mh i SARA ASA ‚— N R Wissensdaltlihes System Der von Dr. Chesdor Piderit. Mit 94 photolithographiſchen Abbildungen. DDR Detmold. Klingenberg’fhe Buchhandlung. 1867. =. © — = SO St ©> = «=> = — = A aca = = — Sd Wissenschaktliches System der Mimik und Phyfiognomik von Dr. Theodor Piderit. Detmold. | Klingenberg'ſche Buchhandlung. 1867. a A G ) I. Einleitung. anan Die mimiſchen Gefichtsbewegungen bilden die ſtumme Sprache des Geiſtes. Die Wortſprachen der Völker ſind ver— ſchiedenartig und wechſelnd, die Mienenſprache aber iſt aller Orten und zu allen Zeiten ein und dieſelbe geblieben. Auf dem Geſichte der amerikaniſchen Rothhaut wie des befrackten Europäers, des Selaven wie des Königs, des Kindes wie des Greiſes iſt der Ausdruck des Schreckens, des Zorns, der Ent— zückung u. f. w. immer derſelbe, und daß diefe Mienenſprache ſich zu allen Zeiten gleich geblieben iſt, das zeigen uns die Bilder vergangener Jahrhunderte, die Statuen und Monu- mente des Alterthums. Dieſe Sprache iſt ſo deutlich und ſo verſtändlich, daß ſelbſt Säuglinge den Ausdruck der Trauer oder des Unmuths auf dem Antlitze der Mutter erkennen, wenngleich dieſe ihn zu verbergen und zu unterdrücken ſucht; ſogar Thiere, wie Hunde und Elephanten, wiſſen die Stimmung ihres Herrn in ſeinem Geſichte zu leſen. Und wie ſehr ſich das Auge durch tägliche Uebung für jede noch fo unbedeutende Verände⸗ * = n = —— otsi mk . 1 > pa rung des Geſichtsausdrucks ſchärft, das wird Jeder an fich ſelber beobachtet haben. Wenn wir z. B. Jemanden anreden, und dieſer ſieht uns nicht ins Auge, ſondern blickt daneben, ſo erkennen wir ſofort, daß er zerſtreut oder unruhig iſt; und doch beſteht der ganze Unterſchied ſeines Geſichtsausdrucks nur darin, daß die Pupille vielleicht um einen kleinen Theil einer Linie zur Seite gewendet wird. Jedermann verſteht und übt dieſe ſtumme Sprache des Geiſtes, aber — man lernt ſie empiriſch, ohne ſich um ihre Grammatik zu kümmern. Dem Studium der Wortſprachen haben ſich zu allen Zeiten bedeutende Geiſter mit Eifer ge— widmet, und Tauſende von Bänden ſind darüber geſchrieben worden, das Studium der Mienenſprache — dieſer ewigen Sprache der Menſchheit — hat man vernachläſſigt. Am nächſten lag dieſe Arbeit den Phyſiologen. Aber die meiſten gehn darüber hinweg mit der Bemerkung, daß ſich für die mimiſchen Muskelbewegungen keine Regeln aufſtellen laffen. Andere begnügen ſich mit einigen abgeriſſenen Bemer- kungen und oberflächlichen Andeutungen, welche aber größten— theils ebenſo unbegründet wie unbrauchbar ſind, weil ſie theils auf falſchen Vorausſetzungen beruhen, theils im Widerſpruch mit den Thatſachen ſtehen. Joh. Müller (Phyſtologie des Menſchen, Bd. II. S. 92) ſagt: „Die Beziehungen der Ge— ſichtsmuskeln zu beſonderen Leidenſchaften find gänzlich unbe- kannt.“ Ebenſo Lotze (Wagner's Handwörterbuch der Phy- ſiologie, Artikel: Inſtinet. S. 196): „Von der beſtimmten Art der Veränderung in den Geſichtszügen bei Freude, Trauer und anderen Affeeten läßt fich für unſeren Verſtand weder Zweck, noch Grund angeben.“ — Andeutungen über den Grund der mimiſchen Muskelbewegungen finden ſich bei Ch. Bell 5 (Essays on the anatomy of expression. ©. 108). Gr geht von der Anficht aus, daß angenehme Eindrücke eine Gr ſchlaffung des Muskelſyſtems, unangenehme Eindrücke hingegen eine Spannung der Muskeln veranlaſſen, und daß deshalb die Geſichtsmuskeln um ſo heftiger bewegt werden, je unangenehmer der Geiſt afficirt ift; doch diefe Anſicht wird durch die Erfah- rung widerlegt, da durch angenehme Geiſteserregungen (Muſik, Farben, Freude, Hoffnung) die Spannung der Geſichtsmuskeln nicht vermindert, ſondern im Gegentheil gewöhnlich vermehrt wird. Wäre aber auch die Vorausſetzung richtig, ſo wird doch keineswegs dadurch aufgeklärt, weshalb bei verſchiedenen Leidenſchaften einige Geſichtsmuskeln mehr geſpannt werden als andere, weshalb z. B. im Zorn die Stirnhaut vertical und nicht horizontal gefaltet wird. — Ofen, welcher die Knochen und Muskeln des Kopfes als transformirte Extremi⸗ täten betrachtet, meint: „daß das Mienenſpiel nichts ſei als eine Wiederholung der Gliederbewegung, hervorgebracht durch geiſtige Zuſtände (Oken's Naturgeſchichte, Bd. II. S. 244). Wenn z. B. ein Thier zum Sprung ſich anſchickt, ſo ſpannen ſich nicht nur die Muskeln der Hinterbeine, ſondern auch die dieſen Muskeln entſprechenden Muskeln des Unterkiefers, — es Öffnet fich der Mund und es blecken die Zähne Beim Gr- greifen mit den Vorderfüßen oder Händen ziehen ſich die ent- ſprechenden Muskeln des Oberkiefers zuſammen, und es hebt ſich daher die Oberlippe. Wenn fich beim freundlichen Em- pfange die Arme öffnen, ſo heben ſich auch die Mundwinkel nach hinten, und es entſteht das Lächeln.“ Das von Oken angedeutete Syſtem iſt in ſeinen Vorausſetzungen wie in ſeinen Schlußfolgerungen gleich unhaltbar. Ganz ähnlichen Ideen huldigt Huſchke in ſeinen: Mimices et physiognomices — = ** - = RUN ee na 1 0 noh ey ké i y à des ¥ e A N AN ig ps it | | | | jästi 6 fragment. physiol. Jen. 1821 und er hat diefe Doctor- Diſſertation offenbar unter dem Einfluſſe ſeines Lehrers Oken geſchrieben. Auch er meint, daß der Kopf ein metamorphoſirter Rumpf ſei und erklärt die Bedeutung der Kopfmuskeln aus der Bedeutung der analogen Rumpfmuskeln. Auf dieſe Weiſe kommt er zu dem Schluſſe, daß der Mundmuskel dem After⸗ muskel gleichbedeutend ſei. Dann ſagt er S. 15: „In der Furcht ſucht Thier und Menſch in ſich zuſammenzukriechen, und dabei werden die Beugemuskeln des Körpers in Thätig— keit geſetzt. Daſſelbe Muskelſpiel wiederholt ſich im Geſichte, die Augenbrauen werden zuſammengekniffen, die Nafe herunter- gezogen u. ſ. w. u. $. w. — E. Harleß (Lehrbuch der plaſtiſchen Anatomie) ſtellt die Anſicht auf: „daß die Geſichtsmuskeln dazu dienen, die Geſichtshaut in Spannung zu verſetzen, und daß durch verſchiedene Grade der Spannung verſchiedene Grade von Empfindung in der Geſichtshaut hervorgerufen werden; daß ferner unangenehme Vorſtellungen zu Muskelbewegungen treiben, welche unangenehme Hautgefühle erzeugen“ (a. a. O. S. 132). Aber wenn durch Vorſtellungen, und hauptſächlich durch leiden- E ſchaftliche, wirklich das Bedürfniß entſtände, in der Haut ver⸗ ſchiedene Grade von Empfindung hervorzurufen leine Behaup⸗ tung, welche ſchwerlich bewieſen und gerechtfertigt werden möchte), warum wird dies Bedürfniß nicht lieber und leichter durch Streicheln, Jucken oder Kratzen mit den Fingern befriedigt, als durch Spannung der Geſichtsmuskeln? Die von Harleß aufgeſtellte Anſicht iſt aber nicht nur unwahrſcheinlich, ſie iſt auch nutzlos, denn für eine ſyſtematiſche Eintheilung und Gra klärung der mimiſchen Bewegungen gewährt fie niht den ge- ringſten Anhaltspunkt, es wird dadurch ebenſowenig wie durch die Bell'ſche Anſicht aufgeklärt, weshalb bei gewiſſen Geiſtes⸗ 7 zuſtänden einzelne Geſichtsmuskeln geſpannt werden, während andere in Ruhe bleiben, weshalb z. B. im Zorn verticale und keine horizontale Falten auf der Stirn erſcheinen. Die Werke von Baumgärtner (Krankenphyſiognomik. 1839) und von Morison (Phyſiognomik der Geiſteskrank⸗ | heiten. 1853) behandeln zwar andere Fragen als die hier in Rede ſtehenden, ſind aber in ſo fern erwähnenswerth, als die ſorgfältig ausgeführten Illuſtrationen für das Studium der Mimik nicht ohne Intereſſe ſind. Duchenne de Boulogne beſchränkt ſich in ſeinem Werke: Mecanisme de la physionomie humaine, welches 1862 erſchienen iſt und 180 Frs. foftet, darauf, in Photo⸗ graphien die Geſichtsausdrücke wiederzugeben, welche er durch electriſche Reizung eines oder mehrerer Geſichtsmuskeln hervor⸗ bringt. Da aber nicht durch innere, ſondern durch äußere Einflüſſe, nicht durch eignen, ſondern durch fremden Willen dieſe Muskelbewegungen hervorgerufen werden, ſo können ſolche künſtliche Grimaſſen wenig dazu beitragen, den Zuſammenhang aufzuklären, welcher zwiſchen gewiſſen Geiſteszuſtänden und den Bewegungen gewiſſer Geſichtsmuskeln beſteht. Ende des Jahres 1865 iſt ein Manuſeript aus der Nach⸗ laſſenſchaft des Prof. Gratiolet bei Hetzel in Paris ge- druckt worden, unter dem Titel: De la physionomie et des Mouvements d'expression. Es werden darin aber phyſiogno⸗ miſche Fragen nicht behandelt, ſondern nur darzuſtellen geſucht, auf welche Weiſe körperliche ſowohl wie geiſtige Affectionen fich theils durch veränderte Functionen des Organismus, theils durch Muskelbewegungen äußern. Gratiolet benutzt zur Er⸗ klärung der mimiſchen Muskelbewegungen ähnliche Grundſätze 8 wie Die, welche vom Verf. bereits im Jahre 1858 aufgeſtellt wurden *). Während aber Gratiolet feine Aufmerkſamkeit hauptſächlich auf die Bewegungen der Extremitäten und des Rumpfes richtet (ähnlich, doch aus andern Geſichtspunkten, wie es Engel in ſeiner Mimik für Schauſpieler gethan hat), widmet er nur einen kleinen Theil ſeiner Schrift den mimiſchen Bewegungen der Geſichtsmuskeln, und hier ſind ſeine Bemer⸗ kungen ſo unbeſtimmt und unvollſtändig, daß es, mit den von ihm aufgeführten und geſchilderten Merkmalen, einem Künſtler ſchwerlich gelingen dürfte, gewiſſe Leidenſchaften oder Stim⸗ mungen richtig darzuſtellen. Uebrigens iſt es eine erfreuliche Erſcheinung, daß man in neueſter Zeit dem lange vernachläſſigten Studium der Mimik ein lebhafteres Intereſſe zuzuwenden ſcheint. Während in den älteren Lehrbüchern der Phyſiologie die Mimik nicht einmal erwähnt wurde, findet ſie in dem Werke von Vierordt (Grundriß der Phyſtologie. Dritte Auflage. S. 372) bereits die gebührende Beachtung, indem die damit in Beziehung ſtehenden wiſſenſchaftlichen Fragen und Aufgaben erörtert, und die darauf bezüglichen Anſichten und Arbeiten zuſammengeſtellt werden. | Einen ausführlichen und anziehenden Artikel über Mimik und Phyſiognomik bringt Nr. 113 der deutſchen Vierteljahrs⸗ *) Da Gratiolet die früheren Arbeiten des Verf. nicht erwähnt hat, fo erlaubt ſich dieſer, das Recht der Priorität für ſeine Anſichten geltend zu machen, und zu erwähnen, daß er im Jahre 1859 in Paris (in Gegenwart der Herren Claude Bernard, Brown Séquard, Rayer u. Y.) der Société de biologie einen Vortrag gehalten hat, worin er fein Syſtem darlegte und ſeine Methode erklärte. Dieſer Vortrag wurde in Nr. 46 der Gazette médicale abgedruckt, und hätte von Herrn Gratiolet um ſo eher bemerkt werden können, als er durch beigefügte ſehr frappirende Illustrationen in die Augen fallen mußte. 9 ſchrift (San. — März 1866) von O. M. R. Dr. R. Volz. Er erklärt ſich mit dem früher vom Verf. aufgeftellten Syſteme einverſtanden, und ſchließt mit den beherzigenswerthen Worten: „Das Studium der Mimik verſpricht uns den Schlüſſel zu einer Thätigkeit unſrer Seele, und ſtellt einem Theile der Aeſthetik geſetzliche Grundlagen in Ausſicht, um ſie aus dem Reiche der Gefühle auf das Gebiet der Naturwiſſenſchaften zu übertragen.“ Verf. erlaubt ſich nur, gegen die darin ent- haltene Bemerkung zu proteſtiren, daß ſeine frühere Arbeit eine Ausführung der von Joh. Müller gegebenen Andeutun⸗ gen ſei. | Einen andern Artikel über Mimik und Pyſiognomik hat Prof. Damerow in der Allgem. Zeitſchrift für Pfpchiatrie (B. XVII. 1860) veröffentlicht, nachdem er kurz vorher des Verf. erſte Arbeit in demſelben Blatte eingehend beſprochen hatte. Es werden in dieſem Artikel vorzugsweiſe pſychiatriſche Fragen behandelt; was über mimiſche Geſichtsbewegungen ge- ſagt wird, beſchränkt ſich auf den im Eingange aufgeſtellten und dann mehrfach wiederholten Satz: „Das Lachen iſt der Ausdruck des angenehmen Gefühlseindrucks mit den allgemeinen mimiſchen Bewegungen der Expanſion, Ertenſion, Eraltation; das Weinen der Ausdruck des unangenehmen Gefühlseindrucks mit dem mimiſchen Refler der Contraction, Flerion, Depreffion, und endlich drittens das Lachen und Weinen zugleich, der Aus- druck der aus angenehmen und unangenehmen gemiſchten, zu— ſammengeſetzten Gefühlseindrücke, mit mimiſch gemiſchten Be- wegungen, oseillatoriſchen, convulſiviſchen.“ Auf eine ſpeciellere Unterſuchung verſchiedener Geſichtsausdrücke bei verſchiedenen Geiſteszuſtänden wird jedoch nicht eingegangen. Die mimiſchen Bewegungen der Geſichtsmuskeln haben b o Sao 10 nun aber, außer dem allgemein wiſſenſchaftlichen, noch ein beſonderes practiſches Jutereſſe, und zwar für die Künſtler. Man ſollte deshalb vermuthen, daß Maler und Bildhauer, deren höchſte Aufgabe es iſt, den menſchlichen Geſichtsausdruck ſchön und naturgetreu darzuſtellen, zu allen Zeiten danach ge- ſtrebt haben müßten, die Sprache der Leidenſchaften in den Mienen des menſchlichen Antlitzes gründlich zu ſtudiren. Aber nur einer, der Maler Lebrun, hat den Verſuch gemacht, einige Grundſätze für die Erklärung und Darſtellung des Mienenſpiels aufzuſtellen, in ſeiner kleinen Schrift: Methode pour apprendre a dessiner les passions (Amsterdam 1702). In feiner piychologifchen Einleitung behauptet er, daß es zwei Gattungen von Leidenſchaften gebe, — einfache und zuſammengeſetzte. Erſtere ſollen ihren Urſprung in dem Begehrungsvermöͤgen — dem appetit concupiscible — haben, und er rechnet dazu die Liebe, den Haß, das Verlangen, die Freude und die Traurigkeit, letztere ſollen ihren Urſprung in dem Verabſcheuungstriebe — dem appetit irascible — haben, und er zählt dazu die Furcht, die Kühnheit, die Hoff⸗ nung, die Verzweiflung und den Zorn. Sollte dieſe Probe den appetit concupiscible des Leſers reizen, mehr von dieſem eigenthümlichen pſychologiſchen Syſtem zu genießen, ſo wird er ſich den Appetit vergehen laſſen müſſen, denn Herr Lebrun hat ſich die Mühe geſpart, ſeine Eintheilung zu begründen, oder weiter auszuführen. Er behauptet dann aber ferner, daß die verſchiedenen Leidenſchaften hauptſächlich an den Augen⸗ brauen zum Ausdruck kommen, und zwar aus dem Grunde, weil bekanntlich die Seele in der Zirbeldrüſe ſitze. Da nun von allen Geſichtsmuskeln die Augenbrauenmuskeln der Zirbel⸗ drüſe am nächſten lägen, ſo ſei es ganz natürlich, daß dieſe 11 auch unter dem unmittelbarſten Ginfluffe der Seelendrüſe ſtänden. Die Erklärung der Bewegungen, welche durch Teiden- ſchaftliche Zuſtände in den übrigen Geſichtsmuskeln verurſacht werden, macht er ſich ſehr leicht, indem er verſichert, daß alle Geſichtsmuskeln ſich immer in derſelben Richtung bewegen wie die Augenbrauenmuskeln. Er ſagt: „bei angenehmen Eindrücken werden die Augenbrauen in die Höhe gezogen, bei ſehr ſtarken angenehmen Eindrücken werden zugleich die Mundwinkel ge⸗ hoben; wenn dagegen die Augenbrauen heruntergezogen werden, ſo ſenken ſich auch die Mundwinkel.“ Es iſt kaum der Mühe werth, dieſe falſchen Behauptungen zu widerlegen. In der Freude zieht man ſelten die Augenbrauen in die Höhe, wohl aber im Zuſtande der Verwunderung, des Schreckens und Ent— ſetzens, und in dieſem Zuſtande wird Niemand gehobene Mund⸗ winkel, d. h. einen lächelnden Ausdruck zeigen. Ebenſo wenig ſenken ſich die Mundwinkel, wenn im Zuſtande des Zorns die Augenbrauen heruntergezogen werden. Uebrigens widerlegt ſich Lebrun in ſeiner Schrift ſelbſt durch ſeine Zeichnungen, von denen einige nicht übel ſind, mit ſeiner Theorie aber ganz und gar nicht übereinſtimmen. | Da den Künſtlern die Geſetze der Mienenſprache nicht be— kannt ſind, ſo ſind ſie darauf angewieſen, durch aufmerkſame Beobachtung der Menſchen das Material für ihre Darſtellungen zu ſammeln. Leonardo da Vinci (des berühmten floren⸗ tiniſchen Malers Leonardo da Vinci höchſt nützlicher Tractat von der Malerei, Nürnberg, 1724) drückt fic) darüber folgen- der Maaßen aus: „Ihr fennet aus eurem Sinn wahrhaften Zorn oder andere Zufälle der Gemüthsbewegungen, als Lachen, Weinen, Empfindung des Schmerzens, die Furcht und der— gleichen nicht nach einem Modell machen. Es wird aber nicht — IA cad id —— 12 undienlich ſein, wenn ihr eine Schreibtafel bei euch traget, um mit einem ſilbernen Griffel dergleichen Bewegungen, ingleichen auch die actiones der Umſtehenden und ihre Eintheilung künſt⸗ lich darein zu verzeichnen. Dieſes wird euch lernen, Hiſtorien zuſammenzuſetzen, und wenn ihr euer Büchlein voll habt, leget ſolches beiſeits und verwahret es wohl zu eurem Vorhaben. Ein guter Maler ſoll zwei Dinge ſonderlich fleißig in acht nehmen, nemlich den menſchlichen Körper wohl zu umreißen und die lebhafte Ausdrückung der Affecten zu merken, die man in den Sinn gefaßt hat; welches zwei Stücke von großer Wichtigkeit fein.” Eine andre Stelle lautet: „Seid bei jeder Gelegenheit, als beim Spazierengehen, begierig, die Stellung und Geberden derjenigen Perſonen anzuſehen, und gem zu beobachten, welche vertraulich mit einander reden und lachen, die ſich mit einander zanken und ſchlagen; den Begriff, ſo ihr euch davon gemacht, zeichnet geſchwind und in wenig Strichen in ein Büchlein.“ Daſſelbe ſagen, mit andern Worten, alle Künſtler noch heute. Die Mangelhaftigkeit eines ſolchen Stu⸗ diums leuchtet aber ein. Die Gelegenheiten, Menſchen im Zuſtande des Affectes zu beobachten, ſind ſelten und ſehr flüchtig, und deshalb werden immer nur wenige, beſonders begabte Künſtler im Stande ſein, die Sprache der Leidenſchaften rich⸗ tig aufzufaſſen und nachzuahmen. Von den älteren Künſtlern iſt es vorzüglich Hogarth, von den neueren Kaulbach, wel- che am glücklichſten und treueſten die mannigfaltigen und feinen Nüancen des Mienenſpiels dargeſtellt haben. Kaulbach hat in feinen Illuſtrationen zu „Reineke der Fuchs“ den ſchlagend⸗ ſten Beweis gegeben, wie richtig er die Mienenſprache in ihren Grundzügen erfaßt hat, indem er ſelbſt thieriſchen Geſichtern durch wenige characteriſtiſche Linien das Gepräge menſchlicher 15 Leidenſchaften zu geben wußte. Wie mangelhaft aber im AM- gemeinen der mimiſche Ausdruck von den Künſtlern dargeſtellt wird, davon wird ſich Jeder überzeugen, der mit Aufmerkſamkeit eine Bildergalerie durchmuſtert. Oft ſieht man da, ſelbſt auf Bildern namhafter Künſtler, Geſtalten, welche durch die Haltung des Rumpfes, durch die Bewegungen der Arme und Beine einen beſtimmten Affect, Wuth, Verzweiflung, Entzückung rw. zu er kennen geben, deren Geſichter aber, allein betrachtet, einen ganz unverſtändlichen oder gleichgültigen Ausdruck haben; oft auch ſieht man einen beabſichtigten Affect nur theilweiſe und lückenhaft im Geſichte d dargeſtellt, während z. B. der obere Theil des Ge— ſichtes, Stirn und Augen, höchſtes Entſetzen zu erkennen giebt, iſt der untere Theil, Mund und Naſe, ohne allen Ansdruck geblieben. | Die Alten liebten es bekanntlich nicht, auf den Geſichtern ihrer Statuen heftige Leidenſchaften in ihrer ganzen Schärfe darzuſtellen — und mit Recht, denn der flüchtige Ausdruck der Leidenſchaft, wenn er feſtgehalten wird auf der Leinwand > im Marmor, macht einen peinlichen widerlichen Eindruck. Der Zweck der Kunſt iſt, Behagen zu erregen, aber nicht Schrecken oder gar Widerwillen. Auf den Geſichtern der griechiſchen Statuen ſieht man deshalb den Ausdruck der Leidenſchaft gleichſam gedämpft und verhüllt unter dem Schleier claſſiſcher Ruhe. In dieſem Beftreben, das ruhige und ſchöne Ebenmaaß der Geſichtszüge möglichſt zu wahren, ſind jedoch die Alten häufig auch zu weit gegangen. Ein Beispiel davon iſt die bekannte Statue der Niobe. Sie ſteht im Kreiſe ihrer erſchlagenen Kinder, gefoltert vom tiefſten Seelenſchmerz, und doch wird ein Unbefangener auf ihrem Geſichte kaum einen andern Ausdruck finden, als den einer gleichgültigen 14 Ruhe. Winkelmann, der begeiſterte Verehrer der Alten, be— hauptet, daß ſich die Schönheit am vollkommenſten offenbare im Zuſtande der Ruhe, „wenn kein Affect die Klarheit der Seele trübt, wenn das Zünglein der Wage weder zum Schmerz noch zur Fröhlichkeit hinneigt, und der Geiſt ſich in die tiefe Stille ſelbſtvergeſſener Befriedigung und Sammlung zu— rückzieht.“ Aber nein! — der Geiſt iſt erhabener als die Form, und ein Antlitz, aus dem ein tiefes Seelenleben ſpricht, wird immer erhebender und ergreifender auf den Beſchauer einwir- ken, als ein Geſicht, welches nur den Stempel marmorner Ruhe trägt. Die Aufgabe der Kunſt iſt es, das rechte Maaß einzuhalten. Jeder Maler und jeder Bildhauer wird nun aber geſtehen, daß es ihm oft ſehr ſchwer wird, ſeinen Köpfen den Ausdruck zu geben, der ſeiner Phantaſie vorſchwebt, daß er oft planlos und vergebens ſuchen und verſuchen muß, daß es häufig nur ein Zufall oder die Inſpiration eines glücklichen Momentes iſt, die ihn finden läßt, was er ſucht. Dieſe Schwierigkeiten würde er leicht überwinden können, wenn er ſich Rechenſchaft zu geben vermögte von den Beziehungen, welche zwiſchen dem Geiſtes⸗ leben und den Geſichtsmuskeln beſtehn, wenn er wüßte, wie und warum gewiſſe Geiſteszuſtände von gewiſſen Muskelbe⸗ wegungen begleitet werden. Der Verfaſſer hat verſucht, das Meith fel zu löſen. Indem er die Sprache der Leidenſchaften bis zu ihren Urſachen ver- folgt, indem er das flüchtige und complicirte Spiel der Mienen in ſeine Einzelheiten zerlegt, gelangt er zu einer ſyſtematiſchen Eintheilung und Erklärung der mimiſchen Muskelbewegungen. Sind die von ihm aufgeſtellten Regeln richtig, ſo werden ſie dem Künſtler ein Mittel an die Hand geben, einen beliebi- 15 gen verlangten Geſichtsausdruck gleichſam mit mathe— matiſcher Beſtimmtheit zu eonſtruiren und in einem Geſichte darzuſtellen. Das Studium dieſer Regeln wird als— dann dem gewiſſenhaften und ſtrebſamen Künſtler eben fo er- ſprießlich und unerläßlich ſein, wie das Studium der Anatomie; denn wie die Anatomie ihn lehrt, die Haltungen und Bewe— gungen des Körpers richtig und naturgemäß darzuſtellen, ſo wird die Mimik ihn lehren, den Ausdruck der Leidenſchaften im Geſichte richtig und deutlich nachzuahmen. Es verſteht ſich dabei von ſelbſt, daß das Studium der Mimik einen Menſchen ebenſowenig zum Künſtler machen kann, wie das Studium der Anatomie. Zu der Darſtellung des Schönen und Idealen iſt, neben der Technik, künſtleriſcher Geſchmack, künſtleriſcher Taet erforderlich, welcher ſich nicht lehren und nicht lernen läßt. Anatomie und Mimik ſind aber Hülfswiſſenſchaften der Kunſt; ſie lehren den Künſtler Wahrheit, Wahrheit aber iſt die erſte Grundbedingung der Schönheit. Die verſchiedenen Arten des mimiſchen Ausdrucks hat der Verf. durch einfache, ſchematiſche Zeichnungen anſchaulich zu machen geſucht; ſie wurden möglichſt einfach und ſchmucklos gehalten, weil ſie um fo verſtändlicher, beweiſender und iber- zeugender fein werden, je beſtimmter und ſchematiſcher fte find”). In manchen Fällen hätte man den mimiſchen Ausdruck durch kleine Kunſtgriffe leicht noch frappanter machen können, indem man z. B. den Entſetzten mit geſträubten Haaren, unordentlichen N ) Da es ſich bei dieſen Illuſtrationen mehr um Anſchaulichkeit, Schärfe = anatomiſche Richtigkeit, als um künſtleriſche Schönheit handelte, ſo hat der Verf. es vorgezogen, ſelbſt fie anzufertigen; da er aber keineswegs Künſtler ift, ſo wird man bei der Beurtheilung derſelben keinen künſtleriſchen Maaßſtab an⸗ legen dürfen. —— — a ARR? SŘ a y. er ER d ini - —— — ... n arte = o un r n z Kleidern und emporgehobenen Händen darſtellte, den Schwärmer mit langwallenden, den Dümmling mit in die Augen hängen- den Haaren, den Zornigen mit buſchigen Augenbrauen x. Solche Hülfsmittel ſind ſehr geeignet, die Auffaſſung des Leſers zu unterſtützen und ſein Urtheil zu beſtechen; auch iſt dem Verf. kein mimiſches, phyſiognomiſches oder phrenologiſches Werk zu Geſicht gekommen, in welchem die Illuſtrationen nicht überreichlich mit dergleichen Ausſchmückungen verſehen waren. Bei den hier angefügten Zeichnungen wurde jedoch abſichtlich darauf verzichtet, und man wird finden, daß ſich bei ihnen immer dieſelbe Phyſiognomie wiederholt, entweder en profil, oder, wo es paſſend ſchien, en face. Die verſchiedenen Figuren wurden ſo angefertigt, daß zunächſt die Schablone dieſer Phy⸗ ſiognomie auf das Genauſte copirt und dann, durch wenige, characteriſtiſche Striche, der mimiſche Ausdruck hineingelegt wurde. Auf ſolche Weiſe bemühte ſich der Verf. ſeinen Zeich⸗ nungen die Einfachheit, Deutlichkeit und Beweiskraft geome- triſcher Figuren zu geben. Erkennt der unbefangene Beobachter in ihnen mit Leichtigkeit den beabſichtigten Geiſtes⸗ zuſtand, ſo liefern ſie den practiſchen Beweis, daß die Regeln richtig find, nach welchen fie conſtruirt wurden. Dieſe Illu⸗ ſtrationen beſchränken ſich auf die Darſtellung einfacher Geiftes- zuſtände, deutlich ausgeſprochener Leidenſchaften; die feinen und mannichfaltigen Modificationen und Nüancirungen des Mienen⸗ ſpiels aus dieſen einfachen Grundzügen zu componiren, muß der Hand des Künſtlers überlaſſen bleiben. Wie die Muſik, mit dem einfachen Material von 7 ganzen und 5 halben Tönen, eine unendliche Fülle von Modulationen und Harmo- nien hervorzubringen vermag, je nachdem die Töne in ver⸗ ſchiedner Weiſe ſich folgen oder zuſammenſtellen, ſo erſcheinen 17 auch auf dem menſchlichen Antlige unendliche Variationen und Modificationen des Mienenſpiels, je nachdem die verſchiedenen mimiſchen Züge neben- oder durcheinander, ſtärker oder ſchwächer auftreten. Hier können nur die Grundtöne des Mienenſpiels gelehrt werden, eine Melodie daraus zu machen, iſt Sache des Künſtlers *). | Um übrigens den Lefer zu überzeugen, daß es immer nur eine und nicht mehrere Weiſen giebt, in welcher ſich eine be— ſtimmte Leidenſchaft oder Stimmung im Geſichte äußert, um zu zeigen, daß die Schöpfungen der Künſtler mit den ſchematiſchen Zeichnungen des Verf. übereinſtimmen, find hin und wieder auch Beiſpiele aus bedeutenden Kunſtwerken alter und neuer Zeit beigefügt worden. Dabei wurden die betreffenden Original⸗ Kupferſtiche, Photographien ꝛc. mit gewiſſenhafter Sorgfalt copirt, und zwar fo, daß die characteriſtiſchen Linien „durch- gefenſtert“ und auf Oelpapier „durchgepauſcht“, die Schatten aber weggelaſſen wurden. Auf ſolche Weiſe haben diefe Con- tourzeichnungen an Schärfe und Anſchaulichkeit gewonnen, ohne an Treue zu verlieren. Beim Druck dieſes Werkes kam es vor allen Dingen darauf an, die vom Verf. angefertigten Illuſtrationen durchaus genau und fehlerlos zu vervielfältigen. Dieſe ſollen nicht nur dazu dienen, dem Leſer das Verſtändniß zu erleichtern, ſondern ſie ſollen auch die Probe und den Beweis liefern für die *) Sehr wünſchenswerth und zweckmäßig würde es fein, wenn ein intelli⸗ genter Künſtler es unternehmen wollte, nach den vom Verf. gelieferten ſchema⸗ tiſchen Zeichnungen, Gypsköpfe anzufertigen, welche in den Künſtlerakademien zum Unterricht und zum Studium dienen könnten. Daß ſolche plaſtiſche Modelle, welche ſich in die verſchiedenſten Stellungen und Lagen bringen laſſen, zu künſt⸗ leriſchen Zwecken weit inſtructiver und brauchbarer ſein würden als einfache Zeichnungen, liegt auf der Hand. : : 2 M — = JA reat E vá äs RA a č De er oto m ias 18 Richtigkeit der vom Verf. aufgeſtellten Regeln und Grundſätze. Bei der großen Einfachheit der Zeichnungen kann nun aber ſchon ein verkehrter Strich oder Punkt den Ausdruck der Phy- ſiognomie ſehr weſentlich verändern, und in Folge deffen wird der Leſer leicht verwirrt, der Verf. mißverſtanden werden. Solche kleine und doch verhängnißvolle Fehler kann der Holz— ſchneider oder Lithograph niemals ganz vermeiden. Es wurde deshalb die Photolithographie gewählt, eine Methode, wel— che in Bezug auf Genauigkeit Nichts zu wünſchen übrig läßt. Leider hat ſich jedoch der Uebelſtand dabei herausgeſtellt, daß alle Köpfe nun eigenthümlich platt und leblos erſcheinen. Die mit Bleiſtift ausgeführten Originale haben mehr Ausdruck und plaſtiſche Rundung, weil einzelne Parthien darin durch dunklere Striche, durch ſogenannte „Drucker“ hervorgehoben find. Sol- che markirte Stellen laſſen ſich aber durch die Photolithographie nicht wiedergeben, denn alle Linien kommen dabei immer nur in demſelben, gleichmäßig dunkeln Farbentone zum Vorſchein. Immerhin bot jedoch die Photolithographie ſo bedeutende Vortheile, daß ſie allen andern Methoden der Vervielfältigung vorgezogen wurde, und der Leſer möge entſchuldigen, was ſich nicht ändern ließ. Die mimiſchen Bewegungen“) treten nun aber nicht allein in den Geſichtsmuskeln auf, ſondern auch in den Mus- keln des Rumpfes und der Extremitäten, doch im Geſichte ) Von den mimiſchen Bewegungen find die pantomimiſchen zu unter ſcheiden. Während die mimiſchen Bewegungen mehr unabſichtlich, inftinctiv find, find die pantomimiſchen Bewegungen abſichtlich, und können eine plötzliche, unter- brochene, hüpfende, taktmäßige, ſchleichende, fallende, ſteigende Bewegung, die Höhe, Breite, Rundung u. ſ. w. eines Objectes nachahmen, und dienen, neben der Sprache, dazu, ſich andern Menſchen verſtändlich zu machen. 19 geben fie ſich am leichteſten zu erkennen, denn während die übrigen Muskelparthien des Körpers mehr oder weniger zu— ſammengedrängt liegen, ſind die Geſichtsmuskeln gleich— ſam auf einer Fläche ausgeſpannt, und ſelbſt eine leiſe Zuckung dieſer verhältnißmäßig fo kleinen Muskeln wird da- durch dem Auge ſofort wahrnehmbar. Aber noch aus einem anderen Grunde geben ſich Er— kregungen und Zuſtände des Geiſtes am leichteſten in den Geſichtsmuskeln zu erkennen. Es entſpringen nämlich die | Wurzeln der Nerven, welche die Geſichtsmuskeln in Bewegung ſetzen, in der unmittelbaren Nachbarſchaft des Geiſtesorgans, und aus dieſem Grunde pflanzt fch eine Erregung des Geiſtesorgans ſo außerordentlich leicht auf jene Nerven fort. Unter den Bewegungsnerven der Geſichts— muskeln iſt nun aber der Nervus facialis *), der Geſichtsnerv, bei Weitem der bedeutendſte, er iſt der eigentlich mimiſche Nerv, und jede heftige Geiſteserregung verurſacht eine Zuckung der Muskeln, welche unter ſeiner Herrſchaft ſtehn. Weshalb aber bei beſtimmten Geiſteszuſtänden beſtimmte Muskeln und Muskelgruppen in Bewegung gerathen, wird der Verf. in den folgenden Blättern darzulegen ſuchen. | Seine Unterſuchungen beſchränken ſich auf das Gebiet der Geſichtsmuskeln. Mimiſche Geſichtsbewegungen find die Folge gewiſſer Geiſteszuſtände, und jene verhalten ſich zu dieſen, wie die ) Der Nervus facialis hat bei den Thieren eine ähnliche mimiſche Bedeu- tung wie bei den Menſchen, und nicht nur das Spitzen der Ohren bei Pferden und Hunden, auch das Sträuben der Kopffedern bei den Vögeln wird durch den + facialis bewirkt. 9* | } | A 27242. | L v PR “e 20 Wirkungen zu ihren Urfachen; ein Verſtändniß der Wirkungen aber iſt nicht möglich ohne ein Verſtändniß der Urſachen, mit anderen Worten — richtige mimiſche Grundſätze laſſen ſich nur ableiten aus richtigen pſychologiſchen Grundſätzen, und deshalb müſſen zunächſt diejenigen Geiſteszuſtände erörtert werden, welche zum Verſtändniß und zur Erklärung der mimiſchen Geſichtsbewegungen dienen ſollen. II. Pſychologiſches ). AA Das Organ des Geiſtes iſt ein Theil des Gehirns und heißt, zur Unterſcheidung von andern Gehirntheilen, das Geiſteshirn. Die Thätigkeit dieſes Organs wird geweckt und unterhalten durch die ihm zuſtrömenden Sinneseindrücke. Dieſe bilden das Material der Geiſtesthätigkeit, und ohne ſie würde das Geiſtesorgan ebenſo unthätig bleiben, wie z. B. das Ge— ſichtsorgan ohne Lichteindrücke. Ein Gegenſtand iſt für den Menſchen nur in ſo weit erkennbar, als die Eigenſchaften dieſes Gegenſtandes von den Sinnesorganen aufgefaßt werden können, d. h. in ſo weit die Eigenſchaften dieſes Gegenſtandes Erregungsurſachen (adaequate Reize) der Sinnesnerven bilden. Das Geiſtesorgan iſt das Centralorgan aller Sinnesorgane, der Sammelplatz aller Sinneseindrücke. Indem die durch Eigenſchaften eines Gegen- Eine genauere Ausführung der bier berührten pfychologiſchen Fragen findet fih in des Verf. Schrift: Gehirn und Geift Leipzig und Heidelberg. 1863. Bei C. F. Winter. 22 ftandes verurſachten Sinneseindrücke zum Geiſtesorgane ge langen, und vom Geiſtesorgane (längere oder kürzere Zeit) feſtgehalten werden, entſteht die Vorſtellung dieſes Gegen— ſtandes. Für den Geiſt eriftirt alſo ein Gegenſtand nur als Vorſtellung, und wir denken nicht über den Gegenſtand ſelbſt nach, ſondern über das geiſtige Bild, welches uns, vermöge der Organifation unſrer Sinne und unſres Gehirns, aufge- zwungen wird. Jede Vorſtellung von einem Gegen— ſtande iſt alſo eine Summe von Sinneseindrücken, welche im Geiſtesorgane feſtgehalten werden. Je häufiger aber das Geiſtesorgan in derſelben Weiſe erregt wird, je häufiger dieſelbe Gruppe von Sinnesein— drücken ihm zugeführt wird, deſto vollkommner und klarer entwickelt ſich eine Vorſtellung aus der chaotiſchen Maſſe von Sinneseindrücken, welche dem Geiſte unabläſſig zuſtrömen. Die Vorſtellungen, von denen bis hierher die Rede war, find Vorſtellungen von Gegenftánden, d. h. concrete Bor- ſtellungen. Der Geiſt hat aber die Fähigkeit, die concreten Vorſtellungen zu verarbeiten und aus concreten Vorſtellungen abftracte Vorſtellungen, d. h. Vorſtellungen von Verhältniſſen zu bilden, und zwar bildet er eine abftracte Vorſtellung, indem er concrete Vorſtellungen zuſammenſtellt, und das einer Bor- ſtellungsgruppe Gemeinſame zu einer neuen Vorſtellung zu— ſammenfaßt. Mag aber eine Vorſtellung noch fo abftract ſein, fte wurzelt immer in ſinnlichen Wahrnehmungen (Nihil in intellectu, quod antea non fuerit in sensibus). Sy ift z. B. Baum eine abſtracte Vorſtellung, welche faſt allen Menſchen geläufig iſt, aber dieſe Vorſtellung iſt keineswegs bei allen Menſchen gleichartig. Sie geſtaltet ſich verſchieden— artig, je nach den conereten Vorſtellungen aus welchen ſie i 23 entſproſſen ift; anders bei einem Bewohner der Eichenwälder, anders bei einem Bewohner der Palmenländer. Da nun alſo eine abftracte Vorſtellung aus Eigen— ſchaften concreter Vorſtellungen gebildet wird, wie eine concrete Vorſtellung aus Eigenſchaften von Gegen- ſtänden, fo erſcheint eine abftracte Vorſtellung dem Geiſte in derſelben Weiſe wie die concreten Vorſtellungen, aus wel- ss chen fte hervorgegangen ift, d. h. wie ein ſinnlich wahr- nehmbarer Gegenſtand. Jeder, der ſich unbefangen prüft, wird ſich geſtehn müſſen, daß es ihm unmöglich iſt, eine ab- ſtracte Vorſtellung zu denken, welche fo abftract wäre, daß fte alle ſinnlichen Vorſtellungen ausſchlöſſe. Jede abftracte Bor- ſtellung erſcheint dem Geiſte immer als ein Object im Raume, d. h. als eine Geſtaltung (oder Gruppe von Geſtaltungen) oder als ein Object in der Zeit), d. h. als eine Begebenheit. Wer ſich einbildet, daß er eine abſtracte Vorſtellung von allen ſinnlichen Vorſtellungen entkleidet denken könne, der denkt gewiß nur ein leeres Wort, d. h. eine Klangverbindung ohne geiſtigen Inhalt. Wir ſind hiermit an dem erſten Fundamentalſatze der Mimik angelangt. Er heißt: Da jede Vorſtellung dem Geiſte ge genſtändlich erſcheint, fo beziehen fich die durch Vorſtellungen veranlaßten mimiſchen Muskel- bewegungen auf imaginaere Gegenſtände. Die Vorſtellungen können angenehmer oder unange- | nehmer Art ſein, und zwar ſind dieſes erſtens: ſolche, welche ) Die Vorſtellungen Raum und Zeit, die Vorſtellungen des Nebeneinander und Nacheinander ſind die abſtracteſten Vorſtellungen. Die Wörter Raum und Zeit bezeichnen die allgemeinſten Erſcheinungsweiſen der Dinge. — — RR, —.