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w
370745
Zur
Jlitierikaniscben Uolkskunde.
Uon
Prof. Hart Hnorfx»
mttglied dtr «mtrikaBlMbca TolkloK«6($«ll«l)all.
Ucriag der Q. Caupp'$d)cn Buchhandlung
1905.
Zir
Jlmerikaniscbeii Uolk$kunde.
Uon
Prof. Karl Hnortx»
mitglied der amerikani$d)en ;olkloTe'6ete]]$d)afU
CüDingen
Uerlag der f), £aupp*sd)en Bud)bandlun9
1905*
6.r,
THE NEW YORK
PUBLIC LIBRARY
370745
A8T0R, LENOX AND
TILDEN FOUNDATIONS.
R 1906 L
Alle Rechte vorbehalten.
Druck von H. L a u p p jr Tübingen.
3 —
Seit ungefähr 16 Jahren hat das Studium der Volks-
kunde in Amerika einen erfreulichen Aufschwung genom-
men. Sogenannte Folklore-Societies haben sich bereits in
den meisten Städten gebildet und entfalten eine ausseror-
dentliche Rührigkeit, steht denselben doch auch ein unge-
mein ausgedehntes und reiches Material zur Verfügung,
denn sie haben die Gelegenheit, ihre Untersuchungen auf
Repräsentanten aller Nationalitäten des Erdballs auszu-
dehnen und ihre Sitten, Gebräuche und religiöse An-
schauungen zu erforschen,
vi Ich will mich nun in dieser Schrift hauptsächlich mit
l^ der Volkskunde des Blassgesichtes beschäftigen und da-
bei nur solche Originalmitteilungen inbetracht ziehen, die
vr mir als Antworten auf ausgesandte Fragebogen zuge-
gangen sind. Ich beginne also, um den amerikanischen
Anstand nicht zu verletzen, mit den Damen.
^<n' Die Amerikanerin hat Zeit für alles. Sie debattiert
•^ die verwickeltsten religiösen, philosophischen, sozialen
'^ und politischen Fragen und löst sie auch ; sie bettelt das
i Geld zur Erhaltung alter und' zur Erbauung neuer Kir-
^ -chen zusammen und besucht sie auch so oft, wie sie darin
einen neuen Hut, einen kostbaren Schmuck oder ein nach
der neuesten Mode zugeschnittenes Kleid zur Schau tra-
1*
— 4 ~
gen kann. Trotzdem sie sehr fromm und eine sehr eifrige
Verehrerin des Buchstabenglauberis ist, so ist sie doch
nicht mit dem biblischen Diktat, welches dem Manne die
Herrschaft über die Frau zuspricht, einverstanden, und
gibt dieser Unzufriedenheit auch stets solchen energischen
Ausdruck, dass sich der Ehegatte um des lieben Friedens
willen in das Unvermeidliche fügt und den Pantoffel-
helden spielt. Uebrigens kann auch nur ein Barbar, der
nicht auf der Höhe der humanen Zivilisation steht, die
Oberhoheit des Weibes bezweifeln.
Wie sich nun bei der Liebe etwas Falschheit findet,
so findet sich auch bei der Frömmigkeit etwas Aber-
glauben, besonders aber bei der unserer Amerikanerin.
Ja, die Pflege desselben ist bei ihr nachgerade zur Mode-
sache geworden und sie macht auch nicht das geringste
Geheimnis daraus; auch denkt sie durch Nachahmung
und Wiederbelebung der Sitten und Gebräuche alter
Grossmutterzeiten sich interessant zu machen und den
Eindruck hervor zu bringen, als habe sie sich ihr zartes
kindliches Gemüt im Strome der Zeit siegreich bewahrt.
Wenn sie auf dem Wege zur Kirche ein Hufeisen im
dicksten Strassenkot liegen sieht, so hebt sie es auf,
wickelt es in ihr Taschentuch und trägt es als unfehl-
bares Glückszeichen nach Hause.
Einer Abiturientin des Vassar College, der bekann-
ten amerikanischen Damenuniversität, verdanke ich fol-
gendes :
Wenn man an einem Morgen vom Bette aus eine
glänzende Nadel auf dem Fussboden erblickt, muss man
sie sofort aufheben. Dann aber muss man jede Nadel^
die man an jenem Tage findet, zu sich stecken, denn
— 5 —
sonst wird man vor Anbruch der Nacht entweder um
sein Geld bestohlen oder verliert man es. — Derjenige,
an den der Funke eines Holzfeuers fliegt, hat Glück.
— Juckt dich die Hand, so reibe sie schnell mit einem
Geldstück ein und du wirst bald mehr Geld bekommen.
— Wer dreimal hintereinander von Vögeln träumt, hat
innerhalb eines Jahres eine bedeutende Erbschaft zu er-
warten. — Derjenigen Dame, die ohne es zu wissen, ihr
Kleid verkehrt, d. h. mit der Innenseite nach aussen ge-
richtet, anzieht, wird nach zwölf Stunden etwas Ange-
nehmes passieren. (Dies dürfte sich übrigens leicht er-
klären lassen. Eine junge Dame, die sich eine solche unge-
wöhnliche Zerstreuung zu schulden kommen lässt, muss
unstreitig stark verliebt sein und in der angenehmen Ge-
wissheit schwelgen, den Ersehnten bald umarmen zu
können.) — Schlägt man ein Buch verkehrt auf, soll
man es nicht umdrehen, wenn man nicht haben will, dass
die Leute Böses von einem sprechen. — Blauäugige Mäd-
chen sollen glücklicher sein als schwarzäugige. — Wer
eine Frau mit einem schwarzen Muttermale erblickt,
nimmt ein tragisches Ende.
Die Amerikanerinnen sind auch Tagewählerinnen.
Als Regel nehmen sie an keinem Samstage Besuche an ;
vielleicht haben sie wiegen der Vorbereitungen für den
Sonntag keine Zeit dazu. — Sie laden keine Gesellschaft
ein an Tagen, an welchen Mitglieder ihrer Familie ge-
storben sind. Die Trauerkleider verschenken sie gewöhn-
lich, so auch Handschuhe, Strümpfe und Unterröcke, die
sie zur Zeit eines ihnen widerfahrenenUnglücks getragen.
Wer einen Spiegel zerbricht, bekommt Falten ins
Gesicht. — Topasse werden von den Amerikanerinnen
— 6 —
nicht mehr viel gekauft; wer einen solchen Edelstein
trägt, wird bald eine Nebenbuhlerin erhalten. — Wenn
eine Jungfrau ihre Schönheit verlieren will, braucht sie
sich bloss die Haarspitzen im Mai oder bei abnehmen-
dem Monde abzuschneiden. — Findet die unverheiratete
Dame ein vierblättriges Kleeblatt, so legt sie es sorg-
fältig in ihren rechten Schuh, zieht ihn an und geht in
der Erwartung aus, gleich dem ihr zugedachten Manne
zu begegnen. Manchmal isst sie auch jene Pflanze und
spricht darnach einen Wunsch aus. Ist der Finder ein
Mann, so steckt er sie in seine Westentasche und hofl*t
nun zuversichtlich, im Geschäft oder in der Liebe Glück
zu haben. — Die Schafgarbe (yarrow) hat prophetische
Eigenschaften, die besonders verliebten Jungfrauen be-
kannt sind. An einem Maiabend schneidet man mit einem
scharfen Silberstücke neue Sprossen derselben ab, legt
sie unter das Kopfkissen und spricht:
, Yarrow, yarrow, teil to me
Who my true love is to be;
The color of his hair,
The clothes he will wear,
And the day he'U be wedded to me.'*
Dieser Wunsch soll in den meisten Fällen erfüllt
werden. Legt man am Morgen jene Sprossen in die
Schuhe und geht aus, so begegnet einem sicherlich gleich
der Ersehnte. — Man nimmt auch zwölf Apfelkerne,
legt jedem einen Namen bei und isst dieselben, indem
man spricht:
,One I love,
Two I love,
Three 1 love, I say,
Four I love with all my heart
And five I cast away;
— 1 —
Six he loves,
Seven she loves,
Eight they both love,
Nine he comes,
Ten he tarries,
Eleven he courts,
Twelve he marries.**
Der Name des letzten Kernes ist natürlich der des
zukünftigen Gemahls.
Schlimmes Unglück bringt man über sich, wenn man
einen Regenschirm auf ein Bett oder Sopha legt. — Ein
von der Wand fallendes Bild bedeutet nichts Gutes. —
Wer von Wasser träumt, hat bald einen Todesfall zu
beklagen; wer Gräber im Traume sieht, wird bald einer
Trauung beiwohnen. — Das Mädchen, das die Treppe
hinauf fällt, bleibt noch mindestens ein Jahr ledig.
Wer einer Person begegnet, die ein blaues und ein
braunes Auge hat, und sich schnell etwas wünscht, hat
Erfolg. — Die Frau, die alle Haare, die ihr beim Käm-
men ausfallen, in ein Nadelkissen steckt, wird nie kahl-
köpfig werden ; so glauben wenigstens die amerikanischen
Negerinnen. — Werden einer Jungfrau aus Versehen
beim Essen zwei Löffel neben den Teller gelegt, so hat
sie innerhalb eines Jahres einen Heiratsantrag zu er-
warten. — Die Mädchen von New -Orleans tragen ge-
wöhnlich Bilder vom heiligen Josef in der Tasche und
hoffen dadurch bald einen Mann zu bekommen ; aus dem-
selben Grunde ziehen sie auch gelbe Strümpfe an und
nehmen nie einen Fingerhut als Geschenk an. — Wer
eine Perlenschnur zerbricht, zieht Unglück auf sich herab ;
wer einen Edelstein verliert, wird bald krank.
— 8 —
Selbstverständlich glaubt die Amerikanerin auch an
Träume und konsultiert ihr Büchlein über die Bedeutung
derselben. Aus einem solchen Werkchen sollen nun hier
die „probatesten" Prophezeiungen mitgeteilt werden. Eu-
len, im Traume gesehen, bringen Krankheiten, Ratten,
Schlangen und Fliegen Feinde, Gurken Genesung, Messer
Beleidigungen, Mäuse langsame Vermehrung des Reich-
tums, Frösche Erfolg in der Liebe oder im Geschäft,
Zwiebeln einen verborgenen Schatz , neue Schuhe Sieg
über Feinde. Wer im Traume einen Regenbogen sieht,
unternimmt bald eine weite Reise; ein Grab deutet auf
Krankheit, ein Löwe auf eine gutzahlende Anstellung,
eine Hochzeit auf Armut und sonstiges Missgeschick. Wer
von einem Gespenst träumt, hat Aerger zu erwarten;
ein brennendes Haus stellt grosse Geldverluste in Aus-
sicht; ein Fuchs hat schlechte Gesellschaft im Gefolge
und die Mutter Eva lässt mit Sicherheit auf ernste Ab-
sichten des Geliebten schliessen. Ein Traum vom Mond
bringt unerwartete Freuden; ein Krokodil prophezeit
dem Träumer, dass ihm jemand nach dem Leben stellt.
Wer sich im Traume in den Finger schneidet, wird Un-
angenehmes im Gerichtshof erleben; wer sich mit einem
andern schlägt, wird sein Geld verlieren und wer einen
Indianer sieht, wird ein gutes Geschäft mit Grundeigen-
tum machen. Wer im Traume glaubt, er sei ein Engel
geworden, wird sich lange guter Gesundheit und bestän-
digen Erfolges erfreuen ; wer einen Elefanten sieht, wird
das grosse Los in der Lotterie gewinnen; wer jemand
im Traume küsst, wird bald eine grosse Freude erleben
u. s. w.
Präsident Lincoln soll nach den Berichten seiner
— 9 —
intimsten Freunde steif und fest an Träume und Visionen
geglaubt haben. Als er kurz vor seiner Erwählung zum
ersten Beamten der Union sich eines Spätnachmittags
auf ein Sofa in seinem Hause zu Springfield, Illinois,
gelegt hatte, sah er, wie ihm aus dem ihm gegenüber
hängenden grossen Spiegel sein Doppelgesicht entgegen
starrte; das eine zeigte einen blühenden und gesunden,
das andere einen bleichen und kranken Ausdruck. Das-
selbe Bild sah er später noch mehrmals im Traume und
deutete es dahin, dass sich das frohe Gesicht auf seinen
ersten, das traurige hingegen auf seinen zweiten Amts-
termin beziehe und dass er letzteren nicht überleben
würde.
Als Lincoln einst kurz vor seinem Tode in Washing-
ton spät zu Bett gegangen war, glaubte er plötzlich
lautes Weinen und Wehklagen in seiner Nähe zu hören;
er ging dann in ein anstossendes Zimmer und erblickte
darin einen von bewaffneten Soldaten umgebenen Kata-
falk, auf dem eine Leiche lag. „Wer ist gestorben?"
fragte er. „Der Präsident," war die Antwort; „er ist
von der Hand eines Meuchelmörders gefallen."
Diesen Traum erzählte Lincoln mehreren seiner ver-
trautesten Freunde und verhehlte dabei auch nicht, dass
er ihn zu Zeiten höchst melancholisch stimmte.
Dass Lincoln dem Spiritualismus nicht abhold war,
ist eine erwiesene Tatsache. Oft liess er berühmte
Medien in sein Haus kommen, um sie in wichtigen An-
gelegenheiten zu konsultieren. In seinen letzten Lebens-
jahren wollte er jedoch von jenen Zauberern nichts mehr
wissen, weil er befürchtete, durch den Hokuspokus der-
selben seinen klaren Verstand zu verlieren und ein
— 10 —
Sklave unbekannter Geister zu werden. (Siehe darüber
N. C. Maynard, „Was Lincoln a Spiritualist?",
Philadelphia 1891, sowie Dorothy Samsons „Recol-
lections of Abraham Lincoln".)
Die Wiederbelebung alter Gebräuche scheint in der
Neuzeit zur Modesache geworden zu sein. Als sich
Präsident Cleveland verheiratete, schickte ihm eine gute
Freundin per Post einen fest verpackten Hasenfuss mit
der Bitte, denselben seiner jungen Frau zu schenken
und sie zu ersuchen, ihn beständig in ihrem Geldtäsch-
chen bei sich zu tragen.
Der Handel mit glückbringenden Hasenfüssen hat
sich bereits zu einem regelmässigen, einträglichen Ge-
schäftszweige entwickelt, da die meisten aristokratischen
Damen glauben, ohne ein solches Amulet nicht mehr
existieren zu können. Einige besitzen sogar zwei, damit
sie, wenn eins verloren geht, gleich ein anderes bei der
Hand haben.
Soll nun ein solcher Fuss sicher Glück bringen, so
muss er von einem Hasen stammen, der beim Neumond
auf einem Kirchhofe geschossen worden ist; dass dies
bei jedem zum Verkaufe ausgelegten Hasenfuss der Fall
ist, wird der Händler natürlich eidlich bestätigen.
Als einst eine Eskimo-Schöne mit ihren Eltern
Washington besuchte, schenkte sie Frau Cleveland eine
handgrosse Puppe, welche diese gegen alles erdenkliche
Unheil schützen sollte.
Von der Witwe des Millionär - Senators Leland
Sta^iford wird erzählt, dass sie ein kleines Metallbild
von Jesu und Maria in ihrem Geldtäschchen trage; das-
selbe ist ihr von einer Freundin mit der Bemerkung ge-
— 11 —
schenkt worden, dass es ihr, solange sie es besitze, nie
an dem nötigen Kleingeld fehlen würde, was ja bekannt-
lich auch eingetroffen ist. Viele Washingtoner Damen
besitzen einen Teil des Strickes, an dem der Präsidenten-
mörder Guiteau aufgehängt wurde, und sind der festen
üeberzeugung, dass er ihnen beim Kartenspiel Glück
bringt. Senator Ingalls aus Kansas hat beständig einen
Hasenfuss in seiner Hosentasche; auch glaubt er an die
glückliche Wirkung des Hufeisens.
Dass die meisten amerikanischen Schauspieler aber-
gläubischer Natur sind, geben diese selber bereitwillig zu.
Wird am Abend nach der Kasseneröffnung das erste
Billet verschenkt, z. B. an einen Zeitungsmann, so macht
der Direktor schlechte Geschäfte ; wird es aber verkauft,
so steht ein volles Haus in Aussicht. Vorstellungen,
die am 13. Tage irgend eines Monates stattfinden, sind
in den meisten Fällen erfolglos ; ist dies ausserdem auch
noch ein Freitag, so hat der Billetverkäufer leichte
Arbeit.
Wenn sich die Schauspieler auf der Reise in einem
Eisenbahnwagen, 'der die Nummer 13 trägt, befinden,
so kollidiert der Zug sicherlich mit einem andern oder
es gibt sonst ein Unglück; ein solches stellt sich auch
ein, wenn die Schauspielertruppe aus 13 Personen be-
steht oder der Zug 13 Minuten nach irgend einer Stunde
abgeht. Hotelzimmer mit der Nummer 13 werden nicht
nur von Schauspielern, sondern auch von Handelsreisen-
den gemieden und deshalb gibt es bereits zahlreiche
amerikanische Gasthäuser, in denen sich überhaupt kein
Zimmer mit jener Nummer befindet; dieselbe ist einfach
ausgelassen.
