I

DER

PROCESS GALILEIS

UND

DIE JESUITEN.

VON

DR- F. H. REUSCH,

PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT IN BONN.

BONN,

EDUARD WEBER'S VERLAG

(JULIUS flittner).

1879.

HISTORISCHE?

AN DER TECH ;i HOCHSCHULE CR

Das Recht der Uebersetzung behält sich der Verfasser vor.

VORWORT.

Es bedarf einer Erklärung, dass ich schon so bald nach dem im Jahre 1876 erschienenen Buche von Karl von Gebier, ,, Galileo Galilei und die römische Curie," eine ausführliche Darstellung des Galilei'schen Processes veröffentliche. Geblers Buch ist anerkannter- massen eine fleissige und tüchtige Arbeit und gibt eine im Wesent- lichen richtige Darstellung des Conflictes Galilei's mit der Römischen Curie. Seit Jahren mit Studien über diesen Gegenstand beschäftigt, hätte ich im J. 1876 Geblers Darstellung wohl in Einzelheiten be- richtigen und vervollständigen und in einigen nicht ganz unbedeu- tenden Punkten eine abweichende Ansicht begründen können; aber ich würde mir damals nicht zugetraut haben, eine wesentlich bessere Arbeit zu liefern. Seitdem sind aber bekanntlich die Vatica- nischen Processacten zum ersten Male vollständig und genau, und zwar am besten durch Gebier selbst, veröffentlicht, und ausserdem andere interessante Materialien durch die Schriften von Berti, Pieralisi u. A. bekannt geworden. Ferner sind einzelne den Ga- lilei'schen Process betreffende Fragen Gegenstand specieller Er- örterungen geworden, wie namentlich die Frage: „Ist Galilei ge- foltert worden?" in dem unter diesem Titel im J. 1877 von Emil Wohlwill veröffentlichten Buche und in vielen durch dasselbe ver- anlassten Aufsätzen. Im Anschlüsse an dieses Buch ist auch die Echtheit eines Theiles der Vaticanischen Processacten in ausführ- lichen und scharfsinnigen Untersuchungen von Einigen bestritten, von Anderen, worunter auch Gebier, vertheidigt worden. Wäre es Gebier vergönnt gewesen, eine zweite Auflage seines Buches her- auszugeben, — er ist 7. Sept. 1878, viel zu früh, erst 27 Jahre alt, gestorben, dieselbe würde eine stark umgearbeitete haben werden müssen.

Mein Buch beansprucht aber nicht etwa bloss, als eine ver- besserte und vermehrte Auflage des Gebler'schen angesehen zu werden. Ueber Einen Punkt spricht sich Gebier nur gelegentlich aus, und was er darüber sagt, ist so ungenügend, dass man sieht :

IV Vorwort.

er war nicht Theologe genug, um denselben gründlich erörtern zu können. Das ist die Frage, welche eine richtige Darstellung der Thatsachen dem Theologen von selbst aufdrängt," welche aber doch auch für weitere Kreise ein grosses Interesse, hat, die Frage: was lehrt uns die Verdammung der Copernicanischen Ansicht im Jahre 1616 und die Verurtheilung Galilei's im Jahre 1633 bezüglich der Autorität, welche man in Rom für die Entscheidung von theo- logischen und mit der Theologie zusammenhangenden Controversen beansprucht? eine Frage, welche mit der Antwort: dass wenigstens die damaligen Päpste Pius V. und Urban VIII. nicht unfehlbar waren, ebenso wenig erledigt ist als mit der Antwort, bei welcher gleich vielen Anderen auch Gebier sich beruhigt hat : dass die Römischen Congregationen des Index und der Inquisition bei ihren Entscheidungen, auch wenn die Päpste persönlich mit denselben einverstanden sind, gröblich irren können.

Eine eingehendere Erörterung dieser Frage gibt Gebier nicht und konnte er nicht wohl geben. Eine zugleich gründliche und unbefangene Erörterung dieser Frage vermisse ich in der neuern Galilei-Literatur überhaupt, und doch hat dieselbe, wie die Leser meines Buches hoffentlich erkennen werden, eine Bedeutung, die über ihren Zusammenhang mit der Frage über die päpstliche Un- fehlbarkeit weit hinausgeht.

Damit, dass ich mit einer vollständigen geschichtlichen Dar- stellung des Galilei'schen Processes eine Erörterung der theologi- schen Bedeutung desselben verbinde, hängt auch der Titel meines Buches zusammen. Ich habe denselben nicht bloss darum gewählt, weil ich den Einfluss, den Jesuiten auf die Haltung der Römischen Behörden dem Copernicanischen Systeme und Galilei gegenüber ge- übt, klarer ins Licht gestellt zu haben glaube, als dieses in anderen Darstellungen des Processes geschieht, sondern auch und hauptsäch- lich darum, weil ich mich bei den theologischen Erörterungen vor- zugsweise mit Schriftstellern aus einander zu setzen habe, welche Jesuiten oder Schüler der Jesuiten sind.

Nachdem die Jesuiten in den letzten Decennien es längere Zeit vorgezogen haben, über die ihnen begreiflicher Weise nicht bequeme Galilei'sche Angelegenheit mit kurzen und gelegentlichen Bemerkungen hinwegzugehen, scheinen sie in der neuesten Zeit es für nöthig gehalten zu haben, die Sache eingehender zu behan- deln, und die Art und Weise, wie sie dieselbe behandeln, ist so charakteristisch für die jesuitische Theologie überhaupt, dass sie wohl eine vollständige Darstellung und gründliche Prüfung verdient.

Vorwort. V

Fast gleichzeitig haben im Jahre 1878 die Jesuiten H. Grisar, Professor der Theologie an der k. k. Universität in Innsbruck1), und G. Schneemann2) den Galilei'schen Process in wissenschaft- lichen Aufsätzen, etwas früher, im J. 1877, in Frankreich der Pater Eugen Desjardins3) in einer populären Broschüre behandelt. Der Aufsatz von Schneemann ist freilich eine bis zur Frivolität flüchtige und oberflächliche Arbeit, und die Broschüre von Desjardins ist noch leichtere Waare; aber die Aufsätze von Grisar bieten zunächst eine auf neissigen Studien beruhende Darstellung des Galilei'schen Processes, welche sogar in einzelnen Punkten dankenswerthe Be- richtigungen und Vervollständigungen zu den bisherigen Darstellun- gen liefert, dann eine sehr ausführliche, die jesuitische Auffassung in ihrer Art recht geschickt vertretende ,, historisch- theologische Er- örterung über die Römischen Congregations-Decrete in der Ange- legenheit des Copernicanischen Systems". Auf diese Aufsätze von Grisar habe ich also bei meinen Erörterungen vorzugsweise Bezug genommen; daneben habe ich ausser den Arbeiten von Schneemann und Desjardins noch berücksichtigt einige ältere Aufsätze in der Civilta cattolica4), von dem französischen Jesuiten A. de Gabriac5), dem deutschen Jesuiten und k. k. Professor J. B. Wenig0), dem Germaniker Reinerding7), dem mit dem Jesuitenorden eng liirten

i) In der Innsbrucker „Zeitschrift für katholische Theologie", 2. Jahr- gang, 1878: „Der Galilei'sche Process auf Grund der neuesten Actenpubli- cationen historisch und juristisch geprüft", S. 65 128; „Die Römischen Congregationsdecrete in der Angelegenheit des Copernicanischen Systems historisch und theologisch erörtert", S. 673 736; dazu einige Recensionen S. 185 192. 601—605.

2) „Galileo Galilei und der Römische Stuhl" in den „Stimmen aus Maria-Laach", Jahrgang 1878, 2. 4. Heft, S. 113 130. 254 270. 389 403.

3) Encore Galilee! Polemique, Histoire, Philosophie. Pau 1877.

4) Besonders Ser. 9 vol. 9 und 10 (1876).

5) „Galilee devant la science, la religion et la litterature", in den „Etu- des religieuses, historiques et litteraires par des Peres de 4a Compagnie de Jesus", Nouvelle Serie, Tome 12 (1867), p. 528—547.

6) Ueber die kirchliche und politische Inquisition. Von Theophilus Philalethes. Wien 1875 (s- u- S. 469). Ueber die Freiheit der Wissen- schaft. Rede gehalten zum- Amtsantritt von J. B. Wenig S. J., o. ö. Prof. der Theologie, d. Z. Rector magnificus der k k. Universität zu Innsbruck. Innsbruck 1866.

7) „Beiträge zur Frage über Galileo Galilei und seine Römische Ver- urtheilung", in den Historisch-politischen Blättern, 56. Band (1865), S. 42 { —439-

VI Vorwort.

französischen Kanonisten D. Bouix,1) und einem noch über die Je- suiten hinausgehenden Infallibilisten, dem englischen Convertiten W. G. Ward, bis vor kurzem Herausgeber der unter der Leitung des Cardinais Manning erscheinenden Dublin Review2), sowie die gelegentlichen Bemerkungen in den dogmatischen Werken des Jesuiten-Cardinals Franzelin3) und der mit den Jesuiten verbrüder- ten deutschen Theologen J. B. Heinrich und M. J. Scheeben und in der Kirchengeschichte des neuen Cardinais J. Hergenröther. Es wird vielleicht auffallend erscheinen, dass ich den ausführ- lichen und scharfsinnigen Erörterungen von Wohlwill, Cantor und Scartazzini gegenüber die Echtheit sämmtlicher Stücke der Vatica- nischen sowie der von Gherardi veröffentlichten Processacten fest- halte. Dass man in Rom nicht fähig gewesen sein sollte, im J. 1632 vor dem zweiten Processe ein gefälschtes Schriftstück in die Acten des ersten hineinzubringeu, um Galilei um so sicherer ver- urtheilen zu können, oder die Processacten vor ihrer Auslieferung an die französische Regierung im J. 1809 oder vor ihrer theil- weisen Veröffentlichung durch Monsignor Marini im J. 1850 durch die Entfernung echter und die Beifügung gefälschter Stücke zu- recht zu machen, glaube ich ebenso wenig wie die eben genannten Gelehrten. Aber dass dieses wirklich geschehen sei, scheint mir nach meinen ganz unbefangen angestellten Untersuchungen nicht nur nicht erwiesen, sondern bei den meisten hier in Betracht kom- menden Actenstücken im höchsten Grade unwahrscheinlich zu sein. Scartazzini hat zwar kürzlich in einer italienischen Zeitschrift 4) ver- sichert: ,, Die Deutschen sind jetzt überzeugt, dass sich in der Va- ticanischen Handschrift, welche die angeblichen Acten des Gali- lei'schen Processes enthält, viele Lücken und nicht wenige Fäl- schungen finden. Wenn noch irgend ein literarischer Charlatan (ciarlatano delle lettere) hartnäckig dabei bleibt, nein zu sagen, so

1) La condamnatioii de Galilee. Lapsus des ecrivains qui l'opposent ä la doctrine de l'infaillibilite du Pape, in der Revue des sciences ecclesia- stiques dirigee par M. l'abbe D. Bouix, 2. Serie, Tome 3 (1866), p. 105 140. 217 230.

2) The Authority of Doctrinal Decisions which are not Definiüons of Faitli. By W. G. Ward, D. Ph. London 1866. Copernicanism and Pope Paul V., in der Dublin Review, New Series No. 32 (April 1871), p. 351 368. Galileo and the Pontifical Congregations, ebend. No. 33 (July 187 1), p. 140 169.

3) Tractatus de divina traditione et scriptura. Romae 1870.

4) Rivista Europea 1878, Vol. 8, p. 790.

Vorwort. VII

lassen sie ihn sprechen und gehen vorüber, und das ist das Beste, was man thun kann." Ich habe eine bessere Meinung von den Deutschen, die sich für den Galilei'schen Process interessiren, und hoffe sogar von den Herren Wohlwill, Cantor und Scartazzini, dass sie mich nicht darum, weil ich ihre Ansicht nicht theile, für einen literarischen Charlatan halten und dass sie über meine Einwen- dungen gegen ihre Argumentationen nicht zur einfachen Tages- ordnung übergehen werden.

Wenn ich aus den Briefen Galilei' s und seiner Zeitgenossen noch reichlichere Auszüge in deutscher Uebersetzung in meine Darstellung verwebe, als dieses in den bisherigen Darstellungen geschehen, so habe ich das darum gethan, weil es das beste Mittel ist, den Lesern ein treues und anschauliches Bild von dem Manne und seiner Zeit vorzuführen. Die Originaltexte der Briefe, namentlich der nicht in Alberi's Sammlung enthaltenen, sind ja auch den meisten Lesern nicht zugänglich.

Die neue Auflage von D. Berti's Ausgabe der Acten des Galilei'schen Processes (s. S. 3) und der Aufsatz von E. Wohl- will, „Der Original-Wortlaut des päpstlichen Urtheils gegen Gali- lei" (des Beschlusses der Inquisition vom 16. Juni 1633; s. S. 299), in der Zts. für Math. 1879, 1. H., Hist.-lit. Abth., S. 1 26, sind mir erst zu Gesicht gekommen, als bereits zwanzig Bogen meines Buches gedruckt waren. Sie sind bei den folgenden Bogen und nebst einigen anderen neueren Publicationen in den Nachträgen S. 479 ff. berücksichtigt worden.

Bonn im April 1879.

Reusch.

INHALT.

Seite. I. Quellen i

II. Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung 8

III. Galilei und die Peripatetiker 12

Die Peripatetiker S. 12. Scheiners Rosa Ursina S. 13. Galilei's Entdeckungen S. 15. Sidereus Nuncius S. 16. Discorso sui Ga- leggianti S. 18. Die Copernicanische Theorie S. 19. Galilei und Kepler S. 20.

IV. Galilei's Reise nach Rom im J. 161 1. Seine Schrift über

die Sonnenflecken 24

Bellarmin und die Mathematiker des Römischen Collegs S. 25; vgl. S. 479. Galilei's Freunde in Rom S. 26. Clavius S. 28. Die erste Erwähnung Galilei's in den Acten der Inquisition S. 29; vgl. S. 480. Scheiner und Galilei über die Sonnenflecken S. 31. V. Die Controverse über die theologische Zulässigkeit der

Copernicanischen Theorie 34

Brief an Castelli S. 37. Brief an Christina von Lothringen S. 43. Briefe an Dini S. 52. Aeusserungen der Cardinäle Bar- berini und Bellarmin und des P. Griemberger S. 56. Brief an Diodati über Fromond S. $7. Foscarini S. 59. Campanella Bellarmins Brief an Foscarini S. 62. Galilei's Erwiederung S. 65. VI. Die Römische Inquisition und die Index-Congregation . 69 Das Sacro Arsenale und andere Literatur über die Inquisition S. 74; vgl. S. 480. VII. Denunciation Galilei's bei der Inquisition im J. 16 15 . 77 Niccolö Lorini S. 78. Die Predigt Caccini's S. 78. Die Denun- ciation Lorini's S. 82. Das Verhör Caccini's S. 85.

VIII. Galilei's Briefwechsel im J. 16 15 88

IX. Galilei in Rom, December 16 15 bis Juni 16 16 . . . 98 Berichte Galilei's S. 99. Berichte Querenghi's und Guicciar- dini's S. 102.

Inhalt. IX

Seite. X. Die Verdammung der Copernicanischen Lehre, 25.

Februar 1616 107

Qualifikation der Copernicanischen Lehre S. 107. Sitzung der Inquisition 25. Febr. 1616 S. 110. Index-Decret vom 5. März 1616 S. in. Bedeutung desselben S. 115. Verhältniss des- selben zu dem Urtheil der Qualificatoren S. 118. Die Coperni- canische Lehre als „Hypothese" S. 121. Bellarmins Antheil an dem Index-Decret S. 125.

XL Galilei's Verwarnung am 26. Februar 1616 . . . . 127 Actenstücke über diese Verwarnung S. 127 (Die Bedeutung von teuere S. 128). Die Echtheit der Aufzeichnung („Registratur" S. 133) vom 26. Febr. S. 130 (Die Bedeutung von successive ac incontinenti S. 136). Tragweite der Verwarnung S. 144 (Die Bedeutung von tractare S. 146).

XII. Aeusserungen Galilei's und seiner Freunde über die Ent- scheidung vom J. 16 16 150

Galilei nach Florenz zurückberufen, S. 150. Zeugniss Bellar- mins S. 151; vgl. S. 480. Audienz bei Paul V. S. 153. Aeusse- rungen über die Entscheidung vom J. 1616 S. 153. Die Haltung der Lincei S. 154; vgl. S. 480. Brief an Erzherzog Leopold S. 155. Aeusserungen von Stelliola, Castelli und Kepler S. 156.

XIII. Galilei's Controverse mit den Jesuiten Grassi und Scheiner. Der „Saggiatore" . 160

Die Controverse mit Grassi S. 160. Der Saggiatore S. 163. P. Riccardi S. 164. Denunciation des Saggiatore S. 169. Schei- ners Rosa Ursina S. 170. Scheiners Verhalten S. 172.

XIV. Galilei und Papst Urban VIII 174

Tod Pauls V. S. 174. Gregor XV. S. 175. Urban VIII. (MafFeo Barberini) S. 175. Ciampoli's Beförderung S. 175. 177. Die Cardinäle Barberini S. 178. Galilei in Rom im J. 1624 S. 180. Seine Pension S. 181.

XV. Galilei's Schreiben an Ingoli und andere Vorarbeiten

für den Dialog 184

Die hypothetische Behandlung der Copernicanischen Lehre S. 184. Das Schreiben an Ingoli S. 185. Scipio Chiaramonti's Controverse mit Galilei und Kepler S. 188.

XVI. Galilei's Dialog über die beiden Weltsysteme .... 192

Ausarbeitung des Dialogs S. 192. Galilei in Rom 1630 S. 197. Verhandlungen über die Approbation des Dialogs S. 198. 202. Urbans VIII. Einschreiten gegen die Astrologen S. 200. Vor- rede und Schluss des Dialogs S. 208.

XVII. Urtheile der Freunde Galilei's über den Dialog. . . 213

X Inhalt.

Seite.

XVIII. Urban VIII. und Galilei's Dialog 216

Das Einschreiten gegen den Dialog S. 217. Ae'usserungen

von Micanzio und Castelli S. 218. Charakter Urbans VIII. S. 221. Seine Gespräche mit Niccolini S. 222. Ciampoli in Ungnade S. 226. Urban VIII. und die Approbation des Dia- logs S. 227. Urban VIII. und Simplicio S. 230. Die Jesuiten S. 232.

XIX. Die Special-Congregation (August und September 1632) 235

Mitglieder der Congregation. Oregio S. 237. Actenstücke der- selben S. 238. Der angeblich fehlende Anfang der Process- acten S. 241. Die Anklagepunkte S. 243. Aeusserungen von Magalotti und Micanzio S. 244. Die Haltung des toscanischen Hofes S. 246. A. Cioli S. 248.

XX. Galilei's Vorladung nach Rom 248

Die erste Vorladung S. 248. Galilei's Brief an Card. Bar- berini S. 249. Wiederholte Vorladungen S. 254.

XXI. Galilei's Aufenthalt in Rom bis zu dem ersten Verhöre

(13. Februar bis 12. April 1633) 259

Die Cardinäle der Inquisition S. 260. Msgr. Serristori S. 261. Card. Scaglia S. 263. Card. Cappojii S. 264. Galilei's Haft S. 265. P. Firenzuola S. 267. Die Verhöre S. 267.

XXII. Das erste Verhör Galilei's 268

XXIII. Die Gutachten der Theologen der Inquisition . . . 272 M. Inchofer S. 273. Z. Pasqualigo S. 275; vgl. S. 481.

XXIV. Das zweite Verhör Galilei's, 30. April 1633. ... 27g Der Anklagepunkt S. 279. Brief Firenzuola's an Card. Bar-

berini S. 283. Galilei's Erklärung im zweiten Verhör S. 285. Seine Entlassung aus dem Inquisitionsgebäude S. 287. Die Kosten seines Aufenthalts in Rom S. 288.

XXV. Das dritte Verhör Galilei's, 10. Mai 1633. Seine Ver- teidigung ;...... 289

XXVI. Die Sitzung der Inquisition am 16. Juni 1633 . . . 293 Das Referat über den Process S. 294. Das angebliche Fehlen

der juristischen Gutachten S. 297. Der Beschluss vom 16. Juni 1633 S. 299; vgl. 481. Das Verfahren der Inquisition: Verhör über die Intention S. 303. Anwendung der Folter S. 304. Die Formel sine praeiudicio etc. S. 304. Der Ausdruck „katholisch antworten" S. 305. Der Ausdruck et si sustinuerit S. 312; vgl. S. 481.

XXVII. Das vierte Verhör Galilei's, 21. Juni 1633 . . . . 3J5 Die Echtheit des Protocolls über dieses Verhör S. 317.

Inhalt. XI

Seite.

XXVIII. Die Verkündigung des Urtheils und die Abschwörung Galilei's, 22. Juni 1633 ' 322

Wortlaut des Urtheils S. 323. Wortlaut der Abschwörung S. 329. Das Urtheil von drei Cardinälen nicht unterschrieben. S. 331. Art und Weise der Abschwörung S. 332. E pur si muove S. 334.

XXIX. Das Vergehen Galilei's 336

Die Copernicanische Lehre als ketzerisch erklärt S. 336, nicht

bloss als temerär S. 339. Nicht zwei Anklagepunkte S. 342.

XXX. Die Aufzeichnung vom 26. Februar 1616 und die Ver- urteilung Galilei's im J. 1633 346

Wohlwills Ansicht S. 346. Scartazzini's Ansicht S. 349. Ric- cardi's Stellung in dem Processe S. 351.

XXXI. Ist Galilei gefoltert worden? 357

Territio verbalis und realis S. 358. Examen rigorosum

S. 361.

XXXII. Publication des Urtheils gegen Galilei an anderen Orten 371

Der Dialog auf den Index gesetzt S. 376. Verweigerung der Druck-Erlaubniss für Galilei's Werke S. 377. Galilei soll nicht clarissimus genannt werden S. 378.

XXXIII. Die Behandlung Galilei's nach der Verurtheilung . 379 Galilei aus der Haft entlassen S. 379. Erlaubniss, nach Siena

zu reisen S. 380. Aufenthalt in Siena. Denunciation gegen den Erzbischof Piccolomini S. 385. Galilei auf seiner Villa zu Arcetri S. 386. Verwendungen von Castelli, Peiresc, Noailles und König Ladislaus von Polen S. 389. Galilei erblindet S. 393. Erlaub- niss zur Uebersiedelung nach Florenz S. 396. Verhandlungen mit den holländischen Generalstaaten S. 399. Besuch Castelli's S. 402. Andere Besuche S. 407. Gehülfen Galilei's S. 409.

XXXIV. Galilei's schriftstellerische Arbeiten seit 1633 . . .411 Eine lateinische Uebersetzuhg des Dialogs und des Briefes

an die Grossherzogin Christina in Strassburg gedruckt S. 414.

Die Dialoge über die neuen Wissenschaften S. 416. Projectirte

Publicationen S. 419. Streitschriften gegen den Dialog S. 420.

XXXV. Aeusserungen Galilei's und seiner Freunde über das

Urtheil vom J. 1633 424

XXXVI. Galilei's Tod und Bestattung 432

Verhandlungen mit der Inquisition über ein Denkmal S. 433.

Das Actenstück vom 14. Juni 1734 S. 436.

XXXVII. Die Römische Curie und das Copernicanische System 1633-1822 437

Verhandlungen im J. 1693 S. 438, unter Benedict XIV. S. 439.

XII Inhalt.

Seite. Die Ausgabe des Dialogs vom J. 1744 S. 440. Approbation des Buches von Settele und Aufhebung des Deoretes vom J. 1616 S. 441.

XXXVIII. Die Verdammung der Copernicanischen Lehre und

die päpstliche Unfehlbarkeit 442

XXXIX. Die Versuche, die Verdammung der Copernicanischen Lehre zu entschuldigen 452

XL. Epilogus galeatus 466

Nachträge 479

Personen-Register 483

I.

Quellen.

Der grösste Theil der Acten der beiden gegen Galilei in den Jahren 1615 16 und 1632 33 geführten Processe der römischen Inquisition ist in einen ziemlich starken Quartband zusammengeheftet, der sich im geheimen Archiv des Vaticans befindet 1). Unter Napoleon L, wahrscheinlich im J. 1809, wurden diese Acten mit anderen archivalischen Schätzen nach Paris gebracht. Der Plan, dieselben dort mit Beifügung einer französischen Uebersetzung zu veröffent- lichen, kam nicht zur Ausführung. Die päpstliche Regie- rung bemühte sich seit dem J. 18 14, die Acten zurückzuer- halten; aber erst 1845 oder 1846 wurden sie zurückgegeben, und zwar unter der ausdrücklichen Bedingung, dass dieselben in Rom veröffentlicht würden. Unter Gregor XVI. wurde das von der Curie gegebene Versprechen gar nicht er- füllt, unter Pius IX. nur in sehr unvollkommener Weise durch das im J. 1850 von dem Präfecten der Vaticanischen Bibliothek, Monsignor Marino Marini, veröffentlichte Werk „Galileo e l'Inquisizione. Memorie storico-critiche". Denn dieses Werk ist nichts weniger als ein vollständiger Abdruck der Acten; es ist vielmehr eine weder genaue noch unpar- teiische Darstellung der Geschichte der beiden Processe, welcher Auszüge und Fragmente der Acten beigefügt sind. Von manchen wichtigen Actenstücken wird nichts gesagt; die Auszüge aus anderen sind ungeschickt und tendenziös gemacht. P. Grisar charakterisirt die Arbeit nicht richtig, wenn er S. 66 sagt: ,, Marini, welcher im Einvernehmen Pius' IX. im J. 1850 die vielbesprochenen Processacten veröffentlichen

1) Vgl. K. v. Gebier, Die Acten des Galilei'schen Processes S. VII; zu dem Folgenden ebend. S. XXXIII und Galilei S. 385.

Reu seil, Galilei, I

2 Quellen.

sollte", von einer von der Curie übernommenen Verpflich- tung sagt Grisar nichts, „hatte sich leider bei seiner Arbeit" doch auch wohl „im Einverständnisse Pius' IX." ,, nicht entschlossen, die Documente so, wie sie waren, mitzutheilen. Er hob nur das Wichtigste getreu heraus. Mit seiner apologetisch gehaltenen, im Ganzen trefflichen Schrift erfuhr er darum das Unglück, nur um so mehr allerseits die Verdächtigung zu provociren, als habe er ge- rade das Bedeutendste unterschlagen und als dürfe und könne Rom des eigenen Interesses halber mit den unver- kürzten Acten nicht ans Licht treten." P. Desjardins be- hauptet sogar S. 8 : „Das Buch is*t freilich unvollständig und ungenügend, aber gewissenhaft und unparteiisch." Selbst H. de l'Epinois sagt: „Das Buch Marini's leistete nicht das, was man von einem Präfecten der Vaticanischen Archive erwartete: statt des lange geforderten Textes des Processes fand man nur hie und da ziemlich kurze Bruchstücke, los- gerissene Sätze, welche die Wissbegierde gar nicht befrie- digten und gestatteten, an Reticenzen zu glauben"1). Es war nicht geeignet, den durch diese unvollständige Publi- cation hervorgerufenen Verdacht zu beseitigen, dass Ande- ren, wie dem Herausgeber der Werke Galilei's, Eugenio Alberi, und dem deutschen Mathematiker Moriz Cantor2), die Einsichtnahme der Acten verweigert wurde.

Erst 1867 erhielt der französische Gelehrte Henri de TEpinois von dem damaligen Präfecten des Vaticanischen Archivs, Dr. A. Theiner, die Erlaubniss, die Actenstücke zu copiren. Er copirte aber nur die wichtigsten und machte von den anderen nur kurze Inhaltsangaben. Was er auf- gezeichnet hatte, veröffentlichte er im Juli 1867 in der Pa- riser „Revue des questions historiques"3). Seine Publication ist sehr unvollkommen, machte es aber möglich, viele Fehler Marini's zu corrigiren.

Der Professor Pietro Riccardi, welcher 1872 zu Mo- dena eine „Bibliografia Galileiana" veröffentlichte, Hess 1873

i) Galilee p. 9. Schärfere Urtheile mit beigefügter Begründung s. bei Th. H. Martin, Galilee p. 395. 407. 124. 173. 268. Gebier, Galilei S. 390; Acten S. XXXVI. Wohlwill, Der Inquisitionsprocess des Galilei S. 53; Ist Galilei gefoltert worden? S. 132. 2) Zts. f. Math. 1864, 187.

3) Separat abgedruckt unter dem Titel: Galilee, son proces, sa con- demnalion d'apres des documents inedits. Paris 1867.

Quellen. 3

im XIV. Bande der „Memorie della R. Accademia di Scienze, Lettere ed Arti in Modena" die von H. de l'Epinois ver- öffentlichten Actenstücke nebst den gleich zu erwähnenden von Gherardi publicirten und einigen schon früher bekannt gemachten Documenten zusammen abdrucken1).

Im J. 1876 erhielt der Professor Domenico Berti von Theiner die Erlaubniss, die Actenstücke zu copiren. Grisar, der von de l'Epinois sagt, er habe 1867 „die noch unbe- kannten Theile des Processes [nicht vollständig] mit Er- laubniss der römischen Archivvorstände herausgegeben", sagt von Berti S. 67: ,,Der Oratorianer A. Theiner hatte ihm das Manuscript zur Benützung anheimgegeben, mit welcher Vollmacht, können wir nicht entscheiden". In der „Nuova Antologia" vom December 1876 (T. 33, p. 854) ist ein Brief des Cardinals Antonelli vom 28. Febr. 1870 abge- druckt, worin er Berti mittheilt, Theiner sei von ihm ange- wiesen, ihm das Manuscript zur Benutzung anheimzugeben2). Auch Berti hat aber in dem Buche ,,11 Processo originale di Galileo Galilei pubblicato per la prima volta", Rom 1876, die Actenstücke weder vollständig noch genau veröffent- licht3). Einige Berichtigungen zu Berti's Abdruck veröffent- lichte noch im J. 1876 der Römische Priester Sante Pieralisi, Bibliothekar der Barberiniana, welcher 1858 acht unedirte Briefe Galilei's und 1875 das Buch „Urbano VIII e Galileo Galilei" herausgegeben hatte, in der Broschüre ,,Corre- zioni al libro Urbano VIII e G. Galilei con osservazioni sopra il processo originale di G. Galilei pubblicato da D. Berti".

Im April 1877 wandte sich Karl von Gebier, der Ver- fasser des 1876 erschienenen Werkes „Galileo Galilei und die Römische Curie", an die österreichische Botschaft in Rom mit der Bitte, ihm die Erlaubniss zur Benutzung der Acten- stücke zu erwirken. Schon am 9. Mai theilte ihm die Bot-

1) Separat abgedruckt unter dem Titel: Di alcune recenti memorie sul processo e sulla condanna del Galilei. Nota e documenti aggiunti alla Bibliografia Galileiana del Prof. Cav. Pietro Riccardi. Modena 1873.

2) Der Brief Antonelli's ist, aber ohne Unterschrift, schon in Berti's Buch S. LVI abgedruckt.

3) H. de l'Epinois, Les pieces du proces p. VII. Berti hat 1875 das Buch: Copernico e le vicende del sistema Copernicano in Italia nella seconda metä del secolo XVI e nella prima del secolo XVII veröffentlicht.

4 Quellen.

schaft mit, der Cardinal-Staatssecretär Simeoni werde ihm, wenn er nach Rom komme, die Benutzung der Actenstücke gestatten. Gebier reiste nun sofort nach Rom und erhielt ohne alle Schwierigkeit die Erlaubniss, die Actenstücke voll- ständig abzuschreiben und drucken zu lassen. Ihm verdan- ken wir eine sehr genaue Beschreibung und einen ganz vollständigen, mit grosser Sorgfalt veranstalteten Abdruck des Actenbandes in dem Buche: „Die Acten des Galilei' - schen Processes", Stuttgart 1877.

Gleichzeitig mit Gebier hat H. de l'Epinois die Acten- stücke zum zweiten Male eingesehen und gleichfalls einen vollständigen Abdruck derselben besorgt: „Les pieces du proces de Galilee, precedees d'un avant-propos", Paris 1877. Die Publication von Gebier ist aber genauer; die von Epi- nois hat vor ihr nur den Einen Vorzug, dass ihr photogra- phische Facsimile's von elf Stellen des Manuscriptes beige- geben sind1).

Der Quartband, welcher sich im Vaticanischen Archiv befindet, enthält übrigens nicht alle auf den Galilei'schen Process bezüglichen Actenstücke. Es befinden sich darin z. B. nicht zwei der wichtigsten, das am 22. Juni 1633 pub- licirte Urtheil der Inquisition und die Formel der Abschwö- rung Galilei's. Dass nicht alle Actenstücke in dem Vatica- nischen Manuscripte enthalten sind, erklärt sich aus Folgen- dem: Die Acten der römischen Inquisition wurden in zwei Serien von Bänden aufbewahrt. Die eine Serie enthält die „Decreta", d. h. die Protocolle über die Sitzungen der Con- gregation der Inquisition oder des h. Officiums und die darin gefassten Beschlüsse; die andere Serie enthält die „Processus", d. h. die Protocolle über die Verhöre der An- geklagten und die Actenstücke zu den Processen, Briefe, Gutachten der Consultoren, Verteidigungsschriften der An- geklagten u. s. w. (dazu kommen drittens noch Register- bände, „Rubricelle"). Der fragliche Quartband des Vatica- nischen Archivs ist nun zusammengesetzt aus Stücken, welche zwei verschiedenen Bänden der zweiten Serie entnommen sind: aus dem einen Bande sind die auf den ersten, aus dem andern die auf den zweiten Process bezüglichen Actenstücke

1) Berichtigungen zu seiner Ausgabe gibt Epinois in der Schrift La question de Galilee, Paris 1878, p. 3 II.

Quellen. 5

entnommen. Aus den Bänden, welche die Decreta enthalten, ist in das Vaticanische Manuscript nichts aufgenommen1).

Eine Anzahl von Decreta, welche Galilei betreffen, sind aber 1870 zu Florenz in der ,,Rivista Europea" von dem Professor Silvestro Gherardi veröffentlicht worden, welcher sie in den Jahren 1 848 und 1 84g während seines Aufenthalts in Rom, er war dort einige Zeit Unterrichtsminister, theils selbst abgeschrieben, theils aus einer bereits früher, wahrscheinlich für den Herzog von Blacas, gemachten Ab- schrift entnommen hat2). Von dem Verhältniss dieser Acten- stücke zu den Vaticanischen wird unten § VI gesprochen werden.

Die beiden oben erwähnten Actenstücke, das Urtheil vom 22. Juli 1633 und die Abschwörungsformel, welche sich weder bei Gebier noch bei Gherardi finden, sind bereits im 17. Jahrhundert veröffentlicht und seitdem oft, italienisch und lateinisch3), abgedruckt worden. Der italienische Text, welcher der Originaltext ist4), steht u. a. in Alberi' s Aus- gabe der Werke Galilei's und bei Riccardi. Bei Alberi . finden sich auch mehrere die Processe betreffende Acten- stücke aus Florenzer Archiven; andere hat Arturo Wolynski5) herausgegeben.

Ausser diesen Actenstücken sind für die Darstellung der Processe zu benutzen die Werke Galilei's und seiner Gegner, Briefe von ihm und an ihn und andere Briefe aus seiner Zeit. Dieses Material findet sich grösstentheils in der erwähnten Ausgabe der ,,Opere di Galileo Galilei" von Eugenio Alberi (f 1878), welche 1842 56 zu Florenz in 15 Bänden und einem Supplementbande erschienen ist6).

1) Vgl. Gherardi in der gleich anzuführenden Schrift S. 6. Die „Pro- cessus" wurden wohl in dem Palast der Inquisition aufbewahrt, wo die Ver- höre stattfanden, die „Decreta" in dem Dominicanerkloster della Minerva, wo die Inquisition ihre Sitzungen hielt. Berti, II processo p. CXXXVIII.

2) Separat- Abdruck : II Processo Galileo riveduto sopra documenti di nuova fönte dal Prof. Comm. Silvestro Gherardi. Florenz 1870. Die wich- tigsten dieser Stücke sind abgedruckt bei Gebier, Galilei, S. 400 ff.

3) Lateinisch auch bei Gebier, Galilei S. 422.

4) S. Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 170.

5) Lettere inedite a G. Galilei und La Diplomazia Toscana e G. Ga- lilei, Florenz 1874 (beide mir nicht zugänglich); Nuovi Documenti inediti del Processo di G. Galilei, Florenz 1878.

6) Nach dieser Ausgabe citire ich, indem ich in lateinischen Ziffern

6 Quellen.

Nachträge dazu haben Pieralisi, Berti, Wolynski und An- dere1) veröffentlicht.

Von geringem Werthe für unsern Zweck sind der Be- richt von Gioan Francesco Buonamici über den zweiten Process und die Biographieen Galilei's von dem Canonicus Gherardini und von seinem Schüler Vincenzo Viviani. Buona- mici hat zwar seinen Bericht im Sommer 1633 in Rom ver- fasst und Galilei selbst vorgelegt2), er wurde abschrift- lich als „Zeitung" nach verschiedenen Ländern versandt3);

aber Galilei äussert sich über den Inhalt nicht, einzelne Angaben desselben sind nachweislich unrichtig und darum auch die anderen nicht zuverlässig. Gherardini4) geht über den Process mit einigen dunkelen Andeutungen hinweg, Viviani' aber hat in seiner 1654 verfassten, 1718 zuerst ge- druckten Biographie Galilei's5), wie wir sehen werden, den Process und was damit zusammenhängt, aus Rücksichten gegen die Inquisition und den toscanischen Hof unrichtig,

Wohlwill urtheilt nicht zu hart, wenn er sagt: ,,in be- wusster Unwahrheit", dargestellt6). Eine notorische Fälschung ist ein bei vielen früheren Darstellungen benutz- ter angeblicher Brief Galilei's an seinen Schüler Vincenzo Renieri7).

den Band (mit Suppl. den Supplementband), in arabischen die Seitenzahl angebe.

1) Vgl. Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 36. Auch die älteren Sammelwerke von G. B. Venturi (Memorie e Lettere di G. Galilei, Modena 1821, 2 Theile) und Gio. Targioni Tozzetti (Notizie degli aggran- dimenti delle scienze fisiche accaduti in Toscana, Florenz 1780, 3 Bände) enthalten einiges, was Alberi nicht aufgenommen.

2) IX, 392. 449.

3) C. Guasti, Le relazioni di Galilei con alcuni Pratesi a proposito del falso Buonamici scoperto dal Sig. Th. H. Martin [Galilee p. 185. 393], im Archivio storico S. 3, T. 17 (1873), p. 32.

4) Seine Vita di Galilei ist abgedruckt bei Targioni II, 62 76.

5) Abgedruckt XV, 321— 3 80.

6) Wohlwill a. a. O. S. 2. Vgl. Martin p. IV. 262. 398.

7) VII, 40. Vgl. A. v. Reumont, Beiträge zur ital. Gesch. I, 386. Obschon die Fälschung längst aufgedeckt ist, wird der Brief noch im J. 1875 als echt citirt von P. Wenig S. 53, der sonst nur die Werke von Venturi und Marini kennt, von Alberi und Epinois keine Notiz nimmt. Notorische Fälschungen sind auch die 1862 von Michel Chasles producirten Briefe Ga- lilei's; s. Martin p. 388. 394.

Quellen. 7

E. Wohlwill hat im J. 1870 in einer kleinen Schrift, „Der Inquisitionsprocess des G. Galilei", und gleichzeitig mit ihm S. Gherardi in der „Rivista Europea" die Vermuthung zu begründen versucht, ein in dem Vaticanischen Manuscript enthaltenes, auf den ersten Process bezügliches Actenstück vom 26. Februar 16 16 sei nicht echt, sondern erst kurz vor dem zweiten Processe fabricirt worden. Diese Ansicht hat bei den Meisten, welche seitdem über den Galilei'schen Process geschrieben haben, Zustimmung gefunden. In seiner zweiten, im J. 1877 erschienenen Schrift, „Ist Galilei gefol- tert worden?" sucht Wohlwill zu erweisen, dass auch das Protocoll vom 21. Juni 1633 gefälscht sei und dass der Vati- canische Actenband auch noch andere gefälschte Actenstücke enthalte, während ein Theil der echten Actenstücke ver- nichtet worden sei. Das im J. 1809 nach Frankreich ge- brachte Manuscript, meint er, habe nur einen Theil der jetzt im Vatican aufbewahrten Actensammlung umfasst; ihre jetzige Gestalt habe diese erst nach der Rücklieferung im J. 1845 in Rom, allem Anscheine nach durch Marini, er- halten, der mit dem aus Frankreich zurückgebrachten Fas- cikel die in Rom zurückbehaltenen Documente vereinigt oder wieder vereinigt, aber dabei auch „mehr und anderes" gethan haben könne. In mehreren Aufsätzen in Zeit- schriften ist dieser Versuch, Fälschungen in den Acten nach- zuweisen, noch weiter ausgedehnt worden. Die Frage nach der Echtheit der einzelnen Actenstücke wird in den folgen- den Abschnitten mehr oder weniger ausführlich zu erörtern sein ; hier mag vorläufig nur bemerkt werden, dass die drei Gelehrten, welche das Vaticanische Manuscript in Händen gehabt, Epinois, Berti und Gebier, alle Stücke desselben für echt halten. Gebier, der in seinem ersten Werke der An- sicht Wohlwills von der' Fälschung des Actenstückes vom 26. Februar 1626 zugestimmt hatte, hat sogar, nachdem er das Manuscript geprüft, diese Zustimmung zurückgenommen.

8 Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung.

'iL Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung.

Ich beabsichtige nicht, eine vollständige Biographie Galilei's zu schreiben; aber folgende Notizen werden für das Verständniss der Darstellung des Abschnittes seines Lebens dienlich sein, welcher das Thema meiner Schrift ist.

Galileo Galilei, ein Sohn des Florentiners Vincenzo Ga- lilei, wurde bei einem vorübergehenden Aufenthalte seiner Eltern zu Pisa geboren am 18. Februar 1564 (nach dem Ju- lianischen Kalender), an demselben Tage, an welchem Michel- angelo Buonarotti in Rom starb. Vom Herbst 1581 bis 1586 studierte er zu Pisa zuerst auf den Wunsch seines Vaters Medicin, dann, seiner eigenen Neigung folgend, Mathematik und Physik. 1587 machte er eine Reise nach Rom. 1589 wurde er Professor der Mathematik zu Pisa. 1592 wurde er von der Venetianischen Regierung an die Universität Padua, von da 16 10 von dem Grossherzog Co- simo IL als ,, erster grossherzoglicher Mathematiker und Philosoph" mit einem Gehalt von 1000 Scudi nach Florenz berufen. Er erhielt auch den Titel eines „ersten Mathema- tikers der Universität Pisa", wurde aber von der Ver- pflichtung, dort zu dociren, entbunden. Er Wohnte seitdem in Florenz oder- auf einer Villa in der Nähe der Stadt. Ueber das Motiv seiner Uebersiedelung von Padua nach Florenz erhalten wir Aufschluss in einem der Briefe, welche er während der Verhandlungen über seine Berufung nach Florenz an den grossherzoglichen Minister Belisario Vinta schrieb1). Er sagt darin: ,,Wenn ich in mein Vaterland zurückkehren soll, so wünschte ich, dass Seine Hoheit mir Zeit und Gelegenheit verschaffte, meine Werke zu vollen- den, ohne dass ich mich mit Vorlesungen zu beschäftigen hätte. Ich möchte aber nicht, dass Seine Hoheit darum glaubte, meine Thätigkeit werde für die Freunde meiner Wissenschaft weniger förderlich sein; sie würde dieses viel- mehr in grösserm Maasse sein. In den öffentlichen Vor- lesungen können nur die ersten Elemente vorgetragen wer- den. Dazu aber sind Viele im Stande, und eine solche Lehrthätigkeit würde mich nur hindern und mir in keiner Weise dienlich sein, meine Werke zu vollenden, von denen

1) Vi, 96.

Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung. 9

ich glaube, dass sie in der Literatur meiner Wissenschaft nicht den letzten Platz einnehmen werden."

Es wird von keiner Seite bestritten, dass Galilei zu den grössten Gelehrten seiner Zeit gehörte und dass ihm in der Geschichte der Mathematik, Physik und Astronomie eine hervorragende Stelle zukommt. Das schliesst nicht aus, dass der Fortschritt der Forschungen auf diesen Ge- bieten manche seiner Ansichten als irrig und manche seiner Argumente als ungenügend erwiesen hat. Eine genauere Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen ist natür- lich nur für Fachgelehrte möglich, und ihr Urtheil wird ver- schieden ausfallen, je nachdem sie an Galilei's Leistungen den Stand der Wissenschaften in der Gegenwart oder in der Galilei unmittelbar vorhergehenden Zeit als Massstab anlegen und die Leistungen seiner Zeitgenossen mehr oder minder eingehend und unparteiisch berücksichtigen. Es lässt sich auch nicht verkennen, dass gerade, bei der Be- urtheilung eines Mannes wie Galilei die Gefahr nahe liegt und von manchen Beurtheilern nicht vermieden worden istx entweder einseitig und übertrieben zu loben oder ungebühr- lich herabzusetzen. Mich selbst halte ich zu einer gründ- lichen Würdigung der wissenschaftlichen Leistungen Gali- lei's ebenso wenig für competent wie andere Theologen, welche über den Galilei'schen Process geschrieben haben. Der Darstellung, welche mehrere Jesuiten in der neuesten Zeit mit Berufung auf Urtheile von Fachgelehrten entworfen haben, um nachzuweisen, dass Galilei „nicht unfehlbar" war, dass er mitunter voreilig Schlüsse zog, ohne gehörige Be- obachtungen angestellt zu haben, dass er einmal einen „grossen physicalischen Unsinn zu beweisen trachtet", dass er „höchst unklare Begriffe von der Atmosphäre hatte und die [jetzt] bekanntesten Eigenschaften der Luft übersah", dass er „sich mit den genauesten Forschungen und Berech- nungen der Astronomen in Widerspruch verwickelt" u. s. w. u. s. w. *), dieser Darstellung könnte ich ohne grosse

1) 'Schneemann S. 124, A. de Gabriac p. 529. Desjardins p. II. Von Gabriac sagt Martin, Galilee p. 416, mit Recht: „In seiner Verstimmung über die Ponsard'sche Tragödie Galilee hat er alles Böse zusammengetragen und übertrieben, was über Galilei mit Unrecht gesagt worden ist von seinen Gegnern von allen Farben, ohne sich um die Gegenbeweise zu kümmern". Gabriac und Desjardins stützen sich bei ihren Bemerkungen über Galilei's

io Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung.

Mühe mit Benutzung- der Arbeiten anderer Fachgelehrten eine für Galilei günstiger lautende entgegenstellen. Aber in eine Schrift über den Galilei'schen Process gehören der- gleichen Auseinandersetzungen nicht hinein; denn um diese Dinge hat es sich bei dem Processe nicht gehandelt.

Noch geflissentlicher als die Mängel an Galilei's wissen- schaftlichen Leistungen heben die erwähnten Jesuiten die „dunkelen Flecken" in seinem persönlichen Charakter her- vor. Es handelt sich dabei zunächst um einen allerdings sehr dunkeln Flecken in seinem Privatleben. Galilei war nie verheirathet, hatte aber von einer Venetianerin, Marina Gamba, mit der er während seines Aufenthalts in Padua (seit 1599) im Concubinate lebte, drei Kinder, einen Sohn, Vincenzo (geb. 1606), der 1619 legitimirt wurde, und zwei Töchter, die in einem Kloster zu Arcetri den Schleier nah- men. Diese Thatsache ist unbestritten, und wenn der Pater de Gabriac es für nöthig hielt, sie ,,in authentischer Weise zu constatiren", so konnte er das ohne grosse Mühe, auch ohne sich auf das gar nicht existirende ,, lächerliche Decret des Senats von Venedig'* zu berufen, „welcher seinem eme- ritirten Gelehrten eine doppelte Pension gibt, »um seine doppelten Ausgaben zu bestreiten« *)." Es ist aber schon nicht ganz ehrlich, wenn P. de Gabriac sagt: „er lebte öffentlich mit einer Venetianerin", ohne zu erwähnen, dass Galilei dieselbe seit dem Jahre 16 10, in welchem er Padua verliess, nicht wieder sah2), und es ist nicht berechtigt, wenn P. Schneemann S. 118 um dieses Einen dunkeln Fleckens willen ganz allgemein von Galilei's ,,Unsittlichkeit" spricht und P. Grisar S. 106 der Erwähnung jenes Verhältnisses die allgemeine Bemerkung vorausschickt: „Wie wenig ängstlich er überhaupt, vermöge einer gewissen Souveränetät des Geistes, die Schranken der Pflicht zu nehmen gewohnt

wissenschaftliche Leistungen wesentlich auf Delambre und Arago. S. über diese Martin p. 422. 423, ferner Alberi, Suppl. p. IX. Bezüglich der Einzel- heiten kann auf die Erörterungen verwiesen werden, die Martin an den p. 423 verzeichneten Stellen gibt.

1) Die Decrete über Galilei's Gehalt sind XV, 390 abgedruckt; die Gehaltserhöhungen werden durch seine wissenschaftlichen und akademischen Leistungen motivirt; von der Versorgung seiner unehelichen Kinder ist darin mit keiner Silbe die Rede. Martin, Galilee p. 10.

2) Suppl. 34. 75.

Galilei's Persönlichkeit und wissenschaftliche Bedeutung. 1 1

war, offenbaren starke sittliche Schattenseiten seines Privat- lebens", und S. 718 „die laxeste Auffassung der Moralität" zu den „nicht abzuleugnenden Seiten seines Charakters" zählt. Von ähnlichen „sittlichen Schattenseiten seines Privat- lebens" ist nirgendwo die Rede1). Vielmehr erscheint Ga- lilei in seinem spätem Leben als ein sittlich durchaus unbe- scholtener Mann, dabei als aufrichtig religiös und als gläu- biger und gewissenhafter Katholik 2). Er genoss die Achtung und Freundschaft vieler angesehenen und hochgestellten Männer geistlichen und weltlichen Standes, und Papst Urban VIII. richtete am 8. Juni 1624, als Galilei nach einem längern Aufenthalte in Rom nach Florenz zurückkehrte, ein Breve an den Grossherzog Ferdinand II., um diesem zu zeigen, „wie- theuer Galilei seinem päpstlichen Herzen sei", und um „seiner Tugend und Frömmigkeit ein ehrenvolles Zeugniss auszustellen" 3).

Weniger ungerecht als der Vorwurf der „Unsittlich- keit" ist der Vorwurf, den Schneemann im Anschluss daran gegen Galilei erhebt, er sei „ehrgeizig, eitel und rechtha- berisch" gewesen. Wenn aber P. de Gabriac sagt: „Wir sehen ihn mit der Sorge für seine Reputation ebenso sehr beschäftigt wie mit der Förderung der Wissenschaft. Er beansprucht für sich die Ehre aller Entdeckungen. Stets beschäftigt, zuerst seine wahren oder falschen Entdeckungen bekannt zu machen, beobachtet er ein egoistisches und kluges Stillschweigen über die Forschungen seiner Collegen und Freunde" u. s. w„ so liegt hier die Uebertreibung auf der Hand, und von den meisten Einzelheiten, welche zur Begründung dieser Anklagen vorg-ebracht werden, lässt sich nachweisen, dass die Thatsachen dabei entstellt oder zu un- gerechtfertigten Schlüssen missbraucht sind.

Es ist aber nicht nöthig, hier weiter auf die Frage über Galilei's Charakter einzugehen. Um die gegen ihn geführ-

1) Allerdings scheint im Jahre 1630, als Galilei in Rom war, Jemand versucht zu haben, bei dem Cardinal Francesco Barberini Galilei durch eine Andeutung anzuschwärzen, als ob auch der andere Vincenzo, der als Galilei's Bruderssohn wiederholt erwähnt wird, sein Sohn sei. Der Cardinal wies den Verleumder ab. Ausser den nicht klaren Andeutungen in den Briefen VI, 347; IX, 190, findet sich nichts darüber. Die Sache wird auch von keinem der Jesuiten, mit denen ich hier zu thun habe, erwähnt.

2) Martin, Galilee p. 200. 3) IX, 60.

12 # Galilei und die Peripatetiker.

ten Inquisitionsprocesse anschaulieft darzustellen, muss auch ein gutes Stück seines Lebens, seiner wissenschaftlichen Arbeiten und seiner literarischen Thätigkeit geschildert werden, und diese Schilderung wird neben den Lichtseiten auch die Schattenseiten seines persönlichen Charakters her- vortreten lassen. Es ist ja namentlich gar nicht zu bestrei- ten, dass Galilei bei den Controversen, welche die Processe gegen ihn zur Folge hatten, sich von Unvorsichtigkeiten und Missgriffen, auch von Unbilligkeit und Bitterkeit gegen seine Gegner nicht frei gehalten, dass er während der Pro- cesse sich wiederholt grobe Unaufrichtigkeiten hat zu Schul- den kommen lassen und nichts weniger als den Freimuth eines Bekenners und die Standhaftigkeit eines Märtyrers be- kundet hat. Eine historisch treue Darstellung der Processe gestaltet sich eben nicht zu einer Lobrede auf Galilei, nicht einmal zu einer Apologie Galilei's; aber wenn er weder ein Heiliger noch ein Märtyrer war, so braucht darum, wie wir sehen werden, die über ihn gefällte Sentenz nicht milder beurtheilt zu werden und dürfen die Apologeten der Römi- schen Curie das nicht einmal als mildernden Umstand gel- tend machen.

III. Galilei und die Peripatetiker.

Galilei wird mit Recht zu den Begründern der moder- nen Naturwissenschaft gezählt, nicht nur wegen seiner natur- wissenschaftlichen Erfindungen und Entdeckungen, sondern auch weil er einer der ersten entschiedenen Vertreter der jetzt allgemein als allein richtig anerkannten naturwissen- schaftlichen Methode war. Zu seiner Zeit wurde in den Schulen die Naturwissenschaft als ein Theil der Philosophie nach der damaligen Auffassung gelehrt. Die Schriften des Aristoteles und die auf die Aristotelische Lehre basirten Theorieen galten als massgebend, die naturwissenschaft- lichen Anschauungen, welche sich in den mittelalterlichen Schulen gebildet hatten, als ebenso feststehend, wie die Lehrsätze der theologischen Scholastik. Die Beobachtung, das Experiment und die Induction wurden ganz vernach-

Galilei und die Peripatetiker. 13

lässigt oder doch nur in sehr beschränktem Umfange ange- wendet und höchstens eine Berichtigung von einzelnen unter- geordneten Punkten der herrschenden Lehre für möglich gehalten1).

„Aristoteles, sagt der Löwener Professor Gilbert2), herrschte als absoluter Meister in den Schulen, und sein Wort, das man als ein Orakel ansah, zog um die Natur- wissenschaften einen unüberschreitbaren Kreis. Die tüch- tigsten Gelehrten strebten nach nichts anderm, als in seine Lehre einzudringen und aus ihr alle naturwissenschaftlichen Wahrheiten abzuleiten, ohne die Natur selbst zu befragen. . . Die apriorische Methode herrschte in der Naturforschung. Statt von der Erfahrung auszugehen, um die Ursachen der Erscheinungen zu erkennen, ging man von den Final-Ursachen oder den Wesenheiten der Dinge, wie man sich dieselben vorstellte, aus, um daraus auf dem Wege des Syllogismus die Thatsachen abzuleiten. Und da dergleichen, auf so un- sicheren Grundlagen aufgebaute Systeme in der Astronomie, Physik und Mechanik auf tausend Widersprüche mit der greifbaren Wirklichkeit stiessen, so erschöpften sich die scharfsinnigsten Männer in Subtilitäten und Sophismen, um Aristoteles und die Natur in Einklang zu bringen, um »die Erscheinungen zu retten« \salvare phaenomena, salvare le apparenze], wie man sich ausdrückte, was vollends die Geister irre führte und die Wissenschaft erstarren machte."

,,Dazu kam noch ein anderes Uebel, die allgemein herrschende Sitte, in die rein naturwissenschaftlichen Dis- cussionen die Bibel hineinzuziehen und Stellen der Bibel und der Kirchenväter zur Bestätigung der physicalischen, astronomischen u. s. w. Meinungen des Aristoteles zu citiren. In allen naturwissenschaftlichen Werken jener Zeit findet sich diese Unsitte. Ich führe als Beispiel die [1630 erschienene] „Rosa Ursina" des Jesuiten Scheiner an, ein interessantes Buch, ein merkwürdiges Gemisch von Physik und Bibel. Auf dem Titelblatte werden als Quellen der Naturwissen- schaft genannt: Auctoritas sacra, auctoritas profana, ratio, also die Bibel, Profanschriftsteller und die Vernunft, erst an letzter Stelle sensus, die Beobachtung. Ein Theil

i) Vgl. die Aeusserungen von Antonio Rocco II, 123. 2) Le proces de Galilee, 1869, p. 50.

14 Galilei und die Peripatetiker.

des Werkes handelt von der feuerigen Natur der Gestirne und der Flüssigkeit des Himmels, und in dieser Erörterung spielt die Auctorität der Bibel und der Kirchenväter die Hauptrolle, und treten Tertullian, Ambrosius, Theodoret, Bonaventura u. s. w. neben Mersenne, Kepler und Galilei auf. Nicht weniger merkwürdig ist die im Anhange abge- druckte Correspondenz zwischen dem Fürsten Cesi und dem Cardinal Bellarmin über die Flüssigkeit des Himmels. Jener greift den festen Himmel des Aristoteles an und bewaffnet sich dabei mit der Bibel, die er nach dem Hebräischen citirt. Der Cardinal seinerseits stützt die sphärische Gestalt des Himmels auf tiie Stelle des Sirach [24, 8] : Gyrum coeli circuivi sola; übrigens, fügt er bei, ist die runde Gestalt die vollkommenste und wir wissen, dass, wie die Bibel [Deut. 32, 4] sagt, D ei perfecta sunt opera. Er beschreibt ein System, welches er sich ausgedacht, »um zugleich die Bewegung der Gestirne und die Meinung der h. Väter, welche den Himmel als unbeweglich und die Sterne als beweglich bezeichnen, zu retten (salvare)^. Diese Methode, welche gewisser- massen die Weltansicht des Aristoteles auf die Bibel stützte, verbunden mit dem ausgedehnten Gebrauche, welchen man von der Aristotelischen Philosophie in der scholastischen Theologie machte, hatte die Lehre des Stagiriten fast zu dem Range einer Offenbarung erhoben und zwischen seiner Lehre und den Wahrheiten des Glaubens eine so enge Ver- bindung zu Wege gebracht, dass es kaum möglich war, jene anzugreifen, ohne sich der Ketzerei verdächtig zu machen."

Galilei charakterisirt die „Peripatetiker", wie die An- hänger des traditionellen Systems gewöhnlich genannt wur- den, in einem Briefe an Kepler vom 19. Aug. 16101) in folgender Weise: „Diese Leute meinen, die Philosophie sei ein Buch wie die Aeneis oder Odyssee und die Wahrheit sei nicht in der Welt oder in der Natur, sondern, um ihre eigenen Worte zu gebrauchen, in der Vergleichung der Texte zu suchen. Wie würdest du lachen, wenn du hörtest, was in Gegenwart des Grossherzogs zu Pisa von dem ersten Philosophen der dortigen Universität (Libri?) gegen mich vorgebracht wurde, indem er mit logischen Argumenten,

1) VI, 118.

Galilei und die Peripatetiker. 15

wie mit magischen Zauberformeln, die neuen Planeten vom Himmel herabzureissen suchte!" „Sie wollen, schreibt er im Januar 1641 an Fortunio Liceti1), jeden Ausspruch des Aristoteles als wahr aufrecht erhalten und beweisen, dass die Erfahrungen uns nichts zeigen, was dem Aristoteles un- bekannt gewesen. . . Wäre die Philosophie das, was in den Büchern des Aristoteles enthalten ist, so würde ich Sie für den grössten Philosophen der Welt halten, da Sie alle Stellen desselben zur Hand und in Bereitschaft haben. Aber ich glaube, das Buch der Philosophie ist das Buch der Natur, welches stets aufgeschlagen vor unseren Augen liegt, aber, weil es in anderen Zeichen als denen unseres Alpha- bets geschrieben ist, nicht von Allen gelesen werden kann/' ,, Der Pater Veglia, schreibt Micanzio an Galilei2), der Ver- fasser der Vestigationes peripateticae, ist ein sehr gelehrter Mann und wird mit Recht für ein grosses und universelles Genie gehalten; aber sein dickes Buch handelt von absolut nichts anderm als quae fuerit opinio Aristotelis in hac quae- stione" „Ich kann es nur als eine Krankheit beklagen, schreibt der Fürst Cesi in dem bereits erwähnten Briefe (vom 14. Aug. 15 18) an den Cardinal Bellarmin3), an der manche Philosophen unseres Jahrhunderts leiden, dass sie sich der Experimente und Beobachtungen nicht nur enthal- ten, sondern sie verwerfen. Es gibt nicht Wenige, welche nicht nur das Fernrohr und Galilei selbst, der am Himmel so vieles den Alten Unbekannte, neue Planeten, neue Fix- sterne, neue Gestalten der Gestirne entdeckt hat, verwün- schen, sondern sogar die einfache Beobachtung mit unbe- waffneten Augen unterlassen und lieber freiwillig, durch die Meinungen einiger alten Schriftsteller bezaubert, blind sein, als, durch die Wahrnehmung und Vernunft geleitet, sich auch nur ein wenig von jenen entfernen und ihren Decr et en und Regeln etwas beifügen oder daran etwas ändern wollen." Schon im J. 1605 erregte Galilei Aufsehen, als er den im October 1604 im Bilde des Schlangentreters erschienenen, nach einem Jahre wieder verschwundenen neuen Stern als Argument gegen die Aristotelische Lehre von der Unver- änderlichkeit des Himmels benutzte4). Sein Hauptkampf

1) VII, 354. 2) X, 70. 3) Scheiner, Rosa Ursina p. 779.

4) v, 391. Venturi I, 95. Martin, Galilee p. 13.

i6 Galilei und die Peripatetiker.

gegen die Peripatetiker begann aber erst nach der Erfindung des Fernrohrs 1609 J).

Wir können uns jetzt kaum eine Vorstellung davon machen, welches Aufsehen in den Kreisen der Peripatetiker die Kunde machte, dass Galilei so viele und merkwürdige Dinge am Himmel entdeckt habe, von denen die herkömm- liche Physik gar nichts wusste. ,, Schon wenige Monate, nachdem Galilei sich ein Fernrohr gebaut, hatte er bereits nicht nur Berge im Monde gesehen, sondern sogar schon versucht, die Höhen einzelner zu bestimmen; er hatte in den Plejaden vierzig Sterne unterschieden, einige andere ähnliche Sternanhäufungen im Orion, im Krebse u. s. w. auf- gefunden und den Schimmer der noch von Aristoteles den Meteoren beigezählten Milchstrasse als das vereinigte Licht zahlloser kleiner Sterne erkannt, vor allem aber die für die Gegner des Copernicanischen Weltsystems so unbequeme Thatsache gefunden, dass Jupiter vier Monde besitzt und somit sich auch ein Centrum von Bewegungen doch selbst bewegen kann. [Diese Ergebnisse seiner Forschungen machte Galilei in dem im März 1610 veröffentlichten ,,Sidereus Nun- tius" bekannt.] Im September 16 10 bemerkte er die Phasen der Venus und des Mars, ungefähr zur gleichen Zeit die Dreigestalt Saturns und wahrscheinlich auch, ohne jedoch

1) P. de Gabriac führt als Beweis für seine Beschuldigung: „Galilei beansprucht für sich die Ehre aller Entdeckungen" auch folgendes an: „In Holland wird das Fernrohr entdeckt: Galilei rühmt sich, dieses Instrument zuerst erfunden zu haben, vervollkommnet es und verkauft sein Patent den Venetianern". Galilei rühmt sich nie, da.4 Fernrohr entdeckt zu haben, son- dern sagt wiederholt, er sei durch Mittheilungen über ein von einem Hol- länder [Hans Lippersheym in Middelburgh] angefertigtes Fernrohr veranlasst worden, selbst ein solches anzufertigen; dieses schenkte er der Signoria von Venedig und wurde darauf (1609) zur Anerkennung für dieses Geschenk und für seine bisherige Lehrthätigkeit zum Professor in Padua auf Lebens- zeit mit höherm Gehalt ernannt. III, 60; IV, 206; VI, 75; XV, 391. Martin, Galilee p. 17. 22. Viel wesentlicher als die Erfindung des Fernrohrs ist übrigens, wie R. Wolf, Gesch. der Astronomie, 1877, S. 313 sagt, „dass Galilei dasselbe alsbald in ausgezeichneter Weise für Eroberungszüge am Himmel zu verwerthen wusste". Freilich Arago, auf den P. de Gabriac sich beruft, meint: einige Stunden würden für alle Beobachtungen genügt haben, welche Galilei in den Jahren 1610 und 161 1 machte. Das Ei des Co- lumbus !

Galilei und die Peripatetiker. 17

damals schon über die Bedeutung klar zu werden, die Flecken der Sonne"1].

Nicht wenige Peripatetiker gingen Anfangs so weit, die Thatsächlichkeit und Richtigkeit von Galilei's Beobach- tungen zu leugnen. Francesco Sizi zu Florenz weigerte sich, durch ein Fernrohr zu sehen, weil er es a priori für unmöglich hielt, dass die Dinge existirten, die Galilei durch dasselbe erblickt haben wollte. Aehnlich Cesare Cremonini zu Padua und Giulio Libri zu Pisa2). Andere behaupteten, es liege an der Construction der Fernrohre, dass man da- durch Dinge sehe, die gar nicht vorhanden oder anders be- schaffen seien*). Unter anderm berichtete der mit Galilei befreundete Maler Lodovico Cardi Cigoli am 1. Oct. 16 10 von einem der angesehensten damaligen Astronomen, dem Jesuiten Christoph Clavius zu Rom, mit dem Galilei schon bei seiner ersten Anwesenheit in Rom im J. 1587 be- kannt geworden war und mit dem er seitdem in Briefwechsel stand4), er habe geäussert: er lache über die angeblich von Galilei entdeckten Trabanten des Jupiter; man müsse, wenn dieselben existiren sollten, ein Fernrohr anfertigen, welches dieselben erst hervorbringe und dann zeige5).

Dieser Standpunkt war natürlich nicht lange zu be-

1) R. Wolf, Gesch. der Astronomie, 1877, S. 313.

2) VI, 94. 129; VIII, 141.

3) VIII, 61.70; VI, 164. Ich weiss nicht, wer zuerst erzählt hat: als der Jesuit Scheiner seinem Provincial zu Freiburg, Theodor Busäus, gesagt, er wolle über die von ihm beobachteten Sonnenflecken schreiben, habe dieser geantwortet: „Von solchen Dingen habe ich nichts in meinem Aristoteles gelesen; das sind blosse Einbildungen oder Fehler deines Auges oder auch deiner Gläser, mein Sohn, und du wirst besser thun, diese Sache für dich zu behalten." P. Schneemann S. 124 erklärt diese Anekdote freilich für „eine pure Erfindung"; nach dem oben Mitgetheilten ist sie jedenfalls gut erfunden. Dass Busäus Scheiner Anfangs verbot, unter seinem Namen etwas über die Sonnenflecken zu veröffentlichen, ist übrigens geschichtlich; s. de Backer, Bibliotheque des ecrivains de ia C. de J. I, 703.

4) VI, 1. 120. 130.

5) VIII, 110. Christoph Clavius (Schlüssel), geb. in Bamberg 1538, gest. 161 2 in Rom (aber nicht als Cardinal, wie in der Allg. D. Biographie IV, 298 angegeben wird), war ein Haupt-Mitarbeiter an der Kalender- Verbesserung unter Gregor XIII. Vgl. Hurter, Nomenciator literarius I, 377. Kaltenbrunner, Die Polemik über die Gregor. Kalenderreform, Sitzungsber. der Wiener Akad. 87. Bd. (1877), 545-

Eeusch, Galilei. 2

18 Galilei und die Peripatetiker.

haupten. Schon am 17. Dec. 16 10 schrieb Clavius an Gali- lei, er habe die Jupitersmonde und andere ohne Fernrohr nicht sichtbare Sterne gesehen1). Galilei antwortete ihm am 30. December: Clavius1 Zeugniss für die Wahrheit seiner Beobachtungen sei ihm von grossem Werthe und habe ihm die Zustimmung einiger bisher Ungläubigen gewonnen; die Hartnäckigen aber behaupteten, Clavius1 Brief sei entweder erdichtet oder nur aus Gefälligkeit für Galilei geschrieben; diese Leute schienen warten zu wollen, bis er ein Mittel finde, einen der vier Mediceischen Planeten auf die Erde herabkommen zu lassen, um ihre Existenz zu bezeugen2).

Bei den Controversen zwischen Galilei und den Peri- patetikern handelt es sich vorzüglich um astronomische Fragen. Indess trat Galilei auch in anderen Punkten der in den Schulen herrschenden Physik entgegen. Im J. 161 2 veröffentlichte er, veranlasst durch ein Gespräch an der Tafel des Grossherzogs, an welchem auch der Cardinal Maffeo Barberini, der nachmalige Papst Urban VIII., theil- nahm3), eine Abhandlung über die im Wasser schwim- menden Körper, worin er den Satz bekämpfte, dass das Schwimmen oder theil weise Eintauchen der Körper im Wasser wesentlich von ihrer Gestalt abhänge4). Die Ab- handlung, — gewöhnlich als „Discorso sui Galeggianti" citirt, wurde von einer Reihe von Vertretern der alten Richtung bekämpft. Gegen zwei derselben, Lodovico delle Colombe und Vincenzo di Grazia, verfasste Galilei eine Entgegnung, welche 16 15 unter dem Namen seines Schülers, des Bene- dictiners Benedetto Castelli erschien5). Charakteristisch ist, was ein anderer Schüler Galilei' s, der Florentiner Giovanni Bardi, Graf von Vernio, ihm unter dem 20. Juni 16 14 aus Rom schreibt: er werde demnächst im römischen Colleg

1) VIII, 121. 2) VI, 130.^42.

3) Pieralisi, Urbano VIII. p. 42.

4) S. Günther, Vierteljahrschr. der Astron. Ges. II. Bd. 3. H. be- zeichnet die „Bewegungslehre schwimmender Körper" als „in der Wolle antiaristotelisch gefärbt."

5) VIII, 231. Gebier, Galilei S. 53. Castelli war 25. Mai 1577 zu Brescia geboren und dort 4. Sept. 1595 in den Benedictiner-Orden getreten. Er war zu Padua Galilei's Schüler. Er wurde 1613 Professor der Mathe- matik zu Pisa. Von dort wurde er 1626 nach Rom an die Sapienza be- rufen. Er starb 1644. Vgl. Tiraboschi, Storia (18 12) VIII, 215.

Die Copernicanische Theorie. 19

eine unter der Aufsicht des Pater Griemberger ') ausge- arbeitete Abhandlung über die im Wasser schwimmenden Körper vortragen, die ganz im Sinne Galilei's geschrieben sei; Griemberger habe ihm gesagt: er würde sich noch deutlicher in diesem Sinne ausgesprochen haben, wenn er nicht auf Aristoteles hätte Rücksicht nehmen müssen, dem sie (die Jesuiten) nach einem Befehle des Generals in keinem Punkte entgegentreten dürften, dessen Ansichten sie vielmehr unangetastet lassen müssten; er habe dabei zugegeben, dass Aristoteles in diesem Punkte wie in anderen, z. B. bezüglich der Geschwindigkeit des Falles, durchaus Unrecht habe 2).

Indess auf die anderen Controversen Galilei's mit den Peripatetikern braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden; die astronomische Controverse trat schon früh in den Vordergrund.

Zu Anfang des 17. Jahrhunderts galt bei der Mehrzahl nicht etwa bloss der Theologen, sondern auch der „Mathe- matiker" die sogenannte Ptolemäische Ansicht, dass die Erde der feststehende Mittelpunkt der Welt sei, um welchen sich die Sonne und die übrigen Himmelskörper bewegen, als die richtige. Dass die von Nicolaus Copernicus in seinem J543 erschienenen, Papst Paul III. gewidmeten berühmten Werke „De revolutionibus orbium coelestium" vorgetragene Theorie von der Bewegung der Erde um sich selbst und der Erde und der übrigen Planeten um die Sonne nicht schon im 16. Jahrhundert lebhaftere Controversen und ein- gehendere Untersuchungen veranlasste, dazu trug der Um- stand mit bei, dass in der Vorrede, welche ein Schüler des Copernicus, der den Druck des Werkes zu Nürnberg leitete, Andreas Osiander, ohne Vorwissen des Verfassers, statt der von diesem geschriebenen Vorrede, beigefügt hatte, dessen Ansichten als blosse Hypothesen, noch dazu als nicht ein- mal wahrscheinliche Hypothesen bezeichnet waren und dass, da man vielfach irrthümlich diese Vorrede für ein Werk des Copernicus selbst hielt, lange Zeit die Meinung sehr ver-

i) Christoph Griemberger, geb. 1 561 zu Hall in Tirol, gest. 1636 zu Rom, war ein Schüler des Clavius und ein tüchtiger Gelehrter, und wurde von Galilei sehr geschätzt; VI, 133.

2) VIII, 322. 324. Bardi's Abhandlung steht bei Targioni II, 2; vgl. I, 20.

20 Die Copernicanische Theorie.

breitet war, Copernicus selbst habe seine Ansicht nur hypo- thetisch, nur als eine zur Erleichterung der Berechnung des Laufes der Gestirne dienliche Theorie vorgetragen1).

Galilei theilte diesen Irrthum nicht, sondern hatte er- kannt, dass Copernicus seine Theorie allerdings als eine naturwissenschaftlich begründete Wahrheit vorgetragen2); aber manche seiner Gegner, auch der Cardinal Bellarmin3), meinten, Copernicus habe seine Ansicht nur hypothetisch vorgetragen, und es kam, wie wir sehen werden, schliess- lich zu einer „Correctur" des Copernicus'schen Werkes in diesem Sinne. '

Galilei vertheidigt die Copernicanische Lehre schon in dem ältesten Briefe, den wir von ihm haben, an Jacopo Maz- zoni vom 30. Mai 1579 4). In einem Briefe an J. Kepler, d. d. Padua 4. August 1597 5), sagt er, er bekenne sich seit vielen Jahren zu der Ansicht des Copernicus und habe manches zur Begründung derselben und zur Widerlegung der Ein- wendungen gegen dieselbe Dienliche geschrieben; er habe aber bisher nicht gewagt, etwas davon zu veröffentlichen, „durch das Loos unseres Lehrers Copernicus selbst geschreckt, der sich zwar bei Einigen unsterblichen Ruhm erworben, von unendlich Vielen aber, denn so gross ist die Zahl der Thoren6), verlacht und verspottet wird. Ich würde es wagen, meine Gedanken zu veröffentlichen, wenn es mehr Männer gleich dir gäbe. Da das aber nicht der Fall ist, werde ich es unterlassen." In seiner Antwort vom 13. Oct. 15977) sagt Kepler: „Du erinnerst mich sehr weise und versteckt, indem du auf dein eigenes Beispiel hinwei- sest, man müsse vor der allgemeinen Unwissenheit zurück- weichen und sich nicht unvorsichtig der Wuth der Lehrer des grossen Haufens aussetzen. Aber da in unserm Jahr-

i) Vgl. Fr. Beckmann, Zur Geschichte des Copernicanischen Systems, 2. Artikel, 1862, S. 3. Wie Dr. Ward, Dublin Review, Apr. 1871, p. 365, so sagt auffallender Weise auch noch L. Terrier, Galilei, Basel 1878, S. 20: „Copernicus war so vorsichtig, seine Ideen nur als einfache Hypothesen hin- zustellen." 2) II, 18; s. u. §. VIII. 3) VIII, 374; s. u. §. V.

4) II, 1. Mazzoni, geb. 1548 zu Cesena, f 1598, war nicht, wie viel- fach angegeben wird, Galilei's Lehrer zu Pisa gewesen; er wurde dort erst 1588 Professor. VI, 8. 5) VI, 12.

6) Anspielung auf Eccl. 1, 15: Stultorum infinitus est numerus.

7) VIII, 21.

Die Copernicanische Theorie. 21

hundert zuerst von Copernicus, dann von mehreren anderen sehr gelehrten Mathematikern das grosse Werk begonnen worden und die Lehre, dass die Erde sich bewege, nicht mehr ganz neu ist, ist es doch vielleicht besser, durch gemeinsames Bemühen den einmal in Bewegung gesetzten Wagen ununterbrochen dem Ziele näher zu bringen, damit wir den grossen Haufen, da er das Gewicht der Gründe we- niger beachtet, mit Auctoritäten mehr und mehr überschütten und so vielleicht durch List zur Erkenntniss der Wahrheit führen. Du könntest deine Mitarbeiter so vielen ungerechten Urtheilen gegenüber unterstützen, da sie aus deiner Zustim- mung Trost schöpfen und in deiner Auctorität einen Schutz finden würden. Denn es sind nicht bloss deine Italiener, welche, wenn sie es nicht fühlen, dass sie sich [mit der Erde] bewegen, nicht glauben können; auch hier in Deutschland finden wir mit jener Lehre keinen sonderlichen Beifall . . . Fasse Muth, Galilei, und schreite voran! Wenn ich nicht irre, werden nur wenige von den angesehensten Mathema- tikern Europas sich von uns trennen wollen; so gross ist die Macht der Wahrheit. Wenn dir Italien nicht geeignet scheint zur Veröffentlichung deiner Argumente und du dort auf Hindernisse stössest, so werden wir vielleicht in Deutsch- land uns frei aussprechen können. Theile mir wenigstens, wenn du es nicht öffentlich thun willst, schriftlich mit, wenn du etwas zu Gunsten des Copernicus Sprechendes ge- funden hast."

In seinen akademischen Vorlesungen vermied Galilei, wie wir aus einem später zu erwähnenden Briefe Castelli's erfahren, die Copernicanische Theorie zu erörtern. In dem im J. 1610 erschienenen ,,Sidereus Nuncius" sprach er sich zum ersten Male öffentlich zu Gunsten derselben aus, indem er bemerkte1): die Jupitersmonde seien wohl geeignet, „das Bedenken derjenigen zu beseitigen, welche in dem Coper- nicanischen Systeme die Bewegung der Planeten um die Sonne nicht beanstandeten, an der Bewegung Eines Mondes um die Erde und der Bewegung beider um die Sonne aber solchen Anstoss nähmen, dass sie darum die ganze Coper- nicanische Theorie für unmöglich hielten." Eine neue Be- stätigung dieser Theorie fand Galilei in den noch in dem-

1) III, 98.

22 Die Copernicanische Theorie.

selben Jahre von ihm beobachteten Phasen der Venus. In Briefen aus dem December 1610 und aus den ersten Monaten des Jahres 161 1, an Julian von Medici, Sarpi und Andere1), hebt er dieses auch hervor. Gleichwohl schrieb er am 30. Dec. 16102) an seinen Schüler Castelli: „Ich habe bei- nahe lachen müssen über die Bemerkung in Ihrem Briefe, dass durch solche Beobachtungen auch die Hartnäckigsten überzeugt werden könnten. Wissen Sie denn nicht, dass, um die Vernünftigen und nach der Erkenntniss der Wahrheit Verlangenden zu überzeugen, die anderen früher angeführten Demonstrationen genügten, dass aber, um diejenigen zu überzeugen, welche hartnäckig sind und sich um nichts kümmern als um den leeren Beifall des dummen und thö- richten grossen Haufens , das Zeugniss der Sterne selbst nicht genügen würde, wenn sie auf die Erde herabkämen und von sich selbst redeten? Bemühen wir uns, für uns selbst etwas zu wissen, und begnügen wir uns mit dieser Genug- tuung ; aber in der Meinung des Volkes fortzuschreiten und die Zustimmung der Bücher-Philosophen zu gewinnen, das dürfen wir nicht verlangen und hoffen."

Wie in Briefen, so besprachen Galilei und seine Freunde auch mündlich die Bestätigung, welche seine Entdeckungen für das Copernicanische System lieferten3); aber eine förm- liche und öffentliche Vertheidigung desselben hielt er auch jetzt noch für bedenklich. Interessant ist in dieser Beziehung ein Brief, den ihm Castelli am 6. Nov. 1613 schrieb, als er Professor in Pisa geworden war4). Er berichtet, der Prov- veditore der Universität, Monsignor Arturo d'Elci, habe ihm beim ersten Besuche gesagt, er dürfe in seinen Vorlesungen nicht die Meinung von der Bewegung der Erde u. s. w. be- handeln. Er habe geantwortet: „Was Sie mir befehlen, denn ich nehme Ihre Winke als Befehle an, hat mir mein Lehrer Galilei gerathen, und ich werde mich daran halten, zumal ich weiss, dass auch er während seiner 24jährigen Lehrthätigkeit nie diese Materie behandelt hat." Monsignor d'Elci habe darauf angedeutet, solche Meinungen könnten mitunter digressionsweise als probabele berührt werden. Er habe geantwortet, er würde auch dieses selbst dann nicht

1) vi, 128. 138. 143. 150. 2) vi, 135; vgl. VIII, 118.

3) Vgl. Acten S. 40. 44. 4) VIII, 290.

Die Copernicanische Theorie. 23

gethan haben, wenn ihm nicht Monsignore das Gegentheil geboten hätte !).

Auch Freunde Galilei's hielten eine öffentliche Verthei- digung der Copernicanischen Lehre für bedenklich. Paolo Gualdo schrieb ihm am 6. Mai 161 12): „Was Ihre Ansicht betrifft, dass die Erde sich bewege, so habe ich bis jetzt noch keinen Philosophen oder Astronomen gefunden, der ihr zustimmen möchte; noch viel weniger werden das die Theologen thun wollen. Bedenken Sie sich daher wohl, ehe sie öffentlich diese Ansicht als wahr behaupten; denn manche Dinge kann man disputationsweise aussprechen, die es nicht gut ist als wahr zu behaupten, zumal wenn man die allge- meine, von Allen so zu sagen seit Erschaffung der Welt eingesogene Meinung gegen sich hat. Verzeihen Sie mir, denn mein lebhaftes Interesse für Ihre Reputation lässt mich so reden. Es scheint mir, Sie haben sich Ruhm genug er- worben durch die Beobachtungen am Monde, an den vier Planeten u. dergl., ohne dass Sie es unternehmen, eine Sache zu vertheidigen , die dem Verständniss und der Fassungs- kraft der Menschen so fern liegt, da es nur Wenige gibt, welche wissen, was die Beobachtung der himmlischen Zeichen und Erscheinungen zu bedeuten hat." Am 27. Mai 161 13) schickte Gualdo Galilei einen Brief von Marcus Welser, worin es heisst: „Was die Venus betrifft, so stimme ich ohne Be- denken zu ; aber bezüglich der Bewegung der Erde möchte ich vorläufig noch dispensirt sein, da das in der That ein Punkt ist, der reiflich erwogen werden muss; ich kann nicht wohl meinen Verstand so weit gefangen geben."

1) Grisar führt S. 78 aus diesem Briefe nur an: „Castelli war es bei seiner Ernennung für den Katheder der Mathematik zu Pisa sogar durch den Proveditor der Universität verboten worden, die Copernicanische Lehre zum^Gegenstande seiner Vorträge zu machen." Von Castelli's interessanter Antwort sagt er nichts.

2) VIII, 142. Gualdo, geb. 1548 zu Vicenza, war unter Urban VII. Secretär der Memoriali, wurde 1596 Generalvicar, 1609 Archipresbyter zu Padua; er starb 1621. Vgl. VI, 185.

3) VIII, 144.

Galilei's Reise nach Rom 1611.

IV.

Galilei's Reise Dach Rom im J. 1611. Seine Schrift über die Sonnenflecken.

Die Reise, welche Galilei im März 1611 nach Rom machte, hatte hauptsächlich den Zweck, die dortigen Ge- lehrten sowie die einflussreichen Prälaten durch den Augen- schein von der Wirklichkeit seiner Entdeckungen zu über- zeugen1). Dieser Zweck wurde denn auch vollständig er- reicht. Der Cardinal del Monte schrieb am 31. Mai 161 1 dem Grossherzog Cosimo II.2): „Galilei hat Gelegenheit gehabt, seine Entdeckungen so gut zu zeigen, dass sie von allen angesehenen und sachkundigen Männern dieser Stadt nicht nur als durchaus , wahr und wirklich, sondern auch als höchst wunderbar anerkannt werden. Lebten wir noch in den Zeiten der alten römischen Republik, so würde ihm gewiss eine Statue auf dem Capitol errichtet worden sein, um sein ausgezeichnetes Verdienst zu ehren". Er selbst schreibt am 22. April3): ,,Ich bin von vielen Cardinälen und Prälaten und mehreren Fürsten gnädig aufgenommen wor- den, welche meine Beobachtungen haben sehen wollen und sich alle befriedigt ausgesprochen haben. Heute Morgen habe ich Seiner Heiligkeit [Paul V.] den Fuss geküsst. Ich wurde von unserm Gesandten vorgestellt, welcher mir ge- sagt hat, ich sei ausserordentlich begünstigt worden, da Seine Heiligkeit nicht gestattete, dass ich auch nur ein "Wort knieend sagte. Unter denjenigen, die hier als Männer der Wissenschaft gelten, habe ich einige wirklich gelehrte, aber auch viele beschränkte gefunden. Was meinen besondern Zweck angeht, so sind alle Sachverständigen überzeugt worden, namentlich die Patres Jesuiten. " Ueber letztere schreibt er am 1. April4): „Ich war bei den Patres Jesuiten und unterhielt mich lange mit dem Pater Clavius und zwei anderen in unserm Fache sehr bewanderten Patres und ihren Schülern. . . Ich habe gefunden, dass die genannten Patres endlich die wirkliche Existenz der neuen Planeten erkannt

[) VI, 140. 2) VIII, 145. 3) vi, 158. 4) vi, 156.

Galilei und die Jesuiten 1611. 25

und seit zwei Monaten fortwährend Beobachtungen gemacht haben; wir haben diese mit den meinigen verglichen und sie stimmen genau überein. "

Am 19. April 161 1 richtete der damals sehr einfluss- reiche Cardinal Bellarmin aus dem Jesuiten-Orden an die Mathematiker des Römischen Collegs folgendes Schreiben1): „Ich weiss, dass Sie von den neuen astronomischen Be- obachtungen Kenntniss genommen haben, welche ein tüchti- ger Mathematiker [genannt wird Galilei weder von dem Cardinal noch in der Antwort auf sein Schreiben] vermittelst eines Instrumentes, welches Cannone oder Occhiale genannt wird, gemacht hat; ich selbst habe vermittelst dieses In- strumentes einige sehr merkwürdige Dinge an dem Monde und an der Venus gesehen. Ich bitte Sie also, mir über folgende Punkte aufrichtig» Ihre Meinung zu sagen: 1. ob Sie die Menge der mit dem blossen Auge nicht sichtbaren Fixsterne anerkennen und insbesondere, dass die Milchstrasse und die Nebelflecken Haufen von sehr kleinen Sternen seien; 2. dass Saturn nicht ein einfacher Stern sei, sondern aus drei mit einander verbundenen Sternen bestehe [den Ring des Saturn hielt Galilei für zwei mit dem Hauptstern ver- bundene kleinere Sterne]; 3. dass die Venus ihre Gestalt ändere und ab- und zunehme wie der Mond; 4. dass der Mond eine rauhe und unebene Oberfläche habe; 5. dass sich um den Jupiter vier Sterne bewegen, und zwar in ver- schiedener Weise und sehr rasch. Dieses wünsche ich zu wissen, weil ich darüber verschiedene Aeusserungen höre und weil Sie, als in den mathematischen "Wissenschaften sehr geübt, mir leicht werden sagen können, ob diese neuen Entdeckungen wohl begründet oder nur scheinbar und nicht wahr sind. Wenn Sie wollen, können Sie Ihre Antwort auf dieses Blatt schreiben."

Vier Jesuiten, ausser Clavius und Griemberger noch Odo Malcotio [van Maelcote, geb. 1572 zu Brüssel, gest. 161 5 zu Rom] und Gio. Paolo Lembo, erkennen in ihrer vom 24. April datirten Antwort, mit einigen nicht wesentlichen Reservationen, die Richtigkeit der Entdeckungen an. Im Römischen Colleg hielt sogar im Mai 161 1 in einer sog. Akademie (Schulfeierlichkeit) ein Jesuit einen lateinischen

1) VIII, 160.

26 Galilei und die Jesuiten 1611.

Vortrag über die neuen astronomischen Entdeckungen, in welchem Galilei zu den berühmtesten und glücklichsten Astro- nomen der Gegenwart gezählt und erklärt wurde, die Be- obachtungen der Astronomen des Collegs hätten seine Ent- deckungen bestätigt1).

Das eben erwähnte Gutachten der vier Jesuiten wurde auch in Florenz bekannt. Ueber einen Punkt desselben, die Unebenheiten des Mondes betreffend, schrieb Lodovico delle Colombe am 27. Mai 161 1 einen Brief an Pater Clavius. Diesen Brief Hess der Cardinal Bellarmin durch seinen Maestro di camera Gallanzone Gallanzoni am 26. Juni an Galilei schicken, mit der Bitte, sich darüber zu äussern. Galilei übersandte am 16. Juli eine lange Erwiederung2). Ueber einen im Frühjahr 161 1 zu Mantua von einem Jesuiten gehaltenen Vortrag über die Mondberge beschwerte sich Galilei bei dem Pater Griemberger. Dieser schrieb darüber an den Pater Biancano zu Parma, den er für den Verfasser hielt, und sandte dann dessen Brief, worin er den Vortrag desavouirte, an Galilei, worauf dieser in einem langen Schreiben vom 1. Sept. 161 1 an Griemberger die in jenem Vortrage und in dem Briefe Biancano's erhobenen Beden- ken widerlegte3). Auch den Gegnern Galilei's in Perugia gegenüber, welche übrigens nicht Jesuiten gewesen zu sein scheinen, stand in dieser Zeit Griemberger auf Galilei's Seite4).

Der Aufenthalt in Rom im J. 161 1 war für Galilei auch darum von Bedeutung, weil er durch denselben mit manchen hochgestellten und einflussreichen Männern persönlich be- kannt wurde, mit einigen, die sich für seine wissenschaft- lichen Bestrebungen besonders interessirten, Freundschaft schloss. Dazu gehörte namentlich der junge Fürst Federico Cesi5), der Stifter des unter dem Namen Accademia dei

1) Dieser Vortrag ist zuerst gedruckt bei G. Govi, Galileo e i matema- tici del Collegio Romano nel 161 1, in den Atti della R. Accademia dei Lin- cei S. 2, Vol. 1 (1873 74), p. 230. Er hat den Titel: „Nuncius sidereus Collegii Romani". Govi meint, er würde besser „Nuncius sidereus Galilaei de Galilaeis ad maiorem Collegii Romani gloriam concinnatus" heissen.

2) III, 122; vgl. VI, 176; VIII, 183.

3) III, 138; vgl. VI, 176; VIII, 169. 182. 4) VIII, 153.

5) Er hiess damals noch Marchese di Monticelli; den Fürstentitel er- hielt er durch päpstliches Breve im J. 1613. Er war geboren 1585, starb

Galilei's Freunde in Rom. 27

Lincei (Akademie der Luchsäugigen), bekannten Gelehrten- Vereins, dessen Mitglied Galilei wurde. Auch der Professor der Botanik an der Sapienza, Johann Faber aus Bamberg, der Kanzler, und Francesco Stelluti, der Procurator der Aka- demie war, correspondirten mit Galilei. Ausserdem finden wir von jetzt an Galilei in lebhaftem Briefwechsel mit an- deren angesehenen Männern in Rom, namentlich mit dem Monsignor Gioan Batista Agucchi, der später (162 1) unter Gregor XV. Secretär der Breven und Minister, unter Ur- ban VIII. Nuncius in Venedig wurde 1), und mit seinem frü- hern Schüler, dem Florentiner Monsignor Piero Dini2). Mit dem Maler Cigoli (s. o. S. 17) und dem Professor der Mathematik an der Sapienza, Luca Valerio, einem Schüler des P. Clavius, stand er schon vor 161 1 in Correspondenz ; ersterer starb bereits 161 3 und Galilei's Freundschaft mit letz- term nahm spätestens 16 16 ein Ende. Im J. 1614 siedelte ein jüngerer Freund Galilei's, Giovanni Ciampoli, von Florenz nach Rom über, um dort Carriere zu machen. Seine Kennt- nisse und Gewandtheit verschafften ihm bald Zutritt zu den vornehmsten Kreisen, der Cardinal Maffeo Barberini (später Papst Urban VIII.) hatte ihn schon als Legat in Bologna kennen gelernt; beide machten lateinische Verse; Virginio Cesarini, ein fein gebildeter junger Adeliger, den wir später (16 16) auch unter Galilei's Correspondenten finden , schloss bald Freundschaft mh\ ihm. So kam Ciam- poli in die Lage, Galilei über Vorgänge und Verhältnisse» in Rom viel berichten zu können3). Unter den folgenden Ponti- ficaten werden wir ihn in einflussreicher Stellung finden. Vom Juli 16 14 bis zum Frühjahr 161 5 hielt sich auch der schon erwähnte Monsignor Paolo Gualdo in Rom auf und corre- spondirte von dort mit Galilei4).

schon 2. Aug. 1630. Die Akademie der Lincei wurde 1603 gegründet. Es sind gegen 150 Briefe Cesi's an Galilei erhalten. VIII, 177. Ueber Faber und Stelluti s. VI, 184; VIII, 192. Tiraboschi VIII, 292.

1) VIII, 167. Er starb 8. Dec. 1632.

2) Er starb 1625 als Erzbischof von Fermo.

3) Ciampoli, geb. zu Florenz 1589, hatte in Padua studirt, in Pisa promovirt. Vgl. VIII, 326. 331. 333. 394. 413. 415; Suppl. 114. Vita di Mons. G. Ciampoli (von seinem Secretär) bei Targioni II, 102; vgl. I, 82, Tiraboschi VIII, 402. Ueber Cesarini s. Tiraboschi VIII, 510,

4) VIII, 325. 333.

28 Clavius.

Ohne Zweifel hat Galilei damals in Rom auch von der Bedeutung seiner Entdeckungen für die Begründung der Copernicanischen Theorie gesprochen, wenn das auch in den Briefen aus dieser Zeit nicht erwähnt und in der Anfrage des Cardinais Bellarmin nicht darauf Bezug ge- nommen wird. Dass diese Bedeutung seiner Entdeckungen auch von Anderen erkannt wurde , zeigt eine merkwür- dige Stelle in der letzten, 1611 zu Mainz erschienenen Ausgabe des Commentares des Clavius er starb schon am 6. Febr. 161 2 zu dem damals in den Schulen ge- brauchten astronomischen Handbuche, der „Sphaera" des Johannes de Sacrobosco1). Er verweist darin auf Galilei's „Sidereus Nuntius" und sagt: „Unter anderm, was mit die- sem Instrumente (dem Fernrohr) gesehen wird, nimmt dieses nicht die letzte Stelle ein, dass die Venus ihr Licht von der Sonne erhält, wie der Mond, so dass sie je nach ihrer Ent- fernung von der Sonne bald mehr, bald weniger gehörnt erscheint, wie ich mit Anderen mehr als einmal zu Rom beobachtet habe. Mit Saturn sind zwei kleine Sterne ver- bunden, einer nach Osten, einer nach Westen. Jupiter hat vier Planeten, welche in wunderbarer Weise ihre Stellung zu einander und zu Jupiter wechseln, wie Galilei sorgfältig und genau beschreibt." Er fügt dann die Worte bei, welche die Ueberzeugung von der Unnahbarkeit der herrschenden astronomischen Theorie zu verrathen scheinen: „Da sich dieses so verhält, so mögen die Astronomen sehen, wie die himmlischen Sphären zu ordnen sind, um diesen Erschei- nungen gerecht zu werden" (videant astronomi, quo pacto orbes coelestes constituendi sint, ut haec fhaenomena possmt salvari).

Jedenfalls machte Galilei dem Cardinal Bellarmin gegen- über schon im J. 161 1 aus seiner Ueberzeugung von der Richtigkeit der Copernicanischen Theorie kein Hehl. Der oben erwähnte Lodovico delle Colombe, schrieb (spätestens in diesem Jahre) eine lange Abhandlung gegen die Coper- nicaner (Galilei wird darin nicht ausdrücklich genannt), welche behaupteten, Aristoteles habe die Unbeweglichkeit

1) Chr. Clavii Opera mathematica III, 75 ; s. Suppl. 100. Venturi I, 28. Ueber die Sphaera des Sacrobosco s. Mädler, Gesch. der Himmels- kunde III. 7*.

Lod. delle Colombe. Cesare Cremonini. 29

der Erde nur wegen seiner mangelhaften mathematischen Kenntnisse behauptet. Er bringt eine Reihe von Argu- menten gegen die Copernicanische Lehre vor, und beruft sich schliesslich auch auf die Bibel. Die Abhandlung wurde da- mals nicht gedruckt1); eine Abschrift kam aber in Galilei's Hände, der dieselbe mit Randbemerkungen, Postille, ver- sah. Von dieser Polemik gegen die Copernicanische Lehre spricht nun Galilei auch in dem oben erwähnten, für Bellarmin bestimmten Briefe an Gallanzoni. Colombe, sagt er hier2), habe das Buch des Copernicus gar nicht gelesen und kenne von den Argumenten desselben nichts als einige wenige Ausführungen, durch welche er (Galilei) die Argumente des Aristoteles und Ptolemäus zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Gelegenheiten im Gespräche mit Freunden widerleg-t habe und welche Colombe durch die Berichte von dritten Personen gelegentlich zu Ohren gekommen seien. Diese Ausführungen bekämpfe er in seiner Schrift mit nich- tigen Argumenten und mit Schmähungen gegen die „An- hänger des Copernicus", womit er ihn (Galilei) allein meine. Was übrigens die oben erwähnte Anfrage Bellarmins an die Mathematiker des Römischen Collegs angeht, so scheint dieselbe keinen amtlichen Charakter gehabt zu haben. Jedenfalls waren die vier Jesuiten keine „päpstlichen Sach- verständigen" und kann man nicht sagen, durch ihr Gut- achten hätten „die Erforschungen Galilei's gewissermassen die geistliche Sanction erhalten und seien sie zugleich zu anerkannten Wahrheiten geworden"3). Eher könnte man annehmen, dass Bellarmins Anfrage mit der Thatsache zu- sammenhange, dass Galilei um eben diese Zeit in den Acten der Inquisition erwähnt wird. Eine von Gherardi (Nr. I) veröffentlichte Aufzeichnung über die Sitzung der Inqui- sition vom 17. Mai 161 1 lautet nämlich: „Es ist nachzusehen, ob in dem Processe des Doctor Cesare Cremonini Galilei, Professor der Philosophie und Mathematik, genannt worden sei." Von diesem Processe wissen wir nur, dass es sich darin ausschliesslich um philosophische Fragen handelte4). Galilei

i) Sie ist II, 337 mit Galilei's" Postillen abgedruckt.

2) III, 134. 3) Gebier, Galilei S. 45.

4) So berichtet Berti, II processo etc. p. XXVII. LX, der die Acten des Processes in Händen hat und ihre Veröffentlichung in Aussicht stellt. Die Vermuthung Wohlwills, Zts. f. Math. 1872 L.-Z. 29, der Process

30 Cesare Cremomm.

ist darin schwerlich in einer Weise genannt gewesen, die ihn graviren konnte. Denn Cesare Cremonini da Cento, Professor der Philosophie in Padua, war ein entschiedener Peripate- tiker und bitterer Gegner Galilei's, der, wie diesem eben im Mai 1611 berichtet wurde1), über dessen Beobachtungen spottete und sich wunderte, wie Galilei sie für wahre Dinge ausgeben könne. Er wolle, wurde Galilei weiter berichtet, astronomische Schriften, auch über die Bewegung der Erde, herausgeben und darin den Aristoteles vertheidigen und Ga- lilei, ohne ihn zu "nennen, angreifen; er berufe sich auf eine Stelle des Plutarch als auf ein unwiderlegliches Argument gegen die Täuschung des Fernrohrs. Später wurde Cremo- nini beschuldigt, er habe in einem Buche „De coelo" materia- listische Anschauungen vorgetragen, und Galilei's Freund Sagredo schrieb ihm im Februar 161 5, sein Vater, der „Re- formator" der Universität Padua, habe eine sehr schlechte Meinung von Cremonini und glaube, derselbe habe durch seine Lehrthätigkeit viele junge Leute zum Atheismus ge- fuhrt 2).

Wie die Inquisition also dazu kam, in den Acten des Cremonini'schen Processes nachsehen zu lassen, ob Galilei darin erwähnt werde, und ob und wie Bellarmins Anfrage damit zusammenhängt, dass die Inquisition auf Galilei auf- merksam geworden war, ist nicht auszumachen.

Während Galilei von seinem Aufenthalte in Rom sehr befriedigt war, hat Paul Sarpi, wenn er wirklich die folgenden Worte im J. 161 1 oder auch nur im J. 16 15 ge- schrieben hat3), sich fast wie ein Prophet darüber aus- gesprochen: „Ich höre von dem Senator Domenico Molino, dass Galilei nach Rom reisen will , wohin er von mehreren Cardinälen eingeladen ist, um dort seine astronomischen Ent- deckungen zu zeigen [das passt besser auf die Reise im J. 161 1, als auf die im J. 161 5]. Ich fürchte, wenn er bei

möge mit den Streitigkeiten zwischen der Universität Padua und den Jesui- ten zusammengehangen haben, ist also nicht richtig. Vgl. über Cremonini Stöckl, Gesch. der Philos. des M.-A.. 1866, III, 272.

1) VIII, 141; s. o. S. 17. 2) VIII, 338. 345.

3) Venturi I, 274 theilt die Stelle aus dem 1785 zu Venedig erschie- nenen Buche „Genio di Fra Paolo" mu:, welches sich auf Sarpi's Papiere {Schede) fol. 124 beruft. Vgl. Bianchi-Giovini, Biografia di Fra Paolo Sarpi, 1836, I, 279.

Die Schrift über die Sonnenflecken. 31

dieser Gelegenheit die gelehrten Gründe vorträgt, die ihn bestimmen, hinsichtlich unseres Sonnensystems die Theorie des Domherrn Copernicus vorzuziehen, so wird das den Je- suiten und den anderen Mönchen gewiss nicht gefallen. Diese werden die physische und astronomische Frag-e in eine theo- logische verwandeln, und ich sehe zu meinem grössten Be- dauern vorher, dass er, um in Frieden und ohne die Makel eines Ketzers und Excommunicirten zu leben, seine An- sichten wird widerrufen müssen. Es wird freilich der Tag kommen, dessen bin ich so gut wie gewiss, wo die Men- schen, durch bessere Studien aufgeklärt, das Unglück Ga- lilei's und die einem so grossen Manne angethane Unge- rechtigkeit beklagen werden; aber mittlerweile wird er diese zu erdulden haben und sich darüber nur insgeheim beklagen dürfen. Die Copernicanische Hypothese steht nicht nur nicht in Widerspruch mit dem in der h. Schrift geoffenbarten Worte Gottes, sondern ehrt auch dessen unendliche Macht und Weisheit, sowohl bezüglich der Ordnung und Dispo- sition der Weltmaschine, wie bezüglich all der anderen Dinge, welche das Schauspiel des Weltalls ausmachen."

Das freundschaftliche Verhältniss, welches sich während des Aufenthaltes Galilei's in Rom im J. 161 1 zwischen ihm und den Jesuiten bildete, sollte nicht lange dauern. Es wurde schon in dem folgenden Jahre getrübt durch seine Contro- verse mit dem Pater Christoph Scheiner 1), er wird uns noch öfter begegnen, über die Sonnenflecken, eine Con- troverse, die zugleich Galilei Gelegenheit bot, sich offener als bisher für das Copernicanische System auszusprechen.

Scheiner, damals Professor der Mathematik und des Hebräischen in Ingolstadt, veröffentlichte im J. 161 2 zu Augs- burg drei Briefe an den dortigen Patricier Marcus Welser

1) Christoph Scheiner, geb. 1575 in Wald bei Mündelheim in Schwaben, war Professor der Mathematik und des Hebräischen zuerst zu Freiburg im Breisgau, dann 161 o 161 6 zu Ingolstadt. Danach war er einige Jahre, bis zum März 1633 in Rom. Er starb 18. Juli 1650 als Rector des Jesuiten-Colle- giums in Neisse. Er erfand 1603 den Storchschnabel. Seine Schriften über die Sonnenflecken sind nicht ohne Werth; namentlich „gehört ihm das Ver- dienst, zuerst die Rotationszeit der Sonne und die Lage ihres Aequators wirklich bestimmt, sowie auf die Fleckenzonen aufmerksam gemacht zu haben". R. Wolf, Gesch. der Astronomie S. 319. 394.

32 Die Schrift über die Sonnenflecken.

über die Sonn enfl ecken pseudonym, unter dem Namen Apelles post tabulam". Galilei's Gegenschrift, gleichfalls drei Briefe an "Welser, wurde im Frühjahr 1613 zu Rom von der Aka- demie der Lincei herausgegeben J). Es handelte sich bei dieser Controverse zunächst um die Fragen, ob Galilei oder Scheiner die Sonnenflecken zuerst entdeckt habe2) und wie dieselben zu erklären seien. An mehreren Stellen der Briefe Galilei's wird aber auch die Copernicanische Theorie, nicht zwar ex firofesso vertheidigt, aber als richtig bezeichnet3), und in Briefen aus dieser Zeit hebt Galilei die Bedeutung seiner Beobachtungen über die Sonnenflecken für jene Theorie scharf hervor. In dem Briefe vom 12. Mai 16 1 2 4), in welchem er dem Fürsten Cesi, der übrigens wenigstens damals noch kein entschiedener Copernicaner war5), die dem- nächstige Uebersendung seines ersten Briefes an Welser an- kündigt, meint er, seine desfallsigen Entdeckungen würden „die Todtenfeier oder vielmehr das letzte Gericht der Pseu- dophilosophie sein, da man nun Zeichen an den Sternen, am Monde und der Sonne6) gesehen/' Am 16. Juni spricht er auch in einem Schreiben an Paolo Gualdo 7) von diesem Briefe an Welser und sagt: „Ich gewinne fortwährend, ohne zu ver- lieren ; denn es bekehrt sich von Zeit zu Zeit ein Ungläubiger, während von den schon Ueberzeugten nie einer abfällt. Tag für Tag werden neue Bestätigungen der Wahrheit entdeckt,

1) Mit Scheiners Briefen abgedruckt III, 369 508; vgl. VI, 181; VIII,

303- 313.

2) Dass er die Sonnenflecken früher entdeckt als Scheiner, im Septem- ber 1610, dafür konnte sich Galilei später u. a. auf das Zengniss der Jesui- ten Adam Tanner und Guldin berufen (III, 182; IX, 67. 234). Später ist der Holländer Fabricius als der erste Entdecker bezeichnet worden, und R. Wolf, Gesch. der Astronomie S. 392, meint, die Priorität Galilei's gegen- über Fabricius sei wohl nicht festzuhalten. Für die Priorität Galilei's s. Parchappe, Galilei p. 92. Martin p. 31. Jedenfalls ist P. de Gabriac (s. o. S. 16, Anm. 1) nicht befugt, zu sagen: „Galilei beansprucht für sich die Ehre aller Entdeckungen . . . Fabricius theilt in seinem Buche vom 13. Juni 161 1 mit, er habe auf der Sonnenscheibe Flecken beobachtet: Galilei beansprucht mehr als ein Jahr später in seinem ersten Briefe an Welser die Priorität."

3) z. B. III, 383. 385. 469. 507. 4) VI, 180.

5) VIII, 215; VI, 190.

6) Anspielung auf Luk. 21, 25. Denselben Ausdruck gebraucht Ga- lilei in dem Briefe an Card. Maffeo Barberini vom 2. Juni 1612; Pieralisi, Urbano VIII p. 45. 7) VI, 186; s. o. S. 23.

Die Schrift über die Sonnenflecken. 33

und wer die Wahrheit auf seiner Seite hat, der ist wohl daran und kann lachend zusehen, wie sich die Gegner ver- geblich abmühen." Am 14. Sept. 1612 konnte Cesi1) mit der Meldung, dass er das Manuscript des zweiten Briefes an Welser erhalten , die Mittheilung verbinden : vor einigen Tagen habe ein Dominicaner bei einer öffentlichen Dispu- tation im Jesuitencollegium zu Rom Galilei's Ansicht von den Sonnenflecken mit der Conclusion, dass die Sonne der Mittelpunkt des Weltalls sei, gegen die Jesuiten, welche Scheiners Theorie vertraten, vertheidigt.

Im Febr. 161 5 2) übersandte Scheiner Galilei seine im J. 16 14 zu Ingolstadt erschienenen „Disquisitiones mathema- ticae de controversiis et novitatibus astronomicis", worin die Copernicanische Theorie bekämpft wird. Er schrieb dabei: „Es ist mir nicht unbekannt, dass die Copernicanischen Hy- pothesen Sie sehr ansprechen; aber meine oder vielmehr meines Schülers Erörterungen scheuen die Prüfung der Ge- lehrten nicht. Wiewohl ich darum Niemand seine Meinung in diesen Dingen mit Gewalt nehmen will, so glaube ich doch die zur Ermittlung der Wahrheit geeigneten Gründe nicht zurückhalten zu dürfen. Wenn Sie Gegengründe vor- bringen wollen, so werden wir uns dadurch keineswegs ge- kränkt fühlen, sondern die Einwendungen gern prüfen, in der Hoffnung, dass das immerhin dazu beitragen werde, die Wahr- heit in helleres Licht- zu setzen." Eine Antwort Galilei's auf diesen Brief findet sich nicht. Er kritisirte Scheiners Disquisitionen erst 1632 in seinem Dialog, zusammen mit einer andern polemischen Schrift desselben, von der später die Rede sein wird.

Dass nicht alle Gegner der Peripatetiker damals auch Copernicaner waren, sehen wir ausser bei Cesi auch bei dem Genuesen Gioan Batista Baliani. Filippo Salviati empfahl diesen Galilei als einen Philosophen, welcher „über die Natur philosophirt und über Aristoteles und alle Peripatetiker lacht", und Baliani selbst sagt von sich in seinem ersten Briefe an Galilei: er habe „immer über alle philosophischen Conclusionen gelacht, welche abgesehen von denen, die

1) VIII, 239. 2) Suppl. 99.

3) VIII, 294, 297. Vgl. über Baliani Targioni I, 146. Tiraboschi VIII, 203. Suppl. 103. 131.

Ee usch, Galilei. 3

34 Die theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.

wir durch das Licht des Glaubens als wahr kennen, nicht auf mathematischen Beweisen oder zuverlässigen Beobach- tungen beruhen." Aber am 31. Jan. 16 14 "schrieb er an Galilei über die Schrift über die Sonnenflecken1): „Ich glaube zu sehen, dass Sie die Meinungen des Copernicus billigen; und doch möchte ich glauben, dass die Beobach- tungen, die man mit dem Fernrohr an der Venus und den Mediceischen Sternen und den Sonnenflecken macht, eher die Flüssigkeit der himmlischen Materie beweisen und darum die Meinung Tycho's wahrscheinlicher machen."

Galilei antwortete am 12. März 16142): „Was die Mei- nung des Copernicus angeht, so halte ich sie in der That für sicher, und zwar nicht bloss wegen der Beobachtungen an der Venus, den Sonnenflecken und den Mediceischen Sternen, sondern auch wegen anderer Gründe, die Copernicus anführt, und wegen vieler anderer Beobachtungen, die ich gemacht und die mir beweisend zu sein scheinen. . . . Bei der Meinung des Tycho bleiben jene sehr grossen Schwie- rigkeiten, die mich nöthigen, von Ptolemäus abzugehen, während ich bei Copernicus nichts finde, was mir auch nur das geringste Bedenken machte. Am allerwenigsten machen mir die Einwendungen Bedenken, welche Tycho in gewissen Briefen gegen die Bewegung der Erde vorbringt.''

V.

Die Controverse über die theologische Zulässigkeit der

Copernicanischen Theorie.

Man hat vielfach gesagt: Galilei sei nicht als guter Astronom, sondern als schlechter Theologe in Rom verur- theilt worden; er habe den Fehler begangen, die Contro- verse über das Copernicanische System auf das theologische, speciell das exegetische Gebiet hinüberzuspielen; er habe verlangt, die kirchliche Behörde solle die Copernicanische

1) VIII, 300.

2) Atti della R. Accademia di Torino, Vol. VII (1871—72), p. 585. Der Brief ist dort irrthümlicli in das J. 16 13 versetzt.

Die theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 35

Lehre als in der Bibel begründet anerkennen und dergl. l). Noch Hergenröther 2) behauptet, ,,Galilei's Sache würde gar nicht vor der Inquisition verhandelt worden sein, wenn er auf dem Boden der Physik und Astronomie stehen geblieben wäre und sich nicht in leidenschaftlicher Erregung auf die Bibel berufen hätte", und P. Desjardins versichert p. 30. 32: „Galilei würde nie verurtheilt worden sein, wenn er sich nicht in seiner Anmassung darauf gesteift hätte, seine Mei- nung als eine absolute Wahrheit geltend zu machen und im Interesse seiner Sache exegetische Regeln zu formuliren, welche die Orthodoxie nicht billigen konnte/' wenn er auch zugibt, die Behauptung von Gaume, Gaillardin und „vielen Anderen'' sei „übertrieben", dass Galilei „für seine Lehre die Geltung einer in der Bibel enthaltenen Wahrheit oder gar eines Glaubensartikels beansprucht habe". Diese Angaben sind, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, ganz unrichtig.

Wie Exegeten für die der Ptolemäischen Anschauung entsprechende Deutung von Bibelstellen sich auf die wissen- schaftliche Unhaltbarkeit des Copernicanischen Systems be- riefen3), so bekämpften anderseits Philosophen das Coper- nicanische System mit jenen Bibelstellen, wie denn ja über- haupt das Hineinziehen theologischer Argumente in natur- wissenschaftliche Erörterungen bei den Peripatetikern zu jener Zeit sehr gewöhnlich war (S. 13). Galilei hat sich von diesem

1) Vgl. über solche Angaben Martin, Galilee p. 173. 268. Der erste Urheber dieser irrigen Auffassung scheint Mallet du Pan zu sein; Martin, p. 401. 2) Handb. der Kirchengesch., 1877, **> 488-

3) So sagt z. B. der Jesuit Joh. de Pineda in seinem 1597 erschiene- nen Commentar zu Job 9, 6 : Die Pythagoreische Ansicht, nach welcher Didacus Stunica diese Stelle erklärt, „ist ganz falsch, Andere werden sie verrückt, närrisch, temerär und theologisch bedenklich nennen und sagen, sie sei aus dem Orcus der alten Philosophen von Copernicus und Caelius Cal- cagnini zurückgerufen, mehr um sich geistreich zu zeigen, als zum Wohle und Nutzen der Philosophie und Astrologie. Ich habe sie weitläufig be- kämpft, als ich die Bücher des Aristoteles vom Himmel und von der Welt erklärte und von der Bewegung des Himmels handelte, und sehr elegant hat mit philosophischen und astrologischen Gründen ihre Falschheit nachge- wiesen unser Christoph Clavius in seinem Commentar zum I. Capitel der Sphaera." Andere Stellen s. bei Grisar S. 732. Vgl. Beckmann 3. Art. S. 661.

36 Die theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.

Fehler nicht nur frei gehalten, sondern ihn entschieden be- kämpft. Jedenfalls ist er nicht derjenige, welcher zuerst die Bibel in die Controverse hineinzog. Schon im J. 1589 hatte Tycho de Brahe in einem Briefe an Christoph Rothmann angedeutet, die Copernicanische Lehre stimme nicht mit der Lehre der Bibel und der Kirchenväter überein1). Kepler war schon 1596 in seinem „Prodromus" und 1602 in seiner „Nova Dissertatiuncula". auf diesen Punkt eingegangen. Joachim Rheticus hatte schon bei Copernicus' Lebzeiten ein Schriftchen verfasst, worin er die „Bewegung der Erde von dem Vorwurfe des Widerspruchs mit der h. Schrift be- freite"2); dasselbe wurde aber nicht gedruckt.

In Italien machte zuerst der Florentiner Francesco Sizi in einer 161 1 zu Venedig unter dem Titel „Dianoia astro- nomica" veröffentlichten Streitschrift gegen Galilei's ,,Side- reus Nuncius"3) unter anderm geltend, die Behauptung, Jupiter habe Monde, widerspreche der h. Schrift, die nur von sieben Planeten wisse. Um dieselbe Zeit schliesst Lo- dovico delle Colombe seine Abhandlung gegen die Bewe- gung der Erde (s. o. S. 28) mit einer Aufzählung von Bibel- stellen und fügt dann bei4): „Vielleicht werden die Elenden zu Deutungen der Bibel ihre Zuflucht nehmen, welche von dem Buchstaben abweichen. Aber alle Theologen ohne Aus- nahme sagen: wenn die h. Schrift buchstäblich verstanden werden könne, dürfe sie nicht anders gedeutet werden, und Canus sagt mit allen Commentatoren des h. Thomas: wenn Jemand bezüglich des Sinnes der h. Schrift etwas behaupte gegen die allgemeine Ansicht der Väter, so sei eine solche Be- hauptung temerär. Zudem sagen die Theologen, es sei eine

1) Brief vom 24. Nov. 1589: . . . „ob die Bibel der Phantasie (ima- ginationi) des Copernicus widerspreche oder nicht. Wenn du also in den heiligen Orakeln oder bei ihren Auslegern, bei Augustinus oder anderen Vätern etwas gefunden hast, was zu Gunsten dessen spricht, was Copernicus behauptet und du billigst, so citire es aus ihren Schriften." Vgl. "Wolynski, Arch. stör. S. 3, T. 17 (1873), p. 16. Epinois, La question, p. 31.

2) S. den Brief des Bischofs Giese an Rheticus vom 26. Juli 1543 bei Beckmann, 2. Art. S. 33.

. 3) VI, 94. 159; VIII, 89. 157. Venturi I, 124. Targioni I, 41. U) II. Gebier, Galilei S. 50. Sizi wurde 161 8 zu Paris wegen politischer Ver- brechen hingerichtet. Nach dem Briefe bei Targioni II, 14 befasste er sich viel mit Nativitätenstellerei. 4) II, 377.

Brief an Castelli 1613. 37

allgemeine Regel, dass ein grosser philosophischer Irrthum auch theologisch verdächtig sei, namentlich wenn es sich, wie hier, um eine Sache handelt, von welcher die Bibel redet" x). Galilei berührt diese theologische Argumentation in seinen Postillen zu dem Buche Colombe's und in seinem Briefe an Gallanzoni (s. o. S. 29) mit keinem Worte. Im J. 161 2 aber, als er mit der Ausarbeitung seiner Briefe über die Sonnenflecken beschäftigt war, wird in seinem Briefwechsel zuerst die Frage berührt, ob sich die Peripatetiker mit Recht auf die h. Schrift berufen könnten. Er legte diese Frage in einem nicht erhaltenen Briefe dem Cardinal Conti vor. Dieser antwortete am 7. Juli 16122): „Der Aristotelischen Ansicht von der Incorruptibilität des Himmels ist die h. Schrift nicht günstig, eher der entgegengesetzten Ansicht, so dass es die gewöhnliche Ansicht der Kirchenväter war, der Himmel sei corruptibel. Die Copernicanische Ansicht von der Bewegung der Erde und der Sonne scheint der h. Schrift weniger zu entsprechen; denn wenn auch jene Stellen, an denen es heisst, die Erde stehe fest, von ihrer Dauer verstanden werden können, wie Lorinus*) zu Eccl. 1, 4 be- merkt, so können doch die Stellen, an denen gesagt wird, die Sonne umkreise (die Erde) und der Himmel bewege sich, (bei der Annahme der Copernicanischen Ansicht) nicht an- ders gedeutet werden, als so, dass man sagt, die Bibel rede nach der Weise des gewöhnlichen Volkes, und diese Inter- pretation sweise darf ohne dringende Notwendigkeit nicht zugelassen werden. Indess sagt Diego Stunica zu Job 9, 6, die Ansicht, dass die Erde sich bewege, entspreche der h. Schrift besser; freilich hat seine Interpretation im allgemeinen keinen Beifall gefunden."

Nach dem Erscheinen der Schrift über die Sonnen- flecken, in welcher Galilei zwar wiederholt die Copernica- nische Ansicht als richtig bezeichnet (s. o. S. 32), in welcher aber von der Bibel gar nicht die Rede ist, fand Galilei Veranlassung, sich selbst über jene Frage brieflich auszu- sprechen. Castelli schrieb ihm aus Pisa am 14. Dec. 16134):

1) Colombe führt dann die oben S. 35 Anm. 3 citirte Stelle von Pineda an. 2) VIII, 222; vgl. 226.

3) Der bekannte Exeget Johannes Lorinus aus dem Jesuitenorden, nicht zu verwechseln mit dem unten zu erwähnenden Dominicaner Nicolaus Lorini. 4) VIII, 291.

38 . Brief an Castelli 1613.

An der grossherzoglichen Tafel sei in seiner Gegenwart die Rede auf die Mediceischen Planeten gekommen. Der Pro- fessor der Physik, Boscaglia1), habe dabei geäussert: Gali- lei's astronomische Entdeckungen seien zwar unbestreitbar, aber dass die Erde sich bewege, sei unglaublich und unmög- lich, zumal die Bibel das Gegentheil lehre. Von der Gross- herzogin-Mutter, Christina von Lothringen2), veranlasst, habe er (Castelli) darauf ausführlich nachzuweisen gesucht, dass jene Lehre der Bibel nicht widerspreche. Der Gross- herzog und die Grossherzogin und andere Anwesende hätten ihm zugestimmt; Boscaglia habe geschwiegen; nur die Gross- herzogin-Mutter habe widersprochen, aber wie Castelli wohl mit Recht annahm lediglich um ihm Anlass zur Er- widerung zu geben. In diesem Gespräche citirte die Gross- herzogin-Mutter auch die bekannte Stelle im Buche Josue (10, 12. 13), worauf Castelli von derselben drei Erklärungen, darunter eine als von Galilei aufgestellt, vortrug, um sie mit der Copernicanischen Lehre in Einklang zu bringen3).

Von diesem Vorfall nahm Galilei Veranlassung, sich in einem längern Briefe an Castelli vom 21. Dec. 16 13 über „das Hineinziehen der h. Schrift in naturwissenschaftliche Contro- versen" und insbesondere über die Stelle im Buche Josue auszusprechen4). Da dieser Brief in der Geschichte des

1) Cositno Boscagli (so nennt er sich selbst) war am grossherzoglichen Hofe sehr angesehen. Targioni I, 87.

2) Christina von Lothringen wurde im Februar 1589 die Gemahlin Ferdinands I., welcher 7. Febr. 1609 starb. Nach dem Tode ihres Sohnes Cosimo II. (28. Febr. 1621) führte sie die Regentschaft für ihren unmündi- gen Enkel Ferdinand II. in Gemeinschaft mit dessen Mutter. Sie starb 10. Nov. 1636. Sie hatte sich früher gegen Galilei sehr wohlwollend gezeigt.

vi, 28. 35. 63-67. 3) n, 11.

4) P. Schneemann stellt S. 119 die Sache nicht ganz richtig dar, wenn er sagt: „Galilei und Castelli schienen darüber, dass die alte Dame (bei dem oben erwähnten Gespräche) bei ihrer Ansicht blieb [?], untröstlich zu sein, und ersterer erliess offenbar im Einverständniss und wahrscheinlich auch unter Mitwirkung seines theologischen Freundes [für letztere Annahme spricht gar nichts] an diesen ein Schreiben . . ., welches nun mit grosser Emsigkeit verbreitet wurde. Trotz des hierdurch erregten Anstosses schrieb er einige Zeit darauf über dasselbe Thema eine grössere an die Grossherzogin- Mutter gerichtete Schrift." S. 256 kommt er dann auf die Sache zurück mit der frivolen Bemerkung: „Nachdem die alte Grossmutter am Mediceischen Hofe einmal Bedenken über die Harmonie der Schrift mit dem genannten

Brief an Castelli 1613. 39

ersten Processes eine grosse Rolle spielt und zudem für Galilei' s Anschauungen sehr charakteristisch ist, müssen die Hauptstellen desselben mitgetheilt werden 1).

„Die h. Schrift kann nie lügen oder irren, vielmehr sind ihre Aussprüche {decreti) absolut und unverletzlich wahr. Wenn aber auch die Bibel nicht irren kann, so könnte doch ein Ausleger derselben in verschiedener Weise irren. Ein solcher Irrthum, und zwar ein sehr schwerer und gewöhn- licher Irrthum, wäre es, wenn wir immer bei der eigent- lichen Bedeutung der Worte stehen bleiben wollten; denn so würden nicht nur mancherlei Widersprüche, sondern auch schlimme Ketzereien und Gotteslästerungen herauskommen. Denn wir müssten dann Gott Hände, Füsse, Ohren bei- legen und nicht minder körperliche und menschliche Affecte, wie die des Zornes, der Reue, des Hasses und mitunter so- gar des Vergessens der vergangenen und des Nichtwissens der zukünftigen Dinge. . . . Da also die Bibel an vielen Stellen einer von der zunächst liegenden Bedeutung der Worte ver- schiedenen Auslegung nicht nur fähig, sondern auch be- dürftig ist, so scheint mir, es sei ihr bei mathematischen Controversen der letzte Platz anzuweisen. Da nämlich die h. Schrift und die Natur beide von dem göttlichen Worte herkommen, jene als Eingebung des h. Geistes, diese als Ausführerin der göttlichen Befehle, und da anerkannt ist, dass die Bibel, um sich der Fassungskraft der grossen Menge anzubequemen, viele Dinge sagt, welche scheinbar, wenn man bei der eigentlichen Bedeutung der Worte stehen bleibt, von der absoluten Wahrheit abweichen2), während anderseits die Natur unerbittlich und unveränderlich und unbekümmert

System geäussert hatte, schrieb Galilei einen Brief nach dem andern und schliesslich eine ganze Rechtfertigungsschrift über seine Exegese."

1) Der Brief ist vollständig in den Opere II, 6 (nach Venturi I, 203) abgedruckt, ferner nach einer andern Abschrift, in welcher der Anfang fehlt, bei Targioni II, 22. endlich nach der der Inquisition eingesandten Abschrift, in welcher der Eingang weggelassen war, in den Acten S. 14. Diese letzte Abschrift ist an einigen Stellen unrichtig; aber auch der Text in den Opere ist augenscheinlich nicht ganz correct. Hie und da kann er nach den beiden anderen Abschriften und nach dem unten zu erwähnenden Briefe an Christina von Lothringen, in welchen ganze Stücke herübergenommen sind, corrigirt werden. Vgl. Wohlwill, Gott. G. A. 1878, St. 21, S. 644.

2) So in dem Texte Acten S. 15 und II, 33; der Text II, 8 ist hier unverständlich und sicher corrupt.

40 Brief an Castelli 1613.

darum ist, ob ihre verborgenen Ursachen und Wirkungs- weisen der Fassungskraft der Menschen, um deren willen sie nie von den ihr vorgezeichneten Gesetzen abweicht, zu- gänglich sind oder nicht: so scheint mir, dass die natürlichen Wirkungen, welche wir entweder durch eine verständige Beobachtung wahrnehmen oder durch zwingende Demon- strationen erschliessen , in keiner Weise in Frage zu stellen seien mit Rücksicht auf Stellen der Bibel, welche nach ihrem Wortlaute etwas anderes zu besagen scheinen '), da nicht jeder Ausspruch der Bibel an so strenge Normen gebunden ist wie jede Wirkung der Natur. Vielmehr, wenn die Bibel, bloss um sich der Fassungskraft' roher und ungebildeter Menschen anzubequemen, sich nicht enthalten hat, ihre wich- tigsten Lehren zu verhüllen2), indem sie sogar Gott Zustände zuschreibt, die seinem Wesen durchaus fremd und wider- sprechend sind: wer möchte da zuversichtlich behaupten, dass sie, davon abgesehen, wenn sie gelegentlich von der Erde oder der Sonne oder einem andern Geschöpfe redet, sich immer strenge an die eigentliche Bedeutung der Worte halten sollte, zumal wenn sie von diesen Geschöpfen Dinge aussagt, welche dem Hauptzwecke der h. Schrift ganz fern liegen, ja Dinge, welche, wenn sie durchaus der Wahrheit entsprechend ausgesprochen wären, eher den Hauptzweck gefährdet haben würden, indem sie das gewöhnliche Volk für die gläubige Annahme der sein Heil betreffenden Ar- tikel weniger empfänglich gemacht haben würden? Da sich dieses so verhält und da offenbar zwei Wahrheiten sich nie widersprechen können, ist es die Aufgabe verständiger Aus- leger, sich zu bemühen, den wahren Sinn der Bibelstellen aufzufinden, welcher mit der naturwissenschaftlichen Con- clusion übereinstimmt, von deren Richtigkeit wir uns durch sichere Wahrnehmung oder zwingende Demonstrationen überzeugt haben. Ja, da die Bibel, wiewohl vom h. Geiste eingegeben, aus den angeführten Gründen an vielen Stellen Auslegungen, die sich von dem Wortlaute entfernen, zu- lässt, und da wir nicht mit Sicherheit behaupten können, dass alle Ausleger von Gott inspirirt seien, so glaube ich,

1) Auch hier ist nach Acten S. 15 und II, 34, nicht nach II, 8 übersetzt.

2) adombrare; so steht II, 8; statt dessen, offenbar unrichtig, Acten S. 15 pervertire.

Brief an Castelli 1613. 41

man würde klug handeln, wenn man Niemand gestattete, Bibelstellen dazu zu verwenden und gewissermaassen zu nö- thigen, die Wahrheit irgend welcher naturwissenschaftlicher Conclusionen zu stützen, von denen später die Beobachtung und beweisende und zwingende Gründe uns das Gegentheil lehren könnten. Und wer wird dem menschlichen Geiste Schranken ziehen wollen? Wer möchte behaupten, dass wir schon alles wissen , was in der Welt gewusst werden kann? Es wäre also wohl am rathsamsten, zu den Artikeln, welche das Seelenheil und die Begründung des Glaubens betreffen und deren Gewissheit nie durch eine erwiesene und zuverlässige [naturwissenschaftliche] Lehre wird ge- fährdet werden können, nicht ohne Noth noch andere hinzu- zufügen, und wenn das richtig ist, so wäre es noch viel we- niger in der Ordnung, sie hinzuzufügen auf das Verlangen von Personen, von welchen wir einerseits nicht wissen, ob sie durch himmlische Kraft inspirirt reden, und anderseits deutlich sehen1), dass sie nichts von der Einsicht besitzen, die erforderlich wäre, um jene Demonstrationen, ich will nicht sagen : zu widerlegen, sondern auch nur zu verstehen, durch welche die höheren Wissenschaften einige ihrer Con- clusionen zu begTÜnden suchen. Ich möchte darum glauben, die Auctorität der h. Schrift habe den Zweck, die Menschen von jenen Artikeln und Sätzen zu überzeugen, welche für ihr Seelenheil nothwendig sind und welche, da sie alles mensch- liche Denken übersteigen, nicht durch eine andere Wissen- schaft oder durch ein anderes Mittel glaubhaft gemacht werden konnten als durch den Mund des h. Geistes selbst. Dass aber derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Denkver- mögen und Verstand begabt hat, den Gebrauch dieser Gaben hintansetzend, uns durch ein anderes Mittel die Kenntnisse habe geben wollen, die wir durch jene erlangen können, das ist, denke ich, nicht nothwendig zu glauben, namentlich be- züglich jener Wissenschaften, von denen nur ein sehr kleiner Theil, und dieser in verschiedenen Sätzen, in der Bibel vor- kommt, wie gerade bezüglich der Astronomie, von der nur ein so kleiner Theil in der Bibel vorkommt, dass darin nicht

einmal alle Planeten aufgezählt werden. Hätten aber die

1) So Targioni II, 22, Acten S. 17 und II, 38; weniger gut II, 9: „von welchen wir, so einsichtig sie auch sein mögen, wenn sie von Gott inspirirt reden, deutlich sehen" u. s. w. Galilei meint die Bibelausleger.

42 t Brief an Castelli 1613.

ersten heiligen Schriftsteller beabsichtigt, das Volk über die Stellungen und Bewegungen der Himmelskörper zu un- terrichten, so würden sie davon nicht so wenig gesagt haben, dass es wie ein Nichts ist in Vergleich mit den zahllosen erhabenen und bewunderungswürdigen Sätzen, welche jene Wissenschaft umfasst.

„Sie sehen also , wie verkehrt, wenn ich nicht irre, das Verfahren derjenigen ist, welche in naturwissenschaftlichen und nicht direct mit dem Glauben zusammenhangenden Con- troversen Stellen der Bibel, und zwar sehr oft falsch ver- standene, an die Spitze stellen. Wenn diese Leute wirklich glauben den wahren Sinn irgend einer einzelnen Bibelstelle erkannt zu haben, und darum überzeugt sind, dass sie be- züglich der Frage, worüber sie disputiren, die absolute Wahr- heit in Händen haben, so mögen sie offen sagen, ob sie glauben, dass derjenige, welcher in einer naturwissenschaftlichen Con- troverse die wahre Ansicht vertritt, einen grossen Vortheil vor dem hat, der die falsche Ansicht vertritt. Ich weiss, sie werden diese Frage bejahen: derjenige, welcher die wahre Ansicht vertritt, kann tausend Beobachtungen und zwingende Demonstrationen für sich haben, der Andere nur Sophismen, Paralogismen und Täuschungen. Wenn sie nun aber, sich inner- halb der naturwissenschaftlichen Grenzen haltend und keine anderen als die philosophischen Waffen gebrauchend, dem Gegner überlegen sein können, warum wollen sie dann, wenn es zum Kampfe kommt, plötzlich unwiderstehliche und furcht- bare Waffen ergreifen, deren blosser Anblick jeden, auch den gewandtesten und erfahrensten Kämpfer erschreckt? Soll ich aber die Wahrheit sagen, so glaube ich, dass sie selbst die ersten Erschrockenen sin4 und dass sie, weil sie sich ausser Stande fühlen, den Angriffen des Gegners zu widerstehen, ein Mittel zu finden suchen, sich nicht von ihm angreifen zu lassen. Weil aber, wie gesagt, derjenige, wel- cher die Wahrheit auf seiner Seite hat, dem Gegner gegen- über einen grossen, ja den allergrössten Vortheil hat, und weil es unmöglich ist, dass zwei Wahrheiten einander wider- sprechen , darum brauchen wir keinerlei Angriffe zu fürchten, wenn uns nur die Möglichkeit geboten ist, zu reden und von Personen gehört zu werden, weiche uns verstehen können und nicht von verkehrten Leidenschaften und Interessen ganz eingenommen sind."

Brief an Christina v. Lothringen 1615. 43

Im zweiten Theile des Briefes entwickelt Galilei aus- führlicher eine Erklärung der Stelle Jos. 10, 12, die er be- reits früher (mündlich) Castelli mitgetheilt hatte1).

Dieser Brief wurde von Galilei nicht durch den Druck veröffentlicht, er wurde erst nach seinem Tode gedruckt2), aber durch Castelli und durch Galilei selbst in Abschrif- ten verbreitet. Namentlich sandte Galilei, als er erfuhr, dass seine Gegner eine Abschrift nach Rom geschickt hatten, und fürchtete, diese möge nicht genau sein, im Fe- bruar I615 eine Abschrift an Monsignor Dini, mit der Bitte, sie dem Jesuiten Griemberger und etwa auch dem Cardi- nal Bellarmin" zu zeigen3). Dini gab auch noch vielen An- deren Abschriften4).

Nachdem Galilei im December 16 14 öffentlich von der Kanzel angegriffen worden, arbeitete er in den ersten Mo- naten des Jahres 16155) eine ausführlichere Entwicklung der in dem Briefe an Castelli vorgetragenen Grundsätze aus in der Form eines Briefes an die Grossherzogin-Mutter Christina6), in welchen die in jenem Briefe enthaltenen Aus- einandersetzungen zum Theil wörtlich herübergenommen wurden7). Auch dieser Brief war nicht für den Druck be- stimmt, fand aber durch Abschriften Verbreitung8); ge- druckt wurde er zuerst 1636 zu Strassburg9). Zur Ergän-

1) Vgl. Gebier, Galilei S. 61.

2) Der Brief ist schon in einer 1649 zu Lyon gedruckten Schrift von Gassendi veröffentlicht (Martin, Galilee p. 251), aber erst 1818 durch Venturi in weiteren Kreisen bekannt geworden. Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 154.

3) 11, 14. 4) viii, 354. 5) n, 15. 20.

6) II, 26—64; vgl. Gebier, Galilei S. 79.

7) Vgl. II, 32—38 mit II, 7—10, II, 57 mit II, 10, II, 59—63 mit II, 11 13.

8) Inchofer nimmt in seinem 1633 abgegebenen Gutachten darauf Be- zug; Acten S. 93.

9) XV, Bibliogr. XVI. In einem, wahrscheinlich von Galilei eigen- händig geschriebenen Exemplare, ist, wie Berti, Copernico p. 151, mittheilt, am Schlüsse ein dem h. Augustinus zugeschriebenes Gebet beigefügt: O vita pauperum, Dens meus, in cuius sinu non est contradictio. Plue mihi miti- gationes in cor, ut patienter tales feram, qui non mihi hoc dicunt, quia divini sunt et in corde famuli tut viderunt quod dicunt, sed quia superbi sunt nee moventur Moysis sententia, sed amant suam, non quia vera est, sed quia sua est.

44 Brief an Christina v. Lothringen 1615.

zung der Auszüge aus dem Briefe an Castelli mögen hier folgende Stellen daraus Platz finden:

„Wenn der h. Geist absichtlich unterlassen hat, uns solche Sätze zu lehren (ob der Himmel sich bewege oder still stehe, welche Gestalt er habe u. s. w.), weil sie mit seinem Zwecke, d. h. mit unserm Seelenheile nichts zu thun haben, wie kann man dann behaupten, das Festhalten der einen und das Ver- werfen der andern Ansicht über diese Dinge sei so nothwen- dig, dass jene de fide und diese irrig sei? Kann denn eine Meinung ketzerisch sein, die das Seelenheil gar nicht berührt? Oder kann man sagen, der h. Geist habe uns etwas nicht lehren wollen, was das Seelenheil berührt? Ich möchte sagen, was ich vor einem hochgestellten Geistlichen [Cardinal Caesar Baronius] gehört habe: die Absicht des h. Geistes sei, uns zu lehren, wie man in den Himmel komme, nicht wie der Him- mel sich bewege, Spiritui sancto mentem fuisse, nos docere, quomodo ad coelum eatur, non quomodo coelum gradtatur1).

"Wenn wir aus dem Munde des h. Geistes selbst wis- sen, dass Deus tradidit mundum disputationi eorum, ut non inveniat homo opus, quod operatus est Deus a principio ad finem [Eccl. 3, 11], so darf man, meine ich, nicht im Wider- spruch mit diesem Satze der freien Forschung bezüglich der Dinge der Welt und der Natur den Weg versperren, als ob diese bereits alle mit Sicherheit gefunden und be- kannt gemacht wären. Man darf es nicht für eine Ver- wegenheit halten, wenn Jemand sich bei herrschend gewor- denen Ansichten nicht beruhigt, und es nicht missbilligen, wenn Jemand in naturwissenschaftlichen Controversen nicht jene Meinung festhält, welche ihnen [den Gegnern] gefällt, zumal wo es sich um Probleme handelt, über welche schon vor Jahrtausenden von den grössten Philosophen gestritten worden ist, wie die schon von Pythagoras und seiner Schule vorgetragene Meinung von dem Stillstehen der Sonne und der Bewegung der Erde2).

„Ich möchte ferner sagen, wenn es mir erlaubt wäre, meine Meinung auszusprechen, dass es der Würde und Maje- stät der h. Schrift besser entspräche, wenn verordnet würde, dass nicht jeder oberflächliche und gewöhnliche Schriftsteller, um seinen sehr oft auf leere Phantasieen gestützten Ausein-

1) II, 36. 2) II, 38.

Brief an Christina v. Lothringen 1615. 45

and er Setzungen Gewicht zu geben, Stellen der h. Schrift ein- flechten dürfe, die er in einem Sinne erklärt oder vielmehr verdreht, welcher der wahren Intention der Bibel ganz fremd ist und diejenigen dem Gespötte preis gibt, welche nicht ohne Ostentation damit grossthuen ').

„Man sagt: diejenigen auf Dinge der Natur bezüg- lichen Sätze, welche die Bibel überall übereinstimmend aus- spreche und welche die Väter alle einmüthig in demselben Sinne verstehen, müssten wörtlich verstanden und so als wahr anerkannt werden, und da es sich so mit der Bewe- gung der Sonne und dem Stillstehen der Erde verhalte, sei es de fide, sie für wahr und die entgegengesetzte Meinung für irrig zu halten. Ich bemerke dagegen zunächst folgen- des: Unter den auf Dinge der Natur bezüglichen Sätzen sind einige, bezüglich deren mit aller menschlichen Wissen- schaft und allem Scharfsinn nur zu einer probabelen Mei- nung und wahrscheinlichen Vermuthung, nicht zu einem sichern und begründeten Wissen zu gelangen ist, wie z. B. bezüglich der Frage, ob die Sterne beseelt seien. Bezüg- lich anderer Punkte haben wir durch Erfahrungen und lange Beobachtungen und durch zwingende Demonstrationen eine zweifellose Gewissheit erlangt, oder ist doch mit Sicherheit anzunehmen, dass auf jenem W^ege eine solche Gewissheit erlangt werden könne, z. B. bezüglich der Frage, ob die Erde und der Himmel sich bewege oder nicht, ob der Him- mel eine Kugelgestalt habe oder nicht. Was die Punkte der ersten Art betrifft, so ist es mir unzweifelhaft, dass, wo das menschliche Denken nicht zum Ziele führen und also nicht von Wissen, sondern nur von Meinen und Glauben die Rede sein kann, es durchaus in der Ordnung ist, sich ein- fach an den Wortlaut der Bibel zu halten. Was aber die anderen Punkte betrifft, so möchte ich glauben, es sei zuerst die Thatsache zu constatiren und diese habe uns zur Auf- findung des wahren Sinnes der Bibel zu führen, der sich als mit der erwiesenen Thatsache durchaus übereinstim- mend zu erweisen hätte, da zwei Wahrheiten nie einander widersprechen können2). Diese Ansicht halte ich um so

1) n, 39.

2) Diese Stelle führt Grisar S. 84^ als Beweis dafür an, dass Galilei „allzu zuversichtlich über die Nothwendigkeit der neuen Schriftdeutung" gesprochen !

46 Brief an Christina v. Lothringen 1615.

mehr für richtig und sicher, als ich sie genau so bei dem h. Augustinus finde. Eben bei der Frage, wie man sich die Gestalt des Himmels zu denken habe, da das, was die Astro- nomen darüber lehren, der Bibel zu widersprechen scheine, sofern jene den Himmel für eine Kugel halten, die Bibel ihn als ein Zelt bezeichnet, erklärt er, es sei nicht zu fürch- ten, dass die Bibel den Astronomen widerspreche; vielmehr sei an der Auctorität der Bibel festzuhalten, wenn das, was die Astronomen sagen, falsch und nur auf Vermuthungen gestützt sei; wenn aber das, was die Astronomen lehren, durch unzweifelhafte Gründe erwiesen sei, so sagt jener h. Vater nicht, es sei den Astronomen zu befehlen, ihre Be- weise zu widerlegen und ihre Conclusionen für falsch zu erklären, sondern es sei zu beweisen, dass das, was die Schrift von dem Zelte sagt, der als wahr erwiesenen Lehre der Astronomen nicht widerspreche (De Gen. ad lit. 2, 3). Er fügt bei, wir müssten uns nicht minder bemühen, eine Stelle der Bibel mit einer erwiesenen naturwissenschaft- lichen Wahrheit in Einklang zu bringen als mit einer an- dern scheinbar widersprechenden Bibelstelle1). . .

„Nach dieser und anderen Stellen ist, wenn ich nicht irre, die Ansicht der heiligen Väter diese : in Fragen, welche die Natur betreifen und nicht de fide sind, muss zuerst untersucht werden, ob etwas unzweifelhaft erwiesen oder durch sorgfältige Beobachtungen erkannt oder ob eine der- artige Erkenntniss und Demonstration möglich ist. Ist eine solche Erkenntniss vorhanden, so muss man, da auch sie eine Gabe Gottes ist, den wahren Sinn der Bibelstellen zu erforschen suchen, welche jener Erkenntniss zu widerspre- chen scheinen, und verständige Theologen werden ohne Zweifel diesen Sinn und zugleich die Gründe auffinden, weshalb der h. Geist denselben mitunter, um uns zum Nach- denken zu nöthigen oder aus einer andern mir verborgenen Absicht, unter Worten, die etwas anderes zu besagen schei- nen, hat verhüllen wollen.

„Was den andern Punkt betrifft, so glaube ich: wenn wir den Hauptzweck im Auge behalten, ist an dieser Regel auch dann festzuhalten, wenn die Bibel über einen Punkt immer in derselben Weise redet. Denn wenn die Bibel,

1) II, 46.

Brief an Christina v. Lothringen 1615. 47

um sich der Fassungskraft des gewöhnlichen Volkes anzu- bequemen, sich einmal über einen Punkt in uneigentlichen Worten ausspricht, warum sollte sie sich dann nicht auch jedesmal so aussprechen, wo sie von demselben Punkte zu sprechen hat? Thäte sie das nicht, so würde, scheint mir, die Verwirrung noch grösser und der Glaube des Volkes gefährdet worden sein. ,

„Dass aber bezüglich des Stillstehens oder der Bewe- gung der Sonne und der Erde die Bibel, um sich der Fas- sungskraft des Volkes anzubequemen, sich so ausdrücken musste, wie sie thut, das zeigt die Erfahrung. Denn noch zu unserer Zeit hält das viel weniger ungebildete Volk an derselben Ansicht fest, . . . und man kann nicht versuchen, es von dieser Ansicht abzubringen, da es nicht fähig ist, die Gegen- gründe zu verstehen. . . Wenn also auch für die Gelehrten das Stillstehen des Himmels und die Bewegung der Erde sicher und erwiesen wäre, müsste man sich dem grossen Haufen gegenüber anders aussprechen. Denn von tausend gewöhnlichen Leuten, die man darüber fragen wollte, würde vielleicht nicht Einer anders antworten als, er halte es für gewiss, dass die Sonne sich bewege und die Erde still stehe. Diese übereinstimmende Ansicht des Volkes darf aber Nie- mand als einen Beweis für die Wahrheit ansehen; denn wenn wir dieselben Leute nach den Gründen für ihre Mei- nung fragen und auf der andern Seite hören, auf welche Erfahrungen und Demonstrationen die Wenigen sich stützen, die entgegengesetzter Ansicht sind, so werden wir finden, dass diese sehr gewichtige Gründe, jene nur den einfachen Schein und nichts beweisende Beobachtungen für sich haben. Die Bibel musste also offenbar der Sonne Bewegung und der Erde Stillstehen zuschreiben, um nicht die geringe Fassungskraft des Volkes in Verwirrung zu bringen und dieses abgeneigt zu machen, den Wahrheiten, welche die wichtigsten und welche absolut de fide sind, gläubig zuzu- stimmen. Und wenn das nothwendig war, so ist es nicht zu verwundern, dass es in der h. Schrift mit der grössten Vorsicht geschehen ist.

„Ich füge aber bei, dass nicht nur die Rücksicht auf die geringe Fassungskraft des Volkes, sondern auch die herrschende Ansicht jener Zeiten der Grund gewesen ist, weshalb die h. Schriften in den Dingen, die zur. Seligkeit

48 Brief an Christina v. Lothringen 1615.

nicht nothwendig sind, mehr auf die herkömmliche Aus- drucksweise als auf das Wesen der Thatsachen Rücksicht genommen. Darüber sagt der h. Hieronymus: quasi non multa in scripturis sanctis dicantur juxta opinionem illius temporis, quo gesta referuntur, et non juxta quod rei veritas continebat (in Jer. 28, 10J, und an einer andern Stelle : Con- suetudinjs scripturarum est, ut opinione?n multarum rerum sie narret historia, quomodo eo tempore ab omnibus credebatur (in Matth. 13 PJ1).

„Wenn man ferner sagt, ein auf Dinge der Natur be- züglicher Satz der Bibel werde, wenn die Väter ihn alle in derselben Weise verstehen, durch diese Uebereinstimmung so sicher, dass er als de fide anzusehen sei, so gilt das, glaube ich, höchstens von solchen Punkten, bei welchen viele Väter die sorgfältigsten Untersuchungen und Erörte- rungen angestellt und die Gründe für die eine und für die andere Ansicht erwogen und dann alle zu dem Ergebnisse gekommen sind, dass die eine zu verwerfen, die andere festzuhalten sei. Die Bewegung der Erde und das Still- stehen der Sonne aber gehört nicht zu diesen Punkten; denn diese Meinung war damals gänzlich in Vergessenheit gerathen, wurde in den Schulen nicht erörtert und von Nie- mand erwogen, geschweige denn anerkannt, so dass anzu- nehmen ist, es sei den Vätern gar nicht in den Sinn ge- kommen, sie in Zweifel zu ziehen . . . Ferner ist es nicht genug zu sagen: die Väter nehmen alle das Stillstehen der Erde u. s.w. an; also ist diese Ansicht de fide \ sondern man müsste beweisen, dass sie die entgegengesetzte Ansicht verworfen haben. Denn ich werde immer sagen können: da sie keine Veranlassung gehabt haben, über die betreffende Ansicht nachzudenken und zu discutiren, so haben sie die- selbe nur als die herrschende, nicht aber als erwiesene und begründete Ansicht anerkannt. Und ich glaube, das kann man mit gutem Grunde behaupten. Denn die Väter haben entweder die betreffende Ansicht als eine Controverse erwo- gen oder nicht; wenn nicht, so konnten sie auch keine Entscheidung darüber treffen oder auch nur treffen wollen, und kann der Umstand, dass sie sich um die Controverse gar nicht bekümmern konnten, uns nicht verpflichten, eine

1) II, 47—50.

Brief an Christina v. Lothringen 1615. 49

Entscheidung-, die sie gar nicht haben treffen wollen, anzu- erkennen. Hätten sie aber die Frage als Controverse er- wogen, so würden sie auch die eine Ansicht, wenn sie die- selbe als irrig erkannt hätten, verworfen haben. Das haben sie aber nicht gethan. Erst später haben einige Theologen angefangen, die [Copernicanische] Ansicht zu prüfen; diese haben aber dieselbe nicht als irrig angesehen, wie man aus dem Commentare des Didacus a Stunica über Job 9, 6 J) sieht, wo derselbe ausführlich von der Copernicanischen Ansicht spricht und zu dem Schlüsse kommt, die Bewegung der Erde sei nicht gegen die Bibel.

„Ich habe aber auch einige Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung, dass die Kirche uns verpflichte, derglei- chen auf natürliche Dinge bezügliche Sätze darum als de fide anzusehen, weil für sie eine übereinstimmende Interpre- tation aller Väter angeführt werden kann. Ich weiss nicht, ob nicht diejenigen, welche dieses behaupten, zu Gunsten ihrer Meinung dem Decrete der Concilien eine grössere Tragweite gegeben haben, als ihm zukommt. So viel ich sehe, verbietet dasselbe nur, diejenigen Stellen, welche de fide sind oder die zum Aufbau der christlichen Lehre gehörenden Sitten betreifen, zu einem Sinne zu verdrehen, welcher dem Sinne der h. Kirche oder dem von den Vätern mit allgemeiner Uebereinstimmung vorgetragenen wider- spricht. So das Trienter Concil in der 4. Sitzung. Die Bewegung oder das Stillstehen der Erde oder der Sonne sind aber nicht de fide und nicht gegen die Sitten, und Nie- mand will Stellen der h. Schrift verdrehen, um der h. Kir- che oder den Vätern zu widersprechen. Derjenige, welcher diese Lehre entwickelt hat [Copernicus], hat vielmehr nie- mals auf Bibelstellen Bezug genommen, um es den gründ- lichen und gelehrten Theologen zu überlassen, dieselben nach ihrem wahren Sinne zu deuten2).

„Schliesslich kann man jenen Herren noch mehr zuge- ben, als sie verlangen, und sich bereit erklären, die Ansicht der unterrichteten Theologen zu unterschreiben. Da aner- kanntermassen die alten Väter eine besondere Unter-

1) Diego de Zufiiga war Augustiner- Eremit zu Salamanca; er starb 1589. Der Commentar zum B. Job erschien zu Toledo 1584 und zu Rom 1591. S. Hurter, Nomenciator literarius I, 157. 2) II, 51. 52.

Keusch, Galilei. a

5o Brief an Christina v. Lothringen 1615.

suchung- nicht angestellt haben, so kann eine solche von den Gelehrten unserer Zeit "angestellt werden : diese hätten zu- erst die Erfahrungen, die Beobachtungen, die Gründe und die Demonstrationen zu prüfen, welche die Philosophen und Astronomen für die eine und die andere Ansicht anführen, da es sich bei der Controverse um naturwissenschaftliche Probleme und Dilemmata handelt, die nur in der einen oder andern Weise entschieden werden können, und könnten dann mit genügender Sicherheit das festsetzen, was die göttlichen Inspirationen ihnen eingeben werden1). . .

„Um die Ehre der h. Schrift sind diejenigen mit grös- serm Eifer besorgt, welche, sich ganz der h. Kirche unter- werfend, nicht verlangen, dass diese oder jene Meinung verboten, sondern nur, dass ihnen gestattet werde, diejeni- gen Dinge zur Erwägung vorzulegen, nach deren Berück- sichtigung die Kirche mit grösserer Sicherheit eine Ent- scheidung treffen könnte, als diejenigen, welche, durch Selbstsucht verblendet oder von böswilligen Absichten ge- leitet, verlangen, die Kirche solle ohne weiteres das Schwert schwingen, da sie ja das Recht dazu habe, indem sie nicht bedenken, dass es nicht immer gut ist, alles zu thuen, was man thuen kann2).

„Mögen sie sich zunächst bemühen, die Gründe des Copernicus und Anderer zu widerlegen, und dann dem, welchem es zusteht, es überlassen, die Ansicht als irrig oder ketzerisch zu verdammen. Sie dürfen aber nicht hof- fen, bei den umsichtigen und weisen Vätern und bei der absoluten Weisheit dessen, der nicht irren kann, jene raschen Entschlüsse zu finden, zu denen sie sich von ihrer Leiden- schaft oder Selbstsucht würden fortreissen lassen. Denn Niemand bezweifelt, dass bezüglich dieser und anderer ähn- licher Sätze, die nicht direct de fide sind, der Papst immer absolute Gewalt hat, sie zuzulassen oder zu verdammen; aber es steht nicht in der Macht irgend eines Geschöpfes, sie wahr oder falsch zu machen, abweichend von dem, was sie von Natur oder thatsächlich sind. Darum scheint es gerathener zu sein, sich zuerst von der nothwendigen und unabänderlichen Wahrheit der Thatsache, worüber Niemand Gewalt hat, zu vergewissern, als ohne- eine solche Gewiss-

1) 11, 53. 2) II, 54.

Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 51

heit durch die Verdammung der einen Ansicht sich die Möglichkeit, immer frei zu wählen, zu verschliessen und jene Entscheidungen definitiv zu machen, die jetzt noch frei und dem Ermessen der höchsten Auctorität anheimgegeben sind. Kurz, wenn es nicht möglich ist, einen Satz als ketze- risch zu verdammen, so lange man es noch für mög- lich hält, dass er wahr sei, so muss das Bestreben derjeni- gen, welche die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne verdammen möchten, fruchtlos sein, so lange sie nicht die Unmöglichkeit und Falschheit derselben erwiesen haben1)."

Grisar gibt (S. 81) zu, der Brief an Christina von Loth- ringen mit seiner Erörterung ,,über die Schrifttexte und die Stellung der Naturwissenschaft zur Offenbarung überhaupt" sei ,,im Ganzen correct". Weniger bestimmt spricht er sich über den in allem Wesentlichen mit jenem übereinstimmen- den Brief an Castelli aus. Er nennt denselben S. 78 „ver- hängnissvoll", nimmt an einer Stelle desselben Anstoss (s. o. S. 45) und berichtet S. 79: die Dominicaner in Florenz hätten durch die Einsendung dieses Briefes, worin „der h. Schrift offenbar Gewalt zu geschehen schien", an die Inqui- sition die Berechtigung ihrer Angriffe auf Galilei nachweisen wollen. Aber S. 80 constatirt er, dass der von der Inqui- sition bestellte Censor in dem Briefe im Wesentlichen nichts Bedenkliches gefunden und ,,über den Vortrag der Coper- nicanischen Lehre als Wahrheit und die bezügliche Ac- commodation der Bibelstellen mit freiem, weitem Blicke hin- weggegangen sei" (s. u. §. VII).

In der That ist gegen Galilei's auf die Auslegung der h. Schrift bezügliche Erörterungen, von unwesentlichen Un- g-enauigkeiten des Ausdrucks abgesehen, nichts einzuwen- den; die darin entwickelten hermeneutischen Grundsätze wird heutzutage kein katholischer Theologe mehr bean- standen. In dieser Beziehung urtheilte Galilei richtiger als die Theologen, die ihn angriffen und verurtheilten.

Bedenklicher scheint eine andere Partie des Schreibens an Christina von Lothringen zu sein. Es steht keiner kirch- lichen Behörde zu, über naturwissenschaftliche Fragen eine autoritative Entscheidung zu geben. Galilei aber scheint

1) n, 58.

52 ' Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.

es für möglich zu halten, ja zu wünschen, dass in Rom auf Grund einer sorgfältigen und alle Seiten der Frage um- fassenden Untersuchung eine Entscheidung über das Coper- nicanische System gegeben werde, und er scheint zu glauben, durch eine solche Entscheidung würde die Controverse de- finitiv erledigt werden, eine Ansicht, welche in den massgebenden Kreisen in Rom damals jedenfalls als rich- tig galt und dem von der Inquisition gefällten Urtheil zu Grunde liegt. In den beiden Briefen, welche Galilei am 16. Febr. und 25. März 16151) an Monsignor Dini schrieb, als er mit der Ausarbeitung des Sendschreibens an Christina von Lothringen beschäftigt war, kommen Stellen vor, welche in dieser Hinsicht noch bedenklicher klingen: „Aus reinem Eifer, sagt er einmal2), werde ich [ausser dem Schreiben an Christina, welches seine aufrichtig katholische Gesinnung be- weisen werde] auch alle Gründe des Copernicus in einer all- gemein verständlichen Weise zusammenstellen und viele neue Erwägungen beifügen, die auf astronomische Beobachtungen und auf sorgfältige Erfahrungen und physikalische Experi- mente gestützt sind, um sie dann zu den Füssen des Papstes nieder- und der unfehlbaren Entscheidung der Kirche vor- zulegen, welche davon den Gebrauch machen mag, der ihrer höchsten Weisheit gut scheint." Nimmt man hinzu, dass er an einer oben angeführten Stelle von einer von den Theo- logen „unter göttlicher Eingebung" zu treffenden Entschei- dung und von der päpstlichen Entscheidung als von einer definitiven und irreformabeln spricht, so scheint es, als ob er geglaubt habe, der Papst könne über die Richtigkeit der Copernicanischen Lehre eine unfehlbare Entscheidung ge- ben. Aber damit stimmen andere Aeusserungen nicht über- ein. So die oben angeführte: der Papst habe zwar abso- lute Gewalt, auch Sätze, die nicht direct de fide seien, zuzu- lassen oder zu verwerfen, aber es stehe nicht in der Macht irgend eines Geschöpfes, einen von Natur oder thatsächlich falschen Satz wahr und einen wahren falsch zu machen. Auch der von Grisar (S. 81 Anm. 4) angeführte Satz: „Möge eine Entscheidung gefällt werden, wie immer sie Gott ge- fallen mag: ich bin in der innern Stimmung, dass ich, eher als

1) Nicht 161 4, wie II, 13. 17 und bei Grisar S. 81 Anm. 4 angege- ben wird; vgl. VI, 211. 2) II, 20.

Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 53

meinen Oberen mich zu widersetzen und an der Seele Schaden zu leiden durch das, was mir jetzt glaubhaft und handgreif- lich scheint, eruerem oculum ne nie scandalizaret" ist nach dem Zusammenhange nicht so zu verstehen, als ob Galilei eine solche Entscheidung für unfehlbar gehalten. Er sagt nämlich J) : „Wiewohl ich nur schwer glauben kann, dass man übereilt den Entschluss fassen könnte, einen solchen Autor (Copernicus) zu vernichten, so glaube ich doch, da ich von anderen Fällen her weiss, wie gross die Macht meines Un- glücks ist, wenn sich damit die Bosheit und Unwissenheit meiner Gegner verbindet, Grund zu haben, mich nicht ein- fach auf die grosse Klugheit und Heiligkeit derjenigen zu verlassen, von denen die letzte Entscheidung abhängt, da auch diese durch jenen Trug irregeleitet werden könnten, der sich in den Mantel des Eifers und der Liebe hüllt. Um meinerseits nichts zu unterlassen, was ich thun kann, werden Sie bald sehen, dass es ein wahrer und reinster Eifer ist, wenn ich wünsche, dass meine Schrift (das Sendschreiben an Christina) wenigstens gesehen werden und dass man dann einen Entschluss fassen möge, wie er Gott gefallen mag; denn ich" u. s. w.

Wenn also Galilei, was seine geistlichen Freunde in Rom in so warmen Worten belobten2), wiederholt erklärte, er sei bereit, sich dem Urtheil der h. Kirche zu unterwerfen, so braucht er dabei nicht an eine kirchliche Entscheidung über das Copernicanische System gedacht zu haben, welcher er als einer doctrinellen gläubig zuzu- stimmen hätte; er kann auch an eine solche gedacht haben, der er als einer disciplinaren gehorchen müsse. An sich wäre eine Entscheidung der letztern Art nicht irrefor- mabel gewesen; aber Galilei will an der oben angeführten Stelle auch wohl nur sagen : es würde sehr unklug sein, wenn der Papst in der vorliegenden Frage eine Entscheidung treffe, von der man vielleicht später wünschen würde, sie möge nicht getroffen sein, die aber, eben als eine päpstliche Entscheidung , nicht gut zurückgenommen werden könne.