— — — TM aus harmoniſchen oder disharmoniſchen Sinnesein— drücken) entſprungen find, d. h. Vorſtellungen, welche allgemein als angenehm oder unangenehm aufgefaßt werden, und zweitens: ſolche, welche angeborenen“) oder ange— gewöhnten Neigungen oder Abneigungen entſprechend ſind, d. h. Vorſtellungen, welche individuell als angenehm oder unangenehm aufgefaßt werden. Da nun aber gezeigt wurde, daß alle Vorſtellungen dem Geiſte erſcheinen wie ſinnlich wahrnehmbare Gegenſtände, ſo erſcheinen die angenehmen oder unangenehmen Vor— ſtellungen dem Geiſte wie angenehme oder unange— nehme Gegenſtände, d. h. wie Gegenſtände, deren Cigen- ſchaften harmoniſch oder disharmoniſch auf die Sinnesorgane einwirken“ “). *) Wie jedes Sinnesorgan die Eigenſchaft beſitzt, nur durch gewiſſe (ihm adäquate) Reize erregbar zu ſein, ſo hat auch ferner jedes Sinnesorgan die Eigenſchaft, von einigen dieſer adäquaten Reize harmoniſch, von anderen dishar⸗ moniſch erregt zu werden. Je umfaſſender, je abſtracter, je vergeiſtigter eine angenehme oder unangenehme Vorſtellung iſt, deſto mehr tritt natürlich in ihr die Erinnerung an die einzelnen harmoniſchen oder disharmoniſchen Sinnesein⸗ drücke zurück, aus welchen ſie entſprungen iſt. *) Eine ſolche angeborene Neigung iſt gleichbedeutend mit einer angeborenen Dispoſition des Geiſteshirns gewiſſe Vorſtellungen mit beſonderer Leichtigkeit und Vorliebe zu bilden und feſtzuhalten. (Sinn für Muſik, Malerei, Mathematik, Sprache, Liebe zur Heimath, zur Familie, Luft am Wandern, am Kämpfen u. ſ. w.) za) Daß abſtracte angenehme oder unangenehme Vorſtellungen den Geiſt in derſelben Weiſe erregen, wie harmoniſche oder disharmoniſche Sinneseindrücke, darauf deutet ſchon die Sprache hin, in welcher man Bezeichnungen von harmo⸗ niſchen oder disharmoniſchen Sinneseindrücken übertragen findet auf abſtracte Vorſtellungen. Das Wort Schmerz z. B. bezeichnet ebenſowohl disharmoniſche Gefühlseindrücke, wie auch den unangenehmen Charakter mancher abſtracten Vor⸗ ſtellungen (3. B. Schmerz der Trennung). Das Wort bitter wird ſowohl für disharmoniſche Geſchmackseindrücke, wie auch für abſtracte Vorſtellungen ange⸗ wendet (3. B. bittere Kränkung, bittere Verluſte). Man ſpricht von ſüßen Ge⸗ ſchmackseindrücken wie von ſüßer Liebesluſt, von finſtern Geſichtseindrücken wie von finſtern Mordgedanken, vom hellen Strahl des Lichts wie vom hellen 25 Hiermit find wir zu Dem zweiten Fundamentalgeſetze Der Mimik gelangt. Es heißt: Die durch angenehme oder unangenehme Vorſtellungen verurſachten mimiſchen Muskelbewegungen beziehen ſich auf imaginaere harmoniſche (angenehme) oder dis harmoniſche (unan⸗ genehme) Sinneseindrücke. Die durch angenehme Vor⸗ ſtellungen veranlaßten mimiſchen Muskelbewegungen beziehen ſich auf harmoniſche imaginaere Sinneseindrücke, die durch unangenehme Vorſtellungen veranlaßten mimiſchen Muskel⸗ bewegungen beziehen ſich auf disharmoniſche imagingere Sinneseindrücke. E Die durch Geiſteszuſtände verurſachten mimi⸗ ſchen Muskelbewegungen beziehen ſich alſo theils auf imaginaere Gegenſtände, theils auf imaginaere Sinneseindrücke. In dieſem Satze liegt der Schlüſſel zum Verſtändniß aller mimiſchen Muskelbewegungen. Bekanntlich wird keinesweges jede Art der Geiftesthätig- keit von mimiſchen Muskelbewegungen begleitet. Es treten ~ dieſe aber immer um fo gewiſſer auf, je intenſiver der Geiſt durch eine Vorſtellung affieirt wird, und es wirkt eine Vor⸗ ſtellung um fo intenfiver: 1. je ausgeprägter der angenehme oder unange— nehme Character derſelben iſt. Wie harmoniſche oder disharmoniſche Sinneseindrücke den Geiſt lebhafter afficiren als dndifferente, wie z. B. eine leiſe Diſſonanz den Geiſt mehr affieirt als ein lauter aber reiner Ton, fo wird auch Strahl der Hoffnung. Warme, heiße, kalte, ſchauerliche Gefühle ſind Ausdrücke, welche nicht nur verſchiedenartige Erregungen des Gefühlsorgans bezeichnen, fon- dern auch mancherlei abſtracte Vorſtellungen. Man redet von warmer und erz kaltender Freundſchaft, heißer Liebe, kaltem Spott u. f. w. 26 der Geift durch eine angenehme oder unangenehme Vorſtellung, z. B. durch die Vorſtellung der Geliebten, lebhafter erregt, als durch eine indifferente Vorſtellung, z. B. die Vorſtellung von einem Spazierſtock; 2. wirkt eine Vorſtellung um ſo intenſiver, je plötz— licher ſie auftritt. Wie eine Sinneserregung, ſo affieirt jede Vorſtellung den Geiſt um ſo mehr, je unvorbereiteter ſie erſcheint. Wie z. B. ein in dunkler Nacht plötzlich hervor— brechendes grelles Licht den Geiſt ſtärker erregt, als eine all— mählig zunehmende Helligkeit, — ſo erregt auch eine Vor⸗ ſtellung den Geiſt um ſo ſtärker, je plötzlicher ſie erſcheint; die Nachricht von einem unerwarteten Todesfalle z. B. affieirt den Geiſt heftiger, als die Nachricht von einem langerwarteten. Natürlich bleibt die Intenſität einer Geiſteserregung die— ſelbe, wenn eine ihrer Urſachen ſchwächer wird, während eine andere in entſprechendem Verhältniſſe ſtärker wird, eine ſehr plötzliche und dabei wenig angenehme oder unangenehme Vor— ſtellung kann deshalb eben ſo wohl Veranlaſſung zu mimiſchen Muskelbewegungen geben, wie eine wenig plötzliche aber dabei ſehr angenehme oder unangenehme Vorſtellung. Die mimiſchen Muskelbewegungen äußern fich haupt- ſächlich an den zahlreichen und beweglichen Muskeln des Geſichts, theils weil, wie oben angegeben wurde, die Nerven, durch welche ſie in Bewegung geſetzt werden, in unmittelbarſter Nähe des Geiſtesorgans entſpringen, theils aber auch, weil diet Muskeln dazu dienen, die Thätigkeit der Sinnesorgane zu unterſtützen. Die auf imaginaere Sinneseindrücke be— züglichen mimiſchen Bewegungen treten am leichteſten und deutlichſten an denjenigen Geſichtsmuskeln hervor, welche durch ihre Beziehung zu den Sinnesorganen am beſtändigſten thätig, M am leichteſten erregbar find. Sie treten alſo am leichteſten hervor an den Muskeln des Geſichtsorgans, weniger leicht an denen des Geſchmacksorgans, ſeltner an denen des Ge— ruchsorgans und am ſeltenſten an denen des Gehörorgans. (In welcher Weiſe ſich Erregungen des Gefühlsorgans im Geſicht äußern, wird ſpäter erläutert werden.) $ III. Mimik der Augen. Ae Durch die Augen, durch den Geſichtſinn, empfängt der Geiſt den größten Theil des Materials, welches er verarbeitet. Unabläſſig thätig umfaßt das Auge in einem Momente die fernſten Räume und die mannichfaltigſten Gegenſtände, es lehrt uns Farben und Formen kennen und iſt ein immer ſpendender Quell der reichſten Freuden; es führt den Geiſt hinauf in die lichten Höhen überirdiſcher Ahnungen und in die tiefſten Schachten der Wiſſenſchaft. Dieſes koſtbare und empfindliche Organ liegt auf der Höhe des Hauptes, eingebettet in eine feſte Knochenhöhle, deren oberer Rand ſchützend vorſpringt. Die knöcherne Augen— höhle wird nach Außen durch die beiden Augenlider geſchloſſen. Hinter ihnen liegt der kugelförmige Augapfel, Fig. 1, um— kleidet mit einer weißen, ſtraffen, durchſichtigen Haut. Zwiſchen den geöffneten Augenlidern ſieht man in dieſer weißen Haut einen kreisrunden Ausſchnitt, durch welchen, wie durch ein Fenſter, die Lichtſtrahlen in die innern Räume des Augapfels fallen. Geſchloſſen iſt dieſes Augenfenſter durch 29 eine fryftallflare, durchſichtige Haut, die ſogenannte Hornhaut, Fig. la, und hinter dieſer liegt, kranzartig, die Iris oder Regenbogenhaut, Fig. 1 b, welche bekanntlich bei verſchiedenen Menſchen verſchiedenartig gefärbt ift. Im Centrum dieſer Regen- bogenhaut erſcheint, wie ein ſchwarzer Punkt das Sehloch, die Pupille, deren Größe wechſelt, je nachdem die Regenbogen— haut ſich zuſammenzieht oder ausdehnt. Bei der mimiſchen Unterſuchung der Augen beſchäftigt uns 1. Der Blick, d. h. die Bewegungen des Augapfels. Der Augapfel ruht ſo loſe in ſeinem Knochengehäuſe, daß er mit größter Leichtigkeit und Schnelligkeit bewegt wer- den kann, und zwar geſchieht dies durch 6 Muskeln, welche, in der Tiefe der knöchernen Augenhöhle entſpringend, ſich oben, unten und zu beiden Seiten an den Augapfel heften. (Mm. rectus superior, rectus inferior, rectus internus, rectus externus, obliquus superior, obliquus inferior.) Die Muskeln des Augapfels ſtehn nicht unter dem Ein— fluſſe des Geſichtsnerven (J. facialis), ſondern unter der Herr⸗ ſchaft eigener Nerven (des N. oculomotorius, abducens und trochlearis) und daraus erklärt ſich, weshalb die Augen- muskeln ſo oft und leicht in Bewegung gerathen, ohne daß die übrigen Geſichtsmuskeln an dieſen Bewegungen Theil nehmen. Uebrigens entſpringen die Nerven der Augenmuskeln, ebenſowohl wie der Geſichtsnerv (vergl. S. 19), in unmittel⸗ barſter Nähe des Geiſtesorgans, und wie die unter Der Herre ſchaft des Geſichtsnerven ſtehenden Muskeln, ſo werden deshalb auch die Augenmuskeln durch Geiſteserregungen leicht beein— flußt und zu Bewegungen veranlaßt. Es blickt der Menſch, indem er durch die eben ange— führten Muskeln ſeine Augen in Bewegung ſetzt und auf den Gegenſtand richtet, welchen er ſehn will; der fixirte Ge- genſtand bildet alsdann den Kreuzungspunkt der beiden Seh— achſen, d. h. zweier Linien, welche man ſich vom Centrum der beiden Pupillen nach dem angeblickten Gegenſtande gezogen denkt *). Der Augapfel it der beweglichſte Theil des menſch— *) Je ferner der angeblickte Gegenſtand liegt, deſto ferner liegt auch dieſer Kreuzungs⸗ oder Convergenzpunkt der Seharen, deſto ſpitzer wird der Winkel, welchen die beiden Sehaxen bei ihrem Convergenzpunkte bilden, deſto näher rücken [id die Pupillen. Joh. Müller hat in feiner Abhandlung über die verz gleichende Phyſiologie des Geſichtſinnes einige Bemerkungen über die mimiſche und phyſiognomiſche Bedeutung des Blickes gemacht und behauptet: daß beim offenen Lachen der Convergenzpunkt hinter das vorher fixirte Object falle, beim Verliebtſein vor das Object, bei der Sehnſucht — in große Ferne u. j. w., bei den erhebenden Affecten (Hoffnung, Freude, Bewunderung, Erſtaunen) ſoll der Menſch in die Ferne ſehn, bei den deprimirenden Affecten (Furcht, Traurig- keit, Scham) ſoll er in die Nähe blicken. Ferner ſagt er, daß das Auge am liebſten der Wellenlinie folge, und deshalb bewege ſich auch bei erhebenden Affecten der Blick in Wellenlinien. Der beſcheidene, ſanfte, weibliche Blick ſoll ſich durch ſeine wellenförmige Richtung characteriſiren, dagegen mache ein Menſch, deſſen Blick ſich geradlinig von einem Gegenſtande zum andern wende, niemals einen angenehmen Eindruck, und, je nach den verſchiedenen Neben- umſtänden, den Eindruck der Unbeholfenheit, der moraliſchen Verkehrtheit, des Bornes, des ſtrafenden Tadels, der Verachtung, des Neides. Verf. muß geſtehen, daß er ſich von der Richtigkeit dieſer Behauptungen nicht hat überzeugen können. Die phyſiognomiſche Bedeutung des Blicks hängt nach Joh. Müller vorzugsweiſe davon ab, ob der Convergenzpunkt der Sehaxen für gewöhnlich mehr in die Nähe, oder in die Ferne falle, d. h. ob der Menſch für gewöhnlich mehr in die Nähe oder mehr in die Ferne blicke. Bei Handwerkern, Künſt⸗ lern, Büchergelehrten ſoll der phyſiognomiſche Convergenzpunkt mehr in der = 31 lichen Körpers, jo beweglich, daß man mit dem Worte , Augen- blick“ den kürzeſten Zeitabſchnitt bezeichnet, welcher für den nenſchlichen Geiſt denkbar it. Um ſo flüchtiger aber der Blick iſt, um ſo größer iſt ſeine mimiſche Bedeutung, um ſo characteriſtiſcher iſt er für die Erkenntniß des Geiſteslebens. Geſetzt 3. B., wir reden mit einem Menſchen, welcher ſich ſtellt, als ob er nicht das geringſte Intereſſe an unſern Wor- ten nähme, der vielleicht gleichgültig den Kopf zur Seite wendet, — ein einziger aufmerkſamer Blick, fet ev auch flüchtig wie ein Gedanke, wird uns verrathen, daß ſeine Theilnahm— loſigkeit eine geheuchelte iſt. Umgekehrt, mag Jemand vorgeben, uns mit dem größten Intereſſe zuzuhören, aber ein einziger zerſtreuter, abſchweifender Blick zeigt uns, daß feine Aufmerf- ſamkeit eine fingirte ift. | Plötzlich auftauchende und raſch vorüberziehende Vorſtel— ungen und Gedanken geben ſich oft nur durch einen veränderten lick zu erkennen, während alle übrigen Geſichtszüge unver— andert bleiben. Daß aber der Blick lebhafter wird, nicht nur wenn die Aufmerkſamkeit auf ſichtbare Gegenſtände, ſondern auch wenn ſie auf Vorſtellungen gerichtet wird, erkärt ſich 3 mühe liegen, dagegen mehr in der Ferne bei Seeleuten, Jägern, Landleuten — bet dem Philoſophen, welcher von ſinnlichen Dingen abſtrahirt. jh erf. hat dagegen einzuwenden, daß, wenn das Philofophiren ein ange⸗ . "tes logiſches Denken ift, man lebhaft in die Nähe zu blicken pflegt, als ob sa abſtraeten Vorſtellungen (wie eben in der pſychologiſchen Einleitung gezeigt M ſichtbare Gegenſtände ſeien, welche man genau zu betrachten ſtrebe; da⸗ = bat er beobachtet, daß Gemüths- und Phantaſie-Menſchen, deren ideale ih anken oft über die Wirklichkeit hinausfliegen, ſogenannte Schwärmer, häufig on Blick träumeriſch in die Ferne ſchwärmen laſſen, als ob das Ziel ihrer ng und ihrer Gedanken weitab läge von den Intereſſen des gewöhnlichen als Ka Doch ift für eine ſolche Geiſtesrichtung mehr noch der Blick nach Oben, er Blick in die Ferne characteriſtiſch. Vergl. darüber das Nähere bei dem Vtzückten Blick“ S. 37. : 32 aus der pſychologiſchen Einleitung, in welcher gezeigt wurde, daß die Vorſtellungen dem Geiſte erſcheinen, wie ſinnlich wahr⸗ nehmbare Gegenſtände. Bei der Betrachtung und Unterſuchung der verſchiedenen Arten des Blicks haben wir A. Die Beweglichkeit, B. Die Richtung deſſelben zu berückſichtigen. Characteriſtiſch durch die größere oder geringere Beweg— lichkeit iſt der träge, lebhafte, feſte, ſanfte, umher⸗ ſchweifende, unſtäte Blick. Characteriſtiſch durch die beſondere Richtung iſt der verſteckte, der pedantiſche und der entzückte Blick. Unterſuchen wir zunächſt: A, Die Arten des Blicks, welche fh durch den verſchiede⸗ nen Grad der Beweglichkeit characteriſiren. a. Der müde und träge Blick. Bekanntlich hat die Leiſtungsfähigkeit des Menſchen ihre ſehr beſtimmten Gränzen, und wenn man ungewöhnliche Anz ſtrengungen gemacht hat, oder wenn man auch nur die ge wöhnliche Anzahl von Stunden wach geweſen iſt, ſo tritt ein Zuſtand der Erſchöpfung, der Ermüdung ein; das Be⸗ dürfniß der Ruhe macht ſich gebieteriſch geltend, und der Schlaf fordert ſein Recht. Dieſem Zuſtande der Erſchöpfung erliegt auch das Geiſtesorgan, das Gehirn; ſeine Erregbarkeit nimmt allmählig ab, Sinneseindrücke und Vorſtellungen ma⸗ chen weniger Effect, und die Denkthätigkeit wird immer ſchlaffer, langſamer und verworrener. Je träger aber die Geiſtesthätig⸗ keit iſt, deſto träger und matter wird auch die Bewegung der Augapfelmuskeln, deſto müder, träger und träumeriſcher wird 33 auch der Blick, fet es, daß die Aufmerkſamkeit auf ſinnlich wahrnehmbare Gegenſtände, ſei es, daß ſie auf Vorſtellungen (0. h. auf imaginaere Gegenſtände) gerichtet iſt. Phyſiognomiſches: Wenn deshalb ein Menſch ohne körperliche Urſache und für gewöhnlich träge und träumeriſch blickt, ſo darf man auf Geiſtesträgheit und Gedankenloſigkeit ſchließen. b. Je wechſelnder, verſchiedenartiger und überraſchender die Objecte der Geiſtesthätigkeit find, je mehr man durch Geſehenes oder Gehörtes zu überraſchenden Erinnerungen oder Reflerionen angeregt wird, deſto raſcher wird die Bewegung der Augapfelmuskeln, deſto beweglicher und lebhafter wird der Blick. s Phyſiognomif ches: Es hängt aber die Lebhaftigkeit der Geiſtesthätigkeit nicht allein von den erregenden äußeren Urſachen ab, ſondern auch, und vorzugsweiſe, von der Erregbarkeit des Geiſtes, von der ange- borenen Dispoſition, vermöge welcher einige Menſchen leichter als andere durch Sinneseindrücke, Erinnerungen oder Reflexionen afficirt werden. Wenn deshalb ein Menſch für gewöhnlich und ohne beſondere Veranlaſſung raſch und lebhaft blickt, ſo darf man überzeugt ſein, daß er lebhaften und regſamen Geiſtes iſt. c. Je mehr die Aufmerksamkeit durch Gegenftände oder Vorſtellungen gefeſſelt wird, deſto geſpannter ſind die Aug⸗ apfelmuskeln, deſto beobachtender, deſto firivender, deſto feſter wird der Blick. . Feſt ift der Blick, wenn man wirklichen oder vorgeſtellten Objeeten in Wirklichkeit oder in Gedanken mit Energie entgegentritt; feſt blickt der Menſch, wenn er ſich an⸗ ſchickt, mit Entſchloſſenheit zu handeln oder mit Energie nach⸗ zudenken. Am ſtraffſten iſt die Spannung der Augapfelmus⸗ keln, und ſtarr it der Blick im Zuſtande der Wuth — der ſtarren, vernichtenden Wuth. Bei der wilden Wuth aber, die 3 p — i — — — a er a mä O — — — —— 05 mur 4 j H = W mi A H Y i / H { H ali a y ~ } | i | + & | N a: Y 3 | | 1 $ J iff * ¿El a? a i 4 i a = i , M/N a (W i i i |. u ns < i H, L H P 3 i i li -JM i] i a gia EL 17 j $ ES | y Bias A ARE i 144.0- ER 018 | i N: | EE ji E | 13 i 4 n i 1 ] ia L $ j ii 4 Ei 7 3 . 19 iq —ͤ—ͤ— — ———— — 34 ingrimmig umherſucht nach dem Gegenſtande ihres Haſſes, nach Mitteln und Wegen, um dieſen Haß zu befriedigen, iſt auch der Blick wild, d. h. durchbohrend und raſch zugleich. — Starr iſt auch der Blick des Entſetzens; denn im Zuſtande des Entſetzens, wie im Zuſtande der ſtarren Wuth, ift die Auf- merkſamkeit auf ein beſtimmtes (ſinnlich wahrnehmbares oder imagingeres Object) concentrirt “). Phyſiognomiſches: Wem ein fixirender, feſter Blick, d. h. eine eigen⸗ thümlich ſtraffe Bewegung der Augapfelmuskeln eigen ift, der beſitzt Energie, Energie im Handeln oder Denken oder auch in beiden. d. Bei dem ſanften Blick ift die Bewegung der Aig- apfelmuskeln eine ruhige und behagliche. Der Blick haftet ohne Anſtrengung und wendet ſich ab ohne Eile; er drückt Theilnahme (an Gegenſtänden oder Vorſtellungen) aus ohne Leidenſchaft. Phyſiognomiſches: Der ſanfte Blick deutet auf Sanftmüthigkeit. e. Umherſchweifend ijt der Blick im Zuſtande der Zerſtreuung. In buntem Wechſel kommen und gehn die Bor- ſtellungen, ohne daß die Aufmerkſamkeit durch eine derſelben beſonders angezogen oder gefeſſelt wird, und demgemäß gleitet auch der Blick ſchwankend und zerſtreut umher. Phyſiognomiſches: Der häufig umherſchweifende Blick läßt auf Mangel an Ausdauer, auf leichten Sinn aber auch auf Leichtſinn ſchließen. £ Der unſtäte Blick kann nicht lange auf einem Ge- genſtande haften. Unſicher und unſtät blickt das Auge im Zuſtande der Verwirrung, der Scham und der Furcht; in ) Beiläufig fet ſchon hier erwähnt (was erft ſpäter genauer erörtert wer- den kann), daß bei dem trägen Blick zugleich die Augendeckel geſenkt, bei dem lebhaften und feſten Blick aber die Augendeckel gehoben ſind. 35 ſolchen Zuſtänden iſt das Selbſtvertrauen verloren, und der Menſch ſucht Hülfe, Stütze, Flucht. Mag nun die peinliche Lage, der man entrinnen mögte, fich auf materielle oder gei- ſtige Dinge, auf Gegenſtände oder Vorſtellungen beziehn, in beiden Fällen wird der Menſch unſtät und ſuchend umher⸗ blicken (nach wirklichen oder imaginaeren Objecten). Auch das ſchuldbewußte Gewiſſen verräth ſich durch den unſtäten Blick. Wie der Furchtſame das Vertrauen zu ſich ſelber, ſo hat der Schuldbewußte das Vertrauen zu Andern verloren; ſcheu und haſtig blickt er die Menſchen an, denn überall fürchtet er erkannt, durchſchaut, verfolgt, geſtraft zu werden. a Phyſiognomiſches: Der unftäte Blick ift ſehr ſchüchternen und furcht⸗ ſamen Naturen eigen, aber auch Menſchen, welche von ihrem böſen Gewiſſen geängſtigt werden. Nachdem nun die Bedeutung der größeren oder geringeren Beweglichkeit des Blicks erörtert worden iſt, folgen: B. Die Arten des Blickes, welche fidh durch ihre befondere Richtung characteriſtren. a. Der verſteckte Blick. Wenn man unbemerkt be- obachten möchte, wenn man aufmerkſam iſt, aber unaufmerkſam ſcheinen will, ſo hält man ſich ſtill und regungslos, um durch Bewegungen und Geräuſch die Aufmerkſamkeit Anderer nicht auf ſich zu ziehn; man giebt dem Körper eine gleichgültige Hal⸗ tung, man wendet den Kopf ab und läßt ihn theilnahmlos ſinken, nur durch die Spannung der Augapfelmuskeln und durch den aufmerkſamen Blick, der ſchräg aufwärts nach der 3 * 36 Seite des beobachtenden Gegenſtandes gerichtet ift, verräth fich der Zuſtand des Geiſtes. Fig. 2, vergl. auch Fig. 32. Wenn der verſteckte Blick zugleich ein unſtäter iſt, ſo läßt er ängſtliche Befürchtungen erkennen, iſt der verſteckte Blick aber zugleich ein feſter, ein lauernder, ſo darf man überzeugt fein, daß der Menſch nur den rechten Moment er- lauert, um mit Energie dem Gegenſtande ſeiner Aufmerkſamkeit entgegenzutreten. Verſteckt blickt man aber nicht allein in Gegenwart an— derer Menſchen, von denen man fürchtet beobachtet zu werden, ſondern auch wenn man allein iſt und ſich in Gedanken ſehr lebhaft mit Vorſtellungen und Verhältniſſen beſchäftigt, denen man mißtraut (denn dem Geiſte erſcheinen Vorſtellungen wie ſinnlich wahrnehmbare Gegenſtände). Phyſiognomiſches: Wenn der verſteckte Blick bei einem Menſchen habi⸗ tuell geworden ift, fo darf man annehmen, daß Mißtrauen ein Grund- zug ſeines Charakters iſt. b. Der pedantiſche Blick. Eine gewiſſe Aehnlichkeit mit dem verſteckten Blick hat der pedantiſche Blick, denn bei dieſem wie bei jenem folgt der Kopf nicht der Richtung des Blicks, ſondern er verharrt in ſeiner einmal angenommenen Haltung. Doch während beim verſteckten Blick der Koͤpf meiſtentheils etwas geſenkt und die Haltung des Körpers eine affeetirt gleichgültige tft, wird beim pedantiſchen Blicke der Kopf ſteif, der ganze Körper ſtraff gehalten, und gleichſam mit Widerwillen folgt der ſtarre Kopf der Richtung des Blicks. Dieſe ſteife Haltung des Körpers bei dem pedantiſchen Blicke zeigt, daß die Aufmerkſamkeit des Menſchen mehr auf ſich ſelber gerichtet iſt als auf ſeine Umgebung, daß er mit 31 Hartnäckigkeit ſeine Stellung gegenüber der Außenwelt be- hauptet. Phyſiognomiſches: Den pedantiſchen Blick findet man bei Menſchen, welche in ihrem Geiſtesleben ängſtlich feſthalten an gewohnten For⸗ men, Gedanken und Ueberzeugungen, welche ungern das Alte fahren laſſen und ſich mit Widerwillen zum Neuen wenden, mit einem Worte bei — Pedanten. c. Der entzückte Blick it nach Oben gerichtet, nach etwas Höherem, dem man ſich unterordnet, nach etwas Erha— benem, dem gegenüber man ſich ſelber niedrig fühlt. Im Himmel ſucht der Menſch den Wohnſitz der höchſten Gottheit, der Himmel iſt für ihn der Raum des Unendlichen, Unergründlichen. Aber nicht nur mit angſtvollem Grauen ſchaut er zum Himmel empor, auch mit Gefühlen freudiger Dankbarkeit, denn am Himmel leuchtet ihm die faßlichſte, die weſenhafteſte, freundlichſte Gottheit — die Sonne, von dort kommt ihm das Licht, das erwärmende, erquickende, belebende Urelement alles irdiſchen Lebens. Liegt doch das Hinſtreben zum Lichte ſo tief in der Natur aller Weſen, daß ſelbſt die Pflanze ihm ſuchend entgegenwächſt. Auch der Menſch ſucht mit ſeinem Auge den Himmel, wenn er von Leiden erdrückt, oder wenn er von Seligkeit gehoben wird. Im großen Glück, wie im großen Unglück überwältigt ihn das Gefühl ſeiner eigenen Schwäche und Ab— hängigkeit, er fühlt ſich klein und unbedeutend gegenüber den himmliſchen Mächten und unwillkürlich blickt er empor zu dem Höchſten. Fig. 3. — Fig. 4 iſt die Copie einer Madonna von Guido Reni. Das Höchſte aber iſt auch das Fernſte, und der ent— zückte Blick iſt deshalb nicht allein nach Oben, er iſt auch 38 in die Ferne gerichtet. — Se mehr man in die Nähe blickt, deſto mehr convergirend find die Seharen (vergl. die Anmer- kung Seite 30), defto mehr nähern ſich die Pupillen der beiden Augen; je mehr man aber in die Ferne blickt, deſto weniger convergirend find die Seharen, deſto mehr treten die Bus pillen auseinander. Bei dem entzückten Blicke, der zugleich ſehnſuchtsvoll in unendliche Fernen gerichtet ift, find die Seh- aren der beiden Augen faſt parallel laufend. Bei dem Blicke nach Oben wird der Augapfel (durch die Muskeln rectus superior und obliquus superior) ſoweit nach hinten gerollt, daß ein Theil der runden Hornhaut (des durchſichtigen Augenfenſters) unter dem oberen Augenlide ver ſchwindet, wogegen dann unterhalb der Hornhaut ein Theil von dem „Weißen“ des Auges ſichtbar wird. Fig. 3 und 4. Phyſiognomiſches: Den entzückten, ſchwärmeriſchen, d. h. den nach Oben und in die Ferne gerichteten Blick findet man phyſiognomiſch bei Menſchen, deren Geiſt ſich vorzugsweiſe in der Sphäre des Erhabenen, in der Welt der Ideale bewegt, und je mehr dieſe Richtung überhand genommen hat, bei romantiſchen und phantaſtiſchen Menſchen, deſto leichter und öfter nimmt ihr Blick den ſchwärmeriſchen Ausdruck an, auch bei geringfügigen Veranlaſſungen, und wenn der Blick nicht gerade auf beſtimmte Gegenſtände gerichtet iſt. Ihre Augen ſind beſonders dadurch auffallend, daß zwiſchen dem unteren Rande der Hornhaut und dem Rande des unteren Augenlides „das Weiße“ vom Ange ficht- bar iſt. C. Reſumé der mimiſchen Bewegungen, welche ſich auf den Blick beziehen. An dem trägen Blicke erkennt man — körper⸗ liche Erſchöpfung und geiſtige Trägheit; an dem lebhaften Blicke — Aufregung; an dem mehr oder weniger feſten, firirenden Blicke — verſchiedene Grade gejpannter Aufmerkſamkeit; an dem fanjten Blicke — Theiluahme ohne Leidenſchaft; an dem umherſchweifenden Blicke — Zerſtreuung; an dem unſtäten Blicke — Angſt. Der verſteckte Blick den- tet auf Mißtrauen; der pedantiſche Blick auf Zu- rückhaltung; der entzückte Blick auf Exaltatin. Bei der mimiſchen Unterſuchung der Augen beſchäftigt uns nun: 2 Das Schließen und das Oeffnen der Augen. Geſchloſſen wird das Auge durch den Augenſchließ— muskel (M. orbicularis palpebrarum, Fig. 5 aa bb.), und unterſtützt wird die Thätigkeit dieſes Muskels durch einen Hülfsmuskel — den Augenbrauenmuskel (M. corrugator Supercilii, Fig. 5 c.). Geöffnet wird das Auge durch den Augendeckelheber (M. levator palpebrae superioris, Fig. 5 .) und unterſtützt wird die Thätigkeit auch dieſes Muskels durch einen Hülfsmuskel — den Stirnmuskel (M. frontalis Fig. 5ee.). Die Wirkung des Augendeckelhebers (und des Stirnmuskels) iſt alſo der Wirkung des Augenſchließmuskels (und des Augenbrauenmuskels) entgegengeſetzt, und die Augen— deckelheber (ſammt den Stirnmuskeln) find als Antagoniſten der Augenſchließmuskeln (ſammt den Augenbrauenmuskeln) anzuſehn *). | ) Verf. hat die hauptſächlichſten Geſichtsmuskeln in einer ſchematiſchen Zeich⸗ nung, Fig. 5, zuſammengeſtellt. In Wirklichkeit ſind die Geſichtsmuskeln nicht ſo charf von einander getrennt, vielmehr gehen ſie, durch verknüpfende Muskel⸗ et ca m a — N — } sä T E H A ää T i |i i He 4 . Ba | N kJ s ja \ j je | d 1 5 7 | i] 1 H rá i f P ' . a es aie gana MIV E aie 143% | had H lea hip E ii E | p h F. n r E | E KEL sia! i 3 $i 4 -E i M Ep $ H > < * 7 q NE aii ar | ‘a A. Das Schließen der Augen. a. Die Augenſchließmuskeln. Es wurde bereits gezeigt, daß der Augapfel in einer Knochenhöhle liegt. Der Eingang zu dieſer Höhle wird ver— ſchloſſen durch den Augenſchließmuskel, Fig. 5 aa bb, welcher mit feinen Faſern auf dem Rande der Augenhöhle entfprin- gend, ſich platt und kreisförmig, wie eine ſchützende Decke auf den Augapfel legt. In der Mitte dieſes Muskels befindet ſich eine Querſpalte — die Augenſpalte, welche geſchloſſen wird, indem der Augenſchließmuskel ſich ſchlingenartig zuſammenzieht. In den Rändern der Augenſpalte, und eng verwoben mit den centralen Faſern des Augenſchließmuskels, befindet ſich eine knorpelartige Subſtanz, durch welche den Augenlidern größere Feſtigkeit und dem Auge größerer Schutz verliehen wird. Geöffnet wird das Auge, indem (durch die Wirkung des ſpäter näher zu beſchreibenden Augendeckelhebers) das obere Augenlid in die Höhe gezogen wird, und es erſcheint dann, zwiſchen den Rändern der Augenſpalte, das runde Augenfenſter, die durchſichtige Hornhaut, umgeben von dem „Weißen“ des Auges. Dabei wird ein übermäßiges Oeffnen des Auges durch zwei kleine, ftraffe Bänder verhindert, welche, an dem knö— chernen Rande der Augenhöhle entſpringend, ſich in den Ecken faſern vielfach in einander über (vergl. Henle's Handbuch der Anatomie, III. 3. pag. 133). Da es aber hier darauf ankam, dem Leſer verſtändlich zu machen, in welcher Richtung die Wirkung der Geſichtsmuskeln ſtattfindet, in welcher Weiſe ſich ihre Spannung auf dem Geſichte geltend macht, ſo erſchien eine ſchematiſche Zeichnung nicht allein genügend, ſondern auch zweckdienlicher als eine genau anatomiſche. Auf der rechten Geſichtshälfte der Zeichnung find die hauptſächlich⸗ ſten oberflächlichen Muskeln angegeben, auf der linken Hälfte ſind dieſe weg— gelaſſen, um einige tiefer liegende Muskeln ſehen zu laſſen. 41 der Augenſpalte (in den ſogenannten Augenwinkeln) befeſtigen, und durch ihre horizontale Spannung der vertikalen Wirkung des Augendeckelhebers eine Gränze ſetzen. Während des Schlafes ſind die Muskeln des Körpers erſchlafft und ruhn; der Augenſchließmuskel aber hat die Muf- gabe, die Augenſpalte geſchloſſen zu halten, und bleibt deshalb auch während des Schlafes in Thätigkeit und Spannung. Iſt aber der Schlafende durch ſchwere Krankheit (3. B. im ſpätern Stadium des Nervenfiebers) oder durch übermäßige Anſtrengungen ſehr erſchöpft, ſo erſtreckt ſich die allgemeine Ermattung auch auf die Thätigkeit des Augenſchließmuskels, und die Augenſpalte ſteht dann während des Schlafs mehr oder weniger offen. Dadurch bekommt das Auge einen uns heimlichen, todtenähnlichen Ausdruck, denn die Augen des Todten ſtehn offen, weil die Spannung der Angenfehliep- muskeln vollſtändig erloſchen iſt. Das Augenblinzeln. Die Bewegungen des Augen— ſchließmuskels find theils willkührliche, theils unwillkührliche. Wir können das Auge ſchließen, ſo oft, ſo raſch und ſo feſt wir wollen, aber es ſchließt ſich auch das Auge ohne Zuthun des Willens, und das unwillkührliche Blinzeln der Augen kann hervorgebracht werden 1. durch mechaniſche Berührung des Augapfels (3. B. durch Staub), 2. durch grelles Licht und 3. durch heftigen Schall *). ) Das Augenblinzeln ift die Wirkung des N. facialis, denn (vergl. Diday de Lion. Gazette medicale. 1838. pag. 161) Lähmung des Facialis hebt das Augenblinzeln auf. Das Blinzeln iſt eine Reflexbewegung; durch mechaniſche Berührung des Augapfels werden zunächſt die empfindenden Nervenzweige des N. trigeminus erregt, welche ſich in der äußerſten Umhüllung (in der Conjunc- tiva) des Augapfels ausbreiten; da dieſe Nervenzweige aber in Verbindung ſtehen 42 Die Zweckmäßigkeit einer ſolchen Einrichtung leuchtet ein. Durch Auge und Ohr ſtehn wir mit der Außenwelt in be— ſtändiger Verbindung, ſo lange wir wach ſind, und während der Gefühl-, der Geſchmack- und der Geruch-Sinn nur durch nahe Gegenſtände erregt werden, reicht die Auffaſſungskraft des Geſicht- und Gehör-Sinnes in weite Fernen. Durch Auge und Ohr erkennen wir nahende Gefahren am ſchnellſten. Jeder plötzliche Eindruck aber, welcher den Geſicht- oder Ge— hör-Sinn trifft, und welcher möglicher Weiſe eine Gefahr im Gefolge haben könnte, ſetzt ſofort und mit Blitzesſchnelle den Schutzapparat des Auges in Bewegung, und lange bevor wir im Stande ſind, die Gefahr zu erkennen und zu vermeiden, iſt ſchon das Auge, dieſer ſo koſtbare Theil des menſchlichen Organismus, geſchützt. Jedem iſt es bekannt, wie ſchwer, faſt unmöglich es ift, mit den Augen nicht zu blinzeln, wenn- Jemand mit der Hand uns raſch vor den Augen herfährt; trotz des energiſcheſten Willens und trotz der feſten Ueber— zeugung, daß die Hand uns nicht berühren wird, gelingt es jelten, nicht zu zucken und die Augen offen zu halten. Ein anderer Zweck des Augenblinzelns iſt, die aus der I id: A AS —ͤ— — itte. i ae Po i = f : 4 mit den Nervenzweigen des Facialis, welche den Augenſchließmuskel in Bewegung ſetzen, ſo pflanzt ſich die Erregung der empfindenden Nerven auf die bewegenden fort, und bewirkt auf dieſe Weiſe das Blinzeln (vergl. Ludwig, Lehrbuch der Phyſiologie, 2. Aufl. I. 206). — Auch das Augenblinzeln, welches durch grelles Licht oder heftigen Schall verurſacht wird, ift eine Reflerbewegung, und kommt dadurch zu Stande, daß ſowohl der Sehnerv wie auch der Gehörnerv (vergl. Schröder van der Kolk: Bau und Functionen der Medulla spinalis und oblongata) mit dem Facialis in Verbindung ſtehen. — Beiläufig ſei noch erwähnt, daß auch die Verengerung der Pupille, welche jedesmal erfolgt, wenn helles Licht in die Augen fällt, eine Reflexbewegung iſt, welche dadurch bewirkt wird, daß der Sehnerv in nächſter Beziehung zu dem N. oculomotorius (dem Bee wegungsnerven der Pupille) ſteht. 43 Thränendrüſe ſich abſondernde und über die Augapfelfläche ſich ergießende Feuchtigkeit gleichmäßig zu vertheilen, und da— durch das Augenfenſter, die Hornhaut, zu waſchen und zu reinigen. Indem durch das Blinzeln die auf der Hornhaut ſich anſammelnden Schleimtheilchen beſeitigt werden, wird eine vollſtändigere und ungeſtörtere Aufnahme der Lichtſtrahlen er— zielt. Aus dieſem Grunde haben manche Menſchen die Ge— wohnheit, wiederholt mit den Augen zu blinzeln, wenn ſie ſich anſchicken, irgend einen Gegenſtand genau zu beobachten *). Da aber Vorſtellungen dem Getfte erſcheinen wie ſinnlich wahrnehmbare Gegenſtände, ſo beobachtet man bei ſolchen Menſchen auch ein vermehrtes Blinzeln, wenn ihre Aufmerk— ſamkeit durch Vorſtellungen angeregt wird. Das vermehrte Augenblinzeln iſt deshalb bei manchen Menſchen der mimiſche Ausdruck vermehrter Aufmerkſamkeit. b. Die Augenbrauenmuskeln. An dem Augenſchließmuskel kann man zwei Parthien unterſcheiden, welche, jede für fich, ſelbſtſtändig beweglich find. Bei dem gewöhnlichen Augenblinzeln werden nur die innern, die centralen Faſern des Augenſchließmuskels, Fig. 5 bb, in Bewegung geſetzt, ſoll aber das Auge feſt geſchloſſen werden, ſo werden auch die äußeren, die Randfaſern des Augen— ſchließmuskels, Fig. 5 aa, zuſammengezogen, und ſoll endlich das Auge ſehr feſt zuſammengekniffen werden, ſo wird auch der Augenbrauenmuskel, Fig. de, in Spannung geſetzt, ein Muskel der oben als Hülfsmuskel des Augenſchließmuskels Ss... ) Am eifrigſten pflegt man zu blinzeln, wenn man in der Dunkelheit ſuchend umhertappt, wenn alle Gegenſtände ſchattenhaft und undeutlich erſcheinen, und wenn man beim Suchen fürchtet, ſich zu ſtoßen oder Etwas zu zerbrechen. ” de bezeichnet wurde, und deffen Thätigkeit fic durch das Gr ſcheinen ſenkrechter Stirnfalten verräth *). Der Augenbrauenmuskel, Fig. 56, welcher von dem Augenſchließmuskel vollſtändig bedeckt wird, entſpringt auf dem Rande der Augenhöhle, in der Nähe der Naſenwurzel, und geht, von hier ſchräg nach Außen und Oben verlaufend, in die Haut der Augenbrauen über, wo ſeine Faſern theil— weiſe mit denen des Augenſchließmuskels verſchmelzen. Der Augenbrauenmuskel zieht den obern Theil des Augenſchließ— muskels abwärts und erleichtert dadurch das Schließen des Auges; indem dabei die Augenbrauen nicht allein abwärts, ſondern auch zuſammengezogen werden, wird die Haut zwiſchen den beiden Augenbrauen in ſenkrechte Falten gelegt. Fig. 6. Feſt zuſammengekniffen werden nun zunächſt die Augen bei ſehr unangenehmen Geſichtseindrücken, zumal wenn dieſe Eindrücke ſehr plötzlich ſtattfinden und dadurch (wie in der pſychologiſchen Einleitung gezeigt wurde) ihre Wirkung eine um ſo intenſivere iſt. Aber nur ſelten ſchließen wir die Augen dauernd bei unangenehmen Geſichtseindrücken, denn da wir durch die Augen in innigſter und beſtändiger Beziehung zu der Außenwelt ſtehn, ſo würden wir durch das Schließen der Augen auf jede Möglichkeit ſelbſtſtändigen Erkennens und *) Henle hat den Augenbraumuskel nicht als einen beſondern Muskel, ſon⸗ dern als einen Theil des Augenſchließmuskels beſchrieben, da er aber eine ſelbſt— ſtändige, von der Augenſchließmuskel unabhängige Bewegung hat, da er ferner den Geſichtsausdruck verändert wie kaum ein anderer Muskel, und alſo eine große mimiſche Bedeutung beſitzt, jo wird er hier als ſelbſtſtändiger Muskel auf geführt und behandelt. Charles Bell (Anatomy of Expression) hält den Corrugator für einen Muskel, welcher dem Menſchen eigenthümlich ſei und den Thieren fehle, doch gewiß mit Unrecht; jeder Hundeliebhaber wird beſtätigen, daß die ſenkrechten Stirnfalten dem hündiſchen Mienenſpiele keineswegs fehlen. 45 Handelns verzichten, wir würden hülflos und willenlos zum Objecte feindlicher Kräfte werden. Wenn wir deshalb durch einen intenſiven Geſichtseindruck ſehr unangenehm erregt werden, wenn wir z. B. plötzlich ein grelles Licht ſehn, ſo ſchließen wir gewöhnlich nicht die Augen, ſondern wir ziehn die Stirn— haut in ſenkrechte Falten, d. h. wir ſuchen inſtinetmäßig durch die Spannung der Augenbrauenmuskeln das Schließen der Augen vorzubereiten. In den ſenkrechten Stirnfalten giebt ſich alſo das Bedürfniß des Augenſchließens zu erkennen, und ſenkrechte Stirnfalten deuten deshalb zunächſt auf eine unangenehme Erregung des Geſichtsſinnes. Aber nicht nur jeder unangenehme Geſichtseindruck, jone dern überhaupt jede unangenehme Stimmung des Geiſtes, jede unangenehme Vorſtellung kann ſenkrechte Stirnfalten her- vorrufen, und zwar erklärt fich dieſes aus dem in der pſycho—⸗ logiſchen Einleitung Gefagten, wo gezeigt wurde, daß durch unangenehme Vorſtellungen mimiſche Muskelbewegungen her— dorgerufen werden, welche fich auf imaginaere unangenehme Sinneseindrücke beziehn, und daß diefe mimiſchen Muskelbe— wegungen am leichteſten an den Augenmuskeln zum Vorſchein kommen. | : | Unangenehme Stimmungen und ſenkrechte Stirnfalten werden aber nicht allein durch Vorſtellungen veranlaßt, welche allgemein als unangenehm aufgefaßt werden, z. B. durch die Vorſtellung einer erduldeten Strafe, einer erlittenen Schmach oder Verhöhnung, ſondern irgend ein beliebiges Objeet des Handelns oder Denkens kann die Urſache unangenehmer Stim- mungen werden, und zwar dann, wenn ein ſolches Object der Abſicht des Menſchen nicht ſo leicht accomodirt werden kann, — — — — ——— — , 7 — s PP x: 5 > — — W E —.— an —— — de : L f 46 wie er wünſcht, wenn eine Abſicht nicht ausgeführt, wenn ein Ziel nicht erreicht werden kann, weil Schwierigkeiten ſich in den Weg ſtellen, welche überwunden werden müſſen. Deg- halb runzeln wir z. B. die Stirn, wenn wir uns vergebens anſtrengen, einen engen Stiefel anzuziehn, oder wenn wir uns bemühn, eine feſtgeklemmte Thür aufzureißen; deshalb runzeln wir die Stirn, wenn wir irgend Etwas genau zu hören oder zu ſehn ſuchen und dabei geſtört werden; aus demſelben Grunde erklärt es ſich auch, weshalb Menſchen, welche ſtottern oder eine ſchwere Zunge haben, die Stirn runzeln, wenn ihr angeborner Fehler ſie behindert, ihre Gedanken fließend aus— „ zuſprechen, aus demſelben Grunde endlich ziehn wir auch die Stirn in ſenkrechte Falten, wenn wir mit Eifer über Etwas nachdenken und dabei auf Schwierigkeiten ſtoßen, wenn wir vergebens bemüht ſind, uns auf einen Namen oder auf eine Begebenheit zu beſinnen, — überhaupt wenn wir uns ver— geblich anſtrengen, über Etwas ins Klare zu kommen, aus verwirrten und widerſtreitenden Vorſtellungen zum richtigen Verſtändniß, zu logiſchen Schlüſſen zu gelangen. Wie geſagt, kann irgend ein beliebiges Objeet des Han— delns oder Denkens die Urſache unangenehmer Stimmungen werden. Die Entſtehung und ebenſo die Dauer unangenehmer Stimmungen hängt jedoch nicht ſowohl von der Natur der Urſachen ab, als vielmehr von der Natur des Geiſtes, auf welchen jene Urſachen einwirken, von der angeborenen Dis— poſition, vermöge welcher einige Menſchen leichter und dauern— der unangenehm geſtimmt werden als andere, vermöge welcher einige Menſchen mehr zur Ungeduld, zum Aerger und Zorn geneigt ſind als andere. Aus dem Gefagten geht hervor, daß ſenkrechte Stirnfalten 47 im Allgemeinen der mimiſche Ausdruck der Verſtimmung ind. Fig. 6. Phyſiognomiſches: Wenn fd in einem Geſichte die ſenkrechten Stirn- falten ausgeprägt haben, ſo geben ſie zu erkennen, daß der Menſch häufig und andauernd verſtimmt geweſen iſt. Die Urſachen der Ver⸗ ſtimmung können aber einestheils äußerliche, anderentheils innerliche ſein, und man findet deshalb die ſenkrechten Stirnfalten 1) bei Men⸗ ſchen, welche von Sorgen, Unglück und Leiden heimgeſucht worden ſind, vorzüglich bei Menſchen, welche an ſchmerzhaften Krankheiten leiden. | Die Urſachen ver Verſtimmung können aber auch innerliche fein. Bekanntlich machen dieſelben Ereigniſſe einen verſchiedenen Eindruck auf verſchiedene Menſchen, und der Grad der Verſtimmung hängt nicht ſowohl von der Art des Erlebten ab, als von der Reizbarkeit des er— lebenden Individuums. Die ſenkrechten Stirnfalten ſieht man des⸗ halb vorzugsweiſe entwickelt 2) bei leicht verſtimmten, verdrießlichen, zornigen Menſchen. Sehr gewöhnlich findet man dieſe Falten 3) ausgeprägt bei eifrigen Denkern, bei Menſchen, deren Denkthätigkeit eine eifrige aber unbefriedigte zu ſein pflegt. c. Reſumé der mimiſchen Bewegungen, welche ſich auf das Schließen der Augen beziehen. Vermehrtes Augenblinzeln bedentet vermehrte Aufmerkſamkeit. Senkrechte Stirnfalten find im Allgemeinen der mimiſche Ausdruck der Verſtim⸗ mung, und fie werden hervorgerufen 1) durch Lei- den, 2) durch Zorn, 3) durch angeſtrengtes Nach— denken. d. Mimiſche Combinationen. Mobificirt wird die mimiſche Bedeutung der ſenkrechten Stirnfalten durch den Blick (d. h. durch die Bewegung der | —— + en — nn — x O ee väh n. ee a P . i OSR AA n EEE = * 4 ve. IB. it $ a 4 1,39 | N E i IE : | i a | i i M EN 4 j | j 4 a a -M $ $ 2 || a 2 li $ H ay | — | F = = 4 3 FT nt ... ̃ ¾ ou nan r r.... ar a aaa Ñ > = v — — — — — = * e ee — P * 2 = n Er + RR Mr ¿ ot * nt = ==> 3 p N PERA y + 48 Augapfelmuskeln:). Iſt der Blick matt, während die Stirn in ſenkrechte Falten gelegt iſt, ſo darf man annehmen, daß der Menſch unangenehmen Verhältniſſen oder Vorſtellungen gegen— über ſich leidend verhält, daß er nicht gegen ſie ankämpft; > ift dagegen bei ſenkrechten Stirnfalten der Blick feſt und feurig, ſo darf man annehmen, daß der Menſch zornig iſt, daß er gegen die wirklichen oder vorgeſtellten Urſachen ſeiner Verſtimmung energiſch reagirt. - Den Ausdruck des wüthenden Zorns hat F. Rude auf ſeinem, an dem Arc de triomphe in Paris angebrachten Hautrelief ſehr draſtiſch dargeſtellt, und zwar auf der Haupt figur dieſer Gruppe, der Kriegsfurie. Fig. 7 iſt die Copie einer Photographie. In dem weit aufgeriſſenen Munde macht ſich nur die Bewegung des heftigen Schreiens geltend. Der mimiſche Ausdruck angeſtrengter Denkthätigkeit iſt dem Ausdrucke des Zorns ähnlich. Der Blick iſt aufmerkſam, geſpannt, lebhaft, während zugleich die Stirn ſenkrecht ge— faltet it. — Erſcheint bei ſenkrechten Stirnfalten der ver- ſteckte Blick, Fig. 8, ſo darf man ſchließen, daß das Object der Aufmerkſamkeit den Menſchen mit Zorn und gu- gleich mit Mißtrauen erfüllt, daß er auf den günſtigen Mo- ment finnt oder lauert, um der Urſache ſeines Zorns feind— ſelig entgegenzutreten. F B. Das Oeffnen der Augen. a. Die Augendeckelheber. Im vorſtehenden Abſchnitte wurde bereits erwähnt, daß durch den Augendeckelheber das obere Augenlid, der Augen— deckel, in die Höhe gezogen, das Auge geöffnet wird. Es ent— 49 ſpringt dieſer Muskel in der Tiefe der Augenhöhle, läuft unmittelbar unter dem Dache derſelben nach vorn, und ſetzt ſich (bedeckt von dem Augenſchließmuskel) breit und fächer⸗ förmig an den Knorpel des oberen Augenlides. Fig. 5d*). Richtig und ſchön nennt Shakespeare die oberen Augenlider: der „Augen Vorhang.