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/7/
Zur Vertheidigung
der
geschichtlichen Wahrheit
und
zur Abwehr
der Angriffe des Herrn Archivars Piek.
Von
C. RHOEN.
Mit einer Tafel.
V
•
Aachen 1896.
La Ruelle'sche Accidenzdruckerei (Inh.: Jos. I
•'
*!
i
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'CWfdt^
Hioot
Vorwort,
Der hiesige Archivar^ Herr Bichard Pick; hat vor kurzem unter
dem Titel „Aus Aachen's Vergangenheit ** einen Band Miszellen aus der
aachener Geschichte herausgegehen. Von diesen Mittheilungen ist bereits
in frühern Jahren ein grosser Theil in öffentlichen Blättern erschienen,
sodass ihre Wiederherausgabe nicht den Reiz der Neuheit bietet.
Unter den von Pick gebrachten Aufsätzen befinden sich mehrere,
welche Aufstellungen enthalten, deren Unrichtigkeiten geeignet sind,
die Baugeschichte der Stadt in Verwirrung zu bringen. Auch nach-
gewiesen unrichtige ältere Annahmen werden in diesem Buche als zu
Recht bestehend dargestellt.
Pick scheint die besondere Absicht zu haben, sich mit anderweitigen
lokalen Forschungen in Widerspruch zu setzen. So hat er es auch
auf die in meinen Schriften gebrachten architektonisch-topographischen
Forschungen abgesehen, die er, wo es ihm angängig erscheint, als
unrichtig darzustellen und herabzuwürdigen sucht. — Ich bin daher
genöthigt, theils in eigenem Interesse, theils zur Verhütung unrichtiger
Vorstellungen, diesen Aufstellungen Pick's entgegen zu treten und auf
die in ihnen enthaltenen Unrichtigkeiten aufmerksam zu machen,
damit nicht, wie es leider auch in frühern Zeiten in Aachen geschehen
ist, solche unrichtige Angaben sich in den Darstellungen der Geschichte
der Stadt festsetzen und einen nachtheiligen Einfluss ausüben. Wer die
Geschichte der Städte kennt, weiss, wie sehr der Bürger der Geschichte
seiner Vaterstadt anhängt, und wie schwer selbe, wenn sie falsch dargestellt
worden ist, berichtigt werden kann. Damit solche Unrichtigkeiten
nicht weiter verbreitet werden, habe ich die in dem Werke Pick's
vorkommenden Fehler hervorgehoben und dabei nachgewiesen, dass der
Verfasser nicht als Autorität in baulich-archäologischen Dingen gelten
kann, und dass ihm ein bestimmendes Urtheil über sie nicht zuge-
muthet werden darf.
Da ich von Pick in seinem Buche mehrfach persönlich angegriffen
worden bin, so bitte ich den verehrten Leser, die im Nachfolgenden
von mir angewandte Schreibweise freundlichst entschuldigen zu wollen.
Aachen, im Juli 1896.
Der Verfasser.
t
In der Schrift Pick's „Ans Aachens Vergangenheit*' sind besonders
drei Aufsätze, in welchen ihr Verfasser mit der topographischen und
architektonischen Archäologie der Stadt Aachen sich befasst, und die,
wegen der darin enthaltenen unrichtigen Aufstellungen, einer Beleuchtung
bedürfen. Es soll jedoch nicht gesagt sein, dass auch in weitern Auf-
sätzen des Pick'schen Buches solche Aufstellungen nicht enthalten seien,
doch kann ich es mir für jetzt nicht gestatten auch diese zu beleuchten,
weil die vorliegenden Blätter den ihnen gestellten Rahmen schon
bedeutend überschritten haben. Ich werde mich daher in Folgendem
nur mit den oben gedachten drei Aufsätzen befassen, und die weiteren
für spätere Zeit reserviren. Die drei Aufsätze sind überschrieben :
1) Aachens Befestigung im Mittelalter,
2) das Grashaus zu Aachen, und
3) das Eathhaus zu Aachen.
Ich beginne mit dem Aufsatze auf Seite 113:
Aachens Befestigung im Mittelalter.
Die Annales aquenses berichten uns, dass im Jahre 1172 Kaiser
Friedrich I. den Aachenern den Eid abnahm, ihre Stadt innerhalb eines
Zeitraums von vier Jahren mit Mauern und Befestigungswerken zu
versehen. Es hat bisher Niemand bezweifelt, dass die Befestigung,
welche die Bürger in Folge dieses Schwures errichteten, die erste
gewesen sei, welche die Stadt erhielt. Nur Archivar Pick bestreitet
dies und stützt sich hierfür auf eine zu Gunsten der Abtei Stablo vom
Kaiser Lothar III. im Jahre 1137 in dem Städtchen Urbino in Italien
ausgestellte Urkunde. In dieser Urkunde ist die Eede von einer Schenkung
einer Reihe Häuser, welche von dem Hause des Bischofs von Cambrai
ab bis zur Stelle des Grabens, wo man zur Harduinsbrücke gehe (usque
ad fossatum in ea parte qua itur ad pontem Harduini), sich befanden.
Diese Beschreibung bezeichnet Pick selbst in den Mittheilungen des Vereins
für Kunde der Aachener Vorzeit, I. Jahrg. S. 9, als nicht ganz klar.
Auf das Vorkommen des Wortes „fossatum" gründet nun Pick seine
Behauptung, dass Aachen vor 1172 bereits eine Befestigung auf-
gewiesen habe.
Dieselbe Behauptung brachte Pick auch mündlich in der Monats-
versammlung des Aachener Geschichts- Vereins vom 21. Juni 1888 vor.
In einer kleinen Schrift „Zur Aachener Befestigungsfrage" habe ich die-
selbe widerlegt, doch ist diese Widerlegung bisher von Pick ignorirt
worden, wohl weil er sie nicht zu entkräften vermag.
1) Aquenses ab imperatore commoniti, iuraverunt in quatuor annis muro et
moenibus civitatem munire; et munitus est mens Berenstein.
2
Es kann doch nicht mehr bestritten werden, dass die Römer den
Paubach von seinem ursprünglichen Lauf ableiteten, um das Wasser
desselben für die Therme, welche sich an der Stelle des jetzigen Münsters
befand, zu benutzen.^) Ein bedeutender Rest des hierzu eigens angelegten
Kanals, welcher das Wasser der Therme zuführte, wurde im Jahre 1879
auf dem Domhof gefunden. Das gebrauchte Wasser, welches von der
Therme abfloss, wurde durch die heutige Ursulinerstrasse abgeleitet,^) während
dem überschüssigen, zur Benutzung von der zur Römerzeit bereits
bestehenden Ansiedlung, seinen Lauf durch die jetzige Kleinmarschier-
strasse gegeben wurde. Es wird dies durch die Ueberbleibsel eines weitern
Kanals von demselben Querschnitt, wie der auf dem Domhofe aufgefundene,
welcher sich in dem abwärts der Therme gelegenen Hause Schmiedstrasse
Nr. 4 befindet, bewiesen. Diese beiden Kanalstücke, jetzt noch in
Gebrauch befindlich, sind unbestreitbar römisch.
Das durch die Kleinmarschierstrasse laufende Wasser floss bis zum
Ende dieser Strasse bis zu der Stelle, wo früher das Marschiermittelthor
stand. Hier bog es in seinem Laufe fast rechtwinkelig nach Osten
um, bis zum spätem mittlem Adalbertsthor, und lief von da ab der
Adalbertstrasse entlang, bis in das alte Bett der Pau. Denselben Lauf
weist der Paubach noch bis zum heutigen Tage auf. 3)
An der Stelle, wo die jetzige Hartmannstrasse auf den heutigen
Friedrich- Wilhelmplatz ausmündet, war von den Römern über den Bach eine
Brücke, die spätere Harduinsbrücke, angelegt worden, von welcher in der
angezogenen Urkunde die Rede ist. Die römische Herkunft dieser
Brücke wurde dadurch nachgewiesen, dass bei der jüngst ausgeführten
Kanalisation der Hartmannstrasse noch Steine und Mörtel derselben zu
Tage gebracht wurden. Diese Brücke war von den Römern über den
Bach gelegt worden, um von der Niederlassung aus, welche sich bei den
hiesigen Bädern befand, den Verkehr mit den südöstlich gelegenen
Villen, welche in der Wirichsbongard- und Römerstrasse nachgewiesen
sind, zu vermitteln.
Durch den Ausdruck „fossatum", welcher im mittelalterlichen
Latein einen Festungsgraben bedeutet, während ein sonstiger Graben „fossa'^
heisst, will Pick den Bach als einen Befestigungsgraben darstellen, und
schliesst daraus, dass sich im Anfang des 12. Jahrhunderts auch ein
solcher Graben um die ganze Stadt befunden habe. Aus der Silbe
„tum" will Pick also eine ganze Stadtbefestigung schaffen, jedoch liegt
diese luftige Befestigung im Widerspruch mit der Geschichte und der
Topographie der Stadt. Diese geben nicht den mindesten Anhaltspunkt
dafür, dass vor 1172, als Friedrich I. sich von den Aachenern die
Befestigung der Stadt versprechen Hess, eine frühere Befestigung mit
Wall und Graben*) vorhanden gewesen wäre. Hätte eine solche be-
standen, so würden jedenfalls die Annalen derer erwähnt und von einer
Verstärkung oder Vergrösserung derselben gesprochen haben. Aber auch
bei allen Aufgrabungen und Abtragungen sowie bei der grossen Anzahl
von Neubauten, welche an so vielen Stellen der Stadt in den letzten
^) Rhoen, Die röni. Thermen zu Aachen, S. 42 f.
3) Ebendas. S. 41.
3) Rhoen, Zur Aachener Befestigungsfrage, S. 7.
*) Mittheil. I Jahrg., S. 100.
vierzig Jahren ausgeführt worden sind, hat sich niemals eine Spur einer
Befestigung, die von einer frühern als der zu Ende des 12. Jahrhunderts
begonnenen herrühren konnte, aufgefunden.
Die Urkunde vom Jahre 1137, worauf Pick seine Aufstellung stützt,
ist nicht deutlich. Sie sagt, dass die Häuser bis zum Graben (fossatum)
gegangen wären, das ist doch offenbar unrichtig, da stadtwärts des
Grabens der Erdwall lag, auf dem doch keine Häuser stehen konnten.
Dieser einzige Umstand ist ja Beweis genug dafür, dass der Schreiber
der Urkunde mit den lokalen Verhältnissen nicht bekannt war, da in
einer regelrechten Urkunde dieser Wall hätte genannt werden müssen,
weil die Häuser doch zuerst daran anstiessen. Es kann jedoch solches
nicht auffallen, da die Urkunde etwa 200 Stunden von Aachen entfernt
angefertigt wurde, wahrscheinlich von einem Schreiber, der weder mit
den aachener Verhältnissen noch mit dem Befestigungswesen vertraut
war. Die Bezeichnung „Brücke*^ beweist ebenfalls, dass Aachen noch
keine Befestigung hatte, denn sonst hätte die Brücke durch ein Thor
vertheidigt werden müssen, da eine Brücke ohne Befestigung durch
ein Thor ja doch nur einen offenen Weg zur Stadt hinein bedeutet
haben würde. War aber ein Thor vorhanden, so würde es nicht geheissen
haben „Harduinsbrücke**, sondern, wie es auch später der Fall war,
„Harduinsthor*^. Führten doch alle Stadtthore über Brücken die über
den Graben geschlagen waren, und doch heisst es nirgend etwa Jacobs-
brücke oder Kölnbrücke, sondern immer Jacobsthor und Kölnthor sowie
auch hier Harduinsthor. Wir sehen daher, dass wir es hier nicht mit
einer Befestigung sondern mit einer einfachen Brücke über einen kleinen
Bach zu thun haben, und dass dieser kleine Bach kein Befestigungs-
graben war sondern nur einfach das überflüssige Wasser der römischen
Therme fortleitete.
Pick lässt sich aber nicht davon abbringen, dass das Wort „fossatum**'
hier, trotz allen Gegenbeweises, einen Befestigungsgraben bedeute.
Damit seine Aufstellung in den Augen seiner Leser an Wahrscheinlich-
keit gewinne, bringt er S. 122 eine Anzahl Urkunden zum Beweis.
Unter den sämmtlichen von ihm gebrachten Urkunden ist jedoch keine
einzige, die wirklich für seine Behauptung spricht. Die von ihm an-
geführte vom Jahre 1218, welche von einem Garten vor dem Marschier*
mittelthor spricht, datirt schon so spät, dass um diese Zeit, in Folge
der Verpflichtung, welche die Aachener dem Kaiser Friedrich I. gegen-
über eingegangen waren, die Gräben an dieser Stelle schon über
40 Jahre fertig sein mussten. Es konnte daher gewiss schon um 1218
ein Garten an dem Stadtgraben liegen. Dasselbe gilt auch von dem
Hause, welches 1292 an dem Stadtgraben zwischen Marschier- und
Scherpthor lag, da diese Urkunde 44 Jahre nach der Belagerung der
Stadt durch Wilhelm von Holland (1248) datirt. Dann bringt er
Urkunden aus den Jahren 1318 und 1326, also aus der Zeit, in welcher
die zweite Umwallung der Stadt schon ein Vierteljahrhundert in Aus-
fuhrung begriffen war. Aber eine Urkunde von vor 1172, wodurch er
seine Aufstellung beweisen könnte, bringt er nicht, weil sie eben nicht
existirt. Dann sagt er:
„Man wird kaum fehlgehen, wenn man in all diesen Gräben,
oder doch in der Mehrzahl von ihnen, Theile des 1137 bei der
Harduinsbrücke erwähnten Grabens erblickt^.
Man ist erstannt über die Zamnibung, welche Pick seinen Lesern
macht; alle diese Unwahrscheinlichkeiten and Unrichtigkeiten als richtig
anzunehmen ! Erst bei der Anlage der ersten Befestigung der Stadt^
nach 1172, wurden die Gräben, welche er anführt, angelegt, und auch
das bisherige Bett der Pau zu einem regelrechten Stadtgraben erweitert,
wodurch er erst zu einem „fossatum*' im Sinne der Terminologie der
mittelalterlichen Befestigungen wurde. — Es ist daher einleuchtend, dass
alle Aufstellungen, Deutungen und Schlüsse, welche er auf Grund seiner
Angaben macht, hinfällig sind, und einer weitern Widerlegung nicht
bedürfen.
Nachdem Pick S. 122 sich noch bemüht, seine Aufstellungen als
„selbstverständlich^! darzustellen und sich noch einige Deutungen ge-
stattet, springt er (S. 128) auf den in den „Annales aquenses*" zum Jahr
1172 erwähnten mons Berenstein über. Hier deutet er an, dass diese
Feste nach Meyer „kurz vor der Stadt, nächst dem jetzigen St. Jacobs-
und Junkersthor** gelegen habe und fügt hinzu:
„eine Angabe, die man freilich in neuester Zeit mehrfach
bestritten hat, ohne indessen eine glaubhaftere an ihre Stelle
zu setzen*'.
Es zeigt diese Bemerkung Pick's, dass er sich hierüber nicht aus-
kennt, da er S. 149 von dem zwischen Jacobs- und Jankersthor
befindlichen Zwinger spricht, wie ich ihn in den Befestigungen der
Stadt Aachen S. 107 f£. nachgewiesen habe. Man muss hier annehmen,
dass entweder Pick sich nicht klar ist über das, was er sagt, oder dass
er aufgehellte Thatsachen wieder verdunkeln will. Ich habe*) nach-
gewiesen, dass, entgegen Meyer und Pick, der Berenstein weder an dieser
Stelle noch sonst in der nächsten Nähe von Aachen gestanden haben kann.
Er wird auch ferner weder in den Annalen noch in den Stadt-Rechnungen
des 14. Jahrhunderts, noch von den älteren Geschichtschreibern Aachens
erwähnt, und Meyer, dem Pick beipflichtet, ist der erste, der ihn
wieder ausgräbt.
Doch kommen wir wieder auf Pick's Befestigung der Stadt vor
1172 zurück. Er ist der erste, welcher sie gefunden haben will, und
bemüht sich daher sehr, sie nachzuweisen. Er vermuthet (S. 124),
dass es:
„neben dem Wall und Graben nicht an ergänzenden, mehr
oder minder vollkommenen Vertheidigungs- und Schutzvor-
richtungen gefehlt habe, zumal wenn man die Wichtigkeit
des wehrbedürftigen Orts in Betracht zieht, nicht völlig un-
begründet erscheinen. Man könnte an einen Plankenzaun oder
ein anderes Bauwerk denken, wofür das Material in der wald-
reichen aachener Gegend stets leicht zu beschaffen war. Viel-
leicht standen aber auch mit der frühesten Befestigung die
viereckigen, 4 m tiefen Eichenpfählungen von 2— 4 m Durch-
messer in Verbindung, welche man in jüngster Zeit an verschiedenen
Stellen der Altstadt bei Erdarbeiten aufgedeckt hat.**
1) Rhoen, die ältere Topographie der freien Reichsstadt Aachen, Anlage III,
S. 117. In dieser Schrift sind die topographischen und geschichtlichen Verhältnisse
des Berenstein in einer Weise beleuchtet, dass sie mit Erfolg nicht angegriffen
werden können.
Von diesen ^^EiclieupfähluDgen^^ warden 13 auf dem Terrain des
ehemaligen St. Stephanshofes aufgefunden^ wo^ der Lage der alten
Gebäolichkeiten entsprechend^ 3 der Heppiongasse und 1 1 der Hartmann-
strasse entlang angelegt waren.') Diese „Eichenpfählungen", wie Pick
sie nennt, waren Erdgruben, deren Wandungen durch schlechte Bretter
und Absteifungen gegen den Erddruck gesichert waren. Sie bildeten
ursprünglich — horribile dictu — Latrinen und waren bei ihrer Auf-
findung noch gefällt mit Abgängen von Menschen und der Küche,
Knochen, Thonscherben und altem Eisen, kurz allem, was in einer
Haushaltung als Abgang zählt. Besonders fanden sich Unmassen vpn
Kirschenkernen darin vor. Derartige Anlagen sind vielfach in Aachen
gefunden worden. Diese „Eichenpfählungen", worunter Pick die ge-
dachten Bretter zu verstehen scheint, bestanden jedoch nicht allein
aus Eichenholz, sondern es waren auch andere Holzarten, wie Tannen-
und Buchenholz, dazu verwendet, sogar alte Fassdauben fanden darunter
ihren Platz. Die Ausführung dieser Gruben war derart, dass sie jeder
auch nur wenig geübte Arbeiter anlegen konnte. Wie sich aus dem
Befund des Holzes ergab, ging keine dieser Gruben auf früher als etwa 1450
zurück. — Es wäre interessant, von Pick zu erfahren, in welcher Weise
er diese „Eichenpfählungen" mit der ersten Befestigung in Verbindung
bringen will.
Was nun den Plankenzaun betrifft, womit die Stadt beschützt
worden sein soll, so ist denn doch unmöglich ernstlich anzunehmen, dass
durch ein solches Schutzmittel eine Stadt befestigt werden könnte. Ein
solches würde nicht mehr genutzt haben als eine Spalierhecke um eine W^iese.
Wie rasch und leicht können nicht aus einem Plankenzaun einige Bretter
losgelöst werden und dann wäre die Stadt dem Feinde überliefert
gewesen. — Pick bekundet wenig Verständniss für fortifikatorische
Verhältnisse. Dieses zeigt sich auch in der Bemerkung (S. 125):
„Bei der Wichtigkeit der vorliegenden Frage muss es
immerhin auffallend erscheinen, dass dieselbe seither von Niemand
einer Untersuchung gewürdigt worden ist".
Aber wer würde eine Sache untersuchen wollen, welche die gesunde
Vernunft als nicht vorhanden gewesen erklären muss ? Jeder geistig normal
angelegte Mensch wird sofort einsehen, dass eine solche immerhin theure,
aber nichts nutzende Befestigungsanlage eine Thorheit wäre, und sie
daher niemals bestanden haben kann. Deshalb findet auch Pick, wie er
(S. 226) sagt, in den Urkunden des 9. — 12. Jahrhunderts betreffs der
Bestimmung des Alters dieser imaginären Befestigung keine Handhabe.
Diese letzte Bemerkung Pick's dürfte wohl die glaubwürdigste aller sein,
welche er über diese Sache gemacht hat.
Somit würde die von Pick zuerst entdeckte Befestigung der Stadt
mit einem Plankenzaun und dessen Vertheidigung vermittelst der „Eichen-
pfählungen" ihre Klärung gefunden haben. Hiermit fällt aber auch der
ganze Hypothesenbau Pick's über seine erste Befestigung zusammen.
In der Monatsversammlung des Aachener Geschichtsvereins vom
21. Juni 1888 warf Pick die Frage auf,
1) Aus Aach. Vorz. Skizze zu S. 95.
„ob die Benennung ^Pontstrasse^, trotz der vielfach geltend
gemachten abweichenden Ansichten^ nicht dennoch auf eine
Brücke (pons) zurückgeführt werden müsse, die in ältester Zeit
an der „porta Punt* (Pontmittelthor), gleich der Harduinsbrücke
am Hartmannsthor, über den Befestigungsgraben geführt habe ?^*).
Es wurde ihm hierauf erwidert, dass diese Strasse wohl eher von der
Brücke über den sog. Johannisbach, dessen Lage noch jetzt „auf Pont-
brück*^ genannt wird, den Namen herleite, da diese Brücke doch eher
bestehen musste als das Pontmittelthor. Nun kommt Pick (S. 127)
wieder auf diese Frage zurück und sagt:
„Hierbei (es ist vom Lauf des ältesten Ringgrabens die
Rede) würde denn auch die Frage einer erneuten Prüfung
zu unterwerfen sein, ob die Benennung Pontstrasse, trotz der
mehrfach geltend gemachten abweichenden Ansichten, nicht
dennoch von einem Brückenwerk (pontes oder ad pontem)
hergeleitet werden müsse, das in römischer (?) Zeit an der vor-
mals allgemein und noch heute im Volksmund „Pontbrück*'
genannten tiefsten Stelle der Strasse über die einst hier sich
ausdehnende sumpfige Niederung (?) geführt habe*^.
Also hier behauptet Pick, was er früher bestritten, und bestreitet,
was er früher behauptet hat!!
Im 2. Cap. seines Aufsatzes bespricht Pick den ersten Mauerbau.
Er sagt darüber (auf S. 133):
„Vor allem drängen sich hier zwei Fragen auf: erstens
haben die Aachener ihr dem Kaiser gegebenes Wort binnen
der versprochenen Frist (von 4 Jahren) eingelöst, dann, wenn
dies der Fall, mit welchen Mitteln brachten sie es zu Stande?"
Auf die erste Frage muss mit einem entschiedenen Nein geantwortet
werden. Zur Begründung dieser Verneinung weise ich hin auf die Kalku-
lation der Arbeiten, welche bei dieser Befestigungsanlage erforderlich waren,
wie ich sie auch in der „Befestigungsfrage" S. 117 ff. gebracht habe.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle in das Detail dieser Berechnung
einzugehen, doch dürfte es jedem Bauverständigen leicht sein, sich von
der Richtigkeit derselben zu überzeugen.
Nimmt man an, dass Aachen damals 10,000 Einwohner gezählt
habe, die aus etwa 2000 Familien ä 5 Personen bestanden, setzt man
eine übertriebene Leistungsfähigkeit voraus, wobei der zehnte Einwohner,
also die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung, während 4 Jahren an
der Befestigung, in Berücksichtigung der Feiertage, des Winters und
der Tage, an welchen des Wetters wegen nicht gearbeitet werden
konnte, jährlich 200 Tage gearbeitet haben, so würde die Summe der
sämmtlichen Arbeitstage sich auf rund 800,000 beziffern. Die Berechnung
der Arbeiten der Gräber, Maurer und Steinhauer, welche an der be-
treffenden Befestigung auszuführen gewesen sind, ergab bei dieser Kal-
kulation für die drei Arbeiterkategorien schon die Summe von über
800,000 Tagen; nun bleiben noch die Arbeiten der Zimmerleute, Dach-
decker, Schmiede u. s. w., als über die Summe von 800,000 Tagen
1) Verg-1. „Zur Aachener Befestig-ung-sfrag-e", S. 20.
hinausgehend^ übrig. Dann mussten auch die Befestignngswerke mit
Bleiden, Nothställen, Armbrnsten und anderen Einrichtungen versehen
werden, ohne welche eine Befestigung werthlos war. Auch die hierzu
nöthigen Arbeitstage sind in diese Berechnung nicht hineingezogen
worden.
