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UNIVERSITY OF ILLINOIS AT URBANA-CHAMPAIGN

AUGUST 1993

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l\/IAPS The IVlicrogrAphic

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Bethleiiem, PA 18017

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MICROFILMED 1993

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University of Illinois Library at

Urbana-Champaign

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MASTER NEGATIVE STORAGE NUMBER

92-2090

AUTHOR: Schlaf,

Johannes TITLE: Frühling PLACE: Leipzig

DATE: 1896

UIUC Master Negative 92-2090

University of Illinois at Urbana-Champaign

University Library

Urbana, Illinois 61801

HUMANITIES PRESERVATION PROTECT CATALOG RECORD TARGET

Schlaf, Johannes, 1862-1941

Frühling / Johannes Schlaf.

Leipzig : Verlag Kreisende Ringe, 1896.

92 p. ; 21 cm.

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on behalf of

The Humanities Preservation Project

at the University Library

of the University of Illinois at Urbana-Champaign

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JOHANNES SCHLAF

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LEIPZIG 1896 VERLAG KREISENDE RINGE

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:5o^anne§ ©d^Iaf: „g^rü^Ung". SSerlag Äreifenbe Sttnge. Seipjtg, 1896. ^dö miü nid^t fagen, 3o^anne§ ©d^Iaf, bisher nur befannt al§ Bannerträger be§ confequenten 9iaturali?= ntu§, fei feinen alten ^a^nen untreu geroorben ; aber, unb bafür bürgt mi^- fein neuefte§ fSud), er ift nid^t roic fo oiele feiner einfügen UeberjeugungSgenoffen firengcr Dbferoanj in bcr ©arf= gaffe bcr ©ro^ftobtpoefie ftedfen geblieben, fonbern ^at ä^nlid^ raie fein bramatifc^er (JoUege Hauptmann glüdlid^ einen 2Iu§n)eg in ®otte§ freie '^flatux gefunben. „g^rü^Iing" l^at er mit SRed^t fein S3ud^ überfd^rieben, roonnige g^rü|ling§Iüftc flutl^en burd^§ ®anje. 2)rau§cn im g^reicn l^at er'§ gebid^tet, ber Sänge nad^ auf bcm SHüdfen liegenb unb mit l^albgefc^Ioffcnen Singen in ba§ tiefe, blenbenbe ^lau l^ineinträumenb. Unb roer'ä genießen roiH, mu§ aud^ roicber brausen im ^^reien Icfen: fo nur fommt man in bie rid^tige Stimmung, um biefe unmittelbaren ©rgüffe eine§ über* fprubeinben SJid^ter'^erjenS nad^erleben ju fönnen. 2Bie feber roa^re 5Poet fd^aut unb empfinbet ©d^laf bie $J?atur al§ befeelte§, perfönlid^eS SSefen, mit bem fein eigne§ ^d^ innig oerfd^miljt. Gr umfaßt unb umarmt bie ganje Sßclt in feinen regellos ^in= flut^enben SDtt^pramben, in benen ibt)llifd^e 35erfenfung in ben Äel(^ bc§ tieinften S81ümlein§ roed^felt mit fd^iroungoDUem 5)3ans tbei§ntu§ unb Tomantifd)bunEler S'iaturmgftif. ^s^ möd^te bem S3ud^ nid)t jum S3orrourf madien, ba§ ha unb bort nod) ber naturaliftifd^e ^ferbefu^ ^ertiorlugt, ba§ mani^e Silber forcitt unb ber ^uSbrucf biSroeilen gar ju üerfdfiroommen unb abgeriffen ift man fül^It auf jeber ©eite, ba§ man mit einer fraftüollen 2)id^terinbiDi= bualität ju f^un f)at, unb menn nid^t SlßeS trügt, bebeutet ba§ neuefle SBetf be§ S3etfaffer§, ber mehrere ^al^re gefdimiegen ^at, aud^ einen „^yrü^Iing" in feinem eigenen poetif^en ©cbaffen.

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VERLAG KREISENDE RINGE

(MAX SPOHR)

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JOHANNES SCHLAF

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LEIPZIG 1896

VERLAG KREISENDE RINGE

(MAX SPOHR)

SEINEM LIEBEN FREUNDE

HANS HEILMANN

ZUGEEIGNET

Frühling

Draussen am Hinterdeich hab ich mein Dusel- plätzchen.

Ein kleines Stündchen gehts durch die blüten- durchwölkten Gärten, an Blumenbeeten, Gräben, Wiesen und Feldern vorbei, und ich bin an Ort und Stelle.

Und dann lieg ich tief im Gras, in der hellen Sonne, die Hände unterm Genick, und pfeife und simuliere in den blauen Himmel und die milch- , weissen Frühlingswolken hinein. Blühender Weiss- /

dorn über mir. Der frische Wind drin und Bienen, Hummeln, Fliegen und Schmetterlinge. In die Länge und Breite dehnen sich vor mir die Wiesen hell gegen dunkelgrüne Binsenstrecken hin zum Fluss hinunter, wogen und gleissen mit smaragdenen Wellen. Und in weiten Farben breitet sich roter Sauerampfer dazwischen und lilaweisses Schaumkraut mit zierlichen Dolden, gelbe Ranunkeln und Kuhblumen, und mit

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feinem rauchigen Silberflimmer die tausend und tausend Lichterchen der Butterblumen. I . :

Langsam, im Schritt weidend, tauchen Kühe drüben auf dem andern Ufer aus dem frischgrünen, lichtflinkernden Erlengehölz. Braune, schwarze und gefleckte. Sie rupfen und brüllen. Und gemächlich her bis gegen die blitzende stillgleitende Fläche. Hoch aber aus dem weitgewölbten weisslichen Blau die Lerchen, und Kibitze hinter mir auf den Wiesen- breiten, Elstern und Raben. Kukuk, Staare und Finken im Gehölz, und aus den tiefen grünen Dämmerungen heraus die Nachtigall. '

Fern, weit vom Fluss herübergetragen, das Tuten eines Dampfers und das Kreischen der Möven.

Hergetragen und verweht, aufjubelnd und verebbend hundert und hundert Laute und Lieder; und der herrliche, fröhliche Tumult der weiten Farben: hell, verhauchend, nah und fern, gleissend und sänftigend. '" I w^

Und die warme, helle Sonne. Die stille, stille Sonne

I; Meiner Einsamkeit entgegen.

So lustig bin ich, so stillfröhlich, so zutäppisch liebevoll wie ein Kind.

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Mit jedem Pulsschlag, mit jedem Beben meines Körpers, mit jeder Bewegnng liebkose ich die weit und lustig gebreitete Welt. Und mich liebkosen die Käfer, die Blumen und Bäume mit Summen und Blüten und Laub, mit Farben und Düften und hundert sanften Berührungen. Der leise Wind durch Blätter und Gezweig liebkost mich, kühle Schatten und helle, warme Lichter, blaue Fernen und heitre Nähen, ziehende Wolken und Wellen.

Zwischen einem Getreidefeld und dem Erlen- gebüsch eines Grabens schlendr' ich hin.

Hoch ragt eg_über mich hinauf, hinein in end- los tiefe, klare Bläue. Lichtglänzendes Laub und wogende, wellende Halme biegen sich zu mir her, vor mir, hinter mir, zu beiden Seiten. Ganz, ganz versunken bin ich in jungem, duftenden Grün; über und über ist mein Kleid voll gelben Samenstaubes und feinen Blütengeriesels,

Kühles, wogendes, anschmiegendes Schmeicheln. Weite, weite jubelnde Bläue. Mückenspiel vor mir her, und auf blinkendem Gekräusel stille, weisse Blumen

Hier heg ich nun unter meinem Weissdorn, spiele und wandle mich nach Herzenslust.

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Ich bin der alte Braak-Klaas. Bin über achtzig Jahre alt. Weisshaarig, mit rosigem Gesicht und hundert freundlichen Runzeln sitz ich vor meiner Thür, Habe lange rote Strümpfe, schwarzbauschige Kniehosen und eine hellblaue Weste an mit zwei Reihen dicker Silberknöpfe. Starkknochig sind meine Handgelenke, und lässig liegen meine braun- runzligen Hände auf den Knien, breit, behaart, mit dicken, knotigen Fingern und Adern. Ich sitze vor meinem Haus und zwinkre unter weissen Brauen in die sonnigen Apfelblüten hinein. . .

Hoch und langgestreckt mit goldiggrünen iVIoosflecken hebt sich über mir das mächtige, braunverwitterte Strohdach über der niedrigen Backsteinwand mit ihren weissen Kirschblüten und ihren Fensterchen breit in die blaue Klarheit. !

Die Vögel singen in meinem Garten und oben im Nest um die Giebeldrachenköpfe herum klappert der Storch bei der brütenden Storchmutter. Durch die offene Halbthür, von der Diele, weht ein feines, blaues Räuchlein vom Herd her in die warme, sonnenzitternde Luft. Mächtige Eichenschränke stehn da drin im kühlen Dunkel, zwei Jahrhunderte alt, und massives, rauchverdunkeltes Gerät mit hell- braunen, eingelegten Blumen und Vögeln, und rot- bäckige Enkelkinder spielen auf dem glatten Estrich.

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Drüben blinkert das Braak zwischen blühendem Gebüsch durch. Ein Fischewer schwebt still vor- über mit rotbraunem, weitgebauschten Segel, Ueber blumenbunten Beeten flimmert die warme Luft und der Flieder duftet, und überall arbeiten sie in den Gärten.

Klug bin ich, schlau für zwölfe, mit meinen blinzelnden, wasserblauen Aeugelchen, und meine Gedanken sind geschwätzig und plaudern von meinen achtzig Jahren, plaudern und nehmen Anteil, stillen, spöttischen Anteil.

Mild bin ich, freundlich, zufrieden, klug und hindämmernd müde

Und jetzt bin ich ein Kind.

In einem roten Leibchen sitze ich auf einem Schubkarren, ganz eingewühlt in gelbe Blumen unter weissen, tiefhängenden Blüten, kreische und patsche mit dicken Aermchen. Und wieder still. Staune und starre mit weiten klaren Augen in tausend sonnige Wunder hinein. Erkenne wieder und lerne zu. Und wie Staunen, Lust, Furcht und Begier wunderlich aus mir herausstammeln, w^ächst leise, leise in mir eine goldigfrische Welt; knospet und treibt und will blühen. i-

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Von tausendfarbigen Hoffnungen jauchzt, braust, leuchtet und umduftet mich die weite Welt, und die blau verhauchenden Fernen locken in unschuldiger, reiner, frühlingsfrischer Pracht, locken so fern, so weit, so wunderbar

Tiefer den Kopf ins Gras zurück.

Nun macht mich mein begehrender, ahnender Sinn kleiner und immer kleiner, und nun bin ich winzig, ganz ganz winzig klein.

Ich habe ein goldgrünes Röckchen auf einem runden, festen, geschmeidigen Körperchen, tripple mit sechs flinken Beinchen und habe zwei Aeugelchen wie rote Rubinen, zwei scharfe, feine Aeugelchen. Schlüpfe, schmiege, winde mich durch eine wunder- liche, üppig verschlungene Endlosigkeit, wandere und weile, und wandere wieder, emsig, rastlos. '

Von hier bis zum Fluss hinunter sind nun viele, viele ]\ [eilen, und da unten ist ein Meer, ein unab- sehbares, strahlendes Meer. . ,'■

Ich wandre und wandre, raste mit atemlosen Staunen, und wandre wieder, schaue und staune.

Jetzt bin ich tief, tief unten in einem feuchten, braunen Dunkel. Da ist ein millionenfältiges Gewirr von P'ormen, Farben und Körpern. Da spreizt sich

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in dicken, dichten Ranken härenes Gekrissel, da filzt es sich über- und durcheinander mit MiUiarden von Spitzchen und Hälmchen, von Blättchen, Knösp- chen und Blüten. Millionen mächtiger Stämme im dichten Beieinander streben draus empor. Grosse, rote Würmer schlingen sich zwischen ihnen hin, und es kribbelt, und schlüpft und kriecht und schmiegt sich, zirpt, singt, pfeift und raschelt in einer Welt von Tönen, die noch nie mein vordem ungefüges Menschenohr vernommen hat, von Formen und Körpern, dunkel und bunt, wie sie nie mein Menschenauge sehen konnte. Die seh ich alle mit meinen feinen, roten Aeugelchen, und höre sie mit einem scharfen, unendlich scharfen Gehör, und nehme dasalles wahr mit zarten Sinnen.

Da glimmt Feuchte in feinen Perlchen, und in ihnen lebt das durchsichtige Getümmel neuer Welten in heimlicher Irispracht. Da dehnt es zarte Körperwände und zieht sie zurück. Da rinnt es zusammen, w^ächst und teilt sich. Da keimt es und bildet sichs , verschlingt und wehrt sichs im unend- lichen Wechsel, im ewigen Hin und Wieder.

Und aus tiefstem braunen Dämmer streb ich hinauf am Schaft eines Grases, das nun ein Baum ist, ein mächtiger Baum, und strebe einem Schimmer nach, einem Glanz en^tgegen.

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Ich fühle, wie es unter mir dadrinnen sich dehnt und mehrt, wie es rauscht von Säften und gährt mit freudigem, sehnenden Wachstum. Und nun teilt sich der Schaft in breite, langgespreizte Halme, und sie wieder mischen sich in ein milliardenfältiges, lichtgrünes Gewirr im ewigen Wechsel schwanken- der Biegungen. Millionen mächtiger Diamanten an- einander hingereiht in gleissender Pracht an den Rändern langgestreckter Stengelblätter. Flinkem und Leuchten silbriger Härchen, Lustiges Getier dazwischen mit tausend Tönen und Farben, mit Zirpen, Summen, Schrillen und Jauchzen, mif schwir- render Flügelpracht.

Lichter wird es nun und lichter. In einem sanften Biegen und Wiegen bin ich. Da seh ich die unerhörte Schönheit riesiger, leuchtender Farben- wunder gegen ein unendliches, laut, laut jubelndes Blau. Mächtige, silberweisse Sterne schaukeln da oben mit blitzenden Schwingungen auf schlanken, rauchflaumigen Stielen. Ich sehe runden Silber- rauch, der sich um weissgrüne Kelchknöpfe ballt. Und blendend goldene grosse und kleine Sterne. Sanftgewiegte, still strahlende, fröhlich blitzende Wunder. Unzählige blaue, lilaweisse, rote, violette, tausendfarbige Kelch- und Glockenpracht, gezackt, beperlt, bewimpert, glatt, mit feinem Netzwerk bunter

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Aederchen, im dicht und weit geregelten Beieinander an schlanken und dicken runden Stengeln hinauf. Buntes, süss verwirrendes Gekrissel von Grasdolden und die tiefglühende, breitentfaltete Pracht des roten Mohns.

Und höher, immer immer höher!

Auf dem goldenen Kelchknopf eines riesigen, silberleuchtenden Sternes sitz ich, oben, hoch oben auf dem höchsten Wipfel, und schaukle mit selig däm- mernden Sinnen, betäubt von Duft, Licht und dem weiten, unendlichenTEinklang holden Getöns. Bunte, breitentfaltete Schwingenpracht gleisst über mir und an mir hin, rastet, bebt, glänzt, leuchtet auf herr- lichen Blütenwundern, surrt und tönt in berauschen- den, taumelnden Tänzen hinein in die warme, lichte Unendlichkeit. Jauchzende, kreischende, glockenklar süsse, brüllende, wiehernde, zwitschernde, millionen- stimmige Lust. :: .

Und süsse, warme Kraft in den Muskeln meiner Schwingen und bebende, sehnende Lust in meinem Leib. Und auf, hoch hoch hinauf in Wärme, Lichtflut, Glanz und Farbe. Und von mir geht ein Tönen aus, ein feines, wunderliclies Tönen ....

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Jetzt hab ich einen Schilfhalm herausgezogen und bin nun Wissbegier, ganz Wissbegier und er- kenne. . ; :;l

Hier ist ein langes, faltendes, blaugrünes Blatt. Und hier unter ihm ein zarteres mit einem helleren Grün. Und Blatt schäl ich von Blatt und Hülle von Hülle. So, und nun weiss ich eine grosse, stolze Weisheit: Blatt schliesst sich um Blatt und Hülle um Hülle in alle Unendlichkeit hinein.

Ach, ich muss lachen, lachen!

Ich sehe einen schnurrigen alten Herrn mit einer mächtigen Brille auf einer langen, spitzen Nase. Er sieht aus wie ein ururalter Chinesengreis. Sein Kopf ist wie ein Totenschädel, über den sich eine vergilbte, unendlich faltige Haut spannt. Er hat einen breiten mokanten Mund mit einer hochmütigen, ewig spöttisch-dummen Unterlippe und wasserblaue, neunmalkluge Aeugelchen. Der kann die wunder- schönsten Kunststücke aus lauter Normen, Regeln und Regelchen, Gesetzen und Gesetzchen zusammen- bauen. Ein so kluges Wirrwarr, dass einem die Augen übergehen vor lauter lauter Staunen. Und mit seinen alten Beinchen versteht er sich auf den Eiertanz wie kein zweiter.

Ach jetzt! hier! wie ungeheuer, ungeheuer spasshaft der alte Würdetaper ist!

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O, da unten zwischen feuchter, bröckelnder Krume schlingt sich durch das schwarze Dunkel ein blöder Wurm; und hier liegt ein zweibeiniges Tier, das spintisiert und klebt mit seinem Wollen und Entschliessen an allerlei Gedankenleim fest. Weit, weit da hinten aber blauen ferne Berge. Und dort, auf dem höchsten Gipfel, auf der höchsten Wipfelspitze der höchsten Kiefer, da zwitschert und zirpt eine kleine Meise, und w^enn sie will, so fliegt sie weit, weit in die blaue Himmelsfreiheit hinein ....

Jetzt will ich. Und will ein Prophet sein, ein Seher.

Die Blumen blühen, die Bäume rauschen, die Wasser plätschern, die Vögel singen und der Himmel blaut mir durch die w^eite, reifende Mittagsstille Offenbarungen, und das endlose Beieinander und Ineinander aller Wesen leuchtet mir eine Offenbarung. 'Ich stammle Verheissungen , die sich erfüllen:

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jetzt, morgen, in hundert, in tausend oder in hundert- tausend Jähren, hier, dort, irgendwo; die Wirklich- keit sind und sich erfüllt haben, jetzt, gestern, vor hundert, vor tausend oder hunderttausend Jahren, hier, dort, irgendwo

Schlaf, Frühlingf. 2

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Alles, alles ist eine einzige, grosse, fröhliche Einheit und alles Lebendige eine einzige, grosse Familie.

Der Andre? Die Andre? Ist es nicht immer derselbe und ist es nicht immer dieselbe? Jeder für Jeden, Alle für Alle, Alles für Alle und Alles?

Trug ist Leid und Hass, Trug ist Trennung und Selbstqual, und Lüge ist die ewige Vernichtung, ein neckisches Spiel zuhöchst, ein bunter Traum, der einen, unendlichen Ruhe, die alles ist und in der alles beschlossen ist . . .

Dort drüben, im fernen, weissen Sonnendunst, breitet sich das Dorf. f v

Hinter breit gewipfelten, dunkelgrünen Linden hervor verschimmert die Kirchturmhaube mit ihrem hellblauen Schiefer spitz und gleissend in den gleissenden Himmel. I>anggedehnt das rote Kirch- dach, und die braunen Dächer lugen mit Giebelputz und Storchnestern aus weissen Blüten wölken. < .. .^■,: Eng, gedrückt, so zieht es sich lang durch das weite Marschland hin. '. AV^ärme, Summen und blendende Farben.

Schweigen. Lichtes, schwüles Schweigen.

Und der weite, weisse Dunst wogt und flirrt

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durch die heissen Höhen bis tief über Wiesen, Felder und flinkernde Wasser gegen mich her.

Ein Tönen hör ich und ein heimhches, tiefes Summen.

Ferner, ferner Orgelton und Gesang der Gemeinde. > o: »i ; /-

Wechselnd, wellend, auf und ab, hin und wieder, im Bann eines feierlichen, getragenen Rhythmus.

Eine Sehnsucht hör ich in ihm, eine stille, nieder- gezwängte Sehnsucht.

Das ist die Sehnsucht nach Gott, nach dir, nach dir ...

Und ich bin traurig, traurig ... ■■Eingezwängt bin ich in zehn „Du sollst!"; in hundert, in tausend „Du sollst!" . . . ;: ; Traurig bin ich, traurig, traurig ..... v

Und aus dem weiten, schwülen Brüten kommt ein Brüllen, ein langgedehntes, schmerzliches Brüllen.

Eine Kuh drüben bei den Erlen.

Bis an ihren weissen Bauch steht sie in dem hohen, schimmernden Gras. Sie hat den breiten Hals starr vorgereckt und wie geängstigt stieren ihre grossen, dunklen Augen.

Ich bin zusammengefahren.

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Wie ein Sehnsuchtsschrei, irgendwoher, aus einem niederen, zwängenden, dumpfen Leid. '

Und die weite Schwüle nimmt mich hin, um- spinnt mich, umspinnt mich dicht mit einem trüben, dumpfen Brüten, mit einem tiefen, tiefen Grauen.

Unsinn! j ; ;

Wie herrlich glüht hier die Nelke. Und die gelbe Königskerze hier: wie aus Gold, aus lautrem glänzenden Gold.

Wandern ! Wandern !

Neulich der Spaziergang. Da waren zwei Enten, schnatterten zwei schneeweisse, prächtige Enten unten im Thal im hellen Bergbach. Und ein Spitz mit fröhlichem Gebell gegen mich her. Und über Stackete unzählige Rosen in entfalteter Pracht. Und wie schön das Dorf aus den wogenden, reifen- den Getreidebreiten hervor. Schwalben an mir hin, dicht an mir hin, als ich rastete, dass ich das feine Wehen ihres Flügelschlags spürte.

Ich weiss, ich sang und schwatzte vor mich hin, ich weiss nicht was. Aber in mir war eine himmelweite Seligkeit und ein einziger, stiller

Friede " . /.I

Lachen, lachen, lachen kann ich wieder, jauchzen, brüllen vor trotziger Lust am Leid, und mein heller Lebenswille geht von mir aus mit einem tiefen,

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befreienden Atem, und durch Laub und Gräser geht ein heimliches, fröhliches, neckendes Flüstern, weht kühl über meine Stirn und weiter über die Breiten hin, und ich atme es ein, tief in mich hinein wie einen süssen, geliebten Atemzug.

Lust am Leid, wilde, wild unbändige, frucht- bare Lust am Leid, Aufatmen und helles, klares, sonnenhelles Gestalten aus wilder Leidlust . . . . ,

Nun bin ich wieder bei Laune.

So! Jetzt lieg ich auf dem Bauch, die Deich- böschung hinauf, lege mein Skizzenbuch vor mich hin und zeichne, was mir gerade in den Sinn kommt, allerlei Karrikaturen.

Und nun beseh ich mir, was ich gezeichnet habe, und blättre und sehe, was ich vor Tagen zeichnete.

Da ist ein altes , nacktes , schwammiges Weib, unsagbar hässlich, neulich mal im Anfall einer bösen Laune hingekritzelt. Ich betrachte es mit lustig ge- kniffenen Augen und summe allerlei Uebermut.

Die Sonne liegt grell auf dem Papier und lässt, wenn ich etwas von der Seite drauf niedersehe, die Konturen in leisen Irisfarben schillern. Ein Käferchen knistert drüber weg, macht Halt, biegt seine Fühlerchen,

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putzt sich den Hinterleib und trippelt weiter. Weisse, gekrümmte Blütenblättchen treibt ein Lufthauch von dem Weissdorn über mir herab. Sie liegen blendend silberhell auf dem Papier wie auf mattem Goldgrund.

Der alte, gute, regenbogenschillernde Fettwanst.

Sachte, sachte, mit viel Sorgfalt bringe ich ihm jetzt zwei zarte Elfenflügelchen an den Schulter- wampen an. Die Sonnenstrahlen tuschen sie mit Farben meinem Stifte nach.

Auch sie gut! Alles, alles gut!

Und ich blättre weiter. ' l

Da ist ein Geck. Mit einem winzigen Hütchen, weitem Jaquet und Sackhosen. I

Wie unbändig schön! j

Auch er bekommt die beiden Flügelchen.

Und hier ein Betrunkener. Sein Taumeln ist ein Tanz, ein schöner Rhythmus. [

Hier ist ein Weib, das ich bei einer Hausthür kauern sah. Zerlumpt, vergrämt, stumpf, schmutzig.

Die Arme!

Ein mächtiges Mitleid überkommt mich.

Aber ich lache und weiss, irgendwie w^irkt es in die Ferne und tröstet sie und macht sie lachen. Ihr Abbild aber hier, das ist nun schön, so schön wie die strahlendste Schönheit, die je gebildet wurde, die je in Fleisch und Bein einhergewandelt ist. »

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Und hier ist eine Dirne, gezeichnet wie sie mit schwankendem , hüftenschaukelnden Gang, in Nacht und Wetter, an flackernden Laternen vorbei, sich an den dunklen Häusern entlang drückt. Sie wird gescholten und missachtet. Aber einmal , als ich bei ihr war oben in ihrer armen Spelunke, als ich sie in hingegebener, mitleidiger Liebe küssen konnte, da wurde ihr müdes stumpfes Herz lebendig und blühte mir entgegen wie ein schöner Frühling. Und in dieser Erinnerung nun ist sie mir so rein und adlig wie die reinste Jungfrau, und blüht in Schön- heit und Würde

O überall, überall seh ich heimlich eine schöne, verjüngte P'riedenswelt. Und ein Nahen spür ich, ein Nahen .....

Gesang, Fröhlichkeit, unbändiges, unsterbliches Gelächter, Wein und goldenes Bechertönen, und Liebe, Liebe, Liebe! ..... ; ..

Der Länge nach lieg ich auf dem Rücken und lächele mit halbgeschlossenen Augen in das tiefe, blendende Blau hinein.

Nah und fern hör ich eine Musik.

Durch das Gesumme der Bienen und Hummeln, durch das Wispern der Gräser und Binsen, durch

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das heimliche, verlorene Plätschern blinkenden Ge- kräuseis, aus den tausend Stimmen der Vögel, zwischen den rauschenden Büschen.

Sie lebt in dem Gebrüll der Kühe, in den zierlichen Schwunglinien glänj;ender Pferdeleiber, wie sie grasen; in dem Muskelspiel ihrer prächtigen Formen, wie sie dort gemächlich schreiten, oder schnell, mit mutwilligen Sprüngen hineilen durch das hohe, blumenüberragte Gras. Sie flirrt und flimmert und wellt in zierlichen Schwingungen^ •durch die blauen Lüfl;e, wogt und schwirrt und schwingt wie feine Metallsaiten iq^ dem Spiel der Insekten. ^ i

In unendlichen Farben, Formen, Tönen ein einziges Lied, ein einziger, einender, mächtiger . Rhythmus; ein gewaltiger Einklang.

Jauchzt, jubelt, flötet, klagt, braust.

Kommt aus lichtdämmernden, gleissendenWeiten, wird off^enbat, süss, schaurig, freundlich in den Nähen, verklingt in den Fernen. . |

Und ich: hingenommen in ihn, sein Wieder- klang, ganz ganz sein Wiederklang für eine Minute der Verlorenheit ^ '

Suchen, Haben und Verlieren, und wieder Suchen, Halten und Verlieren. Immer wieder und wieder und immer von neuem.

: - 25

Das ist das Leben. Das ist alles Schicksal und aus diesem einen werden alle Leiden und Lieder.

Eine Musik hör ich, nah und fern. Einen ein- zigen, millionenstimmigen Akkord: das ist das Lied der Kraft, Das ist die Kraft.

Wer versteht es? Wer kann .es wiedertönen lassen aus einer reinen, unverzagten Seele?

Ich will nichts als liegen und lauschen und immer lauschen, und lauschen und stammeln wie ein Kind , hingegeben in Ehrfurcht , in Lust und Jubel, in Schreck, in Furcht und Grauen und njit kindlichem Vertrauen wiederkehren und immer, immer wiederkehren .....

* . , *

Ich sehe in den Kelch einer Winde, in den flachen, süss duftenden Kelch einer Winde hinein. Und wie ich ihn betrachte, blicke ich mit weiten, wild erschauernden Augen in einen Abgrund der Erkenntnis.

Es ist eine einzige, grosse unendliche Ruhe und Einheit, die sich durch die unerm esslichen

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Stufen des Lebendigen sucht und verliert, ewig sucht und ewig verhert und doch sich ewig hat in der Liebe und als Liebe. - j .

Leben! Urbeginn! '

Hinauf, hinauf mit sehnendem , allmächtigen Drange in Milliarden von verschlungenen Lebens- wellen, die ansteigen und verrinnen, und mit immer neu verjüngter Inbrunst mächtiger und mächtiger dem Licht entgegen, dem Licht . i

Es faltete sich auseinander in die Unendlichkeit der Formen und Farben, in immer mächtiger, sehnender kreisenden Schwingungen, durch die Weltenalter und Zeitmillionen unbegreiflichen und ungeahnten Klarheiten entgegen, im Auf und Nieder, im Hin und Wider, im Werden und Vergehen .'. .

Es wurde zu gewaltigen, ungeheuren Körpern und brüllte und jauchzte seine Inbrunst den Un- bekannten zu, suchend suchend suchend, und streckte sich, sich selbst zum Untergang und Leid, mit neuen, immer neuen, immer sehnenderen Sinnen dem Un- begreiflichen entgegen. Und es bebte hinein in den dunklen Kreislauf der Kraft mit dem Worte des Menschen, dem armen, zitternden, eben er- wachenden < , i

Das Wort" aber, das erwachende, erstarkende Wort zwang das Verstreute zusammen, dass es ge-

^ 27 /

" . ....... >..<^^ ^.

eint sich in die Mannigfaltigkeit unzähliger neuer Ä Triebe und' Kräfte spalte.

Ich träume und träume, und tief, tief lausche ich in mich hinein. Wie ein heimliches, staunendes . v

* Lauschen ist es in mir, wie ein stille treibendes, : ' keimendes, aufblühendes Werden hellerer Augen, '* als die sich aus dem blöden Farbfieck jenes Urtiers

■* entwickelten.

Nur noch eine dünne, dünne Scheide zwischen uns "und einer neu erweiterten Welt neuer Wunder.

^ Entgegen, entgegen der Klarheit hellerer Sinne

•Frühling! Frühling! Ewiger Frühling! Licht, das sich entflammt, hinein, hinein in ewig weichendes ^ Dunkel!

Hier, hier, "in mir', dort, irgendwo krümmt es sich in süsser, banger Werdequal in nun schlechter

* : Hülle neuen Wundern neuer Offenbarungen entgegen.

Sonne! Sonne! Sonne! ' Meine Blicke haften in dem weiten Blau, mit

Sehnsucht, mit Sehnsucht

Und nun - nun bin ich ein goldlichtes Wesen. Breites Silbergefieder spriesst aus meinen schimmern- I den Schultern und heisses, goldenes Sonnenblut

vt*«^44y%4^y!^''iiH^li'h^ US4fihmt

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braust durch meine Adern, und ich rausche empor, empor, empor

Eine Musik fern und nah.

Und nun in mir ein Wort^ geboren aus Licht und Getön; es bebt mir im Ohr wie ein tiefer^ voller Glockenton, irgendwoher. Aus einer Nähe, aus einer mystischen Nähe. !

Ich kann sie nicht sehen vor lauter Licht. Nur meine Sehnsucht, meine Sehnsucht ist ihrer teilhaftig.

Ein Wort

In mir ist ein Auge, und das sieht durch dieses Wort eine Welt. j

Sie schwebt her zu mir mit webenden, gleitenden, leuchtenden Formen, naht und vollendet sich, mehr und mehr und immer mehr. [

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Freiland! Freiland!

Lauter Jubel ist in mir; lauter, laut aulQauchzender unbändiger Jubel! ' ,

Freiland! Freiland! |

Und nun wieder still, still, und ich lächle und sehe. i

Durch einen grauen Dämmer muss ich und durch alle Fährlichkeiten der sieben Berge, vorüber

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an Drachen und Gewürm, an Riesen und Hunden mit feurigen Augen, gross wie Wagenräder, und über gefährliches Zaubergelände mit Fiebermoor und grossen , schwülen Blumen , zwischen denen böse, schöne Fabelwesen hausen und irre Lichter schweben, bis ich zu einem Walde komme; da wird es still.

Da rauscht und leuchtet buntes Gefieder zwischen dunklen, dichten Wipfeln, da huschen Sonnenstrahlen in träumerischer, neckender Verlorenheit, da spriessen heimlich wunderbare Blumen, und da wogen kost- bare Düfte seltener Kräuter über helle Wiesen zu mir her, und wie im Traum geh ich durch milde, heimliche Märchenlichter.

Da klingen aus blauen, sonnenzitternden Dämme- rungen glockenreine Melodien, und zierliches Getier schlüpft durch Gras und Laub und blickt mich an mit zutraulichen, Jclugen Augen.

Und wie ich so auf stillen Waldpfaden hin- wandre durch streichelndes Laub und schmeichelnde Lüfte, über blumige Wiesen, und mehr und mehr der Lärm der Welt hinter mir erstirbt, da komme ich zu einer hohen, hohen Mauer, die dehnt sich weithin durch die finstren Schauer himmelanrauschen- der Edeltannen. So weit ich blicken kann, klettert dunkler Epheu hinauf und Teufelszwirn ballt sich hernieder in graugrünen Dunstwolken, und dazwischen

u^müu lu^ zufi^Aim u»j^fiGm.Cmmf&Mlf'/^

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weit, weithin entfacht mit freundlichen Lichtern un- zähhge Blüten von Dornrosen. cft-yift^'^^^^^^'*

Aber da ich ein Sonntagskind und ein Berufener ^♦•>'^>**^^J*^ bin, weicht das Dickicht willig vor meinen Schritten, '»tW<W/. und eine Pforte thut sich auf und sicher und mühe- ■*

los schreite ich durch das dicke, trotzige Mauerwerk.

- ' i ' - "

Dann bin ich in einer andren Welt. ' ,

Heller scheint hier die Sonne und heimlicher '

sind die Schatten, klarer die stillen Wasser und fröhlicher das Geriesel lebendiger Bäche, grüner die Wiesen und Hügel. jMächtiger gipfeln sich hier ^

die Wälder in die Wolken; mit heisseren Farben imd Düften glühen die Blumen, üppiger und immer üppiger spreizen Pflanzen und Kräuter seltsame ■'

Blätter, und in tieferen Farben brennen bei Auf- und Niedergang die Himmelsbreiten. Grosse, schöne Menschen haben sich hier zusammengefunden, ge- schwisterlich, ein König jeder in Freiheit und in der Seligkeit weltfernen Glückes. j

Kräftiger ist das Mark in ihren Knochen, und freier strahlt ihr Blick der Welt entgegen, und wie , ,

der Blitz folgt dem Gedanken die That. Geeint leben sie in Freiheit; nicht mit der zagen, feigen, schielenden Neigung der Anderen, die sich ärmlich ;.

und ängstlich und selbst misstrauend zwischen Ge- . ." v setzen und Normen hinfristet. .

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,' , 31 . .--v;.',/-

In ewigen Sommertagen leben sie hin, in Festen, himmelanjauchzenden, herrlichen Gleichnissen, wie das Leben treibt und glüht, wie die Lebenssäfte mächtig durch die Adern der Welt brausen und der blöde Staub sich mit der tausendfältigen Pracht berückender Gebilde in die blaugebreiteten Unendlichkeiten faltet

Weite, lichte Nacht. Warme, blühende, duftende Sommernacht mit der endlos gebreiteten Pracht der Gestirne. .

Tausend Lieder irren unter dem hellen ]\Iond aus Blütenwolken und Laubdämmerungen und

Still! Still! ^ Eine Alusik hör ich, nah und fern, in allen Nähen und Weiten, einen einzigen millionenstimmigen Akkord. Das ist das Lied der Kraft, Das ist die Kraft. Das bist du, das bin ich, das ist alles, alles, und die Kraft, die einzige, einige, eine. Und aus ihrem Wandel und Wechsel tönt es mit neuer, ungestümer Lebenslust, das alte, wildfreudige Zorn- wort: Qa ira! Ca ira! . . . .

Und andre Weisen hör ich nun. Alte, uralte Lieder. Und doch neu, immer wieder neu und ewig neu.

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Und alle das eine: Du, und das Lied von Dir.

Und so ist sein Text: i i

Die Sonne und alle Gestirne: dein Blick. Strahlend, leuchtend, sehnend, helllachend, freund- lich, klar, mild, schelmisch verhüllt. Und die Blumen: der Duft deines Körpers. Die ganze, weite Erde: das ist dein Leib. Und das goldige Lebenslicht über den Breiten ist die Wärme deines Leibes, und die milde Luft, weiches Moos und Gras sind seine schmeichelnde, süsse Weichheit. Graswogen und alle die vielen, vielen, unendlichen Bewegungen : so gehst du, und so ist das Wogen und Wiegen deiner Glieder. L'nd wie es singt und flötet und zwitschert und jauchzt: das ist deine Stimme. '

Ueberall, überall bist du und nur du, und nichts ist ohne dich und nichts ausser dir. Alles ist dein Bild und dein Gleichnis.

Du bist das liebe Alädel , das mich neulich er- freute. Du bist heute blond, morgen schwarz, über- morgen braun, bist Mann und Weib, Kind und Tier, alles, alles '

Wie könnt ich deiner jemals überdrüssig werden? Lnmer und immer wechselst du und erfreust mit tausend wechselnden Gestalten mein liebes, ver- änderliches Herz. I

Und du, du bist in Lust und Pein das drängende,

treibende, nimmerrastende Leben hier hinter dieser ;'-

jl dünnen Grenze meines Körpers, die nur ein necken- ; ;.

der, spielender Schein ist zwischen mir und dir.

Das sind die Lieder, die alten uralten, immer ^ neuen Lieder, das eine, einzige, das Lied von Dir ... " ^ ;

*

Mein Kopf liegt an deiner Brust.

LTnd du, goldig, licht, jung, beugst dich über mich.

Mit deiner linden Hand träufelst du mir Helio- trop auf die Stirn. Ich atme den süssen Duft und deinen Atem, der süsser ist als er.

Mein Gesicht fühlt deinen Herzschlag, deinen ruhigen, ruhigen Herzschlag.

Und Auge in Auge, tiefer immer, versinkender.

Leise, leise hernieder zu mir, und leise, leise ich hinauf zu dir. Du lächelst, biegst den Kopf hintüber, und deine Hände drücken sich schwach gegen meine Brust mit schelmischem Drängen.

Und nun : Lippe an Lippe. Lange . ....

Zwischen halbgeschlossenen Lidern dunkelt dein

Blick. Und nichts ist als sein Glanz und eine

süsse Wärme von dir zu mir.

Frieden. Und aus ihm Kraft, Gedanken, Ent- schlaf, Frühling-. 3

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Schlüsse, lichter, immer lichter, kühner und kühner, und Erkenntnisse . . . ?^.

Ein Jubel ist in mir, ein ungeduldiger Jubel, der hinauf will, hinauf, bis in den siebenten Himmel hinauf!

Was ich hier träume und denke und dichte, das ist nicht mein Verdienst und nicht meine Schuld. Das ist das goldige, flammende Rund da oben, das sind die Blumen, die mich umblühen, die Vögel, die mich singend umschweben, Halme und Laub, die mich umrauschen, die Menschen nah und fern, du.

Alles, alles ist dein Verdienst, und wie ich mit dir eins bin, so ist es erst auch meins.

Sind wir denn getrennt: du und ich?

Nicht hier, nicht jetzt. Jetzt, hier sind wir ge- eint in einem einzigen, weiten, stillen Frieden. Hier sind wir Blume und Baum und Gras, heller Himmel und goldiges Kornwogen, Farben und Vogellied, ; hier blühst und singst und levichtest du in mir. und \ ich in dir. Hier bin ich frei

Wir beide, wir kennen Augenblicke, Stunden: wunderliche Augenblicke! Wunderliche Stunden!

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Was peinigen wir uns mit harten, höhnenden Worten? Was quälst du mich? Was quäl ich dich?

Lirum larum! Ich weiss jetzt eine grosse, tröstende Weisheit!

Lust ist Qual und Qual ist Lust, und es giebt und kann in alle Ewigkeit hinein nur eins geben: Liebe^ Liebe, Liebe, dreimalheilige Liebe, wechselnd in zwei Gegensätzen und doch einzig, einig und allein Liebe, Liebe, Liebe .....

Wie sich deine Brauen über deinen Augen wölben, ihr Schnitt, ihre Schwingungen, der feine, weisse Bogen unter dem dunklen Apfel, dieser Glanz in diesem Rund und diese schimmernden Lichter in das Weiss hinein, diese Nasenflügel und ihr feines Beben, die sanften, runden Linien dieses Gesichtes mit dem milden Spiel von Rot und Weiss, das Gleiten und Biegen dieser Körperformen: das alles alles spricht von einem bestimmten Schicksal, und dieses Schicksal ist eine lebendige Seele und hat dieses Fleisch, diese Glieder und ihr Verhältnis zu einander geschaffen. Dieses Schicksal aber, diese Seele lieb ich, lieb ich in Mitleid, in Staunen, in

3*

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versinkender, anbetender^ hingegebener Bewun- derung . . . . .

Ich simuliere, wie ich dir den Hof mache.

Eine putzige Welt hat der liebe Gott um uns hergerichtet mit artigem Getier und Menschenvolk, zu unsrer Verlustierung sonderbarlichen Treibens beflissen. '

Sie fischen und gärtnern, graben, pflügen und bauen Beete und Felder, feilschen und beklatschen sich, bekalkulieren Witterung und Ernte, essen, trinken und schlafen, rechnen sich über heute und morgen hin, schustern und schneidern, zimmern und schmieden, zeugen sich fort und sterben, sind gesund und krank, hassen und lieben sich, und alles ist eine artige, lustige Komödie. ^

Und Wälder, Felder und Fluren, weitgedehntes Land mit lautem und stillen, mit tausendbuntem Getier: kriechend, hüpfend, springend, laufend, flatternd und schwirrend, mit Blumen und Gräsern, mit tausend bunten Farben und Bewegungen, mit Leuchten, Glitzern und Flinkem ist um uns herge- richtet, uns, uns zur Lust: von dieser Welt bau ich dir träumerische, ausgelassene, viele, viele bunte

37 " ,

Lieder in freien Weisen, wie sie mir so durch den Kopf schiessen.

Alles, alles, ganz sollst du mich haben; denn das alles war und ist mein liebes, gepeinigtes, lauschendes und schaffendes Herz mit Lust und Leid, Elend und Glück, Hass und Liebe; ein Spiel nun alles, ein närrisches, lustiges Spiel, denn du, du bist in der Welt und in mir beschlossen und eine einzige Wonne, ein einziges, unerm essliches Glück. Und mit diesem ist für alles gesorgt , jetzt und immer und ewig .... .

* ■■;* '- \ ?V ' - "

Heute Morgen schlenderten wir beide durch die Felder, schaukelten unsere zusammengefügten Hände, sahen uns in die Augen, lachten und waren still, ganz still.

Da haben wir den Frühling gesehn. ■;

Mitten auf dem staubigen Feldweg patschelte er uns entgegen in einem hellrosa Wölkchen.

Er war ein Mosjöh Dreikäsehoch, hatte einen ratzekahl geschorenen, schlohweiss scliimmernden Flachskopf und zwischen zwei rotbraunen Posaunen- backen eine höchst naive Stuppsnase, aus der ein paar perlenklare Talglichtlein sacht auf ein offen Schnäuzchen herniederrannen. Ohne viel Gene trug

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er ein blauverschlissen Kittelchen auf seinem nudel- dicken Wurstleibchen, vorn hoch, hinten tief, aus dem ein höchst schnuddliges Bein- und Armwerk hervorpendelte.

Seine Hoheit sahen uns mit ein paar grossen, tiefblauen Vergissmeinnichtaugen durch und durch und brömselten so viel Unsinn vor sich hin , dass uns ganz wirblicht wurde. I

Er liess sich von dir die Nase putzen, geruhte von mir einen Nickel anzunehmen, und gesegneten Herzens schlenderten wir weiter, weit, weit in die sonnige Klarheit hin,-- aus der er gekommen war . . .

Anders aber sah ich ihn ein andermal.

Das war vor mancher Woche. '

Einsam sass ich in meinem einsamen Zimmer mitten in der grossen, grossen Stadt.

Die Sterne flammen auf im tiefen Blau , hoch oben über den Dächern, zwischen den milchweissen jagenden AVindwolken, den Frühlingswolken und die roten Abendlichter verglühen still an den langen, langen, dunkelnden Mauern.

Draussen aus der Stille lösen sich Stimmen und der Wind fängt an mit frischen Stössen das

: ;_ _ 39

Fenster zu streifen, und singt im Rauchfang sein altes Lied.

Es wächst und wächst, und immer voller, immer stärker das frische, fröhliche Brausen.

Wunderlich geht es vom Fenster zur Thür durch das Zimmer mit einem feuchtwarmen Zug.

Und ich schnaufe den , Frühling ein , seinen gesunden Odem, Und ich wittre einen Duft wie von Rosenblättern,, getragen von den unsichtbaren Fluten. Frisches, thaufeuchtes Wiesengras spür ich und den Geruch frischgepflügter brauner Felder, die im sonnigen, lerchenschmetternden Frühnebel dampfen. Und ich höre die freudige Sprache der werdenden Welt, der erwachenden, jungen Kreaturen.

•Meine Sinne fahren auf und hin, getragen von dem Brausen, eins, ebbend und flutend mit seinem herrlichen Rhythmus: jetzt aufhorchend, jetzt still in traumhafter Versonnenheit und in neuer, immer neuer Gewissheit auf, in die Höhe; und es packt und durchschüttelt mich in freudetollen Phantasien von der Zukunft.

Und nun bin ich draussen in der äussersten Vorstadt.

Weit dehnt sich das Land hinaus im nächtigen, witternden Zwielicht. Hier ein Netz von baumbe- pflanzten Wegen, im flachen Land sich verlierend.

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Bald werden sie Strassen sein, wie die da drin, und die Häuser da und dort, vereinzelt und in Gruppen über das Freie hin verstreut, werden zusammen- wachsen zu Stadtvierteln bis hinaus zu den fernen Vororten.

Weite Landstrassen ziehen sich hinaus, und von allen Seiten, durcheinander, aneinander hin, schnaubende, donnernde, rollende Züge, herein und hinaus in das nächtige Land wie riesige, feurige Raupen. i

Und nun zackt es sich weit hinter mir mit Dachzinnen und Türmen und ragenden Schorn- steinen und verrinnt breit, endlos in trüben roten Dunst, und starrt müde mit seinen tausend und

abertausend Fenstern in das freie Land hinein.

i

Und der Sturm wächst und braust und knattert und pfeift mit den hundert lustigen Stimmen seines wilden Akkordes heran über die brachen schwarzen Schollen, durch Gestrüpp und Geäst, und hinein n die langen, lichtflackernden Strassenzeilen , und all das Lebensblut da drin wallt auf in frischen Gluten, und lebendiger regen sich Millionen Kräfte gegen- und durcheinander.

Aus weitem fernen Süden strömen die durch- glühten Lüfte her, seitwärts gebogen vom kreisenden Umlauf der Erde, und in ihrem jubelnden Ge-

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tose ist es lebendig von Millionen Stimmen und Wunderen.

Ueber der unendlichen Oede der Wüste haben sie geglüht, von reineren Sonnen und Monden durchbebt, über ragenden Palmen und fernen, fremden Gebreiten, über mächtigen jMeeren und Strömen und Seen, über der wilden grünen Nacht der Urwälder, durchhallt vom Gekreisch und Ge- brüll fremdartiger Tiere, und durchglüht von unge- ahnter, leuchtender Pracht, und ein üppig wucherndes Leben haben sie gezeugt.

Und nun tragen sie's herüber mit ihren wild- freudigen Strömen und wirbeln es zu uns her über weite, bäumende Meere, über herrliche Breiten wärmerer Sonnen, über ewig eisige Höhen, ihrer winterlichen Starrheit trotzend, und wirbeln es her mit den fröhlichen Scliaaren der Vögel und leben- digen Keimen.

Und der Tumult der ewig lebendigen Kräfte wogt herab aus den Höhen in unbegreiflichen Schwingungen und bebt in uns hinein.

Sie zittern hinein in schwarze, ruhende Tiefen, und es beginnt ein Hin und Wider und Ineinander, und bebt und treibt dunkel unter süssem Zwange, und aus Beben und Treiben und unerforschlichen Mischungen der Elemente werden Keime, und die

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^

schwarze, träumende Ruhe ringt sich dem Lichte entgegen, dem Licht ..... i

So spürt ich damals den Frühling. 1

Sturmlieder brauste er hinein in die langen, flackernden, öden Vorstadtstrassen, wilde, rüttelnde Sturmlieder, und wenn ich recht hörte, hatten sie einen sehr polizeiwidrigen Text

Bah! Hier lieg ich und strecke mich, ein Thunichtgut und Simulant schlimmster Sorte.

Sämtlicher Laster und Tugenden bin ich teil- haftig. Ich habe mit Christus^ dem Herrn, die Leidensnacht in Gethsemane durchlitten, und mit Buddha das innerste Wesen der Welt erkannt. Ich bin geschlechtlos, bin Mann und Weib. Schuld- los bin ich und naiv wie das reinste Kind und er- fahren wie der blasierteste Roue! Ich bin Kaiser und Held und der niedrigste Sklave. Der gew^andteste, gefährlichste und der blödeste, einfältigste Liebhaber, bin und habe, was ich will. , i

Jetzt aber bin ich eine grosse, schöne Blume. Bin Fühlen, ganz, ganz dämmerndes Fühlen. Ich wurzele in einer süssen, feuchten Kühle, und dehne mich sacht in ein laues, fächelndes Schweigen hinein, spreize mich, ringend und nachgebend, mit hundert

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Formen in sanften, neckischen Widerstand hinein, etwas Heissem, Lichtem sehnend entgegen. Zu oberst leuchte ich vor Jubel, und meine Lust wird eine köstliche Süsse. Es schwirrt zu mir her mit bunten, durchsichtigen Flügeln, und ich erschaure in den Wonnen einer leisen, leisen, sanften Be- rührung

Traum bin ich, Traum, ganz Traum und süsses, süsses Verdämmern, Schlummern, Entschlafen

Staunendes, erschrecktes Erwachen.

Lange Schatten und müde Lichter. Treiben und wellen mit verglühendem Gekräusel über die Wasser herüber und verblinken in stumpfes Blaugrau.

Goldig versinkende Glut über breitgedehntem, schwarzen Baum gekrissel. ,

Hoch, hoch drüber aus zartem, zarten Grün ein Sternchen.

Noch eins; noch eins. Viele.

Breite Schatten wogen vom Osten her über die Welt mit den Geheimnissen heimlicher Laute und Gestalten. ; -^

Drüben sinken die müden Gluten, sinken und sinken

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Kühle Schauer vom Wasser her durch leises Geflüster, singendes Plätschern und Murmeln. 1

Langsam, langsam schiebt sich die Silhouette eines Kahns durch silberspiegelnde Glätte, langsam, langsam den Nebelfernen zu.

Tiefe, tiefe Einsamkeit, Friede, Grauen : meiner Seele zu süss, viel, viel zu süss

Rote, warme Lichtlein glimmen fern in niedriger Enge zwischen breit geballten, schwarzen Wipfeln.

L^nd unter weitentfachter, goldiger Pracht wandre ich mit eiligen Füssen durch weisse Nebel den Lichterchen zu, den ar^en, glimmenden, heim- lichen Lichterchen.

Zu Dir, Madame! Zu Dir!

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Zwielicht

An den himmelhohen Mauern nieder, durch das Fenster, zwischen den Gardinen das erste Morgenlicht.

Leise grau tot. :

Nur hoch oben das arme bischen Himmel und die drei Sterne.

Und ich liege und brüte und würge an meinem blöden Leid. ~" Dich will ich! Dich! .... .

Und mein Wille und meine grosse Pein schreit in mir: Dich will ich! Dich! Dich!

Nichts ist in der müden Welt als das Grauen und der Zw^eifel. . *•

Und du und ich. Du und ich und unsre Sehnsucht.

Und unsre Sehnsucht will neuen Anfang. Unsre Sehnsucht, die nie sterben kann! Nie!

Wo bist du?! Wie halt ich dich?!

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1 ■■ ■. -" t

Ich schreie nach dir durch eine einsame, ein- same Nacht! I Meine Sehnsucht wird Angst und meine Angst

■wird Grimm!

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Gieb dich mir!! j

Du musst dich mir geben!! Musstü i

Wo bist du?! i

Ueberall, überall bist du und überall flirrt meine Sehnsucht an dir hin. '

Älit hundert dummen Masken hast du mich den Tag über geäfft.

Warum? '

Du warst die Kinder, die am Brunnen Ringel- reihen spielten. Und wie sie sangen und jauchzten, ganz junger, seliger, helläugiger Wahn, da, einen Augenblick, hielt ich dich!

Aber hinter hundert thörichten Masken verlor ich dich wieder.

Alt, runzlig, gebückt, niedergezwängt von stummen Oualen wanktest du an mir vorüber, verkrüppelt, hässlich, schmutzig. Du sahst mich an mit schielendem, ausweichenden Blick, mit feigem Hass. Stumpf, im Frohn von tausend täglichen Hantierungen, in tausend Gestalten sah

1

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ich dich keuchen und gegen deine Sehnsucht ringen. Du schaltest, logst, stahlst, beschimpftest. Du ver- leumdetest, betrogst, weintest, lachtest, sangst und warst guter Dinge: und immer wolltest du dich um deine Sehnsucht betrügen. Deine Stimme war grell und roh, deine Geberden rauh und widerwärtig, rauh deine Sprache. Und wieder sanft und mild und weich, und schwoll in köstlicher Fülle von deiner sehnenden Angst.

Hinter tausend dummen , thörichten Masken wolltest du dich vor mir verbergen. '

Warum?

Meinen Augen bleibst du nicht verborgen.

Tief und scharf sehen sie in dich hinein und sehen deine suchende, hastende Angst und deinen Willen, der doch weiss, der ja doch weiss

Ach, warum sind wir so feig, du und ich?

Warum bin ich so feig?

Nächtig ist es überall und überall nur tausend irrende, grausige Fragen.

Ach, ich kenne unsre Erlösung!

Denn ich sehe ein Licht, ein fernes Licht, und höre einen Ton, von fern einen feinen, süssen Ton.

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Irgendwo seh ich ein Licht, irgendwo hör ich einen Ton und irgendwo grollt ein Wille. . O, ich kenne unsre Erlösung! i

Hier glimmt das Licht! In mir! In dir!

Wenn wir wollen, hellt es alle Nächte und ge- biert Millionen freudiger Farben und Formen.

Hier lebt der Ton! In mir! In dir!

Wenn wir wollen, so jauchzt er ungeahnte, nie gehörte Melodien. i

Hier grollt der Wille! In mir! In dir! | ,

Und er ist die morgenfrische Kraft neuer, junger, knospender Sinne. l

In uns drängt das unermessliche Glück einer Offenbarung.

Wann soll es hervorbrechen? i

.. Wann lacht es unsre Feigheit zu Tode?

Weichst du mir aus? Weichst du mir aus?!! , 1 ,

V: Wohin? i

Komm! Komm mit!

Weit, weit durch die Nacht! Hinauf zu den Höhen!

-: Den Höhen! Ach, Hohn! Hohn!

•■ ■: 49 ;■ i ; :,■•;■;

Oben, hoch oben im weiten Zwielicht.

Hoch oben über den brausenden Wäldern, in der einsamen, schaurigen Frühe.

Hoch über den weissen, toten Nebeln, zwischen dem schwarzen, donnernden Grauen der Tiefen und den kalten, blassen Weiten.

Durch die frühlichtwitternde Oede geht ein Sausen, eintönig ein weites, weites Sausen dumpf über Höhen und durch Schlünde. .

Mein Gehör spannt sich ihm nach in alle ...

Fernen hinein und meine Augen starren in weiter Angst und doch mit mutiger, wollender, zorniger Lust.

Mitten hinein in diesen furchtbaren Einklang.

Das ist die „Harmonie der Sphären".

Die Harmonie!

Komm! ;

. * * ' ■■".■■■■

Dort oben die Himmel mit dem Wirrsal ihrer Weltenringe.

Ich fühle das eisige, tiefschwarze Grausen der endlosen Räume.

Ich sehe all die gelben Welten und höre den >

grässlichen Tumult ihres Umlaufs. Jahre, Jahrzehnte, Jahrtausende und Jahrmillionen, in die Unendlich- keiten hinein, das gleiche und ewiggleiche kalte, blöde Sausen ihrer Bahnen.

Schlaf, Frühling. 4

Y^^m^^am^i

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Feuer, Wasser und Elemente, werdender Welten- stofF in den unerhörten Empörungen seiner zahl- losen Bildung-en. Wogen als weltenweite Nebel, dichten sich und lösen sich wieder und härten sich zu Welten, zeugen, gebären und verschlingen sich wieder, rasen ewig zwischen Werden und Untergang.

Wozu? I

Dieses Glitzerpünktchen zu erzeugen, das das erste Licht hier auf dem gx*auen Gestein weckt? Oder wozu?

Und hier, hier unten: immer der gleiche, tote Wechsel von Tag und Nacht, mit demselben Tumult tauber Farben, Formen und Töne? Und

Ach, alte Leier! |

Soll ich dich wieder und wieder und noch ein- mal herunterleiern? 1

Dummes Rätsel! Dumme Zweifel! _

Wissen wir nicht unser Glück?

Wissen wir nicht?

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O, ich denke, ich sitze da oben unter meinem Buchenstamm und du bist bei mir. Und du bist in mir eine gelassene Ruhe.

Und du, meine Ruhe, mein Frieden, du: leise, leise machst du die taube Welt lebendig, und mit innerlichstem Jubel seh ich, wie das Licht wird.

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Hell, hell wird es in mir von dem lieben Getön eines erwachten Vogelliedes.

Durch die grünen Gründe flötet es herauf und jubelt in der Gewissheit des nahenden Tages.

Ich schlafe, schlafe nun mit weitoffenen Augen und schlafend seh ich mit weitoffenen, lachenden Augen die grosse Einheit, die alles ist, die wir sind, du und ich

Hinauf seh ich in die Höhe, hinein in die Breite, hinab in die Tiefe und sehe in mich hinein, wo das dreifach gedehnte einig ist, jetzt einig in einer friede- vollen Einheit.

Und aus Schatten und Lichtahnungen werden Gedanken in mir und Lieder, laute, fröhliche, aus- gelassene, stille, friedevolle Schlummerlieder.

Die sind nun meine Arme, meine weiten, riesen- starken Arme. ;; -

Mit denen will ich dich jetzt umfassen, und will dich an mein nun übermütiges, sonnenhelles Herz pressen. Mit denen heb ich dich hinaus über den tausendgestaltigen Zwiespalt unsrer Unrast, trotzig hinaus, hoch, hoch hinauf in einen goldigen, stillen Frieden, Dich ......

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4*

52

Hier sitzen wir, du und ich, in Liebe eins, und spielen, und geben dem Getümmel der Welten einen Sinn, der uns genehm ist, und der untrüglichste, fröhligste, ausgelassenste Wahrheit ist.

Aller Welten und allen Lebens Sinn ist er, dieser kleine dumme Sinn, den unsre spielende Liebeskraft ihm giebt, und mutig drängt er sich gegen das grosse, schaurige Rätsel, und so muss es uns Frieden lassen, dir und mir ' -

So aber lacht unser Uebermut und fabuliert:

Mit sehnenden und immer sehnenderen Bahnen kreisen die Welten, jede um einen Ursprung uran- fänglicher Seligkeit, und alle um einen, im ewigen Spiel ewigen Suchens, Findens und Verlierens. i

Der blasse Mond, das stille, verlöschende Licht- wölkchen dort über den westlichen Wäldern, kreist um die mütterliche Erde in der Sehnsucht seiner Elemente nach aufflammender Vereinigung, und sie ist ihm unverweigerlich verbürgt nach unverbrüch- lichen, mystischen Gesetzen. J^

. Und die Erde um das liebe, gleissende Rund dort oben in der Sehnsucht ihrer Elemente nach aufflammender Vereinigung, und sie ist ihr ver- bürgt, unweigerlich, nach den gleichen mystischen Gesetzen. '

Der sehnende Zwang der Elemente aber dichtet

53 ,:-

sich in unergründlichen Mischungen, gestaltet sich und wird lebendig und seines seligunseligen Ge- schickes sich bewusst in den unzähligen Genera- tionen ungezählter Lebewesen.

In Milliarden von Krystallen formt sich ihre Sehnsucht und Seligkeit, in Kampf und Widerspiel, verfeinert sich aus dem Nichtorganischen zur ersten dumpfen Lebensregung des Urschleims, wird Pflanze und Tier, wie die Zeitalter sich vollenden und das selige Ziel sich nähert.

Und das Tier wurde im Kreislauf der Ent- faltungen erlöst zur Klarheit über sich selbst hinaus im Menschen. Und wie die Jahrtausende sich runden, werden die Elemente im Menschen durch unzählige < Zeugungen hindurch zu herrlichen Erlösern, mischten #1 und dichteten sie sich zu Confuzius und Zarathustra, zu Buddha und Christus, und alle, alle verkünden den einen Trost vom lachenden Ende, das^imsterb- licher Anfang ist.

Und enger und sehnender treiben und ziehen sich die Weltenbahnen gegen ihren Ursprung hin.

Neue Unruhe neuen Werdens und Erkennens.

Feiner mischen sich die Elemente, und der letzten, hastenden Unrast des Erstarrenden entblühen neue, wissendere Geschlechter.

Sinn und Trost letzter, wilder Leiden, gieriger

54

Genusswut, dumpfer, gellender Verzweiflung tod- und friedereifer Geschlechter und Erkenntnisse ist ein neuer Held und Heiland.

Und der wird schön sein und fein wie ein hellenischer Gott, mit weiten Sonnenaugen. Sein mächtiges Gehirn wird alle Weisheit Buddhas um- spannen. Klug ist er und beweglich, ohne Falsch, gut, mild, edel, sich selbst eine Lust, ganz freudige, selbstsichre Kraft. Alle Weisheit wird in ihm zur heitren, spielenden Thorheit eines Kindes geworden sein. Und er wird der Kaiser sein, der Kaiser einer goldigen, verjüngten Zeit ......

- Verstehst du mich? Dies grosse Lied und diese grosse Geschichte? i

Unser kleines Lied und unsre kleine Geschichte ist das. Die lachende, lustige Geschichte von zwei Leuten, die sich lieb haben, von dir und mm^ Und wir singen sie uns jetzt zu unsrem Spass so, und wenn wir wollen, werden wir sie morgen mit einem andern Text singen . j

Ich denke, ich liege nun an deiner Brust und schlummre und bin einen süssen Tod gestorben. '

Mein Blut ist nun das morgenfreudige Tosen deiner Wälder. Weitgedehnte, hohe, blaue Berge

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in hundertfacher, freundhch wellender Bildung, tiefe, breite, grüne Thäler, blitzende Flüsse und trommelnde, donnernde Wildwasser: das alles bin ich in dir.

Meine Gedanken sind sanfte, blinkende Thau- tropfen, kleine liebe, rote Blumen und unermessliche Himmelsfernen, die entflammen in goldblauem Glanz, dunkle Wettertannen und zirpende, flötende Vogel- lieder, jähes Gestein mit gleissenden Rissen, uingoldet von den erwachten Lichtern der Frühe.

Mich, mich selbst seh ich mit trunkenen Augen. Klar bin ich meiner selbst mir bewusst, und mystisch

verhüllt ahn ich mich mit erschauernder Sehnsucht

in meiner Unendlichkeit, in dir, als du ^ ,

Höher und höher hebt sich die Sonne über die blauen Wälder und wärmt und lacht und wärmt und zeugt.

Denn jetzt ist die urbestimmte jMischung der Elemente da, die, gewärmt und befruchtet von dieser •-'

Sonnensphäre, den übermenschlichen Heiland zeugen ' ' und gebären.

Tiefes, tiefstes Geheimnis!

Und doch, wie meine Hand hier auf der grauen Stammborke liegt, spür ich es mit verstehenden, wissenden Schauern.

56

Und ich fühle, fühle, wie es unzählige Rinnen und Röhrchen und Poren öffnet, in Sehnsucht, in Sehnsucht der lieben Wärme entgegen, wie es giebt und aufnimmt in wonnigen Spannungen und Ent- ladungen.

i Und in mir hab ich jetzt den Trost einer uii.-_

- erhörten Selbstschätzung. I

Meine Poren saugen die himmlische Glut ein, ; und wie sie durch mein Blut schauert, weiht sie

; jetzt mich, mich zu dem Helden, der da ist und

kommen soll.

Siegfried bin ich und schlage einen mächtigen

'^röttdiuU*vwUi.(h^^'^^'^ Lindwurm tot. I

VftO^rh '^"^'^^s* ^"oi" niir ' i^^ ^ii" krümmt und schlingt und

windet er sich mit tausend klammernden Schwänzen

und klaffenden Rachen, gebannt, gebannt von meinen

\ lachenden Blicken. '

, Und wie er sich auch feige windet mit unzähligen

schlauen Listen, mir beizukommen: mir bleiben sie ! nicht verborgen. j

Da oben das liebe Licht durchbebt mich mit einem innerlichsten, frohen Gelächter: und dieses Gelächter ist mein Schwert. Mit dem schlag ich ihn tot, den alten müden, verzweifelten Lügner.

57

Schon blinzeln seine hundert Aeugelchen, und immer müder werden seine KJreise und seine böse Kraft dämmert hinüber in den seligen Frieden der Einheit, der auch ihm bestimmt ist.

Mit tausend Klammern umpresst er das arme, i junge Leben, und die nennen sich ehrbar Gesetze, ' - - . y, r

Institutionen , heilige Vermächtnisse , Staat , Kirche,, ^ (jt/vffüti^ '-'^ , Sitte, Ehre, Moral, Gott. i

Schlau trennt er die Natur, die ewig ungeteilte, | in Geist und Fleisch. Sünde nennt er die Liebe^' und Teufel das Weib.

Tausend schnörklige Phrasen pfaucht und dunstet er mir ins Gesicht, bläst mir tausend verzwickte Neunmalklugheiten ins Ohr und hakt nach mir mit / seiner gefährlichsten Tatze, die Gewissen heisst und MLi^dM'^^ Pietät. .; . ^

Aber ich lache und lache nur, und vor meinem Lachen vergeht er in einen dummen, blöden Dunst, vor meinem unwissenden Lachen.

■? ■" * .' - ' ' -- * ■'" .. ".■ "-■'

^' ' '

Und ich sehe in ein fernes Thal. Da lacht im weiten Sonnenglanz ein schönes Wunderland.

Noch verhüllt, leise verhüllt.

Das ist das verlorene, wiedergewonnene Paradies.

58

Da gehen Hand in Hand Adam und Eva im gütigen Sonnenlicht an breiten klaren Wassern über smaragdene Wiesen.

Da gehen Hand in Hand, wir beide, du und ich, im gütigen Sonnenlicht an breiten klaren Wassern über smarafgdene Wiesen.

An den stillen Wassern gehen wir hin durch den Garten. Und wir sehen alles Getier, das in den Lüften lebt und im Wasser und auf der grünen Erde, und nennen es mit neuen Namen. Und wir sehen die Menschen, und über sie erlöst nennen wir sie mit neuen Namen und haben an ihnen unser staunendes Ergötzen. Wir sehen Bäume, Sträucher, Kräuter und Blumen und nennen sie mit neuen Namen. Und Lüfte, Winde, Wasser, Sonne, Mond und Sterne nennen wir mit neuen Namen. Denn alles, alles ist nun anders geworden und neu, und du und ich wir sind zwei dumme Kinder, die spielen und staunen, und gaffen und lernen i

I

59

■■ Du?! ■'-:---^'--: - ' - ;<■ ■■:

Hörst du mich durch alle deine Masken, deine thörichten Masken?

Das ist das Lied unserer Sehnsucht und unserer Ahnung.

Trüb noch, trübe und zag.

Aber ich weiss und will noch ein andres. Das ist das letzte und höchste. Das kümmert sich nicht um Himmel und Rätsel. Das ist das Lied von den Nähen, das Lied von den enthüllten Nähen.

Wann wird seine Zeit gekommen sein ?

Wann werden wir wollen?

Leise, leise kommt der Tag und mit ihm die Feigheit und die Angst und der Zorn !

Das Lied

Unter den Sternen hin, hinter den dunklen

Bäumen, ziehen Leute und singen ein Lied. '

Ich lausche mitleidig schadenfroh ver-

I sonnen.

Denn in diesem Lied, in diesem schlichten Lied, ist ein Gift und eine heimlich fressende Flamme und die Schönheit einer fernen, fernen Heimat . . .

Das wissen sie nicht in ihrer dunklen Fröhlich- keit; aber ich weiss es . . . I

Denn tief in mir zehrt dieses Gift und frisst diese Plamme und will hervor und leuchten. Und tief in mir ist ein Kreisen und Werden. Wessen?

Ach Not, Not halbbewusster Fülle, endlos süsse Not! j

Ich lausche und sitze und warte, ahne; und meine Augen weiten sich einem köstlichen Gesicht entgegen, das naht und naht, von fern, ganz von fern . . .

"■ 61' : \

Denn noch gleitet um mich und in mir und wechselt, unbändig und ungebändigt, ein ewiger, trüber Wechsel des Einzigen. -t

Not, ewige Not! Kommt das Ende? Und welches??

*

An den Sternen hin ziehen die weissen Wolken und die Winde rauschen; raunen mit lieben, heim- lichen Stimmen und kräuseln glitzerndes Laubwerk, schaukeln schwankes Geäst, gleiten mit blinkenden Schauern über die breiten Wasser. Und das Licht durch Nebel und zarten Dunst, durch millionen- fältigen Widerstand plumpen Stoffes, nieder durch klare Höhen. Das Licht das Lied ...

Reimverbunden vier arme Verse und eine simple Weise; ungefüge Stimmen in rauher, unbewusster Andacht.

Aber es ist nichts in allen Nähen und Weiten, nichts, nichts als dieses Lied und eine heimatliche Welt, die nun offenbar wird, und alle die zahllosen Seelen und eine einzige, unendliche Seele.

Nun sind die Höhen und Tiefen und Breiten ein Spiel, und Minuten, Stunden, Tage, Jahre und Jahrtausende ein schelmischer Trug.

62

Und nur die offenbaren Seelen und im zeitlosen Selbstfrieden die eine, offenbare Seele. |

Ich sehe das bunte Spiel der vielen, das die ewige Ruhe der einen ist. Und in mir leben die Schauer der Wiedergeburt ewiger Religion und ewiger Vereinigung.

Dieses zitternde Pappellaub, hoch, schlank, dunkel in das weisse Licht hinein, dieser schimmernde Birkenstamm, traulich geducktes Buschwerk, diese gleitenden Wellen, diese Hand, die ich gespreizt gegen das Licht halte, mit dem Geflecht ihrer Adern, mit ihren wunderlichen Linien, mit Sehnen, Muskeln und Knochen: alles, alles ist das ewige Spiel ihrer Kraft und ihr neckisches Versteck, hinter dem sie sich selbst sucht und jubelnd sich findet und immer, immer wieder findet. ' ^

So müde bin ich, so ahnend müde. !

Will eine Schranke fallen? Willst du mich finden? Will ich mich finden? [

Und ein neues Spiel, und immer ein neues und ein schöneres, lustigeres immer?

Fern das Lied verklingend mit sehnendem Jubel das Lied . . .

Das Lied

63

Und alles wieder still und rauschende Ruhe. Ich fühle, wie jede Fiber in mir zuökt und sich spannt.

Das Ende? Und welches?

Welches auch immer: keins und nie und nimmer ein Ende. Eine Schranke, die fällt;, ein Dunst, der verweht; ein jubelndes, lachendes Her- vortauchen, — Wohin?

Weit, unendlich weit ist die Welt, und doch immer und überall einzig du, ich

Was war ich, war ich diese wilde, rastlose Lust und dieser unermessliche Jammer? Was war ich, war ich dieses hinfällige Gestell von Knochen, Fleisch, Muskeln, Sehnen und Nerven und nicht dieses ahnende Sehnen?

Wild ras ich durch meine Erdenzeiten, durch Mord, Not, Blut, durch zahllose Gräuel, durch diese und gegen diese meine fieberwache Endlichkeit.^^

Betrüge, lüge, morde, hasse; stürze mich in zorniger Verzweiflung in den Wahnsinn tausend- fältiger Wollust; rase in meiner Finsternis und strecke mich gierig nach Erkenntnis durch meine Räume und Zeiten; verschlinge und gebäre meine tausend und abertausend schwankenden, entgleitenden

>

64

ewig wechselnden Täuschungen von sausenden Welten und ewig unbefriedigten Erkenntnissen; taumele durch die hastenden Zeitläufte meiner Vergäng- lichkeiten ewng von Jubel zu Verzweiflung, von Ver- zweiflung zu Jubel; bin blühende und welkende Völker und Reiche; krieche hin in dumpfer Be- friedigung und klammere mich an karge, blöde Freuden; verschanze mich hinter Gesetzen, feige und weise gegen mich selbst; betrüge mich selbst und bin der Blödheit meiner engen Sinne ein zerfallender, faulender Haufe Schmutz und ein kleines jämmer- liches Ende.

Was war ich, erkargte sich mein sehnendes Ahnen nicht zwischen tauber Lust und taubem Leid ein paar stille Friedensblumen und wäre nicht der Preis und Sieg aller meiner Verzweiflung und meines heissen, rasenden Ringens gegen mich selbst das Wissen von meinem wohlverbürgten Frieden und immer und immer wieder sein endlicher Besitz?

Gelassen seh ich jetzt das grausigste aller Rätsel und beantworte seine dunkle Frage. In unendlichen gelben Wüsten steh ich der uralten bösen Riesen- fratze gegenüber und sehe lachend in ihre toten, starren Augen. . . " j

65

Und hier ist all meine Nichtigkeit, mein Stolz und meine hohe Würde.

Ich, ich selbst bin ihr grosses, starres Schweigen. Ich selbst bin zutiefst in mir eine grosse, weite, schweigende Ruhe, ein dunkel schlummerndes Können und Wissen und doch eine ewig bewegte, milliardenfältige Unrast. Dies beides und doch das eine, einzige: eine grosse, weite, schweigende Ruhe.

Meine Unrast aber und meine Verzweiflung schreit tausend trübe Fragen in mich selbst hinein, wieder und wieder, ihrer selbst gewiss zu werden und ihres endlosen Wandels, und sich zu finden, immer von neuem, in einer stillen, gefriedeten Einheit.

Meine Unrast aber seid ihr. Meine Unrast bin ich als das ewig und unendlich Vielfältige: als Elemente, Sonnen, Pflanzen, Tiere, Menschen und ^_,^^ \ ^ alle Wesen und Seelen: dies alles und seine uner- ' " \. messlich zahllosen Einzelheiten und ihre unermesslich zahllosen Schicksale.

Das alles schreit in mich hinein, findet Antwort und keine, findet ewig Antwort und als seligste Antwort ewig schweigende Ruhe.

Denn aus dem dunklen Urgrund meiner Ruhe und Nichtigkeit tönt ewig und ewig als Antwort

Schlaf, Frühling. 5

66 i

auf die wilde Sehnsucht ewiger Frage ihr ewig gleicher Wiederhall und nichts, nichts als ihr Wiederhall.

Denn dann, wenn je und je am wildesten die alte Frage gellt und an dem uralten, mystischen Geheimnis rüttelt, dann Frage und Antwort zu- gleich — tönt sie zurück aus den dunklen Welten- fernen ewigen Lichtes und ewiger Gewissheit, und Einer wird geboren, der ihr Mund ist: Einer, der ist der ewig Wiedergeborene, der Stille, unter dem ewigen Mysterium Duldende, in dem Endliches und Un- endliches offenbar wird als das Eine, das ewig liebend sich selbst umschliesst.

Wo aber in aller Welt je und je Er hineinge- boren wird in die Endlichkeit, da erhebt sich ein neuer Tag und eine neue Zuversicht. Da jubelt die Freude, da lächelt der Friede und d^i rüstet sich ein neuer, junger, todesmutiger Wille und hat eine neue Bahn und ein neues Ziel endloser Bethätigung.

Das ist all meine Nichtiglceit , mein Stolz und meine hohe Würde. Denn wenn ich ein Wort vom Frieden weiss, so ist es nichts als Eures Un- friedens Wiederhall und die irre Frage Eurer Ver-

67

zweiflung. Die tön ich zurück, zu meinem Teil, in ewig stiller Gelassenheit; einer, der treu, schlicht, hingegeben, hört, aufnimmt, zusammenfasst, und der wiedergiebt: treu, schlicht, hingegeben.

Das ist mein schauriges und unsagbar seliges Logs! Nichts, nichts bin ich, nichts und Alles.

Ihr seid ich, Ihr! Und ich bin Ihr! Du bist ich, ich bin Du; und Du und einzig Du bist meine ganze Würde und meine ganze Nichtigkeit. Das ist die e^vige, lachende Erkenntnis und ewig die Morgenröte eines neuen Tages ...

Zwischen mir aber und ihr dunkelt eine Nacht.

Schon bin ich hineingetaucht in ihr weites il^^A/>Jiii}A-^l^iMi Grauen. In das Grauen zwischen Anfang und fi^AöiiAjri^ClA ^ Ende. ' Sie ist der heimliche Tod, der mich verzehrt. ^ ^ ; v^

Sie kommt mit den kühlen Schauern einer schweren Müdigkeit. Sie ist die Feigheit, die bang ■'

und zaudernd am Ueberwundenen hängt. Liebe und Hass, die mich verfolgen, und hundert Ge- wohnheiten und tote Begriffe, die doch noch leben wollen und hetzende Zweifel alter Begrenzt- ;^

heit. Und sie ist ein letzter, noch nicht ausge- ,: ^^

fochtener Kampf und das krasse Gesicht einer alten Lüge, die ewig und ewig wieder mich, den 1

68

ewig Lebendigen, erschauern macht. Sie ist die grausige Starre eines Kadavers und seine dumpfe, gährende Fäulnis. Sie ist der wild verwirrte, trübe Tumult neuer, geahnter Welten, meiner Feigheit zu weit und zu herrlich, viel zu weit und viel zu herrlich. i

Mein Tod ist diese Nacht, mein langes Sterben, der dunkle, trübe Wandel zweier Tage, zweier Tage ... '

In diese Nacht und in diesen Kampf tauch ich hinein. Mit fröhlichem, wissenden Mute und mit einer stolzen, kräftigen Seele. Die ist ein Held geistiger Kämpfe, gewaltiger als alle Leibes- gewaltigen der Vorzeit. [

* * . ! .

. ' I ,

* - j -

Langer, langer Weg! Dunkler Kampf! Und sein Ziel? Ach, Ohnmacht meines armen Wortes! sein Ziel ist ein ungeheures Meer des Schweig"ens!

Da werd ich endlich hineinschwinden, ich und der Kreislauf aller Seelen und Sonnen und alle Unrast. !

Ich und alle meine Unrast: Seelen und Sonnen: ich bin dieses Schweigen, und einst werd ich mich ganz als solches erfassen und in mir selbst ruhen.

69

Das ist mein ewiges Ende und mein ewiger

Anfang

Wenn die Sterne strahlen, wenn die Lüfte raunen und die letzten, stillen Farben spielen: jetzt . . .

Jetzt o Qual der Qualen! jetzt kenn ich meinen langen Weg, und meiner Blindheit dämmert rosig ein Ziel

Schönheit

Sonne! Sonne! In mir treibt die köstliche Unruhe deiner Kraft! In mir dein Lachen, in mir ein heimliches Lachen! Befreit lachen nun in mir alle ^Menschen. lacht in mir die ganze Welt! 1

Ein einziges goldiges Friedensgelächter lacht mein Herz in alle Fernen hinein !

Alle, alle kommen sie zu einem grossen ^lahl. mit tausend bunten, wichtigen ^Meinungen: , Gute und Böse, \

i

Zweifler und P>omme. i

stolz und demütig'. , j

wissend und einfältig', ^ j

vornehm und gering. j

Ausschweifende, Diebe. Mörder , i

71

A]]<\ :i]]'- komrnfrn sie -- "

mit fraj^f:nf]f;n sr:hn'',-rid<';n ängstlichen .\ug-en, denn sie ghiub^-n, dass sie hässlieh und sündhaft sf-ir-n.

Aber wie sie kommen,

in breiten Schaaren,

mit unzähligen dunklen Geheimnissen,

mit Gebresten,

Lastern. Schwächen, Einbildungen und

Lächerlichkeiten ein einziges

unauslöschliches Gelächter ist es, das sie empfängt, das sie vermehren. ^ : - In diesem Gelächter aber ; ^

lebt der bitterste Grimm und das furchtbarste Mitleid ... ,

Xun röten sich Gesichter

glätten sich Falten und Runzeln.

verschwinden Geschwüre, -•

ergänzen sich Glieder,

hellen sich trübe, blöde Ai:gen.

runden sich magre Leiber

und verjüP.ger. sich ungeschlachte.

i/lfiiiACf^lSiuMl - iU^^,

12

Und alle sind nun eine einzige selige junge Göttergemeinde.

Jetzt! In mir!

O Wunder! 1

Dummes, fröhliches, freches Frühlingswunder!

Am Graben

Hier, zwischen Schaumkraut und Vergissmein- nicht wollen wir ruhen , im schönen , w^eichen Gras, am Graben, wo die Kätzchen schaukeln.

Sieh, zwischen den gelben lilien, zwischen Kuh- blumen und weissen Sternchen, im goldigen Ge- zitter unser Bild.

Da: Deine Augen!

So lachend, so jung! So dunkel! . . .

Und dein Lachen, durch die weite, selige, strahlende Stille dein helles Lachen.

Näher, und Wange an Wange.

Der Wind, leise, leise in den Binsen, und der kühle Wasserduft herauf.

Wir träumen . . .

* ,- *

Sieh, hier lang am Ufer hin! Wie es aufquillt vom braunen Grund in traubigen Gebilden.

74

Der jungen goldigen Wärme entgegen. i

Es will reifen, will sich gestalten. '

Sieh, in weicher rauchiger Masse der dunkle Kern.

Uranfang. Ruhe. Vollendung . . .

Nein! In der engen, runden, winzigen Wand, millionenfältig Du und Ich, und immer Du und Ich, unser Widerstreit und unsre Vereinigungen, unser unendliches Spiel ... i

Windet, krümmt, stülpt sich, wogt im endlosen Wechsel, in der süssen Qual ewigen Wandels; un- geformt und dennoch in unbegreiflichen Gestaltungen, viel zu wunderbar unserem plumpen Begreifen!

Zu wunderbar! Wir uns selbst! Du mir! Ich dir! ...

*

Du siehst mich an.

. " . ■■ j

Sieh mich an! j

Banne mich mit deinen lieben, bösen Augen!

Nun halt ich dich, und Mund an Mund . . .

Die Welt um uns mit Nähen und Fernen und ihren Millionen Formen ein Wirbel, ein dummer, dummer Wirbel! ...

Nur hier ... '■Alles! Nichts! Gott! ...

Im Haidekraut

■;".:;,.;,' I

Auf der Klippe

Hoch oben lieg ich,

im Haidekraut,

hoch über den dunklen Wäldern,

hoch «auf dem sonnenglüjienden Geklipp.

Ich denke, ich treibe auf einem lendendlosen Meer. Das Spiel seiner Wogen ist das helle Himmelsblau, das unaufhörliche Rauschen und Wühlen des freien

Bergwindes in den hohen Kronen, Vogelgezwitscher und wehende Düfte, Summen, Schrillen und Knistern der Käfer, die hundert Geräusche der windbewegten Zweige, blitzende Strahlen

und ruhende, gleitende Lichter,

wellende P'arben '

und das Blinkern und Donnern der Wildwasser

76

und meine Gedanken,

meine dummen Gedanken . . .

Mit Strömen von Wärme und Licht rauscht

die Welt Lieder durch meine Pulse, dunkle, grausige, süsse Lieder der Einheit. Ueber die blauen Thäler hin, in die weite, sonnige Welt hinein, schwatzt dich meine Sehnsucht, du liebes, unergründbares Rätsel; neckt sich mit kindlichen Thorenworten die uranfängliche Kraft, ihr eigenes Rätsel und ihres eigenen Rätsels Sinn ...

II

Haidekraut steck ich an meinen Hut

und wandre.

Was ist mein Ziel?

Der Ruf eines Vogels

glockenhell

aus einem tiefen,

fernen Grund . . .

Unter den tiefen dunklen Wolken

Unter den tiefen dunklen Wolken hin

hinein in den fröhlichen Vorfrühlingswind.

Die grauen Wellen --^'

schäumen über den Kies

und in den roten Weiden

zwitschert eine Lerche

ihr erstes, eiliges Liedchen:

Goldige Fluten! Blauende Höhen!

Immer, immer mit dem Winde herüber das eilige, helle Zwitschern.

Sonne, liebe Sonne!

Du liebes altes schelmisches Auge

da oben

78

zwischen der dunklen i

jagenden, fruchtenden Feuchte! '

Morgen, morgen verbrausen die wilden Stürme! Morgen, morgen hab ich dich! Morgen jauchzt dein goldiges Gelächter über ;

die Welt ... '

Die Vehikel

Gieb mir, wo ich stehe!

Nun! Ich bin so ein Allerweltspapa , sitze irgendwo im Mittelpunkte der Welt in einem alten, guten , soliden Sorgenstuhl , von wo aus ich den schönsten, geordnetsten Ueberblick habe.

Man meint, meine Augen seien ein wenig schwach , mein Gehör ein wenig verschleiert. Das sind so Besorgnisse und Klagen, was weiss ich! jedenfalls Vorurteile.

Ich sitze ja hier vortrefflich; und alles hält sich in bester Ordnung.

Wirklich! Es ist eine ewig'e, endlose Freude!

Da seh ich viele Millionen goldener runder Wagen, die fahren in weiten jubelnden' Kreisen einem gutverbürgten Ziele zu, fahren die weite, weite Fahrt durch die Welt.

Das ist ein einziger, allerliebster Dummer- jungen skrakehl, ein einziger süsser Spektakel!

80

Da kribbelt es in ewig geschäftiger Unrast, und ich sehe lauter weite lachende Kinderaugen.

Und alles ist ein nimmerendendes Hallelujah!

Wie?! ; '

Nun, wies auch damit sein mag: ich sehe, was ich sehe!

Millionen, Milliarden lustiger Vehikel meiner Seligkeit, meiner Seligkeit! '

•.: -^^^s-ar?^!»-

Andacht

Sommerabend!

Ich trete vor die Thür, vorm Schlafengehn noch ein wenig Luft zu schöpfen.

Müde lass ich mich auf die Bank nieder, zufrieden.

Nach gethaner Arbeit ist gut ruhn.

Mit dämmerbraunen Felderbreiten dehnt sich im Halbkreis weit das flache Land. Die milch- weissen Nebel liegen auf den Wiesen, von den Ge- treidefeldern weht die Kühle den köstlichen Roggen- duft herüber, und aus der Ferne schnarren die Rebhühner.

Weit über dem braunen Frieden der JBreiten aber dämmert der Himmel mit allen Sternen. Breit schimmert die Milchstrasse zwischendurch.

Ich lehne den Kopf in das Weingerank der Mauer und meine Sinne versinken in dem unend- lichen Geglitzer.

„Heilige Nacht! Wie ein Cherub strahlst du!", .

*■",'■.. * .■

Schlaf, Frühling. 0 .

82

y/ /, .4/ "-/ ihren zahllosen Welten. t j/^ / ,5» Dämmern der Breiten,

Versunkenscin ! .1

Wer ermisst diese Tiefen? ' '

y Innen und aussen: kaum sind sie zu scheiden.

ffvJ\tijnL ^'^ ^^^^ ^^^ lichtgewülbte Weite da oben mit

Ich bin das tiefe, süsse der Duft des Roggens und T^^ .-'der tief braunen Erdschollen. Ich bin der Ruf der Rebhühner, leises Laubrascheln und hundert feine Geräusche; bin das Gekläff des Hofhundes vom Gehöft drüben; bin der zarte Sternschimmer auf seiner Scheunenmauer; bin die tiefen, schwarzen Schatten. ,

Und in mir noch eine ^Sehnsucht? 1

Augen! Augen! Fern, fern "vveite, grosse Augen, tiefdunkle! 1

Immer, immer mit demselben uralten Rätsel!..

Der Tod

Ich sehe einen lieben Menschen sterben , mir innig verbunden.

Mit einem Mal kommt mir das Bild hier in die Dunkelstunde hinein.

Ich sehe ihn auf dem Sofa sitzen. Die Arme hängen schlaff in den Schooss, die Beine hat er, von- einandergespreizt, lang vor sich hingestreckt. Das Gesicht ist fahl, und darinnen glühen die braunen Augen. Mühsam wendet er den Kopf, aber sie sehen nichts mehr. Sein Bart neigt sich auf die Brust, allmählich verröchelt der Atem: er ist tot.

Und ich sehe ihn auf seiner Matratze liegen, mit seinem stillen, weissen Gesicht, in seinem Leichen- staat, schwarze Handschuhe an den Händen. Arme und Beine von sich gestreckt, liegt er da wie ein Hampelmann.

Mich überkommt ein Brüten.

Will mich etwas bange machen?

6*

84 I

- . i

O, in mir ist eine trotzige Unwissenheit, und die fabelt aus den Tiefen meiner Unruhe ein fröh- liches, ausgelassenes Märchen! !

Tod! Was kümmerts mich, dass ich sterbe? Mein Tod ist meine letzte Wonne.

Nie wieder leben? Nie wieder leiden! Leiden: Kämpfen!

Kampf! O Wonne, ewige Wonne! In mir ist ein Auge, das sieht alle meine Endlichkeiten und meine immer erneute, fröhliche Wiederkehr! ,i

Ich bin ich, bin diese meine Endlichkeit, und ich bin Ich, bin mein ewig UnbegrifFenes , das ist über Räume und Zeiten und alle Meinungen meiner Endlichkeiten. Mein Endliches ist nichts als eine zitternde Flocke, die auf Seiner urewigen, zeitlos gebärenden Flut schaukelt. i

Ewig Ich-Du! - t

Fühlst, fühlst du das?! I

Ewig tauch ich aus den Tiefen Meiner Einheit als ein Endlicher und eine Endliche!

Du,, o du, fühlst, fühlst du das?! ...

Das dunkle Thor

Ich weiss ein dunkles Thor. So klein oder so gross es ist, kommt, ihr fröhlichen Kinder! da stossen wir all unsre Freuden und all unsre Leiden hinein, in leidfroher Lust, in lustbangem Leid, die müden.

Irgendwo, irgendwie ist dahinter ein Jungbad.

Wenn sie wieder hervorkommen

die lieben gewaschenen Seelchen,

zu uns,

in die Sonne,

so giebt es eine neue Lust! . . .

Was es doch ist!

Dir geht es schlimm,

mir nicht besser!

O wärs am Ende! ...

Aber hier ist mein, dein Leid, meine, deine Sehnsucht, und hier ist ein drittes, Notwendiges !

Was ist es?

Ist es ein Keimchen, das noch spriessen

muss? 1

Ist es ein Sonnenstäubchen, das noch wirbeln

muss? 1

Ist es eine Blume im Mai,

eine Flocke im Winter,

ein bunttaumelndes Blatt im Herbst,

ein Staubkörnlein am Sommerweg?

.87 .

Was ist es?

Wenn es nicht wäre

wäre die Welt am Ziel !

Wenn es nicht w^äre,

läge die Welt in Trümmern !

Mein, dein AIuss und Zwang!

Was ist es doch?

Zwischen Anfang und Ende müssen wir ihm befohlen sein! . . . Der Neugeburt eines Mückleins wohl, das noch zum Licht will ...

>"

. /.•^■t

Glück

Goldene Träume träumt die Not und die laute Thorhcit! !

In blauen Fernen erdämmern Welten der Vcr- heissung, erdämmert das verkündete Reich des Friedens ! .

Aber Millionen dunkler Stimmen kommen und gehen, Stimmen der unbefriedigten Not und der Gerechtigkeit, Klagen, dass nur der Traum des Traumes Erfüllung! ...

Küsse mich!

Wir sehen uns an und lachen!

Unser sind tausend Traum Wirklichkeiten, und mehr! Denn uns gehört ein gegenwärtiges kluges Glück und fromme Stunden der Erfüllung, der ewigen, einzigen! ... !

Mondlicht

Eine Phantasie

as ich schrei' und wer es

be, lie: in

schreibe

ich von mir

W;

das

st, d

sich

selbst ,

er mag _selbst.^

nach Belieben Immer ist ich

denken

, er

lebe

es

ich und du und gar umfangreich! . . . . . .

Ich halte Dunkelstunde bei einer Cigarre,

Lange cremefarbene Gardinen mit feinen creme- farbenen Spitzen vor einem breiten, hohen F'enster. Und dazwischen, drüben über dem Dachfirst, steht hell der grosse runde Vollmond und lugt silberblau in meine Stube.

]\Iir wird so närrisch zu Mut und ich fange an zu phantasieren.

Es ist wie eine religiöse Anwandlung.

Ich denke, ich bin der Eine, der Wandrer von Anbeginn, liege hier still und höchst modern auf meinem Ruhebett und schaffe mir ein Divertissement.

90

Ich habe eine gar ruhige, umfassende Laune; viel, viel passt in sie hinein. Selbst crmess ich nicht ihre dunkelsten Tiefen ! .

„Schwester du vom ersten Licht, Bild der Zärtlichkeit in Trauer . ,

O Mond! O Hell-Dunkel! O lichte Nacht!

Ich denke. Du bist es, eine Ferne, die hier

hineinschaut, und ich phantasiere mit dir fromm, das

alte Märchen von unserer Ewigkeit. i

f Weisst du noch ? Weisst du auch ?

O weite Fahrt! O wogende w^echselnde Welt!

Du mein goldener Dämon! Mein Wille und meine vSehnsucht! Wie mit einem Strahl aus deinem fernen Auge, neckisch, sehnend, grüsst es mich, dunkel ... [

Religion |

Leben, Verwesung! Blüte und Welke n^^ I Ich träumte es in zwei Träum enj^._

Es w^ar eine herrliche, grausige Fahrt durch ein endloses Meer, durch .Milliarden geheimnisvoller Gebilde mit unzähligen Landungen und Abschieden.

91

Und es war ein Heben und Sinken , hinauf in Himmel blutwarmen, kraftfröhlichen, liebegewaltigen Lebens, hinab in fade, schauerliche Verwesung; und

hinauf hinab, hinab hinauf! y

I Und das ist unser ewiger Wandel und unsere

Einigung! ...

* . . * - ';

Lass! Komm! ' .

Hier!

Drüben auf dem Tisch im blauen Traumlicht steht eine Amphora.

Wir machen uns Hellas zu eigen.

Säulenpracht und heiligheitre Tempelschöne. Im holden Bann des Dreiklangs umspinnt uns unser altes Lied mit goldklaren Melodien.

Der edle Faltenwurf langer, lichter Gewänder. Die Spiele der Olympien, das schöne Gleichmaass heller, athletischer Gliederpracht.

Aber dein Auge, immer und nur! Tief klar dunkel! ...

Und jetzt sind wir in Indien , in der alten, ur- alten Heimat!

Eine fremde, wunderlich üppige Vegetation;

0{A

92

seltsam glühende Blumen mit wundersamen Düften. Dunkelhäutige Menschen mit dunklen Weisheiten. Die mystische Pracht und Gliederung der mächtigen Tempel. In ihrem blauen Dämmer zwischen heim- licher Farbenglut, funkelnden Steinen und Metallen riesige, starre Götzenbilder, Spiele unsrer Träume von uns selbst und unsrem ewigen Schicksal. Cymbelklang und seltsame Tänze und Künste und der Wahnsinn der Begnadeten. i

Aber nur immer ich und du und unser süsses, tiefes Geheimnis! " j .

Immer mein, dein Fliehen und Finden!

Nun ist hier unser Rhodus und hier tanzen wir! Hier! j

Da sind die hohen Häuser, und hier ist unsre Stube und dieses gegenwärtige Leben!

Ist es nicht ein schönes Märchen, das Märchen von Dir und mir?

Nachthimmel

Hoch in den Höhen,

weit über den nachtdunklen

raunenden Gärten

funkeln alle Gestirne.

Die Liebe,

die ewige Liebe

hat zu thun!

Hilft, .

hilft, dass die Welten stieben!

Und ich versinke^

staunend

in dem mystischen Grauen

eines unendlichen Trostes!

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Inhalt

Seite

1. Früliling

2. Zwielicht 45

3. Das Lied 60

4. Schönheit 70

5. Am Graben 73

6. Im Haidekraut 75

7. Unter den tiefen dunklen Wolken 77

8. Die Vehikel 79

9. Andacht 81

10. Der Tod . 83

11. Das dunkle Thor 85

12. Was es doch ist 86

13. Glück . 88

14. Mondücht 89

15. Nachthimmel 93

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Im Sommerwind. Gedichte .... 2 * Der Schleifstein. Ein Lebensbild . . 3 * Ninive. Roman ,, 3 *

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\Veitere Erscheinungen stellen bevor.

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