“ Wenn der Menſch vom Schlafe erwacht, ſo beſteht der erſte Act ſeiner wieder be— ginnenden Willensthätigkeit darin, der „Augen Vorhang“ auf- zBuziehn, die Thore des Geiſtes zu öffnen. Licht fluthet dann wieder in die Augen, durch die Augen in den Geiſt, und von Neuem beginnt das wogende Spiel der Gedanken. Wie Nebel entſchwinden die Schatten des Schlummers, und wie der Morgenwind die Wogen des Meeres belebt, ſo belebt das Morgenlicht den ſchlummernden Geiſt, und ſeine Gedanken heben und -fenfen ſich wie leuchtende Wogen auf dunklem Meere. So lange der Menſch wach iſt, bleibt der Augendeckel— heber thätig, und hält durch ſeine Spannung der „Augen Vorhang“ fo weit geöffnet, daß der größte Theil des Augen- fenſters, der Hornhaut offen liegt. Wird aber ein Menſch von einem plötzlichen Geſichts— ) „Außer dieſem Muskel (dem Augendeckelheber), befinden ſich bei den Raub⸗ thieren (Tiger, Löwen 2c.) 3 Muskeln an dem Augenlide, welche, indem ſie das Augenlid rückwärts ziehen, den eigenthümlich ſtarren Blick hervorbringen. Bei Schafen beſteht der Augendeckelheber nur aus einigen dünnen Muskelfaſern. Das Pferd beſitzt einen Muskel, um das untere Augenlid abwärts zu ziehen, und einen anderen, welcher am Ohr entſpringt und ſich an den äußeren Augen⸗ winkel ſetzt; indem durch dieſen Muskel der äußere Augenwinkel nach hinten ge⸗ zogen wird, iſt das Thier in den Stand geſetzt, leichter rückwärts zu blicken, dahin, wo ſeine Vertheidigungswaffen, die Hufen, ſich befinden.“ (Ch. Bell, Anatomy of Expression S. 92). 4 50 eindrucke betroffen, fo werden auch fofort die Augendeckel in die Höhe geriſſen. Indem alsdann die Hornhaut in ihrem ganzen Umfange freigelegt wird, indem dadurch das Auge in die Lage gebracht wird, alle Geſichtseindrücke mit möglich- ſter Vollſtändigkeit aufzunehmen, ſetzt ſich der Menſch in den Stand, die Urſachen und Folgen ſeiner Ueberraſchung ſchnell und richtig zu erkennen. Fig. 9. | Da aber dem Geiſte Vorſtellungen erſcheinen wie finn- lich wahrnehmbare Gegenſtände, ſo werden die Augendeckel auch in die Höhe geriſſen, wenn der Geiſt durch eine plötz— lich entſtehende oder erinnerte Vorſtellung *) betroffen wird. Beiſpiele wird Jeder zu beobachten Gelegenheit gehabt haben. Wer jemals eine intereſſante, überraſchende Neuigkeit mitzutheilen gehabt hat, der wird geſehn haben, wie die Menſchen durch ein plötzliches Zucken, durch ein raſches Em- porziehen der Augendeckel ihre Ueberraſchung verrathen, ſelbſt wenn ſie ſich bemühen, indifferent zu erſcheinen. Je plötzlicher und unerwarteter eine Vorſtellung auftritt, deſto plötzlicher und raſcher erfolgt auch das Aufreißen der Augen. Dieſen Zuſtand plötzlich geweckter Aufmerkſamkeit nennt man Ueberraſchung, und das plötzliche Aufreißen der Augendeckel iſt deshalb der arenen in Ausdruck der Ueberraſchung. Je dauernder aber der Zuſtand der Aufmerkſamkeit iſt, deſto dauernder bleiben auch die Augendeckel gehoben. Der mimije che Ausdruck dauernder Aufmerkſamkeit giebt zu ) Wie in der pſychologiſchen Einleitung gezeigt wurde, ift die Wirkung einer Vorſtellung auf den Geiſt um ſo heftiger, je plötzlicher ſie auftritt und je ausgeprägter (nach allgemeiner oder individueller Auffaſſung) der angenehme oder unangenehme Character derſelben iſt. S. erfennen, daß ein Menſch mit Begierde die auf ihr n einwir⸗ kenden Eindrücke entgegennimmt. Phyſiognomiſches: Je häufiger ſich der mimiſche Ausdruck dauernder Aufmerkſamkeit in einem Geſichte wiederholt, je häufiger der Augen⸗ deckelheber in dauernder Spannung gehalten wird, deſto bedeutender wird auch allmählich die phyſiognomiſche Spannung dieſes Muskels. Der ungewöhnlich hochſtehende Augendeckel läßt alsdann das runde Augenfenſter, die Hornhaut, in ihrem ganzen Umfange erkennen, oder es iſt doch wenigſtens nur ein ſehr kleiner Theil von dem oberen Augen⸗ deckel bedeckt. Ein ſolches Auge nennt das Volk ein „offenes Auge“, und dem entſprechend iſt die phyſiognomiſche Bedeutung des offenen Auges ein „offener Sinn“, d. h. ein für alle Eindrücke empfänglicher, aufgeweckter Geiſt. Im Zuſtande der Schläfrigkeit, im Zuſtande großer Er- müdung und Ermattung erſchlafft die Spannung der Augen- deckelheber. In Folge deſſen ſenkt ſich das obere Augenlid herab, und bedeckt einen ungewöhnlich bedeutenden Theil der bn. Fig. 10. Wenn aber ohne körperliche Urſachen bei einem Menſchen die Augendeckel ſchlaff geſenkt bleiben, während anregende Ge— ſichtseindrücke oder Vorſtellungen auf ihn einwirken, ſo haben die Augen den mimiſchen Ausdruck der Indifferenz; ſie geben dann zu erkennen, daß der Menſch theilnahmlos und gleichgültig ift, daß ſinnliche Eindrücke oder geiſtige Einflüſſe nicht im Stande ſind, pine Aufmerkſamkeit zu wecken und zu feſſeln. Phyſiognomiſches— Die phyſiognomiſche Bedeutung der ſchläfrig ge- ſenkten Augendeckel iſt der Bedeutung der gehobenen entgegengeſetzt. Gleichgültige, theilnahmloſe, indolente Menſchen find daran kenntlich, daß ein verhältnißmäßig bedeutender Theil der Hornhaut vom oberen | Augendeckel bedeckt ift. ” 4* 52 b. Die Stirnmuskeln. Die Stirnmuskeln ſind zwei platte, breite Muskeln, wel⸗ che auf der Höhe der Stirn entſpringen und ſich an dem oberen Rande der Augenſchließmuskeln feſtſetzen. Fig. 5 ee. Durch den Stirnmuskel wird der obere Theil des Augenſchließ— muskels aufwärts gezogen, es wird daher durch ihn das Schließen des Auges erſchwert, dagegen das Oeffnen und Offenhalten des Auges befördert, und mit Recht wurde darum der Stirnmuskel als Hülfsmuskel des Augendeckelhebers be— zeichnet“). ; Die Thätigkeit und Spannung der Stirnmuskeln giebt fich im Geſichte durch horizontale Stirnfalten und hom- gezogene Augenbrauen zu erkennen. Fig. 11. Es wurde bereits gezeigt, daß die Augendeckel plötzlich gehoben und die Augen raſch aufgeriſſen werden im Zu- ſtande plötzlich geweckter Aufmerkſamkeit, im Zuſtande der Ueberraſchung. Bei ſehr heftiger Ueberraſchung aber werden die Augendeckel möglichſt raſch und hoch hinauf gezogen, und dies geſchieht, indem die Thätigkeit des Augen- ) Die Stirnmuskeln fehlen den Thieren, fie haben an ihrer Stelle nur einzelne Muskelfaſern, welche aber nicht, wie bei dem Menſchen, mit dem obern Rande des Augenſchließmuskels verwoben ſind, ſondern ſich direct zu dem obern Augenlide begeben (vergl. Bell: Anatomy of Expression). Während nun aber die Umgebung des Auges bei den Thieren weniger reichlich mit Muskeln ausgeftattet ift als beim Menſchen, find dagegen die Ohren, welche beim Menſchen faſt unbeweglich ſind, bei den meiſten Thieren mit einem reichen Muskelapparate verſehen, ſo daß für das Mienenſpiel der Thiere die Ohren eine mindeſtens eben ſo große Bedeutung haben wie die Augen. Was die hängenden Augendeckel beim Menſchen, das bedeuten die hängenden Ohren beim Pferde, und wie die unſtät auf⸗ und niedergehenden Ohren des Pferdes dem ſcheuen Blick des Menſchen entſprechend find, fo entſprechen die feft aufge- richteten Ohren des Pferdes dem feſten Blick des Menſchen. M deckelhebers unterſtützt wird durch die Thätigkeit feines Hülfs⸗ muskels — des Stirnmuskels. Wenn alſo nicht nur die Augendeckel, ſondern auch die Augenbrauen und die Stirnhaut plötzlich in die Höhe geriſſen werden, ſo hat das Geſicht den Ausdruck ſehr heftiger Ueberraſchung, ſehr heftiger Verwunderung. Fig. 11. Durch keine andere Miene wird der Geſichtsausdruck ſo weſentlich und auffallend verändert, wie durch dieſe Miene ſehr heftiger Ueberraſchung und Verwunderung. Das wiſſen auch die Schauſpieler ſehr wohl, und um ihr Spiel ausdrucks⸗ voller zu machen, brauchen oder vielmehr mißbrauchen ſie dieſen mimiſchen Ausdruck ſehr häufig, und laſſen keine Gelegenheit vorübergehen, ohne ihre Augenbrauen mächtig in die Höhe zu reißen. Die Augendeckelheber werden in dauernder Spannung gehalten, und die Augendeckel find dauernd gehoben im Zu- ſtande dauernder Aufmerkſamkeit (vergl. S. 50). Wenn aber die dauernde Aufmerkſamkeit eine ſehr angeſtrengte iſt (ſei es, daß die Betrachtung auf Gegenſtände, ſei es, daß ſie auf Vorſtellungen gerichtet iſt), ſo wird die Thätigkeit und Spannung des Augendeckelhebers unterſtützt und erleichtert durch die Thätigkeit ſeines Hülfsmuskels — des Stirnmuskels. Durch dauernd gehobene Augenbrauen und hori— zontale Stirnfalten bekommt alſo das Geſicht den mimiſchen Ausdruck ſehr angeſtrengter und anhalten- der Aufmerkſamkeit. Fig. 11. | Je träger und ſchlaffer die Thätigkeit der Augendedel- heber iſt, deſto eher wird beim Oeffnen und Offenhalten der Augen die Unterſtützung der Stirnmuskeln in Anſpruch ge- nommen. Wie S. 51 gezeigt wurde, find die Augendedel- 54 heber ſchlaff und die Augenlider tief geſenkt im Zuſtande der Schlaftrunkenheit. Wenn nun in dieſem Zuſtande die Aufmerkſamkeit des Menſchen durch Sinneseindrücke oder Vor- ſtellungen angeregt und gefeſſelt wird, fo werden die Augen- deckel mühſam und unvollſtändig gehoben, zugleich aber werden die Augenbrauen ſtark in die Höhe gezogen und die Stirn— haut in horizontale Falten gelegt“). Fig. 12. Dem oben geſchilderten Geſichtsausdrucke aufmerkſam ge- wordener Schlaftrunfenen ganz ähnlich iſt der Geſichtsausdruck ſehr indolenter, geiſtesträger Menſchen, wenn ſie ihre Aufmerkſamkeit auf Gegenſtände oder Vorſtellungen fixiren. Wie S. 51 bemerkt wurde, ſind bei ſolchen Menſchen die Augendeckel ſchlaff und geſenkt wie bei Schlaftrunkenen. Wenn nun durch Sinneseindrücke oder Vorſtellungen ihre Aufmerkſamkeit geweckt und gefeſſelt wird, und wenn ſie in Folge deſſen veranlaßt werden, die Augendeckel zu heben und die Augen aufzuſperren, ſo ziehn ſie zugleich die Augenbrauen und die Stirnhaut in die Höhe, d. h. ſie erleichtern und unterſtützen die träge und unvollſtändige Spannung der Mugen- deckelheber durch die Spannung der Stirnmuskeln. Phyſiognomiſches: Horizontale Stirnfalten mit hochgezogenen Augen⸗ brauen findet man phyſiognomiſch ausgebildet: a) bei Menſchen, welche gern erſtaunen, d. h. bei Neugierigen, bei Menſchen, welche begierig ſind, Neues, Ueberraſchendes zu hören, welche ſchon in der Erwartung etwas Erſtaunliches zu ver- nehmen, mit hochgezogenen Augenbrauen fragend und horchend um— ) Die ungleiche Wirkung beider Muskeln erklärt ſich aus ihrer ungleichen Stärke. Die Stirnmuskeln find weit größer und kräftiger als die Augendeckel— heber, und können ohne große Anſtrengung in dauernder Spannung gehalten werden, während die ſchwächeren Augendeckelheber nicht ſo lange über das ge— wöhnliche Maaß hinaus thätig ſein können, ohne zu ermüden. m hergehen „bei Menſchen, wie fie im Vorſpiel zu Goethe's Fauſt geſchildert werden, wo es heißt: „Sie ſitzen ſchon mit hohen Augen⸗ braunen — Gelaſſen da und mögten gern erſtaunen!“ — b) Bei Menſchen, welche ihre Geiſtesthätigkeit auf beſtimmte Objecte mit Anſtrengung zu concentriren pflegen. Wenn das Geſicht beſtändig den Ausdruck aufmerkſam gewordener Schlaftrunkenen hat, d. h. wenn man horizontale Stirnfalten zuſammen⸗ findet mit träg blickenden Augen und ſchläfrig geſenkten Augendeckeln, ſo darf man auf Dummheit, auf Beſchränktheit ſchließen. Da bornirte Menſchen häufig die ganze Energie ihres blöden Verſtandes zuſammen⸗ nehmen müſſen, um ſich in den gewöhnlichen Verhältniſſen und Vor⸗ kommniſſen des Lebens zurecht zu finden, und deshalb häufig die Miene dauernder und angeſtrengter Aufmerkſamkeit machen, ſo werden die hori⸗ zontalen Stirnfalten bei ihnen leicht bleibend und ſtark ausgeprägt. c. Reſumé der mimiſchen Bewegungen, welche ſich auf das Oeffnen der Augen beziehen. Müde, tief geſenkte Augendeckel geben körper— liche Ermattung oder geiſtige Judifferenz zu er⸗ kennen. Gehobene Augendeckel, weit geöffnete Augen find der mimiſche Ausdruck der Ueberraſchung oder auch der Aufmerkſankeit. Kommen dazu emporgezogene Augenbrauen und horizontale Stirnfalten, fo haben die Augen den mimiſchen Ausdruck ſehr heftiger Ueberraſchung oder ſehr angeſtrengter Auf merkſamkeit. d. Mimiſche Combinationen. Alle Combinationen anzuführen, welche hier mit früher abgehandelten mimiſchen Ausdrucksweiſen möglich ſind, würde eine ebenſo überflüſſige wie mühevolle Arbeit ſein. Es werden deshalb nach jedem Abſchnitte immer nur diejenigen mimiſchen Combinationen aufgeführt werden, durch welche beſonders 56 frappante Modificationen des Geſichtsausdrucks zu Wege ge- bracht werden. — Erſcheint auf der Stirn der Ausdruck ſehr heftiger Ueberraſchung zugleich mit dem Ausdrucke ſehr unan⸗ genehmer Geiſtesſtimmung, d. h. erſcheinen tiefe horizontale Stirnfalten zugleich mit tiefen ſenkrechten Stirnfalten, während die Augenbrauen hoch emporgezogen ſind, ſo hat das Geſicht den mimiſchen Ausdruck des Schreckens. Fig. 13. Auf der bekannten Statue des Laokoon tritt dieſer Ausdruck beſonders deutlich hervor. Fig. 14. 3. | Anhang. | Der veränderliche Glanz des Augapfels. Da der Glanz des Auges nicht durch Muskelthätigkeit hervorgerufen und modifieirt wird, fo gehören, ſtreng genom- men, die folgenden Erörterungen nicht zu den Unterſuchungen über mimiſche Muskelbewegungen. Da aber die mimiſchen Bewegungen der Geſichtsmuskeln ſo gewöhnlich von Verände— rungen im Glanze des Auges begleitet werden, da dieſelben Urſachen, welche den mimiſchen Ausdruck des Geſichts bedin- gen, auch den unmittelbarſten Einfluß auf den Glanz der Augen haben, ſo iſt das hierauf Bezügliche in Folgendem zuſammengeſtellt, als Nachtrag zu dem Capitel über die Augen. Der Glanz der Augen hängt ab: 1. von der größeren oder geringeren Menge der Thränenfeuchtigkeit, 2. von der größeren oder geringeren Spannung der häutigen Augapfelkapſel und 3. von der Farbe der Iris. A — A. Die Thränen. Die Thränenfeuchtigkeit iſt das Product der beiden Thränendrüſen, welche an der äußern Seite jedes Augapfels im Innern der Augenhöhle liegen. Eine geringe Quantität von Feuchtigkeit, welche beſtändig aus ihnen hervorquillt, wird mit Hülfe des Augenblinzelns gleichförmig über die vordere Fläche des Augapfels vertheilt; indem dann die Thränenfeuchtigkeit durch den Nafencanal nach der Naſen⸗ höhle abfließt, und alle verunreinigenden Schleimtheilchen mit fich fortſpült, wird das Augenfenſter, die durchſichtige Horn- haut, fortwährend geputzt, gewaſchen und rein gehalten, und durch die Thränenfeuchtigkeit wird deshalb das deutliche Sehen weſentlich erleichtert und bedingt. Beim Weinen wird dieſe Abſonderung der Thränendrüſen ſo ſehr geſteigert, daß die im Uebermaaß zufließende Thränenfeuchtigkeit nicht mehr auf dem gewöhnlichen Wege, d. h. durch den Naſencanal fortgeſchafft werden kann, und rinnt dann über das untere Augenlid die Wange hinab. Das „überquellende Auge“ des Weinenden hat einen eigenthümlichen, verſchwommenen Glanz, welcher Jedem be— kannt iſt. Phyſiognomiſches: Wenn bei einem Menſchen die Thränen ſehr loſe ſitzen, wenn häufig durch Geiſteszuſtände eine übermäßige Secretion der Thränendrüſen veranlaßt wird, ſo geht auch im gewöhnlichen Zu⸗ ſtande die Thätigkeit der Thränendrüſen über das gewöhnliche Maaß hinaus, und in Folge deffen erſcheinen dann die Augen eigenthümlich feucht und glänzend. Solche feuchtglänzende Augen findet man vor⸗ zugsweiſe bei erregbaren, leidenſchaftlichen Menſchen, bei ſogenannten Gemüthsmenſchen, während man dagegen bei kalten Naturen, bei ſoge⸗ 58 nannten Verſtandesmenſchen, einen mehr trockenen Glanz der Augen beobachtet. Aus demſelben Grunde haben Frauen im Allgemeinen feuchtere Augen als Männer. Das Weinen geſchieht meiſtentheils unwillkührlich, und Thränen können durch alle heftigen Geiſtesaufregungen her— vorgerufen werden, nicht nur durch traurige ſondern auch durch freudige“). Offenbar ſteht aber auch die Thränenab- *) Um die Entſtehung und Bedeutung der Thränen zu erklären, begnügt man ſich gewöhnlich damit, zu ſagen, daß traurige Vorſtellungen auf die Thränen⸗ drüſen einwirken, ähnlich wie Geſchmacksvorſtellungen auf die Speicheldrüſen, wie erotiſche Vorſtellungen auf die Sexualorgane und wie die lebhafte Vorftellung - von dem ſaugenden Kinde auf die Milchdrüſen der ſäugenden Mutter einwirkt. Allein eine ſolche Erklärung ſcheint ſchon deshalb ungenügend, weil bekanntlich Thränen nicht allein durch traurige ſondern auch durch ſehr freudige Vorſtel— lungen hervorgerufen werden können. Dann aber iſt auch bei allen jenen Vor⸗ gängen ein Zuſammenhang nachweisbar, welcher beim Weinen nicht ftattfindet: Geſchmacksvorſtellungen entſtehen aus Geſchmackseindrücken, d. h. aus Erregungen der Geſchmacksnerven, erotiſche Vorſtellungen aus Erregungen der Sexualnerven, Vorſtellungen vom Säugen aus Erregungen der Milchdrüſennerven, und wenn durch lebhafte Vorſtellungen Speichelabſonderung, Erection oder Milchabſonde— rung hervorgerufen wird, ſo ſcheinen die Vorſtellungen auf demſelben Wege zurückzuwirken, auf welchem ſie entſtanden waren. Niemand aber wird behaupten wollen, daß die traurigen Vorſtellungen aus Erregungen der Thränendrüſennerven entſtehen. Das Weinen muß deshalb auf andere Weiſe erklärt werden als jene Vorgänge. Thränen werden zunächſt hervorgerufen, wenn durch Berührung, durch Staub rc. die ſogenannte Bindehaut (Conjunctiva), die äußere Bedeckung des Augapfels gereizt wird. Die Nerven dieſer Bindehaut ſind Zweige des N. trigeminus. Da aber Zweige dieſes Nerven auch zur Thränendrüſe verlaufen, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß die Reizung der Bindehaut den Drüſennerven mit⸗ getheilt, und daß dadurch eine vermehrte Abſonderung der Thränendrüſen ein— geleitet wird. Die Abſonderung der Thränendrüſen wird alſo durch Reizung des N. trigeminus vermehrt, ebenſo wie die Abſonderung der Milchdrüſen durch Reizung der empfindenden Nerven der Bruſtwarze (beim Saugen) geſteigert wird. Die räthſelhafte Erſcheinung, daß durch eine Reizung des N. trigeminus, der Geſchmacksnerven, der empfindenden Bruſtwarzennerven eine Erſchlaffung der zu ihnen in Beziehung ſtehenden Gefäßnerven, d. h. eine Erſchlaffung der Gefäß⸗ wandungen (und dadurch eine vermehrte Ausſchwitzung: der wäſſerigen Beſtand⸗ 59 ſonderung bis zu einem gewiſſen Grade unter dem Einfluſſe des Willens. Wer hat nicht an ſich ſelber die Erfahrung gemacht, daß man eine Thräne des Schmerzes zurückhalten, männlich zerdrücken kann? Und wie der Willen die Thränen zu= rückhalten kann, ſo kann er ſie auch hervorrufen. Es giebt Thränenvirtuoſen, welche jederzeit die Schleuſen ihrer Thränen beliebig zu öffnen vermögen. Eine ſolche Fertigkeit erfordert, wie alle menſchlichen Fertigkeiten, Uebung. Die Frauen, wel- che ihre Thränen, als Vertheidigungswaffe wie als Angriffs- waffe, ſehr erfolgreich zu benutzen wiſſen, erlangen oft eine bewunderungswürdige Geſchicklichkeit in der Führung dieſer Waffe. Die Männer dagegen, welche ſich gewöhnt haben, die Thränen als ein Zeichen unmännlicher Schwäche zu ver— dammen und zu unterdrücken, verlernen ſo ſehr den Gebrauch der Thränen, daß ſie oft nicht weinen können, wenn ſie auch möchten. Die Helden der Iliade — Achill, Ajar, Odyſſeus, Menelaos ſchämten ſich der Thränen nicht; gleich den Kindern weinten ſie, wenn ſie traurig waren, wie ſie lachten, wenn theile des Blutes) veranlaßt wird, iſt noch nicht genügend aufgeklärt. Hier genügt es, die Thatſache zu conſtatiren. Die Wirkung äußerer Einflüſſe auf die Thränendrüſen giebt uns ein Mit⸗ tel an die Hand, um die Wirkung geiſtiger Einflüſſe auf diefe Organe zu erklären. Wie geſagt, können Thränen durch jede heftige Geiſteserregung hervorge— rufen werden, ebenſowohl durch freudige wie durch traurige Vorſtellungen. Hierbei, wie bei Reizungszuſtänden der Bindehaut, ſcheint die letzte Urſache der vermehrten Thränenabſonderung in einer Reizung des N. trigeminus geſucht werden zu müſſen. Die Reizung wird aber wahrſcheinlich dadurch hervorge- bracht, daß heftige Erregungen des Geiſtesorgans ſich auf den N. trigeminus und ſeine Zweige fortpflanzen. Der N. trigeminus entſpringt, wie die Nerven der Geſichts⸗ und Augenmuskeln, in nächſter Nachbarſchaft des Geiſtesorgans, und wie deshalb durch heftige Geiſteserregungen Zuckungen der Geſichts- und ugapfelmuskeln hervorgerufen werden, ebenſo wird durch heftige Geiſteserre— gungen eine Reizung des N. trigeminus und, in Folge deſſen, eine Vermehrung der Thränenfeuchtigkeit hervorgebracht. Tee Fy TT —— DT u T O~ n; Soo TZ nO A a. A [S i — — = E r 4 e re >. ne N ERE TYL AN a r — —— M. —— i j — 60 fte vergnügt waren. Menelaos, als er das Geſchick des Aga- memnon erfährt, ſpricht: „Und es brach mein armes Herz vor Betrübniß, Weinend ſaß ich im Sand und jammerte; aber mein Geiſt war Müd' im Leben zu ſein und das Licht der Sonne zu ſchauen. Als nun lang ich geweint und jammervoll mich gewunden xc. Wie bei uns das Weinen aus der Mode, ſo iſt das Lachen und Lächeln in die Mode gekommen, und ebenſo ſeltſam wie es uns ſcheinen mag, wenn wir von weinenden Helden des elaſſiſchen Alterthums leſen, ebenſo ſeltſam würde es dieſen erſcheinen, wenn ſie über den Styr zurückkehren dürften und ſähen die ewig lächelnden Geſichter einer Réunion du beau monde. Warum aber, ſo wird man fragen, ſuchen wir durch Willenseinfluß das Fließen der Thränen zu unterhalten und zu befördern, wenn Schmerzen oder Kummer den Geiſt über— wältigen? Die Antwort liegt in der Erfahrung, daß peinliche Geiſteszuſtände an Intenſität verlieren, ſobald die Thränen anfangen zu rinnen. Wenn man bis jetzt auch noch nicht phyſiologiſch genügend erklären kann, auf welche Weiſe die Thränendrüſen zu Abzugscanälen heftiger Erregungen des Geiſtesorgans werden, ſo ſteht doch die Thatſache unzweifel— haft feſt, daß quälende Trauer durch Weinen gelindert wird. Wie peinigend iſt der Zuſtand, wenn ein Menſch das Be— dürfniß fühlt, Thränen zu vergießen und durch Umſtände gezwungen iſt, ſie mit Gewalt zurückzuhalten, wie wohlthuend, wenn das trockene Auge der Verzweiflung naß wird! Es giebt Zuſtände, in denen der Menſch fo ergriffen und erſchüt— tert iſt, daß alle Geiftesfunctionen für eine Zeit lang gelähmt — —— «avai ai mw — A sy 22 N — —U AAA 61 zu fein ſcheinen. Der plötzliche Verluſt eines geliebten Weſens z. B. kann fo vernichtend auf den Menſchen einwirken, daß er in einen Zuſtand von Stumpfſinn fällt, in welchem er den Umfang ſeines Unglücks nicht mehr zu faſſen vermag. In ſolchem Zuſtande fließen keine Thränen. Wer einmal einen Menſchen geſehen hat, der mit thränenlojen Augen vor einem großen Unglück ſtand, der weiß, wie beängſtigend und unnatür⸗ lich ſolch ein Anblick iſt. Und mit Recht iſt er beängſtigend, denn der momentane Stumpfſinn des Verzweifelnden kann zum vollſtändigen Irrſinn werden. Wenn aber der Unglück— liche wieder weinen kann, wenn in ſeinen Thränen der Schmerz „ſich löſt“, wenn die Ueberreizung ſeines = einen Ausweg findet, fo ift er gerettet. Somit find die Thränendrüſen, wenn man fo fagen darf, Sicherheitsventile für übermäßige Erregungen des Geiftes- organs. In ſolchen Zuſtänden ſcheint das Gehirn gleichſam überladen, wie ein electriſcher Apparat, und es entladet ſich durch ſeine Wirkung auf die Thränendrüſen. Daß zum Weinen ſchon ein höherer Grad von geiſtiger Thätigkeit erforderlich iſt, geht daraus hervor, daß Thiere nicht weinen, daß Cretinen, bei denen das Geiſtesleben be- kanntlich auf einer ſehr niedrigen Stufe ſtehn bleibt, keine Thränen vergießen “), und daß bei Kindern während ihrer erſten Lebensmonate die Augen kaum naß werden, wenn ſie auch, von Schmerzen oder Hunger gequält, noch ſo heftig ſchreien und ſchluchzen “ *). ) Vergl. Maffey und Röſch: Ueber den Cretinismus. *) Die Reflexerſcheinungen des Schreiens und Schluchzens werden ſpäter erz örtert werden. 62 Der Glanz des Augapfels hängt aber nicht allein von der größeren oder geringeren Menge der Thränenfeuchtigkeit ab, ſondern auch: B. von der größeren oder geringeren Spannung der häu⸗ tigen Kapſel des Augapfels. Der Augapfel ift anzuſehn als eine mit Flüſſigkeiten angefüllte Kugel, deren Kapſel durch verſchiedene Häute (Dar- unter Hornhaut und weiße Haut) gebildet wird. Der Grad der Spannung dieſer häutigen Kapſel iſt offenbar von zwei Bedingungen abhängig, einestheils von der Quantität des umſchloſſenen Inhalts, anderentheils von der Qualität der umſchließenden Häute. Je kräftiger einestheils der volle In— halt auf die häutige Kapſel drückt, und je kräftiger anderen— theils das ſtraffe Gewebe der Kapſel dieſem Drucke widerſteht, deſto geſpannter wird die Augapfelkapſel ſein, deſto glänzen— der wird auch die Hornhaut und die weiße Haut des Auges erſcheinen. Das Gewebe der Augapfelkapſel iſt aber um fo ſtraffer und unnachgiebiger, und der Augapfel iſt um ſo voll— ſaftiger, je geſunder, kräftiger und vollſaftiger der ganze Or ganismus iſt. | Phyſiognomiſches: Beſonders ſtrahlend find deshalb die Augen im jugendlichen Alter, wenn der Organismus emporblüht in üppigſter Lebenskraft. Je mehr aber durch Säfteverluſte, durch Krankheit oder Ausſchweifungen der Körper geſchwächt iſt, deſto ſchlaffer wird die Spannung der Augapfelkapſel, deſto matter wird der Glanz der Augen. Wie ſehr nach bedeutenden Säfte- verluſten der Glanz der Augen erliſcht, ſieht man z. B. bei 68 ſchwächlichen Frauen, welche übermäßig lange ihr Kind ge ſäugt haben, am auffallendſten aber bei den Cholerakranken. Dieſe werden, durch enorme Säfteverluſte, raſch ſo bis aufs Aeußerſte erſchöpft, daß ihre matten, glanzloſen Augen kaum von denen eines Todten zu unterſcheiden ſind. Mit dem Tode hört die Spannung der Augapfelhülle auf; Hornhaut und weiße Haut ſinken ein, und der Glanz des Auges iſt gänzlich erloſchen. Die Augen des Todten nennt man deshalb „gebrochen.“ | Von den Krankheiten find es vorzüglich die Verdauungs— krankheiten, welche am leichteſten den Glanz der Augen ver— ändern *), und unter den Verdauungskrankheiten wieder der chroniſche Magencatarrh* *), welcher die Augen am auffallend- — ja ) Bekanntlich befteht eine innige Sympathie zwiſchen dem Gehirn und dem Magen. Anhaltender Kummer ſtört die Verdauung, heftiger Schreck verurſacht bei ſchwächlichen Perſonen Uebelkeit, ſelbſt Erbrechen, und das Entſetzen, welches den feigen Soldaten beim Anblick der Gefahr ergreift, entladet ſich oft in pro— lujen Durchfällen. Umgekehrt aber wirken auch Verdauungskrankheiten zurück auf das Gehirn und durch das Gehirn auf den Glanz der Augen. Darf man lagen: Das Auge iſt der Spiegel der Seele, ſo darf man mit demſelben Rechte ſagen: Das Auge iſt der Spiegel des Magens. Das gebrochene Auge des s denben giebt den ſprechendſten Beweis dafür, wie auffallend der Glanz des luges durch Magenleiden verändert wird. 85 ) Der chroniſche Magencatarrh iſt eine eben fo häufige wie häufig vernach— läſſigte Krankheit. Ihre Wirkung auf den Geiſt äußert ſich in Kleinmüthigkeit, Lebensüberdruß und Schwermuth, welche ſich bis zum vollſtändigen Irrſinn Neigern können. Kein anderes Leiden hat einen jo entſchiedenen Einfluß auf die Stimmung des Menſchen, kein anderes macht ihn ſo reizbar, empfindlich und launenhaft. Da man vor ſolchen Menſchen auf der Hut ſein muß, ſo iſt es nicht unwichtig, ſie zu erkennen, wo man mit ihnen zuſammentrifft. Es giebt dafür ein ſehr einfaches Mittel. Macht man die Bekanntſchaft eines Menſchen, lo ſehe man ihm in den Mund, während er ſpricht; hat er eine reine, roſen— rothe Zunge, ſo hat man es in der Regel mit einem umgänglichen Menſchen zu thun, hat er dagegen eine belegte Zunge, ſo ſei man auf einen chroniſchen Magencatarrh gefaßt, auf Launen und hypochondriſche Verſtimmungen. Wie lehr die Zunge der Barometer ihrer Stimmungen iſt, wiſſen ſolche Unglückliche ſelbſt nur zu wohl. Sie laſſen keine Gelegenheit vorübergehen, ihre Zunge zu W p 5 E a A i N K i 4 x | i HE t 64 ften matt und glanzlos macht. Vermehrt wird dabei noch der krankhafte Ausdruck des Auges durch die bläulichen Schatten, welche bei längerer Dauer der Krankheit, auf dem unteren Augenlide erſcheinen. Phyſiognomiſches: Matt glänzende Augen deuten auf Ausſchweifungen oder Krankheiten, am häufigſten auf Verdauungskrankheiten. Wie es aber Krankheiten giebt, welche den Glanz der Augen vermindern, ſo giebt es auch Krankheitszuſtände, wel⸗ che den Glanz der Augen erhöhen. Es find dieſes die fieber⸗ haften Zuſtände. Durch das Fieber wird nicht nur die Be wegung des Herzens vermehrt, der Kreislauf des Blutes beſchleunigt und die Augäpfel dadurch blutreicher, ſtrotzender, geſpannter gemacht, ſondern durch das Fieber wird meiften- theils auch die Thätigkeit des Geiſtes abnorm geſteigert. Wie durch erhöhte Geiſtesthätigkeit der Glanz der Augen erhöht wird, ſoll ſogleich näher erörtert werden; genug durch beide oben angegebenen Urſachen bekommen die Augen der Fieber- kranken einen ſo unnatürlichen Glanz, daß man ſie brennend nennt. Aehnlich wie das Fieber wirkt auf den Organismus der zu reichliche Genuß von Spirituoſen. Herz- und Geiftes- thätigkeit werden dadurch unnatürlich geſteigert. Doch nur im erſten Stadium der Trunkenheit iſt der Glanz der Augen er beſehen, und kaum ſind ſie mit den Beinen aus dem Bette, ſo laufen ſie ſchon mit ängſtlicher Erwartung zum Spiegel, um aus dem Zungenſchleim das Horoscop ihrer Stimmungen für den kommenden Tag zu leſen. Zwar kann die Zunge auch vorübergehend belegt ſein durch vorübergehende Magenleiden, ſelten und ausnahmsweiſe kann auch die Zunge belegt ſein, ohne daß der Magen krank ift (bei Leiden der Mundhöhle), immerhin aber iſt, im Umgange mit Menſchen, das angeführte Merkmal der Beachtung werth. | JN höht, im ſpäteren Verlauf folgt auf das Stadium der Muf- regung ein Stadium der Abſpannung, und dem entſprechend werden dann auch die Augen ſo glanzlos, daß man ſie glä— ſern nennt. vt | Phyſiognomiſches: Wird bei einem Menſchen der aufregende Genuß der Spirituoſen zur Gewohnheit, ſo erweitern ſich allmählig, durch den häufig wiederkehrenden Blutandrang, die Blutgefäße des Auges. Die weiße Haut des Auges bekommt alsdann eine trübe, ſchmutzige Far- bung, und iſt von zahlreichen, ſtrotzenden Blutgefäßen durchzogen. Alte Säufer erkennt man deßhalb nicht nur an ihren rothen Naſen, ſondern auch an ihren rothen Augen. Dabei darf aber nicht vergeſſen werden, daß auch Krankheitszu⸗ ſtände der Augen, namentlich chroniſche Augenentzündungen, einen ver mehrten Andrang des Blutes nach den Augäpfeln und eine Erweiterung ihrer Blutgefäße bewirken können. Es bleibt nun noch übrig, den Einfluß des Geiſtes— lebens auf den Glanz der Augen näher zu unterſuchen. Bekanntlich haben die Affecte einen ſehr bedeutenden Einfluß auf die Lebensthätigkeit des ganzen Organismus, und wirken um ſo eingreifender, je heftiger und je anhaltender ſie ſind. Deprimirende Afrecte, Trauer (Kummer, Gram, Sorge, Reue) und Furcht wirken herabſtimmend auf die Energie des Orga— nismus. In Folge anhaltender Trauer wird die Herz- und Athem⸗Bewegung matter und langſamer, die Verdauung träger, die Geiſtesthätigkeit ſchlaffer, die Muskeln verlieren ihre Spannkraft, die Geſtalt wird gebeugt, Arme und Beine werden ſchlotternd, und der Kopf ſinkt auf die Bruft; in Folge der mangelhaften Verdauung und Ernährung ſchwindet allmählig das Fett, die Haut wird blaß und welk, die Körper⸗ wärme nimmt ab, die Haare bleichen. Exeitirende Affecte dagegen, Freude (Hoffnung) und Muth (Zorn) erhöhen die 5 66 Lebensthätigkeit des Organismus; das Herz zieht ſich kräftiger zuſammen, das Büt kreiſt raſcher durch die Adern, Wärme und Farbe der Haut ſind erhöht, der Stoffwechſel in allen Organen iſt beſchleunigt, die Athembewegungen ſind tiefer und energiſcher, der Gang iſt elaſtiſch, der Kopf gehoben, der Geiſt arbeitet ſchneller und leichter, und in buntem Wechſel drängen ſich die Gedanken. | Raſcher aber und auffallender als v die übrigen Be⸗ zirke des Organismus, wirken die Affecte auf das Nerven- und Blut-Leben der Augäpfel. Wie bald wird der Glanz der Augen durch Kummer und Sorge geſchwächt, wie raſch wird er durch Hoffnung, Muth und Zorn belebt! Strahlend iſt das Auge der Freude, leuchtend das Auge der Hoffnung und des Muthes, funkelnd das Auge des Zornes. In welch' inniger Beziehung die Augäpfel zum Geiſtesorgane ſtehen, kann man ſchon bei Säuglingen beobachten; ihre Augen wer— den glänzender, wenn ſie in freudiger Erwartung ihrer Mutter die Arme entgegenſtrecken, und doch iſt das Geiſtesleben des Säuglings noch ſo höchſt unvollkommen, ſchwach und be— ſchränkt. Aber nicht nur durch Leidenſchaften, auch durch eine lebhafte, logiſche Denkthätigkeit wird der Glanz des Auges belebt, und zwar um ſo mehr, je angeſtrengter, je eifriger, je leidenſchaftlicher das Ziel der Denkthätigkeit angeſtrebt wird). *) Der Grund, weshalb Gehirnzuſtände einen ſo unmittelbaren Einfluß auf das Nerven- und Blutleben der Augäpfel haben, liegt in dem innigen Zuſammen⸗ hange beider Organe. Im Embryo iſt der Augapfel noch ein integrirender Theil des Gehirns, welcher erſt allmählig hervorwächſt und ſich ſelbſtſtändig entwickelt. Später, im ausgebildeten Organismus, iſt der Sehnerv die Brücke, vermittelſt welcher der Augapfel im unmittelbarſten Zuſammenhange mit dem 67 Phyfiognomij ches: Die Leichtigkeit, mit welcher Geiſteszuſtände auf den Glanz des Auges einwirken, ift der Grund, daß lebhafte und geift- reiche Menſchen ſich durch den lebhaften Glanz ihrer Augen auszeichnen, daß ſie oft noch im hohen Alter und ſelbſt nach ſchwerem Siechthum den vollen Glanz ihrer Augen bewahren. Je unthätiger und indifferenter der Geiſt iſt, deſto ſchwächer wird auch der Glanz der Augen. Im Zuſtande der Müdigkeit, der Schlaftrunkenheit werden deshalb die Augen matt und gläſern und verrathen leicht den Zuſtand des Menſchen, wenn er ſich auch noch ſo ſehr bemüht, ihn zu verhehlen. Phyſiognomif ches: Je indolenter, je ſtumpfſinniger ein Menſch iſt, deſto glanzloſer ſind auch ſeine Augen. Im höchſten Grade glanz- und geiſtlos findet man ſie deshalb bei Cretins und Blödſinnigen. i Schließlich fei noch aufmerkſam gemacht auf den Gin- fluß, welchen | C. die Farbe der Iris auf den Olanz des Auges hat. In der Iris oder Regenbogenhaut, Fig. 1b, findet man bekanntlich die mannigfaltigſten Nüaneen der blauen, grünen und braunen Farbe; je dunkler aber die Iris gefärbt iſt, deſto mehr wird dadurch der Glanz der Hornhaut gehoben, welche in Form eines Uhrglaſes die franzartige Iris über— wölbt, denn wie jeder glänzende Gegenſtand glänzender er— ſcheint auf dunklem Hintergrunde, wie z. B. eine Brillant— nadel lebhafter auf ſchwarzem als auf hellem Grunde leuchtet, Gehirne ſteht. Der Sehnerv entſpringt in der Tiefe des Gehirns, und an ſeinem vordern Ende ſitzt der Augapfel, wie der Apfel an feinem Stiele. Den Aug" apfel darf man deßhalb als eine Art Gehirnanhang betrachten. x 5 o I tama 68 fo erfcheint auch die Hornhaut um ſo ſtrahlender, je dunkler die Farbe der dahinter liegenden Iris ift. Geiſtige Auf- regungen geben ſich deshalb in dunkeln Augen leichter und auffallender zu erkennen, als in hellfarbigen. Phyſiognomiſches: Aus dieſem Grunde iſt man gewöhnlich geneigt, dunkeläugigen Menſchen mehr geiſtige Lebhaftigkeit zuzutrauen, als hell⸗ äugigen, und die dunklen Augen der Südländer machen den Eindruck größerer Leidenſchaftlichkeit, als die blauen Augen der Nordländer. IV. Mimik des Mundes. Aw Der Muskelapparat des Mundes hat eine dreifache Be— ſtimmung; er dient theils dazu, die Sprachlaute hervorzu— bringen, theils die Thätigkeit des Geſchmacksorgaus, theils auch die Thätigkeit des Gehörorgans zu unterſtützen. Hier können uns natürlich nur diejenigen Bewegungen der Mundmuskeln beſchäftigen, welche ſich auf den Geſchmack— finn und auf den Gehörſinn beziehen. 1. Die Bewegungen der Mundmuskeln in ihren Beziehungen zum Geſchmackſinn. Der Geſchmackſinn entwickelt ſich von allen Sinnen am früheſten, und macht ſich geltend von der erſten bis zur letzten Lebensſtunde. Kein anderer Sinn beherrſcht den Menſchen fo früh, keiner ſo gewaltig, keiner bleibt ihm ſo lange treu; blind, taub und geruchlos liebt der kindiſch gewordene Greis doch 4 ai Sth iif ä at 4 E i f W | 4 4 : | W Wii A 1 f N i * 9 i 1 p 13! ip f W i i 243 a He | y 7 N " y te 1 ii "80 | san U W a3 L * $ " J N R H Ke 3 KIRPI | a 3 = N 3 | k WE dl 4 i 4 a 4 7 Wt 33: F k ‘hue 2 4105 - ay E 2 11540 ay | 183 4 q U 3141183 iga i ee El As 4 114 N A | | $, # ii Z N — a —. A — 70 noch die Freuden der Tafel, und findet darin ſeinen einzigen Genuß, oft ſeinen letzten Lebenszweck. Kein Sinn macht zur Befriedigung ſeiner Lüſte ſolch' grandioſe Anſprüche wie der Geſchmackſinn, — die ganze Welt ſetzt er in Contribution, alle Zonen und Meere werden durchſucht, alles Erſchaffene vertilgt, um der Zunge einen vorübergehenden Kitzel zu ge— währen, von der Leipziger Lerche, die in der Morgenſonne ihrem Schöpfer entgegenjubelt, bis zur fetten Auſter, die auf dem Grunde des Meeres ein melancholiſches Daſein führt; von der Dattel auf dem Gipfel der ſchlanken Wüſtenpalme, bis zur beſcheidenen Trüffel, die ſich und ihre Tugend im Schooße der Erde verbirgt. Die erſte Bewegung, welche das neugeborene Kind be— nutzen lernt, — die Saugbewegung der Lippen, bezieht ſich auf den Geſchmackſinn, und, merkwürdig genug, iſt es auch dieſelbe Bewegung, welche der Menſch als Ausdruck ſeiner gewaltigften Leidenſchaft gebraucht, wenn er ein geliebtes Weſen — küßt. Was für den Geſichtſinn der Augapfel, das iſt für den Geſchmackſinn die Zunge, denn wie der Sehnerv im Augapfel, ſo verzweigt ſich der Geſchmacksnerv in der Zunge, und wie der Augapfel, ſo hat auch die Zunge eine ſelbſtſtändige Be— wegungsfähigkeit, vermöge welcher das Geſchmacksorgan in eine ſolche Lage und Stellung gebracht werden kann, daß die Geſchmackseindrücke möglichſt vollkommen aufgenommen werden. Wie der Augapfel, ſo iſt auch die Zunge durch ein knöchernes Gehäuſe geſchützt; letzteres wird durch die beiden Kinnladen gebildet, doch hat das Knochengehäuſe der Zunge vor dem des Augapfels den Vorzug, daß es beliebig geöffnet oder ge— ſchloſſen werden kann, indem die Unterkinnlade an die Ober- 71 kinnlade gedrückt oder von ihr entfernt wird. Das eblere Geſichtsorgan iſt alſo offenbar weniger geſchützt, als das zur Erhaltung des Lebens nothwendigere Geſchmacksorgan. Wie vor der Augenhöhle, fo liegt auch vor der Mund- höhle ein kreisförmiger, platter Muskel. Dieſer Mundſchließ— muskel, Fig. 5 , hat, wie der Augenſchließmuskel, in feiner Mitte eine horizontale Spalte *); wie die Ränder der Mugen- ſpalte, ſo ſind auch die Ränder der Mundſpalte mit einer feuchten, roſig durchſcheinenden Schleimhaut bedeckt, und wie die Augenpforte, ſo iſt auch die Mundpforte (wenigſtens bei erwachſenen Männern) mit Haaren geziert. Geſchloſſen wird der Mund durch Zuſammenziehung des ſchlingenartig gebildeten Mundſchließmuskels, geöffnet und aus⸗ einander gezogen wird die Mundſpalte durch die Antagoniſten des Schließmuskels, welche an ſeinem äußeren Rande ange— heftet ſind. | Ein Blick auf Fig. 5 zeigt, wie viel ſtärker und zahl- reicher die Antagoniſten des Mundſchließmuskels als die des Augenſchließmuskels ſind. Die Form der Mundſpalte kann dadurch auf das Verſchiedenartigſte verändert und verzogen werden, und vermöge dieſer Mannigfaltigkeit der Bewegung hat der Mund eine mindeſtens ebenſo große Bedeutung für den mimiſchen Ausdruck des Geſichts, wie die Augen. A. Der bittere Zug. Wird irgend ein ſchmeckbarer Gegenſtand auf die ruhig liegende Zunge gebracht, ſo iſt die dadurch hervorgebrachte *) Auf Fig. 5 konnte nur eine Hälfte dieſes Muskels dargeſtellt werden. dai -— n 2 ES aa ÄT TV AAN a = —— — je F — = ERES an m: k jä a A 3 e Sa —— ———— — — = - - f — a RR F — = * — — -be — FA J — — RE — — — = 9 - s 55 — — a — = — — a — — = = = , = o. p — = = — ä — s? i 3 — K Be Geſchmacksempfindung eine ſehr undeutliche und unvollfom- mene; erſt dadurch, daß die Zungenoberfläche (auf welcher ſich, in den fogenannten Geſchmackspapillen, die Endigungen der Geſchmacksnerven befinden) an das knöcherne Gaumenge- wölbe gedrückt und an ihm gerieben wird, kann eine vollſtän— dige Einwirkung des ſchmeckbaren Oegenftandes auf die Ge- ſchmacksnerven ſtattfinden. Wenn man darum beim Eſſen unverhofft auf einen unangenehm ſchmeckenden Gegenſtand beißt, ſo reißt man raſch den Mund auf und zieht die beiden Kinnladen auseinander, um die Zunge möglichſt weit vom Gaumen entfernt zu halten, d. h. um eine Reibung der Zungenoberfläche, und eine Wieder— holung der unangenehmen Geſchmacksempfindung möglichſt zu vermeiden. Dieſe Bewegung der Kinnladen wird von einer analogen Bewegung des Mundes begleitet; wie der Gaumen von der Zunge, ſo wird auch die Oberlippe von der Unter— lippe entfernt, und zwar geſchieht dies durch die Oberlippen— heber (Levator. labii superioris alaeque nasi) Fig. 5 ff. Jeder Diefer beiden Muskeln entſpringt in der Nähe des inneren Augenwinkels, und endet in zwei Spitzen, von denen die eine fich an den Naſenflügel heftet, die andere an die Oberlippe, und zwar in der Mitte ihrer ſeitlichen Hälfte. Wenn die beiden genannten Muskeln geſpannt werden, ſo verändert ſich der Geſichtsausdruck in eigenthümlicher Weiſe. Der rothe Saum der Oberlippe wird in der Mitte ſeiner ſeitlichen Hälften etwas aufwärts gezogen, und zwiſchen dieſen beiden Punkten wird die Spitze der Oberlippe etwas nach Oben umgeſtülpt, ſo daß die Profillinie der Oberlippe dadurch einwärts geknickt erſcheint; zugleich werden die Naſenflügel in die Höhe gezogen und N E i | | 11 14/5 | L } 10 | 2 + | Ho 2 DEIR | i — aSa — 9 -= 75 3 dadurch erſcheinen die beiden Mundfalten (D. h. die Falten, welche von den Naſenflügeln ſchräg abwärts zu den beiden Mundwinkeln verlaufen) unmittelbar neben den Naſen— flügeln tief markirt und eigenthümlich geradlinig; daß bei dieſer Mundbewegung auch die Haut des Naſenrückens in Falten gelegt wird, iſt eine Folge der aufwärts ge— zogenen Naſenflügel. Fig. 15. Der geſchilderte Geſichtsausdruck, welcher zunächſt bei unangenehmen, bitteren Geſchmacksempfindungen erſcheint, wiederholt ſich auch bei ſehr unangenehmen Vorſtellun— gen und Stimmungen, bei ſolchen, deren unangenehme ~ m ; ä e KA im : , ' Natur ſehr bedeutungsvoll als bitter bezeichnet wird. v Mimiſche Combinationen. In der phyſtologiſchen Einleitung wurde gezeigt, daß mimiſche Bewegungen am leichteſten an den Augenmuskeln, weniger leicht an den Mundmuskeln ſich äußern. Während deshalb bei unangenehmen Vorſtellungen und Stimmungen nur die Stirnhaut in ſenkrechte Falten gelegt wird, erſcheint bei ſehr unangenehmen Vorſtellungen und Stimmungen auch der bittere Zug. Fig. 16. Doch iſt die Bedeutung dieſes Geſichtsausdrucks eine weſentlich verſchiedene, je nach der Beſchaffenheit des Blicks. Iſt der Blick matt, ſo hat das Geſicht das Gepräge bitteren Leidens, und ift ein Zeichen, daß der Menſch ſich paſſiv, duldend verhält gegenüber den bitteren Eindrücken, Vorſtel— lungen oder Erinnerungen; iſt aber der Blick feſt und ener- giſch, ſo trägt das Geſicht den Stempel activer Reaction, zorniger Erbitterung. | 74 Wenn die Augen entzückt emporblicken (wobei natür— lich die ſenkrechten Stirnfalten fehlen), während die Oberlippe bitterlich verzogen iſt, ſo hat das Geſicht den Ausdruck eines Hülfeflehenden, der in bittrer Noth vertrauensvoll emporblickt. Fig. 17. Es iſt dies ein mimiſcher Ausdruck, welchen die Maler auf den Bildern der büßenden Magdalena dargujtellen ſuchen, — wenigſtens ſuchen ſollten, denn Viele ſcheinen dieſen Gegenſtand mehr gewählt zu haben, um nackte, üppige Formen, als um ſeelenvolle Züge zu malen. Wenn ſtatt der ſenkrechten — horizontale Falten auf der Stirn erſcheinen, während im Munde der Ausdruck der Bitterkeit ausgeprägt iſt, ſo erkennt man, daß der Menſch bittern Erinnerungen und Gedanken nachhängt, daß er ſie feſtzuhalten fucht, um fte dauernd auf fich einwirken zu laffen. Fig. 18. Am gewaltigſten wird aber das Geſicht verändert, wenn neben dem bittern Zuge zugleich die Miene des Schreckens ſich geltend macht, d. h. wenn auf der Stirn gleichzeitig ſenkrechte und horizontale Falten (Fig. 13) erſcheinen. Das Geſicht bekommt dadurch den Ausdruck heftigen Entſetzens. Fig. 19. — Die Miene des Entſetzens ſchildert Leonardo da Vinci ganz treffend in ſeiner früher erwähnten Schrift, wo er ſagt: „Die Ueberwundenen, Geſchlagenen, in Unord— nung Gebrachte malet mit blaſſen Geſichtern und erhobenen Augenbrauen, deren Zuſammenfügung, nebſt dem darüber be— findlichen Fleiſch, voller Runzeln; die Höhle der Naſen aber von außen mit etlichen Falten bei den Naſenlöchern, die ſich bei dem Anfange des Auges endigen. Die Naſenlöcher, als die Urſache beſagter Falten, müſſen ſich aufwerfen und die im Bogen erhobene Oberlippe die oberen Zähne entdecken, 75 welche, indem fie weit von den anderen abgeſondert ſtehen, ein klägliches Schreyn bei den Ueberwundenen andeuten.