Wenn auch Pick (S. 135) meint, dass diese Kalkulation nicht zu
einem ernstlichen Beweise herangezogen werden könne, so ist diese
dennoch das einzig richtige Mittel zu einem solchen Beweise, und kann
ausserdem von jedem Bauverständigen kontroUirt werden. Diese Meinung
Pick's ist daher, da er in Bausachen unerfahren ist, von keinem
Belang.
Aus der obigen Kalkulation geht hervor, dass die Aachener ihren
Schwur nicht gehalten haben, weil sie ihn nicht halten konnten. Wenn
Pick auch (S. 133) sagt, dass es sich nicht annehmen lasse, dass
Friedrich I. sich von den Aachenern etwas habe eidlich zusichern
lassen, von dessen Unmöglichkeit beide Theile im Voraus überzeugt sein
konnten, so ist dies unnützes Gerede. Die Aachener haben einfach dem
Drängen des Kaisers nachgegeben. Dass sie ihr Versprechen nicht ge-
halten haben, weil sie es nicht halten konnten, ist durch die obige Kalku-
lation und die Geschichte nachgewiesen.
Zur Lösung der zweiten (auf S. 133) gestellten Frage, mit welchen
Mitteln sie innerhalb 4 Jahren die Befestigung zu Stande gebracht hätten,
sagt uns Pick (S. 144), dass dieselbe „auf Vermuthungen beschränkt
bleibe". Er ergeht sich daher in Worten, wie: „muss man annehmen*',
„vielleicht^, „war dies nicht, so war das", „wahrscheinlich" u. s. w.
Wenn die Aachener ihre Mauern damit hätten bauen sollen, so wären
sie jetzt noch nicht fertig. Aber sie haben kräftig, so gut sie konnten,
selbst mit eingegriffen, und trotzdem ihre Befestigung innerhalb 4 Jahren
nicht fertig gebracht, was, wie wir gesehen haben, eine Unmöglich-
keit war.
Ich will hier nicht näher auf die Belagerung im Jahre 1198 ein-
gehen, welche, trotzdem Philipp von Schwaben noch 300 Ritter in die
Stadt geworfen hatte, nur 3 Wochen dauerte, und deren kurze
Dauer nur der Unvollständigkeit der Befestigung zugeschrieben werden
kann, sondern auf die Belagerung durch Wilhelm von Holland hinweisen,
wo nach zeitgenössischen Geschichtschreibern an der Südseite der Stadt
die Mauern noch nicht vollendet und dieselbe an dieser Stelle haupt-
sächlich durch die Gräben vertheidigt war.
Diese Belagerung von Aachen vom Jahre 1248 ist eine der inter-
essantesten des Mittelalters. Sie ist am ausführlichsten durch Johann
Meerman in holländischer Sprache beschrieben worden, wobei er sich auf
eine bedeutende Anzahl meist zeitgenössischer, theils auch späterer, vor-
züglicher Geschichtschreiber stützt. Zu diesen Geschichtschreibern gehören
Hocsemius, Math. Parisius, Ubbo Emmius, Mencon, dann ferner die Erfurter
Chronik und auch später der ehemalige Stadtarchivar Meyer. Auf diesen
fussend sagt Meerman (Buch II, S. 269), dass die Mauern noch nicht
vollendet waren, was Quix') dadurch näher präcisirte, dass er als
unfertige Stelle der Stadt die Südseite angab. Meerman sagt, dass sie
1) Die Königl. Kapelle S. IG, Gesch. der Stadt Auchen n, S. 27.
8
dort einen tiefen Graben machten und mit Pallisaden schützten.^) Es
ist demnach, trotz des von Pick erwähnten ^fossatum", bis dahin an dieser
Stelle kein eigentlicher Graben vorhanden gewesen. — Doch Pick
bestreitet dies Alles. „Man sollte nicht annehmen, dass es möglich sei",
sagt er (S. 138). Er schiebt alles dem armen Meyer in die Schuhe
nnd sagt:
„So hätte man denn diese Fabel, znmal in Berücksichtigung
der geringen kritischen Begabung ihres Erfinders, getrost der
Vergessenheit überlassen können, wenn sie nicht jüngst von
Neuem wieder, auch diesmal ohne zuverlässige Quellenbezeichnung
für eine begründete Thatsache ausgegeben worden wäre".
Sind denn die Mittheilungen von einem halben Dutzend zeit-
genössischer, allgemein anerkannter Geschichtschreiber keine zuverlässige
Quelleubezeichnung ? Ich meine doch jedenfalls zuverlässiger als die Zusatz-
silbe „tum" in der Urkunde von 1137, auf welcher Pick seine ganze
„erste Befestigung" gründet. Die Unterwassersetzung Aachens ist auch
von den neuern Geschichtschreibern unserer Stadt berichtet worden. Ich
verweise auch auf meine Schrift: „Die Befestigungswerke der freien
Eeichsstadt Aachen", wo S. 39 die Dammanlage, wodurch die Unter-
wassersetzung der Stadt bewirkt wurde, näher dargelegt ist. Pick stützt
sich auf Heintae, als einzigen Partner, von dem er (S. 140, Anm. 1) sagt,
dass er die auf 40 Fuss „oder mehr" angegebene Höhe des Dammes „mit
Eecht^ bezweifele.^) Hier verneint Pick die Thatsache der Ueber-
schwemmung der Stadt, während er sie auf S. 149 zugiebt, wo er ein-
räumt, dass die Aachener gegen die künstlich herbeigeführte Ueber-
schwemmung wehrlos gewesen seien.
Auf S. 140 wirft Pick die Frage auf:
„Würden die Belagerer, statt eines der Thore zum Ziel-
punkte ihres Angriffes zu wählen, nicht vielmehr versucht
haben, an der mauerlosen Seite in die Stadt zu dringen"?
Dass dies nicht geschehen, beweist eben, dass die Stadt in
den mit Wasser gefüllten Graben einen bessern Schutz besass, als in
den Mauern. Pick scheint nicht zu erkennen, dass eben die Thore die
schwächsten Punkte einer belagerten Stadt waren. Es waren ja auch
die an der mauerlosen Seite zur Stadt führenden Strassen selbstredend
durch Thore vertheidigt, da ohne solche diese Punkte vertheidigungslos
gewesen wären. Wenn aber Pick (S. 142 — 143) annimmt, dass, wenn
1248 an der Südseite die Thorbauten fertig gewesen wären (was
durchaus unerwiesen ist), man dann erst recht annehmen dürfe, dass
auch die Mauern vollendet gewesen sein würden, so ist dies ein Irrthum,
1) Es ist unzweifelhaft die Stelle der Wallmauer gewesen, welche sich von
Marschiermittelthor bis Adalbertsmittelthor erstreckte, an welcher Stelle früher
sowie noch jetzt der Paubach lief und den Graben mit Wasser füllte. Und
das ist gerade die Seite der Stadt, an welcher Pick auch unter Zuhilfenahme
seiner Urkunden bis 1248 nicht alle Thore hat nachweisen können. Dass an den
Stellen, wo die Gräben trocken waren, die Mauern bereits bestanden, darf mit
Bestimmtheit angenommen werden, weil diese, als die am meisten gefährdeten
Stellen, zuerst befestigt werden mussten.
2) Wenn Pick zu irgend etwas Gesagtem die Worte „mit Recht" hinzufügt,
so kann man überzeugt sein, dass er eine schwache Sache, die zu seinen Gunsten
spricht, durchdrücken möchte.
welcher nur auf Unkenntniss der damaligen Befestigungsweise zurück-
zuführen ist, da er nicht ermessen kann, mit welchen Schwierigkeiten
beim Aufbau dieser am Wasser stehenden Mauern zu kämpfen war.
Nach einer langen und erfolglosen Belagerung sahen die Belagerer
sich genöthigt, zu einem Parforcemittel zu greifen; sie wollten nämlich,
wie oben bereits angedeutet worden ist, die Stadt unter Wasser setzen. ^)
Zu diesem Behufe wurde unterhalb der Stadt ein 40 Fuss hoher Damm,
welcher sich mit seinen Ausläufern von der Sandkauistrasse bis zur
Hochstrasse hinzog, aufgeworfen, welcher den Ablauf des Wassere der
Aachen durchlaufenden drei Bäche und der warmen Quellen am Ablaufen
verhinderte und es zwang, in die Stadt zurückzutreten. Das kann nun
Pick nicht begreifen und er fragt (S. 140):
„Würden die wasserbaukundigen Friesen auf den Gedanken
gerathen sein, das Wasser zur Herbeiführung einer Ueber-
schwemmung von der Ostseite her in die Stadt hineinzutreiben,
wenn es sofort wieder durch die Tiefe an der offenen Süd-
seite hätte abfliessen können?"
Er sieht nicht ein, dass das Wasser, sich durch den ausserhalb
der Stadt liegenden und dasselbe zurückhaltenden Damm rückwärts
aufstauend, eben durch die tiefsten Stellen zuerst in die Stadt
treten musste, und diese, soweit es möglich war, allmählich unter
Wasser setzte, und dass der letzte Rest des Wassers auch durch die
tiefsten Stellen wieder abfliessen musste. Da ein näheres Eingehen auf
die topographischen Verhältnisse der Stadt hier zu weit führen würde,
so verweise ich auf meine Schrift über die Befestigungen der Stadt
Aachen, wo S. 44 ff., sowie auf dem beigegebenen Plan, in welchem
die Anlage des Dammes sowie die unter Wasser gesetzten Theile der
Stadt, auf Grund der Höhenangaben der Capellmann'schen Karte von
Aachen eingetragen sind, und das Nähere über diese Belagerung
angegeben ist.
Auf S. 140 macht Pick noch einen verunglückten Versuch,
urkundlich nachzuweisen, dass an der Südseite bereits die Mauer bestanden
habe. So bringt er eine Urkunde, wonach im Jahre 1215 ein Haus in der
Burtscheider Strasse ausserhalb der Stadtmauer gelegen habe. Es
ist dies ganz richtig, denn da es in der äussern Burtscheider Strasse
lag, lag es ausserhalb der damaligen Mauern. Die Stadtmauern waren
damals von Marschiermittelthor ab aufwärts dem Scherpthor zu fertig,
und so hatte der ürkundenschreiber recht, das Haus als ausserhalb der
Mauern liegend zu bezeichnen. Dann bringt er eine Urkunde ohne Datum,
wonach ein Garten vor dem Burtscheider Thor an dem Stadtgraben
gelegen habe. Das Bestehen der Stadtgräben ist ja unbestritten und
gilt daher diese Urkunde für seine Sache nichts. Die Urkunde vom
Jahre 1219, betreffend einen Garten an der Eosmühle, ist für seinen
Beweis werthlos, da beim Scherpthor, vor welchem dieser Garten lag,
die Mauern bereits bestanden. Auch die weitern Urkunden, die er
1) Desselben Mittels hatte sich auch im Jahre 1181 Wichmann, Erzbischof
von Magdeburg, bedient, um die Stadt Haldensleben einzunehmen. Vergl. Mencon,
Tom. n, p. 199.
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bringt, sind von keinem Belang, weil sie nichts für die Sache beweisen. ^)
Dann schliesst er (S. 141 und 142) mit der sonderbaren Bemerkung:
„Man wird zugeben müssen, dass in allen diesen Fällen die
Stadtmauer zur Bezeichnung der Lage nur dann verwendet
werden konnte, wenn sie auch wirklich überall vorhanden war,
so dass ein Zweifel an dem Bestehen der vollständigen Eing-
mauer zu den in den Urkunden angegebenen Zeiten völlig aus-
geschlossen ist.*^
Nichts ist unrichtiger als diese Aufstellung. Was geht es z. B.
die Lage vor Pontthor an, ob die Mauern an der Südseite fertig waren?
Was hatte es für die Bezeichnung der Lage eines Grundstückes oder
Hauses vor Jacobsthor zu bedeuten, ob das Königs- oder Kölnthor
fertig war oder nicht? Man könnte ja diese Fälle ad infinitum
variiren, wenn die gebrachten nicht ausreichten. Aber diese Aufstellung
Pick 's zeigt so recht seine Weise, dem Leser das glaubhaft zu machen,
was er ihm suggeriren möchte.
Auf S. 142 bemüht sich Pick nachzuweisen, dass das Scherpthor,
das Adalbertsthor und das Bestederthor etwa gegen 1215 bestanden
haben. Es fehlt ihm nur der Beweis für das Harduinsthor. Darüber
kann er sich jedoch beruhigen; das Harduinsthor bestand ebensowohl
wie die andern, und musste bestehen, weil sonst die Harduinsstrasse und
somit auch die Stadt leicht hätten eingenommen werden können. Wie
weit jedoch damals der Oberbau dieser Thore gediehen war, ist eine
andere Frage, die jedoch für die Bezeichnung der Lage der Grundstücke
völlig gleichgültig ist. Ob der Oberbau, wie Pick annimmt, um 1248
fertig gestellt war, ist durchaus unentschieden; selbst bei der ünfertig-
keit desselben war die Stadt an der Südseite am stärksten befestigt, da ja
auch Wilhelm von Holland an dieser Seite keinen Angriff versucht zu haben
scheint. Ein solcher würde jedenfalls geschehen sein, wenn er Erfolg
versprochen hätte.
Der Ausbau der Mauerstrecken an der Südseite dürfte erst unter
Eichard von Cornwallis stattgefunden haben. ^)
Nach den vorstehend gebrachten Widerlegungen der von Pick ge-
machten Aufstellungen dürfte es diesem nicht gelungen sein, nachzuweisen,
dass der äussere Mauerbau innerhalb 4 Jahren errichtet worden ist. Das
Versprechen, welches die Bürger dem Kaiser auf dessen Drängen
(Aquenses ab imperatore commoniti) gegeben, haben sie nicht halten
Pick ist überhaupt wenig g-lücklich mit Anführung der Urkunden. So
sagt er S. 159 Anm. 4, dass der Pfaffenthurm von 1442 — 1456 — also mehr als
100 Jahre später als die andern Thürrae — erbaut worden wäre. Besieht man
sich jedoch den Thurni, so findet man an ihm nicht die geringste Abweichung in
der Bauweise gegen die andern Bauwerke der weitem Befestigung, was doch
sonst nothwendig, durch die inzwischen veränderte Bau- und besonders Ver-
theidigungsweise, hätte eintreten müssen. Der „lej^endecker", den Pick hierbei
anführt, hat jedenfalls die frühere Deckung in Schindeln durch eine neue in
Schiefern ersetzt, wodurch er die Berechtigung erhielt, seine Arbeit durch einen
„mey** zu krönen und beurkundet dies keineswegs die ursprüngliche Fertig-
stellung des Thurmes. Am Mauerwerk selbst ist damals nicht gebaut worden,
weil die zu dieser Zeit gefertigten Bauarbeiten den andern gegenüber sich aus-
zeichnen würden.
2) Vergl. Zeitschrift des Aach. Gesch.- Ver. III, S. 84, wo auch die nähere
Begründung hierfür angegeben ist.
11
können. Die Exemplifikationen Pick's auf andere Städte können für
Aachen nicht gelten. Sie stehen wohl auf dem Papier, aber mit der
Wirklichkeit wird es dorten ebenso aussehen wie in Aachen. Auch hier
steht es für den Geschichtschreiber auf dem Papier, dass die Stadt-
befestigung in 4 Jahren erbaut worden sei, doch haben wir gesehen,
wie es sich in Wirklichkeit verhielt. — Man braucht nur den Bau der
zweiten Umwallung der Stadt dagegen zu vergleichen, über welchen
hinreichend urkundliches Material vorliegt, um nachzuweisen, dass an den
Bauten 50 Jahre mit Einsetzung aller Kraft gearbeitet worden ist und noch
weitere 30 Jahre, um die Bewaffnung herzustellen. So wird es augen-
scheinlich, dass eine Arbeit, zu welcher die Stadt im 14. Jahrhundert
80 Jahre brauchte, im 12. Jahrhundert nicht in 4 Jahren, also in zwanzig-
mal kürzerer Zeit herzustellen war. Man wird einwenden, dass die
Um Wallung der äussern Stadt bedeutend grösser war, als die der Innern ;
es muss aber auch berücksichtigt werden, dass die Einwohnerzahl ent-
sprechend grösser war und der Wohlstand der Stadt zur Zeit des äussern
Mauerbaues auf der höchsten Stufe stand. Erwägt man ferner, dass der
Bau der zweiten Befestigung nachweislich zwanzigmal soviel Zeit er-
forderte, als der erste gedauert haben soll, so sagt uns die gesunde
Vernunft, auch ohne die nachgewiesenen geschichtlichen Thatsachen, dass
die erste Befestigung unmöglich innerhalb vier Jahren hat vollendet
werden können.
Wenn Pick in dem Artikel über die Befestigungen der Stadt
Aachen mit seinen Aufführungen und Behauptungen, welcher meine
veröffentlichten Forschungen auf diesem Gebiete angreift, mit der
Nennung meines Namens nur in einzelnen Fällen hervortritt, so ist
letzteres bei dem folgenden Kapitel über das Grashaus häufiger und in
markirter Weise der Fall. Es ist mir daher auch eine andere, mehr
entsprechendere Erwiderungsweise auf die Angriffe Pick's geboten, und
bitte ich daher den geschätzten Leser, mir dies zu Gute halten zu
wollen.
Zum Aufsatz auf Seite 213:
Das Grashaus in üiachen.
In dem Aufsatze über das Grashaus zu Aachen, welcher auf Seite
213 seines Buches „Aus Aachens Vergangenheit" beginnt, hebt Pick
schon gleich zu Anfang hervor, dass ein von mir — wie ich aus seinem
Aufsatze ersehe — am 3. August 1882 im Aachener Anzeiger veröffent-
lichter Artikel in Widerspruch stehe mit meinem Schriftchen über
„die Grashausfrage". Ich kann mich auf eine Widerlegung nicht ein-
lassen, da mir dieser Zeitungsartikel augenblicklich nicht zur Hand ist, —
das letzte Exemplar, welches ich noch besass, habe ich Pick geschenkt. —
Es war eben ein flüchtig geschriebener Zeitungsartikel, welcher sich mit
dem Grashaus befasste, insoweit dies bei dem damaligen ruinenhaften Zu-
stande desselben überhaupt möglich war. Als dann aber bei den
Restaurationsarbeiten, welche auch mit dem üppig darauf wuchernden
12
Gesträuch und dem Schutt langer Zeiten aufräumten, die ursprüng-
liche Konstruktion des Gebäudes zu Tage trat, da wurde freilich
Manches klar, was bis dahin nicht nur mir, sondern auch denen, die
vor mir über denselben Gegenstand geschrieben haben, verborgen ge-
blieben war.
Dieser arme Zeitungsartikel muss es sich nun gefallen lassen, von
Pick mit dem in Widerspruch gesetzt zu werden, was ich später, nach
erlangter besserer Einsicht in die Konstruktion des alten Grashauses
geschrieben habe. Als Pick selbst seiner Zeit von H. Kelleter genöthigt
wurde, sich zur Vaterschaft eines Unrichtigkeiten enthaltenden Artikels,
welcher in der Aachener Volkszeitung veröffentlicht worden war, zu
bekennen, da nannte er seinen Zeitungsartikel eine „harmlose Publikation'',
der man, wie er sagte, „eine kaum verdiente Bedeutung beilege". Er
meint in Parenthese „schon der Ort der Veröffentlichung lasse über
seine Anspruchlosigkeit keinen Zweifel", „er sieht sich veranlasst, auf
die Bemängelung zurückzukommen" u. s. w. (Vergl. Aus Aachens Vor-
zeit, III, S. 106). Also hier findet Pick sich getroffen, wendet aber
nichtsdestoweniger das Verfahren Kelleter's gegen mich an. Die Eück-
sichtnahme, welche Pick für sich in Anspruch nimmt, will er seinem
Gegner nicht gewähren, nach dem Grundsatze : Was du nicht willst, dass
man dir thu', das füge einem Andern zu.
Pick hat sich verschiedentlich über meine Schriften über
das Grashaus geäussert. Einmal in den Monatsversammlungen
des Aach. Gesch.-Ver., dann im Aachener „Hausfreund", und zuletzt
in seinem Buche „Aus Aachens Vergangenheit", welches, wie gesagt,
früher bereits veröffentlichte Aufsätze bringt. Seine Behauptungen im
Aach. Gesch.-Ver. waren mündlich. Es war klug von ihm, mich münd-
lich anzugreifen, da er recht gut wusste, dass ich hier wegen meines
leidenden Zustandes im Nachtheile war. Ich war genöthigt, seine An-
griffe schriftlich zu beantworten, und veröffentlichte daher das kleine
Schriftchen „Zur Grashausfrage". In demselben habe ich dasjenige,
was in seinen Vorträgen unrichtig war, widerlogt. Dieses Schriftchen
scheint bei Pick wenig Anklang gefunden zu haben, denn er sagt
S. 215, dass ich darin
„in der mir eigenthümlichen, sonst wenig beliebten Manier
das eigene Wissen gegen die urkundlichen Zeugnisse (!) ver-
gangener Zeit ins Feld zu führen versucht habe" ;
dagegen hat er sich an den Widerlegungen, welche in demselben enthalten
sind, stets muthvoll vorbei gedrückt. — Betreffs der Urkunden bemerke
ich, dass ich nicht daran denke, etwas gegen diese selbst sagen zu
wollen; ich werde mich nur gegen die Anwendung einzelner derselben,
wie Pick sie bringt, wenden.
Zum besseren Verständniss desjenigen, was in Nachfolgendem über
das Grashaus gesagt wird, habe ich die Grundrisse des Erd- und oberen
Geschosses dieses Gebäudes beigefügt. Die Grundlage derselben, in
grösserem Maassstabe als die beigefügten Pläne gefertigt, ist mir seiner
Zeit vom städtischen Bauamte mitgetheilt worden. Der grössern Klarheit
halber, und auch um mich in meinen Ausführungen kürzer fassen zu
können, gebe ich vorab eine kurze Beschreibung derselben.
Wie aus den Zeichnungen hervorgeht, bestand das Grashaus aus
einem Vorder- und Hinterbau. Die Fagadenmauer im Erdgeschosse war
13
mit der südöstlichen Längsmauer in Verband gemauert; an der nord-
westlichen konnte dies nicht mehr konstatirt werden, weil durch das
später angelegte Thor (c — I des Planes) der ursprüngliche Zustand zerstört
war. Das Erdgeschoss des Vorderbaues bildete ursprünglich entweder
einen einzigen grossen Eaum, oder es war in mehrere kleinere Eäume
abgetheilt. Es war mit einer Balkendecke überspannt. Letzteres ergab
sich aus Folgendem: Als beim Abbruch des Grashauses behufs Aufbau
des neuen Archivgebäudes das Mauerwerk der im Erdgeschoss befind-
lichen Gefängnisse entfernt wurde, fanden sich in der südöstlichen
ursprünglichen Mauer 23 Kragsteine eingemauert vor, welche früher die
Balken des Fussbodens des obern Geschosses zu tragen hatten. Ferner fand
sich in der ursprünglichen Nordostfagadenmauer ein grösserer Kragstein, der
mit seiner oberen Tragefläche um 44 cm tiefer lag als die der Krage-
steine in der Südostmauer. Es ist demnach klar, dass dieser Kragestein
dazu diente, einen Unterzugsbalken zu tragen, w^elcher die Balken zum
Fussboden des Obergeschosses zu unterstützen hatte. Es ist daher
ursprünglich das Erdgeschoss mit einer Holzdecke überspannt gewesen.