Ganz klar mag sich Galilei in dieser Beziehung im J. 161 5 nicht gewesen sein. Jedenfalls hatten seine Freunde, welche die Stimmung und die Verhältnisse in Rom besser

1) II, 16. 2) VIII, 352. 353- 355-

54 Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.

kannten, wie der Erfolg zeigte, vollkommen Recht, wenn sie es für unklug hielten, dass Galilei überhaupt eine kirchliche Entscheidung über die Copernicanische Lehre für wünschens- werth hielt und zu provociren suchte, da eine solche Ent- scheidung nach ihrer Ueberzeugung unter den damaligen Verhältnissen nur ungünstig ausfallen konnte. Aber man würde auf der andern Seite Galilei Unrecht thun, wenn man annehmen wollte, er habe eine positive und ausdrückliche Approbation der Copernicanischen Lehre durch die römi- schen Behörden verlangt1). Von einer gründlichen Unter- suchung der Sache versprach er sich zunächst den Erfolg, dass man von der von seinen Gegnern verlangten Verdam- mung des Buches und der Lehre des Copernicus Abstand nehmen, dann aber auch, dass man diese Lehre für unver- fänglich und dem katholischen Glauben nicht widerspre- chend erklären werde, was ja wirklich etwa in der Form hätte geschehen können, dass die Index-Congregation nach einer Prüfung des Werkes des Copernicus beschlossen hätte: Dimittatur, d. h. es liege kein Grund vor, dasselbe auf den Index zu setzen2).

„Meine Gegner (speciell die Dominicaner in Florenz), sagt Galilei in dem Briefe an Dini vom 16. Febr. 16153), verlangen das Verbot eines viele Jahre lang von der h. Kirche zugelassenen Buches, ohne dass sie dasselbe je ge- sehen, geschweige denn gelesen oder verstanden haben; ich verlange nichts anderes, als dass von den katholischsten Männern seine Lehre geprüft und seine Gründe erwogen werden mögen, dass man seine Sätze mit den zuverlässigen Erfahrungen vergleiche, kurz, dass man nicht etwas ver- damme, wenn man es nicht zuvor als falsch erkannt, da ja doch ein Satz nicht zugleich wahr und irrig sein kann/'

1) Vgl. Martin, Galilee p. 173.

2) In dieser Weise wurde unter Pius IX. bezüglich der Werke Anto- nio Rosmini's verfahren. Nachdem dieselben zuerst von einer besondern Commission, dann von der Index-Congregation geprüft worden waren, gaben in einer am 3. Juli 1854 unter dem Vorsitz des Papstes gehaltenen Sitzung der letztern die Consultoren nochmals schriftlich ihre Gutachten, die Cardi- näle ihre Vota ab, und am 10. Aug. wurde dem Procurator Rosmini's mit- getheilt, es sei beschlossen worden: Dimittantur opera Antonii Rosmini Serbati, was nach dem Sprachgebrauche der Curie bedeutet, dass ,in den Werken nichts Unkatholisches gefunden worden sei. Vgl. Deutscher Mer- kur 1877, No. 7. 3) II, 15.

Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie. 55

„Bedenket doch, ihr Theologen, sagt er ein anderes Mal 1), dass ihr, wenn ihr die auf die Bewegung und das Stillstehen der Sonne und der Erde bezüglichen Sätze zu einer Glaubenssache machen wollt, euch der Gefahr aussetzt, mit der Zeit, wenn ein zwingender Beweis dafür geliefert werden sollte, dass die Erde sich bewegt und die Sonne still steht, vielleicht diejenigen als Ketzer verdammen zu müssen, welche behaupten, die Erde stehe still und die Sonne be- wege sich." Wenn man die Copernicanische Lehre als naturwissenschaftlich genügend begründet anerkenne, war Galilei's Gedanke, so dürfe sie nicht auf den Grund hin verdammt werden, dass sie mit Bibelstellen in Widerspruch stehe; vielmehr hätten dann die Theologen diese Bibelstellen, was ja auch nach den von ihm entwickelten hermeneutischen Grundsätzen möglich sei, anders zu deuten, als das bis jetzt herkömmlich gewesen.

Der Vorwurf, Galilei habe die naturwissenschaftliche Controverse auf das theologische, speciell das exegetische Gebiet hinübergespielt, ist trotz dieser ausführlichen theolo- gischen Erörterungen nicht begründet: nicht er, sondern seine Gegner haben dieses gethan. In den von ihm ver- öffentlichten Schriften hat Galilei die theologische Seite der Frage überhaupt gar nicht berührt, und dass er sie in den Briefen an Castelli und Christina von Lothringen behandelte, dazu war er, wie wir gesehen, durch seine Gegner veranlasst worden. Auch die dem Briefe an Dini vom 23. März 161 5 angehängte Erörterung über Psalm 18 (nach der Vulgata, 19 nach hebräischer Zählung) war durch die Mittheilung Dini's veranlasst, Cardinal Bellarmin habe geäussert, unter allen Bibelstellen spreche am meisten gegen die Copernicanische Ansicht Ps. 18, 7: Exultavit (sol) ut gigas ad currendam viam, welche Stelle bis jetzt alle Er- klärer von der Bewegung der Sonne verstanden hätten2).

Galilei begab sich ja freilich mit solchen Erörterungen auf ein Gebiet, welches nicht sein Fach war. Aber so lange er sich nicht auf Arbeiten von Theologen berufen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als selbst die exegetischen Einwendungen seiner Gegner zu prüfen. Am 28. Febr. 16 15

i) Berti, Copernico p. 150. 2) II, 21. VIII, 354.

56 Theol. Zulässigkeit der Copern. Theorie.

theilte ihm Ciampoli1) die Aeusserung des Cardinais Bar- berini (des spätem Papstes Urban VIII.) mit, er halte es für gerathener, nicht über die Gründe des Ptolemäus oder Copernicus hinauszugehen oder nicht die Grenzen der Phy- sik und Mathematik zu überschreiten, weil die Theologen behaupteten, das Auslegen der Bibel sei ihre Sache; und am 7. März schrieb ihm Dini 2), der Jesuit Griemberger habe über das ihm vorgelegte Schreiben an Castelli geäussert: er hätte gewünscht, Galilei möchte zuerst seine [naturwissen- schaftlichen] Beweise [die in diesem Schreiben nicht berührt werden] entwickelt und dann von den Bibelstellen gesprochen haben; (Griemberger meinte dann freilich selbst wieder, die Argumente, die für Galilei's Ansicht vorgebracht würden, sei er geneigt, eher für plausibel als für wahr zu halten, „weil ihm eine andere Stelle der h. Schrift Furcht einflösste"). Galilei antwortete3): er überlasse sehr gern das Interpretiren solchen, die es besser verständen als er; er habe sich ja auch nur in einem Privatbriefe mit den Bibelstellen befasst; übrigens handle es sich darum, Bibelstellen mit neuen und nicht gewöhnlichen Lehren in Einklang zu bringen, und da sei es doch nöthig, diese Lehren vollständig zu kennen, da man nicht zwei Saiten in Einklang bringen könne, wenn man nur Eine höre.

Etwas später, 21. März 1615, schrieb Ciampoli4): der Car- dinal del Monte, der Galilei sehr gewogen sei, habe ihm von einer langen Unterhaltung mit Cardinal Bellarmin er- zählt und bemerkt: wenn Galilei von dem Copernicanischen System und von den Beweisen für dasselbe handle, ohne auf die Bibelstellen einzugehen, „deren Auslegung den mit. öffent- licher Autorität bekleideten Professoren der Theologie vor- zubehalten sei", so werde das keinen Widerspruch finden; aber man werde nicht leicht Auslegungen der Bibelstellen, so ingeniös sie auch sein möchten, "zulassen, wenn sie von der gemeinsamen Ansicht der Kirchenväter abwichen. Eine Antwort auf diesen oder einen ähnlichen Brief scheint der zuerst von Berti5) veröffentlichte Brief Galilei's zu sein, worin es heisst: „Ohne alle Schuld von meiner Seite wird das Gerücht ausgestreut, welches, wie es scheint, bei den

1) VIII, 352. 2) VIII, 355- 3) n, 20.

4) VIII, 366. 5) Copernico p. 104.

Brief an Diodati 1633. 57

(kirchlichen) Oberen Glauben findet, ich hätte zuerst diese Dinge angeregt, welche, so viel an mir lag, immer in Ruhe hätten bleiben können; ich meine das Eingehen auf die Bibel- stellen, auf welche kein Astronom und Naturforscher einge- gangen ist, der sich innerhalb seiner Grenzen hält. Wenn ich mich zu den Lehrsätzen eines Buches bekenne, welches von der h. Kirche zugelassen worden ist [des Buches des Copernicus], und mir Philosophen, die in diesen Lehren be- wandert sind, mit der Einwendung entgegentreten, in jenem Buche ständen Sätze, die gegen den Glauben seien, und wenn ich dann, so gut ich kann, nachweisen will, dass sie sich doch vielleicht irren: so wird mir der Mund geschlossen und be- fohlen, nicht auf die Bibelstellen einzugehen. Das ist ja dasselbe, als wenn man sagte,. das von der Kirche zugelassene Buch des Copernicus enthalte eine Ketzerei, und es sei Jedem, der wolle, gestattet, dieses zu behaupten, aber Jedem, der beweisen will, dass es der h. Schrift nicht widerspreche, sei verboten, auf diese Materie einzugehen. Ich könnte freilich den Beweis, dass die Lehre des Copernicus nicht der Bibel widerspricht, am leichtesten und sichersten dadurch führen, dass ich durch tausend Gründe zeige, dass jene Lehre wahr und die entgegengesetzte ganz unhaltbar ist, und dass, da zwei Wahrheiten einander nicht widersprechen können, noth- wendig jene Lehre und die h. Schrift in völligem Einklang stehen müssen."

Die Exegeten der damaligen Zeit hatten übrigens kein Recht, auf den unzünftigen Bibelausleger geringschätzig herabzusehen. Seine Deutungen einzelner Bibelstellen sind freilich grossentheils nicht glücklich, aber sie sind nicht unge- nügender als die vieler damaligen Exegeten , und seine Ent- wicklung der hier in Betracht kommenden hermeneutischen Grundsätze ist besser als das Meiste, was mir von solchen Arbeiten aus der damaligen Zeit bekannt ist.

Ich füge hier noch einige Auszüge aus einem Briefe bei, den Galilei viel später, am 15. Jan. 1633, als er eben im Begriffe stand, von der Inquisition citirt, nach Rom abzu- reisen, — an den Parlamentsadvocaten Elia Diodati zu Paris schrieb1): „Was Fromond angeht, der sich übrigens als einen Mann von vielem Talent zeigt 2), so bedauere ich,

1) VII, 17.

2) Libertus Fromondus (Froidmont, Fromont) war Professor der Theo-

58 Brief an Diodati 1633.

dass er in jenen, nach meiner Meinung schweren, wenn auch sehr gewöhnlichen Irrthum gefallen ist, dass er, um die An- sicht des Copernicus zu widerlegen, mit höhnischen und spötti- schen Sticheleien gegen diejenigen, welche sie für wahr halten, beginnt und dann, was mir noch weniger in der Ordnung zu sein scheint, sich vorzugsweise auf die Auto- rität der Bibel stützt und endlich so weit geht, mit Rück- sicht darauf jene Meinung als beinahe ketzerisch zu be- zeichnen. Dass ein solches Verfahren nicht löblich ist, lässt sich, glaube ich, ziemlich deutlich beweisen. Denn wenn ich Fromond frage, wessen Werk die Sonne, der Mond, die Erde, die Sterne, ihre Stellungen und Bewegungen seien, so wird er mir, denke ich, antworten, sie seien das Werk Gottes. Und wenn ich ihn frage, wer die h. Schrift dictirt habe, so weiss ich, er wird antworten: der h. Geist, das ist auch Gott. Die Welt ist also das Werk, die Bibel das Wort desselben Gottes. Frage ich weiter, ob nicht mitunter der h. Geist in seinen Reden Worte gebrauche, die anscheinend der Wahrheit widersprechen und welche er so verwendet, um sich der Fassungskraft des grösstentheils rohen und un- gebildeten Volkes anzubequemen, so bin ich überzeugt, er wird mir mit allen Theologen antworten, das sei aller- dings die Gewohnheit der heiligen Schrift, die an hundert Stellen aus dem angegebenen Grunde Sätze ausspricht, welche, buchstäblich verstanden, nicht nur Ketzereien, son- dern arge Gotteslästerungen sein würden, indem sie Gott selbst Zorn, Reue, Vergessen und dergl. zuschreibt. Wenn ich ihn aber frage, ob Gott jemals, um sich der Fassungs- kraft und Meinung des gewöhnlichen Volkes anzubequemen, sein Werk geändert hat, ob nicht vielmehr die Natur, die unveränderliche und unwandelbare Dienerin Gottes für die menschlichen Bedürfnisse, stets dieselbe geblieben ist und fortwährend dieselbe bleibt bezüglich der Bewegungen, der Gestalt und der Anordnung der Theile des Weltalls, so bin ich überzeugt, er wird antworten, der Mond sei stets eine

logie zu Löwen, geb. 1587, f 1653; vgl. Hurter, Nomenciator I, 795. Galilei spricht hier von seinem 1631 zu Antwerpen erschienenen Buche: „Ant-Aristarchus sive orbis terrae immobilis. Liber unicus, in quo decretum S. Congr. S. R. E. Cardinalium anno 1616 adversus Pythagoreo-Copernicanos editum defenditur". Vgl. Venturi II, 134 und unten §. XXXV.

Foscarini und Campanella. 59

Kugel gewesen, wiewohl man ihn lange Zeit allgemein für eine Scheibe gehalten, und überhaupt ändere die Natur nie- mals etwas, um ihr Werk der Vorstellung und Meinung der Menschen anzubequemen.

„Wenn aber dem so ist, warum sollen wir denn, um zur Kenntniss der Theile der Welt zu gelangen, unsere For- schungen mit den Worten und nicht vielmehr mit den Wer- ken Gottes beginnen? Ist vielleicht das Werk weniger edel und ausgezeichnet als das Wort? Wenn Fromond oder ein Anderer bewiesen hätte, zu sagen, die Erde bewege sich, sei eine Ketzerei, und wenn dann die Demonstration, die Beobachtung und eine zwingende Schlussfolgerung bewiese, dass sie sich doch bewege: in welche Verlegenheit hätte er dann sich selbst und die h. Kirche gebracht? Weist man aber der Bibel in dem Falle die zweite Stelle an, wo deut- lich bewiesen wird, dass die Werke von dem, was die Worte besagen, verschieden sind, so tritt man damit nicht der Bibel zu nahe. Wenn diese, um sich der Fassungskraft des grossen Haufens anzubequemen, oft Gott etwas zuschreibt, was ihm gar nicht zukommt, warum sollen wir denn annehmen, dass sie, wo sie von der Sonne oder von der Erde spricht, sich an eine so strenge Regel gebunden haben sollte, dass sie, die geringe Fassungskraft des Volkes nicht berücksich- tigend, niemals von diesen Geschöpfen etwas aussagen sollte, was der Wirklichkeit nicht entspricht? Wenn es wahr sein sollte, dass die Erde sich bewegt und die Sonne still steht, so thut das der Bibel keinen Eintrag, welche sich so aus- gedrückt hat, wie es der grossen Menge erscheint.

„Ich habe vor vielen Jahren, als der Lärm gegen Coper- nicus sich zu erheben begann, in einer ziemlich langen Ab- handlung [dem Briefe an Christina von Lothringen] durch viele Stellen der Kirchenväter bewiesen, ein wie grosser Missbrauch es ist, sich bei naturwissenschaftlichen Fragen so viel auf die h. Schrift zu berufen, und verlangt, man solle in solche Controversen die Bibel nicht hineinziehen."

Anfangs März 161 5 erschien von einem angesehenen Or- densgeistlichen, dem Karmeliter Paolo Antonio Foscarini, eine Schrift, welche sich direct zur Aufgabe setzte, die gegen die Copernicanische Lehre vorgebrachten- exegetischen und

6o Foscarini und Campanella.

theologischen Einwendungen zu widerlegen1). Charakteri- stisch für ihre Haltung ist folgende Stelle der Einleitung2): „Wenn die Meinung der Pythagoreer wahr ist, so ver- schlägt es wenig, dass sie allen Philosophen und Astronomen der Welt widerspricht und dass man, um sie festzuhalten, eine neue, auf ihre neuen Principien basirte Philosophie und Astronomie construiren muss. Was die h. Schrift betrifft, so wird auch diese ihr nicht schaden. Denn eine Wahrheit widerspricht nicht der andern; wenn also die Pythagoreische Meinung wahr ist, so wird ohne Zweifel Gott die Worte der h. Schrift so dictirt haben, dass sie eine jener Meinung ent- sprechende Deutung und eine Ausgleichung mit derselben zulassen. Das hat mich veranlasst, da jene Meinung augen- scheinlich probabel ist, die Art und Weise zu suchen, wie man viele Stellen der h. Schrift mit ihr in Einklang bringen und sie, nicht ohne theologische und physikalische Gründe, so interpretiren kann, dass sie ihr gar nicht widersprechen, so dass, wenn sich die jetzt als probabel anerkannte Mei- nung als sicher wahr erweisen sollte, ihr nichts im Wege steht, was der Welt die Erkenntniss der Wahrheit ver- schliessen könnte." An einer andern Stelle 3) heisst es : „Die Kirche ist unfehlbar nur in den Dingen, welche den Glauben und unser Seelenheil betreffen, kann aber irren in den praktischen Urtheilen und in den philosophischen Spe- culationen und anderen Lehren, die das Seelenheil nicht angehen."

Auf die einzelnen biblischen und theologischen Erörte- rungen Foscarini's braucht hier nicht eingegangen zu werden.

i) Der vollständige Titel ist: „Lettera del R. P. M. Paolo Antonio Fos- carini Carmelitano al Reverendiss. P.Generale del suo ordine, Sebastiano Fan- toni, sopra l'opinione de' Pittagorici e del Copernico, nella quäle si accordano ed appaciano i luoghi della Sacra Scrittura e le proposizioni teologiche, che giammai possano addursi contro di tale opinione". Der Brief erschien zu Ne- apel; er ist abgedruckt V, 455 494. Er ist datirt vom 6. Jan. 1 61 5 ; Cesi übersandte ein Exemplar an Galilei am 7. März 161 5 ; VIII, 356. Von Foscarini ist sonst nicht viel bekannt. Nach der Biographie universelle (Michaud) 14, 438 ist er 1580 es ist streitig, ob zu Venedig oder im Königreich Neapel geboren, „um 1616'' gestorben. 161 1 sollen zu Co- senza Predigten und ascetische Sachen von ihm gedruckt jvorden, einige theologische Abhandlungen noch handschriftlich vorhanden sein.

2) V, 461. 3) V, 475-

Foscarini und Campanella. 61

Manche derselben sind ungenügend. Aber Grisar urtheilt ungerecht, wenn er (S. 85) sagt, bei Foscarini wie bei dem oben von Galilei citirten Diego de Stunica1) habe die „un- geschickte Gewaltthätigkeit, womit sie das neue System mit der h. Schrift in Harmonie setzen wollten, den begründetsten Anstoss erregt/' und wenn er als Beweis dafür anführt, Foscarini habe, von anderen Irrthümern abgesehen, die Co- pernicanische Lehre sogar in der Beschreibung der Bundes- lade angedeutet gefunden. Ein solcher wunderlicher Ein- fall, — Foscarini spricht übrigens nicht von der Bundeslade, wie Grisar Beckmann nachschreibt, sondern von dem sieben- armigen Leuchter, findet sich allerdings in der Schrift2); aber er bildet gar keinen wesentlichen Theil der Argumen- tation, und daneben finden sich Partieen, in welchen viel vernünftigere Anschauungen ganz gut und dabei sehr be- scheiden vorgetragen werden. Ueber das Schicksal dieser Schrift wird noch zu reden sein.

Auch der bekannte Dominicaner Thomas Campanella schrieb im J. 1616, er war damals in Neapel in Haft, für den Cardinal Bonifazio Gaetani ein (lateinisches) Gut- achten über die Frage: ob Galilei's Ansichten mit der h. Schrift vereinbar seien3). Dasselbe wurde aber erst 1622 zu

1) Dessen Commentar zum B. Job ist übrigens nicht, wie Grisar an- gibt, um dieselbe Zeit wie Foscarini's Schrift, sondern schon 1584 zu To- ledo und nach dem Tode des Verfassers (1589) 1591 zu Rom erschienen, s. o. S. 49 Anm. I. Eine dritte um 1613 erschienene Ausgabe finde ich nirgend erwähnt. Freilich sagt auch Galilei in einem Briefe vom 6. März 16 16 (VI, 231), der Commentar sei vor drei Jahren erschienen.

2) V, 489. Die Erörterung ist wahrscheinlich durch eine Schrift ver- anlasst, von welcher Cesi am I. März 1614 (VIII, 302) an Galilei schreibt: „Colonna hat mir mitgetheilt, in Neapel habe ein Mönch in einem von theo- logischen und anderen Dingen handelnden Werke sehr zornig und heftig Ihre Schriften, namentlich die neuen Planeten angegriffen, weil dieselben mit der Siebenzahl in Widerspruch ständen und nicht durch den sieben- armigen Leuchter versinnbildet seien". Auch Francesco Sizi (s. o. S. 36) hatte (161 1) schon drucken lassen: die h. Schrift und die Rabbinen sprä- chen nur von sieben Planeten und letztere beriefen sich dabei auf den sie- benarmigen Leuchter ; es könne nur sieben Planeten geben, weil Sieben die vollkommene Zahl sei und dgl.; s. Venturi I, 125.

3) Fr. Thomae Campanellae Calabri Ordin. Praedic. Apologia pro Ga- lilaeo Mathematico Florentino, ubi disquiritur, utrum ratio philosophandi, quam Galilaeus celebrat, faveat Sacris Scripturis an adversetur, abge- druckt V, 495-558.

62 Bellarmins Brief an Foscarini.

Frankfurt gedruckt und kam Galilei erst im Herbst 1616 zu Gesicht1). Es enthält viel mehr "Wunderlichkeiten, auch schärfere Angriffe gegen die Aristoteliker , als Foscarini's Schrift, aber auch manche treffende Bemerkungen2).

Foscarini übersandte seine Schrift auch dem Cardinal Bellarmin. Dessen Antwort vom 12. April 16153) ist so cha- rakteristisch, dass sie vollständig mitgetheilt werden muss:

„Ich habe mit Vergnügen den italienischen Brief und die lateinische Schrift gelesen, die Sie mir geschickt haben. Ich danke Ihnen für beide und gestehe, dass sie voll Geist und Gelehrsamkeit sind. Aber da Sie meine Ansicht wis- sen wollen, theile ich sie Ihnen mit, kurz, weil Sie nicht viel Zeit zum Lesen haben und ich nicht viel Zeit zum Schreiben.

„1. Es scheint mir, dass Sie und Galilei klug thäten, wenn Sie sich begnügten, nicht absolut, sondern ex supposi- tione zu sprechen, wie es, wie ich immer geglaubt habe, Co- pernicus gethan hat. Denn wenn man sagt : unter der Voraussetzung, dass die Erde sich bewege und die Sonne still stehe, lassen sich alle Erscheinungen besser erklären

1) viil, 391. 392.

2) Pieralisi, Urbano VII I. p. 25, theilt eine merkwürdige Stelle aus einem ungedruckten Commentar Campanella's zu den lateinischen Gedichten Urbans VIII. mit. Dieser Commentar war, wie aus der vom 10. Juli 1629 datirten Druck-Erlaubniss hervorgeht, 1629 vollendet; in der Pieralisi vorlie- genden, nicht von Campanella herrührenden Abschrift sind aber, offenbar nach Galilei's Verurtheilung, von Campanella die hier in Parenthese gesetzten "Worte beigefügt: „Als Galilei in Rom angegriffen wurde, weil er sich zu der Meinung des Copernicus hinneigte, . . schrieb ich eine Apologie, worin ich zeigte, dass diese Meinung (die ich als naturwissenschaftlich falsch verwarf) vielleicht nicht mit allen heiligen Vätern in Widerspruch stehe, wie aus Chrysostomus, Justinus . . . bewiesen werden könnte; (aber nach der Publi- cation des Decretes der Kirche freute ich mich, dass ich gegen Copernicus geschrieben). Diese Schrift wurde durch den Cardinal Bonifazio Gaetani, auf dessen Befehl ich sie geschrieben, in Deutschland in Druck gegeben. Unser göttlicher Poet [Urban VIIL], der schon als Cardinal hervorragende Ge- lehrte, selbst der Gelehrteste, begünstigt hatte, hat, nachdem er Papst ge- worden, in einer neuen Ausgabe des , Index die Meinung des Copernicus (von Irrthum gereinigt) zum Vortheil der Gelehrten und ohne Schaden für das Gemeinwesen hypothetisch zu lesen gestattet.''

3) Veröffentlicht ist der Brief zuerst von Berti, Copernico p. 121. Grisar (S. 97) beansprucht, so viel ich weiss, mit Recht, daä Verdienst, in Deutschland zuerst den Brief berücksichtigt zu haben. Seine Uebersetzung ist aber nicht ganz genau.

Bellarmins Brief an Foscarini. 63

(si salvano tutte le apparenze meglio) als durch die Annahme der excentrischen Kreise und Epicyklen, so ist das sehr gut gesagt und hat keine Gefahr, und das genügt dem Mathe- matiker. Wenn man aber behaupten will, die Sonne stehe wirklich im Mittelpunkte der Welt und bewege sich nur um sich selbst, ohne von Osten nach Westen zu laufen, und die Erde stehe am dritten Himmel und bewege sich mit der grössten Schnelligkeit um die Sonne: so läuft man damit grosse Gefahr, nicht nur alle Philosophen und scholastischen Theologen zu reizen, sondern auch dem heiligen Glauben zu schaden, indem man die h. Schriften Lügen straft (con r ender e false le Scrttture santej. Denn Sie haben zwar viele Weisen, die h. Schrift auszulegen, aufgezeigt, aber dieselben nicht im Einzelnen angewendet; Sie würden ohne Zweifel auf sehr grosse Schwierigkeiten gestossen sein, wenn Sie alle jene Stellen hätten auslegen wollen, die Sie selbst ci- tirt haben.

„2. Wie Sie wissen, verbietet das Concil, die Bibel gegen die allgemeine Uebereinstimmung der h. Väter aus- zulegen, und wenn Sie nicht nur die h. Väter, sondern auch die modernen Commentare über die Genesis, die Psalmen, den Prediger, das Buch Josue lesen wollen, werden Sie fin- den, dass sie alle übereinstimmend die Stellen ad literam dahin erklären, dass die Sonne am Himmel ist und sich mit der grössten Schnelligkeit um die Erde bewegt, und dass die Erde vom Himmel sehr weit entfernt ist und unbeweg- lich im Mittelpunkte der Welt steht. Nun bedenken Sie doch gemäss Ihrer Klugheit, ob die Kirche es dulden kann, dass die h. Schriften im Widerspruch mit den h. Vätern und allen griechischen und lateinischen Auslegern gedeutet werden. Man kann nicht einwenden, dieses sei keine Glau- benssache; denn wenn es keine Glaubenssache ex parte objecti ist, so ist es eine Glaubenssache ex parte dicentis. So würde ja auch derjenige, welcher sagen wollte, Abraham habe nicht zwei1) und Jakob nicht zwölf Söhne gehabt, ebenso wohl ein Häretiker sein wie der, welcher sagt, Christus sei nicht von einer Jungfrau geboren, da das Eine und das Andere der h. Geist sagt durch den Mund der Propheten und Apostel.

1) Bellarmin denkt an Gal. 4, 22. Die Stelle Gen. 25, 1 ff. war ihm dabei nicht präsent.

64 Bellarmins Brief an Foscarini.

,,3. Wenn ein wirklicher Beweis dafür vorhanden wäre, dass die Sonne im Mittelpunkte der Welt stehe und die Erde am dritten Himmel, und dass niefit die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne gehe , dann müsste man bei der Erklärung der Bibelstellen, welche das Gegentheil zu sagen scheinen, mit grosser Vorsicht vor- gehen, und eher sagen, wir verständen dieselben nicht, als, das sei falsch, was bewiesen wird. Aber ich werde nicht eher glauben, dass ein solcher Beweis geliefert sei, bis er mir gezeigt ist. Wenn bewiesen ist, dass unter der Voraus- setzung, dass die Sonne im Mittelpunkte und die Erde am Himmel stehe, sich die Erscheinungen erklären lassen, so ist damit nicht auch schon bewiesen, dass wirklich die Sonne im Mittelpunkte und die Erde am Himmel steht. Das Erstere lässt sich, glaube ich, beweisen; aber ob sich das Zweite beweisen lasse, ist mir sehr zweifelhaft, und im Falle des Zweifels darf man nicht von der h. Schrift, wie sie von den h. Vätern ausgelegt wird, abgehen. Ich füge noch bei, dass derjenige, welcher geschrieben hat: »Die Sonne geht auf, und sie geht unter und kehrt zu ihrem Orte zurück« [Eccl. 1, 5], Salomo ist, der nicht allein von Gott inspirirt sprach, sondern auch der weiseste unter allen Menschen und sehr gelehrt in allen menschlichen Wissenschaften und in der Kenntniss der geschaffenen Dinge war und all diese Weis- heit von Gott hatte, weshalb es nicht wahrscheinlich ist, dass er etwas sollte behauptet haben, was im Widerspruch stände mit etwas, was als wahr erwiesen ist oder erwiesen werden könnte. Und wenn man einwendet, Salomo spreche nach dem Anscheine, weil es uns so scheine, als ob die Sonne sich bewege, während die Erde sich bewege, grade so wie es dem, welcher sich vom Ufer entfernt, so scheine, als ob sich das Ufer vom Schiffe entferne : so antworte ich : wenn es dem, welcher sich vom Ufer entfernt, auch so scheint, als entferne sich das Ufer von ihm, so erkennt er doch, dass dieses ein Irrthum ist, und er berichtigt ihn, da er deutlich sieht, dass das Schiff sich bewegt und nicht das Ufer; was aber die Sonne und die Erde betrifft, so braucht kein Gelehrter den Irrthum zu berichtigen, da er durch augenscheinliche Erfahrung weiss, dass die Erde still steht und dass das Auge sich nicht täuscht, wenn es urtheilt, dass die Sonne sich bewege, wie es sich auch nicht täuscht,

Bellarmins Brief an Foscarini. 65

wenn es urtheilt, dass die Sterne sich bewegen. Das mag für jetzt genügen."

Von diesem Schreiben Bellarmins besass Galilei eine Abschrift; er beruft sich darauf in seinem Verhör am 12. April 1633 1). Berti, der das Schreiben zuerst veröffentlicht hat, theilt auch eine Erwiederung darauf (theilweise?) mit2), welche Galilei (ohne Zweifel während seines Aufenthaltes in Rom im J. 161 5 16) geschrieben hat. Darin sagt er zu No. 1 : „Was die Philosophen angeht, so brauchen sie, wenn sie wahre Philosophen sind, sich nicht reizen zu lassen; wenn sie erkennen, dass sie im Irrthum gewesen sind, müssen sie dem danken, der ihnen die Wahrheit zeigt, und wenn sie mit ihrer Meinung Recht behalten, haben sie Grund, sich zu freuen, und nicht, unwillig zu werden. Auch die Theologen brauchen sich nicht reizen zu lassen; denn wenn sich die fragliche Meinung als falsch erweist, können sie dieselbe verbieten; wenn sie sich aber als wahr er-» weist, müssen sie sich freuen, dass ihnen ein Anderer den Weg zur Auffindung des wahren Sinnes der Bibek gebahnt und sie davor bewahrt hat, durch die Verdammung eines wahren Satzes ein grosses Aergerniss zu geben."

Zu No. 3 bemerkt Galilei: ,,Wer nicht eher glauben will, dass ein Beweis für die Bewegung der Erde vorhanden sei, bis er ihm gezeigt ist, der handelt ganz verständig. Wir verlangen auch von Niemand, dieses ohne Beweis zu glauben, und wünschen nichts anderes, als dass zum Nutzen der h. Kirche mit der grössten Strenge das, was die An- hänger jener Meinung vorzubringen im Stande sind, ge- prüft und nichts anerkannt werde, wenn nicht das, was sie vorbringen, die Gründe der andern Partei bei weitem über- trifft, — dass sie abgewiesen werden mögen, wenn sie nicht mehr als 90 Procent der Gründe für sich haben, aber dass man auch, wenn nachgewiesen wird, dass unter dem, was die gegnerischen Philosophen und Astronomen vorbringen, viel Falsches und gar nicht in Betracht Kommendes ist, die andere Partei nicht gering geschätzt und es nicht als ein unglaubwürdiges Paradoxon angesehen werde, dass sie je einen evidenten Beweis werde führen können. Man darf wohl ein so liberales Anerbieten machen, weil ja offenbar

1) Acten S. 78. 2) Copernico p. 128.

Reusch, Galilei.

66 Bellarmins Brief an Foscarini.

diejenigen, welche im Irrthum sind, weder die Vernunft noch die Erfahrung, so weit sie hier etwas gilt, für sich haben können, während zu der Wahrheit alles stimmen und passen muss. Allerdings ist, wenn bewiesen wird, dass unter der Voraussetzung der Bewegung der Erde und des Stillstehens der Sonne sich die Erscheinungen erklären lassen, damit nicht auch schon bewiesen, dass diese Hypothesen wirklich wahr sind; aber wenn nach dem andern, dem herrschenden System diese Erscheinungen nicht erklärt werden können, ist dasselbe unzweifelhaft falsch, und es ist klar, dass das System, welches zu den Erscheinungen sehr gut passt, wahr sein kann. Eine grössere Wahrheit kann und darf man von einer Theorie nicht verlangen, als dass sie allen einzelnen Erscheinungen entspreche."

Aus Galilei's Bemerkungen zu No. 2 theilt Berti nur Folgendes mit: „Es könnte ja sein, dass wir bei der Aus- legung der h. Schrift auf Schwierigkeiten stiessen; aber das würde seinen Grund in unserer Unwissenheit haben, nicht darin, dass wirklich eine unüberwindliche Schwierig- keit dem im Wege stände oder stehen könnte, die Bibel mit den erwiesenen Wahrheiten in Einklang zu bringen. . . Wenn man sagt, ein solcher Satz sei de fide, wenn auch nicht ratione obiecti, so doch ratione dicentis, und er gehöre darum mit zu denjenigen Sätzen, auf welche sich das Con- cilsdecret beziehe, so ist zu antworten, dass alles, was in der h. Schrift steht, ratione dicentis de fide ist und darum also unter die Regel des Concils mit einbegriffen sein müsste, was offenbar nicht der Fall ist, da dann das Concil gesagt haben würde: in omni verbo scripturarum sequenda est expositio patrum etc., und nicht: in rebus fidei et morum. Da es aber sagt: in rebus fidei, so sieht man, dass es die Regel von rebus fidei ratione obiecti verstanden haben will."

Diese letzte Bemerkung ist nicht ausreichend. Bellar- min konnte vom Standpunkte der gewöhnlichen Auffassung der Inspiration aus mit Recht sagen: wenn man eine Aus- sage der h. Schrift als unwahr bezeichnet, so ist das auch dann, w.enn diese Aussage keinen dogmatischen Charakter hat, häretisch, weil es eine indirecte Bestreitung der Lehre von der auf der Inspiration beruhenden Irrthumslosigkeit der h. Schrift ist, wiewohl doch augenscheinlich die

Bellarmins Brief an Foscarini. 67

beiden biblischen Aussagen: Abraham hatte zwei Söhne, und: Christus ist von einer Jungfrau geboren, nicht gleich- werthig sind; aber die Copernicaner bezeichneten auch keine einzige Aussage der h. Schrift als unwahr, sondern nur die herkömmliche Auslegung einiger Aussagen als un- richtig; sie verstiessen darum auch gar nicht gegen die Tridentinische Regel, welche bei der Auslegung der Bibel nur bezüglich der res fidei et morum den Consensus der Väter als massgebend bezeichnet.

Der interessanteste Theil des Bellarmin'schen Briefes ist aber der dritte, worin er, wie Grisar S. 98 sagt, „für den Fall, dass wirklich unanfechtbare Beweise gebracht würden, sich bereit erklärt, der mehr als tausendjährigen Schulmeinung den Rücken zu wenden." Ueber einstimmend damit erklärte später auch der Jesuit Grassi ex sententia Cardinalis Bellarmini : „wenn man für die Bewegung der Erde einen Beweis fände, müsse man diejenigen Bibel- stellen, wo von der Stabilität der Erde die Rede sei, anders erklären als bisher" *). Es ist mir unbegreiflich, wie Grisar S. 98 von der fraglichen Stelle des Briefes Anlass nehmen kann, Bellarmins „Unbefangenheit des Denkens" zu preisen, „die seine Achtung vor wahrer Wissenschaft in das schönste Licht stelle". Mir scheint der Brief ein für Bellarmin sehr gravirendes Actenstück zu sein. Er erkennt offenbar an, dass die Copernicanische Lehre möglicher Weise richtig sein und als richtig erwiesen werden könne; er hält sie also, wenn der casuistische Ausdruck hier gebraucht werden darf, wie Foscarini für probabel, wenn auch nur für tenuiter pro- babilis. Mithin hält er die Ptolemäische Lehre nicht für unzweifelhaft wahr, sondern für eine solche, welche sich möglicher Weise als irrig herausstellen könne. Er gibt ferner ausdrücklick zu, dass die auf der Ptolemäischen An- sicht beruhende Auffassung der Bibelstellen möglicher Weise irrig sein und für den Exegeten sich die Notwendigkeit herausstellen könne, die Stellen anders zu deuten2). So un-

1) IX, 67.

2) „Allerdings glaubte er", so sagt P. Schneemann S. 257 von dem „höchst interessanten" Briefe Bellarmins, „dass das Copernicanische System dem Wortlaute und der bisherigen Erklärung der h. Schrift entgegen sei; dennoch hielt er den Fall nicht für unmöglich, dass mit dem Fort-

68 Bellarmins Brief an Foscarini.

wahrscheinlich ihm das auch sein mochte, er hätte, wenn er „unbefangen" gedacht hätte, darauf dringen müssen, man solle nicht durch einen kirchlichen Urtheilspruch eine Lehre für falsch und der h. Schrift widersprechend erklären, von der möglicher Weise im Laufe der Zeit erwiesen wer- den könne, dass sie richtig sei und darum auch, wenngleich der jetzt herrschenden Deutung der h. Schrift, doch nicht dieser selbst widerspreche; eine kirchliche Behörde sei nicht competent, über die Richtigkeit einer Lehre ein Urtheil zu fällen, bei welcher es sich gar nicht um eine Offenbarungs- wahrheit handle ; sie habe vielmehr die Entscheidung über die Richtigkeit der Lehre der Wissenschaft zu überlassen; die kirchliche Behörde sei berechtigt, zu erklären, dass die h. Schrift keinen Irrthum enthalte und in Sachen des Glau- bens und der Sitten nicht im Widerspruch mit der Lehre der Kirche und mit dem unantmis consensus der Väter interpretirt werden dürfe; sie könne aber nicht erklären, eine andere als die herrschende Auffassung der von der Sonne und der Erde handelnden Bibelstellen sei nicht zu- lässig, da sich möglicher Weise die dieser Auffassung zu Grunde liegende astronomische Ansicht als irrig erweisen werde.

Weniger begabte und unterrichtete Theologen als Bel- larmin mögen wirklich geglaubt haben, die Ptolemäische Lehre sei ebenso sicher wahr wie die kirchliche Trinitäts- lehre und die Copernicanische Lehre ebenso sicher falsch wie der Arianismus und Galilei's Deutung der betreffenden Bibelstellen ebenso sicher unrichtig wie die Arianische Deu- tung von Joh. i, i ff. Bellarmin aber wusste es besser, und er verdient darum den schärfsten Tadel, dass er, lediglich darum, weil er die Copernicanische Lehre für nicht erwiesen und das Beibringen eines vollgültigen Beweises für dieselbe für sehr unwahrscheinlich hielt, dem Urtheil zustimmte, welches dieselbe für falsch, also für unbeweisbar, und für *der Bibel widersprechend und darum für häretisch erklärte. Hätte man sich darauf beschränkt, die Bücher des Copernicus und seiner Anhänger auf den Index zu setzen, so hätte sich diese Massregel als eine disciplinare mit

schritte der Wissenschaften dasselbe unumstösslich bewiesen werden könne und dann auch eine andere Erklärung der Schrifttexte erfordere."

Die Römische Inquisition. 69

Zweckmässigkeitsgründen rechtfertigen oder entschuldigen lassen. Wir werden aber sehen, dass man darüber hinaus- ging und ein doctrinelles Urtheil fällte, welches jetzt als ein falsches allgemein anerkannt ist, damals aber schon von Bellarmin, wenn er wirklich unbefangen gedacht und vor der Wissenschaft Achtung gehabt hätte, als ein unzulässiges hätte erkannt werden müssen.

VI. Die Römische Inquisition und die Index-Congregation.

Der Darstellung der Galileischen Processe sind einige Notizen über die päpstlichen Behörden vorauszuschicken, welche dabei in Betracht kommen, zunächst über die In- quisition *).

Die mittelalterlichen Päpste haben bekanntlich sich und den Bischöfen das Recht beigelegt, gegen solche, die einer Versündigung gegen den katholischen Glauben, namentlich des Festhaltens und der Kundgebung ketzerischer Ansichten verdächtig geworden, eine gerichtliche Untersuchung einzu- leiten und diejenigen, welche eines derartigen Vergehens schuldig erkannt wurden, zu bestrafen, und zwar, wenn sie sich nachgiebig und reumüthig zeigten, zur Abschwörung ihrer irrthümlichen Meinungen und zu irgend welchen Buss- übungen, auch zu Gefängniss und anderen ähnlichen Strafen, wenn sie dagegen hartnäckig blieben, zum Tode zu verur- theilen. Dieses gerichtliche Verfahren kirchlicher Behörden nannte man Inquisition, eigentlich Inquisitio haereticae ftra- vitatis, Untersuchung wegen ketzerischer Bosheit. Durch einige Päpste des 16. Jahrhunderts, namentlich Paul III., Pius IV. und V. und Sixtus V., wurde diese Inquisition neu organisirt und centralisirt. Namentlich wurde eine Anzahl von Cardinälen als General-Inquisitoren für die ganze Kirche

1) Vgl. J. H. Bangen, Die Römische Curie, ihre gegenwärtige Zusam- mensetzung und ihr Geschäftsgang, Münster 1854, S. 91 ff. Phillips, Kir- chenrecht, VI (1864), 583 ff.

70 Die Römische Inquisition.

bestellt. Diese oberste Römische Inquisitionsbehörde erhielt durch Sixtus V. im Jahre 1586 die Organisation, in welcher sie zu Galilei' s Zeit bestand und im Wesentlichen, wenigstens formell, noch heute fortbesteht.

Die amtliche Bezeichnung ist: Sacra Congregatio Ro- manae et Universalis Inquisitionis, die h. Congregation der Inquisition für Rom und die ganze Kirche, oder auch Con- gregatio Sancti Officii, die Congregation des h. Officiums. Mitglieder dieser Congregation sind mehrere von dem Papste ernannte Cardinäle, Vorsitzender derselben ist der Papst selbst. Einer der Cardinäle ist Secretär der Congregation und hat als solcher namentlich für -die Ausführung ihrer Beschlüsse zu sorgen. Während des ersten Galilei'schen Processes war Secretär der Inquisition der Cardinal Gio- vanni Garzia Mellini (Millini, j 1629), während des zweiten der Cardinal Antonio Barberini der A eitere, ein Bruder Ur- bans VIII., gewöhnlich Cardinal von St. Onuphrius genannt.

Zu dem Personal der Congregation der Inquisition ge- hören: 1. der Commissarius generalis S. Officii, regelmässig ein Dominicaner, welcher bei allen der von der Congrega- tion zu treffenden Definitiv-Entscheidung vorhergehenden pro- cessualischen Acten als ordentlicher Richter fungirt und na- mentlich die Verhöre der Angeklagten und Zeugen vornimmt. Bei dem ersten Galilei'schen Process fungirte P. Michelan- gelo Seghizzi von Lodi (Seghetius de Lauda), bei dem zweiten P. Vicenzo Macolano von Firenzuola als Commissar 1). 2. Der Assessor Sancti Officii, in der Regel ein Welt- geistlicher, welcher als Gehülfe und Stellvertreter des Com- missars fungirt und namentlich in den Sitzungen der Car- dinäle der Inquisition zu referiren hat; bei dem zweiten Process war es Monsignor Pietro Paolo Febei. 3. Der Promotor ßscalis, der öffentliche Ankläger. Als solcher fun- girte in dem zweiten Processe Carlo Sinceri, Doctor beider Rechte2); er tritt aber bei den Verhandlungen ebenso wohl wie der Assessor wenig hervor; der ,,Advocat der Ange-

i) Seghizzi war vorher Inquisitor in Cremona und Mailand, Commis- sar seit 16 14; schon 1616 wurde er Bischof von Lodi. Berti, II Processo p. LXII. Ueber Macolano s. u. §. XXI.

2) Er fungirte auch schon 1608 in dem Process des Fulgentio Man- fredi; s. Gibbings p. 18.

Die Römische Inquisition. 71

klagten" kam dabei gar nicht in Thätigkeit. 4. Die „Con- sultoren", Theologen und Canonisten aus dem Stande der Welt- und Ordensgeistlichen, welche über die in den Sitzungen der Cardinäle zu verhandelnden Gegenstände ihr Gutachten abzugeben haben. Sie werden vom Papste ernannt; der Ge- neral der Dominicaner, der (unten zu erwähnende) Magister Sacri Palatii und noch ein dritter Dominicaner, der speciell Consta tor S. Officii heisst, sind immer darunter. 5. Die „Qualificatoren", eine Anzahl von Theologen und Canonisten, welche in einzelnen Fällen zur Begutachtung bestimmter Punkte aufgefordert, namentlich beauftragt werden, Sätze, wegen deren Jemand angeklagt ist, zu „qualificiren", d. h. sich darüber zu äussern, ob und in wiefern dieselben unka- tholisch sind. 6. Als Secretär des Commissars, namentlich als Protocollführer fungirt ein Notar des h. Officiums1).

Die Verhöre fanden in dem von Sixtus V. in der Nähe der Peterskirche erbauten Palaste des h. Officiums statt, in welchem sich auch die Wohnungen des Commissars, des Assessors und des Fiscals und die Gefängnisse für die An- geklagten befanden. Ebendaselbst traten auch, regelmässig am Montag, die Consultoren mit dem Commissar und dem Assessor zusammen, um über die zur Entscheidung reifen Sachen zu berathen. Der Assessor referirte über dieselben; ein oder mehrere von dem Cardin al-Secretär bestimmte Con- sultoren, denen schon vorher die Acten zugesandt worden, legten ein schriftliches Votum vor. Der in dieser Sitzung gefasste Beschluss hatte aber nur die Bedeutung eines den Cardinälen vorzulegenden Gutachtens2). Die Cardinäle der Inquisition hielten, gewöhnlich am Mittwoch, ihre Sitzungen in dem Dominicanerkloster Santa Maria sopra Minerva 3). In diesen Sitzungen referirte der Assessor über den Thatbestand

1) Bei dem ersten Process Galilei's Andrea de Pettini, bei dem zwei- ten Giovanni Antonio Tomasi; Wolynski p. 38. 75.

2) Eine Aufzeichnung über eine solche Sitzung der Consultoren rindet sich bei Gebier, Acten S. 184: ~ „Feria 2a. die 14. Junii 1734. DD. CC. [Domini Consultores] fuerunt in voto, rescribendum etc. Darunter steht: Feria 4. die IG. Junii 1734: Eminentissimi suprascriptum votum Dominorum Con- sultorum approbarunt.

3) Nach einer Verordnung Urbans VII. vom 17. Sept. 1628; früher fanden diese Sitzungen in der Wohnung des ältesten Cardinais statt. Pig- natelli (s. u. S. 75, Anm. 1) II, 520.

72 Die Römische Inquisition.

und das Gutachten der Consultoren. Wenn die Cardinäle es für nöthig hielten, wurden letztere aus dem Vorsaale, wo sie warten mussten, hereingerufen, um ihr Gutachten zu er- läutern und zu motiviren. Die Cardinäle stimmten endlich über die zu treffende Entscheidung ab. Am folgenden Tage, also regelmässig am Donnerstag, versammelten sich die Cardinäle im päpstlichen Palaste zu der unter dem Vorsitze des Papstes stattfindenden Sitzung: in wichtigen Fällen wurde nochmals ausführlich über die Sache referirt, dann *gaben die aus dem Vorsaale herbeigerufenen Consultoren ihr Gut- achten, darauf die Cardinäle ihre Stimmen ab, worauf der Papst das Urtheil der Cardinäle bestätigte oder auch eine davon abweichende Entscheidung traf. Ueber weniger wich- tige Sachen wurde dem Papste das in der Mittwochs-Sitzung der Cardinäle gefällte Urtheil zur Bestätigung vorgelegt. Die von Gherardi veröffentlichten Documente (s. o. S. 5) sind Aufzeichnungen über die in solchen Mittwochs- und Donnerstags-Sitzungen gefassten Beschlüsse (Decreta)\ über die unter dem Vorsitze des Papstes gefassten Beschlüsse wird regelmässig mit der Formel Sanctissimus ordinavit, decrevit oder mandavit berichtet1).

Ueber die in diesen Sitzungen gefassten Beschlüsse wurde durch den Cardinal-Secretär dem Assessor oder dem Commissar des h. Officiums oder dem Notar desselben das Erforderliche mitgetheilt, und letzterer machte dann darüber in den im Inquisitionspalaste befindlichen Acten eine Notiz2). Darum finden wir in den jetzt im Vatican aufbewahrten, von Gebier veröffentlichten Processacten manche Notizen, welche Aufzeichnungen in der Gherardi' sehen Sammlung ent-

1) Vgl. No. III, IV, VI u. s. w. Aufzeichnungen über Mittwochs- Sitzungen sind No. II, IV u. s. w. (No. XXVIII: Emineniissimi decreve- runt ut memoriale legatur coram Sanctissimo, was nach No. XXIX am folgenden Tage geschah.) Ausnahmsweise fanden die Sitzungen der Cardi- näle an einem andern Tage als am Mittwoch statt; s. No. I, XXV, XXVI. Wolynski sagt p. 37. 39. 62: der Donnerstag sei an der Curie ein Ferientag gewesen; die Mittwochs -Sitzungen hätten, wenn der Papst theilnehmen wollte, in seinem Palast stattgefunden; den grössern Theil des Jahres seien überhaupt Ferien gewesen. Die Angaben im Texte werden von Carena (s. u. S. 75, Anm. 1) p. 12a bestätigt, der beifügt, die beiden Sitzungen der Inquisition seien gewöhnlich nur in der Char- und Osterwoche ausgefallen.

2) Vgl. Wolynski p, 63.

Die Römische Inquisition. 73

sprechen, wie umgekehrt in dieser wiederholt auf Acten- stücke Bezug genommen wird, die sich in der Vaticanischen Sammlung befinden. So steht z. B. bei Gherardi (Nr. II) eine Aufzeichnung über die am Mittwoch 25. Febr. 161 5 ge- haltene Sitzung der Cardinäle, worin es heisst: es sei ein Brief des Pater Lorini zu Florenz verlesen worden, mit wel- chem derselbe eine Abschrift eines Schreibens Galilei's an Benedetto Castelli eingesandt habe, und es sei darauf be- schlossen worden, den Erzbischof und den Inquisitor zu Pisa aufzufordern, sie möchten sich das Original des Galilei'schen Schreibens zu verschaffen suchen und dieses der Inquisition übermitteln. In den Vaticanischen Acten (in Geblers Aus- gabe S. 11) findet sich der Brief Lorini's mit der Abschrift des Galilei'schen Schreibens und dann folgende Aufzeich- nung (des Notars der Inquisition) vom 26. Februar: „Der Cardinal Millino [der Secretär der Inquisition] hat mir auf- getragen, dem Erzbischof und dem Inquisitor von Pisa zu schreiben, sie möchten sich das Original des Schreibens Ga- lileis zu verschaffen suchen" *). Dann folgen die Antworten des Erzbischofs und des Inquisitors. So erklärt es sich auch, dass die Gherardi'schen. Urkunden nicht gerade viel "Wich- tiges zur Ergänzung des Vaticanischen Manuscriptes bieten.

Ausserhalb Roms, namentlich in Italien, fungirten in vielen Städten von der Congregation des h. Officiums be- stellte Inquisitoren als Einzelrichter. Auch ihnen standen Consultoren mit berathender Stimme und andere Gehülfen zur Seite. Auch hatten sie ihre Vicarien. In allen wichti- geren Angelegenheiten hatten sie an die Römische Congre- gation zu berichten und deren Weisungen zu befolgen. In den Galilei'schen Processen kommen der Inquisitor von Flo- renz und andere Inquisitoren nur vor, sofern sie Aufträge der Congregation auszuführen hatten.

Alle Beamten der Inquisition waren bei Strafe der Ex- communication zu strengem Stillschweigen über die Process- verhandlungen verpflichtet. Auch die Angeklagten mussten bei den Verhören eidlich Stillschweigen geloben.

Zur Competenz der Inquisition gehörten ausser der

I) S. 48 steht: Die Jovis 25. Febr. 1616: 711. D. Card. Miliums noti- ficavit RR. PP. Assessori et Co/nmissario S. Officii, quod . . . Sanctissi- mus ordinavit etc.

74 Die Römische Inquisition.

Ketzerei auch noch andere Vergehen, welche zum Theil kraft einer starken juristischen Fiction als^Vergehen gegen den Glauben und als den Verdacht der Ketzerei begrün- dend angesehen wurden, wie Blasphemie, Hexerei, Miss- brauch der Sacramente u. s. w.

Unter den Werken, aus 'welchen wir das Verfahren der Inquisition zur Zeit Galilei's kennen lernen, wird im Fol- genden am öftesten zu erwähnen sein das „Sacro Arsenale". Es ist ein für die Local-Inquisitoren und ihre Beamten be- stimmtes praktisches Handbuch, welches eine übersichtliche Zusammenstellung der von ihnen zu beobachtenden Regeln und eine reichhaltige Sammlung von Formularen für die Verhörsprotocolle, Urtheile u. s. w. gibt. Diesen Formu- laren entsprechen auch die in den Galilei'schen Processen vorkommenden Actenstücke, während die in dem Buche ent- haltenen Regeln, eben weil sie sich auf das Verfahren der Inquisitionstribunale ausserhalb Roms beziehen, über das Verfahren der Römischen Inquisition in der Galilei'schen An- gelegenheit keinen genügenden Aufschluss geben. Das Sacro Arsenale ist von dem Dominicaner P. Eliseo Masini, Inquisitor zu Bologna, verfasst und zuerst 1625, dann in einer neuen vermehrten Ausgabe 1665 zu Bologna, später mit Zusätzen von dem Inquisitor P. Tomaso Menghini und dem Fiscal der römischen Inquisition Dr. Giovanni Pasqualone wiederholt zu Rom gedruckt worden1). Ausserdem werden

1) Wohlwill, Ist Galilei gefoltert worden? S. 17—21. Pieralisi u. A. citiren die Ausgabe von (Genua) 1625, Wolynski eine Ausgabe von Perugia 1653. Die (von Wohlwill u. A. benutzte) Ausgabe von 1665 hat den Titel: „Sacro Arsenale ouero Prattica delP Officio della Santa Inquisitione. Di nuovo corretto, & ampliato". Die von Berti citirte Ausgabe Rom 1639 scheint ein Abdruck der ersten zu sein. Eine römische Ausgabe von 1693 hat den Titel: „Sacro Arsenale . . . Con l'inserzione d'alcune Regole fatte dal R. Inquisitore Tomaso Menghini Doinenicano, e di diverse annotationi del Dott. Giovanni Pasqualone, Fiscale della Suprema Generale Inquisizione di Roma". Der Text Masini's ist darin, wie es scheint, ganz unver- ändert abgedruckt, hie und da sind aber kleinere oder grössere „Annotationi'4 (p. 23 126 eine Anzahl von Formularen zu Verhören) beigefügt. Die Ausgabe Rom 1705 ist ein (auch in den Seitenzahlen ziemlich genau übereinstim- mender) Abdruck der Ausgabe von 1693; nur smc* die 300 „Avvertimenti", (aphoristischen Regeln), welche den 10. Theil des Masini'schen Werkes bilden, anders geordnet. Marini u. A. citiren das Sacro Arsenale unter dem Namen Pasqualone's, Bangen und nach ihm Phillips u. A. (in einer

Die Index-Congregation. 75

noch einige andere Autoren des 17. Jahrhunderts, welche von der Inquisition handeln, benutzt werden, namentlich der Theologe Diana und die Canonisten Franz Pena, Carena und Pignatelli, sowie die Juristen Julius Clarus und Prosper Farinacci, welche über das damalige Verfahren bei Criminal- processen bei anderen Gerichtshöfen Auskunft geben *). Auch die Vergleichung der von R. Gibbings und K. Benrath ver- öffentlichten Urtheile der Römischen Inquisition aus der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahr- hunderts2) dient zur Aufhellung einzelner Punkte.

Eine andere Congregation von Cardinälen, welche irn Folgendem zu erwähnen sein wird, heisst Sacra Congregatio Indicis Librorum ßrohibitorum, die h. Congregation des Index

Ausgabe Rom 1739) unter dem Namen Menghini's (verdruckt Menchini). Wolynski erwähnt noch eine Ausgabe Rom 171 6. Ich habe die Ausgaben von 1665, 1693 und 1705 (alle drei auf der Staatsbibliothek zu München) benutzt. Wo das Sacro Arsenale citirt wird, sind die Seitenzahlen der Aus- gabe von 1665 angegeben, wo Pasqualone citirt wird, die Seitenzahlen der Ausgabe von 1705.

i) Ant. Diana Resolutionum moralium Pars IV. Antv. 1645. Direc- torium Inquisitorum Fr. Nie. Eymerici cum commentariis Francisci Pegnae (Spanier, gest. als Decan der Rota 1612; Romae 1578. 1585) Venetiis 1607. Tractatus de officio S. Inquisitionis et modo procedendi in causis fidei . . . auet. Caesare Carena. Cremonae 1641. 1655 (Lugd. 1669. Der Ausgabe von 1655 ist eine [nicht vollständige] Instructio s. Praxis Inquisi- torum Fr. Pegnae angehängt). Jacobi Pignatelli Novissimae Consultationes canonicae. Altera editio. Col. Allobr. 17 19. Julii Clari Opera omnia s. Practica civilis atque criminalis. Lugd. 1661. Prosp. Farinacii Praxis et Theoricae criminalis libri duo. Francof. 1697. Die Werke von Diana, Peiia und Carena werden im Sacro Arsenale empfohlen. Diana nimmt übri- gens mehr auf die spanische als auf die Römische Inquisition Rücksicht. Aus einigen anderen ähnlichen Büchern gibt Wolynski p. 135 Auszüge.

2) Die hier in Betracht kommenden Publicationen von R. Gibbings (Prof. in Dublin) sind: A Report of the Proceedings of the Roman Inquisi- tion against Fulgentio Manfredi [1610], 1852. Case of a Minorite Friar, who was sentenced by S. Charles Borromeo [Thomas de Fabianis 1564], 1853. Report of the Trial and Martyrdom of Pietro Carnesecchi [1567], 1856. (Auszüge aus den Verhören Carnesecchi's sind herausgegeben von Giacomo Manzoni in den Miscellanea di Storia italiana X [1870], 187 573). A Statement of the Case of Thaddaeus O' Farrihy [1628], 1868. Ben- rath hat eine grosse Zahl von Inquisitions-Urtheilen aus den Dubliner Acten in der Allg. Ztg. 1877, No. 76 ff. veröffentlicht. Zwei Urtheile der Römi- schen Inquisition vom J. 1635 sind in der Riv. Eur. 1878, V, 510 abge- druckt.

7^ Die Index-Congregation.

oder Verzeichnisses der verbotenen Bücher1). Sie lässt die ihr zur Anzeige gebrachten Druckschriften untersuchen und verbietet das Lesen, das Verbreiten und sogar das Besitzen derjenigen Bücher, welche ihr in religiöser oder sittlicher Hinsicht bedenklich erscheinen. Mitunter wird ein solches Verbot auch auf Grund eines Beschlusses der Inquisition erlassen, wie denn überhaupt die beiden Congregationen in manchen Fällen gemeinsam handeln. Das zur Zeit des Trien- ter Concils angelegte und seitdem von Zeit zu Zeit revidirte und vervollständigte Verzeichniss der Bücher, welche diese .Congregation verboten hat und nur auf einen besondern An- trag Einzelnen gestattet, heisst Index librorujn prohtbitorum, gewöhnlich kurzweg Index. Präfect dieser Congregation ist ein Cardinal, sein Assistent der Prälat, welcher Magister Sacri Palatii Apostolici heisst, immer ein Dominicaner. Letzterm sind auch die Bücher, welche in Rom gedruckt werden sollen, zur Censur vorzulegen; der Cardinal- Vicar, der Vertreter des Papstes für die Diöcesanverwaltung von Rom, oder dessen Stellvertreter 2) ertheilt die Druck-Erlaub- niss nur auf Grund der Gutheissung des Palastmeisters oder seines Assistenten3). Mitunter wird ein Buch nicht unbedingt verboten, sondern „suspendirt", d. h. mit der Clausel donec corrigatur verboten. In diesem Falle ist das Lesen dessel- ben gestattet, nachdem die von der Index-Congregation als anstössig bezeichneten Stellen daraus, entfernt oder ge- ändert sind.

Zu Galilei's Zeit wurde das kirchliche Bücherverbot strenge gehandhabt. Die Nuncien und Inquisitoren wurden wiederholt aufgefordert, bedenkliche Bücher zur Anzeige zu bringen, es wurden viele Bücher verboten 4) und die Erlaub- niss zum Lesen verbotener Bücher nicht leicht ertheilt. Ur- ban VIII. nahm durch ein Breve vom 2. April 1631 alle derartigen Licenzen zurück und ertheilte neue nur mit Ein-

1) Bangen a. a. O. S. 124. Phillips a. a. O. S. 598.

2) Bangen a. a. O. S. 287.

3) Die Ausgabe des Sacro Arsenale von 1705 hat 1. B. folgende Druckerlaubnisse „Imprimatur, si videbitur Rev. P. Magistro S. Palatii Apo- stolici. Dominicus de Zaulis Episcopus Verulanus Vicesgerens. Impri- matur. Fr. Joannes Bapt. Carus Magister et Socius Rev. P. Sacri Apost. Pal. Magistri Ordinis Praedicatorum" .

4) Wolynski p. 25. S. u. §. X.

Die Predigt Caccini's. 77

schränkungen. In der neuen Erlaubniss, die für den Gross- herzog von Toscana ausgefertigt wurde, waren Machiavelli und alle astrologischen Bücher ausgenommen; als der Grossherzog durch seinen Gesandten Vorstellungen machen Hess, wurde Machiavelli freigegeben, das Lesen astrologischer Bücher aber, erklärte der Papst, werde er nicht einmal dem Kaiser und dem König von Spanien gestatten1).

VII.

Denunciation Galilei's bei der Inquisition im J. 1615.

Kurz nachdem Galilei im J. 1611 von Rom, sehr zu- frieden mit der Aufnahme, die er dort gefunden, nach Flo- renz zurückgekehrt war, erhielt er einen Brief von Cigoli aus Rom 1. Juli 161 12), worin derselbe bemerkt: er glaube, dass Galilei in Florenz, wenn nicht mehr, so doch boshaf- tere Feinde habe als in Rom. Am 16. Dec. 161 1 3) schrieb derselbe: er habe von einem Galilei sehr freundlich gesinnten Pater gehört, eine Anzahl von Gegnern Galilei's versammele sich im Hause des Erzbischofs von Florenz er war ein Schüler Galilei's, Marzi-Medici, und berathe darüber, wie man Galilei auf Grund seiner Ansicht über die Bewegung der Erde oder anderer Ansichten angreifen könne; einer dieser Leute habe einen Ordensgeistlichen gebeten, auf der Kanzel von Galilei's „extravaganten" Meinungen zu sprechen, der Pater habe aber dieses Ansinnen abgelehnt4).

1) Wolynski p. 163. 2) VIII, 155. 3) VIII, 188.

4) A. v. Reumont sagt, Gesch. Toscana's I, 551 (unter Berufung auf Palermo, Orazio Ricasoli Rucellai p. 18): „In der Bibliotheca Palatina be- finden sich zahlreiche Briefe von Pisaner Professoren an die Grossherzogin, voll Anklagen gegen Galilei als Verderber so der Wissenschaft wie des Glaubens". Leider wird nicht angegeben, aus welcher Zeit diese Briefe stammen; da sie an die Grossherzogin gerichtet sind, wahrscheinlich aus der Zeit von 1621 1627, in welcher die Grossherzogin während der Minder- jährigkeit Ferdinands II. Regentin war. Dass Galilei in Pisa Gegner hatte, ergibt sich aus einer Aufzeichnung aus dem J. 1616 bei Targioni

78 Die Predigt Caccini's.

Galilei scheint auf diese Mittheilungen kein sonderliches Gewicht gelegt zu haben; er spricht noch in einem Briefe an den Fürsten Cesi vom 5. Jan. 16131) von seinen Geg- nern in Florenz, die sich unter einander als eine „Verbindung" (lega) bezeichneten, ganz geringschätzig. Ein dummer Schwätzer (goffo dicitore), berichtet er, habe sich in Aus- drücken des Abscheus über die Bewegung der Erde aus- gesprochen; derselbe wisse aber von dem Urheber dieser Lehre so wenig, dass er ihn Ipernico nenne. Dieser „dumme Schwätzer" war ein Mann, der in Galilei's Geschichte noch eine Rolle spielen sollte, der Dominicaner Niccolö Lo- rini in San Marco, dem Kloster Savonarola's, Professor der Kirchengeschichte an der Universität in Florenz2). Wir haben einen Brief von ihm an Galilei vom 5. Nov. 161 2 3), worin er sagt: Galilei werde sich überzeugt haben, dass das Gerücht, er werde am Allerseelentage gegen seine philoso- phischen Ansichten sprechen, grundlos gewesen sei; er ge- stehe aber, dass er einmal im Gespräche gesagt, und er wiederhole: „dass jene Meinung jenes Ipernico oder wie er heissen mag, der h. Schrift zu widersprechen scheine".

Der erste öffentliche Angriff auf Galilei erfolgte ein Jahr später durch einen andern Dominicaner, Thomas Caccini, der damals in Santa Maria Novella Vorträge über die h. Schrift hielt4) und, wie P. Grisar naiv sagt, „in bester Meinung den Streit [mit den Copernicanern] über die Bibel auf die Kanzel bringen zu sollen glaubte" 5). Als er später in Rom

I, 56. Vgl. Suppl. 92. Aus Padua schreibt Lorenzo Pignoria 20. Juni 1614 an Paolo Gualdo, der damals in Rom war: „Einige sagen hier, Galilei's neue Lehre sei gefährlich". Targioni I, 58. 1) VI, 196.

2) Niccolö Lorini del Monte, ein geborener Florentiner, war auch Hofprediger des Grossherzogs. Er starb 16 17. Ausser einer im J. 1585 gehaltenen Predigt ist von ihm zu Florenz 1617 erschienen: Elogii delle piü principali sante donne del sagro Calendario e Martirologio Romano. Qu6tif-Echard, Scriptores Ordinis Praedicatorum II, 406.

3) VIII, 241.

4) Auch Caccini war ein geborener Florentiner. Später, 1636, wurde er Professor der Theologie an der Universität zu Florenz; 1637 gab er eine Geschichte des Concils von Nicäa, 1639 den ersten Band einer Kirchenge- schichte (bis 202) heraus, beide italienisch. Er starb 12. Jan. 1648. Quetif- Echard II, 559.

5) S. 78. Grisar klagt: „der Vorgang werde gewöhnlich parteiisch allzu sehr zu Ungunsten Caccini's dargestellt, indem man nur die Berichte

Die Predigt Caccini's. 79

verhört wurde1), sagte er darüber selbst Folgendes aus: Er sei bei seinen biblischen Vorträgen am vierten Adventssonn- tage an die bekannte Stelle im 10. Capitel des Buches Jo- sue gekommen und habe, nachdem er die Stelle literaliter und spiritualiter interpretirt, Veranlassung genommen, mit der seinem Amte gebührenden Bescheidenheit die Meinung des Copernicus zu bekämpfen, von der damals in Florenz allgemein gesagt .worden sei, sie werde von Galilei gebilligt und gelehrt. Er habe gesagt, diese Meinung werde von sehr gewichtigen Schriftstellern als eine vom katholischen Glauben abweichende angesehen, weil sie vielen Stellen der h. Schrift widerspreche, die in dem von den h. Vätern übereinstimmend dargelegten Literalsinne das Gegentheil besagten, wie die Stellen Ps. 18, 6. 7; Eccl. 1, 4; Is. 38, 8 und die angeführte Stelle des Buches Josue; und um den Zuhörern zu zeigen, dass diese seine Lehre nicht ein Einfall von ihm sei, habe er die Erörterung des Nicolaus Serarius2) vorgelesen, welcher sage: die Ansicht des Copernicus widerspreche der gemein- samen Ansicht fast aller Philosophen, aller scholastischen Theologen und aller h. Väter, und beifüge, mit Rücksicht auf die angeführten Bibelstellen könne man jene Meinung nicht wohl anders als ketzerisch nennen. Nach dieser Er- örterung habe er noch bemerkt, es sei Niemand erlaubt, die h. Schrift im Widerspruche mit dem Sinne zu interpretiren, in welchem alle h. Väter übereinstimmten, weil dieses von dem Lateran- Concil unter Leo X. und von dem Trienter Concil verboten sei. Mit diesem Berichte Caccini's selbst steht gar nicht im Widerspruch, liefert aber eine charakte- ristische Vervollständigung desselben, was anderwärts be-

Galilei's und seiner Gönner, nicht aber die eidlichen Aussagen Caccini's benutze". Die eidlichen Aussagen Caccini's und Attavanti's sind oben voll- ständiger mitgetheilt als bei Grisar.

1) Acten S. 25.

2) In dem 1610 zu Mainz erschienenen Commentare dieses Jesuiten (f 1609; s. Hurter, Nomenciator I, 356) heisst es zu Jos. 10, 12: „Coperni- cus ist zwar sonst ein hervorragender und mit Recht gelobter Mathematiker; aber wie andere Hypothesen von ihm, so werden namentlich diese allgemein verworfen . . . Obschon er sein "Werk, um sich gegen jeden Tadel zu sichern, dem Papste Paul III. widmete, so können doch diese Hypothesen, wenn sie im Ernst als wahr behauptet werden, so viel ich sehe, von Ketzerei nicht frei sein (ab haeresi immunes). Denn immer schreibt die Bibel der Erde Ruhe, der Sonne und dem Monde Bewegung zu."

80 Die Predigt Caccini's.

richtet wird, Caccini habe, um gleich anzudeuten, wem sein Angriff gelte, zum Vorspruch die Worte genommen: Viri Galilaei, quid statis aspicientes in coeluvi Ihr Gali- lei'schen Männer,' was steht ihr da und seht den Himmel an1)?" und er habe gesagt, die Mathematik sei eine teuf- lische Kunst und die Mathematiker verdienten, als Urheber aller Ketzereien, aus allen Staaten vertrieben zu werden2). Dass Caccini's Predigt nicht so harmlos war, zeigt ein Brief seines Ordensgenossen Luigi Maraffi zu Rom3), der sich beklagt, dass man ihn für alle Eseleien (bestialita) ver- antwortlich machen wolle, welche 30—40,000 Mönche begehen könnten oder begingen; er wisse sehr wohl, fügt er bei, dass Caccini der rechte Mann dazu sei, sich von einem Andern zu einem dummen Streiche verleiten. zu lassen; aber für so dumm habe er ihn nicht gehalten; er habe freilich schon einmal zu Bologna sich eine ähnliche Ungehörigkeit auf der Kanzel zu Schulden kommen lassen und sei dann von dem damaligen Legaten, dem Cardinal Giustiniano, zu einem Wi- derruf genöthigt worden. Zur Charakteristik Caccini's ist noch die Aussage eines von Caccini namhaft gemachten, von der Inquisition vernommenen Zeugen nicht unwichtig. Der Mi- norist Gianozzi Attavanti, Pfarrer (plebanus) von Castel Fioren- tino, sagt aus4): er habe einmal mit dem Dominicaner Xime- nes, der ihm (ein Privatissimum über) die Casus conscientiae las, in dessen Zelle über die Bewegung der Sonne u. s. w. ge- sprochen; da sei Caccini aus seiner ganz nahe dabei liegen- den Zelle heraus und zu ihnen gekommen und habe gesagt, die Copernicanische Meinung sei eine ketzerische und er wolle das auf der Kanzel predigen. Das war schon im Juli oder August 16 14, also mehrere Monate vor der betreffen- den Predigt. Von anderen Dingen, welche Caccini als von Attavanti geäussert ausgesagt hatte, erklärt dieser: Caccini möge in seiner Zelle gehört haben, dass er mit Ximenes in

1) Apg. 1, 11. Targioni I, 58. 2) VIII, 341; II, 13.

3) VIII, 337. Maraffi war nicht General der Domicaner, wie Alberi und nach ihm Viele angeben; vgl. Gebier, Galilei S. 65. Die Echtheit des Briefes wird von dem Herausgeber der Schrift M. B. Olivieri's, Di Coper- nico e di Galileo (Bologna 1872) p. XVII, auf ganz nichtige Gründe hin angezweifelt. Maraffi wird auch VIII, 351. 367 erwähnt. Vgl. Govi, II S. Offizio, Copernico e Galileo, in den Atti della R. Accademia di Torino, Vol. VII (1871—72), p. 824. 4) Acten' S. 43.

Lorini's Denunciation. 81

dessen Zelle über solche Dinge gesprochen, und er möge ihn missverstanden haben; jedenfalls sei sein Bericht un- richtig.

Caccini selbst sagt in seinem Verhöre1) weiter: seine „liebevolle Ermahnung" (in der fraglichen Predigt) habe zwar vielen gebildeten und frommen Männern gefallen, gewissen Schülern Galilei's aber über die Massen missfallen; einige derselben hätten sogar den Domprediger, einen Jesuiten aus Neapel, bewegen wollen, gegen ihn zu predigen; er habe darum ,,aus Eifer für die Wahrheit" dem Inquisitor zu Flo- renz über seine Predigt Bericht erstattet und ihm gesagt, es werde gut sein, gewissen frechen Geistern, Schülern Gali- lei's, einen Zaum anzulegen. Der Inquisitor scheint auf diese Denunciation keinen Werth gelegt zu haben.

Bald nach Caccini's Predigt kam der Pater Lorini, von dem Galilei annimmt, dass er Caccini verhetzt habe, von Pisa nach Florenz zurück und brachte eine Abschrift des Briefes Galilei's an Castelli mit. Er zeigte diese Caccini und Anderen, und an dem Inhalte nahm man in diesen Kreisen grossen Anstoss2). Im Februar 1615 sandte dann Lorini diese Abschrift mit einer Denunciation nach Rom und gab dadurch Veranlassung zu dem ersten Inquisitionsprocesse gegen Galilei. .

Grisar (S. 79) stellt dieses in seiner Weise folgender- massen dar: „Ein nicht mehr einzudämmender Sturm seitens der Getroffenen war die Folge dieser Predigt. Darum griffen die Bewohner des Dominicanerklosters zu einem Mittel des klaren öffentlichen Beweises ihres Rechtes. Als solches aber bot sich nach ihrem Dafürhalten das oben gedachte, in Ab- schriften circulirende Schreiben Galilei's an Castelli dar; denn darin schien der h. Schrift offenbar Gewalt zu ge- schehen. Man sendete also das Schriftstück vom Convent San Marco aus an den Präfecten der römischen Index-Con- gregation .... Lorini, der dieses Geschäft auf sich nahm, klagt zugleich in einem beifolgenden Briefe das Galilei'sche Schreiben ausser der Copernicanischen noch verschiedener anderer gefährlicher Lehren an3)."

1) Acten S. 26. 28. 2) II, 14. Acten S. 27.

3) Scartazzini, Unsere Zeit 1877, I, 498 stellt die Sache ganz unrich- tig so dar: „Am 7. Febr. 1615 denuncirte . . . Lorini Galilei bei dem römi- Reusch, Galilei. 6

82 Lorini's Denunciation.

In den Acten der Inquisition wird Galilei, wie wir (S. 29) gesehen, schon unter dem 17. Mai 161 1 einmal er- wähnt. In den Vaticanischen Acten ist Lorini's Denuncia- tion das älteste Stück. Sie war datirt vom 7. Febr. 16 15 und adressirt an den Cardinal vom Titel der h. Caecilia, Paolo Emilio Sfondrati, den Präfecten der Index -Congregation1). Lorini sagt darin: Er erfülle eine Pflicht, die jedem guten Christen obliege, ganz besonders aber allen Brüdern vom h. Dominicus, welche von ihrem Stifter als die schwarzen und weissen Hunde des h. Officiums bestellt seien2), eine Pflicht, welche vornehmlich allen Theologen und Predigern obliege, indem er eine ihm in die Hände gefallene, unter den „Galileisten" circulirende Schrift übersende, worin nach dem Urtheile aller Patres von San Marco viele verdächtige oder verwegene Sätze enthalten seien. Die Galileisten, fügt er bei, wollten die h. Schrift nach ihrer Weise und im Wi- derspruch mit der übereinstimmenden Auslegung der h. Väter erklären und eine Meinung vertheidigen, welche der Bibel durchaus zu widersprechen scheine. Sie sprächen auch, wie er höre, mit wenig Ehrfurcht von den alten h. Vätern und von dem h. Thomas, träten die ganze Philosophie des Aristoteles, von der doch die scholastische Theologie einen so ausgedehnten Gebrauch mache, mit Füssen und sagten, um als schöne Geister zu erscheinen, tausend unge- hörige Dinge. Er versichert, dass er die Galileisten für Ehrenmänner und gute Christen halte, aber für ein wenig

sehen Inquisitionstribunal. Dasselbe hatte inzwischen den kühnen Forscher keineswegs aus den Augen verloren. Es hatte sich einer Abschrift des erwähnten Briefes an Castelli bemächtigt und dem Consultore del S. Officio zur Begutachtung übergeben" u. s. w.

1) Aus den Acten (S. 13) ist das Datum nicht mehr zu ersehen, da der Schluss des Briefes nicht erhalten ist; es ergibt sich aber aus der Auf- zeichnung, die Gherardi unter No. II. veröffentlicht hat. Dass der „Cardi- nal von St. Caecilia" Paolo Emilio (oder Camillo) Sfondrati war (1590 von seinem Oheim Gregor XIV. zum Cardinal ernannt, f 14. Febr. 1618; s. Cia- conius IV, 224), hat zuerst Grisar S. 79 bemerkt.

2) Auf einem Bilde in Santa Maria Novella in Florenz sitzen der Papst und der Kaiser zusammen, umgeben von ihren Beamten. Die Gläubi- gen sind dargestellt als eine vor ihnen weidende Heerde ; diese wird von Wölfen, den Ketzern, angegriffen; diese aber werden von einem Rudel schwarz und weiss gefleckter Hunde abgewehrt. Das sind die Domini canes. Vgl. W. Arthur, The Pope etc. 1877, I, 360.

Lorini's Denunciation. 83

naseweis nnd hartnäckig* in ihren Meinungen , und dass er zu diesem Schritte nur von heiligem Eifer getrieben sei. Er bittet schliesslich den Cardinal, seinen Brief, nicht auch das eingesandte Schriftstück (den Brief an Castelli), ge- heim zu halten und ihn nicht als eine gerichtliche Aussage, sondern nur als eine freundschaftliche Mittheilung anzu- sehen. — Wenn Lorini beifügt, das eingesandte Schriftstück sei durch eine oder zwei Predigten Caccini's über das 10. Capitel des Buches Josue veranlasst, so ist das ein Irrthum, der ganz unbegreiflich ist, da Galilei's Brief auch in Lori- ni's Abschrift vom 21. Dec. 16 13 datirt ist, während Caccini erst im December 16 14 seine Predigt gehalten hatte.

Ob wirklich Jeder, „welcher dieses private Denuncia- tionsschreiben ohne Voreingenommenheit durchliest*', wie Grisar S. 79 versichert, „darin nur die Sprache eines um Wohl und Wehe der Kirche aufrichtig besorgten Gemüthes erkennen wird", mag dahin gestellt bleiben1). Ganz richtig aber fügt er bei, „diese rein vertrauliche Anzeige Lorini's habe ohne Zweifel der Inquisition eine Basis für Massnahmen gegen den Gelehrten in Florenz darbieten können. Die Natur dieses Gerichtshofes, der ja gerade von seinem Vor- gehen ohne formellen Ankläger, von dem selbständigen Auf- suchen der Schuldbeweise den Namen führte, gab dem Tri- bunale dazu die Berechtigung. Das Kirchenrecht legt dem Inquisitor sogar auf, quasi denuntiante fama vel deferente clamore [also auf blosse Gerüchte hin] die nothwendigen Amtshandlungen einzuleiten". Wenn Grisar beifügt: „Die religiöse Tragweite* der Entzweiung, die in Italien herrschte, gesellte zu dem Rechte die Verpflichtung", so ist dabei das „Herrschen der Entzweiung (zwischen Copernicanern und

1) Weniger Sympathie als Grisar hat für Lorini sein Ordensgenosse Schneemann. Er sagt S. 119: ,, Lorini war ein blinder Eiferer, weicherauch den albernsten Klatsch glaubte und so dahin kam, die Jesuiten zu verdächti- gen, dass sie den Florentinischen Damen auf deren Villen brieflich die Absolution ertheilten. Diese Patres ruhten aber nicht eher, als bis ihr guter Ruf wieder hergestellt war. Ueber den unerquicklichen Streit berichtet aus- führlich die bis jetzt noch nicht edirte Historia controversiarum, quae inter quosdam e S. Praedicatorum Ordine et S. J. agitatae sunt ab a. 1548 usque ad 161 2, sex libris explicata a Petro Possino ex eadem Societate (Bibliothe- que royale de Bruxelles, 4 cc. 10).

84 Lorini's Denunciation.

Anticopernicanern) in Italien" und die „religiöse Tragweite" derselben stark übertrieben.

Der Cardinal Sfondrati zögerte nicht, Lorini's Denun- ciation an die richtige Adresse zu befördern. Schon am 25. Febr. 161 5 beschloss die Inquisition, den Erzbischof und den Inquisitor zu Pisa zu beauftragen,, sie möchten sich das Original des Galilei'schen Briefes an Castelli zu verschaffen suchen1). Dieses gelang aber nicht. Der Erzbischof war zwar schlau genug, als er Castelli nach dem Briefe fragte, den Schein anzunehmen, als wolle er ihn nur aus Neugierde 1 und freundlichem Interesse sehen; aber Castelli antwortete, offenbar wahrheitsgemäss, er habe ihn Galilei zurückge- schickt, er wolle sich ihn aber von diesem zurückerbitten2). Er that dieses auch, sogar zweimal 3J ; aber Galilei war klug genug, Castelli nur eine Abschrift zu schicken, mit der Wei- sung, diese nicht aus der Hand zu geben, so dass Castelli den Brief dem Erzbischof nur vorlas, und dieser in die pein- liche Lage kam, ihn, wenn auch nur ,,mit wenigen und trockenen Worten", loben zu müssen4). Uebrigens hatte Galilei selbst im Februar 161 5 eine Abschrift des Briefes an Monsignor Dini in Rom geschickt und dieser hatte dem Cardinal Bellarmin und vielen Anderen Abschriften gegeben5). Von diesen Abschriften erhielt aber die Inquisition keine amtliche Kenntniss.

Der Brief Galilei's wurde im Auftrage der Inquisition von einem Consultor geprüft. Sein Gutachten befindet sich, ohne Unterschrift und Datum, bei den Acten6). Der Consul-

1) Gherardi No. II; Acten S. 22; s. o. S. 73.

2) Acten S. 22; vgl. Castelli's Brief an Galilei vom 12. März 16 15, VIII, 358. 3) VIII, 365.

4) VIII, 369. In den Acten S. 37 wird noch notirt: der Inquisitor von Belluno habe unter dem 24. Juli 16 15 geschrieben: er habe weder das Original noch eine Abschrift der Schrift Galilei's; er habe nur von dem amtlich vernommenen Zeugen gehört, der Decan von Belluno habe ihm eine Schrift vorgelesen, von der er gesagt, er habe sie von Galilei.

5) S. o. S. 43.

6) Acten S. 10. Die Bedenken Wohlwills, Ist Gal. gef. worden? S. 125. 151, gegen die Echtheit dieses Stückes stützen sich wesentlich auf den sehr ungenauen Abdruck desselben bei Berti. Vgl. Gebier, Gegenwart 1878, No. 19, S. 295. Wohlwill hält freilich noch G. G. A. 1878, 665 die An- sicht fest, das Stück sei erst nach 1846 (durch Marini) in die Acten ge- kommen. Ebenso Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 440. Da das Gutachten

Caccini's Verhör. 85

tor findet drei Stellen des Briefes anstössig (male sonantiaj, gibt aber wenigstens von zweien derselben zu, sie könnten auch so verstanden werden, dass sie unbedenklich seien. ,,Im Uebrigen, sagt er, weiche der Verfasser, wenn er auch mitunter ungeeignete Worte gebrauche, von den Pfaden der katholischen Redeweise nicht ab". „Ueber den Vor- trag der Copernicanischen Lehre als Wahrheit, fügt Grisar S. 80 bei, und die bezügliche Accommodation der- Bibel- stellen ging der Censor mit freiem, weitem Blicke hinweg".

Von weiteren Verhandlungen der Inquisition über Ga- lilei's Brief berichten die Processacten nichts. Erst in dem nach Beendigung des zweiten Processes gefällten Urtheil vom 22. Juni 1633 wird wieder auf den Brief Bezug genommen und gesagt: Galilei habe darin, den Hypothesen des Coper- nicus folgend, einige Sätze im Widerspruche mit dem wahren Sinne und der Autorität der h. Schrift vorgetragen.

Als zweiter Denunciant gegen Galilei trat Caccini auf, der jetzt im Kloster Santa Maria sopra Minerva in Rom wohnte. Er hatte mit dem Cardinal von Araceli, dem Do- minicaner Augustin Galamini1), über die Vorgänge in Flo- renz gesprochen und dabei geäussert, er wünsche über die Irrthümer Galilei's „zur Entlastung seines Gewissens" eine gerichtliche Aussage zu machen. Der Cardinal berichtete dieses in der Sitzung der Inquisition vom 19. März, und es wurde darauf beschlossen, Caccini vernehmen zu lassen. Dieser wurde dann schon am 20. von dem Cardinal aufge- fordert, sich vor dem Commissar der Inquisition zu stellen2).

In dem Verhöre trug Caccini zunächst den bereits (S. 79)

für den Process von keiner Bedeutung ist, gehe ich auf die Frage nach seiner Echtheit nicht ein.

1) Galamini war früher Magister Sacri Palatii, dann General der Domini- caner; Cardinal wurde er 17. Aug. 161 1. Er starb 1639. Ciaconius IV, 428.

2) Gherardi No. III: Feria V. die 19. Martii 1615. C(irca) Galilaeum Galilei Professorem Mathematicae morantem Florentiae Sanctissimus ordi- navit examinari Fr. Thomam Caccinum, quem Illustrissimus D. Cardinalis Ara-Coeli dixit esse informatum de erroribus dicti Galilaei et cuper e Mos per exonerationem conscientiae deponere. Acten S 24. 25. Wohlwill, Zts. f. Math. 1872, L.-Z. 30. sagt: „Man sieht bei diesen Worten den leib- haftigen Pater Caccini, den ruchlosesten unter Galilei's Feinden, vor Augen, der »zur Entlastung seines Gewissens« verlangt, Galilei des Atheismus ver- dächtig zu erklären." Das ist stark übertrieben. „Pro exoneratione (pro- priae) conscientiae, per isgravio della propria coscienza" (Sacro Arsenale p.

86 Caccini's Verhör.

erwähnten Bericht über seine Predigt vor und „deponirte" dann weiter: dem öffentlichen Gerüchte zufojge halte Galilei die zwei Sätze fest : die Erde bewegt sich und die Sonne ist unbeweglich, Sätze, die nach seinem Wissen und Gewissen der h. Schrift, wie sie von den h. Vätern ausgelegt werde, und darum auch dem Glauben widersprächen, der Lehre, dass man alles für wahr halten müsse, was in der h. Schrift stehe. Er sagte ferner noch: er habe gehört, dass einige Schüler Galilei's behauptet hätten: Gott sei keine Substanz, sondern ein Accidens ; Gott sei sensitiv, weil in ihm gött- liche Sinne seien1); die Wunder, die man von den Heiligen er- zähle, seien keine wahren Wunder. (Näheres über die bei- den ersten, im Process nicht weiter berücksichtigten Anklagen s. in den Acten S. 40. 45; die dritte wird durch die Zeugen gar nicht bestätigt, Acten S. 41. 45.) Auf Befragen erklärte er weiter: er kenne selbst Galilei nur von Ansehen, in Florenz werde er von Vielen für einen guten Katholiken gehalten, von Anderen für verdächtig in Sachen des Glaubens, zumal er mit dem berüchtigten Serviten Fra Paolo [Sarpi] in Venedig sehr befreundet sein und in Briefwechsel stehen solle; letz- teres habe ihm Lorini gesagt. (Galilei stand wirklich mit Sarpi, der sich ja auch mit mathematischen und physi- kalischen Dingen viel befasste, in freundschaftlichen Be- ziehungen und in Briefwechsel; die uns erhaltenen Briefe sind aber ganz unverfänglichen Inhalts2).) Ein Vetter des Dominicaners Ximenes habe ihm ferner erzählt, als Galilei einmal zu Rom gewesen [161 1], sei ihm bedeutet worden, das h. Officium suche Hand an ihn zu legen, und darum habe er sich fort gemacht. (Allem Anscheine nach ein ganz

33- 34) ist der technische Ausdruck, den die Denuncianten und Zeugen ge- brauchen, um zu versichern, dass sie nicht aus Hass oder dergleichen aus- sagen. Vgl. Sacro Arsenale p. 35: Interrogatus super generalibus: An ea, quae dixit, odio vel amore ductus deposuerit, aut ad exonerandam conscien- tiam et Dei honorem et gloriam etc. Grisar sagt S. 80 ungenau: „Weil Lorini in der Anzeige sich auf Caccini und dessen Predigt berufen hatte, wurde dieser am 20. März vernommen." In dem Protocoll heisst es aus- drücklich, Caccini sei sponte vor dem Commissar erschienen.

1) Bei Scartazzini a. a. O. S. 498: „dass Gott kein selbständiges Wesen, sondern ein Zufall, dass er empfindsam sei" (!).

2) VI, 24. 141; VIII, 29. 52; vgl. 135. Suppl. 316. Griselini, Memo- rie di P. Sarpi, 1760, p. 163.

Caccini's Verhör. 87

grundloses Gerede.) Caccini erwähnte auch noch Galilei's Schrift über die Sonnenflecken, in welcher er die Lehre von der Bewegung der Erde gelesen habe und aus welcher sich ergebe, dass er zu den Mitgliedern einer Akademie gehöre, die sich Lincei nannten, und dass er mit Leuten in Deutsch- land correspondire.

Eine Abschrift des Protocolls über das Verhör Caccini's wurde gemäss einem in der Sitzung der Inquisition vom 2. April gefassten Beschlüsse1) an die Inquisitoren zu Florenz gesandt, um zwei von Caccini namhaft gemachte Zeugen, den Dominicaner Ferdinando Ximenes und den früher (S. 80) erwähnten Attavanti, zu vernehmen. Es gelang erst am 13. Nov. 161 5, der beiden Zeugen habhaft zu werden. Das Er- gebniss des Verhöres scheint der Inquisition nicht als ge- nügende Bestätigung der von Caccini, abgesehen von der Copernicanischen Lehre, vorgebrachten Anklagen erschienen zu sein; es ist von diesen in den Processacten nicht weiter mehr die Rede. Da aber, wie von Caccini, so auch von Attavanti auf Galilei's Schrift über die Sonnenflecken hin- gewiesen wurde, so beschloss die Inquisition am 25. Nov. 16 15, diese Schrift in Untersuchung zu nehmen2).

Das Jahr 161 5 ging zu Ende, ohne dass der Process zur Entscheidung kam. Ehe ich über den Schlussact des- selben berichte, müssen wir einen Blick auf Galilei's Brief- wechsel im Jahre 1615 werfen. Leider sind manche Briefe Galilei's aus dieser Zeit nicht erhalten, vom 23. März bis 12. Dec. 1615 keiner, und von den Briefen seiner Freunde fehlen fast alle, die zwischen dem 20. Juni 1615 und dem 1. Juni 16 16 geschrieben sind3). Wahrscheinlich sind diese

1) Gherardi No. IV; Acten S. 31. Da der Inquisitor berichtete, Xi- menes sei in Mailand, wurde am 28. Mai der dortige Inquisitor mit der Vernehmung beauftragt (S. 31. 35). Da er auch dort nicht zu finden war, wurde am 4. Nov. aufs neue der Inquisitor zu Florenz beauftragt (S. 39). Das Verhör beider Zeugen s. Acten S. 40.

2) Gherardi No. V: Feria IV. die 25. 9 bris 1615. C(irca) Galilaeum Galilei Mathematicum lecta depositione F. Ferdinandi Ximenes Ord. Praed.

facta coram Inquisitore Florentiae die 3. [13. ~\ 9 bris, decretum, ut videan- tur quaedam literae dicti Galilaei impressae Rotnae cum inscriptione „delle macchie solari". Acten S. 47. Nicht Ximenes, sondern der an demselben Tage vernommene Attavanti (S. 44) hatte die Schrift erwähnt.

3) Vgl. VI, 211; VIII, 339. 380. Suppl. 107 sind zwei Briefe von G. F. Sagredo vom II. März und 23. April 1616 abgedruckt.

88 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.

Briefe schon zu Galilei's Lebzeiten aus Vorsicht vernichtet worden ').

VIII. Galilei's Briefwechsel im Jahre 1615.

Als Caccini in Florenz öffentlich gegen Galilei aufge- treten war, vermuthete dieser mit Recht, dass seine Geg- ner auch in Rom gegen ihn thätig sein und dahin streben würden, ihn persönlich als ketzerisch gesinnt zu verdäch- tigen und die kirchliche Verdammung der Copernicanischen Lehre herbeizuführen. Diesen Bestrebungen gegenüber glaubte er einerseits die persönlichen Angriffe seiner Gegner als unberechtigt und böswillig erweisen zu müssen und eine Zurechtweisung wenigstens Caccini's verlangen zu dürfen; anderseits musste ihm daran liegen, die Verurtheilung der Copernicanischen Lehre zu hintertreiben, und zu dem Ende hielt er, wie wir gesehen haben (S. 52), eine gründliche Prüfung dieser Lehre durch die Römischen Behörden für wünschenswerth.

Ueber Caccini's Predigt berichtete Galilei, ausser an den Dominicaner Maraffi (s. o. S. 80), auch in einem verloren gegangenen Briefe an den Fürsten Cesi, trug in diesem Briefe aber auch weiter gehende Wünsche vor. Die sehr interessante Antwort Cesi's ist, aus Vorsicht auf ein be- sonderes Blatt und von einer andern Hand geschrieben und ohne Unterschrift, einem Briefe vom 12. Jan. 16152) beigelegt. Was den Ausfall Caccini's gegen die Mathematik und die Mathematiker betreffe, heisst es darin, so könnten die beiden Professoren der Mathematik an den toscanischen Universitäten zu Florenz und Pisa gegen den Dominicaner bei seinen Oberen Klage führen, auch die anderen Mathe- matiker in Italien, namentlich in Rom, Lärm machen ; Galilei selbst aber möge sich an diesen Schritten nicht betheiligen. Es könnten auch andere Prediger, am besten aus Caccini's eigenem Orden, bei einer passenden Gelegenheit die mathe-

1) Vgl. Wohlwill, Ist Gal. gefoltert worden? S. 35.

2) VIII, 340.

Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 89

matische Wissenschaft loben und „die neuen Entdeckungen, die Gott unserm Jahrhundert geschenkt, sowie die schönen Arbeiten, welche zur Ehre Gottes bei der Erforschung sei- ner wunderbaren Werke Ptolemäus, Copernicus u. s. w. unter- nommen;" dabei dürfe aber die Bewegung der Erde nicht erwähnt werden. Auch in der Klage gegen Caccini dürfe von der Copernicanischen Lehre nicht gesprochen werden. Dann werde diese Klage, wenn sie nach Rom komme, in der Congregation der* Bischöfe und Ordensgeistlichen zur Verhandlung kommen, in welcher nicht viele Gönner des Delinquenten seien , während , wenn Copernicus erwähnt werde, die Sache an eine andere Congregation gebracht werden könne, welche zu untersuchen haben werde, ob dessen Lehre geduldet werden dürfe; und dann könnte es den Gönnern Caccini's leicht gelingen, Copernicus auf den Index zu bringen, da die Peripatetiker in Rom sehr zahl- reich und einflussreich seien. „Was die Meinung des Coper- nicus betrifft, sagt Cesi gleich im Anfang des Briefes, so hat Bellarmin selbst, welcher eins der hervorragendsten Mitglieder der Congregation ist, in welcher diese Dinge verhandelt werden, mir gesagt, er halte sie für häretisch, und die Bewegung der Erde sei ohne allen Zweifel gegen die Bibel. Darum seien Sie vorsichtig fdi?7iodoche V. S. vedaj! Ich habe immer gefürchtet, dass die Index-Congre- gation, wenn sie auf Ihr Betreiben über Copernicus be- rathen würde, ihn verbieten möchte." Dieses sei vielleicht weniger zu fürchten, sagt er später, wenn die Meinung des Copernicus einmal von irgend Jemand ,,mit Gründen, die in der Theologie approbirt seien, geprüft und mit der h. Schrift in Einklang gebracht worden sei. Gleichwohl, fügt er bei, müssen Sie wissen, dass das Verbieten oder Suspendiren eines Buches die leichteste Sache von der Welt ist und auch im Falle des Zweifels geschieht. Auch Telesio und Patricio l) sind verboten, und wenn man keine anderen Gründe zur Hand hat, so fehlt doch dieser Grund nie, dass es schon mehr als genug gute und sichere Bücher gebe, mehr als man lesen

1) Bernardino Telesio, geb. 1508, gest. 1580 zu Cosenza, Francesco Patricio, geb. 1529, gest. 1597 zu Rom, philosophische Schriftsteller, Gegner des Aristotelismus; s. Stöckl, Gesch. der Philos. des M.-A., 1866, III, 180. 329. Beckmann, 3. Art. S. 411.

90 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.

könne; und die dem Aristoteles widersprechenden Bücher sind die verhasstesten."

Ausser dem Fürsten Cesi sind es namentlich Monsig- nor Dini und Ciampoli, welche Galilei in den ersten Mo- naten des Jahres 16 15 von Rom aus berichteten. Beide glaubten nicht nur seine Besorgnisse bezüglich der gegen ihn persönlich gerichteten Angriffe als unbegründet bezeich- nen zu dürfen, sondern theilten auch nicht seine Befürchtung, das Buch und die Lehre des Copernicus mög-e verdammt werden. Aber Beide erhoben auch wie Cesi gegen seinen Wunsch, die Lehre des Copernicus möge eingehend geprüft werden, Bedenken.

In dem schon (S. 54) erwähnten Briefe an Dini vom 16. Febr. 16151) sagt Galilei: die Dominicaner hätten verlauten lassen, sie hofften die Verurtheilung des Buches und der Lehre des Copernicus durchzusetzen ; es sei ihnen und denen, die sie aufgehetzt, dabei aber wesentlich darum zu thun, ihn zu kränken und zu demüthigen. „Gewisse, mir übel- wollende Leute haben den guten Patres eingeredet, die fragliche Meinung sei mein Werk, und ihnen nicht gesagt, dass dieselbe schon vor 70 Jahren gedruckt worden ist. In derselben Weise verfahren sie bei Anderen, die sie gegen mich verhetzen wollen, und das gelingt ihnen so gut, dass der Bischof Gherardini von Fiesole, der vor einigen Tagen hier angekommen ist, ganz öffentlich in Gegenwart einiger meiner Freunde sehr heftig gegen mich losgefahren ist und gesagt hat, er werde Ihren Hoheiten ernste Vor- stellungen machen, da man über meine extravagante und irrige Meinung in Rom genug zu sagen haben werde. Viel- leicht hat er jetzt schon seine Schuldigkeit gethan, wenn man ihn nicht dadurch zurückgehalten hat, dass man ihm in ge- eigneter Weise begreiflich gemacht, dass der Urheber jener Meinung nicht ein lebender Florentiner, sondern ein todter Deutscher ist, der sein Buch vor 70 Jahren hat drucken lassen und es dem Papste gewidmet hat." Er zeigt dann weiter, wie wir gesehen haben, wie bedenklich es sein würde, die Lehre des Copernicus zu verdammen, wie nöthig es sei, die- selbe zuvor sorgfältig zu prüfen, legt den Brief an Castelli bei und verspricht demnächst den Brief an die Grossherzogin Christina zu schicken. Er bittet Dini, mit den Jesuiten, „als

1) n, 13.

Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 91

denjenigen, welche viel mehr wissen als die gewöhnlichen Mönche", über die Sache zu sprechen, insbesondere dem Pater Griemberger, ,, einem ausgezeichneten Mathematiker und meinem grossen Freunde und Gönner", den Brief an Castelli zu zeigen oder ihm eine Abschrift davon zu ge- ben, mit der Bitte, sie, wenn er es für gut halte, dem Car- dinal Bellarmin zukommen zu lassen. Es sei vielleicht gut, auch Luca Valerio eine Abschrift zu geben, da dieser zu dem Hause des Cardinais Aldobrandino gehöre und viel- leicht auch bei dem Papste Dienste leisten könne.

Dini antwortete am 7. März1): er habe viele Abschrif- ten des Briefes an Castelli anfertigen lassen und vertheilt, unter anderm an Pater Griemberger und den Cardinal Bel- larmin. „Mit diesem, berichtet er weiter, habe ich ausführ- lich über die Dinge gesprochen, von denen Sie schreiben; er versicherte mir, er habe davon gar nicht mehr reden hören, seit Sie mit ihm darüber gesprochen. "Was den Copernicus angeht, so sagt er, er könne nicht glauben, dass er werde verboten werden; das Schlimmste, was ge- schehen könne, werde sein, dass man eine Note beifüge, in welcher erklärt werde, die Theorie, des Copernicus habe nur den Zweck, die Erscheinungen besser zu erklären, also einen ähnlichen Zweck wie die Annahme von Epicyklen ; mit diesem Vorbehalt könnten auch Sie bei jeder Gelegenheit von diesen Dingen reden. Die schlimmste Feindin der neuen Theorie in der Bibel sei die Stelle: »sie (die Sonne) freut sich wie ein Held, zu laufen den Weg« u. s. w., da diese Stelle bisher von allen Erklärern von der Bewegung der Sonne verstanden werde. Als ich erwiederte, auch diese Stelle könne man durch Hinweisung auf die gewöhn- liche Ausdrucksweise erklären, wurde mir geantwortet: das sei keine Sache, über die man so leicht hinweggehen dürfe. Es ist aber auch keine Sache, worüber man sich zu ereifern und bei der man irgend eine Meinung verdammen dürfte2).

1) VIII, 354.

2) So werden wohl die Worte: „mi fu risposto non esser cosa da correrla, si come non e da corrersi a furia ne anche a dannare qualsivo- glia dt queste opinioni" zu übersetzen sein; jedenfalls ist nicht mit P. Schnee- mann S. 259 zu deuten: „Bellarmin sagte ärgerlich: Es sei keine Sache, die übereilt werden dürfe, auch solle man weder wüthend herumlaufen noch irgend eines dieser Systeme verdammen. Offenbar war er mit seinen Colle-

92 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.

Wenn Sie in der fraglichen Schrift [dem Briefe an die Grossherzogin] die Deutungen der betreffenden Bibelstellen zusammengestellt haben werden, wird der Cardinal gern davon Einsicht nehmen, und da ich weiss, dass Sie nicht vergessen werden, dabei zu erklären, dass Sie sich den Ent- scheidungen der h. Kirche unterwerfen, wie Sie das mir und Anderen erklärt haben, so kann Ihnen das nur von grossem Nutzen sein. Da mir der Cardinal sagte, er habe den Pater Griemberger rufen lassen, um mit ihm über die Sache zu sprechen, so habe ich heute diesen aufgesucht, von ihm aber ausser dem Gesagten nichts von Bedeutung gehört. Nur äusserte er: er hätte es gern gesehen, wenn Sie zuerst' Ihre Beweise vorgetragen und dann von der Bibel gespro- chen hätten. Ich antwortete ihm : wenn Sie so verfahren wären, so hätte es ja scheinen können, als ob Sie Ihren Beweisen den ersten Platz anwiesen und dann erst an die h. Schrift dächten. Was Ihre Argumente angeht, so meint der Pater, sie seien wohl mehr plausibel als wahr, da ihm eine andere Stelle der h. Schrift Furcht einflösst."

Am 14. März1) schrieb Dini weiter: „Ich habe auch mit dem Cardinal (Maffeo) Barberini gesprochen, auch dieser hatte eine Abschrift des Briefes an Castelli erhalten; er hat mir dasselbe gesagt, was ich Ihnen schon gesagt habe: Sie sollten vorsichtig und als Professor der Mathe- matik sprechen. Er versicherte mir, er habe gar nicht von Ihrer Angelegenheit reden hören; und doch kommen in seiner Congregation oder in der Bellarmin's solche Sachen zuerst zur Verhandlung." In Wirklichkeit war, wie wir gesehen haben, schon mehr als vierzehn Tage vorher, am 25. Februar, Lorini's Denunciation in der Congregation der Inquisition zur Verhandlung gekommen. Er wolle auch noch mit dem Cardinal del Monte sprechen, fügte Dini bei, werde jetzt aber die Sache etwas ruhiger betreiben, da er sie nicht mehr als so gefahrlich ansehe wie Anfangs.

In dem Briefe vom 2$. März2) weist Galilei Dini nach: wenn man sagen wollte, Copernicus habe seine Theorie nur

gen ungehalten über »das wüthende Herumlaufen«, die Agitation Galilei's für das Copernicanische System und dessen anmassliches Schrifterklären, wo- durch derselbe sich öffentlich, ohne Autorisation, als Theologe geberdete." 1) VIII, 360. 2) II, 18.

Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 93

vorgetragen, um die Erscheinungen zu erklären, und sie nicht für wahr gehalten, so würde das unrichtig sein; man müsse also sein Buch entweder ganz verdammen oder frei lassen. Er spricht sich dann über die Bemerkung des Pater Griemberger aus (s. o. S. 56), sowie über die von Bellarmin erwähnte Psalmenstelle. Dini antwortete am 2. Mai1): ,,Cesi ist der Ansicht, ich solle Ihren Brief jener Persönlichkeit [offenbar Bellarmin] nicht zeigen; da dieser und viele andere hochgestellte Männer strenge Peripatetiker seien, so sei zu fürchten, dass man sie bezüglich eines Punktes reize, der schon gewonnen sei, nämlich dass man als Mathematiker hypothetisch schreiben [die Bewegung der Erde u. s. w. lehren] könne, wie nach ihrer Ansicht Copernicus gethan. Letzteres geben zwar die Anhänger des Copernicus nicht zu; die Anderen aber glauben es, und das hat ja dieselbe Wirkung, dass sie nämlich frei schreiben lassen, vorausge- setzt, dass man nicht, wie man es ausgedrückt hat, in die Sacristei eindringe." Am 16. Mai schreibt Dini2): „Was den Copernicus angeht, so zweifelt man jetzt nicht mehr daran, [dass er nicht verboten werden wird]. Was Ihre Meinung angeht, so ist jetzt nicht die Zeit, die Richter durch Beweise aufklären zu wollen, sondern zu schweigen und sich mit guten und triftigen biblischen und mathemati- schen Gründen auszurüsten, um sie seiner Zeit mit besserm Erfolg vorzubringen. Es wird gut sein, dass Sie Ihre Schrift [das Schreiben an Christina von Lothringen] vollenden. . . Die Erklärung über die Sonne [die Erörterung über die Psalmenstelle in Galilei's Brief vom 23. März] zeige ich nur solchen, die auf Ihrer Seite stehen, weil ich nicht glaube, dass jetzt der Beweis, dass die Erde sich bewegt, eine gute Aufnahme finden würde." Dini fügt bei, wie er höre, seien viele Jesuiten heimlich derselben Ansicht wie Galilei, wenn sie auch schwiegen. (Cesi nennt in einem Briefe vom 7. März den Jesuiten Torquato de Cuppis als einen Anhän- ger Galilei's.)

Die Briefe, welche Galilei in den ersten Monaten des Jahres 16 15 an Ciampoli schrieb, sind nicht erhalten. Aus dessen Antworten ist Folgendes zu erwähnen. Am 28. Febr.3) schreibt er: „Ich habe bis jetzt unter den Prälaten oder

1) VIII, 374. 2) VIII, 376. 3) VIII, 351

94 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.

Cardinal en, welche von solchen Dingen etwas zu wissen pflegen, noch keinen gefunden, der von jenen argen Scheuss- lichkeiten (grandtsstme orribüita, den Angriffen Caccini's u. s. w.) etwas gehört hätte. . . Der Pater Maraffi sagt mir, seine Mönche, die doch grosse Autorität haben [wegen ihres Verhältnisses zur Inquisition], dächten nicht daran und sprächen nicht davon. So halte ich es für möglich, dass jener, der nach Florenz berichtet hat, dieses zwar nicht aus Böswilligkeit gethan, aber vielleicht nur gehört hat, wie drei oder vier Leute im Gespräche den Schaden übertrieben haben, den die Predigt jenes Mönches anstiften könnte. . . Von jenen brausenden und tosenden Strömen, die man Ihnen vorgemalt hat, hört man hier nichts; sonst müsste ich, der ich doch an manchen Orten verkehre und nicht taub bin, auch etwas davon vernommen haben. Wir dürfen freilich das Acres esse viros cum dura proelia gente bei Din- gen nicht vergessen, bei welchen die Mönche keine Lust zu haben pflegen, den Kürzern zu ziehen; darum wird jene heilsame Formel von der Unterwerfung unter die heilige Mutter Kirche nie zu oft wiederholt. Ich weiss, Sie haben das immer nicht nur im Herzen, sondern auch mündlich und schriftlich gethan ; aber meine grosse Liebe zu Ihnen macht, dass ich mich nicht enthalten kann, Sie daran zu erinnern, wiewohl mir das in meinem Alter eigentlich nicht zusteht. Der Cardinal Barberino, der, wie Sie aus Erfahrung wissen, stets Ihr Bewunderer gewesen ist, sagte mir noch gestern Abend, er halte es für rathsam, bei diesen Meinun- gen über die Gründe des Ptolemäus oder Copernicus oder über die Grenzen der Physik oder Mathematik nicht hin- auszugehen, da die Theologen behaupteten, die Erklärung der Bibel gehe sie an, und wenn etwas Neues, mag es auch sehr genial sein, vorgebracht wird, so ist nicht Jeder so leidenschaftlos, dass er die Sachen nehmen sollte, wie sie gesagt werden. Der Eine erweitert, der Andere ändert das Gesagte, und so wird das, was der erste Autor gesagt hat, wenn es Verbreitung findet, mitunter so umgestaltet, dass jener es nicht mehr als seine Ansicht anerkennen wird. Ich weiss, was ich sage: Sie sprechen von den Phänomenen des Lichtes und Schattens, von hellen und dunkelen Par- tieen und in diesem Sinne von einer Aehnlichkeit zwischen der Erde und dem Monde; ein Anderer geht weiter und

Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 95

sagt, Sie sprächen von Menschen, die auf dem Monde wohnten, und fängt nun an zu disputiren, wie diese von Adam abstammen oder aus der Arche Noe's gekommen sein könnten, und so kommt es zu allerlei Extravaganzen, an die Sie nie gedacht haben. So ist es, um der Böswillig- keit Anderer diesen Anlass zu entziehen, durchaus nöthig, oft von der Unterwerfung unter die Autorität derjenigen zu sprechen, welche bezüglich der Erklärung der Bibel Jurisdiction über die menschlichen Geister hciben."

In einem Briefe vom 21. März1) wiederholt Ciampoli, von den Angriffen auf Galilei werde in Rom kaum gespro- chen, und fügt dann bei: „Ich war heute Morgen mit Mon- signor Dini bei dem Cardinal del Monte (s. o. S. 92), der Sie sehr schätzt und liebt. Er sagte, er habe ein langes Gespräch mit dem Cardinal Bellarmin gehabt, und erklärte: wenn Sie von dem Copernicanischen System und seinen Beweisen handelten, ohne auf die Bibel einzugehen, deren Auslegung den mit öffentlicher Autorität bekleideten Pro- fessoren der Theologie vorbehalten sei, so sei keinerlei Ungelegenheit zu fürchten; aber man . werde schwerlich Bibeldeutungen zulassen, welche, so ingeniös sie auch sein möchten, so weit von der gemeinsamen Ansicht der Kirchen- väter abwichen. Kurz, es wurde so ziemlich das Nämliche gesagt, was ich Ihnen schon von Seiten des Cardinais Bar- berino mitgetheilt habe. Ich habe bis jetzt mit Niemand gesprochen, der es nicht für sehr ungehörig hielte, dass die Prediger auf den Kanzeln vor den Frauen und dem Volke, unter dem so Wenige sind, die etwas davon verstehen, von Dingen reden, die auf den Katheder gehören und so hoch sind." Am 28. März2) schrieb Ciampoli weiter: „Ich habe gestern mit Monsignor Dini Ihren sehr bescheidenen und geistvollen Brief über die Stelle in dem Psalm Coeli enarrant gelesen (s. o. S. 55). Was mich angeht, so weiss ich nicht, was man zusetzen könnte. Wir sind ganz klar darüber, dass von der [Copernicanischen] Meinung hier nur vier oder fünf Leute, die Ihnen nicht gewogen sind, gesprochen haben, und von diesen hat keiner mit dem Magister Sacri Palatii, sondern mit einem Pater, der mit diesem befreundet ist, ge-

:) Vin, 366. 2) VIII, 368.

96 Galilei's Briefwechsel im J. 1615.

sprochen ; das wurde mir von [Vincenzo di] Grazia l) selbst bestätigt. Darum ist es vielleicht gut, nicht viel von der Sache zu reden, wie auch der Fürst Cesi meint, damit es nicht scheint, als klage man sich an, indem man eine Ver- theidigung unternimmt, wo Niemand da ist, der angriffe."

Sehr erfreut waren Galilei's Freunde über das Erschei- nen der Schrift von Foscarini (s. o. S. 59), den sie auch, da er damals in Rom predigte, persönlich kennen lernten. Cesi schickte die Schrift am 7. März an Galilei mit dem Bemer- ken, sie komme gerade zur rechten Zeit 2). Ciampoli sprach zwar in einem Briefe vom 21. März3) die Befürchtung aus, die Schrift werde, da sie sich mit der Bibel beschäftige, in der nächsten Sitzung der Congregation des h. Officiums, die in einem Monat stattfinde, suspendirt werden. Aber am 28. März schrieb er4), Foscarini wolle eine neue vermehrte Auflage seiner Schrift erscheinen lassen, und am 2. Mai berichtete Dini5): Foscarini sei mit der Absicht abgereist, seine Schrift neu aufzulegen, und da er von Molino 6) prote- girt werde und in seinem Orden graduirt und als gelehrter Mann geachtet sei, werde er wohl in keine Verdriesslich- keiten gerathen. Castelli schrieb am 9. März von Pisa'aus7), Foscarini's Schrift habe auf den dortigen Erzbischof einen guten Eindruck gemacht.

Cesi schrieb am 20. Juni8) an Galilei, er habe dessen Abhandlung (ohne Zweifel den Brief an Christina) für Fos- carini erhalten, und fügte dann wieder auf einem beson- dern Blatte (s. o. S. 88) folgende Mittheilung bei: die Pre- digten und die Schrift Foscarini's hätten in Rom eine gute Wirkung gehabt, und seine und seiner Freunde Bemühungen seien nicht erfolglos gewesen. „Wir glauben jetzt sicher sein zu dürfen, dass weder der erste Autor [Copernicus], noch der Brief des Paters, noch die Meinung selbst, mit gebührender Vorsicht vorgetragen, irgend welche Gefahr

i) Es ist derselbe, der gegen Galilei's Abhandlung über die schwim- menden Körper geschrieben; s. o. S. 18.

2) VIII, 357. 3) VIII, 367. 4) VIII, 368.

5) VIII, 375-

6) Illustrissimo Molino wird wohl der Cardinal Millini (s. o. S. 70) sein. Die Cardinäle hiessen Illustrissimi et Reverendissimi, bis ihnen Urban VIII. im J. 1630 das Prädicat Eminentissimi et Reverendissimi beilegte.

7) VIII, 369. 8) VIII, 377-

Galilei's Briefwechsel im J. 1615. 97

laufen werden. Die jiöthige Vorsicht wird darin bestehen, dass Sie, bis der Pater seine Arbeit, welche ein langer la- teinischer Tractat sein wird, vollendet hat, schweigen und von der [Copernicanischen] Meinung nicht mehr reden und dass auch Andere nicht viel davon reden, um nicht in diesem Interim den Zorn der allmächtigen Peripatetiker zu reizen. Wenn Andere von der Meinung reden, müssen sie sagen, es handle sich nicht um die Wahrheit und Wirklichkeit, sondern, indem man diese dahingestellt sein lasse und dem Urtheile der Oberen anheimgebe, gebrauche man die Mei- nung nur ex hypothesi, um bequemer und einfacher alle Er- scheinungen zu erklären, wie schon der erste Autor gethan. Kurz, man muss nicht über die Wahrheit der Meinung strei- ten und sie nicht behaupten. Das Buch des Paters wird bald erscheinen und sehr gründlich sein, auch alle Einwen- dungen berücksichtigen, die ihm hier gemacht worden sind. Es wird sich auf so viele Stellen der h. Väter stützen, dass ich glaube, es wird genügen, die Sache abzumachen. . . Dann, wenn alle Schwierigkeiten beseitigt sind, wird die Meinung erlaubt und so genügend approbirt sein, dass Jeder, der will, sich frei zu ihr bekennen kann, wie zu andern rein physicalischen und mathematischen Ansichten. Es ist gut, ja nothwendig, dass diese Arbeit von einem Professor der Theologie und einem Ordensmanne veröffent- licht wird, der in seinem Orden so angesehen ist wie der Pater. Und da er sich beeilen wird, so können Sie mir alles schicken, was Sie ausgearbeitet haben oder was Ihnen zweckdienlich scheint. Das wird dem Pater lieb und nütz- lich sein."

Die lateinische Schrift Foscarini's ist nicht erschienen, und über die Verhandlungen der Inquisition und der Index- Congregation über seine italienische Schrift sind wir nicht unterrichtet. Die Kenntniss dieser Verhandlungen würde vielleicht auch über den ersten Galilei'schen Process noch einiges Licht verbreiten. Foscarini starb schon im J. 161 6 und ist darum wohl persönlich mit der Inquisition nicht in Berührung gekommen1).

1) Ein Zusammenhang Foscarini's mit der religiösen, reformatorischen Bewegung, deren Mittelpunkt um 1540 Neapel war (Schanz, Galilei S. 34), ist nicht nachzuweisen und nicht wahrscheinlich.

Reusen, Galilei. 7

98 Galilei in Rom 1615 und 1616.

Der Briefwechsel Galilei's mit seinen Freunden in den folgenden Monaten ist uns, wie gesagt, nicht erhalten. Im December 161 5 kam er aber selbst nach Rom, und über seinen Aufenthalt daselbst bis zum Ende des ersten Pro- cesses haben wir ziemlich reichhaltige Mittheilungen.

IX.

Galilei in feom, December 1615 bis Juni 1616.

Die Annahme, Galilei sei im December 1615 nach Rom citirt worden, um sich wegen der Vertheidigung der Coper- nicanischen Ansicht zu verantworten, ist irrig. Allerdings sagt Monsignor Querenghi in einem Briefe an den Cardinal Alexander von Este vom 1. Jan. 16161), Galilei's Reisenach Rom sei nicht, wie man geglaubt, eine ganz freiwillige, son- dern man wolle ihn Rechenschaft darüber ablegen lassen, wie er die der Bibel durchaus widersprechende Lehre von der Bewegung der Erde rechtfertigen könne; ganz ähnlich berichtet der Venetianische Gesandte unter dem 29. Febr. 16162), und der toscanische Gesandte Niccolini meldet am 11. Sept. 1632 3), der Magister SacriPalatii habe ihm gesagt: in den Büchern des h. Officiums habe man gefunden, dass man Galilei vor 16 Jahren habe nach Rom kommen lassen, und dass ihm von dem Cardinal Bellarmin amtlich verboten worden sei, die Copernicanische Meinung festzuhalten. Aber die Angabe Querenghi's und des Venetianischen Gesandten beruht ohne Zweifel auf einem blossen Gerüchte, welches man in Rom ausgestreut haben mochte, und Niccolini's An- gabe ist ungenau: in den Büchern der Inquisition ist aller-

1) VIII, 383. Es ist nicht, wie Schanz, Galilei S. 28 angibt, ein Brief des Card. Orsini an den Grossherzog; ein solcher steht unmittelbar vorher, VIII, 382.

2) Berti, Copernico p. 251; vgl. Suppl. 108. 109.

3) IX, 424.

Galilei in Rom 1615 und 161 6. 99

dings von der Verwarnung- Galilei' s durch den Cardinal Bellarmin die Rede, aber nicht von seiner Citation nach Rom. Galilei selbst sagt in dem Verhöre vom 12. April 1633: er sei im J. 161 6 aus eigenem Antriebe, ohne citirt worden zu sein, in Rom gewesen. Auch seine Briefe aus den Jahren 1615 und 16 16 widersprechen der Annahme, dass er nach Rom citirt worden sei 1). Sie ergeben vielmehr, dass er, vielleicht durch eine Aeusserung Monsignor Dini's2) ver- anlasst, glaubte, seine persönliche Anwesenheit in Rom könne seiner Sache nützlich sein, und dass er sich darum von dem Grossherzog die Erlaubniss zu der Reise erbat8). Der Gross- herzog ertheilte die Erlaubniss, er bestritt auch die Kosten, und gab Galilei einen Empfehlungsbrief an den Cardinal del Monte mit4), in welchem es heisst: Galilei habe sich wegen der Angriffe seiner Feinde freiwillig entschlossen, nach Rom zu gehen, um sich zu rechtfertigen und die Rein- heit seiner Absicht zu beweisen.

In den Briefen, welche Galilei von Rom aus an den Staatssecretär Curzio Picchena zu Florenz schrieb, der erste ist vom 12. Dec. 161 5, unterscheidet er wiederholt einen doppelten Zweck seiner Reise, einen persönlichen und einen allgemeinen5). Der erstere war die Vertheidigung gegen die Beschuldigungen seiner Feinde und die Erwir- kung der Anerkennung seiner Rechtgläubigkeit und kirch- lichen Gesinnung, der letztere die Anerkennung der Zu- lässigkeit der Copernicanischen Ansicht durch die kirchliche Behörde. Er wusste schon vor seiner Abreise oder erfuhr doch bald nach seiner Ankunft in Rom, dass die Inquisition über ihn und die Copernicanische Lehre verhandelte. Das geht aus mehreren Andeutungen seiner Briefe hervor, wenn er es auch nicht mit bestimmten Worten ausspricht. Be- züglich des Erfolges seiner Bemühungen zur Erreichung des ersten Zweckes spricht sich Galilei in diesen Briefen mit steigender Befriedigung aus6). Schon am 6. Febr. 16167) schreibt er: „Der Theil meines Geschäftes, welcher meine Person betrifft, ist ganz abgemacht, wie mir alle jene hoch- stehenden (eminentissimi) Persönlichkeiten, welche diese

1) Gebier, Galilei S. 88. 2) VIII, 376. 3) VI, 238.

4) VIII, 380. 5) VI, 213. 214 u. s. w.

6) VI, 212. 216. 220. 7) VI, 221 ; vgl. 223.

ioo Galilei in Rom 1615 und 1616.

Dinge zu verhandeln haben, versichert haben". Er erwähnt in diesem Briefe1), am 3. Februar habe ihn sogar Caccini aufgesucht und sein Bedauern über seine ungeschickte Pre- digt ausgesprochen und sich bereit erklärt, ihm jede Genug- tuung zu geben. Ueber den zweiten Zweck seiner Reise sagt Galilei in demselben Briefe: „Mit meiner Sache ist eine andere verbunden, welche nicht bloss meine Person an- geht, sondern alle diejenigen, welche seit 80 Jahren in ge- druckten Werken oder nicht gedruckten Schriften oder in öffentlichen Vorträgen oder Predigten oder auch in Privat- gesprächen eine gewisse, Ihnen nicht unbekannte Lehre oder Meinung vertreten haben, über welche jetzt verhandelt wird, um zu einer Entscheidung darüber zu gelangen. Dabei glaube ich einigen Beistand leisten zu können in Bezug auf den Theil der Frage, welcher von der Kenntniss der Wahr- heit abhängt, welche uns durch die von mir vertretenen Wissenschaften geliefert wird. Diesen Beistand glaube ich als eifriger und katholischer Christ im Gewissen verpflichtet zu sein nicht zu versagen. Dieses Geschäft nimmt mich sehr in Anspruch; aber ich trage gern jede Mühe, da sie einem gerechten und religiösen Zwecke dient, zumal ich sehe, dass ich mich nicht ohne Nutzen in einer Sache bemühe, welche schwierig geworden ist durch den Eindruck, den seit langer Zeit Personen, die eine selbstsüchtige Absicht verfolgten, gemacht haben, ein Eindruck, der nur langsam beseitigt werden kann."

An mehreren anderen Stellen hebt Galilei hervor, dass die Verhandlungen, obschon ihm seit vielen Monaten von gelehrten und angesehenen Männern vorgearbeitet worden sei2), sich in die Länge zögen. Die Stimmung sei in Rom nicht günstig; er mache viele Besuche bei Cardinal en und anderen einflussreichen Personen ; aber er könne mit Rück- sicht auf einen Freund, der ihm wahrscheinlich über die Verhandlungen der Inquisition Mittheilungen gemacht, nicht direct und offen mit den massgebenden Persönlich- keiten verhandeln, und diese könnten sich, um nicht in schwere Censuren, wegen Verletzung des den Mitgliedern der In- quisition zur Pflicht gemachten Schweigens, zu verfallen, nicht offen gegen ihn aussprechen; er müsse durch Ver-

1) VI, 222; vgl. 220. 226. 2) VI, 216.

Galilei in Rom 1615 und 1616. 101

mittlung dritter Personen verhandeln, über einzelne Punkte schriftliche Ausarbeitungen machen und sich bemühen, diese heimlich in die rechten Hände zu bringen u. s. w.1). Noch am 20. Februar2) spricht er aber die Hoffnung aus, es werde ihm mit Gottes Hülfe gelingen, „einen Beschluss zu hindern, durch welchen ein Aergerniss für die h. Kirche entstehen könnte".

Genauere Mittheilungen gibt Galilei in diesen Briefen nicht, indem er wiederholt erklärt, er wolle sie lieber münd- lich machen8). In dem Verhöre vom 12. April 1633 sag"t er über diesen Anfenthalt in Rom Folgendes 'aus : „Da ich ge- hört hatte, dass über die Meinung des Copernicus von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne und der Ordnung der Himmelssphären eine Controverse entstanden, und ^nich sicher stellen wollte, dass ich nur heilige und ka- tholische Meinungen für wahr hielte, kam ich nach Rom, um zu hören, was ich bezüglich dieses Gegenstandes anzu- nehmen hätte. . . . Ich verhandelte darüber mit einigen von den Cardinälen, welche damals Mitglieder des h. Officiums waren, namentlich mit den Cardinälen Bellarmino, Araceli, S. Eusebio, Bonzi und d'Ascoli5) . . . Diese wünschten über die Lehre des Copernicus unterrichtet zu werden, da sein Buch für solche, die nicht Mathematiker und Astronomen sind, ziemlich schwer zu verstehen ist ; namentlich wünschten sie zu wissen, welches nach der Hypothese des Copernicus die Disposition der Himmelskörper sei, und wie er die Sonne in den Mittelpunkt der Planetenbahnen stellt . . . und an- nimmt, die Sonne stehe unbeweglich im Mittelpunkte und die Erde bewege sich täglich um sich selbst und jährlich um die Sonne." Der Wunsch Galilei's, die Cardinäle zu be-

1) VI, 218. 2) vi, 226.

3) VI, 214. 219. 224. 227. 4) Acten S. 76.

5) Der Cardinal Araceli ist der Dominicaner Galamini; s. o. S. 85. Cardinal von S. Eusebio war seit dem 9. Juni 1604 Ferdinando Taberna; t 29. Aug. 161 9. Giovanni Batista Bonzi (de Bonsi) aus Florenz wurde 1611 Cardinal, f 4. Juli 1621. Cardinal von Ascoli wurde der aus Ascoli ge- bürtige Minorit Feiice Centini ganannt, der seit 17. Aug. 161 1 Cardinal war; 1633 unterzeichnete er das Urtheil über Galilei als Cardinal vom Titel der h. Anastasia; er starb als Cardinal-Bischof von Sabina 1641. Ciaconius IV, 361. 425. 431. Auch mit dem Cardinal Scipio Borghese, dem Neffen Pauls V., verhandelte Galilei; VI, 222. 226.

102 Galilei in Rom 1615 und 1616.

lehren, wird wohl stärker gewesen sein, als ihr Wunsch, von ihm belehrt zu werden.

Von den schriftlichen Ausarbeitungen, die er in seinen Briefen wiederholt erwähnt, sind einige 1876 durch Berti1), leider nur auszüglich, veröffentlicht worden. Eine der- selben, gegen Bellarmin's Urtheil über Foscarini's Schrift gerichtet, ist bereits S. 65 mitgetheilt. In einer andern 2) sucht er zwei Ansichten als irrig zu erweisen : 1 . die (Meinung von der) Bewegung der Erde sei ein so exorbitantes Paradoxon und eine so handgreifliche Thorheit, dass weder jetzt noch in Zukunft ein Beweis dafür geliefert werden könne; 2. diese Meinung sei von Copernicus und Anderen nicht für wahr und den Thatsachen und der Natur entsprechend gehalten, sondern nur hypothetisch aufgestellt worden, um leichter die scheinbaren Bewegungen der Gestirne zu erklären und die astronomischen Berechnungen machen zu können. Viele an- gesehene Schriftsteller der Vergangenheit und der Gegen- wart, sagt er, und viele gebildete Männer in Venedig, Pa- dua, Neapel, Pisa und Parma hielten diese Ansicht für rich- tig, und fast Alle hätten sie, da sie früher anderer Meinung gewesen, auf die triftigsten Gründe hin als richtig anerkannt. Er weist dann ausführlich nach, dass auch Copernicus diese Theorie nicht hypothetisch vorgetragen. Ein dritter Aufsatz behandelt dasselbe Thema, welches in dem auf Bellarmins Brief bezüglichen erörtert wird, ausführlicher3}. Zu diesen Processschriften gehört auch ein vom 8. Jan. 16 16 datirtes ausführliches Schreiben an den Cardinal Orsini über Ebbe und Fluth4).

Ausser Galilei's Briefen an Picchena haben wir über seinen Aufenthalt in Rom noch einige kurze, in einem leicht- fertigen Tone geschriebene Mittheilungen in den Briefen des Monsignor Querenghi an den Cardinal Alexander von Este zu Modena5), und einen ausführlichen Bericht des toscani-

1) Copernico p. 104'. 244. 2) Berti p. 132.

3) Berti p. 134. 4) II, 387; VI, 279.

5) VIII, 383. Alessandro d'Este, ein Bruder des Herzogs von Modena, wurde mit 20 Jahren am 3. März 1599 Cardinal; f 1624. Ciaconius IV, 342 Antonio Querenghi, geb. zu Padua 1546, als eleganter Schriftsteller und Dichter renommirt, früher Hofbeamter in Modena, war zu Rom Refe- rendario delle due segnature; 1614 wurde er von Paul V. zum Hauspräla-

Querenghi und Guicciardini. 103

sehen Gesandten Piero Guicciardini an den Grossherzog1). Ersterer schreibt u. a. am 20. Jan. 1616: „Ew. Durchlaucht würden viel Vergnügen haben, wenn Sie Galilei discurriren hörten, wie er es oft inmitten von 15 oder 20 Personen thut, die ihm hart zusetzen, bald in diesem, bald in jenem Hause. Er ist seiner Sache so sicher, dass er sie Alle auslacht, und wenn er sie auch nicht von der Richtigkeit seiner neuen Meinung überzeugt, so erweist er doch die meisten Argu- mente, mit welchen ihn die Gegner zu Boden zu werfen suchen, als nichtig. Am Montag namentlich brachte er im Hause des Herrn Federico Ghisilieri wunderbare Beweise vor. Was mir am meisten gefiel, war dieses, dass er, ehe er auf die Gegengründe antwortete, dieselben durch neue, anscheinend sehr triftige Argumente verstärkte, um dann durch die Widerlegung derselben die Gegner nur um so lächerlicher zu machen2)." Am 5. März schreibt er: „Die Disputationen des Herrn Galilei sind in alehymistischen Rauch aufgegangen: das h. Officium hat erklärt, das Festhalten dieser Meinung sei eine augenscheinliche Abweichung von den unfehlbaren Dogmen der Kirche. Wir sind also wieder sicher, dass wir, wenn wir auch mit unserm Gehirn allerlei Kreise beschreiben, doch fest auf unserm Posten stehen können und nicht mit der Erde umherzufliegen brauchen wie Ameisen auf einem Luftballon."

Der Brief Guicciardini's ist so charakteristisch, dass er vollständig mitgetheilt zu werden verdient : „Galilei hat auf seine eigene Meinung mehr gegeben als auf die seiner Freunde. Der Herr Cardinal del Monte und ich nach meinem geringen Vermögen und mehrere Cardinäle vom h. Officium hatten ihm zugeredet, er möge sich beruhigen und diese Angelegen- heit nicht forciren, und wenn er jene Meinung festhalten wolle, möge er sie ruhig festhalten, ohne sich so sehr zu bemühen, die Anderen für dieselbe zu gewinnen. Alle fürch-

ten „in abito pavonazzou ernannt. Er starb 1633. VIII, 179, 333. Tirabo- schi VIII, 509. 1) VI, 227.

2) Am 27. Jan. 1616 schreibt der frivole Monsignore: „Ich habe Ga- lilei für einen der nächsten Tage mit drei oder vier seiner Gegner zu einem Kampfe inter pocula eingeladen. " Darauf stützt sich P. Schneemanns (S. 256) Anklage: „Galilei bot sein ganzes Ansehen, seine ganze Beredsamkeit, seine ganze Dialektik auf, um bei jeder Gelegenheit, selbst inter pocula, für die Copernicanische Theorie Propaganda zu machen."

104 Querenghi und Guicciardini.

teten, sein Hieherkommen möge ihm schaden und nicht den Erfolg haben, dass er sich rein wasche und über seine Geg- ner siege, sondern eine Schmarre davon "trage. Er aber, da er meinte, Andere gingen nicht warm genug auf seine Intentionen und seine Wünsche ein, schloss sich, nachdem er vielen Cardinälen seine Sache vorgetragen und sie über- drüssig gemacht hatte, an den Cardinal Orsini an, und wusste sich für diesen ein sehr warmes Empfehlungsschreiben von Ew. Hoheit zu verschaffen1). Am Mittwoch hat dieser Cardinal im Consistorium, ich weiss nicht, wie überlegt und klug, mit dem Papste zu Gunsten Galilei's gesprochen. Der Papst antwortete ihm, er werde wohl thun, Galilei zu bereden, jene Meinung aufzugeben. Orsini antwortete etwas, was den Papst reizte, so dass er das Gespräch mit der Bemerkung abbrach, er habe die Sache den Cardinälen vom h. Officium übergeben. Als Orsini weggegangen war, Hess Seine Hei- ligkeit Bellarmin rufen, und nachdem sie über die Sache ge- sprochen, beschlossen sie, jene Meinung Galilei's sei irrig und ketzerisch, und gestern haben sie, wie ich höre, eine Congregation über die Sache gehalten, um die Meinung für irrig und ketzerisch zu erklären, und Copernicus und andere Autoren, die darüber geschrieben, werden corrigirt oder verboten werden. Persönlich wird Galilei, wie ich glaube, nichts zu leiden haben, weil er klug genug sein wird, zu wollen und zu denken, wie die h. Kirche will und denkt. Aber er ereifert sich für seine Meinungen und hat eine masslose Leidenschaftlichkeit und wenig Kraft und Klugheit, um sie zu beherrschen. Unter diesen Umständen ist die Rö- mische Luft sehr gefährlich für ihn, namentlich zu dieser Zeit, wo der hiesige Herrscher, der die schönen Wissen- schaften und dergleichen Geister verabscheut, solche Neue- rungen und Spitzfindigkeiten nicht hören mag und Jeder sein Gehirn und seine Natur der des Herrn anbequemt, so dass auch diejenigen, welche etwas wissen und sich für die Sache

I) Vgl. VI, 222, 224. 225; VIII, 382. Alessandro Orsini, ein Ver- wandter der Medici und am Hofe zu Florenz erzogen, war 2. Dec. 16 15, erst 22 Jahre alt, gleichzeitig mit dem 19jährigen Carlo von Medici, dem Bruder des Grossherzogs Cosimo II., zum Cardinal-Diakon ernannt. Ciaco- nius IV, 440. Er war also allerdings an Jahren jung und im Amte neu, als er im Consistorium Paul V. über Galilei's Angelegenheit zu belehren suchte.

Querenghi und Guicciardini. 105

interessiren, wenn sie klug sind, sich ganz anders anstellen, um nicht verdächtig zu werden und sich selbst Unannehm- lichkeiten zu bereiten. Es gibt hier Mönche und Andere, die Galilei übel wollen und ihn verfolgen, und er ist, wie gesagt, in einer Stimmung, die gar nicht für dieses Land passt, und könnte sich und Andere in grosse Verdriesslich- keiten bringen. Ich sehe weder ein, warum er hieher ge- kommen ist, noch was damit gewonnen werden soll, wenn er hier bleibt. Ew. Hoheit wissen sehr wohl, wie sich Ihr durchlauchtigstes Haus in der Vergangenheit bei ähnlichen Gelegenheiten gegen die Kirche Gottes verhalten und sich in Bezug auf Personen und Sachen, welche die h. Inquisi- tion angehen, um die Kirche verdient gemacht hat. Ich sehe nicht ein, warum man sich ohne gewichtigen Grund solchen Verwicklungen und Gefahren aussetzen soll, was keinerlei Vortheil, aber grossen Schaden bringen kann. Wenn dieses Galilei zu Liebe geschieht, er ist von Lei- denschaft verblendet, und achtet nicht auf seine eigene Sache und sieht nicht, worauf es ankommt, so dass er, wie bisher, sich Illusionen machen und sich selbst in Gefahr bringen wird und Jeden, der seinen Wünschen nachgibt oder sich zu dem bereden lässt, was ihm lieb ist. Diese Sache ist jetzt am [päpstlichen] Hofe ein Gegenstand des Widerwillens, und Abscheus, und der Herr Cardinal [Carl von Medici, der da- mals eben in Rom erwartet wurde] wird sehr verlieren und grossen Anstoss erregen, wenn er bei seiner Anwesenheit nicht auch als guter Geistlicher zeigt, dass er den kirch- lichen Beschlüssen keine Opposition macht, sondern dem Willen des Papstes und einer Congregation zustimmt, wie die des h. Officiums ist, welche das Fundament und die Basis der Religion und die wichtigste in Rom ist. Wenn er in seine Vorzimirier oder in seine Zirkel Menschen hineinzieht, die sich von Leidenschaft fortreissen lassen und mit Eifer ihre Meinungen, zumal in astrologischen und philosophischen Dingen, vertheidigen und zur Schau tragen wollen, so wird ihn Jeder fliehen; denn dem Papste sind dergleichen Dinge, wie gesagt, so fremd, dass hier Jeder den Dummen und Unwissenden zu spielen sucht, so dass alle Gelehrten, die von dort hieher kommen werden, ich will nicht sagen schäd- lich, aber wenig nützlich und gefahrlich sein werden; jeden- falls je weniger sie ihre Gelehrsamkeit zeigen, wenn sie

ioö Querenghi und Guicciardini.

es nicht mit der grössten Discretion thun, um so besser wird es sein. Und wenn Galilei hier den Herrn Cardinal abwartet und ihn in diese Dinge verwickelt, so wird das grosses Missfallen erregen. Er ist heftig, eigensinnig und leidenschaftlich, so dass es für den, der ihn um sich hat, unmöglich ist, seinen Händen zu entgehen. So verhält sich die Sache und es ist kein Spass, sondern eine Sache, die folgenreich und wichtig werden kann, wenn sie es nicht schon geworden ist, wie Ew. Hoheit gemäss Ihrer Klug- heit leicht begreifen werden, wenn dieser Mensch noch hier ist im Hause Ew. Hoheit und des Herrn Cardinais und unter ihrem Schutze lebt und sich dessen rühmt. Darum habe ich mich für verpflichtet gehalten, Ew. Hoheit das, was sich zugetragen hat und was man hier darüber denkt, mit- zutheilen."

Guicciardini war augenscheinlich kein Freund Galilei's1), und sein Brief zeigt, dass ihm in seiner amtlichen Stellung dessen Anwesenheit in Rom und seine ganze Angelegenheit sehr unbequem war und dass ihm viel daran lag, Galilei bald, jedenfalls vor der Ankunft des jungen Cardinais von Medici, los zu werden. Er hat darum ohne Zweifel in über- triebenen Ausdrücken von Galilei's Unklugheit und Leiden- schaftlichkeit gesprochen, und es ist jedenfalls unhistorisch und unbillig zugleich, wenn man wesentlich auf seinen und Querenghi's Berichte gestützt, behauptet, Galilei habe durch seine „leidenschaftliche und unkluge Propaganda für das Copernicanische System" das Einschreiten der Römischen Be- hörden provocirt2). Aber das ist ja auch innerlich wahr-

i) P. Schneemann behauptet freilich S. 259: „Guicciardini war kein Feind Galilei's, wie Viele behaupten."

2) So u. A. P. Schneemann S. 256. 260. Seine Darstellung des ersten Processes ist ein Nonplusultra von Leichtfertigkeit und Unehrlichkeit. Er erwähnt S. 119 ganz kurz die Denunciation Lorini's und die Predigt Caccini's, sagt, diese habe grosses Aergerniss erregt, selbst im Dominicaner- orden, führt die Aeusserung Maraffi's an und fährt dann fort: „Schliesslich that Caccini Abbitte. [S. oben S. 100.] Auch die Denunciation bei dem Römischen Tribunal hatte vorerst keine Übeln Folgen, weil die Erkundigun- gen, welche die Inquisition über Galilei einzog, für denselben günstig laute- ten. Leider kam aber nun Galilei selbst nach Rom, um dort das Coperni- canische System zu vertheidigen; seine leidenschaftlichen Bemühungen jedoch brachten gerade das Gegentheil dessen hervor, was er wollte. Am 5". März erschien ein Decret" u. s. w.

Qualification der Copern. Lehre. 107

scheinlich, dass Galilei seine Ansichten mit übergrosser Leb- haftigkeit vertreten und seine Gegner dadurch gereizt hat. Er selbst versichert freilich, allem Anscheine nach mit Rücksicht auf Guicciardini's Beschuldigungen, er habe sich der grössten Ruhe und Mässigung befleissigt *). Aber er hat gewiss den Fehler begangen, auf die Macht der Wahrheit zu viel zu vertrauen und die Ungunst der Verhältnisse unter dem damaligen Pontificate und bei der damals in massge- benden Kreisen in Rom herrschenden Stimmung zu gering zu taxiren.

X.

Die Verdammung der Copernicanischen Lehre, 25. Februar 1616.

. Galilei wurde im J. 1616 von der Inquisition gar nicht verhört. Die gegen ihn persönlich gerichtete Denunciation Lorini's und Caccini's wurde nach den ersten Verhandlungen (s. o. S. 82) nicht weiter berücksichtigt; die Inquisition be- schäftigte sich zunächst nur mit der Copernicanischen Lehre. Ueber die desfallsigen Berathungen geben aber die Process- acten keinen Aufschluss. Auf den oben S. 87 erwähnten Beschluss vom 25. Nov. 16 15, Galilei's Schrift über die Sonnen- flecken in Untersuchung zu nehmen, folgt in den Process- acten2) die Notiz, es seien am 19. Febr. 16 16 „allen Patres Theologen"3) zwei Sätze übersandt worden mit der Einla-

1) VI, 232. 2) Acten S. 47.

3) Cantor, Gegenwart 1877, 29^ gibt an: „allen Doctoren der Theolo- gie", und meint, ,,auch dem Cardinal Bellarmin als Doctor der Theologie" sei eine Abschrift der Sätze übersandt worden. Aber das DD. in RR. DD. PP. Theologis heisst nicht Doctoribus, sondern Dominis, und Bellarmin ge- hörte zu den Mitgliedern der Congregation des h. Officiums, die (wahr- scheinlich in einer am 18. Febr. gehaltenen Sitzung) den Beschluss gefasst, die zwei Sätze durch die Theologen der Inquisition qualificiren zu lassen. Die „Theologen" sind hier die theologischen Consultoren, nicht „Qualifica-

108 Qualification der Copern. Lehre.

düng zu einer am 23. Febr. abzuhaltenden Sitzung, in wel- cher diese Sätze zu „qualificiren" seien, d. h. in welcher ein Gutachten darüber abzugeben sei, ob und in welchem Grade dieselben vom kirchlichen Standpunkte aus verwerflich oder bedenklich seien.

Die beiden Sätze sind aus der Denunciation Caccini's entnommen und lauten: „1. Die Sonne ist der Mittelpunkt der Welt und darum unbeweglich. 2. Die Erde ist nicht der Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich, sondern sie bewegt sich täglich um sich selbst" i). Die Theologen gaben folgendes Gutachten ab: Der erste Satz sei „thöricht und philosophisch betrachtet absurd (oder philosophisch be- trachtet thöricht und absurd, stitlta et absurda in philoso- phia) und formell häretisch (formaliter haeretica), sofern er

toren" (s. o. S. 71). Wolynski p. 37 sagt: am 23. (24. ist wohl Druck- fehler) hätten die Qualificatoren, am 24. die Consultoren ihr Gutachten ab- gegeben, welches am 25. der Cardinal Meilini dem Papste vorgelegt habe. Nach den Acten S. 47 scheint es aber, dass am 19. den theologischen Con- sultoren die Sätze zugesandt wurden, dass diese am 23. im Inquisitionsge- bäude behufs der Qualification eine Sitzung (congregatio qualificationis) hielten, und am 24. in der Mittwochssitzung in der Minerva ihr Gutachten unterzeichneten und abgaben. Ganz falsch ist die Darstellung von Vosen, Galilei, Frankf. 1865, S. II: „Die Angelegenheit der gegen Galilei einge- gangenen Anklage wurde nicht vor das eigentliche Inquisitionstribunal ge- wiesen, wie dieses sonst in ähnlichen Weisen gebräuchlich war; der Papst beauftragte vielmehr aus besonderer Rücksicht für den geachteten Gelehrten nur eine Commission aus den sog. Qualificatoren zusammengesetzt mit der Prüfung der Klage." Vgl. S. 17.

1) Die Sätze wurden den Theologen italienisch vorgelegt. Ihrem lateinisch abgefassten Gutachten sind sie lateinisch vorausgeschickt. Sie kommen in Caccini's Denunciation in den Acten S. 26, Z. 3 und S. 27, Z. 13 v. u. vor. In einem zu dem zweiten Process gehörenden Actenstücke, Acten S. 4, scheint gesagt zu werden, die beiden Sätze seien aus Galilei's Buch über die Sonnenflecken entnommen. (So auch Schanz, Galilei S. 36, Wo- lynski p. 37 und Andere.) Das ist nicht richtig. In diesem Buche spricht sich Galilei allerdings für die Copernicanische Theorie aus (s. o. S. 32), aber nicht gerade in diesen Ausdrücken. S. Wohlwill, Ist Gal. gef. wor- den? S. 115. Der Irrthum ist dadurch entstanden, dass in den Processacten die Sätze unmittelbar hinter dem oben angeführten Beschlüsse über Unter- suchung des Buches über die Sonnenflecken stehen. Unbegreiflicher Weise schreibt L. Terrier, Galilei, Basel 1878, S. 44: „Diese beiden Lehren waren einige Tage vorher in cfen Briefen über die Sonnenflecken hervorgehoben und diese Briefe waren als glaubensgefährlich verdammt worden."

Qualification der Copern. Lehre. 109

Sätzen, welche in der h. Schrift an vielen Stellen vorkom- men, nach dem Wortlaute und nach der gemeinen Ausle- gung und Deutung der h. Väter und der theologischen Doc- toren ausdrücklich widerspreche;" für den zweiten Satz „gelte in der Philosophie dieselbe Censur (wie für den ersten), theo- logisch betrachtet, sei er mindestens irrig" (enthalte er min- destens einen Glaubensirrthum oder einen dogmatischen Irr- thum, spectando veritatem theologica?n ad minus in fide erronea).

Die elf Theologen, welche dieses Gutachten abgaben, sind nach den Unterschriften und den Notizen Grisars (S. 85) folgende : Petrus Lombardus (von Waterford), Erzbischof von Armagh; Fr. Hyacinthus Petronius, Magister Sacri Palatii (Dominicaner); Fr. Raphael Riphoz, Magister der Theologie und Generalvicar des Dominicanerordens; Fr. Michael An- gelus Seghetius, Magister der Theologie und Commissar des h. Officiums (Dominicaner) ; Fr. Hieronymus de Casali maiori, Consultor des h. Officiums (Dominicaner; s. o. S. 71); Fr. Thomas de Lemos (Dominicaner); Fr. Gregorius Nunnius Coronel (Augustiner) ; Benedictus Justinianus aus der Gesell- schaft Jesu; D. Raphael Rastellius, Regular-Kleriker, Doc- tor der Theologie; D. Michael von Neapel aus der (Bene- dictiner-) Congregation von Monte Cassino; Jacob Tintus, Socius des Pater Commissarius des h. Officiums (Domini- caner).

Dass „alle Theologen" aufgefordert wurden, ein ge- meinsames Gutachten- abzugeben, zeigt, dass die Sache als eine besonders wichtige angesehen wurde.

Das Gutachten wurde in der am Mittwoch 24. Febr. gehaltenen Sitzung der Cardinäle der Inquisition vorgelegt, und dann in der am folgenden Tage unter dem Vorsitze des Papstes abgehaltenen Sitzung der unten anzuführende Be- schluss gefasst.

Ueber die Verhandlungen in den Jahren 161 5 und 1616 gibt das in dem zweiten Process 1633 gefällte Urtheil1) einen Bericht, welcher das, was wir in den Processacten finden, in einigen Punkten ergänzt. Es heisst darin: „Du wurdest im J. 161 5 bei diesem h. Officium denuncirt: du hieltest die von Vielen gelehrte falsche Lehre für wahr, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich sei und dass die

1) IX, 466.

HO Sitzung der Inquisition 25. Febr. 1616.

Erde sich täglich bewege; du hättest einige Schüler, denen du dieselbe Lehre vortrügest ; du correspondirtest über die- selbe mit einigen Mathematikern in Deutschland; du hättest einige Briefe über die Sonnenflecken in Druck gegeben, in welchen du dieselbe Lehre als wahr vortrügest, und du be- antwortetest die dir wiederholt gemachten, aus der h. Schrift entnommenen Einwendungen, indem du die h. Schrift nach deinem Sinne erklärtest. Ferner wurde die Abschrift eines in Briefform abgefassten Schriftstückes vorgelegt, welches du an einen frühem Schüler geschickt haben solltest und in wel- chem, indem darin die Ansicht des Copernicus vorgetragen wird, verschiedene dem wahren Sinne und der Autorität der h. Schrift widersprechende Sätze enthalten sind. Da nun dieses h. Tribunal der Unordnung und dem Nachtheil entgegen- wirken wollte, welche dieses zur Folge hatte und welche zum Schaden des h. Glaubens immer mehr zunahmen, so wurden auf Befehl unseres Herrn und Ihrer Eminenzen der Herren Cardinäle dieser höchsten und allgemeinen Inquisi- tion von den Theologen- Qualificatoren die beiden Sätze von dem Stillstehen der Sonne und von der Bewegung der Erde qualificirt, nämlich [folgt die oben mitgetheilte Qualification]. Da man aber damals milde gegen dich verfahren wollte, so wurde in der in Gegenwart unseres Herrn am 25. Febr. 16 16 gehaltenen h. Congregation beschlossen" u. s. w.

In dieser Sitzung vom 25. Febr. 16 15 wurde, wie die Processacten ergeben, nachdem die Censur der Theo- logen vorgelegt worden, von der Inquisition beschlossen („vom Papste befohlen"), der Cardinal Bellarmin solle Ga- lilei auffordern, die Copernicanische Meinung aufzugeben u. s. w. Ausserdem muss in dieser Sitzung beschlossen worden sein, das Buch des Copernicus und einige andere seien auf den Index zu setzen1). Denn über die nächstfol- gende Sitzung, die vom 3. März, wird berichtet: nachdem

1) Unter Gherardi's Aktenstücken findet sich auffallender Weise kein Protocoll über die Sitzung vom 25. Februar. Dass in der Aufzeichnung über diese Sitzung in den Vaticanischen Acten S. 48 nur der auf die Ver- warnung Galilei's bezügliche Beschluss erwähnt wird, ist nicht auffallend, da der den Index betreffende Beschluss die Beamten der Inquisition zunächst nichts anging. Ueber die Sitzung vom 3. März wird in den Vaticanischen Acten nichts mitgetheilt; das Decret der Index-Congregation ist in einem gedruckten Exemplare beigefügt (S. 50).

Index-Decret vom 5. März 1616. in

Cardinal Bellarmin über die Ausführung seines Auftrages berichtet, sei ein Decret der Index- Congregation über das Verbot, beziehungsweise die Suspendirung der Schriften von Copernicus, Stunica und Foscarini vorgelegt und darauf be- schlossen (von dem Papste befohlen) worden, der Magister Sacri Palatii solle dieses Decret publiciren *).

Dieses Decret wurde dann am 5. März ausgefertigt. Es wird in der Ueberschrift als ein überall zu publicirendes Decret der Index-Congregation bezeichnet und ist von dem Cardinal von St. Caecilia, Bischof von Albano [Sfondrati] als Präfecten der Congregation2) und von dem Secretär der- selben, dem Dominicaner Franciscus Magdalenus Capiferreus, unterzeichnet. In dem ersten Theile desselben werden fünf andere „verschiedene Ketzereien und Irrthümer enthaltende" Bücher verboten, „damit nicht durch das Lesen derselben immer schlimmere Schäden in der ganzen Christenheit ent- stehen"; dann folgt: „Und da es auch zur Kenntniss der h. Congregation gekommen ist, dass die falsche und der h. Schrift durchaus widersprechende Pythagoreische Lehre von der Beweglichkeit der Erde und der Unbeweglichkeit der Sonne, welche Nicolaus Copernicus [in dem Buche] de re- volutionibus orbium coelestium und Didacus Astunica [in sei- nem Commentar] zum Job vortragen, jetzt verbreitet und von Vielen angenommen wird, wie zu ersehen ist aus einem gedruckten Briefe eines Karmeliter-Paters mit dem Titel Letter e del R. P Maestro P A. Foscarini . . . , worin be- sagter Pater zu zeigen sucht, die fragliche Lehre ... sei der Wahrheit entsprechend und der h. Schrift nicht zuwider : so hat die h. Congregation geglaubt, damit eine solche Lehre nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit um

1) Gherardi No. VI: Feria V. die III. Martii 1616. Facta relatione per Illmum D. Card. Bellarminum . . . . ac relato decreto Congregationis Indicis, qualiter (oder quod) fuerunt prohibita ei suspensa respective scripta Nicolai Cupernici (De revolutionibus orbium caelestium), Didaci a Stunica in Job et Fr. Pauli Antonii Foscarini Carmelitae, SSmus ordinavit publi- cari edictum a P. Magistro S. Palatii huiusmodi suspensionis et prohibi- tionis respective.

2) Ausser diesem waren nach Grisar S. 95 damals auch die bereits er- wähnten Cardinäle Bellarmin, Mellini und Galamini und Fabrizio Veralli, Cardi- nal seit 1608, f 1624, Mitglieder der Index-Congregation. P. Schneemann S. 120 bezeichnet das Decret als „ein Decret der Inquisition"!

112 Index-Decret vom 5. März 16 16.

sich greife, seien der besagte Nicolaus Copernicus de revo- lutionibus orbium und Didacus Astunica zum Job zu sus- pendiren, bis sie verbessert werden (suspendendos esse, donec corrigantur), das Buch des Paters Foscarini aber sei ganz zu verbieten und zu verdammen, und alle anderen Bücher, welche in gleicher Weise dasselbe lehren, seien zu verbieten, wie sie denn durch gegenwärtiges Decret .sie alle respec- tive verbietet, verdammt und suspendirt." Das Decret wurde den Inquisitoren (und Nuncien) übersandt mit einem Schreiben des Präfecten der Index-Congregation vom 2. April1), worin es heisst: „Da von der h. Congregation des Index, zugleich im Auftrage Seiner Heiligkeit, einige als sehr verderblich erachtete Bücher verboten worden sind und darüber das beiliegende Decret erlassen worden ist, so er- halten Sie hiemit den Auftrag, dasselbe drucken und in Ihrem ganzen Bezirk in der üblichen Weise publiciren zu lassen." Das Decret unterscheidet sich, wie Grisar S. 679 gut nach- weist, in der Form von anderen Decreten dieser Art. Vor 16 10 wurden in der Regel von dem Magister Sacri Palatii von Zeit zu Zeit Verzeichnisse der von der Index-Congregation oder der Inquisition verbotenen Bücher veröffentlicht. Nur ausnahmsweise und aus speciellen Gründen veröffentlichte die Index-Congregation selbst ein von ihr oder der Inquisition beschlossenes Verbot. Seit dem Jahre 16 10 oder 16 13 wurden die Verbote nicht mehr durch den Palastmeister veröffent- licht2), sondern durch die Index-Congregation selbst. In der Ueberschrift eines Decretes vom J. 16 13, wodurch 13 Bücher verboten werden, werden alle Cardinäle der Congregation genannt; ein Decret vom J. 16 14, wodurch zwei weitere Bücher verboten werden, hat ganz dieselbe Ueberschrift wie das oben erwähnte und die Unterschrift des Präfecten und des Secretärs, und diese Form blieb seitdem die ste-

1) Das Schreiben an die Inquisitoren ist von Wolynski p. 24 ver- öffentlicht, ein Gutachten Sarpi's betreffend die Publication des Decrets in Venedig, vom 7. Mai 161 6, von Berti, II Processo p. 151.

2) Wenn nach dem Berichte über die Sitzung vom 3. März diesem die Publication aufgetragen werden soll, so ist mit Grisar S. 687 anzunehmen, dass „entweder der betreffende Ausdruck bloss von dem Fortgebrauch eines altern Formulars für das Sitzungsprotocoll herrührt oder dass der Magister S. Palatii noch, aber in untergeordneter "Weise, concurrirte," vielleicht die Anheftung des Decretes an öffentlichen Plätzen in Rom anordnete.

Index-Decret vom 5. März 16 16. 113

hende (bis zum J. 1630 wurden in dieser Form noch 16 Decrete publicirt). Während aber sonst in den Index-De- creten eine mehr oder minder grosse Zahl von meist ver- schiedenartigen Büchern ohne nähere Bezeichnung der Irr- thümer, durch welche das Verbot derselben veranlasst ist, ganz in den Formen des ersten Theiles des Decretes vom 5. März 161 6 verboten wird, enthält dieses in seinem zweiten Theile ein Verbot mit einer Motivirung, wie sie sich sonst in den Index-D ecreten nicht findet.

Was den Inhalt dieses zweiten Theils betrifft, so wird nur die Schrift Foscarini's definitiv, das Werk des Coper- nicus und der Commentar des Stunica werden nur vorläufig verboten, mit der Bestimmung, dass sie freigegeben werden sollten, wenn die von der Index-Congregation für nöthig er- achteten Aenderungen darin vorgenommen würden. In dem Commentar des Stunica war nur die Bemerkung zu Job 9, 6 zu streichen. Eine bestimmte Angabe der in dem Werke des Copernicus vorzunehmenden Aenderungen, mit deren Zusammenstellung der Cardinal Gaetani beauftragt war, er- wartete man nach Aeusserungen von Galilei in Briefen aus dem März 16 16') in der nächsten Zeit. Cesi schrieb am 3. Sept. 161 6 an Galilei, er wolle an die Veröffentlichung der- selben erinnern. Sie wurden aber erst im J. 1620 durch ein Monitum des Secretärs der Index-Congregation2) pub- licirt, und zwar mit folgender Einleitung : „Die Väter der h. Congregation des Index sind zwar der Ansicht gewesen, die Schrift des berühmten Astronomen Nicolaus Copernicus de mundi revolutionibus sei darum gänzlich zu verbieten, weil er darin kein Bedenken trägt, Grundsätze über die Stellung und Bewegung der Erdkugel, welche der h. Schrift und ihrer wahren und katholischen Auslegung widersprechen, nicht hypothetisch zu behandeln, sondern als durchaus wahr vorzutragen, was bei einem Christenmenschen nicht zu dul- den ist3). Gleichwohl haben sie, da in dieser Schrift vieles

1) VI, 231. 233. 236. Cardinal Gaetani (s. o. S. 62) starb 29. Juni 161 7, Card. Sfondrati 14. Febr. 1618. Letzterm folgte in der Präfectur der Index-Congregation Card. Bellarmin. Wolynski p. 25.

2) Abgedruckt u. a. bei Riccardi (s. o. S. 3) p. 54, bei Bouix p. 112, in der Broschüre The Pontifical Decrees against the Motion of the Earth, 1870, p. 64. Vgl. Olivieri, Di Copernico p. 33.