“ Phyſiognomiſches: Phyſiognomiſch findet man dieſen Zug ausgebildet als Folge häufig wiederholter ſehr unangenehmer Stimmungen, bei Menſchen von verbitterter oder erbitterter Gemüthsart. Bittere Stimmungen können nämlich durch zweierlei Urſachen veranlaßt wer- den, entweder durch außergewöhnlich unangenehme Verhältniſſe, oder durch eine außergewöhnlich große Empfindlichkeit. In jenem Falle kann man den Menſchen verbittert, in dieſem kann man ihn er- bittert nennen. B. Der ſüße Zug. Dem Ausdrucke der Bitterkeit entgegengeſetzt iſt der ſüße Zug, denn während man bei jenem eine unangenehme Ge— ſchmacksempfindung möglichſt zu vermeiden ſucht, werden bei dieſem die Muskeln ſo in Bewegung geſetzt, daß Geſchmacks— eindrücke möglichſt vollkommen aufgenommen werden können. Die geſchloſſenen Lippen und die Backen werden feſt an die Kinnladen gedrückt, um die Theile des ſchmeckbaren Gegen— ſtandes, welche etwa beim Kauen oder Einſchlürfen in den Raum zwiſchen Backen und Kinnladen gerathen, auf dem Geſchmacksorgan — der Zunge zuſammenzudrängen, feftzu= halten, und dadurch die Thätigkeit der Geſchmacksnerven mödg- lichſt zu unterſtützen. Hierbei werden, vorzugsweiſe durch die ſeitliche Wirkung der Lachmuskeln (Fig. 5h), die Backen an die Kinnladen gepreßt (wodurch dieſer Zug dem lächelnden ähnlich wird); doch wird dadurch nicht, wie man vermuthen ſollte, der Mund in die Breite gezogen, ſondern, indem der Mundſchließmuskel ſich zuſammenzieht, und zugleich (durch mehrere, theilweiſe hinter ihm liegende Muskeln) an die AR al Ad dát = Zähne gedrückt wird, erfeheinen die rothen Lefzen eigen, thümlich platt gedrückt. Fig. 20. Dieſe Form des Mundes, welche man zunächſt bei ſehr angenehmen, ſüßen Geſchmacksempfindungen beobachtet, zeigt ſich auch als mimiſcher Ausdruck außergewöhnlich ange— nehmer Stimmungen, bei Vorſtellungen und Erinnerungen, welche der Sprachgebrauch als ſüß bezeichnet. Mimiſche Combinationen. Ein ſüßer Mund mit entzücktem Blick, giebt den mimiſchen Ausdruck ſüßer Schwärmerei. Fig. 21. Mit dem verſteckten Blicke verleiht der ſüße Mund dem Gefichte den Ausdruck verliebter Coquetterie. Fig. 22. Mit horizontalen Stirnfalten giebt der ſüße Uus- druck zu erkennen, daß der Menſch ſüßen Erinnerungen und Vorſtellungen nachhängt. Fig. 23. Tritt zu Fig. 21 noch der bittere Zug, ſo hat das Geſicht den Ausdruck bitterſüßer Schwärmerei. Fig. 24. Phyſiognomiſches: Der ſüße Mund iſt der mimiſche Ausdruck ſüßer Gefühle, d. h. überſchwänglich glücklicher und angenehmer Stimmungen; da aber hierzu das Leben nur ſehr ausnahmsweiſe Veranlaſſung giebt, ſo findet man den ſüßen Zug nur ſelten phyſiognomiſch ausgebildet, bei Männern wohl nie, zuweilen bei Frauenzimmern, aber auch bei dieſen gewöhnlich nur als Folge eines affectirt ſüßlichen Weſens. Wenn der ſüße Zug in einem Geſichte conſtant geworden iſt, ſo macht er auf jeden Unbefangenen denfelben Eindruck wie ein conſtant ſüßer Geſchmack, d. h. den Eindruck des Ekels. Entdeckt man bei einem Menſchen dieſes phyſiognomiſche Merkmal, ſo kann man darauf gefaßt ſein, daß er in ſeiner Converſation die Bezeichnung ſüß beſtändig im Munde führen wird; er redet von ſüßen Menſchen, ſüßer Muſik, ſüßer Freundſchaft und Liebe, ja wohl gar von ſüßer Verzweiflung. C. Der prüfende Zug. Wenn man im Begriff ſteht, einen ſchmeckbaren Gegen— ſtand zu prüfen, z. B. Wein, ſo bringt man ihn zwiſchen die Lippen, ſchiebt diefe rüſſelartig vor), und läßt vor⸗ ſichtig und langſam die Flüſſigkeit über die Oberfläche der Zunge gleiten, damit der Geſchmackseindruck möglichſt in die Länge gezogen, und ſomit Zeit gewonnen wird, um den ſchmeckbaren Gegenſtand zu prüfen. Fig. 25. Denſelben Geſichtsausdruck beobachtet man bei Menſchen, welche in Gedanken prüfend den Werth oder Unwerth einer Sache unterſuchen. Wer aufmerkſam auf ſich ſelber iſt, wird nicht ſelten Gelegenheit gehabt haben, ſich bei dieſer Musfel- bewegung zu ertappen; wer über irgend ein Verhältniß nach- denkt, um ſeine Güte in Erwägung zu ziehen, macht eine Miene, als ob er im Begriff ſtände, eine Speiſe zu prüfen (weil die mimiſchen Geſichtsbewegungen ſich zum Theil auf ~ Maginaere Gegenſtände beziehen). Es giebt fich in dieſer ) Es wurde früher gezeigt (S. 43), daß bei dem Augenſchließmuskel die centralen Faſern ſelbſtſtändig und unabhängig von den peripheren Faſern con- trahirt werden können. Ein ähnliches Verhältniß ſcheint auch bei dem Mund⸗ ſchließmuskel ſtattzufinden, und das rüſſelartige Vorſtrecken der Lippen hauptſächlich dadurch bewirkt zu werden, daß die peripheren Faſern ſich ſtärker zuſammenziehn als die centralen. Doch kommen bei dieſer Bewegung auch noch andre, hinter dem Mundſchließmuskel liegende Muskelparthien in's Spiel. Henle (Handb. d. Anatomie 1. 3. 159) drückt ſich darüber folgendermaßen aus: „Das Spitzen des Mundes Gum Pfeifen, Kiffen, zum Ausſprechen der Vocale O und U) iſt zunächſt nicht Sache des M. sphincter oris, ſondern der Mm. incisivi der Ober- und Unterlippe und des M. nasalis labii sup., wobei unterſtützend der M. caninus und die am Rande des Unterkiefers entſpringenden Faſern des M. triangularis hinzutreten mögen. Der Sphincter hat aber dabei die Aufgabe, die Mundſpalte eng oder geſchloſſen zu erhalten, und den Lippenfalten eine gewiſſe Tenſion zu ertheilen.“ ; 78 Miene immer ein gewiſſes Selbſtgefühl zu erkennen, denn wer ein entſcheidendes Urtheil fällen will, fühlt ſich in dieſem Augenblicke, dem beurtheilten Objecte gegenüber, als Richter, als höhere Inſtanz, als Autorität. Fig. 25. Mimiſche Combinationen. Wenn der prüfende Mund zugleich mit ſenkrechten Stirnfalten erſcheint, ſo muß man vermuthen, daß, während der Menſch noch das Für und Wider erwägt und nachſinnt, welches Urtheil er fällen, welche Entſcheidung er treffen ſoll, ſchon Verſtimmung und Zorn ſich geltend machen. Fig. 26. Treten mit dem prüfenden Zuge gleichzeitig horizon- tale Stirnfalten auf, fo geht daraus hervor, daß die Muf- merkſamkeit des Menſchen in hohem Grade durch die Verhält— niſſe, welche er prüft, gefeſſelt wird, daß er ſie für ſehr wichtig und äußerſt bedenklich anſieht. Fig. 27. Den- ſelben Ausdruck trägt ein Kopf auf dem bekannten Bilde Haſenklever's: die Weinprobe. Fig. 28. Phyſiognomiſches: Den prüfenden Zug findet man zuweilen ausge⸗ bildet bei Gourmands, bei Menſchen, deren ganzes Dichten und Trah- ten auf die Freuden der Tafel gerichtet iſt. Indem ſie ihre Phantaſie häufig in gehabten oder gehofften Genüſſen ſchwelgen laſſen, indem ſie dabei lüſtern die Lippen vorſtrecken, als ob ſie wirklich ſchmeckten und koſteten, was ſie träumen, wird allmählig der prüfende Zug bei ihnen conſtant. | Alsdann entwickelt fih diefe Form des Mundes auch bei felbft- gefälligen Menſchen, die, im Gefühle eigener Vortrefflichkeit, ſich be⸗ rufen fühlen, über den Werth fremder Menſchen, Meinungen und Verhältniſſe abzuurtheilen und ſich gern wichtig machen. y H + pi i 11 i z N p 34 Wi E 4 K a il: E 1 41:00 > d i 3 Wii mE y 21398 . H ak be HE d f EE di E 1 Fir. I BE = A ki f E [ $ i j 4 PAF A u NINE | I : FI N eine | | |! q * A NI ̃— 8Nd a D. Der verbiſſene Zug. Wenn man eine ſehr heftige körperliche Anſtrengung macht, wenn man z. B. einen ſehr engen Stiefel anzuziehen ſucht, oder wenn man eine ſehr feſtgeklemmte Thür mit Ge- walt aufreißen will, ſo ſpannt man nicht allein die Arm— muskeln, ſondern man ſteift zugleich den Nacken, man beißt die Zähne aufeinander und preßt die Lippen zuſammen. Solche Muskelbewegungen ſind offenbar ganz zwecklos, ſie können nichts dazu beitragen, die beabſichtigte Wirkung zu erreichen, aber in dem Augenblicke, wo ein Menſch ſeine ganze Kraft und Energie zuſammennimmt, um durch körper— liche Anſtrengung eine Schwierigkeit zu überwinden, äußert ſich der Einfluß des Willens nicht allein in denjenigen Mus- keln, welche dazu dienen, die beabſichtigte Bewegung auszu— führen, ſondern er verbreitet fich, gleichſam ausſtrahlend, in den geſammten Muskelapparat des Körpers. Jeder Muskel ſpannt ſich in der gewohnten Weiſe, wobei aber natürlich die Spannung der ſchwächeren Muskeln durch die der ſtärkeren überwogen reſp. neutraliſirt wird. Dieſe unabſichtlichen und zweckloſen Mitbewegungen der Muskeln treten am bemerkbarſten hervor an den Geſichtsmuskeln, und zwar vorzugsweiſe an den kräftigen Kaumuskeln (Fig. 5 i). Bei allen angeſtrengten oder ſchwierigen Bewegungen pflegt man, durch die Spannung 3 dieſer Muskeln, die Unterkinnlade gegen die Oberkinnlade zu preſſen, gleichſam als wollte man einen harten Gegenſtand zerbeißen und zermalmen. Aber wie bei dem bittern Zuge, ſo wird auch bei dem verbiſſenen die Bewegung der Kinnlade von einer analogen Bewegung des Mundes begleitet. Wie man bei dem Aus— drucke der Bitterkeit nicht nur den Oberkiefer von dem Unter- kiefer, ſondern auch die Oberlippe von der Unterlippe möglich] weit entfernt hält (vergl. S. 72), ſo preßt man bei dem Ausdrucke der Verbiſſenheit nicht allein die Unterkinnlade gegen die Oberkinnlade, ſondern auch die Unterlippe gegen die Oberlippe. Durch Contraetion des Mundſchließmuskels wird der Mund geſchloſſen, und es erſcheinen dabei die rothen Lippenſäume einwärts gekniffen, zugleich aber wird die Unterlippe feſt gegen die Oberlippe gedrückt, und zwar geſchieht dies durch die Wirkung der beiden Kinn- beber (Fig. 5k). Es entſpringen diefe beiden Muskeln am obern Rande der Unterkinnlade, in der Nähe der mittleren Schneidezähne, und ihre Faſern verlaufen von hier nach Unten und Außen in die Haut des Kinns. Sie heben die Mitte der untern Hälfte des Mundſchließmuskels in die Höhe, und drücken die Haut des Kinns feſt an den Knochen; in Folge deſſen erſcheint die Mitte der Unterlippe gehoben, und gleichzeitig treten zwei Falten oder Vertiefungen hervor, welche, in der Mitte der Unterlippe beginnend, von hier nach beiden Seiten, wie die Schenkel eines ſtumpfen Dreiecks, geradlinig nach Unten und Außen verlaufen. Dieſe beiden Falten ſind für den Ausdruck der Verbiſſenheit ſehr characte— riſtiſch, und entſprechen dem untern Rande des geſpannten und in ſeiner Mitte aufwärts gezogenen Mundſchließmuskels. Fig. 29. è Dieſelbe Miene, welche bei febr intenſiven körperlichen Anſtrengungen erſcheint, tritt auch bei ſehr intenſiven geiſtigen Anſtrengungen auf, und zwar, weil die mimiſchen Geſichts— bewegungen ſich zum Theil auf imaginacre Gegenſtände be— ziehn. ; 81 Die Anftrengungen, welche man bei geiftigen Arbeiten, 3. B. bei wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen, macht, werden ſelten fo leidenſchaftlicher Art ſein, daß fte Veranlaſſung geben könnten zu einem krampfhaften Zuſammenkneifen der Lippen und Zähne, dagegen wird dies geſchehen, wenn man ſich zu einem geiſtigen Kampfe anſchickt, wenn man ſeine ganze Energie zuſammennimmt, um ſich fremder Einflüſſe zu er⸗ wehren, wenn man feſt entſchloſſen ift, bei feinen Ueber- zeugungen und Abſichten zu beharren trotz der Einwendungen und Vorſtellungen anderer Menſchen, trotz drohender Gefahren und Schwierigkeiten und trotz eigener Bedenken. Galilei, als er fein berühmtes: E pur se muove! — murmelte, kann man ſich nur mit gepreßtem Munde und zuſammengebiſſenen Zähnen vorſtellen. | In dem zufammengefniffenen Munde mit gehobener Unterlippe liegt der mimiſche Ausdruck der Verbiſſenheit, der Verſtocktheit, des Eigenſinns, des Trotzes, der Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit. Wer mit verbiſſenen Lippen daſteht, hat feinen Entſchluß gefaßt, und deshalb heißt es in der Bibel auch ganz richtig (Sprichw. Sal. VI. 13): „Und wenn der ſchalkhafte, falſche Menſch ſeine Lefzen zu— ſammenbeißet, ſo vollbringt er Böſes.“ Mimiſche Combinationen. Wer Zähne und Lippen feſt zuſammenkneift, und zugleich die Stirnhaut in ſenkrechte Falten zieht, zeigt, daß er zornig iſt und zugleich hartnäckig entſchloſſen, die Urſache ſeines Zorns zu bekämpfen oder von ſich zu weiſen. Fig. 30. | 6 82 Wer die Augenbrauen in die Höhe zieht, während der Mund zuſammengekniffen iſt, giebt dadurch zu erkennen, daß er die Eindrücke feſtzuhalten ſucht, die ihn bewegen, eigenſinnig auf ſeinen Meinungen und Abſichten zu beſtehen. Fig. 31. : | Intereſſant tft Der complicirte Ausdruck auf dem Bilde J. Schraders: Gregor VII. in der Verbannung zu Salerno, Fig. 32 (nach dem Stahlſtiche von A. Schultheis). Die Verbiſſenheit im Munde, der Zorn in den ſenkrechten, die geſpannte Aufmerkſamkeit in den horizontalen Stirn— falten geben, zuſammen mit dem verſteckten Blicke, dieſem Geſichte den Ausdruck eines gefährlichen, auf Heimtücke und Rache ſinnenden Menſchen. | Erſcheint im Munde zugleich mit dem verbiſſenen Zuge und ſenkrechten Stirnfalten der Ausdruck der Bitterkeit, ſo ſieht man, daß der Menſch ſich in einer verbiſſenen und verbitterten Stimmung befindet. Fig. 33. Es iſt hier auch der Ort, den mimiſchen Ausdruck der heftigen Wuth anzuführen, und die dabei ſtattfindenden com- plicirten Muskelbewegungen zu erklären. Die Kinnladen ſind feſt zuſammengebiſſen (als Ausdruck kampfbereiter Energie, trotziger Entſchloſſenheit) und die Oberlippe nebſt den Naſenflügeln emporgezogen (als Ausdruck der Erbitte— rung) und zwar in ſo bedeutendem Maße, daß ein (dem Zuſammenbeißen der Kinnladen entſprechendes) Zuſammen⸗ kneifen der Lippen nicht ſtattfinden kann, und über der aufwärts gepreßten Unterlippe die blinkenden Zähne der Oberkinnlade erſcheinen. Dabei find gewöhnlich die |. Naſenlöcher weit aufgebläht, denn im Zuſtande heftiger Wuth ſind Athem- und Herzbewegung beſchleunigt, und da 83 die raſcher aus- und einſtrömende Luft an den zuſammenge— biſſenen Zähnen ein Hinderniß findet, fo athmet man vorzugs- weiſe durch die Naſe, und erleichtert dieſes durch das Aufblähen der Nüſtern (vergl. übrigens hierüber die Mimik der Naſe S. 92). Auf der Stirn liegen horizontale Falten (als Ausdruck geſpannter Aufmerkſamkeit) und zugleich ſenkrechte Falten (als Ausdruck des Zorns). Die Augäpfel erſcheinen glänzend, ſie „ſprühen Feuer“ (als Folge geiſtiger Auf— regung) und rollen entweder wild umher, oder blicken ſtarr und durchbohrend (vergl. S. 33: der feſte Blick). Fig. 34. Phyſiognomiſches: Am leichteſten und häufigſten wird der verbiffene Zug phyſiognomiſch bei Menſchen, deren Lebensbeſchäftigung es mit ſich bringt, andauernd ſchwierige Bewegungen auszuführen, ſei es, daß ſie ſchwierig ſind, weil ſie einen großen Kraftaufwand erfordern, ſei es, weil eine große Vorſicht dabei erforderlich iſt; es kann z. B. dieſer phyſiognomiſche Ausdruck ſich eben ſo wohl bei der groben Arbeit der Hufſchmiede ausbilden, wie bei der feinen Arbeit der Stickerinnen, eben ſo wohl bei Holzhackern wie bei Bildhauern. Wo man ihn aber bei ſolchen Leuten antrifft, darf man überzeugt ſein, daß ſie ihre Arbeit mit beſonderem Eifer und gewiſſenhafter Sorgfalt zu machen pflegen. Als Folge von Geiſteszuſtänden kann der mimiſche Zug der Ber- biſſenheit nur dann phyſiognomiſch werden, wenn die entſprechenden Geiſteszuſtände fih nicht nur ſehr häufig, ſondern auch ſehr anhaltend geltend machen. Man erkennt daran den Horaziſchen: „tenacem pro- positi virum,“ den beharrlichen Mann; aber auch (wenn dieſes phy- ſiognomiſche Merkmal auffallend ſtark entwickelt iſt) den hartnäckigen, trotzigen, eigenſinnigen, verſtockten, verbiſſenen Menſchen. E. Der verachtende Zug. (v. fin. l Der mimiſche Ausdruck der Verachtung, der Gering- ſchätzung äußert ſich theils in den Augen, theils im Munde. He! 84 Wer feine Verachtung zu erkennen geben will, hebt den Kopf, um auf den Gegenſtand feiner Geringſchätzung herab- zublicken; er drückt dadurch aus, daß er ſich ſelbſt erhaben fühlt über das, was ihm niedrig ſcheint. Er blickt aber das Object ſeiner Verachtung nicht gerade an, ſondern von der Seite, als hielte er es nicht der Mühe werth, ſeinen Kopf zu wenden, um es ins Auge zu faſſen; zu gleicher Zeit ſenken ſich die Augendeckel wie im Zuſtande der Schläf— rigkeit (vergl. S. 54) und als Zeichen äußerſter Gleichgültig⸗ keit gegen die (ſichtbare oder imaginaere) Urſache der Mip- achtung; doch giebt ſich noch ein gewiſſer Grad nachläſſiger und widerwilliger Aufmerkſamkeit durch die Spannung der Stirnmuskeln zu erkennen, wodurch die finfenden Augendeckel feſtgehalten, die Augenbrauen in die Höhe gezogen, und auf der Stirnhaut horizontale Falten gebildet werden. Fig. 35. In dieſer Weiſe drückt ſich ein geringer Grad von Ver- achtung nur in den Augen aus; bei höheren Graden Hoch- müthiger Geringſchätzung aber verändert ſich auch der Ausdruck des Mundes in eigenthümlicher Weiſe. In der Oberlippe erſcheint der Zug der Bitterkeit (vergl. S. 72), als ſpüre man einen unangenehmen, ekelhaften Geſchmack, und zugleich ſtößt man die Unterlippe nach Oben vor, als wollte man durch dieſe Bewegung einen, den Lippen nahe— kommenden, unbedeutenden Gegenſtand fernhalten; daß dieſer als ſehr unbedeutend aufgefaßt wird, giebt ſich dadurch zu erkennen, daß man beim Vorſchieben der Unterlippe zugleich etwas Luft auszuſtoßen pflegt, als genüge das, um den federleichten Gegenſtand zu verſcheuchen. Fig. 35. 85 Der mimiſche Ausdruck der Verachtung ift alfo ein fomplicirter, und bezieht fich theils auf imaginaere Gegen- ſtände, theils auf imaginaere Sinnesempfindungen. Wie bei dem verbiſſenen, ſo wird auch beim ver⸗ achtenden Munde die Unterlippe aufwärts gezogen, und zwar hier wie da durch die beiden Kinnhebermuskeln *) (Fig. 5 k). Doch unterſcheidet ſich der Ausdruck der Ver biſſenheit ſehr weſentlich von dem Ausdrucke der Verachtung da- durch, daß bei jenem beide Lippen einwärts gekniffen find, bei dieſem dagegen die Unterlippe nach Außen umgeſtülpt wird. Das Umſtülpen der Unterlippe geſchieht durch eine combinirte Wirkung der Kinnhebermuskeln (Fig. 5k) und der dreieckigen Kinnmuskeln (Fig. 51), indem durch jene die Unterlippe aufwärts gedrängt wird, und gleichzeitig durch dieſe die Mundwinkel abwärts gezogen werden, ſchlägt ſich der rothe Saum der Unterlippe nach Außen um. Durch die Wirkung der Kinnhebermuskeln entſtehn ſowohl bei dem Aus- drucke der Verachtung wie bei dem der Verbiſſenheit characte- riſtiſche Falten auf der Unterlippe, während aber bei dieſem die Falten von der Mitte der Unterlippe geradlinig nach Außen und Unten verlaufen, wie die Schenkel eines ſtumpfwinkligen Dreiecks, bilden ſie bei jenem (durch den nach Unten gerich— teten Zug der dreieckigen Kinnmuskeln) eine Bogenlinie, welche conver nach Oben gerichtet ift. Fig. 36. Uebri- gens erſcheint bei dem einen wie bei dem andern Geſichts— ausdrucke das Kinn eigenthümlich platt, weil die Haut des ) Da die Kinnhebermuskeln für den Ausdruck der Verachtung von fo weſentlicher Bedeutung find, jo wurden fie von älteren Anatomen ganz bezeichnend usculi superbi genannt. 86 Kinns, durch die Wirkung der Kinnhebermuskeln, aufwärts gezogen und ſtraff geſpannt iſt. Mimiſche Combinationen. Wenn mit dem Ausdrucke der Verachtung zugleich ſenk— rechte Stirnfalten erſcheinen (und dann fehlen natürlich die gewölbten Augenbrauen und die horizontalen Falten), ſo darf man annehmen, daß der Menſch gleichzeitig Zorn und Verachtung fühlt. Fig. 37. Je ſtärker in dem verachtenden Munde der Zug der Bitterkeit hervortritt, deſto mehr hat das Geſicht den Ausdruck bitterer Verachtung. Phyſiognomiſches: Den Ausdruck der Verachtung findet man phyrio- gnomiſch gewöhnlich bei anmaßenden, hochmüthigen Menſchen, welche den Maßſtab ihrer eigenen eingebildeten Vortrefflichkeit an die Ver⸗ hältniſſe und Meinungen Anderer zu legen pflegen und ſchwer zu be- friedigen ſind. An den Augen giebt ſich dieſer Zug durch hochgewölbte Augen— brauen, horizontale Stirnfalten und geſenkte Augendeckel zu erkennen. Am Munde iſt dieſer Ausdruck daran kenntlich, daß die Mitte der Unterlippe aufwärts gedrückt erſcheint, und unter ihrem rothen Saume (welcher etwas nach außen umgeſchlagen iſt) eine bogenförmige Falte hervortritt, welche conver nach oben gerichtet iſt. = Die Bewegungen der Mundmuskeln in ihren Beziehungen zum Gehörſinn. Während bei vielen Thieren die Muskeln des äußeren Ohrs eine außerordentliche Beweglichkeit beſitzen, ſind ſie bei | | 4 | | 4 N | War 1 fi Ait } LU (J Pi if i Die 3 Ht jii 119 I ‘on 1. B- $i; H (KN: TN ER : I lA AN ta 4 AB W: t H 2 | | É 1 i L i k i a E + k 518 k SiG 3 $ ¿18 3 VITO ETE y M $ JUAN a A * $i | i | 2 H Y $ If ig ] | i m k 87 dem Menſchen verkümmert und faſt unbeweglich; fie können nicht dazu dienen, die Thätigkeit ſeines Gehörſinns irgendwie zu unterſtützen, und der Menſch iſt in dieſer Beziehung unſtreitig weniger begabt als die Pferde, Eſel und Hunde, welche durch die große Beweglichkeit ihrer Ohren die Aufnahme von Schall— eindrücken weſentlich befördern können. Unter den Sinneswerk- zeugen des Menſchen iſt ſein Gehörſinn am ſtiefmütterlichſten von der Natur bedacht, und am ſchwächſten mit Muskeln ausgerüſtet worden; nur indireet kann die Aufnahme von Ge— höreindrücken durch Muskelthätigkeit erleichtert und begünſtigt werden, und zwar durch die Mundmuskeln. | Der Sammelplatz der Schalleindrücke, die ſogenannte Paukenhöhle, ſteht mit der Mundhöhle durch einen engen N Knochencanal (die Euſtachiſche Röhre) in Verbindung; die — Gehörnerven empfangen deshalb Schalleindrücke ebenſowohl durch den Mund wie durch das Ohr. Wie ſehr dieſer Canal zum deutlichen Hören beiträgt, kann man bei Halsentzündungen beobachten. Durch die reichliche Schleimabſonderung, welche dabei ſtattfindet, geſchieht es ſehr häufig, daß der Eingang des Canals durch einen Schleimpfropf verſtopft wird; die Folge davon ift eine momentane Schwerhörigkeit, welche aber — ſofort wieder verſchwindet, wenn durch irgend einen Zufall, s z. B. durch das Aufreißen des Mundes beim Gähnen, der Schleimpfropf entfernt wird. Wer aufmerkſam horcht, wer auf ein undeutliches ri Geräuſch lauſcht, öffnet den Mund, um die Schall- eindrücke möglichſt vollſtändig, d. h. nicht allein durch das Ohr, ſondern auch durch den Mund aufzunehmen, und auf ſich einwirken zu laſſen. Dabei läßt man die Unterkinnlade peruan A — — . — 2 — n == jh $ 4 5 > page r is ic yj M oa iiey 88 ſchlaff herunterfinfen, fo daß in der Profillinie des Ge- ſichtes die Unterlippe merklich gegen die Oberlippe zurücktritt. Fig. 38. In der pfychologiſchen Einleitung (S. 27) wurde der Grundſatz aufgeſtellt und begründet, daß die mimiſchen Ge⸗ ſichtsbewegungen am leichteſten an den Augenmuskeln, weniger leicht an den Mundmuskeln hervortreten. Wenn alſo ein mäßiger Grad der Aufmerkſamkeit oder Verwunde— rung ſich durch ein Aufreißen der Augen zu erkennen giebt (S. 50), wenn bei einem höheren Grade zugleich die Mugen- brauen und die Stirnhaut in die Höhe gezogen werden (S. 52 u. 53), ſo verräth ſich der höchſte Grad der Aufmerk— ſamkeit und des Erſtaunens durch ein gleichzeitiges Muf- reißen des Mundes. Fig. 39. Das Geſicht hat alsdann den Ausdruck, als ſuche man durch Auge und Ohr möglichſt ) deutlich Etwas zu erkennen; daß aber diefe Muskelbewe⸗ gungen auch ſtattfinden, wenn fte offenbar zwecklos find, wenn keine Veranlaſſung vorliegt, Auge und Ohr anzu— ſtrengen, wenn man nicht durch Gegenſtände, ſondern durch Gedanken und Erinnerungen lebhaft überraſcht oder gefeſſelt wird, erklärt ſich aus dem wiederholt angeführten Grunde, daß Vorſtellungen dem Geiſte erſcheinen wie Gegenſtände. Der Ausdruck intenſiv geſpannter Aufmerkſamkeit findet ſich deutlich ausgeſprochen auf dem Geſichte des Borgheſi— ſchen Fechters. Fig. 40. Ebenſo auf dem vortrefflichen Bilde: die Garnwinderin von Gerard Douw, Fig. 41 (nach dem Kupferſtiche von J. G. Wille). Phyſiognomiſches: Den offenſtehenden Mund findet man am häufig⸗ ſten bei Schwerhörigen, denn im geſelligen und geſchäftlichen Verkehr YE find ſolche Menſchen gezwungen, fortwährend aufmerkſam zu horchen und zu lauſchen. Dann aber iſt der offenſtehende Mund auch bekanntlich ein Zei⸗ chen geiſtiger Bornirtheit. Ein Menſch von ſehr blödem Verſtande wird im täglichen Verkehr häufig auf Dinge ſtoßen, welche er nicht verſteht, welche ihm unklar, fremd und überraſchend ſcheinen. Mögen dieſe Dinge ſinnlich wahrnehmbare Gegenſtände ſein oder Vorſtellungen (d. h. imaginaere Gegenſtände), er wird in beiden Fällen mit offenem Munde daſtehen. V. Mimik der Wale. A Bekanntlich zeichnen ſich die Hunde nicht allein durch einen ſehr feinen Geruchſinn aus, ſondern auch durch eine große Beweglichkeit der Naſenlöcher. Während bei den meiſten Menſchen die Naſenmuskeln nur eine ſehr ſchwache ſelbſt— ſtändige Bewegung zeigen, kann der Hund durch Muskelbe— wegungen die Thätigkeit ſeines Geruchſinns ſehr weſentlich unterſtützen, und ſeine Aufmerkſamkeit giebt ſich durch leb— hafte Bewegungen des „Witterns“ eben fo deutlich zu erkennen wie durch den lebhaften Blick. Er „wittert“, indem er ſeine Naſenlöcher abwechſelnd erweitert und verengert, und dadurch die in der Naſenhöhle befindliche Luft in Bewegung ſetzt. Bekanntlich können die Geruchsnerven nur affieirt werden, wenn ein Luftſtrom darüber hinſtreicht; wenn mann z. B. ein Fläſchchen mit Ammoniak oder irgend einen ſtinkenden Gegen— ſtand unter die Naſe hält, und ſich ſorgfältig hütet, nicht durch die Naſe, ſondern ausſchließlich durch den Mund zu athmen, ſo wird keine Geruchsempfindung ſtattfinden. Will man deshalb einen Geruch möglichſt vollſtändig genießen, oder ihn prüfen, M. lo ſchließt man den Mund, athmet durch die Nafe, und läßt die mit riechenden Elementen gefüllte Luft ſtoßweiſe in die Naſenhöhle eindringen. Während dieſes aber beim Menſchen nur durch ein ruckweiſes Einathmen, d. h. durch eine ruckweiſ Bewegung der Athemmuskeln geſchehen kann, wird bei den Hunden das „Schnoppern“ durch raſche Bewegungen der Naſenmuskeln weſentlich unterſtützt. 1. Das Oeffnen der Naſenlöcher. Die Bewegung, welche beim Menſchen dem Wittern der Hunde entſpricht, iſt das Aufblähen der Naſenlöcher, und zwar geſchieht dies durch die Wirkung der beiden Mm. Compressor. nasi. Jeder dieſer Muskeln entſpringt auf dem Knochen des Oberkiefers, in der Nähe des Eckzahns, und geht von hier bogenförmig hinter dem Naſenflügel her zum Naſenrücken, wo er mit dem Muskel der andern Seite verſchmilzt (Fig. 5 m). Bei manchen Menſchen aber kommt es vor, daß nicht alle Faſern dieſes Muskels zum Naſenrücken verlaufen, ſondern einige ſich abwärts zum Naſenflügel und zum äußern Rande des Naſenloches begeben. Dieſe Faſern ſind es, welche durch ihre Spannung das Naſenloch zu erweitern vermögen. Fig. 5m’. Da alſo die Naſenflügel bei vielen Menſchen gar nicht beweglich ſind, bei andern nur wenig, bei andern in ſehr | hohem Grade, fo hat das Aufblähen der Naſenlöcher nur eine Bedeutung. | A ) € pe hd He M M Zunächſt werden die eben angeführten Muskelfaſern in Spannung geſetzt, um den Geruchſinn zu unterſtützen. Wenn man eine angenehme Geruchsempfindung möglichſt vollſtändig aufnehmen will, oder auch, wenn man einen Geruchseindruck genau prüfen will, ſo werden die Pforten der Naſenhöhle aufgeriſſen, um einen möglichſt ſtarken Luftſtrom in ſie ein⸗ dringen zu laſſen. Fig. 42. Aber nicht nur durch riechbare Gegenſtände, auch durch Vorſtellungen (durch imaginaere Gegenſtände) wird ein Aufblähen der Naſenlöcher veran- laßt, und die aufgeriſſenen Naſenlöcher haben eine ähnliche mimiſche Bedeutung wie die aufgeriſſenen Augen (S. 50). Wenn ſie plötzlich geſpannt werden, fo geben fie dem Geſichte den Ausdruck der Ueberraſchung, wenn ſie dauernd in N | Spannung gehalten werden, fo geben fie ihm den Ausdruck dauernd geſpannter Aufmerkſamkeit. Deshalb heißt es | bei Shakespeare: à W A va „Die Nüſtern ſchwellt, ſpannt alle Lebensgeiſter „ EN Zur höchſten Höh!“ — y . BY “Phyfiognomifdhes: Wie in mimiſcher, fo gilt auch in phyſiognomiſcher FEA Beziehung das von den Augendeckeln Gefagte für die Naſenflügel. Geſpannte Naſenflügel haben dieſelbe phyſiognomiſche Bedeutung wie hochſtehende Augendeckel. Man erkennt an ihnen einen für alle Ein⸗ E drücke empfänglichen, aufgeweckten Geiſt. a Das Schließen der Naſenlöcher. Neben dem M. compressor. nasi, nach Innen, liegen kleine Muskelbündel, welche, auf dem Knochen des Oberkiefers und oberhalb der Schneidezähne entſpringend, ſich an dem 2 —— — N n u 9 r RARAS —— : - pv z 5 r 93 hintern und äußern Rande des Naſenlochs befeſtigen, Fig. Inn. Sie heißen: Mm. depressor. alae nasi *), und dienen dazu, um den hintern Theil des Naſenloches herabzuziehen. Dadurch wird das Naſenloch etwas verengert, und das Cin- Y dringen der Luft in die Naſenhöhle behindert. | Man ſollte nun vermuthen, daß bei übeln Gerüchen die Spannung dieſer Muskeln ſehr deutlich und auffallend im Geſichte hervortreten müßte, doch findet dies nur in ſehr be- ſchränkter Weiſe ſtatt, und zwar aus folgenden Gründen. Bei unangenehmen Gerüchen ſucht man natürlich die Naſenhöhle möglichſt zu verſchließen, da dies aber durch die angeführten Muskeln nur in ſehr unvollkommener Weiſe geſchehen kann, jo nimmt man dabei die Oberlippe zu Hülfe; indem man fie yu é breit und wulſtförmig vorſtreckt, und zugleich gewaltſam in | 07 die Höhe zieht und nach Oben umſtülpt, ſucht man damit den Eingang der Naſenlöcher möglichft zu bedecken. Um aber die Oberlippe gerade aufwärts zu ziehen und umzuſtülpen, dient vorzugsweiſe der Oberlippenheber (vergl. S. 72); die Wirkung dieſes Muskels, Fig. 5 fk, tft aber der Wirkung des Muskels un geradezu entgegengeſetzt, und da der letztere wwe- niger ſtark iſt als der erſtere, und deshalb die Wirkung des Muskels un durch den Muskel ff größtentheils aufgehoben wird, ſo kommt, bei der eben geſchilderten Geſtanksgrimaſſe der Muskel un nur wenig zur Geltung. = Da übrigens auch durch die Oberlippe die Pforten der Naſenhöhle nur unvollſtändig geſchloſſen werden können, ſo nimmt man bekanntlich meiſtentheils die Hand zu Hülfe, und = o ) Ch. Bell behauptet, daß den Thieren diefe Muskeln fehlen. 