Zum Erdgeschosse führten zuerst die drei Thüren a, b und c. Später
sind an dieser Stelle die Gefängnisse angelegt worden.^) Die Zellen
derselben A, B, C und D waren nur vom Thorwege F aus durch den
Gang E zugänglich, die drei weitern Zellen G, H und I nur vom Hofe
bezw. vom Hintergebäude K aus erreichbar. Die Zelle I war das
sogenannte Hanseloch. Die Zellen waren zwischen den ursprünglichen
Mauern, die meist aus kleinen Grauwackensteinen ausgeführt und nur
strassenwärts verblendet waren, eingemauert; sie waren aus hiesigem
gehauenem Blaustein ausgeführt, welcher eine Verblendung des Innern
dieser Mauern bildete und stellenweise in dieselben eingebrochen war.
Dieselben waren so hoch aufgeführt, dass sie die oben erwähnten Krag-
steine völlig umschlossen. Alle Gefängnissmauern, auch die der Zelle
I und die Mauer D — E am Thorwege F, waren in Verband gemauert
und war mithin das Gefängniss aus einem Guss und zur selben Zeit
errichtet. Die Gewölbe der Zellen, ina Lichten 4 m über den Fussboden
hoch, waren aus mit dem Hammer zubehauenen Bruchsteinen hergestellt,
welche ebenso wie die Mauern bis oberhalb der oben besprochenen Krag-
steine reichten. Es zog daher die Einrichtung der Gewölbe die Zerstörung
der ursprünglichen, durch die Kragsteine getragenen Balkendecke
nach sich.
Die Zellen waren mit so hoch angelegten Luftlöchern versehen,
dass die Gefangenen sie nicht erreichen konnten. Die Luftlöcher k und
I der Zellen A und B mündeten auf den Fischmarkt ; im Innern waren
dieselben in dem Blausteinmauerwerke angesetzt, d. h. gemauert, in
das äussere ursprüngliche Mauerwerk aber eingebrochen, und zwar in
einer Höhe, dass sie nicht nur das in der Fagade befindliche Schriftband
mit der Inschrift „Urbs aquensis etc.^ durchbrachen, sondern auch noch
bis in das darüber liegende Gesims hineinreichten. Die Zellen C und
H erhielten die Luft aus den Gelassen D und G, welche vom Thor-
weg bzw. dem Hintergebäude ihre Luft bezogen.
1) Die Schraffieriing der Gefängnissmauern ist im Plan eine andersliegende
als die der übrigen Theile des Grashausgebäudes.
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Als das Gefängniss errichtet ward, mussten selbstredend die Thüren
a und b zugemauert, und die c, gegen welche ein Theil der Mauer
d — e anstiess, fortfallen. Dahingegen wurde, um den gleichzeitig mit den
Gefängnissen angelegten Thorweg benutzen zu können, an Stelle der
Thür c ein Strassenthor angelegt. Ein solches Thor bedingte auch
ein Hofthor, doch ist die Form desselben nicht mehr nachzuweisen.
Das später an der Stelle f— fl errichtete Thor datirt aus dem Anfange
des 17. Jahrhunderts.
Ob ursprünglich ein Hintergebäude als Anbau am Hauptgebäude
vorhanden war, dürfte fraglich sein, doch später, im Jahre 1349 (Laur.
Stadtrechn. 223,20) finden wir ein solches erwähnt. Dasselbe konnte
nur ein Erdgeschoss haben, da durch ein oberes Geschoss des Hinter-
gebäudes die Fenster des obern Geschosses des Vorderbaues zugebaut
worden wären. Das zuletzt bestehende Hintergebäude war zweigeschossig
und datirte aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Seit dieser Zeit
waren also die hintern Fenster des ehemaligen Eathssaales zugebaut. Das
Erdgeschoss des Hintergebäudes schloss die Gefängnisszelle I ein, und
es mündeten in dasselbe die Thüren der Zellen 6 und H. Der die
ZeUe I noch umgebende Kaum K war unbewohnbar, da sich weder ein
Kamin noch sonst ein Eauchabzug daselbst befand. Zu demselben führte
die 1,60 m breite Thür h. In der Südwestmauer des Erdgeschosses
befanden sich vier Fenster, je zwei übereinander. Die untern waren
1,20 m und die obern 0,95 m hoch und je 1,20 m im Lichten breit; es
befand sich in der Mitte der Breite desselben ein Steinpfosten. Die Licht-
öffnungen der Fenster waren mit je drei Eisenstangen versichert. Der
Zwischenraum bezw. die Brustwehr zwischen dem obern und unteren
Fenster betrug 0,95 m. lieber der Oberschwelle des obern Fensters
zog sich ein Gurtgesims von 0,16 m Höhe, bestehend aus Karnies,
Plättchen und Hohlkehle. In der Aussenfläche der Umfassungsmauer
waren in der Höhe der Ober- und Unterschwelle der Fenster beider
Geschosse, auch in der Kreuzung des Fensters des obern Geschosses,
die bekannten, auf die Erbauungszeit hinweisenden Hausteinbänder an-
gebracht.
Im Obergeschoss wies der ganze Vorderbau ursprünglich nur einen
Kaum auf. Derselbe war 11,70 m breit und 9,30 m tief; doch oberhalb des
Thorweges, dem Hofe zu, war ein Einbau von 5,20 m Breite und 2,60 m
Tiefe. Augenscheinlich war der Eaum in Holz überdeckt, da die Mauern
nicht stark genug waren, weitgespannte Gewölbe zu tragen, auch zeigten
sich von letztern keine Aufsätze. Der Fussboden des Obergeschosses
war, soweit im Erdgeschosse die Gefängnissgewölbe reichten, in Stein
ausgeführt, nur oberhalb des nicht überwölbten Thorweges war er in
Holz hergestellt. Strassenwärts befanden sich drei gothische Fenster
m, n und 0. Ob der Eaum auch ursprünglich dem Hofe zu Fenster
hatte, hing davon ab, ob das Hintergebäude ein- oder zweigeschossig war,
im letztern Falle mussten zwei Hoffenster zugebaut gewesen sein. Da
das im 17. Jahrhundert erbaute Hintergebäude aber zweigeschossig war, so
konnte der Eaum von der Hofseite nur mehr das Fenster p* als Licht-
öffnung haben. Bei p befand sich eine später zugemauerte Thür von
0,72 m Breite und 1,80 m Höhe, deren dem Saale zu befindlichen
hausteinerne Pfosten mit eingehauenem Falz, sowie die Löcher, welche
ehemals die Gehänge aufnahmen, beweisen, dass der Thürflügel sich dem
15
alten Eathssaale zu öffnete. Es war diese die einzige Thür, durch welche
ein Zugang von aussen möglich war, da die Thür q nur eine Verbindung
mit dem hintern Räume M vermittelte. Zu Anfang des 1 7. Jahrhunderts
wurden, wie die Technik und der Mörtel es ausweisen, die Mauern
r — 8, t — U und Y — W aufgeführt und die dadurch geschaffenen Eäume
N, und P zu Gefängnissen eingerichtet. Diese Gefängnisse waren nicht
überwölbt; wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte man noch die
Ansätze der Gewölbe sehen müssen. Zur Herstellung dieser Geföngnisse
wurden die Fenster m und n in der Stärke der Fagadenmaüer zugemauert,
und die gelassenen Licht- und Luftöffnungen an beiden Seiten der Mauer
mit starken Kreuzgittern versehen, welche in der Hausteineinfassung
dei Lichtöffnung befestigt waren. ^) Das Fenster o erhielt ein, aber
schwächeres Gitter, das nur in einem hölzernen Rahmen befestigt war.
Weil der Raum P einen nur aus Holz hergestellten Fussboden hatte,
konnte dasselbe nur zur Einsperrung weniger schwerer Verbrecher oder
etwa zum zeitweiligen Aufenthalte des Gefangenenaufsehers dienen. Als
Zugang zu diesen Räumen diente der Raum Q, welcher durch die Thür
p zu erreichen war.
Aus dem Räume Q gelangte man zu dem im Hintergebäude be-
findlichen, gross und schön angelegten Raum M. Derselbe war im Mittel
7,60 m tief und ebenso breit, und hatte einen schönen aus Sandstein
gefertigten Kamin. An der Südwestseite sah man zwei grosse Kreuz-
fenster von 1,20 m Breite und 2,30 m Höhe, deren Lichtöffnungen nicht
vergittert waren. Ob an der Nordwestseite sich ehemals auch Fenster
befanden, konnte nicht mehr festgestellt werden.
Ich mache darauf aufmerksam, dass, wie aus der Planlage hervor-
geht, zwischen dem obern Geschosse und dem Hofe keine direkte Ver-
bindung, etwa vermittelst einer Treppe, bestand noch bestehen konnte.
Die Umänderungen im alten Rathssaal sowie die Errichtung des neuen
Hintergebäudes mussten Hand in Hand gehen, da ein neuer Raum
geschaffen werden musste, der als Rathskammer den ehemaligen Saal zu
ersetzen hatte. Die Veranlassung zu diesen Umänderungen dürfte in
der allmählich eingetretenen Baulosigkeit des alten Saales zu suchen
sein, welcher, nach einem Bestehen von fast 400 Jahren, die Stadt vor
die Alternative stellte, entweder einen neuen Saal oder eine neue Raths-
kammer zu errichten. Da die Stadt, wohl aus pekuniären Gründen,
letzteres beschloss, so wurde die neue Rathskammer gebaut und der
alte Rathssaal zu Gefängnissen umgeschaffen.
Pick hat seinen Aufsatz über das Grashaus in vier mit je einer
besonderen Ueberschrift versehenen Capiteln oder Abtheilungen ein-
getheilt. Dieselben sind aber verworren dadurch, dass er, was zu der
einen Ueberschrift gehört, unter die andere gebracht hat. Einer solchen
1) Es muss bemerkt werden, dass aus dem mittlem Fenster n das Mauer-
werk mit dem Gitter später zu irgend einem Zwecke ausgebrochen, und dieses
Fenster, jedoch ohne das Gitter, wieder zugemauert worden ist. Die dem Sonder-
abdrucke des Aufsatzes von C. P. Bock „Für die Erhaltung eines alten Bau-
denkmals" in dem Wochenblatt für Aachen und Umgegend, 1837, beigegebene
Lithographie zeigt das mittlere Fenster n und das östliche m in der Form als
durchaus übereinstimmend.
I
16
Schreibweise ist schwer zu folgen, und werde ich daher suchen, meine
Ansichten und Widerlegungen jedesmal auf den Gegenstand zu richten,
den er in der Ueberschrift seines Capitels bezeichnet hat.
Sein erstes Capitel trägt die Ueberschrift:
„wie lange diente das Grashaus zur Abhaltung von Eaths-
versammlungen ? ^
Pick bringt über diesen Gegenstand mehrere Urkunden, welche den
Bestand einer Rathskammer bis tief in das 18. Jahrhundert hinein nach-
weisen sollen. Unter diesen Urkunden befindet sich jedoch eine vom
Jahre 1513, nach welcher die Rathssitzungen „am Fischmarkt '^ abgehalten
worden sein sollen,^) während die anderen späteren nur von der „rhatscammer
im Grashaus ^ sprechen. Aber spricht das nicht dafür, dass man den
Rathssaal ,,am Fischmarkt " verlassen hat, und die Sitzungen später auf
der Rathskammer „im Grashaus ^ in dem am ehemaligen Bürgerhaus an-
gelegten Anbau abgehalten hat? Pick ist ja selbst im Zweifel (siehe
unten) wo im 17. und 18. Jahrhundert die Rathssitzungen abgehalten
worden sind. Wie käme man sonst dazu, den Namen des Sitzungssaales
zu verändern, wenn nicht eine lokale Veranlassung dafftr vorhanden
gewesen wäre? Da die jüngste der von Pick gebrachten Urkunden über
das Grashaus vom 26. September 1774 datirt ist, und erst fast 20 Jahre
nachher die reichsstädtische Zeit aufhörte, so ist anzunehmen, dass in
dieser Zeit die Rathskammer nach anderswohin verlegt worden ist.
Dann klagt Pick S. 224, dass man keine Zusammenstellung dessen, was
in den gedruckten Stadtrechnungen jener Zeit über das Grashaus enthalten
ist, versucht habe und fährt dann fort:
„Um so weniger mangelt es dagegen an Schlussfolgerungen,
welche man aus einzelnen Mauerresten und sonstigen Bautheilen
des ruinenhaften Gebäude-Innern, so wie es sich vor dem jüngst
erfolgten Umbau dem Auge des Beschauers darbot, auf die
ältere Einrichtung desselben und die ehemalige Benutzung seiner
Räume gezogen hat. Schade nur, dass diese Rückschlüsse
meist mit den urkundlichen Nachrichten in Widerspruch stehen
und daher als verfehlt zu erachten sind.^
Hierauf bemerke ich, dass trotz des von Pick so genannten ruinen-
haften Gebäude-Innern die Grundzüge der Anlage des Baues jedem nur
einigermassen mit der Archäologie vertrauten Architekten klar vor Augen
lagen und liegen mussten, wenn auch Pick, der bekanntlich in der
Archäologie und Architektur nicht bewandert ist, sie nicht zu verstehen
vermochte. Die Rückschlüsse, welche aus dem ruinenhaften Zustande
des Gebäudes gezogen sind, stehen nirgends mit den Urkunden selbst
in Widerspruch, wohl aber mit der Deutung, welche Pick denselben
giebt, und mit den Aufstellungen, welche er vorbringt. Wie unrichtig
diese Deutungen und Aufstellungen sind, werden wir später sehen.
Im 2. Capitel will Pick die Frage lösen, wo im Grashaus die
Rathskammer gelegen gewesen sei. Behufs dessen bringt er wieder
mehrere Urkunden, in welchen zwar nichts über die nähere Lage der
Rathskammer gesagt, wohl aber von anderen, im Hofe des Grashauses
1) Auch von Fürth bringt I, S. 3 seiner Beiträge u. s. w. über den
Handwerkeraufstand eine Mittheilung, wonach im Jahre 1429 eine Sitzung des
Kaths „am Fischmarkt ** gehalten wurde.
17
gelegenen, Eäumlichkeiten die Rede ist. Aber „leider*' — wie Pick
(S. 227) sagt —
„erfahren wir niclit, an welcher Stelle des grossen Hofes
dieselben gelegen haben ^.
Er bemerkt (S. 228), dass bei den Erdarbeiten zum Archivbau
über den Hinterbau hinaus keine weiteren Mauerreste zum Vorschein
gekommen sind. Damit stimme auch, dass in dem Prachtwerk Rhein-
fahrt von Webers „eine freilich in den Details nicht überall korrekte
Abbildung von dem Hofe des Kornhauses*' sich befinde, worauf an der
bezeichneten Stelle eine verfallene, anscheinend aus dem 17. Jahr-
hundert stammende Giebelmauer, mit einem hohen stark ver-
gitterten Ereuzfenster im obern Theile, dargestellt ist. Hier muss ich
Pick bezüglich der „nicht überall korrekten Abbildung" beipflichten;
es hat nämlich niemals in dem Kreuzfenster des Obergeschosses vom
Hinterbau des Grashauses sich ein Gitter befunden, weil hierfür die
Gitterlöcher in den Fenstereinfassungen fehlten. Wären solche vorhanden
gewesen, so würde ich sie, bei einer von mir vor mehreren Jahren
gemachten Aufnahme, gesehen haben. Wohl aber befanden sich Gitterstäbe
in den Fenstern des Erdgeschosses (vergl. oben S. 14).
Aus den von Pick gebrachten Urkunden geht wohl hervor, was
auch jeder, der nur einmal das Grashaus gesehen hat schon wusste,
nämlich dass die gedachte Rathskammer sich oben, d. h. auf dem Ober-
geschosse befand, aber sie sagen ihm nicht, an welcher Stelle. Aber
das bringt Pick nicht in Verlegenheit. Nachdem er (S. 229) mehrere
Stellen aufgezählt, wo sich die Rathskammer nicht befunden haben kann,
bricht er endlich in den Ausruf aus:
„Wo kann also im 17. und 18. Jahrhundert die Raths-
kammer, das Versammlungslokal des grossen Raths im Grashaus,
nur gelegen haben? Nirgend anders als da, wo sie auch
ursprünglich war, nämlich im Obergeschoss des Vorderbaues, an
derselben Stelle, wo heute der Urkundensaal des Stadtarchivs
sich befindet. Nur wenn man hier die Rathskammer sucht,
vermag man die örtlichen Angaben in den Rathsprotokollen von
1667, 1681, 1708 und 1717, sowie die Mayorie-Protokolle von
1727 und den folgenden Jahren zu verstehen.**
Aber um diesen Ausruf zu rechtfertigen, hatte Pick nicht nöthig,
die Urkunden vorzuführen, das hätte er auch ohne diese gekonnt. Wenn
aus den Raths- und Mayorie-ProtokoUen, die Pick anführt, die örtliche
Angabe, wo die Rathskammer gelegen war, zu entnehmen ist, warum
hat er sie dann nicht gebracht? Er hätte sich dann den bedenklichen
Ausruf, wodurch er selbst eingesteht, dass er keinen urkundlichen
Beweis darüber, wo die Rathskammer gelegen war, bringen kann und
er auch nicht das Mindeste erwiesen hat, ersparen können.
Nachdem Pick noch mehrere leere Vermuthungen zur Unterstützung
seines Ausrufes gebracht hat, auf die einzugehen sich nicht der Mühe
verlohnt, sagt er weiter:
„Der Saal im Grashaus wird daher seit frühester Zeit den
Namen „Rathskammer** geführt haben**,
und sa^t hierdurch etwas, was er urkundlich nicht nachweisen kann,
denn könnte er es, so würde er es sicher gethan haben. Die
Bezeichnung „Rathskammer** kommt ja nach Pick erst im 17. und 18.
18
Jahrhundert vor, während (S. 217) im 16. die Sitzungen noch ,,am
Fischmarkt ** abgehalten wurden.
Pick sagt (S 230): jeder exakte Forscher würde die Raths-
kammer in erster Linie da suchen müssen; wo sie in älterer Zeit war,
und dies erst recht dann, wenn er ein zu solchen Rathssitzungen ge-
eignetes Lokal an einer andern Stelle des Gebäudes nicht nachzuweisen
vermochte.
Ich bemerke hierauf, dass der exakte Forscher zunächst den That-
bestand mit Einsicht und Sachkenntniss zu prüfen sucht und sich nach
deu früher daselbst befundenen baulichen Verhältnissen umzusehen hat.
Auf Grund dieser Anschauung muss er sich dann unter steter Berück-
sichtigung der bezüglichen Umstände ein Urtheil bilden. Glaubt er dann
das Richtige gefunden zu haben, dann hält er auch daran fest und
lässt sich durch blosse Phantasiegebilde und sophistische Scheingründe
Anderer nicht beirren. Pick ist nun kein exakter Forscher, da er seine
Behauptungen nicht durch die vorgebrachten Urkunden begründen kann.
Doch wo die Urkunden schweigen, da reden Steine und Trümmer,^)
und diese besagen hier, dass die Quermauern, r — 8, t — U und v — W
des Plans, welche den ehemaligen Rathssaal durchzogen, sowie die Zu-
mauerung der Fenster m, n und o in der Vorderfronte und das prächtig
angelegte Hintergebäude aus dem Anfange des 1 7. Jahrhunderts herrühren.
Hierüber waltet kein Zweifel ob, denn diese Arbeiten trugen zu scharf
ausgeprägt die charakteristischen Zeichen dieser Zeit. £s war noch das
alte aus dünnen Ziegelsteinen mit kleinen Fugen hergestellte, fast zier-
liche Mauerwerk, wie es zur Zeit der Renaissance üblich war. Nach
dem Brande von 1656 wurde das Mauerwerk nachlässiger und in stärkern
Fugen hergestellt. Auch wurden die Ziegelsteine nicht mehr so sorg-
fältig gefertigt wie vorher. Dieser Brand selbst bezeugt, dass die
Quermauern bereits auf dem Saale standen, bevor er eintrat. Denn da,
wo die alte Pliesterung sich nicht mehr vorfand — und das war besonders
an der Vordermauer der Fall — hatten die Steine durch das Feuer
jenen rothbräunlichen Farbenton angenommen, den wir auch als Folge
dieses Brandes noch im Thurm der St. Foilanskirche und als Folge
des Rathhausbrandes vom Jahre 1883 im obern Theil des Marktthurmes
vorfinden. An den Stellen aber, wo die Quermauern gegen das Mauer-
werk der Fagade anstiessen, zeigte sich dieser rothbräunliche Farbenton
nicht, weil das Feuer durch diese Quermauern von der Fagadenmauer
abgehalten worden war, ebenso wie an andern Stellen durch die
Pliesterung. Angesichts dieser stummen, und doch so viel sagenden
Zeugen, lasse ich es mir durch keine Wortklaubereien wegdisputiren,
dass die Quermauern, die Zumauerung der Fenster auf dem Rathssaale,
und die im Obergeschoss des Hintergebäudes befindliche Rathskammer
aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts herrührten. Die Rathskammer
wies in ihren äussern decorativen Theilen (vergl. oben S. 14) genugsam
auf die Zeit ihrer Erbauung hin. Eine Rathskammer musste das Gras-
haus aufweisen, und mag auch bis zum 17. Jahrhundert der ehemalige
Rathssaal zu einer solchen gedient haben, daher musste folgerichtig, bevor
die Gefängnisse auf dem Saale eingerichtet werden konnten, die Raths-
1) Vergl. Deycks, Römerepuren im Osten des Reichs. Bonne» Jahrb.
1856, Heft n, S. 1. — Publ. de la soc. bist, et archeol. du Limbourg, — XVIH,
pag. 299. O'est donc rarcheologie qui suplee au silence des auteui'S.
19
kammer fertig gestellt sein. Und diese konnte sich, wie auch der Plan
ausweist, nirgend anders befinden als, wie auch oben angegeben, im
Obergeschoss des Hintergebäudes, da Pick selbst S. 227 nachgewiesen
hat, dass sie auf dem Hofe nicht zulässig war. Daher wurde der im
Obergeschosse des Hintergebäudes befindliche Raum mit hohen Fenstern
und mit einem schönen Kamin versehen, weil er einem höhern Zwecke
zu dienen hatte, und nicht, wie Pick (S. 229) meint, als Lokal benutzt
wurde, in welchem sich Leute, die dem Grasgebot nachzukommen hatten,
aufhielten.
Um dem etwaigen Bedenken zu begegnen, dass der Raum im Ober-
geschosse des Hintergebäudes fär die darin abzuhaltenden Sitzungen zu
klein gewesen sein würde, bemerke ich Folgendes: Die Sitzungen des
grossen Raths wurden nicht auf dem Rathhause, sondern in einem Hause
am Markt ^) abgehalten, und zwar in dem Hause zum grossen Stern.
Von der Laube dieses Zunfthauses sagt Oppenhoff (Zeitschr. des Aach.
Gesch.-Ver. XV, S. 255): „Dass letztere — zum Mindesten im 17. und
zu Anfang des 18. Jahrhunderts — gleichzeitig das ständige Lokal für
die Sitzungen des grossen Raths war, ergiebt sich nicht allein ans den
unten erwähnten Beschlüssen von 1699 und 1707, sondern auch aus
gewissen, über die Vermiethung des Zunfthauses in den Jahren 1656,
1657 und 1688 gethätigten Versammlungen". Es war demnach das
Haus zum Stern das Versammlungslokal des grossen Raths, und da auf
der Rathskammer im Grashause die Abstimmung, wie Pick (S. 223) sagt,
gaffelweise erfolgte, und der Raum, wie er weiter sagt, nur einen Tisch
und vier Stühle enthielt, so wird zur Abstimmung Raum genug vorhanden
gewesen sein. Da es also keinem Zweifel unterliegen kann, dass dieser
Raum die Rathskammer gewesen ist, weil diese auf dem Saal nicht mehr
vorhanden sein konnte, so gehen wir wohl nicht fehl mit der Annähme,
dass er auch von der Stadt in hinreichender Grösse angelegt wurde.
