x BR x N \ Kuss IRAK Sa ya EN RR RITTER, se at REN L ERNIS e ede moe ont Sat u AR oR MEN gy Peet A Ken aw ee As fet: $i DAR : on Rie? aA Er x Mee Ae ah BE i € Eyi / é; Kt ae aia „se vo DEP p BER A HU RES ay ur EnS % oo N . ae Fae" As Hiya" ; St; a €R rk SE $ TE dia D j "E 5 } ` PER RAR R ; x ERS =. ACH RN NUR N a 22 er 7 et ES ne ER, ON GANN R x Si N SEN RS RO a Kur REN we a CO 4 WINS ÜR NA iy SA BR or SAN EDEN eh 5 en a Zn Mi) rn ENG nu UEBER DEN EINFLUSS DER ISOLIRUNG AUF DIE ARTBILDUNG DR. AUGUST WEISMANN, X PROFESSOR DER ZOOLOGIE IN FREIBURG I. BR. LEIPZIG, VERLAG VON WILHELM ENGELMANN. 1872. Vorwort. Nachdem die grosse Idee der Entwicklung in Bezug auf die organische Welt einmal durchgedrungen, die fruchtbare Hypothese der Descendenzlehre in die Wissenschaft als berechtigt aufgenommen worden ist, steht jetzt neben zahlreichen andern und grossen Auf- gaben vor Allem auch diejenige vor unsern Blicken, die Ursachen zu erforschen, welche die Umwandlung einer organischen Form in die andere hervorrufen , festzustellen , wie weit dabei innere und wie weit äussere Momente mitwirken, sie zu sichten und den Einfluss eines jeden möglichst rein für sich zu bestimmen. Niemand wird glauben, dass mit der DARWIN - WALLACE’ schen Lehre von der natürlichen Züchtung die Forschung in dieser Rich- tung abgeschlossen sei, ich meine im Gegentheil, dass sie damit erst begonnen hat. So unzweifelhaft richtie mir auch das Princip sind wir doch noch sehr weit davon entfernt, die Grenze auch nur einigermassen bestimmt ziehen zu können, bis zu welcher es wirkt. ass aber eine solche Grenze besteht, dass nicht alle Charaktere organischer Wesen ihre Erklärung in “diesem Princip finden, dass somit natürliche Züchtung nicht der einzige Faktor der Artbildung, das scheint mir ebenso unzweifelhaft als dass natürliche Züchtung einer und einer der wichtigsten dieser Faktoren ist, und dies ist ja auch von Darwin selbst anerkannt worden. Ganz abgesehen von den Momenten, welche in der physischen Constitution der Organismen selbst liegen und welche die dunkelsten von allen sind, können die äussern Lebensbedingungen noch in mancherlei anderer Richtung und Weise auf den Process der Artentwicklung einwirken, als durch jenes Ueberleben des Passendsten, oc DARWIN mit dem Namen der natiirlichen Ziichtung belegt Wenn ich nun in ER ee Untersuchungen eines der äussern Momente hervorhebe, welches bei der Entwicklung der Arten von einiger Bedeutung zu sein scheint, nämlich die räumliche Iso- lirung, und den Versuch mache, die Wirkung desselben ihrem Wesen, wie ihrer Grösse nach näher zu bestimmen, so gaben mir den Anstoss dazu zwei Schriften von Dr. Morrrz WAGNER, in wel- chen derselbe eben dieses Moment der örtlichen Isolirung in den ni IV Vordergrund stellt und N eine u eine viel zu hohe — Bedeutung für die Bang zuschreibt. Ich hatte schon auf die erste dieser beiden Schriften hin Ge- legenheit genommen, mich über die von WAGNER angeregten Fragen zu äussern, wenn auch a enera a und in aller Kürze !). Meine Einwürfe gegen die Berechtigung eines sog. » Migrationsgesetzes « haben indessen bei ans keinen nus gefunden; in seiner zweiten Schrift aa er die alten Ansichten fes r die ganze Frage von n Wirkung der Isolirung auf den Pe der Artentwicklung von grossem Interesse zu sein schien, so war mir die WAGNERsche Zurückweisung meiner Einwürfe eine angenehme Gelegenheit, die früher ausgesprochnen Ansichten noch einmal einer Prüfung zu unterwerfen. Eingehendere Studien führten zu den hier mitgetheilten Resultaten, welche in mehr als einer Be- ziehung andere waren, als ich sie erwartet hatte, und nur in Bezug auf das WAGNER’sche He ORE meine friiheren Ansichten voll- kommen unverändert liessen. i örmliche Widerlegung dieses » Naturgesetzes« wird viel- sehr ick dass irrige Meinungen so scharf und klar wie ögli ls n i andrerseits bietet grade die Form der Controverse Gelegenheit auf manche interessante Fragen näher einzugehen, deren Einschaltung an anderm Orte nipat wohl geschehen könnte, ohne den Gang der Untersuchung zu stören. Die Ab ne zerfällt somit naturgemäss in zwei Hälften, deren erste, negative, sich die Widerlegung des WAGNER’ schen » Mi- grationsgesetzes « zur Aufgabe stellt, deren zweite sich mit der posi- tiven Untersuchung über die Wirkungen der Isolirung auf die Art- bildung beschäftigen soll. 1) Ueber die Berechtigung der Darwin’schen Theorie; Anhang. Leipzig 1868. Widerlegung des Wagner’schen „Migrations- gesetzes*“. Die erste der beiden Schriften, in welchen WAGNER seine Ansichten über die Wirkung der Isolirung niedergelegt hat, erschien im Jahr 1868, »Die Darwın’sche Theorie und das Migrationsgesetz der Organismen«; WAGNER führte in ihr die Ansicht aus, dass »die Migration der Organismen und deren Coloniebildung die noth- wendige Bedingung der natürlichen Zuchtwahl« sei, d. h. dass aus bestehenden Thier- oder Pflanzenarten sich nur dann durch natürliche Züchtung neue Varietäten oder Arten entwickeln können, wenn einzelne oder wenige Individuen aus ihrer Heimath verschla- gen auf einem Gebiet eine Colonie gründen, welches durch schwer überschreitbare Schranken von ihrem Heimathlande getrennt ist. Hätte WAGNER sich auf die Behauptung beschränkt, dass räumliche Isolirung den Process der natürlichen Züchtung wesent- lich fördere und dadurch also die Entstehung neuer Arten begünstige, so würde er wahrscheinlich wenig oder gar keinen Widerspruch gefunden haben. Allerdings würde er damit auch nichts wesent- lich Neues gesagt haben, denn wenn auch dieser Satz wohl noch nirgends präcis formulirt ausgesprochen worden war, so war er gewissermassen stillschweigend angenommen und als selbstver- ständlich vorausgesetzt: Die bekannte Thatsache, dass isolirte Ge- biete relativ sehr reich an endemischen Arten sind, scheint allein Weismann, Untersuchung. 1 2 schon hinreichend, eine solche Wirkungsweise wahrscheinlich zu machen und es liessen sich Aussprüche von verschiedenen Schrift- stellern anführen, welchen diese Anschauung zu Grunde liegt’). Ich werde später zu zeigen versuchen, dass auch sie nicht so unbedingt festgehalten werden kann, als man auf den ersten Blick glauben möchte. WAGNER geht indessen viel weiter, nach seiner Anschauung kann »ohne Trennung und ohne längere Isolirung weniger Indivi- duen vom Standorte der Stammart die Zuchtwahl im freien Natur- zustand so wenig, wie im Zustande der Domestieität wirken« und »ohne diese Isolirung ist die Fortbildung und Befestigung indivi- dueller Merkmale eine Unmöglichkeit«. (S. 50.) Seine Anschauung gründet sich auf einen Satz, der wohl von Niemandem angefochten werden wird, es müsste denn Jemand ge- neigt sein, die Umwandlung einer Art in eine neue rein nur aus inneren, d. h. im Organismus selbst gelegenen Ursachen abzuleiten und den äussern Lebensbedingungen einen jeden Antheil an dem Process abzusprechen — auf den Satz nämlich, dass eine in der Entstehung begriffene neue Abart nur dann zur Entwicklung ge- langen kann, wenn die stete Kreuzung mit unveränderten Individuen der Stammart verhindert wird. WAGNER glaubt, dass diese Kreuzung durch Isolirung verhindert werden könne und nur durch diese. Von der ersten dieser beiden Behauptungen will ich vorläufig absehen, die zweite aber schliesst offenbar eine Negation des von Darwin und WaLiacr aufgestellten Processes der natürlichen Ziich- tung in sich. Auch dieser Vorgang soll dadurch wirken, dass er die stete Kreuzung der entstehenden Abart mit unveränderten Individuen der Stammart verhindert. Wenn WAGNER dies dadurch zu bewirken glaubt, dass er die abändernden Individuen auf isolirtes Gebiet versetzt, so liessen es Darwin und Warrack dadurch zu 1) Siehe z. B. bei WALLACE, Beiträge zur Theorie der natürlichen Züchtung übersetzt von A. B. MEYER, Erlangen 1870; Artikel: »Die malay- ischen Papilionidae « ler wa, Jema, ein nur on abrli- heil an j eine ii vicklun; oränder oxen gi könnet 3 Stande kommen, dass sie annahmen, die Abänderung gewähre ihren Trägern einen Vortheil im Kampfe ums Dasein, führe also einer- seits zu einer steten Vermehrung der abgeänderten, andrerseits zu einer steten Verminderung der nicht abgeänderten Individuen bis zu ihrem vollständigen Verschwinden. Die fortwährende Kreuzung mit nicht abgeänderten Individuen wird nach DARWIN- WALLACE dadurch verhindert, dass Letztere einer fortwährenden Decimirung unterliegen. Wenn nun, wie wir gesehen haben, Waacnrr’s ganzes »Mi- grationsgesetz« darauf beruht, dass nur durch Isolirung diese für das Aufkommen einer Abart verderbliche Kreuzung verhindert werden kann, so liegt also in dieser Behauptung unzweifelhaft eine Negation des Princips der natürlichen Züchtung und man darf mit Recht erstaunt sein, wenn man findet, dass der Entdecker des neuen .» Naturgesetzes« sich dieser Negation nicht im Geringsten bewusst ist, sondern fortwährend vom Zusammenwirken der Iso- lirung und der natürlichen Züchtung spricht. So heisst es schon in der Vorrede S. VII: »Die Migration der Organismen und deren Coloniebildung ist nach meiner Ueberzeugung die nothwendige Bedingung der natür- lichen Zuchtwahl. Sie bestätigt dieselbe, beseitigt die wesent- lichsten dagegen erhobenen Einwürfe und macht den ganzen Natur- process der Artenbildung viel klarer und verständlicher, als es bis- her gewesen. « WAGNER war sich nicht bewusst, das Darwin’sche Princip verneint zu haben, und man muss es als einen Fortschritt begrüssen, wenn er in einer zweiten Publikation die »tiefe Ueberzeugung « bekennt, dass »die natürliche Züchtung in dem von Darwin auf- gefassten Sinne ein Irrthum ist«. ; Vielleicht darf ich mir selbst das Verdienst zuschreiben, einen kleinen Antheil an der Klärung von Wacner’s Ansichten gehabt zu haben. Beim Erscheinen der ersten Wacner’schen Schrift war ich gerade mit der Herausgabe einer akademischen Rede »Ueber die 1* 4 Berechtigung der Darwın’schen Theorie« beschäftigt und es schien mir nothwendig, in einer Schrift, welche von der Darwın’schen Theorie handelte, Ansichten zu besprechen, welche nicht etwa nur einen untergeordneten Punkt dieser Lehre anders darstellen, son- dern, wie mir es wenigstens schien, geradezu den »Kern« derselben, »die natürliche Züchtung«, in Frage stellen. Ich besprach deshalb in einem kurzen Anhang »den Einfluss der Wanderung und räum- lichen Isolirung auf die Artbildung«. Weit entfernt davon, einen jeden Einfluss der von WAGNER in den Vordergrund gestellten Motive zu läugnen, gab ich vielmehr zu, dass dieselben den Bil- dungsprocess der Arten wesentlich fördern können, musste aber allerdings bestreiten, dass sie die unerlässliche Vorbedingung für jede Artbildung sind und damit also auch die Berechtigung des WaAGNER’schen Migrationsgesetzes. WAGNER antwortete hierauf in einem Vortrag, der vor der bairischen Akademie der Wissenschaften zu München am 2. Juli 1870 gehalten wurde und unter dem Titel: »Ueber den Ein- fluss der geographischen Isolirung und Coloniebil- dung auf die morphologischen Veränderungen der Organismen«!) gedruckt wurde. Er sucht in dieser zweiten Schrift die von mir vorgebrachten Einwürfe zu widerlegen und hält im Wesentlichen an seiner früheren Ansicht fest, die nur etwas schärfer und consequenter ausgebildet und zu einer eigenen Theorie der Artbildung entwickelt wird, der sogenannten »Separationstheorie«. Nur in’ einem Punkte beschränkt WAGNER seine früheren Annahmen und zwar in Folge eines Einwurfs, den Häcker ihm inzwischen gemacht hatte. Häcker?) hatte daran erinnert, dass eine Menge von niederen Organismen sich ungeschlechtlich fortpflanzen , also ohne dass eine Kreuzung der Individuen und eine Vermischung ihrer Cha- 1) München, Akademische Buchdruckerei von F. STRAUB. 2) Natürliche Schöpfungsgeschichte. Zweite Auflage. Berlin 1870. S. 329. 5 aktere bei der Fortpflanzung stattfindet. Da nun die Wirkung der Migration (nach Wagner) auf Verhinderung einer Kreuzung beruhen soll, so kann sie nur bei Arten mit geschlechtlicher Fortpflanzung in Betracht kommen. Wacner beschränkt deshalb in seiner jüngsten Schrift das »Migrationsgesetz der Organismen« auf »die höheren Organismen mit getrennten Geschlechtern«. Die in dieser Schrift vorgenommene Umwandlung des »Migra- tionsgesetzes« in eine »Separationstheorie«, ändert in Bezug auf meine Polemik Nichts, da die Grundlage beider Ausführungen die nämliche ist. Sie concentrirt sich in dem Satze: »Die Isolirung eines Individuums oder Paaresist bei allen Organismen, welche durch Kreuzung sich fortpflanzen, die noth- wendige Bedingung, also die nächste Ursache, dass eine neue typische Form entsteht.« (Schrift II. S. 10.) Ich halte diesen Satz für irrig und somit bedarf es keiner weiteren Begründung, warum ich auf die Einzelheiten der sog. Separationstheorie nicht eingehe, deren Grundlage ich für fehler- haft halte. Ohnehin ist dieselbe vorläufig nur eine skizzenhafte Reihe.von Behauptungen. Ich werde mich darauf beschränken dürfen , diese Grundlage als irrig nachzuweisen. Ehe ich indessen diese Widerlegung versuche, wird es gut sein, vorauszuschicken, in welcher Weise WAGneEr das Fundament seiner Ansichten mit Gründen zu stützen vermochte. Der hohe Werth, den er der räumlichen Isolirung zuspricht, beruht auf der Ansicht, dass durch Isolirung die stete Kreuzung abgeänderter mit nicht abgeänderten Individuen verhindert werde. In der ganzen ersten Schrift wird man aber vergeblich nach einer Begründung dieses Satzes suchen. WAGNER scheint es als selbstverständlich zu betrachten, dass ein irgendwie abgeändertes Individuum, wenn es in fortpflanzungs- fähigem Zustand auf isolirtes Gebiet geräth, dort Nachkommen hinterlässt, welche alle oder zum grössten Theil ebenso abgeändert sind, wie es selbst. Und doch ist es nicht nur unwahrscheinlich, sondern sogar geradezu aller Erfahrung wider- 6 sprechend, dass geschlechtlich sich fortpflanzende Thiere die Eigen- thümlichkeiten eines der Aeltern auf alle Kinder vererben! Ich habe schon früher auseinandergesetzt'!), dass, wenn die zu fixirende Eigenthümlichkeit auch nur bei einigen der Nachkommen fehlt, sofort eine Kreuzung von abgeänderten mit nicht abgeänderten Individuen beginnen muss. Die Isolirung leistet also nicht, was sie nach WAGNER leisten soll; eine Kreuzung der beginnenden Varietät mit der Stammform wird durch Isolirung nicht ver- mieden. Die Richtigkeit dieser Darlegung scheint unbestreitbar und ist auch inzwischen von Andern, so von CrAus?), anerkannt worden. In seiner zweiten Schrift berührt WAGNER diesen wunden Fleck seiner »Theorie«, aber nur ganz flüchtig und ohne geradezu einen Versuch zu machen, meinen Einwurf zu beseitigen. Es heisst dort, S. 8: »Bekanntlich vererben auch die Veränderungen, die neu- gebildeten Merkmale einer Varietät, wenn dieselben nicht durch Vermischung zahlreicher Artgenossen wieder verwischt werden, sehr leicht und gerne auf die Nachkommen. « Gesetzt, es stünde dies fest, so fehlt doch gerade eben der Nach- weis, dass »diese Vermischung mit zahlreichen Artgenossen« durch die Isolirung beseitigt wird. Ich gehe über zur Widerlegung des Fundamentalsatzes der Separationstheorie: Die Isolirung ist die nothwendige Be- dingung, dass eine neue typische Form entsteht, und frage: ist es richtig, dass nur durch Isolirung und nach- folgende Coloniebildung aus irgend welcher Ursache neu auftretende Charaktere konstant werden und zur Ent- stehung einer neuen Art den Anlass geben können! Es ist wohl unbestreitbar und wird auch von WAGNER, wie es scheint, nicht in Zweifel gezogen, dass, wenn es gelänge zu zeigen, dass zu irgend einer Zeit einmal eine Art mitten in ihrem BAR HU N oe u ot ~I 2) Grundzüge der Zoologie. 2. Auflage. 1871. 7 Verbreitungsgebiet sich in eine neue Art umgewandelt oder eine neue Art aus sich hätte hervorgehen lassen, diese Frage mit»Neın« beantwortet werden müsste. $ Ich habe nun in der oben erwähnten Kritik der Migatrions- idee eine Reihe von Thatsachen angeführt, welche die Umwandlung einer Art in eine oder mehrere neue Formen auf ein und dem- selben Wohngebiete wahrscheinlich machen sollten. Bei weitem die wichtigsten unter diesen sind diejenigen, welche sich auf die höchst auffallenden Umwandlungen einer kleinen Süsswasserschnecke aus der älteren Tertiärzeit beziehen. Diese Schnecke ist bis jetzt trotz aller Nachforschungen doch noch nirgend anderswo entdeckt worden, als in den Ablagerungen eines Süss- wassersees, welche sich bei dem Dorfe Steinheim auf der rauhen Alb nordöstlich von Ulm, direkt auf dem Jura lagernd vorfinden. Schon frühere Untersucher hatten nicht übersehen , dass eine kleine Schnecke, welche zu Millionen viele Schichten der dortigen Ab- lagerungen anfüllt, in einer grossen Zahl weit von einander abwei- chender Varietäten vorkommt, die durch zahlreiche Mittelformen mit einander verbunden werden. Schon im Jahr 1751 wurden von KxyssLer »fünf dieser Va- rietäten unterschieden« und später der Gattungsname Valvala für sie angenommen, während einige andere dazugehörige Formen unter dem Gattungsnamen Planorbis zusammengefasst wurden. : Der neueste, sehr sorgfältige Beobachter, HıLGENDORF, wies indessen nacht), dass beiderlei Varietäten zusammengehören, und dass Beide nicht der Gattung Valwata zugehören — was schon der fehlende Schalendeckel beweist — sondern dass sie der Gattung Planorbis zugezählt werden müssen. Indem er den alten Artnamen »multiformis« beibehielt, fasste er alle die erwähnten Varietäten, deren er neunzehn aufstellt, unter dem Namen Planorbis multiformis zusammen. 1) »Ueber Planorbis multifor mis im Steinheimer Süsswasserkalk«. Monats- bericht der Berliner Akademie. 1866. S. 474 8 Erst die sehr genauen und ins Einzelne gehenden Unter- suchungen dieses Beobachters haben die Beziehungen der verschie- denen »Varietäten« dieses Planorbis multiformis ins rechte Licht gesetzt, indem sie zeigten, dass es sich hier nicht etwa um eine im gewöhnlichen Sinn sehr variable Art handle, eine Art, von welcher zahlreiche Varietäten und Zwischenformen gleichzeitig neben- einander lebten, sondern dass die verschiedenen Varietäten ver- schiedenen , ganz regelmässig übereinander gelagerten Schichten an- gehören, mithin der Zeit nach auf einander gefolgt sind, dass wir demnach hier eine, oder genauer mehrere Reihen von Formen vor uns haben, wie sich dieselben durch Transmutation im Zeitraum einer geologischen Periode auseinander entwickelt haben und zwar — worauf es hier gerade besonders ankommt — an ein und dem- selben Ort, dem Verbreitungsgebiete der Art, in ein und demselben Stisswassersee. WAGNER sieht nun in dieser Umwandlungsgeschichte des Pla- norbis multiformis trotzdem keinen Beweis gegen das » Separations- gesetz«. Nicht dass er etwa die Thatsachen oder ihre Auslegung anzweifelte. Auch er erkennt die allerdings ungewöhnlich klar vor- liegende Entstehungsgeschichte der von HıLGENDorRF unterschiedenen neunzehn Racenformen des Planorbis multiformis an, findet sie aber mit seinen Anschauungen ganz im Einklang. WAGNER meint, »auch ein Seebecken von mässiger Ausdeh- nung sei für eine schwerfällige Süsswasser- Schnecke gross genug, um die allmälige Bildung verschiedener Ansiedlungen in sehr ver- schiedenen Tiefen und mit der Isolirung die allmälige Entstehung von neuen Racenformen zu gestatten«e. (A. a. O. 8. 