3) quin principia de situ et motu terreni. globi Sncrae So ipturae Renseh, Galilei. 8

114 Verdammung der Copern. Lehre.

für das Gemeinwesen sehr Nützliche enthalten ist, einstim- mig beschlossen: die bis heute gedruckten Werke [Ausgaben des Werkes] des Copernicus seien zu erlauben, nachdem ge- mäss der unten stehenden Emendation diejenigen Stellen corrigirt worden, in welchen er über die Stellung und Be- wegung der Erde nicht hypothetisch, sondern in Form der Be- hauptung spricht. Die in Zukunft zu druckenden [Ausgaben] aber sollen nur gestattet werden, wenn die besagten Stellen in der anzugebenden Weise verbessert sind und diese Verbesserung der Vorrede des Copernicus vorausge- schickt ist".

Am 10. Mai 1619 wurde auch Keplers im J. 161 8 er- schienene „Epitome astronomiae Copernicanae" auf den In- dex gesetzt 1). In den späteren Ausgaben des Index steht*, dem Decrete vom 5. März 1616 entsprechend, unter L: Libri omnes docentes mobilitatem terrae et immobilitatem solis.

In den Processacten findet sich2) als letztes zu den Verhandlungen des Jahres 16 16 gehörendes Stück ein Schrei- ben des Cardinais (Decio) Caraffa (Erzbischof von Neapel 16 14 26) an den Cardinal Mellini aus Neapel 2. Juni. Der- selbe meldet: Aus dem Decrete der Index- Congregation habe er ersehen, dass die Schrift Foscarini's in Neapel gedruckt sei; er habe daher den Drucker darüber befragen lassen, woher er die Druck-Erlaubniss erhalten; da sich derselbe darüber nicht habe ausweisen können, habe er ihn ins Ge- fängniss setzen lassen und werde er ihm den Process machen. Unter dem 9. Juni wird dann als Beschluss der Inquisition notirt, es solle dem Cardinal geantwortet werden, er habe recht gehandelt. Weiteres ist, wie gesagt, über das Ver- fahren gegen Foscarini und seine Schrift nicht bekannt.

In dem Decret der Index-Congregation werden Galilei und seine Schrift über die Sonnenflecken nicht genannt ; der Brief an Castelli konnte schon darum in diesem Decrete nicht erwähnt werden, weil er nicht gedruckt war. Aber

eiusque verae et catholicae interpretationi, quod in nomine Christiano mi- nime tolerandum est, non per hypothesim tractare, sed ut verissima adstru- ere non dubitat.

i) Olivieri p. 33. Am 20. Oct. 1619 wurde der „Circulus Horologii lunaris et solaris" von Wenzel Budowez auf den Index gesetzt. Wolynski p. 25. 2) S. 51.

Verdammung der Copern. Lehre. 115

in der Sitzung der Inquisition vom 25. Februar, in welcher das Verbot der gedruckten Vertheidigungen der Copernica- nischen Lehre beschlossen wurde, wurde ferner beschlossen („vom Papste befohlen"), der Cardinal Bellarmin solle Galilei zu sich bescheiden und ihn ermahnen, die Copernicanische Meinung aufzugeben; wenn er sich weigere zu gehorchen, solle der Commissar der Inquisition vor Notar und Zeugen ihm gebieten, ganz und gar nicht mehr eine derartige Lehre und Meinung zu lehren oder zu vertheidigen oder zu erörtern; wenn er sich diesem Verbote nicht fügen wolle, solle er ein- gekerkert [und also von der Inquisition ein förmlicher Process gegen ihn eingeleitet] werden1). In der Sitzung der In- quisition vom 3. März berichtete Bellarmin, Galilei sei auf Befehl der h. Congregation ermahnt worden, die von ihm bisher gehegte Meinung, dass die Sonne u. s. w., aufzugeben, und habe sich gefügt2). Am 26. Mai stellte dann Bellarmin Galilei auf seine Bitte ein eigenhändiges Zeugniss aus3), worin er bescheinigt : Galilei sei weder zur Abschwörung irgend einer seiner Meinungen angehalten, noch seien ihm Bussübungen aufgelegt, vielmehr sei ihm nur die von dem Papste gemachte und von der Index-Congregation publicirte Erklärung amtlich mitgetheilt worden (denuntiata), dass die dem Copernfcus zugeschriebene Lehre . . . der h. Schrift zuwider sei und darum nicht vertheidigt oder für wahr ge- halten werden dürfe.

Ueber diese Galilei ertheilte Verwarnung wird im fol- genden Paragraphen ausführlicher zu reden sein. Zunächst betrachten wir die Bedeutung der über die Copernicanische Lehre an sich getroffenen Entscheidung.

1. Es ist nicht genau, wenn man sagt, bezüglich der Copernicanischen Lehre sei im J. 16 16 nur ein Decret der Index-Congregation veröffentlicht worden. Es handelt sich nicht um ein Bücherverbot, wie dergleichen die Index-Con- gregation sehr viele erlassen hat, sondern um ein Decret, welches sie auf Grund eines von der Congregation der In- quisition unter dem Vorsitze des Papstes gefassten Beschlusses entworfen, und dessen Wortlaut dann die Inquisition unter dem Vorsitze des Papstes gutgeheissen und zu veröffentlichen

1) Acten S. 48. 2) Gherardi No. VI.

3) Acten S. 91.

Il6 Verdammung der Copern. Lehre.

befohlen hat1). Der Cardinal Bellarmin bezeichnet darum in dem eben erwähnten Zeugnisse die in dem Decrete ent- haltene Erklärung als „die von unserm Herrn gemachte (fatta da Nostro Signore) und von der h. Congregation des Index publicirte Erklärung."

2. Es ist nicht richtig, wenn P. Schneemann S. 260 von dem Index-D ecrete sagt: „Es ist kein dogmatischer, sondern ein disciplinärer Erlass, der nicht zum Glauben, sondern nur zum Nichtlesen, Nichtb ehalten, Nichtverbreiten eines Buches, bezüglich zur Aenderung gewisser Stellen desselben ver- pflichtet. Das Decret hat zwei Theile, von denen der erste nur die Motivirung, der zweite das eigentliche Gesetz ent- hält. Beides muss unterschieden werden und wird von den Theologen selbst bei den dogmatischen Definitionen allge- meiner Synoden unterschieden. Um so mehr gilt dies bei disciplinären Erlassen ; denn Zweck und Motive fallen streng genommen nicht unter das Gesetz. Nehmen wir z. B. das vom vierten Lateranense erlassene Eheverbot. Allerdings ein höchst weises und gegenwärtig noch giltiges Ehegesetz! Doch Niemand wird uns kraft desselben verpflichten, das von dem Concil dafür angegebene Motiv, quia quatuor hu- mores sunt in corpore; zu glauben; man genügt dem Gesetze, wenn man in den vier verbotenen Graden keine Ehe ein- geht. Wenden wir nun dieses auf das obige Decret des Index an und scheiden wir demgemäss die ganze Motivirung (quia u. s. w.) von dem Gesetze aus, so bleibt bloss ein Bücherverbot übrig, das nur disciplinär ist und streng ge- nommen Niemanden zum Glauben, dass das Copernicanische System verwerflich sei, verpflichtet" 2). In einer Anmerkung fügt Schneemann bei: „Wenn wir behaupten, dass die Mo- tivirung streng genommen nicht zum Gesetze gehört, so wollen wir jedoch nicht sagen, dass dieselbe von keiner Bedeutung sei. Ein gewichtiger Grund gegen das genannte System war ohne Zweifel, dass die höchste kirchliche Be-

1) Grisar S. 678.

2) Aehnlich, indess etwas vorsichtiger, Scheeben, Handb. der kath. Dogmatik, 1873, I, 251: „Das Decret ist zunächst bloss disciplinär, ein Bücherverbot, und wenn mit dem Verbote in den Motiven die Censur der Schriftwidrigkeit ausgesprochen und daher auch im Dispositiv mit dem Ver- bote der Bücher eine damnatio derselben verbunden wird, dann ist diese Censur selbst wieder doch mehr nur eine polizeiliche" u. s. w.

Verdammung der Copern. Lehre. 1 17

hörde dasselbe in der Motivirung ihres Gesetzes so scharf censurirte".

Die päpstlichen Behörden haben über die „Motivirung" des Bücherverbots jedenfalls anders gedacht. Bellarmin erhielt, wie wir gesehen haben, vom Papste in der Sitzung der Inquisition den Auftrag, Galilei aufzufordern, „die Co- pernicanische Meinung aufzugeben", und theilte demselben amtlich mit, der Papst habe erklärt, die dem Copernicus zugeschriebene Lehre sei der Schrift zuwider und dürfe darum nicht vertheidigt oder für wahr gehalten werden. In dem Urtheil der Inquisition vom 22. Juni 1633 wird von eben diesem Index-Decrete gesagt: „Damit eine so verderb- liche Lehre ganz beseitigt würde und sich nicht weiter ver- breite, zum schweren Schaden der katholischen Wahrheit, erging ein Decret der h. Congregation des Index, durch welches die Bücher, welche von dieser Lehre handeln, ver- boten wurden und diese selbst für falsch und der h. Schrift durchaus widersprechend erklärt wurde." In dem Urtheil wird ferner von der Copernicanischen Lehre gesagt: sie sei „früher (im J. 1616) verdammt und Galilei ausdrücklich als eine verdammte bezeichnet" und es sei „von ihr erklärt und definirt worden, sie widerspreche der h. Schrift", und Galilei wird darum, weil der Verdacht gegen ihn vorlag, er habe jene Lehre geglaubt und für wahr gehalten, als der Ketzerei stark verdächtig behandelt und als der Ketzerei stark ver- dächtig zur Abschwörung der „besagten Irrthümer und Ketzereien" angehalten.

Aus diesen Stellen folgt, wie P. Grisar S. 683 sagt, „unbestreitbar, dass das Index-Decret von 161 6 seitens der amtlichen Organe und der Nächstbetheiligten nicht bloss als eine disciplinäre Anordnung, sondern zugleich als doctri- neller Entscheid betrachtet wurde . . . Allerdings kleidet sich das Urtheil in die Form einer Motivirung, aber einer Motivirung, die den betreffenden Fragepunkt selbst als fest- gestellt betrachtet wissen wollte. Es waren die Verfasser des Decretes und die Theologen überzeugt, dass im vor- liegenden Falle die Form der Motivirung den Charakter einer doctrinellen Feststellung nicht ausschloss." Grisar hebt schliesslich S. 685 mit Recht auch hervor, dass das Index-Decret, indem es, wie wir gesehen, „von der bis dahin und später üblichen Sitte der einfachen Bezeichnung der

1 1 8 Verdammung der Copern. Lehre.

verbotenen Bücher ganz und gar abweicht, und (mit dem Bücherverbote zugleich) eine längere Lehräusserung der christlichen Welt vorlegt, damit offenbar döctrinell auftreten und sich nachdrücklich gegen die Lehre jener Bücher aus- sprechen will."

3. Es wird in den Processacten nirgendwo ausdrücklich gesagt, dass die Inquisition das oben (S. 108) mitgetheilte Urtheil ihrer Qualificatoren über die Copernicanische Lehre zu dem ihrigen gemacht habe, und die Jesuiten und andere Apologeten der Römischen Curie suchen zu beweisen, dass ihre Congregationen jenes Urtheil nur mit einer nicht un= wesentlichen Modifikation bestätigt, dass sie namentlich den in jenem Urtheile gebrauchten Ausdruck ,, ketzerisch" nicht zu dem ihrigen gemacht haben l).

Die Qualificatoren bezeichneten die beiden ihnen vor- gelegten Sätze als „thöricht und philosophisch absurd", ferner den einen Satz, den vom Stillstehen der Sonne, als „förmlich häretisch (formaliter haeretica), weil vielen Sätzen der h. Schrift nach dem Wortlaute und nach der gemein- samen Auslegung und Anschauung der h. Väter und der Theologen ausdrücklich widersprechend", den andern, den von der Bewegung der Erde, als „wenigstens dogmatisch irrig" (ad minus in fide erronea). Diese beiden Ausdrücke sind nicht gleichbedeutend : „häretisch" heisst nach dem Sprach- gebrauche der Curie ein Satz, wenn er einem als ausdrück- lich geoffenbarte Wahrheit, „dogmatisch irrig", wenn er einem als sichere Schlussfolgerung aus einer geoffenbarten Wahr- heit angesehenen Satze widerspricht. Die Qualificatoren sahen die beiden ihnen vorgelegten Sätze als der h. Schrift widersprechend an, nahmen aber an, von der Bewegung der Sonne spreche diese ausdrücklich, die Unbeweglichkeit der Erde dagegen werde nicht gerade ausdrücklich in der Bibel ausgesprochen, müsse aber aus ihren Worten gefolgert wer- den; darum qualificirten sie den Satz von der Unbeweglich- keit der Sonne als „häretisch, weil Stellen der h. Schrift ausdrücklich widersprechend", den Satz von der Bewegung der Erde dagegen als „mindestens dogmatisch irrig", weil

1) Olivieri, Di Copernico p. 64 (danach Hist.-pol. Bl. 7 [1841], 525). Bouix p. 107. 222. Civiltä cattolica S. 9, vol. 10 (1876), p. 68. Wenig S. 45. Grisar S. 699.

Verdammung der Copern. Lehre. 119

sie von ihm annahmen, dass er, wenn auch nicht „ausdrück- lich Stellen der h. Schrift", so doch jedenfalls noth wendigen Folgerungen aus solchen Stellen ausdrücklich, oder Stellen der h. Schrift indirect widerspreche1).

Es wird nun allerdings, wie oben bemerkt wurde, in den Processacten nicht gesagt, dass die Inquisition das Ur- theil der Qualificatoren zu dem ihrigen gemacht2), aber es wird auch durch nichts angedeutet, dass sie dasselbe habe modificiren wollen; vielmehr spricht alles dafür, dass sie dasselbe einfach als zutreffend anerkannt und bei den von ihr zu fassenden Beschlüssen zu Grunde gelegt hat. Das hat auch P. Grisar in seinem ersten Aufsatze anerkannt, in- dem er S. 86 sagt: „So weit zu ersehen ist, war die [In- quisition in der] Sitzung [vom 25. Febr. 16 16] mit der Censur [der Qualificatoren] einverstanden." In seinem zweiten Aufsatze S. 701 hat er mit Unrecht diesen Satz zurückge- nommen. In dem Berichte über jene Sitzung heisst es allerdings nur: „Nachdem die Censur der Patres Theologen über die Sätze Galilei's vorgelegt worden, befahl der Papst", Galilei aufzufordern, seine Meinung aufzugeben. Diese Worte lassen aber doch eher voraussetzen, dass die Censur einfach als richtig anerkannt, als dass sie modificirt wurde. Und wenn auch in dem Urtheil vom 22. Juni 1633 (s. o. S. 110) das Gutachten der Qualificatoren nur in der Form eines histori- schen Referates angeführt wird, so würde dasselbe doch wohl überhaupt nicht angeführt und namentlich nicht als ein „auf Befehl der Inquisition" erstattetes Gutachten angeführt wer- den, wenn die Inquisition dasselbe nicht als zutreffend an- erkannt, sondern eine Amendirung desselben für nöthig er- achtet hätte.

Wenn in dem Index-D ecrete nicht der Wortlaut der Qualifikation beibehalten ist, so darf daraus nicht gefol- gert werden, dass die Index-Congregation und die Inquisi- tion das Urtheil der Qualificatoren modificirt haben. In dem Index-Decrete kam es nicht darauf an, die beiden

i) Vgl. R(einerding) in den Hist.-pol. Bl. 56 (1865), 422.

2) In einem Circular des Inquisitors von Pavia vom 7. Aug. 1633 (Acten S. 155) wird das Urtheil der Qualificatoren als Urtheil der Inquisi- tion bezeichnet. Das ist aber natürlich, wie Grisar S. 701 bemerkt, nicht massgebend.

120 Verdammung der Coperr^ Lehre.

Seiten der Copernicanischen Theorie und den Grad der Un- richtigkeit derselben zu unterscheiden. Darum wurden die beiden von den Qualificatoren gebrauchten Ausdrücke, „häre- tisch, weil ausdrücklich Stellen der h. Schrift widersprechend" und „wenigstens dogmatisch irrig", (weil indirect Stellen der h. Schrift widersprechend), durch den Einen, die beiden Ausdrücke zusammenfassenden Ausdruck „der h. Schrift durchaus widersprechend" ersetzt. Auch der von den Quali- ficatoren gebrauchte Ausdruck „thöricht und philosophisch absurd" (stulta et absurda in fihilosophia) findet sich in dem Index-Decrete nicht ; allem Anscheine nach ist „falsch" (falsa) statt jenes Ausdruckes gesetzt und also damit die „philoso- phische" Unrichtigkeit der Copernicanischen Theorie in weniger derber Form, als von den Qualificatoren, ausgesprochen1).

Das Urtheil der Qualificatoren wurde, so viel wir wissen, bis zum 22. Juni 1633 nicht veröffentlicht. Darum wollen wir vorläufig bei dem durch das Index-Decret publicirten Ur- theil stehen bleiben, dass die Copernicanische Lehre „falsch und der h. Schrift durchaus widersprechend" sei. Auf die von den Qualificatoren gebrauchten Ausdrücke zurückzu- kommen, wird sich später Gelegenheit finden.

Wenn Galilei am 6. März 16162) an den Staatssecretär Picchena schreibt: „die h. Kirche" habe nicht die Meinung Caccini's, dass die Copernicanische Lehre „gegen den Glau- ben und ketzerisch sei", zu der ihrigen gemacht, sondern nur erklärt, „sie stimme nicht mit der h. Schrift überein", so führt er ja allerdings den Wortlaut des veröffentlichten Urtheils richtig an; dass er dasselbe in einen Gegensatz zu der Anklage Caccini's bringt, entspricht der Tendenz seines Briefes, dem Urtheil eine gute Seite abzugewinnen, ist aber jedenfalls keine authentische Interpretation des Urtheils.

4. P. Wenig ist noch einmal auf die von dem Pater Olivieri ersonnene und 1841 durch die Historisch - politischen Blätter in Deutschland veröffentlichte Apologie der Inquisition zu- rückgekommen: sie hat „nur die falsche und daher mit der h. Schrift in der That unvereinbare Galilei'sche Lehre von

i) „Dass die Note falsa auf die philosophische Unrichtigkeit geht", ist allerdings, wie Grisar S. 700 <3 sagt, „nicht direct erweislich", aber, wenn man das Urtheil der Qualificatoren vergleicht, wohl nicht zu bezweifeln.

2) VI, 231.

Verdammung der Copern. Lehre. 121

der Bewegung der Erde in der Luft und durch die Luft" verworfen, nicht die Lehre von der Bewegung der Erde überhaupt, namentlich nicht die geläuterte, vom Irrthum be- freite Form des Copernicanischen Systems, wie sie uns jetzt bekannt ist; diese konnte die Inquisition schon darum nicht verwerfen, weil sie ihr selbstverständlich gänzlich unbekannt war 1). Es ist selbstverständlich, dass die Inquisition die An- sicht von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne überhaupt, weil sie der herkömmlichen Ansicht wider- sprach und der Bibel zu widersprechen schien, verworfen hat. 5. Auch Wohlwill2) deutet das Decret der Index-Con- gregation nicht ganz richtig. Es werden darin allerdings nicht ,, unterschiedslos alle Bücher verboten, die von der Erd- bewegung handeln"; aber das Decret verbietet auch nicht, wie Wohlwill meint, ,,nur diejenigen Bücher, die einen Ein- klang zwischen der Copernicanischen Lehre und der Bibel nachzuweisen suchen, während es diejenigen, die, wie das Werk des Copernicus, die wissenschaftliche Lehre als solche vortragen, nur bis zur Verbesserung suspendirt". Wie sich aus dem Zusammenhange ergibt und in dem Monitum vom J. 1620 ausdrücklich gesagt wird, sollte es fortan nicht nur als unzulässig gelten, einen Einklang zwischen der Coperni- canischen Lehre und der Bibel nachzuweisen zu versuchen, sondern auch jene Lehre als wahr vorzutragen, wie Coperni- cus wenigstens (nach der Ansicht der Index - Congregation nur) an mehreren Stellen seines Werkes gethan. Gestattet war nur, die Lehre „hypothetisch" vorzutragen. Von Foscarini wird ja auch nicht bloss gesagt, er habe ,, einen Einklang zwischen der Copernicanischen Lehre und der Bibel nach-

i) Ueber die kirchl. und polit. Inquisition S. 35 ff. ; ebenso schon Die Freiheit der Wissensch. 1866, S. 25; vgl. Th. Lit.-Bl. 1867, 25. Vgl. Hist- pol. Bl. 7, 387. 455 u. s. w. P. Schneemann S. 261 desavouirt seinen Ordens- genossen (natürlich ohne ihn zu nennen): ,, Solche gewaltsame Erklärungen wollen uns nicht gefallen." Der früher von den Apologeten der Curie viel benutzte Aufsatz im 7. Bande der Hist.-pol. Bl., „Der h. Stuhl gegen Galilei und das astronomische System des Copernicus", ist eine von dem verstorbenen Prof. Clemens, der sich damals in Rom aufhielt, herrührende Uebersetzung der schon 1840 geschriebenen, aber erst 1872 veröffentlichten Abhandlung des frühern Commissars der Inquisition P. Olivieri; s. o. S. 80. Th. Lit.-Bl. 1873,5. Gebier, Galilei S. 305. Cantor, Zts. f. Math. 1876. L.-Z. 98.

2) Ist Gal. gef. worden? S. 116.

122 Verdammung der Copern. Lehre.

zuweisen versucht", sondern auch, er habe versucht, zu zeigen, dass „erstere der Wahrheit entsprechend" sei.

Wohlwills Ansicht kommt der von' Scheeben nahe: „Die in demlndex-Decrete ausgesprochene Censur der Schrift- widrigkeit ist mehr nur eine polizeiliche, welche nicht direct auf die Lehre in sich geht, sondern auf die dreiste Behaup- tung und Geltendmachung der Lehre ohne die schuldige Rücksicht auf die Würde der h. Schrift und die katholischen Regeln für die Interpretation derselben. Diese Tendenz des Decretes wurde daher auch vier Jahre später durch ein anderes Index-Decret ausdrücklich erklärt, indem bloss die assertorische, nicht die hypothetische Aufstellung der frag- lichen Lehre verboten wurde, was keinen Sinn hätte, wenn durch das erste Verbot die Lehre in sich selbst verdammt worden wäre" *). Aber wenn die Römischen Behörden nur die „hypothetische Aufstellung" der Copernicanischen Lehre gestatteten, so wollten sie damit nicht nur die „assertorische Aufstellung" derselben, die Behauptung, die Lehre sei wahr oder erwiesen, verbieten, so dass es etwa erlaubt gewesen wäre, zu sagen, die Lehre sei zwar nicht als wahr oder wahrscheinlich erwiesen, aber auch nicht sicher falsch und es sei möglich, dass sich für dieselbe in Zukunft noch bes- sere Gründe finden Hessen als jetzt. Wie es gemeint war, wenn gestattet wurde, die Copernicanische Lehre „hypothe- tisch" vorzutragen, darüber geben uns zwei Jesuiten, welche in den Galilei'schen Processen eine hervorragende Rolle spielten, Auskunft. Bellarmin sagt in dem früher (S. 62) mitgetheilten Briefe: es sei gestattet, zu sagen: unter der Vor- aussetzung, dass die Erde sich bewege und die Sonne still stehe, Hessen sich alle Erscheinungen besser erklären als durch die Annahme der excentrischen Kreise und Epicyklen ; aber es sei nicht gestattet, zu sagen, die Sonne stehe wirk- lich im Mittelpunkte der Welt und bewege sich nur um sich selbst u. s. w„ und Melchior Inchofer sagt in einem bei dem zweiten Processe abgegebenen Gutachten2): man dürfe die

1) Handb. der kath. Dogm. S. 251. Auch Katholik 1864, I, 690 ver- sichert er: das Decret vom J. 1616 sei 1620 „bedeutend modificirt" worden.

2) Acten S. 105. Ganz ähnlich, nur ausführlicher spricht sich Incho- fer in dem später zu erwähnenden „Tractatus syllepticus" p. 48 aus. Die Stelle ist abgedruckt in der oben erwähnten Broschüre The Pontifical De-

Verdammung der Copern. Lehre. 123

Hypothese aufstellen, dass die Erde sich bewege, um auf Grund dieser Hypothese die astronomischen Erscheinungen zu veranschaulichen und die astronomischen Berechnungen zu erleichtern, aber man müsse dabei die Hypothese für eine reine Fiction halten, wie ja auch ein Mathematiker sich eine unendliche Linie denken und dann schliessen könne, dass ein darüber construirtes Dreieck unendlich sei, ohne darum anzunehmen, dass es wirklich eine unendliche Linie gebe, und wie ein Philosoph sagen könne, wenn die Welt von Ewigkeit gewesen wäre, hätte dieses und jenes noth- wendig oder wahrscheinlich geschehen müssen, während doch jeder Christ wisse, dass die Welt nicht von Ewigkeit sei. „Wenn die Index- Congregation, sagt P. Grisar ganz richtig, den Vortrag der Copernicanischen Lehre ex hypo- thesi, ex suppositione gestattete, so ist daraus nicht zu schliessen, dass sie der Lehre einige Wahrscheinlichkeit zu- gestand. Das Gegentheil ist vielmehr der Fall" (S. 100). „Sie Hess das System nur als eine blosse willkürliche An- nahme zur Erleichterung der Rechnungen und Darstellung der Erscheinungen gelten, ohne irgend welchen Anspruch auf Wahrheit oder auch nur Wahrscheinlichkeit" (S. 676) 1). Der Meinung gegenüber, die Lehre habe „wenigstens noch als einigermassen wahrscheinlich und nur nicht als sicher vorgetragen werden dürfen", verweist Grisar mit Recht auf die Sentenz vom 22. Juni 16332). In dieser wird

crees p. 52; ebendaselbst p. 53 die Erklärung des Georg Polaccus im Anti- copernicus catholicus, 1644, P- 5: »Die Cardinals-Congregation hat die Be- wegung der Erde (sie) nicht so verboten, dass es Niemand gestattet wäre, astronomische Schwierigkeiten durch die Voraussetzung der Bewegung der Erde aufzuhellen, wenn nur derjenige, der dieses thut, deutlich zu erkennen gibt, dass er sich auf jene Hypothese nicht als auf eine wahre stützt, son- dern nur von einem falschen Princip ausgeht, um die Sache besser aufzu- hellen, in ähnlicher Weise, wie die Theologen bei der Erklärung theologi- scher Schwierigkeiten sagen: Nehmen wir einmal an, Gott sei nicht unend- lich oder gerecht und dgl., oder was dasselbe ist: Wenn Gott, was unmög- lich ist, nicht unendlich oder nicht gerecht u. s. w. wäre, so würde dieses oder jenes folgen." 1

1) „Dem Ausdruck »Hypothese« wird meistens eine falsche Bedeutung beigelegt, indem man den Sinn, welchen er gegenwärtig in den Naturwissen- schaften hat, auf die damalige Zeit überträgt. Hypothese im Sinne jenes Decretes ist soviel als mathematische Fiction." Schneemann S. 263.

2) Vgl. Th. Lit.-Bl. 1876, 463.

124 Verdammung der Copern. Lehre.

von dem Index-Decrete gesagt, es sei erlassen worden, damit eine so verderbliche Lehre ganz beseitigt würde und sich nicht zum Schaden der katholischen Wahrheit weiterverbreitete", und weiter wird erklärt : wenn Galilei in seinem Dialog sich den Anschein gebe, als wolle er die Copernicanische Lehre nicht direct vertheidigen, sondern nur als unentschieden und probabel hinstellen, so sei auch das „ein schwerer Irrthum, da eine Meinung in keiner Weise probabel sein könne, welche als schriftwidrig erklärt und deiinirt worden sei".

Auf die Scheeben'sche Ansicht wird, wie überhaupt auf die Bedeutung und Tragweite der im J. 1616 von den Römischen Behörden getroffenen Entscheidung zurückzu- kommensein, nachdem wir auch die damit zusammenhängende Entscheidung vom J. 1633 werden kennen gelernt haben. Für das Verständniss des weitern Verlaufs der Geschichte Galilei's bis zu jenem Jahre genügt es, festzuhalten, dass im J. 161 6 im Auftrage des Papstes und der Inquisition durch die Index- Congregation ein Decret bekannt gemacht wurde, aus welchem Folgendes zu entnehmen war: Die Copernica- nische Theorie ist falsch und der h. Schrift durchaus wider- sprechend; es darf Niemand sie für wahr halten, sie als wahr nachzuweisen oder die betreffenden Stellen der h. Schrift mit ihr in Einklang zu bringen suchen; es ist aller- dings zulässig, sich jener Theorie als einer Annahme zur Erleichterung astronomischer Berechnungen und zur Erklä- rung von astronomischen Beobachtungen zu bedienen; dabei ist aber immer festzuhalten, dass diese Annahme weder wahr noch wahrscheinlich, dass sie vielmehr willkürlich und unrichtig ist.

P. Schneemann beklagt wiederholt „die unglückliche Fassung und Motivirung des Decretes der Index-Congrega- tion" (der Ausdruck wird auf drei Seiten, S. 260 262, fünf- mal gebraucht). Gemeint ist der über das blosse Bücherver- bot hinausgehende Inhalt des Decretes. Er verbindet dann mit diesen Klagen den Versuch, die Schuld der unglücklichen Formulirung des Decretes von seinem Orden ab- und dessen Gegnern zuzuwälzen. Er hat herausgefunden, dass unter den elf Qualificatoren drei, der Erzbischof von Armagh, der Augustiner Coronellus und der Dominicaner de Lemos,

Bellarmin und das Index-Decret. 125

waren, welche bei der einige Jahre vorher mit grosser Leb- haftigkeit geführten Controverse über die Gnadenlehre in der sog. Congregatio de auxiliis Hauptgegner der Jesuiten gewesen waren, und meint nun, dieselben seien auch ,, Chor- führer" in der Commission der Qualificatoren und die „Ur- sache des herben Urtheils" derselben gewesen, durch welche sich dann auch die Index- Corigregation [vielmehr die In- quisition] habe bestimmen lassen. Zugleich spricht er die Ueberzeugung aus, der Cardinal Bellarmin sei nicht der „geistige Urheber" des unglücklichen Decretes gewesen, und lässt die Ueberzeug-ung durchblicken, dass er in diesem Falle, wie bezüglich der Gnadenlehre, „abweichender Meinung von den meisten seiner Collegen in der Inquisitions-Congre- gation" gewesen.

Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass die Qualifica- toren und die Cardinäle, mögen sie bezüglich der Gnaden- lehre auf Seiten der Jesuiten oder auf Seiten der Domini- caner gestanden haben, bezüglich der Copernicanischen Lehre Einer Ansicht gewesen sind. Von Bellarmin aber wissen wir, dass er sich mit dieser Frage viel beschäftigt hatte. Dass der Beschluss der Inquisition gegen seinen Rath gefasst sein sollte, ist schon wegen des Ansehens, in dem er in Rom stand, nicht wahrscheinlich J), und die That- sache, dass gerade er beauftragt wurde, Galilei von dem Beschlüsse Kenntniss zu geben, spricht eher dafür, dass er „der geistige Urheber" desselben war. Und wenn sich, wie Schneemann sagt, Bellarmins Werke „durch die höchste Klarheit und Genauigkeit des Ausdrucks" auszeichnen, so spricht das nicht dagegen, dass er der geistige Urheber des Index-Decretes gewesen; er braucht es darum nicht gerade stilisirt zu haben, und an Unklarheit und Ungenauigkeit des Ausdrucks laborirt dasselbe keineswegs.

P. Grisar stimmt S. 730 seinem Ordensgenossen nicht ganz zu; er meint: „Bellarmin war sich stets klar genug,

i) Der Jesuit Hurter sagt, Katholik 1866, II, 53, unter Berufung auf den Cardinal del Monte: in den Congregationen sei Bellarmins Ansicht mass- gebend gewesen; die anderen Cardinäle hätten es sich zur Ehre angerechnet, seiner Meinung als der sicherern zu folgen, und es sei oft vorgekommen, dass, wenn bei der Berathung alle Anderen übereinstimmten, das Votum Bellarmins genügt habe, sie umzustimmen.

126 Bellarmin und das Index-Decret.

um mit Ueberzeugung dem Vorgehen seiner Collegen bei- zustimmen; aber er hätte seinerseits mehr Zurückhaltung und Langsamkeit bevorzugt", und S. 701 hält er es für „nicht unmöglich", dass Bellarmin es durchgesetzt, dass das Gutachten der Qualificatoren nicht wörtlich angenommen und namentlich die Bezeichnung der Copernicanischen Lehre als einer „häretischen" unterlassen worden sei.

Schneemanns und Grisars Vermuthungen stützen sich wesentlich auf Bellarmins oben (S. 62) mitgetheilten Brief an Foscarini und ähnliche Aeusserungen desselben. Wenn Bellarmin in jenem Briefe die Möglichkeit zugibt, dass sich die Copernicanische Theorie noch einmal als richtig und darum auch mit der Bibel vereinbar herausstellen könne, so hätte ihn das freilich, wie wir gesehen haben, abhalten müs- sen, der beantragten Verdammung der Copernicanischen Lehre zuzustimmen. Thatsächlich hat er aber jedenfalls denjenigen beigestimmt, welche die Copernicanische Lehre, weil sie mit der damals herrschenden astronomischen An- sicht und mit der damals herrschenden Auffassung mehrerer Bibelstellen in Widerspruch stand, mindestens für falsch und der h. Schrift widersprechend erklärten ; denn hätte er nicht zugestimmt, so hätte er sich nicht dazu hergeben können, diesen Beschluss Galilei amtlich zu notificiren. Wenn er wirklich das Verdienst beanspruchen kann, bewirkt zu haben, dass in das Index-Decret nicht die von den Qualificatoren gebrauchten Ausdrücke aufgenommen wurden, so ist das, wie wir sehen werden, nicht so hoch anzuschlagen und jedenfalls nicht genügend, um es zu entschuldigen, dass er es mit „seiner Ueberzeugung" vereinigen konnte, „dem Vor- gehen seiner Collegen beizustimmen", während er nach dem, was er in dem Briefe an Foscarini äussert, nicht nur „mehr Zurückhaltung und Langsamkeit hätte bevorzugen", sondern eine doctrinelle Erklärung gegen die Copernicani- sche Theorie überhaupt zu verhindern sich hätte bemühen müssen.

Galilei's Verwarnung 26. Febr. 16 16. 127

XI. Galilei's Yerwarnung am 26. Februar 1616.

Die durch das Decret der Index-Congregation vom 5. März 1616 publicirte Verdammung der Copernicanischen Ansicht ist das wichtigste Ergebniss der durch die Denun- ciationen Lorini's und Caccini's veranlassten Verhandlungen der Inquisition. Der gegen Galilei persönlich eingeleitete Process wurde niedergeschlagen. Man hätte ihn weiter •führen und gerichtlich constatiren können, dass Galilei die von der Inquisition für falsch und schriftwidrig erklärten Sätze mündlich und schriftlich ausgesprochen, und man hätte darauf hin Galilei wenigstens zu einer Retractation anhalten können. Man beschränkte sich aber darauf, ihm von dem Urtheile der Inquisition über die Copernicanische Lehre in amtlicher Weise Kenntniss zu geben, ihm bemerklich zu machen, dass er diese Lehre jetzt nicht mehr für wahr halten dürfe, und ihm das Versprechen abzunehmen, dass er sie nicht mehr vortragen und vertheidigen wolle. Die auf diese Verwar- nung bezüglichen Actenstücke müssen eingehender, als oben S. 1 15, besprochen werden, weil eines derselben in dem zweiten Processe eine grosse Rolle spielt und weil von Vielen, welche in der neuesten Zeit über die Galilei'sche Angelegenheit ge- schrieben, behauptet wird, dasselbe sei unmittelbar vor dem zweiten Processe gefälscht worden. Die Actenstücke sind folgende:

I. Die schon oben erwähnte Aufzeichnung des Notars der Inquisition vom 25. Febr. 1616: „Der Cardinal Mellini hat dem Assessor und dem Commissar des h. Officiums mit- getheilt: nachdem die Censur der Patres Theologen über die Sätze des Mathematikers Galilei, dass die Sonne der Mittel- punkt der Welt . . . , [in der Sitzung der Inquisition] vor- getragen worden, habe Seine Heiligkeit befohlen, der Car- dinal Bellarmin solle Galilei zu sich bescheiden und ihn er- mahnen (moneat), die besagte [Copernicanische] Meinung

128 Galilei's Verwarnung 26. Febr. 1616.

aufzugeben ; wenn er sich weigere zu gehorchen, solle der Pater Commissar vor Notar und Zeugen ihm den Befehl ertheilen (faciat Mi praeceptum), ganz und gar nicht mehr eine derartige Lehre und Meinung zu lehren, zu vertheidig-en oder zu er- örtern {ut omnino abstineat huiusmodi doctrinam et opinio- nem docere aut def ender e seu de ea tractare) ; wenn er sich (diesem Verbote) nicht fügen wolle, solle er eingekerkert werden1).

II. Eine unmittelbar dahinter, theilweise noch auf der- selben Seite, theilweise auf dem folgenden Blatte der Vati- canischen Acten stehende Aufzeichnung- von der Hand des- selben Notars2), welche mit Weglassung einiger unwesent- lichen Worte so lautet: ,, Freitag 26. desselben Monats [Fe- bruar 1616]. In der Wohnung des Cardinais Bellarmin hat dieser Cardinal in Gegenwart des Fr. Michael Angelus Se- ghitius von Lauda aus dem Prediger-Orden, des General- commissars des h. Officiums, den oben genannten Galilei über das Irrthümliche der oben besagten Meinung belehrt und ihn ermahnt, dieselbe aufzugeben (monuit de errore su- pradictae opinionis et ut illam deserat) ; und gleich darauf (et successive ac incontinenti) hat in meiner Gegenwart und in Gegenwart von Zeugen und noch in Anwesenheit des be- sagten Cardinais der Pater Commissarius dem besagten dort noch anwesenden Galilei im Namen unseres heiligsten Herrn des Papstes und3) der ganzen Congregation des h. Officiums befohlen und geboten (praecepit et ordinavit), die oben be- sagte Meinung, dass die Sonne . . . ., ganz aufzugeben und sie in Zukunft in keiner Weise mehr festzuhalten4), zu lehren

1) Acten S. 48.

2) Acten S. 49. Das Stück steht facsimilirt bei Epinois, Les pieces p. 40.

3) Mit „und" beginnt das zweite Blatt.

4) Die beste Uebersetzung von teuere in diesem Zusammenhange ist, wo es absolut steht, ,,für wahr halten", in der Verbindung opinionem tenere oder tanquam veram tenere (italienisch tener per oder come vera) „fest- halten". Tenere ist synonym mit credere; die beiden Ausdrücke werden oft pleonastisch mit einander verbunden, z. B. in der Sentenz gegen Galilei : d'haver creduto e tenuto dottrina falsa, und in dem Verhörsformulare S. A. p. 63 : An tenuerit et crediderit und Quid modo credat vel teneat circa praemissa. Vgl. S. A. p. 92. 105 u. s. w. Es handelt sich bei tenere um die innere Ueberzeugung, nicht um ein äusserliches Bekenntniss, auch nicht um „das Aufrechthalten einer Ansicht abweichenden Ansichten gegenüber",

Galilei's Verwarnung 26. Febr. 1616. 129

oder zu vertheidigen, in Wort oder Schrift (nee eam de cae- tero qnovis modo teneat, doceat, aut defendat, verbo aut scrifitis) ; widrigenfalls werde gegen ihn im h. Officium verfahren werden. Diesem Gebote (praeeepto) fügte sich selbiger Ga- lilei und versprach zu gehorchen. So geschehen zu Rom wie oben in Gegenwart des Hochwürdigen Herrn Badinus Nores aus Nicosia im Königreich Cypern und des Augustinus Mongardus aus einem Orte der Abtei Rosa in der Diö- cese Montepulciano, Familiären des besagten Cardinais, als Zeugen" !).

III. Der von Gherardi unter Nro. VI veröffentlichte Bericht über die Sitzung der Inquisition vom 3. März 16 16: „Nachdem der Cardinal Bellarmin berichtet, der Mathema- tiker Galileo Galilei sei im Auftrage der h. Congregation ermahnt worden, die Meinung, die er bisher gehegt, dass die Sonne . . . . , aufzugeben, und er habe sich gefügt" u. s. w. 2)

IV. Ein eigenhändiges Zeugniss, welches Cardinal Bel- larmin am 26. Mai 161 6 Galilei ausstellte3): „Da wir, Robert Cardinal Bellarmin, gehört haben, dass der Herr Galileo Ga- lilei verleumdet und von ihm gesagt worden ist, er habe in unsere Hand abgeschworen, und ferner, es seien ihm heil- same Bussübungen aufgelegt worden, und da wir ersucht worden sind, die Wahrheit zu bezeugen, so erklären wir: der besagte Herr Galileo hat weder vor uns noch vor einem Andern hier in Rom noch, so viel wir wissen, anderswo irgend eine seiner Meinungen und Lehren abgeschworen, noch sind ihm Bussübungen oder dergleichen aufgelegt worden; vielmehr ist ihm nur die von unserm Herrn [dem

wie Zeller, D. Rundschau IX (1876). 73 meint (er übersetzt „behaupten", Reumont ebenso unrichtig „befolgen"). Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 13; Ist Gal. gef. worden? S. 83.

1) P. Schneemann sagt S. 120: Galilei sei „zwei Tage vor dem 5. März", also am 3., zu Bellarmin beschieden und ihm von diesem im Namen des Papstes und „in Gegenwart des Magister Sacri Palatii" bedeutet worden u. s. w. S. 392 ff. stellt er dann freilich die Sache richtiger dar.

2) Feria V. die III. Martii 1616. Facta relatione per Illustrissimum D. Cardinalem Bellarminum, quod Galilaeus Galilei Mathematicus monitus de ordine Sacrae Congregationis ad deserendam opinionem, quam hactenus tenuit, quod sol sit centrum sfihaerarum et immobilis, terra autem mobilis, acquievit etc. S. o. S. III. 3) Acten S. 87. 91.

Reuscb, Galilei. 9

130 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.

Papste] gemachte und von der h. Congregation des Index publicirte Erklärung amtlich mitgetheilt worden (demmtiata), dass die dem Copernicus zugeschriebene Lehre, die Erde bewege sich um die Sonne und die Sonne stehe im Mittel- punkte der Welt, ohne sich von Osten nach Westen zu be- wegen, — der h. Schrift zuwider sei und darum nicht ver- theidigt oder für wahr gehalten werden dürfe."

Diese vier Actenstücke scheinen nicht ganz mit einander in Einklang zu stehen. Aus allen vier ergibt sich, dass Ga- lilei eine Verwarnung bezüglich der Copernicanischen Lehre erhalten hat; aber 1. wird der Inhalt dieser Verwarnung nicht übereinstimmend angegeben ; 2. scheinen die Angaben darüber zu differiren, ob die Verwarnung in der Form einer blossen Ermahnung oder auch noch in der Form eines förm- lichen Befehls, eines Praeceptum, wie der technische Aus- druck lautet, ertheilt worden; im Zusammenhange damit kann es 3. fraglich erscheinen, ob nur der Cardinal Bellar- min oder auch der Commissar der Inquisition Galilei ver- warnt hat. Namentlich spricht das unter Nr. IV mitgetheilte Actenstück nur von einer Ermahnung des Cardinais Bellar- min, die ihrem Inhalte nach mit dem von der Index-Congre- gation erlassenen Decrete übereinstimmte, während nach dem unter II mitgetheilten Actenstücke Galilei nicht nur von Bellarmin ermahnt, sondern ihm darauf auch noch durch den Commissar ein förmliches Praeceptum ertheilt wurde, welches inhaltlich über das Index - Decret hinauszugehen scheint.

Von diesem letztern Actenstücke (II) nun hat Wohl- will in der 1870 erschienenen Schrift „Der Inquisitionsprocess des Galileo Galilei'' zu beweisen versucht, es sei eine Fälschung, d. h. es sei erstens inhaltlich unwahr und in Wirklichkeit sei Galilei am 26. Februar nur von Bellarmin ermahnt worden, und es sei zweitens nicht an diesem Tage von dem Notar der Inquisition niedergeschrieben, sondern im J. 1632 zu dem Zwecke fabricirt worden, um bei dem zweiten Processe als Anklagematerial gegen Galilei ver- wendet zu werden, und die Inquisition habe im J. 1633 die Verurtheilung Galilei's auf Grund dieses gefälschten Docu- mentes beschlossen. Diese Ansicht ist gleichzeitig auch von S. Gherardi ausgesprochen, von den Meisten, welche seit dem J. 1870 über Galilei geschrieben, als richtig anerkannt und

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6. 131

noch in der neuesten Zeit von Wohlwill selbst und Anderen gegen die dagegen erhobenen Bedenken vertheidigt worden1). Die Ausführung der Fälschung denkt sich Wohlwill so : auf dem ersten Blatte hat hinter dem Satze, welcher über die Mahnung Bellarmins berichtet, also hinter dem Worte deserat ursprünglich die Notiz, dass Galilei Gehorsam ver- sprochen, und der Schluss des Protocolls gestanden, etwa: Galileus parere promisit. Super quibus actum ubi supra. N. N. S. Romanae et Universalis Tnquisitionis Notarius. Diese Zeilen sind im J. 1632 ausradirt und dafür die jetzt dort stehenden Zeilen von Et successive an substituirt und dann ist auf dem folgenden Blatte der Schluss des neuen, ge- fälschten Protocolls beigefügt worden2).

1) Wohlwill vertheidigt seine Ansicht gegen die von Friedlein (s. u.) erhobenen Einwendungen in der Zts. f. Math. 1872, L.-Z. S. 9 31. 81 96. In der Schrift „Ist Galilei gefoltert worden?" S. 116 hält er seine Ansicht aufrecht. Auf Grund des von H. de l'Epinois veröffentlichten Facsimile's des Actenstücks sucht er dieselbe weiter zu begründen in der im Dec. 1877 autographirten Abhandlung „Die Fälschung des Protocolls vom 26. Febr. 161 6"; vgl. Gott. G. A. 1878, St. 21. Gherardi hat dieselbe Ansicht zu- erst 1870 in dem Aufsalze ,,11 Processo Galileo" in der Rivista Europea, dann 1872 in dem Aufsatze „Sulla dissertazione del dott. E. Wohlwill" in derselben Zeitschrift entwickelt. Wohlwill stimmten bei: M. Cantor, Zts. f. Math. 1871, L.-Z. S. 1 8, und besonders Gegenwart 1877, No- 44> 45; Riccardi, Di alcune etc. [s. o. S. 2] p. 6; Zeller, D. Rundschau IX (1876), 75; Scartazzini, Unsere Zeit 1877, 1, 502. II, 440; Rivista Europea 1877, Vol. IV, 839; 1878, Vol. V, 1. 583; Allg. Ztg. 1877, No. 30iß. 302; 1878, No. 11B.; Mag. f. d. Lit. des Ausl. 1878, No. 14. 15. Für die Echtheit des Actenstückes sprechen sich aus: Friedlein, Jahrb. f. math. Unterr. 1,333; Zts. f. Math. 1872, L.-Z. S. 41. 112; Berti in einem Sendschreiben an K. v. Gebier in dem Buche II Processo etc. p. 155, und N. Antol. 1877, Vol. IV, I; A. Wolynski, Riv. Internazionale 1876, No. 15, und Nuovi Documenti p. 36. 65; H. de l'Epinois, La question p. 224; ferner Gilbert, Grisar, Schnee- mann u. s. w. K. v. Gebier hat Wohlwill zugestimmt in dem Buche „Galileo Galilei" S. 193 und in einer Erwiederung auf Berti's Sendschreiben in der N. Antol. 1876, Vol. III, 48. Er hat diese Zustimmung zurückgezogen und die Echtheit des Actenstückes begründet in den „Acten" S. XXI und Allg. Ztg. 1878, No. 56. 57 B. 58 B. Er nimmt aber an, der Notar der Inquisition, der das Actenstück am 26. Febr. 1616 geschrieben, habe etwas berichtet, was nicht geschehen sei.

2) So in dem oben erwähnten autographirten Aufsatze S. I. 6. 9. Scartazzini (Riv. Eur. IV, 858; Mag. f. Lit. des Ausl. 1878, No. 14) meint, das Blatt, worauf die echte Aufzeichnung über den Vorgang vom 26. Februar gestanden, sei weggeschnitten worden.

132 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.

Ueber die Ansicht, die Inquisition habe sich im J. 1633 bei der Verurtheilung Galilei's wesentlich auf das Actenstück vom 26. Febr. 16 16, wie es jetzt in den Acten steht, gestützt, und über die mit dieser Ansicht zusammenhangenden Argu- mente für die Annahme einer Fälschung wird später zu reden sein. Hier beschränke ich mich auf die Prüfung eini- ger anderen Argumente.

1. Was die äussere Beschaffenheit des Actenstücks betrifft, so bezeugen die drei Gelehrten, welche in neuester Zeit die Vaticanischen Acten in Händen gehabt, Berti, de l'Epi- nois und Gebier, dass sie die Annahme einer Fälschung desselben in keiner Weise bestätige, und Gebier hat auch den Versuchen von Wohlwill1), Cantor2) und Scartazzini f{) gegenüber, aus der Beschaffenheit der Schrift und der An- ordnung der einzelnen Blätter des Actenfascikels das Gegen- theil zu erweisen, als misslungen nachzuweisen versucht4). Auf die Einzelheiten einzugehen, würde hier zu weit führen. So lange nicht auf Grund einer nochmaligen Untersuchung der Papiere das Gegentheil erwiesen wird, wird man das Zeugniss derjenigen, welche dieselben untersucht haben, gelten lassen dürfen.

2. Zu Zweifeln an der Echtheit des fraglichen Acten- stücks hat zunächst die eigenthümliche Form desselben Anlass gegeben5). Es ist kein eigentliches Protocoll; ein solches würde von Galilei, dem Notar und den Zeugen unterschrieben sein6). Die früher von mir7) geäusserte Vermuthung, es sei

1) In dem oben erwähnten autographirten Aufsatze; vgl. G. G. A. 1878, 657.

2) Gegenwart 1877, No. 44. 45; vgl. Allg. Ztg. 1878, No. 15 B. 26 B.

3) Riv. Eur. 1877, IV, 854. Allg. Ztg. 1878, No. 11 B., vgl. 22 B.

4) Allg. Ztg. 1878, No. 56. 57 B. 58 B. Vgl. Wolynski, Nuovi docu- menti p. 78.

5) "Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 72.

6) Die Unterschrift der Zeugen wäre nach dem Stil der Inquisition wohl nicht gerade nöthig gewesen. Im Sacro Arsenale p. 36 wird folgende Formel angegeben: Actum per me N. de-N. Notarium Sancti Officii anno, die, loco et coram, ut supra, und beigefügt: wenn Zeugen zugegen gewesen, sei hinzuzufügen: praesentibus pro testibus vocatis etc. N. de N. et N. de N.

7) Th. Lit.-Bl. 1873, 11; Hist. Zts. 34, 134. Dieser Vermuthung haben S. Günther, Vierteljahrschr. der astron. Ges. II. Bd. 3. H., und Zöckler, Gesch. der Beziehungen zw. Theol. und Naturwiss. I, 534, zugestimmt; Günther hat aber seine Zustimmung später, Jahrb. f. math.Unterr. VIII, 251, zurückgenommen.

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. 133

der Entwurf eines Protocolls, ist haltlos. Eher könnte man es für eine Abschrift eines Protocolles halten, bei welcher die Unterschriften weggelassen wären. Es scheint aber ein förmliches Protocoll über den betreffenden Vorgang gar nicht aufgenommen worden zu sein; wenigstens findet sich ein solches nicht in den Acten der Inquisition, und wäre zur Zeit des zweiten Processes, als man auf den Vorgang am 26. Febr. 161 6 Bezug nahm, ein förmliches Protocoll darüber vorhanden gewesen, so würde dasselbe ohne Zweifel pro- ducirt worden sein1). Die Aufzeichnung ist mit P. Grisar S. 90 als eine „Registratur" zu bezeichnen2), als eine von dem Notar der Inquisition gemachte und den Acten einver- leibte amtliche Aufzeichnung. Solcher Registraturen finden sich in den Vaticanischen Acten noch zwei, die der vor- liegenden in der Form ganz ähnlich sind. Hinter dem Pro- tocoll über das Verhör Galilei's am 30. April 1633 steht S. 85 eine Aufzeichnung, welche (abgekürzt) so lautet: „An demselben Tage 30. April 1633 hat der Commissar Ga- lilei im Auftrage des Papstes gestattet, in dem grossher- zoglichen Palaste zu wohnen, nachdem Galilei eidlich ver- sprochen, die ihm gegebenen Weisungen zu befolgen. So ge- schehen zu Rom im Sitzungssaale des Palastes des h. Offi- ciums in Gegenwart des Hochw. Herrn Thomas de Fede- ricis aus Rom und des Franc. Ballestra von Offida, Kerker- meisters dieses h. Officiums, als Zeugen u. s. w.". Und S. 115 steht folgende Registratur : „Samstag 2. Juli 1633. Der Hochw. . . Commissar hat, während ich als Notar zugegen war, Galilei das Decret Sr. Heiligkeit mitgetheilt, dass er Rom verlassen könne, sich geraden Weges nach Siena be- gaben solle . . . Allen und jeglichen Punkten hat er zu ge- horchen versprochen. So geschehen zu Rom in dem Zimmer des besagten Galilei in der Mediceischen Villa auf dem Monte Pincio." Auch diese Registraturen sind ohne alle Unter- schriften. Bemerkenswerth ist, dass, während das Sacro Ar- senale die Unterschrift des Notars für alle Verhörsprotocolle ausdrücklich vorschreibt, kein einziges der Verhöre Galilei's

1) Gebier, Acten S. XXVIII.

2) Galilei spricht Acten S. 89 von dem comandamento fattomi e registrato.

134 ^e Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6.

von dem Notar unterschrieben ist !) : in Rom scheint also in dieser Hinsicht eine andere Praxis als bei den anderen In- quisitionstribunalen bestanden und ein von dem Notar eigen- händig geschriebenes und zu den Acten genommenes Pro- tocoll der Unterschrift des Notars nicht bedurft zu haben2).

Wenn Gebier3) darauf hinweist, als Galilei am 1. Oct. 1632 durch den Inquisitor zu Florenz der Befehl der Inqui- sition, nach Rom zu kommen, intimirt worden sei, habe er schriftlich bescheinigen müssen, dass er diese Weisung erhalten und ihr nachkommen wolle, und nachdem er das Zimmer verlassen, seien Notar und Zeugen, welche sich bis dahin im Nebengemache versteckt gehalten, hinzugetreten und hätten unter Galilei' s Unterschrift mit eigener Hand bestä- tigt, dass sie zugegen gewesen, als jener „Obiges versprach, schrieb und unterschrieb," so bemerkt dagegen P. Grisar S. 92 mit Recht: „Dieser Fall weist keine Analogie auf. Die gedachte Citation geschah nicht durch einen Beamten des Römischen Inquisitionstribunals, sondern durch einen von diesem Gerichtshof deputirten Mandatar. Dass aber der Act der Citation wirklich vorgenommen worden, das konnte bei der Römischen Inquisition nicht durch Eintragung des- selben in die Römischen Gerichtsacten constatirt werden; dazu bedurfte es vielmehr eines an Ort und Stelle in aller Form aufgenommenen Protocolls."

Die früher von mir4), neuestens von Gebier5) ausge- sprochene Ansicht, die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616 sei zwar nicht eine Fälschung, aber ein Actenstück, welches als juristisch werthlos bei dem zweiten Processe nicht hätte als Beweisstück benutzt werden dürfen, ist nach dem Ge- sagten unrichtig. Galilei selbst erhebt denn auch, als auf das Schriftstück Bezug genommen wird, nicht die Einrede, es sei nicht beweiskräftig, weil alle Unterschriften fehlten.

3. Wohlwill S. 75 findet einen Grund, die Echtheit des Actenstücks zu bezweifeln, auch darin, dass an den beiden

1) Auch die Protocolle bei Gibbings, O'Farrihy p. 14 sind nicht von dem Notar unterschrieben.

2) Die Protocolle über Verhöre in Florenz S. 40 sind von dem Pro- tocollfiihrer unterschrieben.

3) Acten S. XXVII. 65.

4) Hist Zts. 34, 133. 5) Acten S. XXXII.

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6. 135.

darin genannten Zeugen „alles auffallend sei: die Namen, die Heimath, die Stellung oder vielmehr der Mangel einer Stellung, die dem wichtigen Acte entspreche". Es lag aber doch sehr nahe, Familiären des Cardinais, in dessen Woh- nung der Act aufgenommen wurde, als Zeugen zu verwen- den1); Männer von hervorragender Stellung dazu zu nehmen, dazu war der Act nicht wichtig- genug. Dass die Namen dieser Familiären des Cardinais sonst nicht erwähnt werden, ist nicht auffallend. Dass einer aus Cypern war, ist aller- dings merkwürdig; dass der andere aus der Diöcese Monte- pulciano war, ist dagegen nichts weniger als auffallend: Bellarmin war aus Montepulciano gebürtig und verwaltete unter Paul V. einige Jahre dieses Bisthum für den abwe- senden Bischof2).

4. „Es verstösst gegen die Praxis der Inquisition, dass der Generalcommissar des h. Officiums mit Notar und Zeugen sich in eine Privatwohnung begeben habe, um daselbst Galilei einen officiellen, feierlichen, wichtigen Befehl zu er- theilen. Hätte sich Galilei bei der Ermahnung des Cardi- nais nicht beruhigt, so würde er ohne allen Zweifel in op- tima forma gerichtlich vorgeladen worden sein." So Scar- tazzini3). Wenn, wie wir oben No. 2 gesehen, der Commissar mit dem Notar sich in die Villa Medici begab, um Galilei eine amtliche Mittheilung zu machen, so konnte er sich noch viel eher in die Wohnung eines Cardinais, der Mitglied der Inquisition war, begeben (Zeugen brauchte er nicht mitzu- bringen). Die Inquisition hätte „ohne Zweifel Galilei in op- tima forma gerichtlich vorladen" können; Bellarmin hätte, wenn Galilei sich bei seiner Ermahnung nicht beruhigte, dieses dem Commissar anzeigen und diesem anheimgeben können, nunmehr den ihm eventuell ertheilten Auftrag zu erfüllen und zu diesem Behufe Galilei in das Inquisitions- gebäude zu citiren. Aber wenn Bellarmin rücksichtsvoll

i) Wolynski S. 38 vermuthet, es seien der Secretär und der Cauda- tario des Cardinais gewesen.

2) Eigenthümlich ist allerdings die Bezeichnung de loco abbatiae Ro- sae (Wohlwill hatte noch die falsche, allerdings sehr wunderliche Lesart de Loco abbatis Rottz), zumal eine Abbatia Rosa in der Diöcese Montepulciano nicht bekannt ist (es gab eine Abtei Sancta Maria de Rosa oder Rosata in der Diöcese Siena); Epinois, Les pieces p. 41.

3) Allg. Ztg. 1878, No 11 B.; vgl. Riv. Eur. IV, 845.

136 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6.

gegen Galilei verfahren wollte, und er wollte das ohne Zweifel ebenso wohl wie der Papst und die Inquisition, so konnte er, ohne gegen die Praxis der Inquisition zu Ver- stössen und ohne die einem so einflussreichen Cardinal und Inquisitionsmitgliede zustehenden Befugnisse zu überschreiten, gleichzeitig mit Galilei auch den Commissar mit seinem No- tar zu sich bescheiden, um für den Fall, dass es nöthig sein sollte, Galilei das Praeceptum zu ertheilen.

5. Das Hauptargument gegen die Echtheit der Auf- zeichnung vom 26. Febr. ist dieses, dass sie in Widerspruch stehe mit den anderen oben mitgetheilten, anerkannt echten Actenstücken, zunächst mit der unmittelbar davor stehenden Aufzeichnung über die Sitzung der Inquisition vom 25. Febr. In dieser Sitzung war beschlossen, falls Galilei sich der Er- mahnung des Cardinais nicht füge, solle der Commissar ihm das Praeceptum ertheilen. In der fraglichen Aufzeichnung wird zunächst angegeben, Bellarmin habe Galilei ermahnt, dann, ohne dass von einer Weigerung desselben zu gehor- chen etwas gesagt wird, successive ac incontinenti habe der Commissar ihm den Befehl ertheilt. „Dieses successive ac Incontinentia sagt Wohlwill S. 7, an der Stelle, wo man Galilei's Gegenäusserung erwartet, sagt kaum etwas ande- res als: »ohne ihm zur Antwort Zeit zu lassen«. Diese Worte beseitigen, man könnte glauben, mit absichts- vollem Nachdruck, die Vermuthung, es möge das Auf- treten des Commissars durch eine Aeusserung Galilei's mo- tivirt sein." Aehnlich Gebier (S. 98) und Andere.

Aber successive ac incofitinenti ist, wie sich aus den Formularen des Sacro Arsenale ergibt, eine oft und da- rum hier jedenfalls nicht „mit absichtsvollem Nachdruck" gebrauchte Formel, die nicht „gleich darauf ohne Unter- brechung" (Gebier, Cantor) oder „darauf folgend und so- fort" (Wohlwill), sondern einfach „im Anschluss hieran" (Grisar S. 93) bedeutet und nur den juristischen, nicht den "ununterbrochenen chronologischen Zusammenhang zweier Acte bezeichnet. Im Sacro Arsenale wird z. B. S. 1 79 pro- tocollirt, wie zwei Angeklagte mit einander in der Folter- kammer confrontirt werden und dann der eine weggeführt wird; dann folgt: Et successive incontinenti fuit dictus B. in tormentis existens interrogatus. Nach der Beendigung des peinlichen Verhörs und der Abführung des B. wird das

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6. 137

Protocoll über das Verhör des Andern eingeleitet mit Suc- cessive incontinenti eductus de carceribus et personaliter con- stitutus N. N. de quo supra fuit interrogatus u. s. w. S. 325 heisst es nach der Verlesung einer Sentenz : Successive et in- continenti N. audito tenore dictae sententiae illique parere volens . . . abiuravit, dann S. 327 nach der Abschwörung: Successive et incontinenti N. supradictus . . . fuit ab solutus ab excommunicatione1). Wenn der Notar also diesen Aus- druck in der Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16 gebrauchte, so ist damit nicht gesagt, dass der Commissar sein Praecep- tum ertheilte, ohne Galilei Zeit zu lassen, auf die Ermah- nung Bellarmins etwas zu erwiedern. Der Notar hatte über- haupt kein förmliches Protocoll über die Verhandlungen in der Wohnung des Cardinais aufzunehmen, sondern nur amt- lich zu notiren, dass das, was die Inquisition angeordnet, ge- schehen sei und dass sich die eventuell in Aussicht genommene Einkerkerung Galilei's nicht als nöthig herausgestellt habe. Auch wenn Galilei der Mahnung des Cardinals widersprach, brauchte dieses nicht notirt zu werden ; da er sich dem Be- fehle des Commissars fügte, hatte jene Weigerung keine weiteren juristischen Folgen für Galilei, war namentlich seine Einkerkerung nicht nöthig2). Allerdings lässt die Aufzeich- nung aber, sofern sie berichtet, dass es nicht bei der Er- mahnung Bellarmins geblieben, sondern auch der Commis- sar sein Praeceptum ertheilt habe, voraussetzen, dass Galilei sich jener Ermahnung nicht gefügt habe. Ob dieses so un- wahrscheinlich ist, wie die Bestreiter der Echtheit der Auf- zeichnung annehmen, wird unten erörtert werden.

i) In der Ausgabe des S. A. von Pasqualone S. 25 schliesst das Protocoll über das Verhör eines Denuncianten mit Acta sunt haec per nie Cur- tium Signanum, S. Officii Notarium. Dann folgt: Eadem die. Attentis su- pradictis Dominus (der Inquisitor) decrevit et mandavit festes informatos citani. S. 41 steht in einem ganz ähnlichen Falle: Acta sunt . . . Successive Dominus decrevit etc., und S. 53 : Acta sunt . . . Successive et immediate attentis supradictis Dominus decrevit. S. 107 wird das Protocoll über eine Anzeige eines Kirchendiebstahls mit* Acta sunt etc geschlossen; dann folgt: Immediate attentis narr atis Dominus decrevit fieri accessum ad eccle- siam . . . et ibi iuridice describi visum et repertum. Ita est ; Curtius Sig- nanus, S. Off. Not.: dann wird mit Successive das Protocoll über die Unter- suchung der Kirche eingeleitet, und darauf das in der Sacristei vorgenommene Verhör eines Zeugen mit Incontinenti.

2) Grisar S. 93.

138 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16.

6. Mit der Aufzeichnung über die Sitzung der Inqui- sition vom 3. März (s. o. No. III) steht die Aufzeichnung vom 26. Febr. in keinem Widerspruch; denn wenn es in jener heisst: Bellarmin habe berichtet, Galilei sei „ermahnt" worden, seine Meinung aufzugeben, und habe sich gefügt, so schliesst diese kurze Notiz nicht aus, dass ausser dem Cardinal selbst auch der Commissar Galilei ermahnt. Bel- larmin wird in der Sitzung ausführlicher berichtet haben; die von Gherardi veröffentlichten Aufzeichnungen über die Sitzungen der Inquisition sind aber alle so lakonisch, dass es gar nicht auffällt, wenn in dieser nichts mehr notirt ist, als nöthig war, um zu constatiren, dass der Beschluss der vorhergehenden Sitzung ausgeführt worden und ein weiteres Vorgehen gegen Galilei nicht nöthig sei.

Wohlwill meint aber1), die Aufzeichnung vom 26. Febr. stehe in Widerspruch mit dem Zeugniss des Cardinais Bel- larmin vom 25. Mai (s. o. No. IV): nach diesem Zeugniss, sagt er, „ist der Beschluss der Index- Congregation [genauer gesagt: der Beschluss der Inquisition, welcher Später durch das Index-Decret promulgirt wurde] Galilei persönlich mit- getheilt worden, nichts weiter"; Bellarmin „leugnet darin jeden Befehl, der über den Inhalt dieses Decretes hinaus- geht", ja, „er leugnet implicite, dass nach ihm selbst der Commissar zum Worte gekommen". Das ist zu viel ge- sagt. Der eigentliche Zweck des Zeugnisses ist, Galilei zu bescheinigen, dass er nicht zur Abschwörung oder zu irgend einer Busse oder dergleichen verurtheilt worden sei; wenn der Cardinal beifügt: „sondern es ist ihm nur die Erklärung des Papstes . . . amtlich mitgetheilt worden", so schliessen diese Worte nicht, wie Wohlwill S. 78 meint, „imfilicite die Behauptung ein, dass Niemand ausser ihm Galilei eine Wei- sung ertheilt habe"; denn das „sondern nur" bildet einen Gegensatz zu der behaupteten Abschwörung u. s. w„ n^cht zu einer amtlichen Eröffnung durch einen Andern als Bellar- min. Dieser sagt ja nicht: „sondern nur von mir ist ihm" u. s. w. Seine Worte schltessen gar nicht einmal aus, dass die amtliche Eröffnung nicht durch Bellarmin selbst, sondern in dessen Auftrag oder Gegenwart durch einen Andern ge- macht worden sei und dass sich Galilei einer Eröffnung

S. 18. 20. 22; vgl. 60. 61. 78.

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. 139

dieses Letztern gefügt habe1). Das bekundet das Zeugniss allerdings, dass die Mittheilung, welche Galilei gemacht wurde, inhaltlich dem Index-Decrete entsprach, und dass dieses der Fall war, werden wir unten sehen.

7. Wir haben über den Vorgang am 26. Febr. 16 16 ausser der Aufzeichnung des Notars nur noch Einen Bericht, das, was Galilei in dem Verhör vom 12. April 1633, also 17 Jahre später, darüber aussagte2). Es ist im Wesentlichen Folgendes. Er sagt zunächst: der Cardinal Bellarmin habe ihm eröffnet, die Copernicanische Meinung dürfe hypothetisch festgehalten werden, wie sie Copernicus selbst festgehalten und wie der Cardinal gewusst, dass auch er (Galilei) sie festhalte; absolut genommen dürfe sie nicht festgehalten und vertheidigt werden, da sie, absolut genommen, der h. Schrift widerspreche. Zur Bestätigung dieser Mittheilung überreicht er das Zeugniss des Cardinals. Auf die Frage, ob Jemand dabei zugegen gewesen, als ihm der Cardinal diese Eröffnung gemacht, antwortet er: ja, einige Domini- caner, die er nicht gekannt habe. Auf die weitere Frage, ob ihm von diesen Dominicanern oder von irgend einem. Andern irgend ein Befehl (praeceptiaii) bezüglich der Coper- nicanischen Lehre ertheilt worden sei, antwortet er: „Ich erinnere mich, dass die Sache so zugegangen ist: Eines Morgens Hess mich der Cardinal Bellarmin rufen und sagte mir etwas (im certo particolare), was ich nicht gern Jemand anders als dem Papste mittheilen möchte3); schliesslich aber sagte er mir, die Meinung des Copernicus könne als der h. Schrift widersprechend nicht für wahr gehalten oder ver- theidigt werden. Ich erinnere mich nicht, ob jene Domini- caner von Anfang an zugegen waren oder später hinzu- kamen, auch nicht, ob sie zugegen waren, als mir der Car- dinal jenes sagte. Es kann sein, dass mir irgend ein Befehl ertheilt worden ist, ich sollte jene Meinung nicht für wahr halten oder vertheidigen; aber ich erinnere mich dessen nicht mehr, da es schon mehrere Jahre her ist." Der Com- missar sagt darauf, er könne ihm ein Schriftstück vorlesen,

i) Vgl. Th. Lit.-Bl. 1873, 10. Grisar S. 97. 2) Acten S. 77.

3) Was damit gemeint ist, ist nicht zu ermitteln. Berti, Copernico p. 12, meint: Aeusserungen Bellarmins, wie wir sie aus seinem Briefe an Foscarini kennen.

140 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.

worin der ihm damals vor Zeugen ertheilte Befehl aufge- zeichnet sei. Galilei antwortet: „Ich erinnere mich nicht, dass mir jener Befehl von einem Andern als dem Cardinal Bellarmin mündlich ertheilt worden ist" u. s. w. Galilei's Aussagen in diesem Verhör sind, wie wir später sehen wer- den, wenigstens bezüglich eines andern Punktes nicht auf- richtig; es ist auch sehr erklärlich, wenn ihm imj. 1633 die Vorgänge vom 26. Febr. 161 6 nicht mehr vollständig erinner- lich waren; indess macht es doch die angeführte Aussage wenigstens sehr unwahrscheinlich, dass ihm in aller Form vor Notar und Zeugen durch den Commissar der Inquisition ein Praeceptum ertheilt worden sei. Wäre das geschehen, so würde er sich dessen wohl noch erinnert und dann auch wohl nicht eidlich ausgesagt haben, er erinnere sich dessen nicht mehr. In dieser Beziehung wird also Galilei's Aussage noch zu berücksichtigen sein. Weniger Gewicht ist auf einen andern Punkt zu legen, den Scartazzini l) und Andere hervorheben: es sei nicht denkbar, dass Galilei den Commissar der Inquisition nicht persönlich gekannt haben sollte. Galilei konnte recht gut ,,seit drei Monaten in Rom weilen und mit den hohen Würdenträgern der Kirche ver- kehren", ohne mit dem Commissar der Inquisition zusammen- zutreffen, und darum kann die Aussage, er habe die im Saale Bellarmins anwesenden Dominicaner nicht gekannt und zuvor nicht gesehen, richtig sein. Bellarmin wird ihm aber den Commissar vorgestellt oder dieser wird sich zu erkennen gegeben haben, ehe er Galilei das Praeceptum er- theilte. Die Frage, ob er nicht erfahren habe, dass unter jenen Dominicanern der Commissar der Inquisition sei, wird nun allerdings Galilei gar nicht vorgelegt; aber das bleibt auffallend, dass er sagt, er erinnere sich nicht, dass ihm ein Anderer als der Cardinal einen Befehl ertheilt habe.

7. Wohlwill2) hält es für undenkbar, dass Galilei sich geweigert haben sollte, der Mahnung Bellarmins zu gehor- chen, und erklärt darauf gestützt den Bericht über das nur für den Fall der Weigerung vorgeschriebene Auftreten des Commissars für unwahr. P. Grisar S. 88. 94 schliesst um- gekehrt aus dem Berichte über das Auftreten des Commis-

1) Unsere Zeit 1877, II, 446; Riv. Eur. IV, 852.

2) Der Inquisitionsprocess S. 7; vgl. Zts. f. Math. 1872, 12. 82.

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. 141

sars, dass Galilei die Mahnung des Cardinais mit Weige- rung beantwortet hatte. Dass Galilei sich geradezu ge- weigert haben sollte, einer förmlichen Entscheidung der höchsten kirchlichen Behörde sich zu unterwerfen, ist aller- dings nicht anzunehmen; es ist aber wohl denkbar, dass ihm am 26. Febr. von dieser Entscheidung zuerst in einer Form Mittheilung gemacht worden ist, welche Einreden von seiner Seite nicht ausschloss. Dass Bellarmin über den ihm am 25. Febr. ertheilten Auftrag hinausgegangen und Gali- lei, obgleich er sich nicht weigerte der Mahnung zu gehor- chen, durch den Commissar ein förmliches Praeceptum habe ertheilen lassen, ist zwar nicht undenkbar, aber nicht wahr- scheinlich. Folgende Bemerkungen scheinen mir geeignet, einen grossen Theil der Bedenken gegen die Aufzeichnung vom 26. Febr. zu beseitigen.

Nach allem, was wir wissen, hat man im J. 16 16 in Rom zwar die Copernicanische Theorie mit aller Entschie- denheit verwerfen, aber gegen Galilei persönlich in der That, wie es in der Sentenz vom J. 1633 heisst, ,, milde verfahren wollen". Auch Bellarmin, ohne Zweifel das ein- flussreichste Mitglied der Inquisition, war ein entschiedener Anticopernicaner, aber kein persönlicher Feind Galilei's. Die Inquisition hat, wie wir gesehen, nachdem sie die Verdam- mung der Copernicanischen Theorie beschlossen, von der Weiterführung des gegen Galilei persönlich eingeleiteten Processes Abstand genommen und sich darauf beschränkt, das zu thun, was sie auf ihrem Standpunkte als unerlässlich ansehen musste, nämlich Galilei jene Verdammung zur Kenntniss zu bringen und von ihm das Versprechen zu ver- langen, die verdammte Ansicht aufzugeben und nicht mehr zu lehren oder zu vertheidigen. Auch diese Massregel gegen Galilei wollte man, wie der Beschluss vom 25. Febr. zeigt, mit aller nur möglichen Milde ausführen: zunächst in der Form einer Mahnung, nur eventuell in der Form eines förm- lichen Praeceptums; nur für den, gewiss als ganz unwahr- scheinlich angesehenen Fall einer Widersetzlichkeit Galilei's gegen das Praeceptum war seine Einkerkerung als Einleitung zur Fortführung des Processes in Aussicht genommen.

Bellarmin, dem die Ausführung dieses Beschlusses aufgetragen wurde, wollte gewiss nicht unnöthiger Weise verletzen; es musste ihm aber auf der andern Seite auch

I42 Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616.

daran liegen, Galilei zu bewegen, fortan die Copernicanische Lehre nicht mehr zu vertreten, und zugleich musste er, gerade wenn er gegen Galilei schonend verfuhr, darauf Werth legen, dass die wirkliche Ausführung seines Auftrags constatirt wurde. Nimmt man zu den Actenstücken das hinzu, was Galilei in dem Verhöre vom 12. April 1633 über den Vor- gang aussagt, so wird man, glaube ich, folgende Darstel- lung desselben glaublich finden:

Bellarmin hatte ausser Galilei auch den Commissar der Inquisition und dessen Notar zu sich beschieden, ohne Galilei zu sagen, dass diese in ihrer amtlichen Eigenschaft zugegen waren. Ausserdem waren einige Familiären des Cardinais und einige Dominicaner in dem Saale anwesend. Der Car- dinal theilte nun Galilei zunächst, vielleicht unter Bezugnahme auf frühere Unterredungen, gesprächsweise mit, dass die Inquisition wirklich, wie er vorhergesagt, die Copernicanische Theorie für falsch und schriftwidrig erklärt und beschlossen habe, die Schrift Foscarini's auf den Index zu setzen und das Werk des Copernicus zu corrigiren. Er fügte bei, dass gegen Galilei persönlich, obschon er als Anhänger jener Theorie verdächtigt worden, nichts geschehen solle, dass man aber von ihm erwarte, er werde sich der Entscheidung- der kirchlichen Autorität willig fügen und fortan die Theorie als falsch ansehen und in keiner Weise mehr vertheidigen. Galilei wird nicht direct widersprochen oder erklärt haben, er werde sich nicht fügen; aber er mag Bedenken und Ein- wendungen ausgesprochen haben. So war keiner der beiden Fälle eingetreten, welche der Beschluss vom 25. Febr. in Aussicht genommen hatte: Galilei hatte sich nicht geweigert, aber auch nicht versprochen, der Mahnung zu gehorchen. Unter diesen Umständen mag Bellarmin es für zweckmäs- sig und sich für berechtigt gehalten haben, von einem in aller Form durch den Commissar zu ertheilenden Praeceptum noch abzusehen und einen Mittelweg einzuschlagen. Er mag den Commissar ins Gespräch gezogen und ihn in bestimmteren Ausdrücken haben bestätigen lassen, dass die Inquisition jenen Beschluss gefasst und dass sie von Massregeln gegen Galilei nur in der Erwartung, er werde sich dem Beschlüsse fügen, Abstand genommen habe, dass also Galilei, wenn er weiteren Unannehmlichkeiten entgehen, wenn er nicht von der Inquisition als Angeklagter citirt und in dem Inquisitions-

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616. I43

gebäude in Haft gesetzt werden wolle, nichts anderes übrig bleibe, als zu versprechen, dass er die verdammte Ansicht in keiner Weise mehr festhalten, lehren oder vertheidig-en wolle. Dieses Versprechen hat Galilei dann abgegeben. Dass der Notar der Inquisition mit Zeugen zugegen sei, um von dem Vorgange amtlich Act zu nehmen, wird man Galilei nicht gesagt haben; die „Registratur" wird erst nach Galilei's Entfernung niedergeschrieben worden sein, ganz ähnlich wie in dem oben (S. 134) angeführten Falle zu Florenz Notar und Zeugen ohne Galilei's Vorwissen fungirten.

Wenn sich die Sache so zugetragen, so konnte Bellar- min, ohne direct die Wahrheit zu verletzen, etwas Zwei- deutigkeit und Hinterlist wird man bei einem Jesuiten, auch bei Bellarmin nicht auffallend finden dürfen '), einerseits die Registratur vom 26. aufnehmen lassen, anderseits der In- quisition am 3. März berichten, wie er berichtet hat, und am 25. Mai Galilei das Zeugniss ausstellen, welches er ihm aus- stellte. Wenn sich die Sache so zugetragen, so ist es auch ganz erklärlich, dass Galilei sich 1 7 Jahre später nicht mehr davon zu erinnern wusste, als er bei seinem oben erwähn- ten Verhöre aussagte.

Aehnlich denkt sich Wolynski S. 38. 67 8) den Verlauf der Sache; nur meint er, Bellarmin habe durch den Com- missar seine Mittheilung bestätigen lassen, ohne dass Galilei irgendwie widersprochen und ohne diesem den Commissar als solchen vorzustellen, und der Notar habe nachher, ohne dazu beauftragt zu sein, einen Bericht über den Vorgang

1) Die mit einer Bulle Sixtus' V. 1590 veröffentlichte Ausgabe der Vulgata entsprach nicht den Vorschlägen, welche die mit der Revision der Vulgata beauftragte Commission gemacht hatte. Bellarmin, ein hervorragen- des Mitglied der Commission, bestimmte Gregor XIV., die Verbreitung jener Ausgabe zu sistiren und eine neue Ausgabe ausarbeiten zu lassen. Diese erschien 1592 unter Clemens VIII. mit einer von Bellarmin verfassten Vor- rede. Bellarmin rühmt sich, er habe dem Papste gerathen, um nicht Sixtus V. zu prostituiren, die neue Ausgabe unter dessen Namen erscheinen zu lassen und in der Vorrede zu sagen, woran kein wahres Wort war, Sixtus V. habe wegen der Druckfehler, die sich in die im J. 1590 vollen- dete Ausgabe eingeschlichen, die Veranstaltung einer neuen Ausgabe ange- ordnet. L. van Ess, Gesch. der Vulgata S. 291.

2) Sein Aufsatz in der Rivista Internazionale 1876, No. 15. 16 ist mir nur aus der Notiz in Uns. Zeit I, 503 bekannt.

144 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.

in die Acten geschrieben, der also eigentlich keine recht- liche Bedeutung haben würde. Namentlich letzteres ist nach dem oben Gesagten unwahrscheinlich.

Bei den Erörterungen über die Echtheit der Aufzeich- nung vom 26. Febr. 161 6 kommt, wie oben (S. 130) angedeutet wurde, auch der Inhalt der damals Galilei ertheilten Ver- warnung in Betracht, ein Punkt, der, wie wir sehen werden, auch noch in anderer Beziehung von Wichtigkeit ist.

Nach dem Beschlüsse vom 25. Febr. sollte Bellarmin Galilei ermahnen, die Copernicanische Meinung „aufzugeben", eventuell der Commissar ihm befehlen, „jene Meinung durch- aus nicht mehr zu lehren oder zu vertheidigen oder zu er- örtern" (ut omnino abstineat . . . docere aut def ender e seu de ea tractare). Nach dem Berichte Bellarmins in der Sitzung vom 3. März wurde Galilei ermahnt „jene Meinung aufzu- geben", nach dem Zeugnisse vom 26. Mai wurde ihm eröff- net, jene Meinung „sei der h. Schrift zuwider und dürfe darum nicht vertheidigt oder für wahr gehalten werden" (non si possa difendere ne tenere). Nach der Aufzeichnung vom 26. Febr. belehrte Bellarmin Galilei „über daslrrthümliche jener Meinung und ermahnte ihn, dieselbe aufzugeben" ; der Commissar aber befahl ihm, „die Meinung ganz aufzugeben und fortan in keiner Weise mehr für wahr zu halten, zu lehren oder zu vertheidigen in Wort oder Schrift" (nee eam de cetero quovis modo teneat, doceat aut defendat, verbo aut scriptis).

Der Befehl, den der Commissar nach der Aufzeichnung vom 26. Febr. Galilei ertheilt hat, stimmt also nicht wörtlich mit dem über ein, den er ihm nach dem Beschlüsse vom 25. er- theilen sollte : es sind die Ausdrücke quovis modo tenere und verbo aut scriptis beigefügt, und anderseits ist der Ausdruck seu de ea tractare weggelassen. Die Beifügung jener Aus- drücke — Näheres über sie s. u. ist nun offenbar keine so bedeutende Aenderung, wie die Weglassung des seu de ea tractare-, dieser Ausdruck kann wenigstens als ein Verbot nicht bloss desDocirens und Vertheidigens, sondern auch jeder Be- sprechung der Copernicanischen Theorie verstanden werden, und der Befehl, den der Commissar ertheilte, scheint insofern weniger weitgehend zu sein als der, den er ertheilen sollte. Diese Differenz zwischen der Aufzeichnung vom 25. und der

Bedeutung der Verwarnung Galilei's. 145

vom 26. Februar scheint mir ein sehr starker, ja entschei- dender Grund gegen die Annahme einer Fälschung der letz- tern zu sein. Wenn Jemand im J. 1632 diese Zeilen in die Acten hineingeschrieben hat, um ein Schriftstück zu fabri- ciren, welches gegen Galilei benutzt werden könnte, warum hat er sich nicht genau an die Ausdrücke gehalten, welche in dem unmittelbar über seiner Fälschung stehenden echten Actenstücke standen, und warum hat er es namentlich unter- lassen, den Ausdruck de ea tractare aus dem echten Acten- stücke herüberzunehmen, den man am allerbequemsten be- nutzen konnte, um die Anklage gegen Galilei zu begründen, er habe durch die Veröffentlichung seines Dialoges über das Ptolemäische und das Copernicanische System das Ver- bot übertreten, welches ihm im J. 16 16 ertheilt worden, überhaupt nicht mehr über das Copernicanische System zu schreiben?

Diese Differenz spricht auch entschieden gegen die Vermuthung von Gebier1), der Notar der Inquisition habe am 26. Febr. 1616 die Verwarnung Galilei's durch den Com- missar einregistrirt, obschon sie nicht stattgefunden, ent- weder weil er dieses als eine „Formalität" angesehen oder weil man schon damals eine Waffe habe schmieden wollen, die man später gegen Galilei gebrauchen könne. In dem einen und dem andern Falle würde sich der Notar an den Wortlaut der ihm vorliegenden, ja von ihm selbst geschrie- benen Aufzeichnung vom vorhergehenden Tage gehalten haben. Die letztere Vermuthung Geblers ist übrigens augen- scheinlich haltlos: im J. 1616 hat man schwerlich auch nur daran gedacht, dass Galilei noch einmal mit der Inquisition in Conflict kommen werde, geschweige denn, dass man dann diese Registratur gegen ihn werde gebrauchen können2).

Die Differenz zwischen dem, was der Commissar nach dem Beschlüsse vom 25. Febr. thun sollte, und dem, was er nach der Aufzeichnung vom 26. gethan hat, benutzt P. Schneemann S. 396 zu einer neuen, der meinigen einiger- massen ähnlichen, aber doch wesentlich von ihr verschiedenen Vermuthung über den Vorgang am 26. Februar. Er meint, am 25. sei angeordnet worden, wenn Galilei der Ermahnung

, 1) Acten S. XXXI.

2) Vgl. Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 655. Reusch, Galilei. IO

146 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.

Bellarmins nicht gehorchen wolle, solle der Commissar ihm vollständiges Schweigen über die Copernicanische Lehre auflegen; Galilei habe am 26. sich nicht geweigert, der Mahnung zu gehorchen, darum sei der Commissar nicht in die Lage gekommen, den fraglichen Auftrag auszuführen; Bellarmin habe nur, was durch den Beschluss vom 25. aller- dings nicht angeordnet, aber auch nicht ausgeschlossen ge- wesen sei, dasselbe, wozu er in freundschaftlicher Weise Galilei ermahnt, ihm durch den Commissar auch noch be- fehlen lassen. Es ist aber doch sehr unwahrscheinlich, dass Bellarmin, wenn Galilei seiner Ermahnung zu gehorchen versprach, sich für berechtigt und es für zweckmässig ge- halten haben sollte, den Commissar wenigstens in ähnlicher Weise auftreten zu lassen, wie es für den Fall des Unge- horsams angeordnet war 1). Ich halte aber auch Schneemanns Deutung des Ausdrucks tractare nicht für richtig.

Wenn der Commissar Galilei verbieten sollte, die Co- pernicanische Theorie zu lehren oder zu vertheidigen seu de ea tractare, so kann das allerdings an sich bedeuten, er solle ihm jede Erörterung über die Theorie verbieten, also „vollständiges Stillschweigen in Betreff dieses Gegenstandes vorschreiben". Wenn aber Schneemann sich zu Gunsten dieser Deutung darauf beruft, dass nach dem zweiten Pro- cesse Galilei „untersagt worden sei, über den Gegenstand zu handeln, und dass ihm hierdurch völliges Stillschweigen über besagte Materie aufgelegt werde", so beweist dieses Argument das Gegentheil. Die Inquisition gebraucht, um nach dem zweiten Processe Galilei völliges Stillschweigen über die Copernicanische Lehre aufzulegen, den Ausdruck: ne de cetero scripto vel verbo tractet amplius quovis modo de mobilitate terrae nee de stabilitate solis et e contra2). In der Verbindung ut omnino abstineat huüismodi doctrtnam et opinionem docere aut def ender e seu de ea tractare kann der letztere Ausdruck auch als ein Synonymum von docere aut defendere aufgefasst werden, so dass damit „nur in pleona- stischer Weise die Enthaltung von einer Behandlung des Copernicanischen Systems als eines irgendwie begründeten oder wahren gemeint ist" (Grisar S. 603). In diesem Sinne wird der Ausdruck z. B. gebraucht, wenn in dem Urtheile

) Vgl. Grisar S. 602. 2) Gherardi No. XIII.

Bedeutung der Verwarnung Galilei's. 147

vom 22. Juni 1633 von dem Index-Decrete, welches omnes libros idem (die Copernicanische Theorie) docentes verbietet, gesagt wird, es seien darin verboten i libri che trattano di tat dottrtna, und wenn gesagt wird, auch wenn Galilei nur von Bellarmin erklärt worden wäre, die Copernicanische Lehre sei schriftwidrig, habe er nicht dürfen trattarne, dif en- der ta et per suader la probabtie1).

Wie es sich aber auch um die Bedeutung des Ausdrucks tractare verhalten mag, in dem Praeceptum, welches der Com- missar nach der Aufzeichnung vom 26. Febr. Galilei ertheilte, wurde nicht dieser Ausdruck gebraucht, sondern der Aus- druck, Galilei solle fortan nicht die Copernicanische Ansicht quovis modolenere, docere autdef ender e, verbo aut scriptis. Auch diese Ausdrücke sind von Wohlwill und Anderen so gedeutet worden, als ob darin Galilei absolutes Schweigen über die Copernicanische Theorie auferlegt worden sei2). Auf diese Auffassung der Worte gestützt, hat man dann gesagt: nach dem Zeugnisse des Cardinais Bellarmin ist Galilei am 26. Febr. nur der später durch das Index-Decret promulgirte Beschluss, dass die Copernicanische Ansicht als der Bibel widersprechend nicht vertheidigt oder für wahr gehalten werden dürfe, zur Danachachtung mitgetheilt worden; also kann die Angabe der Aufzeichnung vom 26. Febr. nicht wahr (und darum diese Aufzeichnung nicht echt) sein, dass Galilei ein über jenes Index-Decret weit hinausgehender Befehl ertheilt worden sei, ein Befehl, welcher, während Anderen wenigstens noch die hypothetische Behandlung der Copernicanischen Lehre gestattet blieb, Galilei „jede Weise der Erörterung der- selben, auch die Hypothese (nach Scartazzini sogar die Be- kämpfung derselben) eingeschlossen, untersagte" und ihn „zu völligem Verstummen (über jene Lehre) verurtheilte" (Wohl- will S. 13. 25).

Von den Erörterungen über die Tragweite des frag-

1) IX, 467. 469. Auch in dem Actenstücke Acten S. 5 heisst es von dem Index-Decrete, es sei darin verboten gener almente ogni Ubro che tratta di detta opinione.

2) Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 13, vgl. 8. 25. Gebier, Acten S. XXV. Scartazzini, Unsere Zeit 1877,1,505. Riv. Eur. 1877, IV, 851. Cantor, Gegenwart 1877, No. 44, S. 284. Auch Bouix p. 114, und Pieralisi, Urbano VIII. p. 62.

148 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.

liehen Praeceptums bei Gelegenheit des zweiten Processes wird später die Rede sein. Die Worte desselben für sich und in ihrem Zusammenhange betrachtet, nöthigen in keiner Weise zu einer so weit gehenden Deutung. Jedenfalls ist Galilei (nach dem Zeugnisse des Cardinais Bellarmin) ver- boten worden, die Copernicanische Ansicht für wahr zu halten oder zu vertheidigen. Wenn der Commissar zu teuere et defendere noch docere hinzugefügt hat, so ist das augen- scheinlich keine Verschärfung. Was aber den andern Zusatz quovis modo betrifft, so ist derselbe zunächst nicht dem Worte docere, sondern dem ganzen Ausdrucke teuere, do- cere aut defendere vorausgeschickt, und zweitens findet er seine natürliche Erklärung in dem beigefügten verbo aut scriptis.

.Bei seinem Verhöre am 12. April 1633 und in seiner am 10. Mai eingereichten Verteidigungsschrift l) erklärt Galilei, er erinnere sich nicht, dass in dem ihm im Februar 161 6 ertheilten Befehle ausser den Ausdrücken teuere und defendere auch die Ausdrücke quovis modo und docere vor- gekommen seien; er fügt aber bei, und das ist durchaus glaublich, er habe den Wortlaut der ihm am 26. Febr. ertheilten Weisung darum nicht im Gedächtniss behalten, weil er das Zeugniss des Cardinais Bellarmin als eine authen- tische Urkunde über jene Weisung angesehen und darum angenommen habe, es sei ihm persönlich keine andere Wei- sung ertheilt worden, als sie in dem Index-Decrete für alle Katholiken enthalten sei. Mit dem Wortlaute des Praecep- tums steht, wie gesagt, diese Auffassung auch nicht in Widerspruch.

Wenn diese Deutung des Praeceptums zulässig ist, so wird ein weiteres von Scartazzini2) und Anderen stark hervorgehobenes Argument £fegen die Echtheit der Auf- zeichnung vom 26. Febr. 161 6 hinfallig. Dieses Argument ist folgendes : Die Briefe und die schriftstellerischen Arbeiten Galilei's aus den ersten Jahren nach 161 6 lassen die An- nahme nicht zu, dass ihm absolutes Schweigen über die Copernicanische Theorie aufgelegt worden sei; also ist ihm

1) Acten S. 80. 88.

2) Riv. Eur. IV, 848. Vgl. Gebier, Acten S. XXV. Riccardi p. 14. Zeller, D. Rundschau 1877, I, 76.

Bedeutung der Verwarnung Galilei's. 149

das fragliche Praeceptum von dem Commissar nicht ertheilt worden. Im J. 1625 wurde, wie wir sehen werden, Galilei's Saggiatore, in welchem an einigen Stellen von der Coper- nicanischen Theorie die Rede ist, bei der Inquisition denun- cirt, der Denunciation aber keine Folge gegeben; hätten die Denuncianten das Praeceptum gekannt, so würden sie sich darauf berufen, und hätten die Mitglieder der Inquisi- tion es gekannt, so würden sie die Denunciation nicht igno- rirt haben; also existirte die Aufzeichnung vom 26. Febr. im J. 1625 noch nicht. Für den Saggiatore wurde im J. 1623 zu Rom, für den Dialog 1632 zu Rom und Florenz die Druck-'Erlaubniss ertheilt; das wäre nicht geschehen, wenn die Censoren das Praeceptum gekannt hätten ; also existirte die Aufzeichnung vom 26. Febr. im J. 1632 noch nicht1). Zunächst kann nach dem Gesagten mit gleichem Rechte gefolgert werden : also wurde das in der Aufzeichnung vom 26. Febr. registrirte Praeceptum von denjenigen, die es kannten, nicht als ein absolutes Verbot aufgefasst. Damit verliert das Argument seine Beweiskraft. Scartazzini hätte aber auch so argumentiren können: Wenn im J. 161 6 Galilei jede Besprechung der Copernicanischen Lehre verboten worden wäre, so würde dieses Verbot, wie das im J. 1633 wirklich geschah, auch wenigstens dem Magister Sacri Palatii, dem Römischen Büchercensor, und dem In- quisitor zu Florenz mit der Weisung zur Kenntniss gebracht worden sein, für kein Buch, worin Galilei die Copernicani- sche Lehre berühre, die Druck-Erlaubniss zu ertheilen; das ist offenbar nicht geschehen; also ist Galilei im J. 16 16 ein solches Verbot nicht ertheilt worden; also, so würde Scar- tazzini — nach dem Gesagten mit Unrecht folgern, ist die Aufzeichnung vom 26. Febr. unecht; also, so darf mit Recht gefolgert werden, ist das in dieser Aufzeichnung registrirte Praeceptum nicht ein absolutes, nicht ein über das Index-Decret inhaltlich hinausgehendes Verbot gewesen. In Einer Beziehung, so weit hat Wohlwill S. 1 8 Recht, hat die Inquisition im J. 1616 gegen Galilei eine specielle Massregel ergriffen, eine Massregel, die ihm in einem ge-

1) Gebier folgert in seiner zweiten Schrift (s.o. S. 131, Anm. 1): also sagt die Aufzeichnung vom 26. Febr., sofern sie von einem Praeceptum des Commissars spricht, die Unwahrheit.

I 50 Bedeutung der Verwarnung Galilei's.

wissen Sinne „eine Ausnahmestellung" anwies. Durch das von ihr veranlasste und bestätigte Index-Decret wurde die Verurtheilung der Copernicanischen Theorie zur allgemeinen Kenntniss gebracht; Galilei wurde diese Verurtheilung spe- ciell notiiicirt und ihm das Versprechen abgenommen, die- selbe respectiren, also die Copernicanische Ansicht aufgeben und nicht mehr vortragen zu wollen. „Wenngleich er also, sagt Grisar S. 102 ganz richtig, hinsichtlich der Ausdeh- nung der ihm gesetzten Schranken den übrigen Gläubigen, die dem Index-Verbote zu gehorchen hatten, gleichstand, so war doch seiner Person im Besondern, und die Sen- tenz [vom 22. Juni 1633] hebt dieses ausdrücklich hervor, die Verwerflichkeit der Lehre »declarirt« und das Ver- bot derselben »intimirt« worden."

Zur Motivirung dieser speciellen Verwarnung Galilei's braucht aber nicht mit Grjseir S. 87 angenommen zu wer- den, dass der Plan Galilei's, ein umfassendes Werk über das Weltsystem zu schreiben, in den hohen kirchlichen Kreisen bekannt geworden, er war doch wohl nur erst Wenigen bekannt, und dass die Inquisition der Ausführung dieses Planes habe zuvorkommen wollen. Die Inquisition war zu jener Massregel vollauf berechtigt, ja auf ihrem Stand- punkte verpflichtet, da ihr Galilei durch die Denunciation und die in Folge derselben stattgefundene Untersuchung des Briefes an Castelli und des Buches über die Sonnen- flecken als Anhänger der Copernicanischen Lehre bekannt oder wenigstens verdächtig geworden war. In der That war jene Verwarnung die mildeste Form, wie der gegen Galilei eingeleitete Process beendigt werden konnte.

XII.

Aeussernngen Galilei's und seiner Freunde über die Entscheidung vom J. 1616.

Der toscanische Gesandte Guicciardini wünschte, wie wir gesehen haben (S. 106) dringend, Galilei möge gleich

Galilei's Rückkehr nach Florenz. 151

nach der Beendigung des Processes nach Florenz zurückbe- rufen werden. Galilei durfte indess, wie er wünschte1), in Rom bleiben bis nach der Ankunft des Cardinais Carl von Medici (derselbe kam gegen den 20. April an). Am 13. Mai schrieb Guicciardini nochmals an den Grossherzog2): „Galilei wird auch fortan ausgezahlt werden, was er will und zu bedürfen erklärt; aber er ist in der rechten Stim- mung, um die Mönche zu reizen und mit Leuten zu streiten, denen gegenüber er den Kürzern ziehen muss. Ueber kurz oder lang wird man dort hören, dass er in irgend einen Ab- grund gestürzt ist. Wenn er sich wenigstens durch die Jahreszeit bestimmen Hesse, seine Abreise nicht lange auf- zuschieben! Von hier entfernt zu sein, wäre sehr gut für ihn" u. s. w. Darauf schrieb der Staatssecretär Picchena an Galilei am 2$. Mai3): „Da Sie die Verfolgungen der Mönche verkostet haben, wissen Sie, welchen Sinnes die- selben sind, und Ihre Hoheiten fürchten, ein längeres Ver- bleiben in Rom möge für Sie Unannehmlichkeiten zur Folge haben, und würden es darum gern sehen, wenn Sie, nach- dem Sie bis jetzt mit Ehren davon gekommen, den schla- fenden Hund nicht mehr reizten und sobald wie möglich hieher zurückkämen. Es werden Stimmen laut, die uns nicht gefallen, und die Mönche sind allmächtig." Anfangs Juni reiste dann Galilei von Rom ab.

Am 23. April schrieb Sagredo von Venedig an Galilei4): es sei dort das Gerücht verbreitet, Galilei sei mit Gewalt nach Rom geschleppt worden, um sich vor dem h. Officium wegen seiner Meinungen zu verantworten; diese seien als irrig und häretisch erklärt und er selbst mit den strengsten Verwarnungen entlassen, auch seien ihm verschiedene Buss- übungen, Fasten, Empfang der Sacramente u. s. w. aufge- legt worden. Aehnliche Gerüchte scheinen auch in Rom verbreitet gewesen zu sein. Das veranlasste Galilei, sich von dem Cardinal Bellarmin das oben (S. 129) mitgetheilte Zeugniss zu erbitten. Der Cardinal del Monte, an welchen Galilei von dem Grossherzog empfohlen worden war, gab ihm, als er seine Rückreise antrat, ein vom 4. Juni datirtes

1) VI, 225. 233. 236. 237. 2) VI, 238.

3) VI, 238. 4) Suppl. 109.

152 Galilei's Rückkehr nach Florenz.

Schreiben an diesen mit1), worin es heisst: „Galilei reist von hier ab mit völlig intacter Reputation, und belobt von Allen, die mit ihm verhandelt haben ; denn es ist handgreif- lich geworden, wie unverdient er von seinen Feinden ver- leumdet worden war . . . Ich, der ich oft mit ihm gesprochen und auch diejenigen gehört habe, die um alles wissen, was geschehen ist, versichere Ew. Hoheit, dass seine Person nicht der mindeste Vorwurf trifft. Er selbst wird Rechen- schaft von sich geben und die Verleumdungen seiner Feinde widerlegen können, da er alles aufgezeichnet hat, was er vorzubringen für gut gefunden. Ich habe Ew. Hoheit dieses berichten wollen, damit mein Zeugniss bei Ihnen den Zureden der Feinde Galilei's den Weg verschliesse , welche voraus- sichtlich von ihren Machinationen nicht ablassen werden, nachdem sie auf dem einen Wege ihre Absichten nicht er- reicht haben."

Wir haben einen Brief Galilei's vom 28. Febr. 16 16 an den Herzog Muti2) über die Bewohnbarkeit des Mondes; er wiederholt darin die Gründe, die er einige Tage vorher in Gegenwart des Herzogs und des Cardinais Muti mündlich entwickelt hatte, um zu beweisen, dass es auf dem Monde keine Menschen, nicht einmal Thiere und Pflanzen gebe. Scartazzini sagt3) zur Begründung seiner Meinung von der Unechtheit der Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616: ,,Ist es psychologisch denkbar, dass er sich in der Stimmung be- funden hätte, einen solchen Brief zu schreiben, wenn zwei Tage vorher das vorgefallen wäre, was nach dem Protocoll vorgefallen sein soll?" Die Verurtheilung der Copernicani- schen Lehre war Galilei am 26. Febr. jedenfalls bekannt ge- worden; wenn ihm das nicht unmöglich machte, zwei Tage später jenen Brief zu schreiben, in welchem übrigens von jener Lehre nicht die Rede ist, so macht die Art und Weise, wie ihm jene Verurtheilung notificirt wurde, keinen wesent- lichen Unterschied. Viel merkwürdiger ist, dass Galilei als siebenzigjähriger Greis im J. 1633 einige Wochen nach seiner Verurtheilung und Abschwörung während seines unfrei- willigen Aufenthaltes in Siena in der Stimmung war, über

1) VIII, 385. 2) III, 174.

3) Allg. Ztg. 1878, No. 11 B.

Briefe Galilei's aus den J. 1616 und 1617. 153

Probleme der Physik zu schreiben '), und auffallender als jener Brief vom 28. Febr. ist ein anderer vom 6. März 1616 an Picchena2) und die Art und Weise, wie er darin der Entscheidung der Römischen Behörden eine gute Seite ab- zugewinnen sucht. Caccini's Behauptung, sagt er, die Co- pernicanische Lehre sei gegen den Glauben und ketzerisch, habe die h. Kirche nicht zu der ihrigen gemacht, vielmehr nur erklärt, dieselbe stimme nicht mit der h. Schrift über- ein; darum seien nur die Bücher verboten worden, welche ex ftrofesso zu beweisen suchten, dass jene Lehre nicht mit der Bibel in Widerspruch stehe, und zu dieser Classe gehöre nur die Schrift von Foscarini; das Buch des Copernicus und der Commentar des Stunica seien nur suspendirt; andere Autoren würden nicht erwähnt. Dann folgt die noch auf- fallendere Aeusserung: „Ich habe, wie aus der Natur der Angelegenheit selbst hervorgeht, dabei kein Interesse, und ich würde mich gar nicht damit befasst haben, wenn mich nicht meine Feinde hineingezogen hätten. Was ich dabei gethan habe, kann man aus meinen Schriftstücken ersehen, die ich darum aufbewahre, um jederzeit der Bosheit den Mund stopfen zu können, da ich beweisen kann, dass mein Verhalten bei diesen Verhandlungen ein solches gewesen ist, dass ein Heiliger nicht mit grösserer Ehrfurcht und grösserm Eifer für die h. Kirche hätte verfahren können."

In einem Briefe vom 12. März11) berichtet er: „Gestern habe ich Seiner Heiligkeit den Fuss geküsst. Die sehr gnä- dige Audienz, bei welcher ich mich mit dem Papste auf- und abgehend unterhielt, dauerte drei Viertelstunden . . . Ich berichtete über die Ursache meines Hieherkommens, und da ich erwähnte, dass ich beim Abschiede von Ihren Hoheiten auf alle Gunst, die mir etwa von ihnen hätte zuge- wandt werden können, verzichtet hätte, da es sich um die Religion oder um die Unbescholtenheit des Lebens und der Sitten gehandelt habe, wurde dieser Entschluss warm und wiederholt belobt. Ich zeigte Seiner Heiligkeit die Bos- heit meiner Feinde und einige ihrer Verleumdungen. Der Papst antwortete mir, er kenne meine Unbescholtenheit und die Reinheit meiner Gesinnung, und da ich einige Besorg-

1) VII, 37. 2) vi, 231. 3) VI, 234.

154 Briefe Galilei's aus den J. 1616 und 161 7.

niss äusserte, ich möchte fort und fort von der unversöhn- lichen Bosheit verfolgt werden, tröstete er mich mit der Versicherung, ich dürfe ganz ruhig sein, da er und die ganze Congregation eine solche Meinung von mir gewon- nen, dass man den Verleumdern nicht leicht glauben werde; so lange er lebe, dürfe ich sicher sein. Ehe ich fortging, sprach er wiederholt seine Bereitwilligkeit aus, mir auch durch die That bei jeder Gelegenheit seine Zuneigung zu beweisen." Am 26. März schreibt Galilei1): ,,Von der jetzt durch die Oberen beendigten Angelegenheit ist nicht mehr die Rede." Auch in einem Briefe an seinen Freund Sagre- do sprach sich Galilei, wie wir aus der Antwort2) sehen, dahin aus: die Sache habe ein ganz anderes Ende genommen, wie seine Feinde gewünscht.

Es ist kaum glaublich, was B. Odescalchi3) berichtet: in einer Sitzung derLincei vom 24. März 16 16, bei welcher auch Galilei zugegen gewesen, sei Luca Valerio (s. o. S. 27) aus der Gesellschaft ausgeschlossen worden, ,,1. weil ersieh ohne Grund von der Akademie fern gehalten, 2. weil er öffentlich gesagt, Galilei behaupte die Bewegung der Erde, weil er ein Linceo sei, als ob diese Meinung die allgemeine Ansicht der Akademie sei, 3. weil er, während er sich im- mer als Freund Galilei's gerirt, ihn beschuldigt habe, er trage die Lehre, dass die Erde sich bewege, nicht als ein- fache Hypothese, sondern als Thesis vor." Der letzte Brief Valerio's an Galilei, den wir besitzen, ist vom 3. Oct. 16144); er wird seitdem auch in anderen uns erhaltenen Brie- fen nicht mehr erwähnt.

Ausser den oben erwähnten Aeusserungen findet sich in den Briefen Galilei's aus den Jahren 1616 und 161 7 die Römische Entscheidung nicht erwähnt. Es mögen aber Briefe, in denen er sich auch über diese Entscheidung, sofern sie nicht ihn persönlich, sondern die Copernica- nische Lehre betraf, ausgesprochen, vernichtet worden sein. Der ers^e uns erhaltene Brief, in welchem eine solche Aeusserung vorkommt, ist der an den Erzherzog Leo-

1) VI, 236. 2) Suppl. 110.

3) Memorie dell' Accademia dei Lincei, Rom 1806, bei Venturi I, 279.

4) Suppl. 97.

Brief an Erzherzog Leopold. 155

pold von Oesterreich vom 23. Mai 16181). Es heisst darin: „Ich schicke Ihnen ein Exemplar meiner gedruckten Briefe über die Sonnenflecken und eine kurze Abhandlung über die Ursache der Ebbe und Fluth, welche ich vor zwei Jahren in Rom auf Befehl des Cardinais Orsini geschrie- ben (s. o. S. 102), als man im Kreise jener Herren Theo- logen an das Verbot des Buches des Copernicus und der Meinung von der Beweglichkeit der Erde dachte, die in jenem Buche vorgetragen wird und damals von mir für wahr gehalten wurde, bis es jenen Herren gefiel, das Buch zu suspendiren und die besagte Meinung für falsch und der h. Schrift widersprechend zu erklären. Da ich weiss, dass es sich geziemt, den Entscheidungen der Oberen zu gehor- chen und zu glauben, da sie von höheren Erkenntnissen ge- leitet werden, an welche mein geringer Geist nicht heran- reicht, so sehe ich jetzt diese Abhandlung und die Schrift, bei welcher die Bewegung der Erde vorausgesetzt wird, als eine Dichtung oder einen Traum an, und bitte Ew. Ho- heit, sie als solche anzunehmen. Wie indess die Dichter mitunter auf ihre Phantasieen Werth legen, so schätze auch ich diese meine Spielerei nicht ganz gering*, und nachdem ich sie dem erwähnten Cardinal und einigen wenigen An- deren gezeigt, habe ich auch einige Abschriften in die Hand anderer hochgestellter Personen gelangen lassen, damit, wenn vielleicht ein Anderer, der nicht zu unserer Kirche ge- hört, diesen meinen Einfall für sich in Anspruch nehmen wollte, wie es mir mit manchen anderen meiner Entdeckungen ergangen ist, angesehene Männer bezeugen könnten, dass ich der Erste gewesen, der von dieser Chimäre geträumt. Die Schrift, die ich Ihnen schicke, ist freilich nur eine kurze Skizze davon; denn ich habe sie eilfertig geschrieben und zu einer Zeit, wo ich hoffte, Copernicus würde nicht acht- zig Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes, des Irr- thums schuldig erklärt werden. Ich dachte daran, wenn ich mehr Zeit und Müsse haben würde, den Gegenstand viel ausführlicher zu behandeln, noch andere Argumente beizufügen und die Sache in besserer Form und Ordnung zu entwickeln. Aber eine himmlische Stimme hat mich aufgeweckt und alle meine confusen und verwickelten Phan-

) VI, 279.

156 Stelliola über die Entscheidung vom J. 1616.

tasieen in Nebel aufgelöst." Dass Galilei in Wirklichkeit weit davon entfernt war, seine Argumente für die Coper- nicanische Lehre für „confuse Phantasieen" und „die Ent- scheidung der Oberen" für eine „himmlische Stimme" zu halten, zeigt schon der ganze Ton des Briefes.

Auch die Briefe der Freunde Galilei's aus dieser Zeit scheinen nicht alle erhalten zu sein. Wir haben indess einige, in welchen interessante Aeusserungen vorkommen.

Ein angesehener Medi einer und Naturforscher zu Neapel, Niccolö Antonio Stelliola, schreibt am 1. Juni 16161): „Ihre grossartigen, nie genug gepriesenen Entdeckungen haben den Neid der Sophisten unserer Zeit so erregt, dass die Naturforscher in einer sehr schlimmen Lage sind, wenn man nicht die Verleumdungen und Betrügereien jener Men- schen aufzudecken sucht. Wir sind überzeugt, dass die Absicht der Oberen heilig und gerecht ist. Wenn darum, ohne dass die Parteien gehört worden sind, ein Decret zu Stande gekommen ist, welches alle Nationen und die besten Männer der Nationen angeht, so muss mit allen Mitteln darauf hingearbeitet werden, dass die Sache revi- dirt und nach Anhörung der Parteien entschieden werde. Ich" glaube, dass es zur Kundmachung der Gerechtigkeit und um der gebührenden Ehre willen gut wäre, wenn die fremden Professoren der Naturwissenschaften eine Denk- schrift überreichten. Das Uebrige überlasse ich Ihrem Er- messen." Auf einem besondern Blatte fügt Stelliola ohne Unterschrift bei: „Es scheint mir rathsam, mit aller Vor- sicht den Herren, welche die Welt regieren, bemerklich zu machen, dass diejenigen, welche die Naturwissenschaft und die Religion in einen Gegensatz zu bringen suchen2),

1) VIII, 386; vgl. 192.

2) P. Grisar, der S. 720 den Brief auch anführt, mit Weglassung des ersten Satzes und natürlich des Schlusssatzes über P. Staterio, fügt hier bei: „er meint eine private antigalileische Partei", und versteht unter den „Herren, welche die Welt regieren", die weltlichen Regierungen. Es scheint mir auf der Hand zu liegen, dass „die Herren, welche die Welt regieren" in der Beilage mit den „Oberen" in dem Briefe selbst identisch, und dass mit denjenigen, „welche die Naturwissenschaften und die Religion in einen Gegensatz zu bringen suchen", diejenigen gemeint sind, welche nach Stelliola's Ansicht die Oberen zu einem ohne Anhörung der andern Partei erlassenen Decrete bestimmt hatten, und welche er im ersten Satze „Sophi- sten" nennt.

Castelli über die Entscheidung vom J. 1616. 157

schlechte Freunde der einen und der andern sind, da die Religion und die Wissenschaft, weil sie beide göttlich sind, nothwendig auch übereinstimmen. So viel ich höre, ist in Neapel ein Jesuit, P. Staterio, sehr bemüht gewesen, der- gleichen Unkraut zu säen; wahrscheinlich ist es, da bei be- sagtem Pater die Arroganz und die Ignoranz gleich gross sind." In den Briefen des Karmeliters Jacob Failla in Neapel vom 7. Sept. und Campanella's vom 3. Nov. 16161), worin Galilei gebeten wird, sich über des Letztern Apologie (s. o. S. 61) auszusprechen, wird das Index-Decret gar nicht er- wähnt. — Unter dem 16. Mai 16 17 schreibt Castelli von Pisa2) über einen dortigen Lector der Philosophie, den Theatiner Placido Mirto aus Neapel: „Er ist ein ausgezeichneter Pre- diger und Theologe und, was mir besonders gefällt, ein eif- riger Lobredner Ihrer Verdienste und Tüchtigkeit. Er liest peripatetische Philosophie, hält es aber für recht, diejenigen Meinungen zu ändern, welche mit den neueren Beobachtungen nicht in Einklang zu bringen sind; er gibt zu, der Himmel sei entstanden und vergänglich und elastischer als die Luft; er lacht über die abergläubische Ansicht von vielen Sphären, beobachtet die Sonnenflecken, die Mediceischen Planeten und den Saturn und sagt unbedenklich, Aristoteles habe in diesen und in sehr vielen anderen Dingen geirrt. Er sagte mir, er habe wiederholt Gelegenheit gehabt, Ihre Lehre zu vertheidigen, sogar die Ansicht von der Bewegung der Erde, da nach seiner Meinung zwar das Buch des Coperni- cus suspendirt, aber die Meinung nicht verdammt sei und nicht verdammt werden könne, was mir grosse Freude machte. In diesen Gesprächen deutete er mir an, in Rom versuchten die Feinde der Wahrheit jetzt wieder neue Ma- chinationen."

Am 10. Mai 1619 wurde, wie schon oben (S. 114) er- wähnt, Keplers „Epitome astronomiae Copernicanae" auf den Index gesetzt. Kepler erfuhr dieses zuerst durch einen Brief des Johannes Remus aus Wien 23. Juli 16193), der ihn um ein Exemplar der Schrift für Galilei bat, weil dieser dieselbe als verboten in Florenz nicht haben könne. Kep- ler bat Remus in einem Brief aus Linz vom 4. Aug. um ge- nauere Mittheilungen über jenes Verbot: ob dasselbe dem

l) VIII, 391. 392. 2) VIII, 399. 3) V, 630.

158 Kepler über die Entscheidung vom J. 1616.

Autor, wenn er in Italien betroffen würde, Gefahr bringen könne, und ob es auch für Oesterreich gelte; in letzterm Falle würde er, meint er, fortan in oesterreich keinen Drucker mehr finden, seine Schrift vielleicht confiscirt wer- den. „Ja man wird mir zu verstehen geben, ich müsse auf die astronomische Profession verzichten, da ich über das Vortragen dieser (der Copernicanischen) Lehre alt geworden bin, ohne bisher Widerspruch zu finden; ja ich werde Oester- reich verlassen müssen, wenn dort die wissenschaftliche Freiheit keine Stätte finden soll." Remus antwortete am 13. August : „Die Epitome ist, glaube ich, nur darum verboten, weil sie gegen ein vor zwei Jahren veröffentlichtes Verbot des h. Officiums verstösst. Es handelte sich um einen Nea- politanischen Ordensmann, welcher in einer italienischen Schrift diese Meinung unter dem Volke verbreitete, was gefährliche Folgen und Meinungen hervorrief; auch vertrat zu derselben Zeit Galilei seine Sache in Rom zu schroff. In derselben Weise wurde auch Copernicus corrigirt, wenig- stens bezüglich einiger Zeilen im Anfange des ersten Buches. Es dürfen aber diese Bücher und, wie ich glaube, auch die Epitome mit besonderer Erlaubniss von gelehrten und sach- kundigen Männern zu Rom und in ganz Italien gelesen werden. Du hast also weder in Italien noch in Oesterreich etwas zu fürchten, wenn du dich innerhalb deiner Grenzen hältst und vorsichtig bist; was du über den Kometen in deutscher Sprache geschrieben hast, wenn es wirklich von dir ist, hat freilich einigen grossen Herrn nicht sehr gefallen."

Kepler entschloss sich darauf, seinen „Harmonica" eine (lateinisch geschriebene) „Erinnerung für die ausländi- schen, namentlich die italienischen Buchhändler" *) beizufügen, worin er unter anderm sagt: „die Unvorsichtigkeit Einiger, welche die astronomischen Lehrsätze an ungeeigneter Stelle und in ungeeigneter Weise vorgetragen, habe zur Folge gehabt, dass das Lesen des Copernicus, welches etwa 80 Jahre durchaus gestattet gewesen, bis nach der Verbesserung des Werkes verboten worden sei"; es sei aber zu hoffen, dass diese Entscheidung nach einer neuen Untersuchung werde zurückgenommen werden; die Buchhändler möchten

1) V, 633.

Kepler über die Entscheidung vom J. 1616. 159

also vorläufig sein Buch nicht öffentlich feilbieten und nur angesehenen Theologen und Philosophen verkaufen, „diesen, damit sie untersuchen, ob dieses nur eine Ausge- burt der Phantasie sei oder durch augenscheinliche Gründe als aus der Natur selbst geschöpft erwiesen werden könne, jenen, damit sie überlegen, ob diese unermessliche Glorie der göttlichen Werke Allen kundzuthuen oder zurückzuhalten und die Kunde davon durch Censuren zu unterdrücken sei, beiden zu dem Zwecke, dass, da diese jenen die Ver- besserung des Copernicus übertragen haben oder übertragen werden, beide sehen, ob . . . die harmonische Anordnung der Himmelsbewegungen, wenn die Bewegung der Erde beseitigt und die der Sonne dafür an die Stelle gesetzt wird, überhaupt aufrecht erhalten werden könne und ob die Hypothese des Copernicus oder die des Brahe, denn dass die alten Ptolemäischen Hypothesen falsch sind, ist sicher, fortan festzuhalten sei. Was immer, schliesst er, nachdem alles gebührend erwogen worden, beschlossen werden wird, das werden die der Römischen Kirche treuen Mathematiker ohne Zweifel anerkennen."

Dass diejenigen, welche nicht bloss wissenschaftliche Gegner, sondern persönliche Feinde Galilei's waren, durch den Ausgang des Processes nicht befriedigt wurden, ist selbstverständlich. Von Caccini schreibt Castelli am 5. Dec. 1623 aus Pisa1) an Galilei: „Es missfällt mir, dass der Pater Caccini den Fürsten und dem h. Officium selbst so sehr zu nahe tritt, wenn es wahr ist, dass er fortwährend sagt, ohne den Schutz verschiedener Fürsten würden Sie vor die Inquisition citirt worden sein, als ob die Fürsten das h. Officium hinderten und verdächtige Leute beschützten und das h. Officium bei dem Einschreiten gegen die Gott- losigkeit auf die Fürsten Rücksicht nähme. Es scheint mir, der Pater selbst verdiente vor die Inquisition citirt zu werden."

1) Suppl. 156.

l6o Controverse mit Grassi.

XIII.

Galilei's Controverse mit den Jesuiten Grassi und Scheiner. Der „Saggiatore".

Im J. 1619 wurde Galilei in eine Controverse ver- wickelt, bei der es sich zunächst nicht um das Copernica- nische System handelte, welche aber auf den Verlauf des zweiten Processes wohl nicht ohne EinflUss geblieben ist.

Der Jesuit Orazio Grassi, Professor der Mathematik im Römischen Colleg, hielt in diesem Jahre einen Vortrag über drei im J. 161 8 erschienene Kometen, der in Abschriften ver- breitet wurde *). Die darin entwickelte Ansicht wurde in einer 1619 zu Florenz erschienenen Schrift bestritten, welche ein Schüler Galilei's, ein früherer Zögling desRömischenCollegs2), Mario Guiducci, veröffentlichte, an deren Abfassung aber Ga- lilei grossen Antheil hatte3). v Grassi antwortete noch in dem- selben Jahre in der Schrift ,,Libra astronomica ac philoso- phica"4) unter dem Namen Lotario Sarsi5). Es braucht nur beiläufig erwähnt zu werden, dass sich in der Sache, bezüglich der Frage über die Natur der Kometen, die Ansicht Galilei's weiter von der später als richtig erkannten Anschauung entfernt als die Ansicht Grassi's; von Wichtigkeit für meine Aufgabe ist nur die Thatsache, dass sich Galilei in Folge dieses Streites gründlich mit den Jesuiten verfeindete.

Die Libra enthielt so starke Angriffe gegen Galilei, dieser, nicht Guiducci wird darin angegriffen, dass man von diesem allgemein eine Antwort erwartete. Von Galilei's

1) De tribus cometis anni 16 18 disputatio astronomica habita in Col- legio Romano S. J. ab uno 'ex Patribus ekisdem Societatis, abgedruckt IV, 1 14. Es erschienen in zwei Jahren mehr als 70 Schriften über diese Kometen. Venturi II, 46. 2) V, 601.

3) Discorso delle comete di Mario Guiducci fatto nell' Accademia Fio- rentina, abgedruckt IV, 15 60.

4) Abgedruckt IV, 61 121.

5) Lotario Sarsi Sigensano = Oratio Grassi Salonense; s. VIII, 445.

Controverse mit Grassi. 161

Briefen ist uns aus der Zeit vom 23. Mai 161 8 bis 17. Mai 1621 nur ein einziger, ganz unbedeutender1) erhalten. Die Briefe seiner Freunde an ihn aber sind erhalten und geben interessante Aufschlüsse. Nach dem Erscheinen der Schrift von Guiducci schrieb Ciampoli am 12. Juli 1619 aus Rom2): „Eins hat hier nicht gefallen: dass Sie mit dem Römischen Colleg Händel anfangen, in welchem man doch öffentlich so ehrenvoll von Ihnen gesprochen. Die Jesuiten fühlen sich sehr beleidigt und schicken sich an zu antworten; und wenn ich auch die Triftigkeit Ihrer Conclusionen kenne, so bedauere ich doch sehr, dass bei den Jesuiten das Wohl- wollen und die Anerkennung, womit man von Ihnen redete, so sehr vermindert sind." Am 6. Dec. 16 19 schrieb Ciampoli ferner3): „Aus Ihrem letzten Briefe sehe ich, dass Sie nicht glauben wollen, dass der Pater Grassi der Verfasser der ,,Libra astronomica" ist. Ich versichere Ihnen, Seine Hoch- würden und die Jesuiten wollen, dass man wisse, dass das Werk von ihnen ist, und ihre Meinung darüber ist von dem Urtheil, welches Sie darüber fällen, so sehr verschieden, dass sie sich desselben als eines Triumphes rühmen4). Grassi redet von Ihnen mit viel mehr Zurückhaltung als viele an- dere Patres, denen das Wort » vernichten « sehr geläufig geworden ist. Grassi habe ich nie ein solches Wort gebrau- chen hören; er spricht überhaupt so bescheiden, dass ich darüber verwundert bin, dass seine Schrift so hochfahrend und so voll von bissigen Spöttereien ist. Man sieht Ihrer Antwort mit grossem Verlangen entgegen."

Auch Cesi und andere Lincei erwarteten, Galilei werde antworten, mahnten ihn aber zur Vorsicht5). Francesco Stelluti schrieb ihm am 27. Jan. 16206): „Vor allem möchte ich nicht, dass Sie den Pater Grassi, noch weniger, dass Sie das Jesuiten-Collegium nennen; halten Sie die Fiction fest, dass Sie es nur mit jenem Schüler zu thun haben [der an- gebliche Verfasser der Libra spricht von Grassi als von seinem Lehrer, den er vertheidigen wolle]; sonst entsteht ein Streit mit jenen Patres, der gar kein Ende nimmt. Da ihrer so Viele sind, so würden sie einer ganzen Welt zu

1) VI, 281. 2) Suppl. 130.

3) VIII, 430. 4) Vgl. VIII, 449.

5) VIII, 432. 6) VIII, 436, s. o. S. 27.

Retisch. Galilei.

IÖ2 Controverse mit Grassi.

thun geben, und wenn sie auch Unrecht haben, werden sie doch Recht haben wollen; und uns könnte das nur sehr schaden, da sie ganz besonders, wie alle Peripatetiker, den neuen Meinungen wenig hold sind." Im Juni 16201) schickte Guiducci dem Fürsten Cesi eine in Form eines Schreibens an den Jesuiten Tarquinio Galluzzi verfasste Entgegnung2). Sie scheint aber Cesi und die anderen Freunde nicht be- friedigt zu haben. Für den Fall, dass die Antwort nicht von Guiducci oder einem andern Schüler Galilei's, natür- lich unter dessen Mitwirkung, geschrieben werden könne, empfahlen die Freunde, Galilei solle in der Form eines Schreibens an Guiducci oder einen andern Freund antwor- ten3). Cesi meinte einmal, Galilei könnte die Antwort dem Pater Griemberger widmen. Ciampoli bemerkte aber da- gegen, man dürfe dem „armen Pater" keinen Verdruss be- reiten; er schlug seinerseits vor, Galilei möge die Antwort dem Don Virginio Cesarini widmen, welcher, obschon ein grosser Verehrer Galilei's und Freund Cesi's und Ciampoli's, „bei den Patres sehr beliebt" sei4). Cesarini erklärte sich gern bereit, die Widmung anzunehmen5). In einem spätem Briefe, vom 1. Aug. 16206), empfahl Ciampoli dringend, Ga- lilei möge die Antwort so einrichten, dass die Jesuiten mög- lichst wenig verletzt würden.

Trotz wiederholten Drängens der Freunde7) verzögerte sich die Vollendung der Erwiederung. Erst am 28. Oct. 1622 kam das Manuscript derselben in Rom an8). Galilei wünschte, die Mitglieder der Akademie der Lincei möchten das Manuscript lesen und die ihnen anstössig scheinenden Stellen streichen oder ändern. Es wurden aber nur einige Worte geändert9).

1) VIII, 445-

2) Sie wurde 1620 zu Florenz gedruckt, abgedruckt V, 593 610. Auch der Jurist G. B. Stelluti, ein Bruder Francesco's, schrieb eine Ent- gegnung, die 1622 unter dem Titel „Scandaglio della Libra astronomica e filosofica di Lotario Sarsi" gedruckt wurde, aber einer Erwiederung von Seiten Galilei's nicht vorgreifen sollte. Vgl. IX, 45; X, 122; XV, Bibliogr. XI.

3) VIII, 438. 442. 4) VIII, 447; s. o. S. 27. 5) VIII, 449. 6) VIII, 449.

7) VIII, 442; IX, 5. 11. 12. 16. 18.

8) IX, 19. 9) IX, 20. 22. 27.

Der Saggiatore. 163

Die Veröffentlichung des Saggiatore, so hiess Gali- lei's Entgegnung auf Grassi's Libra; man könnte „die Gold- wage" übersetzen1) überliess er der Akademie der Lin- cei. Diese legten Werth darauf, dass sie in Rom und also mit einer Approbation der päpstlichen Censurbehörde ge- druckt werde. Am 12. Jan. 1623 schrieb Cesarini2): „Da Sie uns das überlassen, so wollen wir das Buch in Rom selbst veröffentlichen trotz der Macht der Gegner, gegen welche wir uns mit dem Schilde der Wahrheit und auch der Gunst der Oberen bewaffnen werden. Wir werden auf Schwierigkeiten stossen, aber sie hoffentlich überwinden. Sarsi und das Römische Colleg haben schon davon gehört, dass Ihre Apologie angekommen ist; sie werden sie aber nicht zu Gesicht bekommen, bis sie gedruckt ist. Sie sind sehr gespannt darauf und haben mich sogar gebeten, sie ihnen zu zeigen; aber ich habe ihnen diese Bitte abge- schlagen, da sie sonst leichter die Veröffentlichung hindern könnten. . . . Ich beabsichtige die Schrift auch ins Latei- nische übersetzen zu lassen, um sie denjenigen zugänglich zu machen, welche jenseits der Berge sich für die philoso- phische Wahrheit und Freiheit interessiren3). In den hiesigen Buchhandlungen ist die in Deutschland gedruckte

i) Der Titel lautet vollständig: „II Saggiatore, nel quäle con bilancia esquisita e giusta si ponderano le cose contenute nella Libra astronomica e filosofica di Lotario Sarsi Sigensano", abgedruckt IV, 145 369. Ueber den Titel sagt Galilei selbst (IV, 156): „Ich habe meine Entgegnung Saggiatore nennen wollen, mit Beibehaltung des von Sarsi gebrauchten Bildes [Sarsi's Buch hiess Libra, "Wage]. Da es mir aber schien, dass er bei dem Wägen der Sätze Guiducci's sich einer ein wenig zu groben (unge- nauen) Wage bedient habe, so habe ich mich einer Wage bedienen wollen, wie sie die Goldwäger gebrauchen (una bilancia da saggiatori), einer von jenen Wagen, die so genau sind, dass sie weniger als ein Sechzigstel Gran angeben." „Solcher Wagen, sagt er anderswo (IV, 505), bedienen sich die Saggiatori, um zu constatiren, ob das Metall, welches ihnen als reines Gold oder Silber vorgelegt wird, wirklich dieses oder mit Kupfer oder einem an- dern weniger edeln Metall vermischt ist. So soll mein Saggiatore Sarsi's versteckte Irrthümer aufdecken." Grassi übersetzte Simbellator ; Galilei sagt (V, 504), Saggiatore habe dieselbe Bedeutung wie das lateinische Collybista ; Kepler (V, 613) übersetzt Trutinator.

2) IX, 23.

3) Dieser Plan kam nicht zur Ausführung. Erst später erschien eine lateinische Uebersetzung des Saggiatore..

164 Der Saggiatore.

Apologie des P. Thomas Campanella (s. o. S. 61) angekom- men. Sie ist zwar vor dem Decret der Index- Congregation gegen Copernicus geschrieben; gleichwohl haben die Oberen den Verkauf verboten1). Einige Feinde haben diese Ge- legenheit benutzt, die längst widerlegten Verleumdungen gegen Sie wieder aufzufrischen; aber Sie haben Gönner und Freunde, die für Sie eintreten, und die Tadellosigkeit Ihres Verhaltens und der bescheidene Gehorsam, den Sie stets dem Decret der h. Congregation gegenüber bekundet haben, zeigen der Welt Ihre Gesinnung. Darum glaube ich nicht, dass die Erlaubniss zum Drucke Ihrer Schrift ver- weigert werden wird. Es scheint min von Wichtigkeit, dass hier, Angesichts der Kirche, vor den Augen der Congre- gation Ihre Lehre gutgeheissen und die philosophischen Neuigkeiten, die Sie mittheilen, anerkannt werden. Im Römischen Colleg haben freilich jene Patres beim Beginne des Studienjahres sich in öffentlichen Vorträgen gegen die Entdecker von neuen Dingen in den Wissenschaften ausge- sprochen und in langer Rede die Schüler überzeugen wollen, ausserhalb des Aristoteles sei keine Wahrheit zu finden; aber trotz dieser mit so vieler Beredsamkeit geschleuderten Excommunication hoffe ich, dass Ihre Speculationen in Rom frei veröffentlicht werden und Beifall finden werden."

Die Prüfung des Saggiatore wurde von der Censur- behörde dem Dominicaner Niccolö Riccardi übertragen, einem Manne, den der König von Spanien wegen seiner Beredsamkeit, nach Anderen wegen seines stupenden Ge- dächtnisses (noch Andere sagen: seiner Dickleibigkeit wegen) scherzhaft Padre Mostro, „Pater Wunderthier", genannt hatte und der unter diesem Namen in Galilei's Briefwechsel oft vorkommt. Er war schon länger mit Galilei, wenn auch nicht persönlich bekannt2), doch befreundet: Galilei gratu- lirte ihn, als er im J. 16 18 Qualificator der Inquisition ge- worden war, und Riccardi bezeichnete sich in seiner Ant- wort als „ergebensten Diener und wahren Schüler" Gali- lei's3). Als einen grossen Gelehrten oder besonders be-

1) Auf den Index kam die Schrift erst 21. April 1632 mit anderen Schriften Campanella' s. In den späteren Ausgaben des Index steht: Ca?npa- nella, Thomae, opera quae Romae impresso, aut approbata non sunt, cum auctor pro suis ea non agnoscat. Decr. 21. Apr. 1632.

2) IX, 25. 3) Suppl. Iil.

Der Saggiatore. 165

gabten Mann lernen wir ihn übrigens in der Geschichte Galilei's nicht kennen1). Riccardi also fertigte am 2. Febr. 1623 sein Gutachten 2), auf welches hin die Druck-Erlaubniss für den Saggiatore ertheilt wurde, in folgender Weise aus: „Auf Befehl des Magister Sacri Palatii habe ich dieses Saggiatore betitelte Werk gelesen. Ich finde darin nicht nur nichts, was den guten Sitten zuwider wäre oder sich von der übernatürlichen Wahrheit unseres Glaubens ent- fernte, sondern ich habe darin auch so viele schöne zur Naturphilosophie gehörende Betrachtungen wahrgenommen, dass ich glaube, unser Jahrhundert werde in den folgenden Jahrhunderten nicht nur als Erbe der Arbeiten früherer Philosophen gerühmt werden müssen, sondern auch als Ent- decker vieler Geheimnisse der Natur, welche jene nicht auf- finden konnten, Dank der scharfsinnigen und gediegenen Speculation des Verfassers. Ich schätze mich glücklich, in einer Zeit geboren zu sein, wo man nicht mehr mit einer gewöhnlichen Wage und bloss ungefähr, sondern mit so feinen Goldwagen das Gold der Wahrheit wägt."

Während der Saggiatore gedruckt wurde, wurde der Cardinal Maffeo Barberini am 6. Aug. 1623 als Urban VIII. Papst. Die Lincei beschlossen ihm das Werk zu widmen. Cesarini schrieb die vom 20. Oct. 1623 datirte Widmung3). Am 28. October übersandte er Galilei das erste Exemplar4).

Interessante Mittheilungen enthalten die Briefe der Freunde Galilei's über die Aufnahme, welche das Buch bei den Jesuiten fand. Stelluti schreibt 4. Nov. 1623 5): „Als

1) Riccardi, geb. zu Genua 1585, seit 16 17 Professor der Theologie in dem Kloster seines Ordens zu Rom (Minerva), wurde 1629 Magister Sacri Palatii, später auch apostolischer Prediger. Er starb 31. Mai 1639. Ein wunderlicher Brief Castelli's über seinen Tod steht Suppl. 288. Gedruckt sind von ihm nur einige Predigten u. dgl. Eine Reihe von ungedruckten Schriften, meist exegetische und dogmatische Hefte, verzeichnen Quetif-Echard II, 502. Vgl. Berti, II Processo p. LXXVI, und über seine Kanzelbered- samkeit IX, 70, Tiräboschi VIII, 527 und Berti in der N. Antol. 1878, XI, 396, wo auch p. 409 ein interessanter Brief Riccardi's an Campanella vom 28. Nov. 1638 mitgetheilt wird.

2) IX, 26. 3) IX, 41.

4) IX, 43. In mehreren Briefen ist die Rede von den Druckfehlern in der Ausgabe; IX, 47. 52. Der Dichter Thomas Stigliani, welcher die Correctur besorgte, hatte aus Eitelkeit einen von ihm geschriebenen Satz eingeschoben; IV, 369. 5) IX, 44.

166 Der Saggiatore.

Sarsi in einer Buchhandlung das Titelblatt sah, wechselte er die Farbe und sagte, Sie hätten dreiv Jahre auf diese Arbeit warten lassen"; nach dem Berichte des Thomas Rinuccini1) hätte er beigefügt: „er wolle in drei Monaten Galilei vor Aerger ausser sich bringen". „Ein Pater des Collegs, der das Buch ganz gelesen, soll gesagt haben: es sei sehr schön; Sie hätten sich sehr bescheiden ausgedrückt, und Sarsi werde zu thun haben, wenn er antworten wolle. Kurz, die Patres meinen, Sie hätten sie gut behandelt." Am 2. Dec. schreibt der eben genannte Rinuccini2): „Sarsi lobte Sie in einem Gespräche mit einem meiner Freunde und sagte: die Schrift enthalte Gutes; er werde aber ant- worten, könne jedoch vor den Herbstferien nicht daran den- ken; Sie hätten das vor ihm voraus, dass Andere die Druck- kosten für Sie bezahlten; er werde ohne Bissigkeit schrei- ben, was Sie nicht gethan; wenn Sie nach Rom kämen, wolle er mit Ihnen Freundschaft schliessen s). Einige Tage später fand ihn aber derselbe Freund in ganz anderer Stimmung. Er hatte einen Brief aus Florenz gesehen, worin gesagt war: der Saggiatore habe allen Jesuiten den Mund gestopft; sie würden nichts zu antworten wissen. Er sagte: wenn die Jesuiten so vielen Häretikern antworten könnten, so würden sie auch einem Katholiken zu antworten wissen. Ein anderer Jesuit hat mir erzählt, es sei ihnen strenge ver- boten, von diesen Schriften zu reden."

Grassi gab sich viele Mühe, mit Guiducci persönlich bekannt zu werden; es gelang ihm erst nach längerer Zeit4). Aus seinen Gesprächen mit ihm theilt Guiducci Galilei unter anderm die bereits früher (S. 67) erwähnte Aeusserung über Bellarmins Ansicht mit. In einem andern Briefe, vom 13. Sept. 1624 5) schreibt er: „Es scheint mir, dass Grassi die Bewegung der Erde nicht sehr verabscheut, vorausgesetzt, dass sich gute Gründe dafür anführen und die (naturwissen- schaftlichen) Bedenken widerlegen lassen. . . Sie dürfen sich nicht wundern, wenn er einmal ganz der Ihrige werden sollte; denn er zeigt grosses Verlangen, Ihre Meinungen zu verstehen, und lobt Sie sehr, was freilich auch ein blosser

1) Suppl. 154. 2) IX, 49.

3) Letztere Aeusserung berichtet auch Guiducci IX, 52.

4) IX, 52. 65. 5) IX, 69.

Der Saggiatore. 167

Kunstgriff sein kann. Ich bitte Sie, mir zu schreiben, ob ich ihm Ihre Entgegnung gegen Ingoli (s. u. S. 185) zeigen darf. Ich bin geneigt, es zu thun." Es ist wohl unzweifel- haft, dass es sich hier nur um einen „Kunstgriff " handelte.

Wie im December 1622, so hielt auch im December 1624 im Römischen Colleg ein Jesuit, dies Mal der Pater Spinola, einen Vortrag, den Guiducci als „eine sehr heftige Invective gegen die Anhänger der antiperipatetischen Mei- nungen" bezeichnet 1). Galilei dachte einen Augenblick dar- an, „dem Pater in einem Dialoge sehr genau die Rechnung zu revidiren", gab aber diesen Plan wieder auf „in Anbe- tracht der grossen Albernheit des Vortrags und der enor- men Dummheiten, von denen er voll sei"; die Unwissenheit des Publicums, meinte er, werde doch nicht so gross sein, dass solches Zeug Beifall finde2).

Grassi's Erwiederung auf den Saggiatore erschien, dem Cardinal Francesco Buoncompagni gewidmet, 1626 zu Paris, 1627 zu Neapel, wieder unter dem Namen Lotario Sarsi3). Galilei schrieb kritische Bemerkungen dazu4), veröffentlichte aber keine Entgegnung. Er schrieb am 2. Aug. 1627 an Castelli: „Unsere Freunde meinen, ich solle keine Zeit da- mit verlieren, Grassi zu antworten, da seine Erwiederung zu frivol sei und deutlich zeige, dass er entschlossen sei, jedenfalls das letzte Wort zu behalten"5). Cesi und die anderen Freunde riethen ihm, seine Zeit der Vollendung anderer Arbeiten zu widmen und nur allenfalls die bereits geschriebenen kritischen Bemerkungen durch einen Schüler zu einer Erwiederung ausarbeiten zu lassen6). Auch dieser Vorschlag kam nicht zur Ausführung.

Bei dieser Controverse mit Grassi handelte es sich, wie gesagt, nicht um das Copernicanische System. Jede Bezug- nahme darauf war aber freilich nicht zu vermeiden. Grassi sagt in seiner ersten Schrift: Galilei (Guiducci) habe in der Schrift über die Kometen von der Bewegung der Erde „mit leiser Stimme geflüstert"; aber dieses „der Wahrheit widersprechende und für fromme Ohren harte" Wort gewiss

1) Suppl. 169. 171. 174. 176. 178. 2) vi, 303.

3) Ratio ponderum librae ac simbellae . . . auctore L. Sarsio, ab- gedruckt IV, 371 502.

4) IV, 503-528. 5) VI, 319. 6) IX, 135.

l68 Der Saggiatore.

nicht gebrauchen wollen; denn dass sich die Erde nicht be- wege, sei für die Katholiken gewiss und werde sicher von Galilei, den er als einen frommen und religiösen Mann kenne, nicht bestritten1). Galilei sagt im Saggiatore unter anderm: „Was die Copernicanische Hypothese betrifft, so haben wir Katholiken das Glück, durch eine höhere Weisheit von dem Irrthum erlöst und von der Blindheit geheilt worden zu sein ; sonst glaube ich nicht, dass uns durch die von Tycho vorge- brachten Gründe und Erfahrungen eine solche Gnade und Wohlthat hätte zu Theil werden können. D'a also die bei- den Systeme (das Ptolemäische und das Copernicanische) sicher falsch sind und das des Tycho nichtig, so sollte Sarsi mich nicht tadeln, wenn ich mit Seneca die wahre Consti- tution des Weltalls vermisse" u. s. w.2). An einer andern Stelle sagt er: Grassi hätte die Bewegung der Erde nicht bloss als einen Satz, den ein frommer und religiöser Mann nicht behaupten dürfe, bezeichnen, sondern sich bemühen sollen, ihn als unrichtig zu erweisen; „vielleicht ist es nicht übel gethan, wenn man auch mit naturwissenschaftlichen Gründen, wenn das möglich ist, die Unrichtigkeit jener Sätze zu erweisen sucht, die als der h. Schrift widersprechend er- klärt worden sind"3). In ähnlicher Weise wird auch noch an einigen anderen Stellen4) auf die Copernicanische Lehre Bezug genommen. Nach dem Erscheinen des Saggiatore schrieb Fabio Colonna an Francesco Stelluti: er möge Ga- lilei ermahnen, behutsam und vorsichtig über biblische Dinge, namentlich über das Wunder der drei Jünglinge im Feuer- ofen, zu schreiben ; denn man suche mit der grössten Sorg- falt Gründe für ein Verbot; das thäten namentlich die Jesui- ten, welche nie seine besonderen Freunde gewesen und ihm den Ruhm vieler seiner Entdeckungen streitig machten, um sie sich selbst zuzuschreiben5). Es ist kaum zu begreifen, wie man an dem Anstoss nehmen konnte, was Galilei über „das Wunder der drei Jünglinge im Feuerofen" sagt : Grassi hatte sich auf den biblischen Bericht darüber (Dan. 3, 92 Vulg.) berufen, um zu beweisen, dass die Flamme durch- sichtig sei; Galilei lehnt es seinerseits ab, auf dieses Argu-

1) IV, 90; vgl. 69. 2) IV, 172.

3) IV, 182. 4) IV, 304 und sonst.

5) Odescalchi, Memorie de' Lincei p. 191 bei Venturi II, 53.

Der Saggiatore. 169

merit einzugehen, und überlässt die Erörterung desselben den Theologen1). Dass aber Galilei's Feinde darauf aus- gingen, ein Verbot des Saggiatore zu erwirken, erfahren wir auch von anderer Seite.

Am 18. April 1625 theilte nämlich Guiducci2) Galilei Folgendes mit: „Vor einigen Monaten wurde der Congre- gation des h. Officiums von einer frommen Person vorge- schlagen, den Saggiatore verbieten oder corrigiren zu lassen, da darin die Lehre des Copernicus von der Bewegung der Erde gelobt werde. Ein Cardinal übernahm es, sich über die Sache zu informiren und darüber zu berichten. Zum guten Glück übertrug er die Sache dem Pater Guevara, Ge- neral der Theatiner. . . Dieser las das Buch sorgfältig und sprach sich jenem Cardinal gegenüber sehr lobend darüber aus, schrieb auch einige Bemerkungen auf, worin er die An- sicht aussprach, jene Lehre von der Bewegung der Erde, wenn sie auch [im Saggiatore] festgehalten werde, sei nicht zu verdammen. So ist die Sache damals eingeschlafen/' Der Pater wird wohl erklärt haben: was im Saggiatore über die Copernicanische Lehre gesagt werde, biete keinen Anlass, gegen das Buch einzuschreiten. Weiteres ist über diesen Ver- such, Galilei zum zweiten Male vor die Inquisition zu bringen, nicht bekannt3). Vielleicht hangen damit aber einige An- deutungen zusammen, welche Castelli in zwei am 22. Jan. und 26. Febr. 1628, also nach dem Erscheinen der letzten Streitschrift Grassi's, geschriebenen Briefen4) gibt. In dem ersten schreibt er : „Ich habe einmal in Sarsi's Buche gelesen, als ich es bei Monsignor Ciampoli sah; aber seine dumme Ignoranz und die vieler Anderen, die ihm Gehör geben, widert mich so an, dass ich mir nicht die Mühe gegeben, mehr davon zu lesen, zumal die Verständigen seine Imper- tinenzen sehr gut kennen. Aber da Sie es befehlen, will ich

i) IV, 360. es ist also irreführend, wenn Cantor, Zts. f. Math. 1868, L.-Z. S. 58 sagt: im 50. Capitel des Saggiatore komme auch Theolo- gisches vor. 2) IX, 78.

3) Mindestens ungenau ist die Darstellung von Scartazzini, Uns. Zeit 1877, II, 437: „Der Saggiatore wurde bei dem Inquisitionstribunal zu Rom . . . denuncirt. Umsonst. Die Gegner Galilei's bereiteten sich dadurch eine neue Niederlage. Nach genauer Prüfung wurde das Werk nicht nur nicht verboten, sondern gelobt und empfohlen",

4) Suppl. 203; IX, 124.

170 Controverse mit Scheiner.

das Buch lesen und zu dem Pater Riccardi gehen, der mir bei anderen Gelegenheiten gesagt hat, solche Dinge machten ihm gar keinen Kummer, ihm genüge die Absicht, stets Ihre Sache zu vertreten." In dem zweiten Briefe berichtet er über sein Gespräch mit Riccardi: „Er sagte: Ihre Mei- nungen seien nicht gegen den Glauben, da sie einfach phi- losophische seien; er würde alles gethan haben, was Sie gewünscht, aber er habe nicht offen auftreten wollen, um Ihnen bei jeder Gelegenheit dienen zu können, wo Ihnen von Seiten des Tribunals des h. Officiums, bei welchem er Qualificator ist, Ungelegenheiten drohten; wenn er sich vor- her ausgesprochen, würde er nichts mehr haben sagen können. Er erzählte auch, er habe um Ihretwillen ein kleines Unge- witter von Seiten seiner Ordensgenossen zu bestehen gehabt." In den Processverhandlungen ist von dem Saggiatore nicht die Rede. Dass derselbe aber viel dazu beigetragen hat, Grassi und seine Ordensgenossen gegen Galilei unfreund- lich zu stimmen, ist unzweifelhaft.

Im J. 1630, als Galilei's Dialog bereits im Manuscript vollendet war, erschien eine neue Streitschrift seines alten Gegners in der Frage über die Sonnenflecken, des Jesuiten Scheiner, voll bitterer Angriffe gegen Galilei. Sie führte den Titel „Rosa Ursina" l) wir haben schon früher einiges darüber gehört, S. 13, und war dem Paolo Giordano Or- sini, Herzog von Bracciano, dem Oheim des Cardinais Orsini (s. o. S. 104), gewidmet und in dessen Druckerei gedruckt. Als Galilei in einem (nicht erhaltenen) Briefe an den Herzog seine Verwunderung darüber äusserte, antwortete dieser am 30. Dec. 16302): „Was Sie mir über den für Sie unangenehmen Inhalt der Rosa Ursina schreiben, war mir ganz neu und unbekannt; sonst würde ich nicht gestattet haben, dass meine Diener zu Bracciano das Buch hätten passiren lassen. Es ist möglich, dass in Abwesenheit unseres General- Auditors sein Kanzler das Buch durchgesehen hat 3), und dieser wird

1) Rosa Ursina sive Sol ex admirando facularum et macularum su- arum phoenomeno varius. Auf dem Titelblatt wird angegeben, der Druck habe 1626 begonnen und sei 1630 vollendet worden. Vgl. VI, 327.

2) IX, 260.

3) Unter der Approbation des Jesuiten- Generals Muzio Vitelleschi steht: Vidit Bartholomaeus Piccaluga Status Bracchiani Generalis Auditor.

Controverse mit Scheiner. 171

kein anderes Latein-verstehen als das der Urkunden. Ueber die Indiscretion des Verfassers wundere ich mich nicht sehr; denn ich habe ihn selbst als sehr indiscret kennen gelernt, da er zuletzt mit mir gebrochen hat, der ich Ihre vielen Tugen- den und Verdienste schätze."

Castelli schreibt an Galilei am 26. Sept. 1631 J): „Von der Orsini'schen Rose habe ich ein wenig gesehen; sie ist mir aber so übelriechend vorgekommen, dass ich nicht mehr davon sehen mag. Ich bin ganz entrüstet über die Esel- haftigkeit (bestialita) und giftige Wuth des Verfassers, der mit etwas Anderm als mit Dinte gezüchtigt zu werden ver- diente. Ich glaube, es wäre gut, wenn einer Ihrer Freunde ein Sendschreiben an den Pater General der Jesuiten drucken Hesse, worin er denselben ermahnte, doch nicht das Erscheinen solcher Niederträchtigkeiten zu dulden, deren eine allein ge- eignet ist den Namen aller jener Hochwürdigen zu infamiren. Glauben Sie mir, ich habe in Rom mit Verschiedenen ge- sprochen, welche diese Rose gerochen haben, und sie Alle sind angeekelt davon. Namentlich sprach man eines Tages lange und mit gerechter Strenge über das, was im Anfange des Werkes steht, wo der Autor mit gründlichem Hoch- muth in ganz unpassender Weise seine Freundschaft und Brüderschaft mit Fürsten herausstreicht; bei diesem aufge- blasenen Dünkel ist es nicht zu verwundern, dass er so wüthend und wahnsinnig über Sie hergefallen ist; er mag von Ihnen die Errichtung von Tempeln und Altären und Weih- rauchwolken erwartet haben. Aber lassen wir ihn in seinem Schmutz und Gestank, und denken Sie nicht weiter an ihn." Am 27. Sept. schreibt der Servit Fulgenzio Micanzio zu Vene- dig2), ein Freund Sarpi's und dessen Nachfolger als Theologe

1) ix, 254.-

2) IX, 256. Fulgenzio Micanzio, geb. 1570 zu Venedig, erzogen zu Brescia, war Lector der Philosophie in dem Kloster seines Ordens zu Bo- logna, als er im J. 1606 als Gehülfe Sarpi's nach Venedig berufen wurde. Er starb dort 7. Febr. 1654. Er schrieb eine Biographie Sarpi's. Griselini, Memorie del F. Paolo Sarpi, 1760, p. 87. 10 1. Bianchi-Giovini, Frä P. Sarpi II, 417. 472. Der älteste Brief von ihm an Galilei ist vom 26. Febr. 16 II; aber nur aus den Jahren 1631 42 haben wir zahlreiche Briefe an und von Galilei; Galilei nennt in einem Briefe an ihn (VII, 55) Sarpi il nostro q. comun padre e maestro, Ueber einen andern Freund Sarpi's, den Frä Fulgentio Manfredi aus dem Orden der Minoriten-Observanten, der

172 Controverse mit Sclieiner.

der Republik, er wird uns von jetzt an in dem Brief- wechsel Galilei's noch oft begegnen: vDer deutsche Je- suit scheint mir ein gescheidter Mann zu sein und alles Lob zu verdienen. Da die Jesuiten sich so gern mit Lästern einen Namen machen, so konnte er in seiner Profession keinen Be- rühmtem und Höherstehenden als Sie finden und keinen, durch den er sich bleibendere Berühmtheit verschaffen könnte ; denn auch das ist eine Berühmtheit, ein Lästerer ge- nannt zu werden."

Auf Scheiners Angriffe in einer besondern Schrift zu antworten, wurde Galilei von seinen Freunden, namentlich von Castelli und Ciampoli *), abgerathen. In seinem im Früh- jahr 1632 erschienen Dialog setzte er sich aber mit Scheiner gründlich aus einander, unter Bezugnahme nicht nur auf die Rosa Ursina, sondern auch auf die früheren Schriften (s.o. S. 31). Als er im Mai 1632 Castelli ein nachträgliches Druckfehler- Verzeichniss zu dem Dialog schickte 2), bat er ihn, dafür zu sorgen, dass auch die Jesuiten ein Exemplar desselben er- hielten, ,, damit nicht Pater Scheiner, der an einer der be- treffenden Stellen getadelt wird, sich auf diese, wenn auch unbedeutende, Incorrectheit wirft". Dass Scheiner auf den Dialog antworten würde, war bei seiner Neigung zur Pole- mik nicht anders zu erwarten. In einem Briefe vom 19. Juni 1632 3) schreibt Castelli: Scheiner sei in einer Buchhand- lung mit einem Olivetaner- Pater aus Siena zusammenge- kommen, und als dieser Galilei's Dialog gelobt und als das beste Buch, das je erschienen sei, bezeichnet habe, habe jener sich entfärbt und heftig gezittert und dem Buchhänd- ler gesagt, er wolle gern zehn Goldscudi für ein Exemplar bezahlen, um sofort antworten zu können. Am 11. Sept. schreibt dann Castelli' s Schüler Evangelista Torricelli 4) : Scheiner habe den Dialog kopfschüttelnd gelobt, indess ge- meint, er sei wegen der vielen Digressionen eine ermüdende Leetüre, und schliesslich gesagt, Galilei habe sich schlecht gegen ihn benommen, er wolle aber nicht darüber reden. Am 2 7,. Febr. 1633 schrieb Scheiner selbst an Gassendi5):

1610 zu Rom hingerichtet wurde, s. Gibbings (s. o. S. 75) und Benrath, Allg. Ztg. 1877, No. 88 B.

1) IX, 261. 2) VII, 2. 3) IX, 274.

4) IX, 288. 5) IX, 275.

Controverse mit Scheiner. 173

„Ich bin von dem Kaiser nach Deutschland berufen, aber die Ortsveränderung trennt Freunde nicht. Neulich sind vier Dialoge Galilei's in italienischer Sprache erschienen, in welchen die Copernicanische Bewegung der Erde gegen die gewöhnliche Lehre der Peripatetiker vertheidigt wird. Er kritisirt darin meine „Disquisitiones mathematicae" und greift auch die „Rosa Ursina" und die von mir entdeckte jährliche Bewegung der Sonnenflecken an. Was dünkt Ihnen davon? Vielen gefallt diese Schrift nicht. Ich schicke mich an, mich und die Wahrheit zu vertheidigen." Gassendi schrieb darauf am 10. Mai 1633 an Campanella x): „Es wäre ein gutes Werk, wenn Sie den Zwist zwischen den beiden vortrefflichen und uns be- freundeten Männern, Galilei und Scheiner, ausglichen. Beide sind so gute Männer, so eifrig in der Erforschung der Wahr- heit, so treu und aufrichtig; dass sie sich verfeinden müssen !" u. s. w. Campanella wäre wohl kaum ein geeigneter Ver- mittler gewesen2). Bald darauf wurde übrigens Galilei von der Inquisition verurtheilt. Scheiners Entgegnung erschien erst ein Jahr nach seinem Tode, im J. 1651 (s. u. § XXXV). Scheiner war als Gelehrter nicht unbedeutend, „ein guter Beobachter und erfindungsreicher Kopf", wieMädler3) sagt, aber nicht nur ein entschiedener Anti-Copernicaner, son- dern auch nach allem, was wir aus dem Streit mit Galilei von ihm erfahren, ein wenig nobler Charakter. In einem sehr un- günstigen Lichte erscheint er in den Briefen des Jüngern (Lud- wig) Kepler. Dieser sagt in einem Briefe an Galilei vom 6. Febr. 1638 4): „Derselbe Gegner, welcher Sie angefeindet hat, bereitet auch mir Nachstellungen, der Jesuit Scheiner, der unter dem Schein der Religiosität und Frömmigkeit und des Eifers für die Römische Kirche, als ob er die dieser Kirche miss- fallenden Lehren und Hypothesen beseitigen wollte, sich mit fremden Federn zu schmücken sucht". Scheiner habe, er- zählt er dann, dem Kaiser und seinen Hofbeamten vorge- stellt, in den nachgelassenen Schriften Keplers fänden sich

1) IX, 275.

2) Er hatte am 5. Aug. 1632 (IX, 281) an Galilei geschrieben: „Scheiner hat mir sein Buch geschenkt; aber da seine Schreibart langweilig ist, kann ich nicht sagen, dass ich es sorgfältig gelesen".

3) Geschichte der Himmelskunde I, 255.

4) X, 265.

174 Tod Pauls V.

Prognostica, die dem Hause Oesterreich zum Schaden ge- reichten, und die Beobachtungen des Tycho de Brahe (die der jüngere Kepler in Händen hatte und nicht herausgeben wollte, bis ihm die 13,000 Gulden ausgezahlt würden, welche die kaiserliche Kammer seinem Vater schuldete), sowie einige nachgelassene Schriften Keplers müssten wegen ihres grossen Werthes, damit sie nicht allgemein bekannt würden, in der kaiserlichen Bibliothek aufbewahrt werden, so dass sie nur der Kaiser selbst und diejenigen, denen dieser es gestatten wolle, einsehen könnten. Er selbst habe dem Kaiser seine und seiner Schwester bedrängte Lage vorgestellt, um Bezahlung der fraglichen Summe gebeten, aber drei Monate keine Antwort erhalten. Auf Scheiners Betreiben habe der Kaiser einen Böhmischen Baron beauftragt, die Manuscripte bei Keplers Tochter zu confisciren; diese habe sie aber nicht in Händen gehabt. Er habe bei dem Kaiser gegen eine solche Gewaltthat protestirt u. s. w.

In einem sehr bittern und verächtlichen Tone spricht Galilei von Scheiner in einem Briefe an Micanzio1). Dieser Brief ist freilich aus einer spätem Zeit (9. Febr. 1636). Aber jedenfalls war es nach dem oben Mitgetheilten mit den freund- schaftlichen Beziehungen, in denen Galilei früher zu den „Mathematikern des Römischen Collegs", namentlich zu Cla- vius (f 161 2) und Griemberger, gestanden, vorbei, seit Grassi, Scheiner und der später noch zu erwähnende Inchofer dort den Ton angaben.

XIV. Galilei und Papst Urban VIII.

Die Erhebung des Cardinais Maffeo Barberini auf den päpstlichen Stuhl wurde von Galilei und seinen Freunden als ein sehr hoffnungsvolles Ereigniss angesehen.

Paul V., unter welchem die Decrete von 161 6 erlassen worden waren, starb nach fast 1 6 j ähriger Regierung am 28.

■) vii, 59.

Gregor XV. Urban VIII. 175

Jan. 1621. (Am 28. Febr. desselben Jahres starb der Gross- herzog Cosimo II., am 17. Sept. Cardinal Bellarmin.) Ihm folgte am 9. Febr. Alessandro Ludovisi, Erzbischof von Bo- logna, schon 67 Jahre alt, aber erst seit 16 16 Cardinal, als Gregor XV. Schon am 15. Febr. ernannte er seinen Neffen Ludovico Ludovisi, obschon derselbe erst 25 Jahre alt war, zum Cardinal. Auf dessen und des Cardinais Barberini Vor- schlag wurde Ciampoli im Juli zum Secretär der Breven an die Fürsten und bald darauf zum Canonicus von St. Peter ernannt1). Ciampoli's Freund Virginio Cesarini wurde Ca- meriere segreto.

Unter Gregor XV. erhielt, wie wir gesehen, Galilei's Saggiatore in Rom das Imprimatur. Am 27. Mai 1623 schrieb Ciampoli oder, wie er jetzt hiess, Monsignor Ciampoli, nach- dem er die beiden ersten Bogen des Saggiatore gelesen, an Galilei2): „Heute Abend habe ich in einer sehr langen Audienz bei unserm Herrn vielleicht mehr als eine halbe Stunde lang Seiner Heiligkeit Ihre ausgezeichneten Eigenschaften ge- schildert, was er sehr gern angehört hat. Wenn Sie in jenen Zeiten [16 16] hier die Freunde gehabt hätten, die jetzt da sind, so wäre es vielleicht nicht nÖthig, allerlei Mittel zu ersinnen, um jene bewunderungswürdigen Gedanken, durch welche Sie unsere Zeit erleuchtet haben, wenigstens als philosophische Poesieen der Vergessenheit zu entreissen."