— 12 —
Der Schauspieler, der mit einem Kollegen das
Garderobezimmer betritt und pfeift, wird bald seine Stelle
yerlieren. Derjenige, der in einem Zimmer logiert, in
dem jemand Selbstmord begangen hat, wird auf der
Bühne ausgelacht. — Ein schielender Garderobemeister
bringt die ganze Truppe ins Unglück. — Kein Schau-
spieler geht unter einer Leiter her oder öffiiet einen
Begenschirm auf der Bühne ; muss er sich auf derselben
unter jeder Bedingung mit einem solchen zeigen, so sorgt
er dafür, dass die Farbe desselben mit der seines An-
zuges harmoniert. — Hat er etwas im Ankleidezimmer
vergessen, so geht er selber nicht zurück, um es zu holen,
sondern lässt dies durch einen andern besorgen. Wer
diese Vorsicht unbeachtet lässt, bleibt auf der Bühne
in seiner Rolle stecken. — Prügeln sich zwei Schau-
spieler hinter dem Vorhange vor Beginn der Vorstellung,
so gibts ein volles Haus. — Dem Opernsänger, der seine
Trikots verkehrt anzieht, sodass also die Innenseite nach
aussen gekehrt ist, versagen die besten Töne.
Ein amerikanischer Handelsreisender erzählte mir
Folgendes; „Ich kam einst in einer kleinen Stadt In-
dianas in ein Hotel, dessen sämtliche Zimmer mit Aus-
nahme desjenigen, das die Nummer 13 trägt, besetzt
waren. Dieses wollte mir nun der Wirt nicht überlassen,
weil sich darin ein Mann den Hals abgeschnitten hatte
und es darin spukte. Da ich froh war, überhaupt ein
Obdach gefunden zu haben, so begab ich mich ruhig in
das Spukzimmer, legte mich ins Bett und schlief ein.
Kaum war ich im besten Schlafe, da erhielt ich einen
Schlag mit einem nassen Handtuch ins Gesicht, sodass
ich erwachte. Trotz der Dunkelheit sah ich das schreck-
— 13 —
lieh verzerrte Gesicht eines Mannes, dessen Hals von
Ohr zu Ohr durchschnitten war, deutlich vor mir. Nun
sprang ich auf und eilte hinunter ins Gastzimmer, wo-
selbst ich den Rest der Nacht verbrachte. Ich füge
hinzu, dass ich jeden, der etwa die Meinung äussern
sollte, ich habe mich in jener Nacht unter dem Einflüsse
berauschender Getränke befunden, wegen Ehrenkränkung
gerichtlich belangen werde."
Seit einigen Jahren führt man in den grösseren
amerikanischen Städten, wo der Grund und Boden so
ungemein teuer ist, sogenannte „Wolkenkratzer" auf,
d. h. Gebäude, die aus zwölf bis zwanzig Stockwerken
bestehen. Alle Eigentümer derartiger Häuser klagen
nun darüber, dass es oft unmöglich sei, Mieter für die
Räume des 13. Stockwerkes zu finden.
Manchmal wird aber dieser Dreizehn-Aberglaube
höchst eigentümlich bekräftigt. Eine solche Bekräftigung
erhielt er durch die Lokomotive 1313 der Pennsylvania-
Eisenbahn. Die merkwürdige Geschichte dieser Loko-
motive ging im Jahre 1891 durch die Zeitungen und er-
regte einigermassen Sensation. Die Maschine mit der
doppelten Unglückszahl musste nämlich ausser Dienst
gestellt werden, da absolut niemand mehr mit ihr fahren
wollte. Sie hatte freilich, wenn man damaligen Zeitungs-
berichten glauben darf, auch merkwürdig viel Unheil an-
gerichtet. Auf ihrer ersten Fahrt tötete sie zwei Kinder ;
im Sommer 1888 stürzte sie von der Latrobe-Brücke herab,
den Zug mit sich reissend, wobei der Lokomotivführer,
Heizer und zehn weitere Personen ums Leben kamen,
zwölf Personen verwundet und sechs Wagen zerschmettert
wurden. Kaum ausgebessert, stiess sie einen Monat später
— 14 —
bei Manor mit einein Güterzug zusammen, wobei es einen
Toten, drei Verwundete und mehrere zertrümmerte Wagen
gab. Wieder einige Wochen danach platzte der Kessel
der Lokomotive, wodurch der Heizer getötet und der
Lokomotivführer schwer verwundet wurde. Nach der
Reparatur lief die Maschine bald wieder in einen anderen
Zug, dann wurden von ihr rasch hintereinander drei
Menschen überfahren, und endlich platzte eine auf der
„1313" verwendete Oelkanne, Lokomotivführer und Heizer
schwer verletzend. Man begreift es, dass nach solchem
Pech niemand mehr mit der Unglücks-Maschine fahren
wollte.
Die meisten der im amerikanischen Eisenbahndienst
beschäftigten Männer glauben an „close calls", d. h. an
Unglücksfälle, durch welche mehrere Personen getötet
und jene Beamten gewarnt werden, von nun an auf der
Hut zu sein, da sie nach dem dritten „call" selber das
Leben verlieren. Kein Zugführer, so heisst es allgemein,
soll die letzte Warnung überlebt haben.
Der Aberglaube der Seeleute scheint überall so
ziemlich derselbe zu sein. Die Wächter der Leucht-
türme bei New- York sind der Ansicht, dass wenn sich
die Seevögel in grosser Anzahl zeigen und so nahe an
ihre Boote heranfliegen, dass man sie mit den Händen
fangen kann, jemand aus ihrer Mitte innerhalb 24 Stun-
den sterben müsse.
Ossoli, der Gemahl der geistreichen amerikanischen
Schriftstellerin Margaret Füller war in seiner Jugend oft
gewarnt worden, sich ja nicht auf das Meer zu begeben,
und seiner Gattin hatte man im Lande der Zitronen pro-
phezeit, dass das Jahr 1850 einen „Markstein" in ihrem
— 15 —
Leben bilden würde. Im genannten Jahre verliess sie mit
ihrem Manne und Sohne Florenz, um sich nach Amerika zu
begeben, trotzdem ihr durch ihre Freundinnen auf Grund
verschiedener ominöser Anzeichen von der Seereise ernst-
lich abgeraten worden war. Aber sie liess sich nicht
abhalten und tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie
im Falle eines Schiffbruches mit ihrer kleinen Familie
zusammen in eine bessere Welt eingehe. Jenes Schiff
erreichte bekanntlich das Ufer nicht ; es strandete in der
Nähe New- Yorks und Ossoli fand mit Frau und Sohn
ein nasses Grab.
Wie überall auf der Erde, so gibt es auch in Amerika
Leute, welche aus der Erscheinung eines Kometen einen
baldigen Krieg prophezeien. Ein derartiges Ereignis,
so argumentieren sie, bringt solche Veränderungen in
der Atmosphäre hervor, dass die Menschen dadurch be-
einflusst werden und ihre friedliche Gesinnung verlieren.
Als sich 1618 ein Komet blicken liess, brach die
Pest in Zentralamerika aus und raffte 200 000 Spanier
weg. Allerdings gabs damals nicht so viele Hidalgos
auf dem ganzen amerikanischen Kontinente ; allein wenn
wir in diese Zahl die Indianer, die damals der Seuche
zum Opfer fielen, einrechnen, so klingt dieser Bericht
doch nicht so ganz unglaubhaft. Der Donati-Komet
bereitete 1858 die Amerikaner auf ihren blutigen Bürger-
krieg vor und als sich 1861 wieder ein solcher ünglücks-
stern blicken liess, war der Kampf bereits in vollem
Gange.
Der Astrologie schenkt man in England und Amerika
immer noch mehr Aufmerksamkeit als man erwarten
sollte. In London gibt es sogar einen sich Raphael
— 16 —
nennenden Sterndeuter, welcher einigen Zeitungen regel-
mässig Voraussagungen liefert und dem Publikum mit-
teilt, an welchen Tagen man Dienstboten dingen, Ge-
schäftsreisen unternehmen und auf die Freite gehen soll.
Jeder Mensch trägt ein Muttermal an seinem Kör-
per, das nach der Lehre der Sterngucker den Planeten
darstellt, der zur Zeit -der Geburt des Besitzers regierte
und der mithin auf sein Geschick weittragenden Einfluss
ausübt, sodass es also dem „Kenner" ein Leichtes ist,
die Zukunft irgend eines Menschen bestimmt vorauszu-
sagen. Diese Muttermäler haben gewöhnlich drei Farben ;
sie sind entweder rot, braun oder schwarz. Diejenigen,
die sich auf der rechten Seite des Körpers befinden,
bringen das meiste Glück. Wer im Aries-Zeichen ge-
boren ist, trägt gewöhnlich am linken Ohr ein Mal zur
Schau; Venus zeichnet eine violettfarbige Marke an die
Schenkel und Virgo schwarz-rötliche Flecken auf den
Unterleib. Die „Fische" (pisces) machen sich an den
Füssen bemerklich ; wer in ihrem Zeichen das Licht der
Welt erblickt, wird tapfer und geistreich und sich ausser-
dem eines einnehmenden Aeusseren erfreuen.
Ein Mal auf der rechten Seite der Stirn bringt
grosses Glück ; eine mit diesem Merkmale behaftete Frau
macht einmal eine reiche Erbschaft. Ein Mal auf der
linken Seite der Stirn verurteilt den Mann zu langer
Gefangenschaft und verschafft der Frau zwei Männer;
eines in der Mitte macht den Mann grausam und die
Frau dumm und faul. Ein Mal auf dem Hinterteil des
Halses prophezeit glückliches Leben und Tod durch Er-
trinken. Ein Mal auf der linken Seite der Oberlippe
verurteilt den Mann zum Junggesellentum und die Frau
— 17 —
zu einem sorgenvollen Leben; eins auf der Unterlippe
fordert den Mann auf, sich vor Frauen in Acht zu
nehmen. Ein Mal in der Vertiefung des Kinns befördert
bei der Frau Zanksucht und Kränklichkeit; befindet es
sich an der Spitze desselben, so ist eine gute Ehe und
ein langes Leben zu erwarten; nur darf dies Mal nicht
schwarz sein. Wer ein Mal am Halse hat, stirbt am
Galgen ; sieht es wie eine Warze aus, so findet er seinen
Tod in den Wellen.
Natürlich hat auch der Monat, in dem ein Mensch
geboren ist, Einfluss auf dessen Charakter und Schicksal.
L. A. Wollenweber gibt in seinem Werkchen „ Ge-
mälde aus dem pennsylvanischen Volksleben" (Phila-
delphia 1869) im Dialekte seiner Heimat folgende Aus-
kunft :
Januar. Ein Mannskerl wu in dem Monat gebore
is, macht en schaffige Kerl, un gleicht ah eppes Gutes
zu drinke, wenn er schon gern nebe naus geht; er gibt
ennihau en arger gspassiger Ding, un singe kann er, bei
Tschinks, das Alles biete thut. — Das Weibsmensch, wu
in dem Monat iif die Welt kommt, gebt ne schmärte
Hausfrau, wann sie schon alsemol en bissei brutzig drein
guckt, so hat sie aber doch en gut Herz.
Februar. Der wu in dem Monat gebore ward,
is arg vor Geldmache, aber viel schlimmer noch vor die
Weibsleut, un derbem is er arg knaps, awer wenn er uf
ener Sprie is, do gibt er um en Thaler net mehr, als
unserehns um en Cent. — Des Weibsmensch gebt eine
überaus gute Hausfraa un ne gute Mutter, die mehr vun
ihre Kinner denkt, als der Gottseibeiuns vun ebner arme
Seel.
Kn ortz, Zur amerikan. Volkskunde. 2
— 18 —
März. Der Mann, wu in dem Monat gebore, guckt
dann drum so schlick als wenn er just aus ener Bänd-
box geschlupft war — o mei, was en schöner Buh! er
gebt aber auch en ehrlich dummer Jockei, der sein Leb-
tag zu nix kommt. — Das Weibsmensch gebt eine ver-
doUt speitvoU wüst Plappermaul, die ihr Nas in enig
Eppes, nur net in ihren egenen Dreck steckt.
April. Der Mann, in diesem Monat gebore, hat
viel Kreuz un Elend dorchzumache — er gebt en Rum-
lopfer un Lodel, gleicht aber die Weibsleut zu spärke.
— Das Weibsmensch vun dem Monat geht en rechte
langer Kaschte, aber en Maul hot sie — macht, dass
ihr aus dem Weg kommt!
Mai. * Schöne stolze Mannsleut — un was sie süss
schwätze könne. Die Mäd, die so en kriege, könne vun
viel Glück sage. — Und des Weibsmensch? Well, die
ist just exäktli des säm stolz Ding.
Juni. Klehne Knerps, die mer schier in der Sack
stecke könnt; aber arg for die Weibsleut (seil is en
Fakt) un überaus grosse Kinnerfreund — könne es aber
bei die Mäd net kume. — Das Weibsmensch is net ganz
wie sie sein solt, wenn sie schun der Kaffee besser gleicht,
als ehnig Eppes sunst. Sie heiert, wenn sie äbaut ehn
un zwanzig Johr ufm Buckel hot, un wann sie vierzig
Johr alt is, gebt sie en komplieter Narr.
Juli. Was en gut guckiger Dingerich un was gut
is er drum, er deht sei Lebe gebe for sei Praa. — Des
Weibsmensch is so un so, just dass die Nas net so lang
un spitzig zu breicht. Sie is ziemlich gut gescheht, hot
ower en Maul, wann sie anfangt zu schelte, dass mer
mehne sott, ebne ganze Sett Wilekatze un Pänters thäte
— 19 —
hochzieh Frohlick drin halte.
August. Er will hoch naus, un was en Sponk!
hot awer schlecht Glück mit de Weibsleut. Sie is art-
lich schön, krigt zwee Männer, denkt awer mehr vun
ihrem erste als vum zweete Mann un bejust'n manchmol
ganz erbärmlich.
September. Guck emol, was en stauter Tschäp
un was en langköpfiger Bissinessmann un doch so lass
mit seiner Fraa ; kehn Wunner, dass er so viel Truwel
mit ihr hot. — Sie is zum Fressen schön, a appelrund
Gesicht, hellhoorig, plaudrig, gegliche vun alle Leut un
apartig vun ihre Freund, vun denen sie meh hot als
Micke sin im Frühjohr.
Oktober. Gar net schlechtguckig , awer nemmt
euch in Acht, ihr Mäd, denn er mehnts net ufrichtig. —
Sie gebt en grosses stautes Thier, arg gut gege die Arme,
awer verennerlich — net dass sie derentwege zu bläme
is, denn sie gebt nix drum, wann die neue Sache aach
schlecht sei — sie gleicht sie so viel besser.
November. Was en schön Gesicht , wie Milch
un Blut! Awer ufgepasst, er is ener vun Seile, die
heut warm un morgen kalt, heute die un morgen die
Betz gleicht. Er bringts awer net weit mit seine Tricks,
denn er bleibt en armer Teufel, so lang er den Othem
zieht. — Sie hot en sauber Gesicht, wenn se schon en
klehn bissei weniger zu schwätze braucht, awer derent-
wegen krigt se doch zwee Männer, die vor lauter Freud
über sie bald sterbe.
Dezember. Ach was en guter Mann bei der
Nas herumzuführe, wenn er schun alsemol en bissei mault.
Das geht awer auch emol en Soldat, der vun seiner
2*
— 20 —
Fraa über den Löffel balwirt wird. — Sie kann net ge-
holte werde, so schön is sie — iin schwätze thut sie so
süss wie Honig, un gescheht is sie, als wenn nf der Dreh-
bank abgeschnitzelt war, des macht awer aach, dass sie
zwei Männer kriegt, die ihr der letzte Cent versaufen,
wenn sie schun die Saufschold alle bezahlt, um en guter
Name zu behalte."
Währenddem man in Europa aus dem Kaffeesatz
weissagt, sucht man in Amerika die Zukunft durch Tee-
blätter, die zufällig in einer Tasse zurück bleiben, zu
erforschen. Dieser Gebrauch war schon den Urgross-
müttem der Yankees bekannt und ist neuerdings bei
den Urenkelinnen als Unterhaltungsmittel wieder in die
Mode gekommen. Man trinkt eine Tasse Tee und lässt
den Blättersatz darin ohne ihn, anzusehen, da dies Un-
glück bringen würde. Dann dreht man die Tasse dreimal
gegen sich herum, wünscht sich etwas und stellt sie auf
einen Teller. Nun zeigt die Wahrsagerin mit einer Gabel,
einem Messer oder Bleistift, nie aber mit dem Finger,
auf die zurückgebliebenen Theeblätter und erklärt aus
der Lage und der Gruppierung derselben die Zukunft.
Neuerdings haben sich auch die amerikanischen Schuh-
macher auf das Prophezeien verlegt und auf ihrem Drei-
fuss allerlei Regeln ausgeheckt, nach welchen sie auf
Grund der Art und Weise, wie die Schuhe getragen
werden , Schlüsse auf den Charakter und die Zukunft
ihrer Kunden ziehen. Der bekannteste Orakelspruch
eines solchen Handwerkers lautet:
flWorn on the aide soon a rieh man's bride.