War ja auch die Rathskammer im Rathhause (Noppius I, 103) auf dem
Markte nur wenig grösser wie diese.
Pick möchte (S. 232) den Denkstein, welcher sich oberhalb des
frühern Thores des Grashauses befand, benutzen, um mich einer Unwahr-
heit zu bezichtigen. Er versucht nämlich durch denselben nachzuweisen,
dass der Um- und Neubau am Grashause im Jahre 1665 stattgefunden
habe. Hierbei sagt er aber nicht, dass die in diesem Jahre ausgeführten
Arbeiten den Wiederautbau des Grashauses nach dem grossen Brande
vom Jahre 1656 betrafen, welche sich bis zum Jahre 1665 hingezogen
hatten. So verschweigt Pick den geschichtlichen Thatbestand dieser
Angelegenheit, um seine Aufstellungen als die richtigen erscheinen zu
lassen. — In solcher Weise sucht er das, was ich über das Grashaus
geschrieben habe als unrichtig darzustellen und ins Lächerliche zu
ziehen, und schliesst (auf S. 233) seinen Satz mit dem völlig unmoti-
virten Ausruf:
1) So bemerkte ich in der „Grashausfrage* S. 6. Mit dieser von Pick S. 231
bemängelten Bemerkung hatte es folgende Bewandniss: Ich hatte diese Notiz
durch Hen-n Th. Oppenhoff erhalten, welcher aber damals einen Aufsatz über die
Stemzunft in Aachen schrieb. Ich wollte daher Herrn Oppenhoff mit der An-
gabe des* Lokals, in welchem die Rathssitzungen stattfanden, nicht zuvorkommen.
Jetzt, nach Veröffentlichung des Aufsatzes des Herrn Oppenhoff, fällt selbstredend
diese Rücksicht fort.
20
„So wäre denn auch hier wieder einmal ßhoens Archäologie
gründlich in die Brüche gegangen*'.
Dieses unwissenschaftliche, absprechende ürtheil über meine
Archäologie kann mir nicht im Geringsten den Humor verderben, denn
einerseits beruht es auf unwahrer Voraussetzung und anderseits wird es
nur von Pick allein gefällt, dem ich aber die Befähigung, in
archäologischen Dingen mitzusprechen, entschieden aberkennen muss.
In der Versammlung des Aach. Gesch.-Ver. vom 4. Februar 1892
bestritt Pick, dass der obere Saal des ehemaligen Bürgerhauses durch
Mauern in drei Theile abgetrennt gewesen sei, und behauptete, dass
derselbe bis zum Aufhören der reichsstädtischen Zeit zu den Ver-
sammlungen des grossen Eaths gedient habe. Erst als ihm in einer
spätem Versammlung eine Photographie vorgehalten wurde, welche das
ehemalige Vorhandensein dieser Mauern nachwies, musste er den Bestand
derselben zugeben. Aber diese Mauern standen den Behauptungen Pick's im
Wege und nun versuchte er, die Aufführung derselben in die französische
Zeit zu versetzen. Er wandte sich deshalb an den, wie er sagt, „genau
orientirten*' A. Bull, welcher mit der Leitung des Archivbaues beschäftigt
gewesen war. Nun, Bull mag ein guter Architekt sein, ich bestreite
aber, dass er damals die architektonische Archäologie Aachens verstand.
Er hat mir dies auch zu verschiedenen Malen zugestanden. Wann und
wo sollte er auch solche hier gelernt haben, da er aus der Fremde hier-
her kam, um die Leitung des Archivbaues zu übernehmen, und kurz
nach seiner Ankunft die betreffenden Mauern abgebrochen wurden. Bis
dahin konnte er doch keine Zeit haben, um die lokalbauliche Archäologie
mit der damit zusammenhängenden lokalen Geschichte und dem Bauwesen
zu Studiren. Pick scheint dabei angenommen zu haben, dass jeder der
überhaupt Architektur verstehe, auch lokalbauliche Archäologie verstehe.
Nichts ist falscher als das. Daher kann auch auf der Aussage des
„genau orientirten*' A. Bull kein Gewicht gelegt werden.^)
Ich muss hier noch eine Bemerkung einschalten. Als Pick am
4. Februar 1892 die Behauptung aufstellte, dass in dem alten Raths-
saal die betreffenden Mauern niemals gestanden hätten, war der Bau
des Archivgebäudes bereits seit mehreren Jahren fertig gestellt. Wie
konnte nun Bull nachträglich noch sein Urtheil dahin abgeben, dass
diese Mauern aus der französischen Zeit herrührten, selbst wenn er dazu
befähigt gewesen wäre, da die Mauern längst nicht mehr bestanden?
Pick konnte früher kein Interesse an diesen Mauern haben, deren
1) Es ist entschieden unrichtig, dass jeder Architekt oder auch schrift-
stellende Archäologe ohne Weiteres befähigt ist, ein ürtheil über Ui-spmng und
Alter jedes unter den besonderen Bedingungen einer speziellen Oertlichkeit ent-
standenen Bau- oder Mauerwerks abzugeben. Zur Beurtheilung von solchen
bedarf es, ausser der Kunst- und Baugeschichte, noch der Kenntniss der baulichen
Praxis der verschiedenen im Laufe der Jahrhunderte sich folgenden Geschlechter,
und sind zur Erwerbung dieser Kenntnisse Jahre der Beobachtung und Vergleichung
der vorkommenden Mauerwerke aus den verschiedenen Zeiten nöthig. Hierbei
ist die praktische Kenntniss des Bauwesens vorausgesetzt. Man muss Techniker,
Kenner der Ortsgeschichte und vor allem erfahrener Beobachter sein. Es kann
jemand die archäologischen Verhältnisse Berlins, Hannovers oder Danzigs zu
beui-theilen im Stande sein, ohne sich darum über die Technik der Römer,
Merowinger, Karolinger u. s. w., wie sie nun hier in Aachen in die Erscheinung
tritt, ein ürtheil beilegen zu können.
21
Existenz er bis zur Monatsversammlung des Aach. Gesch.-Ver. vom
4. Februar 1892 nicht kannte und bestritt. Erst als ihm in einer spätem
Versammlung dieses Vereins durch die Photographie das ehemalige Vor-
handensein derselben nachgewiesen worden war, brachte er in einer
weitem Versammlung Bull und seine Ansicht vor. Welchen Werth
demnach diese hat, muss ich der Beurtheilung des geneigten Lesers
überlassen.
Was ich über die Zeit der Aufführung der Mauern auf dem oberen
Saale gesagt habe, gilt selbstredend auch für die Zumauerung der
Fenster daselbst. Das eine hängt mit dem andern zusammen. Die
Aussage Pick*s (auf S. 236), dass diese Gitter ebensogut aus vorhandenem
älteren Material hätten genommen werden können, statt neu angefertigt
zu werden, ist zu naiv, um sie ernst zu nehmen. Er scheint anzunehmen,
dass im Grashaus so eine Art Museum alter Gefängnissgitter aus dem
17. Jahrhundert bestanden habe, aus dem man zwei durchaus gleiche,
so gut gearbeitete Gitter wie die in Eede stehenden, so ohne weiteres
hätte entnehmen können. Wir glauben kaum, dass ihm die Urkunden von
so vielen abgebrochenen Gefängnissen berichten. Wie wäre ferner aber
auch ein Maurer im Stande gewesen, die Zumauerung der Fenster so
zu bewerkstelligen, wie es nach der Technik und in dem Material um
zwei Jahrhunderte früher üblich war? Und woher würde er das Bau-
material aus dieser Zeit beschafft haben? Jeder Sachverständige wird
sofort einsehen, dass dies unmöglich ist.
„Aber*' (meint Pick S. 236):
„wenn auch die Fenster in den Jahren 1664 und 65 zuge-
mauert worden wären, so würde doch damit nicht das Geringste
gegen die Annahme bewiesen sein, dass der grosse Rath sich
noch im 18. Jahrhundert auf der Eathskammer versammelt
habe. An dem nöthigen Licht, das wie noch jetzt vom Hofe
her einfiel, hätte es nach jener Zumauerung ebenso wenig
gefehlt, wie heute dem Kaisersaal auf dem Rathhaus.^
Bei dieser Ausführung übersieht Pick nichts weniger als die
Hauptsache, nämlich dass durch die Errichtung des Hintergebäudes,
welches Pick (S. 228) als aus dem 17. .Jahrhundert herrührend
richtig bezeichnet, zwei oder drei Saalfenster am Hofe zugemauert
wurden, mithin der Saal nur durch das über dem Thorwege befindliche
Fenster (p im Plan) erleuchtet war. Fünf Sechstel des Saales wären
demnach ohne Licht gewesen, und der Rath hätte in fast absoluter
Dunkelheit getagt! — Und Pick, der solche Aufstellungen vorbringt,
will sich als Richter in baulich-archäologischen Sachen aufspielen!
Noch ein Grund zur Vermauerung der strassenwärts gelegenen
Fenster, meint Pick S. 237, wäre wohl denkbar, wenn auch ein solcher
mir (Rhoen) unerfindlich wäre. Dieser Grund ist der, dass ein aus den
Kerkerzellen im Erdgeschoss entsprungener Gefangener über den Saal
hin hätte entfliehen können! ! ! Pick hat vollkommen Recht, solche Albern-
heit zu erfinden wäre mir unmöglich. Nun möge aber auch Pick in
seiner Findigkeit sagen, wie ein aus den Kerkerzellen im Erdgeschoss
entspri^ngener Gefangener auf den Saal gekommen wäre, da doch keine
Verbindung zwischen dem Erdgeschosse und diesem bestand (vergl. den
Plan) und der Flüchtling zuerst die Strasse passiren musste? Etwa
22
über die imaginäre Treppe, die nach Pick auf dem Hofe liegen sollte,
deren Stelle er aber nicht finden kann? Ich bewundere Pick's Phantasie
die einen solchen Nonsens aufzuspüren im Stande ist!
Zum Schlüsse des 2. Capitels sagt Pick (S. 240):
„Durch die bisherigen Untersuchungen ist unwiderleglich
festgestellt, dass der grosse Eath sich bis zur letzten Zeit der
reichsstädtischen Eegierung bei bestimmten Anlässen im Ober-
geschoss des Grashauses zu versammeln pflegte, und dass der
Eaum, worin diese Versammlungen stattfanden, kein anderer
als der obere Saal im Vorderbau, die alte Eathskammer
sein konnte*'.
Das ist durchaus unrichtig. Durch die gebrachten Urkunden hat
Pick nur festgestellt, was auch aus der Anlage des Grashauses selbst
hervorgeht, nämlich dass die Eathskammer sich auf dem obern Geschosse
befand. Dadurch bringt Pick kein Novum, denn wo konnte die Eaths-
kammer sich anders befinden, da das Erdgeschoss ganz von Gefängnissen
eingenommen war. Hätte Pick nur in etwa aus den Urkunden einen
Beweis dafür bringen können, dass die Eathskammer die Stelle des
vordem Saales eingenommen habe, er würde auf Seite 229 nicht den
völlig in der Luft schwebenden Ausruf gemacht haben:
„Wo kann also im 17. und 18. Jahrhundert die Eaths-
kammer, das Versammlungslokal des grossen Eaths, im Grashaus
nur gelegen haben ?^
Die Antwort die er sich selbst darauf giebt, dass die Eathskammer
auf der Stelle des frühern Eathssaales gelegen habe, ist nur der Ausdruck
seiner persönlichen Ansicht, und hat nicht die geringste Beweiskraft.
Durch diesen Ausruf bestätigt er selbst, dass er es nicht weiss, und
dass aus den Urkunden kein Beweis für die Lage der Eathskammer
hervorgeht. Ging ein solcher aus den Urkunden hervor, so würde er
ihn gewiss hervorgehoben haben. Die Beweise, die er aus BuU's Aus-
sagen geschöpft haben will> sind hinfällig, da unter den Umständen, unter
welchen dieser seine Begutachtung abgegeben hat, diesen Aussagen nicht
den mindesten Glauben geschenkt werden kann. — Durch die Anlage
der Gefängnissräume N, und P des Plans ist aber nachgewiesen,
dass der vordere Saal seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts nicht mehr
als Eathssaal dienen konnte, und demzufolge ein anderer Eaum als
Eathskammer vorhanden sein musste. Und da, wie der Plan zeigt, kein
anderer passender Eaum dazu vorhanden war, so musste im 17. und
18. Jahrhundert die Eathskammer auf dem obern Geschosse des Hinter-
gebäudes und zwar im Eaum M gelegen haben, wie es auch wegen der
Anlage des Grashauses zu dieser Zeit nicht anders sein konnte.
Im 3. Capitel seines Aufsatzes behandelt Pick das Aeussere des
Grashauses. Er beginnt zunächst mit der auf den alten Eathssaal
ausmündenden Thür p des Planes. Es war diese die einzige Thür
des Eathssaales, welche einen Zugang von aussen her zu dem Saale bilden
konnte, da die Thür q nur eine Verbindungsthür mit der Eathskammer
M war. Weder an der Nordwest- noch an der Nordostmauer war, auch
nach der Entfernung der Pliesterung, nicht die Spur einer Thür vor-
handen. Pick hält S. 257 u. folg. die Thür p für die Oeffnung eines
23
Schranks oder eines Aborts und motivirt letzteres dadurch^ dass im
Erdgeschoss, am Fusse der betreffenden Mauer, eine Kloake hinlief! Man
gewinnt keine grosse Meinung von dem archäologischen und kultur-
historischen Wissen Pick's, wenn man solches liest. Während das
Schicklichkeitsgeftihl in der damaligen Zeit veranlasste, dass die Aborte
auf den Thoren und Thtirmen der Befestigungen der Stadt Aachen, welche
doch nur für ungebildete Soldaten angelegt waren, mit einem Vorraum
versehen wurden, welcher es verhinderte, den Abort vom Innern der
Räume aus zu sehen, soll auf dem Eathhause sich ein solcher befunden
haben, an welchem dies nicht der Fall gewesen sei, und welcher nur
durch eine einfache Thür von dem Eathssaale getrennt war. Bei der
Benutzung musste der Abort von der ganzen Eathsversammlung gesehen
werden. Und mit welchem Geruch würde derselbe den Eathssaal erfüllt
haben I — Doch verlassen wir diesen wenig ästhetischen (regenstand ; auf
die Thür komme ich später zurück.
Beim Abbruch des alten Grashauses, behufs Erbauung des Archivs,
wurde auf der Südwestwand des obern Geschosses, in welcher sich die
oben besprochene Thür befand, auf einer alten Pliesterschicht, welche
später mit einer zweiten überzogen worden war, eine Zeichnung bios-
gelegt, welche mit einem Nagel oder einem sonstigen spitzen Instrument
in den Mörtel eingeritzt war. Diese Zeichnung stellte in roher und
skizzenhafter Weise ein Gebäude dar, welches im Erdgeschosse drei
rundbogig überspannte Thüren, wie wir noch zwei solcher am Grashause
sehen, und im Obergeschosse drei Fenster hatte. Links neben dem
Gebäude stand ein schlanker thurmartiger Aufbau mit einem spitzen
Dache, welcher im Erdgeschoss eine grosse Thür aufwies. An diesem
thurmartigen Aufbau schloss sich wiederum links ein ähnlich gestalteter
Bau, wie an der rechten Seite an, welcher im Erdgeschoss vier eben-
solche thürartige Oeffnungen zeigte. Oben befand sich rechts der Anfang
des einen Fensters, die übrigen Fenster sind in der Zeichnung nicht
vollendet. Offenbar war diese Darstellung aus dem Gedächtnisse von
ungeübter Hand ohne Vorlage entworfen. Auch fehlte in derselben jeg-
liches Detail, was übrigens bei der Art und Weise der Ausführung
nicht auffallend sein kann, da solches in der rauhen Pliesterschicht
kaum reproduzirt werden konnte. Ich habe in meinem Schriftchen „zur
Grashausfrage*' zwar gesagt, dass diese Zeichnung das Werk eines
Gefangenen zu sein schien, doch ist dies unwahrscheinlich, da zur Zeit,
als diese Zeichnung gefertigt wurde, der obere Saal noch nicht zum
Gefängnisse eingerichtet war. Ich habe mich einfach in der Vermuthung
des Verfertigers der Zeichnung geirrt.
Ich stehe nicht an, diese Zeichnung für eine, wenn auch sehr
mangelhafte und skizzenhafte Darstellung des ursprünglichen Bürger-
hauses zu halten. Wenn aber Pick (S. 241) sagt, dass ich allen Ernstes
die Zeichnung für eine frühzeitige, wahrheitsgetreue Darstellung des
ehemaligen Eathhauses halte, so ist das eine Unwahrheit. Ich habe in der
„ Grashausfrage ^, S. 19, bloss gesagt, dass ich die Zeichnung für „eine
Darstellung des ursprünglichen Bürgerhauses" hielte, und in „Aus Aach.
Vorz. II", S. 83, „dass diese Darstellung auf orthographische Eichtigkeit
keinen Anspruch machen könne". Wie kommt Pick nun dazu, mir ein
solches Dafürhalten zu unterschieben? Und doch giebt die Zeichnung
nach meiner Ansicht eine flüchtige Skizze des Gebäudes. Nur Pick
24
kann bestreiten, dass das Gebäude rechts derselben in üebereinstimmung
mit dem Grashanse ist. Daran reiht sich links der thnrmartige Aufban,
welcher eine grosse portalartige Thür zeigt. Dieser Aufbau, welcher an
der Stelle stand, auf welcher jetzt das Haus Öchmiedstrasse No. 9, welches
nur 3,00 m Breite aufweist, steht, hatte also gerade eine Breite, welche
erforderlich war, um eine bequeme Wendeltreppe darin anzulegen. Und
ich nehme keinen Anstand zu behaupten, dass hier die Aufgangstreppe
zum obern Geschosse sich befunden habe, was ich auch später näher
nachweisen werde. An diesen Thurm schloss sich links der vierfensterige
Flügel an, dessen vier Thüren, wie oben bemerkt, mit den drei Thtiren
des Gebäudes rechts übereinstimmten.
Wenn nun die von Pick (S. 258) als völlig werthloses Wandbild
angegebene Zeichnung zur richtigen Lösung der Treppenfrage beige-
tragen hätte, warum sollte sie nicht auch Fingerzeige für die richtige Beur-
theilung der übrigen Bautheile enthalten? Und welche Gründe kann
Pick vorbringen, um dieses Wandbild als völlig werthlos zu bezeichnen ?
Etwa sein archäologisches Wissen?
Ich habe früher aufgestellt, und bleibe dabei, dass der Bau links
des thurmartigen Aufbaues dazu bestimmt war, die städtische Diener-
schaft aufzunehmen, und dass sich daselbst die Stuben für die Schreiber
und das sonstige städtische Personal befanden. Pick bestreitet (S. 247)
sowohl, dass sich dort eine Treppe als ein weiterer Fügel, den er einen
Anbau nennt, befunden habe, und meint, dass sich vielleicht im Ober-
geschosse des Hintergebäudes ein Raum für die städtische Verwaltung
befunden habe. Er vergisst dabei, dass infolge der Anlage eines Ober-
geschosses auf dem Hinterbau, wie oben ausgeführt ist, die Hoffenster
des Eathssaales zugebaut werden mussten. Dagegen ergeht er sich
(S. 246) des Langen und Breiten darüber, dass im 14. Jahrhundert
die Stadt auf dem Markte das Haus Kleve gemiethet und zu Verwaltungs-
zwecken benutzt habe. Aber mit unserer Frage stehen wir noch im
13. Jahrhundert und zwar am Grashaus, zur Zeit als das Haus Eleve noch
lange nicht gemiethet war. Da mussten doch ebenfalls Beschlüsse
registrirt und Urkunden angefertigt, und städtische Diener, welche die
Befehle des Raths auszuführen hatten, untergebracht werden. Und wo
sollten diese sich anderswo aufgehalten haben, als in dem südöstlichen
Flügel, und zwar im Obergeschoss, da das Erdgeschoss keine Fenster
hatte. Es fällt auch damit der „ansehnliche Rathshausbau^, den Pick
(S. 242) ausmalt, um die Hälfte seiner Grösse zusammen.
Die Zeichnung ist daher nicht nur nicht, wie Pick sagt, werthlos,
sondern sie trägt wesentlich dazu bei, die ursprüngliche Anlage des
Grashauses, auch vor seinem Umbau im Jahre 1267, festzustellen, was
wohl schwerlich hätte geschehen können, wenn die Zeichnung nicht einen
Fingerzeig dazu gegeben hätte. Wohl zeigte die von Pick zu einem
Abort degradirte Thür p einen Ausgang aus dem Rathssaal an, doch
dabei wäre es auch geblieben, wenn nicht die Zeichnung Anhaltspunkte
für den Bautheil, der ehemals östlich des Eathssaales sich befand,
geboten hätte. Durch die Zeichnung, welche auf eine neben dem Raths-
saal befindliche Treppe hindeutet, die sonst im Grashaus nicht zu finden
war, dürfte die Lösung der Frage klar und in einfacher Weise
gegeben sein.
25
Die Erwerbung des Hauses Kleve im 14. Jahrhundert seitens
der Stadt, welche Pick (S. 246) vorführt, war für die Stadt eine
Nothwendigkeit, da zu Anfang dieses Jahrhunderts bis tief in dasselbe
hinein die zweite äussere Befestigung errichtet wurde. Da bei dieser
Arbeit viele hundert Menschen beschäftigt sein mussten, so war auch
eine grosse Anzahl Aufseher und städtischer Diener erforderlich, welche
unmöglich in dem obem Geschosse des südöstlichen Flügels des Gras-
hauses Aufnahme linden konnten. Um von diesem Umstände abzulenken
und diesen Flügel des Bürgerhauses als überflüssig darzustellen, sagt
Pick, der sich an die Zeit nicht kehrt und hier ein Jahrhundert über-
springt (S. 248), dass in den Jahren 1385/86 das Beamtenpersonal der
Stadt der Zahl nach ein sehr bescheidenes gewesen sei. Ich mache
darauf aufmerksam, dass es sich um diese Zeit, in welcher die zweite
Befestigung der Stadt längst fertig war, hier auch nicht handelt,
sondern um mehr als ein Jahrhundert früher. Ich bemerke
nebenbei, dass in der Zeit, um welche es sich hier handelt, in welcher
die Städte gerade in ihrer Fntwickelung begriffen waren, ein Jahrhundert
früher oder später von grosser Bedeutung ist.
Die Bemerkung Pick's (S. 243), dass, wenn das Bürgerhaus die
Ausdehnung gehabt hätte, welche ihm die Zeichnung zuweist, es dann
in den Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts nicht als „vor^ und
^anf** dem Parvisch gelegen bezeichnet worden wäre, ist wieder eine
unrichtige. Ein Haus, welches an zwei Strassen liegt, wird im Munde
des Volkes immer an der Strasse liegen, in welcher die Eingangsthür
sich befindet. Wenn Pick meint, ich hätte die Richtigkeit seiner
Bemerkung auch empfunden, als ich in meiner „altern Topographie der
Stadt Aachen^, in Widerspruch mit meinen früher gemachten Angaben
aber nicht ohne Absicht, das Bürgerhaus vom Fischmarkt in die
Schmiedstrasse verlegt habe, so erkläre ich, dass ich beim Schreiben
der „Topographie^ an eine solche Dislozirung nicht gedacht habe.
Pick hat hier wieder einmal die Güte gehabt, von sich auf Andere
zn schliessen.
Welche Scheinschlüsse Pick anwendet, um seine Leser für seine
Aussagen zu gewinnen, sehen wir auf S. 247. Er sagt daselbst:
„ vergebens sucht man in den sehr zahlreichen Posten
oder Rechnungen, welche auf das Grashaus Bezug haben, nach
einem in der Schmiedstrasse gelegenen Anbau desselben. Das
gänzliche Stillschweigen darüber in den Rechnungen, nicht
minder in allen sonstigen lokalen Urkunden, darf als ein
gewichtiges Zeugniss dafür gelten, dass ein solcher Anbau
niemals existirt hat.^
Ich bemerke hierauf, dass ich von einem Anbau nirgends gesprochen
habe. Pick schiebt mir denselben unter, um dann auf Grund seiner
Urkunden gegen denselben vorgehen zu können. Der eine sowie der
andere Flügel des Bürgerhauses ist erklärlicher Weise in den Stadt-
rechnungen nicht besonders genannt, sondern, wo von Ausgaben für
dieselben die Rede ist, heisst es ganz einfach „im Gras*^ oder „im
Bürgerhaus*^.