Gregor XV. starb schon 8. Juli 1623, und nun wurde 6. August der Cardinal Maffeo Barberini, 55 Jahre alt, zum Papst gewählt. Er nannte sich Urban VIII. Er war ge- boren 5. April 1568 zu Florenz, kam, da sein Vater schon 1571 starb, früh nach Rom, wo sein Oheim Francesco Bar- berini Protonotar war, erhielt seine humanistische und phi- losophische Bildung im Römischen College, studierte dann die Rechte an der Sapienza und zu Pisa, die Angabe, dass er dort Galilei's Zuhörer gewesen, ist irrig; Galilei wurde erst 1589 Professor in Pisa3), trat im October 1588 in die Prälatur ein, wurde 1604 Erzbischof von Nazareth i. p. und Nuncius in Paris und 1605 Cardinal. Er hatte Sinn für Wissenschaft und Kunst, verkehrte gern mit Gelehrten und Humanisten und machte selbst lateinische und italienische

1) IX, 6. 11. Targioni II, 107.

2) IX, 30. 3) Pieralisi, Urbano VIII, p. 40.

176 Galilei und Urban VIII.

Verse. Eine Sammlung von lateinischen Gedichten von ihm erschien im Druck l).

Mit Galilei wurde Cardinal Barberini spätestens 161 1 persönlich bekannt, als jener in Rom war. Seitdem stand Galilei mit ihm in Briefwechsel2), übersandte ihm seine Schriften und erhielt dafür freundliche Dankschreiben. Im J. 16 12 schrieb er ihm einen ausführlichen Brief über die Sonnenflecken3). In den Briefen aus den Jahren 161 5 und 16 16 wird Barberini wiederholt als ein Galilei sehr gewogener Cardinal erwähnt4); ein Anhänger der Copernicanischen Lehre war er freilich nicht (s. o. S. 56. 92). Welche Stellung er bei dem ersten Process gegen Galilei eingenommen, da- rüber haben wir eine Andeutung in einem Briefe des tosca- nischen Gesandten in Rom, Francesco Niccolini, vom 13. Nov. 1632 5): Urban VIII. habe (zur Zeit als Galilei von der In- quisition nach Rom citirt wurde) gesagt, Gott möge es Ga- lilei verzeihen, dass er sich in eine solche Verwicklung ge- bracht, nachdem er selbst, als er noch Cardinal gewesen, ihn daraus befreit. Danach ist anzunehmen, dass der Cardinal Barberini im J. 161 6 seinen Einfluss dahin geltend machte, dass gegen Galilei persönlich von Seiten der Inquisition nichts geschah. Castelli schreibt ausserdem unter dem 16. März 1630 aus Rom6), Cesi habe ihm Folgendes erzählt: „Der Pater Campanella sagte vor einigen Tagen dem Papste: er habe einige deutsche Herren unter Händen gehabt, um sie zum katholischen Glauben zu bekehren; dieselben seien gut dis- ponirt gewesen; aber als sie von dem Verbote des Copernicus gehört, hätten sie daran solchen Anstoss genommen, dass nichts mehr zu machen gewesen sei. Der Papst antwortete ihm wörtlich Folgendes : »Das war nie unsere Absicht, und wäre es auf uns angekommen, so wäre jenes Decret nicht erlassen worden«."

Am 29. Juni 16 19 schickte Galilei dem Cardinal Barbe- rini die von (ihm und) Guiducci verfasste Schrift über die Kometen und erhielt dafür ein freundliches Dankschreiben7). Am 28. Aug. 1620 übersandte der Cardinal Galilei eine

1) Pieralisi p. 19. 2) VIII, 173.

3) Dieser Brief steht bei Pieralisi p. 42, zwei andere p. 47. 49, die Antworten Barberini's VIII», 206. 208. 262. 4) VIII, 352. 355.

5) IX, 429. 6) IX, 176. 7) Pieralisi p. 63; VIII, 427.

Galilei und Urban VIII. 177

lateinische Ode auf seine astronomischen Entdeckungen; Ga- lilei dankte unter dem 7. Sept1). Als der Neffe des Cardi- nais, Francesco Barberini, im April oder Mai 1623 in Pisa promovirt hatte, beglückwünschte Galilei den Cardinal; dieser antwortete unter dem 24. Juni, wenige Wochen vor seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl2).

Einige Tage nach der Wahl Urbans VIII., am 10. Aug. 1623, schickte Galilei die Briefe, die er von dem neuen Papste im Laufe der früheren Jahre erhalten hatte, einer seiner beiden Töchter, beide waren Nonnen im Kloster S. Matteo in Arcetri bei Florenz. Die Nonne bemerkte in ihrer Ant- wort, der Vater werde ja ohne Zweifel dem neuen Papste ein Glückwunschschreiben gesandt haben, er möge sie auch dieses sehen lassen. Galilei belehrte sie, es würde sich nicht gepasst haben, sich sofort mit einem Glückwunsche an den Papst heranzudrängen3). Er sandte aber dem Bruder des neuen Papstes, Carlo, und dem Neffen des- selben, dem oben erwähnten Francesco Barberini, Gratu- lationsschreiben 4).

Galilei's Freunde in Rom schrieben sehr erfreut über die Papstwahl. Schon am 12. Aug. 1623 schrieb Francesco Stelluti5): „Die Wahl des neuen Papstes hat uns Alle er- freut. Sie kennen seine Tüchtigkeit und Güte. Er ist ein besonderer Gönner der Literaturfreunde, und wir werden an ihm einen grossen Maecenas haben. Er liebt sehr unsern Fürsten [Cesi], und wie Sie gehört haben werden, hat er so- fort unsern Don Virginio Cesarini zu seinem Maestro di Ca- mera ernannt6); Monsignor Ciampoli bleibt nicht nur Secre- tär der Breven an die Fürsten, sondern ist auch Geheim- kämmerer geworden; der Cavaliere dal Pozzo, auch ein Linceo, wird in die Dienste des Neffen des Papstes treten, der Cardinal werden wird. So werden wir drei Mitglieder der Akademie am Hofe haben und ausserdem viele andere Freunde." Am 18. August schrieb Ciampoli7): „Die Wahl

1) VIII, 451; Pieralisi p. 65. Die Ode genau abgedruckt ebend, p. 22.

2) IX, 31. 3) IX, 32. 33.

4) IX, 36. Pieralisi p. 69. 5) Suppl. 122.

6) Cesarini starb bereits I. April 1624; den Cardinalshut, welchen Urban VIII. ihm zugedacht hatte, erhielt 30. Aug. 1627 sein Bruder Alesr sandro Cesarini, der 1636 Bischof von Viterbo wurde und 1644 starb. Cia- conius IV, 563. 7) IX, 35.

Reu seh, Galilei. I 2

178 Galilei und Urban VIII.

erregt allgemeine Befriedigung; wir haben besondern Grund zu jubeln, da wir Seiner Heiligkeit besonders ergeben sind und uns seiner Liebe und seines Wohlwollens in reichem Masse erfreuen. . . . Sie liebt unser Herr mit väterlicher Zuneigung. Ich habe ihm in Ihfem Namen die Füsse ge- küsst, und er hat dieses und die Freude, die Sie über seine Erhebung ausgesprochen, besonders huldvoll aufgenommen." Ciampoli war nun einige Jahre lang eine einflussreiche Persön- lichkeit am päpstlichen Hofe, wohnte im päpstlichen Palaste und hatte täglich Audienz bei Urban VIII., um Geschäfte zu erledigen und mit ihm über Literatur und dgl. zu plaudern1).

Am 30. Sept. 161 2 schrieb Stelluti: Francesco Barbe- rini sei an jenem Tage Mitglied der Akademie der Lincei geworden und werde in den nächsten Tagen Cardinal wer- den; Galilei möge nicht unterlassen, ihn zu beglückwünschen 2).

Ausser seinem 27jährigen Neffen Francesco, der am 2. Oct. 1623 Cardinal wurde, machte der Papst am 5. Oct. 1624 auch seinen altern, 1569 geborenen Bruder Antonio, der seit 1585 Capuciner war, und am 13. Aug. 1627 einen Jüngern Bruder Francesco's, Antonio, geb. 1608, zu Cardinälen. Fran- cesco war aber der einflussreichste unter den Verwandten des Papstes, der eigentliche Cardinal-Nepote oder, wie man damals sagte, Cardinal Padrone*), der die Stellung eines Car- dinal-Staatssecretärs einnahm; nur als er 1625 26 als Cardinal-Legat in Frankreich und Spanien war, besorgte der ältere Antonio dessen Geschäfte ; er ist in der Regel ge- meint, wenn in Galilei' s Briefwechsel von dem Cardinal Bar- berini ohne nähere Bezeichnung die Rede ist. Der ältere Antonio, der Secretär der Inquisition war, wird gewöhnlich als Cardinal von St. Onuphrius bezeichnet4). Von ihrer

1) Targioni II, 110. 2) IX, 38; vgl. VI, 289. 3) IX, n.

4) Vgl. Pieralisi p. 171. Ciaconius IV, 525. 531. 564. Arcliivio sto- rico S. 3, T. 16, p. 265. Bis zur Ernennung Antonio's war Francesco Car- dinal von St. Onuphrius, 1624 wurde er Cardinal von St. Agatha, 1633 war er Cardinal von St. Laurentius in Damaso. Er starb 10. Dec. 1679 als Bi- schof von Ostia und Decan des h. Collegiums. Der ältere Antonio starb 1646. Der jüngere Antonio (er wird oft Cardinale Antonio genannt; Wo- lynski p. 182) wurde Cardinal(-Diakon von St. Maria in Aquiro) gegen den Wunsch seines Bruders Francesco und unter der ausdrücklichen Bedingung, dass er keinen Antheil an der Regierung nehmen solle. Er wurde später Cardinal-Priester von Santa Trinitä dei Monti, dann Cardinal-Bischof von Tus-

Galilei und Urban VIII. 179

schlimmen Seite, welche sie so unbeliebt machte, dass sie nach dem Tode Urbans VIII. aus Rom fliehen mussten1), lernen wir die Barberini in Galilei's Briefwechsel nicht kennen.

Wie bereits erwähnt wurde, widmete die Akademie der Lincei dem neuen Papste Galilei's Saggiatore, und Cesarini und Rinuccini meldeten Galilei voller Freude, er habe trotz seiner vielen Geschäfte das ganze Buch mit vielem Vergnügen gelesen2). Dass der Papst die Widmung des Buches ange- nommen und sich für das Buch und den Verfasser interessirte, mag dazu beigetragen haben, dass die Versuche, ein Verbot desselben durch die Inquisition herbeizuführen (s. o. S. 169), nicht über das erste Stadium hinauskamen.

Es ist erklärlich, dass Galilei unter diesen Umständen auf den Gedanken kam, nach Rom zu reisen und zu ver- suchen, in irgend einer Weise eine Zurücknahme der unter Paul V. ergangenen Entscheidung zu erwirken. Er schrieb am 9. Oct. 1623 an den Fürsten Cesi3): ,,Ich bedarf sehr des Rathes Ew. Excellenz bezüglich der Verwirklichung meines Wunsches, vielleicht auch meiner Pflicht, nachRom zu kommen und Seiner Heiligkeit den Fuss zu küssen. Ich möchte dieses zur gelegenen Zeit thun, und diese bitte ich Sie mir anzu-

culum, zuletzt von Praeneste. Der Vater der Cardinäle Francesco und An- tonio, Urbans VIII. älterer Bruder, Don Carlo Barberini, war „General der Kirche"; in diesem Amte folgte ihm nach seinem Tode sein dritter Sohn Taddeo. Vgl. Ranke, Die Rom. Päpste, 5. Aufl., III, 20. 201.

1) Härter als Ranke urtheilt Reumont übel- die Neffen Urbans VIII. Er spricht in der Gesch. Toscana's I, 428 von ihrer „fast beispiellosen Herrsch- und Habsucht" und sagt in den Beitr. zur italien. Gesch. I, 415: „Des Gross- herzogs (Ferdinand II.) Nachgiebigkeit gegen die täglich sich mehrenden Ansprüche des päpstlichen Hofes schützten ihn nicht vor dem frechen Ueber- muthe der Barberini, welche an den Medici, Estes und Farnesen ihren Aerger ausliessen, weil es ihnen nicht gelungen war, selbst unter den regierenden Herren Platz zu nehmen [vgl. Wolynski p. 152]. Ferdinand ermannte sich endlich und begann im Bunde mit der Republik Venedig und den Herzogen von Mantua und Parma einen Krieg gegen Urban VIII.", den „Krieg von Castro"; s. Ranke III, 25. Galilei erlebte aber diesen Kampf nicht mehr. Als nach dem Tode Urbans VIII. die Barberini aus Rom entflohen (1644), „Hess der neue Papst Innocenz X. ihre Paläste besetzen, ihre Aemter ver- theilen, ihre Luoghi di Monte sequestriren. Das Römische Volk stimmte ihm in seinem Verfahren bei"; Ranke III, 40; vgl. Riv. Eur. 1877, II, 439. Innocenz X. söhnte sich aber später mit den Barberini aus.

2) IX, 44. 50. Suppl. 154. 3) VI, 289.

180 Galilei in Rom im J. 1624.

geben. Ich beschäftige mich in Gedanken mit Dingen, welche für die Gelehrten-Republik von einiger Bedeutung sind. Können dieselben bei dieser wunderbaren Xonjunctur nicht verwirklicht werden, so weiss ich nicht, ob wir hoffen dürfen, jemals eine gleich günstige Conjunctur zu finden. Was ich darüber im Einzelnen Ihnen mitzutheilen habe, ist zu viel, als dass ich es zu Papier bringen könnte." Cesi antwortete am 21. Oct. *): ,,Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Sie nach Rom kommen wollen und daran denken, bei der so guten Conjunctur dieses vortrefflichen, gelehrten und gütigen Papstes die gute Literatur und die Studien zu fördern. . . Ihr Hieherkommen ist nöthig und wird Seiner Heiligkeit sehr angenehm sein. Der Papst hat mich gefragt, ob und wann Sie kämen; ... er zeigt seine Liebe und Achtung gegen Sie mehr als je. Ich rathe Ihnen, Mitte nächsten Monats zu kommen; das ist für Ihre Gesundheit die beste Zeit und dann können Sie hier auch leichter und ruhiger verhandeln, da bis dahin der Andrang der Geschäfte, der erst jetzt anfängt nach- zulassen, vorüber sein wird." Auch T. Rinuccini schrieb am 20. Oct. 2): „Vor drei Tagen küsste ich unserm Herrn die Füsse, und ich schwöre Ihnen, dass ich ihn über nichts so sehr erfreut sah, als da ich Sie nannte. Als ich sagte, dass Sie sehr wünschten, wenn es Ihre Gesundheit erlaubte, zu seinen allerheiligsten Füssen zu sein, antwortete er, das werde ihm sehr angenehm sein, vorausgesetzt, dass es ohne Gefährdung Ihrer Gesundheit geschehen könne ; denn grosse Männer, wie Sie, müssten sich in jeder Weise bemühen, so lange wie möglich zu leben. . . Alle Ihre Freunde wünschen, dass Sie kommen. . . Sie werden sehr befriedigt sein und das mit Händen greifen, dass dieses Pontificat das Pontificat der Guten sein und viele glorreiche Gedanken des guten Herrn, den Gott lange erhalten möge, verwirklichen wird." Galilei kam, da er bei der ungünstigen Jahreszeit nicht reisen mochte3), erst im April 1624 in Rom an. Die Gross- herzogin Wittwe Christina von Lothringen gab ihm ein Em- pfehlungsschreiben an ihren Sohn, den Cardinal de' Medici, mit4). Er verweilte auf der Reise einige Tage zu Acquasparta bei dem Fürsten Cesi5). Am 15. Mai schrieb er an diesen von

1) IX, 42. 2) IX, 40. 3) VI, 291

4) IX, 56. 5) VI, 292.

Galilei in Rom im J. 1624. 181

Rom aus: „Der Rath, den Sie mir in Ihrem freundlichen [nicht erhaltenen] Schreiben vom 1 1. d.ertheilen, ich solle mich auf ein sehr langes Verhandeln an dem hiesigen Hofe gefasst machen, würde mir ganz vortrefflich erscheinen, wenn sich die Natur herbeilassen wollte, die wenigen Tage, die mir noch übrig sind, in Jahre oder in Monate zu verwandeln. In der That finde ich es jeden Tag durch die Erfahrung bestätigt, dass ich einige von den Plänen, von denen wir mit einander ge- redet, würde zu Ende führen können, wenn ich Zeit, Kalt- blütigkeit und Geduld genug hätte*. Da ich aber bezweifle, ob ich Zeit genug haben werde, und einige meiner Specu- lationen [wissenschaftlichen Arbeiten] zu vollenden wünsche, werde ich wohl bald zu meiner Ruhe und freien Müsse zu- rückkehren. . . . Ich war vor drei Tagen mit mehreren Ge- lehrten bei dem Cardinal von Santa Susanna !) zum Früh- stück. Wir sprachen Stunden lang über viele Dinge, aber über keinen der Punkte, auf die es uns vor allem ankommt; ich habe indess erkannt, dass wir Gutes hoffen dürften, wenn nicht die Zeit zu kurz wäre. Ich habe zweimal ein langes Ge- spräch mit dem Cardinal Zoller [Eitelfritz von Hohenzollern, Bischof von Osnabrück] gehabt, der zwar mit unseren Studien nicht sonderlich gründlich bekannt ist, aber doch den Haupt- punkt und das Quid agendum bei der Sache versteht. Er hat mir gesagt, er wolle mit Seiner Heiligkeit vor seiner Abreise davon reden. Wir wollen sehen, was er erreicht. Aber die Mannigfaltigkeit der Geschäfte, die für unendlich viel wich- tiger gehalten werden als dieses, ist Schuld, dass man diesen Dingen keine Beachtung schenkt." Am 8. Juni2) berichtete er weiter: ,,Ich bin von dem Papste sehr ehrenvoll und freundlich behandelt worden. Ich war sechsmal bei ihm und habe lange Gespräche mit ihm gehabt. Als ich mich gestern bei ihm verabschiedete, versprach er mir eine Pension für meinen Sohn3). Vor drei Tagen schenkte er mir ein schönes

i) Damals (seit 16 16) war Scipio Cobelluzzi Cardinal von Santa Su: sanna (f 1627); früher hatte Card. Borgia diesen Titel.

2) VI, 295.

3) Diese Pension wurde erst 1627, nachdem Galilei's Freunde den Papst wiederholt an 'sein Versprechen erinnert, im Betrage von 60 Scudi wirklich bewilligt. Sie wurde auf ein Beneficium angewiesen und die Be- dingung gestellt, dass Galilei's Sohn Vincenzo Kleriker werde, also wenig- stens sich die Tonsur geben lasse (geistliche Kleidung zu tragen, war bei

182 Galilei in Rom im J. 1624.

Bild, zwei Medaillen, eine goldene und eine silberne, und eine gute Quantität Agnus Dei. Der Cardinal [Francesco] Barbe- rini hat mich immer mit gewohnter Freundlichkeit behandelt; desgleichen sein vortrefflicher Vater und seine Brüder. Unter den anderen Cardinälen habe ich wiederholt mit Vergnügen Santa Susanna, Buoncompagno x) und Zoller gesprochen. Letzterer ist gestern nach Deutschland abgereist. Er sagte mir, er habe mit Seiner Heiligkeit über Copernicus gesprochen und bemerkt: die Häretiker seien alle seiner Meinung und hielten sie für gewiss; darum müsse man sehr vorsichtig sein, wenn man zu einer Entscheidung kommen wolle. Der Papst habe geantwortet; die h. Kirche habe jene Meinung nicht als häretisch verdammt und werde sie nicht als häretisch ver- dammen, sondern nur als verwegen; es sei aber nicht zu fürchten, dass sie je Einer als sicher wahr erweisen sollte. Der Pater Riccardi und Herr Scioppio 2) sind zwar weit ent- fernt, sich so, wie es nöthig wäre, mit dergleichen astrono- mischen Speculationen bekannt machen zu können; aber sie sind entschieden der Ansicht, es handle sich dabei nicht um eine Glaubenssache und es sei nicht in der Ordnung, irgend- wie die Bibel hineinzuziehen. Was das Wahr oder Nicht-

Pensionen von nicht mehr als 60 Scudi nicht erforderlich). Vincenzo hatte aber, wie Castelli Suppl. 195 schreibt, „nicht eine einfache Abneigung, son- dern einen giftigen Hass gegen den geistlichen Stand". Durch die Vermitt- lung des Card. Barberini wurde dann die Pension auf Galilei's Neffen Vin- cenzo, 1630 auf Galilei selbst übertragen und auf 100 Scudi erhöht; IX, 200. 204. 221. Die Auszahlung stiess aber auf allerlei Schwierigkeiten. Ob Galilei die Bedingung, die Tonsur zu nehmen (IX, 222. Suppl. 239), wirk- lich erfüllt hat, wie Schneemann S. 400 u. A. annehmen, ist aus dem Brief- wechsel nicht zu ersehen. (Schneemann stellt der Bemerkung, die er Gebier und Anderen in den Mund legt: die Jesuiten hätten durch die moralische Vernichtung des Laien Galilei sich das Monopol der "Wissenschaft und des Unterrichts sichern wollen, die Notiz entgegen: „Galilei war nicht Laie, son- dern Geistlicher, da er . . . die Tonsur genommen hatte" !) Galilei genoss die Pension auch noch nach seiner Verurtheilung; Suppl. 286. Vgl. Martin, Galilee p. 95.

1) Francesco Buoncompagni, ein Neffe Gregors XIIL, von Gregor XV. 1621 zum Cardinal ernannt. Er wurde 1626 Erzbischof von Neapel und starb dort 1641. S. o. S. 167.

2) Der bekannte Convertit und Controversist Caspar Scioppius (Schoppe), geb. 1576 zu Neumarkt in der Oberpfalz, der 1598 zu Rom katholisch wurde und 1649 zu Padua starb. X, 337. 431. Hurter, Nomenciator I, 779.

Galilei in Rom im J. 1624. 183

Wahr betrifft, so hängt Riccardi weder dem Ptolemäus noch dem Copernicus an, sondern beruhigt sich in seiner Weise mit der bequemen Annahme, die Engel bewegten ohne Schwierigkeit oder Verwirrung die Sterne in der Weise, wie sie sich bewegen1), und das müsse uns genügen. . . Ueber alle diese Dinge, die ich hier angedeutet, hätte ich Ihnen im Einzelnen noch manches mitzutheilen. Aber im Allgemeinen haben meine Freunde und ich die Ueberzeugung gewonnen: wenn ich hier bliebe, könnte ich von Tag zu Tag eher etwas gewinnen als verlieren; da aber das Verhandeln in Rom sehr langsam geht und die Zeit, die mir noch zu Gebote steht, vielleicht sehr kurz ist, so sei es besser, dass ich mich in meine Ruhe zurückziehe und irgend einen meiner Ge- danken zur Ausführung zu bringen suche, um dann davon den Gebrauch zu machen, welchen die Verhältnisse, der Rath der Freunde und namentlich der Befehl Ew. Excellenz gebieten werden."

Bei Gelegenheit der Rückkehr Galilei' s nach Florenz übersandte der Papst dem Grossherzog Ferdinand II. ein vom 8. Juni 1624 datirtes, von Ciampoli verfasstes Breve2) voll schwungvoller Lobsprüche auf Galilei. Gleichzeitig schrieb der Cardinal Nepote an die regierende Grossher- zogin und an die Grossherzogin Mutter.

Im März 1625 lud Monsignor Ciampoli Galilei ein, nach Rom zu kommen, um den Jubiläumsablass zu gewinnen, und bei diesem Besuche bei ihm zu wohnen. Galilei war nicht ab- geneigt, scheint aber den Reiseplan aufgegeben zu haben, als Ciampoli ihm schrieb : er werde zwar ohne Zweifel eine Au- dienz bei dem Papste haben können; aber über wissenschaft- liche Dinge zu verhandeln, werde unter den augenblicklichen Verhältnissen, wo politische Dinge die Aufmerksamkeit ab- sorbirten, nicht wohl angehen3). Im April rieth auch Cesi, nach Rücksprache mit Ciampoli, Galilei, seine Reise nach Rom jedenfalls bis zum Herbst zu verschieben4). In Wirk- lichkeit kam Galilei erst im J. 1630 wieder nach Rom.

i) Das war damals bei den Theologen die gewöhnliche Ansicht; vgl. Riccioli, Almagestum novum II, 248 a.

2) IX, 60; s. o. S. 11.

3) Suppl. 178. 179. 4) IX, 82.

84 Galilei's Schreiben an Ingoli.

XV.

Galilei's Schreiben an Ingoli und andere Torarbeiten für den Dialog.

Wenn Galilei gehofft hatte, bei seiner Anwesenheit in Rom. im J. 1624 eine directe Zurücknahme des Decretes von 161 6 oder eine nochmalige Prüfung der Copernicanischen Lehre durch die Römischen Behörden erwirken oder an- bahnen zu können, so sah er sich in dieser Hoffnung ge- täuscht. Er scheint sich darum noch während seines Auf- enthalts in Rom entschlossen zu haben, nunmehr indirect für die Vertheidigung der Copernicanischen Lehre zu wirken.

Wie in den bisher mitgetheilten, so findet sich auch in den brieflichen Aeusserungen Galilei's aus den folgenden Jahren keine Spur davon, dass er geglaubt habe, über die Copernicanische Theorie überhaupt nicht schreiben zu dür- fen. Sie in der Weise hypothetisch zu erörtern, wie er das im Saggiatore gethan, hielt er für zulässig und müssen auch die Römischen Behörden für zulässig gehalten haben, da der Druck des Saggiatore gestattet und trotz der Denun- ciation dieses Buches gegen Galilei nicht eingeschritten wurde. Daraus folgt, dass die Römischen Behörden wie Galilei selbst nicht annahmen, es sei ihm im J. 16 16 ein über das Index-Decret von jenem Jahre hinausgehendes Verbot ertheilt worden. Daraus folgt nun aber, wie be- reits früher (S. 147) hervorgehoben wurde, nicht weiter, dass Galilei nicht am 26. Febr. 16 16 in der Weise, wie die Auf- zeichnung von jenem Tage angibt, von dem Commissar der Inquisition verwarnt worden sei. Zur Erklärung jener That- sache genügt vielmehr die Annahme, dass jene Verwarnung von Galilei selbst nur als eine förmliche und specielle Notifi- cation der durch das Index-Decret publicirten allgemeinen Entscheidung der Inquisition, nicht als eine über diese Ent- scheidung hinausgehende, nur für Galilei geltende, diesem jede Erörterung der Copernicanischen Lehre verbietende Weisung aufgefasst wurde.

Galilei's Schreiben an Ingoli. 185

Wenn Galilei in dem Saggiatore nur nebenbei von der Copernicanischen Theorie gesprochen hatte, so glaubte er jetzt einen Schritt weiter gehen und es mit einer ausführ- lichen Erörterung derselben ex professo, natürlich immer nur in hypothetischer Form, in der Weise, wie er es in dem Briefe an den Cardinal Orsini (s. o. S. 155) gethan, versuchen zu dürfen.

Als er im J. 161 6 in Rom war, übersandte ihm der Advocat Francesco Ingoli, der Galilei persönlich sehr hoch- achtete, aber ein Gegner der Copernicanischen Lehre war, eine lateinische Abhandlung, worin er astronomische, philo- sophische und theologische Argumente gegen jene Lehre entwickelt hatte1). Die Abhandlung fand in Abschriften Verbreitung2). Ihre Argumente wurden in Keplers Epitome berücksichtigt. Diese wurde 1619 auf den Index gesetzt, und Ingoli schrieb eine Entgegnung darauf, die aber nicht gedruckt wurde3). Im J. 1624 schrieb nun Galilei in der Form eines Briefes an Ingoli, der seit 1622 Secretär der Congregation der Propaganda war, eine Widerlegung der astronomischen und philosophischen Argumente jener Schrift von 16164). Die theologischen Argumente erklärt er bei Seite lassen zu wollen. Weiter sagt er: „Ich habe nicht die Absicht, jenen Satz als wahr zu erweisen, von welchem erklärt worden ist, er sei verdächtig und widerspreche jener Lehre, welche an Majestät und Autorität die naturwissen- schaftlichen und astronomischen Disciplinen übertrifft; ich will vielmehr nur zeigen, dass ich, als ich mit Astronomen und Philosophen disputirte, nicht darum, weil ich die von Ihnen vorgetragenen Argumente nicht gekannt oder nicht verstanden, bei der Meinung geblieben, die Copernicanische Hypothese und nicht die Ptolemäische könne und müsse die wahre sein. Dazu kommt noch ein anderer Grund. Auf die von Ihnen angeführten Argumente ist nicht wenig Ge- wicht gelegt worden, selbst von Personen von solcher Autorität, dass sie zu der Verwerfung der Copernicanischen Meinung durch die Index- Congregation haben mitwirken

1) De situ et quiete terrae contra Copernici systema disputatio, hand- schriftlich in der Vaticanischen Bibliothek; s. II, 64. . 2) VIII, 393- 3) n, 115.

4) Zuerst gedruckt 18 12, abgedruckt II, 64—115.

186 Galilei's Schreiben an Ingoli.

können. Solche Schriften sind, wie ich höre, auch zu ver- schiedenen Nationen jenseits der Alpen und vielleicht auch in die Hände von Häretikern gelangt. Darum glaube ich es meiner Reputation und der Reputation Anderer schuldig zu sein, zu hindern, dass diese von unserer Gelehrsamkeit zu gering denken und meinen, es habe unter den Katholi- ken Niemand gegeben, der erkannt hätte, dass jene Schrif- ten viel zu wünschen übrig lassen, oder man habe auf jene Schriften hin die Meinung des Copernicus verworfen, ohne zu fürchten, dass jemals einer von denjenig-en, die von uns getrennt sind, für die Wahrheit jener Meinung einen sichern und zwingenden Beweis liefern oder eine augenscheinliche Erfahrung anführen könne. Um die Häretiker zu beschä- men, von denen, wie ich höre, die angesehensten alle die Meinung des Copernicus theilen, will ich diesen Gegenstand ausführlich behandeln und ihnen zeigen, dass wir Katholiken nicht aus Mangel an natürlicher Einsicht und nicht aus Un- kenntniss der vielen ihnen bekannten Gründe und Er- fahrungen, Beobachtungen und Demonstrationen bei der alten Wahrheit bleiben, die uns die heiligen Schriftsteller lehren, sondern aus Ehrfurcht vor den Schriften unserer Väter und aus Eifer für die Religion und unsern Glauben. Wenn sie sehen, dass wir alle ihre astronomischen und naturwissenschaftlichen Gründe sehr wohl kennen, ja dazu noch andere, die gewichtiger sind als die bisher vorge- brachten, so können sie uns höchstens als Leute bezeichnen, die sehr fest an ihrer Meinung hangen, aber nicht als blind und unbekannt mit den weltlichen Wissenschaften. Daran kann ja aber schliesslich einem wahren katholischen Christen nicht viel liegen, wenn ein Häretiker ihn darüber verlacht, dass er die Ehrfurcht und den Glauben, der den heiligen Schriftstellern gebührt, über alle Gründe und Erfahrungen setzt, welche alle jene Astronomen und Philosophen zu- sammen anführen"1). ,

Dass es mit dieser Motivirung Galilei nicht Ernst war, dass er sich vielmehr durch dieselbe nur die Möglichkeit sichern wollte, ohne mit den kirchlichen Behörden in Con- flict zu kommen, die Copernicanische Lehre zu vertheidigen, liegt auf der Hand. Gleich darauf hält er Ingoli vor : „Sie

i) II, 66.

Galilei's Schreiben an Ingoli. 187

müssen doch wissen, dass Copernicus mehr Jahre auf diese schwierigen Speculationen verwendet hat, als Sie Tage. Darum durften Sie sich nicht so leicht einbilden, Sie könn- ten einen solchen Mann zu Boden werfen, zumal mit solchen Waffen, wie die sind, mit denen Sie ihn angreifen ; Sie brin- gen ja doch nur einen Theil der ganz gewöhnlichen und landläufigen Einwendungen vor, und wenn Sie etwas Eige- nes beifügen, so ist das noch schwächer als das Andere"1). Am Schlüsse sagt er: „So viel für jetzt über Ihre physica- lischen und astronomischen Einwendungen gegen das System des Copernicus. Viel ausführlicher werde ich davon reden, wenn mir die Zeit und die Kraft vergönnt sein werden, meine Abhandlung über Ebbe und Fluth zu vollenden, in welcher ich, indem ich die der Erde zugeschriebene Be- wegung hypothetisch zu Grunde lege, Veranlassung haben werde, alles eingehend zu prüfen, was über diesen Gegen- stand geschrieben ist"2).

In der Alberi'schen Ausgabe der Werke Galilei's trägt dieses .Sendschreiben an Ingoli das Datum „Rom im Früh- jahr 1624" 3). Dasselbe ist aber während des Aufenthaltes in Rom wohl nur angefangen, nicht vollendet worden. Denn am 21. Juni schreibt Guiducci an Galilei nach Florenz4): „Falls Sie die Schrift Ingoli's noch nicht ^von Cesare Marsili erhalten haben, werde ich sie Ihnen schicken. [Galilei scheint also um die Uebersendung derselben gebeten zu haben, um sie bei der Vollendung seiner Entgegnung noch- mals zu vergleichen.] Es freut mich, dass Sie auf den Ge- danken gekommen sind, sich gegen solche Leute zu erheben, denen Manche aus Höflichkeit und Frömmigkeit Triumphe zuschreiben. Aber Sie müssen ihm ohne alle Barmherzig- keit die Rechnung revidiren. Und wenn es nicht anmas- send von mir wäre, Ihnen einen Rath zu ertheilen, so würde ich Ihnen empfehlen, nur auf die Argumente zu antworten, die er mathematische und philosophische nennt, und die theologischen, wenigstens für jetzt, beiseitezulassen; denn bezüglich dieser würde ihm die Erwiederung leichter sein." Erst am 23. Sept 1624 schreibt Galilei an Cesi5): „Ich habe die Schrift von Ingoli beantwortet". Er schickte diese Ant-

1) II, 67. 2) II, 114. 3) II, 64.

4) IX, 63. 5) vi, 298.

188 Galilei's Schreiben an Ingoli.

wort Ende October nach Rom an Guiducci. Dieser schreibt am 26. Oct. *), er werde die Figuren dazu machen und sie dann Ciampoli und anderen Freunden vorlesen, auch, wie Galilei wünschte, dem Pater Grassi. Ciampoli rieth, zwei Sätze der Schrift, welche, „wenn sie auch nichts Schlimmes enthielten, doch censurirt werden könnten", zu ändern, womit Galilei sich einverstanden erklärt zu haben scheint2). Ciampoli sprach dann im November mit dem Papste über die Schrift und „bemerkte, wie Guiducci Galilei schrieb3), Seiner Heiligkeit, es sei gut, der Verwegenheit solcher Leute zu steuern, welche über Dinge schrieben, die sie nicht verständen". Später las er dem Papste einen grossen Theil der Schrift vor4).

Die weitere Verbreitung dieser kleinen Schrift Galilei's wurde zunächst verschoben, als bekannt wurde, es werde bald eine Schrift von Scipio Chiaramonti gegen die Coper- nicanische Theorie und gegen Galilei's nicht gedruckte Ab- handlung über Ebbe und Fluth (s. o. S. 155) erscheinen. Diese Schrift dachte man abzuwarten5). Ehe dieselbe aber erschien, beschloss Galilei auf den Rath seiner Freunde in Rom, das Sendschreiben an Ingoli überhaupt nicht weiter zu verbreiten, auch Ingoli selbst, der davon gehört und um eine Abschrift gebeten6), eine solche nicht zu geben. Gui- ducci theilte nämlich am 18. April 16257) Galilei mit, es sei ein Einschreiten der Inquisition gegen den Saggiatore bean- tragt worden (s. o. S. 169). Er fügt bei, der Pä*ter Gue- vara, der durch sein günstiges Gutachten jenes Einschreiten vereitelt habe, sei jetzt als Begleiter des Cardinais Francesco Barberini in Frankreich, und gibt dann, zugleich im Auftrage des Fürsten Cesi, Galilei Folgendes zu bedenken: „Da wir nun jetzt diese Stütze nicht haben, so scheint es uns nicht rath- sam, dass Sie sich der Gefahr einer Unannehmlichkeit aus- setzen. In dem Briefe an Ingoli wird die Meinung des Copernicus ex professo vertheidigt, und wenn darin auch

1) Suppl. 165; vgl. 168.

2) Suppl. 169. 171. 173. 176.

3) IX, 97. Der Brief scheint mir nicht am 28. Dec. 1625, sondern 1624 geschrieben zu sein. 4) Suppl. 173.

5) VI, 299. Suppl. 165. 167. 171. 172. 173.

6) Suppl. 174. 7) IX, 79.

Scipio Chiaramonti. 189

ausdrücklich gesagt wird, sie werde kraft eines höhern Lichtes als falsch erkannt, so werden die weniger Wohlge- sinnten dies nicht glauben und von neuem Lärm machen. Und da uns der Schutz des Cardinais Barberino mangelt, der abwesend ist, und in diesem Punkte ein anderer ein- flussreicher Herr unser Gegner ist, der früher Ihr Haupt- vertheidiger war [der Cardinal Santa Susanna oder Car- dinal Orsini? s. u.], da ferner der Papst durch die Kriegs- wirren sehr verstimmt ist, so dass man mit ihm nicht von der Sache reden könnte1), so würden Sie sicher der Discre- tion und Intelligenz der Mönche preisgegeben sein. Aus allen diesen Gründen scheint es uns besser, von der Ver- breitung der Schrift Abstand zu nehmen und diese Frage lieber ein wenig im Schlafe zu lassen, als sie wach zu erhal- ten auf die Gefahr hin, Verfolgungen zu provociren und sich gegen Leute vertheidigen zu müssen, die in aller Freiheit angreifen dürfen. Mittlerweile kann die Zeit der Sache zu Gute kommen. . . . Der Cardinal Orsini ist Ihnen noch immer sehr gewogen; aber der Apelles [P. Scheiner, s. o. S. 32] steht bei ihm sehr in Gunst."

Im Mai 1625 theilte Cesare Marsili auf den Wunsch Galilei's den Brief an Ingoli dem Erzbischof Corsini von Bologna mit2). Von einer weitem Verbreitung desselben wurde aber, wie gesagt, Abstand genommen, und gedruckt wurde er bei Galilei's Lebzeiten nicht. Galilei entwickelte aber, wie wir sehen werden, die in dem Briefe ausgespro- chenen Gedanken ausführlicher in seinem Dialog.

Der oben erwähnte Chiaramonti hatte schon 1621 mit

1) P. Schneemann verdreht diese Stelle, wenn er sagt: ,,Urban VIII. hasste alle theologischen Zänkereien. . . Ohne Zweifel waren ihm ebenfalls die in Betreff des Copernicanischen Systems erregten Streitigkeiten höchst zuwider, so zwar, dass die Umgebung des Papstes mit demselben darüber nicht zu sprechen wagte, wie Güiducci seinem geliebten Lehrer schrieb". Der Papst war nach Guiducci's Mittheilung, die mit der oben S. 183 er- wähnten Mittheilung Ciampoli's übereinstimmt, eben damals „durch die Kriegswirren sehr verstimmt", und darum glaubte man damals nicht über die Copernicanische Sache mit ihm reden zu dürlen.

2) IX, 84. Mit Cesare Marsili wurde Galilei 1624 bekannt und stand seit- dem mit ihm in Correspondenz ; er wurde auf seinen Vorschlag zum Mitglied der Akademie der Lincei ernannt. (VI, 293. IX, 73. 75.) Er starb schon 1633 (VI, 299).

190 Scipio Chiaramonti.

einer Schrift, die „Anti-Tycho" betitelt ist, sich an der Con- troverse über die Kometen (s. o. S. 160) betheiligt1). Er war ein entschiedener Anticopernicaner und stand bei hoch- gestellten Personen in Rom in grossem Ansehen; von dem Cardinal Santa Susanna meldet Guiducci 8. Nov. 16242): „er hoffe, Chiaramonti werde den Aristoteles wieder in sein altes Recht einsetzen, die naturwissenschaftlichen Fragen in letzter Instanz zu entscheiden". Galilei und seine Freunde taxirten Chiaramonti's wissenschaftliche Bedeutung weniger hoch, standen aber persönlich auf gutem Fusse mit ihm. Die Schrift, auf deren Erscheinen man Ende 1624 wartete, war damals allerdings fertig, wurde aber, da Chiaramonti nicht eher einen Verleger fand, erst 1631 gedruckt3]. Es ist ein Supplement zu dem Anti-Tycho, handelt also zu- nächst auch wieder von den Kometen, bekämpft aber zu- gleich die Copernicanische Theorie. Galilei erhielt durch die Vermittlung Marsili's im Januar 1626 eine Abschrift, gleichzeitig* mit einer Streitschrift gegen Chiaramonti's Anti- Tycho, welche Kepler 1625 unter dem Titel „Hyperaspistes Tychonis" veröffentlicht und der er einen Anhang über Ga- lilei's Saggiatore beigefügt hatte4). Er schreibt darüber 17. Jan. 16265) an Marsili: „Ich habe gestern das Buch von Kepler erhalten und den auf mich bezüglichen Anhang durchgesehen. Einige Tage vorher erhielt ich die Schrift Chiaramonti's gegen die Copernicanische Hypothese. Soll ich Ihnen offen meine Meinung sagen, beide Schriften schei- nen mir sehr schwach zu sein. Freilich von dem An- hange verstehe ich nur das Wenigste, ich weiss nicht, ob wegen meiner geringen Fähigkeit oder wegen des extra- vaganten Stiles des Verfassers. Es will mir scheinen, als ob er, da er seinen Tycho nicht gegen meine Einwendungen

1) XV, Bibliogr. XII. Venturi II, 58; vgl. Suppl. 170. Chiaramonti wurde 1624 Professor der Philosophie in Pisa (VI, 203. Suppl. 175), blieb dort bis 1636 und kehrte dann in seine Vaterstadt Cesena zurück, wo er 3. Oct. 1652 fast 100 Jahre alt starb.

2) Suppl. 169.

3) De sede sublunari cometarum opuscula tria in supplementum Anti- tychonis cedentia. Amsterdam 1636. Venturi II, 126.

4) VI, 309. Vgl. XV, Bibliografia XII. Venturi II, 58. Der auf den Saggiatore bezügliche Anhang ist V, 613 629 abgedruckt.

5) VI, 310-

Scipio Chiaramonti. 191

vertheidigen konnte, sich daran geg'eben, etwas zu schrei- ben, was Andere nicht verstehen könnten und was er viel- leicht selbst nicht versteht. Was Chiaramonti's Schrift betrifft, so werde ich in meinen Dialogen Gelegenheit genug finden, das sehr Wenige zu widerlegen, was er ausser den ge- wöhnlichen* Argumenten vorbringt. Kurz, die Erörterungen dieser hervorragenden Männer (primati)1) heben ein wenig die geringe, um nicht zu sagen verzagte Meinung, die ich immer von meinen geistigen Gaben gehabt, und statt Furcht zu empfinden, fühle ich meinen Muth wachsen, das begon- nene Werk fortzusetzen und zu versuchen, die Dialoge zu vollenden, wenn nur der Himmel mir mehr Kraft gibt, als ich gegenwärtig in Folge meiner schlechten Gesundheit besitze, deren Hauptfeind gerade das Schreiben ist." In einem spätem Briefe an Marsili, vom 20. März 16262), schreibt er: „Ich dachte, ich müsste auf den Anhang Kep- lers antworten, um seiner und um meiner Reputation willen, wiewohl die Antwort so leicht ist, dass jeder in diesen Stu- dien nur einigermassen Bewanderte sehen kann, dass er durchaus Unrecht hat. Ich wusste aber nicht, wie ich die Antwort veröffentlichen könnte, die nur ganz kurz sein kann. Ich dachte daran, sie in der Form eines Briefes an Chiaramonti zu geben, den dieser dann seiner Erwiederung als Anhang beifügen könnte. Aber da ich die Ansichten Chiaramonti's durchaus nicht theile und in einem andern Werke werde widerlegen müssen, so wird es nicht gut an- gehen, in solcher Weise zu bekunden, dass ich in diesem Punkte auf seiner Seite stehe. Es wird vielleicht besser sein, dass ich darüber an Sie schreibe und dass Sie meinen Brief wie zufällig Chiaramonti einhändigen, der ihn dann seiner Antwort beifügen mag. Denken Sie darüber nach und sagen Sie mir Ihre Meinung." Marsili erklärte sich damit einver- standen3), der Plan kam aber nicht zur Ausführung. Am 12. Jan. 16304) schreibt Galilei an Marsili: „Dass ich [in meinen Dialogen] dem Ritter Chiaramonti bezüglich seiner Widerlegung des Copernicus widersprechen muss, thut mir

i) Damit sind also Kepler und Chiaramonti gemeint, nicht Letzterer, Grassi und Scheiner, wie Wolynski S. 43 annimmt. . 2) VI, 312; vgl. 311. 3) VI, 3x3,

4) VI, 335- vgl. 337.

192 Galilei's Dialog.

um so mehr leid, als die Widerlegung frivol ist und zeigt, dass er jenen Autor nicht gelesen, geschweige denn studiert und verstanden hat. Ich werde ihn ab er "möglichst schonend behandeln, da ich ihn im Uebrigen sehr verehre."

Die Antwort Chiaramonti's auf die Schrift von Kepler erschien 1626 unter dem Titel „Apologia pro Ant'i-Tychone". In demselben Jahre vollendete er noch eine andere Schrift „über die drei neuen 1572, 1600 und 1604 erschienenen Sterne . . . gegen Tycho, Kepler . . . und mehrere An- dere", die aber erst 1628 gedruckt wurde. Später, 1633, nach der Verurtheilung Galilei's Hess er dann noch eine italienisch geschriebene „Difesa al suo Antiticone" als Ent- gegnung auf Galilei's Dialog folgen1).

XVI.

Galilei's Dialog über die beiden Weltsysteme.

Schon in einem Briefe, den Galilei am 7. Mai 16102), als über seine Berufung von Padua nach Florenz verhandelt wurde, an den grossherzoglichen Staatssecretär Belisario Vinta schrieb, spricht er die Absicht aus, ein Werk de syste- mate seu constitutione universi, „ein umfassendes Thema voll Philosophie, Astronomie und Geometrie", sowie ein zweites de ?notu locali, „eine ganz neue Wissenschaft", aus- zuarbeiten. Im J. 161 2 stellte er dem Fürsten Cesi ein Werk del sistema massimo in Aussicht3). In der 1616 verfassten Abhandlung über Ebbe und Fluth spricht er wieder von einem Buche über das „Weltsystem", welches er herausgeben wolle4). In Folge des in jenem Jahre erschienenen Decretes und des ihm insinuirten Verbotes gab er damals den Plan wieder auf. Das Werk erschien erst 1632 unter dem Titel

i) XV, Bibliografia XII. Venturi II, 126; s. u. § XXXIV. 2) VI, 97- 3) VIII, 224. 4) n, 388; s. o. S. 155.

Galilei's Dialog. 193

,, Dialog über die beiden grössten Weltsysteme, das Ptole- mäische und das Copernicanische" *).

In dem Verhöre am 12. April 1633 sagt Galilei, er habe vor 10 12 Jahren, also zwischen 1621 und 1623, mit der Aus- arbeitung des Dialogs begonnen und 7 8 Jahre, aber nicht ununterbrochen, daran gearbeitet2). Der Dialog ist ohne Zweifel gemeint, wenn er in dem im J. 1624 geschriebenen Briefe an Ingoli von einer „Abhandlung über Ebbe und Fluth" spricht (s. o. S. 187), an der er arbeite3); Ebbe und Fluth sollten auf dem Titelblatte des Dialogs ausdrücklich erwähnt werden, was nur auf Befehl des Papstes unterblieb4). In den Briefen aus dem J. 1625 ist wiederholt von den „Dialogen" die Rede als von einer Schrift, mit deren Aus- arbeitung er beschäftigt sei5).

Am 24. Dec. 1629 schrieb Galilei an Cesi6): „Mit meiner Gesundheit geht es ziemlich gut, so dass ich vor zwei Mo- naten die Feder wieder ergriffen und meine Dialoge dem Hafen nahe gebracht und ziemlich gut die Dunkelheiten auf- gehellt habe, die ich immer für fast unüberwindlich gehalten. Was die wissenschaftlichen Erörterungen betrifft, so habe ich wenig mehr beizufügen, und bei diesem Wenigen han- delt es sich um Dinge, die bereits gut überlegt und leicht zu erörtern sind. Es fehlen noch die förmliche Einleitung und die Verbindungen der Anfänge der Dialoge mit den folgenden Erörterungen, und das sind mehr oratorische oder poetische als wissenschaftliche Dinge; indess wünschte ich mir dazu etwas Geist und Schwung. Ich werde meine Freunde zu Hülfe rufen, wenn meine Muse nicht Genius genug haben sollte. Bezüglich des Druckes weiss ich nicht recht, ob ich nicht seiner Zeit nach Rom kommen soll, um nicht Andere mit der Correctur zu belästigen. Ich möchte auch die lieben Gönner und Freunde noch einmal sehen, ehe ich das Augen-

1) Vollständig: Dialogo di Galileo Galilei Linceo Matematico Sopra- ordinario dello Studio di Pisa e Filosofo e Matematico Prion ario del Sere- nissimo Granduca di Toscana: dove nei congressi di quattro giornate si dis- corre sopra i due Massimi Sistemi del Mondo, Tolemaico e Copernicano, proponendo indeterminatamente le ragioni filosofiche e naturali tanto per l'una quanto per l'altra parte.

2) Acten S. 76. 3) IT, 115; vgl. VI, 298.

4) Acten S. 57; s. u. S. 206. 5) Suppl. 177. 182. 183 ; VI, 304. 311.

6) VI, 333; vgl. 331. 336. Reusch, Galilei. 13

194 Galilei's Dialog.

licht verliere, welches bei meinem hohen Alter sehr ab- nimmt." Am 12. Jan. 1630 schrieb er an Marsili1): „Ich bin mit der Revision meiner Dialoge über Ebbe und Fluth beschäftigt, welche auch alles das enthalten, was sich, wie mir scheint, über die beiden Systeme sagen lässt", und am 16. Febr. 2): er denke Ende des Monats nach Rom zu reisen, um die Dialoge sofort zu veröffentlichen. In Wirklichkeit reiste er erst Anfangs Mai nach Rom3).

Die ihm gemachten Anträge, das Buch in Frankreich, Deutschland oder Venedig drucken zu lassen, lehnte er ab 4) ; auch den Gedanken, es in Genua zu veröffentlichen, gab er auf5); es musste ihm daran liegen, von der Römischen Cen- surbehörde die Approbation zu erlangen.

In dem Dialoge oder den Dialogen, das Werk ist in vier „Tage", giomate, getheilt, werden, wie der Titel sagt, ,,die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das Ptole- mäische und das Copernicanische, besprochen und die für das eine und für das andere sprechenden philosophischen und naturwissenschaftlichen Gründe entwickelt", allerdings ohne dass eine Entscheidung gegeben wird, indeterminatamente, aber doch so, dass das Copernicanische System als das bei weitem besser begründete erscheint. Die Interlocutoren wer- den Sagredo, Salviati und Simplicio genannt. Vor vielen Jahren, sagt Galilei in der Einleitung, habe er im Hause des vornehmen und geistvollen Venetianers Giovan Francesco Sagredo mit diesem, mit dem reichen und gelehrten Floren- tiner Filippo Salviati und einem peripatetischen Philosophen wiederholt über die im Dialoge behandelten Gegenstände Gespräche gehabt. Um die beiden verstorbenen Freunde zu ehren, habe er zwei Interlocutoren ihre Namen beigelegt; dem dritten, dem „guten Peripatetiker", habe er den Namen des berühmten Commentators des Aristoteles beigelegt, wohl sicher auch mit Rücksicht auf die etymologische Be- deutung des Namens.

Galilei konnte nicht daran denken, für eine offene Ver- teidigung der Copernicanischen Lehre, auch wenn dabei jede Bezugnahme auf die Bibel vermieden wurde, in Rom die Druck-Erlaubniss zu erlangen. Er glaubte aber diese unter

1) VI, 335; vgl. 336. 2) VI, 337.

3) IX, 182. 183. 4) Acten S. 80. 5) Suppl. 213.

Galilei's Dialog. 195

Urban VIII. erlangen zu können, wenn er einerseits die Form eines Dialogs wählte und darin Vertreter der beiden einan- der entgegenstehenden Ansichten zu Worte kommen Hesse, anderseits, wie er schon in dem Briefe an Ingoli gethan, sich den Anschein gäbe, als behandle er die Copernicanische Lehre nur als Hypothese und als solle die Darlegung der für diese Hypothese sprechenden Gründe nicht die Richtig'keit der- selben beweisen. Die Aussichten schienen um so günstiger zu sein, als Galilei's Freund Ciampoli bei dem Papste sehr angesehen und beliebt, und Pater Riccardi (s. o. S. 164) 1629 Magister Sacri Palatii und als solcher derjenige geworden war, welchen die Censur des Galilei'schen Buches, falls es in Rom gedruckt wurde, zunächst anging.

In einem (nicht erhaltenen) Briefe vom 28. Jan. 1630 bat Galilei seinen treuen Schüler Castelli, derselbe war 1626 von Urban VIII. von Pisa als Professor an der Sa- pienza nach Rom berufen und las einem Neffen des Papstes, Taddeo Barberini, mathematische Privatissima 1), die Stimmung der massgebenden Persönlichkeiten zu sondiren. Am 6. Febr. 1630 antwortete Castelli2) Folgendes: „Schon ehe Sie mir geschrieben, habe ich mehrere Male mit dem Pater Mostro über Sie und Ihre grossen Verdienste ge- sprochen. Ich habe ihm auch gesagt, Sie hätten sich ent- schlossen zu schreiben [den Dialog zu veröffentlichen], seit er zum Palastmeister ernannt worden, weil Sie überzeugt seien, dass nun Ihre Sachen nicht von Ignoranten geprüft und begutachtet werden würden. Er antwortete, er sei ganz der Ihrige und würde Ihnen immer die gebührende Rücksicht gezeigt haben; daran dürften Sie nicht zweifeln3). So bin ich also fest überzeugt, so viel an ihm liegt, wird die Sache gut gehen. Ich werde aber noch einmal speci- aler mit ihm reden. Als vor einigen Abenden in Gegen- wart des Cardinale Padrone (Francesco Barberini4) die Rede auf die Ebbe und Fluth kam, sagte ich diesem, Sie

1) IX, 103. Suppl. 186. Boncompagni, Bulletino XI (1878), 658. Im Febr. 1632 erhielt er den Titel „Abt" IX, 262.

2) IX, 173.

3) Vgl. Castelli's Brief vom 26. Febr. 1628, IX, 124; s. o. S. 169.

4) Nicht Antonio, der Bruder des Papstes, wie Gebier, Galilei S. 166 meint, sondern der Neffe war „die zweitwichtigste Persönlichkeit am päpst- lichen Hofe", oder Cardinale Padrone. S. o. S. 178.

196 Galilei's Dialog.

hätten darüber eine vortreffliche Abhandlung- geschrieben (s. o. S. 155), die ich ihm mittheilen würde. Da einer der Anwesenden bemerkte, Sie setzen dabei die Bewegung der Erde voraus, sah ich mich genöthigt, ausführlicher darüber zu reden und zu zeigen, dass Sie die Bewegung der Erde nicht als wahr behaupteten, sondern nur bewiesen, dass, falls die- selbe wirklich stattfände, Ebbe undFluth eine nothwendige Folge davon seien. Der Cardinal schien davon Anfangs nicht sehr erbaut zu sein, unterhielt sich dann aber lange allein mit mir in seinem Zimmer. Er meinte, wenn man die Bewegung der Erde zugebe, müsse man die Erde nothwendig als einen Stern ansehen, und das scheine ihm allzu sehr mit den theologischen Wahrheiten in Widerspruch zu stehen. Ich antwortete: Sie würden das Gegentheil bewiesen und gezeigt haben, dass die Erde kein Stern sei, was Ihnen ja- sehr leicht sein wird zu beweisen, ebenso leicht wie, dass der Mond der Mond und nicht die Erde, der Mars Mars und nicht Mond oder Venus ist u. s. w. Der Cardinal antwor- tete: wenn Sie das bewiesen, könne die Sache passiren. Ich schreibe Ihnen dies, damit Sie wissen, wie die Sache steht, und damit Sie, wenn es Ihnen gut scheint, diesen einzelnen Punkt mit einigen Worten berühren. Was unsern Maecenas (Monsignor Ciampoli) angeht, so habe ich ihm Ihren Brief gezeigt. Er hat gute Hoffnung, kann aber nichts Bestimmtes versprechen; er ist überzeugt, wenn Sie hieher kämen, würden Sie durch Ihre Verhandlungen, durch Ihre Reden, durch Ihr Auftreten und mit dem Buche in der Hand alle Schwierigkeiten, falls Sie auf solche stossen sollten, überwinden. Auch Stelluti habe ich Ihren Brief mitgetheilt; er wird mit dem Fürsten Cesi reden."

Am 16. März theilte Castelli die oben (S. 176) erwähnte Aeusserung des Papstes mit : wenn es auf ihn angekommen wäre, würde das Decret von 1616 nicht zu Stande ge- kommen sein1). Am 6. April2) schrieb er: „Ihren [nicht erhaltenen] Brief habe ich unserm Monsignor Ciampoli vor- gelesen. ... Er sagte: Sie würden in Rom sehnlicher er- wartet als eine Geliebte. . . Er ist bereit, sich bei Allen als Ihren Gönner zu zeigen, namentlich bei dem Papste. Bei diesem steht er fortwährend in Gunst; er spricht täglich

1) IX, 176. 2) IX, 177.

Galilei in Rom im J. 1630. 197

zwei- oder dreimal mit ihm; sein Verhältniss zum Papste ist niemals irgendwie getrübt gewesen, wie einige Feinde dort ausgestreut haben." Das Gerücht, Ciampoli's Verhält- niss zu Urban VIII. sei getrübt, mag damals wirklich unbe- gründet gewesen sein. Nach den Andeutungen, welche in der Biographie Ciampoli's von seinem Secretär gegeben werden1), fehlte es demselben aber auch jetzt schon am päpstlichen Hofe nicht an Gegnern, und Ciampoli selbst scheint nicht ganz unschuldig daran gewesen zu sein, dass er bei Manchen missliebig wurde. Wenn er sich als Dichter über Virgil, Horaz und Petrarca erhob, mag er sich auch als Hofmann und Günstling des Papstes über Andere er- hoben haben. Zudem scheint er sich, unmuthig darüber, dass er auch bei der fünften Cardinals-Creation Urbans VIII. im December 1629 übergangen worden, der Oppositions- partei unter den Cardinälen, deren Mittelpunkt der spani- sche Cardinal Borgia war, genähert zu haben2). Ihn ganz aus der Gunst Urbans VIII. zu verdrängen, gelang freilich erst 1632.

Galilei kam im J. 1630 Anfangs Mai nach Rom und blieb dort bis Ende Juni. Er wohnte bei dem toscanischen Gesandten, Francesco Niccolini, der viel wohlwollender gegen ihn gesinnt war als sein Vorgänger Guicciardini (s. o. S. 106). Seine Briefe aus dieser Zeit und den näch- sten Monaten sind, mit Ausnahme von ein paar ganz un- bedeutenden 3) , nicht erhalten, auch nicht die Berichte, welche er an den mit ihm verschwägerten grossherzoglichen Secretär Geri Bocchineri4) nach Florenz schickte. Auf- schluss über diese Zeit geben aber einige spätere Briefe Galilei's und die Processacten5), ausserdem Bocchineri's Antworten und andere Briefe.

Bald nach seiner Ankunft hatte Galilei eine lange Audienz bei dem Papste; er wurde freundlich aufgenom- men6). Auch bei dem Cardinal-Nepoten und bei anderen Personen am päpstlichen Hofe fand er eine gute Aufnahme 7).

1) Targioni II, 110. Tiraboschi VIII, 462. 508.

2) Wolynski p. 179. 3) VI, 346. 347. 4> VI, 377.

5) S. 52 ff. 80 ff. Der Bericht, Acten S. 52, ist freilich zur Verthei- digung Riccardi's geschrieben und darum einseitig.

6) IX, 188. 7) Pieralisi p. 84.

198 Galilei in Rom im J. 1630.

Schon am 18. Mai schrieb er nach Florenz: er habe ange- fangen, über seine Geschäfte zu verhandeln und hoffe einen guten Erfolg. Riccardi, dem er sein Manuscript mit der Bitte um Ertheilung der Druck-Erlaubniss vorlegte, fand beim Durchlesen desselben, dass Galilei die Copernicanische Lehre nicht bloss hypothetisch vorgetragen, sondern die Gründe für und gegen dieselbe entwickelt habe, ohne eine Entscheidung zu geben. Er beauftragte also seinen Socius, den Pater Raffaello Visconti, Professor der Mathematik, das Buch zu revidiren und „auf den hypothetischen Aus- druck zu reduciren," also ähnlich zu corrigiren, wie das Werk des Copernicus durch die Index- Congregation im J. 1620 corrigirt worden war (s. o. S. 113). Ferner erklärte er, es müsse dem Buche noch eine in demselben Sinne gehal- tene Einleitung und „Peroration" beigefügt werden1). Auf Galilei's Ersuchen hatte Filippo Niccolini zu Florenz in seinem eigenen Namen und im Namen des Prinzen Gioan Carlo Visconti brieflich gebeten, seinerseits dazu mitzu- wirken, dass Galilei's Buch bald gedruckt werden könne2). Galilei verständigte sich denn auch mit Visconti bald über die vorzunehmenden Aenderungen. Auch Riccardi zeigte sich sehr entgegenkommend: er las selbst das Manuscript noch einmal durch, änderte noch einiges, sprach dann aber die Hoffnung aus, es werde ihm gelingen, den Papst über den Punkt, der ihm besonders anstössig sei, die Erklä-

1) Acten S. 54. VI, 374. Ueber die Audienz bei dem Papste citirt Gebier, Galilei S. 169, aus einem Briefe Galilei's vom 18. Mai 1630 Fol- gendes: „Seine Heiligkeit hat meine Angelegenheit in einer Weise zu be- handeln begonnen, dass ich wohl auf einen günstigen Ausgang hoffen darf." Galilei's Brief vom 18. Mai ist aber gar nicht erhalten; wir kennen den In- halt nur aus der Antwort Geri Bocchineri's, IX, 188, und in dieser heisst es nur: „Ich habe dem Bali Cioli mitgetheilt, was Sie mir in Ihrem Briefe vom 18. geschrieben, und er hat mit vielem Vergnügen vernommen, dass Seine Heiligkeit sich bei der ersten und langen Audienz gnädig gezeigt, und dass Sie (ella, Galilei) begonnen haben, Ihre Angelegenheit in einer Weise zu be- handeln" u. s. w. Dass der Papst von Galilei's Angelegenheit gesprochen, wird also nicht gesagt. Pieralisi p. 82. Wolynski sagt p. 44: Visconti habe einige Stellen des Dialogs beanstandet und darum Riccardi die Approbation verweigert, und so habe sich Galilei „an den Papst selbst wenden müssen, von welchem er in der Audienz vom 17. oder 18. Mai die nöthige Weisung erwirkte". Worauf sich diese unwahrscheinliche Angabe stützt, wird nicht gesagt. 2) Suppl. 233.

Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 199

rung von Ebbe und Fluth durch die Bewegung der Erde, zu beruhigen1). Am 16. Juni schrieb Visconti Galilei folgendes Billet: „Der Pater Magister küsst Ihnen die Hand und sagt, das Buch gefalle ihm, er werde morgen mit dem Papste wegen des Titelblattes sprechen," auf welchem Galilei ausdrücklich Ebbe und Fluth erwähnt hatte, ,,im Uebrigen werde er nur noch einige wenige kleine Sachen zu recht setzen, ähnlich denen, die wir zusammen berichtigt haben, und Ihnen dann das Buch zurückgeben"2). Riccardi verlangte freilich, Galilei solle ihm das Manuscript, ehe der Druck beginne, noch einmal vorlegen, ertheilte aber auf sein dringendes Bitten, wohl um den Abschluss eines Ver- trages mit einem Verleger zu ermöglichen, die Erlaubniss zum Drucke, nachdem er die beizufügende Einleitung skiz- zirt und mit Galilei folgende Verabredung getroffen hatte: Galilei solle, da er der heissen Jahreszeit wegen Rom verlassen wollte, das Manuscript nach Florenz mitnehmen, es dort ganz druckfertig machen und dann im Herbst noch- mals nach Rom kommen oder das Manuscript dem Fürsten Cesi schicken, damit dieser es zum Druck befördere; die einzelnen Bogen (wohl die Correcturbogen) seien dann Riccardi nochmals vorzulegen3).

Nachdem Galilei nach Florenz zurückgekehrt war, schrieb ihm Ciampoli: der Papst spreche von ihm oft mit vieler Achtung und Liebe und habe die ihm bewilligte Pen- sion aus eigenem Antriebe von 60 auf 100 Scudi erhöht4). Wenige Wochen nach seiner Rückkehr erhielt er aber die Nachricht von dem am 1. Aug. 1630 erfolgten Tode des Fürsten Cesi5), und am 24. Aug. schrieb ihm Castelli6): ,,Aus vielen Gründen, die ich jetzt nicht dem Papiere an- vertrauen will, abgesehen von dem Tode des Fürsten Cesi, glaube ich, es wäre besser, wenn Sie Ihr Buch in Florenz drucken Hessen, und zwar so bald als möglich. Ich habe den Pater Visconti gefragt, ob das ein Bedenken habe; er sagt, es sei ganz unbedenklich, und er wünsche, dass Ihr Werk erscheinen möge."

Was es für Gründe waren, die Castelli nicht dem Pa-

0 VI> 374- Suppl. 234. 2) Suppl. 235.

3) Acten S. 54. 81 ; VI, 374 ; IX, 205. 243.

4) IX, 193. 200; s. o. S. 181. 5) IX, 198. 6) IX, 201.

200 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.

piere anvertrauen mochte, erhellt aus Galilei's Briefwechsel nicht. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sie, wie Wolynski1) nachzuweisen sucht, mit dem Einschreiten Ur- bans VIII. gegen die Astrologen zusammenhingen. Man beschäftigte sich damals viel mit einer astrologischen Be- rechnung, nach welcher der Papst in seinem 63. Lebens- jahre, also 1630, sterben sollte; es sollen in Folge davon schon auswärtige Cardinäle nach Rom gekommen sein, um am Conclave Theil zu nehmen. L[rban VIII. hörte von diesen Prophezeiungen und Hess mehrere Astrologen, unter Anderen einen Bekannten Galilei's, den Abt von Santa Prassede, Orazio Morandi 2), verhaften und ihnen den Process machen (Morandi starb am 7. Nov. 1630 im Gefängnisse). Auch der Pater Visconti wurde in diesen Process verwickelt, obschon er in einem damals unter den Cardinälen, Prälaten und Diplomaten circulirenden, mit Vorwissen Riccardi's ge- schriebenen „Discurs über das Leben Urbans VIII." im Gegensatze zu Morandi berechnet hatte, . dass der Papst, wenn er immer in Rom bleibe, bis 1643 oder 1644 leben werde; er wurde im December 1630 seines Amtes als Socius des Palastmeisters entsetzt und nach Viterbo verbannt. Die Processe wurden am 15. März 1631 niedergeschlagen; am 1. April erliess aber der Papst eine eigene Bulle „gegen die Astrologi iudiciarii, welche über den Zustand der Christen- heit oder des apostolischen Stuhles oder über das Leben des Papstes oder seiner Verwandten Berechnungen zu machen (iudicia facere), und gegen diejenigen, welche sie darüber zu befragen gewagt haben," und in einem Breve vom 2. April nahm er alle Ermächtigungen zum Lesen verbotener Bücher zurück3).

1) Nuovi Documenti p. 157. Vgl. A. Bertolotti, Gior^alisti, Astrologi e Negromanti in Roma nel secolo XVII, Riv. Eur. V (1878), 466.

2) .Galilei war während seines Aufenthalts in Rom einige Male mit Visconti von Morandi zum Frühstück eingeladen worden. Riv. Eur. V, 496.

3) S. o. S. 76. Am 22. April 1635 wurden wegen astrologischer Berechnungen über den Tod des Papstes und wegen des Versuches, den- selben durch Zauberei zu beschleunigen, Giacinto Centini, ein Neffe des Cardinais von Ascoli (Feiice Centini), enthauptet, zwei Mönche gehängt und dann verbrannt, der Hausmeister des Cardinais und zwei Mönche zu den Ga- leren, zwei andere zu fünfjähriger Haft verurtheilt. Wolynski p. 163. Riv. Eur. V, 510. (Der Cardinal Centini sollte Urbans Nachfolger, sein Neffe Cardinal werden.) f 1

Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 201

Dass von dem Odium, welches die Astrologen traf, auch einiges auf die Astronomen fiel, ist nicht unglaublich. Galilei wurde zwar in dem Process gegen Morandi nur in- sofern genannt, als in einem dicken Buche voll Nativitäten (geniture), die dieser gestellt, auch Galilei' s Nativität vor- kam1). Aber zwischen Astrologie und Astronomie wurde damals im allgemeinen nicht so scharf unterschieden, und was Urban VIII. angeht, so ist für ihn charakteristisch, was Niccolini in einer Depesche vom 8. Febr. 1642 2) über ein Gespräch mit ihm berichtet. Der Papst, eben von einer Krankheit genesen, machte sich lustig über die Astrologen, welche ihm nur ein Leben von 63 Jahren hätten gönnen wollen, während er jetzt schon 74 Jahre alt sei; „er ging dann dazu über, auch von den Irrthümern zu reden, in welche die Mathematiker fielen, unter anderen (der kurz zuvor verstorbene) Galilei, dessen Meinung von der Be- wegung der Erde selbst die Ketzer verlacht und in ge- druckten Schriften bekämpft hätten."

Wie es sich aber auch um die Gründe verhalten mag, aus welchen Castelli Galilei rieth, den Dialog in Florenz drucken zu lassen, Galilei ging auf den Vorschlag um so bereitwilliger ein, als in Folge der damals in Toscana herr- schenden Pest3) die Verbindung mit Rom erschwert war. Er schloss mit einem Drucker in Florenz einen Vertrag, erwirkte von dem Florentiner Inquisitor, dem Generalvicar und dem staatlichen Censor die Druck-Erlaubniss und bat

1) Auch Gflilei studierte astrologische Bücher und machte astrolo- gische Berechnungen und Nativitäten; in seinen Handschriften sind solcher 21 erhalten, die letzte aus dem J. 1624. VI, 66. Wolynski p. 164. Wie er aber über Astrologie dachte, ersieht man aus seinem Briefe an Elia Dio- dati vom 15. Jan. 1633 (VII, 17), worin er sagt: „Ich wundere mich, dass Morinus mit so grosser Achtung von der Astrologie (della giudiziaria) spricht und meint, mit seinen Conjecturen, die mir ziemlich, um nicht zu sagen im höchsten Grade unsicher vorkommen, die Zuverlässigkeit der Astro- logie (astrologia) beweisen zu können. Es wäre sehr wunderbar, wenn er wirklich, wie er verspricht, mit seinem Scharfsinne bewiese, dass ihr ein hervorragender Platz unter den menschlichen Wissenschaften zukomme; ich erwarte mit grosser Neugierde eine so wunderbare Neuigkeit." Vgl. Bon- compagni, Bulletino VI (1873), 59. 2) Bei Wolynski p. 156.

3) Die Pest herrschte im Sommer 1630, besonders im August, erlosch im Sommer 1631, brach aber zwei Jahre später nochmals aus. Reumont, Gesch. Toscana's II, 413. Targioni III, 130. 298.

202 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.

nun Riccardi, zu gestatten, dass er das Buch in Florenz drucken lasse1). In den Processacten2) heisst es, Riccardi habe diese Bitte zuerst absolut abgeschlagen, dann, da die- selbe wiederholt worden sei, verlangt, dass ihm das Original- Manuscript zur nochmaligen Revision eingesandt werde; endlich habe er, da man geltend gemacht, dass dieses wegen der Pest und wegen der Gefahr des Verlorengehens nicht angehe, auf Anstehen des Grossherzogs die Sache dem In- quisitor zu Florenz überwiesen. Etwas anders und wohl richtiger wird die Sache in Galilei's Briefwechsel darge- stellt. Castelli berichtet am 21. Sept. 1630: er habe Riccardi einen Brief Galilei's übergeben; Riccardi habe sich sehr wohlwollend und freundlich gezeigt, aber erklärt: wenn Galilei nicht, wie sie verabredet, selbst nach Rom kommen könne, um sich mit ihm über die kleinen Aenderungen in der Vorrede und im Buche selbst zu yerständigen, so möge er eine Abschrift schicken; er wolle dann mit Ciampoli die nöthigem Aenderungen machen und darauf die Erlaubniss zum Drucke des Buches in Florenz ertheilen3). Dasselbe wurde Galilei durch Niccolini mitgetheilt4). Die Ueber- sendung des Manuscriptes war aber wegen der Pest nicht möglich5). Galilei erbot sich also, die Einleitung und den Schluss einzusenden, mit der Erklärung: ,,die Oberen möch- ten nach Gutdünken zusetzen und weglassen und Prote- stationen nach Belieben beifügen; man möge seine Ge- danken als Chimären, Träume, Paralogismen und eitele Phantasieen bezeichnen; er unterstelle alles der absoluten Weisheit und der sichern Lehre der höheren Wissenschaften" u. s. w.; die nochmalige Revision könne durch einen Ric- cardi genehmen Censor in Florenz besorgt werden6). In diesem Sinne verhandelte die Gemahlin des Gesandten, Caterina Riccardi Niccolini, wie es scheint, eine Verwandte Riccardi's, mit diesem, und am 19. Oct. schrieb sie an Galilei7): Riccardi verzichte auf die Uebersendung des ganzen Buches, verlange aber, dass ihm der Anfang und der Schluss vorgelegt und dass das Buch selbst in Florenz durch einen Theologen aus dem Dominicanerorden, der

1) VI, 374. 2) Acten S. 55.

3) IX, 205. 4) VI, 375-

5) Acten S. 81. 6) VI, 375. 7) IX, 209.

Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 203

auch sonst zur Büchercensur verwendet werde, revidirt werde; er schlage den Pater demente, den Inquisitor zu Florenz1), vor; wenn dieser Galilei nicht genehm sei, möge er einen andern Dominicaner nennen, dem er (Ric- cardi), wenn derselbe geeignet sei, die nöthige Vollmacht geben wolle.

Galilei schickte also Anfang und Schluss des Buches nach Rom; mit der Revision des Buches selbst wurde auf Galilei's Vorschlag der Dominicaner Hyacinth Stefani, Lector der h. Schrift an der Universität, Hofprediger und Consul- tor der Inquisition zu Florenz, beauftragt2). ,, Dieser revi- dirte, so berichtet Galilei3), das ganze Buch äusserst genau und strenge, wie ich selbst ihn gebeten, und notirte alles, selbst einige Kleinigkeiten, die nicht nur ihm, sondern selbst meinen boshaftesten Gegnern keinen Scrupel hätten machen sollen. Er hat gestanden, er habe bei mehr als Einer Stelle meines Buches Thränen vergiessen müssen, da er gesehen, mit welcher Demuth und ehrfurchtsvollen Be- reitwilligkeit ich mich der Autorität der Oberen unter- werfe; er gesteht ferner, gleich Allen, die das Buch ge- lesen haben, ich müsse gebeten werden, dasselbe herauszu- geben, und es sei Unrecht, mir Schwierigkeiten zu berei- ten." In einem andern Briefe4) sagt Galilei: „Da Stefani nichts anderes zu ändern fand, beschränkte er sich, um zu zeigen, dass er das Buch sehr sorgfältig geprüft, auf die Aenderung einiger Worte; er setzte z. B. an vielen Stellen »Universum« für »Natur«, »Eigenschaft« für »Attribut«, »er- habener Geist« für »göttlicher Geist«. Er entschuldigte sich dann bei mir, indem er sagte, er sehe vorher, dass ich es mit sehr bitteren Feinden und wüthenden Verfolgern zu thun haben würde."

Es fehlte nun also noch die Einleitung und der Schluss, worüber Riccardi sich die Entscheidung vorbehalten. Ric- cardi aber Hess läng'ere Zeit nichts von sich hören. Die Absetzung seines Socius Visconti, der Galilei's Buch revidirt hatte, mag ihn ängstlich gemacht haben. Auf Galilei's Bitte wurde im März 1631 der Gesandte von dem Gross- herzog beauftragt, ihn an die Erledigung der Sache zu er-

1) Acten S. 59. 2) Acten S. 81.

3) VI, 375- 4) VII, 19.

204 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.

innern l). Der Druck des Werkes wurde mittlerweile be- gonnen, schritt aber langsam fort, da die Auflage iooo Exemplare, also für die damalige Zeit sehr stark war; am 20. März 1631 waren sechs Bogen gedruckt2). Am 19. April 1631 berichtete Niccolini, auf sein und seiner Gemahlin drin- gendes Ersuchen habe Riccardi versprochen, die dem Buche Galilei's beizufügende „Erklärung", die Einleitung und denSchluss, zu schicken3). Am 28. April schickte dann Riccardi dem Gesandten folgenden Brief4), welcher deut- lich zeigt, dass er in Verlegenheit war und die Sache hin- auszuschieben suchte: „Galilei hat von mir das Imprimatur erhalten, nachdem er mir versprochen, einige Stellen des Buches gemäss unserer Verabredung- zu ändern und zu- rückzukommen, um dasselbe in Rom drucken zu lassen, wo sich unter Mitwirkung des Monsignor Ciampoli alle Schwie- rigkeiten würden beseitigen lassen. Der Pater Stefani wird das Buch sorgfältig revidirt haben; da er aber die "Willensmeinung des Papstes nicht kennt, so kann er keine Approbation ertheilen, die mir genügte, um meinerseits die Approbation für den Druck zu ertheilen, ohne Gefahr zu laufen, dass für ihn und mich Unannehmlichkeiten entstän- den, wenn die Gegner etwas finden sollten, was den er- theilten Befehlen widerspräche. Ich habe kein grösseres Verlangen, als dem Grossherzog zu Willen zu sein; aber ich möchte dies in einer solchen Weise thun, dass ein von einem so grossen Fürsten protegirter Mann jeder Gefahr, an seiner Reputation Schaden zu leiden, überhoben würde. Das kann ich nicht dadurch thun, dass ich die Erlaubniss zum Drucke ertheile, was mir, wenn das Werk in Flo- renz gedruckt wird, nicht zusteht5), sondern nur dadurch, dass ich mich vergewissere, ob Galilei die ihm auf Befehl des Papstes ertheilten Weisungen beobachtet hat. Wenn ich die Einleitung und den Schluss des Buches erhalte,

1) VI, 374; IX, 225. 2) VI, 378.

3) VI, 242; vgl. Suppl. 238. 4) IX, 243.

5) Der Magister Sacri Palatii (und der Cardinal- Vicar, s. o. S. 76) hatten nur solche Bücher zu approbiren, die in Rom erscheinen sollten. Ausserdem mussten nach einer Verordnung Urbans VIII. vom 18. Sept. 1625 Schriftsteller, die im Kirchenstaate wohnten, ihre Bücher auch dann dem Magister S. P. vorlegen, wenn sie auswärts gedruckt werden sollten. Pignatelli, Consultationes II, 486 b.

Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 205

werde ich leicht das Erforderliche sehen können und ein Zeugniss darüber ausstellen, dass ich das Buch approbirt habe. Sollte keine Abschrift [des ganzen Buches] hieher gesandt werden können, so will ich dem Inquisitor in einem Briefe mittheilen, was mir befohlen worden ist, damit er darauf achte, dass es beobachtet werde, und dann den Druck gestatte. Oder es muss ein anderer Weg gefunden werden; vorausgesetzt, dass Galilei sich nicht auf meine Unterschrift allein stützt und mich für mein Entgegen- kommen in Schaden bringt, will ich alles nur Mögliche thuen, um dem Grossherzog* zu willfahren. Auf jeden Fall dürfen Sie den Betheiligten versichern, dass kein Lebender mit mir von dieser Sache gesprochen hat, kein Oberer, kein Untergebener und kein Gleichgestellter, ausser Ga- lilei's und meinen gemeinsamen Freunden; denken Sie nicht, es sei eine feindliche Intrigue dabei betheiligt; denn das ist nicht der Fall.''

Galilei spricht sich in einem Briefe vom 3. Mai 1631 l) sehr ungehalten über dieses Schreiben aus, insofern mit vollem Rechte, als er ja die Einleitung und den Schluss seines Buches, deren Vorlegung Riccardi verlangte, diesem längst zugeschickt hatte, also hätte erwarten dürfen, dass er sie jetzt mit den für nöthig erachteten Aenderungen zurückerhalten werde. „Ich sehe, schreibt er, zu meinem grossen Verdruss, dass der Pater Magister, nachdem er mich fast ein Jahr hingehalten, ohne zu irgend einem Schlüsse zu kommen, sich jetzt anschickt, dem Grossherzog gegenüber dasselbe zu thun, ich meine: die Sache durch leere Worte zu verzögern und in die Länge zu ziehen, was man doch, meine ich, nicht dulden sollte. . . Wir segeln hier auf einem Meere ohne Ufer und Häfen, und mir liegt doch unendlich viel an der Veröffentlichung meines Buches" u. s. w. Er schlägt dann vor, der Grossherzog möge selbst die Sache in die Hand nehmen und zunächst den Inquisitor von Florenz und Andere zu einer Conferenz berufen; er wolle beweisen, „dass er nie eine andere Meinung und In- tention gehabt als die heiligsten und ehrwürdigsten Väter und Lehrer der h. Kirche, dass die Meinungen, an denen man Anstoss nehme, nicht die seinigen , dass seine Mei-

1) vi, 382.

206 Verhandlungen über die Approbation des Dialogs.

nungen dieselben seien wie die, welche St. Augustinus, St. Thomas und alle anderen Heiligen vertreten."

Dieser Vorschlag Galilei's kam nicht zur Ausführung; Niccolini scheint aber nochmals beauftragt worden zu sein, Riccardi zu mahnen. Dieser schrieb denn auch am 24. Mai an den Inquisitor zu Florenz1): „. . . Das Buch Galilei's ist von mir unterschrieben worden vorbehaltlich der Aende- rungen, die daran vorzunehmen und hier vorzulegen sein würden, ehe die letzte Approbation für den Druck ertheilt würde. Da dieses wegen der Behinderung des Verkehrs und der Gefahr des Verlorengehens des Original -Manu- scriptes nicht geschehen kann und der Autor dort die -An- gelegenheit zu Ende zu führen wünscht, so können Sie von Ihrer Autorität Gebrauch machen und das Buch approbiren oder nicht approbiren, ohne die Approbation von meiner Revision abhängig zu machen. Nur bemerke ich Ihnen, dass es der Wille des Papstes ist, dass als Titel und Thema nicht Ebbe und Fluth angegeben werden2), sondern einfach die mathematische Prüfung der Copernicanischen Hypothese von der Bewegung der Erde zu dem Ende, zu beweisen, dass, abgesehen von der göttlichen Offenbarung und der heiligen Lehre, mit jener Hypothese alle Erscheinungen er- klärt und dass alle Einwendungen, die man auf Grund der Erfahrung und der peripatetischen Philosophie anführen könnte, widerlegt werden könnten. Es darf also jener Hy- pothese nie die absolute, sondern nur die hypothetische Wahrheit, und zwar abgesehen von der Bibel, zugestanden werden. Ferner muss hervorgehoben werden, dass das Buch nur beweisen solle, dass man alle Gründe, welche für jene Ansicht angeführt werden können, kenne und dass man nicht wegen Unkenntniss dieser Gründe jene Ansicht in Rom geächtet habe, entsprechend der Einleitung und dem Schlüsse des Buches, die ich Ihnen von hier aus zusenden werde. Wenn diese Vorsicht beobachtet wird, wird das Buch hier in Rom auf kein Hinderniss stossen, und können Sie dem Autor willfahren und dem Wunsche des Gross- herzogs entsprechen, der sich so sehr für die Sache inter- essirt."

1) Acten S. 57.

2) Hierauf bezieht sich, die wohl ungenaue Angabe Buonamici's (IX, 450), der Papst habe an dem Titel „mit eigener Hand" einiges geändert.

Verhandlungen über die Approbation des Dialogs. 207

Der Inquisitor antwortete am 31. Mai1): „. . . Ich werde nicht ermangeln, mit aller möglichen Sorgfalt Ihre Anord- nungen auszuführen, und mich nach Ihren Weisungen richten. Dem Grossherzog lieget viel daran, dass das Buch gedruckt werde, und Galilei zeigt sich bezüglich aller Aenderungen sehr bereitwillig und fügsam. Die Revision habe ich dem Pater Stefani, einem tüchtigen Prediger und Consultor des h. Officiums, übertragen; die Einleitung und den Schluss er- warte ich von Ihnen."

Es vergingen wieder mehrere Wochen, ohne dass Ric- cardi die Einleitung und den Schluss schickte. Erst nach wiederholtem Dräng'en Niccolini's2) schickte er sie am 19. Juli an den Inquisitor ab. Niccolini schrieb darüber unter demselben Datum an Galilei: „Der Pater Palastmeister ver- dient in der That bemitleidet zu werden; denn gerade in den Tagen, in welchen ich ihn drängte und quälte, hat er recht grosse Unannehmlichkeiten und Kränkungen wegen einiger anderer Bücher zu erleiden gehabt, welche kürzlich veröffentlicht worden sind, wie er denn auch zu anderen Zei- ten Verdriesslichkeiten gehabt haben muss. Dies Mal ist er, wie man zu sagen pflegt, mit den Haaren herbeigezogen worden." Er habe, schreibt Niccolini ein anderes Mal3), die Einleitung und die Weisungen für den Inquisitor „sehr un- gern und nur aus Ehrfurcht vor dem Grossherzog und aus Freundschaft für seine (Niccolini's) Familie" geschickt.

Das Schreiben Riccardi's an den Inquisitor zu Flo- renz4) lautet: „Entsprechend dem Befehle unseres Herrn bezüglich des Buches Galilei's, schicke ich Ihnen, ausser dem, was ich Ihnen bezüglich des Buches selbst angedeutet habe, anbei die Einleitung oder Vorrede, welche auf den ersten Bogen zu setzen ist; der Verfasser mag sie bezüglich des Stiles ändern und ausschmücken, ohne jedoch den In- halt zu alteriren. Der Schluss muss in demselben Sinne gehalten sein." Beigelegt ist die vollständig ausgearbei- tete Vorrede, für den Schluss aber nur die Weisung: „Den Schluss muss eine dieser Vorrede entsprechende Per- oration bilden, und Galilei muss darin die von der gött- lichen Allmacht hergenommenen Gründe beifügen, auf

1) Acten S. 58. 2) IX, 245. 246.

3) IX, 431. 4) Acten S. 62.

208 Vorrede zum Dialog.

welche ihn der Papst aufmerksam gemacht hat, Gründe, welche den Geist beruhigen müssen, wenn er sich auch der Pythagoreischen Argumente nicht erwehren könnte"1).

Die Vorrede wurde genau so, wie Riccardi sie ge- schickt hatte, dem Dialog vorgedruckt2). Der am meisten charakteristische Anfang lautet: „Vorjahren wurde in Rom ein heilsames Edict promulgirt, welches, um den gefähr- lichen Aergernissen unserer Zeit entgegenzutreten, der Py- thagoreischen Meinung von der Beweglichkeit der Erde ein zeitgemässes Stillschweigen auflegte. Es fehlte nicht an solchen, welche die verwegene Behauptung aufstellten, jenes Decret sei das Erzeugniss, nicht einer reiflichen Prüfung, sondern einer ungenügend unterrichteten Leidenschaft, und man vernahm die Klage, jene mit den astronomischen Be- obachtungen ganz unbekannten Consultoren dürften doch nicht durch ein plötzliches Verbot den speculativen Geistern die Flügel beschneiden. Bei dem Anhören solcher ver- wegenen Klagen konnte mein Eifer nicht schweigen. Ich glaubte, da ich über jenen durchaus weisen Entschluss voll- ständig unterrichtet war, als Zeuge der reinen Wahrheit öffent- lich auf der Schaubühne der Welt erscheinen zu müssen. Ich war damals in Rom und wurde von den hervorragendsten Prälaten des dortigen Hofes nicht nur in Audienz empfan- gen, sondern auch belobt, und jenes Decret wurde nicht, ohne dass ich vorher davon einigermassen unterrichtet worden wäre, publicirt. Darum will ich in diesem Werke den fremden Nationen zeigen, dass man von dieser Materie in Italien und namentlich in Rom eben so viel weiss, als die fleissigen Gelehrten jenseits der Alpen darüber gedacht haben können, und indem ich meine eigenen Speculationen über das Copernicanische System zusammenstelle, will ich zeigen, dass die Kenntniss aller der Römischen Censur vor- ausgegangen ist und dass aus unserm Lande nicht nur die Dogmen für das Heil der Seelen, sondern auch die genialen Entdeckungen zur Ergötzung der Geister ausgehen. Zu dem Ende habe ich in dieser Schrift die Copernicanische Ansicht, als blosse mathematische Hypothese, zu Grunde

1) Acten S. 62. Unrichtig ist also die Bemerkung Geblers, Galilei S. 182: „Wegen des Schlusses fügte er (Riccardi) die vage Bemerkung bei: dieser müsse auf den gleichen Begründungen wie der Anfang beruhen."

2) Vgl. Acten S. 59—62 und I, 11. 12.

Vorrede zum Dialog. 209

gelegt und mit allen Mitteln der Kunst zu beweisen gesucht, dass sie den Vorzug verdient, nicht vor der Ansicht von dem Stillstehen der Erde überhaupt, sondern vor dieser Ansicht, wie sie von Einigen, die sich Peripatetiker nennen, vertheidigt wird. . . . Ich hoffe, durch diese Erörterungen zu zeigen, dass, wenn wir das Stillstehen der Erde behaup- ten und die gegentheilige Ansicht als eine blosse mathema- tische Caprice ansehen, dieses nicht seinen Grund darin hat, dass wir das, was Andere darüber gedacht, nicht beachten, sondern, abgesehen von Anderm, in den Gründen, welche die Frömmigkeit, die Religion, dieKenntniss der göttlichen Allmacht und das Bewusstsein der menschlichen Schwäche uns darbieten."

Der Verfasser dieser Vorrede ist ohne Zweifel nicht Riccardi, vollends nicht, wie Einige gemeint, Urban VIII. l), sondern Galilei selbst. Sie enthält ja dieselben Gedanken, welche schon in dem Schreiben an Ingoli vor- kommen2). Galilei wird in Rom die Ueberzeugung ge- wonnen haben, dass er nur hinter einer solchen Maske als Vertheidiger der Copernicanischen Lehre auftreten könne. Er hat darum ohne Zweifel mit Riccardi mündlich verab- redet, dass eine solche Vorrede seinem Werke vorauszu- schicken sei; dieselbe ist bei ihren mündlichen Verhand- lungen skizzirt (s. o. S. 119), dann von Galilei in Florenz ausgearbeitet und an Riccardi übersandt, und von diesem höchstens etwas modificirt worden.

Es war wohl nicht böse Absicht, aber ein Versehen, welches Galilei sehr verargt wurde, dass diese Vorrede in anderen Typen gedruckt wurde als das Werk selbst. Da ein Theil des letztern schon gedruckt war, wurde sie auf einem besondern Bogen und mit besonderer Pagination beigefügt.

Der Weisung bezüglich des Schlusses und der Einfü- gung des Argumentes, welches Urban VIII. selbst bei

1) Riccardi, „möglicher "Weise Urban VIII. selbst" nach Cantor, Zts. f. Math. 1864, 184; 1865, L.-Z. 50. 57.

2) S. o. S. 185. Es ist unrichtig, wenn R. Wolf, Gesch. der Astronomie, 1877, S.255, von dem „Galilei octroyirten und daher auch nicht anzurechnenden Vorwort" zu dem Dialog spricht (ähnlich Cantor, Martin U.A.); vgl. Wohl- will, Der Inquisitionsprocess S. 32. Gilbert, Le proces de Galil6e p. 87.

Reu seil, Galilei. \a

210 Schluss des Dialogs.

der Audienz im J. 1630 oder, was wahrscheinlicher ist, bei einer der Audienzen im J. 1624 ihm vorgetragen, kam Galilei in folgender Weise nach1). Simplicio sagt: „Was die vorgetragenen Erörterungen betrifft , namentlich die letzte über Ebbe und Fluth, so habe ich sie in der That nicht ganz verstanden; aber nach der schwachen Vorstel- lung, die ich mir davon gebildet, muss ich gestehen, dass euer Gedanke mir viel sinnreicher zu sein scheint als alle anderen, die ich darüber gehört habe. Darum halte ich ihn indess nicht für wahr und zwingend; vielmehr halte ich immer vor den Augen des Geistes eine sehr bestimmte Lehre, die ich von einem sehr gelehrten und hochgestellten Manne vernommen habe und bei der man sich beruhigen muss. Wenn ich euch fragte: ob Gott mit seiner unbe- grenzten Macht und Weisheit jene wechselnde Bewegung des Elementes des Wassers, welche wir an demselben wahrnehmen, auch auf andere Weise bewirken könne als durch Bewegung des Gefässes, worin es enthalten ist, ich weiss, ihr würdet beide antworten, Gott könne das auf mancherlei Weise, auch auf eine von unserm Geiste nicht zu ersinnende Weise thun. Daraus schliesse ich, dass es unter dieser Voraussetzung sehr verwegen sein würde, wenn Jemand die göttliche Macht und Weisheit gemäss einer ihm gut dünkenden Phantasie begrenzen und ein- schränken wollte2)."

Darauf antwortet Salviati: „Eine wunderbare und in Wahrheit engelhafte Lehre, mit welcher jene andere gleich- falls göttliche Lehre recht wohl übereinstimmt, welche uns zwar gestattet, über den Bau der Welt zu disputiren, zugleich aber, vielleicht damit wir nicht von dem Gebrauche unserer geistigen Fähigkeiten ablassen oder darin träge werden, beifügt, dass wir das von seinen

1) II, 502.

2) Das Argument, welches Urban VIII. Galilei vorgetragen und worauf er so grossen Werth legte, wird in ganz ähnlicher Fassung, wie von Gali- lei, auch von dem dem Papste sehr nahe stehenden Augustin Oregio (s. u. § XIX) in einem 1629 verfassten Tractat De Deo uno mitgetheilt (bei Berti, Copernico p. 137). Oregio sagt, Urban habe als Cardinal dieses Argument einem gelehrten Freunde (Galilei) entgegengehalten, und dieser habe sich dabei beruhigt. Dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass Urban als Papst, in einer der Audienzen, die Galilei 1624 hatte, das Argument wiederholte.

Die Approbation des Dialogs. 2i-i

Händen gemachte Werk nicht ergründen können1). Gebrau- chen wir also, wie Gott uns gestattet und gebietet, unsere geistigen Fähigkeiten, um seine Grösse zu erkennen und um so mehr zu bewundern, je weniger wir uns im Stande fühlen, die tiefen Abgründe seiner unendlichen Weisheit zu durchdringen."

Dann schliesst der Dialog mit folgenden Worten Sa- gredo's: „Das wird der letzte Schluss unserer viertägigen Unterhaltungen Sein können. Wir werden nun dem Herrn Salviati, wenn es ihm beliebt, einige Zeit Ruhe lassen müs- sen, mit dem Vorbehalt jedoch, dass er, wenn es ihm be- quem sein wird, unsere, namentlich meine Wissbegierde be- züglich derjenigen Probleme befriedigen möge, die wir bei Seite gelassen und die ich mir aufgezeichnet, um sie ihm unserer Verabredung gemäss in einer oder zwei weiteren Sitzungen vorzulegen. Insbesondere wünsche ich mit gröss- ter Spannung die Elemente der neuen Wissenschaft unse- res Akademikers von den Bewegungen, der natürlichen und der gewaltsamen, zu vernehmen. Für jetzt wollen wir, wie gewöhnlich, ein Stündchen die Kühle in der bereit stehen- den Gondel gemessen."

Unter dem n. Sept. 1630 ertheilten der General vicar2) und der Inquisitor zu Florenz das Imprimatur, unter dem 12. der grossherzogliche Censor die Druck-Erlaubniss. Vor diese Approbationen liess Galilei auf die Rückseite des Titelblattes drucken: „Imprimatur, si videbitur Rever. P. Magistro Sacri Palatii Apostolici. A. Efiiscopus Bellica- stensis Vices gerens. Imprimatur. Fr. Nicolaus Ricardus, Sacri Apostolici Palatii Magister"*).

Zur Beifügung dieses Römischen Imprimatur war Ga- lilei allerdings, wie Grisar S. 108 richtig sagt, „nicht be- fugt". Im Uebrigen aber wird die vorstehende ausführ- liche Darstellung der Verhandlungen über die Approbation gezeigt haben, dass die von Grisar gegebene Darstellung

1) Anspielung auf Eccl. 3, 1 1 : Mundum tradidit disputationi eorum, ut non inveniat hotno opus, quod operatus est Deus ab initio usque ad

finem. S. o. S. 44.

2) Natürlich nicht der Generalvicar des Inquisitors, wie Gebier, Galilei S. 173, angibt, sondern der Generalvicar des Erzbischofs von Florenz.

3) Vgl. oben S. 76.

212 Die Approbation des Dialogs.

unvollständig und einseitig und seine Behauptung S. 107: „Das Römische Imprimatur war ungiltig und das Florenti- nische nur in Folge einer Uebereilung ertheilt", bezüglich der zweiten Hälfte unrichtig ist. Grisars Darstellung ist aber immerhin unvergleichlich vollständiger und wahrheits- liebender als die von P. Schneemann S. 265: „Um sich sicher zu stellen, hatte Galilei von dem ihm ergebenen Ma- gister S. Palatii P. Riccardi sich die Druck-Erlaubnise zu verschaffen gesucht. Dieser war aus Toscana, und der Gross- herzog von Toscana, dessen Gesandter und sogar die Frau des Gesandten, welche eine Nichte des Paters war, halfen hierbei. Riccardi allerdings zögerte aus Furcht, aber »er ward sehr lange von der Frau Gesandtin bekämpft, bis er in den Wunsch Galilei's einwilligte«. Und da er immer wiederum Angst bekam, bedeutete ihm der päpstliche Secre- tär Ciampoli, der Papst wolle es. Urban VIII. wüsste aber nichts von der Herausgabe des Werkes und hatte nichts in Bezug auf dasselbe befohlen [S. u. § XVIII] So erschien das Buch Galilei's mit der Erlaubniss des Magister S. Pa- latii." — Noch kühner ist freilich die Darstellung des P. de Gabriac p. 531: „Galilei versprach 1615 [!] schriftlich [!], er wolle die neue Meinung nicht lehren, und brach alsbald [aussitötf] sein Versprechen ; er schützte in seinen Dialogen vor, er wolle die Lächerlichkeit der Argumente des Coper- nicus nachweisen [!], und gab denselben mehr Werth durch die Schwäche der Argumente, die er ihnen entgegenstellt; er legte Foscarini [!] nur die erste und die letzte Seite die- ser Schrift zur Censur vor" [!].

Galilei hatte bei der ganzen Verhandlung die grösste Bereitwilligkeit gezeigt, an seinem Buche alle Aenderungen vorzunehmen, welche die Censoren für nothwendig erach- teten. Wenn also das Buch, nachdem es gedruckt vorlag, trotz aller daran vorgenommenen Aenderungen Anstöss erregte und nicht mit Unrecht als eine mit den Decreten von 161 6 nicht vereinbare Apologie der Copernicanischen Lehre angesehen wurde, so war das, juristisch betrachtet, die Schuld der Censoren, die zu wenig scharfblickend oder zu nachsichtig gewesen waren. Den Vorwurf aber konnte man Galilei machen, dass nicht nur sein im J. 16 16 ge- gebenes Versprechen, die Copernicanische Theorie nicht lehren oder vertheidigen zu wollen, durch die Veröffent-

Urtheile über den Dialog. 213

lichung des Dialogs gebrochen, das Versprechen, sie nicht für wahr halten zu wollen, hatte er längst gebrochen, wahrscheinlich nie im Ernst abgelegt, sondern auch diesen Bruch seines Versprechens durch die Form, in wel- cher er jene Theorie lehrte und vertheidigte, zu verhüllen >und durch diese schlaue Verhüllung seine Censoren, die sich allerdings nicht sonderlich scharfsichtig zeigen, zu täuschen und so sich die Erlaubniss zum Drucke seines Buches zu verschaffen gewusst. Wenn er glaubte, auch seine Gegner und die Römischen Behörden würden die Um- gehung des Verbotes vom J. 1616 nicht merken, oder die Approbationen auf der Rückseite des Titelblattes würden letztere hindern, gegen ihn und sein Buch einzuschreiten, und dieses werde also unter den Augen der Inquisition und der Index-Congregation für die Copernicanische Lehre Pro- paganda und die Verdammung derselben thatsächlich zu nichte machen können, so sollte er bitter enttäuscht werden.

XVII.

Urtheile der Freunde Galilei's über den Dialog.

Galilei's Freunde waren über das Erscheinen des Dia- logs sehr erfreut. Castelli hatte schon am 26. Sept. 1631 geschrieben1): „Ich erwarte mit Sehnsucht Ihre Dialoge. Ich denke, ich werde dann fürder kein anderes Buch mehr lesen als das Brevier und die Dialoge und mich bemühen, so gut ich kann, ohne Beleidigung Gottes und des Näch- sten zu leben, und wenn die Zeit kommt, den Tod freudig begrüssen als das Ende alles Elends". Am 22. März 1632 2) sprach er in gleich übertriebenen Ausdrücken seine Freude aus, als er zu Bologna das Buch erhalten hatte. In einem Briefe vom 29. Mai3) wiederholt er seine Lobsprüche, er- zählt, dass er das Buch einigen Freunden vorlese, und fügt

I) IX, 255. 2) IX, 264.

3) IX, 271; vgl. 273.

214 Urtheile über den Dialog.

bei: „Das Buch wird Alle, denen es wirklich um die Wissen- schaft zu thun ist, befriedigen. Was die Gegner betrifft, so sage ich mit Copernicus: Illos nihil- moror, adco ut eti- am iudicium Mortem tanquam temer arium contemt/am. Sie müssen dasselbe thun. Ich bin überzeugt, wer gegen die- ses Buch schreibt, der wird sich selbst und nicht Ihnen schaden; denn er würde zeigen, dass er böswillig oder un- wissend oder beides ist. Ich werde in der wenigen Zeit, die ich noch zu leben habe, fortfahren, dieses Buch allein zu studieren; von ihm allein erwarte ich die Erhebung und den Trost, die man aus der Betrachtung der Wunder Got- tes am Himmel und auf Erden schöpfen kann."

Frä Fulgenzio Micanzio schreibt aus Venedig 3. Juli 1632 x): „Ihr Buch wurde mir, nachdem ich es kaum er- blickt und verschlungen, aus den Händen genommen und ist fortwährend unterwegs gewesen. Heute habe ich es durch Grobheiten wieder in meinen Besitz gebracht, und nun muss ich es nach Verona dem Commissar Antonini schicken, einem der tüchtigsten Männer unseres Staates, der Sie mehr als alle Gelehrten unserer Zeit lobt und bewun- dert und sagt, er habe noch keinen Philosophen wie Sie gefunden. . . Ich glaube nicht, dass der Neid oder die Bos- heit gegen Ihr Buch etwas werden sagen können, abge- sehen von den Partieen, die sie nicht verstehen werden; aber Sie haben die abstrusesten Dinge so klar gemacht, dass ich nicht weiss, was noch zu wünschen übrig bleibe, und Sie haben so viele unbekannte Dinge ans Licht gebracht, dass die nicht verdorbenen Geister Sie bewundern müssen." Am 27. Juli2) schickt Micanzio ein Dankschreiben des genann- ten Antonini und schreibt selbst: „Wäre mir nur die Wahl gelassen, entweder Ihres Buches oder aller anderen natur- wissenschaftlichen Bücher beraubt zu werden, bei Gott! ich würde lieber jenes allein behalten, und ich glaube, Niemand, der von der Naturwissenschaft etwas versteht, würde anders entscheiden. . . Die Wahrheit zu sagten, in welcher Achtung stand das Copernicanische System in Italien? Aber Sie haben ihm Flügel gegeben und den Schooss der Natur ent- hüllt."

Campanella schreibt aus Rom 5. Aug. 1632 3): „Alles

:) IX, 276. 2) ix, 279. 3) ix, 280.

Urtheile über den Dialog. 215

hat mir gefallen; Sie argumentiren viel überzeugender als Copernicus, wiewohl dessen Beweisführung die Grundlage ist. Sie haben meinen Rath befolgt und die Lehre in dia- logischer Form entwickelt, um sich gegen Alle sicher zu stellen. . . Ich vertheidige gegen Alle den Satz, dass Ihr Buch zu Gunsten des Decretes gegen die Bewegung der Erde geschrieben sei, damit nicht irgend ein kleiner Ge- lehrter den Fortgang dieser Lehre störe ; aber meine Schü- ler kennen das Geheimniss."

Der junge Evangelista Torricelli schreibt am 11. Sept. 1632'): „Ich bin von Profession Mathematiker, wenngleich noch jung, seit sechs Jahren ein Schüler des Paters Castelli, nachdem ich zuvor zehn Jahre unter der Leitung der Jesuiten studiert. Ich habe Ihr Buch genau und fortwährend bis auf diesen Tag studiert, mit einer Freude, wie sie der empfin- det, welcher, nachdem er die ganze Geometrie durchge- macht, den Ptolemäus studiert und so ziemlich alles von Tycho, Kepler und Regiomontanus gesehen, endlich, durch viele Gründe gezwungen, ein Anhänger des Copernicus, von Profession und Confession ein Galileist geworden ist (di pro/esstone e di setta Galileista). Der Pater Griemb erger, der mir sehr wohl will, gesteht, Ihr Buch habe ihm viel Genuss bereitet und es ständen schöne Sachen darin; aber die [Copernicanische] Meinung lobt er nicht und hält er nicht für wahr, wenn es auch scheine,- als ob sie wahr wäre. . . Ich schätze mich sehr glücklich, in einem Jahr- hundert geboren zu sein, in welchem ich einen Galilei, ein Orakel der Natur, brieflich kennen lernen und ehren und die Gunst eines Ciampoli, meines liebevollsten Herrn, ge- messen kannu u. s. w.

Gleich anerkennend schrieben Peter Gassendi2) und Andere. Castelli berichtete sogar von solchen, die durch die Lesung des Dialogs von der Ptolemäischen Lehre zur Co- pernicanischen bekehrt worden seien3); er nennt darunter sogar den Pater Veglia (s. o. S. 15).

Die Bedeutung des Buches konnten auch die Gegner des Copernicanischen Systems nicht verkennen. Als ein Werk, welches, wie Grisar S. 106 richtig sagt, „in einer für die Massen der Gebildeten berechneten Gesprächsform,

1) IX, 288. 2) IX. 308. 3) IX, 297.

21 6 Urban VIII. und der Dialog.

in seiner kräftigen und packenden Darstellung-, in seinem geschmackvollen Italienisch, in welchem es statt in der bis- her gewohnten lateinischen Gelehrtensprache geschrieben war", drohte es der anticopernicanischen Theorie und dem Ansehen der „Peripatetiker" und zugleich dem Ansehen der Römischen Behörden, welche die Copernicanische Theorie geächtet hatten, einen harten Schlag zu versetzen.

Eine Befürchtung, dass der Dialog trotz der Approba- tionen, mit denen er erschien, Galilei in Conflict mit den kirchlichen Behörden bringen könnte, spricht keiner seiner Freunde aus, mit Ausnahme Paolo Aproino's, der am 13. März 1632 *) aus Venedig schreibt : „Der Magister Fulgenzio hat mir vor einigen Wochen einige Bogen Manuscript von Ihnen gezeigt und gesagt, dasselbe solle gedruckt werden. Ich habe ihm gesagt, um mögliche Unannehmlichkeiten zu vermeiden, würde es nach meiner Meinung gerathener sein, drei oder vier Abschriften in öffentlichen und freien Bibliotheken, etwa eine hier, eine in Frankreich, in Deutsch- land oder in Flandern zu deponiren (mit einem Briefe, xler die Zeit der Abfassung angäbe), und Jeden, der es wünschte, eine Abschrift nehmen zu lassen. Der Personen, die sich für diese Studien interessiren, sind ja nur wenige, und diese sind in der Lage, ein wenig Mühe und die grösseren Kosten nicht anschlagen zu müssen."

XVIII. Urban Till, und Galilei's Dialog,

Der Dialog wurde schon im Februar 1632 im Druck vollendet und in den nächsten Monaten versandt; nach Rom

1) Suppl. 243. Ob der Brief nicht aus einer frühern Zeit ist? Im März 1632 war ja der Dialog schon gedruckt. Paolo Aproino aus Tre- viso war zu Padua Galilei's Schüler gewesen und bezeichnet diesen als den „grössten Mann, der je gelebt". Er stand schon seit 161 2 mit Galilei in Briefwechsel (VIII, 276 beschreibt er ein von ihm erfundenes akustisches Instrument). Er wurde später Canonicus in Treviso, f 1638 in Venedig. X, 289. Galilei erwähnt ihn rühmend in seinen neuen Dialogen (XIII, 306). Tiraboschi VIII, 253.

Das Einschreiten gegen den Dialog. 217

kamen, da die Verbindung mit Florenz durch die Pest er- schwert war, erst im Mai die beiden ersten Exemplare und noch später einige andere. Im August wurde auf Befehl des Papstes dem Verfasser und dem Verleger die Verbrei- tung des Buches bis auf weiteres untersagt. Der Papst war geneigt, die Sache sofort der Inquisition zu übergeben, beauftragte aber zunächst, noch im August, eine besondere Congregation(Commission), ihr Gutachten abzugeben. Diesem Gutachten entsprechend, wurde Mitte September die Inqui- sition angewiesen, Galilei den Process zu machen, und diese citirte ihn am 1. Oct. 1632 nach Rom. Er kam erst am 13. Febr. 1633 dort an. Der Process dauerte bis zum 22. Juni, an welchem Tage Galilei als der Häresie stark verdächtig zur Abschwörung der Copernicanischen Lehre angehalten und zu lebenslänglicher Haft verürtheilt wurde. Das ist eine kurze Skizze des Verfahrens gegen Galilei, zu welchem sein Dialog die Veranlassung gab. Eine genauere Darstel- lung wird in den folgenden Abschnitten gegeben werden.

Grisar citirt S. 107 beifällig aus meinem Vortrage über den Galilei'schen Process folgende Stelle : „Von dem Stand- punkte aus, den die Römischen Behörden im J. 16 16 einge- nommen hatten, (indem sie die Lehre von der Bewegung der Erde verdammten), ist es sehr erklärlich, dass man gegen ein Buch einschritt, worin jene Lehre unter einer so durchsichtigen Hülle vertheidigt wurde. " Auf diesen Satz folgt in meinem Vortrage1) ein Satz, den Grisar nicht an- führt, auf den es aber eigentlich ankommt: „Nachdem man aber früher ähnliche Aeusserungen Galilei's wenigstens igno- rirt hatte, nachdem es diesem sogar gelungen war, die Druck-Erlaubniss für den Dialog zu erhalten, muss es auf- fallend erscheinen, dass man sich nicht damit begnügte, den Dialog auf den Index zu setzen, sondern gegen Galilei per- sönlich einen Process einleitete und dass der Papst, von dem man sich Aeusserungen erzählte, nach welchen er die Decrete vom J. 161 6 bedauerte, mit grosser Entschiedenheit, um nicht zu sagen Leidenschaftlichkeit, auf ein strenges Verfahren gegen Galilei drang. "

Als das vorläufige Verbot des Dialogs im August 1632 bekannt wurde, dachten Galilei's Freunde nur an die Mög-

1) Hist. Zeitschr. 34, 131.

21 8 Das Einschreiten gegen den Dialog.

lichkeit, dass die Römischen Behörden denselben unbedingt verbieten, vielleicht nur eine Emendation desselben anord- nen würden, wie früher für das Werk . des Copernicus. Micanzio schreibt am 14. Aug. 1632 *): ,, Ihren Brief vom 7. [derselbe ist nicht erhalten] habe ich mit Entrüstung und Wuth, aber nicht mit Verwunderung gelesen. Als ich gleich nach dem Erscheinen Ihres Buches mit Monsignor Conta- rini, einem Mann von hohem Geiste und engelgleichen Sitten, darüber sprach, ahnten wir beide, dass es so kom- men würde, wie es gekommen ist, da wir uns nicht denken konnten, dass ein so ausgezeichnetes und göttliches Buch vor der Ignoranz und Bosheit der Welt und vor der Arro- ganz derjenigen bewahrt bleiben sollte, welche nicht nur das Denken, sondern auch die Dinge, mit denen sich die Geister beschäftigen, lenken zu können glauben." Am 18. Sept.2) schreibt er wieder: „Das Bestreben Ihrer Feinde, das Verbot des Buches zu bewirken, wird weder Ihrem Ruhme noch den Verständigen schaden. Was die Nachwelt be- trifft, so ist dies gerade ein Mittel, das Buch auf sie zu bringen. Aber was für eine elende Bande (sciagurata setta) muss das sein, der alles Gute und in der Natur Begründete zuwider und verhasst sein muss! . . . Ich fürchte nur, dass ich nun Ihre anderen Dialoge3) nicht werde zu sehen be- kommen; sollte sich diese Befürchtung verwirklichen, so wünsche ich jene Heuchler' ohne Natur und ohne Gott zu hunderttausend Teufeln."

Castelli antwortet am 2. Oct. 1632 auf einen (nicht er- haltenen) Brief Galilei's aus dem Anfang des Septembers4): „Ich habe alles aufgeboten, um zu bewirken, dass man nicht einen übereilten Beschluss fassen möge über Ihre so herr- liche, nützliche und grosse Arbeit. Ich habe geltend ge- macht, wenn man nicht in der Weise vorgehe, wie sie sich für das erhabene und heilige Tribunal gezieme, so werde durch diese Sache nur die Reputation desselben geschädigt und die ihm gebührende Ehrfurcht vermindert werden; ich

1) IX, 283. 2) IX, 289.

3) Micanzio meint die am Schlüsse des Werkes in Aussicht gestellten Dialoge über die „neue "Wissenschaft von den Bewegungen" (s. o. S. 211). Sie erschienen, wie wir sehen werden, im J. 1638.

4) IX, 287. 295.

Das Einschreiten gegen den Dialog. 219

wolle nicht verlangen, man solle das Buch nicht verbieten und verdammen, wohl aber, man solle so vorgehen, dass man nachher auch sagen könne, was man verboten habe. Solche Vorstellungen habe ich mit aller Ehrerbietung, aber sehr entschieden auch dem Pater Magister (Sacri Palatii) und seinem Adjuncten gemacht, die ich scheinbar gut ge- stimmt gefunden. Ich habe beigefügt, wenn sie gegen einen Mann vorgingen, der in der bescheidensten, ehrerbietigsten und vorsichtigsten Weise geschrieben, so würde das die Folge haben, dass Andere resolut und rückhaltlos schrieben. Ich habe jenen Patres auch bemerklich gemacht: wenn es auch ihres Amtes sei, die von Menschenhand geschriebenen Blätter zu verbieten oder nicht zu verbieten, so gehe doch ihre Autorität nicht so weit, dass sie der Erde gebieten könnten, still zu stehen oder sich zu bewegen, und sie könnten nicht Gott und der Natur verbieten, uns von Zeit zu Zeit ihre verborgenen Geheimnisse auf tausenderlei Weise zu offenbaren. Ich habe auch mk dem Pater Com- missar [der Inquisition] gesprochen und mich erboten, ihm, um ihm die Arbeit zu erleichtern, den Dialog zu erklären, namentlich den Theil und die Stellen desselben, wo von der Bewegung der Erde gehandelt wird. Dieser Pater ist ein sehr freundlicher und gegen mich liebevoll gesinnter Mann1); so habe ich mir erlaubt, ihm Folgendes zu sagen: «Hochwürdiger Pater Commissarius! Ich finde bei St. Augu- stinus geschrieben, dass die heiligen Schriftsteller bezüglich der Frage, ob die Erde sich bewege oder nicht, das Rechte sehr wohl gewusst, aber nichts entschieden und gelehrt haben, weil das für das Heil der Seelen von keiner Be- deutung ist. Viele Jahrhunderte nach Augustinus ist jener grosse Geist, Nicolaus Copernicus, auf die Welt gekommen, der nach herculischen Studien und Arbeiten das Buch von den Bewegungen der Himmelskörper geschrieben und, auf- gefordert von dem grossen Cardinal Schomberg und ande- ren frommen und gelehrten katholischen Bischöfen, ver- öffentlicht hat, indem er es einem sehr gelehrten Papste,

1) Es ist nicht P. Firenzuola, der bei Galilei' s Process fungirte. Dieser wurde erst im Dec. 1632 Commissar. Sein Vorgänger wurde, wie auch der Assessor des h. Officiums, Monsignor Vittrice, als Anhänger der spanischen Partei im Cardinals-Collegium (s. u. S. 226) abgesetzt. Wolynski p. 75. 177.

220 Das Einschreiten gegen den Dialog.

Paul III., widmete. Auf Grund seiner Hypothesen und mit Hülfe seiner Tafeln hat die h. Mutter Kirche die Reform des Kalenders zu Ende geführt, so das» man wohl sagen kann, das Werk des Copernicus sei von der h. Kirche approbirt worden. Durch alle diese Dinge bewogen, ge- stehe ich offen, dass ich gar kein Bedenken habe, gestützt auf überzeugende Gründe und viele von Erfahrungen und Beobachtungen hergenommene Beweise, zu glauben, dass der Erde jene Bewegungen zukommen, die ihr von Coper- nicus zugeschrieben werden. Ueber alles das habe ich wiederholt mit frommen und intelligenten Theologen ge- sprochen, welche keine Bedenken erhoben haben. Unter diesen Umständen sehe ich gar keinen Grund, die Dialoge Galilei's zu verbieten.« Der Pater antwortete: er sei auch der Ansicht, dass diese Frage nicht durch die Autorität der h. Schrift entschieden werden dürfe; er wolle eine Ab- handlung darüber schreiben und diese mir zeigen. Ich ver- lange nichts anderes, als dass man Ihr Buch studiere und verstehe, weil ich überzeugt bin, dass man dann nicht über- eilter Weise einen unvernünftigen Entschluss fassen wird."

Selbst der Magister Sacri Palatii dachte noch Anfangs September, es werde nur zu einem Verbote des Dialogs, donec corrigatur, kommen. Er erzählte dem toscanischen Gesandten: er sei damit beschäftigt, das Buch zu revidiren und es an einigen Stellen zu corrigiren; wenn er damit fertig sei, wolle er es dem Papste bringen und ihm ver- sichern, dass es so corrigirt passiren könne *).

Dass man sich nicht darauf beschränkte, den Dialog zu verbieten und Galilei einen ernsten Verweis für die Nichtbeachtung der ihm im J. 1616 ertheilten Verwarnung zu geben; dass man nicht mit der Milde gegen ihn verfuhr, die man bei seinem hohen Alter und seinen grossen Ver- diensten, bei der Gunst, in der er bisher bei dem Papste und am päpstlichen Hofe gestanden, bei der Fürsprache des Grossherzogs und anderer angesehener Personen hätte er- warten sollen; dass man ein Verfahren einschlug, bei dem es augenscheinlich nicht bloss auf die Unterdrückung einer für irrig gehaltenen Lehre, sondern zugleich auf eine gründ- liche persönliche Demüthigung Galilei's abgesehen war: dar-

1) IX, 422. 424.

Charakter Urbans VIII. 221

an war, wie die Acten zeigen, und das ist das Auf- fallendste an der Sache, in erster Linie Papst Urban VIII. Schuld, der sich seit dem August 1632 ebenso strenge, um nicht zu sagen verfolgungssüchtig und unversöhnlich, gegen Galilei zeigt, wie bis dahin wohlwollend. Wie gegen Galilei, so zeigt sich der Papst auch gegen den früher bei ihm sehr beliebten Monsignor Ciampoli sehr erbittert.

Urban VIII. hatte ausser den Eigenschaften, welche Galilei's Freunde bei Gelegenheit seiner Thronbesteigung an ihm rühmten, auch noch andere, welche von jetzt an auch in der Geschichte Galilei's in sehr unangenehmer Weise her- vortreten. ,,In allen Dingen, sagt Ranke !), verfuhr er mit unbedingter Selbstherrschaft. Schlug man ihm vor, das Collegium zu Rathe zu ziehen, so entgegnete er wohl, er allein verstehe mehr als alle Cardinäle zusammengenommen. Nur selten ward Consistorium gehalten, und auch dann hat- ten nur Wenige den Muth, sich freimüthig zu äussern. Die Congregationen versammelten sich in der gewohnten Weise, jedoch wurden ihnen keine wichtigen Fragen vorgelegt, die Beschlüsse, welche sie ja etwa fassten, wenig berücksichtigt. . . Ich wüsste keinen Papst, der das Selbstgefühl, das ihm seine hohe Stellung einflösste, in dem Grade gehabt hätte. Man machte ihm einst einen Vorwurf aus den alten päpstlichen Constitutionen: er antwortete, der Ausspruch eines lebenden Papstes sei mehr werth als die Satzungen von hundert ver- storbenen... In einem Gesandtschaftsberichte vom J. 1624 heisst es von ihm : Er liebt die eigenen Meinungen und lässt sich von seinem eigenen Geiste schmeicheln; das hat ein zähes Festhalten an seinen eigenen Gedanken zur Folge. . '. Er ist immer bedacht auf das, was seine Meinung von seiner eige- nen Person erhöhen kann." Und einer seiner Cardinäle, wahrscheinlich Bentivoglio, sagte von ihm: „Er beansprucht als der Oberherr der Welt und auf dem ganzen Gebiete der Wissenschaften angesehen zu werden"2). „Die fremden Ge- sandten, sagt Ranke weiter, waren unglücklich, dass sie so wenig mit dem Papste anfangen konnten. In den Audien- zen sprach er selbst das Meiste, docirte, setzte mit dem Nachfolgenden das Gespräch fort, das er mit dem Vorher-

1) Die Römischen Päpste, 5. Aufl. 1867, II, 534 ff.

2) Targioni II, III. '

222 Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog.

gehenden begonnen. Man musste ihn hören, ihn bewundern, ihm mit der grössten Ehrerbietung begegnen, selbst wenn er abschlug. Auch bei anderen Päpsten, erfolgten viele ab- schlägliche Bescheide, aber aus einem Princip, sei es der Religion, sei es der Politik; bei Urban VIII. bemerkte man Laune. Man konnte nie sagen, ob man ein Ja oder ein Nein zu erwarten haben würde. "

Die Stimmung des Papstes nach dem Erscheinen des Dialogs erkennt man sehr deutlich aus den Berichten, die der toscanische Gesandte in seinen Briefen an den gross- herzoglichen Staatssecretair Cioli über seine Audienzen bei dem Papste erstattete. Am 5. Sept. 1632 l) schreibt er über eine Audienz, die er Tags zuvor gehabt: „Auch ich fange an zu glauben, wie Sie sehr gut sagen, dass die Welt ver- gehen wird. Während des Gesprächs über die unangeneh- men Angelegenheiten des h. Officiums brach Seine Heilig- keit in heftigen Zorn aus und sagte ganz unverhofft: auch mein Galilei sei auf verkehrte Wege gerathen und habe sich in die schlimmsten und gefährlichsten Dinge eingelassen, die man in diesen Zeiten anregen könne. Ich antwortete : Galilei habe das Buch nicht ohne die Approbation seiner Beamten drucken lassen; ich selbst hätte (von Riccardi) die Einleitung erhalten und nach Florenz geschickt. Er erwie- derte, noch immer sehr heftig: Galilei und Ciampoli hätten ihn hintergangen; Ciampoli habe sich erlaubt, ihm zu sagen, Galilei wolle alles thun, was Seine Heiligkeit befehle, und alles sei in Ordnung; mehr habe er nicht gewusst, das Buch habe er nie gesehen oder gelesen ; er müsse sich über Ciam- poli und den Magister Sacri Palatii beklagen; letzterer sei freilich auch hintergangen worden, indem man ihm mit schö- nen Worten die Approbation des Buches entlockt und ihn dann wieder durch schöne Worte bestimmt habe, zu gestat- ten, dass das Buch in Florenz gedruckt werde; dort habe man die dem Inquisitor gegebene Weisung nicht beobachtet und dann das Imprimatur des Magister Sacri Palatii auf das Buch gesetzt, der mit den nicht in Rom gedruckten Büchern nichts zu schaffen habe. Ich bemerkte darauf: ich hätte ge- hört, dass Seine Heiligkeit eine Congregation mit der Un- tersuchung dieser Sache beauftragt habe; da unter den Mit-

1) IX, 420.

Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog. 223

gliedern derselben vielleicht solche wären, die Galilei nicht wohl wollten, so bäte ich ihn unterthänigst, Galilei Gelegen- heit zu geben sich zu rechtfertigen. Seine Heiligkeit ant- wortete: bei solchen Angelegenheiten des h. Officiums ge- schähe nichts anderes, als dass man censurire und dann den Censurirten citire und widerrufen lasse. Ich erwiederte: Scheint es denn Ew. Heiligkeit nicht gut, dass Galilei die sein Werk betreffenden Schwierigkeiten und Bedenken oder die Censuren und das, was dem h. Officium anstössig ist, zuvor mitgetheilt werden? Er antwortete heftig: Ich sage Ihnen ja, dass das h. Officium etwas der Art nicht thut und diesen Weg nicht einschlägt; die Sachen werden Niemand vorher mitgetheilt; übrigens weiss Galilei sehr wohl, wo- rin die Schwierigkeiten bestehen, wenn er es nur wissen will; denn wir haben mit ihm davon gesprochen, und er hat sie alle von uns selbst gehört. Ich bat ihn dann, zu beden- ken, dass das Buch dem Grossherzog gewidmet sei und dass es sich um einen Diener desselben handle; ich hoffte, er werde darum milde verfahren und auch seinen Beamten befehlen, darauf Rücksicht zu nehmen. Er sagte darauf: er habe Bücher verboten, die ihm selbst gewidmet seien; wenn es sich um Dinge handle, durch welche der Religion der grösste und schwerste nur denkbare Schaden zuge- fügt werden könne, so müsse der Grossherzog als christ- licher Fürst selbst zur Bestrafung mitwirken ; ich möge dem Grossherzog nur ganz offen schreiben, er rathe ihm, sich in diese Sache nicht einzumischen, wie er das bei der Angele- genheit des Alidosi gethan1); denn er würde nicht mit Ehren daraus hervorgehen. Ich sagte: ich sei überzeugt, dass ich Befehle erhalten würde, die mich nöthigen würden, ihm nochmals lästig zu fallen; ich könne aber nicht glauben, dass Seine Heiligkeit gestatten werde, dass man ein schon approbirtes Buch verbiete, ohne wenigstens vorher Galilei zu hören. Er antwortete: das sei das Geringste, was ihm

1) Mariano Alidosi weigerte sich trotz des Befehles Urbans VIII. im J. 1630 für das Lehen Castel del Rio die kirchliche Investitur nachzusuchen, und war ausserdem eines im J. 1631 im Kirchenstaate begangenen Todtschlages angeklagt. Er hielt sich in Florenz auf, und über seine Auslieferung wurde lange verhandelt. Am 22. April 1633 stellte er sich in Rom; nachdem er. bis zum October im Inquisitionsgebäude in Haft gewesen, wurde er freige- lassen. IX, 423. Pieralisi p. 164. 184.

224 Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog.

widerfahren könnte; er solle sich hüten, dass er nicht vor das h. Officium citirt werde; er habe eine aus tüchtigen und gut gesinnten Theologen und anderen Gelehrten bestehende Congregation eingesetzt; diese würden Wort für Wort jede Kleinigkeit untersuchen; denn es handle sich um die aller- verkehrteste Sache, die man nur, in die Hände bekommen könne. Er wiederholte zugleich, es thue ihm leid, dass er von Galilei und Ciampoli hintergangen worden sei. Dann sagte er, ich solle dem Grossherzog schreiben: die Lehre des Buches sei verkehrt im allerhöchsten Grade; die ganze Sache werde sorgfältig untersucht werden; Seine Hoheit möge sich nicht einmischen und sich beruhigen. Zugleich legte er nicht nur mir selbst Stillschweigen auf bezüglich dessen, was er mir gesagt, sondern beauftragte mich auch, dem Grossherzog zu schreiben, dass er auch ihm Stillschwei- gen auflege 1). Er fügte noch bei: indem er die Sache nicht, wie er eigentlich gesollt, der Inquisition, sondern einer besondern Congregation übergeben, habe er gegen Galilei besser gehan- delt, wie dieser gegen ihn; denn dieser habe ihn hintergangen. Ich fand also eine schlimme Stimmung; der Papst konnte gar nicht aufgebrachter gegen unsern armen Galilei sein. . . Ich glaube, wir müssen in dieser Sache behutsam vorgehen und mehr mit den päpstlichen Beamten und dem Cardinal Barberino verhandeln als mit dem Papste selbst; denn wenn man diesem entgegentritt oder droht oder trotzt, wird er hartnäckig und nimmt auf Niemand Rücksicht. Das Richtige wird sein, dass wir Zeit zu gewinnen suchen" u. s. w.

Am 1 8. Sept.2) berichtet Niccolini folgende weitere Aeusse- rungen des Papstes : Galilei sei sein Freund, aber jene Meinun- gen seien schon vor 16 Jahren verdammt worden, und er habe sich in einen verwickelten Handel eingelassen; die Sache sei sehr gefährlich und Galilei's Buch wirklich verderblich; die Sache sei misslicher, als der Grossherzog glaube; ich solle diesem schreiben, er dürfe nicht dulden, dass Galilei seinen Schülern verkehrte und gefährliche Ansichten bei- bringe u. s. w. In einem Berichte vom 13. Nov.3) erzählt Nicco- lini: er habe dem Papste nochmals vorgestellt, dass Galilei auf ordnungsmässigem Wege die Druck-Erlaubniss für sein

1) Vgl. Pieralisi p. 162.

2) IX, 427. 3) IX, 429.

Urbans VIII. Aeusserungen über den Dialog. 22$

Buch erhalten habe ; der Papst habe ihn aber mit den Wor- ten unterbrochen : Ciampoli und Riccardi hätten sich schlecht benommen ; die Diener, welche nicht nach dem Willen ihrer Herren handelten, seien die schlechtesten Diener; er habe Ciampoli oft gefragt, wie es mit Galilei stehe, und derselbe habe ihm immer nur geantwortet: gut, und habe nichts da- von gesagt, dass das Buch gedruckt werde; er habe aber etwas davon gewittert; das Buch enthalte eine sehr schlechte Lehre. In einem Briefe vom 19. Febr. 1633 *) sagt er: Der Papst habe sich über Galilei's Angelegenheit heftig erhitzt und behandle sie als eine persönliche. Am 2-]. Febr.2) be- richtet er folgende Aeusserungen des Papstes: Galilei sei übel berathen gewesen^ dass er jene Meinungen veröffent- licht habe; man habe eine ciampolata gemacht [etwa: „eine Stolperei", von ciamftare, stolpern, mit Anspielung auf den Namen Ciampoli]; Galilei sage zwar, er wolle von der Bewegung der Erde nur hypothetisch reden, aber indem er die Gründe dafür anführe, spreche er in Form der be- stimmten Behauptung davon ; er habe auch gegen die Wei- sung gehandelt, welche ihm der Cardinal Bellarmin im Auf- trage der Index- Congregation (vielmehr der Inquisition) er- theilt. „Ich suchte Galilei zu vertheidigen, fährt Niccolini fort; aber da der Papst Galilei's Lehre für schlecht erklärt, wird man gegen ihn vorgehen, und wenn man auch seine Antworten als befriedigend anerkennen müsste, wird man doch nicht den Schein haben wollen, dass man einen Bock geschossen, nachdem man ihn mit so vielem Eclat nach Rom citirt hat." Ueber eine Audienz am 13. März be- richtet Niccolini 3) u. a. Folgendes: ,,Der Papst sagte: Gott möge es Galilei verzeihen, dass er sich in diese Dinge ein- gelassen, bei denen es sich um neue Lehren und um die h. Schrift handle ; Gott möge auch Ciampoli beistehen, der auch an diesen Meinungen Gefallen finde und ein Freund der neuen Philosophie sei; Galilei sei sein Freund gewesen und sie hätten wiederholt freundschaftlich zusammen geges- sen und sich unterhalten; es thue ihm leid, dass er hart ge- gen ihn sein müsse, aber es handle sich um das Interesse des Glaubens und der Religion; auf Ein Argument habe man niemals antworten können: dass Gott allmächtig sei

1) IX, 434. 2) IX, 435. 3) ix, 437-

Rensch, Galilei.

226 Ciampoli's Absetzung.

und alles vermöge, dass man ihm also nichts vorschreiben könne. (Das ist wieder das Lieblings- Argument Urbans VIII., welches Galilei auf seinen Befehl auch in- den Dialog hatte aufnehmen müssen.) Ich antwortete: ich verstände nicht über diese Sachen zu reden, aber ich meinte, ich hätte Galilei sagen hören, er halte die Meinung von der Bewegung der Erde nicht für wahr, aber da Gott die Welt auf tausenderlei Weise habe einrichten können, so könne man die Möglich- keit nicht bestreiten, dass er sie auf diese Weise eingerich- tet habe. Der Papst wurde heftig und antwortete: man müsse Gott keine Vorschriften machen." -

Nach diesen Mittheilungen wird es nicht zu hart er- scheinen, wenn A. v. Reumont1) sagt: ,,Bei Urban war es eine rein persönliche Sache: seine Heftigkeit und Eitelkeit trugen über sein besseres Gefühl und Bewusstsein den Sieg davon."

Die Ungnade Monsignor Ciampoli's datirt nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, erst von dem Erscheinen des Dialogs. Aus den Andeutungen seines Biographen2) und den von Wolynski (p. 178) veröffentlichten Mittheilungen Nic- colini's ergiebt sich vielmehr Folgendes : Ciampoli hatte schon seit Jahren Feinde und war seit 1630 der Hinneigung zu den spanisch gesinnten Cardinälen verdächtig (s. o. S. 197). Nach- dem diese wiederholt vergebens Urban VIII. gedrängt hat- ten, den Kaiser in dem dreissigjährigen Kriege durch Sub- sidien und Einwirkung auf die katholischen Fürsten zu un- terstützen, brachte endlich der Cardinal Caspar Borgia am 8. März 1632 im Auftrage des Königs von Spanien die Sache in sehr kräftigen Ausdrücken im Consistorium zur Sprache. Es kam zu einem heftigen Auftritt3) und in Folge davon zu einem förmlichen Bruch zwischen dem Papste und den Cardinälen Borgia, Roberto Ubaldini und Anderen. Urban VIII. entschloss sich nun aber, ein Jubiläum auszuschreiben, um von Gott Frieden und Eintracht unter den christlichen Fürsten zu erflehen. Ciampoli erhielt den Auftrag, die En- cyklica zu entwerfen oder den Entwurf des Papstes zu sti- lisiren. Seine Arbeit missfiel dem Papste, sie soll zu

1) Beitr. I, 415. 2) Targioni II, 110; s. o. S. 197.

3) Wolynski p. 172. Laemmer. Meletematum Rom. Mantissa, 1875, p. 244.

Urban VIII. und die Approbation des Dialogs. 227

„spanisch" gewesen sein, und es wurde am 1. April eine andere Encyklica publicirt. Ciampoli soll diese bei Freun- den kritisirt und die von ihm entworfene gezeigt, und Urban VIII. dieses erfahren haben. Jedenfalls fiel er im April gänz- lich in Ungnade. Er blieb noch einige Monate im Amte, wurde aber von dem Papste nicht mehr vorgelassen, was ihm um so schmerzlicher war, als er meinte, ihn versöhnen zu können, wenn er ihn nur sprechen könnte. Als er sah, dass seine Stellung unhaltbar geworden, machte er sich An- fangs Hoffnung, Nuncius in Neapel oder Venedig zu wer- den; dann hiess es, er werde ein Bisthum erhalten ; schliess- lich wurde er in demüthigender Weise verbannt, indem er im October 1632 zum Governatore von Montalto, einem Städt- chen in den Apenninen, ernannt wurde, wohin er im Novem- ber abreiste. Später wurde er in gleicher Eigenschaft nach Norcia, dann nach Fabbriano, zuletzt nach Jesi versetzt, wo er in päpstlicher Ungnade 8. Sept. 1643 starb1).

Der Unwille des Papstes gegen Ciampoli mag also da- zu beigetragen haben, ihn gegen Galilei zu verstimmen, und umgekehrt wird sein Unwille über Galilei's Dialog seine Stimmung gegen Ciampoli verschlimmert haben.

Was Galilei betrifft; so geht aus den angeführten Aeusserungen Urbans VIII. hervor, dass er über zwei Dinge ungehalten war, über den Inhalt des Dialogs und über die vermeintliche Erschleichung der kirchlichen Approbation desselben.

Was den letzt ern Punkt betrifft, so scheint Riccardi Anfangs versucht zu haben, die Schuld auf die Inquisition zu Florenz zu schieben. Im September sagte er Niccolini 2), der Papst sei auch darüber unwillig, dass bei dem Drucke des Buches die ertheilten Vorschriften nicht beobachtet seien; man wundere sich allgemein, wie man in Florenz den Druck habe gestatten können; wäre das Buch in Rom gedruckt und von ihm Bogen für Bogen revidirt worden, so hätte es

1) IX, 306. 314. 315; X, 114. 300; Suppl. 246. 247. Pieralisi p. 115. Ciampoli's Nachfolger wurde der Ex-Jesuit Francesco Errera, wiewohl man Anfangs Bedenken trug, diesen zu ernennen, weil er beauftragt war, die Biographie des Papstes zu schreiben. , Auch der Commissar und der Assessor des h. Officiums wurden in Folge der Borgia'schen Affaire abge- setzt; s. o. S. 219. 2) IX, 423.

228 Urban VIII. und die Approbation des Dialogs.

eine Form erhalten können, in der man es hätte können passiren lassen. Aber auf der Rückseite des Titelblattes des Dialogs stand auch die von Riccardi^ ausgefertigte Ap- probation der Römischen Censurbehörde, was um so auf- fallender war, als, wie auch der Papst Niccolini gegenüber hervorhob, „der Magister Sacri Palatii mit den nicht in Rom gedruckten Büchern nichts zu schaffen hatte"1). Riccardi konnte sagen, Galilei habe ohne Auftrag von ihm und gegen seine Absicht sein Imprimatur auf das in Florenz gedruckte Buch gesetzt ; aber er konnte nicht leugnen, dass er das Buch approbirt und dann dem Inquisitor zu Florenz wegen der von diesem zu ertheilenden Druck-Erlaubniss Instructionen gegeben. Am 26. Dec. 1632 2) berichtet darum Niccolini: auch Riccardi werde Unannehmlichkeiten haben; der General der Dominicaner, Ridolfi; er war vor Ric- cardi selbst Magister Sacri Palatii gewesen, und alle An- deren sagten, er hätte den Dialog nicht approbiren dürfen. Die Entschuldigung, er habe im Auftrage des Papstes gehandelt, wurde Riccardi durch die Aeusserungen Urbans abgeschnitten, der, wie Niccolini am 23. April 16333) berich- tet, sagte, er habe nicht befohlen, die Druck-Erlaubniss zu ertheilen, ja nichts davon gewusst und der, wie wir eben gehört, auch behauptete, wenn Ciampoli Riccardi gesagt habe, er, der Papst, sei mit der Ertheilung der Druck-Er- laubniss einverstanden, so habe er die Unwahrheit gesagt. Die Sache ist nicht ganz klar; aber es ist so gut wie sicher, dass Urban VIII. in seiner Aufregung sich einiger Thatsachen nicht mehr erinnerte oder nicht mehr erinnern wollte. Jedenfalls hat Riccardi bei den Verhandlungen über die Approbation nicht selbständig handeln zu dürfen, son- dern die Befehle des Papstes einholen zu müssen geglaubt. Pater Visconti, der den Dialog revidirt hatte, schrieb, wie wir gesehen haben (S. 199) am 16. Juni 1630: Riccardi wolle am folgenden Tage mit dem Papste wegen des Titelblattes sprechen, auf welchem Galilei Ebbe und Fluth erwähnt hatte, und schon einige Tage vorher hatte Riccardi die Hoffnung ausgesprochen, es werde ihm gelingen, den Papst über die- sen speciellen Punkt zu beruhigen. Später trug er Beden- ken, dem Pater Stefani zu Florenz die Censur zu überlassen,

1) S. o. S. 204, Anm. 5. 2) IX, 431. 3) IX, 434.

Urban VIII. und die Approbation des Dialogs. 229

da dieser „die Willensmeinung des Papstes nicht kenne" (S. 204), und endlich schrieb er am 24. Mai 1631 (S. 206) dem Inquisitor zu Florenz : es sei ,,der Wille des Papstes, dass als Titel und Thema nicht Ebbe und Fluth angegeben werde" u. s. w., und am 19. Juli (S. 207): „entsprechend dem Befehle des Papstes" schicke er die beizufügende Einleitung. Alle diese Aeusserungen lassen voraussetzen, dass Riccardi von dem Papste selbst specielle Weisungen erhalten hat. Wenn er das eine Mal Galilei mittheilen lässt, er wolle mit dem Papste (über den Titel des Buches) sprechen, so braucht darum freilich nicht angenommen zu werden, dass er alle Weisungen, auf die er sich beruft, selbst aus dem Munde des Papstes erhalten; die meisten können ihm durch Ciam- poli zugegangen sein, der den Papst täglich sah und der wohl die Verhandlungen zwischen diesem und Riccardi we- nigstens zum grössten Theile vermittelte. Urban spricht gar nicht davon, dass er mit Riccardi, sondern nur davon, dass er mit Ciampoli über Galilei' s Buch geredet habe, und zwar behauptet er, Ciampoli habe ihm keinerlei specielle Mittheilungen über das Buch gemacht und darum auch keine speciellen Weisungen von ihm erhalten. Die Richtigkeit dieser Angaben des Papstes voraussetzend, nimmt Pieralisi1) an: Riccardi habe die Weisungen des Papstes, auf die er sich beruft, und die Ermächtigung, nach Berücksichtigung dieser Weisungen die Druck-Erlaubniss für den Dialog zu ertheilen, von Ciampoli erhalten; dieser aber habe eigen- mächtig, ohne dazu autorisirt zu sein, ja ohne den Papst von der Sachlage in Kenntniss zu setzen, im Namen des Papstes diese Weisungen ertheilt. Das ist aber doch viel schwerer zu glauben, als dass Ciampoli wirklich dem Papste, wenn auch vielleicht mitunter nur gesprächsweise, mit Benutzung günstiger Augenblicke und in einer im Interesse Galilei's geschickt gewählten Form, die Punkte, über welche Riccardi die Willensmeinung des Papstes zu ver- nehmen wünschte, vorgetragen und dann auf Grund der Aeusserungen des Papstes Riccardi Bescheid gegeben, und dass Urban VIIL, als Ciampoli in Ungnade gefallen war, sich seiner Aeusserungen nicht mehr erinnerte oder erinnern wollte. Der Bericht Buonamici's über Galilei's Process2) ist

1) Urbano VIII p. 113. 2) IX, 45.

230 Der Dialog und das Argument Urbans VIII.

zwar im allgemeinen keine zuverlässige Quelle (s. o. S. 6); aber es klingt sehr wahrscheinlich, wenn er erzählt: „Der Pater Palastmeister sagt, er habe von Seiner Heiligkeit selbst Befehl erhalten, das Buch zu approbiren. Der Papst leugnet es und wird heftig. Der Pater sagt, Ciampoli habe ihm auf Befehl Seiner Heiligkeit die Ermächtigung ertheilt. Der Papst erwiedert, Worten dürfe man nicht glauben. Endlich zeigt der Pater ein Billet von Ciampoli vor, worin derselbe sagt, der Papst, in dessen Gegenwart er schreibe, befehle ihm, das Buch zu approbiren." Ueber Ciampoli's Aussagen liegen uns keine Mittheilungen vor; dass er von Rom ver- bannt wurde, ist aber jedenfalls kein Beweis dafür, dass er wirklich in dem Grade schuldig war, wie der Papst be- hauptete.

Was den Inhalt des Dialogs betrifft, so tadelte Urban von seinem Standpunkte aus mit vollem Rechte, dass Ga- lilei die Copernicanische Lehre nicht bloss hypothetisch vorgetragen. Es verräth aber schon eine starke Voreinge- nommenheit gegen Galilei und eine grosse Aufregung-, wenn er sagt: es handle sich um Dinge, durch welche der Reli- gion der grösste und schwerste nur denkbare Schaden zu- gefügt werden könne, um die allerverkehrteste Sache, die man nur in die Hände bekommen könne, die Lehre des Buches sei schlecht und verkehrt im allerhöchsten Grade u. s. w. Augenscheinlich war der Papst speciell darüber entrüstet, dass " Galilei ein Argument, das er aus seinem eigenen Munde vernommen, nicht gehörig beachtet habe. Riccardi hatte ausdrücklich angeordnet, in der Peroration des Dialogs müsse Galilei „die von der göttlichen Allmacht hergenommenen Gründe beifügen, auf welche ihn der Papst aufmerksam gemacht habe, Gründe, welche den Geist be- ruhigen müssten, wenn er sich auch der Pythagoreischen Argumente nicht erwehren könnte", und demgemäss hatte Galilei den Schluss des Dialogs eingerichtet. Nun berich- tet der Graf Filippo Magalotti, ein Verwandter der Barbe- rini, am 7. Aug. 1632 l) auf Grund einer Mittheilung Riccar- di's: der Papst habe in dem Buche zwei oder drei Argu- mente vermisst, die er selbst erfunden und durch welche er Galilei überzeugt und die Copernicanische Lehre als falsch

1) Suppl. 321

i Der Dialog und das Argument Urbans VIII. 231

erwiesen zu haben glaube. Am 4. Sept1) berichtigt er sich: „Was die Argumente unseres Herrn betrifft, so war es in Wirklichkeit nur ein einziges, und dieses steht auch am Ende des Buches; aber man ist verstimmt darüber, dass dasselbe dem Simplicio in den Mund gelegt wird, einer Per- son, die in dem ganzen Gespräche wenig ästimirt, vielmehr verlacht und verspottet wird." Magalotti fügt bei, er habe darauf aufmerksam gemacht, nach der ganzen Anlage des Dialogs habe doch keinem der beiden anderen Interlocu- toren jenes Argument in den Mund gelegt werden können, und die Erwiederung Salviati's zeige, dass er dem Argu- mente die gebührende Achtung zolle und sich dabei be- ruhige. Jedenfalls aber hatte Urban erwartet, dass das Argument, welches er selbst erfunden und Galilei vorge- tragen und auf welches er selbst so grossen Werth legte,' in dem Dialog eine viel grössere und entscheidendere Rolle spielen werde. Auf die geringe Beachtung, die sein Argument gefunden, kommt Urban in den Gesprächen mit Niccolini wiederholt zurück, und noch im Dec. 16342) er- wiederte er dem französischen Gesandten Graf Noailles, als dieser bei einer Audienz Galilei sehr lobte: er schätze und liebe denselben, aber es sei ihm auffallend, dass er das ihm vorgetragene Argument nicht berücksichtigt habe.

Der Umstand, dass das päpstliche Argument Simplicio in den Mund gelegt wurde, war, wenn dieses auch in der That nicht zu vermeiden 'gewesen, nicht geeignet, den Papst zu befriedigen. Man hat vielfach behauptet, Galilei's Feinde hätten gesagt und Urban VIII. hätte geglaubt, Ga- lilei habe in dem Simplicio ihn selbst darstellen und lächer- lich machen wollen, und Einzelne haben sogar gemeint, Galilei habe wirklich diese Absicht gehabt3). Die erste darauf bezügliche Notiz findet sich in Briefen Castelli's vom 22. Dec. 1635 und 12. Juli 16364). In dem ersten berichtet er: er habe dem Cardinal Antonio Barberini gesagt, es sei eine Verleumdung, wenn man ausstreue, Galilei habe jene

1) Suppl. 325. 2) X, 65.

3) Vgl. Gebier, Galilei S. 197. Pieralisi p. 341. Epinois, La que- stion de Galilee p. 217. Der Jesuit A. de Gabriac fragt p. 531 ganz ungenirt: „Hat sich Galilei hochherzig gegen Urban VIII. gezeigt in diesen Dialogen, in denen sein Wohlthäter unter dem Namen Simplicius insultirt wird?" 4) X, 131. 159.

232 Der Dialog und die Jesuiten.

Absicht gehabt. In dem zweiten berichtet er: Graf Noailles habe dem Papste selbst versichert, Galilei habe nie die Ab- sicht gehabt, ihn zu beleidigen, und der Papst habe darauf geantwortet: „Wir glauben es, wir glauben es". Galilei hat in der That sicher jene Absicht nicht gehabt, und es ist nicht wahrscheinlich, dass Urban es geglaubt; aber darüber mag er, wie gesagt, sehr unwillig gewesen sein, dass Gali- lei sein Argument „einem Dummkopf in den Mund gelegt"1), nicht so ausführlich und überzeugend, wie er gewünscht, entwickelt und nicht genug Anerkennung von Seiten der anderen Interlocutoren hatte finden lassen.

Es legt sich von selbst die Vermuthung nahe, dass der plötzliche Umschwung in der Stimmung Urbans VIII. gegen Galilei nicht durch die blosse eigene Leetüre des Dialogs und die dadurch spontan in ihm entstandene Un- zufriedenheit hervorgerufen worden, dass vielmehr Gegner Galilei's das Erscheinen des Dialogs geschickt benutzt ha- ben, den Papst gegen ihn aufzureizen und die bei diesem entstandene Verstimmung zu steigern. Buonamici2) spricht von einem „Mönchshass" zwischen dem Pater Firenzuola, dem Commissar der Inquisition, der bei dem Papste wegen seiner Arbeiten für die Befestigung der Engelsburg sehr be- liebt gewesen, und dem Pater Riccardi. Aber gegen letztern war der Papst am wenigsten aufgebracht, gegen Galilei zeigte sich der Commissar der Inquisition immer freundlich und wohlwollend, und in Galilei's Briefwechsel kommt nie eine Klage über ihn vor3). Von Anderen, und zwar nicht bloss, wie Grisar S. 110 angibt, von Campanella, werden die Jesuiten als Urheber oder Miturheber der Mass- regeln gegen Galilei bezeichnet. In einem Briefe vom 7. Aug. 16324) an Guiducci schreibt Filippo Magalotti: „Die Hauptsache ist, dass die Patres Jesuiten unter der Hand eifrig daran arbeiten, dass das Buch verboten werde. Ric- cardi hat mir das selbst gesagt mit den Worten: Die Je-

1) Acten S. 56. 2) IX, 450.

3) Wenn Lucas Holstenius im Mai 1633 an Peiresc schreibt: „Man glaubt, der ganze Sturm rühre von dem Hasse eines Mönches her, den Ga- lilei nicht als den ersten Mathematiker hat anerkennen wollen; dieser ist jetzt Commissar des h. Officiums" (IX, 450), so beruht das wahrscheinlich auf einer Verwechselung des Pater Scheiner mit dem Pater Firenzuola,

4) Suppl. 321,

Der Dialog und die Jesuiten. 233

suiten werden ihn auf das heftigste verfolgen". In dem Briefe an den Cardinal Barberini vom 13. Oct. 1632 l) sagt Galilei: ,, Einige" hassten -ihn, weil er durch seine Schriften zum Theil den Glanz der ihrigen verdunkelt, und diese hät- ten den Oberen eingeredet, dass sein Buch nicht des Lichtes werth sei. In dem Briefe an Elia Diodati vom 15. Juni 16332) sagt er ausdrücklich: „Von guter Seite höre ich, dass die Patres Jesuiten der massgebendsten Persönlichkeit einge- redet, mein Buch sei verabscheuenswerther und für die Kirche verderblicher als die Schriften Luthers und Calvins",

eine solche Aeusserung findet sich in einem Werke des Jesuiten Inchofer: Galilaeus plus demeritus iftsis haeretüis'6),

und in einem Briefe an denselben Diodati vom 25. Juli 1634 4) fährt er, nachdem er die Abweisung seines Begna- digungsgesuches erwähnt, also fort: „Aus diesem und an- deren Vorfällen, welche zu erzählen zu weit führen würde, ergibt sich, dass die Wuth meiner mächtigen Verfolger noch immer heftiger wird. Sie haben sich endlich selbst mir ent- decken wollen; denn als vor etwa zwei Monaten ein lieber Freund von mir in Rom war und mit dem Pater Griem- berger, dem Mathematiker des dortigen Collegs, sprach und die Rede auf mich kam, sagte der Jesuit zu meinem Freunde wörtlich Folgendes : t Hätte Galilei sich die Zunei- gung der Väter dieses Collegs zu erhalten gewusst, so würde er ruhmvoll in der Welt leben und von allen Unan- nehmlichkeiten frei geblieben sein, und er hätte nach Gut- dünken über jeden Gegenstand schreiben können, auch über die Bewegung der Erde u. s. w. 5)«. Sie sehen also, ich habe nicht um dieser oder jener Meinung willen zu leiden, sondern weil ich bei den Jesuiten in Ungnade gefallen bin"6).

1) VII, 7. 2) VII, 19.

3) Epinois, La question p. 170. 4) VII, 47.

5) Es ist doch nicht zulässig, dass Grisar S. 725 diese Mittheilung als ^Versicherung des als Lügner entlarvten extravaganten Campanella" be- zeichnet. Galilei nennt seinen Freund nicht, der „vor zwei Monaten", also im Mai 1634 mit Griemberger gesprochen. "Wir haben aus dieser Zeit keinen Brief von Campanella an Galilei, er floh im Oct. 1634 von Rom nach Frankreich, und dieser würde Campanella auch schwerlich als „lieben Freund" bezeichnen. Auf Griembergers Aeusserung scheint sich auch Micanzio's Brief X, 46 zu beziehen.

6) Auf solche Mittheilungen Galilei's sind direct oder indirect Aeusse- rungen zurückzuführen, wie: „Der Haupt-Urheber und Anstifter der Ver-

234 Der Dialog und die Jesuiten.

Wenn die Jesuiten auf Urban VIII. Einfluss geübt haben, um ihn zu einem energischen Einschreiten gegen Galilei zu veranlassen, so ist dabei natürlich nicht persön- licher Hass das einzige Motiv gewesen. Sie waren natur- gemäss die Hauptvertreter der Ansicht, welche im J. 1616 hauptsächlich durch ihren Cardinal Bellarmin zum Siege gelangt war: dass die Copernicanische Lehre wissenschaft- lich betrachtet unrichtig und theologisch betrachtet irrig sei. Wenn Galilei also das Ptolemäische System bekämpfte, so bekämpfte er zugleich die von den Jesuiten überhaupt und von ihren hervorragendsten Gelehrten vertheidigte An- sicht. So macht denn Melchior Inchofer in dem Gutachten, welches er über den Dialog abgab (s. u. § XXIII), Galilei den Vorwurf: es sei sein Hauptzweck gewesen, den Pater Scheiner zu bekämpfen, der zuletzt gegen die Copernicaner geschrieben1). Die im J. 16 16 zum Siege gelangte An- sicht sahen die Jesuiten durch Galilei's Dialog bedroht, und da sie fühlen mochten, dass keiner ihrer Gelehrten die rein wissenschaftliche Widerlegung des Buches mit Aussicht auf Erfolg unternehmen könne, so lag es nahe, ein Einschreiten der kirchlichen Behörden zu provociren, zu welchem ja in der That das Buch Anlass bot. Ein wirksames Einschrei- ten gegen das Buch war aber, wie die Sachen lagen, nicht wohl möglich ohne ein Einschreiten gegen den Verfasser desselben, und diesen zu schonen, mochten Grassi und Schei- ner nichts weniger als geneigt sein. Diese Beiden werden am eifrigsten gegen Galilei operirt haben. Neben ihnen tritt aber jetzt, wie wir sehen werden, ihr Ordensgenosse Melchior Inchofer in den Vordergrund.

Der Vollständigkeit wegen theile ich hier noch die Be- merkungen mit, mit welchen Niccolö Gherardini, damals Canonicus in Florenz, seine Biographie Galilei's2) beginnt. Sie sind zwar sehr dunkel, zeigen aber, wie stark persön- liche Stimmungen in Galilei's Sache hineinspielten. Er sei

folgung Galilei's ist der Jesuit Scheiner" (Matthias Bernegger an Caspar Hoffmann, 21. Juli 1638, X, 179); „Galilei ist durch den Hass der Jesuiten und die Feigheit des Grossherzogs genöthigt worden nach Rom zu gehen" u. s. w. (Hugo Grotius an Joh. Vossius, 17. Mai 1635, x> 2l8)>' »Ihr [die Jesuiten] habt gegen Galilei ein Römisches Decret erwirkt" (Pascal in No. 18 der Lettres provinciales im J. 1657).

1) Acten S. 97. 2) Targioni II, 63; s. o. S. 6.

Die Special-Congregation. 235

erst im J. 1633 zu Rom mit Galilei in persönlichen Verkehr gekommen, erzählt Gherardini ; er habe ihm damals im Auf- trage „eines der hervorragendsten Beamten des h. Officiums", den er aber nicht habe nennen dürfen, einen Rath für sein Verhalten erheilt. Jenem Beamten sei Galilei von demjeni- gen empfohlen worden, der „Galilei's Sache und Person protegirt" habe; derselbe habe zugleich „den bösen Ab- sichten einer andern bei der Inquisition einflussreichen Per- sönlichkeit" entgegenwirken wollen. Galilei habe den Rath, der darauf berechnet gewesen sei, ihn „der drohenden und zu strengen Kränkung" zu entziehen, freundlich aufgenom- men, dann aber, weil er gegen den Rathgeber misstrauisch geworden oder sich auf seine Unschuld zu viel verlassen, den^Rath nicht befolgt. Das Loos, welches ihn in Folge davon betraf, fügt Gherardini bei, „war noch immer weniger schlimm, als diejenigen erwarten mussten, welche den Ur- sprung der so harten Verfolgung kannten. Mit Einem Worte, die Wunde, welche der Pfeil schlug, war klein im Verhältniss zu der Gewalt, mit welcher der Bogen gespannt wurde, Dank dem Schutze, welchen der Grossherzog durch seinen Gesandten Galilei angedeihen Hess."

XIX.

Die Special-Congregation (August und September 1632).

Am 22. Febr. 1632 überreichte Galilei Exemplare des Dialogs dem Grossherzog, welchem derselbe gewidmet war 1), und anderen fürstlichen Personen in Florenz. Sofort wurden auch Exemplare nach auswärts versandt. Die Ver- sendung nach Rom wurde durch die Pest verzögert; die Exemplare, welche Galilei Anfangs März für seine Gönner in Rom einbinden und vergolden liess, waren am 17. Mai noch nicht abgesandt 2). Zwei ungebundene Exemplare nahm

1) VI, 390. 2) vii,

236 Die Special-Congregation.

der Erzbischof von Florenz mit nach Rom, von denen eins der Cardinal Francesco Barberini erhielt x). Später brachte der oben (S. 230) erwähnte Magalotti noch acht Exemplare mit nach Rom, von denen er im Auftrage Galilei' s je eins dem Cardinal Barberini, dem toscanischen Gesandten und dem Pater Riccardi überreichte, eins dem Monsignor Serri- stori, einem Consultor der Inquisition, und eins dem Jesui- ten Leon Santi gab2).

Magalotti war sehr verwundert, als ihn in den ersten Tagen des August Pater Riccardi bat, ihm die mitgebrach- ten Exemplare auf acht Tage zu leihen. Bei dieser Ge- legenheit äusserte Riccardi, man habe Anstoss an einer Vignette auf dem Titelblatte des Buches genommen, welche drei Delphine darstellt, von denen einer den andern in den Schwanz beisst. Magalotti beruhigte ihn lachend durch die Bemerkung, diese Vignette stehe auch auf anderen in der Landini'schen Druckerei gedruckten Büchern3).

Man nahm freilich an anderen Dingen noch mehr An- stoss, und der Palastmeister hat wahrscheinlich die in Maga- lotti's Händen befindlichen Exemplare nicht bloss leihen wollen. Er liess um eben diese Zeit die auf der Douane angekommenen Exemplare festhalten, und der Papst befahl, die Exemplare, deren man habhaft werden könne, zu confis- ciren4). Noch im August erhielten Galilei und der Drucker des Dialogs die Weisung, vorläufig keine Exemplare mehr auszugeben5). Später wurde dem Drucker befohlen, die noch vorräthigen Exemplare nach Rom abzuliefern ; er ant- wortete, er habe keine Exemplare mehr in seinem Besitze. Am 25. Sept. 1632 schrieb der Cardinal Francesco Barberini an den Nuncius zu Florenz6): er höre, dass Galilei noch Exem-

i) IX, 271. Wolynski p. 48. 2) Suppl. 319.

3) Suppl. 320. 322. 324. Das Titelblatt ist nachgebildet bei Venturi II, 117. 4) Acten S. 55.

5) In dem Briefe an den Card. Barberini vom 13. Oct. 1632, VII, 8, sagt Galilei, diese Weisung sei „vor zwei Monaten" ertheilt worden. Es ist also ein Irrthum, wenn er in dem Verhör vom 12. Apr. 1633, Acten S. 75, sagt, sie sei „wenige Tage vor seiner Citation nach Rom" ertheilt worden. Der Drucker klagte, durch die „Suspension" des Buches sei ihm ein Ge- winn von 2000 Scudi entgangen; denn er würde sonst ausser den 1000 Exemplaren, die er zuerst gedruckt, noch doppelt so viele gedruckt und ver- kauft haben; VII, 19. 6) Pieralisi p. 163. ,

Die Special-Congregation. 237

plare des Dialogs nach verschiedenen Theilen der Welt versenden wolle; der Nuncius möge sich erkundigen und, wenn es wahr sei, die päpstlichen Legaten zu Bologna und Ferrara und die Bischöfe oder Inquisitoren der Orte, über welche die Packete zu gehen hätten, in Kenntniss setzen. Im September wurde der Inquisitor zu Florenz aufgefordert, auch das Manuscript des Dialogs einzusenden, damit man die daran vorgenommenen Aenderungen sehen, und wohl auch, damit man constatiren könne, ob der Druck mit dem (approbirten) Manuscripte übereinstimme 1). Das Manuscript wurde am 21. Sept. eingesandt, wird aber nicht weiter er- wähnt, scheint also für die Begründung der Anklag-e gegen Galilei keinen Werth gehabt zu haben.