94 drückt mit den Fingern die Nafenlöcher zufammen, wenn man fich eines ekelhaften Geruchs erwehren will. Trotz ſeiner Kleinheit und Schwäche hat nun aber der M. depressor alae nasi in mimiſcher Beziehung eine ganz beſondere Wichtigkeit, denn vorzugsweiſe durch ihn wird der weinerliche Ausdruck im Geſichte hervorgebracht. In dem folgenden Capitel wird ſeine Bedeutung genauer erörtert werden. VI. e Das Laden und Weinen, AA Lachen und Weinen find complicirte Erſcheinungen; es werden dabei die Athemmuskeln, die Geſichtsmuskeln und die Thränendrüſen affieirt. : Die Entftehung und die Bedeutung der Thränen wurde bereits ausführlich in dem Capitel über den veränderlichen Glanz des Augapfels (S. 57) beſprochen. Es bleibt alſo noch übrig, zu unterſuchen: E Die Bewegungen der Athemmuskeln beim Lachen und Weinen. Die Urſachen, durch welche das Lachen und das Weinen (Schluchzen) veranlaßt wird, ſind theils äußere, körperliche, theils innere, geiſtige. po — — —— — = — — = WE n — J a. —— sis secre 96 Die äußern Urſachen des Lachens und tk find Kitzel und Schmerz. Kitzel und Schmerz find entgegengeſetzte Empfindungs— weiſen des Gefühlſinns. Lachen und Schluchzen werden alſo dadurch veranlaßt, daß durch verſchiedenartige Erregungen des Gefühlſinns die Bewegungsnerven der Athemmuskeln in ver ſchiedenartiger Weiſe afficirt werden *). Beim Lachen folgt nach einer gewaltſamen Inſpiration „ein ruckweiſes Ausſtoßen der Luft, indem das Zwerchfell vom Zuftande äußerſter Spannung ruckweiſe in den Zuſtand äußer⸗ ſter Erſchlaffung übergeht; beim Schluchzen folgt nach einer gewaltſamen Expiration ein vudiveijes Einziehen der Luft, indem das Zwerchfell vom Zuſtande äußerſter Erſchlaffung ruckweiſe in den Zuſtand äußerſter Spannung übergeht **). *) Mancherlei Erſcheinuugen laffen vermuthen, daß wir im verlängerten Mark das Centralorgan des Gefühlſinns zu ſuchen haben. Da nun auch die Athemnerven im verlängerten Mark, in unmittelbarſter Nähe des Gefühlsorgans entſpringen, ſo werden durch heftige Gefühlserregungen die Athemnerven ſehr leicht in Mitleidenſchaft gezogen und die Athembewegungen geſtört. Deshalb ſtockt uns der Athem, wenn wir in ſehr kaltem Waſſer baden, deshalb ſchnappen Kranke nach Luft, wenn ihnen ein kalter Umſchlag auf den warmen Bauch gelegt wird, u. ſ. w. | Daß die Quelle der Athembewegungen im verlängerten Mark liegt, ift unzwei⸗ felhaft, denn man kann bei Thieren auf der einen Seite das ganze Rückenmark bis zum verlängerten Mark zerſtören, ohne daß der Athmungsproceß unterbrochen wird, und auf der andern Seite kann man das ganze Gehirn bis zum verlänger? ten Mark wegſchneiden, ohne dadurch die Athembewegungen aufzuheben. Durch⸗ ſticht man aber mit einem ſchmalen Meſſerchen die Mittellinie des verlängerten Marks, ſo ſteht der Athem augenblicklich ſtill, und das Thier ſtürzt, wie vom Blitz getroffen, todt nieder. **) Beim Lachen ſcheint die Nerventhätigkeit erhöht, beim Schluchzen ſcheint fie vermindert zu fein; der Kitzel, als Urſache des Lachens, ſcheint alfo excitirend, der Schmerz dagegen, als Urſache des Schluchzens deprimirend zu wirken. Während des gewöhnlichen Ausathmens nämlich ruhn die Athemmuskeln, und die OF Die Töne, welche beim Lachen und Schluchzen zum Vorſchein kommen, werden dadurch hervorgebracht, daß durch die gewaltſam ein- und ausſtrömende Luft die Stimmbänder des Kehlkopfs in Schwingung verſetzt werden. Da beim Lachen ein verſtärktes aber unterbrochenes, beim Schluchzen ein verſtärktes aber ununterbrochenes Ausſtrömen der Luft ſtattfindet, ſo erſcheinen die Töne beim Lachen ſtoßweiſe und in raſcher Folge (staccato), beim Schluchzen dagegen (we- nigſtens während des Ausathmens) langgehalten. Das Lachen und Schluchzen iſt alſo zunächſt eine Folge angenehmer und unangenehmer Gefühlseindrücke. Wie kommt es aber, daß wir nicht nur durch Kitzel und Schmerz, ſondern auch durch Vorſtellungen, durch freudige und traurige Gedanken zum Lachen und Weinen veranlaßt werden? Es erklärt ſich auch dieſe Erſcheinung aus dem Funda⸗ mentalſatze, daß die mimiſchen Muskelbewegungen ſich auf imagingere Sinnesempfindungen beziehn. Die mimiſchen Luft wird, durch die natürliche Elaſticität des Lungengewebes, ausgeſtoßen. Beim Lachen aber wird das Ausathmen durch die Thätigkeit des Zwerchfells beſchleunigt. Die Athemmuskeln ſind alſo beim Lachen auch während der Expi⸗ ration thätig, mithin ſcheint die Thätigkeit ihrer Nerven eine erhöhte zu ſein. — Das Einathmen geſchieht, indem die Lungen ausgedehnt werden, theils durch die Muskeln des Bruſtkaſtens, theils durch eine langſame, kräftige Contraction der Zwerchfellmuskeln. Beim Schluchzen aber geſchieht das Einathmen mit Unter⸗ brechungen, vermöge einer ruckweiſen, zitternden Contraction des Zwerchfells. Nun iſt es aber bekannt, daß die zitternde Bewegung eines Muskels immer ein ö Zeichen mangelnder Innervation, geſchwächter Nervenkraft ift, (man beobachtet deshalb zitternde Bewegungen nach heftigen Anſtrengungen, nach Ohnmachten, erſchöpfenden Krankheiten und bei Greiſen) mithin ſcheint der Schmerz, als Ur⸗ ſache des Schluchzens, einen deprimirenden Einfluß auf die Nerventhätigkeit des verlängerten Marks auszuüben. | er 98 Muskelbewegungen, welche durch angenehme und unange— nehme Vorſtellungen hervorgerufen werden, äußern ſich am leichteſten an den Muskeln des Geſichtsorgans, weniger leicht an den Muskeln des Geſchmacksorgans, und nur bei ſehr inten- ſiv angenehmen oder unangenehmen Vorſtellungen an den Muskeln, welche in Beziehung zum Gefühlſinn ſtehen. Große Freude erweckt das Bedürfniß des Lachens“), große Trauer das Bedürfniß des Schluchzens. * 2 = Die Bewegungen der Geſichtsmuskeln beim Lachen und Weinen. Beim Lachen ſowohl wie beim Weinen wird der Mund geöffnet und breit gezogen, ſo daß bei den unregelmäßigen und heftigen Athembewegungen die Luft ungehindert ein- und ausſtrömen kann **). *) Wie aber, fo wird man fragen, erklärt es ſich, daß wir über Witze lachen? Es wurde in der pſychologiſchen Einleitung erklärt, daß eine Vorſtellung um ſo intenſiver wirkt, je plötzlicher ſie auftritt. Durch einen Witz aber wird plötzlich und unerwartet eine Vorſtellung wachgerufen, indem ſie durch irgend eine verſteckte Aehnlichkeit mit einer andern, ſcheinbar ganz unähnlichen Dor: ſtellung in Verbindung gebracht wird. Sind uns die durch einen Witz wachge— rufenen Vorſtellungen angenehm, ſo werden wir über den Witz lachen, ſind ſie uns aber unangenehm, werden wir durch den Witz verletzt, ſo werden wir das Lachen bleiben laſſen, und ſei der Witz auch noch ſo treffend. **) Dieſe Bewegungen der Geſichtsmuskeln, inſoweit fie zu den veränderten Athembewegungen in Beziehung ſtehn, ſcheinen nicht abſichtliche ſondern Reflex⸗ bewegungen zu ſein. Der N. facialis, der Geſichtsnerv (unter deſſen Herrſchaft die meiſten Geſichtsmuskeln ſtehn) entſpringt im verlängerten Mark, alſo in un⸗ mittelbarſter Nähe des Centralorgans der Gefühlsnerven, und deshalb kann leicht eine Reflexwirkung der Gefühlsnerven auf gewiſſe Geſichtsmuskeln ſtattfinden. Die Mundmuskeln, welche beim Lachen vorzugsweiſe in Spannung verſetzt werden, ſind die Muskeln 1, h, o (Fig. 5) durch deren vereinigte Wirkung der Mund in die Breite gezogen, und die Muskeln p, q, durch welche die Ober- | lippe in die Höhe gezogen wird. Durch die Spannung aller dieſer Muskeln wird die Oberfläche des Geſichts in eigenthüm⸗ licher Weiſe verändert. Unter der breitgezogenen Ober- lippe werden die Zähne ſichtbar und an jedem Mund- winkel erſcheint eine tiefe Falte, die Mundfalte, welche von dem untern Theile des Naſenflügels bogenförmig zum Mundwinkel herabläuft. Indem das Wangenfleiſch (durch die Muskeln p, q) aufwärts gezogen wird, bildet ſich auf dem untern Rande der Augenhöhle eine ftarfe Falte, und neben dem äußern Augenwinkel mehrere kleine Fält— chen, ſogenannte Hahnenpfötchen. Fig. 43. In dieſer Weiſe verändert ſich der Geſichtsausdruck bei dem gewöhnlichen Lachen. Doch giebt es verſchiedene Grade des Lachens. A. Schwächere Grade des Lachens. Da die Geſichtsmuskeln ungleich beweglicher und erreg— barer als die Athemmuskeln ſind, ſo macht ſich häufig die Wirkung jener ſchon geltend, wenn dieſe noch ruhn, und das geringſte Bedürfniß des Lachens giebt ſich ſofort durch ein Lächeln, d. h. durch eine Spannung der Mundmuskeln, durch ein unvollſtändiges Lachen kund. Der Mund wird dabei nur wenig oder gar nicht geöffnet, und die Mundwinkel etwas nach Außen gezogen. Fig. 44. nt Bei einigen Menſchen kommt es vor, daß nicht alle Faſern des Lachmuskels (Fig. 5 h) bis zum Mundwinkel ge⸗ langen, ſondern einige derſelben ſchon vorher ſich in der Haut der Wange befeſtigen. Selbſt eine ſehr geringe Spannung der Lachmuskeln, welche kaum hinreichend ift, um die Mund- winkel zu verziehen, giebt ſich bei ſolchen Menſchen dadurch zu erkennen, daß an der Anſatzſtelle der erwähnten Muskel⸗ faſern die Wangenhaut ein klein Wenig gefaltet wird, und die ſogenannten Wangengrübchen entſtehn. Fig. 44. Schon die flüchtigſte Spur des Lächelns verräth ſich durch dieſe Grübchen, und ſie geben dem Geſichte einen beſonders an— muthigen und lieblichen Ausdruck, weil bei dieſer Art des Lächelns der Mund am wenigſten verzerrt wird. Wenn das Lächeln zum Lachen wird, fo verſchwinden natürlich die Grüb— chen, und an ihrer Stelle erſcheinen zwei Falten, die Wangen- falten, welche dem untern Theile der Mundfalten parallel laufen. Fig. 43. Gar nicht ſelten kommt es auch vor, daß man beim Lächeln nur einen Mundwinkel verzieht. Es entſteht dadurch das gezwungene Lächeln, welches zeigt, daß man Zweifel hegt, ob man lachen ſoll oder nicht. Uebrigens muß dabei bemerkt werden, daß viele Menſchen beim Lächeln und Lachen den einen Mundwinkel ſtärker verziehn als den andern, weil die Mundmuskeln der einen Seite kräftiger ſind als die der andern. Selten iſt bei einem Menſchen die eine Körperhälfte der andern völlig gleich gebildet. Wie Auge und Ohr, Arm und Bein, ſo ſind auch die Geſichtsmuskeln auf der einen Seite häufig kräftiger organiſirt als auf der andern. Fig. 45. B. Stärkere Grade des Lachens. Wie ein anhaltender Kitzel zur Schmerzempfindung um- ſchlägt, ſo wird auch das anhaltende und heftige Lachen zu einem ſchmerzhaften. Deshalb ſieht man beim übermäßigen Lachen ſenkrechte Falten auf der Stirn erſcheinen, als mimi- © ſchen Ausdruck des Mißbehagens. Fig. 46. Es iſt wiederholt darauf hingewieſen worden, daß ein mäßiger Grad der Mißſtimmung nur an den Augen, und zwar durch ſenkrechte Stirnfalten, ein höherer Grad der Verſtimmung auch am Munde, und zwar durch den Ausdruck der Bitterkeit, ſich zu erkennen giebt. Da nun durch den höchften Grad heftigen Lachens und durch den krampfartigen Zuſtand in welchen dabei die Muskeln verſetzt werden, der Menſch in einen ſehr peinlichen Zuſtand geräth, ſo kommt beim heftigſten Ge— lächter auch der Ausdruck der Bitterkeit zum Vorſchein. Fig. 47. Dieſe einfache Darſtellungsweiſe der verſchiedenen Grade des Lachens giebt hier am Schluſſe des mimiſchen Theils noch einen practiſchen Beweis von der Brauchbarkeit der aufgeſtell— ten Grundſätze. Die ſcheinbar fo regelloſen und unverſtänd— lichen Muskelbewegungen, welche bei den verſchiedenen Graden des Lachens auftreten, ſtellen ſich in der angegebenen Weiſe auf das Ungezwungenſte zuſammen. | C. Das weinende Geficht. Von dem Ausdrucke, welchen das Geſicht beim heftigſten Lachen zeigt, bis zum weinenden Ausdrucke iſt nur ein Schritt. So wie die Spannung der beiden kleinen Muskeln ſich geltend f ed we Y macht, durch welche die Naſenflügel abwärts gezogen wer— den, Fig. 5un, wird das lachende Geſicht zum weinenden. Fig. 48. p Es wurde früher bemerkt, daß dieſe Muskeln dazu dienen, die Naſenlöcher zu verengern, daß man deshalb vermuthen ſollte, ihre Spannung würde bei unangenehmen Gerüchen be— ſonders auffallend hervortreten, daß aber ihre Wirkung nicht zur Geltung kommen kann, weil man bei übeln Gerüchen die Oberlippe vor die Naſenlöcher legt, und durch dieſe Bewegung die Spannung der Mm. depressor. alae nasi aufgehoben wird (vergl. S. 93). Im weinenden Geſichte dagegen kann die Wirkung dieſer Muskeln deutlich hervortreten, weil dabei die Oberlippe nicht aufwärts gedrückt, ſondern breit gezogen wird. Beim Weinen wird der Mund geöffnet und breit gezogen wie beim Lachen, (ſo daß bei den unregelmäßigen und heftigen Athembewegungen die Luft ungehindert ein- und ausſtrömen kann) zugleich aber find die Geſichtsmuskeln fo geſpannt, als ob jedes Sinnesorgan in ſeiner Weiſe von einem unange— nehmen Eindrucke betroffen wäre. Auf der Stirn liegen fent- rechte Falten, im Munde zeigt ſich der Ausdruck der Bitterkeit, und die Naſenflügel ſind abwärts gezogen, als ob der Ge— ruchſinn durch einen Geſtank afficivt wäre!). ) Ob die Spannung der Mm. depressor. alae nasi beim Weinen eine Reflexbewegung iſt oder eine mimiſche (auf imaginaere unangenehme Geruchs⸗ eindrücke bezügliche), iſt ſchwer zu entſcheiden. Dafür daß es eine mimiſche iſt, ſcheint die Thatſache zu ſprechen, daß bei weinenden Neugeborenen und Säug⸗ lingen dieſe Muskeln noch nicht geſpannt werden. Bei ihnen iſt der weinende Mund dem lachenden durchaus ähnlich. Je mehr aber die Sinnesorgane ſich entwickeln, je länger ſie thätig geweſen ſind, deſto ausdrucksvoller wird auch das 103 Ueber die characteriſtiſchen Merkmale des weinenden Ge- ſichts haben bis jetzt durchaus falſche Meinungen geherrſcht, ſelbſt bei den Künſtlern. Ganz richtig ſagt man: „Das weinende Geſicht unterſcheidet ſich von dem lachenden vorzugs— weiſe durch den Ausdruck des Mundes;“ aber ganz unrichtig ſagt man dann weiter: „bei dem weinenden Geſichte ſind die Mundwinkel abwärts, bei dem lachenden aufwärts gezogen, und aus dem Jean qui rit kann man mit einem Striche einen Jean qui pleurt machen, indem man den Mundwinkel abwärts zieht.“ Es wurde aber nachgewieſen, daß ſowohl beim Weinen wie beim Lachen der Mund in die Breite ge— zogen wird, daß die ſenkrechten Stirnfalten und der bittere Ausdruck des Mundes nicht nur beim Weinen, ſondern auch beim übermäßigen Gelächter auftreten, daß endlich der einzige weſentliche Unterſchied zwiſchen dem lachenden und weinenden Geſichte darin beſteht, daß bei dieſem die Naſenflügel ab— wärts gezogen werden ). Mienenſpiel, deſto mehr treten beim Weinen die Muskeln hervor, welche in Beziehung zu den Sinnesorganen ſtehen. Je älter das Kind wird, deſto mar— kirter erſcheinen beim Weinen die ſenkrechten Stirnfalten, der bittere Zug des Mundes und endlich auch die Spannung der Mm. depressor. alae nasi. Daß man auch bei weinenden Säuglingen zuweilen ſchon ſenkrechte Stirn- falten und den bittern Zug des Mundes beobachtet, hat einen mechaniſchen Grund, und findet ſtatt, wenn ſie Thränen vergießen. Durch dieſe wird eine Reg des Augapfels, und in Folge deffen eine Zuſammenziehung des Augen⸗ ſchließmuskels veranlaßt; iſt die Zuſammenziehung eine energiſche, ſo wird der Augenbraumuskel zu Hülfe genommen, und dann erſcheinen 5 Stirn⸗ falten, iſt die Zuſammenziehung eine ſehr energiſche, ſo wird (durch die Wirkung der Muskelfaſern, welche ſich vom Augenſchließmuskel zum Oberlippenheber ge⸗ fellen) die Oberlippe etwas in die Höhe gezogen und dann erſcheint auch der bittere Zug. ) Wie en und verkehrt die Anſichten der Künſtler über den Unter⸗ ſchied des lachenden und weinenden Geſichtes ſind, beweiſt u. A. auch folgende Stelle aus der angeführten Schrift des Leonardo da Vinci: „Derjenige, ſo | = y ap tu N ja n t 5 E > : $ p w dn * e O Y VE A er 2 jaga t AA: ai Ap ká yO N W eee R A r > - — force — W - s jä =n — Ne > — p 8 2 N - - — - . : BB, - = — . p r 5 — - = E = 1 a v n J * P A (m A ` ax ja — — " ¥ = = — f D a x n y E R = ni ai x RA VIS vyö" ds 1227 N, - , " n i šáh SDR * ‘ e . h — YT —.— MW - zač € ple y ón NS ZE A AU - 8 194 v od ACH NU ši aleni = a massaa — 104 Dabei giebt ſich die Wirkung der Mm. depressor. alae nasi ſehr deutlich und auffallend in der Mundfalte zu erkennen, welche nicht, wie bei dem lachenden Munde, bogenförmig von dem Naſenflügel zur Mundfalte verläuft, ſondern nun in der Mitte des Naſenflügels eine ſcharfe Einknickung me Unten befommt. Fig. 48. Schon in dem Abſchnitte, welcher über die Thränen handelt, wurde erwähnt, daß und warum man ſo ungleich häufiger lächelt und lacht als weint. A priori ſollte man vermuthen, daß in demſelben Verhältniſſe wie angenehme Eindrücke uns lachen machen, unangenehme Eindrücke uns weinen machen müßten. Im Kindesalter findet dieſes auch ſtatt. Doch das Weinen ift immer ein Zeichen, daß der Menſch von ſeinen Gefühlen überwältigt wird, und gilt des— halb als ein Zeichen unmännlicher Schwäche. Beiſpiel, Sitte und Gewohnheit bringen uns allmählig dahin, das Bedürfniß des Weinens zurückzuhalten und zu beherrſchen, dagegen zu lächeln und zu lachen, ſelbſt wenn wir nicht das geringſte Bedürfniß dazu verſpüren. Nicht nur gewöhnen wir uns, angenehme Eindrücke und Stimmungen vorzugsweiſe durch den mimiſchen Ausdruck des Lächelns zu erkennen zu geben, ſon— dern es auch als Höflichkeitsgrimaſſe zu erkünſteln. Wer gegrüßt oder angeredet wird, pflegt durch ein freundlich lächelndes Geſicht zu verſtehn zu geben, wie angenehm er Thränen vergießet, hebet die Augenbraunen bei ihrer Junctus in die Höhe, ziehet ſolche eng zuſammen und formiret oben Runzeln darüber, kehret auch dabei die Winkel vom Munde niederwärts, dahingegen ein Lachender ſie in die Höhe hebet und ausbreitet, auch die Augenbraunen aufhebet und weit von ein ander thut.“ 105 dadurch berührt wird, und je höflicher man zu fein wünſcht, je hochſtehender der Anredende und je devoter der Angeredete, deſto lebhafter, anhaltender und gewaltſamer iſt das Lächeln, deſto ſchwieriger wird es, nicht unnatürlich dabei zu erſcheinen. Es giebt Menſchen, welche es in dieſer Kunſt des Höflichkeits⸗ grinſens zu einer ganz außerordentlichen Virtuofität gebracht haben. Sie können ſtundenlang mit lächelndem Geſichte Da- ſitzen, und haben, durch jahrelange Uebung, ihre Lachmuskeln zu einer ähnlichen Ausbildung und Leiſtungsfähigkeit gebracht, wie z. B. der Schmied feine Armmuskeln oder der Gemfen= jäger ſeine Wadenmuskeln. D. Mimiſche Combinationen mit dem lächelnden Ausdrucke. Durch den verſteckten Blick wird das Lächeln zu einem ſchelmiſchen. Fig. 49. Durch den entzückten Blick bekommt das lächelnde Geſicht den Ausdruck ſeliger Entzückung. Fig. 50. Tritt dazu noch der bittere Zug, ſo hat das Geſicht den Ausdruck eines Menſchen, in deſſen ſelige Entzückung ſich ſchmerzliche Gefühle, bittere Vorſtellungen und Erinnerungen miſchen, Fig. 51. Denſelben Ausdruck, aber noch eombinirt mit horizontalen Stirnfalten, findet man in dem Geſichte der heiligen Eliſabeth auf einem Bilde Murillo's, welches im Louvre befindlich und unter dem Namen der Madonna von Sevilla bekannt iſt. Fig. 52 ift von dem Kupferſtiche H. Eichens copirt. | Durch den verachtenden Zug wird das Lächeln zu einem höhniſchen, ſpöttiſchen Lächeln. Fig. 53. Wenn auf der Stirn horizontale Falten erfeheinen, wenn Augen und Mund aufgeriſſen ſind, und der Mund zugleich lächelt, ſo giebt ſich dadurch der höchſte Grad freudigen Erſtaunens oder freudiger Aufmerkſamkeit zu erkennen. Fig. 54. Phyſiognomiſches: Wenn in den Geſichtsmuskeln ſich weder eine mimiſche noch eine phyſiognomiſche Spannung geltend macht, ſo iſt die Mundlinie wellenförmig geſchwungen (Fig. 65). Bei Menſchen aber, welche viel lachen oder lächeln, ſind die Lachmuskeln vorzugsweiſe ſtark ausgebildet, und ihre vorwiegende Spannung giebt ſich dann in der Phyſiognomie dadurch zu erkennen, daß die Mundwinkel etwas höher ſtehen als gewöhnlich, daß die Mundlinie geradlinig erſcheint, und daß die neben den Mundwinkeln liegenden Mundfalten ſtark ausgeprägt ſind. Da die Urſachen, welche uns lachen oder lächeln machen, nicht ſowohl außer uns wie in uns liegen, da wir meiſtentheils nicht ſo— wohl durch glückliche Lebensverhältniſſe wie durch angeborenen Froh— finn fröhlich geſtimmt werden, fo laffen die eben angegebenen phyſiogno⸗ miſchen Merkmale in der Regel auf einen heitern, muntern Sinn ſchließen. VII. Reſumé der mimiſchen Bewegungen der Geſichtsmuskeln. Die Augen. An dem trägen Blicke erkennt man geiſtige Trägheit; an dem lebhaften Blicke — Aufregung; an dem mehr oder weniger feſten, fixirenoen Blicke — verſchiedene Grade geſpannter Aufmerk— ſamkeit; an dem ſanften Blicke — Theilnahme ohne Leidenſchaft; an dem umherſchweifenden Blicke — Zerſtreuung; an dem unſtäten Blicke — Augſt; der verſteckte Blick deutet auf Miß⸗ trauen; der pedantiſche Blick — auf Zurückhal⸗ tung; der entzückte Blick — auf Craltation. Vermehrtes Augenblinzeln bedeutet ver- mehrte Aufmerkſamkeit. Senkrechte Stirnfalten PUTA ey * . N k RUN č A — W. * e —— 4 v ** 2 D | W 4 Tämä — | — — jind im Allgemeinen der mimiſche Ausdruck der Ver- ſtimmung und werden hervorgerufen 1) durch Lei— den, 2) durch Zorn, 3) durch angeſtrengtes Nad- denken. Müde, tief geſenkte Augendeckel geben geiz ſtige Indifferenz zu erkennen. Gehobene Augen- deckel, weit geöffnete Augen ſind der mimiſche Ausdruck der Ueberraſchung, oder auch der Aufmerk- ſamkeit. Kommen dazu noch emporgezogene Augen- brauen und horizontale Stirnfalten, jo haben die Augen den mimiſchen Ausdruck ſehr heftiger Ueberraſchung, oder ſehr angeſtrengter Aufmerk- ſamkeit. i Der Mund. Der bittere Zug erſcheint bei ſehr unange- | nehmen (bittern) Vorſtellungen; der ſüße Zug bei außergewöhnlich angenehmen (ſüßen) Vorſtellungen. Den prüfenden Zug beobachtet man bei Menſchen, welche in Gedanken prüfend den Werth oder Un- werth einer Sache unterſuchen. Der verbiffene Zug iſt der mimiſche Ausdruck der Verbiſſenheit, der Verſtocktheit, des Eigenſinns, des Trotzes, der Hartnäckigkeit, der Beharrlichkeit. Der verachtende Zug drückt hochmüthige Geringſchätzung aus. Das Aufreißen des Mundes iſt ein Zeichen höchſten Erſtaunens, geſpannteſter Aufmerkſamkeit. 3. Die Nafe. Das Aufblähen der Naſenlöcher, das Spannen der Nüſtern, giebt lebhafte Aufmerk⸗ ſamkeit zu erkennen. 4. Das Lachen und Weinen. Bei dem gewöhnlichen Saden wird der Mund in die Breite gezogen, beim heftigen Tachen er- ſcheinen zugleich ſenkrechte Stirnfalten, beim þef- tigſten Saden geſellt ſich dazu der Ausdruck der Bitterkeit. Tritt zu dieſem Mienenſpiel noch der Zug, welcher dadurch entſteht, daß die Naſenflügel ab- wärts gezogen werden, ſo wird das Geſicht zum weinenden. ee ne ann RN : —— — s : EFF e k. + — pd = = = == = — Zweiter Theil. Bhyl Bevor in dieſem zweiten Theile die im erſten Theile zerſtreut ſtehenden phyſiognomiſchen Bemerkungen zuſammen⸗ geſtellt und näher erläutert werden, ſcheint es zweckmäßig, das künſtleriſche und literariſche Material, welches dem Phyftogno- mifer zu Gebote fteht, näher ins Auge zu faſſen. EN p — BK m RA A — aaae A = r — . — PETER. | f 4 i i | | | | a i E 14 i | VEN d 4 a4 * 2 » k F 1 a E # = =; >be VG y mt Y ETRE 105 3 L E$ des KI $ 4 1 b 3. a ETE A iF N k VŠ, A EV N E ER ay id sich hij 7 N MĚ i} Pik ES | i 19143) tE a i 33 po EN Ni | 7 I $ | 1 | | j W" Ma L Künſtleriſches Material. A Liebhaber der Phyſiognomik find bei ihren Studien vor- zugsweiſe auf die Bildniſſe bedeutender Männer angewieſen. Man ſammelt die Portraits von berühmten Weltweiſen, Kriegshelden und Böſewichtern aus alter und neuer Zeit, aber der gewiſſenhafte Forſcher wird ſich ſehr bald geſtehn müſſen, daß ſolche Bilder größtentheils unbrauchbar find, daß ſich damit Alles und — Nichts beweiſen läßt. Er wird finden, daß ſich verſchiedene Portraits ein und deſſelben Indi— viduums oft ſehr wenig gleichen. Und wie könnte es anders ſein? Nach dem Originalgemälde werden Kupferſtiche ange- fertigt, welche meiſtentheils ſehr viel zu wünſchen übrig laſſen, und nach dieſen wieder flüchtig gearbeitete Lithographien und Holzſchnitte, die dem Originalgemälde kaum noch ähnlich ſehn, ihrer Billigkeit wegen aber am meiſten verbreitet und bekannt ſind. Für den Phyſiognomiker iſt es nicht nur ſehr koſtſpielig, — es iſt oft unmöglich, ſich ein genügend großes 115. und zuverläſſiges Material zu feinen Studien zu verſchaffen. Selbſt die Originalgemälde bedeutender Künſtler ſind häufig, wenn auch ſchöne Bilder, doch ſchlechte Portraits, denn leider iſt es dem Portraitmaler gewöhnlich mehr darum zu thun, ſein Publicum zu befriedigen, als ſein künſtleriſches Gewiſſen ; Die markirten, die eigentlich characteriſtiſchen Züge, die vielleicht beleidigen könnten, werden weggelaſſen oder kaum angedeutet, die Falten werden geglättet, der Mund muß lächeln, die Augen müſſen leuchten, der heitere Glanz eines beau jour wird über das Geſicht ausgegoſſen, — ſo will man's haben und ſo macht man's, ſo iſt es immer geweſen und ſo wird es immer bleiben. Als Beiſpiel möge hier angeführt ſein, was Kruſenſtolpe (Der ruſſiſche Hof, Bd. III. S. 184) von dem Portrait der Kaiſerin Katharina ſagt: „Es wurde durch den berühmten Maler Lamps einige Zeit vor ihrem Tode angefertigt und zwar mit großer Aehnlichkeit getroffen, wenn ſchon mit etwas ſchmeichleriſchem Pinſel verſchönert. Als jedoch Katharina bemerkte, daß die unglückliche Falte (an der Naſenwurzel) die dem Ausdruck des Geſichts etwas Finſtres verlieh, die aber gerade ihre Phyſiognomie ſo characteriſtiſch machte, nicht gänz— lich vergeſſen war, wurde ſie darüber ſehr unzufrieden und behauptete, daß ihr Lamps eine zu ſtrenge und böſe Miene gegeben habe; er mußte ſich dem kaiſerlichen Willen beugen, es retouchiren und verdarb ſein Bild, da es jetzt einer jungen Nymphe gleicht.“ Aehnlich ging es mit dem Portrait Julius Caeſars, welches Kaiſer Napoleon III. ſeinem bekannten Werke beigegeben hat, und welches von dem Maler Ingres verfertigt worden iſt. Nach ſorgfältigem Studium alter Büſten und Münzen hatte dieſer ein Bild zuſammengeſtellt, welches dem Kaiſer nicht gefiel, weil es keine Aehnlichkeit mit Napo— 116 leon I. hatte. Ingres mußte deshalb ein anderes machen, und dieſes hat nun allerdings eine unverkennbare Aehnlichkeit mit Napoleon J. Weſentlich zuverläſſiger als die gemalten Portraits ſind natürlich die Photographien, aber ſelbſt dieſe ſind keineswegs ſo vollkommen, wie man glauben ſollte. Jeder wird die Er⸗ fahrung gemacht haben, daß verſchiedene Photographien deſſelben Menſchen ſich oft wenig ähnlich ſehn, daß man einen Bekannten manchmal erſt nach längerem Beſinnen in ſeiner Photographie erkennt. Ein Grund, weshalb ſolche Bilder oft nicht ähnlich werden, liegt in der menſchlichen Eitelkeit. Man weiß, daß der Moment des Portraitirens ein nur ſehr kurzer iſt, man ſetzt ſich vor die Maſchine mit der Abſicht, während dieſes flüchtigen Momentes eine beſondere Miene anzunehmen, der Eine will tieffinnig, der Andere will freundlich ausſehen, Viele erſcheinen dadurch aber ängſtlich, gezwungen und uns natürlich; Wenige nur ſehn mit vollkommener Unbefangenheit dem entſcheidenden Augenblicke entgegen. Dazu kommt, daß kein photographiſches Portrait, wenn es en face genommen wird, vollkommen ähnlich werden kann, denn die Perſpective wird auf dem Bilde eine andere, als ſie uns in der Natur erſcheint. Ein Fuß z. B., welcher nur ein wenig vorgeſchoben war, bekommt auf der Photographie coloſſale Dimenſtonen, aus demſelben Grunde werden alle vorſtehenden Theile des Geſichts zu groß, die zurückſtehenden zu klein, die Naſenſpitze wird zu dick, die Augen werden zu klein, und war der Kopf nur ein Wenig vornübergebeugt, ſo wird die Stirn zu hoch, war er ein Wenig in den Nacken geworfen, ſo wird die Stirn zu flach. | Bei der Auswahl der Illuſtrationen, welche dieſem phy- 117 ſiognomiſchen Theile beigegeben find, ift der Verf. mit ge⸗ wiſſenhafter Sorgfalt zu Werke gegangen. Aus einer beden- tenden Sammlung von Portraits, welche im Laufe der Zeit aus verſchiedenen Ländern zuſammengetragen wurden, konnten leider nur wenige benutzt werden, von Kupferſtichen nur die— jenigen, welche, von namhaften Künſtlern angefertigt, auf Aehnlichkeit Anſpruch machen können; überhaupt aber wurden nur allgemein bekannte Perſönlichkeiten berückſichtigt, und unter dieſen wieder die Wahl ſo getroffen, daß verſchiedene Nationali⸗ täten dadurch möglichft vertreten wurden. Da übrigens photo⸗ lithographiſche Abbildungen von Kupferſtichen (zumal von alten, vergilbten) und von Photographien meiſt ſehr ſchlecht gerathen, ſo hat der Verf. Contourzeichnungen von den Originalen an- gefertigt, und zwar in derſelben Weiſe, wie die Linearcopien des mimiſchen Theils, indem alle Schatten weggelaſſen, die characteriſtiſchen Linien aber genau, durchgefenſtert und „ durch⸗ gepauſcht“ wurden. Wenn auf dieſe Weiſe die Originale auch nicht vollſtändig copirt wurden, fo ift doch jeder Strich in dieſen Copien genau den Originalen entſprechend, und der Verf. hat es ſorgfältig vermieden, irgend etwas Neues oder Eignes hinzuzufügen. IL Literariſches Material. A | E Ariſtoteles und ſeine Nachfolger. . Der ältefte Schriftſteller, von dem wir eine zuſammen⸗ hängende Abhandlung über Phyſtognomik beſitzen, ift Ari- ſtoteles *). Er ſpricht darin von den verſchiedenen Behand- lungsweiſen, welche auf die Phyſiognomik anwendbar ſind und erwähnt: 1) daß einige Phyftognomiker den Verſuch gemacht hätten, körperliche und geiſtige Eigenthümlichkeiten gewiſſer Völker— ſchaften (der Aegyptier, Thrakier, Skythen) näher zu beſtimmen, und wenn ſie dann bei anderen Menſchen dieſelben körperlichen Eigenthümlichkeiten anträfen, ſo ſchlöſſen ſie daraus auf die ) Griechiſche Proſaiker, herausgegeben von Tafel, Oſiander und Schwab. Bd. 226. B denſelben entſprechenden geiſtigen Eigenthümlichkeiten. Ob Ariſtoteles diefe Methode billigt oder nicht, ſpricht er nicht aus. 2) Daß durch Leidenſchaften characteriſtiſche Züge im Geſichte ausgeprägt würden, ſei unzweifelhaft. Er legt ihnen aber nur eine geringe Bedeutung bei, und meint, daß ſolche Züge kein genügendes Material ſeien, um darauf eine phyſio⸗ gnomiſche Wiſſenſchaft zu gründen, theils weil dieſelben Züge durch verſchiedenartige Geiſteszuſtände hervorgebracht werden könnten, theils weil ſie veränderlich und von bedingter Dauer ſeien. 3) Als die richtigſte Methode empfiehlt er die Vergleichung der Menſchen mit Thieren. Wenn bei verſchiedenartigen Thieren ähnliche geiſtige Eigenſchaften zuſammen mit ähnlichen körper- lichen Eigenſchaften angetroffen würden, ſo ſei dies ein Zeichen, daß das Eine bedingt werde durch das Andere. Finde man nun dieſelben körperlichen Eigenſchaften bei einem Menſchen ausgeprägt, ſo dürfe man daraus auf entſprechende geiſtige Eigenſchaften ſchließen. Dicke Naſen (wie die der Ochſen) ſollen auf Trägheit deuten, dicke Naſenſpitzen (wie die der Schweine) auf Stumpf⸗ ſinnigkeit, ſpitze Naſen (wie die der Hunde) auf Jähzorn, ſtumpfe Naſen (wie die der Löwen) auf Großmuth, gebogene Naſen (wie die der Raben) auf Unverſchämtheit, Habichtsnaſen (wie die der Adler) auf Großmuth u. ſ. w. Dichter Haar- wuchs auf Bruſt und Leib (wie bei den Vögeln) ſoll Ge— ſchwätzigkeit bedeuten, Aufgeſchwollenheit unter den Rippen (wie bei dem Rindvieh und den Fröſchen) — Dummheit und Geſchwätzigkeit, ein ausgebogener Rücken (wie bei den Pferden) — Eitelkeit und Unverſtändigkeit, feine Haare (wie die der 120 Hirſche, Hafen und Schafe) — Furchtſamkeit, rauhe Haare (wie die der Löwen und Eber) — Muth. Wenn der Ton der ganzen Abhandlung nicht ein ſo ernſter wäre, ſo könnte man ſich oft verſucht fühlen, dies Alles für einen Spaß zu halten. Jeder wird ſich leicht durch eigne Beobachtung überzeugen können, daß die Schlußfolge— rungen des Ariſtoteles nichts weniger als practifch brauchbar ſind. Selbſt ſeine Prämiſſen ſind großentheils oberflächlich und unrichtig. Wenn er z. B. ſagt, daß die Haare der tapfern Thiere immer rauh ſeien, ſo vergißt er den Panther, den Bären, den Marder, die doch keineswegs feige Thiere ſind, und deren weiches Fell als Pelzwerk beſonders geſchätzt wird. Nach Feiner Theorie müßte der Zaunigel unſtreitig das tapferſte Thier ſein, da Ariſtoteles ſelbſt (in ſeinem Buche über die Thiere, III. 10. 3) die Stacheln des Zaunigels als Haare beſchreibt. Ferner ſagt er, daß Menſchen, bei denen die Oberlippe über die Unterlippe hervorrage, dumm ſeien wie die Affen und Eſel; der Eſel iſt aber keineswegs ein dummes, wohl aber ein äußerſt eigenſinniges Thier. Allerdings hört man oft den Ausdruck: „Er if ein dummer Efel!” allein das Epitheton „dumm“ kommt dem Ochſen zu; ein Eſel iſt und bleibt ein grober Eſel. Später hat Joh. Baptista Porta (De humana Physiognomia. Hanoviae 1593) die Theorie des Ariſtoteles weiter verarbeitet und bei der Gelegenheit eine große Aehnlichkeit zwiſchen Plato und einem klugen Jagdhunde herausgefunden (Lib. III. pag. 65). i Im Anfange dieſes Jahrhunderts wurde dann wieder von J. Cross (An attempt to establish Physiognomy upon 421 Scientific principles. Glasgow 1817) ber Verſuch gemacht, die vergleichende Anatomie als Grundlage einer wiffenfehaft- lichen Phyſiognomik zu benutzen. Je thierähnlicher der Körper, deſto thieriſcher ſoll auch der Geiſt ſein. Die einzelnen Theile des menſchlichen Körpers dienen aber, nach ihm, nicht allein zur Verrichtung animaliſcher Functionen, ſondern ſie haben auch eine ſmboliſche Bedeutung für die Eigenſchaften des Geiſtes. Ein Beiſpiel wird genügen, um zu zeigen, welch' ver- wegene und fantaſtiſche Schlußfolgerungen dabei zum Vorſchein kommen. S. 179 heißt es: „Breite Kinnladen, welche viel Nahrung aufnehmen können, find ein Zeichen, daß alle Func- tionen kräftig von Statten gehn. Da aber die Functionen nicht nothwendiger Weiſe geiſtiger Art zu ſein brauchen, und da man vom Gehirn auf die geiſtigen Functionen ſchließen kann, und von der Breite des Gehirns auf die Stärke der geiſtigen Functionen, ſo ergiebt ſich aus der relativen Breite des Schädels und der Kinnbacken die Breite des Canals der Geiſtesſtrömungen. Folglich, wo die Kinnbacken breiter ſind als das Haupt, da iſt der Canal für die geiſtigen Strömungen weit, aber die Quelle iſt arm. Dieſe relative Form des Hauptes und der Kinnbacken iſt characteriſtiſch für ſtarke Leidenſchaften und ſchwachen Verſtand. Folglich auch, wo die Kinnbacken ungefähr dieſelbe Breite haben wie das Haupt, da füllt die Quelle den Canal vollkommen aus. Dieſes relative Verhält- niß des Hauptes zu den Kinnbacken beweiſt, daß der Menſch alle ſeine Geiſteskräfte auf einen Gegenſtand concentriren kann, daß er für wiſſenſchaftliche Arbeiten geeignet iſt. Ferner, wo die Kinnbacken bedeutend ſchmaler ſind als das Haupt, da iſt der Canal zu eng, um die reichliche Zufuhr der Quelle fort- zuſchaffen, ſo daß die Geiſtesſtrömung in gepreßtem Strahl 122 hervorbricht. Hier äußert ſich die Geiſteskraft immer ſehr ftarf und intenſiv aber in beſchränktem Kreiſe.“ In neueſter Zeit hat Carus in ſeiner „Symbolik der menſchlichen Geſtalt“ mit einem großen Aufwande von Geiſt und Gelehrſamkeit die alte Hypotheſe des Ariſtoteles bis in die kleinſten Details auszuführen geſucht. Doch ſeine Behaup— tungen ſtehn mit der täglichen Erfahrung im entſchiedenſten Widerſpruche, und während die Ariſtoteliſchen Behauptungen und Grundſätze bei oberflächlicher Betrachtung einige Wahr— ſcheinlichkeit für ſich haben mögen, zeigt ſich eben in einer genauen Ausführung und Verfolgung ihrer Conſequenzen und Einzelheiten die ganze Schwäche und Unhaltbarkeit derſelben. Nachdem ein Mann wie Carus mit ſeinem Verſuche ge— ſcheitert iſt, wird vorausſichtlich dieſe Richtung nun auf immer verlaſſen bleiben *). Der Vollſtändigkeit wegen mögen hier noch die Namen einiger Schriftſteller Platz finden, welche der Theorie des Ariſtoteles huldigen, und theils in beſonderen Schriften, theils beiläufig ihre phyſiognomiſchen Anſichten ausgeſprochen haben. Es gehören dazu: Theophrast, Galen, Plinius, Trogus, Avicenna, Rhazes, Adamantius, Albertus magnus, Jerome Cardan, Tadeus Hagesius, Joan— nes ab Indagine, Gordon, Peuschel, Grattarol, Lebrun, Parson, Gama de Manchado, A. Toussenel. Die meiſten dieſer Schriften ſind ſehr ſelten. Sie liegen be— graben im Staube der Bibliotheken, und der Verf. kann ) In demſelben Sinne wie Carus haben neuerdings auch d'Arpentigny über die ſymboliſche Bedeutung der Hand und Burmeiſter über die Symbolik des Fußes geſchrieben. — dem Leſer mit gutem Gewiſſen nur rathen, ihre wohlverdiente Ruhe nicht zu ſtören. Einer hat vom Andern abgeſchrieben, und man wird ſich darüber kaum wundern, wenn man weiß, wie lange Jahrhunderte hindurch den Lehren des Summus Aristoteles die unbedingteſte Autorität eingeräumt wurde. Einige Phyſiognomiker, wie Samuel Fuchsius, Livius Agrippa de Monferrato, Peucer, Gocle- nius u. A., begnügten fih übrigens nicht damit, den Cha- racter des Menſchen aus feiner Geſichtsbildung zu deuten, fie wollten auch künftige Schickſale darin Tefen; die tollen Hirn- geſpinnſte der Aſtrologie und Chiromantie wurden auch auf die Phyſiognomik übertragen. Wie die Linien der Hand, fo wurden auch die Linien der Stirn nach den damals bekannten 5 Planeten benannt, um daraus die Zukunft zu prophezeien. Goclenius z. B. (Physiognomica et Chiromantica spe- cialia ab Adolpho Goclenio. Hamburgi 1661) nennt bie 4 Horizontalfalten der Stirn, von Oben anfangend: Linea Saturni, Jovis, Martis, Veneris, die Falte zwiſchen den Augenbrauen: Linea Mercurialis, die Falten über dem rechten Auge: Lineae solares und über dem linken Auge: Lineae lunares. — Damit war das Syſtem fertig! Von den Plane- ten hingen die Schickſale der Menſchen ab, das brauchte nicht mehr bewieſen zu werden, die Namen der Planeten wurden auf die Runzeln der Stirn übertragen, folglich hatten nun die Stirnfalten dieſelbe aſtrologiſche Bedeutung wie die Plane— ten, — ſie führten ja denſelben Namen! — „Man muk fih nur nicht allzu ängſtlich quälen; Denn eben wo Begriffe fehlen, Da ſtellt ein Wort zur rechten Zeit ſich ein!“ 2. Lavater und ſeine Nachfolger. Savater, welcher fich am eingehendſten mit der Phyſio⸗ gnomik beſchäftigte, hat auch am meiſten dazu beigetragen, ſie in Verruf zu bringen. Seine Anlage und die Richtung ſeiner Zeit machten ihn zum Gefühlsſchwärmer. Durchdrungen von der Würde der Menſchheit (und ſeiner eignen), ſuchte er im Antlitz des Menſchen die Symbole feiner Größe und Gottähn⸗ lichkeit, und, verführt durch ſeine erſten Erfolge, durch das allgemeine Intereſſe, welches ſeine Behauptungen erregten, ließ er ſich von ſeiner perſönlichen Eitelkeit gern hinreißen, das für wahr zu halten, was er Andere glauben machte. Seine Phraſen galten für Orakelſprüche, und er gefiel ſich in ſeiner Rolle als phyſiognomiſcher Meſſias nicht wenig. Aber ver⸗ gebens ſucht man in ſeinem vielbändigen Wortſchwall nach der Durchführung eines logiſchen Syſtems, und ſeine ſchönen Redensarten ſind zerplatzt wie ſchillernde Seifenblaſen. Lavater und Phyſiognomik ſind unzertrennlich Begriffe geworden, wer das eine Wort nennt, denkt auch an das andere. Aber ſelten wird man heut zu Tage Jemanden finden, der Lavater's Schriften geleſen hat. Trotzdem, oder vielleicht eben deshalb, gilt Lavater bei Vielen noch für eine Autorität, und ſein Name iſt ſo populär geworden, wie kaum ein anderer. Das einzige Mal, wo Lavater einen ſchwachen Verſuch macht, feine Anſichten in verſtändlichen Grundſätzen auszu- ſprechen, iſt S. 121. Bd. II. (in der kleinen Ausgabe join Schriften), wo von Schattenriſſen die Rede iſt. Man höre: | „Ueberhaupt aber, um nun von hundert Sachen, Die hierüber noch geſagt werden können (die aber noch nicht ver- arbeitet genug ſind, und hin und wieder, beſonders bei vor— kommenden Beiſpielen, ihre Stelle finden werden), nur noch eins zu ſagen: Ueberhaupt drückt die Silhouette viel mehr die Anlage, als die Wirklichkeit des Characters aus. Der zweite (Umriß der Stirn bis zur Augenbraue) und dritte Abſchnitt (der Raum von der Augenbraue bis zur Naſenwurzel, dem Anſatz der Naſe) zeigt am öfterſten und ſicherſten den Verſtand und die Leidens- oder Willenskraft des Menſchen. Die Nafe — den Geſchmack, die Empfindſamkeit, das Gefühl, — die Lippen am vorzüglichſten Sanftmuth und Zornmuth, Liebe und Haß. Das Kinn, den Grad und die Art der Sinnlichkeit, der Hals ſammt dem Nacken und der Stellung, entſcheidet die Lockerheit, Ge- ſpanntheit oder freie Gradheit des Characters 3 — der Scheitel nicht ſowohl die Kraft, als den Reichthum des Verſtandes; das Hinterhaupt die Beweglichkeit, Reizbarkeit, Elaſticität des Characters.“ Dieſe orakelhaften Sätze werden aufgeſtellt, aber nirgends genauer auseinandergeſetzt, nirgends practiſch durchzuführen ge- ſucht. Alle dergleichen Ausſprüche werden ſo unbeſtimmt und zweideutig wie möglich gehalten, ſie könnten compromittiren, ſie könnten dem zügelloſen Fluge der Phantaſie unbequem werden! — Wie Lavater bei ſeiner Characteriſtik und Entzifferung von Geſichtern zu Werke geht, das mögen folgende Beiſpiele (Bd. I. S. 60) zeigen: 126 „Moncrif: Es ift kein Menſch, kein Menſchenkenner, der dieß Geſicht in die Claſſe der Dummköpfe verweiſen würde. A. Dürer: Ein Bild, dem wohl kein einziger Menſch männlichen Muth, tiefen Blick u. ſ. w. abſprechen wird. Johnson: Auch das aller ungeübteſte Auge wird in dieſem Blicke leicht den tiefſehenden, Alles herauswitternden x. Mann erkennen. | | Ein Umriß nach Sturz: Nach dem phyſiognomiſchen Gefühl, beinah eines jeden Weltmenſchen wenigſtens, ein fähiger, leichtbegreifender u. ſ. w. Kopf. Spalding: Es iſt kein Menſch, der beim Anblick dieſes Geſichts nicht einen mehr als gemeinen (2) Menſchen ꝛc. er kenne. ditto: Auch dem Unwiſſenden wird Stirn und Aug' von einem denkenden ꝛc. Kopf zu ſein ſcheinen. Sterne: Von allen Leſern nicht einer, auch der unge— übteſte nicht, wird dieſem Geſichte tief einſchneidenden Witz x. abſprechen.“ 210. 6 5 Worte! Worte! Worte! — Nach Gründen und Beweisen ſucht man bei Lavater vergebens, mit Phraſen wie: „Wel— cher Menſch, der nur eine Spur von phyſiognomiſchem Talente beſitzt, ſieht nicht in dieſem Munde, in dieſer Naſe — dies oder das“, ſchüchtert er die Critik des unklaren großen Haufens ein, und drängt dem Leſer ſeine perſönlichen Meinungen und Gefühle als Wahrheiten auf. Er ſpricht von der phyſiogno— miſchen Erkenntniß wie von einer Offenbarung, und Beweiſe hält er dabei für überflüſſig. Bd. L S. 72 fagt er: „Thor⸗ 127 ee ~ beit, die Phyſiognomik zur Wiſſenſchaft zu machen, damit man darüber reden, ſchreiben, Collegia halten und hören könne!“ Er brüſtet ſich wie ein Prophet, und daß ſelbſt verſtändige Männer fic, fo lange an feinen phyſiognomiſchen Inſpirationen erbauen konnten, ſcheint heute unglaublich, und doch: „wenn Du Dir nur ſelbſt vertrauſt, vertraun Dir auch die andern Seelen!“ | Lavater's Begriffe von der Wiſſenſchaft und ihren An— forderungen, find ganz eigenthümlicher Art. Bd. I. S. 71 ſagt er: „Was iſt die Wiſſenſchaft, wo Alles beſtimmbar, nichts dem Geſchmacke, dem Gefühle, dem Genius überlaſſen ſei? — Wehe der Wiſſenſchaft, wo eine ſolche wäre! —“ Endlich Bd. I S. 105 heißt es: „Ihr werdet fo wenig deshalb Phyſiognomiſten werden, weil ihr mein Buch leſet — ſo wenig ihr deswegen große Aerzte werdet, weil ihr Boer— have gehört, oder große Staatsmänner, weil ihr Grotius und Puffendorf geleſen habt und Montesquieu beinah auswendig könnt! —“ Damit bricht er über ſeine Lehre ſelbſt den Stab, indem er ſich zugleich ein keineswegs verſchämtes Compliment macht. : In Lavater's Fußtapfen tritt Sihler (Symbolik des Antlitzes, Berlin 1829), geht aber in ſeinem Dünkel noch etwas weiter, indem er ſehr häufig verſichert, daß ſeine Arbeit eine wiſſenſchaftliche fet. Wie Lavater wirft er fortwährend die Bedeutung der Geſichtsknochen und der Geſichtsmuskeln durch einander, und übertrifft wo möglich noch ſein Vorbild durch den unerſchöpflichen Reichthum ſchwülſtiger Phraſen. Als Probe ſeiner Wiſſenſchaftlichkeit diene, was er S. 27 ſagt: „Unmöglich kann ich das Stirn-Plateau verlaſſen, ohne die eigenthümlichen Längen und Querthaler zu erwähnen, welche oft die Hochebene in Vierecke und förmliche Parzellen ſchachbrett⸗ förmig zertheilen; — unſtreitig liegt in dieſer Formation die ſymboliſche Hindeutung auf ein inneres, unauflösliches Inein— ander von finſterer Grübelei und eitler ſelbſtgefälliger Dünkel— weisheit,“ und dann Seite 37: „Die Widdernaſen (vulgo Rammsnaſen) find ein Zeichen geiſtiger Niedrigkeit. Bei paffto- nirten Schafzüchtern nun fann fich durch das verliebte An ſchauen der Merinos eine Widdernaſe herausbilden,“ und end lich S. 40: „Die Spitznaſen gehören den Geizhälſen, Viſitatoren, Häſchern, Polizei- und Mauthbeamten an, die Fuhrmanns- und Pfund⸗Naſen den Laſtträgern, Pack- und Bootsknechten, Artilleriſten u. A.