Worn on the toes spend as he gpes,
Worn on the heel thinks a good deal,
Worn on the vamp he's surely a scamp.**
" n
— 21 —
Wo es Propheten gibt, gibt es auch.Wunderdoktoren ;
beide haben ein und dasselbe Publikum , das nie aus-
stirbt.
Seit geraumer Zeit treiben sich in den kleineren
und grösseren Städten Amerikas Heilkünstler herum, die
alle den Namen Seh latter führen und überall, wo sie
öffentlich auftreten, gute Geschäfte machen. Der Ori-
ginal- Schlatter , ein geborener mit einem Christuskopfe
behafteter Elsässer, hatte der Sage nach im fernen Westen
durch Beten und Handauflegen allerlei Wunderkuren
verrichtet, die ihm den Namen „göttlicher Heiler^ (divine
healer) eintrugen und seinen Ruf durch ganz Amerika
verbreiteten. Stolz auf diesen Erfolg produzierte er sich
nun in mehreren Städten als Heilkünstler und fand
überall alle Hände voll zu tun. Bald tauchten nun
zahlreiche Doppelgänger von ihm auf und gaben sich
natürlich alle für den echten Wundermann aus. Einen
solchen beobachtete ich einst in meinem Wohnorte Evans-
ville. Derselbe trug einen rötlichen Vollbart und lang
gelocktes Kopfhaar von derselben Farbe ; dass diese Be-
haarung nicht auf seinem Körper gewachsen war, konnte
sozusagen ein Blinder sehen; auch gab er jedesmal, wann
er sich den Seh weiss abwischen musste, sorgfältig acht,
dass er seine Maske nicht verschob. Er stand in einer
kleinen, einem Kasperletheater ähnlichen Holzbude, warf
den Blick beständig schmachtend gen Himmel und war-
tete auf Kunden. Diese blieben nun auch nicht aus und
Hessen sich von ihm kneten und bestreichen. Er ver-
langte nichts für seine Mühe ; sein Gehilfe jedoch hielt
jedem Patienten den Hut vor und bat um ein Geschenk,
damit beide ihre Wirtshausrechnuns bezahlen könnten.
— 22 —
Und die Leute, die da wähnten, durch diese Behandlung
von ihren Schmerzen befreit zu sein, opferten recht liberal.
Die amerikanische Sekte der Glaubensheiler (divine
healers, Christian scientists) hat in der Neuzeit bedeutend
an Mitgliederzahl zugenommen; sie hat in mehreren
Städten Kirchen errichtet und auch bereits eine kleine
Litteratur aufzuweisen. Hauptleiter derselben war bis
vor kurzem T. J. S h e 1 1 o n zu Little Rock in Ar-
kansas ; er erklärte, dem Wissen der gelehrtesten Aerzte
um tausend Jahre voraus zu sein, was natürlich vielen
Amerikanern derart imponierte, dass sie ihm volles Ver-
trauen schenkten.
Dieser Shelton kam als Prediger nach genannter
Stadt und erregte durch seine Beredsamkeit und seinen
Glaubenseifer solches Aufsehen und fand solchen Anhang,
dass seine Kirche bald zu klein wurde und die zur Sekte
der Campbelliten gehörende Gemeinde eine neue bauen
musste. Allein nicht alle Mitglieder glaubten an die
göttliche Sendung und die edle Gesinnung ihres Geist-
lichen, sondern hielten ihn vielmehr für einen gerie-
benen Heuchler, unmoralischen Menschen und heimlichen
Schnapssäufer. Dass er Schnaps trank, gab er auf Be-
fragen des Kirchenrates zu und zeigte den Brief eines
Arztes, worin ihm empfohlen wurde, zur Erhaltung seiner
Gesundheit sich dann und wann ein Gläschen zu geneh-
migen. Je mehr er trank, desto feuriger predigte er;
als er jedoch mehrmals die Kanzel stark angeheitert
betrat, musste er seine Stelle niederlegen. Seine Ab-
schiedsrede war nun so beleidigend und skandalös, dass
ihn einige seiner Freunde, gleichsam um sich selbst zu
rechtfertigen, wegen Irrsinns einstecken liessen. Unter
— 23 —
der Bedingung, die Stadt zu verlassen, wurde er jedoch
bald wieder frei gegeben. Er hielt auch sein Wort und
ging fort; bald aber kehrte er wieder zurück und gründete
mit seinen Getreuen eine Gemeinde christlicher Wissen-
schäftler oder Gebetsheiler. Seine medizinische Praxis
trug ihm schweres Geld ein; die Korrespondenz, die er
mit Patienten aus allen Teilen Amerikas führte, soll ihm
nach Zeitungsberichten allein 2000 Dollars monatlich
eingebracht haben.
Der Glaube an Wunderkuren wird, da sich damit
leicht ein lohnendes Geschäft in Verbindung bringen
lässt, in Amerika (und auch sonst) durch die katholische
Kirche stark befördert.
In der Kirche von St. Anna, die sich in der Nähe
Quebeks befindet, sind drei hohe Haufen von Krücken,
Bandagen u. s. w. aufgestapelt, die dort von Kranken
nach ihrer Heilung zurückgelassen worden sind. Dieser
Wunderort, der einen Knochen der heiligen Anna, der
Mutter Maria, beherbergt, soll in Sommermonaten manch-
mal von 50000 Hilfesuchenden aus Kanada und den Ver-
einigten Staaten besucht werden.
Als einst vor langen Jahren französische Matrosen
den St. Lorenzstrom hinauffuhren und von einem schreck-
lichen Sturme überfallen wurden, versprachen sie, nach
ihrer Rettung der Mutter Maria ein Kreuz zu errichten.
Dies thaten sie auch, und an der Stelle dieses Kreuzes
steht heute eine schöne Steinkirche, zu der jährlich die
Blinden, Lahmen, Tauben und Verkrüppelten scharen-
weise pilgern und den aus dem Handgelenke der Schwie-
germutter Josephs stammenden Knochen küssen. Nach
der Legende war die Leiche jener Frau im Tale Josa-
— 24 —
phat bei Jerusalem begraben worden ; später waren die
Knochen nach Frankreich gekommen, und von dort hatte
dann einer derselben auf wunderbare Weise seinen Weg
nach Kanada gefunden. Die Hüter dieses Schatzes aber
warten nicht immer, bis sich die Besucher während der
schönen Sommermonate bei ihnen einfinden, sondern sie
vermieten ihn, besonders im Winter, manchmal gegen eine
bestimmte Entschädigung an andere unfehlbare Gemein-
den, die seine Wunderkraft auch nicht jedem unent-
geltlich zur Verfügung stellen. Als jener Knochen vor
einigen Jahren in einer Kirche New -Yorks ausgestellt
war, liessen ihn einige demokratische, an Geld und Ein-
fluss reiche Politiker sich in ihre Privatwohnungen sen-
den, um ihn dort bequem verehren zu können.
Auch der Sympathiemittel bedient man sich in Ame-
rika noch vielfach. Will man haben, dass eine gewisse
Person von Kopfweh geplagt werde, so nimmt man ihr
Bild und begräbt es mit dem Kopfe nach unten. — Wer
sich in New-Jersey vom Husten befreien will, steckt die
Finger in die Ohren, verstopft die Nase und stellt sich
so lange auf den Kopf, bis er schwarz im Gesicht wird.
Oft verlangen Leute „Menschenöl" in einer Apo-
theke; sie erhalten es auch und bezahlen gerne, damit
sie ja unverfälschte Ware erhalten, einen hohen Preis
dafür. Dasselbe soll, äusserlich angewandt, die heftigsten
Zahnschmerzen beseitigen. — In Chicago verliert mancher
Hund deshalb sein Leben, weil man glaubt, sein Fett
schütze gegen Auszehrung.
Ein Sport, dem sich insonderheit die Deutschen in
den Bergen des östlichen Pennsylvanien zur Zeit widmen,
ist die Klapperschlangenjagd. Gejagt wird das Reptil
— 25 —
wegen seines Oeles. Letzterem schreibt man Heilkraft
in vielen, Mensch und Tier behelligenden Krankheiten
und Leiden zu. Besagte Jagd findet in den ersten Wo-
chen des Juli statt, weil, wie die Klapperschlangenjäger
behaupten, das Reptil zu keiner anderen Jahreszeit körper-
lich sich* in einem so guten Zustand befindet, wie an-
fangs Juli , und weil die Oelausbeute , welche das Tier
liefert, hinsichtlich der Qualität sowohl als auch der Quan-
tität um diese Zeit besser als zu jeder anderen ist.
In Betreff des Aufenthaltsortes gibt die pennsylva-
nische Klapperschlange den Bergen den Vorzug, wo sie
sich besonders Stellen mit Gestrüpp und Gesträuch, wie
dem der Heidelbeere, als ihre Lieblingsplätze wählt. Hier
windet sie sich zwischen dem Gesträuch hindurch oder
klimmt über dasselbe, um kriechendes und nagendes
Getier für ihre Nahrung zu finden. Gelegentlich kommt
die Schlange auch den Bergabhang herunter nach der
Ebene, wo sie indess nicht weit vorzudringen pflegt. Einer
besonderen Aufmerksamkeit seitens der Klapperschlange
erfreuen sich auch Steinhaufen und Steinmauern. Hier
findet das Tier Vögel und Mäuse für seine Mahlzeit, und
hier wärmt es sich in den heissen Sonnenstrahlen. Die
letztere Gepflogenheit gereicht der Schlange aber oft zum
Verderben. Heumacher finden sie hier, töten sie und
bringen sie des Abends nach dem Farmhause, wo ihr
Körper zerteilt wird. Letzteres geschieht aber nie vor
Sonnenuntergang, denn, so sagen die Klapperschlangen-
jäger, der Schwanz der Schlange stirbt nicht, bevor die
Sonne unter den Horizont gesunken.
Gewöhnlich liegt die Schlange lang ausgestreckt auf
der Steinmauer. Die von der Sonne erhitzten Steine
— 26 —
unter ihr, sowie die sengenden Sonnenstrahlen über ihr
scheinen sie in einen Zustand des Sichselbstvergessens
zu versenken, so dass sie die Vorgänge um sich nicht
wahrnimmt und sich selbst kaum zum Oeflfnen der Augen
entschliessen kann, wenn ein plötzliches Geräusch oder
ein Laut ihre beschauliche Ruhe unterbricht. Diesen
Zustand des Reptils machen sich die Heumacher zu nutze.
Sie verhalten sich vollkommen ruhig. Ihrem Vorbilde
folgen auch die Frauen, welche in jenem Landesteile mit
auf dem Felde arbeiten und welche sich vor einer Klapper-
schlange so wenig fürchten, wie die Männer. Beim Heu-
machen ist es nun Sitte, jedesmal, wenn man bis zum
Ende der Wiese gekommen ist, eine kurze Zeit zu rasten.
In neun Fällen von zehn befindet sich in der Nähe ein
Steinhaufen. Die Rast benutzen dann die Heumacher,
um Ausschau nach Klapperschlangen zu halten. Sonnt
sich solch ein Tier auf dem Steinhaufen, so versichern
sich die Männer zunächst eines etwa zehn Fuss langen
Astes, der an dem Ende, wo er vom Baume geschnitten
wurde, einen oder zwei Zoll im Durchmesser hat. Bis
auf zwei an dem entgegengesetzten dünneren Ende des
Astes werden die Zweige dicht am Aste abgeschnitten.
Die beiden übrig gebliebenen Zweige werden gabelförmig
zugeschnitten. . Während nun einer der Heumacher das
dickere Ende des Astes mit beiden Händen fasst, nähert
er sich geräuschlos dem Reptil von hinten und umschliesst
vermittelst der Gabel den Hals desselben. Die Schlange
wird nun mit ihrem Schwänze die Luft peitschen und
wütend ihre Zunge aus dem Rachen hervorstossen ; ihren
Kopf aber kann sie nicht bewegen , weil ihr Hals von
von der Gabel eingeklemmt ist. Ein zweiter Mann mit
— 27 —
einem Knüttel macht dem Reptil dann den Garaus.
Eine Tradition besagt, dass, wenn die Klapper-
schlange verhindert ist, ihren Angreifer zu beissen, sie
sich vor Wut selbst beisst und so sich und das aus ihrem
Fett gewonnene Oel vergiftet. Aus diesem Grunde fängt
man das Reptil mit der beschriebenen Gabel, welche dem
Tiere die Möglichkeit nimmt, sich selbst zu verletzen.
Behufs Zerschneidung des Körpers der getöteten
Schlange legt man diese lang ausgestreckt auf ein Brett
und befestigt sie, indem man einen Nagel durch ihren
Kopf und einen durch ihren Schwanz treibt. Vorsicht
ist auch hierbei geboten. Sollte es der Schlange nämlich
gelungen sein, trotz der angegebenen Vorsichtsmassregeln
sich selbst zu beissen, und sollte alsdann der Operateur
die kleinste Wunde an seinen Fingern oder an seiner
Hand haben, so hat er Blutvergiftung und qualvollen
Tod zu gewärtigen.
Das Fett der Klapperschlange sieht gelblich aus;
das aus diesem produzierte Oel ist ziemlich weiss und
ähnelt dem Schildkrötenöl. Etwa zwei bis drei Unzen
Oel kann man von einer Klapperschlange, die sich im
besten Zustande der Ernährung befindet, erhalten. Um
sich zu vergewissern, ob das Oel frei von Gift ist, füllen
die Klapperschlangenjäger des Keystone - Staates eine
Kaffeetasse mit Milch und lassen auf diese einen Tropfen
des Oeles fallen. Zerteilt sich hierbei der Oeltropfen in
kleine Kügelchen, die auf der Milch umherschwimmen,
so ist das Oel vergiftet und wird ohne weiteres im Garten
vergraben. Bleibt der Tropfen bei seinem Falle auf die
Milch unzerteilt und schwimmt er als ein Ganzes auf
dieser, so ist das Oel giftlos und kann ohne Gefahr ver-
— 28 —
wandt werden. Ein Wissenschaftler wird dieser Prüfungs-
methode zwar kein unbedingtes Vertrauen schenken, die
Klapperschlangenjäger Pennsylvaniens aber sind von
ihrer Unfehlbarkeit überzeugt.
Das Klapperschlangenöl findet nun bei den Bewoh-
nern jenes Landesteiles mancherlei Verwendung. Eigent-
lich ist es für sie ein üniversalheilmittel , das zur Be-
nutzung kommt, wenn ärztliche Diagnosen und gewöhn-
liche Behandlung eines Leidens ohne Erfolg waren. Eine
Warze, welche durch kein anderes Mittel zu beseitigen
war und selbst nicht verschwand, nachdem man sie mit
einer lebenden Kröte gerieben, wird in Klapperschlangen-
Öl gebadet und dann mit einem Stück fetten Schweine-
fleisches Überbunden, welches die Nacht über auf der
Warze verbleibt. Das Schweinefleisch wird dann am
Morgen an der Längsseite des Hauses vergraben, da, wo
das Wasser vom Dache hintropfen kann. Die Person
aber, welche das Vergraben des Fleischstückes besorgt,
darf hierbei nicht rückwärts sehen , denn sonst ist die
ganze Mühe umsonst. Augenleiden aller Art, Augen-
blinzeln und Augenstaar eingeschlossen, werden vermit-
telst Klapperschlangen Öls behandelt. Einem im Wachs-
tum zurückgebliebenen Füllen wird Klapperschlangenöl
unter die Zunge gerieben. Einem kranken Schafe, das
sein Futter nicht kauen kann, gibt man einen kleinen
Ball, bestehend aus gesäuertem Brote und der innern
grünen Rinde des Holunderbaumes, die man in der Rich-
tung nach unten abgeschält und mit Klapperschlangenöl
bestrichen hat. Gegen den Biss toller Hunde ist Klapper-
schlangenöl ebenfalls ein gepriesenes Mittel, nur muss
dasselbe innerhalb neun Tage, nachdem der Patient den
- 29 —
Biss erhalten, angewendet werden.
Hin und wieder ziehen die pennsylvanischen Klapper-
schlangenjäger dem behufs der Oelgewinnung getöteten
Reptile auch die Haut ab. Letztere wird dann in der
Weise gegerbt, dass man sie drei Wochen in flüssiger
Seife liegen lässt. Darnach wird die Haut getrocknet
und so lange gepeitscht, bis sie weich und. biegsam ist.
Das so gewonnene Leder ist dann für den Gebrauch
fertig. Schmale Streifen solchen Leders um den Arm
oder das Handgelenk gebunden, befreien den Patienten
von Rheumatismus. Sind in der Nachbarschaft die Ma-
sern ausgebrochen, so näht man Kampfer und Asa foetida
in einen kleinen Beutel aus Klapperschlangenhaut, den
das Kind vermittelst eines aus dem gleichen Material
bestehenden Fadens, der vom Halse des Kindes herunter-
hängt, auf der Brust trägt. Geldbörsen aus Klapper-
schlangenhaut herzustellen, widersteht den Pennsylvanier-
Deutschen. Solche profane Verwendung der Klapper-
schlangenhaut würde ihren Glauben an die Heilkraft der-
selben erschüttern.
In der Nähe von Jeflfersonville, Indiana, wohnt (1896)
ein Mann namens J. W. Jacobs, der im Orden der Ehren-
ritter ein hohes Amt bekleidet und die Gabe besitzt, das
Blut nach Wunsch stillen zu können. Da ihm unzählige
Wundertaten angedichtet werden, so erfreut er sich aus-
gedehnter Kundschaft. Wird zu nachtschlafender Zeit
seine Hilfe begehrt, so fragt er einfach, ohne vom Bette
aufzustehen, in welchem Zimmer der Patient liege. Nach
erhaltener Antwort erklärt er dann, die Blutung habe
aufgehört und schläft, ohne ein anderes Wort zu sagen,
weiter. Nach seiner Ansicht braucht der Kranke nicht
— 30 —
einmal an die Geheimkraft des Wunderdoktors zu glau-
ben. Jacobs behauptet, seine Kunst, die ausschliesslich
auf der Hilfe Gottes beruhe, von der Frau eines Farmers
gelernt zu haben, wie sie denn überhaupt eine Frau nur
einem Manne und ein Mann nur einer Frau lehren könne.
Honorar beansprucht er nicht für seine Kuren.
Ein bei Jeflfersonville, Indiana, (1896) lebender Mann
namens John Burkley beseitigt die Warzen einfach da-
durch, dass er mit seinen Fingern darüber streicht. —
Brandwunden heilen einige im südlichen Indiana woh-
nende Sympathie-Doktoren dadurch, dass sie den leiden-
den Körperteil anblasen und dabei eine Zauberformel
murmeln. Dieselben bedienen sich auch der Wünschel-
rute, um unterirdische Quellen zu entdecken und werden
aus diesem Grunde „water witches" genannt.
Medizinische und alchymistische Werke des Mittel-
alters haben viel von den Wunder wirkenden Eigen-
schaften gewisser Steine zu berichten. Agatstein soll den
Besitzer beredsam, klug und angenehm machen; Korallen,
um den Hals getragen, sollen dem Körper Stärke ver-
leihen; ein pulverisierter Magnetstein soll, in Milch ge-
nossen, die Melancholie beseitigen, und ein Hundezahn
in der Tasche soll gegen Tollwut schützen.
Der Kopf der Kröte soll nach altem Glauben einen
Crepandina genannten Stein enthalten, mittelst dessen
man den Biss irgend eines giftigen Tieres heilen kann.
Shakespeare gedenkt desselben in seinem Lustspiele „As
you like it" mit folgenden Worten :
„Sweet are the uses of adversity,
Which, like the toad, ugly and venomous,
Wears yet a precious jewel in his head."
Dieser Krötenstein wird auf folgende Weise er-
— 31 —
langt: Man muss die Kröte freundlich behandeln und
auf rotes Tuch legen, dann wird sie bald einen wertvollen
Stein von sich geben.
Erasmus, der England zur Zeit Heinrichs VIII. be-
suchte, sah einen Krötenstein zu Walsingham in Kent
und schrieb darüber: „Zu den Füssen der Mutter Gottes
liegt ein Kleinod, für das weder Griechen noch Römer
einen Namen haben und welches die Deutschen „Kröten-
stein" nennen, weil es in der Form eine Kröte darstellt.
Das Wunder aber besteht darin, dass der Stein so klein
ist und dass die Kröte sich nicht auf der Oberfläche des
Steins befindet, sondern durch ihn scheint, als ob sie im
Kleinode wäre."
Die Lebemänner zur Zeit der Borgias hielten grosse
Stücke auf den Krötenstein, denn sie lebten stets in der
Furcht, infolge ihres Reichtums vergiftet zu werden.
Nach dem Glauben der Tiroler erhält man den
Krötenstein, wenn man die Kröte in einem Ameisen-
haufen zerfressen lässt; streicht man eine Wunde damit,
so heilt sie sofort; kommt Gift in seine Nähe, so schwitzt er.
InW. V. Schulenburgs „Wendische Volkssagen
und Gebräuche aus dem Spreewald" heisst es:
„Die Kröten haben einen König, der trägt eine
Krone. Auf der Krötenkrone ist das Leiden Christi;
mancher kann das ausdeuten. Sie ist sehr gut zum Be-
sprechen bei Krankheiten und wird auf die kranke Stelle
gelegt oder gedrückt und bringt überhaupt Glück. Es
gibt verschiedene Arten von Krötenkronen ; hauptsächlich
im Gebrauch sind drei. Als wertvollste gilt die kleine
weisse Krötenkrone, Galerites vulgaris (weiss verkieselt,
klein); sie ist sehr selten, wer sie hat, trennt sich nicht
— 32 -
von ihr; sie soll das beste Mittel gegen alle Halsleiden
sein. Man kocht sie, isst einen Teller voll und das Hals-
übel ist sofort weg. Die zweite Art ist die „richtige
Krötenkrone" (Seeigel, in Feuerstein mit bräunlicher ver-
witterter Rinde, oft mit anhaftender Kreide) ; sie ist am
meisten bekannt und in Gebrauch und „sehr gut" gegen
vielerlei Uebel. Manche schaben bei Augenleiden etwas
unten vom Boden ab und pusten es in die Augen, wenn
nichts anders mehr hilft. Die dritte Art, Galerites ab-
breviatus, Sen. Feuerstein, sieht wie von Stein aus ; manche
halten nicht viel von ihr, aber sie soll auch recht gut
sein. Sie wurde unter anderm als vortrefflich gegen
Neuralgie empfohlen."
Der Glaube an den sogenannten Tollstein (madstone),
mittelst dessen man Vergiftungen kurieren will, ist in
Amerika allgemein verbreitet ; es existieren jedoch nur
wenige Exemplare desselben. Wenn ein solcher Stein,
der ungefähr die Grösse einer halben Citrone hat, auf
die von einer giftigen Schlange oder einem tollen Hund
herrührende Wunde gelegt wird, saugt er das Gift in
sich ; nach einer Zeit fällt er ab, und wenn man ihn dann
in Wasser legt, gibt er den Giftstoff von sich. Dies wird
so lange fortgesetzt, bis der Stein nicht mehr an der
Wunde festklebt. Aus welchen Mineralen jener Stein
zusammengesetzt ist, weiss niemand, da kein Besitzer
eines solchen jemals die Erlaubnis gegeben hat, ihn
wissenschaftlich zu untersuchen.
In den Grafschaften Essex und Loudon von Virgi-
nien glaubt man steif und fest an die Heilkraft des Toll-
steins. Edwin Tyler aus dem Städtchen Aldie des ge-
— 33 —
nannten Staates berichtet folgendes ^) : „Mein Grossvater
Capt. James Smith, ein Schottländer, kam 1785 in seinem
zwanzigsten Jahre nach Virginien und Hess sich in Rich-
mond nieder. Er machte mehrere Seereisen nach Austra-
lien und Ostindien, und als er 1804 mehrere Tage auf
einer ostindischen Insel verweilte, kam ein freundlicher
Eingeborener zu ihm und bot unter anderen Dingen auch
einen kleinen bläulichen Stein zum Verkauf aus. Um
ihm die Bedeutung desselben zu demonstrieren, nahm er
einen Skorpion aus einem Weidenkäfig und Hess ihn eine
Katze beissen. Das Tier zitterte und starb nach wenigen
Minuten. Dann musste ein Mann seinen Arm in den
Käfig stecken und sich vom Skorpion stechen lassen ;
nachdem dies geschehen, legte man den Tollstein auf die
Wunde , er sog sich fest und als er nach einiger Zeit
abfiel, war der Ostindier wieder so gesund wie vorher.
Als Smith jene Leute fragte, woher sie solche Steine
hätten, erwiderten sie, das dürften sie nicht sagen, da
sie sonst nach den Gesetzen des Landes das Leben ver-
lieren würden.*'
Smith kaufte 18 bis 20 dieser Steine, schenkte einige
seinen Freunden zu Richmond und hob die übrigen für
eigenen Gebrauch auf. Einer kam später in den Besitz
Tylers; derselbe war IV2 Zoll lang, V2 — 7* ZoU dick,
hatte dunkelblaue Farbe und glich im übrigen einem
Feuerstein. Der Eigentümer gab vor, damit mehrere
von tollen Hunden und giftigen Schlangen gebissene Per-
sonen erfolgreich geheilt zu haben.
Vor einigen Jahren Hess Jakob Crossler zu Columbus,
^) Nach einem Bericht in der »New- York World** vom 12. Mai
1895.
Kn ortz, Zur amerikan. Volkskunde. 3
— 34 —
Ohio, seinen Sohn, der von einem tollen Hunde gebissen
worden war, schnell nach Beaver zu einem gewissen Til-
berry Crabtree bringen, der einen Tollstein besass. Als
er ankam, war jener Herr gerade in der Kirche ; Crossler
eilte schnurstracks hinein und auf ihn zu, was, da jeder
den Zweck dieser üeberraschung zu ahnen schien, solche
Aufregung hervorbrachte, dass sich die Kirche schnell
leerte, denn alle wollten sich von dem mit dem Tollstein
erzielten Erfolge überzeugen. Crabtree legte den Stein,
welcher von hellbrauner Farbe und ungefähr zwei Zoll
lang und einen Zoll dick war, auf die Wunde am Arme,
an der er acht Stunden und 25 Minuten wie ein Blut-
egel hängen blieb. Dann fiel er ab. Der stark ge-
schwollene Arm des Jungen hatte wieder den Normal-
umfang. Als Crabtree starb, vermachte er diesen Wunder-
stein seinem Testamentsvollstrecker David Hayes.
Nach einem Zeitungsberichte besitzt R. R. Spradley
in St. Louis einen Wunderstein, den er „chinesischen
Schlangenstein" nennt. Derselbe sieht aus wie eine
Kohle, ist leicht wie ein Schwamm und sehr porös. Mit
diesem Dinge will er mehrere von tollen Hunden ge-
bissene Personen kuriert haben. Als er 1874 — 77 den
Staat Texas bereiste, um Vermessungen für die Texas
Pacific-Bahn vorzunehmen, heilte er zahlreiche Arbeiter,
die von giftigen Schlangen gebissen worden waren.
Als untrügliche Anzeichen künftiger Freuden oder
Leiden führe ich folgende an: Eine krähende Henne
scheint überall, so auch in Amerika, Unglück zu bringen;
deshalb fallen auch nach der Mitteilung mehrerer Farmer
die Hennen über ihre unnatürliche Schwester her und
hacken so lange mit ihren Schnäbeln auf sie los, bis sie
— So-
das Leben aushaucht. — Auch von pfeifenden Mädchen
erwartet man nichts Gutes.
„A whistling girl and a flock of sheep
Are the very worst things a man can keep.
A whistling girl and a crowing hen
Always come to a very bad end".
Taufwasser muss man an den Weinstock schütten,
damit er wächst. Dies ist gar nicht so dumm, denn das
geweihte Wasser, durch das ein kleines Kind von der
Erbsünde befreit wurde, sollte nach jenem kurzen Akte
doch noch so viel Kraft besitzen, um das Wachstum
eines Weinstocks, dessen Frucht ja doch auch des Men-
schen Kummer und Elend verscheuchen soll, zu be-
fördern und die Reblaus fernzuhalten.
Die Bewohner von Ohio glauben, dass sie gegen
Rheumatismus gefeit seien, wenn sie eine Kastanie bei
sich tragen. Viele aus diesem Staate stammende Sol-
daten hatten während des Bürgerkrieges Kastanien in
der Tasche. — Ein schielender Mensch verbreitet Un-
glück. Eine Newyorker Zeitung (April 1899) schreibt:
„Nachdem die Negerin Laura Golden von Jersey
City vor Friedensrichter Potts ihren ungetreuen Gelieb-
ten Martin Brown wegen gebrochenen Eheversprechens
verklagt hatte, erklärte sich letzterer zu einer Trauung
bereit. Als der Polizeirichter dieselbe vollziehen wollte,
bemerkte er, dass die Braut schielte und erklärte: „Ich
werde nie an einem Freitag eine Trauung vornehmen,
wenn eine der beiden Parteien, wie die Braut in diesem
Falle, schielt. Es ist eine schlimme Vorbedeutung."
Das Brautpaar begab sich darauf zu dem deutschen
Friedensrichter Geiger, der weniger abergläubisch war,
beide traute und mit seinem Segen entliess.
3*
— 36 —
Von Hexen, Gespenstern und Geistern wimmelt's
noch immer in Amerika.
Frau Rhode Prince, welche bei Greenup in Kentucky
wohnte und daselbst 1895 in hohem Alter starb, erzählte
mir einst, dass sie vor langen Jahren einmal behext
worden sei. Alsdann sei sie unter dem Einflüsse eines
geheimnisvollen Wesens in den Garten geeilt, habe Gras
gefressen wie eine Kuh und sei dann wieder ruhig, als
ob nichts passiert wäre, ins Haus zurückgegangen. Oft
sei sie auch in die Scheune gelaufen, habe den Boden
gekratzt, als ob sie Körner suche und sich dabei aufge-
führt, als ob sie zur Henne geworden sei. Einst habe
sie sich für eine Gans gehalten und verlangt, dass man
ihr die Federn ausreisse. Als man ihr diese Bitte nicht
gewährt, sei sie zum Hause hinausgestürzt, habe ihre
Kleider abgezogen und sie in einem Fass versteckt. Dann
sei sie in einen Bach gewadet und habe sich wie eine
Gans gebärdet.
Als sie einstmals die Rolle einer Katze spielte und
auf einen hohen Baum kletterte, hatte sie das Unglück,
herabzustürzen und das Bein zu brechen. Sie legte jede
Nacht drei Bibeln und zwei Scheren unter ihr Kopf-
kissen; wenn man ihr dieselben heimlich wegnahm, er-
wachte sie plötzlich, schlug wild um sich, als ob sie sich
gegen einen unsichtbaren Feind verteidige und kam dann
erst zur Ruhe, wenn man jene Sachen wieder an ihren
alten Platz gelegt hatte. Diese Frau galt überall als
Hexe ; in Wirklichkeit aber war sie irrsinnig.
Im Jahre 1895 lebte zu Portsmouth in Ohio eine
behexte Dame, die zuweilen in ein Maisfeld lief, dort
frische Aehren vom Stengel ass, dann nach Hause eilte
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und in einen tiefen Schlaf fiel. Jedesmal, wenn sie wie-
der erwacht war, erzählte sie regelmässig, eine fremde
Frau sei ihr erschienen, habe sie in das Feld geführt
und in ein Pferd verwandelt.
Dass die Geister in Amerika nicht aussterben, son-
dern sich vielmehr tagtäglich vermehren und sich überall
bemerklich machen, dafür sorgen schon die Spiritualisten,
die besonders in der Neuzeit eine ausserordentliche Rührig-
keit entfalten. Der Spiritualismus ist bereits zur Religion
geworden, deren Anhänger eigene Kirchen besitzen und
sich darin von berufenen Predigern bedienen lassen. Sie
freuen sich, dass sie, währenddem die übrige Welt im
Finstern tappt, über die wichtigsten Fragen des Daseins
von unfehlbaren Geistern, von deren Existenz sie die
überzeugendsten Beweise besitzen, unterrichtet werden.
Allerdings leuchten jedem diese Beweise nicht ein und
da, wo man den Mundstücken der Geister ernstlich auf
den Leib rückte und sie durch Kreuz- und Querfragen
in die Enge trieb, stellte es sich stets heraus, dass man
es einfach mit geriebenen Schwindlern, die auf die Leicht-
gläubigkeit der Masse spekulierten, zu tun hatte. In
mehreren Städten der Union hat man, um der Sache
auf den Grund zu kommen, Gesellschaften für psychische
Untersuchungen gegründet, allein die Medien haben ihnen
selten Gelegenheit gegeben, ihren Scharfsinn zu erproben.
Den Spiritualisten sind alle Dinge möglich. In der
Umgegend von Westfield in Süddakota wohnte, wie die
Zeitung „Butte Inter-Mountain" mitteilt, ein Farmer
namens John Small, dem alle Kinder gestorben waren^
Nach dem Tode eines vierzehnjährigen und letzten Sohnes
erzählten die Eltern, die Spiritualisten waren, ihren
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Freunden, dass sich ihr Henry nächtlich zeige und bald
wieder ins Leben zurückkehren werde. Zu den Freunden
desselben gehörte auch der siebzehnjährige Nels Larson,
ein skandinavischer Waisenknabe, der auf Sraalls Farm
aufgewachsen war. Auch dieser erzählte, dass ihm Henry
oft im Traume erschienen sei und dass er versprochen
habe, die Seele des Verstorbenen in seinen Körper ein-
ziehen zu lassen. Eines Tages schien Larson verändert
zu sein; er besass nicht nur den Klang der Stimme
Henrys, sondern auch sonst alle Eigenschaften desselben,
nur sein Körper war derselbe geblieben. Und das merk-
würdigste war, dass er nun ein sehr gutes Englisch
sprach , das frei von jedem an seine Muttersprache
erinnernden Accent war. Small war von der Wahrheit
dieser Verwandlung so fest überzeugt, dass er den jungen
Mann als Sohn adoptierte. Einige Farmer aber meinten,
Larson sei doch nicht so dumm gewesen, wie er ausge-
sehen habe.
Wer heute in Amerika Auskunft über Geister haben
will, braucht nicht mehr zu den im fernen Westen herum-
schwärmenden Rothäuten, oder zu den im tiefsten Aber-
glauben steckenden Negern des Südens zu gehen, son-
dern er kann sich getrost an die in Palästen wohnenden
Bleichgesichter männlichen und weiblichen Geschlechtes
wenden. Allerdings halten die dort verkehrenden Geister
keine lange Reden mehr wie der alte aus dem Grabe
geschlüpfte Hamlet, ja, sie sprechen sogar noch höchst
selten, da sie sich von der Wahrheit des Sprichwortes,
dass Schweigen Gold sei, überzeugt zu haben scheinen.
Ein erfahrener Spiritualist sagte mir einmal, dass es den
Geistern seit einiger Zeit streng verboten sei, überhaupt
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Mitteilungen zu machen, und ich bemerkte darauf, dass
sie am klügsten handeln würden, wenn sie sich darnach
richteten. Doch der Geisterglaube ist bereits vielen
Amerikanern zum Lebensbedürfnis geworden und sie
lassen sich durch keine wissenschaftliche Widerlegung
desselben davon abbringen.
Das Kapitol in Washington soll von fünfzehn ver-
schiedenen Geistern oder Gespenstern heimgesucht wer-
den; auch zeigt sich dort in bestimmten Perioden die
sogenannte Teufelskatze. Dieselbe sieht auf den ersten
Anblick wie eine gewöhnliche Katze aus; je länger man
sie aber anschaut, desto grösser erscheint sie.
In der Statuary-Hall, also in der Halle, wo die
Statuen berühmter Staatsmänner aufgestellt sind, hört
man oft, wie alle dort angestellten Wächter und Diener
versichern, geisterhafte Fusstritte, ohne jedoch ein Wesen
zu sehen, von dem sie herrühren. Nach allgemeiner An-
sicht soll der Geist des in dieser Halle gestorbenen
Präsidenten John Quincy Adams jenes Geräusch verur-
sachen. General Logans Geist, der an seinem langen
Haare kenntlich ist, zeigt sich jede Naeht in dem Zim-
mer, in dem sich das Komite für Militärangelegenheiten
versammelt ; er geht alsdann zwischen zwölf und ein Uhr
stillschweigend durch jenes Lokal, schleicht darauf die
Treppe hinunter und verschwindet.
Fort Madison, eine zwölf tausend Einwohner zählende,
in Jowa gelegene Stadt, hat ein Spukhaus, in dem nächt-
lich ein Geist mit schweren Tritten dreimal durch jedes
Zimmer bei verschlossenen Türei;i und Fenstern geht
und dann wieder verschwindet. Kein Bewohner dieses
Hauses hat ihn jemals gesehen, aber jeder hat seine
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Fusstritte deutlich gehört.
In jenem Städtchen scheinen überhaupt merkwürdige
Dinge zu passieren. Ln Jahre 1897 blieb dort der
Schauspieler Rummel über Xacht und wurde in einem
Zimmer einquartiert, in dem am Tage Torher die Leiche
eines Mannes, der bei einem Eisenbahnunfalle das Leben
Terloren, gelegen hatte. Kaum war er eingeschlafen,
da kam es ihm vor, als schüttle ihn jemand unter
Nennung seines Vornamens am Arme. Als er erwachte,
stand der Tote vor ihm und bat ihn, an seine Ver-
wandten in Beaver Falls, deren Namen und Adressen er
genau angab, zu schreiben und sie von seinem plötzlichen
Ableben zu unterrichten. Rummel tat es auch und machte,
wie er selbst erzählte, dadurch ausfindig, dass die An-
gaben des Geistes zuverlässig waren.
Im nördlichen Teile von Ost-Sankt-Louis befindet
sich ein vernachlässigter Kirchhof, auf dem nur noch
höchst selten ein Mensch begraben wird. In der Xähe
desselben hatte sich einst ein westwärts wandernder
Pionier mit Kind und Kegel niedergelassen und sich mit
seinem „Prairie-Schooner" ^) auf kurze Zeit vor Anker
gelegt. Unter den Haustieren, die er mit sich führte,
befand sich auch ein mit einer Schelle versehenes Schaf,
das eines Tages unbemerkt durch den Zaun des Kirch-
hofes kroch, um sich am üppigen Grase der Gräber zu
laben. Als es am Abend fehlte, begab sich der Sohn
des Pioniers auf die Suche und fand es endlich auf dem
mondbeschienenen Friedhofe. Diesem Ereignis hatten
nun einige Bewohner der Nachbarschaft aus dem Fenster
zugesehen und am nächsten Tage war wieder eine neue
^) Ein grosser mit Leinwand überzogener Wagen.
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Spukgeschichte im Umlauf.
Eine gutmütige alte, bei Fairford in Alabama
wohnende Jungfer, die ihr ganzes Leben lang eine Brille
getragen hatte, aber nach ihrem Tode (1896) von ihrem
Adoptivsöhne ohne dieselbe beerdigt worden war, erschien
diesem jede Nacht so lange, bis er das Grab wieder
öffnete und ihr die fehlende Brille in die Hand gab.
In einem alten Hause bei Washington's Crossing
in New Jersey, in dem General Washington, ehe er
den Delaware überschritt, eine Nacht zubrachte, ver-
sammeln sich zur Geisterstunde die Helden seiner Armee
und halten eine Parade ab. Sie tragen, wie Augenzeu-
gen versichern, Kniehosen mit Schnallen, dreieckige Hüte
und sind mit alten Säbeln und Musketen bewaffnet.
Der Inspektor einer Anzahl bei Pierre in Süddakota
beschäftigter Eisenbahnarbeiter starb plötzlich und wurde
von seinen Leuten an Ort und Stelle beerdigt. Die-
selben pflanzten auch zwei Baumwollstauden auf sein
Grab und erlebten die Freude, dass diese prächtig ge-
diehen, während dort sonst alle Pflanzen, teils aus
Mangel an Bodenfeuchtigkeit, teils infolge der tropischen
Sommerhitze elendiglich zu gründe gingen. Ja, als einst
ein Prairiebrand jedes Pflänzchen zerstörte, blieben die
beiden Baumwollstauden unverletzt. Der Geist des In-
spektors erschien nämlich, wie man gesehen haben will,
jede Nacht und bewässerte sie. Geister dieser Art kann
man sich gefallen lassen ; sie lassen jedermann in Ruhe,
verrichten nützliche Arbeit und verlangen keinerlei Lohn
dafür. Schade, dass unsere professionellen Spiritualisten
noch keine solche entdeckt und den Menschen dienstbar
gemacht haben.
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Zu Lambertville in New-Jersey erschien der Geist
des an einem Weihnachtstage ermordeten Rufus Williams
und sägte jeden Abend von neun bis zwölf Uhr Holz ;
diese unstreitig nützliche Arbeit hatte auch zur Folge,
dass sich die in der Nachbarschaft wohnenden Neger
allmählich verzogen. In der Neuzeit aber wird er nicht
mehr gesehen ; vielleicht hat er sich wegen Holzmangels
entfernt.
In Washington Heights bei Newyork hat jedermann
vom Townsend-Geist gehört. Als Townsend, der ein
Witwer war und mit seinen Kindern in einer Miets-
kaserne wohnte, einst auf einige Tage verreiste, sah seine
siebzehnjährige Tochter das Bild ihrer verstorbenen
Mutter und bemerkte, wie der Kopf desselben allmählich
verschwand und an seiner Stelle das bleiche abgezehrte
Gesicht des Vaters zum Vorschein kam. Als sich diese
Erscheinung am nächsten Abend wiederholte, geriet das
Mädchen in die grösste Angst und flüchtete sich zu einer
Nachbarin, die ihr dann die Mitteilung machte, dass ihr
Vater gestorben sei.
Als einst ein Taucher, um die Silberschätze des
untergegangenen kalifornischen Dampfers Sunol zu retten,
sich ins Meer hinabgelassen und den Boden erreicht
hatte, gab er das Zeichen, ihn so schnell wie möglich
wieder hinauf zu ziehen, was dann auch geschah. Er er-
zählte darauf, dass es da unten ganz fürchterlich sei,
dass der Teufel musiziere und lustig um einen grossen
Goldhaufen tanze. Es wurde nun ein zweiter Taucher
in die Tiefe geschickt und dieser fand, dass der ver-
meintliche Goldhaufen eine Spieldose war, die von den
Wellen hin und her geworfen wurde und dabei musika-
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lische Töne erschallen liess.
Vor fünfzehn Jahren zeigte sich jeden Abend am
Flussdamme in Kansas City ein Geist, der folgenden
Ursprung hatte: Eines Abends hatte sich ein mit einer
Schrotflinte bewaffneter Mann hinter jenem Damme ver-
steckt, um einem Feinde aufzulauern. Sobald dieser er-
schien, streckte er ihn nieder; doch als er am nächsten
Morgen den Körper des Entseelten aufsuchte, stellte es
sich heraus, dass er seinen Bruder erschossen hatte. Der
Mörder musste nach seinem bald erfolgten Tode Jahre
lang abends auf dem Flussdamm herum wandern. Einem
anderen Geiste jener Stadt, der in den Ruinen der Santa
Fe Stage Company sein Wesen trieb, wurde einst ein
schwerer Stein an den Kopf geworfen, wonach er sein
Spucken einstellte.
Ungefähr drei englische Meilen von New Haven in
Michigan steht auf dem Landgute des Farmers Brandel
eine verlassene Hütte, in der sich einst drei Fischer
niedergelassen hatten. In der Nacht hörten sie ein Ge-
räusch, als ob Ratten durch das Zimmer liefen und
dieses Geräusch wurde allmählich so laut, dass es klang,
als rühre es von den Fusstritten schwerer Männer her.
Dabei bebte die Hütte so stark, dass man ihren Um-
sturz befürchtete. Einer versuchte, die Türe zu öffnen,
und als dies nicht ging, sprang er zum Fenster hinaus
und öffnete sie von aussen. Da die Fischer nun einen
Ausweg hatten, fassten sie Mut und zündeten ein Licht
an; doch sie sahen niemand. Den Rest der Nacht
brachten sie im nahen Walde zu.
Als sie am nächsten Morgen dem genannten Farmer
von ihrer nächtlichen Ueberraschung erzählten, entschul-
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digte sich dieser, ihnen nicht gesagt zu haben, dass es
in jener Hütte spucke. Vor siebenzehn Jahren lebte
nämlich darin ein alter Einsiedler, der Ochsenfrösche
für ein städtisches Hotel fing und im Gerüche stand, sehr
reich zu sein. Eines Tages fand man ihn tot mit einer
Kugel im Kopf und seit dieser Zeit wurde jenes geheim-
nisvolle Geräusch gehört. Der Mörder ist nie entdeckt
worden.
In den Niederungen des Tombighee-Flusses befindet
sich ein kleiner See, der unter dem Namen David's Lake
bekannt ist. An der Ostküste desselben steht eine der
Seabord Lumber Company gehörende Sägemühle und in
der Nähe derselben befinden sich einige für Neger be-
stimmte Hütten. Als in dieser Mühle längere Zeit nicht
gearbeitet wurde, Hessen die Eigentümer zum Schutze
derselben einen Neger zurück. Derselbe fuhr eines Abends
in einem Boote den Fluss hinaus, um Angeln zu legen
und hatte dabei das Unglück, ins Wasser zu fallen und
zu ertrinken. Sein Nachfolger verliess schon am zweiten
Tage den Platz und der dritte machte es nicht besser.
Nun zogen vier beherzte weisse Männer aus, um das
Eigentum der Gesellschaft zu beschützen. Um Mitter-
nacht sahen sie, wie ein Geist mit einer Angelrute am
Hause vorbeischlich, ein Boot am Ufer losmachte und
fortfuhr. Zwei folgten ihm in einem Schifflein, aber es
war ihnen unmöglich, ihn einzuholen. Darauf schössen
sie auf ihn, allein sie hätten gerade so gut auf den Mond
feuern können. Endlich hörten sie einen lauten Schrei
und die Erscheinung versank im Wasser, Als sie dies
Abenteuer später ihren Bekannten erzählten, meinten
diese, sie hätten an jenem Abende etwas zu tief in die
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Flasche geblickt.
In der Nähe von Bardstown in Kentucky steht eine
alte, aus unbehauenen Baumstämmen zusammengefügte
Hütte, die zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges
von einem gewissen Holder bewohnt wurde. Derselbe
stand im Rufe Dieb, Räuber und Falschmünzer und zu
jeder Schandtat fähig zu sein. Im Sommer 1859 ritt
ein Fremder, der allem Anscheine nach viel Geld bei
sich hatte, an jenem Hause vorbei und fragte Holder
nach dem Wege nach Cumberlaiid Gap, wo er seinen
Bruder, der dort in einigen Minen interessiert war, auf-
suchen wollte. Seinen Namen gab er als James Tra-
verse an. Welche Auskunft er erhielt, weiss man nicht.
Einige Wochen später machte sich sein Bruder auf die
Suche nach dem Vermissten und fand, dass er bei
Holder eingekehrt und dann spurlos verschwunden war.
Er beauftragte nun einen Geheimpolizisten mit der Unter-
suchung dieses Falles, allein auch dieser verschwand
plötzlich, ohne dass jemand wusste, wohin er gekommen
war. Auch Holder verschwand und die Hütte stand ge-
raume Zeit leer. Ein gewisser Ross, ein rauher Kerl,
der sich später darin niederliess, hörte stets zur Mittags-
zeit „Hallo" vor seiner Türe rufen, ohne dass er jeman-
den sehen konnte. Sobald jener Ruf ertönte, versteckte
sich sein Hund jedesmal. John Ditzmann, ein Deutscher,
der sich dann auf der betreffenden Farm ansiedelte,
machte noch unangenehmere Entdeckungen, denn jede
Nacht kam ein Geist in sein Zimmer gerasselt, setzte
sich vor den Kamin und schürte das Feuer so fleissig,
als wolle er das ganze Haus in Brand stecken. Nun
unternahmen es einige Bürger von Bardstown, die Sache
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gründlich zu untersuchen, und fanden unter dem Fuss-
boden das Skelett eines Mannes, dessen Hirnschale zer-
schmettert war. Gewisse Kennzeichen deuteten darauf
hin, dass sie hier die üeberreste des ermordeten James
Traverse vor sich hatten. Jener Geist hat sich übrigens
später noch mehrmals gezeigt.
In Amerika ist der Glaube überall verbreitet, dass
Mörder nach ihrem Tode die Stätte ihres Verbrechens
besuchen müssen. Geister, die klirrende Ketten hinter
sich herschleppen oder Vermessungen mit glühenden Ru-
ten vornehmen, sind in Amerika selten. Den Hunden
soll besonders die Gabe eigen sein, Geister sehen zu
können. Der Engländer, welcher auf Weihnachten ge-
boren ist, wird nie von Gespenstern belästigt.
Die Existenz der Geister ist eine Lebensfrage für
die zahlreichen Medien Amerikas, denn ohne dieselben
müssten sie sich nach einer ehrlichen Beschäftigung um-
sehen. Allein alle Beweise, die sie für ihre Sache bis
jetzt vorgebracht haben, tragen den Stempel der Lächer-
lichkeit an sich und fordern unwillkürlich die Spottlust
heraus. Als der grosse Redner und Freigeist IngersoU
gestorben war, arrangierte die aus Chicago stammende
Frau C. H. V. Richmond in Springfield eine Versamm-
lung von Gläubigen und Ungläubigen, um die Botschaft,
die jener Agitator aus dem Jenseits an sie geschickt, be-
kannt zu machen. „Oft, wenn ich an der Leiche eines
Freundes stand", sprach sie bei dieser Gelegenheit, als
Personifikation IngersoUs, „hoffte ich auf Unsterblichkeit.
Ich hatte keine Kenntnis vom Leben jenseits des Grabes.
Ich komme daher, um zu sagen, dass ich mich geirrt habe ;
denn ich weiss jetzt, es gibt ein Geisterland. Obschon ich
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aber diesen einen Irrtum, oder vielmehr diesen einen Wis-
sensmangel bekenne, komme ich, um zu erklären, dass ich
sonst kein Wort, das ich gegen die Theologie gesprochen,
zurückzunehmen Ursache habe. Ich sage noch, wie in
meinem früheren Leben: lässt du mich wählen zwischen
der Hölle, wie sie sich im orthodoxen Glauben abmalt,
und dem beschränkten, bigotten Himmel, so gib mir die
Hölle. Ich bin nicht tot. Sterben ist nicht totsein. Ich
nehme alles zurück, was ich jemals gegen ein zukünftiges
Leben gesagt habe; es gibt ein Geisterland, aber weder
eine heisse Hölle mit gähnendem Schlund, noch einen
goldgepflasterten Himmel mit Alabastermauern."
Tatsache ist übrigens, dass IngersoU in den letzten
Jahren seinen ehemaligen Unsterblichkeits-Unglauben da-
hin modifiziert hat: „Wir wissen nichts von einem Jen-
seits; können weder sagen es ist, noch es ist nicht;
aber die Hofifnung bleibt."
Amerika hat natürlich auch seine „weisse Frau",
deren Erscheinung stets ein Krieg folgt. Diese Prophe-
tin, die sich nur in der Nähe von Jonesboro in Maine
zeigt und auch dort den neuesten spanisch-amerikanischen
Krieg vorhersagte, lebte im 18. Jahrhundert und hiess
Neil Hilton. Sie war die Tochter eines Fischers in der
puritanischen Kolonie am Stockfisch-Kap. Wie die Sage
erzählt, wurden ihr die Fesseln, womit der puritanische
Fanatismus Jugendlust und Jugendkraft zu brechen und
zu bändigen versuchte, am Ende unerträglich und sie
wusste ihren Vater zu überreden, mit seiner Familie in
eine Gegend zu ziehen, wo ihrem regen, tatendurstigen
Geiste mehr Freiheit gestattet war. Hilton also setzte
sich mit Kind und Kegel in sein Schifi", fuhr nordwärts
— 48 —
und schlug an der sogenannten Englishmen's Bay, an dein
Punkte, wo jetzt das Städtchen Jonesboro steht, seine
Blockhütte auf. In jener Gegend gab es damals noch
sehr wenige weisse Ansiedler ; der Stamm der Passama-
quoddy-Indianer bildete den Hauptteil der Bevölkerung.
Eines Abends, als der alte Hilton, vom Fischen zu-
rückkehrend, über die Schwelle seiner Blockhütte trat,
überraschte er seine Tochter in den Armen eines strammen
Passamaquoddy-Häuptlings. Worüber er sich dabei am
meisten wunderte, war, dass sich Neil, sein Töchterlein,
gar nicht gegen die Liebkosungen ihres rothäutigen Be-
wunderers sträubte; sie schien vielmehr einen ganz be-
sonderen Gefallen daran zu finden. Der Vater war vor
Entrüstung ganz ausser sich, so dass ihm seine Zunge
den Dienst versagte. Blitzschnell sprang er zum Kamine,
riss seine Büchse von der Wand und schoss den Indianer
wie einen tollen Hund nieder. Was eigentlich die Haupt-
triebfeder dieser raschen Handlung war, ob der ihm und
seiner Familie zugefügte Insult oder die Prämie, welche
die frommen Puritaner auf die Kopfhaut eines jeden In-
dianers gesetzt hatten, darüber schweigt die Geschichte.
Offenbar jedoch war dem alten Pionier die Prämie in
den Sinn gekommen, denn schon im nächsten Augen-
blicke beraubte er den noch zuckenden Körper seiner
Kopfhaut und schleppte ihn dann bei den Füssen zur
Tür hinaus.
. Ins Haus zurückgekehrt, nahm er den blutigen Skalp
und hing ihn, jedenfalls in der Absicht, die wertvolle
Ware bei nächster Gelegenheit auf den Markt nach
Boston zu bringen, im Rauche des Kamins auf. Als er
damit fertig war, wendete er sich zur Tochter, die mit
— 49 —
den Händen vor dem Gesichte zusammengekauert im
fernsten Winkel des Zimmers sass und forderte mit bar-
scher Stimme nähere Erklärung. Neil hatte sich soweit
wieder gesammelt, dass sie unter Schluchzen hervorstam-
meln konnte, sie habe schon längere Zeit Bekanntschaft
mit dem Häuptling gehabt; er sei ihr Bräutigam gewesen
und sie habe ihm die Ehe versprochen. Mit bitterem
Hohne erwiderte der Alte, dass sie, wenn sie eine so
grosse Vorliebe für die rote Hautfarbe habe, ihr Bündel
schnüren und zu den Passamaquoddies gehen solle ; unter
ihnen würde sie jedenfalls noch einen Galan finden, der
sie für ihren Verlust trösten könne. Was er aber sagte,
war offenbar nicht sehr ernstlich gemeint, denn sprach-
los vor Erstaunen sass er da, als er sah, dass sich Neil
anschickte, seiner Weisung zu folgen. Ohne ein weiteres
Wort zu sagen, schritt sie zur Tür hinaus in die finstere
Nacht hinein.
Die puritanischen Ansiedler an der Bai von Massa-
chussetts hatten eine eigentümliche Art, mit den Urein-
wohnern des Landes zu verkehren. Ihre Agenten brachten
Branntwein, wollene Decken und Glasperlen in Hülle
und Fülle, um dafür von den Indianern Pelzwerk und
Fische einzutauschen; ihnen Feuergewehre und Pulver zu
verkaufen, war aber aufs Strengste untersagt. Ganz
anders handelten die Franzosen in New Brunswick, an
der anderen Seite des St. Croixflusses, der die Grenz-
linie zwischen den englischen und französischen Besitzun-
gen bildete. Dort konnten die Indianer alles haben, nur
kein Feuerwasser. Die Missionäre aus dem Jesuitenorden,
die mit der Christianisierung der Indianerstämme in New
Brunswick bereits erfreuliche Fortschritte gemacht, hatten
K n o r t z , Zur amerikan. Volkskunde. 4
i
— 50 —
Ton Anfang an darauf gedrongen^ dass die Handler keine
geistigen Getränke an die Bothäote ablassen durften.
Die Folge dieser yersehiedenartigen Handelsgebraoehe
war, dass die Passamaqnoddies häufige Wallfahrten zwi-
schen den Grenzposten der beiden Xationen ansteUten.
TTas bei den Engländern nicht zu haben war, fanden
sie bei den Franzosen. Xell Hilton war bei solchen
Handelsfahrten die Hauptperson. Sie sprach fliessend
Englisch und Französisch, sowie die Terschiedenen In-
dianerdialekte und war nicht nur Dolmetscherin, sondern
auch oberste Geschäftsfiihrerin bei den Ein- und Ver-
käufen. Sie war nie in den Ehestand getreten, aber die
Passamaquoddies betrachteten sie als ihre Königin. Wenn
sie einen Wunsch aussprach oder einen Vorschlag machte,
so hatte das bei den Kriegern immer mehr Gewicht, als
die feierlichsten Ratsbeschlüsse der Häuptlinge. Ihr
Wille war bei dem ganzen Stamme Gesetz.
Als im Jahre 1746 die unter dem Xamen Acadier
bekannten französischen Ansiedler Ton den Engländern
aus Xova Scotia vertrieben wurden, weissagte Xell Hil-
ton einen langwierigen blutigen Krieg und sie Terhehlte
dabei den Passamaquoddies auch nicht, dass die Eng-
länder am Ende Sieger bleiben würden. Jedoch gab sie
ihnen den Rat, treu zu den Franzosen zu stehen, weil
von diesen die Indianer stets liebevoller und menschlicher
behandelt worden seien.
Xachdem mit der Uebergabe Quebec's im Jahre 1759
Frankreich seine sämtlichen Besitzungen auf dem ame-
rikanischen Kontinente an England verloren, zog Xell
Hilton nach Grand Falls am oberen St. Johnflusse und
wirkte dort in stiller Zurückgezogenheit fünfzehn Jahre
— 51 —
lang als Lehrerin in den französischen Schulen. Am
1. März des Jahres 1775 aber tauchte sie plötzlich wie-
der unter ihren alten Nachbarn in Jonesboro auf
und mahnte sie, sich auf kriegerische Zeiten vorzube-
reiten. Bei allgemeinen Redensarten jedoch liess sie es
dabei keineswegs bewenden. Vielmehr bewies sie ihre
Sehergabe besonders dadurch, dass sie alle wichtigen
Ereignisse des Unabhängigkeitskrieges, von der Schlacht
bei Bunker Hill an ; bis zur Uebergabe des Generals
Cornwallis in den genauesten Einzelheiten vorhersagte.
Zwei Jahre nach dieser Prophezeiung, im Februar 1777,
als die Kriegsfackel bereits in hellster Lohe stand, wurde
sie von den Engländern als Späherin der Yankees ver-
haftet, nach St. John geschleppt und vor ein Kriegsge-
richt gestellt. In dem Verhöre legten viele Indianer und
eine Anzahl einflussreicher weisser Ansiedler, die sie von
Jugend auf kannten, Zeugnis für sie ab, in welchem be-
sonders ihr unbescholtener Lebenswandel, ihr Rechtlich-
keitssinn und ihre beständige Ausübung von Werken
wahrer Nächstenliebe betont wurden. Alles aber half
nichts ; sie wurde schuldig befunden und zum Tode durch
den Strang verurteilt. Die Hinrichtung sollte noch am
Tage des Urteilsspruchs vollzogen werden.
Mit dem Strick um den Hals unter dem Querbalken
des Galgens stehend, wendete sie sich, englisch, fran-
zösisch und die Indianersprache redend, an die versam-
melte Menge. In einfachen, rührenden Worten schilderte
sie ihren Lebenslauf und gab dann ihren Zuhörern die
Versicherung, dass sie froh sei, für eine so gerechte und
heilige Sache, wie die Unabhängigkeit und Freiheit des
Vaterlandes ihr Leben opfern zu dürfen. Zuletzt kam
4*
— 52 —
von ihren Lippen das feierliche Versprechen, dass sie
für alle Zeiten, jedesmal wenn der Ausbruch eines Krieges
bevorstehe, aus dem Totenreiche zurückkehren werde, um
das Volk der Vereinigten Staaten zu warnen. „Und
damit sich niemand irren kann", so schloss sie ihre Rede,
„soll dies für alle das Zeichen sein : Bei Jonesboro steht
ein hoher, vom Meere bespülter Felsen, der nach meiner
Familie den Namen „Hilton's Nacken" führt. Auf diesem
Felsen werde ich mit Sonnenaufgang am ersten März
eines jeden Jahres, in dem ein Krieg ausbricht, erscheinen,
und den Schlachtgesang der Passamaquoddies anstimmen".
Die Leiche der Hingerichteten wurde, wie sie es in
ihrem letzten Wunsche ausgesprochen, den Passama-
quoddy-Indianern übergeben und von diesen aufDana's
Spitze, einer Hügelerhöhung, die eine wunderherrliche
Aussicht auf die Passamaquoddy-Bay gewährt, zur Erde
bestattet.
In der Morgendämmerung am 1. März 1812 bestie-
gen zwei Fischer von Jonesboro, Charles und Edgar
Wass, ihre Boote, um ihrem Gewerbe nachzugehen. Als
sie sich Hilton's Nacken näherten, hörten sie von oben-
her, wie aus den Wolken kommend, eine eigentümliche
Melodie erklingen und emporschauend erblickten sie auf
der Spitze des Felsens im Glänze der aufgehenden Sonne
eine hehre Frauengestalt, die das Kriegslied der Passama-
quoddies sang. Erschreckt kehrten die beiden Schiffer
um und erzählten ihren Nachbarn, was sie gehört und
gesehen. In ganz Jonesboro herrschte nur ein Gedanke :
da konnte kein Zweifel sein, es war Neil Hilton, die den
Krieg verkündete. Und drei Monate später war auch
schon der Kriegstanz in vollem Gange und jeder waffen-
— 53 —
fähige Mann in Jonesboro hatte sich in die Marine auf-
nehmen lassen, um gegen England zu fechten.
Zu Anfang des Jahres 1839 war ganz Maine voll
von Kriegsgerüchten. Jeder Bürger war fest davon über-
zeugt, dass die Entscheidung der Grenzstreitigkeiten zwi-
schen den Vereinigten Staaten und Kanada der Waffen-
gewalt anheimgestellt werden müsse. Am 1. März in
aller Morgenfrühe sprangen die Bewohner von Jonesboro
sämtlich aus ihren Betten und schauten nach Hilton's
Nacken hinauf, in der sicheren Erwartung, dort Neil
Hilton, die Kriegs-Sibylle, zu sehen und ihren Schlacht-
gesang zu vernehmen. Auf der Pelsenspitze jedoch blieb
alles still und leer, und über Betrug, Humbug und Schwin-
del murrend, zogen sich die getäuschten Leute wieder
in ihre Wohnungen zurück. Das Nichterscheinen der
Prophetin aber wurde bald glänzend gerechtfertigt. Die
Grenzstreitigkeiten wurden auf friedlichem Wege durch
den sogenannten Ashburton- Vertrag geschlichtet, und
das Säbelgerassel der kriegslustigen Bewohner von Maine
verstummte.
Der Krieg mit Mexiko im Jahre 1846 kam ziemlich
unverhofft, und die guten Bürger von Jonesboro waren
auf das Erscheinen ihrer Kriegssibylle durchaus nicht
vorbereitet. Aber sie stellte sich, wie sie versprochen,
zur rechten Zeit und Stunde ein, grüsste, als gerade die
Sonne aus dem Meere emportauchte, ein halbes Dutzend
Fischerboote, die auf den Makrelenfang ausgezogen waren,
mit anmutigen Handbewegungen und liess den Kriegs-
gesang erschallen, den sie als Königin der Passama-
quoddies vor hundert Jahren so oft gesungen hatte. James
Burton und Abe Kilmody, zwei von den Fischern, welche
— 54 —
f
die Erscheinung beobachteten, leben heute noch in Jones-
boro und sind jederzeit bereit, mit einem Eidschwur zu
bekräftigen, dass sie am 1. März 1846 Neil Hilton wirk-
lich gehört und gesehen.
Am 1. März 1861, yier Tage vor der Inauguration
des Präsidenten Lincoln, zeigte sich die Kriegsseherin
wiederum zur bestimmten Stunde auf Hilton's Xacken.
Ihr langes Haar flatterte in der Morgenluft, und sie be-
gleitete ihren Schlachtgesang, der über eine halbe Stunde
lang kräftig erscholl, mit einer rhythmischen Bewegung
ihrer Hände. Diesmal war ganz Jonesboro auf den
Beinen, um die Erscheinung anzustaunen. Endlich, als
eine Anzahl beherzter Männer sich anschickte, den Felsen
zu ersteigen und die Prophetin anzureden, zerrann die
Gestalt allmählich wie ein Xebelbild.
Der Aberglaube der amerikanischen Matrosen ist
stark im Abnehmen begriffen. Eine der verbreitetsten
and ältesten abergläubischen Vorstellungen dieser interes-
santen Menschenklasse hat sich jetzt wenigstens soweit
verloren, dass der Passagier -Verkehr so gut wie gar
nicht mehr mit ihr zu rechnen braucht: nämlich das
Vorurteil gegen die Beförderung, resp. Aufbewahrung
einer Leiche auf einem Schiff. Früher war der Glaube,
dass eine solche allemal Stürme und sonstiges Unglück
bringe, ein überaus starker. Auch jetzt noch empfiehlt
es sich auf Segelschiffen entschieden, die Leiche einer
an Bord gestorbenen Person sofort über eine der Schiffs-
seiten hinab im Wasser zu versenken, wenn man die
Mannschaft in guter Stimmung erhalten will. Und es ist
noch gar nicht lange her, dass auf einem die südameri-
kanischen Gewässer befahrenden Schnellsegler eine Meu-
4 - '' -
terei ausbrach, weil die Leiche des unterwegs erkrankten
und gestorbenen Kapitäns nicht alsbald dem Wassergrab
anvertraut wurde; als sich dann garstige Stürme erho-
ben, war es unmöglich , die Ordnung wiederherzustellen,
ehe diesem allgemeinen Verlangen entsprochen wurde.
Ob alsdann auch der Aufruhr der Elemente für immer
aufhörte, ist nicht mitgeteilt worden.
Auf den regelrechten Passagier dampf em jedoch ist
man über diesen Aberglauben ebenso weit hinweg, wie
über jenen andern uralten, dass jeder Geistliche auf einem
Schiffe Unheil bringe.
So oft die Hauptzeit des Seeverkehrs wieder losgeht,
hört man auch immer wieder von blinden Ozean-Passa-
gieren oder „Stowaways", die sich im Einverständnis mit
Kohlenziehern oder sonst jemandem auf das Schiff zu
schmuggeln verstanden haben und nicht immer ans Land
zurückgebracht werden können. Bei allem, was schon
über das, gelinde gesagt, prosaische Los solcher Damj^fer-
Nassauer in unserer Zeit geschrieben worden ist, wollen
sie durchaus nicht verschwinden, und die modernen Ozean-
Riesendampfer sind an sich keineswegs besonders un-
günstig für diese Art Stromer, im Gegenteil, sie bieten
dunkle Schlupfwinkel in Menge.
Trotz aller Wachsamkeit macht selten einer dieser
Dampfer eine Fahrt über den grossen Häringsteich, ohne
dass mindestens einer oder zwei von dieser Brüderschaft
mitfahren und nicht rechtzeitig entdeckt werden. Hin
und wieder kostet es einen sogar das Leben , aber das
schreckt andere nicht ab. Im Laufe jedes Jahres ge-
niessen immer noch Dutzende von Abenteurern eine
Freifahrt über das Meer, und sie haben Glück genug.
— 56 —
wenn ihnen weiter nichts passiert, als dass sie nach ihrer
Entdeckung zur Arbeit gezwungen werden.
Vom Kapitän und seinen Auftraggebern als bestän-
diger Gemeinschaden angesehen, sind diese Schiffs-Nas-
sauer doch bei gar manchen Matrosen nicht ungern ge-
sehene Gäste, wenn sie auch bis zu einem gewissen Grade
vogelfrei sind: denn sie werden von ihnen als Glücks-
bringer oder Mascots betrachtet, und es ist eine der
Vorstellungen des vielverzweigten alten Matrosen-Aber-
glaubens, dass ein Schiff, welches einen Stowaway an
Bord hat, nicht untergehen kann, während andererseits
die alten Teerjacken stets mit Beispielen von Schiffen
aufzuwarten haben, welche, nachdem es ihnen gelungen
sei, sich ihres letzten blinden Passagiers zu entledigen,
prompt untergegangen seien.
Der Besitz eines Opals soll Unglück bringen. Als
einst ein Herr namens Caruth zu Charleston in Süd-
carolina mit einigen Bekannten Würfel spielte und jedes-
mal verlor, sprach ein abergläubischer Zuschauer zu ihm :
„Kein Wunder, dass Sie kein Glück haben — Sie tragen
ja einen Opal im Ring." Herr Caruth lächelte. Vier
Tage später glitt er vom Trittbrett eines Strassenbahn-
wagens ab und verstauchte sich den Knöchel. Sofort
gedachte er der Worte des Fremden. Er gab daher den
Ring an seinen Freund, der allen Aberglauben belächelte
und Baumwolle-Makler war. Als dieser aber kurz darauf
bei einer Spekulation 10 000 Dollars verlor, schenkte
er den Ring einem seiner Bureau - Angestellten. Eine
Woche später erkrankte dieser und musste mehrere Tage
das Bett hüten. Als er wiederkam , erzählte ihm der
Makler, was sein Freund ihm über den Ring erzählt
— 57 —
habe. Nun gab der junge Mann den Ring seiner Lieb-
sten. Bei Frauen zieht so was nicht, dachte er bei sich.
Zwei Tage später fing im Heim des Mädchens ein
Vorhang Feuer und sie verbrannte sich die Finger. Sie
gab nunmehr den Ring ihrem Bruder, einem Erzskeptiker.
Derselbe lachte über den Aberglauben und fuhr nach Rich-
mond. Unterwegs entgleiste der Zug und er entging mit
knapper Not schwerer Verletzung. Da glaubte auch er,
es sei des Ringes Schuld und beschloss, den Opal einem
Juwelier zu verkaufen. „Was geben Sie mir für diesen
Opal?" fragte er ihn. Der sah ihn an und erwiderte:
„Nichts, da es kein Opal ist, sondern ein sogenanntes
Katzenauge.
Doch nun z\j ^inem anderen Thema. Das älteste
Nationalfest der Amerikaner ist der Danksagungstag.
Wenn auch die alten Puritaner an demselben keine öffent-
lichen Umzüge und lärmenden Lustbarkeiten erlaubten,
so machten sie sich doch auf andere Weise Vergnügen
und sorgten hauptsächlich dafür, dass es alsdann zu
Hause nicht an Speisen und Getränken fehlte. Bradford,
der erste Gouverneur der Plymouth-Kolonie , sandte im
ersten Jahre seines Amtes vor Anbruch des Danksagungs-
tages einige tüchtige Jäger aus, um alle Truthähne zu
schiessen, die ihnen vor die Flinte kamen, damit sich
jeder Kolonist an jenem Feste gütlich tun konnte. Seit
jener Zeit hält es jeder Amerikaner für seine Pflicht,
sich am Danksagungstage mit einem Truthahn zu ver-
sehen und wenn er ihn stehlen oder das Geld dazu bor-
gen muss.
— 58 —
Die Präsidentenwahl trug früher mehr den Charakter
eines der Geselligkeit gewidmeten Nationalfestes als jetzt,
da die Parteiorganisationen schon dafür sorgen, dass
jeder Humor im Keime erstickt wird. Jeder Kandidat
will siegreich aus der Wahlurne hervorgehen und seine
Arbeiter sind natürlich schon im eigenen Interesse be-
strebt, an dem Gegner kein gutes Haar zu lassen und
ihm alle erdenklichen Schandtaten anzudichten. Früher
versammelten sich die Bürger bei solcher Gelegenheit
unter einem mit Bändern geschmückten Freiheitsbaume
und lauschten den Vorträgen eines sogenannten Stump-
redners, das heisst eines auf einem Baumstumpen stehen-
den Maulhelden ; dann wurde manchmal auf Kosten des
Kandidaten auch ein fetter Ochse gebraten oder ein
Fass Apfelwein nach dem andern geleert. Jetzt muss
jede Wirtschaft in unmittelbarer N^he des Stimmkastens
geschlossen bleiben. Nach der Wahl haben übrigens die
Knaben ihr Vergnügen. Sie lassen sich die Fahnen und
sonstigen Insignien der politischen Vereine schenken und
halten damit einen öffentlichen Umzug. Auch schleppen
sie alte Fässer zusammen und zünden sie zur Feier der
beendeten Wahlschlacht an. Letzteres tun sie auch am
4. Juli.
Zu den amerikanischen Nationalfesten sind neuer-
dings in mehreren Staaten der Arbeits- und der Baum-
pflanzungstag gekommen. Am erstgenannten Tage ver-
anstalten die Mitglieder der verschiedenen Gewerbe einen
allgemeinen Umzug und lassen sich dann auf irgend einem
passenden Platze im Freien nieder, um ihren Durst zu
löschen und ihr Loblied aus dem Munde popularitäts-
süchtiger Politiker oder geriebener Arbeiterführer zu ver-
— 59 —
nehmen.
Am Baumpflanzungstag (arbor day) marschieren die
Schulkinder in einen öffentlichen Park, lassen sich von
den Lehrern die Wichtigkeit der Forstkultur erklären
und pflanzen dann unter Absingung passender Lieder
einige Bäume. Auch ein Vogeltag (bird day) ist neuer-
dings hier und da eingeführt worden ; an demselben wer-
den die Schulkinder auf den Nutzen der Vögel aufmerk-
sam gemacht und ermahnt, ihnen nicht beständig mit
Flinten und Schleudern nachzustellen.
Nicht nur jeder amerikanische Politiker, sondern
jede amerikanische Dame ist pushfol, d. h. sie stellt ihr
Licht nicht unter den Schemel, drängt sich in die beste
Gesellschaft ein, um unter jeder Bedingung ihre Schön-
heit und etwaige Talente zur Geltung zu bringen. Sie
führt Buch über jede Familienfestlichkeit, besonders über
die Geburtstage ihrer Bekannten und stellt sich auch
ohne Einladung rechtzeitig bei ihnen ein, wohl wissend,
dass niemand so unhöflich sein wird, ihr die Türe zu
weisen. Wird sie ignoriert oder ihr auf irgend eine
Weise begreiflich gemacht, dass ihre Anwesenheit nicht
gewünscht sei, so tut sie, als verstehe sie den Wink
nicht und bleibt.
Etwas aber kann die Amerikanerin nicht vertragen,
nämlich, wenn sie mit zierlich umlockter Stirne und
wespenähnlicher Taille und nach der allerneuesten Mode
gekleidet, einen Ball besucht und nicht alle mashers oder
,Herzbrecher* gleich bei ihr auf alle Tänze Beschlag
legen, sondern sie links liegen lassen, sodass sie als wall
— 60 —
flower oder Mauerblümchen figurieren muss. Eine solche
Beleidigung vergisst sie nie; auch begiebt sie sich nie-
mals wieder in die Gesellschaft, die ihr einen solchen
Schimpf angetan. Ledig aber will sie unter keiner Be-
dingung bleiben und sie folgt also willig irgend einem
altersschwachen Greise, der weder Haar auf dem Kopf
noch Zähne im Munde, dafür aber desto mehr Geld im
Beutel hat, an den Traualtar und tröstet sich dabei mit
dem Sprichworte: „Better an old man's doli than a
young man's slave".
Keine junge Dame will eine alte Jungfer werden.
Ist sie zum Anbeissen schön, also eine peach, wie dies
im amerikanischen Slang heisst, so stellen sich schon
die Freier rechtzeitig ein; bleiben sie jedoch aus irgend
einem Grunde aus, so sucht sie dieselben auf und be-
weist sich als Meisterin in der Kurschneiderei, dabei stets
darauf bedacht, dass ein Dritter nicht Zeuge ihrer Liebens-
würdigkeit ist, denn „two is Company, three a crowd".
Verheiratet sie sich nun und entpuppt sie sich als
tüchtige, fleissige Hauswirtin, in deren Wohnung jedes
Ding am rechten Platze liegt oder steht, so heisst es,
bei ihr sei alles in der apple pie order. Diese Redens-
art hat folgenden Ursprung : Während der Puritanerzeit
lebte in Neuengland eine biedere Hausfrau namens Hep-
zibah Morton, die jeden Samstag so viele Apfelkuchen
buk, dass ihre Familie die ganze Woche daran zu essen
hatte. Diese stellte sie auf ein Brett der Schüsselbank,
und steckte an jeden Kuchen einen Zettel, auf dem der
Name des Tages stand, an welchem er verzehrt werden
sollte. Wehe aber dem, der diese apple pie order störte !
Bezieht der Amerikaner ein neues, ihm gehöriges
— 61 —
Haus, so werden zur Feier dieses Ereignisses alle Freunde,
Nachbarn und Verwandte eingeladen und dann wird ge-
tanzt, gesungen, getrunken, gegessen und unmensch-
lich viel geredet, aber blitzwenig gesagt. Dies nennt man
house warming.
In einigen Landstädtchen der Union kommen Frauen
und Jungfrauen an den langen Winterabenden zusam-
men und vertreiben sich die Zeit damit, dass sie soge-
nannte Quilts, d. h. aus unzähligen Stückchen zusammen-
gesetzte Bettdecken nähen. Diese Quilts haben mitunter
sonderbare Namen. In Louisiana nennt man sie the
world's wonder, in Nordcarolina the fool's puzzle, in
Newyork the old maid's whira, in Massachusetts Chinese
puzzle oder Peter pay Paul, wofür man in Louisiana
robbing Peter and pay Paul sagt. Diese Redensart,
wodurch angedeutet wird, dass man beim Anfertigen eines
Quilts oft ein Stückchen wegnehmen und an eine andere
Stelle nähen muss, stammt ursprünglich aus England.
Als dort im Jahre 1550 die St. Paulskirche repariert
werden musste, stellte es sich heraus, dass es dazu am
nötigen Kleingeld fehlte. Doch man wusste sich zu helfen
und nahm einfach einen Teil der dem Sankt Peter ge-
weihten Westminster von rechtswegen zukommenden Gel-
der und bestritt damit die betreffenden Unkosten.
Der Freundschafts-Quilt ist das Produkt der gemein-
samen Arbeit verschiedener Freundinnen ; jede hat dazu
ein Stück von bestimmter Grösse zu liefern und zur fest-
gesetzten Zeit einzuschicken. Alle Stücke werden alsdann
zusammengenäht und einige Sinnsprüche darauf gestickt.
— 62 —
Die Puritaner, die sich in Xeuengland ansiedelten,
waren keine Temperenzler. Gouyemeur Bradford von der
Plymouth- Kolonie hielt das Wassertrinken für etwas
Schreckliches und schrieb die grosse Sterblichkeit der
ersten Ansiedler hauptsächlich dem Uebelstande zu, dass
sie wegen der Seltenheit des Bieres sich mit fadem Gänse-
wein begnügen mussten. Den Einwanderungslustigen
wurde anempfohlen, recht viel Malz mitzubringen, damit
sie Bier brauen könnten und nicht gleich nach der An-
kunft gezwungen seien, körperschwächendes Wasser zu
trinken.
1634 kostete in Neuengland eine Quart Bier einen
Penny. Vor und nach der Zeit des Mittags- und Abend-
essens durfte kein Wirt Bier verkaufen, um das bye
drinking (Trinken in der Zwischenzeit) zu vermeiden.
Apfelwein war in jedem Farmhause zu finden und galt
als beliebtes Getränke. Mit der Zeit jedoch wiu'de der
Genuss berauschender Getränke verpönt und anfangs des
18. Jahrhunderts liessen viele Amerikaner die Obstbäume
auf ihren Farmen ausroden.
Heutigentags bilden die Anhänger der Temperenz
oder vielmehr der Abstinenz eine politische Partei, die
sich allerdings nur in einzelnen Städten vorübergehender
Erfolge rühmen kann. Diese Enthaltsamkeitsfanatiker
sehen in jedem Wirtshause den Eingang zur Hölle und
in jedem Wirt einen Agenten des Teufels; zu ihrer Ent-
schuldigung dient allerdings die Tatsache, dass der Ame-
rikaner die Kunst des ruhigen, kontemplativen Trinkens
nicht versteht, sondern meist seinen Schnaps oder sein
Bier schnell hinunterstürzt und dann so eilig davon läuft,
als ob er von einem tollen Hund verfolgt werde. Er
— 63 —
frequentiert auch nur solche 'Wirtschaften, wo er Kame-
raden und Leidensgenossen findet, die keine Geheimnisse
ausplaudern. Das Trinken nennt er kissing the baby.
Spricht er mit seiner Gattin, so nennt er die Schnaps-
flasche wegwerfend bottled snakes, um anzudeuten, dass
derjenige, der daraus trinkt, Schlangen sieht, d. h. sich
das Delirium zuzieht. Geht er am Abende mit der heim-
lichen Absicht aus, ein Wirtshaus zu besuchen, so sagt
er seiner Gattin, er ginge nach der office, ohne natür-
lich hinzuzufügen, dass viele Trinklokale diese Bezeichnung
führen.
In Oklahoma gibt es Wirtschaften, welche suction
socials, larynx lubrication und ähnliche sonderbare Na-
men führen. In Jowa heisst der Wirt, der heimlich be-
rauschende Getränke verkauft, aber keine Schanklizenz
bezahlt, blind pig ; in Missouri heisst er bootlegger oder
blind tiger. Einen solchen Wirt bekommt man, wenn
die Temperenzgesetze streng durchgeführt werden, nie zu
sehen; man geht in sein Lokal, legt einen Vierteldollar
auf ein in der Wand befestigtes bewegliches Brett, dreht
es herum und dann kommt ein Glas Schnaps zum Vor-
schein. Sollte nun ein Trinker später aufgefordert wer-
den, als Zeuge gegen den Wirt aufzutreten, so ist er
nicht imstande, ihn zu identifizieren. Unter dem Aus-
druck bücket shop, der in England eine Getreidebörse
untergeordneten Ranges bedeutet, versteht man in Ame-
rika eine armselige Wirtschaft, in welcher sich die Leute
das Bier in Kannen holen. Die Italiener Newyorks fre-
quentieren derartige Lokale besonders ; sie lassen sich
dort den Rest aus den Bierfässern für ein Billiges in
Blechkannen giessen, lesen die herumliegenden Zigarren-
— 64 —
Stummel auf und amüsieren sich damit zu Hause köstlich.
Ein in Amerika viel getrunkener Schnaps heisst
Cocktail , also Hahnenschwanz. Ueber den Ursprung
dieses Wortes sind die Meinungen geteilt. Alte Dokto-
ren sollen Hals- und Kehlkopf kr ankheiten dadurch ge-
heilt haben , dass sie die wunden Stellen mit einer in
einen gewissen Liqueur getauchten Hahnenfeder einpin-
selten. Nach einem altmexikanischen Märchen ist Cock-
tail einfach ein anderer Name für Pulque. Dies Getränk
wurde von einem toltekischen Edelmann entdeckt und
gefiel ihm so gut, dass er eine Kürbisflasche damit füllte
und sie durch seine Tochter dem König überreichen Hess.
Der Herrscher tat einen tiefen Zug daraus und sah da-
bei die Jungfrau an. Ob nun die Schönheit derselben
ihm den Trunk munden oder ob ihm der Trunk die
Schönheit der Maid in vorteilhaftem Licht erscheinen
Hess — das Resultat war dasselbe, denn er verliebte sich
in sie und heiratete sie. Dies Getränk wurde nun nach
dem Namen des Mädchens Xochitl genannt.
Als General Scott mit seinen amerikanischen Sol-
daten nach Mexiko zog, fanden diese grossen Gefallen
an diesem Getränke und nannten es in der Umgangs-
sprache Cocktail, da sie den mexikanischen Namen des-
selben nicht korrekt aussprechen konnten.
In den deutschen Wirtschaften Newyorks wird das
Bier häufig aus Steinkrügen getrunken. Auf denselben
sind manchmal tiefsinnige Sprüche angebracht, von de-
nen hier einige Platz finden mögen.
Wer nicht hebt, trinkt und singt,
Es nie zu wahrer Freude bringt.
— 65 —
Weibertränen, Tröpfelbier,
Gibt kein Mensch was Gescheidts dafür.
Trinkt auch mancher Sünder
Aus Gold seinen Wein,
Wir freun uns nicht minder
Beim Bierkrug von Stein.
Gerat und Hopfen
Gibt gute Tropfen.
Hast du Kummer, Liebesschmerz,
Drück ein Seidel dir ans Herz.
Italiens Wein, so süss und fein.
Brach doch der Römer morsch Gebein,
Im Bier jedoch und Rettigsaft
Steckt ewig jange deutsche Kraft.
In mir ist Wahrheit,
Ich kann nicht trügen ;
Gift trinkt man nie
Aus solchen Krügen.
Staub macht Durst, und da der Mensch aus Staub gemacht.
So muss er trinken Tag und Nacht.
Vom Wirtshaus zum Schauspielhaus ist gewöhnlich
nur ein kurzer Schritt.
Die älteste Nachricht, die wir von den sogenannten
Minstrels haben, d. h. von herumreisende Neger darstel-
lenden Sängern und Spassmachern, welche Plantagen-
lieder vortragen , datiert bis zum Jahre 1843 zurück.
Damals traten nämlich im Bowery Amphion zu Newyork
„the Virginia serenaders" unter der Leitung von D.
Emmett auf und ernteten besonders durch ihre gags
(witzige Einfälle) grossen Beifall.
Ist ein solcher gag veraltet , sodass niemand mehr
darüber lacht, so wird er chestnut genannt.
Dieser Ausdruck soll Ovids ars amandi entstammen,
K n o r t z , Zur amerikan. Volkskunde. 5
— 66 —
worin es heisst: „lasse deinen Laufburschen ihr Trau-
ben zutragen, oder woran sich Arairyllis sonst erfreuen
möge; aber jetzt ist sie keine Freundin von Kastanien
mehr**.
Sicherer geht man jedoch, wenn man die Entstehung
der sonderbaren Bedeutung jenes Wortes in dem zwei-
aktigen Melodrama W. Dimonds „The broken sword'*
sucht, das anfangs des 19. Jahrhunderts unzähligemal in
London aufgeführt wurde. Dort heisst es:
„Z a V i r. Let me see — ay ! It is exactly six years
since that, peace being restored to Spain and my ship
being paid off, my kind brother offered me a snug ham-
mock, etc.
„Pablo (jumping up). A chestnut , Captain , a
chestnut.
„Zavior. Bah, you booby!
„P a b 1 o. And I swear, a chestnut, Captain ! This
is the 27th time I have heard you relate this story, and
you invariably said a chestnut tili now.
„Zavior. Did I? Well, a chestnut be it!"
Ein besonders in kleinen Landstädten auftretender
Schauspieler wird barnstormer, also Scheunenstürmer,
genannt. K^^nstreiter müssen es sich gefallen lassen,
sawdusthoppers oder hairgrabbers geschimpft zu werden.
Auch Diebe und Gauner haben ihren besonderen
Slang. Einer mir von einem New- Yorker Geheimpoli-
zisten zur Verfügung gestellten Sammlung von Diebs-
ausdrücken entnehme ich folgendes : Unter hobo, crook,
grafter und blackleg versteht man einen gewöhnlichen
Dieb. Das letztgenannte Wort stammt aus England,
wo im 18. Jahrhundert die Spieler und die Reiter beim
— 67 —
Pferderennen gewöhnlich hohe schwarze Stiefel trugen.
Da beide nicht im Geruch der Ehrlichkeit standen , so
galt das Wort blackleg allgemein als Bezeichnung eines
diebischen Menschen.
Gun oder dip bedeutet Taschendieb ; sein Spiess-
geselle , der die Aufmerksamkeit der zu beraubenden
Person auf irgend einen Gegenstand lenken muss, heisst
stall. Hat es der Dieb hauptsächlich auf Diamanten
abgesehen , so wird er stone getter genannt ; sucht er
hauptsächlich Frauen zu bestehlen, so heisst er moU
buzzer. Ein Fälscher heisst scratcher.
Der Platz, wo gestohlene Sachen untergebracht oder
verkauft werden, führt den Namen fence oder plantsville.
Wird ein Dieb abgefangen, so ist er pinched, sloughed
oder copped. Der Polizist heisst cop, welches Wort mit
dem altenglischen to cap (arretieren, franz. caper) zu-
sammenhängt. Da die Organisation der Polizei Londons
von Robert Peel ausging, so nennt man die dortigen Si-
cherheitswächter bobbies oder peelers.
Zuchthaus heisst stir und Arbeitshaus Joint. Ehe nun
ein Dieb dort gesetzliche Aufnahme findet, probieren
seine Freunde ihr Möglichstes, für ihn gute Advokaten
zu gewinnen und einige Mitglieder des Schwurgerichtes
zu bestechen. Das für diesen Zweck gesammelte Geld
wird fall money genannt. Ein Einbrecher heisst night
footer; wer falsche Schlüssel gebraucht, um sich Ein-
gang in ein Haus zu verschaffen, führt den Diebsnamen
key worker; steigt der Einbrecher zum Fenster eines
Gebäudes hinein, so wird er zum climber. Das Geld-
täschchen wird von den Taschendieben leather oder auch
kick genannt; eine goldene Uhr heisst thimble.
— 68 —
Wollen Diebe eine Stadt besuchen, um daselbst
ihren Beruf auszuüben, so nennen sie dies heating up a
town. Kehren sie in einem Städtchen ein mit der Ab-
sicht, die dortigen Wirte und Polizisten zu prügeln, oder
sonstigen Unfug zu treiben, so heisst dies to paint a
town red. Ein solches Vergnügen leisten sich auch
manchmal sonst ganz anständige Jünglinge, die der Hafer
sticht (who feel their oats).
Der Polizeidirektor heisst in der Diebssprache main
finger oder squeeze ; der gewöhnliche Polizist wird ausser
cop auch flatty genannt. Der Geheimpolizist führt den
Namen fly cop oder ball; ist er ziemlich ungefährlich,
sodass er leicht hinters Licht geführt werden kann, so
erhält er den Spitznamen chump. Der Hauptrichter heisst
beak, der Advokat Spielers. Right guy ist eine Person,
die Diebe beherbergt.
Gerät jemand in Unannehmlichkeiten, so sagt man
von ihiA „he got into a scrape". Dieser Ausdruck ist
dem Golfspiel entnommen. Die für dies Spiel in Schott-
land abgezäunten Räume werden manchmal von Kanin-
chen heimgesucht, die Löcher in den Boden graben. Ein
solches Loch heisst a scrape; fällt nun ein Ball zufällig
hinein, so wird der Spieler aufgehalten — he got into
a scrape.
Will jemand in der Politik sein Glück machen und
ein fettes Amt ergattern oder, falls er ein solches
bereits bekleidet, sich auf unehrliche Weise bereichern,
so muss er sich einem ring oder einer boodling combine
anschliessen und sich allen Diktaten der Führer solcher
Verbindungen ruhig fügen. Der Ausdruck ring ist auf
Charles Ring, dem einflussreichen Politiker und Alder-
— 69 —
man Newyorks, der vor fünfzig Jahren am Broadway
eine Apotheke besass, zurückzuführen. Für die Bezeich-
nung combine ist sein späterer Kollege Duffy verant-
wortlich, der einer Newyorker Gesellschaft auf betrüge-
rische Weise die Erlaubnis verschaffte, auf dem Broadway
eine Strassenbahn zu bauen.
Die von professionellen Politikern erschwindelte Beute
heisst boodle. Dieses Wort ist englischen Ursprungs. Vor
hundert Jahren bestand in London ein Klub, dessen Mit-
glieder, meistens Lebemänner, ihre Zeit hauptsächlich
mit Hazardspielen zubrachten; den höchsten Gewinn
nannten sie boodle. Ihr Klubhaus besteht noch und be-
findet sich an der St. Jamesstrasse, dient aber jetzt an-
deren Zwecken.
Will man in Deutschland einem ungezogenen Kna-
ben eine traurige Zukunft in Aussicht stellen , so sagt
man, er müsse noch einmal Strassensteine klopfen. Eine
solche Beschäftigung gibt es nun nicht in Amerika, auch
hätte sie nach hiesigen Begriffen durchaus nichts Ent-
ehrendes ; man prophezeit den Taugenichtsen oder hood-
lums also, sie würden einmal in den Stiefeln sterben,
d. h. einen gewaltsamen Tod erleiden. Der Ausdruck
hoodlum stammt aus Kalifornien und wird hauptsächlich
in den Weststaaten der Union gebraucht; anderswo sagt
man dafür Strassenaraber und versteht darunter einen
heimatlosen Knaben, der seinen Lebensunterhalt durch
Stiefelwichsen und Zeitungsverkaufen verdient und sich
je nach seinen geistigen Anlagen mit der Zeit entweder
zum Verbrecher, Politiker, Zeitungsschreiber, Schnaps-
reisenden oder Methodistenprediger ausbildet.
Li Frankreich pflegt man den ungehorsamen Jungen
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— 70 —
zu sagen: wer der Mutter nicht folgt, muss dem Kalb-
fell folgen, d. h. er muss Soldat werden. Dies Sprich-
wort passt auch auf Amerika, wo sich nur solche Jüng-
linge dem verachteten Soldatenhandwerke widmen, die
zu keinem ehrlichen Geschäfte tauglich sind.
Die amerikanischen Soldaten haben ebenfalls ihren
Slang. Alle essbaren Dinge nennen sie, wie auch die
Newyorker Spitzbuben, punk, was eigentlich faules Holz
bedeutet. Hardtack, das steinharte, als Brot dienende
Gebäck, heissen sie angePs food. Hat ein Soldat zu
viel getrunken, so ist er shot. Der während des kuba-
nischen Krieges erschossene Soldat war mausered, d. h.
mit einem Mausergewehre getötet. Rookies sind Rekru-
ten; der Proviantmeister heisst grub boss und der Zelt-
genosse bunkie. Letztgenanntes Wort entstammt dem
schwedischen bunke, worunter man eine Bank versteht,
die nachts als Lager dient. Die Matrosen gebrauchen
dieses Wort für kqje. Statt rations sagen die ameri-
kanischen Soldaten einfach rats. Einen höheren Offizier
nennen sie bull. Wenn ein Soldat einem Zivilisten sagt:
„My bunkie was baked by a bull for jumpin' a gump".
so meint er, dass sein Zeltkamerad wegen Hühnerdieb-
stahls eingesteckt wurde.
Von demjenigen Amerikaner, der die grössten Hin-
dernisse mit Leichtigkeit beseitigt, sagt man, he knocks
the Spots out of everything. Diese Redensart wurde ur-
sprünglich von den Kuhhirten (cowboys) des Westens
gebraucht, die ihre Fertigkeit in der Handhabung eines
Gewehres dadurch bekundeten, dass sie irgend ein be-
stimmtes Zeichen einer Spielkarte, die jemand zwischen
Daumen und Zeigefinger hielt, mit einer Kugel durch-
— 71 —
löcherten.
Droht ein Lümmel jemand, ihn windelweich zu
schlagen, so sagt er: „TU knock the shit out of him!"
Prügeln sich zwei Raufbolde und der Besiegte bittet um
gutes Wetter, so heisst es, he throws up the sponge.
Diese Redensart hat folgenden Ursprung : wenn der Se-
kundant eines Faustkämpfers merkt, dass sein Schütz-
ling unfähig ist, weiter zu boxen, so wirft er den Schwamm,
mit dem er ihm das Gesicht abgewaschen, in die Luft
und deutet damit an, dass der Kampf zu Ende ist.
Blamiert sich ein Amerikaner bei irgend einer Ge-
legenheit und will nicht haben, dass sein dummes oder
gemeines Benehmen zum Gesprächsthema der männlichen
und weiblichen Klatschbasen werde, so sagt er zu den
Anwesenden : „Let us saw wood and say nothing".
Sticht er jemand beim Spiele oder bei einer sonstigen
Unterhaltung aus, so heisst es von ihm, he took the cake.
Diese Redensart lässt sich bis in das griechische Alter-
tum verfolgen. So erzählt Athenäus (Deipnosophi-
stae, Buch 14, Kap. 56) von einem Kuchen, den Leute,
die bei bestimmten Festlichkeiten am längsten in der
Nacht wach blieben, als Preis erhielten.
Der Amerikaner will unter jeder Bedingung Geld,
viel Geld verdienen, ob nun auf ehrliche oder unehrli-
che Weise (by hook and crook) verursacht ihm keine
Gewissensbisse. Die hier eingeklammerte Redensart ent-
stammt Altengland und bezieht sich auf das frühere
Recht der Bauern , sich so viel dürres Holz zu holen,
als sie von den Bäumen der Landeigentümer mit einem
Haken herabziehen konnten.
Der Ausdruck crank für einen verrückten Menschen,
— 72 —
kam in Amerika durch den Präsidentenmörder Guiteau,
der sich im Verhöre so nannte, allgemein in Gebrauch.
In Derbyshire versteht man darunter einen Mann, der
ein Steckenpferd reitet und sich überhaupt auch sonst
durch sein Auftreten von seinen Mitmenschen unter-
scheidet.
Der Amerikaner redet gerne und hört auch anderen
geduldig zu, selbst wenn sie das dümmste Zeug sprechen.
Den-^Blechschwätzer nennt er blatherskite ; dies ist ein
schottisches Dialektwort, dessen erste Hälfte sprechen
und dessen zweite Taugenichts bedeutet. Fade und ge-
haltlose politische Rednerei heisst buncombe , aus fol-
gendem Grunde nämlich : Ein aus Nordkarolina stam-
mendes Mitglied des amerikanischen Kongresses, welches
die Grafschaft Buncombe repräsentierte, sprach jedesmal
so albernes Zeug, dass seine Kollegen sich schon nach
dem ersten Satze entfernten. Dies genierte nun jenen
Staatsmann nicht im mindesten , da er , wie er sagte,
nu:^ ' : den Bürgern von Buncombe spreche. Er meinte
nämüch damit, dass er später seine im „ Congressional
Record" abgedruckten Reden seinen Freunden in der
genannten Grafschaft schicken werde.
Woher die Bezeichnung sheeny für Jude stammt,
kann nicht mit Bestimmtheit angegeben werden. Nach
einigen Forschern soll es vom hebräischen shenir (hell-
glänzend) abgeleitet sein und auf die Vorliebe der Ju-
den für hellfarbige Kleider Bezug haben; nach anderen
soll es von dem im Mittelalter viel gebrauchten Aus-
druck meseh meshineh, womit die Juden ihre Verfolger
zu bezeichnen pflegten, stammen. Auch die Ableitung
vom französischen chien hat ihre Verteidiger gefunden.
— 73 —
— To jew heisst um den Preis feilschen ; dies wird auch
durch to chap (von cheap, billig) ausgedrückt. — Ein
Sinken der Preise heisst in New- York a slump in prices.
— Hat der westliche Viehhändler kein Geld, so seufzt
er: „Thee grass is short". — Derjenige, dem es nach
Wunsch geht, sagt : Everything is lovely and the goose
hangs high". Diese Phrase stammt aus Delaware. Wenn
dort der heisse Sommer eintritt, fliegen die Wildpänse
nach^Norden; bei regnerischem Wetter erheben sie sich
nur wenige Fuss über dem Boden, bei klarem Himmel
aber steigen sie in die Höhe und schreien dabei bestän-
dig honk. Jene Redensart hiess also ursprünglich:
„Everything is lovely and the goose honks high. Das
betreffende Zeitwort hat übrigens erst in der neuesten
Auflage von Websters Wörterbuch Aufnahme gefunden.
Die Redensarten to puncture my tire (einem den
Wind aus den Segeln nehmen) und to put a spoke in
my wheel (einem ein Bein stellen) wurden ursprünglich
von ZweiraSfahrern gebraucht. Auf das Zweirad
ziehen sich auch folgende Sprichwörter: Mit einem Rad
kommt man überall hin, nur nicht auf einen Baum. Ein
Tropfen Oel spart eine Gallone Schweiss.
Zum Schlüsse einige amerikanische Fuhrmanns-
sprüche: Wagenschmiere vermindert die Kosten für
Pferdefutter. Lärmende Fuhrleute sind wie rasselnde
Wagen — leer. Fünf Cents für Futter ausgegeben ist
besser als einen Dollar für eine Peitsche. Je grösser
die Peitsche, desto schlechter der Fuhrmann. Es gibt
mehr schlechte Fuhrleute als störrische Pferde.
K n o r t z , Zur amerikan. Volkskunde.
Verlag der H. Laupp'schen Buclihandlting in Tübingen.
Die amerikanische Volksschule.
Von
Karl Enortz,
Eyansrille. Indiana.
8. 1904. M. —.60.
Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen,
Amerikanisches
Gefängnis- und Strafenwesen.
Von
Dr. Oscar Hintrager.
8. 1900. M. 1.50.
Sie äSerfaffung
für bie
SSeteittigtett <Biaattn i>on %mttifa.
Ucbcrfc^t unb furj crfldrt
maibett ttentnetr^
8. 1901. m, 3.—. ©ebuttbcn 9^. 4— .
Englisches Staatsrecht
mit Berücksichtigung
der für Schottland und Irland geltenden Sonderheiten
von .
Dr. Julins Hatschek^
a. o. Professor an der Universität Heidelberg.
I. Band: Die Verfassung.
(Handbuch des Oeffentlichen Rechts, IV. IL 4. L)
Lex. 8. 1905. M. 18.—. Gebunden M. 19.50.
Der zweite Band (Die Verwaltung) befindet sich in Vorbereitung.
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