Schon in der ersten Hälfte des August wurde die be- reits erwähnte Special-Congregation mit der Untersuchung des Buches beauftragt. Vorsitzender derselben war der Cardinal (Francesco) Barberini 2); dass Riccardi an den Ver- handlungen Theil nahm, ist selbstverständlich; welche „be- sonders gelehrte und in der Theologie und in anderen Wissen- schaften bewanderte Männer"3) der Papst zu Mitgliedern dieser Commission ernannte, erfahren wir nicht. Jedenfalls waren der Theologe des Papstes, Augustin Oregio, und ein Jesuit Mitglieder der Commission4). Oregio stand im Rufe eines frommen und gewissenhaften Mannes, war Ur- bans VIII. theologischer Rathgeber bereits gewesen, als derselbe noch Cardinal- Legat von Bologna war, und galt

1) Acten S. 54. 64. 75. 2) IX, 419. 3) IX, 422. 425.

4) IX, 424; vgl. Acten S. 92. Hier nimmt Oregio in einem am 17. April 1633 der Inquisition übergebenen Gutachten (s. u. § XXIII) auf ein Gutachten Bezug, das er früher mit Riccardi gemeinschaftlich abgegeben. Das wird das von der Special-Congregation abgegebene Gutachten sein. Ausser von Oregio finden sich bei den Processacten Gutachten von dem Jesuiten Inchofer und dem Regular-Kleriker Zacharias Pasqualigo. Darauf stützt sich die Vermuthung von Berti, II Processo p. LXXX, und Grisar S. IT#, beide könnten Mitglieder der Special-Congregation gewesen- sein. Nach IX, 424 scheint es aber, als ob nur Riccardi, Oregio und „der Jesuit" dem Cardinal Barberini beigegeben gewesen. Natürlich kam auch Riccardi's Verfahren bei der Approbation des Dialogs zur Sprache, und insofern kann Wolynski p. 48 von einem „Disciplinar-Process" gegen ihn sprechen. Dass er sich dabei „von aller Schuld und Verantwortlichkeit gereinigt" (p. 75), ist aber zu viel gesagt; s. IX, 431 und oben S. 228.

238 Die Special-Congregation.

sehr viel bei dem Papste, der ihn seinen Bellarmin genannt haben soll1). Als Niccolini die Befürchtung äusserte, die Commission sei aus Gegnern Galilei's zusammengesetzt, ver- sicherte ihm Riccardi: Oregio habe guten Willen, und den Jesuiten habe er selbst vorgeschlagen, weil er mit ihm be- freundet und unparteiisch sei. Wenn dieser Jesuit der Pater Inchofer war, so ist diese Aeusserung kaum zu begreifen; denn Inchofer war, wie wir sehen werden, einer der bitter- sten Gegner des Copernicanischen Systems2). Niccolini's Bitte, man möge einige unparteiische Gelehrte hinzunehmen, wurde abgeschlagen3). Den Wunsch, Campanella und Ca- stelli möchten als Vertheidiger Galilei's zu den Sitzungen der Congregation zugelassen werden, Castelli war von dem Grossherzog als „Procurator" Galilei's bestellt4), bezeichnete Riccardi als ganz aussichtslos5).

Von dieser Special-Congregation rühren zweiActenstücke ohne Unterschrift und Datum her, mit denen die Acten des zweiten Galilei'schen Processes beginnen6). Das zweite scheint ein der Congregation vorgelegtes, allem Anschein nach von Riccardi verfasstes Referat, das erste der Entwurf eines dem Papste Namens der Congregation vorzulegenden Be- richtes zu sein.

1) Oregio, geb. 1577, studierte Philosophie im Römischen Colleg, die Rechte an der Sapienza und wurde dann Canonicus zu Faenza. Am 28. Nov. 1633 ernannte ihn Urban VIII. zum Cardinal (von St. Sixtus) und Erzbischof von Benevent. Im J. 1632 war er also noch nicht Cardinal, wie Berti, II Processo p. LXXXV, und Scartazzini, Unsere Zeit 1877, II, 442, angeben. Er starb 12. Juli 1635. Einige theologische Tractate von ihm wurden 1637 und 1642 zu Rom von seinem Neffen Nicolaus Oregio heraus- gegeben (s. o. S. 210). Ciaconius IV, 593. Hurter, Nomenciator I, 507.

2) Dass Riccardi „mit dem vollen Bewusstsein der Lüge gelogen", als er Niccolini versicherte, die Mitglieder der Commission, namentlich „der Jesuit", seien Galilei günstig gesinnt (Scartazzini, Unsere Zeit II, 449), ist doch wohl zu viel behauptet.

3) IX, 420. 4) IX, 297.

5) IX, 424; vgl. IX, 285. 294. 303. Cantor, Zts. f. Math. 1864, 186 spricht von einer ,, besondern Commission von zehn höheren geistlichen Würdenträgern", und lässt diese Commission auch das Urtheil fällen; er hat also die Special-Congregation und die Inquisition zusammengeworfen. Auch die Angabe S. 189, Chiaramonti sei von Pisa in die Commission be- rufen worden, ist irrig; s. IX, 419.

6) S. 52—63.

Die Special-Congregation. 239

In dem zweiten Actenstücke wird zunächst über die Verhandlungen über die Approbation des Dialogs berich- tet. Dieser Bericht ist ziemlich ausführlich und hat augen- scheinlich den Zweck, das Verfahren Riccardi' s, so gut es anging, als correct darzustellen1); seine Correspondenz mit dem Inquisitor zu Florenz ist beigelegt. Dann heisst es weiter:

„In dem Buche sind folgende Dinge gewissermassen als Corpus delicti zu betrachten2):

„1. Er hat unbefugter Weise das Römische Imprima- tur beigefügt und die Publication demjenigen nicht mitge- theilt, der jenes unterschrieben haben soll [Riccardi].

„2. Er hat die Vorrede mit anderen Typen drucken lassen und sie nutzlos gemacht, indem sie von dem Buche selbst getrennt ist, und er hat die Medicin des Endes [das am Schlüsse mitgetheilte Argument Urbans VIII.] einem Dummkopf in den Mund gelegt und nur theilweise mitge- theilt und so, dass man sie nur mit Mühe findet; sie wird dann von dem anderen Interlocutor nur sehr kühl gebilligt und so, dass das Gute nur angedeutet, nicht hervorgehoben wird, was wenig guten Willen verräth.

„3. Er fehlt an vielen Stellen des Buches und geht über die Hypothese hinaus, indem er entweder die Bewe- gung der Erde und das Stillstehen der Sonne absolut be- hauptet, oder die Argumente, auf welche er diese Meinung

1) Schon dieser Umstand spricht dafür, dass Riccardi (obschon von ihm in der dritten Person gesprochen wird) der Verfasser ist. Diese Ver- muthung wird durch folgende Umstände bestätigt: 1. In dem ersten Acten- stücke heisst es von der dem Berichte beiliegenden Correspondenz, der Palastmeister habe dieselbe vorgelegt (S. 53). 2. Gegen Ende des Berichtes heisst es, die als anstössig namhaft gemachten Punkte im Dialog konnten allenfalls corrigirt werden; um dieselbe Zeit, in der ersten Hälfte des Sep- tember, sagte Riccardi, wie wir (S. 220) gesehen, Niccolini, er wolle eine solche_yerbesserung des Dialogs vorschlagen. Dass das erste Actenstück der Entwurf eines dem Papste vorzulegenden Berichtes ist, zeigt der An- fang: „Gemäss dem Auftrage Euerer Heiligkeit ist der ganze Verlauf dessen dargestellt, was sich bezüglich des Druckes des Galilei'schen Buches zuge- tragen." Dass es sich um einen blossen Entwurf handelt, zeigt die unfer- tige Gestalt des Berichtes; s. u. S. 240. Wahrscheinlich ist auf Grund des- selben dem Papste mündlich Vortrag gehalten worden.

2) Pieralisi p. 136 gibt einen ausführlichen Commentar zu diesen Punkten.

24° Die Special-Congregation.

stüzt, als beweisend und zwingend bezeichnet, oder die ent- gegengesetzte Ansicht als unmöglich behandelt.

„4. Er behandelt die Sache als unentschieden und so, als ob eine [kirchliche] Entscheidung [über die Copernicani- sche Lehre] zu erwarten und nicht schon gegeben wäre.

,,5. Er misshandelt die gegnerischen Autoren und die- jenigen, deren sich die h. Kirche am meisten bedient [Ari- stoteles u. s. w.].

„6. Er behauptet und erklärt schlecht eine Gleichheit des menschlichen und des göttlichen Geistes bezüglich des Begreifens der geometrischen Dinge [bezieht sich wohl auf die Stelle I, 116].

„7. Er führt als einen Beweis für die Wahrheit an, dass die Ptolemäiker Copernicaner würden, und nicht um- gekehrt [vgl. I, 143].

„8. Er führt die Ebbe und Fluth des Meeres, welche existiren, auf das Stillstehen der Sonne und die Bewegung der Erde zurück, die nicht existiren."

Es wird noch beigefügt: ,,Alle diese Dinge könnten emendirt werden, wenn man der Ansicht wäre, dass das Buch irgend einen Nutzen hätte, mit Rücksicht auf welchen man ^jese Gnade gewähren müsste" [wie bezüglich des Buches des Copernicus verfahren wurde].

„Dem Verfasser ist 16 16 vom h. Officium befohlen worden: er habe die besagte Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt sei und die Erde sich bewege, gänz- lich aufzugeben und dürfe sie fortan in keiner Weise mehr für wahr halten, lehren oder vertheidigen, weder mündlich noch schriftlich; widrigenfalls werde im h. Officium wider ihn verfahren werden; diesem Befehle hat er sich gefügt und zu gehorchen versprochen" \ut siipradictam u. s. w. Es wird der lateinische Wortlaut nach der Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616, s. o. S. 128, angeführt].

Das erste Actenstück gibt zunächst einen Auszug aus dem Berichte des zweiten über die Verhandlungen über die Approbation des Dialogs; dann heisst es weiter: „Es wird behauptet; Galilei habe die (ihm ertheilten) Befehle über- treten, indem er sich von der Hypothese entfernt und die Bewegung der Erde und das Stillstehen der Sonne absolut behauptet habe; er habe die Ebbe und Fluth des Meeres, welche existiren, mit Unrecht auf das Stillstehen der Sonne

Die Einleitung des Processes. 24t

und die Bewegung der Erde zurückgeführt, welche nicht existiren. Dieses sind die Hauptpunkte1). Ferner [wird behauptet]: er habe betrügerischer Weise einen Befehl ver- schwiegen, der ihm im J. 16 16 von dem h. Officium er- theilt worden und der lautet; er habe die besagte Meinung u. s. w. Es ist also nun zu überlegen, wie zu verfahren sei sowohl gegen die Person wie gegen das bereits gedruckte Buch'." Von den acht in dem zweiten Actenstücke aufge- zählten speciellen -Punkten sind also in das erste nur der dritte und der achte aufgenommen.

Ein Beschluss der Special -Congregation ist in diesen Actenstücken nicht enthalten. In einem Briefe des Cardinais Barberini an den Nuncius in Florenz vom 25. Sept. 16322) wird aber gemeldet: die Congregation habe, nachdem sie fünf Sitzungen gehalten und alles wohl erwogen, sich dahin ausgesprochen, dass die Sache der Congregation des h. Officiums zu übergeben sei. Dass dieses geschehen würde, liess der Papst durch einen seiner Secretäre am 15. Sept. Niccolini mittheilen. Der Papst verpflichtete dabei den Grossherzog und seinen Gesandten zum Stillschweigen über diese Mittheilung unter Androhung der auf der Verletzung des Geheimnisses der Inquisition stehenden Censuren, wie er dies auch bei den Mittheilungen, die er Niccolini selbst bei Audienzen machte, zu thun pflegte3).

Am 2$. Sept. 1632 beschloss die Inquisition, Galilei nach Rom zu citiren. Der Darstellung der weiteren Ver- handlungen muss ich aber noch einige Bemerkungen vor- ausschicken.

1. Wohlwill meint, in den Processacten fehle der An- fang des Processes vom J. 16334). In dem von der Inquisition gefällten Urtheil werde ausdrücklich als Veranlassung die- ses Processes eine „Mittheilung an die h. Congregation"

1) Schanz, Galilei S. 51, übersetzt ganz unrichtig: „Aber die Haupt- punkte sind: 3. er habe betrügerischer Weise" u. s. w. Im Italienischen steht erst (nach einem Komma) : che sonno li cafii firincifiali, dann nach einem Punkt und in einer neuen Zeile: De fiiü che habbia etc.

2) Zuerst veröffentlicht von Pieralisi p. 162.

3) IX, 425. 428; s. o. S. 224.

4) Ist Gal. gef. worden? S. 100. Cantor, Gegenw. 1877, No. 45, S. 296, und Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 425, stimmen ihm bei. S. dagegen Gebier, Gegenw. 1878, No. 19, S. 296.

Keusch, Galilei. l6

242 Die Einleitung des Processes.

bezeichnet, des Inhalts, dass in Folge der Veröffentlichung des Dialogs die falsche Meinung von der Bewegung der Erde von Tag zu Tage mehr Fuss fasse (informata appresso la Sacra Co7tgregazionc, che con fimpressione etc.). Diese „Mittheilung", die zur „sorgfältigen Prüfung" des Buches führte, sei schwerlich etwas anderes gewesen als eine De- nunciation, wahrscheinlich des P. Scheiner, und da sich eine solche bei den Acten nicht finde, sei anzunehmen, dass sie später daraus entfernt worden, um „die Spuren einer für alle Zeiten den Thäter entehrenden Handlung zu beseiti- gen." — Das beruht auf einem Irrthum. Der Ausdruck in dem Urtheil: informata la Sacra Congregazione u. s. w„ be- sagt nur, die Inquisition habe von der Verbreitung des fraglichen Irrthums Kenntniss erhalten. Eine solche Kennt- niss oder Information, die sie veranlasste, sich mit der Sache zu beschäftigen, konnte die Inquisition aber auch ohne Denunciation und ohne schriftliche Anzeige erhalten. Sie konnte schon auf Grund der fama publica ein Verfahren einleiten1). In diesem Falle lag ja aber der Bericht der Special- Congregation vor. Wäre dem zweiten Processe eine Denunciation vorhergegangen, so würde dieselbe in dem Urtheil ebenso wohl erwähnt worden sein, wie die Denun- ciation, die den ersten Process veranlasste, mit den Worten erwähnt wird: „Du wurdest im J. 161 5 denuncirt" (fosti de- nunciato) u. s. w.2).

2. Urban VIII. konnte allerdings dem toscanischen Gesandten sagen: wenn er die Galilei'sche Sache nicht so- fort der Inquisition, sondern zunächst einer besondern Com- mission übergebe, die sich darüber äussern solle, ob die

1) S. o. S. 83. Bangen, Die Rom. Curie S. 116. Sacro Arsenale p. 38. Pasqualone bemerkt freilich p. 37 zu dieser Stelle des S. A., die Römische Inquisition vermeide es, ex officio e per via oVinquisizione einzuschreiten. Man suchte, wie er- beifügt, irgend eine bestimmte Person zu finden," die eine Aussage machte, welche einen Anlass zur Einleitung des Processes bot.

2) Targioni I, 1 1 3 theilt eine Notiz mit, wonach in einem Briefe von Gaffarello behauptet wird, Galilei sei „von P. Scheiner denuncirt worden"; es wird die Vermuthung beigefügt: wenn Scheiner nicht der Denunciant ge- wesen, so sei es vielleicht Grassi gewesen. Wenn aber diese Notiz über- haupt geschichtlichen Werth hat, beweist sie nur, dass Scheiner und Grassi als bei der Verfolgung Galilei's stark betheiligt angesehen wurden, nicht dass eine förmliche, schriftliche Denunciation vorhanden war.

Die Einleitung des Processes. 243

Angelegenheit anders als durch einen Inquisitionsprocess erledigt werden könne, so handle er damit besonders rück- sichtsvoll gegen Galilei und geg*en seinen Landesherrn und Gönner, den Grossherzog1). Wenn er aber auf Niccolini's Bitte, man möge Galilei hören und ihm Gelegenheit bieten, sich zu vertheidigen, antwortete: das sei gegen die Praxis des h. Officiums2), so war das eine leere Ausrede. Jene Special- Congregation war, wie Niccolini dem Papste auch vorstellte3), ja eben nicht das h. Officium, und der Papst hätte, wenn er wollte, anordnen können, dieselbe solle Ga- lilei anhören oder allenfalls statt seiner Castelli, den der Grossherzog ersucht hatte, sich die Vertheidigung seines Lehrers und Freundes angelegen sein zu lassen4).

3. Unter den von der Special- Commission formulirten Anklagepunkten werden zwei als die „Hauptpunkte" be- zeichnet: dass Galilei die Copernicanische Theorie nicht bloss als Hypothese vorgetragen, und dass er sie zur Er- klärung der Erscheinungen der Ebbe und Fluth angewen- det. Offenbar war ersteres der Hauptpunkt; der zweite Punkt ist augenscheinlich nur beigefügt, weil daran Urban VIII., wie wir oben (S. 206) gesehen, besondern Anstoss nahm. Neben und nach diesen ,, Hauptpunkten" wird auf das Ga- lilei 16 16 insinuirte Verbot Bezug "genommen. Die Ueber- tretung dieses Verbotes wurde also, wenigstens nach die- sem Actenstücke, von der Congregation nicht als der, nicht einmal als ein Hauptpunkt angesehen. Damit steht nicht in Widerspruch, dass Riccardi am 11. Sept. 1632 5), also gerade in der Zeit, wo die Berathungen der Special-Con- gregation stattfanden, Niccolini sagte: man habe in den Büchern des h. Officiums jenes Verbot gefunden, und „das allein sei genug\ um Galilei zu ruiniren". Man hätte ja in der That Galilei „ruiniren" können, indem man ihn wegen Ungehorsams gegen dieses Verbot verurtheilte. Aber auch, wenn man ihm wegen des Vortragens einer unkirchlichen

1) IX, 421. 425. 426. 2) IX, 421. 3) IX, 426.

4) IX, 297. Die Darstellung "Wohlwills, Ist Gal. gef. worden? S. 42 ist nicht ganz richtig. Thatsächlich war freilich die Special-Congregation „nichts weiter als eine Commission der Inquisition, welche erst einen brauch- baren Anklagepunkt ausfindig zu machen hatte". Aber formell war sie nicht eine „auf Befehl der Inquisition eingesetzte" Commission, was auch Suppl. 322. 329 nicht gesagt wird. 5) IX, 424.

244 Die Einleitung des Processes.

Meinung den Process machte, war das betreffende Acten- stück, wie wir sehen werden, ein sehr brauchbares, wenn auch nicht unentbehrliches Mittel, ihn zu ,,,ruiniren".

Dass die Special-Congregation in ungefähr einem Mo- nate mit ihrer Arbeit fertig wurde, überraschte Manche. Magalotti schrieb am 4. Sept , also etwa zehn Tage früher, als die Congregation ihren Bericht erstattete, an Gui- ducci1): „Ich glaube, wir müssen uns jetzt mit Geduld waff- nen und, da sie sich einmal auf diese Congregation einge- lassen haben, die Sache laufen lassen und nicht forciren. So wird sie sich in die Länge ziehen ; denn sie werden ent- weder bei der Berathung, falls sie, wie es sich doch ge- bührt, die Frage untersuchen wollen, auf unlösbare Schwierigkeiten stossen, zumal die Meisten von diesen Din- gen nichts verstehen, oder sie werden müde werden, und so wird die Geschichte eines natürlichen Todes sterben. Es wäre nicht übel, wenn der Gesandte in einigen Wochen unter dem Vorwande, Galilei's Bereitwilligkeit, den Befehlen der Oberen zu gehorchen, in Erinnerung zu bringen, ein- mal wieder sondirte, aber nur bei dem Pater Riccardi oder höchstens bei dem Cardinal Barberino, vor allem nicht bei unserm Herrn, aus Gründen, die ich nicht anzuführen brauche." An demselben Tage schrieb er an Galilei2), der die Be- fürchtung geäussert hatte, man gehe darauf aus, die Coper- nicanische Lehre als ketzerisch zu verdammen : „Selbst wenn die Mehrzahl der Mitglieder der Congregation der Ansicht sein sollte, die Copernicanische Meinung sei falsch, so glau- be ich nicht, dass es dazu kommen würde, dass sie von der höchsten Autorität für falsch erklärt würde. Ich stütze mich dabei auf Aeusserungen solcher, welche bei dem h. Officium beschäftigt sind, wo hauptsächlich über die die Dogmen betreffenden Materien verhandelt wird. Diese sagen: es gebe in der Kirche Gottes Controversen , bei denen zum Theil die Bibel und die h. Väter ganz deutlich für die eine Ansicht zu sprechen scheinen, und es gebe sol- cher Controversen noch mehr in Cultus- Angelegenheiten, z. B. die Empfängniss der Madonna, und doch wür- den solche Controversen niemals ohne die dringendste Noth-

1) Suppl. 327. 2) Suppl. 329.

Die Einleitung des Processes. 245

wendigkeit oder ohne ein allgemeines Concil entschieden werden. Nach allem, was ich von dem Pater Riccardi höre, glaube ich, dass es nicht auf etwas der Art abgesehen ist, sondern nur auf eine Emendation Ihres Dialogs durch Bei- fügung oder Streichung einiger Stellen, so weit dieses nöthig zu sein scheint, um das frühere Decret [von 16 16] in Kraft zu erhalten."

Selbst als Galilei bereits nach Rom citirt war, schrieb Micanzio, von welchem schon oben (S. 218) einige Aeusse- rungen mitgetheilt wurden, am 9. Oct. *): „Ich kann nicht fürchten, dass Sie in Rom Hartes sollten zu leiden haben; denn Ihre Sache ist zu gerecht. Ihr Buch trägt selbst seine Rechtfertigung in sich. . . Sicher wird diese Unannehmlich- keit in Wirklichkeit viel geringer sein, als sie sich ansieht. Sie reisen nach Rom unter dem Schutze Ihrer Hoheiten; dessen müssen Sie sich in jeder Weise versichern. Diejenigen, welche von Ihnen Gehorsam (gegen den Befehl, nach Rom zu kommen) verlangen, werden auch Ihre Tugend lieb ge- winnen, Ihr Alter berücksichtigen und Ihre reine Absicht anerkennen. Der Papst selbst, ein so ausgezeichneter Freund der Literatur und Wissenschaft, wird der Bosheit den Weg versperren. Fassen Sie Muth, Gott wird Ihnen beistehen; Ich denke, das Schlimmste, was kommen kann, wird sein, dass man von Ihnen nicht einen Widerruf, der nicht am Platze ist, wo keine Lehre vorgetragen ist, sondern eine Widerlegung der Copernicanischen Gründe verlangt; diese werden Sie liefern, so gut Sie können." Am 30. October2) schreibt derselbe Micanzio: „Ich erinnere mich, dass die Curie, wenn ein Buch angeklagt wird und sie dasselbe ver- bieten zu müssen glaubt, wenn es auch keine der Religion zuwider laufende Sätze enthält, dieses nicht thut, ohne den Verfasser oder denjenigen zu citiren, der ein Interesse dabei hat, es zu vertheidigen. Da Sie nun die Sache so behan- delt haben, dass ich nicht weiss, was man zu tadeln finden kann, da Sie nichts entscheiden, sondern alles in suspenso lassen, und da Sie nicht für Ihre Ansicht Propaganda ge- macht, sondern sie nur in der Schule behandelt und in Büchern haben drucken lassen, so ist es möglich, dass 'die Wuth und der Neid es darauf anlegen, das Verbot des Bu-

IX, 298. 2) IX, 307.

246 Die Haltung des toscanischen Hofes.

ches herbeizuführen. In diesem Falle rathe ich Ihnen, sich nicht zu vertheidigen und zu ärgern, sondern sich unbedingt dem zu fügen, was man verlangt. So werden Sie aus der Verdriesslichkeit herauskommen, und Sie dürfen gewiss sein, das wird keine andere Folge haben, als dass das Werk um so mehr Absatz und Anerkennung finden und um so eher übersetzt und in anderen Ländern und Sprachen gedruckt werden wird. Ueberlegen Sie, ob Sie nicht durch die aus- drückliche Erklärung, Sie verlangten für Ihr Buch nichts anderes, als dass jene damit machten, was sie wollten, dazu beitragen können, dass die Sache sich so abwickle." Mican- zio nahm also, wie der Verlauf der Sache zeigt, irrthüm- lich an, Galilei sei nur nach Rom citirt worden, um vor dem beabsichtigten Verbot seines Buches gehört zu werden. Während dieser ersten Phase des Vorgehens gegen Galilei nahm sich der Grossherzog von Toscana desselben sehr warm an. Am 24. August 1632 ') richtete der Staats- secretär Cioli an den Gesandten Niccolini folgendes, wie das noch erhaltene Concept zeigt, von Galilei selbst ver- fasste Schreiben: ,, Seine Hoheit ist sehr verwundert dar- über, dass ein Buch, welches der Verfasser selbst in Rom der höchsten Autorität vorgelegt hat und welches dort sehr aufmerksam gelesen und wieder gelesen, . . . welches dann hier, entsprechend der Weisung Roms, in derselben Weise geprüft und endlich dort und hier approbirt worden ist, jetzt, nach zwei Jahren, beanstandet wird . . . Seine Hoheit wun- dert sich um so mehr, da er weiss, dass in dem Buche nir- gendwo eine Entscheidung zu Gunsten der einen von den beiden darin behandelten Ansichten gegeben wird, dass viel- mehr nur alle Gründe, Beobachtungen und Erfahrungen dar- gelegt werden, welche für die eine und die andere Meinung angeführt werden können, und dass dieses, wie Seine Ho- heit sicher weiss, nur im Interesse der heiligen Kirche ge- schieht, damit bezüglich der ihrer Natur nach schwer ver- ständlichen Materien diejenigen, welche darüber zu berathen haben, im Stande wären, mit weniger Mühe und Zeitverlust zu erkennen, welche Ansicht der Wahrheit näher kommt, und mit dieser die Auslegung der h. Schrift in Einklang zu bringen. Und wenn man auch sagen könnte, man bedürfe

1) VII, 3.

Die Haltung des toscanischen Hofes. 247

dort, wo es intelligente Männer in Ueberfluss gebe, der Hülfe und des Rathes nicht, so muss doch der Eifer und gute Wille eines Jeden anerkannt werden, welcher, um seinem eigenen Gewissen zu genügen, seinen wenn auch schwachen Kräf- ten entsprechend, eifrig arbeitet. Aus diesen Gründen ist Seine Hoheit geneigt, zu glauben, dass diese Agitation [ge- gen Galilei' s Buch] in einer nicht wohlwollenden Gesinnung ihren Grund hat, mehr gegen die Person als gegen das Buch des Verfassers oder gegen die Meinung dieses oder jenes altern oder neuern Gelehrten. Um sich aber über die Schuld oder Unschuld seines Dieners zu vergewissern, wünscht Seine Hoheit, dass demselben gestattet werde, was von allen Gerichtshöfen dem Angeklagten gestattet wird, ich meine die Vertheidigung gegen die Ankläger, und dass die Ankla- gen, welche gegen das Buch erhoben werden, . . . dem Ver- fasser vorgelegt werden. Derselbe vertraut so sehr auf seine Unschuld und ist so fest überzeugt, dass jene Agita- tion nur auf einer Verleumdung seiner Feinde beruhe, die er schon früher bei anderen Gelegenheiten kennen gelernt, dass er Seine Hoheit gebeten hat, ihn seines Amtes und seiner Gnade verlustig zu erklären, wenn er nicht handgreif- lich beweise, dass er fromm, religiös und in diesen Dingen durchaus heilig gesinnt sei und stets gewesen sei. Seine Hoheit . . . verlangt also, dass ihm die Anklagen übersandt werden, wegen deren das Buch suspendirt worden ist und wegen deren man vielleicht das Verbot desselben zu erwir- ken sucht. Ew. Excellenz können sich also geeigneten Ortes dieser Weisung entsprechend äussern, damit die so gerechte Forderung Seiner Hoheit erfüllt werde."

In den Berichten Niccolini's wird noch ein Schreiben Cioli's vom 30. August erwähnt, welches nicht erhalten ist, aber gleichfalls sehr energisch gehalten gewesen sein muss *). Niccolini trug Bedenken, den Inhalt desselben dem Papste zur Kenntniss zu bringen, da dieser dadurch nur noch mehr erbittert werden würde, und Pater Riccardi sagte ihm: wenn man Galilei ruinfren und mit Seiner Heiligkeit brechen wolle, müsse Niccolini solche Vorstellungen machen; zu helfen sei Galilei nur durch Temporisiren; er selbst verpfände seine Ehre und sein Leben dafür, dass er für Galilei thun wolle,

1) IX, 423.

248 Galilei's Vorladung nach Rom.

was er könne. Am 18. Sept. machte Niccolini dem Papste nochmals Vorstellungen; aber vergebens.

Niccolini erwies sich auch in der folgenden Zeit als Galilei's treuen und eifrigen Freund. Für den Staatssecre- tär Cioli aber ist folgende Stelle aus einem seiner Briefe l) charakteristisch: „Der Grossherzog hat die Lage der An- gelegenheit des Mariano Alidosi und Galilei's vernommen und ist dadurch in eine solche Alteration versetzt, dass ich nicht weiss, wie die Sache ablaufen wird. So viel aber weiss ich, dass Seine Heiligkeit nie Grund haben wird, sich über die Minister und über deren bösen Rath zu beklagen." Im März 1633 schreibt er an Niccolini2), was beinahe wie ein Verweis klingt: „Bezüglich des Herrn Galilei sind die Vor- stellungen, die Sie aufs neue Seiner Heiligkeit gemacht haben [Niccolini hatte ausführlich darüber berichtet], Seiner Hoheit so warm (ardente) vorgekommen, dass er sich dar- über gewundert hat, dass Seine Heiligkeit nicht noch mehr darüber in Zorn gerathen ist, als Sie schreiben3)."

XX. Galilei's Vorladung nach Rom.

Nachdem die Galilei'sche Angelegenheit der Inquisition übergeben worden, beschloss diese in der am 2$. Sept. 1632 unter dem Vorsitze des Papstes gehaltenen Sitzung, Galilei

1) Wolynski, La diplomazia Toscana p. 45. 2) IX, 438.

3) Andrea Cioli von Cortona, in Galilei's Correspondenz heisst er gewöhnlich il Ball Cioli als Ritter (oder Comthur) des von Cosimo I. ge- stifteten St. Stephansordens, „stieg aus bescheidenster Stellung in Ferdi- nands (I.) letzter Zeit zu höchstem Ansehen auf. Als Ferdinand II. 1621 elfjährig seinem Vater folgte, wurde Cioli Staatssecretär für das Innere; das Staatssecretariat des Aeussern behielt Curzio Picchena, der aber 1626 starb. 1632 war Ferdinand II. 22 Jahre alt und führte schon seit fünf Jahren die Regierung; aber er war schwach und unselbständig, und Cioli war nicht der Mann, Rom gegenüber das dem Herrscher Mangelnde zu ergänzen." Reumont, Gesch. Toscana's I, 398. 401. 553.

Galilei's Brief an Card. Barberini. 249

durch den Inquisitor zu Florenz amtlich aufzufordern, sich im October vor dem General- Commissar des h. Officiums zu stellen. Der Inquisitor wurde angewiesen, von Galilei eine schriftliche Erklärung zu verlangen, dass er gehorchen wolle, und zwar, ohne dass er dieses merke, vor Notar und Zeugen, die eventuell, falls er sich weigere, dieses be- zeugen könnten1). Der Inquisitor führte seinen Auftrag am 1. Oct. aus. Galilei erklärte sich sofort bereit und gab diese Erklärung auch schriftlich, worauf sie der Inquisitor mit den Unterschriften seines Kanzlers und zweier Zeugen nach Rom schickte2).

Galilei gehorchte indess nicht sofort, sondern versuchte zunächst, eine Aenderung des Befehles der Inquisition zu bewirken. In einem Briefe vom 6. Oct. an Cioli3) äussert er die Absicht, nach Siena zu kommen, wo sich der gross- herzogliche Hof aufhielt, „um dem Grossherzog die Mittel und Wege vorzuschlagen, deren mir mehrere durch den Kopf gehen, um mich als das zu zeigen, was ich bin, als einen gehorsamen und eifrigen Sohn der Kirche, und dabei als von dem "Wunsche beseelt, mich so viel wie mög- lich gegen die ungerechten Verdächtigungen zu vertheidigen, durch welche vielleicht die Oberen gegen mich aufgehetzt sind." Die Reise kam indess nicht zur Ausführung.

Am 13. Oct. schrieb er dann an den Cardinal Francesco4) Barberini einen langen Brief.

„Dass mein neulich veröffentlichter Dialog, beginnt der- selbe, Widerspruch finden werde, haben ich und alle meine

1) Acten S. 63 (facsimilirt bei Epinois p. 52). Dass es sich hier nicht um einen Befehl des Papstes handelt, wie Wolynski p. 50 meint, sondern um einen Ureter dessen Vorsitz gefassten Beschluss der Inquisition, zeigen, ab- gesehen davon, dass der 23. Sept. ein Donnerstag, also der gewöhnliche Sitzungs- tag, war, die Worte: der Inquisitor solle Galilei nomine S. Congregationis auffordern. Dass über den Beschluss bei Gherardi keine Aufzeichnung vor- handen ist, spricht nicht dagegen, da bei ihm auch andere Aufzeichnungen fehlen. Die Instruction für den Inquisitor wird vollständiger in einem Briefe des Card. Fr. Barberini an den Nuncius in Florenz, Pieralisi p. 163, mitge- theilt. Hier und Acten S. 63 steht: Galilei solle „für den ganzen October" nach Rom kommen; Galilei selbst sagt VII, 8: „vor Ablauf des October".

2) Acten S. 65; s. o. S. 134. 3) VII, 6.

4) Nicht an den altern Antonio, wie Alberi VII, 7, und ebenso wenig an den jungem Antonio, wie Gebier, Galilei S. 219, meint; s. Pieralisi p. 171.

250 Galilei's Brief an Card. Barberini.

Freunde vorhergesehen; das Hessen die Angriffe erwarten, welche meine früher gedruckten Schriften erfahren haben, und das scheint das gewöhnliche Loos der Lehren zu sein, welche von den herrschenden und eingewurzelten Meinun- gen irgendwie abweichen. Aber dass der Hass, den Einige gegen mich und meine Schriften tragen, lediglich darum, weil diese den Glanz der ihrigen theilweise verdunkeln, im Stande sein würde, in den heiligen Gemüthern der Oberen die Vorstellung zu erwecken, dass mein Buch des Lichtes unwürdig sei, das habe ich in der That nicht erwartet." Er sei darum schmerzlich überrascht gewesen, fährt er fort, als vor zwei Monaten ihm und dem Drucker verboten worden sei, das Buch auszugeben; noch tiefer habe es ihn be- trübt, — obschon er bereit sei, „auf den leisesten Wink der Oberen nicht nur nach Rom, sondern bis ans Ende der Welt zu kommen", dass er jetzt förmlich vor das Tribunal des h. Officiums citirt worden sei, was doch nur solchen zu wi- derfahren pflege, die sich schwer vergangen hätten. Diese Betrübniss habe zu der Last seiner siebenzig Jahre und zu seinen anderen körperlichen Leiden noch eine beständige Schlaflosigkeit hinzugefügt, so dass er fürchten müsse, die weite und beschwerliche Reise nach Rom nicht ohne Lebens- gefahr machen zu können. Der Cardinal möge ihm mit Rücksicht auf seinen bemitleidenswerthen Zustand die Er- laubniss erwirken, sich zunächst schriftlich zu verantworten. „Ich bin gern bereit, eine ganz genaue und aufrichtig-e Darstellung alles dessen zu verfassen, was ich gesagt, ge- schrieben und gethan seit dem ersten Tage, an welchem das Buch des Copernicus und die Erneuerung seiner Meinung eine Bewegung hervorgerufen. In dieser Schrift glaube ich die Reinheit meiner Absicht und meine lautere, eifrige und heilige Gesinnung gegen die h. Kirche, ihr Oberhaupt und ihre Diener so klar und überzeugend nachweisen zu können, dass Jeder, der von Leidenschaft frei ist, wird gestehen müssen, ich habe mich so fromm und katholisch verhalten, dass keiner der Väter, die als Heilige verehrt werden, eine grössere Frömmigkeit hätte beweisen können. Ich be- sitze noch alle Schriftstücke, die ich aus diesem Anlass hier und in Rom verfasst habe; aus diesen wird Jeder, ich wiederhole es, ersehen, dass ich mich mit dieser Sache nur aus Eifer für die h. Kirche und nur darum befasst habe,

Galilei's Brief an Card. Barberini. 251

um den Dienern derselben diejenigen Kenntnisse vorzulegen, welche ich durch meine langen Studien gewonnen, und de- ren vielleicht, da es sich um dunkele und weniger bekannte Dinge handelt, der Eine oder Andere bedürftig sein könnte. Ich bin auch überzeugt, es wird mir sehr leicht sein, zu zei- gen, dass ich mich zu dieser Arbeit namentlich durch die Entscheidungen und heiligen Vorschriften habe bestimmen lassen, welche sich an so vielen Stellen in den Büchern der h. Lehrer der h. Kirche finden, und dass ich mich schliess- lich in diesem Vorsatze dadurch befestigt gefühlt habe, dass ich einen ganz kurzen, aber sehr heiligen und bewunderungs- würdigen Ausspruch vernahm, welcher wie ein Echo des h. Geistes unwillkürlich aus dem Munde eines durch Gelehr- samkeit ausgezeichneten und wegen seines heiligen Lebens ehrwürdigen Mannes kam 1), einen Ausspruch*, der in we- niger als zehn witzig anmuthigen Worten das enthielt, was aus langen in den Schriften der h. Lehrer vorkommenden Erörterungen zu entnehmen ist. Ich verschweige für jetzt diesen bewunderungswürdigen Ausspruch und den Urheber desselben, da ich nur vorsichtig und behutsam einen Andern in diese Angelegenheit hineinziehen zu dürfen glaube, bei der es sich nur um meine Person handelt. Wenn es mir gelingt, diese Gunst zu erlangen, so hoffe ich zu erreichen, dass jene weisen und gerechten Väter meine Unschuld an- erkennen und staunen werden über eine Intrigue, welche von Jemand angezettelt worden ist, der sich . . . durch Hass gegen meine Person hat verblenden und antreiben lassen." Wenn diese schriftliche Verantwortung nicht genüge, fährt er fort, könne man ihn ja immer noch nach Rom citiren. Vorläufig sei er für seine Schuld, falls der Schatten einer solchen vorhanden sei, mehr als genug bestraft durch die Verdriesslichkeit, welche ihm jetzt schon durch die, wie er fürchte, von sehr wenig lauteren Motiven veranlassten

1) Alberi meint, es sei an den Erzbischof Ascanio Piccolomini von Siena oder an den Erzbischof Gio. Batista Rinuccini von Fermo zu denken. Grisar S. 191 meint, Galilei spreche von Bellarmin und denke an dessen oben S. 67 erwähnte Aeusserung: wenn die Bewegung der Erde bewiesen werde, müsse man die betreffenden Bibelstellen anders deuten als bisher. Aber nach dem Schlüsse des Passus scheint es sich um einen damals noch lebenden Prälaten zu handeln.

252 Galilei's Brief an Card. Barberini.

Denunciationen Anderer bereitet worden sei. „Und sollte diese meine schriftliche Verantwortung- nicht bezüglich aller derjenigen Punkte ausreichend sein, wegen deren eine Klage wider mich erhoben worden ist, so können mir die beson- deren Schwierigkeiten vorgelegt werden, und ich werde dar- auf antworten, was Gott mir eingeben wird. Aber ich halte es für möglich, Eminenz und Hochwürdigster Herr, dass meine Feinde nicht eben so schnell bei der Hand sein wer- den, das zu Papier zu bringen, was sie mündlich und ad aures gegen mich vorgebracht haben mögen, wie ich bereit bin, meine Vertheidigung schriftlich auszuarbeiten. " "Verlange man aber eine mündliche Verhandlung, so könne ja der In- quisitor oder der Nuncius oder der Erzbischof zu Florenz mit seiner Vernehmung beauftragt werden. „So viel ich weiss, werden selbst Sachen von grösserer Wichtigkeit vor diesen Tribunalen verhandelt. Es ist ja doch auch nicht wahrscheinlich, dass unter den so scharfblickenden und wach- samen Augen derjenigen, welche mein Buch revidirt haben und welche volle Freiheit hatten, nach Belieben zu streichen, beizufügen und zu ändern, ein Irrthum unbeachtet geblieben sein sollte, der zu bedeutend wäre, um von den Oberen der hiesigen Stadt corrigirt und gestraft werden zu können." *

„Das sind die Vorschläge, Eminenz, schliesst der Brief, welche ich über die Art und Weise zu machen habe, wie mein Leben geschont und doch jenem erhabenen und ehr- würdigen Tribunale Genüge geschehen könnte. Ich bitte Sie, die Güte zu haben, sie demselben vorzulegen und zugleich, mich zu entschuldigen, wenn ich aus Unwissenheit dabei etwas versehen haben sollte. Sollten aber weder mein hohes Alter, noch meine körperlichen Leiden, noch meine gedrückte Stimmung, noch die Länge einer unter den gegenwärtigen Verhältnissen sehr unbequemen Reise von j eifern heiligen und erhabenen Tribunale als genügende Gründe angesehen werden, mir die Reise zu erlassen oder mir einen Aufschub zu gewähren, so werde ich mich auf den Weg machen, da ich lieber sterben als ungehorsam sein will."

Diesen Brief sandte Galilei an Niccolini mit der Bitte, ihn dem Cardinal zu übergeben. Niccolini schrieb am 2$. Oct.1), der Papst und der Cardinal seien zu Castel Gandolfo

) IX, 304.

Galilei's Brief an Card. Barberini. 253

und kämen nicht vor Allerheiligen zurück; er habe also den Brief noch nicht abgeben, auch noch nicht mit Castelli spre- chen können, der gleichfalls in Castel Gandolfo sei. Er fügte bei: ,,Soll ich offen reden, so fürchte ich, der Brief möge eher erbittern als beschwichtigen; denn wenn Sie an- deuten, Sie könnten alles, was Sie geschrieben, vertheidigen und sich darüber verantworten, so wird man um so mehr geneigt sein, das Buch ganz zu verdammen. Merken Sie sich als Antwort auf Ihre Vorschläge dieses : man wird sich nie dazu herbeilassen, Ihnen zu gestatten, sich schriftlich zu vertheidigen, und eben so w^enig wird man dort einen Richter für Sie bestellen. Einen Aufschub wird man Ihnen, glaube ich, nicht verweigern, aber nur für eine sehr kurze Zeit. Was die Sache selbst angeht, so glauben Sie mir nur: es wird nöthig sein, dass Sie nicht eine Vertheidigung der Dinge versuchen, welche die Congregation nicht billigt, sondern dass Sie dieser sich unterwerfen und in der Weise, wie die Cardinäle derselben wollen, widerrufen; sonst wird die Erledigung Ihrer Sache sehr schwierig werden, wie das viele Andere erfahren haben; und als Christen können wir ja auch nichts anderes verlangen, als was jene, als das höchste Tribunal, das nicht irren kann, wollen. In dieser Weise würde Ihre Sache leicht erledigt werden können; aber dass dieses ohne Process und darum ohne ein wenig Beschränkung Ihrer persönlichen Freiheit geschehen könne, glauben Sie das nicht. In dem IJriefe an den Cardinal deuten Sie an, Sie hätten von einem hochgestellten Manne einen Ausspruch wie ein Echo des h. Geistes vernommen. Wenn der Brief übergeben wird, so wird er ohne Zweifel der Congregation vorgelegt werden, dazu sind die Car- dinäle derselben verpflichtet, und dann wird man wissen wollen, wer das gewesen sei. Ich behalte mir also vor, ehe ich den Brief abgebe, über alles mit Castelli zu reden, der ja Ihr treuer Freund ist. Ihr Unglück, zumal in Ihrem Alter, thut mir unendlich leid, und ich möchte Ihnen gern mit meinem eigenen Blute helfen. Aber das Verfahren der Inquisition ist anders als das der übrigen Congregationen; und wegen der Censuren ertheilt Niemand demjenigen, der eine Mitthei- lung macht oder eine Empfehlung vorbringt, eine Antwort."

Am 6. Nov.1) schrieb Niccolini an Galilei: er habe dem

1) IX, 3H.

254 Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom.

Cardinal Barberini den Brief gegeben und mündlich das bei- gefügt, was Galilei gewünscht habe. Der Cardinal habe mit Rücksicht auf die Strafen, die Jedem angedroht seien, der die Sachen der Inquisition nicht geheim halte, keine bestimmte Antwort gegeben, sich aber sehr wohlwollend gegen Galilei geäussert. Dieser dürfe hoffen, dass ihm ein Aufschub bewilligt, und dass er, wenn er nach Rom komme, milde werde behandelt werden. In den folgenden Tagen verwendete sich Niccolini auch bei dem Cardinal Ginetti, der bei dem Papste sehr beliebt und Mitglied der Inquisition war, und bei dem Assessor des h. Officiums, Monsignor Bocca- bella1).

Der Cardinal Barberini händigte übrigens Galilei's Brief nicht, wie Niccolini gefürchtet hatte, der Inquisition ein, er befindet sich nicht bei den Processacten, wohl aber ein Brief von Michelangelo Buonarroti vom 12. Oct., worin die- ser bei dem Cardinal für Galilei Fürsprache einlegt2), sondern übergab ihn dem Papste. Dieser schrieb eigenhän- dig darauf: „Die Sache ist in der letzten Sitzung des h. Officiums zur Sprache gebracht worden; es bedarf keiner andern Antwort; der Assessor ist zu fragen, ob das in der Sitzung Angeordnete ausgeführt worden ist3)." Am 13. Nov. sagte der Papst Niccolini: er habe Galilei's Brief gelesen; es gehe aber nicht anders, Galilei müsse nach Rom kommen. Da Niccolini erwiederte: er halte es nicht für unmöglich, dass Galilei die Reise glicht überleben werde, so dass man ihm weder in Rom noch in Florenz den Process machen könne, sagte der Papst: Galilei möge in einer Sänfte und ganz langsam und nach seiner Bequemlichkeit reisen, und die Qua- rantäne solle ihm abgekürzt und erleichtert werden; aber kommen müsse er 4). Niccolini meldet gleichzeitig, es werde noch an demselben Tage eine Weisung der Inquisition nach Florenz abgehen, dass Galilei sich auf den Weg zu machen habe; Monsignor Boccabella habe aber versprochen, bei seiner nächsten Audienz nochmals um Aufschub zu bitten.

Ueber die oben vom Papste erwähnte Sitzung der In- quisition, — sie fand am 11. Nov. statt, haben wir fol-

1) IX, 312. 429. Marzio Ginetti, seit 30. Aug. 1627 Cardinal, war seit dem Tode Mellini's auch Cardinal- Vicar.

2) Acten S. 68. 3) Pieralisi p. 170. 4) IX, 312. 429.

Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom. 255

gende Aufzeichnung: „Es wurde ferner berichtet, dass der- selbe Gesandte durch denselben Secretär [den Secretär der Inquisition, den altern Cardinal Antonio Barberini] die Bitte des Galilei vorgetragen, es möge ihm mit Rücksicht auf sein hohes Alter gestattet werden, nicht nach Rom zu kommen. Seine Heiligkeit wollte nichts gestatten, sondern befahl, ihm zu schreiben, er solle gehorchen, und dem Inquisitor [zu Florenz], er solle ihn antreiben, nach Rom zu kommen1)." In einer andern Sitzung, am 25. Nov., wurde der oben er- wähnte Brief Buonarroti's vorgelegt, aber als erledigt an- gesehen2).

Am 20. Nov. berichtete der Inquisitor zu Florenz: „Ich habe Galilei nochmals rufen lassen. Er sagt, er sei gern bereit, zu kommen; er hat aber sein hohes Alter und seine Kränklichkeit vorgestellt, er sei in ärztlicher Behand- lung, — und viele andere Dinge. Darauf habe ich ihm vor Notar und Zeugen einen Termin von einem Monate gesetzt. Er hat nochmals seine Bereitwilligkeit zu kommen erklärt. Ich weiss nicht, ob er es thuen wird"3). Dieser Brief wurde in der Sitzung der Inquisition vom 9. Dec. vor- gelegt und darauf beschlossen, dem Inquisitor zu schrei- ben: nach Ablauf der gesetzten Frist habe er Galilei unter allen Umständen zu nöthigen, zunächst nach Siena, dann nach Rom zu reisen4). Am 13. Dec. schrieb Niccolini an Galilei5): alle Versuche, einen Aufschub zu erwirken, seien vergeblich. „Der Papst besteht darauf, dass Sie kommen, und es scheint, man legt mehr Gewicht darauf, Sie gehor-

1) Gherardi No. VII, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 406. In den Vaticanischen Acten findet sich über diese Sitzung nichts notirt, wenn nicht die Notiz^S. 67 hierher gehört: „Es wurde ihm [dem Inquisitor zu Florenz] geschrieben, er solle ihm einen angemessenen Termin setzen".

2) Gherardi No. VIII; vgl. Acten S. 69.

3) Acten S. 67. Ob der Inquisitor beauftragt war, Galilei einen Ter- min zu setzen, oder dieses selbständig that, ist nicht klar. Doch ist ersteres wahrscheinlich; s. die Anm. I angeführte Notiz und Gherardi No. IX, wo es heisst: der Inquisitor habe gemeldet, er habe Galilei einen Termin ge- setzt „entsprechend dem Befehle der h. Congregation". Wenn Niccolini IX, 318 berichtet, der Papst sei über die Bewilligung des Termins unwillig ge- wesen, so schliesst das nicht aus, dass jener Auftrag ohne Vorwissen des Papstes (in einer Mittwochs-Sitzung) ertheilt war.

4) Gherardi No. IX, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 406; Acten S. 68 (facsimilirt bei Epinois p. 55). 5) IX, 318.

256 Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom.

chen zu sehen, als auf das Andere. So lange Sie in Flo- renz bleiben, wird man keine Entschuldigung annehmen, da man vermuthet, alles sei nur Vorwand. . . . Wenn Sie Florenz verlassen und nach Siena oder einem andern Orte im Kirchenstaate reisen, wo Sie der Quarantäne wegen wenigstens zwanzig Tage bleiben müssen, und wenn dann von dort durch einen nicht verdächtigen Mann geschrieben würde, Sie seien wirklich in so schlechten Gesundheitsum- ständen, so würde es, glaube ich, nicht schwer sein, einen weitern Aufschub zu erlangen. . . . Ich kann Ihnen aller- dings nicht die Gewissheit geben, dass Sie, wenn Sie kom- men, die ganze Zeit nicht werden in Haft gebracht werden; aber selbst wenn dieses geschehen sollte, würde ich dafür sorgen, dass Ihnen alle möglichen Bequemlichkeiten nicht mangeln." Ueber den letzten Punkt schreibt Niccolini am 11. Nov.1) an Cioli: „Wenn Galilei zu wissen wünscht, wo er hier werde wohnen müssen, so ist es unmöglich darüber etwas zu erfahren; wir haben es mit der Congregation des h. Officiums zu thun, welche ganz geheim vorgeht und bei der wegen der Censuren Niemand den Mund aufthut. Ga- lilei kann zunächst in meiner Wohnung absteigen ; was aber weiter geschehen wird, darüber kann ich nichts sagen."

Am 18. Dec. meldete der Inquisitor2): Galilei sei bett- lägerig; sein Vicar sei bei ihm gewesen; er habe erklärt, er sei gern bereit, abzureisen, aber jetzt nicht dazu im Stande; er habe ihm das beiliegende Zeugniss von drei der angesehensten Aerzte der Stadt übersandt. In diesem Zeug- nisse heisst es: „Wir haben den Herrn Galilei untersucht und gefunden, dass der Puls nach drei oder vier Schlägen aussetzt, was vermuthen lässt, dass bei seinem hohen Alter die Lebenskraft gehindert und geschwächt ist. Er klagt über häufigen Schwindel, hypochondrische Melancholie, Magenschwäche, Schlaflosigkeit und im Körper herumzie- hende Schmerzen. Wir haben auch einen schlimmen Bruch, durch welchen das Darmfell afficirt ist, constatirt. Alle diese Leiden sind nicht unbedenklich und könnten durch jede kleine äussere Ursache augenscheinlich lebensgefähr- lich werden." Gleichzeitig schrieb Galilei an Niccolini. Dieser sprach mit Monsignor Boccabella, dem Assessor des

1) IX, 430. 2) Acten S. 70.

Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom. 257

h. Officiums, mit dem er überhaupt in dieser Zeit vielfach in vertraulicher Weise verhandelte, und der es Niccolini gegen- über mit dem Geheimniss der Inquisition und den auf der Verletzung desselben stehenden Censuren nicht sehr genau nahm1); er legte Ende Januar 1633 sein Amt nieder2). Derselbe erklärte: der Papst wolle von einem Verschie- ben der Reise nichts wissen; er würde eher etwas für Ga- lilei haben thuen können, wenn derselbe von Florenz abge- reist wäre und sich unterwegs irgendwo aufhielte; denn damit würde er seine Bereitwilligkeit zu gehorchen bekun- det haben und so eher auf Mitleid und Rücksicht Anspruch machen können. Niccolini meldete dieses am 25. Dec. Ga- lilei und am 26. Cioli3). Am 25. schrieb auch Castelli an Galilei4): ,,Da Sie weder in Werken noch in Worten noch in Schriften sich irgendwie gegen die heilige Mutter Kirche vergangen haben, so ist Ihren boshaften Verfolgern nichts erwünschter, als dass Sie nicht nach Rom kommen, da sie dann unter dem unwissenden grossen Haufen ein Geschrei erheben und Sie als widersetzlich und hartnäckig bezeich- nen können, wenn Sie auch durch eine gesetzliche Ursache zurückgehalten werden. Darum meine ich, Sie sollten trotz Ihrer Alterschwäche und der schlechten Jahreszeit einen herzhaften Entschluss fassen und sich auf den Weg machen, zugleich aber an unsern Herrn selbst und an den Cardinal Padrone einen guten Brief schreiben in dem ehrfurchtsvollen Tone, den Sie zu treffen wissen, und dann, sich Gott anbe- fehlend, getrost hieher kommen. Ich hoffe, dass Sie alle Schwierigkeiten überwinden werden."

Der Brief des Inquisitors vom 18. Dec. kam erst am 28. in Rom an5). In der Sitzung der Inquisition am 30. wurde beschlossen, dem Inquisitor zu antworten: „Seine Heilig- keit und die h. Congregation könne und dürfe dergleichen Ausflüchte durchaus nicht dulden; um zu constatiren, ob Galilei wirklich nicht ohne Lebensgefahr nach Rom kom- men könne, werde man einen Commissar mit Aerzten nach Florenz senden ; wenn nach deren Ansicht Galilei im Stande sei zu reisen, solle ihn der Inquisitor sofort, wenn er wirklich jetzt ohne Lebensgefahr nicht reisen könne, gleich

1) IX, 431. 2) IX, 432. 3) IX, 320. 431.

4) IX, 319. 5) Acten S. 71.

Reusen, Galilei. 17

258 Galilei's wiederholte Vorladung nach Rom.

nach seiner Wiederherstellung, gefangen und gefesselt (carceratum et ligatum cum ferris) nach Rom transportiren lassen; der Commissar und die Aerzte würden auf Galilei's Kosten geschickt werden, weil er nicht sofort gehorcht habe"1). Diese Weisung wurde Galilei am 8. Jan. 1633 von dem Inquisitor vorgelesen ; er erklärte, er werde gehorchen und sich in Rom von Aerzten untersuchen lassen, um zu beweisen, dass er seine Krankheit nicht fingirt habe2). Er machte von .dieser neuen Aufforderung sofort dem Staats- secretär Cioli Mittheilung. Dieser antwortete ihm: der Grossherzog könne zu seinem lebhaften Bedauern nun nichts mehr thuen, um ihm die Reise zu ersparen ; es werde ihm eine Sänfte zur Disposition gestellt werden; in Rom* könne er für einen Monat im Hause des Gesandten Woh- nung nehmen3).

Am 22. Jan. 1633 meldete der Inquisitor, Galilei, den er nicht unterlassen habe beständig zu mahnen, sei am 20. abgereist4). In Acquapendente musste er Quarantäne hal- ten; er scheint in einem Briefe geklagt zu haben, dass er sich dort keine Bewegung in freier Luft machen konnte und Abstinenz halten musste, da er nur Brod, Wein und Eier bekam5). Die Quarantäne wurde, trotz aller Be- mühungen Niccolini's, nur um zwei Tage abgekürzt6). Am 14. Febr. meldete Niccolini, Galilei sei Tags zuvor „in guter Gesundheit" in Rom angekommen7). Grisar sagt S. in mit Rücksicht auf diese letzte Notiz: „Merkwürdiger Weise war seine Gesundheit bei der Ankunft durchaus zufrieden- stellend, trotzdem er noch unlängst [d. h. zwei Monate vor- her] durch ein Attest von drei Florentiner Aerzten in Rom hatte erklären lassen, er könne sich wegen schweren Unwohl- seins nicht ohne Todesgefahr einer so weiten Reise über- antworten." Auf der folgenden Seite hat Grisar zu con- statiren, dass Galilei „in Anbetracht seiner schlechten Ge- sundheit und seines hohen Alters" gestattet wurde, im Ge- sandtschaftspalaste zu wohnen, und schon in einem Briefe vom 25. Febr.8) klagt Galilei über sein schlechtes körper-

1) Gherardi No. X, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 407. Acten S. 72; vgl. IX, 431. 2) Acten S. 70. Gherardi No. XI.

3) IX, 322. 4) Acten S. 73. Gherardi No. XII.

5) IX, 326. 6) IX, 327. 7) IX, 432. 8) VII, 23.

Galilei in Rom bis zum ersten Verhör. 259

liches Befinden, wovon er die Schuld hauptsächlich darauf schiebt, dass er sich nun schon vierzig Tage nicht die ge- wohnte Bewegung in freier Luft habe machen können.

XXI.

Galilei's Aufenthalt in Rom bis zu dem ersten Yerhöre (13. Febr. bis 12. April 1633).

Galilei kam am 13. Febr. 1633 m Rom an; das erste Verhör vor dem General- Commissar des h. Officiums hatte er erst am 12. April zu bestehen. Diese zwei Monate blieb er im Gesandtschaftspalaste wohnen. Er erhielt übrigens dazu nicht eine förmliche Erlaubniss; es wurde dieses nur stillschweigend geduldet, wahrscheinlich um die Vergünsti- gung, falls er sie missbrauchen sollte, ohne weiteres zurück- ziehen zu können. Er erhielt merkwürdiger Weise in den ersten Wochen seines Aufenthalts in Rom keine amtliche Mittheilung von der Inquisition, und in den Processacten findet sich aus dieser Zeit keine auf ihn bezügliche Notiz. Dagegen haben wir aus diesen Wochen zahlreiche Berichte Niccolini's an den Staatssecretär Cioli und einige interessante Briefe von Galilei selbst.

Am Tage nach seiner Ankunft besuchte Galilei zuerst den frühern Assessor des h. Officiums, Monsignor Bocca- bella, um ihm für das bisher bewiesene Wohlwollen zu dan- ken und sich mit ihm zu berathen. Er besuchte dann den neuen Assessor (Monsignor Febeo) und wollte sich, der amt- lichen Aufforderung entsprechend, dem General-Commissar vorstellen, traf diesen aber nicht zu Hause. Er besuchte auch noch einen Freund desselben, Girolamo Mutti, der sich immer sehr wohlwollend gegen ihn bewiesen hatte1). Am 15. Febr. bat Niccolini den Cardinal (Francesco) Barberini, für Galilei „mit Rücksicht auf sein Alter, seine Reputation und seinen bereitwilligen Gehorsam'' die Begünstigung zu

1) IX, 432.

26o Galilei in Rom bis zum ersten Verhör.

erwirken, dass er im Gesandtschaftspalaste wohnen bleiben dürfe. Der Cardinal und der General-Commissar verspra- chen, sich dafür zu verwenden, und der Cardinal, welcher sonst an den Sitzungen der Inquisition, namentlich an den Mittwochs-Sitzungen (s. o. S. 71 ), nicht theilzunehmen pflegte, wohnte dies Mal am Mittwoch der Sitzung bei. Eine amt- liche Mittheilung erhielt aber Galilei nicht; der Cardinal und der Commissar riethen ihm nur, wie sie ausdrücklich sagten, nicht amtlich, sondern als Freunde, nicht auszugehen und keine verdächtigen Besuche zu empfangen. Galilei besuchte indess in den ersten Tagen die Cardinäle Scaglia und Ben- tivoglio1), die ihn freundlich aufnahmen. Der Grossher- zog schickte beiden Cardinälen auf Galilei's Wunsch Em- pfehlungsschreiben2). Später schickte er auf Niccolini's Rath auch den anderen Cardinälen, welche Mitglieder der Inquisition waren, damit sie sich nicht zurückgesetzt fühlten, Empfehlungsschreiben. Es waren die Cardinäle S. Onofrio [Antonio Barberini] , Borgia , S. Sisto [Laudivio Zacchia], [Francesco] Barberini, Gessi, Ginetti und Verospi3). Einige derselben entschuldigten sich, als Niccolini ihnen die Briefe überreichte, dass sie dieselben wegen der bei dem h. Officium geltenden Censuren nicht beantworten könnten; einer fürchtete sogar durch die Annahme des Briefes in diese Censuren zu verfallen, worüber ihn Niccolini mit der

1) Guido Bentivoglio war in Padua Galilei's Schüler gewesen. Nach- dem er Nuncius in Belgien und Frankreich gewesen, wurde er von Gregor XV. 22. April 1621 zum Cardinal ernannt. Nach dem Tode Urbans VIII. machte er sich Hoffnung, Papst zu werden. Er starb während des Conclave's 7. Sept. 1644. Ciaconius IV, 454. Berti, II Processo p. XCIV, führt aus seinen Memoiren eine Stelle an, worin er bedauert, dass „ein Archimedes durch seine eigene Schuld so unglücklich geworden, da er seine neuen An- sichten über die Bewegung der Erde im "Widerspruch mit der wahren ge- meinsamen Ansicht der Kirche durch den Druck veröffentlichte, Meinun- gen, welche ihn hier zu Rom mit dem h. Officium in Collision brachten, bei dem ich damals einer der Inquisitoren war und Galilei bei seiner Sache zu helfen suchte, so viel mir möglich war." Desiderio Scaglia war ein Domi- nicaner und früher Inquisitor zu Mailand (als solcher erscheint er Acten S. 37 im Juni 1615), dann seit 161 6 Commissar des h. Officiums zu Rom gewesen. Er war seit 11. Jan. 1621 Cardinal, damals vom Titel des h. Carl, wurde aber gewöhnlich von seiner Vaterstadt der Cardinal von Cremona ge- nannt. Ciaconius IV, 460. S. u. S. 262.

2) IX, 432. 330; VII, 21. 23. 24. 3) IX, 336. 438.

Galilei in Rom bis zum ersten Verhör. 261

Bemerkung beruhigte, Barberini und andere Cardinäle hät- ten den Brief angenommen1). Empfehlungsschreiben des Cardinais Medici an den General des Kapucinerordens, wel- chem der Cardinal Antonio Barberini angehörte, und an dessen Socius hatte Galilei mitgebracht2).

Den Pater Riccardi- scheint Galilei in diesen Wochen nicht gesehen zu haben. Castelli, dessen treue Freundschaft und Hülfswilligkeit er rühmt 3), wurde Ende März nach Brescia gesandt und kam erst im Juli nach der Beendigung des Processes zurück4). Ein Consultor der Inquisition, der sich auch früher gegen Galilei wohlwollend gezeigt, Monsignor Serristori, besuchte ihn zweimal und unterhielt sich mit ihm freundlich über seine Angelegenheit. Er versicherte, er komme nicht in seiner amtlichen Eigenschaft; Niccolini und Galilei selbst vermutheten aber, er sei nicht ohne Vorwissen und vielleicht im Auftrage der Inquisition gekommen5).

Unter dem 19. Febr. schreibt Galilei an Cioli6): „Es scheint mir und auch dem Herrn Gesandten und seinen Haus- beamten, als ob der Sturm sich wirklich oder anscheinend bedeutend gelegt habe, und als ob nicht ein Schiffbruch zu fürchten und nicht daran zu verzweifeln sei, dass ich den Hafen erreiche . . . Bis jetzt ist mir nichts amtlich befohlen oder gesagt worden; ja einer der Herrn von der Congre- gation hat mich zweimal sehr freundlich besucht und mir in geschickter "Weise Gelegenheit geboten, etwas zu sagen, um die aufrichtige und gehorsame Gesinnung, die ich stets gegen die h. Kirche und ihre Diener gehabt, auszusprechen und zu bekräftigen, und er hat alles aufmerksam angehört und, so viel ich wahrnehmen konnte, gebilligt", Galilei zeigte ihm auch einige seiner schriftlichen Ausarbeitungen, vielleicht den Brief an Christina von Lothringen, den er auch dem Kapuciner-General schickte7) „und wenn er seinen Besuch, wie ja wohl zu vermuthen ist, mit Zustim- mung und vielleicht auf Befehl der h. Congregation gemacht hat, so ist das eine sehr milde und freundliche Einleitung des Verfahrens, die zu den angedrohten Stricken, Ketten und Kerkern nicht passt. Es gereicht mir zum Tröste, von

1) IX, 441. 2) IX, 325. 329; VII, 23. 25.

3) VII, 22. 28. 4) IX, 334- 355- 365. 575-

5) IX, 433; VII, 21. 6) VII, 20. 7) VII, 23.

262 Galilei in Rom bis zum ersten Verhör.

Vielen zu hören und theilweise selbst wahrgenommen zu haben, dass es auch unter den einflussr eichen Männern nicht an solchen fehlt, welche bezüglich meiner Person und meiner Angelegenheit wohlwollend gesinnt sind/'

Auch Niccolini schreibt am 19. Febr. J): ,,Aus dem Ver- halten der Diener Seiner Heiligkeit glaube ich die Hoffnung schöpfen zu dürfen, dass man in dieser Sache mit einiger Milde vorgehen wird, wiewohl der Papst selbst, wie ich wiederholt berichtet habe, die Angelegenheit sehr wenig wohlwollend behandelt." Am 27. Febr.2) berichtet Niccolini über eine Audienz bei dem Papste. Derselbe erklärte, er habe lediglich aus Gefälligkeit für den Grossherzog gestat- tet, dass Galilei im Gesandtschaftspalaste wohnen bleibe. Niccolini bat dann im Auftrage des Grossherzogs, den Galilei darum hatte bitten lassen3), um Beschleunigung der Sache, worauf der Papst antwortete: der Geschäftsgang des h. Officiums sei im allgemeinen etwas langsam; das- selbe sei noch mit der Instruction des Processes beschäftigt. Er brachte dann wieder seine Klagen über Galilei und Ciam- poli vor, aber, wie Niccolini meint, weniger heftig als ge- wöhnlich. Bei einer andern Audienz am 13. März4) dankte Niccolini im Auftrage des Grossherzogs für die Galilei er- theilte Erlaubniss, im Gesandtschaftspalaste zu wohnen. Der Papst antwortete: wenn die Verhöre begännen, würde Ga- lilei im Inquisitionsgebäude untergebracht werden müssen, und lehnte Niccolini's Bitte, ihn auch davon zu dispensiren, ab. Er wiederholte dann, dies Mal wieder heftig werdend, seine Klagen über Galilei und Ciampoli (s. o. S. 225), ver- sprach aber schliesslich, Galilei solle im Inquisitionsgebäude die besten und bequemsten Zimmer haben.

Am 25. Febr. schreibt Galilei5): „Castelli und ich hören, dass die vielen und schweren Anschuldigungen auf einen einzigen Punkt zusammengeschrumpft und alle anderen fallen gelassen worden sind; diesen einzigen Punkt aber werde ich ohne Mühe beseitigen können, wenn man meine Rechtfer- tigungen gehört haben wird, welche mittlerweile ganz allmäh- lich einem jener höchsten Beamten in der besten Weise vor- getragen werden. " Ohne Zweifel ist hier der Cardinal Scaglia

1) IX, 433. 2) IX, 434. 3) VII, 26. 27. 28.

4) IX, 436. 5) vii, 22:

Galilei in Rom bis zum ersten Verhör. 263

gemeint, der mit Castelli den Dialog las. Am 5. März schreibt Galilei1) etwas weniger zuversichtlich: „Nach dem Wenigen zu urtheilen, was ich erfahren, erkennt man allmählich immer mehr die Grundlosigkeit der gegen mich vorgebrachten Beschuldigungen; einige hat man als augenscheinlich unbegründet fallen lassen; hoffentlich wird es mit denjenigen, die noch aufrecht erhalten werden, ebenso gehen; etwas anderes darf man ja auch nicht erwarten, wenn die Wahrheit schliesslich über die Lüge siegen muss." Aus den Briefen der Freunde Galilei's aus dieser Zeit verdienen folgende Stellen mitgetheilt zu werden: Der Ca- nonicus Niccolö Cini von Florenz schreibt am 26. März2): „Hier sprechen Alle immer und mit der grössten Liebe von Ihnen; . . . Jeder möchte Sie mit seinem Blute aus Ihrer schlimmen Lage befreien und Sie nach Verdienst erhöht sehen. Jeder freut sich, dass der Cardinal Scaglia Ihr Buch liest, und zwar, was wichtig ist, mit Hülfe des Pater Castelli; man wünscht sehr, Seine Eminenz möge auch Ihren Brief an die Grossherzogin lesen; aber daran wird ja Castelli selbst gedacht haben. In der That sagt Jeder: man lese doch das Buch und erwäge es. Im übrigen hält man für sicher, dass Sie den Ihnen gebührenden Sieg davon tragen werden." Mario Guiducci schreibt am 2. April3): „Gott gebe Ihnen ein langes Leben, damit Sie den Ruhm gemessen können, von so vielen und so mächtigen Feinden verfolgt, durch Feuer und Wasser hindurch und glücklich daraus hervorgegangen zu sein. ... Es thut mir leid, dass Castelli Sie in dieser kritischen Lage verlassen muss; aber die Sache scheint doch so gut in Gang gebracht zu sein, namentlich bei jener Eminenz, auf welche Sie anspielen [Card. Scaglia], dass ein plötzlicher Schiffbruch nicht zu fürchten ist. Möge Gott geben, dass Ihre Unschuld auch von den anderen Herren in der Congregation erkannt werde, und ihnen seine Gnade und sein Licht geben, dass sie beschliessen, was zur grössern Ehre der h. Kirche und der Wahrheit gereicht." Am 9. April4) schreibt derselbe: „Die Freunde des Ritters Chiaramonti (s. o. S. 189) streuen das Gerücht aus, er sei nach Rom berufen, um mit Ihnen confrontirt zu werden.

1) VII, 25. 2) IX, 337.

3) IX, 339. 4) IX, 340.

264 Galilei in Rom bis zum ersten Verhör.

[Das Gerücht war, wie Guidücci selbst später1) meldet, ebenso grundlos wie das früher in Rom verbreitete Gerücht, Chiaramonti sei zu der Special-Congregation berufen.] Ich habe darüber kürzlich mit dem Cardinal Capponi [zu Flo- renz] gesprochen; er meint, in diesem Falle sollten Sie, nachdem Chiaramonti seine Einwendungen den Herren von der Congregation vorgetragen, zuerst fragen, ob sie wollten, dass Sie die Antwort ertheilten, die Ihnen geeignet scheine, die Einwendungen zu widerlegen, oder nicht; wenn diesel- ben, wie sie ja wohl nicht anders können werden, diese Frage bejahten, dann sollten Sie die Argumente mit Ihrer gewohnten Klarheit widerlegen; das müsse, meint Seine Eminenz, auf jene Herren Eindruck machen, da Sie so Ihre Bescheidenheit zeigen und, nachdem Sie die Erlaubniss da- zu erhalten, mit grösserer Freiheit die Sophismen und Trug- schlüsse des Gegners widerlegen könnten. Es scheint mir, dem Cardinal müssen Sie schreiben und ihm für die Ehre danken, dass er Ihr Buch gelesen, ihm das Lob spenden, welches ich in meinen Briefen angedeutet, und dann bei- fügen: Gott möge geben, dass die anderen Eminenzen, seine Collegen, denselben Gedanken bekämen wie Seine Eminenz, nämlich das Buch erst zu lesen, ehe sie sich ein ungünstiges Urtheil darüber bildeten." Der Brief Galilei's an den Car- dinal Capponi ist nicht erhalten, wohl aber dessen kurze, vom 21. Mai datirte Antwort2).

Als Niccolini am 13. März von dem Papste gehört hatte, dass Galilei demnächst in das Inquisitionsgebäude werde übersiedeln müssen, theilte er dieses Galilei nicht mit, um ihn nicht jetzt schon aufzuregen3). Die Sache verzögerte sich noch, zum Theil wegen des Osterfestes. Am 7. April aber erklärte der Cardinal Barberini dem Gesandten, er sei von Seiner Heiligkeit und der Congregation des h. Officiums beauftragt, ihm aus Rücksicht gegen ihn selbst, sowie gegen den Grossherzog und dessen „gutes Verhalten gegen den h. Stuhl, namentlich in Sachen der Inquisition" im voraus mitzutheilen, dass man Galilei, um seine Sache zu erledigen, vor das h. Officium laden und dass es, falls sich die Sache nicht in zwei Stunden [in Einem Verhöre] erledigen lasse, nöthig sein werde, ihn im Inquisitionsgebäude zurück zu

1) IX, 346; s. o. S. 238. 2) IX, 357. 3) JX, 437-

Galilei' s Haft. 265

halten. Niccolini antwortete : er denke den Papst zu bitten, man möge Galilei, der eben jetzt wieder sehr leidend sei, unter Androhung von Censuren Stillschweigen auflegen und ihm gestatten, jeden Abend in den Gesandtschaftspalast zurückzukehren. Der Cardinal meinte, das werde nicht ge- stattet werden, Galilei solle aber alle Bequemlichkeiten haben und nicht als Gefangener behandelt werden, sondern gute Zimmer erhalten, die man vielleicht nicht einmal verschliessen werde. Niccolini erhielt denn auch am 9. April von dem Papste keinen andern Bescheid. Er theilte nun die Sache Galilei mit. „Er ist im höchsten Grade betrübt darüber, schreibt er an demselben Tage 1), und sieht heute in Vergleich zu gestern so verfallen aus, dass ich sehr für sein Leben fürchte. Ich werde mich bemühen, dass er dort einen Die- ner und andere Bequemlichkeiten haben kann. Wir Alle unterlassen auch nicht ihn zu trösten und uns für ihn zu verwenden; denn er verdient in Wahrheit alles Gute, und mein ganzes Haus, welches ihn sehr liebt, ist unaussprech- lich betrübt/'

Galilei' s Haft im Inquisitionsgebäude war in der That sehr milde. „Ich bewohne, schreibt er am 16. April2), drei Zimmer, welche zu der Wohnung des Fiscals des h. Offici- ums gehören3), und darf mich frei in vielen Räumen bewegen. Mit meiner Gesundheit geht es gut, und der Herr Gesandte und seine Gemahlin sorgen mit der grössten Freundlichkeit und Aufmerksamkeit für alle Bequemlichkeiten." Ausführ- licher berichtet an demselben Tage4) Niccolini: „Galilei hat sich am Dinstag (12. April) Morgens vor dem Pater Com- missar des h. Officiums gestellt. Dieser empfing ihn sehr freundlich und wies ihm nicht die Kammern oder Gefäng- nisszellen an, welche gewöhnlich den Delinquenten gegeben werden, sondern Zimmer des Fiscals, so dass er nicht nur unter den Beamten wohnt, sondern auch nicht eingeschlossen ist und bis in den Hof des Gebäudes gehen kann. Galilei glaubte, er werde an demselben Tage des Abends zu mir zurückkehren dürfen, weil er gleich nach seiner Ankunft ver- hört wurde; aber der Commissar antwortete meinem Secre-

t) IX, 438. 2) VII, 29.

3) Eine Beschreibung der Räume gibt Gebier, D. Rundschau 1878, IV, 51. 4) IX, 440.

266 Galilei's Haft.

tär, der Galilei begleitete, er könne nichts anderes thun, als was ihm werde befohlen werden, nachdem er über Galilei's Aussage und über das, was er nach diesem ersten Verhör aus ihm herausbringen werde, berichtet haben würde. Ohne Zweifel wird aber die Sache rasch erledigt werden; denn wie man bisher bei diesem Process mit ganz ungewöhn- licher Milde verfahren ist, so ist auch zu hoffen, dass die Erledigung desselben eine rasche und günstige sein wird. Es gibt kein Beispiel, dass Personen, gegen welche Pro- cesse anhängig gemacht waren, nicht gefangen gehalten worden wären. Galilei ist es zu Gute gekommen, dass er ein Diener Seiner Hoheit und in dem Gesandtschaftsgebäude abgestiegen ist ; Andere, selbst Bischöfe, Prälaten und Vor- nehme, sind gleich nach ihrer Ankunft in Rom in dem Ca- stell [Sant' Angelo] oder in dem Palast der Inquisition in strenge Haft genommen worden. Galilei ist sogar erlaubt worden, dass sein eigener Diener ihn bedient und dort schläft und, was mehr ist, geht und kommt, wie es ihm beliebt, und dass meine Diener ihm von hier Morgens und Abends die Speisen auf sein Zimmer bringen und in mein Haus zurückkehren dürfen. ... Es muss Galilei unter An- drohung der Excommunication verboten worden sein, über das Verhör zu sprechen; er hat meinem Hausmeister Tolo- mei nichts erzählen wollen, ohne ihm auch nur zu sagen, ob er reden dürfe oder nicht." Am 25. April1) berichtet Niccolini: „Galilei schreibt mir täglich und ich antworte ihm."

Galilei wurde im Inquisitionsgebäude in Haft behalten vom 12. bis zum 30. April, dann wieder vom 21. bis 24. Juni, also im Ganzen drei Wochen. Er musste also nicht, wie z. B. E. Haeckel noch im J. 18782) hat drucken lassen, „Jahre lang im Kerker der Inquisition schmachten."

Grisar sagt S. 112, mit Rücksicht auf die Galilei ge- währten Vergünstigungen, Gebier habe ihm „das Wort aus dem Munde genommen", wenn er sage: „Mit Ostentation bemühte sich die Römische Curie, eine grosse Rücksicht und

1) IX, 441.

2) Vorträge aus dem Gebiete der Entwicklungslehre S. 33. Draper, Gesch. der Conflicte zw. Rel. und Wiss., Leipzig 1875, S. 174 sagt: „drei Jahre".

Galilei's Verhöre. 267

Schonung für Galilei an den Tag zu legen. Man Hess dem Angeklagten bezüglich seiner materiellen Lage lauter in der Geschichte der Inquisition geradezu unerhörte Vergünstigungen angedeihen." Es wirkt geradezu komisch, wenn Grisar unmittelbar auf diesen von ihm adoptirten Satz Geblers seinerseits den Satz folgen lässt: „Es waltete nur jene Courtoisie oder besser jene christliche Menschenfreund- lichkeit, welche dem Unparteiischen überall in der Ge- schichte der Römischen Kirchengerichte entgegentritt. "

Es muss noch hervorgehoben werden, dass der Gene- ral-Commissar des h. Officiums, der Galilei verhörte, der Dominicaner Vincenzo Macolano von Firenzuola (Vincentius Maculanus de Florentiola), so viel sich aus den Processacten und sonstigen Quellen ersehen lässt, sich persönlich stets wohlwollend und rücksichtsvoll gegen Galilei benahm1). Ausser dem Commissar waren nur der Procurator fiscalis Sancti Officii (s. o. S. 70), Carlo Sincero, und ein Notar der Inquisition als Protonollführer bei den Verhören zugegen2).

Die Verhöre fanden im Sitzungssaale (in aula con- gregationum) des Inquisitionsgebäudes statt, nur das erste in der Wohnung des Commissars (in Palatio S. Offitii in mansionibus solitis R. P. Comissarii, S. 74); ob dieses aus besonderer Rücksicht gegen Galilei geschah oder aus einem andern Grunde, erhellt nicht. Die Formeln der Verhörspro- tocolle entsprechen genau den im Sacro Arsenale mitgetheil- ten Formularen: Beim Beginne jedes Verhöres hatte Galilei einen Eid abzulegen, dass er die Wahrheit sagen wolle,

1) Berti, II Processo etc. p. CXIV. Vincenzo Macolano aus Firen- zuola, daher gewöhnlich Pater Firenzuola genannt, geb. II. Sept. 1578, war in jüngeren Jahren Lector in mehreren Klöstern seines Ordens, dann Inqui- sitor in Pavia. Unter Urban VIII. wurde er Procurator, dann Generalvicar seines Ordens, im Dec. 1632 General-Commissar des h. Officiums, 1639 nach dem Tode Riccardi's Magister Sacri Palatii, 1641 Cardinal-Priester von St. Clemens und Erzbischof von Benevent. 1643 legte er sein Bisthum nieder und kam nach Rom zurück. Nach dem Tode Urbans VIII. war er im Con- clave einer der Candidaten der Barberini. Er starb 15. Febr. 1667, 89 Jahre alt. Er hatte als Mathematiker und Militär- Architekt einen Namen, in Rom durch seine Theilnahme an den Befestigungen der Engelsburg, auf Malta durch das Fort Santa Margherita, das er 1638 baute. Ciaconius IV, 607. Quetif-Echard II, 622. Reumont, Beitr. I, 373.

2) Nicht „das heilige Tribunal" wie Gebier, Galilei S. 269, meint.

268 Das erste Verhör Galilei's.

bei dem Schlüsse der meisten Verhöre einen Eid, dass er über das Verhör Stillschweigen beobachten wolle (s. u. § XXVII).

XXII. Das erste Verhör Galilei's, 12» April 1633.

Es ist auffallend, dass Galilei erst zwei Monate nach seiner Ankunft in Rom, am 12. April, zum ersten Verhöre in das Inquisitionsgebäude beschieden wurde und dass dann wieder mehr als zwei Wochen verflossen, bis er (am 30. April) zum zweiten Male verhört wurde.

Ende Februar antwortete der Papst, wie wir gehört, auf Niccolini's Bitte um Beschleunigung der Sache, die Inqui- sition sei noch mit der Instruction des Processes beschäftigt. Man wollte ohne Zweifel, ehe der Commissar das Verhör begann, die Anklagepunkte so genau wie möglich festsetzen. Ueber die Sitzungen der Inquisition vom 3. Febr. bis 16. Juni 1633 haben wir in den Acten keinerlei Aufzeichnungen, und bei dem strengen Geheimniss, womit sich das h. Offi- cium umgab, dürfen wir auch keine nennenswerthen Auf- schlüsse aus anderen Quellen erwarten. Galilei war aber allem Anscheine nach . ziemlich gut unterrichtet,, wenn er Ende Februar schrieb: die gegen ihn erhobenen Anschul- digungen habe man alle bis auf Eine oder einige wenige als unbegründet fallen gelassen (S. 262). Von den meisten Punkten, welche oben (S. 239) als in der Special-Congrega- tion namhaft gemacht mitgetheilt wurden, ist in dem Pro- cess nicht mehr die Rede; aufrecht erhalten wurden, wie Niccolini Ende Februar aus den Aeusserungen des Papstes und Anderer entnahm, die beiden Anklagen, dass Galilei im Dialog die Copernicanische Lehre nicht rein hypothe- tisch, sondern „behauptend und beweisend" (asser tivamente e concludentissimamente) vorgetragen und dass er dem ihm im J. 161 6 ertheilten Befehle zuwidergehandelt habe1),

I) IX, 434. 435.

Das erste Verhör Galilei's. 269

zwei Punkte, die sich zu der Einen Anklage zusammen- fassen li essen: dass er trotz des ihm im J. 1616 ertheilten Befehles die Copernicanische Lehre vorgetragen und ver- theidigt habe. Ueber diese Punkte wurde denn aucfh Gali- lei am 12. April verhört1).

Auf die Frage, ob er wisse oder vermuthe, warum er nach Rom citirt worden sei, antwortet Galilei : er vermuthe, um über sein jüngst gedrucktes Buch Rechenschaft abzu- legen. Nachdem er den Dialog ausdrücklich als sein Werk anerkannt, wird er über seinen Aufenthalt in Rom im J. 16 16 befragt und gibt darauf die schon früher (S. 101) mitge- theilte Antwort. Ueber die ihm damals von dem Cardinal Bellarmin gemachte Mittheilung sagt er zunächst Folgendes aus: „Der Cardinal machte mir bemerklich, die Meinung des Copernicus dürfe man hypothetisch festhalten, wie das Copernicus selbst gethan. Der Cardinal wusste, dass ich sie hypothetisch festhielt, in derselben Weise wie Coperni- cus. Das sieht man aus einem Briefe des Cardinais an Foscarini [s. o. S. 62], worin es heisst: »Es scheint mir, Sie und Galilei thuen wohl, nur hypothetisch zu reden und nicht absolut«. Anders, d. h. absolut genommen, sagte der Cardinal, dürfe man die Meinung weder für wahr halten noch vertheidigen. . . . Im Febr. 16 16 sagte mir der Car- dinal, da die Meinung des Copernicus absolut genommen der h. Schrift widerspreche, so dürfe man sie so, absolut genommen, weder für wahr halten (tenere) noch vertheidi- gen, aber hypothetisch (ex suppositione) dürfe man sie annehmen und sich ihrer bedienen." Er überreicht zugleich eine Abschrift des ihm von Bellarmin am 26. Mai 1616 aus- gestellten Zeugnisses (s. o. S. 129).

Auf die Fragen, ob Jemand und wer dabei zugegen ge- wesen, als ihm der Cardinal jene Mittheilung gemacht, und ob ihm damals nicht von Jemand ein Befehl bezüglich des- selben Gegenstandes ertheilt worden sei, gibt er die Ant- worten, welche bereits früher (S. 139) mitgetheilt worden sind. Auf die Frage, ob er, wenn ihm das, was ihm damals gesagt und als Befehl insinuirt worden, vorgelesen werde, sich dessen erinnern werde, antwortet er: „Ich erinnere mich nicht, dass mir etwas anderes gesagt worden wäre,

1) Acten S. 74.

270 Das erste Verhör Galilei's.

und ich kann nicht wissen, ob ich mich dessen erinnern werde, was mir damals gesagt worden ist, wenn es mir vorgelesen wird. Ich sage frei heraus, wessen ich mich erinnere, weil ich nicht glaube, dass ich irgendwie jenen Befehl übertreten, d. h. die Meinung von der Bewegung der Erde und von dem Stillstehen der Sonne irgendwie für wahr gehalten oder vertheidigt habe."

Es wird Galilei dann gesagt : ä in dem ihm damals vor Zeugen ertheilten Befehle heisse es: er dürfe in keiner Weise die besagte Meinung für wahr halten, vertheidigen oder lehren (quod non fiossit quovis modo teuere, defendere aut docere dictam opinionem) ; er solle also sagen, ob er sich erinnere, wie und von wem ihm dieser Befehl ertheilt wor- den sei. Galilei antwortet: „Ich erinnere mich nicht, dass mir dieser Befehl von einem Andern als mündlich von dem Cardinal Bellarmin mitgetheilt worden ist. Ich erinnere mich, dass der Befehl dahin lautete: ich dürfe nicht für wahr halten oder vertheidigen; es kann sein, dass dabei auch gesagt wurde, »oder lehren«. Ich erinnere mich auch nicht, dass die Partikel quovis modo darin vorkam; aber es kann sein, dass sie darin vorkam. Ich habe darauf nicht geachtet und nichts weiter im Gedächtnisse behalten, weil ich wenige Monate später jenes von mir überreichte Zeug- niss des Cardinais Bellarmin erhielt, in welchem der mir ertheilte Befehl, die besagte Meinung nicht für wahr zu halten und nicht zu vertheidig*en, erwähnt wird. Die beiden mir jetzt bemerklich gemachten Ausdrücke des Befehls, nee docere und quovis modo, habe ich nicht im Gedächtniss be- halten, ich glaube darum nicht, weil sie in dem erwähnten Zeugnisse nicht vorkommen, an welches ich mich gehalten und welches ich im Gedächtnisse behalten habe."

Damit ist der Theil des Verhöres, welcher sich auf die Galilei im J. 161 6 ertheilte Verwarnung bezieht, beendigt. Der Inquirent geht jetzt zu dem Dialog über mit der Frage: ob er nach der Insinuation des fraglichen Befehles die Er- laubniss zur Abfassung des von ihm in Druck gegebenen Buches erhalten habe. Galilei antwortet: „Nach dem be- sagten Befehle habe ich keine Erlaubniss dazu nachgesucht, jenes Buch zu schreiben, weil ich glaube, durch das Schrei- ben dieses Buches den Befehl, die besagte Meinung nicht für wahr zu halten oder zu vertheidigen oder zu lehren, in

Das erste Verhör Galilei's. 271

keiner Weise übertreten, vielmehr diese widerlegt zu haben." Die Frage, ob und von wem er die Druck - Erlaubniss für den Dialog erhalten habe, beantwortet Galilei mit einem ausführlichen, schon oben (S. 197) berücksichtigten Berichte über die betreffenden Verhandlungen. Er wird schliesslich gefragt, ob er, als er bei dem Palastmeister die Druck- Erlaubniss nachgesucht, demselben von dem vorhin besprochenen, ihm im Auftrage der h. Congregation ertheil- ten Befehle Mittheilung gemacht habe. Er antwortet: „Ich habe dem Palastmeister nichts davon gesagt, weil ich das nicht für nöthig hielt, da ich gar kein Bedenken hatte, weil ich in meinem Buche die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne weder für wahr ge- halten noch vertheidigt habe, vielmehr das Gegentheil jener Meinung erweise und zeig'e, dass die Gründe des Coperni- cus hinfällig und nicht beweisend sind."

Damit ist das Verhör zu Ende. Das Protocoll schliesst mit den Worten: „Danach wurde das Verhör abgebrochen, mit dem Vorbehalte es fortzusetzen1), und ihm ein Zimmer in der Wohnung der Beamten im Palast des h. Officiums anstatt des Kerkers angewiesen, mit dem Befehle, dasselbe ohne specielle Erlaubniss nicht zu verlassen, bei den nach dem Ermessen der h. Congregation zu bestimmenden Stra- fen, und es wurde ihm befohlen, zu unterschreiben, und ihm unter einem Eide 1 Stillschweigen aufgelegt." Galilei unter- schrieb dieses und alle anderen Protocolle: „Ich Galileo Galilei habe ausgesagt wie vorstehend."

Galilei blieb im Inquisitionsgebäude bis nach dem zwei- ten Verhör am 30. April. Das Verbot, sein Zimmer zu ver- lassen, wurde, wie wir gesehen haben, gemildert. Ausser dem oben erwähnten Briefe vom 16. April schrieb er noch einen zweiten am 2$. April an Geri Bocchineri2), worin er sagt: „Ich schreibe im Bette, an welches mich seit 16 Stun- den heftige Schmerzen in einem Schenkel fesseln, welche nach meinen Erfahrungen in eben so viel Zeit vergehen müssen. Vor kurzem haben mich der Commissar und der Fiscal, diese sind es, die mich verhören, besucht und

i) Die Formel Quibus habitis dimissum fuit examen animo etc. ist zu ergänzen: animo tarnen continuandi examen. S. Sacro Arsenale p. 57. 2) VII, 30.

272 Die Gutachten der Theologen.

mir die bestimmte Zusage gegeben, die Sache erledigen zu wollen, sobald ich das Bett verlassen, wobei sie mir wieder- holt sagten, ich solle guten Muthes sein. Ich lege mehr Werth auf dieses Versprechen als auf alle Hoffnungen, die mir früher gemacht worden sind und die, wie die Erfahrung gelehrt hat, mehr auf Vermuthungen als auf Wissen be- gründet waren. Dass meine Unschuld und Aufrichtigkeit werde anerkannt werden, habe ich immer gehofft und hoffe ich jetzt mehr als je." An demselben Tage schrieb Nicco- lini nach Florenz1): ,, Galilei ist nur einmal verhört worden, und ich glaube, sie werden ihn frei lassen, sobald Seine Heiligkeit, zu Christi Himmelfahrt, von Castel Gandolfo zurückkommt."

XXIII. Die Gutachten der Theologen der Inquisition.

In den Vaticanischen Processacten finden sich Gutach- ten von drei Theologen. Es ist nicht klar, ob das Datum ,,17. April 1633" nur zu dem ersten derselben oder zu allen drei gehört. Jedenfalls ist das erste an diesem Tage, also zwischen dem ersten und zweiten Verhör Galilei's abgege- ben worden. Nur der Verfasser dieses ersten Gutachtens, Augustin Oregio, bezeichnet sich als Consultor der Inquisi- tion; die Verfasser der beiden anderen scheinen nicht als Consultoren angestellt gewesen zu sein. Das zweite Gut- achten, von M. Inchofer, ist wahrscheinlich schon für die Special-Congregation (s. o. S. 237), das dritte, von Z. Pas- qualigo, wahrscheinlich auch schon früher, zunächst für den Cardinal Ginetti ausgearbeitet worden. Beide werden dann an dem genannten Tage, 17. April, den Acten der Inquisi- tion einverleibt worden sein2).

Ein gemeinschaftliches Gutachten aller theologischen Consultoren, wie ein solches 16 16 abgegeben wurde (S. 107),

[) IX, 441. 2) Vgl. Berti, II Processo p. 155.

M. Inchofer. 273

findet sich bei den Acten des zweiten Prcrcesses nicht. Es handelte sich ja auch jetzt nicht mehr, wie damals, um eine doctrinelle Entscheidung über die Copernicanische Lehre, sondern nur um die Anwendung der damals getroffenen Entscheidung auf Galilei's Dialog. Die den drei Theologen vorgelegte Frage wird zwar in den Acten nicht mitg-etheilt, muss aber nach dem Inhalte der Gutachten gelautet haben: ob der Verfasser des Dialogs die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne für wahr halte, lehre und vertheidige. Die Frage schloss sich also an die Ausdrücke an, welche nach der Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16 der Commissar des h. Officiums in dem Galilei ertheil- ten Praeceptum gebraucht hatte.

Wenn ausser dem päpstlichen Theologen Augustin Oregio (s. o. S. 237) der Jesuit Inchofer und der Regular- Kleriker Pasqualigo beauftragt wurden, Gutachten abzuge- ben, so war das keine besonders glückliche Wahl.

Melchior Inchofer1), geboren 1584 zu Wien, war 1607 zu Rom in den Jesuitenorden getreten und hatte eine Reihe von Jahren in Messina Philosophie, Mathematik und Theologie docirt. Im J. 1629 gab er dort eine Schrift in Folio heraus, worin er die Echtheit eines angeblichen Briefes der h. Jung- frau Maria an die Messinesen vertheidigte. Er wurde dar- auf von der Index- Congregation nach Rom citirt und die Schrift, donec corri^atur, verboten; im J. 1632 erschien zu Viterbo die corrigirte Ausgabe2), und vom 19. März 1633 ist das Decret der Index- Congregation datirt, welches die erste Ausgabe des Buches verbietet, die zweite freigibt. Dieser eben erst beendigte Conflict Inchofers mit der Index- Congregation hinderte also nicht, dass er für die Inquisition oder vielleicht schon als Mitglied der Special-Congregation (s. o. S. 238) ein Gutachten über Galilei's Dialog abzugeben hatte. Ueber die Copernicanische Theorie veröffentlichte er gleich nach Galilei's Verurtheilung, noch im J. 1633, zu Rom

1) Vgl. Niceron, Memoires 3^, 322. de Backer, Bibliotheque des £crivains de la C. de J. V, 333. Biographie universelle (Michaud) 20, 328.

2) Die erste Ausgabe hat den Titel: „Epistolae B. Mariae V. ad Messanenses veritas vindicata ac plurimis gravissimorum scriptorum testimo- niis et rationibus illustrata", die zweite: „De epistola B. Mariae ad Mes- sanenses conjectatio plurimis rationibus et verosimilitudinibus locuples".

Reu seh, Galilei. l8

274 M. Inchofer.

eine Schrift, von» welcher noch die Rede sein wird1). Eine zwei Jahre später von ihm verfasste Schrift über dasselbe Thema2) blieb ungedruckt, wie Grisar S* 697 sagt, „höchst- wahrscheinlich weil sie in der Censur der Oberen nicht appro- birt wurde". Er sagt in dieser Schrift, er spreche darin von Galilei, „obschon derselbe strengern Tadel als die Ketzer verdiene, massvoll, wiewohl Viele verlangt hätten, er solle ihn schärfer mitnehmen". Hoffentlich haben die Censoren es eher zu scharf als zu massvoll gefunden, wenn er Kepler, Lansberg und Galilei als „Verächter der peripatetischen Philosophie" auch „Verächter der Religion" nannte. Auch für den ersten Band seiner „Annales ecclesiastici Regni Hungarici", der 1644 zu Rom erschien, soller nur mit Mühe das Imprimatur erlangt haben3). Sogar P. Desjardins (p.

1) Tractatus syllepticus, in quo quid de terrae solisque motu vel sta- tione secundum S. Scripturam et SS. Patres sentiendum, quave certitudine alterutra sententia tenenda sit, breviter ostenditur. 100 S. kl. 4.

2) Vindiciae Sedis Apostolicae, SS. Tribunalium auctoritate [auctori- tatis?] adversus Neo-Pythagoreos terrae motores et solis statores. Grisar S. 697, Epinois, La question p. 170. 253, und Berti, II Processo p. LXXXVII, theilen Auszüge aus dieser Schrift mit, Epinois namentlich die Stellen, auf welche oben Bezug genommen wird. In dem Tractatus wird Galilei nicht genannt; er wird aber zu den „wenigen Schriftstellern der neuesten Zeit" gehören, welche, „um sich zu zeigen, die Einbildung von der Bewegung der Erde als eine erwiesene Sache behandeln" (p. 5. 30).

3) Gedruckt sind noch von Inchofer 1635 zu Messina und 1638 zu München „Historiae sacrae latinitatis libri VI", darin stehen u. a. Capitel mit der Ueberschrift : Beatos in coelo latine locuturos esse probabile (Münchener Ausgabe p. 220), Christum latine interdum locutum probabile (p. 230), ferner einige kleinere Schriften, u. a. Streitschriften gegen C. Scioppius, die er unter dem Namen „Eugenius Lavanda" herausgab, und Briefe an Leo Allatius, die in dessen Werken gedruckt wurden. In des Allatius Symmicta (1653) wurde auch die „Dissertatio de eunuchismo" gedruckt, worin Inchofer die (1641) von Zacharias Pasqualigo ausgesprochene Ansicht be- kämpft, dass das Castriren im Interesse der Gesangkunst erlaubt sei. Dass er sich durch diese Schrift den Zorn der Sänger und Musikfreunde zuge- zogen und darum seine Versetzung von Rom beantragt habe, ist wohl eine Uebertreibung. Ende 1634 kehrte er nach Messina zurück, kam aber 1636 wieder nach Rom und scheint dort bis 1647 geblieben und als Consultor der Inquisition und der Index - Congregation thätig gewesen zu sein. Am 1. Juni 1639 hielt er die Leichenrede auf Riccardi und am 25. März 1647 schreibt er an den Cardinal Francesco Barberini: „Seit der Zeit unseres neuen Generals (1645 wurde Vincenz Caraffa Jesuiten-General) habe ich im

Z. Pasqualigo. Oregio's Gutachten. 275

72) meint: einige Werke Inchofers zeigten, dass er nicht ebenso viel gesundes Urtheil wie Gelehrsamkeit besessen.

Zacharias Pasqualigo bezeichnet sich selbst als Regu- lar-Kleriker und Professor der Theologie und hat einige theologische Bücher geschrieben1). Wenn Inchofer vorher mit der Index- Congregation zu schaffen gehabt, so h hatte Pasqualigo später das Unglück, dass einige Sätze aus seiner „speculativen Theologie" durch den Commissar und einen Consultor des h. Officiums als „nach Ketzerei schmeckend" qualificirt wurden2). Auch wurde er von seinem Collegen Inchofer sehr sgharf angegriffen, weil er das Castratenwesen in der päpstlichen Kapelle in Schutz genommen. In Bezug auf die Lehre des Copernicus und Galilei waren aber die beiden Theologen, wie wir sehen werden, Einer Meinung.

Das erste Gutachten, das von Oregio, ist ganz kurz. Er sagt: dass in Galilei's Dialog jene Meinung für wahr ge- halten und vertheidigt werde, gehe aus dem ganzen Inhalte desselben und namentlich aus den Stellen hervor, welche in einem Schriftstücke notirt seien, das er selbst und Pater Riccardi als Consultoren des h. Officiums auf Befehl Seiner Heiligkeit der Inquisition überreicht hätten. Dieses, ohne Zweifel zu den Acten der Special-Congregation gehörende Schriftstück liegt uns nicht vor.

Inchofer beweist in seinem Gutachten 3) ausführlich, dass

Römischen Collegium die h. Schrift gelesen und jetzt lebe ich im Deutschen Collegium frei von häuslichen Aemtern." Erst 1647 scheint er nach Mace- rata versetzt worden zu sein. Er starb 28. Sept. 1648 zu Mailand. Bei de Backer werden viele ungedruckte Schriften von ihm aufgezählt, auch einige astronomische, die unter dem Namen „Academicus Vertumnius" gedruckt sein sollen. Berti, II Processo p. LXXXVIIL erwähnt Briefe von Inchofer, die in Rom existiren, theilt aber leider nichts daraus mit. Als Verfasser der unter dem Titel „Lucii Cornelii Europei Monarchia Solipsorum ad V. C. Leonem Allatium" zu Venedig 1645 gedruckten Satire auf den Jesuitenorden ist Inchofer mit Unrecht angesehen worden; das Buch ist wahrscheinlich von dem Exjesuiten Julius Clemens Scotti. S. de Backer V, 335.

1) Decisiones morales juxta principia theologica et sacras atque civiles leges difficultatum, quae in utroque 'foro passim occurrunt. Veronae 1641. Fol. De sacrificio novae legis quaestiones theologicae, morales, iuridicae. Venetiis 1707. 2 vol. Fol.

2) Berti, II Processo p. CXXXIV.

3) Das Gutachten besteht aus zwei Theilen: der erste handelt von der Bewegung der Erde, der zweite von dem Stillstehen der Sonne. Jeder Theil

276 Inchofers Gutachten.

nicht nur Galilei im Dialog die Copernicanische Ansicht „lehre und vertheidige", sondern auch ein starker Verdacht vorliege, dass er dieser Ansicht durchaus. zustimme, dass er sie also auch „für wahr halte" (verum etiam de firma huic opinioni adhaesione veheinenter esse suspectum atque adeo eam teuere). Er hebt auch besonders hervor, dass Galilei die Copernicanische Lehre nicht etwa bloss hypothetisch oder „problematisch" oder „als probabel" vortrage, sondern in absoluten und behauptenden Worten (verbis absolutis et assertivis aut certe aequivalentibus, absolute ei demonstrative), denen gegenüber die Versicherung, er wolle*jene Lehre nicht beweisen, eine Versicherung, die er beifüge, um den Schein zu erwecken, als versündige er sich nicht gegen das Decret (von 16 16), nicht in Betracht kommen könne1). Dass es Gali- lei wirklich um die Vertheidigung jener Lehre zu thun sei, ergebe sich auch daraus, dass er den Aristoteles und seine Anhänger heftig angreife, dass es sein Hauptzweck sei, den P. Scheiner zu bekämpfen, der zuletzt gegen die Coperni- caner geschrieben, dass er Alle, die nicht Pythagoreer oder Copernicaner seien, verspotte und den Wilhelm Gilbert, einen verkehrten Ketzer und heftigen und leidenschaftlichen Vertreter der Copernicanischen Lehre, über Gebühr lobe2). Dass Galilei nicht erst in neuester Zeit die Copernicanische Theorie gelehrt, ergebe sich aus einer früher veröffentlich- ten Schrift, in welcher er wegen dieser Lehre belobt und vertheidigt werde3), es wird die Schrift von Foscarini oder die Apologie Campanella's gemeint sein. Zum Schlüsse 4) sagt Inchofer: „Obschon übrigens aus den in meinen beiden Gutachten angeführten Gründen über Galilei' s Ansicht,

besteht aus dem ganz kurz gefassten eigentlichen Votum und einer ausführ- lichen Begründung. Das erste Votum steht in den Acten Fol. 435 (S. 94), die Begründung desselben Fol. 437 439 (S. 95 103), das zweite Votum Fol. 431 (S. 92), die Begründung desselben Fol. 433 (S. 93. 94). Vgl. Gebier, Acten S. XVII. Berti hat das erste Votum nicht abdrucken lassen (II Processo p. 102). Darum spricht Scartazzini, Unsere Zeit 1877, II, 449, irrig von „drei Eingaben" Inchofers.

i) S. 93. 96, 2. 97, 5. 98, 3. Inchofer citirt die Stellen aus dem Dialog nicht immer wörtlich und mitunter inhaltlich ungenau. Berti p. 107.

2) S. 97,* 3. 5. 100, 7. Von Gilbert wird im Dialog I, 433 ff. ge- sprochen. Vgl. Beckmann III, 668. IV, 656.

3) S. 96. 4) S. 93-

Pasqualigo's Gutachten. 277

dass er die Meinung . . . sowohl lehrt als vertheidigt als für wahr hält, kein Zweifel obwalten kann, so ergibt sich doch dieses alles ganz evident auch aus einer langen Ab- handlung, welche er früher einer Grossherzogin zu Florenz zu seiner Vertheidigung übersandt hat. In dieser billigt er nicht nur die Meinung des Copernicus, sondern sucht sie auch durch Erklärung von Stellen der h. Schrift zu stützen. Bei der Erklärung der Bibelstellen aber, namentlich über die Bewegung der Sonne, bietet er alles auf zu beweisen, die h. Schrift spreche so, indem sie sich der Meinung des grossen Haufens anbequeme, nicht weil die Sonne sich wirk- lich bewege. Diejenigen aber, welche an der gewöhnlichen Deutung der Bibelstellen von der Bewegung der Sonne fest- halten, behandelt er als beschränkt und fast als Dummköpfe, weil sie auf Kleinigkeiten achteten, in das Tieferliegende aber nicht eindrängen. Ich habe diese Abhandlung gelesen, und wenn ich nicht irre, ist sie inRom in vielen Händen" (s.o.S. 43). Das Gutachten Pasqualigo's ist der Form nach von den beiden ersten verschieden. Es besteht aus vier Stücken. An der Spitze stehen zwei fast gleichlautende kurze latei- nische Erklärungen des Inhalts: er sei vor (cor am) dem Car- dinal Ginetti, Vicar Urbans VIII., gefragt worden, ob Galilei in seinem Dialog das ihm von dem h. Officium ertheilte Praeceptum übertreten habe, die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne nicht für wahr zu halten, zu lehren oder zu vertheidigen; nach genauer Durch- sicht des Buches sei er der Ansicht, Galilei habe das Verbot bezüglich der Ausdrücke „lehren" und „vertheidigen" übertre- ten, da er die Bewegung der Erde und das Stillstehen der Sonne, so viel er könne, zu beweisen suche, und er sei auch dringend verdächtig, dass er diese Meinung für wahr halte. Das zweite Stück unterscheidet sich von dem ersten, abgesehen von unwesentlichen Differenzen im Ausdruck, dadurch, dass darin nur von der Bewegung der Erde die Rede ist1). Das dritte, italienisch geschriebene und nicht unterzeichnete Stück scheint die Motivirung des zweiten Stückes zu sein. Es be- ginnt: „Obschon Galilei im Anfange seines Buches sagt, er

1) Wahrscheinlich ist, wie Wolynski p. 105 vermuthet, das eine im J. 1632 für den Card. Ginetti, das andere im April 1633 ^r die Inquisition geschrieben.

278 Pasqualigo's Gutachten.

wolle von der Bewegung der Erde sub hypothesi handeln, lässt er doch im Verlaufe seiner Dialoge die Hypothese bei Seite und beweist die Bewegung der Erde absolut" u. s. w. Dieses wird dann ausführlich bewiesen. Das vierte, gleich- falls italienisch geschriebene Stück endlich scheint die Mo- tivirung des ersten Stückes zu sein. Es beginnt: „Da Ga- lilei vor Jahren von dem h. Officium bezüglich der Coperni- canischen Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne ein Praeceptum erhalten, dass er sie neque teneat neque doceat neque defe?idat quovis modo verbo aut scripto, und da er seine Dialoge über diesen Gegenstand hat drucken lassen, so fragt sich, ob er das besagte Prae- ceptum übertreten hat. Es wird geantwortet: er habe dem Praeceptum zuwider gehandelt, so fern es verbietet, dass er non doceat quovis modo. . . Er hat auch den andern Theil übertreten, dass er non defendat quovis modo. . . Was den andern Punkt betrifft, der verbietet, dass er non teneat, so liegt der Verdacht und ein dringendes Indicium vor, dass er auch diesen übertreten hat." Jede dieser drei Behaup- tungen wird durch die Anführung von Stellen aus dem Dialog begründet. Zum Schluss steht lateinisch: „Ich Z. Pasqualigo . . . trage die vorstehende Ansicht vor Seiner Eminenz dem Cardinal Ginetti, Vicar Seiner Heiligkeit Urbans VIII. , vor und bin dieser Meinung."

Cardinal Ginetti (s. o. S. 254) hatte als Cardinal- Vicar mit dem Magister Sacri Palatii die Censur der in Rom er- scheinenden Bücher zu besorgen (s. o. S. 76). Galilei's Dialog trug das Imprimatur seines Substituten (Vicesgerens). Das ist wohl die Veranlassung gewesen, dass er sich, wahr- scheinlich gleich als das Erscheinen des Dialogs in Rom Aufsehen erregte, von Pasqualigo diese Gutachten geben Hess, die er dann später an die Inquisition abgegeben haben wird l).

1) A. Mezieres schreibt in der Revue des deux mondes 1876, t. 16, 658, von diesen Gutachten: „Die drei Richter, welche Galilei verhört hatten, erklärten einmüthig, er fyabe" u. s. w.!

Das zweite Verhör.

279

XXIV. Das zweite Yerhör Galilei's, 30. April 1633.

In dem ersten Verhöre gestand Galilei ein, dass ihm im J. 16 16 amtlich mitgetheilt worden sei, die Copernicani- sche Lehre sei falsch und schriftwidrig und dürfe nicht als wahr angesehen und vorgetragen werden; er gestand nicht ein, bestritt aber auch nicht entschieden, dass ihm dieses noch durch einen Andern als den Cardinal Bellarmin, und dass es ihm gerade in den Ausdrücken mitgetheilt worden sei, welche ihm der Inquirent aus der Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616 vorlas. Ferner erklärte Galilei, er habe sich nicht für verpflichtet gehalten, von jener ihm im J. 161 6 ge- machten Eröffnung, als er den Dialog zur Censur vorgelegt, dem Censor Mittheilung zu machen, weil er durch die Ab- fassung und Veröffentlichung des Dialogs jener Eröffnung nicht zuwider zu handeln geglaubt, da er in dem Dialog die Copernicanische Lehre nicht als eine von ihm für wahr gehaltene vorgetragen, vielmehr als unrichtig nachgewiesen habe.

Wenn die Inquisition Galilei wegen Uebertretung der ihm im J. 161 6 ertheilten Weisung durch die Veröffent- lichung seines Dialogs den Process machen wollte, so konnte dieses in doppelter Weise geschehen. Sie konnte entweder die formelle Seite der Frage in den Vordergrund stellen und die Anklage erheben, Galilei habe ein ihm im Auftrage des Papstes und des h. Officiums ertheiltes förm- liches Praeceptum übertreten und sich dadurch, abge- sehen von dem Inhalte des Praeceptums, eines sträflichen Ungehorsams schuldig gemacht, welcher, weil es sich um Ungehorsam gegen die Inquisition, die Wächterin der Or- thodoxie, handelte, sich als ein Vergehen gegen den Glau- ben darstellte; oder sie konnte die materielle Seite der Frage in den Vordergrund stellen und die Anklage erheben, Galilei habe eine Lehre vorgetragen, von welcher ihm im

280 Der Anklagepunkt.

J. 1616 amtlich erklärt worden, dass sie falsch und schrift- widrig sei, und er habe sich dadurch, dass er trotz dieser Erklärung jene Lehre vorgetragen, der Ketzerei schuldig oder verdächtig gemacht. Wenn die Inquisition den ersten Standpunkt einnahm, kam es darauf an, die Art und Weise, in welcher Galilei im J. 16 16 das fragliche Praeceptum er- theilt worden, als eine möglichst förmliche und bestimmte nachzuweisen. In diesem Falle war also die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616 ein Actenstück von entscheidender Bedeu- tung, da nach ihr Galilei nicht nur, wie er zugab, durch den Cardinal Bellarmin eine amtliche Mittheilung, sondern auch durch den Commissar der Inquisition vor Notar und Zeugen einen förmlichen Befehl erhalten hatte, für den Fall des Ungehorsams mit einem Inquisitionsprocess bedroht worden war und jenem Befehle zu gehorchen versprochen hatte. Und da es nach dem Geschäftsgange der Inquisition darauf ankam, dass der Angeklagte das eingestand, was sich aus den vorhandenen Beweismitteln als „Indicium" gegen ihn ergab, so musste in diesem Falle der Versuch gemacht werden, durch weiteres Verhören, durch Verlängerung der Haft, schliesslich durch Androhung und Anwendung der Folter pro veritate habenda Galilei zum Geständnisse, dahin zu bringen, dass er bezüglich des Vorganges vom 26. Febr. 161 6 das als thatsächlich anerkannte, wovon er in dem er- sten Verhöre gesagt hatte, er erinnere sich dessen nicht mehr. Nahm die Inquisition dagegen den zweiten Stand- punkt ein, so hatte die Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16 nur eine untergeordnete Bedeutung. Dass ihm die Coperni- canische Lehre amtlich als falsch und schriftwidrig bezeich- net worden, räumte ja Galilei ein; es kam also nun nur noch darauf an, zu constatiren', ob er diese falsche und schriftwidrige Lehre vorgetragen, in welchem Falle gegen ihn als einen der Ketzerei Schuldigen oder Verdächtigen vorgegangen werden konnte.

Die Processacten zeigen, dass die Inquisition wenig- stens von dem zweiten Verhöre Galilei' s an nicht den er- sten, sondern den zweiten Standpunkt einnahm. Die Frage, ob Galilei am 26. Febr. 16 16 ein förmliches Praeceptum ertheilt worden sei, tritt nach dem ersten Verhöre ganz in den Hintergrund. Es wird gar kein Versuch mehr ge- macht, Galilei bezüglich dieses Punktes zum Geständnisse

Der Anklagepunkt. 281

zu bringen; man begnügt sich in dieser Hinsicht mit dem, was er eingeräumt hatte, dass ihm Bellarmin amtlich die Copernicanische Lehre als falsch und schriftwidrig bezeich- net habe, und der Process wird fortan ganz in den Formen eines Processes wegen Häresie geführt.

Bei einem solchen Processe war zunächst der objective Thatbestand festzustellen, zu constatiren, ob der Angeklagte Aeusserungen gethan, welche zu dem Verdachte berechtigten, dass er nicht rechtgläubig sei, dicta haereticalia, wie der technische Ausdruck lautet, dann in zweiter Linie, ob er bei diesen Aeusserungen eine häretische Gesinnung oder „In- tention" gehabt. Diese zweite Frage wurde nach dem Ge- schäftsgange der Inquisition erst dann untersucht, wenn die erste erledigt war. Es handelte sich jetzt also zunächst darum, ob in Galilei's Dialog häretisch klingende Sätze vor- kamen, speciell ob die nach der Entscheidung von 16 16 als falsch und schriftwidrig anzusehende Copernicanische Lehre darin vorgetragen und vertheidigt war. Hätte Galilei den Rath Niccolini's befolgt, er solle, um die Erledigung seiner Sache zu beschleunigen, sich allem fügen, was man von ihm verlange1), hätte er also eingestanden, dass er im Dia- log die Copernicanische Lehre vorgetragen und verthei- digt, so hätte die Inquisition gleich zu der weitern Unter- suchung übergehen können, ob er dieses mit einer häreti- schen Absicht gethan, und sie hätte ihn dann je nach dem Ausfalle dieser Untersuchung zu einer Retractation seiner Aeusserungen oder zur Abschwörung der Häresie, der er sich schuldig oder verdächtig gemacht, anhalten können. Nun hatte aber Galilei im ersten Verhöre geleugnet, dass er die Copernicanische Lehre im Dialog vorgetragen und vertheidigt, und da die Inquisition, zumal nach den Gut- achten der Theologen, dieses Leugnen als ein unberech- tigtes ansehen musste, war sie zunächst darauf angewiesen, die ihr zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um den Angeklagten zum Geständnisse zu bringen.

Das erste Mittel, welches zu diesem Behufe angewen- det werden konnte, war, Galilei nochmals ins Verhör zu nehmen, ihm vorzuhalten, dass der Dialog jedem unbefan- genen Leser als eine Vertheidigung der Copernicanischen

1) IX, 434. 439.

282 Brief Firenzuola's vom 28. April 1633.

Lehre erscheinen müsse, und dass sich die Theologen der Inquisition in diesem Sinne ausgesprochen, und ihm zu be- deuten, dass, wenn er nicht der Wahrheit die Ehre gebe, er noch länger in Haft gehalten und die Erledigung seiner Sache verzögert werden werde, und dass er durch ein offe- nes Geständniss seine Strafe mildern könne1). Führte die- ses Mittel nicht zum Ziele, so konnte die Folter angewen- det werden.

Zur Anwendung dieser Mittel kam es aber bei Ga- lilei nicht. Der Commissar liess ihn bis zum 30. April nicht wieder vorführen, um das Verhör fortzusetzen; am 30. aber wurde Galilei auf sein eigenes Verlangen vorge- führt und legte nun, ohne dass ihm irgend eine andere Frage als: was er zu sagen habe, vorgelegt wurde, aller- dings etwas verclausulirt, das Geständniss ab, welches die Inquisition verlangen musste, welches er aber in dem er- sten Verhöre verweigert hatte.

Diese Aenderung in seinem Verhalten findet ihre Er- klärung durch ein Actenstück, welches Pieralisi2) zuerst

1) In einem Verhörsformulare des Sacro Arsenale p. 55 wird einem Angeklagten zuerst vorgehalten: da er einen Theil der gegen ihn geltend gemachten Thatsachen eingestanden, könne er die anderen nicht wohl leugnen, und wenn er dies thue, sage er offenbar nicht die Wahrheit. Dann wird er aufgefordert: er solle doch die Wahrheit sagen und sein Gewissen erleich- tern ; es sei nicht anzunehmen, dass die vereideten Zeugen die Unwahrheit gesagt; wenn er fortfahre zu leugnen, werde er noch länger in Haft ge- halten werden und die Erledigung seiner Sache sich in die Länge ziehen; auch werde er strenger gestraft werden, wenn er als des Vergehens durch Zeugen überführt verurtheilt werde, als wenn er ein reumüthiges Geständniss ablege. P. 60 wird das Formular eines zweiten Verhöres mitgetheilt. Der Inquisitor fragt den Angeklagten zunächst: ob er sein Gewissen besser er- forscht und sich entschlossen habe, aufrichtiger die Wahrheit zu sagen. Dann hält er ihm vor: aus den Acten des Processes ergebe sich, dass er nicht die Wahrheit gesagt; denn es sei constatirt u. s. w. u. s. w. Darauf wird er ermahnt, die Wahrheit zu sagen, damit er sich nicht des Meineides schuldig mache und sein Gewissen beschwere. Dann, heisst es weiter, kann er nochmals im Einzelnen inquirirt und wiederholt ermahnt werden, wie oben angegeben, unter Beifügung der Drohung, die Erledigung der Sache werde sich, wenn er nicht die Wahrheit sage, verzögern, er werde länger in Haft gehalten und es werde nach dem strengen Rechte gegen ihn verfahren werden.

2) Urbano VIII, p. 197. Scartazzini sagt, Uns. Zeit 1877, II, 450, ,, dieses wichtige Document sei unseren deutschen Galilei-Forschern noch

Brief Firenzuola's vom 28. April 1633. 283

veröffentlicht hat. Es ist ein Brief des Commissars der Inquisition vom 28. April 1633 an den Cardinal Barberini, der sich damals mit dem Papste in Castel Gandolfo be- fand. Dieser Brief lautet: „Gestern1) habe ich entspre- chend dem Befehle unseres Herrn den Cardinälen der Con- gregation über den Stand der Galilei'schen Sache kurz berichtet. Die Herren haben gut geheissen, was bis jetzt geschehen ist. Dann haben sie verschiedene Schwierig- keiten erwogen bezüglich der Weise, wie die Sache weiter zu führen und ihrer Erledigung näher zu bringen sei, namentlich folgende: Galilei hat in seinem Verhöre abge- leugnet, was doch ganz augenscheinlich aus dem von ihm verfassten Buche hervorgeht; wenn er bei diesem Ableug- nen bleibt, würde es nöthig werden, mit grösserer Strenge nach dem Rechte zu verfahren und nicht mehr so viel Rück- sichten zu nehmen, wie sonst bei dieser Sache rathsam scheint. Schliesslich schlug ich vor, die h. Congregation möge mich ermächtigen, in aussergerichtlicher Weise mit Galilei zu verhandeln, um ihn von seinem Irrthum zu über- zeugen und dahin zu bringen, dass er diesen, nachdem er ihn erkannt, eingestehe. Der Vorschlag wurde Anfangs als zu kühn angesehen; man meinte, die Erreichung dieses Zieles sei wohl nicht zu hoffen, so lange man dabei bleibe, ihn mit Gründen überzeugen zu wollen. Aber nachdem ich den Grund angedeutet hatte, weshalb ich diesen Vorschlag gemacht, haben sie mir jene Ermächtigung gegeben. Um keine Zeit zu verlieren, habe ich gestern nach dem Früh- stück mit Galilei ein Gespräch angeknüpft, und nachdem wir viele und viele Gründe und Antworten mit einander ge- wechselt, erreichte ich mit der Gnade Gottes meinen Zweck. Ich zeigte ihm handgreiflich seinen Irrthum, so dass er deutlich erkannte, dass er geirrt und in seinem Buche sich verfehlt habe. Das alles sprach er in sehr bewegten Wor- ten aus, als wenn er sich selbst über die Erkenntniss seines

völlig unbekannt geblieben". Ich habe schon Th. Lit.-Bl. 1876, 175 auf dasselbe aufmerksam gemacht.

i) Der 27. April war ein Mittwoch. Es hatte also an diesem Tage die regelmässige Sitzung der Cardinäle der Inquisition stattgefunden. Weder in den Vaticanischen noch in den Gherardi'schen Actenstücken findet sich eine Notiz über diese Sitzung, in welcher ja auch kein förmlicher Beschluss über Galilei gefasst wurde.

284 Brief Firenzuola's vom 28. April 1633.

Irrthums sehr getröstet fühlte. Er zeigte sich bereit, den- selben gerichtlich zu gestehen, bat mich jedoch, ihm einige Zeit zu lassen, um über die Art und Weise nachzudenken, wie er seinem Geständniss eine anständige Form geben (honestare la conf esstone) könne, welches hoffentlich, was den Inhalt betrifft, in der angegebenen Weise erfolgen wird. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, Ew. Eminenz dieses sogleich mitzutheilen, ich habe es sonst Niemand mitgetheilt, weil ich hoffe, dass Seine Heiligkeit und Ew. Eminenz erfreut darüber sein werden, dass auf diese Weise die Sache auf den Weg gebracht wird, auf welchem sie ohne Schwierigkeit erledigt werden kann. Das Tribu- nal wird seiner Reputation nichts vergeben, gegen den An- geklagten wird man milde verfahren können, und in wel- cher Weise auch die Sache erledigt werden mag, er wird die Gnade, die ihm zu Theil geworden, erkennen1). . . . Heute denke ich ihn zu verhören, um das besagte Geständ- niss zu erlangen, und wenn ich dieses, wie ich hoffe, er- lange, so bleibt mir nur noch übrig, ihn über die Intention zu verhören und ihn zur Einreichung seiner Verteidigungs- schrift aufzufordern, und darauf wird ihm das Haus [des Gesandten] als Kerker angewiesen werden können, wie Ew. Eminenz andeutete."

Die Inquisition war nach der bei ihr geltenden Ord- nung berechtigt, ja verpflichtet, da starke Beweise vorlagen, dass Galilei trotz des ihm im J. 161 6 ertheilten Verbotes die Copernicanische Ansicht in dem Dialog gelehrt und vertheidigt habe, gegen Galilei, der dieses leugnete, „mit grösserer Strenge nach dem Recht zu verfahren", d. h. zu versuchen, ihn durch Verlängerung seiner Haft und andere Mittel, zuletzt durch die Folter zum Geständniss zu bringen. Der Papst wünschte aber, Galilei möge nicht gefoltert und nicht lange in Haft gehalten, sondern bald entlassen wer- den, — das ist ohne Zweifel „der Grund", welchen der Commissar der Inquisition für seinen Vorschlag anführte und welcher die Cardinäle bestimmte, darauf einzugehen.

i) Es folgen die mir nicht recht verständlichen, aber jedenfalls nicht wichtigen Worte: con tutte Valtre conseguenze di sodisfatione che in cid si desiderano. Scartazzini, a. a. O. S. 451, übersetzt: „nebst allen übrigen Folgen von Genugthuung, die man in dieser Sache wünscht".

Das zweite Verhör. 285

Galilei wurde allerdings nicht, wie Firenzuola beab- sichtigte, am 28. April verhört, warum nicht, ist nicht zu ermitteln und nicht wichtig, aber am 30. wurde er auf sein eigenes Verlangen vor den Commissar (und den Fiscal) geführt1). Dieser forderte ihn, ohne selbst irgendwelche Fragen zu stellen, auf, zu sagen, was er zu sagen habe, und Galilei gab nun folgende Erklärung zu Protocoll: „Ich habe mehrere Tage fortgesetzt und angestrengt über die mir am 12.2) dieses Monats vorgelegten Fragen nachge- dacht, namentlich über die Frage, ob mir vor 16 Jahren auf Befehl des h. Officiums verboten worden sei, die damals schon verdammte Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne für wahr zu halten, zu ver- theidigen oder irgendwie zu lehren. Dabei bin ich auf den Gedanken gekommen, meinen gedruckten Dialog, den ich seit drei Jahren nicht mehr durchgesehen, noch einmal zu lesen, um zu erkennen, ob mir vielleicht gegen meine ganz reine Absicht durch meine Unachtsamkeit irgend etwas aus der Feder geflossen, was den Leser oder die Oberen ver- anlassen könnte, bei mir nicht nur irgend eine Makel des Ungehorsams, sondern auch anderes vorauszusetzen, was mich als den Anordnungen der h. Kirche zuwiderhandelnd er- scheinen lassen könnte. Und da mir die Oberen gütig ge- stattet haben, meinen Diener auszuschicken, habe ich mir ein Exemplar meines Buches verschafft und mich daran gegeben, es zu lesen und bis ins Einzelnste zu prüfen. Und da es mir, weil ich es lange nicht mehr gelesen, wie eine neue und von einem Andern verfasste Schrift vorkam, so gestehe ich frei3), dass sie mir an mehreren Stellen so ab- gefasst erschien, dass der Leser, der meine innere Gesin- nung nicht kennt, dadurch veranlasst werden könnte, sich die Meinung zu bilden : die Argumente, welche für die eine Ansicht, welche falsch ist und welche ich zu widerlegen beabsichtigte, angeführt werden, seien so vorgetragen, dass sie eher als beweiskräftig denn als leicht zu widerlegen

1) Acten S. 82.

2) In den Acten steht unrichtig „am 16".

3) Von hier an sind einige Zeilen unterstrichen; neben den folgenden bis zum Schlüsse befindet sich ein Strich am Rande. Diese Striche rühren ohne Zweifel von dem Verfasser des unten (S. 294) zu erwähnenden Re- ferates her.

286 Das zweite Verhör.

erscheinen, und namentlich zwei, das von den Sonnenflecken und das von der Ebbe und Fluth des Meeres hergenommene, würden in der That in einer Weise als starke und beweis- kräftige Argumente hingestellt, wie sich das für einen Au- tor nicht passe, der sie für nicht beweisend halte und widerlegen wolle, wie ich sie denn innerlich und in Wahr- heit nicht für beweisend, sondern für widerlegbar hielt und halte. Und um mich bei mir selbst darüber zu entschul- digen, dass ich in einen meiner Absicht so sehr fremden Irrthum gefallen, genügte mir nicht völlig, zu sagen: wenn man die Argumente der Gegenpartei darstelle, um sie zu widerlegen, so müsse man sie, namentlich wenn man in der Form eines Dialogs schreibe, in der schärfsten Weise vortragen und nicht zu Gunsten des Gegners abschwächen. Da mir diese Entschuldigung, wie gesagt, nicht genügte, so recurrirte ich auf jene Entschuldigung, die darin liegt, dass ein Jeder von Natur geneigt ist, an seinen eigenen Subtilitäten und daran Gefallen zu finden, sich dadurch scharfsinniger als die meisten Menschen zu erweisen, dass er auch falsche Sätze durch ingeniöse und blendende Be- weisführungen wahrscheinlich zu machen weiss. Bei alle dem und wiewohl ich, mit Cicero zu reden, avidior sim gloriae quam sah's est, würde ich doch, wenn ich jetzt die näm- lichen Gründe niederzuschreiben hätte, ohne Zweifel sie so abschwächen, dass sie nicht den Eindruck machen würden, als besässen sie die Beweiskraft, die sie ihrem Wesen nach und in Wirklichkeit nicht besitzen. Mein Irrthum, den ich ein- gestehe, ist also ein solcher gewesen, der in eitelm Ehrgeiz und in reiner Unwissenheit und Unachtsamkeit seinen Grund hatte. Das ist es, was ich zu sagen habe bezüglich dessen, was mir bei dem Wiederdurchlesen meines Buches in den Sinn gekommen ist."

Nachdem diese Erklärung protocollirt und von Galilei unterschrieben war, wurde er entlassen, kam aber gleich darauf (post paulum) zurück und gab noch Folgendes zuPro- tocoll: „Zur Bekräftigung meiner Versicherung, dass ich die verdammte Meinung von der Bewegung der Er de und dem Still- stehen der Sonne weder für wahr gehalten habe noch für wahr halte, bin ich bereit, wenn mir dazu, wie ich wünsche, die Möglichkeit und die Zeit gestattet sein wird, einen noch deut- lichem Beweis dafür zu führen. Es bietet sich dazu eine sehr

Entlassung aus der Haft. 287

bequeme Gelegenheit1), da in dem gedruckten Buche die Interlocutoren sich verabreden, nach einiger Zeit wieder zu- sammen zu kommen, um über einige von dem in ihren Gesprächen behandelten Gegenstande verschiedene natur- wissenschaftliche Probleme zu sprechen. Bei dieser Ge- legenheit also verspreche ich, indem ich einen oder zwei Dialoge (giomate) hinzufüge, die zu Gunsten der besagten falschen und verdammten Meinung bereits vorgetragenen Argumente wieder aufzunehmen und sie so überzeugend, wie mir Gott der Gebenedeite eingeben wird, zu widerlegen. Ich bitte also dieses h. Tribunal, diesen meinen guten Vor- satz dadurch unterstützen zu wollen, dass es mir die Er- laubniss gibt, ihn auszuführen/'

Es braucht nicht ausdrücklich constatirt zu werden, dass Galilei's Versicherung, er habe die Copernicanische Ansicht nicht für wahr gehalten, ebenso wenig aufrichtig war wie die in dem ersten Verhör aufgestellte Behauptung, er habe sie im Dialog nicht gelehrt oder vertheidigt. Be- dürfte dieses eines Beweises, so würde die Hinweisung auf den oben (S. 57) erwähnten merkwürdigen Brief genüg*en, den Galilei am 15. Jan. 1633, unmittelbar vor seiner Ab- reise nach Rom geschrieben. Der Inquisition g-enügte das zu Protocoll gegebene Geständniss vorläufig. Unter dem Protocoll ist mit demselben Datum vermerkt: der Commis- sar habe in Anbetracht der Kränklichkeit und des hohen Alters Galilei's, „nachdem er vorher mit dem Papste ge- sprochen (facto prius verbo cum Sanctissimo), den Angeklag- ten in den Gesandtschaftspalast entlassen, mit der Wei- sung, diesen als Kerker anzusehen, mit keinem Andern als den Bewohnern desselben zu sprechen und sich, so oft er werde vorgefordert werden, im h. Officium wieder einzu- finden, — bei Vermeidung der nach dem Gutdünken der h. Congregation zu bestimmenden Strafen, und nachdem er eidlich gelobt, über seinen Process Stillschweigen zu beob- achten und allen obigen Weisungen zu gehorchen2). Der

1) Auch im Folgenden ist auf einige Zeilen durch Unterstreichung aufmerksam gemacht.

2) Wenn Wohlwill S. 40 sagt: „Dass es sich in der Entlassung des leidenden Gefangenen um eine keineswegs ungewöhnliche Begünstigung han- delt, geht daraus hervor, dass eine zeitliche Befreiung aus Gesundheitsrück-

288 Entlassung aus der Haft.

Commissar kann nicht nach dem Verhöre am 30. April mit dem Papste gesprochen haben, da dieser noch in Castel Gandolfo war; er war ohne Zweifel, wie auch sein oben mitgetheilter Brief andeutet, in voraus ermächtigt, Galilei zu entlassen, sobald er das erwartete Geständniss abgelegt.

Am 1. Mai1) schreibt Niccolini: „Galilei wurde mir gestern ganz unerwartet zurückgeschickt, obschon seine Vernehmung nicht beendigt ist. Es ist dies geschehen auf die Fürsprache, welche der Commissar bei dem Cardinal Barberino eingelegt, und dieser hat ihn nach eigenem Er- messen, ohne die Congregation, in Freiheit setzen lassen, damit er sich von seinem gewöhnlichen Unwohlsein, wel- ches ihn fortwährend quälte, erholen könne. Der Commis- sar verspricht auch, dahin zu wirken, dass diese Sache nie- dergeschlagen [? per cht questa causa st sttacct] und Still- schweigen darüber auferlegt werde. Wenn das erreicht wird, so wird das dazu dienen, alles abzukürzen und Viele von Verdriesslichkeiten und Gefahren zu befreien." Am 3. Mai2) berichtet er weiter: „Da Galilei die Beendigung sei- ner Sache wünscht, so hat der Commissar ihm Hoffnung gemacht, er werde zu dem Ende zu ihm kommen. Er fährt fort, in dieser Angelegenheit sich in jeder Weise gefällig und als gegen das grossherzogliche Haus ergeben zu er- weisen; ich biete alles auf, diese gute Gesinnung bei ihm zu erhalten und zu vermehren."

Auf die Anzeige von Galilei' s Rückkehr in sein Haus erhielt Niccolini, gewiss zu seinem grossen Verdruss, von dem Staatssecretär Cioli folgenden Bescheid3): ,,Seine Hoheit ist sehr erfreut über die Nachricht von der Freilas- sung Galilei's. Ich glaube aber Ew. Excellenz daran er- innern zu müssen, dass ich, als ich Ihnen schrieb, Sie möch- ten ihn in Ihr Haus aufnehmen, die Bestimmung beifügte: »für Einen Monat«. An die Kosten der übrigen Zeit muss

sichten im Sacro Arsenale vorgesehen ist", so ist das richtig; wenn er aber beifügt: „und dass die für diesen Fall vorgeschriebene Form der Protocolli- rung fast wörtlich mit derjenigen übereinstimmt, die . . . bei Galilei's Ent- lassung am 30. April 1633 aufgenommen wurde", so ist das übertrieben. In dem Protocoll S. A. p. 147 wird vorausgesetzt, dass der Angeklagte eine entsprechende Summe als Caution deponirte und ein Anderer sich für ihn verbürgte.

1) IX, 441. 2) IX, 442. 3) IX, 442; vgl. IX, 323.

Das dritte Verhör. 289

er also selbst denken. " Niccolini antwortete am 15. Mai1): „Wenn Sie mir mittheilen, Seine Hoheit beabsichtige die Auslagen für Galilei nur für den ersten Monat zu vergüten, so kann ich antworten, dass ich über diesen Gegenstand nicht mit ihm zu sprechen gedenke, so lange er mein Gast ist; lieber werde ich die Kosten selbst tragen; dieselben übersteigen schliesslich, alles eingerechnet, nicht 14 oder 15 Scudi den Monat, so dass sie, wenn er selbst ein halbes Jahr hierbliebe, für ihn und einen Diener nur 90 100 Scudi betragen werden/' Die toscanische Regierung nahm ihn beim "Worte. Am 1. Juni schrieb Geri Bocchineri an Galilei2): „Die Kosten Ihres Aufenthalts werden jetzt nicht mehr von Seiner Hoheit bestritten, sondern von dem Gesandten vor- gelegt ; wenn er sich dieselben nicht von Ihnen zurückzahlen lässt, müssen Sie ihm dafür danken."

XXV.

Das dritte Verhör Galilei'«, 10. Mai 1633. Seine Yertheidigung.

Einem Angeklagten, der die ihm Schuld gegebenen Thatsachen leugnete, musste nach den bei der Inquisition geltenden Regeln, ehe zur Folter geschritten wurde, Gele- genheit geboten werden, sich zu vertheidigen oder durch einen Advocaten vertheidigen zu lassen3). Aber auch wenn der Angeklagte sein Vergehen eingestanden hatte, musste ihm anheimgegeben werden, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu vertheidigen4), also mildernde Umstände nachzu- weisen u. dgl. Demgemäss wurde Galilei am 10. Mai wie- der vor den Commissar citirt5), der Fiscal war dies Mal nicht zugegen, und ihm eröffnet, es sei ihm eine Frist von acht Tagen für die Einreichung seiner Vertheidigungs-

i) IX, 442. 2) IX, 361.

3) Sacro Arsenale p. 218. Der technische Ausdruck lautete: dare al Reo le difese. 4) S. A. 139. 5) Acten S. 86.

Reusch, Galilei. IQ,

290 Das dritte Verhör.

schrift gesetzt. Der Commissar hatte dies ohne Zweifel Galilei bereits früher mitgetheilt und ihm, wie das Sitte war, eine Abschrift der Protocolle über seine beiden Verhöre gegeben1); denn Galilei erklärte sofort: \,Zu meiner Ver- teidigung, d. h. um die Aufrichtigkeit und Reinheit meiner Absicht zu beweisen, nicht um es völlig zu entschuldigen, dass ich einigermassen in der Weise, wie ich gesagt, ge- fehlt habe, überreiche ich dieses Schriftstück nebst dem von dem Cardinal Bellarmin eigenhändig geschriebenen Zeugnisse, von dem ich bereits eine von meiner Hand geschriebene Abschrift überreicht habe. Im Uebrigen überlasse ich mich in allem und für alles der gewohnten Güte und Milde dieses Gerichtshofes."

Die Vertheidigungsschrift lautet: ?,In dem oben stehen- den Verhöre, in welchem ich gefragt wurde, ob ich dem Pater Palastmeister den Befehl mitgetheilt, welcher mir vor 16 Jahren auf Anordnung des h. Officiums ertheilt worden, die Meinung von der Bewegung der Erde und dem Still- stehen der Sonne nicht für wahr zu halten, zu vertheidigen oder in irgend einer Weise zu lehren, habe ich mit Nein geantwortet, und weil ich nicht gefragt wurde, warum ich dieses nicht gethan, hatte ich keine Veranlassung, etwas hin- zuzufügen. Jetzt scheint es mir nöthig, zu sagen, warum ich dies nicht gethan, um zu zeigen, dass meine Absicht stets rein gewesen und dass es mir stets fern gelegen, bei irgend einer meiner Handlungen Verstellung oder Trug anzuwenden.

„Ich sage also: Da in jenen Zeiten Einige, die mir nicht wohl wollten, das Gerücht ausstreuten, ich sei zu dem Car- dinal Bellarmin beschieden worden, um einige meiner Mei- nungen abzuschwören, und ich hätte abschwören müssen und es seien mir auch Bussen aufgelegt worden, war ich genö- thigt, mich mit der Bitte an Seine Eminenz zu wenden, er möge mir ein Zeugniss ausstellen, in welchem gesagt werde, weshalb ich zu ihm beschieden worden sei. Dieses Zeugniss erhielt ich von ihm selbst geschrieben, und ich lege es die- sem Schriftstücke bei. Daraus ergibt sich, dass mir nur eröffnet worden ist, die dem Copernicus zugeschriebene Mei- nung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der

i) So erklärt sich, wie Wolynski p. 57 bemerkt, der Anfang seiner Vertheidigungsschrift: NelV interrogatorio fiosto di sopra.

Das dritte Verhör. 29 t

Sonne u. s. w. dürfe nicht für wahr gehalten und nicht verthei- digt werden. Dass ausser dieser allgemeinen, Alle ange- henden Mittheilung mir irgend etwas Besonderes befohlen worden, davon steht darin kein Wort. Da ich nun zu mei- ner Erinnerung l) dieses authentische, von demjenigen, der mir die Mittheilung machte, eigenhändig geschriebene Zeug- niss hatte, so habe ich später nicht mehr an die Worte ge- dacht, welche gebraucht wurden, als mir der besagte Befehl, dass man nicht vertheidigen und für wahr halten dürfe, münd- lich ertheilt wurde, so dass die beiden Ausdrücke vel quovis modo docere, welche ausser dem tenere, defendere in dem mir ertheilten und registrirten Befehle vorkommen, als sie mir [bei dem ersten Verhöre] vorgelesen wurden, mir ganz neu und wie nie gehört vorkamen. Ich denke, man wird es mir glauben dürfen, dass ich sie im Laufe von 14 oder 16 Jahren ganz aus dem Gedächtnisse verloren, zumal ich nicht genöthigt war, darüber nachzudenken, da ich ja eine so gül- tige schriftliche Aufzeichnung in Händen hatte. Werden aber die beiden besagten Ausdrücke weggelassen und nur die beiden in dem beiliegenden Zeugnisse vorkommenden festgehalten, so ist es unzweifelhaft, dass der in diesem Zeugnisse enthaltene Befehl derselbe ist, wie der in dem Decrete der h. Congregation des Index enthaltene. So scheint es mir, dass ich eine genügende Entschuldigung dafür habe, dass ich dem Pater Palastmeister den mir privatim ertheil- ten Befehl, als mit dem der Index- Congregation identisch, nicht mitgetheilt habe.

,,Ich sage ferner: wiewohl mein Buch keiner strengern Censur unterlag als derjenigen, zu welcher das Index-Decret verpflichtet, habe ich doch, wie mir scheint, offenbar das beste und passendste Mittel gewählt, dasselbe sicher zu stellen und von jedem Schatten eines Fleckens zu reinigen, indem ich es dem obersten Inquisitor vorlegte, zu der- selben Zeit, in welcher viele -von demselben Gegenstande handelnde Bücher nur auf Grund des besagten Decretes verboten wurden.

„Nach dem Gesagten glaube ich fest hoffen zu dürfen, dass der Gedanke, ich habe mit Wissen und Willen die mir ertheilten Befehle übertreten, Ihren Eminenzen den höchst

1) Hier sind wieder einige Zeilen durch Unterstreichen hervorgehoben.

292 Das dritte Verhör.

verständigen Herren Richtern fern bleiben werde, und dass sie anerkennen werden, dass die in meinem Buche vorkom- menden tadelnswerthen Sätze nicht aus böser oder weniger aufrichtiger Absicht mit Ueberlegung in das Buch aufge- nommen worden, sondern in Folge von eitelm Ehrgeiz und der Sucht, scharfsinniger zu erscheinen als die meisten po- pulären Schriftsteller, aus Unachtsamkeit mir aus der Feder geflossen sind, wie ich in einem andern Verhöre eingestan- den habe. Dieses Versehen bin ich bereit mit allem nur möglichen Fleisse wieder gut zu machen, sofern mir dieses von Ihren Eminenzen befohlen oder erlaubt wird.

„Es erübrigt mir schliesslich noch zu bitten, man möge Rücksicht nehmen auf den Zustand eines bemitleiden swer- then körperlichen Leidens, worin mich eine zehn Monate ununterbrochen andauernde Betrübniss des Geistes, verbun- den mit den Unbequemlichkeiten einer langen und mühe- vollen Reise in der ungünstigsten Jahreszeit in einem Alter von 70 Jahren, versetzt hat, so dass ich den grössern Theil der Jahre, welche mir meine frühere Körperbeschaf- fenheit versprach, verloren zu haben fürchte. Diese Bitte auszusprechen, fühle ich mich ermuthigt und angetrieben durch das Vertrauen, welches ich in die Milde und Güte Ihrer Eminenzen meiner Richter setze, indem ich hoffe, sie werden, wenn nach ihrem gerechten Urtheile so viele Leiden noch keine ausreichende Strafe für meine Vergehen sein sollten, auf meine Bitte das noch Mangelnde dem hinsinken- den Greisenalter nachlassen, welches auch noch demüthig sich zur Berücksichtigung empfiehlt. Nicht minder will ich ihnen meine Ehre und Reputation empfehlen, gegenüber den Verleumdungen meiner Feinde. Wie hartnäckig diese dar- auf ausgehen, meinen Ruf zu untergraben, dafür mag die Notwendigkeit als Beweis dienen, in welche ich mich ver- setzt gesehen, * mir von dem Cardinal Bellarmin das beilie- gende Zeugniss zu erbitten."

Nach derUeberreichung der Verteidigungsschrift wurde Galilei sofort wieder, unter denselben Bedingungen wie am 30. April, in den Gesandtschaftspalast zurückgeschickt. Das nächste Verhör fand erst am 21. Juni statt. Am 15. Mai be- richtete Niccolini1) nach Florenz: „Galilei befindet sich ziem-

1) IX, 442.

Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633. 293

lieh gut ; aber seine Sache kommt noch nicht zum Ende, und er ist noch immer in meinem Hause internirt, was ihm un- bequem ist, weil er sich keine Bewegung machen kann." Ende Mai wurde ihm erlaubt in den Gärten- der Villa des Gesandten spazieren zu gehen, nachdem er in einem halb- verschlossenen Wagen dorthin gefahren. Er machte sogar einmal einen Ausflug nach Castel Gandolfo1).

XXVI. Die Sitzung der Inquisition am 16. Jnni 1633.

In Briefen, welche Galilei im Mai 1633 schrieb, die aber nicht erhalten sind, sprach er, nach den Antworten zu ur- theilen2), die Erwartung aus, sein Process werde bald und in einer für ihn günstigen Weise beendigt werden. Am 22. Mai berichtete Niccolini3): „Ich sprach mit Seiner Heiligkeit von der Erledigung der Sache Galilei' s. Es wurde mir von ihm und von dem Cardinal-Nepoten in Aussicht gestellt, die Sache werde wohl in der zweiten Sitzung, am Donnerstag in acht Tagen, beendigt werden. Ich vermuthe, das Buch wird verboten werden, wenn man nicht den Ausweg wählt, ihn selbst eine Apologie machen zu lassen, wie ich Seiner Heiligkeit vorschlug. Galilei selbst wird irgend eine heil- same Busse aufgelegt werden, weil man behauptet, er habe die ihm im J. 161 6 von dem Cardinal Bellarmin bezüglich der Bewegung der Erde ertheilten Befehle übertreten. Ich habe ihm bis jetzt noch nicht alles gesagt, da ich beabsich- tige, um ihn nicht zu betrüben, ihn ganz allmählich darauf vorzubereiten/'

Wenn man milde gegen Galilei verfahren wollte, konnte man in der That sich darauf beschränken, den Dialog auf den Index zu setzen, von ihm selbst das Geständniss zu veröffentlichen, er habe dadurch gefehlt, dass er in dem

1) IX, 443. 360. 2) IX, 351. 353-354- 355- 357- 359- 362.

3) IX, 443; vgl. 364.

294 Referat über den Process.

Dialog zu Gunsten einer irrigen und der h. Schrift wider- sprechenden Ansicht gesprochen, und ihm dafür und für die Nichtbeachtung der ihm im J. 1616 ertheilten Weisung eine Strafe, etwa eine zeitweilige Haft oder Internirung, oder eine „heilsame Busse" aufzulegen. Wenn man ihn bloss wegen Ungehorsams gegen die erwähnte Weisung verurtheilen wollte, konnte man nicht wohl weiter gehen. Ob der Papst und der Cardinal Barberini Ende Mai wirk- lich, wie Niccolini angenommen zu haben scheint, beabsich- tigten, in dieser Weise die Sache zu erledigen oder ob sie in ähnlicher Weise Niccolini allmählich vorbereiten wollten, wie Niccolini Galilei, ist nicht auszumachen. Jedenfalls be- schränkte sich Urban VIII. nicht auf die angegebenen Mass- regeln.

Die Sitzung der Inquisition, in welcher über Galilei's Schicksal entschieden wurde, fand am 16. Juni 1633 statt. Bei den Processacten findet sich ein Referat, welches wahr- scheinlich von dem Assessor des h. Officiums verfasst ist1) und entweder in dieser Sitzung vorgetragen wurde oder, wie Grisar S. 1 20 annimmt, vor derselben bei den Cardinälen, wahrscheinlich auch bei den Consultoren, der Inquisition circulirte. Es gibt ein Resume aus den zu dem ersten und zweiten Process gehörenden Actenstücken, beginnend mit der Denunciation Lorini's im Febr. 1615 und schliessend mit der am 30. Mai überreichten Vertheidigungsschrift Galilei's, wobei auf die einzelnen Actenstücke mit Angabe der Fo- lio-Zahl verwiesen wird2).

Wohlwill3) sucht von diesem Actenstücke nachzuwei- sen, dass es erst kurz vor 180g geschrieben worden sei, zu einer Zeit, als man die Entführung der Processacten aus dem Archiv der Inquisition erwartete, und in der Absicht, für diesen Fall den Inhalt des Processes als unerheblich,

1) Acten S. 3. S. oben S. 71 und Wolynski p. 59.

2) Gebier, Die Acten S. XI. Der Verfasser des Referates hat die von ihm benutzten Actenstücke auf dem untern Rande paginirt, um sie mit An- gabe der Folio-Zahl citiren zu können. Er hat auch in den Actenstücken die Stellen, auf die es hauptsächlich ankam, durch Unterstreichen bemerklich gemacht; s. o. S. 285.

3) Ist Gal. gef. worden? S. 114— 123. 149. Ebenso Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 438. Vgl. dagegen Th. Lit.-Bl. 1877,510 und Gebier, Gegen- wart 1878, No. 18, S. 278.

Referat über den Process. 295

ja völlig werthlos für einen Angriff gegen Inquisition und Kirche, dagegen als in hohem Masse bedenklich für das Ansehen Galilei's in den Augen der Welt erscheinen zu lassen. Die Argumentation Wohlwills stützt sich lediglich auf innere Gründe, auf den Inhalt des Actenstücks. Es braucht nun nicht untersucht zu werden, ob das Actenstück dem von Wohlwill angenommenen Zwecke genau entspricht ; es genügt, nachzuweisen, dass es nichts enthält, was nicht ein mit einem Referat über die Galilei' sehe Angelegenheit behufs Vorbereitung des Urtheils beauftragter Beamter der Inquisition zwischen dem 10. Mai und 16. Juni schreiben konnte.

Wohlwill sagt selbst, das Referat sei „eine abgekürzte, aber doch völlig zusammenhängende Erzählung des Ver- fahrens gegen Galilei von der ersten Denunciation im Febr. 16 15 bis zu seiner Vertheidigung im Mai 1633, bei der an geeigneten Stellen [durchgehends, bei jedem Passus] auf die betreffenden Actenstücke verwiesen werde". Wenn er beifügt, dieser Auszug aus den Acten sei „in vielen Punk- ten und allem Anscheine nach absichtlich ungenau", so spricht diese Angabe nicht gegen die Abfassung durch den Referenten der Inquisition; sie ist aber in dem Grade, wie Wohlwill behauptet, nicht richtig. Das Referat würde aller- dings, wenn es eine geschichtliche Darstellung der Ver- handlungen sein sollte, unvollständig zu nennen sein; dem Referenten kam es aber gar nicht auf eine geschichtlich vollständige Erzählung an, sondern nur auf eine Zusammen- stellung der Punkte, welche für die Cardinäle, die das Ur- theil zu fällen hatten, von Bedeutung waren. Darum wer- den einzelne Punkte nur kurz und oberflächlich und in Fol- ge davon ungenau behandelt, während z. B. die Aussage Galilei's in dem Verhöre vom 30. April, die für die Richter vor allem von Bedeutung war, vollständig wiedergegeben wird. Einige Angaben des Referates sind unrichtig oder doch ungenau; von einer dieser Ungenauigkeiten, die sich auf die Schrift über die Sonnenflecken bezieht, war schon oben S. 108 die Rede; auch der Auszug aus den Verhören des ersten Processes ist nicht genau. Aber es handelt sich doch durchweg nur um Ungenauigkeiten, wie sie einem Referenten der Inquisition, auch wenn er ganz objeetiv be- richten wollte, leicht unterlaufen konnten, nicht um „absieht-

296 Referat über den Process.

liehe Ungenauigkeiten", wie man sie bei einer Fälschung zu dem von Wohlwill angenommenen Zwecke erwarten sollte. Wohlwill scheint zu vergessen, dass ein -Beamter der In- quisition im J. 1633 manche Dinge anders ansah als ein „moderner Mensch" wie er selbst, wenn er sagt: „Wenn die Acten in der Denunciation vom J. 1615 und den daran sich knüpfenden Zeugenverhören eine ruchlose Intrigue ent- hüllen, so weiss der Auszug nur von regelrechten Anklagen und Verhandlungen; die Schleichwege, auf denen der Erz- bischof und der Inquisitor von Pisa den arglosen Castelli im Auftrage des h. Officiums zu berücken suchen [s. o. S. 84], werden in der Inhaltsangabe zu soliden «Be- mühungen«." Wie immer auch diese Vorgänge beurtheilt werden mögen, der Referent der Inquisition konnte sie doch nicht wohl anders darstellen, als er thut. Ueber den zweiten Punkt sagt er übrigens nur, was ja auch für seinen Zweck genügte: man habe sich vergeblich bemüht, das Ori- ginal des (von Lorini denuncirten) Briefes (Galilei's an Ca- stelli) zu erlangen. Bezüglich des ersten Punktes sagt Wohl- will weiter nicht ganz mit Unrecht: „Der Denunciant des Originals lässt [Caccini lässt in den Acten, s. o. S. 86] Galilei's Schüler, der Verfasser des Auszugs Galilei selbst ketzerischer Sätze, unter ihnen einer geringschätzigen Aeusserung über die Wunder der Heiligen, verdächtig erscheinen; bei der Auf-' klärung über das Irrthümliche dieses Theils der Anklage lässt der Auszug* den Leser vermuthen, dass Galilei und seine Schüler über solche Dinge zum mindesten disputirten, während die Zeugenverhöre vielmehr ergeben, dass kein Anderer als ein Bundesgenosse des Denuncianten diese Dis- putationen veranlasst hat, dass der Mann, mit dem er dis- putirt*, kein Schüler des Galilei, und dass die Aeusserung über die Wunder der Heiligen eine Erfindung des Denun- cianten ist." Der Auszug constatirt: „Caccini habe ausge- sagt, er habe (ausser der Copernicanischen Ansicht) andere irrige Meinungen von Galilei aussagen hören. . . Aus dem Verhöre der von ihm namhaft gemachten Zeugen ergebe sich, dass die fraglichen Sätze von Galilei und seinen Schü- lern nicht behauptungs weise (asser tive)^ sondern nur dispu- tationsweise (disputative) ausgesprochen worden seien." Damit war constatirt, dass diese Sätze keinen „Theil der Anklage" hatten bilden können; darauf aber kam es an,

Referat über den Process. 297

und die Ungenauigkeiten, welche sich hier im Einzelnen in dem Auszug finden, ändern daran nichts, und zu ihrer Er- klärung ist nicht einmal die Annahme einer bösen Absicht erforderlich, sondern die Annahme genügend, dass der Ver- fasser, indem er ,,der Natur des Auszugs gemäss kürzte und zusammenzog*', ungeschickt und vielleicht auch bei die- sem für den Process nicht wichtigen Punkte nicht besonders sorgfältig verfahren. Noch unbilliger ist der Vorwurf Wohlwills: „Der wichtige persönliche Antheil des Papstes an der Correctur der Dialoge, den die Acten ausser Zwei- fel stellen, ist in dem Ueberblick verschwunden." Der Re- ferent hatte anzugeben, was er thut, wie es sich mit der für den Dialog von dem Palastmeister ertheilten Druck-Erlaubniss verhielt; ob dieser dabei nach eigenem Ermessen oder nach päpstlichen Weisungen gehandelt, war hier ganz irrelevant, da es sich ja nicht um die Frage han- delte, ob sich der Palastmeister, sondern um die Frage, ob sich Galilei etwas habe zu Schulden kommen lassen. Von dem, was das Referat über das Index -Decret von 161 6 sagt, war schon oben (S. 147) die Rede; die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6 wird einfach angeführt, wie sie in den Acten stand.

Jedenfalls ist die Annahme, dass das fragliche Acten- stück ein zwischen dem 10. Mai und 16. Juni 1633 für die Cardinäle der Inquisition angefertigtes Referat sei, durch Wohlwills Argumentation nicht erschüttert.

Diesem Referate waren mit den anderen Actenstücken auch die Gutachten der drei Theologen beigefügt1), ohne dass indess darauf Bezug genommen wird. In dem Ur- theil vom 22. Juni wird gesagt: es sei gefällt worden „nach dem Rathe und Gutachten der Magister der h. Theologie und Doctoren beider Rechte, 'die unsere Consultoren sind". Wohlwill findet es mit Rücksicht auf diese Stelle „in hohem Grade verdächtig", dass sich bei den Acten keine juristi- schen Vota befinden, und vermuthet, dieselben seien nach- träglich daraus entfernt worden2). In dem Urtheil ist aber

i) Sie sind gleich den anderen Actenstücken paginirt, Fol. 84 103.

2) Er meinte, Ist Gal. gef. worden? S. 63, hinter dem Votum des Pasqualigo sei eine Lücke von drei Blättern; dort müssten die juristischen Vota gestanden haben. Da nun nach Gebier, Acten S. 92 ff., dort keine

298 Referat über den Process.

gar nicht von schriftlichen Gutachten die Rede und sind mit den Gutachten der theologischen Consultoren wahr- scheinlich auch nicht die drei oben erwähnten Gutachten gemeint, welche sich ja nur auf einen speciellen Punkt be- ziehen. Das Urtheil spricht ohne Zweifel von dem Rathe und Gutachten, welches die Consultoren nach dem Ge- schäftsgange der Inquisition, ehe die Cardinäle das Urtheil fällten, mündlich abzugeben hatten ').

Wenn die Acten mit dem oben besprochenen Referate bei den Mitgliedern der Congregation des h. Officiums circulirt haben, was, wie gesagt, nicht unwahrscheinlich ist, so ist es nicht auffallend, dass erst fünf Wochen nach dem Verhöre vom 10. Mai die entscheidende Sitzung stattfand. GrisarS. 120 meint, es sei „wohl nicht zu bezweifeln", dass „in dieser Zeit das Inquisitionstribunal überdies von den damaligen neuesten Schriften competenter Astronomen zu Ungunsten des Copernicanischen Systems Kenntniss nahm." Dazu hatte das Inquisitionstribunal gar keine Veranlassung : dass das Copernicanische System falsch und schriftwidrig sei, war schon 1616 erklärt worden; jetzt handelte es sich gar nicht mehr um eine erneuerte Prüfung der durch den damaligen Beschluss erledigten Frage, sondern nur um die Frage, ob Galilei durch die Veröffentlichung des Dialogs gegen jenen Beschluss und das ihm auf Grund desselben ertheilte Praeceptum gefehlt und sich der Ketzerei schuldig

Lücke ist, so vermuthet Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 657, die Vota könnten da gestanden haben, wo jetzt Fol. 432. 436. 441 fehlen. Vgl. Scar- tazzini, Riv. Eur. 1878, VI, 408; X, 427.

1) S. o. S. 72. Im S. A. p. 345 wird für die Local-Inquisitoren be- züglich der Vorbereitung der Sentenz folgende Anweisung gegeben: Wenn eine Sache bei dem h. Officium zu erledigen ist, so ist es angemessen, zu- nächst einen Bericht anzufertigen (si formt il caso), worin kurz das, worum es sich handelt (i meriti della causa), und alle wesentlichen Punkte des Processes dargelegt sind. Dieser Bericht wird allen Consultoren zugesandt. Dann tritt der Inquisitor mit diesen zu einer Sitzung zusammen. In dieser kann er, wenn er es für zweckmässig hält, noch weitere Erläuterungen geben. Dann stimmen die Consultoren ab; der Notar registrirt ihre Vota. Das Ur- theil fällt der Inquisitor; die Consultoren haben nur eine berathende Stimme. Von schriftlichen Voten der Consultoren ist nicht die Rede. In Rom war über das Urtheil, nach Anhörung der Consultoren, von der Congregation unter dem Vorsitze des Papstes zu beschliessen, wobei dieser allein die ent- scheidende Stimme hatte.

Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633. 299

oder verdächtig gemacht und wie er zu bestrafen sei. Dass für einzelne Cardinäle der Inquisition der Galilei'sche Pro- cess die Veranlassung gewesen ist, Bücher über das Coper- nicanische System zu lesen, ist freilich nicht unwahrschein- lich; von dem Cardinal Scaglia haben wir (S. 263) gehört, dass er mit Castelli's Beihülfe den Dialog studierte.