“ 3. Gall, Carus, Camper und die neueren | Schädelmeſſungen. Einen bedeutenden Einfluß auf die Phyſiognomik erwar⸗ teten und erwarten die Anhänger der Phrenologie von ihrer Lehre; und in der That, wenn die Behauptungen Gall's und ſeiner Nachfolger (Spurzheim, Combe u. A.) richtig wären, jo wäre wenigſtens für einen Bezirk der Phyſiognomik, für den Gtirntheil des Geſichtes, eine wiſſenſchaftliche Grundlage gefunden. Dem iſt nun aber leider nicht ſo. In den nächſten Blättern find die phrenologiſchen Theorien einer eingehenden Prüfung unter zogen worden, theils weil das Gall'ſche Syſtem immer noch viele Verehrer hat, theils aber und vorzüglich, weil ſeit der 129 Erfindung der Phrenologie gewiſſe populäre Vorurtheile über die phyſiognomiſche Bedeutung der Stirn entſtanden ſind, und ſich, trotz ihrer augenſcheinlichen Unrichtigkeit, auch bei dem nichtphrenologiſchen Publicum ſehr allgemein verbreitet haben. Als Gall mit ſeiner neuen Lehre hervortrat, machte er damit ein gewaltiges Aufſehn. Die Einfachheit und der wiffen- ſchaftliche Nimbus feiner Grundſätze, die Entſchiedenheit und Ueberzeugung, mit welcher er ſie ausſprach, riſſen das Publi⸗ eum hin, und man erzählte ſich ſtaunend, mit welcher er— ſchreckenden Genauigkeit und Leichtigkeit er den Character fremder Menſchen an ihren Schädeln herauszufühlen vermöge. Nun iſt es aber immer ein eigen Ding mit ſolchen Geſchichten, 3 welche als Beweiſe unglaublicher Wunder erzählt und aufge- führt werden. Der große Haufen iſt immer begierig nach Neuem, Unerhörtem, Nochnichtdageweſenem, und es ift fein ſo craffer Unſinn aufgeſtellt worden, für den nicht leichtgläubige und wunderſüchtige Menſchen einige beweiſende „Fälle“ zu erzählen gehabt hätten. Fabelhafte Geſchichten werden berichtet von der Wirkung ſympathetiſcher Mittel, von eingetroffenen Ahnungen und Träumen, von magnetifirten Hellſeherinnen x. und um ſo lieber geglaubt, je unglaublicher ſie ſind. So ging es und ſo geht es noch heute dem begeiſterten Publicum der Phrenologen. Die ärgerlichen Irrthümer werden nicht erwähnt und werden vergeſſen, wo aber die Behauptungen des phreno— logiſchen Nigromanten zufällig einmal der Wahrheit nahe kommen (und um den Character eines Menſchen zu erkennen, kann man ſich noch andrer Mittel bedienen, als den Kopf zu betaſten), da erhebt man ein großes Geſchrei, und während die Erzählung von Mund zu Mund geht, wird ſie immer wunderbarer, die Zweifler werden damit ad absurdum ge— 9 130 führt und zum Schweigen gebracht. Mundus vult decipi! — Aber auch noch in andrer Weiſe kommt dem Phrenologen ſein Publicum entgegen. Wenn es ſchon ſchwer ift, andere Men- ſchen richtig zu erkennen, und oft ſelbſt ein jahrelanger Ver- kehr nicht hinreicht, ſie zu durchſchauen, ſo ſcheint es noch viel ſchwieriger, ſich ſelber richtig zu beurtheilen. Die meiſten Menſchen ſind ſogar ſehr geneigt, ſich vorzugsweiſe Eigen— ſchaften und Talente zuzutrauen, welche ſie am wenigſten beſitzen. Man ſieht Menſchen mit Vorliebe nach Witzen jagen, welchen der Beruf dazu verſagt ift, nüchterne Verſtandesmen— ſchen halten ſich für dichteriſche Talente, Mathematiker für gute Muſiker u. ſ. w. Man ſchätzt gewöhnlich das am meiſten, was man nicht hat und thut fich vorzugsweiſe auf die Leiftungen | Etwas zu Gute, welche die meiſte Mühe verurſacht haben. Goethe war mindeſtens eben ſo ſtolz auf ſeine ſchwachen Leiſtungen in der Farbenlehre und auf feine Radirungen, wie auf feinen Fauſt. Bei der Schwierigkeit, ſich ſelbſt richtig zu beurtheilen, darf man ſich nicht wundern, wenn ſo viele Menſchen bereit ſind, die Behauptungen für wahr zu halten, mit denen der Phrenologe in apodietiſcher Sicherheit ihnen entgegentritt. Am leichteſten natürlich wird ein Menſch zu überzeugen fein, wenn der Phrenologe ihn mit Der Zuerken— nung guter Eigenſchaften überraſcht, die er ſich ſelbſt nicht zugetraut hatte, aber Maucher wird auch dann keinen Wider— ſpruch erheben, wenn ihm eine Reihe von ſchlechten Eigen— ſchaften zudictirt wird, welche er bis dahin nicht bei fich ver muthet hatte. Wie Jener durch Eitelkeit, fo wird Dieſer durch Mangel an Selbſtvertrauen beſtimmt, ſich dem Ausſpruche des Phrenologen zu unterwerfen. Gewöhnlich traut man andern Menſchen nicht ganz viel Gutes zu, und iſt ſelten abgeneigt, 131 Schlechtes zu glauben, das von ihnen erzählt wird. Aber ſich ſelbſt traut man meiſtens auch nicht viel Gutes zu; die rohen und ſchlechten Inſtinete fehlen in keiner Seele, und wenn fie auch durch Erziehung und Sitte gezähmt ſind, ſo iſt doch ihr Daſein jedem Menſchen ſehr wohl bekannt und fühlbar. Dieſe böſen Gewalten lauern im dunklen Hintergrunde der Seele, und der Menſch traut ihnen nicht; er weiß, daß ſie, entfeſſelt, ſeinem Zaume nicht mehr gehorchen werden. Aus dieſem Grunde wird er mit einer Art abergläubiſcher Furcht nicht geradezu zu widerſprechen wagen, wenn man ihm Gewiſſen⸗ loſigkeit, Diebsſinn, Jähzorn u. ſ. w. andichtet. Die Phrenologen ſtellen an die Spitze ihrer Theorie den Grundſatz, daß die Geiſtesthätigkeit eine Function des Gehirns ſei, und daß die Leiſtungsfähigkeit des Gehirns und ſeiner einzelnen Theile abhängig ſei von der Größe des Gehirns und ſeiner einzelnen Theile. Nun findet man allerdings bei angeborenem Idiotismus immer ein abnorm kleines, bei be— deutender Genialität gewöhnlich) ein abnorm großes Gehirn. Es würde aber ſehr verkehrt ſein, wenn man daraus ſchließen wollte, daß ein großes Gehirn immer auch einen großen Geiſt berge“ *). Vielmehr iſt es nicht zweifelhaft, daß nicht nur die ) Gewöhnlich, aber nicht immer. Voltaire z. B. hatte einen auffallend kleinen Kopf. l *) Die alten Phyſiognomiker hielten einen großen Schädel keineswegs für ein Zeichen beſondrer Geiſtesgaben. Ariſtoteles ſagt, daß ein großer Schädel auf Stumpffinnigkeit, dagegen ein kleiner Schädel auf Scharfſinnigkeit ſchließen laſſe. J. B. Porta erzählt, daß Polemon, Adamantius und Albertus einen großen Kopf als Merkmal der Dummheit und Rohheit aufführen, und ſtimmt ſelbſt dieſer Anſicht bei, indem er zum Beweiſe den großen Schädel des Vitellius anführt. Galen ſchildert die vollkommenſte Kopfform folgender Maaßen: Veluti si sphaeram exquisite orbiculatam excogitares, ex cera constructam, g* 132 Quantität, ſondern auch die Qualität des Gehirns maaßgebend für die geiſtige Entwickelungsfähigkeit des Menſchen iſt. Das Weib hat im Allgemeinen nicht nur ein kleineres, ſondern auch ein verhältnißmäßig leichteres Gehirn als der Mann, und es ſcheint, daß die geringere Maſſe des Gehirns durch größere Dichtigkeit ausgeglichen werden könne. Dieſes findet z. B. (nach Rud. Wagner) wahrſcheinlich ſtatt bei den Hindus, welche ſich durch ſehr kleine Schädel auszeichnen. Die Phrenologen behaupten dann weiter: Erſtens, daß das ſogenannte Großhirn (oder die Hemiſphären) das Organ der Geiſteskräfte, das Geiſteshirn fei. Das Großhirn überwöͤlbt und bedeckt kappenartig die übrigen Gehirntheile, und liegt unmittelbar unter der knöchernen Schädeldecke. Auf der Ober— fläche des Großhirns befinden ſich zahlreiche, durch Furchen getrennte Wülſte oder Windungen, und dieſe ſind, nach der Meinung der Phrenologen, die Organe der geiſtigen Kräfte und Eigenſchaften. Zweitens behaupten die Phrenologen, daß jedem Geiſtesorgane ein abgegrenzter Bezirk der Gehirnwülſte entſpreche; drittens behaupten fie, daß die Größe jedes Gei- ſtesorgans genau erkennbar ſei an der äußern Schädeldecke. Was nun die erſte Behauptung anbetrifft, ſo iſt es allerdings wahrſcheinlich, daß wir in den Gehirnwülſten den Sitz der Geiſteskräfte zu ſuchen haben; wenn aber die Phre— nologen ſagen, daß die Gehirnwindungen gleichbedeutend feien mit Geiſtesorganen, fo haben wir ein Recht, weiter zu ſchließen, daß überall da, wo Gehirnwülſte ſich finden, Gei— leniter utrimque pressam, Derſelben Meinung huldigen auch Avicenna, Rhazes, Albertus, Porta und letzterer führt an, daß der Kopf des Pericles dieſer Art geweſen fet. 188 ſtesorgane liegen müſſen. Die Phrenologie nimmt aber nur Rückſicht auf diejenigen Wülſte, deren Größe auf der äußern Schädeldecke erkennbar iſt (oder ſein ſoll). Etwa 1/, derſelben wird von den Phrenologen gar nicht berück— fichtigt, und zwar find das diejenigen, welche auf dem Gewölbe der Augenhöhlen und in der Tiefe der (das Geiſtes— hirn in zwei ſeitliche Hälften ſcheidenden) Gehirnſpalte liegen. Die Größe dieſer Wülſte it natürlich an der Schädeldecke nicht erkennbar, und deshalb werden ſie auch von den Phre— nologen nicht berückſichtigt. Da man allen denkbaren Geiſtes— eigenſchaften auf der betaſtbaren Schädeloberfläche bereits ihre Quartiere angewieſen hat, ſo bleiben dieſe Gehirnwülſte übrig, — fte ſind dem Phrenologen ein wahrer embarras de ri- chesse. : Unterfuche wir nun die zweite Behauptung der Phre— nologen, und werfen wir zunächſt einen Blick auf die phreno— logiſche Eintheilung der Geiſteskräfte, ſo ſtoßen wir dabei auf die wunderlichſten Willkührlichkeiten und Ungereimtheiten. Jeder Uneingeweihte wird vermuthen, daß jedem Geiſtesorgane (und man hat deren etwa 3 Dutzend aufgeſtellt) eine abgegrenzte und äußerlich erkennbare Parthie der Gehirnoberfläche ent— ſpreche. Heben wir nun aber die Schädeldecke ab, ſo be— merken wir unter den Gehirnwülſten keineswegs gewiſſe Ab— theilungen, welche etwa zu den phrenologiſchen Abtheilungen und Höckern der Schädeldecke paſſen könnten, und es muß deshalb derſelbe Gehirnwulſt theilweiſe zu einem Geiſtesorgan, theilweiſe zu dem daneben liegenden gerechnet werden, ſo grundverſchieden auch die Thätigkeit eines jeden dieſer Organe fein mag. Ebeuſo wenig bemerken wir im Innern des Geiſteshirns gewiſſe Abtheilungen, welche den ſupponirten 134 phrenologiſchen Organen entfprechen könnten, fo daß es eine unberechtigte Willkührlichkeit ift, die Oberfläche des Geifted- hirns in ſtreng abgegrenzte Organe eintheilen zu wollen. Es würde uns hier zu weit führen, wollten wir prüfen, mit welchem Rechte die Phrenologen das Geiſtesleben auf 3 Dutzend einfacher Kräfte zurückführen wollen, es möge nur noch erwähnt ſein, daß ſie keinen Anſtand genommen haben, die verſchiedenartigſten Organe neben einander zu legen. Da findet fich der Zerſtörungstrieb neben dem Verheimlichungs— triebe, die Ehrfurcht neben der Feſtigkeit, der Tonſinn neben dem Witz, die Vorſicht neben der Beifallsliebe, die Kinder— liebe neben dem Concentrationsvermögen, — wo aber hört das eine Organ auf und wo fängt das andere an? Die Phreno- logen ſind gezwungen, anzunehmen, daß ein und dieſelbe Nervenfaſer bis zu einem gewiſſen Punkte witzig iſt und unmittelbar daneben muſikaliſch wird. Was die dritte Behauptung der Phrenologen anbetrifft, daß nämlich die Größe jedes Geiſtesorgans an der äußeren Schädeldecke erkennbar fet, fo ift es allerdings wohl im Alf- gemeinen richtig, daß die Form der Schädeloberfläche abhängig iſt von der Form der Gehirnoberfläche. Dieſes Geſetz findet jedoch durchaus keine Anwendung anf den unteren Theil der Stirn. Die Phrenologen ſind von der Anſicht ausgegangen, daß ſich der Menſch von den Thieren vorzugsweiſe durch eine bedeutende Entwicklung der Stirn auszeichne. Nachdem man den oberen Theil der Stirn dem Schlußvermögen, dem Ber- gleichungsvermögen *) u. ſ. w. eingeräumt hatte, blieb noch ) Beiläufig iſt es unlogiſch, Schluß- und Vergleichungsvermögen als zwei getrennte Geiſteskräfte zu unterſcheiden. Die Quelle jeder Ueberlegung, das 135 eine bedeutende Anzahl geiftiger Anlagen übrig, welche man jo gut wie möglich auf dem ſchmalen Raume oberhalb der Augenbrauen unterbringen mußte; dies war der einzige noch unbeſetzte Platz, und hierhin verlegte man den Sinn für Zeit (Muſik), Ordnung (Rechnen), Farben (Malerei), Gewicht (Handgeſchicklichkeit), Geſtalt, Gegenſtände und Oertlichkeit. Des beſchränkten Raumes wegen mußte ſich jeder dieſer edlen Sinne mit einem dürftigen Wohnſitze von einigen Quadratlinien be— gnügen. Wollte man nun aber auch dem Phrenologen ſeine kühne Behauptung zugeben, daß der Theil des Gehirns, wel— cher hinter und über den Augenbrauen liegt, der Sitz der eben erwähnten Geiſteskräfte ſei, ſo kann man doch unmöglich zugeben, daß die bedeutendere oder geringere Größe dieſes Gehirntheils, die bedeutendere oder geringere Entwickelung der hier ſupponirten phrenologiſchen Organe an ihrer knöchernen Decke erkennbar ſei; denn es liegen hier, zwiſchen der äußeren und inneren Platte des Schädelknochens, die ſogenannten Stirnhöhlen, hohle Knochenräume, welche bei verſchiedenen Menſchen ſehr verſchiedenartig groß ſind. Die Form dieſes Stirntheils iſt alſo ganz unabhängig von der Form des darunterliegenden Gehirntheils, und hohl find die Schlüffe, welche der Phrenologe aus der äußern Unterſuchung dieſer Stirnhöhlen zieht, abſichtliche oder unabſichtliche Täuſchungen, Unwiſſenheit oder Betrügerei. In neuerer Zeit hat Carus verſucht, der Phrenologie eine neue Baſis zu geben, indem er die Hypotheſe aufſtellte, Material aller Geiſtesthätigkeit ſind die Vorſtellungen, und die Vergleichung der Vorſtellungen giebt den Schluß. Der Schluß iſt die abgeſchloſſene Vergleichung. Wer vergleichen kann, kann auch ſchließen, und ein Schluß ohne Vergleichung iſt ein Unſinn. ; 136 daß das Vorderhirn (das Großhirn, die Hemiſphären) das Organ der Verſtandeskräfte, das Mittelhirn (die Vierhügel) das Organ des Gemüthslebens, das Hinterhirn (das kleine Gehirn) das Organ der Willenskraft fei. Die Größe und Leiſtungsfähigkeit des Vorderhirns ſoll an dem Stirnknochen, die des Mittelhirns an den Scheitelknochen, die des Hinter— hirns an dem Hinterhauptknochen zu erkennen ſein. Dieſe Theorie hat jedoch geringen Beifall bei Laien und wiſſen— ſchaftlichen Forſchern gefunden. Wenn auch die Phyſtologie des Gehirns noch wenig ſichere Anhaltspunkte bietet, ſo darf doch ſchon mit einem hohen Grade von Wahrſcheinlichkeit behauptet werden, daß Mittel- und Hinter-Hirn nur eine ganz untergeordnete Bedeutung für das Geiſtesleben haben. Wäre aber auch richtig, was Carus behauptet, fo ift doch nicht einzuſehn, mit welchem Rechte er aus einer bedeutenden Entwickelung der Scheitelknochen auf eine bedeutende Ent⸗ wickelung des Mittelhirns ſchließen will, denn das verhältniß— mäßig ſehr kleine Mittelhirn wird von der gewaltigen Maſſe des Vorderhirns überwölbt und bedeckt; die Form und Größe der Scheitelbeine iſt deshalb zunächſt und hauptſächlich ab— hängig von der Form und Größe der darunter liegenden Grof- hirntheile. } Während in anderen Ländern, vorzüglich in Nordamerika und England, die Phrenologie noch immer viele gläubige Verehrer hat, iſt ſie in ihrem Vaterlande, in Deutſchland, mehr und mehr in Mißeredit gerathen. Wie aber Theorien, Anſichten und Richtungen, wenn ſie auch bereits als falſch erkannt und verlaſſen ſind, doch oft noch lange Zeit Spuren im großen Publicum zurücklaſſen, fo haben auch einige phre- nologiſche Anſichten ſich ſehr allgemeine Geltung verſchafft, 137 obgleich, ſonderbarer Weiſe, ſich dieſe Anfichten auf ein Gebiet beziehn, wo die Behauptungen der Phrenologen offenbar am ſchwächſten ſind — auf die Stirn. Es ließe ſich leicht nachweiſen, daß, ſeit der Erfindung der Phrenologie, die Künſtler mit beſonderer Vorliebe und Sorgfalt die Stirn auf ihren Portraits ausgearbeitet haben. In früheren Zeiten hatte man von den hohen Stirnen keine ſo gute Meinung. Die alten Griechen gaben ihren hehren Göttergeſtalten wohl eine ſenkrecht aufſteigende, aber eher eine niedrige, als hohe Stirn. Ariſtoteles führt (Naturgeſchichte der Thiere Cap. S) eine große Stirn als Zeichen der Stumpf- ſinnigkeit auf, dann wieder (Bhyftognomif Cap. 4) eine große, runde, fleiſchige Stirn als Zeichen von Stumpfſinnigkeit und (Phyſiognomik Cap. 6) eine zu große Stirn als Zeichen der Trägheit, überhaupt aber (Phyſiognomik Cap. 6) einen großen Vorderkopf als Zeichen der Faulheit. J. B. Porta erzählt. daß auch Galen, Plinius, Polemon, Rhazes, Al- bertus und Meletius eine große Stirn für ein Zeichen der Stupidität halten. | Heut zu Tage findet man aber bei Gebiloeten und Un— gebildeten, bei Künſtlern und Laien, ziemlich allgemein die Ueberzeugung verbreitet, daß bedeutende Männer bedeutende Stirnen haben müſſen, daß man Geiſteshoheit nur hinter einer hohen Stirn ſuchen darf. Durch die Brille populärer Vorurtheile ſahen die Künſtler, was ſie glaubten, und ſie gaben und geben den Portraits berühmter Männer ſo gewiß die hohe vorgewölbte Stirn, wie man früher den Heiligen ihren Heiligenſchein gab. Je länger die Zeit wird, welche ſeit dem Tode eines berühmten Mannes verſtrichen iſt, je weniger Widerſpruch von überlebenden Zeitgenoſſen dagegen “ sio W ‘i. i + 8 4 F 4 | $ KI NAS AB 12407 2 caine | : k. n HEFE i k PEF Wu % 1 i i į 11 i |} i E | i L A it jä 1 T : i i = | | N ti 3 dl W | È E | n < 148 i 1] | 4 i i 20h 14! 1 EN ; KE FRE sha PN ENÉ W N PA G 137 Ji. HJ “7 i Saal e — ss aa we = S (We Mia = — — — — 138 eingewendet werden kann, deſto höher wird auf ſeinen Bildern die Stirn, und wächſt im Laufe der Zeit oft bis an die Grenze des Waſſerkopfes. So z. B. iſt die mächtige Stirn Goethe's nachweisbar ein Mythus, und um dieſe Behauptung zu beweiſen, ſind hier 3 Portraits aus ſeiner Jugend beigefügt, welche aus einer Zeit ſtammen, in der die Phrenologie noch nicht er— funden war. Das erſte, Fig. 55, iſt die Copie eines von Chodowiecki ausgeführten Bildes, eines Künſtlers, der ſich bekanntlich durch die Treue und Naturwahrheit feiner Darz ſtellungen und Portraits ganz beſonders auszeichnete. Das zweite, Fig. 56, iſt die Copie der Photographie einer bekannten Marmorbüſte, welche fich in Weimar befin- det, und auf Goethe's erſter italiänifcher Reife in Rom ent ſtanden iſt. Das dritte, Fig. 57, iſt die Copie einer Silhouette, welche dem Buche „Goethe's Briefwechſel mit Keſtner“ entnommen iſt. Man vergleiche nun mit dieſen jugendlichen Köpfen, deren Stirn in keiner Weiſe das gewöhnliche Maaß iber- ſchreitet, die coloſſalen Stirnen, welche auf manchen Por- traits des alten Goethe zu ſehen ſind, um ſich von der Wahrheit der eben ausgeſprochenen Behauptung zu überzeugen. Beiläufig ſei hier vor einem Irrthume gewarnt, der ſehr leicht und ſehr gewöhnlich begangen wird, kahle Stirnen für hohe Stirnen zu halten. Eine kahle Stirn macht leicht den Eindruck einer hohen Stirn, wenn man ſie von vorn ſieht, um aber ein richtiges Urtheil zu fällen, um zu entſchei— den, in welchem Verhältniß die Wölbung der Stirn zu dem übrigen Geſichte ſteht, muß man ſie von der Seite betrachten. 139 Ein andres und eclatantes Beiſpiel von der Sucht, be— rühmte Männer mit hohen Stirnen zu ſchmücken, ſind die Portraits Shakespeare's. Hierbei durfte man der Phan- taſte um ſo freier die Zügel ſchießen laſſen, als verſchiedene Portraits Shakespeare's exiſtiren, welche unter ſich wenig Aehnlichkeit haben und keins auf vollſtändige Authenticität und Aehnlichkeit Anſpruch machen kann. Nichts deſtoweniger glaubt ziemlich Jedermann an ſeine „göttliche“ Stirn ſo ge— wiß wie an ſein Genie, und häufig genug hört man ſeine Stirn als Beweis für die Richtigkeit der phrenologiſchen Grundſätze aufführen. Aber auch dieſe Stirn, welche auf manchen Bildern die Grenze des Cretinismus nicht nur er— reicht, ſondern überſchreitet, ſcheint ein Mythus zu ſein. In Stratford am Avon findet ſich eine Statue Shakespeare's, welche jetzt ziemlich allgemein für ſein treuſtes Bild gehalten wird. Der bekannte amerikaniſche Schriftſteller Nathaniel Hawthorne ſpricht ſich darüber folgender Maaßen aus: „Die Büſte des Dichters, deren Piedeſtal ſich mannshoch über den Fuß der Kanzel erhebt, iſt an der nördlichen Wand der Kirche angebracht. Die Züge jener Büſte ſind allen mir bekannten Portraits von Shakespeare ganz unähnlich und veranlaſſen mich, das ſchöne, edle Bild, mit der freien ſtolzen Stirn, welches bisher in meiner Gemäldegalerie gehangen hat, herabzunehmen. Man kann nicht behaupten, daß die Büſte ein ſchönes Geſicht oder einen feſſelnden, edlen Kopf darſtellt ſie hält fich ſtreng an die Wirklichkeit und nöthigt uns, in ihr nicht Shakespeare den Dichter, ſondern den reichen Bürger, den Freund John a Combe's, welcher dort unten in jenem Winkel ruht, zu erkennen. Ich weiß nicht, was Phrenologen von dieſer Büſte ſagen. Die Stirn 140 ift nur mäßig entwickelt und geht nach oben etwas zurück, ſo daß der Schädel ſich pyramidal erhebt. Die Augen treten faſt aus ihren Höhlen hervor, die Oberlippe iſt ſo lang, daß ſie faſt verunſtaltend geweſen ſein muß; es ſei denn, daß der Bildhauer ſie abſichtlich ſo verlängert hat, um ſie vom Piedeſtal aus nicht unnatürlich kurz erſcheinen zu laſſen. Im Ganzen muß Shakespeare viel mehr eine eigenthüm— liche, als eine einnehmende Phyſiognomie gehabt haben, und es iſt wunderbar, daß, mit dieſer Büſte vor Augen, die Welt hartnäckig eine irrige Meinung von ſeinem Aeußern aufrecht erhalten und Malern und Bildhauern erlaubt hat, ſtatt des unverfälſchten, natürlichen Mannes, ihre idealiſirte Lüge auf uns zu übertragen. Was mich betrifft, ſo wird von nun an Shakespeare meinen. geiſtigen Augen als ein Mann mit röthlicher, engliſcher Geſichtsfarbe, gewöhnlich hoher Stirn, intelligenten, ſchnell beobachtenden Augen, leicht ge— bogener Naſe, langer Oberlippe mit darunter etwas geöffne— tem Munde und vollen herabhängenden Wangen erſcheinen. Aber wenn Shakespeare er ſelbſt war (denn ½ ſeiner Zeit war er, allem Anfehein nach, nur der Bürger von Strat ford), ſo leuchtete ſein ſtrahlender Genius gewiß durch dieſe unſchöne Maske hindurch und verklärte ſie zauberhaft.“ Daß Friedrich der Große eine auffallend flache und zurückliegende Stirn hatte, iſt bekannt, und wer es nicht weiß, der braucht fich nur einen Fréderic d'or oder Friedrich‘ thaler, Fig. 58, anzuſehen, um fih davon zu Aber zeugen. Zahlreiche Portraits des Cardinals Richelieu, welche der Verf. verglichen hat, zeigen ſämmtlich eine characteriſtiſch 141 niedrige und zurückliegende Stirn. Eins der beſten und felten- ſten iſt das von M. Lasne, welches, Fig. 59, beigefügt iſt. Ebenſowenig wie der geniale Politiker Richelieu würde der geniale Philoſoph Locke Gnade vor den Augen der Phrenologen gefunden haben. Fig. 60 iſt die Copie eines vortrefflichen Kupferſtiches, welcher von G. Ventue 1738 nach dem berühmten Oelgemälde G. Kneller's ausgeführt wurde. Daß auch ein muſikaliſches Genie unter einer kleinen Stirn Platz finden kann, beweiſen alle Portraits K. M. v. Weber's, Fig. 61. Ewald Friedrich Graf von Herzberg, der berühmte Miniſter Friedrich des Großen, hatte eine ebenſo niedrige und zurückliegende Stirn wie ſein königlicher Herr. Der mit ſeinem Lobe ſo karge Friedrich ſpendete ihm die höchſte An- erkennung für ſeine Umſicht und Klugheit in den bekannten Si zye œ . > Worten: Je Vous félicite — vous avez fait la paix, Comme jai fait la guerre: un contre plusieurs! — Das Original der Fig. 62 ift von Chodowiecki. Auch das großartige Mannweib Katharina II. von Rußland trug eine Stirn, welche das gewöhnliche Maaß nicht erreichte. — Fig. 63 iſt ebenfalls die Copie eines Bildes von Chodowiecki. Beiläufig hat eine Stirn das gewöhnliche Maaß, wenn ſie den dritten Theil der Geſichtslänge einnimmt; es bildet dann die Parthie von der Kinnſpitze bis zum Naſenanfange das erſte Drittel, die Parthie von dem Nafenanfange bis zu den Augenbrauen das zweite Drittel, und die Parthie von den Augenbrauen bis zum Haaranfange das letzte Drittel der Geſichtslänge. 142 Dem berühmteſten unferer Zeitgenoſſen, Napoleon TIL, würde kein Phrenologe ein günſtiges Prognosticon geſtellt haben; auf ſeiner kurzen und zurückweichenden Stirn iſt Schluß⸗ und Vergleichungsvermögen nur ſpäͤrlich vertreten, und es wäre leicht, jeden Augenblick unter Gevatter Schneider und Handſchuhmacher unvergleichlich hoffnungsvollere Stirnen aufzuweiſen. Napoleon J. erfreute ſich bekanntlich einer ge— waltigen, hochgewölbten Stirn“) und die Phrenologen ver ſäumen auch nicht, dieſes ihr Prachteremplar gehörig in den Vordergrund zu ſtellen. Nichtsdeſtoweniger hat der kleinbe— ſtirnte Napoleon III. in den ſchwierigſten Zeiten und Ber- hältniſſen ſich mindeſtens mit eben ſo viel Einſicht und Um— ſicht benommen, wie ſein hochbeſtirnter Onkel Napoleon L Wie es einerſeits leicht fein würde, die Beiſpiele be liebig zu vermehren, welche beweiſen, daß begabte Menſchen ſich keineswegs immer durch ſehr hohe und gewölbte Stirnen auszeichnen, daß ſie meiſtentheils eine gewöhnlich gebildete, oft eine ungewöhnlich kleine Stirn tragen, ſo wird es an— dererſeits Jedem leicht fein, in feiner Umgebung und Be kanntſchaft fich zu überzeugen, daß eine hohe Stirn feines- wegs immer auf hohe Geiſtesgaben ſchließen läßt. Beiläufig ſind bei den Mitgliedern der Oeſterreichiſchen Kaiſerfamilie hohe Stirnen erblich; bei ihnen wird der Phrenologe die ide— alen Stirnformen finden, welche er bei Shakespeare, Goethe u. A. vergebens ſuchte. Als Beiſpiel diene das Portrait des biedern Johann, des deutſchen Reichsverweſers ſeligen An— gedenkens. Fig. 64. > ) Dagegen überſchritt der Umfang feines Schädels nicht das gewöhnliche Maaß. 143 In neueſter Zeit hat man fich vielfach bemüht, die Schädelformen einer wiſſenſchaftlichen Unterſuchung und forg- fältigen Meſſung zu unterwerfen *) und verſucht, die Unter- ſchiede zwiſchen Affen- und Menſchen-Schädeln, ſowie zwiſchen den Schädeln verſchiedener Racen feſtzuſtellen. Doch die ge- wonnenen Reſultate find noch dürftig und unſicher, und keines- falls derart, daß es erlaubt wäre, von Schädelformen auf Geiſteseigenſchaften zu ſchließen. Man hat fich noch nicht einmal über eine allgemein gültige Methode der Schädel— meſſungen einigen können, weil alle bis jetzt vorgeſchlagenen ſich als mangelhaft herausgeſtellt haben. Der erſte, welcher den Verſuch gemacht hat, Regeln für Meſſungen des Schädels aufzuſtellen, war bekanntlich der Holländer Camper“ *). An der Profilanſicht eines Kopfes zog er eine Linie von dem Ohrloche bis zur Spitze des obern Randes des Oberkieferknochens, und von dieſem Punkte eine andere Linie zum hervortretendſten Punkte der Stirn- wölbung. Den zwiſchen dieſen beiden Linien liegenden Winkel nannte er den Geſichtswinkel und behauptete, daß die geiſtige Bedeutung an der Größe des Geſichtswinkels zu erkennen ſei. Der Geſichtswinkel des ſogenannten Todtenkopfes, des men- ſchenähnlichſten Affen, erreiche nur 42 Grad, der des Negers 70, der des Europäers 80 Grad. An den idealiſirten Statuen der alten Griechen aber, z. B. an dem Kopfe des Apollo ) Vergl. die Schriften von Retzius, Engel, Huſchke, Lucae, Morton, v. Baer, Huxley, Wagner, Welker, Vogt u. A. ) Peter Campers ſämmtliche kleinere Schriften herausgegeben von J. F. M. Herbell. Leipzig bei Siegfried Lebrecht Cruſius 1784. B. I. S. 15. —— — — — an — — at 22 ERE N Di rien vč A mtn — z * 144 Pythius finde man, als Ausdruck höchſten Geiſtesadels, einen Winkel von 100 Graden. Wie unrichtig es aber iſt, aus der Größe des Gesichts winkels einen Schluß auf die Größe der Intelligenz ziehen zu wollen, das beweiſt ſchon die Thatſache, daß bei dem Kinde der Geſichtswinkel bedeutender iſt als beim Erwachſenen, und außerdem genügt ein Blick auf das Profil Friedrich des Großen (Fig. 58), um die Unbrauchbarkeit der Camz per'ſchen Methode und die Unrichtigkeit ſeiner Hypotheſe augenſcheinlich zu machen. Bekannt iſt der Scherz, eine ſehr kenntliche, wenn auch carrikirte Silhouette Friedrich's des Großen zwiſchen zwei Linien zu zeichnen, welche in einem Winkel von etwa 115 Graden zuſammenſtoßen. Der Ge— ſichtswinkel eines ſolchen Portraits würde etwa 50 Grad betragen, alſo dem Geſichtswinkel des Affen noch weit näher ſtehn, als dem des Negers. Die Unwahrſcheinlichkeit, von Schädelformen s. Geiſtes⸗ eigenſchaften ſchließen zu können, ſcheint durch Profeſſor Welker's ſorgfältige und zahlreiche Schädelmeſſungen nur bekräftigt zu werden. Er hat gezeigt, daß die Schädel der verſchiedenen Racen und Völker zwiſchen zwei ertremen Jo men, den Kurzköpfen und den Langköpfen ſchwanken. Zu den ausgeſprochenſten Kurzköpfen rechnet er die Lappen, Rafaffaren, Madureſen, Baſchkiren, Türken und Reus italiener, zu den entſchiedenen Langköpfen die Nukahiver, Hindus, Eskimos, Neger, Auſtralneger, Kaffern, Buſchmänner und Hottentotten. Daß weder die eine noch die andre Form eine Anwartſchaft auf Genialität giebt, geht daraus hervor, daß auf der einen, wie auf der andern Seite Völkerſchaften aufgeführt find, welche ziemlich auf Der > - s — m e ni 145 jelben Stufe der Cultur und Culturfähigkeit ſtehen. Die Baſchkiren zeichnen ſich vor den Hindus, die Makaſſaren vor den Nukahivern, die Lappen vor den Eskimos weder durch größere Genialität noch Beſtialität beſonders aus. Zwiſchen den Kurzköpfen und Langköpfen ſtehn die Mittelköpfe. Es ſind dies die Deutſchen, Ruſſen, Buggeſen, Suma— traner, Kalmücken, Javaner, Franzoſen, Koſacken, Juden, Zigeuner, Molukkeſen, Indianer, Chineſen, Finnen, Altgriechen, Altrömer, Braſilianer, Hollän— der. Die erſten ſtehen den Kurzköpfen, die letzten den Lang⸗ köpfen am nächſten. Es braucht kaum darauf hingewieſen zu werden, wie auch aus dieſer Tabelle die Bedeutungsloſigkeit der Schädelformen hervorgeht. Je mehr ein Schädel langköpfig iſt, deſto mehr nähert er ſich dem Neger- und dem Affen⸗ Typus, und doch ſtehen die hocheultivirten und geiſtvollen alten Griechen und Römer unter den langköpfigen aufgeführt. Solche Thatſachen zeigen, daß man von verſchiedenen Schädel⸗ formen nicht auf verſchiedenartigen Inhalt ſchließen darf, ſondern daß gleichartige Gehirne in verſchiedengeformten Schädelhöhlen eingeſchloſſen liegen können. ITI. Rückblick. A Aus dem, was bis jetzt über die Theorien von Ari- ſtoteles, Lavater, Gall u. A. geſagt wurde, geht hervor, wie unwahrſcheinlich es iſt, daß man jemals dahin kommen wird, in den feſten Formen des Körpers Merkmale für Cigen- ſchaften des Geiſtes zu finden. Um übrigens die Frage voll— ſtändig zu erledigen, würde es nöthig ſein, nicht ſowohl mit der Unterſuchung der vielfach durcheinander gemiſchten Nationen Europas zu beginnen, deren Individuen alle möglichen Ab- ſtufungen ertremer Formen zeigen, und deren fundamentale Geiſtesverſchiedenheiten unter dem allgemeinen Firniß der Cultur ſchwer zu erkennen ſind, als vielmehr Völkerſchaften aufzu— ſuchen, unter denen ein beſtimmter Typus der feſten Formen allgemein iſt, deren Individuen unter einander eine auffallende Aehnlichkeit zeigen. Bände man bei dieſen auch geiftige Eigen- thümlichkeiten allgemein verbreitet, ſo könnte man alsdann ſolche Anhaltspunkte auf die practifche Probe ſtellen, und unter ſuchen, ob auch bei andern Völkern und Individuen dieſelbe Knochenform mit derſelben Geiſtesart verbunden gefunden werde. 147 Doch ift das Material für eine ſolche Arbeit noch äußerſt mangel⸗ haft; wir haben bis jetzt nur vereinzelte Beobachtungen, wie 3. B., daß die Chineſen und Japanefen ſchief ſtehende Augen haben, daß die americaniſchen Rothhäute ſich durch eine ſcharf— kantige, ſchmale, vorſpringende Adlernaſe auszeichnen, daß die Nomaden im Innern von Aſien ein breites, viereckiges Kinn, die Semiten dagegen ein ſpitz zulaufendes und endlich die Neger ein affenartiges Kinn haben, welches kaum eine Hervorragung be— merken läßt. Auch die Haarbekleidung iſt characteriſtiſch ver— ſchieden bei verſchiedenen Nacen, und Isidore Geoffroy St. Hilaire unterſcheidet danach ſchlichthaarige (Leiotrichi) und wollhaarige (Ulotrichi) Menſchen; zu erſteren zählt er die meiſten weißen, gelben, braunen und rothen Nacen, zu letztern die Neger, Negritos, Hottentotten und Buſchmänner. Am vollſtändigſten unterſucht ſind die Formeneigenthümlichkeiten der Neger, einer Mace, welche in vielen Beziehungen den menſchenähnlichen Affen ſo nahe ſteht, daß man ſie als Ueber— gangsform zwiſchen die Affen und Menſchen geſtellt hat. Wie ſchon früher bemerkt wurde, iſt der Negerſchädel der reinſte Typus der Langſchädel; die Stirnhöcker oberhalb der Augen ſind wenig ausgebildet, die Stirn iſt zurückliegend und platt, die Naſenwurzel breit, die Schläfengruben tief gehöhlt, die Scheitelbeine find größer als das Stirnbein und das Hinter- hauptbein. Der Geſichtsſchädel iſt außerordentlich groß im Verhältniß zum Gehirnſchädel, während dagegen beim Weißen der Geſichtsſchädel nur ein Anhang des außerordentlich ent— wickelten Gehirnſchädels iſt, die Naſenbeine ſind kurz, ſchmal und viereckig, die Naſenöffnung iſt mehr breit als hoch, die Ohren ſind auffallend klein, abſtehend, dick und knorpelig, der Ober— kiefer iſt ſchnauzenförmig vorſtehend und ein Kinn kaum por- 10* handen. Und nicht nur in der Form des Kopfes, ſondern auch in der Bildung der übrigen Körpertheile zeigt der Neger eine verdächtige Aehnlichkeit mit den menſchenähnlichen Affen, mit dem Orang, dem Chimpanſe und Goril *). Mber diefe That- ſachen haben für die Phyſtognomik geringen Werth, es hat affenähnliche Neger gegeben, welche durch Edelſinn und Klugheit ihre weißen Peiniger in Erſtaunen geſetzt und beſchämt haben, und es giebt Weiße, welche, trotz griechiſcher Geſichtszuge, den Affen in Narrheit und roher Lüſternheit wenig nachſtehen. Phyſiognomiſche Merkmale darf man nur an den Theilen ſuchen, welche unter dem Einfluſſe der Geiſtes— thätigkeit ſtehn. Dieſe Theile aber ſind die Muskeln und vorzugsweiſe die zahlreichen und beweglichen Muskeln des Geſichts **). Die vorübergehenden, mimiſchen Bewegun— *) Vergl. Karl Vogt: Vorleſungen über den Menſchen. B. 1. S. 219. *) Die Unterſuchung in wie weit die Haltung und Bewegung andrer Mus- keln, in wie weit die Haltung und Bewegung des Kopfes, der Extremitäten und des Rumpfes Schlüſſe auf die Beſchäftigung oder Sinnesart eines Menſchen ge ſtatten, liegt nicht im Bereiche dieſer Arbeit. Es ſei hier nur hingewieſen auf die characteriſtiſche ſtraffe Körperhaltung der Soldaten, auf den eigenthümlichen Gang der Seeleute und Cavalleriſten, die gezierten Bewegungen der Tanzmeiſter, die hochgezogenen Schultern der Schmiede u. ſ. w. Ueber den Gang ſagt Dr. Zimmermann in ſeinem Buche: Der Menſch: „Unter den Fußgängern legt ein ſehr bedeutender Bruchtheil entweder zu viel Werth oder zu wenig auf ſeine Bewegungen. Die erſten gehn mit zierigen Schritten aufgeblaſen einher, — wir werden uns zu derartigen Perſönlichkeiten nicht hingezogen fühlen; die andren wiederum ſchlottern und tändeln nachläſſig und verdroſſen dahin, — auch ſie werden uns kein Vertrauen einflößen, wir werden uns wohl bedenken, ihnen die Leitung unſrer Angelegenheiten zu iiber: tragen und ſie den ernſten Aufgaben des Lebens nicht gewachſen betrachten. Sehn wir dagegen Jemand, der durch die Feſtigkeit und Sicherheit ſeines Tritts und durch die regelmäßige Aufeinanderfolge ſeiner Bewegungen zeigt, daß er ſich ſeiner Würde und des ihm zukommenden Grades von Achtung bewußt iſt, ſo fühlen wir unwillkührlich, daß ein ſolcher Mann ſeiner Beſtimmung, ſeinem Berufe thatkräftig, mit Einſicht und Pünktlichkeit nachkommen wird. Daß wir 149 gen dieſer Muskeln, die mimiſchen Züge werden durch häufige Wiederholung zu bleibenden, zu phyſiognomiſchen Zügen, und ein phyſiognomiſcher Ausdruck iſt anzuſehn als ein habituell gewordener mimiſcher Ausdruck“). Dieſer Grundſatz unbewußt ein ſolches Wechſelverhältniß zwiſchen dem Gange und Charakter des Menſchen annehmen, und zwar mit Grund, liegt in der Thatſache, daß die ver— ſchiedenen Bewegungen beim Gehn unter der Aufſicht und Leitung des unabläſſig auf ſie einwirkenden Willens ſtehn. Den frappanteſten Beweis hierfür liefert der Gang der Idioten und Trunkenbolde. Die Bewegungen der Idioten ſind meiſt unregelmäßig, ohne Uebereinſtimmung, ruckweiſe, ohne Takt und Halt. Ebenſo beim Trunkenbolde. Er hat noch genug Willenskraft, die Maſchine in Gang zu bringen, aber nicht genug, um ſie zu überſchauen und zu regeln. Die Kraft, das Gleichgewicht zu erhalten, ging in der That verloren, die Füße werden hin und her geſchleudert, fie folgen in ungewiſſen Zeiträumen und bes ſchreiben auf dem Boden eine gerade Linie.“ ; Kruſenſtolpe (der Ruſſiſche Hof. B. 8, 131) ſchildert die äußere Er- ſcheinung Schamyl's und ſagt dabei: „die ſcheinbare Unbeweglichkeit ſeiner Arme beim Gehn deutet auf feinen entſchloſſenen Charakter hin.“ Beiläufig ſei hier auch erwähnt, daß Lichtenberg noch eine andre Methode des Menſchenſtudiums empfiehlt. Er ſagt (B. III. S. 518): „Nützlicher wäre ein andrer Weg, den Charakter der Menſchen zu erforſchen, und der ſich viel— leicht wiſſenſchaftlich behandeln ließe; nemlich aus bekannten Handlungen eines Menſchen, und die zu verbergen er keine Urſache zu haben glaubt, Andres, nicht Eingeſtandenes zu finden, eine Wiſſenſchaft, welche Leute von Welt in einem höheren Grade beſitzen, als die armen Tröpfe glauben können, die ihr Opfer täglich werden. So ſchließt man von Ordnung in der Wohnſtube auf Ordnung im Kopfe, von ſcharfem Augenmaaß anf richtigen Verſtand, von Farben und Schnitt der Kleider in gewiſſen Jahren auf den ganzen Charakter mit größerer Gewißheit als aus hundert Silhouetten, aus hundert Seiten von eben demſelben Kopfe. Wer ſagt: „Ich bin ein hitziger Kopf, wenn ich anfange,“ iſt ein gutes Lamm, und der fromme Schwärmer, der jeden Augenblick ausruft: „Ich bin ein ſchwaches Werkzeug,“ würde ſich unverſöhnlich beleidigt glauben, wenn man ihm antwortete: „Das haben wir längſt gedacht.“ Verſchwiegenheit hat unzertrennlich verſchwiſterte Tugenden. Wer gegen ſein Geſinde gut iſt, iſt meiſtens im Grunde gut.“ d *) Selbſt Lichtenberg, der erbitterte Gegner Lavater’ s, billigt eine ſolche Behandlungsweiſe der Phyſiognomik, indem er (B. III. S. 516 und 517) ſagt: „Talent und überhaupt die Gaben des Geiſtes haben kein Zeichen in den feſten Theilen des Kopfes. Dieſes zu beweiſen, muß man den ausgeſuchten Sil⸗ 150 ſtützt ſich auf die phyſiologiſche Thatſache, daß Muskeln, wel⸗ che häufig in Spannung geſetzt werden, ſich kräftiger ausbilden, leichter erregbar werden, und auch im Zuſtande der Ruhe in einer gewiſſen Spannung verharren). houetten von denkenden Köpfen auch ausgeſuchte von nicht denkenden Köpfen und Narren beifügen . . .. Die wirkenden Leidenſchaften haben zwar ihre Zeichen und laſſen oft merkliche Spuren zurück, das iſt unleugbar, und daher rührt das, was die Phyſiognomik Wahres hat.“ Und ferner (B. III. S. 481) „die patho⸗ gnomiſchen (leidenſchaftlichen) Zeichen, oft wiederholt, verſchwinden nicht allemal völlig wieder, und laſſen phyſiognomiſche Eindrücke zurück.“ Ebenſo Gregorius (Conspect. Med. Theoretic.): „Animi imprimis affectus, ira, gaudium, moeror, metus,: amor, odium, certos motus in musculis exci- tant, praesertim vultus; guo fit ut singuli sese in ore exprimant, plusguam Phidiaca arte; diuturni, et graves, et saepe repetiti fortius et constantius depinguntur, dificillime delendi: hine saepe iracundiae imago, ubi nulla ira est; hoc fundamento nititur ars Physiognomonis* Vergl. M. J. Chapman: De affectibus animi. Edinburgi 1820. In ähnlicher Weiſe äußert [id auch Pernetty (La connaissance de Phomme moral par Phomme physique, par PAbbé A. J. Pernetty. Berlin 1777. 8. 397) »Quand on a bien gravé dans sa mémoire et bien imprimé dans son imagi- nation le portrait d'un homme actuellement dans Paccès de colère, par exemple, il ne sera pas difficile d'en reconnäitre au premier coup d’oeil, les traits distinctifs et caractéristiques, quoique plus adoucis, et moins frap- pans sur le visage d'un homme qui en a Vhabitude, ou qui y a simplément du penchant, mais qui n'est pas dans Pacces. — Il en est de même des autres affections de l'áme; elles se peignent sur le visage, et y impriment, par leurs accès répétés, ces linéamens on traits caractéristiques qui leur sont propres. Accoutumez Vous done & considérer et & Vous imprimer dans la mémoire les traits d'un homme en colére, ceux d'un homme en fureur, d'un homme craintif, d'un soucienx, d'un pusillanime, d'un jaloux, d'un homme port6 a la debauche dans quelque genre que ce soit. Pernetty legt alſo auf die Leidenſchaften als Urſachen phyſiognomiſcher Züge ein großes Gewicht, aber er nimmt die Veränderungen der Geſichtszüge durch Leidenſchaften als Thatſachen hin, ohne ſie in ihren Einzelnheiten zu ver— folgen, ohne eine Erklärung zu verſuchen, warum und wie gewiſſe Geſichts— muskeln durch gewiſſe Geiſteszuſtände in Spannung verſetzt werden. *) Daß die Muskeln durch Uebung kräftiger ausgebildet werden, zeigen die Armmuskeln der Schmiede, die Wadenmuskeln der Bergbewohner ze. Daß die Muskeln auch im Zuſtande der Ruhe ſich in einer gewiſſen Spannung befinden, In den folgenden Blättern find nun die phyſiognomiſchen Reſultate der mimiſchen Unterſuchungen überſichtlich zufammen- geſtellt, um ihre practiſche Bedeutung näher zu erläutern. ſieht man am augenſcheinlichſten bei Menſchen, denen eine Geſichtshälfte gelähmt iſt. Da die gelähmten Muskeln vollſtändig erſchlafft ſind, ſo wird durch die natürliche Spannung (durch den ſogenannten Muskeltonus) der andern Geſichts⸗ hälfte das Geſicht ſchief gezogen. . o ve ptt = CA — — = N mn un ae. eh N — = A — Be —— — — IV. | Phyſtognomik der Geſichtsmuskeln. r Schon in der Einleitung wurde bemerkt, daß Mancher in dem phyſiognomiſchen Theile eine größere nutzbare Aus— beute ſuchen und erwarten werde, als es, der Natur der Sache nach, möglich ſei. Wenn die in dem erſten Theile angeführten mimiſchen Muskelbewegungen die einzigen Urſachen wären, welche zur Ausbildung phyſiognomiſcher Züge Veranlaſſung geben können, fo würde allerdings die practiſche Anwendung der vom Verf. aufgeſtellten phyſiognomiſchen Regeln eine ebenſo einfache wie zuverläſſige ſein. Doch giebt es noch andre Urſachen, welche vorübergehende Bewegungen der Geſichtsmuskeln und, durch öftere Wiederholung, eine phyſiognomiſche Veränderung der Geſichtszüge veranlaſſen können. Dieſe Urſachen richtig zu erkennen und zu würdigen, iſt nicht immer leicht, aber durchaus erforderlich, ehe man wagen darf, aus der Phyſtognomie eines Menſchen auf ſeine geiſtigen Eigenſchaften zu ſchließen. 153 Hierbei müſſen zunächſt und hauptſächlich körperliche Leiden und Krankheiten berückſichtigt werden. Welchen Einfluß ſie auf die Entſtehung einzelner phyſiognomiſcher Züge haben können, wird in den folgenden Blättern an den betreffenden Stellen näher erörtert werden. Alsdann ſind es gewiſſe äußere Urſachen, welche zu häufigen Bewegungen der Geſichtsmuskeln und zur Entſtehung phyſtognomiſcher Züge und Falten Veranlaſſung geben können. Menſchen z. B., welche wiel in freier Luft arbeiten, welche von Wind, Staub, Kälte und grellem Sonnenlicht zu leiden haben, Kutſcher, Kärrner, Fiſcher, Schiffer, Jäger, Förſter, Hirten, Laſtträger, Ackerbauer x. haben gewöhnlich ein ſehr runzliges Geſicht. Unter dieſen tiefgefurchten Zügen, welche das Leben mit rauher Hand eingegraben hat, die feinen Schrift— züge der Seele zu erkennen und zu entziffern, wird auch dem aufmerkſamſten und geübteſten Auge oft nicht möglich ſein. Eine andre, allerdings weniger häufige und weniger be— deutende Urſache, durch welche die Phyſiognomie verändert werden kann, liegt in der Gewohnheit, welche einige Men— ſchen haben, bei ihren Arbeiten Grimaſſen zu ſchneiden. Beim Schreiben, Zeichnen, Malen, Meißeln, Klavierſpielen 2. verzerren manche Menſchen ihr Geſicht auf die drolligſte Weiſe, und um ſo heftiger, je aufmerkſamer und je angeſtrengter ſie arbeiten. Noch Andre verzerren ihr Geſicht ohne alle Veran— laſſung. Die üble Angewohnheit, gewiſſe Geſichtsmuskeln krampfhaft zu bewegen, z. B. mit einem Mundwinkel zu zucken, oder die Augenbrauen in die Höhe zu ziehen, iſt ihnen ſo zur andern Natur geworden, daß ſie ihr Geſicht kaum für Momente ruhig zu halten vermögen. Solche Angewohnheiten laſſen ſich natürlich ſchon nach einer kurzen Unterredung und 154 Beobachtung herausfinden, und leicht der Antheil bemeſſen, welchen ſie an der Ausbildung des phyſiognomiſchen Ausdrucks gehabt haben. Ferner ſind es gewiſſe e Beſchäftigungen, welche eine beſondere Anſtrengung einzelner Geſichtsmuskeln erfordern. Indem ſolche Muskeln häufig und dauernd in Thätigkeit geſetzt werden, und ſich durch Uebung beſonders kräftig ent— wickeln und ausbilden, kann die Phyſiognomie in eigenthüm⸗ licher Weiſe verändert werden. Uhrmacher, Mikroskopiker, Aftronomen ꝛc., Menſchen, welche mit. großer Anſtrengung und Aufmerkſamkeit kleine oder undeutliche Dinge klar zu ſehn ſich bemühn, bilden vorzugsweiſe diejenigen Geſichtsmuskeln aus, welche das Sehen unterſtützen; Muſiker dagegen, welche Blasinſtrumente ſpielen (Flötenſpieler, Trompetenbläſer ꝛc.), üben vorzugsweiſe ihre Mundmuskeln. Ein andres nicht zu überſehendes Moment bei der Ent— ſtehung phyſiognomiſcher Züge it der Nachahmungstrieb der Menſchen. Lichtenberg macht darüber (Bd. III. S. 484) folgende treffende Bemerkungen: „Nachäffung und Beſtreben ſeine Oberfläche der Oberfläche berühmter, bewunderter und beliebter Menſchen ähnlich zu machen, ihre Fehler und lächer— lichen, ja böſen Angewohnheiten nachzuahmen, bringt erſtaun— liche Revolutionen auf dem Geſichte hervor, die ſich gar nicht bis in das Herz oder den Kopf erſtrecken. So werden Kopf— hängen, hochweiſes Stirnrunzeln, Liſpeln, Stammen, Gang, Stimme, die horchende Kopfhaltung, das kurzſichtige, gelehrte Blinzeln, vornehmes Truͤbſehn, empfindſame Melancholie, leichtfertige Lebhaftigkeit, das bedeutende Augenzwinkern und die ſatiriſche Miene Andren nachgethan ſo gut als das Gähnen; von Einigen vorſätzlich und vorm Spiegel ſtudirt, 155 von Andren, ohne daß fie es wiſſen Der Verf. hat einen jungen vortrefflichen Menſchen gekannt, der ſich in Ge— ſellſchaft eines berühmten Mannes ein decifives Aufwerfen des Kopfes und verachtendes Herabziehen des Mundes angewöhnt, hatte, das ihm gar nicht von Herzen ging, und ſich auch wieder abgewöhnte doch bleiben pathognomiſche Aus- drücke allemal eine Sprache für die Augen.“ Von ganz beſonderer Wichtigkeit für die Ausbildung phyſiognomiſcher Züge ift aber das Temperament, die Fettigkeit und das Alter eines Menſchen. Laſſen wir das melancholiſche Temperament, als Ausdruck einer körperlichen Verſtimmung, unberückſichtigt, fo finden wir den geiſtig leicht erregbaren Sanguiniker mit beweglichen Geſichtszügen. Seine Geiſteszuſtände aber, flüchtig wie ſie ſind, verurſachen eine ebenſo flüchtige Wirkung in den Ge— ſichtsmuskeln, ſo daß die Phyſiognomie ohne markirte Züge bleibt. Das ſanguine Temperament iſt vorzugsweiſe dem weiblichen Geſchlechte eigen, das choleriſche dem männlichen. Das zähere Weſen des Cholerikers bedingt ein längeres Haften der Geiſteszuſtände; die Wirkungen derſelben auf die Geſichtszüge find deshalb nachhaltiger, feine Phyſiognomie iſt ausgeprägter. Der Geiſt des Phlegmatikers iſt weder leicht noch nachhaltig erregbar, ſeine Phyſiognomie wird deshalb ſowohl mimiſch wie phyſiognomiſch wenig verändert. Das phlegmatiſche Temperament iſt übrigens kaum ein Temperament zu nennen; es iſt die Negation der beiden vorigen, und findet ſich ebenſowohl bei Männern wie bei Weibern. Von weſentlichem Einfluß auf die Ausbildung phyſio— gnomiſcher Züge iſt ferner der größere oder geringere Fett— reichthum eines Menſchen. Fette Leute haben oft ausdrucks— 156 loſe Gefichter, weil unter dem deckenden Fettpolſter die größere Straffheit einzelner Muskeln ſchwerer hervortritt, weil Geſichts— falten ſelten erſcheinen und raſch wieder verſchwinden. Magere Menſchen dagegen haben gewöhnlich ſcharf ausgeprägte Ge- ftehtszitge. Lichtenberg jagt (II. 185): „Es giebt Leute, die ſo fette Geſichter haben, daß ſie unter dem Speck lachen können, daß der größte phyſiognomiſche Zauberer nichts davon gewahr wird, da wir arme, winddürre Geſchöpfe, denen die Seele unmittelbar unter der Epidermis ſitzt, immer die Sprache ſprechen, worin man nicht lügen kann.“ Daß endlich bei alten Menſchen die phyſiognomiſchen Züge ausgeprägter find als bei jugendlichen, hat ſeinen Grund nicht allein darin, daß (caeteris paribus) ein beſtimmter Geſichtsausdruck ſich bei jenen häufiger wiederholt hat als bei dieſen, ſondern auch darin, daß im Alter die Haut brüchiger, weniger elaſtiſch ift als in der Jugend, daß mithin die PHY- ſiognomiſchen Geſichtsfalten ſich leichter entwickeln und tiefer ausprägen. | Jugendliche Geſichter zeigen oft fo wenige und fo un— deutliche phyſiognomiſche Merkmale, daß ſelbſt ein geübter Phyſiognomiker darin keine brauchbaren Anhaltspunkte finden wird, um ſein Urtheil zu leiten. In ſolchen Fällen gilt das alte, wahre Wort des Socrates: „Rede, damit ich dich ſehe!“ Während der Rede beleben ſich die Geſichtszüge, und wer ſich gewöhnt hat, die mimiſchen Bewegungen der Geſichtsmuskeln aufmerkſam zu beobachten, wer es gelernt hat, dieſe ſtumme Sprache des Geiſtes richtig zu verſtehen, der wird weit weniger leicht getäuſcht werden als der, wel— cher nur auf die geſprochenen Worte horcht. Im Verkehr mit den Menſchen iſt es wichtiger und nützlicher, das 157 flüchtige Spiel der Mienen zu beachten, als die phy— ſiognomiſch ausgeprägten Züge zu ſtudiren. Ein ver— ſtecktes Lächeln, ein ſchmerzliches Zucken, ein lauernder Blick wird dem aufmerkſamen Beobachter oft mehr verrathen, als Worte fagen können, er wird in ſolchen flüchtigen, unwill— kürlichen Muskelbewegungen am ſicherſten erkennen, ob er der Rede Glauben ſchenken darf oder nicht. Jeſus Sirach ſagt (XIX. 26): „Ein Vernünftiger merkt den Mann an ſeinen Geberden!“ und mit vollem Rechte behauptet Leibnitz: „Wenn die Menſchen eifriger beobachteten und ſtudirten, von welchen äußeren Bewegungen die Leidenſchaften begleitet werden, ſo würde es ſchwer fein, fich zu verſtellen.““) Aber nicht allein in den augenblicklichen Geiſteszuſtand eines Menſchen erlaubt das Mienenſpiel einen ſichern Einblick, auch ſeine individuelle Eigenthümlichkeit läßt ſich bis zu einem gewiſſen Grade daraus errathen. Bei jugendlichen Ge- ſichtern, in welchen characteriſtiſche, phyſiognomiſche Züge fich noch nicht ausgebildet haben, iſt man faſt ausſchließlich auf die Beobachtung ſolcher Merkmale angewieſen. Wenn nämlich, bei lebhafter Rede, gewiſſe mimiſche Geſichtsbewegungen ſich unverhältnißmäßig oft und bei geringfügigen Veranlaſſungen wiederholen, fo darf man überzeugt ſein, daß dieſe mimi- ſchen Züge ſich nach und nach, durch häufige Wieder— holung, zu phyſiognomiſchen ausbilden werden, und man wird bei der Beurtheilung eines Menſchen ſelten fehl gehn, wenn man ſolchen mimiſchen Zeichen eine phyſiogno⸗ miſche Bedeutung beimißt. Ein ungewöhnlich häufiges Zucken *) Della Fisiognomia umana. Dissertazione inaugurale da M. A. Cavalli. Milano 1846. S. 30 u. f. 158 der Oberlippenheber (vergl. S. 72) z. B. läßt darauf ſchließen, daß der Menſch leicht erbittert wird, alſo wenig umgänglich iſt; ein ungewöhnlich häufiges Zuſammenkneifen der Lippen deutet auf Eigenſinn u. f. w.; überhaupt aber darf man am nehmen, daß ein Menſch um ſo lebhafter und leidenſchaft— licher iſt, je lebhafter das Mienenſpiel erſcheint, mit dem er ſeine Rede begleitet. Es wurde früher der Grundſatz aufgeſtellt, daß die phyſtognomiſchen Züge anzuſehen find als bleibend gewordene mimiſche Züge. Es läßt ſich aber zwiſchen beiden eine ſtrenge Grenze kaum ziehn. Es giebt zwiſchen beiden gewiſſe Mit telſtufen, Züge, welche conſtanter ſind als die mimiſchen, und doch nicht jo conftant wie die eigentlich phyſiognomiſchen. Dahin dürften z. B. diejenigen zu rechnen ſein, welche wäh⸗ rend acuter, ſchmerzhafter Krankheiten auftreten. Leiden brin- gen auf der Stirn ſenkrechte Stirnfalten, am Munde den Ausdruck der Bitterkeit hervor, und junge Leute können Das durch ein ältliches Ausſehen bekommen, zumal wenn das Geſicht abgemagert tft, und dadurch die Züge um fo mar kirter erſcheinen. In der Reconvalescenz, unter den ſchwellen— den Formen (unter der wieder ſtattfindenden Fettablagerung in den Geweben) verſchwinden ſolche Falten dann allmählig. Es giebt ferner Züge, welche nur Stunden oder Tage bleiben, und dann wieder verſchwinden. Solche Züge und Falten richtig zu würdigen, iſt im Umgange mit Menſchen von nicht zu unterſchätzendem Werthe. Wenn z. B. Jemand am Mor gen einen heftigen Aerger gehabt hat, ſo werden die Falten des Zorns auf ſeiner Stirn noch am Nachmittage ſehr Deutz lich ſichtbar fein. Hat man nun mit einem Menſchen Wiel tiges zu verhandeln, hängt von ſeiner augenblicklichen Stim— „ - N sen seen ce e ———— n mn. — — — — = n à 159 mung vielleicht die Erreichung eines Zwecks, die Erfüllung einer Bitte ab, und ſieht man auf ſeiner Stirn ſenkrechte Falten ausgeprägt, die man dort ſonſt nicht bemerkt hatte, ſo ſchiebe man die Unterredung auf, und komme zu gelegener Zeit wieder. So lange die Falten auf der Stirn nicht ver ſchwunden ſind, wird auch die Mißſtimmung nicht völlig verklungen ſein, welche jene hervorrief. Es ſind nun im Folgenden die im mimiſchen Theile zerſtreut ſtehenden phyſtognomiſchen Bemerkungen zu einem ſelbſtſtändigen Ganzen zuſammengefaßt worden. Während die phyſtognomiſchen Bemerkungen in dem erſten Theile nur als Nebenſätze erſchienen, bilden ſie die Hauptſätze des zweiten Theils und finden hier ihre nähere Ausführung und Grláu= terung. Durch eine überſichtliche Zuſammenſtellung aller der phyſiognomiſchen Reſultate, welche fich aus den Unterſuchun— gen des Verf. ergeben haben, wird den Liebhabern der Phy— ſiognomik eine bequeme Gelegenheit geboten, die practifche Anwendbarkeit der darin aufgeſtellten Grundſätze zu prüfen. Die ſtark ausgeprägten phyſiognomiſchen Züge werden jedem aufmerkſamen Beobachter kenntlich und verſtändlich ſein, um aber die feineren Nüancen des phyſiognomiſchen Geſichts— ausdrucks richtig zu würdigen, ift ein gewiſſes phyſiognomi— ſches Talent, eine gewiſſe Beobachtungsgabe, ein gewiſſer Tact erforderlich. Wie es Menſchen giebt, welche die Schön— heiten muſikaliſcher Harmonien wenig zu würdigen wiſſen und leichte Disharmonien kaum bemerken, ſo giebt es auch Menſchen, welche die leichteren Störungen in der Harmonie der menſchlichen Geſichtszüge nicht zu entdecken vermögen, während Andere ſelbſt für die unbedeutendſten Veränderungen ein ſcharfes Auge haben. Wem ſolche Begabung vollſtändig fehlt, wird durch das Studium der phyſiognomiſchen Regeln ebenſo wenig zum Phyſiognomiker werden, wie er durch das Studium des Generalbaſſes zum Muſiker werden kann.) Schließlich ſei noch bemerkt, daß man ſich in ſeinem phyſiognomiſchen Urtheile manchmal leiten und täuſchen läßt, weil ein Menſch eine gewiſſe Aehnlichkeit mit einem an— deren beſitzt, den man früher gekannt und geliebt oder ge— haßt hat. Wenn man z. B. von einem Menſchen betrogen worden iſt, und man trifft im ſpäteren Leben auf Jemanden, der dieſem Menſchen ähnlich ſieht, ſo wird man Mißtrauen gegen ihn empfinden, ſei es, daß man ſich der Aehnlichkeit bewußt iſt oder nicht. Lichtenberg ſagt in dieſer Beziehung ganz richtig (B. III. S. 453): „Das Geſicht eines Feindes verhäßlicht uns tauſend andere Geſichter, ſo wie hingegen die Mienen einer Geliebten wiederum Reiz über Tauſende verbreiten. So fanden Cartesius und Swift und ver muthlich unzählige Unbekannte das Schielen reizend, und ſo hat eine lispelnde Zunge, die in einem Juden, der uns um unfere Louisd'ors bringt, abſcheulich ift, vermuthlich man chen meiner Lefer um fein Herz gebracht. Ideen-Aſſociation erklärt eine Menge von Erſcheinungen in der Phyſtognomik.“ Nachdem nun in dem mimiſchen Theile gezeigt worden iſt welche Geiſteszuſtände in dem menſchlichen Geſichte zum Aus- druck kommen und durch häufige Wiederholung phyſiognomiſche Züge hervorrufen, nachdem ferner auf die vielfachen Täuſchun— „) Beiläufig die Bemerkung, daß die Beobachtung der mimiſchen und phyſiognomiſchen Geſichtszüge weſentlich erſchwert wird, wenn der Mund durch Bart, die Augen durch Brillen verdeckt find, denn Mund und Augen find ent ſcheidend für den mimiſchen und phyſiognomiſchen Ausdruck des Geſichtes, und wer ihn möglichſt zu verbergen wünſcht, trage Bart und Brille. 161 gen aufmerkſam gemacht worden ift, welche der Phyſiogno— miker zu vermeiden hat, wird der Leſer nicht mehr mit un- gerechtfertigten Anſprüchen an dieſen zweiten, phyſiognomiſchen Theil gehn, er wird die Grenzen phyſiognomiſcher Erkenntniß gelten laſſen, er wird nicht erwarten, daß man mit dieſem Buche in der Hand alle Geheimniſſe und Anlagen des Geiſtes auf dem Geſichte ableſen kann. Selten kann eine Wiſſen⸗ ſchaft alles Das leiſten und erfüllen, was die Menſchen von ihr wünſchen und erwarten, und fo wird der Verſtändige auch die Phyſiognomik nicht deshalb mißachten, weil ſie nicht Alles zu leiſten vermag, was anſpruchsvolle Träumer darin ſuchen, und was Lavater verſprochen hat. IVa. vun Phykoanomik der Augen. 1. Der Blick. A. Die Arten des Blicks, welche ſich durch den verſchiedenen Grad ihrer Beweglichkeit characteriſtren. a. Der müde und träge Blick. Wenn ein Menſch für gewöhnlich und ohne kör— perliche Urſache träge und träumeriſch blickt, ſo darf man auf Geiſtesträgheit und Gedankenarmuth ſchließen (vergl. S. 32). | 11 162 Ganz beſonders ſchlaff und träge ift der Blick der Blöd— ſinnigen. Man Hüte fih nun aber wohl, nach kurzem Zuſammen⸗ ſein, nach einmaliger Beobachtung ein raſches Urtheil zu fällen, denn träge wird die Bewegung der Augapfelmuskeln, ſelbſt bei dem geiſtreichſten Menſchen, wenn er körperlich er— ſchöpft, wenn er ſchlaftrunken iſt, und auch — wenn er ſich gelangweilt fühlt, wenn Umſtände ihn zwingen, zwiſchen Menſchen zu verweilen, deren Intereſſen er nicht theilt, deren Geſchwätz ihn aber verhindert, feinen eigenen Gedanken nah- zuhängen. Zimmermann in ſeinem Buche über die Cine ſamkeit ſagt: „Der weiſeſte Mann ſieht gerade ſo aus wie ein Dummkopf, wenn er lange Weile hat,“ und wenn das auf gut Deutſch heißen ſoll: „Der weiſeſte Mann, wenn er Langeweile hat, ſieht aus wie ein Dummkopf,“ fo hat er Recht. b. Der lebhafte Blick. Wer für gewöhnlich und ohne beſondere Veran- laffung raſch und lebhaft blickt, ift lebhaften und regſamen Geiſtes (vergl. S. 33). Denn die Lebhaftigkeit der Geiſtesthätigkeit, welche ſich in lebhaften Bewegungen der Augapfelmuskeln zu erkennen giebt, hängt nicht ſowohl von den erregenden Urſachen ab, als viel mehr von der Erregbarkeit des Geiſtes, von der angeborenen Dispoſition, vermöge welcher einige Menſchen leichter als andere durch Sinneseindrücke, Erinnerungen oder Reflexionen affteirt werden. | o Der feſte Blick. Wem ein fixirender, feſter Blick, d. h. eine eigen— thümlich ſtraffe Bewegung der Augapfelmuskeln eigen iſt, der beſitzt Energie, Energie im Handeln oder Denken, oder auch in Beiden (vergl. S. 33). Raſch und feſt zugleich iſt der Blick des Mannes, des kraftvollen, unerſchrockenen Mannes, der ſich den Herrn der Schöpfung nennt. Furchtlos und offnen Sinnes ſchaut er in der Welt umher, feſt und durchdringend haftet ſein Auge auf den Objecten, die in ſeinen Geſichtskreis fallen, raſch und ſuchend blickt er um ſich, nach immer neuem Stoff für ſeine nie befriedigte Forſchung und ſeine nie ermattende Thätigkeit. Unnatürlich feſt und unheimlich ſtechend iſt oft der Blick bei Wahnſinnigen, welche an firen Ideen leiden, deren Gei— ſtesthätigkeit durch eine krankhafte Vorſtellung vollſtändig ge— feſſelt und abſorbirt wird. d. Der ſanfte Blick deutet auf Sanftmüthigkeit (vergl. S. 34). Feſt iſt der Blick des Mannes, ſanft iſt der Blick des Weibes. Aber auch die pflanzenfreſſenden Thiere, die Kühe und Schafe haben den ſanften Blick, (und Homer nennt deshalb die Juno Bodruc — kuhäugig) während dagegen die fleiſchfreſſenden und reißenden Thiere einen feſten Blick zeigen. So naturgemäß es nun erſcheint, wenn das Weib, ſeiner Eigenthümlichkeit gemäß, janft, der Mann aber feſt und raſch blickt, ſo unnatürlich und unerquicklich iſt es, 11* : 164 wenn man die Rollen getaufeht ſieht. Ein Mann mit fan tem Blick macht den Eindruck weibiſcher Schwäche, ein Weib mit raſchem und feſtem Blick macht den Eindruck der Frechheit. e Der häufig umherſchweifende Blick läßt auf Mangel an Ausdauer, auf leichten Sinn aber auch auf Leichtſinn ſchließen (vergl. S. 34). Menſchen, deren Blick gewöhnlich ſchwankend und zer— ſtreut umhergleitet, pflegen in den Tag hineinzuleben ohne viel Ueberlegung und Nachdenken, und find felten im Stande, für lange Zeit ein Lebensziel feſt im Auge zu behalten und zu verfolgen. | £ Der unſtäte Blick iſt ſehr ſchüchternen und furchtſamen Naturen eigen, aber auch Menſchen, welche von ihrem böſen Ge— wiſſen geängſtigt werden (vergl. S. 34). Zuweilen ſind jedoch auch Krankheitszuſtände die Ur— ſache des unſtäten Blicks. Wenn nämlich die Augen ent zündet ſind, ſo werden ſie ſehr empfindlich gegen Lichtreize. Der Blick kann alsdann nicht lange auf einem Oegenftande verweilen und gleitet unruhig hin und her. Dieſen krank— haften, unſtäten Blick findet man beſonders bei ſerophulöſen Menſchen, welche häufig durch eine entzündliche Reizbarkeit der Augen geplagt werden, und welche durch ihren ſcheuen Blick manchmal Veranlaſſung zu Mißtrauen bei oberflächlich beobachtenden Menſchen geben. 165 B. Die Arten des Blicks, welche ſich durch ihre beſondere Nichtung characteriſtren. a. Der verſteckte Blick. Wenn der verſteckte Blick bei einem Menſchen habituell geworden iſt, ſo darf man annehmen, daß Mißtrauen ein Grundzug ſeines Characters iſt. (Fig. 2.) Vorzüglich häufig findet man den mißtrauiſchen Blick bei blöden, verlegenen Kindern, welche im Gefühle ihrer Schwäche alles Fremde fürchten. Ihre Weiſe, mit geſenktem Kopfe auf— wärts und zur Seite zu blicken, nennt man: „unter dem Berge hergucken.“ Mit der wachſenden Kraft und dem zunehmenden Selbſtgefühle verliert ſich dieſer blöde Blick. b. Den pedantiſchen Blick findet man bei Menſchen, welche in ihrem Geiſtesleben ängſtlich feſthalten an gewohnten Formen, Gedanken und Ueberzeugungen, welche ungern das Alte fahren laffen und fih mit Widerwillen zum Neuen wenden, mit einem Worte — bei Pedanten (vergl. S. 36). Ihr Pedantismus giebt ſich nicht nur in der Haltung ihres Kopfes zu erkennen, den ſie unbeweglich ſteif halten, wenn fte umherblicken, ſondern auch in ihrer Kleidung; fte tragen meiſtentheils auffallend hohe und fteife Cravatten, weil dadurch die ſtraffe Haltung ihres Kopfes erleichtert und unterſtützt wird. | c. Der entzückte Blick. Den entzückten, ſchwärmeriſchen, d.h. den nach Oben und in die Ferne gerichteten Blick findet man phy— . ſiognomiſch bei Menſchen, deren Geiſt ſich vorzugs— weiſe in der Sphäre des Erhabenen, in der Welt der Ideale bewegt, und je mehr dieſe Richtung überhand genommen hat, bei romantiſchen und phantaſtiſchen Menſchen, deſto leichter und öfter nimmt ihr Blick den ſchwärmeriſchen Ausdruck an, auch bei geringfügigen Veranlaſſungen und wenn der Blick nicht gerade auf beſtimmte Gegenſtände gerichtet iſt. Ihre Augen ſind beſonders dadurch auffallend, daß zwifchen dem untern Rande der Hornhaut und dem Rande des untern Augenz lides „das Weiße“ vom Auge ſichtbar iſt. Fig. 65. Einen affectirt ſchwärmeriſchen Blick findet man nicht felten bei veligiöfen Heuchlern, bei augenverdrehenden Shein- heiligen, und je gieriger ein ſolcher Tartuffe ſeine irdiſchen Ziele verfolgt, deſto verhimmelter iſt ſein Blick. Bei einigen Menſchen iſt die Augenſpalte ſo ungewöhn⸗ lich groß, daß unter der Hornhaut ein bedeutender Theil des „Weißen“ vom Auge ſichtbar ift; aber nur ein ſehr unaufmerk— ſamer Beobachter wird derartig geformte Augen für ſchwär— meriſche halten. Den ſchwärmeriſchen Blick findet man auf den Portraits von Jean Paul Fr. Richter, Fig. 66, und von Beethoven, Fig. 67. Die phyſiognomiſche Bedeutung des Mundes der Fig. 66 wird S. 185 erörtert werden. Fig. 67 iğ eine, mit Hülfe der Camera lucida verkleinerte Copie des bekannten Bildes von dem Prof. A. v. Kloeber, doch ſei bemerkt, daß, während dieſer Künſtler den obern Theil des Geſichts meiſter— haft ausgeführt hat, der untere Theil nicht naturgetreu zu ſein ſcheint. Einen ſo harmloſen, lächelnden Mund hat der titanenhafte, tiefſinnige Beethoven ganz gewiß nicht gehabt. 167 Man darf dies ſchon daraus ſchließen, daß die von den Naſen— flügeln zu den Mundwinkeln verlaufenden Mundfalten, welche da, wo der lächelnde Ausdruck phyſiognomiſch geworden ift, niemals fehlen (vergl. darüber S. 99 u. 106), auf Kloebers Bilde gar nicht markirt ſind. Nur neben den Naſenflügeln erſcheinen kurze, geradlinige Falten, welche für den bittern Zug characteriſtiſch find (dergl. darüber S. 183). Die phyſtognomiſche Bedeutung der ſenkrechten Falten auf Beethovens Stirn wird S. 171 erklärt werden. — Auch auf dem Portrait K. M. v. Weber's, Fig. 61, iſt der ſchwärmeriſche Blick in die Augen fallend. — Ein außergewöhnlich großes Stück von dem „Weißen“ im Auge, zwiſchen der Hornhaut und dem untern Augenlide, ſieht man auf dem Portrait des eminenten nordamerikaniſchen Staatsmannes und Redners Daniel Webster, weil bei ihm der ideale Blick mit außergewöhnlich großer Augenſpalte zuſammentrifft. Fig. 68 iſt mit der Camera lucida von dem lebensgroßen Kopfe copirt, der von Ames gemalt und von Rowse gezeichnet wurde. Ueber die Bedeutung des Mundes vergl. S. 189, über die Bedeutung der Naſenlöcher S. 195. 2. Die ſenkrechten Stirnfalten. Wenn dieſe ſich in einem Geſichte ausgeprägt haben, ſo geben ſie zu erkennen, daß der Menſch häufig und andauernd verſtimmt geweſen iſt (Fig. 6). Die Urſachen der Verſtimmung können aber eines— theils äußerliche, anderentheils innerliche ſein, und man findet deshalb die ſenkrechten Stirnfalten: 2. A. bei Menſchen, welche von Sorgen, Unglück und Leiden heimgeſucht worden ſind, vorzüglich bei Menſchen, welche an ſchmerzhaften Krankheiten leiden. | Da die angegebenen Urſachen zugleich den Blick träge und den Glanz der Augen matt zu machen pflegen, ſo darf man auf jene Urſachen um ſo eher ſchließen, wenn die ſenk⸗ rechten Stirnfalten über trägen, matten Augen liegen. Die Urſachen der Verſtimmung können aber auch inner- liche fein. Bekanntlich machen dieſelben Erlebniſſe auf ver ſchiedene Menſchen einen verſchiedenen Eindruck, und der Grad der Verſtimmung hängt nicht ſowohl von der Art des Erlebten ab, wie von der Reizbarkeit des erlebenden Individuums. Die ſenkrechten Stirnfalten ſieht man deshalb vorzugsweiſe ent wickelt: B. bei leicht verſtimmten, verdrießlichen, zor— nigen Menſchen. Daß dieſe Falten durch Unzufriedenheit und Zorn ent | ftanden find, it um fo wahrfcheinlicher, wenn der Blick zu— gleich ein lebhafter und fefter if. Trifft man -mit folder Menſchen zuſammen, fo fei man auf feiner Huth, zumal wenn fie den „böſen Blick“ haben. Der „böſe Blick“ iſt feſt und lauernd, aber böſe wird er erft dadurch, daß fent rechte Stirnfalten ihn begleiten (Fig. 8). Am unnatürlichſten und unheimlichſten erſcheinen dieſe Falten in weiblichen Ge— ſichtern, denn das weibliche Antlitz ſoll den Stempel der Sanftmuth tragen, ſenkrechte Stirnfalten aber geben dem Geſichte einen zornmüthigen, finſtern, unweiblichen Ausdruck. 169 Schon in der Einleitung zum phyſiognomiſchen Theile wurde bemerkt, daß die ſenkrechten Stirnfalten ein plyfto- gnomiſches Merkmal ſind, welches im Umgange mit Menſchen von großer Bedeutung iſt. Jeder heftige Aerger läßt auf der Stirn ſeine Spuren längere oder kürzere Zeit zurück. Hat man nun mit einem Menſchen Wichtiges zu verhandeln, und man findet auf ſeiner Stirn ſenkrechte Falten, welche man dort ſonſt nicht bemerkt hatte, ſo ſchiebe man lieber die Ver— handlung auf und komme zu gelegener Zeit wieder! So lange die Falten auf der Stirn nicht verſchwunden ſind, wird auch die Mißſtimmung nicht verklungen ſein, durch welche jene hervorgerufen wurden. Man findet nun aber die ſenkrechten Falten auch ausgebildet: C. bei eifrigen Denkern, bei Menſchen, deren Denkthätigkeit eine angeſtrengte, aber unbefriedigte zu ſein pflegt. Je ſchwieriger die Gegenſtände, je verwickelter die Ver— hältniſſe ſind, über welche man nachdenkt, und je leidenſchaft— licher dabei der Eifer ift, mit welchem man fein Denkobject verfolgt, deſto leichter wird während des Denkens Ungeduld, Unbehagen, Verſtimmung entſtehn, deſto leichter wird man die Stirn in ſenkrechte Falten ziehn, und je häufiger dieſe Art der Denkthätigkeit ſich bei einem Menſchen wiederholt, deſto markirter werden ſich bei ihm die ſenkrechten Stirnfalten ausprägen. , Doch verftebt es fih von ſelbſt, daß man aus diefen Denkerfalten nicht auf die Objecte oder Erfolge der Denk— thätigkeit, ſondern nur auf die Art derſelben ſchließen kann. 170 Es können fich diefe Falten ebenſowohl bei Menſchen aus bilden, welche ſich anſtrengen, über Verhältniſſe nachzudenken, die allgemein als ſchwierig gelten, wie auch bei Menſchen, welche ſich anſtrengen, über Verhältniſſe nachzudenken, die allgemein als leicht verſtändlich gelten. In den ſenkrechten Stirnfalten giebt ſich immer nur die Leidenſchaftlichkeit zu erkennen, mit welcher der Denker ſein Ziel zu verfolgen pflegt, der Ernſt mit dem er nach Klarheit ringt, der unbefriedigte Eifer, mit dem er nach Erkenntniß ſtrebt. Es iſt das Fauſtiſche, das Grübelnde in der Menſchennatur, welches ſich in den ſenkrechten Stirnfalten ausprägt. Das Geſicht des Fauſt wird ſich Niemand ohne dieſe Falten vorſtellen. Vorzugsweiſe ift es die eritifche, analyfirende Denkthätig⸗ keit, welche das Erſcheinen ſenkrechter Falten auf der Stirn veranlaßt, weil durch die dabei zu überwindenden Schwierig— keiten gar leicht Ungeduld und Verſtimmung verurſacht wird, Man findet dieſe Falten deshalb vorzugsweiſe bei Denkern, welche eine vorherrſchende Neigung zu => analy fie render Denkthätigkeit haben. Es darf jedoch nicht überſehn werden, daß fich die enk rechten Stirnfalten nicht allein in Folge von Leiden, von Zornmüthigkeit, oder von angeſtrengter und unbefriedigter Denkthätigkeit entwickeln, ſondern auch D. bei Menſchen mit empfindlichen Augen. Im mimiſchen Theile wurde auseinandergeſetzt, daß und warum bei unangenehmen Geſichtseindrücken die Stirn in ſenkrechte Falten gelegt wird. Wer nun an einer ungewöhn— lichen Empfindlichkeit der Augen leidet, wird ungewöhnlich häufig durch Lichteindrücke unangenehm affteirt werden. Heller _ dB Sonnenschein und grelles Lampenlicht werden ihn häufig ver- anlaſſen, die Stirn zu runzeln, und in Folge deſſen werden die ſenkrechten Falten allmählig zu bleibenden. Schließlich bilden ſich dieſe Falten auch aus E. in Folge von Kurzſichtigkeit. Kurzſichtige Menſchen haben die Gewohnheit, beim Be— trachten nicht deutlich wahrgenommener Gegenſtände ihre Augenlider mit einer gewiſſen Anſtrengung zuſammenzukneifen, ſo daß nur eine ſehr enge Spalte zwiſchen ihnen übrig bleibt, und zwar, damit die Lichtſtrahlen an den Rändern der Augen- lider durch Diffraction eine weniger convergirende Richtung bekommen *). Dabei erſcheinen ſenkrechte Falten auf der Stirn, welche dann durch öftere Wiederholung bleibend, phyſiognomiſch werden. Zwei Portraits, auf welchen die ſenkrechten Stirnfalten ſehr markirt erſcheinen, ſind das von Locke, Fig. 60, und das von dem eminenten Phyſiologen Joh. Müller, Fig. 69. Letzteres iſt die Copie einer Photographie aus dem Jahre 1857. Beide Männer waren geniale Forſcher, unverdroſſene Kämpfer im Reich der Gedanken, und in beiden Fällen darf man an- nehmen, daß dieſe Falten in Folge raſtloſer, nie befriedigter Denkarbeit entftanden find, und nicht in Folge von körper— lichen Leiden oder Verdrießlichkeit oder Kurzſichtigkeit. Einen ſchmerzlichen Eindruck machen die ſenkrechten Stirnfalten auf dem Bilde Beethoven's, Fig. 67. Schwär— meriſch ſind ſeine Augen, weil er nach dem Idealen ſtrebte, *) Brgl. Ruete: Ophtalmologie S. 1. ký“ dd ti — == —— =a — oer AB oa aha ay tae koto. - — x — — — A ae AR 0 — w — 09 * — N — = De — 2 7 gefurcht ift feine Stirn, weil er mit Krankheit, Kummer und Enttäuſchung zu kämpfen hatte, weil eine entſetzliche Shiver hörigkeit ſeine ſchönſten Lebensfreuden ihm raubte. Prononeirt find auch die ſenkrechten Stirnfalten auf dem Bilde von Richelieu, Fig. 58, und von Napoleon L, Fig. 70. Beide waren ehrgeizige Politiker, beide verbrachten ihr Leben damit, immer neue politiſche und militäriſche Combinationen zu erſinnen, und im rückſichtsloſen Kampfe mit entgegen— ſtehenden Hinderniſſen und Feindſeligkeiten furchte ſich ihre Stirn. Der quälende Ehrgeiz war die Urſache, daß fich auf Napoleon's Stirn ſchon in ſehr jugendlichem Alter die ſenk— rechten Stirnfalten ausprägten. Sein beigefügtes Bild iſt ein höchſt intereſſantes, weil es aus ſehr früher Zeit ſtammt, und entſtanden fein muß, ehe er feinen Zug nach Egypten unter- nahm. Es it von J. Guerin gezeichnet, von G. griez finger geſtochen, und darunter ſteht: Deposé à la Biblio- théque Nationale le 29 Vendemiaire Van 7 de la Republique francaise, alſo d. 20. Oct. 1798. Man darf wohl annehmen, daß dieſes Bild treuer und ähnlicher iſt, als die, welche aus ſpäterer Zeit ſtammen, denn als Napoleon ſich zum allmächtigen Kaiſer emporgeſchwungen hatte, ſchmei— chelte ihm Jeder, und die Künſtler ließen es ſich angelegen ſein, ſeinen Zügen das Gepräge antiker Schönheit und antiker Ruhe zu geben. Es zeigt dieſes Portrait zugleich, wie richtig die Bemerkung der Geſchichtſchreiber iſt, daß Napoleon in ſeinen früheren Jahren ſehr mager war, daß aber, mit der zunehmenden Befriedigung ſeines Ehrgeizes, auch die Fettab— lagerung in ſeinem Körper zunahm. Ueber die phyſiognomiſche Bedeutung des Mundes und der Nafe in Napoleon’s Ge⸗ Geſichte vergl. S. 189 und 195. 173 . Uebrigens ſcheinen bei allen großen Kriegern und Feld- herrn die ſenkrechten Stienfalten ſich beſonders ſcharf auszu— prägen. Man findet ſie auf den Portraits von Peter dem Großen, Blücher u. ſ. w. ſehr markirt. Von Karl dem Kühnen von Burgund erzählt Porta (S. 126): „Severa et menaci fronte fuit Carolus Burgundiae dux, qui animi magnitudine et vi bellica omnia ausus, nemine Inferior fuit. Endlich mag hier noch ein characteriſtiſches Bild aus dem Alterthume ſeinen Platz finden — das Bild des Brutus. Fig. 71 iſt die ſorgfältige Copie einer Photographie der im Louvre befindlichen antiken Marmorbüſte. Die ſenkrechten Stirnfalten ſind ſo außerordentlich ausgeprägt in dieſem Ge⸗ ſichte, daß auch der flüchtigſte Beobachter darin den Mug- druck tiefeingewurzelten Grolls erkennen wird. Ueber die phyſiognomiſche Bedeutung des Mundes in dieſem Geſichte vergl. S. 189. Beiläufig ſei hier noch erwähnt, daß durch eine eigen- thümliche Bildung der Augenbrauen der phyſiognomiſche Aus- druck der ſenkrechten Stirnfalten vorgetäuſcht werden kann. Wenn nämlich bei einem Menſchen dunkle, buſchige Augen— brauen ſehr nahe zuſammenſtehn, oder gar ganz mit einander verwachſen ſind, ſo geben ſie dem Geſichte einen ähnlich fin— ſtern Ausdruck wie ſtark ausgeprägte ſenkrechte Stirnfalten. Wenn auch ein aufmerkſamer Beobachter ſich dadurch nicht ſtören und täuſchen laſſen wird, ſo wird doch ein ſo Ge⸗ zeichneter bei ſeinem erſten Auftreten ſelten einen günſtigen Eindruck machen. Fig. 72. 3. Das offene Auge. Je häufiger ſich der mimiſche Ausdruck dauern— der Aufmerkſamkeit in einem Geſichte wiederholt, je häufiger die Augendeckelheber in dauernder Span— nung gehalten werden, deſto bedeutender wird auch allmählig die phyſiognomiſche Spannung dieſer Mus— keln. Der ungewöhnlich hodftehende Augendeckel läßt alsdann die runde Hornhaut in ihrem ganzen Um— fange erkennen, oder es iſt doch wenigſtens nur ein ſehr kleiner Theil derſelben von dem Augendeckel be— deckt. Ein ſolches Auge nennt das Volk ſehr richtig ein „offenes Auge“, und dem entſprechend iſt die phy— ſiognomiſche Bedeutung des offnen Auges: ein „off— ner Sinn“, d. h. ein für alle Eindrücke empfänglicher, aufgeweckter Geiſt. Doch wird kaum bemerkt zu werden brauchen, daß ſich nur die Art der Geiſtesthätigkeit, nicht aber das Object derſelben in dem offnen Auge zu erkennen giebt. Man ſieht dieſen phyſiognomiſchen Zug ebenſowohl bei Menſchen, welche mit offnem Auge und offnem Sinn alle Zweige menſchlichen Wiſſens durchſpähen, wie auch bei Menſchen, welche den Wechſelfällen und Intereſſen des täglichen Lebens mit ge— ſpannter Aufmerkſamkeit zu folgen pflegen, ebenſowohl bei wiſſensdurſtigen Forſchern wie bei neugierigen Klatſchſchweſtern. Das „offne Auge“ findet man auf allen Portraits Leſſing's, des raſtloſen Forſchers mit dem klaren Geiſte. Ebenſo auf dem vortrefflichen Bilde Schubart's, Fig. 73, — welches von J. Oelenhainz gemalt und von E. Morace geſtochen ift. Wegen der übrigen Züge dieſes Geſichtes vergl. S. 191. Weit geöffnet ſind auch die Augen auf dem Bilde Luther's, von Lucas Cranach 1523 gemalt und von Berni— geroth 1747 geſtochen, Fig. 74. Freundlichkeit und Feftig- keit ſind dabei gleichmäßig ſtark im Munde ausgeprägt (vergl. darüber S. 189 und S. 197). ; Kurzſichtige Menſchen pflegen ihre Augenlider zuſammen— zukneifen, wenn ſie ihre Aufmerkſamkeit auf ſichtbare Gegen— ſtände (vergl. S. 171) oder auf Vorſtellungen (imaginaere Gegenſtände) richten. Aus dieſem Grunde kann bei ihnen der phyſiognomiſche Zug der hochſtehenden Augendeckel wee niger leicht zur Ausbildung kommen. Y4 Das ſchläfrige Auge. Die phyſiognomiſche Bedeutung der ſchläfrig ge— ſenkten Augendeckel iſt der Bedeutung der gehobenen entgegengeſetzt: Gleichgültige, theilnahmloſe, indo— lente Subjeete find daran kenntlich, daß ein verhält— nißmäßig bedeutender Theil der Hornhaut vom obern Augendeckel bedeckt iſt. (Fig. 10.) 2 Da aber auch in Folge körperlicher Ermattung die Spannung der Augendeckelheber erlahmt, und die Augen— deckel herabſinken, da ferner dauernde Schwäche die Folge er— ſchöpfender Krankheiten oder entnervender Ausſchweifungen iſt, ſo ſieht man die ſchläfrig geſenkten Augendeckel auch bei Menſchen, deren Lebenskraft durch Krankheiten oder Aus— ſchweifungen ruinirt worden iſt. 176 5 Horizontale Stirnfalten mit hochgezogenen Augen brauen geben dem Geſichte den mimiſchen Ausdruck ſehr heftiger Ueberraſchung (Fig. 11). Man findet fie deshalb phyſiogno⸗ miſch ausgebildet: | A. bei Menschen, welche oft und gern erſtaunen, d. h. bei Neugierigen, bei Menſchen, welche begierig find, Neues, Ueberraſchendes zu hören, welche ſchon in der Erwartung, etwas Erſtaunliches zu vernehmen, mit hochgezogenen Augenbrauen fragend und hor chend umhergehn, bei Menſchen, wie ſie im Vorſpiel zu Goethe's Fauſt geſchildert werden, wo es heißt: „Sie ſitzen ſchon mit hohen Augenbraunen — Gelaſſen da und möchten gern erſtaunen! — Dauernd gehobene Augenbrauen mit horizontalen Stirn- falten geben dem Geſichte den mimiſchen Ausdruck ſehr dau— ernder und angeſtrengter Aufmerkſamkeit. Man findet des— halb die horizontalen Stirnfalten phyſiognomiſch auch aus gebildet: B. bei Menſchen, welche ihre Geiſtesthaͤtigkeit auf beſtimmte Objecte mit Anſtrengung zu concen? triren pflegen. Es könneu alfo ſowohl die ſenkrechten wie die horizon talen Stienfalten fich in Folge eifriger Denkthätigkeit aus⸗ bilden. Die horizontalen Falten entſtehen in Folge ange ſtrengter Denkthätigkeit, die ſenkrechten Falten in Folge angeſtrengter und unbefriedigter Denkthätigkeit. Die horizontalen Falten laſſen erkennen, daß ein Menſch ſeine Aufmerkſamkeit auf beſtimmte Objecte zu concentriren pflegt und zwar mit einer gewiſſen ruhigen, leidenſchaftsloſen Stä— tigkeit; — die ſenkrechten Falten dagegen laſſen auf Leiden- | ſchaftlichkeit ſchließen, auf rubelofen Eifer, auf ein unbefrie— digtes Suchen, Ringen, Kämpfen des Denkers. Während ſich in den ſenkrechten Falten eine Neigung zu eritiſcher, analyſirender Denkthätigkeit ausſpricht, ſind die horizon— talen Falten das phyſiognomiſche Merkmal einer beſchaulichen Geiſtesrichtung, einer vorherrſchend receptiven Geiſtesthätigkeit, und gewöhnlich ein Zeichen geiſtiger Empfänglichkeit. Doch ſei hier noch einmal darauf hingewieſen, daß die phyſiognomiſchen Stirnfalten wohl einen Schluß auf die Art der Geiſtesthätigkeit eines Menſchen geſtatten, nicht aber auf ſeine geiſtige Begabung. Sie laſſen wohl erkennen, wie ein Menſch ſich anſtrengt, nicht aber was er leiſtet. Ohne An— ſtrengung, und ohne daß fich die olympiſche Glätte ſeiner Stirn kräuſelt, wird ein begabter Menſch dieſelbe geiſtige Aufgabe löſen, an welcher ein bornirter Menſch mit aller Anſtrengung und mit dem verzweifeltſten Stirnrunzeln yer- gebens arbeitet. Uebrigens ſollten Verdienſt und Anerken— nung billiger Weiſe nicht dem Begabteren zufallen und zu— erkannt werden, ſondern dem Strebſameren, dem, welcher am beſten „mit ſeinem Talente wuchert“. Die Menſchen ſind aber immer geneigt, das Talent mehr zu ſchätzen als die Arbeit, mehr die Leiſtung als die Anftrengung, mehr den Erfolg als die Abſicht. Doch am Ende ſchrumpft freilich alles menſchliche Verdienſt auf ein minimum zuſammen. Der Menſch hat ſich nicht ſelbſt gemacht, Trägheit und Fleiß find ihm angeboren wie Talent oder Bornirtheit. Dem Tae 12 178 lente fehlt häufig die Strebſamkeit, der Strebſamkeit fehlt häufig das Talent. Gewohnheit, Beiſpiel, Erziehung, Noth können allerdings die angeborene Richtung modifteiren, jeden falls aber ift die Luft am Arbeiten, die Fähigkeit, feine Kräfte geduldig und nachhaltig auf ein gegebenes Object zu concentriren, ebenſowohl ein Talent und eine Begabung wie geiſtige Schärfe und geiſtige Gewandtheit. Die horizontalen Stirnfalten ſieht man meiſtentheils auch bei ſehr gemüthlichen Menſchen ſtark entwickelt, denn wenn auch nicht immer die beſchauliche Geiſtesthätigkeit eine gemüthliche, ſo iſt doch die gemüthliche meiſtentheils eine be⸗ ſchauliche. Fig. 75 ift das Portrait Spener's, des erleuchteten und menſchenfreundlichen Gottesgelehrten; Fig. 76 das Bild des Matthias Claudius, des gemüthvollen und volksthüm⸗ lichen Schriftſtellers. In beiden Geſichtern ſind nicht nur die horizontalen Stirnfalten, ſondern auch der freundliche Ausdruck des Mundes characteriſtiſch (vergl. darüber S. 197) beide haben das phyſiognomiſche Gepräge wohlwollender Be— ſchaulichkeit, heiterer Gemüthlichkeit. Sehr markirt findet man die horizontalen Stirnfalten bei Wahnſinnigen, welche an firen Ideen leiden, deren ganze Geiſtesthätigkeit ſich darauf beſchränkt, gewiſſe Vorſtellungen feſtzuhalten. Wenn aber dieſe Vorſtellungen finſtrer Art find, fo find die ſenkrechten Stirnfalten überwiegend. Fig. 77 iſt dem Bilde Kaulbach's: „das Irrenhaus“ entlehnt. Wenn das Geſicht beſtändig den Ausdruck auf⸗ merkſam gewordener Schlaftrunkenen hat, d. h. wenn man horizontale Stirnfalten zuſammen findet mit trägblickenden Augen und ſchläfrig geſenkten Augen 179 decfeln, fo darf man auf Dummheit, auf Beſchränkt— heit ſchließen. Da bornirte Menſchen häufig die ganze Energie ihres blöden Verſtandes zuſammennehmen müſſen, um ſich in den gewöhnlichen Verhältniſſen und Vorkomm— niſſen des Lebens zurecht zu finden, und deshalb häufig die Miene dauernder und angeftrengter Aufmerkſamkeit machen, ſo werden die horizontalen Stirnfalten bei ihnen leicht blei— bend und ſtark ausgeprägt. (Fig. 12.) Beiläufig ſei hier noch darauf aufmerkſam gemacht, daß bei einigen Menſchen die Augenbrauen außergewöhnlich hoch- gewölbt ſind. Ein ſolches Geſicht macht leicht den Eindruck, als ob es den phyſiognomiſchen Ausdruck der hochgezogenen Augenbrauen und horizontalen Stirnfalten trüge. Doch läßt ſich eine Täuſchung leicht vermeiden, wenn man nur auf die Stirnfalten achtet. Hochgezogene Augenbrauen kommen nie— mals vor, ohne gleichzeitig ſehr ſtark ausgeprägte horizontale Stirnfalten, wo dieſe alſo fehlen, da iſt die hochgewölbte Form der Augenbrauen immer eine zufällige und angeborene. Fig. 78. 6. Anhang. Der Glanz des Augapfels hängt A. von der größeren oder geringeren Menge der Thränen— feuchtigkeit ab, B. von der größeren oder geringeren Spannung der häutigen Kapſel des Augapfels und C. von der Farbe der Iris. A. Wenn bei einem Menſchen die Thränen ſehr loſe ſitzen, wenn häufig durch Geiſteszuſtände eine übermäßige ä JD 180 Secretion der Thränendrüſen veranlaßt wird, fo geht auch im gewöhnlichen Zuſtande die Thätigkeit der Thränendrüſen über das gewöhnliche Maß hinaus, und in Folge deſſen erſcheinen die Augen eigenthümlich feucht und glänzend. Solche feucht glänzende Augen findet man vorzugsweiſe bei erreg— baren, leidenſchaftlichen Naturen, bei ſogenannten Ge— müthsmenſchen, während man dagegen bei kalten Naturen, bei ſogenannten Verſtandesmenſchen einen mehr trocknen Glanz der Augen beobachtet. Aus dem— ſelben Grunde haben Frauen im Allgemeinen feuchtere Augen als Männer. B. Die Spannung der häutigen Augapfelkapſel ift um ſo bedeutender, und das Auge erſcheint um ſo glänzender, je kräftiger einestheils der volle Inhalt auf die Kapſel drückt, und je kräftiger andererſeits das ſtraffe Gewebe der Kapfel dieſem Drucke widerſteht. Ob das der Fall iſt, hängt zunächſt von der Geſundheit und Vollſaftigkeit des ganzen Organismus ab. Beſonders firahlend find deshalb die Augen im jugendlichen Alter, wenn der Organismus emporblüht in üppigſter Lebenskraft. Je mehr aber durch Säfteverluſte, durch Krankheit oder Ausſchweifungen der Körper geſchwächt iſt, deſto ſchlaffer wird die Spannung der Augapfelkapſel, deſto matter wird der Glanz der Augen. Matt glänzende Augen deuten deshalb auf Aus— ſchweifungen oder Krankheiten, am häufigſten auf Verdauungskrankheiten (vergl. hierüber den mimiſchen Theil S. 63). Durch übermäßigen Genuß von Spirituoſen wird ein übermäßiger Blutandrang nach dem Gehirn und nach den Augen veranlaßt. Wird nun bei einem Menſchen der auf— regende Genuß der Spirituofen zur Gewohnheit, fo erweitern ſich, durch den häufig wiederkehrenden Blutandrang, allmählig die Gefäße der Augen. Die weiße Haut des Auges bekommt alsdann eine trübe, ſchmutzige Färbung, und iſt von zahl⸗ reichen, ſtrotzenden Blutgefäßen durchzogen. Alte Säufer erkennt man deshalb nicht nur an ihren rothen Naſen, ſondern auch an ihren rothen Augen. Dabei darf aber nicht vergeſſen werden, daß auch Krankheitszuſtände der Augen, namentlich chroniſche Augenentzündungen, einen vermehrten Andrang des Blutes nach den Augäpfeln und eine Erweite⸗ rung ihrer Blutgefäße bewirken können. Von dem entſchiedenſten Einfluß auf den Glanz der Augen ift die Thätigkeit des Geiſtes. Durch erhöhte Geiftes- thätigkeit wird auch der Glanz der Augen erhöht, und dies ift der Grund, daß lebhafte und geiftreiche Menſchen ſich durch den lebhaften Glanz ihrer Augen auszeichnen, daß ſie oft noch im hohen Alter und ſelbſt nach ſchwerem Siechthum den vollen Glanz ihrer Augen bewahren. Glanzvolle, ſtrahlende Augen erſcheinen natürlich um jo auffallender, je blaffer, magerer und elender das ganze Geſicht iſt. — Daß bedeutende, geiſtreiche Menſchen ſich durch glänzende Augen auszeichnen, iſt eine bekannte Thatſache. Friedrich der Große, Goethe, Napoleon, Luther hatten, nach der übereinſtimmenden Ausſage ihrer Zeitgenoſſen, ſo eigenthümlich und ungewöhnlich glänzende Augen, daß ſie auch Denen auffielen, welchen Rang und Namen dieſer Männer nicht bekannt war. So z. B. erzählt Joh. Keßler (Sabbatha, eine Chronik von St. Gallen), daß er mit Luther zuſammengetroffen ſei, ohne ihn zu kennen, und daß er überraſcht geweſen ſei durch den Glanz ſeiner Augen. 182 „Seine Augen waren ſchwarz und tief, blitzend und funkelnd wie ein Stern, ſo daß ſie nicht wohl mochten angeſehn werden.“ E | C. Je dunkler die Farbe der Iris ift, defto mehr wird dadurch der Glanz der unter ihr liegenden Hornhaut gehoben. Da ſich deshalb geiſtige Aufregungen in dunkeln Augen leichter und auffallender zu erkennen geben als in hellen, ſo iſt man gewöhnlich geneigt, dunkeläugigen Menſchen mehr geiſtige Lebhaftigkeit zuzutrauen als helläugigen. Die dunklen Augen der Südländer machen den Eindruck größerer Leidenſchaftlichkeit als die blauen Augen der Nord— länder, die Dichter preiſen den milden Glanz der blauen Augen, und warnen vor der lodernden Gluth der ſchwarzen. Mirza-Schaffy fingt: „der Augen Bläue bedeutet Treue, — doch eines ſchwarzen Aug's Gefunkel iſt ſtets, wie Gottes Wege, dunkel.“ Je hellfarbiger die Iris iſt, deſto weniger können ſich die Veränderungen im Glanz der Augen geltend machen, und deshalb erſcheinen uns die blaßblauen Augen ſo nüchtern. * Phyſiognomik des Mundes. 1. Der bittere Zug. Dieſe phyſiognomiſche Mundform bildet ſich als Folge häufig wiederholter ſehr unangenehmer Stim— mungen, bei Menſchen von erbitterter oder verbitter 183 ter Gemüthsart. Bittere Stimmungen können näm— lich durch zweierlei Urſachen veranlaßt werden, entweder durch außergewöhnlich unangenehme Ver— hältniſſe, oder durch eine außergewöhnlich große Empfindlichkeit. In jenem Falle kann man den Menſchen verbittert, in dieſem erbittert nennen. Iſt dieſer phyſiognomiſche Zug nur ſchwach ausge— bildet, ſo macht er ſich nur in den Mundfalten geltend, die dann neben den Naſenflügeln tief ausgeprägt und geradlinig find, Fig. 79; vergl auch Fig. 67 und das S. 73 darüber Bemerkte. Iſt er ſtärker entwickelt, ſo erſcheint der rothe Saum der Oberlippe in der Mitte ſeiner ſeitlichen Hälften, alſo den Anſatzpunkten der Oberlippenheber entſprechend, (vergl. S. 72) etwas aufwärts gezogen. Fig 79. | Iſt er noch ſtärker ausgebildet, fo iſt zugleich die Spitze der Oberlippe etwas nach Oben umgeſtülpt, wodurch die Profillinie der Oberlippe etwas einwärts geknickt erſcheint. Fig. 79. Hat endlich dieſer phyſiognomiſche Zug ſich ſehr be— deutend ia fo find auch die Nafenflitgel aufwärts gezogen. Fig. 7 Uebrigens a dieſer phyſiognomiſche Zug auch ohne alle geiſtige Bedeutung ſein, und zwar bei Menſchen, welche häufig veranlaßt werden, ihre Augen krampfhaft zuſammenzu— kneifen. Es treten nämlich von den Faſern des Augenfehlief- muskels (Fig. 5a) immer einige zu dem Oberlippenheber (Fig. 5£), und in Folge deffen wird durch heftige Contrac- tionen des Augenſchließmuskels auch der Oberlippenheber mit in die Höhe gezogen. Man findet deshalb den phyftognomi- i ii ET — — mv re made ar, AA —U— — po pí is rene že ný qa e en E GEA R — y oo TSS Mi s i p £ ú 4 N n 4 á y on Tn - P = er ee N mä HI ht ——— = A = — = >” = 4 s JA 8 = . dh SRS doom ~ — . S A 2 — . —ñ—E4— ö; UʃA—-' — 2 m u JA A E * en A TE 184 ſchen Ausdruck der Bitterkeit ohne geiftige Bedeutung zuweilen bei Menſchen mit ſehr empfindlichen Augen (vergl. S. 170), alsdann bei Kurzſichtigen (vergl. S. 171) und endlich bei Perſonen, welche bei ihren Arbeiten viel durch Staub, Wind, Kälte und grellen Sonnenſchein zu leiden haben, z. B. bei Fuhrleuten, Schiffern, Fiſchern mut 16. Es giebt ferner eigenthümliche Geſichtsbildungen, in denen die Naſenſpitze ungewöhnlich tief, die Naſenflügel hoch ſtehen. Solche Geſichter können bei oberflächlicher Beobach⸗ tung wohl den phyſiognomiſchen Eindruck der Bitterkeit machen. Doch ſieht man leicht, daß die Form der Naſen⸗ flügel nicht eine erworbene, ſondern eine angeborene iſt daran, daß die characteriſtiſchen Merkmale an der Oberlippe fehlen. Fig. 80. | | 2. Der ſüßliche Zug iſt daran kenntlich, daß die Lippen feſt an die Zähne gepreßt find, und die rothen Lefzen plattgedrückt er ſcheinen. (Fig. 20.) Der ſüße Zug iſt der mimiſche Ausdruck ſüßer Gefühle, d. h. überſchwänglich glücklicher und ange“ nehmer Stimmungen; da aber hierzu das Leben nu ſehr ausnahmsweiſe Veranlaſſung giebt, ſo findet man den ſüßen Zug nur felten phyſiognomiſch ans? gebildet, bei Männern wohl nie, zuweilen bei Frauen- zimmern, aber auch bei dieſen gewöhnlich nur als Folge eines affectirt ſüßlichen Weſens. Wenn der ſüße Zug in einem Gefichte conftant geworden ift, fo macht er auf jeden Unbefangenen denſelben Eindruck wie ein conftant ſüßer Geſchmack, d. h. den Eindruck des Ekels. Entdeckt man bei einem Menſchen dieſes phyſiognomi— ſche Merkmal, ſo kann man darauf gefaßt ſein, daß er in ſeiner Converſation die Bezeichnung „ſüß“ beſtändig im Munde führen wird; er redet von ſüßen Menſchen, ſüßer Muſik, ſüßer Freundſchaft und Liebe, ja wohl gar von ſüßer Verzweiflung. 3. Der prüfende Zug ift rüſſelförmig vorgeſtreckt, und findet ſich zuweilen bei Gourmands, bei Menſchen, deren ganzes Dichten und Trachten nach den Freuden der Tafel gerichtet it. Sudem fie ihre Phantaſie häufig in gehabten oder gehofften Genüſſen ſchwelgen laffen, indem fie dabei lüſtern die Lippen vorſtrecken, als ob ſie wirk— lich ſchmeckten und fofteten, was ſie träumen, wird allmählig der prüfende Zug bei ihnen phyſiognomiſch. Alsdann entwickelt ſich dieſe Form des Mundes auch bei ſelbſtgefälligen Menſchen, die, im Gefühle eigner Vortrefflichkeit, ſich berufen fühlen, über den Werth fremder Menſchen, Meinungen und Verhält— niſſe abzuurtheilen und ſich gern wichtig machen. Jean Paul F. Richter war bekanntlich trotz ſeines idealen Geiſteslebens ein großer Verehrer guter Weine und guter Küche, und wohl aus dieſem Grunde ſieht man in ſeinem Munde den prüfenden Zug ausgeprägt. Die ſchwär⸗ — i —— — E 2 o AA a —— — en u ER VAY PA y > 4 v — koti gi m AS ll a n Z o uč 186 meriſchen Augen bilden in dieſem Geſichte mit dem finnlichen Ausdrucke des Mundes einen eigenthümlichen Contraſt. Fig. 66. Auch auf der im Louvre befindlichen antiken Büſte des Kaiſers Nero (Fig. 8! iſt die genaue Copie einer Photo— graphie dieſer Büſte) tritt der prüfende Zug deutlich hervor, wird hier jedoch weſentlich modifieirt durch den verachtenden Zug (vergl. S. 191). Das Gemiſch von Lüſternheit und Hohn in dem Munde des Nero, macht ſeinen Kopf in phyſiognomiſcher Beziehung zu einem ſehr intereſſanten. Uebrigens liebten es die Alten nicht (wie ſchon in der Ein— leitung zum mimiſchen Theile, S. 13 ausgeſprochen wurde), ſtark ausgeprägte Züge in ihren Bildwerken darzuſtellen; des— halb ſind auf dieſer Statue die angegebenen phyſiognomiſchen Merkmale am Munde nur ſchwach, wenn auch unverkennbar angedeutet, ebenſo iſt an den Augen der Ausdruck der Bos— heit und des Zornes nicht durch ſenkrechte Stirnfalten, ſon— dern nur durch eine Einfaltung zwiſchen den Augenbrauen ausgedrückt. 4. Der verbiſſene Zug iſt daran kenntlich, daß die Lippen zuſammengepreßt und die Ränder der rothen Lippenſäume einwärts gekniffen find; zugleich erſcheint die Mitte der Ober— lippe aufwärts gedrückt, und unter ihr liegen zwei characteriſtiſche Falten oder Vertiefungen, welche, in der Mitte der Unterlippe beginnend, von hier nach beiden Seiten, wie die Schenkel eines ſtumpfwink⸗ ligen Dreiecks, geradlinig nach Unten und Außen 187 verlaufen, und dem untern Rande des in feiner Mitte aufwärts gezogenen Mundſchließmuskels ent— ſprechen. (Fig. 29.) Dieſer Zug wird am leichteſten und häufigſten phyſiognomiſch bei Menſchen, deren Lebensbeſchäfti— gung es mit ſich bringt, andauernd ſchwierige Bewe— gungen auszuführen, ſei es, daß ſie ſchwierig ſind, weil ſie einen großen Kraftaufwand Efbe, fei es, weil eine große Vorſicht dabei erforderlich iſt; es kann z. B. dieſer phyſiognomiſche Ausdruck ſich eben— ſowohl bei der groben Arbeit der Hufſchmiede ang- bilden, wie bei der feinen Arbeit der Stickerinnen, ebenſowohl bei Holzhackern, wie bei Bildhauern. Wo man ihn aber bei ſolchen Leuten antrifft, darf man überzeugt ſein, daß ſie ihre Arbeit mit beſonderem Eifer und gewiſſenhafter Sorgfalt zu machen pflegen. Als Folge von Geiſteszuſtänden kann der mimi⸗ ſche Ausdruck der Verbiſſenheit nur dann phyſiogno— miſch werden, wenn die entſprechenden Geiſteszuſtände ſich nicht nur ſehr häufig, ſondern auch ſehr andauernd geltend machen. Man erkennt daran den Horaziſchen: ytenacem propositi virum,* den beharrlichen Mann; aber auch (wenn dieſes phyſiognomiſche Merkmal auf— fallend ſtark entwickelt iſt) den hartnäckigen, trotzigen, eigenſinnigen, verſteckten, verbiſſenen Menſchen. Am leichteſten entſteht dieſer phyſiognomiſche Zug bei ſchweigſamen Menſchen, ſei es, daß ihre Schweigſamkeit die Folge ihrer Verhältniſſe und Lebensweiſe, ſei es, daß ſie die Folge ihrer angeborenen Neigung iſt. Wer viel ſpricht, wird 188 wenig Gelegenheit haben, den verbiſſenen Ausdruck lange feſtzuhalten und phyſiognomiſch auszubilden. Es muß nun aber bemerkt werden, daß durch eine be— ſondere, angeborene Form des Mundes dieſer phyſiognomiſche Zug leicht vorgetäuſcht werden kann. Wenn nämlich bei einem Menſchen der Mund von Natur ſo gebildet iſt, daß die rothen Lippenſäume ſehr ſchmal, und die Lippen, in der Profillinie, ſehr geradlinig und ſenkrecht erſcheinen, ſo macht ein ſolcher Mund leicht auf unaufmerkſame Beobachter den Eindruck der Verbiſſenheit. Fig. 82. Man erkennt jedoch ſofort ſeinen Irrthum, wenn man ſieht, daß dabei die characteriſtiſchen Falten oder Vertiefungen auf der Unterlippe fehlen. Uebrigens wird ſich bei der angegebenen Mundform der phyſiognomiſche Ausdruck der zuſammengekniffenen Lippen immer leichter ausbilden und geltend machen, als bei einem Munde mit dicken und ſchwellenden Lippen; bei dieſen wird der Ausdruck der Verbiſſenheit hauptſächlich nur daran fennt- lich ſein, daß die Unterlippe in ihrer Mitte gehoben erſcheint, und in ihr die beiden characteriſtiſchen Falten ausgeprägt ſind. Endlich entſteht dieſer phyſtognomiſche Zug auch bei zahnloſen Greiſen. Durch das Ausfallen der Zähne wird das untere Drittel ihres Geſichtes natürlich bedeutend verkürzt, und der Spielraum für die Bewegungen des Mundſchließmuskels ſo ſehr verringert und beengt, daß ſie gezwungen ſind, ihre Lippen zuſammenzukneifen und die Unterlippe aufwärts gegen die Oberlippe zu preſſen, wenn ſie den Mund geſchloſſen halten wollen. Fig. 83. Sehr deutlich markirt findet ſich der verbiſſene Zug in dem Geſichte des Amerikaniſchen Generals Winfield Scott, des Eroberers von Meriko, Fig. 84, und in der Phyftogno 189 mie des Miniſters Guizot, Fig. 85. Beide Portraits find - ſorgfältige Linearcopieen guter Photographien. Die zähe Feſtigkeit des Generals Scott iſt bekannt; ebenſo der trotzige Eigenſinn des Miniſters Guizot, der in den Kam— mern der tobenden Oppoſition die famoſen Worte zurief: „die Höhe ihrer Wuth reicht nicht an die Tiefe meiner Ver— achtung!“ — Fig. 86 iſt die Copie einer Photographie des von Cooper gemalten Miniaturbildes von Oliver Crom- well; der zuſammengekniffene Mund, die aufgeblähten Nafen- löcher, die ſenkrechten Stirnfalten geben dieſem Kopfe den Ausdruck großer Energie. Bekanntlich hat man über die Portraits Cromwell's eben ſo viel geſtritten, wie über die von Shakespeare. Das Bild von Cooper ſcheint aber deshalb ein treues zu ſein, weil es der Todtenmaske Crom- well's (von welcher eine Photographie im Beſitze des Verf. iſt) ähnlich ſieht. Auch in dem Geſichte Friedrich's des Großen (Fig. 58), des Cardinals Richelleu (Fig. 59), Johannes Müller's (Fig. 69), Napoleon's (Fig. 70), des Brutus (Fig. 71), Luther's (Fig. 74) und Webster's (Fig. 68) iſt dieſer Zug mehr oder weniger ausgebildet. 5. Der verachtende Zug. Den phyſiognomiſchen Ausdruck der Verachtung findet man gewöhnlich bei aumaßenden, hochmüthigen Menſchen, welche den Maßſtab ihrer eigenen einge— bildeten Vortrefflichkeit an die Verhältniſſe und Meinungen Anderer zu legen pflegen, und ſchwer zu befriedigen ſind. 190 An den Augen giebt fih dieſer Zug durch hod“ gewölbte Augenbrauen, horizontale Stirnfalten und geſenkte Augendeckel zu erkennen. Ein ſolches Geſicht nennen die Engländer ganz bezeichnend: supercilious, weil eben die supercilii, die Augenbrauen, empol gezogen find. Am Munde iſt dieſer Ausdruck daran kenntlich, daß die Mitte der Unterlippe aufwärts gedrückt er— ſcheint, und unter ihrem rothen Saume (welcher et— was nach Außen umgeſchlagen iſt) eine bogenförmige Falte hervortritt, welche eonver nach Oben gerichtet iſt. (Fig. 36.) 3 | Es giebt nun aber eine angeborene Geſichtsform, welche den Zügen eine gewiſſe Aehnlichkeit mit dem phyſiognomiſchen Ausdrucke der Verachtung verleihen kann. Bei einigen Men ſchen ſteht nämlich der Knochen des Unterkiefers weiter her⸗ vor als der des Oberkiefers, und in Folge deſſen wird die Oberlippe von der Unterlippe überragt; da nun bei dem mi⸗ miſchen Ausdrucke der Verachtung die Unterlippe vorgeſtoßen wird (vergl. S. 84), ſo kann die angeführte Geſichtsbildung mit dem phyſiognomiſchen Zuge der Verachtung verwechſelt werden. Dieſe eigenthümliche Knochenbildung tritt außeror— dentlich ſcharf in dem Portrait des ausgezeichneten Stein⸗ ſchneiders und Graveurs Döll hervor, Fig. ST. Erblich if fte bekanntlich in der öſterreichiſchen Kaiſerfamilie, und war z. B. in dem Geſichte der unglücklichen Marie Antoinette beſonders auffallend. Ein aufmerkſamer Beobachter wird ſich dadurch nicht täuſchen laffen, und an dem Fehlen der chara teriſtiſchen Falte in der Unterlippe erkennen, daß die Form des Mundes ohne geiſtige Bedeutung iſt. ; 191 In ähnlicher Weiſe wird der Mund dadurch verändert, daß die Zähne in der Oberkinnlade fehlen. Indem bei ſol— chen Perſonen die ſchlaffe Oberlippe zurückweicht, tritt die Unterlippe hervor. | Den verachtenden Zug findet man auf dem Portrait des kühnen, alle Gefahr verachtenden Generals Kleber, Fig. 88. Ferner, mit dem verbiſſenen Zuge gemiſcht, in dem Geſichte Schubart's, des erſten deutſchen Freiheits— apoſtels (Fig. 73). Dieſes Bild voll Energie und Leben ſtammt offenbar aus der Zeit vor ſeiner zehnjährigen Haft in Hohenasperg. In dem offnen Auge giebt ſich ſein offner, geweckter Sinn zu erkennen, in den ſenkrechten Stirnfalten der Zorn, mit dem er gegen die Erbärmlichkeit und Jämmer- lichkeit ſeiner Zeit ankämpfte; in dem verbiſſenen Zuge Ent- ſchloſſenheit und Trotz; in dem verachtenden Zuge Hohn und Spott. (Wegen der Bedeutung der Naſe vergl. S. 195.) Ueber den verachtenden Zug in dem Geſichte des Kaiſers Nero wurde bereits S. 186 geſprochen. 6. Der offenſtehende Mund findet ſich am häufigſten bei Schwerhörigen, denn im geſelligen und geſchäftlichen Verkehr ſind ſolche Men— ſchen gezwungen, fortwährend aufmerkſam zu horchen und zu lauſchen. Daß übrigens dieſes phyſtognomiſche Merkmal durch Schwerhörigkeit, und nicht durch andere Urſachen entſtanden iſt, darf man um ſo eher vermuthen, wenn ſenkrechte Falten auf der Stirn ausgeprägt find, denn dieſe bilden ſich gerade 192 bei Schwerhörigen vorzugsweiſe leicht aus, theils weil fie häufig verſtimmt ſind, indem ſie vergebliche Anſtrengungen machen, deutlich zu hören, theils auch, weil Schwerhörige bekanntlich meiſtens ſehr mißtrauiſch ſind, und dadurch vielfache Veranlaſſung zu Verſtimmungen finden, Fig. 89. Dann aber iſt der offenſtehende Mund auch ein Zeichen geiſtiger Bornirtheit. Ein Menſch von ſehr blödem Verſtande wird im täglichen Verkehr häufig auf Dinge ſtoßen, welche ihm unklar, fremd und überraſchend ſcheinen. Mögen diefe Dinge ſinnlich wahrnehmbare Gegenſtände ſein oder Vorſtellungen (d. h. imaginaere Gegenſtände) er wird in beiden Fällen mit offenem Munde daſtehn. Findet man den offenſtehenden Mund mit glanzloſen Augen, ſchläfrig geſenkten Augendeckeln und ohne horizontale Stirnfalten, ſo darf man auf den höchſten Grad geiſtiger Schwäche und Indolenz ſchließen, auf Blödſinn und Jdiotis mus, Fig. 90. Es wurde früher erklärt, daß im Zuſtande der Aufmerkſamkeit und Verwunderung die Augenbrauen in die Höhe gezogen werden, und daß im höchſten Grade der Aufmerkſamkeit und Verwunderung zugleich der Mund auf geriffen wird. Man könnte deshalb vermuthen, daß das phy— ſiognomiſche Merkmal des offenftehenden Mundes nicht bor komme ohne horizontale Stienfalten. Daß dem aber nicht fo ift, erklärt fic leicht, wenn man berückſichtigt, daß zum Runzeln der Stirn eine Muskelbewegung erforderlich ift, zum Offenhalten des Mundes aber nur eine Muskelerſchlaffung (der Kaumuskeln). Sehr indolente und faule Menſchen werden deshalb zu träge fein, um ihre Stirnmuskeln zu ſpannen, wenn ihre Aufmerkſamkeit angeregt wird, und be— gnügen fih damit, „das Maul aufzuſperren“. Um den Mund geſchloſſen zu halten, iſt ein gewiſſer Grad von Muskelſpannung erforderlich; dieſe hört im Schlafe auf, und deshalb ſieht man bei Schlafenden den Mund mei- ſtentheils offen ſtehn, auch bei Kranken im Zuſtande großer Erſchöpfung (3. B. während eines Nervenfiebers). Mit der erlöſchenden Lebenskraft vermindert ſich auch die natürliche Spannung der Muskeln, und deshalb ſieht man oft bei Greiſen den offenſtehenden Mund als Zeichen einer allgemeinen Muskelſchwäche. Es können nun aber Krankheitszuſtände der Naſe, z. B. Stockſchnupfen, einen Menſchen zwingen, ausſchließlich oder doch hauptſächlich durch den Mund zu athmen. In Folge deſſen wird er beſtändig oder gewöhnlich den Mund offenhalten müſſen, und leicht den Eindruck großer Bornirtheit machen. Man findet zuweilen Menſchen, und am häufigſten un⸗ ter den Engländern, bei denen die Zähne ſo lang und die Lippen ſo kurz ſind, daß der Mund nur mit großer Anſtrengung geſchloſſen werden kann. Solche Menſchen ſieht man gewöhnlich mit offenem Munde, Fig. 91. Bei einigen Menſchen iſt das Knochengerüſt des Gefi- tes fo gebildet, daß das Kinn ungewöhnlich weit zurück— ſteht. Da nun bei dem offenſtehenden Munde das Kinn zurücktritt, indem es herabſinkt, ſo bekommt ein Geſicht mit zurückſtehendem Kinn Etwas von dem phyſiognomiſchen Cha- racter des offenſtehenden Mundes, und macht wohl auf un— geübte Beobachter den Eindruck geiſtiger Beſchränktheit und Schlaffheit, Fig. 92. Hierin mag der Grund liegen, daß 13 | u AA T * | i Wi i 3 EL 1 etl | i thy i N | ag + | 1 | i | | N H i | } S j i N Yi i ji i i 1 i $ i i i i I zu i 1 4 " fl il Ie 7 | | i i | "BE N 44 i the fi Ir ii f | W $ EI | % 1 EES} i F i 4 PEB i Y =. E ENE i ¡TAN E NE ij 1 HE = 4 iip ý ie | | 11 1 | 111 4 (UE | iy | ı al ve 1) + LEI" Ih 4! 1135 a A 4 ia te} Y 4 E: 1 A a $ : | AA HE i | JA Mire | č f E] [i M NAI) ji i! KAI 1 4 1 ag | ie EE ea 1 EME 4 hi IE | KAI || a Sia ih y E f SIT T 3 p i - a „M i i 194 man das Gegentheil dieſer Geſichtsbildung, d. h. ein yor- ſtehendes Kinn, ziemlich allgemein für ein phyſiognomiſches Zeichen von Energie und Kühnheit anſieht. Solch' ein Kinn hatte z. B. Napoleon J.; daß aber dieſer Knochenform keine phyſiognomiſche Bedeutung beigelegt werden darf, ſieht man an dem Profile Friedrich's II. (Fig. 58), welcher, mit ähn— lichen geiſtigen Eigenſchaften wie Napoleon I., ein ſehr zurückliegendes Kinn hatte. Auch die Phyſiognomie K. M. v. Weber's iſt auffallend durch das ſehr unbedeutende und zurückſtehende Kinn. (Fig. 61.) Ive. Phyſiognomik der Mafe. Wie in mimifcher fo gilt auch in phyfiognomi- fher Beziehung das von den Augendeckeln Gefagte für die Naſenflügel. Geſpannte Naſenflügel haben dieſelbe phyſiognomiſche Bedeutung wie hochſtehende Augendeckel. Man erkennt an ihnen einen für alle Eindrücke empfänglichen, aufgeweckten Geiſt. (Fig. 42.) Doch wurde bereits in dem mimiſchen Theile auseinan— dergeſetzt, daß bei vielen Menſchen die Naſenflügel ganz un- beweglich ſind; wie in mimiſcher, ſo haben deshalb auch in phyſtognomiſcher Beziehung die aufgeblähten Naſenlöcher nur eine untergeordnete und relative Bedeutung. Die phyſiognomiſche Spannung der Naſenflügel tritt be— ſonders deutlich hervor in den Portraits des Cardinals 195 Richelieu (Fig. 59), Napoleon's (Fig. 70), Schubart's (Fig. 73) und Webster's (Fig. 68). IVa. Phyſtognomiſche Merkmale, welche durch häufiges Lachen und Lächeln entſtehen. Wenn in den Geſichtsmuskeln weder eine mi— miſche noch phyſiognomiſche Spannung ſich geltend macht, ſo iſt die Mundlinie wellenförmig geſchwun— gen. (Fig. 65.) Bei Menſchen aber, welche viel lachen und lächeln, ſind die Lachmuskeln vorzugsweiſe ſtark ausgebildet, und ihre vorwiegende Spannung giebt ſich dann in der Phyſiognomie dadurch zu erkennen, daß die Mundwinkel etwas höher ſtehn als gewöhn— lich, daß die Mundlinie geradlinig erſcheint, und daß die neben den Mundwinkeln liegenden Mundfalten ſtark ausgeprägt ſind. Da die Urſachen, welche uns lachen und lächeln machen, nicht ſowohl außer als in uns liegen, da wir meiſtentheils nicht ſowohl durch glückliche Lebens— verhältniſſe, wie durch angeborenen Frohſinn fröh— lich geſtimmt werden, ſo laſſen die oben angegebenen phyſiognomiſchen Merkmale in der Regel auf einen heitern, muntern Sinn ſchließen. Doch wird der aufmerkſame Beobachter wohl berückſich— tigen, inwieweit dieſer phyſiognomiſche Ausdruck durch andre 13* Bi phyſiognomiſche Züge modificirt wird, durch den Blick, durch horizontale Stirnfalten, durch den verachtenden Ausdruck des Mundes u. ſ. w.; er wird zu unterſcheiden haben, ob der lächelnde Ausdruck bei einem Menſchen phyſiognomiſch ge worden iſt, weil genügſamer Frohſinn oder anmaßende Selbſt⸗ zufriedenheit bei ihm vorherrſchend ſind; er wird endlich zu prüfen haben, ob das häufige Lachen und Lächeln, durch welches dieſer phyſiognomiſche Ausdruck entſtanden ift, ein natürliches oder erkünſteltes zu ſein pflegt. Um die Zweifel zu beſeitigen, genügt es, einen Menſchen kurze Zeit im Ver⸗ kehr mit Andern zu beobachten oder in's Geſpräch zu ziehn. Schon in der Einleitung zu dieſem phyſtognomiſchen Theile wurde auf den Ausſpruch des Socrates hingewieſen: „Rede, damit ich dich ſehe!“ und es wurde dort eingehend erörtert, welch' weſentliche Bedeutung das Mienenſpiel des Redenden für den Phyſiognomiker hat. Während des Geſpräch's wird es ſich ſehr bald herausſtellen, ob ein Menſch außergewöhn⸗ lich häufig zu lachen und zu lächeln pflegt, weil angeborener Frohſinn, Gewohnheit oder Berechnung ihn dazu treibt; ob ſein Lächeln ein unbefangenes und natürliches, ein höfliches und verbindliches, oder ein kriechendes und gleißneriſches iſt. Je mehr das Lächeln ein ungerechtfertigtes, erkünſteltes ift, deſto offenbarer ift die beabſichtigte Täuſchung, deſto mehr iſt man zum Mißtrauen berechtigt. Lächelnde Schurken find be⸗ kanntlich die gefährlichſten, und mit Recht wird allgemein das häufige unmotivirte Lächeln für ein Zeichen von Falf- heit gehalten “). 2 Ueber die Bedeutung der verſchiedenen Arten des Lachens macht. Barthe- lemi della Rocca Cocles (Barptolomaei Coclitis Physiognomiae et Chiromantiac n Den phyſiognomiſchen Ausdruck natürlicher Heiterkeit trägt in hohem Maße das Geſicht Chodowiecki's, des lie— benswürdigen und humoriſtiſchen Künſtlers, Fig. 93. Wie der lächelnde Ausdruck in dem Geſichte Luther's (Fig. 74), Spener's (Fig. 75) und des Matthias Claudius (Fig. 76) durch andere phyſiognomiſche Züge modifkeirt wird, wurde an den betreffenden Stellen erwähnt. Dem Munde Luther's ſehr ähnlich iſt der Mund Benjamin Franklin's auf dem von A. Scheffer gemalten und von Girardet geſtochenen Bilde, Fig. 94, denn Freundlichkeit und Feſtigkeit ſind darin gleichmäßig ausgeprägt. In den Augen Franklin's iſt, zwiſchen der Hornhaut und dem unteren Augenlide, das „Weiße vom Auge“ ſichtbar (vergl. S. 166), doch läßt ſich in dem Bilde nicht deutlich erkennen, ob ein erhabener, ide— aler Blick, oder eine außergewöhnliche Größe der Augenſpalte, oder Beides die Urſache dieſes phyſiognomiſchen Merkmals iſt. Compendium. Argentorati 1533) einige Bemerkungen, welche in der Ueberſetzung folgendermaßen lauten: „Thoren und Menſchen, welche eine große Milz haben, lachen ſehr viel. Wer bei unbedeutenden Veranlaſſungen lacht, iſt beſchränkt, eitel, wankelmüthig, leichtgläubig, ſchwer von Begriffen, dienſtfertig und offenherzig. Wer nur ſelten ein kurzes Gelächter ausſtößt, iſt beſtändig, beharrlich, klug, hellköpfig, verſchloſſen, treu und arbeitſam. Weſſen Mund ſich ſchwer zum Lachen verzieht, ift beſonnen, ſcharfſinnig, er- finderiſch, geduldig, beharrlich, fleißig in ſeinem Berufe und jähzornig. Wer leicht lacht und beim Lachen oft anſtößt, oder den Mund aufreißt, oder den Kopf hin⸗ und herwendet, iſt veränderlich, neidiſch, leichtgläubig und leicht herum zu bringen. Wer mit ſpöttiſchem Munde lacht, ift anmaßend, falſch, hartnäckig, jäh⸗ zornig, lügneriſch und treulos.“ Von Aldrovisi exiſtirt ein Werk: Gelatoscopia sive divinatio ex risu. Nap. 1611, doch iſt es dem Verf., trotz aller Bemühungen, nicht gelungen, es auf— zufinden. V. Reſumè der phyſtognomiſchen Merkmale. ä Die Augen. | Wenn ein Meuſch für gewöhnlich träge und träumeriſch blickt, jo darf man auf Geiſtesträg— heit und Gedankenarmuth ſchließen; wenn er raſch und lebhaft blickt — auf geiſtige Regſankeit; wenn er fef und fixirend blickt — auf Energie im Handeln oder Denken; wenn er ſanft blickt — auf Sanftmuth; wenn fein Blick umherſchweifend iſt — auf Mangel an Ausdauer, auf leichten Sinn, aber auch auf Leichtſinnz wenn fein Blick unſtät it — auf Schüchternheit oder Schuldbewußtſein; den verſteckten Blick findet man bei mißtrauiſchen, den pedantiſchen Blick bei pedantiſchen, den ent- zückten Blick bei ſchwärmeriſchen Menſchen. Senkrechte Stirnfalten bilden fig aus 1) bei Menſchen, welche viel gelitten haben; 2) bei leicht verftimmten, verdrießlichen Menſchen; 3) bei 199 eifrigen Denkernz 4) in Folge von empfindlichen Augen; 5) in Folge von Kurzſichtigkeit. Das offene Auge läßt auf einen offenen Sinn, auf geiſtige Gewecktheit ſchließen; das ſchläfrige Auge auf Indolenz. . Horizontale Stirnfalten verrathen Nen- gierde oder geiſtige Empfänglichkeit. | Tebhafter Glanz der Augen ift ein Zeichen geiſtiger Lebhaftigkeit; feuchter erſcheint dieſer Glanz bei Gemüthsmenſchen, trockener — bei Verſtandesmenſchen. Mund und Naſe. Den bittern Zug findet man ausgebildet bei erbitterten oder verbitterten Menſchen; den fäf- lichen Zug als Folge ſüßlichen Weſeus; den prát- fenden Zug bei Gourmands und bei ſelbſtgefäl⸗ ligen Menſchen, die ſich gern wichtig machen; der verbiſſene Zug verräth Beharrlichkeit oder Eigen— jinn; der veradtende Zug — Hochmuth; der of- Fenftefende Mund — Schwerhörigkeit oder geiſtige Bornirtheit; geſpannte Naſenflügel — Aufge— wecktheit; der lächelnde Mund — Frohſinn. Indem der Verf. dieſe Frucht mehrjähriger Studien dem Publicum übergiebt, hofft er, daß es ihm gelingen möge, an— dere Kräfte zu der begonnenen Arbeit heranzuziehen. Daß Mimik und Phyſiognomik bisher fo ſtiefmütterlich von der =. Wiſſenſchaft behandelt worden find, daß man ihre theoretiſche Seite fo auffallend vernachläſſigt hat, muß um jo befremden— der und ungerechtfertigter erſcheinen, als Jedermann, der Ge⸗ lehrte nicht weniger als der Ungelehrte, ſich täglich bemüht, im Umgange mit anderen Menſchen den mimiſchen und phy ſiognomiſchen, den wechſelnden und bleibenden Ausdruck des menſchlichen Antlitzes zu ſtudiren und zu deuten. Viele Menſchen erwerben ſich in dieſer Kunſt eine be⸗ deutende Fertigkeit, und wenn ſie dabei auch nicht durch theovetifche Gründe geleitet werden, jo liegt doch in der Rich⸗ tigkeit ihrer Beobachtungen der Beweis, daß ſolche Gründe exiſtiren. | Dieſe aufzufinden, war das Beftreben des Verf. Ob es ihm gelungen iſt, möge der Leſer entſcheiden. — iia ma Verzeichniß der Illuſtrationen. I. Mimiſcher Cheil. Der Augapfel. . Der verftedte Blick. . Der entzüdte Blick. 5 . Madonna von Guido Reni (der mtyktte Blick) Die Geſichtsmuskeln. pad 13 5. Die ſenkrechten Stirn falten ; 44. Die Kriegsfurie von Rude auf dem Arc de Pe in Paris (ſenkrechte Stirnfalten) . . sya yO. R . Der verfteďte Blick mit ſenkrechten Stirnfalten. ee ss ABE 9. Die aufgeriffenen Augen . „Die ſchläfrig gefenkten Augendedel. . . . . K a . Die aufgeriffenen Augen mit horizontalen Stienfalten A 593 Die ſchläfrig geſenkten Augendeckel mit horizontalen Stirnfalten 54. Die aufgeriſſenen Augen mit ſenkrechten und horizontalen Stirn- RP RZA E ja ͤ v S DK . Lavfoon. (Senkrechte und horizontale Stirnfalten) . Der bittere Bug . Der bittere Zug mit ſenkrechten Sürnſalten Der bittere Zug mit dem entzückten Blicke. Der bittere Zug mit horizontalen Stirnfalten . „Der bittere Zug mit aufgeriſſenen Augen, ſenkrechten und hori- zontalen Stirnfalten — — . ore mak vito SÄ ig. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 26. ZN: 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36. 37. 38. 99, 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. Der ſüße Bug. : Der ſüße Zug mit dem entgllften Blicke Der ſüße Zug mit dem verſteckten Blicke Der ſüße Zug mit horizontalen Stirnfalten . 4 Der ſüße Zug mit dent bittern Zuge und entziidtem Blicke Der prüfende Zug Der prüfende Zug mit ſenkrechten Stirnfalten Der prüfende Zug mit horizontalen Stirnfalten . Kopf aus dem Bilde: Die Weinprobe von Haſenklever mi prů fende Zug). F sat 0 nda - . Der verbiſſene ung . Der verbiſſene Zug mit ſenkrechten Stirnfalten Der verbiſſene Zug mit horizontalen Stirnfalten . i Kopf aus dem Bilde: Gregor VII. in der Verbannung zu Sa⸗ lerno, von J. Schrader (der verbiſſene Zug mit dem verſteckten Blicke, ſenkrechten und horizontalen Stirnfalten) . . . 36. Der verbiſſene Zug mit dem bittern Zuge und ſenkrechten Stirn⸗ falten. Der verbiſſene 805 mit va bittetn Zuge, enen Augen, ſenkrechten und horizontalen Stirnfalten und geſchwellten Naſen⸗ flügeln Der Ausdruck der Verachtung Der verachtende Zug im Munde i i Der verachtende Zug mit ſenkrechten Stirnfalten Der offenſtehende Mund 3 j ‘ Der offenftehende Mund mit horizontalen Stienfalten Der Borgheſiſche Fechter (Intenſiv geſpannte Aufmerkſamkeit) Die Garnwinderin von Gerard Douw (Ausdruck der Aufmerk— ſamkeit) e den aan 2.51 Geſp aue Nenn 92. Das lachende Geſi cht. 32) paalua i Das lächelnde Geſicht (Die Wangengrübchen) Das gezwungene Lächeln. Das heftige Lachen (mit ſenkrechten Stirnfalten). ee Das heftigſte. Lachen (mit ſenkrechten Stirnfalten und dem bittern Zuge) 177 Mors a SE. 2 ende Gehe pe nee 02 Der lächelnde Zug mit dem verſteckten Blicke. Der lächelnde Zug mit dem entzückten Blicke Der lächelnde Zug mit dem bitter Zuge und entzücktem Blicke. . Die heilige Elifabeth auf dem Murillo'ſchen Gemälde: Die Ma: donna von Sevilla (der lächelnde Zug mit dem bittern Zuge, entzücktem Blicke und horizontalen Stirnfalten) N Der lächelnde mit dem verachtenden Zuge (das höhniſche Lächeln) Der lächelnde Zug mit offenſtehendem Munde, aufgeriſſenen Augen und horizontalen Stirnfalten. II. phyſtognomiſcher Theil. Goethe von Chodowiedt . Goethes Marmorbüſte in Weimar. ; „Silhouette Goethes aus: „Goethes Briefwechsel 1 mit Reftne.“ 4 Friedrich der Große von einem „Friedrichsthaler“ . 140. 144. 189. — UR ꝶ -̃bl a 21 EN —:. ⁵¼: EP A TE ně 300020 JAME „K. M. von Weher ; i f. . E. F. Graf von Herzberg von Shobowiedt . . Katharina II. von Chodowiedt . Johann der deutſche Reichsverweſer Der entzückte Blick. . Sean Paul F. Richter . . Beethoven von A. von Kloeber . Daniel Webſter von Ames 59. Photographie von Joh. Müller. Napoleon I. von J. Guerin . . Büfte des Brutus ; Zuſammengewachſene Augenbrauen. 73. Schubart von J. Oelenhainz. Luther von Lucas Cranach 75. Opener . Matthias Claudius : Kopf aus dem Bilde: Das en von Kaulbach Hochgewölbte Augenbrauen P Seite 105 ig. 79. 80. Der bittere Bug . Tiefſtehende Naſenſpitze 81. Büſte des Kaiſers Nero. 82. 83. 84. 85. 86. 87. 88. 89. Schmale Lippen. Greiſengeſicht Photographie des Generals W. Sent Photographie des Miniſters Guizot Cromwell von Cooper . DM . General Kleber A ; Der offenſtehende Mund mit ſenkrechten Gärnialien : .Der offenftehende Mund mit ſchläfrig geſenkten Wugenbeďeln . Kurze Lippen bei langen Zähnen Zurückſtehende Unterlippe. Chodowiecki . B. Franklin von A. Scheffer Druck von C. Grumbach in Leipzig. MS e ae e a — — E bu M * \ ow K — — — — eee Te a —y— —— JA N nie — — — ja — — | = — idm —— — — m—— a ae z a. 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