In einer langen Ausführung, welche auf S. 243 beginnt, bemüht
sich Pick nachzuweisen, dass das ganze Rathhaus, also auch das Erd-
26
geschoss desselben^ von Magister Henricus gebaut worden sei. Dass
dabei die weitern Bantheile, welche die aufgefundene Zeichnung noch
aufweist; also auch der mittlere thurmartige Aufbau und der östliche
Flügel auszuschliessen sind; ist für Pick selbstverständlich, denn er sagt:
;,Wäre das Grashaus nur ein Theil des ursprünglichen
Gebäudes gewesen, man würde gewiss nicht die Inschrift in
dem neuerdings ergänzten Wortlaut und bloss an einem Flügel
des Baues und noch in dessen ganzen Breite angebracht haben. ^
Ich erwidere hierauf, dass es unter vernünftigen und recht-
schaffenen Menschen Sitte ist, eine Inschrift mit dem Namen eines
Meisters auf dessen eigenem Werk anzubringen, nicht aber dort, wo
er nichts gewirkt hat. Magister Henricus hat aber nur den obern Theil
des Grashauses ausgeführt, und etwa IV2 m über den Anfang seines
Werks hat man die ihn verewigende Inschrift an der Stelle des Haupt-
theiles des Gebäudes, dem Rathssaal, angebracht. Uebrigens lagen auch
noch andere technische Schwierigkeiten für das Anbringen einer Inschrift
auf der ganzen Länge des Gebäudes vor. Ein solches hätte nothwendig
eine bauliche Veränderung an der Fagade bedingt, da man nicht die
Inschrift auf der platten Mauer ohne ein Hausteinband mit darüber
befindlichem Gesims, wie es sich am Rathssaal befand, hätte anbringen
können. Dabei stimmten auch die Fagaden der beiden Flügel des
Gebäudes nicht in ihrer äussern Ansicht überein, und man wird dieses
Nichtübereinstimmen nicht dadurch noch mehr haben hervorheben wollen,
dass man eine über den alten und neuen Theil derselben durchgehende
Inschrift daran anbrachte. Man hat, streng genommen, durch die
Inschrift keine Unwahrheit ausgesagt, da der Theil, welcher durch
Henricus ausgeführt ist, schon etwa 1^ m unterhalb der Inschrift be-
ginnt. Aber den untern Theil der Fagade hat er nicht gemacht, wie
folgende Thatsache nachweist. Wie ich auch oben, S. 12 f., angeführt habe,
war die nordöstliche und südöstliche Mauer im Erdgeschoss an der öst-
lichen Ecke in Verband gemauert. An der nördlichen Ecke konnte dies
mit der nordwestlichen und nordöstlichen nicht mehr konstatirt werden,
weil in derselben durch das später eingebrochene Thor c — I eine bau-
liche Veränderung stattgefunden hatte. Dagegen war der obere Theil
der vorderen Fagade weder an der Nord- noch an der Ostecke mit der
nordwestlichen und südöstlichen Seitenmauer in Verband gemauert,
sondern dieselbe nur einfach an diese Mauern angeschlossen. Dieser
Umstand liefert den vollen Beweis, dass der obere Theil der jetzigen
Fagade erst nach dem Abbruch der früher daselbst bestehenden Fagade
aufgeführt worden ist. Daher zeigt auch die Fagade in ihrem untern
und obern Theile eine auffallende Verschiedenheit in der Ausführung.
Man braucht nur die von Pick seinem Aufsatze beigegebene Photographie
anzusehen, und jeder intelligente Mensch wird den Unterschied im Mauer-
werk sofort erkennen. Für den Architekten liegen noch weitere Merk-
male vor. Zunächst würde Meister Henricus, wenn er auch den untern
Theil der Fa^ade ausgeführt hätte, die daselbst befindlichen Thüren so
angebracht haben, dass sie in symmetrischer Beziehung zu den regelrecht
angebrachten Fenstern des Obergeschosses gestanden hätten. Ferner
zeigt die Ausführung des untern Tlieiles der Fagade, bis zu etwa 1 ^ m
unterhalb des Spruchbandes, eine sorgfältigere Auswalil und Bearbeitung
der Steine, bei geringerer Geschicklichkeit in der Mauerung, während
27
der obere Theil grössere Geschicklichkeit in der Mauerang, dabei aber
bedeutende Nachlässigkeit in der Auswahl der Steine aufweist. Nur in
dem südöstlichen Pfeiler hat man noch einige Steine vermauert, welche
mit denen des Erdgeschosses übereinstimmen, und jedenfalls aus dem
Abbruch des frühern obern Geschosses herrühren. Durch die Verschieden-
artigkeit der technischen Ausführung wird auf zwei weit auseinander
liegende Bauperioden hingewiesen. Wäre die Fajade in einem Gusse
ausgeführt worden, so würde die Technik von unten bis oben die gleiche
geblieben sein. Man würde auch nicht bei einem monumentalen Gebäude,
wie das Bürgerhaus, welches der Repräsentant der vor kurzem errungenen
städtischen Selbstständigkeit und der Stolz der Bürger war, vor Vollendung
und Abschluss des Geschosses zu einem abweichenden Baumateriale
gegriffen haben. Sicherlich würde man nicht die Verschiedenheit des
Materials und der Technik in Aufbau des nämlichen Geschosses an d e r
Stelle in Ausführung gebracht haben, wo sie, unvermittelt hervortretend,
dieser üngehörigkeit grössern Ausdruck gegeben hat. Unter allen Um-
ständen aber würde hier das untere Geschoss in derselben Art und
Weise, wie es begonnen, bis zur Gurtleiste über dem Spruchbande durch-
geführt worden sein, weil es damit seinen architektonischen Abschluss
gefunden hätte. Dass dies nicht geschehen, beweist, dass das Material,
in welchem das Erdgeschoss bis zu 1^ m unterhalb des Gurtgesimses
erbaut ist, nicht mehr vorhanden und beim Aufbau des obern Geschosses
eine völlig verschiedene Technik bereits üblich war. Die bedeutende
Verschiedenheit in der Technik des untern und obern Geschosses zeigt
ausdrücklich, dass eine geraume Zeit zwischen der Erbauung dieser
beiden Theile liegt.
Die Verschiedenheit des Mauerwerks in den beiden Geschossen
nennt Pick (S. 260) eine „angebliche^ und sagt, dass sie sich heute
nicht mehr feststellen liesse. Man braucht jedoch nur eine Photographie
des Grashauses vor seiner Restauration in die Hand zu nehmen, und
man wird diese Verschiedenheit leicht erkennen. Pick scheint zu wünschen,
dass diese Verschiedenheit sich nicht mehr erkennen liesse, allein diesen
Gefallen thut sie ihm nicht, und wenn auch für den untern und obern
Theil der Fagade durch die Restauration, und besonders durch den
Fugenputz, eine grössere Uebereinstimmung der beiden Theile erfolgt
ist, so ist sie doch für ein unbefangenes Auge noch heute gut erkenn-
bar. Dass Pick auf eine Erörterung dieser Verschiedenheit, wie er
sagt, nicht eingehen will, glaube ich ihm gerne ; es würde sich dann eben
herausstellen müssen, dass der untere, fensterlos aufgeführte Theil nicht,
Pick's Angabe zufolge, aus Kalksandsteinquadern, die aus den
Steinbrüchen zu Preussisch-Lemiers herrühren sollen, aufgeführt ist,
sondern auch dass an der ganzen Fagade kein Lemierserstein sich vor-
findet, wie es denn überhaupt in Lemiers keinen Kalksandstein giebt.
Wer über bauliche Dinge gehört zu werden beansprucht, sollte doch vor-
her sich die nothwendigsten Kenntnisse der Baumaterialien aneignen.
Auf S. 245 legt es Pick als Beweis für seine Behauptungen aus,
dass in den Stadtrechnungen des 14. und 15. Jahrhunderts die einfache
Bezeichnung „domus" oder „Haus" für das Rathhaus vorkommt, und
schliesst daraus, dass jeder berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der
Ergänzung „hanc domum^ völlig ausgeschlossen sei. Es ist dadurch
aber nichts bewiesen, denn für die Stadtrechnungen dieser Jahrhunderte
28
war das Btirgerhans eben ^ein Haus**, gleichviel von wem es gebaut
worden war, oder was auf seiner Fagade geschrieben stand. So deutet
Pick auch (S. 245) den Umstand wieder zu seinen Gunsten, dass
C. P. Bock, Fr. Bock, H. Damert u. s. w. sich nicht darüber ausgesprochen
oder es als selbstverständlich angenommen haben, dass die Fagade nicht
in verschiedenen Zeiten ausgeführt worden sei. Dies ist durchaus
gewichtlos. Weder C. P. Bock noch Fr. Bock waren Architekten und
in der Praxis der Beurtheilung von in verschiedenen Zeiten errichtetem
Mauerwerk erfahrene Archäologen, weshalb auch die Unterlassung dieser
Unterscheidung in keiner Weise dafür spricht, dass die Fagade in
einem Guss errichtet worden ist. Und wenn H. Damert in seiner Fest-
schrift zur Versammlung der deutschen Ingenieure die verschiedenen
Bauzeiten der Grashausfagade nicht erwähnt, weil die Ingenieure weniger
Interesse dafür aufweisen möchten, als Architekten, so steht darum doch
nicht fest, dass sie nicht existiren. Man sieht, dass Pick sich redlich
Mühe giebt, um Gründe für seine Aufstellungen herbeizuschaflFen, doch
sind leider diese Gründe ebensowenig stichhaltig als seine Aufstellungen.
Wenn die Fagade des Grashauses durch Magister Henricus ganz
gebaut, also demnach aus einem Gusse gefertigt wäre, wie würde dieser
dazu gekommen sein, die im Erdgeschoss befindlichen Eundbogenthüren
so glatt und kunstlos, ohne jegliche Profilirung herzustellen, da er doch
die obern Fenster in einer für diese Zeit fast reichen Arbeit ausführte?
Und welches Interesse hätte er haben können, den Charakter der Bogen
dieser Thüren, welcher auf eine weit frühere Zeit hindeutet, so zu
gestalten? Diese Thüren allein reichen hin, den Untertheil der Fagade
in eine frühere Zeit hineinzuweisen, aber ausserdem beweisen der
Charakter und die Technik des Mauerwerks dasselbe. Hätte Meister
Heinrich die Thüren angelegt, so würde er sie nicht mit einem Rund-
bogen sondern mit einem horizontalen Sturz überspannt haben, wie es
vor und nach seiner Zeit in der gothischen Architektur, zu der doch
das obere Geschoss gehört, üblich war.
Auf S. 252 seines Aufsatzes sagt Pick:
„So dürfte denn der neuerdings dem Grashaus angehängte
Flügelbau aus der Geschichte des denkwürdigen Gebäudes ein-
für allemal zu streichen sein. Dem gleichen Schicksal verfällt
der angebliche Treppenthurm."
Nun, so weit sind wir noch nicht. Dass eine Treppe vorhanden
sein musste, um auf das obere Geschoss zu gelangen, ist selbstredend,
und Pick berichtet urkundlich S. 223, dass noch im Jahre 1717 eine
steinerne Treppe vorhanden war. Die Lage dieser Treppe verursacht
ihm jedoch Beschwerden, da er nicht eingestehen will, dass dieselbe an
der von mir angegebenen Stelle, an der Südostseite des Rathssaales
gelegen habe. Er weist daher auf die Aussage von Fr. Bock hin, dass
ursprünglich neben dem alten Bürgerhause, „wo sich heute kleine Wohn-
häuser in moderner Bauweise befinden, eine besondere Eingangshalle an-
gebracht gewesen sei, die den Zutritt zu den obern Räumen der Kurie
vermittelt habe*'.') Doch unterschiebt er diesem, dass er dabei an die
Nord Westseite des Bürgerhauses gedacht habe, wovon Bock jedoch kein
Sterbenswörtchen gesagt hat. Und alles dieses, damit ja nur nicht die
') Bock, Rheinlands Baudenkmale L Lief. 6, Abth. 2, S. G.
29
Treppe an der Südostseite liegen, und die Thür p Zugang zu einem
Abort bleiben solle.
Auch die geringe Breite von nur 3 m des an der südöstlichen
Seite des Grashauses gelegenen Wohnhauses weiss er sich zu erklären
mit der einen Bemerkung des sonst von ihm verlästerten Quix, wonach
viele Häuser in Aachen schmal gewesen wären. Dann sagt er:
„Ob zudem das Terrain, worauf jetzt das Haus Schmied-
strasse Nr. 9 steht, nicht in älterer Zeit unbebaut war, und
als Brandgasse, zu Kanalreinigung oder zu sonstigen Zwecken
benutzt wurde, bliebe noch zu untersuchen*'.
Wie würde es sich dann mit der Thüi* p verhalten, welche dann
eine Etage hoch sich dem Freien zu geöffnet haben würde ? Diese Thür
würde dann ja ein Nonsens sein. Hier zeigt sich wieder so recht, in
welcher W^eise Pick lokale Schwierigkeiten, die ihm im Wege stehen,
behandelt.
In Ermangelung eines Bessern will Pick den Gedanken nicht auf-
geben, dass vormals auf dem Hofe des Grashauses eine Treppe bestanden
habe, die zu dem obern Geschosse des Grashauses führte. Er meint
dabei, dass, wenn auch bei den Ausgrabungen, welche auf dem Hofe
gemacht worden sind, keine Spuren einer Treppe gefunden worden wären,
so Hesse sich ihr einstiges Bestehen nicht im Geringsten wegleugnen.
Er ist daher so fest davon überzeugt, dass auch das Fehlen jeder
Fundamentspur einer solchen Treppe ihn in seiner Ueberzeugung nicht
wankend macht. Er scheint also anzunehmen, dass man eine steinerne
Treppe ohne Fundament bauen kann; man weiss aber, dass dies un-
möglich ist. Wie sollten aber die Fundamente einer Steintreppe, welche
einen Steinklotz von 3 m Durchmesser und 2 m Höhe bilden mussten,
aus der Erde spurlos verschwunden sein, obgleich das neue Hinter-
gebäude des Archivs, wie Pick selbst (S. 228) betont, weit über die
Mauer des ehemaligen Grashauses hinaus gerückt worden ist, und darüber
hinaus keine weitern Mauerreste zum Vorschein kamen? Dann kann
Pick nicht absehen, warum die Treppe sich nicht bei der Ausmündung
des heutigen Thorweges befunden habe, und meint, was ich dagegen
sage, wäre von keinem Belang. Ein Blick auf den Plan sagt uns
jedoch, dass eine Treppe mit dem Treppenhaus, welches mindestens 3 m
Durchmesser haben musste, noth wendig den Thorweg zubauen würde;
nun, wozu wäre dieser dann aber angelegt worden?
Aber alle von Pick gemachten, aus der Luft gegriffenen Behauptungen
und Ausführungen können es nicht nachweisen, dass sich auf dem Hofe
eine Treppe befunden habe. Es ist daher sein Ausruf (S. 253):
„Wie hätte man aber auch, von der Eathskammer ganz ab-
gesehen, auf das Obergeschoss des Hinterbaues gelangen sollen,
wenn im Hofe nicht eine Treppe gewesen wäre?"
ein wahrer Nothschrei nach einer Treppe, die sich nicht vorfinden will.
Er ist aber ebenso nichtsbedeutend als der verlangende Ausruf nach der
Eathskammer auf S. 229. Er hält an der Treppe auf dem Hofe um so
mehr fest, als er fühlen mag, dass, wenn es ihm nicht gelingt, glauben
zu* machen, dass sich daselbst die Treppe befunden habe, alle seine
Einwendungen und Widersprüche gegen das Wandbild und den grössern
Grashausbau haltlos sind, da dieses Bild sowie die Thür p alle seine
Folgerungen und Scheingründe über den Haufen stossen.
30
Wie Pick mit den lokalen Verhältnissen am Grashaus umspringt,
lässt sich daran erkennen, was er (S. 254) sagt:
„Dass im 14. Jahrhundert, und schon in der ersten Hälfte
desselben, ein Thoreingang zum Gras bestand, lässt sich nicht
in Abrede stellen, aber eben so sicher ist, dass er nicht an
der Stelle des heutigen lag".
Hierfür macht er (S. 254) geltend, dass:
„Neben den am untern Theil der Stirnwand des Gebäudes
zur Belebung und Verstärkung der schweren Mauermasse (?)
angebrachten zwei Rundbogen, die niemals geöffnet waren, ^)
befand sich ehedem nach Nordwesten hin, ein dritter gleicher
Bogen, von welchem, bis zu dem vor wenigen Jahren erfolgten
Umbau, die Ueberreste deutlich zu sehen waren. ^^
Also hier giebt er den dritten Bogen im Erdgeschosse zu, während
er das Wandbild, auf welchem sich die dritte Thür mit ihrem Bogen
vorfindet, auf S. 254 als unrichtig bezeichnet. Die Ueberreste dieser
dritten Thür, wovon Pick spricht, sind auch jetzt noch vorhanden, und
sehr deutlich zu sehen. Dass dieselben bisher Pick entgangen sind,
zeugt dafür, dass er der archäologischen Kenntniss der Architektur, selbst
des Archivgebäudes, unverdächtig ist. Durch das Gesagte will Pick nach-
weisen, dass das Thor nachträglich in die Mauer eingebrochen sei, was
ihm Niemand bestritten hat, und meint, dass das Thor ursprünglich an
einer andern Stelle, vielleicht da, wo jetzt die ersten Häuser links in
der Annastrasse stehen, gestanden habe ! ! 1 Für das Vorhandensein eines
Thores („porta*' in der Stadtrechn. 164.39), welches Wort ebensowohl
eine Thür bedeutet, führt er (S. 254, Anm. 2) an, dass ein solches schon
1344 — 45 reparaturbedürftig gewesen sei. Es wird wohl die Thür C
des Plans gewesen sein, durch welche der Zugang zum Hofe stattfand,
bis später dieselbe zu einem Thor umgeändert wurde.
Ich komme hier wieder auf die Thür p im Plan zurück. Dass
diese, in einer etwa 1 m starken Mauer befindliche Thür kein Eingang
zu einem Abort sein konnte, dürfte doch wohl klar sein ; dass die Mauer
zur Anlage eines Aborts in derselben nicht die nöthige Dicke aufwies,
und dass sie auch nicht zu einem Schranke führte, zeigte die stark
abgenutzte FussschweUe, die auf einen viele Jahrhunderte im Gebrauch
befindlichen Durchgang hinwies. Pick sagt (S. 256), dass man beim
Umbau keine Veranlassung genommen habe, durch eine genaue Unter-
suchung festzustellen, ob die frühere Thür zu einem in der Mauer an-
gebrachten GejÄSS führte, oder ob sie einen Durchgang durch die Mauer
bildete und sagt dann:
„So gering war mit Recht die Bedeutung, welche man der
vermauerten Thüröffnung bei ihrer Auffindung beilegte".
Nein, Herr Pick, nicht wegen der angeblich geringen Bedeutung
hat man die Untersuchung unterlassen, sondern weil man klar und
deutlich sah, dass es eine Thür war, die sich als eine ursprüngliche
Thür in der ursprünglichen, lange vor 1267 (der Zeit der Anlage des
Rathssaales) errichteten Mauer darstellte. Dass man ferner eine solche
Untersuchung in der gemeinschaftlichen Scheidemauer nicht ohne Er-
9 Vergl. unten, wo das Gegentheil nachgewiesen ist.
31
laubniss des Nachbars^ in dessen Eänme sie ansmünden musste^ vornehmen
durfte^ hätte Pick als ehemaliger Amtsrichter doch wissen müssen.
Bekanntlich ist aber Niemand um derartige Belästigungen verlegen.
Unsinnig ist auch seine Aussage^ dass sie vielleicht aus einem Kamin
hergestellt gewesen sei; es würde sich dies ja auf den ersten Blick
gezeigt haben. Zudem war sie die einzige Thür, durch welche der
Zugang zur Treppe vermittelt werden konnte, da, wie oben bereits an-
gedeutet ist, weder in der nordwestlichen noch in der nordöstlichen
Mauer jemals eine weitere Thür sich befunden hat, wie das Mauerwerk
es unbestritten ergab.
Die Thür q in der Mauer zwischen dem alten Saal und der Raths-
kammer konnte nur zur Verbindung zwischen diesen beiden Räumen
dienen, da die Rathskammer hofwärts keinen Ausgang haben konnte,
weil sich daselbst keine Treppe befand. Und doch muss eine Treppe,
welche zur Rathskammer führte, bestanden haben, da sie im Jahre 1717
noch urkundlich vorkommt; sie muss aber auch bestanden haben, so
lange die Rathskammer als solche benutzt worden ist. Da sich nun
weder an der nordwestlichen, noch an der nordöstlichen Seite, noch hof-
wärts eine Ausgangsthür befand, welche zur Treppe führen konnte,
muss letztere an der Südostseite des Grashauses gelegen haben. Nun
mündet die Thür p aus in einen Raum, auf welchem jetzt ein Haus
steht, welches, wohl das schmälste Haus der Stadt, nur 3 m Breite auf-
weist, also eine Breite, welche gerade passte, um eine bequeme Wendel-
treppe anzubringen. Kann nun, angesichts der Thür p und der auf-
gefundenen Wandzeichnung, noch ein Zweifel darüber bestehen, dass sich
auf diesem Räume die nach oben führende Treppe befunden, da doch
keine Möglichkeit vorliegt, dass sie an einer andern Stelle gelegen habe?
Jeder vernünftige Mensch wird unbedingt sagen müssen, dass nur an
der Südostseite die nach oben führende Treppe gelegen haben kann.
Wie die Wandzeichnung es andeutete, bildete der schmale Mittel-
thurm des dargestellten Gebäudes einen rundlich vorragenden Thurm,
der mit einem spitzen Dache überdeckt war. Hier haben wir demnach
die Form der mittelalterlichen Treppenthürme, wie sie an zahllosen
Burgen und Schlössern vorkommt. Die am Fusse des Thurmes etwas
gross gezeichnete Thür musste nothwendig zur Wendeltreppe führen,
welche ihren Ausgang in einen Raum R (vergl. den Plan) nahm, der
vor dem frühem Rathssaal lag. Diese Anlage steht auch in völliger
Uebereinstimmung mit der auf dem Markte neben dem Rathhause
befindlichen Kaisertreppe, welche noch jetzt zu dem im obern Geschosse
des Rathhauses befindlichen Kaisersaal führt. Diese Kaisertreppe führte
ehemals und noch jetzt von der Strasse hinauf zu einem Vorplatz, genau
ebenso wie es die Treppe am Grashaus gethan haben muss. — Die
Uebereinstimmung der Anlage der Treppen an den beiden Rathhäusern,
welche von der Strasse nach den obern Geschossen führen, ist bemerkens-
werth ; es wäre eben nicht unmöglich, dass die Anlage der einen Treppe
auf die der andern einen Einfluss ausgeübt hätte.
Es ist klar, dass im Laufe der Zeit mit dem Treppenthurm und
der Treppe, in der Form wie die Wandzeichnung andeutet, Ver-
änderungen stattgefunden haben, wodurch der Thurm entfernt wurde und
der Treppe eine andere Gestalt gegeben worden ist. Aber immerhin
muss sich dieselbe in dem Raum befunden haben, den jetzt das Haus
32
Schmiedstrasse Nr. 9 einnimmt^ da die Thür p in diesen Ranm mündete.
Da der Zugang zur Bathskammer noch im Jahre 1717 über eine
steinerne Treppe führte, so kann diese auch, weil von einer andern Seite
her kein Zugang zur Bathskammer vorhanden war, sich nirgends anders
als in diesem Hause befunden haben. — Was den nordöstlichen Flügel
des Gebäudes betrifft, so dürfte dieser später als überflüssig von der
Stadt verkauft worden sein, doch konnte dies nur erst dann geschehen,
als das Rathhaus auf dem Markte von der Stadtverwaltung bezogen
worden war.
Auf S. 243 bespricht Pick die Inschrift des Grashauses. Er
sagt vorsichtig „die jetzt erneuerte Inschrift^ spreche gegen die
Annahme eines Flügelbaues. Sie besage ausdrücklich, dass Magister
Henricus dieses Haus (hanc domum) im Jahre 1267 erbaut habe. Er
ereifert sich gegen mich, dass ich es gewagt habe, die Erneuerung
„hanc domum ^ nicht für richtig zu halten und sie nach der Meinung
„Anderer*' in „hoc opus*' verbessern zu sollen glaube. Diese „Andern"
sind, wie es mir scheint, bloss Dr. Fr. Bock, welcher (in Bheinlands
Baudenkmale I, Lief. 6, Abtb. 2, S. 6) mit Becht hoc opus als Ergänzung
gebracht hat. Wenngleich Pick sonst mit Vorliebe Fr. Bock citirt,
sobald er mit ihm iu Uebereinstimmung steht, so unterlässt er es
hier, seinen Namen zu nennen, weil derselbe mit mir einer Meinung ist.
Um das „hanc domum** als richtig darzustellen^ beruft er sich auf die
Inschriften der Bathhäuser zu Bheinberg und Neuss, welche auch in
Inschriften als „domus** und „Haus** bezeichnet wären. Aber das ist
doch etwas ganz Anderes, dort wurden neue ganze Bathhäuser auf-
geführt, während hier nur ein Theil eines solchen neu hergestellt wurde.
Hätte die Inschrift „hanc domum** gelautet, so würde sie eine Unwahr-
heit gewesen sein, da Magister Henricus nicht das ganze Haus, sondern
nur einen Theil desselben errichtete, da die weitern Umfassungsmauern,
die doch auch zum Gebäude gehören, nicht von ihm herrühren. Hier
bezog sich „hoc opus** nur auf den von ihm neu errichteten Theil, an
welchem auch die Inschrift angebracht war. Die „hervorragenden Fach-
genossen**, welche mit Pick das „hanc domum *" bestimmt haben, dürften
jedenfalls, wie er, angenommen haben, dass Meister Heinrich das Bürger-
haus ganz gebaut habe, was jedoch, wie wir gesehen haben, unrichtig
ist. — Ich überlasse es dem geneigten Leser zu beurtheilen, ob, nach
den von mir nachgewiesenen baulichen Verhältnissen, ,, hanc domum'' oder
„hoc opus*" das Bichtige ist.
Am Schlüsse des 3. Capitels sagt Pick:
„Die vorstehende Ausführung stellt, so dünkt mir, zur
Genüge klar, dass für die Annahme eines vormaligen Treppen-
thurmes an der südöstlichen Seite des Grashauses kein Anhalts-
punkt vorhanden ist**.
Ich erwidere hierauf: das Nichtvorhandensein einer Treppe an der
südöstlichen Seite des Grashauses setzt nothwendig eine solche an einer
andern Stelle voraus, die aber Pick, trotz aller Geistesanstrengungen,
nicht hat nachweisen können. Die von ihm angenommene Treppe im
Hof hängt, wie ich nacbgewiesen habe, vollständig in der Luft, und
eine solche im Thorweg anzunehmen, streitet gegen alle gesunde Vernunft.
Die Exklamation auf S. 253 beweist ebensowenig wie die auf S. 229,
nur bekennt Pick dadurch, dass er weder die Bathskammer noch die
33
Treppe nachweisen kann, obgleich er sich den Anschein giebt, als
könnte er alles bis zum letzten Pünktchen auf dem I beweisen. — Da-
gegen zeigen die Wandzeichnung und die Thür p, welche Pick gerne
wegschaffen möchte, in klarer und einfacher Weise, wo die Aufgangs-
treppe, sowohl zum frühem Rathssaal als zur spätem Rathskammer, sich
befunden haben muss. Die Thür allein weist nach, dass die Treppe
an der Südostseite lag, und die Zeichnung giebt die genauere Stelle
derselben an. Thür und Zeichnung ergänzen sich in klarster Weise,
und die Pick'schen Anzweifelungen und Bekrittelungen der Lage der
Treppe an der Südostseite des Rathssaales können den gebrachten Nach-
weis derselben nicht entkräften.
Im 4. Capitel seines Aufsatzes, welches Pick „die Gefängnisse im
Grashaus " überschreibt, bringt er (S. 261) die Notiz, dass die erste
Erwähnung der Geföngnisse im Grashause in der Stadtrechnung von
1349/50 vorkomme, und sagt ferner:
„Da es sich hier um eine Wiederherstellung des Raths-
gefängnisses handelt, so muss letzteres offenbar schon früher im
Grashaus bestanden haben. Das ist ebenso einleuchtend, wie
die weitere Folgerung, dass die Einrichtung des nothwendig mit
der Bestimmung des Gebäudes zusammenhängenden Gefängnisses
zeitlich mit dessen Anlage im Jahre 1267 in Verbindung zu
bringen ist. Urkundlich steht fest (wo?), dass die Gefängniss-
zellen sich im 14. Jahrhundert in dem Unterbau des Grashauses
befanden, der exakte Forscher wird sie, sofern keine sachlichen
Gründe entgegenstehen, auch für die frühere Zeit an der
nämlichen Stelle suchen müssen."
Es ist dies wieder eine willkürliche, auf Nichts gegründete Aus-
legung der betreffenden Stelle der Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts.
Dieselben sagen zum Jahre 1349, S. 223, 20 It. de reparacione captivitatis
domus civium 20 sol. Wie hierdurch festgestellt sein soll, dass dieses
Gefängniss sich im Unterbau des Grashauses befunden habe, ist unerfind-
lich, indem doch bloss von dem Gefängniss des Grashauses die Rede ist,
aber nichts über seine Lage gesagt wird; es kann sich daher an jeder
andern Stelle desselben befunden haben. *) Wäre er in der Lage, dieses
Gefängniss, als im Unterbau des Grashauses liegend, urkundlich feststellen
^) Mit der Bezeichnung Grashaus war nicht immer bloss das aus Vorder-
und Hinterbau bestehende ehemalige Rathsgebäude gemeint, sondern auch die
auf dem Hofe befindlichen Gebäulichkeiten lagen „im Grashaus". So sagt
Pick S. 226:
„Am 7. März 1702 vernahm im Auftrage der Bürgermeistes der
Sekretär S. Pelsser im Grashaus die dem Vorgeben nach unpässliche
Frau des Grasbe wahrers Jacob Ntitten über die kurz vorher statt-
gehabte Flucht eines Gefangenen. Während er damit beschäftigt war,
trat der Statthalter des Voigtmajore, Abels, in Begleitung des Prokurators
Langendorf und des Amtmanns Rosskamp in die Küche und erhob
gegen das Verhör Einspruch**.
Auf S. 217 berichtet Pick aus einem Rathsprotokoll vom 9. Juli 1667,
worin es heisst:
„ ist wolgemelter rath aufgestanden und in ordine den
stiegen hinunder bis durch die Laetsch zur galer ayen im Gras-
haus s hinauf (gangen) alwo der armen Sünderinnen per secretarium die
34
za können^ so würde er gewiss nicht verfehlen es zu thnn. Es kann nicht
bestritten werden^ dass sich im Gras, noch andere Gefängnisse befunden
haben, deren Lage Pick aber ebensowenig nacliweisen kann, wie er
bekennt, die des Frauengefängnisses nicht zu wissen. Es ist diese Anf-
stellnng Pick's wieder eine seiner Urknndenauslegungen, wodurch er
glauben machen will, dass die Gefängnisse im Grashaus bereits beim
Bau des Obergeschosses im Jahre 1267 angelegt worden seien. Dieser
Urkundenauslegung stehen jedoch hinreichend „sachliche Gründe *" ent-
gegen. Bei dem Abbruche der Gefängnisse hat sich ergeben, dass die
ursprünglichen nordöstlichen und südöstlichen Umfassungsmauern nicht
mit den die Gefängnisse umschliessenden Mauern in Verband gemauert
waren, sondern erstere nur von letztern verblendet worden sind. Diese
Thatsache beweist zunächst, dass der untere Theil der Fa^ade und der
südöstlichen Mauer ein höheres Alter aufweisen als die Gefängnisse, denn
wären sie gleichalterig, so würden die Gefängnissmauern mit den
ursprünglichen äussern Mauern in Verband gemauert worden sein. Dann
wiesen die Mauern der Gefängnisse ein anderes Baumaterial auf, als
die äusseren, nämlich Blaustein, welcher etwaigen Anbrechungen bessern
Widerstand zu leisten vermochte. Es ist daher ausser aller Frage, dass
die Gefängnisse später angelegt worden sind, als die Umfassungsmauern.
Wie ich oben, S. 13, gesagt habe, sind die sämmtlichen Gefängnissmauern
aus einem Guss gefertigt, was daraus folgt, dass sie miteinander in
Verband gemauert waren. Auch fand dies beim Hanseloch statt. Es
ist daher eben eine leere Ausrede wenn Pick sagt, dass dieses
Gefängniss bei der Wiederherstellung des Grashauses in den sechsziger
Jahren des 17. Jahrhunderts, oder bald nachher, errichtet worden zu sein
scheine. Wie die Gefängnisse ursprünglich angelegt wurden, so sind
sie auch bis zu ihrem vor wenigen Jahren erfolgten Abbruch geblieben,
und ist bis dahin keine bauliche Veränderung daran vorgenommen worden ;
diese ist Pick's Erfindung. Wäre eine solche eingetreten, so würde
sich dies am Mauerwerk klar gezeigt und ich solches bereits früher
erwähnt haben. Aber weder an den aus behauenen Blausteinen bestehen-
den Mauern noch aus den zugerichteten Bruchsteinen der Gewölbe
zeigte sich eine Spur einer baulichen Veränderung. Die bei denselben an-
gewandte Technik und Anlage wies klar und deutlich nach, dass sie
gegen das Ende des 14. Jahrhunderts errichtet wurden. Es ging dies
auch aus der Weise der Bearbeitung der Hausteine und der Zusammen-
setzung und Verarbeitung des angewandten Mörtels hervor. Uebrigens
ist diese Zeit der Erbauung auch von anderen sachverständigen Architekten
festgestellt worden.
Nachdem die Ge^ngnisse fertig gestellt waren, raussten auch die
beiden in der Fa§ade noch sichtbaren Thüren zugemauert werden. Es
urtheil des tods vorgelesen und durch den Scharfrichter volnzogen
worden**.
Auf S. 264 bringt er (in Anra. 4) aus einem Beamten-Pi-otokoUe vom
21. Oktober 1706 :
„Ferners ist herren baumeistem aufgeben, die im Q rashaus
liegende schwein und daselbst gemachte stalle abschaffen zu
lassen**.
Aus diesen angeführten Beispielen, deren noch mehr gebracht werden können,
ergiebt sich, dass, wenn von Oebäulichkeiten im Hofe des. Grashauses die Rede
ist, selbe als im Grashaus befindlich bezeichnet wurden.
35
ist ein Nonsens anzunehmen^ wie Pick (S. 254) es thut, dass diese Thären
niemals geöffnet gewesen sind, oder dass dieselben, wie er sagt,
„zur Belebung und Verstärkung der schweren Mauermassen'' ?
angelegt worden seien. Vielmehr dienten sie im ursprünglichen Gebäude als
Thüren und Fenster des Erdgeschosses. Ein Erdgeschoss muss vor-
handen gewesen sein, da ein Obergeschoss doch auch ein Untergeschoss
bedingt. Auch die Verschiedenheit des Mauerwerks weist auf eine
spätere Zeit der Zumauerung der Thüren hin.
Es ist oben, S. 13, von mir gesagt worden, dass beim Abbruche der
Gefängnisse an der Südostmauer 23 Kragsteine zu Tage getreten sind,
welche zu der ursprünglichen Mauer gehörten, aber bis dahin durch das
Mauerwerk der Geföngnisse bezw. der Gewölbe, verdeckt, d. h. ummauert
waren, sowie auch, dass diese Kragsteine die Balken des Fussbodens des
obern Geschosses zu tragen hatten. Da diese Kragsteine vom Mauer-
werk des Gefängnisses ummauert waren, müssen nothwendig die Balken
entfernt worden sein, was selbstredend die Zerstörung des Fussbodens des
Eathssaales zur Folge hatte. Da dies die Benutzung des letztern
verhinderte, so muss der Bau der Gefängnisse zu einer Zeit statt-
gefunden haben, in welcher das Rathhaus nicht benutzt wurde. Hatten
nun die Eathsherren solche lange Ferien, dass während derselben — bei
dem damaligen langsamen Bauen — die Gefängnisse errichtet werden
konnten, oder ist nicht eher anzunehmen, dass der Bau derselben erst
dann zur Ausführung kam, als das neue Rathhaus auf dem Markte
fertigt gestellt war? Ich glaube wohl mit Sicherheit letzteres annehmen
zu können, wei] damit auch die angegebene Bauzeit stimmt. Nun
bringen die Stadtrechnungen vom Jahre 1394, Seite 393,31 einen Aus-
gabeposten von 7 mark 10 Schill, „um dat duyster loich in der burger
huys zu machen son stein, son sant, son loins".^) Bestätigen diese
Umstände nicht die Richtigkeit, dass die Gefängnisse am Ende des 14. Jahr-
hunderts und nicht zu einer andern Zeit gemacht worden sind? Wenn
auch Pick mit Recht die oben aus den Stadtrechnuiigen angeführte
Summe nicht für hinreichend hält, das ganze Gefängniss zu erbauen, so
bemerke ich, dass von den Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts die
Rechnung des Jahres 1394 sehr lückenhaft ist, und von den diesen
zunächst stehenden Jahren 1392 und 1393 die Ausgaberechnungen, und
von 1394 ab bis 1400 die sämmtlichen Rechnungen fehlen. Dabei
wird auch die Bauzeit bei ihrer langen Dauer sich aus dem einem Jahr
in das andere hingezogen haben, und bei dem Fehlen dieser Jahrgänge
erhalten wir keine Kunde über die ganzen, für den Bau der Ge^ngnisse
verausgabten Summen. lieber das Fehlen dieser Rechnungen schweigt
Pick aber, und obgleich ich diesen Umstand auch in der „Grashausfrage'',
S. 21, herangezogen habe, sieht er sich nicht veranlasst, denselben anzu-
führen, da dies seine Ausführungen widerlegen würde. Dass der Bau
der Gefängnisse in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts statt-
gefunden, weisen auch die Bruchstücke zweier undatirter Rechnungen
nach, welche Pick selbst dieser Zeit zuschreibt (Pick, Nachträge, S. 631).
1) Pick verfehlt nicht ])ei dieser Gelegenheit seinem verdienten Vorgänger
Laurent einen Vorwurf über Ungenauigkeit zu machen. — Mit dem Ausdruck
duyster Loch scheint wohl das ganze Gefängniss gemeint gewesen zu sein, da
die sechs Zellen im Vorderbau des Grashauses gleich duyster (dunkel) und nur
das Hanseloch etwas besser erleuchtet war.
36
j,In dem ersten lieisst es: Item boven dat duyster loch in der burger
bus eyn esterich, leym, latzen, strö, plackeren, kerzen 6 marc 3 Schillinge •,
Die andere, eine Rechnung über Zimmerarbeiten lautet : Item boven dat
duister loch eynen estrych von leym. Item vu(r) lacen in vur leyen in
vur stro in vur kercen 27 Schillinge, den plackyren 2 marc". Hierzu
fügt Pick die Bemerkung: „Estrich, gewöhnlich = Fussboden, hier wohl
Decke" ! ! Pick nimmt also an, dass an der gewölbten Decke im Innern
der Gefängnisse der Estrich angebracht gewesen sei. Diese Annahme
entspricht seinen baulich-archäologischen Kenntnissen. — Die Summe
von über 8 Mark reichte hin, um über das ganze Gefängniss einen
Lehmstrich aufzubringen.
Ein weiterer Umstand, welcher die Richtigkeit der angegebenen
Bauzeit bestätigt, ist die Durchbrechung der Fagade und der Inschrift
durch die Luftiöcher der Gefängnisszellen A und B des Plans. Dass
diese Luftlöcher bei der Anlage der Gefängnisse gemacht wurden, wird
dadurch bewiesen, dass dieselben in der innem Blausteinverblendung an-
gesetzt resp. gemauert und nur in dem äussern, urspünglichen Mauer-
werk ausgebrochen waren. Man wird doch auch nicht die Fagade des
neuen Bürgerhauses gleichzeitig mit ihrer Anlage verstümmelt haben.
Es konnte daher dieses Löcherbrechen, welches das Grashaus für die
Folge zu einem Gefängniss stempelte, sowie die damit verbundene Ver-
unzierung der Fagade und die Verstümmelung der stolzen Inschrift der-
selben, vernünftigerweise nicht stattfinden, so lange sich dort das Rath-
haus befand; die aachener Bürger hätten sonst allen Ehrgefühls bar
sein müssen. Es ist dieses Löcherbrechen in der Fagade ein Beweis
dafür, dass der untere Theil derselben nicht von Meister Heinrich aus-
geführt worden ist. Denn wenn dieser, wie es aus der Folgerung Pick's,
S. 261, hervorgeht, die Geföngnisse angelegt hätte, so würde er jedenfalls
den Luftlöchern eine baugemässe Einfassung und Schmiege gegeben
haben. Aber sicher hätte er sie nicht so angelegt, dass sie die Inschrift
durchbrochen und verstümmelt hätten. Der Umzug des Raths aus dem
alten Bürgerhaus zum neuen Rathhause auf dem Markte hat etwa
gegen 1370 stattgefunden, und erst nachdem er geschehen war, und die
Bürger im Grashaus nicht mehr ihr Rathhaus sahen, konnten die Löcher
in die Fagade gebrochen und diese verstümmelt werden.
Es dürfte demnach das Bestreben Pick's, glauben zu machen, dass
die Anlage der Gefängnisse gleichzeitig mit der der Fagade stattgefunden
habe, als verunglückt zu betrachten sein. In der beifolgenden Zeichnung
ist, wie oben bemerkt, das Mauerwerk, welches behufs der Anlage der
Gefängnisse ausgeführt wurde, durch eine andere Schraffierung als die
der übrigen Theile der Gebäude, angedeutet. Man erkennt daraus, dass
die Anlage des Thorweges mit der der Gefängnisse gleichzeitig ist, mithin
der Thorweg dem Ende des 14. Jahrhunderts angehört. Dass zu dieser
Zeit auch das Strassenthor angelegt worden, dürfte selbstredend sein,
da ein Thorweg ohne Thor zwecklos ist. Es kann auch nichts dagegen
eingewendet werden, dass die an der Stelle des Thors sich ehemals
befindende Thür c des Plans, als Thür des Durchganges zum Hofe des
Grashauses gedient habe. Dieselbe dürfte, wegen der im Innern des
Gebäudes ad hoc angebrachten Durchgangs- und andern Anlagen die
Veranlassung gewesen sein, dass der Thorweg an dieser Stelle angelegt
wurde :
37
Auf S. 263 bespricht Pick die von mir oben S. 5 gebrachte Auf-
findung von 23 Kragsteinen, und sagt dann weiter:
„Die Entdeckung ergab, dass die Bedielung des Obergeschosses
ursprünglich tiefer als in späterer Zeit lag und ihre Erhöhung
durch einen Umbau des Gefängnisses herbeigeführt worden war.
Wann dieser, offenbar fälschlich für die erste Anlage des
Gefängnisses ausgegebene, Umbau stattfand, ist bisher noch nicht
aufgeklärt. "
Es ist, wie oben bereits klar gelegt worden, durchaus unwahr,
dass an den Gefängnissen im Grashaus ein Umbau, und besonders ein
solcher durch welchen die Gewölbe höher gelegt worden sind, statt-
gefunden habe. Besonders ist dies nachgewiesen durch die von Pick
(Nachtrag, S. 631) gebrachten Bruchstücke von zwei oben mitgetheilten
Rechnungen über den Estrich im Grashaus. Dieser Estrich, den Pick
verständnisslos als an der Decke der Gefängnisszellen befindlich annimmt,
konnte nirgendwo anders angebracht gewesen sein, als auf den Gewölben
der Gefängnisse. Wären die Gefängnisse im 14. Jahrhundert nicht so
hoch angelegt worden, dass deren Gewölbe als Unterlage des Fussbodens
des Rathssaales dienten, so wäre der Estrich, als überflüssig, gewiss nicht
aufgebracht worden, da ein solcher nur dort gelegt wurde, wo er in
einem Räume als Fussboden diente. Es müssen daher folgerichtig die
Gefängnissgewölbe ursprünglich so hoch angelegt worden sein, dass der
unmittelbar auf denselben angebrachte Estrich als Fussboden des Raths-
saales diente. Es ist oben bemerkt worden, dass das Mauerwerk der
Gefängnisse sich beim Abbruch derselben völlig intakt vorfand und
zeigte, dass niemals ein Umbau stattgefunden hatte. Aber Pick will
einen spätem Umbau, um es bestreiten zu können, dass die Gefängnisse
aus dem 14. Jahrhundert herrühren. Behufs dessen sagt er auf S. 264:
„Nichts spricht dagegen, dass die Veränderung (der Ge-
fängnisse) bei der Wiederherstellung des Grashauses nach dem
Stadtbrande von 1656 oder bald nachher vorgenommen wurde".
Dies weist darauf hin, dass er durchaus einen spätem Umbau
ausgeführt wissen will. Hierzu bringt er, S. 164, ein städtisches Beamten-
Protokoll vom 30. Juli 1706, worin es heisst:
„Dan ist auf angehorte relation der herren baumeister
deren neu erbauender gefangenussen halber im Grashauss den-
selben ferners aufgeben, damit also und zur perfection derselben
verfahren zu lassen^.
In diesem Protokolle ist nicht von einem U m bau, sondern von einem
Neubau von Gefängnissen die Rede. Es können mit der Ausführung
dieses Neubaues die im Erdgeschosse des Grashauses befindlichen Gefängnisse
nicht gemeint gewesen sein, da diese damals schon bestanden und bis
zuletzt bestehen geblieben sind, und muss daher der Neubau von anderen
im Grashaus gelegenen Gefängnissen beabsichtigt gewesen sein. Wurden
doch, wie ich nachgewiesen habe, die auf dem Hofe des Grashauses be-
findlichen Gebäude als im Grashaus liegend, bezeichnet.
Man sieht, wie gewissenhaft „der exakte Forscher** seine Urkunden
auslegt: passt es zu seinem Zweck, so macht er aus einem Neubau
einen U m bau ! Es kommt ihm also nicht darauf an, eine Urkunde anders
38
zu erklären als der von ihm selbst gebrachte Text derselben ausdrück-
lich besagt. — Wenn Pick es mit sich vereinbar hält, solches zu thuD,
welches Vertrauen kann ihm dann noch bei seinen Ausführungen entgegen
gebracht werden? Ob seine Aussage mit der Wahrheit übereinstimmt,
scheint für ihn nicht von Belang zu sein.
Ein Beispiel, welches auch zeigt, wie wenig es Pick darauf an-
kommt, Mittheilungen anderer Schriftsteller nicht sinngemäss wiederzu-
geben, befindet sich weiter auf S. 264. In dem von mir „Aus Aach.
Vorz. II" gebrachten kleinen Aufsatze über das Grashaus habe ich S. 86
gesagt: „Zu welcher Zeit der obere Eaum aufhörte, als Sitzungssaal für
den Eath zu dienen, ist nicht genau festgestellt. In den Stadtrechnungen
des 14. Jahrhunderts wird derselbe im Jahre 1349 zuletzt als Eaths-
saal — domus consilii — und durch den Eath benutzt erwähnt. Von
da ab kommt er als Eathssaal in den Stadtrechnungen nicht mehr vor;
es muss jedoch bemerkt werden, dass vom Jahre 1349 ab, mit Ausnahme
kleiner Bruchstücke aus den Jahren 1353 — 1373, diese Eechnungen
sämmtlich fehlen." Hierüber sagt Pick S. 264:
„Ihn (den Umbau der Gefängnisse) mit der im 14. Jahrhundert
erfolgten üebersiedlung der städtischen Verwaltung ins Eathhaus
auf dem Markte in Verbindung zu bringen, wie es Ehoen thut,
der in den Stadtrechnungen das Obergeschoss des Grashauses
„im Jahre 1349 zuletzt als Eathssaal (!) — domus consilii —
und durch den Eath benutzt '^ findet, und eine spätere Benutzung
desselben seitens dieser Behörde nicht kennt, erscheint schon
nach den im ersten Abschnitt mitgetheilten urkundlichen Belegen
als völlig ausgeschlossen*^ ! ! ! —
Es mag ja jedem Schriftsteller gestattet sein, aus den Werken eines
andern Schriftstellers, und unter Anerkennung desselben, soviel er für
gut findet, zu entnehmen, auch damit im Satze abzubrechen, aber es
zeigt einen Mangel schriftstellerischen Schicklichkeitsgefühls, etwas weg-
zulassen, was dem angeführten Theile einen andern Sinn giebt oder
dessen Inhalt einschränkt oder gar verdreht. Doch darüber setzt Pick sich
hinweg. Wenn man das im Vorhergehenden Mitgetheilte in Betracht
zieht, kann man ein solches Verfahren kaum auffällig finden.
Auch im 4. Capitel hat Pick mit seinen Aufstellungen über die
Gefängnisse, welche im Grashausgebäude lagen, Fiasco gemacht. Die
Urkunden lassen ihn wieder in Stich und bezeichnen ihm ebensowenig
die richtige Lage der in Eede stehenden Lokale, als im 2. Capitel
die der Eathskammer. Sie sind werthvoll für die Geschichte aber werth-
los für die topographische Archäologie, da er durch dieselben nicht die
genaue Stelle eines einzigen Lokals hat nachweisen können. Doch
benutzt er sie in einer ihm eigenthümlichen Weise zur Heraus-
konstruirung seiner Aussagen, womit er glaubt, seinen Gegner, der sich
der Thatsache als Urkunde bedient, widerlegen zu können. — Wie
wenig ihm dies gelungen ist, dürfte im Obigen nachgewiesen worden sein.
39
Zum Aufsätze auf Seite 270:
Das Rathhaus zu Aachen.
In diesem Anfsatze sagt Pick^ S. 270:
„Der Marktthurm des Eathhauses wurde im 14. Jahrhundert
an der Stelle eines altern^ zur ehemaligen Pfalz gehörigen
Thurmes errichtet. Dieser letztere Thurm, in welchem man
allgemein die westliche Exedra des karolingischen Festsaales
erblickt, wurde 1334 abgebrochen.*'*)
Für diese Aufstellung hat Pick keinen geschichtlichen Anhalt, durch
welchen er sie nachweisen kann, da die Zeit, in welcher der Eathhaus-
bau ausgeführt wurde, nicht festgestellt ist. Es ist auch durch nichts
bewiesen, und eine willkürliche A nnahme Pick's, dass man allgemein
einen Thurm in der westlichen Exedra erblickt habe. Ursprünglich wies
der Reichssaal drei Exedren auf, und bildete demnach ein Trichorium.^)
So lange der Eeichssaal bestand, bildete die westliche Exedra den
wichtigsten Theil desselben. Die Konstruktion des Reichssaales war
nicht geeignet, um eine der Exedren als Thurm ausbauen zu können.
Die westliche Exedra war am Reichssaal das. Was das Chor an der
Kirche ist, und bildete ebenso wie jenes, in seiner baulichen Form
eine Apsis. Das Mauerwerk derselben überragte nicht das des Reichs-
saales, sondern bildete dessen westlichen Abschluss und Halt. Dass dieser
Gebäudetheil damals, wie Pick sagt, als Thurm keinen Namen gehabt
habe, glaube ich gern, da er vor dem 14. Jahrhundert kein Thurm
war. Nur durch den Bau des Rathhauses in der jetzigen Konstruktion
wurde es möglich, die Exedra als Thurm aufzubauen, dessen Helm
mit der einen Hälfte auf der Halbkreisrundung und mit der andern auf
den Rathhausbau ruhte. In dieser Konstruktion erhielt die Anlage erst
den Namen Marktthurm. Vor Pick hat niemals Jemand diese Exedra
als Thurm bezeichnet, weil sie eben kein solcher war.
Die Bezeichnung der Exedra als Thurm hat bei Pick einen anderen
Zweck ; er will nämlich dadurch glaubhaft machen, dass der unter dem
Namen „Aula** damals noch bestehende Theil der karolingischen Pfalz,
in welchem seiner Zeit sich die Wohnräume des Kaisers befanden, im
14. Jahrhundert nicht existirt habe, und dass das mit dem Namen Aula
bezeichnete Gebäude das Rathhaus gewesen sei. Da nun, wie die Stadt-
rechnungen nachweisen, auf der Aula sich ein Thurm befand, der 1334
abgebrochen wurde, so möchte er die Exedra als diesen hinstellen. —
Die Aula, in deutscher Sprache der „sal" oder ^sall^ genannt, ist in
der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts abgetragen worden^) und kommt
nach dieser Zeit nicht mehr vor.
1) Es muss bemerkt werden, dass der Marktthurm und das Rathhaus gleich-
zeitig errichtet wurden, da beide Bautheile konstruktiv verbunden sind.
2) Zeitschrift des Aach. Gesch.- Ver. HI, S. 42.
3) Da die Aula, wie durch die Grafschaftsbücher nachg-ewiesen wird, um
1460 nicht mehr bestand, sie aber in den Stadtrechnungen bis zum Ende des
14. Jahrhunderts erwähnt wird, so ist es offenbar, dass sie in der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts abgetragen wurde.
40
Zunächst bemüht Pick sich; aas topographischen Verhältnissen
nachweisen zu wollen^ dass die Aula identisch sei mit dem Eathhause.
Hierzu sagt er, S. 276 :
;,Die um 1460 angelegten Grafschaftsbücher der Stadt Aachen
zählen die damals an der Ost- und Südostseite des Marktes
gelegenen Gebäude sämmtlich auf, aber vergebens sucht man
unter ihnen die Aula^.
Es ist richtig; dass Pick an der Ost- und Südostseite des Marktes
die ;;Aula^ vergeblich sucht; da sie doch niemals daselbst gestanden haben
kann. Er scheint es auch zu vergessen; dass die Bezeichnung ;, Aula*' nur in
den in lateinischer Sprache geschriebenen Urkunden vorkommt; während
sie in der deutschen Sprache mit „sal" oder ;,sall" bezeichnet wurde.
Da aber die Grafschaftsbücher in deutscher Sprache geschrieben sind, so
ist es selbstredend; dass in denselben die Bezeichnung ^Aula'^ nicht
vorkommt. Da bei der Anlage der Grafschaftsbücher; welche das damalige
Kataster der Stadt bildeten; die Aula nicht mehr bestand; so konnte sie
selbstredend nicht in diese Bücher aufgenommen werden, da sie nur die
Grundstücke; welche auf der Stelle der ehemaligen Aula sich befanden,
verzeichnen konnte. Daher können auch die Grafschaftsbücher nicht als
Beweis für oder gegen das ehemalige Vorhandensein der Aula angeführt
werden. Es sind darum auch alle Anführungen aus den Grafschaftsbüchern
sowohl als aus den Urkunden nach 1450 für diese Sache als durchaus
nichtsbedeutend zu erachten. —
Dann fährt Pick auf S. 277 fort:
„ sie (die Aula) kann sich dort auch nicht befunden
haben; da aus den Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts; in
Verbindung mit dem etwas altern Todtenbuch des Aachener
Marienstifts und einzelnen Andeutungen lokaler Urkunden; mit
Bestimmtheit hervorgeht :
1. Dass Aula; wenigstens im 13. und 14. Jahrhundert und
zweifellos auch früher; in Aachen nichts anderes als die
lateinische Uebersetzung des deutschen Ausdrucks Saal (Sal)
war; letzterer nach mittelalterlichem Sprachgebrauch = Palast
(palatium regis); der so nach seinem^Hauptraum; der grossen
Halle, worin der König Hof hielt^und die J Festlichkeiten
stattfanden, benannt war ;
2. dass der Saal oder die Aula an der Stelle des sheutigen
Eathhauses lag,^^und
3. dass jener Name nach dem Untergang des palatium auf das
an seinem Platz tretende Gebäude, das Rathhaus, übertragen
und später durch die zeitgemässe Benennung (domus consilii)
Haus, grosses Haus, Stadthaus u. s. -w. verdrängt wurde.*'
Wir wollen nun sehen, wie es sich mit dieser Aufstellung Pick's
verhält.
Wir finden im Todtenbuch der Marienkirche, dem Necrologium
Eccl. B. M. V. Aquensis, welches nach Quix vom Jahre 1320 herrührt,
auf S. 16 ausdrücklich des „Palatiums auf dem Markte** gedacht, mit
den Worten: „0. Godestu .... XLI den. de domo quadam que adheret
palacio regis in foro**. Es ist klar; dass hier kein anderes Gebäude
gemeint gewesen ist; als das auf der Stelle des jetzigen Eathhauses
stehende (vergl. QuiX; in der bei dieser Notiz gebrachten Anmerkung 1
41
daselbst), welches im Volksmnnde immer der Palast KarFs des Grossen-
genannt wurde. Auch Quix (historisch-topographische Beschreibung der
Stadt Aachen, S. 100) und C. P. Bock (das Bathhaus zu Aachen, S. 97)
bezeichnen dieses Gebäude als den „Palast auf dem Markt '', ä Beeck sagt
von ihm (Aquisgranum, pag. 13) „versus forum palatio" und (S. 14)
„eiusdem'' palatii ; Eäntzeler nennt ihn ebenfalls wiederholt „Palast". Auch
Aeneas Silvius nennt im 15. Jahrhundert das Rathhaus den Palast, und
auf verschiedenen Ansichten des Rathhauses heisst die Ueberschrift : „Der
Palast und Rathhaus zu Aachen". Es dürfte demnach nicht der geringste
Zweifel über die Identität dieses Gebäudes mit dem früher an der Stelle
des Rathhauses stehenden obwalten.
In dem bereits gedachten Nekrolog der Münsterkirche finden wir
auch mehrfach die von Pick bestrittene Aula erwähnt. So heisst es
S. 26 de domo ante aulam ; S. 43 sub aulam, dann S. 49 Jutta de vetzou
. ... de quadam domo super curiam ante aulam. Hier haben
wir den unwiderlegbaren Beweis, dass die Aula an den Hof (super
curiam) anstiess, demnach dieselbe nicht auf dem Markte, auf der
Stelle des jetzigen Rathhauses liegen konnte.
In den Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts finden wir die Aula
vielfach erwähnt. So unter anderm S. 104,33—36 (zum Jahre 1334):
„It. de aula in universo 18 m. tam in delis, lignis et ad picturam per
Leonardum et de lignis carbonibus et ferreis necessariis de 7 januis,
quam in labore magistri Wil. et famulorum suorum et de fractione
turris aule superioris 46 m. 7 s. 3. d. It. 5^2 m. pr. Wm. et
ass. it 54 m. 6 s. pr. Wm.". Pick behauptet nun, S. 271, ganz will-
kürlich, dass der abgebrochene Thurm der Aula die westliche Exedra
des ehemaligen Reichssaales, an der Stelle des jetzigen Marktthurmes
gewesen sei. Er behauptet ferner, dass betreffs der bedeutenden
Kosten dieser Position sowie noch zweier anderen, nämlich Stadtrechnung
S. 104,36 und 105,15, im Ganzen etwa 665 Aachener Mark, oder gegen
6300 Mark heutigen Geldes, es sich
„nicht zum Aufbau der verfallenen Aula, wie man vielleicht
denken könnte, sondern um den Bau des neuen Rathhauses
handelte, der mithin schon 1334 in vollem Gange war^.
Aus dieser Position will Pick somit nachweisen — was er nach keiner
Seite hin beweisen kann — , dass es sich im Jahre 1334 um den Bau
des neuen Rathhauses handele, der damals schon in vollem Gange ge-
wesen wäre. Es ist dies schon an sich unrichtig, denn da man im Jahre
1334 noch mit dem Abbruch des alten Reichssaales beschäftigt gewesen
sein soll, konnte von einem im vollen Gange gewesenen Aufbau des
neuen Rathhauses nicht die Rede sein. Aber auch abgesehen hiervon,
kann er diese Position nicht als Beweis anführen, da sie nicht von der
von ihm als Thurm angenommenen Exedra, sondern vom obern Thurm
der Aula spricht. Wozu wären die Kosten für Dielen, Holz und Malerei
sowie für Kohlen, Eisen und sieben Thüren nöthig, wenn es sich um den
Abbruch eines alten Gebäudes handelte? Und dann die beiden folgenden
Positionen der Stadtrechn. S. 104,38 und S. 105,1, welche von Blei
und Zinn sprechen, die man doch nur zu einem bereits fertigen Dache
gebraucht und gewiss nicht zu einem Gebäude, mit dessen Abbruch man
beschäftigt ist. Die Art der angeschafften Gegenstände, für welche die
in der gedachten Position notixten Summen ausgegeben wurden, zeigt
42
klar^ dass es sich hier nicht nin den Neubau des Eathhauses^ der erst
nach Jahrzehnten fertig gestellt wurde, sondern um Erneuerung eines
in guten Zustand zu versetzenden alten Gebäudes handelte. Es ist
daher auch unrichtig; dass, wie Pick sagt, man die in diesen Positionen
genannten Summen zum Bau des neuen Eathhauses verwandt habe.^)
— Die Aufstellungen Pick's weisen aber klar darauf hin, dass er das
Vorhandensein der, wie er sagt, „verfallenen*^ Aula durchaus verneinen
will. Die Aussage, dass die Aula um die Zeit des Eathhausbaues „ver-
fallen^ gewesen sei, kann er keineswegs nachweisen.
So will er auch auf S. 275, Anm. 1, glauben machen, die in den
Stadtrechnungen zum Jahre 1346 S. 186,39 angeführten Dachdecker-
arbeiten, welche die Aula betrafen, sißien am Eathhaus ausgeführt worden,
und zwar ihres geringen Betrags wegen, an dem bereits fertigen Dache
des letztern. Dieses hätte aber um diese Zeit noch nicht vollendet sein
können. Zum Beweise der Fertigstellung des Eathhauses glaubt er auch
auf die im Jahre 1338, also vier Jahre nach dem angeblichen Abbruch
des alten Eeichssaales, erfolgte Aufstellung des Prangers auf dem Chorus-
platze, sowie auf den Neubau des Grewandhauses und der am Büchel
befindlichen WoUktiche hinweisen zu sollen. Wie aber diese Gebäulich-
keiten in Beziehung zu der Fertigstellung des Eathhauses stehen, sagt
er uns nicht.
Doch auch für den Fortbestand der von Pick bestrittenen Aula
während der von ihm behaupteten Bauzeit des neuen
Eathhauses, liefern die Stadtrechnungen des 14. Jahrhunderts eine
Menge von Beweisen. So wird dieselbe im Jahre 1344 auf S. 158,24
und 158,34—35 erwähnt. Die letzte Position besagt, dass auf der
Aula die Glocke (campana) hing. Diese konnte sich doch nicht auf dem
noch im Bau begriffenen Eathhaus befinden. Von der Glocke ist im
Jahre 1346 (S. 177,22-23) wieder die Eede, sowie auch auf S. 187,25.
Im Jahre 1349 lagen (S. 203,22) die Pfeifer und Hornbläser auf der
Aula, die während der Zeigung der Eeliquien musizirten, was doch
nicht auf dem noch im Bau begriffenen Eathhaus stattfinden konnte.
S. 227,7 ist wiederum von der Glocke die Eede. Dann im Jahre 1373
auf S. 234,37, wo von einem Hause vor, und S. 235,23, wo von
einem solchen unterhalb der Aula gesprochen wird. 1376 auf
S. 241,28 befanden sich Kleider für die Musikanten daselbst. Ferner
wurden in den Jahren 1338 (Stadtrechnungen S. 129,37), 1344 (eben-
das. S. 158,27), 1346 (ebendas. 187,25) und in vielen anderen Jahren
Kohlen auf die Aula geliefert. Es würde Thorheit sein, anzunehmen,
dass diese Kohlen auf das Eathhaus geliefert worden seien, welches
um diese Zeit noch nicht im Mauerwerk hergestellt sein konnte, mithin
für Kohlen daselbst keine^Verwendung war. Es geht aus dieser Anzahl
von Beweisen, die leicht zu vermehren sind und auch für die späteren
Zeiten fortgeführt werden könnten, unbestritten hervor, dass nicht nur
die Aula, im Gegensatz zum Palast, bestand, sondern dass sie auch
während des Baues des neuen Eathhauses und nach Vollendung des
letztern bestanden hat und städtischerseits benutzt wurde.
1) Ich finde in den von Laurent herausgeg-ebenen Stadtrechuungen keine
einzige Summe, von welcher man mit Gewissheit annehmen kann, dass sie zum
Neubau des Eathhauses verausgabt worden sei.
43
Hier drängt sich die Frage auf: Wie konnte Pick diese und noch
viele andere Angaben, welche in den Stadtrechnungen den Fortbestand
der Aula nachweisen, übersehen, wenn er sie nicht hat übersehen wollen ?
Auf S. 272 bemüht sich Pick, glaubwürdig zu machen, dass die
in den Stadtrechn. der Jahre 1344/45, 1346/47 und 1349/50 genannte
domus consilii das Eathhaus auf dem Markte sei, zumal letzteres einige
Jahrzehnte später mit der nämlichen Bezeichnung vorkomme. Auf die
domus consilii wurden nach Ausweis dieser Rechnungen Kohlen geliefert,
dorthin trägt man 1344 die Armbrüste u. s. w. Nur meint er, diese
Dinge Hessen sich in wenigen fertig gestellten Räumen eines Gebäudes,
auch wenn dieses nicht völlig vollendet sei, wohl aufbewahren. — Er be-
greift es nicht, dass die drei Geschosse des Rathhauses überwölbt wurden,
und diese Ueberwölbung erst nach Fertigstellung des Daches ausgeführt
werden konnte. Deswegen konnte bis dahin in dem Gebäude kein Raum
zur Benutzung hergestellt werden. Pick will nicht einsehen, dass hier
unter domus consilii die domus civium (das Bürgerhaus, Grashaus) gemeint
sein muss, welches, so lange das Rathhaus auf dem Markte noch nicht
fertig war, wie bisher, als domus consilii, als Rathhaus, diente. Dass
das im Bau begriffene Rathhaus nicht als domus consilii diente, ist doch
selbstverständlich, zumal ein solches im Bürgerhaus bestand. Es kann
auch das nicht als Einwand dienen, dass es nach seiner Fertigstellung,
etwa im Jahre 1370, domus consilii genannt wird.
Wir ersehen auch des Fernern aus den Stadtrechnungen, dass die
Aula nicht identisch war mit dem Rathhause. S. 125,37 finden wir die
Notiz : It de via lapidea ab aula usque ad musam supra curiam. Ver-
gegenwärtigen wir uns die gegenseitige Lage des Rathhauses und des
Hofes (curia), so finden wir, dass diese via lapidea, oder gepflasterter
Weg, um den einen mit dem andern. Orte zu verbinden, einen langen
und vielfach gekrümmten Weg hätte machen müssen, während dieser
Weg, bei der Lage der Aula am Hühnermarkt, ein kurzer, den ange-
gebenen Kosten entsprechender war.
Im Vorhergehenden dürfte sattsam nachgewiesen sein, dass die
Aula nicht identisch mit dem Rathhaus war, vielmehr dass sie in der
Nähe der „curia^ lag. Dass diese Curia den Platz bildete, welcher zu
allen Zeiten „der Hof*^ geheissen hat und noch jetzt heisst, ist weder
von den aachener Geschichtschreibern noch von sonst Jemand jemals in
Zweifel gezogen worden. Pick ist der einzige, der sich dies gestattet.^)
Einsehend, dass Aula und Curia, als nebeneinanderliegend, nicht
getrennt werden konnten, da dies, der Urkunden wegen, unmöglich war,
und, um mit den Angaben des Nekrologs und den Stadtrechnungen in
Uebereinstimmung zu bleiben, fasst Pick den heldenmüthigen Entschluss,
den Hof auf den Chorusplatz zu verlegen, um das fälschlich von ihm
zur Aula umgestempelte Rathhaus als dicht am Hofe liegend bezeichnen
zu können. Zu diesem Zweck leitartikelt er auf S. 280 und 281 Folgendes:
1) Ein Blick auf den Plan, welcher meiner Schrift über die karoJingische
Pfalz beigegeben ist, zeigt sofort, dass das Rathhaus niemals weder an dem Hof
(curia) gelegen hat noch hat liegen können, da es an der Süd- und Ostseite von
Gebäuden umgeben war, welche es durchaus von demselben abtrennten. Es ist
daher klar, dass die am Hofe (super curiam) liegende Aula mit dem am Markte
(in foro) liegenden Rathhaus nicht identisch sein konnte.
44
„Für die Lage der Aula ist noch besonders bemerkenswerth
die von der ältesten Hand (um 1265) geschriebene Eintragung
zum 30. August in dem Todtenbuch des Aachener Marienstifts" :
„Obiit Jutta de Vetzou^ pro qua habemus annuatim 12 denarios
de quadam domo supra Curiam ante aulam".
„Dass das fragliche Haus auf dem Markt gelegen habe^ ist
nicht anzunehmen, da dieser, wenngleich er einstmals den
innem Pfalzhof bildete, niemals mit der Bezeichnung Curia
(Hof) erwähnt wird, auch nachweislich schon im 12. Jahrhundert
zu gewerblichen Zwecken benutzt wurde. Dagegen gab es mehrere
Plätze mit dem Namen „Hof* (Curia), z. B. der noch heute so
bezeichnete Platz zwischen Büchel und Krämerstrasse und der
noch jetzt Chorusplatz genannte Hof, zwischen Münster und
Eathhaus. Letzterer war ursprünglich der äussere Pfalzhof,
hiess anfänglich bloss Hof, z. B. in einer im hiesigen Stiftsarchiv
befindlichen Urkunde vom 22. Februar 1360, worin von zwei
Häusern „up deme Hove bei der beirren kelre** die Rede ist
und wurde seit dem 15. Jahrhundert nach dem anscheinend
im Etatsjahr 1338/39 hier errichteten Pranger (Kax) der
Katschhof genannt. Dass man bei der „Curia ante aulam"
nicht an den heutigen Hof denken kann, bedarf keines weitern
Beweises, jene Benennung passt aber genau zu dem Chorusplatz,
der in älterer Zeit mehr als heute mit Gebäuden besetzt war
und dessen Nordseite noch um 1460 als „an den Sal** bezeichnet
wird. Auch die Benennung „ante aulam" steht dieser Auf-
fassung keineswegs entgegen, da der Chorusplatz als vormaliger
äusserer Pfalzhof in älterer Zeit sicherlich stets als vor der
Aula liegend betrachtet , worden ist. Erweist sich hiernach
der heutige Chorusplatz als die Curia ante aulam, so ist damit
zugleich wiederum die Lage der letztern an der Stelle des
jetzigen ßathhauses festgestellt/
Soviel Sätze, soviel Unwahrheiten.
Es ist sowohl im Todtenbuch als auch in den Stadtrechnungen
immer nur von einer Curia die Rede, und diese war der noch jetzt
mit „Hof* bezeichnete Platz, wie sich dies aus den Stadtrechnungen
ergiebt, wo verschiedene Anlagen und sonstige Gebäulichkeiten erwähnt
werden, die zum Theil mit den dort entspringenden heissen Quellen in
Verbindung stehen. So z. B. im Jahre 1338, Stadtrechn. S. 125,37
musa supra curiam; im Jahre 1344, Stadtrechn. S. 149,26 de via
lapidea supro curiam prope balnea; im Jahre 1346, S. 171,20 hospitali
supra curiam,*) im Jahre 1349, S. 202,2 fraternitati hospitalis^) supra
curiam; 1349, S. 223,38' lava torium») supra curiam; 1376, S. 245,5
lavatorium und S. 145,35 musa und lavatorium supra curiam. Auch
das Zinsbuch, der liber censuum des Münsterstiftes vom Jahre 1320,
nennt den Hof einfach curia, so S. 78 in der Ueberschrift „Census
supra curiam" ohne weiteres Beiwort. Dass hiermit kein anderer Hof
als der noch jetzt sogenannte Hof zwischen Büchel und Krämerstrasse
1) Das Blasiusspital auf dem Hofe.
2) Die Bruderschaft des Blasiusspitales.
3) Die Wäsche auf dem Hof über der warmen Quelle.
45
gemeint ist^ beweisen die im Zinsbnclie demselben als anliegend^ erwähnten
balneom regis and balneam qnod dicitnr Katzbad. So ist anch das im
Jahre 1394 vorkommende „gastns (Gasthaas, Spital) ap den Hof ,
(Stadtrechn. S. 398,36), welches kein anderes sein kann, als das in
Anmerk. 1 erwähnte Blasiasspital, fär die Lage des Hofes in dieser
Zeit bezeichnend. Man sieht, es mangelt nicht an nrknndlichen Beweisen,
dass dieser Platz früher, and anch noch nach Fertigstellnng des Eath-
haases, einfach „aaf dem Hofe, sapra cariam*" genannt warde. Dieser
Platz ist stets mit dem alleinigen Namen „Hof, ohne weitere Bei-
benennnng, bezeichnet, während die andern Plätze zar nähern Bestimmang
ihrer Lage in spätem Urknnden Eatschhof, Schnsterhof a. s. w. bezeichnet
wurden.
Mit der Bezeichnang „Carla ante aalam"", welche Pick heraas-
getüftelt hat, begeht er eine Textverdrehung, denn es soll heissen „de
domo sapra cariam — ante aalam^, das ante aalam ist nnr bei-
gefägt, am die nähere Lage des Hanses aaf der langgestreckten Curia zu
bezeichnen. Eine „Carla, ante aalam" in dieser Bedeatang des Wortes
hat es nie in Aachen gegeben; Pick kann eine solche nicht nachweisen,
and am allerwenigsten war der Chorasplatz dieselbe, da er weder an
den Bädern lag noch eine Wäsche, wie der Hof, aufwies. In einem
gegen 1300 geschriebenen Zinsbache des Münsterstiftes wird dieser
Platz „Ballium'' genannt.^) Es ist eine Verdrehung der Thatsachen,
die Pick aufgestellt, „dass man bei der „Curia ante aulam'' nicht an
den heutigen Hof denken könne ^. Wenn auch die Benennung „Hof^,
ohne näheres Beiwort, zur Bezeichnung des Chorusplatzes einmal in
einer Urkunde des Münsterstiftes vorkommt, so kann diese doch für
Annahme einer veränderten Bezeichnung des Chorusplatzes nicht mass-
gebend sein. Und wenn, S. 281, in einer Urkunde vom Jahre 1460,
der nördliche Theil des Katschhofes als „an den Sal** liegend bezeichnet
ist, so ist diese Urkunde, wie so manche andere von Pick gebrachte,
bedeutungslos, da sie zu einer Zeit aufgestellt ist, in welcher die Aula
nicht mehr bestand und das Eathhaus bereits seine jetzige Benennung
führte. Seit dem Bestehen der Stadt lag vor dem Eathhause der Markt
und hinter demselben der Chorusplatz, welch letzterer aber nie bis zum
Eathhause gereicht hat, da zwischen beiden die Kaufhallen sich befanden.
Auch war das Rathhaus vom Chorusplatze ab direkt nicht zu erreichen.
Es haben auch beide niemals in unmittelbarer VerbinduDg gestanden.
Noppius sagt I, 102: „Hier ab ist das Eahthauss einer seits langst
dem grossen Marckt, anderseits nach dem Katschhoff^. Das nach
bedeutet hier offenbar die Eichtung.
Unrichtig ist es auch, „dass der Chorusplatz ursprünglich der
äussere Pfalzhof gewesen sei^. Es ist dieser Platz stets zwischen dem
Münster und dem Eathhause eingeschlossen gewesen und kann daher
niemals ein äusserer Pfalzhof gewesen sein. Pick zeigt hier wieder
sein topographisches Nichtwissen, und ist daher auch seine Angabe, dass
„der Chorusplatz als vormaliger äusserer Pfalzhof in älterer Zeit sicher-
lich stets als vor der Aula liegend betrachtet worden ist", eine unwahre
und so absurde, dass man die Eichtigstellung derselben aufgeben muss.
Aus den um 1460 angelegten Grafschaftsbüchern führt Pick
S. 286 an:
i) C. i*. Bock, Das Eathhaus zu Aachen, S. 36 ff.
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^Op den Kaxhoff.
Item der stat huyser gelegen langes den Kaxshoff. (Die
gadom steynt op den steynweych)*'
und fügt dann in Anm. 2 bei:
„Das Eingeklammerte ist von anderer Hand beigefügt. Des
Steinwegs gedenkt schon die städtische Ausgabe-Eechnnng
von 1338/39 : Item de via lapidea ab aala nsqne ad mosam
supra Curiam etc."
Es ist dies wieder eine Verdrehung der Thatsachen durch Pick,
die via lapidea auf den Ghorusplatz zu verlegen, da sie doch offenbar
auf dem Hofe sich befand, indem auf dem Chorusplatz keine musa
(laufender Brunnen, Pief) stand.
Auf S. 281, Anm. 3, will Pick auf Grund des bei Noppius III,
S. 141, gebrachten § 4 des WoUenambachts-Privilegiums beweisen, dass
der in diesem § genannte „aide Hoff*' der Chorusplatz sei. Er bemerkt
ferner, dass dort von der Hoffpiffe (§ 6) und dem „Hoff vur der Woll-
kuchen'' (§ 11) die Eede sei. — Ich weiss nicht, wie Pick dies gedeutet
haben möchte, doch muss ich bemerken, dass die in den Stadtrechnungen
von 1338, S. 125,37, gedachte „musa supra curiam" identisch ist mit
der daselbst, S. 249,29, genannten „Hoeff piif**.*) Da er auch noch
die Wollküche erwähnt, die nur wegen des heissen Quellwassers ein-
gerichtet war, welches sich bekanntlich auf dem Chorusplatz nicht vor-
findet, so hätte er auch ebensogut die in dem Zinsbuche des Münsterstifts
vom Jahre 1320, S. 78, als am Hof liegend gedachten Königs- und
Kutzbadehäuser auf den Chorusplatz verlegen können!
In den Stadtrechnungen des Jahres 1376, S. 255,10, befindet
sich die Position: „Item 4 s. um Gras up den sali du die Kaiserynne
drup quam danzen". Pick sagt, S. 279:
„Dass diese Festlichkeit erweislich im Eathhaus, und zwar
nicht auf dem Kaisersaal, sondern auf dem in der ersten Etage
gelegenen „sali" Tanzsaal (Tanzkammer) stattgefunden habe".
Es muss diese Thatsache noch besser erwiesen werden als durch
eine Angabe Pick's, denn um 1376 bestand nachweislich noch die Aula,
der „sal*^, und ist es durchaus nicht ausgeschlossen, dass dieses Tanzen
der Kaiserin in derselben stattfand. Dafür spricht das Wort „up den
sali", womit in deutscher Sprache, wie oben gedacht, die Aula bezeichnet
wurde. In späterer Zeit, als die Aula nicht mehr bestand, hat man im
Erdgeschoss des Eathhauses einen Eaum den Tanzsaal benannt. Nach
dem oben Gesagten ist es auch unrichtig, was Pick S. 277 (unter
2. und 3.) sagt, dass die Bezeichnung Aula auf das neue Eathhaus über-
gegangen sei. Mir ist keine Schrift bekannt, welche den Beweis bringt,
dass das jetzige Eathhaus Aula oder Sal genannt worden sei, und es
ist als bestimmt anzunehmen, dass die Bezeichnung Eathhaus, Stadthaus,
grosses Haus u. s. w. sofort für dasselbe angenommen werden ist. Die letztere
Bezeichnung finden wir schon im Jahre 1387.*) Das bisherige Eathhaus
1) Stadtrechnungen, S. 426,4. Ferner S. 385,9 unter der Ueberschrift :
„Dit sind die ander huysser up den Hoff" Rutger Vinkendey von syme huse
up den Wesche 5 m.
3) Stadtrechn., S. 368,15 und 385,26 „dit sind die gedummen up den
mart vilr deme groissen huys".
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am Fischmarkt wurde noch immerfort „ Bürgerhans ** genannt.^) Die
Bezeichnung ^sal"^) in den deutsch geschriebenen Rechnungen des
14. Jahrhunderts bezieht sich in den Stadtrechnungen noch immer auf
die alte Aula, da in derselben die nämlichen Verrichtungen geschahen,
wie vor der Fertigstellung des neuen Eathhauses.
Das neue Rathhaus, mit seinen weiten Eäumen, war für die
damaligen Bedürfnisse der städtischen Verwaltung ausreichend angelegt,
und machte den ferneren Bestand der Aula, welche ohnehin bereits ein
alter Bau war, überflüssig; auch wurde dieselbe nicht mehr erneut,
sondern wie oben gesagt, in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ab-
getragen. Der Eaum, auf welchem sie gestanden, ging in Privatbesitz
über; wann dies geschehen, ist nicht näher festgestellt. Dass die
Bezeichnung „an den sal^^ noch in den Grafschaftsbüchern vorkommt,
weist darauf hin, dass sie zur Angabe der Lage noch im Volke all-
gemein gebräuchlich war, auch als die Aula nicht mehr bestand.
Es wird damals so gewesen sein, wie auch noch jetzt, da, nachdem die
äussern Stadtthore vor fast einem Jahrhundert abgebrochen sind, die
ehemals ausserhalb derselben liegenden Orte heute noch als „vor den
Thoren" liegend bezeichnet werden. — Pick sagt S. 276:
„Ja man hat sogar behauptet, dass dieses letztere Gebäude
(die Aula) noch bis zum grossen Stadtbrande von 1656 fort-
bestanden habe''.
(Hier citirt er in Anm. 2 „Ehoen, die karolingische Pfalz zu
Aachen, S. 73,^ und fährt dann fort):
„Nichts ist irriger als dies". —
In meiner Schrift, die karolingische Pfalz, lautet die citirte Stelle,
S. 73, jedoch so:
„Nach dem 14. Jahrhundert finden wir keine Nachrichten
mehr über dieselbe (die Aula) und sind uns keine geschicht-
lichen Notizen weiter darüber bekannt. In späterer Zeit, im
17. Jahrhundert, finden wir in den nach dem grossen Brande
vom Jahr 1656 geführten Rathsprotokollen die Stelle der
ehemaligen Aula in mehrern Parzellen eingetheilt und auf den-
selben Wohn- und Zunfthäuser errichtet,*'
also das genaue Gegentheil der Pick 'sehen Auslassung. — Ich überlasse
es dem geneigten Leser, sich über die Wahrheitsliebe (?) Pick's sein ürtheil
zu bilden.
Von den von Pick auf S. 277 aufgestellten Behauptungen, welche
er aus den Stadtrechnungen und aus dem Todtenbuch des Münsterstiftes
mit Bestimmtheit nachweisen zu können vorgab, hat er, wie wir gesehen
haben, keine zu beweisen vermocht. Dagegen ist durch das oben
Angegebene nachgewiesen, dass die Aula ein vom Eathhaus ganz un-
abhängiger Bau war, der selbstständig für sich bestand. Und dieser
Beweis ist geführt worden aus denselben Schriften aus denen Pick
versuchte, seine Angaben zu beweisen. Auch ist sein Versuch, den Hof
(curia) nach dem Chorusplatz zu verlegen, wodurch in die Topographie
der alten Pfalz Verwirrung gebracht worden wäre, vereitelt worden.
Selbst die eigenthümliche Phrasendrechselung auf S. 281 :
J) Ebendas., 373,32-34, 393,9, 393,31
2) Ebendas., 357,10, 361,26, 373,32-34, 375,35.
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n erweist sich hiernach der hentige Chornsplatz als die Caria
ante aalam^ so ist damit zugleich wiederum die Lage der
letztern an der Stelle des jetzigen Rathhaases festgestellt^,
ist hierbei für ihn fruchtlos^ denn mit dem ^erweist sich dies — so ist
es das^ ist ein Cirkelschluss, welcher Nichts feststellt; es müssen positive
Nachweise gebracht werden^ die Pick aber, wie seine Ansführnngen zeigen,
zu bringen nicht im Stande ist. Trotz seiner Textverdrehungen — um
die Sache gelinde zu bezeichnen — hat er es nicht vermocht, die
Wahrheit umzustossen, und ist mit seinen Behauptungen und Angaben
in die Brüche gerathen.
Zu den Bauten in Aachen, welche wahrscheinlich von Ludwig dem
Frommen ausgeführt wurden, gehört auch ein Tonnengewölbe von etwa
5 m lichter Breite, welches sich vom Domhofe ab der Westseite des
Chorusplatzes entlang bis auf 15 m vom Eathhause ab erstreckte.^)
Oberhalb dieses Gewölbes, welches in mittelguter Weise in Bruchsteinen
hergestellt ist, befand sich ein in späterer Zeit vielfach durch Quermauern
unterbrochener Gang, der aus zwei Mauern von fast 1 m Stärke mit
darüber befindlicher Holzdecke gebildet war.*) Der mittlere Theil dieses
Gewölbes wurde gegen 1748 und der nördliche im Jahre 1894 abgetragen.
Eine junge, noch nicht 80 Jahre alte, Tradition^) besagt, dass
dieses das Gebäude sei, welches Einhard in Cap. 32 seiner Vita Karoli
mit den Worten erwähnt: ^Porticus, quam inter basilicam et regiam
operosa mole construxerat, die ascensionis Domini subita ruina usque ad
fundamenta conlapsa." Von den ältesten Geschichtschreibern Aachens,
wie k Beeck, Noppius und Meyer, wird dieses Gewölbe nicht erwähnt;
sie führen beim Bericht über den Tod Karls d. Gr. nur die Worte
Einhards an, ohne anzugeben, wo der Portikus gestanden haben soll.
Der erste aachener Schriftsteller, welcher sich über die Lage dieses
Portikus äusserte, war Nolten, der im Jahre 1818 auf ihn, als oberhalb
des Gewölbes befindlich, in unklarer Weise hinweist.*) Nolten folgte
hierbei der alten Annahme, dass das Eathhaus auf der Stelle des
ehemaligen Palastes KarFs d. Gr. stände. Ihm, als nicht Bauverständigen,
scheint die Bedeutung des Wortes „Portikus", wie sie von Einhard
sachverständlich ausgesprochen ist, nicht klar gewesen zu sein, da ein
Portikus doch nicht aus bloss zwei parallelen Mauern, sondern aus einer
Mauer mit ihr parallel stehender Säulenreihe besteht. Auch den Ausdruck
Einhard's „operosa mole construxerat '^ scheint er nicht verstanden zuhaben,
da er das Bauwerk als Portikus ausgab, obschon Einhard's Ausdruck
ein Gebäude bedeutet, das in starker, solider und kräftiger Weise aus-
geführt ward.
Von diesem Portikus hatte sich nun auch allmählich die Sage aus-
gebildet, dass derselbe in horizontaler Richtung vom Obergeschosse der
Münsterkirche, dem sogenannten Hochmünster, zum Erdgeschosse des Eath-
hauses, welches nachweislich noch jetzt in derselben Höhe wie der ehemalige
1) Rhoen, die karolingische Pfalz zu Aachen, S. 115.
3) Rhoen, Der sogenannte karolingische Gang zu Aachen, S 2.
3) Ebend., S. 9.
*) Archäologische Beschreibung der Münster- oder Krönungskirche in Aachen,
nebst einem Versuch über die Lage des Palastes Karl's d. Gr., S. 16.
49
karolingiscbe Eeichssaal') liegt, geführt habe. Angestellte Nivellements
haben jedoch ergeben, dass dies nicht zutrifft, da das Erdgeschoss des Eath-
haases um 2,69 m höher liegt als das Hochmünster. ^) Es ist demnach
ausgeschlossen, dass das Obergeschoss des betreffenden Gewölbes als eine
horizontale Verbindung zwischen dem Hochmünster und dem Rathhause
zu betrachten ist.
So hatte sich diese Tradition aus der unklaren Angabe Nolten's
gebildet, und wurde, als eine Lieblingstradition der aachener Bärger,
vielfach besprochen.
Einhard spricht in den Annalen zum Jahre 817 von einem andern
Portikus: „Feria 5 qua coena Domini celebratur, cum Imperator ab
ecclesia peracto sacro officio remearet, lignea porticus per quam incedebat,
cum et fragili materia esset edificata, et tunc jam marcida et putrefacta
quae contignationem et tabulatum sustinebat transtra pondus aliquod
ferre non possent, incedentem desuper imperatorum subita ruina cum
viginti et amplius hominibus, qui una ibant, ad terram nsque deposuit^.
Man hat seltsamer Weise diesen Portikus mit dem oben angeführten
identifizirt, ohne auf den von Einhard angegebenen Unterschied in der
Konstruktion zu achten. Die aachener Geschichtschreiber, Quix, C. P. Bock,
Haagen und Andere haben die Angabe Nolten's mit Eifer aufgefasst und
sich ohne weiteres Nachdenken damit begnügt, herauszufinden, dass die
verschiedenen Einstürze des Portikus an verschiedenen Stellen desselben
stattgefunden haben sollen. In neuerer Zeit ist das Dunkel, welches auf
den angegebenen Stellen Einhard's lag, durch die kleine Schrift ^Der
karolingiscbe Gang^ aufgehellt, und klargelegt worden, dass Einhard
nicht einen sondern zwei verschiedenartig konstruirte Portiken ge-
meint haben muss, wie es aus den angegebenen Bauarten, wovon die eine
mit operosa mole construxerat, die andere mit lignea porticus .... cum
fragili materia esset edificata bezeichnet ist, klar und deutlich hervorgeht.
Dass die altern aachener Geschichtschreiber, wie Quix, P. C. Bock,
Haagen und Andere, die Angaben Nolten's angenommen haben, kann nicht
auffallen. Um so mehr muss es aber auffällig erscheinen, dass in der
neuesten Zeit, in welcher doch schon seit einer Reihe von Jahren die
karolingischen und andere Bauverhältnisse unserer Stadt auf Grund er-
folgter Aufgrabungen und Auffindungen so klar gelegt worden sind, wie
es nur in wenigen andern Städten der Fall ist, Pick in seinem Buche,
S. 304, noch immer auf die Ansicht Nolten's und der diesem folgenden
Geschichtschreiber zurückgreift und sich denselben anschliesst! Er sagt
an der angegebenen Stelle, nachdem er die Mittheilung Einhard's in den
Annalen zum Jahre 817 gebracht hat:
„Mit Recht nimmt man fast allgemein an, dass beide An-
gaben auf denselben Portikus Bezug haben und der Zusammen-
sturz sich an zwei verschiedenen Stellen ereignet habe^.
Hierfür beruft er sich (S. 304, Anm. 2) auf k Beeck, Aquisgranum, p. 56,
und Meyer, Aach. Gesch., S. 106 und 134. Diese bringen aber nur die oben
gebrachte Mittheilung Einhard's (vita KaroliCap. 32), ohne weitere Angabe
der Stelle, wo der Portikus gestanden haben soll. Eben dasselbe sagen
auch die von Pick herangezogenen neuern Geschichtschreiber, Giemen,
Simson und Richter-Kohl. Weiter fährt er auf S. 304 fort :
1) Zeitschrift des Aach. Gesch.- Ver. m, S. 39.
2) Rhoen, Der karolingiscbe Gang, S. 18.
50
„Wie der Portikus sich an die Pfalz anschloss, ist nicht
aufgeklärt. Nach örtlichen Untersuchungen reichte er nicht his
an das heutige Gebäude heraU; sodass die Vermuthung nicht
unbegründet erscheint, er habe auf einen Laubengang (solarium)
gemündet, der sich um die Pfalz etwa in der Höhe der jetzigen
Eathhausetage herumgezogen habe. Für diese Annahme spricht
namentlich die Richtung des Weges, den der Rath seit Alters,
und nachweislich bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts zur
Mitwirkung bei der Oeffnung und Schliessung des Heiligthums-
schreins vom Rathhaus nach dem Münster nahm.^
Es ist unmöglich, aus dieser konfusen, von Pick selbst unver-
standenen Darstellung, Klarheit und Sinn herauszufinden. — Der aus
den örtlichen Untersuchungen sich ergebende Befund, dass das fenster-
lose Gewölbe, welches nach Pick's Ansicht den Portikus bildete,
um 14,60 m vom Rathhausgebäude entfernt aufhörte, scheint für ihn
nicht in Betracht zu kommen. So scheint ihm auch die von ihm selbst
aufgestellte Vermuthung nicht unbegründet zu sein, dass dieses Gewölbe,
dessen Oberkante an seinem Ende mit der Erde in gleicher Höhe lag
und also vollständig einen Keller bildete, auf einen Laubengang ausge-
mündet habe, der sich um die Pfalz, etwa in der Höhe der jetzigen
Eathhausetage, durchgezogen habe ! Die Unmöglichkeit dieser Vermuthung
tritt in ein um so helleres Licht, wenn man erwägt, dass die Eathhaus-
etage 14,90 m höher liegt als der Fussboden des Gewölbes, und der Lauben-
gang, den Pick sich denkt, von dort unmöglich zu erreichen war. Und wenn
es einen Laubengang um die Pfalz (?!) herum in der von ihm angegebenen
Höhe gegeben hätte, auf welcher Höhe hätte dieser dann an den untern
tiefern Stellen der auf sehr abschüssigem Terrain befindlichen Pfalzanlage
liegen müssen ? Er würde dort die Dächer der meisten daselbst liegenden
Gebäude überragt haben. — Diese Hypothese entspringt einer Phantasie,
deren Erzeugnisse zu widerlegen gänzlich zwecklos ist.
Pick meint dabei noch, dass für seine Annahme die Wege-
richtung spräche, die der Eath bei Aufschliessung des Heiligthumsschreins
vom Rathhause zum Münster nahm ! Die Beziehung dieses Weges zu
seinem Laubengang ist eine ganz willkürliche und unmögliche; der
Weg kann daher auch niemals daselbst bestanden haben. Der
Weg, welchen der Eath bei der Aufschliessung des Heiligthumsschreines
nahm, war bei der Heiligthumsfahrt vom Jahre 1657 ein völlig
verschiedener von dem von 1888, wie sich dies aus dem Vergleich
der EathsprotokoUe und der örtlichen Lage ergiebt. Aber in beiden
Jahren musste der Eath treppauf, treppab, über Höfe, durch Zimmer,
durch bedeckte Eäume und unter freiem Himmel gehen, um — im
Kreuzgang anzulangen. Wäre der Weg durch das Gewölbe genommen
worden, so wäre der Eath nicht im Münster, sondern im Domhof ange-
kommen. Wenn der Eath mit peinlicher Gewissenhaftigkeit, wie Pick un-
richtig sagt, an diesem Wege, der ja schon baulicher Umstände halber
wechseln musste, fest hielt, so wird er durch sein fast immer gespanntes
Verhältniss zum Stiftskapitel hierzu Grund gehabt haben.
„Wo sollte", sagt Pick S. 311, „dieser (Grund) aber anders
zu finden sein, als in dem einstigen Zusammenhang der Pfalz
mit ihrer Kapelle, in dem von der Tradition gestützten Be-
wusstsein, dass dieser W^eg der nämliche gewesen sei, auf
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