Die entscheidende Sitzung fand, wie gesagt, am 16. Juni, einem Donnerstag, also dem regelmässigen Sitzun'gs- tage, cor am Sanctissimo, unter dem Vorsitze des Papstes statt. Die Aufzeichnung über dieselbe in den Acten1) lau- tet: „Nachdem die Sache des Galileo Galilei zur Verhand- lung gebracht, über den Process referirt und die Vota ab- gegeben worden2), befahl Seine Heiligkeit: Galilei sei be- züglich der Intention zu verhören, auch unter Androhung der Folter, ipsum Galileum ittterrogandtim esse super inten- tione, etiam*) co?nminata et tortura, und wenn er bei seiner frühern Erklärung verharre, et*) st sustinuerit, solle er sich zunächst in einer Plenar- Versammlung des h. Officiums durch eine Abschwörung von dem starken gegen ihn vorliegenden Verdachte der Ketzerei reinigen und dann zu Kerkerhaft bis auf weitern Befehl der h. Congregation verurtheilt wer- den, praevia abiuratione de vehementi in plena congregatione S. Officii condemnandwn ad carcerem arbitrio S. Congrega- tionis; ferner solle ihm befohlen werden5), fortan weder schriftlich noch mündlich irgendwie die Ansicht von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne oder die entgegengesetzte Ansicht zu behandeln, widrigenfalls er als rückfälliger Häretiker werde behandelt werden, sub poena retapsus6); das von ihm verfasste Buch ,, Dialogo

1) Gherardi No. XIII. Acten S. 112 (facsimilirt bei Epinois p. 92).

2) Galilei de Galileis . . . proposita causa . . . Sanctissimus decrevit. Epinois hatte in seiner ersten Schrift p. 66 diese Stelle so drucken lassen: Galilei .... proposito cautus Sanctissimus decrevit. Das cautus hat dann zu wunderlichen Deutungen (Pieralisi p. 236) Veranlassung gegeben.

3) Bei Gherardi ist et gedruckt; in den Vaticanischen Acten steht deutlich etiam und ist die Stelle so interpungirt: super intentione, etiam comminata ei tortura, et si sustinuerit, previa etc.

4) et steht bei Gherardi und in den Acten, nicht ac, wie früher Epinois angegeben.

5) iniunctum ei bei Gherardi ist verdruckt für iniuncto ei.

6) Gebier, Galilei S. 278, übersetzt unrichtig: „bei sonstiger Strafe wegen Abtrünnigkeit".

300 Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633.

di Galileo Galilei Linceo" solle verboten werden; ausserdem sollen, damit dieses Allen bekannt werde, Abschriften der Sentenz und das Decret [über das Verbot des Dialogs] allen apostolischen Nuncien und allen Inquisitoren übersandt werden, namentlich dem Inquisitor zu Florenz, und dieser solle die Sentenz in einer Plenar- Versammlung unter Bei- ziehung der Consultoren und in Gegenwart möglichst vieler Professoren der Mathematik öffentlich vorlesen" 1).

Wo von dem Verbote des Dialogs die Rede ist, war in dem von Gherardi veröffentlichten Protocoll ursprüng- lich geschrieben: publice cremandum fore ; diese Worte sind ausgestrichen und dafür prohibendum fore geschrieben. Es wurde also jedenfalls in der Sitzung auch die öffentliche Verbrennung des Dialogs beantragt, von dieser aber schliess- lich Abstand genommen2).

i) qui eam sententiam in eins [der Inquisition] plena congregatione, consultoribus accersitis etiam et coram plerisqu* mathematicae artis pro- fessoribus publice legat (legatur bei Gherardi ist Druckfehler). In den Acten S. 112 fehlt consultoribus ; wenn das nicht auf einem Versehen beruht, wäre zu übersetzen : „nach Berufung und in Gegenwart möglichst vieler" u. s. w. _ 2) Gherardi hat Wohlwill (s. G. G. A. 1878, St. 21, S. 668) mitge- theilt, „dass sich in dem [von ihm veröffentlichten] Originaldecret zwischen den Worten sustinuerit und praevia zwei durchstrichene Zeilen finden, und dass er in dem Durchgestrichenen unmittelbar vor praevia die Worte et si destiterit deutlich gelesen habe". Wohlwill fügt dieser Mittheilung die Vermuthung bei: ,,In der ursprünglichen Form des Decretes folgte dem- nach auf das et si sustinuerit die Weisung zu weiterm strengen Verfahren, für den Fall, dass Galilei auch der Androhung der Tortur gegenüber ein Geständniss verweigerte. Dass die Streichung nicht etwa der Zeit des Pro- cesses, sondern dem 19. Jahrhundert angehört, scheint durch weitere wichtige Enthüllungen Gherardi's, auf die ich an dieser Stelle nicht eingehen darf, ausser Frage gestellt." So lange diese wichtigen Enthüllungen uns vorent- halten werden, wird man annehmen dürfen, dass jene zwei Zeilen, ähnlich wie die Worte publice cremandum, während der Sitzung gestrichen wurden, weil der in diesen Zeilen protocollirte Beschluss geändert wurde. Eine nothwendige Folge der Annahme, dass Gherardi's Document No. XIII im 19. Jahrhundert gefälscht sei, ist die, dass die entsprechende Aufzeich- nung Acten S. 112 erst nach jener Fälschung geschrieben worden, und dar- aus folgt wieder, dass auch der Acten S. 183 siehende Bericht nicht dem J. 1734, sondern dem 19. Jahrhundert angehört und dass auch Gherardi's Actenstück No. XXXII, in welchem auf diesen Bericht Bezug genommen wird, gefälscht ist. Man sieht, die Athetese Galilei'scher Actenstücke nimmt immer grössere Dimensionen an. Nachdem nun auch in zwei Gherardi'schen

Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633. 301

Martin hat, den Ausdruck Sanctissimus decrevit miss- verstehend (s. o. S. 72), angenommen, Urban VIII. habe „der Inquisition das Urtheil durch einen geheimen Befehl dictirt"1), und diese sei so „servil" gewesen, nach dem Be- fehle des Papstes zu beschliessen, wiewohl sie vorher ge- neigt gewesen, milder zu verfahren. Das Vorstehende . ist nicht ein von dem Papste der Inquisition übersandter Be- fehl, sondern ein in einer Sitzung der letztern gefasster Be- 1 schluss. In dieser hatte freilich der Papst allein eine ent- scheidende Stimme; aber inwiefern sein Wille für die Car- dinäle bei der Abgabe ihrer Vota massgebend geweseri oder seine Entscheidung von diesen abgewichen ist, wissen wir nicht. Es ist jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die anwesenden Cardinäle in der Hauptsache einig waren, wie Urban VIII. Niccolini erzählte. y

Am 18. Juni, also zwei Tage nach der Sitzung, berich- tete Niccolini2) über eine Audienz, die er ohne Zweifel an demselben Tage bei dem Papste gehabt. Folgendes: „Ich habe aufs neue um die Erledigung der Sache Galilei' s gebeten, und Seine Heiligkeit hat mir mitgetheilt, dieselbe sei schon erledigt und er werde in der nächsten Woche eines Morgens vor das h. Officium beschieden werden, um das Urtheil zu vernehmen. Als ich dieses hörte, bat ich den Papst, aus Rücksicht gegen Seine Hoheit die Strenge mildern zu wollen, welche vielleicht Seine Heiligkeit und die h. Congregation in dieser Sache als nothwendig erach- tet haben möchten. . . Er antwortete: man werde nicht um- hin können, jene Meinung zu verbieten, weil sie irrig und den ex ore Dei dictirten Schriften widersprechend sei; was

Actenstücken die Hand des Fälschers erkannt worden ist, dürfen wir er- warten, dass auch noch andere von diesen Actenstücken dem Urtheil ver- fallen werden, welches nun schon über einen nicht unbedeutenden Theil der Vaticanischen Acten gesprochen ist.

i) Galilee p. 124. 136. Auch Cantor, Zts. f. Math. 1868, L.-Z. 57, spricht von einem geheimen Befehle des Papstes vom 16. Juni, und auch Scartazzini, Uns. Zeit 1877, II, 453, scheint nicht zu erkennen, dass es sich um einen Beschluss der Inquisition handelt. Bouix p. 114 spricht von einem Decrete der Index- Congregation vom 16. Juni! Von drei Cardinälen nimmt Martin an, sie seien nicht so „servil" gewesen, weil sie das Urtheil nicht unterschrieben haben. S. unten § XXVIII.

2) IX, 443.

302 Sitzung der Inquisition, 16. Juni 1633.

Galilei's Person angehe, so werde er nach dem, was her- kömmlich sei, einige Zeit hier in Haft bleiben müssen, weil er die ihm 161 6 ertheilten Befehle übertreten habe; aber nach der Publication des Urtheils werde er mich wieder sehen und mit mir überlegen, was man thuen könne, um ihn mög- lichst wenig hart zu behandeln und zu betrüben; ohne ir- gend eine persönliche Bestrafung könne er aber nicht da- von kommen. Ich bat ihn darauf nochmals demüthig, nach seiner gewohnten Milde auf die 70 Jahre des guten Greises und auch auf seine aufrichtige Gesinnung Rücksicht zu neh- men. Er deutete mir aber an, man werde nicht umhin kön- nen, ihn wenigstens für einige Zeit in irgend ein Kloster, etwa Santa Croce, zu verbannen; aber er wisse noch nicht, was die h. Congregation [über die Ausführung des auf die Haft bezüglichen Theiles des Urtheils] beschliessen werde1); dieselbe sei einstimmig und nemine discrepante der Ansicht, dass ihm eine Busse aufzulegen sei2). Der Papst will aber, dass, um kein Beispiel zu geben, ausdrücklich erklärt werde, alle Strafen seien lediglich aus Rücksicht gegen den Gross- herzog gemildert worden; in der That ist diese Rücksicht der einzige Grund für alle Erleichterungen, welche Galilei gewährt worden sind und gewährt werden werden. Ich habe Galilei selbst bis jetzt noch nichts gesagt, als dass die Sache in der nächsten Zeit entschieden und dass das Buch verboten werden werde; von der persönlichen Strafe habe ich ihm nichts gesagt, um ihn nicht dadurch, dass ich ihm alles auf einmal sage, zu betrüben. Seine Heiligkeit hat mir auch befohlen, ihm davon nichts zu sagen, um ihn nicht aufzuregen, und vielleicht lässt sich die Sache durch Unter- handlungen noch ändern." Galilei scheint wirklich bis zum Tage seiner Verurtheilung gehofft zu haben, es werde bei dem Verbote des Dialogs sein Bewenden haben3).

1) Scartazzini, Uns. Zeit II, 454 fügt der Aeusserung: „übrigens wisse er noch nicht genau, was die Congregation beschliessen werde", den Ausruf bei: „So sprach der Mann, der zwei Tage vorher bereits genau vorgeschrie- ben hatte, was in Sachen [Galilei's] geschehen sollte!" Offenbar sind die oben in Parenthese beigefügten Worte hinzuzudenken.

2) Martin p. 125 meint, der Papst habe hier von einer Einmüthigkeit der Cardinäle gesprochen, weil er nicht daran gezweifelt, dass sie Alle seiner Weisung gehorchen würden.

3) IX, 445.

Verhör über die Intention. 303

Der Beschluss der Inquisition vom 16. Juni bezieht sich zum Theil auf das weitere Processverfahren gegen Ga- lilei, zum Theil auf das nach Beendigung des Processes zu publicirende Urtheil. Um den auf den ersten Punkt bezüg- lichen Beschluss : „Galilei sei über die Intention zu verhören, auch unter Androhung der Tortur", richtig zu verstehen, müssen wir uns, mit Hülfe des Sacro Arsenale und ande- rer Quellen, das Verfahren der Inquisition in dem letzten Stadium eines wegen Häresie eingeleiteten Processes ver- gegenwärtigen.

Die Inquisition nahm, wie bereits bemerkt wurde (S. 281), den objectiven Thatbestand der Häresie als gegen Galilei erwiesen an, nachdem er gestanden, dass in seinem Dialog Stellen vorkämen, welche als Vertheidigung- der Copernica- nischen Lehre, also als ketzerisch klingende Aeusserungen aufgefasst werden könnten. War der objective Thatbestand erwiesen, so musste nach dem Geschäftsgange der Inqui- sition noch constatirt werden, ob der Angeklagte, welcher objectiv ketzerische Aeusserungen gethan, auch subjectiv eine ketzerische Gesinnung habe oder gehabt habe. „Ein von den Glaubenswahrheiten abweichendes, schlechtes Glau- ben, heisst es im Sacro Arsenale p. 62, hat zwar seinen Sitz in der Seele, in welche Gott allein hineinsehen und über welche er allein richten kann, und es kann darum nicht von dem Menschen gesehen werden; aber ketzerische Worte oder Handlungen begründen die Praesumtion, dass im Geiste ein Irrthum und schlechter Glaube vorhanden sei. Wenn darum der Angeklagte eingestanden hat oder über- wiesen worden ist, dass er ketzerisch klingende Gottes- lästerungen ausgesprochen oder ketzerische Handlungen verübt [z. B. Bilder Christi oder der Heiligen zerschlagen, Magie oder Nekromantie getrieben], so muss er sofort auch über seine Intention oder seinen Glauben (sopra V intentione b credenza sua) verhört, d. h. gefragt werden, ob er im Herzen das für wahr gehalten oder geglaubt, was er mit dem Munde gotteslästerisch gesprochen oder durch die Handlungen in gottloser Weise bekundet l)." Die Fragen in dem im Sacro Arsenale mitgetheilten Formular beginnen mit An tenuerit et crediderit, z. B. Deu?n benedictum non

1) Vgl. Carena, Tractatus de off. S. Inq.

304 Anwendung der Folter.

esse Optimum, oder licere uti magicis experimentis. Wenn der Angeklagte eingesteht, heisst es weiter, dass er diese Irrthümer geglaubt habe, so ist er zu fragen, welches jetzt in dieser Beziehung sein Glaube sei: Quid modo credat vel teneat circa praemissa. Wenn er aber leugnet, dass er ,, schlecht geglaubt" habe, so ist er in folgender Weise zu ermahnen: Da er selbst eingestanden, resp. da er durch Zeugen überwiesen worden, dass er dieses oder jenes ge- than, was den Verdacht der Ketzerei begründe, und da sehr stark yermuthet werde, dass er bezüglich dieser Punkte einen schlechten Glauben (malam credulitatem) gehabt, so möge er sein Gewissen wohl erforschen und frei die Wahr- heit sagen. Ohne Zweifel konnte auch dem Angeklagten, der seine „schlechte Intention" nicht eingestand, Verlänge- rung der Haft angedroht und das Verhör und die Ermah- nung wiederholt werden (s. o. S. 282).

Blieb der Angeklagte beim Leugnen , also bei der Versicherung, er habe nicht „schlecht geglaubt", so konnte er auch auf der Folter über die Intention befragt werden. Das Sacro Arsenale enthält p. 160 und 164 eine doppelte Anweisung: Älodo di esaminare il Reo ne' tormenti pro ul- teriori veritate et super intentione, für den Fall, dass der Angeklagte einen Theil der gegen ihn vorgebrachten That- sachen und die schlechte Intention leugnete, und Modo di esaminare in tortura sopra Vintentione solamente, für den Fall, dass es sich nur um die Constatirung der Intention handelte. In beiden Fällen musste vorher die Erklärung der Richter protocollirt werden: die Folter solle nur ange- wendet werden pro ulteriori veritate habenda et super in- tentione oder nur super intentione, „ohne Präjudiz für die Dinge, welche der Angeklagte schon eingestanden oder deren er überwiesen worden"1). Zur Erklärung dieser For- mel ist (für das Verständniss einer Stelle in dem Urtheil über Galilei) Folgendes zu bemerken: Die Aussage, welche der Angeklagte auf der Folter machte, wurde als wahr angesehen, selbst wenn er auf der Folter Dinge leugnete, die er früher gestanden oder deren er überführt war. Um also letzteres zu verhüten, wurde in voraus genau bestimmt, in Bezug auf welche Punkte der Angeklagte auf der Folter

[) S. A. p. 160. Carena p. 412.

Anwendung der Folter. 305

verhört und seine Aussage als wahr angesehen werden sollte1).

Gestand der Angeklagte, welcher super intentione ge- foltert wurde, dass er die fragliche ketzerische Meinung für wahr gehalten, so musste er zunächst dieses Geständniss nach 24 Stunden „ratificiren", d. h. an einem andern Orte als in der Folterkammer, in der Regel in dem Saale, worin die gewöhnlichen Verhöre stattfanden, wiederholen, so dass es als ein frei abgelegtes Geständniss erschien2). Auf Grund dieses Geständnisses wurde dann der Angeklagte, da er mit ketzerischer Gesinnung oder Absicht ketzerische Aeusse- rungen gethan oder wie ein Ketzer gehandelt, der Ketzerei schuldig, als „formeller Häretiker" erklärt und dann entweder als reumüthiger Häretiker zur Abschwörung de formali (haeresi) und zu mehr oder minder harten Stra- fen, nach strengem Recht zu lebenslänglicher Haft, verur- theilt oder als unbussfertiger Ketzer dem weltlichen Arme übergeben3). Wenn der Angeklagte auch auf der Folter bei seiner Versicherung blieb, dass er die ketzerische Meinung, deren er verdächtig geworden, nicht gehegt, dass er in sei- nem Herzen immer rechtgläubig gewesen, wenn er also auf die ihm bezüglich seiner Intention vorgelegten Fragen, wie das mitunter ausgedrückt wird, „katholisch antwortete" 4), ,

1) Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 32.

2) S. A. p. 183. P. 10, No. 243. Carena p. 413.

3) S. A. p. 261. 292. J. Clarus L. V. § Haeresis p. 368: Si haere- ticus nolit ad fidem ecclesiae redire, tunc de consuetudine igne comburitur. . . Si poeniteat et paratus sit redire ad fidem ecclesiae et abiurare suam hae- resim, evitat poenas de iure haereticis impositas, est tarnen ad perpeluos carceres condemnandus. . . Hodie isla poena potest per superiorem (eccle- siasticum) et etiam per inquisitionem in aliam commutari, . . . nisi esset relapsus; tunc enim omnino est igne cremandus, etiam si velit poe?titere et ad fidem ecclesiae redire.

4) Die Bedeutung des Ausdrucks (vgl. Carena p. 100b. 172 a u. s. w.) ergibt sich aus Stellen wie S. A. p. 312: se responderä cattolicamente im Gegensatze zu p. 311: se responderä d'haver malamente sentito delle cose della fide, und Carena p. 249 a: si catholice respondeat et haereticam inten- tionem neget. Der Priester O'Farrihy, welcher (1628) eingestanden, dass er zehn Monate in einem protestantischen Seminar zu Dublin gelebt, wurde gefragt: ob er geglaubt, es sei einem Katholiken erlaubt, äusserlich wie ein Ketzer zu leben und das zu thun, was er gethan. Er antwortete „katho- lisch", indem er diese Frage verneinte. Gibbings, O'Farrihy p. 14. Wenn

Reuscb, Galilei. 20

306 Anwendung der Folter.

so konnte er nicht als „formeller Ketzer" verurtheilt, wohl aber als der Ketzerei mehr oder minder verdächtig angesehen und demgemäss zu einer Abschwörung de suspicione hae- reseos und zu irgend welchen Strafen oder Bussen verur- theilt werden. Die in solchen Fällen gebräuchliche Ab- schwörungsformel enthält die Versicherung , dass der Abschwörende die ketzerische Meinung, deren er sich ver- dächtig gemacht, sowie überhaupt alle ketzerischen Mei- nungen verabscheue und verfluche. Der Verdacht der Ketzerei war in solchen Fällen begründet durch die erwie- senen oder eingestandenen äusseren Thatsach^n, die Worte oder Handlungen des Angeklagten. Je nach der Beschaf- fenheit des objectiven Thatbestandes unterschied man aber einen mehr oder minder starken Verdacht der Ketzerei, suspicio levis und vehemens haereseos, und danach auch eine Abschwörung de levi und de vehementi sc. suspicione haere- seos Y).

Den Inquisitoren ausserhalb Roms war vorgeschrie- ben, ehe sie die Folterung eines Angeklagten anordneten, zuvor eine Sitzung der Consultoren des h. Officiums abzu- halten, in dieser über den Process zu berichten und die Consultoren ihr (allerdings nur berathendes) Votum darüber abgeben zu lassen, ob zur Folterung zu schreiten sei. In allen wichtigen und schwierigen Fällen sollten sie an die Römische Congregation berichten und dann nach deren Anweisung handeln2). Auch mussten sie den Bischof zu- ziehen. In Rom musste, wenn der Commissar oder der General-Fiscal des h. Officiums die Folterung für ange-

also in dem Urtheil vom 22. Juni gesagt wird, Galilei habe bezüglich seiner Intention „katholisch geantwortet", so bedeutet das nicht, wie Parchappe, Galilee p. 246, meint, Galilei habe eingestanden, dass er die Copernicanische Lehre für wahr gehalten, sondern im Gegentheil: er sei auch bei dem pein- lichen Verhöre bei der Versicherung geblieben, er habe, wie jeder gute Katholik, seit 161 6 die Copernicanische Lehre für falsch gehalten. S. Wohl- will S. 30.

1) S. A. p. 229. Früher wurde noch eine dritte Stufe angenommen, suspicio violens; zur Zeit Masini's waren aber bei der Römischen Inquisition nur noch Abschwörungen de levi und de vehementi üblich. S. A. p. 252. Nach Pignatelli II, 201a wurde im J. 161 4 von der Inquisition ein Decret er- lassen, wodurch die abiuratio de violenti reducitur ad abiurationem de ve- hementi. 2) S. A. p. 154.

Anwendung der Folter. 307

zeigt hielt, in jedem Falle die Congregation der Cardinäle in einer Sitzung darüber entscheiden, ob zur Folterung ge- schritten werden dürfe.

War der Beschluss gefasst, dass die Folterung ange- wendet werden dürfe, so geschah dieses nicht ohne weite- res. Vielmehr musste der Angeklagte zunächst noch einmal in das gewöhnliche Verhörslocal geführt und dort verhört werden. Dieses Verhör sollte aber ,,in anderer Weise vor- genommen werden als die früheren Verhöre: der Richter [in Rom der Commissar] soll nicht viele Worte machen und weit hergeholte Fragen stellen [also nicht mehr eigentlich inquiriren], sondern gleich zur Sache kommen" 1). Das Sacro Arsenale enthält für die verschiedenen Fälle, in denen die Folter angewendet wurde, verschiedene Formulare, die aber im Wesentlichen übereinstimmen. Falls eine Folterung super intentione angeordnet war2), wurden an den Ange- klagten nur folgende Fragen gestellt : ob er etwas zu sagen habe; ob er glaube oder geglaubt habe, dass u. s. w. Dann wurde ihm vorgehalten: da er, wie er selbst eingestanden, dieses oder jenes gesagt oder gethan, so sei anzunehmen, dass er in dieser Beziehung einen schlechten Glauben (ma- lam credulitatem) gehabt ; er solle also die Wahrheit sagen. Blieb er bei der Leugnung der „schlechten Intention"; so wurde ihm zuerst gesagt: wenn er sich nicht entschliesse, die Wahrheit zu sagen, so werde man die geeigneten Mit- tel anwenden (contra eum devenietur ad re?nedia iuris et facti opportunaj, dann deutlicher: so werde man zur Folte- rung schreiten (contra eum devenietur ad torturamj. Blieb diese Drohung ohne Wirkung, so wurde der Beschluss, die Folterung vorzunehmen, protocollirt. Die Formel, welche das Sacro Arsenale dafür angibt, welche aber in Rom etwas anders gefasst werden musste, lautet: „Darauf wurde im Hinblicke auf die Hartnäckigkeit des Angeklagten und nach Einsicht und reiflicher Erwägung des ganzen Proces- ses u. s. w. [hier war in Rom zu sagen: „in Ausführung des Decretes der h. Congregation des h. Officiums" oder dergl.] beschlossen, den Angeklagten bezüglich der Intention zu foltern. Demgemäss wurde befohlen ihn in die Folter- kammer abzuführen und ihn dort zu entkleiden, zu binden

) S. A. p. 155. 2) S. A. p. 164.

308 Anwendung der Folter.

und an das Seil zu bringen, jedoch ohne irgend welches Präjudiz für das, was er eingestanden" (s. o. S. 304) u. s. w. 1). In die Folterkammer abgeführt, wurde -der Angeklagte, nachdem er entkleidet und festgebunden worden oder während dieses geschah, nochmals von dem Inquisitor (dem Commissar) „freundlich ermahnt, die Wahrheit zu sagen und nicht zu warten, bis man zur Folterung schreite"2). Blieb diese Ermahnung erfolglos, so begann die Folterung. Der Notar hatte nicht nur alle Antworten des Gefolterten, sondern auch alle sonstigen Worte, Ausrufe, Seufzer, Klagen, Thränen, Bewegungen u. s. w. zu protocolliren.

Was die Anwendung der Folter betrifft, so galten die persönlichen Privilegien, welche bei anderen Gerichtshöfen anerkannt wurden, wonach z. B. Geistliche, Beamte, Ade- liche u. s. w. nicht gefoltert werden durften, bei der Inqui- sition nicht3), und bezüglich der Greise gab es keine feste Norm; es war dem Ermessen des Inquisitors (oder der Römischen Inquisition) anheimgegeben , ob Jemand mit Rücksicht auf sein Alter von der Folterung verschont blei- ben sollte ; aber in der Regel sollten Greise nur durch An- drohung der Folter „geschreckt" werden, bei „abgelebten" Greisen (decrepiti) sollte auch die Schreckung unterbleiben 4).

1) S. A. p. 165 (nach den vorhergehenden Formularen zu ergänzen): Tunc Domini sedentes [in Rom etwa: R. P. Commissarius~\ visa pertinacia et obstinatione ipsius Constituti visoque et mature considerato toto tenore Processus etc. decreverunt [in Rom etwa: in executionem decreti S. Con- gregationis S. Officii statuit], ipsum Constitutum torquendum esse tormento funis super intentione et credulitate circa praemissa, sie instante et petente Domino Promotore Fiscali Sancti Officii. Et ideo mandaverunt, ipsum Con- stitutum duci ad locum torturae ibique spoliari, ligari et funi applicari, et hoc sine ullo praeiudicio eorutn, quae fassus est, super quibus Domini non intendunt aliquo modo ipsum torqueri, . . sed tantum ipsum torqueri facere intettdunt super intentione et credulitate ipsius Constituti et non alias, aliter nee alio modo, de quo solemniter et expresse ac omni meliori ?nodo protesiati fuerunt et firotestantur.

2) Die Fortsetzung des Protocolls im S. A. p. 161 lautet: Qui sie duetus, spoliatus, ligatus et funi applicatus, antequam in altum elevaretur [p. 157 : dum spoliaretur, ligaretur ac funi applicaretur\ benigne per Do- minos monitus ad dicendam veritatem, nee exspectet, quod contra ipsum ad lormenta deveniatur.

3) S. A. P. 10, No. 286. Carena p. 409. Pignatelli p. 167.

4) Carena p. 410. Pignatelli p. 167 b. Wer an einem körperlichen Gebrechen litt, konnte eine ärztliche Untersuchung verlangen. Nach dem

Anwendung der Folter. 309

Im Sacro Arsenale *) wird den Inquisitoren eingeschärft, die Folter nur anzuwenden, wenn auf keine andere Weise die Wahrheit herauszubringen und wenn die Indicien so stark seien, dass nur noch das Geständniss des Angeklagten zum Wahrheitsbeweise fehle. Namentlich sollte die Folter wegen der Intention „nicht leicht und nur dann angewendet werden, wenn nach Erwägung aller Verhältnisse, mit Rück- sicht auf die Person, die Sache, den Ort und andere Um- stände die Sache zweifelhaft sei"2). Im Einzelnen gibt Pas- qualone in den Zusätzen zum Sacro Arsenale p. 215 folgende Regel : „Handelt es sich um ein Vergehen, für welches dem Angeklagten die Abschwörung de levi aufzulegen ist, so darf derselbe zwar wohl gefoltert werden, um ihn zum Ge- ständnisse bezüglich des Vergehens selbst zu bewegen ; aber wenn er dieses gestanden hat, lässt man ihn nicht durch die Tortur von dem leichten Verdachte der Ketzerei, den er sich durch sein Vergehen zugezogen, sich reinigen; denn die Folterung super intentione findet nicht statt, wo die aus der von dem Angeklagten eingestandenen Aeusse- rung oder Handlung sich ergebenden Indicien oder Vermu- thungen nicht gewichtig und berechtigt sind. Auch be- züglich derjenigen , welche de vehementi abzuschwören haben, darf die Tortur nur leicht und von beschränkter Dauer sein." In Uebereinstimmung damit sagt auch Carena3): die Folterung super i?itentione sei bei dem nur „leicht Ver- dächtigen" nicht anzuwenden : „die suspicio vehemens wird aufgehoben durch die Tortur super intentione und die Ab- schwörung; also ist es nicht billig, zur Beseitigung einer suspicio levis, die viel geringer ist als die vehemens, auch beides, die Tortur und die Abschwörung, als nöthig anzu- sehen". Er fügt dann freilich bei : wenn die suspicio nicht ganz leicht sei, könne auch ein suspectus de levi leicht ge- foltert und dann zur Abschwörung angehalten werden4).

S. A p. 167 ff. zu urtheilen, wurde aber die Folterung um solcher Ge- brechen willen nicht unterlassen, sondern die Folterung durch das Seil (tor- menta della corda) durch eine andere (Fuss- und Daumschrauben und dgl.) ersetzt.

1) P. X, No 245. 247. Vgl. Pignatelli p. 164b. 2) Carena p. 71.

3) P- I73- Pignatelli p. 170a. 201a. Bordoni (1693) bei Wolynski I 137.

4) Die von Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 23, citirte Stelle aus

310 Androhung der Folterung.

Allem Anscheine nach fand also die Folter super intentione bei einem leviter suspectus in der Regel nicht statt, während sie bei einem vehementer suspectus regelmässig, aber nur in leichterer Weise angewendet wurde1).

Das Sacro Arsenale und das Buch von Carena geben übrigens zunächst Regeln für die Inquisitoren ausserhalb Roms und lehren uns die gewöhnliche Praxis der Römi- schen Inquisition kennen ; dass der Papst, wenn er der Rö- mischen Inquisition präsidirte, nicht an diese Regeln und die gewöhnliche Praxis gebunden war, ist selbstverständlich2), und speciell von Urban VIII., dem die Aeusserung zuge- schrieben wird; der Ausspruch eines lebenden Papstes sei mehr werth als die Satzungen von hundert verstorbenen, braucht nicht angenommen zu werden, da«s er sich durch die hergebrachten Regeln gebunden erachtet habe.

Nach dieser langen Erörterung über das Verfahren der Inquisition im Allgemeinen nehme ich die Erläuterung des Beschlusses vom 16. Juni 1633 wieder auf: „Galilei solle über die Intention verhört werden, auch unter Androhung der Folter". Bisher war Galilei über die Intention noch gar nicht förmlich verhört worden; er hatte sich darüber nur in dem Verhöre vom 30. April und in seiner Verteidigungs- schrift ausgesprochen. Die Inquisition konnte den Commissar beauftragen, ihn zunächst förmlich über die Intention in der gewöhnlichen, oben S. 303 beschriebenen Weise zu verhö- ren und über das Ergebniss dieses Verhöres zu berichten.

Carena (p. 172, No. 66) gehört nicht hieher. Carena bespricht (und bejaht) dort die Frage, ob ein suspectus de levi (nicht super intentione, sondern pro veritate habenda et super complicibus) gefoltert werden dürfe. In dem dabei aus dem S. A. p. 230 citirten Formular einer Sentenz gegen einen suspectus de levi wird allerdings die Folterung, aber nicht speciell die Fol- terung super intentione erwähnt: „Du hast wiederholt, eidlich vernommen, eingestanden, dass du unüberlegt und im Scherz die besagten ketzerischen Worte gesprochen, dabei aber geleugnet, dass du sie je im Herzen irgendwie geglaubt. Und da es uns schien, dass du nicht völlig die Wahrheit gesagt, haben wir ... für nöthig befunden, zum peinlichen Verhöre gegen dich zu schreiten, bei welchem du deinen früheren Aussagen nichts Neues beige- fügt hast".

1) Der oben erwähnte O'Farrihy wurde als vehementer suspectus ver- urtheilt, ohne super intentione gefoltert worden zu sein; ebenso Fra Ful- gentio bei seinem ersten Processe (1608). Gibbings, Fulg. Manfredi p. 18.

2) Von Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 77, nicht genug beachtet.

Androhung der Folterung. 311

Auf Grund dieses Berichtes konnte sie dann in einer spä- tem Sitzung den Commissar ermächtigen, das weitere, oben S. 307 beschriebene Verhör über die Intention vorzunehmen, bei welchem die Folter angedroht wurde, und nach diesem Verhöre zur Folterung zu schreiten. Von jenem ersten Verhöre nahm man bei Galilei Abstand; denn ein solches fand nach den Acten nicht statt. Durch den Beschluss, „Galilei solle über die Intention verhört werden, auch unter Androhung der Folter", wird das zweite Verhör angeord- net, dem regelmässig die Tortur folgte. Hätte nun diese auch bei Galilei angewendet werden sollen, so hätte es heissen müssen : er solle über die Intention verhört werden, auch unter Anwendung oder auf der Folter, etwa interro- gandum esse super intentione in tortura. Denn ohne ein solches Decret der Inquisition durfte der Commissar nicht foltern lassen. Wenn also in dem Decrete nicht von der Anwendung, sondern nur von der Androhung der Tortur die Rede ist, so wurde damit dem Commissar die Weisung gegeben, das Verhör über die Intention bis zu der Androhung der Tortur einschliesslich fortzusetzen, dann aber abzubrechen. Man kann nicht gerade sagen, durch die Formel etiam commi- nata ei tortura sei die Folterung verboten worden; aber sie wurde dadurch nicht angeordnet, und ohne dass sie ausdrücklich angeordnet war, durfte sie nicht vorgenommen werden. Da im Folgenden Galilei als „stark", nicht als „leicht verdächtig" bezeichnet wird, so hätte nach der an- geführten Regel die Folterung angeordnet werden sollen oder dürfen. Aber bei einem Siebenzigjährigen war es wohl nicht einmal eine Abweichung von der gewöhnlichen Praxis, wenn von der Folterung abgesehen wurde. Dass dieses wegen Galilei's Alter und Kränklichkeit geschah, scheint der Eingang des Protocolls über die Sitzung vom 16. Juni anzudeuten: „Galileo Galilei aus Florenz, der bei diesem h. Officium in Haft ist, wegen seiner Kränklichkeit und sei- nes hohen Alters aber . . . die Erlaubniss erhalten hat, in der Stadt zu wohnen" 1).

1) Gherardi No. XIII: Galilaei de Galileis Flore?itini in hoc S. Off. carcerati et ob eins adversam valetudinem et senectutem cum praecepto de non discedendo de domo electae habitationis in urbe ac de se repraesen- tando toties quoties sub poenis arbitrio S. Congregationis habilitati propo- sita causa etc.; vgl. Wolynsßi p. 60. 88.

312 Et si sustinuerit.

Wäre am 16. Juni angeordnet worden, Galilei solle über die Intention unter Anwendung der Folter verhört werden, so würde man wohl nicht gleich auch schon über seine Abschwörung einen Beschluss gefasst haben. Es wäre ja möglich gewesen, dass Galilei auf der Folter eine schlechte Absicht eingestanden und dann also als der Ketzerei schul- dig hätte angesehen werden müssen. Die Inquisition nahm aber am 16. Juni an, dass er auch nach dem Verhöre über die Intention nur als ein der Ketzerei Verdächtiger anzu- sehen sein, dass er also in dem Verhöre bei seiner bisherigen Versicherung bleiben werde, er habe die ketzerischen Sätze, die er ausgesprochen, also die Copernicanische Lehre, nicht für wahr gehalten, sei also im Herzen nicht von der katho- lischen Wahrheit abgewichen. Wenn Galilei nur unter Androhung der Folter verhört wurde, konnte die Inquisition voraussetzen, dass er bei dieser Versicherung bleiben werde, und also beschliessen : ,, Galilei solle über die Intention verhört werden, auch unter Androhung der Folter, und wenn er bei seiner frühern Erklärung verharre, solle er, nachdem er eine Abschwörung de vehementi geleistet, ver- urtheilt werden" u. s. w.

Damit, dass Galilei zur Abiuratio, nicht de levi, son- dern de vehementi verurtheilt wurde, hängt die Androhung zusammen, dass er, wenn er noch einmal die Copernica- nische Lehre behandle, als rückfälliger Ketzer werde be- handelt werden; denn das galt nur für den letztern, nicht auch für den erstem Fall 1).

Zur Rechtfertigung der Uebersetzung der Worte et si sustinuerit durch „wenn er bei seiner frühern Erklärung verharre" wird es nöthig sein, die vielen verschiedenen Deutungen jener Worte zu prüfen.

Da jetzt feststeht, dass die richtige Lesart et si susti- nuerit, nicht ac sL sustinuerit ist, so darf auf keinen Fall übersetzt werden: er solle mit der Folterung bedroht wer-

i) Pignatelli p. 200b: Si post abiurationem de levi in eandem hae- resis suspicionem relabiiur, non punitur poena relapsis debita, licet gravius puniatur, quam si antea non abiurasset . . . p. 201 a: Qui \abiuravit de vehementi\ si postea relabitur, punitur poena relapsi, i. e. traditur brachio saeculari, ultimo supplicio puniendus ; s. o. 305, Anm. 3.

Et si sustinuerit. 313

den, als ob er dieselbe wirklich erdulden sollte1). Sprach- lich unmöglich ist auch die Deutung: er solle mit der Fol- ter bedroht und diese solle angewendet werden, falls er sie aushalten könne2). Sprachlich zulässig und namentlich dem Sprachgebrauche der Inquisition entsprechend wäre es, zu sustinuerit als Object torturam zu ergänzen und zu über- setzen: er solle unter Androhung der Tortur über die In- tention befragt, und wenn er sie (die Tortur) ausgehalten (ohne weitere Geständnisse zu machen), . . . verurtheilt wer- den 3). Wäre diese Uebersetzung richtig, so würde in den Worten indirect ausgesprochen, dass die Folterung statt- finden solle4). Der Commissar durfte dieselbe aber, wie wir gesehen, nicht vornehmen lassen, ohne einen ausdrück- lichen Befehl der Cardinais- Congregation, und es ist undenk- bar, dass dieser Befehl, wenn er ertheilt werden sollte, nicht in einer ganz bestimmten und klaren, sondern in jener in- directen und verhüllten Form ertheilt sein sollte. Wenn die Worte comminata ei tortura et si sustinuerit, wie Wohlwill vermuthet, eine für den Commissar leicht ver- ständliche, herkömmliche und stehende Formel waren, was nicht wahrscheinlich ist, so sind sie gewiss nicht die Formel gewesen, in welcher die Anwendung der Folter an- geordnet wurde.

Als sprachlich zulässig erkennt Wohlwill mit Recht auch an, aus dem comminata ei tortura den Begriff commi- nationem zu sustinuerit zu ergänzen und zu übersetzen : er solle verhört werden unter Androhung der Folter, und wenn er diese Bedrohung ausgehalten haben werde, sich dadurch nicht zu weiteren Geständnissen habe bringen las-

1) So früher de l'Epinois, Galilee p. 66, und Gebier, Galilei S. 278. S. Wohlwill S. 66.

2) So Berti, II Processo p. XIII. CV und Mezieres, Rev. des deux mondes 1876, T. 17, 659. 661. S. Wohlwill S. 74.

3) Wohlwill S. 76 führt eine Reihe von Stellen an, welche diesen Sprachgebrauch der Inquisition beweisen. Ganz deutlich ist z. B. die von Farinacci erörterte Frage: Torturam super intentione datam si quis sustinet, an sit relaxandus. Vgl. Bordoni bei Wolynski p. 138: esto torturam susti- neat, non tarnen vincit in totum suspicionem haeresis. Gleichbedeutend ist der Ausdruck bei Carena p. 73a: Si reus superaverit torturam; ebenso Eymericus-Pegna p. 483b. 484b.

4) So Scartazzini, Riv, Eur, 1877, V, 236,

314 Et si sustinuerit.

sen, solle er u. s. w. !). Sprachlich zulässig ist, wie Wohl- will zugibt, endlich auch die oben angenommene Deutung, wobei sustinere absolut gefasst wird: er solle unter An- drohung der Folter über die Intention verhört werden, und wenn er- aushalte, wenn er trotz der Androhung der Folter bei seiner frühern Erklärung über seine Intention verharre u. s. w.2). So heisst es bei Farinacci3): Si quis in tormentis sustinuerit et nihil confessusfuerit, und ganz genau unserer Stelle analog bei Pignatelli (p. 169 b): Nam in S. Officio, qui protulit propositionem manifeste haereticam, si neget in- ternam credulitatem, torquetur super intentione et, si sustineat, damnatur non ut haereticus, sed ut de fide suspectus ; im Fol- genden wird statt si sustineat wiederholt si in tortura in negativa persistat gebraucht. Aehnlich wird von Carena auch sonst persistere und im Sacro Arsenale auch stare, du- rare und perseverare gebraucht 4).

Von den beiden zuletzt vorgetragenen Deutungen unterscheidet sich dem Sinne nach nicht eine andere, welche von Neueren vorgeschlagen worden ist: „wenn er seine Intention5), oder sein Bisheriges6), oder seine bisherige Aussage7), besser: seine bisherige Erklärung über seine Intention8) aufrecht erhalte". In ähnlicher Weise scheint auch der Verfasser eines spätem, bei den Vaticanischen Acten befindlichen Stückes, ein Beamter der Inquisition

1) Wohlwill S. 78. Damit stimmen dem Sinne nach überein die Deu- tungen von Martin, Galilee p. 124: s'il ne ce'dait devant cette menacex und von Gilbert: s'il supportait cette epreuve.

2) Th. Lit.-Bl. 1876, 177. Aehnlich Scartazzini, Uns. Zeit 1877, II, 453 : »wenn er dabei verharrt, wenn er hartnäckig bleibt", und de PEpinois, La question p. 215: s'il a tenu bon, s'il a resiste, s'il a persiste.

3) De haeresi p. 153 a bei Wohlwill S. 78.

4) Carena p. 72b: An autem tortus super intentione persistens sit relaxandus ; vgl. p. 152b. S. A. p. 159: e persistendo si esorti a confessare la veritä, e persistendo si jninacci, e persistendo pure nella negativa, si faccia di nuovo alzare ; p. 164: stando nella negativa: p. 186: se il reo durerä negando nella tortura; P. X, No. 243: se egli subito doppo la tortura fosse ricondotto al tribunale per farli in ogni modo per- severare (bei der Ratification).

5) Pieralisi, Correzioni p. 37. Schanz, Galilei S. 55.

6) Grisar S. 122.

7) Gebier, Gegenwart 1878, 391. Schneemann S. 390.

8) Zöckler, Gesch. der Beziehungen u. s. w. I, 747. Wolynski p. 87.

Das vierte Verhör. 315

im J. 1734, den Ausdruck verstanden zu haben, wenn er übersetzt: che il detto Galileo s'interrogasse sopra V inten- zione, anche con comminargli la tortura, e sostenendo . . . si condannasse etc.

XXVII. Das vierte Yerhör Galilei's, 21. Juni 1633.

Am 21. Juni wurde Galilei zum letzten Male in den Sitzungssaal des Inquisitionsgebäudes geführt, um von dem Commissar in Gegenwart des Fiscals gemäss dem Beschlüsse der Inquisition vom 16. „über die Intention" vernommen zu werden. Das Protocoll des Verhöres entspricht ganz ge- nau dem Formulare, welches das Sacro Arsenale für das der Folterung vorhergehende Verhör gibt1). Galilei wird in denselben Formeln mit de,r Folterung bedroht, welche angewendet wurden, wenn die Folterung stattfinden sollte. Das entspricht der Praxis der Inquisition, wie sie Pigna- telli (p. 177b) beschreibt: „Wenn der Bischof und der In- quisitor [hier also die Congregation des h. Officiums] aus irgend einer gerechten Ursache, mit Rücksicht auf die In- dicien, die Beschaffenheit der Vergehen und der Personen, eine besonders gelinde Folterung anordnen zu müssen glau- ben, so müssen sie das in einem geheimen, nicht in dem dem Angeklagten zu verkündigenden Beschlüsse festsetzen, damit dieser nicht dadurch zu hartnackigem! Leugnen ver- anlasst wird". Hier war der Commissar von dem Be- schlüsse, dass überhaupt die Folterung nicht angewendet werden solle, in Kenntniss gesetzt; aber Galilei gegenüber hatte er zunächst sich so verhalten, als ob die wirkliche Folterung beabsichtigt sei.

Der Commissar fragt Galilei zunächst, ob er aus eige-

1) S. o. S. 307; vgl. die Zusammenstellung bei Wohlwill S. 90 urid. bei Wolynski p. 119.

316 Das vierte Verhör.

nem Antriebe etwas zu sagen habe. Nachdem diese Frage verneint worden, fragt er weiter, ob er die Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt sei^u. s. w., für wahr halte oder für wahr gehalten habe, und seit wann etwa. Galilei antwortet: ,, Schon vor langer Zeit, d. h. vor der Entscheidung der h. Congregation des Index und ehe mir jene Weisung ertheilt wurde, war ich indifferent und hielt die beiden Meinungen, die des Ptolemäus und die des Co- pernicus für disputabel, weil, naturwissenschaftlich betrach- tet, die eine und die andere wahr sein könne. Aber nach der besagten Entscheidung hörte, da ich durch die Weis- heit der Oberen Gewissheit erlangte, bei mir jedes Schwan- ken auf und hielt ich, wie ich das auch jetzt thue, die Mei- nung des Ptolemäus, dass die Erde still stehe und die Sonne sich bewege, für durchaus wahr und unzweifelhaft."

Es wird ihm bemerkt: die Art und Weise, wie in dem nach jener Zeit von ihm veröffentlichten Buche die besagte Meinung besprochen und vertheidigt werde, ja schon die Thatsache, dass er dieses Buch geschrieben und dem Druck übergeben , lasse vermuthen, dass er jene Meinung nach der angegebenen Zeit für wahr, gehalten ; er solle also offen die Wahrheit sagen, ob er dieselbe für wahr halte oder gehalten habe. Er antwortet: „Den Dialog zu schreiben, habe ich mich nicht entschlossen, weil ich dje Copernica- nische Meinung für wahr hielt. Nur darum, weil ich dachte, ich würde damit etwas dem allgemeinen Interesse Dienliches thuen, habe ich die naturwissenschaftlichen und astrono- mischen Gründe aus einander gesetzt, welche für die eine und die andere Ansicht angeführt werden können. Ich beabsichtigte, zu zeigen, dass weder die Gründe für die eine, noch die Gründe für die andere Meinung strenge be- weisend seien und dass man also, um zur Gewissheit zu gelangen, sich an die durch erhabenere Lehren gegebene Entscheidung halten müsse. Das ist aus vielen Stellen des Dialogs deutlich zu erkennen. Ich erkläre also, dass ich innerlich die verdammte Meinung nicht für wahr halte noch seit der Entscheidung der Oberen für wahr gehalten habe."

Es wird ihm nochmals entgegen gehalten: das Buch und die in demselben für die Bewegung der Erde u. s. w. angeführten Gründe Hessen doch vermuthen, dass er die Meinung des Copernicus für wahr halte oder wenigstens

Das Protocoll über das vierte Verhör. 317

früher für wahr gehalten habe; wenn er sich also nicht ent- schliesse, die Wahrheit zu gestehen, werde man gegen ihn die geeigneten Mittel anwenden (devenietur contra ipsum ad remedia iuris et facti opportuna). Galilei antwortet: „Ich halte diese Meinung des Copernicus nicht für wahr und habe sie nicht für wahr gehalten, seitdem mir der Befehl insinuirt worden ist, sie aufzugeben; übrigens bin ich hier in ihren Händen (nette loro mani, also: in den Händen der Mitglieder der Inquisition); sie mögen thuen, was ihnen gut dünkt." Nun wird ihm gesagt: er solle die Wahrheit sagen, sonst werde man die Folter anwenden (alias deve- nietur ad torturam). Galilei antwortet: ,,Ich bin hier, um zu gehorchen, und ich habe, wie gesagt, jene Meinung, nachdem die Entscheidung getroffen war, nicht für wahr gehalten".

Dann schliesst das Protocoll: „Und da nichts weiter zu erreichen war, wurde er in Gemässheit des Decretes [der Inquisition vom 16. Juni], nachdem er unterschrieben, an seinen Ort zurückgesandt" ,). Der Ort, wohin er zurück- gesandt wurde, war nicht, wie Marini angibt, der Gesandt- schaftspalast, sondern das Galilei als Gefängniss angewie- sene Zimmer im Inquisitionsgebäude. Denn von dort wurde er, wie Niccolini2) berichtet, am folgenden Tage nach der Minerva geführt, und erst am 24. Juni wurde er in die Wohnung des Gesandten entlassen.

Wäre Galilei nach diesem Verhöre wirklich gefoltert worden, so müsste nach dem oben Gesagten das Protocoll nicht mit den Worten schliessen: „Und da nichts weiter zu erreichen war" u. s. w., sondern es müssten der Beschluss, es solle zur Folterung geschritten werden, die Abführung in die Folterkammer und die Vorgänge in dieser proto- collirt worden sein. Wohlwill hat zu beweisen versucht, dieses alles sei in der That am 21. Juni protocollirt, dieses Protocoll sei aber vernichtet und dafür das jetzt in den Pro- cessacten stehende gefälschte Protocoll substituirt worden.

1) Diese Interpunction und Ueberselzung verdient den Vorzug vor der von Gebier, Galilei S. 282, Schanz, Galilei S. 56, u. A. : „Und da nichts weiter zu erreichen war zur Ausführung des Decretes, wurde er" u. s. w. Vgl. Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 85. Scartazzini, Uns. Zeit 1877, n> 455; Allg. Ztg. 1877, No. 301 B. Gebier, Gegenw. 1878, 376.

2) IX, 444.

31 8 Das Protocoll über das vierte Verhör.

Zu dieser Annahme ist er genöthigt, weil er glaubt, aus dem Wortlaute des Urtheils gegen Galilei ergebe sich, dass der- selbe am 21. Juni, wenn nicht wirklich gefoltert, wenigstens in die Folterkammer abgeführt und dort noch einmal in der oben S. 308 angegebenen Weise „ermahnt" worden sei. Wenn sich dieses aus dem Urtheil wirklich ergäbe, so könnte aller- dings das uns vorliegende Protocoll nicht echt sein; denn dass der Notar dasselbe am 21. Juni geschrieben, aber mit Verletzung der Regeln der Inquisition von dem Beschlüsse, zur Folterung zu schreiten u. s. w., nichts protocollirt haben sollte, ist nicht anzunehmen. Dieses Hauptargument Wohl- wills gegen die Echtheit des Protocolls, sein angeblicher Widerspruch mit dem Urtheil, wird später eingehend ge- prüft werden; einige andere Argumente werden am besten hier erörtert. %

1. „Während bei den anderen Verhören der Ange- klagte stets als supradictus Galtleus oder Galtleus de quo supra auftritt; heisst es hier: Galileus de Galileis Florenti- nus de quo alias1).'1 Die beiden ersten Formeln werden in den Protocollen über die Verhöre vom 30. April und 10. Mai gebraucht. Diese Verhöre waren von dem vorherge- henden nicht durch viele Tage getrennt, und die Protocolle darüber werden auf derselben Seite begonnen, auf welcher das vorhergehende schliesst. Zwischen dem dritten und dem vierten Verhöre lagen fünf Wochen, und das Protocoll über letzteres beginnt auf einem neuen Blatte2).

2. „Das Verhör vom 21. Juni ist von den sieben Ver- hören, die das Vatican-Manuscript enthält, das einzige, in welchem bei der Entlassung des Angeklagten das Gelübde des Stillschweigens nicht erwähnt wird3)." Dasselbe fehlt auch bei dem Verhöre vom 10. Mai.

1) S. 104.

2) So scheint sich mir das de quo alias und die Beifügung von Flo- rentinus besser zu erklären als durch die Bemerkung von Gebier, Gegenw. 1878, No. 25, S. 392: der Ausdruck sei gewählt, weil, während die Proto- colle vom 12. und 30. April und 10. Mai unmittelbar hinter einander stehen, zwischen den Blättern, auf denen diese drei, und den Blättern, auf denen das letzte Protocoll steht, die Verteidigungsschrift Galilei's und die Gut- achten der Consultoren eingelegt seien. Denn in der Aufzeichnung vom 16. Juni (S. 112) steht Galilei de quo supra.

3) Wohlwill S. 113; vgl. Gebier a. a. O. Auch in den Formularen

Das Protocoll über das vierte Verhör. 319

3. „Die Formel in exealtionem decrcti wird sonst nicht so absolut ohne Bezeichnung dessen, von dem das Decret ausgegangen, also hier der Congregation der Inquisition, gebraucht." Das Decret, auf welches Bezug genommen wird, steht auf dem unmittelbar vorhergehenden Blatte und bedurfte also keiner nähern Bezeichnung.

4. Das Protocoll vom 21. Juni ist, wie die anderen Protocolle, von Galilei unterschrieben. Gebier bemerkt dazu: „Diese Unterschrift Galilei's ist im Gegensatze zu seinen anderen Unterzeichnungen mit auffallend zitternder Hand niedergesetzt" 1). Diese Bemerkung hat, wie zu erwarten war, zu der Vermuthung Anlass geboten, die Unterschrift sei gefälscht2). Gebier erwiedert darauf: „Wir meinen, ein Fälscher hätte alles aufgeboten, die Unterschrift den anderen so ähnlich wie möglich nachzuahmen, keinesfalls hätte er auffällig gezittert. Nein, in dieser mit schwankender Hand aufs Papier gebrachten Unterzeichnung, die übrigens trotz- dem ganz unverkennbar den eigenthümlichen Charakter der Unterschrift Galilei's trägt, spiegelt sich nur die furchtbare Aufregung, welche der mit der Tortur bedrohte unglück- liche Greis so eben erduldet"3).

Während Wohlwill annimmt, von dem Protocoll vom 21. Juni sei nur der auf Fol. 453 stehende Schluss, von der vorletzten Antwort Galilei's an, gefälscht, hat Scartazzini zu beweisen versucht, das ganze Protocoll sei, allerdings mit theilweiser Benutzung des echten, an dessen Stelle es gesetzt wurde, von einem Fälscher geschrieben4): Er meint, auch das Datum sei gefälscht: das Verhör habe nicht am

des S. A. p. 62 und 69 fehlt dasselbe. Bei Pignatelli p. 521a heisst es: Reis S. Officii dafür, etiam pluries, iuramentum de non tractando de me- ritis suae causae. Das klingt nicht so, als ob die Vereidigung bei jedem Verhöre nöthig gewesen wäre. Sie scheint nur bei dem sog. Offensiv-Processe vorgeschrieben gewesen zu sein. Wolynski p. 96.

1) Acten S. 114.

2) Scartazzini, Allg. Ztg. 1878, No. 38; Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 666. 3) Gegenwart a. a. O.

4) Riv. Eur. 1878, V, 225; Allg. Ztg. 1878, No. 38; Mag. f. d. Lit. des Ausl. 1878, No. 15, S. 232. Die ausführliche und scharfsinnige Demon- stration, wie der Fälscher mit den Blättern des Actenheftes verfahren (Riv. Eur. V, 225 232), kann hier unerörtert bleiben. Sie zeigt ja jedenfalls nur die Möglichkeit einer Fälschung. Vgl. Wolynski p. 102.

320 Das Protocoll über das vierte Verhör.

21., sondern am 17. Juni stattgefunden. Als Grund für diese Vermuthung wird nur angeführt: das Decret vom 16. Juni habe keinen Aufschub zugelassen, sondern gleich ausge- führt sein wollen, wie denn ja auch andere Galilei's Sache betreffende Decrete des Papstes sofort ausgeführt worden seien. Allerdings wurde der früher erwähnte, am 25. Febr. 16 16 dem Cardinal Bellarmin ertheilte Auftrag am 26. aus- geführt, und mehrere Briefe, deren Absendung die Inquisi- tion beschlossen (2. Apr. 1615; 2$. Sept. 1632), wurden gleich expedirt. Aber daraus kann doch nicht gefolgert werden, dass nicht die Ausführung des am 16. Juni ge- fassten Beschlusses aus irgend einem Grunde bis zum 21. hätte verschoben werden können. Es ist gar nicht unwahr- scheinlich, dass der Grund folgender war: man wollte die Verkündigung vdes Urtheils an dem unmittelbar auf das letzte Verhör folgenden Tage vornehmen, um Galilei eine längere Spannung und einen längern Aufenthalt im Inqui- sitionsgebäude zu ersparen; die Ausarbeitung des Urtheils und das Einholen der Unterschriften der Cardinäle bean- spruchte einige Tage1); so konnte die Publication des Ur- theils erst am 22. Juni stattfinden, darum wurde Galilei erst am 21. zu dem letzten Verhöre citirt.

Scartazzini sagt selbst2), seine Vermuthung, das letzte Verhör habe am 17. Juni stattgefunden, stehe in Wider- spruch mit der Angabe in dem Briefe Niccolini's vom 26. Juni, Galilei sei am Montag [20. JuniJ Abends nach dem h. Officium beschieden, am Dinstag [21.] verhört und am Mittwoch [22.] zur Abschwörung nach der Minerva geführt worden3). Er hält aber seine Vermuthung für so sicher, dass er behaupten zu dürfen glaubt, diese genauen Angaben Niccolini's -beruhten auf einem „unabsichtlichen oder absicht- lichen" Gedächtnissfehler4).

i) Wolynski p. 61. 102. 2) Riv. Eur. V, 233. 3) IX, 444.

4) An dieser Stelle deutet Scartazzini nur an, dass Niccolini nicht immer die Wahrheit sage; p. 247 lässt er (mit Rücksicht auf eine unten zu besprechende Notiz in seinen Berichten) mit grossen Buchstaben drucken: „Der toscanische Gesandte Niccolini ist ein Lügner"! Wie leichtfertig Scar- tazzini Niccolini's Berichte kritisirt, davon ein Beispiel. Er führt p. 233 die Stelle IX, 445 an: „Das Urtheil enthält das Verbot des Buches und Gali- lei's Verurtheilung zu Gefängniss, . . . weil er das ihm im J. 1616 ertheilte Praeceptum übertreten haben soll", und meint, Niccolini verschweige, dass

Das Protocoll über das vierte Verhör. 32 1

Der Grund, weshalb der Fälscher den 21. Juni für den 17. substituirt haben soll, oder richtiger gesagt, der Grund, weshalb Scartazzini den 17. Juni für den 21. substituirt, ist folgender1): Am 21. kann Galilei nicht gefoltert worden sein, denn dann hätte er, da am 22. das Urtheil verlesen wurde, nicht der Vorschrift der Inquisition entsprechend 24 Stunden nach der Folterung seine Aussage ratificiren können. Da der Fälscher die Möglichkeit der Folterung ausschliessen wollte, musste er das Verhör auf den 21. ver- legen, und da Scartazzini die Wirklichkeit der Folterung annimmt, musste er es auf einen frühern Tag verlegen. So scheint es. Aber eine Ratification war nur nöthig, wenn der Angeklagte auf der Folter ein Geständniss ablegte; Galilei hat aber, wie wir aus dem bis jetzt wenigstens noch nicht bestrittenen Urtheil erfahren, bezüglich der Intention auf der Folter oder trotz der Androhung der- selben — „katholisch geantwortet", also kein Geständniss abgelegt, mithin auch nichts zu ratificiren gehabt. Das Datum des Verhörs ist also für Scartazzini wie für den angeblichen Fälscher gleich irrelevant.

Schliesslich mag noch eine Vermuthung Bertis2) er- wähnt werden. Er meint: am 16. Juni sei die Folterung Galilei's angeordnet worden , der Commissar habe aber kraft seiner „discretionären Gewalt", Greise und Schwäch- liche nicht foltern zu lassen, und in der Ueberzeugung, dass Galilei die Folter nicht aushalten könne, jene Anord- nung nicht ausgeführt; in dem Urtheil werde die Folterung erwähnt, weil dasselbe schon vor dem 21., also unter der Voraussetzung, dass die Anordnung vom 16. ausgeführt werden würde, niedergeschrieben worden sei. Dass am 16. Juni die Folterung nicht angeordnet worden, haben wir ge- sehen; dass der Commissar sich nicht für befugt halten konnte, eine Anordnung der Inquisitions-Congregation nicht

die Inquisition Galilei als der Ketzerei stark verdächtig verurtheilt habe. Aber unmittelbar vor den oben angeführten Worten sagt Niccolini : „Man hat Galilei nicht nur das Urtheil vorgelesen, sondern auch ihn seine Mei- nung abschwören lassen". Das konnte man doch in Florenz nicht anders verstehen, als dass Galilei der Ketzerei schuldig oder verdächtig gefunden worden sei.

1) Riv. Eur. V, 234. 2) 11 Processo p. CXIII (N. Ed p. 100).

Keusch, Galilei. 21

322 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.

auszuführen, ist unzweifelhaft *) ; dass in dem Urtheil die Folterung nicht erwähnt wird, werden wir später sehen.

XXVIII.

Die Verkündigung des Urtheils und die Abschwörnng Galilei's, 22. Juni 1633.

Wer von der Inquisition der Ketzerei schuldig gefun- den worden war, dem wurde das Urtheil öffentlich vorge- lesen und er hatte, wenn er zu einer Abschwörung verurtheilt worden, diese öffentlich zu leisten2). Der der Ketzerei leicht Verdächtige hatte nicht öffentlich abzuschwören; die der Ketzerei stark Verdächtigen konnten zur öffentlichen oder zur privaten Abschwörung verurtheilt werden3). Ausserhalb Roms hatte der Inquisitor das Urtheil in Gegenwart des Bischofs und der Consultoren zu verkündigen4). In Rom wurde bei einem stark Verdächigen die Verkündigung des Urtheils, auf welche die Abschwörung folgte, mitunter von

i) Es ist ganz unrichtig, wenn Berti, p. CXXXVIII. 70, sagt: „In fast allen Tractaten über das Recht der Inquisition wird dem Commissar ge- stattet, gegen Greise die Folter nicht anzuwenden" (vgl. N. Ed. p. 292). Dem Inquisitor, in Rom der Congregation des h. Officiums stand es zu, über An- wendung oder Nichtanwendung der Folter zu befinden; der Commissar war an die Beschlüsse der Congregation gebunden.

2) In dem Formular S. A. p. 275 heisst es: Lata, data et in his scriptis sententialiter promulgata fuit supra scripta sententia . . . astanti- bus et audientibus RR. PP. ac III. DD. Consultoribus S. Officii necnon magna nobilium et populi multitudine. . . Successive praedictus N. abiu- ravit etc. Eine Beschreibung der Abschwörung des Michael Molinos, die am 3. Sept. 1687 in der Kirche S. Maria sopra Minerva stattfand, s. bei Laemmer, Meletematum Rom. Mantissa, 1875, p. 407. Durch ein an ver- schiedenen Orten angeheftetes Edict war angekündigt, dass Allen, die der Abschwörung beiwohnen würden, ein Ablass von 15 Jahren und 15 Qua- dragenen verliehen worden sei; für die Mitglieder der Inquisition, für die Herren und Damen des Römischen Adels waren Tribünen errichtet u. s. w.

3) S. A. P. X, No. 10. 201. Carena p. 426.

4) Carena p. 417 a.

Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633. 323

dem Commissar vor Notar und Zeugen vorgenommen1); mitunter fand sie öffentlich statt2), mitunter, wie für Galilei am 16. Juni angeordnet war, in einer Plenarsitzung des h. Officiums, also in Anwesenheit der Cardinäle, welche Mitglieder der Inquisition waren, und der Beamten der letzern3), in dem grossen Saale des Dominicanerklosters Santa Maria sopra Minerva. Das Urtheil war in italieni- scher Sprache abgefasst4); Galilei hatte es stehend anzu- hören5). Dasselbe lautet:

„Wir, Gasparo Borgia, vom Titel Santa Croce in Gierusalemme, Fra Feiice Centin o, vom Titel Santa Anastasia, genannt von Ascoli Guido Bentivoglio, vom Titel S. Maria del Popolo, Fra Desiderio Sca- glia, vom Titel S. Carlo, genannt von Cremona, Fra Antonio Barberino, genannt von S. Onofrio, Lau- divio Zacchia, vom Titel S. Pietro in Vincola, genannt von S. Sisto, Berlingero Gessi, vom Titel S. Agostino, Fabricio Verospi, vom Titel S. Lorenzo in pane eperna, genannt Priester6), Francesco Barberino von S. Lo-

1) Gibbings, O'Farrihy p. 19; Fulgentio Manfredi p. 21.

2) Allg. Ztg. 1877, 102 B. 3) IX, 444.

4) Carena p. 416a: In causis fidei sententiae solent materno sermone fieri. Dass der italienische, nicht der lateinische Text der Originaltext ist, hat Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 159. 170 nachgewiesen. Ich über- setze nach dem Abdruck bei Venturi II, 171, der genauer ist als der IX, 466 stehende. Die lateinische Uebersetzung ist übrigens wahrscheinlich gleich angefertigt worden, um an die Nuncien im Auslande (s. § XXXII) versandt zu werden. Wolynski p. 61.

5) Carena p. 418b: Ret sententias audire debent stantes et nudo capite.

6) Im Italienischen Fabricio del titolo di S. Lorenzo in pane e perna Verospi chiamato Prete, in der lateinischen Uebersetzung Fabricius S. Lau- rentii in pane et perna Verospius dictus Presbyter, als wenn Verospi den Beinamen Prete gehabt hätte. Ohne Zweifel ist aber, wie in dem Urtheil bei Gibbings, Fulgentio Manfredi p. 33, zu lesen chiamati Preti, so dass die acht ersten Cardinäle als Cardinal-Priester, wie die beiden letzten als Cardinal-Diakonen bezeichnet werden. In einem Erlass der Inquisition vom 3. Jan. 1623 bei Diana, Resolutionum moralium P. IV. p. 380, steht an der Spitze Octavius episcopus Praenestinus Bandinus, dann folgen die Namen von acht anderen Cardinälen und dahinter das "Wort Presbyteri, dann Lu- dovicus S. Adriani Diaconus de Lavalette, und in den beiden Urtheilen vom J. 1635, Riv. Eur. 1878, V, 510, stehen die Namen von fünf Cardinälen und

324 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.

renzo in Damaso und Martio.Ginetti von S. Maria Nuova, Diakonen , durch Gottes Barmherzigkeit Cardinäle der h. Römischen Kirche, speciell bestellte General-Inquisitoren des h. apostolischen Stuhles gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt:

„Du, Galileo, Sohn des verstorbenen Vincenzo Galilei aus Florenz, 70 Jahre alt, bist im Jahre 161 5 bei diesem h. Officium denuncirt worden : du hieltest die von Vielen vorgetragene falsche Lehre für wahr, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich sei und dass die Erde sich bewege, auch eine tägliche Bewegung habe ; du hättest einige Schüler, denen du diese selbe Lehre vortrü- gest; du ständest über dieselbe in Correspondenz mit eini- gen Mathematikern in Deutschland; du hättest einige Briefe unter dem Titel „von den Sonnenflecken" in Druck gege- ben, in welchen du diese Lehre als wahr vortrügest; und die Einwendungen, die dir zu verschiedenen Malen auf Grund der h. Schrift gemacht worden, beantwortetest du,, indem du die besagte Schrift nach deinem Sinne erklärtest. Ferner wurde eine Abschrift einer Abhandlung vorgelegt in Form eines Briefes, von welchem gesagt wurde, du habest ihn an einen deiner früheren Schüler geschrieben, worin im Anschlüsse an die Ansicht des Copernicus verschiedene Sätze gegen den wahren Sinn und die Autorität der h. Schrift enthalten sind.

„Da nun in Folge davon dieser h. Gerichtshof der Un- ordnung und dem Schaden entgegen wirken wollte, der daraus erwuchs und immer mehr zunahm zum Nachtheile des heiligen Glaubens, wurden auf Befehl unseres Herrn und Ihrer Eminenzen der Herren Cardinäle dieser höchsten und allgemeinen Inquisition von den Theologen-Qualifica- toren die beiden Sätze von dem Stillstehen der Sonne und der Bewegung der Erde qualificirt, und zwar so:

„Der Satz dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt sei1) und keine räumliche Bewegung habe, ist philosophisch

dahinter Preti, dann Martio . . . Ginetti Diacono. Wolynski, der S. 125 Sentenz und Abschwörung neben den Formularen des Sacro Arsenale mit- theilt, hat: Verospi chiamato, Preti. Ueber die Beinamen der Cardinäle Centini, Scaglia und Antonio Barberini s. o. S. 101. 178. 260.

i) Im lateinischen Texte ungenau: solem esse in centro mundi.

Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633. 325

absurd und falsch und formell ketzerisch, weil er ausdrück- lich der h. Schrift widerspricht.

„Der Satz, dass die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt und nicht unbeweglich sei, sondern sich bewege, auch in täglicher Umdrehung, ist gleichfalls philosophisch absurd und falsch und theologisch betrachtet wenigstens irrig im Glauben.

„Da man aber damals gegen dich milde verfahren wollte, wurde in der am 25. Febr. 16 16 in Gegenwart unseres Herrn gehaltenen h. Congregation beschlossen : Seine Emi- nenz der Herr Cardinal Bellarmin solle dir bedeuten, du müsstest die besagte falsche Lehre ganz aufgeben ; und wenn du dich weigertest, dieses zu thun, solle dir von dem Commissar des h. Officiums der Befehl ertheilt werden, die besagte Lehre aufzugeben und sie nicht Anderen vorzutra- gen noch sie zu vertheidigen noch sie zu erörtern ; und wenn du dich diesem Befehle nicht fügtest, solltest du ein- gekerkert werden. In Ausführung eben dieses Beschlusses wurde dir am folgenden Tage im Palaste und in Gegenwart des besagten Herrn Cardinais Bellarmin, nachdem du von demselben freundlich gewarnt und ermahnt worden wärest, von dem damaligen Pater Commissar des h. Officiums vor Notar und Zeugen der Befehl ertheilt, du müsstest die be- sagte falsche Meinung ganz aufgeben und dürftest sie in Zukunft in keiner Weise mehr vertheidigen oder lehren, weder mündlich noch schriftlich; und nachdem du ver- sprochen zu gehorchen, wurdest du entlassen.

„Und damit eine so verderbliche Lehre ganz beseitigt würde und sich nicht weiter verbreiten könnte zum schwe- ren Schaden der katholischen Wahrheit, erging ein Decret der h. Congregation des Index, durch welches die Bücher, welche von dieser Lehre handeln, verboten wurden und diese selbst für falsch und der heiligen und göttlichen Schrift durchaus widersprechend erklärt wurde.

„Da nun unlängst hier ein Buch erschien, welches im vori- gen Jahre in Florenz gedruckt ist und dessen Aufschrift zeigte, dass du der Verfasser desselben seiest, da der Titel lautet : Dialogo di Galileo Galilei delli due massimi sistemi del mondo, Tolemaico e Copernicano, und da der h. Congregation mitge- theilt wurde, dass in Folge der Veröffentlichung des besag- ten Buches die falsche Meinung von der Bewegung der Erde

326 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.

und dem Stillstehen der Sonne alle Tage mehr Fuss fasse: so wurde das besagte Buch sorgfaltig geprüft und in dem- selben eine offenbare Uebertretung des oben erwähnten, dir ertheilten Befehles gefunden, indem du in diesem Buche die früher besagte verdammte und dir ausdrücklich als ver- dammt bezeichnete Lehre vertheidigt hast, wiewohl du in dem besagten Buche durch verschiedene Wendungen die Meinung zu erwecken dich bemühest, du stelltest sie als unentschieden und ausdrücklich nur als probabel hin, was aber auch ein sehr schwerer Irrthum ist, da eine Meinung, von welcher erklärt und definirt worden ist, sie wider- spreche der h. Schrift, in keiner Weise probabel sein kann.

„Demgemäss wurdest du auf unsern Befehl vor dieses h. Officium beschieden, wo du bei deiner eidlichen Verneh- mung das Buch als von dir verfasst und in Druck gegeben anerkanntest. Du gestandest ein, dass du vor etwa zehn oder zwölf Jahren, nachdem dir der oben erwähnte Befehl bereits ertheilt worden war, das besagte Buch zu schreiben, angefangen und dass du die Erlaubniss zum Drucke dessel- ben nachgesucht habest, ohne denjenigen, welche dir diese Erlaubniss gaben, mitzutheilen, dass dir der Befehl ertheilt worden, die fragliche Lehre nicht für wahr zu halten, zu vertheidigen noch in irgend einer Weise zu lehren.

„Du hast ferner eingestanden, das besagte Buch sei an mehreren Stellen so gehalten, dass der Leser sich die Meinung bilden könne, die für die falsche Meinung vorge- brachten Gründe seien so vorgetragen, dass sie eher durch ihre Beweiskraft geeignet zu überzeugen als leicht zu wider- legen seien, indem du zu deiner Entschuldigung angäbest, du seiest in einen, wie du sagtest, deiner Absicht so fern liegenden Irrthum verfallen in Folge der Abfassung des Buches in dialogischer Form und in Folge des natürlichen Gefallens, welches Jeder an seiner eigenen Spitzfindigkeit und daran findet, sich dadurch scharfsinniger als die meisten Menschen zu erweisen, dass er auch für die falschen Sätze ingeniöse und blendende Wahrscheinlichkeitsgründe zu fin- den wisse.

„Und nachdem dir eine angemessene Frist für deine Verteidigung gesetzt worden wTar, hast du ein von der Hand Seiner Eminenz des Herrn Cardinais Bellarmin ge- schriebenes Zeugniss producirt, welches du, wie du sagtest,

Verkündigung des Ürtheils 22. Juni 1633. 327

dir verschafft hattest, um dich gegen die Verleumdungen deiner Feinde zu vertheidigen, welche von dir sagten, du hättest abgeschworen und seiest von dem h. Officium zu einer Busse verurtheilt worden. In diesem Zeugnisse wird gesagt, du hättest nicht abgeschworen und seiest auch nicht zu einer Busse verurtheilt, sondern es sei dir nur die von unserm Herrn abgegebene und von der h. Congregation des Index publicirte Erklärung mitgetheilt worden, des Inhalts, dass die Lehre von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne der h. Schrift widerspreche und darum nicht vertheidigt und nicht für wahr gehalten werden dürfe. Da nun in diesem Zeugnisse die beiden Ausdrücke des Befehles, docere und quovis modo, nicht erwähnt werden, so müsse man glauben, sagtest du '), dass du im Verlaufe von 14 oder 16 Jahren diese ganz aus dem Gedächtnisse verloren, und dass du aus diesem Grunde über den Befehl geschwiegen hättest, als du die Erlaubniss zum Drucke des Buches nachsuchtest. Alles dieses sagtest du nicht, um deinen Irrthum zu entschuldigen, sondern damit er nicht bösem Willen, sondern eitelm Ehrgeiz zugeschrieben werde. Aber das besagte, von dir zu deiner Vertheidigung vorge- brachte Zeugniss ist nur geeignet, dich noch mehr zu gra- viren, indem du, obschon in demselben die besagte Meinung als der h. Schrift widersprechend bezeichnet wird, nichts desto weniger gewagt hast, sie zu erörtern, zu vertheidigen und als probabel darzustellen. Auch dient dir nicht zur Rechtfertigung die Erlaubniss, welche du auf geschickte und schlaue Weise erschlichen hast, indem du von dem dir ertheilten Befehle nichts sagtest.

„Da es uns nun schien, dass du bezüglich deiner Inten- tion nicht ganz die Wahrheit gesagt, erachteten wir es für nöthig, das peinliche Verhör (rigoroso esame) mit dir anzu- stellen2). Bei diesem hast du, jedoch ohne irgend wel- ches Präjudiz für das, was bezüglich deiner Intention von dir eingestanden oder gegen dich, wie oben erwähnt, er- wiesen worden, katholisch geantwortet3).

i) Im lateinischen Text steht falsch: credendum est statt credendum esse; s. Wohlwill S. 181; Zts. f. Math. 1872, L.-Z. S. 24.

2) Frohschammer, Das Christenthum u. s. w. 1868, S. 48 übersetzt: „die strenge Prüfung deiner Person in Anwendung zu bringen"!

3) S. o. S. 304. 305.

328 Verkündigung des Urtheils 22. Juni 1633.

„D esshalb sind wir, nachdem wir diese deine Sache nach allen Seiten sammt deinen oben besagten Geständnissen und Entschuldigungen und allem, was von Rechts wegen einzusehen und zu erwägen war, eingesehen und reiflich erwogen haben, zu dem unten stehenden definitiven Urtheile gegen dich gelangt.

„Nach Anrufung also des allerheiligsten Namens unseres Herrn Jesu Christi und seiner glorreichen allzeit jungfräu- lichen Mutter Maria« sprechen wir, als Gerichtshof sitzend, nach dem Rathe und Gutachten der Hochwürdigen Magister der h. Theologie und der Doctoren beider Rechte, die unsere Consultoren sind, in dieser Schrift unser definitives Urtheil in der Streitsache und den Streitsachen, die uns vorliegen, zwischen Seiner Magnificenz Carlo Sincero, beider Rechte Doctor, Fiscal-Procurator dieses h. Officiums, einer- seits, und dir, Galileo Galilei, als hier gegenwärtigem und, wie oben gesagt, processirtem und geständigem Angeklagten anderseits, indem wir sagen, aussprechen, urtheilen, erklä- ren: dass du, oben besagter Galileo, durch die, wie oben erwähnt, im Process erwiesenen und von dir eingestandenen Dinge dich diesem h. Officium der Ketzerei stark verdäch- tig gemacht hast, nämlich (verdächtig), dass du die falsche und den heiligen und göttlichen Schriften widersprechende Lehre, die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt1) und be- wege sich nicht von Osten nach Westen, und die Erde be- wege sich und sei nicht der Mittelpunkt der Welt, geglaubt und für wahr gehalten, und (dass du geglaubt und für wahr gehalten), es dürfe eine Meinung, auch nachdem sie als der h. Schrift widersprechend erklärt und definirt worden, als wahr- scheinlich festgehalten und vertheidigt werden ; und dass du in Folge dessen in alle Censuren und Strafen verfallen bist, welche durch die heiligen Canones und andere allgemeine und besondere Constitutionen gegen solche, die sich in ähn- licher Weise verfehlt haben, festgesetzt und promulgirt wor- den sind. Wir genehmigen, dass du von diesen (Censuren und Strafen) freigesprochen werdest, vorausgesetzt dass du zuvor mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben die oben besagten Irrthümer und Ketzereien und alle an-

i) della terra (im lateinischen Texte orbis terrae) wird ein Versehen sein für del mondo, wie im Folgenden steht. Wohlwill S. 1 79.

Abschwörung Galilei's. 329

deren der katholischen und apostolischen Römischen Kirche zuwiderlaufenden Irrthümer und Ketzereien in der Weise, die dir von uns wird angegeben werden, vor uns abschwö- rest, verfluchest und verwünschest.

„Und damit dieser dein schwerer und verderblicher Irrthum und Fehltritt nicht ganz ungestraft bleibe und du in Zukunft vorsichtiger seiest, und zum Beispiel für die An- deren, dass sie sich vor ähnlichen Vergehen hüten, verord- nen wir, dass das Buch Dialoghi di Galileo Galilei durch einen öffentlichen Erlass verboten werde. Dich verurtheilen wir zu förmlicher Kerkerhaft in diesem h. Officium für eine nach unserm Ermessen zu bestimmende Zeit, und legen dir als heilsame Busse auf, drei Jahre lang wöchentlich einmal die sieben Busspsalmen zu beten, indem wir uns das Recht vorbehalten, die besagten Strafen und Bussen zu ermässigen, umzuwandeln oder ganz oder theilweise zu erlassen1).

„Und so sprechen, verkündigen, verordnen, befehlen, verurtheilen und behalten wir uns vor, in dieser und in jeder andern bessern Weise und Form, wie wir von Rechtswegen können und müssen.

„IIa pronunciamus nos Cardinales infra scripti. F. Car- dinalis de Asculo. G. Cardinalis Bentivolus. Fr. Cardinalis de Cremona. Fr. Antonius Cardinalis S. Honuphrii. B. Car- dinalis Gypsius. F., Cardinalis Verospius. M. Cardinalis Ginettus."

Sofort verlas Galilei in italienischer Sprache2) folgende Abschwörungsformel:

„Ich, Galileo Galilei, Sohn des verstorbenen Vincenzo Galilei aus Florenz, siebenzig Jahre alt, persönlich vor Ge- richt gestellt und knieend vor Eueren Eminenzen, den Hoch- würdigsten Herren Cardinälen General-Inquisitoren gegen die ketzerische Bosheit in der ganzen christlichen Welt, vor meinen Augen habend die hochheiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre, schwöre, dass ich immer ge-

i) Diese Formel wurde in den Urtheilen der Römischen (nicht der spanischen; Inquisition beigefügt, weil sie, im Unterschiede von anderen Ge- richtshöfen, das Recht hatte, die Strafen zu mildern und nachzulassen. Carena p. 417 b. Pignatelli II, 26 a. 184 a.

2) S. A. P. X, No. 49. Carena p. 427 : Abiuratio fit Lingua et idio- mate vulgari:

3$o Abschwörung Galilei's.

glaubt habe, jetzt glaube und mit Gottes Hülfe in Zukunft glauben werde alles, was die h. katholische und apostolische Römische Kirche für wahr hält, predigt und lehrt. Da ich aber, nachdem mir von diesem heiligen Officium der ge- richtliche Befehl verkündet worden, ich müsse die falsche Meinung, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, ganz aufgeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, vertheidigen, noch in irgend welcher Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich, und nach- dem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der h. Schrift widerspreche, ein Buch geschrieben und in Druck gege- ben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen, und da ich mich dadurch diesem h. Officium der Ketzerei stark verdächtig gemacht habe, nämlich (verdächtig), für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege: darum, da ich wünsche, Eueren Eminenzen und jedem Christgläubigen die- sen gegen mich mit Recht gefassten starken Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben be- sagte Irrthümer und Ketzereien und überhaupt allen und jeden andern der besagten h. Kirche widersprechenden Irrthum und Secte1). Und ich schwöre, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will, woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte, und dass ich, wenn ich irgend einen Ketzer oder der Ketzerei Verdächtigen kennen lerne, den- selben diesem h. Officium oder dem Inquisitor und Ordina- rius des Ortes, wo ich mich befinde, denunciren will. Ich schwöre auch und verspreche, alle Bussen pünktlich zu er- füllen und zu beobachten, welche mir von diesem h. Officium aufgelegt worden sind oder aufgelegt werden werden. Und sollte ich, was Gott verhüten wolle, irgend einer meiner besagten Versprechungen, Betheuerungen oder Schwüre zuwider handeln, so unterwerfe ich mich allen Strafen und

i) setta hier ss sectirerische Meinung = eresia.

Abschwörung Galilei's. 331

Züchtigungen, welche durch die heiligen Canones und an- dere allgemeine und besondere Constitutionen gegen solche, die sich in solcher Weise vergehen, festgesetzt und promul- girt worden sind. So wahr mir Gott helfe und diese seine heiligen Evangelien, die ich mit meinen Händen berühre.

„Ich, besagter Galileo Galilei, habe abgeschworen, ge- schworen und versprochen und mich verpflichtet, wie vor- stehend, und zur Beglaubigung habe ich diese Urkunde meiner Abschwörung, die ich Wort für Wort verlesen, eigenhändig unterschrieben.

„Rom im Kloster der Minerva am 22. Juni 1633.

„Ich Galileo Galilei habe abgeschworen wie vorstehend, mit eigener Hand."

M. Cantor hat zuerst darauf hingewiesen, dass von den zehn Cardinälen, die an der Spitze der Sentenz als Richter verzeichnet sind, drei, Francesco Barberini, Borgia und Zacchia, das Urtheil nicht unterschrieben haben1). Er selbst, Martin und Andere 2) haben vermuthet, sie seien mit dem Urtheil nicht einverstanden gewesen. Der Papst sagte aber am 18. Juni Niccolini3), die ganze Congregation sei ne?ntne discrepante der Ansicht gewesen, Galilei müsse be- straft werden (penitenziarlo) . Pieralisi4) erklärt das Fehlen der drei Unterschriften in folgender Weise: Borgia stand um diese Zeit mit dem Papste und den meisten Cardinälen auf schlechtem Fusse (s. o. S. 226) und betheiligte sich wenig an den Sitzungen; Zacchia mag aus irgend einem zufälligen Grunde in der Sitzung gefehlt haben; Francesco Barberini nahm auch sonst an den Sitzungen der Inquisition selten Theil5), wie es denn überhaupt damals Brauch war, „dass die Car- dinäle Nepoten (wie später die Staatssecretäre) mitunter an den Abstimmungen nicht Theil nahmen, um grössere Frei- heit in der Behandlung der öffentlichen und privaten, reli- giösen und politischen Geschäfte zu haben". Wenn Martin 6) Urban VIII. zum Vorwurfe macht, dass er das auf seinen Be- fehl gefällte Urtheil selbst nicht unterzeichnet und der Publica-

1) Zts. f. Math. 1864, 194. Bei Alberi IX, 470, wie bei Riccioli, sind die drei Namen beigefügt. Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 170,

2) Martin, Galilee p. 125. 133. Gebier, Galilei S. 300.

3) IX, 444. 4) Urbano VIII p. 218.

5) IX, 433. 6) Galilee p. 136; s. o. S. 301.

332 Abschwörung Galilei's.

tion desselben nicht beigewohnt habe, so ist das unbillig; es war nicht Stil, dass der Papst solche Urtheile der Inqui- sition unterschrieb und in seiner Gegenwart publicirenliess1). Die Abschwörungsformel musste von dem Abschwö- renden eigenhändig geschrieben oder wenigstens unter- schrieben werden2). Auch musste über die Publication der Sentenz und die Abschwörung von dem Notar ein Protocoll aufgenommen werden3). Dass sich ein solches Protocoll nicht unter den Vaticanischen Actenstücken findet, ist nicht auffallend ; es gehörte in die andere Serie von Actenstücken, die Decreta (s. o. S. 4). Es scheint sich aber auch hier nicht mehr zu finden, wenigstens hat Gherardi (No. XIV) aus dieser Serie nur Folgendes veröffentlicht: Feria IV. die 22. Junii. Galilaeus de Galilaeis Flor entin. abiuravit de vehementi in Congregatione etc. iuxta formulam etc. Dass sich in der Vaticanischen Actensammlung nicht eine Notiz über den Vorgang vom 22. Juni findet, ist nicht so auffallend, wie Wohlwill4) meint. Die Notizen über die Sitzungen der Inquisition, welche sich in den Vaticanischen Actenstücken finden, sind nämlich nicht in der Absicht eingeschaltet, um über die auf Galilei's Process bezüglichen Vorgänge einen vollständigen actenmässigen Bericht zusammenzustellen; in diesem Falle hätte allerdings der entscheidende Act der Verkündigung des Urtheils, die Abschwörung und die Frei- lassung des Gefangenen nicht unerwähnt bleiben dürfen. Die Notizen beziehen sich vielmehr sämmtlich auf solche Mitthei- lungen, welche, wahrscheinlich von dem Cardinal-Secretär der Inquisition, über die in den Sitzungen gefassten Beschlüsse dem Pater Commissar oder dem Assessor des h. Officiums

1) Eine scheinbare Ausnahme bildet das von Pius V. allein unter- schriebene Urtheil über den Bischof von Policastro, Nicolö Francesco Missanelli, vom 22. Mai 1567, bei Gibbings, Carnesecchi p. XV. Allg. Ztg. 1877, 96 B. Vgl. Pignatelli II, 519a: Generales Inquisitores subscribunt sente?itias contra qiwscunque, non tarnen contra Episcopos, latas, etsi de- cretum definitivum factum fuerit cora?n Summo Pontifice. Ita quoque de- creta facta coram Pontifice eduntur ipsorum nomine.

2) S. A. P. X, No. 49. Carena p. 427.

3) Wohlwill S. 104. S. A. p. 234. 244. Carena p. 427. Beispiele bei Gibbings, Fulgentio p. 21. O'Farrihy p. 19 und Riv. Eur. 1878, V, 512. 514. S. o. S. 137.

4) S. 105; ebenso Scartazzini, Riv. Eur. V, 244.

Abschworung Galilei's. 333

oder ihrem Secretär oder Notar darum gemacht wurden, weil sie von diesen auszuführen waren1). Die Verlesung der Sentenz und die Abschwörung zu erwähnen, hatte also der Notar der Inquisition, der diese Notizen machte, keine Veranlassung, ebenso wenig die am 23. Juni Galilei ertheilte Erlaubniss, sich in den Gesandtschaftspalast zu begeben, wohl aber die ihm am 30. ertheilte Erlaubniss, nach Siena zu reisen, da diese Erlaubniss nur unter Bedingungen er- theilt wurde, die ihm der Commissar vor Notar und Zeugen mitzutheilen hatte, sowie den Beschluss der Inquisition, Abschriften der Sentenz nach auswärts zu versenden2).

In der Regel wurden die der Ketzerei stark Verdäch- tigen nach der Abschwörung auch förmlich von der Excom- munication bedingungsweise oder zur Vorsicht (ad cautelam), d. h. für den Fall, dass sie durch Ketzerei derselben ver- fallen sein sollten, absolvirt3). Bei Galilei wurde, wie es scheint, von einer solchen förmlichen Absolution abgesehen und nur im Urtheile selbst erklärt, er solle unter der Bedin- gung, dass er abschwöre, von den Censuren und Strafen, denen er verfallen, losgesprochen sein.

Die Abschwörungsformel verlas Galilei, wie in der Einleitung derselben gesagt wird und wie es bei der Inqui- sition Regel war, knieend. Dass er dabei nur mit dem Hemde4) oder mit einem besondern Armensünderkleide be- kleidet gewesen, gehört zu den Zügen, mit denen die Phan- tasie späterer Schriftsteller die traurige Scene ausgeschmückt hat; das sog. Habitellum trugen bei der Abschwörung nur die wegen Häresie Verurtheilten, die wegen starken Verdachtes der Häresie Verurtheilten selbst dann nicht, wenn die Abschwör ung öffentlich stattfand5). Auch die

i) Z. B. S. 22: Card. Millinus mihi ordinavit, ut scribatur arclüepi- scopo et Inquisitor i Pisarum. 2) Acten S. 114.

3) Carena p. 420b. Das Formular des betreffenden Urtheils im S. A. p. 241 enthält den Satz: Dopo la quäle abiuratione saretno contenti assol- verti a cautela della scommunica, nella quäle per le suddette cose potessi esser incorso, dann das Protocoll des Notars p. 244 den Satz : Successive praedictus N. genuflexus ubi supra coram eodem Adm. Rev. P. Inquisitore fuit a Patemitate Sua Admodum Reverenda absolutus ad cautelam ab ex- communicatione etc. Aehnlich bei Gibbings, Fulgentio p. 19. 21.

4) Noch Terrier, Galilei S. 62, sagt: „halbnackt".

5) S. A. P. X, No. 10. Wenn das Habitellum zu tragen war, wird

334 „Sie bewegt sich doch!"

Angabe, Galilei habe, als er sich nach der Abschwörung, von den Knieen erhoben, auf den Boden gestampft, mit den Worten: „E pur st muove, und sie bewegt sich doch", gehört zu dem Legendenkreise, mit dem man Galilei um- geben hat. Der Ursprung dieser Sage lässt sich nur bis in die letzten Decennien des vorigen Jahrhunderts zurück- führen. Der verstorbene Professor Heis in Münster, der den Spuren der Sage eifrig nachgegangen ist, hat die älte- ste Notiz in einem 1789 in 7. Auflage in Caen erschienenen „Dictionnaire historique" gefunden: Au moment qu'il se re- leva, agite par le remord d'avoir fait un faux serment, les yeux baisses vers la terre, on pretend qu'il du en la frap- pant du pied: E pur st muove. Ohne 071 pretend erzählt dann die Geschichte der Ex- Jesuit Feller in der 2. Auflage seines „Dictionnaire historique" 17971). Wie Grisar S. 124 mittheilt, steht aber schon in dem 1774 in Würzburg er- schienenen „Lehrbuch der philosophischen Geschichte" von Fr. N. Steinacher S. 336: „Die Abbitte des Galilei war weder ernstlich noch standhaft genug; denn in dem Augen- blicke, da er wieder aufstand und sein Gewissen ihm sagte, dass er falsch geschworen habe, schlug er die Augen nieder, stampfte mit dem Fusse und sagte : E pur st muove, sie be- wegt sich doch"2).

Was Galilei gedacht, als er diese geistige Tortur überstanden, lässt sich ja wohl vermuthen, und was er em- pfunden, kann man sich leicht vorstellen. Aber wenn er seine Gedanken und Empfindungen hätte laut werden lassen, so hätte er leicht das werden können, was er nicht gewor-

es im Urtheil gesagt; Gibbings, Minorite Friar p. 14. Allg. Ztg. 1877, 135 B. Das Habitellum (italienisch Abitello, in Spanien Sambenito, s. Reusch, Luis de Leon S. 35) war vestitus poenitentiae duplici cruce signatus ; Ey- mericus-Pegna p. 498. Pignatelli II, 201b. 202b. Hier findet sich die Be- stimmung: der de vehementi oder de for?nali Abschwörende solle eine brennende Kerze in der Hand halten. Das Sacro Arsenale erwähnt davon nichts.

1) Natur und Offenbarung 1868, S. 371.

2) Der letzte Satz klingt wie eine Uebersetzung des oben französisch angeführten Satzes, vielleicht nach einer altern Auflage des Dictionnaire. E. Haeckel schreibt noch 1878, Vorträge aus dem Gebiete der Entwickelungs- lehre S. 33: „Sein stolzes Wort: .»Sie bewegt sich doch!« unmittelbar nach der Abschwörungsformel gesprochen", u. s. w.

„Und sie bewegt sich doch!" 335

den ist, ein Märtyrer seiner wissenschaftlichen Ueber- zeugungen. Im sechszehnten Jahrhundert ist mehr als Ein bedeutender Mann wegen seiner religiösen Ueb er Zeugungen von der Römischen Inquisition zum Tode verurtheilt worden. Noch bei Galilei's Lebzeiten wurden am 17. Febr. 1600 Giordano Bruno, am 5. Juli 16 10 Fra Fulgenzio Manfredi auf dem Campo di Fiore verbrannt, noch unter Urban VIII. am 21. Dec. 1624 der Erzbischof Marcantonio de Dominis, nachdem er in seinem Gefängnisse in der Engelsburg ge- storben war1), in effigie verbrannt. Einen Mann wie Ga- lilei zur „Auslieferung an den weltlichen Arm", d. h. zum Feuertode zu verurtheilen, würde Urban VIII. freilich wohl Bedenken getragen haben; aber lebenslängliche Haft würde wohl sicher sein Loos gewesen sein, wenn er sich dem Spruche der Inquisition nicht unterworfen hätte. Dass er sich demselben mit Verleugnung seiner Ueberzeugung unterworfen, dass er sich bei seiner eidlichen Vernehmung in den Verhören so wenig aufrichtig und wahrheitsliebend gezeigt, und dass er schliesslich gewiss nicht „mit auf- richtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben" die Copernicanische Lehre feierlich abgeschworen, verflucht und verwünscht hat, das werden wir, eine so schwere Verschul- dung es auch, objectiv betrachtet, sein mag, unter diesen Umständen bei einem siebenzigj ährigen Greise milde beur- theilen müssen. Der Unwille aber, welchen das Verhalten seiner Gegner erweckt, muss noch gesteigert werden, wenn wir die Behandlung betrachten, welche sie Galilei, nachdem und trotzdem er sich so tief verdemüthigt hatte, zu Theil werden Hessen.

Ehe ich diese Behandlung schildere, muss ich aber zunächst einige Punkte des Processes etwas ausführlicher besprechen.

1) VIII, 214.

336 Das Vergehen Galilei's.

XXIX. Das Yergehen Galilei's.

Galilei hatte sich durch die Verteidigung der Coper- nicanischen Lehre in den Augen der Inquisition der Ketzerei verdächtig gemacht. Das ergibt sich augenscheinlich aus dem Wortlaute des Urtheils und der Abschwörung. Folgt daraus, dass die Inquisition die Copernicanische Lehre als eine Ketzerei angesehen hat und von allen Katholiken als eine Ketzerei angesehen wissen wollte? Diese Folgerung scheint ganz natürlich zu sein; sie wird aber von P. Grisar und Anderen bestritten.

Die Qualificatoren der Inquisition hatten im J. 1616 wenigstens den einen Theil der Copernicanischen Lehre, den Satz, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbe- weglich sei, als ,, formell häretisch" bezeichnet; in dem In- dex-Decrete vom 5. März 16 16 wird aber die Copernicani- sche Lehre nur als „falsch und der h. Schrift durchaus widersprechend" bezeichnet. Es ist früher schon bemerkt worden (S. 119), dass aus dem Gebrauche dieses letztern Ausdrucks nicht zu folgern sei, die Inquisition und die In- dex-Congregation hätten den von den Qualificatoren ge- brauchten Ausdruck nicht für den richtigen gehalten, dass vielmehr allem Anscheine nach die beiden Congregationen das Urtheil der Qualificatoren zu dem ihrigen gemacht. Da aber der Wortlaut des Urtheils der Qualificatoren im J. 16 16 nicht publicirt wurde, so war damals die Coperni- canische Lehre nicht mit ausdrücklichen Worten als „ketze- risch", sondern nur als „falsch und der h. Schrift durchaus widersprechend" bezeichnet worden. Wenn also in dem Urtheil vom 22. Juni 1633 das Gutachten der Qualificatoren und das Index-Decret zwar beide mitgetheilt werden, dann aber „gerade an jener Stelle, wo es darauf ankam, die von der (Index-) Congregation ausgesprochene Censur mit aller Schärfe und Genauigkeit hervortreten zu lassen, nicht die Qualifikation «häretisch«, sondern die Qualifikation »falsch

Die Cop. Lehre ketzerisch. 337

und der h. Schrift widersprechend« angeführt wird" (Grisar S. 700), so ist das ganz natürlich. Nur letztere Qualifikation war imj. 16 16 publicirt, und darum konnte, wenn man sich genau ausdrücken wollte, von Galilei auch nur gesagt wer- den, er habe sich verdächtig gemacht, eine ,, falsche und der h. Schrift widersprechende" Lehre geglaubt zu haben; denn als „häretisch" war sie weder ihm persönlich gegen- über noch in dem veröffentlichten Decrete bezeichnet wor- den. Dass die Inquisition die Lehre nicht als häretisch an- gesehen, darf daraus nicht gefolgert werden.

Wenn aber die Copernicanische Lehre amtlich als ,, falsch und der h. Schrift durchaus widersprechend" be- zeichnet war, war sie damit nicht indirect als eine ketzeri- sche verworfen ? oder mit anderen Worten : kann nach Römischer Anschauung eine Lehre „der h. Schrift durch- aus widersprechend, und doch nicht „ketzerisch" sein?

„Ketzerisch" ist nach dem Sprachgebrauche der Curie ein Satz, I welcher einer ausdrücklichen Offenbarungswahr- heit widerspricht1). Nun ist allerdings die h. Schrift die Urkunde der göttlichen Offenbarungen, aber nicht alle Aus- sprüche der h. Schrift sind Offenbarungswahrheiten. „Ist auch die ganze h. Schrift", sagt Reinerding (S. 427), und ähnlich äussern sich Grisar u. A., „weil durch die Inspi- ration des h. Geistes zu Stande gekommen, als Wort Gottes im weitern Sinne des Ausdrucks zu betrachten, so ist doch nicht ihr ganzer Inhalt geoffenbart. Man kann daher in Wahrheit sagen, dass sie die göttliche Offenbarung enthalte, ohne in allen ihren Theilen göttliche Offenbarung zu sein. Daraus, dass einiges in der h. Schrift nicht göttliche Offen- barung ist, folgt nun zwar nicht, dass man einiges in ihr als unwahr betrachten könne; denn das gestattet die göttliche Inspiration, aus welcher alles geschrieben ist, nicht; es folgt jedoch, dass nicht alles zur Hinterlage des Glaubens oder zur geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehre gehört." Diese Unterscheidung macht auch der Cardinal Bellarmin, wenn er in seinem Briefe an Foscarini (s. o. S. 63) sagt: es gebe in der h. Schrift Sätze, welche Glaubenssache ratione ob-

i) Propositio haeretica est illa, quae negat, quod in se et expresse est a Deo revelatum, vel quae aperte alicui catholicae veritati de fide defi- nitae contraria est. Pignatelli I, 99 b.

Reu seh, Galilei. 22

338 Die Cop. Lehre ketzerisch.

iecti seien, wie z. B. dass Christus von einer Jungfrau ge- boren worden, und andere, welche Glaubenssache rattone dicentis sei, wie z. B. dass Abraham zwei und Jakob zwölf Söhne gehabt. Es wird nun allerdings jetzt Niemand bezwei- feln, dass die h. Schrift keine göttliche Offenbarung über das Stillstehen oder die Bewegung der Sonne und der Erde enthält, und es ist möglich, dass auch die Inquisition zur Zeit Galilei's wenigstens dieses angenommen, dass die Coper- nicanische Lehre nicht einer in der Bibel enthaltenen Offen- barungswahrheit widerspreche, sondern ,,nur deshalb im Widerspruche mit dem Glauben stehe, weil damit etwas, das in der h. Schrift enthalten sei, geleugnet werde, dass also der Widerspruch der genannten Lehre mit dem Glau- ben in der (indirecten) Leugnung des Dogma's von der In- spiration bestehe" *). Dass aber auf Grund dieser Distinction die Inquisition im J. 1616 das von den Qualificatoren bean- tragte Prädicat „ketzerisch" förmlich abgelehnt und als eine zu weit gehende Censur angesehen habe, wie Grisar S. 702 meint, ist nicht anzunehmen. Bellarmin, auf dessen Brief an Foscarini sich Grisar hier beruft, sagt darin, gerade diese Stelle wird freilich von Grisar weder S. 97 noch S. 702 genau angeführt : „Auch derjenige, welcher sagen wollte, Abraham habe nicht zwei und Jakob nicht zwölf Söhne gehabt [also auch derjenige, welcher sagen wollte, die Sonne stehe still u. s. w.], würde ebenso wohl ein Häretiker sein wie der, welcher sagt, Christus sei nicht von einer Jungfrau geboren, da das Eine und das Andere der h. Geist sagt durch den Mund der Propheten und Apostel." Und Carena2) sagt ausdrücklich: „Ob das ein ketzerischer Satz sein würde, wenn Jemand etwas behauptete, was mit einem Ausspruche der h. Schrift in Widerspruch steht, z. B. der Hund des Tobias habe keinen Schwanz gehabt, [was der Stelle Tob. 11, 9 Vulg. widersprechen würde], das haben Einige bezweifelt; aber unzweifelhaft ist ein solcher Satz ketzerisch." Jedenfalls hat die Inquisition wie Bellarmin, wenn nicht den Satz: die Sonne steht still, für einen an sich ketzerischen Satz, doch denjenigen, der

1) Hist.-pol. Bl. 56. Bd. S. 429.

2) p. 293 b. Ausführlich wird dieses begründet von Pignatelli II, 98 100.

Die Cop. Lehre ketzerisch. 339

diesen Satz behauptete, für einen Ketzer gehalten, und demgemäss Galilei, weil er verdächtig geworden, jenen Satz für wahr gehalten zu haben, als der Ketzerei verdächtig verurtheilt.

Jedenfalls ist die Ansicht von Grisar S. 704 unrichtig: die Inquisition habe die Copernicanische Lehre nur als eine „temeräre" oder, was dasselbe sei, als eine ,, nicht hinläng- lich sichere" Meinung (fiarum tüta) angesehen. Eine „teme- räre Proposition" ist nach dem von Grisar citirten Bordoni, der als Inquisitions-Consultor zu Parma 1648 ein Werk über den Geschäftsgang der Inquisition schrieb, ein Satz, welcher „autorisirte Propositionen leugnet", was Grisar etwas um- ständlich umschreibt: ein Satz, der „Ansichten zuwider ist, welche, sei es durch die gemeinsame Annahme, sei es durch befugte Aussprüche der Autorität eine gewisse Sanction, jedoch ohne den Stempel geoffenbarter oder peremtorischer Wahrheit erhalten haben." Sonst wird kürzer und klarer sententia temeraria defmirt als ein Satz, welcher der allge- meinen und wohl begründeten Ansicht der Theologen wider- spricht1). Als bloss temerär konnte jedenfalls im J. 1633 von der Inquisition die Copernicanische Meinung nicht mehr angesehen werden, nachdem sie auf Grund eines Beschlusses der Inquisition selbst oder, wie Bellarmin sagt, -auf Grund einer Erklärung des Papstes durch ein Decret der Index- Congregation als falsch und der h. Schrift durchaus wider- sprechend bezeichnet worden war : eine in dieser Weise als „der Bibel widersprechend verdammte und definirte" Mei- nung, wie es in dem Urtheil heisst, widersprach offenbar

i) Pignatelli, II, 102: lila est propositio temeraria, quae in rebus ad fidem vel ad bonos mores pertinentibus sine ratione procedit et omni pror- sus caret authoritate, ac illa, quae nulla sufficienti ratione vel authoritate fulta communi doctorum sensui vel approbatae historiae adversatur (er fügt sogar bei: vel quae pugnat cum aliquo decreto celebris Universitatis). Ebenso Heinrich, Dogmat. Theol. II, 615, „Temerär ... ist eine die Reli- gion berührende Behauptung, welche, ohne mit einem Glaubenssatz oder einer gewissen theologischen Conclusion in Widerspruch zu stehen und somit eine sententia haeretica oder erronea zu sein, ohne stichhaltige Gründe gegen eine allgemeine und wohl begründete Lehre der Theologen oder eine fromme Ueberzeugung der Gläubigen oder eine allgemeine, von der Kirche gebilligte religiöse Uebung verstösst." Aehnlich Scheeben, Dogmatik I, 199, Franze- lin, De traditione p. 124, Denzinger, Enchiridion p. VII u. A.

34° Die Cop. Lehre ketzerisch.

nicht mehr bloss einer „allgemeinen und wohl begründeten Ansicht der Theologen".

Es ist freilich unzweifelhaft, was Grisar S. 713 aus- führlich nachweist, dass die Inquisition nicht bloss gegen solche vorging, welche „offen häretische Propositionen vor- trugen", sondern auch gegen solche, welche „als temerär mit Grund geltende Meinungen vertraten", ja auch gegen solche, „welche Zauberei, Wahrsagerei oder Astrologie trieben, welche vorsätzlich der Inquisition ihre Amtshand- lungen unmöglich machten" u. s. w. und dadurch den „juristi- schen Verdacht der Häresie" begründeten. Aber daraus folgt doch nur, dass nicht schon darum, weil die Inquisition einen Process gegen Jemand einleitete, angenommen werden muss, derselbe sei verdächtig gewesen, „häretische Propo- sitionen vorgetragen zu haben". Ob dieses oder eines der anderen Vergehen Gegenstand der Anklage war, muss in jedem einzelnen Falle aus den Processacten und namentlich aus dem Urtheil entnommen werden. Nun spricht schon die Thatsache, dass Galilei zu einer Abschwörung angehal- ten wurde, gegen die Annahme, dass er wegen „temerärer Meinungen" verurtheilt worden sei; denn in diesem Falle pflegte die Inquisition sich mit einem Widerruf zu begnügen1). Ganz deutlich aber ergibt sich, wie die Inquisition im J. 1633 die Copernicanische Lehre beurtheilt hat, aus dem Wortlaute des am 22. Juni verkündeten Urtheils und der Abschwörungsformel. In ersterm wird erklärt: Galilei habe sich der Ketzerei verdächtig gemacht, nämlich (verdächtig), die falsche und der h. Schrift widersprechende Lehre, die Sonne sei der Mittelpunkt der Welt . . ., geglaubt und für wahr gehalten zu haben und (geglaubt und für wahr gehal- ten zu haben), es dürfe eine Meinung, auch nachdem sie als der h. Schrift widersprechend erklärt und definirt worden, als wahrscheinlich festgehalten und vertheidigt werden, und

i) Carena p. 297 a: Quo vero ad assertores propositionum temer aria- rum, scandalosarum . . . dicendum est, quod, ex quo non possunt cogi ad abiurandum, sunt saltem cogendi ad revocandum dictas propositiones et ad error em suum detestandum. Pignatelli II, 7a: Admittimus, etiam proferen- tes propositiones haeresim sapientes (das ist nach Grisar S. 704 noch stärker als temerarias), scandalosas et male sonantes, piarum aurium offensivas subiici Sacro Tribunali iuxta gradum earum corrigendos absque abiura- tione; coguntur tarnen illas retractare vel declarare.

Die Cop. Lehre ketzerisch. 341

es wird dann bestimmt, Galilei müsse „die oben besagten Irrthümer und Ketzereien*' abschwören. In der Abschwörung bekennt Galilei: *er habe sich der Ketzerei verdächtig ge- macht, nämlich (verdächtig), für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und un- beweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege, und er schwört dann ab ,,die besagten Irrthümer und Ketzereien". Ich denke, deutlicher kann die Coperni- canische Lehre nicht als Irrthum und Ketzerei bezeichnet werden.

Es müssen aber noch einige Missverständnisse be- sprochen werden, zu welchen eben diese Stellen Anlass gegeben haben.

1. Der Anfang der aus dem Urtheil angeführten Stelle lautet im Original: . . . ti sei reso veemente sospetto d'eresia, cioZ d'aver creduto e tenuto dottrina falsa e contraria alle sacre e divine scritture che il sole sia centro del mondo etc. Das darf, wie Wohlwill (S. 31. 175) ganz richtig bemerkt, nicht mit Parchappe u. A. !) so gedeutet werden, als habe sich Galilei durch seinen Glauben an die Bewegung der Erde u. s. w. der Ketzerei verdächtig gemacht. Hätte man ihn dieses Glaubens überführt erachtet, so würde man ihn nicht als der Ketzerei verdächtig, sondern als der Ketzerei schuldig behandelt haben. Die Stelle der Sentenz besagt vielmehr: es liege ein starker Verdacht vor, dass Galilei die Lehre von der Bewegung der Erde u. s. w. für wahr gehalten, und da diese Lehre falsch und schriftwidrig sei, auch ein starker Verdacht, dass er eine ketzerische Meinung, nämlich eben die angeführte, für wahr gehalten. Durch die auf cioe folgenden Worte wird die Ketzerei, deren Galilei verdächtig war, näher bestimmt2).

i) Martin, de l'Epinois, Frohschammer. Dieser übersetzt, Das Christen- thum S. 48 : „dass du . . . dich der Häresie verdächtig gemacht hast, inso- fern du eine falsche, den heiligen und göttlichen Schriften widersprechende Lehre geglaubt und aufrecht erhalten hast" u. s. w.

2) Bei Parchappe schliesst sich an dieses eine Missverständniss noch ein schlimmeres an: er meint (Galilee p. 246), Galilei habe bei dem „pein- lichen Verhöre" am 16. Juni eingestanden, dass er die Copernicanische Lehre wirklich für wahr gehalten, das bedeute der Ausdruck in der Sentenz: er habe „katholisch geantwortet"; er sei also als eingestandener Ketzer verdammt, aber unter der Bedingung, dass er abschwöre, sei ihm die

342 Nicht zwei Anklagepunkte.

2. Wohlwill sagt S. 97: „Galilei war nach dem Wort- laute der Sentenz stark verdächtig, geglaubt zu haben: 1. dass die Sonne das Centrum der Welt ist und sich nicht von Osten nach Westen bewegt, und dass die Erde sich bewegt und nicht das Centrum der Welt ist; 2. dass man eine Meinung für wahrscheinlich halten und als solche ver- theidigen könne, nachdem sie als der h. Schrift widerspre- chend erklärt und definirt ist. Von diesem zweiten Ver- dachtspunkte, der in einer Anklage wegen Ketzerei dem ersten wahrlich nicht untergeordnet erscheinen konnte, ist in dem letzten Verhöre (vom 21. Juni) so wenig wie in einem der früheren die Rede. Dass man es für überflüssig gehalten haben sollte, den Angeklagten über eine ketzerische Meinung ausdrücklich zu befragen, deren man ihn verdäch- tig glaubte, muss den Gewohnheiten der Inquisition gegen- über als unwahrscheinlich angesehen werden. " Das ist einer der Gründe, weshalb Wohlwill das Protocoll über das Ver- hör vom 21. Juni, wie es sich in den Processacten findet, für unvollständig hält. Er fügt bei: „Auffälliger Weise wird auch in der Abschwörungsformel von den beiden Punkten nur der erste hervorgehoben. Man erklärt demnach Galilei durch das Urtheil für verdächtig, geglaubt zu haben, dass eine schriftwidrige Meinung sich als wahrscheinlich betrachten lasse, man verurtheilt ihn ausdrücklich, diese Meinung abzuschwören, und dennoch findet eine Abschwö- rung dieser besondern Ketzerei nicht statt, ein Wider- spruch, den man schwerlich ohne die Annahme einer Nach- lässigkeit bei der Abfassung, sei es der Sentenz, sei es der Abschwörungsformel erklären kann."

Diese ganze Argumentation beruht auf einem Miss- verständnisse. Die beiden von Wohlwill angegebenen Punkte werden allerdings neben einander in der Sentenz er- wähnt (s. o. S. 328), aber nicht mit „erstens" und „zweitens" unterschieden. Sie bilden auch nur Einen Anklagepunkt. Die in dem ersten Punkte erwähnte Meinung wurde ja nur darum als häretisch angesehen, weil sie ,,der h. Schrift widersprechend" war, und umgekehrt wurde der zweite

verdiente Strafe, der Scheiterhaufen, erlassen worden. Dass die „katholische Antwort", das Gegentheil bedeutet, ist oben S. 305 gezeigt worden; das Andere bedarf keiner Widerlegung'.

Nicht zwei Anklagepunkte. 343

Punkt nur aus dem ersten gefolgert. Die Anklage konnte ja gegen Galilei nicht erhoben werden, dass er in abstracto, theoretisch oder principiell geglaubt habe, eine der h. Schrift widersprechende Meinung könne wahrscheinlich sein oder vertheidigt werden ; er war nur darum verdächtig geworden, dieses geglaubt zu haben, weil er die Copernicanische An- sicht, auch nachdem sie für schriftwidrig erklärt worden, wenigstens als probabel dargestellt hatte. Darum heisst es an einer andern Stelle der Sentenz (S. 326) von dem Dia- log: „Es wurde darin eine Uebertretung des dir ertheilten Befehles gefunden, indem du in diesem Buche die früher ver- dammte und dir ausdrücklich als verdammt bezeichnete Lehre vertheidigt hast, wiewohl du in dem besagten Buche durch verschiedene Wendungen die Meinung zu erwecken dich bemühest, du stelltest sie als unentschieden und ausdrück- lich nur als probabel hin, was aber auch ein sehr schwe- rer Irrthum ist, da eine Meinung, von welcher erklärt worden ist, sie widerspreche der h. Schrift, in keiner Weise probabel sein kann." Darum bekennt denn auch Galilei in der Abschwörungsformel (s. o. S. 330), ganz in Ueberein- stimmung mit der Sentenz : „Nachdem mir eröffnet worden, dass diese Lehre der h. Schrift widerspreche, habe ich ein Buch geschrieben und in Druck gegeben, in welchem ich die nämliche bereits verdammte Lehre erörtere und mit vieler Bestimmtheit Gründe für dieselbe anführe, ohne eine Widerlegung derselben beizufügen und dadurch habe ich mich der Ketzerei stark verdächtig gemacht, nämlich [ver- dächtig, die als der h. Schrift widersprechend verdammte und darum ketzerische Meinung] für wahr gehalten und geglaubt zu haben, dass die Sonne der Mittelpunkt der Welt und unbeweglich und die Erde nicht der Mittelpunkt sei und sich bewege/' Wenn also von dem von Wohlwill mit 2) bezeichneten Punkte in dem Verhöre vom 21. Juni wie in den früheren Verhören nicht besonders, nicht getrennt von dem ersten Punkte die Rede ist, so braucht darum das Protocoll nicht unvollständig zu sein. Galilei sagt in dem Verhöre: er habe früher beide Ansichten, die des Ptole- mäus und die des Copernicus, für disputabel gehalten, aber nach der Entscheidung der Index- Congregation, dass die letztere Ansicht falsch und schriftwidrig sei, habe er immer die Ptolemäische Ansicht für wahr und unzweifelhaft

344 Nicht zwei Anklagepunkte.

gehalten. Damit lehnt er auch den von Wohlwill mit No. 2 bezeichneten Verdacht deutlich genug ab 1).

3. Auch Grisar S. 714 unterscheidet % in dem Urtheil die beiden Punkte wie Wohlwill mit „erstens" und „zwei- tens", und sagt dann: „Ein doppelter Verdacht wird hier als Gegenstand, der den Verdacht der Häresie bewirkt, be- zeichnet; nur der zweite, von allgemeinerer Natur, führt direct zum Verdacht der Häresie, aber dieser zweite hat den ersten, besondern, zum Ausgangspunkte und zur Grundlage". Die Häresie, meint er darum, deren Galilei verdächtig war, war „nicht etwa das Copernicanische System, dem innerlich anzu- hangen er allerdings schwer verdächtig war, sondern die Leug- nung der kirchlichen Autorität überhaupt." Diese Deutung ist schon darum unhaltbar, weil in der Abschwörung gerade das, was Grisar als den „zweiten Verdachtspunkt, der den Verdacht der Häresie eigentlich involvirte", bezeichnet, weg- gelassen ist. Die Bemerkung, dass dieses geschehen sei, um die Formel kürzer und prägnanter zu machen und dass das, worauf es eigentlich ankam, „aus der unmittelbar vor- her verlesenen Sentenz vorausgesetzt" sei, ist doch augen- scheinlich nur eine Ausrede der Verlegenheit, und die Be- merkung, dass die Formel: ich schwöre ab „mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben2) die besagten Irrthü- mer und Ketzereien" u. s. w., aus der ständigen Formel für Abschwörungen entlehnt sei, ändert vollends an der Sache gar nichts. Die Inquisition wird den Wortlaut der Abschwö- rungsformel wohl überlegt haben, und hat also unzweifel- haft die Copernicanische Meinung als eine ketzerische angesehen. Dass der Gegensatz dieser Meinung, „die Be- wegung der Sonne um die Erde geoffenbart und daher Dogma des göttlichen Glaubens sei", ist damit allerdings, wie Reinerding S. 432 bemerkt, nicht ausgesprochen, wohl aber, dass die Bewegung der Sonne um die Erde eine ebenso unzweifelhafte Aussage der h. Schrift sei, wie, um

1) Ich habe diesen Punkt bereits im Theol. Lit.-Bl. 1877, 510 er- örtert. Gebier hat ihn dann ausführlicher in der Gegenwart 1878, No. 18 behandelt. Aehnlich spricht sich Grisar S. 126 aus.

2) Grisar S. 715 übersetzt das con cuore sincero e fede non finta durch „mit ernster Gesinnung und ungeheuchelter Aufrichtigkeit". Der Aus- druck ist aus 1 Tim. 1,5: de cor de fiuro et conscientia bona et fide non ßcta.

Das Vergehen Galilei's. 345

Bellarmins Beispiel beizubehalten, dass Jakob zwölf Söhne gehabt.

Zum Beweise dafür, dass die Copernicanische Lehre nur als „temerär" verworfen worden sei, beruft sich Grisar S. 702 auch auf eine früher (S. 182) mitgetheilte Aeusserung Urbans VIII. im J. 1624: „die h. Kirche habe jene Meinung nicht als häretisch verdammt und werde sie nicht als häre- tisch verdammen, sondern nur als temerär; es sei aber nicht zu fürchten, dass sie je Einer als sicher wahr erweisen sollte." Wenn der Cardinal von Zollern, der Galilei diese Aeusserung berichtete, sie genau wiedergegeben hat, so ist sie ebenso wenig als eine authentische Erklärung der Ent- scheidung von 16 16 anzusehen als die Aeusserungen, die der Papst im J. 1632 und 1633 Niccolini gegenüber that.

Wenn sich Grisar schliesslich S. 703 auf Aeusserungen von Schriftstellern des 17. Jahrhunderts, von Tanner, Gas- sendi, Fromond und sogar von dem anglicanischen Bischof Wilkins beruft, welche sagen, die Copernicanische Lehre sei nur als temerär verworfen worden, so können diese doch nicht mehr, vielleicht weniger Autorität beanspruchen als Andere, die, wie Caramuel und Riccioli1), ebenso bestimmt sagen, sie sei als ketzerisch verdammt worden, und als Pater Inchofer, den Grisar freilich nicht citirt, der aber als einer der Rathgeber der Inquisition wohl verdient hätte berück- sichtigt zu werden. Inchofer aber sagt in seinem unmittel- bar nach der Verurtheilung Galilei's veröffentlichten „Trac- tatus syllepticus" (s. o. S. 274) p. 34 ausdrücklich: „Es ist de fide, dass die Sonne sich bewegt, und zwar im Kreise (circulartter, um die Erde; p. 46 sagt er: dass die Sonne sich bewege, sei direct „geoffenbart"); dass die Erde still steht, ist nicht nur an und für sich de fide, sondern auch darum, weil es aus einem Satze, der de fide ist, aus dem Satze nämlich, dass sich die Sonne im Kreise bewegt, unmittelbar folgt und virtuell in diesem Satze enthalten ist." Dass die Erde der Mittelpunkt des Weltalls sei, ist Inchofer p. 44 so libe-

1) S. die Stellen bei Bouix p. 131. 140. Noch Lucius Ferraris ver- theidigt in seiner 1746 erschienenen Prompta Bibliotheca canonica s. v. Haereticus (in der Ausgabe Venedig 1782 IV, 196) ausführlich gegen einen Römischen Theologen den Satz: „Wenn Jemand heutzutage behauptete, die Erde sei beweglich u. s. w., so wäre er ein Ketzer",

34^ Das Actenstück vom 26. Febr. 1616.

ral nur als einen Satz, der wahrscheinlich de fide sei, zu bezeichnen, weil dieser Satz nur durch einen Syllogismus aus zwei Prämissen, welche de fide seien,. gefolgert werde. Wenn aber diese Sätze de fide sind, so sind die ihnen wider- sprechenden Propositionen nicht etwa bloss „temerär", son- dern „ketzerisch".

Das Vergehen, dessen Galilei im J. 1633 schuldig er- klärt wurde, war also "dieses: dass er die Copernicanische Lehre vorgetragen, eine Lehre, welche die Inquisition als falsch und der h. Schrift widersprechend und darum als (objectiv) ketzerisch ansah, so dass Jeder, welcher diese Lehre, wissend, dass sie verdammt war, für wahr hielt, als Ketzer, Jeder, der sie vorgetragen, ohne dass er überführt war, sie innerlich für. wahr zu halten, als der Ketzerei ver- dächtig zu verurtheilen war.

XXX.

Die Aufzeichnung vom 26. Febr. 1616 und die Verurtheilung Galilei's im J. 1633.

Es wurde bereits oben (S. 130) die Ansicht erwähnt, die Verurtheilung Galilei's im J. 1633 stütze sich wesentlich auf die eigens zu diesem Zwecke im Herbst 1632 von seinen Gegnern fabricirte, vom 26. Febr. 1616 datirte Aufzeichnung, nach welcher er an diesem Tage nicht bloss von dem Cardinal Bellarmin über die Falschheit und Schrift- widrigkeit der Copernicanischen Ansicht belehrt und zum Aufgeben derselben ermahnt, sondern ihm auch im Auftrage des Papstes und der Inquisition von dem Commissar der Befehl ertheilt wurde, jene Ansicht fortan in keiner Weise, weder mündlich noch schriftlich, festzuhalten, zu lehren oder zu vertheidigen. Eine Reihe von Gründen, welche Wohl- will und Andere gegen die Echtheit jener Aufzeichnung vorgebracht, sind früher geprüft worden. Hier ist noch die Frage zu erörtern: stützt sich wirklich die Verurtheilung Galilei's im J. 1633 wesentlich auf jenes Document, und be-

Das Actenstück vom 26. Febr. 1616. 347

durften Galilei's Gegner desselben, um seine Verurtheilung herbeizuführen, hatten sie also ein Interesse dabei, ein solches Document, wenn es nicht existirte, zu fabriciren? Ich glaube, diese Frage ist unbedingt zu verneinen.

Galilei ist im J. 1633 nicht, wenigstens nicht bloss und nicht einmal hauptsächlich darum verurtheilt worden, weil er das ihm im J. 161 6 insinuirte Verbot, die Copernicani- sche Lehre vorzutragen, übertreten hatte; er wurde, wie sich aus der Sentenz ergibt, verurtheilt, weil er sich ,,der Ketzerei stark verdächtig" gemacht. Als der Ketzerei ver- dächtig musste ihn aber die Inquisition ansehen, wenn fest stand, dass er nach dem J. 16 16 über die damals für falsch und schriftwidrig erklärte Lehre' in Ausdrücken gesprochen, welche den Verdacht begründeten, dass er sie nicht für falsch gehalten. Nun hatten aber die Theologen der Inqui- sition ausführlich nachgewiesen, dass er in dem Dialog die Copernicanische Ansicht lehre und vertheidige und dadurch den starken Verdacht begründe, dass er diese Ansicht für wahr halte, und Galilei selbst hatte in dem Verhöre vom 30. April eingestanden, er habe sich in dem Dialog so aus- gedrückt, dass der Leser meinen könne, er halte jene An- sicht für wahr. Er konnte auch nicht sagen, er habe nicht gewusst, dass die Copernicanische Ansicht nicht für wahr gehalten werden dürfe; denn er selbst bestritt gar nicht, dass ihm dieses am 26. Febr. 16 16 amtlich eröffnet worden war. Zwischen ihm und seinen Richtern oder Anklägern war nur streitig, in welcher Form dieses geschehen sei: die Inquisition behauptete, gestützt auf das fragliche Schrift- stück, es sei ihm nach der von ihm nicht bestrittenen Er- öffnung des Cardinais Bellarmin auch noch durch den Com- missar vor Notar und Zeugen das Praeceptum ertheilt wor- den, die Copernicanische Ansicht in keiner Weise, mündlich oder schriftlich, festzuhalten, zu lehren oder zu vertheidigen.

Das fragliche Schriftstück war natürlich ein gewichti- ges Document, um den Verdacht der Ketzerei gegen Gali- lei zu begründen; aber nothwendig Avar es durchaus nicht. In der Sentenz heisst es: gerade jenes Zeugniss Bellar- mins, worauf sich Galilei zu seiner Vertheidigung berufe, sei für ihn sehr gravirend; denn die Copernicanische Ansicht sei laut diesem Zeugniss Galilei als eine der Bibel wider- sprechende bezeichnet worden, und doch habe er dieselbe

348 Das Actenstück vom 26. Febr. 16 16.

in seinem Dialog wenigstens als probabel dargestellt, da doch eine Meinung unmöglich probabel sein könne, von der erklärt worden, dass sie der Bibel widerspreche. Hätte also auch das fragliche Schriftstück nicht existirt, so hätte die Inquisition ganz dasselbe Urtheil gegen Galilei fällen kön- nen, welches sie gefällt hat; mithin stützt sich dieses Urtheil nicht wesentlich auf jenes Schriftstück und hatten Galilei's Feinde kein besonderes Interesse, dasselbe zu fälschen.

Mit dieser Auffassung des Urtheils steht nicht in Wider- spruch die Aeusserung, welche Urban VIII. am 18. Juni Niccolini gegenüber1) that: Galilei werde verurtheilt wer- den, einige Zeit in Haft zu bleiben, weil er den ihm 161 6 ertheilten Befehlen zuwider gehandelt. Die der Ketzerei Verdächtigen wurden immer nicht bloss zu einer Abschwö- rung angehalten, die nicht als Strafe angesehen wurde, sondern auch zu irgend einer Strafe, Geldbusse, Ver- bannung, Gefangniss, Galere, verurtheilt2), in so fern mit Recht, als man annahm, dass Niemand ohne irgend welche Schuld von seiner Seite der Ketzerei verdächtig werden könne. Galilei's Schuld wurde nun in den Augen der In- quisition dadurch vergrössert, dass er sich trotz der im J. 16 16 ihm ausdrücklich und speciell ertheilten Verwarnung der Zustimmung zu der Copernicanischen Lehre verdächtig ge- macht, und darum konnte der Papst seine Verurtheilung zu Haft mit der Nichtbeachtung jener Warnung in Verbindung bringen 3).

Die Sentenz vom 22. Juni stützt sich also nicht wesent- lich auf die fragliche Aufzeichnung. Dass auch bei dem Pro- cess wenigstens von dem zweiten Verhöre an dieselbe nicht als ein Actenstück von wesentlicher Bedeutung behandelt wird, wurde bereits oben (S. 280) angedeutet. Etwas anders scheint die Sache bei dem ersten Verhöre zu liegen. In diesem wird nicht nur Galilei über die Vorgänge am 26. Febr. 1616 scharf inquirirt und versucht, ihn zu dem Ge- ständnisse zu bringen, dass ihm damals wirklich durch den Commissar das fragliche Praeceptum ertheilt worden

1) IX, 444; s. o. S. 302. 2) S. A. P. X, No. 72.

3) Dass in der fraglichen Aeusserung des Papstes „als Galilei's Haupt- schuld angeführt werde, dass er die ihm 1616 ertheilten Befehle übertreten habe" (Scartazzini, Uns. Zeit II, 454), ist nicht richtig.

Das Actenstück vom 26. Febr. 16 16. 349

sei; der Commissar fragt ihn auch, ob er nach dem ihm im J. 16 16 ertheilten Befehle eine Erlaubniss zur Abfassung seines Dialogs erwirkt und ob er, als er die Druck-Erlaub- niss dafür nachgesucht, dem Palastmeister von jenem Be- fehle Mittheilung gemacht. Der Commissar scheint also vorauszusetzen, dass Galilei dazu verpflichtet gewesen sei, und in seiner wahrscheinlich im Einverständniss mit dem Commissar verfassten Verteidigungsschrift setzt Ga- lilei ausführlich aus einander, er habe sich nicht für ver- pflichtet gehalten, dem Palastmeister von jenem Befehle Mittheilung zu machen, weil er gemeint habe, jener ihm speciell ertheilte Befehl gehe inhaltlich nicht über das In- dex-Decret von 1616 hinaus.

Wenn also auch bei der Verurtheilung Galilei's dem fraglichen Actenstüche keine entscheidende Bedeutung bei- gelegt wurde, in der ersten Phase des Inquisitionsprocesses scheint mehr Gewicht darauf gelegt worden zu sein. Diese richtige Beobachtung hat Scartazzini dazu veranlasst, Wohl- wills Hypothese über die Fälschung des Actenstückes in folgender Weise zu modificiren: Das Actenstück ist fabri- cirt worden, um als Mittel, Galilei's Verurtheilung herbei- zuführen, benutzt zu werden; aber im April 1633 gewann man die Ueberzeugung, dass man dasselbe nicht bedürfe, und darum wurde seitdem kein sonderliches Gewicht mehr darauf gelegt1).

Dieser Hypothese gegenüber ist die oben formulirte Frage so zu fassen: mussten die Gegner Galilei's in den ersten Monaten nach dem Erscheinen des* Dialogs annehmen, dass sie eines Actenstückes wie das fragliche bedürften, um seine Verurtheilung herbeizuführen? Scartazzini bejaht diese Frage. „Wenn das Document vom 26. Febr. 16 16 nicht vorlag, sagt er2), so mussten sie den Beweis liefern, dass Galilei die Copernicanische Lehre in dem Dialog festgehal- ten und vertheidigt habe. Dieser Beweis ist nun allerdings durch die Gutachten der drei Consultoren im April 1633 geliefert worden und war auch nicht gerade sehr schwer zu liefern. Wäre aber jener Beweis nicht gelungen, oder wäre es dem gewandten und gefürchteten Dialektiker Ga-

1) Uns. Zeit 1877, I, 506. II, 447. Riv. Eur. 1878, V, I.

2) Uns. Zeit I, 506.

35° Das Actenstück vom 26. Febr. 1616.

lilei gelungen, seinerseits nachzuweisen, dass er die Coper- nicanische Lehre weder festgehalten noch vertheidigt habe, dann hätte das Actenstück allerdings vortreffliche Dienste geleistet: es hätte vollständig genügt, um Galilei zu ver- derben. Beim Beginne des Sturms gegen Galilei, also im J. 1632, konnten sich seine Feinde um so weniger darauf verlassen, dass es gelingen würde, jenen Beweis zu geben, als sie durch frühere Erfahrungen bereits gewitzigt waren. Hatten sie doch 1625 den Saggiatore, in welchem- eine ver- steckte Vertheidigung der Copernicanischen Lehre ohne alle Mühe gefunden werden kann, vergeblich beim Römischen Inquisitionstribunal denuncirt [s. o. S. 169]; dies mal nun woll- ten sie sicherer fahren. Konnten sie auch im Dialag keine Vertheidigung der Copernicanischen Lehre nachweisen, so mussten sie ein anderes Mittel in den Händen haben, um unter allen Umständen Galilei zu verderben. Ein solches Mittel war eben das Document vom 26. Febr. 16 16. Darum wurde dasselbe gefunden."

Die mit dem Saggiatore gemachte Erfahrung brauchte Galilei's Feinde nicht besorgt zu machen: im Dialog wird die Copernicanische Lehre viel weniger „versteckt" verthei- digt als im Saggiatore. Das war so leicht nachzuweisen, dass man gar nicht zu fürchten brauchte, der Beweis werde nicht gelingen oder Galilei einen Gegenbeweis führen kön- nen. Urban VIII. äusserte sich, wie wir gesehen, schon in den ersten Tagen des September über den Inhalt des Dia- logs in solchen Ausdrücken, dass Galilei's Feinde gar nicht besorgt zu sein brauchten, ob es ihnen gelingen werde, einen genügenden, wenigstens, worauf es ankam, einen für den Papst genügenden Beweis zu liefern, dass Galilei eine falsche und schriftwidrige Lehre vorgetragen. Diesen Be- weis lieferten auch nicht erst im April die Consultoren; Oregio hatte, wie wir gesehen, schon früher diesen Beweis geliefert, und wenn Inchofer das Gutachten, welches wir von ihm haben, nicht auch schon als Mitglied der Special- Con- gregation im August oder September 1632 geschrieben haben sollte, so hätte er, wenn es verlangt wurde, ohne alle Mühe damals ein gleiches schreiben können. In der Special-Congregation wurde, wie wir gesehen haben, bereits ausdrücklich hervorgehoben, dass im Dialog die Coperni- canische Lehre (nicht bloss hypothetisch) vorgetragen werde.

Riccardi's Stellung. 351

Galilei's Gegner brauchten also von Anfang an gar nicht zu befürchten, dass es ihnen ohne ein Document wie das vom 26. Febr. 161 6 nicht gelingen möchte, Galilei's Verurtheilung herbeizuführen. Sie hatten also von Anfang an kein Inter- esse dabei, dasselbe zu fabriciren. Hätten sie es aber fabricirt, so würden sie ohne Zweifel, wie schon früher (S. 145) her- vorgehoben wurde, dasselbe anders formulirt haben.

Aber war nicht durch die von dem Palastmeister für den Dialog ertheilte Druck-Erlaubniss Galilei gegen ein Einschreiten der Inquisition gesichert, falls nicht durch die Production eines Actenstückes, wie das fragliche ist, der Vorwurf begründet werden konnte, die Druck-Erlaubniss sei ungültig, weil sie erschlichen sei, da der Palastmeister sie nicht ertheilt haben würde, wenn ihm Galilei von dem ihm im J. 161 6 gegebenen Befehle Mittheilung gemacht hätte1)? Wenn die Inquisition glaubte, es seien in dem Dialog häretisch klingende Sätze enthalten, so war sie durch das Imprimatur des Palastmeisters gar nicht behindert, einen Process gegen Galilei einzuleiten und ihn wegen jener Sätze zu verurtheilen. Wenn Urban VIII., wie er Niccolini er- zählte2), Bücher hatte auf den Index setzen lassen, die ihm selbst gewidmet (und selbstverständlich mit der Approbation eines kirchlichen Censors erschienen) waren, so konnte er auch gegen den Verfasser eines mit regelrechter Approba- tion des Palastmeisters erschienenen Buches einen Inquisiti- onsprocess einleiten lassen. Freilich wurde dadurch der Palastmeister desavouirt und compromittirt und musste er wegen Ertheilung der Druck-Erlaubniss zur Rechenschaft gezogen werden, was ja auch mit Riccardi geschah.

Die Gegner Galilei's bedurften nach dem Gesagten das fragliche Actenstück nicht, um einen Process gegen ihn einzuleiten. Für Einen freilich hatte das Actenstück einen gewissen Werth, aber für Einen, der die Einleitung des Processes gewiss nicht betrieben hat. Durch die Angriffe, welche der Dialog erfuhr, und namentlich durch den Zorn des Papstes über das Buch kam Riccardi, der dasselbe approbirt hatte, in grosse Verlegenheit. Er scheint wirk- lich versucht zu haben, der Sache eine solche Wendung zu

1) Wohlwill, Inquisitionsprocess S. 80. Gebier, Galilei S. 214.

2) IX, 421. Vgl. Pieralisi p. 138.

352 Riccardi's Stellung.

geben, dass weniger die materielle Seite, der Inhalt des Dialogs, als die formelle, die Berechtigung Galilei's zur Veröffentlichung eines solchen Buches, berücksichtigt würde. Er suchte darum nachzuweisen, dass in dem Dialog nur einige Stellen ausgemerzt oder geändert zu werden brauch- ten, um ihn unverfänglich zu machen1); er klagte, wie wir gesehen haben, bezüglich der meisten Punkte mit Un- recht, — dass Galilei sich nicht an die Bedingungen gehal- ten, unter denen er die Druck-Erlaubniss erhalten2); er war es auch, der Niccolini am u. Sept. 16323) mittheilte, „man habe in den Büchern des h. Officiums gefunden, dass Gali- lei, als er vor etwa 16 Jahren nach Rom citirt worden, im Namen des Papstes und des h. Officiums von dem Cardi- nal Bellarmin verboten worden sei, die Copernicanische Meinung festzuhalten", und der dieser Mittheilung beifügte: „das allein sei genug, um Galilei zu ruiniren."

Da dieses nach der gewöhnlichen Angabe die erste Erwähnung des Actenstückes vom 26. Febr. 1616 ist, so muss darauf etwas näher eingegangen werden. Dass Gali- lei im J. 16 16 nach Rom citirt worden, ist, wie wir wissen, unrichtig; wenn nicht, was leicht möglich, Niccolini Ric- cardi's Worte ungenau wiedergegeben, so hat dieser nicht zwar „gelogen"4), das anzunehmen liegt gar kein Grund vor, aber sich geirrt. Dass Bellarmin als derjenige be- zeichnet wird, der das Verbot ertheilt habe, ist kaum eine Unrichtigkeit zu nennen, da der Commissar der Inquisition es im Beisein und Auftrage des Cardinais gethan. Auch dass der Inhalt des fraglichen Verbotes ungenau angegeben wird, ist nicht so auffallend: entweder hat Niccolini Riccardi's Worte nur kurz und darum ungenau berichtet, oder dieser hat zu kurz und darum ungenau referirt. Jedenfalls schwebt Scar- tazzini's5) Vermuthung in der Luft: die Aufzeichnung, welche wir jetzt mit dem Datum „26. Febr. 1616" in den Acten finden, habe damals noch nicht existirt; man sei eben da- mit beschäftigt gewesen, dieselbe zu fabriciren, und habe damals noch vorgehabt, sie so zu fassen, wie Riccardi

1) IX, 422. Acten S. 56; s. o. S. 220. 240.

2) IX, 422. 424. 3) IX, 424.

4) Scartazzini, Uns. Zeit II, 439.

5) Riv. Eur. V, 10.

Riccardi's Stellung. 353

referire, während man später sich für die Fassung entschied, in der wir sie jetzt in den Acten lesen. Allem Anscheine nach ist von den beiden zu den Acten der Special-Congre- gation gehörenden Schriftstücken (s. o. S. 238), da diese Congregation schon vor dem 15. Aug. 1632 niedergesetzt wurde und am 15. Sept. ihren Bericht erstattet hatte (S. 241), wenigstens das eine schon vor dem 11. Sept., also vor der Mittheilung Riccardi's an Niccolini geschrieben: in bei- den Schriftstücken wird aber das Praeceptum, wie es in der Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6 steht, wörtlich mit- getheilt; jedenfalls kann also diese Aufzeichnung nicht erst zwischen dem September 1632 und dem Februar 1633 fabri- cirt worden sein1).

Man beachte übrigens, dass Riccardi nicht sagte: nur auf Grund des fraglichen Documentes könne man Galilei ruiniren, sondern: dieses Document allein genüge, ihn zu ruiniren, d. h. wenn man ihn auch nicht auf einen andern Grund hin verurtheilen könnte, würde man ihn wegen der Uebertretung eines ihm im J. 1616 ertheilten Befehles ver- urtheilen können. Ihm wäre es ohne Zweifel lieber ge- wesen, wenn man sich auf diesen Standpunkt gestellt und nicht den bedenklichen Inhalt des Dialogs, für dessen Ver- öffentlichung er mit verantwortlich war, sondern den Un- gehorsam gegen einen Befehl der Inquisition als den Haupt- anklagepunkt geltend gemacht hätte. Die Inquisition hat aber, wie wir gesehen, dieses nicht gethan.

Man kann also höchstens von Riccardi sagen, er hätte ein Interesse dabei gehabt, die Aufzeichnung vom 26. Febr. 161 6, wenn sie nicht existirte, zu fabriciren. Ihm wäre das aber nicht möglich gewesen ohne die Mithülfe der Beamten der Inquisition, welche die Acten in Verwahr hatten, und dass er diese so leicht hätte finden sollen zu einer Zeit, wo seine amtliche Stellung gefährdet und der Papst sehr un- gnädig gegen ihn gesinnt war, ist nicht wahrscheinlich. Jedenfalls aber würde er, wie schon (S. 145) hervorgehoben wurde, wenn er das Actenstück gefälscht hätte, dem Com- missar die Ausdrücke in den Mund gelegt haben, welche er in der Aufzeichnung vom 25. Febr. 16 16 vorfand und welche dem Zwecke der Fälschung entsprechender gewesen

1) Riv. Eur. V, 14. Beusch, Galilei. 2$

354 Riccardi's Stellung.

wären, die Ausdrücke: „Galilei solle sich fortan enthalten, die Copernicanische Meinung zu lehren oder zu vertheidi- gen oder von ihr zu handeln". Der letzte Ausdruck Hess sich leichter als der Ausdruck: „in keiner Weise, weder schriftlich noch mündlich, lehren oder vertheidigen", als ein absolutes Verbot deuten, überhaupt über die Coper- nicanische Lehre zu schreiben, und als ein solches Verbot musste man doch das Praeceptum vom 26. Febr. 16 16 deu- ten, wenn man schon die Veröffentlichung des Dialogs, abgesehen von der Art und Weise, wie darin die Coper- nicanische Lehre behandelt wurde, als eine Uebertretung des Praeceptums ansehen wollte.

Die Vermuthung, die Aufzeichnung vom 26. Febr. 16 16 sei im J. 1632 fabricirt oder gefälscht worden, ist also un- begründet, und die Meinung, wesentlich auf dieses Acten- stück hin sei der Process gegen Galilei eingeleitet und der- selbe verurtheilt worden, ist unrichtig. Sehen wir nun, welchen Gebrauch die Inquisition wirklich von dem Acten- stücke gemacht hat.

In dem einen zu den Acten der Special-Congregation gehörenden Schriftstücke1) wird, wenn auch nicht als haupt- sächlicher Anklagepunkt, angeführt: Galilei werde beschul- digt, betrügerischer Weise das Praeceptum vom J. 16 16 (dem Censor des Dialogs) verschwiegen zu haben. Eine ausdrückliche Meinungsäusserung der Congregation über die Berechtigung dieser Beschuldigung, die wahrscheinlich Riccardi vorgebracht hat, liegt nicht vor; jedenfalls wurde aber auf die Beschuldigung Werth genug gelegt, um Ga- lilei in dem ersten Verhöre am 12. April 1633 darüber zu inquiriren, und in seiner Verteidigungsschrift geht Galilei ausführlich darauf ein. Was er darüber sagt, zeigt, dass er voraussetzte, vielleicht von dem Commissar erfahren hatte, man könne das Praeceptum dahin deuten, dass er in Folge desselben zu etwas Weiterm verpflichtet gewesen wäre als andere Katholiken, dass er nach jenem Praecep- tum überhaupt nicht mehr oder doch nur mit einer beson- dern Erlaubniss eine Schrift über die Copernicanische Lehre hätte veröffentlichen dürfen, und dass er darum, als es sich um die Druck-Erlaubniss für den Dialog handelte, dem

1) Acten S. 53; s. o. S. 241.

Riccardi's Stellung. 355

Censor von jenem Praeceptum hätte Mittheilung machen müssen, worauf dieser die Ertheilung der Erlaubniss ver- weigert oder die Entscheidung der Inquisitions-Congrega- tion eingeholt haben würde.

Es wurde bereits früher (S. 247) gezeigt, dass der Wort- laut des Praeceptums zu dieser Auffassung nicht nöthigt, und dass es allem Anscheine nach bis zum J. 1632 weder von Gali- lei noch von der Inquisition so verstanden worden ist. Wahr- scheinlich ist es Riccardi gewesen, der diese Deutung aufge- bracht hat, und wahrscheinlich ist er es auch gewesen, der Niccolini Ende Februar 16331) von einem Galilei im J. 1616 ertheilten Befehle erzählte, er solle über die Copernicani- sche Lehre „nicht disputiren und nicht discurriren", Ga- lilei erklärte sofort, der Befehl laute: „sie nicht lehren oder vertheidigen", und der die Nichtbeachtung dieses Be- fehles als die Hauptanklage gegen Galilei bezeichnete, wäh- rend gleichzeitig der Papst2) auf diesen Punkt nicht so gros- ses Gewicht legte, indem er sagte: Galilei habe im Dialog die Bewegung der Erde nicht, wie er ankündige, bloss hy- pothetisch, sondern behauptend und beweisend vorgetra- gen; auch habe er den ihm von dem Cardinal Bellarmin3) ertheilten Befehl übertreten.

Diese, wie gesagt, wahrscheinlich von Riccardi aufge- brachte Deutung des Praeceptums ist dann auch in das Urtheil vom 2^. Juni 1633 übergegangen, in welchem es heisst: Galilei könne sich nicht auf die für den Dialog er- theilte Druck-Erlaubniss berufen, da er diese „auf geschickte und schlaue Weise erschlichen, indem er von dem (im J. 1616) erhaltenen Praeceptum nichts gesagt". Noch aus- drücklicher wird das Praeceptum so gedeutet in dem Schreiben, mit welchem der Secretär der Inquisition unter dem 2. Juli 1633 den auswärtigen Inquisitoren die Sentenz und die Abschwörung Galilei's übersandte4): „Wiewohl von der Index- Congregation der Tractat des Copernicus, . . worin die der h. Schrift widersprechende Lehre vorgetragen wird, dass die Erde sich bewege, . . . suspendirt und von dieser Congregation des h. Officiums vor Jahren Galilei verboten

1) IX, 432. 2) IX, 433; s. o. S. 225.

3) Wenn dabei steht „im Auftrage der Index-Congregation", so be- ruht das auf einem Versehen des Papstes oder Niccolini's.

4) IX, 472, lateinisch bei Gebier, Galilei S. 428.

356 Riccardi's Stellung.

worden ist, diese Meinung für wahr zu halten, zu verthei- digen und in irgend einer Weise schriftlich oder mündlich zu lehren, so hat doch derselbe Galilei gewagt ein Buch zu verfassen unter dem Titel . . . , und ohne von dem besag- ten Verbote etwas zu sagen, hat er die Erlaubniss zum Drucke desselben erschlichen, und während er im Anfange, in der Mitte und am Ende angibt, er wolle die besagte Meinung hypothetisch behandeln, hat er, wiewohl er in keiner Weise davon handeln durfte (benche non ne potesse trattare in modo alcuno), in solcher Weise davon gehandelt, dass er sich dringend verdächtig gemacht, dass er eine solche Meinung für wahr halte" u. s. w.

Die Inquisition handelte von ihrem Standpunkte aus nicht unrecht, wenn sie, wie Urban VIII. andeutete, die im J. 1616 ertheilte Verwarnung gegen Galilei, als er sich des Festhaltens an der Copernicanischen Lehre verdächtig ge- macht, als erschwerenden Umstand geltend machte. Sie konnte auch sagen, der Dialog über die beiden Weltsy- steme hätte, als ein von einem schon einmal deswegen ver- warnten Autor geschriebenes Buch, strenger als andere Bücher untersucht werden müssen. Wenn sie aber weiter annahm, Galilei hätte, um eine solche strengere Prüfung zu veranlassen, selbst den Censor an seine Verwarnung erin- nern müssen, oder er hätte, um überhaupt über die Copernica- nische Lehre schreiben zu dürfen, einer besondern Erlaubniss oder einer Dispensation von dem ihm im J. 161 6 ertheilten Verbote bedurft, so war eine solche Forderung* unberech- tigt und konnte billiger Weise aus dem Wortlaute des Praeceptums nicht abgeleitet werden. Wenn dasselbe trotz- dem wirklich in dieser Weise verwerthet wurde, so folgt daraus nicht, dass dasselbe eine wesentliche Grundlage der Verurtheilung gebildet hätte. Wäre das Praeceptum des Commissars nicht vorhanden gewesen, so hätte man in ähnlicher Weise die Mahnung des Cardinais Bellarmin ver- werthen können. Dass aber in dem Urtheil und noch aus- drücklicher in dem Schreiben an die auswärtigen Inquisi- toren behauptet wurde, Galilei habe das Imprimatur er- schlichen, geschah nicht so sehr, um ihn zu graViren, als um den Magister Sacri Palatii weniger zu compromittiren 1),

1) Schneemann S. 398 hat einen richtigen Gedanken durch leichtfertige Uebertreibung entstellt.

Ist Galilei gefoltert worden? 357

der ja doch, wenn man ihn nicht in dieser Weise entschul- digte, hätte abgesetzt werden müssen.

Die Angabe, Riccardi sei abgesetzt worden1), ist näm- lich unrichtig. Der Papst war Anfangs auch über ihn sehr erzürnt, richtete aber von vorn herein, wie wir gesehen, seinen Zorn hauptsächlich auf den unglücklichen Ciampoli. Am 26. Dec. 1632 schreibt Niccolini2) zwar: Die Galilei'sche Sache scheine auch für Riccardi schlimme Folgen haben zu sollen; alle Welt, namentlich der General der Dominicaner (s. o. S. 228) sage, er habe den Dialog nicht approbiren dürfen; am 23. April 16333) schreibt er: man spreche jetzt weniger über Galilei' s Buch als darüber, wie Riccardi dazu gekom- men, dasselbe zu approbiren, da der Papst behaupte, ihn dazu nicht ermächtigt zu haben, und nach der Verurtheilung Galilei's schreibt er am 3. Juli4): er habe von dem Com- missar der Inquisition gehört, Riccardi werde für seine Un- achtsamkeit und Nachlässigkeit bestraft werden. Aber die Strafe scheint sich auf einen Verweis beschränkt zu haben. Riccardi blieb wenigstens Magister Sacri Palatii bis zu seinem Tode. Er starb 31. Mai 1639 (s- °- S. 165). Die Leichenrede hielt am 1. Juni Pater Inchofer, und sein Nachfolger wurde Pater Firenzuola, der Commissar des h. Officiums. Dieser machte freilich eine bessere Carriere als Riccardi, da er schon. 164 1 Cardinal wurde.

Auch der Inquisitor zu Florenz erhielt, wie wir sehen werden, einen Verweis für die Ertheilung der Druck-Er- laubniss.

XXXI.

„Ist Galilei gefoltert worden?"

So lautet der Titel der von E. Wohlwill im J. 1877 herausgegebenen Schrift. Das Ergebniss der scharfsinnigen und lehrreichen Untersuchungen, die darin niedergelegt sind,

i) Gebier, Galilei S. 322, Schneemann S. 269 u. A. 2) IX, 431. 3) IX, 441. 4) IX, 446.

358 Ist Galilei gefoltert worden?

ist, kurz zusamrnengefasst, folgendes: Eine Folterung Gali- lei's im eigentlichen Sinne, eine strenge Folterung, wie sie sonst oft bei Inquisitionsprocessen vorgenommen wurde, hat nicht stattgefunden, insofern haben die vielen neueren Schriftsteller, welche Libri und Anderen gegenüber die Frage: Ist Galilei gefoltert worden? verneinen, Recht. Es braucht nicht einmal angenommen zu werden, dass Galilei überhaupt wirklich gefoltert, etwa einer leichten Folterung, wie sie auch sonst wohl bei Greisen vorgenommen wurde, unterworfen worden sei, einer Folterung, die, im Unter- schiede von dem, was Eymericus (p. 481 und oft) decenter quaestionare nennt, so leicht war, dass sie, wie das Sacro Arsenale (P. X, No. 135) witzig sagt, „kaum Tortur genannt werden könne, sowie ein leichtes Fieberchen nicht Fieber genannt werde". Galilei ist vielmehr aller Wahrscheinlich- keit nach nur mit der Folterung bedroht worden, wie denn ja auch in dem Beschlüsse der Inquisition vom 16. Juni nur von einer Androhung der Folter die Rede ist. Aber diese Bedrohung hat nicht bloss in der in dem Protocoll vom 21. Juni beschriebenen Weise in dem Verhörslocale statt- gefunden, — eine Form der Bedrohung, die man als Territio verbalis oder levis bezeichnete, sondern Galilei ist nach dieser bloss in Worten vorgenommenen „leichten Schreckung" aus dem Verhörslocale in die Folterkammer abgeführt und dort einer Territio realis unterworfen, d. h. unter Vorzei- gung der Marterwerkzeuge und Beschreibung ihrer Ver- wendung mit der Anwendung dieser Mittel bedroht, viel- leicht danach auch noch durch die Folterknechte entkleidet, gebunden und in die zu der eigentlichen Folterung erfor- derliche Stellung gebracht und in diesem Zustande von neuem befragt worden1).

Die Differenz zwischen dieser Antwort und der ein- fachen Verneinung der Frage, ob Galilei gefoltert worden, ist an sich nicht bedeutend, aber sie ist wichtig wegen der Folgerung, die Wohlwill aus seiner Ansicht zieht, der schon oben (S. 3 1 7) erwähnten Folgerung, dass das Protocoll vom 2 1 . Juni, welches nur von einer Territio verbalis spricht und die Vornahme der Territio realis ausschliesst, nicht echt sein könne.

1) Aehnlich schon Parchappe, Galilee p. 259, Cantor, Zts. f. Math. IX (1864), 194 und Lit.-Z. 20, Wangemann, Jahrb. f. D. Theol. 1866, 381 u. A.

Ist Galilei gefoltert worden? 359

Dass in Galilei's Briefwechsel nie von einer Folterung gesprochen wird, beweist freilich nicht, dass eine solche nicht stattgefunden; wir finden in seinen Briefen, von denen übrigens viele nicht erhalten sind, überhaupt keine Mitthei- lungen über die Einzelheiten seines Processes '). Aber das spricht entschieden gegen die Annahme einer wirklichen Folterung am 21. Juni, denn nur an diesem Tage könnte sie stattgefunden haben, dass Galilei am 22. nach Santa Maria sopra Minerva gebracht wurde, um sein Urtheil zu hören und knieend abzuschwören, dass er am Abend des 24. von Niccolini abgeholt wurde, am 26. einen Brief schrieb und am 6. Juli Rom „in recht guter Gesundheit" verliess und von Viterbo aus Niccolini schrieb, er habe vier Miglien zu Fusse zurückgelegt2). Wenigstens diese letzte Thatsache verbürgt, wie auch Wohlwill zugibt, für den 15. Tag nach dem 21, Juni ein Wohlbefinden, das wir nach strenger Fol- terung nicht erwarten würden3).

Die Absicht, ohne Noth Galilei körperlich zu miss- handeln, hatten auch der Papst und die Inquisition sicher nicht; sie wäre mit der Milde, die man in dieser Beziehung gegen ihn bekundete, indem man ihn nicht einkerkerte u. s. w., sie wäre namentlich mit dem, was wir aus dem oben (S. 283) mitgetheilten Briefe des Commissars der In- quisition an den Cardinal Barberini entnehmen dürfen, nicht

1) "Wohlwill S. 35.

2) IX, 371. 445. 447. Scartazzini, Riv. Eur. 1878, VI, 421 hält freilich Niccolini's Mittheilung über die Fussreise für unwahr. S. o. S. 320, Anm. 4.

3) S. 52. Man hat das Bruchleiden Galilei's, welches in dem Berichte des Florentiner Inquisitors vom J. 1638 (X, 280) erwähnt wird, als einen Beweis für die Folterung ansehen wollen („Galilei wurde nachher von einer Krankheit befallen, welche die gewöhnliche Folge der Folterung mit dem Strange ist". Terrier, Galilei S. 61). Das Leiden wird aber schon in dem ärztlichen Zeugnisse vom 17. Dec. 1632 erwähnt (s. o. S. 256). Da das Leiden in jenem Berichte als terribile rottura bezeichnet wird, könnte man annehmen, dass es sich seit dem December 1632 verschlimmert. Als „Indicium für die Vollziehung der Tortur" will jedoch auch Wohlwill S. 54 diese Verschlimmerung nicht verwerthen ; anderseits glaubt er freilich auch nicht, dass man behaupten dürfe, die Inquisition habe wegen dieses Leidens von der Folterung Galilei's absehen müssen. Bertolotti, Riv. Eur. 1878, V, 477, führt freilich ein Actenstück vom J. 1599 an, wonach Bruchleidende (rotti) bei einem Criminalprocess in Rom nicht gefoltert wurden (vgl. Berti, II Processo, N. Ed. p. 292); s. indess oben S. 308, Anm. 4.

360 Ist Galilei gefoltert worden?

vereinbar gewesen *). Man würde aber ausnahmsweise grausam gegen Galilei gewesen sein, wenn man ihn hätte foltern lassen; denn wenn die Folterung von Greisen auch nicht unbedingt unzulässig war, so wäre doch die Folterung eines Mannes von 70 Jahren und von der Körperbeschaffen- heit Galilei's eine ausnahmsweise Härte gewesen, wie sie in diesem Falle nicht vorauszusetzen, ja geradezu undenk- bar ist. '

Galilei foltern zu lassen, wäre auch zwecklos gewesen. Die Inquisition war, wie wir (S. 312) gesehen haben, am 16. Juni bereits zu dem definitiven Beschlüsse gekommen, Galilei nicht als formellen Ketzer, sondern als der Ketzerei stark verdächtig zu verurtheilen. Um ihn als Ketzer verurtheilen zu können, hätte erwiesen sein müssen, dass er die als ketze- risch angesehene Copernicanische Meinung nicht nur in dem Dialog vorgetragen, sondern auch für wahr gehalten, also eine ketzerische Intention gehabt. Ersteres nahm die Inqui- sition als erwiesen an und hatte Galilei selbst eingestanden ; letzeres hatte er bisher geleugnet. Wollte man ihn also als Ketzer verurtheilen, so musste man beschliessen, es solle versucht werden, ihn zunächst durch Androhung, even- tuell durch Anwendung der Tortur zu dem Geständnisse der ketzerischen Intention zu bringen. Da man ihn aber nicht als Ketzer, sondern nur als der Ketzerei verdächtig verurtheilen wollte, so bedurfte man gar bricht eines weitern Geständnisses, und hatte also gar kein Interesse, den Versuch zu machen, ein solches durch die Folter zu erpressen, musste vielmehr wünschen, dass Galilei seine bisherige Er- klärung über seine Intention aufrecht erhielt. Dass dieses geschehen würde, setzte die Inquisition voraus ; darum be- schloss sie schon am 16., was nach dem Verhöre über die Intention geschehen sollte, ohne der Eventualität, dass Ga- lilei eine andere Erklärung abgeben könnte, auch nur zu gedenken. Das ganze Verhör vom 21. Juni war also inso- fern nur eine Formalität, als man über das Ergebniss des- selben im voraus keinen Zweifel hatte; es wurde überhaupt nur angestellt, weil es nach der Gerichtspraxis üblich war, wie es denn ja auch der Commissar in dem erwähnten ver-

1) Auch die Bemerkungen von Wohlwill S. 39 ff. beweisen nicht, dass man nicht in dieser Hinsicht milde gegen Galilei verfuhr.

Der Ausdruck Examen rigorosum. 361

traulichen Briefe (S. 284) nur als eine Formalität zu bezeich- nen scheint. Dem entspricht es auch, dass die Inquisition das Verhör zwar anordnete, aber gleich beifügte, es solle dabei die Kolter zwar angedroht, aber nicht angewendet werden. Hätte es den Zweck gehabt, weiteres Beweis- material gegen Galilei zu beschaffen, so hätte man nicht schon vor dem Verhöre am 16. das Urtheil fällen können. "Wahrscheinlich ist sogar schon vor dem Verhöre die Sen- tenz ausgearbeitet worden; ^denn die Zeit zwischen dem Ende des Verhöres am 21. und der Verlesung der Sentenz am 22. ist dazu zu kurz, diese auszuarbeiten und von den Cardinälen genehmigen und unterzeichnen zu lassen.

Jedenfalls hatte die Folterung, wenn man Galilei nur als der Ketzerei verdächtig verurtheilen wollte, keinen Zweck; denn das konnte man ohne Folterung1).

Aus den hier entwickelten Gründen ist anzunehmen, dass Galilei wirklich, dem Beschlüsse der Inquisition vom 16. Juni entsprechend, nicht gefoltert, sondern nur mit der Folterung bedroht worden ist. Ob aber die Bedrohung nur in der Form der Territio Verhalts oder auch in der Form der Territio realis stattgefunden, ist damit noch nicht entschie- den. Das Protocoll vom 21. Juni spricht nur von ersterer. Diese Angabe glaubt aber Wohlwill für unrichtig (und darum das Protocoll für gefälscht) erklären zu dürfen, weil die am 22. Juni verkündete Sentenz sagt, es sei mit Galilei das „peinliche Verhör", rigoroso esame, examen rigorosum. angestellt worden. Denn von diesem Ausdrucke glaubt Wohlwill erwiesen zu haben, dass er nur von der wirklichen Folterung und der Territio realis, nicht aber von der Ter- ritio verbalis gebraucht worden sei.

Eine Stelle, worin der Begriff des Examen rigorosum ausdrücklich so angegeben würde, findet sich in den Schrif- ten, aus denen wir den Sprachgebrauch der Inquisition kennen lernen, nicht; wir müssen die Bedeutung des Wortes und der anderen hier in Betracht kommenden Ausdrücke durch die Berücksichtigung vieler einzelnen Stellen, an wel- chen sie gebraucht werden, zu ermitteln suchen.