15.) Waaner betrachtet also den Steinheimer See in Bezug auf die Verbreitung des Planorbis multiformis nicht als eine Einheit, er meint, dass die je frühere Form dieser Schnecke nur einen Theil des Sees als ihr Verbreitungsgebiet bewohnt habe, und dass von hier dann einzelne Auswanderer nach andern Theilen des Sees ge- langt und dort in relativer Isolirung sich zu Colonien der je spä- teren Formen entwickelt hätten. Es lässt sich leicht nachweisen, dass diese Anschauung vollkommen irrig ist. Einmal sprechen schon die Faunen unsrer jetzigen Seen gegen eine solche Auffassung. Heutzutage finden wir keine auf einzelne Buchten beschränkte Lokalvarietäten unsrer Planorbis- oder Limnaeus- Arten, während die Stammform die übrigen Theile des Sees be- wohnte, sondern Stammform und etwa vorhandene Varietäten sind gleichmässig über alle Theile des Sees verbreitet, soweit überhaupt geeignete Lebensbedingungen für sie sich vorfinden. Die bei weitem zahlreichsten Arten und Varietäten gehören auch nicht einem ein- zelnen See an, sondern finden sich in sehr vielen Sümpfen und Seen einer weit ausgedehnten Länderstrecke. Gibt es doch Arten, welche über den ganzen Norden der alten Welt verbreitet sind, und einige von ihnen ziehen sich sogar noch über den grössten Theil von Nordamerika hin, so z. B. Limnaeus palustris. Wenn jeder See so fruchtbar in der Hervorbringung von Arten gewesen wäre, wie der Steinheimer, so würde jetzt eine ganz ungeheure Masse von Süsswasserschnecken auf der Erde leben. Offenbar mussten ganz besonders günstige Umstände zusammen- wirken, um in dem Steinheimer See eine ganze Reihe nur ihm angehöriger Arten hervorzubringen. Eine grosse Stetigkeit der geo- logischen Entwicklung, welche ein abwechselndes Füllen und Aus- trocknen des Sees verhinderte, vollständige Isolirung von andern Seen, welche den Kampf mit neuen Einwanderern verhinderte, mögen vielleicht in Verbindung mit einer grossen Biegsamkeit der specifischen Natur grade dieser Art, zur Hervorbringung "einer endemischen Planorbis- Fauna zusammengewirkt haben. Es ist übrigens nicht nur gegen die Erfahrung, sondern auch a priori durchaus unwahrscheinlich , dass eine Schneckenart in dem See, welchen sie bewohnt, irgend eine für sie brauchbare Stelle unbewohnt ‘lassen sollte. Nehmen wir an, dass ein Individuum jährlich nur zehn Nachkommen erzeuge, die dann im nächsten Jahre fortpflanzungsfähig würden, eine Annahme, die um ein Vielfaches 10 zu gering ist, so würde doch zehn Jahre ‘nach der Einwanderung einer einzigen befruchteten Schnecke die Zahl der in diesem Jahre neugeborenen Schnecken zehn Milliarden betragen. Niemand wird zweifeln, dass eine so kolossale Masse von Schnecken hinreichen würde, um jeden Winkel in dem ganzen kleinen See mit ihnen anzufüllen, der nur irgendwie die geeignete Nahrung sowie die sonstigen Lebensbedingungen für sie darböte. Was will aber ein Jahrzehend sagen, wenn von dem langsamen Process der Neubil- dung von Arten die Rede ist! Die dünnste Schicht, welche von einer der vielen Formen von Planorbis multiformis gebildet wird, besitzt doch immerhin eine Dicke ven 23 Zoll. Wenn wir nun auch über die absolute Zeit, welche nöthig war, um einen Niederschlag von bestimmter Dicke, zum grössten Theil aus Schneckenschalen bestehend, zu erzeugen, nur wenige und un- sichere Anhalte besitzen, so kann doch so viel mit Sicherheit behauptet werden, dass eine Schicht von dieser Dicke in einem ruhigen Landsee, über welchen niemals plötzliche Katastrophen hereinbrachen, sondern die Niederschläge ruhig und stetig zugeführt wurden, sicherlich mehr als ein Jahrzehend, wahrscheinlich auch mehr als ein Jahrhundert zu ihrer Bildung gebraucht haben muss. Die Lebensdauer auch der kurzlebigsten Art muss sich demnach immer über einen längeren Zeitraum erstreckt haben, als zur voll- ständigen Besetzung des Sees nothwendig war. Jeder bewohnbare Winkel des Sees muss früher thatsächlich von ihr bewohnt wor- den sein, als ihre Lebensdauer abgelaufen war und die Bildung einer neuen Varietät begann. WAGNER wird mir dies zugeben, wird aber vermuthlich ein- werfen, dass alle Lokalitäten des Sees, für welche die primäre Art nicht wohl angepasst wär, frei bleiben mussten‘, und dass grade nach diesen hin sich die Wanderung und Bildung einer besser an- gepassten Varietät gerichtet haben müsste; nach seiner Meinung konnten sich Ansiedlungen in »sehr verschiednen Tiefen« und »in den verschiedenen Buchten« des Sees gebildet haben. 11 Was zuerst die verschiednen Tiefen angeht, so kann davon bei einer Planorbis-Art wohl nicht die Rede sein. Die Gattung Planorbis gehört bekanntlich — wie die meisten Süsswasserschnecken — zu den Lungenschnecken (Pulmonata) , welche alle nahe der Oberfläche leben müssen, da sie die Luft direkt athmen und zu diesem Zweck von Zeit zu Zeit an die Oberfläche des Wassers steigen. WAGNER wird die »sehr verschiednen Tiefen«, in denen er seine Auswanderer ansiedeln will, zwischen dem Wasserspiegel und einer Tiefe von etwa zwanzig Fuss auswählen müssen, denn tiefer steigt keine Lungenschnecke hinab und auch in diese geringe Tiefe gerathen sie nur vorübergehend, halten sich aber für gewöhnlich an dem Wasserspiegel, oder wenige Fuss darunter, auf. Es bleiben also für WAGNER noch die »verschiednen Buch- ten«, in denen neue Varietäten durch Coloniebildung entstanden sein könnten. Nun habe ich bereits alle Buchten, welche geeig- nete Lebensbedingungen für die Stammart boten, ausge- schlossen, indem ich zeigte, dass sie von der Stammart bereits besetzt sein mussten, als die Neubildung einer Varietät begann. Es kann demnach nur von solchen Buchten die Rede sein, welche andere und zwar für die Stammart nicht geeignete Lebens- bedingungen darbieten. Hätten wir es mit einem See von der Ausdehnung der drei grossen zusammenhängenden Seen Nordamerika’s zu thun, welche zusammen sich über etwa 7 Breitegrade erstrecken, also immerhin. einigermassen verschiedne klimatische Verhältnisse in ihren nörd- lichen und südlichen Theilen darbieten , so könnte die WAGNER’sche Behauptung Manchem plausibel erscheinen; jedenfalls könnte sie nicht ohne thatsächliche Beweise des Gegentheils zurückgewiesen werden. Ja hätte der Steinheimer See nur die Grösse unseres Boden- see’s gehabt, so liesse sich mit Berufung auf kalte und wärmere Zuflüsse, vielleicht auf warme, wenn auch unbekannte Quellen, auf lange nur durch engen Zugang mit dem Hauptsee zusammen- 12 hängende Seearme, welche sich hierdurch eine höhere oder niedere Temperatur bewahren könnten, die Möglichkeit halbwegs isolirter Stationen mit veränderten Lebensbedingungen konstruiren. Allein der Steinheimer See betrug an Länge in seinem gröss- ten Durchmesser etwa eine Viertelstunde und seine Gestalt war ziemlich genau kreisförmig. Es konnte also weder von Buchten in irgend welcher Ausdehnung noch von ver- schiedenen Lebensbedingungen in denselben die Rede sein. Wir werden somit schon allein durch diese Betrachtungen genöthigt den See dieser Schnecke gegenüber als ein einheitliches Wohngebiet zu betrachten, welches keinerlei Isolirungsstationen darbot. Den förmlichen Beweis dafür aber finden wir in der Art der geologischen Ablagerung. Wenn die neuen Arten!) von Planorbis multiformis durch Iso- lirung in Buchten entstanden wären, welche noch nicht von der Stammart bewohnt wurden, so müssten sich die Schalen der Ueber- gangsformen zwischen Stammart und neuer Art an andern Stellen des Seebodens abgelagert finden, als die der Stammart. Dies ist nun nicht der Fall, sondern die Uebergangsformen liegen mit der Stammform an der nämlichen Stelle, nur über denselben. Schritt für Schritt lässt sich die Umwandlung verfolgen, denn die Schalen sind genau so übereinander gelagert, wie ihre Träger nach einander gelebt haben müssen; zu unterst liegt die Stammart, dann kommen unbedeutende Abweichungen von der Stammart, dann stärkere Abweichungen, und zu oberst liegt die ausgebildete neue Art. WaAGnEr könnte vielleicht einwerfen, dass die Ablagerung verschiedener Schalen an demselben Ort durchaus kein Beweis dafür sei, dass ihre Besitzer auch an demselben Ort gelebt hätten. Im Allgemeinen gewiss nicht; allein in diesem Falle schliesst die unge- meine Regelmässigkeit der Ablagerung einen jeden irgendwie erheb- lichen Transport der Schalen aus, wie dies die vortreffliche Erhal- 1) Ich bediene mich schon hier des Ausdruckes »Art« statt »Race«; ‘die Ic Begründung hierfür folgt weiter unten ee 13 tung derselben bei ihrer grossen Dünne und Zerbrechlichkeit ohne- hin schon thun würde. Die neunzehn Arten von Planorbis multi- formis, welche HILGENDORF unterscheidet, finden sich nicht bunt durch einander gemengt, wie ältere Untersucher glaubten , aber auch nicht eine jede an einer andern Stelle des ehemaligen Seebodens, sondern mit Ausnahme einer einzigen, des Planorbis multiformis aeque-umbilicatus , alle beisammen am Nord- und Südrande, sowie in der Mitte des kesselförmigen Seebeckens und zwar sind sie hier so genau nach ihrer Verwandtschaft über einander geordnet, dass an eine Störung der Ablagerung durch Verschwemmung nicht zu denken ist, und man der Annahme nicht entgehen kann, dass die Schnecken, welche in einer Schicht beisammen liegen, nicht nur gleichzeitig, sondern auchan demselben Ort mit einander gelebt haben. Ein etwas genaueres Eingehen wird dies klar machen. HiILGENDoRF unterscheidet petrographisch etwa 40 Schichten, welche zusammen etwa 45° Mächtigkeit besitzen würden, falls sie sämmtlich an der nämlichen Stelle in günstiger Weise entwickelt wären. »In der gesammten Schichtenfolge vertheilen sich die Va- rietäten des Planorbis multiformis in der Weise, dass einzelne Schich- ten als Schichtenfolgen durch das ausschliessliche Vorkommen oder durch Vorherrschen einzelner oder mehrerer Varietäten charakterisirt werden, welche sich innerhalb der Schicht konstant oder wenig variirend verhalten, zur Grenze gegen die fol- gende Schicht hin aber durch Uebergänge zu den nach- folgenden Formen herüberführen. Dieses Verhalten ge- stattete, die ganze Ablagerung in 10 Zonen zu theilen und die Entwicklung der Varietäten des Planorbis multiformis innerhalb die- ser Zonen in der Form eines Stammbaums darzustellen «. (A. a. O. S. 477—78.) So HILGENDORF. Fassen wir nun eine der Zonen näher ins Auge, z. B. die vierte, Sie enthält drei Multiformis- Arten, den »eckigen discor- deus, den schön gerundeten Pl. m. Kraussü und den winzigen minutus«. Diese drei Formen sind unter einander nicht durch Ueber- f 14 gangsformen verknüpft, sondern bilden scharf geschiedene Gruppen, »so dass man glaubt, verschiedene Species vor sich zu haben«. Ganz anders, wenn man nun zur Untersuchung der Vebergangs- schicht schreitet, welche zu Zone fünf führt. Hier treten neben minutus eine grosse Anzahl mehr oder minder abweichender Ueber- gangsformen auf, welche einerseits nach der Varietät triquetrus, andrerseits nach der Varietät costatus hinleiten. Besonders die letzte Uebergangsform ist sehr interessant, weil sie Schritt für Schritt die Umwandlung des minutus in den costatus erkennen lässt. Die An- wachsstreifen, welche bei minutus sehr fein und kaum sichtbar sind, werden »in der Grenzschicht bei vielen Exemplaren gröber, bleiben aber dicht gedrängt und so wenig regelmässig, dass von »Rippen« noch nicht die Rede sein kann; erst in der nächsten: Schicht greift die Regelmässigkeit durch, und in der folgenden werden dann die Rippen immer stärker, bis in Zone fünf costatus, minutus und Zriquetrus wie drei Species scharf geschieden neben einander liegen «. Wie wäre dieser Befund mit der Wacner’schen Buchten- Theorie in Einklang zu bringen? Welche undenkbaren Zufille müssten angerufen werden, um die Schalen der beiden aus minutus hervorgegangenen neuen Arten aus fernen Buchten nach gemein- samer Lagerstätte zu denen der Stammart zu führen und in solcher Regelmissigkeit abzulagern! Und nun müssten vorher doch auch die Schalen der Uebergangsformen auf dieselbe wunderbare Weise vom fernen Wohnort nach der Lagerstätte von minutus hingeführt worden sein. Und dann müsste es bei allen übrigen 18 Arten eben so wunderbar gelungen sein, die Entstehung der Arten in besondern Buchten durch gemeinsame Lagerstätte zu maskiren. In der fünften Zone liegen neben minutus und seinen beiden Spröss- lingen costatus und ¢riquetrus auch noch die beiden Arten Kraussit und discordeus, welche sich von der vierten Zone her unverändert erhalten haben und erst gegen die sechste Zone hin Sprösslinge spaltet sich in zwei Formen: rotundatus und trochiformis. liefern; Kraussii verwandelt sich in pseudotenuis, discoideus aber. - den und zwar jetzt 5 an der Zahl, neben den 3 schon früher vor- 15 Aehnlich wie die vierte verhalten sich alle Zonen, es liegen in ihnen nebeneinander eine verschiedne Anzahl scharf geschie- dener Multiformis- Arten und erst in der Schicht, welche den Ueber- gang zur folgenden Zone vermittelt, treten dann zahlreiche Zwischen- formen auf, welche zu den wiederum scharf gesonderten Formen der folgenden Zone hinleiten; die Schalen finden sich also genau nach ihrer Form-Verwandtschaft angeordnet. Bei solcher Regel- mässigkeit der Lagerung ist an wesentliche Störungen während der Ablagerung nicht zu denken: die in einer Schicht beisammen liegenden Arten haben nicht nur gleichzeitig, sondern sie haben auch an dem gleichen Ort gelebt und die Wac- NER’sche Hypothese von Entstehung der Varietäten in verschiednen Buchten ist ganz unhaltbar. Damals wie jetzt bildete das Wasser für Wasserschnecken kein Mittel der Trennung, sondern der Ver- bindung und die verschiednen Buchten eines Landsees wurden nicht von isolirten Colonien bewohnt, welche ihre Form relativ selbst- ständig weiterentwickelten, sondern der See bildete eine Einheit, welche von einer oder mehreren nahe verwandten Arten bewohnt wurde. Denn dass wir von »Arten« und nicht von Varietäten ge- sprochen haben würden, falls wir zur Zeit irgend einer der Zonen gelebt und die Schneckenfauna des Steinheimer Sees untersucht hätten, kann keinem Zweifel unterliegen. Zur Zeit der Ablagerung von Zone vier würden wir Planorbis minutus, discoideus und Kraussii bei einander an den gleichen Lokalitäten gefunden und würden uns nicht im geringsten erstaunt haben, dass diese » Spe- cies« sich nicht unter einander vermischten. Hätten wir einige Jahrhunderte später zur Bildungszeit der Uebergangsschicht , welche nach der fünften Zone führt, wieder in den See schauen können, so würden wir dort immer noch dieselben drei Planorbis- Arten vor- gefunden haben, allein die eine von ihnen (minutus) in Gemein- schaft mit zahlreich auftretenden Varietäten. Eine Säkularperiode später, zur Zeit als die fünfte Zone abgelagert wurde, hätten wir dann wieder nur scharf geschiedne Species neben einander gefun- 16 handnen noch die aus minutus hervorentwickelten costatus und triquetrus. ; WAGNER findet es mit seinem » Migrationsgesetz« im schönsten Kinklang, dass sich in dem kleinen Seebecken von Steinheim, wel- ches »weder einen so weiten Raum, noch so verschiedne Tiefen dar- bietet wie ein Meer« — »nur wenig abweichende Racenformen und nicht scharf geschiedne Species« gebildet hätten. Man betrachte aber nur einmal die Tafel mit Abbildungen, welche der HırGenporr’schen Abhandlung beigegeben ist! Wer würde zweifeln Pl. multiformis sulcatus (Fig. 4) und discoideus (Fig. 5), und wiederum discodeus und trochiformis (Fig. 6) für »sehr gute Species« zu kalten? Man vergleiche das thurmförmige Gehäuse von trochiformis mit dem scheibenförmigen von costatus oder dem walzenförmigen, mit freien Umgängen versehenen von denudatus, ob es irgendwie sich rechtfertigen lässt, hier von »nur wenig abweichenden Raceformen« zu reden! Meiner Ansicht nach müssen alle 19 Hır.cennorr’sche » Va- rietäten« als Arten betrachtet werden. Einmal zeigen sie hierfür hinreichend grosse und scharfe Unterschiede der Form, und dann sind die gleichzeitig lebenden unter ihnen nicht durch Awischenformen verbunden, sondern ganz wie sog. » gute Species« unter den jetzt lebenden Thieren stehen sie morphologisch unvermittelt neben einander. Dass sie gemeinsamen Ursprung haben und durch Uebergangsreihen aus früheren Erdperioden verknüpft werden, das kann doch für einen Anhänger der Descendenztheorie kein Grund sein, ihnen den Artcharakter abzusprechen. Wenn uns die Entwicklung der Planorbis- Arten im Stein- heimer See mit einer Reihe von Fällen bekannt machte, in welchen neue Charaktere zur Herrschaft gelangten ohne vorhergegangene Wanderung und Isolirung der Stammform, so gibt es eine ganze Reihe von Thatsachen, welche beweisen, dass dies nicht blos aus- nahmsweise geschieht, sondern ein sehr häufiger Fall ist. Dahin gehören alle jene Fälle, in welchen die abgeänderte Form nicht als besondere Art auftritt, sondern nur als ein Theil i ee ee” ee “TM 17 der Stammart, also mit ihr in demselben Bannkreis der Art steht und so unzertrennlich mit ihr verbunden ist, dass dieselbe an keinem Orte lebensfähig auftreten kann, es seien denn beide Formen, die ursprüngliche und die abgeänderte, gleichzeitig vorhan- den. Ich meine die Fälle von sexuellem Dimorphismus und zum Theil auch jene von Polymorphismus. Schon früher habe ich an die zwei- und mehrfachen Formen erinnert, unter welchen das eine Geschlecht mancher Arten auftritt, an die doppelten Männchen, welche Frirz MÜLLER bei Tanais du- bius und Orchestia Darwinü nachgewiesen hat, sowie an die durch WALLACE entdeckten dreifachen in Färbung und Gestalt verschied- nen Weibchen von Papilio Memnon und andern Papilioniden. In Bezug auf die meisten dieser Fälle liesse sich freilich im Sinne Wasxer’s einwerfen, der Nachweis sei erst noch beizubringen, dass die verschiednen Formen von Männchen oder Weibchen auch wirklich an ein und demselben Orte, an dem sie jetzt neben ein- ander leben, entstanden seien. Die Möglichkeit, dass polymorphe Formen einer Art auf getrennten Gebieten entstanden sind, lässt sich, wie mir scheint, auch gar nicht bestreiten, wenn es auch andrerseits Fälle gibt, in denen das Gegentheil nachgewiesen wer- den kann. Ich ziehe es deshalb vor, mich statt an die doch immer- hin seltenen Fälle des Polymorphismus an die viel bekannteren und weit häufigeren Erscheinungen des Dimorphismus zu halten. Die so weit im Thierreich verbreitete Formverschiedenheit der Geschlechter, das Vorhandensein sekundärer Geschlechtscharaktere, oder, wie ich mich kurz ausdrücken möchte: der sexuelle Di- morphismus beweist unwiderleglich, dass eine Art sich in zwei Formen auf ein und demselben Wohngebiet spalten kann, sowie dass dies in einer Unzahl von Fällen wirk- lich geschieht. Der sexuelle Dimorphismus findet sich nirgends schärfer ausgeprägt als bei Vögeln und bei Schmetterlingen. Bei Beiden sind es meistens die Männchen, welche vom ursprünglichen Typus abweichen, brillanter gefärbt und meist auch anders gestaltet und eismann, Untersuchung. 2 18 gezeichnet sind, und es lässt sich mit grosser Sicherheit nachweisen . — und der Nachweis ist durch Darwin bereits geliefert worden — dass diese Verschiedenheiten der Geschlechter, in vielen Fällen wenigstens, nicht plötzlich entstanden sind, sondern all- mälig. Es liess sich dies schon ohne tiefere Forschungen daraus ableiten, dass solche sekundäre Geschlechtscharaktere bei ein und derselben Art in den verschiedensten Graden der Ausbildung sich vorfinden, sowie daraus, dass solche Abstufungen in noch weiterer Ausdehnung bei den verschiednen Arten einer Gattung, zuweilen auch einer ganzen Familie auftreten, den strikten Nachweis dafür hat aber erst Darwın !) geliefert durch seine geniale Untersuchung der Augenflecken auf dem Gefieder der Hühnervögel. Er wies un- widerleglich nach, wie diese komplieirten Zeichnungen sich ganz allmälig aus einfachen Flecken und Streifen entwickelt haben müssen. Sobald dies aber feststeht, sobald sich der Differenzirungsprocess über mehrere Generationen hinauszieht, kann offenbar an eine Fixi- rung der neuen Charaktere durch örtliche Isolirung gar nicht mehr gedacht werden. Es darf indessen nicht verschwiegen werden, dass die Mög- lichkeit eines plötzlichen Auftretens neuer Charaktere keines- wegs ausgeschlossen ist, ja, dass wir guten Grund zu der Ver- muthung haben, dass auch dieses thatsächlich vorkommt. Gesetzt also den Fall, WAGNER sei berechtigt, die plötzliche Entstehung der brillantern Farben z. B. des Männchens einer Vogel- art anzunehmen, er dächte sich also die Entstehung dieser männ- lichen Charaktere so, dass ein zufällig derartig abgeänderter Mann auf isolirtes Gebiet geräth, dort mit Hülfe eines ebenfalls verschla- genen Weibchens eine Colonie gründet und seine vom gewöhnlichen Typus abweichenden Eigenschaften auf seine männlichen Nach- kommen. überträgt; abgesehen von allen andern Wunderlichkeiten dieser Vorstellung, wie wäre es zu erklären, dass dieser Mann seine 1) Darwin, Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zucht- wahl. Bd. II. S. 118. - 58% ~~ - = ~ hed = AE o pO TI A emre Amer Ser ET, EE a a Ee g ja 19 neuen Charaktere nicht nur auf einen Theil, sondern auf alle seine männlichen Nachkommen überträgt, da er doch zur Fort- pflanzung auch eines Weibes bedarf und dieses Weib weder selbst die neuen männlichen Charaktere besitzt, noch in ihrem Blute irgend welchen Keim tragen kann, Charaktere zu vererben, die Keiner ihrer Vorfahren besessen hatte? Und wenn somit ein Theil der männlichen Nachkommen die neuen Charaktere nicht erhält, wo bleibt dann die Isolirung? Wir gelangen hier wieder zu dem Ein- gangs bereits erwähnten Irrthum Wacner’s, demzufolge örtliche Isolirung die Kreuzung mit der Stammform verhindert. Mögen nun sekundäre Sexualcharaktere plötzlich oder allmilig entstehen, in beiden Fällen findet nothwendigerweise eine fortwäh- rende Kreuzung mit der unveränderten Form des andern Geschlech- tes statt, ganz abgesehen davon, dass im Anfang des Processes auch die Mehrzahl des abändernden Geschlechtes noch unverändert ist. Von räumlicher Isolirung kann also wohl nicht die Rede sein, und es folgt daraus jedenfalls so viel, dass dieselbe nicht unbe- dingt nothwendig ist für die Umbildung einer organischen Form, sowie dass es Faktoren gibt, welche ohne alle Beihülfe räumlicher Isolirung im Stande sind, eine neue Form zur herrschenden zu machen. Nach WAGNER'S Isolirungstheorie dürfte der sexuelle Dimorphismus überhaupt gar nicht bestehen. Ein erklärter Anhänger der Descendenzlehre, wie WAGNER, wird mir nicht einwerfen wollen, dass sich sein Separationsgesetz nur auf jene Unterschiede beziehe, welche Art von Art scheiden, da er sehr wohl weiss, dass die Art nichts Absolutes ist, und dass die Unterschiede zwischen verschiednen Arten ganz derselben Natur sind, wie diese eben besprochenen Unterschiede zwischen den Ge- schlechtern ein und derselben Art. Können sie bei dem einen Geschlecht allein ohne Isolirung sich entwickeln, so sieht man nicht ein, weshalb dies nicht auch bei beiden zugleich der Fall sein könnte. WAGNER wird auch schwerlich behaupten wollen, dass der Process der geschlechtlichen Züchtung, welchem Darwın die Ent- 2% 20 stehung solcher Unterschiede zuschreibt, ein ungleich mächtigerer Faktor sei, als die gewöhnliche natürliche Züchtung, deren Thätig- keit er früher nur unter dem Schutze räumlicher Isolirung für mög- lich hielt, jetzt gänzlich in Abrede stellt. Sollte Letzteres aber auch der Fall sein, so gibt es doch eine andre Reihe von Thatsachen, bei welchen geschlechtliche Züchtung nicht in Frage kommt und welche in Bezug auf die Separations- theorie dasselbe beweisen, was die Fälle von sexuellem Dimorphis- mus. Auch auf diese Fälle habe ich bereits früher hingewiesen. Dimorphismus kommt nämlich auch ganz unabhängig von Geschlechtsverhältnissen vor. Unter den Schmetterlingen findet sich eine grosse Anzahl von Arten, bei welchen die Raupen in zwei- oder mehrerlei Färbung und oft auch in verschiedner Zeichnung auftreten. Jedem Schmet- terlingsammler ist es bekannt, dass die Raupen von Chaerocampa elpenor theils schwarz sind, theils braun, theils grün; alle drei Formen finden sich meist auf einem Fleck beisammen und stehen nicht in Beziehung zum Geschlecht. Aehnlich verhält es sich mit den Raupen des Oleanderschwiirmers, Chaerocampa nerü, und. dreierlei Raupenformen sind mir auch von Sphinx Convolvuli (schwarz, braun und grün)!), zwei durch die Abbildungen Hipner’s von Sme- rinthus Tiliae und Macroglossa Stellatarum bekannt. Auch unter den Tagschmetterlingen finden sich doppelte Rau- penformen, wenn dieselben auch meistens weniger auffallend von einander abweichen, wie in den eben angeführten Fällen. So hat schon RosEL zweierlei Raupen bei Vanessa prorsa beschrieben (einen Dimorphismus, welchen ich aus eigner Erfahrung bestätigen kann) und hat festgestellt, dass die Verschiedenheit derselben nicht mit dem Geschlecht in Zusammenhang steht. Bei Vanessa urticae findet sich eine vorwiegend gelbe und eine vor- wiegend schwarze Raupenform und Vanessa Atalanta besitzt viererlei Raupen: grüne, braunrothe, fleischfarbene und vollständig schwarze. 1) erhalten. Alle drei Formen habe ich von ein und demselben kleinen Ackerfeld REAR y aaal 21 í Bei mehreren Arten beobachtete ich auch zweierlei Arten H von Puppen; so bei Vanessa urticae, deren eine Form braun- l grau gefärbt ist mit gar keinen, oder nur einem Goldfleckchen am k 3 ersten Abdominalspitzchen der Bauchseite, während die andere eine x braungelbliche Grundfarbe aufweist mit starkem Goldglanz an der s 3 ganzen Bedeckung des Kopfes, des Thorax und der Gliedmassen. +i Vanessa Io besitzt eine grüne und eine graubraune Puppenform, | N Vanessa prorsa, cardui und Atalanta zeigen ebenfalls zweierlei ur Formen und bei den Tagfaltern mit frei aufgehängten Puppen wäre es leicht, die Beispiele zu vermehren, während ich keine Fälle von 2) Dimorphismus der versteckten Puppen bei Nachtschmetterlingen my kenne — beiläufig gesagt, ein deutlicher Fingerzeig, dass es sich et- | hier nicht um bedeutungslose Zufälligkeiten handelt. m Dieser Dimorphismus von Insektenpuppen ist, soviel mir be- rei f kannt, noch von Niemandem hervorgehoben worden, verdiente aber ien i sehr wohl eine nähere Beachtung. Er’ steht wie der der Raupen a À in keiner Beziehung zum Geschlecht, und ebensowenig hängt er nt etwa mit der verschiednen Färbung oder gar Zeichnung des Schmet- nf terlings zusammen; dieser zeigt sogar bei V. urticae überhaupt eine R i sehr geringe Variabilität. ’ So sehen wir, dass auf jeder der drei Entwicklungsstadien der r Schmetterlinge sich Dimorphismus entwickeln kann. Ohne behaup- é ten, zu wollen, dass dies stets und ausschliesslich durch den Process K ; der natürlichen Züchtung geschehe, lässt es sich doch nach dem u : Darwin’schen Princip im Allgemeinen verstehen, da eine Art sich = { auf diese oder jene Weise den gegebenen Lebensverhältnissen an- ny passen kann und es keineswegs blos je eine bestangepasste Form pt fur jede Art geben muss; wie es aber mit der Separationstheorie } zusammenzureimen ist, das zu zeigen darf ich füglich WAGner selbst ot f überlassen. Mir scheint für seine Ansichten hier ein unlösbarer Jei Widerspruch vorzuliegen. me Gesetzt nämlich, es gelänge WAGNER auch nur wahrscheinlich ai zu machen, dass stets die eine der mehrfachen Formen z. B. dimo- PE pher Raupen in einer isolirten Colonie der betreffenden Art ent- 22 standen , sich dort fixirt und von dort aus dann rückwärts über das ursprüngliche Wohngebiet ‚der Art verbreitet habe, so wäre damit allerdings erklärt, warum wir jetzt beiderlei Raupenformen beisam- men finden, keineswegs aber, warum nicht auch die Farbe und Zeichnung der Imago — des Schmetterlings) sich in der Zeit der Iso- lirung geändert — kurz, warum die Art sich nicht in allen ihren Entwicklungsstadien in eine neue Art oder Varietät umgewandelt hat. Dass der Zeitraum der Isolirung »hinreichend lang« für Ent- stehung einer Abänderung war, bewiese die Entstehung der neuen Raupenform und bei »hinreichend langer Dauer« der Isolirung muss nach WAGNER eine Abänderung der Art eintreten! Nach dem Darwın’schen Niitzlichkeitsprincip begreift es sich sehr leicht, dass ein Entwicklungsstadium allein abändert und in zwei oder mehr Formen auftritt. Die der Nachstellung durch Feinde weit mehr als der Schmetterling ausgesetzte Raupe sucht sich in dieser oder jener Weise vor ihren Feinden zu schützen, sie passt sich der braunen Farbe der Stengel und unteren vertrockneten Blät- ter an, unter denen sie sich in der Ruhe verbirgt, oder der grünen Farbe der frischen Blätter, von denen sie sich nährt, die Farbe und Zeichnung des Falters aber wird durch ganz andre Momente bestimmt, ist deshalb vollständig unabhängig von der Farbe und Zeichnung der Raupe und kann wiederum selbst dimorph oder mo nomorph sein. Ich bin weit entfernt zu behaupten, dass jeder oder dass vor- läufig auch nur ein einziger specieller Fall mit Hilfe der Darwın’- schen natürlichen Züchtung sich vollständig durchschauen und in allen Einzelheiten begreifen liesse — dazu gehörte eine Summe von Kenntnissen, die wir noch lange nicht besitzen — allein im Allge- meinen gibt uns Darwin allerdings den Schlüssel zum Verständniss solcher Thatsachen, während uns das Wacner’sche Princip hier vollständig im Stiche lässt. Ich glaube nun gezeigt zu haben, sowohl dass die Entste- hung neuer Lebensformen ohne Wanderung, Isolirung und Colonie- bildung vorkommt, als auch dass sie sehr häufig vorkommt. ` 23 Damit ist das sog. » Migrationsgesetz« widerlegt und ich könnte vr schliessen, wenn derselbe nicht in meine Polemik gegen WAGN seiner zweiten Schrift ausser den oben erwähnten, noch einige andere »Belege für die Richtigkeit« seiner Theorie beizubringen ver- | suchte, auf die näher einzu ugehen nicht uninteressant scheint. „Einer der besten«!) soll die Verbreitung des Distelfalters, Vanessa cardui sein, nebst seinen vier vikarirenden Arten Amerika’s. Ich selbst hatte in meiner oben eitirten Schrift Vanessa cardui als Beispiel dafür angeführt, wie einzelne Arten eine enorme Verbrei- tung besitzen, sich über alle Welttheile erstrecken und viele isolirte Stationen bewohnen können, trotzdem aber konstant bleiben. Es schien mir daraus hervorzugehen, dass Isolirung nicht noth- wendig zur Varietätenbildung führen muss.« Da WAGNER dies auch nicht behauptet hatte?) , so war dieser Passus also keine Polemik gegen seine Ansichten, sondern eine neutrale Untersuchung über die Wirkungen der Isolirung. Offenbar wäre es ein äusserst gewichtiger Beweis für die Wir- kung der Isolirung, wenn es sich zeigte, dass Isolirung und Va- rietätbildung stets zusammenfielen, dass mit jeder Isolirung auch Varietätbildung verbunden wäre. Dies ist nun nicht der Fall, wie mein Beispiel der kosmopolitischen Schmetterlinge beweist. Wenn WAGNER meint, ich habe »zu meinem Zweck« kein unglücklicheres Beispiel wählen können, so begreift sich das nur aus dem gänz- lichen Missverstehen dieses »Zweckes«. Ich wollte nicht, wie WAGNER annimmt, »einen schlagenden Beweis gegen das Migra- MA AOD 2) Auch hierüber hat W. seine Ansicht geändert; er stellt in der neueren Schrift jetzt die Behauptung auf, dass Isolirung eihwendig zur Varietäten- bildung führen muss, fügt aber freilich die Sicherheite-Clansel hinzu, falls die Gründung einer solchen Colonie »für eine längere Zeitdauer« gelingt. Da er anderseits auch behauptet: » der Gestaltungsprocess einer neuen Form kann nicht von langer Dauer sein« (S. 11), so wäre es interessant zu wissen, lange der Zwischenraum zwischen der kürzesten de »länge- ven« Zeit des ersten und der längsten »kürzeren« Dauer des zweiten Ausspruchs sein darf. 24 tionsgesetz « beibringen, sondern klar und deutlich heisst es bei mir: »Umgekehrt lässt sich auch nachweisen, dass Wande- rung, auch wenn sie eine volls ständige Isolirung der Colonie mit sich bringt, nicht ausreicht, um eine Art zum Abändern zu zwingen. Die kosmopolitischen Schmetterlinge beweisen das vielleicht am schlagend- sten«, und nun folgt das Beispiel der Vanessa cardui! Wenn ich dabei die vikarirenden Arten von V. cardui unerwähnt liess, so geschah es nicht, wie WAGNER anzunehmen sich veranlasst sieht, aus Unkenntniss derselben, sondern deshalb, weil sie nicht zur Sache gehören. Die Existenz dieser Vikarformen schien mir bei meiner Betrachtung ganz ausser Acht bleiben zu müssen, weil sie, selbst wenn sich beweisen liesse, dass Isolirung bei ihrer Entste- hung im Spiel gewesen wäre, doch nicht im Geringsten die übrigen, zweifellosen Isolirungen der V. cardui in Frage stellen würden, bei denen keine Varietätenbildung stattgefunden hat. Oder zweifelt Jemand, dass V. cardui auf dem Festland von Australien gegen- über seiner europäischen oder amerikanischen Colonie so gut wie vollständig isolirt ist? Und dieser Falter kommt ausser auf allen fünf Continenten noch auf vielen Inseln vor 1); so auf den Antillen, auf Neuseeland, auf den Sandwich- Inseln und ist an allen diesen Orten vollständig unverändert geblieben ?). Ist das kein Beweis dafür, »dass Isolirung nicht ausreicht, um eine Art zum Abändern zu zwingen«? WAGNER bestreitet freilich die Isolirung der das Festland von Amerika bewohnenden Cardui-Colonie gegenüber dem asiatisch- europäischen Festland; er weist auf die » ungemeine Flugkraft dieses Wanderfalters « hin, der sehr wohl im Stande sei , Meere von mässi- 1) Siehe: SPEYER, Geographische Verbreitung der Schmetterlinge. S. 182 > und 183. ch habe Exemplare aus dem Hochlande von Mexico mit solchen aus en und Italien verglichen, bin aber ausser Stand gewesen, auch nur den kleinsten, konstanten Unterschied aufzufinden. 25 ger Breite zu überfliegen etc. Vollkommen richtig, wie schon der Umstand beweist, dass sich dieser Falter auf den abgelegensten Inseln vorfindet und dass er sich beinah über die ganze Erde ver- breitet hat! Aber wenn nun Wacner daraus schliesst, dass » zwi- schen dem östlichen Sibirien und Nordamerika ein häufiger Ueber- gang vieler Emigranten dieser Art« stattfinde, und dass » wegen dieser häufigen Kreuzung zahlreicher Individuen der alten Stamm- form« sich »in den Polargegenden der drei Welttheile die alte Stammform unverändert erhalten« habe, so scheint mir dieser Schluss nicht richtig; er beruht auf einer Verwechselung der absoluten und der relativen Isolirung. Nur Erstere vermag die Ausbrei- tung einer Art zu hindern, die relative vermag dies nicht, vermag aber sehr wohl einen jeden Kreuzungseinfluss über die trennende Schranke hinweg unmöglich zu machen. Wenn von den Millionen von Distelfaltern, welche Asien be- wohnen, auch nur ein einziges befruchtetes Weibchen nach Amerika verschlagen würde, so möchte dies unter günstigen Umständen ge- nügen, dort eine Distelfalter- Colonie zu gründen und im Laufe der Jahrhunderte diesen Falter über ganz Amerika zu verbreiten. Wenn aber dies einmal geschehen ist, wenn auch in Amerika Millionen von Distelfaltern umherfliegen, dann werden auch Hunderte von asiatischen Individuen nicht im Stande sein, die amerikanische Colonie von der Varietätenbildung abzuhalten, falls dieselbe sonst Neigung dazu hätte! Diese unendlich geringe Kreuzung einzelner Asiaten mit einer ungeheuern Ueberzahl von Amerikanern wird so wenig irgend welche dauernde Wirkung ausüben, als nach WAGNER »einzelne auserlesene Stiere oder Hengste im Stande sind, das halb- wilde Steppenvieh Südamerika’s zu veredeln «. Wenn nun schon auf dem Continent Amerika’s die Distel- falter-Colonie als isolirt (in Bezug auf Kreuzung) gelten muss, wie viel mehr noch die der Antillen oder Neuseelands oder der Sand- wich-Inseln! Genügt doch schon ein viel schmalerer Meeresarm, um auf der Insel Corsica eine vikarirende Art von Vanessa urticae, ® 7 [7 . . . die Vanessa ichnusa, zu isoliren! Und wie manches Mal mag es 26 vorkommen, dass von dem ebenfalls sehr gut und schnell fliegenden »kleinen Fuchs« (V. urticae) einzelne Individuen vom italienischen Festland nach der Insel hinübergetrieben werden! So wird denn nicht nur der von WAGNER angerufene » wahrheits- liebende Forscher«, sondern überhaupt Jeder, der klare Gedanken klar aufzufassen vermag, zugeben müssen, dass mein nach WAGNER so »unglücklich gewähltes« Beispiel der Vanessa cardın bewies, was es beweisen sollte, dass nämlich Isolirung nicht nothwendig Abände- rung hervorruft. WAGNER hat indessen nicht nur die Beweiskräf- tigkeit desselben für meine Ansicht angezweifelt, sondern sogar versucht, dasselbe in einen Beweis für die Richtigkeit der » Migra- tionstheorie« umzuprägen! Er weist auf die Existenz jener interes- santen vikarirenden Arten von V. cardui hin, von welchen drei verschiedne Formen aus Amerika bekannt waren und denen WAGNER noch eine vierte hinzufügt. Alle vier ähneln der Stammart, cardui, ganz ungemein, sowohl in Färbung als in Zeichnung, unterscheiden sich aber durch geringe, wenn auch ganz konstante Verschiedenheiten in der Grösse der Augenflecken und sonstigen Eigenheiten der Zeichnung, wie auch in leichten Schattirungen der Färbung. Diese vikarirende Arten bewohnen verschiedne Theile von Nord- und Südamerika. WAGNER versichert uns, dass sie aus verirrten Emigranten der V. cardui in Folge von Coloniebildung an (relativ) isolirten Lokalitäten sich ge- bildet hätten. Wir erwarten natürlich einen Beweis für die Isolirt- heit ihres Wohngebietes zu hören. Bildete dieses eine Insel im Meer oder ein von höchsten Gebirgen umschlossenes Thal, so würde seine Isolirtheit von selbst einleuchten und man würde geneigt sein, WAGNER zuzustimmen, wenn er in dieser klar vorliegenden Isolirung die Ursache oder doch die Mitursache der Umbildung der Art ver- muthete. Dies ist nun aber nicht der Fall, die erste vikarirende Form V. Hunteri beginnt nach WAGnEr’s eignen Angaben im südlichen Canada und reicht bis in den Süden der Vereinigten Staaten, die zweite bewohnt eben den Süden der Vereinigten Staaten (Texas), or > zT eer we eee 3 x 27 die dritte die Cordilleren von Centralamerika und die vierte (V. aequatorialis Wagner) fand WAGNER im Hochland der Anden von Quito. Keines von diesen vier Wohngebieten bildet ein von schwer zu überfliegenden Grenzen umzogenes , also isolirtes Gebiet. Wac- ner sucht ihre Isolirtheit wahrscheinlich zu machen durch die An- nahme, dass die Stammform des Distelfalters gegen die Tropen hin immer seltener werde, da sie »zwar das tropische Klima erträgt, aber dort nicht mehr gut zu gedeihen scheint«. Ueber die Rich- tigkeit dieser Annahme will ich nicht streiten, obgleich SPEYER in seinem bekannten und vortrefflichen Buch » Ueber die geographische Verbreitung der Schmetterlinge « ausdrücklich betont, dass der Distel- falter »in den heissen Ländern keineswegs auf die höheren Regionen beschränkt ist, sondern unter dem Aequator so gut die Ebene be- wohnt, als in Lappland«, also doch wohl das Klima leidlich ver- trägt, allein heutzutage wenigstens kommt auf dem Gebiete aller vier vikarirender Arten V. cardui, also nach WAGNER'S Annahme die Stammart, ebenfalls vor; dieselben sind demnach faktisch nicht isolirt. WaGner erzählt uns freilich, dass er an den Gehängen des Chimborazo und Pinchincha » ziemlich häufig« die vierte vikarirende Art (V. aequatorialis) beobachtet habe, die Stammart (V. cardui) dagegen nur ein einziges Mal während eines achtmonatlichen Aufenthalts gefangen habe; allein einmal ist dies durchaus kein Beweis für die Seltenheit der Stammform in jenen Gegenden, da man auch in Deutschland sehr wohl acht Monate sich aufhalten kann, ohne eine Ahnung davon zu bekommen , dass der Distelfalter ein sehr häufiger Schmetterling ist — er tritt näm- lich in der ersten Generation äusserst spärlich, dagegen in der drit- ten, im September fliegenden Generation oft in kolossaler Menge auf — andrerseits geht grade aus dem einen Exemplar, welches WAGNER fing, hervor, dass die Stammform ‘auch dort vorkommt und das ist ja nach seiner eignen Theorie vollständig aus- reichend, um die Bildung einer neuen Art durch Kreuzung zu ver- hindern. 28 WAGNER meint eine relative Isolirtheit des Wohngebietes der vier vikarirenden Formen aus der grösseren Seltenheit der Stamm- form gegen den Aequator hin ableiten zu können, während er kurz vorher die Uebereinstimmung der Stammform auf dem amerikanischen und asiatischen Continent durch die stete Kreuzung zu erklären sucht, welche durch das » häufige Herüberfliegen zahlreicher Indi- viduen« über die Behringstrasse stattfinden muss! Man sollte fast glauben, der Distelfalter sei auf dem Meer besser zu Hause, als auf dem Lande! Ich wenigstens wüsste nicht, warum nicht noch weit zahlreichere Individuen vom nördlichen Canada, wo der Falter häufig ist, nach dem südlichen fliegen sollten, wo bereits die erste vikarirende Art wohnt. WAGNER müsste denn das südliche Canada schon zu den Tro- pen rechnen, wo nach seiner Hypothese die Stammform nicht mehr gut gedeiht. Ihm, dem Vielgewanderten muss es doch bekannt sein, wie überaus häufig der Distelfalter in viel heisseren Gegenden ist z. B. an den europäischen und afrikanischen Küsten des Mittel- meeres ! So sehen wir der Annahme, dass die vikarirenden Arten von Vanessa cardui durch Isolirung von Emigranten der V. cardui sich gebildet hätten, vorläufig ohne jedes Fundament in der Luft schwe- ben; nicht einmal der Beweis, dass eine relative Isolirung ihres Wohngebietes stattfindet, kann geliefert werden , geschweige, dass der weitere Beweis versucht werde, dass die Isolirung auch wirklich die Ursache der Varietätenbildung sei! Die Wacner’sche Logik ist diese: weil WAGNER überzeugt ist, dass neue Arten nur durch Isolirung gebildet werden, darum ist auch in diesem Fall das Wohngebiet ein isolirtes und weil es isolirt ist, darum haben sich auch hier neue Arten gebildet! Die Isolirtheit wird vorausgesetzt, um damit die andre Voraussetzung, dass Arten nur durch Isolirung entstehen, zu beweisen. Ein ächter Circulus vitiosus ! Ich werde im zweiten Theil dieser Schrift auf den Distelfalter und seine Verwandten in Amerika noch einmal zurückkommen und a F 29 es wird sich dann zeigen, ob nicht doch Gründe für die Annahme vorliegen, dass Isolirung einen Antheil an ihrer Entstehung hat und zu dem Schluss führen, dass eine solche, wenn sie auch jetzt nicht vorhanden ist, doch früher einmal vorhanden war. WAGNER aber muss ich das Recht bestreiten, aus dem Nicht- vorhandensein einer Isolirung auf Entstehung durch Isolirung zu schliessen. Ich darf übrigens nicht unerwähnt lassen, dass am Schlusse seiner Abhandlung über den Distelfalter der Werth der vorgebrachten Thatsachen WAGNER selbst in etwas verändertem Lichte erscheint: »einer der besten Belege für die Richtigkeit der Migra- tionstheorie« sinkt nun herab zu einem blos »indirekten Beweis für deren Richtigkeit«. Da Waener alle Abänderungen von Isolirung herleitet, nicht etwa blos bestimmte Qualitäten, so gibt es für ihn im speciellen Fall keinen andern Weg, diese Entstehung wahrscheinlich zu machen, als eben durch den Nachweis, dass die abgeänderte Art thatsäch- lich isolirt lebt oder einst gelebt hat. Dass es möglicherweise doch auch noch andre Momente geben könne, welche eine Art zur Ab- änderung zu zwingen vermöchten, lässt WAGNER ganz ausser Acht; für ihn ist die Entstehung durch Isolirung bewiesen, wenn die Iso- lirung bewiesen ist. Obgleich nun also das ganze Gewicht der Beweisführung auf dem Nachweis beruht, dass in dem speciellen Falle that- sächlich eine Isolirung stattgefunden hat, so wird doch dieser Nachweis nicht blos bei Vanessa cardui, sondern durchweg in sehr ungenügender Weise geführt, ja in der grossen Mehrzahl der Fälle überhaupt gar nicht versucht. Wenn z. B. Waaner (S. 16) auf den »merkwürdigen Um- stand« aufmerksam macht, »dass die Raupen von ganz nahe ver- wandten Schmetterlingsarten auf ganz verschiednen Futterpflanzen leben«, ein Verhalten, welches nach seiner Ansicht »ein getrenntes Vorkommen derselben begünstigt, also auch eine örtliche Züchtung durch Separation«, so erwartet man vergeblich 30. eine Begründung dieser Ansicht. Statt dessen wird als » schlagen- des Beispiel dafür« Deilephila Euphorbiae und Galii angeführt. Nun finden sich aber die Nahrungspflanzen dieser beiden Fal- ter sehr häufig auf ein und demselben Boden, und nicht die eine, Euphorbia Cyparissias , »auf öden Haiden und unfruchtbarem Boden G die andre, Galium Verum und Mollugo »nur auf fetten Wiesen «, Hier bei Freiburg z. B. wachsen beide in grosser Menge auf Stun- den weit an den Ufern des Flusses entlang dicht neben einander! Gesetzt aber auch, sie hätten meist getrennte Standorte, so würde dies doch höchstens eine Trennung der beiderlei Raupen, aber doch wahrlich nicht ihrer Falter bewirken! WAGNER müsste nachweisen, dass die Nährpflanzen der Falter, d. h. die Blüthen von deren Zuckersaft sie sich nähren, bei beiden Arten verschiedne seien und getrennt wüchsen. Aber selbst wenn dies nachweisbar wäre, wer möchte wohl behaupten, dass dies genüge um Falter von so enorm raschen Flug, wie diese Sphingiden ihn besitzen, vor der Kreuzung zu bewahren. Uebrigens spricht auch die Erfahrung dafür, dass D. Galii und Euphorbiae an denselben oder doch wenigstens an nahe bei einander wachsenden Pflanzen saugen, da ich sie Beide und noch die nahe verwandte Dedlephila lineata an ein und der- selben Stelle gefangen habe. Wenn Wacner den Nachweis versuchen wollte, dass Ver- schiedenheit der Futterpflanze bei Faltern zu räumlicher Isolirung führen könne, so musste er sich an schlecht fliegende Falter halten, vornemlich an solche, deren Weibchen aus Mängel oder Schwäche der Flügel wenig oder gar nicht fliegen‘), in der Nähe der Futter- pflanze, von welcher sie sich als Raupe nihrten, sitzen bleiben und dadurch auch die Männer von weitem Umherschweifen abhalten. Die erwähnten Sphingiden-Weibchen fliegen aber eben so vortreff- lich, wie ihre Männchen. Ich bin indessen der Ansicht, dass die Futterpflanzen nichts Erhebliches beitragen zur Isolirung von Schmetterlingscolonien. Da 1) Bei solchen Arten ist dann freilich die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass die Eier an eine andre, als die gewohnte Futterpflanze gelegt werden. tt 31 bei allen Schmetterlingen wenigstens doch die Männchen fliegen können, so sehe ich nicht ein, wieso Isolirung daraus entstehen könnte, dass ein verflogenes Weibchen einmal seine Eier an eine andre Pflanze legt, als an die gewohnte. Eine Isolirung würde nur eintreten, wenn diese Pflanze vom Verbreitungsgebiet weit entfernt wüchse und dann wäre die Isolirung durch die weite Entfernung und nicht durch die neue Nährpflanze hervorgebracht. Wenn übri- gens vom Einfluss der Futterpflanze auf die von ihr lebenden Insek- ten gesprochen werden soll, so möchte wohl viel eher an einen direkten, wenn auch geringen Einfluss auf ihre Fär- bung gedacht werden können. Unsre Kenntnisse sind aber grade hier ganz ungemein ungenügend und lückenhaft, und es möchte kaum möglich sein, von irgend einem weit verbreiteten Falter die Pflanzen anzugeben, an denen seine Raupe in den verschiednen Ländern seiner Verbreitung wohnt, und ebenso sind die Angaben von nur einer einzigen Nährpflanze für gewisse Schmetterlinge nichts weniger als zuverlässig. Ich halte einen Streit über die WAcNER’sche Behauptung von einer isolirenden Wirkung der Futterpflanzen schon wegen der ganz ungenügenden Basis der Thatsachen für unfruchtbar und will hier nur noch kurz bemerken, dass das von ihm gewählte Beispiel der Gattung Plusia durchaus nicht beweisend ist, da grade die nächst- verwandten Arten dieser Gattung die gleiche Futterpflanze bewohnen, so findet sich Plusia moneta und ilustris an Aconitum lycoctonum, Plusia concha, deaurata, cheiranthi an Thalictrum aqui- legifolium, Plusia consona und modesta an Pulmonaria'). Es scheint mir überhaupt etwas kühn, lediglich aus der » merkwürdigen Ver- schiedenheit der Ernährungspflanzen ihrer Raupen« den Schluss zu ziehen, dass die einheimischen Arten der Goldeule (Plusia) » einzig durch das Mittel der Isolirung in sporadisch getrennten Wohn- bezirken« (A. a. ©. S. 17) sich von einander (oder vielmehr von 1) Siehe: O. WILDE, Die Pflanzen und Raupen Deutschlands. Versuch einer lepidopterologischen Botanik. Berlin 1860. 32 der Stammart) gespalten haben! Jedenfalls kann hier nicht von einem Beweis die Rede sein, sondern nur von einer Behauptung. WAGNER beklagt sich, von mir »in seltsamer Weise« miss- ` verstanden zu werden, wenn ich annähme, das Migrationsgesetz verstehe unter Isolirung stets die Trennung durch eine natürliche Schranke, wie Hochgebirge, Meere oder Wüsten, während er doch darunter »jede topographische Ursache« verstehe, » welche die perio- dische Bildung einer getrennten Colonie begünstigt«. Allerdings glaubte ich, dass eine Doctrin, welcher die Isolirung als alleinige Grundlage dient, in ihren Beweisen vor Allem diese Grundlage sicher stellen müsse und daher entweder im Allgemeinen den Be- griff der Isolirung scharf präcisiren müsse, oder — falls sie dazu wie im vorliegenden Falle nicht im Stande war — solche Beispiele als Belege auswähle, in welchen die Isolirung in einem möglichst hohen Grade ausgebildet, und daher unzweifelhaft vorhanden ist. Sind erst einmal die Wirkungen der ganzen und vollen Isolirung festge- stellt, so ergeben sich die der halben und viertels Isolirung von selbst. WAGNER nimmt es aber nicht nur mit dem Nachweis der Isolirung sehr leicht, sondern hält nicht einmal den Begriff der- selben, wie er aus seinen eignen Theoremen hervorgeht, in klarer Weise fest. Was soll man dazu sagen, wenn als »direkter Beweis« für die Migrationstheorie, gewissermassen als letzter und höchster Trumpf gegen mich die merkwürdige Umwandlung des mexikani- schen Axolotl (Siredon piseiformis) vorgebracht wird. Von dieser interessanten Molch- Art wurde »1864 ein lebendes, trächtiges Weib- chen von Mexiko direkt nach dem Pariser Pflanzengarten gebracht, dessen Abkömmlinge sich in Folge dieser räumlichen Tren- nung und Isolirung sehr schnell in eine andre Molchform ver- wandelten «. In der That haben die im Pariser Pflanzengarten gebornen Kiemenmolche zum Theil eine Umwandlung erlitten; sie bekamen gelblich - weisse Flecke auf der Haut, verloren den Rückenkamm und — was das Interessanteste ist — auch die äussern Kiemen und mit ihnen die entsprechenden Kiemenbogen , sie machten also eine 33 4 Umwandlung durch, welche vollständig der Metamorphose der Salamanderlarve in das geschlechtsreife Thier entspricht. Eine derartige Abänderung des Axolotl ist in Mexico selbst niemals beobachtet worden; wenn sie wirklich dort niemals vor- kommt, so dürfen wir wohl mit grosser Wahrscheinlichkeit anneh- men, dass die plötzliche Versetzung in so gänzlich verschiedne äussere Lebensbedingungen den Anstoss zu der Abänderung gegeben habe. Warum sollte nicht eine solche plötzliche Veränderung aller Lebensverhältnisse eine direkte Einwirkung auf den Organismus des Axolotl gehabt haben, so dass er plötzlich eine höhere Ent- wicklungsstufe erreichte, die viele seiner Verwandten längst erreicht haben, die offenbar in der Natur seines Organismus liegt und die er selbst vielleicht auch in seinem Vaterland erreicht haben würde, wenn auch später? Oder wäre es undenkbar, dass bei der plötz- lichen Versetzung aus 8000’ über dem Meere (mexicanisches Hoch- land) in die Höhe von Paris grade die Respirationsorgane einen Anstoss zu der nahe liegenden Abänderung erhalten hätten? Somit haben wir es aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer direkten Ein- wirkung veränderter Lebensbedingungen zu thun. Ist das aber gleichbedeutend mit Isolirung? Nach WAGNER wirkt die Isolirung nur durch Kreuzungsverhinderung, wo ist aber in diesem Falle eine solche, wo Sprösslinge eines in Mexico be- fruchteten Weibchens sich direkt in die neue Form umwan- delten? Wo ist überhaupt hier eine kreuzungsverhindernde Isolirung, da doch keineswegs alle, sondern blos ein Theil der ersten Gene- ration abänderte, die Uebrigen aber unverändert blieben!)? Oder wäre es unlogisch, die abändernde Ursache für einen Theil der fol- genden Generationen in denselben veränderten Lebensbedingungen zu sehen, welche einen Theil der ersten Generation zum Abändern veranlasste? WAGNER deutet an, dass die »zahlreiche Kreuzung« die Art in ihrem Vaterland vor Abänderung bewahre. Diese Behauptung 1) Siehe: Compt. rend. T. 60, p. 765; T. 61, p. 775: T. 65, p. 242. Weismann, Untersuchung. 3 34 hätte aber nur dann einigen Halt, wenn wir wüssten, dass auch in Mexico zuweilen einzelne Individuen in der Weise abänderten, wie sie es in Paris gethan haben und wenn auf der andern Seite fest- gestellt wäre, dass die gesammte Pariser Colonie sich in eine neue Race oder Art umgewandelt hätte. Ersteres ist nie beobachtet wor- den, Letzteres war bis zu der Zeit, in welcher WAGNER diesen »Beweis« aufstellte, noch nicht erfolgt. Im Jahr 1867 hatten 16 Individuen die Abänderung erlitten, die andern (die Zahl ist nicht angegeben) waren unverändert geblieben. Durch neuere Mittheilungen von Dumerıt!) klärt sich die Sache noch mehr; wir erfahren, dass bis zum April 1870 nur 29 In- dividuen von einer sehr grossen Anzahl die » Amblystomen«- Form angenommen hatte und dass alle diese abgeänderten Indivi- duen sich bis dahin noch in keinem einzigen Fall weder gepaart noch fortgepflanzt haben! Die Untersuchung ergab dass sowohl Eier als Spermatozoiden bis jetzt nicht zur völligen Ent- wicklung in ihnen gelangt sind, und da normale Axolotl schon nach Ablauf des ersten Jahres fortpflanzungsfähig sind, so liegt die Ver- muthung nahe, dass die Amblystoma-Form steril ist und bleiben wird. Sonach kann von der Fixirung einer Pariser Race oder Art keine Rede sein und der obige Schluss erscheint vollkommen ge- rechtfertigt, dass nämlich ein und dieselbe Ursache mehrere Individuen verschiedner Generationen zur Abänderung veranlasst hat, dass aber von einer Uebertragung dieser Abänderung durch die Fortpflanzung von einer Generation auf die andere keine Rede sein kann. Damit hört denn jede Möglichkeit auf, den Fall in WAGNER- schem Sinne auszulegen. Dass es den Wacner’schen »Beweisen« an Schärfe und Stich- haltigkeit gebricht, glaube ich hinreichend gezeigt zu haben. Lei- der geht derselbe aber auch keineswegs vorsichtig zu Werke bel der Auswahl der Thatsachen, auf welche er seine weittragenden 1) Compt. rend. Tom. 70, 1870, p. 782. 35 Schlüsse gründet. So soll nach WAGNER (Schrift IT. S. 19) Papilio Alexanor »auf einen sehr kleinen Verbreitungsbezirk in Südfrank- reich!) beschränkt sein, während der ihm so ähnliche Papilio Po- dalirius, aus dem sich jener höchst wahrscheinlich durch lokale Züchtung entwickelt hat, ein sehr weites Verbreitungsgebiet durch ganz Europa von den Pyrenäen bis zum Kaukasus hat«. Letzteres ist richtig, der Segelfalter ist weithin in Europa verbreitet, allein Pap. Alexanor kommt nicht blos in einem kleinen Bezirk Süd- frankreichs vor, den WAGNER für isolirt hält, obgleich nichts dazu berechtigt, sondern er findet sich auch in Griechenland ?). Damit fällt denn die ganze Theorie von seiner Züchtung durch lokale Iso- lirung zusammen und, wenn es überhaupt gestattet ist, eine Hypo- these über die Abstammung dieser Art zu äussern, so spricht das sporadische Vorkommen von Pap. Alexanor auf zwei kleinen Flecken viel mehr dafür, dass wir hier eine im Erlöschen begriffene Art vor uns haben, denn als eine neu gebildete. Dies stimmt auch mit den Charakteren des Schmetterlings, die so ziemlich die Mitte halten zwischen denen des Segelfalters und des Schwalbenschwanzes - (Pap. Machaon), der beiden heute am häufigsten und am weitesten verbreiteten Papilioniden Europa’s. Es liegt daher weit mehr Grund vor, sich P. Alexanor als näheren oder ferneren Stammvater von P. Podalirius und P. Machaon zu denken, als umgekehrt, ihn von einem dieser Beiden abzuleiten. Ganz ebensowenig stichhaltig ist das früher von WAGNER an- gezogene Beispiel der Euprepia flavia, eines dem deutschen Bär (Euprepia caja) ähnlichen Spinners, der nach WAGNER ?) nur in einem 1) WAGNER gibt weder hier noch anderswo die Quellen an, aus welchen er seine Daten über geographische Verbreitung einer Art entnommen hat. Grade in diesem Kapitel aber, in welchem unsre Kenntnisse noch sehr lückenhaft und unsicher sind, dürfte von einer wissenschaftlichen Arbeit wohl genaue Quellen- angabe verlangt werden. 2) Siehe: »Katalog der Lepidopteren des Europäischen Faunengebiets. I. Macrolepidoptera v. STAUDINGER. Dresden 1871, und HERRICH - SCHÄFFER, Systematische Bearbeitung der Schmetterlinge von Europa. Bd 40. 3) Schrift I. S. 33 und 36. 36 Hochthal der Alpen (dem Oberengadin) vorkommt, und somit aus der dort isolirten Colonie eines verwandten Schmetterlings sich ge- bildet hat. Leider findet sich derselbe auch am Ural 1) und am Altai in Sibirien 2), gehört also wahrscheinlich zu den Arten, welche zur Eiszeit die Ebene bewohnten und durch Veränderung des Klima’s, in unsern Breiten wenigstens, in die Gebirge getrieben wurden 3). Ich glaube einerseits die Kraftlosigkeit der Argumente nach- gewiesen zu haben, welche WAGNER für seine Ansicht vorbringt, andrerseits aber gezeigt zu haben, dass der Gedanke, welcher die Grundlage seiner »Separationstheorie« bildet, ein irriger ist, der Gedanke, dass eine Umbildung der organischen Species ohne Isolirung nicht möglich sei. Ich bin somit am Schlusse meiner Polemik gegen WAGNER an- gelangt. Nur über die Form, in welcher Derselbe seine zweite Schrift gehalten hat, seien noch einige Worte gestattet. WAGNER hat meine früheren rein sachlich gehaltenen Einwürfe gegen seine Ansichten in gereizter, ja stellenweise geradezu belei- digender Weise beantwortet. Ich begreife vollkommen, dass es unangenehm ist, in der Ent- deckungsfreude eines neuen Naturgesetzes, wenn auch auf zarte Weise, gestört zu werden. Allein WAGNER eifert ja selbst gegen die schädliche »Herrschaft der Autorität« und sollte deshalb billiger- weise auch eine Kritik seiner »Isolirungstheorie« gestatten. Statt dessen leitet Herr WAGNER meine bescheidnen Einwände aus »Uebertreibung der Pietät für einen grossen bahnbrechenden Forscher« oder auch — er lässt mir die Wahl — aus » übertriebner 1) SPEYER, a. a. O. S. 387. 2) STAUDINGER, Katalog etc. S. 57. 3) Wenn WAGNER in einer Anmerkung bemerkt, dass Eupr. flavia ausser im Engadin nirgends »in Europa« vorkomme, so möchte man fast schliessen, dass er die asiatischen Wohnplätze dieser Art kenne. Um so schwerer lässt sich dann begreifen, warum die Art grade im Engadin entstanden sein soll. AP = — 37 Rechthaberei und Widerspruchslust aus Eigenliebe oder Miss- gunst« her. In der That eine beneidenswerthe Kraft der eignen Ueber- zeugung, die es sich nicht vorzustellen vermag, der Gegner könne auch aus Ueberzeugung andrer Meinung sein! Ich verzichte gern auf die weitere Anführung von Stellen, in denen WAGNER meine Person anstatt meine Ansichten zu treffen sucht. Es ist bis jetzt nicht Sitte gewesen, wissenschaftliche Ein- würfe als persönliche Beleidigungen aufzufassen und demgemäss zu beantworten; auch WAGNER scheint bis vor Kurzem diese Ansicht getheilt zu haben, denn am Schlusse der Vorrede zu seiner ersten Schrift spricht er folgende goldenen Worte, die ich nicht umhin kann, ihm hier ins Gedächtniss zurückzurufen. Er sagt daselbst: »Vielleicht wird es auch an manchen Bedenken und Einwürfen « (gegen die Migrationslehre) »nicht fehlen. Der Wissenschaft schaden dieselben nie, denn sie regen stets zu neuer Prüfung und oft zu fruchtbarer Controverse an. Auch dem Forscher!), den nicht die Befriedigung der Eigenliebe, sondern das ehrliche Streben nach einer möglichst richtigen Erkenntniss von den Ursachen der Dinge leitet, dürfen gegründete Bedenken gegen seine Ansicht niemals unwillkommen sein. « So finden wir WAGNER überall in Widersprüche verwickelt, auf wissenschaftlichem Gebiete, wie auf diesem mehr ästhetischen. 1) Soll doch wohl heissen: »Gerade einem solchen Forscher«, dem übrigens wohl allein der Name des Forschers zukommt! II. Untersuchungen über die Wirkungen der Isolirung. Wenn eine Art, wie wir mit Darwin anzunehmen gezwungen sind, stets nur an einem Orte entstehen kann, so wird sie bei dem steten Wachsen der Individuenzahl streben, sich von diesem Punkt aus nach allen Richtungen auszubreiten und sie wird sich überall da festsetzen, wo sie die erforderlichen Lebensbedingungen findet. Sie wird nicht selten dabei nach scheinbar für sie unerreich- baren Gebieten gelangen, indem einzelne befruchtete Weibchen, oder ein oder mehrere Paare, oder auch blosse Keime durch irgend welche zufällige Transportmittel über schwer passirbare Schranken hinweggeführt werden. Von der grösseren oder geringeren Breite und Schwerdurchdringlichkeit dieser Schranke wird es abhängen, ob mehr oder weniger Individuen nach der isolirten Station gelan- gen, ob dies ein Mal im Jahrtausend oder alljährlich mehrfach ge- schieht und je nachdem wird die sich dort bildende Colonie mehr oder weniger vollständig von den Artgenossen des Stammgebietes isolirt sein. Eine absolute Isolirung gibt es selten, ja wenn man die 'Thätigkeit des Menschen mit in Betracht zieht, niemals. Dieselbe ist meist nur relativ und zwar sind alle denkbaren Zwischenstufen von der möglichst vollständigsten bis zu der allerunvollständigsten in der Natur thatsächlich vorhanden. Es leuchtet aber ein, dass eine Untersuchung .über die Wir- kungen dieser Isolirung auf die ihr unterworfenen Organismen sieh 39 in denen die Isolirung zweifellos an solche Fälle zu halten hat, andernfalls würde sie und in möglichst absolutem Sinne vorliegt; Gefahr laufen, Wirkungen auf Rechnung der I ben, die Nichts mit ihr zu thun haben. Ohne mich deshalb hier schon nach eine zung des Begriffs der Isolirung umzusehen , Untersuchung nur solche zweifellose Fälle auswählen. die Wirkungen der Isolirung mit ihrer mit Vorsicht rückwärts zu olirung als Ursache zurück- solirung zu schrei- r schärferen Umgren- werde ich für die Erst dann, wenn es gelungen sein sollte, Hülfe festzustellen, wird es erlaubt sein, schliessen und gewisse Wirkungen auf Is auch wenn diese selbst minder klar vorliegt. Es wird zuführen , egriff der Isolirung schärfer zu dann auch vielleicht gelingen, den B fassen und die Machtsphäre derselben einigermassen abzugrenzen. Unter Isolirung verstehe ich vorläufig demnach nur solche Fälle, in welchen eine Individuengruppe SO gut wie vollständig von den übrigen Artgenossen getrennt lebt. Eine solche Isolirung wirkt offenbar ın doppeltem Sinne auf die ihr unterworfenen Organismen ; einmal verhindert sie die Kreuzung mit den Artgenossen des ursprünglichen Wohngebietes und dann versetzt sie den Einwanderer und seine Nachkommen in neue Verhältnisse, die oft in vielfacher Beziehung von den bisher gewohnten abweichen, immer aber in der einen, dass die einwandernde Art selbst auf dem neuen Wohnplatz noch fehlt. Es wird gut sein, diese beiden Faktoren getrennt von ein- ander auf ihre Wirkung zu untersuchen. Einfluss der Isolirung durch Verhinderung der Kreuzung. Es fragt sich zuerst, ob allein durch Verhinderung der Kreuzung mit den Artgenossen des übrigen Wohnge- bietes die Ansiedler auf einem isolirten Platze zum Abändern, also zur Bildung einer neuen Varietät oder Art genöthigt werden! 40 Sehr viele werden geneigt sein, hierauf mit »Nein« zu ant- worten; jedoch erscheint die Frage einfacher, als sie ist, denn sie schliesst eine zweite Frage ein, diejenige nämlich nach den Ur- sachen der Constanz einer Art. Die nächstliegende Vorstellung ist wohl die, dass die Constanz einer Art durch fortwährende Wechselkreuzung aller Individuen erhalten wird. Die diesem Satze zu Grunde liegende Anschauung mag richtig sein, dennoch kann er in der Form, in welcher er hier aufgestellt wurde, nicht vollkommen genau sein. Wäre er dies, so müsste Abänderung eintreten, sobald diese allgemeine Kreuzung, diese Vermischung Aller mit Allen aufhört, es müsste demnach jede isolirte Abtheilung einer Art ihre Charaktere mehr oder weni- ger verändert haben. Dies ist aber nicht der Fall. Die Frage nach den Mitteln, durch welche die Constanz er- halten wird, hängt aufs Genaueste mit der Frage zusammen nach den Mitteln, durch welche sie zuerst hervorgebracht wird. Darüber nun gibt uns die schon im ersten Abschnitte dieser Schrift benutzte Umwandlungsgeschichte jener kleinen Schnecke der Stein- heimer Süsswasserablagerungen den besten Aufschluss, und bei der geringen Hoffnung, die wir haben können, jemals den Bildungs- process der Arten direkt vor unsern Augen ablaufen zu sehen, lohnt es sich wohl, diesen denkbar besten Ersatz dafür genau ins Auge zu fassen. Es wurde oben schon erwähnt, dass die Ablagerungen, welche die neunzehn Arten von Planorbis multiformis enthalten, ungemein regelmässig und stetig entstanden sein müssen, so dass stets die höheren Schichten auch die später abgelagerten sind. Nun findet sich, wenn eine Art sich in eine neue Art umwandelt, stets zwi- schen der Schicht, welche die alte Art, und der Schicht, welche die Tochterart enthält, eine Schicht, welche angefüllt ist mit zahl- reichen Uebergangsformen zwischen beiden Arten. Da diese Zwischenschichten zwar von verschiedner Dicke sind bei den verschiednen Arten, aber doch stets so dick, dass Hun- derte von Generationen darin abgelagert sein müssen, so lässt sich eae -e F 41 allein schon aus diesen Thatsachen ein wichtiger Schluss ziehen, der Schluss, dass der Umwandlungsprocess der Arten allmälig vor sich geht, oder doch vor sich gehen kann, dass Hunderte von Generationen vergehen, ehe die alte Form sich vollständig in die neue umgewandelt hat, oder besser: ehe die neue Form vollständig ausgeprägt zur Alleinherrschaft gelangt. Allein der Befund gestattet ein noch tieferes Eindringen. In den Uebergangsschichten findet sich zu unterst noch die Stammart in zahlreichen Exemplaren, und die Varietäten, welche neben ihnen vorkommen, weichen noch sehr wenig von ihr ab. In dem Masse aber als wir höher in der Uebergangszone empor steigen, mindert sich die Zahl der Grundform und werden die Abweichungen der in stets grösserer Ueberzahl auftretenden Varietäten stärker ausge- prägt, bis schliesslich die Stammart ganz fehlt und die Charaktere der Varietät constant und auf ihr Maximum entwickelt die neue Art darstellen. Durch diese Thatsachen erfahren wir, dass der Process der Umbildung nicht nur im grossen Ganzen, sondern auch im Einzelnen ein langsamer und allmäliger ist, oder doch sein kann, dass also nicht etwa ein oder wenige Indi- viduen den Process dadurch einleiten , dass sie Nachkommen er- zeugen, welche schon die vollständigen Charaktere der neuen Art besitzen und der weitere Umwandlungsprocess dann darin bestände, dass diese plötzlich abgeänderten Nachkommen und ihre Descendenz im Laufe vieler Generationen die Stammart verdrängte. Offenbar ist auch dieser Modus theoretisch sehr wohl denkbar und wir haben sogar allen Grund zu vermuthen, dass auch er that- sächlich vorkommt. Hier aber, in unserm speciellen Fall, verhält sich die Sache anders. Die Charaktere der neuen Art treten nicht gleich in voller Ausbildung auf, sondern steigern sich ganz allmälig von Generation zu Generation. Es ist dies ein Umstand, dessen thatsächlicher Beleg mir von hohem Werth zu sein scheint. Die Darwın’sche Annahme, dass Artunterschiede 42 durch allmälige Häufung kleiner individueller Abweichungen ent- stehen können, findet darin eine Bestätigung. Auch diese Thatsache gibt uns indessen noch keinen voll- ständigen Einblick in die Mittel, durch welche schliesslich die Constanz der neuen Art erreicht wird. Wir sehen wohl, wie die alte Art an Individuenzahl fortwährend abnimmt, während die neue zunimmt und zugleich ihre Eigenthümlichkeiten immer schärfer ausprägt, aber auf welchem Wege diese Ausprägung der specifischen Merkmale zu Stande kommt, das lehrt uns erst die Betrachtung solcher Fälle, in welchen nicht blos ein auffallendes Merkmal der Schale sich verändert, sondern deren mehrere. Wir sehen dann, dass nicht etwa ein innerer Entwicklungstrieb die abändernden Individuen zwingt, in ganz bestimmter und alle in der gleichen Richtung abzuändern, sondern dass die verschiednen neuen Charaktere getrennt angestrebt werden, ein jeder einzelne von einer besondern Individuenreihe, um dann erst sekundär im Laufe der Generationen alle zusammen auf dasselbe Individuum übertragen zu werden. Sehr belehrend in dieser Beziehung ist der Uebergang von Planorbis multiformis trochiformis zu oxystomus. Wie HILGENDORF selbst hervorhebt, »vollzieht sich hier eine Umbildung, bei der drei Eigenschaften zugleich geändert werden«, nämlich die Spira des thurmförmigen ¢rochiformis drückt sich nieder, die Um- gänge runden sich ab und es bildet sich ein Mundsaum. Nun finden sich in der Uebergangsschicht » Exemplare mit einer noch gut ent- wickelten Spira, aber mit schon ganz gerundeten Umgängen, andre schon ganz scheibenförmig, aber noch sehr deutlich kantig u. s. w. kurz, alle möglichen Zusammenstellungen scheinen vorzukommen«. Das Variiren des Zrochiformis findet also nicht in der Art statt, dass an allen abändernden Individuen gleichmässig alle drei Merkmale abänderten, sondern bei dem Einen variirt nur die Höhe der Spira, bei dem Andern nur die Gestalt der Umgänge, bei dem Dritten vielleicht bildet sich nur ein Mundsaum aus, keine von den drer Á a ċ 2 aaa sai S. 43 Veränderungen aber scheint im Stande gewesen zu sein, selbst- stindig eine gesonderte Art zu bilden, sondern die drei Variationen kombinirten sich zu der Einen neuen Art, dem oxystomus. Hier wurde also durch Vermengung dreier Varietäten die neue Form erzeugt. Eine so vollständige Verschmelzung der drei Charaktere konnte nur durch fortgesetzte Kreuzung aller Individuen unter einander zu Stande kommen. Die oben aufgeworfene Frage: auf welchem Wege wird die Constanz, also die völlig scharfe Aus- prägung der neuen Art erreicht, wird deshalb einfach die Antwort erhalten: durch Wechselkreuzung aller Indi- viduen. Es gilt dies offenbar nicht blos für solche prägnante Fälle, wie die Umwandlung des Planorbis m. oxystomus. Hier fällt es nur besonders ins Auge, dass die Constanzform nichts Anderes ist, als die Resultante aus den verschiednen Variationsformen. Es muss dies aber immer der Fall sein, denn auch da, wo es sich um die Erwerbung nur eines einzigen neuen Charakters handelte, würde doch dieser eine Charakter in sehr verschiednen Graden bei den verschiednen Individuen einer Generation entwickelt sein und seine Constanz würde auch nur auf dem Wege der Kreuzung erworben werden können. Somit darf der folgende Satz als erwiesen angesehen werden: Die Constanz einer Art tritt nicht plötzlich, sondern allmälig ein, und entsteht durch Wechselkreuzung aller Individuen. Es liegt nahe, aus diesem Satze weiter zu folgern, dass die Constanz, wenn sie einmal erreicht ist, aufhören müsse, sobald die Ursache, welche sie hervorgerufen , aufhöre, nämlich die Wechsel- kreuzung aller Individuen. Daraus würde dann weiter folgen, dass dielsolirung eines Theils irgend welcher Art nothwendig und lediglich durch die reine Wirkung der Isolirung Variabilität hervorrufen und die Umbildung in eine neue Art ein- leiten müsse. 44 Wenn in dieser Richtung gar keine Thatsachen vorlägen , so würde es sehr schwierig, oder ganz unmöglich sein auf rein theo- retischem Wege über Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Folge- rungen zu entscheiden. Theoretisch würde sich die Ansicht sehr wohl vertreten lassen, dass lokale Isolirung, wenn sie nur lange genug andauert, durch die Verhinderung einer allgemeinen Wechselkreuzung nothwendig die Artcharaktere der isolirten Individuengruppe einigermassen um- wandeln müsse. Die Vertreter dieser Ansicht würden vielleicht folgendermassen schliessen. ; Gesetzt die Constanz einer Art bedeute soviel wie absolute Gleichheit aller Individuen, so würde — natürlich unter Voraus- setzung eines vollständigen Gleichbleibens der äussern Lebensbe- dingungen — eine isolirte Colonie dieser Art allerdings nicht ab- ändern können. Es würde dabei ganz gleichgültig sein, ob diese Colonie von einem einzigen oder von vielen Auswanderern gegründet worden sei. Soweit wir wenigstens bis jetzt über Erb- lichkeit urtheilen können, würden in diesem Fall ,» wo Aeltern und Vorältern in einer langen Reihe von Generationen einander absolut glichen, auch die Nachkommen eines jeden Aelternpaares sich und den Aeltern vollständig gleichen müssen. In Wirklichkeit aber ist die sog. Constanz einer Art durchaus nichts Absolutes , sondern etwas sehr Relatives; auch eine noch so scharf ausgeprägte Con- stanz lässt doch immer noch Spielraum für das Auftreten indivi- dueller Verschiedenheiten. Wenn aber kein Individuum dem andern vollständig gleicht, und individuelle Verschiedenheiten ver- erbt werden, so muss eine jede von wenigen Individuen gegründete und isolirte Colonie die individuellen Eigenheiten ihrer Gründer in grösserer Ausdehnung, d. h. bei einem grösseren Bruchtheil der Bevölkerung aufweisen, als diese Eigenheiten auf dem ursprüng- lichen Stammgebiet sich vorfinden, ja die stete Inzucht muss sogar schliesslich zu einer Steigerung dieser Eigenheiten, d. h. zur, Entwicklung neuer Artcharaktere führen, etwa so, wie 45 menschliche Familien, wenn sie eine Reihe von Generationen hin- durch vor Kreuzung mit andern Familien geschützt wurden, einen ganz specifischen Habitus annehmen. Diese theoretischen Betrachtungen scheinen vollkommen richtig und trotzdem müssen sie einen Fehler enthalten, denn die That- sachen lehren uns, dass auch sehr lange andauernde Isolirung einer Colonie keineswegs immer zu Abänderungen führt, seien dieselben auch noch so unbedeutend. Die oben angeführten, kosmopolitischen Schmetterlinge beweisen dies schon, und ausserdem eine Menge andrer, sogleich mitzutheilender Fälle. Der Fehler scheint mir einmal darin zu liegen, dass Colonien nur sehr selten von einzelnen Individuen oder Paaren abstammen werden; meistens wird eine grössere Individuenzahl sich an der Grün- dung derselben betheiligt haben, oft sogar eine überaus grosse und dies zwar dann, wenn die Isolirung des Gebietes erst sekundär durch geologische oder klimatische Veränderungen (Hebung und Senkung des Landes, Eiszeit) hervorgerufen wurde. In Colonien aber, welche durch eine grössere Individuenanzahl gegründet wurden, sind von vorn herein so vielartige individuelle Eigenheiten vertreten, dass lediglich durch Inzucht innerhalb der Colonie keine derselben einen überwiegenden Einfluss gewinnen und zu höherer Entwicklung ge- langen kann. Von solchen Einflüssen aber, welche individuelle Merkmale durch Auslese zu steigern vermögen (Process der natür- lichen Züchtung), muss hier vollständig abgesehen werden, da vollständige Gleichheit alleräussern Lebensbedingun- gen auf dem primären und sekundären Wohngebiet vorausgesetzt wurde. Der grössere und entscheidende Fehler liegt aber offenbar in einer Ueberschätzung der individuellen Unterschiede. Beim Men- schen, dem civilisirten wenigstens, fallen dieselben uns leicht ins Auge, aber schon bei unsern Haussäugethieren gehört eine ganz besondere Uebung dazu, einzelne Individuen aus der Heerde z. B. von Schafen herauszuerkennen und bei niedern Thieren entziehen sich die gewöhnlichen, individuellen Unterschiede constanter Arten 46 fast vollständig unsrer unmittelbaren Wahrnehmung und wir können sie nur mit Mühe durch besonders auf sie gerichtete Untersuchungen konstatiren. 2 ; Wenn wir aber nicht einmal im Stande sind, die Componen- ten von einander mit Bestimmtheit zu unterscheiden, wie sollten wir vermögen, die zwischen ihnen in der Mitte liegende Resultanten als verschieden zu erkennen? Daraus begreift sich leicht, dass, wenn selbst die eine Colonie einer Art eine etwas andere Mischung individueller Eigenheiten besässe, als die andere, wir dieselbe in vielen Fällen nicht wahrnehmen würden und demnach auch nicht von einer Abänderung reden könnten. Gewöhnlich wird dies aber nicht einmal der Fall sein, da die betreffende Colonie von der Zeit ihrer Gründung her schon eine so grosse Menge individueller Cha- raktere in sich enthielt, dass sie bei fortschreitender Vermehrung der Individuen sehr bald die gleiche Mannichfaltigkeit persönlicher Unterschiede aufweisen wird, wie die Stammcolonie. Die Thatsachen nun, welche lehren, dass Isolirung nicht nothwendig zur Abänderung führt, dass vielmehr die einmal erreichte Constanz sehr lange Zeiträume hindurch beibehalten wird, auch wenn die Individuen in isolirten Gruppen getrennt leben, also von einer Kreuzung Aller mit Allen nicht mehr die Rede sein kann, sind neben vielen andern etwa folgende. Von den oben bereits berührten kosmopolitischen Schmet- terlingen!) sehe ich hier ab und erinnere zuerst an jene zahl- reichen Fälle, in welchen Land- oder Süsswasserbewohner mit langsamer oder beschränkter Ortsbewegung auf sporadischen Wohnsitzen über ein weites Gebiet verbreitet sind. Viele Land- 1) Ich erwähne nur, dass ich ausser Vanessa Cardui noch Van. Antiope und Van. Atalanta, sowie Colias Hyale in mexicanischen und europäischen Exemplaren mit einander verglichen und nicht den geringsten constanten Unter- schied in der Zeichnung aufgefunden habe. Auch die Färbung war bei V. Cardui und Atalanta, sowie ne Colias Hyale dieselbe, wich dagegen bei V. Antiope auf der Unterseite etwas ins Bräunliche ab. Da indessen geringe Unterschiede in der Totalfärbung höchst wahrscheinlich direkte Folgen anderer Ernährung sind, so kommen sie hier nicht in Betracht. 47 und Süsswasserschnecken sind in diesem Falle und nicht minder viele der Süsswasser - Crustaceen. Wenn ich unter den Letzteren als speciell auszuführendes Bei- spiel einen Phyllopoden herausgreife, so bestimmt mich dazu nur die leichtere Nachweisbarkeit isolirter Wohnplätze. Von der Gattung Apus ist die Art Apus cancriformis über einen grossen Theil von Europa verbreitet. Das Thier bewohnt seichte Pfützen, Tümpel und Wassergraben, welche im Sommer vollständig austrocknen, immer ohne regelmässigen und sehr häufig ohne jeden Abfluss sind. Eine jede Apus- Colonie befindet sich deshalb in fast absoluter Isolirtheit und dies um so mehr, als die nächsten Nachbarcolonien oft sehr weit entfernt sind und als es kein denkbares Mittel gibt, durch welches die im Schlamm nieder- fallenden und später eintrocknenden Eier in irgend welcher Häufig- keit nach andern Stellen transportirt werden könnten 1). Die Ausbreitung der Art ist wohl auf eine Zeit zurückzuführen, in welcher das Tiefland von Europa noch auf weite Strecken hin von zusammenhängenden Sümpfen bedeckt und eine aktive Wan- derung des lebenden Thiers noch möglich war. Dass die indirekte Ausbreitung dieser Art durch zufällige Verschleppung der im Schlamm eingetrockneten Eier nur äusserst selten vorkommt, geht offenbar schon aus dem Umstand hervor, dass Apus an zahlreichen Orten mitten in seinem Verbreitungsgebiet fehlt, an denen die gün- stigsten Bedingungen für seine Existenz vorhanden wären, wäh- rend er die einmal besetzten Wohnplätze mit grösster Zähigkeit festhält. Dieser Apus kommt nun in ganz Deutschland, wie in Frank- reich vor, an der deutschen Ostseeküste bei Königsberg und Dan- zig, wie bei Berlin, Frankfurt am Main, Strassburg und an vielen 1) Als dies niedergeschrieben wurde, war das Eintrocknen der Eier von Apus im Schlamm noch Hypothese. Sie ist inzwischen durch die schönen Unter- suchungen v. SIEBOLD’s über den Apus zur Gewissheit geworden. Siehe: v. SIE- BOLD »Beiträge zur Parthenogenesis der Arthropoden«. Leipzig 1871. 48 andern, vereinzelten und meist auch ganz kleinen Fundorten. Man kann wohl behaupten, dass eine Kreuzung von Individuen zweier solcher Colonien, z. B. der Frankfurter und der Strassburger Apo- den nicht vorkommen kann, und dass diese Thiere seit Jahrhun- derten dieselben Tümpel und Gräben oder doch wenigstens das gleiche, eng umgrenzte Territorium bewohnen, und doch haben sie sich nicht in.eine Anzahl nahverwandter Arten oder in Varietäten gespalten. Dass dieselben seit mehr als einigen Jahrtausenden existiren, beweist ihr Vorhandensein in England, während ihre Ver- tretung durch den Apus longicaudatus Le Conte und den Apus ob- tusus James in Nord- Amerika die Entstehung dieser Apus- Arten in die Zeit verlegen lassen, in welcher keine Landverbindung mehr zwischen Amerika und Europa bestand, in welcher die hypothetische Atlantis bereits untergesunken war. Einen weiteren Beleg für meine Ansicht finde ich in der That- sache, dass Wohngebiete, welche nicht nur für einzelne Arten, sondern für ganze Gruppen von Arten, z. B. für sämmtliche Land- bewohner als isolirt zu betrachten sind, sehr häufig einzelne abge- änderte, also für sie endemische Arten enthalten, während viele andere völlig unverändert geblieben sind. Ich wähle als Beleg die für die Wahrnehmung jeder kleinsten Veränderung so überaus günstige Gruppe der Schmetterlinge. Dass die Insel Sardinien in Gemeinschaft mit dem benach- barten Corsica für Tagschmetterlinge als isolirte Station gelten darf, geht aus der Thatsache hervor, dass diese Inselgruppe nicht weniger als neun nur ihr eigenthümliche Varietäten oder Arten von Tag- schmetterlingen besitzt, von welchen keine sich nach dem Festland von Italien hin verbreitet hat. Unter diesen befindet sich auch die Vanessa ichnusa, welche sich von der über ganz Europa verbrei- teten, das Tiefland, wie die Alpen bewohnenden Vanessa urticae hauptsächlich durch die Abwesenheit zweier schwarzen Flecke auf den Vorderflügeln unterscheidet. Sie kann demnach nur von dieser V. urticae oder von einem beiden Arten gemeinsamen und sehr 49 nahe stehenden Stammvater sich abgezweigt haben. Ein entfern- terer, aber doch immerhin noch sehr naher Verwandter der V. ur- ticae ist die V. polychloros und diese findet sich ebenfalls auf Corsica- Sardinien vor und zwar vollkommen unverän dert). y. polychloros besitzt bekanntlich eine der V. urticae sehr ähnliche Zeichnung, unter Anderm auch die zwei schwarzen Flecken auf den Vorderfliigeln, welche bei der sardischen Abart fehlen 2) ! Ein ganz ähnlicher Fall ist der von zwei Arten der Gattung Pieris, von denen die eine, P. Tagis Hb., sich in eine sardische Lokalform- umgewandelt hat (var. Insularis Stgr.), während die andere (P. Daplidice L.) völlig unverändert auf beiden Inseln vor- kommt. Solchen Beispielen lässt sich indessen einwerfen, dass der Beweis einer gleichzeitigen Einwanderung der beiden Arten fehle, dass das Nichtabändern vieler Arten seinen Grund darin haben könne, dass dieselben viel später auf die isolirte Station ge- langt seien, somit die nöthige Zeit gemangelt habe, um eine Ab- änderung hervorzurufen. Es liesse sich darauf antworten, dass gegen eine ganz kürz- liche Einwanderung die grosse Häufigkeit sowohl der V. Poly- chloros als der Pieris Daplidice auf der Insel spreche, dass man somit erwarten dürfte, wenigstens die ersten Anfänge einer Ab- änderung zu bemerken, falls überhaupt Amizie:) (Kreuzungsver- hinderung durch Isolirung) nothwendig zum Abändern führe, dass aber von solchen Anfängen durchaus Nichts wahrzunehmen sei. 1) An zwanzig, aus Sardinien mitgebrachten Exemplaren vermochte ich keine, noch so geringe Verschiedenheit in der Zeichnung von Freiburger Exem- plaren aufzufinden. 2) Diese Flecken charakterisiren mit eine ganze Gruppe von Arten der Gattung Vanessa, und V} ichnusa ist die einzige Art dieser Gruppe, welcher sie mangeln. 3) Amixie = Nichtvermischung, Nichtkreuzung werde ich von nun an in dem oben angedeuteten speciellen Sinn der » Kreuzungsverhinderung durch Iso- lirung« gebrauchen, da die deutsche Umschreibung zu schleppend , das Wort » Isolirung « allein aber zweideutig ist. Weismann, Untersuchung. 50 Der Beweis freilich einer gleichzeitigen Einwanderung von beiderlei Arten lässt sich in diesen Fällen nicht beibringen. Um ihn zu führen, und damit alle jene Einwürfe abzuschnei- den, welche behaupten, dass in den Fällen von Nichtabänderung die Zeit der Isolirung eine zu kurze gewesen sei, wende ich mich an jene Schmetterlinge, welche zugleich die höchsten Alpen und die Polargegenden bewohnen. Nach der Darwın’schen Hypothese, an deren Stelle bisher noch Niemand eine bessere zu setzen gewusst hat, muss die Tren- nung solcher Arten bis zur Eiszeit zurückyerlegt werden. Seit jener Zeit also waren die alpinen und polaren Colonien dieser Arten vollständig von einander getrennt und dennoch haben viele von ihnen nicht abgeändert; so sind sich z. B. Lycaena Donzeli und Lycaena Pheretes auf beiden Gebieten so genau gleich geblieben, dass sie den so äusserst gewissenhaft unterscheidenden Entomologen keinen Anlass zur Aufstellung einer polaren oder alpinen Varietät ge- geben haben. Ebenso Argynnis Pales S. V. und Erebia Manto S. V.'). Bei andern Arten aber unterscheidet man Lokalvarietäten und mit vollem Recht, denn die Individuen zeigen gewisse constante, wenn auch nicht bedeutende Unterschiede in Färbung und Zeich- nung, je nachdem sie der Polar- oder der Alpencolonie angehören. Somit haben also Arten, welche genau dieselben Zeiträume hin- durch der Isolirung ausgesetzt waren, theils abgeändert, theils auch nicht, gewiss ein schlagender Beweis dafür, dass Verhinderung der allgemeinen Kreuzung durch Isolirung (Amizie) nicht nothwendig schon Abänderung mit sich bringt. Somit steht es wohl fest, dass die Constanz einer Art, wenn sie einmal erreicht ist, nicht wieder aufhört, mag die Ge- sammtmasse der Individuen ein zusammenhängendes Gebiet bewoh- nen, oder einem Archipelagus vergleichbare, sporadische Wohnsitze haben, oder auf zwei.oder mehrere, vollständig von einander ge- trennte Wohnsitze getheilt sein. Das zu Grunde liegende Gesetz | 1) Siehe: STAUDINGER, Reise nach Finmarken, Stett entom. Zeit. Bd. 22, S. 339 51 darf man vielleicht so formuliren: Die einmal erreichte Con- stanz wird so lange beibehalten, bis eine Ursache ein- tritt, die zur Abänderung zwingt. Es ist gewissermassen das »Gesetz der Trägheit« auf die organische Welt angewandt; die einmal begonnene Bewegung (in der Constanzrichtung) dauert so lange fort, bis ein Moment eintritt, welches sie ablenkt, um- wandelt oder ganz sistirt. Ein solches Moment ist aber nicht die lokale Isolirung. Die Constanz wird zwar erlangt durch Wechsel- kreuzung aller Individuen, für ihre Erhaltung aber genügt auch die Wechselkreuzung vieler Individuen, wie sie auf isolirten Ge- bieten beisammen wohnen. So muss denn die oben aufgeworfene Frage, ob allein durch Verhinderung der Kreuzung mit den Artgenossen des übrigen Wohn- gebiets die Bewohner eines isolirten Platzes zum Abändern gezwun- gen werden, negativ beantwortet werden. Isolirung muss nicht nothwendig Abänderung veranlassen;.es bleibt aber die Möglich- keit zu untersuchen, ob sie es nicht könne, wenn auch nur unter ganz bestimmten Verhältnissen. Bisher wurde immer die Constanz der wandernden und spä- ter isolirten Art vorausgesetzt, offenbar kann aber auch eine vari- able Art sich ausbreiten und auf isolirte Gebiete gelangen und es muss dies sogar häufig geschehen, da — wie die Steinheimer _ Planorbis- Arten es zeigen — eine jede Art viele Generationen hin- durch variabel war, ehe sie zur Constanz gelangte, da mit andern Worten der Periode der Constanz eine solche der Varia- bilität vorhergeht. Wenn diese Letztere auch meist eine viel kürzere Dauer be- sitzt, als Erstere t), so erstreckt sie sich doch immerhin über Hun- derte von Generationen. Wie würde sich die Sache gestal- ten, wenn eine in der Periode der Variabilität befind- 1) Nach den Angaben HILGENDORF'S besitzen die Zwischenschichten, welche die Uebergangsformen enthalten, fast immer eine geringere häufig eine sehr viel geringere Dicke als diejenigen Schichten, welche die constant ge- wordnen Formen einschliessen. A. a. O. 4* 52 liche Art!) Colonisten nach einem isolirten Gebiet ab- sendete? Es lässt sich unschwer nachweisen, dass in diesem Falle das isolirte Gebiet, auch wenn dasselbe, wie vorausgesetzt wurde, durchaus keine veränderten Lebensbedingungen enthält, doch eine Art hervorbringen wird, welche in einigen Charakteren von der des a ubrigen Verbreitungsgebietes abweicht. | Auf beiden Gebieten wird die Constanz daga werden, beide Individuengruppen, die des Stammgebietes und die der iso- lirten Station werden durch fortgesetzte Wechselkreuzung unter sich allmälig die Constanz erreichen. Nun wurde aber gezeigt, dass die constante Form die Resultante aus alle den zahlreichen Formen der Variabilitätsperiode ist. Sind die Componenten gleich, so muss auch die Resultante dieselbe sein; dies findet statt, wenn die Einwan- derung in der Constanzperiode erfolgt. Geschieht sie dagegen in der Variationsperiode, so ist es im höchsten Grad unwahrscheinlich, dass die Componenten jemals gleich sein werden. Ge- setzt, die variable Art weise drei Hauptabweichungen auf, a, b und c, so wird das Endresultat der Kreuzung dieser drei Varietäten davon abhängen, in welchem Zahlenverhältniss sie vorhanden sind; verhalten sie sich z. B. wie 1:10:100, so wird die aus ihnen hervorwachsende constante Form viel näher an der häufigsten Va- rietät c stehen, als an der seltenen a. Nun wird es zwar selten vorkommen, dass auf einer iso- lirten Station nur die eine oder nur zwei von den drei Variationen } auftreten, weil erfahrungsgemäss ein Individuum nicht nur seine 1) Anstatt einfach von constanten und variabeln Arten ziehe ich es vor, von Arten zu reden, »welche sich in der Constanz- oder Variationsperiode be- finden«, nicht etwa deshalb, weil ich die beiden en nicht für gleichbedeutend hielte, ne weil wir allzusehr gewohnt sind, in der Constanz oder Variabilität einer ‘Ave bleibende, eingeborne Charaktere FR Art zu sehen, während die andre Ausdrucksw eise ative Charaktere als vorübergehende Zustände sofort kennzeichnet. elche Ursachen den Eintritt dieser Perioden herbeiführen kann hier ganz aus dem Spiel bleiben; ich halte mich einfach an die Thatsache, dass sie eintreten ee 53 eignen Charaktere auf die Nachkommen vererbt, sondern auch die seiner Vorfahren, aber es wird fast mit Nothwendigkeit das Ver- hältniss, in welchem die drei Varietäten auf der isolirten Station auftreten, ein anderes sein müssen, als auf dem ursprünglichen Gebiet. Nehmen wir z. B. an, ein weibliches Individuum der Varie- tät a, befruchtet von einem männlichen der Varietät b sei die einzige Gründerin der Colonie, so werden zwar unter ihren direkten oder indirekten Nachkommen sich gewiss auch solche der Varietät c finden, allein sicherlich nicht in derselben überwiegenden Majorität, wie auf dem Stammesgebiet; die drei Varietäten würden sich nach voll- ständiger Ausbreitung über das neue Gebiet vielleicht verhalten wie 100 :10:1 und Niemand wird zweifeln, dass alsdann das schliess- liche Resultat der Kreuzung, die constante Form, ein etwas anderes sein muss, als auf dem Stammesgebiet; es wird der Form a näher stehen als der Form c. Mag aber die Ansiedelung von einem oder von vielen Auswanderern ihren Anfang nehmen, mögen darin nur einige oder auch alle im Stammesgebiet vorkommende Variationen enthalten sein, immer wird das Verhältniss, in welchem die Variationen zu ein- ander stehen, ein anderes sein als auf dem ursprünglichen Wohn- gebiet, und es müsste gradezu ein Wunder genannt werden, wenn je die beiden Gebiete im Zahlenverhältniss ihrer Bewohner vollstän- dig mit einander übereinstimmen sollten. Ist das aber nicht der Fall, so muss nothwendig auch das Endresultat der Kreuzung, die constante Form, auf beiden Gebieten eine verschiedne sein. Die Grösse der Verschiedenheit beider Constanzformen wird einmal von der Grösse des Unterschieds zwischen den primären Variationen und dann von dem numerischen Verhältniss dieser Va- riationen abhängen, sie wird in jedem Falle nicht grösser sein kön- nen, als der Unterschied zwischen den beiden am weitesten von einander abweichenden Variationen ‚ also in den meisten Fäl- len, absolut genommen, eine geringe sein müssen, 54 Ta Es können demnach allerdings neue Varietäten oder Arten nur in Folge der Isolirung selbst oder — was dasselbe sagt — lediglich durch Amizie oder Verhinde- rung der Kreuzung mit den Artgenossen des Stamm- gebietes entstehen, aber nur dann, wenn die Einwan- derung auf das isolirte Gebiet in eine Variationsperiode der Art fallt. Ich glaube, dass auf diese Weise eine ganze Klasse von Lokal- varietäten und sog. vikarirenden Arten entstanden ist und zwar die Mehrzahl aller derer, bei welchen der Unterschied von der Stammform ein rein morphologischer ist. Nur indifferente Charaktere können durch Amizie in der Va- riationsperiode abgeändert werden; sobald ein Charakter von Nutzen für die Art ist, bemächtigt sich seiner die natürliche Züchtung, und diesem weit stärkeren Faktor gegenüber treten die schwachen Wir- kungen der Amizxie vollständig zurück. Natürliche Züchtung ist im Stande, nützliche Charaktere hervorzuziehen und zur Herrschaft zu bringen, auch wenn sie anfänglich nur bei wenigen unter Millio- nen von Individuen vorhanden waren, wie weiter unten zu zeigen versucht werden soll; es ist gewissermassen gleichgültig für natür- liche Züchtung, in welchem Zahlenverhältniss die verschiednen Va- riationen der Art sich vorfinden. Damit aber ist jede Wirkung der Amizxie vernichtet, da dieselbe grade auf der Verschiedenheit dieses Zahlenverhiltnisses an verschiednen Wohnplätzen beruht. Wenn ich nun versuchen will, eine Reihe von Fällen anzu- führen, in denen mir Abänderungen durch Amizie in der Variations- periode entstanden zu sein scheinen, so muss ich etwas weiter aus- holen, da zuerst festgestellt werden muss, dass die abgeänderten Charaktere, um die es sich in ihnen handelt, nur eine rein mor- phologische Bedeutung haben. Obgleich Niemand bezweifeln wird, dass es rein morpholo- gische Charaktere gibt, so ist es doch im einzelnen Fall sehr schwer, sie als solche nachzuweisen. Ich wähle deshalb eine Thiergruppe aus, bei der dieser Nachweis mit grösserer Sicherheit geführt werden 55 t kann, als sonst, und welche zugleich sehr prägnante Beispiele für die angedeutete Wirkung der Isolirung darbietet : die Gruppe der Tagschmetterlinge. Ich beginne mit einer Analyse der Schmetterlingsflügel, mit dem Versuch, die rein morphologischen Charaktere in Zeichnung und Färbung derselben von jenen zu son- dern, welche einen Werth für das Leben der Art besitzen. Mit wenigen Ausnahmen finden wir bei den Tagschmetterlingen die Ober- und Unterseite der Flügel verschieden gefärbt und gezeich- net, oft so gänzlich verschieden, nach einem so ganz andern System, dass es sogleich einleuchtet, es muss die Färbung beider Flä- chen verschiednen Ursachen ihren Ursprung verdanken. Es ist nicht schwer zu bemerken, was bereits von WALLACE und Darwin und andern Forschern hervorgehoben wurde, dass die Unterseite häufig der gewöhnlichen Umgebung des ruhenden Schmet- terlings angepasst ist. Bekanntlich sitzen diese: Thiere mit zu- sammengeklappten Flügeln, so dass nur die Unterseite der Flügel sichtbar ist. Schon die blosse Uebereinstimmung dieser Seite im Farbenton mit dem der Umgebung muss den Schmetterling einiger- massen verstecken, wie dies leicht durch zahlreiche Beispiele er- läutert werden könnte und von WArriAck!) bereits erläutert worden ist. Aber nicht selten geht die Aehnlichkeit mit der Umgebung in wunderbarer Weise bis ins Einzelste. WarLack hat dafür einen besonders interessanten Fall an einem tropischen Tagfalter, der Kallima Inachis angeführt, der im Sitzen vollständig den welken "Blättern gleicht, unter welchen er sich niederlässt. Man braucht aber gar nicht in die Tropen zu wandern, unsere Waldschmetter- linge Satyrus Proserpina und Hermione zeigen eine fast eben so vollständige Anpassung an ihre Umgebung. Ich erinnere mich aus meiner Knabenzeit sehr wohl, wie ich oft den Flug eines dieser Falter mit den Augen verfolgte, bis er sich auf seinem gewöhn- lichen Ruheplatz, einem dicken Buchenstamm niederliess. Obgleich 1) Beiträge zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl, deutsche Ausgabe von BERNHARD MEYER. Erlangen 1870. 56 ich den Blick nicht verwandte von dem Punkt, wo er den Stamm berührt hatte, so war das Ẹ oft flog es auf, ehe ich im Stande war, es wahrzunehmen. Die Unterseite dieser Falter gleicht so genau der von gelben, braunen und weissen Flechten scheckig überzogenen Rinde der Buchen, dass der auf ihr ruhende, die Flügel zugleich möglichst niederdrückende Schmetterling fast vollständig unsichtbar ist. Dass eine so vollkommene Anpassung an die Umgebung dem Schmetterling von Nutzen sein muss, liegt auf der Hand, und dies einmal zugegeben, möchte sich schwerlich etwas einwenden lassen, wenn WALLACE und Darwin solche angepasste Färbungen durch die Thätigkeit der natürlichen Züchtung entstanden sich denken. Wenn somit mit grosser Sicherheit behauptet werden darf, dass die Färbung und Zeichnung der Unterseite der Falterflügel zum Theil wenigstens von äusseren Umständen abhängig ist und durch sie bestimmt wird, so verhält es sich bei der Oberseite ganz anders. Die Oberseite zeigt das Thier zumeist nur im Flug, ge- legentlich auch, wenn es auf Blüthen sitzend saugt, stets aber nur in wachem Zustand, wenn seine Sinne die nahende Gefahr an- melden und schnelle Flucht möglich machen. Ich habe Tagschmet- terlinge in einem mit Gaze überzogenen Zwinger gehalten und war oft überrascht davon, wie viele, besonders von gewissen Arten bei Nacht von Spinnen und anderen Raubthieren gefressen wurden, während ich nie bemerkte, dass dies im hellen Sonnenschein ge- schehen wäre. Die Tagschmetterlinge sind aber nicht nur am Tage sehr auf ihrer Hut, sondern sie sind auch am Tage weniger An- griffen ausgesetzt. Dass Vögel sich mit dem Fange der Schmetter- linge im Fluge abgeben, geschieht in unsern Breiten gewiss nur ausnahmsweise, und auch Libellen werden nur Wenigen gefährlich werden. Wenn aber auch zahlreichere Feinde die Tagfalter im Flug bedrohten, so würde doch keinerlei Färbung ihrer Flügel ihnen Schutz gewähren können, da die dunkelste wie die hellste Farbe gleichmässig vom blauen Himmel oder den wechselnden Farben der hier doch wie verschwunden und gar 57 Erde absticht und die Flugbewegung allein genügt, um den Schmet- terling nach allen Seiten hin sichtbar. zu machen. Somit können schützende Färbungen der nur beim Flug sichtbaren Oberseite nicht erwartet werden und noch viel weniger ganz ins Specielle gehende Anpassungen in der Zeichnung. Wenn nun trotzdem Beides vorkommt, so bedarf dies den Nachweis besonderer Verhältnisse und Ursachen, der denn auch unschwer geleistet werden kann. Allgemeineschützende Färbung der Oberseite findet sich nicht selten bei den Weibchen der Tagschmetterlinge, so z. B. in der Gruppe der Bläulinge (Lycaenidae). Die Weibchen sind hier häufig braun, während die Männchen meist blaue Färbung ihrer Oberseite besitzen. Es ist keine Frage, dass die Farbe Erstere weni- ger bemerklich macht, und da sie weit geringer an Zahl sind als die Männchen, dagegen aber länger leben müssen als diese, sollen sie nach der Begattung noch ihre Eier ablegen und. so ihre Art erhalten, so begreift es sich sehr wohl, dass sie den Männchen gegenüber vor Feinden besser geschiitzt-wurden. Es ist nur schein- bar ein Widerspruch, wenn ich hier die braune Färbung der Weib- chen als eine schützende in Anspruch nehme, während ich vorher zu zeigen mich bemühte, dass es für Schmetterlinge im Flug keine schützenden Färbungen geben kann. Während des Fluges schützt sie die braune Färbung in der That nicht, aber sie haben die eigenthümliche Gewohnheit — wie ich in meinem Schmetterlingszwinger beobachtete — meist mit halb oder ganz geöffneten Flügeln zu sitzen. In dieser Stellung werden die Eier zwischen die Einzelkelche von Kleeblumen oder andern schmetterlingsblüthigen Pflanzen abgelegt, und zwar nicht rasch hinter einander, wie dies andere Falter thun (z. B. Vanessa- Arten) , sondern langsam und einzeln. Zehn Minuten lang sah ich öfters den Schmetterling auf ein und derselben Blume sitzen, um endlich wenige (2-3) Eier rasch hinter einander abzulegen. Dann folgte wieder eine lange Pause und während dieser ganzen Zeit sass das Thier mit vollständig ausgebreiteten Flügeln still da. 58 Bei solchen Lebensgewohnheiten muss die braune Farbe in der That ein Schutz sein und wesentlich dazu beitragen, die eier- legenden Weibchen ihren lauernden Feinden, den Spinnen, zu verbergen. Dass die Farbe sie wirklich bis auf einen gewissen Grad versteckt, habe ich an mir selbst erfahren können, indem ich oft lange nach einem dicht vor mir sitzenden Weibchen suchen musste, wenn ich es für einige Augenblicke aus den Augen gelassen hatte. - Ein Männchen in gleicher Stellung würde mir sofort durch das leuchtende Blau seiner Oberseite aufgefallen sein. Dieselben sitzen indessen stets mit geschlossenen Flügeln. Man könnte nun freilich fragen, warum die Weibchen nicht desgleichen thun, und es kann darauf nur mit dem Hinweis auf die Thatsache geantwortet werden, dass sie es eben nicht thun. Für den Process der natürlichen Züchtung ist es übrigens auch ganz gleichgültig, ob das Oeffnen der Flügel bei der Eierablage eine nothwendige Folge der mit diesem Akte verbundnen kombinirten Muskelbewegungen ist, oder etwa nur eine schlechte Gewohnheit, die im Vertrauen auf die schützende Färbung angenommen worden sein könnte; in beiden Fällen wird die natürliche Züchtung solange jede blaue Variation der Weibchen nicht aufkommen lassen, als sie die Gewohnheit des Flügelausbreitens bei der Eierablage nicht auf- geben. Denn dass bei den Bläulingen die primäre Farbe die braune ist und die blaue erst erworben würde, das lässt sich aus dem jetzigen Aussehen der Mitglieder dieser Familie mit grosser Bestimmt- heit schliessen. Ausser diesen dunkleren Färbungen der Oberseite bei weib- lichen Tagfaltern , welche als schützende betrachtet und demnach durch natürliche Züchtung erhalten und befestigt und durch äussere Lebensverhältnisse bedingt werden, gibt es aber noch ganz ins Einzelne gehende Anpassungen in Färbung und Zeich- nung. Bares hat zuerst auf das höchst interessante, und für die Theorie der natürlichen Züchtung so ungemein beweisende Phänomen - der Nachahmung »Mimiery« aufmerksam gemacht und WALLACE dasselbe in einem besonderen Aufsatze in vortrefflicher Weise be- 99 leuchtet. WALLACE!) zeigte, dass seltne Arten, und manchmal sogar nur die Weibchen derselben, zuweilen gänzlich vom Typus ihrer Verwandten abweichen in Allem, was Färbung und Zeichnung be- langt und in Beidem in überraschender Weise Schmetterlingen aus ganz andern Familien bis zum Verwechseln ähnlich sind. In einem Falle liess sich nachweisen , dass die nachgeahmte Art — der tropi- schen Familie der Heliconiden angehörig — durch den widerwärtigen Geschmack und Geruch ihrer Säfte vor der Verfolgung durch die in den Tropen häufigen Insekten - fressenden Vögel geschützt wird, und da der dieselbe nachahmende Schmetterling mitten unter ihnen lebt, so wird es gewiss als eine völlig zutreffende Erklärung ange- sehen werden müssen, wenn WALLACE annımmt, dass ihre Aehn- lichkeit mit der verschmähten Art ihnen dieselbe Immunität zu - sichert, und demgemäss ihre auffallende Färbung und Zeichnung aus einem Process der natürlichen Züchtung herleitet. Die Anpassung bezieht sich bei den Nachahmern der Heliconiden auf beide Seiten der Flügel, sie kann sich auch auf die übrigen Körpertheile er- strecken, ja es kann sogar in der Färbung des Rumpfes die Haupt- ähnlichkeit mit der nachgeahmten Art liegen, wie z. B. bei unsern Sesia — Arten. Die beiden soeben besprochenen Fälle, nämlich die Copirung einer fremden Art (Mimicry) zum Zwecke des Schutzes und die Annahme oder Beibehaltung einer dunkleren Gesammtfärbung bei gewissen Weibchen sind die einzigen, in denen die obere Fläche der Flügel in Farbe und Zeichnung äussern Lebensbedingungen angepasst wird, die einzigen also, bei welchen dieselbe nicht eine rein morphologische Bedeutung hat. Man wird mir vielleicht mit WALLACE einwerfen, dass alle die bei Tagfaltern so häufigen Fälle von sexuellem Dimorphismus hierher gehörten , alle jene Fälle, in denen die beiden Geschlechter ver- schiedne Zeichnnngen auf der obern Seite der Flügel besitzen. Ich 1) Beiträge zur Theorie der natürlichen Zuchtwahl. 1870. 60 glaube indessen, dass nur in einigen jener Fälle, in welchen der Mann eine brillante, das Weib eine unscheinbare Totalf ärbung besitzt, dieselbe als eine vor- Entdeckung sichernde betrachtet und ihre Entstehung oder Erhaltung auf Rechnung des gewöhnlichen Processes der natürlichen Züchtung gesetzt werden kann; alle fei- neren Unterschiede der Geschlechter aber in Färbung und Zeich- nung, wie sie so ausserordentlich häufig vorkommen, ohne dass durch sie die Totalfärbung der Flügel irgend erheblich verän- dert, Mann oder Weib weniger auffällig gemacht würden, müssen nach meiner Ueberzeugung auf Rechnung des von Darwin aufge- stellten und in so grosser Ausdehnung angenommenen Processes der geschlechtlichen Zuchtwahl gesetzt werden. Dass nicht alle sekundären Geschlechtsunterschiede durch die grössere Schutzbedürftigkeit des weiblichen Geschlechts erklärt und von natürlicher Züchtung abgeleitet werden können, geht aus der schon von Darwin hervorgehobenen Thatsache hervor, dass nicht selten grade die Weibchen es sind, welche die auffallendere Fär- bung besitzen. Dies ist z. B. bei fast allen unsern einheimischen Satyriden der Fall, wenn sie überhaupt sexuell dimorph sind. Dass nun ein Process der geschlechtlichen Zucht- wahl in der Natur wirklich existirt, scheint mir nach den umfassen- den Nachweisen, welche Darwın !) in seinem neuesten Werke dar- über gibt, kaum bezweifelt werden zu können — trotzdem eine direkte Beobachtung des Processes bis jetzt noch nicht gelungen ist — und es kann sich höchstens darum handeln, ob Darwın ihm nicht eine allzugrosse Tragweite zugeschrieben hat. Nehmen wir nun auch an, dass die meisten Unterschiede der Geschlechter in Färbung der Flügel-Oberseite diesem Process ihren Ursprung verdanken, und schliessen daraus weiter, dass die Ober- seite der Flügel in Farbe, wie in Zeichnung, ja gelegentlich sogar etwas in der Form durch diesen Process verändert werden kann, 1) »Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl «. Stuttgart 1871. 61 so wird dies doch an dem oben aufgestellten Satze, dass die Ober- seite einen rein morphologischen Charakter hat, Nichts ändern. Denn die geschlechtliche Züchtung bewirkt nur solche Veränderun- gen, welche in unserm Sinne rein morphologische sind, Man wird dies vielleicht nicht sogleich zugeben, da die Aehn- lichkeit dieses Processes mit dem der natürlichen Züchtung dazu verleitet, auch ihre Wirkungen zu identificiren. Die Aehnlichkeit liegt darin, dass in beiden Processen eine neue Form dadurch fixirt oder zur herrschenden gemacht wird, dass ihre Träger eben durch diese neuen Charaktere einen Vortheil im Kampfe ums Dasein ge- winnen. Es sind Beides Auslese-Processe und sobald man nur die einzelnen Individuen ins Auge fasst, können diese neuen Cha- raktere in keinem von beiden Fällen als indifferente, oder morpho- logische aufgefasst werden, da sie ihren Trägern nützlich sind. Ganz anders aber, wenn man sie als Charaktere der Art be- trachtet. Die Abänderungen, welche die natürliche Züchtung her- vorbringt, erhöhen stets die Existenzfähigkeit der Art, verleihen ihr in irgend welcher Weise ein Uebergewicht über andre Arten, einen Vortheil im Kampfe ums Dasein, während die durch geschlechtliche Zuchtwahl hervorgerufnen neuen Charaktere dies in keiner Weise thun. Sobald der betreffende Charakter zur Herrschaft gelangt ist, d. h. sobald ihn alle Individuen des einen Geschlechtes besitzen, hört sogar sein Nutzen für das einzelne Individuum auf. | Dieser scharfe Unterschied im Wesen der durch natürliche Züchtung hervorgerufenen Charaktere hat seine Ursache in der Ver- schiedenheit der treibenden Momente, welche die beiden Processe bedingen. Bei der natürlichen Züchtung sind dies einerseits die Varia- bilität und andrerseits äussere Lebensbedingungen, welchen sich eben der Organismus möglichst anzupassen sucht. Das erste Moment liegt in der physischen Natur der betreffenden Art, das zweite aber stets ausser ihr. Bei der geschlechtlichen Züchtung dagegen liegen beide Mo- mente innerhalb der physischen Natur der Art, sowohl 4 62 die Variabilität des einen Geschlechtes , als die Geschmacksrichtung des andern. Es sind gewissermassen Binneneinflüsse, welche hier wirken, der ganze Process ist eine interne Angelegenheit der Art, und die neuen Charaktere, welche er hervorbringt, verändern nicht die Beziehungen der Art zu ihren physikalischen Lebensbedingungen oder zu den andern Arten, sie berühren gewissermassen nicht ihre Weltstellung, da sie ihre Existenzfähigkeit weder erhöhen noch herabsetzen. Wenn wir sonach unter indifferenten oder rein morphologischen Charakteren einer Art solche verstehen, welche der Art weder von Vortheil noch von Nachtheil im Kampfe ums Da- sein sind, so müssen zweifellos diej enigen zu ihnen gerechnet werden, welche durch geschlechtliche Züchtung entstanden sind. Wir dürfen somit den Satz für hinreichend belegt betrachten: dass die Färbung und Zeichnung der obern Flügel- fläche bei Tagschmetterlingen mit Ausnahme der Fälle von Mimicry und von schützender Totalfärbung als rein morphologische Charaktere der Art aufzufassen sind. Nachdem dies festgestellt ist, gehe ich über zur Anführung solcher Fälle, in denen mir die eingetretene Abänderung der Art- charaktere auf die kreuzungshindernde Wirkung der Isolirung zurück- führbar scheint. Ich glaube, dass eine grosse Anzahl von sog. vikarirenden Arten oder von Lokalvarietäten hierher ge- hört; für sehr viele dieser Formen bietet die Annahme , dass sie durch Amizie in der Variation speriode entstanden seien, eine, wie mir scheint, annehmbare Erklärung, und hierher gehören alle jene zahlreichen Fälle von Schmetterlingen, welche , auf isolirtem Gebiet lebend, durch geringe Unterschiede der Zeichnun g von der nächstverwandten Art sich unterscheiden. Blosse Unterschiede der Färbung können nicht mit gleicher Sicherheit auf Amizxie bezogen werden, obgleich auch sie auf diesem Wege entstehen können, da die blosse Färbung wohl in gewissem Grade von äussern Lebensbedingungen,, Nahrung, Klima direkt abhängig ist. a 63 Einer der lehrreichsten Fälle ist vielleicht der der schon oben erwähnten Vanessa ichnusa auf Corsica - Sardinien. Die Ueberein- stimmung dieses Schmetterlings mit dem über ganz Europa verbrei- teten kleinen Fuchs (Vanessa urticae) ist, was Färbung anbetrifft, beinahe vollständig, es sind fast genau dieselben Farbentöne, in der Zeichnung aber unterscheidet er sich dadurch, dass der schwarze Fleck in Zelle 2 der Vorderflügel kleiner und näher der Flügel- wurzel steht, die Flecke in Zelle 3 und 4 aber ganz fehlen. Noch andere kleinere Unterschiede der Zeichnung finden sich vor, auch die Form der Flügel ist etwas weniger scharf geeckt, kurz in einer ganzen Reihe constanter Charaktere unterscheidet sich diese so über- aus ähnliche Art von urticae. Keine dieser Veränderungen lässt sich mit irgend welcher Wahrscheinlichkeit auf natürliche Züchtung zurückführen; auch das wesentlichste Unterscheidungsmerkmal, das Fehlen der schwarzen Flecken in Zelle 3 und 4 der Vorderflügel, könnte wohl in keiner Weise der Art von Nutzen gewesen sein, da weder Mimicry noch schützende Totalfärbung hier in Betracht kommen können. Die beiden Geschlechter sind bei V. ichnusa wie bei V. urticae voll- ständig gleich in Zeichnung und Färbung und es gibt kein Insekt irgend welcher Ordnung auf Corsica und Sardinien, dem ichnusa ähnelte und dessen schützende Gestalt sie streben könnte anzu- nehmen. Auf der andern Seite hat es wohl nichts Unwahrscheinliches, wenn wir annehmen, dass in der Variationsperiode der Beiden ge- meinsamen Stammart — die ja jedenfalls dagewesen sein muss — die schwarzen Flecken auf den Flügeln variabel waren, bald gross, bald klein waren, bald auch ganz fehlten. Bezeichnen wir nun diese drei hypothetischen Variationen mit a, b und c und nehmen an, dass c in überwiegender Menge in Corsica-Sardinien eingewandert sei, so wird die Feststellung einer Art, welche dieser zwei schwarzen Flecke entbehrt, sehr wohl sich begreifen lassen '). 