. J. C. 


Calhoun, Secretary of War, under the Command of 


Stephen H. Long, Major U. 5. T. E. Compiled from the 
Notes of Major Long, Messrs Say, Keating and Calhoun. 
By William H. Keating, A. M. etc. Professor of Mi- 
neralogy and Chemistry, as applied to the Arts, in the 
University of Pennsylvania; Geologist and Historiographer 
to the Expedition, in 2 vols Svo. Philadelphia. Carey 
and Lea 1824. Deutſch. Jena 1826. 


235 


XVI. 
Warum findet der Katholicismus, und ſelbſt 
der Jeſuitismus, 
gegenwärtig 


in den Vereinten⸗Staaten Eingang und Beifall? 


„Drei arme der Gottesgelahrtheit Befliſſene ſchwuren 
am Fuße der Altaͤre, die Welt zu bekehren, und 
zwanzig Jahre nachher lehrten ſie in Europa die 
Kinder, und tauften in Indien die Koͤnige. Hier 
bekaͤmpfen ſie die Irrlehren; dort unterrichten ſie 
die Unwiſſenheit und civiliſiren die Barbarei. In 
Europa ſind ſie die Kontroverſiſten, Philoſophen, 
Literatoren, Hiſtoriker; in Afien Mathematiker, 
Aſtronomen, Aerzte, Kuͤnſtler; in Amerika gründen 

ſie Staaten; allenthalben ſind ſie Bekenner des 
Glaubens und oft deſſen Märtyrer. Sie bemaͤch⸗ 
tigen ſich der Geſellſchaft, um ſie zu regeln, und 
der Welt, um ſie zu bekehren.“ 
Vicomte de Bonald. 


Eine in den Vereinten-Staaten ſtark geleſene Zeitung“) 
hat kuͤrzlich eine Vertheidig ung der Jeſuiten in 
ihr Blatt eingeruͤkt. Sie haͤlt die allgemeine Anfeindung 
der Geſellſchaft Jeſu, insbeſondere von Seiten der 
liberalen Parthei in Frankreich, fuͤr eben ſo 
uͤbertrieben, als die Schimpfreden der Ultras gegen die 
Liberalen. „Durch unſre Ver faſſung“, heißt 


*) The National Gazette. Philadelphia 1826. August 3. 


236 


es in jenem Aufſaze, „vor verfinſternden Umtrie— 
ben jeder Art geſchuͤzt“, ſehen wir den Streit mit 
unbefangenen Augen an. Frankreich bedarf wahrlich 
nach einer Revolution, welche alles Heilige gefliſſentlich 
vernichtete, des Religionsunterrichts, und dieſen Reli— 
gionsunterricht einzufuͤhren, iſt bei der allgemein herr— 
ſchenden Frivolitaͤt im Leſen und Denken eine ſchwere 
Sache. Die Heuchler, welche ſich in die Angelegenheit 
des Goͤttlichen miſchen, verderben am meiſten, beſonders 
durch ihre Verfolgungsſucht. Statt dieſe Heuchler zu 
entlarven, ſucht man im Allgemeinen die Verfolgung der 
Liberalen durch die Verfolgung der Jeſuiten zu 
rächen. Wer dieſe aber in Kentucky und anderswo *) 
in den nordamerikaniſchen Vereinten-Staa⸗ 
ten kennen lernte, wo ſie mitten unter Proteſtanten 
und von einer freien Preſſe bewacht, nur Gutes wir— 
ken, und bei allen, auch bei den groͤßten Unglaͤubigen 
in Achtung ſtehen, muß der Wahrheit die Ehre geben, 
und bekennen, daß fie eben durch den Widerſtand, den 
ihr Treiben in Euro pa findet, verwirrt und verſchlim— 
mert werden! Vom Jeſuitism im gehaͤſſigen europaͤi— 
ſchen Sinne des Worts zeigen ſie bei uns keine Spur, 
Proſelytenmacherei und das Ausſaͤen religioͤſer 


*) Auf meiner Reiſe durch Maryland und den Columbia— 
Diſtrikt lernte ich Jeſuiten kennen, welche durch ihre Ein— 
ſichten und Liberalitaͤt eben ſo verehrungswuͤrdig, als durch ihre 
von aller Arroganz und Unterdruͤkkungsſucht entfernte Anſpruch⸗ 
loſigkeit liebenswuͤrdig waren, und mache dies hier zur Steuer 
der Wahrheit gern bekannt. 


EN... 


Zwifte in die heiligen Kreife der Familien würde ihnen 
unfehlbar Mishandlungen zuziehen — nein, die nord: 
amerikaniſchen Jeſuiten ſind die waͤrmſten 
Bewunderer der religioͤſen Freiheit und Un: 
abhaͤngigkeit u. ſ. w.“ Der amerikaniſche Sei: 
tungsſchreiber ſtimmt in ſeiner Meinung uͤber die Jeſui— 
ten mit dem großen Hiſtoriker uͤberein, der ſchon vor 
mehreren Jahrzehnten uͤber die Aufhebung derſelben 
ſich alſo aͤußerte ): „Als endlich ſelbſt Maria There— 
fia die Aufhebung der Jeſuiten begehrte, erwog 
Klemens die Zeiten, fuͤhlte das vom Schikſal geſezte 
Ziel der bisherigen Ordnung der Dinge, und gab, ohne 
Zuziehung der Kardinaͤle, die Bulle der Aufhebung.“ 
Benevent und Avignon wurden zuruͤkgegeben; haͤu— 
fig wurde die Aufklaͤrung ſeines Geiſtes gelobt, aber er 
hatte nur der Macht gebieteriſcher U mſtaͤnde 
nachgegeben; ſonſt laͤßt ſich kaum denken, daß er die 
erprobten Grundſaͤze ſeiner Herrſchaft ſollte haben aufge— 
ben wollen. Die Fuͤrſten bekamen von dem an groͤßere 
Macht über die Geiſtlichkeit, aber indem für die Voͤl— 
ker der Gewinn ſo groß nicht ſchien, als er haͤtte 
fein koͤnnen, wurde die Zahl der Mis vergnuͤg— 
ten durch die Zahl der Geiſtlichen ungemein 
verſtaͤrkt, und weiſen Maͤnnern bald bemerk— 
lich, daß eine gemeinſchaftliche Vormauer 
aller Autoritaͤten gefallen war.“ Die Urſache, 


) Johannes von Müller 24 Buͤcher allgemeiner Geſchichten, 
beſonders der europaͤiſchen Menſchheit. Bd. 3. te Aufl. Tuͤbin⸗ 
gen 1811. Seite 379. 


238 


warum die Jeſuiten in Amerika ſo beliebt, als ihre 
Glaubensgenoſſen in einigen europaͤiſchen Ländern ver— 
haßt find, iſt keine andere, als ihre dortige gaͤnzliche 
Verleugnung aller hierarchiſchen Plaͤne und 
ihr empfehlendes Umfaſſen eines rein-chriſtlichen 
Sinnes. Es iſt naͤmlich ein ſehr großer Irrthum, wenn 
man ſich vorſtellt, daß Intoleranz und Ultramon— 
tanismus nothwendig der katholiſchen Religion 
und den katholiſchen Prieſtern folgen. In den 
Vereinten-Staaten von Amerika zaͤhlte man im Jahre 
1826 an dreimalhundertauſend Katholiken, unter zehn Bi— 
ſchoͤfen ſtehend; allein noch nie hat man dort die geringſte 
Veranlaſſung gehabt, über ihre Unduldſamkeit zu klagen. 
Dieſe vieljaͤhrige Erfahrung lehrt uns, daß ohne den Bei⸗ 
ſtand der weltlichen Macht der Katholicismus nicht ver— 
folgungsſuͤchtig und unduldſam wird. Die geiſtliche Ariſto— 
kratie in England — die Epiſkopalkirche — gibt, obgleich 
ſich proteſtantiſch nennend, keiner katholiſchen Prieſterſchaft 
in Europa an echt papiſtiſcher Unduldſamkeit etwas nach, 
ja ſie uͤbertrifft dieſelbe hierin, wie an Reichthum, Glanz 
und Üppigfeit. Jede üppige und verdorbene Staatskirche 
fuͤhrt die Voͤlker zur Irreligioſitaͤt und Unſittlichkeit, und 
zu jener unduldſamen, verwildernden Philoſophie, welche 
der franzoͤſiſchen Revolution vorausging, und allen kuͤnf— 
tigen Revolutionen vorausgehen wird; nur ſie fuͤhrt zu 
einer Veroͤdung der Altaͤre, und veranlaßt die Menſchen, 
eine Religion aufzugeben, welche ſie laͤngſt von ihren 
eignen Lehrern und Verkuͤndigern im Geheim aufgegeben 
ſahen. Katharina die Zweite, nachdem ſie das 
weiſe Geſez der religioͤſen Duldung in ihrem großen un— 


239 


civiliſirten Reiche ausgeſprochen, folglich nichts von dem 
fruͤhern hierarchiſchen Streben der Jeſuiten zu befuͤrchten 
hatte, nahm dieſe auf, um durch ſie treffliche Jugend— 
bildner zu erhalten. Die Jeſuiten waren es, denen Suͤd— 
amerika, was es iſt und ſein wird, zu verdanken hat. 
Sie erregten nur deshalb das Misfallen der maͤchtigen 
Spanier, weil ſie der Grauſamkeit derſelben Einhalt zu 
thun ſuchten, und ſie fielen als ein Opfer der Tyrannei 
ſpaniſcher und portugieſiſcher Fuͤrſten; denn ohne ihr 
edles Benehmen in Amerika wuͤrden ſie nie in Europa 
unterdruͤkt worden ſein. Deshalb ſagte auch Pombal: 
„Man muß die Jeſuiten in Europa angreifen“, als 
durch die Vaͤter das Vorhaben verhindert ward, die Ur— 
amerikaner in den Zuſtand der Sklaverei zuruͤkzufuͤhren. 
Alle Schriftſteller uͤber Suͤdamerika bis auf die neueſten, 
z. B. Brackenridge, ſtimmen hierin uͤberein. Und 
ſo bewahrheitet ſich auch bei ihnen das Urtheil, welches 
der unvergleichliche, große Spener — zu ſeiner Zeit 
unſtreitig Deutſchlands groͤßter Theologe und Muſter 
fuͤr uns und die ſpaͤteſte Nachwelt — uͤber die Katho— 
liken fällt» „So lange“, ſagt er einmal ), „Rom oder 


0 Spener's Bedenken J., Seite 114. Von dieſem hoͤchſt aus: 
gezeichneten wakkern Gottesmann — unſtreitig einem der wuͤrdig⸗ 
ſten und muſterhafteſten Theologen des 17. und 18. Jahrhunderts 
— erfreut ſich Deutſchland jezt einer ſehr wohlgelungenen, hoͤchſt 
leſenswerthen Biographie, welche vor Kurzem unter dem Titel 
erſchien: Philipp Jakob Spener und ſeine Zeit. Eine 
kirchenhiſtoriſche Darſtellung von Wilh. Hoßbach. 2 Thle. 
Berlin 1828. Moͤgte ein Spener und ein Francke auch jezt 


240 


die roͤmiſche Kirche, was fie iſt, antichriſtiſch 
bleibet, und alſo die Kleriſei mit dem Papſt die antichri— 
ſtiſche Gewalt fuͤr ſich behauptet, und die Übrigen dieſelbe 
ihr zugeſtehen, fo lange iſt keine Moͤglichkeit der Verei⸗ 
nigung, noch ſind wir zu derſelben verbunden. Wird 
aber die roͤmiſche Kirche und ſonderlich die 
Kleriſei das Antichriſtiſche von ſich ablegen, 
ſo werden wir uns herzlich freuen, in der ge— 
naueſten Einigkeit mit denen zu leben, die 
nun mit uns einen einigen Lehr meiſter Chri⸗ 
ſtum, ausgeſchloſſen aller Meiſterſchaft eines 
Menſchen, Papſtes oder Geiſtlichkeit (denn 
in allem dem ſtekt das Antichriſtenthum) erken— 
nen. Ach! daß es geſchehen moͤchte, ſo aber nicht Men— 
ſchenwerk iſt.“ 

Wenn wir ferner erwaͤgen, welch' eine große Macht 
die Phantaſie uͤber den Menſchen, vorzuͤglich uͤber den 
wenig gebildeten und unaufgeklaͤrten Menſchen, ausuͤbt, 
ſo wird es uns leicht begreiflich werden, warum der Ka— 
tholicismus ſich beſonders in jenen vor wenig Jahren 
noch ganz wuͤſten, und von Kirchen und Predigern ande— 
rer Konfeffionen faſt ganz entblößten Gegenden Ken— 
tucky's, Ohio's und Miſſuri's in unſern Zeiten aus— 
breitet. Wer erinnert ſich nicht hierbei der ſchoͤnen Worte 
Schillers: 

„Ich zaͤhlte zwanzig Jahre, Koͤnigin, 
In ſtrengen Pflichten war ich aufgewachſen, 


in unſerer Kirche wieder auftreten und um ſich verſammeln eine 


ecolesiola in ecclesia ! 


241 


In finfterm Haß des Papſtthums aufgefäugt, 

Als mich die unbezwingliche Begierde 

Hinaus trieb auf das feſte Land. Ich ließ 

Der Puritaner dumpfe Predigtſtuben, 

Die Heimath, hinter mir, in ſchnellem Lauf 

Durchzog ich Frankreich, das geprieſene 

Italien mit heißem Wunſche ſuchend. 

Es war die Zeit des großen Kirchenfeſts, 

Von Pilgerſchaaren wimmelten die Wege, 

Bekraͤnzt war jedes Gottesbild, es war, 

Als ob die Menſchheit auf der Wandrung waͤre, 

Wallfahrend nach dem Himmelreich. — Mich ſelbſt 

Ergriff der Strom der glaubenvollen Menge, 

Und riß mich in das Weichbild Roms. 

Wie ward mir, Koͤnigin! 

Als mir der Saͤulen Pracht und Siegesbogen 

Entgegen ſtieg, des Coliſeums Herrlichkeit 

Den Staunenden umfing, ein hoher Bildergeiſt 

In ſeine heitre Wunderwelt mich ſchloß! 

Ich hatte nie der Kuͤnſte Macht gefuͤhlt; 

Es haßt die Kirche, die mich auferzog, 

Der Sinne Reiz; kein Abbild duldet ſie, 

Allein das koͤrperliche Wort verehrend. 

Wie wurde mir, als ich ins Innere nun 

Der Kirche trat, und die Muſik der Himmel 

Herunterſtieg, und der Geſtalten Fuͤlle 

Verſchwenderiſch aus Wand und Dekke quoll, 

Das Herrlichſte und Hoͤchſte, gegenwaͤrtig, 

Vor den entzuͤckten Sinnen ſich bewegte, 

Als ich ſie ſelbſt nun ſah, die Goͤttlichen, 

Den Gruß des Engels, die Geburt des Herrn, 

Die heil'ge Mutter, die herabgeſtiegne 

Dreifaltigkeit, die leuchtende Verklaͤrung — 

Als ich den Papſt drauf ſah in ſeiner Pracht 
Brauns Skizzen von Amerika. 16 


242 


Das Hochamt halten, und die Voͤlker ſegnen. 

O was iſt Goldes, was Juwelen Schein, 

Womit der Erde Könige ſich ſchmuͤkken! 

Nur Er iſt mit dem Goͤttlichen umgeben, 

Ein wahrhaft Reich der Himmel iſt ſein Haus, 
Denn nicht von dieſer Welt ſind dieſe Formen.“ 

Erwaͤgen wir nun dabei noch, daß in jenen neuen, 
erſt vor Kurzem angebauten Gegenden die Phantaſie 
durch Klubbs, Bälle und Koncerte, Schauſpiel und dergl. 
nicht zerſtreut und abgeleitet, ſich um ſo feuriger und 
lebhafter einer die Sinne anregenden Religion hingibt, 
und von dieſer geruͤhrt und hingeriſſen wird, ſo wird 
uns jenes in unſern aufgeklaͤrten Zeiten auffallend und 
raͤthſelhaft ſcheinende Phaͤnomen leicht erklaͤrlich. Merk— 
wuͤrdig war es mir dabei, daß theils gaͤnzliche Unglaͤu— 
bige, theils ſehr lax denkende Rationaliſten ſich dem Ka: 
tholicismus weit leichter und oͤfter in die Arme warfen 
als diejenigen, welche von der Wahrheit und Goͤttlichkeit 
ihrer konfeſſionellen Lehren uͤberzeugt waren. Scheint es 
nicht, als ob der Menſch, oder richtiger zu reden das 
Volk, feſte, von keiner wandelbaren Modephiloſophie leicht 
zu veraͤndernde, religioͤſe Begriffe verlange, und die Of— 
fenbarung jeder Philoſophie, und ſelbſt den blendendſten 
Menſchenſazungen weit vorziehe! 

Auf meiner Reiſe durch Nordamerika habe ich, wie 
ſchon oben geſagt, einige Mal ſehr aufgeklaͤrte und geiſt— 
reiche Katholiken kennen lernen, welche eben ſowol den 
Locke und Delolme, als ihren theologiſchen Kurſus 
gruͤndlich ſtudirt hatten, und faſt ohne Ausnahme De— 
mokraten, und ſelbſt eifrige Demokraten waren. Lez— 


243 


teres fol, nach Doyle — katholiſchem Primas in Str: 
land — auch oft in Irland der Fall ſein. Erwaͤgen wir, 
daß die Jeſuiten in Amerika mit großer Weltklugheit und 
gruͤndlicher, tiefer Gelehrſamkeit eine ungeheuchelte Froͤm— 
migkeit verbinden, uͤberhaupt die Kunſt meiſterhaft ver— 
ſtehen, Jemand, insbeſondere Hoͤhere und Angeſehene, 
ganz fuͤr ſich einzunehmen, ſo wird es uns nicht laͤnger 
raͤthſelhaft bleiben, warum ſie in Amerika eben ſo beliebt 
als geachtet find. Man kann von den Jeſuiten in Ame— 
rika in Wahrheit ſagen: „Sie verſtehen den Zeit— 
geiſt, und wiſſen ihn wohl zu benuzen.“ Wer 
erinnert ſich hierbei nicht der merkwuͤrdigen Worte 
des großen Friedrichs: „Ihr eifert gegen Jeſui— 
ten und Aberglauben. Es iſt gut, gegen den Irr— 
thum zu ſtreiten; glaubt aber nicht, daß die Welt ſich 
je aͤndern werde. Der menſchliche Geiſt iſt ſchwach; 
mehr als drei Viertheile der Menſchen ſind zu Skla— 
ven des ungereimteſten Fanatismus geboren. Die Furcht 
vor Hoͤlle und Teufel benebelt ihnen die Augen; ſie 
verabſcheuen den Weiſen, der ihnen Licht verſchaffen will. 
Der große Haufen unſers Geſchlechts iſt dumm und bos— 
haft; umſonſt ſuche in ihm das Bild der Gottheit, das 
ihm, wie die Theologen ſagen, aufgepraͤgt worden. Je— 
der Menſch hat ein wildes Thier in ſich; Wenige 
wiſſen es zu baͤndigen, die Meiſten laſſen ihm den Zuͤ— 
gel, wenn die Furcht der Geſeze ſie nicht zuruͤkhaͤlt.“ 
Endlich moͤgen die insbeſondre ſeit einigen Jahren wie— 
der aͤußerſt zahlreichen Ein wan derungen katholi— 
ſcher Irlaͤnder ins Gebiet der Vereinten— 


244 


Staaten hier zur Ausbreitung des Katholicismus nicht 
wenig beitragen. 
Sapienti sat ). 


) Ueber dieſen Gegenſtand find nachzuleſen: Memoires par Mr. 
le Comte de Segur. Tom. II. Paris 1825. — Priest 
ley the present state of Europe, compared with ancient 
Prophecies; a sermon preached Febr. 28. 1794, With a 
preface, containing the reasons for the author's leaving Eng- 
land. — Alexander H. Everett Europa oder Ueber: 
ſicht der Lage der europaͤiſchen Hauptmaͤchte im Jahre 1821. Aus 
dem Engliſchen. Bamberg 1823 Th. 2. Seite 137 ff. — Briefe 
Joſephs des II. Leipzig 1824. — Destut de Tracy kriti⸗ 
ſcher Commentar über Montesquieus Geiſt der Geſetze. Deutſch 

von Dr. K. E. Morſtadt. 2 Bde. Heidelberg 1820. Bd. 2. Seite 
179 - 83. — Montesquieu de I'Esprit des Loix. Amsterd. 
1764. Tome III. livre 24 et 25. — Fichte's Beitrag zur 
Berichtigung der Urtheile des Publikums uͤber die franzoͤſiſche Re— 
volution 1793. Th. 1. Heft 2. Seite 372. ff. 


245 


XVII. x de 
Rechtfertigung der Deutſchen in Nordamerika 
wider die, 
von einſeitigen Reiſenden und Schriftſtellern ſich 
gegen ſie erdreiſteten, Verunglimpfungen. 


„Du frommer freier Bauernſtand, 
Du liebſter mir von allen, 
Dein Erbtheil iſt in Colons Land 
Gar lieblich Dir gefallen.“ 
Max von Schenkendorf. 


Einſeitige und kurzſichtige Reiſende, Alles, ohne gehörige: 
Beruͤkſichtigung der Lage und Umſtaͤnde, nach dem bei 
ſchraͤnkten Maaßſtabe ihres kleinen, auf der großen Welt— 
charte kaum bemerkbaren Geburtslandes betrachtend, haben 
ſich auch über unſere transatlantiſchen Stamm: 
genoſſen eben ſo falſche als laͤcherliche Beurtheilungen 
erlaubt. Koͤnnen wir uns daruͤber wundern in Zeiten, 
wo der Geifer uͤberſpannter und verbildeter Überweiſen 
ſelbſt das Heiligſte und Ehrwuͤrdigſte beſudelt hat! 

Faſt ſcheint es überflüffig, ſich hier auf eine Wider: 
legung ſolcher Verunglimpfungen einzulaſſen, welche ſich 
insbeſondere einige deutſche Reiſende und Schrift— 
ſteller gegen unſere transatlantiſchen Stammgenoſſen 
erlaubt haben; indeß ſei hier der Verſuch gewagt, indem 
wir das Falſche und Irrige ſolcher beſchraͤnkten und ein— 
ſeitigen Alles — Amerika und Deutſchland — uͤber Einen 
Leiſten ſchlagenden Darſtellungen zeigen werden. Vorzuͤg⸗ 


246 


lich werfen leztere Jenen Aberglauben und zu ge— 
ringe Bildung vor. Bei einem mehrjaͤhrigen Auf— 
enthalte in Amerika, wo wir unſere Stammgenoſſen von 
Boſton bis zum Patomac mit eben ſo großer Auf— 
merkſamkeit als innigem Wohlgefallen betrachtet, haben 
wir nie die kleinſte Spur von Aberglauben bei ihnen 
wahrzunehmen vermocht. Aberglaube, wirklicher, nicht 
vermeintlicher Aberglaube, iſt fuͤr den Freund der Menſch— 
heit eben ſo bedaurenswerth, als in ſeinen Wirkungen 
ſchaͤdlich, und verdient deshalb auf alle moͤgliche Weiſe 
in ſeiner Thorheit und Nichtigkeit dargeſtellt, ja moͤglichſt 
ausgerottet zu werden. Es gibt aber jezt unter uns nicht 
Wenige, welche unter Aberglauben nichts anders verſte— 
hen, als was der ſatyriſche Spoͤtter und Freigeift Bol: 
taire einſt darunter verſtand, naͤmlich die geoffen— 
barte chriſtliche Religion ſelbſt. Dieſe nun auszu— 
rotten, ſie hinzugeben fuͤr einen nach den jedesmaligen 
Anſichten einer modernen Zeitphiloſophie veraͤnderlichen, 
flachen, troſtloſen Deism, fuͤr eine vernuͤnftelnde 
ſogenannte natuͤrliche Religion, ſcheint uns, nach den 
Vorgaͤngen, die unſer Zeitalter von dieſer modernen Re— 
ligion in Frankreich und England und ſelbſt in 
Amerika erlebt hat, eben ſo thoͤricht als nachtheilig. 
Friedrich der Große, von den franzoͤſiſchen Ratio— 
naliſten: Voltaire, d' Alembert u. m. A. in die 
Grundſaͤze der neuern Philoſophie eingeweiht, wagte nichts 
an der einmal eingeführten Landesreligion zu aͤndern; 
denn er wußte wohl, daß man aus Materialismus, 
Skepticismus und Deismus keine Religion gruͤn— 
den koͤnne, und ließ daher die in ſeinem Lande einge— 


247 


führte chriſtliche Religion unangetaſtet, obgleich es ihm 
ein Leichtes wuͤrde geweſen ſein, dieſe an der Spize von 
zweimalhunderttauſend Bajonetten uͤber den Haufen zu 
werfen, und wie Owen zu Neuharmonie am Wa— 
baſh völligen Unglauben und Libertinismus, worin 
zulezt aller ſogenannte Rationalismus endet, einzu— 
fuͤhren. Er war aber zu klug, und durchſchaute die Men— 
ſchen und die Zukunft beſſer, als jener durch ſeine uͤber— 
ſpannten Ideen jezt verungluͤkte Owen. Friedtich 
der Große regierte feine Staaten lange und gluͤklich, 
und ſein Name iſt noch jezt allen Preußen theuer und 
werth; dagegen ward Owen und ſeine Kolonie durch 
feine ultra rationalen Grundſaͤze ſchon in wenig Mo— 
naten zu Grunde gerichtet, ſein bedeutendes Vermoͤgen 
großentheils aufgeopfert, und er, mit den Verwuͤnſchungen 
vieler durch ſeine glatten und hochtoͤnenden Vorſpiegelun— 
gen Bethoͤrten und jezt Verarmten beladen, zur Flucht 
genoͤthigt. 

Welch' einen herrlich erfreulichen Abſtand gegen dieſe 
ſchnell in Nichts verronnene Anſiedlung überfpannter 
Egoiſten gewaͤhren die bluͤhenden und taͤglich an Wohl— 
ſtand und Kultur zunehmenden Anſiedlungen der von ſo 
manchen Kurzſichtigen und Einſeitigen ſo hart getadelten 
wirtembergiſchen Separatiſten, oder der deut— 
ſchen Bundesbrüder zu Economy unweit Pitts— 
burg, und die Anſiedlungen der Bruͤdergemeinde 
in dem nordamerikaniſchen Bundesſtaate, vor— 
zuͤglich in Pennſilvanien! Dieſe Anſiedlungen ſind 
auf die geoffenbarteſchriſtliche Religion, oder, 
nach einem Modeausdruk der neuern Philoſophen, auf 


248 


Aberglauben gegründet, und beſtehen und gedei— 
hen, und jene ganz nach den Anſichten einer vernuͤnf— 
telnden Sophiſtik eines Ultrarationalism mit 
großem Vermoͤgen und hochtoͤnenden Anpreiſungen ange— 
legte Kolonie des Owen iſt in wenig Monaten aufge: 
loͤ't. Solche Erfahrung, ſolche Thatſachen ſprechen mehr 
als die beredteſten Worte. In Waſhington-City 
unterhielt ich mich mit mehrern der ausgezeichnetſten Kon— 
greßmitglieder uͤber die Einfuͤhrung einer neuen, 
von den neueſten Philoſophen entworfenen, ſogenannten 
Vernunftreligion ), worauf fie mir ſaͤmmtlich — 
ſowol Foͤderaliſten als Demokraten, — ſonſt in 
ihren Meinungen ſo abweichend, nicht ſelten einander ent— 
gegengeſezt, einmuͤthig erwiederten: „Wuͤrden wir ſo 
thoͤricht handeln, eine neue, die Gemuͤther der Menſchen 


*) Um nicht misverftanden zu werden, halten wir bei der jezigen 
Verwirrung der Begriffe und Meinungen noͤthig, zu bemerken, 
daß wir hier unter ſogenannter Vernunftreligion oder Ra⸗ 
tionalismus das verſtehen, was Thomas Paine darunter 
verſtand, nämlich eine bloße Naturreligion mit Verwer— 
fung der chriſtlichen Religion. Daß wir nun die ſehr 
achtbare Sekte der chriſtlichen Unitarier in Amerika, welche 
durchaus nicht die chriſtliche Offenbarung, ſondern blos die Tri— 
nitätslehre verwerfen, jenen Naturaliſten oder Ultra: 
rationaliſten nicht beizählen, bedarf wohl hier nicht erſt aus— 
druͤklich geſagt zu werden. Siehe The Unitarian Miscellany 
and christian Monitor by James Webster. Baltimore 1821 
— 29. (Subſcriptionspreis für den Jahrgang 1 Dollar 50 Cent.) 
und die Werke des berühmten amerikaniſchen Unitariers Chan— 
ning, welche 1829 in London unter dem Titel: The Works 
of William Ellery Channing erſchienen find. 


249 


inſonderheit des Volks wenig befriedigende, auf keine fe⸗ 
ſten Grundſaͤze gebaute fogenannte Vernunft, richtiger 
Aberwiz-Religion einführen zu wollen, wahrlich 
wir wuͤrden eben ſo großes Unheil hier anrichten, als einſt 
im Anfang der franzoͤſiſchen Revolution die dor⸗ 
tigen atheiſtiſchen Philoſophen, *) richtiger Sophi— 
ſten, über Frankreich brachten. Ohne jene unglaͤubi⸗ 
gen Philoſophen wuͤrde Frankreichs Revolution einen fuͤr 
die Wohlfahrt der Nation und das Heil der ganzen 
Menſchheit erſprießlichern Gang genommen, und bei Wei— 
tem ſich nicht auf fo viele Abwege verirrt haben. Ver— 
wilderte Philoſophen aber, die aus Anftand und Konve— 
nienz vorgeben, einen Gott zu glauben, den ſie in ihrem 
Herzen verſpotten, die bloß auf Lug und Trug ſinnen, 
ihre Nebenmenſchen zu hintergehen und zu betruͤgen, 
Solche, mögen fie einen noch fo glänzenden und blenden⸗ 
den Namen ſich beilegen, koͤnnen nur niederreißen und 
Alles in Verwirrung ſezen, aber nichts aufbauen, und zu 
einem froͤhlichen Gedeihen bringen. Hier haben wir auch 
einen erſt kuͤrzlich verſtorbenen antichriſtlichen Ra— 
tionaliſten gehabt — Thomas Paine ) — der 


*) Schon 1774 waren, nach Prieſtley's Berichte, als er damals 
Frankreich beſuchte, ſaͤmmtliche franzoͤſiſche Gelehrte und Philo⸗ 
ſophen in gaͤnzlichen Unglauben verſunken, und er ward in einem 
Strom von Tadel und Lob von einem derſelben als der einzige 
Mann von Talent vorgeſtellt, der noch der heiligen Schrift Glau— 
ben beilege, ja ſelbſt Voltaire ward von ihnen fuͤr einen Mann 
von beſchraͤnktem Geiſte gehalten, weil er, obgleich er die Offen⸗ 
barung verwarf, doch an einen Gott glaubte. 

*) Gegen Thomas Paine ſchrieb einer der beſſern und ausge: 


3%. 
mit Fichte fo ziemlich von gleichen Anſichten ausging 
und zu gleichem Reſultate gelangte; denn wenn Kant 


zeichnetern engliſchen Theologen — Prieſtley. — Auch J. Bel: 
knap hat ihn in einer 1795 zu Boſton erſchienenen Schrift: 
„Dissertation on the character, death and resurrection of 
Jesus Christ and the evidence of his gospel“ trefflich wider— 
legt, eine Schrift deren Ton allen theologiſchen Schriftſtellern 
zum Muſter dienen kann. In Deutſchland hat den Paineſchen 
Rationalismus am beſten widerlegt der wuͤrdige Dr. Georg 
Friedrich Seiler in ſeiner Schrift: Das Zeitalter der 
Harmonie der Vernunft mit der bibliſchen Reli— 
gion. Eine Apologie des Chriſtenthums gegen Thomas Paine 
und ſeines Gleichen in Deutſchland. Leipzig bei Cruſius 1802. 
Mit Paine's Age of reason vergleiche man Alle n's oracle 
of reason, imgleichen Fr. Gentz hiſtoriſches Journal. 
Jahrg. II. Bd. 2. Berlin 1800. Seite 105. — Fichte's Bei⸗ 
trag zur Berichtigung der Urtheile des Publikums uͤber 
die franzoͤſiſche Revolution. Th. I. Heft 1 — 2. 1793. 
Folgende, hoͤchſt merkwuͤrdige Worte zeigen, wie der hoͤchſt origi— 
nelle Denker Thomas Paine F) das Daſein eines hoͤchſten 
Weſens beweiſ't: „Nur in der Schöpfung”, ſagt er, „koͤn— 
nen alle unſere Vorſtellungen und Begriffe von einem Wort 
Gott es ſich vereinigen. Die Schoͤpfung ſpricht eine allgemeine 
Sprache, unabhängig von jeder menſchlichen Sprache, fo mannich—⸗ 
fach und verſchieden dieſe auch ſein mag, und kann, ewig fort— 
dauernd, von Jedermann geleſen werden. Sie kann nicht vergeſ— 
ſen, ſie kann nicht verfaͤlſcht, ſie kann nicht verloren, ſie kann 
nicht verändert, fie kann nicht unterdrüft werden. Es haͤngt 
nicht von dem Willen eines Menſchen ab, ob ſie ſoll bekannt ge— 


+) Siehe John Evan’s Sketch of the denominations of the christian 
world. 14 edit. London 1821. pag. 10. 


251 


und Fichte hier unter uns gelebt, und ihre Anſichten 
nicht unter einem tiefen Schleier, in einem dunkeln ſcho— 


macht werden oder nicht, ſie macht ſich ſelbſt bekannt von einem 
Ende der Erde zum andern. Sie predigt allen Nationen und 
allen Welten, und dieſes Wort Gottes offenbart allen Men: 
ſchen Alles, was dem Menſchen uͤber Gott zu wiſſen noͤthig iſt. 
Wuͤnſchen wir ſeine Macht zu betrachten? Wir gewahren ſie in 
der Unendlichkeit der Schoͤpfung. Wuͤnſchen wir ſeine Weisheit 
zu betrachten? Wir ſehen ſie in der unveraͤnderlichen Ordnung, 
mit welcher er das uns unerforſchliche Ganze regiert. Wuͤnſchen 
wir ſeine Guͤte zu betrachten? Wir ſehen ſie in dem reichen 
Segen, mit welchem er die Erde begluͤckt. Wuͤnſchen wir ſeine 
Gnade zu betrachten? Wir ſehen ſie, in dem Fuͤllhorn ſeiner, 
ſelbſt den Undankbaren nicht entzogenen Liebe. Kurz, wuͤnſchen 
wir zu wiſſen, was Gott iſt? Such' es nicht in dem Buche, 
welches man die Schrift nennt, und von jeder menſchlichen 
Hand gemacht werden kann, — ſuch' es aber in der Schrift, 
welche man die Schöpfung nennt. — Der einzige Begriff, 
welchen der Menſch dem Namen Gottes beilegen kann, iſt der 
einer erſten Urſache aller Dinge. So unbegreiflich und 
ſchwer es auch fuͤr den Menſchen ſein mag, ſich eine Vorſtellung 
von der erſten Ur ſache aller Dinge zu machen, ſo wird er 
doch zu dieſer Ueberzeugung geleitet durch die zehn Mal groͤßere 
Schwierigkeit, jene zu leugnen. Es iſt über alle Vorſtellung 
ſchwierig, ſich zu denken, der Raum ſei endlos, allein es iſt noch 
ſchwieriger, ſich das Ende deſſelben vorzuſtellen. Es iſt uͤber alle 
menſchliche Vorſtellung ſchwer, ſich eine ewige Dauer von dem, 
was wir Zeit nennen, zu denken, aber es iſt noch unmoͤglicher, 
ſich eine Zeit zu denken, wann keine Zeit mehr ſein ſoll. Auf 
gleiche Weiſe, fahren wir in unſerm Beweiſe fort, traͤgt jedes 
Ding und Geſchoͤpf in ſich ſelbſt den Beweis, daß es ſich nicht 
gemacht hat. Jeder Menſch iſt fuͤr ſich ſelbſt ein Beweis, daß er 
ſich nicht ſelbſt erſchaffen hat, noch konnte ihn ſein Vater, noch 


252 


laſtiſchen Bombaſt vorzutragen noͤthig gehabt hätten, 
ſo wuͤrden ſie ganz gewiß mit Thomas Paine — un— 


fein Großvater, noch irgend Jemand feines Geſchlechts ſchaffen; 
auch konnte kein Baum, keine Pflanze, noch ein Thier ſich ſelbſt 
ſchaffen, und dieſer Beweis zwingt uns gleichſam mit Gewalt die 
Ueberzeugung einer erſten ewig dauernden Urſache r) auf, 
leitet uns zu dem Glauben an ein, von allem uns bekannten 
Sichtbaren verſchiedenes, Weſen, durch deſſen Macht alle Dinge 
ihr Daſein haben; und dieſe erſte Urſache nennt der Menſch 
Gott. Die Grundſaͤze der Wiſſenſchaft in dem Bau des Welt⸗ 
alls darlegend, hat der allmaͤchtige Prediger (Al mighty 
Lecturer) den Menſchen zu Fleiß und Nachahmung eingela⸗ 
den. Es iſt, als habe er gleichſam zu den Bewohnern der Erde, 
welche wir die unſrige nennen, geſagt: Ich habe eine Erde ge— 
ſchaffen für den Menſchen, darauf zu wohnen, und den Sternhim— 
mel ſichtbar gemacht, ihm Weisheit und Kuͤnſte zu lehren. Jezt 
koͤnne der Menſch fuͤr ſein Beſtes ſorgen, und aus ſeiner Gnade 
und Liebe lernen, gegen Andere mild und guͤtig zu ſein.“ Nach— 
dem Paine gewiſſe erhabene Vorſtellungen von Gott im Buche 
Hiob und im 19. Pfalm mit hoͤchſtem Lobe erwähnt”, ſchließt er 
dieſen Aufſaz mit der unvergleichlichen Stelle Addiſon's: 
„The spacious firmament on high 
Fith all the blue ethereal sky“, etc. 


+) Fichte dagegen behauptete einige Jahre ſpäter: „Jene lebendige 
und wirkende moraliſche Ordnung iſt ſelbſt Gott, wir 
bedürfen keines andern Gottes, und können keinen 
andern faſſen. Es liegt kein Grund in der Vernunft, 
aus jener moraliſchen Weltordnung herauszugehen, und 
vermittelſt eines Schluſſes vom Begründeten auf den Grund, ein 
beſonderes Weſen als Urſache derſelben anzuneh⸗ 
men.“ Siehe Joh. Gottl. Fichte's und Fr. Imm. Niet⸗ 
hammer's philoſophiſches Journal einer Geſellſchaft deut: 
ſcher Gelehrten. 1798. Heft. 1. Höher konnte die Vernunft ſich wohl 
nicht verſteigen! 


253 


ferm Apoſtel der Natur- und Vernunftreligion, 
— uͤbereingeſtimmt haben. Mit dieſem Apoſtel einer ſtolz 
aufgeblaͤhten Vernunft konnte man im praktiſchen Leben 
nicht gut fertig werden; gleich Kant, liebte auch er das 
Kartenſpiel, trank, gleich C. Bahrdt, nicht ſelten 
mehr als ſeine Vernunft vertragen konnte, und lebte in 
einer, der Vernunft wenig gemaͤßen, wilden Ehe. 
Seine Anſichten traͤgt hier nach ſeinem Tode Niemand 
vor; denn wir Alle haben leider mehr als zu oft erkannt, 
daß fie faſt Jeden, der nicht feſtſteht in der 
chriſtlichen geoffenbarten Religion, ungluͤk— 
lich und elend machen. Sollte Deutſchland einſt ſo 


Es iſt in vieler Hinſicht anziehend, Thomas Paine mit 
Fichte — mit dem er in ſo vielen Punkten, vorzuͤglich in Be⸗ 
treff der franzoͤſiſchen Revolut ion uͤbereinſtimmt — zu ver: 

gleichen. Auch er bildete, wie dieſer, feine rcligioͤſen Anſichten 
bloß nach der Vernunft, wie er ſelbſt geſteht: „Die Ber: 
nunft iſt das furchtbarſte Ruͤſtzeug gegen alle Ar— 
ten von Irrthuͤmern; ein anderes hab' ich nie ge— 
braucht, und hoffe aud nicht, daß ich je ein anderes 
brauchen werde.“ Siehe: Ueber wahre und fabel— 
hafte Theologie von Thomas Paine. Aus dem Engli: 
ſchen und mit Anmerkungen und Zuſaͤzen des Ueberſezers begleitet. 
Deutſchland 1794. Seite 21. (Dies iſt eine Ueberſezung von Pai⸗ 
ne's bekanntem Werke: Age of Reason). Man vergleiche dies 
Werk mit: Hoͤchſt wichtigen Beitraͤgen zur Geſchichte der 
neueſten Literatur in Deutſchland aus dem nachgelaſſe⸗ 
nen Papieren des Magiſters Aletheios. Herausgegeben von 
Antibarbaro Labienus. Dritte Ausgabe. St. Gallen 
1830. Dieſe Schrift wird alle uͤberſpannten Begriffe uͤber die 
neueſte deutſche Philoſophie b uns verſcheuchen. 


254 


verblendet werden, den Anſichten jener franzoͤſiſchen 
Rationaliſten zu huldigen, ſo ſteht es gleichfalls am 
Rande einer Revolution, am Rande feines Verderbens.“ ) 
So und auf aͤhnliche Weiſe urtheilen in Amerika prak— 
tiſche Geſchaͤftsmaͤnner, die zugleich Staatsdiener ſind, 
uͤber die franzoͤſiſche Philoſophie, uͤber Kant, 
Fichte, Paine, die Einführung einer ſogenannten 
philoſophiſchen oder natürlichen Religion u. 
dgl. Vorzuͤglich gefiel ihnen dieſe deshalb nicht, weil ſie 
den wohlthaͤtigen Einfluß der Ehe, wenn nicht ganz auf— 
hebe, doch in einem hohen Grade ſchwaͤche, indem ſie 
mehrmals allzuſehr ein auf rohe Sinnlichkeit berechnetes 
Zuſammenleben beider Geſchlechter beguͤnſtige, welches fuͤr 
die Erziehung der Kinder und die Wohlfahrt des Staats 
nur die nachtheiligſten Folgen aͤußern koͤnne. Daher 
wollen wir unſere deutſchen Stammgenoſſen in Amerika 
uͤber den ihnen von einſeitigen Reiſenden vorgeworfenen 
Aberglauben, wenn er nur in dem Feſthalten an die Leh— 
ren der geoffen barten chriſtlichen Religion be: 
ſteht, nicht tadeln, ſondern wuͤnſchen, daß ſie und ihre 
Nachkommen darin feſt verharren, und ſich von den ver— 


*) Man vergleiche hiermit: Europa oder Ueberſicht der Lage 
der europaͤiſchen Hauptmaͤchte im Jahre 1821. Von 
einem amerikaniſchen Diplomaten, Alexander H. Everett, 
Eyarge d'affaires der Vereinten-Staaten am niederlaͤndiſchen Hofe, 
jezt außerordentlichem Geſandten und bevollmaͤchtigtem Miniſter 
in Madrid. Aus dem Engliſchen. Bamberg 1823. Seite 137 
— 145. Der Verfaſſer iſt ein Demokrat; noch religioͤſer und 
kirchlicher druͤkken ſich über dieſen Gegenſtand die Antidemo— 


kraten oder Foͤderaliſten aus. 
9 


255 


aͤnderlichen Meinungen einer ephemeren Tagsphi— 
loſophie nicht wie ein vom Winde hin- und herbeweg— 
tes Rohr gaͤngeln laſſen moͤgen. Denn die philoſophiſche 
Geſchichte, die faſt nichts als die Geſchichte der Verir— 
rungen der Vernunft iſt, hat die menſchliche Ver— 
nunft noch wenig behutſamer gemacht. Sie iſt noch im— 
mer zuverſichtlich genug, ſich noch Syſteme von der Re— 
ligion zu erdenken, ehe ſie ſich Zeit genommen, dieſe 
recht kennen zu lernen, und ſie will ſich noch immer lie— 
ber ſtolz fuͤr ſich ſelbſt verirren, als ſich von der goͤttlichen 
Offenbarung leiten laſſen. Der andere Vorwurf, 
den uͤberſpannte und kurzſichtige Reiſende unſern trans— 
atlantiſchen Stammgenoſſen gemacht haben, iſt 
eben ſo ungereimt als der erſte, indem ſie ihnen naͤm— 
lich Mangel an Bildung vorwerfen. Wie kann man 
von Menſchen, die unter ſo ſchweren Arbeiten aufgewach— 
ſen ſind, als unſre dortigen Stammgenoſſen, verlan— 
gen, daß ſie die Bildung eines franzoͤſiſchen Tanz— 
meifters, den Anſtand eines deutſchen Stuzers 
ſich angeeignet haben ſollen? Wenn ſie weiter nichts wuͤß— 
ten, als dieſe gepuzten und ſchoͤnſprechenden Herren, wenn 
ſie weiter nichts verſtaͤnden, als dieſe eiteln nichtigen Kuͤn— 
ſte des Luxus, wer wuͤrde denn die Waͤlder abgetrieben 
und gelichtet, Suͤmpfe und Moraͤſte ausgetroknet, und 
uͤberhaupt die Wuͤſte in liebliche Auen verwandelt ha— 
ben? Warlich, man ſende tauſend, und zehn — ja hun— 
derttauſende von Tanzmeiſtern und Stuzern und aufs 
Geſchmakvollſte gepuzte Herren nach Amerika, vergleiche 
dann, was ſie ausrichten, mit dem, was jene von ihnen ſo 
verachteten Deutſchen ausgerichtet haben, und dann 


256 


urtheile man. Faſt alle Individuen der fein und zart, 
nicht ſelten uͤbergebildeten Klaſſe in Europa, wenn ſie 
den Vorſaz ihrer Auswanderung nach Amerika ungluͤkli— 
cher Weiſe ausfuͤhrten, beweinten dort bald ihre ihnen 
mehr ſchaͤdliche als nuͤzliche feine Bildung, und vermoch— 
ten ſie nicht, wie der vormalige wirtembergiſche Hof— 
rath Dr. Haller im Blumengartenthale (Bloo- 
ming croft vally) in Pennfilvanien, fich aller einſei⸗ 
tigen europaͤiſchen Überbildung oder Verbildung zu ent: 
ſchlagen, oder, wie der Amerikaner ſagt, die eu ro paͤi— 
ſche Haut ganz abzuſtreifen, ſo fuͤhlten ſie ſich 
dort auf immer ungluͤklich. Solche aber, die in der That 
die europaͤiſche Haut abzuſtreifen und Amerikaner im 
Geiſt und in der Wahrheit zu werden vermochten, 
wurden jedes Mal gluͤklich; viele der gebildeten, nach 
Amerika ausgewanderten Deutſchen waren zu verbildet, 
als ſich in die Sitten eines ganzen Volkes fuͤgen zu koͤn— 
nen, betrachteten Alles nach hoͤhern Anſichten, nach 
einer hoͤhern Kritik, und verlangten mit dieſer hoͤ— 
hern Kritik nichts Geringeres, als daß die ganze ameri— 
kaniſche Nation ſich nach ihnen umbilden, ihren einſeiti— 
gen Anſichten beiſtimmen, und ihren nicht ſelten verkehr— 
ten und einſeitigen Begriffen huldigen ſollte. That dies 
der freie Deutſch-Amerikaner nicht, dann ging das Ges 
ſchrei uͤber ihn los, nun nannte man ihn einen geiſtlo— 
ſen, einſilbigen, ſtumpfſinnigen Menſchen. 
Ich dagegen habe die Amerikaner, vorzuͤglich die dortigen 
Deutſchen, als ſehr wohl gebildete und gut erzogene 
— aber nicht uͤbergebildete und verzogene, — 
als geiſtreiche, wißbegierige, geſpraͤchige und 


257 


theilnehmende Menſchen kennen lernen; ich habe 
ſie ſtets mit Achtung und Liebe behandelt, und ſie ſind 
mir dagegen zu jeder Zeit freundlich und liebevoll ent— 
gegen gekommen. Und konnte ich dieſe biedern und flei— 
ßigen Leute anders behandeln? Wenn ich die unermeß— 
lichen Waͤlder und die großen Suͤmpfe betrachtete, von 
denen ſchon ſo viele Millionen Morgen durch ihren uner— 
muͤdeten Fleiß gelichtet und in liebliche Gefilde verwan— 
delt ſind, und wo noch jaͤhrlich viele Millionen uralter 
Baͤume unter ihrer Axt fallen, und der Ceres naͤhrenden 
Gaben Plaz machen muͤſſen; wenn ich mich mit Enzuͤk— 
ken uͤberzeugte, daß ſie die nakte Wildniß in einem Jahr— 
hundert zu der Kultur gebracht, welche Deutſchland kaum 
in einem Jahrtauſend zu erreichen vermochte; dann in 
ihren ſchoͤnen, geſchmakvollen und bequemen Haͤuſern 
uͤberall die anſprechendſte Ordnung mit der freundlichſten 
Reinlichkeit gepaart, und hier die ſittige Hausfrau, im 
Kreiſe friſcher und geſunder ſelbſt geſtillter Kinder, ſtets 
thaͤtig und dieſen mit dem herrlichſten Beiſpiele vorge— 
hend erblikte, kurz Froͤmmigkeit, Fleiß, Ordnung, 
Rechtſchaffenheit und wahre Haͤuslichkeit bei 
ihnen im ſchoͤnſten Bunde vereint fand, wahrlich, ſo 
ward ich von hoher Achtung gegen meine unter allen 
Amerikanern ſich am Vorzuͤglichſten auszeichnenden Lands— 
leute durchdrungen, und ich konnte mich nicht enthalten, 
ein Dankgebet zu der Vorſehung empor zu ſenden, daß 
fie unfre Stammgenoſſen in dieſes ſchoͤne Land geführt, 
und ſie ſo ſichtbar mit den herrlichſten Guͤtern im Zeit— 
lichen und Geiſtigen geſegnet habe. Warlich, dachte ich, 
mag es nun in Deutſchland gehen, wie es will, mag es 
Brauns Skizzen von Amerika. 17 


258 


von den Franzoſen mit ihren Heeren überzogen und aus— 
geſogen, und durch die antichriſtliche franzoͤſiſche Bildung 
und Verbildung ganz verdorben werden, der deutſche 
Name, die deutſche Nation kann nicht untergehen; 
denn eine hoͤhere, die Welt lenkende Macht hat dafuͤr ge— 
ſorgt, daß ein kleines, weggeworfenes Reis derſelben 
dieſſeits des Meeres die ſchoͤnſten Fruͤchte treibe, und in 
veredelter Geſtalt wieder aufbluͤhe. 

Der Zuſtand der Menſchen gibt der ganzen Natur 
ihre Geſtalt. Wo Jene gluͤklich ſind, da leuchtet die 
Weisheit und Guͤte des Schoͤpfers hervor, da iſt die ganze 
Natur vollkommen und allen ihren Theilen nach paradie— 
ſiſch ſchoͤn, da werden alle einzelnen Geſchoͤpfe die Werk— 
zeuge einer allgemeinen Vollkommenheit. Wo aber die 
Menſchheit unter der Tyrannei, unter dem harten Stolze, 
unter dem Drukke verſchwenderiſcher Üppigkeit ſeufzt, da 
trauert auch die ganze Natur, der iſt die Erde ein Ker— 
ker, da bluͤht ihre Schoͤnheit umſonſt, da iſt ihr Reich— 
thum ein Fluch, da kann man ſie nicht arm genug wuͤn— 
ſchen, (denn jemehr Geſchoͤpfe, jemehr Werkzeuge des 
Elends), da iſt Gott gleichſam verbannt, da ſind alle 
freudigen Empfindungen von ihm erſtikt, die Menſchheit 
fuͤhlt ſich ſelbſt nicht mehr. 

Von ſolchen Empfindungen und Anſichten durchdrun— 
gen, hab' ich die angenehmſten Tage meines Lebens unter 

jenem Voͤlkchen verlebt, und erfahren, daß keine Wahr— 
heit mehr in der Erfahrung ſich beſtaͤtigt, als die: Liebe 
erwekt Gegenliebe. Auch ſind die Deutſchen in Amerika 
durchaus nicht eingenommen, oder taub gegen Verbeſſerun— 
gen, wie ihre vielen Privatunternehmungen, Ka: 


259 


nale, Eifenbahnen und dergleichen zur Genüge be: 
weiſen, nur müffen fie ihnen nicht mit der Hezpeitſche, 
nicht mit dem ſchulmeiſterlichen Stok, oder in einem von 
angenommener Grandezza ſtrozenden Tone beigebracht 
werden. Wuͤnſchte ich fuͤr Religion oder Schule etwas 
Erſpießliches einzufuͤhren, wozu ich des Beiſtandes der 
ganzen Gemeinde bedurfte, fo trug ich dies erſt einem 
der einflußreichſten und einſichtvollſten Vorſteher vor, mit 
dem Erſuchen, daß, wenn er den Vorſchlag billige, er 
ihn in ſeinem Namen den Repraͤſertanten der Gemeinde 
(dem Kirchenrathe) vorſchlagen moͤge, ich wolle ihn 
dann unterſtuͤzen. So mich nie in Vordergrund ſtellend, 
habe ich alle meine Ideen und Plaͤne in Amerika eben 
ſo ſchnell als leicht ausfuͤhren ſehen. So machte es auch 
Benjamin Franklin, wie er uns in feinem Leben 
ſelbſt erzaͤhlt. „Die Einwuͤrfe und Einreden“, ſagt er 
in feiner Selbſtbio graphie , „welche ich bei Gele- 
genheit der Subſcription *) erfuhr, uͤberzeugten mich 
bald, wie unklug es ſei, ſelbſt auftretend irgend einen 
nuͤzlichen Entwurf vorzulegen, der nur im mindeſten un 
ſern Ruf uͤber den der Nachbarn erhebt, wenn man zu 
ſeiner Ausfuͤhrung ihres Beiſtandes bedarf. Ich ſtellte 
mich alſo fo viel als möglich in den Hintergrund, und 
gab das Ganze als einen Entwurf mehrerer Freunde hin, 
) Franklins Leben und Schriften hat kurzlich Dr. Bin zer 
in einer ſehr niedlichen, geſchmakvollen Ausgabe (Kiel in der aka⸗ 
demiſchen Buchhandlung 1828 — 29) dem deutſchen Publikum zu⸗ 
gaͤngiger gemacht. Moͤchte daſſelbe jene mehr beachten, als die 

eines Clauren und anderer Romantiker unſerer Zeit! 


*) Naͤmlich auf die damals in Philadelphia anzulegende Bi⸗ 
bliothek. a 


260 


die mich erfucht hätten, umherzugehen, und ihn den Lieb: 
habern des Leſens vorzulegen. So ging meine Sache 
leichter von ſtatten; und ſo verfuhr ich bei aͤhnlichen Ge— 
legenheiten nachher jedes Mal, und darf dieſe Handlungs— 
weiſe aus Erfahrung empfehlen. Das kleine, unſerer Ei— 
telkeit fuͤr einen Augenblik dargebrachte Opfer wird ſpaͤ— 
terhin reichlich verguͤſet. Bleibt es eine Weile ungewiß, 
wer eigentlich das Verdienſt hat, ſo wird Einer, der eit— 
ler iſt als wir, angefeuert, ſich's zuzueignen, und dann 
laͤßt uns ſelbſt der Neid Gerechtigkeit widerfahren, reißt 
die angeſtekten Federn aus, und ſtellt ſie dem rechtmaͤßi— 
gen Eigenthuͤmer zu“ *). Haͤtten jene auf unſere trans: 
atlantiſchen Namensgenoſſen ſo gewaltig losziehenden Rei— 
ſenden dieſe weiſe Regel beachtet, ſo wuͤrden ihre Vor— 
ſchlaͤge mehr Eingang bei den Amerikanern gefunden ha— 
ben, wenn ſie naͤmlich dabei auch ausfuͤhrbar 
und wirklich von praktiſchem Intereſſe gewe— 
fen wären. Allein hier hapert's; denn Viele wollen 
jezt Alles über einenLeiſten ſchlagen, und Griechenland, 
Nord- und Südamerika, wenn ſie ſich dort befinden, 
gerade ſo organiſiren wollen, wie Deutſchland, und 
lezteres, wenn fie ſich wieder hier befinden, wie das 
republikaniſche Amerika. Solchen Alles verbeſ— 
ſernden Unverbeſſerlichen gefaͤllt es nirgends in 
der Welt, und gewoͤhnlich greifen ſie Alles von der ver— 
kehrten Seite an. Hinc illae lacrymae! Solchen jeden 
Staat tadelnden, und jedem Lande, worin fie ſich gerade 
befinden, ihre verbeſſerungs- oft verderbensſchwangere 


) Siehe Benjamin Franklins Leben. Aus dem Engliſchen 
uͤberſezt. Th. 1. Weimar 1818. Seite 107. 


261 


Pläne aufdringenden Geiſtern koͤnnen wir nichts Beſſeres 
empfehlen, als die Reformation zuerſt da anzufangen, wo 
fie am nöthigften iſt, und wo fie dieſelbe am erſten durch— 
ſezen koͤnnen, naͤmlich bei ſich ſelbſt. Unter ihren hohen 
kosmopolitiſch-reformatoriſchen Plänen ver: 
geffen fie gemeiniglich ſich ſelbſt; würden fie fich felbft 
aber beſſer kennen, und ihren eignen Gemuͤthszuſtand rich: 
tiger erforſchen lernen, ſo wuͤrde dies fuͤr ſie und die un— 
ter ihren Unarten oft leidende Umgebung ſehr heilſam 
ſein. In unſern Zeiten iſt nichts ſo heilig und ehrwuͤr— 
dig, und gut und lobenswerth, was nicht der uͤberkluge 
Wiz ſolcher Alles verbeſſern wollenden Unverbeſſerlichen 
begeifert hat. Der leichtfertige Voltaire iſt hierin 
einem leichtſinnigen Zeitalter vorangegangen; Leſſing, 
Bahrdt, Paalzow, der Verfaſſer der natuͤr⸗ 
lichen Geſchichte des großen Propheten von 
Nazareth, Daſſel, Kotzebue u. m. A. haben jenes 
ihnen ſtets vorſchwebende Muſter zu erreichen, oft noch zu 
uͤbertreffen geſucht; ja wenn Voltaire jezt wieder auf— 
ftände, und die neu-deutſche Literatur ſtudirte, er 
wuͤrde ſtaunen uͤber das viele Diaboliſche, welches 
ſich in dieſelbe ſeit wenigen Jahre einzudraͤngen gewußt 
hat. Doch all' das Geſchrei dieſer kurzſichtigen Thoren 
kuͤmmert einen freien und unabhaͤngigen Deutſchen in 
Amerika nicht. Laͤßt er auch ſeine kleinen Kinderchen nicht 
ſchon vom zweiten Jahre an in die Schule tragen, ſon— 
dern wartet erſt, bis ihr Verſtand ſich gehörig entwikkelt 
hat, ſo ſorgt er doch eifrig dafuͤr, daß ſie, wenn ſie das 
gehoͤrige Alter erreicht, leſen, ſchreiben und rechnen 
lernen; haͤlt eifrig darauf, nachdem ſie in ihrem fuͤnfzehn⸗ 


x 


262 


ten oder ſechszehnten Jahre konſirmirt find, daß fie flei— 
ßig jeden Sonntag die Kirche beſuchen, und das, was ſie 
in den Jahren der Kindheit, wegen zu großer Entfernung 
von der Schule, nicht haben lernen koͤnnen, ſpaͤter nach— 
holen. Nie habe ich dort gefunden, daß konfirmirte Kin— 
der die Kirche faſt wie ein Gefaͤngniß fliehen, und ſich 
nachher oft in einem Jahre kaum einmal wieder in derſelben 
einſtellen, wie anderwaͤrts nicht ſelten geſchieht. Allen denen, 
die die Sitten, Gebraͤuche und Gewohnheiten der Deut— 
ſchen in Amerika tadeln, die Bildung derſelben unter 
aller Kritik finden, empfehlen wir die Beachtung des 
kleinen, aber wichtigen Spruͤchworts: „Laͤndlich, ſitt— 
lich.“ Fleißigen und unermuͤdet die Wälder abtreiben— 
den, die Suͤmpfe austroknenden, und mit vielen andern 
haͤuslichen und landwirthſchaftlichen Arbeiten beſchaͤftigten 
Deutſch-Amerikanern kann man nicht die Bildung 
eines engliſchen Gentleman, oder eines franzoͤſiſchen 
Petit maitre, oder eines nichtsthuenden deutſchen Stu— 
zers abfordern, ſo wenig wie man verlangen kann, daß 
dieſe jenen in laͤndlichen Geſchaͤften in Amerika gleich— 
kommen ſollen. Die Deutſchen in Amerika leben gluͤk— 
lich, wenn ſie auch nicht ihre Kinder ſchon vom zweiten 
oder dritten ) Jahre an in die Schule ſenden, und vom 


*) In mehrern koͤniglichen preußiſchen Regierungsblaͤt— 
tern wird zur Errichtung von Klein-Kinderſchulen auf— 
gefordert, worin die Kinder vom zweiten bis ſechsten Jahre auf— 
genommen werden ſollen. Siehe Nekkarzeitung. 1828. Febr. 
23. Beilage Nr. 11. Ja in den Findelhaͤuſern koͤnnen fein⸗ 
gebildete, richtiger verbildete, verdorbene Aeltern ihre Kinder ſo⸗ 


263 


Stoffe eines tyranniſirenden Schuldespoten taͤglich durch— 
pruͤgeln, und dadurch alle Gefuͤhle der Sanftmuth und 


gleich los werden!!! Die jezige Uebertreibung in der zu 
fruͤhen Bildung der Kinder, die wie ein die Eingeweide “ 
der Menſchheit langſam zernagendes Gift wuͤthet, iſt eine der 
vornehmſten, obgleich den Meiſten unbekannten Urſachen der 
fortſchreitenden Verſchlimmerung des Menſchenge— 
ſchlechts. Die der Natur des menſchlichen Alters angemeſſene 
Abtheilung der Lebensſtufen werden jezt fo nahe zuſammengeruͤkt, 
daß die Zwiſchenraͤume zwiſchen die ſen ver ſchiedenen Altersſtufen 
nicht mehr merkbar ſind. Daher kommt's, daß wir jezt faſt gar 
keine Maͤnner, ſondern lauter baͤrtige Kinder und Knaben mit 
grauen Haͤuptern ſehen. Alle allgemeinen Begriffe und Vernunft⸗ 
wahrheiten, die wir ſelbſt nach und nach geſammelt haben, ſollen 
jezt dem kindlichen Gemuͤth auf einmal, und ſo vermiſcht wie Kraut 
und Ruͤben eingepreßt werden. Man nehme aus dem Inbegriffe 
des gewoͤhnlichen Unterrichts fuͤr Kinder welchen Theil man will, 
halte ihn mit der muthmaßlichen natuͤrlichen Ideenmaſſe des Kin⸗ 
des zuſammen, und bemerke, wie gering die Zahl der Gegen— 
ſtaͤnde iſt, in welchen der erſtere ſich der leztern anpaſſen laſſe. 
Jezt ſollen gleichſam alle vier Fakultäten in einen Tiegel gewor⸗ 
fen, und mit dieſer Maſſe Kinder zu Geiſtlichen, Rechtsgelehrten, 
Aerzten und Weltweiſen umgeformt werden. Aber dieſe ſtolze 
Erwartung ſieht ſich uͤberall getaͤuſcht, und ſtatt derſelben werden 
dem ſchwachen Koͤrper des Kindes vor der Zeit die Falten und 
der Firniß des erwachſenen Alters eingeimpft. Jezt ſollen Kinder 
von der Mutterbruſt (bei den Meiſten richtiger Ammenbruſt) 
gleich zu dem reifern Alter uͤbergehen, indem man die Schranken 
der verſchiedenen Lebens ſtufen voll uͤbergroßen Duͤnkels nicht mehr 
beachtet; und daher kommt's, daß man jezt in den eiteln Treib— 
haͤuſern des menſchlichen Wizes geſchwaͤzige Philoſo— 
phen mit einem verweichlichten und gaͤnzlich verdorbenen Koͤrper 
erzieht. Dieſe unzeitige geiſtige Entwiklung der Kindheit, wo: 


* 


264 


Menſchenliebe aus ihnen vertreiben laſſen; dagegen dafuͤr 
ſorgen, daß ſie ohne taͤglichen Schulbeſuch doch leſen, 


durch dieſe nur zu wahren Drathpuppen gebildet wird, iſt der 
unzeitigen Entwiklung einer Treibhauspflanze gleich. Eine 
Treibhauspflanze bekommt zuweilen Blaͤtter, Knoſpen und Bluͤ⸗ 
ten, auch wohl zuweilen Fruͤchte, aber ſie wird dadurch ſo er— 
ſchoͤpft, daß ſie den Vorzug, einige Monate fruͤher gebluͤht zu 
haben, ehe es die Natur wollte, gemeiniglich mit ihrem Leben, 
wenigſtens mit dem Verluſt ihrer laͤngern Fruchtbarkeit buͤßen 
muß. Jede ſcheinbare Vervollkommnung des Menſchen, welche der 


Natur zum Troz geſchieht, iſt weiter nichts, als eine wahre Wer— 


ſchlimmerung deſſelben. Mancher Juͤngling hat die hoffnungs— 
volle Bluͤte ſeiner Jugend durch eine kuͤnſtliche Vervollkommnung 
ſeiner geiſtigen Faͤhigkeiten vergiftet, ſtatt der Jugend goldenen 
Fruͤchten ſich ſelbſt und Andern nur bitteres Kraut erzogen, den 
Werth und das Gluͤk ſeines Daſeins in ſublimariſcher Gelehrſam— 
keit begraben, und dieſem phantaſtiſchen Genuſſe die Quelle des 
wahren rein = menfchlichen Genuſſes, naͤmlich den der Geſund— 
heit, aufgeopfert. Er hat die ſchoͤnſte irdiſche Gluͤkſeligkeit auf 
Erden gegen den Schimmer einer eiteln Abſtraktion ausgetauſcht, 
die ihn fuͤr den Verluſt entflohener koͤrperlicher Geſundheit leider 
taͤuſchen ſoll, und ſchwindelt auf der erklimmten Spize der gaͤnz— 
lichen Zerſtoͤrung ſeiner Geſundheit entgegen. Denn was gibt es 
für den Menſchen Theuereres und Koftbaveres zu verlieren, als die 


Geſundheit, dieſe ſuͤße heilige Wurzel alles wahren Gluͤks, dieſe 


koͤſtliche Blume, die im Kranze aller Lebensfreuden, wenn er ihr 
einmal entriſſen, nur todtes und oͤdes Laub zuruͤklaͤßt! Mit der 
naͤmlichen Gefahr, mit welcher ein noch ſchwankender Fuß im 
tiefen Kanal und hellen Strom geleitet wird, laͤßt man die noch 
ſchwache Kinderſeele in die Schachten tiefer Gelehrſamkeit herab— 
ſteigen, und buͤßt in beiden Faͤllen ſeine Dreiſtigkeit mit dem 
Sturze des Lebens. Viele Erzieher nach dem neueſten Geſchmak 
hegen das Vorurtheil, daß durch die große Mannichfaltigkeit der 


265 


1 


ſchreiben und rechnen, nicht ſelten auch engliſch lernen; 
ſie leben zufrieden, wenn ſie ſich auch nicht ſo zu drehen 


Gegenſtaͤnde des Unterrichts, und die haͤufigen Abwechslungen die 
ſchlimmen Folgen der unnatürlichen Geiſtesanſtrengungen unſchaͤd⸗ 
lich gemacht wuͤrden; allein ſie irren. Ohne zu bedenken, daß 
zerſtreute Lichtſtrahlen wohl etwas erhellen, aber nicht erwaͤrmen, 
erfordert jeder ploͤzliche Uebergang von einer Geiſtesarheit zur an— 
dern ſchon an ſich neue Anſtrengung, um ſich erſt in den jedesma⸗ 
ligen neuen Horizont, der die Seele umgeben ſoll, hineinzudenken. 
Ueberdies hilft es auch zu nichts, daß man zu des Kindes Ver— 
nunft redet, wenn die Vernunftfaͤhigkeit deſſelben noch nicht zu 
eigener Reife gekommen iſt; denn es iſt unmoͤglich, daß ſie die 
Fakkel wahrnehmen kann, die man ihr vorhaͤlt, ſo lange ſie noch 
blind iſt. Die Natur befiehlt, daß man die Kindheit in den 
Kindern reifen laſſe. Wir bezahlen den Vorzug, welchen unſre 
Vernunft vor dem ſogenannten Inſtinkt der Thiere voraus hat, 
durch eine mehrjährige Kindheit, waͤhrend welcher der ſichtbarſte 
und unwiderſtehlichſte Trieb uns zu unſchuldigen Vergnuͤgungen, 
zu huͤpfenden Spielen und liebenswuͤrdigen Scherzen hintreibt. 
Wie jede Jahrszeit ihren Blumenkranz, ſo beſizt jedes Alter ſei— 
nen ihm zugetheilten Freudenkreis. Dieſer heilſame Trieb der 
harmloſen und ſpielenden Jugend wird erſtikt durch zu fruͤhe See— 
lenanſtrengung, welche die Bluͤten der Jugend welkt, jedem Ge— 
nuſſe und jeder Freude den Eingang ſperrt, und ſo den ſchoͤnen 
jugendlichen Lebensſtrom in einen ſtehenden Sumpf verwandelt. 
Man hefte ſeinen Blik auf die ganze Natur, und indem man 
hier alle Geſchoͤpfe, von dem wildeſten bis zum kleinſten, einen 
wichtigen Theil ihres Lebens mit gleichem Leichtſinne durchhuͤpfen 
und ihre ganze Jugend ſorgenlos durchſcherzen ſieht, wird 
man dann die Abſicht des weiſen Schoͤpfers verkennen, oder 
man es zu leugnen wagen, daß die Freude der erſten Jugend 
und das Laͤcheln der ganzen aufkeimenden Natur ein Bedingniß 
ſei, von welchem das Schikſal und Gedeihen aller Individuen und 


266 


und zu wenden, fo zu verneigen und zu büffen, fo vor- 
waͤrts und ruͤkwaͤrts zu ſchreiten verſtehen, wie dies 


ihre kuͤnftige Lebensdauer abhaͤngt? Die Natur gibt dem Saͤug— 
ling keine Zaͤhne, weil er ihrer noch nicht bedarf, aber ſie gibt 
ihm einen Magen, Begierde nach Nahrung, Inſtinkt des Sau— 
gens, lauter Geſchenke, deren er nicht entbehren kann, wenn er 
leben, wachſen und gedeihen ſoll. 

Die Natur, ſagt der beruͤhmte Frank, laͤßt jedes lebende 
Geſchoͤpf aus einem kleinen Punkt entſtehen, und durch taͤgliche 
Verlaͤngerung ſeiner Gefaͤße, und durch eine jedem Alter ange— 
meſſene Ausdehnung ſeiner Faſern zu dem Ziele ſeiner Beſtim— 
mung gelangen. Der taͤgliche Zuwachs des jugendlichen Koͤrpers, 
die haͤufigen Ausleerungen, welche in dieſem Alter Statt finden, 
erheiſchen eine ſtarke Lieferung taͤglicher Nahrungsmittel; daher 
der ſtete Hunger und die beſtaͤndige Bereitwilligkeit der Kinder, 
Speiſen zu ſich zu nehmen. Da, wo noch alle Muskeln eine 
merkliche Schwaͤche verrathen, ſehen wir die zwei einzigen Werk— 
zeuge des kindlichen Koͤrpers, das Herz und den Magen, mit 
Kraͤften, die nach Verhaͤltniß nie groͤßer werden koͤnnen, ohne 
alle Ermuͤdung, dieſen ſtets neue Speiſen verdauen, und in die 
Maſſe cirkulirender Saͤfte verſchikken; jenes den reichhaltigen 
Vorrath in alle Gliedmaßen vertheilen, alle Luͤkken auf das Sorg— 
faͤltigſte mit friſchem Nahrungsſtoffe ausfuͤllen, welche durch die 
Verlaͤngerung der Faſern, und die dabei nothwendige Entfernung 
der Elementartheile von einander jeden Augenblik entſtehen muͤſ— 
fen. Durch die zu frühe Seelenanſtrengung — dieſe Moͤrdergrube 
phyſiſcher Bildung — wird der edelſte und ſublimirteſte Theil der 
zu dieſem Prozeſſe erforderlichen Lebenskraft verſchwendet, Herz 
und Magen werden geſchwaͤcht, und ſo die zwei Hauptquellen 
der menſchlichen Reſtauration ganz ſpecifiſch ausgetroknet. Der 
Kreislauf kann daher nur in denjenigen Gefäßen Plaz finden, wo⸗ 
hin die Kraͤfte des matten Herzens fuͤr ſich allein die Saͤfte noch 
wohl bringen koͤnnen, aber es iſt kaum eine Spur von einer Be: 


267 


einem feinen Herrn in der beau monde von Kindheit 
auf eingepraͤgt wird, wie in unſern Zeiten nichts mehr 


wegung des Bluts in ſolchen Theilen, wozu jene Kraft allein 
nicht langt, und deren kleinſte Adern ſich nur durch vereinigte 
Kraͤfte des Kreislaufes anfuͤllen. Die natuͤrlichen Folgen dieſer 
halb erſtikten Cirkulation ſind: ein unausbleibliches Zuruͤkbleiben 
im Wachsthum, unvollkommne Ausbildung der Glieder, aufge— 
dunſenes Weſen und eine Todtenfarbe, waͤhrend das geſunde Blut 
des muntern, ungelehrten Bauernknaben uͤberall zu den feſten 
Bakken heraus will, und den gluͤklichen Ueberfluß balſamiſcher 
Saͤfte ankuͤndigt. Der natuͤrliche Trieb der Saͤfte zu dem Kopfe, 
welcher bei Kindern weit ſtaͤrker iſt, wird durch das unzeitige zu 
fruͤhe Denken und den dadurch verurſachten zu großen Reiz fuͤr 
die ſchwachen Hirnfaſern vergroͤßert, wodurch Gehirnentzuͤndung, 
Stokkung des Bluts, Schlagfluͤſſe ꝛc. ꝛc. entſtehen. Ferner erhält 
durch die zu fruͤhe Geiſtesanſtrengung das Nervenſyſtem in der 
ganzen Maſchine das Uebergewicht, daher das Heer der Nerven: 
uͤbel ſeinen Urſprung nimmt. Wir erloͤſchen das beſeelende Feuer 
der Nerven, und fuͤllen den ſchoͤnen Roſenbecher der Jugend mit 
Sorgen, daher ſolche halbgelehrte Kinder gewoͤhnlich verdruͤßlich, 
muͤrriſch, hypochondriſch find, und ein kummervolles Anſehn ha— 
ben, dagegen bei Ungelehrten eine ruhevolle Gleichguͤltigkeit ſorgt, 
daß kein herznagender Kummer ſich in den jugendlichen Buſen 
niederlaſſe, und wenige Thraͤnen in wenigen Minuten allen Gram 
von der blühenden Wange wieder abſpuͤhlen. Das naluͤrliche 
Empfindungsvermögen des Kindes wird durch die beigebrachten 
kuͤnſtlichen Gefühle in eine kraͤnkliche Empfindſamkeit verwandelt, 
die ebenfalls uͤberall Anlaß zur Traurigkeit und Schwermuth da 
finden läßt, wo eine aufgeklaͤrte und nicht durch die gefärbte 
Brille der Empfindſamkeit ſehende Vernunft vielmehr lauter Urs 
ſachen zur Freude erblikt. Mit dem Zwange zu ſtillen Geiſtes— 
kraͤften iſt gewoͤhnlich Mangel hinlaͤnglicher Bewegung des Koͤr— 
pers verknuͤpft, wodurch alle Vortheile einer rechten Miſchung 


268 


zu beachten und zu fludiren ſei, als einen ſchoͤnen Anſtand 
und das Savoir vivre ſich anzueignen. Die Deutſchen 
in Amerika leben gluͤklich, wenn ſie auch nicht bei der 
unbedeutendſten Migraine oder den erbaͤrmlichſten Vapeurs 
zum Arzte und Apotheker ſenden, dagegen treffliche prak— 
tiſche Hausmittel gebrauchen, die ſie ſogleich bei der Hand 
haben; ſie wiſſen ja, daß da, wo die meiſten Arzte und 
Apotheker ſind, mehr Menſchen ſterben, als da, wo keine 
find. Die deutſchen Mütter in Amerika, ihre Kinder 
ſelbſt ſtillend, und in ihrer Mitte lebend, beneiden jene 
blaffen Mütter nicht, die fo ſchwach und hinfällig find, 
daß fie ihren Kindern nicht einmal die erſten Mutter: 
pflichten gewaͤhren koͤnnen, ſondern ſie durch Ammen ſtil— 
len laſſen muͤſſen; ſie beneiden jene entnervten Damen 
nicht, die falſcher ſeidenen Lokken ſich bedienen, entweder 
aus Gefallſucht, oder um die Bloͤße ihres Kopfes zu dek— 
ken; ſie ſelbſt ſind gluͤklich und gefallen ihren Maͤnnern, 
ohne erſt falſche ſeidene Lokken anzulegen, ohne ſich erſt 


der Saͤfte, nebſt jenen der erforderlichen Abſonderung vermißt 
werden; das Blut wird waͤſſerig und ſcharf, die Saͤfte gerathen 
in Stokkung, worauf Verſtokkung des Unterleibes, Skrofeln, 
engliſche Krankheit, Schwaͤche des ganzen Muskularſyſtems, durch 
deſſen Kraft die gute Miſchung der Saͤfte vorzüglich unterhalten 
wird, erfolgen. Wahrlich, mehr beduͤrfte es gewiß nicht, um das 
Ungluͤk Deutſchlands voll zu machen, als neben der graͤßlichen 
und ſtets anwachſenden Nahrungsloſigkeit auch durch eine 
verderbliche Modepaͤdagogik ſchon das Gluͤk des heranwach— 
ſenden Kindes zu vergiften und zu vernichten. Mehr hierüber 
findet man in der gehaltvollen Schrift: Lüders de educatione 


li berorum medica. 


269 


den Leib zufammen zu ſchnuͤren Y), und den ganzen Tag 
in Puz und Taͤndeleien hinzubringen. Mit einem Worte, 
die Deutſchen in Amerika ſind gluͤklich, indem ſie 
der einfachen ungekuͤnſtelten Natur folgen, waͤhrend tau— 
ſend Andre, hoch gebildet und aufs glaͤnzendſte geziert, in 
ihrem Innern doch nur ungluͤklich ſich fuͤhlen. 

Der dritte Vorwurf, welchen einſeitige Reiſende un— 
ſern transatlantiſchen Stammgenoſſen gemacht haben, be— 
ſteht darin, daß man ihnen vorwirft, ſie ſpraͤchen ein 
elendes, verdorbenes Deutſch. Wenn wir erwaͤ— 
gen, daß die Maſſe der deutſchen Eingewanderten in 
Amerika aus Pfaͤlzern, Schwaben und Rheinlaͤndern be— 
ſteht, ſo koͤnnen wir uns gar nicht wundern, daß auch 


*) In der vorigjaͤhrigen Oſtermeſſe zu Frankfurt a. M. ſtroͤmten 
Frauen und Jungfrauen haufenweiſe in einen Laden, wo die be— 
ruͤhmten Leipziger Geſundheits-Corſetts feil geboten 
wurden. Jede Dame kann damit ſo ſchmal und duͤnn gepreßt 
werden, wie eine Kreuzſpinne; dieſer Corſetten-Fabrikant iſt der 
gute Engel der Schneider, denn dieſe verlangen immer noch eben 
ſo viel Zeug zu einem Kleide, wie vor der Meſſe, waͤhrend ſie 
jezt nur offenbar die Haͤlfte brauchen. Geſund ſind dieſe Corſette 
in jedem Betracht; das ſchoͤne Geſchlecht lernt dadurch eine 
neue Tugend kennen, das Schweigen naͤmlich, denn es verliert 
den Athem zum Reden; es wird maͤßiger im Eſſen, denn die 
Paſſage iſt nicht mehr fo frei ſeit der Einführung der Leip zi⸗ 
ger Corſetten-Mauth. Ein gereiztes Weib darf ſich nun 
keine Thaͤtlichkeiten erlauben, wenn ihre Taille ihr lieb iſt, und 
ſomit iſt die Erfindung dieſer neuen Preſſen auch in mora li— 
ſcher Hinſicht von groͤßtem Einfluſſe! So wird die Natur eines 
großen Theils der gebildeten Welt taͤglich eingezwaͤngt und — 
verdorben! 


270 


der von jenen Eingewanderten mit nach Amerika ver: 
pflanzte Provinzialdialekt — vorzüglich der fhwäbi: 
ſche — dort vorherrſchend iſt. Welcher vernuͤnftige 
Menſch haͤlt ſich nun wohl daruͤber auf, daß in Schwa— 
ben kein richtiges grammatikaliſches Hochdeutſch geſprochen 
wird? Ich kenne ſchwaͤbiſche, auf einer Univerſitaͤt 
Norddeutſchlands angeſtellte Profeſſoren, die beim 
Öffentlichen Vortrage ganz ihren ſchwaͤbiſchen Dialekt bei— 
behalten haben, und denen dies in jener aufgeklaͤrten 
Univerſitaͤtsſtadt Niemand veruͤbelt. Koͤnnen und duͤr— 
fen nun aber Profeſſoren ſich im ſchwaͤbiſchen Dialekte 
ausdruͤkken, Maͤnner die volle Zeit und Muße haben, 
ja deren Hauptberuf es iſt, nachzudenken, nicht nur wie 
ſie ſchriftlich, ſondern vorzuͤglich wie ſie im oͤffentlichen 
Vortrage ſich zierlich, richtig und geſchmakvoll aus— 
druͤkken ſollen, duͤrfen dies jene Maͤnner, deren Beruf 
der oͤffentliche Vortrag iſt, ohne Ahndung und Tadel 
wagen, um wie viel mehr mit welch' einem ungleich 
groͤßern Rechte duͤrfen dies die Abkoͤmmlinge jener Pfaͤl— 
zer und Wirtemberger ſich erlauben, die theils um eben 
ſo unchriſtlichen als unvernuͤnftigen Religionsverfolgun— 
gen, theils auch um dem nagendſten Hunger und Kum⸗ 
mer zu entgehen, aus dem gebildeten Deutſchland flohen, 
um eine Schuzwehr wider deſſen religioͤſe und buͤrger— 
liche Unterdruͤkkungen in Amerikas freien Wäldern zu 
ſuchen. Dank Gott, ſie haben Freiheit und Brot nicht 
vergebens geſucht, ſie haben beide zur Erhaltung eines 
leiblichen und geiſtigen Lebens ganz unentbehrliche Guͤter, 
obgleich erſt nach vielen Arbeiten und Beſchwerden, dort 
gefunden. Erwaͤgen wir die elende Lage und Verhaͤlt— 


271 


niſſe dieſer ungluͤklichen Auswanderer, welche der Anglo— 
amerikaner nicht ſelten deutſche Parias und Fel— 
lahs nennt, in ihrem fruͤhern Vaterlande, fo werden 
wir uns uͤber deren ungrammatikaliſchen ſchwaͤbiſchen 
Provinzialdialekt wahrlich nicht wundern koͤnnen. Hier 
waren fie die geplagteften und elendeſten Menſchen von 
der Welt. Unter ſchwerer Arbeit von des Morgens fruͤh 
bis des Abends ſpaͤt vermochten ſie kaum ſo viel zu eruͤbri— 
gen, um ihren Hunger durch Brodt und Kartoffeln zu 
ſtillen. In ihren kleinen aͤrmlichen Huͤtten herrſchte ein 
Elend, wie es gewiß nicht ſchreklicher und niederſchlagen— 
der in dem uͤbervoͤlkerten Irland oder der Tuͤrkei gefun— 
den werden kann. Der Mann muß als Tagloͤhner, 
Saͤgenſchneider, oder Steinbrecher von des Morgens fruͤh 
bis ſpaͤt in die Nacht hinein abweſend ſich befinden; waͤh— 
rend ſeiner Abweſenheit ſizt die zuruͤkgelaſſene Frau mit 
einem Haufen halbverhungerter Kinder, bei denen ihre 
zerlumpten Kleider kaum zur Haͤlfte die Bloͤße ihres Lei— 
bes zu dekken vermoͤgen, am Spinnrokken. Kartoffeln 
und Brodt ſind ihre einzige Speiſe, ja froh, uͤbergluͤklich 
ſind ſie, wenn ſie etwas mehr als zur Haͤlfte ihren Hun— 
ger ſtillen koͤnnen. Wird eins von den Kindern oder 
der Familie krank, dann iſt es ganz der lieben Natur uͤber— 
laſſen, und muß oft wochen- ja monatelang hinſeuchen, 
ehe es fi wieder hergeſtellt ſieht; denn einen Arzt oder 
Arzneimittel zu gebrauchen, duͤrfen ſich ſolche armen Leute 
nicht einfallen laſſen, weil ſie ſo viel, als der Arzt fuͤr 
einen Weg nach der Taxe verlangt, oft nicht einmal in 
Einer ganzen Woche verdienen koͤnnen. Bei einem oder 
mehreren kranken Kindern muß die Hausfrau ganz allein 


272 


noch fuͤr Speiſung und Feuerung ſorgen. Die aͤußere 
Beſchaffenheit der Behauſung einer ſolchen armen Fami— 
lie gewaͤhrt ein eben ſo zuruͤkſtoßendes Bild der Armuth 
und Duͤrftigkeit. Oft haben ſie kaum Stroh, um darauf 
ihre muͤden Glieder ausruhen zu laſſen, und zu neuer Ars 
beit zu ſtaͤrkenz wenn's hoch kommt, ſo haben ſie ein mit 
Laub ausgeſtopftes Bett, das in der kleinen engen Wohn— 
ſtube aufgeſchlagen iſt, daneben ſtehen ein Paar ſelbſtge— 
machte Stuͤhle und ein kleiner Tiſch. Dies ſind die 
ſaͤmmtlichen Möbeln einer armen Haͤuslingsfamilie in 
Deutſchland. Ihr ganzer Viehſtapel beſteht in einer Ziege, 
wofuͤr ſie aber Futterung und Streuung herbeizuſchaffen, 
da ſie keine Handbreit Land beſizen, es ſich aͤußerſt ſauer 
werden laſſen muͤſſen. Vor der franzoͤſiſch-weſtphaͤliſchen 
Periode (1807), als die Forſt- und Jagdbedienten noch 
nicht auf ſolch' einem reſpektablen Fuß geſezt waren, hat— 
ten ſie es in dieſer Hinſicht leichter; damals gewaͤhrte 
ihnen der Wald Laub zur Streuung, und Gras zur 
Fuͤtterung der Ziege — gratis, jezt aber muͤſſen ſie we— 
gen der ſeit jener Zeit auf das Gras- und Laubholen ge— 
ſezten hohen Forſtwrogen oft ſchwere Strafe zahlen, die 
manchem in einem Jahre an 2— 3 Thaler kommt, und 
keine kleine Einnahme fuͤr das Forſt- und Jagdperſonale 
abwirft. Wollen ſie ſich dieſer Unannehmlichkeit und ho— 
hen Strafen nicht ausſezen, und pachten etwas Kleeland, 
ſo muͤſſen ſie fuͤr acht Ruthen Kleeland einen Thaler 
Pacht zahlen, was fuͤr einen ſolchen Morgen (à 120 
Ruthen) fuͤnfzehn Thaler Pacht betraͤgt, waͤhrend 
unſre großen Gentlemen-Farmers bei ihren vielen Privi— 
legien kaum einen Thaler pro Morgen Pacht zahlen. 


273 


Jezt gehen wir dem Erwerber, oder dem Vater einer fol- 
chen Familie nach. Iſt er ein Steinbrecher, oder ein 
Saͤgenſchneider, ſo muß er oft 2— 3 Stunden von ſeiner 
Wohnung ſich entfernen, um Arbeit zu finden. Hier 
verdient er, mit Ausnahme des Winters, taͤglich hoͤch— 
ſtens 8 — 9 Mariengroſchen, wovon er, feine Frau und 
oft 6 — 7 Kinder leben muͤſſen, welches zur Erhaltung 
feiner Familie a Perſon kaum 1 Mariengroſchen betraͤgt. 
In einer ſolchen weiten Entfernung von ſeiner Familie 
muß ein ſolcher armer Quaͤler ſich ſelbſt ſeine Kartoffeln 
(die einzige Abwechslung ſeiner Speiſe mit dem lieben 
Brote) kochen und zubereiten, und des Nachts draußen 
in einer von wenig Torf und Steinen ſelbſt errichteten 
Hütte auf etwas zuſammengelegtem Laube kampiren. Ar— 
beitet ein ſolcher Haͤusling auf der Chauſſee, ſo verdient 
er taͤglich nur 7 — 8 Mariengroſchen, und hoͤchſt gluͤklich 
wuͤrden ſich alle dieſe Haͤuslinge ſchaͤzen, wenn dies ein 
ſicherer, gewiſſer, durchs ganze Jahr fortlaufender 
Erwerb waͤre; aber dieſe Einnahme iſt ungewiß und 
hoͤchſt prekair; man kann volle ſechs Monate wäh: 
rend eines Jahres rechnen, wo beim Leinweber, Holz— 
hauer, Saͤgenſchneider, Steinbrecher und andern ſolchen 
Profeſſionen dieſe Einnahme ganz wegfaͤllt, in welcher 
Zeit denn dieſe ungluͤklichen deutſchen Parias ſich mit 
noch ungewiſſerm und zufaͤlligerm Taglohn beſchaͤftigen, 
wodurch ſie nicht einmal die Haͤlfte der obigen Einnahme 
verdienen, ja nicht ſelten einen oder mehrere Monate des 
Jahres ganz ohne alle Arbeit und voͤllig verdienſtlos hin— 
bringen muͤſſen. Es iſt faſt unglaublich, welche Arbeit 


dieſe ungluͤklichen Menſchen verrichten koͤnnen. Ich kenne 
Brauns Skizzen von Amerika. 18 


274 


einen Saͤgenſchneider, der des Frühlings jeden Morgen, fo 
bald der Tag graut, das heißt von Morgens 4 Uhr bis Abends 
acht Uhr, mit nur wenig Stunden Unterbrechung und 
Erholung am Mittage, dies ſchwere Geſchaͤft verrichtet. 
Dieſe armen Haͤuslings- und Tagloͤhnerfamilien bilden 
die Hauptklaſſe der nach Amerika eingewanderten Deut— 
ſchen. Zu dieſen kommen noch die ihnen nahe verwand— 
ten Bauern. Auch dieſe geben obigen Haͤuslingen und 
Tagloͤhnern in Ruͤkſicht der Arbeit wenig nach. Ich 
kenne Bauern, die im September und den Herbſtmona— 
ten zuerſt des Morgens von ein bis fuͤnf Uhr einige La— 
den Rokken dreſchen, dann von Morgens ſechs Uhr bis 
des Abends ſechs Uhr Kartoffeln roden, wobei ſie ſich des 
Mittags kaum eine Stunde zum Eſſen und zur Erho— 
lung Muße vergönnen, und endlich von 8 — 11 Uhr 
Abends Flachs treiten (boken). Wie viel Zeit zur Ruhe 
haben dieſe von einer Arbeit zur andern gejagten und 
geplagten Menſchen? Von dem wenigen ihren Meierhoͤ— 
fen beigelegten Lande (oft hat ein Koͤther kaum 6— 15 
Morgen) muͤſſen ſie, wenn man alle die davon zu leiſten— 
den Dienſte und Abgaben berechnet, wenigſtens fuͤnfmal 
ſo viel Abgaben geben, als wenn dieſes Land zuſammen— 
geſchlagen, und an einen Paͤchter im Großen verpachtet 
waͤre. Außer ihren bedeutenden Meierlaſten haben ſie 
auch noch ſtarke Abgaben an die Regierung, als Perfo: 
nalſteuer, Contribution, Schuzgeld, Provi— 
antgeld und dergl. Nie wuͤrden dieſe Menſchen auf 
ihren kleinen, mit hohen Abgaben belafteten Meierguͤtern 
beſtehen, wenn ſie nicht durch ihre unermuͤdete Arbeit 
und hohe Sparſamkeit ſich in ihrer druͤkkenden Lage eini— 


275 


germaßen aufrecht zu erhalten wüßten. Bei dieſen armen 
mit Arbeit und Laften überhäuften Menſchen muͤſſen fo: 
gar ſchon die Kinder, wenn fie kaum 6—7 Jahr alt 
ſind, an der Arbeit Theil nehmen, und durch Viehhuͤten, 
Kinderwarten und aͤhnliche Arbeiten ihr Brot verdienen. 
Dies ſind nun die beiden Hauptklaſſen der nach Amerika 
ausgewanderten Deutſchen; denn der Adel, der Gelehrte 
und Gebildete uͤberhaupt blieb wohlweislich von einem 
Lande zuruͤk, das ihm nur Aufopferungen und Beſchwer— 
den, aber keine Vorrechte, Feudalprivilegien, Genuͤſſe, 
Vergnuͤgungen und feſtſtehende hohe Beſoldungen anbie— 
ten konnte. Was haben nun jene Menſchen fuͤr eine 
Bildung aus ihrem Vaterlande mitgenommen, um ſie in 
Amerika fortzupflanzen? Und wenn ſie aus Deutſchland 
wenig oder gar keine feine Bildung nach Amerika mit 
hinuͤbernahmen, wer iſt denn daran Schuld, Amerika oder 
Deutſchland? Amerika war damals, als der groͤßte Theil der 
Einwanderer aus Deutſchland (von 1684 bis 1790) dort 
hinging, ein unermeßlicher, unter vielen Suͤmpfen und Mo— 
raͤſten abwechſelnder Wald, und wahrlich wenig geeignet, 
die wenige von Europa mit hinuͤber verpflanzte Bildung 
der Deutſchen zu vervollkommnen; denn ein Leben voll 
Muͤhe, Arbeit und Noth hatten ſie in Deutſchland ver— 
laffen, und ein unter dem Aufbruch des Landes und Ab— 
treibung der Waͤlder mit den unbeſchreiblichſten Muͤhſe— 
ligkeiten und Drangſalen verknuͤpftes Leben war ihnen 
dort zu Theil worden. Der neue Anſiedler mußte Woh⸗ 
nungen und Staͤlle fuͤr ſich und ſein Vieh bauen, Baͤume 
ausroden, Suͤmpfe und Moraͤſte entwaͤſſern, Brunnen 
graben; er mußte außer ſeiner Landwirthſchaft ſelbſt ſich 


276 


fein Tuch weben, feine Kleider und Schuhe verfertigen, 
fein Korn ſelbſt mahlen, feine Pferde ſelbſt befchlagen, und 
ſeine Akkergeraͤthſchaften ſelbſt verfertigen, wenn er nicht 
heute zu dem mehrere Meilen weiten entfernten Leinwe— 
ber, morgen zu dem noch weiter entfernten Schneider, 
Muͤller, Schmied, Rademacher und andern Handwerks— 
leuten faft täglich reifen, und fo feine ihm fo koſtbare 
Zeit unterweges zubringen wollte. Iſt es nun nicht eben 
ſo abgeſchmakt als thoͤricht, von einem mit ſo vielen Ar— 
beiten belaſteten Menſchen die feine Bildung eines fran— 
zoͤſiſchen Tanzmeiſters, oder eines nichtarbeitenden hochge— 
bildeten Deutſchen, oder eines Menſchen zu fordern, der 
von Kindheit auf, außer die Feder zu fuͤhren, weiter nichts 
als das savoir vivre, oder die ſogenannte feine Lebensart 
erlernt hat? Wuͤrde ein ſolcher feingebildeter Deutſcher, 
ſtatt den Federkiel zu fuͤhren, die Axt und den Pflug zu 
handhaben angewieſen ſein, wahrlich die Bildung und 
insbeſondere die Mundart eines amerikaniſchen Deutſchen 
wuͤrde ihm nicht im Geringſten auffallend erſcheinen. Daß 
die Deutſchen in Amerika Woͤrter aus der ſie um— 
gebenden engliſchen Sprache in die ihrige 
aufgenommen haben, kann einem nur etwas in der 
Geſchichte Bewanderten gleichfalls nicht im Geringſten 
auffallen, wenn er erwaͤgt, daß wir wohl tauſendmal 
mehr Woͤrter aus dem Griechiſchen, Lateiniſchen 
und Franzoͤſiſchen in unſre Sprache aufgenommen 
haben. Geographie, Synode, Symbolik, Pabſt (papa), 
Pfalz (palatinatus), Propſt (praepositus), Mönch (mo- 
nachus), Kloſter (olaustrum), Muͤnſter (monasterium), 
etabliren, Station, Kapitain, Adjutant, Fuͤſelier, Bom⸗ 


277 


— — 


bardier, Kanone, und viele tauſend andere aus fremden 
Sprachen in die unſrige aufgenommenen Woͤrter bewei— 


ſen, daß 


wir hierin dem amerikaniſchen Deutſchen gar 


nichts vorzuwerfen haben; im Gegentheil, wenn wir auf 
die Menge der aus fremden Sprachen in die unfrige auf 
genommenen Woͤrter ſehen, und damit jene vergleichen, die 
der Deutſche in Amerika in die ſeinige aufgenommen, fo 
moͤchte der Leztere uns in dieſer Hinſicht wohl gerechtere 
Vorwuͤrfe machen koͤnnen, als wir ihm. Und jene frem— 
den Ausdruͤkke laſſen ſich, ohne unverſtaͤndlich Y zu wer: 


*) Wie ſeltſam und naͤrriſch manche der neueſten Verdeutſchungen 
fremdter, in die deutſche Sprache aufgenommener Woͤrter lauten, 
moͤgen folgende wenige Beiſpiele beweiſen: 


Fuͤr 


— 


Fortepiano: Leiſeſtokfingerſchlagtonkaſten. 

Billard: Sechsloͤcherkugelſtoßgruͤntafel. 

Soufleur: Unterirdiſcherſchauſpielergedaͤchtnißunterſtuͤzer. 

Peruque: Kahlkopfverlegenheitsabhelfer. 

Toilette: Geſpennſtumwandler. 

Corporal: Haſtigsſtokſtreichſpender. 

Theater-Orcheſter: Schauſpielhaustonkuͤnſtlerſpiel⸗ 
plaz. 

Cigarro: Rauchkrautmundglimmſtengelnaſendaͤmpfer. 

Point d'honneur: Keine Ehre. 

Reſtaurateur: Magenſchmeichelgeldſchneider. 

Pur iſt: Sprachfeger. 

Adjutant: Hilfold, Wernoln. 

Adjutant-Major: Fahn-Wernold. 

Adjutant⸗Lieutenant: Statt⸗fuͤr⸗Wernold. 

Ad jutantur: Wernoldei. 

Spiritus: Geiſt-Auszug⸗trank. 

Grenadier: Sprengkugelwerfer, Muͤzenfuͤßler. 


278 


den, auch nie ganz aus einer Sprache ausmerzen. Wie 
ſeltſam ſpricht nicht noch jezt unſre beau monde im Ge— 
genſaze der gens du commun ihr zierliches Deu tſch— 
Franzoͤſiſch, wie der bon ton es heiſcht. Statt ſich 
anzukleiden, macht man toilette, vertauſcht das neglige 
mit der grande parure, uͤberlaͤßt dem Friſeur die Ord— 
nung der coillure, dem Mädchen die Wahl der chaus- 
sure, der Bonne die Aufſicht des Jacques und der 
Amelie, eilt troz aller migraine und vapeurs, ein 
leichtes chu oder troutrou um den Hals geſchlungen, 
mit odeurs parfumirt, ſtarrend von bijjoux und brace- 
lets, behaͤngt mit berloques und medaillons, vom tru- 
meau zum bureau, um völlig arrangirt, noch souve- 
nir, flacon und andre quelque chose rein in den ne- 
cessaire zu ſtekken, und dann zu einer partie in den 
cafe coiffe, the dansant, soirée oder ſonſtige Assem- 
blée zu Spiel, Tanz und Stadtgeſchwaͤg. Ja manche 
unſerer neueſten Quaſigelehrten, Pſeudophiloſo— 
phen und Sophiſtenhelden ſuchen ihre ganze Kunſt 


Für Grenadier zu Pferde: Muͤzenjaͤger, Pferdemuͤzler, 
Muͤzenreiter. 
— Merkurialpillen: Queckſilberheilkuͤgelchen. 
— Luſtrum: Jahrfuͤnf. 
— Candelaber: Dokken-Arm-Hoch-Leuchter, Gelaͤn— 
der-Dokkenleuchter. 
— Canonier: Stuͤkſchuͤz. 
— Infanteriſt: Fuͤßler. 
— Musgquetier: Langflintner. 
— Apotheker: Arzeneifertiger. 
Heigelin. 


279 


und Staͤrke darin, ihre Gedanken fo unklar und myftifch 
auszudruͤkken, daß ſie Niemand verſtehen kann, und ſie 
auch wohl ſelbſt nicht ihre Hirngebilde verſtehen mögen ). 
In unſerer Zeit plagt dieſer Purismus (Sprachfege— 
rei) viele dergeſtalt, daß ſie ſich oft damit hoͤchſt laͤcher— 
lich machen. Ein von dieſer Sucht beſeſſener Amtmann 
ſagte vor Kurzem, als er in einem Prozeſſe ein Erkenntniß 
faͤllen wollte, zu ſeinem Gerichtsdiener: Amtsdiener! 
ruf Er einmal die Sachwalter zur Tagfahrt herein. Der 
Gerichtsdiener blieb ſtehen, weil er nicht wußte, was er 
thun ſollte. Der Amtmann fuhr auf und rief: „Nun 
wann wird's denn?“ „Gern wollte ich Ihren Befehl 
vollziehen“, verſezte der Gerichtsdiener, „wenn ich nur 
erſt wuͤßte, was ich ſoll.“ „Er ſoll die Advokaten zum 
Termine hereinrufen“, entgegnete der Amtmann. „Ja, 
wenn Sie deutſch ſprechen“, erwiederte der Gerichtsdie— 
ner, „ſo verſtehe ich Sie.“ Ein anderer Freund der 
Sprachfegerei forderte juͤngſt in einem Kaffeehauſe ein 
Mundtheil braunes Bohnenwaſſer. Der Mar: 
queur begriff nicht, was der Herr wollte, und ging. Der 
Gaſt forderte bald darauf noch einmal, und erhielt nichts. 
Durch den Verzug endlich unwillig gemacht, fragte er 
mit Haſtigkeit, warum er ſein Mundtheil braunes Boh— 
nenwaſſer nicht bekaͤme? „Ei“, antwortete der Mar— 
queur, „wenn der Herr etwas haben will, ſo ſpreche er 


) Daher das wohlbezeichnende Wizwort: „Was iſt ein Meta— 
phyſiker“? „Ein Metaphyſiker iſt ein Mann, der das, was er 
fagt, entweder ſelbſt nicht verſteht, oder von Andern nicht verſtan⸗ 
den wird.“ 


230 


deutſch.“ Erwaͤgen wir Alles dieſes unpartheiiſch, fo wird 
es uns Beſcheidenheit lehren, unſre transatlantiſchen 
Stammgenoſſen nicht lieblos zu beurtheilen, und zu ſplit— 
terrichtern, waͤhrend wir des großen Balkens in unſern 
eignen Augen nicht einmal gewahr werden. Nein, uͤberall 
muͤſſen wir das Gute und Nachahmungswerthe Anderer 
gern anerkennen, bei Aufdekkung ihrer Fehler aber zuerſt 
unſerer eigenen Unvollkommenheiten gedenken. 

Wahrheit nur und Tugend winden 

Kraͤnze, welche nie verbluͤhn. 

Andre Kraͤnze, Freund! verkuͤnden 

Nur den Glanz geſchminkter Suͤnden, 

Die das Licht des Tages fliehn. 

von Weſſenberg. 


281 


XVIII. 


Die Freiwerdung 


der neuen 


ſpaniſch-amerikaniſchen Staaten. 


Suͤdamerika's haben wir hier noch nicht gedacht, weil 
Nordamerika, insbeſondere Oberkanada und das Weſt— 
land der Vereinten-Staaten, fuͤr uns Deutſche in 
praftifcher Hinſicht wichtiger und anziehender ſchien. Die 
republikaniſchen Regierungen, die ſich dort aus den ehe— 
maligen ſpaniſchen Kolonien bis jezt gebildet haben, hat— 
ten Anfangs mit Huͤlfe der Bankiers und der liberalen 
Zeitſchriften von Frankreich und England in Europa einen 
Kredit erlangt, welcher aber von keiner langen Dauer 
war, indem innere Unruhen, Unmacht, Unredlichkeit dort 
bald faſt uͤberall herrſchend wurden. Dieſe neugeſchaffe— 
nen Republiken haben alle Verpflichtungen verlezt; ſie 
haben weder die Kapitalien heimgezahlt, noch die Ruͤk— 
ſtaͤnde berichtigt, außer ein oder zwei Jahre lang, wo— 
durch ſie nur um ſo mehr Getaͤuſchte in die Falle lokten. 
Das monarchiſche Peru war das Ideal des 
Reichthums; das republikaniſche Peru iſt ohne 
Gold, ohne Silber, ohne Kredit. Die argen— 
tiniſche Republik beſizt keinen Heller, dagegen iſt 
vorzuͤglich hier greuliche Anarchie herrſchend. Mexiko, 
Chili, Colombien und die großen Koͤnigreiche, deren 
Gruben an Gold und Silber unerſchoͤpflich ſchienen, deren 


282 


Tribut Spanien und Europa bereicherte, wurden durch 
die oͤfteren revolutionaͤren Aufſtaͤnde mit Unfruchtbarkeit 
und Elend betroffen. Jezt iſt der alte Ruf dieſer Eldo— 
radoländer dahin, und hat den Untergang der Kauf— 
leute und Kapitaliſten herbeigefuͤhrt, die unvorſichtig ihre 
Waaren und ihre Kapitalien dahin geſchikt haben, und 
empfindlich fuͤr ihre Leichtglaͤubigkeit geſtraft und bitter 
enttaͤuſcht wurden. Waͤhrend manche die Macht, den 
Reichthum und die Redlichkeit der anleihenden Republiken 
prieſen, vertheilten Andere um hohen Preis die Coupons 
der republikaniſchen Anleihen an die Spekulanten der 
Vorzimmer der Boutiquen, der Salons, und theilten die 
Beute unter ſich. Dieſe mehrmals wiederholte Myſtifi— 
kation bewirkte Vielen unermeßlichen Verluſt und eini— 
gen Wenigen große Reichthuͤmer. So lange dieſe neuen 
Staaten noch nicht von Spanien oͤffentlich anerkannt 
ſind, iſt ihr Kredit ſchwach. Alle ohne Ausnahme, die 
ſeit fuͤnfzehn Jahren ihre Fonds in Suͤdamerika anlegten, 
haben die Haͤlfte, Dreiviertel und noch mehr von ihrem 
Kapital verloren; vorzuͤglich England, wo dadurch im J. 
1826 beinahe ein Nationalbankerott ausgebrochen waͤre, 
hat es ſchwer empfunden, wie unvorſichtig es gehandelt, 
indem es durch uͤbermaͤßig vorgeſchoſſene Anleihen ſowol, 
als ohne hinreichende praktiſche Kenntniſſe unternommene 
Bergwerksunternehmungen in einem Jahre allein uͤber 
einhundert Millionen Thaler in jenen Staaten verſplit— 
terte. Dies ſind keine Deklamationen, ſondern Thatſachen; 
keine Hypotheſen, Hoffnungen oder Drohungen, ſondern 
die aus den beiden lezten Jahrzehnten hervorgegangenen 
Reſultate. überhaupt will uns die Revolution in den 


283 


neuen ſpaniſch-amerikaniſchen Staaten noch 
nicht geendet ſcheinen. Die Befreiung iſt vollendet, 
aber die innere Organiſation dieſer großen Laͤnder 
iſt noch nicht einmal angefangen. Dieſe zweite Frage iſt 
eben ſo wichtig, als die erſte, aber ſie wird nicht eben ſo 
geſchwind geloͤſ't werden. So lange die Unabhaͤngigkeit 
noch nicht entſchieden war, begnuͤgte man ſich mit pro— 
viſoriſchen, in der Eile verfaßten Konſtitutionen, 
aber man organiſirte nichts. Gegenwaͤrtig gibt es keine 
Spanier mehr auf dem amerikaniſchen Feſtlande. Für 
ſie iſt Alles voruͤber; aber nun beſchaͤftigt die Aufgabe 
der Organiſation alle Gemuͤther. Man gebe Acht 
auf die Daten: Am Ende 1825 uͤbergibt Rodil die wich— 
tige Veſte Callao; mit Anfang von 1826, und neuer— 
dings wieder im Nobr. 1829 verlangt Venezuela das 
Foͤderativſyſtem, und voͤllige Unabhaͤngigkeit von 
Kolombia, und Bolivar tritt gegen die Demokra— 
tie auf. Dies Alles iſt ganz in der Ordnung; das Be— 
duͤrfniß, unabhaͤngig zu ſein, iſt befriedigt, und nun 
fuͤhlt man das Beduͤrfniß des beſſern Zuſtandes. Dies 
Beduͤrfniß aͤußert ſich in Handlungen, aus denen eine 
Kette anderer Handlungen folgt. Wenn die Koͤpfe ſich 
dabei erhizen, ſo wird die Frage bis zu ihrer Entſchei— 
dung durchgekaͤmpft werden muͤſſen; dieſe zweite Epoche 
wird gleichfalls ihre Helden, ihre Schlachten, ſie wird 
eben ſo ihre Tage des Ruhms, ihre Kataſtrophen haben; 
troz ihres friedlichen Beginnens kann ſie noch laͤnger und 
ſtuͤrmiſcher werden, als die erſte. Die Kreolen hatten 
allein unter dem alten Zuſtande zu leiden; ſie waren von 
allen Stellen ausgeſchloſſen; fie empoͤrten ſich, und ſpaͤ— 


284 


terhin ſchloß ſich die ganze weiße Bevölkerung an fie an. 
Man wollte Freiheit des Handels, man wollte 
von der fremden Regierung befreiet ſein. Es 
waren keine liberalen, philoſophiſchen Ideen, 
für die man das Schwert ergriff, ſondern klare, poſi— 
tive Beduͤrfniſſe. An die Kreolen ſchloſſen ſich 
nun wieder die Mulatten und Meſtizen an. Aber 
die Schwarzen, die Uramerikaner (Indianer) und 
ihre Miſchung hatten anfaͤnglich keine Gruͤnde, ſich zu 
ruͤhren; es lag ihnen noch nichts daran, ob ihre Herren 
unabhaͤngig wurden. Man mußte, um ſie bei der Sache 
zu betheiligen, auch ſie durch Verſprechungen der Frei— 
heit und der Gleichheit daran feſſeln. Auf dieſem Wege 
leiſteten ſie in der Folge große Dienſte, beſonders in Ko— 
lombien und Peru. So erklaͤrt es ſich, wie in zehn 
Jahren Amerika von Spanien ſich befreiete. Nun tritt 
aber die verwikkeltere, die ganz metaphyſiſche Aufgabe der 
beſten geſellſchaftlichen Organiſation ein. 
Nun traten die Vorurtheile wegen der Farben 
wieder hervor; die Rangſtreitigkeiten, die Kaſten, 
die Gewohnheiten dreier Jahrhunderte, die 
Eiferfucht unter den Staͤdten, der Ehrgeiz der 
Anführer verſchiedener Ragen und Stände 

kommen wieder zur Sprache. Außerdem herrſcht eine | 
tiefe, allgemein verbreitete Unwiſſenheit, eine un: 
gleiche Civiliſation, und die Leidenſchaften in 
ihren verſchiedenen Graden. Unzählige Keime der 
Zwietracht kommen jezt auf dem amerikaniſchen Boden 
zur Gaͤhrung. Die klaſſiſchen Theorien von Re— 
gierungsformen ſtehen mit der Unwiſſenheit und 


285 


der moraliſchen Bildung sſtufe Amerikas in 
Widerſpruch. Dabei iſt die Macht und der Reichthum 
der katholiſchen Hierarchie nicht zu vergeſſen. Es 
kann wohl von Niemandem geleugnet werden, daß die 
roͤmiſch-papiſtiſch-katholiſche Hierarchie das 
groͤßte Hinderniß aller mit ihr ſtets unvereinbaren libe— 
ralen Inſtitutionen iſt. In leztern erblikt ſie 
ihren einſtigen unfehlbaren Sturz, und daher ihre immer— 
waͤhrenden bald heimlichen, bald ſogar, wenn ſie nicht ge— 
hoͤrig eingeſchuͤchtert iſt, oͤffentlichen Machinationen und 
Kabalen gegen dieſelben. Blos um derſelben zu imponi— 
ren und ihre Anſchlaͤge zu hemmen, ſieht ſich Boli var 
genoͤtbigt, eine ſo bedeutende Armee auf den Beinen zu 
halten, daß man ſeine jezige Regierung wohl nicht mit 
Unrecht mit dem Namen einer Militair-Herrſchaft 
zu bezeichnen ſich genoͤthigt ſieht, bei welcher die Maſſe 
der Nation im Ganzen wohl wenig gewonnen haben 
mag. Es wird ſich bald ausweiſen, ob in den neuen 
ſpaniſch-amerikaniſchen Staaten die Hierarchie ſich be: 
haupten, oder der Militair-Deſpotie eines Einzelnen 
weichen wird. Bei beiden mag die Maſſe der Nation 
gleich wenig gewinnen, indem beide einer liberalen Ver— 
faſſung wenig zuſagen. Wird in jenen neuen Staaten 
die jezige ungeheure, glaͤnzende und reichlich genaͤhrte 
Heeresmacht nicht bis auf den zwanzigſten Theil ent— 
laſſen, gleichwie in Nordamerika nach Beendigung ſeiner 
Revolution von dem wirklich patriotiſchen Waf hington 
geſchah, wird nicht ferner ihre reiche und maͤchtige Hier— 
archie ſo geſtuͤrzt, wie einſt durch die Reformation bei 
einem Theile der durch Luther, Calvin und A. der 


236 


paͤpſtlichen Macht entriſſenen Klerifei geſchah; werden der 
ſuͤdamerikaniſchen Hierarchie nicht ihre Macht, ihr Glanz 
und ihr Reichthum entriſſen und ihre Glieder in ſchlichte, 
einfache, alles politiſchen Einfluſſes gaͤnzlich beraubte, 
arme Boten und Verkuͤndiger des Evangeliums verwan— 
delt, wie in Nordamerika, nimmer wird ſich in Suͤdame— 
rika eine liberale Verfaſſung behaupten koͤnnen, und ſollte 
ſie ſich auch auf dem Papiere noch ſo ſchoͤn ausnehmen, 
in der That, im Leben der Nation wird man ſie ſo we— 
nig erkennen koͤnnen, als jene Freiheit, die einſt der 
ſchlaue Napoleon den Voͤlkern brachte, nur auf dem 
Papiere, nirgends aber in der Wirklichkeit exiſtirte. — 
Hierzu kommt ferner, daß die Grenzen der neuen 
Staaten noch nicht feſtgeſezt ſind. Die militairiſchen 
Oberhaͤupter ſind nicht einig. Freyre in Chili und 
Rivadavia in Buenos-Ayres haben keine Abge— 
ordnete nach Panama geſandt. Bolivar hat Ober— 
peru von Buenos-Ayres abgeſondert. Unter den 
Waffengefaͤhrten Bolivars ſind kraͤftige, ſtolze, ehrſuͤchtige 
Menſchen, wie Paez mit ſeiner wilden Reiterei, beſte— 
hend aus Llaneros, die ſo viel fuͤr die Unabhaͤngig— 
keit gethan haben; lauter Elemente, die bei Beurtheilung 
des Zuſtandes jener Laͤnder in Betrachtung kommen, und 
deren unfehlbarer Konflikt uns fuͤr die Folge noch große 
Stuͤrme verkuͤndigt. Wohl zu beachten iſt es endlich, 
daß bei allen neuen ſuͤdamerikaniſchen Staaten, mit Aus— 
nahme Paraguays, die Finanzen in großer Unord— 
nung ſich befinden, wodurch in unſern Zeiten ſo viele 
Revolutionen herbeigefuͤhrt ſind. Werfen wir zum Schluß 
einen Geſammtblik auf jene neuen ſuͤdamerikaniſchen Staa— 


237 


ten, fo ſehen wir die meiften derſelben in ihrem Innern 
noch weit von dem Ziele politiſch-buͤrgerlicher Ausbildung 
entfernt. Die jungen Regierungen ſind zu wenig befe— 
ſtigt, in auswaͤrtige Haͤndel zu ſehr verwikkelt und mit 
Schulden zu früh belaſtet. Mexiko, Mittelameri— 
ka, Kolombia, Peru, Bolivia, Chili und die 
Vereinten-Staaten am La-Plataſtrom (Pro- 
vincias unidas del Rio de la Plata) haben in Eng— 
land zuſammen 21,594,571 Pfund Sterling geliehen, 
die fie jährlich mit 1,231,614 Pfund Sterling verzinſen. 
Aus dieſen Urſachen werden dieſe jungen Staaten jene 
Hinderniſſe ſobald nicht uͤberwinden, welche es erſchwe— 
ren, an die Stelle der verderblichen Herrſchaft, die man 
zerſtoͤrt und abgeworfen hat, etwas dauerhaft Gutes auf— 
zubauen. An vielen Orten uͤbertrifft das Neue 
nicht nur nicht das Alte, ſondern ſteht ihm 
ſogar oft nach. Wenn man die Nachrichten glaub— 
wuͤrdiger Reiſenden vergleicht, ſo iſt das Grunduͤbel jener 
Laͤnder: Mangel an Bevoͤlkerung, die zu große 
Mannichfaltigkeit der Ragen, Unwiſſenheit, 
Aberglaube, die damit verbundene Herrſchaft der 
Mönche, und bei den Vornehmen: Unglaubez indeß 
haben erleuchtete Geſezgeber auf vielen Punkten den Sa— 
men des Beſſern ſchon ausgeſtreut, und die Idee des 
Wahren lebt in mehr als einem hellen Kopfe und in 
mehr als einer maͤnnlichen Bruſt. Moͤge daher der regere, 
mit Großbritanien und den Vereinten-Staaten von Nord— 
amerika bereits eingeleitete Voͤlkerverkehr auf die innere 
Ausbildung der jungen ſpaniſch-amerikaniſchen Staaten 
wohlthaͤtig zuruͤkwirken! 


* 


N. 


288 


Es möchte wohl Manchem nicht unintereſſant fein, 
zu erfahren, welche Anſichten die Nordamerikaner 
uͤber dieſen wichtigen, ihnen ſo nahe liegenden Gegen— 
ſtand hegen; wir theilen daher hier einen Auszug aus 
einer Rede mit, welche einer ihrer ausgezeichnetſten Staats— 
maͤnner und Redner im Kongreß zu Waſhington 
uͤber dieſen Gegenſtand vor wenigen Jahren gehalten. 
Randolph von Virginien laͤßt ſich daruͤber alſo 
aus: „Spanien iſt nur ein knoͤcherner, blutiger Popanz, 
vor dem man nicht Urſache hat, ſich zu fuͤrchten; und 
jedem Spanier, der ſich weſtlich vom Perdido blikken 
ließe, wuͤrde General Andreas Jackſon mit ſeiner 
Tenneſſee-Miliz bald das Garaus machen. Was Suͤd— 
amerika betrifft, ſo gebe ich nichts fuͤr die Freiheit der 
Voͤlker des ſpaniſchen Amerika. Sind ſie denn uns 
zu Huͤlfe gekommen? Warum follten wir denn 
unſer Blut und unſre Schaͤze für das Volk 
von Carracas und Mexiko aufopfern? Wir 
wollen uns blos um unſre eigenen Angelegenheiten bekuͤm— 
mern, und uns fuͤr jene Leute keine Taxen auflegen. Oh— 
nehin wird dieſer Freiheitskampf in Suͤdame⸗ 
rika auf die naͤmliche Art enden, wie die fran— 
zöfifhe Freiheit — mit einem abſcheulichen 
Deſpotismus. Man koͤnnte eben ſo leicht unterneh— 
men, aus Tannenreiſern ein Kriegsſchiff von 74 Kano— 
nen, als Freiheit aus ſpaniſchem Stoffe bilden zu wol— 
len. Was fuͤr Begriffe hat der Spanier von vernuͤnfti— 
ger Freiheit, von einem Urtheil durch Geſchworne, von 
einen Habeas Corpus Akte, und anderen zur Erhaltung der 
Freiheit noͤthigen Einrichtungen? — Keine! — Tortur, 


“ 


289 


Inquiſition, das ſind ſeine Regierungsmittel. Der 
ehrenwerthe Redner (Herr Clay) iſt bei ſeiner neulichen 
Sendung nach Europa ohne Zweifel dem Blutvergießen 
auf dem Schlachtfelde von Waterloo zu nahe gekom— 
men, und dort von der Kampfluſt angeſtekt worden ), — 
einer dauernden Krankheit, ſie mag durch Einimpfung, 
oder aus Ehrſucht und Geldgier entſtanden ſein. — Was? 
wir ſollten in Friedenszeiten blos, auf die Möglichkeit 
hin, daß wir einen Kreuzzug nach Suͤdamerika un— 
nernehmen koͤnnten, unſre ſtehende Armee vermehren? 
u Ew.?“ 

Es wird daher Niemandem auffallen, warum in die— 
ſen Skizzen Suͤdamerika in anſiedleriſcher Hin— 
ſicht nicht mehr beruͤkſichtigt iſt. Der Zuſtand jener 
Hemiſphaͤre war zur Zeit der Ausarbeitung dieſer Auf⸗ 
füze fo niederſchlagend und troſtlos, daß an eine Aus— 
wanderung dahin gar nicht zu denken, ſondern dieſe 
gaͤnzlich abzurathen war. Die Zügellofigfeit und Geſez— 
loſigkeit hatte dort, beſonders in Guatimala, einen ſo 
bedenklichen Grad erreicht, daß ſie die Aufloͤſung der buͤr— 
gerlichen Geſellſchaft drohte. Faſt jede Provinz, jede 
Stadt beſaß hier ihre eigene unabhaͤngig ſein wollende 
Regierung, ja es gab Staͤdte, in denen zwei, ſogar drei 
Regierungsbehoͤrden ſich gegenſeitig befämpften, und zu 
unterjochen ſtrebten. Gelang es den Anfuͤhrern einer 
Parthei, ſich eines Anfuͤhrers der entgegengeſezten Parthei 


*) Herr Clay, ein ſehr warmer Demokrat, hatte kurz vorher im 
Kongreß die Meinung geäußert, Nordamerika müffe die 
Sache der Freiheit in Suͤdamerika unterſtuͤzen.“ 

Brauns Skizzen von Amerika. 19 


290 


zu bemaͤchtigen, ſo ward dieſer ſogleich erſchoſſen; haͤufig 
traf den Sieger ein gleiches Schikſal ſchon am andern 
Tage, indem ihn ſeine eignen Soldaten toͤdteten, aus 
Furcht, er moͤchte ſich der Herrſchergewalt bemaͤchtigen. 
Wie ſchauderhaft ging es noch am Ende des Jahres 1828 
in Mexiko, Buenos-Ayres und andern ſuͤdamerika— 
niſchen Provinzen her, und um wie vieles ſchauderhafter 
und ſcheußlicher wuͤrde es in Kolombien hergegangen 
ſein, wenn der gemaͤßigte, an Klugheit und Tapferkeit 
gleich hochausgezeichnete Bolivar unterlegen wäre! Ein 
guͤtiges Geſchik wandte dieſen herben Schlag ab, und be— 
wahrte ſo jene ſchon ſo viele Jahre durch die Revolution 
hart mitgenommenen Voͤlker der kolombiſchen Hemi⸗ 
ſphaͤre vor unabſehlichen Plagen. Hieraus erſieht man 
leicht, warum unter den damals obwaltenden Umſtaͤnden 
und Verhaͤltniſſen der Verfaſſer Suͤdamerika wenig oder 
gar nicht beruͤkſichtigen konnte, und die uͤber daſſelbe aus— 
gearbeiteten Auffäze zuruͤkzunehmen und durch andere 
geeignetere zu erſezen zwekmaͤßig hielt; ſollten gegenwaͤr— 
tige Skizzen aber des Beifalls des Publikums ſich zu 
erfreuen haben, ſo wird er in der Folge dies nachzuho— 
len ſuchen. 

Nicht minder abſchrekkend fuͤr deutſche Auswanderer 
war der zwiſchen Buenos-Ayres und Braſilien 
gefuͤhrte Krieg, indem der Kriegsſchauplaz den deutſchen 
Kolonien des leztern ſehr nahe war, und große Gefahr 
drohte. Dieſer Krieg war von braſiliſcher Seite ſehr un— 
politiſch. Hätte der Kaiſer Peter in dem Augenblikke, 
wie die Angelegenheiten Portugals durch die Intriguen 
Spaniens ſich zu truͤben anfingen, Frieden mit Buenos— 


291 


Ayres gefchloffen , und mit der Abſendung feiner Tochter 
nach Europa nicht gezoͤgert, ſo wuͤrde er, ſtatt die Kraͤfte 
ſeines Staats am La Plataſtrome zu vergeuden, ſein 
nicht unanſehnliches Kriegsgeſchwader nach Europa haben 
ſenden koͤnnen, um ſeiner und ſeiner Tochter Sache mehr 
Nachdruk zu geben; er wuͤrde ſowol ſeinem als den por— 
tugieſiſchen Geſandten am Londoner Hofe die Anhoͤrung 
der gebieteriſchen Sprache von Seiten Lord Wellingtons 
erſpart haben, die man ſeit dem allgemeinen Frieden voͤl— 
lig verbannt glaubte. Der Kaiſer Peter hat nun in 
Folge dieſer fehlerhaften Politik nicht nur einen ſehr nach— 
theiligen Frieden mit Buenos-Ayres ſchließen, und nach 
einem koſtſpilligen Kampfe das Gebiet, um welches ge— 
ſtritten wurde, zuruͤkgeben muͤſſen, ſondern er hat zugleich 
die Hoffnung verloren, auf ehrenvolle Weiſe ſeine Herr— 
ſchaft und ſeine gegebenen Inſtitutionen in Portugal wie— 
der hergeſtellt zu ſehen. — Wer von der neuen Verbin— 
dung des Kaiſers Peter mit der franzoͤſiſchen Prinzeſſin 
fuͤr deutſche Anſiedler etwas Erſprießliches erwarten wollte, 

verraͤth wenig Weltkenntniß, und wird ſich in ſeinen Er— 
wartungen bald getäufcht ſehen. Der Kaiſer von Brafi- 
lien hat warlich genug zu thun, in ſeinem neugeſchaffe— 
nen Kaiſerthum ſeinen kaiſerlichen Hofſtaat ſtandesmaͤßig 
zu fuͤhren; er muß, um ſeinen Thron in jener den Mo— 
narchien fremden und unguͤnſtigen Sphaͤre aufrecht zu 
erhalten, ein bedeutendes Truppenkorps beſolden, und 
kann, da ihn außerdem eine ſchwere Schuldenlaſt druͤkt, 
und ſeine Lieblingsneigungen ihm große Summen koſten, 
wenig oder gar nichts zur Unterſtuͤzung der Koloniſten 
verwenden. Er ſoll ſich jezt den Kaiſer Napoleon zum 


292 


Muſter genommen haben, der insbefondere von feiner ge— 
genwärtigen zweiten Gemalinn — einer ehemaligen kai— 
ferlich koͤniglich-franzoͤſiſchen, nachher nur her— 
zoglich Leuchtenbergiſchen Prinzeſſinn — ſehr ver— 
ehrt wird. Zu Ende des vergangenen Jahres (1829) 
waren in der Provinz Ceara in Braſilien von den 
Abfolutiften Unruhen — wahrſcheinlich mit Wiſſen des 
kaiſerlichen Beherrſchers — erregt, in der Abſicht, die 
gegenwaͤrtige Regierungsform umzuſtoßen, und eine 
unumſchraͤnkte Verfaſſung an deren Stelle zu 
ſezen. Peter hat darauf eine Proklamation erlaſſen, 
durch welche er, nach angehoͤrtem Gutachten ſeines Staats— 
raths, verſchiedene, ihm zu freiſinnig duͤnkende, Artikel 
der Verfaſſung wieder aufgehoben hat. Wir ſehen hier— 
aus, daß die ſogenannte liberale Verfaſſung 
Braſiliens nur auf ſehr ſchwachen Fuͤßen ſteht; da 
ſie ſein Beherrſcher aus Gnaden gegeben, haͤlt er ſich be— 
rechtigt, ſie auch nach ſeinem Belieben aus Gnaden wie— 
der zuruͤkzunehmen. 

In Paraguay dauert das alte Abſonderungs— 
und Ausſchließungsſyſtem unter dem hochbejahrten 
Dr. Francia fort. Angenehm iſt es uns, unſern Leſern 
melden zu koͤnnen, daß der beruͤhmte Naturforſcher Bon— 
pland nach einer daſigen fuͤnfzehnjaͤhrigen Gefangen— 
ſchaft zu Ende des vorigen Jahrs (1829) endlich ſeiner 
Haft entledigt ward, und wahrſcheinlich zu Anfange die— 
ſes Jahrs nach Europa zuruͤkkehren wird. 

Auch der Zuſtand von Buenos-Ayres, die Er— 
ſchießung des Bundes-Praͤſidenten Dorrego durch den 
Emporkoͤmmling La valle, und der faſt allgemein herr— 


293 


ſchende Bürgerkrieg ſchrekte alle Einwanderungsverfuche 
ab. Der Obriſt der Vereinten-Staaten am La Pla— 
ta ), Karl von Heine, traf im Anfange des vorigen 
Jahres in Frankfurt a. M. ein. Bekanntlich war er es, 
unter deſſen Leitung im Jahre 1825 eine nicht unbetraͤcht— 
liche Zahl deutſcher Auswanderer ſich nach jenen Gegen— 
den begab, um unter den Auſpicien der dortigen Regie— 
rung eine Pflanzſtaͤtte anzulegen. Mehrere authentiſche 
Aktenſtuͤkke und eine Menge Privatbriefe der Anſiedler an 
ihre in Deutſchland zuruͤkgelaſſenen Freunde, welche der— 
ſelbe mitgebracht hat, ſcheinen zu beweiſen, daß dieſe 
Auswanderer ein ungleich beſſeres Loos gezogen haben, 
als viele andre ihrer Landsleute, die jenſeit des Oceans 
und namentlich in Braſilien ihr Gluͤk zu machen 
hofften. Sie befinden ſich in einem Dorfe, Chorroa— 
via, eine Stunde von der Hauptſtadt Buenos-Ayres, 
vereinigt, wo ſie, mit Ausnahme einiger Handwerker, 
Akkerbau treiben, fuͤr deſſen Erzeugniſſe ſie an jenem volk— 
reichen Orte einen um fo vortheilhaftern Markt finden, 
da die Landeseinwohner ſpaniſchen Urſprungs zu traͤg 
ſind, um die Naturſchaͤze jener Gegenden durch eigne Be— 
triebſamkeit zu verwerthen. Daß indeſſen die Liebe zur 
Heimat, ſelbſt beim Wohlſein, in der Fremde ſo leicht 
nicht erſtirbt, ſieht man auch in dieſem Falle; denn die 
meiſten Briefſteller druͤkken ihre Hoffnung aus, durch die 


*) Ein anderer Deutſcher und gleichfalls Obriſt im Dienſte dieſes 
Staats — Rauch — iſt im Anfange des Jahrs 1829 in einem 
Gefecht gegen die Uramerikaner geblieben. Sein Verluſt iſt 
ſehr zu beklagen. 


294 


Früchte ihres Fleißes bereichert, nach Deutſchland zuruͤk— 
kehren zu koͤnnen, um im Schooße ihrer daheim gebliebe— 
nen Familien des erworbenen Wohlſtandes zu genießen. 

Auch aus Chili geben uns die neueſten Nachrichten 
kein guͤnſtiges Bild von ſeinem gegenwaͤrtigen politiſchen 
Zuſtande. Gleich den meiſten ſuͤdamerikaniſchen Republi— 
ken war dieſes Land zu Ende des Jahrs 1829 ein Schau— 
plaz des Parteigeiſtes und der Wahlintriguen. Der Gou⸗ 
verneur, der ſein Leben bedroht glaubte, hat den Regie— 
rungsſiz von Santiago nach Valparaiſo verlegt. 

In Peru hat gleichfalls eine voͤllige Umwaͤlzung in 
der Mitte des vorigen Jahres (1829) Statt gefunden. Der 
Praͤſident Lamar ward abgeſezt, und General Lafuente 
iſt als Chef der Republik an ſeine Stelle gekommen, bis 
ſich der Kongreß zur Wahl eines Praͤſidenten verſammelt. 
Es iſt noch ungewiß, ob alsdann er oder Gamarra 
zu dieſem Poſten erhoben werden wird. Inzwiſchen ward 
mit Kolom bien ein Waffenſtillſtand abgeſchloſſen, wor: 
auf ohne Zweifel der Friede folgen wird. 

Obgleich ſich Mexiko nicht weniger als die uͤbrigen 
ſpaniſch-amerikaniſchen Staaten von oͤftern Buͤrgerkriegen 
und den damit ſtets verbundenen Pluͤnderungen und 
Schrekkensſcenen in den Jahren 1828 und 1829 heftig 
heimgeſucht ſah, ſo ſchien doch das fortwaͤhrende Zuneh— 
men der Ausbeute in den verſchiedenen Bergwerken Y, 


) ueber die fruͤhere Geſchichte und den Fortgang der Bergwerksge— 
ſellſchaften in Mexiko und Suͤdamerika iſt nachzuleſen: Brauns 
Ideen uͤber die Auswanderung nach Amerika nebſt 
Beiträge zur genauern Kenntniß feiner Bewohner 


295 


befonders in Zakatecas, im Real de Batorce und 
in der Sonora ſehr aufmunternd. Seit dem Jahre 
1810, dem Anfange der Revolution, ſind dieſelben nicht 
in einem ſolchen Flor geweſen, und obgleich bei weitem 
noch nicht jenen fruͤhern gluͤklichen Epochen des Bergbaus 
gleichkommend, ſind doch die Ausſichten dazu jezt guͤnſti— 
ger, als ſie es ſeit der Unabhaͤngigkeits-Erklaͤrung je ge— 
weſen find. Dies iſt hauptfächlich einer groͤßern Auf: 
merkſamkeit und Anſtrengung der Eingebornen, und bei 
den fremden Kompagnien der Einfuͤhrung groͤßerer Sko⸗ 
nomie und zwekmaͤßigerer Bearbeitung der Gruben zuzu— 
ſchreiben. Unter die ergiebigſten Gruben gehoͤren La Luz 
im Real de Batorce und Vetagrande in Zaka— 
tecas. Außerdem aber gaben mehrere Gruben in eben 
genannten Örtern, ſo wie Guanaxuato, Sombre— 
rette, Ramos, el Paral u. ſ. w. gute Ausbeute, 
und mehrere andere in der Sonora waren in Bonance. 
Den beſten Beleg und einen faktiſchen Beweis von der 
Ergiebigkeit der Gruben liefert der niedrige Preis des 
Silbers in Barren, welches waͤhrend des vorigen Som— 
mers nie hoͤher als 7 P. 2. p. Mark im Real de Ba— 
torce geſtanden; da doch bekanntlich der Werth des 
Barrenſilbers beim Auspraͤgen in der Muͤnze 8 P. 2 p. 
Mark iſt. Ein ſolches Misverhaͤltniß zwiſchen den Berg— 
ſtaͤdten, wo keine Muͤnzen ſind, und dem Plaz der Aus— 
praͤgung, findet aber nur dann Statt, wenn die Ausbeute 
ſehr ergiebig, und der Andrang zum Verkaufe der Barren 


und ſeines gegenwaͤrtigen Zuſtandes. Goͤttingen 
1827. Seite 719. ff. 


296 


gegen gemuͤnzte Dollars fehr groß iſt, was denn gegen- 
waͤrtig der Fall. Dieſer Umſtand verſpricht dem mexika— 
niſchen Handel einen Schwung zu geben. Der Bergbau 
iſt der Hauptzweig der dortigen Nationalinduſtrie, das 
einzige Tauſchmittel, welches Mexiko dem Auslande dar— 
zubieten hat, und welches dem Handel mit Mexiko einen 
fo eigenthuͤmlichen Reiz verleiht. Die unüberfteiglichen 
Hinderniſſe, welche die Natur dieſes ſonſt ſo beguͤnſtigten 
Landes durch ungeheure Gebirge und Mangel an Fluͤſſen 
dem Transport ſeiner uͤbrigen Bodenerzeugniſſe in den 
Weg legt, beſchraͤnken ſeine Bewohner faſt ausſchließlich 
auf den Bergbau, nach deſſen Steigen und Fallen ſich 
alsdann der Akkerbau richtet, und nach dem Maaßſtabe 
beider der Handel nach Außen. Bluͤht der Bergbau in 
Mexiko, ſo bekommt der dortige Landmann und Gutsbe— 
ſizer (Haciendario) beſſere Preiſe für feine Arnte, der 
Gebrauch von fremden Waaren wird groͤßer, und der Han— 
del belebter. Bleiben mithin die Bergwerke bei ihrer 
jezigen Ausbeute, wozu aller Anſchein vorhanden iſt, ſo 
werden bald manche Wunden vernarben, welche der Re— 
volutionskrieg dem Lande geſchlagen; die fruͤhere Wohl— 
habenheit und der Reichthum, deſſen Beſchreibung uns 
jezt beinahe fabelhaft erſcheint, werden zuruͤkkehren, und 
ſelbſt der Nachtheil, welcher noch neuerlich aus der Ent— 
ziehung ſo vieler Millionen durch die Vertreibung der 
Spanier entſtand, wird in einigen Jahren verſchmerzt 
ſein. Man kann daher in Mexiko, durch die gegenwaͤrti— 
gen Ausſichten ermuthigt, einer beſſern Zukunft entgegen 
ſehen, und mit ziemlicher Wahrſcheinlichkeit hoffen, daß 
für Deutſchlands Handel noch mancher ſchoͤne Ge: 


297 


winn in jenem Lande blühen wird. Diefe Wiederherſtel— 
lung der mexikaniſchen Bergwerke *) wird nicht nur auf 
Mexiko, auf Deutſchland, nein auf ganz Europa einen 
hoͤchſt guͤnſtigen Einfluß haben. Der Hauptgrund der 


— — — 


) Auch die engliſchen Bergwerkskompagnien in Braſilien 
haben, ſo lange ſie exiſtiren, noch keine ſo glaͤnzende Zeit erlebt, 
als die gegenwaͤrtige. Die bedeutendſte unter dieſen Bergwerks⸗ 
geſellſchaften iſt die Imperial Brasilian Mining Association; ſie 
hat ihre Mine zu Gongo Soco angelegt, zehn Poſttagreiſen 
von Rio Janeiro, und Kapitain Lyon, der den Kapitain 
Parry auf einer ſeiner Fahrten nach dem Nordpol begleitete, iſt 

g gegenwärtig Direktor der Bergwerke in Gongo Soco, mit 
einem feſten Gehalt von 800 Pf. St. Alles Gold, welches die 
Geſellſchaft gewinnt, wird in Sabarfa, unweit Gongo, in Barren 
geſchmolzen, jede von 5 — 6 Mark Gewicht; die Barren, deren 
feiner Gehalt im Durchſchnitt 22 Karat iſt, werden über Duro 
Preto nach Rio auf Mauleſeln transportirt, und dort mit dem 
erſten engliſchen Paket- oder Kriegsſchiffe, das abgeht, nach Lon— 
don eingeſchifft. Mit Anfang vorigen Jahrs (182 28) entdekte 
Kapitain Lyon eine neue Goldader, und das Ergebniß von 
zehn Tagen Arbeit war 172 Pfund Gold. Die Mine iſt noch in 
demſelben bluͤhenden Zuſtande, und lieferte alle zehn Tage, von 
dieſer Zeit an, 100 bis 240 Pfund Gold. Am 23ſten Januar 
1828 war das Ergebniß ſogar 67 Pfund 2 Unzen. Als dieſe 
Nachrichten nach London kamen, ſtiegen die Bergwerksaktien 
ungemein, und da die Neuigkeit von Mund zu Mund lief, ſo 
wurden bald aus Pfunden Zentner. Der Totalwerth aber 
von 328 Goldbarren, welcher vom 1ften Januar bis den Iſten 
Julius 1828 nach England geſandt wurden, beläuft ſich auf 500 
Millionen Reis oder nach dem jezigen Kurſe etwa 600,000 Gul⸗ 
den. Seit dem 1ſten Julius 1828 gingen wieder 148 Barren ab. 
Siehe Allg. Zeitung. Augsburg 1829. Beilage Nr. 17. 


298 


gegenwärtigen Handelsverlegenheit liegt nämlich in der 
Verminderung des fruͤher jaͤhrlich nach Europa gebrachten 
Geldes. Seit der Entdekkung der neuen Welt und vor— 
zuͤglich ſeitdem Philipp II. das von ſeinem Vater dem 
Grafen Fugger bewilligte Privilegium aufhebend, die Be— 
nuzung der koſtbaren Metallminen Spaniens verbot, kam 
ohne Widerrede der groͤßte Theil der Kapitalien, von de— 
nen Europa ſich naͤhrte, in Gold und Silber aus den 
Minen Amerikas. Das jaͤhrlich ſich erneuernde gemuͤnzte 
Geld ging eigentlich nur immer durch Europa, um den 
Orient, den unerſaͤttlichen Schlund, in welchem ſich 
von jeher alle Schaͤze der Welt verloren, zu bereichern. 
Europa iſt immer dem Orient zinsbar, und Amerika hat 
aufgehoͤrt, es Europa zu ſein. Gewerbloſigkeit brachte 
Spanien herunter; es empfing ſein Gold nur, um Andere 
damit zu bereichern; gegenwaͤrtig empfaͤngt es nichts, und 
fuͤhrt nichts aus. Ihrerſeits ohne Gold, ſieht die Nation 
mit den tauſend Schiffen es auch ein, daß der Gewerb— 
fleiß nicht Alles iſt, und daß ungeheure Unternehmungen 
das Grab nur immer groͤßer graben, wenn der Nervus 
rerum fehlt, auf welchen ſie abzwekken. Europa empfaͤngt 
im Verhaͤltniß zu dem, was es nothwendig zu ſeiner 
Cirkulation bedarf, eine faſt nichtsſagende Quantitaͤt von 
Gold und Silber, und dennoch vermindert ſich die Aus— 
fuhr nicht. Um den einzigen Artikel Thee zu bezahlen, 
brauchte man ehemals mehr als die Haͤlfte des Silbers, 
das die Minen der neuen Welt liefern. Jezt berechne 
man die ſtattgehabte Verminderung in den Rimeſſen die— 
ſes Metalls ſeit 1821, dem Jahre der Unabhaͤngigkeit von 
Mexiko. Es iſt ſchwerlich zu viel geſagt, wenn man 


299 


vorausfezt, daß allein in fünf Sahren in Europa mehr 
als dreihundert Millionen harte Piaſter man- 
geln. Und das iſt nicht das ganze Deficit; denn wenn 
man die anſcheinende eingebildete und doch reelle Vermeh— 
rung in Anſchlag braͤchte, welche das Kapital, das man 
jezt entbehren muß, durch Cirkulation wuͤrde hervorge— 
bracht haben, ſo waͤre es gar nicht moͤglich, das Deficit 
zu berechnen. England muß das Alles wiſſen, und doch 
ſcheinen ſich ſeine Schriftſteller bis jezt gerade damit am 
wenigſten beſchaͤftigt zu haben. Seine Kaufleute gingen 
eine Zeitlang vorwaͤrts; jezt ſtehen ſie ſtill, oder vielmehr 
ſie ſind gezwungen, ſtill zu ſtehen. Nie werden die neuen 
ſpaniſchen Republiken ſich in's Joch des Mutterlandes 
wieder einſpannen laſſen. Der europaͤiſche Geier findet 
alſo keine Beute mehr. Wenn aber in einer Zeit, wo 
Amerika noch keine Manufakturen etabliren, und die 
reichen Arnten feines Bodens, deren es durch die ſchrek⸗ 
lichſte Unterdruͤkkung fruͤher beraubt geweſen war, nicht 

fuͤr ſich benuzen kann, es dem ausſchließlichen Handel 
Englands nicht moͤglich wurde, Kapitalien genug zu be— 
ziehen, um ſeine Manufakturen und ſeinen Handel zu 
befriedigen, wie ſoll es ihm gelingen, ſobald Amerika 
frei und ungebunden emporſteigt? Durch welche Mittel 
will England oder Europa es zinsbar machen? Man 
darf es dreiſt behaupten, es gibt deren keine. Beſſer 
wäre es unſtreitig geweſen, mit den neuen fpanifch = ame: 
rikaniſchen Staaten zu unterhandeln, als ſie zu bekaͤmpfen. 
Das zu verkaufen, was man nicht mehr zu erhalten hof— 
fen konnte, waͤre zwar nur ein Palliativ-Mittel 
geweſen, hätte aber den Übergang zu einem andern Ver⸗ 


300 


haͤltniß der Dinge weniger heftig gemacht. Die lezte und 
einzige Zuflucht fuͤr Europa iſt, in ſeinem eignen Schooße 
die Reichthuͤmer aufzuſuchen, welche Amerika ihm fuͤr im— 
mer entreißen zu wollen ſcheint. Da bei Gegenſtaͤnden 
dieſer Art nur der Erfahrung das lezte Wort gebuͤhrt, 
ſo beſchraͤnken wir uns hier auf eine einzige Bemerkung: 
„je feltener das Geld bei uns wird, je mehr 
muß es ſich in Amerika anhaͤufen.“ Es ſcheint 
uns, als muͤſſe der Gewerbfleiß das Gold nach ſich zie⸗ 
hen, ſo wie Gold den Gewerbfleiß nach ſich zieht. Schließt 
ſich ein Kanal, ſo muß ſich bald irgendwo ein anderer 
Kanal oͤffnen. Der Krieg z. B. iſt ſchon ein Mittel. 
Er gebar die Induſtrie der Cortes, der Pizarros 
und der Almagros. 

Auf der andern Seite muͤſſen wir mit Freuden ge— 
ſtehen, daß durch die von den neuen ſpaniſch-ameri— 
kaniſchen Staaten errungene Unabhaͤngigkeit 
ihr Zuſtand ſich in mancher Ruͤkſicht ſehr gehoben hat. 
Wie bedaurenswerth iſt ein Menſch, der ſich in der Ge— 
walt eines Andern befindet! Wie bemitleidenswerth iſt 
ſchon das Schikſal eines Menſchen, der ſich in der Ge— 
walt ſeiner Bruͤder und naͤchſten Verwandten befindet, 
der ſich von ihnen durch Überliſtungen und Vorſpiegelun— 
gen in ſolch eine Lage verſezt ſieht, daß ihn weder das 
den Buchſtaben beachtende Gericht, noch ſonſt Jemand 
helfen kann! Wie bejammernswerth iſt daher eine Na: 
tion, die ſich in der Gewalt und Botmaͤßigkeit einer 
maͤchtigern Nation befindet, welche ſie ganz nach Belie— 
ben nach einem Syſtem der Unterdruͤkkung ausſaugt und 
niederhaͤlt! Als Freund der Menſchheit muͤſſen wir uns 


301 


daher freuen über die Freiwerdung der neuen ſpaniſch— 
amerikaniſchen Staaten; iſt ihr Zuſtand auch noch nicht 
der ruhige, behagliche des anglonordamerikaniſchen Bun— 
desſtaats, ſo ruͤhrt derſelbe mehr von aͤußern Urſachen, 
woran dieſe jungen Staaten unſchuldig ſind, als von 
innern Urſachen her. Die Hauptſchwierigkeiten dieſer 
neuen Staaten ſcheinen aus der Armuth des National— 
ſchazes zu entſpringen. Die Generalregierung derſelben 
iſt ohne Geld gelaͤhmt, und die Staaten koͤnnen oder 
wollen nicht fo viel beitragen, als fie bedarf. Hört ein— 
mal fuͤr dieſe Verhaͤltniſſe der Zuſtand des Kampfes und 
der Ungewißheit auf, ſo faͤllt fuͤr dieſe neuen Staaten 
ein Feind, der mächtiger iſt, als alle ſpaniſchen Expedi— 
tionen Ala Barrados. So lange aber Spanien nicht 
offenen Frieden bietet, muß die Ungewißheit nach Außen 
auch ſtets das Schwanken und die Gaͤhrungen im Innern 
erhalten, wodurch geſchieht, daß ſich die Unruhe der Ge— 
muͤther oft an die albernſten Geruͤchte haͤlt, z. B. daß 
der Prinz Paul von Wirtemberg, der in dieſem Au— 
genblik auf einer zweiten wiſſenſchaftlichen Reiſe 
durch Nordamerika begriffen iſt, mit dem Gedanken 
umgehe, die merxikaniſche Krone zu erhalten! Daſ— 
ſelbe Schwanken herrſcht auch in Kolombien vor. Dort 
bezeichnet das Geruͤcht den Herrn von Breſſon als den 
geheimen Agenten Frankreichs und anderer europaͤiſchen 
Maͤchte, um den Herzog von Orleans auf den ko— 
lombiſchen Thron zu bringen. Man geht in dieſen, 
halb abenteuerlichen Beſorgniſſen ſo weit, daß man be— 
hauptet, Bolivare ſelbſt ſei ein ſolcher Plan mitgetheilt 
worden. Auf der andern Seite verrathen Bolivars 


302 


Schritte immer deutlicher den Gedanken, aus dem Be— 
freier feines Landes deſſen Beherrſcher ) zu werden, 
was mit einem Male die Herzen des Nordens und des 
Südens der neuen Welt von ihm kehren würde. Pac z's 
Schritte in Venezuela und Valencia ſollen in Op⸗ 
poſition mit Bolivars Abſichten ſtehen, was aber freilich 
zweifelhaft wird, wenn man ſein fruͤheres Verhaͤltniß zu 
demſelben ſich zuruͤkruft. 

Betrachten wir jezt die Vortheile, welche die 
Freiwerdung jenen neuen ſpaniſch-amerikaniſchen Staa: 
ten, troz jener großen Maͤngel und Unannehmlichkeiten, 
gewaͤhrt. Durch dieſe Freiwerdung haben ſie ſich einen 
freien Handel mit allen Handelsſtaaten der Welt 
erworben. Was der freie, ungeſtoͤrte Blutumlauf fuͤr den 
Koͤrper, das iſt der freie ungeſtoͤrte Handel fuͤr einen 
Staat. Wo der Handel unterdruͤkt, und zu ſehr durch 
Abgaben und Laſten erſchwert iſt, da ſtokken, gleichwie 
bei gehemmten Blutumlauf die Saͤfte, alle Gewerbe, und 
die Kultur eines Volks geht dann wieder ruͤkwaͤrts. Vor 
der Freiwerdung hatten ſich jene neuen Staaten keines 
freien Handels zu erfreuen, ſondern hingen gaͤnzlich vom 
Mutterlande ab, dem ſie jeden Preis fuͤr die zugefuͤhrten 
Waaren geben mußten, und das dagegen ihnen fuͤr die 
von ihnen producirten Waaren einen Preis nach voͤlliger 
Willkuͤr ſezte. Daß bei dieſem ganz vom Mutterlande 
geregelten Handel die Kolonien ſtets den Kuͤrzern ziehen 


*) Es iſt ſehr die Frage, ob eine liberale Konſtitution mit einer 
roͤmiſch⸗katholiſchen Hierarchie ſich auf die Dauer zu behaupten 
vermag. 


303 


a 


mußten und nicht gedeihen konnten, bedarf keines großen 
Erweiſes. Die Handelsbeſchraͤnkungen in den 
ehemaligen ſpaniſchen Provinzen waren ſo ſtreng und 
druͤkkend, daß jeder Europaͤer, (ſelbſt wenn er aus 
einem mit Spanien verbuͤndeten Lande ſtammte), der 
ohne Erlaubniß die Kuͤſte betrat, der Todesſtrafe ſchuldig 
erklaͤrt, jedes Schiff, welches, durch Stuͤrme genoͤthigt, 
in ſeiner Verlegenheit dort in einem Hafen Rettung ſuchte, 
konfiscirt und ſeine Mannſchaft in Gefaͤngniſſe geworfen 
ward, aus denen nie einer wieder hervorkam. Jezt 
ſtehen die Häfen von Nord- und Suͤdamerika, 
in einer Ausdehnung von etwa 3000 Meilen 
an den Kuͤſten hin, allen Nationen offen; 
Englaͤnder und Nordamerikaner beſuchen ſie be— 
ſonders haͤufig, beleben ſie durch ihre Kapitalien, und ver— 
breiten mit allen Kunſterzeugniſſen auch alle geſellſchaft— 
lichen Kenntniſſe. Sonſt gelangte kein Amerikaner 
zu einigem Anſehen; alle Ehrenſtellen wurden entweder 
des Geldes oder des Zutrauens wegen zu Madrid ver— 
ſteigert: gegenwaͤrtig ſteht jede Laufbahn offen; jedes Amt 
wird dem ertheilt, der den meiſten Eifer zeigt, der ſich 
am meiſten als einen Mann beurkundet, welcher das Zu— 
trauen ſeiner Mitbuͤrger verdienen will. Sonſt war keine 
Univerſitaͤt, keine oͤffentliche Lehranſtalt da, 
kein Buch durfte ohne Genehmigung der Inquiſition 
gedrukt werden, und es ſind noch nicht fuͤnf Jahre, daß 
ein Vater erfommunicirt ward, weil er feine 
Tochter in der franzoͤſiſchen Sprache unter— 
richtete; jezt wird jede Art von Studien aufgemuntert, 
alle Preſſen ſind frei, alle Staaten, alle Provinzen 


304 


wetteifern in der Errichtung neuer Schulen. Sonſt war 
der Wein- und Slbau verboten, fo wie die Erzeugung 
und Fabrikation jeder andern Waarengattung, welche 
Spanien liefern konnte; jezt ſteht jede Art von Gewerb— 
fleiß und Handel unter oͤffentlichem Schuze; alle Einkuͤnfte 
verdoppeln und vervierfachen ſich mit jedem Jahre. Sonſt 
waren die Stiergefechte, wo die raffinirteſte Grau— 
ſamkeit bis zu einem, ſelbſt in Spanien unbekannten 
Grade erlaubt war, in allen großen Staͤdten durch die 
Regierung beguͤnſtigt, und noch im Jahre 1820 hallte 
ganz Lima wieder von dem tollen Freudengeſchrei, in 
welches Maͤnner, Weiber und Kinder bei dem Anblik des 
Bluts, der Schmerzen und des Todeskampfes der Stiere, 
Pferde und Torreadors ausbrachen, jezt haben die Repu— 
blikaner uͤberall, wo ſie hinkamen, die Stiergefechte ab— 
geſchafft. Sonſt gewoͤhnte die Sklaverei die Urameri- 
kaner und Neger den Menſchen an Verachtung ſeines 
Mitbruders und an Misbrauch ſeiner Gewalt uͤber ihn: 
jezt haben alle neuen Republiken Geſeze zur Abſchaf— 
fung der Sklaverei gegeben. Ohne Zweifel bleibt 
noch viel fuͤr dieſe neuen Republiken zu thun uͤbrig; aber 
nicht Alles konnte und ſollte im erſten Augenblik geſche— 
hen. Es wäre unbillig und abgeſchmakt, von einer neuen 
Regierung zu fordern, daß ſie am Ziele anlangen ſoll, 
wenn das Schiff des Staats eben erſt vom Stapel ge— 
laufen iſt. Alles, was man von ihr fordern kann, iſt, 
daß ſie fortſchreitet, und fortſchreiten will; wir werden ihr 
nie ihre Langſamkeit im Fortſchreiten zum Vorwurfe 
machen, wenn dieſe Langſamkeit die Frucht einer weiſen 
Vorſicht iſt, wenn ſie Gefahr laͤuft, durch vermehrte 


305 


Neuerungen nichts Erfpriegliches zu fliften. Das ehema— 
lige ſpaniſche Amerika wird jezt durch feine Regie— 
gierung nicht mehr gehindert, in ſeiner Laufbahn forzu— 
fahren; in dem Volke ſelbſt liegen noch Hinderniſſe ge— 
nug; die Unwiſſenheit, Unduldſamkeit und 
Rohheit, mit welcher die Vorfahren der jezigen Ein— 
wohner ihren Karakter beflekt hatten, koͤnnen nicht gerade 
in einem einzigen Augenblikke verſchwinden. Man be— 
merke nur das, daß der große Haufen oft manche Wohl— 
thaten von ſich ſtoͤßt, welche die Civiliſation ihm erwei— 
fen will; erſchrekken wir darum nicht immer, und laſſen 
wir uns durch einige Unfaͤlle nicht muthlos machen; die 
Pflanze ſteht in einem fruchtbaren Boden, ſie muß wach— 
ſen und einſt Bluͤten bringen. 

Die Englaͤnder, die ſich zuerſt im 1 öpahſſchrg Ame⸗ 
rika einfanden, werden ſich beſtreben, den Einwohnern 
Geſchmak an ihren Erzeugniſſen einzupflanzen; ſie werden 
dem Handel ſeine Richtung geben, und ihre Kapitalien zu 
den gewinnreichſten Unternehmungen verwenden. So 
werden ſie allen andern Voͤlkern zuvorkommen, wie ſie 
es uͤberall gethan haben, und wenn ſich dieſe endlich eines 
Beſſern beſinnen und ihre Abneigung uͤberwinden, dann 
werden ſie die guten Plaͤze beſezt finden, und Leute, die 
durch ihren Reichthum, durch Niederlaſſungen und die 
Gunſt des Landes geſtuͤzt werden, davon zu verdraͤngen, 
wird ſich nicht leicht thun laſſen. Die Englaͤnder 
werden in Amerika betrachtet werden, wie in Spanien 
zur Zeit des Krieges mit Bonaparte. Der Grund da— 
von iſt ganz einfach. Waͤhrend das uͤbrige Europa nur 


Abſcheu vor der amerikaniſchen Revolution zeigte, ließ 
Brauns Skizzen von Amerika. 20 


306 


England diefelbe durch Gold und das Schwert der Buͤr— 
ger unterflüzen. Die neuen amerikaniſchen Staaten ſchik— 
ten ihre Geſandten, und indem England dieſelben unter 
ſeinen Schuz nahm, ohne ſie dies jedoch geradezu merken 
zu laſſen, bewahrte es ſolche vor den Angriffen Europas; 
denn daß England es war, welches die Ruͤſtungen, die 
Europa nicht geſaͤumt haben wuͤrde, gegen Amerika zu 
ſchleudern, an den Kuͤſten feſthielt, laͤßt ſich nicht leugnen. 
Es hat ihm dadurch eine unermeßliche Wohlthat erzeigt, 
die Amerikas Schikſal begruͤndete, und England alle Arten 
von Recht auf ſeinen Dank gab. England hat durch eine 
einfache diplomatiſche Note beinahe eben ſo viel fuͤr Suͤd— 
amerika gethan, als Frankreich durch ſeine Flotte und 
Armee fuͤr Nordamerika that. 

Die Freiwerdung Suͤdamerikas und Mexi— 
kos *) ift ein welthiſtoriſches Ereigniß, naͤchſt der fran— 
zoͤſiſchen Revolution das wichtigſte der neueſten Zeit. 


*) Einige, obgleich nur ſehr wenige, deutſche Geographen 
wollen Mexiko durchaus mit zu Suͤd amerika rechnen, indem 
fie vorgeben, fie folgten hierin dem Beiſpiel der Mexikaner. Daß 
leztere ihr Land aber zu Nordamerika zaͤhlen, erſieht man 
aus der merkwuͤrdigen Proklamation des Generals Santa 
Anna, Gouverneurs und Generalkommandanten von Veracruz 
vom 29ſten Julius 1829 an die dortigen Einwohner, indem er 
ſagt: „Verehrte Namen der Hidalgo, Allende und More— 
los! Euern Ruf: Freiheit oder Tod! wiederholen nun Eure 
Bruͤder, und ſind entſchloſſen, das Eine oder das Andere zu ge— 
winnen. Dieſer entzuͤkkende Ruf iſt die Gefinnuug von ganz 
Nordamerika u. ſ. w.“ Augsburger Allg. Zeitung. 
1829. Oktbr. 5. Beilage Nr. 278. 


307 


Unterſuchen wir noch die in dieſem Werke ausgeſproche— 
nen Anſichten: was Spanien als Oberherr und 
Eigenthuͤmer aus Amerika zog, und ſehen wir, 
was es durch die wachſenden Handels verbin— 
dungen mit Amerika wieder erhalten kann, 
welchen Werth die Kolonie Amerika fuͤr daſ— 
ſelbe hatte, und was ihm das unabhängige 
und durch die Unabhaͤngigkeit verbeſſerte 
Amerika werden koͤnne. Seit der Eroͤffnung der 
zwoͤlf Haͤfen der Halbinſel fuͤr Amerika im Jahre 1778 
war der reine Ertrag, den Amerika der ſpaniſchen Re— 
gierung jaͤhrlich abwarf, fuͤnfzehn Millionen Thaler. Die 
Ergebniſſe des Handels laſſen ſich fo leicht nicht abſchaͤ— 
zen; denn ſie ruͤhrten großentheils von auslaͤndiſchen Ge— 
genſtaͤnden her. Der Handel ging durch die Haͤnde von 
Auslaͤndern, und war fuͤr auswaͤrtige Haͤfen vortheilhaft; 
faſt alle Handelshaͤuſer in Spanien waren Auslaͤndern 
zugehoͤrig. Auch die Kriegskoſten und die aus den Han— 
delsunterbrechungen, welche die Kriege veranlaßten, ent— 
ſtandenen Nachtheile muͤſſen in Anſchlag gebracht werden. 
Spanien ward, um die amerikaniſchen Einkuͤnfte zu be— 
ziehen, zu Umwegen genoͤthigt, die immer ſehr koſtſpielig 
waren. Von 1761 bis 1814, in einem Zeitraum von 
53 Jahren, hat die Unterbrechung durch den Krieg neun— 
zehn Jahre betragen, d. h. mehr als den dritten Theil. 
Waͤren alle Aktenſtuͤkke dieſer großen Rechnung geſam— 
melt, ſo wuͤrde ſich vielleicht zu Jedermanns Erſtaunen 
ergeben, daß Spanien nichts gewonnen, ſondern durch 
den Beſiz Amerikas vielmehr verloren hat. Der Zuſtand, 
in dem ſich Spanien nach 300jaͤhrigem Beſiz jener Geld— 


308 


quelle befindet, läßt dieſe Anſicht nicht eben für willfürs 
lich halten. Denke man fich eine andre Ordnung der 
Dinge, etwa die jezige; kann die Unabhaͤngigkeit 
Amerikas jezt Spanien etwas zur Entſchaͤdi⸗ 
gung für den Verluſt feiner Oberherrſchaft 
gewaͤhren? Dies zu beſtimmen, muß man ſehen, was 
Spanien iſt, und was das unabhaͤngige Ame— 
rika werden wird. Hegt Spanien nicht in ſeinem 
eigenen Schooße uͤberſchwenglich alles Koͤſtliche? Gehoͤrt 
es nicht zu der aufgeklaͤrten und policirten Zone, in der 
der Geiſt des Menſchen ſich frei bewegen darf? Was 
hindert Spanien an der Entwiklung ſeiner Faͤhigkeiten, 
an der Benuzung der Vorzuͤge ſeines Bodens, an der 
Bearbeitung ſeiner rohen Produkte, an der Verbeſſerung 
ſeiner Felder und ſeiner Werkſtaͤtten? Auf welcher Seite 
iſt das Hinderniß, bei den Menſchen, oder bei den Din— 
gen? Wenn Spanien will, kann es die Mittel zum 
Handel mit Amerika verhundertfachen; hat es dies nicht 
1778 zur Zeit der Eroͤffnung der zwoͤlf Haͤfen erfahren? 
Katalonien und Aſturien erhielten damals ein ganz 
anderes Anſehen ). Um ſich uͤber die fo ſehr gefuͤrchte— 
ten Einbußen zu beruhigen, hat Spanien ein Beiſpiel 
an ſich ſelbſt. Der ausſchließende Monopolhandel galt 


*) Selbſt auf Deutſchland, insbeſondre auf deſſen noͤrdlichen 
Theil, verbreitete ſich dieſer Einfluß. Siehe Polit. Journal. 
Hamburg 1826. Band I. Seite 505, wo ein einſichtsvoller Schrift: 
ſteller behauptet; „Von 1776 bis 1796 war die Kultur in un⸗ 
ſerm Vaterlande (Koͤnigreich Hannover) wohlthätiger 
fortgeſchritten, als von 1510 bis 1776.“ 


309 


bei ihm für den Schlußſtein des Kolonialweſens, für das 
Palladium ſeiner Intereſſen in Amerika; es glaubte, ihn 
um jeden Preis beibehalten zu muͤſſen. Der Rath von 
Indien haͤtte durch eine Übertretung dieſes alten Geſezes 
Alles fuͤr verloren geachtet. Was geſchieht in dem naͤm— 
lichen Augenbliffe® Während des Krieges von 1796 bis 
1814 bricht die Inſel Kuba die Beſchraͤnkung, nur mit 
Spanien Handel treiben zu duͤrfen, und oͤffnet alle ihre 
Häfen; im Jahre 1814 erfcheint Spanien wieder, aber 
mit ſeinem alten Syſtem. Man will zwar gern ſpaniſch 
ſein, aber das ſpaniſche Syſtem will man nicht in Ame— 
rika; dieſem muß Spanien entſagen, oder die Losreißung 
gewaͤrtigen. Kurzſichtige Leute glauben wahrſcheinlich, 
Spanien habe mit dem Verluſte ſeines Privilegiums auch 
ſeine Einkuͤnfte zu Havannah verloren? Aber gerade 
das Gegentheil fand Statt. Der Hafen von Havannah, 
der unter dem ausſchließenden Syſtem keine zwanzig 
Schiffe jaͤhrlich aufnahm, hat im Jahre 1824 deren 1250 
gezaͤhlt; in den vier andern Haͤfen der Inſel lief eine 
verhaͤltnißmaͤßig gleich bedeutende Zahl von Schiffen ein. 
Befrage man die Zollregiſter auf Kuba, und ſehe dann, 
ob in dieſer Freiheit des Handels, die eine ſolch erſtaun— 
liche Zunahme der Handelsbewegung hervorgebracht hat, 
und in dem Anwachſen des Produktes der Landgüter, 
ihres Preiſes, der Induſtrie und der Konſumtionen nicht 
eine uͤberſchwaͤngliche Entſchaͤdigung fuͤr die Einbußen liegt, 
welche die Unterdruͤkkung des Alleinrechts verurſachen 
konnte. Als die Inſel Trinidad noch Spanien ge: 

hoͤrte, war ſie ihm ganz nuzlos; denn es hatte dieſelbe 


310 


nach feiner türfifch = chriftlichen Afterpolitik vollſtaͤndig aus- 
gefogen. Die liberale und aufgeklaͤrte haytiſche Regie— 
rungsweiſe und die Naͤhe des Feſtlandes haben ſie im 
Laufe weniger Jahre belebt. Seze man nun den Fall, 
Spanien, nachdem es dieſelbe nicht mehr beſizt, knuͤpfe 
Handelsunternehmungen mit ihr an; wuͤrde ihm dieſer 
Weg nicht zutraͤglicher werden, als das Eigenthum ſelber? 
Was liegt daran, woraus das Einkommen hervorfließt, 
ob es aus der Souveraͤnitaͤt oder aus dem Han— 
del herruͤhrt, das Mittel thut zur Sache nichts. Der 
Unterſchied liegt nicht im Prinzip, ſondern im Reſultat 
der Menge; derſelbe Fall war es mit Neuorleans. 
Was war es für Spanien durch die Souveränität? Im 
Jahre 1824 nahm es 800 Schiffe auf, wo es ſonſt als 
ſpaniſche Kolonie nicht zwanzig geſehen hatte. Bietet 
dieſer Anwuchs von Reichthum, wenn es Spanien will, 
demſelben nicht eine, den Verluſt, den es Durch die Ab— 
tretung feiner Souveränität erlitten hat, weit uͤberſtei— 
gende Entſchaͤdigung dar? Spanien wird ſich in Zukunft 
ſeinem Amerika gegenuͤber in der naͤmlichen Lage befin— 
den, in die ſich England gegen das ſeinige geſtellt hat; 
es hatte dabei zu verlieren geglaubt, und gewann uner— 
meßlich. Wie laͤßt ſich auch dieſes Reſultat bezweifeln, 
wenn man den prachtvollen und unermeßlichen Markt 
Amerikas betrachtet, welches Alles verlangen, Alles 
empfangen, Alles hervorbringen kann! Wie mag man der 
Bevoͤlkerung eines Landes von dieſem Umfange, von die— 
ſem Reichthume, das von ſo vielen Fluͤſſen durchſchnitten 
wird, ein fo betraͤchtliches Geſtade hat, Grenzen abſtekken 


311 


wollen? Wie kann man die Wirkungen der vergangenen 
Ordnung mit denen der neuen vergleichen? Und das 
eben iſt das Truͤgeriſche dabei; man beurtheilt das freie 
Amerika nach dem fklaviſchen, von Spanien geſchloſſenen, 
an Spanien feſtgeketteten Amerika, den Mittelpunkt des 
Erdkreiſes nach dem durch Spanien vom Erdkreiſe ge— 
ſchiedenen Amerika. Ja, die menſchliche Sprache iſt nicht 
vermoͤgend zu ſchildern, was die Freiheit Ameri— 
kas fuͤr die Welt Alles werden kann. Seine 
erſte Entdekkung wird gegen ſeine Befreiung, die eine 
neue Entdekkung dieſes Landes iſt, in Schatten verſin— 
ken. Dieſe Befreiung wird zu einer neuen Schoͤpfung 
fuͤr das menſchliche Geſchlecht; ſie wird faſt alle Uneben— 
heiten ausgleichen, die in der geſellſchaftlichen Ordnung 
ſeit der erſten Entdekkung zur allgemeinen Regel dienten. 
Man weiß nicht hinlaͤnglich, was die Freiheit Amerikas 
ſei, was ſie fuͤr das menſchliche Geſchlecht enthalte, und 
welch einen unermeßlichen Einfluß ſie auf ſein Geſchik 
haben werde. In unſern Tagen ward der Schwer— 
punkt der Welt gefunden, er ruht in Amerika. 
Sage man nicht, das Ergebniß der Verbindungen mit 
Amerika werde dadurch, daß es unter alle Voͤlker ver— 
theilt wird, gemindert werden, und Spanien den kleinſten 
Nuzen ziehen. Das iſt irrig und vorurtheilsvoll, und 
verraͤth Unkunde des Ganges der menſchlichen Dinge. 
Das ganze Geheimniß beſteht darin, daß man gluͤk— 
lich mache, um ſelbſt gluͤklich zu werden. Wird 
in Amerika nicht fuͤr Jedermann Plaz ſein? Nicht Ame— 
rika wird Europa fehlen, ſondern es duͤrfte umgekehrt der 


312 


Fall fein. England theilt zwar den Handel der Verein: 
ten- Staaten Nordamerikas mit andern Voͤlkern; bemerkt 
man indeſſen, daß ihm die Theilung ſchaͤdlich werde? 
Es hat Oſtindien dem amerikaniſchen Handel geoͤffnet, 
und iſt wohl abzuſehen, daß ſich der ſeinige durch dieſe 
Konkurrenz mindern werde? Haben nicht alle Voͤlker bei 
allen Voͤlkern Zutritt? In wiefern werden ſie dadurch 
beeintraͤchtigt? Es wuͤrde aus dieſen ausſchließenden Theo— 
rien folgen, daß aller Handel einem Einzigen zuſtaͤndig 
waͤre; daß dieſer das Recht haͤtte, ihn zu reklamiren, in— 
dem er die Einbuße, die er durch Zulaſſung Anderer er— 
leiden würde, vorſchuͤzte. Spanien wird daher an 
dieſer Entſchaͤdigung ſo vielen Antheil haben, als es ver— 
langt; es haͤngt lediglich von ſeinem Fleiß und ſeiner 
Induſtrie ab. Um Nichts wird man fortan 
Nichts erhalten; die Welt iſt dafür zu klug, und die 
Rechte der Traͤgheit ſind abgeſchafft. Moͤge Amerika 
gedeihen, ſo wird Europa durch Spanien und in 
demſelben Grade wie Spanien gedeihen. Mehr laͤßt ſich 
fuͤr alle beide nicht wuͤnſchen; das Schikſal des einen iſt 
an das des andern geknuͤpft. Alles beſchraͤnkt ſich jezt 
zwiſchen Europa und Amerika, ſagt de Pradt ſo ſchoͤn 
als wahr, auf ein einziges Prinzip: Gegenſeitiges 
Wohlergehen Amerikas durch Europa, und 
Europas durch Amerika. Dies iſt kuͤnftig das 
ganze Geheimniß oder vielmehr der einzige Plan des ge— 
genſeitigen Betragens der menſchlichen Geſellſchaften. Eng— 
land, das weiſe und aufgeklaͤrte England, hat dieſe 
ehrenvollen und zugleich hoͤchſt erſprießlichen Pfade einge— 


313 


ſchlagen; der Beifall der ganzen Welt begrüßt feine 
erſten Schritte auf dieſer neuen Bahn, und kann zu— 
gleich als Einladung fuͤr alle uͤbrigen Staaten gelten, 
ſich ſeinem Beiſpiele anzureihen. Die Welt ſtoͤßt die 
Prinzipien aus, welche ſie verſchließen und 
austroknenz fie läßt blos ſolche zu, welche 
ſie ehren und gluͤklich machen, die zugleich 
ihre phyſiſchen und geiſtigen Reichthuͤmer 
vermehren. 


314 


XIX. 
Kolombien. 


Nach den beſten und neueſten franzoͤſiſchen und 
engliſchen Quellen. 


Der ungeheure Landſtrich, der ſich jezt mit dem Namen 
Kolombien beehrt, iſt der erſte, welcher auf die Ent— 
dekkung eines feſten Landes in der neuen Welt fuͤhrte; 
fein Flaͤcheninhalt beträgt ungefähr 475 Meilen von Suͤ— 
den nach Norden, und 600 Meilen von Oſten nach We— 
ſten; ſeine Kuͤſten haben zuſammengenommen eine Laͤnge 
von 1000 Meilen; nordoͤſtlich beſpuͤlt fie das atlantifche 
Meer, noͤrdlich das Meer der Antillen, und weſtlich das 
Suͤdmeer. Gegen Nordweſt grenzt es an Guatimala, 
gegen Süden an Peru und Braſilien, gegen Offen 
an das engliſche Guyana. Die Gebirgskette der An— 
den, welche ohne Unterbrechung die neue Halbkugel von 
Suͤden bis nach Norden durchſchneidet, laͤuft durch den 
ganzen weſtlichen Theil von Kolombien, und bedekt, 
in zwei verſchiedene Zweige ſich theilend, die noͤrdlichen 
Provinzen. Das verſchiedenſte Klima findet ſich in die— 
ſem Lande, und zwar in nicht bedeutender Entfernung. 
Man kann in einem Tage die Sonnenhize von Afrika 
und die ſtrenge Kaͤlte von Sibirien empfinden, bald 
bei dem lachendſten Gemaͤlde verweilen, bald dem wilde— 
ſten Anblikke entfliehen. Die Abſtufungen der rieſenmaͤ— 
ßigen Cordilleras bezeichnen die verſchiedenen Grade 


315 


der Temperatur; die heißen Länder befinden ſich am 
Fuße der Anden, und gehen bis auf eine Hoͤhe von 
400 Klaftern; in einer Hoͤhe von 6 — 900 Klaftern lie⸗ 
gen die gemaͤßigten Laͤnder; in einer Hoͤhe von 
1000 bis 1400 Klaftern die kalten Laͤnder; höher 
hinauf kommen die Paramos (unfruchtbaren Laͤnder); 
und endlich die Nevados (ſchnee-eiſigen Laͤnder); dieſe 
bilden die Gipfel der Cordilleras, deren hoͤchſter Berg, 
Chimborazzo genannt, 3,350 Klafter uͤber die Mee— 
resflaͤche ſich erhebt. So ſcheinen dem Auge des Reiſen— 
den, der in Kolombien landet, die reichſten und be— 
voͤlkertſten Gegenden gleichſam zwiſchen Himmel und Erde 
zu ſchweben. Dieſe außerordentliche Verſchiedenheit ge— 
ſtattet den erfolgreichen Anbau aller moͤglichen Erzeugniſſe, 
ſo wie die Zucht und Nahrung aller moͤglichen Thiergat— 
tungen. Die Aquinoktialgegenden haben im All— 
gemeinen ſechs Monate lang Naͤſſe und ſechs Monate 
lang Trokkenheit. In den Provinzen der Cordilleras 
hoͤrt es in den Monaten April, Mai, Junius, Oktober, 
November und December ſelten einen einzigen Tag auf 
zu regnen, waͤhrend in den ſchoͤnen Gefilden von Vene— 
zuela, Caraccas und Cumana, die vom April bis 
zum November bewaͤſſert werden, die ganze uͤbrige Jahrs— 
zeit hindurch der Himmel vollkommen heiter iſt. Hier 
haben die Regenguͤſſe erfriſcht und befruchtet; die Erde 
erſcheint in ihrem gruͤnen Schmukke, und die gereinigte 
Atmoſphaͤre verkuͤndet das herrliche Klima der Wendezir— 
kel; dagegen ſind anderswo ungeheure Landſtriche zu Mo— 
raͤſten umgeſtaltet worden, aus denen eine verdorbene 
Luft aufſteigt. Es ſind dies die Savannen, welche 


316 


ſich mehr oder weniger in dem Innern Kolom biens 
bis an die Ufer des Rio-Negro und des Amazo— 
nenfluſſes ausdehnen. Es befinden ſich daſelbſt herum— 
irrende, herrenloſe Voͤlkerſtaͤmme, die aber nichts deſto 
weniger dieſem Aufenthalte den Namen Vaterland geben. 
Man ſieht hier ungeheure, mit Arzeneipflanzen, Faͤrbe— 
und Bauhoͤlzern bewachſene Wälder; zahlreiche Ströme, 
die ſich zur Befoͤrderung des wichtigſten Verkehrs eignen; 
bedeutende Fluͤſſe, worunter der Oronoko, deſſen Lauf 
ein Landſtrich von 500 Meilen Laͤnge durchſchneidet, und 
deſſen mittlere Breite 300 Klafter betraͤgt; Felſenmaſſen, 
die ſich bis in die Wolken erheben, und wieder abdachen, 
gleich als wollten ſie unter den Gewoͤlben der Cordille— 
ras Bruͤkken bilden, oder den Reiſenden zum Gelaͤnder 
dienen, der es wagen will, uͤber Abgruͤnde zu ſezen; große 
Seen, die, als Beweis der vorſichtigen Natur, ſich gerade 
an ſolchen Stellen befinden, welche der Aquator ſonſt 
ausgetroknet haͤtte; unerſchoͤpfliche Salzquellen, deren 
Benuzung beinahe ſo viel Gewinn abwirft, als die Me— 
tallbergwerke; reiche Minen, von denen einige 
Eiſen, Kupfer, Silber und Gold enthalten, die 
andern aber von den koſtbarſten Steinarten erglaͤnzen; 
weit umfaffende Einoͤden, die den wilden Thieren zum 
Aufenthalte dienen; zerſtreut liegende Staͤdte, in denen 
bösartige Inſekten die Wohnung des Menſchen 
theilen, und ihm ſogar die Luft ſtreitig machen, die er 
athmet; prachtvolle Wunder der Natur und Gegen— 
ſtaͤnde des Schrekkens, überall eine wilde Majeſtaͤt, die 
eine neue Gegend beurkundet, welche zwar mit allen 
Reichthuͤmern des Bodens begabt iſt, aber bisher noch 


317 


den induſtriellen Wiſſenſchaften fremd blieb, die zum 
Wohle des Menſchen ſo viel beitragen, und ſogar die duͤr— 
ren Wuͤſten bevoͤlkern. Dies iſt der phyſiſche An— 
blik, den Kolombien darbietet, nachdem es beinahe 
drei Jahrhunderte unter der ſpaniſchen Herrſchaft geſtan— 
den hatte. 

Von der noch ſo jungen Geſchichte der neuen 
amerikaniſchen Republiken kennen wir bis jezt kaum mehr 
als zwei Thatſachen: den Aufſtand und die Freiwer— 
dung. über dieſe ſo nahe liegenden Punkte hatte ſich, 
faſt mit gleicher Beſtaͤndigkeit zwiſchen den Vertbeidigern 
des Eroberungsrechts und den Anhaͤngern der 
amerikaniſchen Unabhaͤngigkeit, ein lebhafter, 
blutiger, an wechſelnder Furcht und Hoffnung reicher 
Kampf entwikkelt. Menſchen, die keine andere Reichthuͤ— 
mer beſizen als jene, welche ſie von der Natur, der 
Staͤrke und der Geſchwindigkeit erhalten haben, die zu 
fliehen und zu rechter Zeit zuruͤkzukehren wiſſen, koͤnnen 
zwar oft von kriegeriſchen Maſſen auseinandergeſprengt 
und zerſtreut werden; aber dieſe muͤſſen doch endlich den 
taͤglichen Gefechten und den unaufhoͤrlichen Anſtrengun— 
gen unterliegen. Um die furchtbarſten Heere zu uͤber— 
winden, brauchen die ſchwaͤchſten Voͤlker weiter nichts 
als Geduld; in den mittaͤglichen Laͤndern werden die 
brennenden Stralen der Sonne und die Ausduͤnſtungen 
des Bodens, im Norden aber Hungersnoth und Froſt, 
als die treueſten Verbuͤndeten der Freiheit, unfehlbar den 
Tag der Unabhaͤngigkeit herbeifuͤhren; er erſchien fuͤr 
Hayti's ſchwarze Bewohner, obſchon dieſe nicht zahl— 
reich, und durch die Sklaverei erniedrigt waren; er iſt 


318 


für Griechenland herangebrochen; er prangt in feinem 
ſchoͤnſten Glanze in Nordamerika. Die ſpaniſchen 
Provinzen, welche der Schauplaz dieſer großen Umwaͤl— 
zungen waren, ſind kaum bekannt. Von den Zeiten der 
Eroberung an bis zu dem Tage, wo der Unabhaͤngig— 
keitskrieg die Einfaͤlle und langen militaͤriſchen Expedi— 
tionen wieder hervorriefen, hatten ſich die durch den Han— 
delsgeiſt herbeigezogenen Fremden damit begnuͤgt, die 
Kuͤſten zu erforſchen, die auf der einen Seite von dem 
großen Ocean, auf der andern aber von dem atlantiſchen 
Meere beſchuͤzt werden; wenige waren in das Innere des 
Landes vorgedrungen, und die mittleren Gegenden Suͤd— 
amerikas wurden faſt eben ſo ſelten beſucht, als es heut— 
zutage noch mit dem Herzen Afrikas der Fall iſt. 
Welches Land iſt aber mehr dazu geeignet, die aufmerk— 
ſamen Blikke Europas zu feſſeln? „Die Eis maſſen 
des Pols und die gluͤhende Hize des Suͤdens, die 
Unfruchtbarkeit der afrikaniſchen Wuͤſten und 
die Fruchtbarkeit Yemens, der reine Himmelsſtrich 
der Azoren und Java's verpeſtete Luft, die Schrek— 
niſſe der feuerſpeiende Berge und die friedliche Sicherheit 
der Ebenen, Alles, was den Reichthum und das Elend 
eines Landes ausmacht, Alles, was die Einwohner laͤhmen 
oder entflammen, ſie zur Abgeſchiedenheit verurtheilen, 
oder ihren natuͤrlichen Trieb zum geſellſchaftlichen Bei— 
ſammenleben befoͤrdern kann; alle dieſe phyſiſchen Urſachen 
zeigen ſich in den Aquinoktialgegenden der neuen Welt. 
Nach den neueſten Nachrichten iſt der Zuſtand dieſes 
hoͤchſt merkwuͤrdigen Landes durch innere Partheiungen 
ſehr ſchwankend und unruhig geworden. Briefe aus Bo— 


319 


gota melden, daß der Haß der Prieſter gegen die 
Kezer ſich in allen ihren Handlungen offenbart, und 
ihr Einfluß auf die untern Volksklaſſen in Kolo mbien 
die Lage der Ausländer daſelbſt nicht allein unange— 
nehm, ſondern ſogar gefaͤhrlich macht. Von allen Theilen 
Suͤdamerikas treffen Vorſtellungen an den engli— 
ſchen Konſul in Bogota ein, und unter den ko— 
lombiſchen Miniſtern haben ſchon mehrere Berathſchla— 
gungen uͤber dieſen Gegenſtand Statt gefunden. Die 
leztern Verſchwoͤrungen (im Sommer 1826) gegen die 
Europäer waren ausgedehnter, als die Regierung es 
glaubte, und ihre Verzweigungen waren ſo groß, daß 
ohne ſchnelle und nachdruͤkliche Maaßregeln alle Euro- 
paͤer ermordet worden waͤren. Dieſer Zuſtand der Dinge 
hat Alles gelaͤhmt, und kein Englaͤnder entfernt ſich mehr, 
ohne daß er befuͤrchtet, angefallen zu werden. Die 
Schuzgeſeze zu Gunſten der Auslaͤnder ſind 
zwar gut, allein durch die Schwierigkeit, ſie zu vollzie— 
hen, verlieren ſie ihren ganzen Werth. Die Generalre— 
gierung hat nicht Energie genug und wird von den Al— 
kaden nur ſchwach unterſtuͤzt; die Folge davon iſt, daß 
Diebſtaͤle und Mordthaten ungeſtraft begangen werdenz 
denn es iſt ſo ſchwer, Gerechtigkeit zu erlangen, indem 
der größte Theil der Schuldigen entſchluͤpft. Ein einzi— 
ges Beiſpiel wird dieſes hinlaͤnglich beweiſen. Dem 
Agenten eines engliſchen Hauſes ward im Jahre 1827 
eine Summe von 28,000 Thalern geſtohlen. Nach vie— 
len Nachforſchungen und Ausgaben gelang es ihm end— 
lich, die Diebe zu entdekken. Einer derſelben geſtand ein, 
ſein Antheil an dem geſtohlenen Gelde belaufe ſich auf 


320 


2000 Thaler, die man auch wirklich fand und dem Ei— 
genthuͤmer zuſtellte. Dieſe Erklaͤrung war durch einen 
Eid bekraͤftigt worden; nachdem jedoch der gedachte Dieb 
eine Unterredung mit ſeinem Beichtvater gehabt, leugnete 
er Alles, und beſtand beharrlich auf ſeinem Verneinungs— 
Syſtem. Man ſperrte ſaͤmmtliche Diebe in das Gefaͤng— 
niß, und dieſes koſtete dem Englaͤnder woͤchentlich eine 
ziemlich bedeutende Summe. Vor einiger Zeit ging der 
kolombiſche General Eben *) in das Gefaͤngniß. Er 
glaubte, einige verdaͤchtige Umſtaͤnde zu bemerken, und 
wandte ſich an die Schildwache, um Aufklärung zu erhal- 
ten; der Soldat zoͤgerte. Man ſtellte eine Unterſuchung 
an, und fand, daß derſelbe nicht allein von der Wache 
gar nicht auf dieſen Poſten geſtellt worden war, ſondern 
auch, daß dieſes Individuum kein Soldat ſei, und daß 
die Diebe mit Huͤlfe einiger Mitſchuldigen noch in derſel— 
ben Nacht aus dem Gefängniffe entkommen, ſich nach dem 
Hauſe des Englaͤnders begeben, daſſelbe auspluͤndern und 
die darin befindlichen Perſonen ermorden ſollten. Dies 
iſt der Zuſtand der Polizei in Kolombien!! Indeß 
laͤßt ſich erwarten, daß der mit den europaͤiſchen Natio— 
nen angeknuͤpfte Verkehr die Bewohner dieſes Landes 
civiliſiren werde. Schon hat die kolombiſche Regie— 
rung die Stiergefechte unterſagt. Das lezte, bei 
welchem ſich eine große Zahl von Zuſchauern, beſonders 
aber vom weiblichen Geſchlechte, eingefunden hatte, hat 
zwei oder drei Menſchen das Leben gekoſtet. 


*) Aus dem Preußiſchen ſtammend. 


321 


Die lezten Erdbeben im Jahre 1826 hatten den 
Prieſtern Veranlaſſung gegeben, das gemeine Volk gegen 
die Freimaurer und Ausländer aufzureizen, indem 
fie dieſes Unheil der Anweſenheit der Leztern zufchrieben. 
Man befuͤrchtete einen allgemeinen Angriff, der aber gluͤk— 
licherweiſe durch die von der Regierung getroffenen Maaß— 
regeln abgewandt wurde; deſſen ungeachtet beſtehen im— 
mer noch dieſelben Vorurtheile, und die Auslaͤn— 
der ſind allen moͤglichen Beleidigungen aus— 
geſezt, wie ſolches eine Vorſtellung beweiſ't, welche 
die zu Mom por ſich aufhaltenden Engländer dem Ober— 
fin Campbell überreicht haben. Sie äußern ſich darin, 
ſie haͤtten ſich immer noch uͤber die Intoleranz der 
Geiſtlichkeit dieſer Stadt zu beklagen, und in der 
Nacht von 28ſten Julius 1825 ſei Herr Richardſon 
von zwei bewaffneten Soldaten auf Befehl des Paters 
Salvador Baraſſa angegriffen worden, weil er 
nicht gekniet habe, als man das Allerheilig— 
ſte vorbeigetragen ). Das Schreiben des Oberſten 
Campbell vom sten Novbr. 1825 habe ihnen zwar 


*) Das engliſche Journal „ihe Globe“ vom 11ten Oktbr. 1826 
bemerkt ſehr richtig, daß die Englaͤnder in der That etwas 
ſeltſame (somewhat whimsical) Leute feien, indem fie in 
Kolom bia auf die Gefahr, mishandelt oder wohl gar todtge— 
ſchlagen zu werden, nicht vor der Hoſtie niederknien wollten, 
waͤhrend ſie in Ceylon, wo die Macht in ihren Haͤnden iſt, 
offentlichen Proceſſionen zu Ehren des Teufels 
beiwohnen, und in Oſtindien mit ihren 300,000 Bajonetten 
den abſcheulichen Aberglauben der Braminen mit beſonderer 

Sorgfalt dulden und ſogar beſchuͤzen! 

Brauns Skizzen von Amerika. 21 


322 


angezeigt, daß die Regierung an die verſchiedenen Be— 
hoͤrden von Kolombien Rundſchreiben erlaſſen, nach 
welchen man kuͤnftig von proteſtantiſchen Aus: 
laͤndern nicht mehr verlangen duͤrfe, daß 
ſie auf den Straßen oder oͤffentlichen Plaͤ— 
zen knien ſollenz allein ſie haͤtten von dem vormali— 
gen politiſchen Richter erfahren, daß dieſe Rundſchreiben 
mit dem Inhalte jenes Briefes in dem offenbarſten Wi— 
der ſpruche ſtaͤnden; und daruͤber muͤſſe man Gewißheit 
haben. Sie ſchließen ihre Vorſtellung mit folgenden Worten: 

„Die Unterzeichneten wuͤnſchen, daß der zwoͤlfte Ar— 
tikel des Vertrages von Kolombien oͤffentlich ausgelegt 
werde; durch dieſes Mittel werden viele Reibungen ver— 
mieden, und die Englaͤnder lernen auf eine beſtimmte 
Weiſe den Umfang der religioͤſen Freiheit kennen, deren 
Genuß ihnen durch den Vertrag geſichert iſt, wogegen 
dieſer ja dem kolombiſchen Volke ſo weit umfaſſende 
Rechte zugeſteht. Das Betragen der Unterzeichneten iſt 
tadellos. Sie achten die kolombiſche Verfaſſung und 
ihre Geſeze; ſie haben zu den Ausgaben der religioͤſen 
Feſte der verſchiedenen Kirchen dieſer Stadt bisher beige⸗ 
tragen, und tragen noch dazu bei, ſie koͤnnen ſich aber 
keiner Verlezung der Gebraͤuche ihrer eigenen Religion 
unterwerfen, wodurch die in dem Vertrage deut— 
lich feſtgeſezte Gewiſſensfreiheit zerſtoͤrt wird; 
fie nehmen daher gehorſamſt Ihren Schuz zu Gunſten 
ihrer Rechte und Privilegien in Anſpruch ).“ 

Dieſe Nachrichten ſind von Reiſenden und Auswan— 


*) Siehe The Globe and Traveller. London Octbr. 1826. 


223 


deren nach Kolombien wohl zu beachten, indem fie 
uns treu den Zuſtand dieſer neuen Republik, aber auch 
die faſt unvermeidlichen Reibungen gebildeter und aufge— 
klaͤrter Auslaͤnder mit der dortigen bigotten katholiſchen 
Hierarchie, an welcher das liberale Syſtem leider ſeine groͤ— 
ßeſten und ſtuͤrrigſten Gegner fand, ſchildern. Spaͤtere 
Nachrichten aus Mom pox in Kolombien*) beftätigen 
Obiges nicht nur, ſondern erwaͤhnen auch des Erd be— 
bens, „das in der Hauptſtadt des erbaͤrm— 
lichen Landes Statt gefunden, welches die 
Englaͤnder zu Narren gemacht habe.“ So druͤkt 
ſich der Berichterſtatter — ein Englaͤnder ſelbſt — aus. 
Man erſieht uͤbrigens daraus, daß man in Kolombien 
noch lange nicht ruhig iſt. Man hat im Auguſt 1826 
in Bogota in den Straßen gerufen: „der Kongreß 
ſterbe.“ Man beſchuldigt die Mönche, daß fie das 
Volk gegen die Regierung, die Freimaurer und die Fremden 
aufwiegeln. Die widerſprechendſten Anſichten der Par⸗ 
teien in Kolombien haben dem Befreier Bolivar 
auf ſeiner Durchreiſe durch Quito im Sommer 1826 
viele Unannehmlichkeiten verurſacht. Er ſah ſich genoͤ⸗ 
thigt, etwa hundert Individuen erſchießen, und eine ziem⸗ 
lich bedeutende Anzahl haͤngen zu laſſen. Dieſe Ungluͤk⸗ 
lichen hatten gerufen: „Es lebe Koͤnig Ferdi— 
nand!“ Die Uneinigkeit in Kolombien rührt nicht 
allein von der Verſchiedenheit der politiſchen Anſichten 
her, ſondern ſcheint auch mit auf Lokalverhaͤltniſſen zu 
ruhen. So werden z. B. die Eingebornen der Provinz 


*) Siehe The Morning Herald, London Novbr. 1826, 


324 


Antioquia, zu Neugranada gehörig, von den Ein: 
wohnern Bogota's als Ausländer angeſehen, und alle 
aus gedachter Provinz Gebürtige, die ſich in dieſer Haupt: 
ſtadt aufhalten, haben eben ſo viel zu fuͤrchten, als ſelbſt 
Englaͤn der und Auslaͤnder in Kolombien. Un— 
erfahrner Auswanderer wegen haben wir dieſe neueſten 
Notizen uͤber Kolombien hier eingeruͤkt, damit dieſe 
nicht einem aͤhnlichen traurigen Schikſale entgegen gehen, 
als jene ſchwediſchen Offiziere und Matroſen des Li— 
nienſchiffes Tapperheten und der Fregatte Cha p— 
man, welche durch die Kaufleute Michaelſon und Be— 
nedikts in Stockholm, Namens des Hauſes A. 
Goldſmith in London angekauft wurden, im Jahre 
1825 in Kolombien betroffen hat. Die kolombi— 
ſche Regierung, welche dem Hauſe Goldſmith 80,000 
Pfund Sterling fuͤr das Linienſchiff Tapperheten be— 
zahlt haben ſoll, weigerte ſich Anfangs, die gedachten 
Schiffe anzunehmen, weil mehrere im Kontrakte feſtge— 
ſezte Bedingungen, als: hinlaͤngliche Munition und Ver— 
proviantirung auf ſechs Monate, eine vollſtaͤndige Be— 
mannung mit der gehoͤrigen Anzahl Offiziere zur Ver— 
fuͤgung der Republik u. ſ. w. unerfuͤllt geblieben 
waren. Nachdem endlich die wegen dieſer Punkte erho— 
benen Schwierigkeiten beſeitigt waren, willigte die ko— 
lombiſche Regierung zwar ein, den ſchwediſchen 
Seeleuten den verheißenen Sold auszuzahlen, wollte ſich 

aber nicht zur Bezahlung der Koſten ihrer Ruͤkreiſe ins | 
Vaterland verſtehen, wodurch dieſe armen Leute in die 
bedraͤngteſte Lage geriethen. In einem fremden Lande 
und in einer Stadt, wo Alles uͤbermaͤßig theuer iſt, 


konnte ihnen kaum etwas anders übrig bleiben, als wider 
ihren Willen in den Dienſt der Republik zu treten. Selbſt 
die Offiziere, unter welchen ſich der Sohn eines 
ſchwediſchen Admirals befand, mußten ſich entweder in 
dieſe Nothwendigkeit fuͤgen, mit Ausnahme derer, die 
Gelegenheit fanden, um in ihr Vaterland zuruͤk zu kehren, 
oder als gemeine Matroſen auf Kauffahrteiſchiffen Dienſte 
zu nehmen. 

Auswanderer nach Suͤdamerika und insbeſondere nach 
Kolombien haben endlich den hohen Preis der Le— 
bensmittel in Südamerika zuvor wohl zu beachten. 
Mollien “ gibt im Anhange feiner unten bezeichneten Reife 
die Preiſe einiger Lebensbeduͤrfniſſe, nach franzoͤſiſchem Gelde 
berechnet, an. In Konventionsmuͤnze find es folgende: 25 
Pfund Fleiſch 3 fl. 30 Kreuzer, 1 Pfund Brodt 7 / Kr., 
12 Flaſchen Wein 30 fl. 47 Kr., 1 Pfund Zukker 15 Kr., 
eine Flaſche fpanifches Ol 3 fl., eine Unze Safran 4 fl. 
30 Kr., taͤgliches Futter fuͤr ein Pferd 58 Kr., ein Hut 
30 fl. 47 Kr., ein Paar Halbſtiefeln 19 fl. 14 Kr., ein 
Paar Schuhe 5 fl. 46 Kr., ein Pfund Schießpulver Zfl. 
30 Kr. u. ſ. w. Ein Reiſender in Suͤdamerika 


*) Siehe deſſen Voyage dans la République de Colombia en 
1822 et 1823. 2 Thle. Paris 1824 in 8. mit einer Charte von 
Kolombien und mehreren Kupfern. Die deutſche Ueberſezung dieſer 
Reiſe von Dr. G. W. Becker in Leipzig, aber ohne Kupfer 
und Charte, iſt unter dem Titel: G. Molliens Reiſe nach 
Kolombien im Jahre 1823, zu Leipzig erſchienen. Auch hat 
Herr Dr. Bran in ſeinen Miscellen der auslaͤndiſchen 
Literatur Bruchſtuͤkke aus dieſer Reiſe mitgetheilt. 


326 


bedarf wenigſtens jährlich eintaufend Thaler im Golde 
zur Beſtreitung ſeiner Reiſekoſten, wobei er doch noch 
maͤßig leben muß, wenn er nicht zulezt in Verlegenheit 
gerathen will. Die Urſache des hohen Preiſes der Lebens— 
beduͤrfniſſe in Kolombien und insbeſondere in Bo— 
gota, ruͤhrt vom Transport derſelben her. Die Ko— 
ſten, die Gefahren und die Schwierigkeiten, Vorraͤthe und 
Gepaͤk auf dem Magdalenenſtrom nach Bogota 
zu ſchaffen, uͤberſteigt alle Beſchreibung, und kann kaum 
den Schiffer für die Gefahr ſchadlos halten, die er beim 
Transport ſeines Eigenthums nach dieſer Gegend laͤuft. 
Zuvoͤrderſt ſind die Maulthiertreiber die groͤßten 
Diebe, die man nur ſinden kann; laͤßt man ſein Ei— 
genthum nur einen Augenblik aus dem Geſichte, ſo iſt 
man ſicher, daß ſie es pluͤndern, und wenn es zu Mom— 
pox ankommt, und dort, bevor der Transport weiter 
nach Hondo geht, deponirt wird, ſo ſchwebt der Eigen— 
thuͤmer wieder in Gefahr, wenn er nicht immer dabei 
ſteht, um ein wachſames Auge darauf zu halten. Zu 
Hon do, wo die Zollhaus-Niederlage iſt, und der 
Waſſertransport aufhört, werden alle Waaren ausgeladen 
und zu Lande und auf Mauleſeln mit ungeheuren Ko— 
ſten nach Bogota gebracht. Fuͤr einen Artikel von 
einigem Gewicht, der in England zwei Pfund Sterling 
koſtet, belaufen ſich die Transportkoſten von Hondo 
nach Bogota auf 500 Piaſter (Laubthaler). In Folge 
dieſer uͤbermaͤßigen Fracht ſtehen europaͤiſche Waaren 
in Bogota in ungeheuren Preiſen, ſo z. B. koſten ein 
Überrof 10 Pf. Sterling, ein Paar lange Hofen 2 Pf. 
16 Schilling (ein engliſcher Schilling betraͤgt ungefaͤhr 


327 


8 Gar. pr. Courant), gemeiner Thee à Pfund 16 Schil— 
ling, die Flaſche Branntewein 8 Schilling, ein Hut 2 
Pf. 16 Schill., ein Paar Schuhe von ordinaͤrer Qualität 
12 Schilling. Luxusartikel find in Bogota weder 
für Geld, noch für gute Worte zu haben. *) 

Endlich darf der Reiſende und Auswanderer nach 
Suͤdamerika ja nicht unbeachtet laſſen, daß dort kein 
Heidelberger- oder Nekkar-Klima herrſcht. Die 
Annehmlichkeiten des tropiſchen Klimas ſchil— 
dert eine ſchottiſche Literaturzeitung — The Edinburgh 
Review — folgendermaßen: Inſekten ſind der Fluch 
dieſer Klimate. Die Bete rouge legt den Grund zu 
abſcheulichen Geſchwuͤren. In einem Augenblik iſt man 
mit Maden bedekt. Chig ues bohren ſich in Eure Haut, 
und bruͤten in wenig Stunden eine ganze Kolonie von 
Jungen aus. Dieſe wollen nun nicht zuſammen leben, 
jedes erzeugt ein beſonderes Geſchwuͤr, und lebt von ſei— 
nem Eiterſtoff. Fliegen dringen Euch in die Ohren, 
Augen und Naſe. Ihr eßt, trinkt und athmet Fliegen. 
Eidechſen, Baſilisken und Schlangen kriechen 
in Euer Bett — Ameiſen zerfreſſen die Buͤcher — 
Skorpionen ſtechen Euch in die Fuͤße — uͤberall 
Biſſe, Stiche, Beulen — jede Stunde werdet Ihr von 
Thieren verwundet, die bis jezt Niemand geſehen, als 


U 


*) Ausführliche Nachrichten über die Preiſe und Koſten einer Reife 
und des Aufenthalts in Nord- und Suͤdamerika findet man in 
Brauns prakt. Belehrungen und Rathihlägen für 
Reiſende und Auswanderer nach Amerika. Braun: 
ſchweig 1829. Seite 28 ff. 


323 


Swammerdam und die Merian. Ein Inſekt mit 
eilf Beinen ſchwimmt in Eurer Theetaſſe, — ein noch 
unbeſchriebenes mit neun Fluͤgeln arbeitet in Eurem 
Duͤnnbier, oder ein Schmetterling mit einigen Duzend 
Augen am Bauche laͤuft uͤber das Brodt oder die Butter. 
Die ganze Natur lebt, und ſcheint Alles, was ſie von 
Inſekten enthaͤlt, verſammelt zu haben, um Euch aus 
Eurem Rokke, Eurer Weſte und Euren Beinkleidern 
herauszufreſſen. Dies ſind die Tropen-Gegenden! 

Schließlich theilen wir hier noch die neueſten ſtatiſti— 
ſchen Angaben von Kolombiens Eintheilung, 
Volkszahl und der Zahl ſeiner Senatoren und De— 
putirten in der Centralregierung mit. Aus ſei— 
ner ſchwachen Volkszahl wird man leicht erſehen, daß 
ſein uͤbermaͤßiger Militaͤrſtand — 38,000 Mann Linien— 
truppen — mit derſelben gar in keinem Verhaͤltniß ſteht, 
und daß dies ſchon ſeit faſt 20 Jahren durch den Auf: 
ſtandskrieg und innere Zerruͤttungen ſehr mitgenommene 
Land wahrſcheinlich noch durch manche blutige Kriſe gehen 
wird, ehe es zur Ruhe kommt. 


Neueſte Eintheilung Kolombiens 
nebſt Zählung ſeiner Bevoͤlkerung, Zahl der Sena— 
toren und Deputirten, die jedes Departement und 
jede Provinz ſtellt Y: 


Departement. Provinz. Einwohner. Senatoren. Deputirte. 
Margarita 14,690 0 1 
Ra Ste 38,487 ee 
Guayana 16,310 0 2 


*) Aus der Gazette de Colombia vom 30ſten Septbr. 1827. 


229 


Departement. Provinz. Einwohner. Senatoren. Deputirte. 
ER Varinas 87,179 A 3 
Orinoco. | Apure 22,333 0 1 
Carabobo 159,874 0 4 
Venezuela. | Caracas 166,066 4 6 
Coro ; 21,678 0 1 
4 Maracaibo 25,044 4 2 
Sulia. Trurillo 32,551 0 4 
Merida 41,678 0 2 
2 amplona 88085 0 2 
ocorro 135,081 0 5 
Bo paca. Zunia 189,632 4 6 
Caſanare 19,080 0 1 
f Bogota 188,695 0 6 
Cundina⸗ Neiva 47,167 0 2 
marca. Mariquita 51,339 4 2 
Antioquia 104,253 0 4 
u 0 0 0 3 
Carthagena 89,42 0 3 
Magdalena. Santa Marta 44,495 4 2 
b Rio Haha 11,925 0 1 
8 5 Panama 66,190 0 2 
Iſthmus. | Veragua 33,966 4 1 
\ Choco 18,230 0 1 
. Popayan 87,519 0 5 
Cau ca. ö Buenaventura 7,684 + 1 
Paſto 27,325 0 2 
Chimborazo 115,420 0 4 
Escuador. ee 135,169 4 4 
Imbambura 59,025 0 2 
Cuenca 76,423 0 3 
Aſuay. je 34,471 4 1 
Manabi 15,450 0 1 
Guayaquil. Guayaquil 56,038 4 2 


Im Ganzen 2,379,888 Einw. 48 Senat. 88 Deput. 


330 


xy, 
P Nr u. 


Nach dem Engliſchen des Stevenſon Y. 


Eine der Eigenthuͤmlichkeiten des Klimas in Suͤdame— 
rika, ſo wie uͤberhaupt der Kuͤſte von Peru von Arica 
bis Cap Blanco, (eine Strekke von ungefaͤhr 16 Breiten— 
graden), iſt, daß es faſt nie regnet. Im April oder Mai 
beginnen die Nebel, Garuas genannt, welche, mit gerin— 
gen Unterbrechungen, bis zum November fortdauern. In 
den Monaten Februar und März fallen zuweilen einzelne 
große Tropfen gegen 5 Uhr Nachmittags, was durch das 
Zuſammentreffen der Ausduͤnſtungen des Meers, die ſich 
in der Sonne erheben, mit den aus dem Oſten kommen— 
den kaͤltern Luftzuͤgen, ſich erklaͤren laͤßt, indem die er— 
ſtern dadurch verdichtet werden, und ſo in Tropfen auf 
die Erde herabſinken. — Man kann ſich, im Allgemei— 


*) Siehe Ahistorical and descriptive narrative of twenty 
years residence in South- America. Containing tra- 
vels in Arauco, Chile, Perou and Colombia; with 
an account of the revolution, its rise, progress and results, 
by W. B. Stevenson, formerly Private - Secretary to 
the President and Captain general of Quito, Colonel and 
Governor of Esmeraldas, Captain de Fragata, and late Se- 
cretary to the Vice- Admiral of Chile, His Excellency the 
right honourable Lord Cochrane etc. London. Hurst, Ro- 
binson and Co. 1825. 3 vols. Ein treffliches Werk. 


331 


nen einen Begriff von dem Klima von Lima machen, 
wenn man erfährt, daß im Jahre 1805 es 45 ſonnen— 
helle, 184 bewoͤlkte, und 136 abwechſelnd helle und be— 
woͤlkte Tage, im Jahre 1810 aber 46 der erſten, 189 
der zweiten und 129 der dritten Art gab. — Aus dem 
Vorherangefuͤhrten ergibt es ſich, daß die trokkene Jahrs 
zeit im Innern dann herrſcht, wenn der Nebel oder die 
Duͤnſte an der Kuͤſte ſich zeigten, und umgekehrt. Die 
Fluͤſſe an der Kuͤſte ſind waͤhrend des nebligen Wetters 
beinahe ganz trokken, ſchwellen aber in der Sonnenhize 
ſo an, daß man oft gar nicht daruͤber hinwegkommen 
kann, was durch das Schmelzen des Schnees und die 
heftigen Regenguͤſſe im Innern verurſacht wird. Die 
Chimbadores oder Badeadores, welche mit Guͤtern und 
Reiſenden uͤber die groͤßern Fluͤſſe gehen, wiſſen aus Er— 
fahrung und genauer Beobachtung nach der Stunde, in 
welcher das Anſchwellen des Stroms bemerkbar wird, ge— 
nau, wo der Regen gefallen iſt. 

Obgleich Lima von den furchtbaren Wirkungen der 
Gewitter frei iſt, ſo wird es doch durch viel heftigere 
Naturereigniſſe, die Erdbeben, heimgeſucht. Dieſe 
verſpuͤrt man hier in jedem Jahre, namentlich dann, 
wenn ſich die Duͤnſte zerſtreuen, und der Sommer die 
Erde zu erwaͤrmen anfaͤngt. Gewoͤhnlich bemerkt man 
fie in der Nacht, 2— 3 Stunden nach Sonnenuntergang, 
oder am Morgen nach Sonnenaufgang. In der Regel 
nehmen ſie die Richtung von Suͤden nach Norden, und 
die Erfahrung hat gezeigt, daß vom Aquator bis zum 
Wendekreiſe des Steinboks heftige Bewegungen der Art, 
ungefaͤhr einmal in fuͤnfzig Jahren Statt gefunden haben. 


332 


Seit der Eroberung find in Arequipa die heftigften 
in den Jahren 1582, 1604, 1687, 1715, 1784 und 1819, 
in Lima in den Jahren 1586, 1630, 1687, 1746 und 
1806, in Quito in den Jahren 1587, 1645, 1698, 
1757 und 1797 bemerkt worden. In dem Jahre 1805 
ſpuͤrte man im Januar, Februar, Maͤrz, Juni, Juli, 
November und December, und im Jahre 1810 im Ja— 
nuar, Mai, Juni und November Erdſtoͤße. — Wenn 
man bei feuchtem Wetter einen oder zwei ſchwache Stoͤße 
bemerkt, ſo kann man auf eine Veraͤnderung des Wet— 
ters rechnen, und eben ſo viel bei warmen und heißen 
Wetter. 

Die Haupterzeugniſſe des Thals von Lima 
find Zukkerrohr, Luzerne (Alfalfa), Mais, Wei: 
zen, Bohnen, eur opaͤiſche und tropiſche Fruͤchte 
und Kuͤchengewaͤchſe. Das Zukkerrohr gehoͤrt faſt 
ausſchließlich zu der ſogenannten Creolen-Gattung; 
feiner Zukker wird ſelten daraus bereitet, wohl aber eine 
groͤbere Sorte, Chancaca genannt. Der groͤßere Theil 
des Zukkerrohrs wird dazu benuzt, Guarapo zu machen. 
Dies iſt der ausgepreßte, gegohrene Saft des Zukkerrohrs, 
welcher das Hauptgetraͤnk der farbigen Leute bildet. Es 
iſt berauſchend, und ſeine Wohlfeilheit macht, daß man 
die Wirkungen deſſelben ſehr oft ſich aͤußern ſieht, na— 
mentlich unter den Uramerikanern, welche aus dem 
Innern kommen. Man glaubt, daß es bei den Weißen 
Hautausſchlaͤge hervorbringe, weswegen (oder wohl 
eigentlich, weil man es fuͤr gemein haͤlt, es zu trinken) 
dieſe ſelten davon genießen. Ich ſelbſt fand es ſehr an— 
genehm und zog es, wenn ich erhizt war, jedem andern 


333 


Getränk vor. — Die Fabricirung des Rum war in 
beru ſowol von dem Könige als vom Pabſte verboten, 
und zwar deswegen, um das ausſchließliche Privilegium 
der Weinberge, Branntewein aus ihrem Wein zu bren— 
nen, nicht zu gefaͤhrden — eine Verguͤnſtigung, welche 
den Eigenthuͤmern über 60,000 ſpaniſche Thaler koſtet. 
Die große Menge von Luzerne wird deswegen ge— 
baut, um die Pferde und Mauleſel in Lima mit Fut— 
ter zu verſehen, und man haͤlt nicht weniger als 1200 
Eſel, um dies von den Chacras, oder kleinen Meie— 
reien im Thale hineinzubringen. Es erreicht gewoͤhnlich 
eine Hoͤhe von drei Fuß, wird fuͤnf Mal im Jahre ge— 
ſchnitten, und gedeiht ſehr gut in feuchtem Wetter, iſt 
aber im Sommer, in der heißen Jahrszeit, oft ſehr ſel— 
ten, weil man es nicht begießen kann, da, wenn man 
dies thut, die Wurzeln, nachdem es geſchnitten iſt, fau— 
len. Deswegen iſt das Futter im Sommer nicht im 
Überfluß vorhanden, und die Einfuͤhrung einer andern 
Futtergattung duͤrfte mit großen Vortheilen verknuͤpft 
ſein. Ich habe nie trokkene Luzerne geſehen, und erhielt 
auf meine Frage, warum man ſie nicht trokkene und auf— 
bewahre, zur Antwort, daß man den Verſuch gemacht 
habe, daß fie aber fo duͤrr und geſchmaklos geworden fei, 
und daß die Pferde ſie nicht freſſen wollten, auch ent— 
hielten die Hauptſtengel der ausgewachſenen Luzerne ſehr 
oft eine Art ſchnupftabakartiges Pulver, welches den Thie 
ren ſehr ſchaͤdlich ſei, und eine Art von Tollheit hervor— 
bringe, ſo daß ſie haͤufig daran ſtuͤrben. Das gemaͤſtete 
Vieh, welches man nach Lima bringt, wird gewoͤhnlich 
einige Tage vor dem Schlachten mit Luzerne gefuͤttert. 


334 


Hirſengras hat Don P. Abadia in der Naͤhe der 
Stadt anpflanzen laſſen, ohne daß es jedoch haͤtte 1 
hen wollen; wahrſcheinlich lag indeß die Schuld an der 
Behandlung. 

Weizen wird zwar gebaut, man kann indeß auf 
keine gehörige Arnte rechnen, obgleich in guten Jahren 
die Beſchaffenheit des Getreides ſehr gut iſt. Mais 
wird mit großer Sorgfalt gepflanzt, und die niedern 
Klaſſen in Lima machen alljaͤhrlich einen ſehr ſtarken Ge— 
brauch davon. Auch wird es zum Viehfutter gebraucht, 
namentlch fuͤr Schweine, die ſehr fett davon werden. 
Man baut hier drei Arten von Mais, von denen eine 
jede ihre beſondere Eigenthuͤmlichkeit hat. Er ſcheint bei 
den Uramerikanern vor der Ankunft der Spanier 
im allgemeinen Gebrauch geweſen zu ſein; denn ich ſelbſt 
habe, wenn ich in den Huacas oder Begraͤbnißplaͤzen, 
ungefähr vierzig ſpaniſche Meilen von Lima, graben ließ, 
oft große Vorraͤthe davon gefunden. Eine bedeutende 
Menge wurde auf einer Meierei, Namens Vinto, in 
viereffigen Gruben oder Ciſternen entdekt, und dies war 
entweder ein oͤffentliches Magazin geweſen, oder, wie 
Einige glauben, eine Vorrathskammer, welche Huaina 
Capac angelegt hatte, als er gegen den Chi mu, einen 
Kuͤſtenbeherrſcher, im Jahre 1420 auszog. Das Korn 
war, als man es fand, obgleich es nach jener Hypotheſe 
vielleicht gegen 400 Jahre unter der Erde gelegen hatte, 
noch ganz wohlerhalten, was vielleicht an dem trokkenen 
Sande lag, in welchem es verſcharrt war. Ich ſaͤete 
einige Koͤrner davon aus, allein ſie wollten nicht aufge— 
hen; der Trieb des Keims iſt indeß noch nicht zerſtoͤrt, 


335 


und die benachbarten Dorfbewohner zogen aus der Ent: 
dekkung reichlichen Nuzen. 

In dem Thale wird eine große Menge von Boh— 
nen zur Nahrung fuͤr die Sklaven auf den Guͤtern und 
Pflanzungen gewonnen; der Markt von Lima wird in— 
deß aus den Thaͤlern an der Kuͤſte gegen Norden verſe— 
hen. — Die Kuͤchengewaͤchſe wachſen hier im Über— 
fluß, namentlich die Yuca oder Kaſſa va, welche be— 
ſonders ihrer nahrhaften Eigenſchaft wegen Beachtung 
verdient. Man kennt hier zwei Arten derſelben; die eine 
reift in drei Monaten, wird aber nicht fuͤr ſo gut als 
die andere gehalten, und iſt auch nicht ſo ergiebig als 
dieſe, welche erſt in ſechs Monaten ihre Vollkommenheit 
erreicht. Dieſe hat eine gelbliche Farbe, waͤhrend die an— 
dere vollkommen weiß iſt. Das Unbequeme bei dem Ge— 
brauch dieſer Wurzel iſt, daß man ſie kaum vier bis fuͤnf 
Tage erhalten kann, ohne daß ſie ſchwarz und ungenieß— 
bar wird. Man macht aus dieſer Pflanze bedeutende 
Vorraͤthe von Stärke. — Die Mandiok-Wurzel iſt 
auf der weſtlichen Kuͤſte des amerikaniſchen Feſtlandes 
ganz unbekannt. — Mehrere Kartoffelarten werden 
hier gebaut, und liefern reichlichen Ertrag. Sie ſcheinen 
indeß in dieſem Theile der neuen Welt ſchon vor der 
Ankunft der Spanier bekannt, und nicht allein auf Chili 
beſchraͤnkt geweſen zu ſein; was ich daraus ſchließe, daß 
fie in der Quichua-Sprache einen eignen Namen 
haben, während bei den in das Land eingeführten Gat— 
tungen nur der ſpaniſche Name gebräuchlich if. 

Camotes, gewoͤhnlich füge Kartoffeln, oder 
von den Spaniern Batatas genannt, wachſen hier in 


336 


großer Menge, ſowol die von der gelben, als die von 
der purpurfarbenen Art. Ich habe deren geſehen, die 
zehn Pfund wogen; wenn man ſie bratet oder kocht, ſo 
erhalten ſie einen noch ſuͤßeren Geſchmak als die Kaſta— 
nien, und alle Klaſſen von Leuten eſſen ſie. Wenn man 
ſie einige Zeitlang, nachdem man ſie aus der Erde ge— 
nommen, der Sonne ausſezt, ſo werden ſie weit mehli— 
ger, und halten ſich, wenn man ſie troknen laͤßt, ſechs 
Monate lang gut. — Die Arracacha, welche in die 
ſem Thal waͤchſt, wird weder ſo groß, noch hat ſie den 
angenehmen Geſchmak wie in den kaͤltern Klimaten. 
Nichts deſto weniger gewaͤhrt ſie ein ſehr gutes Nahrungs— 
mittel. Sie wird in einem lokkern, fetten Boden gebaut 
und hat gewoͤhnlich 5 — 6 Wurzeln, welche der Peterſilie 
ähnlich find, aber einen andern Geſchmak haben. Sie 
ſind indeß leicht zu verdauen, und man gibt ſie deswe— 
gen gewoͤhnlich den Kranken und Geneſenden; die 
Blaͤtter haben eine große Ahnlichkeit mit denen des Sel— 
leris. Man pflanzt dieſe Wurzel auf zwei Arten, durch 
Steklinge und durch Samen fort; im erſten Fall erreicht 
ſie in drei, im lezten in fuͤnf Monaten ihre Reife. Wenn 
man ſie doppelt ſo lange im Boden laͤßt, ſo erreicht die 
Wurzel, ohne daß ihr Geſchmak darunter litte, eine be— 
deutendere Groͤße. Aus den Wurzeln wird zuweilen 
Staͤrke gemacht. Man baut hier nur die weiße Arra— 
cacha. — Die Tomatas (Liebesäpfel) werden hier 
haͤufig gebaut, ſowol in der Kuͤche als zum Einmachen 
gebraucht, und geben eine ſehr angenehme Sauce. — 
Cayenne-Pfeffer, Aji, iſt in Menge vorhanden. 
Ich habe neun verſchiedene Arten davon gezaͤhlt. Die 


337 8 


groͤßten Schoten haben die Groͤße eines Truthennen-Eies, 
und die kleinſten, ſtaͤrkſten, ſind nicht dikker, als der Kiel 
einer Taubenfeder. Die Menge dieſes Gewuͤrzes, welche 
in Amerika verbraucht wird, iſt ungeheuer; ich ſelbſt habe 
häufig Ura merikaner zum Vergnuͤgen zwanzig bis 
dreißig Schoten, mit etwas Salz und einem Stuͤk Brodt 
dazu genießen ſehen. Aus einer Art Pimiento dulce 
wird ein vortrefflicher Salat gemacht; dies geſchieht, in- 
dem man die Schoten in der heißen Aſche roͤſtet, die 
aͤußere Haut abzieht, die Samenkoͤrner herausnimmt, 
und fie mit Salz, Öl und Eſſig zubereitet. — Dünger 
wird bei der Bebauung der Felder nie angewendet. Die 
außerordentliche Fruchtbarkeit des Bodens ſcheint durch 
das truͤbe Waſſer von den Bergen, das einen gewiſſen 
Schlamm zuruͤklaͤßt, der eine große Menge thieriſcher 
Theile enthalten ſoll, noch erhoͤht zu werden. 


Brauns Skizzen von Amerika. 22 


Fi 338 


XXI. 
Braſilien 
i n 


anſiedleriſcher Ruͤk ſicht. 


„Wenn die Vorſehung geſchehen laͤßt, daß in dem ſchma⸗ 
lern Lande zu viele Menſchen werden, und auf der 
ungemein großen und fruchtbaren Strekke zu we⸗ 
nige hingeſtreuet ſind, ſo iſt es ein untruͤglicher 
Wink, daß Klugheit und Entſchloſſenheit der Men— 
ſchen dieſes Misverhaͤltniß ausgleichen ſoll. In 
Epochen großer Unzufriedenheit iſt es das ſicherſte 
Ableitungsmittel des Gaͤhrungsſtoffes. Auswande— 
rung in alle Weltgegenden iſt fuͤr den Deutſchen 
der Erſaz der Eroberung, der Koloniſirung im Gro: 
ßen, — und ſelbſt der merkantilen Vorthei— 
le, die nur eine große Seemacht erzielen kann. 
Namentlich iſt es Beduͤrfniß und Herkommen in der 
Rheinpfalz und in Wirtemberg. Das Ver— 
langen iſt mehr wach als je. Es iſt daher die Pflicht 
der Regierung, der Auswanderung keine Hinder— 
niſſe zu ſchaffen, ſondern dieſe auf die direkteſte Weiſe 
zu beſeitigen. Das monarchiſche Prinzip ſelbſt 
gewinnt, wenn der Unterthan dieſe nachdruͤkliche 
Huͤlfe dankbar verſpuͤrt, und ihm der falſche Wahn 
benommen wird, daß er nur für die menus plai- 
sir da ſei. Die unverkennbaren Nachtheile kleiner 
Staaten ſind eben durch ſolche Sorgfalt auszugleichen. 
Im Großherzogthum Heſſen wird dies Alles 
noch beſtaͤtigt durch die Verfaſſung, durch die Klug— 
heit der Miniſter, und durch das feierlich ausge— 
drüfte Vorhaben des Landesherrn, Muſter zu fein. 


339 


Die Misshandlung der Deutſchen in Bra: 
filien, das nicht gehaltene Wort, das Unbeſtimmte 
in den Zuſagen, der halbe oder ganze Zwang zum 
Soldaten faͤllt auf das Koͤnigthum ſelbſt, oder das 
monarchiſche Prinzip in Braſilien nach— 
theilig zuruͤk.“ 
Freiherr von Gagern. 


Seit einem Jahrzehent geht ein großer Zug der deutſchen 
Auswanderer nach Braſilien, Mexiko und Bue— 
nos-Ayres, ja Sachſen liefert jezt Bergleute ſogar 
in die Gold- und Silberminen von Chili und Kolom— 
bien. Von der Auswanderung nach Braſilien muͤſ— 
fen wir aber, wie ſchon oben geſchehen, abrathen; denn 
hier werden deutſche Auswanderer, nachdem ſie unter gro— 
ßen Koſten und nach Erduldung unbeſchreiblicher Faͤhr— 
lichkeiten waͤhrend der Seereiſe dort endlich gluͤklich ange— 
landet ſind, unter das Militair geſtekt, und muͤſſen, wenn 
ſie nur einigermaßen dazu faͤhig ſind, einer ihnen ganz 
fremden Fahne folgen. Hier ward oft der aus Deutſch— 
land ankommende Hausvater von ſeiner Familie getrennt, 
die er nie wieder ſah, um in dem hoͤchſt unpolitiſchen 
Kriege des Kaiſers Peter gegen Buenos-Ayres in un— 
geheuern Wildniſſen ſein Leben auszuhauchen. Nicht in 
dem Grade, wie in Braſilien, indeß Verſuche, die deut— 
ſchen Koloniſten in Soldaten zu verwandeln, fanden auch 
1828 und 29 in dem von faſt unaufhoͤrlichen Buͤrgerkrie— 
gen zerruͤtteten Buenos-Ayres Statt. Gegen die Aus— 
wanderung der Deutſchen nach Suͤdamerika ſtreitet ferner 
das unuͤberwindliche Hinderniß des heißen, die Reihen 
der Deutſchen nicht ſelten auf die Haͤlfte verduͤnnenden 


340 


Klimas; die ungewohnte Beſchaͤftigung im neuen Lan— 
de, wo ſie ſtatt des ihnen bekannten Akkerbaues, Zukker, 
Kaffee und Baumwolle erzielen ſollen, um die ihnen von 
der Regierung geleiſteten Vorſchuͤſſe ſchneller wieder zu 
erſezen; endlich bereitet eine gaͤnzlich veraͤnderte Lebensart 
nicht wenigen der dortigen deutſchen Koloniſten ein 
fruͤhzeitiges Grab, wobei wir des Neides und der Mis— 
gunſt der Braſilianer gegen Deutſche nicht einmal geden— 
ken. Zwar hat die braſilianiſche Regierung große Koſten 
fuͤr die Koloniſirung der Deutſchen in Braſilien aufge— 
wandt, allein was hat es dieſen helfen koͤnnen, da, nach 
Weech, das Meiſte davon die mit der Koloniſation be— 
auftragten braſilianiſchen Beamten, welche faſt ſaͤmmtlich 
dabei ſehr reich geworden ſind, untergeſchlagen haben ſollen? 
In den drei erſten Jahren (1819 — 22) der Anſiedlung 
der Deutſchen und Schweizer zu Neufreiburg hat die 
portugiſiſch-braſilianiſche Regierung 3,499,998 Gulden 
zur Kolonifation der Deutſchen verwendet. Dieſe Unter: 
ſtuͤzung der Koloniſten hoͤrte aber ein Paar Jahr darauf beim 
Ausbruch des Krieges zwiſchen Braſilien und Buenos- 
Ayres ganz auf, wogegen die Konſkription unter den 
Deutſchen, um aus ihnen tuͤchtige Soldaten zu machen, 
eingefuͤhrt ward. Beim wiederhergeſtellten Frieden iſt es 
dem Kaiſer Peter von Braſilien, wegen ſeiner großen, 
durch jenen Krieg herbeigefuͤhrten Ausgaben und Schul— 
den, noch nicht moͤglich geweſen, den dortigen deutſchen 
Koloniſten die fruͤhere Pflege und Unterſtuͤzung wieder 


> angedeihen zu laſſen. Im Jahre 1826 wohnten auf der 


zuerſt angelegten deutſchen Kolonie Neufreiburg von 
den fruͤhern deutſchen Anſiedlern kaum noch 300 Seelen 


341 


in einem armen und unglüffeligen Zuſtande, die dortigen 
verlaſſenen Wohnungen wurden baufaͤllig, und ſchon nach 
einem Jahrzehnt wird der Wanderer mit Muͤhe erkennen, 
wo einſt Neufreiburg ſtand. Außer dem Militair, 
welches der Kaiſer von Braſilien fuͤr ſeine Hauptſtuͤze 
ſeines Thrones haͤlt, koſten ihm auch ſeine Lieblingsnei— 
gungen ſolche bedeutende Summen, daß fuͤr Koloniſa— 
tionsprojekte wahrlich nichts uͤbrig bleiben mag. So ſoll 
er einer ſeinen ehemaligen Schoͤnen, ſeiner reizenden 
Staatsdame Dimitilia von Santos nicht nur 
den Titel Marquiſe, ſondern auch ein jaͤhrliches Einkom— 
men von 290,000 Franken zu verleihen geruht haben *). 

Nachdem wir nun Braſiliens Schattenſeite 
dargeſtellt, fuͤhlen wir uns nach den von uns befolgten 
Anſichten der Unpartheilichkeit gedrungen, auch deſſen 
empfehlende Seite mitzutheilen, damit, wenn jene Nach— 
richten falſch und uͤbertrieben ſein ſollten, ſie um deſto 
ſchneller widerlegt werden koͤnnen. Der dortige deutſch— 
lutheriſche Prediger Joachim Georg Ehlers (früher 
bei der Jakobikirche in Hamburg angeſtellt) ſchreibt aus 
der deutſchen Kolonie St. Leopoldo unweit Porto 
Aegre an den menſchenfreundlichen Freiherrn von 
Gagern: „Die Gegenden der Provinz Rio Grande 
de Sal vom 29 — 34 — 36 S. B. und von den atlans 
tiſchen Kuͤſten bis zum La Platafluß ſcheint der gegen— 


*) Der Verdruß, daß Peter dieſelbe allenthalben auf ſeinen Reiſen 
nebſt ſeiner rechtmaͤßigen Gemalin mit ſich fuͤhrte, ſoll lezterer 
einem fruͤhzeitigen Tod bereitet haben. 

**) Man vergleiche hiermit den XVIII. Aufſaz dieſer Schrift. 


342 


waͤrtige Beherrſcher Braſiliens aus oͤkonomiſchen und po— 
litiſchen Ruͤkſichten beſonders fuͤr die Deutſchen beſtimmt 
zu haben. Wahrhaft paradieſiſch kann man dieſe Gegen— 
den nennen; die Welt vollendet ſich hier gewiſſermaßen 
in ihrer Herrlichkeit; ich zweifle, daß Adams Eden ſo 
ſchoͤn war. Ewig weht hier ein lieblicher Fruͤhling durch 
eine mit himmliſchen Reizen geſchmuͤkte Natur. Die 
Waͤrme des Sommers ſteigt gewoͤhnlich nicht viel hoͤher, 
als die des ſuͤdlichen Deutſchlands, 27 — 28 R., und der 
Winter gibt hoͤchſtens naͤchtlichen Reif, der bei den erſten 
Sonnenblikken des ruͤkkehrenden Tages ſchon wieder ver— 
ſchwindet. Der Regen erfolgt gewöhnlich alle acht Tage ); 


*) Nach dem Zeugniſſe des ſchweizeriſchen Handelskonſuls zu Fer: 
nambuco, Emanuel Ricon aus Genf, herrſchte in der 
Provinz Ferna mbuco vor 35 Jahren eine Trokniß, welche 
drei Jahre dauerte; nach demſelben treten beſonders in dem noͤrd— 
lichen Theile der Provinz Fernambuco zuweilen ſehr große Trok⸗ 
niſſe ein. Siehe deſſen Bericht in der Beilage zur Allg. 
Zeitung von Stegmann. 1829. Nr. 1. ff. Der Hr. Ri⸗ 
con, deſſen durch vier Beilagen der Allg. Zeitung fortlaufender 
ausfuͤhrlicher Bericht uͤber die Auswanderung nach 
Braſilien uns ſehr zuverläffig und leſenswerth ſcheint, wider: 
raͤth die Auswanderungen aus Europa, insbeſondre aus der 
Schweiz, nach Braſilien ganz. Am Schluſſe dieſes Berichtes ſagt 
er: „dies iſt das unvermeidliche Schikſal, welches jeden Euro— 
päer erwartet, der durch luͤgenhafte Taͤuſchungen verleitet, in 
dieſes Land (Braſilien) kommt. Der Militairdienft, welcher 
in andern Laͤndern ein Auskunftsmittel ſein kann, iſt hier zu Lande 
keins, wo dem gemcinen Soldaten gar keine Ausſicht auf Befoͤr— 
derung geoͤffnet iſt. Wohl iſt Braſilien ein ſchoͤnes Land, 
reich an Naturgeſchenken, aber bei feinem gegenwärtigen 


343 


verzögert er ſich einmal, fo erfezt ihn ein ſtarker Thau. 
Der Winter bezeichnet ſich durch Regen und der Sommer 
durch mehr Trokniſſe waͤhrend eines Monats; indeß ſo 
wie jener auch heitere Tage hat, ſo dieſer auch regnige. 
Sommer und Winter, beſonders dieſer, geben gewaltige 
Gewitter, in furchtbarer Majeſtaͤt verherrlicht ſich hier die 
Natur. Der Boden weiter ins Land hinein ſoll noch 
beſſer ſein, als der unſerer Kolonie zu St. Leopoldo 
bei Porto Alegre am Rio Grande. Hier iſt er in 
ſeiner Miſchung Lehm mit etwas Sand und Mergel, be— 
dekt mit einer ſtarken Lage Dammerde von vermoderten 
Pflanzen; weiter hinein nach dem Gebirge Matta 
Groſſe reich an Mineralien, beſonders Eiſen und Gold. 
Die Oberflaͤche unſerer Kolonie zu St. Leopoldo iſt ſtark 
huͤglich, und hebt ſich an den Grenzen zu den beſagten 
hohen Waldgebirgen; im Durchſchnitt zaͤhlt ſie etwa ſieben 
Legois. Huͤgel und Thaͤler, und Waͤlder und Wieſen wech— 
ſeln aufs Lieblichſte mit einander. Allenthalben treten 
Quellen hervor, nach allen Richtungen ergießen ſich Baͤche 
und Fluͤſſe mit dem reinſten Waſſer; ein großer ſchiffba— 
rer und fiſchreicher Fluß, Rio Dolino, geht mitten durch 
die Kolonie und erleichtert durch Schifffahrt den Abſaz 


Zuſtande darf kein Schweizer daran denken, hier 
landwirthſchaftliche Kulturen zu betreiben. Sie 
mögen herkommen, auch temporairen Aufenthalt 
machen, aber als Kaufleute fuͤr Handelsverkehr, 
und um nachher in ihr gluͤkliches Vaterland zurük: 
zukehren.“ Man vergleiche hiermit: Mansfeld's Reiſe 
nach Braſilien. Magdeburg 1826 und Schlichthorſt Rio 
de Janeiro, wie es iſt. Hannover 1829. 


344 


unſerer Erzeugniſſe mittelſt Kuͤſtenfahrer bis Bahia und 
Buenos-Ayres. Schon aus freiem Triebe bietet die Na— 
tur einen großen Reichthum lieblicher Fruͤchte dar; faſt 
wild und ohne menſchliche Pflege gedeihen Sin aaͤpfel, 
Limonen, Zitronen, Feigen und Pfirſiche und 
in ſolchem Überfluſſe, daß mehr verderben, als genoſſen 
werden koͤnnen. Der Mais und die Bohnen geben 
3 — 400 faͤltig. Der Mandioca ſegnet noch reicher; 
dem faſt gleich ſteht der Reis. Übrigens gedeihen Rok— 
ken, Weizen, Gerſte, Hafer, Wein, Tabak, 
Flachs, Hanf, Seide, Indigo, Gujaven, Ana: 
nas, Melonen, Kartoffeln und Baumobſt. An 
Bau- und Faͤrbeholz iſt ein großer Überfluß, und 
wird groͤßtentheils nur zur Duͤngung verbraucht. Die 
hochbegraſeten Wieſen ſind mit unuͤberſehbaren Heerden 
von Rindvieh und Pferden bedekt. Die Schwei— 
ne= und Huͤhnerzucht geht beſonders gluͤklich von 
ſtatten. Die Schaafzucht koͤnnte ungemein vortheilhaft 
ſein, aber man haͤlt nicht darauf; gleiche Bewandniß hat 
es mit Enten und Gaͤnſen. Die Wildbahn iſt gut 
beſezt, und ſteht Jedem zur Benuzung offen; ſie lohnt 
dem Jaͤger beſonders mit Hirſchen, Rehen, Schwei— 
nen, Guͤrtelthieren, Huͤhnern, Faſanen und 
dgl. Der Geſang der Voͤgel iſt nicht ſo lieblich, als der 
in Deutſchland, dagegen prangen ſie mit einem ausneh— 
mend ſchoͤnen Gefieder. Schoͤn wie die gefiederte Schoͤp— 
fung, ſo ſchoͤn iſt die Blumenpracht. Gott welche 
Herrlichkeit!! Neben dieſen Herrlichkeiten gibt es auch 
Unannehmlichkeiten, beſonders die, verurſacht durch 
ſchaͤdliche Thiere. Tiger hat noch keiner unſerer 


345 


Koloniften geſehen. Krokodille (Ajagores) kommen 
oft zum Vorſchein, aber ſie ſind klein und furchtſam, ſie 
fliehen des Knaben Steinwurf; Schlangen gibt es 
auch, und unter dieſen auch giftige, ſelbſt die Jarrarat— 
te, allein Keiner hat je gehoͤrt, daß irgend Jemand toͤdt— 
lich gebiſſen wurde; der Skorpion iſt klein und un— 
ſchaͤdlich; fuͤrchterlicher ſoll die große Buſchſpinne 
ſein; die Moskitos ſind mir noch nicht beſchwerlich 
geworden, ich habe noch keinen Menſchen daruͤber klagen 
hören; die Flöhe, befonders in dieſem Jahre, verur— 
ſachen Beſchwerde; viele Floͤhe, glaubt man hier, deuten 
auf eine reiche Arnte. Über alles herrlich iſt das Leben 
der leuchtenden Schoͤpfungen in den Lichtkaͤfern. — 
Ich habe hier beſonders von unſerer Kolonie zu St. 
Leopoldo geredet, außer dieſer gibt es noch eine deut: 
ſche Kolonie zu Torres, dreißig Legois von hier, und 
eine zu Miſſion, da, wo ehemals die Jeſuiten ihre 
Patriarchalkolonie errichteten. Hier, beſonders in der 
lezten, ſoll Fruchtbarkeit und Schoͤnheit noch viel groͤßer 
ſein. Hinſichtlich des Geſchichtlichen ſchalte ich 
hier ein, daß vor etwa 50 Jahren dieſe ganze Gegend am 
Rio Grande hinab von wilden Uramerikanern be— 
wohnt war. Porto Alegre, jezt von 12,000 Seelen 
bewohnt, hatte damals noch weiter nichts, als einige 
Strohhuͤtten der ſich vom Fiſchfang naͤhrenden Urameri— 
kaner. Noch vor zwanzig Jahren hatten dieſe Urameri— 
kaner die rechten Ufer des Rio Docino in unſerer Kolonie 
im Beſiz. Seit der Zeit wurden die Eingebornen durch 
portugieſiſche Pflanzer zuruͤkgedraͤngt, und dieſe Gegend 
fo ein Wohnſiz kultivirter Völker. Porto Alegre bei dem 


346 


Anfange des Rio Grande durch die Vereinigung mehre: 
rer Fluͤſſe, des Rio Docino, Rio Parde, Rio Cahi u. A. 
iſt auf einer ſehr erhabenen Landſpize uͤberaus ſchoͤn ge— 
legen — eine Feenſtadt — reich durch Schifffahrt, Hand— 
lung und Landſize ihrer Einwohner, und ſehr geſund — 
Siz des Provinzial-Gouverneurs, des Juſtizgerichts und 
des Generalvikars. Die Tage, welche ich dort verlebte, 
find die ſchoͤnſten meines Lebens. Gegenwärtig zahlt die 
Stadt vier Kirchen, ein Spital fuͤr Kranke, ſchlecht ge— 
baut, aber gute Verpflegung ohne Verguͤtung; eine Mi— 
ſericordia, ein ſchoͤn gebautes, noch nicht vollendetes Ar— 
menhaus auf einem hohen Berge mit einer Kirche und 
einer Kapelle, einem ſchlecht gebauten Opernhauſe. Nord— 
weſt vor der Stadt, am Fluſſe Docino hinauf durch eine 
naſſe Gegend, vier Stunden entfernt, liegt eine portu— 
gieſiſche Kolonie Sapa caiza, und drei Stunden wei— 
ter, ſieben Stunden von der Stadt, unſer St. Leopol— 
do. Vor vierzig Jahren, alſo mit dem Anfange der 
Stadt Porto Wegre zugleich, errichtete die koͤnigliche 
Kammer hier eine Pflanzung von Hanf, und beſezte ſie 
unter der Aufſicht eines geiſtlichen Inſpektors, der ein 
Gehalt von 300 Rthlr. Sp. und freie Station bezog, 
mit zwanzig Negern maͤnnlichen und weiblichen Geſchlechs, 
die ſich binnen der Zeit auf 400 Seelen vermehrten. Dieſe 
Menſchen fuͤhrten ein gluͤkliches Leben, arbeiteten wenig, 
aßen gut, und machten ſich ſelbſt mehr zum Ziele ihres 
Strebens, als ihren Landesherrn. Zum Schuze der An— 
ſtalt dienten einige Militairperſonen, die aber ſo wenig 
Gebrauch von ihren Waffen machten, daß waͤhrend der 
langen Zeit alle Loͤcher der Flinten zugeroſtet, alle De— 


347 


gen in den Scheiden feſtgeroſtet waren. Bei der Revo— 
lution in Braſilien wurde dies koͤnigl. Inſtitut aufgeho— 
ben. Der Kaiſer kaufte alle Sklaven als Privateigenthum 
an ſich, und richtete das Land zu einer deutſchen Kolo— 
nie ein, deren Namen Victoria er ſeiner Gemalin zu 
Ehren in St. Leopoldo umwandelte. Ich habe mich 
zu weit vom Faden verirrt, muß daher zuruͤkkehren, um 
nachzuholen. — Der Menſch. Ein herrliches Geſchoͤpf 
iſt es, was dieſe Gegend bewohnt. Im Paradieſe finden 

wir ihn hier gewiſſermaßen noch im Stande der Unſchuld, 
aber auch noch in dem der Kindheit! Aufgenommen ſind wir 
von ihnen als Bruͤder, die vom Himmel ihnen zuruͤk— 
kehrten. Obgleich nicht der paͤpſtlichen Kirche zugethan, 
leben wir dennoch mit ihnen in guter Freundſchaft. Die 
vielen ſchlechten Subjekte, welche in die Reihe der guten 
traten, haben unſer anfaͤngliches Anſehen ungemein ge— 
ſchwaͤcht; ihre Rivalitaͤt erwacht ſeit einiger Zeit um ſo 
mehr, als der erhabene Kaiſer und ſeine Magiſtrate die 
deutſchen Koloniſten vor ihnen beguͤnſtigt; denn 
ſehr ſchwer wird es den hieſigen Einwohnern, Land von 
der Regierung zu bekommen, viel weniger Geldunter— 
ſtuͤzung, da dieſes jenen ſehr leicht wird ). Der Beherr— 
ſcher ſcheint dies fuͤr die Fremden, beſonders die Deut— 
ſchen, beſtimmt zu haben, aber dadurch wie ſeine Vorliebe 
für fie, fo feine Abſicht zu erklaͤren, ein neues kraͤftiges 
Geſchlecht zu begründen. Die Religion iſt voͤllig frei; 
Jeder kann Gott nach ſeines Herzens Gefallen anbeten, 
oder nicht anbeten. Keiner ſtoͤrt ihn. Ein ſeltenes Bei— 


*) D. h. vor Ausbruch des leztern Krieges mit Buenos-Ayres. 


248 


fpiel von Liberalitaͤt gibt der Beherrſcher darin, daß er 
proteſtantiſche Geiſtliche und Lehrer aus ſeinem Schaze 
beſoldet. Unſere Kolonie zu St. Leopoldo hat jezt in 
mir den Hauptpaſtor, mit 1200 Fl. Gehalt, außer: 
dem iſt mir noch ein Gehuͤlfe geſezt mit 300 Fl. Ein: 
nahme, wozu jeder ſeine Laͤnderei als eigenthuͤmliche Laͤn— 
dereien hat. Der jezt angeſtellte Lehrer hat 300 Gulden 
und 500 Morgen Land. Die Regierung iſt die gelindeſte, 
die es geben kann; jeder darf reden und ſchreiben, 
was und wie er will, Keiner bekuͤmmert ſich darum; die 
oͤffentlichen Abgaben ſind leicht und ruhen beſon— 
ders auf dem Luxus der Reichen ); der Landmann iſt 
frei in eben dem Maße, wie er es ſelbſt will, ſeit Be— 
gruͤndung der neuen Verfaſſung, ſelbſt vom Zehnten ſei— 
ner Erzeugniſſe. Unſer bisheriger Praͤſident, Jo zé Fe 
liciano Pinheiro, iſt ein Rechtsgelehrter. Er ge— 
waͤhrt ein ſeltenes Muſter von Milde, Schonung und 
Humanitaͤt; ein deutſcher Amtmann iſt viel durch— 
greifender in ſeinem Handeln. Er hat ſich der Welt auch 
als Schriftſteller angekuͤndigt. Seine Einnahme belaͤuft 
ſich jährlich auf 8000 Kruſaden. Er iſt ſeit einigen Ta: 
gen nach Rio de Janeiro abgereiſ't; der Kaiſer hat ihn 
zum Staatsminiſter ernannt. Der gegenwaͤrtige Inſpek— 
tor der Kolonie St. Leopoldo iſt Jozé Thomas de 
Lima, aus einer edeln Familie zu Porto Alegre, ein 
Mann von der groͤßten Herzensguͤte, nur ſchlimm, daß 
dieſer in einer Kolonie wie St. Leopoldo nicht ausreicht. 


*) Dann muͤßte aber der Kaiſer wohl das Meiſte zahlen! Daher 
ſcheint mir hierin dies ſchmeichelhafte Gemaͤlde unwahrſcheinlich. 


349 


Deutſche wollen Geſeze und ſtrenge Anwendung derſelben, 
daran ſind ſie von jeher gewoͤhnt, dies fordert ihr Cha— 
rakter. — Jeder Deutſche, der einzelne Mann, wie die 
Familie, erhält 500 Morgen & 160 DI Ruthen, oder 
nach hieſigem Maaße 200 Braſſes breit und 800 tief, als 
Geſchenk; ferner zwei Ochſen, eine Kuh mit einem Kalbe, 
drei Pferde, Schweine, Huͤhner u. ſ. w.; Sattel, Zaͤu— 
me, Axte, Hakken, Hippen, Kleidung von Kopf bis zu 
den Fuͤßen, Bettdekken, eiſernes Kuͤchengeraͤth, freien 
Arzt und freie Arzenei. Die Lebensmittel wurden an— 
faͤnglich in natura geliefert, auf jede Perſon zwei Pfund 
Ochſenfleiſch taͤglich, Brodt, Mehl, Bohnen, Spek, 
Schmalz, Salz, und zwar in ſolchem Überfluß, daß 
Manche weiter nichts thaten, als ihres Leibes zu pflegen; 
daher fand ſich die Regierung bewogen, ſtatt deſſen, mo: 
natlich auf jede Perſon, groß oder klein, fuͤnf Krontha— 
ler zu zahlen, was auf große Familien ein bedeutendes 
Geld bringt. Das Haus baut ſich Jeder mit Huͤlfe der 
Regierung ſelbſt. Die volle Unterſtuzung dauert 
ein Jahr. Dennoch will es mit den braſilianiſchen Ko— 
lonien nicht fort, als gemaͤß den großen Opfern, welche 
der Kaiſer fuͤr dieſe Sache bringt, es gehen ſollte. Wo 
liegt der Grund? Das Klima iſt das guͤnſtigſte, der 
Boden der fruchtbarſte, der Kolo niſt von ſo vortreff— 
licher Natur, daß er in allen Theilen der Erde vortreff— 
lich einſchlaͤgt, und hoͤchſt gluͤklich fortkommt. Wo liegt 
der Grund? Nicht im Kaiſer; ſeine Gnade kann nicht 
weiter gehen; nicht im Klima und Boden, ſondern viel— 
mehr in einzelnen Perſonen, welche noch nicht die Kunſt 
verſtehen, eine deutſche Kolonie zu adminiſtriren; dazu 


350 


gehören deutſche Geſeze und deutſcher Charak— 
ter, beſonders Ernſt, Beharrlichkeit, Gerechtigkeit und 
Rechtlichkeit; denn eine deutſche Kolonie iſt ein Gegen— 
ſtand und eine Sache des hoͤchſten Ernſtes. Fuͤrs Andere 
moͤge man die Urſache in den individuellen Charakter des 
Koloniften ſuchen. Zuchthaͤusler, Kammerdiener, 
Komptoiriſten, Schneider ꝛc. ꝛc. koͤnnen nie gute 
Koloniſten abgeben; ſie werden ihre Subſidien mit Suͤn— 
den verzehren, und ihre Kolonie zu nichts bringen, daher 
nach Ablauf der Subſidienzeit wieder davon laufen. Iſt 
es raͤthlich, deutſche Kolonien in Braſilien 
zu begründen? Iſt Braſilien den nordameri- 
kaniſchen Vereinten: Staaten vorzuziehen? 
Antwort: . 

1. So lange der Deutſche auf Koſten des Kaiſers 
hieher reiſen, und von ſeiner Gnade eine ſo reiche 
Unterſtuͤzung ) erwarten darf, komme in Gottes 
Namen jeder redliche, geſunde Mann, nirgends 
kann er leichter und beſſer ſich und ſeine Familie 
ernaͤhren, als hier; doch der unverheirathete Mann 
hat immer ein ſchweres Spiel: das Repariren 
der Kleider, Waſchen, Kochen, das Feldarbeiten 
zerſplittert ſeine Kraͤfte dermaßen, daß er in 
Nichts etwas Erklekliches leiſtet. 

2. Kommt er auf eigne Rechnung, ſo iſt zu beruͤkſich⸗ 
tigen, ob er die Fracht bezahlen kann. Kann er 
dieſe nicht leiſten, und daͤchte er ſich durch Ver— 
dingen auf mehrere Jahre, daß ſie ihm Jemand 


*) Dieſe Unterſtuͤzung hat, wie ſchon bemerkt, ſeit 1826 aufgehört. 


3. 


351 


vorſchießen wuͤrde, ſo hat er ſich uͤbel verrechnet; 
denn Keiner wird ihn dingen, Keiner ihm etwas 
vorſchießen, und waͤre dies der Fall, ſo wuͤrde 
unſer Geſchlecht dadurch gewaltig verlieren, denn 
es wuͤrde zur Entwuͤrdigung des ſchwarzen Skla— 
vengeſindels hinabſinken. Kann er die Fracht be— 
zahlen, ſo daß er hier frei ankommt, aber mit 
leerer Hand, ſo hat er als Bauer dennoch immer 
einen ſchweren Anfang. Kann er ſich frei herlie— 
fern, und behaͤlt er noch uͤberdem hier 100 Thaler 
uͤbrig, mit denen er hier ſein Werk beginnen kann, 
ſo iſt er ein geborgener Mann, und ſeines Gluͤks 
kann er in eben dem Maaße ſicherer ſein, als ſein 
Vermoͤgen groͤßer und ſeine Familie ſtaͤrker iſt; 
viele erwachſene Kinder zu haben, iſt ein großer 
Hausſegen. Wer ein Kapital von 1000 Thalern 
mitbringt, muß bei gehoͤriger Einrichtung ſeiner 
Wirthſchaft und Benuzung derſelben bald wohlha— 
bend werden; denn nirgends bezahlt man die Er— 
zeugniſſe des Feldes theurer als hier: ein Schef— 
fel Calenbergiſches Maaß Weizen koſtet 4 — 5 
Gulden, eine Bouteille Wein 1 Gulden, ein Pfd. 


Butter einen Gulden. 


Leuten, denen ich es vor Gott und mei— 
nem Gewiſſen rathen kann, hierher zu 
kommen, ſind, wie ſchon angedeutet: Solda— 
ten, aber noch fuͤr mehrere Jahre in dieſem Stande 
brauchbar; Bauernfamilien; die niedern, zum 
Landbau erforderlichen Handwerker, als: Wag— 
ner, Tiſchler, Schuhmacher ꝛc. ꝛc. beſonders 


4. 


5. 


352 


aber wohlerfahrne Berg- und Huͤttenleute. 
Aus der gelehrten Welt: Arzte; dieſe werden 
theuer bezahlt, und allenthalben bietet man ihnen 
die Hand zu einem gluͤklichen Leben. Dieſe ver— 
fehlen ihr Gluͤk nach menſchlichen Einſichten nicht, 
finden es hier weit groͤßer, als irgend anderswo. 
Handwerker, Berg- und Huͤttenleute und 
Arzte, auch dann, wenn ſie ohne einen Kreuzer 
Vermoͤgen hierher kommen. 

Dagegen iſt unverheiratheten Maͤnnern mit ganzer 
Seele zu rathen, ſich zuvor zu verheirathen. Ab— 
zugathen, und zwar gänzlich abzurathen iſt die 
Auswanderung: alten, gebrechlichen Leu— 
ten; denn dieſe gehen hier ihrem Elende entge— 
gen, da dies Land noch nicht fo mit Kranken- 
und Armenhaͤuſern als Europa verſehen iſt; fer— 
ner Gelehrten, als Theologen, Juriſten, 
Kameraliſten, Kuͤnſtlern, Malern, Mu: 
ſikern. Weiter findet hier ein ſchlechtes Feld der 
Kaufmann, der kein Geld hat, und eine voͤl— 
lige Sandwuͤſte: der Kammerdiener, Jaͤger, 
Kutſcher, Haarkraͤusler, Thierarzt xc.x. 
Einzelne Fabrikanten, als Hutmacher, 
Seifenſieder zc. ꝛc. koͤnnten hier gut fortkom— 
men. 

Wer heruͤberkommt, thut wohl, wenn er 
folgende Sachen mitbringt: Der Landmann 
fein eiſernes Akkergeraͤth, Pflugeiſen, Arte, Hak— 
ken, Ketten, Senſen. Der Handwerker ſein 
Handwerksgeraͤth, ſofern es von Metall iſt. An 


353 


Saͤmerei: Kartoffeln, Obſtkerne, Wei— 
zen, Roggen, Gerſte, Dinkel, Hafer , 
Samen zu allerlei Gemuͤſe, Hopfen, Kuͤm— 
mel, Anis, Krapp, Waid, Safran, 
Klee, Luzerne, Eſpargette, Rapſaat, 
Tannen, Fichten, Eichen, Buchen, Maul: 
beeren. An Thieren: Seidenraupeneier, 
Kaninchen, Pfauen, Nachtigallen, vere— 
delte Schaafe ꝛc. c. An Buͤchern: Geſang— 
buch, Katechismus, die Bibel und die Fibel. 
Nach den in dieſen Zeilen gegebenen Rathſchlaͤ— 
gen mögen denn in Gottes Namen fo viele Deut— 
ſche kommen, als nur irgend moͤglich; ſie finden 
hier ihren Wohnſiz ſo ſchoͤn, als ihn die Erde nur 
irgendwo hat, ſo reichlich geſegnet, daß bei gerin— 
germ Fleiße der Menſch ſein gutes Auskommen 
und bei einiger Spekulation und Anſtrengung 
Wohlſtand, ſelbſt Reichthum ſich erwerben wird. 
Moͤgen nur immer recht viele brave Deutſche 
kommen, das Land iſt groß, ſo groß als Deutſch— 
land, wenigſtens doppelt ſo fruchtbar, aber an 
Menſchen fehlt es, die uͤberſchwenglichen Segnun— 
gen des Himmels zu genießen. Nicht mehr als 
100,000 Seelen zaͤhlt man, von denen die Haͤlfte 


| 

*) Wenn obige Getreidearten in Braſilien bereits wohl gedeihen, 
wozu ſoll deren Samen erſt von hier dort eingefuͤhrt werden? 
Iſt hier vielleicht das Gedeihen derſelben auf dortigem Boden 
anticipirt, wie deutſche Geographen Staaten in Amerika auf dem 
Papiere anticipiren, ehe ſie dort in der Wirklichkeit exiſtiren? 


N 
| Brauns Skizzen von Amerika. 23 


354 


Schwarze und Mulatten, Sklaven find. Und 
noch ſicherer und vollkommener als eigenes Gluͤk, 
dürfen Altern das ihrer Kinder erwarten: dieſe 
werden eigentlich erſt aͤrnten.“ 
Dieſer Auszug iſt aus einem Schreiben des Herrn 
Paſtors Ehlers zu St. Leopoldo vom 16ten Jan. 1827. 
Wir beſchließen gegenwaͤrtigen Aufſaz, indem wir 
noch den Bericht eines aus Braſilien zuruͤkgekehrten — 
wie es mir ſcheint, ſehr zuverlaͤſſigen — Deutſchen, des 
Herrn J. Friedrich v. Weech, hier mittheilen. Der— 
ſelbe ſagt in dieſer Hinſicht: „Jeder Fremdling, der ſich 
in Brafilien anzubauen wuͤnſcht, erhält unentgeldlich 
ſo viel Land, als er zu ſeinem und der Seinigen Unter— 
halt bedarf; er iſt waͤhrend zehn Jahren von jeder Ab— 
gabe und allen Verpflichtungen fruͤherer Einwohner be— 
freiet. Wuͤnſcht er, ſich den bereits beſtehenden Ko— 
lonien anzuſchließen, ſo wird er dahin gebracht, und ſo 
lange mit Geld oder Naturallieferungen unterſtuͤzt, bis 
er ſelbſt im Stande iſt, von dem Ertrage ſeiner Felder 
zu leben. Die wohlwollende Regierung nimmt ſogar 
darauf Ruͤkſicht, daß die Europaͤer ſehr viel von der 
Hize der noͤrdlichen Kuͤſtenlaͤnder leiden, und hat den 
Kolonien Gegenden in einem eben fo milden als geſun- 
den Klima angewieſen. Jeder Bewohner Braſiliens er— 
freut ſich der vollkommenſten Meinungs- und Ge: 
wiſſens freiheit. Wohlthaͤtig und kraͤftig ſchuͤzt ihn 
die Juſtiz, er muͤßte denn einen offenbaren Eingriff in 
die Geſeze wagen. Jeder, ohne Unterſchied, er mag nun 
ein Gewerbe oder ein anderes Geſchaͤft treiben, darf ſei— 
nen Aufenthalt waͤhlen und aͤndern, wie es ihm beliebt. 


2355 
Keinen Zunft⸗, keinen Innungszwang darf er 
fürchten, keine druͤkkenden Abgaben — allenthal— 
ben findet er Verdienſt und ein unbeſchraͤnktes Feld fuͤr 
ſeine Betriebſamkeit. 

Wo ſo viele Vortheile ſich herausſtellen, darf man 
wohl die Behauptung wagen, daß ſelbſt der Unbemit— 
telte, wenn er fuͤr Andere nur arbeiten mag, und ſparſam 
zu leben verſteht, im Stande ſein werde, ſich ſeinen Un— 
terhalt zu verſchaffen. Wer daher politiſcher Mei— 
nungen wegen verfolgt wird, wer zu wenig Ver— 
moͤgen beſizt, ſich und ſeine Familien zu ernaͤhren, 
wen Ungluͤk, hohe Steuern und harte Glaͤubi— 
ger noͤthigen, den Heerd, an dem Vater und Ahnherr 
arm aber gluͤklich gelebt, zu verlaſſen, wem Kraft der 
Arme, Geſundheit und Muth zu Theil geworden, 
der ziehe nach Braſilien, und athme dort die freie 
Luft des Himmels, frei, wie er ſelber. Seine fleißigen 
Haͤnde werden ihm und den Seinigen bald ein Obdach 
ſchaffen; die fruchtbare Erde wird ſeine Bemuͤhungen 
ſegnen; dem Schweiße ſeines Antlizes wird der Wohl— 
ſtand entbluͤhen — und kein Zwingherr wird kommen, 
und ſeinen Antheil an der Arnte heiſchen, Keiner fie um 
ſeines Seelenheils wegen verſchlingen wollen — denn 
uͤber ihm waltet nur Gott und das Geſez. 

Wer dagegen in der Heimath auch nur 
mittel maͤßigen Unterhalt findet, thut gewiß 
beſſer, daſelbſt zu bleiben, und ſeinen Fleiß zu 
verdoppeln; in Braſilien warten ſeiner große Entbehrun— 
gen und viele Unannehmlichkeiten; denn wenn der An— 
fang allenthalben ſchwer iſt, fo wird man nicht verlan— 


356 


gen, in einem in der Lebensweiſe fo ſehr verſchiedenen 
Lande und Klima, und bei gaͤnzlicher Unkunde der 
Sprache und Sitten der Einwohner, die Haͤnde muͤßig 
in den Schooß legen, und ſtets auf Roſen ſchlummern zu 
koͤnnen. Man muß viel, ſehr viel arbeiten, mehr und 
mit groͤßerer Anſtrengung, als in Europa. Den Muͤ— 
ßig gaͤnger erwarten dort, wie hier, nur Ar— 
muth und Elend; den Leichtglaͤubigen aber, und 
es gibt ſolche Leute, die, wenn ſie an Braſilien denken, 
nur von Diamanten und Gold traͤumen, kann man 
verſichern, daß erſtere dort ſo theuer, wie in Europa 
ſind, daß an Papiergeld Überfluß iſt, Gold und 
Silber hingegen doppelt ſo hoch im Werthe, als in 
den geldaͤrmſten Laͤndern unſers Welttheils ſtehen. Den 
Gedanken an Ruͤkkehr ins Vaterland mit ſchnell erwor— 
benen Reichthuͤmern gebe aber jeder Auswanderungslu— 
ſtige auf. Es bleibe ſein hoͤchſtes Ziel, ſich und ſeine 
Familie anſtaͤndig zu unterhalten, ein ſorgenfreies Alter 
zu ſichern, und mit der Beruhigung einer hoͤhern Be— 
ſtimmung zu folgen, daß es ſeinen Erben wohl ergehen 
werde, wenn ſie in ſeinem Geiſte fortleben. 

Mit Bedauern muß hier bemerkt werden, daß un— 
ter den bisher Eingewanderten ſich nur Wenige eines 
ertraͤglichen Schikſals erfreuen. Es waͤre ungerecht, dem 
Lande, den Eingebornen, oder jenen Maͤnnern alle Schuld 
beizumeſſen, welche von der Regierung beſonders beauf— 
tragt waren, fuͤr das Wohl der Kolonie Sorgen zu tragen Y. 


*) Seite 219 der untengenannten Schrift beſchuldigt Herr v. Weech 
dagegen den von der Regierung beauftragten Gachet der größ: 


357 


Es trifft die Mitglieder derſelben, fo wie die für fich Le— 
benden der gerechte Vorwurf, daß ſie zum Theile ſelbſt 
die Urheber ihres Misgeſchiks ſind. 


ten Unrechtlichkeiten, und wiederholt dieſe Beſchuldigung Seite 
220 gegen die übrigen Commiſſaire. Siehe Brafiliens 
gegenwaͤrtigen Zuſtand und Kolonialſyſtem. Beſon⸗ 
ders in Bezug auf Landbau und Handel. Zunaͤchſt fuͤr Auswan⸗ 
derer. Von J. Friedrich von Weech. Hamburg 1828. 
Seite 6 ff. Auch andere Schriftſteller und Auswanderer, die 
über Braſilien geſchrieben, klagen über manche der Regierungs- 
beamten ſehr, z. B. Ebel in ſeinem Werke: Rio de Janeiro 
und feine Umgebungen im Jahre 1824, in den Briefen eines Ri- 
gaers. St. Petersburg 1828. In der Akademie der Wiſſen⸗ 
ſchaften. 


3 


XXII. 
über den gegenwaͤrtigen Zuſtand 
| | des 
braſilianiſchen Militairs im Allgemeinen ). 


Nach Lien au und Ehlers. 


Die braſilianiſchen Linientruppen find im Ganzen 
ſehr gut montirt; man kann ſie hierin der engliſchen 
Armee gleichſtellen. Der Kaiſer thut ſehr viel dafuͤr. 
Sein Wille iſt gut, und es fehlt ihm auch nicht in 
finanzieller Hinſicht an Mitteln, wohl aber an gehoͤrigen 
militairifchen Schulen und Einrichtungen. Leider ſcheint 
derſelbe oft von Andern hintergangen zu werden. 

Fuͤr das aus laͤndiſche Korps beſtehen keine 
Magazine, noch militairiſche Montirungs-Lokale. Die 
Bataillons-Kommandanten erhalten Geld, um fuͤr die 
Mannſchaft das Noͤthige an Montirungsſachen vorſchrifts— 


*) Da den neueſten Nachrichten zufolge fo viele Deutſche nach 
Braſilien auswandern, um ſich unter das dortige Militair 
anwerben zu laſſen, wozu man dort auch viele, die der Kaiſer 
von Braſilien auf ſeine Koſten hat heruͤber transportiren laſſen, 
unfreiwillig veranlaßt, — die Zahl der im braſilianiſchen Militair 
dienenden Deutſchen ſoll ſich gegenwaͤrtig auf 6000 belaufen — 
fo werden aus dieſem Grunde manchem Deutſchen, der in mili: 
tairiſcher Abſicht nach Braſilien reiſet, die hier mitgetheilten Nach— 
richten nicht unwillkommen ſein. 


359 


mäßig anfertigen zu laſſen, wobei fie es aber hinſichtlich 
der Guͤte nicht ſo genau nehmen. Ein Sergeant von 
Herrn von Lienau's Transporte, Baumgarten, ein 
Milchbruder der Kaiſerin, war einſt, da er ſich zu ihrer 
Majeſtaͤt begab, mit ſeiner neuen gelieferten Exercir-Jakke 
bekleidet und einer Feldmüze bedekt. Der Kaiſer fragte 
ihn: „Was das fuͤr eine Jakke ſei, die er trage“? „die 
ihm gelieferte“ war die Antwort. Hierauf mußte er die 

Jakke ausziehen, der Kaiſer beſah Muͤze und Jakke, 
warf beide in dem Schloßgarten auf die Erde mit dem 
Ausrufe: „Iſt das Tuch einer Unteroffizier-Uniform“, 
wofür ich fo viel Geld bezahlen muß *)? Schuhe werden 
in der Stadt zu zwei Patakos (zwei Mark Hambur— 
ger Banko) gekauft, und dem Soldaten aus ſeiner Maſſe 
wieder zu 3/ Patakos angerechnet. Der genannte 
Baumgarten hatte nicht die geringſte Luſt zum Mi— 
litair; ſich auf ſeine Milchſchweſter, die Kaiſerin, verlaſ— 
ſend, hoffte er Jaͤger am Hofe zu werden. Er ward bei 
ſeiner Ankunft gnaͤdig empfangen, die Kaiſerin ſchenkte 
ihm einhunderttauſend Rees; er erhielt auch eine monat— 
liche Zulage von zwoͤlftauſend Rees (tauſend Rees ſind 
1 Thaler 17 Groſchen) aus der kaiſerlichen Privatkaſſe. 
Indeſſen konnte ihn die Kaiſerin weder durch ihre Fuͤr— 
ſprache, noch ſonſt auf eine Art vom Militair befreien. 
Er fragte den Kaiſer einſt: „wie lange er denn als Sol: 


*) Dieſer Zug gereicht dem Kaiſer in meinen Augen zur groͤßten 
Ehre; er beweiſ't ſowohl ſeine Fuͤrſorge fuͤr das Militair, als 
auch eine Karakterſtaͤrke, die ſich nicht von Jedem hintergehen 
laſſen will. f 


360 


dat dienen muͤſſe?“ „So lange es mir gefaͤllt, und 
Euch Eure Knochen tragen!“ war die Antwort. 

Das Brodt, welches der Soldat erhaͤlt, ſo lange er 
in Garniſon iſt, iſt ſehr gut. Der eingeborne Soldat 
bekommt Farine ſtatt Brodt, gemahlenen tuͤrkiſchen 
Weizen, welcher ohne weitere Zubereitung gegeſſen wird. 
Bohnen, Fleiſch, Suppe, Reis u. ſ. w. ſind auch recht 
gut, und kann der auslaͤndiſche Soldat in Garniſon mit 
den Lebensmitteln, wenn er ſie wirklich erhaͤlt, wie der 
Kaiſer ſie bezahlt, zufrieden ſein; ſelten erhaͤlt er ſie aber 
ganz nach Vorſchrift des Kaiſers. 

Die braſilianiſchen Soldaten bekommen Car- 
noseca (in der Sonne getroknetes Buͤffelfleiſch), 
welches man bei den auslaͤndiſchen Soldaten auch einzu— 
fuͤhren ſuchte, welche es aber zum Fenſter hinaus warfen. 
Der Sold der auslaͤndiſchen Soldaten war taͤglich acht 
Ventins (ungefaͤhr zehn Schilling Kourant), davon taͤg— 
licher Abzug zwei Ventins fuͤr Ober-Montirung; ferner 
in die Maſſe, woraus derſelbe ſeine Unter-Montirung 
bezahlen muß, taͤglich zwei Ventins. Nach Abzug dieſer 
Artikel bleiben demſelben noch taͤglich zwei Ventins baar, 
welche ihm nach Abzug fuͤr Cachas (ein ſchlechter junger 
Rum), in Braſilien nicht das leiſten, was in Ham— 
burg ein halber Schilling thun wuͤrde. Dies Geld wird 
alle fuͤnf Tage ausbezahlt. 

Der Dienſt iſt willkuͤrlich, despotiſch und ſehr 
beſchwerlich. Die auslaͤndiſchen Soldaten er— 
halten durch den Tambour Pruͤgel auf den bloßen Ruͤk— 
ken mit Stoͤkken (Rehtröhte), wo bei jedem achten Hieb 
ein Anderer zum Schlagen kommt; 50 — 100 — 200 Pruͤ⸗ 


361 


gel werden, oft nach Laune, nach ſehr unbedeutenden 


Vergehungen, zuweilen ohne einmal dieſelben genauer zu 


unterſuchen, ausgetheilt. 

Es gibt wohl jezt keinen civiliſirten Staat, wo die 
Konſcription und harte Behandlung, beſonders gegen die 
Rekruten, groͤßer waͤre, wie gegen den braſiliani— 
ſchen konſtitutionellen Bürger. Sehr häufig wird be— 
fohlen zu konſcribiren; vom 17ten November 1824 bis 
den 30ſten Mai 1825 geſchah dies fünf Mal. Alsdann 
werden Kommandos von allen braſilianiſchen Trup— 
pen⸗Gattungen ausgeſandt, um alle Eingeborne, welche 
in den zum Militair paſſenden Jahren und tauglich 
ſind, zu preſſen und nach den verſchiedenen Garniſonen 
abzufuͤhren. Wer ſich freiwillig zum Militairdienſt ſtellt, 
ſoll 3 Jahre, der gepreßte Soldat aber 8 Jahre dienen. 

Die Unteroffiziere, welche mit der Dreſſur der 
Soldaten beſchaͤftigt ſind, verdienten beinahe ſelbſt erſt 
dreſſirt zu werden, um nur eine gehoͤrige militairiſche 
Haltung zu bekommen; ſie verſtehen den Stok recht gut 
zu fuͤhren, und ſchlagen mit demſelben den Rekruten, wo 
ſie ankommen koͤnnen, beſonders auf die bloßen Fuͤße. 
Der eingeborne Braſilianer niederer Klaſſe geht ge— 
woͤhnlich barfuß, wie der Negerſklave, ſo wie man auch 
in der Regel den eingebornen Eigenthuͤmer einer Pflan— 
zung, der zuweilen Beſizer von einhundert Negerſklaven 
und einer Menge Maulthiere iſt, dreißig bis vierzig 
Stunden weit, auf einem Pferde oder Maulthiere, bar— 
fuß beſpornt ſizend, zur Stadt kommen ſieht; denn Stie— 
fel anzuziehen haͤlt er fuͤr unbequem. Oft geſchieht es 
auch, daß der Unteroffizier, um ſeine Papier-Cigarre, die 


362 


er beim Exerciren der Rekruten, wenn kein Offizier in 
der Naͤhe iſt, gewoͤhnlich raucht, nicht erloͤſchen zu laſſen, 
oder wenn er ſonſt nicht Luſt hat, ſich von ſeinem 
Standpunkte zu bemuͤhen, um den Rekruten zu ſchlagen 
oder zu ſtoßen, ſolchen von da aus Steine an den Kopf 
wirft. Das braſiliſche Exercitium iſt groͤßtentheils nach 
dem engliſchen Reglement; es haben die Braſili— 
aner ſich aber noch viele Muͤhe zu geben, wenn ſie der 
engliſchen Armee darin gleich kommen wollen. Die Reu— 
terei iſt gut montirt, aber ſchlecht beritten. Obgleich die: 
ſelbe ſaͤmmtlich mit Hengſten verſehen iſt, ſind die Pferde 
doch ſchlecht im Stande, welches wahrſcheinlich von der 
großen Hize, dem ſchlechten Futter und der ſchlechten 
Wartung herruͤhrt. Von dem ritterlichen Anſehen, wie 
Major von Schäffer in feiner Schrift über Braſilien 
ſagt, bemerkt man bei derſelben nichts, wohl aber, daß 
Keiner ſein Pferd nur irgend kavalleriemaͤßig zu fuͤhren 
weiß; denn es iſt nicht zu viel geſagt, daß eine deut— 
ſche oder nordeuropaͤiſche Reuterei den Saͤbel nur 
blos zum Pariren gebrauchen darf, und beim erſten 
Choc gegen die brafilianifche Reuterei leztere ben= 
noch ſogleich demontirt ſein wuͤrde. Die Artillerie 
iſt ſehr gut montirt, auch die Beſpannung mit tuͤchti— 
gen Maulthieren, wie das Geſchirr (welches wahrſchein— 
lich aus England gekommen), vorzuͤglich gut. Auch ſah 
der Verfaſſer eine Fußbatterie von Negern bedient, ohne 
Beſpannung, indem die Neger die Kanonen ziehen 
mußten. 

Fuͤr den kranken Soldaten wird ſchlecht geſorgt; 
fo z. B. hatten die Arzte des ausländifchen Korps nicht 


363 


einmal trokkene Charpie und alte Leinwand, viel weni: 
ger Arzenei. Man ſieht häufig Soldaten mit zerfchlage- 
nem Ruͤkken, der gleich allen Wunden in Brafilien 
leicht in ſtarke Eiterung uͤbergeht; noch haͤufiger erblikt 
man andere mit böfen Füßen (Cerne, eine Art brafili- 
ſcher Kraͤze), womit beinahe jeder Europäer bald nach 
feiner Ankunft in Braſilien befallen wird. Bei Die: 
ſem Übel ſchwillt der Fuß gemeiniglich mehrere Monate 
hindurch ſtark auf. Die Bie ch e (Sandflöhe) find gleich— 
falls eine ſehr üble Landplage in Braſilien, und zie— 
hen ſehr ſchmerzliche Folgen nach ſich, wenn ſie laͤngere 
Zeit hindurch im Fuße bleiben. Man ſieht oft Soldaten, 
denen man zwanzig bis vierzig Bieche aus den Fuͤßen 
und Armen auf einmal ausgezogen hat, oft nach weni— 
gen Tagen wieder mit dieſem ſchreklichen Ungeziefer be— 
haftet. Gewöhnlich bekommt auch der Europäer bald 
nach feiner Ankunft in Braſilien ſtarke Dyſente— 
rie und oft dabei ruhraͤhnlichen Blutabgang. Fuͤr alle 
dieſe dort herrſchenden Krankheiten haben die Arzte des 
aus laͤndiſchen Korps, ſelbſt nicht fuͤr den damit be— 
hafteten Soldaten, die geringſte Arzenei, und werden oft 
von dieſem gebeten, ihm nur Arzenei auf ſeine Koſten 
aus der Stadtapotheke zu verſchreiben. Im Militair: 
Hospital liegen oft Soldaten mehrere Wochen krank dar— 
nieder, ohne die geringſte Arzenei empfangen zu haben; 
Andere, die mit Negern, Mulatten und Kreolen 
in einem Quartier liegen, mußten mit dieſen, obgleich 
ſie ohne Zweifel ganz verſchiedene Krankheiten hatten, 
aus einer Flaſche dieſelbe Arzenei nehmen, indem die 
auslaͤndiſchen Truppen den braſiliſchen Arzten ſich 


364 


nicht verſtaͤndlich zu machen im Stande waren. Die 
Speiſen waͤhrend der Krankheit ſind gut, ja oft werden 
fie in übermäßigen Gaben gereicht. Der Verfaſſer ſah 
Kranke, denen Jedem ein ganzes Huhn oder ein Stuͤk 
Rindfleiſch, ein Pfund ſchwer und noch daruͤber, zugetheilt 
ward. Viele, beſonders ſolche, welche von dem ſpirituoͤſen 
Cachas in der ſtarken Hize nicht abließen, ſtarben. 

Von den vielen nach Braſilien ausgewanderten 
Ärzten waren während des Verfaſſers Aufenthalt nur 
drei angeſtellt. 

Im December des Jahrs 1824, als dem Kaiſer 
von Braſilien gemeldet ward, daß viele Soldaten des 
auslaͤndiſchen Korps im Hospital krank darnieder laͤgen, 
begab ſich derſelbe eines Tages ſelbſt dahin, und machte 
ſelbſt den Arzt. Da die europaͤiſchen Soldaten noch 
nicht völlig die brafilifche Farbe hatten, erklaͤrte der 
Kaiſer den groͤßten Theil der Kranken fuͤr geſund, und 


ſchikte ſie ſogleich zu ihren Bataillon. Da dieſe aber 


noch zu ſchwach waren, ſahen die Arzte ſich genoͤthigt, 
ſie einige Tage ſpaͤter wieder ins Hospital zuruͤkzuſenden. 
Bei dieſer Gelegenheit, befahl der Kaifer den Arzt Meier 
ſich taͤglich in das Hospital zu begeben, um die kranken 
auslaͤndiſchen Soldaten zu behandeln. Als der Arzt ſich 
am folgenden Tage zum Kriegsminiſter und Staabschirur— 
gen der Armee begab, um deshalb naͤhere Unterweiſung 
einzuholen, erhielt er von denſelben zur Antwort: „Es 
befaͤnden ſich Arzte genug im Hospital, und ſollte er ſich 
nur zu ſeinem Bataillon begeben.“ Da der Arzt erwie— 
derte: „der Kaiſer habe es aber doch in ihrer Gegenwart 


365 


befohlen“, hieß es: „das fei nur fo ein Vorſchlag vom 
Kaiſer geweſen.“ 

Der Sold der Offiziere iſt nicht ſo bedeutend, 
wie Viele glauben. Der Faͤhndrich erhaͤlt monatlich 
15,000 Rees ); der dienſtthuende auslaͤndiſche Offizier 
2000 Rees Zulage, im Ganzen alſo 17,000 Rees, wovon mo— 
natlich Abzuͤge fuͤr das Offizier-Patent, welches zweitau— 
ſend Rees koſtet; ferner fuͤr ſeine Uniform monatlich ſechstau— 
ſend Rees, fuͤr ſeinen Mittagstiſch im Abonnement, we— 
nigſtens ſechstauſend Rees, fuͤr ſeinen Bedienten eintau— 
ſend Rees, im Ganzen fuͤnfzehntauſend Rees; es bleiben 
ihm alſo noch die zweitauſend Rees Service fuͤr alle ſon— 
ſtigen Ausgaben und Obdach in der Kaſerne. Der Lie u— 
ten ant erhält 21,000 Rees, dabei dieſelben Abzüge des 
Faͤhndrichs, und monatlich, wenn er eine Kompagnie be— 
fehligt, fuͤnftauſend Rees monatliche Zulage. Der Ka— 
pitain und Kompagnie-Chef 32,000 Rees, und 
2000 Service, muß dabei dieſelben Abzuͤge als die eben— 
genannten leiden, ausgenommen fuͤr das Offiziers-Pa— 
tent dreitauſend Rees; der Major 45,000 Rees, 7000 
Rees fuͤr Pferderation. Gleiche Verguͤtung fuͤr die Pfer— 
deration erhaͤlt auch der Bataillons-Adjutant. Ein 


* Ein Cruſade in Portugal hat vierhundert Rees, in Fracht 
und Zahlungen aber 480, gilt etwa 18 bis 19 gute Groſchen 
Kurant. Ein Rees ift noch nicht ganz ein Pfennig. Eintauſend 

Rees werden in London fuͤr fünf Schilling und etliche Penny 
Sterling gewechſelt. Eintauſend Rees ſind in Berlin ein Thaler 
zwoͤlf gute Groſchen Kurant. Siehe Abt's Beſchreibung 
der Muͤnz⸗, Maaß⸗ und Gewichtſorten. Berlin 1783. 


366 


Mietpferd in Rio de Janeiro koſtet à Tag 4000 
Rees. Der Oberſtlieutenant erhaͤlt 48,000 Rees 
und eine Pferderation, und wenn der Staabsoffizier ein 
Bataillon befehligt, monatlich 25,000 Rees Zulage; welche 
erſt kuͤrzlich vom Kaiſer bewilligt iſt. Im Jahre 1825, 
am Tage des Konſtitutionsfeſtes, bewilligte der Kaiſer je— 
dem Offizier der Armee, ohne Unterſchied der Grade, eine 
monatliche Zulage von 10,000 Rees. 

Infanterie-Regimenter ſind bei der braſi— 
lianiſchen Armee nicht eingefuͤhrt; 2, 3 —4 Batail— 
lons bilden eine Brigade. Der braſilianiſche Offizier 
ohne Privatvermoͤgen lebt in der Regel von der gewoͤhn— 
lichen Landesſpeiſe Carnose ca, Facine Fechon 
(ſchwarze Bohnen), Cachas, Kaffee, Obſt u. ſ. w. 

Über die Subordination und Dienſtordnung 
der braſilianiſchen Armee noch folgende Zuͤge: Der 
Verfaſſer (Lienau) ward vor das Kriegsgericht gefordert. 
Der Praͤſident deſſelben, der Bataillonschef Kapitain 
Mates, ein Engländer, verrichtete fein Amt in einer 
alten abgetragenen Uniform, in Pantoffeln und ohne 
Struͤmpfe an den Fuͤßen; der beiſizende Lieutenant 
Ornflycht, ein Schwede, erſchien ganz en negligé in 
Nanking; ein anderer Beiſizer, Lieutenant Schram— 
bach, ein Deutſcher, entſchuldigte ſich mit wichtigen 
Privatgeſchaͤften, und kam gar nicht. 

Es fiel vor, daß ein Offizier einen andern ſehr 
empfindlich thaͤtlich mishandelte, und alle Unteroffiziere 
und Soldaten ſich von ihm eben dieſe ungebuͤhrliche Be— 
handlung gefallen laſſen mußten. Viel Scherz und Ver— 
wunderung erregte es, als dem ganz betrunkenen wacht— 


367 


habenden Offizier nach dem Zapfenſtreich von den Solda— 
ten der Saͤbel abgenommen ward, und derſelbe eine hoͤl— 
zerne Bagge mit Suppe uͤber den Kopf erhielt. Als 
einſt ein Lieutenant den Feldwebel fuchtelte, erwiederte 
dieſer: „Herr! wie koͤnnen Sie mich ſchlagen, Sie ſind 
ja ein Betruͤger, in Europa nur Unteroffizier geweſen, 
haben ſich einen Offizier-Abſchied machen laſſen, und 
das Siegel von Ihrem Unteroffiziers-Abſchied darunter 
geklebt, das will ich Ihnen beweiſen“ u. ſ. f. Dieſe 
und aͤhnliche Scenen fielen in Gegenwart der Soldaten 
vor, und waren gar nicht ſelten. 

Am Ifteen Januar 1825 kam der Bediente des 
Lieutenants Lac vom erſten ausländifchen Grena— 
dierbataillon verwundet nach der Kaſerne zuruͤkt. Bra— 
ſilianiſche Truppen hatten ihn in einem Wirthshauſe, 
wohin ihn ſein Herr geſchikt hatte, etwas zu holen, ſo 
uͤbel zugerichtet. Der Lieutenant ging mit einer Pa— 
trouille, beſtehend aus einem Unteroffizier und ſechs Mann, 
nach dem Wirthshauſe, von dem Wirthe die Anzeige der 
Thaͤter verlangend. Waͤhrend des Geſpraͤchs mit demſel— 
ben verſammelten ſich über einhundert bewaffnete bra ſi— 
lianiſche Soldaten, von denen einer ein Meſſer gegen 
den Lieutenant zog, worauf derſelbe ſeinen ſieben Grena— 
dieren einzuhauen befahl. Die Braſilianer wurden 
aus einander getrieben, verſammelten ſich aber gleich 
darauf, gegen zweihundert Mann ſtark wieder, und noͤ— 
thigten den Lieutenant, ſich von ſieben bis eilf Uhr Abends 
mit den Braſilianern herumzuſchlagen. Der Lieute— 
nant fluͤchtete ſich endlich nach dem Hafen in das eng— 


liſche Seehospital, wo er foͤrmlich belagert ward. Da 


368 


die Braſilianer nicht zur Thür hineinzudringen im 
Stande waren, fliegen fie auf das Dach, um es abzu— 
dekken. Jezt mußte eine Abtheilung braſilianiſcher 
Reuterei aufſizen, Ordonanzen eilten nach St. Chri— 
ſto ph zum Kaiſer, die daſelbſt garniſonirende Batterie 
mußte ſich fertig machen zum Abprozen; um eilf Uhr 
Abends war der Kaiſer ſelbſt in der Stadt bei dem eng— 
liſchen Seehospital, befahl Ruhe, und ließ den Lieu— 
tenant Lac mit ſeinen ſieben ſaͤmmtlich verwundeten Gre— 
nadieren unter einer ſichern Bedekkung nach der Kaſerne 
zuruͤkbegleiten, wo dieſer vierzehn Tage Feſtungsarreſt 
erhielt. Ein Gluͤk war es, daß die in der Kaſerne be— 
findlichen auslaͤndiſchen Truppen waͤhrend des Streites 
und Laͤrmens nichts von der Sache erfuhren.“ 

So weit der Bericht des auf Braſilien erbitterten 
Kapitain Lienau, welchem wir hier noch die Bemerkung 
beifugen. Alle jezigen, wie die fruͤhern Briefe, welche 
uns von ſechs verſchiedenen, in kaiſerl. braſilianiſchen 
Dienſten angeſtellten Perſonen zur Kenntniß kamen, 
ſtimmen darin uͤberein, daß, beſonders zu Anfang der 
Errichtung des Fremden-Korps, ſo viele Menſchen 
dort angekommen und angeftellt find, die durch den gaͤnz— 
lichen Mangel an Faͤhigkeiten und anſtaͤndigem Betragen 
dem rechtlichen Theile deſſelben im hoͤchſten Grade laͤſtig 
werden, und allein Veranlaſſung der vielen nachtheiligen 
Geruͤchte ſind, welche ſich dort ſowol wie in Europa ver— 
breitet haben; — daß ferner ſpaͤterhin, wie der kaiſerl. 
braſilianiſche Bevollmaͤchtigte, Herr von Schaͤffer, im 
Auftrage der Regierung, Leute zu Anſtellungen vorſchlug 
und uͤberſendete, Viele davon dem Vertrauen nicht 


369 


entfprochen haben, welches derſelbe ihnen geſchenkt hatte; 
— und daß dagegen Allen von der Regierung die An— 
ſtellung zu Theil geworden iſt, welche Herr von Schaͤf— 
fer kraft feiner Vollmacht wirklich verſprochen hatte. 
Darum iſt es in der That ſehr auffallend, alles Übel, 
das aus den eben angedeuteten Quellen natuͤrlich ent— 
ſpringen mußte, — die getaͤuſchten Hoffnungen überfpann: 
ter Schwindler, welche dort ohne Anſtrengung in Edens 
Gefilden vegetiren wollten, — das wirkliche Ungemach 
einer nie gekannten Seereiſe, eines andern Klimas und unge— 
wohnter Nahrungsmittel, — endlich die Maͤngel einer 
ganz neu errichteten Adminiſtration, welche oft den Ein— 
zelnen verlezen, — dieſes Alles in mehreren deutſchen Blaͤt— 
tern gedachtem Herrn Bevollmaͤchtigten beimeſſen zu ſehen, 
ohne daß eines der vielen ſchriftlichen Zeugniſſe, welche 
ſich dagegen in Deutſchland befinden, zur oͤffentlichen 
Kunde gebracht iſt. Hoͤren wir jezt das Zeugniß des 
noch gegenwaͤrtig in Braſilien lebenden und in dem vor— 
hergehenden Aufſaze erwaͤhnten Paſtors J. Georg Eh- 
lers ). Derſelbe druͤkt ſich über dieſen Gegenſtand 
alſo aus: 

„Leſen Sie nun eine kleine Schilderung des Schik— 
ſals der Deutſchen in dieſer Hemiſphaͤre. Am Bord des 
Schiffes wird ein Verzeichniß aller Perſonen aufgenom— 
men, und im Beſiz voller Freiheit darf Jeder ſich ſein 


*) Dieſe und die oben mitgetheilte Schilderung von den deutſchen 
Kolonien in Braſilien durch den Paſtor Ehlers findet man in der 
trefflichen Zeitſchrift des Herrn v. Gagern: der Einſiedler. 
Heft 3. 1827. 

Brauns Skizzen von Amerika. 24 


370 


kuͤnftiges Verhaͤltniß als Soldat oder Kolonift wählen. 
Dann geht die Trennung vor ſich: der Soldat wird nach 
der Stadt gefuͤhrt. Der Kaiſer hat ihnen das ſchoͤne 
Kloſter St. Bendo zur Kaſerne eingeraͤumt, welches 
ſich durch ſeine Bequemlichkeit, Groͤße und ſchoͤne und 
geſunde Lage dicht am Hafen, vor allen Gebaͤuden der 
Stadt, ſelbſt dem kaiſerlichen Pallaſte auszeichnet. Der 
Kaiſer hat ſein beſonderes Wohlgefallen an dieſem Korps; 
er gibt ihnen, wie geſagt, dieſe ſchoͤne Wohnung, hoͤheren 
Sold als ſeinen Portugieſen, und beſucht ſie oͤfter bei 
ihren Waffenuͤbungen, ſelbſt in der Kaſerne, und redet 
mit ihnen, wie ein Vater mit ſeinen Kindern. Dennoch 
klagt man. Im Allgemeinen mag der Grund in der 
dem Menſchen eigenen allgemeinen Unzufriedenheit liegen: 
er will es immer beſſer haben. Dann moͤgte die 
Beſchaffenheit der Charakter der einzelnen Glieder eine 
bedeutende Urſache ſein. Bedenken Sie, wie ſehr Viele 
derſelben fehlerhaft, laſterhaft, im hoͤchſten Grade laſter— 
haft ſind, ſo daß ihr fruͤheres Vaterland ſie unter die 
Geißel des Zuchtmeiſters ſtellen mußte; was bleibt da 
uͤbrig, als die Einfuͤhrung der groͤßten Strenge der Dis— 
ciplin, die Allen beſchwerlich fallen muß, die aber fuͤr 
die Sicherheit, wie unter ſich ſelbſt, ſo fuͤr Stadt und 
Vaterland unablaͤſſig nothwendig wird? Noch ein Grund 
mag in der Theurung, die in der Stadt herrſcht, 
wie in dem heißen Klima, woran der Deutſche, be— 
ſonders bei ſeiner Ankunft, nicht gewoͤhnt iſt, liegen. 
Ich meine, wenn der Soldat zwei Mal des Tages wohl 
zubereitetes Eſſen und 4½ Schilling Hamburger Kurant 
Sold taͤglich hat, ſo darf er ſich nicht beklagen. Wer 


371 


übrigens das Noͤthige gelernt, und als braver Soldat 
ſich betraͤgt, der hat hier beſſere Ausſicht zum Emporruͤk— 
ken, wie irgend anderswo. Ich begegne hier noch dem 
Vorwurfe, daß der Kaiſer noch keine Kapitulation 
gegeben, damit, daß erſtlich dieſes nicht allgemein wahr 
iſt; denn ſie iſt wirklich Vielen gegeben und puͤnktlich 
gehalten. Man hat vielen Soldaten bereits zufolge 
derſelben die Erlaubniß ertheilt, auf ihre Kolonie zu gehen 
und ihre oͤkonomiſche Einrichtung zu treffen; ſelbſt Vielen 
ward dieſe bewilligt, denen jene nicht gegeben ward; ich 
koͤnnte hier ein ganzes Regiſter der Perſonen, denen ſie 
gegeben, mittheilen. Zum Andern ſoll es wahr ſein, daß 
ſie Vielen nicht gegeben iſt. Hier moͤge man bedenken, 
daß erſtlich die Sache noch neu iſt; Alles muß Zeit ha— 
ben, um zu reifen, auch dieſes Werk bedarf deſſen. Fer— 
ner muß man erwaͤgen, daß das Vaterland, der Thron, 
fuͤr die innere wie aͤußere Sicherheit jezt der Dienſte die— 

ſer Maͤnner bedarf, und es im Rathſchluſſe einer hoͤhern 
Macht verborgen liegt, wie lange fie ihrer Dienſte beduͤr— 
fen. Der Kaiſer thut fuͤr den Offizier wie fuͤr den Ge— 
meinen, was er kann. Wo hinreichende Gruͤnde eintre— 
ten, wird es Keinem ſchwer, den Abſchied zu bekommen. 
Viele erhielten ihn, kamen zur Kolonie und ließen ſich 
von Neuem anwerben. Was die haͤufigen Deſertio— 
nen betrifft, ſo moͤgen ſie vorzuͤglich durch den Charak— 
ter der Subjekte begruͤndet ſein, die weder Eid noch Treue 
kennen, und deſertiren werden, ſie moͤgen ſtehen, wo und 
wie ſie wollen. — In Beziehung auf die Invaliden 
bemerke ich noch, daß der Kaiſer ihnen eine Anſtellung 
in ſeinen Fazendas gibt, wo ſie die Eſel zu puzen 


372 


haben, wofür jede Perſon täglich 1 Mark Hamb. Banko 
oder nach hieſigem Gelde ein Jatan empfaͤngt. Mein 
unbefangenes Urtheil geht alſo dahin, daß der Soldat 
und nichts anders als braver Soldat, welcher in Deutſch— 
land ſein Brot nicht findet, nichts Beſſeres thun kann, 
als ſich in die Dienſte meines Kaiſers zu begeben. Er 
kann wahrlich, ſo weit ich die Welt kennen lernte, es 
nirgends beſſer finden, als in Braſilien. Nur keine 
Invaliden moͤgen kommen.“ 

So weit der im Preiſe Braſiliens unermuͤdete und 
beredfame Ehlers. Daß dies Fremden-Korps fpä- 
ter einen Aufſtand erregt hat, und jezt aufgeloͤſ't oder den 
Regimentern einverleibt iſt, iſt noch in zu friſchem An— 
denken, um hier weiter aus einander geſezt zu werden. 
Jezt, Auswanderungsluſtige, pruͤfet Alles, und das Beſte 
behaltet! | 


373 


Ergänzende Zugabe 


I. Zu Seite 4, Zeile 1 von unten. 


Die Zahl der Subhaſtationsprozeſſe belief ſich im Preußi⸗ 
ſchen im Jahre 1828 auf 17,547, und der Konkursprozeſſe 
auf 3628 *). 


II. Zu Seite 8, Zeile 3 von unten. 


Im Jahre 1805 wurden in England nur 350 Perſonen zum Tode 
verurtheilt. Dagegen 20 Jahre ſpaͤter (1825) 1036. Am 20. 
Juni 1829 wurden durch die Aßiſen in London 20 Todesurtheile 
ausgeſprochen !“). Die Demoraliſation Englands liegt 
in den Geſezzen und Einrichtungen dieſes Staats, welche die nie— 
dern Volksklaſſen erdruͤkken “). — In der zweiten Haͤlfte des 
letzten Jahrhunderts verhielt ſich die Zahl der Armen in Groß— 
britannien zu den Nichtarmen wie 1 zu 123; 1801 war fie wie 
1 zu 9, und jezt iſt fie wie 1 zu 7. Es gibt in dieſem Augen- 
DIE im ganzen Reiche mehr als 2 Millionen Arme ). Die Ar: 
mentaxe betrug in England im Jahre 1827 7,715,055 Pfund 
Sterling Fr). 


III. Zu Seite 9, Zeile 15 von oben. 


Die koͤnigl. ſaͤchſiſche Regierung, ſagt man, unterhandle mit 
England, um Verbrecher nach Botany-Bay zu liefern. 
Die Zucht- und Arbeitshaͤuſer ſollen voll fein Tr). 


*) Nekkarzeitung 1829. Seite 757. 

) Nekkarzeitung 1829. Juli 5. Seite 757. 

%) Daſelbſt 1829. Jan. 4. Seite 13. 

1) Daſelbſt Seite 305. 

) Allg. Zeitung von C. J. Stegmann. Augsburg 1829. Mai 14. Außer: 
ordentliche Beilage. Seite 102. 

tf) Nekkarzeitung 1829. Seite 167. 


374 


IV. Zu Seite 17, Zeile 4 von oben. 


Wie ungenügend faft alle Beiträge für die Armen in Europa 


find, geht aus Folgendem klar hervor: „Auf einem Balle, der 
im Opernhauſe zu Paris zum Vortheil der Armen im Februar 
1830 gegeben ward, waren 4352 Perſonen gegenwaͤrtig, worun— 
ter 1282 Damen. Nach Abzug aller Koſten trug das Feſt 
115,750 Franken ein. Dieſer Ertrag reicht nicht hin, um jedem 
Armen, der in einem der Regiſter der Pariſer Wohlthaͤtig— 
keits-Buͤreaux eingeſchrieben iſt, zwei Laib Brot und zwei 
Bündel Reiſigholz zu geben *).. 


V. Zu Seite 50, Zeile 3 von oben. 


Ueber die Kolonifation Oberkanadas iſt ferner nachzulesen: 


Bertuch's neue allg. geogr. Ephemeriden. Weimar 
1820. VIII. Bd. Stuͤck 2. Seite 215 ff. — Allgem. geogr. 
Ephemeriden. Bd. VI. Seite 289 ff. — 

In den auf dieſer und der folgenden Seite nach unſerm Geld— 
kurſe ausgedruͤkten Preiſen engliſcher Buͤcher ſind die Ko— 
ſten fuͤr deren Fracht auf Dampfboͤten, Speſen u. dgl. mit in⸗ 
begriffen. 


VI. Zu Seite 170, Zeile 10 von oben. 


Merkwuͤrdig in dieſer Hinſicht iſt folgender, im Anfange des Jahrs 


1829 von dem geiſtreichen W. Cobbet in Leeds oͤffentlich ange— 
ſchlagene Aufruf: „Englaͤnder, hoͤrt mich! In kat holiſchen 
Zeiten waren keine Armen in England. Die Katholiken 
unterhielten die Armen, die Alten, die Wittwen und Waiſen, die 
Fremden und die Kranken aus den Zehnten und andern Ein— 
kuͤnften der Kirche. Der katholiſche Klerus baute und re— 
parirte Kirchen aus den Zehnten und den Einkuͤnften der Kirche. 
In den damaligen gluͤklichen Zeiten waren keine Armentaxen und 
keine Arbeitshaͤuſer. Parlaments-Akten damaliger Zeit erklaͤrten 


3 


Allg. Zeitung von C. J. Stegmann. Augsburg, Febr. 26. Nro. 
57. Seite 226. 


375 


Ochſen-, Schweine-, Hammel: und Kalbfleiſch für die gewöhnliche 
Nahrung der aͤrmern Voksklaſſen. Die Katholiken bauten alle 
unſre Kathedralen; ſie waren die Gruͤnder und Ausſtatter aller 
noch jezt in England beſtehenden großen Schulen und großen 
Wohlthaͤtigkeitsanſtalten. In katholiſchen Zeiten hatte England 
keine ſtehende Armeen, und dennoch eroberte es Frankreich, und 
behielt Boulogne und Calais, bis es proteſtantiſche Koͤnige bekam. 
In katholiſchen Zeiten fanden keine Taxen auf Bier, Malz, Ho— 
pfen und Lichter ſtatt, und eine Nationalſchuld kannte man da— 
mals nicht. Englaͤnder, bedenkt das Alles, und ich weiß, ihr 
werdet handeln, wie es recht iſt n).“ — Im Jahre 1829 ſoll 
die Noth in England ſo groß geweſen ſein, daß, wie ein 
Wizling behauptet, die Seiden weber in Mancheſter in der 
dortigen Zeitung ihre Zaͤhne zum Verkauf ausgeboten haben, 
weil ſie bei ihrer gegenwaͤrtigen Noth nichts mehr zu beißen haͤt⸗ 
ten “*). — Worüber treibt nicht der leichtfertige Wiz in unſern 
Zeiten ſeinen Spott? * 
VII. Zu Seite 170, Zeile 15 von unten. | 
Ein englifches Journal fagt, die Zahl der zu Quebek gelandeten 
Auswanderer ſei in dieſem Jahre (1829) groͤßer als gewoͤhnlich 
geweſen; man ſchaͤzze fie auf 17 — 18,000; unter dieſen befänden 
ſich etwa 10,000 Irlaͤnder, 3500 Engländer und 2500 
Schotten . — In Neuyork waren vom 1. Januar bis 
1. Mai 1829 20,278 Perſonen, groͤßtentheils Einwanderer, aus 
fremden Haͤfen angekommen T). — Die von 1788 - 1821 in 
Neuſuͤdwales angefiedelten Zuͤchtlinge beſaßen 251,941 Mor: 
gen Weideland, 34,769 Morgen Akkerland, 2447 Pferde, 59,466 
Stuͤk Nindvieh, 168,960 Schaafe ++), 25,568 Schweine, bes 


*) Allg. Zeitung, herausg. von Stegmann. Augsburg 1829. März 
21. Nro. 80. 

*) Nekkar⸗Zeitung 1829. Mai 5. Seite 503. 

%) Allg. Zeitung. Augsburg 1830. Januar 31. 

) Nekkar⸗Zeitung 1829. Auguſt. 29. Seite 989. 

t) Von welchen im Jahre 1824 383,000 Pfund Wolle nach England ausge⸗ 
führt ward. Siehe Brauns Ideen über Amerika. Seite 779. 


376 


wohnten 3478 Häufer, hatten 15 verdekte Schiffe von verſchiede⸗ 
ner Tonnenlaſt, 87,000 Pfund Sterling in unbeweglichen Guͤtern 
und 300,000 Pf. St. im Handel angelegt, und der ganze Werth 
ihres Eigenthums betrug 1,562,201 Pf. St.; Alles die Frucht 
ihrer eignen Arbeit. Sie beſchaͤftigten 4640 Zuͤchtlinge, mo: 
durch ſie der Regierung 116,000 Pf. St. erſparten. — Nach 
den neueſten parlamentariſchen Angaben betrug die Zahl 
der nach Neu-Suͤdwales und Vandiemensland im Jahre 
1826 gefandten maͤnnlichen Verbrecher 2097, und die Ge— 
ſammtausgabe für deren Transport über 53,000 Pf. Sterling *). 


VIII. Zu Seite 171, Zeile 14 von oben. 


Eine ſehr viel geleſene, hoͤchſt ausgezeichnete kritiſche engliſche 


Zeitung“) enthält einen Artikel über den innern Zuſtand 
von England, worin folgende Stelle vorkommt: „Wir haben 
nicht die Abſicht, dem Publikum Lehren zu geben, oder es durch 
unnuͤzze Beſorgniſſe zu beunruhigen; aber man erlaube uns, uns 
ſre Landsleute aufzufordern, allen ihren Muth zuſammen zu neh— 
men, um die Pruͤfungen zu beſtehen, denen ſie unterworfen wer— 
den können. Wir ſind von vielen Vorbedeutungen einer 
Revolution umgeben, und wuͤrden unſerer Pflicht untreu wer— 
den, wenn wir dies nicht anzeigten. Wenn wir den Handel 
in einem ſo geſchwaͤchten Zuſtande ſehen, wenn der Gewinn ſo 
gering iſt, wer kann alsdann die Zinſen der Staatsſchuld 
bezahlen, wenn es nicht der Grund und Boden iſt, und wie foll 
dieſer es koͤnnen, wenn man ihm nicht zu Huͤlfe kommt?“ Als 


) Benoiston de Chateauneuf de la colonisation des Condamnés. Paris 


1827. Eine ſehr leſenswerthe Schrift. — P. Cun ing ham's die eng⸗ 
liſche Kolonie Neu ſüdwales auf Neuholland. London 1827. 
Der Verfaſſer iſt ein Schiffswundarzt und Bruder des berühmten ſchotti— 
ſchen Dichters und Romanſchreibers Allan Cuningham. Er theilt 
uns die neueſten und vollſtändigſten Nachrichten von jener Kolonie mit. — 
Brauns Ideen über Amerika. Seite 62. 70. 763 ff. 


**) Quarterly Review. Nro. 83. London 1829. Man vergleiche hiermit 


Brauns Ideen über Amerika. Seite 764 u. a. St. 


377 


Beweis des in England im Jahre 1829 herrſchenden Wohlſtandes 
fuͤhrt das Morning-Journal von London im December 1829 an, 
daß zu Macclesfield nicht weniger als 1200 Haͤuſer leer ſtaͤnden. 


IX. Zu Seite 172, Zeile 5 von unten. 

Ueber den gegenwärtigen Zuſtand Spaniens lieſ't man in ei⸗ 
nem Artikel der lezten Nummer des Foreign Quarterly 
Review vom Jahre 1829 unter Andern: „Der Akkerbau 
liegt darnieder, was hauptſaͤchlich dem Zuſtande zuzuſchreiben iſt, 
daß in Folge der beſchraͤnkten Kenntniſſe und der Armuth vieler 
Grundheſitzer, ſo wie des nachtheiligen Vorrechtes der Beſizer von 
Schaafheerden, die der Winter faͤtterung wegen ihre Schaafe von 

den noͤrdlichen Provinzen in die ſuͤdlichen treiben dürfen, die Laͤn— 
dereien im Allgemeinen nicht gehoͤrig abgetheilt, und gegen Ver— 
wuͤſtung geſichert ſind. Die Meſta, oder das in Hinſicht der 
Schaafheerden beſtehende Geſez, laſtet ſchwer auf dem Akkerbau, 
und macht mit dem Mangel an Kapitalien und mit den hohen 
Abgaben und Taxen, daß ſich in ganz Spanien die Akkerbau trei— 
bende Klaſſe im Elende befindet, die ſchlechteſten Huͤtten bewohnt, 
und ſich mit ſchlechterer Nahrung als die gemeinſten Tagloͤhner 
in Staͤdten begnuͤgen muß. Die großen Grundeigenthuͤmer ſind 
faſt alle in Geldverlegenheit, und verſchwenden haͤufig ihre Ein— 
kuͤnfte, ohne daß der Staat davon Vortheil zoͤge. Wie man ſagt, 
ſollen fie von ihren Ländereien jaͤhrlich nicht mehr als 1 ½ bis 
2 Procent beziehen, was man nach dem oben Geſagten kaum er— 
warten ſollte. Von dem ſchlechten Zuſtande der Landſtraßen gibt 
die Thatſache einen Beleg, daß in Spanien, obgleich es beinahe 
viermal fo groß iſt, als England, die jährlichen Ausgaben für. dies 
ſelbe nicht den zwanzigſten Theil deſſen betragen, was in England 
dafuͤr aufgewendet wird. Zwei oder drei Hauptſtraßen werden 
leidlich unterhalten; ſelten aber ſind die Kreuzwege mit Wagen 
oder auch nur mit Karren zu befahren, und mit Ausnahme des 
Ebro-Kanals und eines andern, der kuͤrzlich in Kaſtilien an: 
gelegt wurde, hat das Land keine Waſſerverbindungen, und ſcheint 
ſich faſt in derſelben Lage zu befinden, wie zu jener Zeit, wo der 


378 


Rath von Kaftilien feine Einwilligung zu einem gemachten Mor: 
ſchlage, die Fluͤſſe Manganares und Tajo ſchiffbar zu machen, 
aus dem Grunde verſagte, „weil, wenn es dem lieben 
Gott gefaͤllig geweſen waͤre, dieſe Fluͤſſe ſchiffbar 
zu machen, er dazu keiner menſchlichen Huͤlfe be— 
durft hätte, und weil daraus, daß er es nicht ge 
than, die Unzweckmaͤßigkeit der h ifftertenchung 
deutlich hervorgehe.“ 

Nach dem Verfaſſer der Briefe über England und 
Irland ſoll die Noth in lezterm gegenwärtig noch größer fein, 
als in Spanien. Die Schilderung, welche hier von dem raf— 
finirteſten Luxus und dem abſtechenden Jammer des 
irlaͤndiſchen Volkes entworfen wird, iſt graͤßlich. Zur Seite 
der verfeinertſten Wolluͤſte, denen die herrſchende Klaſſe in Ir: 
land ſich ganz ſchamlos unter dem Dekmantel der feinen Bil— 
dung uͤberlaͤßt, irrt ein ganzes Volk auf den Straßen ohne Ob— 
dach und Nahrung umher. Tag und Nacht findet man an den 
Thoren prachtvoller Pallaͤſte Weiber, Greiſe, junge Leute, oder 
vielmehr lebendige Geſpenſter niedergekauert. An einem ſtarken 
Regentage lief im Kothe mit bloßen Fuͤßen und Beinen und halb 
naktem Leibe ein menſchliches Geſchoͤpf, eine große und ſtarke Frau, 
die keine andre Bedekkung gegen die rauhe Luft und die Blikke 
der Menge als die Ueberreſte eines Dinges hatte, das einſt ein 
Mannsoberrok geweſen war. Ihre beiden Haͤnde brauchte ſie, 
um wider den Wind jene uͤber ihre Bloͤßen geworfenen Fezzen 
zuſammen zu halten. Ein Strohhut fiel ihr vom Kopfe in den 


9 


Londres en 1824, ou recueil de lettres sur la politique etc. Par De— 
fauconpret. Paris 1825. — Travels in Ireland in the year 1822, ex- 
hibiting brief sketches of the moral, physical and political state of 
the country; with reflections on the best means of improving its con- 
dition. By Thomas Reid. London 1833. — Brauns Ideen 
über Amerika. Seite 765 ff. — Views of Ireland, moral, politi- 
cal and religious by John O’Driscol, Esq. London 1823. 2 vols. 
Eine Recenſion ee nn Werk findet man in den Göttingiſchen ge: 
lehrten Anzeigen v. J. 1825. 


379 


Koth; fie blieb ſtehen, und trat mit dem Fuße darauf, um ihn 
nicht fahren zu laſſen. Allein aus Schamhaftigkeit wagte die Un⸗ 


gluͤkliche es nicht, ſich zu buͤkken, noch eine ihrer Hände los zu 


„Die 


machen, um ihn aufzuheben. In dieſem Kampfe blieb ſie unbe— 
weglich unter Regen und Sturm ſtehen; ihr Geſicht druͤkte ſchrek— 
liche Verzweiflung aus. Ein Voruͤbergehender endlich war ſo 
barmherzig, ihr zu Huͤlfe zu kommen, den Hut aufzuheben, und 
ihn ihr wieder aufzuſezzen. Sie eilte davon. 0 

Um uͤber den Einfluß der Religion auf dieſe von ſo 
langen und grauſamen Leiden heimgeſuchte Bevoͤlkerung urtheilen 
zu koͤnnen, wird die Erklaͤrung eines Parlament-Mitgliedes Moore 
hinreichen, der, als er kuͤrzlich von den Truͤbſalen feines Vater: 
landes ſprach, ſagte, daß im Laufe von zwei Monaten mehr denn 
60,000 Individuen, faſt alle von der arbeitenden Klaſſe, in den 
verſchiedenen Hoſpitaͤlern oder ſonſtigen Armenhaͤuſern 
von Dublin aufgenommen wären ). 


X. Zu Seite 179, Zeile 19 von oben. 


Politik, oder die Kunſt, zu regieren,“ ſagt ein treffliches 
Werk ), „wenn fie geſund, rein und wahr iſt, d. h. wenn 
ſie ſich auf die Natur des Menſchen und den Zwek der 
Geſellſchaft gruͤndet, enthaͤlt gar nichts Uebernatürliches. 
Sie geht wie jede andere Wiffenfchaft von Grundprinzipien 
aus, und leitet davon alle ihre Maximen her, die ſie zu einem 
feſten, vollſtaͤndigen und zuſammenhaͤngenden Syſteme verbindet. 


XI. Zu Seite 200, Zeile 7. 


In Neuyork werden Knochen von einem ungeheuer großen 


Thiere gezeigt, die man im Jahre 1828 im MiſſiſſippiThal 
gefunden hat. Es befinden ſich namentlich darunter der Knochen 
eines Unterkinnbakkens, der 20 Fuß lang, 3 Fuß breit und 1200 


2 
a2) 


Nekkar⸗Zeitung 1827. Juli 5. Seite 835. 
La Politique naturelle, ou discours sur les vrais principes du Gouver- 
nement. Londres (Paris) 1773. In der Vorrede. 


380 


Pfund ſchwer iſt, und Rippen von 9 Fuß Laͤnge; die andern Kino: 
chen ſind von verhaͤltnißmaͤßiger Groͤße. Dieſe ueberbleibſel eines 
bis jezt noch unbekannten rieſenartigen Thieres der Vorwelt lagen 
17 Fuß tief unter der Erde, und mußten zulezt mit Huͤlfe einer 
Dampfmaſchine heraufgewunden werden. Ein aus der Erde her— 
vorragender Knochen hat zu dieſer Entdekkung geführt. — Der 
Bakkenknochen eines andern daſelbſt kuͤrzlich ausgegrabenen S Ee: 
letts eines Landthiers iſt 10 Fuß lang, und ſeine Ruͤk⸗ 
kenwirbelhoͤhle am breiten Theile 9, und am ſchmalen Theile 6 
Zoll breit Dies Ungeheuer der Ungeheuer verhaͤlt ſich dem— 
nach zu dem groͤßten Elephanten gerade ſo, wie dieſer zum klein— 
ſten Maͤuschen. Man ſagt, es werde ein Theil dieſes Fundes nach 
Europa kommen. — Die Foſſil⸗Zoologie hat ſich ſeit Kur: 
zem durch drei anziehende Entdekkungen bereichert. In Geor— 
gien hat man im Jahre 1827 das Gerippe eines Megathe— 
rions gefunden, das William Cooper zu derſelben Gattung, 
wie das von Paraguay gehoͤrig, glaubt. In Virginien, im 
Kreife Accomac, hat man die Ueberreſte eines Wallroſſes, 
und am Ufer des Miſſiſſippi eine amerikaniſche Ochſengat— 
tung entdekt, die man als neu betrachten kann, weil ſie von 
dem Moſchusochſen im Norden des Feſtlandes verſchieden iſt. 
So haben ſich in der neuen Welt die Thiere des Suͤdens 
nach dem Norden verbreitet, und die des Nordens haben 
ſich dem Suͤden genaͤhert; vielleicht haben ſie ſich ſelbſt auf dem 
Aequator durchkreuzt. — Das in Virginien gefundene 
Bruchſtuͤk des Wallroſſes, deſſen Ueberreſte aͤußerſt ſelten ſind, 
gehoͤrt zu der erloſchenen Gattung, die man Trichecus rosmarus 
nennt. — 

Nach einem ſehr anziehenden neuern Itinerographen “) gibt 
es bei Neuorleans ein Knochenmuſeum, das unter andern 
Merkwuͤrdigkeiten das Skelett eines ungeheuern Thiers, von der 
Gattung des Krokodills oder der Eidechſe enthält. Dieſe 
Rieſen-Eidechſe war nicht weniger als 150 Fuß lang, das 


») Bullock in feiner Reiſebeſchreibung durch den Welten von Nordamerika. 


381 


Unterkinn maß 21 Fuß, und bot eine Oeffnung von 4½ Fuß. 
Dieſes ungeheure Thier uͤbertrifft alle unſre Vorſtellungen von 
Drachen und Hydern, und verwirklicht, was in alten Maͤhr⸗ 
chen und Romanzen uns fabelhaft duͤnkt. Selbſt die Riefen- 


Schlangen der neuern Welt find im Vergleich zu dieſer koloſſa⸗ 


Eine 


len Eidechſe der Vorwelt, welche der Anglonordamerikaner 
gewoͤhnlich Mammutheidechſe “) zu benennen pflegt, nur 
unbedeutende Geſchoͤpfe. 


XII. Zu Seite 232, Zeile 6 von unten. 
chriſtlich-religioͤſe Geſellſchaft in Schottland ſendete 
vor einiger Zeit zwei Miſſionare nach Nordamerika, mit 
dem Auftrage, unter den Delaware-uramerikanern das 
Evangelium zu predigen. Als dieſe Geiſtlichen an dem Ort ihrer 
Beſtimmung angekommen waren, verſammelten ſich die Haͤupt— 
linge des Volks“) (Chiefs), und zogen die Frage in Betrach— 
tung, ob es verſtaͤndig ſei, die fremden Lehrer zuzulaſſen. Nach 
reiflicher, vierzehn Tage dauernder Ueberlegung ſchikten ſie die 
Miſſionare hoͤflich mit folgender Antwort zuruͤk: „Wir haben uns 
bisher gluͤklich gefuͤhlt unter dem Schuzze des großen Geiſtes, 
den wir anbeten; ſind aber darin nicht weniger dankbar, daß ihr 
euch Sorge macht uͤber unſre Art zu denken, und ſonach Theil— 


nahme zeigt an dem Schikſal eurer Bruͤder in der Wildniß. Wir 


wuͤrden auch euer Anerbieten nicht abgelehnt haben, wenn wir 
uns nicht erinnert haͤtten, daß ein Volk unter euch Chriſten lebt, 
das ihr ſeiner Farbe wegen zu Sklaven gemacht habt, das 
ihr, weil dieſe Menſchen ſchwarz ſind, mit Haͤrte und Grau— 
ſamkeit behandelt. Erlaubt euch dies eure Religion, ſo koͤnnen 


* 


Um eine außerordentliche, ungewöhnliche Größe zu bezeichnen, iſt der 
Name Mammuth ſeit ein Paar Jahrzehnten bei den Anglonordameri⸗ 
kanern ein wahrer Modeausdruk geworden, fo z. B. ſagen fie ein Mam⸗ 
muthapfel, ein Mammuthochſe u. dgl. Ein Irländer ſchlug 
daher kürzlich vor, dieſen Lieblingsausdruk auch in Irland einzuführen, 
und z. B. Mammuthſteuern, Mammuthaccife, Mammuth⸗ 
zölle u. dgl. zu ſagen. a 


) Auch ihre Herzöge (duces) oder Führer genannt. 


382 


wir den Lehrern derſelben kein Zutrauen ſchenken; denn wir fehen 
nicht ein, was euch hindern koͤnnte, auch uns, unſerer Farbe 
wegen, fuͤr eure gebornen Sklaven, und die rothen Men— 
ſchen wie die ſchwarzen anzuſehen. Daher haben wir beſchloſ— 
ſen, eure kuͤnftigen Handlungen naͤher zu beobachten, ehe wir auf 
eure Worte hoͤren, und erſt abzuwarten, bis den unter euch le— 
benden ſchwarzen Bruͤdern das große Gluͤk zu Theil wird, das 
ihr uns zu verſchaffen euch ſo freundlich zeigt. Wir denken, ein 
Volk, das ſo lange und ſo viel durch euch gelitten, habe die erſten 
Anſpruͤche auf eure Aufmerkſamkeit. Sorgt fuͤr dieſe Ungluͤklichen, 
oder ſendet Lehrer unter die weißen Menſchen, dieſe zu belehren, 
wie der große Geiſt kein Wohlgefallen daran haben koͤnne, wenn 
ihr ungerecht gegen ſeine ſchwarzen Kinder ſeid. Wenn ihr 
dies thut, werden wir mit Vergnügen uns erzaͤhlen laſſen, was 
ihr von den Gedanken des großen Geiſtes zu wiſſen glaubt. Jezt 
aber werdet ihr uns nicht haſſen, wenn wir eure beiden Miffionare 
mit Dank zuruͤkſenden. Sie ſollen uns ſpaͤter willkommen ſein, 
ſobald wir in Erfahrung gebracht, daß dem ſchwarzen Volke 
von den Weißen die Freiheit wieder zuruͤkgegeben iſt, weil ohne 
dieſelbe die Schwarzen nicht gluͤklich fein, und daher auch zu 
eurem Gott kein Zutrauen faſſen koͤnnen.“ 


XIII. Zu Seite 233, Zeile 14 von oben. 


Belehrende Nachrichten über die Ur amerikaner gibt auch C. T. Ko: 
ſche in ſeiner Schrift: Charakter, Sitten und Religion 
aller bekannten Voͤlker unſers Erdbodens. Ein Handbuch für 
die Jugend und ihre Erzieher. Bd. I. Die Amerikaner. 
Leipzig, bei Junius, 1789. — 

Amerika, nach ſeiner ehemaligen und jezzigen Verfaſſung 
dargeſtellt nach den beſten Geſchichts- und Reiſebeſchreibungen von 
Franz Jakob Kutſcher. Schleswig, 1802 — 3. 3 Bde. 
(Altona. Hammerich). 4%, Thlr. — 

Von den aͤltern Werken uͤber dieſen Gegenſtand verdienen 
hier noch angefuͤhrt zu werden: 

Moeurs des Sauvages Americains, compardes aux moeurs 


Daß 


383 


des premiers tems, par le P. Lafiteau de la Compagnie 
de Jesus. Ouvrage enrichi de figures en taille douce. Pa- 
ris 1723. 

Franc. Xav. de Charlevoix histoire et description gene- 
rale de la nouvelle France. A Paris 1745. Deutſch Nuͤrn— 
berg 1768. — 

Jos. de Acosta Amerika, oder die neue Welt, in ſieben Buͤ— 
chern. Aus dem Spaniſchen uͤberſezt durch Cornelius Sutorius. 
Frankf. 1605 und 1617. 

Indiae occidentalis historia, in qua prima regionum 
istarum detectio situs, incolarum mores, aliaque eo per- 
tinentia breviter explicantur, Ex variis auctoribus collecta, 
opera et studio Gaspari Ens. Colon. 1612. — 

Joh. de Laet novus orbis, seu descriptionis Indiae oc 
cidentalis lib. XVIII. novis tabulis geographicis et variis 
animantium, plantarum fructuumque iconibus_ illustrata. 
Lugd. Bat. 1633. — | 

Oliv. Dapper's ausführliche und eigentliche Beſchreibung 
von Amerika. Amſterdam 1673. — 

Joh. Isr. de Bry historia Americae, sive novi orbis et 
Indiae occid. XIII. sect. seu partibus comprehensa. Fran- 
cof. 1590 — 1630. — 

Joh. Isr. de Bry Collectionum peregrinationum in In- 
diam Occidentalem partes 1— 9. Enthält den Text des vor: 
hergehenden Werkes in deutſcher Sprache. 

Casp. Varrerii novus Orbis, id est i primae 
in Americam. Antwerp. 1600. 


XIV. Zu Seite 240, Zeile 1 von unten. 


ein Spener in unſerm Zeitalter wieder auftreten moͤge, iſt ein 
eitler Wunſch. Würde er wol, träte er jezt wieder auf, von un: 
ſern Zeitgenoſſen mehr beachtet werden, als einſt bei ſeinen Leb— 
zeiten von den Juden in Frankfurt? Es bedurfte jenes ei⸗ 
genthuͤmlichen Zeitgeiſtes vor der franzoͤſiſchen Revolution, um dem 
berühmten Schloͤzer die Mittel zu gewähren, fo kraͤftig auf 


384 


feine Mithuͤrger zu wirken, als ihm dies gelang, und um ihn zu: 
gleich auf die hohe Stufe von Ruhm zu erheben, auf welcher wir 
ihn ein Menſchenalter hindurch ſehen. Vergebens wuͤrde jezt der 
kraͤftigſte Karakter, der ausgezeichnetſte Kopf etwas dem Aehnli⸗ 
ches zu erſtreben ſich bemuͤhen. Würde gleichfalls ein C. Fr. 
Bahrdt in unſern Zeiten das Aufſehn erregen, nachdem Theo⸗ 
logen, jezt in den hoͤchſten Wuͤrden und Aemtern ſtehend, auf dem 
von ihm betretenen Wege noch viel weiter gegangen ſind, als er, und 
kaum Gottes Daſein und Vorſehung unangetaſtet gelaſſen haben? 


XV. Zu Seite 244, Zeile 2 von oben. 


Der Verfaſſer eines hoͤchſt ausgezeichneten Romans “) laͤßt ſich über die: 


ſen wichtigen, in unſerer Zeit viel beſprochenen Gegenſtand alſo aus: 

„Zu St. Omer erzogen, hatte er, wie jung er auch noch war, 
doch bereits einen nicht unbedeutſamen Ruf unter ſeinen Bruͤdern 
des erlauchten und beruͤhmten Jeſusordens erlangt, der die 
ſchlechteſten, ſo wie die beſten Maͤnner hervorgebracht hat, 
welche die chriſtliche Welt jemals kannte, der in feinem erfolg: 
vollen Eifer fuͤr die Wiſſenſchaften und fuͤr die Ver— 
breitung geiſtiger Aufklaͤrung der Nachwelt eine große 
Schuld des Dankes auflegte; der aber, weil er ungluͤklicher Weiſe 
gewiſſe ſcholaſtiſſche Lehrſaͤzze ermuthigte, die in einem Gemuͤ⸗ 
the, welches raͤnkevoll und laſterhaft zugleich iſt, leicht zu der 
Heilighaltung der allergefaͤhrlichſten und ſyſtematiſchen Unmorali— 
taͤt verkehrt werden koͤnnen, — ſeinen Bekennern bereits einen 
faſt allgemeinen Haß zugezogen hat, der bei Weitem den groͤßten 
Theile derſelben auf eine bemerkenswerth-unverdiente 
Weiſe trifft.“ 

Merkwürdig iſt in dieſer Hinſicht eine Recenſion in einem der 
ausgezeichnetſten kritiſchen Blätter **), in welcher es heißt: „Es 


Devereux vom Verfaſſer des Pelham und des Verſtoßenen. 
Überfezt von C. Richard. Aachen 1830. Th. 1. Seite 19. 


) The Foreign quarterly Review. Nro. VII. April 1829. London. 


Treuttel and Würz, Treuttel jun., and Richter. pag. 30. 


- 


RN nn 


385 


iſt bemerkenswerth, daß ein beruͤchtigtes (famous) Ereigniß des 
vergangenen Jahrhunderts dem Fall der Tempelherren in 
mancher Hinſicht gleicht. Die Jeſuiten wurden in verſchiedenen 
katholiſchen Ländern, ohne genauer dargelegte, oder auf grundfal— 
ſchen Angaben beruhenden Beſchuldigungen, daß fie z. B. den Kͤ⸗ 
nig von Portugal heimlich ſollten aus dem Wege geſchafft 
haben, in Gefaͤngniſſe geworfen, oder auf Kriegsſchiffe gebracht, 
und ihr Orden ward aufgehoben. Wenige Jahrhunderte zuvor 
wuͤrde man es fuͤr noͤthig gehalten haben, Verlaͤumder gegen ſie 
zu dingen, und ihre Bekenntniſſe durch die Folter zu erpreſſen. 
Allein ſie fielen, gleich den Tempelherren, untergraben von 
der Eiferſucht der Staatsbehoͤrden und dem Haſſe des Publikums. 
Allein auch in vielen andern Faͤllen ward der Hof zu Rom dem 
Intereſſe der Fuͤrſten auf Koſten ſeines eignen Beſten dienſtbar 
gemacht, und gezwungen, mit ſeinen eignen Haͤnden Inſtitutionen 
zu zerſtoͤren, welche er forgfältig und mit Klugheit gepflegt hatte.“ 

Es iſt hoͤchſt auffallend, daß jezt ſelbſt in dem proteſtan— 
tiſchen England von geiſtreichen proteſtantiſchen Schrift— 
ſtellern dem Katholicism und ſelbſt dem Jeſuitism das 
Wort geredet wird. Nichts iſt ſo ſehr dem Wechſel unterworfen, 
als die Anſichten und Meinungen der Menſchen, wovon unſre 
Tage recht uͤberfuͤhrende Beiſpiele aufweiſen. War es im Alter— 
thume anders? Der einſt ſo geehrte und geſchaͤzte Name eines 
roͤmiſchen Bürgers war im fünften Jahrhundert v. Chr. G. 
Thon fo verachtet, daß Salvianus von Marfeille*) ſagte: 


9 


Salvian. de gubernatione Dei. Lib. IV. — VII. Er ſagt in dieſem 
Werke, daß die Römer damals unter allen Nationen am niedrigſten 
und verdorbenſten wären. Die Sachſen, ſagt er, find wild, die Fran 


ken und Gothen ungetreu, die Gepiden unmenſchlich, die Hun- 


nen und Alanen ſchamlos; er lobt aber die Franken wegen ihrer 
Gaſtfreiheit, die Gothen, Vandalen und Sachſen wegen ihrer 
Keuſchheit, und bemerkt, daß die Römer zwar große Laſter, aber keine 
Tugenden beſäßen. Hauptſächlich redet er wider ihre Aus ſchweifun⸗ 
gen, ihre Leidenſchaft für das Theater mitten im Schrekken 
des Krieges und der öffentlichen Bedrängniß, wider die Ungerech— 


Brauns Skizzen von Amerika. 25 


386 


„Die von den Gothen unterjochten Römer empfinden nicht 
ſolche Bedruͤkkungen, als die Roͤmer des Kaiſerthums, und ihr 
einmuͤthiges Gebet iſt, daß ſie nie wieder unter ihre vorige Herr— 
ſchaft zuruͤkfallen moͤgen. Anſtatt daß Jene bei uns Schuz und 
Obdach ſuchen ſollten, verlaſſen uns die Unſrigen, und unter die— 
ſen ſelbſt Manche nicht aus den niedrigſten Staͤnden ſuchen den 
Schuz, den Jene ſich erfreuen, indem ſie vorziehen, frei zu leben 
unter dem Scheine der Gefangenſchaft, denn als Sklaven ihr Le— 
ben hinzuſchleppen unter dem Namen der Freiheit, ſo daß der 
einſt ſo hoch geſchaͤzte Titel eines roͤmiſchen Buͤrgers jezt 
tief geſunken und verachtet iſt.“ Manche moͤgen wol durch eine 
unverzeihliche Vernunft-Verachtung “) dahin gebracht wer— 
den, ihre Anſichten zu aͤndern und zu wechſeln gleich einem Rohr, 
das der Wind hin und her weht, ſo daß man von ihnen mit 
Leibnitz in Wahrheit ſagen kann: „C'est un malheur des 
hommes, de se degouter enfin de la raison méme et de s’en- 
nuyer de la lumiere. Les chimeres commencent à revenir 
et plaisent, parce qu'elles ont quelque chose de merveilleux.‘* 
Ein wizziger franzöfifcher Dichter unſerer Zeit ſucht ſich hierbei 
mit den Worten zu troͤſten: 
„Le monde est plein d’erreurs, mais de- la je conclus, 


Que precher la raison, est un erreur de plus!“ 


Andere moͤgen wol durch die Haͤrte und Noth der Zeiten zu 
einer ſolchen völligen Umkehr ihrer Anſichten gebracht werden, wie 
wir im Alterthume bei den von den Gothen unterjochten 
Roͤmern, und jezt bei dem genialen Cobbet und andern aus— 
gezeichneten Maͤnnern in England und Irland wahrnehmen. 


tigkeiten der Mächtigen und Reichen, und wider die Bedrük⸗ 
kung der Armen, welche die Herrſchaft der Barbaren dem römiſchen 
Deſpotismus vorzögen; vorzüglich erzürnt iſt er gegen den kaiſerlichen 
Fis kus. 

) Diefe Vernunft⸗Verachtung mag wol bei den Meiſten aus einer 
übertriebenen Schäzzung der Vernunft hervorgegangen fein. Le ex- 
tremes se touchent! 


387 


Hoͤchſt anziehende Nachrichten und Anſichten über dieſen Gegen: 
ſtand findet man in den, in Norddeutſchland wenig bekannt gewordenen, 
Saͤmmtlichen Werken von A. v. Bucher. Geſam⸗ 
melt und herausgegeben von J. von Kleſſing. 6 Bde. 

Muͤnchen, bei Fleiſchmann, 1818 — 30. 

Vorzuͤglich die drei erſtern Theile. 

Die Nekkar⸗-Zeitung, reich an herrlichen Aufſaͤzzen zur 
Aufklaͤrung und Verbeſſerung der Menſchheit, enthaͤlt auch viele 
wakkere kleinere und groͤßere Aufſaͤzze uͤber dieſen wichtigen Gegen— 
ſtand, von denen wir hier vorzuͤglich zwei bemerken, die wahr— 
ſcheinlich von den unuͤbertrefflichen, von uns ſo hoch verehrten, 
klaſſiſchen Männern: J. Weitzel in Wiesbaden, oder 
Joh. Neeb in Niederſaulheim bei Mainz“) herruͤhren: 

Nekkar⸗Zeitung 1826. Mai 24. Seite 576 — 588. 

Ferner dafelbft Seite 1352 — 1372 (oder vom 28. Novbr. 

bis 3. Decbr. 1826). 


XVI. Zu Seite 253, Zeile 1 von unten. 


Auf die Fichteſche Philoſophie. 
Deine Lehre, o Fichte, hat manches Neue und Wahre; 
Nur iſt das Wahre nicht neu, nur iſt das Neue nicht wahr. 
Melliſh “) 


) Dieſer höchſt ausgezeichnete, geiſtreiche Schriftſteller hat bis zum Jahre 
1821 ſeine auserleſenen kleinen Aufſäzze dem Publikum unter dem Titel: 
Vermiſchte Schriften von Joh. Neeb. Frankfurt a. M., in der 
Hermannſchen Buchhandlung, in 3 Bänden mitgetheilt, und ſeit dieſer 
Zeit feine meiſten Aufſäzze in der Nekkar⸗Zeitung niedergelegt. 
Mögte es ihm gefallen, auch leztere als eine Fortſezzung der vermiſch— 
ten Schriften dem Publikum aufs Neue mitzutheilen. Von Män⸗ 
nern, wie ein Weitzel und Neeb, von denen ich ſeit einem Jahrzehnt 
fo viel gelernt, bekenne ich gern, daß ich nicht werth bin, ihre Schuhrie: 
men aufzulöſen. — Weitzels Schriften findet man aufgeführt in 
Brauns Ideen über Amerika. Seite 803 — 4. Bei den beiden 
Geiſteserzeugniſſen eines J. Weitzel, J. Neeb, Börne und Reinwaldt, 
kann man leicht, wenn auch bei ihrer Vorſtellung des Vaters nicht er⸗ 
wähnt wird, deren Vaterſchaft errathen. 

*) Vormaliger britiſcher Konſul in Hamburg. Er darf nicht mit 


388 


Es ift wahrlich kein angenehmes Gefchäft, ſolche Sachen zu leſen, welche, 


um ſie zu verſtehen und zu beurtheilen, eine ſehr aufgeregte Auf— 
merkſamkeit erfordern, und nach der Vollendung ihrer Durchle— 
ſung doch ſo wenig Ausbeute gewaͤhren, im Gegentheil nur das 
leidige Bewußtſein zuruͤklaſſen, wie wenig ein großer Umfang von 
Kenntniſſen und Geiſtesreichthum und angeſtrengte Bemuͤhungen 
der Denkkraft vor Irrthum und Unglauben ſchirmen. Die Staats- 
weisheit der Deutſchen iſt groͤßtentheils Schulweisheit 
geworden. Trauriges Schikſal unfrer meiſten guten Köpfe, daß 
ſie ihre ſchoͤne Kraft an leeren Wortkram und gehaltloſe 
Abſtraktionen vergeuden, weil ihnen das oͤffentliche Le— 
ben fehlt, an dem und fuͤr das ſie ſich uͤben und ſtaͤrken koͤnnten. 
Da es ihnen nicht vergoͤnnt iſt, in Wirkſamkeit fuͤr das Vater— 
land, in lebendiger Beruͤhrung mit Menſchen, die ein gemein— 
ſchaftlicher großer Zwek beſeelt, fuͤr Nationalwohl und Volksruhm 
thaͤtig zu ſein, ſo trinkt ihr Buſen nicht den reinen ſtaͤrkenden 
Aether des heitern, freien Himmels, ſondern ſie athmen den 
ſchweren, truͤben Dunſt der verſchloſſenen Schachten, in denen ſie 
nach den verborgenen Schaͤzzen der Weisheit graben. Ich weiß 
wohl, daß unſre Philoſophen vom rechten Schlage auf gemeine 
Sterbliche meiner Art, die in dem hohlen Sanſerit ihres Wort— 
und Formelweſens keine Weisheit finden wollen, mit Ver— 
achtung herabſehen und ſagen: „wir fein nicht fähig, fie zu ver: 
ſtehen.“ Sie haben Recht; aber verſtehen fie fich ſelbſt? ) Der 
groͤßte Ruhm unſerer größten Philoſophen beſteht in einer un— 
durchdringlichen Dunkelheit, in einer aͤſthetiſch-⸗ſcholaſtiſch een 
Verſchleierung, woruͤber ſich einſt unſere Nachkommen eben ſo 
ſehr, oder vielleicht noch mehr wundern werden, als wir uns jezt 


2 


dem Chartenſtecher und Geographen John Meliſh in Philadelphia 
verwechſelt werden. 

Auf die Frage: „Was iſt Metaphyſik?“ erwiederte einſt ein ſcharf— 
finniger Engländer: „Wenn die, welche zuhören, nicht verſte— 
hen, was der, welcher ſpricht, ſelbſt nicht weiß, was er 
meint; das iſt Metaphyſik.“ 


389 


über die Dunkelheit und den Wuſt der alten S cholaſtiker 
wundern. — Bei vielen unſeren Deutſchen, ſeit einem halben 
Jahrhunderte gebluͤhten und verbluͤhten Philoſophen faͤllt mir fol⸗ 
gende Anekdote eines engliſchen Lords ein. Ein engliſcher 
Lord ließ allenthalben Haͤuſer aufkaufen, die an die Grenzſteine 
ſeiner Beſizzungen ſtießen, und dann niederreißen. Da ſieht man, 
ſagt Locke, den Geiſt der jezzigen Philoſophie; das 
Einreißen laſſen ſich unſre Weiſen all' ihr Geld koſten, fo daß 
ihnen kein Heller zum Wiederaufbauen bleibt. — Jezt ſcheint 
es, ſind unſre Gelehrten mit dem Niederrreißen fertig, und die 
Bauluſt herrſcht vor; doch gibt es faſt nichts als Schloͤſſer in die 
Luft. — 


XVII. Zu Seite 269, Zeile 12 von oben. 


Will man eine der Haupturſachen kennen lernen, warum im vori— 
gen Jahrhundert beſonders fo viele Pfälzer nach Amerika aus⸗ 
wanderten, ſo findet man dieſe aufgezeichnet in C. Fr. Bahrdt's 
Geſch. ſeines Lebens, ſeiner Meinungen und Schik— 
Tale. Zr Th. Berlin 1791. Seite 31 — 32. Manchen Aufſchluß 
über die Urſachen der Auswanderung im Allgemeinen deutet Zur 
ſtus Gruner an in ſeiner Schilderung des ſittlichen 
und bürgerlihen Zuſtandes Weſtphalens. Frankfurt 
am Main 1802. Th. I. Seite 59 ff. u. a. St. Der Verfaſſer 
war unſtreitig einer der edelſten Deutſchen und ſein Buch die 
beſte Lobſchrift auf die damalige deutſche Preßfreiheit. Wo iſt der 
Schriftſteller, der zu unſerer Zeit die Gebrechen der Juſtiz ſo 
ſchonungslos aufzudekken wagen dürfte, als zu feiner Zeit Ju— 
ſtus Gruner? . 


XVIII. Zu Seite 269, Zeile 1 von unten. 


Die neuerfundenen Damen-Corſets, die in Paris immer haͤufiger 
getragen werden, ſchrauben den Leib fo ſehr zuſammen, daß man bei— 
nahe nicht ſieht, wie der Oberleib mit dem Unterleib zuſammenhaͤngt *) 


) Nekkar⸗Zeitung 1829. Juni 1. Seite 615. 


390 


XIX. Zu Seite 278, Zeile 14 von unten. 


Wie ſehr noch bis auf dieſen Augenblik das Franzoͤſiſche in den 
hoͤhern deutſchen Geſellſchaften und Klaſſen vorherr— 
ſchet, beweiſet folgende Stelle: „Der Prinz Kaſemirofsky gibt 
neulich eine brillante Fete. Er hatte die Banquiers aus dem 
cercle des Etrangers kommen laſſen; das Spiel war enorm! 
die kleine Marquisin C. (Sie kennen Sie wohl noch, lieber Bot— 
ſchafter, von jenem Balle her, wo ſie als Eva costümirt war) 
hat alles verloren und iſt en desespoir, ſie legt un billet de 
banque auf die Nummer 33, — Nummer 32 kommt heraus, 
aber ein leichter Souffle trägt es auf die Nummer 32. Der 
Banquier weigert ſich zu zahlen; ſie beſteht darauf. Endlich ruft 
fie mich“) zum Zeugen; que faire? — Betaͤubt durch dieſen 
coup d'addresse, eingedenk, daß ſie die Nichte eines einflußreichen 
Miniſters iſt, und vor Allem, daß ich durch einen desaveu ein 
uͤbles Licht auf ſie werfen wuͤrde, assentire ich und ſie wird be— 
zahlt. Beim coucher erzähle ich, comme à l’ordinaire, I'histoire 
de la journee meinem Kammerdiener. Was thut dieſe Béte? 
Er associirt ſich mit ein Paar Vauriens und geht nach Nummer 
113, dort ſpielt er erſt petit jeu, wobei nicht viel herauskommt. 
Endlich legt er ein Billet de cinq cents Francs auf ein Paar 
Nummern, und repetirt das gedachte manoeuvre. Es kommt 
zum Streite, ſeine Kumpane ſchwoͤren Stein und Bein fuͤr ſein 
Recht. Aber die Polizei entdekt das Ganze, und ſie werden alle 
drei auf die Galeeren geſtekt! Und das mit Recht; pourquoi 
singer la noblesse? Naͤchſtens werde ich Sie mit dem Herzog 
Tiger bekannt machen, der nimmt foͤrmlich Unterricht bei einem 
ci devant Sansculotten, und ſtudirt Tag und Nacht den Moni- 
teur vom Jahre 1793, um ſich mit der jakobiniſchen Phraſeologie 
vertraut zu machen, cela lui sied a merveille. Wir dinirten 
neulich zuſammen beim Prinzen Z., da ſagte ich ihm: de grace 


„) Nämlich den Grafen. 


301 


mon Prince faites le Jacobin, und ma foi, er that es mit einer 
folchen Wahrheit, daß ein ſpaniſcher Commune ro, ein deut: 
ſcher Sandiſt, ein engliſcher Radical und ein neapolitanifcher 
Carbonaro ihn alsbald als Bruder umarmten “). Ferner: 
Seine (des Chevalier L.) Tournure verrieth den Mann von 
Welt, feine Kleidung war soignirt, ohne uͤberladen zu fein, und 
ſeine Chevelure ſtets wohl arrangirt. 

Warlich kein Deutſcher in Amerika verbraͤmt ſein Deutſches 
ſo auffallend mit engliſchen Woͤrtern, als dieſe hohen deutſchen 
Diplomaten das ihrige mit dem Franzoͤſiſchen. Mit Recht 
erzuͤrnt uͤber die Gallomanie der Deutſchen, ſagt ſchon der 
ehrliche deutſche Dichter, Joachim Rachel (als Rektor zu 
Schleswig im Jahre 1669 geſtorben): 


Ein jeglich zweites Wort muß jezt franzoͤſiſch ſein; 

Franzoͤſiſch Mund und Bart, franzoͤſiſch alle Sitten, 

Franzoͤſiſch Rok und Wams, franzoͤſiſch zugeſchnitten. 

Was immer zu Paris die edle Schneiderzunft 

Hat neulich aufgebracht, auch wider die Vernunft, 

Das macht ein Deutſcher nach. Sollt' ein Franzoſ' es wagen, 

Die Sporen auf den Hut, Schuh an der Hand zu tragen, 

Die Stiefel auf dem Kopf, ja Schellen vor dem Bauch, 

Anſtatt des Neſtelwerks: der Deutſche thaͤt es auch. 

Bei einem ſammtnen Rok die groben Leinwandhoſen? 

Wer haͤtt' es ſonſt erdacht, als Narren und Franzoſen? 

Wenn ſelber Heraklit den Plunder ſollte ſehen: 

Er ließ (mit Gunſt geſagt) vor Lachen Einen gehn. 

Zur Probe von ein Paar in Deutſchland herrſchenden Pro— 

vinzial⸗Dialekten, gegen welche die engliſch-deutſchen Provinzialismen 
in Nordamerika nur Kinderſpiel ſind, Folgendes: 


5 


Siehe Politiſches Taſchenbuch auf 1830. Herausgegeben von 
Wit, genannt von Döring. Erſter Jahrgang. Die Diplomaten. 
Hamburg 1830. Seite 75. ff. und 127. Wer die Sprache des bon ton 
lernen will, leſe dieſes Buch. N 


392 


Der Oberſachſe und der Badenſche Bauer. 


Der Oberſachs. Meain lieper Hanns! Sei er doch fo 

kuut und kehe er zu dem Diakonus, und mache er ein Kompli- 

ment von des Herrn Aamtmannſch Hoofmaiſter, und ſage er ihm: 

daß er ihn pitten ließe, ihm doch das Puhch wiederzuſchikken, 
welches er ihm keliehen haͤtte! * 

Der Bauer. Waaſch ſcheid de Herr! 

Der Oberſ achs wiederholte dreimal daſſelbe und eben ſo 
oft der Bauer die Frage: Waaſch ſcheid de Herr? — 
Darauf machte ein Amtsſchreiber, der lange genug gelacht 
hatte, den Dolmetſcher. 

Der Amtsſchreiber. Looß (Gib Achtung) Hans! 

Der Bauer. Nuh! 

Der Amtsſchreiber. Gange abe, Hans zu des Priaͤſch— 
ters Halfer, un gruͤaͤſch ihn von des Amtmanns Schuälmeifchter, 
und ſcheg ihm: er ſoll ihm das Buach wi aͤderſchik, waſch er ihm 
gelieh ho! 

Nun verſtand es Hans. 


XX. Seite 282, Zeile 8 von oben. 


Die Papiere der neuen ſpaniſch-amerikaniſchen Staaten 
find nur auf Enthuſiasmus hppothecirt, und unſre Staats: 
papierhaͤndler ſind leider ſolcher erhabenen Empfindungen 
unfaͤhig. | 


XXI. Zu Seite 286, Zeile 6 von oben. 


Wenn Bolivar die katholiſche Geiſtlichkeit durch die Aufhe— 
bung des Coͤlibats verweltlicht, das Supremat des Pap— 
ſtes an ſich reißt, und ſich ſelbſt zum oberſten Biſchof der Kirche 
macht, als ſolcher alle ihre Angelegenheiten ſo leitet, daß ohne 
ſeinen Willen und ſeine Genehmigung in derſelben nichts geſchehen 
und vorgenommen werden darf; alle eintraͤglichen Stellen 
der hoͤhern Geiſtlichkeit zum Beſten ſeines Fiskus einzieht, 
oder ſeinen hoͤhern Staatsbeamten verleiht, und bloß die wenig 


393 


einträglichen Pfarren fortbeſtehen laͤßt, die Inhaber der leztern 
auch den Juſtiz- und Polizeibehoͤrden unterordnet, dabei die Beichte, 
wodurch ſie ſich vielleicht über ſchwache Gemuͤther noch einen unbedeu— 
tenden Einfluß verſchaffen koͤnnten, abgeſchafft, und in eine allgemeine 
Beichte oder Vorbereitung verwandelt, zur Profanirung der Kir— 
chen in ihnen Koncerte auffuͤhren laͤßt, und endlich die theolo— 
giſchen Lehrſtuͤhle mit ſolchen Profeſſoren beſezt, welche un— 
ter dem Namen „der Aufklärung” die Religion nach den 
Grundſaͤzzen der franzoͤſiſchen und engliſchen Philoſo— 
phen ſo vereinfachen und ummodeln, daß dieſe zulezt nur noch 
eine Reihe Nullen ohne vorſtehende Zahl iſt; wenn er auf dieſe 
Weiſe nach dem Bekannten „divide et impera‘‘ die Gemüther 
und Anſichten der hoͤchſt aͤrmlichen und gaͤnzlich abhaͤngigen Kir— 
chendiener ſelbſt entzweiet, und unter ihnen die größte Verwirrung 
angerichtet hat, dann hat er von den Reaktionen der Hierar— 
chie gar nichts mehr zu befuͤrchten; wenn dieſe auch noch dem 
Namen nach beſteht, ſo wird er ſie doch dann ſtets als ein ge— 
horſames Werkzeug ſeiner Politik, gleich der Polizei, gebrauchen 
koͤnnen, wozu er will. 


XXII. Zu Seite 293, Zeile 1 von unten. 


Unter den Deutſchen, welche in Buenos Ayres ihr Gluͤk gemacht 
haben, befindet ſich auch der jezzige Prediger augsburgiſcher Konz 
feſſion, Dr. Leſchen, vormals Herzogl. Braunſchw. Luͤneb. Di⸗ 
rektor der Porzellanfabrik zu Fuͤrſtenberg, bei Holzminden. 
Nachrichten uͤber denſelben findet man in der Nekkarzeitung 1829. 
Juni 5. Seite 633. 


XXIII. Zu Seite 294, Zeile 3 von oben. 


Ueber die Koloniſation der Deutſchen in Buenos Ayres er⸗ 
halten wir einen ſehr zuverlaͤſſigen Rath von einer eben ſo aus⸗ 
gezeichneten als unpartheiiſchen Perſon, welche im Jahre 1828 

aus Buenos Ayres nach der Schweiz dieſerhalb ſchrieb: 
„Sobald die Umſtaͤnde es geſtatten werden, wollen die einſichtvoll⸗ 

ſten Männer dieſes Landes der europaͤiſchen Auswande⸗ 


394 


rung alle verdiente Aufmunterung widmen; gegenwärtig aber 
koͤnnen Auslaͤnder, und insbeſondere Landbebauer, auf keine Weiſe 
hier ein gutes Fortkommen finden, weil die Landſchaft durch die 
Ueberfaͤlle der Uramerikaner (vulgo Indianer) ſehr unſicher 
geworden iſt. Ich habe vernommen, daß ein junger Mann, Na— 
mens Picolet, nach der Schweiz gereiſt ſein ſoll, in der Abſicht, 
einige hundert Individuen zur Auswanderung nach Buenos Ay— 
res zu veranlaſſen. Dies Vorhaben koͤnnte nur zum Nachtheil 
derer ausfallen, die ſich zu dieſer Reiſe verleiten ließen, um ſo 
mehr noch, als ſie in dem Charakter des Unterhaͤndlers keine Ge— 
waͤhrleiſtung finden moͤgen. Ich mache es mir zur Pflicht, Sie 
hiervon zu benachrichtigen, damit die Schweiz vor dieſer ſehr 
unzeitigen Anlokkung zur Auswanderung gewarnt ſei, 


deren bedauernswerther Ausgang uͤberdem ſpaͤtern Auswanderun— 


gen, die nach uͤberlegtem Plane möglich werden dürften, nachthei— 
lig fein muͤßte“ “). — 

Die von der fruͤhern Regierung zu Buenos Ayres mit F. 
Morales, Enrique Picolet, F. J. Munnoz, M. Riglos, 
M. J. Azcuenega, M. Reyes, Carl Heine u. A. ein: 
gegangenen Verpflichtungen, um Auswanderer nach Buenos 
Ayres kommen zu laſſen, wurden von der neuen Militair— 
Regierung unter Lavalle am 2. Jan. 1829 foͤrmlich wieder 
aufgehoben, weil die fuͤr jenen Zwek ausgeſezten Summen ihrer 
fruͤhern Beſtimmung entzogen, und auf die dringendern Beduͤrfniſſe 


des Kriegs verwendet wurden, und dann auch die gewoͤhnlichen 


Einkuͤnfte von Buenos Ayres nicht hinreichen, die Koſten 
für die Uueberſchaffung der Auswanderer zu beſtreiten, 
zu deren Befriedigung eine betraͤchtliche Vermehrung der oͤffentli— 
chen Schuld noͤthig werden würde ). 


5 


u 


* 
Allg. Zeitung von C. J. Stegmann. Augsburg 1829. April 25. 
Beilage Nro. 115. Seite 458. 


Allg. Zeitung von C. J. Stegmann. Augsburg 1829. April 30. „ 
Beilage Nro. 120. Seite 478. ö 


395 


XXIV. Zu Seite 294, Zeile 11 von unten. 


Die innern Unruhen der unter fich uneinigen und einander bekaͤmpfenden 


Militair⸗Chefs in Suͤdamerika und Mexiko werden wir 
aus dem rechten Standpunkte betrachten, wenn wir dabei erwaͤgen, 
was ſchon der große Schloͤzer ſagt: „Die Geſchichte al— 
ler Zeiten und aller Voͤlker in allen Erdtheilen iſt großen— 
theils eine Leidensgeſchichte der von den verworfenſten, oft 
zugleich ſtupideſten Boͤſewichtern (nicht ſelten Eroberer und Helden 
genannt) und deren Abkoͤmmlingen am Narrenſeil herumgefuͤhrten 
Nationen. Der Forſcher dieſer Graͤuelthaten laͤuft Gefahr, daß 
ihm die ganze Menſchheit darüber veraͤchtlich werde. Wer begreift 
dann, daß ſich Millionen Menſchen — Mitglieder der maͤchtigſten 
Nationen — Jahrtauſende hindurch von einzelnen Wuͤterichen ha— 
ben ſchlachten, von einzelnen Raͤubern haben pluͤndern laſſen? 
Die Feigheit dieſer Elenden iſt noch raͤthſelhafter, als die Un— 
menſchlichkeit ihrer Tyrannen.“ 

Wie tief der ſittliche Zuſtand Mexikos in unſern 
Zeiten geſunken, erſieht man aus der im Jahre 1829 in London 
herausgegebenen Reiſe nach Mexiko vom Schiffslieutenant 
Hardy, worin derſelbe uͤber dieſen Gegenſtand ſich alſo ausdruͤkt: 
„Die politiſche Moralitaͤt der Türkei ſteht auf einer un: 
endlich hoͤhern Stufe, als die von Mexiko, wo ſich unzählige 
Beiſpiele von Treubruch, Verachtung des Gemein— 
wohls, ſo wie jedes andern patriotiſchen und tu— 
gendhaften Gefuͤhls nachweiſen laſſen. Der Kongreß, 
die Richter, die Magiſtrate, die Geiſtlichen und die Mi— 
litairs, alle verkauften ſich um ihres eignen perſoͤnlichen Vor— 
theils willen, und um die exekutive Gewalt, zu der ſie gehoͤrten, 
abſolut zu machen, achteten ſie den Ruin ihres Vaterlandes nicht. 
Der oͤffentliche Schaz iſt oft ſchon von denjenigen durchge— 
bracht worden, denen die Leitung der Nationalfonds anvertraut 


9 


Siehe Schlözers Allgemeines Staatsrecht. Seite 123 vergleiche mit 
der Miscelle in der Nekkarzeitung. 1826. Seite 570. 


396 N 


war, und brachten diefe ihn nicht durch, fo wurde er von An: 
dern gepluͤndert. Oeffentliche Aemter wurden nicht Maͤnnern von 
Talent und Rechtſchaffenheit, ſondern in vielen Faͤllen ſolchen Leu— 
ten anvertraut, von denen man wegen ihrer Charakterloſigkeit 
ſchon im Voraus wiſſen konnte, daß ſie ſich aus nichts ein Ge— 
wiſſen machen wuͤrden. Endlich aber hat ein von allen Parteien 
beguͤnſtigtes, niedriges Spionsſyſtem das Land noch mehr 
als andre Laſter demoraliſirt, indem es alles perſoͤnliche Vertrauen 
vernichtet und ſo den Menſchen dort zwingt, ſeine eignen Aeltern, 
Verwandten, Freunde, Diener und Jeden, mit dem er in Ver— 
bindung kommt, oder ſich nur unterhaͤlt, als einen hinterliſtigen 
Auflaurer zu betrachten! Und dieſes war der Zuſt and Mexi— 
kos im Februar 1828.“ 

Ueber dieſen ent wuͤrdigten ſittlichen Zuſtand Mexi— 
kos werden wir uns weniger wundern, wenn wir erwaͤgen, daß 
zu allen Zeiten und bei allen Voͤlkern der Welt große Kultur 
und uͤbermaͤßiger Reichthum von einer eben ſo großen Verdorben— 
heit und Ueppigkeit begleitet ward. Wie traurig es in religioͤ— 
fer Hinſicht in Mexiko ausſieht, beweiſet folgende Thatſache: 
„Ein zu Mexiko ſeßhafter anglonordamerikaniſcher 
Handwerksmann befand ſich in ſeiner Werkſtaͤtte, deren Thuͤr offen 
ſtand, als gerade ein Prieſter mit dem Viatic um vorüber: 
zog, das er einem Kranken brachte. Alles Volk fiel auf der Straße 
auf die Knie nieder. Der angloamerikaniſche Handwerksmann 
kniete auf einem Seſſel. Ueber dies Benehmen aͤrgerte ſich ein 
Mexikaner, und verlangte, daß der Anglonordamerikaner auf 
das Pflaſter knien ſollte; ein Streit entſpann ſich, und der Meri: 
kaner ſtieß dem Anglonordamerikaner einen Dolch ins Herz, worauf 
er die Flucht ergriff. Die merikaniſche Regierung erließ ſogleich 
einen Aufruf, und verſprach demjenigen, der den Moͤrder zur Haft 
bringen wuͤrde, eine Belohnung von 2000 Piaſtern. Dieſe Summe 
ward ſogleich in die Haͤnde des Konſuls der Vereinten 
Staaten von Nordamerika niedergelegt ).“ 


) Nekkar⸗Zeitung 1824. November 23. Seite 1302. 


397 


XXV. Zu Seite 295, Zeile 1 von unten. 


Ueber den gegenwärtigen Zuſtand der engliſchen Berg: 


werksgeſellſchaften theilen wir folgende, ganz authentiſche, 
aus dem Engliſchen “ ſelbſt geſchoͤpfte Nachrichten mit, indem 
wir mit Recht vorausſezzen zu duͤrfen glauben, daß man hier 
gern eine Ueberſicht von den Geſellſchaften leſen wird, 
welche in Großbritannien zur Bebauung auslaͤndiſcher, 
vorzüglich ſuͤdamerikaniſcher Bergwerke beſtehen; denn 
die vorzuͤglichſten Bergwerke in dem mineralreichen Suͤdamerika | 
werden jezt durch ſolche Geſellſchaften betrieben. 

1) Die engliſch⸗-chileſiſche Geſellſchaft zur Betrei— 
bung von Gold-, Silber-, Kupfer, Zinn: und andern Berg⸗ 
werken in Chile. Das Betriebskapital beträgt 1,500,000 Pf. 
Sterling (à 7 Thaler preuß. Cour.), in 15,000 Aktien zu 100 
Pf. Sterl.; die Geſellſchaft hat 8 Direktoren, 3 Auditoren, 2 
Zahlmeiſter, 1 Advokaten und 1 Sekretair. 5 Pf. St. muͤſſen 
ſogleich baar bezahlt werden; der Inhaber von 30 Aktien hat die 
Qualifikation zu einem Direktor, der Inhaber von 20 Aktien zu 
einem Auditor, der Inhaber von 10 Aktien hat ein Votum. Die 
Geſellſchaft iſt im Januar 1825 zuſammengetreten. 

2) Die engliſch⸗-peruaniſche Geſellſchaft, mit einem 


Fonds von 600,000 Pf. St., in 6000 Aktien zu 100 Pf. Die 


Geſellſchaft hat 2 Praͤſidenten, 6 Direktoren, 2 Auditoren, 1 
Sekretair, 1 Zahlmeiſter, 1 Advokaten; ſie hat die Gewinnung 
von Gold, Silber, Quekſilber und andern Metallen und 
nuzbaren Mineralien in Peru zum Zwek. 

3) Die braſilianiſche Geſellſchaft, mit einem Be— 
triebskapital von 2 Millionen Pf. St., in 20,000 Aktien zu 100 Pf., 
mit 2 Praͤſidenten, 10 Direktoren, 3 Auditoren, 2 Zahlmeiſtern 


9 


Guide to the Companies formed for working foreign mines ete. By 
H. English. London 1826. Obiger Auszug ward zuerſt mitgetheilt 
in den Blättern für literariſche Unterhaltung. Leipzig, bei 
Brockhaus, 1826. Aug. 7. Seite 123. Dieſe Zeitſchrift kann mit Recht 
unter die ausgezeichnetern, beſſern Blätter Deutſchlands gezählt werden. 


398 


und 2 Advokaten; will Gold, Silber, Platina, Kupfer, 
Eiſen u. ſ. w. gewinnen, war aber im Jahre 1826 noch nicht 
in Aktivität getreten. 

4) Die kaiſerlich braſilianiſche Geſellſchaft, mit 
einem Fonds von 1 Million Pf. St., in 10,000 Aktien zu 100 
Pf. Die Geſellſchaft hat 1 Praͤſidenten, 9 Direktoren, 2 Audi⸗ 
toren, 2 Zahlmeiſter, 2 Advokaten und 1 Sekretair; ihr Zwek iſt 
der Betrieb von Gold- und Silberbergwerken in der Pro— 
vinz Minas⸗Geraes, unter beſonderm Schuzze der Regie— 
rung. Dieſe Geſellſchaft iſt im Dechr. 1824 zuſammengetreten, und 
auf jede Aktie haben muͤſſen ſogleich 5 Pf. baar bezahlt werden „). 

5) Die engliſch-mexikaniſche Geſellſchaft, mit 
einem Kapital von 1 Million Pf. St., in 10,000 Aktien zu 100 
Pf., von denen im Januar 1824, als die Geſellſchaft zufammen: 
trat, ſogleich 30 Pf. baar entrichtet werden mußten, hat 12 
Direktoren, 2 Auditoren und 1 Zahlmeiſter. Die Gruben von 
Valenciana, welche die Geſellſchaft auch wieder betreibt, gaben 
in den Jahren 1794 bis 1802, nach Herrn Alex. von Hum— 
boldts Angabe, einen jaͤhrlichen reinen Gewinn von 643,479 
Dollars. Die an die Regierung zu zahlenden Abgaben betragen 
6 Procent. 5 5 

a 6) Die Bolivar-Bergwerksgeſellſchaft, mit ei— 
nem Fonds von einer halben Million Pf. St., in 10,000 Aktien 
zu 50 Pf., wovon ſogleich beim Eintritt 3 Pf. baar entrichtet 
werden mußten. Die Geſellſchaft iſt im Juni 1825 wirklich zu— 
ſammengetreten; ſie hat 5 Kuratoren, 2 Auditoren und 1 Zahl— 
meiſter, und ihr vorzuͤglichſter Zwek iſt die Betreibung der Ku— 
pferbergwerke von Aroa in dem ſeit Decbr. 1829 für um: 
abhaͤngig erklaͤrten Staate Venezuela. 

7) Die Balannos-Geſellſchaft, zur Betreibung der 
Bergwerke von Balannos, in der mexikaniſchen Provinz Gu a⸗ 
dalarara, hat ein Betriebskapital von 200,000 Pf. Sterl., in 
500 Aktien zu 400 Pf., 12 Direktoren, 3 Auditoren, 1 Verwal: 


) ber dieſelbe ſiehe Skizzen. Seite 297. 


399 


ter, 1 Zahlmeiſter, 2 Advokaten, und ift im Jan. 1825 zuſam⸗ 
mengetreten. 

8) Die Chile-Bergwerksgeſellſchaft, mit einem 
Kapital von 1 Million Pf. St., in 10,000 Aktien zu 100 Pf., 
wovon ſogleich 5 Pf. baar zu bezahlen, mit 1 Praͤſidenten (dem 
bevollmaͤchtigten Miniſter der Republik Chile in London), 12 Di: 
rektoren, 2 Auditoren, 1 Zahlmeiſter und 1 Advokaten. Der 
Zwek der Geſellſchaft iſt die Gewinnung von Gold, Silber, 
Kupfer, Blei, Zinn und Eiſen in verſchiedenen Bergrevie— 
ren (Reales) von Chile; ſie iſt im Jahre 1825 zuſammengetreten. 

9) Die Chile- und Peru-Geſellſchaft, mit einem 
gleichen Fonds, wie die vorige, mit 18 Direktoren u. ſ. w. 

10) Die kolombiſche Geſellſchaft, mit demſelben 
Fonds, wie die vorige, mit 1 Praͤſidenten, 12 Direktoren u. ſ. w., 
welche beſonders die Silber gruben im ehemaligen Vicekoͤnig⸗ 
reiche Neugranada betreiben will, iſt im November 1824 ent: 
ſtanden. 

11) Die Caſtello- und Espirito-Santo⸗braſilia⸗ 
niſche Geſellſchaft, mit einem Kapitale von 1 Million Pf. 
St., im Maͤrz 1825 unter der Garantie des Kaiſers Peter 
von Braſilien gegruͤndet, mit 11 Direktoren, 3 Auditoren, 
1 Zahlmeiſter, 3 Agenten in Braſilien und 2 Advokaten. 

12) Die Famatina-Geſellſchaft, mit einem Betriebs— 
fonds von 250,000 Pf. St., in 1000 Aktien zu 250 Pf., mit 7 Di: 
rektoren, 2 Auditoren, 1 Zahlmeiſter und 1 Advokaten, hat den 
Zwek, die Bergwerke in La Rio ja, in dem Staate La Plata, 
zu betreiben, und iſt im September 1824 zuſammengetreten. 

13) Die Allgemeine ſuͤdamerikaniſche Geſell— 
ſchaft, mit einem Kapital von 2 Millionen Pf. St., in 20,000 
Aktien zu 100 Pf., mit 1 Praͤſidenten, 15 Direktoren, 2 Audi⸗ 
toren, 2 Zahlmeiſtern, 2 Advokaten und 1 Sekretair, iſt im Sa: 
nuar 1825 zuſammengetreten. 

14) Die Guanaxuato-Geſellſchaft iſt im Juli 1825 
gegruͤndet zum Betriebe der in der Naͤhe der Stadt Guana— 
ruato befindlichen Gold- und Silberbergwerke, welche 


400 


vorzüglich auf dem weltberühmten Erzgange der Veta Madre 
bauen; das Betriebskapital beträgt 400,000 Pf. St., in 2000 
Aktien zu 200 Pf. 

15) Die Goldkuͤſten⸗Bergwerksgeſellſchaft, deren 
Zwek die Gewinnung des Goldes in der Nachbarſchaft der briti— 
ſchen Beſizzungen an der Goldkuͤſte iſt, hat 2 Praͤſiden⸗ 
ten, 11 Direktoren, 3 Auditoren, 1 Zahlmeiſter, 1 Advokaten, 
1 Sekretair und 1 Rechnungsführer. Die Geſellſchaft iſt im Fe— 
bruar 1825 mit einem Kapital von 750,000 Pf. St., in 7500 
Aktien zu 100 Pf., zuſammengetreten. 

16) Die Haity-Bergwerksgeſellſchaft, unter der 
Garantie der Regierung der Inſel Domingo, im Juli 1825, 
mit einem Betriebskapitale von 1 Million Pf. St., in 10,000 
Aktien zu 100 Pf., zur Bearbeitung der dortigen Gold- und 
Silberbergwerke zuſammengetreten, hat 2 Praͤſidenten, 15 
Direktoren, 3 Auditoren, 2 Zahlmeiſter und 2 Advokaten. 

17) Die mexikaniſche Geſellſchaft, gegründet im 
Maͤrz 1825, mit einem Kapital von 1 Million Pf. St., zum 
Betriebe der Gold- und Silberbergwerke u. ſ. w. in ver⸗ 
ſchiedenen Theilen Mexikos, hat 2 Praͤſidenten, 13 Direktoren, 
3 Auditoren, 2 Advokaten und 1 Zahlmeiſter. 

18) Potoſi-, La-Paz- und Peru-Bergwerksge— 
ſellſchaft, zur Betreibung von Gold-, Silber-, Platinaz, 
Quekſilber⸗ und Kupferbergwerken u. ſ. w. in den Pro⸗ 
vinzen von Potoſi, La Paz und auch in Ober- und Unter— 
peru, im April 1825 gegründet, hat ein Betriebskapital von 1 
Million Pf. St.; 2 Praͤfidenten, 12 Direktoren, 3 Auditoren, 2 Zahlmei⸗ 
ſter, 6 Agenten in Potoſi, La Paz, Lima, Truxillo, Zus 
cuman und Buenos Ayres, 2 Advokaten und 1 Sekretair. 

19) Die Pasko-Geſellſchaft, mit demſelben Kapitale, 
als die vorhergehende, mit 12 Direktoren, drei Agenten in Pasko, 
2 Auditoren, 1 Zahlmeiſter und 2 Advokaten; im Januar 1825 
gegruͤndet. 

20) Die Peru⸗Geſellſchaft, mit einem gleichen Fonds, 
wie die beiden vorigen, hat den Zwek, mehrere Bergwerke in 


* 


ve. 


401 


Peru und einen regelmäßigen Handel dort zu betreiben; im März 
1825 zuſammengetreten. 

21) Die Real⸗del⸗Monte⸗Geſellſchaft in Mexiko, 
zur Bearbeitung der Bergwerke von Real del Monte, im 
Oktober 1824 gegruͤndet, hat ein Betriebskapital von 200,000 Pf. 
., und wird von 2 Praͤſidenten, 10 Direktoren, 3 Auditoren, 
5 Kuratoren, 1 Rechnungsfuͤhrer, 1 Zahlmeiſter und 2 Advoka⸗ 
ten repraͤſentirt. 

22) Die Rio de la Plata- oder Buenos Ayres-Ge— 
ſellſchaft, zur Bearbeitung von Gold-, Silber- und andern 
Bergwerken in dieſem Staate, im Decbr. 1824 zuſammengetre⸗ 
ten, hat ein Betriebskapital von 1 Million Pf. St., 12 Direkto⸗ 
ren, 2 Auditoren, 1 Zahlmeiſter, 2 Advokaten, 1 Sekretair und 
mehrere Agenten *). 

23) Die koͤniglich Waldeckſche Bergwerksgeſell— 
ſchaft, mit einem Betriebskapitale von 500,000 Pf. St., in 
5000 Aktien zu 100 Pf., hat einen oͤkonomiſchen Ausſchuß, 
2 Aufſeher und Ingenieure, drei Advokaten, 3 Zahlmeiſter und 
1 Sekretair; fie iſt im Septbr. 1825 gegründet **). 

In die Dienſte dieſer Geſellſchaft iſt der ehemalige preußiſche Bergeleve, 
Freiherr Pförtner von der Hölle, aus Schleſien, als Berg: 
meiſter getreten, und im Herbſte 1825 in Begleitung mehrerer Freiber— 
ger Berg- und Hüttenarbeiter dorthin abgegangen. 

Das Folgende, wörtlich überſezt aus der oben angeführten Schrift, gibt 
einen Beweis, welche Mühe ſich die Agenten dieſer Geſellſchaft geben, 
Aktionaire zu bekommen, und wie viel Unwahres geſagt wird: „Die 
Beſizzungen Sr. Durchlaucht des Fürſten von Waldeck ſind lange Zeit 
hindurch als die ergiebigſten Deutſchlands in Gold, Silber, Kupfer, 
Blei und Eiſen angeſehen worden (der leztere übertrifft hinſichtlich ſei⸗ 
ner Güte das ſchwediſche); allein bei dem Mangel an einem hinläng⸗ 
lichen Betriebskapitale und an Maſchinen haben ſie lange Zeit 
danieder gelegen, und bieten nun engliſchen Kapitaliſten ein ſehr 
vortheilhaftes Mittel an die Hand, ihre Kapitalien gut anzulegen.“ 
Und in dieſem Tone fährt nun der Sekretair der Geſellſchaft fort, die Ak⸗ 
tien anzupreiſen. Der wirkliche Mineralreichthum des Fürſtenthums 
Waldeck beſteht aus etwas Goldſand, der in dem Flüßchen Eder 
gefunden wird, in etwas Kupfer und Blei, und in einer nicht ſehr 


Brauns Skizzen von Amerika. 26 


402 


24) Die Tlalpurahua-Geſellſchaft, zur Betreibung 
der auf dem großen Erzgange von Coronas, in der mexika⸗— 
niſchen Provinz Valladolid, bauenden Gruben, mit einem 
Kapitale von 400,000 Pf. St.; im Decbr. 1824 gegruͤndet. 

25) Vereinigte Chile-Geſellſchaft, zum Bau der 
Gruben in den Provinzen Coquimbo, Petorka, Guasko, 
Yaxel und Tiltel, mit einem Kapitale von 500,000 Pf.; im 
Mai 1825 zuſammengetreten. 

26) Die Guatemala-Geſellſchaft, zum Betriebe ver: 
ſchiedener Bergwerke in dem Centraltheile von Suͤdamerika, und zur 
Perlen fiſcherei, mit 1½ Million Pf. St., zur Betreibung ver— 
ſchiedener Bergwerke in Mexiko, welche Eigenthum von Privat: 
perſonen und aus Mangel an Gelde in Stokkung gerathen waren, 
im Febr. 1824 zuſammengetreten, hat 12 Direktoren, 2 Audito— 
ren, 3 Zahlmeiſter, 1 Advokaten, 1 Sekretair und in Mexiko 
1 Betriebsdirektor. ö 

Welche ungeheure Kapitalien ſind da unterzeichnet und zum 
Theil auch ſchon zuſammengeſchoſſen? Wenn freilich den Kapita— 
liſten ein ſo ſicherer Gewinn verſprochen wird, ſo iſt es eine na— 
tuͤrliche Folge, daß in kurzer Zeit fo viele Aktien abgeſezt werden 
konnten. Fragt man, ob der Gewinn auch ſo raſch erfolgen 
wird, fo muß Jeder, der über dieſe Angelegenheit ein Urtheil zu 
faͤllen im Stande iſt, im Allgemeinen mit Nein antworten. Es 
hat, obwol an dem großen Ueberfluß an edlen Metallen in Suͤd— 


beträchtlichen Menge Eiſen, welches beſonders auf dreien, im Ganzen 
unbedeutenden Werken gewonnen wird. Es iſt daher eine faſt närriſch 
zu nennende Idee, auf den Bergbau in jenem Ländchen eine ſo bedeutende 
Aktiengeſellſchaft gründen zu wollen; unſer deutſcher Bergbau iſt 
überhaupt kein Mittel, Schäzze zu erwerben, oder ein, eine ſichere Rente 
gebendes Gewerbe, er muß jedoch beſonders aus dem Grunde im Gange 
erhalten werden, um die nöthigen Metalle zu erhalten, und eine große 
Menge ſonſt arbeitsiofer Menſchen zu beſchäftigen. Er kann daher auch 
nur gedeihen, wenn er vom Staate, oder unter ſpecieller Aufſicht deſſel⸗ 
ben betrieben wird. Staaten, denen das Wohl ihres Bergbaues am Her— 
zen liegt, wie z. B. Sachſen und Hannover, opfern ihm ſogar 
große Summen. 


403 


amerika und Mexiko nicht zu zweifeln ift, zuvoͤrderſt bei Wei⸗ 
tem groͤßere Schwierigkeiten, alte verfallene Bergwerke 
wieder aufzunehmen, als neue anzulegen, zumal in einem Lande, 
wo alle Hülfsmittel aus einer fo weiten Entfernung — von Eng— 
land — herbeigeſchafft werden muͤſſen. Ein zweiter Grund, 
warum man an einem gluͤklichen Erfolge bei vielen der obigen Ge— 
ſellſchaften mit Recht zweifeln muß, iſt der Mangel an guten 
Beamten und Arbeitern. Wir freuen uns daher, daß dieſe 
engliſchen Bergwerksunternehmungen manchem jungen 
Manne, der in ſeinem Vaterlande wegen Mangel an gehoͤrigen 
Konnektionen “) nicht fortkommen konnte, Gelegenheit verliehen, 
ſein gutes Auskommen zu finden, ja manchen armen brot— 
loſen Berg- und Huͤttenarbeiter mit feiner Familie ſelbſt vor ci: 
nem jaͤmmerlichen Hungerstode zu bewahren, wie bereits viele 
Faͤlle ſchon bewieſen haben. Fernere Nachrichten von dem Fort— 
gange der engliſchen Bergwerksunternehmungen in 
Amerika und dem Schikſale der dabei angeſtellten Deut— 
ſchen werden auch in Zukunft von dem Verfaſſer dankbar ange— 
nommen werden. g 


XXVI. Zu Seite 306, Zeile 1 von unten. 
die Englaͤnder Mexiko gleichfalls zu Nordamerika rech— 
nen, erſehen wir aus einer ſo eben erſchienenen Flugſchrift des 
Lord Palmerſton: „Ueber das Betragen Englands 
in Bezug auf Mexiko, Cuba und Spanien“, worin die 
ſer lange an der Spizze des britiſchen Kriegsweſens geſtandene 
Staatsmann ſagt: „In Nordamerika theilen ſich jezt z wei 
unabhaͤngige Maͤchte: die Abkoͤmmlinge Englands in ge— 


reifter Kraft, und Mexiko jung noch und unſtaͤt, das ſich kaum 


erſt der kranken Bruſt feines Mutterlandes entwoͤhnt hat. Zwi— 
ſchen beiden Staaten findet ſich auf allen Seiten Stoff zu gegen— 


7 


So ſchreibt man diefen Namen allgemein in ganz England und dem 
engliſchen Amerika, auch Herr Witt, genannt von Döring, ſchreibt 
ihn ſo in ſeinem Politiſchen Taſchenbuche; mit welchem Rechte 
ſchreiben ihn Andere mit einem x? 


* 


404 
feitigen Anſtrebungen und Anfeindungen. Die Politik Englands 
iſt, ſich auf die Seite Mexikos zu neigen, um das Gegenge⸗ 
wicht gegen die vereinten Staaten von Nordamerika 
zu beſtaͤrken u. ſ. w.“ 


XXVII. Zu Seite 357. 


Ueber die Koloniſation der Deutſchen in Braſilien enthaͤlt 
die Mainzer Zeitung nachſtehendes Schreiben. Direkte Briefe, 
die ich wieder von einem Ausgewanderten aus Braſilien erhielt, 
beſtaͤtigen nicht nur die fruͤhern Schilderungen des Schikſals der 
Ausgewanderten, ſondern geben unter andern noch folgende That— 
ſachen an: „Von der Anzahl derjenigen Koloniſten, welche vor 
ſieben Jahren (1819) aus den Rheingegenden und vom 
Hundsruͤkken auf einmal nach Brafilien auswanderten, 

und mit 390 Koͤpfen, groß und klein, eingeſchifft wurden, lebten 
im Jahre 1824 (als dem Zeitpunkte, wo der Berichtgeber ſeine 
Ungluͤksgefaͤhrten verließ) nur noch 30, ſchreibe dreißig Perſonen, 
und zwar meiſtentheils krank und im Elend.“ — Der fragliche 
Ausgewanderte, ein Familienvater, kennt kein groͤßeres Gluͤk, als 
„noch einmal das deutſche Vaterland zu ſehen“, und 
er fordert mich auf, alle diejenigen, welche nach Braſilien 
auswandern wollten, davor zu warnen, mit der Bemerkung: 
„ſie wollten lieber in Deutſchland bei Kartoffeln leben, als in 
Braſilien vor Hunger und Elend zu ſterben, und dabei noch ſchwere, 
unvermeidliche Krankheiten auszuhalten ).“ 

Nach deutſchen Blaͤttern ſoll ein Transport armer Wuͤr— 
temberger, die vor drei Jahren (1824) nach Braſilien aus: 
gewandert waren, in unbeſchreiblichem Elend in Mainz und 
Frankfurt angekommen ſein. Sie koͤnnen den Jammer nicht 
groß genug ſchildern; die meiſten Ausgewanderten ſeien vor Hun— 
ger geſtorben !“). — Nach Caldcleugh***) ſoll Peter von 


1 


*) Nekkar: Zeitung 1827. Septbr. 5. Seite 1123. 
*) Daſelbſt Seite 1225. 
09 Travels in South-America, during the years 1819, 20 and 21; 


405 


Braſilien launenvoll, eigenwillig und despotiſch fein, und noch 
juͤngſthin gegen einige ungluͤkliche Deutſche in einer Weiſe ge— 
handelt haben, die, wenn ſie auf Unterthanen der britiſchen 
Reiche oder der vereinten Staaten von Nordamerika 
ausgedehnt wuͤrde, dem Beſtande dieſes neuen Reiches nachtheilige 
Folgen herbeifuͤhren moͤgte. Jene armen Menſchen naͤmlich waren 
unter der Zuſicherung, als Koloniſten aufgenommen zu werden, 
das Land zu bebauen, und in den Bergwerken zu arbeiten, ausge— 
wandert; bei ihrer Ankunft aber wurden ſie unter die braſili⸗ 
ſchen Truppen geſtekt, und, um ihr Entkommen zu verhindern, 
an alle auslaͤndiſche Schiffe im Hafen Verbote erlaſſen, ſie als 
Deſerteurs an Bord aufzunehmen. Weder der preu B. Gene 
ralkonſul in Janeiro, noch fonft Jemand ſoll ſich der hart 
gequaͤlten Deutſchen in Braſilien annehmen. — Im Betreff der 
in braſiliſche Soͤldlinge umgewandelten deutſchen Anſiedler 
bemerken wir hier noch, daß Nachrichten aus Rio Janeiro 
vom 12. Jun. 1829 zufolge alle deutſchen Truppen, welche 
ſeit der Empoͤrung noch nicht wieder in Aktivität waren, wieder 
organiſirt und nach dem Innern, als Bahia, Pernambuco und 

St. Catharina eingeſchifft worden ſind, wodurch man alſo der 
Furcht vor ihnen, in Hinſicht eines neuen Aufſtandes, ein Ende 
gemacht hat “). 

Nach den re Nachrichten fol der Kaiſer von Bra: 
ſilien ein Dekret erlaffi en haben, wodurch dasjenige, mittelſt def: 
ſen er ſeiner vormaligen Geliebten, Dimitilia von Santos, den Ti— 
tel als Marquiſe und ein Einkommen von 200,000 Franken er: 
theilt hatte, wegen Widerſpaͤnnſtigkeit derſelben gegen ihren erha— 
benen Gebieter, zuruͤkgenommen wird““). — Das Deficit betrug 


containing an account of the present state of Brasil, Buenos-Ay- 
res and Chile. By Alexander Caldeleugh. 2 vols. London 
1825. Der Verf. war Privatſekretair des britiſchen Geſandten am braſi⸗ 
liſchen Hofe. 

„) Nekkar⸗Zeitung 1829. Sept. 13. Seite 1052. 

) Allg. Zeitung. Augsburg 1829. Oktbr. 10. 


406 


im Jahre 1829 in Braſilien uͤber 16 Millionen Fl.; die Staats— 
ſchuld war in dieſem Jahre uͤber 113 Millionen Fl. geſtiegen. 
Die Volksmenge betrug ungefähr 5 Millionen Seelen ). — 
Die Schuldenlaſt wird noch ſehr vermehrt durch den Hofſtaat 
des Kaiſers, der in dieſem jungen Lande Alles nach eu— 
ropäifhen Sitten und Anſichten einführen will. So z. B. 
hat derſelbe ſeine ſechsjaͤhrige mit der Marquiſe von Santos 
erzeugte Tochter nicht nur unter dem Titel „Herzogin von 
Goyaz“ in den Fuͤrſtenſtand erhoben, ſondern dieſelbe auch be— 
reits nach Paris geſandt, wo auf ſeinen Befehl, indem es ſein 
Wille iſt, daß ſie einen ihrer Geburt wuͤrdigen Rang behaupte, 
nicht allein fuͤr ſie eine praͤchtige Wohnung bereitet, ſondern auch 
ſie bereits von einem glaͤnzenden Gefolge umgeben iſt. Ihre zur 
Marquiſe erhobene Mutter, Dimitilia von Santos, trifft 
auch bald in Frankreich ein, und wird abwechſelnd hier und in 
Italien, wo ſie die naͤmliche Villa bei Mailand gemietet, welche 
von der Koͤniginn Karoline von England waͤhrend ihres 
dortigen Aufenthalts bewohnt ward, reſidiren. Welche Koſten 
verurſacht dieſe einzige Dimitilia von Santos jenem jun— 
gen Lande; doch wahrſcheinlich ſoll die Groͤße ihrer Geburt und 
ihrer Wuͤrde ſich gleichfalls in ihrer Kleidung und ihrer ganzen 
Umgebung zeigen, um fruͤh aus ihr den Geiſt einer engherzigen 
Kleinheit zu entfernen, und dagegen ihre Seele fuͤr erhabene An— 
ſichten empfaͤnglich zu machen. Wird aber, fragen wir, durch 
dieſen koſtſpieligen Luxus nicht auch ein bedeutendes eitles Eere— 
moniell, ein leerer Pomp und eine die Finanzen zerſtoͤrende 
Eitelkeit befoͤrdert? Leztere werden immer zerruͤtteter; denn die 
Forderungen, welche Frankreich, England und Nordame— 
rika an Braſilien zu machen haben, belaufen ſich auf mehr, 
als einhundert Millionen Gulden, eine Summe, die nie bezahlt 
werden kann. Die Einnahme des Staats iſt im Verhaͤltniß zu 
ſeinen Beduͤrfniſſen ſehr gering; die Unterhaltung des kai— 
ſerlichen Hofes und der Armee abſorbiren allein /. Die 
Truppen werden mit Kupfermuͤnze bezahlt. In den meiſten 
Provinzen weigert man ſich, Papiergeld anzunehmen *). 


„) Allg. Zeitung. Augsburg 1829. Dec. 24. Außerordentliche Beilage No. 151. 
) Nekkarzeitung 1829. Oktbr. 31. Seite 1234. 


Folgende Druckberichtigungen 


zu den „Mittheilungen aus Nordamerika“ wer— 
den hier nachträglich beigefügt: 


In dem Motto zu den Mittheilungen Zeile 7 von oben ſtatt: Haltet 
ſie ein, leſe man: Haltet ſie rein. 

In der Dedikation iſt hinter „Geiſſenhainer“ die Bezeichnung 
ſeiner Würde durch „Dr. Th.“ einzuſchalten. 

Daſelbſt in der 2. Zeile von unten ſtatt: und, leſe man: in. 

Seite 478 Zeile 10 von oben ſtatt: Zeile 9, leſe man: Zeile 5. 

„ — 9 von unten ſtatt: Zeile 6 von oben, leſe man: Zeile 
1 von unten. 


= 480 9 von unten ſtatt: gleich, leſe man: glich. 
- — 1 von unten leſe man: verkehrt ertheilten. 
- 481 1 von unten ſtatt: Sachſen-Waim. leſe man: Sach- 


ſen-Weim. 
= 495 unter dem Druckfehler-Verzeichniß Zeile 2 von unten ſtatt: 
benannte, leſe man: benannt. 


Druckberichtigungen zu den Skizzen. 


Seite 67 Zeile 3 von oben ſtatt: entleiden, leſe man: verleiden. 


„ 131 = 15 von oben ftatt: Quaterly, leſe man: Quarterly. 
: 133 2 von oben iſt derſelbe Fehler zu verbeſſern. 
„ 156 = 4 von unten ſtatt: Kanon, leſe man: Kanoe, d. h. 
Kahn. ö 
e 177 -I von oben ſtatt: Wareen, lefe man: Warren. 
8 3 von oben ſtatt: Kaoton, leſe man: Canton. 
2 von unten ſtatt: ihnen, leſe man: ihr. 


** * 
2 
| 
an 


179 = 2 von umten flatt: geriethen, leſe man: gerathen. 


⸗ IA: = 1 von oben ſtatt: wollten, leſe man: wollen. 

= — 13 von oben ſtatt: Vorurtheilsfaͤlle, leſe man: Vorur⸗ 
i theilsfuͤlle. 

201 ⸗ 1 von unten ſtatt: Frankhn's, leſe man: Franklin's. 

„ 223 6 von oben ſtatt: ſtoͤrrigſten, leſe man: ſtarreſten. 


2 9 von unten ftatt: fromm-, leſe man: fromme. 


408 


Seite 258 Zeile 6 von oben ſtatt: Reis derſelben, leſe man: Reis 
der alten germaniſchen Eiche. 
5 von unten ſtatt: Schuzgeld, leſe man: Schazgeld. 
12 von oben ſtatt: fremdter, leſe man: fremder. 
= — 10 von urten ftatt: Dämpfer, leſe man: Dampfer. 
= 278 = 14 von oben ſtatt, quelque chose rein, leſe man: 
quelquechosereien. 


„ 281 = von oben ſtatt: für uns, leſe man: uns für. 

=. — 14 von oben ſtatt: Unmacht, leſe man: Ohnmacht. 

Ba 2 von unten ftatt: einen, lefe man: einer. 

291 = 13 von oben ftatt: Eoftfpilligen, leſe man: koſtſpieligen. 
„ 299 = I von oben ftatt: fünf, leſe man: fünfzehn. 

= 301 = 14 von oben ſtatt: Barrados, leſe man: Barradas. 


— 2 von unten ſtatt: Bolivare, leſe man: Bolivar. 
303 - B von unten ftatt: fünf, leſe man: fünfzehn. 


* * 


= 304 16 v. oben ſt.: Sklaverei die, leſe man: Sklaverei der. 
z 340 - 14 von unten ſtatt: portugiſiſch, leſe man: portugieſiſch. 
„ 34 ⸗ 6 von unten ſtatt: Sal, leſe man: Sul. 


Ich fühle mich gedrungen, hier öffentlich zu bekennen, daß 
von ſämmtlichen 29 Druckfehlern nicht der vierte Theil aus der 
Druckerei“), die übrigen aber leider aus der Flüchtigkeit meines 
Abſchreibers hervorgegangen ſind. ö 


») Der wegen ihrer muſterhaften Sorgſamkeit höchſt empfehlungswerthen 
Waiſenhausbuchdruckerei zu Braunſchweig, der ich mich 
deshalb beſonders verpflichtet fühle. 


St 5. | 


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enen ; K N eee . . EREEEE — > > 


UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY 
BERKELEY 


Return to desk from which borrowed. 
This book is DUE on the last date stamped below. 


MAR S8 194g 
INTERLIBRHEHRY LOAN 


FEB 10 1976 
UNIV. OF CALIF., BERK. 


HEV. Cin. S e 


JAN O5 98 
 RECEIVED 


DEC 4 0 19% 


CIRCULATION DEPT. 


LD 21-100m-9,’47 (45702816) 476 


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