1) Th. Lit.-Bl. 1876, 177; 1877, 224. Wenn Zöckler, Gesch. der Be- ziehungen u. s. w. I, 535 sagt, „durch Bedrohung mit der Folter sei Gali- lei's schliesslicher Widerruf erpresst worden", so ist damit der Zweck der Folterung ganz verkannt.

362 Der Ausdruck Examen rigorosum.

Zunächst scheint, wie Wohlwill1) bemerkt, der Aus- druck Examen rigorosum ausschliesslich in den Sentenzen gebraucht worden zu sein. In den Formularen, welche das Sacro Arsenale für die Verhöre gibt, kommt er nicht vor. In den Sentenzen wird der Ausdruck aber gebraucht, wo von dem Befragen des Angeklagten auf der Tortur ge- sprochen wird. „Da es uns schien, dass du nicht ganz die Wahrheit gesagt, haben wir für nöthig erachtet, gegen dich zum peinlichen Verhöre zu schreiten (venir contro di te alla rigor osa esamina), bei welchem du nichts Neues ausgesagt" oder dergl., heisst es im Sacro Arsenale in der Sentenz, während in dem Verhöre dem Angeklagten gesagt wird: ,,wenn er sich nicht entschliesse, die Wahrheit zu sagen, werde gegen ihn zur Folterung geschritten werden" (contra eum devenietur ad torttiram), worauf dann eventuell die Ab- führung in die Folterkammer und die Folterung selbst folgt. Es ist also jedenfalls, wie Wohlwill weiter (S. 8 ff.) richtig bemerkt, ganz falsch, wenn man sagt, Examen rigorosum und Tortur seien „zwei ganz verschiedene Dinge"2). Nie wird die Tortur neben dem Examen rigorosum als etwas davon Verschiedenes genannt; sie ist vielmehr in dieses mit eingeschlossen, und wenn eine Sentenz der Inquisition von Examen rigorosum spricht, so ist vorauszusetzen, dass das stattgefunden, was im 6. Theile des Sacro Arsenale mit dem Ausdrucke interrogare oder esaminare i Rei nella tortura (in tortura, ne' tormenti), bezeichnet wird 3). Aus einem hand-

1) S. 15. 22. 23. In den Fonnularen für die Sentenzen im S. A. steht rigorosa esamina, in den Urtheilen gegen Galilei und Manfredi (p. 47) rigo- roso esame, in dem Urtheil gegen Carnesecchi (p. 47) esamine rigoroso. Bei Carena findet sich examen rigorosum nur einmal (p. 172) in einem Citat aus dem S. A. (Wohlwill S. 23); bei Pena habe ich den Ausdruck gar nicht gefunden, bei Pignatelli einmal ^p. 535 a) severum examen. In dem Capitel, welches Wolynski p. 135 aus der Praxis S. Inquisitionis von J. B. Neri (1685) mittheilt, steht einmal extor quere rigoroso examine, einmal confessus est in rigoroso examine torturae.

2) So Epinois, Galil6e p. 70, und ähnlich auch noch La question p. 210. Aehnlich Gebier, Galilei S. 315.

3) Gleichbedeutend ist Quaestio ; vgl. Carena p. 396 b: Quaestio in iure nostro dicitur inquisitio veritatis per tormenta et corporis dolorem', tortura vero est ipsemet corporis cruciatus ad veritatem eruendam repertus. In der Formel bei Eymericus-Pegna p. 480b heisst es: sententiamus te sup- ponendum quaestionibus et tormentis ; der von der Folterung handelnde

Der Ausdruck Examen rigorosum. 363

schriftlichen Werke über das Verfahren der Inquisition, welches der Bischof Diodato Scaglia von Melfi, ein Neffe des Cardinais Scaglia, der unter Galilei's Richtern war, geschrieben und dem Cardinal Barberini gewidmet hat, führt Berti1) folgende Stelle an: „Wenn beschlossen worden ist, den Angeklagten zum zweiten Male zu foltern (dar la corda repetita al reo), so ist es nicht nöthig, dieses [im Ur- theil] zu erwähnen; es genügt, zu sagen: es wurde beschlos- sen, gegen dich zum peinlichen Verhöre (esame rigoroso) zu schreiten."

Nun muss aber nicht in allen Fällen, in welchen die Sentenz von dem Examen rigorosum spricht, angenommen werden, dass der Delinquent wirklich gefoltert worden sei. Denn in manchen Fällen galt das Bedrohen mit der Folte- rung, welches Wohlwill als Territio realis bezeichnet, als mit der wirklichen Folterung gleichwerthig, und in solchen Fällen konnte also auch von demjenigen, der nicht gefoltert, sondern nur geschreckt worden war, in der Sentenz gesagt werden, es habe das Examen rigorosum stattgefunden.

Der Delinquent musste, wie oben (S. 305) erwähnt wurde, die auf der Folter gemachten Geständnisse, wenn sie rechtliche Gültigkeit haben sollten, nach 24 Stunden ausserhalb der Folterkammer ratificiren. Nun wird im Sacro Arsenale2) bestimmt, diese Ratification sei auch dann nöthig, wenn der Angeklagte ein Geständniss abgelegt „nur aus Furcht vor den bevorstehenden, ihm von dem Inquisitor an- gedrohten Foltern, d. h. wenn er schon gebunden oder ent- kleidet oder doch in die Folterkammer abgeführt war", und an einer andern Stelle3) heisst es: „Wenn der Angeklagte, nachdem er nur in die Folterkammer abgeführt oder dort entkleidet oder auch gebunden, aber noch nicht emporge- zogen worden, ein Geständniss macht, so sagt man, er habe auf der Folter und bei dem peinlichen Verhöre (ne* tormenti e nella esamina rigorosa) gestanden". Aehnlich sagt Ca- rena4): die Ratification sei nöthig, wenn der Delinquent das

Abschnitt p. 591 hat die Ueberschrift De quaestionibus et tormentis, und quaestionare bedeutet während der Folter verhören.

1) II Processo p. CXI (N. Ed. p. 96). 2) P. X, No. 85.

3) P. X, No. 249. Vgl. Wohlwill S. 28.

4) p. 413a. Ganz ähnlich Pignatelli p. 171a. 175a,

364 Der Ausdruck Examen rigorosum.

Geständniss abgelegt „aus unmittelbarer Furcht vor der Folter (meta torturae proximo), d. h. wenn er in der Folter- kammer gestanden, während er gebunden, wurde u. s. w., da die Furcht vor der Folter dasselbe bewirkt wie die Fol- ter selbst"; dagegen sei die Ratification nicht nöthig, das Geständniss als ein freies und darum ohne weiteres rechts- gültiges anzusehen, wenn es gemacht worden sei ,,nach einer Androhung der Folter nur in Worten (post comminationem tantummodo verbalem), weil die aus einer solchen Bedrohung entstehende Furcht vor der Folter entfernt^ und leicht und darum der wirklichen Folter nicht gleichzustellen ist". Auf Grund solcher Stellen nimmt Wohlwill mit Recht an, von einem Examen rigorosum könne in einer Sentenz auch dann gesprochen werden, wenn nur eine Bedrohung mit der Fol- terung in der Folterkammer stattgefunden.

Eine Stelle in den Zusätzen Pasqualone's zum Sacro Arsenale1) führt uns noch einen Schritt weiter. „Die Ratifi- cation, sagt er, ist nicht nur dann nöthig, wenn das Geständ- niss abgelegt wird während der wirklichen Folterung oder nachdem der Angeklagte in die Folterkammer abgeführt und gebunden worden und im Begriffe steht, emporgezogen zu werden, sondern auch dann, wenn der Angeklagte es ablegt, nachdem an dem Orte des Verhöres das Decret aufgezeichnet worden, dass er in die Folterkammer zur Folterung abzu- führen sei; denn auch in diesem Falle wird von dem Ge- ständnisse präsumirt, es sei aus Furcht vor der Folter ab- gelegt." Masini2) sagt sogar: „Wenn der Richter in dem Gerichtssaale ausserhalb der Folterkammer zu dem Ange- klagten sagt: Wenn du nicht das Vergehen eingestehst, werde ich dich abführen und foltern lassen, und der Ange- klagte darauf hin gesteht, so wird man nicht sagen, das Geständniss sei aus Furcht vor der Folter abgelegt; denn das ist eine leichte Schreckung (lieve territione) und erscheint nur als Renommage (una cotal giattanza) des Richters, es sei denn, dass der Richter ein schrecklich aussehender Mensch und gewohnt wäre, dergleichen zu sagen und zur Ausführung zu bringen; denn in diesem Falle müsste das Geständniss ein metu tormentorum abgelegtes genannt werden". Dieser letzte Fall kommt hier nicht in Betracht;

1) p. 229. 2) S. A. P. X, No. 260.

Der Ausdruck Examen rigorosum. 36$

aber bei dem von Pasqualone angeführten handelt es sich um eine Androhung, die Wohlwill zu der Territio verbalis zählt und die doch in ihrer Wirkung dem, was er Territio realis nennt, gleichgestellt wird. So wird also der Satz, dass in einer Sentenz von dem Examen rigorosum nur dann gesprochen werden könne, wenn die Folterung oder die Schreckung in der Folterkammer, nicht auch dann, wenn bloss eine Schreckung im Verhörslocale stattgefunden, nicht festgehalten werden können. Die Ausdrücke Territio levis oder verbalis und gravis oder realis scheinen überhaupt nicht so scharf bestimmte und so stehende Termini technici gewesen zu sein, wie Wohlwill annimmt. Während Pas- qualone schon die noch im Verhörslocale stattfindende Pub- lication des Beschlusses, zur Folterung zu schreiten, als eine Territio gravis behandelt, bezeichnen Andere die Ab- führung des Angeklagten in die Folterkammer, so lange nicht bis zur Entkleidung und zum Festbinden geschritten worden sei, als einen levis terror1).

Zu Gunsten der Ansicht, dass nur die Territio realis, nicht auch die verbalis unter den Begriff Examen rigorosum falle, beruft sich Wohlwill S. 25 auch darauf, dass nach Farinacci gewöhnlich fünf Grade der Tortur unterschieden wurden, von denen der erste darin bestand, dass der An- geklagte entkleidet, gebunden und an das Seil geschlossen und alles so weit vorbereitet wurde, dass nur noch das Aufziehen fehlte, was zwar, wie Farinacci sagt, eigentlich nur eine Schreckung war, aber im weitern Sinne Tortur genannt werden konnte2). Dem gegenüber hat man ge- sagt: auch die Territio verbalis werde oft unter dem Aus- drucke Tortura mit einbegriffen; namentlich zähle Julius Clarus die fünf Grade der Tortur so auf: 1. die Androhung der Folter, 2. die Einführung in die Folterkammer, 3. die

1) So Julius Clarus p. 696 und unter Bezugnahme auf ihn Pignatelli II, 168a. Auch Farinacius p. 587 b: etiam conductio rei ad fiunem dicitur levis terror secundiim communem, während er p. 588a und p. 655 die ter- ritio realis erklärt als quae fit per spoliationem, ligationem, conductionem ad locum torturae etc.; ähnlich Pegna p. 484a.

2) Farinacius L. I. Tit. V. Qu. 38, No. 40, p. 607a. Ganz ähnlich M. A. Sabellius (1692) bei Wolynski p. 138; nur zählt er als sechsten Grad: quando devenitur ad repetitionem. Beide sprechen von der Praxis bei welt- lichen Gerichtshöfen.

366 Der Ausdruck Examen rigorosum.

Entkleidung und das Festbinden, 4. das Aufziehen, 5. der Folterruck1). Aber Clarus fügt dieser Eintheilung, die übrigens auch Farinacci kennt, aber als die „weniger ge- wöhnliche" bezeichnet, die Bemerkung bei: in der Pra- xis werde ein Geständniss, welches auf eine vor der Ab- führung in die Folterkammer stattgehabte Bedrohung hin abgelegt worden, nicht als ein aus Furcht vor der Folter abgelegtes angesehen, und er führt dann eine andere Ein- theilung der Tortur in drei Grade an, von denen der erste Schreckung genannt werde, aber nicht allein die Androhung der Folterung, sondern auch die Abführung in die Folter- kammer, das Entkleiden und das Festbinden umfasse. Pig- natelli führt p. 163 a dieselben fünf, p. 168 a dieselben drei Grade an und sagt: nur wenn die drei ersten Grade nach der ersten Eintheilung zusammen kämen, könne von einer Furcht vor der Folter die Rede sein, die der Folterung selbst gleich stehe. So bleibt es also richtig, dass gewöhn- lich die Territio verbalis unter dem Ausdrucke Tortura nicht mit einbegriffen wurde. Aber daraus folgt nicht, dass sie nicht unter den Begriff Examen rigorosum fiel.

Ich glaube, wir müssen, um die Bedeutung des Aus- drucks Examen rigorosum in dem Sprachgebrauche der Inquisition zu erkennen, einen etwas andern Weg ein- schlagen als Wohlwill2). Bei einem Inquisitionsprocesse wurden zunächst die Denuncianten, die von ihnen namhaft gemachten Zeugen und der Denuncirte selbst verhört, um die Richter zu informiren und Material für die zu formu- lirende Anklage zu gewinnen. Von diesem Theile des Processes, dem Informativ-Processe, handelt der 2. und 3. Theil des Sacro Arsenale; der 4. handelt Del modo di for- mare il processo repetitivo e defeitsivo und enthält Formu- lare für das nach der Formulirung der Anklage vorzuneh- mende nochmalige Verhör der Belastungszeugen über be- stimmte Fragen und für das Verhör der von dem Ange-

1) So Grisar S. 188, Gebier, Gegenw. 1878, No. 24, S. 376. S. Ju- lius Clarus, Pract. crim. L. V, § Fin. q. 64, p. 696 ; vgl. Farinacius 1. c. No. 39« Der Folterruck, squassatio z. e. succussio per funem et lapsus (Pignatelli II, 163 a), war übrigens bei der Römischen Inquisition verboten. S. A. p. 189.

2) Aehnlich wie ich fasst, wie ich nachträglich gesehen, Wolynski p. 86. 97. 98 die Sache auf.

Der Ausdruck Examen rigorosum. 367

klagten namhaft gemachten Schutzzeugen. Dann handelt der 6. Theil (in dem 5. stehen Formulare, die hier nicht in Betracht kommen) Del modo d'interrogare i Ret nella tor- tura. In dem einleitenden Abschnitte heisst es: „Wenn der Angeklagte die ihm Schuld gegebenen Vergehen leugnet und diese nicht vollständig erwiesen sind, und wenn der Ange- klagte in der ihm für seine Vertheidigung angesetzten Frist zu seiner Rechtfertigung nichts vorgebracht oder bei seiner Vertheidigung die Indicien , welche sich aus dem Processe gegen ihn ergeben, nicht beseitigt hat, so muss, um die Wahrheit zu ermitteln, gegen ihn zum peinlichen Verhöre (rigorosa esamina) geschritten werden, da die Folte- rung (la tortura) gerade dazu erfunden ist, den Mangel der Zeugenaussagen, falls diese keinen vollen Beweis gegen den Angeklagten liefern, zu ergänzen. . . . Um aber sicher zu gehen, muss der Inquisitor zuerst in einer Sitzung der Consultoren des h. Officiums den Offensiv- und Defensiv- Process vorlegen, und nach dem gelehrten und erfahrenen Rathe der Consultoren muss er, obschon ihr Votum kein entscheidendes, sondern nur ein berathendes ist, sich rich- ten und verfahren. Oder wenn die Sache wichtig und schwierig ist, mache er davon dem heiligen und höchsten Tribunale der heiligen und allgemeinen Römischen Inquisi- tion Mittheilung und erwarte von dort die Entscheidung. Wir setzen also voraus, es habe bereits unter der Assistenz des Diöcesanbischofs oder seines Bevollmächtigen die Be- rathung [mit den Consultoren] stattgefunden und es müsse nach den Gesetzen der Angeklagte dem peinlichen Ver- höre unterworfen werden (a rigorosa esamina sottoporsi), oder es sei von der h. Congregation eine Weisung ange- langt (st sia ricevuto l'oraculo), was zu thun sei, und gehen nun daran, die verschiedenen Formen des besagten Ver- höres (dt detta esamina) auseinanderzusetzen, welche je nach der Verschiedenheit der Fälle bei dem h. Tribunale vor- kommen können." Der nächste Abschnitt hat die Ueber- schrift: Modo di esaminare in tortura sopra il fatto, einer der folgenden: Modo di esaminare in tortura sopra V inten- tione solamente (p. 164, um ein Verhör über die Intention handelt es sich bei Galilei). Jeder dieser Abschnitte be- ginnt aber mit der bereits (S. 307) erwähnten Weisung be- züglich des letzten noch in dem gewöhnlichen Locale abzu-

368 t)er Ausdruck Examen rigorosum.

haltenden Verhöres, bei welchem nach einigen kurzen und knappen Fragen die Bedrohung mit der Folterung statt- fand und welches mit der Protocollirung des Beschlus- ses, den Angeklagten in die Folterkammer abzuführen u. s. w., schloss. Aus dieser Darlegung scheint mir ganz deutlich hervorzugehen, dass mit Examen rigorosum das Verhör bezeichnet wird, welches auf den nach der Beendigung des Informativ-, Offensiv- und Defensiv-Pro- cesses gefassten förmlichen Beschluss des Inquisitors und seiner Consultoren oder der Römischen Inquisition , es dürfe zur Folterung geschritten werden, folgt, dass also das letzte in dem' gewöhnlichen Locale vorg-enommene Verhör, bei welchem dieser, zunächst nur eventuelle Be- schluss, nachdem der Angeklagte auch bei der Androhung der Folter hartnäckig geblieben, als ein definitiver proto- collirt wurde, mit zu dem Examen rigorosum gehört, mit anderen Worten, dass die Grenzscheide zwischen den ge- wöhnlichen Verhören und dem peinlichen Verhöre nicht, wie Wohlwill annimmt, die Abführung in die Folterkammer, sondern der zur Folterung ermächtigende Beschluss ist1).

In der Regel wird es; wenn der Beschluss vorlag, es dürfe zur Folterung geschritten werden, auch zur wirklichen Folterung oder zu einer dieser gleichwerthig erachteten Schreckung gekommen sein, und zu einem regelrechten und vollständigen Examen rigorosum gehörte also auch die Be- fragung auf der Folter oder wenigstens in der Folterkammer. Darum kann das Sacro Arsenale, welches die Formulare für vollständige und regelrechte Examina rigorosa gibt, auch in den Ueb er Schriften die Bezeichnung csaminarc in tortura gebrauchen. Dass aber die beiden Ausdrücke völlig gleichbedeutend seien, folgt daraus nicht. Wenn der oben (S. 364) angeführte Fall eintrat, dass der Delinquent

1) Auch bei den weltlichen Gerichten musste der Richter, wenn er nach der Vollendung des Offensiv- und Defensiv-Processes zur Folterung schreiten zu müssen glaubte, ein förmliches Decret darüber erlassen. Jul. Clarus 1. c. qu. 62, p. 672; qu. 64, p. 681. 694 a. Aber die letzte Ermah- nung und Bedrohung im Verhörslocale, welche bei der Inquisition der Promulgation des Decretes der Folterung und der Abführung in die Folter- kammer vorherging, war, so viel ich sehe, bei den weltlichen Gerichten nicht erforderlich, weshalb denn auch bei ihnen das examinare in tortura jene letzte Ermahnung und Bedrohung nicht mit umfasste.

Der Ausdruck Examen rigorosum. 369

nach der Protocollirung des Decretes, ihn in die Folter- kammer abzuführen, noch im Verhörslocale gestand, so wird man dieses Geständniss als ein bei dem Examen rigorosum gemachtes bezeichnet haben. Nach den angeführten einlei- tenden Bemerkungen zum 6. Theile des Sacro Arsenale waren Examen rigorosum und Examen in tortura nicht „identisch", letzteres vielmehr ein Theil, in der Regel der Haupttheil des (vollständigen) Examen rigorosum.

Zu dieser Auffassung passen, so viel ich sehe, alle Stellen des Sacro Arsenale, wo der Ausdruck Examen rip-o- rosum vorkommt. Auch die von Wohlwill S. 24 angeführte Stelle p. 187 (nicht 189) spricht nicht dagegen. Es heisst dort: Wenn ein Angeklagter sich hartnäckig weigert zu antworten oder unbestimmt und ausweichend antwortet, ,,so ist es nothwendig, gegen ihn zum Examen rigorosum zu schreiten, um überhaupt eine Antwort oder eine genaue, genügende und ausreichende Antwort zu erlangen. Aber zuerst fprimaj muss man ihn in gebührender Weise er- mahnen und dann (appresso) ihn mit dem Seile bedrohen, und der Notar hat seine Hartnäckigkeit gegenüber diesen Ermahnungen und Drohungen in folgender Form zu regi- striren. . . Dann wird das Decret der Folterung (il decreto dt tortura) formulirt" u. s. w. Die Formeln stimmen in allem Wesentlichen mit den früher angegebenen überein. Wohlwill übersetzt nicht genau: „Aber zuvor muss man ihn in gebührender Weise ermahnen und ihn mit dem Seile bedrohen", lässt das Folgende weg, fügt bei: „Der Richter soll also mit der Tortur bedrohen, ehe er zum Examen rigo- rosum schreitet", und folgert aus der Stelle, „dass die ein- leitende Befragung unter Androhung der Tortur nicht ein- mal als ein Theil derselben angesehen werde". Richtig übersetzt und verstanden, besagt die Stelle vielmehr: das Examen rigorosum, zu dem der Richter zu schreiten habe, habe zu bestehen 1. aus der Ermahnung, 2. der Bedrohung, 3. dem Decrete, den Delinquenten in die Folterkammer ab- zuführen und dort zu foltern, 4. dem was in der Folterkam- mer geschah. Nicht vor dem Examen rigorosum, sondern vor der Folterung soll die Ermahnung und Bedrohung statt- finden, und diese wird allerdings nicht als ein Theil der Tortur, wohl aber als ein Theil des Examen rigorosum angesehen.

Reusch, Galilei. 24

370 Der Ausdruck Examen rigorosum.

Da es, wie gesagt, in der Regel, wenn die Inquisition beschlossen hatte, der Angeklagte solle „dem peinlichen Verhöre unterworfen werden", zur wirklichen Folterung oder zu einer ihr gleichwerthig erachteten Schreckung gekommen sein wird, so ist, wenn in einer Sentenz das Examen rigo- rosum erwähnt wird, zu präsumiren, dass der Angeklagte gefoltert oder doch in die Folterkammer abgeführt und dort geschreckt, dass mindestens bei dem letzten Verhöre der definitive Beschluss, zur Folterung zu schreiten, protocollirt worden sei. Die Inquisition war aber berechtigt, auch wenn es bei Galilei so weit nicht gekommen war, in der Sentenz zu sagen: „Wir haben für nöthig erachtet, gegen dich zum peinlichen Verhöre zu schreiten, bei welchem du jedoch ohne Präjudiz u. s. w. katholisch geantwortet hast", sofern sie wirklich beschlossen hatte, es solle zum peinlichen Verhöre Galilei's geschritten werden, wenn auch mit der Beschränkung, dasselbe solle nur bis zur Androhung der Tortur fortgesetzt werden, und sofern Galilei wirklich bei einem nach dem oben Gesagten zum Examen rigorosum gehörenden Verhöre bezüglich der Intention katholisch ge- antwortet hatte. Die Beifügung der Formel „ohne Präjudiz u. s. w." (s. o. S. 304) hätte allerdings in der Sentenz gegen Galilei unterbleiben können, weil sie, wie Wohlwill S. 34 richtig bemerkt, nur dann in das Protocoll aufgenommen wurde, wenn die Abführung des Angeklagten in die Folter- kammer beschlossen wurde, also bei Galilei von dem Com- missar nicht gebraucht worden war. Sie wurde aber in die Sentenz aufgenommen, um zu constatiren, dass die Inquisi- tion, wiewohl Galilei bei dem peinlichen Verhöre bezüglich der Intention „katholisch geantwortet", sich doch auf Grund dessen, was er früher eingestanden und was gegen ihn er- wiesen worden, für berechtigt halte, ihn als der Ketzerei verdächtig anzusehen.

Einige haben angenommen, in der Sentenz sei, obschon nur die in dem Protocoll vom 2 1 . Juni erwähnte Bedrohung stattgefunden, der Ausdruck Examen rigorosum, der auf ein „Verhör in strengerer Form" (wenigstens auf das, was Wohlwill Territio realis nennt) zu deuten scheine, gebraucht worden, „um zu bezeichnen, was der Sitte oder, wie man sagt, dem Stile gemäss hätte geschehen sollen, nicht aber,

Publication des Urtheils an anderen Orten. 371

was geschehen war" 1). Richtiger wird man nach dem eben Vorgetragenen sagen: die Inquisition habe auch in der Sen- tenz gegen Galilei „dem Stile gemäss'*', wie das in den Sentenzen gegen „stark Verdächtige'* üblich war, das Exa- men rigorosum erwähnt, obschon dasselbe gegen Galilei in einer mildern Form angewendet worden, als sonst üblich war, und diese Erwähnung des Examen rigorosum nicht zu unterlassen, mag die Inquisition, wie Gebier vermuthet, darum für gut befunden haben, weil die Sentenz, die überall publicirt wurde, auch den Zweck hatte, „zur Einschüchterung zu dienen, der Verbreitung der Copernicanischen Lehre ent- gegenzuwirken und ihren Anhängern die Übeln Folgen zu zeigen, welche die Vertheidigung derselben für Galilei ge- habt."

XXXII.

Publication des Urtheils gegen Galilei an anderen Orten.

Der in der Sitzung der Inquisition vom 16. Juni 1633 gefasste Beschluss über die Bekanntmachung der Verur- theilung Galilei's wurde in der am 30. Juni, wieder unter dem Vorsitze des Papstes, gehaltenen Sitzung2) bestimmter so gefasst: Dem Inquisitor zu Florenz sei eine Abschrift der Sentenz und der Abschwörung Galilei's zu übersenden mit der Weisung, sie in einer Sitzung der Inquisition den Consultoren und Beamten des h. Officiums und den gleich- falls einzuladenden Professoren der Philosophie und Mathe- matik jener Stadt vorlesen zu lassen; ferner seien Abschrif- ten allen Nuncien und Local-Inquisitoren, namentlich den

i) So zuerst Brenna (1778); s. Wohlwill S. 5. Aehnlich Gebier, N. Antol. 1876, III, p. 64.

2) Gherardi No. XVI. Acten S. 114. IX, 445. Bei Gherardi heisst es: der Inquisitor zu Florenz solle die Actenstücke in einer Sitzung velo levato verlesen lassen. Das wird wohl ein technischer Ausdruck für Sitzun- gen sein, zu denen ausser den Beamten der Inquisition auch noch andere Per- sonen, hier die Professoren, zugezogen wurden.

372 Publication des Urtheils an anderen Orten.

Inquisitoren zu Bologna und Padua, zu übersenden, um sie ihren „Vicarien und Diöcesanen" zu notificiren, die In- quisitoren sollten sie ihren Vicarien, die Nuncien den Diö- cesanbischöfen ihres Bezirks notificiren J), „damit sie zur Kenntniss aller Professoren der Philosophie und Mathema- tik gelangten."

Wir haben ein Schreiben des Secretärs der Inquisition vom 2. Juli 1633, mit welchem er -die beiden Actenstücke der Inquisition zu Venedig übersandte2). Am Schlüsse des- selben heisst es: dieselben seien den Professoren der Phi- losophie und Mathematik zur Kenntniss zu bringen, „damit sie wissen, wie mit Galilei verfahren worden, und daraus die Schwere des von ihm begangenen Irrthums erkennen und sich vor der Strafe hüten, die sie, wenn sie in densel- ben Irrthum fallen sollten, zu erleiden haben würden". Wie die gleich zu erwähnenden Antworten ergeben, ergingen gleichlautende Schreiben noch an 26 Inquisitoren in ande- ren italienischen Städten und Schreiben desselben Inhalts an die zehn Nuncien in Florenz, Neapel, Venedig, St. Ni- colas (Frankreich), Brüssel, Lüttich, Wien, Luzern, Wilna (Polen) und Madrid3).

Bezüglich des Inquisitors zu Florenz scheint in Rom der Verdacht entstanden zu sein, dass er die ihm ertheilte Wei- sung nicht pünktlich ausgeführt. Bei den Acten 4) findet sich folgender Brief desselben vom 27. Aug. 1633: „Schon am 9. Juli habe ich Ew. Eminenz geschrieben [der Brief ist nicht bei den Acten], dass ich die Abschrift der Sentenz gegen Galilei und seiner Abschwörung erhalten und dass ich sie

1) Wolynski p. 26 theilt das betreffende Schreiben des Nuncius zu Florenz an den dortigen Erzbischof (27. Aug. 1633) mit.

2) IX, 472; s. o. S. 355.

3) Vgl. Grisar S. 676. Von einer directen Mittheilung an „alle Erz- bischöfe und Bischöfe Italiens'' (Gebier, Galilei S. 322) ist nicht die Rede.

4) S. 127. Bei Gherardi No. XVII wird berichtet: in der Sitzung vom 24. Aug. sei ein Brief des Nuncius zu Florenz vorgelesen und darauf beschlossen worden, ihm zu schreiben, er solle für die Ausführung des Be- fehles Seiner Heiligkeit bezüglich der Sentenz gegen Galilei Sorge tragen. In den Vaticanischen Acten findet sich nur S. 122 ein Brief des Nuncius vom 6. Aug., worin er den Empfang eines Schreibens des Cardinais Antonio Barberini anzeigt, und S. 130 ein Brief vom 3. Sept., worin er berichtet, er habe die Sentenz und Abschwörung publicirt.

Publication des Urtheils an anderen Orten. 373

in der folgenden Woche publiciren würde. Am 12. Juli, wurde in Gegenwart der Consultoren dieses h. Officiums und so vieler Philosophen und Mathematiker, als zu haben waren, es waren ihrer mehr als fünfzig, die besagte Sentenz und Abschwörung in der vorgeschriebenen Weise publicirt. Ich habe mir also bezüglich der Ausführung des Befehles nichts zu Schulden kommen lassen. Wenn ich dadurch gefehlt habe, dass ich über diese Ausführung nicht berichtet habe, so bitte ich demüthig unsern Herrn und- die h. Congregation um Verzeihung. Ich habe dies vernach- lässigt, weil ich dachte, jener Brief würde genügen. Aber sie mögen mich gnädig entschuldigen; denn die Ausführung dessen, was mir befohlen wird, habe ich nie unterlassen und werde ich nie unterlassen." Dieser Brief wurde in der Sitzung der Inquisition vom 8. Sept. vorgelesen, und darauf beschlossen, dem Inquisitor einen ernsten Verweis dafür zu ertheilen, dass er für den Dialog Galilei's die Druck-Er- laubniss ertheilt habe1). Der Inquisitor antwortete am 17. Sept.2): „Ich habe bereitwillig und mit der grössten De- muth den scharfen Tadel entgegengenommen, den mir Ew. Eminenz im Namen unseres Herrn und der h. Congregation ausgesprochen, dass dieselben erklärt hätten, ich hätte sie schlecht bedient, indem ich so leicht den Druck und die Veröffentlichung des so verderblichen Buches Galilei's ge- stattet hätte. Wiewohl ich in dieser Beziehung manches zu meiner Vertheidigung sagen könnte, will ich doch, da sie das Urtheil aussprechen, die Schuld liege an mir, nichts anderes sagen, als dass ich es bereitwillig hinnehme. Ich bitte demüthig um Verzeihung und versichere, dass es mir für die Zukunft zur Lehre und Warnung dienen soll."

Ueber die Publication in Florenz berichtet Mario Gui- ducci an Galilei3): ,,Im Juli kam eines Abends der Pater Vicarius zu mir und lud mich im Namen des Paters Inqui- sitor ein, mich zu einem Acte einzufinden, der am 12. im h. Officium stattfinden solle. Er wollte mir nicht sagen, wo- rum es sich handelte. Ich ging Abends hin und fand, dass sie eben in Begriff waren anzufangen. Es waren zugegen die Consultoren und einige Canonici und andere Ordens-

1) Gherardi No. XVIII. Acten S. 128.

2) Acten S. 137. 3) IX, 390.

374 Publication des Urtlieils an anderen Orten.

geistliche, ferner die Herren Filippo Pandolfini, Aggiunti, Francesco Rinuccini und Dino Peri1), welche eingeladen waren wie ich. Wir setzten uns Alle, und der Pater In- quisitor sagte, er habe von der Congregation den Befehl erhalten, den Eingeladenen die Sentenz und die Abschwö- rung vorzulesen, und er beauftragte den Kanzler, der ein Mönch desselben Ordens ist, sie vorzulesen. (Folgt eine Inhaltsangabe der Sentenz und der Abschwörung.) Was die Erlangung einer Abschrift betrifft [darum hatte Galilei gebeten], so war ein Consultor nicht zug-egen, weil er nicht in Florenz war. Dieser war neugierig, die Sentenz zu hören, und sie wurde ihm vorgelesen. Die Bitte um eine Abschrift aber wurde ihm abgeschlagen. Da ich neugierig war, zu wissen, warum ich eingeladen worden sei, sagte mir der Pater Vicarius, sie hätten von Rom Befehl, so viele Mathe- matiker und Philosophen einzuladen, als sie haben könnten." In den Processacten findet sich eine ganze Reihe von Schreiben, worin die Nuncien und Inquisitoren anzeigen, dass sie die Actenstücke erhalten und die Weisung der h. Congregation ausgeführt hätten oder ausführen würden. Wie der Inquisitor von Florenz, so wurden auch noch einige Andere, die nur angezeigt hatten, sie würden die Weisung ausführen, nach einiger Zeit aufgefordert, auch über die geschehene Ausführung zu berichten2). Uebrigens haben in diesen, sonst sehr einförmigen Actenstücken nur folgende Ein- zelheiten Interesse: Der Inquisitor von Padua meldet, der Philosoph Fortunio Liceti habe ihm das Exemplar des Dia- logs ausgeliefert, welches er von Galilei zugeschickt er- halten; er fahnde auch in den dortigen Bibliotheken auf das Buch3). Der Inquisitor von Reggio fragt an, ob er die

i) Niccolö Aggiunti, geb. 1600, war einer der hervorragendsten Schü- ler Galilei's. Er wurde auf dessen Empfehlung 1626 Castelli's Nachfolger als Professor der Mathematik in Pisa, starb aber schon 1. Dec. 1635. Dino Peri, ein anderer Schüler Galilei's, wurde in Pisa Aggiunti's Nachfolger, starb aber schon 1640. S. IX, 109. 184. Targioni I, 310.

2) Acten S. 141. 153.

3) Acten S. 136. Liceti, geb. 1577, 1600 Professor der Philosophie in Pisa, seit 1609 in Padua, später (1636) in Bologna, 1645 Prof. der Medicin in Bologna, f 1657, ein sehr gelehrter Mann und fruchtbarer Schriftsteller, aber ein starrer Aristoteliker, s. o. S. 15 und unten § XXXV. VI, 285. Tiraboschi VIII, 163. Liceti erbat sich nachher die Erlaubniss, den Dialog zu lesen. Epinois, La question p. 282.

Publication des Urtheils an anderen Orten. 375

Zuschrift der Inquisition und das Urtheil über Galilei voll- ständig oder nur eine Notiz darüber drucken lassen solle. Der Inquisitor von Pisa beklagt sich, dass der Vicar des Erzbischofs die Zuschrift der Inquisition früher erhalten als er und ihm mit der Publication zuvorgekommen sei. Der Inquisitor von Venedig spricht von der Meinung, welche Galilei „in seinem Linceo" vorgetragen habe, und der In- quisitor von Ceneda spricht von einem schon vor dreizehn Jahren erlassenen Decrete über das Buch des Nicolo Caper- nico Lettore1). Der Nuncius von Brüssel legt einen Brief des Rectors des englischen Colleg zu Douay, Matthäus Kellison, bei, worin derselbe sagt: „Ich habe die Sache bei der ersten Gelegenheit dem Kanzler und anderen Pro- fessoren der hiesigen Universität mitgetheilt; sie sind so weit entfernt, dieser fanatischen Meinung (des Copernicus, huic phanaticae opinioni) zuzustimmen, dass sie dieselbe in ihren Vorlesungen immer bekämpft haben (ut illam e scho- lis suis semper explodendam et exsibilandam duxerint). In unserm englischen Colleg ist jenes Paradoxon nie gebilligt worden und wird es nie gebilligt werden; vielmehr haben wir es immer verabscheut und werden es immer verab- scheuen" 2).

Diesen mit den Processacten veröffentlichten Acten- stücken können noch zwei bei Alberi3) gedruckte an die Seite gestellt werden. Das erste ist ein Schreiben des Nuncius zu Brüssel vom 1. Sept. 1633, worin er dem Cor- nelius Jansenius, als Professor primarius zu Löwen, die Verurtheilung Galilei's mittheilt und zum Schlüsse sagt: „Dieses hat die h. Congregation den belgischen Universi- täten mitzutheilen befohlen, damit sich Alle dieser Wahr- heit conformiren; daran bitte ich also Sie auch die übrigen Professoren Ihrer Universität zu erinnern". Das zweite ist ein Decret des Bischofs von Cortona vom 13. Sept. 1633, worin das Urtheil gegen Galilei publicirt wird. Der Schluss lautet: „Damit nun Alle und ein Jeder insbesondere davon

1) Acten S. 145. 149. 124. 125.

2) S. 171. Auch in diesem Briefe ist die Rede von „dem Buche eines gewissen Galilei, qui Galilens Galilaei Lynceus inscribituru, vielleicht verschrieben oder verdruckt für Dialogus Galilaei Lyncei.

3) IX, 473-

376 Der Dialog auf den Index gesetzt.

Kenntniss erlange, um sich zu merken, wie man über die Dinge redet und handelt, welche den Glauben, die Kirche und ihre Prälaten angehen, soll dieses Edict an den ge- wöhnlichen Stellen angeheftet und von Niemand abgerissen werden. Wer dieses wagt, soll sofort der Excommunica- tion verfallen, und es soll gegen ihn als einen im Glauben Verdächtigen bei dem Officium der h. Inquisition vorge- gangen werden. "

Galilei selbst erhielt von der Inquisition keine Ab- schrift des Urtheils und der Abschwörung. Er bemühte sich, durch" Freunde eine solche zu erhalten. Am 3. Sept. schrieb ihm Buonamici, bei dem er vor seiner Abreise von Rom den Wunsch geäussert hatte, eine Abschrift zu haben, nach Siena, es sei ihm nach vielen Bemühungen gelungen, eine solche zu erhalten; er bringe sie nächstens mit1). Buon- amici legte diesem Briefe einen Bericht über den Pro- cess bei, den „ein Freund nach Deutschland, Spanien und Flandern geschickt habe"; das ist der oben (S. 6) erwähnte, von Buonamici selbst verfasste Bericht, Die Sentenz wurde zuerst in einem 1634 zu Paris erschienenen Werke von Mersenne in französischer Uebersetzung, 1644 zu Ve- nedig in dem „Anticopernicus catholicus" von Giorgio Po- lacco mit der Abschwörung italienisch gedruckt2).

Der Dialog wurde auffallender Weise erst unter dem 23. Aug. 1634 auf den Index gesetzt, und das Verbot des- selben nicht durch ein besonderes motivirtes Decret wie das vom J. 161 6 bekannt gemacht3). Als der Prinz Gioan Carlo von Medici im August 1633 auf sein Ansuchen die Erlaub- niss zum Lesen verbotener Bücher erhielt, wurden, wie Gui- ducci4) berichtet, der Dialog, Machiavelli und „ein gewisser Morneo" (Philipp Mornay du Plessis, der seit 1621 auf dem Index stand) ausgenommen. Damit stimmt die Angabe in einem Briefe Galilei's vom 28. Juni' 1 636 5), der Papst habe die Ertheilung der Erlaubniss zum Lesen des Dialogs sich selbst vorbehalten.

1) IX, 392; vgl. x, 166. VII, 139.

2) Martin, Galilee p. 252. Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 159. 170.

3) Bouix p. 114 meint sonderbarer Weise, die Stelle aus dem Proto- coll vom 16. Juni 1633, die von dem Verbote des Dialogs handelt, sei aus einem Decrete der Index-Congregation.

4) IX, 384. S. o. S. 76. 5) VII, 66.

Verbot fernerer Schriften Galilei's. 377

Nach dem Beschlüsse vom 16. Juni 1633 sollte Galilei befohlen werden, „fortan weder schriftlich noch mündlich irgendwie die Ansicht von der Bewegung1 der Erde u. s. w. oder die entgegengesetzte Ansicht zu behandeln"; es sollte ihm also jetzt jede Erörterung* der Copernicanischen Lehre, selbst die Bekämpfung derselben untersagt sein. Zu dieser Fassung des Beschlusses mag der Umstand An- lass g'egeben haben, dass Ga4ilei in dem Verhöre am 30. April sich erboten hatte, in einer Fortsetzung des Dialogs die Copernicanische Lehre zu widerlegen. In das Urtheil vom 22. Juni wurde jenes Verbot nicht aufgenommen. Es findet sich in den Acten auch nicht erwähnt, dass es Gali- lei förmlich insinuirt worden sei. Die Inquisition wandte ein anderes, über den Beschluss vom 16. Juni noch hinaus- gehendes Mittel an, um die Veröffentlichung von Schriften Galilei's über, für oder gegen die Copernicanische Lehre zu hindern.

Unter dem 10. Febr. 1635 J) schreibt Micanzio an Gali- lei: „Vor einigen Tagen .äusserte ich bei dem P. Inquisitor die Absicht, Ihre Abhandlung über die schwimmenden Körper neu drucken zu lassen. Er sagte mir, er habe einen ausdrücklichen Auftrag von Rom, der das nicht gestatte. Ich antwortete, der Auftrag werde sich auf das Werk über das Copernicanische System beziehen. «Nein, erwiederte er, es ist ein allgemeines Verbot de editis omnibus et eden- dis.a Ich sagte: »Aber wenn er das Credo oder das Pater- noster drucken lassen will?« Wir kamen überein, dass er mir eine Abschrift des Auftrags geben solle." Am 10. März2) schreibt er dann: ,,Der Inquisitor hat mir den sehr strengen Befehl bezüglich der gedruckten und zu drucken- den Sachen schriftlich gezeigt", und am 17.: „Ich habe Ihnen von dem barbarischen Befehle geschrieben, der hier ist; wie ich erfahren habe, ist er auch an allen anderen Orten nullo excepto." Am 21. Febr. 1636 erwähnt Galilei selbst diese Verordnung in einem Briefe an Peiresc3). Schnee- mann erklärt freilich S. 270: „Da sich keine Spur hiervon in den Acten der Römischen Inquisition [so weit sie ge- druckt sind] findet und auch die neu gedruckten Werke Galilei's ungehindert in Rom verkauft wurden, können wir

1) x, 75. 2) X, 81. 3) Suppl. 362.

378 Galilei nicht „clarissimus''.

den Worten des Venetianischen Hoftheologen keinen Glau- ben beimessen." Wenn die Inquisition ihren Organen heim- lich befahl, den Druck von Schriften Galilei's nicht zu ge- statten, so brauchte sie darum noch nicht den Muth zu haben, öffentlich den Verkauf der gegen ihren Willen ausserhalb ihres Bereiches gedruckten, inhaltlich unbedenk- lichen Schriften Galilei's zu verbieten. Dass Micanzio die Sache erdichtet haben sollte*» dafür ist die Thatsache, dass er Theologe der Republik Venedig war, doch kein ge- nügender Beweis.

In einem Briefe vom 6. März 1641 erzählt Vincenzo Renieri Galilei folgende „schöne Geschichte"1): Der Profes- sor Gaudenzio Paganino zu Pisa2) habe in einem Buche über die Pythagoreische Seelenwanderung Galilei als claris- simus Galileus citirt; der Pater Inquisitor habe aber bei der Censur das clarissimus nicht wollen passiren lassen, und Paganino habe mit Mühe erreicht, dass er notissimus Gali- leus sagen dürfe. H. de l'Epinois3) scheint diese Geschichte nicht ganz glaublich zu finden. Der Inquisitor wandte aber nur die Verordnung Clemens' VIII. vom J. 1596 auch auf Galilei an : es seien alle ehrenvollen Epitheta der Ketzer zu streichen4).

1) x, 409.

2) Targioni I, 352. Tiraboschi VIII, 272.

3) La question p. 277. Epinois weist allerdings nach, dass sonst ita- lienische Schriftsteller unbehindert von Galilei in den lobendsten Ausdrücken gesprochen. '

4) Vgl. Gibbings, Carnesecchi p. VIII. Theol. Lit.-Bl. 1874, 510. Der Jesuit H. Montrouzier hat noch im J. 1872 (Etudes relig. t. 2, p. 19. 22) diese von Clemens VIII. den Bücher-Revisoren ertheilte und durch Benedict XIV. erneuerte Instruction: Epitheta honorifica et omnia in laudem haere- ticorum dicta deleantur, in Erinnerung gebracht, als durchaus vernünftig be- zeichnet und beigefügt: „Es werde also den erklärten Feinden der Kirche oder denen, die fern von ihr leben, kein Wort des Lobes gespendet; man berufe sich nie auf ihre Autorität, es sei denn, um sie mit einander in Widerspruch zu bringen oder sie mit Rücksicht auf diejenigen, welche sie als ihre Meister ansehen, für die Wahrheit Zeugniss ablegen zu lassen. Der h. Ignatius wollte nicht einmal, dass man den Stil und die Belesenheit eines häretischen Schriftstellers lobe."

Behandlung Galilei's seit 1633. 379

XXXIII. Die Behandlung Galilei's nach der Verurtheilung.

Oben (S. 335) wurde gesagt, der Unwille, welchen das Verhalten der Gegner Galilei's erwecke, müsse noch gesteigert werden, wenn man die Behandlung betrachte, welche sie nach seiner Verurtheilung und Abschwörung ihm angedeihen Hessen. Es ist ein grosser Fehler mancher älte- ren Darstellungen des Galilei'schen Processes, dass sie bei den Fabeln von Kerkerhaft, grausamer Folterung und der- gleichen verweilen, und dann über die actenmässig beglau- bigten Thatsachen der folgenden Jahre hinweggehen, und es ist auf der andern Seite sehr charakteristisch, wenn die Apologeten der Curie nach der Widerlegung jener Fabeln diese Thatsachen verhüllen, wie z. B. P. Schneemann S. 269 : ,, Dieses Urtheil [die Verurtheilung zu Kerkerhaft] wurde vom Papste sofort in das der Internirung verwandelt, , und so »büsste« der Verurtheilte zuerst in den angenehmen Gärten von Trinitä de' Monti in Rom, dann im Palast des Erzbischofs von Siena, eines ihm ergebenen Freundes, end- lich in der Villa Arcetri bei Florenz, wo . er ruhig seinen Studien lebte"1).

Am 22. Juni 1633 wurde Galilei, wie wir gesehen, zu Kerkerhaft während einer von der Inquisition.zu bestimmen- den Zeit verurtheilt. Die Haft im Inquisitionsgebäude wurde aber schon am 23. in Internirung im Palaste des grossher- zoglichen Gesandten umgewandelt, wohin Galilei am 24.- Abends von Niccolini abgeholt wurde2). Gleich in den

i) Aehnlich Wenig S. 53, Reinerding S. 422, Civ. catt. S. 9, vol. 10 (1876), p. 457, Vosen, Galilei, 1865, S. 26: „Gesund und rüstig trotz seiner 72 Jahre, kam Galilei nach einer tüchtigen Fussreise auf seiner Villa an und zeigte keine Spur von Gram oder ausgestandenen Misshandlungen. Bis zu seinem Tode arbeitete er rüstig fort im Kreise seiner Freunde und Schüler, die ihn täglich umgaben."

2) Gherardi No. XV. Vgl. IX, 445; VII, 31.

380 Galilei aus der Haft entlassen.

nächsten Tagen Hess Niccolini dem Cardinal Barberini die Bitte vortragen, man möge Galilei, wenn man ihn nicht ganz freilassen wolle, zunächst zu Siena im Hause des Erz- bischofs oder in einem Kloster, später, wenn die Pest in Florenz erloschen sei, in seiner dortigen Villa interniren. Auf den Rath des Cardinais reichte er am 29. bei der In- quisition ein (an den Papst adressirtes) Gesuch ein 1), worin er im Namen Galilei's bat, es möge der ihm in Rom als Haft ang'ewiesene Ort mit einem ähnlichen in Florenz ver- tauscht werden, mit Rücksicht auf seine Kränklichkeit und weil er dort eine aus Deutschland mit acht Kindern zurück- kehrende Schwester erwarte, für die er zu sorgen habe.

Am 30. Juni fand eine Sitzung der Inquisition unter dem Vorsitze des Papstes statt. In dieser wurden nach den Processacten Anordnungen über die Publication des Urtheils gegen Galilei getroffen (s. o. S. 371). Ferner berichtet Nic- colini 2) darüber Folgendes :

„Es wurde beschlossen, Seine Heiligkeit solle sich mit mir am Samstag [2. Juli] über eine Galilei zu gewährende Erleichterung besprechen. [Der Papst wird wohl den Cardinälen erklärt haben, er wolle dieses thun.] Ich habe darauf gestern [2. Juli] dem Papste selbst meine Bitte noch- mals vorgetragen, indem ich andeutete, dass ich von jenem Beschlüsse wisse. Der Papst antwortete: es sei zwar noch etwas früh für eine Strafmilderung; er habe indess sofort die Haft in Internirung in der grossherzoglichen Villa um- gewandelt und .wolle jetzt auf meine Fürsprache und aus Rücksicht gegen den Grossherzog gestatten, dass Galilei nach Siena reise, um dort bis auf weiteres in einem Kloster zu bleiben. Ich bat darauf, es möge auch jetzt schon die Erlaubniss ertheilt werden, dass Galilei nach dem Erlöschen der Pest nach Florenz zurückkehren dürfe, um in seiner Villa internirt zu werden. Der Papst meinte aber, das sei noch zu früh. Ich schlug dann vor, Galilei zu gestatten, in Siena bei dem Erzbischof zu wohnen. Der Papst erwie- derte, damit sei er einverstanden, obschon die Inquisition davon nichts wisse; Galilei dürfe aber dort »keine Conver- sation machen«. Er befahl mir, dieses dem Cardinal Barbe- rini mitzutheilen. Das habe ich gethan, und t von diesem

1) IX, 445. Acten S. 115. 2) IX, 445.

Galilei aus der Haft entlassen. 381

auch noch die Erlaubniss erwirkt, dass Galilei in den Dom gehen darf, um dem Gottesdienste beizuwohnen. Seine Hei- ligkeit meint, es könne Galilei nach einiger Zeit erlaubt werden, sich nach der Certosa (Karthause) in Florenz zu begeben; man müsse aber ganz langsam vorgehen und ihm ganz allmählich die Haft mildern. Darauf erwiederte ich nichts, um nicht vorzeitig Seine Heiligkeit zu einem solchen Entschlüsse zu veranlassen. Man kann darauf zurückkommen, wenn Galilei eine weitere Milderung nachsuchen will l)."

Noch an demselben Tage, 2. Juli, wurde Galilei von dem Commissar der Inquisition im Beisein des Notars noti- ficirt: er könne Rom verlassen, habe sich aber gerades Weges nach Siena zu begeben, dort gleich nach seiner An- kunft dem Erzbischof vorzustellen und pünktlich zu befol- gen, was dieser ihm vorschreiben werde ; er dürfe die Stadt nie und unter keinem Vorwande ohne schriftliche Erlaubniss der Inquisition verlassen. Galilei musste förmlich verspre- chen, allen diesen Weisungen zu gehorchen 2). Der Erzbischof von Siena wurde unter demselben Datum davon in Kennt-

1) Zu der oben gegebenen Darstellung scheint nicht zu passen, dass in den Processacten S. 116 auf der Rückseite der von Niccolini eingereich- ten Bittschrift notirt ist: 30. Junii 1633. S(anctissim)us fecit or(atori) gra- tiam eundi Senas et ab eadem civitate non discedere sine licentia Sac(rae Cong(regationis), et se p(raese)ntet coram archiepiscopo d(icta)e civitatis) etc., und dass S. 114 unmittelbar hinter der Notiz über die in der Sitzung vom 30. Juni beschlossene Publication des Urtheils folgt: Praeterea firae- dicto Galilaeo . . . fecit gratiam d(ic(a)e relegationis et mandavit illum relegari Senis u. s. w. In dem Berichte über die Sitzung bei Gherardi No. XVI steht davon nichts. Wahrscheinlich ist die oben im Texte gegebene Darstellung richtig, und in den Acten die Entscheidung über die Bittschrift und die zweite Notiz über die Sitzung vom 30. Juni (vgl. Acten S. 164; s. u. S. 384) erst am 2. Juli beigefügt worden, aber mit dem Datum vom 30. Juni, weil in der an diesem Tage gehaltenen Sitzung die Sache zur Sprache gekommen und die Erledigung derselben dem Papste überlassen war. So scheinen sich die Bedenken von "Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 109, vgl. S. IX, und Scartazzini, Riv. Eur. 1878, X, 447, zu erledigen. Die Vermuthung von Scartazzini, Riv. Eur. 1878, V, 246, Niccolini habe „den Roman von der am 29. Juni von ihm eingereichten Bittschrift und von seiner Unterredung mit dem Papste am 2. Juli erfunden", um dem Gross- herzog gegenüber sich als denjenigen darzustellen, der die Erleichterungen für Galilei erwirkt, hängt mit der unglücklichen Idee zusammen, Niccolini als einen „Lügner", sogar als einen „schamlosen" Lügner darzustellen. S. o. S. 320. 2) Acten S. 115; s. o. S. 133.

382 Galilei in Siena.

niss gesetzt1), und schrieb am 10. Juli, am Tage nach der Ankunft Galilei's an den Cardinal- Secretär der Inquisition, er werde die ihm ertheilten Weisungen pünktlich aus- führen 2).

Galilei reiste, wie Niccolini berichtet, am 6. Juli „in ziemlich guter Gesundheit" ab und schrieb ihm von Viterbo aus, er habe bei sehr kühlem Wetter vier Meilen zu Fusse zurückgelegt. Am 9. kam er in Siena an. Galilei's Freunde in Florenz hatten schon im Mai 1633, als man noch einen andern Ausgang des Processes erwartete, mit Rücksicht auf die in Florenz noch fortdauernde Pest für ihn einen vorläufigen Aufenthalt in Siena in Aussicht genommen3). Der dortige Erzbischof Ascanio Piccolomini war ein Schüler und Freund Galilei's und hatte während des Processes wiederholt sehr theilnehmend an ihn geschrieben und ihn schon im Mai eingeladen, nach Beendigung des Processes bis zum Erlöschen der Pest in Florenz bei ihm zu bleiben4). Er fand bei ihm die freundlichste Aufnahme.

Nach Galilei's Abreise von Rom kam dort noch ein an ihn adressirter Brief aus dem Auslande an. Derselbe wurde an den Cardinal Barberini abgeliefert; er enthielt starke Lobsprüche auf den Dialog, aber zum Glück ergab sich daraus, dass er nicht eine Antwort auf einen Brief Galilei's war5).

Ende Juli ertheilte der Grossherzog auf Galilei's Bitte dem Gesandten den Auftrag, den Papst um die Begnadigung Galilei's zu bitten und dabei auch geltend zu machen, dass der Grossherzog seiner Dienste bedürfe 6). Niccolini antwor- tete am 7. Aug.7): er müsse dazu rathen, bis zum October zu warten; der Papst werde es nicht gern sehen, dass Ga- lilei jetzt, wo der Papst noch so sehr ungnädig gegen ihn gesinnt sei, an den grossherzoglichen Hof kommen solle, und

1) Acten S. 117. 2) IX, 447. 3) IX, 359. 361.

4) IX, 343. 365. Suppl. 245. 248. 249. Ascanio, ein Bruder des aus der Geschichte des dreissigjährigen Krieges bekannten Ottavio Piccolomini (IX, 406), hatte im Dienste des Cardinais Francesco Barberini gestanden und denselben auf seiner Reise nach Spanien begleitet (Suppl. 161). Im Juni 1628 war er Erzbischof geworden (Suppl. 222). 1630 war er der Begleiter Antonio Barberini's, als dieser Legat an die italienischen Fürsten war. Reu- mont, Beitr. I, 395. Er war nicht Cardinal, wie Gfisar S. 706 meint.

5) VII, 48. 6) VII, 31; IX, 378. 379. 7) IX, 447.

Galilei in Siena. 383

wenn man sage, er solle dort Vorlesungen halten, so könne ihm das eher schaden als nützen. In Florenz wurden diese Bedenken anerkannt1). Guiducci meinte auch in einem Briefe an Galilei2): wenn man jetzt die Sache wieder anrege, werde der Papst vielleicht auf seinen Plan zurückkommen, Galilei in der Karthause zu Florenz zu interniren, und dieser Ort würde für Galilei's Gesundheit nicht zuträglich sein, da er dort „einerseits der Discretion der Mönche anheimgegeben sein und anderseits kein Fleisch zu essen bekommen würde".

Im September scheint irgend ein Gesuch Galilei's, von dem die Acten nichts melden, abgeschlagen worden zu sein. Wenigstens schreibt ihm Geri Bocchineri am 21. Sept.3): „Es thut mir leid, dass Ihr Gesuch abgeschlagen worden ist, und ich finde es auffallend, dass man sich so wenig geneigt zeigt, Ihnen Erleichterungen zu gewähren. Es ist die Rede davon, dass der Hof im nächsten Monate nach Siena reisen werde ; vielleicht wird Ihnen dann gestat- tet werden, auf Ihre Villa zurückzukehren, damit Sie keine Gelegenheit haben, die Herrschaften zu sehen".

Anfangs November wurde Niccolini auf Galilei's Bitte nochmals beauftragt, sich energisch für ihn zu verwen- den4). Niccolini berichtet dann am 13. Nov.5): „Ich bat gestern Seine Heiligkeit, zu gestatten, dass Galilei nun, nach einer fünfmonatlichen Verbannung in Siena, nach Florenz zurückkehren dürfe. Seine Heiligkeit antwortete, er wolle sehen, was sich thun lasse, und in der Sitzung des h. Offi- ciums die Sache zur Sprache bring-en; er müsse mir aber zugleich bemerken, dass er Nachricht habe, dass Einige zu Gunsten der Meinung Galilei's schrieben. Ich erwiederte : ich könne ihm versichern, dass das nicht unter Mitwirkung oder im Auftrage Galilei's geschehe, und bat ihn, doch ihn nicht für die Sünden Anderer leiden zu lassen. Er ant- wortete: er wisse nicht, dass Galilei Antheil daran hätte; aber die Leute möchten sich vor dem h. Officium in Acht nehmen." Niccolini übergab dem Papste folgende Bitt- schrift6): „Euere Heiligkeit werden gebeten, zu gestatten, dass Galileo Galilei in sein Vaterland zurückkehren dürfe, da er bisher dem Befehle Euerer Heiligkeit und der h. Con-

1) IX, 383. 2) ix, 385. 3) ix, 396.

4) IX, 406. 5) IX, 447. 6) Acten S. 163.

384 Galilei in Siena.

gregation, in der ihm vorgeschriebenen Weise in Siena zu bleiben, gehorcht hat." Wegen Unwohlseins wohnte der Papst erst am 1. Dec. wieder einer Sitzung der Inquisition bei. In dieser wurde beschlossen: Galilei solle bis auf wei- tere Verfügung der Inquisition seine Villa als Wohnsitz an- gewiesen werden; er habe dort in der Einsamkeit zu leben und dürfe nicht mit Besuchern Gespräche haben1). Letzere Bestimmung erläuterte Niccolini auf Grund mündlicher Mit- theilungen des Papstes in einem Briefe an Galilei2) in fol- gender Weise: „Sie sollen dort zurückgezogen leben und nicht viele Personen gleichzeitig zu Gesprächen zulassen oder zu Tische laden, um den Verdacht zu vermeiden, als hielten Sie so zu sagen Vorlesungen (che ella faccia per cosi dire accademia) oder als verhandelten Sie über jene Dinge, die Ihnen zum Schaden gereichen können. Ich bin überzeugt, Sie werden sich daran halten, um nach einiger Zeit die völlige Begnadigung zu erlangen. Es ist Ihnen nicht verboten, Besuche von Freunden und Verwandten an- zunehmen, wenn Sie nur den oben erwähnten Verdacht ver- meiden. Ich hätte Ihnen gern die gänzliche Beendigung Ihrer Angelegenheit mitgetheilt, aber Sie wissen, hier zu Lande muss man Schritt vor Schritt gehen, namentlich in diesen Dingen; und selbst um nur dieses zu erreichen, hat sich der Cardinal (Francesco) Barberini viele Mühe geben und seine Autorität geltend machen müssen." (Diesem sprach Galilei in einem Briefe vom 17. Dec.3) seinen Dank aus.) Diesen Brief erhielt Galilei, als er eben wegen eines Unwohlseins sehr wünschte, den Winter in dem mildern Klima von Florenz zubring*en zu können4), In der ersten

1) Gherardi No. XX: Feria V. die 1. Xbris 1633. Galilaei de Gali- laeis Florentini Senis relegati lecto memoriali, SSmus oratorem habilitavit ad eius rurem per tempus arbitrio S. Congregationis, ubi vivat in solitu- dine, nee eo amoveatur (nach Acten S. 164 ist zu lesen: nee eo evocet) aut venientes illuc reeipiat ad allocutiones (collocutio/ies). Nach Acten S. 164 findet sich diese Notiz (fast) gleichlautend zuerst (vielleicht von dem Cardinal- Secretär während der Sitzung) auf die Rückseite der erwähnten Bittschrift geschrieben, dann nochmals (wohl von der Hand des Notars); beide Notizen faesimilirt bei Epinois p. 128. Aehnlich Acten S. 174; s. u. S. 387.

2) IX, 407; vgl. 448.

3) Acten S. 168. Gherardi No. XXI.

4) VII, 39

Denunciation Piccolomini's. 385

Hälfte des December 1633 reiste Galilei von Siena ab, wo er also fünf Monate zugebracht hatte, allerdings unfrei, aber im Uebrigen unter sehr angenehmen Verhältnissen. „Ich wurde, schreibt er später an Elia Diodati1), von dem Erz- bischof wie von einem Vater behandelt, und hatte fortwäh- rend Besuch von den Adelichen der Stadt; ich verfasste dort auch eine Abhandlung über ein neues Thema aus der Mechanik voll merkwürdiger und nützlicher Speculationen2)." In einem Briefe, worin er Micanzio den Lector der Philosophie zu Siena, Alessandro Marsili, für eine Professur in Padua em- pfiehlt3), sagt er, er habe während seines Aufenthaltes in Siena mit demselben täglich verkehrt und Hunderte von Stunden sich unterhalten und gefunden, dass derselbe in der „scho- lastischen Doctrin" hinter keinem der Berühmtesten der Gegenwart zurückstehe und dabei tractabler als Viele und weniger petulant und hartköpfig sei als alle Anderen.

Der Brief, den Galilei von Siena aus an seinen Schüler Renieri geschrieben haben soll, ist eine Fälschung (s. o. S. 6). Ein „langer und des Aufbewahrens werther" Brief aus Siena, von dem Geri Bocchineri spricht4), ist leider nicht erhalten. Mit dem Erzbischof Piccolomini blieb Ga- lilei in freundschaftlichster Correspondenz bis zu seinem Tode5).

Mehrere Wochen nach Galilei's Abreise von Siena, am 1. Febr. 1634, lief bei der Inquisition folgende anonyme De- nunciation gegen den Erzbischof6) ein : „Galilei hat in dieser Stadt wenig katholische Meinungen ausgestreut, begünstigt durch jenen Erzbischof, bei dem er wohnte. Dieser hat bei Vielen geäussert: jener sei von der h. Congregation unge- recht behandelt worden; diese hätte die philosophischen Meinungen nicht verwerfen können und dürfen, welche jener mit unwiderleglichen und wahren mathematischen Gründen erwiesen habe7); Galilei sei der erste Mann der Welt und

1) vil, 44- 2) Vgl. VII, 34.

3) VII, 144. Vgl. VII, 309. Alessandro Marsili (nicht zu verwechseln mit Cesare Marsili, s. o. S. 189) wurde 1637 auf Galilei's Empfehlung Pro- fessor in Pisa. X, 231. Targioni I, 343. 433. 524.

4) IX, 372.

5) X, 35. 45. 173. 186. 250. 256. Suppl. 264. 299. 300.

6) Acten S. 172.

7) Es ist doch fast komisch, wenn Grisar S. 706 aus diesem Satze, Reusch, Galilei. 25

386 Galilei in Arcetri.

werde immer in seinen Schriften, wenngleich diese verboten seien, fortleben und bei allen Neueren und Besseren Zu- stimmung finden. Und weil diese Samenkörner aus dem Munde eines Prälaten verderbliche Früchte tragen könnten, wird darüber berichtet." Die Inquisition hat dieser Denun- ciation gegen den Erzbischof, so viel wir wissen, keine Folge gegeben, vielleicht aber Galilei dafür büssen lassen. We- nigstens spricht Grisar S. 128 die Meinung aus: „Es hat Manchen auffällig und ungerecht gedünkt, dass die Inquisi- tion Galilei bis zu seinem Tode nicht eigentlich frei Hess, im Gegentheil in einigen Fällen ihm anscheinend harte Be- scheide gab. Allein man hat den Schlüssel, zur Erklärung dieses Verfahrens übersehen, der darin liegt, dass in Betreff Galilei's aus Siena Meldungen eingelaufen waren, welche seine Haltung gegenüber der Autorität der Congregationen in sehr ungünstiges Licht stellten." Also eine anonyme De- nunciation, in der gegen Galilei nur die vage Anschuldigung vorgebracht wird, er habe „wenig katholische Meinungen ausgestreut", genügt der Inquisition, ohne weitere Unter- suchung Galilei fortan so zu behandeln, wie wir im Folgen- den sehen werden! Warum findet Grisar nicht auch in dem dem Papste zu Ohren gekommenen Gerüchte, dass „Einige zu Gunsten der Meinung Galilei's schrieben" (s. o. S. 383), den „Schlüssel" zu der Unversöhnlichkeit Urbans VIII. ?

Die Villa bei (eine Meile von) Florenz, in welche Ga- lilei im Dec. 1633 zurückkehren durfte, hatte er gegen Ende des Jahres 1631 von seinem frühern Schüler Esau Martel- lini für 15 Scudi jährlich gemiethet, von 161 7 bis 1631 wohnte er in der Villa Segni zu Bellosguardo, sie hiess 77 Gioello, das Juwel, und war nur einen Büchsenschuss von dem Kloster San Matteo in Arcetri entfernt, in welchem seine beiden Töchter lebten1). Seine Briefe von dort da- dirt Galilei „Arcetri", mitunter: „Aus meinem Kerker zu Arcetri," della mia carcere dt Arcetri*). Bald nach seiner

den wir nur aus der Denunciation kennen lernen, nicht nur schliesst, dass Piccolomini, den er bei dieser Gelegenheit zum Cardinal befördert, die Ent- scheidung der Römischen Behörden für widerruflich, also für irrig gehalten, was ja wohl richtig sein wird, sondern ihn auch mit als Beleg dafür anführt, dass eine solche Auffassung damals als zulässig angesehen worden sei.

1) XV, 393; vgl. Gebier, D. Rundschau 1878, IV, 66.

2) III, 183. VII, 351: Dalla Villa d? Arcetri, mio continuato carcere

Galilei in Arcetri. 387

Ankunft wurde Galilei durch einen Besuch des Grossher- zogs erfreut1).

Im März 1634 reichte Niccolini bei der Inquisition fol- gende Bittschrift ein 2) : „Galilei befindet sich den Anord- nungen dieser h. Congregation entsprechend in der Villa ausserhalb Florenz ; da aber seine körperlichen Leiden zu- nehmen, so kann er sich nicht ohne den regelmässigen Be- such des Arztes Befreiung davon verschaffen. Darum wen- det er sich an die grosse Güte Euerer Eminenzen mit der Bitte, ihm die freie Rückkehr in sein Haus gestatten zu wollen, damit er sich heilen lassen und die Tage, die ihm bei seinem Alter noch übrig sind, in Ruhe unter den Seinigen verleben könne." Der in der Sitzung der Inquisi- tion vom 23. März gefasste Beschluss3) lautet: „Seine Heilig- keit hat diese Erlaubniss nicht ertheilen wollen und befoh- len, dem Inquisitor zu Florenz zu schreiben, er solle Galilei bedeuten, er habe sich solcher Petitionen zu enthalten, da- mit die h. Congregation sich nicht genöthigt sehe, ihn in die Kerker dieses h. Officiums zurückzuberufen."

Der Inquisitor von Florenz berichtet dann am 1. April4): „Ich habe Galilei zu wissen g'ethan, was mir Euere Emi- nenz befohlen haben. Er entschuldigt sich damit, dass er das alles gethan wegen eines schrecklichen Bruches, woran er leidet. Die Villa, in der er wohnt, ist aber so nahe bei der Stadt, dass er leicht Aerzte und Chirurgen berufen und die nöthigen Arzneien haben kann. Ich glaube also, er wird die h. Congregation nicht weiter mehr belästigen." Galilei selbst berichtet in einem Briefe an Elia Diodati5): er sei gerade von seiner todkranken altern Tochter gekom-

ed esilio dalla cittä. Am 10. März 1639 schrieb Matthias Bernegger von Strassburg an Caspar Hoffmann, der gehört hatte, Galilei sei im Kerker ge- storben: Niinquam audivi de carcere, stricto Mo quidem ; natu adiöftOV illam (fvluzrjv, qua praedioli cuiusdam sui finibus Cardinaliam Collegii fnandato circumscriptus est, proprie carcerem non dixeris (X, 180). 1) X, 3. it. 2) Acten S. 173.

3) Gherardi No. XX. In den Vaticanischen Acten (S. 174) findet sich auf der Rückseite der Bittschrift zuerst mit Bleistift (von der Hand des Cardinal-Secretärs) geschrieben : Nihil. Inq(uisito)r ei obiurget(ur) petitum ne reducatur in carcerem, dann (von dem Notai') der Beschluss, wie bei Gherardi registrirt; s. o. S. 384.

4) Acten S. 174. 5) VII, 46.

388 Galilei in Arcetri.

men in Begleitung des Arztes, der ihm unterwegs gesagt, sie könne den folgenden Tag nicht erleben; da habe er in seiner Villa den Vicar des Inquisitors gefunden, der ihm jene Mittheilung gemacht habe. „Danach ist wohl anzu- nehmen, fügt er bei, dass meine jetzige Haft nicht eher endi- gen wird, bis ich in jenen allgemeinen engen und lange wäh- renden Kerker komme." Suor Maria Celeste starb wirklich am 1. April 1634. Das innige Verhältniss, welches zwischen Galilei und dieser Tochter bestand, bezeugen die vielen hübschen Briefe, die uns von ihr erhalten sind1). In einem derselben, vom 3. Oct. 16332), sagt sie: sie habe sich das Urtheil der Inquisition zu lesen verschafft, und wenn ihr die Leetüre auch einigen Kummer gemacht, so habe sie sich doch gefreut, daraus zu sehen, wie sie dem Vater eini- germassen helfen könne : sie wolle die ihm aufgelegte Busse, wöchentlich die sieben Busspsalmen zu beten, übernehmen. Galilei machte Geri Bocchineri von dem Bescheide der Inquisition Mittheilung; dieser antwortete am 8. April3): „Dem Gesandten ist alles, was Sie mir angedeutet, ge- schrieben worden, aber mit der Weisung, mit der nöthigen Vorsicht von den Notizen Gebrauch zu machen und sich für Sie zu verwenden, damit die Sache, die sehr delicater Natur ist, nicht schlimmer gemacht werde. Vielleicht glau- ben sie in Rom, Sie könnten jene von ihnen verdammten Meinungen Seiner Hoheit, den Prinzen und der ganzen Stadt mündlich besser darstellen als brieflich. Wie sehr irren sie mit ihren Vermuthungen, da Sie ja davon nicht schreiben und nicht reden !" Der Theologe der Republik Venedig, Micanzio, schrieb 29. April4) über das Benehmen des Inquisitors: „Man muss darüber staunen, dass ein sol- ches Mönchlein sich zum Werkzeuge des Zornes Anderer gegen einen solchen Diener seines Fürsten macht. An einem gewissen andern Orte würde er das nicht thun, oder auf seine Kosten thun." Hugo Grotius schreibt im J. 1635 an Johann Vossius: Galilei's Freunde in Paris hätten ge- meint, er solle fliehen und in Amsterdam eine Zuflucht suchen; Galilei habe aber diesen Vorschlag seines hohen Alters wegen abgelehnt5).

1) 27 bei Alberi, 131 in der 1864 von Arduini veröffentlichten Schrift „La primogenita di Galileo Galilei." Vgl. Rev. des questions hist. 12 (1872), 237.

2) IX, 400. 3) X, 34. 4) X, 42. 5) X, 218. 219.

Verwendungen Castelli's und Peirescs. 389

Von Galilei selbst wurden in den nächsten Jahren der Papst und die Inquisition nicht weiter mit Begnadigungsge- suchen „belästigte Aber Andere verwendeten sich für ihn.

Castelli benutzte jede Gelegenheit , sich für seinen alten Lehrer zu bemühen. Bei dem Papste selbst konnte er freilich nichts für ihn thuen; er hatte im Frühjahr 1635 zum ersten Male wieder seit drei Jahren Audienz, wurde freundlich aufgenommen 1), scheint aber nie wieder in Gunst gekommen zu sein. Dagegen fand er Gelegenheit, bei dem Cardinal Antonio Barberino für Galilei ein gutes Wort ein- zulegen2), und auch sonst bemühte er sich, wie wir sehen werden, vielfach in dessen Interesse; er bemerkt aber in seinen Briefen an Galilei wiederholt, er müsse eine günstige Zeit abwarten, um die Sache nicht schlimmer zu machen.

Ein warmer Fürsprecher Galilei's war Nicolas Claude Fabri (Fabrice) de Peiresc, Parlamentsrath zu Aix, den Bayle Procureur gener al des sctences nennt. Er stammte aus einer toscanischen Familie und war in Padua Galilei's Zuhörer gewesen. Er stand, wie mit Galilei, so auch mit dem Cardinal Francesco Barberini in Correspondenz und benutzte dieses, sich in den Jahren 1634 37, er starb 24. Juni 1637, wiederholt und warm für seinen alten Lehrer zu verwenden3). Er könne, schrieb er diesem einmal, „reden, wo Andere stumm seien", weil er von Rom für sich nichts zu fürchten und nichts zu wünschen habe. So schrieb er denn dem Cardinal u. a. am 5. Dec. 1634: „Ich bitte Euere Eminenz, etwas zum Tröste eines guten sieben- zigj ährigen und kränklichen Greises thun zu wollen, dessen Andenken in der Zukunft nicht leicht erlöschen wird. Sollte er auch in irgend einem Satze geirrt haben, wie denn Irren menschlich ist, so hat er ja doch nicht hart- näckig seine Meinung festgehalten, vielmehr, den ihm er- theilten Weisungen entsprechend, die entgegengesetzte Mei- nung unterschrieben; er sollte also nicht so strenge behan-

1) x, 99. 2) x, 149. 161. 325. 328.

3) Vgl. das Capitel // Galilei, il Peiresc e il Card. Franc. Barberini bei Pieralisi p. 301, wo die betreffenden Briefe vollständiger und genauer, auch richtiger datirt als bei Alberi abgedruckt sind. Bei den Exequien, die für Peiresc in Rom gehalten wurden, hielt ein Franzose Namens Bussiard eine Leichenrede, in welcher er auch Galilei's Verdienste erwähnte, und zwar in Ausdrücken, die Castelli's Staunen erregten. VII, 178; X, 255.

39° Verwendungen Peirescs.

delt werden, wie es dem Vernehmen nach geschieht, . . . Die Nachwelt wird ihm wohl immer dankbar sein für die wunderbaren Entdeckungen, die er mit seinen Fernrohren und mit seinem scharfblickenden Geiste am Himmel ge- macht hat. Tertullian, Origenes und so viele andere Väter, welche aus Einfalt oder einem andern Grunde in einen Irr- thum gefallen sind, geniessen dennoch bei der h. Kirche als einer guten Mutter grosse Verehrung wegen ihrer an- deren religiösen Gedanken und der Kundgebungen ihrer

Frömmigkeit und ihres Eifers für den Dienst Gottes

So werden es, scheint mir, die kommenden Jahrhunderte auffallend finden können, wenn nach dem Widerruf einer Meinung, die noch nicht öffentlich unbedingt verboten und nur als problematisch vorgetragen worden war, ein armer sieb enzigj ähriger Greis so strenge behandelt und öffent- lich oder insgeheim so in Haft gehalten wird, dass ihm nicht gestattet ist, in seine Vaterstadt und in sein Haus zurückzukehren und die Besuche und Tröstungen von Freun- den zu empfangen, trotz der Leiden, die von dem Alter so gut wie unzertrennlich sind, und bei denen er fast bestän- dig der Hülfe bedürftig ist, und zwar bei plötzlichen Zu- fällen einer solchen Hülfe, welche nicht die Verzögerung zu- lässt, die durch die Entfernung von der Stadt veranlasst wird- . Sollten nicht die merkwürdigsten Entdeckungen, die seit so vielen Jahrhunderten gemacht worden sind, ihm Verzeihung verschaffen dürfen für einen problematischen Scherz, bei dem er niemals das als seine eigene Absicht mit Bestimmtheit vorgetragen hat. was missbilligt worden ist? In der That wird man das überall sehr hart finden, und in der Zukunft noch mehr als in der Gegenwart. . . Es wird das ein Flecken sein für den Glanz und Ruhm die- ses Pontificates, wenn Euere Eminenz sich nicht entschliesst, ihm einigen Schutz und einige besondere Fürsorge ange- deihen zu lassen. Darum bitte und beschwöre ich Euere Eminenz demüthigst und so inständig und dringlich, wie mir nur Ihnen gegenüber erlaubt ist. Ich bitte, mir diese vielleicht zu grosse Freimüthigkeit zu verzeihen; aber es muss doch zu Zeiten Ihren treuen Dienern gestattet sein, Ihnen in dieser Weise ihre Treue zu beweisen, da, wie ich glaube, die Anderen, welche Sie umgeben, nicht den Muth haben, so die Gedanken kundzugeben, die sie im Herzen

Verwendungen des Grafen Noailles. 391

haben, und die die Ehre Euerer Eminenz viel näher an- gehen, als vielleicht Manche glauben."

Der Cardinal antwortete am 2. Jan. 1635, während er auf andere Punkte des Briefes von Peiresc ausführlich ein- ging, auf diese Bitte nur: „Ich werde nicht unterlassen, unserm Herrn mitzutheilen, was Sie mir über den Herrn Galilei geschrieben haben; Sie werden mich aber entschul- digen, wenn ich diesen Punkt nicht ausführlicher beant- worte, da ich einer, wenn auch der letzte, von den Car- dinälen bin, die zum h. Officium gehören.4 ' Peiresc schrieb darauf am 31. Jan. 1635: . . . „Was Euere Eminenz bei Seiner Heiligkeit für den ehrwürdigen Greis Galilei thuen werden, dafür werde ich Ihnen nicht minder dankbar sein, als hätten Sie es für meinen seligen Vater gethan. Ich trage Ihnen nochmals mit der grössten Demuth meine Bitte vor, da mir die Ehre und Reputation dieses Pontificates und der weisen Leitung und Verwaltung Euerer Eminenz viel mehr am Herzen liegt als die Erhaltung meines Lebens, und da ich überzeugt bin, dass, wie die Verzeihung, die Sie seiner aus menschlicher Schwachheit begangenen Sünde angedeihen lassen, den Wünschen der edelsten Geister unseres Jahrhunderts entsprechen wird, welche über die Strenge und Verlängerung" seiner Bestrafung ein so grosses Mitleid empfinden, so das Gegentheil Gefahr laufen würde, dereinst mit der Verfolgung der Person und der Weisheit des Sokrates in seinem Vaterlande verglichen zu werden, welche von den anderen Völkern und von den Nachkommen der Verfolger selbst so sehr getadelt wird."

Auch der Graf Franz de Noailles, der in Padua Gali- lei's Zuhörer gewesen und 1634— 1636 französischer Gesand- ter in Rom war, bemühte sich für seinen alten Lehrer1). Am 9. Dec. 1634 schrieb Castelli an Galilei, er habe im Einverständniss mit Niccolini Noailles gebeten, sich bei dem Cardinal Barberini für ihn zu verwenden. Vorerst glaubte Noailles sich darauf beschränken zu müssen, im Gespräch mit dem Papste und mit dem Cardinal Galilei sehr zu loben2). Anfangs August 1636 theilte er dem Cardinal An- tonio Barberini einen wahrscheinlich zu dem Zwecke

1) Wolynski, Franc, de Noailles e G. Galilei, in der Riv. Eur. 1877, III, 688. 2) X, 64. 65. 103. 149. 161; s. o. S. 232.

Verwendungen l igs von Polen.

geschriebenen Brief Galilei's mit und wollte ihm densel- ben in Händen lassen, damit er ihn (dem Pap> igen könne. Der Cardinal wollte den Brief aber nicht behalten und sagte, es sei dem Papst eingeredet worden. dt>r Ge- sandte sei zu seinen Schritten im Interesse GaKKePs von Castelli beredet worden. Bei seiner Abschieds- Audienz am 8. Aug. 1636 verwendete sich Noailles aber nochmals sehr warm für Galilei, und der Papst versprach endlich, die Sache in einer Sitzung der Inquisition zur Sprache zu brin- gen. Der Cardinal Antonio Barberini versprach seiner- seits, die anderen Cardinale der Inquisition zu gewinnen1). Es geschah aber in der nächsten Zeit nichts zu Gunsten GalileTs; nur erhielt er von der Inquisition die Erlaubniss, sich von seiner Villa im Oct 1636 für einige Stunden nach dem nahen Poggibonsi zu begeben, um dort mit Xoailles auf dessen Rückreise nach Frankreich zusammenzutreffen1).

Auch der König Ladislaus IV. von Polen interessirte sich für Galilei und suchte im J. 1636 durch seine Agenten seine Begnadigung zu erwirken, sich auch zu dem Ende mit dem Grossherzog von Toscana zu verstandigen. Dieser stand aber eben damals mit Urban VIII. nicht auf gutem Fusse, da er die Abberufung des Inquisitors zu Florenz, der sich Willkürlichkeiten hatte zu Schulden kommen las- sen, nicht erlangen konnte3).

Alle diese Verwendungen blieben erfolglos. Mit Rücksicht auf die -vergeblichen Bemühungen des Grafen de Xoailles schreibt am 3. Febr. 1637 Roberto Galilei von Lyon4): ..Man muss sagen, Ihre Feinde sind eher Teufel als Menschen; Anderen predigen sie Versöhnlichkeit, und selbst üben sie Rache; man darf annehmen, wenn sie noch Schlimmeres ihnen konnten, würden sie es nicht unter- lassen.'*

Im Juni 1637 schrieb Galilei wieder an Castelli; der Brief ist nicht erhalten, und wir wissen nicht, welche spe- öefle Bitte er enthielt. Aber Castelli antwortet: Der Brief habe ihn zu vielen Thränen gerührt; aber er und Niccolmi

1) X. 16«. a) X, 169, 171. 17a.

3) X, hol 129. 152. 177. 184; vgL A. Wolrmski, Rduk» di G.

DU* Potaöa, m Aidft stak» S. 3, IL 16, p. «H- 251 C 27a *J X, 1S7.

.1« erblindet. V:

glaubten, es würde nicht gut sein, wer. orch-

aus berechtigte Bitte vortrügen; eher könne e haben, wenn man den Inquisitor zu Florenz bestimmen konnte, die Sache, wo möglich in denselben Worten, v bringen; er wolle dann zu mit dem Cardi-

nal Scaglia und Anderen reden 2j. Im September versprach auch der Grossherzog Galilei bei einem Besuche, „unter der Hand" einen neuen Versuch zu machen, seine Begna- digung zu erwirk er.. Ob wirklich etwas geschah, ist nicht bekannt.

Galilei 's körperlicher Zustand wurde immer trauriger; im Dec. 1637 war er ganz erblindet*). In einem Brief an Elia Diodati vom 2. Jan. 1638*) gibt er dem Schmerze über den Verlust des Augenlichtes in einer Weise Ausdruck, die ihm von Seiten derjenigen, welche sich die Darstellung seiner Charakterfehler zur Hauptaufgabe gemacht4), den Vorwurf des Mangels an Bescheidenheit zugezogen: ^Sie fragen nach dem Stande meiner Gesundheit: meine körper- lichen Kräfte haben sich ziemlich wieder gehoben; aber ach, mein Herr, Ihr lieber Freund und Diener Galileo ist seit einem Monate unheilbar und ganz blind, so dass jener Himmel, jene Weh und jenes Universum, welches ich durch meine wunderbaren Beobachtungen und überzeugenden Be- weise um das Hundert« und Tausendfache über den Um-

: X. z'.l. Mal aneseai Bnefie idtidkie Gatfefl^ mmGaMmnxm tHmttm, tamm floate, im ~r Act kok ifim Ecntiaalane pradanrawa, aal Is Biv.t. il-.z r. :-: *- = :->:-: :: :--!■=- Z-^.\~ -t .-.:- -.-.>_: i!-

2) Schoa im Jan. 1637 klagt Galilei aber eia Aagealeidea (¥11, 145. I4S; X, 189. 190. 197). La Jani 1

seine eigenen Briefe dictirea (¥11, 161). Iai JaK war er Ange ganz erblindet, wänread das Unke leidend war iVIL 1S01- Ln I>ec 1637 erblindete er roKig (¥H, 205. 207; X, 256). Eia Fremd am Rom

274. 291. 302. 303. 323*. Bomcompzgmk, BaDetiao XI (Rom 1*7*% 615. IL

394 Verhandlungen über die Rückkehr nach Florenz.

fang hinaus erweitert habe, den die Weisen aller früheren Jahrhunderte gewöhnlich annahmen, jetzt für mich so klein und enge geworden, dass es nicht grösser ;st als der Raum, den meine Person einnimmt."

Eben als Galilei ganz erblindet war, erhielt er in einem Briefe Castelli's vom 12. Dec. 1637 l) folgende Mittheilung: „Vor einigen Tagen äusserte ich im Gespräche mit einem hochgestellten, intelligenten und in den Geschäften erfahre- nen Manne mein Bedauern, dass Ihnen verboten sei, in Ihrer üblen Lage zu der barmherzigen Liebe der h. Kirche Ihre Zuflucht zu nehmen. Er antwortete: das könne nicht sein; jenes Verbot sei nur zu verstehen von Eingaben durch die Vermittlung von einflussreichen Fürsprechern (del ricor- rere per via di favori); Sie hätten also Ihr Anliegen in den ehrfurchtsvollen Ausdrücken, deren Sie sich immer bedient haben, der h. Congregation des h. Officiums vortragen können, indem Sie in aller Demuth Ihre Lage darstellten und um jene Hülfe bäten, die der Weisheit der Oberen geeignet schiene für das Heil Ihrer Seele und zur Linde- rung Ihrer grossen Noth. Ich meine, Sie sollten diesen Rath befolgen und in dieser Weise schreiben." Galilei schickte diesen Brief an einen Beamten am grossherzog- lichen Hofe, Benedetto Guerrini2), und der Grossherzog Hess ihm rathen, eine Petition an Castelli zu schicken, da- mit dieser sie zur geeigneten Zeit überreiche3). Castelli sprach noch einmal mit demjenigen, der ihm den Rath er- theilt hatte, über die Fassung der Bittschrift und schickte am 9. Jan. 1638 das Concept derselben an Galilei, mit dem Rathe, sie mit einem ärztlichen Zeugnisse direct an den Assessor des h. Officiums einzusenden4). Die Petition lautet: „Galileo Galilei, der demüthigste Diener Euerer Eminen- zen, trägt ehrfurchtsvoll vor, dass er seit vier Jahren auf Befehl der h. Congregation ausserhalb Florenz internirt (sequestrato) ist und dass er nach einer langen lebensge- fahrlichen Krankheit das Gesicht verloren hat, wie aus den beiliegenden Zeugnissen der Aerzte hervorgeht. Da er nun der ärztlichen Hülfe dringend bedarf, so wendet er sich an die Gnade Euerer Eminenzen mit der Bitte, ihm in

1) X, 248. 2) VII, 204.

3) X, 249. 4) X, 251. 254. 262.

Verhandlungen über die Rückkehr nach Florenz. 395

diesem traurigen Zustande und in seinem hohen Alter die Gnade der Freilassung angedeihen zu lassen."

Die Bittschrift wurde in der Sitzung der Inquisition vom 4. Febr. 1638 vorgelegt und zunächst beschlossen, den Inquisitor zu Florenz zu einem Berichte über Galilei's Ge- sundheitszustand und zu einer Aeusserung darüber aufzu- fordern, ob seine Rückkehr nach Florenz zu Zusammen- künften und Gesprächen Anlass geben könne, in welchen seine verdammte Meinung von der Bewegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne wieder aufgefrischt werden könnte1). Der Inquisitor berichtete am 13. Febr.2) Folgen- des: „Um dem Befehle Seiner Heiligkeit vollständiger zu entsprechen, bin ich selbst unangemeldet mit einem mir bekannten fremden Arzte nach Galilei's Villa zu Arcetri gegangen, um mich über seinen Zustand zu informiren. Ich glaubte, dieses thun zu müssen nicht so sehr darum, um über die Beschaffenheit seiner Leiden berichten zu können, sondern darum, um zu sehen, mit welchen Studien er sieh beschäftigt und wie er lebt, um so beurtheilen zu können, ob er, wenn er nach Florenz käme, durch Zusammenkünfte und Gespräche seine verdammte Meinung von der Bewe- gung der Erde verbreiten könnte. Ich habe ihn völlig des Augenlichtes beraubt, in der That blind gefunden, und wenn er auch selbst meint, er könne noch geheilt werden, da sich erst seit sechs Monaten der Staar auf den Augen gebildet hat, so hält doch der Arzt, bei einem Alter von 70 Jahren, das Uebel für so gut wie unheilbar. Ausserdem

1) Gherardi No. XXIII, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 429. In den Vaticanischen Acten findet sich über diese Verhandlungen nichts, wahr- scheinlich, weil diese Correspondenz mit dem Inquisitor zu Florenz nicht von dem Secretär der Inquisition, sondern von dem Cardinal Francesco Barberini geführt wurde. Es fehlen in den Vaticanischen Acten auch andere den Gherardi'schen Actenstücken aus der Zeit nach 1634 entsprechende Notizen. Dass aber gerade die Aufzeichnungen fehlen, „durch die Galilei's moralische Misshandlung bis an sein Ende constatirt wird" (Wohlwill S. 106), ist etwas zu viel gesagt; eine der schlimmsten Notizen der Art, die vom 23. Mai 1634 (s. o. S. 387), fehlt wenigstens nicht.

2) Der Bericht ist von Alberi X, 280 aus dem Archiv der Inquisition zu Florenz herausgegeben. Inquisitor war jetzt nicht mehr P. Clemens, der den Bericht vom I. April 1634 (s. o. S. 387) geschickt hatte, sondern P. Giovanni Muzzarelli da Fanano. Das hat Gebier übersehen, wenn er S. 349 sagt; „Der Inquisitor widerspricht selbst seinem Rapport vom 1. April 163^",

396 Erlaubniss zur Rückkehr nach Florenz.

hat er einen schlimmen Bruch, empfindet beständig Schmer- zen und leidet, wie er selbst sagt und seine Hausgenossen berichten, an einer solchen Schlaflosigkeit, dass er in 24 Stunden nie eine ganze Stunde schläft. Er ist auch im Uebrigen so elend, dass er mehr einem Leichnam als einem lebendigen Menschen gleicht. Die Villa liegt weit von der Stadt entfernt und ist nicht bequem zu erreichen, so dass er nur selten, nicht ohne Schwierigkeit und nur mit vielen Kosten ärztliche Hülfe erlangen kann. Seine Studien sind in Folge seiner Erblindung unterbrochen, wiewohl er sich zu Zeiten etwas vorlesen lässt. Er hat nicht viel Verkehr, weil er bei seinen schlechten Gesundheitsumständen gewöhnlich nichts anderes thun kann als über sein Unglück klagen und mit denjenigen, die ihn zu Zeiten besuchen, über seine Leiden sprechen. Ich glaube darum auch in dieser Bezie- hung, wenn Seine Heiligkeit in seiner unendlichen Barm- herzigkeit ihm erlauben wollte, in Florenz zu wohnen, so hätte er keine Gelegenheit, Versammlungen zu halten, und wenn er sie hätte, so ist er so mürbe geworden, dass, um sich dessen zu versichern, wohl eine gute Ermahnung ge- nügen würde, um ihn im Zügel zu halten. "

Am 25. Febr. 1638 beschloss darauf die Inquisition, Ga- lilei zu erlauben, in seinem Hause zu Florenz zu wohnen, um sich ärztlich behandeln zu lassen, jedoch unter der Be- dingung, dass er nicht in die Stadt gehe und auch in seinem Hause keine öffentlichen oder geheimen Unterredungen über seine frühere verdammte Meinung von der Bewegung der Erde zulasse; der Inquisitor solle ihm unter Androhung der schwersten Strafen verbieten, über dergleichen Dinge mit irgend Jemand zu reden, und ihn überwachen lassen1). Am 6. März theilte der Cardinal Barberini dieses dem Inquisitor zu Florenz mit2). An demselben Tage schrieb Castelli an Galilei3), der Assessor des h. Officiums habe ihm erzählt, dass dieser Brief abgehen werde, und beigefügt, Galilei müsse sich vor Gesprächen und Zusammenkünften u. s. w. hüten. „Ich habe ihm versichert, schreibt Castelli weiter, Sie sprächen nie über verdächtige oder verbotene Dinge und fügten sich in diesem und in allen anderen Punkten

1) Gherardi No. XXIV, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 429.

2) Wolynski p. 27. 3) X, 285.

Erlaubniss zur Rückkehr nach Florenz. 397

gewissenhaft dem Willen Gottes und der Oberen; dafür wolle ich mich mit meinem Leben verbürgen. Ich schreibe Ihnen dies, nicht als ob ich daran zweifelte, dass Sie auf das pünktlichste gehorchen, sondern damit Sie sich mög- lichst vor Verleumdungen hüten."

Am 9. März schrieb darauf der Inquisitor an Galilei1): „Seine Heiligkeit hat geruht, Ihnen zu erlauben, von Ihrer Villa in Ihr Haus in Florenz überzusiedeln, um sich ärztlich behandeln zu lassen. Sie müssen jedoch, wenn Sie in die Stadt kommen, gerades Weges hierher in das h. Officium kommen oder sich bringen lassen, um von mir zu verneh- men, was ich Ihnen weiter zu eröffnen und vorzuschreiben habe." Am folgenden Tage berichtete der Inquisitor an den Cardinal Barberini2): ,,Ich habe Galilei von der ihm ertheilten Erlaubniss ... in Kenntniss gesetzt. Zugleich habe ich ihm bei Strafe lebenslänglicher förmlicher Haft und der Seiner Heiligkeit vorbehaltenen Excommunication latae sententiae verboten, in die Stadt zu gehen oder mit irgend Jemand von seiner verdammten Meinung von der Bewegung der Erde zu reden. Er ist durch sein Alter von 70 Jahren, durch seine Blindheit und durch viele andere Krankheiten und Leiden, die ihn quälen, so niedergedrückt, dass man wohl annehmen darf, er werde, wie er versprochen, den ihm ertheilten Befehl nicht übertreten. Zudem liegt sein Haus in einem der abgelegensten Theile der Stadt. Auch hat er einen sehr wohlgesitteten und gutgesinnten Sohn, der beständig bei ihm ist, und dieser ist von mir ange- wiesen worden, in keiner Weise verdächtige Personen mit seinem Vater reden zu lassen und dafür zu sorgen, dass die- jenigen, welche ihn besuchen, sich bald wieder entfernen. Ich bin überzeugt, er wird wachsam und gehorsam sein; denn wie er sich sehr dankbar gegen unsern Herrn und Euere Eminenz ausspricht für die seinem Vater ertheilte Erlaubniss, der ärztlichen Behandlung wegen in der »Stadt zu wohnen, so fürchtet er, dass er um der gering*sten Sache wegen zurückberufen werden möge. Es liegt auch sehr in seinem Interesse, dass der Vater sich in Acht nehme und noch lange lebe, da mit seinem Tode tausend Scudi ver- loren gehen, die ihm der Grossherzog jährlich gibt. Bei alle

[) X, 286. 2) X, 287.

398 Erlaubniss zur Rückkehr nach Florenz.

dem werde ich pflichtmässig darüber wachen, dass alles aus- geführt werde, was von Seiner Heiligkeit und Euerer Emi- nenz angeordnet ist. Ich füge noch bei, dass Galilei drin- gend bittet, es möge ihm gestattet werden, an den Fest- tagen, falls es ihm seine Leiden gestatten, sich in eine kleine, zwanzig Schritte von seinem Hause entfernte Kirche tragen zu lassen, um dort die Messe zu hören/'

Die Inquisition beschloss am 29. März, den Inquisitor zu ermächtigen, nach seinem Gutdünken Galilei den Besuch der Kirche zu gestatten, „vorausgesetzt, dass kein Zusam- menlauf von Leuten stattfinde" *). Schon am 28. hatte aber der Inquisitor Galilei erlaubt, an den drei letzten Tagen der Charwoche und am Ostertage in seine Pfarrkirche oder in eine andere Kirche in der Nähe seines Hauses zu gehen, um zu beichten, zu communiciren und sonstige Andachts- übungen vorzunehmen, oder, wenn er das vorziehe, auf seiner Villa zu bleiben2). Bezüglich des Verbotes der Besuche wandte sich Galilei nochmals an Castelli; dieser schrieb ihm am 27. März3), nach der Erklärung des Assessors des h. Officiums sei das Verbot nur dahin zu verstehen, dass ,,kein Anlass geboten werden dürfe, von der Bewegung der Erde u. s. w. zu reden".

Aus mehreren Briefen geht hervor, dass Galilei seit dem 10. März 1638 sich nicht immer in Florenz, sondern zeitweilig wieder auf seiner Villa aufhielt4). Seit dem Jan. 1639 sind alle Briefe von Arcetri datirt. Die Erlaubniss, nach Florenz überzusiedeln, war allerdings nur zu dem Zwecke der ärztlichen Behandlung, aber nicht für eine be- stimmte Zeit ertheilt, und es findet sich nirgendwo erwähnt, dass sie zurückgenommen worden sei. Galilei scheint also später selbst den Aufenthalt in Arcetri vorgezogen zu haben.

i) Gherardi Nq, XXV, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 430: proviso ne habeat\ur\ concursus personarum. In dem betreffenden Schreiben des Card. Barberini vom 3. April (bei Wolynski p. 27) heisst es: „Ihre Eminen- zen wünschen, dass es zu geeigneten Stunden und mit wenig Apparat und Begleitung geschehe." Dass „der Inquisitor den Auftrag erhalten, wohl dar- auf zu achten, dass Niemand in jenes Gotteshaus zugelassen werde, so lange Galilei darin seine Andacht verrichte", und dass darum „für Galilei eine eigene Messe gehalten wurde, bei der Niemand zugegen sein durfte" (Geb- ier, D. Rundschau 1878, IV, 70), ist jedenfalls eine Uebertreibung.

2) X, 292. 3) X, 290. 4) X, 292; VII, 211. 214. 217.

Verhandlungen mit den Generalstaaten. 399

Galilei correspondirte in den Jahren 1636—38 vielfach mit den holländischen Generalstaaten über die Methode der Längenmessung auf dem Meere1). Im Sommer 1638 sollte Martin Hortensius, Professor der Mathematik zu Amster- dam, nach Florenz kommen, um mit Galilei persönlich dar- über zu sprechen2). Der Inquisitor hörte davon und be- richtete unter dem 26. Juni nach Rom3): ,,Ich habe erfahren, dass hier in Kurzem aus Deutschland ein vornehmer Herr erwartet wird, welcher von den freien Städten der Nieder- lande mit werthvollen Geschenken an Galilei abgesandt ist. Durch eingezogene Erkundigungen habe ich entdeckt, dass dieser jenen vor vielen Jahren mitgetheilt hat, er könne ein Instrument machen, mit welchem man die Schifffahrt durch die Länge von Westen nach Osten erleichtern könne [sie], dass jene beschlossen haben, Jemand hierher zu schicken, um sich vollständig darüber zu unterrichten, und dass dieser Abgesandte von dem Grossherzog empfangen werden und Wohnung erhalten wird. Ich habe unter den gegenwärtigen schwierigen Verhältnissen für gut gehalten, nichts anderes zu thun als Galilei zu rathen, er möge, wenn es möglich sei, den besagten Herrn nicht empfangen, oder wenn er ihn, wie zu vermuthen ist, auf Befehl Seiner Hoheit empfange, möge er sich davor hüten, in irgend einer Weise von dem zu reden, was ihm verboten ist. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, dieses mitzutheilen, um Euere Eminenz von dem, was vor sich geht, in Kenntniss zu setzen und um von Ihnen Weisungen zu erhalten, falls Sie mir solche zu geben für gut halten."

Die Inquisition beschloss in der Sitzung vom 13. Juli4), dem Inquisitor zu antworten: wenn der betreffende Herr ein Ketzer oder von einer ketzerischen Stadt gesandt sei, solle er Galilei die Annahme seines Besuches förmlich ver- bieten; wenn aber der Herr und die Stadt katholisch sei, solle er die Verhandlung zwischen Beiden nicht hindern,

1) VII, 73—137. 161 189. 197. Pieralisi p. 278.

2) VII, 183. 187; X, 220. 221.

3) Acten S. 178.

4) Gherardi No. XXVI, abgedruckt bei Gebier S. 430. Acten S. 179 (eine nur theilweise leserliche Notiz darüber unter dem Briefe des Inquisitors ist faesimilirt bei Epinois p. 138). Der betreffende Brief des Card. Barberini, vom 19. Juli, ist von Wolynski p. 28 veröffentlicht.

400 Verhandlungen mit den Generalstaaten.

vorausg'esetzt, dass sie nicht über die Bewegung der Erde redeten. Der Cardinal Barberini, der dem Inquisitor diese Weisung mittheilte, fügte bei: wenn das Instrument wirk- lich, was man in Rom nicht recht glaube, eine so werthvolle Erfindung sei, so sei zu hoffen, dass der Grossherzog nicht zulasse, dass sie „einem fremden Volke in die Hände falle und Italien des Ruhmes beraubt werde, sie zuerst benutzt zu haben."

Am 25. Juli berichtete der Inquisitor weiter1): „Der Herr, welcher an Galilei abgesandt war, ist nicht nach Flo- renz gekommen und wird, so viel ich höre, nicht kommen. Ich habe bis jetzt noch nicht erfahren können, ob wegen einer Behinderung auf der Reise oder wegen eines andern Grundes. Aber die Geschenke sind mit Briefen an Galilei in die Hände einiger deutschen Kaufleute hierselbst gelangt. Ein zuverlässiger, mir bekannter Mann, der mit demjenigen, welcher die Geschenke und Briefe in Händen hat, ge- sprochen, sagt, diese seien mit dem Siegel der holländi- schen. Generalstaaten gesiegelt und jene seien in einem Packet, und es seien wahrscheinlich Schmucksachen von Gold und Silber. Galilei hat sich standhaft geweigert, die Briefe und die Geschenke anzunehmen, sei es aus Furcht, er möge sich einer Gefahr aussetzen wegen der Warnung, die ich ihm bezüglich des Herrn, der hierher kommen sollte, ertheilt habe, sei es weil er wirklich die Anweisung über die Längenmessung nicht vollendet hat und nicht vollenden kann, da er ganz blind ist und mehr mit dem Kopfe im Grabe, als mit dem Geiste in mathematischen Studien steckt, und da der Gebrauch des Instrumentes, welches er ausge- dacht, auf viele unüberwindliche Schwierigkeiten stösst. Man sagt hier auch, wenn er die Sache vollendet hätte, würde Seine Hoheit nicht gestattet haben, dass sie Frem- den, Ketzern und Feinden der mit dem grossherzoglichen Hause verbündeten Fürsten in die Hände falle/' Die Inqui- sition beschloss am 5. August2), dem Inquisitor zu antwor- ten: er solle Galilei mittheilen, die Congregation finde es

1) Acten S. 176.

2) Gherardi No. XXVII, abgedruckt bei Gebier S. 431. Acten S. 180. Der betreffende Brief des Card. Barberini, vom 7. Aug., ist von Wolynski p. 28 veröffentlicht.

Verhandlungen mit den Generalstaaten. 40 1

sehr lobenswerth, dass er sich geweigert habe, die Briefe und Geschenke der Generalstaaten anzunehmen.

Etwas mehr erfahren wir über diese Sache aus zwei Briefen Galilei's an Elia Diodati in Paris l). In dem ersten, vom 7. Aug. 1638, berichtet er zunächst, er liege seit einem Monate zu Bette, und fühle sich so schwach, dass er nicht glaube, mit dem Leben davon kommen zu können. Zu seinem Augenleiden seien Kolikschmerzen gekommen; er schlafe höchstens eine Viertelstunde oder eine halbe Stunde gegen Morgen und mitunter eine oder zwei Stunden des Abends u. s. w. ; dazu sei er geistig sehr angegriffen und niedergedrückt. „Vor sechs Tagen, berichtet er weiter, brachten mir die Herren Ebers, deutsche Kaufleute hier- selbst, einen Brief der Generalstaaten und ein Kistchen mit einer Kette2). Sie fanden mich in sehr traurigem Zustande im Bette, und da ich blind bin, öffneten sie den Brief und lasen ihn mir vor; er ist voll Freundlichkeit. Den Brief nahm ich an mich, das Kistchen gab ich ihnen zurück, mit der Bitte, es zu behalten, bis ich den Generalstaaten ge- schrieben und von ihnen Antwort erhalten haben würde. Ich will den Generalstaaten für den Beweis ihres Wohl- wollens danken, aber die Kette für jetzt nicht behalten, aus verschiedenen Gründen, namentlich aber darum, weil in Folge meiner Erblindung und der Zunahme meiner Krank- heit die Verhandlungen unterbrochen sind. . . . Wenn mein Zustand sich fortwährend so verschlechtert, wie es seit drei bis vier Tagen der Fall ist, sq wird es mit dem Dictiren von Briefen wohl zu Ende sein ... Es wäre eine nutzlose Mühe, wenn Herr Hortensius hieher kommen wollte, um mich zu besuchen. Sollte er mich noch lebend finden, was ich nicht glaube, so würde ich doch nicht im Stande sein, ihm den mindestens Dienst zu leisten." Am 14. Aug. schreibt er: „Das Unglück hat es gewollt, dass das h. Offi- cium von meinen Verhandlungen mit den Generalstaaten über die Längenmessung Kunde erhalten hat, was mir grossen Schaden hätte bringen können. Es ist mir darum sehr lieb, dass Sie Herrn Hortensius veranlasst haben, seine Reise aufzugeben. Sein Besuch hätte mir Ungelegen- heiten bereiten können. Es ist freilich richtig, dass aus den

1) vii, 214. 2) Vgl. vil, 135.

Keusch, Galilei. - 20

402 Castelli bei Galilei.

von Ihnen angeführten, durchaus wahren und einleuchten- den Gründen eine solche Verhandlung mir keinen Nachtheil, sondern Ehre und Ruhm bringen sollte, wenn ich ein Mensch wie andere Menschen, d. h. nicht unglücklicher als Andere wäre ; aber viele, viele Erfahrungen haben mich von der Bosheit meines Unglücks überzeugt, so dass ich von der hartnäckigen Perfidie, mit welcher es mich verfolgt, nichts anderes erwarten kann, als dass das, was jedem An- dern Vortheil bringen würde, mir nur Schaden und Nach- theil bringen kann. Ich gebe mich aber zufrieden; denn es wäre eine nutzlose Vermessenheit, dem unabwendbaren Ge- schicke widerstreben zu wollen."

Im Sommer 1639 scheint Galilei Micanzio geschrieben zu haben, er wolle die Kette zurückschicken, auch darum, weil ihm die Annahme eines Geschenkes von einer pro- testantischen Regierung verübelt werden könne. Micanzio widersprach ihm entschieden, und Galilei beschränkte sich darauf, die Generalstaaten zu bitten, sie möchten erwägen, ob er des Geschenkes würdig sei, da er seine Aufgabe nicht zu Ende geführt habe1).

Im Herbst 1638 hatten sich der Papst und die Inqui- sition aufs neue mit Galilei's Sache zu befassen. Die noch wenig beachteten Actenstücke verdienen, weil sie in mehr als einer Hinsicht charakteristisch sind, ihrem Hauptinhalte nach mitgetheilt zu werden.

Ende 1635 beabsichtigte der Grossherzog, Galilei's Schüler Castelli wieder nach Pisa zu berufen2). Castelli lehnte ab, unter anderm auch darum, weil er fürchtete, der Cardinal Francesco Barberini, der Protector seines Or- dens, werde ihn dafür seine Ungnade fühlen lassen. Im Mai 1638 scheint Galilei den "Wunsch geäussert zu haben, Castelli zu sehen. Dieser antwortete 3) : er habe dem Gross- herzog über eine ihm vorgelegte Frage schriftlich berichtet und sich dabei erboten, nach Florenz zu kommen, um die Sache mündlich zu erledigen; er habe noch keine Antwort erhalten; wenn er aufgefordert werde, nach Florenz zu kommen, hoffe er einige Tage bei Galilei sein zu können. Am 9. Sept. 1638 schrieb dann der Minister Cioli an Nicco-

0 X, 355. 373. 376. 2) x, 131. 3) x, 300. 307.

Castelli bei Galilei. 403

lini1): „Galilei befindet sich in Folge seines. Alters und sei- ner körperlichen Leiden in einem solchen Zustande, dass er voraussichtlich bald aus diesem Leben scheiden wird. Wenn nun auch das Andenken an seinen Ruhm und an seine Tüchtigkeit ewig dauern wird, so wünscht doch Seine Hoheit sehr, sein Tod möge für die Welt ein möglichst geringer Verlust sein, und seine Arbeiten möchten nicht verloren gehen, sondern zum allgemeinen Besten zu der Vollendung gebracht werden, die er selbst ihnen nicht mehr wird geben können. Er hat noch viele Dinge, die seiner würdig sind, im Sinne, möchte dieselben aber Niemand mit- theilen als dem Pater Castelli, dem er volles Vertrauen schenkt. Seine Hoheit wünscht also, Euere Excellenz möge den besagten Pater veranlassen, sich die Erlaubniss zu ver- schaffen, zu dem genannten Zwecke, für den sich Seine Hoheit sehr interessirt, für ein paar Monate nach Florenz zu kommen. Wenn er die Erlaubniss erhält, werden Euere Excellenz ihm die Reisekosten vorschiessen." Niccolini ant- wortete am 25. Sept.2): „Castelli hat mir mitgetheilt, er habe Seine Heiligkeit selbst um die Erlaubniss zu der Reise nach Florenz gebeten; der Papst habe den Verdacht ge- äussert, es sei darauf abgesehen, dass er sich mit Galilei unterhalten solle; er habe gesagt, wenn er nach Florenz komme, müsse er auch Galilei sprechen, und habe dann die Antwort erhalten, das solle ihm erlaubt werden, aber nur in Gegenwart eines Andern. Ich habe ihm 50 Scudi auszahlen lassen."

Castelli reiste alsbald ab. Am 2. Oct. schrieb er von Florenz aus an den Cardinal Francesco Barberini3): „Ich habe heute Ihren Hoheiten meine Aufwartung gemacht. Ich wurde sehr gnädig aufgenommen; aber ich habe sogleich gefunden, dass der pünktliche Gehorsam gegen Euere Eminenz und den Befehl unseres Herrn auf eine kleine Schwierigkeit stösst, bin jedoch fest entschlossen, pünktlich zu gehorchen, und will lieber mein Leben lassen als unge- horsam sein. Es handelt sich um Folgendes: Da der Gross- herzog sieht, dass Galilei immer mehr abnimmt und nicht lange mehr leben kann, wirkt er darauf hin, dass er sich auf die letzte Reise vorbereite, um sie als Christ und mit

1) X, 313. 2) X, 314. 3) Pieralisi p. 291.

404 Castelli bei Galilei.

pflichtmässiger Andacht anzutreten. Seine Hoheit hat ihn nicht nur selbst mit grosser Frömmigkeit und Liebe er- mahnt, seine Tage in ehrenhafter Weise - zu beschliessen, sondern auch durch andere Mittel so auf ihn eing-ewirkt, dass er ganz ergeben ist in den Willen Gottes und sich mit Andachtsübungen und heiligen Gedanken beschäftigt. Wie- wohl ich nun dazu durchaus ungeeignet bin, wünscht doch Seine Hoheit, auch ich möge dazu mitwirken, als derjenige, dem Herr Galilei stets besonderes Vertrauen geschenkt hat. Darum bitte ich Euere Eminenz um der Liebe Gottes willen, mir doch von unserm Herrn eine ausgedehntere Erlaubniss zum Besuche des armen Greises erwirken zu wollen. Ich verspreche, mit ihm von nichts zu reden als von Dingen, die sein Seelenheil betreffen, und höchstens noch von Einem andern Punkte, welcher gar nicht zu den streitigen oder von der h. Kirche verdammten Dingen gehört. Wenn E. E. mir diese Erlaubniss ertheilt und verschafft, so werde ich sie genau so benutzen, wie ich versprochen habe; wenn sie mir aus höheren Rücksichten nicht ertheilt wird, so schwöre ich, dass ich lieber das Leben lassen als unge- horsam sein will." Castelli erzählt dann, als Beweis für ,,die Ehrfurcht und Achtung Galilei's vor der h. Römischen Kirche", die Ablehnung der goldenen Kette, „eine wahrhaft ehrenhafte und fromme und seiner würdige Handlung", und schliesst: „Der Abt des hiesigen Klosters wird mich gern, entsprechend dem Befehle Euerer Eminenz, die drei Male, die ich Erlaubniss habe, Galilei zu besuchen, beglei- ten; aber wenn unser Herr in seiner väterlichen Liebe mir die Erlaubniss erweitert, so bitte ich, da der Pater Abt durch die Leitung des Klosters in Anspruch genommen ist, zu gestatten, dass er mir einen andern Begleiter anweisen dürfe, so dass ich in dessen Gegenwart, und nicht anders, das thun dürfte, was Gott mir eingeben wird." Am 9. Oct. schrieb Castelli wieder an den Cardinal: „Zu dem, was ich Euerer Eminenz mit der letzten Post geschrieben, muss ich nachtragen, dass, da der Prinz Gioan Carlo zum Generalissi- mus zur See ernannt worden ist, der Grossherzog wünscht, Galilei möge mir vollständig die Bewegungen der Medi- ceischen Planeten mit den bezüglichen Tafeln und Be- rechnungen mittheilen behufs der Längenmessung, was, wie E. E. wissen, eine sehr wichtige und wünschens-

Castelli bei Galilei.

405

werthe Sache ist, von der zu fürchten ist, sie möge mit dem Tode Galilei's verloren gehen und begraben werden. Darum muss ich aufs neue E. E. bitten, mir von unserm Herrn die Erlaubniss zu erwirken, mit grösserer Freiheit mit Galilei zu verhandeln. Ich versichere aufs neue, dass ich bei mei- nen Gesprächen stets den Dienst Gottes und das Heil mei- ner Seele und des Nächsten im Auge behalten werde". . . Am 16. Oct. antwortete der Cardinal: „Seine Heiligkeit ge- nehmigt, dass Sie jene Person so oft besuchen, als Ihnen gut scheint, um mit ihr von Dingen zu reden, die ihr Seelen- heil betreffen, aber nicht von einem andern Punkte, um Ihre eigenen Worte zu gebrauchen, der gar nicht zu den streitigen oder von der h. Kirche verdammten Dingen ge- hört. Vielleicht hat diese Beschränkung in meinem unge- nauen Berichte und nicht in den Worten Ihres Briefes ihren Grund; aber mag ich Sie nicht recht verstehen oder mögen Sie sich nicht deutlich ausgedrückt haben, der Befehl lau- tet, wie ich .gesagt habe. Seine Heiligkeit genehmigt ferner, dass Sie sich einen Begleiter geben lassen, den der Pater Abt für geeignet hält, im Falle er selbst nicht mitgehen kann, bei Ihren Gesprächen zugegen zu sein. Alles dieses wird Ihnen bewilligt mit Rücksicht auf Ihre bekannte Frömmigkeit und in der Voraussetzung, dass Sie die Er- laubniss in der Weise benutzen werden, wie Sie versprochen haben."

An demselben Tage, 16. Oct., schrieb Castelli einen dritten Brief, um seine Bittein Erinnerung zu bringen; er versichert diesmal: „immer loquar de testimoniis Dei et non confundar". Am 25. Oct. schrieb er zum vierten Male1): „Ich muss Euere Eminenz demüthig um Verzeihung bitten, wenn ich zudringlich erscheine mit der Wiederholung meiner Bitte, mir um der Liebe Gottes willen eine ausgedehntere Erlaubniss zu verschaffen, Galilei zu besuchen, um Ihren Hoheiten dienen zu können. Seien Sie versichert, dass ich von Dingen, welche zu den von der h. Kirche verbotenen gehören, gar nicht reden und lieber mein Leben lassen als ungehorsam sein werde. Ich fühle mich verpflichtet, den

1) Dieses ist der einzige Brief, der sich bei den Processaclen (S. 175. 181) befindet; die anderen hat Pieralisi a. a. O. veröffentlicht.

406 Castelli bei Galilei.

hiesigen Fürsten mich dienstwillig zu zeigen, da ich berufen worden bin in Angelegenheiten, welche sehr ehrenvoll und wichtig und auch für den Dienst Gottes nützlich sind, und ich kann mich dem nicht entziehen." Er^ wiederholt, was er über den Prinzen Gioan Carlo und die Längenmessung geschrieben, und schliesst: ,,Ich bitte also in aller Demuth um Ihre Vermittlung, damit der Prinz diesen Schatz mit nach Spanien nehmen und E. E. mit Ihrer Autorität einen Antheil haben könne an einem so ehrenvollen Werke, indem einer Ihrer Diener daran mitwirkt, und damit nicht Andere mir diese Ehre wegnehmen. Morgen werde ich gemäss der mir ertheilten Erlaubniss Galilei zum zweiten Male besuchen und nichts anderes mit ihm reden, als was ich aus christli- cher Liebe reden muss."

Am 28. Oct. schrieb Castelli: er habe die vom 16. da- tirte Antwort auf seinen ersten Brief erhalten, warte aber noch auf Antwort auf die späteren Briefe. Diese ertheilte der Cardinal in einem Briefe vom 30. Oct.: „Seine Heilig- keit genehmigt, dass Sie über die Bewegungen der Medi- ceischen Planeten mit den bezüglichen Tafeln und Berech- nungen behufs der Längenmessung reden dürfen, da es der Wunsch Seiner Heiligkeit und der h. Congregation ist, dass, wenn sich etwas für die Schifffahrt Nützliches festsetzen lässt, dieses durch einen katholischen Fürsten geschehen möge. Demgemäss haben Sie also die Erlaubniss. Ich bin überzeugt, dass Sie andere Gespräche vermeiden werden, namentlich solche, die dem Willen der h. Congregation zu- wider laufen würden."

Am 25. Nov. beschloss die Inquisition, mit Rücksicht auf Castelli's Brief vom 2$. Oct., den Inquisitor zu Florenz zu ermächtigen, Castelli den öfteren Besuch Galilei's zu ge- statten, ,,im Interesse von dessen Seelenheil und um sich über die Perioden der Mediceischen Planeten u. s. w. zu unterrichten"; er solle ihm aber zugleich befehlen, von der durch die Inquisition verdammten Meinung von der Bewe- gung der Erde nicht zu reden, bei Strafe der Excommuni- cation latae sententtae, der er ohne weitere Declaration verfallen würde; die Lossprechung von dieser Excommuni- cation habe Seine Heiligkeit sich selbst vorbehalten und auch der h. Pönitentiarie die Facultät, davon zu absolviren,

Besuche bei Galilei. 407

entzogen1). Der Inquisitor berichtete am 4. Dec. 16382): er habe den Auftrag ausgeführt und Castelli habe ver- sprochen, die ihm ertheilte Weisung genau zu befolgen.

Spätestens im Januar 1639 kehrte Castelli nach Rom zurück3). Im Frühjahr 1640 bot ihm der Grossherzog aufs neue die Professur in Pisa an; Galilei wünschte sehr, er möge den Ruf annehmen. Castelli wünschte selbst, seine Lebenstage in Florenz beschliessen zu können, er war jetzt ein Siebenziger, lehnte aber den Ruf auch jetzt ab, und zwar wieder mit aus dem Grunde, weil der Protector sei- nes Ordens, der Cardinal Francesco, ihn „ruiniren" und ihm nicht nur verbieten könne, Vorlesungen zu halten, sondern auch jemals nach Florenz zu gehen, um Galilei zu spre- chen4). Im October und November 1641, also einige Mo- nate vor Galilei's Tode, war übrigens Castelli längere Zeit bei ihm, wie es scheint, jetzt, ohne die Inquisition um Erlaubniss gefragt zu haben.

Urban VIII. zeigte sich auch im J. 1639 noch wenig geneigt, Galilei weitere Strafmilderungen zu bewilligen. Ueber eine Sitzung der Inquisition vom 27. April 1639 findet sich notirt5): „Es wurde eine Bittschrift von Galilei vorge- lesen, welcher um Freiheit bittet. Ihre Eminenzen be- schlossen, die Bittschrift Seiner Heiligkeit vorzulegen", und über die Sitzung vom folgenden Tage: „Es wurde die Bittschrift von Galilei vorgelesen, der um verschiedene Gnaden bittet. Seine Heiligkeit wollte ihm nichts bewilli- gen". Von weiteren Bittgesuchen Galilei's ist in den Acten nicht die Rede. Der nächste Beschluss der Inquisition, den die Acten verzeichnen, bezieht sich auf seine Beerdigung.

Man würde sehr im Irrthum sein, wenn man aus den Verfügungen der Inquisition über den Besuch des Horten- sius und Castelli's bei Galilei schliessen wollte, Freunde und

1) Acten S. 181 (facsimilirt bei Epinois p. 137). Brief des Card. Bar- berini vom 27. Nov. bei Wolynski p. 28.

2) X, 314. Das Schreiben ist hier irrthümlich vom 4. October datirt.

3) X, 325.

4) VII, 316. 335. X, 387. 392. 393.

5) Gherardi No. XXVIII und XXIX, abgedruckt bei Gebier S. 431. In den Vaticanischen Acten findet sich nichts über diese Sitzung, was sich hier daraus erklärt, dass nichts beschlossen war, was durch die Beamten der Inquisition auszuführen gewesen wäre; s. o. S. 332.

408 Besuche bei Galilei.

Fremde hätten überhaupt mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, wenn sie Galilei in Arcetri und Florenz besuchen wollten. Es war ihm nicht verboten, Besuche an- zunehmen, und die Ueberwachung durch den Inquisitor, der er in dieser Beziehung unterworfen war, scheint im allge- meinen nicht strenge gewesen zu sein. Der beabsichtigte Besuch des Hortensius ist der einzige, über den der Inqui- sitor nach Rom berichtet. Von manchen Besuchen mag er nichts erfahren haben ; im allgemeinen scheint er aber auch keine Lust gehabt zu haben, viel über Galilei nach Rom zu berichten. Die Römische Inquisition aber scheint sich im all- gemeinen damit begnügt zu haben, Galilei formell in Haft zu halten, ihn von Zeit zu Zeit dieses fühlen zu lassen und sich die Möglichkeit zu wahren, nöthigenfalls strenger gegen ihn aufzutreten. Castelli war selbst verdächtig und dabei nicht nur ein Ordensgeistlicher, sondern auch Professor in Rom ; er musste also eine specielle Erlaubniss zum Besuche Galilei's nachsuchen, und dies benutzte Urban VIII. wenig- stens im J. 1638, ihn und Galilei seine Ungnade fühlen zu lassen. Andere konnten Galilei besuchen, ohne um Erlaub- niss zu bitten. In der That ergibt sich aus dem Briefwechsel Galilei's, dass seine Bekannten oft zu ihm kamen, der Canonicus Gherardini, der in der Nähe wohnte, verkehrte sehr viel mit ihm1), und dass auch manche Fremde ihn besuchten2), unter Anderen der englische Dichter Milton3), der Philosoph Hobbes und wahrscheinlich auch Descartes4). Wenn er einmal die Erlaubniss erhielt, um den Grafen de Noailles zu sprechen, seine Villa zu verlassen 5), so scheint er wiederholt ohne Erlaubniss und ohne Vorwissen des Inqui- sitors mit dem Grossherzog an einem dritten Orte zusam- mengekommen zu sein6), Der Grossherzog, sein Bruder

1) Targioni II, 63; s. o. S. 6.

2) VII, 58. 65. 197. 242. 259; X, 60. 116.

3) Reumont, Beitr. zur ital. Gesch. I, 405 und „Milton e Galileo" im Arch. stör. S. 3, T. 26, p. 427. Milton besuchte Galilei im J. 1638, wahr- scheinlich in Arcetri. Ein hübscher Bericht über den Besuch eines reichen und vornehmen „Ultramontanen'' bei Targioni II, 50.

4) Targioni I, 144. 5) S. o. S. 392.

6) VII, 142. 153. (Hier bittet er, der Grossherzog möge ihn „zu früher Stunde in einem verschlossenen Wagen abholen und Abends spät zu- rückbringen lassen".) Suppl. 280.

Gehülfen Galilei's. 409

Leopold und andere Prinzen besuchten ihn auch wiederholt in Arcetri und in Florenz1).

Im Mai 1637 erhielt Dino Peri, Lector der Mathematik zu Pisa, von dem Grossherzog die Erlaubniss, sich längere Zeit bei Galilei aufzuhalten, um ihn bei seinen wissenschaft- lichen Arbeiten zu unterstützen2). Schon im Juli 1636 war ein anderer seiner Schüler, der Pater Bonaventura Cavalieri, Professor der Mathematik zu Bologna, einige Zeit bei ihm3). Von den jüngeren Männern, welche zeitweise seine Gehülfen bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten waren, gehörten drei dem von dem damals noch lebenden Joseph Calasanza ge- stifteten und geleiteten Orden der Piaristen (Chierici rego- lari delle Scnole Pie) an. Famiano Michelini, mit seinem Ordensnamen Frater Franciscus vom h. Joseph, welcher in dem Kloster seines Ordens in Florenz lehrte und auch die Prinzen Gioan Carlo und Leopold in der Mathematik unter- richtete, war in den Jahren 1634 39 viel bei Galilei4). Durch ihn wurde einer seiner Schüler, demente Settimi, mit seinem Ordensnamen Pater Clemens vom h. Carl, mit Galilei bekannt5). Auf dessen Wunsch beauftragte der Sta£itssecretär Cioli im April 1639 den Gesandten Niccolini, bei dem Ordensgeneral für den Pater Clemens die Erlaub- niss zu erwirken, Galilei bei seinen Arbeiten zu unterstützen und bei ihm zu Arcetri wenigstens zeitweilig zu wohnen. In seiner Antwort vom 13. April 1639 schreibt Niccolini die charakteristischen Worte: „Gebe Gott, dass es der Pater General ohne die Congregation [des h. Officiums] thun könne !" Der General hielt nicht für nöthig, die Inquisition zu belästigen. Er antwortete Niccolini: er wisse, dass der

1) XV, 371.

2) VII, 153. 191; X, 212. 229. 308. S. o. S. 374.

3) VII, 72; X, 161. Cavalieri, geb. 1598 in Mailand, war Jesuat. Die Professur in Bologna erhielt er 1629 auf die Empfehlung Galilei's und Cesare Marsili's; VI, 325; IX, 139. 153. 157. Er starb 1647. Tiraboschi VIII, 258.

4) Suppl. 265 270; X, 49. 74. 176. 206. 308. 332; VII, 2. Michelini, geb. 1600 in Rom, trat 1625 in den Orden, wurde aber erst 1637 Priester. 1647 57 war er Professor der Mathematik in Pisa. 1657 trat er mit päpst- licher Dispensation aus dem Orden aus. Er starb 1666 in Florenz. Targioni I, 198. 365. Tiraboschi VIII, 218. Briefe von ihm, zum Theil medicini- schen Inhalts, bei Targioni II, 122.

5) X, 333 ff.

410 Gehülfen Galilei's.

Pater Clemens wiederholt in der Villa Galilei's übernachtet habe und wolle seinen Obern anweisen, ihm dieses auch in Zukunft in einzelnen Fällen zu gestatten; eine allgemeine schriftliche Erlaubniss dazu könne er ihm aber nicht erthei- len; wenn es übrigens nicht genüge, dass er wöchentlich einmal zu Galilei gehe, möge er öfter hingehen1). Seitdem war Pater Clemens viel bei Galilei2). Ein dritter Piarist, Pater Ambrosius von der Conception, scheint nur verein- zelte Male bei Galilei gewesen zu sein3). Galilei's Schüler Vincenzio Renieri aus dem Orden der Olivetaner, seit 1640 Professor in Pisa, war nur vorübergehend in Arcetri, stand aber mit Galilei in regem wissenschaftlichem Briefwechsel4). Die letzten dreissig Monate seines Lebens hatte Galilei fast ununterbrochen den jungen Vincenzo Viviani als Schüler und Gehülfen bei sich5), seit dem October 1641 auch Evan- gelista Torricelli, den Lieblingsschüler Castelli's6).

Auffallend könnte es erscheinen, dass nie davon die Rede ist, dass die Inquisition die sehr ausgebreitete Corre- spondenz Galilei's behinderte. In einem Briefe an Micanzio deutet Galilei an, wie die Briefe sicher an ihn gelangten7): „Ihre beiden letzten Briefe sind mir durch die gewöhnlichen Briefträger zugegangen, nicht durch den Herrn Geri Bocchi- neri, Secretär des Grossherzogs und meinen Verwandten. Sie können den gewöhnlichen Weg einhalten und die Briefe an den Postmeister Landi, einen Landsmann Geri's, schicken, dem dieser den Auftrag- gegeben, sie an ihn zu besorgen.

1) P. Schneemann, S. 269, weiss von allen in diesem Capitel mitge- theilten Verhandlungen nichts als: „Galilei ward Stillschweigen über den beregten Gegenstand auferlegt. Seinen anderweitigen physikalischen For- schungen konnte er ungehindert obliegen; ja als er wünschte, dass P. Cle- mens aus dem Piaristenorden, welcher nebst anderen Schülern mit ihm arbeitete, gegen die Ordensregel über Nacht auf der Villa Arcetri bleiben könne, dispensirte diesen der heilige Ordensstifter Joseph Calasanctius," eine Angabe, die nach dem Gesagten nicht einmal genau ist.

2) VIL 232. 235; X, 350.

3) VII, 242; Suppl. 292.

4) VII, 243. 335; X, 186. 196. 254.

5) VII, 229. 231. 238.

6) VII, 367; X, 413; Suppl. 297; s. o. S. 215. Torricelli, geb. 1608, starb schon 1647. Unter sein Porträt setzte man das Anagramm: Evange- lista Torricellius en virescit Galilaeus alter.

7) VII, 67; vgl. 142.

Schriften seit 1633. 41 1

Wenn Sie etwas Besonderes zu schreiben haben, was nicht bekannt werden darf, schicken Sie die Briefe an irgend einen Pater in der Nunziata, den Sie kennen und bei dem ich sie jede Woche abholen lassen kann." In einem andern Briefe schreibt er ') : ,, Ihren Brief habe ich durch Alessandro Bocchineri erhalten; so wird es wohl auch in Zukunft ge- halten werden."

Ich habe dieses lange Capitel mit einem Citate aus P. Schneemanns Abhandlung begonnen; ein Satz von P. Grisar (S. 673) mag es schliessen: „Die Behandlung, welche Ga- lilei fand, lässt unter mehr als Einer Rücksicht eine ausge- suchte Milde des Glaubensgerichtes gegen seine Person er- kennen, und nur [!] dem eigenen Mangel an edelmüthigem Entgegenkommen, an Achtung für die ihm gegenüber- stehende Autorität musste Galilei es zuschreiben, wenn er bis in die letzten Jahre seines Lebens sich von der Ueber- wachung durch die Inquisition nicht frei sah."

XXXIV.

Galilei's schriftstellerische Arbeiten seit 1633.

P. Grisar sagt S. 128: „So wenig war Galilei zu Arce- tri in seiner wissenschaftlichen Thätigkeit behindert, dass er ebenda im J. 1636 sein grösstes und wahrhaft unsterbliches Werk zu Ende führen konnte, die „Dialoghi delle nuove scienze", welche von dem Beharrungsvermögen, der Fall- und Wurfbewegung der Körper handelten und ihren Ver- fasser zum Schöpfer der Dynamik erhoben2)." Allerdings

1) VII, 71; vgl. X, 212.

2) Noch besser P. Schneemann S. 401: „War die Verurtheilung Ga- lilei's dem Fortschritte der Wissenschaft schädlich? Durchaus nicht, nicht einmal für Galilei selbst. Sein grösstes Werk, wodurch er der Vater der neuern Physik wurde, ward erst nach seiner Verurtheilung fertig gemacht und her- ausgegeben. Die Villa Arcetri bot ihm die Müsse zu seinen Forschungen, welche ihm vielleicht nicht geworden, wenn er am toscanischen Hofe ge-

4T2 Schriften seit 1633.

war Galilei zu Arcetri unausgesetzt wissenschaftlich thätig l). Schon zu Siena nahm er seine wissenschaftlichen Arbeiten wieder auf2). Wir besitzen von ihm aus der Zeit nach seiner Verurtheilung eine Reihe von wissenschaftlichen Schriften und von Briefen, die über wissenschaftliche Dinge han- deln. Aber dass diese Schriften, namentlich sein ,,grösstes und wahrhaft unsterbliches Werk", veröffentlicht wurden, haben wir nicht Urban VIII. und der Inquisition zu ver- danken, welche vielmehr, wie wir (S. 377) gesehen, so viel an ihnen lag, Galilei die schriftstellerische Thätigkeit ganz unmöglich machten.

Als Micanzio von dem „tyrannischen" Verbote der In- quisition erfuhr, war er sich nicht gleich klar darüber, wie neue Schriften Galilei's, namentlich die am Schlüsse des Dialogs in Aussicht gestellte Fortsetzung, trotz jenes Ver- botes veröffentlicht werden könnten. Am 10. Febr. 1635 schreibt er3): „Zwei Dinge stehen fest: Sachen von so grossem Werthe dürfen nicht zu Grunde gehen, und es sind Sachen, in denen ich den grössten Fortschritt im Philoso- phiren finde, der seit zweitausend Jahren gemacht worden, und deren man die Welt nicht berauben kann ohne eine Versündigung an der Menschheit; zweitens: die Ver- öffentlichung darf dem Wohlthäter nicht schaden. In dieser Beziehung meine ich, wir könnten es mit Wien versuchen, aber vorsichtig. Sie könnten mir etwa Ihr Manuscript zum Lesen anvertrauen, und ich könnte es abschreiben und zum Druck befördern; mich kümmert es nicht, mag darüber schreien, wer Lust hat. . . Gedruckt will ich auf jeden Fall Ihre Schriften sehen, wenn Sie nur fortfahren, mir dieselben im Manuscript zu schicken." „Bezüglich der Uebersetzung Ihrer Werke, schreibt er am 5. März4), machen Sie sich

blieben und in neue Controversen über das Copernicanische System ver- wickelt worden wäre. So zog ihn sein Unglück von einer Frage ab, deren Lösung nach dem damaligen Zustande der Wissenschaft noch nicht reif war, und führte ihn ungetheilt anderen Fragen zu, in welchen er bahnbrechend wirkte.'4 Augenscheinlich hat sich also die Inquisition durch Galilei's Ver- urtheilung um ihn selbst und um die Wissenschaft verdient gemacht. Uebri- gens hat Galilei auch vor seiner Verurtheilung nicht ,,am toscanischen Hofe" gelebt, meist nicht einmal in Florenz, sondern auf Villen; s. o. S. 386.

1) X, 193. 2) VII, 37-

3) X, 75. 4) X, 77.

Schriften seit 1633. 413

keine Gedanken; das können weder Sie noch die ganze italienische Macht hindern. Der Pater Paolo [Sarpi] schrieb die Geschichte des Trienter Concils; sie wurde von Jemand, der sie zum Durchlesen erhalten, abgeschrieben1), und ich habe sie italienisch, lateinisch, französisch, englisch gesehen; da sehen Sie, was Verbote helfen. Müsste man sich nicht davor hüten, Ihnen persönliche Unannehmlichkeiten zu be- reiten, so wüsste ich schon, was ich gethan hätte. Aber solche Sachen zu Grunde gehen zu lassen, das thue ich nicht, und wenn die ganze Hölle ihre Macht daran setzt." „Der barbarische Befehl, schreibt er am 17. März2), würde mir keine Sorge machen, wenn ich nicht einsähe, dass man vor allem Ihnen keine Verdriesslichkeiten bereiten darf, da Sie sind, wo Sie sind; denn wären sie hier bei uns, so möchte kommen, wer wollte." Peiresc, der auch von dem Verbote der Inquisition gehört, schrieb am 17. April 1635 3): „Ich glaube nicht, dass alle Befehle des obersten Tribunals die Existenz Ihrer Werke, der gedruckten und der zu druckenden, hindern kann. Bezüglich der letzteren bitte ich Sie, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass sie nicht dort der Discretion Ihrer Gegner überlassen bleiben, und eine Ab- schrift über die Berge hierher zu schicken, damit Freunde sie aufbewahren und zu geeigneter Zeit veröffentlichen können. Ich rathe Ihnen aber, keine neue Ausgabe zu be- sorgen, so lange noch Hoffnung ist, dass Sie eine Erleichte- rung Ihrer Übeln Lage erreichen könnten."

Das Verbot der Inquisition scheint nicht förmlich zu- rückgenommen worden zu sein. Im J. 1640 wurde zu Padua die 1606 erschienene Schrift über den Gebrauch des Propor- tionalzirkels4) neu gedruckt. Dieses ist aber die einzige Schrift Galilei's, die nach seiner Verurtheilung bei seinen Lebzeiten in Italien gedruckt wurde. Die anderen erschie- nen im Auslande. Sie fanden freilich auch in Italien Ver- breitung, und es scheint nicht, dass die Inquisition ihre Ver- breitung verbot oder Galilei wegen der Veröffentlichung zur Rechenschaft zog. Die Mittel, welche Galilei und seine

1) Marcantonio de Dominis, der sie 1619 zu London drucken Hess. Griselini, P. Sarpi p. 234. 279.

2) X, 81. 3) X, 90. 4) XV, Bibliografia p. III.

414 Uebersetzung des Dialogs.

Freunde anwendeten, um directen Massregeln der Inquisition gegen den Verfasser vorzubeugen, sind ganz ähnlicher Art, an sich ebenso wenig zu rechtfertigen > und für die da- maligen Verhältnisse ebenso charakteristisch, wie die Ein- leitung zu dem Dialoge.

1. Zuerst, schon im J. 1635, erschien in der Elzevir'- schen Buchhandlung zu Strassburg eine lateinische Ueber- setzung des Dialogs, welcher als Anhang die Perioche von Kepler und die Schrift des Foscarini (s. o. S. 60) beigefügt waren. Der Uebersetzer, der auf dem Titelblatte nicht genannt wird, war Matthias Maria Bernegger J). Aus Galilei's Brief- wechsel ergibt sich, dass die Uebersetzung mit seinem Wissen und Willen veröffentlicht wurde2). Dieses wurde aber geheim gehalten, und die Vorrede war so gefasst, dass der Verdacht von dem Verfasser abgelenkt wurde3).

Ein Landsmann Galilei's, Giovanni Pieroni, Architekt im Dienste des Kaisers, schrieb am 11. Aug. 1635 aus Wien4): ,,Wenn der Dialog lateinisch geschrieben wäre, würde er, glaube ich, schon in Frankreich, Flandern, Deutsch- land an mehreren Orten nachgedruckt worden sein, da sich sehr Viele dafür interessiren." Nachdem ihm aber Galilei mitgetheilt, der Dialog sei ins Lateinische übersetzt, schrieb Pieroni am 15. Dec. 16355): da das Buch so merkwürdige Dinge enthalte und die Darstellung allgemein verständlich sei, werde die Uebersetzung eine grosse Verbreitung finden ; er fügt aber bei: „Wäre es möglich gewesen, einiges dem Willen der Oberen entsprechend wegzulassen, so dass der neue Abdruck von Allen frei gelesen werden dürfte, so wäre das Vielen sehr angenehm gewesen; sonst wird ein Sachkundiger die schönen Sachen, die darin stehen, heraus- nehmen und in einer andern Form der Welt oder, besser ge- sagt, den katholischen Lesern zugänglich machen müssen."

Im Jan. 1637 6) bat Bernegger Galilei, ihm für eine zweite Auflage die nöthigen Verbesserungen zu schicken. Eine solche erschien 1641. Es folgten im 17. Jahrhundert noch zwei weitere Ausgaben7). Am 1. Dec. 1635 schreibt Galilei an Micanzio 8) : „Ein vornehmer Engländer, der mich

1) Vgl. Allg. Deutsche Biographie II, 412.

2) X, 25 ff.; VII, 52. 69. 3) X, 179. 4) X, 110. 5) X, 128. 6) X, 179.

7) XV, Bibliografia p. XIV. 8) VII, 58. 140.

Der Brief an Christina von Lothringen. 415

besuchte, hat mir erzählt, mein unglücklicher Dialog sei in jene Sprache übersetzt worden, eine Sache, die mir nur schaden kann." Am 4. Jan. 1638 schreibt Ludwig Elzevir an Galilei1), der holländische Ingenieur de Weerdt habe den Dialog ins Flämische übersetzt. Beide Uebersetzungen scheinen nicht gedruckt zu sein. Die Originalausgabe des Dialogs war natürlich in Italien selten geworden. Galilei erwähnt einmal, dass Exemplare derselben heimlich für vier bis sechs Scudi verkauft wurden2).

2. In der Vorrede zu seiner Uebersetzung des Dialogs hatte Bernegger eine Uebersetzung des bis dahin noch nicht gedruckten Briefes Galilei's an die Grossherzogin Christina in Aussicht gestellt. Die von Elia Diodati ange- fertigte Uebersetzung erschien mit beigefügtem italienischem Original 1636 zu Strassburg3). Vorausgeschickt sind ein Brief von Robertus Robertinus Borassus, d. i. Elia Diodati, an Bernegger und dessen Antwort4). In ersterm wird unter anderm gesagt : diese lange vor dem zweiten Process geschriebene Abhandlung Galilei's zeige nicht nur seine Gelehrsamkeit und seinen luchsartigen Scharfblick (lyncea sagacitas), sondern auch seine Ehrfurcht vor der Kirche und seine religiöse und gläubige Gesinnung. Wenn also Galilei wegen seiner Ansicht zu Rom verurtheilt worden sei, so dürfe ihm auf keinen Fall böser Wille vorgeworfen werden u. s. w. In dem Briefe Berneggers wird angedeutet: Galilei werde es wohl nicht billigen, dass die Abhandlung jetzt durch Andere veröffentlicht werde, da er befürchten möge, durch eine öffentliche Erwiederung seine Gegner noch mehr zu reizen u. s. w. Galilei wusste natürlich von der Veröffentlichung und legte grossen Werth darauf. Er schrieb wiederholt an Micanzio5), Elzevir müsse dafür sorgen, dass Exemplare nach Italien kämen „zur Beschämung seiner Feinde und Verleumder". Auch Castelli hielt den Brief an die Grossherzogin Christina für geeignet zur Vertheidigung Galilei's zu dienen; er Hess 1635 und 1636 Abschriften davon für de Beaugrand und für den Cardinal Antonio Barberini anfertigen 6).

1) X, 252. 2) VII, 154.

3) VII, 65. 4) x, 29.

5) VII, 65. 68; vgl. 140. 217. 6) X, 123. 164.

41 6 Die Dialoge über die neuen Wissenschaften.

3. Die oben erwähnten „Dialoge über die neuen Wis- senschaften" l) hielt Galilei selbst für sein bestes Werk2). Dem Druck derselben gingen interessante Verhandlungen vorher.

Schon im Jan. 1635 übersandte Galilei einige Bogen an Micanzio3); im Juni 1635 schenkte er eine Abschrift der beiden ersten Dialoge dem Prinzen Matthias, als derselbe von Florenz nach Deutschland reiste4). Als er im Oct. 1636 mit dem Grafen de Noailles zusammentraf (s. o. S. 392), schenkte er diesem eine Abschrift des vollständigen Werkes5). Schon im Jan. 1635 erbot sich der oben erwähnte Pieroni, die Dialoge in Oesterreich drucken zu lassen6), und Galilei nahm das Anerbieten an. Am 11. Aug. berichtete ihm Pieroni aus Wien 7) : „Ich denke das Buch in Prag drucken zu lassen ; hier könnte vielleicht eine Druck-Erlaubniss nöthig sein, die dort nicht nöthig oder leicht zu erlangen sein wird. Hier mag ich eine solche nicht nachsuchen, um nicht eine abschlägige Antwort zu bekommen, falls der Befehl, von dem Sie schreiben [zu keinem Buche von Galilei die Druck- Erlaubniss zu ertheilen], auch hierher gekommen sein sollte. Zudem ist jener Ihnen feindlich gesinnte Pater, den Sie er- wähnen [Scheiner], hier, und da sie [die Jesuiten] neu- gierig sind, könnten sie etwas davon erfahren und den Druck hindern, dadurch dass sie nach Rom schrieben oder auf andere Weise; denn ich höre, dass er noch immer sehr aufgebracht gegen Sie ist und ein Buch geschrieben hat, worin er die Geschichte Ihres Dialogs und Ihre Abschwö- rung und das Urtheil mittheilt. . . . Was die Widmung Ihres Buches angeht, so gebe ich eins zu bedenken: hier sind die Patres [Jesuiten] bei dem, welchem Sie es widmen möchten [Kaiser Ferdinand IL], allmächtig, und wer weiss, ob sie nicht, wenn sie von dem Römischen Befehle wissen,- davon Anlass nehmen, jenem sehr zarten Gewissen Scrupel zu machen und ein Verbot oder doch die Ablehnung der Widmung zu erwirken?" Am 15. Dec. 1635 schreibt Pieroni8) nochmals:

i) Der Titel ist eigentlich: intorno a due nuove Scienze attenenti alla Meccanica e ai Movimenti Locali". 2) VII, 50. 70. 3) X, 71. 72. 167; vgl. VII, 56.

4) VII, 57- 5) X, 173. 6) X, 66.

7) X, 108. 8) X, 129.

Die Dialoge über die neuen Wissenschaften. 417

„Was die Widmung angeht, so würde ich es sehr gern sehen, wenn der Kaiser an Ihrer Schrift Gefallen fände; aber ich glaube, es wird das davon abhangen, in welchem Masse das Buch von denjenigen gebilligt und gelobt oder getadelt wird, die ihn umgeben, und unter diesen nehmen einige Ihrer Gegner den ersten Platz ein. . . . Seine Ma- jestät von der bösen Absicht einiger Ihrer Gegner über- zeugen zu wollen, wäre ein ganz fruchtloses Beginnen; man müsste dann diese Gegner nennen, und er ist eben von diesen ganz fest überzeugt, dass sie nie irren und mehr wissen als Andere; wollte man darum auch nur einen ein- zigen von ihnen zu discreditiren versuchen, so wäre das ein sicheres Mittel, die Gnade des Kaisers zu verscherzen"1). Pieroni hatte bereits die Figuren zu dem Werke ste- chen lassen; der Beginn des Druckes aber verzögerte sich so sehr, dass Galilei um Rücksendung des Manuscriptes bat. In einem Briefe aus Prag vom 9. Juli 1637 berichtet Pieroni2) weiter: ,, In Wien konnte ich das Buch nicht drucken lassen, weil dort der Pater Scheiner war; da die Patres alle Bücher, die in Wien gedruckt werden sollen, zu revidiren haben, fürchtete ich, die Revision Ihres Buches möchte ihm über- tragen werden oder er möchte doch Kenntniss davon er- langen und dann den Druck des Buches zuerst in Wien, dann an jedem andern Orte hindern. Ich wandte mich also an den Cardinal Dietrichstein; er versprach mir, dafür zu sorgen, dass das Buch in Olmütz gedruckt und dort durch einen Pater aus einem andern Orden revidirt werde, so dass nicht zu fürchten wäre, der Pater Scheiner und seine An- hänger möchten etwas davon erfahren. Er gab das Buch einem Dominicaner, und dieser ertheilte die beiliegende Approbation. Ehe er sie aber ausgefertigt, starb der Car-

1) Von Ferdinand III. dagegen schreibt Francesco Piccolomini, 5. Febr. 1638 (X, 264), aus Pressburg: „Vor vierzehn Tagen habe ich mit Seiner Kaiserlichen Majestät von Ihnen gesprochen. Er konnte Sie nicht genug loben und sprach dabei auch von der Anmassung des Pater Scheiner, indem er sagte: »Der Pater Scheiner kann Galilei nicht die Bücher tragend. . . Er äusserte auch den Wunsch, alle Ihre Bücher zu besitzen, und da ich ihm sagte, in Amsterdam würden einige derselben neu gedruckt, befahl er, sie gleich zu bestellen. Das Buch Scheiners bezeichnete er als verschwendetes Papier."

2) X, 222; vgl. 137. 141. 150; VIT, 61.

Keusch, Galilei. 27

41 8 Die Dialoge über die neuen Wissenschaften.

dinal. . . Ich kehrte [aus verschiedenen Gründen, die ange- geben werden] nach Wien zurück, um das Buch dort drucken zu lassen, zumal ich erfuhr, der Pater Scheiner sei nach Neisse in Schlesien geschickt. Da aber in Wien die 01- mützer Approbation nicht galt und ich eine neue nicht ohne die Patres erhalten konnte, habe ich mir meine Freund- schaft mit einem Pater, der ein angesehener Professor der Theologie ist, zu Nutze gemacht. Dieser hat selbst das Buch revidirt und approbirt und mir die Druck-Erlaubniss des Rectors der Universität verschafft1). So konnte der Druck beginnen, da kam der Pater Scheiner wieder nach Wien, um dort sein Buch drucken zu lassen. Ich zog es vor, ihn erst wieder abreisen zu lassen, da es hiess, er werde in einigen Wochen fertig sein. Mittlerweile habe ich auf Befehl des Kaisers hieher reisen müssen. Da ich nicht wusste, ob ich nicht längere Zeit hier bleiben müsste, habe ich das Buch mitgenommen, um es eventuell hier drucken zu lassen, wo der Cardinal Harrach mir die von ihm für die Universität errichtete Druckerei zur Verfügung gestellt hatte. Aber da hier wieder eine neue Approbation nöthig wäre und ich bald wieder nach Wien zurückreisen muss, will ich dort sofort den Druck beginnen lassen, falls Sie da- mit einverstanden sind. Ich frage erst bei Ihnen an, weil mir der Prinz Matthias gesagt hat, Sie Hessen das Buch anderswo drucken und ich dürfe ohne neue Weisung von Ihnen den Druck nicht beginnen lassen."

Mittlerweile hatte Galilei durch Micanzio's Vermittlung der Elzevir'schen Buchhandlung den Verlag übertragen2). Der Druck war im Frühjahr 1638 vollendet3).

Auch bei diesem Buche glaubte Galilei der Inquisition gegenüber den Schein erwecken zu müssen, als wäre es ohne sein Zuthun gedruckt worden. In dem Schreiben vom 6. März 1638, in welchem er das Buch dem Grafen de Noailles widmet4), sagt er: „Ich erkenne Ihre Hochherzig-

1) Das Actenstück ist X, 226 abgedruckt: Der Jesuit Gualterus Paulus, Decan der .theologischen Facultät, bezeugt unter dem 29. Apr. 1637, das Buch enthalte nichts gegen den Glauben und die guten Sitten und könne gedruckt werden. Darauf hin ertheilt Leo Mylgiesser, Doctor der Medicin und Rector der Universität, die Erlaubniss zum Drucke.

2) VII, 63. 74. 138; X, 157. Vgl. Allg. Deutsche Biographie VI, 64.

3) X, 202. VII, 153. 4) VII, 209; vgl. X, 308.

Projectirte Publicationen. 419

keit an in dem, was Sie über dieses mein Werk verfügt haben, wiewohl ich, wie Sie wissen, verwirrt und erschreckt durch das wenig glückliche Schicksal anderer Werke von mir, mich entschlossen hatte, keine meiner Arbeiten mehr zu veröffentlichen, sondern nur, damit sie nicht ganz be- graben blieben, eine Abschrift derselben an einem Orte niederzulegen, wo sie für diejenigen, welche für die von mir behandelten Materien Verständniss haben, zugänglich wäre. Darum- hatte ich zunächst mich entschlossen, sie in Ihre Hand zu legen. . . Demgemäss habe ich Ihnen, als ich Ihnen auf Ihrer Rückreise von Rom meine Achtung bezeugte (s. o. S. 392), eine Abschrift dieses Werkes über- reicht. Sie haben dieselbe freundlich angenommen, um sie sorgfältig aufzubewahren und um sie einem in diesen Wis- senschaften bewanderten Freunde in Frankreich mitzutheilen und diesem zu zeigen, dass ich, wenn ich auch schwiege, doch nicht müssig sei. Ich schickte mich an, einige andere Abschriften nach Deutschland, Flandern, England, Spanien und vielleicht auch nach einigen Orten in Italien zu schicken, als ich unerwartet von den Elzeviren die Mittheilung erhielt, sie hätten dieses Werk unter der Presse und ich möge ihnen darum baldigst wegen der Widmung meinen Willen mittheilen. Bei dieser unerwarteten und unverhofften Nach- richt habe ich gedacht, Ihr Wunsch, meinen Namen da- durch in Erinnerung zu bringen und zu ehren, dass Sie meine Schriften Verschiedenen mittheilten, müsse die Veran- lassung gewesen sein, dass sie in die Hände der Drucker gekommen, welche, da sie auch andere Werke von mir herausgegeben haben, mich dadurch hätten ehren wollen, dass sie dieselben durch ihre schönen Typen veröffentlich- ten" u. s. w.

Die Inquisition behinderte den Verkauf des Buches nicht. Castelli schrieb Galilei Anfangs 1639, die fünfzig ersten Exemplare, welche nach Rom gekommen, seien so- fort zu zwei Scudi verkauft worden, und noch dreimal so viele würden rasch Absatz gefunden haben1).

4. Von verschiedenen Seiten wurde der Plan einer Ge- sammt- Ausgabe der älteren Schriften Galilei' s angeregt, die zum Theil selbst in Italien selten geworden und im Aus-

1) X, 326. 328.

420 Streitschriften gegen den Dialog.

lande wenig verbreitet waren1), und Galilei Hess dafür mehrere seiner italienischen Schriften durch den Priester Marco Ambrogetti in's Lateinische übersetzen2). Der Plan kam aber nicht zur Ausführung; ebenso wenig der Vor- schlag Micanzio's, Galilei's noch ungedruckte Abhandlungen und die Briefe wissenschaftlichen Inhalts zu veröffentlichen3). Ausser den vorhin genannten Werken Galilei's wurde bei seinen Lebzeiten nur noch eine kleine mathematische Ab- handlung gedruckt.

In seinen letzten Lebensjahren dachte Galilei daran, in dialogischer Form eine Menge von kritischen Bemerkungen (Postille) zusammenzustellen, die er zu den gegen ihn ge- richteten Schriften und auch zu anderen Autoren, namentlich zu Aristoteles, niedergeschrieben4). Auch dieser Gedanke kam nicht zur Ausführung, oder doch nur zum kleinen Theile in den Zusätzen zu den neuen Dialogen, welche Ga- lilei in den letzten Monaten seines Lebens dictirte5).

Kritische Bemerkungen, wie sie eben unter dem Namen Postille erwähnt wurden, es sind mitunter ausführliche Erörterungen, schrieb Galilei, wie früher^), so auch nach seiner Verurtheilung zu mehreren Schriften, unter ander m zu einer 1633 erschienenen Streitschrift von Antonio Rocco gegen den Dialog7). Einige andere Streitschriften gegen

1) VII, 63. 154; X, 110. 170. Von der kleinen Schrift über den Pro- portionalzirkel sagt Galilei VII, 64, er müsse sie für solche, die ihn darum bäten, abschreiben lassen.

2) VII, 71. In den Jahren 1635 37 correspondirte Galilei über diesen Plan mit Pierre Carcavi zu Toulouse (VII, 132; X, 213 und sonst), seit 1636 mit Ludwig Elzevir (VII, 66. 138; X, 260 und sonst). Dieser erklärte 1640 (VII, 253), er müsse mit diesem Unternehmen warten, bis von den bei- den von ihm verlegten Schriften Galilei's mehr Exemplare abgesetzt seien; er habe noch über 500 vorräthig. Im J. 1641 ist noch einmal von dem Plane die Rede; X, 430.

3) VII, 55; X, 61. Auch Raffaello Magiotti in Rom bat Galilei drin- gend, seine Schriften zu veröffentlichen; Suppl. 273.

4) VII, 194. 208. Auch Viviani berichtet XV, 360 über diesen Plan.

5) XIII, 267. Venturi II, 267. Aus dem J. 1640 haben wir noch ein ausführliches Schreiben an den Prinzen Leopold von Toscana über das Licht des Mondes und mehrere Briefe an Fortunio Liceti (s. o. S. 374) über denselben Gegenstand; VII, 254 ff.; III, 189. %

6) S. o. S. 167.

7) Er übersandte diese Postille Micanzio, VII, 50; X, 4 u. s. w. Sie sind mit Rocco's Schrift abgedruckt III, 119. Poslille zu einer 1631 er-

Streitschriften gegen den Dialog. 421

den Dialog, wie die von Berigardo (Beauregard) und Chia- ramonti1), werden in Galilei's Briefen nur kurz erwähnt. Ueber Inchofers Schrift2) sagt er in einem Briefe an Elia Diodati: „Fromond beschränkte sich darauf, die Bewegung der Erde bis beinahe an den Mund in die Ketzerei einzu- tauchen3). Aber kürzlich hat ein Pater Jesuit in Rom drucken lassen, jene Meinung sei so schrecklich, verderblich und scandalös, dass man, wenn man auch erlaube, dass auf den Lehrstühlen, in Gesellschaften, in öffentlichen Disputationen und in Druckschriften die wichtigsten Glaubensartikel, wie die Unsterblichkeit der Seele, die Schöpfung, die Menschwer- dung u. s. w., bestritten werden, doch nicht erlauben dürfe, gegen das Stillstehen der Erde zu disputiren oder Gründe

schienenen Streitschrift von J. B. Morin (VII, 17. Venturi II, 135. R. Wolf, Gesch. der Astronomie S. 327) hat B. Boncompagni, Bulletino di Bibliografia VI (Rom 1873), 45, veröffentlicht.

i) VII, 49. Ueber Beauregard s. Targioni I, 81. 288, über Chiara- monti s. o. S. 192. Wunderliche Sätze aus seiner Schrift vom J. 1633 (er gab 1636 48 noch sechs naturwissenschaftliche Streitschriften heraus) s. bei Venturi II, 127, geringschätzige Urtheile von Freunden Galilei's IX, 374. 386. 387; X, 13. 247. Galilei schrieb Postille dazu; VII, 145. Ueber andere Streitschriften gegen den Dialog s. Venturi II, 131, Martin, Galilee p. 386. Ueber eine Vertheidigung des Copernicanischen Systems, welche Ismael Boulliau zu Paris 1642 unter dem Titel „Philolaus" (anonym) her- ausgab und Galilei übersandte, s. X, 241. 372; VII, 245. Venturi II, 135.

2) S. o. S. 273. Inchofers Tractat war dem bekannten Geschicht- schreiber des Franciscaner- Ordens, Fr. Lucas Wadding, zur Prüfung über- geben worden; dieser bezeugt schon am 22. Aug. 1633: „Der Inhalt hat mir sehr gefallen, zumal in dieser Zeit, wo Einige, denen die Ohren jucken [2 Tim. 4, 3], sich von der einfachen Reinheit und heiligen Wahrheit der göttlichen Schrift ab- und Fabeln zuwenden. Diese Pythagoreer widerlegt christlich dieser Theologe und beweist gründlich, dass die Mathematik und die anderen menschlichen Wissenschaften sich nach den Regeln der h. Schrift richten müssen, nicht aber, wie man sich in bedenklicher Weise in unserm Jahrhundert erlauben will, das Wort Gottes nach der Einsicht und dem Gutdünken eines Jeden ausgelegt oder vielmehr verdreht werden darf, um dem, was Menschen ausgedacht, dienstbar zu werden." Auf Grund dieses Gutachtens erhielt das Buch das Imprimatur von Riccardi, dem Padre Mostro.

3) Fromond hatte in seiner Schrift vom J. 1631 (s. o. S. 57; er ver- öffentlichte 1634 noch eine zweite, Vesta sive Ant-Aristarchi vindex; s. Ven- turi II, 134) gesagt: „Die Copernicanische Meinung ist temerär, und mit Einem Fusse betritt sie die Schwelle der Häresie.''

422 Streitschriften gegen den Dialog.

anzuführen, so dass also dieser eine Artikel vor allen ande- ren so sehr heilig zu halten sei, dass man auch nicht ein- mal disputationsweise und zu seiner Bekräftigung Einwen- dungen dagegen machen dürfe" !). Micanzio2) meinte: „Der Jesuit, der neue Glaubensartikel macht, wird mehr Leute zu Ketzern machen als bekehren/' Von den drei Streit- schriften, welche P. Scheiner seinen Freunden in Aussicht stellte, erschienen zwei überhaupt nicht. Die dritte war 1637 vollendet, erschien aber erst kurz nach seinem und neun Jahre nach Galilei's Tode im J. 1651 unter dem Titel „Prodromus pro Sole mobili et stabilitate Terrae"3).

Interessant und charakteristisch ist noch folgender

1) Inchofer sagt p. 50: Die Copernicanische Theorie dürfe zwar als Hypothese verwendet, müsse aber dabei als falsch angesehen, und über ihre Wahrheit oder Falschheit dürfe nicht einmal disputirt werden. Ueber die Frage, ob die Welt ewig, die Seele unsterblich sei u. s. w., werde zwar disputirt; das sei aber weniger gefährlich, weil bezüglich dieser Punkte Jeder das Richtige wisse, während die Mathematiker, wenn sie fänden, dass ihre Beobachtungen und Berechnungen zu der Copernicanischen Hypothese pass- ten, leicht meinen oder sich so ausdrücken könnten, als sei diese Hypothese wahr. 2) X, 20.