1) Handelte es sich um ein rein mathematisches Rechenexempel,, so würden 64 Es wurde bereits jener Schmetterlingsarten gedacht, welche zugleich die Alpen und den hohen Norden bewohnen und sich seit der Periode ihrer Trennung, der Eiszeit, völlig con- stant in Farbe und Zeichnung erhalten haben. | Es gibt aber noch zahlreichere Arten, bei welchen im Verlauf dieser Trennungszeit kleine constante Abweichungen eingetreten sind, so dass der Entomologe jetzt die einen als polare Varietät von der alpinen Stammform unterscheidet. Die Entstehung aller dieser sog. Polarformen kann man sich, wie mir scheint, ebenfalls durch Amie in der Variations- periode der Stammart erklären. Dahin gehören z. B. mehrere Lycaeniden, so Lycaena Orbi- tulus Prun.'), welche in bedeutender Höhe auf unsern Alpen lebt und als Varietät Wosnesenskii im nördlichen Sibirien sich findet und Lycaena Optilete ebenfalls den Alpen angehörig mit der nordischen, aus Lappland bekannten Varietiit Cyparissus und noch manche Andere; dahin Argynnis Thore, welche die Alpen und die zunächst angrenzenden Länder bewohnt und im .Norden (Lappland, Sibirien) die schwarzen Flecke niemals vollständig verschwinden können, wenn auch nur ein einziger von vielen Gründern der Colonie dieselben besessen hätte; sie würden, wenn auch in millionenfacher Verkleinerung, bei jedem Individuum vor- handen sein müssen. Es kommen aber hier die Gesetze der Vererbung in Be- tracht, welche nur ausnahmsweise die Charaktere der Aeltern einfach halbirt auf die Kinder übertragen, meistens aber den einen oder den andern Charakter, diesen aber ganz übertragen. So können sehr wohl seltnere Charaktere allmälig verloren gehen, wenn sie auch durch Atavismus gelegentlich wieder auftauchen können. In letzterer Beziehung ist die Thatsache von Interesse, dass nicht gar selten Exemplare von V. ichnusa vorkommen, welche eine Andeutung der sons vollständig fehlenden Flecken besitzen. In der hiesigen Sammlung befindet sich ein Exemplar, bei welchem der Fleck in Zelle 3 zu fehlen scheint; bei genauer Prüfung aber bemerkt man einen sehr feinen schwarzen Punkt, um welchen in schattenhafter Andeutung die Figur des Fleckens sich erkennen lässt, hergestellt durch einzelne zwischen den rothen Flügelschuppen zerstreut stehende schwarze Schuppen. Diese und die folgenden Angaben über die Verbreitung von Lokal- varietäten stützen sich auf die Angaben STAUDINGER’s in dessen Katalog der Lepidopt. des europäischen Faunengebietes. 65 durch die Varietät borealis vertreten ‚wird. Auch von der Gattung Erebia liessen sich solche Beispiele anführen und in allen diesen Fällen sind die Abweichungen rein morphologischer Natur, beziehen sich vorzugsweise auf die obere Fläche der Flügel und gehören nicht in die Kategorie der schützenden Färbungen (Mimiery und dunklere Färbung der Weibchen). Ein Umstand muss noch angeführt werden, der offenbar diese Ansicht von der Entstehung solcher vikarirender Arten oder Varie- täten stützt. Die Alpenschmetterlinge nämlich, welche mit ihren nordischen Artgenossen vollständig über- einstimmen, zeigen auch sonst keine oder wenige Lokal- varietäten, während die meisten der Arten, welche seit der Eiszeit etwas von einander abgewichen sind, meh- rere andere Lokalvarietäten aufweisen. So findet sich von der oben erwähnten Lycaena Orbitulus Prun. eine var. Pyrenaica auf den Höhen der Pyrenäen, eine var. Aquilo in Labrador und eine var. Dardanus in Kleinasien. Es gehören hierher auch jene in unsern Breiten rein alpinen Falter, welche zwar nicht im hohen Norden vorkommen (oder dort noch nicht aufgefunden wurden), welche aber ausser den Alpen noch andre Hochgebirge bewohnen. Auch sie werden während der Eiszeit in unsern Breiten die Ebene und Hügelregion bewohnt und sich erst mit dem Aufhören der Kälte allmiilig in höhere Regionen zurückgezogen und so isolirt haben. Auch bei diesen Arten zeigt sich dieselbe Erscheinung; wenn sie auf zwei isolir- ten Gebirgen von einander abweichen, so erscheinen sie auch auf einer dritten und vierten isolirten Station als besondere Lokal- formen. So Erebia Tyndarus Esp., ein reiner Hochgebirgsfalter, der in ungeheurer Individuenzahl auf der ganzen Alpenkette und den mit ihr in Zusammenhang stehenden Gebirgen Frankreichs und Italiens, auch Ungarns fliegt. Die Varietät Dromus H. S. findet sich auf den Pyrenäen, die Varietät Hispanica auf der Sierra Nevada und Weismann, Untersuchung. 9] 66 die Varietät Otomana ') auf den Gebirgen Griechenlands, Bithyniens und Armeniens. Dass diese verschiednen Hochgebirge als isolirte Stationen anzusehen sind, wird wohl von Niemand bestritten wer- den, da diese Gebirgsfalter nur schwaches Flugvermögen besitzen und auch durch heftige Winde schwerlich je lebend und fortpflan- zungsfähig von den Pyrenäen nach den Alpen getragen werden können. Geschiihe dies aber nur selbst hier und da, so würde es doch in Bezug auf Kreuzung nicht den geringsten Einfluss ausüben, wie weiter unten gezeigt werden soll. Bei Faltern der Ebene und des Mittelgebirges liegt die That- sache völliger Isolirung nicht immer so klar vor, dass ich sie hier schon als Beispiele wählen möchte, doch dürfte Satyrus Semele an- zuführen sein, der eine grosse Verbreitung in Europa besitzt und auf zwei Inseln des Mittelmeeres in Form einer Varietät vorkommt, auf Corsica- Sardinien als var. Aristaeus und auf der Insel Cypern und — wahrscheinlich sekundär — in dem benachbarten Lydien als var. Mersina?). Man könnte nun meiner Erklärung solcher rein morphologischer Abweichungen durch Amizie in der Variationsperiode entgegen hal- ten, dass Fälle vorkommen, in welchen eine Art auf sehr entfern- ten völlig isolirten Stationen konstant blieb, während sie auf andern abänderte. Solche Fälle gibt es, und sie werden sogar, wie ich a priori schliessen möchte, gar nicht selten sein. Ihre Erklärung stösst indessen auf keine Schwierigkeiten, da die Besetzung der verschied- nen Isolirungsstationen zu sehr verschiedner Zeit stattgefun- den haben kann, also theils in die Constanz-, theils in die Varia- tionsperiode der Art gefallen sein kann. So möchte es sich vielleicht erklären, dass auf der Insel- 1) Siehe: STAUDINGER, Katalog der Zepidopteren des europäischen Faunen- gebiets. Dresden 1871. 2) Auch Aristaeus ist. nicht mehr auf das muthmassliche Entstehungsgebiet / nk: ;ser kommt auch auf Capri und Sicilien vor, aber vermischt mit der Stammart (ZELLER in Isis, 1847, 8, Qo >), 67 gruppe Sardinien - Corsica neben Papilio Hospiton auch Papilio Machaon vorkommt und zwar, wie ich aus eigner Erfahrung weiss, in grosser Häufigkeit. Hospiton, eine nur auf diesen Inseln vor- kommende Art unterscheidet sich nur wenig von Machaon, er ist kleiner, die Schwänze der Hinterflügel sind kürzer, während Farbe und Zeichnung ziemlich dieselben sind, aber die Erklärung von WALLACE), welcher diese Abweichungen dem direkten Einflusse »des Klima’s und anderer physischer Ursachen« zuschreibt, wird wohl sehr zweifelhaft, sobald man weiss, dass auch die unveränderte Form des P. Machaon auf den Inseln lebt. Eine erste Einwanderung der Stammart zur Zeit ihrer Va- riabilitätsperiode und eine zweite Einwanderung des zur Constanz gelangten Pap. Machaon zu einer Zeit, als auch Pap. Hospiton bereits constant geworden war, gehört wohl nicht zu den Unmög- lichkeiten und würde die Thatsache der Nebeneinanderlebens beider Arten gut erklären. So sehen wir also, dass neue, rein morphologische Charaktere unter gewissen Umständen und innerhalb eines ziemlich kleinen Spielraums blos durch die Wir- kung der Isolirung fixirt werden können. Offenbar gilt dies nicht nur für die Gruppe der Schmetterlinge, sondern für die gesammte Thierwelt, ja für die ganze organische Welt, soweit geschlechtliche Fortpflanzung reicht. Ueberall, wo rein morphologische Merkmale vorkommen, können sie auf diese Weise fixirt werden und man darf wohl annehmen, dass bei Pflan- zen, deren biologisch indifferente Charaktere leichter nachweisbar, vielleicht auch überhaupt häufiger sind, als bei Thieren, es weit leichter sein wird, zahlreiche Beispiele für diesen Modus der Art- bildung beizubringen. Indessen möchte ich auch bei Thieren eine sehr ausgedehnte Wirkung der Amizie annehmen und zwar deshalb, weil ich glaube, dass indifferente Charaktere auch bei ihnen unge- mein häufig sind, weit häufiger, als man in neuerer Zeit gewöhn- 1) WALLACE, Beiträge zur Theorie der natürlichen AR: S. 203. 5* 68 lich annimmt, wo das Bestreben, die früher ungeahnte Bedeutung des Nützlichkeitsprincips ins volle Licht zu stellen, die Existenz morphologischer Charaktere etwas ins Dunkel rücken liess. Die Grösse des Wirkungskreises der Amixie wird davon abhängen, eine wie grosse Rolle rein morphologische Charaktere bei den Thier- arten spielen. Damit soll keineswegs gesagt sein, dass jeder solcher Cha- rakter auf Amizxie bezogen werden müsse: es gibt noch andere Momente, welche im Stande sind, morphologische Charaktere zu modificiren und zu neuen umzubilden und es muss der Versuch gewagt werden, ihre Wirkungen vor denen der Amizie zu trennen. Nur auf diese Weise kann es gelingen, eine einigermassen richtige Vorstellung von der Wirkungssphäre der Amizie zu bekommen. Es muss sich dabei zugleich zeigen, in wie weit die oben angeführten Beispiele mit Recht als Wirkungen der Amixie betrachtet werden dürfen, wie weit es möglich ist, andere abändernde Momente aus- zuschliessen. Solcher Momente kennen wir mehrere. Zuerst können äussere physikalische Lebensbedin- gungen direkt abändernd einwirken. So wenig Sicheres darüber auch noch bekannt ist, so unterliegt doch die Thatsache selbst keinem Zweifel. Allgemeines lässt sich hier in Folge unserer man- gelhaften Einsicht wenig mehr sagen, als dass solche direkte Einwirkungen äusserer Lebensbedingungen wohl nur von geringer Tragweite sind. Mit Beziehung auf die oben angeführten Beispiele von » wenn die Isolirung nicht speciell nachgewiesen werden kann, und nur die Verbreitungsweise der Art im Allgemeinen als eine sporadische bekannt ist, wie eine solche z. B. grade sehr vielen der oben speciell als Beispiele vorgeführten Tagfalter zukommt. Wir werden sogar in solchen Fällen auf Abänderung durch Amizie schliessen dürfen, in welchen eine Isolirung heute als nicht vor- handen nachgewiesen werden kann, vorausgesetzt, dass die Natur der Abänderung selbst auf diese Ursache hinweist, und das jetzige Wohngebiet der betreffenden Lokalformen auf relativ kleine Theile eines grossen Ländergebietes beschränkt ist. Denn auf sehr grossen Gebieten wird nur selten eine Art so gleichmässig vertheilt sein, so überall dieselben gleich günstigen Lebensbedingungen vorfinden, dass nirgends unbewohnte Zwischenräume zwischen ihren Ansied- lungen bleiben. Dies kann aber genügen, um durch Amikxie in der Variationsperiode indifferente Charaktere zu fixiren und Lokalformen zu bilden. So bin ich sehr geneigt — um noch einmal auf diesen Fall zurückzukommen — die amerikanischen vikarirenden Arten des Distelfalters (Vanessa cardui) auf diese Weise entstanden zu denken. a d 3 4 101 Durch die Annahme, dass ein unbekannter Stammvater aller heutigen Distelfalter einen Theil von Amerika bewohnte, seine Aus- breitung über diesen Continent aber in eine Zeit fiel, in welcher ‘er in der Umwandlung begriffen war, also eine grosse Variabilität besass, erklären sich die Thatsachen sehr einfach. Die variable Stammart breitete sich über Amerika aus, blieb aber nicht überall in Continuität, so dass ihre Wohnplätze zum Theil gegen einander genügend isolirt waren, um sich gegenseitig in der Entwicklung zu einer eigenthümlichen Constanzform nicht zu stören. So entstanden mehrere Lokalformen in Amerika. Dass auch in Europa sich eine solche Lokalform entwickelte (die Vanessa cardui) kann bei dem vor der Eiszeit breiteren und klimatisch weit günstigeren Zusammenhang zwischen dem ameri- kanischen und europäisch -asiatischen Continent weit weniger Wun- der nehmen, als dass sich nicht auch hier mehrere Lokalformen gebildet und erhalten haben. Allein auch diese Thatsache erklärt sich einfach durch die Annahme eines amerikanischen Stamm- vaters; die Variationsperiode desselben ging ihrem Ende zu, als er seine letzte, die europäische Colonie gegründet hatte; diese Letztere erreicht früher ihre Constanzform, als sie im Stande war sich weit auszubreiten und neue isolirte Colonien zu gründen. Die wei- tere Ausbreitung der constant gewordenen V. cardui erfolgte dann während und nach der Eiszeit und die für alle Klimate passende Organisation dieses Falters erlaubte ihm, sich nicht nur über ganz Asien, Afrika und Europa zu verbreiten, sondern auch wieder rückwärts nach Amerika vorzudringen und diesen Continent bis über den Aequator hinaus zu bevölkern. Auf diese Weise lässt es sıch verstehen , dass derselbe sich jetzt in Amerika mit seinen nächsten Verwandten auf denselben Wohnplätzen vorfindet, mit V. Huntera von Canada bis Cali- fornien und Mexico, mit V. Carye im Californien und Mexico, mit V. Aeguatorialis in den Anden von Quito, mit V. Venezuelae Mz. im Norden Südamerika’s, und es könnte durchaus nicht über- 102 raschen, wenn der vikarirenden Arten des Distelfalters in Amerika noch mehrere wären!). Wenn wir aber auch auf den Sandwich - Inseln, dem Festland von Australien und an vielen andern sehr entfernten Punkten unsere europäische V. cardui unverändert vorfinden, nirgends aber eine der amerikanischen Verwandten, so beweist uns dies, dass diese Letzteren nicht die Fähigkeit besitzen, sich allen möglichen Lebens- bedingungen zu fügen. So leite ich, diesmal in Uebereinstimmung mit Mortz WAGNER, die Entstehung der vikarirenden Arten von V. cardui von der Iso- lirung her; aber nicht deshalb, weil alle Abänderungen nur mit Hülfe der Isolirung zu Stande kommen können » wie WAGNER meint, auch nicht deshalb, weil der Beweis, dass dieselben isolirte Sta- tionen bewohnen, beizubringen wäre, sondern weil die Charaktere, durch welche dieselben sich von einander und von der V. cardui unterscheiden, zur Annahme nöthigen, dass sie durch Amizie in der Variationsperiode entstanden sind, und weil Isolirung solchen rein indifferenten Charakteren gegenüber sehr leicht eintritt, und deshalb unter den gegebenen Verhältnissen nicht ohne Wahr- scheinlichkeit als einst vorhanden angenommen werden darf?). Dass Amixie nur den Grund der heutigen Unterschiede zwi- schen den verschiednen Distelfaltern legte, eine weitere Ausbildung derselben durch geschlechtliche Züchtung vermuthet werden darf, wurde bereits oben gezeigt, dass aber geschlechtliche Züchtung allein die Ursache ihrer Entstehung wäre, wird dadurch sehr un- wahrscheinlich, dass nur Amerika vikarirende Arten, und zwar deren mehrere, besitzt und das ganze übrige ungeheure Verbrei- tungsg sgebiet der V. cardui deren keine hervorgebracht hat. 1 Tw der That gibt KIRBY (Synon. Cat. Diurn. Lep. 1871) noch zwei weitere solche Arten für Südamerika an, HERRICH- SCHÄFFER (Prodrom. Syst. Lepid. 1870) sogar noch drei. 2) Der Unterschied in der Hypothese nn abgesehen von ihrer Be- gründung — liegt vor Allem darin, dass WAGNE R die V. cardui für den Stamm- vater der amerikanischen Abarten hält, während en meiner Ansicht ein unbe- kannter, ausgestorbener Stammvater aller heute lebenden Distelfalter - Formen angenommen werden muss. a“ Schluss. Die Resultate der Untersuchung über den Einfluss, welchen räumliche Isolirung auf die Entstehung neuer Arten haben kann, lassen sich etwa in folgender Weise zusammenfassen. Die Isolirung wirkt einmal durch Amixie oder Kreuzungs- Verhinderung, sie verhindert die Kreuzung der isolirten Individuen s mit denen des Stammgebietes. Daraus allein wird nun, wie gezeigt wurde, nur in dem einen Fall ein Anlass zur Abänderung, wenn die betreffende Art in der Periode der Variabili- tät auf isolirtes Gebiet geräth und die Abänderungen, welche unmittelbar daraus hervorgehen, können niemals grösser sein, als die Unterschiede zwischen den am meisten von einander abweichenden Variationen der Stammart. Nur rein morphologische Artcharaktere können auf diese Weise abändern, Charaktere, welche in irgend einer Weise von Bedeutung für die Existenzfähigkeit der Art sind, indem sie diese erhöhen oder herabsetzen , rufen die Ein- mischung der natürlichen Züchtung hervor und diesem mächtigen Faktor gegenüber verschwindet die schwächere Thätigkeit der Amizie. Entweder nämlich erhebt natürliche Züchtung ein und denselben neuen Charakter auf allen Wohngebieten zum herrschenden — dieses in dem Fall, wenn alle Wohngebiete die gleichen Lebensbedingungen darbieten —, oder sie begünstigt hier diesen, dort jenen Charakter, wenn die Lebensbedingungen auf den Wohngebieten verschieden sind. Im ersteren Falle hebt sie das Streben der Amizie auf, eine Ungleichheit herbeizuführen, im zweiten arbeitet auch sie auf eine Ungleichheit der verschiednen Coloniebewohner hin, aber gänzlich unabhängig von dem Zahlenverhältniss, in welchem die Variationen der Stammart auf dem Coloniegebiet vertreten sind, möglicherweise also grade in der entgegengesetzten Richtung, wie die Amizie. Die Wirkung dieser beruht darauf, dass die am zahlveichsten vor- 104 handene Variation auch den grössten Einfluss auf die neu zu schaf- fende Constanzform gewinnt, die natürliche Züchtung aber ist, wie gezeigt wurde, im Stande, Charaktere zu herrschenden zu machen, auch wenn dieselben anfänglich nur bei einer verschwindend kleinen Minorität von Individuen auftraten. Natürliche Züchtung annullirt somit vollständig den Process der Amizie. Sehr wohl verträgt sich derselbe dagegen mit jenem Auslese- process, den Darwın als geschlechtliche Züchtung bezeichnet hat. Auch geschlechtliche Züchtung verändert in der Regel!) nur mor- phologische Charaktere, ist deshalb unabhängig vom Ort und hängt ausserdem in dem einen der ihn hervorrufenden Faktoren, der Ge- schmacksrichtung des wählenden Geschlechtes, von einer so bieg- samen Grösse ab, dass er sehr wohl im Stande sein muss, an die verschiedenartigen Resultate der Amüizie anzuknüpfen, hier diesen, dort jenen durch Amiaie befestigten Charakter zu steigern und schär- fer auszuprägen. Da der Begriff der Isolirung sich auch auf die sporadische Verbreitungsweise der Arten ausdehnen liess, indem gezeigt wurde, dass schon eine relativ schmale Unterbrechung des Wohngebietes genügt, um die auf diese Weise getrennten Colonien zu selbst- ständiger durch Wechselkreuzung nur unerheblich gestörter Entwick- lung gelangen zu lassen, so durften somit die meisten Lokalformen in ihrer ersten Entstehung auf Amixie zurückgeführt werden, es konnte jedoch bei keiner eine spätere Mitwirkung der geschlecht- lichen Züchtung ausgeschlossen, sondern durfte im Gegentheil die Vermuthung aufgestellt werden, dass sehr häufig durch