3) Leo Allatius berichtet in seinen 1632 zu Rom erschienenen „Apes Urbanae" (s. II, p. XII) : Scheiner werde zunächst eine Schrift herausgeben, worin er beweisen werde, „dass von dem, was Galilei (im Dialoge bezüglich der Sonnenflecken) behaupte, nichts richtig sei, dass Galilei die Bewegung der Sonnenflecken erst aus der »Rosa Ursina* kennen gelernt habe, dieses aber schlau verschweige und so den Leser irre führe, und dass er an den Himmel, die Sonne, die Orsini'sche Rose und ihren Verfasser gewaltsam Hand anlege". ' Dann werde eine weitere Streitschrift gegen den Dialog unter dem Titel „Prodromus pro stabilitate terrae" folgen, worin Galilei's „logische, physische, mathematische, ethische und theologische Irrthümer" kurz nachgewiesen werden würden. Endlich werde das Hauptwerk folgen, worin die Bewegung der Sonne und das Stillstehen der Erde „aus heiligen und profanen Quellen und aus der Beobachtung und Vernunft" werde be- wiesen werden. Vgl. IX, 279. Im März 1633 SmS Scheiner von Rom nach Deutschland. Der „deutsche Jesuit", von welchem Magiotti 14. Oct. 1633 (IX, 403) schreibt, er „fabricire im Römischen Colleg ein dickes Buch gegen den Dialog", ist also nicht Scheiner, wie Alberi meint, sondern Inchofer. Wenn P. Schneemann S. 399 von Scheiner sagt: „Obwohl er anfänglich ent- schlossen gewesen, gegen Galilei's heftige Angriffe zu schreiben, so unterliess doch solches, als Galilei verurtheilt worden", so ist das unrichtig. Im October 1637 war, wie Pieroni an Galilei schreibt (X, 234), der „Prodromus" gedruckt bis auf die Tafeln.

Streitschriften gegen den Dialog. 423

Brief von Micanzio vom 8. März I6361): „Es ist mir [als Venetianischem Censor] ein Büchlein von einem Kapuziner gegen die Bewegung der Erde vorgelegt worden. Ich hätte es laufen lassen, um der Welt etwas zu lachen zu geben ; denn die unwissende Bestie hat, das ist die Hauptsache in seinem Discurs, zwölf Gründe, die als unwidersprech- liche und unwiderlegliche Beweise vorgeführt werden, und doch bringt er nichts anderes vor, als jene Kindereien, die schon Jemand, der etwas davon versteht, widerlegt hat. Dabei versteht dieses Vieh so viel von Geometrie und Ma- thematik, dass er als Beweis anführt: wenn die Erde sich bewegte, dann müsste sie, da sie nichts hätte, worauf sie sich stützte, herunterfallen; er hätte noch beifügen sollen: und dann würden alle Wachteln todt bleiben. Aber weil er unanständig von Ihnen spricht und die Unverschämtheit gehabt hat, Ihre Geschichte zu erzählen und zu sagen, Sie seien processirt und verurtheilt worden, habe ich den, der mir das Büchlein vorlegte, zum Henker geschickt. Aber Sie wissen, wie freche Gesellen sind. Ich vermuthe, er wird es anderswo drucken lassen ; denn er ist verliebt in sich selbst und glaubt fester, dass seine Dummheiten zwingende Beweise seien, als er ans In principio 2) glaubt." Galilei antwortet am 15. März3): „Ich muss Ihnen dafür danken, dass Sie die fragliche Bestie dort nicht haben laufen lassen, und dass Sie damit, wie bei allen Gelegenheiten, Ihre zarte Fürsorge für das bischen Reputation bekundet haben, welches ich bei der Welt noch habe. . . . Ich halte es für die grösste Gunstbezeugung und Ehre, mich rühmen zu können, dass Sie mich Ihres Schutzes würdig erachtet haben. Sollte jenes Werkchen anderswo veröffentlicht werden, so wird es mir zur Ergötzung und Belustigung dienen, meinen Feinden und Neidern aber, von denen doch manche nicht ganz dumm sind, wird es nicht sehr angenehm sein, mich mit Fuchs- schwänzen gepeitscht zu sehen, während sie scharfe und spitze Wolfs- und Vipernzähne gebrauchen möchten."

1) X, 142.

2) Anfang des Johannes-Evangeliums.

3) VII, 60.

424 Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.

XXXV.

Aeusserungen Galilei's und seiner Freunde über das Urtheil vom J. 1633.

Es ist nicht ohne Interesse, mit der vorstehenden Dar- stellung einige Stellen in der Biographie Galilei's zu ver- gleichen, welche sein Schüler Viviani im J. 1654 auf Er- suchen des Prinzen (spätem Cardinais) Leopold de' Medici schrieb und welche 171 7 zuerst gedruckt wurde l): „Da sich Galilei durch seine anderen bewunderungswürdigen Specu- lationen mit unsterblichem Ruhme bis zum Himmel erhoben und durch so viele neue Entdeckungen unter den Menschen den Namen des Göttlichen erworben, Hess es die ewige Vorsehung zu, dass er seine Menschlichkeit durch Irren be- wies, indem er bei der Besprechung der beiden Weltsysteme seine Hinneigung zu der Copernicanischen Hypothese zeigte, die bereits von der h. Kirche als der h. Schrift wider- sprechend verdammt war. Er wurde darum nach Rom be- rufen, . . . und nachdem ihm sein Irrthum gezeigt war, nahm er als echter Katholik jene Meinung zurück. . . Es war nicht anders möglich, als dass jenes Werk über das Welt- system auch in Länder jenseits der Alpen gelangte, und so wurde es bald darauf in Deutschland in lateinischer Uebersetzung von Matthias Bernegger und von Anderen in französischer, englischer und deutscher Sprache veröffentlicht. Danach wurde in Holland mit einer lateinischen Uebersetzung auch eine Abhandlung gedruckt, welche Galilei in italienischer Sprache schon um das J. 16 15 in Form eines Briefes an die Grossherzogin Christina von Lothringen geschrieben. . . Die Nachricht von diesen Uebersetzungen und Publicationen seiner Schriften betrübte Galilei sehr, da er die Unmöglich- keit erkannte, dieselben jemals zu unterdrücken, wie auch viele andere, welche schon in Italien und im Auslande in Abschriften verbreitet waren und welche sich auf denselben

1) XV, 352.

Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633. 425

Gegenstand beziehen und von ihm bei verschiedenen Ge- legenheiten im Laufe der Zeit verfasst worden waren, in welcher er der Meinung des Pythagoras und Copernicus ge- wesen, welche er schliesslich auf die Autorität der Römi- schen Censur hin in katholischer Gesinnung aufgegeben hatte. Für die heilbringende Wohlthat, welche die unend- liche Vorsehung* ihm erwiesen, indem sie ihn von einem so grossen Irrthum befreite, wollte sich Galilei dankbar erwei- sen durch die Förderung anderer wichtiger Erfindungen. (Folgt ein Bericht über Galiiei's auf die Längenmessung bezügliche Arbeiten.) Galilei hatte sich entschlossen, nie mehr eine seiner Arbeiten dem Druck zu übergeben, um nicht aufs neue jene Nebenbuhler zu reizen, die er bei allen seinen anderen Arbeiten zu finden das Unglück gehabt. Aber um sich seinem Schöpfer dankbar zu erweisen, wollte er alles, was er noch hatte, handschriftlich verschiedenen Personen mittheilen, welche gegen ihn wohlwollend gesinnt waren und für die von ihm behandelten Materien Verständ- niss hatten. An erster Stelle überreichte er dem Grafen de Noailles . . . im J. 1636 eine Abschrift seiner [neuen] Dialoge. . . Als der Herr Graf zu Paris angekommen war, liess er, um der Welt nicht einen solchen Schatz vorzuent- halten, eine Abschrift in die Hände der Elzevire gelangen, welche sogleich den Druck begannen, der 1638 vollendet wurde. Bald nach dieser unerwarteten Veröffentlichung' ' u. s. w.

Es unterliegt keinem Zweifel, dass Viviani die Sache besser wusste und nur aus Rücksichten gegen die Inquisition oder den Hof sie so unrichtig darstellte. Ueber die Veröffent- lichung der erwähnten drei Schriften gibt uns Galiiei's Brief- wechsel, wie wir gesehen haben, vollständigen Aufschluss. Seine Gedanken über seine Verurtheilung spricht er aller- dings in seinen Briefen nicht so offen aus; die Andeutungen in seinen eigenen und in den Briefen seiner vertrauten Freunde zeigen aber deutlich genug, dass er anders dar- über dachte, als Viviani angibt. Einzelne solcher Andeu- tungen sind bereits mitgetheilt; einige andere mögen hier folgen.

Am 21. Febr. 1635 schreibt Galilei an Peiresc1): „Ich

.) Suppl. 362.

426 Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.

hoffe keine Erleichterung, und zwar darum nicht, weil ich kein Verbrechen begangen habe. Ich könnte Gnade und Verzeihung hoffen und erlangen, wenn ich geirrt hätte; denn bei Fehltritten kann der Fürst Gnade und Nachsicht walten lassen; dagegen muss einem unschuldig Verurtheil- ten gegenüber Strenge geübt werden, um den Schein zu retten, als sei nach dem Rechte gegen ihn verfahren. . . Zwei Dinge trösten mich: das eine ist dieses, dass in allen meinen Werken Niemand eine Spur einer Verletzung der der h. Kirche gebührenden Pietät und Ehrfurcht finden wird; das andere ist mein Gewissen, welches mir sagt, dass in der Sache, wofür ich leide, Niemand mit einer heiligern Absicht hätte handeln und reden können als ich. Wie viel deutlicher würde diese meine durchaus religiöse und heilige Gesinnung hervortreten, wenn die Verleumdungen, Lügen, Kunstgriffe und Täuschungen enthüllt würden, die vor achtzehn Jahren in Rom angewendet wurden, um die Augen der Oberen zu verblenden. . . . Sie werden wohl aus meinen Schriften erkannt haben, welches der wahre und wirkliche primus motor gewesen ist, der mich unter der Maske der Religion bekriegt hat und fortwährend mich belagert und alle meine Schritte so einengt, dass mir weder von aussen Hülfe kom- men, noch ich selbst mich vertheidigen kann, da allen In- quisitoren ausdrücklich befohlen ist, nicht zu gestatten, dass irgend eins meiner schon vor vielen Jahren gedruckten Bücher neu gedruckt und für irgend ein neues die Druck- Erlaubniss ertheilt werde, so dass ich nicht nur zu den zahl- reichen Angriffen schweigen muss, welche in rein naturwis- senschaftlichen Fragen gegen mich gerichtet werden, um meine Lehre zu unterdrücken und meine Unwissenheit zu beweisen, sondern auch die Spöttereien, Bissigkeiten und Injurien verschlucken muss, welche Leute, die unwissender sind als ich, sich unbedenklich gegen mich erlauben."

Im J. 1637 schreibt Galilei an den König Ladislaus von Polen1): ,,Ich weiss, dass Exemplare meines Dialogs auch in die dortigen Gegenden gelangt sind; so können also Euere Majestät und Ihre Gelehrten beurtheilen, in wie weit es wahr ist, dass darin eine scandalösere, abscheulichere und für die ganze Christenheit verderblichere Lehre ent-

j) VII, 190.

Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633. 427.

halten sei als in den Büchern Calvins, Luthers und aller Häresiarchen zusammen; und doch ist diese Vorstellung dem Papste so fest eingeredet worden, dass das Buch ver- boten ist und ich mit Schmach bedeckt und zu Kerkerhaft nach dem Ermessen Seiner Heiligkeit, das heisst auf Lebens- zeit, verurtheilt worden bin."

Am 9. Nov. 1637 schreibt er an Beaugrand1): Morin habe ihm eine neue wStreitschrift über die Bewegung der Erde geschickt, die zwar zunächst gegen Lansberg gerich- tet war, in der aber auch ein Capitel über Galilei's Verur- theilung vorkam; er sage darin, er theile die Sentenz und Abschwörung nicht mit, um Galilei's Ruf zu schonen. „Er sieht also nicht ein, dass er so meine Ehre nicht schont, sondern schwer schädigt, da wegen dieses seines Schwei- gens der Leser sicher vermuthen wird, mein Vergehen sei ein sehr schweres gewesen, während es doch kein anderes war, als dass ich bei den Oberen der Hinneigung zu der verdammten Meinung von der Bewegung der Erde ver- dächtig geworden war. Es ist auch keine geringe Leicht- fertigkeit, wenn er behauptet, ich hätte in versteckter und heuchlerischer Weise die Bewegung der Erde vertheidigen wollen, während ich von nichts entschieden rede, sondern mich immer auf die Entscheidung der Oberen beziehe."

Am 2$. März 1641, also ein Jahr vor Galilei's Tode, schrieb ihm Francesco Rinuccini2) über ein ihm in einem Buche aufgestossenes Argument, welches ihn an der Rich- tigkeit des Copernicanischen Systems irre zu machen drohte. Galilei gab ihm in einem Briefe vom 29. März3) die nöthige Aufklärung, wobei er zum Schlüsse auf seinen „unglücklichen" Dialog verweist, begann aber diesen Brief mit folgenden merkwürdigen Sätzen: „Die Falschheit des Copernicanischen Systems darf in keiner Weise in Zweifel gezogen werden, namentlich nicht von uns Katholiken, die wir die unwider-

1) VII, 197. Ueber Morin s. o. S. 421.

2) Francesco Rinuccini, ein Neffe des Cardinais Bandini, geb. 1603, war damals (1637— 1642) toscanischer Resident in Venedig; er wurde später Bischof von Pistoja, f 1678. Sein Bruder, Giovanni Batista, wurde 1625, nach dem Tode Dini's, Erzbischof von Fermo (Suppl. 183). Auch ein auderer Bruder, Tommaso, war ein Schüler und Freund Galilei's (s. o. S. 166). Suppl. 252. 253 stehen zwei Briefe an Galilei von einem Carlo Rinuccini.

3) VII, 361.

428 Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.

legliche Autorität der h. Schriften haben, wie sie von den grössten Meistern in der Theologie erklärt werden, deren einmüthige Uebereinstimmung uns die Gewissheit gibt, dass die Erde unbeweglich im Mittelpunkte steht und die Sonne sich um dieselbe herum bewegt. Die Vermuthungen, welche Copernicus und seine Anhänger für das Gegentheil vorge- bracht, erledigen sich alle durch jenes durchaus beweiskräf- tige Argument, welches von der Allmacht Gottes herge- nommen wird: da diese auf verschiedene, ja auf zahllose Weisen das hervorbringen kann, was nach unserer Meinung und Beobachtung auf diese bestimmte Weise hervorgebracht zu sein scheint, so dürfen wir nicht die Hand Gottes ver- kürzen wollen und hartnäckig das behaupten, worin wir uns täuschen können. Wie ich aber die Beobachtungen und Vermuthungen des Copernicus für ungenügend halte, so halte ich anderseits die des Ptolemäus, des Aristoteles und ihrer Anhänger für noch trügerischer und irriger, da man, ohne über die Grenzen des menschlichen Denkens hinauszugehen, hinlänglich klar erkennen kann, dass sie nicht beweiskräftig sind." Ohne Zweifel ist dieser Passus mit seiner Verweisung auf das für Galilei so verhängnissvolle Argument Urbans VIII. ironisch gemeint, und hat ihn nicht nur Rinuccini, sondern auch Viviani, dem Galilei den Brief dictirte, so verstanden1).

Dazu nehme man noch folgende Bemerkungen, die Galilei an den Rand von Büchern geschrieben und die von Berti2) veröffentlicht worden sind: „Neuerungen einführen! Wer bezweifelt, dass es die schlimmsten Scandale zur Folge haben muss, wenn man die Neuerung einführt, zu verlangen, dass die von Gott frei geschaffenen Geister sich zu Sklaven des Willens eines Andern machen sollen, dass man die eigenen Sinne verleugnen und dem Gutdünken eines Andern unterordnen solle, zuzulassen, dass Leute, die von einer Wissenschaft oder Kunst gar nichts wissen, über diejeni- gen, die etwas davon verstehen, Richter sind und durch die ihnen eingeräumte Autorität die Macht haben sollen, jene nach ihrem Sinne zu lenken? Das sind die Neuerungen, welche die Staaten ruiniren können!" „Neue Lehren sind

1) Martin, Galilee p. 235. Reumont, Beitr. I, 419.

2) Copernico p. 148,

Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633. 429

euere Lehren, durch welche ihr den Verstand und die Sinne zwingt, nicht zu verstehen und nicht zu sehen." „Ihr seid es, die Ketzereien verursachen, wenn ihr ohne allen Grund wollt, dass der Sinn der Bibel derjenige sei, der euch gefällt, und dass die Gelehrten ihre Sinne und die zwingen- den Beweise verleugnen sollen." „Ihr seid die Urheber von Neuerungen, und zwar von Neuerungen, welche der Religion grossen Schaden bringen können." In einem Exem- plare der ersten Ausgabe des Dialogs hat Galilei eine Reihe von Zusätzen beigefügt, welche in der 1744 zu Padua er- schienenen und in den folgenden Ausgaben mit abgedruckt sind1). Einer dieser Zusätze2) ist eine ausführliche Wider- legung von Einwendungen gegen das Copernicanische System.

Von Galilei's Freunden spricht sich Micanzio ganz offen aus. Er schreibt z. B. 14. Oct. 16343): Ich habe nur Ihre Dialoge und das Buch des Rocco mit aufs Land genommen. Ich habe sie beide mit Vergnügen gelesen; es war mir zu Muthe, wie wenn ich einen Frosch sähe, der die Sprünge eines Seiltänzers nachzumachen sucht. . . Wenn ich die peripatetischen Principien noch einmal prüfe, wie Sie in dem Weltsystem gethan, so ist mir, als ginge alles in Rauch auf." Am 31. Oct. 16344) schreibt er: „Sie haben in dem Briefe an die Grossherzogin Christina die beiden wesentlichen Punkte berührt: erstens, dass man sich hüten müsse, etwas als Dogma hinzustellen, was jetzt oder im Laufe der Zeit als unrichtig erwiesen werden könne, und zweitens, dass die h. Schrift von den Dingen der Natur der herrschenden Meinung entsprechend redet. Und wenn die Jesuiten die Unbeweglichkeit der Erde zu einem Glaubens- artikel machen, so mögen sie überzeugt sein, dass alle Professoren der Astronomie Ketzer werden sein müssen. Ueber die Copernicanische Lehre hat Ihr Buch so viel Licht verbreitet, dass sich Alle, die es lesen, hineinstürzen müssen." Aehnlich spricht er in anderen Briefen über den Dialog. Die „Bestialität" des Verbotes desselben, klagt er einmal, sei Schuld daran, dass sein Exemplar an Freunde verliehen

1) I, 6. 2) I, 358-364.

3) X, 58; über Rocco s. o. S. 420.

4) Suppl. 271.

43° Aeusserungen über das Urtheil vom J. 1633.

sei1). Am 13. Febr. 16.38 2) theilt er Galilei mit: „Unser Ingenieur [der Holländer Franz de Weerdt] hat eine Ent- gegnung auf einen akademischen Vortrag eines gewissen Giacomo Accarisio 3) gegen das Copernicanische System geschrieben. Die Erwiederung ist gut, aber ganz aus den Dialogen geschöpft, mit Ausnahme des Abschnittes über die Bibelstellen, die er gut bespricht. Wenn die Schrift gedruckt wird, wie ich glaube, so wird sie den Rath be- kräftigen, den Herr Galileo Madama [der Grossherzogin Christina] ertheilt hat: es sei eine verwegene Kühnheit, Glaubensartikel in die Luft zu bauen über Sachen, bei denen sich mit der Zeit das Gegentheil als wahr erweisen werde." Am 14. Jan. 1640 schreibt4) er: „Auf diejenigen, welche etwas davon verstehen, hat die Lehre der ersten Dialoge einen solchen Eindruck gemacht, dass sie wünschen, alles was Sie schreiben, möge von demselben Gegenstande han- deln. . . . Ich werde, wenn ich die Wahrheit sagen soll, jedesmal ärgerlich, wenn Sie Ihre ersten Dialoge tadeln; ich sage es Jedermann und es ist wahr, dass ich mir lieber alle Bücher wegnehmen liesse als dieses über die Weltsy- steme. Lassen Sie doch in Gottes Namen diejenigen dage- gen bellen, die es sich zur Aufgabe machen, alle Wahrheit und alle Leistungen eines ungewöhnlichen Geistes zu ver- nichten, und lassen Sie jenes unvergleichliche Werk immer- hin verfolgt werden; aber ein so schönes Kind darf doch nicht von seinem Erzeuger übel angesehen werden. Lassen Sie den Sohn das Loos des Vaters theilen, dem die Ver- folgung ebenso sehr zum Ruhme gereicht wie die unver- gleichliche Erhabenheit seines Geistes."

Die anderen Freunde Galilei's vermeiden es, über die Copernicanische Lehre zu schreiben, oder drücken sich sehr vorsichtig aus5). Niccolö Aggiunti schreibt aus Florenz am 30. Juli 1633 6), also wenige Wochen nachdem er der feier- lichen Verkündigung des Urtheils über Galilei hatte bei- wohnen müssen: „Wenn der Ausgang der Sache unge-

1) X, 115 (Oct. 1635). lll (Sept. 1636).

2) X, 274.

3) Der Vortrag erschien 1637 zu R°m> der Verfasser bezeichnet sich auf dem Titelblatt als Qualificator der Inquisition; II, p. XVI.

4) X, 378.

5) Vgl. X, 4. 10 1 u. s. w. 6) X, 380.

Aeusserungen über das Unheil vom J. 1633. 431

heuerlich gewesen ist, so sind ohne Zweifel auch die Mittel und der Verlauf so gewesen, wie -sie sein mussten, um eine solche Ungeheuerlichkeit zu Wege zu bringen, und wenn mich bei der ersten Nachricht von dem Ausgange Erstau- nen und Bestürzung ergriffen, so werde ich wohl, wenn ich die Ursachen erfahre, die ihn herbeigeführt und zu Wege gebracht, noch mehr erstaunt und entrüstet sein. Derselbe Grund, weshalb Sie mir gegenüber geschwiegen, hat auch mich bestimmt und bestimmt mich noch zu schweigen, so dass ich über unser Unglück nicht gesprochen habe und nicht spreche. So darüber zu sprechen, wie ich kann, daran liegt mir nichts, und so, wie ich möchte, kann ich nicht sprechen, Dank denjenigen, welche auch mit unserer Ver- stellung ihren perfide erheuchelten Eifer beschönigen möch- ten. Doch von Anderm." Mario Guiducci, der auch bei der feierlichen Verkündigung des Urtheils in Florenz zu- gegen gewesen, schreibt am 5. Nov. 1633 !): „Es ist mir nicht unlieb, zu hören, dass Jemand in Rom ex professo gegen Sie schreibt; denn ich glaube nicht, dass etwas her- auskommen wird, was in den Augen derjenigen, die etwas von der Sache verstehen, Ihre Reputation irgendwie schä- digen könnte. Ihre Gegner können freilich gewiss sein, dass Sie nicht antworten werden ; denn ich bin überzeugt, sie wer- den so rohe und dumme Dinge schreiben, dass ohne irgend- welche Erwiederung ihre Unwissenheit und Bosheit zu Tage treten wird. Wenn Sie dann die Arbeit, die Sie jetzt unter Händen haben, [die neuen Dialoge] veröffentlichen, so wird man sehen, dass Sie darum nicht antworten, weil Sie, wie das jeder Katholik thun muss, sich den Weisungen der Oberen fügen und bei deren Entscheidungen, welche durch- aus wahr und unwidersprechlich sind, sich beruhigen, aber nicht darum als ob Sie so schwach wären, sich von so frivolen Gründen überzeugen zu lassen, wie sie, so viel ich vermuthe, von Ihren Gegnern werden vorgebracht werden. Und wenn diese, was ich nicht glaube, so schrieben, dass sie auch durch philosophische und physicalische Argumente den Ver- stand überzeugten, so weiss ich, dass Sie das als einen grossen Gewinn ansehen würden, wiewohl es überflüssig ist, das, was Leute, die durch ein anderes als das natürliche

1) Suppl. 257.

432 Galilei's Tod und Bestattung.

Licht erleuchtet sind, entschieden haben, durch schwache von Menschen erfundene Gründe zu bekräftigen. Wir wer- den ja sehen/' Noch vorsichtiger schreibt Castelli am 19. April IÖ361): „Ich habe in diesem Jahre sehr oft die Sapienza besucht und viel Gefallen an einem Doctor aus Bologna gefunden, der sehr oft äusserst gelehrte und scharf- sinnige Vorträge gegen die Meinung des Copernicus hält, voll von sehr überzeugenden geometrischen Demonstratio- nen, die auf sehr guten Grundlagen und Principien beruhen. Ich will Ihnen eine solche Grundlage mittheilen, die ich behalten habe, wie sie mir ein Schüler berichtet hat, denn ich war selbst nicht zugegen: die Sonne ist in dem primum mobile wie ein Nagel in dem Karrenrade, woraus ganz deutlich die Unrichtigkeit der Meinung des Copernicus erhellt und sich ganz leicht die Antwort auf viele seiner Argumente ergibt u. s. w."

XXXVI. Galilei's Tod und Bestattung.

Am 8. Jan. 1642, in demselben Jahre, in welchem New- ton geboren wurde, starb Galilei, beinahe 78 Jahre alt, nach- dem er zuvor die Sacramente und den Segen Urbans VIII., wohl die sog. General -Absolution, empfangen hatte. Sein Sohn Vincenzo, seine beiden Schüler Viviani und Torricelli, der Ortspfarrer und zwei Beamte der Inquisition waren bei seinem Tode zugegen.

Am 21. Aug. 1638 hatte Galilei ein Testament gemacht2). Einige Theologen meinten, dasselbe sei nicht rechtsgültig, weil er von der Inquisition verurtheilt und nicht begnadigt worden sei. Auf Grund eines Rechtsgutachtens, welches diese Einrede für unbegründet erklärte, wurde indess das Testament anerkannt. Einige meinten auch, Galilei dürfe nicht kirchlich begraben werden; aber auch über dieses

[) X, 150. 2) XV, 401.

Galilei's Tod und Bestattung. 433

Bedenken ging man hinweg1). Der Wunsch, den Galilei in seinem Testamente ausgesprochen/ in der Gruft seiner Fami- lie in Santa Croce' in Florenz begraben zu werden, wurde indess nicht erfüllt; die Leiche wurde in der Seitenkapelle der hh. Cosmas und Damianus in Santa Croce beigesetzt. Man beabsichtigte, ihm ein Grabmal zu setzen; zu den auf 3000 Scudi veranschlagten Kosten zeichneten ausser vielen angesehenen Florentinern auch die Erzbischöfe Piccolomini von Siena und Rinuccini von Fermo Beiträge2).

Die von Galilei hinterlassenen Papiere wurden von Vincenzo in einer Kiste verschlossen. Als er bald nach dem Tode seines Vaters für einige Tage nach Pisa reiste, bat er brieflich Viviani, dafür zu sorgen, dass diese Kiste Niemand ausgeliefert werde, sie schlimmsten Falls in das Kloster zu seiner Schwester bringen zu lassen, wo er dem Beichtvater der Nonnen das Nöthige aufgetragen. Vincenzo fügte bei, er glaube nicht, dass man nach den Papieren fragen werde. In der That scheint die Inquisition keinen Versuch gemacht zu haben, ihrer habhaft zu werden3).

Grisar sagt S. 128, Galilei sei „im Frieden der Kirche und mit dem Segen Urbans VIII. gestorben". Diese Aus- drücke finden in Folgendem eine eigenthümliche Illustration. Der Inquisitor von Florenz berichtete über Galilei's Tod nach Rom. In einer am 23. Jan. 1642 unter dem Vorsitze des Papstes gehaltenen Sitzung der Inquisition wurde über diesen Bericht berathen4) und darauf am 25. von dem Car-

1) Venturi II, 324. Die Bestimmung, auf welche jene Theologen sich mit Unrecht beriefen, wird die sein, welche im Sacro Arsenale p. X, No. 269 so angeführt wird: „Die Häretiker können kein Testament machen, auch nicht ad pias causas, und das von einem Häretiker gemachte Testament ist null und nichtig und wird auch durch dessen Busse nicht gültig; auch nach- dem er mit der Kirche wieder ausgesöhnt worden, kann er nicht über die nach der Abschwörung erworbenen Güter testiren."

2) XV, 402.

3) Vgl. Berti in den Atti della R. Acc. dei Lincei 1875—76, S. 2, Vol. 3, P. 3, p. 96. Berti berichtet auch über die späteren Schicksale der Papiere, und berichtigt manche irrige Angaben, z. B. dass nach dem Tode Renieri's im J. 1648 die Inquisition Schriften von Galilei, die er in Händen gehabt, confiscirt und dass ein Enkel Galilei's, der Priester war, Papiere seines Grossvaters verbrannt habe.

4) Gherardi No. XXX, abgedruckt bei Gebier, Galilei S. 432; der Brief des Cardinais bei Wolynski p. 29.

Keusch, Galilei. 28

434 Galilei's Tod und Bestattung.

dinal Barberini dem Inquisitor geschrieben: „Der Monsignor Assessor [des h. Officiums] hat Seiner Heiligkeit den Brief vorgelesen, worin Sie von dem Tode Galilei's Mittheilung machen und andeuten, was nach Ihrer Meinung bezüglich seines Grabmals und der Exequien zu thuen sei. Seine Heiligkeit hat nach Berathung mit Ihren Eminenzen beschlos- sen: Sie möchten mit Ihrer gewohnten Geschicklichkeit dafür sorgen, dass dem Grossherzog beigebracht werde, es sei nicht gut, für die Leiche dessen Mausoleen zu errich- ten, der von dem Tribunal der h. Inquisition zu Bussen verurtheilt worden (penitentiato) und während der Busszeit gestorben ist, da die Gutgesinnten daran Anstoss nehmen könnten zum Schaden [des Rufes] der Frömmigkeit Seiner Hoheit. Sollte aber jener Plan nicht hintertrieben werden können, so müssen Sie darauf achten, dass in der auf das Grab zu setzenden Inschrift keine Worte vorkommen, welche der Reputation dieses Tribunals zu nahe treten. Dieselbe Vorsicht haben Sie demjenigen gegenüber zu be- obachten, welcher die Leichenrede halten wird; sorgen Sie, dass Sie dieselbe, ehe sie gehalten und gedruckt wird, zu Gesicht bekommen und genau prüfen. Ihrer klugen Einsicht gibt Seine Heiligkeit diese Sache anheim." An demselben Tage berichtete Niccolini an den Staatssecretär über eine Audienz, die er bei dem Papste gehabt, Folgendes !) : „Der Papst sprach von dem Cardinal Firenzuola und erinnerte sich dabei, dass derselbe Commissar des h. Officiums war, als der verstorbene Galilei wegen seines Buches über die Bewegung der Erde inquirirt wurde. Er sagte dann, er wolle mir im Vertrauen und bloss gesprächsweise, nicht damit ich darüber nach Florenz schriebe, etwas mittheilen: er habe gehört, der Grossherzog könnte auf den Gedanken gekommen sein, ihm in Santa Croce ein Denkmal zu setzen; ob ich etwas davon wisse. Ich habe in der That seit vielen Tagen hier davon reden gehört, antwortete aber, ich wisse nichts davon. Seine Heiligkeit erwiederte: er habe davon gehört, wisse aber nicht, ob es wahr sei oder nicht; jeden- falls wolle er mir aber bemerken: wenn der Grossherzog das thäte, würde er der Welt kein gutes Beispiel geben; Galilei habe hier vor dem h. Officium gestanden wegen

) XV, 403.

Galilei's Tod und Bestattung. 435

einer so sehr falschen und irrigen Meinung; er habe diese Meinung auch vielen Anderen in Florenz beigebracht und der ganzen Christenheit ein Aergerniss gegeben mit einer Lehre, die schon verdammt gewesen sei. Dann sprach er lange Zeit über die Anklagepunkte und über die Antworten, die Galilei hier gegeben, und ' dass er eingestanden habe, überführt worden zu sein. Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen darüber zu berichten und beizufügen, dass, wenn Seine Hoheit eine solche Absicht haben sollte, es besser sein würde, die Sache auf eine andere Zeit zu verschieben, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Seine Heiligkeit hat die Leiche der Gräfin Mathilde aus der Karthause zu Mantua wegnehmen und hieher nach St. Peter bringen lassen, wo er ihr ein Denkmal errichtet hat. Er hat mit dem Her- zog Carlo, der sich darüber beschwert hat, gar nicht darüber verhandelt, unter dem Vorwande, alle Kirchen gehörten dem Papste und die darin Beigesetzten seien kirchliches Eigenthum. So könnte auch diese Sache Anlass zu Schwie- rigkeiten und langen Verhandlungen geben, ohne dass die- ses zu etwas Gutem führen würde." Der Cavaliere Gondi antwortete auf diese Depesche unter dem 29. Jan. 1642: „Von dem Grabmal für den verstorbenen Mathematiker Galileo war auch hier die Rede, aber Seine Hoheit hatte darüber nichts beschlossen und es war auch noch keine Entschliessung beabsichtigt. Auf jeden Fall werden die Bedenken, welche Sie im Anschlüsse an das, was Ihnen der Papst mit so viel Delicatesse gesagt hat, vorgetragen haben, gewürdigt werden." In der nächsten Audienz nahm dann Niccolini von den früher (S. 201) erwähnten Aeusserungen des Papstes über die Astrologen und Galilei's Irrthümer Veranlassung, ihm zu sagen: es sei allerdings von einem Denkmal für Galilei die Rede gewesen, aber zu einem be- stimmten Plane sei es nicht gekommen. Auch der Inquisi- tor berichtete am 1. Febr. 1642 *): er werde gemäss den ihm von der Inquisition ertheilten Weisungen verfahren; bis jetzt mache man aber noch keine Anstalten. Dieser Brief wurde der Inquisition in der Sitzung vom 13. Februar zur Kenntniss gebracht2). Sie fand damals keine weitere Ver- anlassung, sich um die Sache zu kümmern. Denn man

:) XV, 404. 2) Gherardi No. XXXI.

43° Galilei's Tod und Bestattung.

hielt für gut, von dem Denkmal vorerst Abstand zu nehmen. Erst am i. Sept. 1674 wurde auf dem Grabe eine Inschrift angebracht x).

Vincenzo Viviani, der am 22. Sept. 1703 starb, legte in seinem Testamente seinen Erben die Verpflichtung auf, Galilei, neben dem er selbst begraben werden wollte, in Santa Croce ein prächtiges Denkmal zu setzen. Die Aus- führung verzögerte sich bis zum J. 17372). Die Errichtung dieses Denkmals gab Anlass zu den letzten Schriftstücken, welche sich in den Acten der Inquisition über Galilei finden.

Am 8. Juni 17343) schrieb der Inquisitor von Florenz an die Römische Inquisition: „Heute Morgen war der Rit- ter Neroni bei mir und fragte mich, ob bei unserm h. Offi- cium eine Ordre Ihrer höchsten und heiligen Congregation existire, nach welcher es nicht erlaubt sei, in der Kirche Santa Croce ein prächtiges Denkmal von Marmor und Bronze zu Ehren des verstorbenen, wegen seiner bekannten Irrthümer verdammten Galileo Galilei zu errichten; die Er- richtung eines solchen Denkmals mit einem Kostenaufwand von etwa 4000 Scudi sei von einem Anhänger des besagten Galilei4) seinen Erben schon durch eine testamentarische Bestimmung vom J. 1689 aufgelegt. Da man jetzt diese Bestimmung ausführen will, bin ich also gefragt worden, ob früher ein Verbot erlassen worden sei, in unserm Archiv finde ich nichts darüber, oder ob Euere Eminen- zen die Errichtung des Denkmals mit Rücksicht auf die Notorietät der Irrthümer des verstorbenen Galilei verbieten könnten." Die Inquisition verwies diese Anfrage zunächst an ihre Consultoren, bei dieser Gelegenheit ist ein kur- zer Bericht über Galilei's Verurtheilung aus den Acten zu- sammengestellt, der sich in den Acten hinter dem Briefe des Inquisitors findet5); die Consultoren beantragten

1) XV, 404.

2) „Der Sarg (Galilei's) hat bis 1734 in dem Thurmkämmerchen der grossen Kirche gestanden, neben demselben über 30 Jahre der Sarg Viviani's.'' Reumont, Gesch. Toscana's I, 554.

3) Acten S. 182. "Wolynski p. 29.

4) Acten S. 182 steht da un descendente, bei Wolynski da un depen- dente di detto Galilei.

5) Acten S. 183. Dass der Bericht mit dieser Verhandlung zusammen-

Die Römische Curie und das Copernicaniscbe System. 437

am 14. Juni, dem Inquisitor zu Florenz zu antworten: er möge die Errichtung des Denkmals nicht hindern, aber sich eifrig bemühen, dass ihm die darauf anzubringende Inschrift vorher mitgetheilt werde, und diese möge er nach Rom schicken, damit man dort das Geeignete verfüge. In der Sitzung vom 16. Juni genehmigte die Inquisition diesen An- trag1), und unter dem ig. wurde der Inquisitor in diesem Sinne durch den Cardinal Ottoboni beschieden2). Ob die Inschrift wirklich in Rom vorgelegt worden, ist nicht be- kannt3).

XXXVII.

Die Römische Curie und das Copernicanische System 1633-1822.

„Die Kirche, sagt P. Desjardins p. 61, alle Zeit den wahren Fortschritten des menschlichen Geistes günstig, hat, nachdem sie durch ihre Disciplinar-Decrete die Grundsätze gewahrt hatte, welche ihre doctrinelle Integrität schützen, kein Bedenken getragen, in immer weiterer Ausdehnung,

hängt, hat zuerst Pieralisi, Correzioni p. 45, hervorgehoben. Vgl. Th. Lit.- Bl. 1877, 224- Wohlwill, Ist Gal. gef. worden? S. 69. Neuerdings hat Wohlwill, G. G. A. 1878, St. 21, S. 669 (und Zts. f. Math. 1879, Hist.-lit. Abth. S. 19), vermuthet, der Bericht sei im 19. Jahrhundert fabricirt (s. o. S. 300); er meint, so erkläre sich leichter die unrichtige Angabe in dem Anfange des Actenstückes: „Galilei wurde im h. Officium von Florenz zur Untersuchung gezogen (inquisito) wegen folgender Sätze . . ., und nach Rom beschieden, wurde er in diesem h. Officium in Haft genommen" u. s. w. Aber ein solcher „Schreib- oder Denkfehler" bei einem für den Zweck des Berichtes ganz unwesentlichen Punkte konnte einem Beamten (wahrschein- lich dem Commissar oder Assessor) der Inquisition im J. 1734 ebenso leicht oder noch leichter passiren als Monsignor Marini oder einem andern Fälscher im 19. Jahrhundert.

1) Acten S. 184; Gherardi No. XXXII, abgedruckt bei Gebier, Gali- lei S. 433. 2) Wolynski p. 30.

3) Ueber das Grabmal s. Gebier, D. Rundsch. 1878, IV, 74.

438 Die Römische Curie und das Copernicanische System.

so wie die Probabilität des Copernicanischen Systems wuchs, das Lehren desselben, sowie die metaphorische Auslegung der betreffenden Bibelstellen zu dulden. Mit weiser Lang- samkeit hat sie dasselbe zuerst nur negativ autorisirt, indem sie 1755 die Werke, in welchen die Bewegung der Erde ex professo gelehrt wurde, von dem Index verschwinden liess. Endlich am 17. Sept. 1822 wurde die Annahme der gewöhnlichen Meinung der modernen Astronomen positiv und ausdrücklich gestattet durch ein Decret der Inquisition, welches von dem Papste Pius VII. bestätigt und unter- zeichnet wurde, während die verurtheilenden Decrete weder von Paul V. noch von Urban VIII. unterzeichnet worden waren."

„Die Kirche" ist noch etwas langsamer vorgegangen, als P. Desjardins von ihr rühmt. Allerdings ist nach Gali- lei kein Vertheidiger der Copernicanischen Lehre mehr von der Inquisition verfolgt1), auch ist nach dem J. 1634 kein Copernicanisches Buch mehr auf den Index gesetzt worden, obschon einzelne derartige Schriften schon im 17. Jahrhun- dert auch in Italien, selbst in Rom erschienen2). Auch die Uebersetzungen des Galilei'schen Dialogs wurden nicht auf den Index gesetzt3). Im J. 1693 schrieb zwar Baldigiani aus

1) Targioni I, 385 berichtet: der französische Jesuit Honoratus Fabri (Lefevre, geb. 1607, gest. 1688 als Pönitentiar in Rom) sei wegen seiner Be- theiligung an Controversen „über die Experimental-Philosophie, die damals in Rom nicht im guten Gerüche gestanden, im J. 1671 von der Inquisition processirt, 5 Tage in strenger und 45 in weniger strenger Haft gehalten worden und endlich, Dank dem Schutze des Cardinais Leopold von Me- dici, mit dem Leben davon gekommen." Nach Reumont, Gesch. von Toscana I, 562, wäre Fabri „kühn genug gewesen, den Copernicanischen Streit wieder zu beleben". Aber nach Venturi II, 141 hat Fabri 1665 und 1671 gegen die Lehre von der Bewegung der Erde geschrieben [eine Aeusserung von ihm aus dem J. 1661, s. u. S. 457]. Nach Brucker, Hist. philos. IV, I, 144, war er bei den anderen Jesuiten des Cartesianismus verdächtig ge- worden. Die Sache ist mir nicht klar geworden. Bekannt ist Fabri durch die unter dem Namen des EustaChius de Divinis veröffentlichten Streit- schriften gegen Chr. Huyghens' Systema Saturnium (Targioni I, 382) und durch seine Betheiligung an dem Streite über Probabilismus und Jesuiten- Moral (de Backer I, 290. Hurter, Nomencl. I, 534).

2) Martin, Galilee p. 261.

3) Es pflegt sonst im Index bei einem verbotenen Buche, wenn es übersetzt ist, ausdrücklich beigefügt zu werden: quovis idiomate.

Die Römische Curie und das Copernicanische System. 439

Rom an Viviani1): „Ganz Rom steht in Waffen gegen die Mathematiker und Physiker. Es werden ausserordentliche Sitzungen der Cardinäle des h. Officiums in Anwesenheit des Papstes gehalten, und es ist die Rede von einem allge- meinen Verbote aller Verfasser von modernen Physiken. Es werden lange Listen derselben angefertigt; an der Spitze stehen Galilei, Gassendi und Cartesius als für die Literatur und die Reinheit der Religion höchst gefährlich." Und in einem Briefe von Alessandro Aldobrandini vom 14. März 1693 heisst es: „Sehr schlimme Nachrichten für die Gelehr- ten-Republik! Man spricht davon, vierzig der besten Auto- ren, welche von den modernen Wissenschaften handeln, zu verbieten, darunter unsern armen Galilei. ... Der Cardinal Bittre2) ist der Einzige, welcher die Sache dieser armen Ehrenmänner gegenüber der Masse aller Anderen vertritt." Es kam damals zu keinem solchen Verbote. Aber auch die Hoffnung, die etwas später, im J. 169g, Leibniz aussprach, man werde, seinem Rathe folgend, die Censuren gegen das Copernicanische System aufheben, ging nicht in Erfüllung 3). Erst am 10. Mai 1757 beschloss die Index- Congregation, in den neuen Ausgaben des Index das allgemeine Verbot der die Copernicanische Theorie lehrenden Bücher (s. o. S. 114) wegzulassen4), und dieser Beschluss wurde am 11. Mai von

1) Berti, Copernico p. 152.

2) Es wird der französische Cardinal Cesar d'Estree gemeint sein.

3) Leibniz schreibt aus Hannover 30. Oct. 1699 an Antonio Maglia- bechi in Florenz (Targioni I, 517): „Als ich zu Rom war, ermahnte ich einige hervorragende Männer, sie möchten in einer in keiner "Weise gefähr- lichen Sache sich der philosophischen Freiheit günstig zeigen und zugeben, dass die Censuren gegen das Copernicanische System ausdrücklich oder still- schweigend aufgehoben würden; ich zeigte, dass dieses im Interesse der Römischen Kirche liege, damit sie nicht von Unwissenden als Begünstigerin der Unwissenheit und des Irrthums angesehen würde. Sie zeigten sich nicht unempfänglich für meinen Rath; ich hoffe, die alte Freiheit wird wieder hergestellt werden, deren Unterdrückung den aufgeregten Geistern der Ita- liener viel schadet." Andere Aeusserungen von Leibniz s. bei A. Pichler, Theologie des Leibniz II, 238.

4) Habito verbo cum Sanctissimo omittatur decretum, quo prohiben- tur omnes libri docentes immobilitatem solis et mobilitatem terrae. Olivieri, Di Copernico p. 94. Wahrscheinlich sind zu dieser Zeit die Acten der beiden Galilei'schen Processe aus dem Archiv der Inquisition in das Vati- canische Archiv gebracht, zusammengeheftet und mit der fortlaufenden Pagi- nirung versehen worden. Wolynski p. 5. 23.

44° Die Römische Curie und das Copernicanische System.

P. Benedict XIV. bestätigt. Demgemäss enthält die nächste Ausgabe des Index, die vom J. 1758 (nicht 1755) jenes Ver- bot nicht mehr. Das specielle Verbot der Original- Ausgabe des Galilei'schen Dialogs u. s. w. blieb dagegen bis in unser Jahrhundert in Kraft. Freilich erschien der Dialog im vier- ten Bande der zu Padua 1744 gedruckten, mit der kirch- lichen Druck-Erlaubniss versehenen Ausgabe der Werke Galilei's; aber der Herausgeber, Abate Toaldo, schickt folgende Erklärung1) voraus: „Dieser viel besprochene Dialog, der so oft unbefugt gedruckt worden ist, erscheint endlich mit den nöthigen Ermächtigungen zum öffentlichen freien Gebrauche. Er verdiente dieses in der That wegen der seltenen und ausgesuchten Lehren, die er enthält, und wegen der schönen Form, in welcher dieselben entwickelt werden. Was die Hauptfrage von der Bewegung der Erde betrifft, so schliessen auch wir uns dem Widerrufe und der Erklärung des Verfassers an, indem wir in der feierlichsten Form erklären, dass dieselbe nur als reine mathematische Hypothese, die zur leichtern Erklärung gewisser Erschei- nungen geeignet ist, zugelassen werden kann und darf. Darum haben wir die Randbemerkungen, welche nicht ganz unbestimmt waren oder zu sein schienen, weggelassen oder in eine hypothetische Form gebracht2); und aus demselben Grunde haben wir die Abhandlung des Pater Calmet bei- gefügt, in welcher die auf diesen Gegenstand bezüglichen Bibelstellen nach der gewöhnlichen katholischen Ansicht gedeutet werden. \ . Wir wollen uns nicht im mindesten von den ehrwürdigen Vorschriften der h. Römischen Kirche entfernen." Ausser der Abhandlung von Calmet sind als Gegengift gegen den Dialog auch die Sentenz gegen Gali- lei und seine Abschwörung (in lateinischer Uebersetzung) beigefügt. Im J. 1765 verwendete sich der französische Astronom Lalande in Rom ohne Erfolg für die Weglassung des Dialogs aus dem Index5). Noch die Ausgabe von 18 19

1) XV, Bibliogr. XXVII.

2) Nach Venturi II, 118 sind 13 solcher Randbemerkungen wegge- lassen (z. B. „die Sonne selbst bezeugt die jährliche Bewegung der Erde"), 40 geändert (wiederholt „die Bewegung der Erde" in „die vorausgesetzte Bewegung der Erde'*).

3) Er berichtet: der Cardinal-Präfect des Index habe eingewendet, gegen Galilei liege ein Urtheil der Inquisition vor, welches zuvor modificirt

Die Römische Curie und das Copernicanische System. 441

enthält das Verbot des Dialogs und der anderen speciell verbotenen Schriften.

Es wurden gleichwohl seit dem J. 1758 in Rom mehrere Bücher gedruckt, in welchen die Copernicanische Lehre offen vorgetragen wurde. Aber im J. 1820 verweigerte der Magister Sacri Palatii, P. Filippo Anfossi, dem Cano- nicus Giuseppe Settele, Professor an der Sapienza, die Druck- Erlaubniss für seine „Elemente der Optik und Astronomie", weil darin die Copernicanische Theorie nicht als blosse Hypothese vorgetragen wurde *). Settele reichte dem Papste Pius VII. eine ausführliche Beschwerdeschrift ein. Die In- quisition, welcher der Papst die Sache überwies, beschloss am 16. Aug. 1820, das Buch sei nicht zu beanstanden, und dieser Beschluss wurde vom Papste bestätigt. So wurde das Buch unverändert gedruckt, im zweiten Bande aber S. 130 folgende, von dem Commissar des h. Officiums, P. Maurizio Olivieri, verfasste und von der Inquisition ge- nehmigte Anmerkung beigefügt: „Ein System, welches dem buchstäblichen Sinne der h. Schrift zu widersprechen schien und welches übrigens nicht nur keinen thatsächlichen Be- weis für sich hatte, sondern auch grosse Verwirrungen in- volvirte, konnte gewiss nicht von den Katholiken zugelassen werden, die an der Regel festhalten, dass man von dem buchstäblichen Sinne der Bibel nicht abgehen dürfe, wenn man nicht ganz gewiss sei, dass derselbe zu irgend einer Absurdität führen würde. Die Verdammung dieses Systems stützte sich also auf philosophische Absurditäten; aber diese verschwanden bald nachher, da die Entdeckung der Schwere der Luft durch Torricelli im J. 1645 die Meinung widerlegte, dass die Umdrehung der Erde Verwirrungen auf derselben hervorbringen müsse2)." Anfossi machte auf Grund der älteren Decrete weitere Bedenken geltend und Hess zur Be- gründung derselben eine besondere Abhandlung drucken

werden müsse; Clemens XIII. scheine dazu geneigt gewesen zu sein, er habe aber nicht Zeit genug gehabt, die Unterhandlungen zu Ende zu führen, bei denen zu viele Personen betheiligt gewesen seien. Traite d'Astronomie, Paris 1792, p. 421, bei Olivieri p. 95; vgl. Abrege d'Astronomie, Amster- dam 1774, p. 159.

1) Olivieri (s. o. S. 80) p. 96. XVI.

2) Vgl. Govi, II S. Offizio, Copernico e Galileo, in den Atti della R. Accademia di Torino, Vol. VII (1871—72), p. 574. 832. S. o. S. 120.

442 Die päpstliche Unfehlbarkeit.

unter dem Titel: „Ob Jemand, der das Tridentinische Glau- bensbekenntniss abgelegt hat, die Beweglichkeit der Erde und die Unbeweglichkeit der Sonne nicht als blosse Hypo- these, sondern als durchaus wahr und als Thesis vertheidi- gen und lehren dürfe. Eine theologisch-moralische Unter- suchung." Die Cardinäle der Inquisition beschlossen aber trotz dieser Einrede am n. Sept. 1822, es sei in Rom seit dem J. 1822! der Druck von Werken gestattet, „in welchen von der Beweglichkeit der Erde und der Unbe- weglichkeit der Sonne gemäss der allgemeinen Ansicht der modernen Astronomen (iuxta communem modernorum astro- nomorum opinionem) gehandelt werde", und dieser Beschluss wurde am 25. Sept. 1822 von Pius VII. bestätigt. In der nächsten Ausgabe des Index, die im J. 1835 erschien, wurden dann auch die Bücher von Copernicus, Foscarini, Kepler und Galilei weggelassen.

XXXVIII.

Die Verdammung der Copernicanischen Lehre und die päpstliche Unfehlbarkeit.

Gebier J) sagt in Uebereinstimmung mit vielen anderen katholischen Schriftstellern: „Allerdings hatte Papst Paul V. das Index-Decret vom J. 161 6 gewollt und privatim veran- lasst, ebenso wie Urban VIII. die Sentenz wider Galilei, und in diesem Sinne kann dem Erstem jener Erlass, dem Letztern dieser Urtheilspruch und Beiden die Verdammung der Copernicanischen Lehre zugeschrieben werden. Allein da hatten sie als Privatpersonen gehandelt, und als solche waren sie nach der theologischen Regel nicht unfehlbar. . . Die christkatholische Nachwelt darf heute nur sagen : Paul V. und Urban VIII. hätten sich bezüglich der Copernicani- schen Weltanschauung zwar als Menschen geirrt, doch

1) Galilei S. 298. Aehnlich Martin, Galilee p. 151.

Die päpstliche Unfehlbarkeit. 443

nicht als Päpste." Ueber diese Auffassung ist Folgendes zu bemerken.

1. Wenn man annimmt, die Päpste sprächen nur bei sol- chen feierlichen Kundgebungen ex cathedra, wie z. B. bei der Verkündigung der Bulle Ineffabilis über die unbefleckte Empfängniss, so hat allerdings kein Papst ex cathedra die Copernicanische Lehre für falsch und der Bibel widerspre- chend erklärt. Eusebius Amort1) spricht allerdings von einer Bulle, worin Urban VIII. jene Lehre verworfen habe. Das ist aber ein Irrthum: eine solche Bulle existirt weder von Urban VIII. noch von einem andern Papste, auch nicht, wie von Einigen angegeben wird, von Alexander VII. Die- ser Papst hat allerdings unter dem 5. März 1664 eine Bulle erlassen, wodurch er eine damals veranstaltete neue Aus- gabe des Index sanctionirte ; er sagt darin, in diese neue Ausgabe seien auch alle auf den Index bezüglichen, seit Clemens VIII. erlassenen Decrete aufgenommen, und erklärt dann: „Diesen Index mit allem und jeglichem, was darin enthalten ist, bestätigen und approbiren Wir durch Gegen- wärtiges kraft apostolischer Autorität und verordnen und befehlen, dass er allüberall von allen Universitäten und ein- zelnen Personen unverbrüchlich beobachtet werde." Mithin, hat man gesagt, ist auch das Index-D ecr et vom 5. März 16 16,

denn auch dieses ist in der neuen Ausgabe abgedruckt,

durch eine päpstliche Bulle bestätigt worden2). Man kann aber darauf mit Grisar S. 695 antworten: „Alexander VII. will offenbar durch diese Bulle den in der neuen Aus- gabe des Index abgedruckten Decreten, also auch dem obigen, keine neue Geltung, über diejenige hinaus, welche sie bisher genossen, beilegen. Er hat ihre Natur nicht ge- ändert."

2. Die Infallibilisten der strengern Observanz bean- spruchen aber auch noch für andere päpstliche Kundge- bungen die Bedeutung von Cathedralsprüchen, nämlich für solche „apostolische Schreiben, in welchen die Päpste per- sönlich in einer Form, die den unzweifelhaften Anspruch auf

1) Philos. Pollingana, 1734, III, 7, bei Bouix p. 135.

2) Pontifical Decrees p. 65. F. X. Kraus, Synchronistische Tabellen der Kirchengesch. : „1664. Alexander VII. verurtheilt in einer Bulle das Copernicanische System als falsch". Vgl. Schneemann S. 263.

444 Die päpstliche Unfehlbarkeit.

eine peremtorische erhebt, Bücher oder Lehren verurtheilen. Pius V. entschied so am i. Oct. 1567 gegen Bajus mit der Bulle Ex omnibus, Innocenz X. am 31. Mai 1653 gegen Jansenius, . . . Gregor XVI. am 26. Sept. 1835 [in einem Breve] gegen Hermes" (Grisar S. 692). Auch in dieser Form ist die Copernicanische Lehre nicht verdammt worden.

3. Es gibt nach Grisar S. 692 „noch eine andere Form von päpstlichen Lehrsprüchen ex cathedra. Zuweilen näm- lich entscheidet der Papst als oberster Lehrer zwar direct und persönlich, aber er kündigt diese seine Entscheidung nicht selbst an, sondern lässt sie durch seine Organe [die Römischen Congregationen] ankündigen. In diesen Fällen mag die Congregation, deren Vorstand den Erlass unter- zeichnet, bei der Vorbereitung des Spruches grossen, vielleicht ausschlaggebenden Antheil gehabt, sie mag bis zur Spruchreife die Sache auf eigenen Schultern getra- gen haben; aber schliesslich zieht der unfehlbare Lehrer der Kirche die Fällung des Urtheils ganz an seine Person, und die Cardinäle bleiben nur das Werkzeug, durch welches jener seine Entscheidung bekannt macht. Dieser Weg wurde z. B. eingeschlagen bei der Verwerfung der bekann- ten Moralsätze durch Alexander VII. am 24. Sept. 1655 und am 8. März 1666" u. s. w., aber nicht bei der Ver- werfung der Copernicanischen Lehre.

4. Die unter No. 2 und 3 erwähnten „päpstlichen Lehr - Sprüche geschehen nomine Papae, und darum, weil der Nach- folger Petri in ihnen von seiner Lehrgewalt den höchsten Gebrauch macht, sind sie unfehlbar"; die Decrete einer Congregation dagegen, wie das Index-Decret vom 5. März 161 6, „geschehen nomine Congregationis und unterliegen, wenngleich unter besonderer Initiative seitens des Papstes erfolgt, der Fehlbarkeit der Cardinäle". So Grisar S. 693, und so weit stimmen die Jesuiten überein; von hier an aber beginnt ein bemerkenswerther Dissensus.

Die gewöhnliche Ansicht der Jesuiten-Theologen ist folgende : Die Decrete der Congregationen, welche Lehrent- scheidungen enthalten, werden zu Decreten des ex cathedra redenden Papstes, wenn ein eigener Act der Bestätigung oder Promulgation von Seiten des Papstes hinzutritt1). Von

[) Bouix p. 221, ausführlicher in seinen Büchern De Curia Rom. p. 471

Die päpstliche Unfehlbarbeit. 445

dieser Regel macht Bouix, dem Viele zugestimmt haben, auf unsern Fall folgende Anwendung: Wenn das Index- Decret vom 5. März 1616 eine „die Unfehlbarkeit nach sich ziehende Bestätigung des Papstes" erhalten hätte, so würde in demselben die Formel vorkommen: „Und nachdem Sei- ner Heiligkeit darüber berichtet worden, hat Seine Heilig- keit das Decret bestätigt und zu veröffentlichen befohlen," oder: „Und das gegenwärtige Decret hat die h. Congrega- tion auf speciellen Befehl Seiner Heiligkeit veröffentlicht" l). Diese Formel findet sich aber nicht in jenem Decrete (und ebenso wenig in einem andern Galilei betreifenden Decrete). Es heisst zwar von der in ihm promulgirten Erklärung, sie sei „von unserm Herrn gemacht worden", und es ist auch nicht zu bestreiten, dass der Papst die Copernicanische Lehre als der h. Schrift widersprechend angesehen, dass er erklärt hat, das sei sein Urtheil, und dass er der Index- Congrega- tion befohlen hat, ein in diesem Sinne gehaltenes Decret zu publiciren. Aber diese Erklärung des Papstes war, ehe sie publicirt und promulgirt wurde, nur eine Erklärung Pauls V. als eines doctor privatus oder wenigstens keine Erklärung des ex cathedra redenden Papstes. Um letzteres zu werden, musste sie entweder von dem Papste in seinem eigenen Namen publicirt werden (s. o. No. 2 und 3), oder, wenn sie im Namen der Cardinäle publicirt werden sollte, musste wenigstens bezeugt werden, dass der Papst sie be- stätigt und zu publiciren befohlen habe. Die Index-Congre- gation publicirte allerdings ein Decret, welches genau jener Erklärung des Papstes entspricht; aber sie unterliess, und das ist der entscheidende Punkt, zu publiciren, dass dieses die Erklärung des Papstes sei, und so wurde dieselbe nicht eine Erklärung des ex cathedra redenden Papstes. Gebier2) u. A. meinen, „die Päpste seien vorsichtig genug gewesen, nicht durch Einbeziehung ihrer infallibeln Auto- rität bei der Entscheidung einer wissenschaftlichen Streit-

und De Papa'll, 475; vgl. Pont. Decrees p. 7. Aehnlich Scheeben, Dogm. I, 248, und der Jesuit Ch. de Smedt, Etudes relig. 1869, III, 229.

1) Et facta relatione ad Sanctissimum, Sanctissimus confirmavit et publicari mandavit. Et praesens decretum de" speciali man dato S. Congre- gatio publicavit. Bei. Scheeben I, 250: Sanctissimus sua suprema auctori- tate conßrmavit et promulgari mandavit.

2) Galilei S. 298.

446 Die päpstliche Unfehlbarkeit.

frage dieses höchste Privilegium des Papstthums in Gefahr zu bringen; darum hätten sie sich enthalten, den auf ihre Veranlassung von der (Index-) Congregation ergriffenen Massregeln zur Unterdrückung der Copernicanischen Lehre die Sanction als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zu ertheilen." Bouix dagegen (p. 227. 231) findet hier „einen frappanten Beweis für die Sorgfalt, mit welcher die göttliche Vorsehung jeden Irrthum der ex cathedra redenden Päpste hindert. Nach menschlicher -Berechnung war damals eine irrige Entscheidung ex cathedra unvermeidlich. Die Inqui- sition qualificirte die Copernicanische Meinung als heterodox. Der Papst hatte sich in demselben Sinne ausgesprochen. Er wollte, dass jene Meinung als eine irrige verdammt würde. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge musste nun ein Verdammungsdecret erscheinen, begleitet von einem Be- stätigungsbreve des Papstes oder wenigstens mit einem Satze, der bezeugte, dass der Papst es bestätigt und zu publiciren befohlen habe. Nun wurde aber dieser natürliche Lauf der Dinge in pro videnti eller Weise unterwegs aufge- halten. Das Verdammungsdecret wurde von den Cardinälen ausgefertigt, aber man unterliess es. dasselbe durch den Papst bestätigen zu lassen, oder, was auf dasselbe hinaus- kommt, die diese Bestätigung bekundende Formel beizu- fügen. So ist die Verdammung des Copernicanischen Systems nie eine von dem ex cathedra redenden Papste aus- gesprochene geworden. . . Der Irrthum (dass die Coperni- canische Lehre falsch sei) war in der Umgebung des Papstes entstanden, hatte den Papst persönlich ergriffen, blieb aber gerade an der Schwelle seiner päpstlichen Lehrgewalt stehen, ohne diese zu überschreiten. Es fehlte nur noch eine Formalität, die Beifügung eines Satzes; diese unter- blieb. Wer sollte da nicht die Treue des göttlichen Stifters der Kirche bewundern, mit welcher er die Prärogative der Unfehlbarkeit seines Statthalters auf Erden beschützt hat?"1)

1) Aehnlich Ward p. 182 und Heinrich, Dogmat. Theol. II, 244: „Die Decrete der Congr. S. Officii gegen Galilei hatten nicht den Charakter von Lehrdefinitionen, auch wenn der Papst sie bestätigt hätte. Er hat sie aber nicht bestätigt. Wenn es richtig stünde, dass er die Absicht gehabt, sie zu bestätigen, so wäre die Thatsache, dass diese Absicht nicht zur Ausführung kam, ein Beispiel, dass die Vorsehung den Papst nicht nur vor irrigen De- finitionen, sonders selbst vor solchen Massregeln bewahrt, die irgendwie sein

Die päpstliche Unfehlbarkeit. 447

P. Grisar sagt S. 689 von dieser ,, Lösung" der Schwie- rigkeit: „So frappant sie klingt und so sehr sie sich dem oberflächlichen Blicke empfahl, so unbegründet sind mehrere Annahmen, auf die sie sich stützt." In dem Protocoll der Sitzung der Inquisition vom 3. März 1616 (s. o. S. in), wel- ches Bouix freilich nicht kannte, wird ausdrücklich gesagt: das auf Grund des am 25. Febr. von der Inquisition unter dem Vorsitze des Papstes gefassten Beschlusses von der Index- Congregation ausgearbeitete Decret sei vorgelegt worden und der Papst habe die Veröffentlichung desselben befoh- len. Auch in dem Schreiben, mit welchem der Präfect der Index-Congregation das Decret nach auswärts versandte, wird ausdrücklich gesagt, es sei im Auftrage des Papstes erlassen worden (s. o. S. 112). Es fehlt also nicht die Be- stätigung des Decrets vom 5. März durch den Papst und der Befehl der Veröffentlichung desselben, sondern nur die ausdrückliche Erwähnung dieser Bestätigung und dieses Befehles in dem Decrete selbst. Dass diese unterblieb, ist aber gar nichts Bemerkenswerthes. Jetzt wird allerdings regelmässig eine Formel der Art, wie sie Bouix anführt, in die Index-Decrete aufgenommen; aber zur Zeit Galilei's und noch bis ins 18. Jahrhundert erschienen, wie Grisar S. 689 nachgewiesen, die Index-Decrete gewöhnlich ohne jegliche Andeutung dieser Art, obschon es feststeht, dass sie alle vor der Kundmachung vom Papste gut geheissen waren. Wenn

höchstes Lehr- und Richteramt blossstellen könnten". Der Cardinal Dechamps, Erzbischof von Mecheln, sagt sogar in einer 1868 erlassenen Pastoral-Instruction (Katholik 1868, II, 747): ,, Weder die Kirche noch die Päpste in ihrer Eigenschaft als Oberhaupt der Kirche haben gegen das Copernicanische System im allgemeinen oder insbesondere gegen Galilei jemals auch nur Ein "Wort verkündigt. . . Es ist sehr bemerkenswerth, dass Paul V. und Urban VIII. ihrer persönlichen Meinung ungeachtet und gegen den Gebrauch der Congregationen [s. o.] ihren Namen nicht unter die in Sachen Galilei's er- lassenen Decrete setzen wollten. Keine von den Entscheidungen gegen das neue Weltsystem wurde in einem andern Namen als lediglich in dem der Congregationen selbst erlassen. Daher stand auch nichts im Wege, dass das h. Officium später die Entscheidung wieder aufhob und so die Bahn, ein- schlug, welche die Päpste längst vorher eingeschlagen, die die Erkenntniss des wahren Weltsystems mächtig gefördert haben, indem sie zwei Jahr- hunderte hindurch Copernicus und seine Vorläufer [Nicolaus von Cusa u. s. w.] gestützt und ermuntert haben." Das h. Officium hat aber doch nicht gegen den Willen der Päpste jene Bahn verlassen!

448 Die päpstliche Unfehlbarkeit.

aber die Approbationen der Decrete schon früher ebenso vor sich gingen wie nachher, fügt er S. 694 bei, so „kann es nur ein unwesentlicher Umstand, eine nebensächliche Form des Curialstiles sein, dass sie später im Decrete ausgedrückt wurden und vorher nicht. Oder will man etwa behaupten, dass kraft des ausser liehen Beisatzes jener Angabe Decrete, die früher nicht unfehlbar gewesen wären, auf einmal zu unfehlbaren gestempelt worden sein sollten?"

Der Versuch von Bouix, das Decret vom 5. März 1616 als ein von anderen, mit ausdrücklicher päpstlicher Bestäti- gung erlassenen Decreten Römischer Congregationen ver- schiedenes darzustellen, wird also von Grisar mit Recht als misslungen bezeichnet : jenes Decret kann ganz dieselbe Geltung beanspruchen, wie ein Index-D ecr et, welches jetzt mit der Formel Sanctitas Sua decretum probavit etc. publi- cirt wird.

Es ist charakteristisch, dass Grisar, nachdem er dieses im Texte nachgewiesen, sich in einer Anmerkung S. 695 zwei Hinterthüren offen hält: i.„EskönnJte noch in Betracht gezogen werden, dass das Index-Decret von 16 16 trotz sei- nes doctrinellen Charakters und trotz der päpstlichen Be- stätigung nur den Inquisitoren und Nuncien unmittelbar, nicht den Bischöfen direct notificirt wurde." Aber ob die Bischöfe das Decret von Rom direct oder von den Nuncien zugestellt bekamen, davon kann doch seine Unfehlbarkeit nicht abhangen. 2. „Wenn man den Wortlaut des Pro- tocolls (der Sitzung der Inquisition vom 3. März 16 16) be- achtet, bleiben immer noch Zweifel übrig, ob dem Papste Paul V. das Decret in seiner ausgearbeiteten (doctrinellen) Form vorlag. Man könnte sagen, dass bei ihm die Absicht, ein blosses Edictum suspensionis et prohibitionis zu appro- biren, wenigstens vorwaltete." Wenn es in dem Protocoll vom 3. März heisst: es sei ein Decret der Index-Congre- gation von dem Papste genehmigt worden, und diese am 5. ein Decret publicirt, so ist es unzweifelhaft, dass eben dieses Decret seinem Wortlaute nach approbirt worden ist, und wenn noch ein Zweifel zulässig wäre, so würde er durch das Zeugniss Bellarmins beseitigt werden, worin die Verwerfung der Copernicanischen Lehre als eine von dem Papste ausgegangene und durch die Index- Congregation promulgirte Erklärung bezeichnet wird.

Die päpstliche Unfehlbarkeit. 449

4. Es ist selbstverständlich und wird auch von Bouix p. 221 anerkannt, dass, wenn sich ein einziges von dem Papste bestätigtes doctrinelles Decret der Römischen Con- gregationen als irrig erweisen lässt, für solche Decrete über- haupt keine Unfehlbarkeit beansprucht werden kann. Das von dem Papste bestätigte Index-D ecr et vom 5. März 16 16 ist irrig; also werden, diese Folg-erung zieht Grisar S. 690 im Anschlüsse an den Jesuiten-Cardinal Franzelin, ,, solche Decrete, welche (von einer Congregation) zur Ver- urtheilung einer Doctrin erlassen werden, nicht dadurch Definitionen ex cathedra, dass sie durch die oberste Auto- rität des Papstes bestätigt werden. " Wenn man also früher Decrete der Römischen Congregationen, wie sie z. B. in neuerer Zeit gegen die Schriften von A. Günther und gegen gewisse philosophische Ansichten von Löwener Professoren erlassen worden sind, darum, weil sie vom Papste bestätigt worden, als unfehlbare Lehrentscheidungen bezeichnet hat, so ist das nach dieser Theorie von Franzelin und Grisar ein Irrthum gewesen. Die Decrete können ebenso gut irrig sein wie das ^ Decret, worin die Copernicanische Lehre als falsch und schriftwidrig bezeichnet wird. In jenem Irrthum scheint freilich auch Pius IX. befangen gewesen zu sein, wenn er in dem Breve vom 15. Juni 1857 an den Cardinal von Geissei von dem Index-Decrete gegen Günther schreibt: „Dieses durch Unsere Autorität bestätigte und auf Unsern Befehl veröffentlichte Decret musste als völlig genügend erscheinen, um jeden Streit zu entscheiden und Allen, die sich des Namens katholisch rühmen, die klare und entschie- dene Ueberzeugung zu gewähren, dass die in den Günther'- schen Büchern enthaltene Lehre nicht rein sein könne."

Die bisher mitgetheilten subtilen Erörterungen zeigen, dass die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes im J. 1870 nicht so klar definirt worden ist, dass nicht in jedem ein- zelnen Falle, wo eine päpstliche Entscheidung sich als eine irrige erweist, ein Jesuit den Beweis antreten könnte, der Papst habe in diesem Falle nicht ex cathedra gesprochen'. Der Cardinal Franzelin und Pater Grisar (S. 694) haben sich in dieser Beziehung ziemlich freie Hand gewahrt, wenn sie lehren : wenn auch der Papst als Haupt der Kirche und kraft seiner höchsten Autorität (suprema auctoritate Ponti- ficis) spreche, so sei es noch immer möglich, dass er,

Reusch, Galilei. 20

45° Die päpstliche Unfehlbarkeit.

wie Papst Honorius in seinem Schreiben an den Patriarchen Sergius, nicht „mit jener eigentlichen Anwendung seiner obersten Lehrgewalt" rede, die zu einer unwiderruflichen Glaubensentscheidung nothwendig sei; wenn der Papst zwar suprema auctoritate, aber nicht cum suprema inten- sione huius auctoritatis et ?nagisterii spreche, so könne man nicht sicher sein, dass er nicht irre. So wird man also in jedem Falle, wo eine päpstliche Entscheidung, die man ihrer Form nach als eine Entscheidung ex cathedra ansehen dürfte, sich als irrig erweist, sagen dürfen:' der Papst hat seine Autorität und Lehrgewalt nicht genug angespannt, um un- fehlbar zu entscheiden1).

Wenden wir uns von den jesuitischen Klügeleien, zu den Thatsachen zurück. Im J. 1616 ist auf Befehl Pauls V. durch ein Decret der Index-Congregation die Copernicanische Lehre für falsch und schriftwidrig erklärt worden. Im J. 1633 ist Galilei mit Genehmigung, wenn nicht auf Befehl Ur- bans VIII. verurtheilt worden, die im J. 16 16 als falsch und schriftwidrig erklärte Lehre als eine Ketzerei abzuschwören. Diese Abschwörung ist sammt dem Urtheil der Inquisition auf Befehl des Papstes in der ganzen Welt bekannt gemacht worden. Das Verbot der die Copernicanische Theorie leh- renden Bücher ist in allen Ausgaben des Index, auch in der von Alexander VII. 1664 durch eine Bulle ausdrücklich bestätigten Ausgabe abgedruckt und erst unter Benedict XIV. im J. 1757 theilweise weggelassen worden. Erst im J. 1822 hat Pius VII. die Veröffentlichung von Büchern,

1) Dass ein Jesuit nöthigenfalls auch päpstliche Bullen, welche augen- scheinlich die Bedeutung von Cathedralsprüchen beanspruchen, ignorirt oder bekämpft, zeigt Cardinal Bellarmin, welcher die Unterdrückung der Bulle Sixtus' V. über die Vulgata- Ausgabe bewirkte (s. o. S. 143. Th. Lit.-Bl. 1870, 413. Laemmer, Melet. Rom. Mant.^p. 383) und gegen die Bulle Johanns XXII. Quia vir reprobus (über den Armuthstreit der Franciscaner) scharf polemisirt (Laemmer p. 69). F*ohschammer, Das Christenthum u. s. w. S. 29, sagt ganz richtig: „Es ist bemerkenswerth, dass die römisch-scholastische Partei da, wo es sich um offenbare Fehlgriffe der Congregationen handelt, behauptet, diese seien nicht die kirchliche Autorität, wenn es dagegen gilt, einen katholischen Schriftsteller der Gegenwart zu misshandeln, dann einen Unterschied zwischen Kirche, Papst und Congregationen durchaus nicht gelten lässt und schon darin ein Zeichen von schlechter oder unkirchlicher Gesinnung erblickt, wenn Jemand auf diesen Unterschied sich beruft."

Die päpstliche Unfehlbarkeit. 45 1

worin die Copernicanische Lehre als wahr vorgetragen wird, ausdrücklich für zulässig erklärt. Ich glaube, gegen die Folgerungen, die ein ungenannter englischer Katholik1) aus diesen Thatsachen zieht, lässt sich nichts einwenden:

„1. Rom, d. h. eine im Auftrage des Papstes han- delnde Congregation, kann eine naturwissenschaftlich falsche und theologisch irrige Entscheidung erlassen.

,,2. Wenn der Kirche kundgethan wird, der Papst habe einem Katholiken befohlen, eine Meinung als unhalt- bar gänzlich aufzugeben, so folgt daraus nicht, dass diese Meinung nicht wahr und richtig sein könne.

„3. Der Papst kann einen Katholiken auffordern, einem Urtheile rückhaltlos zuzustimmen, welches dogmatisch irrig ist.

„4. Der Papst kann einer päpstlichen Congregation befehlen, etwas als Bestandtheil der Lehre der h. katholi- schen und apostolischen Römischen Kirche zu promulgiren, was naturwissenschaftlich falsch und dogmatisch irrig ist.

„5. Die richtige Auslegung der von Christus dem Petrus gegebenen Verheissung gestattet uns, zu sagen: der Papst kann durch einen amtlichen Act seine Brüder, die Cardinäle, in einem die Glaubenssachen berührenden Irrthum bestärken und seine päpstliche Autorität dazu anwenden, der Kirche eine falsche Meinung betreffs der h. Schrift vorzutragen.

„6. Es gereicht nicht immer zum Heile der Kirche, dass die Katholiken wi^ Rom denken, selbst da, wo es sich um dogmatische Fragen handelt.

„Also ist die ultramontane Theorie ebenso sicher falsch, als es wahr ist, dass die Erde sich bewegt."

1) Pont. Decrees p. 55. Vgl. Th. Lit.-Bl. 1870, 813.

452 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

XXXIX.

Die Versuche, die Verdammung der Copernicanischen Lehre zu entschuldigen.

Bouix gesteht (p. 225. 228) offen ein: „Die Index-Con- gregation hat sich geirrt, als sie im J. 16 16 die Copernica- nische Lehre für falsch und der h. Schrift widersprechend erklärte, und das h. Officium hat unrecht daran gethan, wegen dieser Meinung Galilei zu verurtheilen und ihn zur Abschwörung derselben anzuhalten", und Grisar bezeichnet es S. 71 als „thatsächlich unleugbar, dass die Römischen Tribunale gegenüber Galilei und seiner Lehrmeinung eine Bibelauslegung vertraten, welche jetzt allgemein als unrich- tig bezeichnet wird." Andere Apologeten der Curie halten diese Concession für zu weit gehend und sagen: „Die Con- gregationen mussten an der Regel festhalten: die Bibel ist nach dem einstimmigen Consens der Väter wörtlich zu er- klären, so lange der Beweis für das Gegentheil nicht er- bracht ist. Letzterer Fall war (zur Zeit Galilei' s) noch nicht gegeben", da die Copernicanische Lehre noch nicht erwie- sen war; also mussten die Congregationen die dem einstim- migen Consens der Väter entsprechende wörtliche Erklärung der betreffenden Bibelstellen aufrecht erhalten1).

Die Römischen Behörden hatten sich einfach an die von dem Trienter Concil aufgestellte Regel zu halten, dass in' Sachen des Glaubens und der Sitten die h. Schrift ge- mäss dem einstimmigen Consens der Kirchenväter zu erklä- ren sei und dass, sofern es sich um Sachen des Glaubens und der Sitten handelt, „die Kirche über den wahren Sinn und die Auslegung der h. Schrift zu urtheilen" habe. Da nun die Bewegung der Erde nicht zu den Glaubenssachen gehört, so ist für die Entscheidung der Frage, ob die anscheinend von dem Stillstehen der Erde und der Bewe-

1) Hergenröther, Kirchengesch. II, 488. Civiltä catt. S. 9, vol. 10 (1876), p. 444. Scheeben, Dogm. I, 189. 255.

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 453

gung der Sonne redenden Bibelstellen ,, wörtlich" zu erklä- ren sind, der Consens der Kirchenväter nicht massgebend, und eine kirchliche Behörde zur Entscheidung dieser Frage ebenso wenig competent wie zur Entscheidung der Frage, ob die Copernicanische Theorie wissenschaftlich richtig ist oder nicht. Die Römischen Behörden haben also ihre Competenz überschritten, als sie über die Richtigkeit der Copernicanischen Lehre und ihre Vereinbarkeit mit der Bibel entschieden, und thatsächlich geirrt, als sie dieselbe für falsch und der h. Schrift widersprechend erklärten. Wenn die Civiltä cattolica von einem „weisen Gesetze" vSpricht: ,,die h. Schrift sei nach dem einstimmigen Consens der Väter zu erklären, falls nicht eine demselben wider- sprechende Erklärung als richtig erwiesen sei", so steht dieses angebliche „Gesetz" in directem Widerspruch mit dem Trienter Concil: dieses hat gar nicht daran gedacht, dass eine dem einstimmigen Consens der Väter widersprechende Erklärung, so weit es jenen Consens überhaupt als mass- gebend ansieht, jemals als richtig erwiesen werden könnte. Aber, meint Scheeben S. 189, „die Leugnung der Be- wegung der Sonne um die Erde konnte, obschon sie wegen der Natur des Gegenstandes nicht durch dogmatische Er- klärung der h. Schrift pro oder contra entschieden werden kann, gleichwohl vor Zeiten [161 6] einen Verstoss gegen das Dogma involviren, inwiefern sie entweder von der aus- drücklichen Behauptung, die h. Schrift sei in den einschlä- gigen Stellen falsch, begleitet war, oder aber, so lange eine vom eigentlichen Sinne abweichende Erklärung der h. Schrift nicht hinlänglich gerechtfertigt war, logischer Weise nur durch Leugnung der Wahrheit der h. Schrift gerechtfertigt werden konnte." Die „Behauptung, die h. Schrift sei in den einschlägigen Stellen falsch", hat weder Galilei noch Foscarini noch ein anderer der hier in Betracht kommenden Schriftsteller aufgestellt; vielmehr waren sie alle von der „Leugnung der Wahrheit der h. Schrift" gerade so weit entfernt wie die Qualificatoren und Cardinäle der Inquisition, und aus ihrer „von dem eigentlichen Sinne", d. h. von der herkömmlichen buchstäblichen Deutung ab- weichenden Erklärung der einschlägigen Bibelstellen konnte die „Leugnung der Wahrheit der h. Schrift logischer Weise" nur unter der Voraussetzung gefolgert werden, dass die

454 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

herkömmliche Deutung wirklich die einzig zulässige war. Diese Voraussetzung war aber nicht nur unberechtigt, son- dern das Gegentheil der Wahrheit. Mithin haben wirklich, wie Grisar sagt, „die Römischen Tribunale gegenüber Ga- lilei und seiner Lehrmeinung eine Bibelauslegung vertreten, welche jetzt allgemein (und mit Recht) als unrichtig be- zeichnet wird."

Alle Versuche, die Irrthümlichkeit der Entscheidung der Römischen Behörden abzuschwächen, sind erfolglos. Erklären lässt es sich freilich, wie sie damals zu dieser irr- thümlichen Entscheidung" gekommen sind; aber was sich zur Erklärung dieser Thatsache sagen lässt, gereicht den Päpsten und ihren Congregationen nicht einmal zur Ent- schuldigung.

Das einzig Richtige wäre, wie Martin1) sagt, unter den damaligen Verhältnissen für die kirchliche Autorität gewesen, „entweder sich jeder Erklärung zu enthalten, die Denunciationen auf sich beruhen und der Discussion freien Lauf zu lassen, so lange nicht einer der Streitenden wirk- lich einen glaub ens widrigen Satz aussprach, oder nicht allein den Copernicanern, die sich auf dem theologischen Ge- biete rein defensiv verhielten, sondern auch und vor allem den Peripatetikern, welche, auf einem andern Gebiete geschlagen, auf dem theologischen angreifend auftraten, die Einmischung von Bibelstellen und theologischen Argumenten in ihre wissenschaftlichen Controversen zu untersagen, letzteren aber freien Lauf zu lassen." Zu einem dieser beiden Schritte hätte man sich in Rom damals sehr wohl entschliessen kön- nen, wenn man ruhig und unbefangen überlegt hätte, und es ist eine sehr starke Uebertreibung, wenn Grisar S. 720 sagt: „Die Congregationen standen unter derartigen Um- ständen vor der zu fällenden Entscheidung, dass es moralisch genommen einer an das Wunderbare grenzenden höhern Dazwischenkunft bedurft hätte, um ein anderes Resultat ihrer Erwägungen als das bekannte herbeizuführen. Der Herr der Kirche weiss, warum er diese Lage zuliess. Er weiss auch, warum er zur Fernhaltung des Irrthums damals nicht die Hand ausstreckte, deren Eingreifen in allen und jeden Fäl- len nur dem ex cathedra lehrenden Oberhaupte gesichert

1) Galilee p. 154.

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 455

ist." Es ist eine ebenso starke Uebertreibung, wenn Grisar sagt: „Angesichts der damaligen profanen Wissenschaft war der in dem Decrete von 16 16 begangene Irrthum ein fast unausweichlicher." Freilich war das Copernicanische System damals noch nicht als richtig erwiesen, und Grisar kann eine lange Reihe von Zeitgenossen Galilei's aufzählen, die es bestritten, zumal ihm selbst Leute wie Inchofer und Pasqualigo gut genug sind, die Reihe länger zu machen; aber es ist doch eine handgreifliche Uebertrei- bung, wenn er von einer „allgemeinen Uebereinstimmung der weltlichen Gelehrten" und von einem „Consensus der damaligen Wissenschaft" zu Ungunsten der Copernicanischen Theorie spricht; diese war, wie Martin sagt, „damals bereits beinahe erwiesen und wurde bald darauf vollständig erwie- sen." Dass die Römischen Congregationen auf „den vom Auslande her ihnen entgegentönenden Ruf der Gelehrten", d. h. auf die geringschätzigen Bemerkungen von Justus Lipsius, Scaliger, Tycho de Brahe und vollends Melanchthon über die Copernicanische Lehre, Gewicht gelegt haben sollten, glaubt doch wohl Grisar selbst nicht. Und wenn Galilei und seine Freunde „sich nicht mit der Befürwortung des neuen Himmelssystems begnügten, sondern auf breitester Linie die ältere philosophische Wissenschaft bekämpften", so gab es ja, wie Grisar selbst in der hier eingeschalte- ten Apologie des Aristotelismus und der Scholastik S. J2J sagt, „eine Bekämpfung des Aristoteles schon vor Ga- lilei, die kaum eine Grenze anerkennen wollte". Warum Hess man nicht die Aristoteliker für ihren Meister kämpfen, und wenn die Curie ihnen zu Hülfe kommen zu müssen glaubte, warum trat sie Galilei gegenüber, ohne seine und seiner Freunde Angriffe auf die „Philosophie der Vorzeit" überhaupt zu berücksichtigen, gerade für deren „irrthümliches Himmelssystem" ein, zumal wenn „man ein recht guter Aristoteliker sein und doch das Copernicanische System als hinreichend verbürgt betrachten kann und konnte" (S. 726)?

Die Römischen Congregationen hätten die Entschei- dung über den wissenschaftlichen oder, wie man damals sagte, philosophischen Werth der Copernicanischen Theorie von vorn herein als gar nicht zu ihrer Competenz gehörend ablehnen müssen. Statt dessen Hessen sie dieselbe durch

456 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

ihre Qualiücatoren für „philosophisch thöricht und absurd" erklären und erklärten sie dann selbst amtlich mit Zustim- mung des Papstes für „falsch", was sie, wie wir S. 120 ge- sehen, aller Wahrscheinlichkeit nach als wissenschaftlich unrichtig bezeichnen soll.

Die kirchliche Autorität durfte sich mit der Coperni- canischen Theorie überhaupt nur befassen, um die Frage zu entscheiden, ob dieselbe einer anerkannten kirchlichen Glau- benslehre oder der h. Schrift widerspreche. Wenn sie nun die letztere Frage bejahte und die Theorie für. „der h. Schrift durchaus widersprechend" erklärte, so war das nicht nur, wie Niemand bestreiten kann, ein Irrthum, sondern auch ein Irrthum, der damals nichts weniger als „unausweichlich'' war, vielmehr gewiss vermieden worden wäre, wenn nicht die Gegner Galilei's, wie Martin richtig sagt, auf einem andern Gebiete geschlagen, die Copernicanische Lehre auf dem theologischen Gebiete durch das Herbeiziehen von Bibelstellen als verwerflich darzustellen versucht hätten.

Die Censur „der h. Schrift widersprechend" wird von den Qualificatoren erläutert durch „vielen Stellen der h. Schrift nach ihrem Wortlaute und nach der gemeinen Aus- legung der h. Väter und der Theologen widersprechend". Den Irrthum, der hierin liegt, hebt Grisar S. 729 ganz gut hervor: die Theologen und die Congregationen gingen von der Voraussetzung aus, „die unbezweifelte Annahme des Ptolemäischen Weltsystems in den theologischen Schriften und Bibelcommentaren der Väter, sowie die hieran an- schliessende gewohnheitsmässige Exegese bis auf ihre Zeit involvire einen theologischen Consensus im Sinne des Concils von Trient. Aus diesem Grunde glaubte man sich genöthigt, die betreffenden Bibelstellen wörtlich zu nehmen und insofern eine Belehrung über das Weltsystem darin zu finden. Eine traditionelle Uebereinstimmung in der Kirche von jenem theologischen Charakter, wie sie der Triden- tinische Kanon als Norm der katholischen Bibelauslegung hinstellt, war aber niemals vorhanden", und die Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts, welche der Copernicanischen Lehre gegenüber auf der buchstäblichen Deutung der be- treffenden Bibelstellen bestanden, nahmen dabei, wie Grisar S. 731 gut nachweist, „ihren Ausgang rein von den profan- wissenschaftlichen Einwürfen und lehnten sich erst in der

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 457

Folge an den vermeintlichen theologischen Consensus patrum und an verkehrt angewendete hermeneutische Regeln an." Man kann nicht zur Entschuldigung der Curie sagen, die hier anzuwendenden Grundsätze der Schriftauslegung seien damals noch nicht hinlänglich klar gestellt und die Möglichkeit einer von der buchstäblichen Auslegung- ab- weichenden Deutung der betreffenden Bibelstellen sei noch nicht nachgewiesen gewesen. Wir haben gesehen, dass Galilei selbst, obschon kein Theologe, jene Grundsätze im Wesentlichen richtig dargestellt und seine Auslegung der Bibelstellen als eine theologisch unbedenkliche nachgewiesen hatte. Diese seine Erörterungen waren zwar nicht gedruckt; aber seine Briefe an Castelli und an die Grossherzogin Christina waren mehreren Cardinälen und Theologen be- kannt, und er hatte bei seinem Aufenthalte in Rom 1615 16 in mündlichen und schriftlichen Expositionen massgebenden Persönlichkeiten seine Gedanken vorgetragen. Hätte man diese Darlegungen unbefangen geprüft, so wäre die irrige Entscheidung, die im J. 16 16 getroffen, 1633 in so unquali- ficirbarer Weise bestätigt und dann fast zwei Jahrhunderte aufrecht erhalten wurde, vermieden worden. Die hermeneu- tischen Grundsätze, welche Galilei entwickelte, konnten auch nicht etwa darum, weil sie neu gewesen, bedenklich erscheinen. Man las, wie Grisar S. 735 richtig bemerkt, auch in der Summa des Thomas von Aquin wie schon bei Augustinus „die Warnung, nicht etwa einer einseitigen voreingenommenen Auslegung des materiellen Wortes Got- tes so anzuhangen, dass die Schrift dem Gespötte der Un- gläubigen ausgesetzt wäre, wenn das in sie Hineingelegte sich als falsch und wissenschaftlich unhaltbar herausstellen würde". Es ist auffallend, dass ein so klarer Kopf wie Bellarmin den bedenklichen Grundsatz ausprach : so lange es noch an durchschlagenden Beweisen für das Copernicanische System fehle, sei es nicht nothwendig und nicht zulässig, von dem bisherigen wörtlichen Verständniss der Bibeltexte abzugehen. Eine ganz ähnliche Aeusserung- führt Grisar S. 74 von dem P. Scheiner an, und fügt dann ganz naiv bei: „Gerade so wie P. Scheiner sprachen die Congrega- tionen." Und als besonders wichtig führt an einer andern Stelle S. 705 Grisar einen Ausspruch des Jesuiten Honora- tus Fabri vom J. 1661 an: „Euere Koryphäen sind mehr als

45^ Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

einmal gefragt worden, ob sie einen Beweis für die Bewe- gung der Erde hätten. Sie haben nie gewagt, das zu be- haupten. Es steht also nichts im Wege, dass die Kirche jene Stellen buchstäblich verstehe und erkläre, sie müssten so verstanden werden, so lange nicht ein zwingender Beweis für das Gegentheil beigebracht ist. Solltet ihr jemals einen solchen beibringen, was ich kaum glaube, so wird die Kirche kein Bedenken tragen, zu erklären, jene Stellen seien figür- lich und uneigentlich zu verstehen, wie jene Worte des Dichters: Terraeque urbesque recedunt"*). Die Jesuiten mögen für ihre Bibelerklärung die Regel aufstellen, es sei an der herkömmlichen buchstäblichen Deutung der von Dingen der Natur redenden Bibelstellen festzuhalten, so lange diese Deutung nicht mit ganz unzweifelhaft gesicher- ten Ergebnissen der Naturforschung in einen gar nicht zu beseitigenden Conflict komme, wie Grisar, so preisen auch die Patres Schneemann S. 258 und Desjardins p. 41 diese Regel Bellarmins, und neuere Jesuiten wenden sie auch praktisch an2): jedenfalls haben diejenigen der

1) Ueber Fabri s. o. S. 438. Aehnlich äussert sich der polnische Jesuit Kochanski (Grisar S. 736) in den Leipziger Acta eruditonim 1685, p. 317: Die Inquisition habe nur verboten, die Copernicanische Meinung als eine „dogmatische Thesis" anzusehen und „als reine Wahrheit überall zu predigen", während sie doch nur auf „Probabilität" Anspruch machen könne. Wenn einmal ein zwingender Beweis dafür beigebracht werde, und einen solchen zu suchen, stehe Jedem frei, dann werde es erlaubt und noth- wendig sein, die betreffenden Bibelstellen anders zu erklären. Bei Targioni I, 332 erscheint übrigens Kochanski, der 1667 70 in Florenz lebte, als entschiedener Anticopernicaner, so dass es fast scheint, als habe er sich in Leipzig liberaler geäussert als in Italien. Der Jesuit Boscovich sagt in einer Schrift, die er 1746 zu Rom geschrieben: er halte „aus Ehrfurcht vor der h. Schrift und aus Gehorsam gegen die Decrete der Inquisition" die Unbe- weglichkeit der Erde fest und lege die Bewegung der Erde nur als Hypo- these zu Grunde. In der 1786 zu Venedig erschienenen Ausgabe desselben Werkes fügt er dieser Stelle die Note bei: „Der Leser darf hier Ort und Zeitpunkt der ersten Veröffentlichung nicht ausser Acht lassen". Zöckler, Gesch. der Beziehungen u. s. w. II, 44. 247.

2) Der Jesuit A. Bosizio gibt in dem 1865 erschienenen Buche „Das Hexaemeron und die Geologie" „die Möglichkeit einer Auslegung der sechs Tage der Schöpfung in einem andern als im gewöhnlichen Sinne des Wortes Tag" ausdrücklich zu, meint aber dann, man dürfe „vom einfach vorliegen- den Sinne des h. Textes [d. h. der buchstäblichen Auffassung der sechs Tage] nur dann und erst dann und nur insofern abgehen, als die Geologie ihre

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 459

„Kirche" einen ebenso schlechten Dienst erwiesen wie der Wissenschaft, welche die Römischen Behörden bestimmt haben, eine naturwissenschaftliche Ansicht als falsch und der Bibel widersprechend zu ächten, von welcher später er- wiesen worden ist, dass sie weder falsch ist noch der Bibel widerspricht.

Was sonst noch die Apologeten der Curie zur Ent- schuldigung- derjenigen vorzubringen pflegen, welche das Copernicanische System für falsch und sehr ift widrig erklär- ten und Galilei als Anhänger desselben als der Ketzerei verdächtig verurtheilten, fasst Grisar S. 733 so zusammen: „Es war das erste Mal, dass die kühn und keck aufstre- bende Erfahrungswissenschaft den Theologen eine Position rauben wollte. Die Theologen erklärten im Eifer des Con- flicts dieselbe immer lebhafter als die ihrige. Sie waren gewohnt, das Wort Gottes allenthalben die unbedingte Ent- scheidung geben zu lassen; die letzten Zeiten insbesondere hatten überall die Theologie in die Verhandlungen über die Wissenschaft hineingezogen, vielleicht [!] in etwas zu aus- giebiger, missverstandener Weise; und jetzt schien die ernste Frage heranzutreten: darf sich die weltliche Wissenschaft emaneipiren in einem so wichtigen Punkte, und was ist zu fürchten, wenn man ihr einmal hier sich auf eigene Füsse zu stellen erlaubt? l). Bereiteten nicht eben damals der Hu-

geogonischen Lehrsätze, welche mit dem klar vorliegenden "Wortsinne der Schrift unvereinbarlich scheinen, durch evident unleugbare Gründe als wahr bezeugt haben werde; so lange das noch nicht der Fall sei, könne und brauche man nicht vom einfach vorliegenden Sinne abzugehen." Vgl. Reusch, Bibel und Natur, 4. Aufl. S. II 8.

1) Sehr naiv sagt Caramuel in seiner 1676 erschienenen Theologia fundamentalis I, 105 (bei Bouix p. 130): „Wenn es sich bloss um die fälschlich der Erde zugeschriebene Bewegung handelte, so würden sich die Herren Cardinäle, glaube ich, nicht viel Sorge gemacht haben. Das war eine physicalische Ansicht, die man zwei Jahrhunderte geduldet hatte, so lange sie innerhalb der Schranken der Philosophie blieb. Aber in unserm Jahr- hundert wollten die Schuster nicht bei ihrem Leisten, die Astronomen nicht bei der Arithmetik und Geometrie bleiben und die Stellen der h. Schrift, welche die Erde eher feststellen als in Bewegung setzen, nach ihrem Sinne erklären. Und weil das Heilige nicht mit ungewaschenen Händen angefasst werden darf, hat man die Astronomen getadelt, welche so verwegen waren, ihre Sichel an eine fremde Ernte anzulegen. Die h. Schrift mit Probabilität auszulegen, steht den Professoren der h. Theologie, sie mit Unfehlbarkeit auszulegen, dem Papste zu."

460 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

manismus und der Protestantismus einer sogenannten freien Forschung ihre verderblichen Wege? Griffen nicht die an- geblichen Reformatoren, unter Einführung eines willkür- lichen Verständnisses von Bibeltexten an der Stelle des wörtlichen, die Grunddogmen der katholischen Kirche an?1) Vertrat nicht selbst Galilei in dem Kampfe für seine neue Bibelauslegung Sätze, die, wenn einigermassen premirt, jeden Katholiken mit Besorgniss für die begründeten Rechte der kirchlichen Autorität gegenüber der Wissenschaft er- füllen mussten?2). Es war bekannt, dass er mit dem Apo- staten Sarpi und mit deutschen Protestanten verkehrte, und dieser Verkehr trug, was den erstem betrifft, den Stempel enger Freundschaft. Man lebte in Italien unter dem Ein- drucke der Furcht vor dem Weitergreifen der Verirrungen gelehrter einheimischer Männer wie Giordano Bruno, Vanini, Campanella, de Dominis, und man vermochte nicht abzu- sehen, ob nicht die Copernicanische Weltansicht den Um- schwung der Geister durch daraus möglicher Weise abzulei- tende Consequenzen, wie z. B. die schon von Bruno ausge- sprochene Vielheit bewohnter Welten, in noch gefährlichem Gang bringen werde."

1) Caramuel sagt a. a. O.: „Die Bewegung der Erde wird jetzt sehr eifrig von den Calvinisten vertheidigt, und warum? Etwa um dem Himmel und den Gestirnen Ruhe zuschreiben zu können? Gewiss nicht; denn die Calvinisten haben nichts mit dem Himmel gemein. Warum also ? Sie wollen einen Damm aufwerfen, um darauf ihre Kriegsmaschinen zur Bekämpfung der christlichen Glaubensartikel aufzustellen. Sie könnten sagen: »Die Lehre des Copernicus von der Bewegung der Erde lässt die Römische Kirche zu; also lässt' sie eine metaphorische und uneigentliche Deutung der h. Schrift zu; also dürfen auch wir die Bibel so deuten . . . und z. B. die Consecra- tionsworte metaphorisch erklären und die Transsubstantiation leugnen« . . . Wir müssen der Congregation der Cardinäle dafür dankbar sein, dass sie uns durch die Verdammung der Lehre des Copernicus die Antwort auf dieses Argument leicht gemacht haben."

2) Grisar citirt hier „Berti, Copernico 314". Man sollte denken, dort müssten sehr bedenkliche Sätze von Galilei stehen. Berti theilt aber nur aus einem der 161 6 verfassten, gar nicht veröffentlichten Schriftstücke (s. o. S. 102) einen Passus mit, worin Galilei die Frage erörtert: ob man bei der Beurtheilung der Copernicanischen Theorie mit den Bibelstellen oder mit den naturwissenschaftlichen Argumenten beginnen müsse, und, wie auch bei anderen Gelegenheiten (s. o. S. 39. 45. 59), antwortet: es sei weiser, sicherer und logischer, den Thatsachen und den Demonstrationen den Vortritt einzu- räumen vor den Bibelstellen und den Auslegungen der Väter.

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 461

Deutlicher kann man es nicht sagen, dass es wesent- liche Zweckmässigkeitsgründe verschiedener Art gewesen sind, durch welche man sich damals in Rom hat bestimmen lassen, in der förmlichsten und nachdrücklichsten Weise das Fürwahrhalten und Vortragen einer Ansicht zu verbieten, welche nicht irrig, sondern richtig war, und von der man sich bei vorurtheilsfreier Prüfung hätte überzeugen können, dass man nicht berechtigt sei, sie als falsch und der h. Schrift widersprechend zu verdammen. Und man be- schränkte sich, was wohl zu beachten, nicht auf ein durch Zweckmässigkeitsgründe allenfalls zu motivirendes Verbot, die Copernicanische Lehre in gedruckten Schriften zu vertheidigen, ein Verbot, welches ohne Schwierigkeit aus Zweckmässigkeitsgründen auch wieder aufgehoben wer- den konnte, sondern erliess ein doctrinelles und darum als unwiderruflich gemeintes Decret, welches allen Katholiken die Verpflichtung auflegte, jene Lehre als eine der h. Schrift widersprechende anzusehen und die von Copernicus be- kämpfte astronomische Theorie, wenn nicht als einen Be- standteil der göttlichen Offenbarung und der kirchlichen Glaubenslehre, so doch als eine nothwendige Folgerung aus dieser gläubig anzunehmen. Warum ist man bei dem Streite über die Copernicanische Lehre nicht mit einer ähnlichen Bedachtsamkeit und Vorsicht vorgegangen, wie bei einem Streite, bei welchem es sich wirklich um eine theologische Frage handelte, bei dem Streite über die Gnadenlehre, be- züglich dessen, nachdem seit 1594 darüber verhandelt wor- den war, Paul V. im J. 1607 den Befehl erliess, die beiden streitenden Theile sollten die Untersuchung in Ruhe führen, sich nicht gegenseitig mit Censuren belegen und die be- treffenden Schriften vor dem Druck der Inquisition unter- breiten? Grisar S. 736 weiss auf die Frage, warum man unter dem nämlichen Pontificate in dem Galilei'schen Streite nicht dieses „Vorbild" nachgeahmt, keine andere Antwort als: „In unserm Falle versprach ein solches Gebot doch nur eine sehr fragliche Wirkung; man schlug andere Wege ein": nachdem die Inquisition seit dem Febr. 161 5 Denun- ciationen gegen Galilei in Händen gehabt und einige Ver- höre angestellt, bei denen nichts Sonderliches herauskam, wurde am 19. Febr. 1616 die Copernicanische Lehre ihren Qualificatoren vorgelegt; diese waren am 24. desselben

462 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

Monats mit ihrem Gutachten fertig, und am nächstfolgenden Tage wurde die Sache in einer Sitzung der Inquisition unter dem Vorsitze Pauls V. entschieden; und im J. 1633 haben, wie wir gesehen, Urban VIII. und die Inquisition ihr Mög- lichstes gethan, die im J. 16 16 getroffene irrige Entscheidung zur Geltung zu bringen.

Wenn die jetzigen Apologeten der Curie uns belehren, jene Entscheidung sei keine definitive und peremtorische und keine solche gewesen, welche auf Unfehlbarkeit Anspruch gemacht habe, so haben die Römischen Behörden zu Ga- lilei's Zeit jedenfalls unbedingte Unterwerfung unter sie ver- langt und Jeden, der ihr widersprechen würde, mit einem ähnlichen Schicksal bedroht, wie es Galilei betroffen.

Es ist zwar richtig, was Grisar S. 698 sagt, dass, wenn die Entscheidung über die Copernicanische Lehre als eine Entscheidung des Papstes, des h. Stuhles oder der Kirche bezeichnet wird, dieses nicht im eigentlichen Sinne ver- standen zu werden braucht und von der Entscheidung eines Organes des Papstes, des h. Stuhles und der Kirche verstanden werden kann !), und dass der Ausdruck „definiren", der jetzt gewöhnlich von peremtorischen Erklärungen über Glaubens- sachen gebraucht wird, auch von Entscheidungen päpstlicher Congregationen gebraucht wird und darum auch z. B. in dem Urtheil über Galilei, wo gesagt wird, die Copernicani- sche Lehre sei als schriftwidrig erklärt und definirt worden, nicht von einer Definition ex cathedra verstanden zu werden braucht. Aber in praxi hat man zur Zeit Galilei' s in mass- gebenden Kreisen zwischen definitiven Lehrentscheidungen der Kirche und Erlassen der höchsten kirchlichen Behörden nicht so genau unterschieden und, wie gesagt, für letztere dieselbe Anerkennung und Unterwerfung beansprucht wie für erstere.

Pasqualone sagt im Sacro Arsenale p. 174: Wenn ein Angeklagter gegen die von den Qualificatoren der Inquisition über die von ihm geäusserten Sätze ausgesprochene Censur Einreden mache, so sei ihm zu antworten: solche Einreden seien nicht zulässig, „da er verpflichtet sei, in dieser Hin-

1) Der Jurist Julius Clarus spricht p. 368 von einer Entscheidung des Römischen Gerichtshofes der Rota und sagt : er halte dieselbe für zu rigoros, unterwerfe sich aber der „Entscheidung der h. Kirche".

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 463

sieht sich auf das Urtheil der h. Mutter Kirche zu verlassen und sein Urtheil durchaus (in tutto e per tutto) deren Ent- scheidungen zu unterwerfen." Diese naive Anschauung, dass das Urtheil einiger von der Inquisition berufener Theologen das Urtheil der Kirche sei, wird auch wohl damals nicht die allgemeine gewesen sein; auch die Worte des toscani- schen Gesandten Niccolini: Galilei müsse sich der Inquisition unterwerfen „als dem höchsten Tribunale, welches nicht irren kann" J), sind wohl ebenso wenig zu urgiren, wie die seines Vorgängers Guicciardini, der nach der Entscheidung von 16 16 die Erwartung ausspricht: „Galilei werde wollen und denken, was die h. Kirche wolle und denke, und der Cardinal Medici werde sich als guter Geistlicher vor dem Scheine hüten, als opponire er den Entscheidungen der h. Kirche und dem Willen des Papstes und der Congregation des h. Officiums, welche das Fundament und die Basis der Religion sei" (s. o. S. 105). Aber in dem Urtheil der In- quisition vom 22. Juni 1633 wird doch mit ausdrücklichen Worten gesagt: das Index-Decret vom J. 1616 sei ergangen, „damit eine so verderbliche Lehre (die Copernicanische) ganz beseitigt werde und sich nicht weiter verbreiten könne"; nach dieser Entscheidung dürfe jene Lehre in kei- ner Weise mehr als probabel angesehen werden; wer sie für wahr halte und vertheidige, sei als Ketzer anzusehen, und Galilei werde bestraft auch „zum Beispiel für Andere, damit sie sich vor ähnlichen Vergehen hüteten". Dem ent- sprechend wurde das Urtheil auch an anderen Orten spe- ciell den Professoren der Philosophie und Mathematik zur Kenntniss gebracht, damit sie, wie es in dem Schreiben des Cardinal-Secretärs des h. Officiums heisst, „wüssten, wie mit Galilei verfahren worden, und daraus die Schwere des von ihm begangenen Irrthums erkannten und sich vor der Strafe hüten möchten, die sie, wenn sie in denselben Irrthum fielen, zu erleiden haben würden."

Grisar führt zwar S. 705 „einige Urtheile competenter Männer" an, welche schon im 17. Jahrhundert „geradezu die Widerruflichkeit des Decretes über die neue Weltlehre ausgesprochen". Neben dem Jesuiten Fabri (s. o. S. 457) nennt er zunächst den Bischof Caramuel (1651), aber mit

1) IX, 305 (23. Oct. 1632); s. o. S. 253.

4^4 Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete.

Unrecht; denn dieser spricht, Grisar citirt seine Aeusse- rung unvollständig1), die Ueberzeugung aus, ohne ein Wunder werde man keinen Beweis für die Bewegung der Erde beibringen können, sagt dann allerdings: wenn dieser als unmöglich anzusehende Fall eintreten sollte, dann würde allerdings nach menschlichem Ermessen für die Cardinäle ein Grund vorliegen, eine uneigentliche Deutung von Jos. 10, 12 zw gestatten, wiederholt dann aber, er behaupte, ein solcher Beweis sei unmöglich, und die Annahme, er werde geliefert werden, führe zu absurden Consequenzen. Dass Descartes und die französischen Naturforscher Sarlat und Auzout, auf die sich Grisar noch beruft2), den Wunsch und die Hoffnung ausgesprochen, die gewiss viele katholische Gelehrte hegten, die Römischen Decrete gegen die Coperni-. canische Lehre möchten rückgängig gemacht werden, ist gar nichts Bemerkenswerthes und ganz ohne Bedeutung für die Frage, ob man in massgebenden Kreisen im 17. Jahr- hundert an die Möglichkeit einer Zurücknahme, wie sie im J. 1822 stattgefunden, gedacht und es für zulässig gehalten, auf eine solche hinzuarbeiten.

Wenn einige Apologeten der Curie auf die Thatsache hin- weisen, dass „die Stellung, welche die Kirche dem Copernica- nischen System gegenüber eingenommen, dessen Verbreitung keinen Eintrag gethan und der weitern Begründung desselben nicht im geringsten geschadet"3), so ist das mehr als naiv. Magna est veritas et praevalet; wenn aber die Wahrheit der Copernicanischen Lehre schliesslich selbst in Rom zur An- erkennung gelangt ist, so ist dieses das Verdienst derjenigen, die dasselbe gethan, wofür Galilei von der Inquisition ver- urtheilt worden. Es ist ebenso naiv, wenn man sagt: „Konnte man zur Zeit Galilei's das Copernicanische System als Hypo- these vertheidigen, so war noch nichts geschehen, was des- sen Annahme und damit den Fortschritten der Astronomie

1) Sie steht vollständig bei Bouix pt 132.

2) Dass er den Erzbischof Piccolomini mit Unrecht hieher zieht, wurde schon oben S. 385 gezeigt.

3) Hist.-pol. Bl. 56, 437. Schneemann S. 263. 401. S. 402 wagt Schneemann zu sagen: „Die Gegner denken viel zu gering von der Wissen- schaft, wenn sie behaupten, dass ihr Fortschritt durch eine solche Massregel gehindert werden könnte. "

Die Entschuldigungen für die Rom. Decrete. 465

hinderlich sein musste," mehr als naiv, wenn Ward1) be- hauptet, die katholischen Astronomen hätten auch nach den Entscheidungen von 1616 und 1633 unbedenklich alle zu Gunsten der Copernicanischen Theorie sprechenden Argu- mente in das hellste Licht stellen und sagen dürfen, die Theorie sei „wissenschaftlich betrachtet wahrscheinlich in dem höchsten möglichen Grade", nur nicht, sie sei unwider- sprechlich erwiesen. Diese Behauptung steht im geraden Gegensatze zu der Erklärung der Inquisition: eine als der h. Schrift widersprechend definirte Meinung könne „in kei- ner Weise wahrscheinlich" sein, und Ward kommt zu sei- ner Behauptung- durch eine grobe Missdeutung des Satzes, die Copernicanische Lehre dürfe „hypothetisch" vorgetra- gen werden, womit, wie wir früher (S. 123) gesehen, gar nicht gesagt sein soll, dass sie als möglicher Weise nicht falsch angesehen werden dürfe. Die Theologen, meint Ward (p. 177) weiter, seien allerdings durch die Erklärung, die Copernicanische Theorie widerspreche der h. Schrift, etwas mehr eingeengt gewesen; aber auch sie hätten nicht nur die Ueberzeugung haben, sondern auch im Privatge- spräche bei anderen Theologen, ja selbst dem h. Vater gegenüber aussprechen dürfen, die naturwissenschaftlichen Argumente für die Richtigkeit der Theorie seien stärker als die theologischen Argumente für ihre Unrichtigkeit; aber sie hätten das nicht öffentlich aussprechen dürfen.

In diesem Punkte scheint Scheeben etwas liberaler zu denken als Ward. Er meint, „die in dem Index-Decrete ausgesprochene Censur der Schriftwidrigkeit gehe nicht direct auf die Copernicanische Lehre in sich, sondern auf die dreiste Behauptung und Geltendmachung der Lehre ohne die schuldige Rücksicht auf die Würde der h. Schrift und die katholischen Regeln für die Interpretation dersel- ben," und die Lehre vorzutragen sei nur unzulässig gewe- sen, „so lange eine vom eigentlichen Sinne abweichende Erklärung der h. Schrift nicht hinreichend gerechtfertigt war." Aber Foscarini's Schrift wurde ja eben darum ver- boten, weil er darin „zu beweisen versuche, dass die be- sagte Lehre der Wahrheit entsprechend und der h. Schrift

1) The Authority p. 173. Dublin Review, July 1871, p. 168. Schnee- mann S. 263.

Ite lisch, Galilei. 30

466 Die jesuitischen Darstellungen.

nicht zuwider sei" ; war aber der Versuch, dieses zu bewei- sen, unzulässig, so konnte ja überhaupt ,,eine vom eigent- lichen Sinne [von der buchstäblichen Auffassung der be- treffenden Bibelstellen] abweichende Erklärung der heiligen Schrift" nicht „gerechtfertigt" werden.

Wenn die Copernicanische Theorie als wissenschaftlich richtig und theologisch unbedenklich erwiesen worden ist, so entspricht dieser Beweis nicht den Intentionen derjeni- gen, welche das Decret vom J. 1616 erlassen und so lange aufrecht erhalten haben. Ihren Intentionen entspricht viel- mehr der Standpunkt derjenigen, welche, wie P. Desjardins p. 41, von dem Jesuiten Faure und einigen Franzosen des 19. Jahrhunderts berichtet, sehnsüchtig und hoffend dem Auftreten eines genialen Astronomen entgegen sehen, der den wissenschaftlichen Beweis führen wird, dass es mit dem Copernicanischen System nichts ist und |dass ,,in dem Gali- lei'schen Process die Kirche, auf die Bibel gestützt, für die astronomische Wahrheit eingetreten ist, von welcher die Astronomen der beiden letzten Jahrhunderte abgeirrt sind" l).

XL. Epilogus galeatus.

Von Jesuiten, die über den Galilei'schen Process schrei- ben, kann man billiger Weise nicht verlangen, dass sie nicht mit der geschichtlichen Darstellung eine Apologie der Römischen Curie und des Institutes der Inquisition ver-

1) Ueber den hemmenden Einfluss, den die Römischen Decrete auf katholische Gelehrte geübt, s. Martin, Galilee p. 249, über die ultramontanen Anticopernicaner des 19. Jahrh. ebend. p. 274, über die protestantischen Anticopernicaner des 18. und 19. Jahrh., für welche freilich die Römische Curie nicht verantwortlich ist, Zöckler, Gesch. der Beziehungen u. s. w. II, 45- 352.

Die jesuitischen Darstellungen. 467

binden sollten. Aber das darf man auch von Jesuiten for- dern, dass sie dieser Tendenz nicht die geschichtliche Wahrheit und Gerechtigkeit zum Opfer bringen. Nun fin- den sich aber, wie an vielen Beispielen gezeigt worden ist, nicht nur in allen jesuitischen Darstellungen des Galilei'schen Processes mehr oder weniger viele Unrichtigkeiten, die bei grösserer Gewissenhaftigkeit und Wahrhaftigkeit zu ver- meiden gewesen wären : Ein schlimmer Zug geht durch alle diese Darstellung'en, die beste unter ihnen, die von Grisar, nicht ausgenommen, hindurch: ein dunkeler Flecken in Ga- lilei's Privatleben, die Schwächen und Fehler seines Cha- rakters, die Unvorsichtigkeiten in seinem Verhalten und dergleichen Dinge, welche für die Beurtheilung des Verfah- rens der Curie gegen ihn von gar keinem oder von ganz untergeordnetem Belange sind, werden stark übertrieben und wiederholt hervorgehoben; auf die Rücksichten, welche man gegen ihn nahm und die man ebenso stark übertreibt, wird grosses Gewicht gelegt und triumphirend darauf hin- gewiesen, dass es Lüge und Verleumdung sei, wenn man von einer langen Kerkerhaft und von Folterung Galilei's spreche ; dagegen werden die Härten in dem Verfahren bei dem Processe selbst und namentlich nach demselben theils ganz verschwiegen, theils vertuscht und beschönigt ; und so wird bei dem mit dem Sachverhalt weniger bekannten Leser der Eindruck hervorgerufen, ,als sei doch eigentlich Galilei kein sonderliches Unrecht widerfahren und die Inquisition nicht so schwarz, wie sie gewöhnlich gemalt werde. Und zur Bestätigung citirt man dann in echt jesuitischer Weise verstümmelte und aus dem Zusammenhange gerissene Stel- len von Schriftstellern, die sich einer streng objectiven und unbefangenen Darstellung befleissigen und darum auch Unrichtigkeiten und Uebertreibungen von einseitigen Geg- nern der Curie nicht ungerügt lassen, als Concessionen, welche auch die Gegner nothgedrungen der Wahrheit ge- macht ; man verschmäht nicht, zu diesem Zwecke sich selbst auf so unbedeutende Aufsätze wie den von A. Mezieres in der Revue des deux mondes zu berufen (Schneemann S. 265. 390), und man scheut sich nicht, die Citate, um sie brauchbar zu machen, zu verstümmeln (s. o. S. 217).

Wenn sich aber Grisar darauf beschränkt, das Verfah- ren der Inquisition zu entschuldigen und mildernde Um-

468 Verherrlichung der Inquisition.

stände zu plaidiren, so gehen andere Jesuiten darüber weit hinaus. P. Desjardins erklärt p. 41 : „die Kirche" habe einer einfachen, der zwingenden Beweise noch entbehren- den Hypothese gegenüber ihre Exegese nicht modificiren und ihr System der Bibelauslegung nicht ändern dürfen, und versichert, das h. Officium habe die heiligste seiner Pflichten erfüllt, als es sich glaubensgefährlichen Prätensio- nen widersetzte; jeder Unparteiische und Vorurtheilsfreie müsse sein Verhalten loben, und es sei zu verwundern, dass sonst gelehrte und orthodoxe Schriftsteller sich mit dem Haufen der rationalistischen Schriftsteller zu der Erklärung vereinigten, die Mitglieder des h. Officiums hätten unrecht gehandelt, als sie Galilei verurtheilten. Man könne sein Verhalten nicht nur rechtfertigen, man müsse vielmehr die Treue, Weisheit und Billigkeit loben, die es bei dem Gali- lei'schen Process bewiesen, ohne dass man darum gerade ein Urtheil vertheidigen müsse, welches heutzutage wissen- schaftlich nicht mehr haltbar sei1). Ein deutscher Jesuit, der noch dazu k. k. Professor der Theologie und im J. 1866 sogar Rector der Universität zu Innsbruck war, J. B. We- nig, begnügt sich nicht einmal damit, den Process gegen Galilei als „schlagenden Beweis" dafür anzuführen, dass „das kirchliche Inquisitionstribunal sowohl in der Behand- lung und Untersuchung als auch in der Aburtheilung und Bestrafung der Inquisiten das Gesetz der Milde walten Hess". Er verbindet mit seiner Darstellung des Galilei'schen Processes eine förmliche, nicht Apologie," sondern Glorifi- cirung der Inquisition, behauptet sogar, die Verhängung der Todesstrafe über Häretiker sei „wenigstens nicht unge- recht" gewesen, da „das Verbrechen der Häresie nur durch die Todesstrafe gebührend gesühnt und mit Erfolg für die kirchliche und bürgerliche Gesellschaft; unschädlich gemacht werde," und schliesst mit der offenen Erklärung : „Wir haben gesehen, dass die kirchliche Inquisition mit den modernen

1) Wo möglich noch stärker ist die Aeusserung des Cardinais Manning in dem 1875 erschienenen Buche „The Internal Mission of the Holy Ghost" (s. Theol. Lit.-Bl 1875, 470): „Die Kirche hat zu einer Zeit, als die [Coper- nicanische] Lehre nur eine Hypothese und Vermuthung war, welche dem Glauben der Menschheit und scheinbar der h. Schrift widersprach, ein Buch missbilligt, welches die Tendenz hatte, den Glauben der Menschen an natür- liche und übernatürliche Wahrheiten zu untergraben."

Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 469

Ideen über Toleranz, Aufklärung und Humanität sich nicht vereinbaren lässt; aber dessenungeachtet rufe ich, angelangt am Schlüsse des ersten Theiles meines Vortrags: Es lebe die kirchliche Inquisition! denn jene Ideen sind nicht bloss unchristlich, sondern auch unvernünftig, die Mission der Kirche aber, welche durch die Inquisition über die Rein- heit der Glaubens- und Sittenlehre wacht, ist eine göttliche und darum von dem Zeitgeiste und den Zeitumständen un- abhängige"J). Wenn Wenig in dem zweiten Theile seines Vortrags die spanische Inquisition der von ihm glorificirten kirchlichen als eine solche gegenüberstellt, die „nichts we- niger als eine Schöpfung der Kirche, sondern wesentlich ein Staatsinstitut" gewesen, so haben seine Ordensgenossen und Collegen in Innsbruck nicht unterlassen, zwei Jahre später in dem ersten Hefte der von ihnen herausgegebenen „Zeitschrift für katholische Theologie" ein Buch eines Spa- niers (Juan Manuel Orti y Lara) zu empfehlen, welches die Ansicht vertheidigt, dass allerdings auch die spanische In- quisition „eine Schöpfung der Kirche" gewesen, dass „die Kirche, welche sie ins Dasein gerufen, sie immer mit be- sonderer Vorliebe angesehen und dass darum kein Katho- lik den Namen des h. Glaubenstribunals aussprechen dürfe, ohne ehrfurchtsvoll das Haupt zu neigen vor einer Institu- tion, die wesentlich katholisch, so zu sagen, ein substan- tielles Bild der Kirche, unserer Mutter, sei"2).

Mit der Wiedereinsetzung der Inquisition in ihre frühe- ren Functionen hat es, trotz aller frommen Wünsche der Jesuiten, gute Wege. Aber die Congregation des h. Offi- ciums ist wie die des Index in einer Beziehung noch in voller Thätigkeit, und diese Thätigkeit gegen die Einwendungen zu vertheidigen, welche auf Grund des Galilei'schen Pro- cesses gegen sie erhoben werden können, lässt sich mehr noch als andere Jesuiten P. Grisar angelegen sein, ja viel- leicht ist es darauf bei seinen Aufsätzen hauptsächlich ab- gesehen. *

1) Ueber die kirchliche und politische Inquisition S. 65. 72. 74. Wenig hat es wohl in seiner Eigenschaft als k. k. Professor für gerathen gehalten, die Schrift pseudonym (unter dem Namen Theophilus Philalethes) erscheinen zu lassen. Erst nach seinem, bald nachher erfolgten, Tode ist er als Verfasser bekannt geworden. S. Theol. Lit.-Bl. 1875, 530. 573.

2) Vgl. Theol. Lit.-Bl. 1877, 335.

470 Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.

In Rom herrscht schon lange das Bestreben, nicht nur die Einheit des Glaubens unter den Katholiken zu erhalten, sondern auch eine Einheit des Denkens und Wollens unter ihnen herbeizuführen, und seit die jesuitische Partei in der römisch-katholischen Kirche zur Herrschaft gelangt ist, wird mehr noch als früher das Ziel angestrebt, die Verfassung des Jesuitenordens auch in der Kirche einzuführen. Dem- gemäss wird nicht nur für den Papst Unfehlbarkeit bean- sprucht, wenn er ex cathedra redet, und der Begriff des ex cathedra möglichst weit, z. B. auch auf den Syllabus, aus- gedehnt, und von jedem Katholiken verlangt, alles als gött- liche Offenbarung zu glauben, was der Papst definirt. Es wird für den Papst ausser der anctoritas infallibiliiatis auch noch eine auctoritas universalis providentiae ecclesia- sticae und, wie für das, was er kraft der erstem Autorität entscheidet, eine veritas infaltibilis, so für das, was er kraft der letztern entscheidet, eine infallibilis securitas bean- sprucht1). Es wird gelehrt: „Das Charisma der Unfehlbar- keit kommt dem Papste nur bezüglich seines Lehramtes zu, aber wenn er auch bezüglich der Regierung der Kirche nicht unfehlbar ist, so darf man ihm doch auch in Punkten, welche mit der Glaubens- und Sittenlehre nicht zusammen- hangen, nicht ungehorsam sein ; denn Christus und sein Stellvertreter sind in Bezug auf die Belehrung und Lei- tung der Kirche durchaus Eins, so dass es im strengsten Sinne w*ihr ist, wenn man sagt, Christus lehre und leite seine Kirche durch den Papst"2). „Es gibt in der Kirche neben oder vielmehr im Anschlüsse an das eigentliche Glau- bensgesetz noch ein Gesetz (resp. eine gesetzliche Einheit und Allgemeinheit) des theologischen Denkens oder der religiösen Ueberzeugung, welchem jedes Glied der Kirche als solches oder jeder Katholik kraft seiner katho- lischen Profession sich nicht bloss äusserlich, sondern inner- lich unterwerfen und conformiren muss"3).

Diese „gesetzliche Einheit des theologischen Denkens" herbeizuführen, ist eine Hauptaufgabe der Römischen Con-

i) Franzelin, Tract. de div. traditione p. 116.

2) Civiltä cattolica 639. Heft (3. Febr. 1877); s. Deutscher Merkur 1877, 98.

3) Scheeben, Dogmatil* I, 183. Vgl. (auch zu dem Folgenden) Theol. Lit-Bl. 1877, 57.

Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 471

gregationen, namentlich der beiden genannten; ihre doctri- nellen Decrete sind, wenn auch nicht als unfehlbar, so doch als ,,der moralisch sichere Ausdruck der Tradition der Rö- mischen Kirche" (der Kirche der Stadt Rom) anzusehen, welche „schon für sich allein ein vollgültiger Beweis der apostolischen Ueberlieferung ist und eine Normaltradition für die ganze Kirche bildet". Jenen Congregationen kann der Papst zwar nicht eine aiictoritas infallibis mittheilen, aber er lässt sie theilnehmen an seiner aiictoritas universalis providentiae ecclesiasticae, und so haben ihre Decrete „einen besondern Antheil an dem übernatürlichen Schutze, der über dem h. Stuhle waltet, und sie haben darum eine so starke Präsumtion der Wahrheit für sich, dass innerliche Zustimmung zu denselben verlangt werden muss."

Demgemäss verbietet die Index-Congregation das Le- sen nicht nur solcher Bücher, deren Inhalt der katholischen Glaubens- und Sittenlehre widerspricht, sondern auch sol- cher, in welchen wissenschaftliche theologische Erörte- rungen vorkommen, die der „gesetzlichen Einheit des theo- logischen Denkens" nicht entsprechen, mit anderen Worten, die zu der als normativ angesehenen Römischen oder jesui- tischen Schultheologie nicht passen1). Und von den Ver- fassern solcher Bücher verlangt die Index-Congregation nicht nur, dass sie das Verbot* als solches respectiren, son- dern auch, dass sie ihre Bücher selbst förmlich verwerfen. Auetor laudabiliter se subiecit et opus suum reprobavit, ist die stehende Formel, welche von denjenigen gebraucht wird, welche thuen, was die Index-Congregation verlangt. Ferner verdammen die Congregation des Index oder die des h. Officiums theologische oder philosophische Systeme oder Richtungen, wie die Hermesische und die Günther'sche und den von Löwener Professoren vertretenen „Ontologismus", oder einzelne theologische oder philosophische Thesen, oder sie stellen selbst positiv solche Thesen als Normen auf, und sie

1) Nachdem Dieringer in einer Recension der ,, Theologie der Vorzeit" des Jesuiten Kleutgen im Theol. Lit.-Bl. 1868, 213 (und in dem Schriftchen „Die Theologie der Vor- und Jetztzeit'' 1868) die 1792 erschienene Regula fidei von Ph. N. Chrismann citirt hatte, wurde diese auf den Index ge- setzt, — aber nur der von Dieringer benutzte Abdruck Augsburg 1844, so dass die Original-Ausgabe und andere Abdrücke nicht verboten sind.

472 Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.

beantworten gern Fragen, welche ihnen von Einzelnen vor- gelegt werden: ob dieses oder jenes für wahr gehalten und gelehrt werden dürfe.

Im J. 1840 wurde Prof. Bautain in Strassburg ange- halten, sechs „Thesen" theologischen und philosophischen Inhalts zu unterschreiben1). Im J. 1855 wurde dem Heraus- geber der „Annales de philosophie chretienne", A. Bonnetty, auf Grund eines am 11. Juni von der Index-Congregation gefassten, am 15. von Pius IX. bestätigten Beschlusses auf- gegeben, vier Thesen zu unterzeichnen; die vierte lautet: „Die von den hh. Thomas und Bonaventura und nach ihnen von anderen Scholastikern angewendete Methode führt nicht zum Rationalismus und ist nicht die Ursache gewesen, dass in den modernen Schulen die Philosophie in Naturalismus und Pantheismus verfallen ist. Darum darf jenen Kirchen- lehrern und Theologen nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie jene Methode angewendet, zumal sie das mit we- nigstens stillschweigender Gutheissung der Kirche gethan." Im J. 1843 und 1844 wurden von der Index-Congregation dem Prof. Ubaghs zu LÖwen mehrere Punkte bezeichnet, die er in seiner Logik und Theodicee zu ändern habe. Im J. 1860 fragten vier Löwener Professoren bei der Index- Congregation an, ob die Sätze, die sie einzeln angaben, ge- lehrt werden dürften. Der Präfect der Congregation, Cardi- nal Andrea, antwortete bejahend, wurde aber durch ein Breve Pius' IX. vom 19. Dec. 1861 desavouirt. Die Schrif- ten von Ubaghs wurden nun von den Congregationen des Index und der Inquisition gemeinsam geprüft, und in meh- reren vom Papste bestätigten Decreten eine Reihe von Punkten als solche bezeichnet, die nicht ohne Gefahr gelehrt werden könnten. Die Löwener Professoren erklärten, die- sen Decreten gehorchen zu wollen; das genügte nicht: sie mussten im J. 1867 schriftlich erklären, dass sie „den De- creten des h. Stuhles sich völlig, vollkommen und absolut unterwürfen und innerlich zustimmten und darum jede ihnen widersprechende Lehre (namentlich die in ihrem eigenen Briefe an die Index-Congregation enthaltene Exposition) von Herzen missbilligten und verwürfen"2). Am 18. Sept. 1861 wurde

1) Denzinger, Enchiridion N. 97.

2) S. die Actenstücke Katholik 1860, I, 623; 1865, I, 210; 1866, II, 491; 1867, II, 506. Revue catholique 1879, XXI, 247.

Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 473

in einer Sitzung der Inquisition darüber berathen, ob sieben ihr vorgelegte, aus französischen Lehrbüchern der Philoso- phie entnommene „ontologistische" Sätze unbedenklich gelehrt werden (tuto tradi) könnten ; die Inquisition entschied ,,nach Anhörung ihrer Consultoren und nach reiflicher Er- wägung" verneinend1). Als der Prof. Hugonin zum Bischof von Bayeux ernannt war, musste er, um die päpstliche Be- stätigung zu erhalten, am 13. Oct. 1866 schriftlich erklären: die in seinem Buche vorgetragene Lehre, die jenen sieben Sätzen günstig sei, verwerfe er, ganz so wie der h. Stuhl es verlange, als von den gesunden Principien der Philosophie mehr oder weniger abweichend2). Solche Entscheidun- gen der Römischen Congregationen gelten nun allerdings, wie wir gesehen haben, nicht als päpstliche Cathedralsprüche und also nicht als unfehlbar; aber Pius IX. hat in dem an den Erzbischof von München gerichteten Breve Tuas liben- ter vom 21. Dec. 1867, nach Dr. Ward spricht hier der Papst ex cathedra 3), erklärt : es sei nicht genug, die durch Decrete der allgemeinen Concilien oder der Päpste definir- ten Dogmen „mit göttlichem Glauben" (fide divina, als göttliche Offenbarung) anzunehmen; die katholischen Gelehr- ten müssten vielmehr auch den von den päpstlichen Con- gregationen ausgehenden doctrinellen Entscheidungen sich unterwerfen. Damit ist aber nicht bloss eine äussere, son- dern auch eine innere Unterwerfung gemeint. Wie es für ungenügend erklärt wurde, die päpstlichen Entscheidungen in den Jansenistischen Streitigkeiten mit „frommem Still- schweigen" (religiosum silentium) hinzunehmen, und eine

1) Das Decret erinnert selbst in der Form an die Tage Galilei's : A Sancta Romanae et Universalis Inquisitionis Congregatione postulatum est, utrum sequentes propositiones tuto tradi posse?it. . . Feria IV. die 18. Sept. 1861. In Congregatione generali habita in conventu S. M. supra Minervam coram Em. et Rev. DD. S. R. E. Cardinalibus contra haereti- cam pravitate?n in tota republica christiana Inquisitor ibus generalibus, iidem Em. et Rev. DD. praehabito voto DD. Consultorum, omnibus et sin- gulis propositionibus superius enunciatis mature perpensis, proposito dubio responderunt: Negative. S. den Text des Decretes und Notizen über die Haltung der Jesuiten gegenüber dem Ontologismus Theol. Lit.-Bl. 1868, 753.

2) Katholik 1867, I, 399.

3) The Authority p. 120. Den Text der betreffenden Stelle s. bei Scheeben I, 193. Vgl. Franzelin, De traditione, 2. Ed. p. 137.

474 Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.

innere Zustimmung zu denselben verlangt wurde, so ist es auch nicht genug, sich jedes offenen Widerspruchs gegen die Entscheidungen der Congregationen zu enthalten, viel- mehr wird auch eine „innerliche Unterwerfung und Zustim- mung zu denselben" verlangt. Diese Zustimmung braucht nun freilich, wie P. Grisar S. 707. 717 mit anderen Jesuiten lehrt, nicht, wie Bouix meint, dieselbe zu sein, welche päpst- liche Cathedralsprüche erheischen, sie braucht, da die Con- gregationen irren können (S. 685), keine ,, absolut zweifel- lose und über alles feste" zu sein; sie muss aber „eine Un- terwerfung pflichtmässigen Gehorsams sein, welche die [von einer Congregation] ausgesprochene Doctrin als eine solche hinnimmt, der wir mit der grössten Beruhigung und Sicher- heit, wenngleich nicht mit unfehlbarer Gewissheit beipflich- ten können. Mit der grössten Beruhigung-; denn der Fall kann niemals eintreten, dass Jemand sich eine Gewissens- schuld auflüde, indem er aus Achtung gegen den erfolgten Spruch sein eigenes Meinen dran gibt. Mit der grössten Sicherheit; denn ist auch die sprechende Autorität eine menschliche und bleibt der Irrthum nicht absolut ausge- schlossen, so sind doch die Urheber des Spruches, die Ge- horsam verlangen, mit hoher Weisheit und Gelehrsamkeit ausgerüstet: wegen ihrer Stellung sind sie mehr befähigt zu einem allgemeinen Ueberblick als alle Anderen, als ins- besondere die leicht durch persönliche Befangenheit ge- blendeten Vertreter einer etwa verurtheilten Lehre, und sie handeln nur nach langen Berathungen mit den tüchtigsten Gewährsmännern ; auch ist jener erleuchtende Beistand der Gnade in Anschlag zu bringen, der bei ihren Acten, als Acten authentisch bevollmächtigter Lehrer und als Ent- schliessungen von so weiter Tragweite, vorausgesetzt wer- den darf."

Man wird vielleicht sagen : bei einem solchen Jurare in verba Congregationum könne von einer eigentlichen Wissen- schaft nicht mehr die Rede sein. Wäre das der Fall, ent- gegnet Reinerding1), so wäre der Schaden nicht so gross: „das Heil Einer Seele gilt, wie jedes Kind in seinem Kate- chismus findet, mehr als die ganze Welt und folglich mehr als alle Wissenschaft". Uebrigens ist ja auch die Behaup-

I) Hist-pol. Bl. 56, 435. 439.

Die jetzige Inquisition und Index-Congregation. 475

tung: „Die Decrete des apostolischen Stuhles und der Römi- schen Congregationen hindern den freien Fortschritt der Wissenschaft" im Syllabus (No. XII) verdammt, und nach Reinerding ist sogar „die kirchliche Ueberwachung der Wissenschaft, weit entfernt ihrem Fortschritte nachtheilig zu sein, eine Leuchte für sie. Es mag sein, dass man sich des Nachts in der Stadt auch ohne Laterne zurecht finden könnte; verschmäht man aber deshalb das Licht der La- terne?" Jedenfalls hat auch, wie P. Desjardins p. 43 ver- sichert, „die Kirche eine souveräne Autorität, gewisse Ent- wicklungen der Wissenschaft zu verzögern, falls sie glaubt, dass dieselben unter den augenblicklichen Verhältnissen den viel höheren Interessen des Glaubens gefährlich werden könnten." Wenn das, was ein katholischer Gelehrter durch gewissenhaftes Studium als wissenschaftliche Wahrheit er- kannt zu haben glaubt, von einer Römischen Congregation als Irrthum bezeichnet wird, so muss er sich eben dabei be- ruhigen, dass das, was die „mit hoher Weisheit und Gelehr- samkeit ausgerüsteten und zu einem allgemeinen Ueb erblick mehr als alle Anderen befähigten" Cardinäle der Congre- gation „nach langen Berathungen mit den tüchtigsten Ge- währsmännern", die ja in Rom für jeden Zweig der Wissen- schaft in P^ülle zu finden sind, unter dem „erleuchtenden Beistande der Gnade" als wissenschaftlich richtig aus- sprechen, mindestens probabeler ist als seine eigene wissen- schaftliche Ueberzeugung, und dass er jedenfalls, indem er „aus Achtung gegen den erfolgten Spruch sein eigenes Meinen daran gibt" und auf die Autorität der Congregation hin das schwarz nennt, was nach seiner Meinung weiss ist, „sich keine Gewissensschuld" aufladet. ,

Es liegt auf der Hand, wie unbequem den Jesuiten bei der Verteidigung dieser Theorie die von den Römischen Congregationen im J. 1616 ausgesprochene, im J. 1633 in so energischer Weise eingeschärfte und von den Päpsten so lange aufrecht erhaltene „Doctrin" sein muss, dass die Erde still stehe und die Sonne sich bewege, eine Doctrin, welche die „hohe Weisheit und Gelehrsamkeit" der Päpste, der Cardinäle und ihrer „Gewährsmänner" und selbst den „erleuchtenden Beistand der Gnade", der diesen „authentisch bevollmächtigten Lehrern" bei einer „Entschliessung von so weiter Tragweite" hätte zu Theil werden müssen, in so

47^ Die jetzige Inquisition und Index-Congregation.

eigen thümlichem Lichte erscheinen lässt. Scheeben, S. 250, scheint freilich zur Beruhigung solcher, die dadurch an der Zuverlässigkeit der Congregations-Entscheidungen irre x wer- den möchten, die Versicherung für genügend zu halten: das Index-Decret vom J. 1616 sei der einzige Fall einer von den Congregationen ausgegangenen Censur, die man mit einigem Schein als falsch bezeichnen könne, und Reinerding S. 438 fügt nur noch den Trost bei: „das endlose Aerger- niss, zu dem diese Geschichte ausgebeutet werde, könne die Kirche [sie] nicht ermuthigen, eine zweite Galilei-Geschichte zu bieten" *). So leicht macht sich P. Grisar die Sache nicht. Die Folgerung aus der „Galilei-Geschichte" gibt er S. 708 zu: für die Entscheidungen der Römischen Congre- gationen kann „nicht jedesmal ein untrüglicher Gnadenbei- stand angenommen werden". Aber eine Widerlegung der vorgetragenen Ansicht von der Verbindlichkeit der Congre- gations-Decrete, fügt er S. 709 bei, enthalte das Decret über die Copernicanische Angelegenheit nicht, sondern nur eine „Aufforderung zur präcisen Angabe der Schranken, welche jener Verbindlichkeit eigen sind". Demgemäss gibt er denn, unter Berufung auf seine Ordensgenossen Hurter und Pal- mieri, zu: die Zustimmung zu einer Entscheidung der Con- gregationen brauche sich nur auf „eine moralische, nie auf eine metaphysische Gewissheit" zu stützen, und wenn Jemand „wichtige und solide Gründe" habe, eine Entscheidung für unrichtig zu halten, so dürfe er „fürchten, zweifeln, bedin- gungsweise beistimmen, ja die Beistimmung suspendiren". Grisar selbst geht noch einen bedeutenden Schritt weiter und führt das vorhin perhorrescirte silentium reli- giosum durch eine Hinterthüre wieder ein. Es sei, sagt er, sehr löblich gewesen, wenn Gelehrte des 17. Jahrhunderts wie Gassendi und Descartes bezüglich der Copernicanischen Lehre „das demüthige Opfer des Verzichtens auf die eigene Meinung gebracht" hätten; aber als „Vorschrift" habe nur gegolten, „der Ehrerbietung gegen die Congregation nicht durch ausgesprochenes gegentheiliges Handeln zu nahe zu

1) Aehnlich (Scheeben im) Katholik 1864, I, 691 : „Wenn ich meine Meinung ganz sagen soll, so zweifle ich nicht, dass dieser Missgriff die Con- gregation des Index für alle Zukunft um so vorsichtiger gemacht habe, wo es sich um wissenschaftliche Controversen handel t."

Die Jesuiten über Galilei's Verurtheilung. 477

treten, also die vorgeschriebene Form zu wahren und dem Vortrage der Copernicanischen Lehre die Gestalt der Hypo- these zu geben. Nicht Ein Beispiel ist vorhanden, dass man nach dem J. 1633 auch nur die äussere Verletzung jener Form gestraft hätte; viel weniger noch versuchte man je- mals, auf die Decrete hin in das Innere einzudringen und Beugung des entgegengesetzten Meinens dem zu befehlen, der von überzeugenden Gründen geleitet zu sein glaubte. Der so oft geschilderte Gewissenszwang gehört in das Reich der Utopien." Wenige Seiten weiter (S. 719) wird freilich diese Concession, dass man unter Umständen einer Ent- scheidung einer Römischen Congregation gegenüber „das demüthige Opfer des Verzichtens auf die eigene Meinung" zu bringen nicht verpflichtet sei, wieder illusorisch gemacht durch die Erklärung: es könne sich zwar, absolut genommen, ein Fall ereignen, in welchem die Beistimmung zu einer Congregations-Entscheidung wegen des allzugrossen Gewich- tes von Gründen für die entgegengesetzte Wahrheit von einem Einzelnen nicht geleistet und darum auch nicht ge- fordert werden könne; aber ein solcher Fall sei doch, wenn auch absolut möglich, kaum jemals denkbar.

Aber bei dem armen Galilei lag doch ein solcher Fall vor, und bei ihm war es doch ein „Gewissenszwang", wenn von ihm verlangt wurde, dass er die Meinung von der Be- wegung der Erde und dem Stillstehen der Sonne, von deren Richtigkeit er überzeugt war, als eine Ketzerei „mit auf- richtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben" abschwöre! Was Grisar ausser den schon oben berührten Sophiste- reien — darauf antwortet (S. 717), ist wohl geeignet, den Ab- schluss der Beiträge zur Charakteristik des Jesuitismus zu bilden, die ich in diesem Paragraphen zusammenstelle ; denn etwas Jesuitischeres kann selbst ein Jesuit nicht schreiben.

Die Frage, ob bei Galilei ein Fall, wie der vorhin als absolut möglich bezeichnete, vorlag, ist „unbedenklich zu verneinen": die Cardinäle, die ihn zur Abschwörung anhiel- ten, konnten „auch nicht im entferntesten ahnen", dass er ihrer Entscheidung nicht innerlich beistimmen konnte, ja „sie hatten ein ganz specielles Recht, die Garantie der Beistim- mung durch den Schwur von ihm zu fordern. Er verzichtet ja selbst vor seinen Richtern auf alle Anführung wissen- schaftlicher Bedenken gegen die Annahme der Lehre des

47^ Die Jesuiten über Galilei's Verurtheilung.

Decretes, weit entfernt, mit Berufung auf subjective Evidenz aus der Astronomie die Unmöglichkeit irgend welcher Bei- stimmung zu behaupten. Er beeilt sich so gleichsam, die Cardinäle zu jener vollsten Geltendmachung" ihres Stand- punkts gegenüber seiner Person weiter zu führen, wie sie die Ablegung des Schwures enthält. Er sagt in den Ver- hören, er betrachte die der Copernicanischen entgegenge- setzte Weltlehre des Ptolemäus durchaus als wahr, er sei bereit, gegen Copernicus die Feder zu ergreifen und dgl."

Das ist ja thatsächlich richtig, und man mag darüber streiten, wer persönlich schwerer gefehlt hat, Galilei, wel- cher in den Verhören seine Ueberzeugung von der Rich- tigkeit der Copernicanischen Lehre verleugnete, oder die Cardinäle, welche ihn nöthigten, diese Ableugnung, von deren Unaufrichtigkeit sie überzeugt sein mussten, mit einem Schwüre zu bekräftigen. Aber was soll man von einer Institution sagen, die diese Folgen hatte, dass ein siebenzig- jähriger Gelehrter, um nicht als Ketzer verurtheilt und be- straft zu werden, seine wissenschaftliche Ueberzeugung verleugnete, und dass eine Anzahl der höchstgestellten Kirchenfürsten mit dem Papste an der Spitze ihn nöthigte, eine Lehre mit einem Eide als Ketzerei zu verfluchen, die unzweifelhaft wahr ist und von der sie annehmen mussten, dass jener Gelehrte von ihrer Unrichtigkeit nicht über- zeugt sei.

Und um das Mass des Hohnes gegen den unglücklichen Greis voll zu machen, erhebt P. Grisar mit P. Schneemann noch den Vorwurf gegen ihn: dass er nichts von einer Martyrernatur gehabt, dass ihm nicht Heuchelei und Ver- stellung mehr als der Tod zuwider gewesen seien, dass er seine Ueberzeugung nicht hätte verleugnen, dass er viel- mehr hätte handeln müssen wie Paulus, als er dem Petrus in's Angesicht widerstand. „Die ausgesuchte Milde und Zu- vorkommenheit, mit welcher er während des Processes be- handelt worden, sei geradezu danach angethan gewesen, ihn dazu zu ermuthigen, mit ganzer Loyalität und muthiger Festigkeit die Bedrängniss seines Gewissens bezüglich der ihm zugemutheten Abschwörung geltend zu machen." ,, Hätte er das gethan, so wäre das, was geschehen ist, unterblieben. So aber hat er den Schwur geleistet, nur berathen von sei- nem überall hervortretenden Verlangen, so leicht und be-

Nachträge. 479

quem wie möglich aus der Affaire den Ausgang zu finden. " Damit aber nicht Jemand aus dieser Lobpreisung einer Ueberzeugungstreue, wie sie Galilei nicht gehabt, einen „falschen Schluss" ziehe, unterlasst Schneemann S. 401 nicht beizufügen: „Daraus, dass es in einzelnen ausserordentlichen Fällen erlaubt ist, den höchsten Behörden zu widerstehen, folgt noch nicht, dass man nur da hinsichtlich der Lehre zu gehorchen hätte, wo ein unfehlbarer Spruch ex cathedra vorliegt. Es wäre das vielmehr Stolz und Anmassung. Wer die Demuth besitzt, welche das Christenthum und noch mehr der Stand eines Priesters erheischt, wird bereitwilligst, auch in Fragen, in denen das Oberhaupt der Kirche nicht in feierlichster Weise von seiner Machtfülle Gebrauch macht, falls nur nicht das Gegentheil klar ist, sein Urtheil dem der höchsten Römischen Behörden, ja auch dem seiner unmittel- baren geistlichen Vorgesetzten unterwerfen."

NACHTRÄGE.

Zu S. 26, Anm. 1. Ein interessanter Brief über Galilei's Ent- deckungen von dem Jesuiten Gregorius a S. Vincentio, d. d. Rom 23. Juli 161 1, ist abgedruckt in den Bulletins de l'Acad. de Bel- gique, 1873, 2. S. t. 36, p. 89. Es heisst darin: Odo Malcot hac de re problema exhibuü coram auctore huius novitaiis, Galilaeo Ga- lilaei nomine, maximo applausu et concursn virorum doctorum et nobilium. Das wird der von Govi veröffentlichte Vortrag sein.

Zu S. 27. Ueber die Akademie der Lincei s. Domenico Ca- rutti, Di Giovanni Eckio e della instituzione delP Accademia dei Lincei, und Degli Ultimi tempi, delP ultima opera degli antichi

480 Nachträge.

Lincei etc., Rom 1877. 1878 (in den Atti della R. Acc. dei Lin- cei 1876 77, S. 3, vol. 1, p. 65, und 1877—78, vol. II, auch in Separat-Abdruck). Vgl. auch die Atti 1878 79, Transunti III, 73.

Zu S. 29. Berti berichtet in den Atti della R. Acc. dei Lin- cei 1876 77, S. 3, Transunti, vol. 1, p. 158: Cremonini's Vor- lesungen machten ihn der Inquisition verdächtig. Seine Bücher „De coelo, Apologia dictorum Aristotelis, De quinta coeli substan- tia", gaben Anlass zu einem Streite mit der Inquisition zu Padua und zu Rom, welcher über sieben Jahre dauerte.. 1626 wurde er zu Rom denuncirt, er behaupte die Sterblichkeit der Seele und die Ewigkeit der Welt. Seine „Disputatio de Coelo" wurde 1. Jan. 1622 resp. 3. Juli 1623 auf den Index gesetzt.

Zu S. 74. Von dem Sacro Arsenale besitze ich jetzt die Aus- gaben Bologna 1679 und Rom 1730. Letztere wird als „vierter (Römischer) Abdruck'' bezeichnet. Die Annotationi in den Römi- schen Ausgaben sind von Pasqualone; von Menghini sind die p. 2^ (25) ff. beigefügten Formulare nebst den daneben stehenden An- weisungen. Dieselben waren ursprünglich von Menghini besonders veröffentlicht unter dem Titel: „Regole dei Tribunale dei Sant' Officio praticate in alcuni Casi Imaginarij da F. Tomaso Menghini d'Albacina, Inquisitore Generale di Ferrara e suo Ducato, per lume de' Vicarij della di lui Giurisdizione". Ich besitze von dieser Publication die „seconda Impressione", Ferrara 1687.

Zu S. 129, Anm. 3. Das Concept des Zeugnisses Bellar- mins ist abgedruckt bei Berti, II Processo, N. Ed. p. 277.

Zu S. 151 u.: Am 20. April schrieb Ca-stelli Galilei von Pisa aus: Bfoscagli?] habe dorthin geschrieben, er habe heimlich vor dem Cardinal Bellarmin abschwören müssen. Am 2^. (oder 25.) April schrieb Sagredo von Venedig: es sei dort ausgestreut worden, was S. 151 angegeben ist. Galilei theilte dem Cardinal Bellarmin eine Abschrift dieser Stellen aus den beiden Briefen mit, und der Cardinal stellte ihm darauf das oben (S. 129) mitgetheilte Zeugniss aus. S. Berti, II Processo, N. Ed. p. 43. 278.

Zu S. 154. Ueber die Sitzung der Lincei vgl. den oben er- wähnten Aufsatz von Domenico Carutti, Di Giovanni Eckio (auch die Atti 1876 77, Transunti I, 45). Nach p. 65 wollte Valerio nicht mehr zu der Akademie gehören, weil sie eine verderbliche Lehre befördere. In der Sitzung vom 24. März 16 16, in welcher Cesi, Galilei, Stelluti, Faber und Angelo de Filiis anwesend waren, wurde darauf beschlossen: Valerio nicht aus dem Verzeichnisse der Mitglieder zu streichen, aber von den Sitzungen und Ab-

Nachträge. 48 1

Stimmungen auszuschliessen, 1. weil er gar keinen Grund gehabt, sich von der Akademie loszusagen; 2. weil er durch die Erklärung, er wolle kein Linceo sein, gegen die Akademie selbst den Vor- wurf erhebe, als habe sie sich eines Vergehens oder offenbaren Irrthums bezüglich der Meinung von der Bewegung der Erde schuldig gemacht, von welcher Meinung Valerio sage, Galilei hul- dige derselben als Mitglied der Akademie; 3. weil er Galilei selbst, den er sonst immer als seinen Freund behandelt, eines Irrthums und grossen Vergehens beschuldigt, da doch Galilei jene Meinung nur 'als eine Meinung behandelt habe. Ganz klar ist die Sache nicht; aber sie verhält sich jedenfalls anders, als Odescalchi angibt.

Zu S. 275. Die „Decisiones morales" von Pasqualigo wur- den 2. Jan. 1684 donec corrigantur auf den Index gesetzt. Ferner steht von ihm auf dem Index: „Sacra moralis doctrinae de statu supernaturali humanae naturae", nisi fuerit ex correctis iuxta de- cretum 29. Martii 1656.

Zu S. 299, Anm. 4 und zu S. 3i2, Z. 3 v. u.: Gebier, de l'Epinois und Pieralisi geben an, in den Vaticanischen Acten stehe, wie bei Gherardi, et si, nicht ac si\ Berti hat auch in seiner neuen Ausgabe der Acten p. 214 wieder ac si drucken lassen. Jeden- falls würde aber auch dieses durch „und wenn", nicht durch „als ob" zu übersetzen sein.

Zu S. 3oo, Anm. 2. Wohlwill berichtet, Zts. f. Math. 1879, 2, über Gherardi's Mittheilungen folgendes Weitere: Gherardi hat den Beschluss der Inquisition nicht nur in dem Bande der Decreta (s. o. S. 4), sondern auch noch auf neun losen Blättern gefunden. Der Wortlaut ist auf diesen Blättern verschieden; von vier wird er mitgetheilt. Auf einem Blatte steht: Smus decrevit ipsum Gali- leam interrogandmn esse super intentione, et comminata ei tortura, et si attamen sustinuerit vel perstiterit (dann sind ungefähr zwei Zeilen durch Durchstreichen unleserlich gemacht) si demum destiterit (hier findet sich am Rande vel cesserit recesserit), praevia abiuratione de vehe?nenti in plena Congregatione S. O. condemnandwn ad carcerem etc. Auf einem zweiten Blatte steht ganz dasselbe; nur finden sich an der Stelle der auf dem ersten Blatte durchstrichenen Worte Reihen von Doppelstrichen (=), wie sie nach Gherardi's Angabe in derartigen Manuscripten häufig vorkommen, und zwar an der Stelle bestimmter, dem Schreiber geläufiger Formelausdrücke. Die Fassung in dem Bande der Decreta stimmt mit der auf dem ersten Blatte überein; nur fehlt die Randnote und auch da, wo auf dem ersten Blatte attamen, vel perstiterit, si demum destiterit steht, finden

Keusch, Galilei. 31

482 Nachträge.

sich durchstrichene Worte, von denen destiterit noch zu erkennen ist. Auf einem dritten Blatte steht das Decret, wie es Gherardi früher veröffentlicht hat: Smus decrevit ipsum Galileum interrogan- dum esse super intentione, et comminata ei lortura, et si sustinuerit, praevia abiuratione de vehementi in plena Congregatione S. Off. con- demnandum ad carcerem etc., auf einem vierten ebenso, nur et si de- stiterit statt et si sustinuerit. Die beiden letzten Aufzeichnungen sind nach Gherardi's Meinung nicht vor 1828 38 geschrieben, die beiden ersten dagegen „sehr alten Ursprungs". Gherardi's Aufschlüsse lassen, wie Wohlwill S. 6 sagt, noch viel zu wünschen übrig; die bereits in der Sitzung der Accademia dei Lincei vom 3. Dec. 1876 von ihm in Aussicht gestellten Mittheilungen sind meines Wissens noch nicht erfolgt. Jedenfalls ist die Fassung des Decretes, wie es S. 299 nach den Acten S. 1 12 mitgetheilt ist, durch Streichungen aus einer altern Form hergestellt. Wohlwill meint, dieses sei erst im 19. Jahrhundert geschehen, der am 16. Juni 1633 gefasste Beschluss habe für den Fall, dass Galilei bei der Andro- hung der Folterung standhaft bleibe (si sustinuerit erklärt er jetzt wie ich S. 512, 314), die Folterung oder wenigstens die Schreckung in der Folterkammer angeordnet. Ich halte es auch jetzt noch für wahrscheinlicher, dass diese Massregeln zwar in der Mittwochs- oder auch noch in der Donnerstags-Sitzung beantragt worden sind, dass aber in dieser schliesslich das beschlossen worden ist, was oben S. 299 mitgetheilt worden. Die ausgestrichenen Worte in dem Ent- würfe könnten gelautet haben (et si attamen sustinuerit vel persti- terit) ducendum ad locum torturae ibique spoliandum, ligandum et funi applicandum et iterum interrogandum (s. o. S. 308, Anm. 1 und 2). Das si demum destiterit (vel cesserit, recesserit) ist mir unerklärlich, denn wenn Galilei von seiner bisherigen Erklärung abliess, also seine häretische Intention eingestand, war er nicht zur abiuratio de vehementi, sondern zur abiuratio de formali zu verurtheilen; s. o. S. 305- 312.

PERSONEN - REGISTER.

Accarisio 430.

Aggiunti 374. 430.

Agucchi 27.

Alexander VII. 443.

Alidosi 223.

Ambrogetti 420.

Anfossi 441.

Antonini 214.

Aproino 216.

Ascoli, Card, von, s. Centini.

Attavanti 80. 87.

Baliani 33.

Barberini, Maffeo, s. Urban VIII.

Die anderen Barberini 178. 195

u. s. Baronius 44. Beaugrand 427. Bellarmin 14. 25. 56. 62. 91. 125.

450 u. s. Benedict XIV. 440. Bentivoglio, Card. 221. 260. Berigardo (Beauregard) 421. Bernegger 387. 414. Boccabella 254. 256. Bocchineri 197. Borgia, Card. 197. 226. 331. Boscaglia 38. Boscovich 458. Bouillau 421.

Buonamici 6. 229. 232. 376. Buonarroti 254. Buoncompagni, Card. 167. 182.

Caccini 78. 100. 159.

Calasanza 409.

Campanella 61. 157. 164. 173. 176.

233- Capponi, Card. 264. Caramuel 459. 460. 463. Carcavi 420. Carena 75. Castelli 18. 22. 37. 195. 261. 389.

402 u. s. Cavalieri 409.

Centini, Card. v. Ascoli 100. 200. Cesarini 27. 162. 175. 177. Cesi 14. 26. 88. 199 u. s.

Cosimo II. 8. 175. Chiaramonti 188. 238. 263. 421. Christina von Lothringen 38. 43. Ciampoli 27. 90. 175. 177. 197. 226.

u. s. Cigoli 17. Cini 263.

Cioli 222. 246. 248. 288. Claras, Julius 75. Clavius 17. 28. Clemens s. Settimi. Cobelluzzi, Card. v. S. Susanna 181.

190. Colombe, L. delle 26. 36. Contarini 218. Conti, Card. 37. Cremona, Card, v., s. Scaglia. Cremonini 17. 29. 480.

Dini 27. 90. Diodati 57. 415.

Elzevir 414.

Este, Card. v. 102.

Faber 27.

Fabri, Honoratus 438. 457. 463.

Farinacci 75.

Febeo 259.

Ferdinand II., Grossherzog 246. 248.

Ferdinand IL, Kaiser, 416.

Firenzuola(Macolano) 232. 267.283.

357- Foscarini 59. 96. 144. 414. Fromond 57. 421.

Galamini, Card. 85.

Galilei, Vincenzo 10. 181. 397.

Galilei's Töchter 10. 177. 388. Gassendi 172. 439. Gherardini, Bischof 90. Gherardini, Canonicus 6. 234. Ginetti, Card. 254. 278. Grassi 160. 234. Gregor XV. 175.

Griemberger 19. 56. 91. 215. 233. Grotius 388. Gualdo 23.

484

Personen-Register.

Guevara 169.

Guicciardini 103. 151.

Guiducci 160. 166. 263. 373. 431.

Hohenzollern, Card. 181. Holstenius 232. Hortensius 399.

Inchofer 122. 234. 237.273.345.421. Ingoli 185.

Kellison 375.

Kepler 20. 114. 157. 173. 185. 190.

Kochanski 458.

Ladislaus IV. von Polen 392. 426.

Lalande 440.

Leibniz 439.

Libri 17.

Liceti 15. 374. 420.

Lorini 78. 82.

Ludovisi, Card. 175.

Macolano s. Firenzuola.

Magalotti 230. 236. 244.

Magiotti 420.

Maraffi 80.

Marsili, Alessandro 385.

Marsili. Cesare 189.

Marzi-Medizi 77.

Masini 74. 480.

Mazzoni 20.

Medici, Card. 105.

Mellini, Card. 70.

Menghini 74. 480.

Micanzio 171. 214. 377. 412 u. s.

Michelini 409.

Mirto 200.

Monte, Card, del 24. 95. 152.

Morandi 200.

Morin 421. 427.

Muti 152.

Niccolini 197. 222. 320. 381 u. s. . Noailles 391. 418.

Oregio 210. 237. 272. 275. Olivieri 80. 120. 441. Orsini, Card. 104. 170. 189.

Paganino 378. Pasqualigo 237. 275. 481. Pasqualone 74. 480. Paul V. 24. 104. 153. 174.

Peiresc 389. Pena 75. Peri 374. 409. Picchena 99. 248. Piccolomini 382. Pieroni 414. Pignatelli 75. Pineda 35.

Querenghi 102.

Renieri 6. 378. 410.

Riccardi 164. 170. 182. 195.237.351,

u. s. Ridolfi 228. Rinuccini 427. Rocco 420. 429.

Sagredo 151. 194.

Salviati 33. 194.

Sarpi 30. 86.

Scaglia,' Card. v. Cremona 260. 262.

363. Scheiner 13. 17. 31. 170. 234. 242.

416. 422. Scioppius 182. Seghizzi 70. 128. Serristori 261. Settele 441.

Settimi (P. Clemens) 409. Sfondrati, Card. 82. in. Sizi 17. 36. Simplicio 194. 231. Sinceri 70. Spinola 167. Stefani 203. Stelliola 156. Stelluti 27. 162. 177.

Torricelli 172. 215. 410.

Ubaldini, Card. 226. Urban VIII. 18. 56. 62. 92. 94. 165. 175. 221. 434. u. s.

Valerio 27. 154. 480. Veglia 5. 215. Visconti 198. 200. Viviani 6. 410. 424. 436.

Wadding 421. Weerdt, F. de 430. Welser 23. 31.

Zacchia, Card. 331.

Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn.