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HARVARD UNIVERSITY.

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ABHANDLUNGEN

aus dem

Gebiete der Naturwissenschaften

herausgegeben vom

Naturwissenschaftlichen Verein

in Hamburg. XIV. Band.

INHALT:

Zur Mechanik des Vogelfluges von Dr. Fr. Ahlborn.

---9-9.90— eo - -

HAMBURG. L. Friederichsen & Co.

“1896.

Druck von Grefe & Tiedemann.

Mechanik des Vogelfluges.

Dr. Fr. Ahlborn

in Hamburg.

Mit 54 Abbildungen im Text.

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INHALT.

I. Teil. Der Ruderflug.

Einleitung cv aces, Lie dag Sir ated ar aiaa nren ANE Dee

Der Luftwiderstand ............ Ak Wee ee ces. Sha aes Chie woe eae

Ba des Blugels" 2.0: RR edes men dee A RSE a Wirkung des Fliigelschlages..... ...... TIE TAE Bedeutung der gewólbten Flugflachen.. ... . .. TNT

Formen des Vogelfliigels ....... .

Rückschlag des Flügels beim Ruderfluge .......... PLI

Unregelmässigkeiten beim Fluge .......... bwin ne EGO eee, Den Vertikale und horizontale Schwankungen... .. 2... nn. Erhaltung des Gleichgewichtes........ P xen heat eee ee eke

Flugflichen des Rumpfes und Schwanzes .............

II. Teil. Der Flug ohne Flügelschlag.

Einleitung... sa beining sent wire

Der Gleit- und Schwebflug .... .... 22.2.2... T c

Der Segelflug. Kritik der vorhandenen Erklärungsversuche ..

Analyse des Segelfluges ...... TIEMPO AS, uh. RoMsd ue ip re dea tras oe Jodi oe d d Von welchen körperlichen Eigenschaften hängt das Segelvermógen der Vögel ab? ..

Die Arten des Segelfluges ... 2:2: 2220 0 2.0.2 eee EE ee

Schluss. (Anwendung auf die Aviatik.) ............

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Vorwort.

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis eines mehrjährigen Studiums der Flug- bewegungen, zu welchem Verfasser durch eine Diskussion des Fischfluges im Natur- wissenschaftlichen Verein zu Hamburg die erste Anregung empfing. Zur Entscheidung der bestehenden Kontroversen erwies sich ein eingehenderes Studium des Vogelfluges als notwendig. Das gerade erschienene grosse Werk Marey’s über den Vogelflug mit seinen weitreichenden Litteraturangaben bot dazu eine willkommene Gelegenheit. Es zeigten sich bald die Stellen, wo die Forschung vor Schwierigkeiten Halt gemacht, wo daher ein

weiteres Vordringen einzusetzen hatte.

Zunächst galt es auf aérodynamischem Gebiete die Konsequenzen des Avanzinischen Gesetzes zu ermitteln, welches sich auf die Verteilung des Widerstandes von Flüssigkeiten gegen schräge Flächen bezieht. Zu diesem Zwecke konstruierte Verfasser einen grossen Präzisionsapparat zur Analyse des Luftwiderstandes gegen geneigte Flächen. Der Apparat wurde im Naturwissenschaftlichen Verein zu Hamburg, sowie auf der 67. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Lübeck s. Z. vorgezeigt und erläutert. Die noch nicht abgeschlossenen Untersuchungen wurden mit Genehmigung des Herrn Geheimrat Neumayer auf der deutschen Seewarte ausgeführt, mit Benutzung der dortigen grossen Combes'schen Rotationsmaschine und ihren chronographischen und sonstigen Hülfs- einrichtungen. Der Naturwissenschaftliche Verein und die Averhoff'sche Stiftung in Hamburg stellten die erforderlichen nicht unbedeutenden Mittel zum Bau der Apparate bereitwillig zur Verfügung, wofür ich hier meinen verbindlichen Dank aussprechen möchte.

Während der Untersuchungen erschien die grosse Arbeit Langley's über Aéro- dynamics, welche die Verhältnisse des Widerstandes soweit aufklärten, als zur Fortführung der wichtigsten Fragen des Vogelfluges nötig war. Die eignen bis dahin. gewonnenen Beobachtungsresultate stimmten mit den theoretischen Erwartungen und mit Langley's

Angaben im Prinzip überein. Da nun infolge eines Bruches eine tiefgreifende und lang:

wierige Reparatur des Apparats nötig wurde, und Mangel an Zeit und andere Gründe den Abschluss der aérodynamischen Untersuchungen in die Ferne rückten, so entschloss sich Verfasser zunächst zu einer Durcharbeitung des Vogelfluges auf Grund der inzwischen gewonnenen Erfahrungen.

Die hierbei erzielten Resultate bestehen, wie man sehen wird, im wesentlichen in einer Erweiterung unserer Kenntnisse über die mechanische Bedeutung der verschiedenen Flügelformen und Flugarten; und es ist schliesslich gelungen, den Schleier zu lüften,

der bis dahin das Zustandekommen des Segelfluges in so geheimnisvolles Dunkel hüllte.

Mögen diese Ergebnisse rein wissenschaftlicher Forschung auch den praktischen Bestrebungen förderlich sein, deren Ziel ist: die Ausdehnung der Herrschaft des Menschen auf das Reich der Lüfte.

Hamburg, Realgymnasium des Johanneums.

Herbst 1895.

I. Teil.

Der Ruderflug.

1. Einleitung.

Die freie Natur zeigt uns ihre befiederten Bewohner mehr in der Bewegung, als in der Ruhe, mehr im Fluge, als sitzend und schreitend. Dem Land- und Forstwirt, dem Seemann und wen sonst der Beruf hinaus in’s Freie führt, ist daher die Erscheinung des fliegenden Vogels eine weit bekanntere, als die des ruhenden. Der Naturfreund und Biologe, der es liebt, die Tiere bei ihrem Thun und Treiben zu beobachten, erkennt dic Vögel weniger an ihren systematischen Merkmalen, als an dem Bilde, welches sie in ihrem Fluge vor seinen Augen vorüberziehen lassen. Er kennt sie an ihrer Grösse, an denı Umrissbild, mit dem sie sich vom hellen Hintergrunde des Himmels abheben, an der Gestalt der Fluglinie, der Art und Häufigkeit ihres Flügelschlages, an den Lauten, die sie im Fliegen hervorbringen, an ihrer Geselligkeit und dem Charakter der Landschaft, welche das ganze Flugbild umrahmt.

Oft übt der Wind einen unverkennbaren Einfluss auf den Verlauf des Fluges. Kleinere Vögel kämpfen mühsam flügelschlagend mit Aufgebot aller Kräfte gegen den Wind, um ihren Standort oder die Zugstrasse innezuhalten oder wiederzugewinnen, und häufig genug verschlagt sie der Wind hinaus in's offene Meer oder auf einsame Eilande, und zwingt sie, ein heimatsloses, unstetes Leben zu führen. Die schmalflügeligen Möven, die bei ruhigem Wetter träge und schwankend über der regungslosen Wasserfläche dahin- rudern, sie tummeln sich mit grosser Lebhaftigkeit auf vielverschlungenen Bahnen fast ohne Flügelschlag in der Luft, wenn der Wind ihren Flügeln Kraft verleiht; und der Albatros, der bei Windstille vergessen zu haben scheint, dass er Flügel hat, wird zum König aller Flugtiere in den stürmisch bewegten Lüften der Kapmeere.

Sieht man von den Begleiterscheinungen ab, welche den äusseren Gesamteindruck des Flugbildes bei den einzelnen Arten der Vögel vervollständigen, achtet man nur auf die Thätigkeit des Flugapparats in seiner Wechselwirkung gegen die Luft, so ergeben sich zwei auffällig verschiedene Flugmethoden, der aktive Ruderflug, mit Flügelschlag und

der passive Flug, bei welchem der Vogel die Flügel in ausgebreiteter Stellung festhält, schwebend und segelnd oder gar periodisch ganz einzieht, wenn er pfeilartig durch die Luft gleitet.

Die Anwendung dieser beiden Flugmethoden ist eine sehr verschiedene. Die meisten Vögel wenden gewöhnlich den Flügelschlag an, andere, wie der Albatros, pflegen mit Vorliebe zu schweben und zu segeln. Aber so gut der Albatros gelegentlich Flügel- schläge ausführt, so gut fliegen auch die echten Ruderer, unter denen die Hühner die schwerfälligsten sind, in vorübergehenden Pausen mit ruhigen Flügeln. Und wenn der Kondor nur beim Abfliegen Flügelschläge anwendet, um seine volle Geschwindigkeit zu erlangen, und dann stundenlang ohne einen Flügelschlag kreisend und schwebend die höchsten Luftschichten durchzieht, so giebt es viele andere Vögel, die während des ganzen Fluges ohne Unterbrechung rudern und nur am Schluss, um die Geschwindigkeit zu dämpfen, eine kurze Strecke mit ruhigen Flügeln herabschweben. Passiv kreisend lässt sich der Storch vom Winde emporheben und langsam durch die Luft dahintragen, oder er rudert rastlos vorwärts, dem Winde entgegen; in ruhiger Luft sieht man ihn abends in kurzen, wechselnden Perioden rudernd und schwebend seinem Neste zufliegen. Periodisch ist auch der Wellenflug der kleinen Singvögel, doch haben sie in den Inter- vallen des Ruderfluges ihre Flügel dicht herangezogen, wie der Falke, der hoch aus der Luft auf seine Beute herabstösst. Die Segler, Möven und Sturmvögel bewegen sich ohne Flügelschlag auf unregelmässigen, mannigfach gekrümmten Bahnen; die grossen Raubvögel aber segeln fast nur in Kreisen, Spiralen und Schleifenlinien, und der wechselvolle, leicht vom Willen beherrschte Flug jener ist ihnen unmöglich.

Es ist eine überaus dankbare Aufgabe biologischer Forschung, den Zusammenhang dieser auffälligen Verschiedenheiten des Fluges mit den sonstigen Lebensgewohnheiten und Existenzbedingungen der Arten festzustellen, und den weiteren Ursachen nachzugehen, welche im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung eine so ungleiche Ausgestaltung des Flugvermögens vom Kondor bis zu den Kolibris, vom Albatros bis zu den Straussen und Pinguinen veranlasst haben können.

Für unsere flugmechanischen Betrachtungen kommen nur die nächstliegenden Ursachen jener Verschiedenheiten in Frage, und diese liegen abgesehen von den erwähnten Einflüssen des Windes -— so gut wie ausschliesslich in den ungleichen Ver- hältnissen des Flugmech: nismus der Vögel. Die vergleichende Anatomie zeigt uns zwar in den natürlichen Flugapparaten dieselben Knochen und Bänder, dieselben Muskeln, Sehnen, Nerven und Häute, dieselben Arten der Federn und alles in analoger, typischer Zusammenstellung; aber dieser nominellen Uebereinstimmung stehen in qualitativer, wie quantitativer Hinsicht ebenso viele verschiedenartige Kombinationen jener anatomischen Elemente gegenüber, als es verschiedene Vogel- und Flugtypen giebt.

Die gediegenen Untersuchungen von Prechtl, Harting, Marey, Legal & Reichel, Müllenhoff u. a. haben hierfür ein reiches Material exakter Beobachtungen zu Tage gefördert und eine Reihe wichtiger Beziehungen zwischen jenen verschiedenen Organisationen und dem Charakter des Fluges der Vogel ermittelt. Wir wissen jetzt, dass die Ruderer

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unter den Vögeln eine relativ kräftige Muskulatur besitzen, deren Fasern schräg nach hinten und unten gegen die Längsachse des Körpers geneigt stehen, dass die Flügel hohl und meist zugespitzt erscheinen, und dass das lineare Verhältnis der Flügeloberfläche und des Körpergewichts grösser ist, als bei den Vögeln, die sich vorherrschend des Schweb- und Segelfluges bedienen. Von diesen Seglern aber ist bekannt, dass ihre Flugmuskeln vergleichsweise schwächer sind, dass die Fasern der Brustmuskeln mehr senkrecht, dorso- ventral vom Schultergelenk nach dem Brustbein hinüberziehen, und dass die Flügelformen mehr lang, schmal, abgestutzt und flach sind.

Leider aber fehlt bis jetzt eine befriedigende Erklärung aller dieser und vieler anderer richtig erkannter Beobachtungen, und der mechanische Zusammenhang zwischen der beobachteten Organisation und ihrer Funktion, dem Flugtyp, ist unklar geblieben. Diesen Zusammenhang im Einzelnen nachzuweisen, ist das Endziel einer physiologischen Mechanik des Vogelfluges, zu welcher die nachfolgenden Studien hoffentlich einige nützliche Bausteine liefern werden. Der Zukunft muss es vorbehalten bleiben, den ganzen Bau zu errichten und in allen Einzelheiten systematisch durchzuarbeiten. Gegen- wärtig sind wir von diesem Ziele noch weit entfernt, noch ist, um nur Einzelnes heraus- zugreifen, die mechanische Bedeutung der verschiedenen Flügelformen unvollständig oder gar nicht erkannt, und die vollendetste aller Flugarten, der Segelflug, ist trotz aller bisherigen Erklärungsversuche -— noch heute ein ebenso vollkommenes und unerklärtes Naturwunder, wie er es zu allen Zeiten gewesen ist. Die nächstliegende und wichtigste Aufgabe der Forschung ist daher vor allem anderen, diese fundamentalen Probleme der Flugmechanik und was damit zusammenhängt einer Lösung entgegenzuführen, und das ist das Ziel der vorliegenden Untersuchung.

Der Flug ist die Folge der Wechselwirkung des durch das Körpergewicht belasteten Flugapparats gegen die ruhende oder bewegte Luft. Die Luft setzt der Bewegung der Flügel einen Widerstand entgegen, der den in der Luft frei schwebenden Vogel nicht nur trägt und hebt, sondern unter allen Umständen auch vorwärts treibt. Zum Verständnis der Flugerscheinungen ist daher zweierlei vorauszuschicken:

1. Die Gesetze des Luftwiderstandes,

» 2. Die Einrichtung des Flugapparats.

2. Der Luftwiderstand.

Wenn ein Wind von ı m Stärke senkrecht gegen eine kreisförmige Platte von I qm Flächeninhalt trifft, so übt er auf die Platte einen Druck von ca. 0,13 kg aus, und umgekehrt, wenn dieselbe Platte mit einer Geschwindigkeit von 1 m in der Sekunde gegen ruhende Luft bewegt wird, so leistet diese gegen die Bewegung einen Widerstand von 0,13 kg. Nimmt man grössere Platten, so zeigt sich, dass der Widerstand im gleichen Masse zunimmt, wie der Flächeninhalt der Platte. Steigert man die Geschwindigkeit

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der Bewegung, so wächst im allgemeinen der Widerstand mit dem Quadrate der Geschwindigkeit, und man erhält somit für die Berechnung des Widerstandes W die ein- fachste der vorhandenen empirischen Formeln W-013T18% wo f den Flächeninhalt und v die Windstärke bedeutet. Für den Fall. dass der Wind nicht rechtwinklig auf die Fläche trifft, sondern unter einem spitzen Winkel «, hat man die rechte Seite der Gleichung noch mit sin « zu multiplizieren: W = 0,13. f. v? sin «.

Wir übergehen als für unsere Zwecke zunàchst von untergeordneter Bedeutung die vorhandenen anderen Formeln für den Luftwiderstand, in denen das konstante Glied eine nahere Interpretation erfahren, und die Glieder v? und sin « gewissen abweichenden Resultaten der Beobachtung enger angepasst ist.

Von grosser Bedeutung für die Aérodynamik und besonders für die uns inter- essierenden Fragen des Vogelflugs sind die hydrodynamischen Untersuchungen A vanzini's geworden, deren Ergebnisse von Duchemin*)citiert werden. Avanzini liess auf verschieden gestaltete rechteckige Tafeln den Druck eines Wasserstromes unter verschiedenen Einfalls- winkeln einwirken und stellte fest, dass bei rechtwinkligem Auftreffen des Stromes der Widerstandsmittelpunkt (= Angriffspunkt der Resultante des Wasserdruckes) mit dem Schwerpunkte der getroffenen Fläche zusammenfalle, dass dagegen bei schiefwinkligem Auftreffen des Stromes der Widerstandsmittelpunkt umsomehr gegen den Vorderrand der Tafel sich verschiebe, je spitzer der Einfallswinkel, je geringer die Geschwindigkeit: und je kleiner das Verhältnis der in der Stromrichtung liegenden Seitenlinie des Rechtecks zur Länge des Vorderrandes ist. Bei der grossen Aehnlichkeit der hydrodynamischen und aérodynamischen Vorgänge liess sich erwarten, dass ähnliche Verhältnisse wie die von Avanzini ermittelten auch bei der Einwirkung von Luftströmen auf geneigte Platten vorliegen würden.

Diese Vermutung wurde zuerst durch die experimentellen Untersuchungen von Joéssel**) und Kummer***) bestätigt und hat dann neuerdings in den von W. H. Dines+) zu Hersham bei London ausgeführten Untersuchungen und namentlich endlich durch die grossartigen Experimente von S. P. Langley t7) weitere eingehende Prüfung und Bestätigung gefunden.

Wenn es nun auch noch nicht möglich ist, die qualitative Wirkung des Luft- widerstandes gegen geneigte Flächen so allgemein zu formulieren, wie es durch Avanzini tür den Widerstand des Wassers geschehen ist, so ist doch schon jetzt mit Bestimmtheit festgestellt, dass die Grösse des Widerstandes keine einfache Funktion des l“lächeninhaltes

*) Experimental-Untersuchungen über die Gesetze des Widerstandes der Flüssigkeiten. Deutsch von Schnuse. Braunschweig 1844. **) Joéssel. Mémorial du Génie Maritime 1870, *5*; Kummer. Ueber die Wirkung des Luftwiderstandes. Abhand. der Berl. Akad. d. Wiss. 1875. T) W. H. Dines, Verschiedene Abhandlungen in Quart. Journ. of R. Meteor. Soc XV etc. Tr) S. P. Langley. Experiments in Aerodynamics. Smithsonian Contrib, 1891.

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ist, wie es nach den bisher angenommenen Formeln zu sein schien, sondern dass dieser Widerstand sehr wesentlich auch von der Form der getroffenen Fläche abhängig ist, und dass es dabei in erster Linie auf die Länge des Vorderrandes der Fläche ankommt.

Fig. ı (nach Langley). Darstellung des Widerstandes, den die Luft an drei geneigten Flächen von gleichem Inhalt, aber verschiedener Form und Stellung hervorruft. Bei der ‘Tafel I (30 X 4,8 inch) steht der lange Rand (30 inch), bei der Tafel III der kurze Rand (6 inch) quer zur Windrichtung. Die Abscissen bedeuten die Neigungswinkel der Tafel gegen die Horizontale. Die Ordinaten bedeuten die rechtwinklig zur Tafel gerichteten Komponenten F (a) der Widerstandsresultante P(a), bezogen auf den Gesammtdruck P (90) des Windes bei rechtwinkligem Auf- treffen, desselben also Pia)

ED = go)

Die vorstehende Abbildung zeigt, dass bei kleinen Neigungswinkeln der Wider- stand der Luft an einer Fläche (I) mit langem Vorderrand erheblich grösser ist, als an einer Fläche, bei welcher der schmale Rand voraufgeht.

Durch Langley s Versuche ist ferner festgestellt, dass bei gleicher Zunahme der Windstärke der tragende Widerstand um so schneller wächst, je langer an einer geneigten Fläche von bestimmtem Inhalt der Vorderrand ist.

Mit diesen überaus wichtigen aérodynamischen Thatsachen steht eine Reihe weiterer bedeutungsvoller Beobachtungen Kummer's und Langley's in Einklang, aus

12 denen sich, dem Avanzini'schen Gesetz entsprechend, auch für den Widerstand der Luft eine Verschiebung des Angriffspunktes der Resultante dieses Widerstandes gegen den Vorderrand der Fläche ergiebt. Bei rechtwinkligem Windstoss fällt dieser‘ Angriffs- punkt, den wir auch Druckmittelpunkt nennen kónnen, mit dem Schwerpunkt der Flache zusammen; je kleiner aber der Einfallswinkel des Windes ist, desto mehr wandert der Druckmittelpunkt gegen den Vorderrand. Nach Lord Rayleigh*) lässt sich für eine quadratische Flache von der Seitenlange b der Abstand x des Druckmittelpunktes vom Flächenmittelpunkte, wenn « der Neigungswinkel ist, berechnen nach der Formel:

3.cos« ere Danach würde der Druckmittelpunkt bis auf einen Abstand von ,*,. b an den vorderen Rand der quadratischen Fläche heranrücken bei ganz kleinen Neigungswinkeln.

Bei rechteckigen Flächen ist die Verschiebung grösser, wenn bei kleinen Neigungs- winkeln der längere Rand der Fläche in der Bewegung voraufgeht, doch sind die bestimmten quantitativen Beziehungen zwischen der Gestalt der Fläche und dem Grade der Verschiebung noch nicht bekannt.

Ebenso fehlt bis jetzt, soviel mir bekannt geworden, jede nähere Untersuchung über den Grad der Verschiebung des Druckmittelpunktes, welche nach Analogie der A vanzini'schen Versuche durch eine Aenderung der Windstärke bei konstantem Neigungs- winkel herbeigeführt wird.

Die Beziehungen zwischen den in Fig. ı dargestellten Widerstandsverhältnissen und der Wanderung des Druckmittelpunktes gegen den Vorderrand der vom Winde getroffenen Fläche ergeben sich ohne Mühe, wenn man die mechanische Ursache der Verschiebung ins Auge fasst.

Es sei AB (Fig. 2) n E D als Drehungspunkt

der in der Vertikal- ru E eines ungleicharmigen ebene liegende Durch- : | ` Hebels, so ist für den schnitt einer recht- E Fall des Gleichgewichts eckigen Tafel, welcher py. Ki die Summe der Mo- durch den Druckmittel- | mente der auf AD punkt D geht und angreifenden Wider-

welcher mit der Wind- richtung W den Winkel « bildet. Es lässt sich dann die Summe aller normal zu AB gerich- teten Komponenten des Luftwiderstandesdurch eine in D angreifende FD

setzen. Betrachtet man

Resultante er-

F Fig. 2.

Schnitt AB durch eine geneigte Ebene in der Vertikal- ebene der Windrichtung W. Z «e Neigungswinkel der Ebene, D Druckmittelpunkt, FD Druckresultante der normalen Komponenten des Luftwiderstandes (ver- kürzt;, ACB mutmassliche Kurwe der Druckverteilung, deren Ordinaten zu AB die Normalkomponente des

Luftdruckes für die Punkte von AB angeben, wenn der Neigungswinkel = « ist, AEB ähnliche Kurve für Zo = go",

*) Phil; Mag 1876. Dec. pag. 430—441.

standskrafte gleich der- jenigen von BD. Hier- aus folgt, dass die le- bendige Kraft der be- Luftteilchen ausciebiger auf den un- mittelbar hinter dem A lie- genden Flächenstreifen wird, als

wegten

Vorderrande

übertragen

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auf die Flächenteile, welche dem Hinterrande B benachbart liegen. Nun ist zwar die genaue Verteilung des Widerstandes auf die einzelnen Flächenteile noch nicht experimentell ermittelt, aber es lässt sich doch nach dem eben Gesagten die allgemeine Anordnung erkennen. Danach werden sich für kleine Neigungswinkel Druckkurven F («) ergeben, welche vermutlich mit der in Fig. 2 gezeichneten Kurve ACB Aehnlichkeit haben. Die auf AB be- zogenen Ordinaten dieser Kurve würden die Normalkomponenten des Luftwiderstandes in jedem `Punkte des Flächendurchschnittes AB vorstellen. Die hinzugezeichnete halb- kreisähnliche Kurve AEB*) bezeichnet den Druck P (go), den die Luft bei rechtwinkligem Auftreffen 90°) auf die Tafel ausübt. Ein Vergleich der beiden Flächenstücke, welche von jeder der beiden Kurven und der Geraden AB begrenzt werden, zeigt die absolute Ueberlegenheit des Widerstandes P (90) über den Normaldruck F < 9o °). Je mehr sich der Neigungswinkel œ dem Rechten nähert, desto mehr wird sich die Kurve ACB der Kurve AEB anschmiegen; je kleiner der Neigungswinkel, desto mehr wird sich ACB der Geraden AB nähern und endlich bei «:=0° mit AB zusammenfallen, d. h. es wird keine eigentliche Hebung mehr erfolgen. .

Im letzteren Falle kann die Luft nur noch passiv wirken durch ihre Trägheit oder ihr Beharrungsvermögen, und dieses ist um so grösser, je grösser die Geschwindigkeit der Luft oder umgekehrt die Geschwindigkeit des die Luft durchschneidenden flächenhaften Körpers ist.

Eine Tafel, welche man bei ruhiger Luft so zur Erde fallen lässt, dass ihre Fläche immer horizontal steht, wird zur Ueberwindung der Trägheit der Luft eine bestimmte Zeit gebrauchen. Sobald aber die Luft eine horizontale Bewegung hat, wird diese Zeit eine entsprechend längere sein, da sich immer neue unbeeinflusste Luftteilchen unter die Tafel drängen und somit die Einwirkung der Tafel sich auf eine weit grössere Luftmasse erstrecken muss.

Mit anderen Worten, die mit ihrer Fläche horizontal schwebende Tafel wird von der bewegten Luft so getragen, als sei die Dichte der Luft durch entsprechend starke Kompression erhöhet worden; je grösser die Geschwindigkeit, sei es der Luft, sei es der horizontal bewegten Tafel, desto besser /rägt die Luft den schwebenden Körper und hindert ihn am Herabsinken. Langley hat in der vorhin erwähnten grossen Arbeit auch diese Verhältnisse mit zum Gegenstande seiner experimentellen Forschung gemacht und dabei manche sehr bemerkenswerte Einzelergebnisse erzielt, aber er irrt, wenn er glaubt, die Bedeutung der Trägheit der Luft für die Mechanik des Fluges sei »hitherto almost neglected by man«: sie ist schon seit mehr als 100 Jahren**) bekannt, wird aber in der 2. Hälfte dieses Jahrhunderts so zu sagen mit Vorliebe immer wieder neu entdeckt.***)

*) Eine ähnliche Kurve ergiebt sich aus einer tabellarischen Uebersicht, welche C. Recknagel (»Ueber Luftwiderstande, Zeitschr. d. Ver. deut. Ingen., Bd. XXX pag. 489 ff.) über die Verteilung des Luftdruckes an einer bewegten kreisformigen Scheibe gegeben hat.

**) Silberschlag. Von dem Fluge der Vögel, Zeitschr. d. Berl. Ges. naturf. Freunde. Bd. II, 1781--84, pag. 214.

***) Map vergleiche darüber: Marey, Vol. des oiseaux. 1890. Seite 255.

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Bedürfen nun auch auf aérodymanischem Gebiete noch manche Punkte im einzelnen der experimentellen Aufklarung, so sind doch die eben mitgeteilten allgemeinen Ver- hältnisse des Widerstandes der Luft gegen geneigte Flächen bereits so weit sicher gestellt, dass ihre Kenntnis für die Beurteilung der wichtigsten flugmechanischen Fragen als ausreichend betrachtet werden kann. Auf die sehr interessanten Untersuchungen Lilienthal's über den Widerstand an gewölbten Flächen werden wir später einzu- gehen haben.

3., Der Bau des Flügels.

Neben den passiven Flugflächen des Rumpfes und dem als Steuer fungierenden Schwanze des Vogels bilden die Flügel mit den zugehörigen Skeletteilen und Muskeln des Rumpfes das eigentliche, aktive Flugorgan. Sehen wir ab von einer Rekapitu- lation der inneren anatomischen Verhältnisse, die in allen Lehrbüchern der vergleichenden Anatomie mehr oder weniger ausführlich dargestellt sind, so erscheint uns der einzelne Flügel äusserlich im Umfang von ausgeprägt unsymmetrischer Gestalt. (Fig. 3.) Der straffe Vorderrand bildet am völlig entfalteten Flügel eine mehr oder weniger annähernd gerade Linie, die gegen die Spitze, entsprechend der Form der vorderen Schwungfedern, ein wenig zurückgebogen ist. Der Hinterrand ist meist stärker gebogen und daher länger als der Vorderrand.

Man unterscheidet an dem Flügel zwei deutlich zu trennende Abschnitte, der eine, welcher die Spitze bildet und das Handskelett zur Unterlage hat, führt den Namen »Schzeinge«, der Rest an der Flügelbasis heisst »Fücher«. Die meist zehn grossen Federn der Schwinge führen den Namen Schwung- federn oder Schwingen I. Ordnung, die etwas kleineren Federn des Fächers sind am Unterarm befestigt und heissen daher Armschwingen

Fig. 3 > oder Schwungfedern II. Ord- Rechter Flügel vom Haushahn. Y\;s der natürl. Grosse. F. Fächer; Sch. Schwinge; Df. Daumenflügel oder sog. Lenkfittich (vor- NUNG. gezogen). Der nach vorn offene Winkel zwischen Ober- und Unterarm wird von der dreieckigen befiederten vorderen Fug-

haut überspannt, welche demnach den vorderen Bestandteil des Fächers ausmacht.

-

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Ein als Schulterfittich bezeichneter Federschopf schliesst die Liicke zwischen dem Fächer und der Körperwand, soweit sie nicht durch die hier vorhandene Arntere Flughaut ausgefüllt wird.

So erscheinen denn die Skeletteile des Armes eingeschaltet in die Flugfläche des Fächers, welche durch die winkelförmige Anordnung der elastisch verbundenen Knochen in einfachster und zweckmässigster Weise ausgesteift und lenkbar gemacht wird. Das Handskelett bildet die Aussteifung des vorderen Flügelrandes an der Basis der Schwinge.

Der Daumen ist mit den verwachsenen Fingerrudimenten nicht starr verbunden, sondern steht frei beweglich am Vorderrande der Handwurzel und des Flügels. Er trägt an seiner Rückseite ein Büschel von 4—6 steifen Federn, die einen unter dem Namen Lenkfittich bekannten kleinen Flügel für sich bilden.

Die Schwungfedern stehen so dicht nebeneinander, dass sie sich dachziegelig decken, und zwar so, dass an der Oberseite des Flügels die Vorder- resp. lateralen Ränder der Federn freiliegen, an der Unterseite die hinteren resp. medialen Ränder. Die Federn können eine geringe Drehung um ihre Längsachse erfahren. Sie stecken mit ihren Spulen fest in röhrenförmigen Scheiden, die aus elastischem Bindegewebe gebildet und mit dem dorsalen Periost des Arm- und Handskelettes innig verknüpft sind. Soweit die unbefiederten Spulen aus den Scheiden hervorsehen, lassen sie Spalträume zwischen sich, welche an der Ober- und Unterseite des Flügels durch einige Reihen eng anschliessender Deckfedern wirksam verschlossen werden. (Fig. 3.) So bildet der Flügel, obgleich er aus so vielen Teilen zusammengesetzt wird, doch eine lückenlose, zusammen- hängende Flugfläche, welche infolge des bekanntlich so überaus dichten Gefüges der Federfahnen das Hindurchdringen der Luft beim Flügelschlage so gut wie vollständig ausschliesst.

An den entfalteten Flügeln der Störche, Krähen und grossen Raubvögel, z. B. beim Bussard, treten die Spitzen der ersten Handschwingen aus der geschlossenen Flügelfläche heraus und ragen wie gespreizte Finger frei über den äusseren Rand des Flügels hervor. Diese auffallende Erscheinung kann vorübergehend auch bei zahlreichen anderen Vögeln auftreten, bei denen der entfaltete Flügel für gewöhnlich nur eine ringsum geschlossene Fläche darstellt. Das Zustandekommen und die mechanische Bedeutung dieser merk- würdigen Verhältnisse soll weiter unten näher erörtert werden.

Die Schwungfedern (Fig. 5) als die wichtigsten Teile des Flügelgefieders bestehen aus dem axialen Schaft, dessen unteres, im ausgewachsenen Zustande hohles Ende Kze/ oder Spule genannt wird, und aus der flächenhaft entwickelten Fahne, deren Hälften zu beiden Seiten des Schaftes als Vorderbart und Hinterbart bezeichnet werden.

Der röhrenförmige Krze! hat einen elliptischen Querschnitt. (Fig. 4,1.) Da der längere Durchmesser der Ellipse senkrecht zur Ebene der Federfahne steht, die Röhre demnach oben und unten stärker gewölbt ist als seitlich, so ist der Kiel auch in erster Linie zur Aufnahme eines senkrecht zur Federfahne erfolgenden mechanischen Druckes geeignet, und seine Biegungsfestigkeit ist in dieser Richtung grösser, als in der Richtung des kleineren Durchmessers der Ellipse. —- Beim Uebergang zwischen Schaft und Kiel (Fig. 4,2) ist

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der Querschnitt annähernd kreisformig, die hornige Wand scheint oben ein wenig verstärkt, die Höhle ist seitlich zum Teil mit korkartigem Federmark erfüllt, welches auch den Inhalt des Schaftes bildet. Dieser hat, wie die Fig. 4 (3 u. 4) zeigen, einen nahezu quadratischen Quer- 7 2 j. 4. Hornleisten gegen- schnitt. Die dorsale über stehen. Diese Fläche wird von Hornleisten stossen einer flach gewölb- in einer Längsfurche ten, kräftigen Horn- - mit ihren dünneren platte dargestellt, Fig. 4. Randern aneinander, welcheraufderUnter- Querschnitte durch Kiel und Schaft einer Schwungfeder. sodass die Unterseite

i ; I. Kielmitte. 2. Uebergang zwischen Kiel und Schaft; " l seite zwei schmale, Höhle zum Teil mit Mark gefüllt. 3. Erstes Viertel des des Schaftes mit starke,rinnenformige Schaftes, 4. Schaftmitte. einer zusammenhän- genden, wellblechartigen Hornplatte verstärkt erscheint. Die Seitenwände des Schaftes bestehen aus mässig starken, ebenen Horntafeln; sie tragen am oberen Rande die Fiedern, von deren Basis zuweilen feine Hornrippen über die Fläche schräg gegen den unteren

Rand der Seitenflächen herablauten.

So nebensächlich diese Einzelheiten im Bau des Federschaftes erscheinen mögen, so sind sie doch im hohen Grade zweckentsprechend und lassen geradezu die mechanischen Ansprüche erkennen, welche beim Fluge an das Federmaterial gestellt werden. Die Natur hat in dem Federschafte unter minimalem Substanzverbrauch einen elastischen Träger von vorzüglichen Eigenschaften geschaffen. Man erkennt unschwer, dass die gewölbten und gewellten Horntafeln der Ober- und Unterseite, sowie die hochkantig stehenden Seitenplatten in erster Linie geeignet sind, einen senkrecht zur Flügelfläche erfolgenden Druck auszuhalten. Der Schaft erfährt dabei eine entsprechende Biegung, welche mit einer geringen Abflachung der Wölbungen oben und unten Hand in Hand geht. Wird dagegen ein Druck senkrecht zu einer Seitenfldche des Schaftes ausgeübt, so leisten die Seitenflächen nur einen geringen Widerstand gegen die Durchbiegung, und die seitlich belasteten gewölbten Flächen werden leicht unter Vertiefung der Wölbungen zusammengedriickt. Es lässt sich also aus der mechanischen Konstruktion des Feder- schaftes wie des Kieles entnehmen, dass beide gegen den vertikalen Druck, dem der Flügel ausgesetzt ist, besser ausgestattet sind, wie gegen einen horizontalen. Die Prüfung der Feder zeigt in der That, dass der Schaft in vertikaler Richtung ungleich schwerer zu biegen ist, als in der horizontalen. Der Unterschied ist schon wahrzunehmen, wenn man die Feder am Kiel festhält und dann mit der anderen Hand den Schaft in der einen und in der anderen Richtung biegt.

Um zu einem bestimmten Ausdruck für die verschiedene Biegsamkeit zu gelangen, wandte ich das folgende einfache Verfahren an. Die Schwungfedern wurden zunächst mit dem Kiele fest in die Oeffnung eines durchbohrten Korkstückes gesteckt und dieses in bestimmter Orientierung festgeklemmt. Darauf wurde vor der Spitze der Feder ein vertikaler Massstab aufgestellt und der Teilpunkt abgelesen, den die l'ederspitze bezeichnete.

17

Nun wurde vermittelst eines Drahthakens ein konstantes Gewicht in der Mitte des Feder- schaftes angehängt, und an der Skala ermittelt, wie weit die Federspitze herabgebogen war. , Nachdem die Feder um einen Winkel von 90° um ihre Längsachse gedrcht war, wurde der Versuch wiederholt. Die Differenzen der zugeordneten Ablesungen an der Skala ergaben dann ein Mass für den verschiedenen Grad der Biegsamkeit des Federschaftes

in den beiden Hauptbelastungsrichtungen. Verhältnis der vertikalen zur horizontalen Biegsamkeit den Wert B = 7:

So erhielt ich z. B. für eine Schwanenfeder als 10 1: 1,4,

—À

für eine grosse Schwinge von Aquila fulvus B —,4:9 1: 2,2.

Von grosser Bedeutung für den Flug ist das Torsionsvermógen des ganzen Flügels und der einzelnen, isolierten Schwungfedern. Die ex- perimentelle Bestimmung desselben ist aber mit erheblichen Schwierig- keiten verbunden und kann kaum in irgendwie befriedigender Weise durchgeführt werden, da sie von willkürlichen und reflexiven Span- nungsverhaltnissen des Flügels ab- hángig ist. Auchdie einzelne Feder dreht sich ja nicht nur in sich selbst, sondern auch im Ganzen in und mit ihrem elastischen scheidenfórmigen

Lager der bindegewebigen Haut,

in welche sie eingepflanzt ist.

An allen Schwungfedern be- sitzen Kiel und Schaft eine charakte- ristische Kriimmung, deren Konka- vitat nach unten und etwas nach hinten gerichtet ist. Projiziert man die Krümmung, wie in Fig 5, auf eine horizontale und eine vertikale Ebene, so erscheint sie in Gestalt von zwei ungleichen Kreisabschnit- ten, deren Form durch die Sehnen- länge und Segmenthóhe annähernd bestimmt ist. Bei dem Adler, der Ente und dem Haushuhn beträgt die Hohe der ventralen Schaftkriim-

mung etwa £'; der Sehnenlänge.

Die horizontale Krümmung des Schaftes hat beim Haushuhn eine Segmenthöhe von ;!,, beim Adler von „'; der geraden Entfernung von der Federwurzel bis zur Spitze. Durch die ventrale Krümmung der Federschafte ist der Grad der Wöl- bung des ganzen Flügels bestimmt, denn die Federfahnen breiten sich in der durch die nebeneinander liegenden Federschäfte gehenden krummen Fläche aus und bilden so die Flugfläche.

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Die Federfahnen sind bei den inneren Armschwingen nahezu sym- metrisch gebaut, bei den äusseren ist der Vorderbart merklich schmäler, wie es die Handschwingen immer zeigen, bei denen schliesslich der Vorderbart auf einen ganz schmalen und steifen Rand reduziert sein kann. Die Feder wird dadurch unsymmetrisch, ein verkleinertes Abbild des ganzen Flügels. Ausser- dem weisen die Handschwingen meist noch eine auffallende Ver- schmälerung beider Bärte auf, die se CD Peara Kon TON der Spitze aus um so weiter kavität: Segmenthöhe = gegen die Basis herabreicht, als vio l; EF Horisontale die Feder dem vorderen Flügelrande Schaftkrimmung: Seg- MN. : .

benachbart ist. In der Fig. 3 sieht

Fig. 5. Schwungfeder vom Stein- adler (Aquila fulva), t;s d. nat, Grösse. AB Zänge: | = 55cm. Gewicht: ca,

menthöhe == !5 1.

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man deutlich bei den Handschwingen die Uebergangsstellen zwischen dem breiten und schmalen Teil der Vorderbärte; ebenso zeigt es die Adlerfeder Fig. 5.

Die schmalste Stelle des Vorderbartes der grossen Schwungfedern liegt unmittel- bar vor jener Uebergangsstelle und der Bart wird nach der Spitze zu wieder breiter (Fig. 6). Der vordere Rand des Vorder- bartes ist etwas herabgebogen, am breiteren basalen Teile mehr als an der Spitze, sodass er sich dort bei ausge- spanntem Flügel dicht an die Oberseite der vorangehenden Federn anlegt a), hier .dagegen ein wenig von ihr zurück- bleibt b). Am unteren Teile des hinteren Federbartes ist der Rand emporgebogen, wodurch ebenfalls ein dichtes Zusammen- schliessen der benachbarten Federn und zwar an der Unterseite des Flügels er- möglicht wird. Der verschmälerte Teil des hinteren Federbartes zeigt in vielen Fällen eine leichte, gegen den Rand zu- nehmende Wellung, welche sich durch Geradestrecken und Durchbiegen des Schaftes nach oben und vorn, sowie

Fig. 6. durch Emporbiegen des hinteren Feder- Linke Schwungfedern vom Gallus domesticus, */2 natürl. : T Grösse, a. Querschnitt durch den unteren Teil der Fahne, randes ausgleichen lässt. b, durch den oberen Teil. Der hintere Bart ist am Die nächstliegende Bedeutung dieser

Bande gewent, eigenartigen Formverhältnisse ist ohne weiteres klar, wenn man sie bei einem jener Vögel beobachtet, deren Handschwingen an dem entfalteten Flügel fingerförmig auseinanderweichen; denn die Zwischenräume, welche die benachbarten Federn von einander spalten, reichen dort bis an die bezeichnete Ueber- gangsstelle zwischen der schmäleren, isolierten Federspitze und dem breiteren Basalteil der Fahne, welcher in dem Verbande der geschlossenen Flügelfläche enthalten ist. Die merk- würdige Verschmälerung der Fahne hat hier offenbar den Zweck, das Freiwerden der Federspitzen zu ermöglichen, deren geringe Wölbung und Beschaffenheit des Randes für die Bildung einer geschlossenen Flügelspitze wenig geeignet erscheint.

Wenn wir nun dieselben Formgestaltungen der Schwingen in allen wesentlichen Einzelheiten bei einer grossen Zahl von Vögeln wieder antreffen, bei denen die Divergenz der Handschwingen für gewöhnlich nicht an dem entfalteten Flügel zu sehen ist, so schliessen wir, dass auch hier die Verschmälerung und Lockerung der Federspitzen den Zweck hat, das Auseinanderweichen der Federn am thätigen Flügel zu ermöglichen und

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zu begünstigen. Die ferneren Betrachtungen über die Wirkung des Luftdruckes auf einzelne Schwungfedern werden diesen Schluss bestátigen und den Nachweis bringen, unter welchen äusseren Bedingungen und mit welchem mechanischen Erfolge das Auseinander- weichen der Federn thatsächlich stattfindet. (siehe S. 40.)

Die Strukturverhältnisse der Federfahne sind bekannt. Am Schaft sind zu beiden Seiten die Fredern befestigt, welche wie die Zähne eines Kammes mit kleinen Abständen parallel nebeneinander stehen. Die Fiedern des Vorder- und Hinterbartes divergieren gegen die Federspitze und bilden unter einander nahezu rechte Winkel. Die einzelne Fieder hat die Gestalt einer schmalen Hornlamelle, die gegen ihre Spitze hin sich verjüngt und am Hinterbart -- die Form einer weichen Borste annimmt. Die Fläche der Fieder- lamelle steht rechtwinklig zur Flache der Fahne, also »hochkantig«, wie die Deckenbalken eines Hauses. Die Fieder ist daher mechanisch besonders geeignet, einem senkrecht zur Federfahne erfolgenden Drucke ausgiebigen Widerstand zu leisten, sie entspricht also in ihrem Bau vollkommen den Ansprüchen, die der Flug an sie stellt, nämlich in erster Linie den Kórper zu tragen und zu heben. Die schwanke, rutenartige Form der Fieder- spitzen des hinteren Federbartes entspricht nur scheinbar nicht ausdrücklich diesen An- forderungen, da beim Flügelschlage die biegsamen Spitzen dem senkrechten Drucke durch Umbiegen auszuweichen geneigt sind. In Wirklichkeit werden sie am Ausweichen durch die darüberliegende nächstfolgende Feder gehindert (Fig. 6a). Die einzeln stehenden Schwungfedern der Flügelspitze sind zwar auch in den Fiedern des Hinterbartes merklich steifer gebaut, dennoch krümmt sich der ganze hintere Rand unschwer empor, wie er denn an dem nicht freistehenden Teile der Feder auch in der Ruhe emporgekrümmt ist. Es hàngt dies einesteils damit zusammen, dass beim Flügelschlage in Wirklichkeit der Druck der Luft wohl niemals genau rechtwinklig zur Federflache erfolgt, sondern mehr oder weniger schrág von vorn und unten. Unter diesen Stosswinkeln ist aber der Luftwider- stand, wie wir oben sahen, nicht gleichmassig über die getroffene Flache verteilt, sondern der Mittelpunkt des Luftdruckes ist um so mehr gegen den vorderen Rand der Feder verschoben, je kleiner der Stosswinkel ist; er liegt also nicht in der Mitte der Federbreite, sondern wahrscheinlich auf oder nahe bet dem Federschafte. Wenn dem so ist, dann ist auch der von dem schmalen Vorderbarte zu tragende Teil des Luftdruckes annáhernd gleich dem des breiten Hinterbartes, woraus denn folgen würde, dass die Fiedern des Hinterbartes den mechanischen Anforderungen genügen konnen, auch wenn sie bei grósserer Lànge weniger steif gebaut sind, als die Fiedern des Vorderbartes. Andererseits ist durch die grössere Biegsamkeit der Hinterbartfiedern, wie wir sehen werden, der eigenartige Effekt des Flügelschlages mit gewährleistet, dass der Vogelkórper nicht nur gehoben, sondern auch fortgetragen wird, und dass der verstarkte Flügelschlag auch einen erhóhten Antrieb nach vorn zur Folge hat.

Die Verbindung der Federn zu einer geschlossenen Fläche ist Auf eine höchst zweckmässige Weise hergestellt. Jede einzelne Fieder besitzt eine sekundäre Fiederung an den dorsalen Längskanten der Lamelle. Die Längskante, welche gegen die Wurzel der Feder, den Kiel, sicht, trägt feine Fiederchen, welche mit ihrem langen, borstenformigen

am 3

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Ende parallel mit der Fieder liegen, und diese Fiederchen besitzen zum Teil an ihrem unteren Rande feinste Sägezähnchen. Die Fiederchen an der gegenüberliegenden Längs- kante divergieren seitlich und aufwärts von der Fiederlamelle, und tragen an ihrer Unter- kante streckenweis zahlreiche mehr oder weniger lang gestielte Haken, welche an der langen Spitze durch eine äusserst zierliche tertiäre Fiederung ersetzt werden. Indem sich nun die hakentragenden Fiederchen von oben her über die mit Zähnchen versehenen der davor stehenden Fieder legen, schieben sich die Häkchen zwischen den darunter liegenden Fiederchen hindurch und haken sich hinter den Sägezähnchen fest. Jedes vordere Fiederchen greift mit seinen einzelnen Haken mehrere der parallel liegenden hinteren, gezähnten Fiederchen, und jedes gezähnte Fiederchen wird durch eine ganze Reihe von Haken gehalten, welche meist zu eben soviel Hakenfiedern gehören. Die tertiären feinsten Fiederchen bewirken, dass die benachbarten Fiedern sich nicht selber berühren oder mit ihren Haken verwickeln können. Da die Häkchen, wie die ganze Feder aus einem voll- kommen elastischen und biegsamen Hornmaterial bestehen, so lassen sie sich durch hin- reichenden Zug soweit strecken, dass sie hinter den kleinen Zähnen hinweggleiten. Die vorher geschlossene Federfalme erhält dadurch einen vom Rande gegen den Schaft vor- dringenden keilförmigen Spalt, der sich sofort wieder schliesst, wenn man den haken- tragenden hinteren Rand des Spaltes vom Rücken der Feder her auf den vorderen Spalt- rand legt. So kann auch der Vogel mit dem Schnabel die durch irgend einen Zufall verletzte, zerschlitzte Federfahne leicht wieder in eine geschlossene Fläche verwandeln.

Die Fiedern und Fiederchen, Häkchen und Zähnchen liegen so dicht neben und über einander, dass sie das Licht nur gedämpft hindurchtreten lassen, wie ein feines Seidengewebe, das man gegen das Licht hält. In den feinen capillaren Spalten, welche die zahlreichen zarten Gebilde der Federfläche zwischen sich lassen, erfährt die Luft, wenn sie beim Niederschlag des Flügels von der unteren zur oberen Flügelseite hindurchzudringen strebt, so bedeutende Widerstände, dass sie unter den herrschenden Druckverhältnissen so gut wie vollständig am Durchtritt verhindert wird. So ist es zu verstehen, wenn man die Federfahne oder den Flügel geradezu als ,,/uftdichte Fläche‘ bezeichnet hat.

Dichter noch als die beschriebene gewebeartige Fläche der Feder sind gewisse Teile der Schwungfedern z. B. bei der Ente, dem Schwan und anderen Vögeln gegen das Durchdringen der Luft beim Fluge gebaut. Betrachtet man die Unterseite einer solchen Feder, so sicht man zu beiden Seiten des Federschaftes ein Areal, welches etwa die Hälfte beider Bärte umfasst und gegen die Randteile der Fläche deutlich begrenzt ist. Dies Areal scheint wie mit einem dünnen Gelatinehäutchen überzogen, fast spiegelnd, während die seitlichen Teile den gewöhnlichen matten Seidenglanz zeigen. Diese Erscheinung kommt dadurch zustande, dass hier die Fiedern ausser der gewöhnlichen Verknüpfung (durch die Fiederchen und deren Anhänge) noch durch zarte, häutige Säume verbunden sind, welche die Zwischenräume der benachbarten Fiederlamellen an der Unterseite der Feder überbrücken. Die untere Kante jeder Fiederlamelle hat an der nach der Spitze der Feder gewandten Seite einen schmalen, rechtwinklig umgebogenen Randsaum, welcher genau auf den glatten Unterrand der davorliegenden Fiederlamelle passt und sich ihm

21 federnd eng anschliesst. Erfolgt nun ein Druck der Luft gegen die Unterseite der Feder, so werden die Randsäume der Fiedern nur noch fester und inniger gegen jene glatten Ränder gedrückt, sodass ein vollkommener, ja hermetischer Verschluss der Fahne in diesem Areal der Feder geschaffen wird. |

So genügt denn die Feder trotz ihrer in’s Extrem getriebenen Vielgliedrigkeit des Baues in vollendeter Weise dem wichtigsten aéromotorischen Erfordernis der ‘Undurchdringlichkeit ihrer Fläche für Luft. Aber diese Eigenschaft besitzen zweifellos in noch höherem Grade die häutigen Flügel der Fledermäuse, Flugfische und Insekten. Es fragt sich daher, warum die Natur bei den vollkommensten aller Flugtiere das Prinzip der glatten und einheitlichen Flughaut verlassen und ein so ausserordentlich vielteiliges, zusammengesetztes Organ geschaffen hat, wie es die Feder ist.

Die mechanische Bedeutung dieser Einrichtung liegt auf der Hand: sie giebt der Flugfäche jederzeit eine vollkommene Elastizität, deren die Flughaut meist erst durch das Ausspannen, d. h. durch Aufwand von Muskelkraft teilhaftig wird. Ein zufälliges Zerreissen der Fläche, das bei der Flughaut so verhängnisvoll sein würde, ist hier ohne jede Bedeutung, da der entstandene Riss immer nur in bestimmter Richtung erfolgt und sich meist automatisch wieder schliesst, und da die einzelne, verletzte oder ganz fehlende Feder ohne merklichen Einfluss auf den Verlauf des Fluges ist. Es kommt hinzu, dass bei der Mauserung normalerweise alle Federn durch neue, tadellos funktionierende "ersetzt werden. Von grösster Bedeutung endlich ist die durch die Vielgliedrigkeit der Fahne gewährleistete leichte Verschiebbarkeit der Fiedern jeden Grades unter einander und gegen den Schaft, welche es ermöglicht, dass die gesamte Fläche ohne schädliche Falten- bildung und Zerrung leicht jeder beliebigen Biegung des Federschaftes folgen kann. Die Form der Federfläche, gegen welche der Luftwiderstand gerichtet ist, wird hierdurch in einer für die Wirkung dieses Widerstandes entscheidenden Weise geändert, und wir werden bald sehen, dass die Aenderung eine solche ist, dass in jedem Moment des Flügelschlages die Federfläche die geeignetste, zweckmässigste Form erhält.

4. Wirkung des Flügelschlages.

Bei meinen Studien über die Wirkung des Luftwiderstandes an den Flugflächen der Vögel hat mir ein gewöhnlicher Hühnerflügel weserftliche Dienste geleistet. Derselbe ist zwischen Ober- und Unterarm vom Körper abgetrennt und nach Entfernung der am Unterarm liegenden Muskeln im ausgespannten Zustande getrocknet. Dies geschicht am besten dadurch, dass man den Flügel mit der konvexen Oberseite auf ein Brett legt, den Unterarm durch zwei Stifte auf dem Brett befestigt, und dann vermittelst eines dritten Stiftes die Hand des Flügels so weit nach vorn zieht, als es irgend möglich ist. Der vordere Rand ist dann scharf gestreckt, alle Schwungfedern befinden sich in ihrer natürlichen Lage, und wenn man das Brett nun an einem trockenen Orte einige Zeit aufbewahrt, so lasst sich nachher der getrocknete Flügel herunternehmen und als ein nützliches Hülfsmittel für Flugstudien verwenden,

lo ty

Denke ich mir, dass dieser Flügel einen Fliigelschlag ausführt, dessen Ausschlags- winkel (Amplitude) etwas mehr als 9o? beträgt, so legt die Spitze des Flügels auf einem Kreisbogen von etwa 50 cm, mit Heben und Senken einen Weg von I m zurück. Wenn nun der Hahn in der Sekunde 6—8 solcher Flügelschläge zustande bringt, so erreicht danach die Flügelspitze eine Geschwindigkeit, die beim Niederschlag mindestens 6—8 m beträgt. Eine solche Geschwindigkeit kann man dem Flügel annähernd erteilen, wenn man ihn mit der Hand kräftig nach unten schlägt, sodass die Unterseite den Widerstand der Luft erfährt.

Wie sehr man sich nun auch zwingt, den Arm und den Flügel genau senkrecht nach unten zu bewegen, der Flügel wird, je kräftiger der Schlag ausgeführt ist, um so mehr in der Richtung nach seinem Vorderrande seitlich ausweichen und man wird, auch wenn man noch so fest beabsichtigt, etwa eine Handbreit neben einer Tischecke vorüber- zuschlagen, unfehlbar mit den stark nach vorn vorgebogenen Schwungfedern den Gegenstand berühren.

Das Experiment lässt sich auch mit einer einzelnen grossen Schwungfeder ausführen, da diese ja nach dem Flügelprinzip gebaut ist. Man braucht sie nur mit der Fahnenfläche horizontal zu halten, sodass eher der breite, als der schmale Bart ein wenig tiefer liegt, und dann einen Vertikalschlag auszuführen. Man wird jedesmal wahrnehmen, dass die

Fig. 8.

Künstlicher Flügel, a in der Ruhe; b während des Flügelschlages, wenn er am Griff festgehalten

Fig. 7. und an der Vorbewegung im Ganzen verhindert Eine Adlerfeder, welche kräftig nach unten ge- wird. Der Vortrieb des Flügelschlages ist an der schlagen wird, beschreibt mit der Spitze einen Durchbiegung des Schaftes zu erkennen. und

Viertelkreis nach vorne. qz Querschnitte.

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Feder stark nach vorn gebogen wird, wie von unsichtbaren Kraften, die den Schaft nach vorn ziehen, und dass auch die führende Hand wahrend des Schlages dem Zuge folgt.

Um den Grad der Biegung zu erkennen, welchen der Luftwiderstand einer Feder erteilt, lege man auf die Ecke eines Tisches eine berusste Glastafel und schlage mit der Feder in geeignetem Abstande vom Tischrande vertikal nieder. Die Feder streift dann, während sie horizontal ausgleitet, über die Tafel und zeichnet ihre Spur auf der schwarzen Flache ein. Mit einer 46 cm langen Schwungfeder des Steinadlers (Aquila fulvus) erhielt ich das Bild wie in Fig. 7. Die Feder hatte mit der Spitze einen Viertelkreis beschrieben.

Dass der Niederschlag eines Vogelflügels eine Ablenkung desselben in der Richtung nach dem vorderen Rande zur Folge hat, ist langst bekannt. Nach Marey (vol d. oiseaux, pag. 262), scheint die Beobachtung zuerst vom Herzog von Argyll (L'aéronaute 1868) gemacht worden zu sein. |

Zur Demonstration des Vortriebes bedient man sich am besten eines künstlichen Flügels (Fig. 8 a.), der sich in hinreichend grossen Dimensionen leicht auf folgende Weise herstellen lässt. Man nimmt eine kräftige Heckenrute oder eine Bambusgerte, befestigt an der Spitze einen Bindfaden und spannt damit die Rute zu einer Art Flitzbogen, indem man den Faden am Griff der Rute festbindet. Den so gebildeten Rahmen über- klebt man mit Zeug oder Papier, und der Flügel ist fertig.

Versucht man mit dieser Flügelfläche durch die Luft zu schlagen, so gleitet er jedesmal nach der Seite des von der Rute dargestellten Vorderrandes aus, und es ist geradezu unmöglich, den Flügel senkrecht nach unten zu bewegen. Je mehr Kraft man anwendet, um den vertikalen Schlag herauszubekommen, desto mehr wird die Hand und der ganze Arm mit vorwärts gerissen. Verhindert man aber das Vorgleiten durch energischen Gegendruck am Griff, so sieht man die vortreibende Wirkung des Flügel- schlages deutlichst an der Biegung des Schaftes (Fig. 8 b).

Marey hat Recht, wenn er sagt, dass nichts überzeugender ist als dieser kleine Versuch, welcher jedem, der ihn wiederholt, die Empfindung von der Wirkung des Luft- widerstandes giebt und die Macht desselben besser als alle Erklärungen verstehen lässt. Dennoch möge hier die einfache mechanische Erklärung dieser überaus wichtigen Erscheinung am Platze sein, die uns zeigt, wie durch den Luftwiderstand am Flügel eine Bewegung nach vorn zu Stande kommt.

Hält man den Flügel mit der Fläche horizontal und führt nun einen Schlag nach unten, so trifft er senkrecht auf die Luft. Diese setzt daher der Bewegung einen Wider- stand entgegen, welcher so gleichmässig über die Fläche verteilt ist, dass man als den Angrifispunkt seiner Resultante den Schwerpunkt der Fläche setzen kann. ‚Da nun die Kraft, welche die Bewegung des Flügels bewirkt, vermittelst des Griffes an dem vorderen Rande der unsymmetrischen Fläche angreift, so bildet sie mit dem Luftwiderstande ein Kräftepaar, welches den Flügel unter Torsion des Stieles um den vorderen Rand zu drehen strebt. So kommt der Flügel in eine je nach der Stärke des Schlages und des Drehungs- vermögens des Stieles mehr oder weniger geneigte Lage (Fig. 8, q. 2). Der Vorderrand liegt tiefer, als der Hinterrand und die Flügelspitze. In dieser Stellung bewegt sich der

Flügel während des Niederschlages weiter. Der Luftwiderstand wirkt nun nicht mehr senkrecht, sondern schräg nach dem Prinzip des Drachens auf den Flügel, der daher in der Richtung seiner schiefen Fläche, d. h. nach der Seite des geringsten Widerstandes nach unten und nach vorn ausgleitet. Die Ursache der Vorwärtsbewegung ist also, um es zu wiederholen, die geneigte, pronierte Stellung des Flügels, und diese wieder ist die Folge der unsymmetrischen Form desselben. Der Druck, den wir ausüben, indem wir mit dem künstlichen Flügel einen Flügelschlag nach unten führen, entspricht genau dem Zuge am Faden des Papierdrachen.

Auch der »atürliche Flügel besitzt eine solche unsymmetrische Fläche wie der künstliche Flügel sie hat; auch bei ihm greift die Kraft, die den Flügelschlag bewirkt, vermittelst des Arm- und Handskelettes an dem einen, vorderen Rande dieser Fläche an. Wenn daher dieser Flügel aus horizontaler Lage einen vertikalen Flügelschlag ausführt, so kommt auch an ihm in gleicher Weise wie an dem künstlichen Flügel ein Kräftepaar zur Wirkung, welches ihn um seinen Vorderrand in die pronierte Stellung zu drehen strebt. Wenn nun auch die knöchernen Teile des Arm- und Handskelettes, welche der Bambusgerte des künstlichen Flügels entsprechen, in sich ein weit geringeres elastisches Torsionsvermögen besitzen, als jene, und wenn auch durch die oben beschriebene, winkel- förmige Anordnung der Armknochen innerhalb der Flugfläche die Lage des Flügels in zweckmässiger und wirksamer Weise festgelegt erscheint, so wird doch einerseits durch die Nachgiebigkeit der Gelenke, andererseits durch die Biegsamkeit des Federmaterials, innerhalb gewisser Grenzen wenigstens eine teilweise Drehung des Flügels um seine Längsachse ermöglicht und sicher gestellt, welche dem Sinne nach der Lagenänderung des künstlichen Flügels entspricht.

Nimmt man an, dass die Biegsamkeit der Federn des Fächers im Ganzen dieselbe ist, wie an der Schwinge, und dass auch das Torsionsvermögen innerhalb der einzelnen Gelenke im Wesentlichen das gleiche sei, so hängt der Grad der Torsion der Flügelfläche noch von einer Bedingung ab, nämlich von der Verteilung des L FE EIS EAM ACS am Flügel während des Niederschlages.

Der Luftwiderstand, welcher auf ein einzelnes Flächenelement des Flügels wirkt, ist um so grösser, je grösser die Geschwindigkeit ist, mit welcher dieses Element auf die Luft trifft. Betrachtet man nun den Flügel als einarmigen Hebel, so sieht man, dass die Geschwindigkeit des einzelnen Flächenstückes um so grösser ist, je weiter dasselbe vom Gelenk entfernt liegt: die Winkelgeschwindigkeit des Flächenelements ist dem Ab- stande vom Drehungspunkte direkt proportional. Der Widerstand der Luft, welcher im quadratischen Verhältnisse mit der Geschwindigkeit wächst, ist demnach an der Spitze des Flügels bedeutend stärker als an der Basis desselben, am Fächer, und dementsprechend ist also auch die Torsion des Flügels an der Flügelspitse, der Schwinge, am grössten.

Das Ergebnis stimmt mit der Beobachtung überein. Betrachten wir nämlich cinen grösseren Vogel, eine Krähe oder eine Move, die langsam flugelschlagend in der llóhe unseres Auges gerade auf uns zugeflogen kommt, so schen wir mit völliger Bestimmtheit, dass beim Niederschlag des Flügels die Schwinge in die vortreibende

Stellung emporgebogen ist, während der Fächer in der gewöhnlichen Lage verharrt, etwa so, wie es Fig. 9 zeigt.

Durch die grössere Winkelgeschwindigkeit der Flügelspitze, der Basis gegenüber, erklärt es sich, dass der Vor- trieb der Schwinge grösser ist, als die Hemmung, welche an dem basalen Teile des Flügels erzeugt wird.

Zur Verstärkung des Vortriebes stehen dem Vogel zwei Mittel zur Verfügung, erstens grösserer Aufwand von Muskelkraft unter Vergrösserung der Flugfläche, zweitens Verkleinern der Flugfläche. Durch kräftiges Ausspannen und Strecken des Flügels, wie es immer beim Abflug geschieht, wird die Fläche der Schwinge entsprechend verbreitert, der Angriffspunkt D des Luftwiderstandes (Fig. 10a) entfernt sich weiter vom Schulter- gelenk, aber infolge verstärkter Schlaggeschwindigkeit auch weiter vom vorderen Torsions- rande des Flügels, sodass nun die Muskelkraft nicht nur stärkere Hebung, sondern auch stärkeren Antrieb hervorruft.

Fig. 9. Beim Niederschlagen des Flügels gerät die Spitze in die vortreibende Stellung.

Fig. 10.

Torsionsmomente bei ungleicher Flügelentfaltung. AH Torsionsachse und Hebelarm der Muskelkraft; D Widerstandspunkt der Luft; HD Hebelarm, an welchem der Widerstand die Drehung der Flügelspitze in die vortreibende Stellung bewirkt.

Langflügelige Vögel pflegen bei hinreichendem Gegenwinde die Schwinge unter Lockerung des Handgelenkes zurückzunehmen (Fig. 10b) Der Angriffspunkt D des Widerstandes wird dadurch näher nach dem Körper und weiter von der Torsionsachse verlegt und die Drehung vollzieht sich unter geringerem Kraftverbrauch.

Die vorhandenen Momentphotographien leiden vielfach an dem leicht erklärlichen Mangel, dass sie zu klein sind und die Torsion des Flügels in die vortreibende Lage nicht mit genügender Deutlichkeit erkennen lassen; manche auch, die sich auf das Ende des Fluges beziehen, sind für die vorliegende Frage wertlos, da sie den Vogel kurz vor dem Niedersetzen darstellen, wo er offenbar den Flügelschlag ausführt, um dadurch die Flug- bewegung zu emmen. In einer Anzahl von Fällen aber gelingt es doch ohne Schwierig- keit, die Triebflächen an der Flügelspitze deutlichst wahrzunehmen.

Richtung des Flügelschlages. Der Niederschlag des Flügels wird der, Haupt- sache nach durch den grossen Brustmuskel ausgeführt. Die Fasern dieses Muskels haben keine einheitliche Richtung. Sie wenden sich zwar alle von der Anheftungsstelle ihrer Sehnen am Oberarmknochen ventral gegen die Körpermitte, gehen aber dabei erheblich auseinander, sodass die einen mehr nach vorn, die andern mehr nach hinten (caudal)

4

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am Brustbein angewachsen sind. Sucht man daraus durch Schätzung eine mittlere Faserrichtung zu bestimmen, so findet man nach Marey (vol d. ois. pag. 99) sehr grosse Verschiedenheiten, welche allem Anscheine nach mit der jedem Vogel eignen Art zu fliegen in Beziehung stehen. Im Ganzen kann man nur sagen, dass die Faserrichtung bei den Ruderfliegern mehr schräg nach hinten geht, als bei den Segelvögeln, deren Muskel- fasern sich mehr der vertikalen Richtung nähern. s. Fig. 52. Man kann daraus, wie an anderer Stelle geschehn*), sehr wohl den Schluss ziehen, dass die Widerstände, welche jene Muskeln am Flügel zu überwinden haben werden, das eine mal mehr vertikal Jedend, das andere mal mehr vortrezbend wirken. Ueber die Richtung aber, in welcher der Flügel auf und ab bewegt wird, geben uns die anatomischen Verhaltnisse des grossen Brust- muskels alein keinen genügenden Aufschluss, denn hierbei ist die gesamte Muskulatur der Brust und des Flügels mit in Thätigkeit, über welche der Vogel die w2llkirliche Ver- fügung hat. So erklärt es sich, dass der Flügelschlag nach Intensität und Richtung innerhalb gewisser Grenzen ein anderer ist im Anfang des Fluges, ein anderer beim ruhigen Fortfliegen, ein anderer am Schluss des Fluges.

Im Ganzen herrscht darüber kein Zweifel mehr, dass der Flügelschlag nicht nach Art eines Bootsruders nach hinten gerichtet ist, sondern der Wirkung der Schwere ent- gegen nach unten. Dies zeigt sowohl die direkte Beobachtung grosser fliegender Vögel, wie namentlich die Momentphotographie auf das unzweideutigste. Dabei erfährt der Flügel aber gleichzeitig eine ausgleitende Bewegung nach vorn, die sich mit der Bewegung nach unten kombiniert und so zunächst den Eindruck hervorruft, der Flügel werde durch die Thatigkeit der Muskeln unmittelbar nach zem und vorn geführt. Es ist möglich, dass die Vorbewegung des Flügels zu Beginn des Tiefschlages durch Muskelarbeit geleistet wird, die ja auch das Strecken des bei der Hebung meist im Handgelenk gebeugten Flügels bewirkt. Sicher ist aber auch, wie unten gezcigt werden soll, die vertere Vorführung des Flügels während des energischen Tiefschlages passiver Natur und die mechanische Folge der Einwirkung des Luftwiderstandes auf den Flügelapparat.

Es ist das grosse Verdienst Marey's, sowohl mit Hülfe der Momentphotographie, wie durch viele andere geistreiche Registriermethoden, den Verlauf des Flügelschlages auf's eingehendste analysiert und dargestellt zu haben. Ich möchte daher dieserhalb ganz besonders auf den hochinteressanten zweiten Teil seines Buches »Vol des oiseaux« und die dort citierten besonderen Abhandlungen dieses genialen Forschers hingewiesen haben. Hier sei nur eins der wichtigsten Resultate Marey's hervorgehoben, dass der Oberarm. knochen sich während des Fligelschlages in der Luft nach unten und vorn bewegt, worauf er sich wieder hebt, nachdem er sich nach hinten zurück bewegt hat. Die Bahn, welche das seitliche Ende des Oberarms dabei beschreibt, ist annähernd eine Ellipse, deren

längere Achse schräg nach vorn und unten geneigt ist. Die Geschwindigkeit der Be- wegung ist am grössten während des Niederschlages, am geringsten während des Zurück-

gehens und zu Beginn der Hebung des Flügels.

*5 Flug der Fische, Programm d. Realgymnasiums d, Joh. Hamburg 1895, Seite 24.

Dabei erfährt die Ebene des Flügels (der Schwinge) eine Drehung um den vorderen Rand, welche beim Tiefschlag des Flügels zz demselben Grade zu- und abnimmt, wie

die Geschwindigkeit, und damit auch der Luftwiderstand, an- und abschwillt.

Das Nähere

zeigt die folgende Figur Marey's, welche das elliptische Trajektorium der Flügelspitze

eines Bussards darstellt, mit eingezeichneten Stellungen der Flügelebene (Fig. 11).

der Flügel nach vorn (rechts) herabgedrückt wird, neigt sich die Ebene soweit, dass der Vorderrand tiefer liegt, als der hintere. Während der Hebung ist es umgekehrt: der Flügel befindet sich dem Winde gegenüber in Drachen-

Indem geneigten, pronierten Flügel- flächen der Antrieb nach vorn zustande kommt.

Diese für die Vorwärts- bewegung des fliegenden Vogels so unerlässliche Dreh- ung des Flügels um seinen Vorderrand ist zu Beginn

Fig. 11 (nach Marey). Elliptische Bahn und Stellung der Flügelspitze eines Bussard beim Fltigelschlag.

stellung. Es ist ohne Weiteres des Fluges wett starker als klar, wie während des Tief. im vollen Fluge oder am schlages an den nach vorn Schluss desselben; und diese Verschiedenheiten sind zum Teil die Folgen einer selbstthatigen Regulierung, welche ohne besondere Muskelwirkungen passiv durch die verschiedenen Formen des Luftwiderstandes bewirkt wird. Nach den näheren Angaben, die oben über die Verteilung des Luftdruckes gegen geneigte Flächen (Avanzini) gemacht wurden, ist der Widerstand um so gleich- mässiger über die Fläche verteilt, je mehr der Einfallswinkel der Luftteilchen (oder die Bewegungsrichtung der Fläche gegen die ruhende Luft) sich dem Rechten nähert. Da nun im Anfang des Fluges der Flügel nahezu senkrecht gegen die ruhende Luft bewegt wird, während er später, nach erlangter Fluggeschwindigkeit, mehr tangential, also unter spitzen Winkeln gegen die vorüberströmenden Luftmassen schlägt, so ergiebt sich eine verschieden- artige Verteilung des Luftwiderstandes, und es ist klar, dass der hintere Flügelrand anfangs stärker emporgebogen wird, als es späterhin geschieht, da der Hinterrand jetzt fast ebenso starken Widerstand erfährt, als der festgehaltene Vorderrand, während sich später im Fluge der Druck mehr auf den vordern Flügelrand zusammendrängt.

Natürlich wird der Unterschied in dem Grade der Drehung des Flügels noch grösser, wenn der Vogel, um sich vom Erdboden zu erheben und um eine bequeme Flug- geschwindigkeit zu erlangen, zu Anfang des Fluges seine Flügel schneller und energischer bewegt, als im Vollfluge, oder wenn er am Schluss beim Herabsinken des hinteren Körper- teils kräftige Fliigelschlage zum Hemmen ausführt.

Unter sonst ganz gleichem Verhalten des Luftwiderstandes hängt bei den ver- schiedenen Vogelarten der Grad der Drehung des Flügels um die Längsachse sehr wesentlich von der Biegsamkeit und Breite des elastischen Materials ab. Der schmale weichfedrige Flügel eines grösseren Segelvogels wird leichter in die vortreibend wirkende Stellung gedreht, als der steiffedrige sogenannte Stossflügel eines echten Rudervogels. Daher wirkt auch die Kraft, mit welcher ein lang- und weichflügeliger Segler seinen Flügel herabdrückt, im allgemeinen mehr vorwärtstreibend, während der Flügelschlag eines Ruderers

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besser hebend arbeitet. Es liegt hierin jedenfalls einer der Gründe, warum die lanır- flügeligen Raubvögel und Segler der Lüfte sich weniger leicht und schnell vom Erdboden erheben können, als die kurzflügeligen Sperlinge, Tauben, Hühner und andere Vovel, deren Flügelschlag eine sehr starke hebende Komponente ergiebt bei vergleichsweise geringerem vortreibenden Effekt. Die starke Hebung des Flügelschlages ist bei kleinen Vögeln eine Ursache des intermittierenden Rudergleitfluges, rudernd erlangen sie Höhe, gleitend Raum. Jene Segler aber können erst dann ihren Körper bequem in der Luft tragen, wenn sie eine grosse Geschwindigkeit erreicht haben, sodass der relative Gegen- wind unter kleinen spitzen Winkeln ihre Flügel trifft. Der Angriffspunkt des Luft- widerstandes liegt dann ganz nahe dem vorderen gewaltig ausgesteiften Flügelrande, die hinteren Flügelränder sind entlastet, die Flügeltorsion ist daher hier mässiger und die tragende Kraft des Flügels nicht zu sehr auf Kosten der vortreibenden verringert.

Es ist biologisch hochinteressant, zu sehen, wie die verschiedenen Formen und Eigenschaften der Vogelflügel bis in die kleinsten Einzelheiten zweckmässig und passend sind für die Lebensgewohnheiten der Vögel, ihren Aufenthaltsort und ihre Art zu fliegen. Sie bieten uns Beispiele von Anpassung, wie sie vollkommener nicht gedacht werden können, und wer die Mühe nicht scheut, sich mit diesen Verhältnissen vertraut zu machen und auf Grund der Gesetze des Luftwiderstandes die mechanische Bedeutung des Flügels und seiner Teile zu prüfen, wird bald in der Lage sein, aus den Eigenschaften des Flügels auf die Flugart und den Aufenthaltsort des Vogels bestimmte Schlüsse zu ziehen, und umgekehrt aus der Erscheinung des Fluges die wesentlichsten Eigenschaften des Flügels vorhersagen zu können.

5. Bedeutung der gewölbten Flächen.

Wenn ein Flüssigkeitsstrom, Wasser oder Luft, rechtwinklig gegen eine Fläche trifft, so fliessen die Teilchen über den nachstliegenden Rand ab (Fig. 12a). Der Abfluss wird sich daher im allgemeinen um so leichter vollziehen, je grösser der Umfang und je kleiner der Flächeninhalt ist. Die Gesetzmässigkeit trifft genau zu für die Grenzfälle, die kreisförmige Fläche mit maximalem Inhalt und minimalem Umfang und für die Linie oder Schneide, die eine Fläche von minimalem Inhalt und maximalen Umfang darstellt. Für die Zwischenfälle sind die Verhältnisse nicht genügend experimentell aufgeklärt. Hier liegt ein weites Gebiet für aérodynamische Untersuchungen offen, dessen Erforschung mit der Lösung der Fragen über die Abhängigkeit des Luftdruckes von der Form der Flächen zusammenfällt. Denn je leichter der Abfluss der Luftteilchen ist, desto leichter entziehen sie sich sagen wir ihrer Aufgabe, einen Teil ihrer lebendigen Kraft als Druck auf die Fläche wirken zu lassen, desto geringer also ıst thr Gesammtdruck, der Luftwiderstand.

Hindert man den Abfluss der Luft dadurch, dass man auf einer Seite der Fläche, z. B. vorn, den Rand erhöhet, umbiegt oder sonst mit einer darauf gesetzten Schranke oder Schneide versieht, so wird auf der extgegengesetsten Seite der Abfluss verstärkt. (Fig. 12, b.)

29 Die Luftmassen, welche sich, von der Schranke aufgehalten, unter der Flache zusammen- drängen, üben nach allen Seiten einen gleichmässigen Druck aus; und diesem Drucke wird in der Stromrichtung durch die nachdrängenden Luftteile und durch die Festigkeit der

| | d vorn fortbewegen. je vollkommener

tung dagegen, pa- rallel zur Fläche,

Fläche das Gleich- vorderen, ver-

gewicht gehalten. | ^ J | schránkten Ran-

In der Querrich- œ iS f; TU | | y L des, also ` nach = pon ee: |

findet der Druck nun die Luftteil- nur vorn an der " A B f y chen nach hinten Schranke, nicht + et 2)^ ae abgelenkt werden, aber am hinteren i ^ Mm p a 4 desto stärker ist Flächen : Rande ! natürlich der vor- einen Widerstand, treibende Rück- die Luft fliesst —., NE Lu Hoe l N stoss. Denkt man daher nach dieser fg RE gl | sichdurch denhin- Seitehin ab. Der 9 / teren Rand B der einseitige Druck horizontal. Platte

geg. die Schranke, Fig. 12 c.und den der vollkommen freien RandC der

Ys, _ dem bekannten A A GA E Schranke eine Rückstosse d. aus- Ti r HT f ebene Fläche ge- A |

fliessenden Was- legt, so erscheint

sers entspricht, S: dieselbe mit tiefer ig. 12.

ber die "E leg 'or- pes d Versuche mit ebenen und mit einer Schranke versehenen Platten, liegendem Vor

ganze Platte, falls um die Wirkung der Schranke auf die Richtung der abfliessenden derrande gegen sie überhaupt frei Luft zu zeigen. Bei d, e, f wird cine geschränkte, bei g und h

j : ; eine einfache Platte zwischen zwei Kerzen abwärts bewegt. Die . . beweglich ist, in seitlichen Ausschläge der Flammen zeigen die Richtung der ent- neigt. An einer

der Richtung des NEICHENIEHT EN NN solchen Fläche entsteht aber gleichfalls ein Antrieb nach vorn, wenn sie, wie die mit Schranke versehene horizontale Platte, in der Luft senkrecht nach unten bewegt wird. Man könnte daher sehr wohl vermuthen, dass die geneigte, pronierte Ebene für die Vorbewegung dieselben Dienste leiste, wie die mit einer Schranke versehene horizontale, oder dass vielleicht sogar

den Horizont ge-

die pronierte Ebene für die seitliche Vorbewegung günstiger sei als die geschränkte, da sie vermutlich einen geringeren Stirnwiderstand finde, als die gewölbte Schrankenfläche.

In dieser Frage geben uns einige leicht anzustellenden Versuche sehr bemerkens- werte Aufschlüsse.

Wenn man ein Stück Kartonpapier an einem J.ängsrande rechtwinklig in eine Schranke umbiegt und es, wie in Fig. 12 d angedeutet, zwischen zwei brennenden Kerzen senkrecht nach unten bewegt, so erfahrt nur die eine Flamme einen seitlichen Ausschlag,

30

wahrend die andere, der Schranke benachbarte in Ruhe verharrt.* Ist die Bewegung unterhalb der Flamme angekommen. so schlagen beide Flammen. die vorher in Ruhe ge- bliebene zuerst, einwärts in den Raum hinter der Kartonplatte. «Fig. 12 e und f.)

Nimmt man ein Stück Karton ohne Schranke. so sınd. wenn dasselbe in horizon- taler Stellung nach unten bewegt wird, die Bewegungen der Kerzen symmetrisch, d. h. sie bewegen sich vor der herankommenden Platte nach aussen. um nach dem Vorüber- gange derselben wieder nach innen umzubiegen.

Dies Verhalten ändert sich nicht wesentlich, wenn die Platte nur wenig geneigt

ist, (Fig. 12g.) und man muss schon eine sehr beträchtliche Neigung schätzungsweise 50—60" anwenden, (Fig. 12h) um die Flammenbewegungen so zu sehen, wie bei der

Platte, welche eine Schranke an einem ıhrer Ränder besitzt.

Diese Versuche zeigen mit unverkennbarer Deutlichkeit. dass die Schranke eine weit vollkommenere Ablenkung der Luftteilchen gegen den hinteren Flächenrand bewirkt, als die einfache Schrägstellung einer ungeschrankten, ebenen Platte, und es ist danach klar, dass auch der durch die Schranke hervorgerufene Antrieb nach vorn ein grösserer ist, als der durch Schrägstellung bewirkte.

Die Versuche lassen sich auch mit fliessendem Wasser ausführen. dem man nach- einander ebene und mit einer Schranke versehene Platte entgegenhalt. An suspendierten oder schwimmenden Fremdkörpern kann man sehr schön sehen, wie namentlich die ge- wölbte Schranke alles Wasser seitlich unter die Fläche ablenkt, wahrend an einfachen ebenen Flächen erst bei sehr starker Neigung eine völlige Ablenkung nach dem hinteren Rande erfolgt. Die Experimentaluntersuchungen über die Gesetze des \Viderstandes der Flüssigkeiten von Oberst Duchemin**) geben über das Verhalten an ebenen Flächen näheren Aufschluss. Es zeigt sich dabei, dass bei allen nicht sehr kleinen Neigungs-

winkeln der Fläche ein zunehmend grosser Teil der Flussigkeit um den vorderen Rand entweicht. Die dadurch bewirkte Aufstauung und Beschleunigung des Wassers am vorderen Plattenrande ist gleichbedeutend mit einem Hindernis der seitlichen, ausgleitenden Vor- bewegung der Platte und geht an dem rechtwinklig zur Platte wirkenden Widerstande verloren. In der Luft sind die Erscheinungen des Abflusses völlig analoge, und dem- entsprechend sind es auch die Wirkungen.

Alle diese Thatsachen und Deduktionen weisen darauf hin, dass die mit einer Schranke versehenen Flächen für die Erzeugung eines Antriebes in der Richtung nach dem vorderen Flächenrande weit geeigneter sind, als einfache Flächen, welche im Sinne der Geraden BC (Fig. 12 c) schwach geneigt sind. Wollte man also mit ebenen Flächen denselben seitlichen Antrieb erreichen, wie mit Schrankenflächen, so müsste man den

*) Die Einwirkung der Schranke auf die Abfluss- Richtung der Luftteilchen unter der Fläche ergiebt sich auch aus einem von Marey mitgeteilten Experiment H. Müller's (Compt. rendus tom. C. p. 1517. bei welchem der einseitig horizontal abtliessende Luftstrom eine aufsteigende Rauchsäule durchbricht und sich da-

durch sichtbar macht.

**) Deutsch von Schnuse, Braunschweig 1844.

31 Neigungswinkel der Ebenen gegen den Wind vergrössern, was nur auf Kosten des Gesamt- widerstandes und seiner tragenden Wirkung geschehen könnte.

Wir werden alsbald sehen, wie sehr diese Ergebnisse durch die Untersuchungen O. Lilienthal’s über den Luftwiderstand an gewölbten Flächen bestätigt werden. Vorher bleibt uns noch die Frage zu beantworten, welche Eigenschaften die Schranke haben muss, um ihren Zweck bei wechselnder Stärke und Richtung des Gegenwindes zu erfüllen.

Soll an einer senkrecht vom Winde getroffenen Platte die Luft vollkommen, ein- seitig abgelenkt werden, so ist dazu eine bestimmte Hohe der Schranke erforderlich. Ist die Schranke niedriger, so erfolgt ein teilweiser Abfluss um den Schrankenrand. Eine Ueberschreitung der nötigen Schrankenhöhe ist überflüssig für die Ablenkung und schädlich für die Seitenbewegung, denn die breite Aussenseite der (rechtwinklig angehefteten) Schranke findet an den schnell vorüberfliessenden Luftteilen einen bedeutenden Stirnwiderstand, welcher hemmend auf die Seitenbewegung einwirkt. Man kann sich denken, dass bei einer gewissen, beträchtlichen Höhe ber Schranke dieser Widerstand hinreichen wird, die seitliche Bewegung der Platte so gut wie völlig aufzuheben. Die Höhe der Schranke darf also das notwendige Mass nicht überschreiten.

‚Welches dieses Mass ist, darüber fehlt es bis jetzt an experimentellen Bestimmungen. Soviel aber lässt sich sagen, dass sze von der Breite der Fläche abhängig ist. Eine schmale Fläche erfordert eine geringere Schrankenhóhe, als eine breite. Ferner scheint mir aus den Elastizitatsverhaltnissen der Luft hervorzugehen, dass die Luftmasse, welche durch die Schranke an dem Abfluss nach vorne verhindert werden soll, eine um so dünnere Schicht an der Unterseite der Tafel bildet, je grósser die Geschwindigkeit des Gegenwindes ist, denn um so grósser ist ja die Kompression und Abflussgeschwindigkeit. Wenn dies richtig ist, so würde die Schrankenhöhe mit zunehmender Geschwindigkeit abnehmen können. Endlich, aber nicht zum wenigsten, hangt die Schrankenhöhe ab von dem Winkel, unter welchem die Luftmassen gegen die Platte treffen. Je grösser dieser Winkel, desto höher muss auch die Schranke sein. Bei kleinen Winkeln aber, unter denen, wie die obigen Versuche zeigen, ein Herumfliessen der Luft um den vorderen Rand der ebenen Fläche so gut wie garnicht erfolgt, kann auch die Schranke auf ein Minimum reduziert werden oder gänzlich fehlen.

Auch die Form und Stellung der Schranke ist von dem Neigungswinkel der Fläche gegen die Richtung des Gegenwindes abhängig. Immer muss die Schranke so orientiert sein, dass sie mzt threm freien und scharfen Rande genau in der Richtung des Gegenwindes steht und so nach Art eines Pflugmessers in die Luft einschneidet. Und wie eine Pflugschaar mit ihrer Wölbung den Bodenstreifen, welchen sie fasst, allmählich und ohne Stauchung nach einer Seite herumgleiten lässt, so muss auch die Schranke mit gleichförmiger Wölbung in die vom Winde getroffene Fläche umbiegen, wenn sie einen allmáhlichen und möglichst störungsfreien Abfluss der Luft an der Unterseite gewährleisten soll, bei minimalem Stirnwiderstande. Nehmen wir hinzu, dass aus den angedeuteten Gründen naturgemäss auch der Hauptteil der Fläche die Wölbung fort- setzen muss, welche in dem als Schranke bezeichneten Teile begonnen hat, so führen uns

E diese Betrachtungen ohne weiteres auf einheitlich gewölbte Flächen, wie sie die Flug- organe der Vogel in so mannigfacher Art enthalten, und deren Bedeutung für die Form und Richtung des Luftwiderstandes und damit für die ganze Flugbewegung aus den obigen Darlegungen erhellt.

Es ist das Verdienst der Gebrüder Lilienthal in Berlin, durch ihre Versuche zuerst die Wirkung des Luftwiderstandes an gewölbten Flächen einer quantitativen Prüfung unterworfen zu haben. Sie bestätigen unzweifelhaft die Ucberlegenheit der gewolbten Flüchen den ebenen gegenüber: sowohl die vortreibende, wie die hebende Komponente des Luftwiderstandes sind an den gewölbten Flächen grösser, als an den ebenen. Der Unterschied zeigt sich namentlich bei kleineren Winkeln, nach Taf. VII. des Buches von Otto Lilienthal (Der Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst) erfahrt z. B. bei r5? Neigung eine ebene Fläche nur 3/10 des Widerstandes der normal getroffenen Fläche, während eine cylindrisch gewolbte Platte, deren Wólbung !/ie der Breite beträgt, °/ıo des normalen Widerstandes, also dreimal so viel als die ebene Platte erleidet. Die Versuche sind, in der Absicht, möglichst hohe Widerstände zu erreichen, mit Flächen von schmaler, beiderseits zugespitzter Form ausgeführt, welche, wie Lilienthal aus den Konturen der Hauptflugflache fliegender Vögel schliesst, für diesen Zweck am günstigsten sind.

Es wäre im hohen Masse wünschenswert, dass diese Versuche unter gleichzeitiger Rücksichtnahme auf den Einfluss des Flächenumrisses auf die Grösse des Luftwiderstandes wieder aufgenommen und systematisch durchgeführt würden, wenn auch nicht verschwiegen werden darf, dass für die wissenschaftliche Entwickelung der Theorie des Luftwiderstandes zunächst noch viele Fragen, die sich auf ebene Flächen beziehen, dringend ihrer Lösung harren. Im Prinzip ist ja der Luftwiderstand an gewölbten Flächen kein anderer als an ebenen, da wir die gewölbten als irgendwie im Raume angeordnete Aggregate von kleinen Ebenen vorstellen können. Sobald man also über den Einfluss einer verschiedenen An- ordnung der Flächenelemente in der Ebene, d. h. über den Einfluss des Flächenumrisses auf den Luftwiderstand, genügend orientirt ist, wird man dazu übergehen müssen, die räumlich verschiedenen Anordnungen in ihrer Wirkung der Luft gegenüber zu prüfen, und zuzusehen, welche Beziehungen zwischen dieser Wirkung und den mathematischen Elementen der Anordnung bestehen.

Stehen nun auch die Lilienthal'schen Versuche einstweilen noch isoliert da, so haben sie doch für die Beurteilung der Wölbungen des Vogelflügels eine unschätzbare Bedeutung, denn sie enthalten gleichsam die quantitativen Beweise für die Wirkungen der Schranke, die sich aus den vorher mitgeteilten Versuchen nur ihrer Qualität nach ergeben hatten. Der vordere Rand der gewölbten Fläche, welcher wie ein Messer in der Richtung des Gegenwindes die Luft durchschneidet, ist ja nichts anderes, als die vollkommene Form einer Schranke, wie sie sich auch aus unseren theoretischen Betrachtungen ergeben hat.

Dass die Flügel der Vögel keine ebenen, sondern gewölbte Flächen bilden, ist seit langer Zeit bekannt. Man glaubte die Wölbung als eine Einrichtung auffassen zu sollen, dazu bestimmt, beim Rückschlag des Flügels den Abfluss der Luft zu erleichtern und beim Niederschlag zu erschweren, also den schädlichen Widerstand zu verringern, den nützlichen

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zu steigern. Gleichzeitig werde zu diesem Zweck beim Rückschlag die Wölbung verstärkt und die Fläche gleichsam verkleinert, während beim Tiefschlag die Wölbung mehr aus- geebnet, die Widerstandsfläche also vergrössert werde.

Der Erste, welcher die Gestalt und Wölbung der Flügel eingehend gewürdigt hat, war Prechtl. Er bezeichnet bereits den ganzen vorderen Flügelrand also die dreieckige Flughaut zwischen Ober- und Unterarm, den Lenkfittich, welcher sich über die Mittelhand und das erste Glied des grossen Fingers vorwärts hinausschiebt, ferner die »Lenkfeder« und die nächstvorderen Schwungfedern als Schranke und hebt hervor, dass an diesen Gebilden, soweit sie nach vorn geneigte, pronierte Flächen darstellen, die Vorwärts- bewegung des fliegenden Vogels ihren Antrieb erfährt. Er ist es auch, der in den grossen auseinandergespreizten »Ruderfedern« der Adler, Bussarde und Krähen Organe erblickt, welche durch den Luftwiderstand um ihre Längsachse gedreht werden, und so als schräge, vortreibende Flächen die Wirkung jener Schranke steigern.

Die grossen Fortschritte in der Erkenntnis, welche durch diese auf sorgfältigstem Studium beruhende Auffassung gegen die ältere gewonnen sind, brauchen nicht hervor- gehoben zu werden. Aber immer noch ist die Schranke nichts weiter als eine Summe von pronierten Flächen und die Frage bleibt unbeantwortet, warum der ganze Flügel nicht eben sei, da er dann doch völlig nach Bedarf bald vortreibend, bald hemmend benutzt werden könne.

Nach dem, was oben über die mechanisch zweckmässigste Form der Schranke gesagt wurde, muss der vordere Rand der gewölbten Flügelfläche so gestellt sein, dass er, einer Schneide gleich, beim Fluge in der Richtung des relativen Gegenwindes vordringt, und er muss um so stärker herabgezogen sein, je grösser die Winkel sind, unter denen der Gegenwind auf die Fläche trifft. Anders ausgedrückt lautet dieser Satz: Die Wolbungen am Vogelflügel sind um so stärker, je grösser die Einfallswinkel des Gegenwindes sind.

Die folgenden Ausführungen werden zeigen, dass dieser Satz nicht nur für die verschiedenartigen Flügel der Segler und Rudervögel Gültigkeit hat, sondern dass er auch für die einzelnen Abschnitte jedes Flügels Fächer, Schwinge und einzelnstehende Schwungfedern richtig ist, und dass er selbst dann noch zu Recht besteht, wenn während des Fluges durch energischen Flügelschlag erhebliche vorübergehende Aenderungen der Einfallswinkel erfolgen. Zugleich werden die verschiedenen Flügelformen (Umrisse) ihre Erklärung finden.

6. Formen des Vogelflügels.

Die langflügeligen, nach dem Albatros-Typus (Fig. 13) gebauten Möven, Sturm- vögel und echten Segler besitzen alle nur sehr schwach gewölbte, nahezu ebene, schmale Flügel, die an der Spitze nicht in einzeln stehende Schwungfedern auslaufen. Je deut- licher dieser Flügelcharakter bei einem Vogel auftritt, desto kleiner sind auch die Einfalls- winkel des Gegenwindes, für welche die Flügel geeignet sind. Darum kann der Albatros nur dann fliegen, wenn er von Anfang an einen hinreichend starken Wind gegen sich hat, denn nur dann kann er die für seine platten Flügel passenden kleinen Neigungswinkel

5

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ausnutzen, die grosse Lange und die auffallend geringe Breite seiner Fliigel ist das Korrelat der geringen Wolbung und erklart sich ohne Weiteres aus dem eingangs (S. I1) mitge- teilten Gesetz, dass bei kleinen Neigungswinkeln der Luftwiderstand um so grösser ist, je länger der Vorderrand der getroffenen Fläche ist. Ein kürzerer Flügel würde daher bei dieser Flugart den Vogel nicht tragen können, und da die geringe Breite und Wöl- bung des Flügels für grössere Einfallswinkel nicht geeignet ist, so würde es dem Vogel auch nichts nützen, wenn er Muskelkraft genug besässe, um durch schnelleren Ruderschlag des Flügels den Stosswinkel des relativen Gegenwindes zu vergrössern. Dies würde nur dann Erfolg haben, wenn der Vogel gleichzeitig die Breite und Wölbung seiner Flügel auf Kosten der Länge willkürlich oder selbstthätig beim Flügelschlag vergrössern könnte.

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Fig. 13. Linker Flügel eines Albatros nach Pettigrew, Länge über 6 Fuss engl. = 1,83 m.

Wo wir also immer lange, schmale und nahezu ebene Flügel vorfinden*), zeigen sie uns, dass der betreffende Vogel zum Abflug, d. h. zum Rudern mit grossen Stoss- winkeln weniger geeignet ist, dass er aber ein guter Segler ist und als solcher starke Flugwinde, scien diese nun durch grosse Geschwindigkeit des Vogels oder durch herrschende Winde erzeugt, mit kleinen Neigungswinkeln der Flugflachen ausnutzen kann. Die ebene, schmale, ricmenformige Gestalt bietet dabei den weiteren Vorteil, dass die Flügel leicht und sicher gelenkt und gestellt werden kónnen, wie die schmalen Riemen eines Race- bootes. Bei starkem Flugwinde bietet ein gewölbter Flügel dem Luftwiderstande sehr

*) Auch die Flossen der Fische und anderer Schwimmtiere folgen den Gesetzen des Flügels, soweit sie nach dem Typus des Vogelfliigels mit starkem, die Bewegung leitenden Vorderrande gebaut sind. Alle tief gegabelten Schwanzflossen, alle schmalen bis säbelförmigen Brust- und Bauchflossen, wie sie sich namentlich bei den Makrelen, Thunfischen, vielen Haien u. a finden, sind für die grosse Geschwindigkeit eingerichtet, mit welcher diese Tiere das Wasser durchschneiden, Die kleinen Abmessungen der Flossen im Vergleich mit den Flügeln erklären sich dadurch, dass der Widerstand des Wassers an sich grösser ist, als der der Luft.

In der Schifffahrt weiss man längst aus Erfahrung, dass die schmalen und langen Vorsegel, welche vom Klüver zum Fockmast ziehen, für das Segeln am Winde als Amwindsegel vorzügliche Dienste leisten. und dass sie gestatten, »härter an den Wind zu gehen«, d. h, mit Erfolg kleine Neigungswinkel anzuwenden. Diesen Vorteil gewähren auch die schmalsegeligen Lateinerboote, die schmal dreieckigen Hlouari-Segel, sowie die hohen dänischen Spreitsegel mit aufgesetztem Topdreikanter. Alle sind gute Kreuzer, während breitsegelige Schiffe besser bei grossen Neigungswinkeln mit halbem Winde oder vor dem Winde laufen.

Würde man ein Raasegel nach Art einer Jalousie in schmale straffe Streifen zerlegen, die durch eine gemeinsame, einheitliche Zugvorrichtung unter beliebigen, kleipen Winkeln an den Wind gebracht werden könnten, so würde man darin eine für das Sereln am Winde sehr gecignete Einrichtung haben, die auch sonst mancherlei praktische Vorteile böte. Bei grösseren Neigungswinkeln könnte die Jalousie geschlossen, und das Segel als Ganzes verwendet werden. Man hätte dann bein Aufkreuzen den Vorteil grosser Segellänge, und vor dem

Winde doch auch das ganze Areal als breite, geschlossene lläche.

_3>_

leicht auch dann noch eine zu grosse Angriffsflache, wenn schon die Schranke genau in den Wind einschneidet, und dies ist um so gefährlicher, als mit der stärkeren Wölbung immer auch eine grössere Breite verbunden ist. An solchen Flügeln können böige Winde, die fortwährend ihre Richtung und Intensität (Lilienthal, Langley) ändern, leicht allerlei schädliche Drehungen und unregelmässige, flatternde Bewegungen hervorrufen, die den Flug schliesslich unmöglich machen. Vögel mit solchen Flügeln, versuchen daher stets bei starkem Winde die Richtung des Flugwindes durch energischen Flügelschlag so gut es geht einigermassen konstant zu halten, oder hören auf zu fliegen, falls dies nicht mehr angeht. Der Albatross aber kann seine armförmigen Schwingen auch im stärksten Sturme ohne einen Flügelschlag regieren, wenn alle anderen Vögel mit breiten und stärker ge- wölbten Flügeln längst ihre Segel gestrichen haben.

Der Albatros bedient sich nur selten eines langsamen Flügelschlages, stundenlang kann er sich bei bewegter Luft fast ohne jede sichtbare Flügelbewegung segelnd in den Lüften halten und weite Strecken zurücklegen. Da er mit grosser Geschwindigkeit fliegt, so kann der langsame Flügelschlag im allgemeinen auch keine bedeutende Vergrösserung des Einfallwinkels der Luft veranlassen. Ist, wie in Fig. 14 A dargestellt, a die Flug- geschwindigkeit und b die Geschwindigkeit des Flügelschlages, so ergiebt sich aus beiden ein Flugwind c, der nur wenig von der Richtung a abweicht.

Fig. 14. Schematische Darstellung der Pn ONE 2 des Flugwindes c, wenn a der Gegenwind ist, den der Vogel empfindet, und b die Geschwindigkeit des Flügelschlages bedeutet. Fl. Flügel: A eines plattflügeligen, langsam rudernden Seglers, B. eines hohlflügeligen Rudervogels.

Die kürseren, breiteren und mehr gewölbten Formen der nun zu betrachtenden Fligeltypen sind schon ihrer Kürze wegen handlicher und mehr für den Ruderschlag geeignet. Bei ihnen kann daher mit wachsender Schlaggeschwindigkeit b (Fig. 14 B) auch der Stosswinkel der Luft mehr und mehr vergrössert werden. Dies ist namentlich ım Anfang des Fluges der Fall, wenn der Flügel bei ruhiger Luft erst in einer weit aus- schlagenden Ruderbewegung (nach unten) den erforderlichen Widerstand findet. Besonders aber gilt es für die Flügelspitze, die Schwinge, die von allen Teilen des Flügels die grösste Schlaggeschwindigkeit erreicht und demnach auch von der Luft unter den grössten Einfalls- winkeln getroffen wird. Es ist daher auch an keinem Teile des Flügels das Bedürfnis nach einer das schädliche Zurückstauen und Herumfliessen der Luft um den Vorderrand verhindernden Schranke so gross, wie gerade an der Schwinge. Die Beobachtung zeigt in der That, dass die Schwinge von allen Flügelteilen die vollkommensten Einrichtungen hat, die diesen Zweck erfüllen.

L

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Zum Studium dieser Einrichtungen eignet sich am besten der Flüge! der Hühner (Fig. 15), denn diese Tiere haben, soweit die später mitzuteilenden Beobachtungen reichen, von allen grösseren Vögeln den schnellsten Flügelschlag und die breitesten Flügel; bei ihnen muss also die Schranke am deutlichsten zu erkennen sein. Der Befund bestätigt und übertrifft diese Erwartung.

Zunächst fällt auf, dass die Schwungfedern erster Ordnung, die zusammen die Schwinge bilden, stärker ge- krümmt sind, als die Arm- schwingen. Die Schwinge erhält dadurch eine flache Schalenform, die sich nach innen zu in die flachere Wolbung des Fächers fort- setzt. Der vordere oder Schrankenrand der Schwinge ist am stärksten gewölbt und tritt am weitesten nach unten vor, was dadurch bewirkt wird, dass die zwei bis drei

Fig. 15. ersten Schwungfedern mit

Rechter Flügel vom Haushahn. Sch. Schwinge; F. Fächer; ihren Barten lose aufeinander-

Df. Daumenflügel. š PE :

liegen, so dass sie sich beim

Gebrauch gegenseitig stützen kónnen. Sie bilden so eine steife Fortsetzung des durch

die Mittelfingerknochen gefestigten und gleichfalls nach unten hervorschauenden Hand- randes, wie es schon Prechtl beschrieb. (Flug der Vogel, Wien 1846. § 182.)

Dazu kommt end- Df vorziehen kann. Die-

lich der sogen. Lenk- ses wichtigste Organ fittich oder Daumen- J T E des ganzen Schran- flügel, der nichts kensystems reicht Df anderes ist, als eine : b von der Handwurzel verstellbare, beweg- bis etwa zum Ende liche Schranke, die Fig. 16. des ersten Drittels der Vogel nach Be- Lage des Daumenflügels Df. der Handschwingen,

a. bei geringem Flügelausschlag, nach erlangter mittlerer Fluggeschwindigkeit.

darf noch über den oder bis zu der Vorderrand derHand Stelle, wo die ersten hinaus nach unten Schwungfedern die Verschmälerung ihrer Vorderbärte haben und wo, wie wir sehen werden, beim starken Niederschlag die geschlossene Flache des Flügels aufhórt. Die kleinen Federn des Daumen-

flügels sind die kraftigsten und steifsten des ganzen Gefieders; sie sind scharf konturiert

b. bei starkem Flügelschlag, zu Beginn des Fluges.

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und mit ihren Flächen fest auf einander gepresst. Der vordere Rand dieses kleinen Fittichs besitzt in dem stark nach unten gewölbten Vorderbarte der ersten Feder das Hauptmerkmal der Schranke deutlicher, als irgend ein anderer Flügelteil.

Je heftiger nun der ganze Flügel herabgeschlagen wird, desto stärker wird auch der Daumenfittich über den vorderen Rand der Hand hinausgespreizt und heruntergedrückt, so dass er, immer genau in die Richtung des Gegenwindes einschneidend, die Bewegung des Flügelschlages mitmacht und so das Ausweichen der Luft um den Vorderrand des Flügels verhindern kann. Wird dagegen mit der Zunahme der Fluggeschwindigkeit der Ausschlag des Flügels kleiner, und also auch der Winkel, unter dem die Luft von vorn unter den Flügel trifft, so tritt auch der Daumenfittich mehr und mehr in seine gewöhn- liche Lage über der Hand zurück, da nun die übrigen Vorrichtungen der Schranke dem Bedürfnis genügen. (vergl. Fig. 16 a, b.)

Wenn so während des Flügelschlages die Thätigkeit des Daumenfittichs sich genau nach der Thätigkeit des ganzen Flügels und nach dem Kontraktionszustande des grossen Brustmuskels zu richten hat, so ist nicht abzusehen, wie der Vogel gleichzeitig dies Organ noch zu einem anderen Zwecke, nämlich zur seitlichen Ablenkung seiner Flug- bahn selbständig verwenden könne, zumal er dies in viel wirksamerer Weise durch Drehung des Kopfes und des Schwanzes und ganz besonders durch einseitig stärkeren Flügelschlag ausführen kann. Wenn man bedenkt, wie gross die Arbeit sein muss, die im vollen Fluge geradlinig sich fortbewegende Masse des Vogels einseitig abzulenken, so gewinnt man die Ueberzeugung, dass hierzu der kleine, nur mit geringer Muskelmenge ausgestattete Daumenflügel nicht geeignet sein kann, vollends, wenn er schon als verstell- bare Schranke fungirt. Endlich finden sich die vollkommensten »Lenkflügel« gerade bei kurzflügeligen, schnellflatternden und ungeschickten Fliegern, während die Segler, welche die Richtung ihres Fluges unausgesetzt verändern, also die geschicktesten Lenker, vielfach nur rudimentäre, funktionsunfähige Daumenflügel besitzen.

Wir finden also für die bereits im 13. Jahrh. von Kaiser Friedrich II. (De arte venandi) vertretene Meinung, dass der Daumenflügel ein wichtiges Organ zur Ausführung seitlicher Wendungen sei, keine Stütze. Die Hülfe, die der Daumenfittich bei der Wendung leistet, kann nur eine durchaus untergeordnete und indirekte sein, die darin besteht, dass bei dem einseitigen, stärkeren Flügelschlage, welcher die Wendung veranlasst, auch der Daumenfittich stärker herabgedrückt wird, wie es immer geschieht, wenn der Flügelschlag verstärkt wird, auch beim geradlinigen Fluge. Daher können wir auch die Bezeichnung des Daumenflügels als »Zez£fitfich« nicht als zu Recht bestehend anerkennen ; und wenn man dieses Organ des Flügelmechanismus nach seiner Funktion bezeichnen will, so dürfte dafür der Name Schränkfittich, Schrankenfittich oder Stellschranke fortan der passendste sein.

Mit der Besprechung dieses merkwürdigen Flügelteils ist aber die Darstellung der am Flügel und im besondern an der Schwinge des Hühnerflügels vorhandenen Schranken- einrichtungen noch keineswegs erschöpft. Die Frage warum wohl die Stellschranke nur soweit an dem Vorderrande der Schwinge hinaufreiche, als von der Spitze her die Ver-

38 schmälerungen der vorderen Federbärte hinabreichen, führte mich zu der überraschenden Beobachtung, dass jede einzelne der verschmälerten Schwung federn gleichfalls eine in voll- kommenster Weise selbstthätig verstellbare Schranke besitst. Für gewöhnlich zwar, an dem ruhenden Flügel und das ist der Grund, warum man diesen schönen Mecha- nismus meines Wissens seither übersehen hat, zeigen die Federn hiervon wenig oder gar nichts, ja, bei den ersten Federn sind die Vorderbärte wider Erwarten glatt und eben, sodass sie eine scharf nach vorn, nach dem Flügelrande gerichtete Schneide bilden. Sobald man aber der Feder die Streckung und Biegung oder die Spannung erteilt, die ste während des Flügelschlages durch die Einwirkung des Luftwiderstandes erfährt, d. h. sobald man sie nach oben und vorn empor krünımt, erhält auch der Vorderbart eine nach unten offene Wölbung, deren Tiefe aufs genaueste mit dem Grade der Spannung zu- und abnimmt. (Fig.17) Wenn also zu AnfangdesFluges der Vogel mit grossem Kraftauf-

auf die Flügel trifft, so werden die Federn der Schwinge durch

wande schnell auf- d. starken Wider- einander folgende stand, den sie in Flügelschlàge von 5 der Luft finden, grosserAmplitude kraftig nach oben ausführt, und da- Fig. 17. und vorn gebogen

her der relative a. Stark gespannte Schwungfeder vom Huhn. (!/s natürl. Grosse.) und es entsteht, Wind senkrecht P- Ein quer abgeschnittenes Stück derselben stärker vergrössert. dem Grade dieser Biegung entsprechend, die Wölbung der Vorderbärte, deren freie Schneidenränder jetzt senkrecht nach unten in den Wind gerichtet sind.

Mit der Zunahme der Fluggeschwindigkeit steigert sich von selbst auch jedesmal die Grösse des Luftwiderstandes, der Vogel braucht ihn also nicht durch besonderen Kraftaufwand und tiefen Flügelschlag (wie im Anfang) zu erhöhen. Die Schwinge hat nicht mehr allein die Hauptarbeit, alle Flächen, auch der Fächer etc. tragen gleichmässiger, der Wind trifft mit genügender Stärke auch unter kleinen Winkeln gegen die Flugflächen, die Schwinge wird entlastet, die einzelnen Federn weniger durchgebogen, die Wölbungen ihrer Schranke gleichen sich aus, die Schneidenränder wenden sich nach vorn, immer genau in die Richtung des Gegenwindes. Jede beliebige Schwungfeder eines IIuhnes oder eines Raubvogels zeigt diesen wunderbaren Mechanismus, der in seiner Ein- richtung und Wirkung nicht vollkommener gedacht werden kann. Der senkrecht auf den Flügel treffende Gegenwind, welcher mit seinem grossen Widerstande den Nachteil ver- bindet, dass die Luft leicht über den Vorderrand der Flugfläche abfliesst und dadurch eine der Fortbewegung des Vogels schädliche Hemmung erzeugt, dieser Gegenwind ruft selber an dem Mechanismus der unsymmetrischen Feder automatisch die Gestaltung einer Schranke hervor, durch welche die schädliche Nebenwirkung der grossen Neigungswinkel beseitigt, und der gesamte Luftwiderstand, den der Flügelschlag an der Schwungfeder er-

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zeugt, in nützlicher Weise zum Heben und Vorwartsschieben des Vogels verwendet wird. Durch den Schrankenmechanismus der Feder wird also eine der Flugbewegung unbedingt schädliche Kraft so geleitet und gewendet, dass sie aus einem Feinde zu der wirksam- sten Hülfskraft des Fluges wird.

Die Wolbung des vorderen Federbartes zur Schranke kommt dadurch zu stande, dass mit der (durch den Luftwiderstand bewirkten) Krümmung des Federschaftes eine Torsion desselben um die Längsachse verbunden ist. Die Ansatzlinien der Fieder- lamellen, die an der nicht gespannten Feder parallel sind und an den Seitenflächen quer nach unten laufen, werden dadurch in windschiefe Lage gebracht. Die proximalen Fieder- lamellen würden sich daher unter die benachbarten distalen schieben, wenn sie nicht durch die Verankerung der Fiederchen (II. Ord.) daran verhindert würden, welche nur ein minimales Längsgleiten und ein dichteres Aneinanderlegen der Fiedern gestatten. So bleibt in den Fliederlamellen eine Tendenz zurück, nach der Unterseite der Feder aus- zuweichen. Je biegsamer die Fiederlamellen gegen ihr freies Ende hin werden, desto deutlicher findet diese Tendenz oder Spannung ihren Ausdruck in der stärkeren Krümmung des vorderen Federbartes. Von Wichtigkeit ist jene mit dem Längsgleiten verbundene dichtere Annähernng der Fiederlamellen, denn wenn diese dadurch auf einen kleineren Raum zusammengedrängt werden, so steigert sich die Starrheit und Widerstandsfahigkett des umgebogenen Vorderrandes.

Auch der hintere Federbart erleidet mit der Krümmung des Federschaftes eine Aenderung seiner Gestalt und Lage. Wie am Vorderbart die Fiedern dichter zusammen- geschoben, die Fläche also verkleinert wird, so findet am Hinterbart eine Flächenver- grösserung statt; aber diese wird nicht so sehr durch Auseinanderzerren der Fiedern, als vielmehr durch Ausgleichen und Glätten der am hinteren Federrande deutlich zu sehenden Wellung des Federbartes erzielt. Zugleich neigt sich die nun glatte und straffe, nahezu ebene Fläche mit ihrem Hinterrande nach unten, so dass dieser jetzt tiefer liegt, als die Schneide der Schranke. Die Wölbung der Feder wird also vor wie hinter dem Feder- schaft vertieft und die Breite der Feder damit etwas verringert.

Wäre nun der Schaft nicht so vollkommen biegsam und elastisch, so würde bei der tiefen Lage des Hinterrandes der Feder, der senkrecht von unten auftreffende Gegen- wind trotz der Schranke keinen Antrieb nach vorn hervorrufen können. Nun aber erfahren die beiden Bärte der unsymmetrischen Feder einen ihrer ungleichen Breite entsprechenden sehr verschiedenen Widerstand. So leicht die Schneide beim Flügelschlag nach unten vordringt, so schwer folgt die Breitseite des tragenden Hinterbartes; und eine mit dem Luftwiderstande zunehmende Drehung der ganzen Feder um den Schaft als Achse ist die notwendige Folge des unsymmetrischen Verhältnisses der Barte. Aber der Schaft ist keine frei bewegliche Achse, wie die eines Rades. Er ist an seiner Wurzel vermittelst des Kieles in ein wenig nachgiebiges, straffes, elastisches Bindegewebe fest eingefügt, und erst in dem Masse, wie sein Querschnitt nach der Spitze zu kleiner und kleiner wird, folgt er leichter und leichter den drehenden Kräften des in gleicher Weise mächtiger werdenden Luftwiderstandes.

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So entstehen erst während des kräftigen vertikalen Flügelschlages an den stark gewölbten Schwingen des Hühnerflügels die nach vorn geneigten und rortretbenden Flächen im wesentlichen nach demselben Prinzip, wie an dem künstlichen Flügel; nur dass hier durch das Vorhandensein einer Schranke alle schädlichen Nebenwirkungen vermieden, der Luftwiderstand in der denkbar vollkommensten Weise ausgenutzt wird.

Diese Erklärung des Mechanismus der Schwungfedern bestätigt nun auch die oben (S. 18) ausgesprochene Annahme über die Bedeutung der Verschmälerung der Federfahne. Durch die Verschmälerung wird die Aufwärtsbewegung des hinteren Federrandes vor dem übergreifenden Vorderbart der nächsten Feder derart sicher gestellt, dass sie ohne gegen- seitige Reibung erfolgt. Sobald der Luftwiderstand die erforderliche Grösse erreicht hat, werden bei dem Typus des Hühnerflügels die einzelnen Schwingen vorübergehend von einander getrennt, so dass sie als einzelne Flächen frei dem Luftdrucke ausgesetzt sind und wie ebenso viele kleine, schmale Flügel wirken können. (Fig. 18.)

Fände diese Spaltung der Flügelspitze in die einzelnen Schwungfedern nicht statt, so würde an der geschlossenen Fläche des Flügels nicht die vor- treibende Wirkung zu stande kommen können, welche der Flug zumal im Anfang erfordert; denn es müsste sonst der ganze Flügel zu ungunsten der tragenden Wirkung eine Drehung um den Vorder- rand erfahren, welche die kurze und breite Flügel-

Fig. 18. form nicht zulässt. An

Rechter Flügel vom Aaushahn. Die Handschwingen weichen in maximaler einem langen und schmalen

Spannung bei starkem Flügelschlage fingerartig auseinander, (1:4 der natürl. Grösse.) Flügel vom Albatrostypus

reicht der Torsionsaus- schlag des bewegten Flügels völlig aus, um einen genügend grossen Teil der Flügelspitze in toto in pronierte Lage zu bringen; hier aber musste für alle Fälle eine besondere Ein- richtung geschaffen werden, um die fehlende Länge und Torsionsgrösse durch Zerschneiden der Flügelspitze in einzelne, hintereinander liegende, leichter drehbare Langsstreifen zu ersetzen.

Nun ist zwar nach den Luftwiderstandsgesetzen die schmale Form der isolierten Federenden für grosse Neigungswinkel nicht besonders günstig, aber der Uebelstand wird durch das gleichzeitige Entstehen einer wirksamen Schranke, sowie durch stärkere Wölbung der ganzen Federfläche behoben, die sich dann förmlich in die vorüberströmende Luft

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hineinklauet oder -hakt. Daneben bleibt immer nach erlangter Fluggeschwindigkeit. der gewolbte Flügel für mittlere Neigungswinkel mit geringerer Schlagfrequenz als geschlossene Flache verwendbar. Nur für kleine Neigungswinkel, wie sie bei schnellfliegenden Vogeln in Anwendung kommen, ist der Hühnerflügel seiner Gestalt und Wolbung nach nicht eingerichtet, denn hierzu sind, wie wir sehen, lange und schmale, fache Flächen erforderlich, die sich leicht und sicher wie Schwertklingen einstellen lassen; daher ist den Vógeln vom Hühnertypus ein schneller Flug mit starkem relativen Gegenwinde unmöglich.

Die trennbaren Schwungfedern habe ich in sehr verschiedenem Grade der Trenn- barkeit bei Hühnern, Trappen, Papageien, Schwimmvögeln u. a. gefunden. Bei einem Haushahn waren die ersten 8 oder 9 Federn 11 bis 5 cm tief von der Flügelspitze her eingeschnitten und von einander zu trennen; bei einer Ente dagegen war die Verschma- lerung der Spitzen nur noch an den beiden ersten Schwungfedern angedeutet (Fig. 19).

/A A Ne o MIT

Fig. 19. Linker Flügel einer Ente.

Der Entenflügel ist im ganzen langer und schmaler als der runde Hühnerflügel*) und schliesst sich auch in dieser Beziehung an die spater zu betrachtenden Flügel mit ungeteilter Spitze an.

Sollten die langen, schmalen Schwungfederenden des Huhnes auch für kleine Neigungswinkel dienen, so müsste die Jalousieeinrichtung etwas anders sein, als beim Hühnerflügel, nämlich so, dass zum Auseinanderspalten der einzelnen Federn nicht so grosse Neigungswinkel und Widerstände nötig waren. Diesem Bedürfnis entspricht nun der Flügel vom nahverwandten Typus der Raubvögel, Störche und Raben.

Bei diesen Tieren sind schon am entfalteten, aber noch unbelasteten, ruhenden Flügel die grossen Schwungfedern so weit von einander getrennt, dass sich die wirk-

*) Bildet man die Summe der Vorderrandlinge des Flügels und der fakultativ freien Vorderründer der Schwungfedern und dividiert diese Summe durch die mittlere Flügelbreite, so erhält man sowohl bei der Ente, wie beim Haushahn die relative Vorderrandlinge 4. Ohne Hinzunahme der fakultativ freien Schwung- federlingen würde beim Haushahn nur ungefähr die relative Zahl 2 herauskommen. Es lassen sich zwar aus diesen Verháltniszahlen noch keine allgemeinen Schlüsse auf das beste Längen- und Breitenverháltuis künstlicher Flügel ziehen; immerhin glaube ich, dass die Zahlen interessant genug sind, um zu einer nüheren, ein grósseres Material umfassenden Zusammenstellung der relativen Vorderrandlängen anzuregen.

6

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samen vorderen Federrander beim Segeln mit minimaler Schranke dem Winde ent- gegensetzen. Waren alle die hintereinanderstehenden schmalen Federflächen in der

Fig. 20. Rechter Flügel eines Bussard (von unten gesehen).

Verlängerung der ersten Schwungfeder angebracht, so’ würde ein langer, schmaler Flügelfortsatz entstanden sein: ein Albatrosflügel an der Spitze einer breiten Flügelbasıs, ein Segelflügel an einem offenbar im Anschluss an Ruderflügel. Die Natur die breite Fläche des hat den langen Segelfort- Flügels aus dem vorhan- satz des Raubvogelflügels denen Federmaterial

in Wirklichkeit nicht in leichter herzustellen, alsein einem Stück angelegt, Fig. at. einziger langer Fortsatz sondern in Form mehrerer, Hypothetischer Ruderflügel mit angehängter von gleicher Segelkraft, jalousieartig hinter ein- i aa qe nn der zu seiner Aussteifung ander stehender Ab- Figur sind hier nebeneinander als einheitliche eine harte knöcherne schnitte.*) Diese waren Verlängerung der 1. Handschwinge gezeichnet. Grundlage erfordert hätte. Und für die Verwendung der geschlossenen Flugfliche zu schnellen Flügelschlägen würde ein so langer Segelanhang im hohen Grade nachteilig sein, da er die Schlagfrequenz bis zur äussersten Grenze verlangsamen würde, ohne doch für den Anfang des Fluges und für eine steile Flugbahn die nötige Hubwirkung zu gewährleisten. Die breite, für schnelleren Flügelschlag, geringeren Gegenwind und grosse Neigungswinkel

*) So stehen auch auf einem Schiffe aus praktischen Gründen die Segel staffelartig hintereinander, weil sie an mehreren Masten leichter anzubringen sind, als an einem und weil ein einziges grosses Segel schon wegen der Gefahr des Kenterns weit schwieriger zu handhaben und zu sichern ist, als mehrere kleine. Ein Schiff mit einem grossen Segel wäre ein Spiel des Windes, wenn der Sturm dies eine Segel fortrisse, während ein verlorenes kleines Segel leicht ersetzt werden kann.

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des Flugwindes bestimmte Flügelfläche behält thre Wirksamkeit bei der jalousieartigen Anord- nung der Segelflachen, ja ihre Hebewirkung kann durch stärkere Wölbung der Fläche ge- steigert werden, da die einzelnen leicht drehbaren Schwungfedern beim Flügelschlag den Antrieb nach vorn verstärken und der breite Hubflügel für diese Nebenwirkung also weniger eingerichtet zu sein braucht.

So vereinigt denn der Adlerfliigel in sich die Eigenschaften eines Segelfliigels und eines Ruderfliigels. Bei den verschiedenen Vogelarten von diesem Flügeltypus tritt bald die eine, bald die andere Eigenschaft mehr in den Vordergrund; die grösseren (Fig. 22)

Fig. 22. Rechter Flügel vom Seeadler. !/s, nach Prechtl.

sind mit ihren langen Segelfedern geschickt im Segeln, die kleineren geschickter im Ab- flug, die einen erheben sich in flach ansteigender Bahn vom Boden, die andern können steiler emporfliegen. Aber bei starken Winden stehen alle in ihrem Segelvermögen mehr oder weniger zurück hinter den Vögeln vom Albatrostypus, die dafür gleichsam Specia- listen sind; und bei ruhiger Luft sind ihnen die Vogel mit geschlossener Flügelfläche überlegen. Die grossen, gut segelnden Geier und Adler können sich bei ruhigem Wetter nur mühsam und mit langem Anlauf vom Boden erheben, und man beobachtete an der Meeresküste einen Adler, der vergeblich gegen den Sturm ankämpfte und schliesslich zurückgeworfen wurde, während die grossen Möven spielend im Winde kreisten. Der Adler konnte offenbar seine grosse, gewölbte Flügelfläche nicht mit genügend kleinen Winkeln in die Richtung des Sturmes einstellen, und die zerteilten Segelflachen der Geier haben für den Abflug nicht dieselbe Hubwirkung, wie geschlossene Flügelflächen.

Es wurde oben bemerkt, dass auch am Adlerflügel die isolierten Schwungfedern beim Flügelschlage leicht um ihren Schaft drehbar sind und daher in analoger Weise, wie es beim Hühnerflügel beschrieben wurde, als Organe für den Antrieb des fliegenden Vogels in der Flugrichtung angesehen werden können. Prechtl bezeichnet daher diese Federn als Ruderfedern. Die Drehung erfolgt indessen nicht nur beim »rudernden« Flügel- schlage, sondern auch beim Segeln, und wie wir sehen, ist die weite Trennung der Federn

gerade eine für das Sege/n geschaffene Einrichtung. Die übereinanderliegenden verschma- 6*

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lerten Handschwingen des Huhnes trennen sich erst beim kraftigen Fliigelschlage und werden nun erst einzeln um ihren Schaft drehbar. Sie sind es also, die in erster Linie die Bezeichnung Auderfedern verdienen, und die stets getrennt stehenden Schwungfedern der Adler, Falken und Störche sind treffender als Sege/federn zu bezeichnen.*)

Dieser verschiedenartige Charakter der trennbaren Schwungfedern findet auch einen Ausdruck in der ungleichen Kriimmung und Biegsamkeit ihrer Schafte. Wir haben oben (S. 17) des Näheren gesehen, dass die Schwungfedern verschiedener Vogelarten am ausgebreiteten Flügel sowohl von vorn nach hinten (horizontal), als senkrecht zur Fahne, von oben nach unten (ventral), in sehr bestimmter Weise gekrümmt sind, und dass sie in beiden Richtungen eine ganz verschiedene Biegsamkeit besitzen. Sobald nun der Flügel belastet oder durch Flügelschlag in Anspruch genommen ist, werden die Krümmungen wie die Wölbungen des ganzen Flügels je nach dem Grade der Biegsamkeit und der Stärke des Luftwiderstandes mehr oder weniger verflacht und ausgeglichen. Der Krümmung nach unten wirkt die hebende Komponente des Luftwiderstandes entgegen, der Krümmung nach hinten die vortreibende Komponente. Umgekehrt wird man sagen dürfen, dass die stärkere Krümmung und grössere Steifheit einer Feder in der einen oder anderen Richtung einen Rückschluss auf die Art und Grösse des Widerstandes gestattet, für welchen diese Feder bestimmt oder wenigstens geeignet ist. Bei der ganz ausserordentlichen Zweck- mässigkeit und Vollkommenheit des Vogelflügels in allen seinen Einzelheiten ist es nicht überraschend, dass die einzelne Feder, wie der ganze Flügel, solche Einrichtungen besitzt, welche den verschiedenen Ansprüchen des tragenden und treibenden Luftwiderstandes so genau entsprechen, wie es meiner Ueberzeugung nach durch jenen verschiedenen Grad der Krümmung und der Biegsamkeit geschieht. Das Fehlen einer solchen Einrichtung würde einem entschiedenen Mangel des Flugapparates gleichkommen. Die mechanische Bedeutung der vorhandenen, so sehr charakteristischen Krümmungen der Federschäfte nach zwei Richtungen, sowie die durch ganz bestimmte anatomische Eigenschaften (S. 16) hervor- gerufene ungleiche Biegsamkeit würde sich kaum in einer anderen Weise genügend erklären lassen, wenn man bezweifeln wollte, dass sie eben genau den verschiedenen Ansprüchen des Luftwiderstandes angepasst sind. Es sprechen also alle Umstände dafür, dass wir aus der Krümmung und Biegsamkeit der Federschäfte auf die mechanische Beanspruchung derselben im Fluge schliessen dürfen und müssen.

Die auf Seite 17 als Beispiele angegebenen Massbestimmungen für Biegsamkeit und Wölbung der Flügelelemente sind natürlich nicht ohne weiteres Ausdrücke für die Hub- und Zugwirkungen, welche durch den Flügelschlag ausgelöst werden, aber sie zeigen doch ganz unverkennbar, dass der Flügel für den starken vertikalen Hub des Luftwider- standes, welcher die Einwirkung der Schwere zu überwinden hat, entsprechend steifer gebaut ist, als für den schwächeren horizontalen Schub, durch den ja im vollen Fluge nur die Hemmungswiderstände der Luft beseitigt zu werden brauchen.

*) Prechtl bezeichnet die Flügel vom Adlertypus als „Auderflügel‘‘, da ihm bekannt ist, dass die einzeln stehenden Schwungfedern beim Nicderschlag des Flügels infolge ihrer pronierten Stellung den Vogel vor-

wärtsschieben wie Ruder. Die Flügel vom Ilühnertypus erwähnt er gar nicht.

.35.

Auf eine wichtige Nebenbedeutung der geteilten und emporgekrümmten Schwinge sei hier noch hingewiesen: sie gestattet der vorüberstreifenden Luft einen gleitenden Abfluss und verhindert die Entstehung von Randwirbeln, welche den zarten Federrändern schaden könnten.

Beim Flügelschlag wird durch die elastische Spannung der Federn die Wirkung des Muskelzuges soweit verzögert, dass durch den allmählichen Ausgleich dieser Spannung am Schluss der Senkung des Flügels Zeit gewonnen wird für die Einleitung der Hebung des Flügels. Hebung und Senkung stehen sich anfangs nicht schroff gegenüber, sondern die Hebung wird infolge jener Federspannung durch die Senkung des Flügels selber ein- geleitet, um dann passiv durch den Widerstand der Luft, oder aktiv durch die Hebe- muskeln ausgeführt zu werden. Der so verursachte allmähliche Uebergang zwischen Senkung und Hebung findet auch bei Beginn des Niederschlages, d. h. zwischen der Hebung und Senkung, statt und erscheint auch in der Wellen- oder 8-formigen Schleifen- linie, die der Flügel mit seiner Spitze beim Ruderfluge beschreibt, oder in der geschlossenen elliptischen Kurve, welche die Flügelspitze eines festgehaltenen Vogels beim Flügelschlag auf eine berusste Glastafel einschreibt. (Fig. 11.)

Die Spannung der emporgekrümmten Schwungfedern auch der nicht zerteilten, geschlossenen Schwinge -- übt in der Richtung der Federspulen und der Längsachse des Flügels einen Druck aus, welcher schliesslich auf das Schultergelenk übertragen wird. Dieser Druck geht für den Flug nicht verloren und bewirkt auch keine lästigen oder schädlichen Zerrungen in der Umgebung der Schulter, denn er wird von dem elastischen Gabelbein aufgenommen und in Form einer federnden Spannung desselben aufgespeichert. Wenn die Ursache der Spannung aufhört, so wird auch die Spannung des Gabelbeines wieder an die Federfahne zurückgegeben. Durch die Entspannung der Federfahnen wird also auch die Spannung des Gabelbeines wieder für die Zwecke des Fluges verwendet.

Von weitester Verbreitung ist die Flügelform mit ungetrennten Schwungfedern vom Typus der Tauben (Fig. 23). Man hat diese Flügel »Stossflügel« genannt, weil sie sich bei einer Anzahl sogen. Stossvögel, be-

sonders auch bei

kleineren Falkenarten, vorfinden. Prechtl bemerkt dazu, das Stossen stehe mit dieser Flügelform in keiner "wesentlichen Verbin- dung. Der Tauben-

TH id 23. - habicht, dessen Flügel

f Oe ner krahenartig ist, stösst ganz gut und die Saatgans, deren Flügel vollkommen die Stossflügelform hat, stösst niemals. Er nennt daher diese Flügelform »Schnellflügel«, von Schnellen, lancer, da sie für einen schnellen, heftigen Flügelschlag geschickt sei.

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Man kann gegen diese Bezeichnung indessen ganz ähnliche Einwürfe erheben, wie gegen das Wort Stossflügel, denn die Schnelligkeit oder Frequenz des Flügelschlages hängt ebensowenig wie das Stossvermögen der Vögel von dieser Flügelform ab. Dies wird später näher erörtert werden. Hier möge nur der Hinweis genügen, dass nach Prechtl’s eigenen Angaben die Schnellflügel sich zwar mehr oder weniger bei allen kleinen Vögeln, herab bis zu EEE vorkommen, deren Schlag- den Kolibris (Fig. 24), finden, =, 7 77777 frequenz von manchem kurz- dass sie aber auch bei.den fliigeligen Rudervogel (vom Seeschwalben, den Tauben Hühnertypus), wie auch von und kleinen Falken (Wander- dem Taubenhabicht und falke, Turmfalke, Baumfalke), Fig. 24. Sperber (vom Adlertypus) ja sogar bei der Saatgans #lügel eines Kolibri (natürl. Grösse). übertroffen wird. Aus diesen Gründen bemerkt Prechtl einschränkend am Schlusse seines § 106: »Nur bei hin- reichender Länge, welche die nötigen Verkürzungen erlaubt, ohne dass dabei die Trag- fläche des Flügels bei dem Niederschlage unzureichend wird, sind die Schnellfliigel ihre eigentümliche Wirkung zu leisten im Stande«. Man sieht nicht ein, warum dann die in Frage stehende Flügelform noch allgemein »Schnellflügel« genannt werden kann, wenn die Schlagfrequenz so offenbar von anderen Ursachen abhängig ist, als von der ge- schlossenen Lage der Handschwingen.

Die Beschreibung, welche Prechtl von diesem Flügeltypus giebt ($ 100), passt sehr gut für die Tauben und kleinen Falken. Hier sind die Schwungfedern steif, mit starkem Kiel und weniger breiten, daher starkeren Fahnen, und der Flügel erhalt durch die gestreckte und zusammengeschobene Lage der áusseren Schwungfedern eine verhaltnis- mässig geringe Breite. Bei anderen Vögeln treten jedoch erhebliche Abweichungen auf, die sich sowohl auf die Gestalt und Wolbung der Flügelspitze, wie auf das Verhaltnis der Lange zur Breite beziehen, und auch die Bezeichnung der Schwungfedern als steif und schmal hat vielfach keine Gültigkeit.

Es gehóren hierher Flügel, wie die der Paradiesvögel (Fig 25), welche durch ihre kurze und breite Form mit denen vom Hühnertypus über- einstimmen, ohne dass jedoch die Trennung der Schwung- federn beim Nieder@chlag möglich wäre, da die Feder-

schliessen sich die Flügel des laubentypus durch die kleineren Móven, Seeschwal- ben und Schwalben an den Albatrostypus an. Endlich giebt es unter den Wat- und Schwimmvögeln wahrschein- lich solche nahe verwandte Formen, die in der Form

n : ; Fig. 25. : E bärte nicht verschmälert sind. Linker Flügel vom Paradiesvogel, Ihrer Flügel den Uebergang In dem anderen Extrem (P. apoda). Unterseite. vom - Taubentypus zum

Hühner- und Adler- oder Storchtypus darstellen. Es sei nur an den Entenflügel (Fig. 19) erinnert, bei dem die ersten Schwungfedern eine deutliche Verschmälerung der Spitzen zeigen, sodass diese beim Tiefschlag eine kurze Strecke von einander getrennt werden.

ae Es sind mir keine Vogel von Taubengrösse und darunter bekannt, bei denen die Schwinge nicht unter allen Umstanden geschlossen ware.

Welche Gestalt der Fliigel dieses Typus aber auch immer im Einzelfall haben mag, stets kommt an ihm die vortreibende Wirkung dadurch zu stande, dass die ganze Schwinge als geschlossene Flache beim Tiefschlag in eine zur Flugrichtung pronierte Lage gerät, sodass der Vorderrand tiefer liegt, als der Hinterrand. In dieser wichtigen mechanischen Beziehung stimmt der Fliigel vom Taubentypus mit dem vom Albatros- typus genau überein. Man könnte daher den Albatrosfliigel als einen übertrieben langen Flügel vom Taubentypus ansehen, der wegen zu grosser Länge zu einem hubkräftigen Flügelschlage in ruhiger Luft unbrauchbar ist. Und umgekehrt wäre erlaubt zu sagen, der Flügel vom Taubentypus sei ein verkürzter Albatrosflügel. der mit der Verkürzung zwar die Fähigkeit zur Ausführung hubkräftiger Flügelschläge erworben hat, dessen Vorderrand aber nicht lang genug geblieben ist, um in starker Gegenströmung die zum Segeln nötigen, hinreichend kleinen Neigungswinkel mit andauerndem Erfolge anwenden zu können.

Ueber die Wölbungen des Flügels gilt das bei der Besprechung der anderen Typen Gesagte. Ein kurzer, breiter Flügel ist stärker gewölbt, als ein längerer, schmälerer. Die Schlagfrequenz ist bei dem breiten, kleinen Flügel eine grössere, als beim langen Flügel, gleichzeitig ist die Fluggeschwindigkeit eine geringere, der Stosswinkel des Luft- widerstandes ein grösserer, und wie wir sahen ist hierzu eine stärker gebogene Schranke, eine stärkere Wölbung erforderlich.

Da mit zunehmender Fliigellange und mit zunehmender Schlagfrequenz beim Flügelschlage der Angriffspunkt des Luftwiderstandes mehr und mehr gegen die Alügel- spitze verschoben wird, unter gleichzeitiger Entlastung der proximalen Flügelteile, so ist es verständlich, dass in gleichem Masse die Bedeutung und Entwicklung des sogen. Lenk- fittichs oder Daumenflügels geringer wird, da dieser nur als Schranke für die Basis der Schwinge zu fungieren bestimmt ist. Wir sehen daher bei allen Flügeln mit geschlossener und somit hubkräftiger Schwinge den Schränkfittich (cf. S. 37) schwächer entwickelt, als bei den Flügeln von Adler- und Hühnertypus, wo die zerteilte Schwinge im Flügelschlage eine stärkere Inanspruchnahme der Schwingenbasis und des Fächers bedingt. Je länger die Schwinge im Vergleich zum Fächer des Flügels ist, desto unbedeutender erscheint der Schränkfittich, denn in diesen Fällen kann er höchstens beim Abflug in beschränktem Masse zur Herstellung der vortreibenden Vorneigung (Pronation) des Flügels beitragen.

An der geschlossenen Schwinge kommt nun die zum Vortrieb nötige Stellung je nach der Periode des Fluges in einer den wechselnden Verhältnissen des Luftwider- standes genau angepassten. und daher verschiedenen Weise zu stande. Im Beginn des Fluges (Abflug) erreichen alle Flügel beim Tiefschlag ihre grösste Entfaltung nach Umfang und Wölbung. Die vorderen Schwungfedern, —- die erste sogen. Lenkfeder sowohl, wie

die ihr ähnlichen, kürzeren Schwungfedern des Vorderrandes*) treten mehr oder weniger unter der längsten Feder, welche gewöhnlich den vorderen Schwingenrand einnimmt, hervor. Dadurch erhält auch ein gewöhnlich als spitz beschriebener Flügel, wie der einer Taube, an seinem freien Ende eine breite Rundung. Die nicht verschmälerten hinteren Federbärte verhindern die vollständige Trennung der Federn und gewährleisten den ein- heitlichen Charakter der Schwinge. Die Momentphotographien von Ottomar Anschütz, Marey u.a. zeigen in zahlreichen Beispielen diesen Zustand des im Tiefschlage gespannten Flügels. Stellt man an einem frischen Flügel oder an einem lebenden Tiere diesen Spannungszustand durch starkes Ausbreiten des Flügels her, so gewahrt man, wie mit dem stärkeren Vorziehen der ersten Schwungfedern die Wölbung stärker wird, und wie sich die untere Flügelfläche abplattet, sobald die ersten Schwungfedern unter die längste Hauptfeder geschoben, oder die ganze Schwinge mehr zurückgelegt wird. Die folgende Abbildung zeigt nach einer Photographie von Anschütz mit genügender Deutlichkeit, wie die vorderen Schwungfedern am Taubenflügel beim Tiefschlag entfaltet sind, und wie sie so in vorgeneigter Stellung eine typische, schneidenförmige Schranke bilden, mit

welcher der vordere Rand Loss uz e Schwinge genau dieselbe Be-

der geschlossenen Schwinge fee deutung, wie die schmalen " : / ^ &4à . $ -. 3:

genau in der Richtung des fe: Ynt- Vorderbärte der oben näher

auf den Flügel wirkenden besprochenen Ruder- und Gegenwindes vordringen | Segelfedern des Hühner- und kann. Die vorderen, kürzeren Adlerflügels: sie verhindern

Fig. 26. iouis Schwungfedern haben dem- Taube nach einer Momentphotographie den schädlichen Abfluss der nach für die geschlossene von Ottomar Anschütz. Luft um den Vorderrand

und lenken den Widerstand derart gegen die hinter der Torsionsachse des Flügels liegende Schwingenfläche, dass diese in die vortreibende Stellung kommt. Besonders schön ist dies am Flügel des Paradiesvogels (Fig. 25) zu erkennen, bei welchem die 4 ersten Handschwingen mit zurückgebogener und dadurch am Heraustreten verhinderter Spitze den vorderen Flügelrand nach Art mehrschichtiger Wagenfedern versteifen und schrankenartig erhöhen.

Im vollen geradlinigen Fluge und immer dann, wenn der Flügelschlag anscheinend nicht mit grossem Kraftaufwande, jedenfalls nicht mit maximaler Schwingungsweite aus- geführt wird, erhält man ein wesentlich anderes Bild von dem tiefschlagenden Flügel. Die Momentphotographien freilich, die sich mit wenigen Ausnahmen nur auf den Anfang oder das Ende des Fluges beziehen, liefern uns dafür, wie oben bemerkt wurde, keine objektiven Beweisstücke, aber dafür ist bei dem langsamen Flügelschlage mittlerer und grösserer Vögel die unmittelbare Beobachtung leicht und durchaus zuverlässig. Wenn man

* Bei der Taube, der Arickente u, a. ist die 2. Schwungfeder die längste; beim Zaunkönig die 3. oder 4., beim ZParadiesvogel die sechste. Hier sind also die ersten Schwungfedern mehr und mehr reduziert und die nachfolgenden bilien die Hauptfläche der Schwinge. Bei den Ao/ibris dagegen wird der schmale Flügel der Hauptsache nach aus den 4 bis 5 ersten Schwungfedern gebildet, die durch breite Hinterbärte vor dem Auseinanderweichen geschützt sind Pei den Schwalben ist die erste Schwungfeder die längste,

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dabei genay nur auf diesen Punkt achtet, so wird man vielfach Gelegenheit haben zu sehen, dass z. B. Tauben unter gewissen Bedingungen beim Tiefschlagen die vorderen Schwungfedern nicht entfalten und vorziehen, sondern unter der längsten Feder liegen lassen und so die spitze Form des Flügels während des ganzen Niederschlages bewahren. Der vordere Flügelrand bildet dann nicht eine nahezu gerade Linie, sondern es zeigt sich am Anfang der Schwinge ein deutlicher Knick, ohne dass deshalb am hinteren Flügel- rande wesentliche Änderungen der Umgrenzung (im Vergleich zum vollgespannten Flügel) auffielen.

Bei dieser Haltung ist der Flügel an der Spitze mehr abgeplattet, weniger stark gewölbt, er ist mehr auf Vortrieb, als auf Hebung eingestellt; dazu kommt, dass das Einziehen der vorderen Schwungfedern und die unvollständige Entfaltung der Schwinge beim Tiefschlage des Flügels einer Verkleinerung der Flugflächen gleichbedeutend ist und daher, wenn es in horizontalem Fluge geschieht, ein Sinken des Vogels herbei- führen kann.

Wenn das Sinken in vielen Fällen nicht eintritt, so wird die Verkleinerung der Fläche durch eine Verstärkung des Flugwindes ausgeglichen. Dieser Ausgleich kann vorübergehend passiv durch Unregelmässigkeiten des Windes zustande kommen. Man sieht z. B. wie ein Taubenschwarm, der gleichmässig ruderte, plötzlich den Flügelschlag verlangsamt und dabei die Flügelspitzen unentfaltet schwanzwärts zurückbiegt. Die Er- scheinung ist die momentane Reaktion des Flugapparates gegen einen Windstoss, den das Tier als unvorhergesehene Aenderung des Flugwindes in Richtung und Stärke empfindet. Der Flugwind trifft dabei unter kleinerem Winkel auf die Flügel, als beim gewöhnlichen Flügelschlage, darum muss die Fläche abgeplattet werden, was eben nur durch Einziehen der ersten Schwungfedern und Zurücknehmen der Flügelspitze schnell durchführbar ist. Die grössere Stärke des Gegenwindes gestattet oder bedingt sogar die Verkleinerung der Flugfläche, der Vogel ist eben durch die Fähigkeit, die Grosse und Form seiner Flügel jederzeit augenblicklich zu ändern, für den verhältnismässig gleichförmigen und sicheren Verlauf seines Fluges eingerichtet. Ohne diese Anpassungsfähigkeit an die Ungleich- förmigkeiten und Unregelmässigkeiten der bewegten Luft würden die Flugbewegungen des Vogels einen fast ebenso unsteten Verlauf nehmen wie der Wind, dessen innerstes Wesen die Veränderlichkeit ist. | |

Auch die Elasticität des Flügelmaterials trägt viel dazu bei, dem Vogel über kleinere Unebenheiten und Schwierigkeiten der Bahn in bewegter Luft hinwegzuhelfen ; aber für manche Hindernisse genügt weder die Elasticitat, noch die Anpassungsfahigkeit der Flügel, um den Vogel vor allerlei Stössen, Erschütterungen und selbst zeitweiligen Abstürzen in der Luft zu bewahren. |

So oft das Tier von plötzlichen Verstärkungen des Gegenwindes, durch Windstösse, überrascht wird, so oft und ebenso unerwartet wird es auch an Stellen seiner Flugbahn kommen, an denen der Gegenwind ohne sein Zuthun unter das zum Fluge nothwendige Mass herabsinkt. Dann muss eine Beschleunigung des Flügelschlages (und der Flug- geschwindigkeit) d. h. ein grösserer Kraftaufwand erfolgen, um das Hindernis zu über-

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winden; und was der Vogel bei dem maximalen Gegenwind des Windstosses an Kraft ersparte, das muss er im nachfolgenden Minimum wieder aufwenden. Dass diese Ungleich- förmigkeit der Kraftausgabe, die bald durch den Windstoss gehemmt wird, um bald mit um so grösserer Spannung und Stärke erfolgen zu müssen, nicht gleichgültig, sondern einer wesentlichen Erschwerung des Fluges gleichbedeutend ist, möge nebenbei erwahnt werden, denn die Ungleichförmigkeiten des Windes wirken ganz analog den Unebenheiten einer schlecht gepflasterten Fahrbahn. Jene Tauben, die im Maximum des Windes wie auf Befehl ihre Flügel änderten und den Schlag verlangsamten, führten an anderen Stellen mit eben solcher Uebereinstimmung plötzlich die heftigsten Flügelschläge mit stark gespreizten Flügeln aus, um das Windminimum zu überwinden. Aber sie konnten dennoch mit aller ihrer Kunst nicht verhindern, dass sie z. B. an anderen Stellen von plötzlichen,

vertikal nach unten gerichteten Windstóssen -— die Tiere flogen über einem mit hohen Hausern bebauten Gelände gelegentlich mit blitzartiger Geschwindigkeit eine kurze

Strecke aus ihrer Bahn herabgestürzt wurden.

“Nicht immer sind es die Unregelmässigkeiten des Windes, die den Vogel zu einer Aenderung der Form und Grösse seiner Flügelflächen veranlassen; jede das gewöhnliche Mittelmass überschreitende Verstärkung des Gegenwindes zwingt ihn zu einer Verkleinerung und Abflachung der Flügel, jede Verringerung des Gegenwindes zu einer Vergrösserung der Fläche und des Schrankenrandes des Flügels; dort wird der Flügelschlag verlangsamt, hier hingegen beschleunigt.

Ein Vogel, der mit geringer Geschwindigkeit aufwärts oder in ruhiger Luft lanzsam horizontal vorwärts fliegt, wird immer beim Tiefschlag seine Flügel maximal entfaltet haben; sobald er aber sei es aktiv durch eigene Muskelkraft, sei es passiv im Sinken durch die Schwerkraft eine grosse Geschwindigkeit gegen die Luft erreicht, muss er auch die Form und Grösse der Flügel dem stärkeren Gegenwinde anpassen, und dies geschieht genau ebenso, wie wenn die Zunahme nur vorübergehend durch einen Windstoss erzeugt wäre, nämlich durch Verschmälerung und Anwinkeln der Flügelspitze.

So verstehen wir die Flügelhaltung eines verfolgenden und eines verfolgten. fliehenden Vogels, die beide mit grösstmöglicher Geschwindigkeit und höchstem Krat- aufwand zu fliegen suchen: ihre Flügelspitzen zeigen nach hinten wie die einer Bekassine in den Gleitperioden des Fluges, und an der verkleinerten, für den Vortrieb eingrestellten Flugfläche kann ein weit grösserer Teil der Muskelkraft in Zlugbeschleunigung umgesetzt werden, als am ganz entfalteten Flügel, der mehr der Schwere entgegen, als vortreibend wirkt.

Da beim Flügelschlag die Spitze des Flügels in Folge der grösseren Winkel. geschwindigkeit einen weit grösseren Widerstand erfährt, als die Fliigelbasis, so hat Marey u. a. A. die Schwinge des Flügels auch als aktiven Flügel bezeichnet, im Gegensatz zu dem passiven Flügel oder dem Fächer. Ich kann diese physiologische Unterscheidung nicht als besonders glücklich anerkennen, da die beiden Abschnitte des Flügels woh: morphologisch bestimmt von einander zu trennen sind, nicht aber ihrer Funktion nach. Es giebt keine feste Grenze zwischen einem aktiven und einem passiven Flügelteil. Be: schnellem Flügelschlag ist auch der Fächer des Flügels aktiv, wenn auch gegen die Basis

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abnehmend, und je langsamer der Flügelschlag, desto mehr ist auch die Schwinge passiv, bis endlich beim Schweben und Segeln der ganze Flügel gleichmässig passiv wird. Wenn daher auch bei den Rudervögeln, welche ja bei weitem die Mehrzahl bilden, die Schwinge zweifellos der wichtigste Teil des Flügels ist, so dürfte diese Wertschätzung für den Albatros schwerlich zu Recht bestehen, dessen Schwinge nur als ein wenig veränderungs- fähiger, kleiner Anhang des Fächers erscheint.

Wir haben die verschiedenen Flügelformen im Hinblick auf die Gesetze des Luft- widerstandes und aus didaktischen Gründen in der Reihenfolge besprochen, dass wir vom Albatrosflügel ausgingen, dann die Flügel vom Hühner- und Adlertypus folgen liessen und schliesslich beim Taubenflügel endeten. Rein morphologisch betrachtet ist jedoch der Flügel vom Taubentypus in den Vordergrund zu stellen. Sofern das palaeontho- logische Dokument des Archaeopteryx durchschlagende Beweiskraft hat, müssen wir diesen Flügel auch als den phylogenetisch älteren ansehen. Von ihm ist abzuleiten nach der einen Seiten der Albatrosflügel, nach der andern die Flügel vom Typus Huhn und Adler.

Der Albatrosflügel erscheint als eine Specialisierung des gewöhnlichen Ruder- flügels für den ausschliesslichen Zweck des Segelns in bewegter Luft. Die grossen und schweren Raubvögel und Störche sind durch die isolierten Schwungfedern gleichfalls zum Segeln in den bewegten oberen Luftschichten befähigt, besitzen aber noch eine zum aktiven Abflug ausreichende hubkräftige Flügelbasis, die dem Albatros fehlt. Bei den Hühnern endlich, die sich in ihrer systematischen Stellung an die Raubvögel anschliessen, erscheint anstatt des Segelapparats des Adlerflügels ein für energischen, aktiven Flügel- schlag bestimmter Triebflügel. |

Diese Thatsachen entsprechen vollständig der verschiedenen Lebensweise der Tiere. Der Albatros lebt in der fast stets bewegten Luft des offenen Meeres, er kann sich jederzeit leicht der lebendigen Kraft des Windes bedienen, um sich heben und tragen zu lassen. Die grossen Raubvögel des Landes erreichen die tragenden Luftströme erst nach einem anstrengenden Abfluge in der stillen Luft nahe dem Boden. Und die in Feld und Wald, also in weit ruhigerer Luft wohnenden Hühner sind ganz auf die eigene Kraft angewiesen, wie alle kleineren Vögel vom Flügeltypus der Tauben.

Schwer zu beantworten ist die Frage, warum die Natur den Hühnern, die doch echte Rudervögel sind, nicht analoge Flügel gegeben hat, wie den übrigen Rudervögeln. Hierzu ist vom physiologischen Standpunkte aus hervorzuheben, dass sich die Flügel vom Hühnertypus nur bei verhältnissmässig schweren Vögeln vorfinden. Wollte man sich solche Tiere mit Flügeln vom Taubentypus denken, so müssten diese Flügel an Flächeninhalt und Länge bedeutend grösser sein. Fine Verlangsamung der Schlagfrequenz des Flügels wäre die Folge, und diese steigert jedenfalls die Schwierigkeiten des Abfluges, der für die Erhaltung der Arten im Kampfe um's Dasein so ausserordentlich wichtig ist. Ein kurzer, breiter Flügel ist hubkräftiger, als ein gleich grosser, aber langer Flügel, an welchem leichter die vorwartstreibenden Flachen entstehen und der mehr zum Fliegen in

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bewegter Luft geeignet ist. Ausserdem bietet der compendiös gebaute Flugapparat des Huhnes für den Flug zwischen Gestrüpp, Busch und Wald den grossen Vorteil, dass er ohne erhebliche Verletzungsgefahr in engen und von Hindernissen durchsetzten Luft- räumen zu gebrauchen ist. So hat diese Flügelform viele Eigenschaften, welche für das Fliegen schwerer Vögel in den unteren, ruhigen Luftschichten über bedecktem Gelände von unschätz- barer, ja entscheidender Bedeutung sind. Man darf daher wohl annehmen, dass der Flügel, dessen Schwungfedern I. Ordnung bei starkem Ruderschlag auseinanderweichen, um einzeln in die den Vortrieb bewirkende schräge Stellung überzugehen, im Laufe der stammes- geschichtlichen Entwickelung durch natürliche Auslese aus einfacheren Flügelformen mit geschlossener Schwinge hervorgegangen ist, und dass diese Entwickelung durch eine Steigerung des durchschnittlichen Körpergewichts der betreffenden Arten veranlasst wurde. Die Verschmälerung. der Federbärte, durch welche die zeitweilige Trennung der Hand- schwingen am Hühnerflügel ermöglicht wird, betrachten wir dabei im Vergleich zu den unverschmälerten Federn des Taubenflügels als eine höhere Ausgestaltung, die endlich bei den grossen Seglern vom Adlertypus so weit fortgeschritten ist, dass sie zu einer dauernden Trennung der Segelfedern geführt hat. Wir erhalten danach das folgende Schema für die phylogenetische Entwickelung der Typen des Vogelflügels:

Ruderflügel mit ungeteilter Schwinge

Taube # E" Ruderfliigel mit verschmä- Huhn lerten Schwungfedern, die VA sich beim Tiefschlag trennen.

Adler

Breiter Segel-Ruderflügel mit getrennten Segelfedern.

Langer schmaler Segelflügel , à lbatros mit ungeteilter Schwinge. Albatro

Die Unterscheidung der vier Typen des Vogelflügels gründete sich im wesentlichen auf die charakteristischen Eigentümlichkeiten der für den aktiven oder Ruderflug so wichtigen Flügelspitze oder der Schwinge. Einfacher und gleichartiger gebaut, als diese, ist der basale Teil des Flügels, der Fächer.

Die stets geschlossene und einheitlich fungierende Flugfläche des Fächers wird, wie schon bemerkt, der Hauptsache nach aus den am Unterarm befestigten Armschwingen oder Schwungfedern II. Ordnung gebildet, denen sich, zum Verschluss der Lücken und zur Bedeckung der vorderen Flughaut, Reihen von grösseren und kleineren Konturfedern zugesellen. Die kleinsten dieser Deckfedern stehen auf der Flughaut, wo sie am vorderen Rande eine wohl entwickelte Schneide oder Kante ausmodellieren, die hier eine-scharfe

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Begrenzungslinie der unteren Fliigelflache darstellt. Die Oberseite des Fliigels wolbt sich bei grossen Vögeln bis zu dieser Kante herab. Man hat die vordere Flughaut treffend als Windfang bezeichnet. Bei starkem Flügelschlag besonders wirkt sie nach Art einer Schranke, welche die Luft fängt und zum Abfluss über den hinteren Flügelrand zwingt.

Die Anzahl der Armschwingen ist nach Prechtl (l. c. $94) bedeutenden Schwan- kungen unterworfen. Bei den kleinen Vögeln, wie den Finken, sind ihrer acht vorhanden, bei den Krahen 10, beim Adler 12, bei der Saatgans 18, beim Geier 19 bis 20, und beim Pelikan 25. Prechtl hat an der Hand von Beispielen gezeigt, dass diese Schwan- kungen weder von dem Langenverhaltnis des Ober- und Unterarms, noch von der absoluten Länge des Unterarmes, noch von der Lange des ganzen Flügels abhängen; sie sollen vielmehr in gewisser Weise durch das Verhältnis der Flügelgrösse zum Körpergewicht bedingt sein. Die Vögel, die gegen das Gewicht ihres Körpers mit verhältnismässig grossen Flügeln ausgestattet sind, haben demnach eine geringere Anzahl von Fächerfedern, als diejenigen, welche mit verhältnismässig kurzen Flügeln einen schweren Körper fort- zuschaffen habene Für die letztere ist eine grössere Steifheit des Fächers erforderlich, als für die ersteren, deren Fächer beim Fluge weniger stark belastet ist; und die grössere Festigkeit wird nach Prechtl durch die Vergrösserung der Federzahl erreicht Es mag sein, dass diese Deduktionen für bestimmte Fälle, die Prechtl im Auge hatte, zutreffend sind; ob sie allgemein gültig sind, möchte ich bezweifeln, da der physiologische

Wert der inneren, dem Schulterfittich benachbarten, kleinen Armschwingen und gerade an dieser Stelle scheint die Anzahl der Federn besonders zu schwanken ein viel geringerer ist, als der der äusseren Fächerfedern. Sehr richtig hat schon Precht] aus

der Krümmung der Federschäfte nach innen oder gegen den Schulterfittich (Fig. 23) geschlossen, dass beim Flügelschlag die Luft unter dem Fächer nach der Flügelspitze zu abfliesst, und dass dabei ein Druck entstehen muss, welcher die Federn des Fächers nach aussen treibt und gerade streckt. Er fügt hinzu, dass die Kiele der Fächerfedern auch in der Vertikalebene gekrümmt sind, jedoch schwächer, als die Schwungfedern, da die Kraft, welche sie aufwärts zu biegen strebt, verhältnismässig geringer ist.

Die ganze Fläche des Fächers wird durch die im Ellenbogengelenk unter einem stumpfen Winkel zusammenstossenden Skeletteile des Ober- und Unterarmes so festgehalten, dass sie auch während des Flügelschlages grösstenteils in ihrer supinierten Stellung verharrt, d. h. mit der Unterseite nach vorn sieht. Die Stellung scheint erforderlich zu sein, weil nur so am Fächer ein nützlicher Luftwiderstand entstehen kann; denn die Winkelgeschwindigkeit dieses dem Körper zunächst liegenden Flügelteils ist nicht gross genug, um die Richtung des von vorn kommenden Luftstromes so weit nach unten abzu- lenken, dass der Druck die Unterseite des Fächers erreichen könnte, wenn dieser z. B. nach vorn geneigt, proponiert wäre. Die grössere Breite des Fächers und die Zunahme des Neigungswinkels gegen die Schulter hin hat ohne Zweifel die Bedeutung, auch beim Flügelschlage einen gewissen Ausgleich der mechanischen Beanspruchung der Flügelteile zu gewährleisten, so dass alle Flächenstücke eine möglichst gleichmässige Anspannung erfahren, ohne dass die Schwinge allein zu Gunsten des Fächers zu schr belastet wird.

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7. Rückschlag des Flügels beim Ruderfluge.

Wir haben bei den bisherigen Auseinandersetzungen über das Flugorgan der Vögel im wesentlichen immer nur die Wirkungen berücksichtigt, welche der Flügel bei der für die Ortsbewegung offenbar so wichtigen Abwärtsbewegung, dem Tiefschlage auslöst. Es erübrigt daher noch eine wenn auch nur kurze Erörterung über den Rückschlag des Flügels und die etwa vorhandene positive Wirkung des Luftwiderstandes gegen die Ober- seite des Flügels.

Der Rückschlag des Flügels hat seiner lokomotorischen Bedeutung nach eine un- gleiche Beurteilung erfahren. Nach Cayley, Wenham und Penaud hat die Hebung des Flügels eine vortreibende Wirkung, während Marey u. a. die Ansicht vertreten, dass eine Beschleunigung der Flugbewegung durch den Rückschlag nicht erfolge. Man unter- scheidet eine aktive und eine passive Hebung des Flügels. Die letztere vollzieht sich, wenn der Flügel ohne Zuthun von Muskelkraft durch den Gegenwind emporgehoben wird.

Der aktive Rückschlag kommt unter Mitwirkung der Hebemuskeln des Flügels zu stande. Die Winkelgeschwindigkeit des Flügels ist dann entsprechend grösser, als beim passiven Rückschlag, der Flügel weicht schneller. zurück, als ihn der entgegenkommende Wind passiv heben würde. Daher ist beim aktiven Rückschlag die Möglichkeit vorhanden, dass der Flügel einen positiven Luftwiderstand an der Rückseite erfährt. Die lokomotorische Wirkung eines solchen Widerstandes ergiebt sich aus dem Neigungswinkel, den die Flächen- teile während des Rückschlages einnehmen. Der Regel nach liegt bei der Flügelhebung der Vorderrand höher als der Hinterrand, der Flügel befindet sich in Supination. Ist dann der Supinationswinkel ein kleiner, so könnte der aktive Rückschlag eine Senkung des Körpers bei geringem Vortrieb zur Folge haben, und dieser Vortrieb würde sich mit der Zunahme des Supinationswinkels bis zu einem Rechten steigern unter gleichzeitiger Abnahme des Niederstriebes. |

Die Abbildung 27 stellt nach einer Momentphoto- graphie von Ottomar An- schütz einen Storch dar, der im Begriffe ist, mit starkem Flügelschlag von seinem Neste abzufliegen. Die Schwinge wird in steiler Seite. Diese Erscheinung ist Stellung zurückgeführt; durch Fig. 27. lange bekannt, und man hat eine Drehung in den elasti- vom Nest abfliegender Storch nach einer. ihr früher eine grosse Bedeu- schen Lagern der Kiele ist S E E tung für dasZustandekommen die Konkavitát der Feder- aktiven Rückschlag des Flügels stark des Fluges beigemessen, denn, schafte jetzt mehr nach vorn BACH. vorm qe open. sagte man, indem sich der Flügel ventilartig öffnet, verhindert er einen herabdrückenden Luftwiderstand bei der Hebung des Flügels.

und oben gerichtet, und die einzelnen Federn sind weit von einander gespalten. Die Schwinge hat sich jalousie- artig geóffnet und gestattet der Luft einen Durchtritt von der dorsalen zur ventralen

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Besondere Muskeln sind ftir die Drehung der Schwungfedern um ihre Langsachse nicht vorhanden, diese kommt rein mechanisch zustande. Trifft der Wind auf die Rückseite der breiten hinteren Barte, so wird er sie, da sie elastisch biegsam sind, herabbiegen. Dadurch werden die einzelnen Fiederlamellen in einen Zustand der elastischen Spannung. versetzt. Die Spannung ist negativ, wenn man die Spannung, die der Nirderschlag erzeugt, als positiv bezeichnet. Stände nun der einzelne Federkiel fest und undrehbar eingewurzelt in seiner scheidenformigen Alveole, so würde die Spannung, wie sie durch einen von hinten und oben erfolgenden Widerstand hervorgerufen wird, ein Ausbiegen des Schaftes nach der Seite des geringsten Widerstandes, nàmlich nach unten und vorn bewirken. Auf den Korper übertragen, hatte dies Ausbiegen den bereits bezeichneten, entsprechenden loko- motorischen Erfolg. Da aber dieser Effekt, der, wie bemerkt, bei den vorherrschenden kleinen Neigungswinkeln des Flügels im wesentlichen in einer Senkung des Körpers besteht, nicht im günstigen Sinne den Flug beinflusst, so hat die Natur im Flügel einen Mechanismus geschaffen, durch welchen dieser ungünstige Einfluss für gewöhnliche Verhältnisse beseitigt und in extremen Fallen auf ein Minimum beschrankt wird. Das bindegewebige, elastische Lager der Federkiele gestattet bis zu gewissem Grade eine willige Drehung der Federn um ihre Langsachsen, wodurch dann die breiten Abflussspalten für die Luft entstehen, während die Federfahnen sich, so weit es geht, in die Richtung der nach der Unterseite des Flügels abschliessenden Luft einstellen und sich der Wirkung derselben entziehen. Es ist leicht einzusehen, dass der Winddruck, der diese 72;s5:(4 der Schwungfedern um ihren Schaft bewirkt, für die Flugbewegung unschadlich geworden ist. Nur der Ueberschuss desselben, welcher den Schaft der Fieder biegt, wirkt lokomotorisch, doch ist die Richtung dieser Wirkung eine weit günstigere, als es ohne jene Torsion sein würde, denn diese schafft für die Federfahne einen grósseree Neigungswinkel und verstarkt somit den günstigen »Schub« auf Kosten der schädlichen Komponente, die den Vogelkórper sinken lässt.

Die Starke dieses lokomotorischen Antriebes lásst sich an dem Grade der Biegung und negativen Spannung ermessen, welche die Federschäfte beim Rückschlag des Flügels erfahren (Fig. 27). Doch hat man dabei im Auge zu behalten, dass ja die normale Krümmung der Federschafte schon durch die blosse Torsion in den elastischen Lagern teilweise nach vorn und oben gerichtet wird. Zweifellos bleibt aber in diesem Falle immer noch eine Spannung der Schwungfedern übrig, die motorisch wirken muss.

Die photochronographischen Aufnahmen Marey's (Fig. 31) zeigen, dass mit dem Rückschlag des Flügels eine Verlangsamung der Geschwindigkeit des Vogels verbunden ist. Marey sieht hierin den Beweis für seine Auffassung, dass der Rückschlag des Flügels niemals vortreibend ist. Genau genommen beweist aber die Photochronographie diesen Satz nicht, sie lasst nur erkennen, dass beim Rückschlag des Flügels kein so grosser Vortrieb zu stande kommt, dass er dem allgemeinen hemmenden Widerstande, den der Vogel erleidet, auch nur das Gleichgewicht halten kónnte. Mehr kann die Chrono- graphie nicht beweisen, einen etwa vorhandenen Schub, der Z/ezer ist, als die Hemmung des Luftwiderstandes, der also nur eine geringere Verzógerung der Flügelbewegung zur Folge hätte, gestattet sie nicht zu unterscheiden. Nur der Grad und die Richtung der

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Biegung und Spannung des Federmaterials kann hierüber, wie bemerkt, nähere Aus- kunft geben. |

Wahrscheinlich liefert die vervollkommnete Momentphotographie einmal das Material, welches für den. Einzelfall die zur definitiven Entscheidung dieser Frage nötigen bestimm- ten Daten an die Hand giebt. Im Ganzen ist allerdings der Mechanismus des Flügels vielmehr dazu eingerichtet, einen an seiner Rückseite entstehenden positiven Widerstand zu vermeiden oder lokomotorisch unwirksam zu machen, als ihn zu erzeugen und für den Flug zu verwenden. Nur bei geringem relativen Gegenwinde, im Anfang des Fluges, liegt die Möglichkeit vor, dass durch die aktive Hebung des Flügels, d. h. durch die Kraft des Hebemuskels, ein Widerstand hervorgerufen wird, der eine lokomotorische Wirkung hat.

Die passive Hebung des Flügels. Die passive Hebung des Flügels ohne Mitwir- kung der Hebemuskeln, allein durch die Wirkung des Luftwiderstandes, welcher gegen die Unterfläche des supinierten Flügels gerichtet ist, findet im vollen Fluge, d. h. nach erlangter Fluggeschwindigkeit regelmässig statt. Dennoch ist dieser Vorgang nicht ein rein passiver, wie die Drehung einer Windfahne. Allein zur Erhaltung der mehr oder weniger aus- gestreckten Form des Flügels sind Muskelkräfte erforderlich, welche der Hebung indirekt zu gute kommen. Aber auch hiervon abgesehen, vollzieht sich die passive Hebung gleichsam angesichts willkürlicher Muskelkräfte, die jederzeit bereit sind, momentan auf den Gang der Hebung modificierend einzuwirken, sei es, dass sie dieselbe direkt beschleunigen oder verlangsamen, oder sie durch Aenderung des Neigungswinkels und der Grösse der Flugflachen beeinflussen. Bei geringer Stärke des relativen Gegenwindes ist zur Hebung des Flügels die Kraft des Hebemuskels erforderlich, steigert sich der relative Gegenwind, so kann die hebende Komponente des Luftwiderstandes die Wirkung jenes Muskels nach und nach ersetzen und schliesslich die Hebung allein ausführen. Eine weitere Steigerung des relativen Gegenwindes würde eine Beschleunigung der Winkelgeschwindigkeit des zurückschlagenden Flügels bewirken. Soweit diese Beschleunigung des Rückschlages dem Mechanismus und dem Fortgange des Fluges nicht mehr dienlich ist, hat der Vogel die Möglichkeit, sie entweder durch teilweises Zusammenfalten und Verkleinern der Flugfläche zu verringern, oder er kann durch Anspannen des grossen Brustmuskels den Rückschlag hemmen und dadurch den vorhandenen Ueberschuss von Luftwiderstand für den Flug verwerten. |

Wie der Rückschlag des Flügels im Gegensatz zum Tiefschlage steht, so ist auch die Wirkung des Luftwiderstandes auf die Teile des Flügels beim Rückschlag genau ent- gegengesetzt, wie beim Tiefschlag. War hier stets die Flügelspitze, die Schwinge, der am meisten belastete Teil, so ist es beim Rückschlag die Flügelbasis, der Fächer. Wird nämlich der Flügel durch den entgegenkommenden Luftstrom gehoben, so weicht die Schwinge worauf schon Marey hingewiesen vermöge der grösseren Winkel- geschwindigkeit dem hebenden Drucke aus, während der langsamer zurückweichende Fächer, dessen Neigungswinkel noch dazu grösser sind, als die der Schwinge, den weitaus grösseren Teil des hebenden Widerstandes empfängt. Ähnlich ist es auch bei aktiver

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Hebung des Flügels, wenn an der Rückseite desselben ein positiver Luftwiderstand erzeugt wird. Der grösseren Winkelgeschwindigkeit nach würde dann zwar an der Flügelspitze der Widerstand ein grösserer sein, als an der Basis, allein abgesehen davon, dass die Schwinge sich dann ja jalousieartig öffnet und der Luft freien Durchzug gestattet, biegt sie sich oft auch noch im Handgelenk rechtwinkelig zur Fläche des Fächers ab, so dass sie während der stärksten Hebung nur eine minimale Widerstandsfläche der Luft darbietet.

8. Unregelmässigkeiten beim Fluge.

Setzt der Vogel der passiven Hebung seiner Flügel durch den Wind die Kraft des herabziehenden Brustmuskels entgegen, so kann er dadurch den Rückschlag verzögern, oder ihn zum Stillstand bringen, oder endlich bei weiterer Anspannung den Tiefschlag des Flügels bewirken. In jedem Falle und wie gross auch immer die Kraft sei, welche der Vogel dabei anwendet bewirkt die Spannung des grossen Brustmuskels an dem Flügel einen lokomotorischen Effekt, der seinem Wesen nach mit der Wirkung des aktiven Flügelschlages übereinstimmt. Diese Wirkung ist, wie wir sehen, im wesent- lichen nur abhängig von der Grösse und Richtung des Widerstandes, den die Luft auf die Unterseite des Flügels ausübt, und von der Spannung des grossen Brustmuskels, mit welcher der Flügel diesem Widerstande entgegentritt. Der Fliigelschlag dient dann nur dazu, jenen Widerstand, wenn nötig, zu verstärken und ihm eine zweckmässige, von den Unregelmässigkeiten der strómenden Luft unabhängige Wirkung zu geben. l

Bei ruhigen Luftverhältnissen wird man zwar aus der wechselnden Schnelligkeit (Frequenz) und Schlagweite (Amplitude) der Flügelbewegung eines Vogels auf die mehr zunehmende oder nachlassende Leistung des Flügelschlages schliessen können, sobald aber die Luft selber bewegt ist, bieten jene Eigenschaften des Flügelschlages kein Mass mehr für die grössere oder geringere Flugwirkung.

Bei kleineren Vögeln namentlich, deren Masse und mechanische Trägheit zu gering ist, um innerhalb der bekannten Unregelmässigkeiten. der strömenden Luft einen gleich- förmigen Gang des Fluges zu gewährleisten, die also leichter als grosse Vögel durch kleinere Schwankungen der Intensität des Luftwiderstandes beeinflusst werden, müssen schon aus diesem Grunde die Unregelmässigkeiten des Gegenwindes durch genau ent- sprechende Beschleunigungen und Verzögerungen des Flügelschlages ausgeglichen werden. Grössere Vögel werden zwar infolge der grösseren Trägheit ihrer Masse und der elastischen Biegsamkeit der Flügel von kleineren Intensitätsschwankungen des Gegenwindes nur wenig oder gar nicht beeinflusst, bei böigem Winde aber stehen auch sie sichtbar unter dem Einflusse jener Schwankungen, und der aus der Nähe beobachtete unregelmässige Verlauf ihres Flügelschlages ist eine naturgetreue Darstellung der ungleichförmigen Struktur des Windes.

Ich hatte in letzter Zeit vielfach Gelegenheit, flicgende Störche aus geringer Ent- fernung zu beobachten, und bei windigem Wetter auf die Unregelmässigkeiten ihrer Flügelbewegung zu achten. Es zeigte sich mit grosser Deutlichkeit, dass jede Zunahme

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des Windes mit einer Verlangsamung des Flügelschlages und einer Verringerung des Schlagweite Hand in Hand ging, und dass das Gegenteil eintrat, wenn die Boe abflaute. Bei der mittleren Fluggeschwindigkeit vom Neste zum nahen Jagdrevier vollzogen sich diese Wechsel der Bewegung an beiden Flügeln im ganzen gleichzeitig. Wurde dagegen die Fluggeschwindigkeit beim Herannahen an das Nest oder den Erdboden herabgemindert, so machten sich auch geringere Unterschiede des Luftwiderstandes gegen den einen oder den anderen Flügel durch auffällige Schwankungen des Tieres bemerklich, die jedesmal eine den Ausgleich bewirkende einseitige Flügelbewegung hervorriefen.

Man hat geglaubt, den Vögeln ein aussergewöhnlich feines Tastgefühl der Flügel zuschreiben zu müssen, das sie in den Stand setze, die Unregelmässigkeiten des Windes früh genug zu bemerken, um rechtzeitig die nötigen Gegrenmassregeln zu treffen. Die verbreitetsten Hypothesen über das Wesen des Segelfluges schreiben den Vögeln geradezu erstaunliche geistige Fähigkeit zu, allerlei Unregelmässigkeiten, Wirbelbildungen etc. inner- halb der bewegten Luft instinktiv vorher empfinden zu können, und dass sie sich von diesem Vermögen leiten lassen, um solche accessorische Bewegungen aufzusuchen und sie zu dem so rätselhaften Fluge ohne Flügelschlag zu verwerthen.

Für diese hypothetische, durch keine Erfahrungsthatsache bestätigte oder gestützte Annahme lag kein anderer Grund vor, als das Fehlen einer befriedigenden Erklärung füı den Segelflug. Nach den Ergebnissen der unten folgenden Untersuchungen bedarf es einer derartigen Annahme nicht mehr. Wenn wir uns bei der Prüfung der Leistungen des fliegenden Vogels nur an die Thatsachen der Beobachtung halten, so kommen wir zu der Einsicht, dass das Mass geistiger Kraft, welches der Vogel zum Fluge aufwendet, keineswegs grösser ist, als für die Ortsbewegung im Wasser und auf dem festen Boden. Der Flug bei ruhiger Luft ist in dieser Beziehung dem Gehen auf ebenem Boden oder dem Schwimmen in ruhigem Wasser vergleichbar, und bei windigem oder stürmischem Wetter mögen mit den physischen Leistungen auch die geistigen gesteigert werden, jedoch nicht mehr als beim Laufen und Springen, oder dem Wandern auf steilem und beschwerlichem Bergpfade, oder wie beim Schwimmen im bewegten Wasser.

Der fliegende Vogel nimmt die Ungleichförmigkeiten der bewegten Luft nicht eher wahr, als bis sie durch Berührung auf ihn einwirken; ebensowenig sucht er sie auf, um sie auszunutzen, denn sie können nur Hindernisse seiner Bewegung sein. Wo er jedoch immer von ihnen überrascht wird, da empfindet er sie durch den Tastsinn seiner Flügel als vorübergehende Aenderungen des Luftwiderstandes. Die Reaktionen aber, welche der Flugapparat zum Ausgleich dieser Aenderungen ausführt, wird man schwerlich anders als Reflexbewegungen nennen können, sofern sie sich nicht als einfache elastische Nach- wirkungen darstellen.

Werden die Flügel mit einer bestimmten Muskelspannung dem Flugwinde ent- gegengehalten (beim Schweb- und Segelflug) oder entgegengeführt (Ruderflug), so muss jede zufallige Verringerung. des Winddruckes eine entsprechende Bewegung des Flügels zur Folge haben, der segelnde Vogel wird dann sinken, oder er wird unwillkürlich einen Flügelschlag ausführen, und der Flügel des rudernden Vogels wird seine Bewegung schneller

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vollenden. Ebenso wird ja auch, wie Marey experimentel gezeigt hat, der Flügelschlag verlangsamt, wenn sich der Gegenwind verstarkt, und der segelnde Vogel wird durch den stärkeren Druck, sofern er die Flugfläche nicht verändert, stärker gehoben und fort- getrieben und dabei zu grösserem Kraftaufwande gezwungen. So ruft der ungleichförmige Charakter der bewegten Luft selber am Flugapparat die Bewegungen und Spannungs- änderungen hervor, die bei hinreichender Starke wohl geeignet sind, dem Fluge ein un- regelmässiges Aussehen zu geben. Es bedarf keines Beweises dafür, dass alle die Unregel- mässigkeiten in der Struktur des Windes der Flugbewegung nicht förderlich sind, es sind, wie gesagt, Hindernisse, die der Vogel auf seiner Bahn durch die Luft antrifft, und mit denen er sich wohl oder übel abfinden muss.

9. Vertikale und horizontale Schwankungen.

Der Flügel ist ein im Schultergelenk drehbarer einarmiger Hebel, an welchem die Muskelkraft nahe beim Drehungspunkte angreift. Der Angriffspunkt der Resultante des Luftwiderstandes wechselt seine Lage je nach der relativen Fluggeschwindigkeit und nach der Winkelgeschwindigkeit des Flügelschlages. Denn von diesen Verhältnissen ist die Geschwindigkeit und der Stosswinkel der den Flügel treffenden Luftteilchen abhängig, und diese wiederum bedingen die wechselnde Verteilung des Luftwiderstandes am Flügel, wie oben gezeigt wurde.

In der schema- vorstellen. Die tischen Fig. 28 ^ Kontraktion der

schnittes möge keln AC bewirkt S den Schwer- dann in A jeder- punkt, C den Ur- seits einen nach sprung (punct.fix.) unten gerichteten und À den An- Zug AZ und in

heftungspunkt C einen entgegen- (punct. mobil.) des gesetzt gerich- grossen Brust- teten Hub, der muskels bedeuten durch die Strecke und D den An- SH dargestellt

eines Vogelquer- " beiden Flugmus- | |

griffspunktderRe- sein emóge. Für sultante des Luft- den Fall des widerstandes WD au Se freien Schwebens

hält der Hub SH dem Körpergewicht SG*) genau das Gleichgewicht, und es ist auch

*) Unter Körpergewicht ist hierbei nur derjenige Teil desselben zu verstehen, welcher nicht von den Flugflächen des Rumpfes und des Schwanzes getragen wird, denn nur dieser kanı als Gegengewicht des Muskel- zuges in Frage kommen.

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das auf das Schultergelenk P als Drehungspunkt bezogene Moment des Muskelzuges AZ gleich und entgegengesetzt dem des Luftwiderstandes, also:

AZ * AP = WD « DP.

Wird nun durch gesteigerte Muskelanspannung und stärkeren Luftwiderstand das Moment des Muskelzuges und des Luftwiderstandes vergrössert, so wird auch der Hub SH grösser, als die Schwerkraft SG, und der Körper wird gehoben.

Bei grossen Vögeln von lang- samem Flügelschlage folgt auf die durch den Tiefschlag er- zeugte Hebung des Körpers eine den Rückschlag begleitende Senkung. So entstehen die Schwankungen, wie sie bei Möven so deutlich zu sehen sind. Durch die photochronogra- phischen Aufnahmen Marey's ist es gelungen, diese vertikalen Oscillationen des Vogelkörpers zu registrieren (Fig. 29) (vol. d. ois. p. 100). Ist die Hebung des Kórpers, die den Tiefschlag des Flügels begleitet, grösser als die Senkung während des Rückschlages, so steigt die Flugbahn empor, im anderen Falle sinkt der Vogel; beim horizontalen Fluge halten sich Hebung und Senkung das Gleichgewicht und die Flugbahn nimmt die Gestalt einer regelmässigen Wellenlinie an. Nach Marey sind die vertikalen Schwankungen im wesentlichen auf die extremen Korperteile beschránkt, sodass etwa das Auge des Vogels eine viermal so grosse Vertikal- verschiebung erfährt, als der Schwerpunkt des Vogels. Unter genauer Erwägung endlich,

Fig. 29.

Fig. 30. Der Drehungspunkt D des Flügels liegt beim geradlinigen Fluge (1.) im Schultergelenk; bei vertikalen Schwankungen des Körpers (2.) wandert er entsprechend gegen die Flügelspitze.

welche Verschiebung der Schwerpunkt erfährt, wenn der Vogel die Flügel hochhebt oder senkt, kommt Marey zu dem Schluss, dass trotz der sichtbaren Schwankungen des Vogels der Schwerpunkt sich auf einer geradlinigen Bahn (Trajectorium) fortbewegt, dass also der Schwerpunkt mit der Hebung der Flügel um etwa ebensoviel gehoben wird, als der

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Körper sich sichtbar senkt, während die Senkung der Flügel eine Senkung des Schwer- punktes zur Folge hat, die der allgemeinen Körperhebung an Ausschlag gleichkommt. Die vertikalen Schwankungen liegen als solche nicht im Interesse der trans- latorischen Bewegung des Vogels, wenn sie auch namentlich beim Abflug grosser Vögel unvermeidlich sind. Man könnte sie daher als ein notwendiges Uebel bezeichnen. Jede einzelne der rhythmischen Hebungen des Vogels hat auch eine Hebung des niederschlagenden Flügels zur Folge, sodass beim Tiefschlag die Flügelbasis statt einer nützlichen Senkung eine schädliche oder wenigstens indifferente Hebung erfährt und der eigentliche Drehungs- punkt des Flügels sich von dem Schultergelenk gegen die Flügelspitze verschiebt. (Fig. 30.) Bei Vögeln, welche kürzere Flügel besitzen, und die sich daher eines schnelleren Flügelschlages bedienen, treten die Schwankungen nicht in die Erscheinung, da der Zeitraum zwischen zwei Flügelschlägen zu kurz ist, um eine sichtbare Einwirkung der

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Fig. 31. Synoptische Abbildung der aufeinanderfolgenden Stellungen einer fliegenden Müve; A. von oben, B. von der Seite, C. von vorn gesehen. Die Abstände zwischen den vertikalen Linien zeigen die ungleiche Fluggeschwindig- keit während der Senkung und Hebung der Flügel (nach Marey).

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Schwere, ein deutlich erkennbares Sinken während der Fliigelhebung zuzulassen. Der kurze, schnell bewegte Flügel der Rudervögel hat also in dieser Beziehung einen gewissen Vorteil vor dem langen und langsam schlagenden der echten Segler voraus.

Da jeder Tiefschlag des Flügels eine Beschleunigung der translatorischen Flug- bewegung zur Folge hat, jede Hebung dagegen mit einer Verzögerung verbunden ist, so stehen den vertikalen Schwankungen des Körpers horizontale Oscillationen der Flug- geschwindigkeiten gegenüber. Marey hat vermittelst der Photochronographie auch diese interessanten Verhältnisse festlegen können, wie es in der vorstehend abgedruckten, seinem Werke entlehnten Tafel in so vorzüglicher Klarheit dargestellt ist.

10. Erhaltung des Gleichgewichts im Fluge.

Unter den wenigen älteren Anwendungen, welche das auf den Luftwiderstand übertragene hydrodynamische Gesetz Avanzini's in der Mechanik des Fluges erfahren hat, ist eine bemerkenswert, welche sich bei Marey (Vol des oiseaux pag. 305—307] findet. Der berühmte französische Physiologe knüpft an eine Beobachtung Mouillard's (L'empire de l'air. 1887 pag. 227) an, nach welcher beim Schweben der grossen Raub- vógel die Haltung der Flügel mit der grosseren oder ge- ringeren Fluggeschwindigkeit geändert wird. Bei den Vögeln, welche mit Lang- samkeit ohne Flügelschlag kreisen, werden die Flügel weit ausgebreitet und ın der Weise gehalten, dass sie einen nach vorn offenen stumpfen Winkel bilden, in dessem Grunde der Kopf erscheint (Fig. 32). Andere Vogel dagegen, welche schneller, oder in gerader Linie gegen den Wind schweben, tragen ihre Flügel nach hinten, sodass sie einen nach hinten offenen stumpfen Winkel bilden. (Fig. 33).

Nach de Louvric stattfindende Verschie- (L'aéronaute 1876) hat bung des Widerstands- nun diese veränderte mittelpunktesder Flügel

Flügelhaltung den veranlasst wird. De Zweck, eine Störung Louvrie und Marey des Gleichgewichtes des sind nämlich der Mei- fliegenden Vogels zu nung, dass nach dem beseitigren, welche durch genannten Gesetze der eine dem Avanzini'- Widerstandsmittel- schen Gesetze gemäss punkt um so mehr gegen den vorderen Flügelrand verschoben werde, je grösser die Fluggeschwindigkeit

Fig. 32.

Fig. 33.

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sei. Der Vogel müsse demnach notwendig nach hinten übergeworfen werden (culbute en arriére), wenn er die Flügel nicht zurücknehme. Marey fügt hinzu, dass die Wieder- herstellung des Gleichgewichtes auch noch durch den nach Art eines Vertikalsteuers wirkenden Schwanz geschehe, oder endlich durch eine bei gewissen Arten übliche Ver- langerung des Halses. »Der Reiher trägt beim gewöhnlichen Fluge den Hals zurück- gebogen und den Kopf zwischen den Schultern; wird er aber verfolgt, so streckt er den Hals nach vorn und gewinnt an Geschwindigkeit.« (vergl. Fig. 34.)

Diese ganze Schlussreihe kann nun nicht aufrecht erhalten werden, da sie eine misverstandliche Auffassung des Avanzini'schen Gesetzes zur Voraussetzung hat. Es findet namlich nach diesem Gesetze mit zunehmender Geschwindigkeit (Starke des Gegenwindes) zwar eine Verschiebung des Widerstandsmittelpunktes der Flugflächen statt, aber nicht gegen den vorderen Flügelrand, sondern gegen den Mittelpunkt (Schwerpunkt) der Fläche, also nach hinten. Wenn aber hierdurch eine Störung des Gleichgewichtes bedingt wird, so wird dieselbe durch das Zurücklegen und Anziehen der Flügelspitzen noch vergrössert, da der Mittelpunkt des hebenden Luftwiderstandes hierdurch noch weiter aus seiner nor- malen Lage verschoben wird. Mit der erfolgten Verkleinerung und Umgestaltung der Flugfläche (Fig. 33) in eine solche, deren vorderer Rand kürzer, und deren in der Flug- richtung gemessene Demension grösser ist, als beim langsam schwebenden Vogel (Fig. 32), ist nach den Ergebnissen der Langley'schen Experimente, eine Verringerung des gesamten hebenden Luftwiderstandes an den Flügeln verbunden. Hiermit würde aber das gestörte Gleichgewicht keineswegs wieder hergestellt, sondern nur noch mehr beeinträchtigt werden, wenn nicht gerade durch die grössere Geschwindigkeit eine so bedeutende Steigerung des Gesammtwiderstandes hervorgerufen würde.

Bekanntlich wird allgemein angenommen, dass die Zunahme des Widerstandes dem Quadrat der Geschwindigkeit proportional ist. Diese Zunahme ist bei dem aus- gestreckten, langen und schmalen Flügel (Fig. 32) grösser, als bei dem etwas eingezogenen, kürzeren und breiteren (Fig. 33), der noch dazu durch Uebereinanderschieben der Federn in seinem Flächeninhalt verkleinert ist*). Wenn also ein Vogel beim Schweben, Segeln oder Gleiten seine Flugflächen in solcher Weise verändert, so verringert er dadurch den Luftwiderstand und zwar sowohl den nützlichen, wie den schädlichen. Allein mit dem Heranziehen der Flügelspitze ist auch die Beseitigung des Schrankenrandes und eine Ab- flachung des ganzen Flügels verbunden, der Vogel kann daher jetzt jene günstigen kleinsten Neigungswinkel der Flügel verwenden, bei denen das Verhältnis des nützlichen zum schäd- lichen Widerstande ein weit besseres ist, als vorher. Und der hebende Luftwiderstand kann den weniger stark entfalteten Flügel leichter in die vortreibende Lage spannen, als den voll ausgebreiteten. (siehe S. 25, Fig. 10).

*) Bei den Versuchen Langley’s wurde ein Paar rechteckiger Tafeln von 18“ Vorderrandlänge und 4“ Breite bei einem Neigungswinkel von 10° vom Winde getragen, wenn derselbe eine Geschwindigkeit von etwa 13,6 m hatte. Bei Anwendung eines anderen Tafelpaares von gleichem Inhalt, gleichem Gewicht und gleicher Neigung, dessen Vorderrand 6** und dessen Breite 12°, musste die Windstärke auf etwa 19,6 m, also

um die Hälfte gesteigert werden, um die Tafe! schwebend zu erhalten.

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Fig. 34.

65 aber ein Reiher, der sich verfolgt sieht, den Kopf zwischen den Schultern herausnimmt und so weit nach vorne hält, als die Länge des Halses gestattet (Fig. 34), so ist es gewiss weniger um eine schon vorhandene Störung des Gleichgewichts zu beseitigen, als vielmehr um das vorhandene Gleichgewicht des langsamen Fluges dergestalt umzuändern, dass der schnellere Flug möglich wird. Der Schwerpunkt wird dadurch weiter nach vorne verlegt*); und damit nun ein Ueberkippen nach vorn nicht erfolgt, ist ein grösserer

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Aufwand von hebender und vortreibender Flügelarbeit erforderlich.

11. Flugfláchen des Rumpfes und des Schwanzes.

Müllenhoff hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das Gewicht eines fliegenden Vogels nicht ausschliesslich durch die Flügel getragen werde, sondern dass dabei auch die Flugflachen des Rumpfes und des Schwanzes beteiligt sind. Der Anteil dieser Flachen darf jedoch nicht iiberschatzt werden und ist auf keinen Fall nach dem einfachen Verhältnis der Flächeninhalte gegenüber dem der Flügel zu ermessen. Nimmt man auch für die Bauchfläche nur deren Projektion auf eine horizontale Ebene, etwa das Schattenbild des schwebenden Vogels, so ist klar, dass diese Fläche nicht in gleicher Weise tragen kann, wie ein gleich grosser Flügel, denn dieser ist nach unten konkav, die Rumpf- flache dagegen konvex. Die keilfórmig nach unten vorspringende Bauchfläche (Fig. 28) zerteilt die Luft, der hohle Flügel dagegen Adlt sie zusammen und zwingt sie zum Widerstande. Dass thatsáchlich die Luft gegen eine hohle Flache stárkeren Widerstand leistet, als gegen eine ebene oder konvexe, ist seit langem bekannt. Auf dieser Beobachtung beruht z. B. die Konstruktion des Robinson'schen Schalenkreuzes der Anemometer. Den Geschossen, welche die Luft mit möglichst wenig Widerstand durchschneiden sollen, giebt man vorn eine konvexe Oberfläche. Für den Vogelflug haben erst die Untersuchungen O. Lilien- thal's**) die Ueberlegenheit hohler gewolbter Flachen über ebene nachgewiesen.

Auch die Schwanzflache ist trotz ihrer oft recht betrachtlichen Entfaltung als Flugflache nicht gleichwertig mit echten Flügelflàchen. Der Umstand allein, dass ein Vogel durch den Verlust des Schwanzes nicht wesentlich am Fliegen verhindert erscheint, lasst auf die untergeordnete Rolle desselben als Flugflache schliessen. Da der Schwanz beweglich mit der Masse des Kórpers verbunden ist, so ist, fals an ihm überhaupt ein nützlicher Luftwiderstand zur Entfaltung kommen soll, eine Muskelkraft oder -Spannung erforderlich, welche d'e Schwanzflache der Einwirkung der bewegten Luftteilchen fest entgegenhalt. Die hierzu vorhandenen Muskeln des Bürzels zeigen durchweg nur eine

*) Im Grunde liegen hier dieselben Verhältnisse vor, wie beim Gehen und Laufen. Die Einleitung des Gehens besteht in einer Verschiebung des Schwerpunktes nach vorn, wie sie beim Beginn des Marsches einer exerzierenden Abteilung nach erfolgtem Avertissementskommando so auffällig in die Erscheinung treten kann. Jedermann legt sich dann »vorn herein«, und wenn das Ausführungskommando nicht präcise erfolgt, so stürtzt wohl einmal ein schlecht stehender Soldat vorzeitig aus dem Gliede hervor. Jede Beschleunigung des

Marschtempos beginnt mit einer weiteren Vorschiebung des Schwerpunktes,

**: 0), Lilienthal, Der Vogelflug ete.

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Wollte der Vogel das Uebermass der Hebung ausgleichen, das bei zu grosser Geschwindigkeit am voll ausgebreiteten Flügel auf den vorderen Körperteil einwirkt, so könnte dies natürlich nur durch Herabdrücken der Steuerfedern geschehen, sodass auch der hintere Körperteil in demselben Masse wie der vordere gehoben würde. Aber hiermit ist notwendig eine Verringerung der Vorwartsgeschwindigkeit des Vogels verbunden, da die nach Art eines Drachen wirkende Steuerfläche des Schwanzes steil geneigt werden muss und dadurch eine dem Sinus dieses grösseren Neigungswinkels entsprechende, grössere hemmende Widerstandskomponente hervorgerufen wird. :

Man hat oft Gelegenheit, diese Art der Herstellung des Gleichgewichts zu beob- achten, wenn man sieht, wie bei frischem Winde Krahen an der Spitze eines Kirchturms oder um den Knopf einer hochstehenden Fahnenstange ihre Landungsmanóver ausführen. Die vergeblichen Versuche, festen Fuss zu fassen, sind allemal mit einem Emporschweben verbunden, weil in dem Augenblicke wenn der Vogel die Füsse herablässt, die Wind- wirkung an den noch ausgebreiteten Flügeln das Gleichgewicht des Körpers aufzuheben im Begriff ist, sodass das Tier automatisch das Steuer herabdrückt: so wird der Vogel momentan gehoben und ein wenig mitgerissen, bis er durch aktiven Flügelschlag wieder seine Vorwärtsbewegung gegen das erstrebte Ziel aufnimmt.

Im letzten Winter sah ich in der Nähe der Aussenalster bei böigem, stürmischem Wetter Nebelkrahen mühsam gegen den Wind anfliegen. Streckenweise suchten die Tiere die Kraft des Windes zum müheloseren Segeln ohne Flügelschlag auszunutzen, wurden aber dann bei jedem heftigen Windstoss in die Höhe gehoben und so mehr oder weniger in ihrer Vorwärtsbewegung gehemmt, sodass der Flug einen völlig unsteten Charakter annahm. Der Stoss des Windes traf die Flügel und strebte momentan den Vorderkörper um die durch den Schwerpunkt gehende Querachse des Körpers zu drehen und aufzurichten, sofort erfolgte nun, so erkläre ich den Vorgang, ein energisches Herab- schlagen des Schwanzsteuers, so dass nun auch die hinter dem Schwerpunkte liegende Masse des Köpers gehoben wurde. Die Flugverzögerung war eine Folge des am Steuer zur Wirkung kommenden grösseren Hemmungswiderstandes, und auch des vorübergehend mit dem Windstoss gestei- gerten allgemeinen Reibungs- widerstandes der ganzen Körperoberfläche.

Dass auch die Haltung des Kopfes für die Erhaltung des Gleichgewichtes des Körpers in der Fluglage von grosser Bedeutung ist, bedarf keiner Bestätigung. Viele Vögel, wie die Kraniche, Schwäne, Gänse und Enten, tragen während des Fluges den Kopf dauernd weit nach vorne gestreckt, wie sic die Beine nach hinten strecken. Wenn

Fig. 34.

aber ein Reiher, der sich verfolgt sieht, den Kopf zwischen den Schultern herausnimmt und so weit nach vorne hält, als die Lange des Halses gestattet (Fig. 34), so ist es gewiss weniger um eine schon vorhandene Störung des Gleichgewichts zu beseitigen, als vielmehr um das vorhandene Gleichgewicht des langsamen Fluges dergestalt umzuändern, dass der schnellere Flug möglich wird. Der Schwerpunkt wird dadurch weiter nach vorne verlegt*); und damit nun ein Ueberkippen nach vorn nicht erfolgt, ist ein grösserer Aufwand von hebender und vortreibender Flügelarbeit erforderlich.

11. Flugflächen des Rumpfes und des Schwanzes.

Müllenhoff hat mit Recht darauf hingewiesen, dass das Gewicht eines fliegenden Vogels nicht ausschliesslich durch die Flügel getragen werde, sondern dass dabei auch die Flugflachen des Rumpfes und des Schwanzes beteiligt sind. Der Anteil dieser Flächen darf jedoch nicht überschätzt werden und ist auf keinen Fall nach dem einfachen Verhältnis der Flächeninhalte gegenüber dem der Flügel zu ermessen. Nimmt man auch für die Bauchfläche nur deren Projektion auf eine horizontale Ebene, etwa das Schattenbild des schwebenden Vogels, so ist klar, dass diese Fläche nicht in gleicher Weise tragen kann, wie ein gleich grosser Flügel, denn dieser ist nach unten konkav, die Rumpf- fläche dagegen konvex. Die keilförmig nach unten vorspringende Bauchfläche (Fig. 28) zerteilt die Luft, der hohle Flügel dagegen A4/f sie zusammen und zwingt sie zum Widerstanae. Dass thatsächlich die Luft gegen eine hohle Fläche stärkeren Widerstand leistet, als gegen eine ebene oder konvexe, ist seit langem bekannt. Auf dieser Beobachtung beruht z. B. die Konstruktion des Robinson'schen Schalenkreuzes der Anemometer. Den Geschossen, welche die Luft mit möglichst wenig Widerstand durchschneiden sollen, giebt man vorn eine konvexe Oberfläche. Für den Vogelflug haben erst die Untersuchungen O. Lilien- thal’s**) die Ueberlegenheit hohler gewölbter Flächen über ebene nachgewiesen.

Auch die Schwanzfläche ist trotz ihrer oft recht beträchtlichen Entfaltung als Flugfläche nicht gleichwertig mit echten Flügelflächen. Der Umstand allein, dass ein Vogel durch den Verlust des Schwanzes nicht wesentlich am Fliegen verhindert erscheint, lasst auf die untergeordnete Rolle desselben als Flugfläche schliessen. Da der Schwanz beweglich mit der Masse des Körpers verbunden ist, so ist, falls an ihm überhaupt ein nützlicher Luftwiderstand zur Entfaltung kommen soll, eine Muskelkraft oder -Spannung erforderlich, welche d’e Schwanzfläche der Einwirkung der bewegten Luftteilchen fest entgegenhält. Die hierzu vorhandenen Muskeln des Bürzels zeigen durchweg nur eine

*) Im Grunde liegen hier dieselben Verhältnisse vor, wie beim Gehen und Laufen. Die Einleitung des Gehens besteht in einer Verschiebung des Schwerpunktes nach vorn, wie sie beim Beginn des Marsches einer exerzierenden Abteilung nach erfolgtem Avertissementskommando so auffällig in die Erscheinung treten kann. Jedermann legt sich dann »vorn herein«, und wenn das Ausführungskommando nicht präcise erfolgt, so stürtzt wohl einmal ein schlecht stehender Soldat vorzeitig aus dem Glicde hervor. Jede Beschleunigung des Marschtempos beginnt mit einer weiteren Vorschiebung des Schwerpunktes,

**y O, Lilienthal, Der Vogeltlug etc.

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mässige Entwicklung, die keinen Vergleich mit der Flügelmuskulagur zulässt. Beim gewöhnlichen Ruderfluge liegen die Steuerfedern des Schwanzes meist unentfaltet dicht neben einander; der Schwanz wird, dann passiv in der Fluglinie des Vogels nachgeschleppt, ohne dass er in bemerkbarer Weise am Tragen der Last des Körpers beteiligt zu sein scheint. In anderen Fällen sieht man aber, dass die Tiere die Schwanzfedern zu einem breiten Fächer energisch auseinanderziehen. Dann ist die Mitwirkung des Organs augen- scheinlich. Kleine Vögel, wie die Sperlinge, welche intermittierend rudern und gleiten, entfalten in den Perioden des Flügelschlages den Schwanz und legen beim Gleiten die Steuerfedern wieder zusammen. Beim Kreisfluge der Tauben oder wenn diese Tiere aus der Luft annähernd senkrecht herabschweben, ist der Schwanz weit entfaltet. Man erkennt dabei leicht, wie die Schwanzfläche bald um die Längsachse, bald um die Querachse kräftig gedreht wird, und wie der Flug durch diese Thätigkeit beeinflusst wird.

Fig. 35, ı und 2.

Die in Fig. 35 dargestellten Bilder einer fliegenden Taube, sind nach Moment- aufnahmen Marey's angefertigt und einer Serie von 10 in einer Sekunde aufgenommenen Photogrammen entlehnt. Die Taube fliegt schräg herab. Man sieht, wie mit der Senkung des Flügels (1.) eine steilere Stellung des Steuers Hand in Hand geht, und dass bei der Hebung der Flügel (2.) auch eine geringe Hebung des Schwanzes erfolgt. Die aktive Mit- wirkung des Schwanzes ist also beim Herabfliegen der Taube, wenn es darauf ankommt die Beschleunigung der Schwere durch eine verzögernde Wirkung des Flugapparates auszugleichen und zu übertreffen, eine ganz augenfallige. Auch beim Anfluge und bei einer Hebung der Flugbahn, namentlich auch beim kreisenden Segelfluge grosser Vögel ist die thätige Mithülfe des Steuers unverkennbar. Da jedoch der Schwerpunkt des Vogels sehr nahe bei dem Ansatze der Flügel liegt, so ist auch diese Arbeit des Schwanzes nur eine geringe. Dies entspricht der wenig entwickelten Muskulatur des Steuers.

Für den Fall des horizontalen Fluges muss das statische Moment des am Schwanze und an den übrigen, hinter der Vertikalebene des Schwerpunktes liegenden Flugflächen entwickelten hebenden Luftwiderstandes gleich dem der Flügel und der anderen vorderen Flugfläche sein. Ist (Fig. 36) R die Resultante des Hubes an der vorderen, und r die der hinteren Körperhälfte und S der Schwerpunkt, so muss, wenn a und A die ent-

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sprechenden Abstände der Angriffspunkte dieser Resultante vom Schwerpunkte bedeuten:

R- a = re À sein.

Einseitige Aenderungen werden, haben natürlich eine des Hubes, wie sie durch 5 vertikale Drehung d. Systems Vergrössern oder Einziehen, , E a um den Schwerpunkt zur Heben oder Senken derFlügel b Folge. Das Zusammenlegen oder des Schwanzes, sowie . oder Emporheben des durch Aenderung der Nei- Schwanzes hat ein Sinken

1g. 3

gungswinkel hervorgerufen der hinteren Kórperhàlfte oder ein Aufrichten der Längsachse des Körpers zur Folge: und das Gegenteil tritt ein, wenn der Schwanz plötzlich entfaltet und herabgedrückt wird.

Eine auf der Hand sitzende Taube entfaltet und senkt augenblicklich ihren Schwanz, wenn man ihr den Kopf emporhebt; senkt man dagegen ihren Kopf, so schnellt der Schwanz ebenso rapide in die Höhe (Marey). Die Bewegungen machen durchaus den Eindruck des Unwillkürlichen, Reflexiven; man kann daher annehmen, dass auch beim Fluge die geringste Stórung des Gleichgewichtes momentan und unwillkürlich durch eine geeignete Bewegung des Steuers ausgeglichen wird. Halt man einen Vogel so in der Hand, dass die Langsachse senkrecht steht, oder neigt man ihn stark vorn über, so beginnt er augenblicklich mit den Flügeln zu schlagen, um die normale Lage wieder herzustellen. Diese Bewegungen sind ebenso unwillkürlich, wie das Vorschnellen des Beines bei einem Menschen, den ein Druck in den Rücken aus seiner vertikalen Stellung bringt.

Wenn ein Vogel nach Verlust seiner Steuerfedern noch weiterfliegt, ohne eine Einbusse am Flugvermógen erkennen zu lassen, so ist doch der Mangel des Schwanzes dabei nicht gleichgültig. Die Langsachse des Vogels wird dann mit der Flugbahn einen grosseren Winkel bilden, da der hintere Korperteil nicht mehr wie vorher vom Schwanze mitgetragen wird. Der Schwerpunkt wird also weiter nach vorne verschoben, und da- durch werden die Flügel entsprechend stárker belastet. Die Flügel müssen also vikariierend für den fehlenden Schwanz eintreten. Wenn daher durch diese notgedrungene Ver- einigung von Aufgaben, die normalerweise auf verschiedene Organe verteilt sind, das Flugvermógen im Ganzen nicht bemerkbar beeintrachtigt wird, so geht damit doch eine grossere Beanspruchung der Brustmuskulatur Hand in Hand.

Bei manchen Vógeln ist der Flugapparat von Haus aus nicht mit einem Schwanz- steuer ausgestattet; so bei den Enten, dem Storch, Kranich, Flamingo und anderen. Hier wird also auch normalerweise die Funktion des Schwanzes von den Flügeln übernommen, sofern nicht etwa die nach hinten gestreckten Beine einen gewissen Ersatz für den Schwanz bilden.

Im allgemeinen wird man die Bedeutung des Schwanzes für den Flug an der Grösse und Gestalt der Steuerflàche ermessen können, wobei natürlich die langen und weichen, fahnenartigen Zierfedern, wie sie in der Familie der Hühner, der Paradiesvögel etc. auftreten, ausser Rechnung bleiben müssen. Damit soll aber nicht gesagt sein, dass diese Gebilde gänzlich indifferent für den Flug wären. (Zuspitzung des Hecks am Schiff.)

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Steuerflachen von dachartiger Gestalt (Fig. 35), oder solche die im ausgebreiteten Zustande unterwarts konkav sind, miissen in ihrer Wirkung solchen von gleichem Flachen- inhalt überlegen sein, deren Unterseite eben oder konvex ist. Im Einzelnen fehlt es bis jetzt an experimentellen Bestimmungen über die Wirksamkeit der verschiedenen Formen, welche am Steuer der Vögel in Anwendung kommen, doch unterliegt es keinem Zweifel, dass ein gut entwickelter Schwanz, wie er bei den Tauben, der Gabelweihe, den Falken, Kuckucken und so vielen anderen Vögeln ausgebildet ist, wohl geeignet erscheint, einen Teil des Körpergewichts zu tragen, und somit die Flügel in etwas zu entlasten.

Der Flügelschlag, den die Brustmuskeln erzeugen, ist nur nach unten gerichtet. aber in Folge des eigenartigen Baues des Flügels trägt er nicht nur, wie zu erwarten, das Gewicht des Vogels, indem er sich auf die Luft stützt, sondern er erteilt ihm auch eine Vorwärtsgeschwindigkeit. Je stärker der Schlag, der Druck des Flügels auf die Luft, desto grösser der Erfolg, der tragende sowohl, wie der vorwartstreibende. Die Stärke des Fliivelschlages hat ihre natürliche Grenze an der Leistungsfahigkeit der Muskeln und an dem Körpergewicht, welches den Muskeln gleichsam als »festen Punkt« dient. Ist der Schlag zu heftig, se sinkt nicht der Flügel nieder, sondern der Körper hebt sich, wie der des Turners, der sich in den Ringen nicht nur schwebend hält, sondern empor stemmt. Es wird also in diesem Falle beim Fluge ein Teil der Muskelkraft direkt in Hebearbeit umgesetzt, statt in horizontal translatorische. Indirekt kann der Vogel durch jedesmaliges Herabsinken von der gewonnenen Höhe auch eine entsprechende horizontale Beschleunigung erlangen, aber es treten dabei notwendig Verluste ein, und der Flug wird schwankend, ungleichmässig verlaufend. Wie die Ladung eines Schiffes oder der Ballast erst die Anwendung der Segel möglich macht, indem sie ein Gegengewicht gegen den seitlichen Winddruck bilden, der das Schiff zu kentern strebt, so ist auch die Masse des Flugtieres, das Gewicht, unentbehrlich, denn es sichert den stabilen Verlauf des Fluges und bildet das feste Gegengewicht gegen den am losen Flügel angreifenden Muskelzug. Es leuchtet ein, dass der so bezeichnete Nutzeffekt des Körpergewichts um so geringer werden muss, je grösser der Teil desselben ist, der von der hinteren Bauch- und Schwanz- fläche getragen wird.

ll. Teal.

Der Flug ohne Flügelschlag.

1. Einleitung.

Wohl alle Vögel sind im Stande, ihren Körper zeitweilig mit ruhig gehaltenen Flügeln in der Luft zu tragen und fortzubewegen.

Die Flügel sind dabei mehr oder weniger weit entfaltet. Der grosse Raubvogel, der in der hohen Luft seine Kreise zieht, der Storch, die herabschwebende Krähe haben ihre Flügel bis zur äussersten Grenze ausgebreitet; der herabstossende Falke hat sie scharf angezogen, so dass sie nur wie schmale, abstehende Leisten zur Seite des Körpers liegen, gleich Schienen, oder seitlichen lenkbaren Kielen, auf denen der Vogel sicher und glatt durch die Luft gleitet; und die kleinen Singvögel pflegen, wenn sie weitere Strecken zurücklegen. nach einer Periode des schnellen Flügelschlages ihre Flügel gänzlich einzu- ziehen und so wie ein Pfeil durch die Luft fortzuschiessen, jederzeit bereit, durch teil- weises Entfalten der Flügel die Flugbahn zu bestimmen.

Diese Unterschiede zeigen uns, dass die Mitwirkung der Flügel und besonders des grossen Brustmuskels, welcher die Flügel der Luft entgegenhält, bald mehr, bald weniger zur Unterhaltung des Fluges ohne Flügelschlag in Anspruch genommen wird, am wenigsten beim periodischen Zfeilfug kleiner Vögel, am meisten beim andauernden Segeln grosser Vögel.

Wie gross nun immer der Luftwiderstand und die Muskelspannung sein mag, deren sich der Vogel bei dieser Flugart bedient: die nächstliegende Wirkung des Wider- standes auf den Flügel ist prinzipiell keine andere als beim Ruderflug, denn immer ist dieser Wiederstand schräg von vorn gegen die Unterseite des Flügels gerichtet und lässt sich demnach in eine abgleitende, nicht wirksame und eine normal zur Fläche gerichtete, wirksame Komponente zerlegen, wie es weiter oben geschehen und näher be- sprochen ist. Welche Bewegung nun aber diese wirksame Widerstandskomponente an der mit den Flügeln fest verbundenen Masse des Vogels hervorruft, oder wie es kommt, dass diese Komponente den Vogel mehr oder weniger tragen, heben und fort- bewegen kann, das hängt im wesentlichen noch mit von den übrigen Kräften ab,

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welche, wie die Schwerkraft oder die lebendige Kraft, als potentielle oder kinetische Energie gleichfalls beim Fluge die Masse des Vogels beherrschen.

Der Vogel bewegt sich selbstverständlich in der Richtung der Resultante aler beim Fluge wirksamen Kräfte. Sind die Kräfte im Einzelfall alle nach Richtung und Stärke bekannt, so ist damit auch die Flugbewegung a priori bestimmt. Umgekehrt ist eine gegebene Form der Flugbewegung als befriedigend erklärt zu betrachten, wenn der Nachweis geführt ist, dass sie das notwendige Resultat des Zusammenwirkens aller nach- weislich vorhandenen, wirksamen Flugkräfte ist. So ist der Ruderflug das Erzeugnis der Wechselwirkung zwischen Schwerkraft und Muskelkraft. Die Kraft der Flugmuskeln erzeugt vermittelst des in seiner Einrichtung und Wirksamkeit wohlbekannten unsymme- trischen Flügels in dem Medium Luft einen Widerstand, der ihr als Stützpunkt dient, einerseits um die Masse des Körpers zu tragen und zu heben und damit die Wirkung der Schwerkraft (das Fallen) zu verhindern oder zu übertreffen, andererseits um die Trägheit der Masse zu überwinden und ihr eine Beschleunigung zu erteilen, durch welche alle hemmenden Widerstände beseitigt und eine nahezu konstante Flugbewegung bewirkt wird. Mit anderen Worten könnte man auch sagen: das Gewicht des Körpers dient als fester Ankerpunkt für den Zug des Flugmuskels, welcher den beweglichen Flügel derart gegen die widerstandleistende Luft drückt und spannt, dass die Resultante dieses Wider- standes nach vorn und oben gerichtet ist, d. h. dass sie den Vogel hebt und forttreibt.

Dabei ist die Stellung des Vogels so gedacht, dass die Längsachse horizontal liegt. Allein diese Stellung ist keineswegs unabänderlich, wie die Lage der Teile innerhalb des Flugapparates, oder wie die Richtung der Schwerkraft. Daher hat zwar die Resul- tante des Luftwiderstandes, den der Flugapparat hervorruft, immer annähernd dieselbe Lage im Vergleich zur Längsachse des Vogels, aber nicht zur Schwerkraftrichtung. Wenn also der Vogel seine Längsachse emporrichtet oder abwärts neigt, so bildet auch die Resultante des Luftwiderstandes mit der Richtung der Schwere entsprechend grössere oder kleinere Winkel, d. h. sie wirkt mehr im hebenden oder mehr im vortreibenden Sinne. Ist bei einer gewissen Steigung der Längsachse die Resultante des Widerstandes genau entgegengesetzt der Schwerkraft gerichtet, so ist damit theoretisch die Stellung erreicht, bei welcher die ganze Muskelkraft zur Hebung verwendet wird, wie es thatsächlich beim stationären Züftelflug der Fall ist. Die entgegengesetzte Stellung, bei welcher die Re- sultante des Widerstandes in die Richtung der Schwerkraft fällt, der Flügelschlag also nur vortreibend wirkt und keine hebende Wirkung hat, wird, soweit mir bekannt, nur von grossen Raubvögeln angewandt, um die im Herabstossen erlangte Geschwindigkeit noch zu vergrössern.

Der Flug ohne Flügelschlag unterscheidet sich wesentlich dadurch vom Ruderfluge. dass dabei die Flugmuskeln keine äussere Arbeit verrichten. Sie befinden sich zwar, wie wir sahen, in dem Zustande einer mehr oder weniger starken Spannung, die mit einem durch die Ernährung zu ersctzenden Kraftverbrauche verbunden ist, aber sie führen keine rhythmischen Kontraktionen, keine sichtbaren Bewegungen aus, sondern setzen, wie ein starres Band, ihrer Streckung durch den am Flügel angreifenden Winddruck einen die

71 Bewegung des Flügels verhindernden Widerstand entgegen. Die Muskelkraft wird dabei indirekt zur Ablenkung des auf die Unterseite des Flügels stossenden Luftstromes ver- braucht; aber diese Ablenkung würde ebensogut von statten gehen, wenn der Muskel durch ein zugfestes, straffes Band oder eine knöcherne Sperrvorrichtung ersetzt wäre. Dass die Natur dem Vogel keine solche passive, jeden auch inneren Kraftaufwand ver- meidende Einrichtung verliehen hat, könnte auf den ersten Blick als unzweckmässig er- scheinen; aber ganz abgesehen davon, dass derselbe Flügel ja auch zum aktiven Flügel- schlage verwendet wird, erfordert der Flug ohne Flügelschlag, dass sich der Flügel in der willkürlichen Gewalt des Flugmuskels befinde, da allein schon wegen der Ungleichförmigkeit des Flugwindes der Vogel in der Lage sein muss, jederzeit den Luftwiderstand durch Flügelschlag aktiv zu verstärken, oder durch Zurücklegen der Flügel zu verringern.

Wenn nun im allgemeinen während des Fluges ohne Flügelschlag die Flug- muskulatur keine treibende Kraft entwickelt, so fragt es sich, woher die Kraft kommt, die diese Flugbewegung hervorruft und unterhält.

Zur Beantwortung dieser Frage haben wir die beiden Hauptformen des Fluges ohne Flügelschlag auseinander zu halten; den Gleit- und Schwebflug und den Segelflug.

2. Der Gleit- und Schwebflug.

In der einfachsten Form tritt uns diese Flugart in der vorhin als Gletfug oder Tfeilflug bezeichneten wurfähnlichen Bewegung kleiner Vogel entgegen. In einer vorher- gehenden Periode lebhaften Fliigelschlages erwerben die Tiere eine grosse (horizontale) Ge- schwindigkeit, mit welcher sie, nachdem sie die Fliigel eingezogen haben, pfeilartig durch die Luft gleiten. Hierbei bietet ihr Körper der Luft eine minimale Widerstandsfläche, sodass die vorhandene lebendige Kraft des Vogels verhältnismässig lange genügt, die Hemmungen des Luftwiderstandes zu überwinden. Der Schwerkraft wirkt nur der positive und negative Winddruck an den Bauch- und Rückenflächen sowie am Schwanze des Vogels entgegen, sodass der Schwerpunkt des Körpers auf einer flachen, parabelähnlichen, bal- listischen Kurve fortschreitet. Durch Wiederentfalten der Flügel und den Beginn des erneuten Flügelschlages wird der Pfeilflug abgeschlossen, um alsbald von neuem zu be- vinnen. Die meist geringe Fallhöhe des Vogels in den Perioden des Pfeilfluges wird in den Perioden des Ruderfluges wieder aufgeholt, sodass die ganze Flugbahn eine wellen- förmige Gestalt hat. Man hat daher diese Flugart auch treffend als Wellenflug bezeichnet. is. Fig. 37). Die ansteigenden Teile der Wellenlinie sind dabei gewöhnlich kürzer und steiler, als die sinkenden; die Ruderperioden also kürzer als die Gleitperioden. In den Ruder- perioden nimmt die Fluggeschwindigkeit zu, in den Pfeilflugperioden nimmt sie ab.

Ziehen die Vögel am Ende der Ruderperioden ihre Flügel nicht völlig ein, sondern halten sie mehr oder weniger weit entfaltet, so ist die Bewegung ein Schweben, wie man es bei Störchen, Reihern, Móven und anderen grösseren Vögeln periodisch, bei vielen Vögeln gelegentlich beobachtet.

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Fig. 37. Verschiedene Bahnen des Wellenfluges. Flugrichtung nach rechts. Die punktierten Abschnitte bedeuten die Perioden des Ruderfluges, die anderen stellen die Gleitperioden dar. Die beiden oberen Wellenlinieu sind un- symmetrisch und von ungleicher Höhe; die untere ist symmetrisch.

Wie beim Gleitflug, so wird auch bei diesem Schwebfluge die Bewegung durch die vorher durch Fligelschlag gewonnene lebendige Kraft unterhalten, bis diese nach und nach unter Verringerung der Fluggeschwindigkeit so weit erschöpft ist, dass eine neue Ruderperiode einsetzen muss. Der Unterschied gegenüber dem Pfeilflug liegt darin, dass beim Schwebpfluge nicht nur die l'lugfláchen des Rumpfes, sondern auch die Flügelflächen dazu beitragen, den im allgemeinen schwereren Körper am Herabsinken zu hindern.

Die Flügel erfahren dabei wie gewöhnlich stehende Drachenflachen einen der Schwere entgegengerichteten hebenden, und einen die Flugbewegung verzögernden, der lebendigen Kraft entgegengesetzten Widerstand. Soweit es sich um kleine Neigungs- winkel der Flügel handelt, ist der hemmende Widerstand bekanntlich weit geringer, als der hebende. Die Neigungswinkel sind aber nicht konstant so klein, wie bei Beginn der Schwebperiode, denn einesteils sinkt (wie bei den Flugfischen, die sich dieser Flugart ausschliesslich und auf weite Strecken bedienen) mit abnehmender Fluggeschwindigkeit das hintere Körperende ein wenig herab, sodass mit der Lagenänderung der Körper- längsachse auch der Neigungswinkel der Flugflächen gegen den Wind vergrössert wird; anderenteils kann der Vogel wahrscheinlich auch durch aktive Steuerung der Flügel die Neigungswinkel willkürlich so vergrössern, dass trotz der Abnahme der Fluggeschwindig- keit die hebende Komponente des Luftwiderstandes ausreicht, der Schwerkraft möglichst das Gleichgewicht zu halten.

Durch das Einsetzen der Flügel wird somit der Schwebflug im Gegensatz zum Gleitflug vor der sichtbaren Wirkung der Schwere mehr und mehr bewahrt, der Vogel sinkt wenig oder gar nicht in den Schwebperioden, und die wellenförmige Flugbahn nimmt nahezu die Gestalt einer geraden Linie an. Ich beobachtete einen so fliegenden Storch, der in den Ruderperioden je 8 bis 16 Flügelschläge ausführte. Die Abnahme der Flug- geschwindigkeit gegen Ende der Schwebperioden glaube ich bestimmt bemerkt zu haben. Die Flugbahn aber machte von unten seitswärts gesehen den Eindruck einer geraden, horizontalen Linie. Ob sie sich bei rein seitlicher Beobachtung doch noch als flache Wellenlinie erweisen würde, vermochte ich nicht zu entscheiden.

Von besonderen Interesse ist die Frage, warum sich denn die Vögel eines intermittirenden Fluges bedienen, warum sie nicht statt des sehr ungleichen Kraftaufwandes in den einzelnen Perioden einen ruhigen, gleichmässigen Ruderflug mit langsamen Fliigelschligen ausführen.

Die gleichfórmige Kraftausgabe hat vor der periodischen, stossweisen im all- gemeinen ihre grossen Vorzüge. Aber man wird nicht fehlgehen in der Annahme, dass in diesem Falle die Nachteile der periodischen Ausgabe ihre Vorteile überwiegen. Nehmen wir den Fall, dass die Ruderperioden zeitlich eben so lang sind, als die Schwebperioden. Was würde geschehen, wenn die Flügelschläge gleichmässig über beide Perioden verteilt wären, wenn also der Flügelschlag durchschnittlich mit der halben Geschwindigkeit aus- geführt würde? Hierzu ist folgendes zu bemerken.

Ein Vogel, der mit ausgebreiteten Flügeln ohne Flügelschlag und ohne zu sinken horizontal und geradlinig durch die Luft schwebt, erfährt an seinen Flügeln, die dabei stets in gewöhnlicher, supinierter Drachenstellung verharren, nur einen hebenden und einen hemmenden Luftwiderstand. Wie gross auch immer die Geschwindigkeit des Vogels und des horizontalen Flugwindes sei: eine vorwärtstreibende Resultante des Luftwiderstandes kann an den Flügeln unter den angegebenen Bedingungen nicht zu Stande kommen. Der Flügel bleibt immer in supinierter Stellung; die Spitzen mögen sich flatternd in die horizontale Ebene der Flugbahn einstellen, je grösser die Geschwindigkeit des Flugwindes, desto kleiner werden die Neigungswinkel des Flügels gegen ihn. Soll aber der Flugwind die Möglichkeit haben, Teile des Flügels in die pronierte, nach vorn übergeneigte und daher vortreibende Stellung durch aktiven Flügelschlag zu biegen, so darf er nicht Re d u. Muskelkraft eine genügend

genau der Flugrichtung ent- gegen gerichtet sein, sondern er muss dieselbe von vorn unter spitzen Winkeln schnei- den. (Fig. 38 III a.)

Um dies zu erreichen, stehen dem Vogel beim gerad- linigen Fluge nur zwei Mittel zur Verfügung, entweder er *muss mit ruhig ausgebreiteten Flügeln sinken, und so die

Sie, > Fw A /n

Fig. 38.

starke Abwartsbewegung er- teilen. Für den vorliegenden Fall trifft das Letztere zu. Bei sehr grosser Fluggeschwindig- keit od. beistarkem Flugwind, wo der Flügel schon eine ähnliche Stellung hat wie in Fig 38 II, genügt schon ein geringer Flügelausschlag, um die gewünschte Ueber- neigung der Triebspitzen des

Schwerkraft für den Vortrieb benutzen wovon weiter unten die Rede sein wird —, die den Flügel nicht so weit oder er muss den Flügeln allein an die Horizontalebene spannt, bedarf es für den Zweck eines entsprechend starkeren Flügelschlages. Die Beobachtung zeigt nun, dass hierzu die Schlagfrequenz geeignet ist, welche der Vogel in den Ruderperioden

Flügels zu bewirken; bei ge- ringerer Fluggeschwindigkeit,

Schematische Flügelquerschnitte. I und II beim ansteigenden und horizontalen Gleitfluge; III beim sinkenden Gleit- fluge und beim Flügelschlag. Fw. Flugwind, Flr. Flugrichtung.

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anwendet. Diese Schlagfrequenz ist sicher nicht die maximale, welche der Vogel gegen starken Wind und auf der Flucht anwendet. Der intermittierende Flug ruft stets, nament- lich wenn er von grossen Vögeln ausgeführt wird, den subjektiven Eindruck hervor, dass er eine bequeme, nicht mit grossen Anstrengungen verbundene Flugart ist. Man darf daher annehmen, dass die vom Vogel angewandte Schlagfrequenz eher eine minimale, als eine maximale ist, zumal auch jedes Tier durch einen instinktiven Sparsamkeitstrieb an- gehalten wird, mit seiner Kraft haushälterisch umzugehen.

Unter diesen Verhältnissen kann darüber wohl kaum noch ein Zweifel bestehen, dass eine Verringerung der angewendeten Schlagfrequenz um die Hälfte nicht genügend ist zur Erzeugung eines (hinreichenden) Antriebes nach vorn, und dass eine gleichmässige Verteilung der Flügelschläge über beide Perioden des Rudergleitfluges demnach ungeeignet wäre, einen gleich günstigen lokomotorischen Effekt hervorzurufen. Wir kommen also zu dem Resultat, dass der abwechseln:e Rudergleitflug (und ebenso der Ruderschwebflug) eine Flugart ist, welche dem Vogel gestattet, mit im ganzen minimalem, aber periodisch und mit starker Spannung geleistelem Kraftaufwande einen horizontalen Flug von verhàltnismássig geringer oder mittlerer Geschwindigkeit auszuführen. Um eine grössere mittlere Fluggeschwindigkeit zu erreichen, wird der Vogel die Schweb- oder Gleitperioden durch Wiederbeginn des Flügel- schlages abkürzen müssen oder endlich zum ausschliesslichen Ruderfluge übergehen, der ihm bei maximaler Muskelspannung auch die grösste erreichbare Fluggeschwindigkeit erteilt.

Bei manchen Vögeln scheint der Ruderflug niemals durch regelmässige Schweb- und Gleitperioden unterbrochen zu werden. Hier gelangen anscheinend die Flügel leichter in die zur Erzeugung eines vortreibenden Widerstandes geeignete Stellung, sodass auch bei dem mit möglichst geringer Muskelkraft ausgeführten Fluge die Kraftausgabe eine gleich- massige sein kann.

Wir haben bisher den Schwebflug nur in soweit der Betrachtung unterworfen, als die zu seiner Unterhaltung erforderliche treibende Kraft vorher durch die Arbeit der Flugmuskeln, durch Flügelschlag erworben war. Aber wie beim Gleitflug, so kommt auch hier in vielen Fällen die Schwere als bewegende Kraft hinzu.

Wir haben gesehen, wie die vertikalen Schwankungen der wellenförmigen Flug- bahn dadurch hervorgerufen werden, dass der Vogel in den Ruderperioden ansteigt, während in den Gleit- oder Schwebflugperioden neben der verzögerten Horizontalbewegung des Vogels eine mehr oder weniger deutliche Fallbewegung einhergeht. Hierbei erteilt die Schwerkraft der Masse des Vogels eine Beschleunigung nach unten, die er alsbald’ vermittelst seiner Flügel in horizontale Flugbeschleunigung umsetzt. Denn indem der Vogel schräg herabsinkt, erfährt er einen von vorn und unten kommenden Luftwiderstand, welcher, da er nicht mehr horizontal gerichtet ist (Fig. 38 III, Flw.), den Flügel leicht in die vortreibende Stellung spannen kann. Die Vorwärtsbewegung, welche von der lebendigen Kraft des Vogels unterhalten wird, erfährt demnach im vorliegenden Falle einen weiteren Antrieb durch die Schwerkraft. Was der Vogel dabei durch die Fallbewegung an Höhe

verliert, das gewinnt er, mit anderer Einheit gemessen, an horizontalem Wege. Den

/5.

Hohenverlust aber muss er in den nachsten Ruderperioden durch hóheren Einsatz von Muskelkraft wieder einholen. Er hat hiernach keinen Vorteil von den vertikalen Schwankungen des Wellenfluges, eher kónnte man die dadurch bewirkte Verlangerung der Bahn als einen Nachteil bezeichnen.

Der Grund dieser Einrichtung ist natürlich im Flugapparat zu suchen. Die Flügel der betreffenden Vögel sind allem Anscheine nach so gebaut, dass sie unter der aktiven Spannung der Flugmuskeln eine besonders für die Hubwirkung günstige, supinierte Stellung einnehmen, wahrend die pronierte Triebstellung bei jedem Flügelschlag erst nach Aufwand eines den ganzen Vogel nicht nur tragenden, sondern auch emporhebenden Quantums von Muskelkraft erreicht wird. Nach den grósseren oder geringeren Schwankungen der Wellen- bahn würde man danach auf einen mehr oder weniger hubkraftigen Flügel der betreffenden Vogel schliessen kónnen. Dass die Hebung beim Wellenfluge nicht jedesmal willkürlich und absichtlich vom Vogel herbeigeführt wird, um etwa die vorhergegangene Senkung wieder aufzuheben, sondern dass umgekehrt die Senkung erfolgt, um die unvermeidliche Hebung über die mittlere Fluglinie wieder auszugleichen, dafür spricht die Thatsache, dass gerade die Vogel, deren Wellenflug am starksten auf und ab schwankt, auf den sinkenden Strecken Pfeilflug anwenden. Wäre das Sinken nicht notwendig zum Ausgleich der jedes- mal vorhergehenden, unvermeidlichen Hebung, so würden es die Tiere leicht durch Ueber- gang zum Schwebflug mit entfalteten oder teilweis entfalteten Flügeln verhindern kónnen.

Uebrigens möge auch das Folgende beachtet werden. Beim stark schwankenden Wellenfluge wird jedesmal in der Ruderperiode ein gewisses Quantum Flugkraft zur Hebung verwendet, oder mit andern Worten in Form von potentieller Energie für die nachfolgende Gleitperiode aufgespeichert und erst während des Gleitens und Sinkens in kinetische Energie umgewandelt; der Rest der Kraft treibt den Vogel nach vorn und steht grösstenteils als lebendige Kraft oder kinetische Energie ohne weiteres für die Gleit- periode zur Verfügung. Bei dem mehr geradlinigen, horizontalen Ruderschwebfluge dagegen wird durch den Flügelschlag jedesmal die ganze Flugkraft für die Gleitperiode in Form von kinetischer Energie aufyespeichert. Der Vogel erhält hier also jedesmal einen stärkeren Geschwindigkeitszuwachs, während dort die Fluggeschwindigkeit im Ganzen gleichformiger bleibt. Wollten die kleineren, leichten Vogel, welche den hochgehenden Wellenflug fliegen, den gestreckteren Flug grósserer Vógel ausführen, so müssten sie ihrer geringen Masse und des bedeutenden Hemmungswiderstandes wegen*) bei jeder .Ruderperiode eine geradezu schussartige Beschleunigung erwerben, und der Flug würde mit seinem beträchtlichen Geschwindigkeitswechsel einen durchaus unruhigen, zuckenden Charakter bekommen.

Der Wellenflug ist also ein Mittel, dessen sich kleinere Vögel mit Vorteil für die horizontale Ortsbewegung bedienen, und der ihnen ermöglicht, mit geringem Kraftauf- wande und annähernd gleichmässiger Geschwindigkeit den Flug zu unterhalten.

*) Das Nähere über die Hemmung wird beim Segelflug erörtert werden.

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Bei grösseren Vögeln werden die starken vertikalen Schwankungen des Wellen- fluges vermieden, weil hier ein Aufspeichern der für .die Schwebperioden nötigen Kraft nicht in Form von Höhe oder potentieller Energie einzutreten braucht, da der grösseren Masse der Tiere wegen schon eine geringe Flugbeschleunigung hinreicht, um jene Kraft in Form lebendiger Kraft oder kinetischer Energie zur Verfügung zu stellen.

Wir haben oben bemerkt, dass der Schwebflug nicht nur in den regelmässigen Perioden des Wellenfluges vorkommt, sondern dass man ihn gelegentlich auch sonst noch bei vielen, wenn nicht allen fliegenden Vögeln beobachten kann. Der Storch, der sich vom Neste auf ein nahes Feld begiebt, die Taube, die vom Dachrande niederfliegt, der Segler, der sich zum Fluge in die Luft hinabstürzt, der Sperling, der sich von einem Zweige nahebei auf die Erde herablässt, der herabstossende Falke, die Krähen und die meisten anderen Vögel beim Anlanden: alle bedienen sich in den abwärts gerichteten Strecken zeitweise des Schweb- oder Gleitfluges.

Aus der Haltung, welche die Flügel dabei einnehmen, lässt sich erkennen, dass hier der Schwebflug den verschiedensten Flugzwecken dienstbar gemacht wird.

Wenn zu Beginn der Abwärtsbewegung ein Falke mit mehr oder weniger ein- gezogenen Flügeln sich herabstürzt, so ist ihm diese Bewegung das Mittel, ohne eigne Arbeit, nur auf Kosten der Höhe seines Standpunktes und durch die Wirkung der Schwerkraft eine grosse Fluggeschwindigkeit und lebendige Kraft zu erwerben. Vielleicht benutzt er einen Teil dieser Kraft, um sich durch Stoss seiner Beute zu bemächtigen; vielleicht vergrössert er alsbald Neigungswinkel und Flächen seiner Flügel, um mit der erlangten lebendigen Kraft horizontal fortzuschweben; vielleicht auch lässt er sich mit straff entfalteten Flügeln durch dieselbe Kraft in einem gewaltigen Schwunge wieder bis nahe zu dem früheren Standpunkte emporheben, um alsbald das Flugspiel von neuem zu beginnen.

Bei der Falkenjagd, welche nach Brehm noch heute in Afrika und bei mehreren Völkern Asiens ausgeübt wird, beobachtete man genau den Verlauf des Kampfes zwischen Raubvogel und Beutetier und hatte besondere Bezeichnungen für die einzelnen Episoden desselben und für jedes Flugmanöver des jagenden und des gejagten Vogels. Marey macht darüber nach einem kleinen Buche von Hubert (Observation sur le vol des oiseaux de proie. Geneve 1784) u. a. die folgenden Mitteilungen:

Durch Flügelschlag steigt der Falke in der Richtung gegen den Wind schräg empor (carrière); zuweilen auch unterbricht er den Anstieg, um eine Strecke weit horizontal mit dem Winde zurückzukehren (degre), und beginnt dann von neuem den Aufstieg, so dass die Fluglinie im Zickzack aufwärts geht (Fig. 39). Marey meint, das geschehe, um die schwere Arbeit des Anstieges einzuteilen, da die »degrés« einer Erholungspause gleich- kommen. Dies ist wohl richtig, aber in manchen Fällen mag auch das Bestreben möglichst steil über der Abflugstelle und in der Nähe des jagdbaren Vogels emporzukommen, die Veranlassung zu dieser Form der Anstieglinie sein. Ist die Höhe erreicht, so beginnt

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der Angriff, bei dem sich der Falke fast nur des Schweb- und Gleitfluges bedient. Mit angezogenen Flügeln stósst er auf die Beute herab (chute) die durch eine geschickte

A

Steigende Fluglinie eines Falken auf der Beize. AB, CD Anstieg (carrière), BC Stufe (degré. Von A bis D Ruderflug, von D ab Gleitflug und Stoss von unten (pointe) gegen den gejagten Vogel. Wendung seitlich oder nach unten ausweicht (esquivade). Ein momentanes Aufrichten der Flugflächen genügt, um den Falken gleitend fast bis zur vorher innegehabten Höhe auffahren zu lassen (ressource von resurgere), worauf nach kurzem Rütteln ein neuer Gang (passade) mit Stoss und Auffahrt erfolgt, bis das Beutetier zu Boden gestürzt und kampf-

unfähig gemacht ist.

Die dem Buche Hubert's entlehnte Figur 2 Mareys, welche die von einem Jagdfalken während des Kampfes zurückgelegte Flugbahn darstellt, ist fehlerhaft, da sie z.B. in einzelnen Passaden den Vogel in der Ressource höher steigen lässt als er vorher herabgestossen ist, was ohne Flügelschlag unmöglich ist. Ich möchte sie daher durch die folgende Fig. 40 ersetzen, die diese und andere Ungenauigkeiten vermeidet.

Ff.

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Schema der Fluglinie auf einer Reiherbeize. AP Bahn des Falken, BP Bahn des Reihers. Bei den Zahlen I bis § beginnen die Stósse des Falken, denen der Reiher bei a bis d ausweicht. Bei P ergreift der Raubvogel die Beute.

Hat der Falke nach und nach zu viel Hohe verloren, um noch kräftig genug herabstossen zu können, so wird er durch eine neue kurze Periode des Flügelschlages höher emporsteigen und damit die frühere Stosskraft wiedergewinnen. Immer ist es hierbei die Schwerkraft, die dem Falken die zur Auffahrt (ressource) nötige lebendige Kraft überträgt. Gewiss wird auch zwischen den einzelnen Stössen Flügelschlag angewandt.

Zuweilen aber, wenn der Falke während seines Anstieges (carriére) dicht unterhalb des gejagten Vogels angekommen ist, benutzt er auch wohl direkt die durch kräftigen Flügelschlag gewonnene schwanzchen , Fliegen- Geschwindigkeit, um mit schnäpper und andere einer »pointe« den Vogel kleine Vögel aus, die sich von unten zu spiessen von fliegenden Insekten (brousser). Er geht dann nähren. Sehr oft ist dies plötzlich vom Ruderfluge bei denSchwalben (Fig. 411

zum ansteigenden Schweb- Ex zu beobachten; im schnell- fluge über, indem er die E o N sten Fluge stossen sie blitz- Flügel wie zu einer Auf- ; y a schnell empor, halten dann fahrt (ressource) orientiert. M zd E T die Flügel weit entfaltet

- ~ een

Aehnliche nach oben aber steil in die Hohe, gerichtete Schwebstösse Fig. 41. so dass sie fast senkrecht

wie die Falken führen Schwalbe, die nach einem Hochstoss mit auf- herabsinken. h die Schwalben. Rot gerichteten Flügeln steil herabschwebt. auc > 7 9 ux C A E a we a ce N, RT Tees Lom me meum me mmu e ma wr ri Me ann D LN ` Se, x : x E ur Po REN \ Nur É evens = P X Fig. 43. Fig. 42. Aufrechte Schleife aus der Flugbahn der Purzeltaube. AB und BD Steil herabschwebende Ruderflug, die Schleife Schwebflug, bei C wendet der Vogel vor- Taube. übergehend den Rücken gegen den Erdboden.

Auch die Tauben sieht man oft mit hoch gehaltenen Flügeln (Fig. 42) ohne Flügelschlag in der Luft fast senkrecht herabschweben. Sie hindern durch diese Flügel stellung die vortreibende Spannung und Wirkung derselben und verringern damit auch deren Tragkraft, da die Flügel wie die Flachen eines Keiles, dessen Schneide die konvexe Bauchflache ist, die Luft durchschneiden. `

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Höchst seltsam und vollendet ist die Form, in welcher der aufwärts gerichtete Schwebflug gelegentlich von der Purzeltaube ausgeführt wird. Diese Abart der Haustaube hat ihren Namen danach erhalten, dass die Tiere während des Ruderfluges zuweilen so kräftig mit den Flügeln nach vorn schlagen, dass sie sich unmittelbar darauf nach rück- wärts überschlagen, d. h. in einem kurzen Gleiten eine volle vertikale Schleifenlinie durchfliegen (Fig. 43).

Fig. 44.

Gleitlinie einer Krähe. Die im absteigenden Ast der |a erlangte Fluggeschwindigkeit wird im horizontalen Teil verbraucht, Das unterc Ende der Bahn ist stets gegen den Wind gerichtet, zuweilen mit schwach ansteigender Tendenz.

Ueberall, wo eine Schwebbewegung nach abwärts beginnt, ist sie zunächst eine gleichfórmig beschleunigte, bis bei einer gewissen Geschwindigkeit der Luftwiderstand gleich dem Körpergewicht geworden ist. Von diesem Zeitpunkte an bleibt die Geschwin- digkeit konstant. Erfolgt nun eine Verkleinerung des Neigungswinkels oder des Inhalts der Flugflachen, so vollzieht sich der weitere Abwartsflug unter steilerem Winkel und mit grósserer Geschwindigkeit. Wird dagegen die Flugflache oder ihr Neigungswinkel vergróssert, so verläuft die Fluglinie alsbald horizontal oder aufwärts, und die Geschwindigkeit wird allmählich geringer und schliesslich auf Null reduziert. Dies ist der Grund, warum der horizontale oder emporstrebende Gleitflug so vielfach angewandt wird, eine vorhandene Fluggeschwindigkeit zu vernichten und den Flug abzubrechen. Die meisten Vögel bedienen sich dieses Mittels, sofern die Raumverhaltnisse es gestatten (Fig. 44), andernfalls wird die Hemmung durch geeignete Fliigelschlage verstarkt, und der Vogel sinkt, wie es bei landenden Tauben so oft zu beobachten ist, in Rüttelflugstellung d. h. mit steil aufgerichteter Langsachse langsam zum Sitzen herab.

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Die seltsamste Art des Schwebfluges, die immer und immer wieder die Bewunderung und das Staunen der Beobachter hervorruft, ist ohne Zweifel der echte Schwebflug oder das Schweben auf der Stelle ohne Flügelschlag.

Man kann diese Flugart bei Schwalben, Seglern, Krähen, Falken, Möven, Sturm- vögeln und anderen beobachten, wenn ein lebhafter Wind die Luft bewegt. Der Wind ist zur Ausführung dieses Fluges ebenso notwendig, wie für den eigentlichen Segelflug. Da aber ein horizontaler Wind, wie früher gezeigt wurde, nur hebend und hemmend oder fortreissend auf den Flügel einwirken kann, so ist klar, dass gegen die eintretende Abdrift eine andere vortreibende Flugkraft zur Anwendung kommen muss. Diese Kraft kann in horizontalem Winde keine andere sein, als die Schwerkraft, sofern beim echten Schwebfluge die Muskelkraft nur rein steuernd mitwirkt. Da sich nun das aktive Ein- greifen der Schwerkraft beim Fluge darin zeigt, dass der Vogel sinkt, so ist auch der Schwebflug genau genommen kein Flug auf der Stelle: er ist vielmehr mit einem, wenn auch nur geringen Herabsinken verbunden. |

Wegen der Ungleichförmigkeit des Windes kann das Sinken des Vogels beim Schweben nicht gleichförmig erfolgen. Jeder stärkere Windstoss strebt den Vogel zu heben, jedes Abflauen ihn sinken zu lassen. Aber mit der Hebung würde der Vogel auch von seinem Standpunkte fortgerissen werden, wenn er nicht durch geschickte Ver- kleinerung der Flugflache und namentlich des Neigungswinkels die Hemmung und Abdrift auf eine sehr geringe Grosse einschranken konnte.

Auf Sylt und Helgoland*) kann man das Schweben der Möven aus allernächster Nähe beobachten. Der Vogel steht nicht völlig still, man kann sehen, dass er mit gewissen balancierenden Schwankungen und steuernden Einstellungen der Flügel dem unregelmässiren Charakter des Windes gerecht wird. Es ist nicht zu verwundern, dass man diese Schwankungen als absichtlich vom Vogel erzeugt und als das geheimnisvolle Mittel angesehen hat, durch welches der Vogel dem entvegenstehenden Winde eine vor- treibende, die Abdrift aufhebende Kraftkomponente abgewinne.

Nach Basté lässt sich der schwebende Vogel mit einer gewissen Neigung seiner Flügel vom Winde emporheben und ein wenig zurückführen; dann verringert er den Neigungswinkel, sinkt infolgedessen und gewinnt auch den durch die Abdrift verlorenen Raum zurück.

Ganz ähnlich wäre der Schwebflug nach der Theorie Langley's zu erklären, nur dass die Hebung passiv durch eine momentane Verstärkung des Windes vollzogen würde, während das Sinken und Vorgleiten während eines anemometrischen Minimums erfolgen müsste.

Die Unhaltbarkeit der Basté'schen Erklärung liegt nach dem früher Gesagten auf der Hand, denn ohne andauerndes, im ganzen nach unten fortschreitendes Fallen. ohne Aufwand einer der Abdrift entvegenwirkenden Kraft muss diese Abdrift selbst. ständlich eintreten und ein Schweben über einem Punkte der festen Erde ist danach nicht

Vergl. Gätke: Die Vogelwarte Helgoland, herausgegeben von Blasius.

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81 ausführbar. Bezüglich der zweiten Erklärung können wir auf die unten folgende Kritik der Hypothese Langley's verweisen.

Die dort (S. 91) mitgeteilten Beobachtungen der gegen den Wind anschwebenden Schwalben lassen das Schweben an Ort über einem festen Punkte nur als einen besonderen Fall des Schwebfluges erscheinen, bei dem der Flugwind aktiver Natur ist und eine Mit- wirkung von lebendiger Kraft des Vogels nicht stattfindet. Auch das Schweben an Ort vollzieht sich unter dem aktiven Einflusse der Schwerkraft, wie das Fortschweben; aber wenn beim Gleitflug die Schwere die Aufgabe hat, dem Vogel unter Ueberwindung aller Flughemmungen eine Fluggeschwindigkeit gegen den Wind sowie lebendige Kraft zum Emporsteigen zu verleihen, so hat sie beim Schweben nur der hemmenden Windkomponente das Gleichgewicht zu halten, während ihr selbst die lebendige Kraft des Windes entgegen- wirkt. Daher ist auch beim Schweben auf der Stelle die Fallgeschwindigkeit weit geringer als beim Vorwärtsschweben, aber sie ist nicht absolut minimal, denn es sind sehr wohl Fälle denkbar, wo bei einer sehr geringen, aber immer noch positiven Fallbewegung des Vogels nicht ganz so viel Vortrieb gewonnen wird, als die Abdrift durch den Wind beträgt, wo also trotz des Sinkens eine langsame Abdrift erfolgt.

Um dies näher zu illustrieren, möchte ich ein interessantes Landungsmanóver- der Tauben mitteilen, welches ich von meinem Fenster aus wiederholt zu beobachten Ge- legenheit hatte. Die Thür des Taubenschlages mit den Anflugstangen liegt nach Westen. Weht nun ein kräftiger Westwind, so macht es den Tauben grosse Mühe, auf den Anflugstangen festen Fuss zu fassen, da sie unter allen Umständen beim Niedersetzen den Kopf dem Winde zukehren müssen, um nicht augenblicklich heruntergeweht zu werden. Die Tauben überwinden diese Schwierigkeit durch ein kunstvolles Manöver; sie fliegen von der Firstseite des Daches her gegen den Wind und schweben zuletzt herab bis auf eine Entfernung von 1—1!/s m vor und über der Anflugstange. Dann hört die Bewegung nach vorn auf, und ohne sich zu drehen, lassen sie sich, den Kopf gegen den Wind und öfter abwärts sehend, ohne Flügelschlag langsam abwärts- und zurücktragen, so dass sie in richtiger Stellung den Landungsplatz erreichen. Hier findet also in will. kürlicher Folge ein Sinken mit Vortrieb und ein Sinken mit Abdrift statt; aber während die erste Bewegung gleichsam spielend erfolgte, kostete die letztere offenbar einen ganz besonderen Aufwand an Geschick und Steuerkraft, denn die Kunst des Zurückschwebens gelang den Tauben oft erst nach einem vergeblichen Versuche und unter aktiven Flügelschlägen.

3. Der Segelflug.

In dem vorhergehenden Abschnitte über den Gleit- und Schwebflug wurde gezeigt und wiederholt hervorgehoben, dass jeder horizontal oder ansteigend verlaufende Flug ohne Flügelschlag auf Kosten einer vorher erworbenen Geschwindigkeit des Vogels aus- geführt werde. Stets ist es die lebendige Kraft des Vogels, die den so gerichteten Schwebflug unterhält, und noch vor völliger Erschöpfung derselben muss der Vogel zu einer anderen, neuen Antrieb gebenden Flugart übergehen, wenn er die Flugbewegung

Il

82 nicht abbrechen will. An der unbedingten Zuverlässigkeit und Richtigkeit dieser Einsicht kann nicht der geringste Zweifel bestehen, denn jede in einem widerstandleistenden Medium begonnene Bewegung eines wie immer gestalteten Körpers kommt schliesslich zur Ruhe, wenn der durch die Hemmung hervorgerufene Geschwindigkeitsverlust nicht durch neuen Antrieb ersetzt wird.

Diese Ueberzeugung hat früher manche namhafte Flugtheoretiker veranlasst, die Möglichkeit des nun zu besprechenden Segelfluges zu leugnen. Und doch hat man oft Gelegenheit, fliegende Vögel zu sehen, die ohne Flügelschlag mit ruhig ausgebreiteten Flügeln sich lange Zeit, ja stundenlang, frei schwebend in der Luft erhalten, und ohne Flügelschlag sich zu den höchsten Höhen emporschwingen.

Diese Thatsache wird heute nicht mehr bestritten. Seit langer Zeit ist man eifrigst bemüht, die rätselhafte Kraft zu ermitteln, welche »diesen mühelosen Flug«, die »voll- kommenste aller Fortbewegungsarten« unterhält. Dass diese Bemühungen nicht gleich von Erfolg gekrönt waren, dass bis in die neuste Zeit, wo durch die Bestrebungen der Luftschifffahrt das Interesse an der Lösung dieses Problems immer brennender geworden ist, die vielfach angestellten Forschungen noch nicht das Stadium der Hypothesen über- schritten haben: dies alles ist schon so vielfach mit den Schwierigkeiten der Aufgabe ent- schuldigt werden, dass es keiner weiteren Erklärungen bedarf. Unser erster Schritt zur Lösung des Problems soll sein eine

Kritik der bisherigen Erklärungsversuche des Segelfluges.

Wir brauchen nicht näher -auf die mancherlei aus älterer und neuerer Zeit stammenden sog. Erklärungsversuche einzugehen, deren Unrichtigkeit auf der Hand liegt und die schon zu wiederholten Malen, zuletzt noch von. Prof. Dr. Karl Millenhoff,*) zusammengestellt und wiederlegt worden sind.

Es ist weder die »warme Luft in den hohlen Knochen.« noch die »Luft in den Luft säckene, welche den Vogel trägt und hebt, denn die erstere würde nur einen aörostatischen Auftrieb von 31/60 Gramm, die letztere von !/is Gramm ergeben, wenn das zu. hebende Gewicht des Vogels 1000 Gramm betrüge. Und wenn man die Behauptung aufgestellt hat, der Vogel könne sich dank der »schraubenförmigen Gestalt der Flügel (Pettigrew). in die Luft emporschrauben, ohne dass die .hierzu nötige Kraft nachgewiesen ‚wird, so ist damit der Flug ebensowenig erklärt, wie wenn ein Änderer die spiritistische Meinung aus- spricht, der Vogel könne allein vermöge des freien Willens sich in der Luft schwebend er- halten und emporsteigen.

Vielfach hört man auch die Ansicht aussprechen, der Vogel müsse zweifellos schr schnelle Flügelbewegungen ausführen, die sich aber der Beobachtung entzögen. Ein aus der Nähe zu beobachtendes leichtes Zittern der weichen Federspitzen, das Rauschen der Flügel, bestätigen zwar das Vorkommen minimaler Vibrationen, aber man hat doch nicht ernstlich gewagt, diese dem Flattern einer Fahne vergleichbaren Erschütterungen als die

*) Dr. K. Müllenhoff: Ueber das Schweben und Kreisen der Vögel. Journal für Ornithologie,

XLII Jahrg., October 1894.

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Ursache des andauernden Segelfluges hinzustellen. Mit weit grösserem Nachdruck wird dagegen noch heute in der Litteratur versucht, das Segeln und Schweben der Vögel durch aufsteigende Luftströme zu erklären. Der Gedanke, dass die Vögel durch aufwärts- gerichtete Winde gehoben werden könnten, ist ja naheliepend, zumal an dem Vorkommen vertikaler Luftströmungen gar nicht zu zweifeln ist. Man braucht nur an die Auflockerung der Atmosphäre im Tropengürtel zu denken, welche auf die Cirkulation in der gesamten Lufthülle der Erde einen so weitreichenden Einfluss ausübt; oder an die ungleiche Er- wärmung der Luft über dem Wasser und über dem Lande, über dem Walde und über der kahlen Haide. Man hat auch mehrfach Gelegenheit gehabt (am Eifelthurm und früher schon durch Lilienthals Experimente), eine aufsteigende Tendenz des Windes durch direkte Messung festzustellen. | |

Die Frage ist nur, ob überall, wo die kreisenden Vögel ihre spiralige Flugbahn emporschweben, solche oder ähnliche aufsteigende Winde vorhanden sind, und ob man auch nur die geringste Berechtigung hat, anzunehmen, dass es überhaupt vertikale Winde von solcher Stärke giebt, dass sie z. B. den 6—8 kg schweren Körper eines Kondors mit einer Flugflache von kaum einem Quadratmeter spielend zu den höchsten Höhen der Atmosphäre tragen können.

Diese Fragen sind mit grosser Entschiedenheit im bejahenden Sinne beantwortet in einer ausführlichen Arbeit vom Ingenieur Joh. Olshausen, betitelt: »Das Segeln und Schweben der Vögel«. (Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes. Jahrg. 1890. Heft 3). Das Endergebnis dieser Arbeit lautet: »Das flügelschlaglose Schweben, Kreisen und Scgeln der Vögel wird ermöglicht durch senkrecht oder schräg aufsteigende Luftströme oder Winde. Diese sind an unzähligen Orten der Erde und entstehen

1. Durch Ablenkung der Winde aus ihrer horizontalen Bahn durch die Gestaltung der Erd- nnd Meeresoberflache. Die Geschwindigkeit dieser abgelenkten Luft- strome oder Winde kann nahezu so gross werden wie die der horizontal- wehenden Winde, d. h. bis 40 m und mehr in der Sekunde.

Durch lokale Erwärmung des Bodens durch die Sonnenstrahlen, bei verschiedener Beschaffenheit der Erdoberfläche. Die Geschwindigkeit dieser erwärmten Luft- ströme beträgt häufig wenigstens 5 bis 10 m in der Sekunde, wahrscheinlich

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aber bedeutend mehr.

»Die vorhandenen Geschwindigkeiten genügen vollauf, um gegen die vollkommen ausgebreiteten Flügelflàchen der schwebenden, kreisenden oder segelnden Vögel einen Druck auszuüben, welcher sie trägt und hebt. . . . . «

Leider halt dies glänzende, alle Erwartungen und Erfahrungen weit hinter sich lassende Resultat der Kritik nicht stand. Das Hauptargument des Verfassers bildet das Helgolander Windpháünomen?) An der steilen, 60 m hohen Felsenküste der Insel ent- steht bekanntlich wie an jeder senkrechten Wand, in Folge der Ablenkung des darauf.

*) Dasselbe ist meines Wissens zuerst von Prof. Móbius zur Erklirung des Anbordkommens der fliegenden Fische in die Fluglitteratur eingeführt worden. (Zeitschr. f. wiss. Zool, XNXX. Suppl. Bd.) Daselbst

wird auch zuerst auf dynamische Einflüsse der Meereswellen auf die benachbarten Luftschichten hingewiesen.

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84 stossenden Windes ein aufsteigender Luftstrom, der vom oberen Rande des Felsens aus leicht zu konstatieren ist. Bei stiirmischem Wetter erlangt dieser Strom eine so enorme Geschwindigkeit, dass er selbst schwere Gegenstände, wie einen schweren hölzernen Warnungspfahl und eine grosse, schwere Bank, die von oben über den Abhang gestürzt wurden, mit Leichtigkeit emporhob, um sie nahe neben der Kante in der hier vor- handenen windstillen Zone niedersinken zu lassen. Man muss dem Autor zugeben, dass eine aufsteigende Luftströmung, die solche Kraftstücke vollbringen kann, auch im Stande ist, die soviel leichteren Vögel zu tragen. Aber die Vögel schweben gar nicht in diesem starken Luftstrome, sondern hoch darüber und draussen über dem offenen Meere, wie über der Insel. Olshausen nimmt nun an, dass der tragende aufsteigende Wind «bis in eine Höhe von vielen hunderten vielleicht tausenden von Metern« sich erstrecke und je höher, um so weiter in’s Meer hinaus reiche, da man nur dort das vollständig flügelschlag- lose Schweben von ganzen Mövenscharen beobachte, die in diesem Gebiete scheinbar nach jeder Richtung steuern. Die Tiere schweben immer vor der dem Winde zugekehrten Küste.

Den Beweis für die Richtigkeit der Annahme eines nahezu unbegrenzt bis in die höchsten Luftschichten Aufsteigenden Stromes, der selbst in hunderten von Metern Höhe noch die schwebenden Möwen trägt, glaubt Olshausen durch eine Berechnung erbracht zu haben. Der Gedanke ist folgender. Es wäre denkbar, dass ein horizontaler Luftstrom, der durch ein Hindernis aufgehalten wird, keine aufsteigende Richtung annähme, sondern sich vor dem Hindernis verdichte und so eine annähernd horizontale Richtung beibehielte. (Der Verfasser denkt sich offenbar, ohne es klarer auszusprechen, es bilde sich eine keil- förmige, komprimierte Luftmasse von dem Hindernis, über welche dann vielleicht der Wind schwach ansteigend, die Höhe des Hindernisses erreichte, um glatt über dessen Rand hinwegzugehen). Die angestellte Berechnung ergiebt aber, dass bei stärkstem Sturme die Luft vor festen Wänden nur um etwas mehr als 3 °/o zusammengedrückt werden kann. Es muss also unter allen Umständen ein aufsteigender Strom entstehen; das Hindernis zwingt die ganze Luftmasse, welche sich auf dasselbe zu bewegt, in parallelen, horizon- talen Schichten aufwärts auszubiegen und da die Luft sich so wenig zusammendrückt, so müssen auch die obersten Schichten, in Anpassung an die unteren, die Aufwärtsbewegung mitmachen. So kann auch das geringfügigste Hindernis, wie die flache Düne von Helgo- land, jeder Wellenrücken auf dem Meere auf hunderte von Metern Höhe die Luft zwingen, aufwärts statt horizontal zu fliessen.

Das Resultat dieser Deduktionen ist ein so überaus unwahrscheinliches, das man glauben sollte, es hätte allgemein ohne weitere Prüfung abgelehnt werden müssen. Auf- fälligerweise hat man es aber vielfach in Ermangelung von etwas Besserem ohne Prüfung anerkannt, und das Dogma von der Allgegenwart starker aufsteigender Luftströme findet darin noch immer seine kräftigste Stütze.

Der Fehler in den theoretischen Ausführungen Olshausens liegt darin, dass er glaubt, es könne die durch das Hindernis hervorgerufene Aufwärtsströmung nur aérostatisch durch Luftverdichtung oder Kompression gedämpft und ausgeglichen werden.

Thatsächlich findet der Ausgleich in dem elastischen und beweglichen Medium

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nur zum verschwindend kleinen Teile bei senkrechten Hindernissen durch Zusammendriickung, grösstenteils aber durch bedeutend gesteigerte Abflussgeschwindigkeit statt. Nicht die ganze Atmosphäre wird gezwungen, mit der allgemeinen Windgeschwindigkeit das Hindernis vertikal zu umgehen, sondern nur die unteren Schichten geraten nahe vor dem Auftreffen auf das Hindernis gleichsam in eine Stromenge. Die Luftteilchen werden hier zusammen- gedrängt und erhalten infolge ihrer Elasticität und Beweglichkeit eine dem Andrange ent- sprechende mehr oder weniger bedeutende Beschleunigung nach der Seite des geringsten Widerstandes, d. h. vor dem Hindernis nach oben. So entsteht an dieser Stelle der auf- steigende Strom, der oberhalb des Hindernisses durch den seitlichen Andrang des Windes in kurzer Zeit wieder nach der Seite des geringsten Widerstandes, d. h. in die Richtung des Windes abgelenkt wird. Schon in der Entfernung von 10 bis 20 Metern hinter der Felsenkante treffen, wie Olshausen angiebt, die ersten wilden Wirbel des umbiegenden Vertikalstromes auf das Inselplateau, und dann herrscht bei starkem Winde auf der Insel ein Sturm, welcher das Gehen fast unmöglich macht. Wenn der Wind auf ein grosses, freistehendes Haus stösst, so bilden sich an den Hausecken ganz analoge, aber horizontal in der Richtung der Hausfront abweichende Stromschnellen, die hinter der Ecke Wirbel und Windschatten bilden, wie der Wind an der helgoländer Kante. Nach Olshausen's Hypothese müsste diese seitliche Stromung in gleicher Starke auf hunderte, ja tausende von Metern zu konstatiren sein. Die Erfahrung zeigt, dass schon in geringer Entfernung seitlich und vor dem Hause keine erkennbare Stórung des Windes vorhanden ist.

Auch aus aérodynamischen Versuchen Langley’ s ergiebt sich, dass der Einfluss eines Hindernisses auf die Bewegung der Luft erst in geringer Entfernung von dem Hindernis bemerkbar wird. Daher ist auch der aufsteigende Strom, durch welchen die auf den Felsen stossenden Luftmassen abfliessen, nur in der Nàhe des Felsens vorhanden, nicht aber hunderte von Meter davor und darüber; die Geschwindigkeit des vertikalen Stromes ist nicht etwa so stark wie die allgemeine Windgeschwindigkeit, also im Maximum bis etwa 40 m, sondern stetst stárker als der Wind, und auch noch über der Insel fliesst die Luft mit einer grósseren Geschwindigkeit nach der Leeseite ab. Olshausen hat auf diese Geschwindigkeitsdifferenzen bei der Aufstellung seiner infolgedessen ziemlich unklar formulierten Hypothese gar keine Rücksicht genommen, und auch nicht den Versuch ge- macht, eine Erklärung der in ihren enormen Wirkungen so überraschenden Stromschnelle an der Felsenkante zu geben; er würde sonst seine Ausführungen wenigstens in hypo- thetische Formen gekleidet haben.

Selbstverstandlich kann hiernach keine Rede davon sein, dass die Düne von Helgoland oder gar die Wellen des Meeres starke aufsteigende Winde erzeugen, resp. den Wind so weit nach oben ablenken, dass in grósserer Hóhe über dem Wasserspiegel Vogel ohne Flügelschlag fliegen kónnen. Solche Stróme sind gar nicht vorhanden, und ihre Existenz wird auch nicht wahrscheinlicher gemacht, wenn wir erstaunen über das Wunder des flügelschlaglosen Fluges, den die Vógel auch bei schwachem Winde hoch über dem freien Meere wie an jeder beliebigen anderen Stelle der frei bewegten Luft mit spielender Leichtigkeit ausführen. Nicht weniger gewagt sind die Spekulationen, die Olshausen über die Geschwindigkeit der durch Erwärmung hervorgerufenen aufsteigenden Luftstrome

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angestellt hat. Hier berechnet er die Geschwindigkeit der aufsteigenden erwarmten Luft nach einer Formel, die für die Luftbewegung in einem Schornstein bestimmt ist. Der Autor nennt .es zwar selber kühn, eine solche Berechnnng auf eine frei sich erhebende, nicht von allen seitlichen Einwirkungen wie in einer Esse abgeschlossene Luftstrómung anzu- wenden, aber es hindert ihn nicht, gleich darauf »von bescheidensten, unanfechtbaren Annahmen« zu sprechen, mit denen er sich die gewünschten vertikalen Geschwindigkeiten ausrechnet. Von irgend einer positiven Beweisführung oder gar Beobachtung ist nicht die Rede, und schliesslich wird im Zirkel aus den .Flugbewegungen auf die aufsteigende Windrichtung geschlossen, um durch diese wieder den Flug zu erklären.

Könnte die Insolation eine derartige Wirkung hervorbringen, so würde diese jedenfalls bei ruhigem, windstillen Wetter am grössten sein, und man sollte erwarten, dass dies das richtige Wetter zum Schweben und Kreisen der Vögel sei, da dann ja die aufsteigenden Ströme ihre grösste Tragkraft entwickeln würden. In Wirklichkeit ruhen die Vögel bei Windstille, oder gehen erst mit dem Auffrischen des Windes zum Segel- fluge über, der ohne Wind unmöglich ist.

Diese Ausführungen mögen genügen, um zu zeigen, welche positive Grundlagen der Glaube an die Existenz so starker aufsteigender Ströme hat, wie sie von Olshausen behauptet und zur Erklärung des Kreisens und Schwebens verwendet sind. Weder durch die kleinen und grösseren Unebenheiten der Erdoberfläche, noch durch die ungleichen Wirkungen der Insolation können in den oberen Luftschichten derartige allgemeine und starke Bewegungen verursacht werden.

Eine noch grössere Beachtung und Anerkennung als die Hypothese der aufsteigenden Luftstróme haben die bis in die neuste Zeit immer wieder unternommenen Versuche gefunden, das Fliegen ohne Flügelschlag auf die Ungleichmässigkeiten in der Luftbewegung zurückzuführen.

Die alteste der dahingehenden Hypothesen wurde von Lord Rayleigh (Nature, XXVII. pag. 535) entwickelt; von Hubert Airy (ibid. pag. 590) R. Courtenay. (ibid. XXVIII. pag. 28) und anderen englischen Autoren vervollständigt und in Deutsch- land mit besonderem Nachdruck von H. Strasser (Flug d. Vögel. Jena 1885. S. 236 ff.) vertreten. ONG

Lord .Rayleigh gcht von der unbedingt richtigen Beobachtung aus, dass das Kreisen der Vögel immer nur bei bewegter Luft stattfindet. Da alle Versuche, das ‚Kreisen in gleichmässig horizontal bewegter Luft zu erklären, erfolglos gewesen sind und der Theorie nach sein mussten, so liegt die Vermutung nahe, dass Ungleich- fórmigkeiten des Windes die wahren Ursachen des Segelfluges sind. Thatsächlich bestehen solche Ungleichformigkeiten und Verschiedenheiten der Strómung, sowohl in vertikaler wie in horizontaler Richtung. Es ist bekannt, dass die hoheren Luftschichten eine gróssere Geschwindigkeit haben, als die unteren, da die der Erdoberfliche benachbarten Luftmassen stärker gehemmt werden, als die entfernteren. Aber auch nebeneinander dahinziehende Luftmassen kónnen sich verschieden verhalten. Und überall, wo solche Verschiedenheiten

87 vorhanden sind, 'enipfindet sie der fliegende Vogel als Verstarkungen oder Verringerungen des Gegenwindes, eventuell sogar als Rückenwind.

Alle diese Verschiedenheiten nun weiss der Vogel auszunutzen, indem er sich immer so stellt und wendet, dass er von dem relativ schwächeren Gegenwinde, worin er sich ‘befindet, gegen einen relativ stärkeren ansegelt und so mit stets zunehmender Wind- geschwindigkeit emporgehoben wird. Wenn nötig, kann er durch vorübergehendes Fallen seine eigne und die Geschwindigkeit des Gegenwindes entsprechend steigern, um dann durch Emporgleiten die alte Höhe wieder zu gewinnen, ja zu überschreiten.

So die Theorie. Ihre schwachen Seiten sind bald herausgefunden. Zunächst setzt sie, wie die Hypothese der aufsteigenden Luftströme, eine an's Wunderbare grenzende, unvorstellbare und unnachahmliche Manövrierfähigkeit voraus, mit welcher die Vögel der enormen Schwierigkeiten Herr werden sollen, welche der Flug nach der Theorie hat. Und doch sieht die ganze Bewegung gar nicht nach solchen Schwierig- keiten aus. Sie vollzieht sich auch bei starkem Winde in so erhabener Ruhe und Gleich- massigkeit, dass man mit Recht das Kreisen als eine geradezu entziickende Art der Fort- bewegung bezeichnet hat.

Aber selbst wenn der Vogel diesse ausserordentliche Fähigkeit besässe und durch seine Drehungen und Wendungen den bald rechts, bald links, bald über, bald unter ihm vorhandenen stärkeren Gegenwind mit den Flügeln aufzufangen verstände, so würde durch den gleichmässig gesteigerten Gegenwind doch immer nicht zu erklären sein, wie der Vogel unter Vorwärtsbewegung gehoben wird. Denn wenn schon ein: gleichförmiger Gegenwind den in ihm schwebenden Vogel nach einiger Zeit mit sich fortreisst, so muss es ein zunehmender auch, und der Vogel würde, schnell und schneller mit dem Winde zurückgehend, nur dann vor dem Absturze gesichert sein, wenn er gleichzeitig und fortwährend eine der Abtrift gleiche Geschwindigkeitszunahme des Gegenwindes erzielen könnte. Das ist aber, zumal bei stundenlangem Fluge, ganz undenkbar und unmöglich. Dazu fehlt jede Erklärung für die schönen, regelmässigen, kreisförmigen oder spiraligen Bahnen, denn nach der Theorie müsste der Flug ein höchst unruhiges Hasten und Tasten nach stärkerem Gegenwinde sein, und er könnte eventuell auch ebensogut geradlinig emporsteigen.

Auch S. P. Langley hat zur Erklärung des Fluges ohne Flügelschlag eine vielversprechende und viel besprochene Hypothese aufgestellt, die gleichfalls das Geheimnis dieses »physical miracle of nature« in Unregelmässigkeiten des Windes erblickt und demnach im Prinzip mit der Theorie Lord Rayleigh's identisch ist. Während Rayleigh aber die Geschwindigkeitsdifferenzen in horizontaler und vertikaler Richtung ver- werthet, stützt sich die Hypothese Langley's auf die anemometrischen Unterschiede, die man gewöhnlich als Windstösse oder Böen bezeichnet, im wesentlichen also auf An- und Abschwellungen des horizontalen Windes. Derartige Schwankungen der Windstärke sind Jedermann aus Erfahrung bekannt, und man weiss auch seit langer Zeit, dass sie viel zahlreicher sind, als man für gewöhnlich beachtet. Schon O. Lilienthal giebt in seinem Werke über den Vogelflue auf Tafel V Fig. 3 eine durch den Wind selbst regi- strierte Kurve dieser --- hier in vertikaler Richtung gemessenen Schwankungen. Inner-

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halb einer Minute fand er durchschnittlich 20 Maxima und 20 Minima, sodass jede steigende und jede fallende Tendenz des Windes je 1,5 Sekunden andauerte. Leider fehlt bei Lilienthal eine Angabe über die Windstärke, bei welcher diese Schwankungen beobachtet wurden. Nach Langley's Messungen sind die Schwankungen annähernd pro- portional der mittleren Windgeschwindigkeit. Langley hat die Schwankungen der Wind- stärke mit sehr empfindlichen Anemometern von Sekunde zu Sekunde gemessen und u. a. ermittelt, dass ein Wind von einer mittleren Stärke von 12 m in $5!/; Minuten durch 18 beträchtliche Maxima und ebensoviele Minima hindurchging, und dass somit auf jede Verstärkung und jedes Abflauen des Windstosses durchschnittlich 10 Sekunden entfielen. Der Wind stieg innerhalb 10 Sekunden bis auf 17 m, sank in weiteren 10 Sek. wieder auf 12 m, stieg dann in 30 Sek. auf 18,5 und so fort auf und ab, einmal sogar sank er bis auf Null. Es ist dies auf den ersten Blick ein auffälliger Unterschied gegen Lilien- thal’s Messung, der sich dadurch erklärt, dass Langley nur die beträchtlichen Extreme mitzählt, während Lilienthal auch untergeordnete Schwankungen registriert hat, soweit es die Empfindlichkeit seiner Apparate zulies. In Wirklichkeit schwankt aber die Wind- stärke noch öfter, als die Lilienthal'schen Kurven zeigen, und Langley bemerkt ausdrücklich, dass auch der kleinste zu beobachtende Teil des Windes nicht als völlig gleichförmig bewegt anzusehen ist.

Fortwährende Schwankungen und Unregelmässigkeiten bilden in der That den Grundcharakter der bewegten Luft. Wie an der Oberfläche des bewegten Meeres Wellen von allen Grössen, von den feinsten kaum bemerkbaren Riffelungen bis zu den mächtigsten Wogen, nebeneinander und durcheinander herlaufen, sich gegenseitig hier verstärkend, dort schwächend und aufhebend, so sind auch die Bewegungen des Luftmeeres ihrem innersten Wesen nach unregelmässig und verworren. Darum liegen aber auch die anemo- metrischen Extreme, deren durchschnittlicher Abstand von Langley auf ca. 10 Sekunden angegeben wird, einzeln genommen und darauf allein kommt es im vorliegenden Falle an keineswegs auch nur annähernd in gleichen Abständen, sondern zw ganz unregel- mässigen zeitlichen Entfernungen von einander.

Wenn nun ein Vogel mit annähernd gleichmässiger Geschwindigkeit die so be- wegte Luft durchstreift, so muss natürlich auch der relative Wind, den er empfindet für den Flug kommt selbstverständlich immer nur dieser in Frage, nicht der absolute, der auf ein feststehendes Instrument einwirkt in gleich unregelmässigen Pulsationen auf den Flugapparat des Tieres treffen, bald anschwellend, bald schwächer werdend, oder gar in der Form eines negativen oder Rückenwindes. Flöge der Vogel in der Richtung des Windes mit dessen mittlerer Geschwindigkeit, so würde er abwechselnd den Wind von vorn und von hinten empfinden. Hierin liegt nach Langley die theoretische Möglich- keit, dass ein schwerer Körper in einem solchen Winde unbegrenzt emporsteigen kann, wenn er es nur versteht, bei jedem von hinten kommenden Windstoss seine Flügel so einzustellen, dass sie den Wind mit ihrer Unterseite auffangen. Langley geht ausdrücklich nicht auf die Frage ein, wie der Vogel dies praktisch anfangen soll, aber er hält für denkbar, die theoretische Möglichkeit zur That werden zu lassen: die Flugflächen müssten

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entweder bei jeder Aenderung der Windintensität um 180° um eine vertikale Achse gedreht werden, oder der Vogel miisste abwechselnd den vorderen und hinteren Fliigelrand hoher heben. Bei jedem Maximum, wo der Wind die Fluggeschwindigkeit des Vogels übertrifft, müsste der hintere Flügelrand höher liegen als der vordere, und bei jedem Minimum wo die Windstärke geringer ist als die Fluggeschwindigkeit, müsste der vordere Rand höher liegen, als der hintere. So sind nach Langley die Pulsationen des Windes tx der Theorie eine Kraftquelle, welche einen mit dem Winde treibenden schweren Körper nicht nur tragen, sondern sogar emporheben kann. Die so gewonnene Höhe, glaubt Langley, liesse sich durch Herabsinken in fortschreitende Bewegung gegen den Wind umsetzen, die grösser sei, als die erlittene Abdrift (!) Welchen praktischen Wert diese theoretische Erörterung hat, möge folgendes Beispiel zeigen. Ein Wind von 8 m mittlerer Geschwindig- keit schwanke zwischen 6 und ıo m. Ein in diesem Winde mit der gleichen mittleren Geschwindigkeit von 8 m treibender schwerer Körper würde somit, wenn er aus der Kraftquelle der Pulsationen schöpfen wollte, nur abwechselnde Windstösse von höchstens 2 m, ge- wöhnlich viel weniger empfinden. Dieser Körper würde also nur so wenig wie möglich von der lebendigen Kraft des Windes ausnützen; wie leicht müsste er sein, wenn er von dieser minimalen Kraft gehoben und getragen werden sollte und welche enorme Geschwindigkeit müsste er beim folgenden Hinabgleiten wohl haben, wenn er dadurch die Abdrift, welche der Wind erteilen kann, wieder aufholen sollte? Ein Vogel ist zur Ausübung dieser denkbar schlechtesten aller Segelflugbewegungen seiner ganzen Organisation nach völlig ausser Stande.

Ohne die praktische Durchführbarkeit nachzuweisen, hält es Langley") theoretisch für móglich, auch noch auf andere Weise durch die Pulsationen, (die er auch im Gegensatz zu dem gewóhnlichen Begriff der inneren Arbeit »the internal work of the wind« nennt), den Flug ohne Flügelschlag physikalisch zu erklären. Jede Zunahme des Flugwindes wird den Vogel heben, jede Abnahme, jeder Rückenwind ihn sinken lassen. Dadurch gewinnt er sinkend lebendige Kraft, die er mit zum Emporsteigen verwendet, wenn ein erneuter Windstoss ihn wieder hebt. Die lebendige Kraft allein würde ihn nahezu auf die vor dem Fallen erlangte Höhe emporheben; der hinzukommende Windstoss hebt den trägen Körper beträchtlich darüber hinaus. Den horizontalen Raum gewinnt der Vogel während der Fallbewegung in den Perioden des Abflauens des Flug- windes. Im Uebrigen kennt der Vogel aus Erfahrung die Eigenschaften des Windes und weiss sich durch zweckmässiges Einstellen der Flügel über alle sonstigen Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. |

Gegen diese von Prof. A. Ritter**) noch näher illustrierte Hypothese, der ebenso- wenig wie der vorhergehenden Deduktion irgendwelche Beobachtungen des Vogelfluges zu Grunde liegen, möchte ich Folgendes bemerken.

ı) Wenn der Flug die Folge der Einwirkung jener unregelmässigen Luftstösse wäre, so müssten sich diese Unregelmässigkeiten auch in der Flugbewegung wiederspiegeln;

*) S. P. Langley: »On the internal work of the wind«, Americ. Journal. 1894. **) Prof. A. Ritter: Neues aus dem Gebiete der Flugtechnik. Z. d. Ver. deutsch. Ingenieure, Bd. XXXVUI. 12

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denn jeder Stoss müsste eine Hebung, jedes Abflauen ein Sinken, jeder Rückenwind einen Absturz hervorrufen, und die verschiedenen Bewegungen müssten in ihrer zeitlichen Auf- einanderfolge wie an Stärke jenen unregelmässigen Intensitätsschwankungen des Windes entsprechen. Aber nichts von alledem ist zu beobachten. Die Bewegung erfolgt mit einer geradezu idealen, das Entzücken und die Bewunderung aller Beobachter heraus- fordernden Regelmässigkeit.

2) Die Annahme, dass die Vögel infolge fortgesetzter Uebung und Erfahrung befähigt seien, durch zweckmässige Flügelstellung aus allen den unregelmässigen Wind- stössen eine so gleichmässige Flugbewegung hervorgehen zu lassen, ist unphysikalisch und verschiebt die Schwierigkeiten der Erklärung auf ein unzugängliches Gebiet. Sobald man zugesteht, dass zur Unterhaltung des Fluges eine nicht zu übersehende und daher auch nicht klar vorstellbare psychische oder intellektuelle Thätigkeit des Vogels nötig sei, giebt man genau genommen die Unerklärbarkeit der Erscheinung zu.

3) Wäre die Hypothese richtig, so wäre nicht einzusehen, warum die Vögel stets

auf gekrümmten Bahnen segeln, da ihnen doch offenbar der gerade Flug gegen den Wind viel leichter werden müsste, wo sie den Fulsationen des Windes entgegengehen, statt ihnen periodisch den Rücken zu kehren. : Die Beobachtungen zeigen aber, dass ein Vogel niemals geradlinig gegen den Wind segeln und dabei zugleich Hohe gewinnen kann. Segelt ein Vogel geradlinig gegen die Richtung des Windes, so findet dabei stets eine Einbusse an Höhe, ein Sinken statt, und die dadurch gewonnene lebendige Kraft wird zur Beseitigung der Hemmungswider- stände der Luft verwertet.

4) Die Hypothese Langley’s hat den Fehler, dass sie die Hemmungswidersiande nicht genügend berücksichtigt. Der Autor geht von einer Betrachtung ebener Drachen- flachen aus, welche, statt von einem Faden festgehalten zu werden, durch eine verschieb- bare Hülse an einer senkrechten Stange befestigt sind, so dass jede andere als die verti- kale Bewegung ausgeschlossen ist. Wenn ein Wind von bestimmter Starke einen solchen Drachen schwebend erhalt, so muss natürlich jede Verstarkung desselben eine Hebung, jedes Abflauen eine Fallbewegung veranlassen, und wenn der Apparat gut arbeitet, so rauss er, wie der Registrierapparat Lilienthal's, mit gróssérer oder geringerer Genauig- keit alle Pulsationen des Windes deutlich erkennen lassen, man kónnte ihn dann als Anemoskop gebrauchen.

Ein gewóhnlicher am Faden schwebender Drachen zeigt nun zwar auch, dass jede Zunahme des Windes eine Hebung, jede Abnahme eine Senkung des Drachens zur Folge hat, aber man sieht auch, dass jedes Sinken mit einer riicklaufigen Bewegung ver- bunden ist, und fühlt, dass jedes weitere Steigen den Zug am Faden verstárkt. Wenn ein Windstoss den Faden zerreisst, so steigt der Drachen nicht weiter, sondern der Wind wirft ihn weit zurück und lässt ihn mit schaukelnden Bewegungen zu Boden fallen.

Ein segelnder Vogel gleitet weder an einer festen Stange, noch wird er von einem Faden festgehalten. Daher muss er durch den hemmenden Widerstand des wie immer beschaffenen Windes mit derselben mechanischen Notwendigkeit zurückgeworfen werden,

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wie der Drachen, dessen Faden zerrissen ist. Und vor diesem Schicksal rettet er sich nicht, wenn er die Drachenflachen seiner Flügel auch unten noch so kleinen Winkeln dem Winde entgegenstellt, oder wenn er seine Widerstandsflachen durch Einziehen der Flügel noch so sehr verkleinert. Wohl kann der Vogel auf diese Weise die Hemmung bis zu cewissem Grade verringern, aber er verringert damit auch die hebende Komponente des Windes, und wenn die Hebuug schon gleich Null ist, bleibt immer noch eine mitreissende Hemmung des Windes, eine Abdrift des Vogels übrig. Diese Abdrift soll der Vogel durch Sinken wieder nachholen. Das setzt schon ein bestimmtes Verhältniss zwiscnen Masse oder Gewicht des Vogels und Windstärke voraus. Nach Langley's Versuchen über die »soaring speed« muss es Windstärken geben, bei denen wenigstens der kleinere Vogel schwebend erhalten und am Herabsinken verhindert wird, selbst wenn er seine Flugflächen genau unter Null Grad Neigung in den Wind stellt. Die Benutzung negativer Neigungswinkel, also vom Rückenwind, ist ausgeschlossen.

Im letzten Sommer hatte ich in der Nähe der Ostsee vielfach Gelegenheit, den Flug von Schwalben zu beobachten, die in einer Höhe von ca. 20—30 m mit einer Art Ruder- und Schwebflug gegen den Wind vorzufliegen strebten. Das Vorschweben nach den Ruderperioden setzt aber voraus, das wirklich auch eine Fallbewegung eintritt. Allein der Wind war so lebhaft, dass es den Schwalben nicht gelang herabzusinken, wie klein sie auch die Neigungswinkel ihrer Flügel machten. So schwebten sie mit geringen, den Windstössen entsprechenden Schwankungen balancierend in annähernd gleichbleibender Höhe, erlitten aber dabei eine Abdrift, die in einzelnen Fällen schätzungsweise 10 m und darüber betrug. Hier hatte der Wind offenbar für die Schwalben die Schweb- geschwindigkeit (soaring speed) erreicht, bei welcher das willkürliche, geradlinige Herabsinken gegen den Wind nur durch gleichzeitige Wirkung von Schwerkraft und aktiver Muskel- kraft möglich ist. Immer hatten die Schwalben dann die Tendenz, herabgleitend vor- vorzudringen. Jedes vorübergehende Abflauen des Windes liess die Abdrift verlangsamen, oft war sie gleich Null, der Vogel schwebte an einer Stelle, dann aber konnte man jedesmal deutlich von der Seite her erkennen, wie der Vogel langsam herabsank. Der Wind hatte also nicht mehr die Schwebgeschwindigkeit, die Hebung, welche er an den unter kleinstem Neigungswinkel eingestellten Flügeln hervorbrachte, war geringer als der Zug der Schwere, und der Vortrieb, den die nun aktive Schwerkraft an den Flügeln auslöste, war gleich der Abdrift, die der Wind hervorrief. Wurde dann einmal der Wind vorübergehend noch schwächer, so wurden es auch seine beiden Kraftkomponenten am Flügel, und der Zug und der Vortrieb der Schwere führte den Vogel im gewöhnlichen Schweben sinkend gegen den Wind voran. So hielten sich die Schwalben während der Schwebperioden im Ganzen nicht einmal auf derselben Höhe und noch viel weniger konnten sie aufwärts gegen den Wind vordringen.

Wenn es eine physikalische Möglichkeit gabe, geradlinig gegen den »pulsierenden« Wind empor zu segeln, so sollte man meinen, dass es diesen Schwalben gelungen ware, Aber noch niemand hat es bisher beobachtet, und wo es in der Litteratur behauptet wird, fehlt dafür jeder Beweis, oder man kann jedesmal nachweisen, dass der Beobachter

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der vermeintlichen Erscheinung von seinem tiefen Standpunkte aus ausser Stande war. den Anstieg zu beobachten.

Wenn es also den Schwalben nicht möglich ist, bei Windstärken unter der Schwebegeschwindigkeit gegen den Wind aufzusegeln, so ist nicht abzusehen, wie es grösseren Vögeln gelingen könnte. Freilich liegt bei diesen die Schwebgeschwindigkeit, bei welcher sie auch mit kleinstmóglichem Neigungswinkel der Flügel nicht vorwärts herabsinken können, höher, als bei den Schwalben, sie werden also fast immer geradlinig und vorwärts sinken können, wenn sie wollen, aber damit haben sie noch keineswegs die Fähigkeit, geradlinig und vorwärts ohne Flügelschlag gegen den Wind emporzusegeln.

Es ist theoretisch ja ganz richtig, dass eine mit der Geschwindigkeit v in ein gekrümmtes Rohr eintretende Kugel in diesem Rohre bis zu einer Höhe h = z empor- steigt, welche eben so gross ist, wie die Höhe, von welcher die Kugel herabsinken müsste, um die Geschwindigkeit v zu erlangen. Allein dies setzt voraus, dass die Kugel einen kleineren Durchmesser hat, als das Rohr und dass sie an den Rohrwänden keine in Betracht kommende Hemmung erfährt. Ein herabgleitender Vogel aber ist allseitig von einem widerstandleistenden Medium umgeben, und wenn er von einer Turmspitze herabgleitet, so hat er, unten angekommen, keineswegs eine Geschwindigkeit, mit welcher er wieder bis zu der gleichen Höhe einer gegenüberliegenden Turmspitze emporsteigen könnte. Treffend leitet Prof. Ritter seinen Aufsatz: »Neues aus der Flugtechnike (l. c.) folgenmassen ein:

»Die sinkende Bewegung eines starren Körpers in einer specifisch leichteren Flüssigkeit findet anfangs mit Beschleunigung statt und geht später, wenn der mit zunehmender Geschwindigkeit wachsende Widerstand der Flüssigkeit gleich dem Gewicht des Körpers geworden ist, in eine gleichförmige Bewegung über, deren Geschwindigkeit von der Form und dem Gewichte des sinkenden Körpers abhängt.«

So erlangt auch der herabgleitende Vogel, zumal bei weit entfalteten Flügeln, sehr bald eine nahezu konstante Geschwindigkeit, die er nicht überschreiten kann, wie lange und wie weit er auch die Bewegung fortsetze, und wenn er von einer Höhe von 100 m herabgestossen ist, so ist seine Geschwindigkeit deshalb vielleicht nicht grösser, als sei er nur 50 m gesunken. Grosse, aus bedeutender Höhe herabstossende Raubvögel suchen daher ihre Geschwindigkeit im steilen Fallen noch durch aktive Flügelschläge zu steigern.

In der Theorie Langley's handelt es sich natürlich nicht um das Herabsinken bis zur konstanten Geschwindigkeit, sondern nur um das Sinken in den Intermittenzen des Windes. Aber immerhin liegen nach Langley's Messungen die benachbarten anemometrischen Extreme 10—15 Sek. und mehr auseinander, Zeiträume die an sich mehr als genügend sind, um freifallenden Körpern bereits sehr bedeutende Geschwindigkeiten zu verleihen. Wenn die Vögel wirklich diese Gelegenheiten zu sinken für den Flug aus nutzen müssten, wenn sie nicht im Gegenteil thatsächlich mit bestem Erfolge das Herab-

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sinken verhinderten, so würden sie in diesen Zeitintervallen jedenfalls schon eine beträchtliche Fallgeschwindigkeit erlangen können.

Hierzu wären aber, bei hinreichendem Gewicht des Vogels oder bei schwächeren Winden, die Pulsationen gar nicht erforderlich, das könnte der Vogel bei homogenem Winde gerade so gut erreichen, wenn er, um zu sinken, Flächen und Neigungswinkel der Flügel verkleinerte, und um sich zu heben, vergrösserte. Je grösser nun der Weg ist, den der Vogel sinkend gegen den Wind zurücklegt, desto grösser ist auch der Betrag der durch die Schwerkraft erzeugten lebendigen Kraft, den er zur Ueberwindung der Flughemmungen aufzuwenden hat Der Rest genügt aber nicht, um ihn wieder auf die vorher innegehabte Höhe emporgleiten zu lassen, möge er dies in ruhiger Luft mit aktiver Vergrösserung des Neigungswinkels versuchen, oder möge ein Windstoss die Hebung ausführen. Die Verstärkung des Windes bewirkt nur, dass die noch erreichbare Höhe auf steilerem, kürzerem Wege erreicht wird; in dem Augenblick aber, wo die lebendige Kraft des Vogels, mit welcher er bis dahin dem Winde entgegentrat, aufgebraucht ist, befindet sich der Vogel dem Winde gegenüber in der Lage einer trägen Masse, und er muss mit Notwendigkeit genau wie der Drachen vom Winde zurückgeworfen werden und herabsinken. Das Einzige, was er ohne Flügelschlag dagegen thun kann, ist, diss er zeitig genug die Neigungswinkel und die Grössen der Flugflächen verringert, und sich so durch willkürliches Sinken vor der Abdrift schützt. Der Drachen steigt nur so lange im Winde empor, als der Zug am Faden ihn gegen den Wind drückt, und der gleitende Vogel nur so weit als er mit seinem Vorrat von lebendiger Kraft dem Winde widersteht, ist dieser Vorrat aber verzehrt, oder der Faden durchschnitten, so bewirkt jeder Wind- stoss nur ein schnelleres Herabstürzen.

Es ist L. zuzugeben, dass die Trägheit der Masse eines Drachens theoretisch genügt, um ihm für einen Augenblick (»momentarily«) den Halt des Fadens zu ersetzen; aber sie ist es auch, welche es bewirkt, dass eine momentane Windverstärkung keine Bewegung des Korpers hervorbringen kann, und es ist nicht einzusehen, wie sie genügen soll, in diesem Moment den Vogel eine Bewegung ausführen zu lassen, in der er vom Winde weit mehr gehoben, als horizontal fortgetrieben wird. Es ist richtig, dass bei sehr kleinen Neigungswinkeln an ebenen Flächen die hebende Komponente des Windes grösser ist, als die hemmende (Fig. 1), aber der Hubwirkung steht das ganze Gewicht der trágen Masse gegenüber, während die Hemmung oAne Gegengewicht auf die Masse einwirken kann. Ist daher die hebende Komponente des Windes gleich dem Gewicht des Vogels, so wird er überhaupt noch nicht gehoben, wohl aber erleidet er bereits eine Abdrift. Die schwache hemmende Komponente erzeugt hier also schon eine rückläufige Bewegung des Vogels, während die weit stärkere hebende noch keine positive Bewegung hervorruft. Die beginnende Flugbahn hat somit von Anfang an keine steigende, sondern eine weichende Tendenz, sie ist nicht, wieLangley's Figuren angeben, nach oder konvex, sondern nach unten. Wie endlich die Tragheit der Masse sogar im Stande sein soll, den Vogel direkt gegen den Wind fortschreiten zu lassen (Langlcy, »Internal work: Fig. 3, p. 59, Text p. 60) ist vollends unerfindlich.

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Die vermeintliche Entdeckung Langle ys. dass die Veränderlichkeit der Windstärke mög- licherweise eine arbeitsfahrge Kraftquelle bilde, welche der Vogel zur Unterhaltung seines Fluges ohne eigene Arbeitsletstung auszunutzen verstehe, beruht hiernach auf einem physikalischen Irrthum, und wir werden schen, dass die Schwankungen des Windes der Flugbewegung unter allen Umständen cher hinderlich als förderlich sind. Í

Wenn wirklich die Vogel, wie cs Langley's Hypothese voraussetzt, bei der Abnahme des Windes herabsanken und bei der Zunahme aufstiegen, so würden diese vertikalen Schwankungen der Vogel mit den Schwankungen der Windstärke harmoniren, bei einem tiefen Minimum des Windes würde der Vogel auch tiefer herabsinken, als bei einem weniger tiefen Minimum. Betrachten wir nun diese hypothetische Bewegung eines Vogels während zweier ungleich tiefer Minima von gleicher Zeitdauer, so sehen wir, dass der Vogel wahrend des stárkeren Abflauens des Windés einen tiefer nach unten aus- weichenden, also /ängeren Weg zurücklegt, wie im Falle des mässigen Minimums. Im ersten Falle durchfliegt er den grossen Bogen a (Fig. 45), im anderen den kleinen Bogen b.

Solange man nun die Flug- hemmungen ausser Acht lasst, ist die Linge des Bogens fur den Verlauf des Fluges gleich- gültig, denn nach Langley

Mind

hinaus. Sobald man jedoch die Hemmungen berücksich- tigt, ist ohne weiteres klar, dass sie auf der längeren und

mit grösserer Geschwindigkeit

kommt ja der Vogel beim Emporschweben nicht nur wieder auf die Höhe des Ausgangspunktes A zurück, sondern sogar weit darüber

durchflogenen Bahn wesent- lich grössere sind, als auf der kleineren Bahn. Der Vogel wird also thatsächlich auf der flacheren Bahn im

(l

Fig. 45.

Zwei hypothetische Flugbalinen. a wihrend eines starken, b während eines schwachen anemometrischen Minimums.

kürzeren und weniger gehemmten Fluge näher an die Höhe des Punktes A hinauf gelangen, als auf der stärker ausweichenden Fluglinie. Je flacher also der Bogen ist, auf dem der Vogel herabgleitet, oder je geringer das Minimum ist, das den Bogen verursacht, desto eher wird es dem Vogel möglich sein, sich nahezu in der Höhe von A zu halten, desto weniger wird er im Ganzen zu sinken brauchen, wenn er gegen den Wind Fortschritte Ein Wind von konstanter Starke aber, bei dem der Vogel gar keine Umwege im Sinken macht, ist hierzu am besten geeignet, ein pulsierender wird ihn am tiefsten sinken lassen.

Die folgenden schematischen Kurven (Fig. 46) veranschaulichen den Verlauf der gegen den Wind gerichteten, sinkenden Schwebbahnen eines Vogels. Bei einer bestimmten Windstärke gleitet der Vogel auf der geraden Bahn AB herab, wenn der Wind homogen ist, oder die Pulsationen keinen Einfluss auf ihn haben (siehe unten). Würde er den Pulsationen folgen, nach Langley's Theorie, so müsste die Bahn den Verlauf von AC haben, wenn die Windschwankungen gering sind; in D aber würde er ankommen, wenn die Schwankungen betrachtlicher sind.

Die Ungleichförmigkeiten des Windes nützen also nicht für den Flug, sondern Ich cines schlecht

machen will.

wirken direkt schädlich möchte sie mit den Steinen und Löchern

gepflasterten Weges vergleichen.

95

Ein Rad, das darüber hinfährt, rollt schneller über die

in der Fahrrichtung abschüssigen Stellen, aber um so stärker stösst es gegen die entgegen- gesetzt geneigten Fiöchen der Steine, und um so grösser ist die Hemmung, die sein

Lauf erfährt. Auf solchen Wegen ha- ben oft die Pferde schwere Arbeit, auch wenn es thalwärts geht, wenn d. günstig "geneigten Flächen zahlreicher, grösser sind, als die der Bewegung steilerent- gegen stehenden; denn da Wahl, und kein noch

ist keine.

Wind abt ————— P .4

Fig. 46. Gegen den Wind gerichtete Schwebbahn eines Vogels, AB bei homogenem Wind oder wenn die Pulsationen ohne Einfluss sind, AC bei geringen, AD bei starken . anemometrischen Schwankungen.

so geschickter, noch so intelligenter Führer. und sei er selbst dervon Lang- ley erwähnte »Sor- ting Demon« Lord Kelvin’s kann den Wagen so lenken, dass er sich mit allen Rädern immer nur auf den abwärts ge- neigten Stellen be- wege, und dass die

Hindernisse und Hemmungen völlig vermieden würden. Wie ausserordentlich die Flugbe- wegung gerade durch die ganz unberechenbaren Windstösse erschwert wird, das hat Lilien- thal bei seinen berühmten Flugversuchen zur Genüge persönlich erfahren. und auch darüber berichtet. Und für die grossen, wie kleinen Vögel sind die Intensitätsschwankungen des Windes sicher und sichtbar ebenso lästig, da sie zum mindesten fortwährende Aende- rungen der Muskelspannung nöthig machen, die bei gleichformigem Winde vermieden werden.

Die Natur hat aber den Flugtieren ausnahmslos das Mittel verliehen, cht »to pick out from the internal motions, those whose direction is opposed to the main current, and to omit those which are not so, and thus without the expenditure of energy to con- struct a force which will act against the main. current itself« sondern das Mittel, durch welches die flugschädlichen Wirkungen aller Unregelmässigkeiten und Schwankungen des Windes auf ein Minimum gebracht werden, und dieses Mittel ist die Zlastieität der Flügel und die Trägheit: der Masse des Vogels, Die Elasticitat der Federn und Bander, der Sehnen und Muskeln: des Flugapparats speichert den Druck der kleineren Windstósse in Form von Spannung auf, welche in den Perioden des Abflauens wieder in Bewegung umgesetzt wird. Stärkeren Windstössen, die für sich sichtbar hebend und verzögernd auf den Vogel einwirken, folgen schwächere, bei denen der Flug durch Sinken des Vogels entsprechend beschleunigt wird. So entstehen Schwankungen des Vogels, die eben so oft nach oben, wie nach unten gerichtet sind, und die bei kleinen Vögeln von geringer Masse und Träg- heit- eher und leichter auftreten, als bei grossen und schweren Flugtieren. Die Masse des Vogels hat für den gleichmässigen Gang der Flugbewegung dieselbe Bedeutung, wie das Schwungrad an einer Maschine.

Gerade die grossen Vögel sind es, welche mit bestem Erfolge den Segelflug an- wenden, während kleinere Vögel nur auf ganz kurze Entfernungen oder unter häufigem Flügelschlage segeln können. Nach Langley's Hypothese sollte man das Umgekehrte

96 erwarten, da die kleineren Vogel leichter durch die Schwankungen des Windes beeinflusst werden, als die grösseren

Uebrigens ist auch nicht zu vergessen, dass für die grossen und schnellen Segler, welche den grössten, oder doch einen beträchtlichen Teil des für den Flug in Frage kommenden relativen Gegenwindes oder Flugwindes ihrer eignen Fluggeschwindigkeit ver- danken, die anemometrischen Differenzen des absoluten Windes wohl immer nur einen so geringen Bruchteil des Flugwindes betragen, dass sie schon aus diesem Grunde durch die Elasticität des Flügelmaterials ausgeglichen, d. h. in ihrer Wirkung so verzögert werden, dass gewöhnlich eine beginnende Hebung durch das Nachlassen des Windes, und die beginnende Senkung durch die Zunahme desselben aufgehoben wird. Die »innere Arbeit des Windes« übt hier also keinen sichtbaren oder irgendwie nennenswerten Einfluss auf die Flugbewegung aus, die sich so vollzieht, wie wenn der Wind völlig homogener Struktur wäre.

Langley's eigene Beobachtung eines Bussard, der über der Aquäduktbrücke des Potomac bei Washington in einer Höhe von ca. 20 m seine ruhigen Kreise zog, möge dies bestátigen. Obgleich ein starker Wind von 15—16 m Starke wehte, der doch gewiss noch stárkere »innere Arbeit« verrichtete, als der von 12 m, von dem oben die Rede war, schwebte der Vogel, anscheinend ohne dem Winde viel Beachtung zu schenken, in lassiger Weise dahin, . . . fort und fort dieselbe wagerechte, anscheinend elliptische Bahn durchkreisend. Durch lange Zeit fortgesetzte, sorgfáltige Beobachtung aus unmittelbarer Nahe konnte sich Langley überzeugen, dass weder die Flügel, noch einzelne Federn dabei eine Bewegung ausführten. Es sind also die feinen Schwankungen in der Spannung der bereits durch das Körpergewicht gespannten Federn, welche (Schwankungen) durch die Pulsationen des Windes hervorgerufen werden müssen, so minimale, dass sie sich auch aus nachster Nahe der Beobachtung entziehen.

Auch in Frankreich hat man schon vor Langley auf die Intermittenzen des Windes hingewiesen (Mouillard*) und sie zur Erklarung des Segelfluges zu verwenden gesucht. Nach Marey (vol. d. ois. pag. 316) würde ein Vogel unbegrenzt gegen den Wind fort. ` schreiten können, wenn die Zu- und Abnahmen des Windes in geeigneten Zwischenraumen vorhanden wären. Er macht auch auf einen von A. Bazin angegebenen Versuch auf- merksam, durch welchen gezeigt werden soll, wie durch Windstösse ein auf wellenfórmiger Bahn gegen den Wind emporsteigender Segelflug unterhalten werden kónne. Der Versuch wird auch von Müllenhoff (l. c. S. 441) (irrtümlich unter dem Namen eines Basté'schen Versuches) mitgetheilt und als eine Art Illustration der Langley'schen Theorie benutzt.

Eine Kugel rollt auf einer den bekannten russischen Bergbahnen (montagnes russes) oder Rutschbahnen nachgebildeten Einrichtung einen Abhang hinunter und auf dem folgenden Hang wieder empor, ohne natürlich die Hóhe des Abgangspunktes wieder zu erreichen.

*) Marey (vol. d. ois. pag. S. 318) sagt darüber folgendes: Mouillard prétend que l'intermittence existe toujours dans les coups de vents, depuis les plus faibles brises, jusqu'aux ourogans les plus violents. Si les météorologistes ont, jusqui'ci, négligé de démontrer cette intermittence au moyen d'appareils inscripteurs. son existence est entitrement prouvée par les modulations lamentables que produit le vent quand il s'engouffre dans nos chéminées, (Mouillard, Empire de l'air, pag. 221).

.97

Nun aber erteilt man der ganzen Unterlage, auf welcher die Kugel rollt, einen der Kugel. bewegung entgegengesetzten starken Stoss, sodass die Kugel infolge ihrer Trägheit nicht nur auf die anfangliche Hohe gelangt, sondern sogar bis auf und über den nahen Gipfel. punkt kommt, indem dabei die Rollbahn unter ihr weggestossen wird. Die Kugel stellt einen Vogel dar, der seine durch Sinken erlangte lebendige Kraft zum Aufgleiten benutzt, und in dem Augenblicke, wo diese verbraucht ist, jedesmal einen plótzlichen Windstoss erhalt, der ihn hóher hebt. Gleich nach dem Stoss nimmt der Wind so schnell ab, oder dreht der Vogel seine Flügel unter so kleine Neigungswinkel, dass er wieder sinkt und damit den Weg durch das zweite Wellenthal beginnt.

Die nähere Betrachtung lässt uns unschwer erkennen, dass der Versuch unter wesent- lich anderen Bedingungen verläuft, als die Flugbewegung. Zunächst ist zu bemerken, dass ja die Pulsationen des Windes nicht regelmässig erfolgen, wie die Stösse des Versuchs; sie stehen keineswegs immer gerade bereit, wenn der im Bogen emporgleitende Vogel seinen Vorrat an Geschwindigkeit und lebendiger Kraft verbraucht hat, sondern werden eben so oft vorher wie nachher eintreten. Ferner weht der Windstoss niemals ruckweise, wie ein Schlag, sondern es ist die an- und abschwellende Bewegung einer elastischen Flüssigkeit, deren Druck und Wirkung durch die Biegsamkeit und Elasticitát der Flügel noch mehr verlangsamt wird. Auf die feste Kugel wirkt der Stoss eines anderen festen Körpers, der mit Ueberwindung der Reibung unter ihr fortgestossen wird. Die ganze horizontale Stosskomponente ist dabei nur zur Ueberwindung der Reibung unter Wärme- entwicklung wirksam, die vertikale Komponente hebt die Kugel empor, ohne ihr jedoch einen Impuls zur Fortbewegung gegen den Wind geben zu können. Dagegen wirkt der Druck des Windes, der den ganzen Vogel umgiebt und gegen dessen ganze Oberfläche gerichtet ist, nicht nur hebend, sondern unter allen Umständen auch verzögernd und fortreissend, wie es bei der Kritik der Hypothese Langley's des Näheren ausgeführt wurde. Durch den Bazin' schen Versuch wird also zwar eine Bewegung hervorgerufen, die eine gewisse Aehnlichkeit mit einigen Segelbewegungen hat, die wirksamen Kräfte sind aber wesentlich andere, als die beim Fluge vorhandenen, und ebenso die Wirkungen. Demgemäss haben auch die photochronographischen Aufnahmen, welche Marey von der Bewegung einer solchen Kugel gemacht hat, keinen Wert für die Entwicklung unserer Kenntnisse über das Kreisen und Segeln der Vögel.

Marey (vol. d. ois. S. 315) hebt hervor, wie, gemäss den Angaben von Bazin und besonders Bretonniere (l'Aéronaut, 1889), die im Zickzack auffliegende Bekassine und ebenso die kreisenden Vögel, indem sie gegen und mit dem Winde fliesen, künstliche Variationen der Intensität des Windes herstellen. Dies ist richtig, aber diese Intensitäts- änderungen sind keine plötzlichen Stösse, und sicher kann durch Verstärkung des Flug- windes der Hemmungswiderstand nicht beseitigt oder gar ein Antrieb nach vorn gegen diesen stärkeren Wind ausgelöst werden.

Marey sagt an einer anderen Stelle seines Werkes (p. 318) über den Einfluss der sog. Pulsationen des Windes: »Il y a, toutefois, un point fort délicat de mécanique, sur lequel les mathématiciens devront se prononcere. Er ist im Zweifel darüber, ob die

13

gs

Intermittenzen des Windes unumganglich notig sind, oder ob ein Vogel nicht ebenso gut im gleichformigen Winde emporsteigen konne, um die gewonnene Hohe zum Gleiten gegen den Wind wieder zu verwenden, und dies alles nur durch Aenderung der Neigung seiner Flügel. Wir haben gesehen, dass dieser Zweifel nur zu sehr berechtigt gewesen ist.

Mit mehr Zuversicht entwickelt Marey (S. 319) eine Theorie des Kreisens, welche sich, wie er sagt, aus den neueren Arbeiten, über den Segclflug und besonders aus den schónen Studien Basté's ergiebt.

In dem Teile seines Kreises, wo der Vogel vor dem Winde fliegt, widersteht er dem Mitgerissenwerden (entrainement) durch seine Trägheit. Je mehr dabei der Wind die Geschwindigkeit des Vogels übertrifft (tant que le vent a sur l'oiseaux, un exés de vitesse suffisant, desto mehr wird dieser von der hebenden Kraft desselben unterstützt, und kann daher emporsteigen, oder seine Hohe bewahren, oder langsam sinken.

Damit der Vogel nicht zu weit mitgerissen wird und dabei zu viel Höhe verliert, voll- führt er eine drehende Bewegung. So kommt er mit seiner Geschwindigkeit dem Winde entgegen, dadurch wachst die Geschwindigkeit des relativen Gegenwindes und mit ihr die Kraft, die den Vogel hebt. Der fortreissenden, verzógernden Kraft des Windes setzt nun der Vogel nicht nur seine Tragheit, sondern auch seine lebendige Kraft entgegen, welche der Wind selber ihm verliehen hat. Der Vogel wird bestrebt sein, diese lebendige Kraft vollstandig auszugeben, bevor er eine neue drehende Bewegung macht, damit er ohne Geschwindigkeit in demjenigen Teile seines Kreises ankommt, wo er vom neuen Rückenwind (!) haben wird.

Offenbar hat Marey nicht gewusst, dass schon im Jahre 1884 genau dieselbe Theorie von Müllenhof (Pflüger's Archiv f. Physiol., 1884, S. 427) aufgestellt worden ist, und dass sie bereits zwei Jahre später von Gerlach (Zeitschrift f. Luftschifffahrt, 1886, 5. 286) eingehend widerlegt wurde. Es ist eine physikalische Unmöglichkeit, dass ein Rückenwind, der dem Vogel von hinten in das Gefieder blast und ihm die Federn straubt, eine Flugbewegung unterhalten kónnte. Nur mit positivem, nicht mit negativem Flugwinde kann ein Vogel fliesen. Der Rückenwind würde dem Vogel in der kürzesten Zeit die Windgeschwindivkeit mitteilen und das Tier herabstürzen lassen. Der Flugapparat des Vogels ist so orientiert, dass er unter allen Umständen nur mit positivem Winddruck an der Unterseite der Flügel arbeiten kann; bei Rückenwind aber trifft der Druck die supinierte Oberseite der Flugflachen und drückt daher das Tier zu Boden. Der Vogel ist nicht im Stande dem Sturze auszuweichen, erst nachdem er durch ihn wieder positiven Flugwind gewonnen hat, kann er den Flug fortsetzen. Marey hebt dies selber in einem folyenden Paragraphen (S. 323) hervor und kann nicht angeben, durch welches Mittel der Vogel dem Sturze an der gefährlichen Uebergangsstelle entgeht. Zur Aufklärung dieses wichtiren Punktes empfiehlt er ein System vleichzeitiver photochronographischer Auf. nahmen von verschiedenen Standpunkten; man solle sich nicht durch die Schwierigkeiten des Experimentes von der Ausführung abschrecken lassen, die Wichtigkeit der Resultate verdiene es.

Bis jetzt ist nicht bekannt geworden, dass Jemand diesen Plan zur Aufklärung der räthselhaften Flugart mit irgend welchem Erfolge ausgeführt, oder auszuführen unter- nommen hat. Die Schwierigkeiten derartiger synchroner photochronographischer Auf- nahmen, mit denen eine gleichzeitige sehr genaue Messung der jeweiligen Windstärke in der Flugregion Hand in Hand gehen müsste, sind in der That ausserordentliche, die nur durch einen Stab geübter Experimentatoren und mit den besten Instrumenten überwunden werden könnten. Und was würden die Resultate sein? Eine genaue Feststellung der Flugbahn mit ihren Hebungen und Senkungen in vertikaler Richtung und ihren Schwankungen in der Horizontalprojektion; endlich eine Bestimmung der Fluggeschwindigkeit und der Flugwindstärke in jedem Punkt des Trajektoriums. Aber über die Qualität dieser Bewe- gungen besteht schon heute kein Zweifel, sie sind durch direkte Beobachtungen längst festgestellt und täglich leicht ebenso in Einzelheiten zu verfolgen, denn die kreisende Bewegung geht im Gegensatz zum Flügelschlag, für dessen Erklärung und Darstellung die Photochronographie sehr nützliche Dienste geleistet hat besonders bei grossen Vögeln so langsam von statten, dass sie mit völlig genügender Klarheit beobachtet werden kann. Bleiben die genauen guantitativen Bestimmungen, die allerdings für den Einzelfall ein gewisses Interesse haben, von denen aber nicht abzusehen ist, wie sie uns über die allgemeinen, prinzipiellen Schwierigkeiten der Erklärung hinweghelfen sollen. Man würde auch wieder mit denselben allgemeinen Faktoren wie bisher zu rechnen haben.

Wir sind am Ende unserer kritischen Betrachtungen angekommen. Das Resultat ist ein negatives. Keine der vorhandenen Theorien ist im Stande, eine mechanische Er- klarung für die »vollkommenste aller Flugarten«, den andauernden Flug ohne Flügelschlag zu geben. Und wenn man den Satz bewiesen hat, dass der andauernde Flug ohne Flügel- schlag in einem gleichmassig und horizontal bewegten Winde eine mechanische Absurditat sei von der Art des perpetuum mobile, so kónnen wir jetzt mit eben solcher, ja mit noch grósserer Bestimmtheit hinzufügen, dass die Theorien der aufsteigenden Luftstrome und die Theorien der Unregelmàssigkeit und Intermittenz des Windes als Ursache des Segelfluges nicht weniger den mechanischen Gesetzen widersprechen.

Der Grund des Misserfolges liegt bei allen bisherigen Erklarungsversuchen daran, dass man je nach dem Standpunkte des Autors bald diese, bald jene charakteristische Erscheinung des Segelfluges als unwesentlich vernachlässigt hat, dass man nicht alle wesentlichen Momente erkannt und an der richtigen Stelle in die Kette der Schluss- folgerungen eingefügt hat. Eine Theorie des Segelfluges ist aber nur dann befriedigend, wenn sie alle charakteristischen Erscheinungen umfasst und in eindeutiger Weise mit Hülfe der mechanischen Gesetze erklart. Dass dies möglich ist, hoffe ich durch die folgenden Ausführungen zu zeigen.

4. Analyse des Segelfluges.

Die erste wichtige Thatsache, von welcher wir bei der Analyse des Segelfluges auszugehen haben, ist die, dass diese Art der Fortbewegung nur dann stattfindet, wenn ein aktiver, absoluter Wind die Luft in Bewegung hält.

100

Die Vogel, welche die Natur durch Körpergrösse und Flügelform für diesen Flug geschaffen zu haben scheint: sie ruhen, wenn der Wind ruht, und spielend erscheint thr Flug, wenn sie sich im Winde tummeln. Bei Windstille sind die Tiere, falls sie dann über- haupt zu fliegen im stande sind, auf Flügelschlag und intermittierenden Flug angewiesen, und wenn man von kreisenden Vögeln berichtet, die bei ruhiger Luft segeln auf spiraliger Bahn bis zur Weltenhöhe emporgestiegen sind, so darf man annehmen, dass dann auch in den Luftschichten, die die Vögel berührten, ein aktiver Wind vorhanden war, und dass die scheinbare Windstille nur in der unteren Luftregion bestand. Die Annahme findet eine Bestätigung in den Erfahrungen, die man durch die Ballonfahrten gewonnen, und in den Resultaten der in beträchtlichen Höhen ausgeführten anemometrischen Beobachtungen: die Geschwindigkeit des Windes nimmt nach oben hin zu. Die an der Erdoberflache vorhandenen Hindernisse der Luftbewegung, Hügel, Bäume, Häuser etc, wirken ver- zövernd auf den Wind ein und bewirken häufig, dass nahe der Erde Windstille ist, während schon in 20 bis 30 m Höhe ein deutlicher Wind weht.

Man hat auf Grund dieser Thatsachen geschlossen, dass ein aktiver Wind die erste Vorbedingung für den audauernden Flug ohne Flügelschlag sei, und dass es die lebendige Kraft des Windes sein müsse, welche diesen Flug unterhalte. Daher hat man auch diese Flugart als ».Sege/fug« bezeichnet, weil hier, wie bei einem segelnden Schiff, der Wind die treibende Kraft liefere. In diesem Sinne wollen auch wir das Wort »Segel- fluge der Kürze wegen anwenden, ohne dadurch eine weitergehende Analogie zwischen einem segelnden Schiff und einem segelnden Vogel zum Ausdruck zu bringen. Denn die Bewegung eines Schiffes, dessen ganzes Gewicht von Wasser getragen wird, erfordert nur eine vortreibende Wirkung des Windes; ein Vogel dagegen, der nur mit einem Medium in Berührung ist, der frei in der Luft schwebt, bedarf ausserdem noch einer hebenden Wirkung des Winddruckes, die ihn gegen die Wirkung der Schwere schützt.

Die Kardinalfrage ist nun, »awe macht es der Vogel, dass ihm die lebendige Kraft des Windes diesen Dienst leistel?«

Die Beobachtung zeigt, dass der Segelflug stets nur auf kreisförmigen, elliptischen, schleifen- formigen, spiraligen oder sonst irgendwie gekrümmten Bahnen ausgeführt wird. Die äussere Arbeit, welche der Vogel zu diesem Zwecke aufwendet, ist nur eine minimale: durch ge- eisnete Einstellung seiner Flugflächen ändert er fortwahrend seine Flugrichtung, und mit der Flug- richtung ändert sich in gleicher Weise der relative Gegenwind, oder kürzer der Flugwind, den der Vogel empfindet und der ihn trägt und fortbewegt.

Es ist ein Hauptgrund für das Fehlschlagen aller bisherigen Erklärungsversuche, dass keiner der früheren Autoren den Versuch gemacht hat, über diese fundamentalen Verhältnisse ins klare zu kommen. Man spricht davon, dass ein kreisender Vogel auf einem llalbkreise seiner Bahn dem Winde entgegenfliegt und dass er in dem anderen Halbkreise Rückenwind hat (Marey), aber über die genauere Richtung und Stärke des Flugwindes in jedem Punkte der Bahn glaubt man erst durch schwierige photochrono- graphische Aufnahmen des fliegenden Vogels Aufschluss erhalten zu können. Und doch handelt es sich nur um eine mechanische Analyse einfachster Art.

IOI

Wenn ein Vogel mit einer Geschwindigkeit c gegen einen Wind von der Stärke v anschwebt, so empfindet er einen gegen ihn gerichteten, positiven Flugwind von der Stärke c + v. Fliegt er mit dem Winde, so ist die Stärke des wirksamen Flugwindes c V; in jeder anderen, schräg zum Winde stehenden Flugrichtung ist sie gleich der geometrischen Summe beider Bewegungen und graphisch leicht nach dem Satz vom Parallelogramm der Kräfte und Bewegungen darstellbar.

Gehen wir zunächst von der kreisförmigen Segelbahn aus, so zeigt die Beob- achtung zwar, dass namentlich bei kleineren Vögeln und grosser Windstärke die Flug- geschwindigkeit bedeutenden Schwankungen unterworfen ist, als würde der Vogel jedes- mal mit dem Winde schneller fortgerissen, während er die erlangte Geschwindigkeit gegen den Wind bald wieder einbüsst, allein bei grossen Vögeln und weniger starkem Winde treten diese Differenzen soweit zurück, dass sie kaum noch festzustellen sind. Es ist daher gerechtfertigt, wenn wir zunächst, vorbehaltlich späterer Korrektur, einmal die Fluggeschwindigkeit als eine gleichförmige annehmen.

Hiernach ist es möglich, an jedem beliebigen Punkte einer kreisförmigen Bahn die Stärke und Richtung des Flugwindes aus der tangential gerichteten Flugbewegung und der nach Richtung und Stärke konstanten Grösse des absoluten Windes zu ermitteln.

Dies ist in dem umstehenden Diagramm geschehen, und zwar für den Fall, dass die Fluggeschwindigkeit gleich der doppelten Stärke des absoluten Windes ist. Die dem Winde zugewandte Hälfte der Kreisbahn liegt hier oben, und die Flugbewegung möge im umgekehrten Sinne des Uhrzeigers, links herum, erfolgen.

In dem Punkte A der Kreisbahn, den wir als den »Anfangspunkt« bezeichnen wollen, ist die Richtung des Flugwindes tangential. Von hier aus über den »Zuvpunkt« B bis zum »Kehrpunkte« K weicht die Richtung des Flugwindes luvwärts, nach aussen vom Kreise ab. Der Vogel empfindet also den Flugwind seitlich, hier von rechts (bei rechtsläufigem Segeln von links), und zwar zunehmend bis zum Luvpunkte, und darüber hinaus, dann wieder abnehmend bis zum Kehrpunkte. Hier hat der Flugwind wieder genau tangentiale Richtung. Wir werden hinfort den Halbkreis AK, in welchem der Vogel dem Winde am weitesten entgegengeht, als »Luvbogen« bezeichnen, und dem- entsprechend den anderen Halbkreis (KA) den »Zeedogen« nennen. Im Leebogen hat der Vogel den Flugwind von vorn und /in#s, (bei rechtsläufigen Flug von rechts). Die Seiten- abweichung ist in dem Quadranten vom Kehrpunkte C bis zum »Leepunkte« am stärksten.

Was die Starke des Flugwindes anbetrifft, so hat sie bei gleichfórmiger Flug- geschwindigkeit im Anfangspunkte A ihr Maximum und im Kehrpunkte K ihr Minimum. Der Uebergang vom Maximum zum Mininum und wieder zum Maximum ist ein durch- aus allmählicher.

Ist die Fluggeschwindigkeit grösser, als die doppelte Windstärke, wie wir für das Diagramm angenommen hatten, so nähert sich der Flugwind mit zunehmender Flug-

102

geschwindigkeit mehr und mehr der Tangente, die er im oberen Grenzfall erreichen würde, wenn Windstille wäre, oder wenn man den Wind vernachlässigen könnte. Ist

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. 2l Leep. Fig. 47. Diagramm der Windverhältnisse auf einer stationären kreisförmigen Segelbahn. Es ist A der Anfangspunkt, K der Kehrpunkt, Luvp. der Luvpunkt, Leep. der Leepunkt der Bahn. Der gegen den Wind konvexe Bogen AK heiss; der Luvbogen, KA (im Sinne der Flugrichtung) der Leebogen. Ist c die als konstant angenommene Fluggeschwindigkeit und v die Geschwindigkeit des herrschenden Windes, so ist v-]- c der Flugwind und r die radiale, t die tangentiale Komponente desselben,

dagegen die Fluggeschwindigkeit geringer, als im Diagramm angenommen, so weicht auch die den Flugwind darstellende Resultante mehr und mehr von der Tangenten-

103

richtung ab. Im unteren Grenzfall, bei Gleichheit von Fluggeschwindigkeit und Wind- stärke würde der Vogel im Kehrpunkte der Bahn einen Flugwind o haben, und der Flug müsste demnach im Absturz ein Ende finden.

Wenn, wie bemerkt, bei kleineren Vógeln oder grosser Windstürke sichtbare Anderungen der Fluggeschwindigkeit auftreten, so bestehen sie in einer Zunahme der Geschwindigkeit im Luvbogen und Abnahme derselben im Leebogen.*) Dadurch wird gegen Ende des Luvbogens der Flugwind schneller der Tangente zu gedreht, gegen Ende des Leebogens aber eine entsprechend stárkere Abweichung erfolgen. Unter allen Umstanden aber hat der Vogel den Flugwind im Luvbogen von vorn rechts, im Lee- bogen von vorn links, und es wird durch die bezeichnete Zu- und Abnahme der Flug- geschwindigkeit die Stärke des Flugwindes eine mehr gleichmässige, der Unterschied der Flugwindstärke an dem gegenüberliegenden Anfangs- und Kehrpunkte wird ein geringerer sein, als im Diagramm angegeben.

Haben wir damit einen Einblick gewonnen in die Verhältnisse des Flugwindes, welche der Vogel auf seiner kreisfórmigen Bahn antrifft, so wissen wir damit doch noch nicht, unter welchen Winkeln der Druck des Windes auf die Flügel trifft, und von diesen Winkeln hängt, wie wir wissen, die Wirkung des Windes in erster Linie ab.

Die Winkel, welche nach dem Diagramm der Flugwind mit den Kreistangenten oder der Bewegungsrichtung des Vogels bildet, sind natürlich nicht identisch mit den Winkeln, unter denen der Flugwind dic Flügcl trifft. Sie würden es nur dann sein, wenn die Ebene der Flügel mit der vertikalen Ebene der Tangente zusammenfiele, d. h. wenn der Vogel die Bahn in vollkommener Seitenlage durchflöge, so dass (bei linksläufiger Bewegung) sein linker Flügel nach der Erde, sein rechter senkrecht nach oben zeigte. Aber hierbei würde in dem einen Halbkreis, dem Luvbogen, die Unterseite, in dem anderen, dem Leebogen, die Rückseite der Flügel vom Winde getroffen werden.

Es folgt hieraus, dass in dieser extremen Stellung ein Vogel nur in einem Luv- bogen fliegen kann, und da er hierbei keinen Luftwiderstand findet, welcher der Schwere entgegenwirkte, so kann ein solcher I.uvbogenflug immer nur auf kurze Zeit stattfinden und er muss stets mit einer sinkenden Bewegung verbunden sein.

Die Reisenden berichten, das der Albatros, wenn er im Winde segelnd seine viel verschlungenen Wege ohne Flügelschlag entlanggleitet, oft eine solche seitliche Lage einnimmt. Aber auch unsere einheimischen Segler (Cypselus), Schwalben und Möven, also alle schmalflügeligen Segelvögel, bieten bei lebhaftem Winde an unzähligen Stellen ihrer Bahnen das Schauspiel einer seitlichen Neigung des Körpers, die leicht

*; Ich sah in Wismar »jagendes, d. h. in horizontalen, cykloidischen Bahnen segelnde Störche, deren eigene Geschwindigkeit im Anfangspunkte A der Bahnen nahezu gleich Null war, so dass hier der Flugwind

nicht grösser, als der absolute Wind war.

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60— 80° erreicht. Ein Flug in geschlossener kreisförmiger, elliptischer oder spiraliger Bahn ist in dieser Stellung des Vogels nicht möglich, da der Rückenwind im Leebogen unbedingt den Absturz und damit das Ende dieser Art Flugbewegung herbeiführen müsste.

Es ist instruktiv, sich auch das andere Extrem der Flügelstellung vorzustellen, nämlich die horizontale. Hätte der Vogel die Möglichkeit, beim Kreisen seine Flügel in die horizontale Ebene einzustellen, so würde der gleichfalls horizontale Flugwind keine nennenswerte motorische Wirkung?) auf sie ausüben können, da alsdann ja der Neigungs- winkel des Windes gegen die Flügel gleich Null sein würde.

In Wirklichkeit kommt diese theoretische Möglichkeit kaum in Betracht, da wohl alle Flügel, auch die langen, schmalen des Albatros und der Segler (Cypselus), eine, wenn auch oft nur minimale Wölbung besitzen, die das Einstellen der ganzen Flügelflächen in die Horizontalebene unmöglich macht.

Im allgemeinen stehen auch die Winkel, unter denen beim Kretsfinge die Flügel der Flugwind auf die Flug- weder in der vertikalen Ebene flächen trifft, und um so grösser der Kreistangenten, noch in der horizontalen des Flug- windes, sondern zwischen diesen beiden extremen Stellungen

auch die auf die Flügel wir- kende Normalkomponente des Winddruckes. Da nach dem Flugdiagramm die seitliche in einer mehr oder weniger seitlich geneigten Lage. Fe

Abweichung des Flugwindes

von der Flugrichtung gegen grösser aber die seitliche P4 den Luvpunkt zunimmt, so Neigung der Flugflächen ist, = n : Rene A wird auch stets der Stoss- desto grösser sind im Luvbogen winkel des Flugwindes grösser, und demgemäss auch seine motorische Kraft. Über die Verhältnisse im Leebogen wird weiter unten die Rede sein.

Mit Recht hat man diese schräge Haltung des kreisenden Vogels mit der bekannten, geneigten Lage eines Cirkusreiters verglichen. In beiden Fällen ist die Vertikal- achse des im Kreise bewegten Körpers gegen den Drehungsmittelpunkt geneigt.

Der Schwerpunkt S (Fig. 48) des Reiters liegt bei schneller Gangart so weit centripetal vom Unterstützungspunkt U, dass das Gleichgewicht völlig aufgehoben sein würde, wenn nicht die Centrifugalkraft Cf wäre.

Diese ergiebt mit der Schwere P eine schräg nach unten und aussen gerichtete

*; Bet hinreichender Stärke könnte der Flugwind an den so gestellten Flügeln allenfalls das Herab- sinken verhindern oder verzögern, eine Wirkung, die besonders durch die Experimente Langley’s über die »soaring speede, d. h. diejenige Geschwindigkeit bewiesen ist, bei welcher die Fallbewegung einer frei schwebenden Scheibe verhindert wird. Die bald eintretende Abdrift des Vogels würde auch diese Wirkung schnell beendigen.

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Resultante D. Das Pferd neigt seine Vertikalachse so zur Seite, dass sie mit der Richtung der Resultante zusammenfallt, denn nur so kann es durch den Druck seiner Schenkel gegen den Boden eine der Resultante gleiche und entgegengesetzte Kraft K hervor- bringen, welche es auf der Kreisbahn erhält.

Ganz analog liegen die Verhältnisse bei dem im Bogen fliegenden Vogel (Fig. 49). Auch hier wirken Schwere P und Centrifugalkraft Cf mit einer nach unten-aussen gehenden Resultante D auf den Schwerpunkt, und die Masse des Vogels lastet also mit einem Druck D = (P -+ Cf) auf der Luft. Die Flügel sind so weit seitlich geneigt, dass der gegen ihre Unterseite gerichtete Gegendruck der Luft eine Resultante W liefert, welche dem Druck D gleich und entgegengesetzt ist.

Es tritt nun die wichtige Frage auf, welche Kraft die zur Unterhaltung des Kreisfluges nötige Arbeit leistet.

Aus didaktischen Gründen schicken wir der

Heben genügenden Wider- stand hervorrief. Beginnt

Beantwortung dieser Frage folgendes vorauf: Beim geradlinigen, horisontalen oder ansteigenden Schweb-

ein Vogel ohne diese leben- dige Kraft seiner Masse aus der Ruhe einen gerad- linigen Schwebflug, so ist

jiuge war es die vorher dieser stets ein sinkender. durch Fall oder Flügel- schlag erworbene Jedendige Kraft des Vogels, mit

welcher er, gegen die Luft

In diesem Falle ist es die Schwerkraft, die seiner

Masse schnell eine so

Fig. 49. System der Kräfte beim Flug auf

grosse Fallgeschwindigkeit

anschwebend, in dieser erteilt, dass der dadurch

gekrümmter Bahn.

einen zum Tragen oder hervorgerufene Luftwider. stand den Flug unterhält.

stehenden Widerstand am Flügel wie durch einen Fallschirm gedämpft; da aber der

Ganz im Anfang wird die Fallbewegung durch den ent-

Flügel unsymmetrisch und elastisch biegsam ist, so bleibt er mit zunehmender Fall. geschwindigkeit nicht wie ein Fallschirm in horizontaier Lage, sondern er wird durch den Luftwiderstand gespannt und gerät so, namentlich an der Spitze, in eine vornüber- geneigte Stellung, in welcher er bis zur willkürlichen Änderung des Fluges verharrt. In dieser Stellung wird die Fallbewegung zwar immer noch durch den Flügel gedämpft, aber weniger, wie wenn er gleich einem Fallschirm alle Flächenteile horizontal oder nach unten gewölbt hätte. Durch das so ermöglichte gleichförmige, nicht beschleunigte Sinken wird der Luftwiderstand auf einer bestimmten, gleichmässigen Stärke erhalten, mit welcher er nun durch Drachenwirkung an der vornübergeneigten Flügelfläche auch einen gleichbleibenden Druck nach oben und vorn ausübt. Hier ist es also thatsächlich die Schwerkraft, welche die ganze Flugarbeit leistet.

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Der physikalische Grundsatz der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung hat auch für die eben besprochenen mechanischen Vorgänge der beiden einfachsten Flug- arten seine volle Gültigkeit. Die Wirkung der lebendigen Kraft des Vogels gegen den passiven Widerstand einer trägen Luftmasse ist dieselbe, wie wenn die Luft durch einen Wind gegen die träge, ruhende Masse des Vogels gedrängt wird. Die lebendige Kraft des Windes greift am Flügel an, trägt und hebt den Vogel, erteilt ihm aber gleichzeitig fortreissend eine Beschleunigung im Sinne der Windbewegung, die dem Fluge schnell ein Ende macht. Ebenso ist im zweiten Falle die Wirkung der nach unten gerichteten Schwerkraft gegen den passiven l.uftwiderstand dieselbe, wie wenn ein Wind von ent- sprechender Stärke von unten gegen die Flügel eines ruhenden Vogels trafe. Auch hier würde die lebendige Kraft des Windes eine tragende und vortreibende Wirkung auf den Vogel ausüben, zu welcher die Schwerkraft, wie beim Ruderfluge, den erforderlichen Widerstand lieferte. Ein Vogel könnte also sehr gut die lebendige Kraft aufsteigender Winde benutzen, und, wenn sie wirklich in genügender Stärke vorhanden wären, passiv mit ihnen geradlinig fortfliegen. Die Richtung der Winde brauchte nicht einmal vertikal zu sein, es genügte eine Steigung, bei welcher der Wind noch kräftig genug unter die gegen die Flugrichtung pronierten Flügelflächen fassen könnte. Jede vorhandene steigende Tendenz des Windes begünstigt die Flugbewegung jeder Art.

Nach dieser Abschweifung, die uns das Spiel der Kräfte bei den früher erörterten Flugarten wieder in die Erinnerung gerufen hat, wenden wir uns wieder zu der Frage, durch welche Kraft der Segelflug unterhalten wird, welche Kraft dabei die Arbeit leistet,

Die Centrifugalkraft ist bekanntlich keine Kraft in dem gewöhnlichen Sinne, die auf den Körper des Vogels wirken kann; sie ist nur passiver Art, ein Druck auf das Medium der Kreisbahn, mit welchem der Körper infolge seines Beharrungsvermögens der fortwährenden Änderung seiner tangentialen Bewegungsrichtung widerstrebt. Der centrifugale Druck der Masse ist also die Folge, nicht die Ursache der Kreisbewegung, und daher kann er auch nur einen passiven Widerstand leisten.

Anders steht es mit der Schwerkraft. Sie wirkt unter allen Umständen auf den Körper ein und kann, wie wir eben gesehen haben, sehr wohl die Arbeit einer Flugbewegung, auch auf gebogener Bahn, leisten. Aber dies setzt voraus, dass sie auch wirklich in die Lage kommt, der Masse des Vogels eine Beschleunigung in ihrem Sinne, d. h. nach unten zu erteilen. Solange ihr durch eine feste Unterlage oder sonst durch irgend einen Widerstand das Gleichgewicht gehalten wird, kann sie selbstverständlich keine Arbeit leisten. Solange ein im Bogen fliegender Vogel nicht herabsinkt, sondern horizontal oder gar aufwärts bewegt wird, solange hat auch die Schwerkraft keinen Anteil an der Flugarbeit, sie wirkt vielmehr nur, wie die Centrifugalkraft, durch einen passiven Druck (das Gewicht) als Widerstand, den die aktive Flugkraft zu über- winden hat.

oe

Wir werden nun zwar sehen, dass wahrend des horizontalen und aufsteigenden Segelflugels auf gekriimmten Bahnen ein periodisches Sinken des Vogels eintreten kann, aber da dem Sinken an gewissen Stellen der Bahn ein stärkeres Steigen an anderen Stellen gegeniibersteht, so Zann auch wie an anderer Stelle näher ausgeführt ist die Arbeit, welche die Schwerkraft bet diesem Fluge leistet, nur von nebensächlicher Bedeutung sein. Die entscheidende Hauptarbert des Segelfluges muss also von einer anderen Kraft geleistet werden, und dies kann nur die lebendige Kraft des Windes sein. Ausser ihr und der Schwerkraft ist keine andere beim Segelfluge beteiligt; und die Beobachtung zeigt, dass ein echter Segelflug nicht ohne die Kraft eines absoluten Windes ausführbar ist. Ohne Mitwirkung der lebendigen Kraft bewegter Luft würde ein Bogenflug ohne Flügelschlag nur durch vorher erworbene lebendige Kraft der Masse des Vogels und durch Schwerkraftwirkung geleistet werden können; und er müsste unter allen Umständen eine sinkende Tendenz haben: es wäre ein Schwebflug, aber kein Segelflug.

Wie wirkt die lebendige Kraft des Windes beim Segelfluge?

Die Diskussion der seitlichen Neigung des Vogels hat ergeben, dass die Masse des Vogels (während der Bewegung im Bogen) wu einem aus der Schwerkraft (P) und Centrifugalkraft (Cf) resultierenden Drucke (D) auf dem umgebenden Medium lastet. Die seitliche Neigung des Vogels ist das Mittel, durch welches dieser Druck vermittelst der Flügel auf die Luft übertragen wird, sie ist es auch, welche der Luft erlaubt, einen entgegengesetzten Druck /W) auf die Masse des Vogels auszuüben, durch welchen die Wirkung der Schwere und der centrifugale Druck neutralisiert werden.

Ferner haben wir beim sinkenden Schwebfluge gesehen, dass allein durch die Wirkung der Schwerkraft (d. h. wenn die Schwerkraft die Masse des Körpers gegen das widerstehende flüssige -Medium drängt), der Flügel zum Teil in eine gegen die Richtung der Flugbahn vornübergeneigte, pronierte Lage gespannt wird (Fig. III. S. 73), ‘so dass die entgegenstehende I.uft an ihm eine vortretbende Wirkung ausübt. Und diese Wirkung erfolgt, gleichviel ob die Arbeit im gleichförmig sinkenden Fluge durch die Schwerkraft gegen den passiven Luftwiderstand geleistet wird, oder durch einen ent- sprechenden, aufwärts gerichteten Luftstrom gegen den Widerstand der Schwere.

Wenn nun schon der Druck der Schwere für sich genügend ist, an dem Flügel in der. Luft eine vortreibende Stellung und Wirkung hervortreten zu lassen, so folgt daraus, dass ein aus Schwerkraft und Centrifugalkraft zusammengesetzter Druck D = (P + Cf) hierzu in noch höherem Maasse geeignet ist. Ez» Flugwind also, der dem Drucke (D=(P+ Cf) das Gleichgewicht hält, leistet unter allen Umständen auch noch eine vortretbende Arbeit, weil schon durch eine geringere Spannung (P) am Flügel solche pronierte Widerstandsflächen geschaffen werden, durch welche die an ihnen angreifende Kraft eine vortreibende Komponente liefert. Diese aktive Triebkraft des Segelfluges, die der Segler so dem grossen Vorrat der lebendigen Kraft des Windes entnimmt,

14*

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beseitigt die Hemmungswiderstände und erteilt dem segelnden Vogel im Luvbogen die sichtbare Beschleunigung und lebendige Kraft, die ihm die Schwierigkeiten des Leebogens überwinden hilft, und ihm die Fortsetzung des Fluges ohne Flügelschlag ermöglicht.

Durch dieses wichtige Ergebnis ist eine der Hauptschwierigkeit der Erklärung aller Segelflugerscheinungen beseitigt. Es ist weder ein Rückenwind, noch ein Herab- sinken, wodurch der Vogel im Segeln fortgetrieben wird, sondern ein durch die lebendige Kraft des Flugwindes bewirkter Antrieb, der genau in derselben Weise am Flügel zu stande kommt, wie jeder andere Vortrieb bei irgend einer anderen Flugart.

Beim Auderfluge ist es die Kraft des Flugmuskels, welche, um das Gewicht, des Körpers zu tragen, den Flügel derart gegen die widerstandleistende Luft bewegt, dass er infolge seiner Biegsamkeit mit der Spitze in die vortreibende, pronierte Lage kommt und so dem Widerstande eine vorwärts gerichtete Komponente abgewinnt.

Gleitet ein Vogel im sinkenden Schwebflug ohne Flügelschlag herab, so ist es dre Schwerkraft, welche die Flugarbeit verrichtet, indem sie, in ganz gleicher Weise wie die Muskelkraft, den Flügel in die vortreibende Lage spannt.

Der Aorizontale und ansteigende Schwebflug erfordert für dieselbe Arbeit eine vorher erworbene /Jedendige Kraft des Vogelkörpers. Da diese immer schnell ver- braucht wird, so geht diese Flugart der Regel nach allmählich in die vorhergenannte, sinkende über, bei welcher die Schwerkraft die Arbeit leistet.

Beim echten Segelflug endlich ist es die lebendige Kraft der bewegten Luft, die im Luvbogen als aktive Komponente des Flugwindes in Gemeinschaft mit dem passiven Luftwiderstande den Flügel gegen den passiven Druck der Schwere und Centrifugal- kraft spannt und in die vortreibende Lage zwingt, so dass nicht nur jenem passiven Drucke das Gleichgewicht gehalten, sondern auch noch die Beseitigung der Flug- hemmungen und die Beschleunigung des Vogels bewirkt wird.

Die Frage, warum der Segelflug immer nur in gekrümmten Flugbahnen erfolgen kann, ist zwar durch die vorhergehenden Ausführungen im Grunde genommen schon mit beantwortet. Der Uebersicht wegen wird jedoch die folgende kurze Zusammen- fassung am Platze sein.

Infolge der seitlichen Neigung der Flügel wird mit der Fortbewegung des Vogels auf kreisähnlicher Bahn ein centrifugaler Druck erzeugt, welcher die Flugflachen gegen das umgebende Medium zu drängen strebt. Gleichzeitig entwickelt sich in dem beginnenden Luvbogen, wie ein Blick auf das Flugdiagramm (Fig. 47) zeigt, eine seitliche, centripetale Komponente des Flugwindes, die durch den herrschenden, aktiven Wind erzeugt wird. Durch diese aktive Komponente wirkt die lebendige Kraft des Windes in centripetaler Richtung jenem centrifugalen Drucke entgegen auf die Flügel. Dadurch wird nicht nur der centrifugale Druck neutralisiert und der Vogel auf die Kreisbahn gedrängt, sondern, wie immer, wenn der Flügel mit hinreichendem Widerstande seiner

22,

Fläche einer Kraft entgegentritt, auch die Flugbeschleunigung hervorgerufen, die den ganzen Segelflug unterhält. Die krummlinige Flugbahn ist hiernach das Mittel, durch welches der Vogel seinen Flügeln die horizontale (centrifugale) Widerstandskraft verleiht, die nötig ist, um die gleichfalls horizontale lebendige Kraft des herrschenden Windes lokomotorisch nutzbar zu machen. Ohne den centrifugalen Widerstand würde der Flügel nicht durch die seitliche Windkraft in die vortreibende Lage gespannt werden können; der Wind würde den Vogel nur aus der Flugrichtung schleudern und der Ortsbewegung hinderlich sein. Darum sind Flugbahnen, die gegen den herrschenden Wind konvex ge- krümmt sind, die unerlässlichen Grundbedingungen für die Ausnutzung der lebendigen Kraft der bewegten Luft zum Segelfluge. Der Segelflug ist nur auf so gekrümmten Dahnen in einem absoluten, herrschenden Winde möglich.

Wenn wir somit die konvex gegen den Wind gekrümmten Luvbogen als die Flugstiecken kennen gelernt haben, in denen die lebendige Kraft des Windes die Arbeit des Segelfluges leistet, wenn wir gesehen haben, dass der lokomotorische Antrieb bei dieser Flugart das Erzeugnis der Wechselwirkung horizontaler Kräfte ist, welche als aktive, seitliche Komponente des Flugwindes und als Centrifugalkraft an den seitlich geneigten Flugflächen angreifen, so tritt nun die Frage auf, wie wirkt die Schwerkraft im Luvbogen, wodurch und wie weit wird thr das Gleichgewicht gehalten?

Da die Schwerkraft nur bei sinkenden Bewegungen lokomotorische Arbeit leistet, der Segelflug aber im ganzen genommen eine horizontale oder ansteigende Bewegungsart ist, so kann auch die Schwerkraft hierbei nur insoweit aktiv beteiligt sein, als innerhalb des Fluges vertikale Schwankungen des Vogels stattfinden. Beim horizontalen und ansteigenden Fluge leistet die Schwerkraft nur passiven Widerstand, der durch andere aktive Flugkräfte beseitist werden muss, sei es durch die wie immer auch erworbene lebendige Kraft des Vogels, sei es durch die des Windes. Es gilt also für die Schwerkraft beim Segelfluge alles das, was über sie beim Schwebfluge gesagt wurde.

In Luvbogen ist es besonders die in der Tangente des Kreises liegende, hori- zontale und zunehmend passive Komponente des Flugwindes (s. Flugdiagramm), die der Schwerkraft unter gleichzeitiger Hemmung des Fluges entgegenwirkt, wie beim Schwebfluge. Aber auch die centripetale Komponente des Flugwindes liefert einen Beitrag zum Tragen und Heben der Last.

Ueber diese Verhältnisse erhält man eine klare Anschauung durch die folgende Figur. Dieselbe stellt eine Vertikalprojektion der Flugkraft auf die Radialebene dar, es erscheinen in ihr nicht die horizontalen und tangentialen Kräfte ‘des Vortriebes und die Flughemmungen, die ja für diese Betrachtung gleichgültig sind.

Die gegen die seitlich geneigten Flugflächen gerichtete Flugwindkraft W hat eine Vertikalkomponente V, die im Falle des Gleichgewichtes das Gewicht P des Vogels trägt. Da W die rechtwinklig zur Flugfläche stehende, wirksame Komponente des Flugwindes

IIO

ist, so steigt und fallt, wie an anderer Stelle gezeigt wurde, ihr Gesamtwert mit dem Winkel der seitlichen Neigung der Flugflächen. Bei gegebener Grösse von W ist V = W.. cos a, und die centripetale Komponente Cp = W. sin a, wenn « den seitlichen Neigungswinkel der Flugflächen bedeutet. Der Flugwind wirkt also verhältnismässig mehr hebend als centripetal, wenn die Flugflachen mehr horizontal liegen; bei stark geneigter Seitenlage des Vogels aber kann theoretisch der Fall eintreten, dass der, absolut genommen, viel stärkere Flugwind doch nicht im stande ist, den Vogel zu tragen, da cr fast ganz, bei vollkommener Seitenlage ganz, in centripetaler Richtung für den lokomotorischen Antrieb eingesetzt ist. Daher hat 4/era//, wo die Seitenneigung des Vogels eine gewisse Grenze übersteigt, der Flug im Luvbogen eine sinkende Tendenz; oder mit anderen Worten, die Schwerkraft beginnt dann ihre aktive Wirkung. Wo

Fig. 50. Das Gleichgewicht der Kräfte beim Kreisflug ist in Fig. 1 vorhanden, in 2 durch Verstärkung des Windes gestört und in 3 wiederhergestellt unter Vergrösserung des seitlichen Neigungswinkels.

immer ein solches Sinken eintritt, bedeutet es eine vorübergehende Zunahme an Flug- geschwindigkeit, die der Vogel im Leebogen des Segelfluges mit sehr geringem Verluste wieder in Höhe umsetzen kann, und die ihn ausserdem schneller wieder an den nützlichen Wind im Luvbogen bringt.

Die Schwankungen der seitlichen Neigung der Flugflächen beim Segeln sind von verschiedenen Bedingungen abhängig. Wenn im Falle des Gleichgewichtes der Kräfte, wie in Figur 50, I, die Resultante des Winddruckes W und die des Widerstandes D gleich und genau entgegengesetzt sind, so liegt auch der Angriffspunkt U des Wind- druckes und der Schwerpunkt S,*) in welchem D angreift, in der Richtung von D und W. Die Flugflächen stehen dann rechtwinklig zu US oder der Richtung der

*) Durch diese Lage des Schwerpunktes unter dem Unterstiitzungspunkte wird das stabile Gleich- gewicht im Fluge hergestellt. Ein Vogel, der mit ausgebreiteten Flügeln wie immer herabgeworfen wird, muss stets nach kurzer Zeit wieder »in den Flügeln hängen«.

III

Krafte. Nimmt nun aber, z. B. gegen den Luvpunkt hin, die aktive, seitliche Komponente des Flugwindes zu, so erhält auch die Resultante W eine mehr centripetale Lage, und wenn -nicht gleichzeitig ein Ausgleich erfolgte, so würde vorübergehend das Gleichgewicht so gestórt werden, wie es Figur 5o, II zeigt. Die beiden Zugkráfte W und D drehen aber die starre Verbindung ihrer Angriffspunkte S und U so weit, bis die neue Gleich- gewichtslage hergestellt ist; und damit wird auch der seitliche Neigungswinkel der Flug-

flächen vergróssert. (Fig. 50, III.) Dass nun auch D wieder T W geworden ist, ist

gleichfalls die Folge der Zunahme der seitlichen aktiven Flugwindkomponente, die mit ihrem Wachstum die Fluggeschwindigkeit c vergróssert und eventuell auch den Krümmungs- radius der Bahn verkleinert hat. Sowohl durch die Geschwindigkeitszunahme, wie durch die Verengung der Flugkurve wird der centrifugale Flugwiderstand Cf vergrossert, denn die Centrifugalkraft ist ja dem Quadrat der Geschwindigkeit direkt, dem Radius indirekt proportional. Die Modifikation des seitlichen Neigungswinkels der Flugflächen vollzieht sich also automatisch infolge der Zu- und Abnahme der centripetalen Flugwind- komponente. Da diese durch den herrschenden Wind hervorgerufen wird, so ergiebt sich als weiteres allgemeines Resultat, dass auch Jede Zu- und Abnahme der Starke des herrschenden Windes eine Zu- und Abnahme der Seitenneigung des Seglers herbeiführen muss, dass gleichzeitig die Radien der kreisförmigen Flugbahnen kleiner und die Flug- geschwindigkeit grösser wird.

Nun ist aber die Centrifugalkraft auch direkt von der Masse des segelnden Vogels abhängig. Sie ist daher bei einem grossen, schweren Vogel von Haus aus bedeutender, als bei kleineren Vögeln. Es bedarf also, um bei einem Anwachsen der Windstärke das Gleichgewicht zu bewahren, bei den grossen Vögeln einer geringeren Einengung der Kreise, einer geringeren Geschwindigkeitszunahme und auch einer geringeren Seitenneigung, als bei kleineren Vögeln.

Darin liegt auch der Hauptgrund, warum kleine Vögel zur Ausführung eines vollkommenen Kreissegelns nicht befähigt sind, der Flug würde einer rapiden Wirbel- bewegung in minimalen Kreisen ähnlich werden müssen.

Die Beobachtung bestätigt nun in vollkommener Weise alle Ergebnisse unserer Schlussfolgerungen. Wenn Vögel von verschiedener Grösse, wie Störche und Moven, bei demselben Winde kreisen, so haben die Störche in ihren grösseren Kreisen kleinere seitliche Neigungswinkel, als die in kleineren Kreisen segelnden Möven. Alle kreisenden Vögel beschreiben bei stärkerem Winde kleinere Kreise mit grösserer Seitenneigung. Die stärksten seitlichen Neigungen sind bei kleineren Vögeln (Cypselus) und grosser Windstärke (Albatros) zu beobachten. Die seitliche Neigung der Vogel hat in jedem Luvbogen bis zum Luvpunkte eine zunehmende Tendenz, um so mehr und um so deutlicher, je kräftiger der Wind weht.

112

Der Flug im zweiten Quadranten des gegen den Wind konvexen Luvédogens bietet der Erklärung keinerlei Schwierigkeit. Mit der Ueberschreitung des Luvpunktes hat der Vogel zwar bereits den stärksten lokomotorischen Antrieb gewonnen, aber seine Geschwindigkeit erfährt noch immer einen Zuwachs, der mit der Abnahme der aktiven Seitenkomponente des Flugwindes geringer wird und im Kehrpunkte der Flugbahn aufgehört hat. In diesem Punkte hat demnach der Vogel seine grösste Flug- geschwindigkeit erlangt; sie ist beträchtlich grösser, als die des herrschenden Windes, so dass er mit einem hinreichend starken, wenn auch passiven Flugwinde in den I.ee- bogen eintritt.

Der Flug im Leebogen. Die analytische Untersuchung über die Wechselwirkung der Flugkräfte im Luvbogen hatte uns als wichtigstes Resultat die Antwort auf dic Frage gegeben, wie der lokomotorische Antrieb des Segelfluges zu stande gebracht wird. Eine nicht minder wichtige und interessante Frage ist aber die, wie es der Vogel anfängt, dass er einen Leebogen durchfliegen kann, ohne von dem seitlichen Drucke des herrschenden Windes zu Boden geschleudert zu werden.

Der Leebogen wendet, wie das Winddiagramm (Fig. 47 S. 102) zeigt, dem Winde die konkave Seite zu, und der Flugwind, als Resultante der tangentialen Eigenbewegung des Vogels und des nach Lee strömenden Windes, weht dem Vogel mehr oder weniger seitlich aus dem Innern des Kreises entgegen. Wenn also der Vogel die Längsachse seines Körpers in der Kreistangente hält und dabei die Einwärtsneigung seiner Flug- flächen wie im Luvbogen beibehält, so muss der Flugwind mit mechanischer Notwendig- keit die Rückseite der Flügel treffen und jede Flugbewegung unmöglich machen. Trotzdem fliegt der Vogel anscheinend ohne irgendwelche Schwierigkeiten im Leebogen quer durch die bewegte Luft!

Zwei Mittel giebt es, durch welche der Vogel die Gefahr des Rückenwindes im Leebogen vermeiden kann. Das eine besteht darin, dass er versucht, serne Längsachse möglichst in die Richtung des Flugwindes einzustellen, statt in die der Kreistangente. Dies gelingt ihm leicht bei schwachem Winde, wenn er in grossen Kreisen mit geringem centrifugalen Schwunge fliegt, denn dann ist auch die centripetale Abweichung des Flugwindes von der Tangente nur eine geringe.

Meine Beobachtungen an Störchen, die in mässiger Höhe über meinem Stand- punkte ihre Kreise zogen, bestätigen in vollstem Masse diese theoretische Überlegung. Der Flug ist bei mässigem Winde namentlich im zweiten Quadranten des Leebogens keine Frontalbewegung, sondern ein richtiges Seitwärtsziehen, das an eine jedem Reiter bekannte transversale Gangart des Pferdes (Traversieren) erinnert. Wie diese Gangart durch den Reiter erzwungen wird, so macht auch die eigenartige seitliche Bewegung des Vogels den Eindruck eines Zwanges, dem sich der Vogel vergeblich zu entziehen sucht. Man erwartet cine Bewegung in der Längsachse des Tieres, statt dessen gleitet

es wie an einem unsichtbaren Hindernis seitwärts im Bogen entlang und gewinnt nur wenig Raum gegen den Wind.

Diese Stellung des Vogels gestattet dem Beobachter, genau zu erkennen, aus welcher Richtung der Vogel den Flugwind empfindet. Da die seitliche Bewegung bei der Annäherung an den Anfangspunkt des neuen Kreiscs immer geringer wird, so lässt sich auch die Lage dieses Punktes dadurch feststellen, und damit kann man auch die Richtung des in der Region des Fluges herrschenden Windes feststellen.

Für den Vogel hat die transversale Lage den grossen Vorteil, dass er den Wind immer in gewohnter Weise genau von vorn empfindet, dass der Schnabel also immer in den Wind zeigt, und dass cinseitige ablenkende Widerstände oder Druck- wirkungen der Luft gegen die nach unten hervortretenden Körperoberflächen ausgeschlossen werden. Der Vogel hat also gleichsam den Wind völlig in seiner Gewalt, wie bei jeder anderen Flugart, da derselbe nur an den Flügeln motorisch angreifen kann.

Dies ist der Grund, warum auch im Luvhalbkreis der Vogel das sichtbare Be- streben hat, seine Längsachse nicht in die Flugrichtung, also tangential, sondern in die Richtung des Flugwindes einzustellen. Hierdurch vermindert er die Wirknng der seitlichen, centripetalen und aktiv vortreibenden Komponente des Flugwindes zu Gunsten der tragenden Wirkung und fliegt infolgedessen langsamer in etwas grösseren Kreisen. Ein stärkerer Wind erzwingt sich, wie gezeigt wurde, eine grössere Fluggeschwindigkeit auf kleinerem Kreise und veranlasst eine so starke Seitenneigung der Flugflächen, dass im Luvbogen ein merkliches Sinken des Vogels sich einstellt.

Ich habe bereits darauf aufmerksam gemacht, dass der Vogel durch das Sinken im Luvbogen einen Vorrat von lebendiger Kraft gewinnt, die er im Leebogen wieder in entsprechende Hebung umsetzen kann. Natürlich erreicht der Vogel infolge der Hemmungswiderstände beim Emporgleiten die aufgewendete Höhe nicht vollständig wieder. Man würde daher die vertikale Schwankung des Vogels im Luv- und Leebogen nur als vielleicht unvermeidliche Nebenerscheinungen des Segelfluges ansehen können, die dem Fluge selbst eher nachteilig als förderlich wären, da sie den Weg verlängern und ermüdende Spannungsdifferenzen in den Flugmuskeln hervorrufen, ohne cinen nützlichen lokomotorischen Antrieb zu zeitigen. Allein, dem ist nicht so, diese Schwankungen haben da, wo sie auftreten, eine schr wichtige, geradesu überraschend praktische De- deutung für den Flug, ste sind das swerte Mittel, durch welches bet stärkerem Winde der Vogel dem gefährlichen Rickenwinde im Leebogen entgeht. Sobald der Vogel in den Leebogen eingetreten ist und beim Leepunkt die zunehmende seitliche Abweichung des Flugwindes zewahr wird, bringt er mehr und mehr die Längsachse seines Körpers in eine schräg ansteigende Lage. Dadurch wird der Neigungswinkel seiner Flugflächen gegen den Flugwind derart vergrössert, dass auch durch F.inwärtsneiren des Körpers der Wind immer noch mit der Unterscite der Flügel aufgefangen wird. So gewinnt

15

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der Vogel dem Flugwinde sicher die für die Kreisbahn notige centripetale Komponente ab und gleitet gleichzeitig auf der aufstrebenden Flügelfläche, wie auf einer schiefen Ebene empor und allmählich dem Winde entgegen. Diese für den Flug in Kreisen so

Wachsende Fluggeschwindigkeit. Sinkende Tendenz der Flugbahn.

Beschleunigung maximal.

Untere Kulmination der Flugbahn. Fluggeschwindigkeit maximal. ‘o = gunZiuno[qosog 'euriutur. WLoyDtpurmyosagsany J 'u(eqdnpgq Joep uvoneummpmy 319q()

Beschleunigung = o.

Pd , t A ia, a Le TT d ~ —— M

ae

Fluggeschwindigkeit abnehmend, Flugbahn mit steigender Tendenz.

lleminung maximal,

Fig. 51. Diagramm des Segelfluges auf einer kreisförmigen Bahn. A. Anfangspunkt, K. Kehrpunkt der Bahn.

sehr nützlichen Hebungen und Senkungen, ebenso wie die seitliche Neigung der Vögel sind hiernach die notwendigen Bedingungen, unter denen diese Art des Segelfluges £1 bewegter Luft erfoleen kann. Die Thitigkeit der Flugmuskulatur kommt dabei gamt nicht in Frage, denn ob der Vogel den Kreis mit oder ohne I‘liigelschlag durchflies#, die centralen Kráfte der Kreisbewegung, welche jene Erscheinungen hervorrufen und notwendig machen, wirken im einen wie im anderen Falle ganz gleich.

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Man braucht daher, um die Hebungen und Senkungen, sowie die seitliche Neigung zu verfolgen, nicht durchaus seye/ude Vögel zu beobachten, denn alle irgend- wie im Kreise fliegende Vögel unterliegen denselben Flugbedingunsen und zeigen in ganz analoger Weise, was die Theorie erfordert.

Täglich habe ich die Freude, von meinem Arbeitsplatz aus einen Taubenschwarm zu beobachten, der unermüdlich in kleinen und grossen Kreisen über seinem nahen Schlage fliegt und oft kaum 10 m von mir vorüberstreift. Wenn dann ein Wind die Luft bewegt, dessen Richtung durch den Rauch der Schornsteine angegeben wird, so er- scheinen nicht nur die Hebungen und Senkungen an den vorher bestimmten Stellen: auch die seitliche Neigung und die Zunahme der Fluggeschwindigkeit erfolgen genau den theoretischen Folgerungen gemäss.

Je stárker der Wind ist, um so schneller vollzieht sich die Umbiegung der Bahn im Luvpunkte. Die Tiere suchen, nachdem sie die IIóhe wiedergewonnen haben, einen Augenblick gegen den Wind mit sehr schwacher Flügelbewegung anzuschweben, dann erfolgt schnell unter ca. 60 —80? seitlicher Neigung und mit schnell hintereinander aus, geführten Flügelschlägen von geringer Amplitude das Abbiegen nach Lee. Ebenso- schnell nimmt die Zahl der Fliigelschlage gegen den Seiten- oder Kehrpunkt der Bahn ab, der mit minimaler Schlagírequenz in grosster Geschwindigkeit durchflogen wird. Dann beginnt im Leebogen mit zunehmendem Kraftaufwand und energischer Thätigkeit die Flugarbeit, die den Vogel wieder dem Luvbogen entgegenführt. Das geringe Gewicht der Tiere, der Mangel der Masse ihres Korpers hat das schnelle Umbiegen im Luv- punkte mit starker Seitenneigung und sinkender Tendenz des Fluges zur Folge.

Das nebenstehende Diagramm des Segelfluges auf kreisförmiger Bahn veran- schaulicht den Verlauf der Bewegung gemäss den vorstehenden näheren Darlegungen.

5. Von welchen körperlichen Eigenschaften hängt das Segelvermógen der Vögel ab?

In dem Abschnitte über die Formen des Vogelfliigels wurde des näheren aus- geführt, dass die lange und schmale //Zrge/form vom Albatrostypus und nächst dieser die Flügel vom Adlertypus mit getrennten Handschwingen einen Vogel besonders zum Segeln geeignet machen. Wir können uns daher hier darauf beschränken, auf jene Mitteilungen und ihre aérodynamische Begründung zu verweisen.

Aus dem A vanzini'schen Gesetz und den experimentellen a¢rodynamischen Nach- weisungen Langley's ergiebt sich, wie sehr die langen und schmalen Flügel. und Schwungfederformen zur Ausnutzung des Luftwiderstandes bei kleinen Neirungswinkeln geeignet sind. Da dic Segler keine oder nur vereinzelte Flügelschläge ausführen, und dadurch

15*

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den Stosswinkel der Luft gegen den Flügel vergrössern, so sind die Neigungswinkel ihrer Flugflächen thatsächlich erheblich geringer, als bei den Rudervögeln. Solche Neigungs- winkel haben aber den grossen Vorteil, dass der I.uftwiderstand, absolut genommen, zwar geringer ist, als bei grossen Winkeln, dass aber die nützliche Wirkung desselben am Flügel relativ günstiger ist, als dort, wie dies durch die Figur 1 veranschaulicht

wurde. Der Angriffspunkt der Resultante des Luftwiderstandes liegt zumal bei schmalen Flügeln —- während des Segelns nahe der Mitte der Flügellänge. Beim Flügel.

schlag wirkt der Widerstand weit mehr gegen die Spitze, als gegen die Flügelbasis, und sein Angriffspunkt verschicbt sich daher gegen die Spitze; der Hebelarm des Wider- standes ist langer, als beim Segeln. Da nun die Flugmuskeln dem Luftwiderstande das Gleichgewicht halten müssen, so ergiebt sich, dass auch die Muskelkraft der Segler besser ausgenutzt und weniger zur Erzeugung und Beseitigung hemmenden \Viderstandes verwendet wird, als dies bei den echten Rudervögeln der Fall ist.

Man kann hieraus a priori den Schluss ziehen, dass dre Segler eine relativ geringere Menge von Muskelkraft und Muskelsubstanz nötig haben und besitzen werden, als die Ruder- vögel. Die folgenden Mitteilungen werden diesen Schluss im vollen Umfange bestätigen.

Will man die Flugmuskelmengen zweier Flugtiere miteinander vergleichen, so genügt es selbstverständlich nicht, die Muskelgewichte p einfach nebeneinanderzu_ stellen. Aber man erhält auch kein richtiges Bild des Verhältnisses, wenn man sie auf

das ungleiche Körpergewicht P der Tiere bezieht und die Quotienten a bei den

einzelnen Arten vergleicht, denn das Verhältnis zwischen Flugmuskulatur und Körper- gewicht ist nur ein Ausdruck für die ungleiche Belastung des Flugapparates der ver- schiedenen Arten der Flugtiere und giebt uns über die l'lugmuskulatur als wesentliches Glied innerhalb des Flugmechanismus keinen vergleich-fähigen Aufschluss. Um dies zu erreichen, hat man, wie ich in meinem »Flug der Fische«*) näher auseinandergesetzt habe (S. 14, 15), die l'lugmuskulatur p in ihrem Verhältnis zur Flugfläche f zu be- stimmen, ohne auf die verschiedene Belastung Rücksicht zu nehmen. Dieses Verhältnis, das ich als die »speszfische Flügelbespannungs bezeichnete, ist ein Mass für die auf die Flächeneinheit des Flügels durchschnittlich entfallende Muskelkraft, gestattet aber auch einen Schluss auf die Frequenz des Flügelschlages, zu welchem der betreffende Flugapparat fähig ist, denn die Anzahl der in gleichen Zeiten ausführbaren Flügelschläge steht im direkten Verhältnis zur Muskelkraft und in einem umgekehrten Verhältnis zur Grösse des Flügels. Da es nur Sinn hat, Grössen von gleichen Dimensionen zu ver-

gleichen, so habe ich a. a. O. auch nicht das Verhältnis p : f, sondern das Verhältnis 3

Vp: Vf als spezifische Flügelbespannung bestimmt, wobei mir die Messungen von

*; Programm des Realgymnasiums des Johanneums Hamburg. 1895.

117

Harting*) und Legal & Reichel**) in der von K. Mullenhoff***) reduzierten Form

als Unterlage dienten. Die Ergebnisse dieser Berechnungen sind auszugsweise in der

folgenden Tabelle wiedergegeben. Tabelle. Vs

P roo bei der Heonighiene und den |f

Vogeln, (? Gewicht der gesamten AN),

t Flugtlüche der Flügel.

des Verhältnisses der Flügelbespannung

1 1 NO. | Artnamen ! was No. : Artnamen (d P 100 Ir i Ir | | | Honightene 395 16 Doite 16.0 Apis meliifici j Corvus monedula i 3 Rebhuhn 25.0 = Ak bits 15.0 | Perdix cinerea ° d Vanellus cristatus ] Neidenschwanz 240 iS Scathrahe 15.0 3 Bombycilla garrula Corvus frugilegus Jlänjfiing 23.0 19 Nuatenträrhe 14.0 4 Frineilla cannabına ; Corvus cornix ` Sperling 23.0 20 Zurmtalk 14.0 5 Passer domesticus ‘Falco tinnunculus n Stockente Fehtilerche 6 EM 22.0 21 MT 14.0 Anas boschas Alauda arvensis Star Storch x ' 20. 22 "EU 14.0 7 Sturnus vulgaris 0.0 Ciconia. alba | Flaustaube P Gemeiner Aauz 8 4 190 23 iis 13.0 Columba domestica Syrnium aluco i Austernjischer 19.0 24 Seeaufer 12.0 9 Haematopus ostralegus i Aquila hahactns | Brachvoscl i Graumöive IO x 19. 2 12.0 , Numenius arquatus 0 5 Larus canus Grüunspeht | Lachmowe 11 Es 18.0 26 | Me 12.0 | Picus viridis 8 | Larus ridibundus E EN T 7 i m mE EE D^ i g nu i3. Schwarzdrossel | 180 am. Silber mowwe 130 Turdus merula | j | Larus argentatus an -— - CREE REPRE! APRES. p Trapfec n i , | l 0 13 Otis tarda 17.0 28 t Dessi. , í Kvohlmeise (60 3 Seeschwalbe 11.0 i i Parus major | 9 Sterna hirundo ' eher. aan N ne 4c urat Meta MN PIE ER SENE: l Terchhunn Dussard I5 | 16.0 30 | |j 11.0 |

Fulica atra

Buteo vulgarıs

*) Harting, Observations sur l'étendue relative des ailes etc, Arch. Néerlandaises d, sc. nat. IV, 1869, g j

**) Legal & Reichel. ***) K, Müllenhoff.

»Aus dem Anatomischen Instit. zu Breslau.

Die Grösse der Flugfliichen,

18582.

(Pflügers Archiv. Bd. 35 1885. N. 407—453.)

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In dieser Tabelle sind die verschiedenen Flugtiere nach der Grösse ihrer spezz- fischen Flügelbespannung geordnet. Fin Blick auf die Reihe zeigt, dass die echten Ruderer, die sich ausschliesslich durch schnellen Flügelschlag fortbewegen und zum Segelfluge ungeeignet sind, die stärkst bespannten Flügel besitzen. Am obersten Ende und allen Vögeln voran steht die Honigbicne mit 32.5 als Vertreterin der rapide schwirrenden Insekten, dann folgt in weitem Abstande das Rebhuhn (25.0), das von allen Vögeln die stärkste Flugmuskulatur besitzt. Die übrigen Vögel ordnen sich in eine von 25.0 bis 11.0 fallende Reihe, an deren unterem Ende erst die echten Segler, die Raubvógel und Möwen, erscheinen. Æs 7s¢ also Thatsache, was wir oben aus den anatomischen und acrodynamischen Verhältnissen der Flügel a priori geschlossen haben, dass die segelnden Vögel eine geringere Flügelbespannung, eine relativ schwächere Musku- latur besitzen, als die echten Rudervögel. Die charakteristische Gestalt ihrer Flügel, welche ihnen gestattet, die Flugflachen unter kleinsten Neigungswinkeln dem Winde entgegenzustellen, macht sie dennoch zu den geschicktesten und besten Fliegern in der bewegten Luft. Je schmäler und flacher die Flügel sind, desto leichter und sicherer durchschneiden sie die Luft, desto vollkommener und mannigfaltiger ist die Segelfähig- keit, wie wir sie bei den Möwen und Sturmvögeln bewundern. Der breitere und mehr gewölbte Flügel der Raubvögel hat zwar den Vorzug der gleichzeitigen, besseren Ver- wendbarkeit zum Ruderflug, aber er ist weniger leicht lenkbar und verstellbar, als der Albatrosflügel, und daher ist auch das Segelvermogen dieser Tiere fast ganz auf das Segeln in kreisähnlichen Bahnen beschränkt, bei welchem keine, oder nur unbedeutende Aenderungen der Flügelstellung nötig sind.

Neben der Anwendung kleiner Neigungswinkel kommt den Seglern noch zu statten, dass die Leistungen ihrer Muskeln gleichformig über die ganze Zeit des Fluges verteilt sind, statt, wie bei den Ruderern, in rhythmischen Kontraktionen zu bestehen. Die Arbeit des Flügelrückschlages, sofern eine solche damit verbunden ist, wird ihnen erspart; sie leisten überhaupt beim eigentlichen Segeln keine äussere, sichtbare Arbeit, sondern die Funktion ihrer Muskeln ist die Erzeugung einer Spannung, die den Flügel in der Segelstellung erhält; ihre Arbeit ist also nur eine innere, die in molekularen, chemischen Umsetzungen der Muskel- und Nervenmassen besteht und einen Ersatz durch Atmung und Ernährung erfordert.

Mit der gleichformigen Beanspruchung der I*lugmuskeln steht offenbar eine andere, sehr merkwürdige, anatomische Thatsache in Einklang, welche von Marey*) (vol. d. ois. 5. 99) erwähnt wird, und auf die ich bereits in meiner Arbeit über den Flug der Fische besonders hingewiesen habe.**) »Wenn mane, so führt Marey aus, »Vögel

*) Aus dem anatomischen Institut zu Breslau 1882.

**) Flug der Fische. Programm des Realyymnasiums des Johanneums, Hamburg 1895. S. 23 f.

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verschiedener Typen hinsichtlich der mittleren Richtung der Fasern des grossen Brust- muskels vergleicht, so findet man sehr grosse Unterschiede. Allem Anscheine nach steht die Zugrichtung des grossen Brustmuskels in Beziehung zu der einer jeden Art eigenen Flugweise. Im allgemeinen haben die Rudervögel schräge Fasern des grossen Brust- muskels, während bet den Seglern diese Fasern sich mehr der Vertikalrichtung nähern. Worin nun die näheren Beziehungen zwischen der Anordnung der Muskeln und der Art zu fliegen bestehen, giebt Marey nicht weiter an.

Es ist ohne weiteres klar, dass durch die Hauptrichtung der Muskelfasern auch die Zugrichtung bestimmt ist. Der Brustmuskel eines Rudervogels, der mehr schräg nach hinten gerichtet Fig.52. Esbraucht ist, wird daher am kaum gesagt zu Flügel einen mehr werden, dass der nach hinten ge- Hauptzug der richteten Zug aus- Flugmuskeln üben, als der mehr vertikal stehende

Muskel eines

immer dem Haupt- drucke des loko- motorischen Luft- Seglers, dessen widerstandes ent- Zug eine stärkere gegengesetzt ge- richtet ist. Hieraus unten hat. Beiden folgt, dass die

Flugfischen geht Muskeln der Flug-

Komponentenach

Fig. 52. : der Zug der Mus- Schematische Darstellung der mittleren Zugrichtung fische nur einem keln, wie ihreRich- des grossen Flugmuskels: nach oben und tung, sogar nach a) Rudervogel, b) Segelvogel, c) Flughsch. hinten gehenden, vorn und unten. hebenden und

hemmenden Widerstande das Gleichgewicht halten können, und dass sie zur Ausführung eines vorwärtstreibenden Flügelschlages nicht eingerichtet sind. Daher sind diese Tiere auch nur zum einfachen, passiven Gleitfluge ohne aktiven Flügelschlag befähigt.

Bei allen Vögeln dagegen hat der Zug der Flugmuskeln auch eine nach hinten gehende Komponente, alle können daher durch ihren Flügelschlag auch einen nach vorn gerichteten, also vortreibenden Luftwiderstand ausnutzen, und so willkürlich einen loko- motorischen Antrieb für den Flug schaffen. Zwischen Seglern und typischen Ruder- vögeln besteht nur der Unterschied, dass die letzteren einen stärkeren Antrieb nach vorn hervorrufen können, als die ersteren, deren Muskelzug mehr der Schwere entgegen- gerichtet ist. Den Grund für dieses abweichende Verhalten glaube ich nun darin erblicken zu sollen, dass der Antrieb bei den Rudervögeln mit jedem Flügelschlage stoss- weise und daher mit starker Spannung erfolgt, während er sich beim Segeln gleich

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mässiger über die ganze Zeit des Fluges im Luvbogen verteilt und somit auch nur eineschwächere Muskelspannung erfordert. Darum ist die Entwickelung der Flugmuskeln beiden Seglern mehr nach der zum Tragen und Heben günstigen Vertikalrichtung erfolgt, und bei den Ruderern sind die Muskeln nicht nur durch allgemeine Verstärkung, sondern auch durch teilweise mehr horizontale Lagerung zur Erzeugung eines stärker vorwärtstreibenden Zuges befähigt worden.

So hängt das Segelvermögen der Vögel in entscheidender Weise von der Gestalt der Flügel und der Anordnung der mit ihnen verbundenen Muskeln, kurz von der Beschaffenheit des Flusapparates ab. Aber auch die Grösse der Vogel, das Gewicht, welches den Flugapparat belastet, ist von Bedeutung für den Verlauf des Fluges. Der Hemmungswiderstand, den ein Vogel im Fluge erfährt, ist zwar bei einem grossen Vogel, absolut genommen, grosser, als bei einem kleinen, relativ genommen stellt sich jedoch das umgekehrte Verhältnis heraus. Bei ähnlichen Körperformen ist der Widerstand von der Grösse der Oberflächen abhängig, welche die Luft streicht. Die Oberflächen nchmen nun aber nicht in demselben Grade zu, wie die Masse, das Gewicht des Körpers, denn wenn dieses im kubischen Verhältnis wächst, so vergrössert sich die Fläche erst im quadratischen Verhältnis. Aus diesem Grunde erfährt daher der grössere Vogel einen relativ geringeren Hemmungswiderstand, als der kleinere. Allein diese Hemmungs- unterschiede und ebenso diejenigen, welche von der ungleichen Fluggeschwindigkeit ab- hängen, sind für das Segelvermögen nicht von entscheidender Bedeutung, denn wir sehen die kleinen und schnellen Turmschwalben mit ebensogrosser Vollkommenheit segeln, wie die weit langsameren Möven und den Albatros.

Weit wichtiger ist der Einfluss, den die grössere Masse, die stärkere Belastung des Flugapparates, auf den Gang des Fluges ausübt. Sie verleiht dem Vogel eine grössere Stabilität und eine grössere mechanische Trägheit, die ihn widerstandsfähig macht gegen die mancherlei unregelmässigen Nebenwirkungen des pulsierenden Windes, denen der kleinere Vogel nur durch geschickte Steuerung seiner Flügel entgeht; sie ver- zogert den Eintritt und das Ende der Flugbewegung, zu welcher die lebendige Kraft des Windes den Antrieb giebt, sie vergrössert die Radien der Luv- und Leebogen, welche cin zunehmender Wind verkleinert, und wirkt so passiv gestaltend auf den Verlauf der mannigfaltig wechselnden Flugbahnen ein. Die Schwalben und Segler kreisen nur bei schwachen Winden und gehen zum unregelmässigen Segeln über, wenn die Windstärke einen gewissen Grad übersteigt; denn wegen ihrer geringen Masse müsste die Kreis- bewegung bald in ein schnelles Herumwirbeln auf so engen, kleinen Bahnen übergehen, dass die Leitung des Fluges die physischen Kräfte des Vogels überstiege. Wenn aber einmal der Mensch die praktische Fähigkeit erworben haben wird, das Segeln der Vögel nachzuahmen, das unserem theoretischen Verständnis nun keine Schwierigkeiten mehr bietet, so werden ihn die schmalen Flügel seiner centnerweise belasteten Flugmaschine

auch im starken Sturme in ruhigen, weiten Kreisen durch die Luft dahintragen,

6. Die Arten des Segelfluges.

Nachdem wir durch die bisherigen Betrachtungen über alle wesentlichen Fr- scheinungen des Segelfluges und ihre mechanischen Ursachen ins klare gekommen sind. erübrigt nun noch eine Besprechung der verschiedenen Abarten des Segelfluges. Als solche unterscheiden wir:

I. das Segeln in Kreisen oder Ellipsen an einem Orte;

2. den Kreisflug mit Abdrift oder den Driftflug;

3. den ansteigenden Spiralflug;

4. den unregelmässigen Segelflug der Móven, Sturmvógel und Segler.

I. Der Segelflug in Kreisen oder Ellipsen. Da die geschlossenen kreisähnlichen Bahnen des stationären Rundfluges stets, besonders aber bei mittleren und starken Winden, eine geneigte Lage haben, die Luvbogen mit sinkender, die Leebogen mit steigender Tendenz, so werden sie bei genauerem Zusehen von unten oder von einem im Niveau liegenden Standpunkte meist in einer mehr oder weniger deutlich ellip- tischen Gestalt erscheinen. Genaue Angaben über die Excentrizität der elliptischen Bahnen liegen nicht vor, doch scheint es sich immer nur um Ellipsen mit geringem Abstande der Brennpunkte zu handeln.

Nach den von Marey (vol. d. ois. S. 14—17) mitgeteilten Beobachtungen von E. J. Basté (L'Aéronaute 1887) sollen die Vögel, um gegen den Wind einen ebenso- langen Ellipsenbogen zurücklegen zu können, wie mz¢ dem Winde, auf dem Wege vom Leepunkte zum Luvpunkte eigenartige, regelmässige, vertikale Oscillationen ausführen, wie ein Schiff, das über die Wellen des Meeres hinweggleitet. Basté ist der Ansicht, dass ein Vogel durch abwechselnde Vergrösserung und Verkleinerung der Flugflächen, resp. ihres Neigungswinkels Fortschritte gegen den Wind machen könne. Bei jedem Oeffnen der Flügel soll der Vogel gehoben werden, bei jedem Schliessen oder Zurück- legen soll er durch Fallen vorwärtskommen. Diese Ansicht von dem Zustandekommen des lokomotorischen Antriebes beim Segelfluge ist im Grunde mit der des Lord Rayleigh, Langley’s und anderer Autoren identisch, nur dass sie die Intermittenzen des Luftwiderstandes durch aktive Thätigkeit des Vogels entstehen lässt, statt durch den Wind selber. Der Fehler liegt auch hier in der Vernachlässigung der Flughemmungen. Der Vogel wird mit seinen weiter entfalteten Flügeln nicht nur stärker gehoben, sondern noch mehr gehemmt, so dass er wie cin Drachen mit durchschnittenem Bande rück- lings zu Boden stürzen müsste. Das Nähere ist oben in der Kritik der Hypothese Langley's ausgeführt. Basté hat auch jene regelmässigen vertikalen Schwankungen gar nicht, wie man glauben könnte, selber deodachtet, aus dem einfachen, aber durch- schlagenden Grunde, weil sie gar nicht existieren. Denn, wo beim planement sur place

die Künste des Vogels beschrieben werden, durch die er jene Schwankungen hervor- 16

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rufen soll, wird besonders hervorgehoben, dass dieselben wegen der bedeutenden Höhe des Vogels nicht zu sehen seien, dass der Vogel daher thatsächlich bewegungslos er- scheine. Wir wissen, dass auf dem Wege gegen den Wind vertikale Schwankungen beim Segeln auftreten können, die nicht durch den Vogel, sondern durch Windstösse erzeugt werden. Solche Schwankungen sind aber, wie die Windstösse, ganz unregel- mässig, sie fördern nicht den Flug, sondern sie schaden ihm, und der Vogel sucht ihnen zu entgehen dadurch, dass er umgekehrt wie Basté meint die Flügel zurück- biegt und verkleinert, wenn der Windstoss und die stärkere Hebung und Hemmung er- folgt, und dass er die Flächen und Neigungswinkel zu vergrössern trachtet, wenn dem Stosse das Abflauen des Windes und die Senkung des Vogels folgt.

Was hier von Basté’s Erklärung des Segelns auf kreisähnlicher, ellipitischer Bahn gesagt ist, gilt auch von seinen Angaben über das Schweben an einem Punkte (planement sur place), sowie über das Ansegeln gegen den Wind vermittelst vertikaler Oscil- lationen. Ohne Flügelschlag kann der Vogel nur durch Herabsinken oder echtes Segeln im Luvbogen neuen lokomotorischen Antrieb gewinnen. Jeder annähernd horizontale, gerade gegen den Wind gerichtete Schwebflug, möge er nun geradlinig oder auf welligen Bahnen stattfinden, wie es nach Basté beim Schwalbenweih sein soll, muss mit mechanischer Notwendigkeit alsbald sein Ende erreichen, da keine Kraft vorhanden ist, welche zur Beseitigung des hemmenden Luftwiderstandes aufgeboten würde.

Die Grösse der kreisähnlichen Segelbahnen steht in einem gewissen direkten Verhältnis zur Masse des Vogels und in einem umgekehrten Verhältnis zur Stärke des herrschenden Windes. Je grösser der Vogel und je schwächer der Wind, desto grösser sind auch die Durchmesser der Kreise oder Ellipsen. Ausserdem ist auch die Grösse und Form der Flügel von wesentlicher Bedeutung. Lange und schmale Flügel, die säbelartig in die Luft einschneiden und die Benutzung kleinster Neigungswinkel gestatten, erlauben dem Vogel, auch grössere Kreise zu ziehen, als breitere Flügel, die für den Ruderflug be- stimmt sind. Bei starkem, böigem Sturme wird den breitflügligen Segelvögeln vom Typus des Adlers das Segeln sehr erschwert, da sie mit ihren gewölbten Flugflächen die kleinen Neigungswinkel nicht mehr herstellen können, welche nötig sind, um ohne Schaden und übermässige Anstrengung den heftigen Pulsationen des Windes zu begegnen. In solchen Stürmen erscheint der lebhafte Segelflug der Möwen und Sturmvógel wie ein munteres Spiel, denn leicht und sicher lassen sich ihre langen, schmalen Flügel im Winde regieren.

Was die genaueren Formen der kreisähnlichen Segelbahnen anbetrifft, so müssen dieselben im Einzelfalle mannigfachen Abänderungen unterworfen sein, da sie von der Natur des Windes, den Formen des Flügels und dem Willen des Vogels abhängig sind. Es steht dem Vogel frei, die im Luvbogen gewonnene Geschwindigkeit und lebendige Kratt nach Belieben zu verwenden. Will er aber über einem bestimmten Orte ohne

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Abdrift seine Kreise ziehen, so hat er allem Anscheine nach nur innerhalb sehr enger Grenzen die Wahl, seiner Bahn eine mehr elliptische Gestalt zu geben, da sonst eben Abdrift eintritt. Nur wenn die ganze Bewegung eine sinkende Tendenz hatte, würde der Vogel, theoretisch wenigstens, die Möglichkeit haben, ohne Abdrift elliptische Bahnen von grosser Fokaldistanz zu durchfliegen.

2. Der Kreisflug mit Abdrift oder der Driftflug. Diese Art des Segelfluges vollzieht sich in annähernd horizontalen Schleifenlinien, welche durch allmähliche Ver- schiebung der Kreisbahnen in der Richtung mit dem Winde zu stande kommt. Die Störche z. B. wenden diesen Flug an, um sich vom Winde langsam forttragen zu lassen.

Die im Luvbogen gewonnene Geschwindigkeit wird bei dieser Flugart dazu verwandt, um in der Gegend des Kehrpunktes der Bahn eine möglichst weite Strecke im flacheren Bogen dem Winde voraufzueilen; nur so viel wird von der lebendigen Kraft des Vogels diesem Zwecke entzogen, als zur Ausführung eines kurzen, natürlich ansteigenden Leebogens nötig ist. Es kommt hierbei nicht auf ein genau bestimmtes Mass von Kraft an, denn der Flug im Leebogen kann jederzeit, wenn die lebendige Kraft verbraucht ist, beendigt und in einen Luvbogen iibergeleitet werden. Wenn nämlich mit abnehmender Fluggeschwindigkeit der l'lugwind zunehmend in die Richtung des herrschenden Windes übergeht, so wird gleichzeitig der Vogel wie eine Wetterfahne gegen den Wind gedreht, so dass er mit dem Schnabel in den Wind zeigt. Ob diese Drehung aktiver oder passiver Art ist, ob sie durch Steuerung bewirkt wird, oder ob sie die Folge der vorhandenen Anordnung des Flugapparates ist, muss ich dahingestellt sein lassen, Ich vermute aber, dass die Drehung passiv erfolgt. Wie dem auch sei, jedenfalls wird der Vogel durch »Beidrehen« in die Windrichtung vor schadlicher Beein- flussung bewahrt, er behàlt den Wind unter seinen durch die Schwere gespannten Flügeln und kann sinkend die zur Einleitung des Fluges im neuen Luvbogen nótige lebendige Kraft erlangen.

Ich hatte Gelegenheit, auf dem Exerzierplatze in Wismar die Einzelheiten dieser Flugart an einer Gesellschaft »jagender« Stórche zu beobachten, die in mässiger Hohe über meinem Standpunkte hinwegzogen. Die Tiere hatten, nachdem sie im Leebogen emporgeglitten waren, ihren ganzen Vorrat an lebendiger Kraft aufgezehrt; so standen sie im Anfangspunkte eines neuen Kreises jedesmal, von der vollen Kraft des herrschenden Windes getragen, scheinbar ruhig an einer Stelle. Dann gerieten sie langsam in eine horizontal drehende Bewegung, als ob das durch ihren langgestreckten Kórper und die querstehenden Flügel gebildete Kreuz um den Kreuzpunkt verschoben würde. Wahrend in dieser eigenartigen Drehung auf der Stelle der Wind mehr und mehr seitlich auf die Flugflachen traf, setzte die Fortbewegung mit zunehmender Geschwindigkeit gegen den Wind cin. Da die Drehung im Zenith stattfand, so musste die gleichzeitig sinkende Bewegung des Vogels, ohne welche er hätte zurücktreiben müssen, der Beobachtung ent

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gehen; erst mit zunehmender seitlicher Entfernung im Luvbogen wurde die sinkende Tendenz des Vogels unverkennbar. Hier wurde offenbar ein beträchtliches Stück des ersten Quadranten vom Luvbogen gleichsam auf der Stelle durchflogen. Da in diesem Teile des Kreises der motorische Antrieb des Windes minimal anhebt, so genügte er zunächst nur, um die Flughemmung zu überwinden; und erst mit dem grösseren seit- lichen Stosswinkel und der grösseren centripetalen Windkomponente trat der sichtbare Antrieb ein. Nach meiner Beobachtung, der allerdings keine bestimmten Messungen zu Grunde liegen, hatte die Flugbahn der Störche in horizontaler Projektion die Gestalt der Figur 53, I, während die vertikale Projektion der abgewickelten Schleifenlinie etwa der Figur 53, II, entsprechen würde.

3. Der an- nicht so ausschliess steigende Spiralflug K K K lich, wie beim Drift- unterscheidet sich fluge. Wenn der von dem Drififiug md, P y^ Vogel einen Teil der wesentlich dadurch, su Lu : lebendigen Kraft dassdie im Luvbogen 7 p noch mit in den Luv-

gewonnene Ge- : bogen hinübernimmt schwindigkeit nicht M so kann es kommen, zur horizontalen Fort- Lu Le dass während der bewegung, sondern eis 2 I. ganzen Spiraltour zur Hebung des Driftflugbahn eines Storches Bach subjektiver Beobachtung. Steigung stattfindet, Vogels verwendet I. Horizontalprojektion. oder dass das Herab-

wird. Die Hebung II. Die abgewickelte Bahn auf eine Vertikalebene projiciert. sinken des Vogels A Anfangspunkt der Luvbogen.

erfolgt natürlich der . 8 K Kehrpunkt oder Anfangspunkt des Leebogens.

im Luvbogen er-

Hauptsache nach im Lu Luvpunkt. mässigt und statt zweiten Quadranten Le Leepunkt, dessen eine mehr des Leebogens, aber horizontale oder

schwächer ansteigende Fluglinie eingeschaltet wird. Im Grenzfall müssten die vertikalen Schwankungen im Luv- und Leebogen ganz verschwinden, und der Vogel müsste mit einem konstanten Erhebungswinkel seine Bahn nach oben verfolgen.

In der folgenden Abbildung sind diese verschiedenen Möglichkeiten des Ver- laufes der ansteigenden Schraubenspirale in Form abgewickelter Kurven dargestellt. Die Schnittpunkte der Kurven mit den Transversalen A und K bezeichnen die Lage des Anfangs- und Kehrpunktes jedes Schraubenganges. Zwischen den Schnitten A und K liegt die Flugstrecke des Luvbogens, dahinter, zwischen K und A, der Leebogen. Die Zu- und Abnahme der Fluggeschwindigkeit ist durch Teilung der Kurve in Ab- schnitte, die in gleichen Zeiten durchflogen werden, veranschaulicht. Denkt man die Kurven als schmale Papierstreifen ausgeschnitten und um einen Cylinder geklebt, dessen

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halber Umfang gleich dem Abstande der beiden Transversalen A und K ist, so ergiebt sich die spiralige Flugbahn.

Nur eins ist noch hervorzuheben, dass namlich die Achse, um welche sich die Spirale dreht, niemals senkrecht steht, sondern immer vom Winde fortgeneigt ist. Der Vogel erfährt also auch bei dieser Art von Segelflug eine gewisse Addrift in der Wind- richtung; aber hier ist die Abdrift eine minimale, und der Vogel sucht ihr zu entgehen, während beim Driftfluge in horizontalen Schleifenlinien die Bewegung gleichsam auf

Fig. 54. Abgewickelte spiralige Segelbahnen in Vertikalprojektion (schematisch). Die Kurve I zeigt das Sinken im Luvbogen AK. Im II. Fall wird der Luvbogen in der Horizontale durchflogen. Bei III steigt die Bahn auch im Luvbogen, wenngleich schwächer als im Leebogen AK. Die Linie IV stellt den Grenzfall dar ohne vertikale Schwankungen.

maximale Abdrift eingestellt ist. So nähert sich nach meinen Beobachtungen die Grösse der Abdrift beim Driftfluge der Geschwindigkeit des herrschenden Windes, und beim ansteigenden Spiralfluge erlangt sie nur geringe Werte über Null. Setzt man die Wind- stärke gleich Eins, so liegt demnach die Abdrift zwischen den Grenzen Null und Eins. Es wäre in hohem Grade wünschenswert, dass genauere Messungen über die Grösse der Abdrift bei verschiedener Windstärke und verschiedenen Tieren durchgeführt würden. Es würde sich dadurch vielleicht erkennen lassen, von welchen mechanischen Faktoren die Abdrift abhängt. Einstweilen ist nur als Ergebnis der Beobachtung zu konstatieren, dass die segelnden Vögel ihre Schraubenspiralen niemals senkrecht oder gar, gegen den

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Wind geneigt, vortreibend emporwinden, sondern dass immer eine unverkennbare Abdrift erfolgt. Und im Driftflug haben zwar die jagenden Storche in der Gegend des Kehr- punktes eines jeden Rundfluges eine beträchtlich grössere Geschwindigkeit, als der Wind, allein, da sie alsbald gegen den Wind umkehren und so eine bedeutende Strecke zuriick- fliegen, so schreiten sie allem Anscheine nach im ganzen doch langsamer iiber die Gegend fort, als der herrschende Wind.

Wie beim Driftfluge, so kommt auch beim ansteigenden Spiralfluge die Abdrift dadurch zu stande, dass der Vogel auf dem vom Luvpunkte bis zum Leepunkte seiner Bahn reichenden Bogen mit grösserer Geschwindigkeit eine grössere horizontale Ent- fernung zurücklegt, als auf dem rückläufigen Bogen von Lee nach Luv, mit anderen Worten, dass die beiden seitlichen Halbkreise von ungleicher Länge sind: sie bilden zu- sammen keinen vollen Kreis, sondern einen Spiralgang. Beim Driftflug liegen die auf- einanderfolgenden Luvpunkte zwar in gleicher Höhe, aber horizontal weit voneinander entfernt; in der steigenden Spirale liegen sie horizontal näher zusammen, aber sie sind dafür vertikal gegeneinander verschoben, der folgende Luvpunkt liegt immer höher, als der vorhergehende.

Ein Vogel, der stationär im Kreise segelt, erhält in jedem Luvbogen einen Antrieb, der zur Unterhaltung des Kreisfluges gerade hinreicht. Da die treibende Kraft des Windes in jedem Einzelfalle als konstant zu setzen ist, da ferner die Flugflächen und das Gewicht des Vogels unveränderlich sind, so wird im allgemeinen der Durch- messer des Kreises oder die Länge der Kreisbahn im wesentlichen von der jedesmaligen Windstärke abhängen. Bei stärkerem Winde wird ceteris paribus die Kreisbahn kleiner sein, als bei schwächerer Luftstrómung. Wenn nun der Vogel den erhaltenen Antrieb nicht benutzt, um zum Anfangspunkte der Kreisbahn zurückzukehren, sondern um sich forttreiben zu lassen oder emporzusteigen, so ist klar, dass er dann auch den Anfangs. punkt nicht erreichen kann, und dass er vielmehr eine grössere oder geringere Abdrift erfährt, da er ja einen Teil seiner lebendigen Kraft für eben diese anderen Zwecke verwendet.

Beim Driftflug ist die Abdrift Flugzweck, aber beim Emporsteigen auf spiraliger Bahn ist sie jedenfalls eine Begleiterscheinung, welche an sich dem Zwecke der Hebung des Vogels nicht förderlich ist und die daher einen mechanischen Nachteil bedeutet. Man könnte daher fragen, warum der Vogel denn nicht im Luvbogen dem Winde so viel lebendige Kraft entnimmt, dass die Steigbewegung auf dem kürzeren Wege, d. h. mit senkrechter Spiralachse erfolgt.

Um dieser Frage näherzutreten, hat man sich zu vergegenwärtigen, dass dem Vogel beim Segeln im Winde kein anderes Hülfsmittel zur Verfügung steht, als die Steuerung. Durch stärkere oder geringere seitliche Neigung seines Körpers im Luvbogen kann er willkürlich seine Klugflächen bald mehr, bald weniger der radialen Komponente

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des Flugwindes aussetzen und so cinen grösseren oder kleineren lokomotorischen Antrieb auslösen. Allein zwei wesentliche Momente beschränken die Willkür des Vogels. Das eine ist, dass mit der Zunahme der seitlichen Neigung cine Verkürzung des Luvbogens und der Einwirkungsdauer der treibenden Windkraft Hand in Hand geht, das andere, dass bei jedem bestimmten Flugwind eine bestimmte seitliche Neigung nicht überschritten werden darf, ohne dass ein Sinken des Vogels erfolgt. Es giebt also für jeden Vogel von bestimmter Masse und Grösse und Form der Flugflächen ein bestimmtes Optimum der seitlichen Neigung, das er bei gegebener Windstärke nicht ohne Flugnachteil über- schreiten kann. Der segelnde Vogel kann durch willkürliche Steuerung bei jedem Winde wohl seine Fluggeschwindigkeit vermindern, aber er kann sie nicht beliebig steigern, sondern ist dabei vollkommen abhängig von der Stärke des herrschenden Windes, der allein die Flugarbeit leistet, und mit dessen Zu- und Abnahme auch die Fluggeschwindig- keit steigt und fällt. Mit der Fluggeschwindigkeit, mit dem Winde wachsen auch die Flugwiderstände, welche die Abdrift erzeugen. Wenn wir aber bei jedem steigenden Spiralfluge der Segler sehen, dass eine solche Abdrift erfolgt, so müssen wir doch an- nehmen, dass der Vogel den Zweck der Hebung bestmöglichst zu erreichen strebt, dass er mit dem günstigsten seitlichen Neigungswinkel segelt, den er bei dem herrschenden Winde anwenden kann, und dass er der bewegten Luft in jedem Luvbogen so viel lebendige Kraft entzieht, als ihm die Verhältnisse seines Flugapparates nur immer gestatten. Ist diese Annahme richtig und es liegt kein Grund dagegen vor —, so bleibt es dabei, dass dre Abdrift eine unvermeidliche Begleiterscheinung des steigenden Spiralfluges ist, gleichsam ein notwendiges Uebel, wie die vertikalen Schwankungen beim Ruderfluge, ein kleines Opfer, welches der Vogel dem herrschenden Winde bringt, um sich von ihm ohne eigene Arbeit emportragen zu lassen.

Beim stationären Kreisfluge erfolgt keine Abdrift, weil hier der Vogel die ganze im Luvbogen erworbene lebendige Kraft nur zum Tragen seines Gewichts, nicht aber zum Emporheben verwendet. Und wenn bei stärkerem Winde eine Hebung im Lee- bogen erforderlich wird, so entspricht ihr, wie wir gesehen haben, jedesmal im Luvbogen eine Senkung, durch welche der Geschwindigkeitsverlust wieder ausgeglichen wird.

Die letzten Betrachtungen haben ergeben, dass die lebendige Kraft des Windes einen segelnden Vogel wohl tragen oder mit sich fortführen und emporheben kann, dass sie aber nicht im stande ‚ist, ihn in der Richtung gegen den Wind, also gegen ihre eigene Richtung vorzutreiben. Will daher der Vogel gegen den Wind fortschreiten, so kann dies nur durch Uebergang zu einer anderen Flugart geschehen. In den meisten Fällen bedienen sich die Vögel hierzu des Ruderfluges oder des intermittierenden Ruder- schwebfluges. Man hat aber auch beobachtet, dass grosse Segler erst in ansteigender Spirale segelnd Höhe gewinnen, um dann schwebend ohne Flügelschlag beträchtliche Ent- fernungen gegen den Wind zurückzulesen. [és braucht nicht wiederholt zu werden, dass

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es die Schwerkraft ist, welche den langsam sinkenden Vogel im Schwebfluge gegen die Richtung des Windes forttreibt.

Um eine Vorstellung davon zu geben, wie grosse Strecken ein Vogel auf diese Weise zurücklegen kann, sei erwähnt, dass nach den Angaben von d’Esterno, Mouil- lard, Tatin und Bretonnière (vergl. Marey, vol. d. ois. S. 295—296) der Winkel, unter welchem die Bahn eines geradlinig herabschwebenden Vogels gegen den Horizont geneigt ist, bis 10° beträgt, oder dass der Vogel für jedes Meter verlorener Höhe 5 m in horizontaler Richtung zurücklegt. Hat also ein Adler kreisend und segelnd eine Hóhe von 1500 m erreicht, so kann er damit eine deutsche Meile weit horizontal fort- fliegen, ohne dabei einen Flügelschlag thun zu müssen. Wenn wir auch hinzufügen wollen, dass die Angaben der franzósischen Autoren allem Anscheine nach ohne Rück- sicht auf die Flughemmungen erfolgt sind, welche ein herrschender Wind notwendig hervorbringen muss, und dass daher, wenn der Gleitflug gegen einen lebhaften Wind gerichtet ist, die horizontale Wegstrecke wahrscheinlich erheblich kleiner sein wird, als eben angegeben, so ist doch unzweifelhaft der Raum, den der Vogel herabgleitend gegen den Wind gewinnt, unvergleichlich grósser, als die Abdrift, welche der Vogel erfuhr, als er segelnd die Höhe zu gewinnen suchte. Zin guter Segler kann somit sehr wohl ohne Flügelschlag auch gegen den Wind fortschreiten, indem er sich durch die lebendige Kraft des Windes kreisend emporheben und durch die Schwerkraft sinkend und gleitend vorwärts treiben lässt.

Immerhin ist diese Art der Fortbewegung gegen den Wind sehr umständlich und zeitraubend und keineswegs ohne körperliche Anstrengung für den Vogel, denn, wenn er auch im Sinne des physikalischen Begriffes die Flugarbeit nicht (oder nur zum verschwindend kleinen Teile [Steuerung]) selber leistet, so muss er doch seine Flügel mit kräftiger Muskelspannung während der ganzen Dauer des Fluges festhalten. Er erleidet also im Innern seiner Flugmuskeln fortwährend Änderungen der Substanz, chemische Umsetzungen, er leistet innere Arbeit, für die er einen Ersatz durch die Ernährung nötig hat; und wenn auch diese innere Arbeit nicht ganz so gross ist, wie die äussere Arbeit der Muskeln beim Ruderfluge, so ist doch zu verstehen, wenn der Vogel, um schneller zu seinem in der Richtung gegen den Wind gelegenen Ziele zu kommen, es vorzieht, statt des zeitraubenden passiven Segelns und Schwebens den aktiven Ruderflug zur Anwendung zu bringen.

4. Der unregelmässige Segelflug. Bei den bisher besprochenen drei Abarten des Segelfluges folgte regelmässig auf die Periode zunehmender Fluggeschwindigkeit eine Periode abnehmender Geschwindigkeit, auf den Luvbogen der Leebogen. Aber dieser regelmässige Wechsel von Luv und Lee ist keine unumgänglich notwendige Bedingung des Segelfluges. Gerade die besten Segler, die Sturmvögel, Möwen und Turmschwalben, lassen die einzelnen Luvbogen ganz unregelmassig aufeinanderfolgen, und füllen die

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Zwischenpausen durch belicbige Schwebemanöver aus. Diese vierte Abart des Segelfluges wollen wir daher als den unregelmässigen Segelflug bezeichnen.

Die vicl verschlungenen Bahnen einer Turmschwalbe (Cypselus) oder eines Albatros, der tagelang unaufhörlich und fast ohne jeden Flügelschlag ein Schiff um- kreist, haben vielfach das Interesse und die Bewunderung der Beobachter herausgefordert. Allein der oft äusserst verwickelte Gang der Fluglinien, die in jedem Augenblick schein- bar ohne jeden Grund und ohne erkennbaren Zweck von der eingeschlagenen Richtung bald seitlich, bald vertikal abweichen, scheint bisher die Autoren von jedem Versuche einer Erklärung abgeschreckt zu haben. Mir wenigstens ist nichts von einem solchen ernstlichen Erklärungsversuche bekannt.

Nachdem wir oben gesehen haben, wie der Segler in jedem gegen den Wind konvexen Luvbogen seiner Flugbahn durch die lebendige Kraft des Windes einen Zu- wachs der Fluggeschwindigkeit erfährt, bietet die Erklärung des unregelmässigen Segel- fluges keinerlei Schwierigkeiten mehr. Die Beobachtung zeigt es, dass in die mannig- faltigen Schlingen und Schleifen einer solchen Fluglinie überall grössere und kleinere Luvbögen eingeschaltet sind, in denen der Vogel den vorher erlittenen Verlust an lebendiger Kraft immer wieder aus dem grossen Kraftvorrath des Windes ergänzt. Nur ab und an vervollständigt der Segler den Luvbogen zu einer geschlossenen Schleife, meist ändert er gegen Ende des Luvbogens die seitliche Neigung seines Körpers und seiner Flugflachen. Hat er den Luvbogen rechtsläufig durchflogen, d. h. so, dass der rechte, dem Krümmungsmittelpunkte der Bahn zugewandte Flügel tiefer lag, als der linke, so pflegt er oft beim Kehrpunkte den linken Flügel tiefer zu legen, als den rechten, und so den folgenden Leebogen, um einen in der Verlängerung des linken Flügels liegenden Mittelpunkt zu durchfliegen. Statt des Kreises entsteht so eine Wellenlinie, Luv- und Leebogen liegen nicht hintereinander in der Windrichtung, sondern nebeneinander. Der nächste Luvbogen liegt vielleicht bei unveränderter Seitenneigung des Vogels wieder vor dem letzten Leebogen; vielleicht ist er weit kleiner, als dieser, und der Vogel durch- fliegt ihn in fast vollständiger Seitenlage, vielleicht auch ist er grösser, als der Leebogen war, und der Vogel schwebt mit mehr horizontaler Flügelstellung dahin.

Dazu kommt das aktive Eingreifen der Schwerkraft, oft wohl unbeabsichtigt und kaum bemerkt vom Vogel, wenn die llugveschwindigkeit im Leebogen mehr und mehr abgenommen hat, oft auch absichtlich herbeigeführt in allen Perioden des Segel- und Schwebfluges mit oder gegen den Wind. So sinkt der Vogel mit weit ausgebreiteten Flügeln, wenn er mit steiler Seitenneigung den Luvbogen durcheilt, so sinkt er, wenn er mit nur halb entfalteten Flügeln wie ein Pfeil vorwärtsschiesst, so senkt er sich schwebend herab, wenn er fast ohne Fluggeschwindigkeit die ausgespannten Flügel steil emporhält, als ob seine Muskeln im Beginn eines kräftigen Flügelschlages erstarrt wären.

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Die Hebungen erfolgen in einzelnen l.ecbögen oder in Spiralen von mehrfachem Umlauf. Immer giebt dabei der Vogel den vorher in Luvbögen segelnd gewonnenen Vorrat lebendiger Kraft zur Hebung seines Körpers aus. Gelegentlich aber benutzt er auch die durch sinkenden Gleitflug erworbene Geschwindigkeit, um sich wieder emporzu- helfen (ressource). Wohl regelmässig erfolgen diese Hebungen auf Flugstrecken, die gegen den Wind gerichtet sind, aber sie sind immer nur von beschränkter Dauer, da der Vogel den Geschwindigkeitsverlust stets wieder durch Segeln im Luvbogen oder Herabgleiten ersetzen muss, um sich gegen das Mitgerissenwerden, die Abdrift durch den Wind zu schützen. Oft genug auch nimmt er seine Flugmuskeln zu aktiver Mithülfe heran, um durch Flügelschlag dem unbeabsichtigten Sinken in abflauender Boe zu entgehen, oder einem einseitigen, unregelmässigen Windstosse das Gleichgewicht zu halten, oder endlich, um bei schwachem Winde schnell auf geradem Wege sein Ziel zu erreichen.

So erscheint denn der unregelmässige Segelflug als die komplizierteste aller Flugarten, bei welcher der durch seine schmalen Flügel zur Ausnutzung kleinster Neigungswinkel und zur geschicktesten, elegantesten Steuerung ausgerüstete Vogel alle Hülfsmittel und Kräfte des Fluges in vollendeter Weise anwendet und ausnutzt. Den Hauptantrieb leistet in den Luvbögen die lebendige Kraft des Windes. Daneben dient die Muskelkraft zur willkürlichen Steuerung und zur Ausführung gelegentlicher Flügel- schläge, welche die unregelmässige Struktur des Windes nötig macht. Endlich ist die Schwerkraft jederzeit bereit, dem Vogel (unter Einbusse von Höhe) neue Fluggeschwindig- keit zu verleihen, mit der er selbst gegen den Wind vordringen kann. Die viel ver- schlungenen Bahnen aber, welche für diese Flugart so bezeichnend sind, sind das Mittel, durch welches der Vogel sich die Kraft des Windes dienstbar macht und seine Herr- schaft über die Lüfte bethätigt.

Diese Herrschaft auch für den Menschen zu gewinnen, ist das Ziel der höchsten Rangstufe der Flugtechnik oder der 47a.

1. Schluss.

Professor A. F. Zahm sagt in scinem am 5. Januar 1894 im Franklin Institute zu Philadelphia gehaltenen Vortrage (Journal of the Franklin Institute No. 826, 827:)*) Der Anblick eines im Sturme auf regungslos ausgebreiteten Flügeln gemächlich sich wiegenden Sturmvogels habe seit früher Jugendzeit für ihn etwas Packendes gehabt, das jeden Techniker in Entzücken versetzen müsse. Es gebe in der Natur kaum ein zweites

*) Citiert nach Prof. A. Ritter: Über Luftfahrten und Windgeschwindigkeiten. Zeitschr. d, Vereins Deutsch. Ingenieure Bd. XXXIX.

war

Schauspiel, welches den Sieg und die Herrschaft der Intelligenz über die blind wütenden Naturkräfte in so schlagender Weise vor Augen führe. Die zweifellos unmittelbar bevor- stehende endgültige Lösung des Segelflugproblems werde dereinst als das grösste Wunderwerk des 19. Jahrhunderts gewürdigt werden. Aehnlichen enthusiastischen Aeusse- rungen begegnet man vielfach in der Fluglitteratur. Ob diese zuversichtlichen Prophe- zeihungen so schnell in Erfüllung gehen werden, muss die Zukunft lehren. Ich hoffe, durch die in der vorliegenden Arbeit entwickelte Theorie der Flugbewegung den Bestrebungen der Technik einen Weg gewiesen zu haben, auf dem man mit Mut und Ausdauer zum Ziele gelangen wird.

An der Spitze der sog. passiven Aviatiker, d. h. derjenigen Flugtechniker, welche sich die Nachahmung des Segelfluges zur Aufgabe gestellt haben, steht heute unbestritten Herr Otto Lilienthal in Berlin. Er ist der erste und, soviel mir bekannt, einzige Techniker, der bisher persönlich den Segelflug auszuführen versucht hat. Schon hat er mit seinem »Fluggeschirr« die sehr ansehnliche Entfernung von mehreren hundert Metern gegen den Wind zurückgelegt. Aber die Flugbahnen, welche von dem Gipfel eines Hügels oder einer Anhöhe anhoben, haben immer noch eine sinkende Tendenz. Es sind keine Segelbahnen, sondern solche des Schwebfluges, und nicht der Wind, sondern die Schwerkraft leistet die Flugarbeit, soweit diese nicht durch den Vorrat lebendiger Kraft gedeckt wird, welchen L. durch energischen Anlauf zum Fluge gewinnt.

Dass Lilienthal noch nicht bis zum echten Segelfluge vorgedrungen ist, liegt wohl daran, dass ihm die Bedeutung der kreisförmigen Segelbahnen noch nicht bekannt ist, wie sie sich aus der vorliegenden Arbeit ergiebt. In seinem Buche über den Vogelflug (S. 131, 132) bemerkt er zwar, es habe den Anschein, als wenn das Segeln in cykloidischen Kurven die am leichtesten ausführbare Form des Segelfluges sei, allein cr halt das Kreisen doch weiterhin für Nebensache, zumal die besten Segler ausser dem Kreisen auch jede andere Bewegung segelnd ausführen könnten.

Wir wissen jetzt, dass es keinen Segelflug giebt ohne die immer wiederkehrenden Luvbogen, in denen der Wind den lokomotorischen Antrieb leistet. Daher wird auch der Flugkünstler erst dann triumphieren können, wenn es ihm gelungen ist, den ersten vollständigen Kreisflug auszuführen.* Es kommt darauf an, im ersten, quer zum Winde liegenden Luvbogen (unter möglichst geringem Sinken) so viel Fluggeschwindigkeit zu erwerben, dass sie ausreicht, um den nächsten Leebogen anstcivend gegen den Wind zurückzulegen.

*) Die vorliegende Arbeit befand sich unter der Presse, als ich durch die Güte des Herrn O. Lilienthal dle Nummern 316, 322 und 323 der Zeitschrift »Prometheus« erhielt, in denen er in einem Aufsatze: »Fliegesport und Fliegepraxis« über seine neuesten Flugapparate mit zwei übereinanderliegen Flug- flächen sowie tiber die damit gemachten Erfahrungen berichtet, Bei der Lektüre dieser sehr interessanten Mit- teilungen War ich nicht wenig überrascht, einen Satz zu finden, der sich mit dem oben angemerkten Satze fast

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An dem gut stabilisierten, frei schwebenden oder abwärtsgleitenden Apparat genügt, wie es Lilienthal gezeigt hat, eine geringe Verschiebung der Last oder des Schwerpunktes, um die zur Einleitung des Luvbogens erforderliche seitliche Neigung hervorzurufen. Je nach der Stärke der aktiven, radialen Komponente des Flugwindes wird diese Schwerpunktsverschiebung eine stärkere oder geringere Seitenneigung, einen kleineren, stärker gebogenen, oder einen grösseren, schwächer gekriimmten Luvbogen entstehen lassen. Hierbei überträgt sich, wie wir sahen, die lebendige Kraft des Windes mit mechanischer Notwendigkeit auf die Masse des segelnden, belasteten Apparates, der sich inzwischen mehr und mehr dem Kehrpunkte der Bahn nähert. Im Leebogen, besonders im Beginn desselben, ist die Hauptaufgabe des Flugkünstlers, die Längsachse des Apparates nahe an die Richtung des Flugwindes zu bringen und sie so weit empor- zurichten, als zur Vermeidung des Rückenwindes und zum Auffangen des Windes mit der Unterseite der Flügel nötig ist. Die Hebung des ganzes Apparates ist dann die Folge einer solchen zur Unterhaltung des Fluges unumgänglichen Steuerung.

Ich zweifle keinen Augenblick, dass es einem Aviator von der zähen Ausdauer und der langjährigen praktischen Erfahrung Lilienthal’s gelingen wird, diese sicher zum Ziele führenden Flugmanöver mit bestem Erfolge durchzuführen. Ist man einmal im Besitz eines brauchbaren Fluggeschirrs, so ist es nur noch Sache der Uebung, die oben angegebenen Steuerungen oder Schwerpunktverschiebungen**) auszuführen, die mit so gut wie gar keinem Kraftaufwande verbunden sind. Die Ausführung des künstlichen Segelfluges wird keine Leistung der körperlichen Akrobatik sein, sondern cine Leistung der Intelligenz und des ruhigen, besonnenen Wagemutes.

Die damit verbundenen Gefahren sind weit geringer, als sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Ein dem Vogel nachgebildeter Flugapparat, der in richtiger Weise

wörtlich deckt. Es heisst daselbst (S. 170 der No. 323): „Sobald mir oder einem anderen Experimentator der erste volle Kreisflug gelungen sein wird, ist dieses Ereignis als eine der wichtigsten Errungenschaften auf dem llege zum vollendeten Fluge anzuschen," Freilich zeigte die dann folgende Begründung des Satzes auf dein Boden der Langley’schen Theorie, dass der Autor die wahre Bedeutung der gekriimmten Flugbahnen noch verkennt und demgemäss die mit der praktischen Ausführung verbundenen Schwierigkeiten überschätzt, Um so wertvoller sind aber die praktischen Erfahrungen, die ihn geradezu zum Versuch eines echten Segelfluges auf kreisfórmiger Bahn herausfordern: „Am Gip/elpunkte einer . . Fluglinie kommt der Apparat zuweilen längere Zeit zum Stillstand“ Ich fühle bei dieser Gelegenheit sehr deutlich, dass ich gehoben bleiben wirde, wenn ich mich etwas auf eine Seite legte, einen Kreis beschriebe und mit der hebenden Luftpartie fortschritte. Der Wind selbst sucht diese Beweyung einzuleiten.“ Dies alles bestärkt mich nur in der Meinung, dass es schwerer ist, beim praktischen l'luge die gerade Schwebbahn innezuhalten, als auf gekrümmter Bahn zu segeln.

**) Eine weitere Vervollkommnung der künstlichen Flugapparate wird dahin führen müssen, dass statt einer Verschiebung der Last, wie sie Lilienthal bisher zur Steuerung angewandt hat, eine durch die Hand leicht und sicher zu beherrschende Vorrichtung zur Verschiebung und Einstellung der Flugflächen als aktives Steuer benutzt wird. Die Flugtiere steuern ausnahmslos durch Ändernng der Flugfläche; eine Verschiebung des Schwerpunktes ist ihnen nur in sehr untergeordnetem Masse möglich.

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stabil belastet ist, bietet unter gewöhnlichen Verhältnissen völlige Sicherheit vor jahem Absturz. Denn wie er auch immer zur Seite geneigt wird, die Gefahr des völligen Kenterns ist eine verschwindend geringe, und im Fallen muss der Apparat immer wieder die normale Stellung einnehmen: die breiten Flugflachen werden in der widerstand- leistenden Luft dem Schwerpunkte gegenüber stets wie Fallschirme in der Fallbewegung zurückbleiben, so dass dieser stets in stabiler Lage unterhalb der Unterstützungsflächen liegen muss.

Man hat einen fliegenden Vogel nur zu leicht im Verdachte, dass er besonder willkürliche Künste anwende, um die Stabilität beim Fluge zu bewahren, die doch ganz allein von der Lage des Schwerpunktes zur Unterstützungsfläche abhängt. Es war mir daher von ganz besonderem Interesse, als ich von Herrn Direktor Bolau gelegentlich einen natürlichen Flugapparat erhielt, bei dem die Möglichkeit einer willkürlichen Steuerung im Fallen gänzlich ausgeschlossen war. Es war ein geflügelter Same, allem Anscheine nach einer tropischen Bignoniacee aus der Gattung Pithecothenium (Affenkamm) angehórend. Die beiden breiten Flügel des münzenförmigen Samenkorns klafterten ca. 14 cm bei einer Breite von 7 cm. Der vordere Rand war nahezu halbkreisförmig und besass einen auffallenden, schräg nach unten hervortretenden Schrankenrand. Die zarten Hinterränder waren in ziemlicher Breite schwach emporgebogen; die Flügelspitzen lagen deutlich höher, als ihre Basis und das Samenkorn. Dieser Fliigelsame zeigte somit alle wesentlichen Merkmale des Flugapparates eines Flugtieres. In welcher Stellung man nun immer diesen Samen in der Luft sich selber überliess, ob in der Rückenlage, oder

mit einer Flügelspitze, mit dem vorderen oder hinteren Rande senkrecht nach unten | gerichtet: er drehte sich augenblicklich mit der denkbar grössten Präzision in die richtige Flugstellung und legte so, langsam herabgleitend, auf gerader oder spiraliger Gleitbahn weite Strecken fliegend zurück. Aus hochgehobener Hand flog der Samen gelegentlich an I5 bis 20 m weit fort.

Wie dieser pflanzliche, von keinem Willen regierte Flugapparat mit unfehlbarer Sicherheit stets in die rechte Lage zurückkehrte, so muss auch jeder zweckmássig gebaute und stabil belastete künstliche Flugapparat mit absoluter Zuverlässigkeit jede durch vorübergehende Windstösse verursachte Störung des Gleichgewichtes ohne besonderes Zuthun wieder beseitigen; und ein direktionsloses Kopfüber ist unmöglich, solange die Flügel stehen und keine die Stabilität völlig störende Verschiebung der Last eintritt.

Wie ein Schiff auf freiem Ozean weit weniger gefährdet ist, als in der Nähe der Küsten und in engem Fahrwasser, so ist auch der Aviator so gut wie vollkommen ausserhalb jeder Gefahr, solange er in genügender Höhe in freier Luft dahingleitet. Die Schwierigkeiten treten gewöhnlich erst beim Landungsmanöver auf. Allein sie sind auch hier weit geringer, als z. B. bei der Landung eines Luftballons, sofern es nur dem Flug- künstler gelingt, Kollisionen mit hochragenden Gegenständen zu vermeiden und das Ende

134

des Fluges unter allen Umständen in der Richtung gegen den Wind auszuführen. Es ist eins der wichtigsten bisherigen Resultate der Flugversuche O. Lilienthal’s, dass er das Landungsmanöver Dutzende von Malen, ohne Schaden zu nehmen, ausgeführt und dadurch den Beweis geliefert hat, dass in dieser Beziehung der Vollendung der Aufgabe kein ernstes Hindernis im Wege steht. Es handelt sich darum, genau nach dem Beispiel des landenden Vogels im letzten Augenblick die Langsachse des Apparates etwas empor- zurichten, so dass der Flugwind hemmend gegen die Flügel trifft, darauf den Stoss gegen den Erdboden aufzufangen und eventuell den Flug mit kurzem, hemmenden Schlusslaufe zu beendigen.

Wir haben somit jetzt die durch Theorie und praktische Erfahrung wohl begründete Aussicht, dass auch die langjährigen, unermüdlichen Versuche Lilienthal's in absehbarer Zeit von Erfolg gekrönt sein werden, und dass es ihm in der vorbezeichneten Weise gelingen wird, wic die grossen Segelvógel die lebendige Kraft des Windes der Kunst des Fliegens nutzbar zu machen, und damit auch die praktische Aufgabe der Aviatik zu lösen.

ABHANDLUNGEN

aus dem

Gebiete der Naturwissenschaften

herausyegeben vom

Naturwissenschaftlichen Verein

in Hamburg.

—o XV. Band. =-

INHALT:

D Revision der Uropygi Thor. (Thelyphonidae auct) von Karl Kraepelin.

Hi a. Der Schwebflug und die Fallbewegung ebener Tafeln in der Luft von Fr. Ahlborn. b. Uber die Stabilität der Flugapparate von Fr. Ahlborn.

-— --- 99.9 -

HAMBURG L. Friederichsen & Co. ~ 1897.

Druck von Grefe & Tiedemann,

Revision Uropygi Thor.

(Thelyphonidae auct.) .

Von

Karl Kraepelin.

M -4e

JUN 2 1897

Revision der Uropygi Thor.

(Thelyphonidae auct.)

Von

Karl Kraepelin.

Wenn Thorell (31*) pag. 359) von dem Studium der die Hauptmasse unserer Unterordnung bildenden Thelyphoniden sagt: ,,sensi me in questionem nodosissimam inci- disse", so wird man einer solchen Klage die Berechtigung schwerlich versagen können. Bei der ausserordentlich weitgehenden Gleichartigkeit der äusseren Strukturverhältnisse dieser Tiergruppe erweisen sich die Beschreibungen und namentlich die Abbildung der alteren Autoren als vollkommen unzulanglich, und selbst bei den jüngst beschriebenen Arten ist vielfach nur mit Hülfe des Originalexemplars ein sicheres Urteil über ihre Identitát mit einer neu zu bestimmenden Form zu gewinnen. In hohem Masse erschwerend bei der Sichtung der Arten wirkt des Weiteren der haufig sehr ausgepragte Dimorphismus der Geschlechter, mit dem eine oft bis ins Kleinste gehende Übereinstimmung des einen Geschlechts bei zwei vielleicht im andern Geschlecht deutlich unterscheidbaren Arten Hand in Hand zu gehen pflegt. Fügen wir hinzu, dass jugendliche Individuen jene zur Aufstellung schärfer begrenzter Gruppen fast allein geeigneten sekundären Geschlechts- charaktere noch nicht entwickelt zeigen und daher in kein Tabellenwerk sich einfügen, sowie, dass naturgemäss von vielen Formen bisher überhaupt nur das eine Geschlecht bekannt ist, wahrend bei anderen die zusammengehórigen Geschlechter als verschiedene Arten beschrieben wurden, so wird man es begreiflich finden, dass wir von einer end- gültigen Festlegung der Arten und Gattungen noch sehr weit entfernt sind, und dass auch die nachfolgende Studie vor so manchen Zweifeln Halt machen musste.

Als Haupterfordernis, auf diesem schwierigen Gebiet einen Schritt weiter zu kommen, betrachtete ich von vornherein die Beschaffung eines möglichst reichhaltigen Materials. In liebenswürdigster Weise wurde meiner diesbezüglichen Bitte durch Zusendungen von den Museen zu Berlin, Bern, Calcutta, Dresden, Frankfurt a.M., Genua, Göttingen, Kiel, Kopenhagen, Lübeck, München, St. Petersburg, Stock- holm, Stuttgart, Wien, sowie von den Herren Dr. Zansen-Kopenhagen und Dr. £L. Koch-Nürnberg entsprochen. Allein die Zahl der Arten und Exemplare, welche

*) Die cingeklammerten Zahlen verweisen auf das Litteraturverzeichnis am Ende der Arbeit.

4

mir auf diese Weise zu Gebote standen, war in vielen Fallen auch jetzt noch nicht aus- reichend, alle Fragen befriedigend zu lösen. Um so mehr musste ich es bedauern, dass gerade dasjenige Institut, welches neben dem reichhaltigsten Material auch die meisten Typen besitzt, das Britische Museum, nach wie vor auf Grund gesetzlicher Bestimmungen verhindert ist, wissenschaftliche Arbeiten ausserhalb seiner Räume durch Darleihung irgend welcher Objecte zu unterstützen. Nur der gütigen Beantwortung einiger auf Original- exemplare bezüglicher Anfragen hatte ich mich seitens des Verwalters der Arachniden- sammlung, des Herrn A. F. Pocock, zu erfreuen, wodurch ja aber in keinem Fale die Autopsie einer zweifelhaften Form ersetzt werden kann. Immerhin schulde ich demselben für sein freundliches Entgegenkommen nicht minder Dank, wie allen jenen Herren, welche mich durch Übersendung des ihnen zu Gebote stehenden Materials in so liebenswürdiger Weise unterstützt haben. |

Die älteste eingchendere Beschreibung eines Thelyphoniden verdanken wir Zzune (2), welcher im Museum Ludovicae Ulricae 1864 das bereits in der Editio X seines Systema naturae kurz erwähnte Phalangium caudatum von Java näher charakterisierte. Fabricius (4) reihte diese Form seiner Gattung Tarantula ein, während Lazrezée (6) 1804 für sie den Gattungsnamen Thely phonus wählte Als erster Monograph der Gattung ist Lucas (9) zu nennen, welcher im Jahre 1835 sechs verschiedene Arten nach dem Material des Pariser Museums unterscheiden zu können glaubte, deren Wiedererkennung aber im Hinblick auf die völlig unzulängliche Beschreibung und Abbildung bei den 4 fundorts- losen Arten völlig unmöglich ist. C. L. Woch (10) führt im X. Bande seines Arachniden- werkes im Ganzen 8 Arten auf, denen Gerard (13), Doleschall (14, 15), Wood (16, 17, 18) und besonders 5/eZrcza (19, 23) eine Reihe weiterer Formen hinzufügten. 1872 erschien eine neue monographische Arbeit von /utler (20), in welcher dieser Autor nicht weniger als 21 durch spätere Nachtrage (22) noch um weitere 5 vermehrte Species aufführt, dieselben dabei aber in so oberflachlicher und mangelhafter Weise beschreibend, dass wir erst durch die späteren Erläuterungen Z’ococks (36) über die Mehrzahl dieser Arten zur Klarheit gelangt sind. In demselben Jahre wurde durch Cazuóridye (21) unsere Kenntnis der Gruppe durch die Beschreibung der höchst eigenartigen Formen erweitert, welche er als Genus Nyctalops einer eigenen Familie der Tartarides einreihte.

Das letzte Jahrzehnt hat uns. abgesehen von cinigen kleineren Beiträgen Simons (29, 30) und Aeyserlings (27), namentlich die verschiedenen Arbeiten Z70re//s (29, 31, 34), Oates (33), Zarnant s (32, 35, 37, 38) und Z’ococks (36) gebracht. Bereits im Jahre 1888 suchte Lhorell (31) die alte Gattung Thelyphonus durch Abspaltung der Gattung Tetrabalius einheitlicher zu gestalten und änderte den Gattungsnamen Nyctalops Cambridge, weil bereits vergeben, in Schizonotus um. In einer späteren Abhandlung (34) spaltet ZAorell die Thelyphonidengattung Hypoctonus ab und fasst Thelyphoniden und Tartarides denen er die neue Gattung Tripeltis hinzufügt, als Unterordnung der U ropy gi zusammen. Den verhältnismässig wenigen von TAore/l! beschriebenen neuen Arten fügte Oates (33) 8 neue IIypoctonus hinzu, während Zarnani in seinen verschiedenen Abhandlungen (32. 35, 37, 38) uns mit 6 weiteren Thelyphonusarten bekannt macht. Z’ocock (36) endlich hat

N

nicht nur die alten Duler schen Arten einer dankenswerten Revision unterzogen, sondern neben einer Reihe neuer Arten auch 6 neue Gattungen aufgestellt (Thelyphonellus, Labochirus, Mimoscorpius, Typopeltis, Uroproctus, Mastigoproctus), deren Arten bisher unter dem Sammelnamen Thelyphonus vereinigt waren. Da die Zeit noch nicht gekommen sein dürfte, über die Berechtigung dieser weitgchenden Spaltung der alten Gattung Thelyphonus ein endeültiges Urteil zu fällen, so sind die von Z%orell und Pocock aufgestellten neuen Gattungen in der vorliegenden Arbeit als solche fast unverändert bei- behalten, ja sogar noch durch eine weitere, auf denselben Prinzipien gegründete Gattung vermehrt worden. Da indess vielfach nur das eine Geschlecht die zu generischer Trennung benutzten Merkmale aufweist, so darf es jedenfalls nicht Wunder nehmen, wenn

in den nachfolgenden Bestimmungstabellen die Genera häufig genug nur durch artliche

D

( <

Merkmale von einander getrennt erscheinen.

Wie schon aus der geschichtlichen Einleitung ersichtlich, zerfällt die Unterordnung der Uropygi oder der geschwänzten Geisselskorpione in 2#) scharf von cinander getrennte Gruppen, welche Z%orell als Tribus der Oxopoei und der Tartarides mit je einer Familie - Thelyphoniden und Schizonotiden einander gegenüber- stellt. Die wesentlichsten Unterschiede beider Gruppen sind folgende:

Cephalothorax oberseits aus einem Stück bestehend, alle 4 Beinpaare an dem- selben befestigt. Caudalanhang lang, gegliedert. Cephalothorax vorn am Stirnrande mit deutlichen, auf einem Augenhügel stehenden Mittelaugen (Fig. 3a u. b), an den Seiten mit je 3 Seitenaugen. Maxillen aus Coxa, Trochanter, Femur, Tibia und Hand gebildet (Pig. ra). Letztere mit zusammenschliessenden Scheerenfingern. Geissel des I. Beinpaares 9 gliedrig. Endtarsen nur mit 2 Krallen (Fig. za).

Trib. Oxopoei Thor., pag. 6.

Cephalothorax durch eine tiefe Gelenkfurche nahe dem Ilinterrande in 2 Ab- schnitten von ungleicher Grösse geteilt (Fig. 54a, b), 3. u. 4. Beinpaar an dem hinteren Abschnitte sich inserierend. Caudalanhang ganz kurz, griffelartig und ungcgliedert, oder mit verdicktem Endknopf (ig. 56 a, b). Cephalothorax ohne Mittelaugen und Augenhügel (Fig. 5.4), meist auch ohne Seitenaugen (selten Jederseits ı Seitenauge). Maxillen aus Coxa, Trochanter, Femur, langer Patella, Fibia und Hand gebildet (Fig. 1 b).

Letztere nur mit Endklaue (die gegen einen schwachen Dorn der Iland einschlagbar ist). Geissel des TI. Beinpaares Sgliederig. Endtarsen mit 2 dorsalen und

I ventralen Kralle (Fig. 2b). Trib. Tartarides Thor, pag. 50.

*) Die Zugehörigkeit der seltsamen Koenenia mirabilis Grassi (in Il Naturalista Siciliano IV. pag. 127, 1885 und Bull. della Soc, Entom, Ital. XVII. pag. 153, 1886) zur Unterorduung der Uropygi ist zum mindesten zweifelhaft. Der Cephalothrax zeigt Spuren einer Gliederung in 6 Segmente mit Scheidung von Kopf und Thorax, ein 13 gliedriger Schwanzanhang ist vorhanden, die Mandibeln endigen mit Scheeren,

Die Masillen sind wahre Beine und endizen mit 3 Krallen. I. Beinpaar ohne Fühlergeissel, mit 3 Krallen endigend,

6

I. Trib. Oxopoei Thor.

Fam. Thelyphonidae auct.

Uropygen mit ungeteiltem Cephalothorax, an welchem sämtliche 4 Bein- paare sitzen. Caudalanhang lang, gegliedert. Cephalothorax vorn an der Stirn mit 2, meist auf einem Augenhiigel stehenden Mittelaugen (Fig. 3a,b), an den Seiten jederseits mit 3 Ocellen. Maxillen aus Coxa, Tro- chanter, Femur, Tibia und Hand gebildet (Fig. 1a); letztere mit zusammen- schliessenden Scheerenfingern. Geissel des I. Beinpaares neungliedrig (erstes Glied aber stets sehr kurz, ringartig). Endtarsen mit 2 Krallen (Fig. 2a).

Die hierher gehörigen, bis zum Jahre 1888 in der einzigen Gattung Thely- phonus vereinigten Formen zeigen, trotz ihrer neuerlich erfolgten Zerlegung in 8 verschiedene Genera und trotz ihrer Verteilung auf zwei weit auseinander liegende Ver- breitungsgebiete, in dem Gesammtaufbau ihres Körpers und seiner Anhänge eine ungemein weitgehende Übereinstimmung. Unter diesen Umständen sind denn Charaktere zu Gattungs- merkmalen erhoben worden, die in anderen Familien wohl kaum als solche Anerkennung finden würden. Hierher gehört unter anderen der Unterschied, ob von den Nebenaugen des Cephalothorax an den Seiten des letzteren ein scharfer Grat nach vorn verläuft, (Fig. 3 a), oder ob der Cephalothoraxrücken mehr gerundet nach den Seiten abfällt (Fig. 3 b). Ähnlich ist es mit dem Auftreten oder Fehlen eines dornigen Zahnes am Innenrande des Coxalfortsatzes der Maxillen, dem Vorhandensein von 0, 2 oder 4 Ommatiden, jenen kleinen augenartigen Flecken am 3. Gliede des Schwanzanhanges, die von Hansen (Entomologiske Meddelelser 1893 p. 175—177) als Leuchtorgane in Anspruch genommen werden, mit den Gruben und Furchen des ı. Bauchsegmentes etc. Mehr in die Augen fallend sind die Verschiedenheiten, welche in den sekundären Geschlechtscharakteren hervor- treten, die mannigfachen Modifikationen der Fühlergeissel des Weibchens, die seltsamen Ausgestaltungen des Tibialfortsatzes der Maxillen beim Männchen in allen den Fällen, wo derselbe mit dem beweglichen Scheerenfinger der Hand unter Übergehung des ihm zur Seite liegenden unbeweglichen Scheerenfingers zu einem zangenartigen Greifapparat zusammentritt. Allein an irgend welchem Criterium der systematischen Bewertung aller dieser beobachteten Verschiedenheiten fehlt es zur Zeit noch ganz, und es wird daran so lange fehlen, bis etwa durch eingehende anatomische Untersuchungen bestimmte, phyloge- netisch enger zusammenhängende Gruppen erkennbar werden. Vorläufig befinden wir uns noch in dem Stadium der reinen Formbeschreibung und Formunterscheidung, und dabei ist es denn am Ende gleichgültig, in wie weiten oder in wie engen Grenzen der Begriff der Gattung gefasst wird.

Von den nachfolgenden beiden Tabellen giebt die erste lediglich eine Übersicht der zur Zeit angenommenen Charaktermerkmale der Gattungen, ohne Rücksicht auf Bestimmbarkeit, während in der zweiten der Versuch gemacht ist, die Auffindung des Namens irgend eines vorliegenden Exemplares zu ermöglichen.

/

Tabelle I. Uebersicht der Gattungen. (Ohne Rücksicht auf Bestimmbarkeit).

A) Von den Seitenaugen des Cephalothorax zieht eine deutliche scharfe Criste am Rande

nach vorn gegen den Augenhiigel (Fig. 3a).

I. Hand platt (beim allein bekannten d), doppelt so breit, als der Femur. Letzterer

II.

schlank, 4 mal so lang als breit (Fig. 4). Zwischen den Hauptaugen kein erhabener Wulst. Unbeweglicher Finger der Hand stark gekrümmt. Nur das IV. Beinpaar mit Tibialspornen. Mimoscorpius Poc. Hand oberseits convex, selten dicker als der Femur. Letzterer höchstens doppelt so lang als breit. Zwischen den Hauptaugen ein trennender erhabener Langswulst. Unbeweglicher Finger der Hand gerade.

a. Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande ohne Zahn (Fig. 5 a).

«) Apophyse der Hand beim & modifiziert, cylindrisch oder gekniet, aussen stets ganz unbedornt, ohne schneidende, bedornte Vorderkante und nicht gegen die Spitze allmählich in einen starken Dorn auslaufend, sondern hier oft etwas verdickt oder gerundet, mit mehreren kleinen Zinken, an seiner Spitze mit der Spitze des beweglichen Fingers zusammenschliessend (Fig. 11, 12, 13). I. Bauchsegmente nur am Hinterrande mit Medianfurche, 2tes kaum mit Andeutung eines Dorns. Fühler des Weibchens modifiziert oder nicht, seine Glieder gestreckt. Typopeltis Poc.

5) Apophyse der Hand in beiden Geschlechtern anı Vorderrande zugeschärft, mit Sägekante, gegen die Spitze allmählich in einem starken spitzen Dorn aus- laufend, der nicht mit der Spitze des beweglichen Fingers artikuliert (Fig. 9, Fig. 44).

ı) Ohne Ommatiden am 3. Caudalglied Abalius n. g. 2) Mit 4 s Ac 3 5 (Fig. 6) Tetrabalius Thor. 3) Mit 2 m ae 3 is

«) I. Bauchsegment beim co mit durchgehender Medianfurche, II. in der Mitte des Hinterrandes mit kleinem spitzem Dorn (Fig. 7a). Fühler des 9 meist in einigen Segmenten umgeformt. Thelyphonus Latr. B) I. Bauchsegment beim & ohne durchgehende Medianfurche, II. höchstens

mit Andeutung eines Dorns. Fühler beim 9 nie modifiziert. Mastigoproctus Poc. b) Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande mit je einem (selten 2) starken Dorn (Fig. 5b). Apophyse der Tibia beim d schlank, an der Vorderkante nur am Grunde und am Ende mit einigen Zähnen, an der Hinterkante unbewehrt, am Ende zugespitzt und sich mit den beiden Enden der Finger berührend (Fig. 41). I. Bauchsegment beim J ohne durchgehende Medianfurche. Fühlerglieder der 9

. . Y alle unmodifiziert. Uroproctus Poc.

B) Der Cephalothoraxrand zwischen Ocellen und 5tirn ohne Andeutung einer Crista, die

Dorsalflache völlig gerundet in die Seitenfläche übergehend (Fig. 3b). Fühler der

$ nicht modifiziert. I. Bauchsegment beim J ohne Medianfurche.

I. Ohne Ommatiden am 3. Caudalglied. Hauptaugen flach dem Cephalothorax auf-

II.

liegend. Apophyse der Tibien beim g nicht modifiziert. Thelyphonellus Poc. Mit 2 Ommatiden am 3. Caudalglied. Hauptaugen einem erhabenen Buckel anliegend. Apophyse der Tibien beim d cylindrisch oder am Ende verdickt, nicht allmählich in einen starken Dorn endigend und ohne geságte Vorderkante, mit der Spitze des beweglichen Fingers artikulierend (Fig. 43, Fig. 45—48).

a) Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande mit starkem Dorn (selten 2). Coxalfortsatz beim d fast geweihartig lang (Fig. 42). GC mit verlängerten Schenkeln und Tibien der Kiefertaster. Hand flach, mit tiefer Grube (Fig. 43). Stirn namentlich beim J mit langem Hornfortsatz. Labochirus Poc.

b) Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande ohne Dorn, beim d nicht lang zangenartig. Femur beim dc nicht vielmal länger als breit. Hand oberseits auch beim @ convex (Fig. 45, 47) Stirnvorderrand ohne langen kegeligen, schrág abwarts gerichteten Chitinfortsatz. Hypoctonus Thor.

Tabelle II. Bestimmung der Gattungen.

Von den Seitenaugen des Cephalothorax zieht eine deutliche, scharfe Crista am Rande nach vorn gegen den Augenhügel (Fig. 3aJ... . . . . . . . Rp ws Der Cephalothorax zwischen Ocellen und Stirn ohne Andeutung einer Crista: die Dorsalfläche des Cephalothorax völlig gerundet in die Seitenfläche überrehend

(Pigs SD) "D ge eee a eh TX C Ohne Ommatiden am 3. Caudalsemmnenf: Rum orem m. Abaliz: n. g., p. 16. Mit M m 7x ^ dern wd i E mede de SR WEM OB ati

Hand platt, doppelt so breit als der Femur. Dieser schlank, 4 mal so lang als dick (Fig. 4). Zwischen den Hauptaugen kein erhabener Wulst. Unbeweglicher Finger der Hand stark gekrümmt. Nur das IV. Beinpaar mit Tibialspornen Mimoscorpius Poc., p. 10. Hand oberseits convex, selten. dicker als der Femur. Zwischen den Hauptaugen ein trennender erhabener Langswulst. Femur höchstens doppelt so lang als breit.

Unbeweglicher Finger der Hand gerade. . . . 2. . 2 . . . ........4 Coxalfortsatz der Kiefertaster an der Innenkante mit starkem, gegen die Medianlinie vorspringendem Zahn (Fig. 5b) . . . . . . . . . 9. Uroproctus Poc., p. 40. Coxalfortsatz der Kiefertaster an der Innenkante ohne Zahn, höchstens geschultert, (ugs sn) 1x xtX. ox o9 Tr EE es RE T

Apophyse der Hand cy indirekt ode en ohne eene, gesägte Vorderkante, am Ende gerundet oder verdickt, meist mit einigen kleineren Zacken, in welche die Endklaue des beweglichen Fingers passt, nicht allmählich in einen starken spitzen Dorn auslaufend (Fig. 11—-13) d. . . . . . 2: Typopeltis Poc. cmend., p. I1. Apophyse der Iland etwas platt, 2schneidig, mit sagezahniger Vorderkante, gegen die Spitze allmählich in einen starken spitzen Dorn auslaufend, der nicht mit der Klauenspitze des beweglichen Fingers zusammentrifit (Fig. 9) . 2... 2... 6

6.

NI

IO.

II.

13.

9 E

Mit 4 Ommatiden am 3. Caudalsegment (Fig. 6). 4. Tetrabalius Thor.. p. 18. Mit 2 Ommatiden am 3. Caudalseement . 2. 2 0... 5... ls... 7

I. Bauchsegment mit deutlicher, durchgehender Medianfurche. II. Bauchsegment in der Mitte des Ilinterrandes mit Dórnchen (Fig. 7a). g 5. T hely phonus Latr., p. 19.

I. Bauchsegment ohne deutliche, durchgehende Medianfurche. H. Bauchsegment

ohne Dórnchen am Hinterrande (Fig. 7b) . . . . . . . L4 38 358 3tes (und meist alle) Fühlerglied doppelt oder mehr als doppelt so lang als breit, meist keines derselben modifiziert (Fig. 34—36, Fig. go)... 222 .. ...9

3tes Fühlerglied (und meist auch die nächstfolgenden) nicht oder kaum länger als breit, 5.—7. Glied oft (bei reifen 9€) modifiziert (Fig. 22---33) 5. Thelyphonus, p. 19.

Alle 3 Hinterbeinpaare am Ende der Tibia innen mit deutlichem Dorn (Fig. 8) . 10

Nur das 4. oder das 3. und 4. Beinpaar mit endständigem Tibiendorn. . . . . 12 Femur und Tibia der Kiefertaster glatt, nur sehr zerstreut nadelstichig. Abdomen der Lange nach oberseits mit deutlichem Medianstreif. . 5. Thelyphonus, p 19.

Femur und Tibia der Kiefertaster ziemlich dicht raspelig oder dicht grob nadel-

a

stichig. Abdomen oberseits ohne Spur eines Medianstreifs . . . 2... . LI Truncus bis 60 mm lang. Fühlerglieder ziemlich grob gekornt; 3tes Fühlerglied viel kürzer als das 2te (Fig 10a). Seitencrista des Cephalothorax von den Ocellen nicht bis zum Augenhügel reichend. I. Bauchsegment nur mit 2 Seitengruben, II. mit einer einzigen oder 2 gegen die Mittellinie zusammen strebenden Depres- sionen. Ommatiden meist quer oval . . . . . 6. Mastigoproctus Poc., p. 36. Truncus nur bis 45 mm lang. Fühlerglieder glatt; 3tes Fühlerglied kaum kürzer als das 2te (Fig. 10b). Seitencrista des Cephalothorax von den Ocellen fast in voller Schärfe bis vor den Augenhiigel reichend. I. Bauchsegment oft in der Mitte mit tiefer querovaler oder yförmiger Grube, oder ausser den 2 Seitengruben noch mit medianer Depression am Hinterrande; II. mit 3 Querdepressionen. Ommatiden rund . . . . . .. oe oe cba eae oe « 2. Pypopeltis loc; p. fL Tibia der Maxillen dicht grob nadelstichig. Mandibeln aussen seitlich oberhalb des Grundes mit tief buchtigem Einschnitt (Fig 38a). Der Coxalfortsatz der Manillen gegen die Mundhöhle mit mehreren Langsreihen kleiner Zähne besetzt (Fig. 39)

6. Mastigoproctus Poc., p. 36. Tibia der Maxillen nur zerstreut nadelstichig, oft fast glatt. Oberkiefer aussen seitlich nur etwas geschweift, ohne tiefen buchtigen Einschnitt (Fig. 38b). Coxalfortsatz der Maxillen gegen die Mundhöhle nur mit ı (oder 2) randständigen Reihe grober Aie uum uod xe dh xum hoe ee ERO ee d NR Re Xo we eS deck Rel 2tes Fühlerglied 11 mal so lang als das 3te (lig. 40a). Truncus bis 60 mm lang. Grosse Tibialsporne stets am IV. und III. Beinpaare

6. Mastigoproctus Poc., p. 36

2

10

2tes Fühlerglied nicht deutlich länger als das 3te (Fig. 40b). Truncus 35- 50 mm lang. Tibialsporne meist nur am IV. Beinpaar . . . See eus fis ce x e A 14. Caudalanhang ziemlich dicht mit langen steifen Borstén I Truncus bis 50 mm lang. 2tes Bauchsegment mit 2 schwachen Querdepressionen, die sich in der Mittel- linie zu vereinigen streben . . . . .. 6. Mastigoproctus Poc., pag. 36. Caudalanhang nur hie und da mit einzelnen Borsten im Grunddrittel, sonst kahl. Truncus bis 35 mm lang. 2tes Bauchsegment jederseits der Mittellinie mit einer fast rundlichen Grube, die denen des IV.— VII. Bauchsegmentes entspricht 5. Thelyphonus Latr., p. 19. 15. Ohne Ommatiden. Hauptaugen dem Cephalothorax flach aufliegend. Tibienapophyse stets am Ende dornartig, nicht mit der Spitze des beweglichen Fingers zusammen- treffend. America ... . : 2... . Thelyphonellus, Poc., p. 41. Mit Ommatiden. Haupinieen einem ehabenen Buckel eingefügt. Tibienaponi beim d ohne schneidende gesägte Vorder- und Hinterkante, nicht ganz allmählich in einen spitzen Dorn endigend, mit der Klauenspitze des beweglichen Fingers artikulierend (Fig. 43, Fig. 45—48). Ostasien. . . V we oa & LO 16. Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande mit 1 Dons (selten 2), beim dg lang zangenartig (Fig. 42). Femur u. Tibia der Kiefertaster beim JS vielmal länger als breit. Hand oberseits flach, mit tiefer Grube (Fig. 43). 8. Labochirus Poc., p. 42. Coxalfortsatz der Kiefertaster am Innenrande ohne einen gegen die Mittellinie vorspringenden Zahn. Femur u. Tibia beim d' nicht auffallend verlängert. Hand oberseits convex (Fig. 45, 47)... . : . 9. Hypoctonus Thor., p. 43.

1. Gatt. Mimoscorpius Poc. 1894

Thelyphoniden mit scharfer Randcrista des Cephalothorax von den Seiten- augen bis zur Stirn, ohne erhabenen Linegswulst zwischen den beiden Haupt- augen, beim (allein bekannten) & mit platter Hand, die doppelt so breit ist, als der schlanke, cylindrische, 4 mal so lange als breite Femur (Fig. 4). I. Bauchsegment ohne Medianfurche, II. ohne Dorn.

1. Mimoscorpius pugnator (Butl.) 1872.

1872 Thelyphonus pugnator Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4; x. p. 204.

1894 Mimoscorpius pugnator Pocock ibid (6) XIV. p. 132.

Färbung und Gestalt des Truncus wie bei den übrigen Thelyphoniden. Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 6 Zähnen; der schlanke cylindrische Femur nur unter- seits gegen das Vorderende mit kleinem Dorn. Tibia halb so lang als der Femur, mit langer, schlanker, ungezähnter (7) Apophyse. Unbeweglicher Finger der Hand breit zu- sammengedrückt und stark gekrümmt, beweglicher Finger fast gerade, am Ende 2spaltie, beidseitig gesägt. Schenkel der Beine runzelig körnig. Tibialsporne nur an den IV. Beinpaaren.

Die Ileimat des Mimoscorpius pugnator sind die Philippinen. Bisher ist nur ein männliches Individuum (Brit. Mus.) bekannt.

II

2. Gatt. Typopeltis Poc. 1894 emend.

Thelyphoniden mit scharfer Randcrista des Cephalothorax von den Seiten- augen bis zum Stirnrande, mit erhabenem Längstwulst zwischen den Stirn- augen, mit gewölbter Oberhandflache. Fühlerglieder sämtlich erheblich länger als breit. Tibialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren. Apophyse der Maxil- lartibia beim d modifiziert, d. h. ohne schneidende Vorderkante und nicht allmahlich dornartig zugespitzt, sondern lang cylindrisch oder gekniet, ohne schneidende gesägte Vorderrandkante, am Ende mit 2 oder mehreren kurzen Zacken und mit der Spitze des beweglichen oder mit dem unbeweg- lichen Finger sich zangenartig berührend (Fig. 11—13). I. Bauchsegment nur in der Hinterhalfte mit breit dreieckig sich erweiternder Median- furche, Hinterrand des II. Segments in der Mitte niit kaum merklichem Dornhócker. 9? ohne modifizierte Tibienapophyse, Fühlerglieder meist einfach cylindrisch, selten die letzten am Grunde buchtig eingekerbt oder unterseits verdickt und geschwürzt. I. Bauchsegment oft mit tiefer querovaler oder Y fórmiger Mediangrube (Fig 18, 19)

Nur mit grossen Zweifeln wage ich es, die vorstehende Gattungsdiagnose aufzu- stellen. Pocock, der Begründer der Gattung, hat nur weibliche Exemplare zur Ver- fügung gehabt, und das einzige Weibchen, welches ich untersuchen konnte, entbchrt gerade der von Pocock in den Vordergrund gestellten Mediangruben des I. Bauch- segments. Wenn ich dennoch nicht zur Aufstellung einer eigenen Gattung für die mir vorliegenden Formen gelangt bin, sondern die letzteren unter Erweiterung der Gattungs- diagnose der Gattung Typopeltis einreihen zu dürfen glaube, so bestimmt mich hierzu einmal das allen Formen gemeinsame Vaterland China und dessen Grenzgebiete —-, in dem die übrigen Gruppen der Thelyphoniden vóllig vermisst werden, sowie andererseits die Bemerkung Zocock's dass er selbst die Zugehörigkeit des mir vorliegenden Tarnani’schen Thelyphonus amurensis zu seiner neuen Gattung Typopeltis für wahrscheinlich halte (36. p, 126).

Bei dem spärlichen Matcrial, das bis jetzt von dieser Gruppe zur Untersuchung gelangt ist, kann die Beschreibung und Charakterisierung der Arten nur eine durchaus lückenhafte sein. Wie es scheint, haben wir 5 verschiedene Formen auseinander zu halten, von denen 2 jedoch nur im männlichen, 2 andere nur im weiblichen Geschlecht bekannt sind. Bei der Verschiedenheit der secundären Geschlechtscharaktere ist es zur Zeit leider unmöglich zu sagen, ob vielleicht diese nur in einem Geschlecht bekannten Arten später als zusammengchörig sich erweisen werden.

1. Tibienapophyse modifiziert, d. h. ohne scharfe gesägte Vorderrandkante, nicht all- mählich in einen spitzen Dorn auslaufend, sondern rundlich, cylindrisch (dann gegen das Ende allmählich sich verjüngend) oder gekniet, mit der Spitze des beweglichen Fingers oder der Seite des unbeweglichen Fingers zangenartig zusammenschliessend (Fig. 11—-13). Zweites Bauchsegment am Hinterrande mit winzigem Dórnchen. d. 2.

2*

3.

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12 Tibienapophyse von gewöhnlicher Form, mit schneidender, gesägter Vorderkante, gegen die Spitze in cinen starken, spitzen Dorn auslaufend, der nicht mit den Fingern der Hand zängenartig zusammenschliesst. II. Bauchsegment ohne Hinterrand-Dörnchen. Ç £04» & 4 eos ew ew dede ee dud Tibienapophyse durchaus gerade, sich langsam verjüngend, an der Spitze schwach 2zähnig ausgerandet (Fig. ı1). Innenrand der Hand völlig geradlinig als Aussen- rand des unbeweglichen Fingers sich fortsetzend (Fig. ı 1). Seiten der Bauchsegmente dichtkörnig, raspelig . . . . .. . 0. . . L T. amurensis (Tarn), p. 13. Tibienapophyse winklich gekniet, gegen das Ende wieder klumpfussartig verbreitert und hier am gerundeten Vorderrande 3—-6zackig (Fig. 12, 13) Innenrand der Hand mit dem Aussenrande des unbeweglichen Fingers keine vollig gerade Linie bildend. Seiten der Bauchsegmente zerstreut kórnig . . . 2 2 2 nn s. s s «4B Trochanter der Maxillen unterscits mit 2 in verschiedener Höhe neben einander stehenden Dornen; seine vertikale Vorderkante nicht in starke, hahnenkammartige Zacken ausgezogen. Iter (äusserster) Randdorn der Trochanteroberfläche winzig, viel kleiner als der 2te, die Vorecke bildende (Fig. 14). Tibienapophyse am Ende nur mit 3 Zähnen (Fig. 12) Aussenrand des unbeweglichen Fingers nur ein wenig geschweift in den Innenrand der Hand übergehend.....2. T. niger (Tarn.), p. 13. Trochanter der Maxillen unterseits mit 3 übereinander stehenden Zacken, die zusammen mit dem ersten mächtigen Dorn der oberen Vorderrandzähne des lrochanters eine hahnenkammartig gelappte vertikale Vorderrandkante darstellen (Fig. 15). Der erste (äusserste) Randdorn der Trochanteroberseite viel grösser und dicker als die übrigen (Fig. 16). Tibienapophyse am Ende mit 6, durch eine tiefere Einbuchtung in 2 Partieen geteilten Zähnen (Fig. 13) Innenrand der Hand mit dem Aussenrande des unbeweglichen Fingers cinen stumpfen Winkel bildend 3. T. formosanus n. sp., p. I4. Hinterrand des I. Bauchsegments in der Mitte bogig nach hinten vorgezogen, die Fläche nur mit 2 seitlichen, kurz strichförmigen Gruben (Fig. 17) aber ohne tiefe, mediane, querovale oder Y formige Grube unweit des Vorderrandes. Letzte Fühlerglieder ohne buchtige Finkerbung unterseits am Grunde . 1. T. amurensis (Tarn.), p. 13. Hinterrand des I. Bauchsegments gestutzt oder ausgeschweift, die Fläche ausser schwächeren seitlichen Depressionen mit einer tiefen, medianen, querovalen oder Y fórmigen Grube unweit des Vorderrandes (Fig. 18,19) 222 . nenn. I. Bauchsegment mit querovaler Mediangrube, am Hinterrande beiderseits der Mittellinie seicht ausgeschweift (Fig. 18). Letzte Fühlerglieder einfach cylindrisch 4. T. stimpsoni (Wood), p. 15. J. Bauchseement mit Y förmiger Mediangrube (Fig. 19), am Hlinterrande median bogig ausgerandet (sodass beiderseits der Mittellinie cine Ecke nach hinten vor- springt. 8. und 9 Hühlerglied unterseits am Grunde mit tiefer buchtiger Einkerbung. 5. T. crucifer Poc., p. 15.

13

1. Typopeltis amurensis (Tarn.) 1889.

1889 Thelyphonus amurensis Tarnani in: Zool. Anz. 1889 p. 119.

1890 Thelyphonus amurensis Tarnanı in: Horae soc. ent. ross, Bd. XXIV, p. 519 TH. III f.

3a und 3b,

1504 Typopeltis amurensis Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) NIV p. 126.

Färbung braun, Gliedmassen heller. Randcrista des Cephalothorax nach vorn bis zum Augenhügel ziehend, wie bei den übrigen Arten. Fläche des Cephalothorax vorn etwas runzelig kórnig, hinten zerstreut feinkörnig, dazwischen chagriniert, Abdomen oberseits ohne Medianlinie, unterseits glatt, glänzend, an den Seiten beim 9 etwas fein nadelstichig, im 5. und 6. Segment gekórnt, beim c grob raspelig kórnig, dazwischen

nadelstichig. I. Bauchsegment grossbogig nach hinten vorgezogen, auf der Fläche nur mit je einer seitlichen strichförmigen (*) oder rundlichen (d) Grube und dreieckiger Depression in der Mitte des Hinterrandes (Fig. 17). II. Bauchsegment beim d' mit winzigem

Hinterranddorn, beim 9. mit 3 queren Depressionen. Ommatiden rund, mässig gross.

Coxalflache der Maxillen fein nadelstichig, dazwischen zerstreute Grübchen; Coxal. fortsatz innenseits nicht geschultert. Trochanter oberseits ziemlich dicht raspelig, beim 9 fast quadratisch, mit 5 Randdornen, beim rhombisch, mit grossem 2tem, die Vorecke bildenden Randdorn. Femur grob raspelie, an der oberen Innenkante ohne deutlichen Dorn. Tibia beim & grob raspelig, beim & raspelig-grubig oder nur am Grunde raspelig-grubig, nach vorn zerstreut grubig. Apophyse beim 9 mit schneidender gezähnter Vorderrand- kante, in einen spitzen Dorn auslaufend, längs der Hinterrandkante mit 1—3 Sägezähnen, beim oO rundlich cylindrisch, aber allmählich sich verjüngend, nur am Grunde des Innen- randes mit einigen Zähnen, am Ende kurzgabelig 2zahnig und hier mit der Spitze des beweglichen Fingers zangenartig zusammenschliessend (Fig. 11), am gerundeten Hinterrande ohne Zahnbildung. Hand grubig bis raspelig wie die Tibia.

Glieder der Fühlergeissel sammtlich gestreckt (Fig. 10b), die des g mehr, als die des 9, alle einfach cylindrisch. Letztes Glied fast länger als 7. -+ 8. Körperlänge etwa bis 35 mm.

Das Originalexemplar Tarnanı's (9) stammt aus der Nähe der Olgabay im Amurlande. Ein weiteres, diesem im Wesentlichen gleichendes Exemplar (nur die Tibia ist dichter raspelig-grubig) besitzt das Petersburger Museum von Sikiang bei Canton, von wo auch das mir vorhegende männliche Exemplar stammt, welches ich eben wegen dieser Gleichheit des Fundortes als zu T. amurensis gehórig betrachtet habe.

2. Typopeltis niger (Tarn) 1894. 1894 Thelyphonus niger Tarnani in: Zool. Anz. 1894 p. 30. 1895 Thelyphonus niger Tarnani in: Horae soc, ent. ross; Bd. XXIX p. 112 Tfl. I. f. 5, 6. 11. Cephalothorax und Abdomen oberseits wie bei der vorigen Art, Färbung fast schwarz, Gliedmassen dunkelbraun. I. Bauchsegment beim (allein bekannten) & ohne seitliche Gruben, nur auf der Mittelflache etwas quer-nadelrissig und mit dreieckiger Depression am Hinterrande. IL. Bauchsegment in der Mitte etwas schwammig aufvetrieben,

14

am Hinterrande mit kaum merkbarem Dörnchen. Seiten der Bauchsegmente zerstreut kórnig, dazwischen einzelne eingestochene Punkte. Ommatiden ziemlich gross, rund.

Coxalflache der Maxillen fein nadelstichig, dazwischen zerstreute Grübchen; Coxal- fortsatz innenseits nicht geschultert, mundwarts, wie bei T. amurensis, nur 1 Zahn sichtbar. Trochanter oberseits raspelig, fast glatt gegen den Vorderrand, der mit 5 Dornen besetzt ist, deren Iter (äusserster) winzig, deren 2ter grösster die Vorderecke bildet (Fig. 14). Trochanter unterseits mit 2 in verschiedener Hohe neben einander stehenden Dornen, seine vertikale Vorderkante nicht in starke, hahnenkammartige Zacken ausgezogen. Femur grob-raspelig, an der oberen Innenkante ohne deutlichen Dorn, Tibia am Grunde und an der Aussenseite gross-grubig, in der Mitte der Oberfläche fast glatt. Apophyse stumpf- winklig gekniet, nach vorn klumpfussartig verbreitert und hier am Innenrande mit 3 Zahnen (Fig. 12). Grundhälfte der Apophyse unterhalb des Knies am Vorderrande sägezähnig, Endhalfte am Vorder- und Hinterrande glatt. Hand gegen die Finger verbreitert, oberseits am Grunde grubig, ihr Innenrand nur wenig geschweift in den Aussenrand des unbeweg- lichen Fingers übergehend (Fig. 12). Beweglicher Finger mit seiner Spitze zwischen die Endzähnchen der Tibienapophyse passend.

Fühlergeissel vermutlich mit gestreckten Gliedern, wie bei der vorigen Art (am Originalexemplar fehlend). Korperlange 32 mm.

Fundort: »China« (Mus. Petersburg).

3. Typopeltis formosanus n. sp.

Das allein bekannte Männchen dieser Art ist braunschwarz mit helleren Glied- massen. Cephalothorax ahnlich dem der vorigen Arten. I. Bauchsegment ohne seitliche Gruben, nur mit medianer, sich dreieckig erweiternder Furche in der Hinterhälfte des Segments, auf der Fläche glatt, an den Seiten matt. II. Bauchsegment in der Mitte etwas gewulstet, mit deutlichem Dórnchen am Hinterrande. Seiten der Bauchsegmente fein nadelstichig, dazwischen zerstreut gekörnt, hintere auf der Fläche äusserst fein nadelstichig.

Coxalfläche der Maxillen fein nadelstichig und runzelig; Coxalfortsatz innen kaum geschultert, mundwärts mit einem Zahn. Trochanter oberseits am Grunde raspelig, sein I ter (äusserster) Dorn vielmal grösser und dicker, als die 4 inneren, von ihnen entfernt (Fig. 16). Trochanter unterseits mit 3 fast in einer Linie übereinander stehenden Dornen, die zusammen mit dem ersten mächtigen Dorn des Oberrandes eine hahnenkammartig gelappte vertikale Vorderrandkante bilden (Fig. 15). Femur oberseits raspelig, ohne Dorn an der oberen Innenkante. Tibia gross-grubig, ihre Apophyse winklig nach vorn gekniet, am Ende etwas erweitert und hier mit 5—6 durch einen tieferen Einschnitt in 2 Partieen geteilten Zähnen, deren vordere sich mit dem Rande des unbeweglichen Fingers berühren (Fig. 13). Grundhälfte der Apophyse am Vorderrande nicht sägezähnig. Hand gross grubig, gegen die Finger auffallend verjüngt; ihr bogiger Innenrand im stumpfen Winkel in den gezähnten Aussenrand des unbeweglichen Fingers sich fortsetzend (Fig. 13). Be- weglicher Finger mit seiner Spitze nicht mit dem Ende der Tibienapophyse zangenartig

zusammentreffend.

15 Glieder der Fihlergeissel gestreckt, wie bei T. amurensis. Truncuslange 26 mm. Bisher nur ein Exemplar (d) von Formosa bekannt (Wiener Hofmuseum).

4. Typopeltis stimpsonii (Wood) 1862.

1862 Thelyphonus stimpsonii Wood in: Proc. Acad. Philadelphia 1862 p. 312.

1872 Thelyphonus sinensis Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X. p. 205, juv. (teste Pocock).

1894 Typopeltis stimpsonii Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV. p. 126, Tfl. II, f, 3, 3a.

Das allein bekannte Weibchen ist schwarz. Cephalothorax wie bei den übrigen Arten. Ebenso Abdomen oberseits und Ommatiden. I. Bauchsegment etwas vor der Mitte mit einer sehr tiefen querovalen Mediangrube (Fig. 18); beiderseits derselben strich- förmige, gebogene, unter der Mediangrube genäherte Depressionen. Hinterrand des I. Bauchsegments gestutzt und jederseits der Mitte ein wenig ausgerandet. II. Bauch- segment sehr schmal, mit geradem Hinterrand.

Coxalflache der Maxillen fein und dicht nadelstichig, dazwischen zerstreute gróssere Grübchen, Coxalfortsatz innen nicht geschultert. Trochanter unterseits mit 2 Zahnen, oberseits mit 4 Randdornen, von denen der erste (äusserste) und der Eckdorn gross; Oberflache raspelig. Femur am oberen Innenrande mit kleinem Dorn, grob raspelig, Tibia ziemlich dicht grob-grubig, die Apophyse mit gesägter Vorderkante und spitzem Enddorn; ihre Hinterrandkante mit 1—2 Zähnen. Hand gross-grubig; unbeweglicher Finger auch am Aussenrande sägezähnig.

Glieder der Fühlergeissel gestreckt, die Unterseite des 5.— 8. Gliedes schwärzlich und verdickt, die Endglieder ohne buchtige Einkerbung unterseits nahe der Basis. Körperlänge 47 mm.

Bisher nur 2 Weibchen von den Liu-Kiu Inseln, ein Weibchen juv. (T. sinensis Butl.) von Hongkong und das Wood'sche Originalexemplar von Japan.

5. Typopeltis crucifer Poc. 1894.

1894 Typopeltis crucifer Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV. p. 128, Tfl. II, f. 4, 4a.

Der vorigen Art im Wesentlichen gleichend, aber das I. Bauchsegment mit einer tief Y formigen Grube, welche jederseits von einer flachen, geraden, bis zum Hinterrande reichenden Depression flankirt wird (Fig. 19). Hinterrand des I. Bauchsegments in der Mittellinie weit bogig ausgerandet, so dass der Vorderrand des II. Bauchsegments hier sichtbar wird. Trochanter-Innenrand oberseits mit 3 Zähnen, Tibienapophyse am Hinter- rande mit 3 Sägezähnen. 8. und 9. Segment der Fühlergeissel unterseits nahe dem Grunde mit tiefer buchtiger inkerbung; 5.—8. unterseits nicht verdickt und geschwärzt. Körperlänge 38 mm.

Bisher nur 3 Weibchen bekannt, ohne Fundort (Brit. Museum).

16

3. Gatt. Abalius n. g.

Telyphoniden mit scharfer Randcrist2 des Cephalothorax von den Seiten- augen bis zum Stirnrande, mit erhabenem Längswulst zwischen den Stirn- augen, mit gewölbter Oberhandfläche Fühlerglieder lang oder kurz, beim 9 modifiziert oder nicht. Die 3 letzten Beinpaare mit Tibialspornen. Ommatiden fehlend. Tibienapophyse der Maxillen bei g und 9 mit schneiden- der, geságter Vorderkante, allmahlich in einen Dorn zugespitzt. I. Bauch- segment beim g (juv) nur mit seichter Medianfurche, H. mit winzigem Dorn am Hinterrande.

Da mir von dieser Gattung im männlichen Geschlecht nur ein jugendliches Exemplar zu Gebote steht, so vermag ich nicht mit Sicherheit anzugeben, ob die Median- furche des I. Bauchsegments und der llinterranddorn des II. ganz die Ausbildung erlangt, wie bei der Gattung Thelyphonus. Die Tibienapophyse der Maxille ist aber jedenfalls beim d nicht modifiziert, so dass der wesentlichste Unterschied von der Gattung Thely- phonus lediglich in dem Fehlen der Ommatiden zu erblicken ist.

Bisher liegen 2 Arten vor, beide aus dem äussersten Südosten des Verbreitungs- bezirks der Familie.

I. 3tes Fühlerglied 2—3 mal so lang als breit, alle folgenden mindestens 1} mal so lang als breit, alle cylindrisch, nicht modifiziert (Fir. 20); letztes (gtes) nur so lang als die Summe des 7. und 8. I. Bauchsegment dicht fein nadelstichig, dazwischen zerstreute gröbere Grübchen . . . . . . . . . . . r. A. Rohdei n. sp., p. 16.

3tes Fühlerglied noch nicht ganz so lang als breit, 4. - 8. alle ganz kurz, doppelt so breit als lang (Fig. 21); letztes Glied lang elliptisch, seitlich. zusammengedrückt (9) und so lang als die 6 vorhergehenden zusammengenommen (Fig. 21). I. Bauch segment nur ziemlich dicht grob nadelstichig . . .2 A. samoanus n. Sp., p. 17.

1. Abalius Rohdei n. sp.

Färbung braun. Beine und Fühler heller, Cephalothorax vorn grob runzelig körnig, hinten grobkórnig. Augenhügel gegen den Stirnrand steil abtallend. Abdomen oberseits grobkörnig; Medianlinie meist nur in den vorderen Segmenten deutlich. I. Bauch- segment beim 9 bogig vorgezogen, auf den Seiten mit je einer grubigen Depression, dicht fein nadelstichig, dazwischen gröbere Stiche, beim g juv. ohne grubige Depression, mit zarter Medianfurche. Uebrige Bauchsegmente alle bis gegen die Mitte fein nadelstichig; If. beim g am Hinterrande mit winzigem Dorn. .

Coxalflachen der Maxillen zerstreut grob | nadelstichig; Coxalfortsatz am Innen- rande stumpf zahnartig geschultert, mundwarts nur ein grösserer Randzahn deutlich. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits grubig raspelig, mit 5 Randdornen, von denen die beiden äusseren fast gleich gross. Femur raspelig, mit winzigem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia gross-grubig, Apophyse aussen mit 2—3 Zähnen, Hand

zerstreut gross-grubig.

E n

3tes Glied der Fühlergeissel cylindrisch, gestreckt, 2—3 mal so lang als breit, die folgenden alle kurz cylindrisch, nicht modifiziert, etwa 14 mal so lang als breit; 9tes so lang, als das 7. und 8. zusammen genommen (Fig. 20). Truncuslänge 35 mm.

Bisher nur 4 Weibchen und 1 junges Männchen von Neu Guinea (Rohde leg.) die Eigentum des Berliner Museums sind.

2. Abalius samoanus n. sp. Das einzige mir vorliegende noch ziemlich junge Weibchen ist hell gelbrot. Cephalothorax vorn grubig runzelig, hinten feinkórnig. Augenhügel weniger steil zum Stirnrande abfallend. Abdomen körnig, nadelstichig, mit durchgehender Medianlinie.

I. Bauchsegment wie bei der vorigen Art, aber nur mit groben Nadelstichen mässig besetzt. Ebenso die übrigen Bauchsegmente. Keine Mittelnaht.

Coxalfläche der Maxillen ziemlich dicht grob nadelstichig, Coxalfortsatz wie bei der vorigen Art. Trochanter oberseits gross-grubig, mit 5 Randdornen, von denen der 2te, an der Vorecke stehende erheblich grösser ist, als die übrigen. Femur und Tibia dicht gross-grubig, Tibienapophyse am Aussenrande mit 2 3 undeutlichen Zähnen; Hand zerstreut grubig.

Fühlergeissel sehr eigenartig, augenscheinlich anders gebaut, als beim co, an die von Thelyph. schimkewitschi 9 erinnernd: Nur das 2te Fühlerglied gestreckt, etwas verkehrt kegelförmig, 3tes bis 8tes ganz kurz, breiter als lang, verkehrt kegelformig; tes am Vorderrande mit kleinem seitlichem Fortsatz, 8tes mit 2 kleinen Zähnen am Vorderrande; gtes lang elliptisch, beidseitig plattgedrückt und so lang, als die 6 vorher- gehenden Segmente (Fig. 21). Truncuslänge bis 25 mm.

Fundort: Upolu (Museum Hamburg).

Es wäre nicht unmöglich, dass die hier neu beschriebene Art mit dem Thel. insulanus Keys. von Kandavu auf den Fidji-Inseln als identisch sich erweist. Leider sagt der Autor in seiner Beschreibung nichts über das Fehlen der Ommatiden, über welche auch die Abbildung keine Auskunft giebt. Der einzige Unterschied, der geltend zu machen wäre, ist das Auftreten eines deutlichen, dornartigen Höckers auf der cinen platten Seite des Fühlerendgliedes und eine etwas stärkere Anschwellung des 7. Fühlergliedes bei Th. insulanus, beides Merkmale, die sehr wohl als Zeichen grösserer Geschlechtsreife gegenüber dem mir vorliegenden jugendlichen Exemplar aufgefasst werden könnten. Unglücklicherweise scheint das dem Museum Godeffroy entstammende Keyserling sche Exemplar verloren gegangen zu sein, so dass sichere Schlüsse über die Stellung des Th. insulanus zur Zeit unmöglich sind, zumal auch der Thelyphonus schimkewitschi Tarn. in Frage kommen könnte.

18 |

4. Gatt. Tetrabalius Thor. 18838.

Thelyphoniden mit scharfer Randcrista des Cephalothorax von den Seiten- augen bis zum Stirnrande, mit erhabenem Längswulst zwischen den Stirn- augen, mit gewölbter Oberhandflache. Fühlerglieder wenig länger als breit, beim 9 etwas modifiziert (zum Theil unterseits geschwarzt), Nur das IV. Beinpaar mit Tibialspornen. Ommatiden 4, zu je 2 jederseits des 3. Caudal- gliedes übereinander stehend (Fig. 6). Tibienapophyse der Maxillen bei g und $ mit schneidender, geságter Vorderrandkante, allmählich in einen Dorn zugespitzt. I. Bauchsegment beim & mit tiefer Medianfurche, die sich am Hinterrande dreieckig erweitert, II. am Hinterrande median mit deutlicher Spina.

Bisher sind 2 Arten bekannt.

I. Trochanter oberseits am Vorderrande mit 6 Dornen. Längswulst zwischen den Stirnaugen nicht über den Stirnrand verlängert. I. Bauchsegment nur 11 mal so breit als lang, so lang als das V. und VI. Segment zusammen. Schenkel der Beine braun . . . . 2.2 .. ... . . . . . L T. seticauda (Dol), p. 18.

Trochanter oberseits am Vorderrande mit 5 Dornen. Langswulst zwischen den Stirnaugen nach vorn weit bis über den Stirnrand verlangert. I. Bauchsegment doppelt so breit als lang, viel kürzer als das IV. + V. Segment. Schenkel der Beine schwarz. . . . 22 .. .. .... .. . 2. T. nasutus Thor., p. 19.

1. Tetrabalius seticauda (Dol.) 1857.

1857 Thelyphonus setieauda Doleschall in: Tijdschr v. Nederl. India XIII. p. 404.

1859 Thelyphonus seticauda Doleschall ibid. 1859, p. 4.

1888 Tetrabalius seticauda Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI. p. 395.

Färbung braun. Cephalothorax vorn wulstig-buckelig, hinten gekörnt, dazwischen nadelstichig. Längswulst zwischen den Stirnaugen nach vorn nur wenig über die Augen verlängert, nicht den Stirnrand überragend. Abdomen oberseits mit Medianlinie, gekörnt, dazwischen nadelstichig. Ommatiden mässig gross, die oberen grösser als die unteren, rundlich. I. Bauchsegment beim & mit Medianfurche, beim 9 mit bogigem Hinterrande und 2 seichten Depressionen auf der Fläche, am Rande dicht gross-grubig, in der Mitte zerstreut grubig-nadelstichig. Uebrige Bauchsegmente dicht fein nadelstichig, in den Mitten auch mit zerstreuten Grübchen. Medianlinie bei jüngeren Individuen fast vollständig, bei älteren als feine erhabene Medianleiste im vorderen Drittel der Segmente.

Coxalfläche der Maxillen unterseits ziemlich dicht grubig; Coxalfortsatz am Innen- rande fast zahnartig geschultert. Trochanter oberseits dicht raspelig, mit 6 Randdornen, von denen der dritte, die Vorderecke bildende, der grösste. Femur dicht raspelig, ein oberer Randdorn sehr winzig. Tibia dicht gross-grubig, ihre Apophyse am Aussenrande mit 3—5 Sägezähnen in beiden Geschlechtern. Hand oberseits ziemlich dicht grubig.

Zweites Glied der Fühlergeissel gestreckt, doppelt so lang als breit, die folgenden kurz, nur so lang oder wenig länger als breit; otes so lang als 7. und 8. Beim reifen $

an

ist das 6. bis 8. Fühlerglied unterseits geschwárzt und etwas wulstig. Körperlänge bis 33 mm. Heimat: Molukken (Amboina, Ternate, Halmaheira, Batjan).

2. Tetrabalius nasutus Thor. 1888.

1888 Tetrabalius nasutus Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI. p. 401.

Der vorigen Art gleichend, aber der Längswulst zwischen den Augen nach vorn verlangert und ziemlich weit über den Stirnrand hinausragend. I. Bauchsegment fast doppelt so lang als breit. Trochanter oberseits mit nur 5 Randdornen. Schenkel der Beine schwarz. Körperlänge 27 mm.

Bisher nur ein Exemplar von Borneo (Museum Stockholn).

*

5. Gatt. Thelyphonus Latr. 1806 emend.

Thelyphoniden mit Randcrista in der Vorderhálfte des Cephalothorax, convexer Oberhand, 2 Ommatiden am 3. Caudalglied, ohne Innenranddorn am Coxalfortsatz der Maxillen. Tibienapophyse der Maxillen in beiden Geschlechtern mit geschärfter, gesägter Vorderrandkante, allmählich in einen spitzen Dorn auslaufend, der nicht mit der Endklaue des beweglichen Fingers sich berührt (Fig. 9. | d namentlich durch das mit tiefer, durch- gehender Medianfurche versehene grosse I. Bauchsegment und einen kleinen Dorn in der Mitte des Hinterrandes des II. Bauchsegments charakterisiert (Fig. 7a); 9 ohne Medianfurche im I. Bauchsegment und ohne Dorn im II. (Fig 7b), aber haufig (bei allen Formen mit kurzen Fühlergliedern) einige der mittleren Fühlerglieder eigentümlich modifiziert (schwarz gefarbt, aufgedunsen, zusammengedrückt, mit Ausbuchtungen, Höckern, Fort. sätzen und dergleichen).

Der Gattungsname Thelyphonus, ursprünglich von Latreille für die Gesamt- formen der Familie angewandt, muss derjenigen Gruppe verbleiben, in welcher der erstbeschriebene Typus der Gattung, das Phalangium caudatum L. von Java, seinen Platz findet. Die Zahl der Arten in der etwa im Sinne Pocock’s von mir auf gefassten Gattung ist noch immer eine recht beträchtliche. Ihr Verbreitungsgebiet ist fast ausschliesslich das östliche Asien, von Vorderindien und den grossen Sundainseln bis Hinterindien, zu den Philippinen und Molukken. Vereinzelte Exemplare sind auf Neu Guinea und den Hebriden beobachtet worden.

Bei der meist unzureichenden Beschreibung früherer Autoren ist es nicht möglich, alle aufgestellten Formen mit Sicherheit zu identifizieren. Solche Arten konnten daher in der nachfolgenden Bestimmungstabelle nicht berücksichtigt werden und sind nur später im Text an geeigneter Stelle eingefügt.

I. 3tes Fühlerglied (und meist auch die nächstfolgenden) kürzer oder kaum länger als breit (selten bis 1} mal so lang als breit), deutlich kürzer als das 2te (Fig. 22— 33).

J

ta

6.

M]

Beim reifen 9? einige der mittleren Fühlerglieder unterseits geschwarzt und modine ouo noms E. eode de cme um de 9 4 Am cu MR eleme cio desde ee exe Reds ie UA 3tes Fühlerglied (wie auch die übrigen) gestreckt, fast doppelt bis mehrmal langer als breit”), meist länger als das 2te (Fig. 34—36). Fühlerglieder auch beim ¢ meist alle einfach cylindrisch und nicht modifiziert. Tibia und Hand stets nur

zerstreut grubig oder nadelstichig. . . . . . . . "E ssi 2O Nur das IV. oder das III. und IV. Beinpaar am Ende der bien innenseits mit deutlichem Sporn... . .. TX" Alle 3 hinteren Beinpaare mit Tbaksorm u BEE Se e. 15 Nur das IV. Beinpaar mit Tibialsporn . . . 2... . . ee 535 d IIl. und IV. Beinpaar mit Tibialsporn . . . . | - 2 4 £d

lrochanter der Maxillen am Vorderrande mit 5 Damen nebet Pentir und Tibien der Maxillen dicht grossgrubig-nadelstichig. 8. Fühlerglied etwa doppelt so lang als das 7. (Fig. 22a. b. Ommatiden gross, fast rund, nur etwa um ihren Durch- messer von einander entfernt. 9: 6tes Fühlerglied seitlich zusammengedrückt, ztes wulstig verbreitert, beide nebst dem 8. unterseits geschwarzt (Fig. 22 b)

Th. candatus (L.), p. 24. Trochanter am Vorderrande mit 6 Dornen. 8. Fühlerglied nur so lang oder kaum länger als das 7te (Fig. 23-930). uo 2 be Ps 30 Wok od Rock») Xe 99 OW ue we FS ztes Fühlerglied lang gestreckt, mindestens doppelt so lang als breit, so lang oder länger als das Ste und mehr als 1 so lang als das gte Glied (Fig. 23a, b, c). Truncus bis 50 mm lang. Ommiatiden sehr gross, rund. 9: 6tes Fühlerglied verbreitert, 7. und 8. kaum modifiziert, nur unterseits etwas grubig-wulstig und schwärzlich

6. Th. doriae Thor., p. 27.

ztes (und oft auch 8tes) Fühlerglied wenig oder nicht länger als breit, nicht halb

so lang als das ote (Fig. 24—-26). Truncus nur bis 30 mm lang. Ommatiden meist queroval. €: 7tes Fühlerglied am meisten modifiziert (oft auch das Ote), unterseits verbreitert oder mit spiralig gedrehter Grube (Fig. 24—27). . . . . 6 3 (L Bauchsegment mit rilliger durchgehender Medianfurche, II. in der Mitte des Hinterrandes mit zahnartigem Dorn) . . . . . EG TE EEE u; 9 (L Bauchsegment ohne durchgehende Mediandille: II. ohne Dorn am Hinter- rande. Mittlere Fühlerglieder [bet reifen Exemplaren] modifiziert) . . . . . . 8 Truncus bis 30 mm lang. 3tes Fühlerglied kurz cylindrisch, ziemlich so lang als das 4te (Fig. 24a). 7tes und 8tes Bauchsegment bei Erwachsenen mit tiefer Median- furche, in der eine feine erhabene Längsleiste deutlich ist. Uebrige Bauchsegmente an den Seiten flach-rissig-grubig, auf der Fläche glatt und kaum nadelstichig

Th. linganus C. Koch G, p. 25. Truncus nur bis 22 mm lang. 3tes lFühlerelied. zusammengedrückt kugelig, viel kürzer als das 4te (Fig. 25a). Letzte Bauchsegmente nur mit feiner Medianfurche.

*) Bei ganz jungen Individuen weniger ausgeprägt.

8.

9.

IO.

II.

Ale Bauchsegmente auf der ganzen Fläche dicht fein nadelstich, an den Seiten

sehr dicht. . . . . . 2... s. 4 Th. klugii n. sp. d, p. 26 7tes, oder 6tes und stes F ühle B ied unterseits n spiralig gedrehter Grube*) (Fig. 24c, 26b) . . . . .. UT "E "NP 7tes, oder 6tes und 7tes Fühlerglied unterscits w ere Vet aber ohne tiefe Längsgrube (Fig. 25b, c, Fig. 27a, b). . .. 22 s... c.l... IO

7tes und 6tes Fühlerglied mit Spiralgrube, 7tes mit vorspringendem Höcker am Innenrande (Fig. 24c). 3tes Fühlerglied viel breiter als lang (Fig. 24b). I. Bauch- segment auf der Fläche kaum dichter grubig-nadelstichig als die Coxenunterflache der Maxillen. Letzte Bauchsegmente mit Medianfurche

2. Th. linganus C. Koch 9$, p. 25. Nur das 7te Fühlerglied unterseits mit Spiralgrube (Fig 26b), 6tes nicht modifiziert. 3tes Fühlerglied länger als breit (Fig. 26a). I. Bauchsegment äusserst dicht grob grubig-nadelstichig, viel dichter als die nur zerstreut nadelstichige Coxalflache. Letzte Bauchsegmente ohne Medianfurche. . . . . . 3. Th. borneensis n. sp. 9, p. 26. Nur das 7te Fühlerglied unterseits schwarz und verdickt, nach der Innenseite vor- springend (Fig. 25b, c), 6tes flach seitlich zusammengedrückt. Coxalunterflache der Maxillen glatt, zerstreut nadelstichig. J. Bauchsegment ohne mediane Depression gegen den Hinterrand . . . . . 2... . 4 Th. klugii n. sp. 9, p. 26. Ausser dem 7ten auch das Ote Fühlerglied unterseits geschwärzt und verdickt (Fig. 27a, b), nicht seitlich zusammengedriickt. Coxalunterflache querrunzelig und ziemlich dicht nadelstichig. I. Bauchsegment gegen das Ende mit medianer Depression

5. Th. celebensis n. sp. 9, p. 27. 7tes Fühlerglied 2—21 mal so lang als breit, so lang oder lànger als das 8te (Fig. 23b, c), Truncus bis 50 mm lang. Trochanter-Vorderrand mit 5—-6 Dornen. Dorn des 2ten Bauchsegments beim &' schräg nach unten abstehend. 9: 7tes Fühler- glied am meisten modifiziert, fast wie gedreht, unterseits geschwärzt und wulstig, 6tes ähnlich, aber weniger auffallend (Fig. 23b). . . .6. Th. doriae Thor., p. 27 ytes Fühlerglied kurz, kaum so lang (9) oder wenig länger als breit, erheblich kürzer als das 8te (lig. 28, 29) Truncus nur 20—35 mm lang. Trochanter- Vorderrand mit 6 Dornen. Dorn des 2ten Bauchsegments beim J der 3ten Bauch- schiene anliegend. 9: Ausser dem 7ten Fühlerglied auch das 6te und Ste (zuweilen auch 5te) modifiziert, eins oder eifige derselben mit dornigen Fortsätzen . . . 12 d (rtes Bauchsegment mit rilliger Medianfurche, 2tes mit Dorn am Ilinterrande) . 13 9 (rtes Bauchsegment ohne rillige Medianfurche, 2tes ohne Dorn am Ilinterrande. Mittlere Fühlerglieder [bei reifen Exemplaren] modifiziert)... . . . . . . . . . 14 4tes Fühlerglied fast doppelt so lang als breit, länger als das 3te (lig. 282). Truncus bis 32 mm lang. Voreckdorn des Trochanter-Vorderrandes (der Maxillen) über doppelt so lang als die inneren. ıtes Bauchsegment jederseits der Mittel-

*) Nur geschlechtsreife Weibchen dürften sicher bestimmbar sein.

14.

linie meist mit flacher Grube; auf der ganzen Fläche, namentlich aber an den Rändern, dicht grob nadelstichig. . . . . . . . 7. Th. suckii n. sp. d, p. 28. 4tes Fühlerglied nur so lang als breit, kaum langer als das 3te (Fig. 29a). Truncus nur bis 20 mm lang. Voreckdorn des Trochanter-Vorderrandes nicht oder kaum länger als die inneren. rtes Bauchsegment ohne seitliche Gruben, seine Fläche nur mit einzelnen obsoleten Nadelstichen besetzt. . . . 8. Th. semperi n. sp. C, p. 29. 8tes Fühlerglied länger als 7 +: 6, oberseits tief bogig ausgebuchtet und am Grunde seitlich mit Dornfortsatz (Fig. 28b). 7tes Fühlerglied oben am Vorderrande mit ı—2 Zähnen, meist auch am Grunde mit Hocker. 6tes Glied nur seitlich wulstig- hóckerig. Truncus bis 32 mm. Ommatiden grösser als die Ocellen

7. Th suckii n. sp. 9, p. 28.

Stes Fühlerglied kürzer als 7 + 6, cylindrisch, ohne Ausbuchtung und Grunddorn,

-~

15.

nur unterseits geschwarzt (Fig. 29b). 7tes Fühlerglied nur oberseits am Grunde mit kleinem Zahn, unterseits breit polsterartig-wulstig. 6tes seitlich zusammen- gedrückt, oben am Vorderrande mit kleinem Dornhöcker; die vorhergehenden Glieder unterseits dunkelbraun. Truncus nur 20 mm lang. Ommatiden kleiner als die Ocellen. Strichförmige Gruben des ıten Bauchsegments weniger scharf als bei der vorigen Art . . . 22.0. "m P . 8. Th. semperi n. sp. 9, p. 29. G (rtes Bauchsegment mit lies, nach hinten | formig verbreiterter Medianfurche ; 2tes Bauchsegment mit Dorn in der Mitte des Hinterrandes; Fühlerglieder Sarah unmodifiziert).. . . . . l . ee gae db

9 (1tes Bauchsegment Eins aisg Medänkliche: 2tes Bauchsegmnient ohne Hinter-

16.

17.

randdorn; mittlere Fühlerglieder [bei reifen Exemplaren] modifiziert). . . . . 19 Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 6 Dornen (selten der äusserste ver- kümmert), die gleich gross sind oder von denen der 3te (von aussen) grösser als die übrigen. Ommatiden gross, ihr Zwischenraum kleiner oder wenig grösser als eine Ommatide. Coxalunterfläche der Maxillen und ıtes Bauchsegment zerstreut obsolet nadelstichie. . . . . "E EE lrochanter der Maxillen am Vorderrände mit E st gieicitn Domen (oder die 2 äusseren grösser). Ommatiden klein oder mässig gross (ihr Zwischenraum 1! bis 4 mal so gross als eine Ommatide). Coxalunterfläche und rtes Bauchsegment oft dicht nadelstichig . . . . nog. s à & os 2. d Die den Mandibeln echt m nen dache ds nee neben den kleinen llóckern mit 2 stärkeren Dornen. Unbeweglicher Finger der Hand aussenseits gezühnt. Zwischenraum zwischen den Ommatiden kleiner als eine Ommatide. Hand sehr zerstreut nadelstichig. 3tcs bis 6tes Fühlerglied deutlich länger als breit. Stes Fühlerglied kürzer als das 7te (Fig. 30a); 4tes Bauchsegment mit grosser, behaarter Mediangrube. Tibienapophyse aussen am Grunde mit Zahn

9. Th. schimkewitschi Tarn. d, p. 29. Trochanteren-Innenfläche ohne stärkere, vor den übrigen hervortretende Höcker. Unbeweglicher Finger der Hand aussenseits fast wehrlos; ebenso aussenseits die

Tibienapophyse. Zwischenraum zwischen den Ommatiden grösser als eine Ommatide. Hand dicht grob-grubig nadelstichig. 3tes bis 6tes Fühlerglied kaum so lang als breit, kurz, perlschnurartig gerundet, 8tes Fühlerglied länger als 7 (Fig. 31). Keine Mediangrube im 4ten Bauchsegment. Tibienapophyse aussen am Grunde ohne Zahn

IO. Th. hansenii n. sp. d', p. 30.

. Ommatiden klein, ihr Zwischenraum 3—4 mal so gross als eine Ommatide. Tro-

chanter der Maxillen oberseits dicht grobkórnig. Tibia dicht grob-grubig nadelstichig ; ebenso meist auch die Hand. Unbeweglicher Finger fast so lang, als die Hand an seiner Anzatzstelle breit. 1tes Bauchsegment zerstreut nadelstichig, Coxalunterfläche dichter nadelstichig. Hand innenseits am Rande stark dornzahnig; Cephalothorax vorn und hinten grobkórnig. 3tes Fühlerglied nur so lang als das 4te (Fig. 324), otes kürzer als das 6. + 7. +8. . I1. Th. asperatus Thor. C, p. 31.

Ommatiden mittelgross, ihr Zwischenraum 13 mal so gross als eine Ommatide. Trochanter oberseits glatt, netzfurchig, nur am Grunde kornig. Tibia zerstreut grubig, Hand glatt, sehr zerstreut grubig. Unbeweglicher Finger kaum länger als die halbe Breite der Hand an seiner Ansatzstelle. ıtes Bauchsegment dichter nadelstichig als die Coxalunterflache. Hand innenseits am Rande sehr feinzahnig. Cephalothorax vorn nur runzelig, hinten äusserst feinkórnig. 3tes Fühlerglied deutlich länger als das 4te, 9tes so lang als 6. + 7. + 8. (Fig 33)

12. Th. sumatranus n. sp. d, p. 32.

Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 6 Dornen. Ommatiden sehr gross, rundlich, ihr Zwischenraum kleiner als eine Ommatide. 8tes Fühlerglied beim reifen Q kurz, verdickt, vorn mit 3 kurzen spitzen Dornfortsätzen. gtes Fühlerglied so lang als die 4 vorletzten, gestreckt elliptisch,- fast gestielt, etwas zweiseitig platt- gedrückt und in der Mitte auf der oberen Flachseite mit dornigem Tuberkel (Fig. 30 b)

9. Th. schimkewitschi Tarn. 9, p. 29.

Trochanter am Vorderrande mit 5 Dornen. Ommatiden klein, ihr Zwischenraum 3—4 mal grösser als eine Ommatide. 8tes Fühlerglied kurz, unterseits geschwärzt, kugelig, oberseits mit langem, spitzem bis zur Hälfte des 9. Segments reichendem Dorn; gtes Fühlerglied so lang als die 5 vorletzten, cylindrisch, mit gekriimmtem Stiel, nicht plattgedrückt, oberseits mit Höcker unterhalb der Mitte (Fig. 32 b)

11. Th. asperatus Thor. 9, p. 31.

Nur das IV. oder das III. und IV. Beinpaar am Ende der Tibien innenseits mit deutlichem Sporn. . . . . . nn nn Alle 3 hinteren Beinpaare mit deutlichem Tibialsporn

t9 ON

I 4 3

. Trochanter der Maxillen am Vorderrande mit 5 Dornen. 3tes Fühlerglied kürzer

als das 2te (Fig. 34). Ommatiden sehr klein. 3tes und 4tes Beinpaar mit Tibien- dornen. IV. Bauchsegment meist mit grosser flacher Mittelgrube. Abdomen ober- seits mit durchgehender Nahtlinie. . . . . 15. Th. manilanus C. Koch, p. 34.

t3 td

23.

24

Trochanter am Vorderrande mit 6 Dornen. tes Fuhlerghed länger als das 2te (Fig. 35, 36). Ommatiden massig gross. Nur das 4te Beinpaar mit Tibiendornen. IV. Bauchsegment ohne Mittelgrube . . . . 2. 2. nn s... l y 22 Kiel des Augenhügels die Augen überragend, nach vorn verliheen ind dann senkrecht zum Stirnrand abfallend. 3tes Fühlerglied kaum doppelt so lang als breit, 5tes und 6tes Fühlerglied beim 9 modifiziert, unterseits geschwärzt; 6tes nur 15 mal so lang als breit (Fig. 35). Abdomen oben auch im 7. und 8. Segment mit feiner Nahtlinie. Ommatiden gross, nur um ihren Durchmesser von einander entfernt. Neben der Seitencrista des Cephalothorax jederseits ein bohnenförmiger Langstwulst. Trochanter grubig-nadelstichig ; Coxalfortsatz am Innenrande geschultert, sein erster Mundzahn erst weit hinten auftretend 18. Th. anthracinus Poc., p. 32. Kiel des Augenhügels die Augen nicht überragend, allmählich bogig zum Stirn- rande abfallend. 3tes Fühlerglied 3—4 mal so lang als breit, 6tes doppelt so lang als breit (Fig. 36). Kein Fühlerglied beim 9 modifiziert. Abdomen oben im 7. und 8. Segment ohne Nahtlinie. Ommatiden mässig gross, um ihren doppelten Durchmesser von einander entfernt An der Seitencrista des Cephalothorax kein bohnenformiger Wulst. I. Bauchsegment am Hinterrande nicht lappenförmig vor- gezogen. Trochanter oberseits grobkórnig. Coxalfortsatz kurz, dick, nicht ge- schultert, sein erster Zahn keine gróssere Lücke zwischen sich und dem Enddorn lassend . . . . b xu >... . 144 Th. schnehagenii n. sp, p. 33. Trochanter der Maxillen am Vorderände mit 5 Dornen, von denen der 2te (von aussen) fast doppelt so lang als die übrigen (Fig. 37a). 3. Fühlerglied deutlich kürzer als das 2te (Fig. 34). Femur am oberen Innenrande meist mit deutlichen Dorn. Ommatiden klein. Bauchsegmente glatt, glänzend oder an den Seiten nadelstichig . . . . 0... .. I5. Th. manilanus C. Koch, p. 34. Trochanter mit 6 Damen. die alle fast gleich gross sind (Fig. 37b). 3. Fühlerglied so lang oder länger als das 2te, alle unterseits dicht weissborstig. Femur am oberen Innenrande mit kaum merklichem Dorn. Ommatiden mässig gross, rundlich oder quer-oval. | Bauchsegmente beim reifen J dicht grob querrunzelig, beim Q glatt, sehr zerstreut punktirt. Hand beim d breiter als die Tibia.

16. Th. sepiaris Butl, p. 35.

1. Thelyphonus eaudatus (L.) 1758.

1758 Phalangium caudatum Linné in: Syst. natur. Ed. X. pag. 619. ? 1835 Thelyphonus eaudatus Lucas in: Mag. de Zool. de Guérin Cl. VIII, TA. IX. f. 1.

? 1835 > rufimanus > ibid. Ti. X, f. 1. 5 ? 1835 » rufipes » bid, TH. IX, f. 2 1813 : proscorpio C. L. Koch nee. Latr.; in: Arachn X, p. 26, f. 771, gf. 1813 : rufipes C. L. Koch ibid. X, p. 23, f. 760, ©. 1872 , > Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4). X, p. 202. 1888 > candatus Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI p. 370. 1890 , thorellii Tarnani in: Horae soc. ent. ross. XAIV, p. 629. Körper braunschwarz, Beine heller rotbraun. Cephalothorax vorn runzelig-

körnig, etwas glänzend, hinten zerstreut körnig; Gegend vor den Seitenaugen glatt,

|

Mediangrube seicht. Abdomen oberseits ziemlich dicht gekörnt, dazwischen rauh fein- körnig, Medianlinie durchgehend oder nur im I1.—III. Segment angedeutet; Bauchseite glatt, obsolet zerstreut nadelstichig, ohne mediane Nahtlinie, an den Seiten etwas fein nadelstichig. I. Bauchsegment beim co mit tiefer Medianfurche, beim 9 mit 2 schwachen Gruben, wie bei den übrigen Arten. II. Bauchsegment beim & mit Hinterrand-Spina. Ommatiden gross, meist rundlich.

Coxalfläche der Maxillen unterseits zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz bogig, mit vorwärts gerichteten Endspitzen, am Innenrande etwas geschultert. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits dicht raspelig, mit 5 Randdornen, von denen die 2 äusseren die grössten. Femur dicht raspelig, mit kaum merklichem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia dicht grob grubig, ihre Apophyse am Aussenrande mit 1—2 Sägezähnen. Hand zerstreut grubig (9) oder dicht grubig (d).

3tes bis 7tes Glied der Fühlergeissel beim d wenig länger als breit (Fig. 22 a), beim 9 kürzer als lang, 8. und 9. Glied etwas gestreckter, fast doppelt so lang als breit. Beim reifen 9 das 6te Glied unterseits geschwarzt, 7tes fast wie verkrüppelt, ebenfalls nebst dem 8ten unterseits geschwarzt (Fig. 22b).

Tibialsporne nur am IV. Beinpaar. Truncuslange etwa bis 32 mm.

Heimat: Java. Der Fundort Sumatra (Hofmuseum Wien) dürfte zweifelhaft sein.

2. Thelyphonus linganus C. L. Koch 1843.

1843 Thelyphonus linganus C. L. Koch in: Arachn. X, p. 31, f. 774. 1889 > johorensis Oates in: Journ. Asiat. Soc. Bengal LVIII, p. 11.

Sowohl das Originalexemplar von Koch wie von Oates liegen mir vor. Beide erscheinen durchaus tibereinstimmend.

Truncus dunkelbraun, Beine rotbraun. Cephalothorax wie bei der vorigen Art. Abdomen oberseits nur in den ersten Segmenten mit Nahtlinie, unterseits im 7. und 8. mit vertiefter Medianlinie, in der sich eine feine Längsleiste erhebt. I. Bauchsegment namentlich beim 9 ziemlich dicht grob nadelstichig, übrige Bauchsegmente sonst glatt, glanzend, kaum zerstreut punktirt, nur an den Seiten dicht fein nadelstichig. Unterschied der Geschlechter im I. und II. Bauchsegment wie bei der vorigen Art. Ommatiden massig gross, queroval, fast um ihre doppelte Breite von einander entfernt.

Coxalfläche unterseits sehr dicht gross-grubig nadelstichig, auch der am Innenrande geschulterte Coxalfortsatz. Trochanter oberseits ziemlich dicht grubig, am Vorderrande mit 6 Dornen, von denen der 3te, voreckstandige der grósste. Femur dicht grubig raspelig, am oberen Vorderrande mit kaum merkbarem Dorn. Tibia dicht (dG') oder ziemlich dicht (9) grubig, ihre Apophyse aussenscits meist mit 2 Sägezähnen. Hand ziemlich zerstreut grubig.

3.— 7. Fühlerglied in beiden Geschlechtern kaum so lang als breit, 3tes deutlich breiter als lang, 8tes kaum länger als das 7te, noch nicht } so lang als das ote (Fig 24a, b). 6tes und 7tes Fühlerglied beim modifiziert (Fig. 24c), beide unterseits geschwarzt und

4

26 beide (oder doch das 7te) unterseits mit schräglaufender Längsgrube, 6tes etwas seitlich zusammengedrückt (Fig. 24b), 7tes innenseits mit vorspringendem Hocker. Tibialsporne nur am 4ten Beinpaar. Truncuslänge etwa 30 mm.

Heimat: Linga, Sumatra, Pulo-Pinang.

3. Thelyphonus borneensis n. sp.

Das allein bekannte 9 dieser Art gleicht im Allgemeinen dem 9 von Th. linganus, unterscheidet sich von ihm aber durch folgende Merkmale: I. Bauchsegment äusserst dicht grob-grubig nadelstichig (fingerhutartig); übrige Segmente an den Seiten etwas raspelig-quergrubig. Ommatiden fast rund. Coxalflächen unterseits glatt, sehr zerstreut und obsolet nadelstichig. Tibia und Hand glatt, glanzend, nur sehr zerstreut und obsolet nadelstichig, Tibienapophyse aussenseits mit 3—4 Sägezähnen. 3tes Fiihlerglied fast länger als breit (Fig. 26a), 6tes Glied nicht modifiziert, cylindrisch, 7 tes etwas verbreitert, unterseits geschwärzt und hier mit breiter Schrägfurche (Fig. 26b,c). Truncus gegen 30 mm.

Bisher nur ein 9 von Borneo (Museum Berlin).

Es ist nicht unmöglich, dass der Th. lucanoides Butl als & zu dieser Art: gehort. Pocock (Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV p. 122) vermuthet, dass derselbe von Borneo stamme und charakterisiert ihn durch 6 Trochanterdornen und die sehr lange Tibienapophyse, die bis zur Spitze des unbeweglichen Fingers reicht. Die Hand ist dicht grob-grubig. Nach brieflicher Mitteilung besitzt nur das 4te Beinpaar Tibialsporne wie die ganze linganus-Gruppe.

4. Thelyphonus klugii n. sp.

Färbung braun, Beine heller. Cephalothorax vorn erubig-runzelig, am Hinterrande feinkörnig; hintere mediane Längsgrube auffallend tief. Abdomen oberseits in allen Segmenten mit Andeutung einer Längsnaht, Bauchseite nur beim d in den letzten Segmenten mit feiner Medianlinie. I. Bauchsegment beim 9 mässig dicht nadelstichig, beim oc zerstreut, an den Seiten dichter. Uebrige Bauchsegmente entweder auf der ganzen Fläche äusserst fein nadelstichig (Z) oder nur an den Seiten bis über die Gruben, namentlich in den letzten Segmenten (9). Ommatiden mässig gross, quer-oval.

Coxalflächen in beiden Geschlechtern sehr zerstreut nadelstichig, beim 9 weniger dicht, als das I. Bauchsegement. Trochanter und Femur der Maxillen wie bei Th. linganus. Tibia namentlich beim 2 kaum grubig, glatt, glänzend; Apophyse aussenseits mit 2 bis 3 Zähnen. Hand glatt, glänzend, nur mit einzelnen Nadelstichen.

Fühlerglieder 3—-7 kurz (Fig. 25a, b), 3tes deutlich kürzer als das 4te, (namentlich beim 9), 8tes so lang ($) oder kaum länger (7) als das 7te, etwa ! so lang als das gte. Beim reifen Weibchen 6tes Fühlerglied stark seitlich zusammengedrückt, unterseits kaum geschwarzt, 7tes stark verbreitert, unterscits mit breiter schwarzer Platte (Fig. 25c).

libialsporne nur am 4ten Beinpaar. Truncuslänge bis 22 mm.

Ein c und ein 9 von Sumatra (Museum Stuttgart), bezeichnet als »Thely- phonus rufipes Klug«. Zahlreiche © von Celebes (P. u. F. Sarasin leg.).

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5. Thelyphonus celebensis 4. sp.

Das allein bekannte 9 gleicht dem 9 der vorhergehenden Art sehr, unterscheidet sich jedoch von demselben in folgenden Punkten: Bauchseite des Abdomens fast in allen Segmenten mit feiner Mediannaht. I. Bauchsegment ziemlich dicht grob nadelstichig, etwa so dicht, als die vorn und an den Seiten querrunzelige Coxalflache. Übrige Bauch- segmente auf der ganzen Fläche äusserst fein, aber ungleichmässig (d. h glatte Stellen zwischen sich lassend) nadelstichig. Tibia dicht gross-grubig, Apophyse aussenseits mit vier Zähnen. 6. Fühlerglied nicht seitlich zusammengedrückt, fast kugelig, unterseits etwas dunkler, wie das 7te, ebenfalls kugelige (Fig. 27a,b). Tibialsporne nur am 4. Beinpaar. Truncuslänge etwa 22 mm. |

Bisher nur ein 9 von Celebes (Museum Wien).

6. Thelyphonus doriae Thor. 1888.

1888 Thelyphonus doriae Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova {2} VI. p. 361.

1894 Thelvphonus tarnanii Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6) XIV p. 125.

Der Umstand, dass eins der Originalexemplare des Th. doriae, welches in den Besitz des Londoner Museums gelangte, auf der Unterseite des Trochanter nur einen Dorn statt der normalen, auch bei den übrigen Originalexemplaren vorhandenen zwei zeigte, hat Pocock veranlasst, seinen Th. tarnanii aufzustellen. Derselbe stimmt demnach, wie der Autor mir selbst brieflich mitteilte, mit den Typen des Th. doriae im Museum zu Genua völlig überein. `

Truncus braun, Beine rotbraun. Cephalothorax vorn fast glatt, etwas quer gewellt, dahinter gross-grubig runzelig, Seiten grobkórnig, Hinterende feinkörnig, fast wie geborsten- nadelrissig. Abdomen oberseits mit flachen Körnchen, dazwischen nadelstichig, vorn und auf den Endsegmenten mit Medianlinie.. I. Bauchsegment bei beiden Geschlechtern zer- streut gross-grubig auf der Fläche, dichter vorn und an den Seiten; übrige Bauchsegmente glatt, nur obsolet zerstreut punktiert, an den äussersten Seitenrändern dicht fein nadel- stichig, ohne Mediannaht. Ommatiden mittelgross, oval oder rundlich.

Coxalflächen zerstreut gross-grubig, Coxalfortsatz am Innenrande stumpf geschultert. Trochanter unterseits mit 2 (seltener 1) Dornen, oberseits mit 6 (seltener 5) Randdornen und zerstreut grubiger, gegen den Rand fast glatter Fläche; Femur dicht erubig, mit winzigem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia beim & dicht, beim 9 zerstreut gross- grubig, ihre Apophyse am Ilinterrande mit 2—3 Sägezähnen. Hand glatt, glänzend, beim G mässig, beim 9 sehr zerstreut grubig. 3tes Fühlerglied kürzer als alle folgenden, beim d bis mal so lang als breit (Fig. 23a), beim 9 kürzer als breit (Fig. 23b); 4tes bis Stes beim d gestreckt, zum Teil doppelt so lang als breit, cylindrisch (Fig. 23 a), beim 9 4tes und 5tes so lang als breit, 6tes verdickt, unterseits geschwärzt, etwas länger als breit, 7tes über doppelt so lang als breit, ebenfalls unterseits geschwärzt, Stes nicht modifiziert, meist kürzer als das 7te (Fig. 23%). otes Glied in beiden Geschlechtern gestreckt cylindrisch, aber kürzer als 7. + 8.

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Tibialsporne meist am 4ten und 3ten Beinpaare, seltener am 3ten Beinpaar nur einseitig entwickelt oder ganz fehlend. Truncuslänge bis 40 mm.

Als Varietät der Hauptform möchte ich den Th. hosei Poc. (l. c. p. 125) auffassen. Derselbe unterscheidet sich von ersterer vornehmlich nur dadurch, dass das 7. und 8. Fühlerglied gleich lang sind (Fig. 23c), der Cephalothorax vorn etwas mehr runzelig körnig und hinten etwas gröber gekörnt ist. Auch soll nach Pocock der Augenhiigel etwas stärker hervortreten, als bei der Hauptform.

Exemplare liegen mir vor von Central- und West-Borneo (von hier auch die Var. hosei), Billiton Island, Singapore und Java. Letzterer Fundort an einem Exemplar des Museums Stuttgart (Dr. Arnold leg.) erscheint jedoch nicht ganz einwandfrei.

7. Thelyphonus suckii n. sp.

Truncus oberseits ziemlich dunkel, Beine meist rotbraun. Cephalothorax fast auf der ganzen Fläche körnig chagriniert, hinten etwas feiner. Abdomen oberseits ziemlich dicht körnig, dazwischen nadelstichig, bei Erwachsenen nur in den letzten Segmenten mit Andeutung einer Mediannaht, bei juv. in allen. I. Bauchsegment bei beiden Ge- schlechtern auch auf der Fläche dicht gross-grubig punktiert, bei reifen g jederseits der tiefen Medianfurche meist mit zwei seichten bis strichförmigen Eindrücken. Die übrigen Segmente ziemlich zerstreut nadelstichig, beim co an den Seiten etwas flach-körnig und dicht fein nadelstichig. Medianfurche nur beim co im 7ten (oder 7ten und 8ten) Segment angedeutet. Ommatiden ziemlich gross, nicht um das doppelte ihres Durchmessers von einander entfernt, etwas quer-oval.

Coxalflächen der Maxillen gegen die Mittellinie quer-runzclig, auf der Fläche zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz stark rechtwinklig geschultert am Innenrande. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits dicht raspelig-grubig, namentlich beim co, mit 6 Rand- dornen, von denen der 3te, voreckständige, der grösste. Femur ebenfalls dicht raspelig- grubig, beim co mit winzigem, beim 9? mit grösserem Dorn an der oberen Vorderrand- kante. Tibia beim & dicht, beim 9 zerstreut grubig, ihre Apophyse am Aussenrande meist mit 2 stärkeren (9) oder schwächeren (3) Sägezähnen. Hand wie Tibia.

3tes Fühlerglied etwa so lang als breit, kürzer als das 2te, beim JS kürzer (Fig. 28a), beim 2 so lang (Fig. 28b) als das 4te; 5.- 7. bei beiden Geschlechtern kurz, etwa so lang als breit, 6tes beim 9 unterscits geschwärzt und innenseits vorspringend, 7tes verbreitert, unterseits geschwärzt und vorn am Innenrande mit starkem schwarzem Zahnfortsatz. 8. Segment bei beiden Geschlechtern gestreckt, cylindrisch und fast so lang als 6 + 7 beim d (Fig. 28a); oberseits etwas bogig ausgehöhlt, innenseits am Grunde mit starkem Dornzahn, unterseits geschwärzt und länger als 6 -+ 7 beim 9 (Fig. 28b). otes Segment bei beiden Geschlechtern lang cylindrisch.

Tibialsporne am 3. und 4. Beinpaare. Truncuslänge etwa 32 mm.

Zahlreiche Exemplare, von Herrn Frite Suck für das Hamburger Museum in

Südost-Borneo (Tandjong, Bendjermasin) gesammelt.

8. Thelyphonus semperi ». sp.

Truncus braun, Beine rot. Cephalothorax vorn runzelig, hinten zerstreut fein- körnig. Abdomen oberseits ziemlich dicht körnig, dazwischen nadelstichig, die Median- linie in allen Segmenten angedeutet. I. Bauchsegment nur obsolet zerstreut nadelstichig, beim 9 etwas dichter, als beim co. Bei letzterem jederseits der Medianfurche kein beuliger Eindruck. Uebrige Segmente glatt, sehr zerstreut punktiert, beim 9 an den Seiten fein nadelstichig, beim c hier auch etwas kórnig. Medianlinie nur beim G' in den 3 letzten Segmenten angedeutet. Ommatiden mässig gross, schmal quer-oval.

Coxalflächen auf der Mitte sehr zerstreut nadelstichig, beim co an den Seiten dichter. Coxalfortsatz am Innenrande rechtwinklig geschultert. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits beim co auf der Fläche ziemlich dicht raspelig, beim 9 nur am Grunde (sonst fast glatt, nur etwas buckelig), in beiden Geschlechtern mit 6 Vorderrand- dornen, welche beim d alle fast gleich gross sind, während beim 9 der Voreckzahn an Grosse hervortritt. Femur in beiden Geschlechtern ziemlich dicht grubig-raspelig, nament- lich beim 9 mit erkennbarem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia beim Gc ziemlich dicht aber fein nadelstichig, beim 9 fast durchaus glatt und glänzend, ihre Apophyse beim c schlank, sanft gebogen, mit 1---2 schwachen Sägezähnen am Aussenrande, beim 9 gerade, mit 4—5 Sagezahnen am Aussenrande. | Hand beim g ‘dicker, beim @ dünner als die Tibia, in beiden Geschlechtern glatt und glänzend, nur mit einzelnen Nadelstichen.

3tes Fühlerglied beim & so breit als lang (Fig. 29a), kürzer als das 2te und so lang wie das 4te. 5.—7. ebenfalls kurz, etwa so lang als breit, 8tes etwas gestreckt, fast doppelt so lang als breit, cylindrisch. 3tes Fühlerglied beim 9 ganz kurz (Fig. 29b), mindestens doppelt so breit als lang, kürzer als das ebenfalls sehr kurze 4te, beide dunkelbraun unterseits. 5.—8. modifiziert, unterseits geschwärzt, und hier der Fühler seitlich ausgebogen, wie verkrüppelt. tes Glied ziemlich regelmässig, rundlich, so lang als breit, 6tes oberseits am Vorderrande mit kurzem Zahnfortsatz, seitlich zusammen- gedrückt, 7tes ebenfalls nur so lang wie breit, oberscits am Grunde mit winzigem Zahn- fortsatz, seitlich etwas erweitert, namentlich innenseits, 8tes Segment anderthalb mal so lang als breit, cylindrisch, aber unterseits geschwärzt.

Tibialsporne am 3ten und 4ten Beinpaare. Truncuslänge nur bis 20 mm.

Fundort: Zamboanga im äussersten Westen von Mindanao (C. Semper leg.) 2 d und 1 9 im Museum Hamburg.

9. Thelyphonus schimkewitschi Tarn. 1394. 1894 Thelvphonus schimkewitschi Tarnani in: Zool, Anz. 1894 p. 31. 1895 > > Tarnani in: Horae soc, ent. ross. XXIX, p. 116. Truncus braun, Beine oft heller, rotbraun. Cephalothorax vorn querrunzelig, auf den Erhabenheiten grubig punktiert, hinten gróber oder feiner gekórnt. Abdomen dicht oder zerstreut körnig, dazwischen nadelstichig, Medianlinie fast in allen Segmenten angedeutet. I. Bauchsegment beim c fast glatt, nur sehr zerstreut punktiert, beim 9 etwas dichter seicht raspelig-nadelstichig, tes Bauchsegment beim & mit grosser runder,

30 meist behaarter Mediangrube. Übrige Segmente glatt, nur sehr zerstreut nadelstichig, an den Seitenrändern meist dicht fein nadelstichig, aber nicht gekörnt; Medianlinie auch beim & nicht nachweisbar. Die 3 ersten Caudalsegmente auffallend gestreckt, gerade, tubusartig. Ommatiden gross, meist rundlich und dann kaum um ihren Durchmesser von einander entfernt.

Coxalflachen beim g gegen die Mittelnaht quer-runzelig, in beiden Geschlechtern auf der Fläche nur schr zerstreut nadelstichig, am Rande dichter. Coxalfortsatz am Innen- rande fast rechtwinklig geschultert. Trochanter unterscits mit 2 Dornen, oberseits auf der Fläche beim dc höckerig-körnig, beim 9 höckerig-raspelig, am Vorderrande mit 6 Dornen, deren 3ter, voreckständiger bei beiden Geschlechtern der grösste. Die den Mandibeln zugekehrte Innenfläche des Trochanter zeigt beim Go zwei stärkere, die übrigen Buckel meist an Grösse übertreffende Dornen. Femur ziemlich dicht raspelig-grubig, kaum mit Dorn am oberen Vorderrande. Tibia und Hand glatt, glänzend, nur sehr zerstreut mit Punktgruben besetzt, namentlich beim 9. Apophyse der Tibia beim CG etwas gebogen, beim 9 gerade, am Aussenrande meist mit 2 stärkeren oder schwächeren (c) Sägezähnen. Apophyse der Hand aussenseits auch beim g gezähnt. |

Fühlerglieder beim c alle etwas gestreckt und länger als breit (Fig. 30a). 3tes etwa 11—1} mal so lang als breit, aber kürzer als das 2te; ähnlich 4.—8. Glied, von denen das 7te das längste und oft über doppelt so lang als breit. gtes Glied sehr lang cylindrisch, länger als 7. + 8. Beim 9 sind das 3.—8. Fühlerglied kurz, kaum so lang als breit (Fig. 30b); 7.—9. modifiziert, geschwärzt, und zwar 7tes Segment aussen am Grunde etwas eingezogen, sonst fast cylindrisch, Stes am Vorderrande oberseits mit 2, unterseits mit einem Zahnfortsatz, zwischen denen das lang lanzettliche, auf der Mitte der platten, geschwärzten Oberseite mit kurzem starken Dorn versehenen gte Scg- ment fast gestielt, etwas schräg seitlich nach aussen heraustritt. Die Länge dieses oten Segments ist etwa so gross, als die der 4—5 vorhergehenden Glieder zusammengenommen.

Tibialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren. Truncuslänge bis 25 mm.

Die Hauptheimat der Art ist jedenfalls Siam (Bangkok), doch liegt mir auch ein Exemplar von Pulo Pinang in der Strasse von Malacca vor.

10. Thelyphonus hansenii n. sp.

Truncus und Beine braun. Cephalothorax und Abdomen wie bei der vorigen Art. Medianlinie namentlich im IL—IV. Rückensegment stark hervortretend. I. Bauch- segment beim (allein bekannten) glatt, glänzend, zerstreut obsolet nadelstichig, IV. Bauchsegment ohne behaarte Mediangrube; Medianlinie nur im letzten Segment angedeutet. Ommatiden mässig gross, queroval, um mehr als ihre Breite von einander entfernt.

Coxa wie bei der vorigen Art. Ebenso Trochanter unter- und oberseits. Die den Mandibeln zugekehrte Innenseite der Trochanter aber ohne 2 stärkere Dornen. Femur dicht raspelig, ohne Dorn am oberen Vorderrande. Tibia dicht gross-grubig, thre

‚\pophyse aussenscits nur an der Spitze mit schwachem Sägezahn, am Grunde unbewehrt.

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Hand mässig dicht nadelstichig, etwas runzelig, am Innenrande nur mit einzelnen entfernten Zähnchen, von denen nur einer am Grunde des unbeweglichen Fingers steht.

Fühlerglieder des č vom 3.- 6. Segment kurz perlschnurartig, fast kugelig (Fig. 31); 7tes Segment etwas gestreckter, Stes noch länger als das 7te, fast doppelt so lang als breit; gtes kürzer als 8 +- 7. Fühler des 9 unbekannt.

Tibialsporne an allen 3 Hinterbeinpaaren. Truncus 24 mm lang.

Nur 1 Exemplar (C) von Mindanao (Museum Kopenhagen).

1. Thelyphonus asperatus Thor. 1888. 1888 Thelyph. asperatus Thorell in: Aun. Mus. civ. Genova (2) VI p. 382.

Truncus und Beine braun. Cephalothorax und Abdomen wie bei den vorigen Arten. Medianlinie sichtbar im I. bis III. Rückensegment, ebenso im VII. bis IX. I. Bauchsegment beim G zerstreut nadelstichig, nach vorn dichter, beim 9 dicht gross- erubig nadelstichig; die übrigen Bauchsegmente beim co an den Seiten dicht fein nadel- stichig, beim 9 an den Seiten glatt, nur mit einzelnen Punktstichen; IV. Bauchsegment beim d ohne Mediangrube. Medianlinie nicht erkennbar. Ommatiden klein, rundlich, um das 3—4fache ihres Durchmessers von einander entfernt.

Coxalfläche quer-runzelig, namentlich gegen den Vorderrand und die Seitenflächen auch ziemlich dicht grubig; Coxalfortsatz am Innenrande etwas geschultert, oberseits gegen die Mundhöhle mit einem breiten Chitinhöcker, welcher die Kauzähne trägt. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits dicht grobkörnig, am Vorderrande mit 5 Dornen, von denen die beiden äusseren die grössten; auf der den Mandibeln zugewandten Innenfläche beim & mit 1—2 grösseren Dornen neben den Höckern. Femur in beiden Geschlechtern grob raspelig, beim 9 mit kleinem Dorn am oberen Vorderrande; Tibia beim d dicht, beim 9 zerstreut gross grubig, ihre Apophyse beim ð etwas gebogen, nur aussen am Grunde mit Zahn, sonst wehrlos, beim 9 fast gerade, auch an der Spitze mit 2 kleineren Sägezähnen. Hand beim Gc ziemlich dicht gross-grubig, am Rande stark dornzähnig, beim @ sehr zerstreut grubig. Unbeweglicher Finger fast so lang als die Handbreite an seiner Ansatzstelle.

2tes Fühlerglied beim c fast doppelt so lang als breit, 3.—8. kurz cylindrisch, wenig länger als breit, 3tes nur so lang als das 4te; otes fast so lang als das 6. 7. : 8. (Fig. 32a). Fühlergeissel des 9 im 7.—9. Glied stark modifiziert (lig. 32b); 3tes Glied etwa so lang als breit, kurz cylindrisch, 4.—7. kürzer als breit, 7tes oberseits flach, unterseits am Grunde etwas ausgebuchtct; 8tes Glied unterseits geschwärzt, oberseits mit langem spitzem, bis zur Hälfte des 9. Segments reichendem Dorn, unterseits mit tiefer Ausrandung am Vorderrande; gtes Segment gestielt, langgestreckt, cvlindrisch, oberseits unterhalb der Mitte mit breitem Ilöcker, so lang, als die 5 vorletzten Glieder zusammen genommen (Fig. 32b).

Tibialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren. Truncuslänge bis 28 mm.

Fundorte: Java, Amboina.

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12. Thelyphonus sumatranus n. sp.

Nur ein 8 bekannt. Der vorigen Art sehr nahe stehend, aber durch folgende Merkmale unterschieden: Cephalothorax auf der Endhalfte kaum gekórnt, nur mit äusserst winzigen Körnchen besetzt; I. Bauchsegment auch auf der Fläche ziemlich dicht nadel- stichig, dichter als die Coxalflache. IV. Bauchsegment mit schwacher, matter, unbehaarter Mediangrube. Ommatiden mässig gross, quer-oval, nur das 1}—2fache ihres Durch- messers von einander entfernt.

Trochanter oberseits kaum körnig, aber etwas netzig-nadelrissig; von den 5 Randdornen ist der äusserste der grösste und grösser als der Voreckdorn. Tibia nur zerstreut grob-grubig (d), ihre Apophyse auch an der Spitze des Aussenrandes mit 2 schwachen Sagezahnen. Hand sehr zerstreut grubig. Der unbewegliche Finger kaum lànger als die halbe Handbreite an dessen Ansatzstelle. Von den Fühlergliedern ist das 3te deutlich (etwa 1} mal) länger als das 4te (Fig. 33). Im Uebrigen wie vorige Art, so namentlich in Bezug auf die grösseren Dornen auf der inneren, den Mandibeln zu- gekehrten Fläche des Trochanter und den starken Mundhöcker der Coxen, auf dem die Kauzahne sitzen.

Körperlänge bis 25 mm. Erst der Bau der weiblichen Fühler wird erkennen lassen, ob es sich um eine zweifellos selbstandige Art handelt.

Fundort: Sumatra (Museum Wien).

13. Thelyphonus anthracinus Poc. 1894.

1888 Thelyph. linganus Thorell (nee Koch) in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VI p. 390.

1894 Thelyph. anthracinus Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. (6: XIV p. 125.

Das Originalexemplar zu 7hore//s »Thel. linganus«, ein d, liegt mir vor; es unterscheidet sich durch die gestreckten Fühlerglieder sofort vom echten Th. linganus Koch und dürfte zu dem 9? gehören, welches /'evo& als Th. anthracinus von demselben Fundorte (Saravak, Borneo) beschrieben hat. |

Truncus und Gliedmassen rotbraun. Cephalothorax vorn runzelig-körnig und nadel- stichig, hinten feinkórnig. Neben der Seitencrista jederseits ein glatter, etwas erhabener Wulst. Augenhügelcrista die Augen überragend, nach vorn steil abfallend. Abdomen ziemlich dicht feinkörnig, mit Medianlinie im I—III. und im VI.—IX. Segment. I. Bauchsegment bei beiden Geschlechtern ziemlich dicht grob nadelstichig (beim & nur in der Mitte etwas weniger dicht) übrige Segmente beim g an den Seiten dicht fein nadel- stichig, auf der Fläche mässig dicht obsolet nadelstichig, beim 9 dichter nadelstichig, namentlich auf dem IL, III. und VIII. Segment. Medianlinie fehlend oder nur im VIII. Segment eine feine Linie. Ommatiden gross, quer-oval, wulstig vorgequollen, ihre Entfernung fast kleiner als ihr Durchmesser.

Coxalflächen glatt, glänzend, auf der Fläche kaum nadelstichig (2), Coxalfortsatz rechtwinklig geschultert, der erste Kauzahn auf der mundwärts gerichteten Fläche erst weit hinten auftretend. Trochanter unterseits mit 2 Zähnen, oberseits am Grunde der Flache grubig-raspelig, nach vorn zu fast glatt, amVorderrande mit 6 Dornen, von denen der 3te, an der Vorecke stehende, der grösste. Innenfläche (den Mandibeln zugekehrt) des

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lrochanters ohne grössere Dornen. Femur ziemlich dicht grubig-raspelig, mit kleinem Höcker am oberen Vorderrande. Tibia glatt, glänzend, sehr zerstreut nadelstichig, ihre ‚\pophyse aussen vorn mit 2.—3 Sägezähnen. Hand glatt, glänzend, kaum nadelstichig.

Fühlerglieder fast sämmtlich gestreckt, das 2.—4. etwa doppelt so lang als breit (Fig. 35); 3tes beim g etwas länger als das 2., etwa so lang als das 4., 5.—8. etwas kürzer, nur etwa 14 mal so lang als breit, 9. so lang als 7.—+ 8. Beim 9 ist das 3te Glied so lang als das 2te und ein wenig lànger als das 4.; 5. und 6. Glied etwas modifiziert, das 5te so lang als das 4te, oberseits und innenscits eingedrückt, 6tes so lang als das 2te, innenseits schwarz und flach, unterseits aufgeschwollen, 7.—9. unmodi- fiziert, letzteres so lang als das 7. 8.

Tibialsporne meist nur am 4. Beinpaar, oder auch wol an einem Beine des 3. Paares. Körperlänge bis 29 mm.

Fundort: Saravak in Nordwest-Borneo.

14. Thelyphonus schnehagenii n. sp.

Nur ein & bekannt. Truncus und Gliedmassen rotbraun. Cephalothorax vorn und an den Seiten ziemlich und mässig fein gekörnt, ohne glatten Wulst an der Seiten- crista. Augen (in der Seitenansicht) nicht vom Augenwulst überragt, letzterer ganz allmählich bogig zum Stirnrande abfallend. Abdomen ziemlich dicht und gleichmässig oekörnt, nur in den 3 vorderen Segmenten mit Medianlinie. I. Bauchsegment am Hinter- rande fast gerade abgestutzt, auf der Fläche neben den zerstreuten gröberen Nadelstichen auch dicht fein nadelstichig, namentlich auf den Seiten. Ebenso die übrigen Bauch- segmente alle dicht fein nadelstichig, ohne Spur einer Medianlinie. Ommatiden mássig gross, rund, etwa um ihren doppelten Durchmesser von einander entfernt.

Coxalflächen glatt, sehr zerstreut nadelstichig; Coxalfortsatz nicht geschultert am Innenrande, der erste Kauzahn auf der mundwärts gerichteten Fläche nahe der Spitze und von unten her sichtbar. Trochanter unterseits mit 2 Zähnen, oberseits ziemlich grob- körnig, mit 6 Zähnen am Vorderrande, von denen der 3te, voreckständige, der grösste. Innenfläche des Trochanter (den Mandibeln zugekehrt) ohne grössere Dornen zwischen den Buckeln. Femur mässig dicht raspelig, mit deutlichem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia sehr zerstreut grubie, etwas fein netzig-runzelig, ihre Apophyse gegen die Spitze am Aussenrande mit 2 starken Sägezähnen. Hand mässig dicht grubig, am Innenrande stark dornzahnig.

Fühlerglieder sämtlich gestreckt (Fig. 36), eylindrisch, keins modifiziert, bei dem Originalexemplar links auf 8, rechts auf 7 Segmente reduziert. 2tcs Glied etwa 3 mal so lang als breit, 3tes noch etwas länger; 4tes noch über doppelt so lang als breit, 5.—7. etwas kürzer; 8. fast kürzer als 6. -+ 7.

Tibialsporne nur am 4. Beinpaar. Truncuslänge 32 mm. Caudalanhang fast ohne Borsten.

Bisher nur en * aus Rangoon, von Herrn Capitain Schuehagen für das Hamburger Museum gesammelt.

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15. Thelyphonus manilanus C. L. Koch 1843.

1843 'Thelypbonus manilanus C. L. Koch in: Arachn, X, p. 28, f. 772.

1873 Thel. philippensis Butler in: Cist. entom. VI, p. 129—132.

1888 Thel. papuanus Thorell in: Ann. Mus, civ. Genova .2) Vl, p. 385, & juv.

1889 Thel, strauchii Tarnani in: Zool. Anz. 1839, p. 1, gf.

1890 > » > in: Horae soc. ent. ross; XXIV, p. 523, ot.

Truncus und Gliedmassen braun. Cephalothorax grob buckelig-körnig, neben den Seitencristen glatt, hinten isoliert rundlich-kórnig. Augenhügel nach vorn steil abfallend. Abdomen vorn dichter, hinten zerstreuter gekörnt, Medianlinie beim & im I—III und im VII.--IN. Segment, beim 9 meist in allen Segmenten. I. Bauchsegment beim d glatt, glänzend, sehr zerstreut punktiert, beim 9 mit weit bogig nach hinten vorspringendem Hinterrande, in der Endhälfte mit seichter Mediandepression, auf den. Seiten mit je einer strichförmigen Langsgrube, namentlich in der Endhälfte in der Mitte mit eross-grubigen Nadelstichen. Übrige Segmente glatt, glänzend, an den Seitenrändern glatt oder fein nadelstichig; Medianlinie fehlend. Ommatiden klein, rundlich, das 3—4- fache ihres Durchmessers von einander entfernt.

Coxalfläche matt, schr zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz am Innenrande geschultert, erster Kauzahn von unten her nicht sichtbar. Trochanter unterseits mit 2 Zähnen, ober- seits die Fläche beim 2 sehr zerstreut, beim C etwas dichter gekórnt, am Vorderrande mit 5 Dornen, von denen der 2te, voreckständige in beiden Geschlechtern, namentlich aber beim g, meist über doppelt lo lang als die übrigen (Fig. 37a). Femur beim 9 nur mit einzelnen Raspelpunkten, beim sehr weitschichtig raspelig, am oberen Vorderrande mit deutlichem Dorn. Tibia bei beiden Geschlechtern nur obsolet zerstreut nadelstichig, ziemlich matt, ihre Apophyse am Aussenrande mit 3—4 Sagezahnen der Länge nach besetzt. Hand wie Tibia, am Innenrande dornzähnig.

4), cylindrisch, auch beim 9 nicht | mal so lang als breit, kürzer als das

Fühlerglieder sämtlich gestreckt (lig. 3 modifiziert. 3. Glied bei Erwachsenen etwa 2—2 2., ebenso 4. und 5.; 6., 7. und 8. etwas kürzer als die vorigen, aber noch fast doppelt so lang als breit. 9. ziemlich so lang als 7. -: 8.

libialsporne an allen 3 hinteren Beinpaaren, bei einem mir vorliegenden Exemplar von den Philippinen jedoch nur an den 2 letzten Beinpaaren. Truncuslánge his 36 mm.

Heimat: Philippinen. Das ZZeore// sche Originalesemplar von Th. papua- nus, welches mir vorliegt und sich in nichts vom typischen Th. manilanus unterscheidet, stammt von Neu-Guinea, wohin es vielleicht verschleppt wurde.

Th. manilanus var. halmaheirae n. var. Als Varietat der vorstehenden Art möchte ich ein. Exemplar auffassen, welches Aawfenthal auf Halmaheira sammelte. Dasselbe, ein €, ist nur 20 mm lang, aber wol schon geschlechtsreif. Es gleicht in der Form der Fühler, der Zahl der Tibialsporne etc. durchaus der Hauptform, unterscheidet sich aber von derselben durch folgende Merkmale: 1) Der Augenwulst ist niedriger und ragt nicht über die Hauptaugen empor. 2) Das I. Bauchsegment ist ziemlich dicht nadel-

stichig und zeigt eine. seichte durchgehende Medianfurche; die übrigen Bauchseemente

sind sämtlich an den Seiten fast bis zur Mitte dicht fein nodelstichig. 3) Die kleinen Ommatiden sind dicht an die obere Medianlinie des Caudalsegments gerückt und daher nur um Augenbreite von einander entfernt. 4) Der 2te, voreckständige Trochanterdorn ist wenig grösser als die übrigen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich hier um eine selbständige Art handelt, doch erschien mir das einzige. vorliegende Exemplar zur Entscheidung dieser Frage nicht ausreichend, zumal gerade in Bezug auf die feine Punktierung der Bauchseitce auch die Exemplare der Hauptform variieren.

16. Thelyphonus sepiaris Butler 1873.

1873 Thel. sepiaris Butler in: Cistul. entom. VI p. 13].

1873 = nigrescens Butler ibid. p. 131.

1873 > indicus Stolieza in: Journ, As. Soe, Bengal XLII p. 138.

1873 > beddomei id. ibid. p. 142.

1894 = sepiaris Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. :6: XIV p. 122.

Truncus rotbraun, Beine etwas heller. Cephalothorax vorn grubig-runzelig, hintere Hälfte matt, fein gekórnt. Abdomen matt, mässig dicht gekörnt. Medianlinie deutlich im [L—III. und in den Endsegmenten. I. Bauchsegment zerstreut punktirt, beim c glatt, beim 9 gegen den weit bogig nach hinten vorgezogenen Rand etwas quer-runzelig. Uebrige Bauchsegmente beim c ziemlich grob verworren runzelig, beim nur mit zarten welligen Runzellinien. Medianlinie nicht sichtbar. Ommatiden ziemlich gross, rund oder quer-oval.

Coxalflache der Maxillen gegen die Mittellinie quer-runzelig, zerstreut grubig- nadelstichig ; Coxalfortsaz am Innenrande nur etwas stumpfwinklig geschultert, mundwärts mit einer Reihe grober Zähne. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits auf der Fläche mässig dicht gekörnt, am Rande mit 6 (--7) Dornen, von denen der vorcck- ständige beim & grösser als die übrigen, während die des g am halbkreisförmigen Rande alle ziemlich von gleicher Grösse sind (Fig. 37b). Femur auf der Fläche fast glatt, am Grunde etwas mehr raspelig oder dichter grubig, am oberen Vorderrande beim 9 mit kleinem Dorn, der beim g fast verschwindet. Tibia glatt, glänzend, zerstreut gross-grubig, namentlich beim 9, ihre Apophyse längs des Aussenrandes bei beiden Geschlechtern mit 3—6 Sägzähnen. Handfläche wie Tibia. [fand beim © dicker als die Tibia, der be- wegliche Finger beim g gegen das Ende mit zahnartigem Vorsprung auf der Schneide.

Fühlerglieder sämtlich gestreckt. 3tes Glied so lang oder länger als das 2te, 21—3 mal so lang als breit, 4.—-7. ziemlich von gleicher Lange, kürzer als das 3te, nur etwa doppelt so lang als breit; 8tes kürzer als das 7te; otes meist kürzer als 7 8. Alle Glieder unterseits sammtig kurzhaarıg. Fuhler des nicht modifiziert.

Tibialsporne an allen 3 Ilinterbeinpaaren. Körperlänge bis 40 mm.

Die Heimath ist Ceylon und das Festland von Vorderindien (Madras, Tenasserim).

Als vorläufig nicht zu identifizierende Species spuriae scien noch erwähnt:

Thelyphonus spinimanus Lucas in: Mag. Zool Guerin Ch VIH pl. N f 3 und n angustus Lucas ibid. pl. N Fig. 2.

36

6. Gatt. Mastigoproctus Poc. 1894.

Thelyphoniden mit Randcrista in der Vorderhalfte des Cephalothorax, convexer Oberhand, 2 Ommatiden am 3. Caudalgliede, ohne Innenranddorn am Coxalfortsatz der Maxillen. Tibienapophyse der Maxillen in beiden Geschlechtern mit geschärfter, gesägter Vorderrandkante, allmählich in einen spitzen Dorn auslaufend, der sich nicht mit der Endklaue des be- weglichen Fingers berührt. Geschlechter wenig verschieden. d nicht mit durchgehender Medianfurche im ersten Bauchsegment und ohne medianen Iinddorn im zweiten Bauchsegment. Glieder der Fühlergeissel beim nie modifiziert, alle gestreckt.

Die hierher gehörigen Formen gehören sämtlich der neuen Welt an, wo sie von Mexico bis Brasilien fast die ausschliesslichen Vertreter nur Thelyphonellus gehört noch dem neotropischen Faunengebiete an der Thelyphoniden sind.

Nach den bisherigen Beobachtungen sind nur 4 Arten zu unterscheiden, deren Merkmale in folgender Tabelle einander gegenübergestellt sind:

Alle 3 hinteren Beinpaare mit deutlichem Tibialsporn. Körper bis 65 mm. lang. Oberkieferklaue an der Aussenseite nur seicht ausgeschweift (Fig. 38b). Ommatiden klein bis mittelgross. 2tes Fühlerglied länger als das 3te (Fig. 10a). Trochanter, Femur, Tibia und Hand der Maxillen dicht grob raspelig bis dicht gross-grubig. Maxillarcoxa mundwärts am Innenrande meist nur mit einer Reihe grosser Kauziihne M. giganteus (Luc.), p. 37. Nur das letzte oder die beiden letzten Beinpaare mit Tibiendorn . . . . Rus Oberkieferklaue aussen seitlich oberhalb des Grundes mit tiefem, buchtigem Einschnitt (Fig. 38a; deutlich bei geöffneter Klaue in der Oberansicht). Randcrista des Cephalothorax sich jenseits der Nebenaugen ein Stück nach hinten erstreckend. Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts auf der Fläche mit mehreren Reihen kleiner Kauzähne (Fig. 39), selten fast glatt. Tibia der Maxillen auf der ganzen Oberfläche dicht gross-grubig. 2tes Fühlerglied etwas kürzer als das 3te.

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2. M. proscorpio (Latr.), p. 38.

-— QOberkieferklaue aussenseits nur seicht geschweift (Fig. 38b). Randcrista des Cephalo- thorax nur bis zum Hinterrande der Nebenaugen reichend. Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts nur am Innenrande mit ı bis 2 Reihen grosser Kauzähne. Tibien der Maxillen oberseits wenigstens auf der Vorderflache fast glatt, oder die ganze Flache raspelo + oues. m # x a u XR RD seh 3e RAR X OX RB

Ov

2tes l'ühlerglied 1} mal so lang als das 3te (Fig. 40a). , Ommatiden meist quer- oval. Stirnrand glatt, eine scharfe Leiste, in eine starke Stirnspina ausgezogen. Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts am Rande mit 2 Reihen von Kauzähnen. Hand und Tibia beim & fast glatt, nur obsolet punktiert, Tibienapophyse aussenseits mit 3—4 Zähnen. c unbekannt . . . . . . . 3. M. maximus (Tarn.), p. 39.

-- 2tes Fuhlerghed nur so lang oder kürzer als das 3te (Fig. gob). Ommatiden rund, gross. Stirnrand körnig eingeschnitten, über den Grund der Stirnspina hinweg- ziehend. Coxalfortsatz der Maxillen mundwärts am Rande mit einer Reihe von 4 Kau- zähnen. Hand beim @ dicht gross-grubig, Tibia nur am Grunde gross-grubig, nach vorn fast glatt. Tibienapophyse aussenseits nur mit 1—2 Zähnen. (d: Hand und Tibia dicht raspelig, Tibienapophyse am Aussenrande ohne Zähne).

4. M. brasilianus (C. L. Koch), p. 39.

1. Mastigoproctus giganteus (Luc.) 1835.

1835 Thelyphonus giganteus Lucas in: Mag. Zool. Guérin Cl. VIII pl. 8.

1842 > > C. L. Koch in: Ar. X p. 21, f. 768. 1853 > excubitor Girard in: Marey Nat. Hist. Red River p. 265 f. 17. ` 1863 > giganteus Wood in: Journ. Ac. Nat. Se. Philadelphia 2. V p. 375. 1872 > > 3utler in: Ann. Mag. Nat. Hist. <4) X p. 201. 1872 ` mexianus Butl. ibid. p. 202. 1872 > rufus Butl. ibid. p. 205 (teste Pocock’ Q. »

1894 Mastigoproctus giganteus Pocock ibid. (6° XIV p. 130.

Truncus dunkel rotbraun, ebenso die Beine. Cephalothorax dicht körnig quer- runzelig bis grobkörnig, Stirnrand deutlich kerbig-körnig; Abdomen vorn ziemlich grob- körnig, nach hinten flachkorniger, alle Zwischenräume fein nadelstichig; Medianlinie nur in den ersten Segmenten sichtbar. Sternum breiter als lang. I. Bauchsegment mit 2 Seiten- gruben, beim &G vor denselben oft auch mit seichter kleiner Mediangrube, aber ohne Medianfurche; Hinterrand kaum bogig nach hinten ausgeschweift. II. Bauchsegment beim g mit erhabenem, gegen den Hinterrand spitz zulaufendem und hier rothaarig ge- franstem Dreieckswulst, beim 9 hinter einem schmalen, erhabenen Vorderrandwulst mit flacher Querdepression. Übrige Segmente glatt, glänzend, sehr zerstreut punktiert, nur an den Seiten etwas dichter, hier auch wol fein nadelstichig. Ommatiden meist mittel- gross, meist etwas quer-oval.

Endklaue der Mandibeln am Aussenrande nur etwas geschweift (Fig. 38b), nicht mit tief buchtigem Einschnitt oberhalb des Grundes. Coxen der Maxillen etwas quer- runzelig, gegen die Mitte mässig zerstreut grob punktiert, Coxalfortsatz am Innenrande nicht oder kaum geschultert, mundwärts mit einer Reihe ziemlich grosser Kauzähne. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits grob raspelig, am Vorderrande mit 5—7 Dornen, von denen beim @ der voreckstandige weit grösser als die übrigen, während die des an dem mehr halbkreisformig gerundeten Rande in der Regel ziemlich gleichmässig und klein sind. Femur grob spitzkórnig bis grob raspelig, am oberen Vorderrande bei beiden Geschlechtern mit starkem Dorn. Tibia dicht gross-grubig, ihre Apophyse beim meist mit 2 oder mehr, beim g meist ohne Sägezähne an der Spitze des Aussenrandes. Hand meist ebenfalls dicht gross-grubig.

Glieder der Fühlergeissel sämtlich viel länger als breit. ztes Glied kürzer als das 2te (Fig. 10a), etwa 21—3 mal so lang als breit; 4.-—8. kürzer, nur doppelt bis 21 mal

so lang als breit.

3 Körperlänge bis 65 mm. Tibiendornen an allen 3 hinteren Beinpaaren. Die Hauptheimat ist jedenfalls Mexico; doch liegen mir auch Exemplare. aus Texas und Arizona vor.

2. Mastigoproctus proscorpio :Latr.) 1800. 1806 Thelvphonus proscorpio Latr. in: Genera erustie; et meseet. Typ. 129. 1843 antillanus C. L. Koch in: Arachn. X p. 29, f. 773. australianus id. ibid. N p. 33, f. 775.

1890 3 eaudatus Tarnani in: Horae soc. ent. ross. XNIV. p. 529. 1894 Mastigoprontus. proscorpio Pocock. in: Ann, Mag, Nat. Hist. (6: NIV. p. 130. 1894 3 butleri Pocock. ibid. p. 130, cf.

Cephalothorax braun, Abdomen meist gelbrot, Beine rotbraun. Cephalothorax mit rundlichen, isolierten Körnchen dicht besetzt, die nicht nadelstichig sind. Ebenso das Abdomen. Seitencrista des Cephalothorax noch ein Stück jenseits der Ocellen nach hinten sich fortsetzend. Sternum langer als breit. IT. Bauchsegment glatt, glänzend, mit zwei flachen Seitengruben, beim 3 dazwischen zuweilen mit schmaler Mediangrube, Fläche sehr obsolet zerstreut nadelstichig. H. Bauchsegment beim @ wie bei der vorigen Art, beim mit 2 flachen, in der Mitte oft fast zusammentliessenden Ouerdepressionen. Übrige Segmente giatt und glänzend, mit einzelnen gröberen Nadelstichen; daneben auf den Seiten äusserst fein dichter nadelstichig, beim €$ oft auch auf der Flache. Ommatiden äusserst winzig, kaum sichtbar.

Endklaue der Mandibeln aussenseits oberhalb des Grundes mit tiefem, spitzbogigem Einschnitt (gut sichtbar bei seóoftneter. Klaue; Fig. 38a). Coxen der Maxillen glatt. mässig zerstreut nadelstichig, Coxalfortsatz am Innenrande nicht geschultert, mundwärts meist mit 3—4 Reihen kleiner Zahnchen (Fig. 39) auf der ganzen Fläche besetzt (selten fast glatt oder nur mit 2 Reihen von Zähnchen). Trochanter unterseits mit 1—2 Dornen, oberseits dicht raspelig bis körnig, am Vorderrande beim 9 mit 5—7 Dornen, von denen der voreckstandige meist etwas grösser als die übrigen; beim c können die Vorderrand- dornen bis auf die 2 voreckständigen fast verschwinden. Femur dicht körnig-raspelig, am oberen Vorderrande beim ¥ ein. kleiner Dorn, beim g keiner oder nur ein kaum wahrnehmbares Ilöckerchen. Tibia bei Erwachsenen dicht gross-grubig, ihre Apophyse beim mit 2—5, beim © meist ohne Zähne am llinterrande. Hand gross-grubig

punktiert, bei jungen Exemplaren sehr zerstreut grubig.

Glieder der Fühler alle gestreckt, viel länger als breit. 3tes Fühlerglied etwas länger als das 2te, 3!-. 5 mal länger als breit, die folgenden bis zum 7. oder 8. an Länge allmählich abnehmend.

Körperlänge bis 45 mm. Tibiensporn variabel; meist an den 2 hinteren Bein- paaren oder nur am ten, sehr selten einseitig auch am 2ten Beinpaar.

Heimath: Westindien, namentlich Hayti. Ein (verschlepptes ?) Exemplar tragt die Etikette Mexico. Das Aochsche Originalexemplar von Th. australianus, welches mir vorliegt, und dass sich in nichts von einem typischen ¥ der Hauptform unter- scheidet, soll aus Neuholland stommen (Mus. Berlin).

39

Der Mastigopr. Butleri Poc. soll sich vornehmlich durch den Besitz von nur einem Dorn auf der Unterseite des Maxillartrochanters auszeichnen. Auch mir liegen der- artige Exemplare vor, bei denen dieses Merkmal zum Teil nur einseitig auftritt, woraus ich schliessen zu dürfen glaube, dass es sich lediglich um die individuelle Variation eines CO handelt.

3. Mastigoproctus maximus (Tarn.) 1389.

1889 Thelyphonus maximus Tarnani in: Zool. Anz. 1889,. p 121.

1890 » > > in: Horae Soe. ent. ross. XXIV, p. 526, t. IIL f. 6a u. b.

Bisher nur das 9 beschrieben. Truncus braun, Beine rotbraun. Cephalothorax vorn runzelig-körnig, hinten isoliert. körnig, die Körnchen nicht nadelstichig. Stirnrand eine. scharfe, dünne, nicht gekörnte, in die Stirnspina übergehende Leiste. Seitencrista des Cephalothorax sich nicht nach hinten jenseits der Ocellen fortsetzend. Bauchsegmente wie bei M. giganteus 9. Ommatiden mittelgross, etwas quer-oval.

IEndklaue der Mandibeln am Aussenrande nur seicht geschweift. Coxen der Maxillen ziemlich dicht-grubig, namentlich an den Rändern; Coxalfortsatz am Innenrande nicht geschultert, mundwärts mit zwei Reihen ziemlich grober Zähne. Trochanter unter- seits mit 2 Dornen, oberseits zerstreut raspelig, nach vorn glatt, am Vorderrande meist mit 6 Dornen, von denen der voreckständige etwas grösser als die übrigen. Femur zer- streut fein raspelig, am oberen Vorderrande mit ziemlich starkem Dorn. Tibia glatt, matt, nur zerstreut obsolet nadelstichie, Apophyse am Hinterrande mit 3—4 Sagezahnen. Hand glatt, etwas glänzend und etwas stärker und dichter nadelstichig punktiert, als die Tibia.

Glieder der Fühlergeissel gestreckt. 2tes Glied etwa 11 mal so lang als das 3te (Fig. 40a), letzteres 2! mal so lang als breit; die folgenden Glieder an Grosse allmählich abnehmend bis zum 7. oder 8.

Tibiendornen am 4ten oder einseitig auch wol am 3ten Beinpaar, am 2ten Bein- paar fehlend. Truncuslänge bis 56 mm.

Fundort: Brasilien. Es haben mir ausser dem Originalexemplar (Museum Petersburg) noch 2 weitere Exemplare vorgelegen.

4. Mastigoproctus brasilianus (C. L. Koch) 1843.

1843 Thelyphonus brasilianus €, L. Koch in: Arachn.. X, p. 24, f. 770.

1890 » > Tarnanı in: Horae soe. ent. ross; NNIV, p. 512, t. HI, f. Tau. b.

1594 Mastigoproctus brasilianus Pocock in: Ann Mag. Nat, Hirt. (6. NIV, p. 139.

Truncus braun, Beine rotbraun. | Cephalothorax vorn etwas kornig-runzelig, die Iörhabenheiten dicht nadelstichig, die Gegend innen von der Seitencrista matt, nur punk- tiert. Stirnrand kerbig-körnig. Seitencrista nicht jenseits der Ocellen nach hinten verlängert. Abdomen vorn ziemlich dicht-körnig, nach hinten zerstreuter, dazwischen nadelstichig. I. Bauchsegment glatt, glänzend, zerstreut nadelstichig, mit 2 seitlichen Gruben, dazwischen beim JS eine kaum erkennbare mediane Längsdepression. II. Bauchsegment beim J mit

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erhabenem, nach hinten spitzem und hier rothaarıg gefranstem Dreieckswulst, beim % mit 2 Querdepressionen. Übrige Bauchsegmente glatt und glänzend, kaum ‚punktiert, an den Seiten äusserst fein und kaum sichtbar nadelstichig. Ommatiden ziemlich gross, rundlich.

Endklaue der Mandibeln aussenseits kaum geschweift, ohne tiefe Einkerbung oberhalb des Grundes. Coxa zerstreut grubig, gegen die Mitte etwas runzelig; Coxalfortsatz am Innenrande nicht geschultert, mundwärts mit nur einer Reihe von Kauzahnen. Tro- chanter unterseits meist mit cinem grossen und einem sehr kleinen Dorn, oberseits buckelig feinkörnig auf der Fläche, am Rande mit 6—8 Dornen, von denen beim & der voreckständige erheblich grösser als die übrigen, während sie beim co am gerundeten Vorderrande weit kleiner und gleichmässiger sind. Femur mässig raspelig (€) oder dicht körnig-raspelig (C), am oberen Vorderrande bei beiden Geschlechtern mit kleinem Dorn. Tibia mässig dicht-grubig beim 9, namentlich am Grunde, dichter körnig-raspelig beim d, ihr Fortsatz am Hinterrande an der Spitze beim Y mit einem, beim c ohne Sägezahn. Hand beim 9 dicht gross-grubig, beim dicht grob kórnig-raspelig.

Fühlerglieder sämtlich gestreckt. 2tes Füblerglied kaum länger als das dritte (Fig. 40b).

Tibiendornen nur am 4. Beinpaar oder einseitig auch am dritten. Truncus- länge bis 46 mm.

Fundort: Brasilien.

7. Gatt. Uroproctus Poc. 1894.

Thelyphoniden mit Randcrista in der Vorderhalfte des Cephalothorax. convexer Oberhand, 2 Ommatiden am 3. Caudalgliede, mit starkem Innenranddorn am Coxalfortsatz der Maxillen (Fig. sb. Tibienapophyse der Maxillen nur beim 9 mit geschärfter, gesägter Vorder- und Hinter- randkante, an der Spitze in einen spitzen Dorn auslaufend, beim g die Hinterrandkante gerundet, die Vorderrandkante nur am Grunde und am Ende gesagt und hier mit der Klaue des beweglichen Fingers sich be- rührend (Fig. 41). I. Bauchsegment des c ohne durchgehende Median- furche, H. mit kaum merklichem Dorn in der Mitte des Hinterrandes. Glieder der Fühlergeissel alle gestreckt, beim & nicht modifiziert. Bisher nur eine Art vom indischen Festlande. 1. Uroproctus assamensis (Stelicza) 1869.

1859 ‘Pelyphonus assamensis Stolleza in: Journ. Asiat. Soc, Bengal 38. II, p. 205.

1873 > ; id. gdbid. n. s) 13. II, p. 133.

1873 : scabrinus id. dbid, p. 130. teste Oates.

1872 > rulimanus Butler (nee. Lucas; in: Ann, Mag. Nat. Hist. 4) N, p. 202 teste Pocock.

1872 proseorpio Butler nee. Latr) ibid. p. 202 teste Pocock .

1873 > psittaeinus id. in: Cistula entom, VI, p. 129.

] 884 ; assamentis Oates in: Journ, Asiat. Soe. Bengal 58, p. 8, t. IT. f£. 13.

1894 Uroproctus assamensis Pocock. in: Amn, May. Nat. Hist. 6 NIV, p. 129.

Färbung dunkelrotbraun bis schwarz. Cephalothorax vorn dicht gekórnt, hinten und an den Seiten zerstreuter und etwas feiner gekörnt, namentlich beim d. Abdomen oberseits flachkörnig, dazwischen fein nadelstichig, besenders beim €. Medianlinie nur

1

in den ersten Segmenten angedeutet. I. Bauchsegment beim c ohne stärkere De- pressionen, nur am gestutzten Hinterrande mit Andeutung einer Medianfurche, an den Seitenrändern körnig, am Hinterrande gross-grubig, sonst fast glatt auf der Fläche; beim $ auf der Fläche 2 schwache, zuweilen fast hufeisenförmig zusammenfliessende Quer- depressionen, glatt, an den Seiten gross-grubig und körnig. II. Bauchsegment beim J mit erhabenem, medianem Dreieckswulst, der hinten eine feine Dornspitze trägt, beim 9 mit 2 schwachen Querdepressionen. Übrige Bauchsegmente bei beiden Geschlechtern glatt, glänzend, auf der Fläche kaum mit einzelnen Punktstichen, aber an den Seiten matt, fein und grob nadelstichig. Sternum länger als breit. Ommatiden mässig gross, quer-oval, weit auseinander gerückt.

Endklaue der Mandibeln aussenseits am Grunde etwas ausgeschweift, aber nicht mit tief buchtiger Einkerbung, wie bei dem im 9 Geschlecht sehr ähnlichen Mastigoproctus proscorpio Latr. Coxen der Maxillen ziemlich dicht grob-grubig nadelstichig, Coxalfortsatz am Innenrande mit einem (selten 2) starken, seitlich vorstehenden Zahn (Fig. 6), dem mundwärts ein 2ter kleinerer folgt. Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits grob- körnig, am Vorderrande mit 5 Dornen, von denen der erste (äusserste) mehr isoliert steht. l'emur grobkörnig, am oberen Vorderrande beim c ohne, beim & mit deutlichem Dorn. Tibia grobkörnig bis raspelig. Ihre Apophyse beim co mit geradlinigem, gerun- detem und ungezahntem Hinterrande und etwas bovis geschweiftem, am Grunde und am Ende sägezähnigem Vorderrande, mit der Spitze des beweglichen Fingers sich be- rührend (Fig. 41); Apophyse des zweischneidig zusammengedrückt, mit gezähntem Vorder- und Hinterrande und spitzem Iinddorn. Hand beim g gross-grubig, beim etwas zerstreuter gross-grubig.

Glieder der lFühlergeissel sämtlich viel länger als breit. ztes Glied länger als das 2te, 4tes

Stes an Länge allmählich abnehmend, otes so lang als das 7. 8. Truncuslänge bis 45 mm. Tibiendornen an allen 3 Beinpaaren.

Die Heimat ist das Gebiet. des Unterlaufes von Ganges und Brahmaputra (Assam, Bengalen, Calcutta etc.).

Die schon oben angedeutete Ähnlichkeit der & dieser Art mit dem von Mastigoproctus proscorpio ist eine ausserordentlich grosse, zumal bei letzteren häufig genug der Ite grössere Zahn am Mundrand des Coxalfortsatzes etwas nach innen seitlich heraustritt. Als Unterscheidungsmerkmale gebe ich daher für Mast. proscorpio noch an: 1) Den tiefen buchtigen Einschnitt am Grunde des Aussenrandes der Mandibularklaue. 2) Das Fehlen eines starken, vom Augenhügel rechts und links bogig vor den Augen hinziehenden Stirn-Wulstes, der höher ist, als die Augen. 3) Die feine nadelstichige Punktierung, die oft fast die ganzen. Bauchsegmente bedeckt.

42

8. Gatt. Thelyphonellus Poc. 1894.

Thelyphoniden ohne Randcrista zwischen Ocellen und Stirn; Cephalothorax gerundet an den Seiten abfallend. Mittelaueen flach dem Cephalothorax aufliegend, nicht durch einen erhabenen Längswulst getrennt. Ommatiden fehlend. I. Bauchsegment in beiden Geschlechtern ohne Medianfurche. Apophyse der Tibia beim g nicht modifiziert, Fühler beim 9? nicht modifiziert.

Bisher nur eine Art aus dem tropischen Südamerika.

Thelyphonellus amazonieus (Butl.) 1372.

1872 Thelyphonus amazonicus Butler in: Ann. Mag. Nat, Hist. “4 N p. 201, t. NHL f. 2.

1894 Thelyphonellus amazenieus Pocock ibid. (65 NIV p. 133,

Truncus schwarz, Gliedmassen rötlich. Cephalothorax schwach runzclig. Hinter den Medianaugen eine schwache Querdepression. I. Bauchsegment beim Gc in der Mitte veschwollen, glatt, ohne Furche oder Depressionen, mit convexem Hinterrande ; ähnlich beim 9, aber weniger geschwollen. Maxillen beim 9 verlängert. Trochanter oberseits glatt, am Vorderrande mit 5 kleinen Dornen. Femur, Tibia und Hand glatt, glänzend. Femur am oberen Vorderrande ohne Dorn. Tibienapophyse in einen spitzen Dorn endigend, am Hinterrande nicht oder kaum gezähnt.

Lange bis 25 mm.

Fundorte: Nordostbrasilien (Santarem), British Guyana (Demerara).

9. Gatt. Labochirus Pocock. 1894.

Thelyphonidenohne Randcrista zwischen Ocellen und Stirnrand, Dorsal- flache des Cephalothorax gerundet in die Seiten übergehend. Haupt- augen einem erhabenen Buckel anliesend. Ommatiden 2. Coxalfortsatz der Maxillen am Innenrande mit starkem Dorn, beim Zg fast zangen- artig (Fig. 42. Femur und Tibia beim g verlängert, vielmal länger als breit, libienapophyse modifiziert, mit der Klaue des beweglichen Fingers sich berührend (Fig. 43) Hand beim c oberseits mit grosser runder Depression. lühlerglieder gestreckt, beim $ nicht modifiziert. Stirnrand in der Mitte namentlich beim g mit langem kegelförmigen l'ortsatz Tibiendorn nur am letzten Beinpaar. Bisher nur eine Art von Ceylon.

1. Labochirus proboscideus (Butl.) 1872. 1572 Thelvphonus proboscidens Butler in: Ann. Mag. Nat, Hist. (1 N p. 203, t. NII f. 3. 1513 | parvinianus. Butler in: Cist. entom Vl, p. 130, f£. 3, ©. 1890. IIypoetonus proboscideus Tarnani in: Horae soc; ent; ross; NNIV, p. 533, t. III. f. 9h. 1534 Laboehirus proboseideus Pocock in: Ann. Mag. Nat. Hist. 6) NIV. p. 132. Truncus und Arme dunkel pechbraun bis schwarz. Beine rotbraun, Tarsen heller

gelbrot. Cephalathorax vorn runzelig, mit einem glatten Streifen jederseits, hinten fein-körnie.

45

Stirn ganz allmählich nach vorn abfallend, vorn in der Mitte beim g mit grossem, beim ? mit kleinerem kegelförmigen Fortsatz. Abdomen Nlachkörnig, nur in den ersten Segmenten mit Medianlinie. I. Bauchsegment am Ilinterrande etwas bogig vorgezogen, beim Oo glatt, fast ohne merkliche Depression, mit einzelnen Nadelstichen, beim & mit 2 schwachen Depressionen. II. Bauchsegment beim < in der Mitte des Hinterrandes

etwas weichdornig vorgezogen und hier braun gekornt. Ubrige Bauchsegmente glatt, beim $ an den Seiten, beim co auch auf der Fläche fein nadelstichig. © Ommatiden

massig gross, rundlich bis quer-oval.

Coxen der Maxillen glatt, vereinzelt nadelstichig, Coxaltortsatz am Innenrande mit starkem Zahn, beim g fast geweihnrtig verlängert (Fig. 42). Trochanter unterseits mit 2 Dornen, oberseits auf der Fläche zerstreut körnig. am Vorderrande mit 5 Dornen, von denen der erste (äusserste) mehr isoliert steht und beim J gebogen ist. Femur beim dc lang gestreckt, quer-runzelig und etwas gekörnt, am oberen Vorderrande ohne Hocker, beim 9 viel kürzer, fast glatt, mit schwachem Dorn am oberen Vorderrande. Tibia beim c& aus schmalem Grunde allmählich kegelförmie verbreitert, stark quer-runzelig- körnig, fast 3! mal so lang, als am Ende breit. Tibienapophyse sich der Hand dicht anlegend, der ganzen Lange nach fast gleich breit, ihr Vorder- und Ilinterrand nicht sagezahnig, am Ende plötzlich durch Abrundung des [finterrandes in eine kurze, schnabel- förmige, schräg gegen die Finger gerichtete Spitze ausgezogen und mit der Klaue des beweglichen Fingers sich berührend (Fig. 43). Tibia des 9 kürzer, wenig verbreitert, etwas netzfurchig und zerstreut punktiert; ihre Apophyse von gewöhnlicher Gestalt, mit gesägtem Vorder- und Hinterrand und spitzem Enddorn Hinterrand meist mit 2 Säge- zähnen. Hand beim c mit parallelen Seitenrändern, körnig-runzelie, mit grosser, tiefer Depression auf der Oberseite am Grunde der Finger. Beweglicher Finger viel länger, als der unbewegliche. Hand beim 9 glatt, glänzend, mit einzelnen grossen Gruben, mit kaum merklicher Depression am Grunde der Finger.

Glieder der Fuhlergeissel gestreckt. 3tes Glied etwa 21-3 mal so lang als breit, und so lang als das 2te; 4tes bis Stes an Länge allmählich abnehmend; gtes so lang als das 7. + 8.

Körperlänge bis 30 mm. Tibiendorn nur am letzten Beinpaar.

Heimath: Ceylon.

10. Gatt. Hypoctonus Thor. 1:389.

Thelyphoniden ohne Seitencrista zwischen Seitenaugen und j5tirnrand, mit2O0mmatiden. Apophyse der Maxillartibia beim c modifiziert, nicht allmählich in einen Dorn zugespitzt, sondern mehr oder weniger parallel- seitig, am Ende gestutzt (Fig. 45 48) und hier mit kurzen Zacken, die mit der Spitze des beweglichen Fingers zusammentreffen. Unterseits nach innen trägt das Ende der Apophyse eine senkrecht auf ihr stehende, fast halbkreisformige Langsleiste (Fig. 45). Apophvse des © von gewöhnlicher Form, allmählich in einen Enddorn zugespitzt (Fig. 44) Trochanter der

6*

di

Maxillen beim 9 meist mit 5 Dornen, die beim g sehr klein sind und oft zum Teil (am Innenrande) fast verschwinden. I. Bauchsegment beim S ohne Medianfurche, II. nicht oder kaum mit Dorn am Hinterrande. III. und IV. Beinpaar oder nur das IV. mit Tibiendornen. Fühlerglieder samtlich gestreckt, beim nicht modifiziert.

Bis zum Jahre 1889 war von dieser Gattung nur die eine Art H. formosus bekannt. In diesem Jahre aber beschrieb Oates nicht weniger als 7 neue Species, sämtlich aus Birma, die der Autor selbst zum Theil nur durch abweichende Farbung der Beine, etwas stärkere Verdickung der Tibienapophyse etc. zu charakterisieren vermochte. Ein Teil des von Oates zur Aufstellung seiner »Arten< benutzten Materials ist mir vom Museum in Calcutta in liebenswürdiver Weise zur Verfügung gestellt worden. Ein ein- gehendes Studium desselben ergab, dass es sich um eine Reihe einander ungemein nahe stehender, zum Teil allerdings wol nur als Lokalrassen aufzufassender Formen handelt, von denen einige jedoch soweit das immerhin nur spärliche Material ein Urteil zulässt möglicherweise als selbständige Species sich erweisen werden. In der nachfolgenden Tabelle, der noch eine weitere Art von Bornco beigefügt wurde, habe ich den Versuch gemacht, meine aus der Untersuchung der Oaes'schen Typen gewonnene Auffassung zum Ausdruck zu bringen, wobei ich nur noch bemerken will, dass mir die Mannchen von H. binghami und andersoni nicht vorlagen, und dass das Weibchen von H. sil- vaticus bisher überhaupt noch nicht, das von H. andersoni nur in einem ganz ver- stümmelten Exemplare bekannt ist. Übrigens dürften die beiden letztgenannten Formen kaum als selbstindige Arten anzusprechen sein.

I. Nur das IV. Beinpaar mit Tibialsporn. | Bauchsegmente alle, mit Ausnahme des letzten, auch auf der Mittelläche dicht fein nadelstichie. I. Bauchsegment beim (allein bekannten) 9 am Hlinterrande nur schwach vorgezogen. Ommatiden knopf-

formig vorgequollen. Aussenrand der Tibienapophvse nahe der Spitze nur mit o P einem (grossen) Sägezahn (Fig. 44) . . . . 1. H. gastrostictus n. sp.. p. 46.

-— IV. und III. Beinpaar mit Tibialsporn. Bauchsegmente glatt oder nur an den Seiten dicht fein nadelstichiv, die Mittelfläche höchstens mit zerstreuten groberen Nadelstichen. Ommatiden flach, nicht buckelförmig aus der Fläche heraustretend. Aussenrand der Tibienapophyse nahe der Spitze mit 2 Sagezahnen beim @ .. 2 G: Tibienapophyse modifiziert, am Ende gestutzt (Fig. 45.—48), mit der Spitze des beweglichen Fingers zusammenschliessend. Trochanterdornen amInnenrande undeutlich 3 -- €: Tibienapophyse allmählich in einen starken spitzen Dorn auslaufend, am Vor- und

Hinterrande sagezahnig, nicht mit der Spitze des beweglichen Fingers sich berührend.

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Trochanter am Rande mit 5—6 deutlichen Zähnen. . . 2 2 2 nm nn nn. Tibienapophyse etwa in der Mitte bis auf die halbe Breite sich verjüngend und vegen die Spitze sich nicht wieder erweiternd (ig. 45). Unbeweglicher Finger am Aussenrande tief halbkreisformig ausgeschnitten (Fig. 45). Beine rot. Ommatiden mittelgross. Bauchsegmente nur an den Seiten dicht fein nadelstichig :

2. H. wood-masoni (Oates), p. 46.

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Tibienapophyse mit parallelen oder fast parallelen Rändern, am Ende oder etwas

vor dem Ende oft nur etwas angeschwollen (Fig. 46--48). Unbeweglicher Finger am Aussenrande höchstens etwas geschweift, aber nicht durch einen tiefen Kreis- einschnitt: plotziéh verdünnt «ue as uode db ewe ELE ee a ne we sid Innenrand des Femur der Maxillen doppelt so lang als der Vorderrand des Tro- chanter. Beine rot.. . . . . 2s. s s s s 3. FH. binghami (Oates) p. 47. Innenrand des V onus der Mision nur so lang oder weniger langer als der Vorder- Fand des "Liochänter: s Seu Ep ue X E LE BOE UD wee Oe dec ehe b Coxen und Schenkel aller Beine lederbraun oder dunkel rotbraun, dunkler als die roten Tibien. Schenkel der Maxillen unterseits nur raspelig oder grubig. Handbeule am Grunde des unbeweglichen Fingers gross, halbmondformig, sich auch auf einen grossen Teil der Kinlenkungsstelle des beweglichen Fingers erstreckend (Fig. 49). Bauchsegmente glatt oder nur am äussersten Seitenrande dicht fein nadelstichig H. rangunensis (Oates), p. 49. Coxen und Schenkel der 3 hinteren Beinpaare rot oder gelbrot, von der Farbe der Tibien. Schenkel der Maxillen unterseits meist grobkörnig. Hand-Beule am Grunde des unbeweglichen Fingers undeutlich oder rundlich, fast auf den Grund des unbeweg- lichen Fingers beschränkt (Mig. 47). Bauchsegmente an den Seiten dicht nadel- stichig, und diese feine Punkticrung geht namentlich am Vorderrande der Segmente weiter gegen die Mitte, zuweilen bis über die Gruben hinaus . . 2 .2..2....060 Auch die Schenkel des I. Beinpaares rot. Schenkel der Maxillen unterseits dicht grobkornig. Tibienapophyse vor dem Ende kaum angeschwollen, am Ende 3zackig oder mit einem breiten Zahn an der .\ussenecke (Fig. 46) 4. H. formosus (Butl.), p. 48. Coxen und Schenkel des I. Beinpaares dunkel braunrot, weit dunkler als die der 3 andern Beinpaare. Schenkel der Maxillen nur am áussersten Rande etwas kórnig, sonst raspelig. Tibienapophyse vor dem Ende deutlicher angeschwollen, am Ende nur in der Mitte mit kleinem Zahn (Fig. 47). . . 6. II. saxatilis (Oates), p. 49. Ommatiden sehr gross, nicht um ihre Breite von einander entfernt. Femur der Maxillen unterseits nur mit zerstreuten groben Kórnchen besetzt, nicht nadelstichig. I. Bauchsegment am Ilinterrande nur flachbogig vorgezogen, auf der Fläche mit 2 ganz seichten seitlichen Längseindrücken und einer. schwachen medianen Depression am Hinterrande (Fig. 50). Letztes Bauchsegment auch in der Mitte fein m übrige Segmente nur an den Seiten., Beine gelbrot 3. H. binghami (Oates), p. 47 Ommatiden mässig gross, weiter als ihr Durchmesser von einander entfernt. a der Maxillen unterseits grubig nadelstichig, nicht oder kaum obsolet gekörnt. I. Bauch- segment in der Mitte des Hlinterrandes fast halbkreisformig vorgezogen, nicht mit 3 seichten Eindrücken. Letztes Bauchsegment auf der Fläche meist glatt. . . 8 Coxen und Schenkel aller Beine oder doch des I. Beinpaares lederbraun bis tief rotbraun, dunkler als die Tibien. I. Bauchseement mit 2 tiefen halbmondförmigen oder rundlichen Gruben rechts und links von der Mittellinie (Fig. 511. . 2.0.09

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Coxen und Schenkel alle rot oder gelbrot wie die Tibien. I. Bauchsegment entweder nur mit flacher scheibenförmiger Depression auf dem Mittelfelde (Fig. 52), oder nur mit kurzer tiefer medianer Querfurche unweit des Vorderrandes (Fig. 53) . . . 10

9. Alle Schenkel braun. Gruben des I. Bauchsegments halbmondförmig (Fig. 51), Fläche des Hinterrandbogens querrunzelig . . . . H. rangunensis (Oates), p. 49.

Nur die Schenkel des I. Beinpaares braun, die übrigen rot. Gruben des I. Bauch-

segments rund, Fläche des IHinterrandbogens fast glatt 6. H. saxatilis (Oates), p. 49.

10. I. Bauchsegment nur mit flacher scheibenförmiger Depression, die das ganze Mittel- feld einnimmt (Fig. 52). . . . 2 . . . . . 2. H. wood-masoni (Oates), p. 46.

I. Bauchsesment auf der Fläche ohne scheibenförmige Depression, aber vor der Mitte mit einer kurzen tiefen, wie mit einer Nadel gerissenen Querfurche (Fig. 53)

4., H. formosus (Butl.), p. 48

1. Hypoctonus gastrostictus n. sp.

Bisher nur 1 bekannt. Truncus braun, Beine etwas heller rotbraun. Cepha- lothorax zwischen den Seitenaugen runzelig erubig, hinten, namentlich an den Seiten, dicht isoliert feinkórnig. Augenhugel niedrig, nach vorn allmählich abfallend, sein Median- wulst die Augen nicht überragend, vorderer Seitenrand des Cephalothorax glatt. Abdomen ziemlich dicht gekornt, auf den ersten 3 Segmenten mit Medianlinie. I. Bauch- segment ohne tiefere Eindrücke, Hinterrand etwas bogig nach hinten vorgezogen, Fläche mit einzelnen eingestochenen Punkten und mit gröberen Grübchen gegen den Hinterrand. Uebrige Segmente auf der ganzen Flache dicht fein nadelstichig mit Ausnahme des letzten, das in der Mitte fast glatt ist. Ommatiden gross, knopfformig vorstehend, kaum um ihre Breite von einander entfernt.

Coxalflache der Maxillen glatt, glänzend, kaum durch einzelne Punkte nadelstichig. Trochanter oberseits glatt, glänzend, am Vorderrande mit 5 spitzen Zähnen, von denen der 2te, voreckständige, der grösste. Femur, Tibia und Hand glatt und glänzend, nur mit ganz vereinzelten Punktstichen. Femur auch unterseits glatt. Dornapophyse der Tibia am Ende des Aussenrandes nur mit einem starken Dorn (Fig. 44).

Fuhlerglieder gestreckt. 3tes Glied etwas länger als das 2te, 4tes nur 5 so lang als das 3te; 4.—8. an Länge allmählich abnehmend. Tibialsporne nur am IV. Beinpaar. Körperlänge 18 mm.

Fundort: Angeblich Borneo (llofmuseum Wien).

2. Hypoctonus wood-masoni (Oates) 1390.

1590 Theivphonus wood masoni Oates In: Journ. Asiat. Soe, Bengal LVIII 2, p. 12.

Cephalothorax schwarzbraun, Abdomen heller, Beine lebhaft rot. Cephalothorax und Auvenhugel wie bei der vorigen Art. T.benso Abdomen oberseits. I. Bauchsegment beim 7 am Ilinterande gestutzt und hier mit dreieckiger Depression, auf der Fläche schwach quer-runzelig und zerstreut nadelstichig, IT. mit deutlichem Dorn in der Mitte des

47

Hinterrandes, auf der Fläche, gleich dem IH., grob quer-runzelig. Uebrige Segmente glatt, glänzend, auf den Mittelfeldern ziemlich dicht punkticrt, an den äussersten Seiten- rändern sehr dicht und fein nadelstichig, die Fläche aussenseits von den Gruben glatt und fast unpunktiert. I. Bauchsegment beim & nach hinten in der Mitte plötzlich fast halbkreisförmig vorgezogen, die Fläche mit einer grossen, flachen, medianen Beule (Fig. 52), an den Seiten zerstreut nadelstichie. Übrige Segmente glatt, zerstreut nadelstichig, an den äussersten Seitenrändern sehr fein dicht nadelstichig. Ommatiden mässig gross, nicht knopfformig vorgequollen, um mehr als ihren Durchmesser von einander entfernt.

Coxalfläche der Maxillen glatt, schr zerstreut nadelstichig. Trochanter oberseits glatt und glänzend, beim 9 mit 5 spitzen Randdornen, welche beim g nur als kleine Hocker entwickelt sind oder zum Teil verschwinden. Femur oberseits glatt, glänzend, unterseits beim c grobkörnig, beim & glatt. Tibia und Iland in beiden Geschlechtern glatt und glänzend, nur mit einzelnen Nadelstichen. Apophyse der Tibia beim J gleich hinter der Mitte auffallend verjüngt, die aufrechte Bogenleiste am inneren Unterrande gross, Ende mit einem stärkeren Zähnchen in der Mitte der Endfläche (Fig. 45). Apo- physe des 9 am Aussenrande nahe dem Ende nut 2 starken Sagezahnen. Hand beim g dicker als die Tibia, am Grunde des unbeweglichen Fingers mit tiefer halbkreisförmiger Ausbuchtung, wie ausgebissen (Fig. 45), so dass der unbewegliche Finger hier plötzlich dunner wird. Hand beim 8 normal, dünner als die Tibia.

Fühlerglieder bei beiden Geschlechtern gleich, ähnlich wie bei der vorigen Art,

Tibialsporne am III. und IV. Beinpaar. Körperlänge bis 25 mm.

Fundort: Tenasserim in Birma.

3. Hypoctonus binghami (Oates) 1890.

1890 Thelvphonus binghami Oates in: Journ, Asiat. Noe Benegal LVIII. 2, p. 15.

Truncus braun, Schenkel der Beine gelbrot. Cephalothorax und Abdomen wie am llinterrande nur wenig weit-

bei den vorigen Arten. I. Bauchsegment beim bogig vorgezogen, so dass der ganze Hinterrand an den Seiten nicht bogig ausgeschweift erscheint; Fläche mit 2 ziemlich schwachen Gruben, ausserdem cine unpaare Dreiecks- Depression in der Mitte des Hinterrandes (Fig. 50). Übrige Segmente nur an den äussersten Seitenrandern fein nadclstichig, auf der Fläche glatt, kaum mit einzelnen obsoleten Punkten. Ommatiden auffallend gross, nicht um die Hälfte ihres Durchmessers von einander entfernt, nicht vorgequollen.

Coxalfläche und Trochanter wie bei der vorigen Art, aber auch das & mit 5 deutlichen Dornen am Vorderrande, Femur beim © doppelt so lang an seinem Innen- O

rande als die anstossende Trochanterlläche, oberseits glatt, unterseits körnig; beim ş

kürzer, unterscits nur mit einigen obsoleten Kornchen besetzt. Tibia und Hand glatt, glänzend, mit einzelnen Stichpunkten. Apophyse der Tibia beim c mit fast parallelen Seiten, aber vor der Spitze etwas angeschwollen und am Ende mit stumpfem Dorn in der

Mitte. Apophyse des & aussenseits mit 2 Dornen nahe der Spitze. Hand beim S am Grunde des unbeweglichen Fingers nicht halbkreisföornyg ausgebuchtet, dicker als die Tibia.

4s

Fühler wie bei den vorigen Arten. Tibialsporne am III. und IV. Beinpaare. Körperlänge etwa 30 mm. Fundort: Tavoy Fluss, Tenasserim in Birma.

4. Hypoctonus formosus (Butl.) 1872. 1872 Thelvphonus formosus Butler in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X p. 201.

1873 ; > Stolieza in Journ. Asiat. Soe. Bengal 1873 p. 137 t. XII f. 4. 1873 | angustus Stolicza ibid. p. 134 t. XII f. 3 (teste Thorell).

? 1889 Hypoctonus formosus Thorell in: Ann. Mus. civ. (2) VII p. 542 (wol nur zum Teil) 1890 : Oates in: Journ. As, Soc. Bengal LVIII 2, p. 14.

Cephalothorax dunkel rotbraun, Abdomen und Beine gelbrot. Cephalothorax und Abdomen wie die vorigen. Ebenso Abdomen oberseits. I. Bauchsegment beim C glatt, glänzend, an den Seiten schilferig-kórnig, am Hinterrande gestutzt und etwas ausgeschweift, beim 9 vor der Mitte mit einem kurzen schwarzen Querriss (Fig. 53), in der bogigen Ausbuchtung des Hinterrandes quer-runzelig, sonst glatt und sehr zerstreut punktiert. Übrige Segmente beim co von den Seiten bis über die Gruben dicht fein nadelstichig, beim 9 glatt, glänzend, nur an den äussersten Seiten etwas fein nadelstichig, sonst nur mit einzelnen gróberen Nadelstichen. Ommatiden mässig gross, um mehr als ihren Durch- messer von einander entfernt.

Coxalfläche glatt, sehr zerstreut nadelstichig. Trochanter oberseits fast glatt, beim 9 mit 5 Randdornen, die beim co sehr winzig sind. Femur oberseits beim Gc zer- streut raspelig, beim 9 glatt, unterseits beim g grobkörnig, beim 9 obsolet körnig. Tibia und Hand glatt, mit einzelnen Grubenpunkten. Tibienapophyse beim G der ganzen Linge nach fast gleich breit, nur mit kleiner Anschwellung innenseits etwas vor dem Ende, am gestutzten Ende 3zackig (Fig. 46); beim 9 am Aussenrande mit 2 Sagezahnen vor dem Ende. Hand beim & am Grunde des unbeweglichen Fingers kaum ein wenig cingebogen, auf der Fläche ohne deutlich markierte Depression oder Grube am Grunde des unbeweglichen Fingers.

Fühlerglieder wie bei den vorigen Arten. Körperlänge etwa 25 mm.

Fundort: Tenasserim in Birma.

Nahe verwandt und wol nur Lokalrassen dieser Art dürtten sein: 1. Hypoctonus insularis (Oates) |^- Thelyphonus insularis Oates in: Journ. As. Soc. Beng. LVHI. 2, p. 13). Die mir vorliegenden Originalexemplare sind etwas grösser als die Hauptform (bis 30 mm) und dunkler, fast schwarz gefärbt, die Beine fast kirschrot. Die Bauchsegmente des © sind viel weniger fein nadelstichig (nur im IV. Segment bis an die Gruben tretend), während das I. Bauchsegment des 9 den charakteristischen Quer- riss vor der Mitte zeigt. Die Tibienapophyse des G trägt am gestutzten Ende nur einen

starken Zahn, der als Fortsetzung des Aussenrandes erscheint. Am Grunde des unbeweglichen Fingers zeigt das 3 eine deutlichere, grubige Depression. Double-Island

an der Mündung des Moulmein River in Birma.

49

2. Hypoctonus andersoni (Oates) |= Telyphonus andersoni Oates in: Journ. Asiat. Soc. Bengal LVIII. 2, p. 11, t. i1 f. 12]. Soweit aus der Beschreibung von Oates zu ersehen, im mannlichen Geschlecht namentlich unterschieden durch die Tibienapophyse der Maxillen, welche im Endviertel sich etwas, fast quadratisch, erweitert und an seinem Ende einen einzigen rückwärts gerichteten Zahn trägt (Fig. 48). -— Ober-Birma.

5. Hypoctonus rangunensis (Oates) 1890. 1890 Thelvphonus rangunensis Oates in: Journ. As. Soc. Bengal Bd. LVIII. 2, p. 18.

Truncus schwarz, Schenkel der Beine sämtlich tief braunrot, Tibien rot. Cephalo- thorax und Augenhiigel wie bei den vorigen Arten. Ebenso Abdomen oberseits. I. Bauch- segment beim Go am Hinterrande gestutzt, auf der Fläche mässig dicht punktiert, namentlich gegen den Hinterrand, beim 9 mit 2 tiefen halbmondförmigen Gruben (Fig. 51), an den Seiten ziemlich dicht grubig, Hinterrand fast halbkreisförmig vorgezogen. Übrige Segmente beim & namentlich auf der Mlittelfläche zerstreut aber regelmässig fein punktiert, an den Seiten matt, schwarz, aber kaum fein nadelstichig. Ähnlich beim 9, aber Fläche spar- samer punktiert. Ommatiden mässig gross, um mehr als ihren Durchmesser von einander entfernt. j

Coxalflachen sehr zerstreut punktiert, beim co gegen die Mittellinie runzelig. Trochanter wie bei der vorigen Art. Femur oberseits namentlich am Grunde etwas gross-grubig, unterseits beim co etwas raspelig-grubig, beim 9 dicht gross-grubig. Tibien und Hand beim dc glatt, glänzend, schwarz, beim 9 mit einzelnen grösseren Grübchen, namentlich die Hand. Tibienapophyse bei c und 9 wie bei der vorigen Art. Hand beim & am Grunde des unbeweglichen Fingers mit einer ziemlich gut begrenzten halbmondförmigen Depression, die sich noch halb auf den Einlenkungsrand des beweglichen Fingers erstreckt (Fig. 49). Fühlerglieder wie bei den übrigen Arten. Körperlänge etwa 25 mm.

Fundorte: Rangun, Palon in Birma.

Von der Hauptform trennt Oas als besondere Species ab: H. silvaticus Oates (Journ. As. Soc. Beng. LVII. 2, p. 18), von dem bisher nur ein © bekannt ist. Es soll sich von H. rangunensis hauptsächlich durch stärkere Anschwellung der Tibienapophyse im Enddrittel unterscheiden. Tharrawaddy-Distrikt in Birma.

6. Hypoctonus saxatilis (Oates), 1890.

1890 Thelyphonus saxatilis Oates in: Journ, As, Soc. Bengal LVII 2, p. 17.

Truncus dunkel rotbraun, Abdomen meist etwas heller; Schenkel und Coxen des l. Beinpaares lederbraun bis rotbraun. die der übrigen Beine nebst den Tibien rot oder gclbrot. Cephalothorax und Abdomen oberseits wie bei den übrigen Arten. I. Bauch- segmente an den Seiten. beim Z gross-grubig-runzelig, auf der Fläche quer-runzelig, am Hinterrande gestutzt und etwas geschweift, vor demselben etwas dichter grob punktiert. I. Bauchsegment beim & auf der Fiche mit 2 grossen fast runden, runzeligen Kindrücken,

50 am LHinterrande in der Mitte fast halbkreisformig vorgezogen, auf der Fläche seitlich von den Gruben ziemlich grob und mässig dicht punktiert, unterhalb der Gruben etwas zerstreuter punktiert und kaum quer-runzelig. IV.—IX. Segment beim co auf der ganzen Fläche namentlich in der Mitte dicht ziemlich grob nadelstichig, an den Seiten matt, aber kaum fein nadelstichig, beim ¢ die Fläche mehr obsolet und zerstreut punktiert, die Seiten deutlicher fein nadelstichig. Ommatiden ziemlich gross, wenig mehr als ihr Durchmesser von einander entfernt. |

Coxalflächen wie bei der vorigen Art. Trochanter oberseits beim 9 ziemlich dicht gekörnt, beim © fast glatt, die Randdornen wie bei den übrigen Arten. Femur in beiden Geschlechtern oberseits fast glatt, nur am Grunde aussen etwas dichter grubig, unterseits dicht gross-grubig bei g und 9. Tibia und Hand glatt, glänzend, sehr ver- einzelt nadelstichig, nur die Hand beim etwas dichter grubig. Tibienapophyse beim cd vor dem Ende beidseitig angeschwollen, etwas stärker als bei H. rangunensis, am ge- stutzten Ende nur mit einem hóckerartigen Zahn fast in der Mitte (Fig. 47). Apophyse beim ? am Aussenrande mit 2 Zähnen. Hand beim co am Grunde des unbeweglichen Fingers mit deutlicher Depression, die aber nicht gestreckt halbmondformig ist, wie bei der vorigen Art.

Fühlerglieder wie bei den übrigen Arten. Körperlänge bis 28 mm.

Fundort: Thayetmyo in Birma. Der vorigen Art jedenfalls sehr nahe stehend.

ll. Tribus Tartarides Thor.

Fam. Schizonotidae Thor. 1888.

Uropygi deren Cephalothorax durch cine tiefe quere Gelenkfurche nahe dem llinterrande in 2 Abschnitte von ungleicher Grösse geteilt wird (Fig. 54a, b; das 3. und 4. Beinpaar sind dem hinteren Abschnitte ein- gefügt. Cephalothorax ohne Stirnaugen und Augenhügel, mit spitzer Stirnspina (Fig 54), meist ohne Spur von Seitenaugen. Abdomen mit 8 breiten Ringen und 3 schmalen. Auf der Bauchseite ein schmales, vestrecktes Sternum zwischen den Coxen des IV. Beinpaares Caudal- anhang kurz griffelförmig und ungegliedert (Fig. 56b) oder mit verdicktem Endknopf (Fig. 564). Mandibeln scheerenartig, aber weit klaffend, nur die Spitze des beweglichen Fingers gegen die Innenrandzähnchen des unbeweglichen treffend. Maxillen mit Coxa, Trochanter, Femur, langer Patella, Tibia (ohne seitliche Apophyse) und Hand (Fig. 1b). Letztere mit cinschlagbarer Endklaue sowie gegen den Grund der Klaue aussen- und innenseits je mit einem vorwärts gerichteten Dorn. Geissel des

I. Beinpaares mit 8 Gliedern, von denen das 2te schaftartig verlängert ist (Fig. 55a, b. Coxen des II. Beinpaares mit Dornfortsatz, Patella und Tibia verhältnissmässig kurz, dagegen das Ite Segment des 4gliedrigen Tarsus*) tibienartig verlängert. Endtarsen mit 2 dorsalen und einer ventralen Klaue (Fig. 2b).

Im Jahre 1872 wurden die ersten Formen dieser merkwürdigen Gruppe von Cambridge unter dem Gattungsnamen Nyctalops beschrieben, einem Namen, der, weil schon für einen Vogel von Wagler vergeben, später von Z%orell in Schizonotus umgewandelt wurde. Eine 2te hierher gehörige Gattung Tripeltis beschrieb dann Thorell (34; im Jahre ı889, während der erst ganz neuerdings von Cook in die Wissen- schaft eingeführte Artacarus liberiensis nach dem mir gütigst zur Verfügung gestellten Originalexemplar sich als ein des Caudalanhanges verlustig gegangener Schizo- notus tenuicaudatus herausstellen dürfte. Leider lässt das in Balsam eingebettete Präparat einige für die Entscheidung der Frage wichtige Punkte nicht deutlich erkennen, doch gelang es mir nicht, auch nur einen Differenzpunkt mit Schizonotus aufzufinden.

Hinterer Abschnitt des Cephalothorax besteht aus einem Stück (Fig. 54a).

3tes Fühlerglied breiter als lang, die folgenden kaum länger als breit (Fig. 55a).

I. Schizonotus Thor., p. 51.

Hinterer Abschnitt des Cephalothorax ist wieder durch eine Längsfurche in 2 Teile

geteilt (Fig. 54b), so dass der Cephalothorax im Ganzen aus 3 Stücken besteht. 3tes Fühlerglied so lang als breit, die folyenden länger als breit (Fig. 55b).

2. Tripeltis Thor., p. 53.

1. Gatt. Schizonotus Thor. 1888.

Schizonotiden ohne Seitenaugen. Hinterer Abschnitt des Cephalothorax ungeteilt (Fig. 54a). Caudalanhang einfach griffelförmig oder am Ende herzförmig verdickt (Fig. 56a,b). Untere Klaue der Endtarsen senkrecht abwärts geschlagen (Fig. 2b). Hand ausser der Endklaue mit 2 Dornen (aussen und innenseits je cincr). Trochanter der Maxillen nach vorn in eine stumpfe oder gebogene, nach vorn gerichtete Spitze ausgezogen, die Einlenkung des Femur auf seinem Rücken tragend. 3tes Glied der Fühler- geissel kürzer als das 4te (Fig. 55a).

Die 2 beschriebenen Arten sind voraussichtlich nur die 2 Geschlechter cin und

derselben Species. I. Caudalanhang am Ende knopf- oder herzförmig verdickt (lig. 56a). Trochanter der Maxilen vorn mit starkem, gebogenem Dornfortsatz (Fig. 1b). Patella unterseits

*) Cambridge hat die Gliederung in die 3 letzten Segmente übersehen, Z#ere// spricht von 5 Tarsen- gliedern, da er das basale, gestreckte wol für die Tibia hielt,

ca t9

mit starkem Dorn in der Mitte (Fig. 1b). Schenkel des 4. Beinpaares auffallend verdickt, dem Trochanter sich mit dick-kolbigem Grunde ansetzend (Fig. 57). I. Sch. crassicaudatus (Cambr.), p. Caudalanhang kurz griffelfermig (Fig. 56b). Trochanter der Maxillen vorn nur in eine kurze stumpfe Spitze ausgezogen (Fig. 58a). Patella unterseits ohne Dorn. Schenkel des 4. Beinpaares am Grunde weniger dick-kolbig.

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2. Sch. tenuicaudatus (Cambr.), p.

1. Sehizonotus crassicaudatus (Cambr.) 1372.

1872 Nyctalops crassicaudatus Cambridge in: Ann. Mag. Nat. Hist. (4) X, p. 411, t. XXII. f. 1.

1888 Schizonotus erassicaudatus Thorell in: Ann. Mus, civ Genova (2) VI, p. 558.

Färbung hell gelbbraun, Cephalothorax etwas dunkler. Körperlänge etwa 6 mm. Der kurze Caudalanhang trägt am Ende eines winzigen Sticls cine herzförmige oder anker- schaufelartige Verdickung, die mit zarten Borsten besetzt ist (Fig. 56a). Trochanter der Maxilen vorn mit starkem, etwas abwärts gebogenem Dornfortsatz (Fig. 1b). Femur unterseits mit kurzem Dornhöcker (Fig. 1 b), Patella cylindrisch, mit starkem, gekrümmtem Dorn unterseits (Fig. 1b), Tibia cylindrisch, unterseits mit kleinem Dornhócker; Hand aussenseits mit starkerem, innenseits mit schwacherem Dorn auf der Unterseite vor dem Ansatz der Endklaue. 2tes Fühlerglied lang gestreckt, 3tes kurz, länger als breit, deutlich kürzer als die folgenden (Fig. 55 a).

Fundort: Ceylon (Botan. Garten unter Pflanzenresten).

2. Schizonotus tenuicaudatus (Cambr.) 1872. 1872 Nvetalops tenuicaudata Cambridge in: Ann. Mag: Nat. Hist. i4: X, p. 411, t. XXH f. 2. 1888 Schizonotus tenuicaudatus Thorell in: Ann, Mus. civ. Genova (2; VI, p. 358. ? 1896 Artacarus liberiensis Cook in litt.

Der vorigen Art in Färbung und Grösse gleichend Caudalanhang einfach, griffelartig, ungegliedert, mit Borsten besetzt (Fig. 56b). Trochanter der Maxillen vorn nur mit kurzem, stumpfem Fortsatz (Mig. 58a). Femur unterseits ohne Spur eines Dorns, ebenso die Patella. Sonst wie vorige Art, wol nur 9$ derselben.

Fundort: Ceylon, mit der vorigen Art. 2 Liberia.

2. Gatt. Tripeltis Thor. 1889.

Schizonotiden ohne Seitenaugen oder mit je einem (schwer erkenn- baren) kleinen Augenfleck an den Seiten des Cephalothorax. Hinterer Abschnitt des Cephalothorax durch eine Längsfurche in 2 seitliche, fast quadratische Platten zerlegt (lie. s4b). Untere Klaue der Endtarsen nach vorn gerichtet Caudalanhang einfach eriffelförmig. Fühlergeissel achtgliedrig,*) 2tes Glied schaftartig gestreckt (Fig. 55b). 3tes Fühler- glied so lang als breit, wenig kürzer als die folgenden.

*) Zhorel! giebt irrthümlicher Weise 6—7 Fühlerglieder an,

I. Völlig augenlos. Maxillen 1} mal so lang als der Cephalothorax. I. T. grassi1 Thor, p. 53. Jederseits des Cephalothorax mit rundlichem Occllenfleck. Maxillen wenig länger der Cephalothorax . . . . .... . . .. . 2. T. cambridgei Thor., p. 53.

1. Tripeltis grassii Thor. 1889. 1889 Tripeltis grassii in: Ann. Mus. civ. Genova .2) VII, p. 554. t. V. f. 1.

Truncus braun, Beine bleicher. Körperlänge 7 mm. Cephalothorax vorn an den Seiten ohne Spur von Seitenaugen. Maxillen 11 mal so lang als der Cephalothorax, ihre Coxen mit langem Dornfortsatz, Trochanter der Maxillen nach vorn in einen kufen- artig gebogenen Fortsatz mit gerader Spitze ausgezogen (Fig. 58b). Schenkel und Patella, weniger deutlich die Tibia, unterseits mit einer Reihe starker Dornborsten. Hand ausser der Endklaue jederseits mit einem Dorn. Schenkel des 4. Beinpaares am Grunde kolbig verdickt.

Bisher nur ein Exemplar von Teinzo in Birma (Museum Genua; Fea leg.).

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2. Tripeltis cambridgei Thor. 1339. 1889 Tripeltis cambridgei Thorell in: Ann. Mus. civ. Genova (2) VII, p. 559,

Das einzige bis jetzt bekannte, sehr jugendliche, nur 3,3 mm lange Exemplar gleicht der vorigen Art fast in allen Punkten, weshalb schon 7%orel/ die Frage aufwirft, ob es einfach als Jugendzustand zur vorigen Art zu ziehen sei, wofür die etwas hellerc, mehr grüngelbe Farbung und die geringere Lange der Maxillen sprechen würde. Lediglich der Umstand, dass das Exemplar jederseits am Cephalothorax einen rundlichen ocellen- artigen Fleck tragt, hat den Autor bestimmt, vorlaufig eine selbstandige Species aufzustellen.

Fundort: Prome in Unterbirma (Museum Genua; Fea leg .).

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6)

9)

10)

11)

1797. 1804. I 8906.

1829.

1559.

1862.

54

Litteratur.

Linné, C. v.: Systema naturae Ed. X p. 619. Kurze Notiz über „Phalan- gium caudatum- von Indien.

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Index,

(Die nicht gesperrt gedruckten Gattungs- und Artnamen sind Synonyme.)

Abalius 16.

amazonicus (Thelyphonellus) 42. amurensis (Typopeltis) 13. andersoni (Hypoctonus) 49. angustus (Thelyphonus) 35. angustus (Hypoctonus) 48. anthracinus (Thelyphonus) 32. antillanus (Mastigoproctus) 38. Artacarus 5I. 52.

asperatus (Thelyphonus) 31. assamensis (Uroproctus) 40. australianus (Mastigoproctus) 38. beddomei (Thelyphonus) 35. binghami (Hypoctonus) 47. borneensis (Thelyphonus) 26. brasilianus (Mastigoproctus) 39. butleri (Mastigoproctus) 38. cambridgei (Tripeltis) 53. caudatus L. (Thelyphonus) 24.

caudatus Tarn. (Mastigoproctus) 38.

celebensis (Thelyphonus) 27. crassicaudatus (Schizonotus) 52. crucifer (Typopeltis) 15. doriae (Thelyphonus) 27. excubitor (Mastigoproctus) 37. formosanus (Typopeltis) 14. formosus (Hypoctonus) 48. gastrostictus (Hypoctonus) 46. giganteus (Mastigoproctus) 37. grassii (Tripeltis) 53. halmaheirae (Thelyphonus) 34. hansenii (Thelyphonus) 30.

hosei (Thelyphonus) 28. Hypoctonus 43.

indicus (Thelyphonus) 35. insulanus (Thelyphonus) 17. insularis (Hypoctonus) 48. johorensis (Thelyphonus) 25. klugii (Thelyphonus) 26. Koenenia 5.

Labochirus 42.

liberiensis (Artacarus) 52. linganusC.L. Koch (Thelyphonus) 25. linganus Thor. (Thelyphonus) 32. lucanoides (Thelyphonus) 26. manilanus (Thelyphonus) 34. Mastigoproctus 36.

maximus (Mastigoproctus) 39. mexicanus (Mastigoproctus) 37. Mimoscorpius 10.

nasutus (Tetrabalius) 19.

niger (Typopeltis) 13.

nigrescens (Thelyphonus) 35. Nyctalops 52. Oxopoei 6. papuanus (Thelvphonus) 34. parvimanus (Labochirus) 42. philippensis (Thelyphonus) 34. proboscideus (Labochirus) 42. proscorpio C. L. Koch (Thelyphonus) 24. proscorpio Latr. (Mastigoproctus) 38. proscorpio Butl. (Uroproctus) 40. psittacinus (Uroproctus) 40. pugnator (Mimoscorpius) 10.

rangunensis (Hypoctonus) 49. rohdei (Abalius) 16.

rufimanus Luc. (Thelyphonus) 24. rufimanus Butl. (Uroproctus) 40. rufipes Luc. (Thelyphonus) 24. rufipes C. L. Koch (Thelyphonus) 24. rufus (Mastigoproctus) 37.

samoanus (Abalius) 17.

saxatilis (Hypoctonus) 49. scabrinus (Uroproctus) 40. schimkewitschi (Thelyphonus) 29. Schizonotidae 50.

Schizonotus 5I.

schnehagenii (Thelyphonus) 33. semperi (Thelyphonus) 29. sepiaris (Thelyphonus) 35. seticauda (Tetrabalius) 18. silvaticus (Hypoctonus) 49.

IWW MU SANANA NENANA NE LNE

sinensis (Typopeltis) 15. spinimanus (Thelyphonus) 35. stimpsonii (Typopeltis) 15. strauchii (Thelyphonus) 34. suckii (Thelyphonus) 28. sumatranus (Thelyphonus) 32. tarnanii (Thelyphonus) 27. Tartarides 50. tenuicaudatus (Schizonotus) 52. Tetrabalius 18. Thelyphonellus 42. Thelyphonidae 6. Thelyphonus Ig.

thorellii (Thelyphonus) 24. Tripeltis 52.

Typopeltis ıı.

Uroproctus 40. woodmasoni (Hypoctonus) 46.

~.

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Or S »

II. 12. I 3. I4. 15. 16. 17. 18. I9. 20. 21. 22. 23.

59

Figuren-Erklarung. Tafel I.

Linke Maxille: a) von Thelyphonus sp., b) von Schizonotus crassicaudatus (Cambr.).

I. 2. Endtarsus: a) von Thelyphonus sp., b) von Schizonotus crassicaudatus (Cambr). 3. Vorderteil des Cephalothorax: a) von Thelyphonus sp., b) von Hypoctonus sp. 4. Linke Maxille von Mimoscorpius pugnator (Butl.), nach Butler.

5. Coxalfortsatz der Maxille: a) von Thelyphonus sp., b) von Uroproctus assamensis (Stol.). 6. |

7 8 9 IO

Ommatiden von Tetrabalius.

. Die 3 ersten Bauchsegmente: a) von Thelyphonus sp. g; b) È.

. Bein-Tibia mit Endsporn von Thelyphonus sp.

. Maxillar-Tibia mit Apophyse von Thelyphonus sp.

. L—III. Fühlerglied: a) von Typopeltis amurensis (Tarn.); b) von Mastigoproctus

giganteus (Luc.).

Maxillar-Tibia von Typopeltis amurensis (Tarn.), c.

» » » » niger (Tarn.), c. » » » » formosanus n. sp.. d. Maxillar- Trochanter von Typopeltis niger (Tarn), C, von oben. » > » » formosanus n. sp., C, von unten. » » » » » » g ; » Oben. Vordere Bauchsegmente von Typopeltis amurensis (Tarn.), 9. » » » » stimpsonii (Wood.), 9, nach Pocock. » » » » crucifer (Poc.), 9 nach Pocock. Fühlergeissel von Abalius rohdei n. sp., 9. » » » samoanus n. sp. &. » » Thelyphonus caudatus (L.), a) Gg, b) 9. > » » doriae Thor. a) d, b) 9, c) von var. hosei Poc. » » x linganus C. L. Koch a) d, b) $, c) VI. und

VII. Glied des 9 vergr., Unterseite. Fühlergeissel von Thelyphonus klugii n. sp., a) g, b) 9, c) VI. und VII. Glied des 9 vergr., von der Seite.

Tafel II.

. Fühlergeissel von Thelyphonus borneensis n. sp., a) 9, b) VII. und VIII Glied

von unten, c) von der Seite.

. Fühlergeissel von Thelyphonus celebensis n. sp. &, b) VI. und VII. Glied vergr.,

von der Seite.

. Fühlergeissel von Thelyphonus suckii n. sp., a) G, b) =.

» » » semperi n. sp., a) G, b) 9. » > schimkewitschi (Tarn.), a) d, b) $. » » o hansenii n. sp, cd.

60

Fühlergeissel von Thelyphonus asperatus Thor., a) C, b) 9.

» > i sumatranus n. sp., C.

» > manilanus C. L. Koch, dc. > > » anthracinus Poc., d.

» » » schnehageni n. sp., Co.

. Maxillar-Trochanter a) von Thelyphonus manilanus C. L. Koch, gd, b) von Th. sepiaris Butl., C

. Mandibel-Endklaue a) von Mastigoproctus proscorpio (Latr.), b) v. M. giganteus (Luc.). . Coxalfortsatz der Maxille von oben gesehen von Mastigoproctus proscorpio (Latr.). . Die 3 basalen Fühlerglieder a) von Mastigoproctus maximus (Tarn), b) von M. brasilianus (C. Koch).

I. Apophyse der Maxillar-Tibia von Uroproctus assamensis (Stol.).

. Coxalfortsatz der Maxille von Labochirus proboscideus (Butl.) c.

. Linke Hand und Tibienapophyse von Labochirus proboscideus (Butl.), c.

. Maxillar-Tibia von Hypoctonus gastrostictus n. sp., 9. |

. Hand und Tibienapophyse von Hypoctonus woodmasoni (Oates), d.

. Apophyse der Maxillar-Tibia von Hypoctonus formosus (Butl.), d.

. Hand und Tibienapophyse von Hypoctonus saxatilis (Oates), c.

. Maxillar-Tibia mit Apophyse von Hypoctonus andersoni (Oates), C, nach Oates. . Hand von Hypoctonus rangunensis (Oates), d

. I. Bauchsegment von Hypoctonus binghami (Oates), 9.

TE : > » rangunensis (Oates), 9. jd. ^ : » woodmasoni (Oates), €. Ask » » formosus (Butl.)., 9.

54. Cephalothorax und Anfang des Abdomens a) von Schizonotus, b) von Tripeltis;

von oben.

55. Fühlergeissel a) von Schizonotus, b) von Tripeltis.

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yr AA N

. Caudalanhang a) von Schizonotus crassicaudatus (Cambr.), b) von Sch. tenui-

caudatus (Cambr.).

. Schenkel des IV. Beinpaares von Schizonotus crassicaudatus (Cambr.).

Maxillar-Trochanter a) von Schizonotus tenuicaudatus (Cambr.), b) von Tripeltis grassi. Thor.

dbhandl d natu: Vereins Hamburg, Bd. 15, 1596. Araepelin, Thelyphon iden. Tat 1.

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Abhandl. d nati Vereins Hamburg, Dd. 15, 1896 Araepeten, Thelyphoniden. Tat 4

Der Schwebflug und die Fallbewegung

ebener Tafeln in der Luft.

Von

Dr. Fr. Ahlborn

in Hamburg.

(Hierzu 2 Tafeln und 22 Figuren im Text.)

Av pw

oco

13.

INHALT.

: Lg

A. Fallbewegung ebener Tafeln mit centralem Schwerpunkt.

Beobachtung eines fallenden Papierstückes.................

Die Ursache der auffallenden Bewegung liegt nicht in Unregelmässigkeiten der

Luft, sondern in gesetzmässigen Eigenschaften des Widerstandes .

Die Avanzini'schen Versuche ............... 0.0.00 ce a L

Hypothetische Wirkung gleichmässig verteilten Widerstandes................

Thatsächliche Wirkung der ungleichen Verteilung des Widerstandes..........

Verlauf der Fallbewegung bei wechselndem Neigungswinkel.....

Bedeutung des Tragheitsmoments für den weiteren Verlauf der Fallbewegung .

Fallbahnen und Geschwindigkeiten verschiedener ebener Tafeln.....

DL

B. Fallbewegung symmetrischer Tafeln mit excentrischem Schwerpunkt.

Mouillard Excentrische Anordnung des Schwerpunktes bei symmetrischer

Bela Lund wer ee ae US tía dudes dos ne

© 9 9 s s e 5 t$ 9 c5 1

Abhängigkeit der Bewegungsform vom Absturzwinkel..............2.2..2..

Fallapparat und Methode des Versuchs... .. ........

I. Versuchsreihe bei mittlerer Excentricitat des Schwerpunktes ..

II. Versuchsreihe bei geringer Excentricität des Schwerpunktes ..

III. Versuchsreihe mit starker Excentricität .... 222222...

Ergebnisse... v2. Jar vd d een qS dd hh

. . >b e V č a s

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A. Fallbewegung

ebener Tafeln mit centralem Schwerpunkt.

Wenn man ein Kartenblatt, eine Postkarte oder einen ähnlichen, flächenhaft gestalteten rechteckigen Körper aus schräger Stellung durch die Luft herabfallen lässt, so zeigt sich, dass derselbe nicht in der Stellung, welche er unmittelbar vor Beginn der Fallbewegung hatte, auf senkrechter Bahn herabsinkt, sondern dass er während des Falles eigentümliche Schaukelbewegungen und Rotationen ausführt.

In vielen Fällen sieht man, wie eine anfangs auftretende vor- und zurückschwankende Drehung schon nach einer Oscillation in eine gleichförmige Rotation der Karte übergeht; sehr oft rotieren die Körper von Anfang an während der ganzen Dauer ihrer Fallbewegung.

A A

Fig. I.

Die Fallbahn, das Trajektorium des Schwerpunktes, ist wahrend der Rotation nicht geradlinig, sondern biegt in anscheinend parabolischer Kriimmung nach derjenigen Seite ab, nach welcher die Rotation im unteren Bogen gerichtet ist. Die Ablenkung der Bahn geschieht also, wenn das Auge des Beobachters in der Richtung der Rotationsachse sieht, bei rechtslaufiger Drehung nach links, bei linkslaufiger Drehung nach rechts hin. (Fig. I.)

Der Leser wolle sich von der Richtigkeit dieser Thatsachen zuvor überzeugen. Eine Postkarte oder ein kleines Blatt Papier ist leicht zur Hand. Man lasse es das eine Mal aus mehr horizontaler, das andere aus mehr vertikaler Stellung fallen, und man wird nach einander die oscillierende und die rotierende Bewegung vor Augen haben.

Auf den ersten Blick könnte man geneigt sein, die Ursache dieser merkwürdigen Bewegungen in den Schwankungen und Wirbelbildungen der Luft zu suchen, wie sie durch die Beobachtung der Sonnenstäubchen oder des Rauches einer Cigarre zu erkennen sind. Allein diese und andere durch Temperaturunterschiede veranlassten Luftbewegungen verlaufen im einzelnen ganz unregelmässig, wie die Diffusionsströmungen und Schlieren in Flüssigkeiten, während die Oscillationen und Rotationen der fallenden Körper durchaus regelmässig und jedenfalls auch in solcher Luft stattfinden, welche durch alle denkbaren Vorkehrungen vor jeder inneren Eigenbewegung möglichst geschützt ist.

Es kann daher als feststehend betrachtet werden, dass die Arbeit dieser Bewegungen der fallenden Körper allein durch die Schwerkraft geleistet wird, ohne aktive Beteiligung der Luft. Da aber die Schwerkraft nur in der vertikalen Richtung wirkt, so muss die Ursache der Rotation in der Form des Luftwiderstandes liegen. Die Oscillation und Rotation kann a priori nur dadurch zustande kommen, dass der Angriffspunkt der Resultante des Luftwiderstandes nicht mit dem Angriffspunkte der Resultante der Schwerkraft, d. h. dem Schwerpunkte, zusammenfällt. Denn andernfalls würde der Luftwiderstand nur einfach verzögernd auf die im übrigen geradlinige Fallbewegung einwirken können.

Dieser letztere Fall tritt dann ein, wenn nicht nur die Masse des fallenden Körpers, sondern auch der Widerstand der Luft symmetrisch um die durch den Schwerpunkt gehende Vertikale angeordnet ist. So beim vertikalen Fall einer Kugel, eines Fall. schirmes oder eines Kartenblattes in genau horizontaler oder vertikaler Lage, d. h., wenn seine Blattflächen genau horizontal oder vertikal stehen. Bei geringen Fallhöhen haben die Ungleichförmigkeiten der Luft keinen merklichen Einfluss auf den Gang der Fall- bewegung. Bei grösseren Fallhöhen dagegen wird in Folge von Ungleichformigkeiten der Luft und des Fallkörpers oder weil von Anfang an das Kartenblatt nicht genau die angegebene Lage inne hatte, nach einiger Zeit des Fallens diese Lage sichtbar gestört sein, was dann einen Uebergang der geradlinigen Fallbewegung in eine schaukelnde und drehende herbeiführt.

Auch ein stabil belasteter Fallschirm, ein Luftballon, kann in freier Luft unregel- mässige Erscheinungen in der Fallbewegung zeigen. Jeder Wind bewirkt, seiner Stärke entsprechend, eine scitliche Ablenkung der Falllinie von der vertikalen Richtung. Jeder Windstoss verursacht ein gewisses Schwanken, da der voluminöse Ballon oder der Fallschirm leicht die Geschwindigkeit des Stosses aufnimmt, während die grössere, kompakte Masse der Gondel dagegen zurückbleibt, um alsbald wie ein Pendel unter Schwingungen wieder in die Lage unter dem Aufhangepunkte zurückzukehren. In den Berichten über Luftballon- fahrten sind viele ähnliche Erscheinungen mitgeteilt worden, die alle auf Wirbel und andere Unregelmässigkeiten in der Struktur des \Vindes zurückzuführen sind. Derartigen

7

zufälligen Störungen der Fallbewegung stehen nun die eingangs geschilderten durchaus regelmässig auftretenden Oscillationen und Rotationen gegenüber, die ihre Ursache in gesetzmassigen Eigenschaften des Luftwiderstandes haben, nämlich in der regelmässigen Verschiebung des Druckmittelpunktes, (d. h. Angriffspunktes der Resultante des Luft- widerstandes) bei geneigter Lage der Widerstandsflächen.

Nach den hydrodynamischen Beobachtungen Avanzinz's*), die in ihrer allgemeinen Form wie aus zahlreichen aerodynamischen Versuchen hervorgeht, auch für die Ver- hältnisse des Luftwiderstandes Gültigkeit haben, ist der Luftwiderstand nur dann auf eine Fläche gleichmässig verteilt, wenn dieselbe genau senkrecht zur Windrichtung steht, nur dann fällt der Druckmittelpunkt mit dem Schwerpunkte der Fläche zusammen.

Sobald dagegen die getroffene Fläche gegen die Bewegungsrichtung**) geneigt ist, wird der Druckmittelpunkt gegen den voraufgehenden Rand der Fläche verschoben, und er entfernt sich dabei um so weiter vom Flächenmittelpunkte, je weiter die Fläche sich von der Stellung normal zur Bewegungsrichtung entfernt oder je kleiner der Neigungs- winkel der Fläche gegen die Stromrichtung ist, und je geringer die Windstärke ist.

*) Avansini hat folgende Versuche angestellt. (Istituto nationale italiano, tomo I., parte I, citiert nach Duchemin, Experimentaluntersuchungen über die Gesetze des Widerstandes der Flüssigkeiten. Deutsch von Schnuse. Braunschweig 1844. S. 108).

»Eine rechteckige Platte ab, durch welche quer eine Achse ging, die sucessive in verschiedene Punkte der halben Linge cb gebracht wurde und um welche sie sich frei drehen konnte, wurde nach der horizontalen Richtung cd in ruhendem Wasser durch eine constante, an der Achse e angebrachte Kraft in Bewegung gesetzt. Nach den Schwingungen, welche in den ersten Augenblicken der Bewegung stattfanden, stellte sich das Gleich- gewicht zwischen dem Gewichte der Platte und dem Widerstande der Flüssigkeit her, sodass sich diese Platte alsdann unter einem Einfallswinkel bcd, welcher von der Entfernung ce zwischen dem Mittelpunkte der Figur und der Achse abhing, fixierte. Einige der Folgerungen, welche sich aus diesen Versuchen ergeben, wollen wir hier anführen:

I. wenn sich die Achse e im Mittelpunkte c befand, so war der Einfallswinkel be d ein rechter, Wenn also der Stoss ein direkter ist, so liegt der Impressions- oder Widerstandsmittelpunkt im Mittelpunkte der Figur der ebenen Fläche;

2. wenn die Achse e zwischen c und b lag, so war der Einfallswinkel bcd immer spitz, und zwar desto spitzer, je grösser das Intervall ce war. Bei dem schiefen Stosse rückt also der Widerstands- mittelpunkt gegen die in der Richtung der Bewegung am meisten vorgerückte Seite der Platte fort und zwar um so mehr, je spitzer der Einfallswinkel ist;

3. wenn das Intervall ce konstant ist, so wird der Einfallswinkel bcd desto spitzer, je grösser die Geschwindigkeit ist. Hieraus folgt, dass sich die Achse bei derselben Schiefe des Stosses dem Mittel- punkte der Figur der Platte desto mehr nähert, je grösser die Geschwindigkeit ist;

4. wenn man die Dimensionen der Platte sich ändern lässt, ohne weder die Geschwindigkeit noch das Intervall ce zu ändern, so beachtet man, dass der Winkel bed mit der Zunahme der Länge ab grösser wird und dass das Gegenteil stattfindet, wenn die Preite der Platte vergrössert wird, Hieraus folgt, dass sich der Widerstandsmittelpunkt dem Mittelpunkte der Figur desto mehr nähert, je länger und je schmäler die Platte ist.« (Das »länger« bezieht sich hier offenbar auf die Erstreckung der Platte in der Richtung ihres Vorderrandes und nicht auf das oben als »Lánge« bezeichnete Profil ab).

yc

, genauer: Richtung des relativen Gegenwindes.

Zur Bestimmung der Grósse der Verschiebung des Druckmittelpunktes hat Lord Rayleigh *) auf Grund der mit ebenen quadratischen Flächen angestellten Versuche die folgende empirische Formel aufgestellt:

Bu 3 ° cosa ae

Hierbei bedeutet x den Abstand des Druckpunktes vom Flächenmittelpunkte, wenn « der Neigungswinkel der Fläche, und b die Lange der Quadratseite der Fläche ist. Bei kleinen Neigungswinkeln rückt hiernach der Druckmittelpunkt nach und nach bis auf ,% b gegen den vorderen Flächenrand vor**) Der Einfluss der ungleichen Windstärke ist in dieser Formel mangels geeigneter Messungen nicht mit berücksichtigt.

Für anders gestaltete, nichtquadratische Flächen lässt sich zwar die Verschiebung des Druckmittelpunktes einstweilen noch nicht durch eine bestimmte Formel ausdrücken, weil es an geeigneten, systematischen Untersuchungen über diesen Gegenstand fehlt; allein thatsächlich findet jedesmal, wie immer auch die Fläche gestaltet sei, eine Verschiebung des Druckmittelpunktes statt, sobald nur der Luftwiderstand irgend wie schräg zur Fläche gerichtet ist: der Druckmittelpunkt wird immer vom Schwerpunkte aus gegen denjenigen Rand der Fläche vorgeschoben, welcher auf der Seite des positiven Luftwiderstandes am weitesten voraus liegt.

Diese Thatsache genügt zu einer befriedigenden Erklärung der in Frage stehenden Oscillationen und Rotationen fallender Körper. Es sei AB (Fig. 2) der Querschnitt

eines rechteckigen steifen Kartenblattes, welches unter B einem Winkel « gegen die Vertikale geneigt ist und in dieser Stellung in ruhiger Luft der Einwirkung der Schwerkraft ausgesetzt wird. Die Schwerkraft kann dann als im Schwerpunkt S angreifend gedacht werden, und das Gewicht p mit welchem die materielle Fläche AB auf die Luft drückt, lässt sich in eine Normalkomponente q und eine parallel zur Fläche gerichtete Komponente r zerlegen.

Der Komponente r steht bei freier Fallbewegung nur der sehr geringe und füglich zu vernachlassigende Stirnwiderstand entgegen, den die Luft bei A gegen die sehr schmale Randflache des Kartenblattes ausübt; gegen die Komponente q dagegen wirkt der ganze auf die Breitseite AB des Blattes gerichtete Luftwiderstand.

Ware nun der Luftwiderstand symmetrisch über die Flache A B verteilt, hatten alle gleich weit vom Schwerpunkte 5 entfernten Flachenelemente gleich starken Widerstand zn erleiden, so liesse er sich zu einer im Flachenmittelpunkte S (Fig 3)

Fig. 2. Fig. 3.

angrcifenden Resultante w vereinigen, deren cine, normal zur Fläche gerichtete Komponente v

*) Philosophical Magazin 1876, p. 430—441.

**) Eine klare und eingehende Darstellung dieses Verhaltens giebt Zim. Gerlach in einem Vortrage: Ableitung gewisser Dewegungsformen geworfener Scheiben aus dem Luftwiderstandsgesetze. Z. f. Luftschiffahrt und Phys. d. Atmosph. V. Jahrg. 1886. S. 67 ff u. Fig. 22.

9

der Schwerkraftkomponente q entgegengesetzt gerichtet wäre, während die andere, parallel zur Fläche gerichtete Komponente u ohne nennenswerten Einfluss auf die Bewegung des fallenden Körpers bliebe. Der Widerstand der Luft nimmt mit dem Quadrat der Fallgeschwindigkeit zu, und wirkt somit zunehmend verzögernd auf die Fallbewegung ein. Diese verläuft demgemäss in der Luft mit anderen Geschwindigkeiten, als die für den

luftleeren Raum gültigen | schleunigend auf die Fall- Fallgesetze angeben. So- F ^B bewegung einwirken, weil bald unter der obigen it hier, wie bemerkt, kein Annahme der Luftwider- i nennenswerter Widerstand stand in Folge der Zunahme pru der Bewegung entgegen- der Fallgeschwindigkeit so H gesetzt wird. Anders aus- gross geworden wäre, dass we gedrückt: die Fallbewe- seine Komponente v gleich 3 gung des Kartenblattes der Normalkomponente q Js würde sichdann zusammen- der Schwerkraft geworden "s setzen aus einer gleich- sel, würde die Fall . a : fórmigen Parallelverschie- bewegung in der Richtung £ bung in der Richtung von q keine weitere Be- E senkrecht zu A B und schleunigung erfahren, E aus einer gleichfórmig sondern gleichfórmig mit ci beschleunigten, gleitenden der bis dahin erlangten a Bewegung in der Richtung

Geschwindigkeit fort- Fi B A. Der Schwerpunkt S schreiten. In der Richtung FI würde sich daher auf einer ihrer Komponente r da- x P di : parabolischen Bahn F L gegen würde die Schwer- ~ L Fig; 4: (Fig. 4) bewegen, welche kraft noch weiter be- sich theoretisch (bei Ver-

nachlässigung des Stirnwiderstandes), asymptotisch der Richtung von BA nähert. Thatsächlich ist aber der Luftwiderstand nicht, wie oben an- genommen, gleichmässig über die Fläche AB verteilt, sondern er ist

auf der vorderen Hälfte ! beiden Normalkomponenten S A der Fläche stärker, i : q (der Schwerkraft) und v als auf der hinteren B (des Luftwiderstandes) haben

Hälfte SB. Der Angriffs- punkt der Resultante des Luftwiderstandes fällt daher auch nicht mit dem Schwer- punkt S zusammen, sondern ist nach der Avansint schen é A Regel gegen den Vorderrand A verschoben, etwa bis zu dem Punkte P (Fig. 5) Die

also in Wirklichkeit zwei ver- schiedene Angriffspunkte, sie bilden ein Kräftepaar, welches den zweiarmigen Hebel SP um eine freie Achse zu drehen strebt. Aber die beiden Y Kraftkomponenten v und q | abgesehen von ihren

y m sind verschiedenen Angriffs-

2

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punkten und der entgegengesetzten Richtung auch ihrem absoluten Betrage nach zunächst

nicht als gleich zu betrachten. Über das Grössenverhältnis mögen die folgenden einfachen Betrachtungen Aufschluss geben.

In jedem Moment der Fallbewegung, in welchem die Tafel AB den Winkel « gegen die Vertikale bildet, hat auch die Normalkomponente q der Schwerkraft denselben Wert. Dies ist auch im Anfangsmoment der Bewegung der Fall, wenn die Widerstands- komponente v erst im Entstehen begriffen ist. Wird die Lage AB der Tafel in einem späteren Moment der Fallbewegung erreicht oder wieder eingenommen, so ist v grösser als im Anfang, da nun schon eine gewisse Fallgeschwindigkeit vorhanden ist, von der ja die Grösse des Luftwiderstandes so wesentlich abhängt. Setzt man für den Grenzfall im Anfang v = o, so hat in diesem Moment die Bewegung der Tafel nur die Tendenz einer Parallelverschiebung im Sinne von g. Umgekehrt würde eine Parallelverschiebung im Sinne von v erfolgen müssen, wenn v O wäre, und q— 0 sein könnte. Für den Fall, dass q = v > o ist, kann auch weder nach der Seite von q, noch nach der Seite von v eine Parallelverschiebung der Tafel stattfinden, beide Krafte haben als einfaches Kraftepaar nur eine rotierende, aber keine translatorische Wirkung. Ist endlich v und v> 0, so wirkt die Kraft v in Gemeinschaft mit einem ihr gleichen Teilbetrage von q als Kraftepaar drehend auf die Tafel, wahrend der Rest von q, also die Kraft (q v) gleichzeitig die rotierende Masse der Tafel im Sinne einer translatorischen Verschicbung nach der Seite von q beeinflusst. Da ausser der translatorischen Kraft (q v) auch noch die Parallelkomponente r der Schwerkraft auf die Masse der Tafel einwirkt, so lassen sich diese beiden translatorischen Kräfte durch eine im Schwerpunkte eingreifende Resultante t = |(q v) -+ r] ersetzen Die Masse der Tafel hat also in dem Moment ihrer Fallbewegung, in welchem die hier gestellten Bedingungen erfüllt sind, 1. die Tendenz einer Rotation und 2. einer gradlinigen translatorischen Bewegung, die im Sinne der Resultante t nach der Seite des Flächen- randes A von der vertikalen Richtung abweicht.

Je mehr sich mit zunehmender Fallgeschwindigkeit die Komponente v dem abso- luten Betrage von q nähert, desto geringer wird der translatorisch wirkende Rest (q—v), welcher mit r zusammen die Resultante t liefert, und desto mehr geht daher diese Resultante in die Richtung von r oder BA über. Es wird daher auch, so lange die l'allgeschwindigkeit noch im Zunehmen begriffen ist, die translatorische Tendenz der Tafel in allen der Stellung A B entsprechenden Momenten mehr und mehr nach der Seite von A abweichen, bis die l'allgeschwindigkeit konstant geworden ist. Von diesem Zeitpunkte ab muss auch die translatorische Bewegung der Tafel AB nach Grösse und Richtung konstant bleiben.

Mit der Zunahme der Fallpeschwindigkeit wird auch die Lage des Punktes P, so oft die Tafel bei ihrer Rotation die Stellung AB wieder erlangt hat, verändert. Denn nach der „lvansenz'schen Regel wird der Angriffspunkt P des Luftwiderstandes um so weiter gegen den vorderen Tafelrand (A) verschoben, je geringer die Fallgeschwindigkeit ist. Er liegt daher zum Beginn der Fallbewegung in grösserer Entfernung von S als später.

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Wir haben bisher nur die Gruppierung der Krafte am fallenden Kartenblatt in's Auge gefasst, wie sie sich in den Momenten der Fallbewegung darstellten, wo die Tafel unter dem Winkel « gegen die Vertikalrichtung geneigt ist. Dieselbe Anordnung liegt jedoch im wesentlichen bei allen spitzen Winkeln vor, nur mit dem einen Unterschiede, dass bei kleineren Winkeln (Fig. 6. I) die Parallelkomponenten r und u der beiden Hauptkrafte, sowie die translatorische Resultante t grösser sind, während bei grösseren Nei- gungswinkeln (Fig. 6. II) die Normal- komponenten (q und v) vor- herrschen und die Resultante t zurücktritt. Das Drehungsmoment des Kráftepaares v. P S kann hier- nach bei kleinen Neigungswinkeln geringer sein, als bei grösseren, allein es bleibt zu berücksichtigen, dass nach der Avansinz’schen Regel bei kleinen Winkeln P weiter von S entfernt liegt, als bei grösseren Winkeln, und dass daher das kleinere Kráftepaar einen làngeren Arm P S hat, als das gróssere.

Fig. 6.

In dem Grenzfall, dass der Neigungswinkel œ = o ist, dass also die Schwerkraft- richtung in die Ebene der fallenden Tafel fallt, ist der nur als Stirnwiderstand und seit. liche Flachenreibung auftretende Luftwiderstand minimal, und da er der Schwere genau entgegengesetzt gerichtet ist, so kann er auch nur schwach verzógerud, aber nicht im Sinne einer Drehung einwirken. Auch die Schwerkraft kommt in diesem Falle in vollem Umfange im Sinne der geradlinigen Fallbewegung zur Wirkung, ohne einen neuen Beitrag für die Rotation zu liefern. Würde man in absolut ruhiger Luft einen scheibenformigen Körper in der hier betrachteten Stellung herabfallen lassen, so würde derselbe eine grössere Fallgeschwindigkeit erlangen, als in irgend einer anderen geneigten Lage; die Geschwindig- keit würde auch hier zunehmen, bis die genannten Stirn- und Reibungswiderstande gleich dem Gewicht der Scheibe wáren, von da ab würde die Geschwindigkeit auf der senkrechten Falllinie eine gleichformige sein.

Analog ist die Anordnung der Krafte und deren Wirkung in dem anderen Grenzfall, dass der Neigungswinkel « der fallenden Tafel gleich R ist, oder dass die Tafel senkrecht zur Schwerkraftrichtung steht. In diesem Falle ist der Luftwiderstand maximal, (aber anfangs kleiner, spáter hóchstens gleich dem Gewicht) sein Angriffspunkt fallt mit dem Angriffspunkt S der Schwere zusammen, die Fallbewegung erfahrt die maximale Hemmung, und das bei spitzen Winkeln stets vorhandene Drehungsmoment, das mit dem Grösser- werden der Winkel kleiner und kleiner geworden ist, ist jetzt vollig o geworden. Ein homogener scheibenförmiger, oder sonstwie gestalteter Körper von regelmässigem Umfang wird, wenn man ihn in dieser Stellung in ruhender Luft fallen lässt, schon nach

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~

I2

kurzer Fallzeit eine gleichförmige Geschwindigkeit annehmen, und diese Geschwindigkeit ist geringer, als die, welche er in irgend einer anderen konstanten Fallstellung erreichen würde.

Hat die fallende Tafel eine Mittelstellung zwischen den beiden eben besprochenen Grenzfalen eingenommen, ist z. B. ihr Neigungswinkel « = 45°, so ist anzunehmen, dass auch der verzógernde Einfluss des Luftwiderstandes einen mittleren Wert haben wird, dass dagegen die Grösse des Drehungsmomentes jetzt ihr Maximum erreicht hat, weil dies Moment bei « := o und « -- 90° gleich Null ist.*

Nach diesen analytischen Betrachtungen ist der Verlauf der Fallbewegung einer

Tafel, welche während der Bewegung eine Drehung vom Neigungswinkel « = bis @ -- gO” erfährt, mit hinreichender Klarheit zu übersehen. Die Fallbewegung wird

während der Drehung zunehmend gehemmt. Die Drehung erfolgt in ihrer ersten Hälfte mit zunehmender, in ihrer zweiten Halfte mit abnehmender Beschleunigung. Ebenso ist auch der seitliche Antrieb, welcher den Körper von der Lotlinie nach der Seite des tiefer liegenden Flächenrandes A ablenkt, in der ersten Hälfte dieser Drehung ein zunehmender, in der zweiten ein abnehmender.

Infolge der seitlichen Ablenkung der fallenden Tafel ıst das Drehungsmoment noch nicht gleich Null, wenn dieselbe die horizontale Stellung (Fig. 7 III) erreicht hat, denn sie erfährt auch jetzt noch keinen normalen, sondern aus der Richtung der schrägen

Fallbahn , einen ! seit- lichen Widerstand, und der Angriffspunkt P des Luftwiderstandes liegt noch immer vor dem Schwerpunkt, solange bis endlich die Rich- tung der translato- rischen Bewegung, die den Luftwiderstand be- stimmt, normal zur Flache steht. In- zwischen hat die Schwer- kraft bereits von dem Augenblick ab, wo die Tafel die .horizontale Lage überschritten hatte (Fig. 7 IV), eine negative Komponente r erhalten,

welche in Verbindung mit dem Teilbetrage (q—v), der nicht beim Kraftepaar beteiligt ist, eine nach rechts unten gehende Resultante A ergiebt. Diese wirkt zunächst verzögernd auf die vorhandene Seiten- bewegung der Tafel ein.

Für den weiteren Verlauf der Bewegung ist das Trägheitsmo- ment und die kinetische Energie der fallenden Tafel von entscheiden- der Bedeutung. Wenn auch die Tafel schon

normal zur Fallbahn gedreht ist (Fig. 7 V), sodass der gesamte Luftwiderstand senkrecht zur Fläche gerichtet ist und im Schwerpunkte angreift, so hört doch die Rotation der Masse in diesem Moment nicht auf; eben so wenig wie vom Augenblicke der horizontalen

A ) a . N .. . x . . N S 0 . *; Nach Gerlach’s Fig. 22 1, c.) würde das Maximum des Dichungsmomentes etwa bei a 35 liegen.

13 Stellung ab, die links seitwarts gerichtete translatorische Bewegung iiber einen Riickkehr- punkt in eine rechts seitwärts gerichtete Fallbewegung übergeht: beide Bewegungen setzen sich vielmehr, wie die Bewegung eines Schwungrades nach Aufhören des Antriebes, noch weiter fort, bis sie nach und nach innerhalb einer gewissen Zeit durch die entgegen- wirkenden Kräfte gehemmt, aufgehoben und in die umgekehrte Richtung übergeführt worden sind.

Während somit die Gegenwirkung gegen die vorhandene linksseitige trans- latorische Ablenkung bereits einsetzt, sobald die fallende Tafel die horizontale Lage III überschritten hat, stellt sich die der Drehung der Tafel entgegengerichtete Kraft erst von dem Moment ab ein, wo die Tafel über die normal zur Richtung des Trajectoriums, des Gegenwindes, orientierte Lage V hinausgedreht ist. Der Angriffspunkt P des Luft- widerstandes entfernt sich alsdann vom Schwerpunkte in der Richtung nach dem Tafel- rande B. Die Normalkomponenten q und v der Schwere und des Widerstandes bilden aufs neue ein Kräftepaar, welches die noch vorhandene rechtsläufige Drehung in eine linksläufige umzuwandeln strebt.

Es hängt nun alles davon ab, ob die Wirkung des neuen Kräftepaares stark genug ist, die vorhandene Drehung der materiellen Tafel völlig zum Stillstand zu bringen und umzukehren, bevor die Drehung die vertikale Ebene erreicht hat; denn in dem Augenblick, wo der Rand B der Tafel links von der Vertikalen erscheint, hat das hemmende Kräftepaar aufgehört, und es entsteht ein neues, welches wiederum nach rechts dreht und somit der noch vorhandenen anfänglichen Drehung neuen Antrieb giebt.

Die Bedingungen, unter denen die Umkehrung der Rotation und der trans- latorischen Bewegung möglich ist, lassen sich leicht erkennen. In erster Linie kommt es darauf an, wie weit die Tafel schon über die horizontale Lage gedreht ist, wenn sie recht- winklig zu ihrer schrägen Falllinie und normal zur Richtung des Luftwiderstandes orientiert ist, denn in diesem Moment hort ja erst die Wirkung des ersten Kraftepaares auf. Die Fig. 8 stellt zwei verschiedene Fälle dar, aus denen die Bedeutung dieses Umstandes erhellt. Im ersten Falle liegt die Normalstellung der Tafel nahe an der Lot- linie, im zweiten liegt sie näher an der Horizontalen.

Im ersten Falle braucht die erste Rotation mit dem vorhandenen Schwunge nur noch um wenige Grade fortzuschreiten, und der Tafelrand B wird, ohne dass die erste Rotation völlig zum Stillstand gekommen ist, jenseits (links) von der Lotebene erscheinen. Die Rotation wird dann in demselben anfänglichen Sinne fortgesctzt werden.

Im zweiten Falle dagegen ist die Tafel noch weit von der Vertikalebene entfernt, wenn bereits das erste Kräftepaar seine Wirkung einstellt und das zweite, entgegengesetzt drehend, seine hemmende Wirkung beginnt. Offenbar ist jetzt die Möglichkeit eine viel grössere, dass das zweite Pair die erste Drehung zum Stillstand bringt und dafür eine rückläufige Rotation einleitet.

Von der Tragheit der drehenden Masse, oder von der Grösse der Masse und der Rotationsgeschwindigkeit hängt es dann auch ab, ob die Umkehrung der Drehung durch das zweite Kräftepaar gelingt.

d

Bei gleicher Masse zweier rotierender Tafeln kommt es also auf die Rotations- geschwindigkeit an. Diese wieder ist von der Grösse des Luftwiderstandes, und der Luftwiderstand von der Fallgeschwindigkeit abhangig. Je lànger also die Tafel gefallen ist, bis sie in die Stellung normal zum Luftwiderstande gelangt, desto grösser wird ihre Rotationsgeschwindigkeit sein, und desto leichter wird sich auch die Rotation ohne vóllige Umkehr fortsetzen. Dagegen wird eine Tafel, welche schon nach kurzer Fallzeit durch geringen Widerstand der Luft langsam in die Normalstellung gedreht ist, um so leichter durch das zweite, dann auftretende Kraftepaar in ihrer Rotation gehemmt und nach der entgegengesetzten Richtung gedreht werden können.

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horizontal

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Fig. 8.

Es kommt noch hinzu, dass bei grösserer Fallgeschwindigkeit und demgemäss grosserem Luftwiderstande aus den oben eingehender geschilderten Gründen auch die Fall-Linie weiter und weiter von der Vertikalen abgelenkt wird, sodass dann die Tafel leichter die in Fig. 8. I angegebene Normalstellung erreicht, während bei geringerem Luftwiderstande die Ablenkung des Trajektoriums geringer, und aus diesem Grunde auch die Möglichkeit der Fortsetzung der ersten Rotation geringer ist.

Man hat es nun offenbar in der Hand, bei jeder Tafel die Zeit vom Beginn der Fallbewegung bis zum Eintritt der ersten Normalstellung beliebig abzukürzen, wenn man nur statt des z. B. in Figur 8. I gezeichneten ersten Fallstudiums das von Fig. 8. II in den Anfang stellt, in welchem sich die Lage der Tafel mehr der horizontalen Ebene nähert, wenn man also den anfanglichen Neigungswinkel der Tafel gegen die Lotlinie

entsprechend vergrössert. Der Versuch zeigt, dass in der That die Fallbewegung so

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r = ee aa Mia as A el En > a on

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15 verlauft, wie wir vorausgesehen haben, namlich unter seitlicher Oscillation mit jedesmaliger Umkehr der Drehungen bei den Riickkehrpunkten des Trajectoriums. Genau auch, wie vorausgesehen, verläuft die Bewegung auf einseitig gekriimmter Fallbahn mit kontinuier- lichen Rotationen, wenn der anfängliche Neigungswinkel der Tafel genügend klein genommen wird.

Ist die Masse zweier ähnlich gestalteter Tafeln verschieden, z. B. bei einer Papp- tafel und einer gleich grossen Schiefer- oder Metalltafel, so wird die leichtere Tafel bei geringerer Fallgeschwindigkeit die kritische Normalstellung früher als die schwerere erreichen, weil hier schon ein geringer Luftwiderstand genügt, um die geringere Masse in Rotation zu versetzen. Wegen des kleineren Gewichts ist hier auch die Normal- komponente der Schwere Normalstellung zum Trajek- kleiner, als bei derschwereren torıum erreicht hat, näher an Tafel, daher ist auch der die Lotlinie gelangt ist nicht mit im Kräftepaar be- (Fig. 8 I, als die schwerere theiligte ‚Rest dieser Kom- (Fig. 8 II); sie wird also auch ponente, der mit der Parallel- leichter in kontinuierliche komponente der Schwere Rotation versetzt werden, zusammen die translatorische als die schwerere Tafel, die Resultante bildet, in diesem auf einer weniger stark ab- Fall geringer, als bei der weichenden Bahn herabsinkt schweren Tafel und diese und dafür weit eher in ab- Resultante nähert sich somit wechselnd rechts und links auch um so mehr der rotierende Oscillationen über- parallelen, abgleitenden Rich- tung, die seitliche Ablenkung der leichteren Tafel wird also eine grössere sein, als die den Versuche bestätigen ın der schweren Tafel. Die . überraschender Weise die Folge davon ist, dass die ` Fig. 9. Richtigkeit dieser Schluss- leichtere Tafel, wenn sie die folgerungen. Eine Postkarte und ein gleichgeformtes Stück Pappe von 1 mm Starke wurden getrennt von einander aus einer Anfangsstellung von « 30? Neigung die Lotlinie und aus einer Hohe von 1,50 m frei fallen gelassen. Das Gewicht der Postkarte betrug 2,8 gr, das der Papptafel 10,25 gr. Die Fallzeit bis zur Berührung mit dem Boden betrug bei der Postkarte ca. 2 sec, bei der Papptafel ca. 1 sec.

Den Verlauf der Bewegung veranschaulicht die vorstehende Abbildung. (Fig. 9.)

Die Papptafel oscillierte mit rechtslaufiger Drehung nach links, ihre Fallbahn erreichte etwa in halber Hohe einen Rückkehrpunkt, der bei handbreit (10 cm) links von der Lotlinie liegen mochte; unterhalb dieses Rückkehrpunktes kehrte das Trajektorium nach rechts um, die Drehung der Tafel wurde linksläufig, die Tafel schlug etwa 20 cm rechts von der Lotlinie auf den Boden. Geringe Abanderungen des Versuchs zeigten,

geht. Die leicht und ohne be- sondere Sorgfalt anzustellen-

16

dass nahe am Boden der erste Umdrehungspunkt, d. h. Tangentialstellung der Tafel, liegen musste, denn die Tafel stiess nahezu senkrecht auf den Boden und fiel bald mit der einen, bald mit der andern Seite auf. Bei grösserer Fallhohe würde also nun die Bewegung eine gleichmässig rotierende geblieben sein, und die Fallbahn würde auch fernerhin (ohne Rückkehr) nach rechts fortgeschritten sein.

Die Postkarte wurde aus einer Höhe von 1,50 m unter einem Neigungswinkel « 30° (Fig. 1 Taf. I) gegen die Lotlinie fallen gelassen und bewegte sich unter rechts- läufiger Rotation schräg abwärts nach links. Die Stelle, wo die Karte den Boden berührte, lag 1,25 m seitwärts von dem durch den Anfangspunkt F gehenden Lot. Die Gestalt der Fallbahn FL wurde durch mehrfache Beobachtung von einer horizontal und vertikal liniirten Wand festgestellt. Sie ist, einem Hyperbelast ähnlich, im oberen Teile schwach gekrümmt und geht schon vor Beginn der Mitte in eine gerade Linie über.

Die Karte gelangt während der rotierenden Fallbewegung sieben mal in die Normalstellung zur Bahn (ni bis n: Fig. 1 Taf. I), sechs mal in die tangentiale Lage (tı bis te) und gleitet unmittelbar vor der 7. Tangentialstellung auf den Boden. Zwischen je zwei aufeinander folgenden Tangential- oder Normalstellungen dreht sich die Tafel um 180°, sie erfährt daher zwischen und nz drei volle Umdrehungen.

Die Fesstellung dieser Thatsachen erfordert bei der grossen Geschwindigkeit, mit welcher die Fall- und Rotationsbewegung von statten geht, einige Uebung im Beobachten, allein mit etwas Ausdauer gelangt man bald zu befriedigenden Ergebnissen. Zunächst zählt man, wie oft die farbige Freimarke der Karte auf der Oberseite erscheint. Diese Zahl giebt die Anzahl der vollen Umdrehungen. Indem man nun den Versuch immer genau an derselben Stelle der Wand wiederholt, kann man nach und nach den Ort der ersten Normalstellung, der ersten Tangentialstellung etc. ermitteln; man darf nur nicht versuchen, die ganze Bewegung mit dem Auge verfolgen zu wollen, das wäre vergeblich, sondern man richtet das Auge fest auf einen bestimmten Punkt der Fallbahn und wartet das Vorübergehen der Karte über den beschränkten Teil des Gesichtsfeldes ab. So macht man gleichsam Momentaufnahmen mit dem Auge, die in graphischer Zusammenstellung ein vollständiges Bild des Verlaufs der Fallbewegung ergeben.

Noch zuverlässiger und ohne grosse Uebung im Beobachten der Bewegung lassen sich die Fallbahnen ermitteln, wenn man die Tafeln erst aus geringer Höhe fallen lässt (auf den Tisch) und zusieht, welche Stellung dieselben in dem Augenblick des Auftreffens auf den Boden einnehmen. Steigert man dann in den aufeinander folgenden Versuchen nach und nach die Fallhóhe, so erhält man jeden wünschenswerten Einblick in den Verlauf der Fallbewegung und kann durch Abmessen und Aufzeichnen der Entfernung des Berührungspunktes am Boden vom Fusspunkte des Anfangslotes die Trajektorien entwickeln.

Nach Ablauf der ersten vollen Umdrehung, also gleich hinter der zweiten Tangential- stellung, wird die Flugbahn geradlinig und die Bewegung des Schwerpunktes gleichförmig, Die Lage der ferneren Tangential- und Normalstellungen lässt sich daher graphisch durch Einteilung des Restes der Bahn in eine den Umdrehungen entsprechende Anzahl gleicher

I

Teilstrecken bestimmen, nachdem zuvor noch die Stellung der Karte bei der Berührung mit dem Boden ermittelt wurde.

Es kommt nun darauf an, die cykloidischen Trajektorien zu bestimmen, auf denen sich der vordere und hintere Rand der Karte während des Falles bewegen. Der erste Eindruck, den die Bewegung auf den Beschauer macht, ist, dass die Kartenränder cykloidische Schleifenlinien beschreiben. Allein man überzeugt sich leicht, dass die hier allein aktiv wirksame Schwerkraft keine Schleifenbildung zulässt, da diese nur durch eine periodisch aufwärts gerichtete Bewegung bestimmter Areale der materiellen Karte zustande kommen könnte. Man erhält die Trajektorien durch Eintragen der Kartenprofile an den Punkten n und t der Fallbahn FL und durch geeignete krummlinige Verbindung der aufeinander folgenden Punkte A resp. B. Die Kurven (A..A) und (B..B) müssen offenbar so beschaffen sein, dass sich durch jeden Punkt der Fallbahn FL eine Strecke von der Länge des Kartenprofils AB legen lässt, deren Halbierungspunkt mit dem betreffenden Punkte von FL zusammenfällt, und deren Endpunkte auf den Kurven liegen. Die Zeichnung (Fig. I. Taf. 1.) ergiebt Cykloiden von der Form derjenigen, welche ein in der Nähe des Halbierungspunktes des Radius (r = 8,28 cm) liegender Punkt eines auf fester Unterlage rollenden Kreises beschreibt.

Vergrössert man den Neigungswinkel der Postkarte gegen die Vertikale auf etwa das Doppelte, also auf etwa 60°, so beschreibt sie im Fallen eine Bahn (Fig. 2, Taf. I) mit einem Rückkehrpunkte (Rp) links, um dann unter gleichmässiger Rotation in dem- selben Verhaltnis wie im ersten Versuch seitwárts, aber nach rechts fortzufliegen. Die leichte Karte vollführt also jetzt im Prinzip dieselben Bewegungen, wie die Papptafel beim ersten Versuch.

Verringert man umgekehrt den anfänglichen Neigungswinkel der Papptafel um die Hälfte (Fig. 3 Taf. I), stellt sie also auf etwa 15° ein, so rotiert sie von Anfang an gleichmässig nach links und fällt nach ca. 14 vollen Umdrehungen in einer Entfernung von 0,4 m vom Anfangslot auf den Boden. Die schwere Papptafel vollführt also jetzt ebenfalls im Prinzip dieselben Bewegungen, wie die fallende Postkarte im ersten Versuch.

Unschwer gelingt es die Papptafel aus horizontaler Anfangsstellung so fallen zu lassen, dass sie so gut wie geradlinig und senkrecht zu Boden fällt. Geringe oscillatorische Schwankungen der Tafel treten auf, sobald die Anfangsstellung nicht genau horizontal ist. Bei der Postkarte sind derartige Schwankungen viel leichter und deutlicher zu beobachten, als bei der Papptafel; bei genügender Fallhóhe gehen sie nicht selten sogar schliesslich in einseitige Rotationen über. Es ist eben schwer, das biegsame Papier ohne besondere Hiilfsmittel nach Augenmass genügend scharf in die horizontale Anfangslage zu bringen, und die geringe Masse der Karte wird auch bei geringer Neigung leicht durch das Kraftepaar in ergiebige Rotation versetzt. Ist aber einmal eine wenn auch geringe Oscillation vorhanden, so wird sie schliesslich durch den mit der Fallgeschwindigkeit im quadratischen Verhältnisse wachsenden, exentrisch angreifenden Luftwiderstand bis zur vollen einseitigen Rotation gesteigert.

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18

Auch über die Fallgeschwindigkeit giebt die Analyse der in Rede stehenden Bewegungen bemerkenswerten Aufschluss. Erstens nimmt die Fallgeschwindigkeit offenbar so lange zu, bis die erste Tangentialstellung der Tafel eintritt, gleichviel, ob der ersten Wendung der Karte eine oder mehrere seitliche Schwankungen voraufgegangen sind, oder nicht. Denn wenn immer auf eine anfängliche Oscillation eine Revolution folgt, so ist diese die Folge des inzwischen verstärkten Luftwiderstandes, und dieser wieder wird ja nur durch Zunahme der Fallgeschwindigkeit vergrössert.

Aber die Bewegung ist noch keineswegs nach Eintritt der ersten Revolution eine gleichförmige, die Geschwindigkeit nimmt auch dann noch zu. Dies zeigt sich an dem Verlauf der Fallbahn, da auch nach der ersten Tangentialstellung die seitliche Abweichung des fallenden Körpers von der Lotlinie eine Zeit lang zunimmt, sodass die Bahn eine parabolische Gestalt hat. Erst von dem Augenblick ab, wo die Seitenabweichung konstant wird, wo also in der seitlichen Richtung keine Beschleunigung mehr erfolgt, ist anzunehmen, dass auch in vertikaler Richtung die Bewegung nicht weiter beschleunigt wird, dass also nun der rotierende Körper eine konstante Geschwindigkeit erlangt hat. Der Gesamtbetrag des Luftwiderstandes ist jetzt gleich dem Gewicht des fallenden Körpers und die Schwerkraft wird völlig zur Beseitigung dieses Widerstandes verbraucht, ohne dass sie auf den Körper noch weiter beschleunigend, einwirken kann.

Demgemäss ist auch die schliessliche, konstante Geschwindigkeit der schwereren Papptafel eine grössere, als die der Postkarte, und die Papptafel muss daher auch bis zum Eintritt dieser konstanten Geschwindigkeit einen grósseren Fallraum zurückgelegt haben, als die Postkarte, deren Richtung weit schneller als die der schwereren Tafel seit- warts abgelenkt und in die schrage und geradlinige Bahn mit konstanter Geschwindigkeit übergeführt wird.

Was endlich die Geschwindigkeit anbetrifft, mit welcher sich der vordere und hintere Kartenrand (A und B) auf den zugehörigen Trajektorien (Fig. 1, Taf. I) bewegen, so sieht man leicht, dass dieselbe an den Anfangs- oder Rückkehrpunkten der Cykloiden am geringsten, an den Kulminationspunkten am gróssten ist. In den Normalstellungen ist daher zwischen den Geschwindigkeiten von À und B eine gewisse Differenz vorhanden, in den Tangentialstellungen sind beide gleich.

B. Fallbewegung symmetrischer Tafeln mit excentrischem Schwerpunkt.

Die eben besprochenen Oscillationen und Rotationen fallender Tafeln und Karten- blatter hatten ihre Ursache in dem Umstande, dass bei nicht normalem Auftreffen des Luftwiderstandes der Angriffspunkt des letzteren nicht mehr mit dem Schwerpunkte der Widerstandsfläche zusammenfiel, sondern gegen den tiefer liegenden Rand der Fläche verschoben wurde. In Folge dieser Trennung der Angriffspunkte des Luftwiderstandes

A. Er OE Een ems cm -—- a

19 und der Schwerkraft liessen sich diese beiden Kräfte nicht mehr in eine einfache Resultante zusammenfassen, sondern es entstand ausser der translatorischen Resultante noch ein Kräftepaar, welches jene Oscillationen und Rotationen veranlasste.

Die drehenden Bewegungen liessen sich nur dadurch vermeiden, dass man die Tafeln genau aus horizontaler Anfangsstellung fallen liess, denn alsdann fielen auch die bezeichneten beiden Angriffspunkte wieder zusammen und das Kräftepaar verschwand. Bei allen diesen Versuchen war es also der Angrifispunkt des Luftwiderstandes, dessen Lage im Verhältnis zu dem fest im Flächenmittelpunkte liegenden Schwerpunkte willkürlich geändert wurde. Umgekehrt liegt nun der Gedanke nahe, die Lage des Schwerpunktes einer willkürlichen Änderung zu unterwerfen, und zuzusehen, wie die Fallbewegungen verlaufen, wenn der Schwerpunkt nicht mehr mit dem Mittelpunkte der Hauptwiderstands- fläche zusammenfällt.

Die Verschiebung des Schwerpunktes kann natürlich an einer starren Platte nicht, wie Moutllard* zur Erklärung der Rotation eines fallenden rechteckigen Kartenblattes irrthümlich annimmt, von selbst während der Fallbewegung geschehen, sie muss vielmehr vorher in bestimmter Weise durch excentrische Belastung der Falltafel vorgenommen werden. Dies kann in Hinblick auf die Gestaltung der Kraftsysteme in zweierlei Weise geschehen. : Die excentrische Belastung kann in einer Symmetrieebene der Tafel, oder ausserhalb derselben angebracht werden. |

Bei einer kreisförmigen Platte liegt jede beliebige excentrische Belastung in einer durch den Kreismittelpunkt gehenden Symmetrielinie der Fläche. Eine quadratische oder sonst regelmässig polygonale Fläche ist symmetrisch belastet, wenn der Schwerpunkt der hinzugefügten Masse auf einer der Diagonalen oder auf einem der Lote liegt, welche vom Flächenmittelpunkte auf die Seiten gefällt werden können. Dagegen ist eine recht- eckige Platte nur dann symmetrisch belastet, wenn der bezeichnete Schwerpunkt auf den die Seitenmitten verbindenden Normalen liegt. Eine beliebig gestaltete Fläche, die nur eine Symmetrielinie besitzt, wie z. B. die Flugfliche eines Vogels, kann auch nur in dieser einen Linie symmetrisch belastet werden. Eine ganz unsymmetrische Fläche gestattet keine symmetrische Belastung.

Es sollen zunächst nur symmetrisch belastete Flächen betrachtet werden unter der ferneren Voraussetzung, dass auch der Luftwiderstand, den dieselben beim freien Fall erfahren, auf beiden Symmetriehälften nach Richtung und Stärke symmetrisch angeordnet ist, sodass auch die Resultante des Widerstandes in die Symmetriecbene fällt. Dies ist stets unter der Bedingung der Fall, dass die Fläche keine seitliche Neigung hat, oder dass die beiden symmetrischen Ilalften, wie Keilflachen die gleiche aber entgegengesetzt gerichtete Neigung gegen die Symmetricebene besitzen. Unter diesen Voraussetzungen fallen die Resultanten der Schwerkraft und des Luftwiderstandes in dieselbe vertikale Symmetrie- ebene des Systems, und in dieser Ebene muss daher auch die Fallbewegung erfolgen.

*) L'Empire de l'air, S, 210: »(Juand un corps se meut, son cente de gravité se déplace, et se

transporte en arriére du sens du mouvecment«.

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Betrachten wir die Ebene dieses Papiers senkrecht gehalten als die Symmetrie- ebene eines solchen Systems, so erscheint der Durchschnitt der Falltafel, die wir in einer horizontalen Anfangslage der Einwirkung der Schwere anheim geben, in Gestalt der Strecke AB (Fig. 10). Der Mittelpunkt der Widerstandsflache liegt in M, der gegen den Rand A verschobene Schwerpunkt im Punkte S. Da der Luftwiderstand im Anfangs- moment der Fallbewegung rechtwinklig zur Flache gerichtet ist, so greift seine Resultante win M an und bildet mit einem gleich grossen Teil des Tafelgewichts p ein Kräftepaar, das die Tafel im linksläufigen Sinne dreht, während der Rest der Schwere (p w) die translatorische Fallbewegung bewirkt.

Nach Verlauf eines kurzen Zeitabschnitts ist die Drehung der Tafel so weit fort- geschritten, dass AB einen spitzen Winkel œ mit der Richtung der Schwere bildet (Fig. 11). Der Luftwiderstand ist nicht nur mit der Zunahme der Fallgeschwindigkeit in gesetz-

Fig. 10. Fig, 11.

mässiger Weise gewachsen, sondern sein Angriffspunkt P ist auch mit dem Kleinerwerden des Winkels a, unter dem er die Fläche trifft, vom Punkte M aus mehr und mehr gegen den Vorderrand A der Fläche vorgerückt.

Solange der Punkt P den Punkt S noch nicht erreicht hat, erfährt auch die Drehung der Tafel neuen Antrieb und Beschleunigung, und diese Beschleunigung nimmt ab mit dem Abstande PS, wie sie gleichzeitig mit dem Grösserwerden des Luftwiderstandes zunimmt. Dieser ist im wesentlichen von dem Quadrat der momentanen Fallgeschwindig- keit und einer gewissen Funktion des Neigungswinkels « abhängig.

Die Anordnung der Kräfte gestaltet sich, wie in Fig. 11, sie ist wie in Fig. 6, nur dass P und S entgegengesetzt liegen, und daher die Drehung des Kräftepaares im anderen Sinne erfolgt. Die translatorische Resultante t= ([(q—v] + r) zeigt, dass die Bewegung nicht in der Lotlinie, sondern links seitwarts erfolgen muss.

Eine wesentliche Anderung in dem System der Kráfte tritt in dem Moment ein, wo infolge der fortschreitenden Drehung*) der Angriffspunkt des Luftwiderstandes so weit nach vorn verschoben ist, dass er mit S zusammenfallt. .

*) Es sei nebenbei bemerkt, dass die Verschiebung durch die Zunahme der Fallgeschwindigkeit und des Luftwiderstandes nicht direkt beschleunigt, sondern verzögert wird, wie es der Avanzini schen Regel entspricht.

21

In diesem Augenblick verschwindet das Kräftepaar, und es bleibt nur die trans- latorische Resultante t in Wirksamkeit. (Fig. 12).

Allein die Bewegung der Tafel ist dennoch von diesem Augenblick ab noch keine geradlinige, wie man erwarten könnte, denn wenn auch die von dem eben verschwundenen Kraftepaare erzeugte Drehung der Masse jetzt keine weitere Beschleunigung erfahrt, so ist die Drehung doch noch vorhanden und muss also in Folge des Beharrungsvermögens mit der erlangten Winkelgeschwindigkeit gleichformig fortlaufen, bis sie durch ein entgegen- gesetzt drehendes Kraftepaar gehemmt und aufgehoben ist.

Ein solches Kräftepaar tritt nun in dem folgenden Zeitabschnitt sofort in die Erscheinung, denn sobald die Tafel über die eben innegehabte in Bezug auf die Drehung neutrale Stellung hinausgedreht wird und ihr Neigungswinkel æ fortfährt kleiner zu werden, wandert auch der Angriffspunkt P des Luftwiderstandes (Fig. 13) weiter gegen den Flächenrand A und damit ist ein neues, nunmehr rechts drehendes Kräftepaar geschaffen, welches die vorhandene Drehung der Masse zu hemmen und umzukehren bestrebt ist. Ueber die Art der Verzögerung

der Drehung gilt sinngemáss, was A t (m) vorher über die Art der Beschleunigung 4 derselben gesagt wurde. Die durch p

die erste Drehung bewirkte fort- schreitendeVerringerung desNeigungs- Fig. 12.

winkels « begünstigt die Zunahme der

Fallgeschwindigkeit; da der Gesamtbetrag des Widerstandes den die Luft der Fallbewegung entgegensetzt, mit dem Neigungswinkel der Fläche abnimmt. Demgemäss nimmt auch die Komponente v des Widerstandes, welche die eine Seitenkraft des neuen, hemmenden Kräftepaares bildet, solange ab, als die erste Drehung noch fortschreitend den Winkel « verkleinert. Der mechanische Wert des Kraftepaares, das Moment, wird aber nicht in demselben Maasse verringert, weil ja gleichzeitig eine fortschreitende Verschiebung des Punktes P erfolgt, die einer Verlangerung des Hebelarmes des Paares gleichbedeutend ist. Der weitere Gang der Fallbewegung hangt nun allein davon ab, wie weit das erste Kräftepaar die Tafel herumgedrcht hat, bevor die Wirkung des zweiten Paares die innere Drehung ausführt. Unschwer ist zu erkennen, das dies in erster Linie ceteris paribus von dem Winkel abhängt, den die Tafel im Beginn der Bewegung gegen die Vertikale bildet, dem Absturzwinkel oder anfänglichen Neigungswinkel «.

Zur Feststellung dieser Abhängigkeit habe ich eine Reihe leicht zu wiederholender Versuche gemacht, in denen der besagte Neigungswinkel innerhalb der Grenzen von o? bis 180? variiert wurde.

7?

Als Falltafeln dienten ausgesuchte neue deutsche Postkarten.*) Der Schwerpunkt wurde möglichst genau durch den Schnittpunkt der Diagonalen und Balancierprobe auf der Nadelspitze bestimmt. Dann wurde in der kurzen Symmetrieachse, d. h. in der Mittelsenkrechte der längeren Seitenstrecke der Karte, die excentrische Belastung angebracht durch Aufkleben eines abgewogenen rechteckigen Stückes von verzinktem Eisenblech in geeigneter Entfernung vom Schwerpunkt der Karte. Die Lage des neuen Schwerpunktes liess sich leicht im Voraus durch Rechnung oder nachtraglich empirisch bestimmen, und so die Excentricitat des Massenmittelpunktes gegenüber dem Flächenmittelpunkte ermitteln.

Sofern es sich nur um orientierende Versuche handelt, kann man die eiserne Belastung durch einen in der Nähe des vorderen Tafelrandes angebrachten etwa bohnen- grossen Siegellacktropfen ersetzen. Man wird dann, wenn man die Karte unter verschiedenen Neigungswinkeln fallen lässt, leicht die auffälligen Unterschiede erkennen, die dadurch sowohl in der Gestalt der Fallbahnen, als auch in den Drehungen der Karte hervorgerufen werden. Aber es wird nicht immer mit genügender Sicherheit gelingen, eine bestimmte einmal beobachtete Bewegungsform gleich wieder hervorzurufen, weil man den dazu gecigneten Neigungswinkel aus freier Hand nicht leicht wieder trifft.

Für die genaueren Versuche wählte ich, um diese Unsicherheiten zu vermeiden, eine elektromagnetische Aufhängung der Karten. Am Ende des Querarmes eines festen Stativs (Fig. 4 Tafel I) wurde ein Gradkreis (mit Fadenlot) drehbar angebracht und mit diesem ein kleiner Elektromagnet fest verbunden. Die Endfläche der Polschuhe des Magneten ist parallel zur Basis des Gradkreises orientiert und, um die schädliche, störende Wirkung des remanenten Magnetismus zu beseitigen, mit dickem Karton überklebt.

Die an der Fallkarte als excentrische Belastung fest angebrachte kleine Eisen- blechplatte diente gleichzeitig als Anker des Magnets, der somit auch die Falltafel unter dem bestimmten Neigungswinkel festhielt. War einige Zeit nach dem Aufhängen der Tafel die Luft wieder ziemlich beruhigt, so wurde die elektrische Leitung unterbrochen, der Anker löste sich, und die Fallbewegung erfolgte mit der gewünschten Regelmässigkeit. Bei gewissen kritischen Grenzwinkeln war der Einfluss auch geringer Luftbewegungen unverkennbar, und es bedurfte einer längeren Beruhigungspause für die Luft, um die typische Bewegung genügend sicher wiederholt zu sehen.

I. Versuchsreihe. I. Die Tafel fällt aus senkrechter Stellung herab. Ist sie vollkommen cben auf beiden Seiten und auch sonst regelmässig gebaut und belastet, sodass die Schwerkraft in die Mittelebene der Tafel fallt und senkrecht im Mittelpunkte der normal abgeschnittenen Stirnfläche steht, so wird sie sich in ruhiger Luft auf einem vertikalen Trajektorium abwärts bewegen, und der minimale Luftwiderstand wird nur wenig verzögernd auf die Fallgeschwindigkeit einwirken. Je grösser die Masse

*) Unsere Postkarten sind nicht alle gleich gross und schwer, auch nicht alle genau rechteckig geschnitten,

daher empfahl sich die Auswahl.

und je näher der Schwerpunkt an dem voraufgehenden Tafelrande liegt, desto stabiler wird die Bewegung verlaufen. _ . . der beiderseits entlanggleitenden Je mehr der Schwerpunkt aber | | Luftmassen aus dem Gleich- gegen den hinteren Rand ver- gewicht und aus der vertikalen schoben und je geringer die Masse ist, desto leichter wird die Tafel durch die stets vor-

Lage verdrängt werden, und dann muss auch die Bewegung der Tafel in anderer Weise

handenen Ungleichförmigkeiten Fig. 14. erfolgen. Deutsche Postkarte Gewicht der unbelasteten Karte 2.81 g; Belastung L-. 1,277 g; Gesamtgewicht p... 4,087 g Seite a _ rjomm; b 91,5 min,

1

Abstand des Schwerpunktes S vom Flächenmittelpunkt M: 7,0 mm ._ 20a = ‘sb.

2. Die Tafel (Fig. 14) hat eine anfängliche Neigung von «—0? bis 15°.

Als Neigungswinkel wird immer derjenige Winkel bezeichnet, welchen die vom Flächenmittelpunkt M über den Schwerpunkt S zum vorderen Tafelrande gehende Hälfte der Symmetrielinie gegen die von M aus abwärts gerichtete B B Lotlinie bildet.

Die Fallbahn I (Fig. 3 Tafel II) wendet sich zunehmend vorwärts von der Lotlinie ab unter gleichmässig andauernder Rotation der Tafel. Die Erscheinung unter- scheidet sich bis auf ein ge- wisses, später zu besprechen- Fig. 15. des Pulsieren*) der Rotation nicht wesentlich von der Fall-

bewegung einer unbelasteten Karte bei kleinen Neigungs- winkeln (Fig. 1 Tafel I). Die stelle Anfangsstellung der Tafel (Fig. 15 I) bedingt eine schnelle Zunahme der Geschwindigkeit und eine starke Verschiebung des A

Fig. 16.

Widerstandspunktes über den *) In Fig. 5 und 6 :Tafel ID sind die Tanzentialstellungen ohne Berücksichtigung der Pulsationen zunächst so eingetragen, wie sie bei völlig gleichförmiger Rotation liegen würden, Diese Figuren bedürfen daher

einer Korrektion nach den genaueren Angaben von Fig. 7 Taf. II.

x 24

Schwerpunkt hinaus gegen den Vorderrand der Tafel. Das entstehende Kräftepaar dreht die Tafel mit dem Vorderrande empor, bis der Widerstandspunkt wieder mit dem Schwerpunkte zusammenfällt (Fig. ı5 II). Dann tritt zwar ein neues hemmendes Kräftepaar auf (Fig. 15 III), allein die Drehung ist stark genug, um das völlige, wenn auch verzögerte Durchschlagen der Tafel zu bewirken, wie es bei der Besprechung der Fallbewegungen einfacher unbelasteter Tafeln des näheren erörtert wurde. Die excentrische Lage des Schwerpunktes hat zur Folge, dass das Zurücktreten des Widerstandspunktes hinter den Schwerpunkt hier schon erfolgt, bevor die Tafel die volle Querstellung zum Trajektorium erreicht hat (Fig. ı5 III). Es setzt also auch das hemmende Kräftepaar eher ein, als bei der unbelasteten Tafel (Fig. ı5 III), und das Rotieren der Tafel kann daher hier auch nur bei steilerer Anfangs- stellung und rapidem Absturz erfolgen, während die unbelastete Tafel auch noch bei erheblich grösseren anfänglichen Neigungswinkeln in kontinuierliche Rotation versetzt wird.

3. Die Karte fällt unter Absturzwinkel von 15° bis 40°.

Die Fallbahn II (Fig. 6, Tafel II) hat einen Rückkehrpunkt Rp, den die Tafel mit einer Oscillation vorwärts erreicht. Der rücklaufende Ast der Bahn wird rotierend zurück- gelegt. Auch hier ist der Gang der Bewegungen wie bei einer unbelasteten oder central- belasteten Tafel, mit dem Unterschiede, dass bei excentrischer Belastung die Oscillation bereits bei kleineren Winkeln auftritt, wo die central belastete noch rotiert. Eine unbelastete Postkarte fällt bei 17° bis 40° Anfangsneigung überhaupt noch nicht oscillierend, sondern von Beginn ab rotierend (Fig. 1, Tafel I). Es zeigt sich somit auch hier, wie in der ersten Versuchsgruppe, dass die excentrische Belastung verzögernd auf das Eintreten der vollen Rotation einwirkt.

Bei den Versuchen mit unbelasteten Karten liessen sich unschwer gewisse grössere Neigungswinkel auffinden, bei denen auf die erste Oscillation nach vorne noch eine zweite Öscillation rückwärts erfolgte, bis punkt P (Fig. ı7) weit ab vom dann die Rotation nach vorne ein- A Schwerpunkt, nahe dem hinteren setzte. Diese Erscheinung wurde Tafelrande. Es bedarf daher einer bei excentrisch belasteten Karten grösseren Drehung, bevor P die seltener beobachtet. Der Grund Strecke über M nach S zurück- dafür ist leicht einzusehen. Sobald verschoben ist, und die Tafel muss nämlich beim Rückkehrpunkte (Rp weit über die Stellung normal zum Fig. 6, Tafel II) die Tafel beginnt, Trajektorium fortgedreht werden, mit dem vom Schwerpunkte entfernt bevor P jenseits von S auftritt und liegenden hinteren Rande vorauf, damit das neue Kräftepaar einsetzt, welches die vorhandene Drehung Neigung der Tafel gegen das Fig. 17. hemmt. Durch die excen- Trajektorium, der Widerstands- trische Lage des Schwer- punktes ist also das vorwartsdrehende Kräftepaar, das die einmalige Oscillation nach vorne bewirkte, zu Gunsten des rückwärtsdrehenden Paares eingeschränkt worden, und es ist klar, das daher die Ucberlegenheit des letzteren auch in der Bewegung

rückwärts zu gehen, liegt bei steiler

r 25

der Tafel zum Ausdruck kommen muss. Für einen anfänglichen Neigungswinkel & 30° habe ich durch zahlreiche Einzelbeobachtungen unter allmahlicher Vergrösserung der Fallhöhe den Verlauf der Fallbewegung der Postkarte (Fig. 14) mit möglichst grosser Genauigkeit festgestellt. Die Fig. 7, Tafel II, veranschaulicht den Vorgang und zeigt, dass die Fallbahn des Schwerpunktes zwei Riickkehrpunkte (Rp: und e) besitzt. Der erste liegt bei ca. 60cm Fallhöhe etwa 30 cm vorwärts vom Anfangslot. Der zweite liegt auf 150 cm Höhe nahe hinter dem Anfangslot.

Der Verlauf der Randtrajektorien lässt nun mit grosser Deutlichkeit die eben ab- geleitete Wirkung der excentrischen Schwerpunktslage erkennen. Nachdem die Tafel kurz vor dem ersten Rückkehrpunkte die erste Normalstellung überschritten hat, bewirkt das nun auftretende rückwärtsdrehende Kräftepaar schnell die Hemmung und Umkeh- rung der rechtsläufigen Rotation. Diese Wirkung ist eine so kräftige, dass in der rück- läufigen Bewegung schnellstens die zweite Normallage erlangt wird, und dass auch das nun wieder erscheinende rechtsdrehende Kräftepaar den alsbaldigen Eintritt der Karte in die erste Tangentialstellung (tı) nicht wesentlich verzögern kann. Die Drehung der Karte wird nun zwar in demselben linksläufigen Sinne fortgesetzt, allein in der trans- latorischen Bewegung geht jetzt wieder der belastete Vorderrand A vorauf, und das bis zur dritten Normalstellung (ns) wirkende linksdrehende Kräftepaar kann daher wieder als ein vorwärtsdrehendes bezeichnet werden, das in seiner Wirkung durch die excentrische Belastung wiederum beeinträchtigt ist. Daher geht nun auch zwischen und ns die Drehung der Tafel so langsam von statten, dass die cykloidischen Trajektorien zwischen und ns eine völlig unsymmetrische Gestalt besitzen. Die Tangentialstellung t; liegt nicht in der Mitte von ne und ns, sondern erheblich näher an ne. Hinter ns erscheint wieder ein starkes rückwärts- (hier rechtsläufig-) drehendes Kräftepaar, das die Linksrotation der Karte schnell hemmt und gleich darauf in Rp» umkehrt. Hinter dem zweiten Rückkehrpunkte beginnt die Rotation rückwärts (d. h. mit dem Hinterrande B vorauf) unter ganz ähnlichen Verhältnissen wie hinter dem ersten Riickkehrpunkte. Die ungleiche Rotationsgeschwindigkeit während der einzelnen Phasen der Drehung lässt sich direkt beobachten und giebt der rotierenden Fallbewegung einer excentrisch belasteten Tafel einen gleichsam pulsierenden Charakter.

Dass die I. Fallbahn (Fig. 5, Tafel II) in die II. (Fig. 6, Tafel II) und die II. in die Bahn III (Fig. 7, Tafel II) übergeht, wenn der anfängliche Neigungswinkel der Tafel zunimmt, bietet der mechanischen Erklarung keinerlei Schwierigkeiten. Während nämlich, wie in der ersten Versuchsgruppe gezeigt, bei kleinen Absturzwinkeln das anfangliche Kraftepaar stark genug ist, um sofort die volle Rotation der Tafel durchzusetzen, vermag es bei dem grósseren Winkel (Fig. 18, I) die Tafel nicht so weit zu drehen, denn es ist hier kürzere Zeit auf kleinerem Fallraume bei geringerer mittlerer Fallgeschwindigkeit wirksam, als im ersten Fall. Immerhin ist der Absturz noch steil genug, um die angefangene Drehung der Tafel über die horizontale Stellung (Fig. 18, II) hinausschlagen zu lassen, sodass der vordere Tafelrand über, der hintere unter der wagcerechten Ebene liegt (Fig. 18, IID. In dieser Stellung erfährt die

4

26

Tafel einen beträchtlichen translatorischen Widerstand, da sie nahezu normal zur Bahn steht. Zugleich hat mit dem Ueberschreiten der Horizontalstellung der Tafel die trans- latorische Resultante der Schwerkraft sich gegen den hinteren Tafelrand gewendet. Daher kann die Bewegung nicht die anfangliche Richtung nach vorn beibehalten; sie wird in die riickschreitende Richtung der neuen translatorischen Resultante hiniibergelenkt, wobei gleichzeitig das neue Kräftepaar die Drehung der Tafel bewirkt. Hatte das erste Kräfte- paar bei steilem Absturzwinkel die Tafel weit über die Horizontalstellung gedreht, so ist auch Arm und Moment des zweiten Paares, dem Avanzini'schen Gesetz entsprechend, wirksam genug, um nun die an- dauernde Rotation der Tafel nach

A rückwärts einzuleiten. Ist dagegen

S ^ die Rotation. des ersten Kráfte-

v/ NS paares bei weniger steilem Absturz

t B (oder starker Excentricität) der

Tafel nur wenig über die Hori-

XH u zontalebene gediehen, so ist auch

die Wirksamkeit des entgegen- arbeitenden zweiten Kräftepaares geringer, und es kann der Fall eintreten, dass die angefangene rückläufige Drehung der Tafel nicht voll gelingt, sondern, wie in Bahn III, alsbald von einer wieder nach vorn gehenden Oscillation oder dauernden Rotation abgelöst wird.

Die Drehung, welche das erste Kräftepaar der excentrisch belasteten Falltafel erteilt, braucht nicht notwendig immer bis in die horizontale Ebene oder darüber hinaus zu gehen, wie es bei den Fallbahnen I, II und III geschieht.

Eine central belastete wenn diese Normalstellung erreicht und in Folge des Beharrungs- vermögens überschritten ist, gelangt das hemmende, zweite Kräftepaar zur Wirkung, erst dann erreicht und überschreitet der Widerstands- welche sie über die horizontale punkt den im Flächenmittelpunkte Lage und selbst über die normal liegenden Schwerpunkt, zum Trajektorium orientirte Stellung Fig. 19. Bei einer Falltafel mit excen- hinausführt (Fig. 19). Denn erst, trischer Lage des Schwerpunktes erreicht der während der Drehung (Fig. 20, I- III) zurückwandernde Widerstandspunkt P den Schwerpunkt S natürlich um so früher, je näher dieser dem vorderen Tafelrande liegt. Daher kann hier die Drehung des ersten Kräftepaares bereits zum Stillstand kommen, bevor die hori- zontale Stellung erreicht ist. Für den weiteren Verlauf der Fallbewegung ist dies von funda- mentaler Bedeutung, denn, wie man sicht (Fig. 22, HI), behält alsdann die translatorische Resultante t ihre Richtung nach der Seite des vorderen Tafelrandes, obgleich der Wechsel der Kraftepaare eingetreten ist. Die Fallhöhe erhält unter diesen Verhältnissen

Fig. 18.

Tafel, die unter irgend einem spitzen Absturzwinkel der Fall- bewegung überlassen wird, erfahrt unter allen Umstanden durch das erste Kráftepaar eine Drehung,

to DN]

keinen Rückkehrpunkt wenn die Kraftpaare wechseln, die Falltafel bewegt sich vielmehr lortschwebend auf einer wellenförmigen Kurve vorwärts und abwärts. Diese ist steiler geneigt, wenn der Neigungswinkel der Tafel gegen die Vertikale kleiner ist, und sie verläuft mehr horizontal, Winkel. Ist dagegen bet transversaler Tafelstellung (zum Trajektorium) der Betrag des Luftwider- standes ein grosser, so ist der translatorische Rest der Schwerkraft ein ge- ringerer und die ihn dar- stellende Resultante bildet gróssere Winkel gegen die Ebene der Tafel. Die regelmässig auftretenden Beschleunigungen und Ver-

wenn dieser Winkel grösser ist. Jenach dem Neigungs- winkel der Tafel gegen das Trajektorium ist der Luftwiderstand, den die fallende Tafel erfährt, grösser oder geringer, daher wird auch die Be- weeung bald mehr, bald weniger verzögert. Die translatorische Resultante erlangt bei steiler Tafel-

stellung und geringem Luft- Fi zogerungen der Fall. widerstande ihren gróssten d | bewegung flächenhafter Wert, ihre Richtung bildet L Heas Körper sind damit hin- mit der Tafel kleine spitze reichend erklärt.

Nach diesen Ausführungen lassen sich die Ergebnisse der folgenden Fallversuche

voraussehen.

4. Die Karte fällt unter Absturzwinkel œ .- 40° bis 90°. *)

Die Fallbahn (IV) (Fig. 8, Tafel II) führt wellenförmig vorwärts und abwärts. Sie hat bei 2,5 m Fallraum zwei sehr deutliche Undulationen, deren erste erheblich schwächer ist als die zweite (Fig. 8, IV- VII, Tafel II). Die Bewegung ist ein echtes Schweben, eine Flugbewegung, wenn auch die Falltafel entsprechend den Undulationen der Bahn bestimmte schwankende Drehungen erfährt. Der Teil der Bahn, welcher auf den Gipfel der zweiten Welle führt, wendet sich dabei weit seitwarts und bewirkt zumeist das seitliche Fortschreiten der Tafel bis über Fallhohe (bei h -- 2,25 schwebt die Tafel wenn « =: 60°, 2,60 m seitwärts). Der Verlauf dieses Teiles der Fallbahn zeigt in seinem wechselnden Gange mancherlei interessante Kigentümlichkeiten So kann es kommen, dass die Bahn hier nicht nur nahezu horizontal fortschreitet, sondern dass sogar ein Auf- steigen. der Tafel über einen vorher erreichten tiefsten Punkt stattfindet (Fig. 8, VII, Taf. II). Es ist dieses eine Flugart, wie sie vielfach von stossenden Raubvögeln ausgeführt wird, die von oben auf eine Beute herabschiessen und mit dem so gewonnenen Schwunge wie auf einer Bergbahn emporgleiten. Auch die Falltafel bestreitet ihre horizontale oder gar

*) Nach neuerdings angestellten Kentrollversuchen will es mir scheinen, als seien die beobachteten Absturz- winkel unter und über go" nicht unwesentlich durch die Einwirkung des remanenten Magnetismus beeinflusst,

d. h. vergrössert worden. Ich gebe daher die Absturzwinkel mit Vorbehalt

4*

28

aufsteigende Bewegung nur aus dem Vorrate von kinetischer Energie oder lebendiger Kraft, die sie durch die vorhergehende sinkende Fallbewegung erworben hat. Sobald aber dieser Vorrat erschöpft ist, folgt auch die translatorische Bewegung der Tafel wieder allein dem Triebe der Schwere, die im horizontalen und ansteigenden Teile der Bahn nur verzögernd gewirkt hat. Ist in Folge dieser Verzögerung und der Hemmung des Luft. widerstandes die Fluggeschwindigkeit ganz oder nahezu gleich Null geworden, so beginnt eine neue Fallbewegung, die nun natürlich so verläuft, wie es der im Einzelfall zuletzt erreichten Neigung der Tafel gegen die Lotlinie entspricht. Hiernach ist es zu verstehen, wie es kommt, dass die nach vorn gerichtete Schwebebahn bei manchen Versuchen plötzlich abbricht, um in eine rückläufige Oscillation oder Rotation überzugehen (Fig. 8, V-VII), oder sonst eine Gestalt anzunehmen, die den Fallbahnen mit kleinen anfänglichen Neigungswinkeln gegen die Lotlinie der Tafel cigentiimlich ist (VIII).

Nur auf sinkender Fallbahn FL (Fig. 21) kann die schwebende Tafel (I) einen spitzen Neigungswinkel « gegen die Lotlinie p bilden. Eine horizontale Lage (Il) kann die schwebende Tafel gleichfalls nur auf sinkender Bahn erreichen. Auf horizontaler Bahn (III) kann die F Tafel nur schweben, wenn sie einen kleinen spitzen Winkel gegen das Trajektorium und einen stumpfen gegen die Vertikale bildet. Und ebenso kann der Neigungswinkel œ der Schwebetafel IV (Fig. 21) auf ansteigen- der Bahn nur ein stumpfer sein. Büsst nun eine Tafel auf horizontaler oder ansteigender Bahn schwebend ihre Geschwindigkeit ein, so beginnt sie mit dem erlangten stumpfen Neigungswinkel eine neue Fallbewegung, deren Bahn von der voraufgehenden so gänzlich verschieden sein kann.

Unter allmählicher Vergrösserung des Absturzwinkels der Fallkarte wurden zahl- reiche Versuche angestellt und so innerhalb der Winkel von 40? bis 80? eine grosse Reihe verschiedener Fallbahnen beobachtet; deren bemerkenswerteste in Fig. 8 Taf. II. skizziert sind. Zwischen 40 und 70° ergaben sich die Bahnen IV-VII, auf denen die Karte bis zu einem Rückkchrpunkte herabschwebte. Unterhalb des Rückkehrpunktes, der um so früher erreicht wurde, je grösser der Neigungswinkel war, traten Oscillationen ver- schiedenen Grades, zuletzt Rotationen auf. Oft ergaben sich bei gleicher Einstellung des Fallapparats Bahnen, die zwar im ersten Abschnitt einander sehr ähnlich waren, aber schliesslich in verschiedene oscillatorische und rotatorische Bahnen übergingen. Diese

Unregelmässigkeiten haben vielleicht ihren Grund in kleinen Erschütterungen des Apparats

29

im Moment des Absturzes, oder in geringen, unvermeidlichen Verbiegungen der Karte, oder auch im Zustande der Luft.

Die Bahn VIII (Fig. 8, Taf. II) erhielt ich bei 75° anfanglicher Neigung der Karte; schon nach 1,5m Fallhöhe und kaum ı m seitlichem Fortschweben begannen Os- cillationen, unter denen die Karte wankend herabsank. Bei 80° schwebte die Tafel nur noch etwa 0,5 m vorwärts und fiel dann unter steilen Oscillationen zu Boden, oder geriet in konstante Rotation nach vorn. Fig. IV Taf. II.

5. Die Karte fällt unter Absturzwinkeln «---90° bis 180?

Die Fallbahnen zeigen durchwe® stark oscillatorischen und rotatorischen Charakter. Bei 110? wurde eine Bahn X Fig. 8 Tafel II beobachtet, die mit einer Oscillation rück- wärts und vorwärts anfing, darauf Oscillation zurück und dauernde Rotation nach vorn. In einem anderen Falle (XI) erfolgte auf eine Oscillation riickwarts dauerndes Rollen vorwarts. Endlich stellen sich Bahnen (XII) ein, die nach kurzem Absturz sofort in nahezu geradlinige rückläufige Rotation übergehen. Die mechanische Erklärung aller dieser verschiedenen Bewegungen ergiebt sich leicht aus dem mehr oder weniger grossen Schwunge den zu Beginn des Falles das einseitige Uebergewicht der Tafel mitteilt, bevor das II. Kräftepaar die zum Stopfen erforderliche Grösse erreicht. War für kleine Neigungswinkel die excentrische Belastung ein Hemmnis für die Oscillationen und Rota- tionen, so wirkt sie hier entschieden im Sinne derselben, eben des grösseren Schwunges wegen, den die Masse beim Absturz erhält.

II. Versuchsreihe.

Dieselbe lallkarte wie in der ersten Versuchsreihe (Fig. 14), aber mit nur halb so grosser Excentricität des Schwerpunktes. Die Belastung wurde so weit gegen den Flächenmittelpunkt der Karte verschoben, dass der Abstand des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte nur noch 3,5 mm betrug.

Die Versuche wurden mit 2,5 m Fallhöhe und mit von 10 zu 10 Grad steigenden Absturzwinkeln ausgeführt. Es ergaben sich Fallbahnen, die im Prinzip mit den in der vorigen Versuchsreihe näher besprochenen übereinstimmen.

Von besonderem Interesse ist nur, dass die schwebenden Fallbewegungen hier erst bei Absturzwinkeln von ca. 80° bis 9o" stattfinden, während sie vorher zwischen 40° und 60° auftraten. Die Schwebbahnen sind hier steiler, und die Fluggeschwindigkeit ist augenscheinlich geringer, als bei den Versuchen mit weiter vorgeschobenem Schwer- punkt; sie nähern sich also der vertikalen Bahn, auf welcher eine Tafel mit centraler Schwerpunktslage herabschwebt, wenn sie in genau horizontaler Stellung der freien Ein- wirkung der Schwere und des Luftwiderstandes überlassen wird. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn man, wie in einer

30

III. Versuchsreihe geschehen, den Schwerpunkt noch weiter gegen den vorderen Kartenrand verlegt, als in der I. Reihe. Dann zeigt sich, wenn z. B. bei sonst gleichen Verhaltnissen der Schwer- punkt 10mm vor dem Flachenmittelpunkte liegt, dass die Flugbewegung bei kleineren Absturzwinkeln, sehr schön bei 25° erfolgt, dass sie schneller von statten geht und er- heblich weiter seitwärts führt, als in der I. und II. Versuchsreihe.

Es leuchtet ein, dass das Flugvermögen einer Karte durch weitere Verschiebung des Schwerpunktes gegen den Vorderrand noch weiter gesteigert werden kann. Allein die Verschiebung ist doch nur innerhalb der durch das Avanzini'sche Gesetz gezogenen Grenzen möglich. Niemals darf der Schwerpunkt weiter vorgerückt werden, als nach dem Avanzini'schen Gesetz der Widerstandspunkt vortücken kann. Sobald dieser Grenzpunkt überschritten wird, fällt die Karte in stabiler Stellung senkrecht herab mit dem Vorder- rande vorauf; jede etwa auftretende seitliche Neigung der Karte muss sofort durch das entstehende Kräftepaar wieder in die Vertikale eingerichtet werden. Eine schwebende Flugbewegung kann nur dann stattfinden, wenn der Schwerpunkt hinter der vorderen Grenze des Widerstandspunktes liegt. Nur dann ist die Möglichkeit gegeben, dass der Widerstandspunkt noch vor dem Schwerpunkte auftaucht, um bei eintretender Schwankung die Fallkarte vorn immer wieder aufzurichten und vor dem Absturze zu schützen. Sind die Schwankungen nur geringe, so genügt offenbar auch ein kleiner Abstand des Schwer- punktes von der äussersten Vorderstellung des Widerstandspunktes. Der Schwerpunkt kann dann sehr nahe an den letzteren Punkt heranrücken. Bei stärkeren Schwankungen wird sich dagegen empfehlen, den Schwerpunkt vorsichtshalber etwas weiter zurück- zunehmen, damit der Widerstand genügend weit vorwärts vom Schwerpunkte einsetzen, und so die Kontinuität der Flugbewegung erhalten werden kann.

Fassen wir die wichtigsten Ergebnisse der vorstehenden Versuche soweit sie sich auf die passive, schwebende Flugbewegung bezichen .— zusammen, so erhalten wir die folgenden Sätze:

1. Die passive Flugbewegung ist eine specielle Form der Fallbewegungen flachenhafter Körper durch die Luft.

2. Dieselbe ist in erster Linie abhängig von der Lage des Schwerpunktes in der Flug- fläche, resp. dem Abstande des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte. Fallen beide Punkte zusammen, so schwebt der Flugkórper mit minimaler Geschwindigkeit senkrecht herab. Ist der Schwerpunkt in der Symmetrieebene der Flugflächen gegen den einen Rand derselben vorgeschoben, so schwebt der Flugkörper mit diesem Rande vorauf um so schneller und weiter zur Seite, je grösser die Excentricität d. h. die Entfernung des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte ist.

3. Die Excentricität des Schwerpunktes kann nur innerhalb der durch das Avanzini'sche Gesetz über die Verschiebung des Widerstandspunktes gezogenen Grenzen variiert werden. Ist für eine Flugfläche die vordere Grenze bestimmt, bis zu welcher der

31

Widerstandspunkt bei kleineren Neigungswinkeln vorrücken kann, so ist damit auch annähernd die Grenze der Verschiebbarkeit des Schwerpunktes festgestellt. Der Schwer- punkt muss von dieser vorderen Grenze stets eine gewisse, genügend lange Strecke entfernt bleiben, damit der Flugkórper bei den unvermeidlichen Schwankungen hin- reichend gegen Oscillationen, Rotationen oder gradlinigen Absturz gesichert bleibt. Da an rechteckigen und ähnlich gestaltete Flächen der Widerstandspunkt annähernd um ®/ıs der Flachenbreite in der Symmetrieebene gemessene Dimension vom Mittel. punkt fort gegen den Vorderrand vorrücken kann, so dürfte es sich empfehlen, bei der Herstellung künstlicher Flugapparate den Schwerpunkt S (Fig. 22) etwa in einem Abstande von ?/,« = !/s der Breite vor dem Flächenmittelpunkte anzuordnen. Für anders gestaltete Flug- pirisch zu ermitteln und eben- flachenhattemanzunachst 4 y 2 x B so den Flàchenmittelpunkt. die vorderste Lage des Fig. 22. Darauf wäre für praktische Widerstandspunktes em- Flugzwecke der Abstand beider Punkte, der „Schwankungsraum“ MP in drei gleiche Teile zu zerlegen und dann der Apparat so in's Gleichgewicht zu bringen, dass der Schwerpunkt in der Nähe des vorderen Teilpunktes der Strecke, also beim Anfang ihres vorderen Drittels läge.

Liegt der Schwerpunkt S mehr nahe der Mitte. des Schwankungsraumes MP, so wird dadurch das Flugvermögen in seitlicher Richtung weniger ergiebig gemacht. Ist der Schwerpunkt nahe bei den extremen Punkten P und M, so ist der Flug nur innerhalb geringer Schwankungen der Neigungswinkel möglich; er ist daher durch die Unregelmässigkeiten der Bewegung freier Luft gefährdet.

Jeder Flugapparat mit ebenen Flächen schwebt nur dann ohne in Oscillationen oder Rotation überzugehen, wenn er beim Beginn der Bewegung unter gewissen, von der Schwerpunktslage abhängigen Neigungswinkeln stand.

Tafelerklärung.

Tafel I.

Fallbewegung einer Postkarte AB, die unter einem anfänglichen Neigungswinkel « 30° gegen die Lotlinie aus einer Höhe FO 1.50 m herabfallt. FL Tra-

jektorium des Schwerpunktes. A...A cykloidische Bahn des anfangs abwärts gerichteten Vorderrandes; B...B Bahn des Hinterrandes. bis nz Stellungen

der Karte normal zum Trajektorium; ti bis ts Tangentialstellungen.

Fallbewegung einer Postkarte bei « = 60° anfänglichem Neigungswinkel. Be-

zeichnungen wie Fig. 1.

Fallbewegung einer ca. 8,5 g schweren Papptafel von der Grösse einer Postkarte. -()

Anfanglicher Neigungswinkel & = 15°. n Normal, t Tangentialstellungen. Apparat für die Fallversuche mit electromagnetischer Aufhängung der Falltafeln.

Tafel II.

Fallbewegung (Bahn I) der excentrisch belasteten Postkarte, Fig. 14 des Textes Anfangsneigung 15°.

Wie vorstehend, jedoch mit 25" Anfangsneigung (Bahn IT).

Wie vorstehend, aber mit 30° anfänglicher Neigung (Bahn III).

Weitere Fallbahnen (IV bis NI) bei anfänglicher Neigung von 40° bis 120°. Näheres 5. 27—29 des Textes.

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Ueber die

Stabilität der Flugapparate.

Von Dr. Fr. Ahlborn

in Hamburg.

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DES

6.

INHALT.

mus X, conatum Frühere Versuche mit Schwebapparaten....0................. OW ERE Ueber das Wesen der Schwankungen passiver Flugkórper ........ S

Einfluss der mehr oder weniger tiefen Lage des Schwerpunktes beim [luge

einfacher, ebener Flugkórper .... aoaaa aoaaa ee Mechanik doppelflächiger Flugapparate..... 2l liil ee

Einfluss der Excentricitat des Schwerpunktes resp. des Epicentrums auf den

Verlauf des Lluees. cin verraten EXE

Bedeutung der Flugflächenform, Verhältnis der Länge und Breite....... Frontalprofile der Flugflächen..............22..2 2.2... ee Ghierprohle der FF luenachen. vun. 2.20% Rin aoa pressed eee drehe

Einfluss des Flachenquerschnitts auf die Schwankungen beim Fluge 3) konkave Flache e 21, traue mars Ts b) konvexe Flächen ....... SAGE. Beye Eden abe dba. ee Die Vorderrandkonturen der Flugflache

Verhaltniss des Flügelgewichtes zum Gesamtgewicht des Flugkörpers ..

Plüeapparat der Zanonia Mace CAES vus quu asp idee EFOCOUISSS incluse Seien ee REITER

bo 13

tot N +

Ueber die Stabilitat der Flugapparate.

1. Friihere Versuche mit- Schwebapparaten.

In der vorhergehenden kleinen Arbeit über den Schwebflug und die Fallbewegung ebener Tafeln durch die Luft wurden am Schluss auf experimenteller Grundlage die mechanischen Bedingungen festgestellt, unter denen ebene Tafeln, Karten und dergleichen eine möglichst ruhige und möglichst schwankungsfreie, schwebende Flugbewegung aus- führen können.

Dahingehende Versuche sind früher bereits von verschiedenen Autoren angestellt und vielfach wiederholt worden, nachdem einmal als Hauptbedingung für das Schweben erkannt worden war, dass der Schwerpunkt des Flugkörpers vorwärts von dem sogenannten Schwerpunkte der Flugflächen, dem Flächenmittelpunkte, liegen muss. So baute wenn wir von den Flugversuchen des Mechanikers Dante in Perugia (1460) und des Nürnbergers Vorsinger vom Ende des 15. Jahrhunderts absehen der Engländer Cayley einen grossen Schwebapparat, von ihm ,,Aeroplane*" genannt, der mit einem Gewicht von 200 Pfund belastet war und von einem Hügel in die Ebene schwebte unter einem Winkel von 10° Neigung gegen den Horizont. In Frankreich fertigte ¥. Pline (Marey, Vol. d. ois. p. 302) kleine, leichte Apparate in Form von Schmetterlingen und Vogeln an, die bei geringen Aenderungen der Lage des Schwerpunktes und leichten Drehungen der Flügelflächen die verschiedenartigsten Bahnen durchschwebten. Bei uns hat Lz/entha/ in den verschiedenen Vorstudien zu seinen Flugversuchen zahlreiche Schweber hergestellt, um die Bedingungen zu ermitteln, unter denen die schwebende Bewegung am vollkommensten und gleich- formigsten ist. Ferner haben die Herren Riedinger, von Siegsfeld und von Parseval in Augsburg mit Aufwand bedeutender Kosten umfangreiche Arbeiten ausgeführt, um auf empirischem Wege praktisch brauchbare Schwebmodelle zu ermitteln, die sich selbstthätig auf geradliniger Bahn in stabiler Lage erhalten. Alle diese Versuche haben aber nur gezeigt, dass der Herstellung solcher idealen Modelle grosse Schwicrigkeiten im Wege stchen.

Lilienthal hatte früher auf Grund seiner Versuche daran gezweifelt, dass ein lebloser, schnell vorwárts schwebender Flugkórper ein gutes Gleichgewicht in der Luft

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finden könne. Er bildete jedoch in den letzten Berichten über seine Flugversuche (in „Prometheus“, Jahrg. VII. II, 1895 5. 169, Fliegesport und Fliegepraxis) einen Flugkörper ab, von dem er mir auf meine Anfrage schrieb, derselbe sei „absolut stabil“. Dieser Apparat besteht im wesentlichen aus zwei übereinander angebrachten Flugflächen, die in geeigneter Weise starr miteinander verbunden sind, ähnlich wie die drei Flächen der Stringfellow'schen I’lugmaschine, welche Pr/rgreze abgebildet hat. (Ortsbeweg. d. Tiere. Internat. Bibl. Bd. X. S. 184.) Die Idee der übercinanderliegenden Aeroplane rührt nach Pettigrew von F. M. Wenham her, der sie in seinem Aufsatze „Arial locomotion“ (World of Science, 1367) mitgeteilt hat. Zzlienthal hat nach dem Muster dieses seines Flugmodells seinen letzten Flugapparat hergestellt. Die damit unternommenen Flugversuche führten zu vielverheissenden und ermutigenden Ergebnissen, und Lz/enthal hoffte, damit den Beweis geliefert zu haben, dass das Problem der Konstruktion von brauchbaren Apparaten für den persönlichen Schweb- und Segelflug gelöst sei.

Das traurige Geschick, das den kühnen Versuchen Zz/enthals im vorigen Sommer cin so jähes Ende machte, hat leider gezeigt, dass er sich bezüglich der Stabilität seiner Apparate in einem verhängnisvollen Irrtum befand. Lange Zeit hindurch hatte cr versucht, die besten Formen für seine künstlichen Flügel zu ermitteln. Als solche betrachtete cr diejenigen, die cinen möglichst grossen tragenden Luftwiderstand ergaben. Das waren die hohlen, unterwärts konkawen Formen, die er fortan ausschliesslich für seine Zwecke verwandte. Aber schon die ersten Flugversuche, die er mit solchen hohlen Flügeln anstellte, führten ihm die damit verbundene Absturzgefahr in so unverkennbarer Weise vor Augen, dass er fernerhin nur mit ganz flachen Wolbungen experimentierte. Dadurch wurde denn zwar die Gefahr erheblich verringert, aber keineswegs vollkommen beseitigt; und die ‚\pparate blieben daher noch immer weit entfernt von dem Grade der Sicherheit und Stabilität, den man unbedingt von einem Flugkörper verlangen muss, wenn demselben ein Menschenleben anvertraut werden soll. Es war das Verhängnis Zz/enthals, dass cr durch seine Widerstandsmessungen die Entdeckung der Ueberlegenheit der hohlen Flug- flächen über die anders gestalteten (bezüglich des tragenden Widerstandes) gemacht hatte. Er erblickte daher in den Fliigelwolbungen das wichtigste Merkmal eines guten Flug- apparats; und die Natur, welche derartige Wolbungen in den Flugorganen der klein- flügelisen Rudervögel (z. B. der Hühner) in so auffälliger Weise entwickelt hat, schien ihm Recht zu geben. So schritt er als Mann der That zu persönlichen Flugversuchen, in der Ueberzeugung, dass nur durch praktische Erfahrung weitere Fortschritte in der Konstruktion der Flugapparate erzielt werden könnten. Und doch waren die Fragen der Stabilität, insbesondere die Frage über den Einfluss der Flächenformen auf den Gang der

Flupbewegung in bewegter Luft teils noch nicht befriedigend beantwortet, teils nicht einmal gestellt Die Nachfolger Zzizenthals und an solchen wird es trotz alledem nicht fehlen werden die gewonnenen Erfahrungen zu beherzigen, und mit Vorsicht

die Lösung des praktischen Flugproblems weiter zu verfolgen haben. Ihnen werden die folgenden rein wissenschaftlichen Untersuchungen von Interesse und hoffentlich auch von Nutzen sein.

/

2. Uber das Wesen der Schwankungen passiver Flugkorper.

Die unvermeidlichen Schwankungen, welche ein mehr oder weniger tafelförmiger Schwebapparat während der translatorischen Flugbewegung ausführt, sind den stationären Schwankungen cines Wagebalkens vergleichbar. Beide kommen in gleicher Weise dadurch zu stande, dass der Schwerpunkt und der Unterstützungspunkt ihre Lage zu einander wechseln.

Bei der Wage pendelt der nahe unter dem Aufhängepunkte (Widerstandspunkte) legende Schwerpunkt des beiderseits gleich belasteten Wagebalkens abwechselnd nach rechts und nach links aus der Vertikalebene des Aufhängepunktes hinaus, sodass nun aus Schwerkraft und Widerstand das drehende Kräftepaar entsteht. Mit dem Fortschreiten der Drehung gelangt der Schwerpunkt wieder unter den Aufhängepunkt. Damit ver- schwindet das Kräftepaar, nicht aber die Drehung, die in Folge des Beharrungsvermögens fortdauert, bis sie durch cin neues, entgegenecsetztes Kräftepaar aufgehoben wird. Dieses Kräftepaar erscheint mit dem Auftauchen des Schwerpunktes jenseits der Vertikalebene des Aufhangepunktes. Dasselbe beseitigt aber nicht nur die vorhandene Drehung, sondern bewirkt auch jedesmal eine gleichstarke Drehung im entgegengesctzten Sinne. Daher kommen bekanntlich die Schwankungen ciner Wage oder eines physischen Pendels erst nach mehr oder weniger langer Zeit in Folee von Reibungswiderstinden an den Auf. hängepunkten, sowie wegen des Luftwiderstandes zur Ruhe. Von der Empfindlichkeit der Wage hangt es ab, ob die durch irgend eine Stórung des Gleichgewichts, etwa durch cin einseitiges Übergewicht, veranlassten Schwankungen mit grossem oder kleinem Ausschlagswinkel erfolgen, ob sie lange Zeit andauern, oder schnell abnehmen und aufhören. Eine Wage mit kurzem, schweren Wagebalken und tiefliegendem Schwerpunkt des letzteren schwankt weniger stark und kommt schneller zur Ruhe, als eine andere mit langem und leichtem Balken, dessen Schwerpunkt nahe unter dem Unterstiitzungspunkt liegt. Überempfindlich ist eine Wage, wenn der Schwerpunkt zu nahe am Unterstützungs- punkt liegt, oder mit ihm zusammenfällt. Das geringste Übergewicht bewirkt dann ein Herabsinken der einen Wagschale, ohne nachfolgende Rückschwankung.

Bei der Falltafel oder dem Schwebapparat liegen die Verhältnisse allerdings zum Teil anders. Wenn bei der Wage Unterstützungspunkt und Drehungspunkt zusammen fallen, während der Schwerpunkt seine Lage zur vertikalen Ebene der Drehungsachse ändert, so fällt hier der Drehungspunkt mit dem Schwerpunkte zusammen und der Unterstützungs- oder Widerstandspunkt wechselt die Lage. Ausserdem erfolgt hier die Drehung um eine freie, nicht im Achsenlager ruhende, dort um eine feste Achse. Die Schwankungen eines Schwebapparates werden also auch nicht, wie die einer Wage,

gehemmt.

durch Reibungswiderstiinde der Achsen Von diesen nebensächlichen Unterschieden abgesehen, sind aber die mechanischen Bedingungen der Stabilität und Empfindlichkeit bei der Wage und den Schwebekörpern Im Prinzip identisch. Von beiden verlangt man Stabilität. Tine gute Wage muss empfindlich sein, von einem guten Schwebapparat hat man das Gegenteil zu fordern.

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Wie die Unempfindlichkeit und Stabilität einer Wage durch Tieferlegung des Schwerpunktes gesteigert wird, so lässt sich auch bei den Schwebapparaten durch möglichst tiefe Anordnung der Last unterhalb der Flugflache der gleiche Erfolg erzielen. Bei den excentrisch belasteten Flugkörpern, an denen die Schwerkraft ausser der vertikalen, auch eine horizontale Bewegung hervorruft, bleibt jedoch zunächst zu beachten, dass durch die starren Verbindungen zwischen Last- und Flugflache der hemmende Stirn- widerstand nicht zu sehr vergrössert werde.

Die älteren Schwebapparate Zilenthals verdankten offenbar ihre geringe Stabilität abgesehen von der später zu betrachtenden gefahrvollen Konkavitat in erster Linie der nicht hinreichend tiefen Lage des Schwerpunktes. Es war dafür ohne Zweifel das Muster der schwebenden Vögel massgebend gewesen, deren Schwerpunkt beim mehr horizontalen oder ansteigenden Schweben stets ziemlich nahe unter den Flug- flächen liegt. Diese Lage hat aber zur Voraussetzung, dass unbeabsichtigte, momentane Verschiebungen des Widerstandspunktes, wie sie durch jede Intermittenz der bewegten Luft erzeugt werden, durch ebenso prompte aktive Gegenmassregeln des Fliegenden in ihrer Wirkung ausgeglichen werden. Der segelnde Vogel vollbringt dies durch gelegent- liche Flügelschläge, und mehr noch durch geeignete Aenderung der Grösse, Form und Stellung seiner I’Jugflächen. Hierzu besitzt er neben einer angeborenen, durch die Eleganz des natürlichen Mechanismus bedingten Fähigkeit, eine durch fortwährende Übung bis zur höchsten Vollkommenheit gesteigerte Geschicklichkeit, und die Bewegungen, welche er zur Vermeidung von Schwankungen vollführt, machen durchaus den Eindruck des anstrengungslosen Spiels automatischer Reflexe, welche durch die Ursachen der entstehenden Schwankungen selbst veranlasst werden.

Auch O. Lilienthal hatte durch besonnenes, schrittweises Vorgehen in seinen zahl- reichen Versuchen eine grosse Flugecwandtheit erlangt, wie er denn mit vollem Recht die Ausführung des persönlichen Fluges als eine Aufgabe der turnerischen Geschicklichkeit betrachtete und betrachtet wissen wollte. Aber das Mittel, das er zur Stetigung der Flugbewegung im unsteten Winde benutzte, war unvollkommener, als die bezeichneten Mittel, deren sich die grossen Segler unter den Vögeln bedienen. Zzlenthal steuerte nicht durch die Änderung beweglicher Flugflachen, sondern durch Verschiebung des Schwerpunktes unter unverändcrlicher Fläche, er suchte den eintretenden Verschiebungen

des Widerstandspunktes hervorgerufen durch Anderung der Intensität und Richtung des Flugwindes durch Änderung der Stellung seines eigenen, im Apparat hängenden

Körpers und einzelner Teile desselben zu begegnen. Der Erfolg zahlloser glücklich verlaufener Flugversuche bestätigte, dass diese Steuerungsart für die bei Windstärken bis 7 m auftretenden Schwankungen des Flugwindes wohl ausreichte. Aber darüber hinaus ergaben sich Schwierigkeiten, und erst durch Ticferlegen des Schwerpunktes konnte die obere Grenze der Lenkbarkeit etwas weiter hinaufgeschoben werden. Dies geschah 1895 durch die Benutzung von Apparaten mit zwei übereinander liegenden Flächen. Zikenthal war überrascht und entzückt von dem ruhigen Verlauf des Fluges und der hohen Stabilität solcher Flugkörper, ohne jedoch die tiefere Lage des Schwerpunktes unter den Flugflächen

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als wesentliche Ursache des Fortschrittes hervorzuheben. Wir haben auf die Flugmechanik solcher doppelflächigen Apparate weiter unten näher einzugchen. Hier soll zunächst erörtert werden: |

3. Der Einfluss der mehr oder weniger tiefen Lage des Schwerpunktes beim Fluge einfacher, ebener Flugkórper.

1. bei central belasteten Flugflächen oder Fallschirmen.

Es seien in Fig. 1, J und II AB zwei gleich grosse, gleich gestaltete Flugflachen, beide seien gleich stark central belastet, jedoch so, dass bei I der Schwerpunkt S mit dem Flächenmittelpunkte M zusammenfällt, während er bei II unterhalb desselben liegt.

Lässt man diese Körper aus gleicher I A horizontaler Lage in völlig ruhiger Luft T = herabsinken, so kommen beide ohne A— ———n ar re. Schwankungen, (gleichzeitig und mit p > gleicher Geschwindigkeit) unten an. Die V : verschiedene Lage des Schwerpunktes Fig. 1. :

ist also unter diesen, allerdings praktisch kaum innezuhaltenden Bedingungen vollig gleich gültig. Da die Resultanten der Schwerkraft p und des Luftwiderstandes w in derselben, durch M gehenden Vertikalen liegen, so lassen sich beide zu der Kraft (p- w) vereinigen, welche die Abwärtsbewegung im Medium beschleunigt. Ein Kraftepaar, das eine drehende Wirkung auf das System ausüben kónnte, kommt dabei nicht zu stande.

Diese Verhältnisse ändern sich in dem Augenblick, wo aus irgend einem äusseren Grunde der Luftwiderstand nicht mehr gleichfórmig über die Flugflüche verteilt ist, mit anderen Worten, sobald P,

der Angriffspunkt des Wider- ú E ven standes, seitlich von der durch aT B An TR 5 gehenden Vertikalen liegt. Pipi.t " i

In diesem Falle ergiebt sich d | ; p-w-t

(Fig. 2) ausser der trans- Fig. 2.

latorischen Resultante

t = (p— w) ein Kräftepaar, dessen Moment (= w - P M) und drehende Wirkung seinem Arme, d. h., dem Abstande PM proportional ist.

Mit dem Beginn der Drehung ändert sich an beiden Fallkörpern Arm und | I n

Moment des Kraftepaares, | Fig. 3

IO

da nach dem Avanizni schen. Gesetze. der Widerstandspunkt P in der Richtung nach dem nun in der Bewegung voraufgehenden Flächenrande A vorrückt. Hat sich nach Verlauf einer gewissen kleinen Zeit der Widerstandspunkt von P nach P; verschoben, so ist in Fig. 3 bei I das Moment nur noch w (PM-PPi) = w. Pi M; bei II aber ist es noch kleiner geworden, da wegen der tiefen Lage von S die durch S gehende Vertikale nicht mehr durch M geht, sondern durch den näher bei Pi liegenden Punkt E, den wir „Epı- centrum“ oder Gleichgewichtspunkt nennen wollen. Das Moment ist hier also nur noch w.(MP-PPi- ME) = w. le Pi.

Daher ist auch die Drehung, welche ein excentrisch auftreffender Windstoss an einem Fallschirm mit tiefliegendem Schwerpunkte hervorruft, unter allen Umständen geringer, als an cinem solchen, dessen Schwerpunkt in (oder gar über) der Fläche liest. Wie bei der Wage wirkt auch hier die tiefere Lage des Schwerpunktes dämpfend auf die Schwankungen ein. Uebrigens ist das Zusammenfallen des Schwerpunktes S mit dem l'làchenmittclpunkte M bci weitem nicht so verhängnisvoll, wie wenn bei der Wave Schwerpunkt und Aufhängepunkt einander decken, denn bei den Flugkörpern wandert der Angriffspunkt P des Widerstandes, der die Drehung verursachte, mit zunehmender Neigung leicht über M hinaus gegen den vorangehenden Flächenrand A hin, und es cnt- steht dadurch cin entgegengesetztes Kräftepaar, welches die anfängliche Drehung hemmt und umzukehren sucht. Liegt der Schwerpunkt tiefer als die Fläche (II), so braucht P nicht einmal bis M, sondern nur über das Epicentrum E hinaus zu wandern, um das hemmende Kräftepaar zu erzeugen. Die tiefere Lage des Schwerpunktes wirkt also nicht nur hemmend auf eine begonnene Schwankung, sondern beschleunigt auch die Wiederherstellung des gestörten Gleichgewichts, kurz, erhöhet die Stabilität der in Rede stehenden Flugkörper.

2. Für exentrisch belastete Flugkörper, deren Bahn seitlich fortschreitet, gilt im wesentlichen, was eben über die lFallschirme gesagt wurde. Die nebenstehende Figur 4 stelle eine Flugflàche AB dar, an welcher ausserhalb des Fláchenmittelpunktes M im Punkte L cine Last starr befestigt ist, sodass der Gesamtschwerpunkt S des Apparats

von der Flugfläche in L den Störung des Gleichgewichts Abstand d hat. Befindet sich \ B kann nur dadurch herbeigefuhrt

der Körper während des werden, dass in Folge von

yıssiven Fluges im Gleich- Uneleichformiekeiten der Luft D5 D D

gewicht, so ist die Flugfläche der Widerstandspunkt P von E

mit ihrem Vorderrande gc- aus gegen A oder B ver-

neigt, und der Angrifispunkt : schoben wird. Wendet er sich der Resultante des Luftwider- P; gegen A, (Fig. 5) so hat standes w fallt mit dem Fpi- puo dies eine Drehung der Flug-

da E centrum 1% zusammen. line fläche in eine mehr horizontale

Lage zur Folge, wandert er aber gegen den Ihnterrand B, (Fig. 6) so wird die Fläche steiler aufrrerichtet. In beiden Fallen bewirkt die Drehung der Flugthiche nicht allein nach

II

dem Avanzinischen Gesetz eine Rückwärtsbewegung des Widerstandspunktes P gegen das I-picentrum, sondern auch das Epicentrum wandert dem Punkte P entgegen. Dadurch wird somit das Zusammenfallen von E und P, die Gleichgewichtslage, schnell herbei- gefuhrt, schneller, wie wenn der Schwerpunkt S in der Flugfläche läge und daher die Wanderung des Epicentrums nicht hinzukäme.

B y: P: Y M Fig. 5. Fig. 6.

Liest S in der Flugfläche, so fallen S und E zusammen und die Lage von E ist unveranderlich; ein gestörtes Gleichgewicht kann dann nur durch Verschiebung des Widerstandspunktes P wieder hergestellt werden. Befindet sich dagegen S in einem Abstande SL .-d unterhalb der Flugfläche, so erkennt man leicht aus der Beziehung LE d.» tge, wie sich die Lage des Epicentrums mit dem Abstande d und dem Neigunyswinkel der Flugfläche gegen die Horizontale ändert. Bei vorhandenem Gleich- gewicht (im Fluge) kann ohne Störung der translatorischen Bewegung cine Verschiebung des Schwerpunktes in der Geraden ES erfolgen. Nähert sich der Schwerpunkt dem Gleichgewichtspunkt K, so wird die Stabilität verringert, entfernt er sich, so wird sie ver- grossert. Eine willkurliche Aenderung der Lage von S in einer anderen Richtung, etwa in der Geraden L S, bewirkt eine Verschiebung des Epicentrums E gegen den vorderen resp. hinteren Flueflichenrand. und ist mit ciner entsprechenden Aenderung des Neigungs- winkels der Flächen und der Flugbahn verknüpft. So wusste Zzöenthal durch Verschiebung seines Schwerpunktes bestimmend auf den Verlauf des Fluges einzuwirken. Die Vogel, welche mit hochgehobenen Flügeln steil. herabschweben, verringern durch diese Flugelhaltung nicht nur den tragenden Widerstand, sondern verschieben auch durch die

gegen die Mitte der llugtlachen,

l

relative Senkung des Schwerpunktes ihr Epicentrum wo bei steilem Flug auch der Angrifispunkt des Widerstandes der Luft sich befindet.

4. Mechanik doppelflächiger Flugapparate. 1. Über den Abstand der Flugflächen. Die Anwendung von Flugwerkzeugen mit zwei oder mehreren über einander

liegenden Flugflächen hat zur Voraussetzung, dass die Wirksamkeit der einen Fläche nicht

durch die andere gestört werde. Die Flugllächen müssen daher entweder -- ber Fall- schirmen -— so weit von einander abstehen, dass die Luft, welche auf die untere der

Flächen cingewirkt hat, bereits wieder so gut wie vollständig zur Ruhe gekommen ist,

5f

12 wenn die obere Fläche mit ihr in Berührung kommt, oder die Anordnung muss cine solche sein, dass jede Flache beim Fluge eine eigne, freie Bahn durch vorher unbeeinflusste Luftmassen durchschreitet. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so sind die Widerstande an den beiden Flächen verschieden, wie an zwei Segeln, von denen das eine im Wind- schatten des andern stcht*).

Wie weit der störende Einfluss der vom Winde zuerst getroffenen Fläche nach rückwärts wirksam ist, hängt von der Grösse ihres Areals, ihrer Fluggeschwindigkeit und dem Neigungswinkel gegen die Richtung des Flugwindes ab, mit andern Worten, von der Grosse ihres Luftwiderstandes. Es lässt sich voraussehen, dass von zwei ungleich grossen Fallschirmen, welche mit derselben Geschwindigkeit unabhängig und getrennt von einander herabsinken, der grössere eine breitere Zone schwach widerstehender Luft hinter sich her- ziehen wird, als der kleinere. Lässt man zwei gleich grosse Fallschirme mit ungleicher Belastung niedergehen, so wird der schwerere und daher schneller fallende vermutlich eine stárkere und weiterreichende Stórung der Luft an seiner Rückseite haben, als der leichtere. Hat ein Flugapparat eine scitlich fortschreitende Bewegung, sind seine Flachen unter einem spitzen Winkel gegen den Flugwind geneigt, so wird mit dem Neigungs- winkel auch die ungünstig beeinflusste Luftschicht hinter der vorderen Fläche kleiner werden. Verlauft endlich die Richtung des Flugwindes +) mit den Flugflächen parallel, so wird mit dem Widerstande auch der stórende Einfluss minimal, den die Flachen auf die Struktur der seitlich vorüberziehenden Luftmassen ausüben.

Lilienthal wählte als vertikalen Abstand der Flugflachen ?/, der Flachenbreite. Dies Verhältnis hatte sich ihm bei kleinen Flugmodellen als günstig erwiesen.

An genaueren, systematisch durchgeführten, experimentellen Bestimmungen uber die Grösse und Abhängigkeit dieser Störungen besitzen wir bis jetzt nur die Versuche Langley's, die er mit dem ,,Plane- Dropper ausftihrte**). Er benutzte Flächenpaare von 1474 Zoll (= 38,1 » 10,2 cm), die er in einem Abstande von 2, 4 und 6 Zoll (= 5,1. 10,2 und 15,2 cm:) untereinander befestigte und dann unter Neigungswinkeln von + ro" bis auf dem Rundlauf seitlichen Winden bis zu 26 m Starke aussetzte. Das Ergebnis war, dass die Luft nur in sehr geringem Abstande von der voraufgehenden Tafel gestort wird. Die Dicke der gestörten Luftschicht war bei den Versuchen durchschnittlich geringer als 4 Zoll. Im Abstande von 2 Zoll war der Luftwiderstand an dem übereinander stehenden Tafelpaare wesentlich kleiner, als er bei gleichem Areal in ungestórter Luft gewesen ware.

Sehr interessanten Aufschluss über die Erstreckung und Eigenart der Störungen, welche ein widerstehender Kórper in einem Luftstrome hervorruft, geben die im Juniheft 1896 *) Sehr anschaulich wird dies durch einen von Dr. W. Linss (Uber die Entstehung der Wolkenstreifen, Z. d. Oest. Ges. f. Meteorol. XVIII. S. 81- 89) angegebener Versuch demonstriert. Lässt man zwei aus feinem Seidenpapier angefertigte hohle Kegel in geringem Abstande die Spitze vorauf niederfallen, so vergróssert sich die Geschwindigkeit des oberen Kegels, er nähert sich dem unteren und legt sich endlich in den Innenraum desselben hinein,

**) Langley: Experiments im Aerodynamics. Smithonian Contrib, 1891. S. 26—47.

7) Relativer Gegenwind.

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der Zeitschrift für Luftschitfíahrt und Phys. d. Atmosph. mitgeteilten Experimente von Dr. Ludwig Mach in Wien. Dieser Forscher machte die Luft direkt sichtbar, indem er sie, vor dem Eintritt in ein der Quere nach durchsichtiges Rohr, durch eine Heizvorrichtung erwärmte. Es entstand so ein Gemisch von warmerer und kälterer Luft, welche wegen ihres an den verschiedenen Stellen ungleichen Brechungsexponenten die bekannten sicht- baren und photographisch fixierbaren Schlieren bildete. In diesen Strom wurden dann verschieden gestaltete Körper gebracht und bei Magnesiumblitzlicht photographiert. Obgleich die Aufnahmen in erster Linie nur dazu bestimmt sind, die Feinheit und technische Durch- führbarkeit der Methode zu beweisen, so geben sie doch schon einen trefflichen Einblick in den Verlauf der Luftströmungslinien und lassen erkennen, wie weit auf beiden Seiten der Hindernisse die Bewegung der Luftteilchen gestört ist. Eine weitere Ausnutzung dieser photographischen Methode wäre nicht nur für die in Rede stehende Frage sehr erwünscht, es würden sich auch weitere, für die Theorie des Luftwiderstandes sehr wertvolle,

ja entscheidende Resultate dadurch erzielen lassen.*)

2. Ueber Gleichgewicht und Stabilität doppelflächiger Flugapparate.

Für die einflächigen Flugapparate galt als wesentliche Bedingung für das Gleich- gewicht beim Fluge: das Zusammentallen des Widerstandspunktes P mit dem Schwerpunkte

resp. dem Epicentrum. Bei den doppelflächigen Apparaten wenn wir zunächst solche mit einem Paare gleichgrosser, paralleler Flächen ins Auge fassen (Fig. 7) ist diese

Bedingung nur für Fallschirme mit centraler Lage des Schwerpunktes

resp. der Epicentren beider Flächen cm D

und vertikaler Flugbahn crfüllbar. |

Sobald solche Apparate in Folge seit- 4 (E B

licher, excentrischer Lage des Schwer- ] S

punktes auch cine seitliche trans-

latorische Bewegung erfahren und Y T daher schrag gegen die Schwerkratt- ae Fig. "i

richtung geneigt sind (Fig. 8), liegen

die beiden Epicenten nicht mehr in homologen Punkten der Flachen, sondern um so mehr dem hinteren Flächenrande genähert, je weiter die betreffende Fläche vom Schwerpunkt entfernt ist. Da nun die Widerstandspunkte in homologen Flächenpunkten liegen, so können sie nicht an beiden Flächen mit den Epicentren zusammenfallen. Die Gleichgewichts- bedingungen müssen daher hier andere sein, als bei einflächigen Körpern.

*) So wird z. B. schon durch J/ach’s Fig. 8 die mit so grossem Fleisse ausgearbeitete Lufthügeltheorie des Herrn von Loessl (Die Luftwiderstandsgesetze, Wien 1896? über den Haufen geworfen. Diese eire Figur giebt über das Verhalten der Luft an einer widerstehenden Fläche mehr Auskunft, als alle die phantasie-

vollen Konstruktionen ZoessZ5: sie zeigt, dass ein Lufthügel von der Art der Z.'schen Theorie gar nicht existiert, und dass es unstatthaft ist, die Verhältnisse an der Rückseite so zu vernachlissgen, wie es durch vom Loc.

geschah, in dem Bestreben, einfache mathematische Formeln für den Luftwiderstand abzuleiten.

14

Um diese Bedingungen zu ermitteln, hat man sich zunächst vorzustellen, der Widerstandspunkt P falle mit dem Epicentrum E der unteren Fläche (lig. 8) zusammen. Durch das Zusammenwirken des Gewichtes p und des Luftwiderstandes w kommt alsdann an der unteren, für sich im Gleichgewicht befindlichen Fläche nur eine translatorische Resultante t = (p—w) als geometrische Differenz von p und w zur Geltung. An der oberen Fläche dagegen hat zwar der Widerstandspunkt denselben Abstand vom vorderen Flächen- rande, wie der Widerstandspunkt P der unteren Fläche, aber Pi deckt sich nicht mit dem oberen Epicentrum, und es gelangt daher an der oberen Fläche ein Kräftepaar we (Pi Ei) zur Wirkung, das den Flugapparat im rechtslaufigen Sinne zu drehen strebt.

Nimmt man umgekehrt an, cs falle an der Oberfläche der Widerstandspunkt mit dem Epicentrum E: zusammen (Fig. 9), so entsteht an der unteren Fläche ein links- drehendes Kraftepaar w. (P E). Dieses Kräftepaar dreht den Apparat in eine steilere Stellung. Dabei werden die Epicentren weiter gegen die hinteren Flächenränder ge- | schoben. Zugleich aber wandern die Widerstandspunkte nach dem Avanzinischen Gesetze weiter nach vorn und gelangen so auch in die Lage der Punkte P und Pi (Fig. 10) deren Abstände von den vorderen llächenrändern die Mitte halten zwischen A E und C Ei... Hier ist also P E = Di Ei, die Widerstands-

fies: Feio: punkte liegen auf beiden Flächen

: gleich weit von den Epicentren und

zwar an der oberen davor, an der unteren dahinter. Unter diesen Verhältnissen ergeben

sich oben und unten zwei gleich grosse, entgegengesetzt drehende Kraftepaare wi © Pi Fi

und we» PE, welche sich, da sie an dem starr verbundenen Flüchenpaare in einer

(vertikalen) Ebene liegen, das Gleichgewicht halten. Verschiebt man nämlich die Seiten-

kräfte wi und (--wı) des oberen Kraftepaares in ihrer Richtung, sodass (—wi) in T und

Wi mit w zusammen in P angreift, so sieht man, dass in der That an dem System E P T die vier Kräfte der beiden Kräftepaare im Gleichgewicht stehen.

Ist p das Gewicht des ganzen Apparats, so bleibt als translatorische Resultante nur die geometrische Differenz A > p = (w 5 wi) übrig.

Ist allgemein die Summe der Widerstände w + wi gleich der ganzen normal zu den Flugfliächen gerichteten Komponente EN (Fig. 11 I.) der Schwere, so erscheint die translatorische Resultante t als ın der Richtung der Fläche nach vorn wirkende Komponente der Schwerkraft, und die Bewegung ist ein Gleiten in der Richtung von B nach A. Ist dagegen (w= wi) kleiner als die Normalkomponente EN (Fig. 11 IL), so ist die

Resultante t entsprechend abwärts gerichtet. Ist endlich bei vorübergehender Zunahme des Widerstandes (w 4 wi) grösser als EN, (Fig. 11 HLA, so weicht die Richtung von t nach oben hin von der Flueflache ab, und die Bewegung des Ganzen geht schräg nach vorn und aufwärts.

pma tA t

Das Hauptergebnis der vorstehenden Betrachtungen ist, dass ein Flugapparat, der zwei gleichgrosse, gleichgestaltete und in hinreichendem Abstande parallel über- einander befestigte Flächen besitzt, unter der Bedingung im Gleichgewicht schwebt, dass die Angrifispunkte P und Pi des Widerstandes von den zugehörigen Epicentren E und gleichen Abstand haben. Dies setzt voraus, dass die Luft völlig homogen, und die Widerstandsverhaltnisse an beiden Flächen genau übereinstimmend seien. In Wirklichkeit ist dies jedoch nicht der Fall, die Struktur der Luft ist vielmehr um so ungleichförmiger, je mehr sie durch herrschende Winde erregt ist. Jede Schwankung der Intensität und Richtung des Luftwiderstandes ist aber auch im allgemeinen mit entsprechenden Ver- schiebungen der Angriffspunkte P und Pi verbunden. Dadurch wird bald das obere,

A

| ww)

Fig. 11. bald das untere Kraftepaar vorherrschend, und der Apparat wird bald in dem Sinne des oberen, bald in dem des unteren Kraftepaares gedreht, wie ein einflächiger Apparat, bei dem aus gleicher Veranlassung der Widerstandspunkt um den Schwerpunkt resp. das Epicentrum schwankt. Was aber der zweiflächige Apparat vor dem einflächigen voraus hat, ist dass durch die Teilung der Flugflache das Moment des aufkippenden Kräftepaares

verringert wird. Fur zwei in einer Ebene liegende. und durch ein Intervall von einander vetrennte Flachenhalften ist dies bereits durch Ædm. Gerlach nachgewiesen. (Ableite. gewisser Bewegungsformen geworfener Scheiben ete. Z. f. Luftschitf. 1886, S. 71). Für solche Flächenpaare ist danach der Luftwiderstand gegen jeden lMächenteil nur halb so gross, die Verschiebung des Widerstandspunktes wegen der halben Breite nur halb so oross, das Moment des aufkippenden Kräftepaares also ein Viertel, für beide Teile zusammen wieder halb so gross; als bei der ungeteilten Scheibe. Nach. den Versuchen Avanzinis, die damals Gerlach noch nicht bekannt waren, ist zwar die Verschiebung grösser, als Gerlach annimmt, allein. sie ist jedenfalls geringer, als bei der ungeteilten Fläche, und darum ist auch das Moment des Paares an der ganzen Fläche grösser, als an der geteilten. Was Gerlach über die Vergrösserung des Trägheitsmomentes geteilter Platten sagt, gilt nicht für unsere übereinander liegenden. Platten, denn das Trägheits- moment wird durch diese Anordnung der Flächenhälften nicht vergrössert, sondern ver- ringert. Allerdings würde eine Vergrösserung des Tràgheitsmomentes den ‚Apparat un- empfindlicher machen gegen die Wirkung des Kräftepaares, aber, einmal in Schwankungen versetzt, was ja in freier Luft unvermeidlich ist, wird mit dem Tragheitsmoment auch die

Gefahr. des vollen Ueberschlseens vergrössert sein. Wenn. ausser der Verringerung des

16

Moments des Kräftepaares noch eine andere Ursache die Stabilität der doppelflächigen Apparate erhöht, so kann es nur die tiefere Lage des Schwerpunktes sein, die an der oberen Fläche so beträchtliche Verschiebungen des Epicentrums verursacht.

Wir haben bei der Besprechung der einflächigen Flugkörper gesehen, wie die Verschiebungen des Epicentrums mit dem Abstande des Schwerpunktes von der Flugfläche und der Tangente des Neigungswinkels zunchmen und wie dadurch im gleichen Maasse die Wiederherstellung des etwa gestörten Gleichgewichts beschleunigt wird.

Dasselbe gilt auch für die zweiflächigen Apparate. Jede Änderung der vorhandenen Gleichgewichtslage, jede geringe Drehung des Apparats ist von einer Verschiebung der Epicentren begleitet, welche das Moment des die Drehung bewirkenden Kräftepaares abschwächt, dasjenige des in E und Eı, sondern in E und Er. Man sieht, dass dadurch der Arm des unteren Kraftepaares, das die Dre- hung bewirkt hatte, um das Stück E E verkürzt ist, wahrend zugleich. der Arm

entgegengesctzt drehenden, also hemmenden Paares da- gegen verstärkt. Dies ist leicht zu zeigen. Es sei in Folge einer Gleichgewichts- störung der Apparat AB CD (Fig. 12) um einen kleinen Winkel e gedreht, soschneidet die durch den Schwerpunkt gezogene Schwerkraftrichh- tung die Flachen nicht mehr Lage der Schwerpunkt nicht unter, sondern in der unteren Flugebene, etwa in

des zweiten, vorher schwäche- ren hemmenden Paares um . ~ FN = Li ae

die Strecke Ei vergrössert

ist. Wie die Arme, ändern

Fig. 12.

sich die Momente.

E, so würde bei eintretender Drehung cine Verschiebung. des I;picentrums nur an der oberen Fläche eintreten, die beginnende Schwankung würde also nicht ganz so prompt gehemmt werden, wie im vorigen Falle, wo das aktiv drehende, untere Paar gleichzeitig abgeschwächt wurde.

Noch geringer ist die llemmung, wenn der Schwerpunkt S über der unteren Fugfläche liegt (Fig. 13). Eine durch das untere Kräftepaar bewirkte Drehung des Systems vergrössert zwar Moment des aktiven. Paares noch durch die Wanderung vergrossert und dadurch der des oberen Epicentrums Arm Erfolg der Hemmung ver- und Moment des hemmenden, zögert. oberen Paares, aber da das Liegt der Schwerpunkt untere Epicentrum, | jetzt genau in der Mitte zwischen den beiden gleichwertigen

Flugflachen, so wird der

besser Hypocentrum H zu nennen, gleichzeitig in ent-

gecgengesctzter Richtung Vorteil der Wanderung des wandert, wie das obere, so A Epicentrums aufgehoben, und

wird auch zugleich Arm und die Stabilität des zweiflächi-

gen Apparats ist dann keine grössere, als die eines einflachigen, dessen Schwerpunkt

>

in der Fläche liegt, und dessen Stabilität allein durch die Verschiebungen des Wider- standspunktes nach Massgabe des Avanzini'schen Gesetzes bedingt wird. Diese Ver- schiebungen finden ja immer statt, sobald der Neigungswinkel der Flugflächen gegen den Flugwind sich ändert; je kleiner dieser Neigungswinkel, desto weiter wandert der Widerstandspunkt gegen den ruft also regulierend und vorderen Flachenrand. Hat selbststeuernd eine Schwä- z. B. (Fig. 14) das untere chung des drehenden und Kräftepaar eine Drehung des Apparats bewirkt, so ist da- durch der Neigungswinkel gegen den Flugwind ver- kleinert, und die Angriffs- punkte P und sind gleich- zeitig nach P und Pi! vor-

eine Verstärkung des hem- menden Kräftepaares hervor. Innerhalb welcher Grenzen die Verschiebung des Wider- standspunktes allein genügt,

den Apparat während des Fluges aufrecht zu erhalten

^ : : Fig. 14. gerückt. Die Drehung allein und vor starken Schwankun-

gen, Oscillationen und Rotationen zu sichern, haben die eben mitgeteilten Versuche mit den verschiedenen Fallkórpern dargethan.

Denkt man sich den Schwerpunkt aus der indifferenten Mittellage noch weiter gegen die obere Flugflache verschoben, so ist die Stellung positiv nachteilig für die Stabilität, denn die Drehung des unteren Kraftepaares wird durch die dann eintretende Verschiebung des unteren Epicentrums noch verstärkt, während doch nur eine geringe Vergrosserung des Momentes des oberen, hemmenden Paares eintritt. Der Apparat hat daher die Tendenz überzukippen und oscillatorisch mit der oberen Fläche nach unten fortzuschweben oder zu rotieren.

^ «

Die obigen Mitteilungen über doppelflächige Flugkórper bezogen sich zunächst auf solche Apparate, deren Flächen gleichgross und senkrecht übereinander befestigt waren. Die ermittelten Bedingungen des Gleichgewichts und der Stabilität haben aber ganz all- gemeine Gültigkeit für jeden beliebigen, symmetrisch gestalteten Flugapparat. Immer ist für das ruhige Schweben erforderlich, dass die Summe der Momente der vor der Epi- centrale d. h. Lotlinie durch den Schwerpunkt liegenden Kráüftepaare gleich ist der Summe der Momente der hinter der Epicentrale angreifenden Paare; und die Stabilität ist um so grösser, je tiefer der Schwerpunkt unterhalb des mittleren Fláchenniveaus liegt.

Sind die Luftwiderstände, welche zwei mit einander verbundene Flugflüchen erfahren, von verschiedener Grösse, sei es, weil die Flächen ungleich gross, verschieden geformt oder geneigt sind, oder weil der Zustand der durchschnittenen Luft veränderlich Ist, so stellt sich der Apparat durch eine entsprechende Drehung so in die Gleich- gewichtslage cin, dass, wie in Fig. 15, die Abstände der Widerstandspunkte von den Epicentren sich umgekehrt verhalten, wie die zugehörigen Widerstände: w:wi == PE PL, woraus dann folgt: wie PiE -w- PE, das ist die Gleichheit der Momente der entgegen-

gesetzt wirkenden Kraftepaare, das Gleichgewicht.

e. vw

18

Vorausgesetzt ist bei allen diesen Betrachtungen, dass die Flugapparate in seitlicher Richtung völlig symmetrisch gebaut, oder dass doch die Luft. widerstände an den gegeniiberliegenden Hälften gleichwertig und symmetrisch sind. Ist diese Bedingung wegen mangelhafter Konstruktion oder wegen der Ungleichförmigkeiten der bewegten Luft nicht erfüllt, so liegt auch die Resultante des Widerstandes nicht mehr in der durch den Schwerpunkt gehenden vertikalen Symmetrieebene, sondern seitlich davon. Daher ergeben sich jetzt aus Widerstand und Schwerkraft Kräftepaare, welche den Apparat auch in seitlicher Richtung (frontal) zu drehen streben. Der Apparat wird

Fig. 15. Fig. 16.

dadurch nicht nur in der Richtung von vorn nach hinten, sondern auch seitlich geneigt, und die translatorische Resultante ist alsdann nach vorn und seitlich gerichtet. Letztere erteilt dem Apparat eine seitliche Beschleunigung, die ihn fortwährend aus seiner Richtung ablenkt, sodass er auf spiraliger Schraubenbahn fortschreitet.

e Um diese Verhältnisse im einzelnen näher zu verfolgen, hat man das Kraftepaar we P E (Fig. 16), zu zerlegen in ein seitlich drehendes wi» IE und ein in der Symmetrie- ebene wirkendes wke KE.

Bezeichnet man dann den Arm PE mit a, und den Winkel PEK, den diese

Strecke mit der Symmetriecbene bildet mit 9, so erhalt man, da I E = a sin 3 und wi we. sin 3:

wie [E ma-wesin ? 3 und ebenso wk. EK =a. w. cosp als Momente der beiden Kräftepaare, deren Summe =a. w ist.

Die Herstellung des Gleichgewichts vollzicht sich für beide Kräftepaare genau in der Weise, wie es oben fur die in der Symmetriecbene lievenden Paare eingehender besprochen wurde. Die Drehung, welche die Kräftepaare bewirken, hat zur Folge, dass das Epicentrum E und der Widerstandspunkt P einander. enteegen wandern, bis sie bei einflächigen Apparaten schliesslich beide zusammentallen, und somit die Kräftepaare selbst verschwinden. Bei doppelflachigen Apparaten geht die Drehung nur so weit, dass die Kräftepaare beider Flachen symmetrisch um die Epicentrale d. i. die durch den Schwer-

19

punkt 5 gehende Vertikale angeordnet sind und sich paarweise das Gleichgewicht halten. Dies ist der Fall, wenn die Widerstandspunkte P und Pi (Fig. 17 mit den Epi-

centralen E E, in einer Ebene liegen, und wenn die Ent- fernungen der Widerstands- punkte von den Lpicentren im umgekehrten Verhältnis zu einander stehen, wie die zugehörigen Widerstände. Um die translatorische Resultante zu bestimmen, denken wir die Resultante p der Schwerkraft in ihrer Richtung, der Epicentrale verschoben, und von ihrem Betrage soviel in E und in Anspruch genommen, als zur Bildung der Kräftepaare des

Fig. 17.

P

Luftwiderstandes erforderlich ist. Wieaus nebenstehender,

in der Ebene der Krafte- paare ausgeführten Kon-

struktion (Fig. 18) ersichtlich, ist dieser Anteil von p am Epicentrum E gleich

: we

E OQ = -—-

sin «.

Bildet man ihre geome-

trische Differenz mit w, so erhält man als trans- latorische Seitenkraft der Schwere: En COS (t.

Dieselbe liegt in der Flugflache in der Richtung des Armes PE des Kraftepaares und ist nach vorn und seitwarts gerichtet.

E: Ti ergiebt sich event. an der oberen Flugfläche des Apparats. Beide wirken neben dem Rest der Schwere (p-2EQ) beschleunigend auf den Korper ein, oder halten, sofern der Flug mit gleichfórmiger Geschwindigkeit fortschreitet, den hemmenden Luftwiderständen das Gleichgewicht.

Die letzteren sind bei allen natür- lichen und guten künstlichen Flug- apparaten minimal, solange die Rich- tung der Fortbewegung in die Sym-

samtheit als horizontale Steuerflächen bezeichnen.

in der Symmetriecbene hinten angebrachte Trifft nun ein seitlicher Wider- stand diese Fläche z. B. im Punkte M (Fig. 19), so bildet er mit dem seitlichen Teile der in der

vertikale Fläche.

Flugflache liegenden

Fig. 18.

Line gleich starke und gleichgerichtete Kraft

P

metricebene des Körpers fällt, d. h. solange die Bewegung im Medium Sobald

aber die Bewegungsrichtung mit der

geradcaus nach vorn geht.

Symmetrieebene einen Winkel bildet, oder der Flugwind schräg seitlich

auf den Apparat trifft, nimmt der

nicht tragende seitliche und der hemmende, oder Stirn-Widerstand

zu, da die Luft nun gegen alle nach unten und oben vortretenden, nicht

tragenden Flächen einwirkt. Man kann diese Flächen in ihrer Ge-

Lilienthal ersetzte sie durch eine

_ translatorischen Komponente ET

ein Kraftepaar, welches den ganzen Apparat um cine vertikal zur Flugfläche stehende Achse dreht, bis derselbe die Stellung des geringsten Widerstandes angenommen hat. DieseStellung

ai ,

x

20

aber kann den Apparat nicht erreichen, so lange der tragende Widerstand unsymmetrisch auf die Flugflachen verteilt ist. So lange dies der Fall ist, findet daher auch die Drehung der Flugflächen statt. Wie diese fortwährend und ebenmassig ihre Richtung ändern, so auch die Flugbahn, die daher den spiraligen Verlauf einer Schraubenlinie an- nehmen muss.

Ein wichtiges Glied im System der Flugkräfte bedarf noch einer näheren Be- leuchtung. Es ist die Frage, wie der Schub der translatorischen Komponente E T auf den Schwerpunkt wirkt, oder welchen Einfluss die Höhe des Epicentrums über dem Schwerpunkt auf den Gang der Flugbewegung ausubt.

Da die translatorische Komponente E T nicht im Schwerpunkte S selber, sondern in dem oberhalb desselben liegenden Epicentrum E angreift, so muss sie eine Drehung des ganzen Systems um den Schwerpunkt bewirken, wie eine seitliche Kraft, die ein stabförmiges Pendel in Bewegung setzt. Die Intensität dieser Drehung ist offenbar von der Entfernung des Epicentrums vom Schwerpunkte dem Epicentralabstande oder der epicentrischen Höhe ab- | Zeit wird die Kraft ET ge- hangig. Je weiter diese beiden : |

brauchen, um die Masse des

Punkte auseinander liegen, oder p AE p JE T LS ganzen Systems in Bewegung je tiefer der Schwerpunkt liegt zu setzen, desto langsamer, (Fig. 20 IL, IL), desto energi- S ruhiger wird also die drehende scher und schneller wird auch S = Bewegung verlaufen. Nur für die Drehung erfolgen; und je p den Fall, dass der Schwer- dichter der Schwerpunkt unter I H ag punkt in der Flugfläche liegt dem Epicentrum resp. der P ER (Fig. 20 HI), S und E also zu- Flugflache liegt, desto mehr EE sammenfallen, würde die Kraft

E T nicht drehend, sondern rein translaturisch wirken. Dieser Fall ist aber, wie. weiter oben des Näheren gezeigt wurde, mit dem Nachteil verbunden, dass die auf andere Weise, durch Unregelmassigkeiten des Luftwiderstandes erzeugten Schwankungen leicht zu einem vollen Umkippen der Flugflächen führen, und zu einem Übergang der Flugbewegung in Rotation und Absturz.

Die Drehung des Systems, welche die epicentrische Triebkraft ET hervorruft, hat nicht notwendig eine volle Rotation zur Folge. Denn mit der beginnenden Drehung wird ja der Neigungswinkel der Flächen gegen den Flugwind verkleinert, und daher die Resultante des Luftwiderstandes zwar verringert, aber auch vom Epicentrum fort nach vorn verschoben, während zugleich das Epicentrum nach der entgegengesetzten Seite wandert. So entsteht denn schnell ein energisch wirkendes Kräftepaar, das die begonnene Drehung hemmt und umkehrt, und so statt der Rotation eine oscillatorische Schwankung in die Erscheinung treten lässt. Auch das zurückdrehende Kräftepaar wirkt um so kraftiger und schneller, je tiefer S unter E liest, da dann die Verschiebungen des -picentrums um so ergtebiger sind.

Es zeigt sich also, dass die unvermeidlichen Schwankungen eines Flug- apparates um so kürzer und heftiger sind, je tiefer der Schwerpunkt unter

+

21 dem Epicentrum liegt; gerade so wie die Schlingerbewegungen eines Schiffes, deren Schwingungsdauer verkürzt wird, wenn der Abstand des Metazentrums vom System- schwerpunkte zunimmt. *)

Die Schwankungen der Flugapparate hängen übrigens nicht ausschliesslich von der epicentrischen Höhe ab. Auch solche Flugkörper, deren Epicentrum und Schwerpunkt in der Flugfläche zusammenfallen, deren epicentrische Höhe daher gleich Null ist, erleiden regelmässig Schwankungen, wenn sie aus dem Zustande der Ruhe in den des Fluges (bis zur annähernd konstanten Geschwindigkeit) übergehen, und umgekehrt; oder mit andern Worten: solange die Fluggeschwindigkeit zu- oder abnimmt. Denn da nach den Avansint schen Versuchen der Widerstandspunkt mit der Geschwindigkeit der Flug- bewegung oder der Stärke des Flugwindes seine Lage ändert, so kann kein ruhiges, schwankungsfreies Gleichgewicht bestehen, solange die Fluggeschwindigkeit keine kon- stante ist.

Praktisch ist eine solche konstante Fluggeschwindigkeit, ein gleichförmiger Flug- wind (= relativer Gegenwind der Autoren) überhaupt nicht erreichbar, da es eine völlig ruhige Luft im Freien nicht giebt, und die unregelmässige Struktur der bewegten Luft stets Schwankungen des Flugwindes und der Flugapparate hervorrufen muss. Die Ursachen der Schwankungen liegen also nicht in irgend welchen Eigenschaften des Apparats, sondern in der Natur des Luftwiderstandes. Die Lage des Schwerpunktes, die epicentrisclfe Höhe, ist nur, wie wir sahen, von Einfluss auf die Form, den Verlauf der Schwankungen, denn, sobald die Drehung beginnt, wird bei tiefer Schwerpunktslage durch die Verschiebung des Epicentrums schnell die Hemmung und Umkehr der Schwankung eingeleitet. Liegt dagegen der Schwerpunkt in der Fläche, so kann auch eine Hemmung nicht mehr durch Verschiebung des Epicentrums, sondern nur durch Wanderung des Widerstandspunktes bewirkt werden, da dann eben nur der letztere, nicht aber das mit dem Schwerpunkte zusammenfallende Epicentrum seinen Ort wechseln kann.

Für die rationelle Konstruktion von passiven Flugkörpern sind diese Verhältnisse von Bedeutung. Soll ein solcher Apparat für steile, ungünstige Absturzwinkel (die leicht Rotationen hervorrufen können) und in freier, bewegter Luft Verwendung finden, so wird man der möglichen Katastrophe durch tiefere Anordnung des Schwerpunktes innerhalb gewisser Grenzen vorbeugen können. Freilich wird man dabei unter Umständen energische Schlingerbewegungen, wie bei ,steifen'* Sceschiffen mit in den Kauf nehmen müssen. Für ruhigere Luft und günstige Abflugwinkel wird man dagegen die epicentrische Hóhe ohne Gefahrerhóhung verringern dürfen und damit dem Fluge einen gleichformigeren, ruhigeren Charakter verleihen. Die folgenden Untersuchungen werden übrigens zeigen, dass die Schwankungen auch noch durch andere konstruktive Mittel wesentlich zu beeinflussen sind.

*) Nach einem Vortrage über :Stabilitit von Schiffens (Annalen der Hydrographie und marit. Meteoro- logie, November 1896), den Herr Prof. Flamm (Charlottenburg) in der Mathematischen Gesellschaft zu Hamburg hielt, beträgt die Entfernung des Metazentrums vom Systemschwerpunkte ca. 400 bis 800 Millimeter, Bei Kriegsschiffen wird sie manchmal aus besonderen Rücksichten grösser gewählt, Die Schlingerbewegungen

sind daher auf Kriegsschiffen oft heftiger, als auf Kauffahrteischiffen,

>>) a Ao

o. Einfluss der Excentricität des Schwerpunktes resp. Epicentrums auf den Verlauf des Fluges.

Wenn man zwei gleich grosse und gleichbelastete freischwebende Tafeln unter gleichem Neigungswinkel einem und demselben Luftstrome aussetzt, so erfahren beide denselben \Viderstand und dieselbe Drehung, solange die Schwerpunkte resp. Epicentren dieselbe Lage haben. Denn bei gleich grossem Widerstande ist das Moment des drehenden Kräftepaares allein von dem Abstande des Widerstandspunktes P vom Epicentrum abhängig.

Liegt nun das Epicentrum der ersten Tafel näher nach der Tafelmitte, also weiter von P entfernt, während es bei der zweiten Tafel mehr excentrisch, dem Vorderrande und dem Punkte P näher liegt, so ist auch das Moment und die Drehung des Krafte- paares der ersten Tafel stärker, als bei der zweiten. Die erste Tafel wird demnach in heftigere Schwingungen geraten, als die zweite, und wir erhalten damit das weitere wichtige Ergebniss, dass die Schwankungen der Schwebkórperabnehmen, wenn die Excentricität des Epicentrums zunimmt (innerhalb der unten zu bestimmenden Grenzen seiner Verschiebbarkeit).

Die Excentricitit des Epicentrums lässt sich dadurch steigern, dass man den Schwerpunkt näher gesen den Vorderrand der Fläche verschiebt. Es fragt sich nun, wie weit? Die folgenden Betrachtungen, die zugleich die experimentelle Bestätigung des letzten Ergebnisses enthalten, mögen darüber Aufschluss geben.

Ein einfaches Stück steifes Papier oder Karton schwebt nur dann im Gleichgewicht, wenn cs aus genau horizontaler Lage in ruhiger Luft genau der Lotlinie folgen kann. Das Epicentrum fällt hier mit dem Schwerpunkte und Flächenmittelpunkte zusammen. Die Excentricität des Epicentrums ist also gleich Null und die Empfindlichkeit eines solchen Flugkórpers für Schwankungen muss die denkbar grösste sein. Die Versuche bestätigen dies. Die geringste Abweichung des Neigungswinkels, sowie jede auf andere Weise entstehende ungleiche Verteilung des Luftwiderstandes ruft Schwankungen hervor, die im Verlauf der Fallbewegung nicht wieder zur Ruhe kommen, sondern schliesslich in starke Oscillationen und Rotationen übergehen. In der freien, stets bewegten Luft ist es daher ganz unmöglich, cin Stück Karton aus grösserer Höhe ohne alle Schwankungen herab- schweben zu lassen. Durch Tieferlegen des Schwerpunktes unter die Fläche lässt sich die Stabilität so weit herstellen, dass keine Rotationen mehr eintreten; aber die Schwankungen werden dadurch doch nicht völlig aufgehoben, da ihre äussere Ursache bestehen bleibt.

Ein flugartiges, scitliches Vorwartsschweben findet erst statt, wenn der Schwer- punkt und das Epicentrum seitlich vom Flachenmittelpunkte liegen. Ist die Excentricität eine geringe, so zeigen die Versuche, dass das Schweben auch nur (innerhalb enger Grenzen). bei einem bestimmten anfänglichen Neigunewinkel erfolgt, d. h. dass schon geringe Widerstandsditterenzen hinreichen, Schwankungen von grosser Intensität zu erzeugen. Leicht. treten Oscillationen auf, die, wie bei den vorigen Versuchen, in dauernde Rotationen übergehen.

to 4

Steigert man die Excentricitat des Schwerpunktes, so zeigt sich, dass das Fort. schweben ergiebiger wird und dass es innerhalb eines weiteren Spielraumes der anfanglichen Neigungswinkel stattfindet. Eine grössere Stabilität der Bewegung ist die unverkennbare Folge der weiteren Verschiebung des Schwerpunktes. Mit der Verringerung des Winkels, den die schwebende Tafel mit der Flugbahn bildet, nimmt die Fluggeschwindigkeit zu, der Flugwind wird stärker, und die durch die herrschenden Luftströmungen hervorgerufenen Unregelmässigkeiten üben einen relativ geringeren Einfluss auf den Flug aus.

Da somit für das schnelle und möglichst horizontale und stabile Schweben möglichst kleine Neigungswinkel der Tafel gegen die Bahn anzuwenden sind, so ist aus diesem Grunde eine Verschiebung des Schwerpunktes bis zu derjenigen Entfernung vom Flachenmittelpunkte geboten, bei welcher der Druckmittelpunkt alsdann seine Stelle hat.

Allein die Verschiebung des Schwerpunktes hat ihre Grenze, die nicht ohne Störung des Fluges überschritten werden darf. |

Diese Lage ist wenigstens für quadratische Flächen nach der Formel Lord Rayleigh’s zu bestimmen. Für anders gestaltete Flächen fehlt es an experimentellen Bestimmungen, bis auf die Angabe Avansznz’s, dass der Druckmittelpunkt um so weiter nach vorn wandere, je grösser der vordere Flächenrand im Verhältniss zur Flächenbreite ist.

Verlegt man nun aber den Schwerpunkt bis an die Verschiebungs- grenze, und übergiebt die Tafel der Fallbewegung, so zeigt sich, dass überhaupt kein Schweben stattfindet, sondern die Karten fallen steil zu Boden, wie wenn der Schwerpunkt ganz an dem voraufgehenden Rande lage.

Warum schwebt die Tafel nun nicht mehr? Weil bei dieser extremen Lage des Schwerpunktes der Widerstandspunkt nur noch einseitig zwischen dem Flächen- mittelpunkte und dem Schwerpunkte wandern kann, ohne den letzteren nach vorn über- schreiten zu können. Daher entsteht jetzt, wenn mit zunehmender Fallgeschwindigkeit der Widerstandspunkt von seiner äussersten Stelle ein wenig gegen den Flächenmittelpunkt hin zurücktritt, wohl ein vorwärts drehendes Kräftepaar, welches die Tafel in die vertikale Ebene einzustellen strebt, aber es kann kein zweites entgegengesetztes Paar zustande kommen, das die Rückwärtsdrehung vollführte, weil eben der Widerstandspunkt nicht weiter als bis zum Schwerpunkte vorwärts kommen kann.

Es folgt aus diesen Betrachtungen, dass ein Schwebapparat mit unveränder- lichen Flugflächen nur dann seinen Zweck erfüllen kann, wenn der Schwer- punkt nicht bis in die extreme vordere Lage des Widerstandspunktes vorgeschoben ist. Der Schwerpunkt muss vielmehr einwenig hinter diesem Orte zurückbleiben, wenn nicht statt des Fluges ein Absturz erfolgen soll.

Da diese Bedingung durchaus zwingend ist, so folgt wieder, wie schon früher, dass kein Schwebapparat mit festen Flächen denkbar ist, der nicht auf Änderungen der Intensität des Widerstandes mit dynamischen Schwankungen antwortete. Die Schwankungen sind also unvermeidlich, sie lassen sich aber durch geeignete Anordnung des Schwerpunktes soweit einschränken, dass sie nur noch mit minimalem Nachteil fur den Flug verbunden sind.

2d

Am vollkommensten gclingt dies allerdings erst, wenn während des Fluges der Abstand des Schwerpunktes vom Flächenmittelpunkte geändert werden kann, sei es durch Verschiebung der Belastung, wie bei O. Lifenthal’s Flugversuchen und den Vögeln, die durch ungleiches Ausstrecken des Halses und der Beine das Gleichgewicht ihrer Langsachse beeinflussen können, sei es durch steuernde Einstellung der Flugflächen. Die Flugtiere bedienen sich meist des letzteren Mittels. Wenn sie mit kleinstmóglichen Neigungswinkeln und grosser Fluggeschwindigkeit die Luft durchschneiden, so pflegen sie die Flügel caudal- würts zurückzunehmen und zu verkleinern. Der Widerstandspunkt wird dadurch so dicht an den Schwerpunkt gerückt, dass die Schwankungen leicht und gleichsam in statu nascendi durch die Reflexbewegungen des Schwanzsteuers etc. unterdrückt werden können. Bei den grossen Schwebern und Seglern kommt hinzu, dass sie schon vermöge der Trägheit ıhrer grösseren Masse und der Kleinheit ihrer. Flugfläche unempfindlicher gegen geringere Intensitätsschwankungen des I‘lugwindes sind.

Endlich bleibt die Elasticitat des Materials aller natürlichen Flugapparate hervor- zuheben. Dies Material, das die Natur mit einer ans Wunderbare grenzenden Biegsamkeit und ElJasticitat ausgestattet hat, wird durch die normale Belastung keineswegs bis zur Elasticitatserenze beansprucht. Jeder Luftstoss, den der Vogel künstlich durch seinen Flügelschlag hervorruft, bewirkt vorübergehend cine weit stärkere elastische Spannung des Apparats, als die beim ruhigen Herabschweben allein wirksame Schwerkraft. Und wenn das Schweben in der bewegten freien Luft erfolgt, so bringt jede der unregelmässigen Verstärkungen des Widerstandes, welche die Folgen der böigen Struktur des Windes sind, cine analoge Erhöhung der elastischen Spannung hervor, wie cin Flügelschlag (nur mit dem Unterschiede, dass hier, beim Flügelschlag, die Flugmuskulatur aktiv und der I.uft- widerstand passiv ist, während beim Scgeln im Winde der Luftstoss aktiv gegen die widerstandleistende Muskulatur einwirkt), Wie der Rückschlag des Flügels die elastische Spannung herabsetzt, so geschieht es auch durch das Abflauen der Böen, ohne dass deshalb der ruhige Gang der Flugbewegung durch auffällige Schwankungen gestört würde.

6. Bedeutung der Flugflächenform für den Gang der Bewegung.

1. Verhältnis der Länge und Breite der Flugflächen.

Von ähnlicher Bedeutung wie die I:xcentricitat des Epicentrums ist das Verhältnis der Länge und Breite der Flugflächen. Nach den Versuchen Arvanzın!'s haben lange und schmale Flächen, deren langer Rand bei der Bewegung voraufscht, die Eigenschaft, dass mit abuchmendem Neigungswinkel der Widerstandspunkt bei ihnen weiter gegen den Vorderrand wandert, als bei quadratischen oder anders orientierten rechteckigen Flächen. Es kann daher auch der Schwerpunkt resp. das Epicentrum an solchen Flächen weiter nach vorn verlegt werden, ohne dass dadurch die Gefahr des Absturzes erhöht wird. Die Versuche Zaug/ej's haben gezeigt, dass solche Flächen bei kleinen Neigungs- winkeln gegen den L.uftstrom einen grösseren nützlichen Luftwiderstand erfahren, als

ty

(Jt

anders gestaltete oder orientierte Flächen. Schmále, excentrisch belastete Flugflächen werden also auch noch bei solchen kleinen Neigungswinkeln schwebend getragen, bei denen breitere bereits abstürzen, und wenn durch Schwankungen cine Verkleinerung des Neigungswinkel erfolgt, so wird dies bei der schmalen Fläche zu weniger empfindlichen Flugstórungen führen, als bei der breiten, die schmale wird sich aus der gefährlichen, steilen Stellung eher wieder aufrichten, als die breitere. Der Widerstand greift eben bei der schmalen Fläche stärker und weiter vorn an, als bei der breiteren, daher kann auch das den Vorderrand aufwärts drehende Kräftepaar leichter und stärker hervortreten, als bei den breiten Flugflächen.

Meine Versuche mit excentrisch belasteten Falltafeln bestätigen dies Ergebnis in vollem Umfange. Die langen und schmalen Tafeln zeigten eine auffallend grössere Gleichförmigkeit der Flugbewegung, und führten diese Bewegung ohne Rückschlag oder Rotation innerhalb eines doppelt bis dreifach weiteren Spielraums der anfänglichen Neigungswinkel aus, als die breiten Tafeln. Die lange und schmale Form der Flugflachen ist daher besondes gecignet, den schädlichen Einfluss der Schwankungen herabzumindern.

Die Natur hat diese Flügelformen den Vögeln vom Albatrostypus, den Möven und Sturmvögeln verlichen, die dadurch befähigt sind, in der von Sturm und Wind erregten Luft über den Oceanen ihre viel bewunderten Ilugmanöver auszuführen, wo selbst die besten breitflügelisen Ruder- und Segelvögel, wie die Adler, den Schwankungen unterliegen.

Die langen Flügel haben jedoch auch ihre Nachteile, die hier nicht übergangen werden können. Zunächst kann die grosse Klafterweite langflügeliger Apparate leicht zu, Havarien führen, wenn beim Ab- und Anflug der Apparat bei geringer seitlicher Neigung den Boden mit den Flügelspitzen berührt, oder wenn beim Fluge der freie Luftraum nicht die nötige Breite hat. Dass die langen Flügel sich für die Ausführung activer Flügelschläge weniger gut, als zum Schwebefluge eignen, möge hier nur nebenbei bemerkt sein. Für grössere Neigungswinkel (Flügelschlag) liefern die schmalen Formen nicht mehr den genügenden Widerstand.

Nicht zu unterschätzen sind auch die konstruktiven Schwicrigkeiten, den langen Flügeln die nötige Festigkeit zu geben. Man denke nur an die im proximalen Teile fast armartig runden Flügel des Albatros.

Die oben eingehend besprochenen doppelflächigen Apparate verbinden den Vorteil der grossen Vorderrandlänge mit dem der geringen Klafterweite, sind aber dafür stärkeren (epicentrischen) Schwankungen ausgesetzt, wenn der Schwerpunkt nicht weit genug über die untere Fläche gerückt wird.

Jalousieartiee Änderungen von schmalen Flueflächen, wie sie sich an den Spitzen der Flügel von grossen Raub- und Stelzvögeln finden, liefern beim Flügelschlag guten Antrieb nach vorn, bei geringer Tragfähigkeit, und spielen beim Segeln die Rolle kleiner

4

20

Sonderflügel von grosser Vorderrandlange. Da sie mit ihren Spitzen leicht empor gekrümmt sind, so tragen sie, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, auch nicht unwesentlich dazu bei, seitliche Schwankungen zu dämpfen, und die Gleichförmigkeit des Fluges in diesem Sinne zu erhalten.

7. Frontalprofile der Flugflächen.

Die vorangegangenen Untersuchungen bezogen sich auf solche Flugapparate, deren symmetrische Flachenhalften Ebenen waren, die zur Symmetrieebene senkrecht standen, Es soll nun die Frage erörtert werden, wie sich die mechanischen Verhältnisse gestalten, wenn die Flächenhälften Winkel bilden, die von go° abweichen.

a. Die beiden symmetrisch geformten Flugflächenhälften liegen mit ihren freien Enden höher, als mit ihren Basen und bilden somit gegen die vertikal gedachte Symmetrie-

ebene einen spitzen ersichtlich, dass der Ge- Winkel « (Fig. 2ı). Da A | B samtwiderstand, den sie

beim Fluge in der Luft erfahren, geringer ist, als wenn sie beide in einer horizontalen Ebene lagen,

die beiden Flachen einen mit der Schneide nach unten gerichteten Keil bilden, so ist zunächst denn mit der Grösse des Keilwinkels 2 « wird auch in irgend einer gesetzmassigen Weise der Widerstand abnehmen. Auf den absoluten Betrag kommt es an dieser Stelle nicht an.

Bezeichnen wir mit P den Angriffspunkt der Resultante des Widerstandes an jeder Flache, so stellt die gerade Verbindungslinie PP die mathematische Lànge beider Flugflachen dar. Die durch den Schwerpunkt S gehende Senkrechte (lipicentrale) halbiert die Strecke PP im Epicentrum E.

Wie der Gesamtwiderstand, den solche Flachen erfahren, so steht auch die epi centrische Höhe SE in einer gewissen Abhängigkeit von dem Keilwinkel «. Denn mit der Abnahme dieses Winkels müssen auch, nach den Versuchen Avanzini's, die Widerstands- punkte P in bestimmter oder bestimmbarer Weise gegen die Keilschneide S vorrücken. Ohne diese sekundare Verschiebung wurde die Hohe ES einfach mit dem cos « wachsen und abnehmen : Ecce cos NE

Die Verschiebung. der Wider-

standspunkte lasst erkennen, dass

IF `

die Verringerung des Widerstandes solcher Keilflächen, besonders durch

eine Entlastung der distalen Flügelareale, der Flugelspitzen, bewirkt wird. Die Flugbahn so gestalteter Schwebkorper ist natürlich bei kleinem Keilwinkel steiler, der Flug, ent- sprechend der epicentrischen Flöhe, steifer, als bei zur Ebene ausgebreiteten Flügeln.

Die Tauben sieht man oft mit hochgchobenen Flügeln (auf kurze horizontale Entfernung)

to

M

steil herabschweben; bei bewegter Luft treten dann heftige, kurze Schwankungen auf, die der Vogel anscheinend nur mit Mühe beherrscht. Die Taubenflügel sind im ganzen platt, und ihre Frontalprofile weisen daher Typen auf, wie Fig. 22, I und IH. Solche Formen ergeben in der Keilstellung immer noch geringe epicentrische Höhe und daher auch erträgliche Schwankungen. Sind aber die Flügel unterseits hohl oder gar geknickt, (Fig. 22 HI und IV), so haben sie in der Keilstellung stets erhebliche epicentrische Höhe und demnach auch starkes Schlingern beim Herabschweben. Diese Unsicherheit scheint die meisten Vögel an der Ausführung des steilen Ilerabschwebens zu verhindern. Man sicht cs nur selten.

Symmetrische Verschiebungen der Widerstandspunkte gegen den vorderen Flügel- rand rufen an keilförmigen Flugflächen ganz analoge Schwankungen hervor, wie an den früher betrachteten ebenen Flächen. Man kann in dieser Beziehung die keilformig gestellten Flügel durch eine aequivalente ebene FIngfliche ersetzt denken, die durch die beiden Widerstandspunkte P geht und die dasselbe Epicentrum E hat.

Ist dagegen der Widerstand unsymmetrisch auf die beiden Flügel verteilt, so erweist sich die keilförmige Anordnung der Flugflächen wesentlich zweckmässiger, als die einfache, einheitliche Ebene. Sobald nämlich in Folge eines vorübergehenden einseitigen Luftstosses der Apparat eine seitliche Neigung erleidet, ändern sich die Neigungswinkel der beiden keilförmig stehenden Flügel gegen die Flugrichtung, während bei der gestreckten lFlugflache beide Ilalften stets die gleiche Neigung gegen den Flugwind beibehalten. So

a

IV V W

Fig. 23.

kann es kommen, dass der linke Flügel horizontal steht, (Fig. 23 I, der andere dagegen einen spitzen Winkel gegen den Horizont bildet. Es bedarf nur dieses Hinweises. um erkennen zu lassen, wie dadurch das rechts drehende Moment des Widerstandes an dem linken Flügel erheblich grösser werden muss, als das links drehende des rechten. schräg stehenden Flügels Die normale, symmetrische Stellung des Apparats wird also schnell wieder hergestellt werden, schneller als bei einheitlich ebener Flugfläche, wo an dem linken Flügel mit der seitlichen Neigung keine so wesentliche Verstärkung des Widerstandes stattfindet.

Sind die Flügel an der Unterseite hohl (Fig. 23 H) oder mit der Spitze (Schwinge) abwärts geknickt (IID, so wird dadurch der Vorteil ihrer keilfórmigen Stellung wieder aufgehoben oder wenigstens eingeschränkt. Denn in demselben Masse, wie mit der

*

4

29

steileren Stellung der Widerstand an der Spitze des tiefer liegenden Flügels abnimmt, wird er an der Spitze des höher liegenden verstärkt, da dieser Flachenteil sich der vorteilhaften Horizontalstellung nähert. Der Widerstandspunkt des tieferen Flügels wandert daher gegen dessen Basis, der des höher liegenden gegen die Spitze. Es liegt somit hier die Möglichkeit vor, dass das Kräftepaar, welches die seitliche Drehung des Apparats verursacht hatte, durch die Drehung selber soweit verstärkt wird, dass eine ernstliche Störung der Flugbewegung, ein seitliches Ueberschlagen oder Kentern erfolgt. Diese Gefahr ist gering, solange die umgelegenen Spitzen klein sind (Fig. 23 IV), sie wird aber um so grösser, je grösser die nach unten gebogenen oder geknickten Areale der Flügelspitzen sind (Fig. 23 V), und sie erreicht ihr Maximum, wenn endlich die ganzen Flugflächen abwärts gerichtet sind (Fig. 23 VI), und die Schneide des Keiles, den sie bilden, nicht nach unten, sondern nach oben sieht, oder wenn endlich die ganze Flugfläche eine einheitliche Konkavität nach unten besitzt. Derartige Flugflächen sind somit für den Schwebflug durchaus ungeeignet, da sie die Tendenz haben, sich umzudrehen und mit?der konvexen Seite vorauf die Fall- und Flugbewegung fortzusetzen. Liegt bei ihnen der Schwerpunkt dem Scheitel nahe, so befinden sie sich im labilen Gleichgewicht, und die Drehung erfolgt momentan, sowie man sie zum Fluge freigiebt. Verlegt man aber den Schwerpunkt soweit abwärts, dass er im Epicentrum oder darunter liegt, so bleibt doch immer eine grosse Empfindlichkeit des Apparates gegen Widerstands- schwankungen bestehen, da sich, wie gezeigt, mit jeder begonnenen Schwankung die Widerstände zu Gunsten des drehenden Kräftepaares ändern. Und eine sehr tiefe An- ordnung des Schwerpunktes, die dem allein entgegenwirken könnte, bringt den weiteren Nachteil epicentraler Schwankungen des Apparats hinzu.

Aber alle Nachteile der unterwärts konkaven Flugfläche verwandeln sich ın cbensogrosse aviatische Vorteile, sobald der Apparat die Drehung nach der Seite des geringsten Widerstandes ausgeführt hat und nun die Konvexität seiner Flächen nach unten kehrt. Und mehr noch, stand finden, werden in un- gleichem Masse beansprucht, sobald durch einseitigen Ueber- druck eine Schwankung ein-

als die einfach keilfórmig stehenden Flügel, gewinnen

dadurch die gewölbten Flug-

flächen (Fig. 24). Ihre aufwärts cekrümmten Spitzen, die in normaler Flugstellung jederseits den gleichen, schwachen Wider-

ocleitet ist. An dem höher chenden Flügel wendet sich dann die Spitze vom Wider- stande fort, am tieferen Flügel

tritt sie aus ihrer Reserve hervor und bietet sich dem widerstandleistenden Medium dar. So wird mit der Fläche des tieferen Flügels auch ihr. Widerstand vergrössert, wie er an der Gegenseite verringert wird. Da zugleich auch die Angriffspunkte des Widerstandes an beiden Flügeln nach der tieferen Seite verschoben werden, so folgt, dass das Kräfte- paar am höheren Flügel, welches die Schwankung einleitete, schnell abnimmt, während das hemmende Paar am tieferen Flugel ebenso schnell zunimmt und so die weitere Drehung

erfolvreich zu verhindern im Stande ist.

20

Wenn somit über die hohe Bedeutung der emporgekrümmten Flügel für den gleichformigen Verlauf des Schwebefluges kein Zweifel mehr bestehen kann, so ist andererseits doch auch nicht zu vergessen, dass die Flugflachen in erster Linie zum Tragen einer Last bestimmt sind. Bei der Konstruktion künstlicher Flugapparate ist daher wohl zu beachten, dass es sich bei der Krümmung der Flügelspitzen nur um einen allerdings wichtigen Nebenzweck handelt, und dass die Tragfähigkeit des Areals durch Emporbiegen der Flügel geschwächt wird. Man wird also bei rationeller Anordnung immer nur soviel von der Flügelspitze emporbiegen lassen, als zur Erreichung des Neben- zweckes erforderlich ist, und im übrigen die Tragfähigkeit zu erhalten suchen. Ebenso wird man der epicentralen Schwankungen wegen, (die eintreten müssen, wenn ein grósserer Teil der Flugflachen wesentlich höher liegt als der Schwerpunkt,) die Krümmungen auf das notwendige Mass zu beschränken haben.

Diesen Ansprüchen genügen auch die natürlichen Schwebapparate der grossen Raubvögel und Störche u. a., deren meist aus getrennten Schwungfedern gebildete Flügel- spitzen unter der Last des Körpergewichts emporgebogen sind. Bei den Sturmvögeln, Móven und anderen Seglern mit unzerteilter Flügelspitze ist die Erscheinung zwar nicht so auffällig, aber sie ist doch fast überall deutlich zu beobachten, und wo sie bei grosser Steifheit der Flügelspitzen nicht, oder doch nicht in hinreichendem Grade auftritt, wird dafür durch leichtes Anheben der ganzen Flügel in die Keilstellung Ersatz geschaffen.

Die glatte, nicht unterwärts konkave Form ist längst als ein Charakter des Segel- flügels bekannt. Wo dennoch vor der emporgebogenen Spitze leichte Hohlungen der Vorderkante auftreten, deuten sie auf eine Verstärkung des Widerstandes und auf die Verwendung des Flügels zum Ruderfluge. Im Interesse der Vermeidung seitlicher Schwankungen beim bestem Erfolge auszu- Segeln liegen diese führen, so liegt das

Höhlungen aber ganz daran, dass ihr ungün-

gewiss nicht, da sic i stiger Einfluss ganz dieselben wcit eher be- , : nach Bedarf durch die günstigen, als abschwi- 7 n jederzeitaktionsberciten chen. Wenn solche E l'lugmuskeln unter- schwache Konkavitiiten a Em drückt werden kann.

bei den grossen Vógeln Ba v. Wo indessen bei kein ernstliches Hinder- P * rein passiven Flugappa- nis sind, den Segel- _ N raten die Möglichkeit und Schwebflug mit Fig. 25. fehlt, die beginnenden

seitlichen Schwankungen durch reflexartige, zweckmässiwe Verkleinerungen oder Vergrösse- rungen der Tlugflächen, oder auch durch gelegentliche ‚Flügelschläge im Keime zu ersticken, da können auch die ventralen Konkavitäten der Ilügcllängsachsen auf die Dauer nicht ohne Nachteil bleiben. Man vermeidet daher bei manchen Formen von Papier- drachen die unterseitisen Hlöhlungen und sorgt dafür, dass durch die Biegsamkcit

30

der Querstützen ein Emporbiegen der seitlichen Spitzen und Flächenteile ermöglicht wird (Fig. 25 I). In anderen Fallen, wo das Material diese Biegung nicht gestattet, pflegt man die Ränder zu seitlichen Schranken emporzuknicken (Fig. 25 II), um so die seitliche Bewegung, das sogenannte »Schiessens, zu hindern. Wo diese Bewegung trotz der Vorbeugungsmassregeln eintritt, wird sie durch unvollständige Symmetrie der Flug- fläche oder durch ungleiches Gewicht der beiden seitlichen Drachenhälften zn erklären sein.

Lilienthal verwendete bei doppelflächisen Flugkörpern (Modellen) gleichfalls vertikale Flächen, um seitliche Abweichungen von der geraden Fluglinie zu verhindern. In der Fig. 26, welche nach einer Abbildung in »Prometheus« Jahrgang 1895 angefertigt

ist, sind diese Flächen schraffiert _ flächigen Apparats, dessen sich l > + Mn

gezeichnet. Dieselbe Nummer ee” Lilienthal damals bei seinen

des »Prometheus« bringt auch —— aes persönlichen Flugübungen be-

zu dem Lilienthal schen Auf. cn

dient. Man sieht den Apparat

rn satz: »Fliegesport und Fliege- ee in Ruhe und in den ver- . . re, TS YU s E praxis« eine Anzahl guter schiedensten Stellungen Fig. 26.

Ansichten des grossen doppel- wahrend des Fluges. Es ist daran nur eine vertikale Fläche vorhanden, aber diese ist weit hinter den Flugflächen angebracht, sodass sie den Apparat wie eine Windfahne in der Richtung des Flugwindes festhält. Gegen seitliche Schwankungen ist der Apparat durch schwache Keilstellung der Flügel, die Spitze höher als der Flügelgrund, geschützt. Da aber zugleich die Längs- rippen der Flügel eine wenn auch nur geringe ventrale Krümmung aufweisen, so ist dadurch der Vorteil der Keilstellung wieder eingeschränkt. In ihrer äusseren Gestalt erinnern die Flugflächen an den Fledermausflügel; das Vorbild war aber der Flügel des Storches gewesen, den /zzenthal so oft mit Bewunderung betrachtete und studierte. Warum nun Zrienthal nicht auch die aufsebogene Spitze des Storchfltigels nachbildete, die er noch in einem seiner letzten »Prometheus -Artikel so genau in ihrer Form beschreibt, entzieht sich meiner Kenntnis; jedenfalls würden wohl dadurch die seitlichen Neigungen seines Apparates, die auf den Momentphotographien so deutlich hervortreten (No. 4 Tf. IV Prometh.), besser vermieden sein, als durch die angewandte Massregel der schwachen

Keilstellung unterwärts konkaver Flugel.

8. Querprofile der Flugflächen.

Die Betrachtungen über die Frontalprofile der Flugflachen lassen sich sinngemäss erweitern auf die Quer- oder Sagittalprofile. Diese letzteren sind bekanntlich bei den natürlichen und künstlichen Schwebapparaten keineswegs immer gerade Linien, wie wir bisher der Einfachheit halber angenommen haben, vielmehr erscheinen sie in ebenso mannigfachen Formen, wie die Frontalprotile, und bei der hohen Bedeutung, welche sic fur die Art der Flugbewegune haben, ist das Studium der Querprofile von grosster Wichtigkeit für die wAviatik,

Lilienthal hat sich mit der Frage nach dem vorteilhaftesten Flügelquerschnitt wiederholt und eingehend beschäftigt. In seinem Buche über den Vogelflug stellt er Seite 75 als Kriterium für die beste Form der Flugfläche die Bedingung auf, dass sie „in einer gewissen Lage, unter möglichst spitzem Winkel zum Horizont bewegt, eine möglichst grosse hebende, das Gewicht tragende, und eine möglichst kleine, die Flug- veschwindigkeit wenig hemmende Luftwiderstandskomponente« ergäbe. Von diesem Stand- punkte aus hat er Flügelformen von verschiedenartig konkaven und konvexen Querprofilen der aérodynamischen Prüfung unterworfen und gefunden, dass unter allen diesen Versuchs- flächen die einfach, schwach ventral-konkave Form in hervorragender Weise die gewünschten Eigenschaften besitzt. Die Vorzüge dieser Querschnittsform bestehen nach Lihenthal nicht nur darin, dass sie eine maximal hebende und eine minimale, hemmende Widerstands- komponente liefert; unter Umständen könne an solchen Flächen die hemmende Kompo- nente ganz verschwinden und statt ıhrer eine der Bewegung voraufeilende, treibende Komponente entstehen.

Was zunächst den letzten Punkt betrifft, so muss es in hohem Grade überraschen, dass eine Fläche, wie immer auch ıhre Form sein mag, eine gegen den Flugwind gerichtete Widerstandskomponente ergeben soll, wenn sie wie ein Drachen dem Luftzuge ausgesetzt wird. Dass hier ein Irrthum vorläge, ist mir keinen Augenblick zweifelhaft gewesen. Lilienthal hat auch die vor- treibende Komponente nicht beobachtet, sondern ist nur durch eine mechanisch nicht statthafte Konstruktion zu ihrer Annahme verleitet worden. In seiner Fig. 27 (l. c. Seite 78) die in nebenstehender Figur 28 wieder- vegeben ist, zeichnet er richtig als Resultat seiner experi- i mentellen \WViderstandsbestim- as f mung eine tragende Komponente e ED a ph und eine in der Bewegungs- Fig. 28. Fig. 29. richtung hemmende pf. Beide liefern durch geometrische Addition die Resultante : pf: ph = pk. In Fig. 29 ist dann pk wieder in zwei andere Komponente pm und pq zerlegt, die aber warnicht auf die Bewegungsrichtung rcsp. deren Normale bezogen sind, sondern auf die für die Bewegung gleichgültige Schne des bogenförmigen l'lügelquerschnitt. Auf diese Weise ergiebt sich dann zwar eine kleine, gegen den Vorderrand des F lügels gerichtete, treibende Komponente pm, aber in der normal zu ihr stehenden Komponente pq steckt dafür eine die Bewegung hemmende Teilkomponente, die genau um den Betrag von pm grösser ist,

ala PON de

Non

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als der gemessene Hemmungswiderstand pf. Der nur konstruierten Antriebskomponente pm steht also eine ebenso grosse konstruierbare Hemmungskomponente gegenüber, ohne dass dadurch der thatsächlich gemessene Hemmungswiderstand pf verringert, oder gar beseitigt worden wäre. Hiernach kann keine Rede mehr davon sein, dass an den unter- wärts flach konkaven Flugflächen in gewöhnlicher Drachenstellung eine treibende Widerstands- komponente zur Wirkung gelange.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch A. von Obermeyer in einem im flug- technischen Verein zu Wien gehaltenen Vortrage (Z. f. Luftsch. u. Phys. d. Atmosph. Jahrg. 1896. Heft 4/5. Die ausführlichere Arbeit befindet sich in den Sitzungs-Berichten der Wiener Akademie. Bd. CIV. Abth. IIa. Okt. 1895. S. 963). Dieser Autor führt aus, dass der Angriffspunkt der Resultante des Widerstandes nicht notwendig im Mittelpunkt der gewolbten Flache zu liegen brauche und berechnet dann unter der Annahme, dass der Punkt näher dem hinteren Flächenrande liege, wie die Beträge der wahren Vertikal- und Horizontalkomponenten einer gewölbten Fläche sich den einer ebenen, nach Lilienthal nicht »vortreibenden« Fläche nähern. Die Einwendung betreffs des Widerstandspunktes ist zweifellos am Platze, aber man sieht nicht ein, warum bei der schwachen Wolbung die Verschiebung nicht, gemäss dem Avanzini' schen Gesetze, gegen den vorderen Flächen- rand erfolgen soll, sondern nach hinten. Liegt aber, was mir wahrscheinlicher ist als die Annahme des Autors, der Widerstandspunkt auf der vorderen Hälfte der flachgewolbten Fläche, so entfernen sich die Widerstandskomponenten in ihrer Richtung noch mehr von denen der ebenen Flache, und es ist demnach der Betrag der wahren Hemmung noch kleiner, als Lilienthal angiebt. Wie klein indessen die hemmende Komponente auch sein möge, sie wird immer ein positives Hindernis der Fortbewegung bilden, niemals aber einen Antrieb nach vorn auslösen können. -. Besonders wertvoll ist der Hinweis von Obermeyer's, dass bei nicht centraler Lage des Widerstandspunktes an den von Lilienthal und Wellner zur Bestimmung der Widerstandsresultante verwendeten Apparaten Drehungsmomente auftreten können, welche die wahre Richtung der Resultanten nicht unerheblich zu verschleiern vermögen.

Von dauerndem Werte sind enthal s Untersuchungen über den absoluten Betrag des Widerstandes an gewölbten Flächen. ds ist dadurch der positive und bis jetzt unangefochtene Nachweis geführt, dass der Widerstand an einer unterseits, d. h. gegen den Wind hohlen Fläche bei Neigungswinkeln bis ca. 60° erheblich stärker und günstiger ist, als der Widerstand einer ebenen Fläche bei gleicher Neigung. Als Neigungswinkel der gewölbten Fläche ist dabei der Winkel angenommen, den die Schne des bogenförmigen Querschnitts der Fkiche mit der Horizontalebene bildet.

Zur theoretischen Begründung dieses wichtigen Beobachtungsergebnisses fuhrt Lilienthal aus (Vogeltlug S. 89—86), dass die ebene Fläche in dem Luftstrome, dem sie Widerstand leiste, sowohl vorwärts wie rückwärts allerlei Wirbel und sonstige Unregel- miassivkeiten und Störungen hervorrufe, durch welche gleichsam ein Teil der lebendigen Kraft der Luftströmung ohne aviatischen Nutzen verbraucht werde. Die gewölbte Fläche dagegen, zumal wenn deren Vorderkante genau in die Windrichtung einschneide, lasse

4

C3 ws

die Luft möglichst glatt und ohne Wirbel vorbeistreichen. So beschreiben die Luftteilchen hier eine der Flächenkrümmung entsprechende \Vellenbahn nach unten, und je reiner und vollkommener diese Wellenbewegung sei, desto vollkommener werde auch ihre Reaktion auf die wellenerzeugende gekrümmte Fläche sein.

Diese Ausführungen sind im Prinzip durchaus anzuerkennen, wenn auch im einzelnen das Bild, welches Zz/enthal von dem Gange der Luftbewegung an den Widerstandsflachen sich machte, wie er selbst voraussah, der Abänderung und Berichtigung bedarf. Es soll hier jedoch nicht näher auf diese sehr interessante Frage eingegangen werden. Bei allen Flugapparaten wird das Gleichgewicht in der Richtung der sagittalen Ebene des Querprofils dadurch erhalten, dass die auf das Epicentrum bezogenen Momente der Widerstandskráfte vor und hinter dem Epicentrum einander gleich. sind.

Bei gleichmássiger Verteilung des Widerstandes über die Flugfläche, bei Fall- schirmen oder wenn sonst der Flugwind rechtwinklig zur Tluetliche steht, ist das Gleich- gewicht vorhanden, wenn die vor und hinter dem Epicentrum liegenden Areale gleich gross sind.

Ist dagegen bei seitlich fortschreitender Flugbewegung der Widerstand ungleich- mässig verteilt, ist er beim vorderen Rande grösser, als am abwandten, hinteren Flächen- gebiete, so kann auch das oder als ungleichschenklig Gleichgewicht nur bestechen, | wenn bei excentrischer Lage des Epicentrums das vor demselben liegende Arcal entsprechend kleiner ist, als das dahinterliegende.

gebrochene Linie. Die beiden so hintereinander liegenden l'làchenteile bilden dann einen gewissen Winkel gegen ein- ander, und daher ist auch der Winkel, unter dem sie

Ist nun die Flache eckrummt oder geknickt, so erscheint sie im Querprofil als parabelähnliche Kurve

sich dem widerstandleistenden Medium darbieten, an beiden

Teilen ein verschiedener.

Fig. 30.

Es ist klar, dass dieser Unterschied von wesentlichem Einfluss auf die Grösse des Widerstandes ist, den beide Teile erfahren, wenn auch dieser Einfluss wegen des Zusammen- hanges der Teile sich nicht ohne weiteres nach den Widerstandsformeln getrennter Flächen rechnerisch bestimmen lässt. Im allgemeinen wird man immerhin annehmen können, dass der Widerstand an den hintereinanderliegenden Ylächenhälften mit deren Neigungswinkel gegen den Flugwind zu- und abnimmt

Wenn AB (lig. 30) das Profil einer schwebenden, ebenen Flugfläche darstellt, deren Epicentrum I5 ist, so ist der Widerstand, den der Flugwind W erzeugt, auf dem zugewandten Flächenstück A E ebenso gross wie auf dem grösseren Areal E B. Denken wir uns nun die Fläche AE in die Lage von Ay E gebogen, sodass sie nun mit der Flugwindrichtung cinen grösseren Winkel bildet als vorher”), so würde sie nun auch einen

* Dies gilt aber nur innerhalb der Grenzen von o" bis zo", darüber hinaus würde der Widerstand von E wieder abnehmen.

fat

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grösseren Widerstand erfahren, als vorher, und wenn man verhindern wollte, dass dadurch das Gleichgewicht der metameren Widerstände gestört werde, so könnte dies durch eine entsprechende Flächenverkleinerung geschehen, wie es in der Zeichnung ANE < AE schematisch dargestellt ist. Der Gesamtwiderstand der Keilfläche EB würde dann, sofern diese theoretischen Überlegungen den Gegenstand erschöpfen, gleich dem Gesamt- widerstande der ebenen Fläche AB sein, womit natürlich nicht gesagt ist, dass er nicht kleiner sei, als der der ebenen Grundfläche B des Keiles, mit welchem gewöhnlich der Widerstand der Keilseiten (Aı Eund EB) verglichen zu werden pflegt.

Was für die geknickte Fläche EB gilt, lässt sich näherungsweise auch für die konvex gewölbte Fläche EB als gültig annehmen. Dass die Resultante des Wider- standes in beiden Fällen im hemmenden Sinne etwas von der Richtung abweichen wird, die sie an der ebenen Fläche AB hat, ist möglich und wahrscheinlich, stört aber nicht wesentlich den Gang des Fluges.

Analog gestalten sich die Verhältnisse, wenn man annimmt, es werde die vordere aequivalente Flächenhälfte in die Richtung der Geraden As E gebogen. Sie würde dann gegen den Flugwind einen kleineren Neigungswinkel bilden als vorher, und ihr Widerstand würde somit geringer werden, als er war. Um das Gleichgewicht der metameren Wider- stände zu erhalten, hatte man also nötig, dies Areal von As E passend zu vergrössern, sodass also As E > AE würde. Wiederum wäre der Widerstand der bei E geknickten oder konkav gekrümmten Fläche Az E B gleich dem der ebenen Fläche A B; aber freilich auch grösser und weniger hemmend, als der der ebenen Fläche As B, wie dies Lifenthal’s Beobachtungen erwiesen haben.

TSE HE N HEEN \

10

Das Ergebnis dieser theoretischen Spekulationen scheint auf den ersten Blick die merkwürdige aerodynamische Überlegenheit der gewölbten Flächen aufzuklären. That- sächlich ist dies aber nur in beschränktem Masse der Fall, wie der Vergleich mit den direkten Messungen zeigt. Nimmt man z. B. an, der Winkel A B As sei 10°, so würde

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das einer Pfeilhöhe der konkavgewölbten Fläche von ca. !/ız Ae B ergeben. Auf Lzlenthal’s Tafel VII sind die Widerstände einer so gewölbten Fläche mit denen der Ebenen graphisch zusammengestellt, und man findet leicht, dass der Widerstand der gewölbten Fläche Az EB nicht nur dem der ebenen Fläche Az B, sondern auch dem der um 10° stärker geneigten gleich gross genommenen Fläche AB immer noch sehr bedeutend überlegen ist. Immerhin sind die Widerstandsdifferenzen zwischen der gewölbten Fläche Az B und der ebenen AB geringer, als die zwischen der gewölbten und der ebenen Az B: bei sind sie nur halb so gross, bei 15° sind sie um '/3 bis !/ı verringert, bei 50° wieder um die Hälfte und bei 60° sind sie erst völlig ausgeglichen. Unsere Fig. 31 giebt ein ungefähres Bild hier- von, wobei als Widerstandskurve unserer parabolischen Fläche As B die Lzlenthal’sche Kurve für kreisbogenformiges Profil (/ız Länge als Pfeilhóhe) angenommen wurde.

Das Herabbiegen eines vorderen Areals der ursprünglich als eben angenommenen Flugfläche hat also jedenfalls keine Verminderung, sondern eine Vergrösserung des Wider- standes zur Folge, ohne dass es dazu einer Flächenvergrösserung bediirfte. Die Ursache dieser scheinbar paradoxen Thatsachen wird sich vielleicht einmal durch eingehende Unter- suchungen über die Verteilung des Luftdruckes an den Flugflächen aufdecken lassen. Einstweilen wissen wir nicht, ob die Zunahme des Widerstandes über alle Flächenteile eine gleichförmige, oder ob dabei etwa das herabgebogene Stück besonders bevorzugt ist,

während an dem nicht ver- änderten, hinteren Areal mehr die alten Verhältnisse be- stehen bleiben. Die Angabe Lzltenthal's, dass die Resul- tante des Widerstandes ge-

nach vorn gerichtet ist, als die einer ebenen (A: B), deutet aber bestimmt darauf hin, dass das herabgebogene vordere Areal thatsächlich begünstigt wird. Nehmen

wölbter Flächen (Az E B) mehr wir dies als das Wahrschein- lichere an, so wird mit Bezug auf das Gleichgewicht des Widerstandes die folgende Betrachtung zutreffen: Wenn man an einer ebenen Flugflache AB (Fig. 32) während des Schwebens einen vorderen Flachenanteil A E innerhalb gewisser Grenzen in dic Lage von AB herabbiegt, so wird der Widerstand an der vorderen Flächenhälfte dadurch verstärkt, und es erfolgt somit eine Drehung des Apparats in dem Sinne, dass der hintere Flächenrand B abwärts bewegt wird. Eine Verschiebung des Epicentrums nach vorn und eine Zunahme der Geschwindigkeit des mehr horizontalen Fluges ist die weitere Folge davon. Ist das vordere Areal nicht herab-, sondern emporgebogen, und dadurch die Fläche nach unten konvex, so ist nach Analogie der konkaven Flächen wahrscheinlich, dass der Gesamtwiderstand dadurch verringert wird, im besonderen der Widerstand an der vorderen Flüchenhálfte. Daher würde durch die Biegung der Fläche eine Drehung des schwebenden Apparats bewirkt werden im entgegengesctzten Sinne wie bei der konkaven Flugfläche, und die Konsequenz wäre: langsamer, weniger horizontaler Flug mit mehr centraler Lage des Epicentrums.

So scheint denn durch die Untersuchungen Zrlenthals die Frage nach dem aviatisch zweckmässigsten Querprofil. der Flugflächen endgiltig zu Gunsten der schwach

TOR 2

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konkaven Form entschieden zu sein. Keine andere Form liefert so grosse hebende und so kleine hemmende Widerstandskomponenten. Allein dies setzt voraus, dass mit den bezeichneten Eigenschaften der gewölbten Flächen auch alle Bedingungen erfüllt sind, die an die Flugflächen eines guten Flugapparates zu stellen sind, und dass es ausser dem oben erwähnten Kriterium der guten Tragwirkung keine anderen Eigenschaften giebt, die für die Unterhaltung einer guten und sicheren passiven Flugbewegung wesentlich und unerlässlich sind.

Aber nicht minder wichtig als die grosse Tragfähigkeit der Flächen, ist der Einfluss, den sie auf die Stabilität der fliegenden Apparate ausüben: ihr Verhalten gegen die Schwankungen, denen jeder Flugapparat unterworfen ist. Bei dem lebenden Vogel zwar kommt es hierauf weniger an, denn die Natur hat ihn im reichen Masse mit Hilfs- mitteln ausgestattet, durch die er aktiv den möglichst gleichmässigen Gang scines Fluges erzwingen kann, selbst wenn dies vorübergehend durch die Form seines Flügelprofils erschwert sein sollte. Sobald es sich aber um rein passive Schwebapparate handelt, etwa wie diejenigen, mit denen Lilienthal seine Flugübungen anstellte, tritt die Frage der Stabilität unbedingt in den Vordergrund, und man wird es vorzichen, die tragende Wirkung des Luftwiderstandes, wenn nötig, z. B. durch Flächenvergrösserung zu steigern, statt durch Anwendung der konkaven Flächen, wenn sich zeigen sollte, dass die Erhaltung des Gleichgewichts im Fluge durch die Konkavität der Flächen erschwert würde. Was würde es schaden, wenn schliesslich auch die Fluggeschwindigkeit etwas stärker gehemmt wird, wenn dadurch nur die Stabilität des Apparats und die grössere Gleichförmigkeit der Flugbewegung bis zur unbedingten Zuverlässigkeit gesteigert. werden könnte. Unter diesem Gesichtspunkte wird die Frage unaufschiebbar nach dem

9. Einfluss des Flächenquerprofils auf die Schwankungen beim Fluge.

a. Konkave Flächen.

Es wurde bereits bemerkt, dass der Schwerpunkt hohlflachiger Schwebapparate nicht in der Flugfläche liegen darf, denn die Angriffspunkte Pi und (Fig. 33) der Resultanten des Widerstandes vor und hinter dem Schwerpunkte würden dann tiefer liegen als der Schwerpunkt, und ihre Verbindungslinie Pi P2 würde daher von der durch den Schwerpunkt gehenden Lotlinie in einem unter dem Schwerpunkte, also gleichsam negativ liegenden. Epicentrum (Hypocentrum) geschnitten werden. Es gelingt nie, einen solchen Apparat zum freien Schweben zu bringen, denn da er günstigstenfalls im labilen Gleichgewicht ist, so genügt die geringste der unvermeidlichen dynamischen Schwankungen. um den Apparat in die stabile Gleichgewichtslage umkippen zu lassen, sodass er seine Konkavitat nach oben kehrt. Vor dieser Katastrophe kann der Apparat —- für doppel- fichive gilt dasselbe nur durch tiefere Anordnung des Schwerpunktes geschützt werden.

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Der Schwerpunkt S (Fig. 34) muss unterhalb der Geraden Pi liegen. Ist der Apparat

in dieser Weise stabilisiert, so erfolgt bei eintretender Schwankung eine. Verschiebung des Epicentrums stets nach derjenigen Seite der Flugfläche, an welcher der Luftwiderstand momentan stärker war: also in einer Drehung, bei welcher der vordere Rand A sich senkt, nach hinten, wenn er sich hebt, nach vorn. Das Areal, an dem der stärkere Widerstand angreift, wird dadurch verkleinert, das des schwächeren Widerstandes vergrössert, und da mit dem Wachsen und Abnehmen des Areals auch die Widerstände zu und abnehmen,

Pigs 38; Ei. 34.

so wirken demnach die Verschiebungen des Epicentrums eines. stabilen Hohlflüglers im Sinne eines Ausgleichs der Gegensätze. Wie an ebenen Flächen, so werden hiernach auch an konkaven Flächen die Schwankungen des Apparats durch die Verschiebungen des Epicentrums automatisch gehemmt.

Es fragt sich nun, ob diese Ilemmung genügt, das Überkippen des Apparats nach vorn oder hinten unter allen Umständen zu verhindern.

Die Frage ist zu bejahen, wenn die Flugflache die Form einer Kugelkappe hat, und ihre Belastung central unter dem Flächenmittelpunkte angebracht ist. Der Apparat ist dann ein Fallschirm, seine Flugbahn die Vertikale, und der Druck der widerstand- leistenden Luft ist von unten her unter maximalen Winkeln gegen die hohle Fläche gerichtet. Da der beliebige tiefen Anordnung des Schwerpunktes bei Fallschirmen keine theoretischen Bedenken entgegenstehen, so lassen sich die Verschiebungen des Epicentrums für den Fall scitlicher Schwankungen des Widerstandes so weit verstärken, dass die Hemmung mit jeder wünschenswerten Energie erfolgt. (cfr. Fussnote S. 39.)

Anders liegt aber die Sache, wenn dem Apparat durch parabolische Wolbung und excentrische Belastung eine mehr oder weniger stark seitlich ausschreitende Flugbahn vorgeschrieben ist. Der Druck des Luftwiderstandes trifft dann unter entsprechend kleineren Winkeln auf die Flugflächen. Der Schwerpunkt kann der epicentrischen Schwankungen wegen nicht mehr beliebie tief gelegt werden; die automatische Hemmung bleibt daher weniger energisch. Wird nun eine Schwankung des Apparats dadurch verursacht, dass ecin einmaliger Luftstoss den Widerstand der vorderen Jlächenhälfte überwiegen lässt, so hebt sich der vordere Tlächenrand, und die Verschiebung des Epicentrums wird leicht cine genüzende THemmung bewirken können, da gleichzeitig das grösser werdende hintere. Areal der Fläche unter grösseren Neiguneswinkeln dem Flug- winde entgegenvewandt wird. Allein diese Begünstigung der zurückdrehenden Widerstands-

kräfte kann verhangnisvoll werden, wenn dieselben nun auch noch zufällig durch einen

30 konkaven Form entschieden zu sein. Keine andere Fow so kleine hemmende Widerstandskomponenten. Allein bezeichneten Eigenschaften der gewölbten Flächen auch an die Flugflächen eines guten Flugapparates zu stoli oben erwähnten Kriterium der guten Tragwirkung keno für die Unterhaltung einer guten und sicheren pi - unerlässlich sind.

Aber nicht minder wichtig als die gros-c Einfluss, den sie auf die Stabilität der fliegenden -\,- die Schwankungen, denen jeder Flugapparat unte zwar kommt es hierauf weniger an, denn die Nat: mitteln ausgestattet, durch die er aktiv den moe!) erzwingen kann, selbst wenn dies vorübergchen:: erschwert sein sollte. Sobald es sich aber um rei: wie diejenigen, mit denen ZzZemikal seine Flu. Stabilitit unbedingt in den Vordergrund, und Wirkung des Luftwiderstandes, wenn nötig, z. D. statt durch Anwendung der konkaven Flachen, wen: des Gleichgewichts im Fluge durch die Konkavi: « würde es schaden, wenn schliesslich auch die Fiu. wird, wenn dadurch nur die Stabilität des 3; der Flugbewegung bis zur unbedingten Zuverlic.- diesem Gesichtspunkte wird die Frage unaufschie.

9. Einfluss des Flächenquerpro! beim Flue

a. Konkave Fis.

Es wurde bereits bemerkt, dass der = nicht in der Flugfläche liegen darf, denn dic ` Resultanten des Widerstandes vor und hinter de: liegen als der Schwerpunkt, und ihre Verbindung | den Schwerpunkt gehenden Lotlinie in ein negativ liegenden Epicentrum (Hypoce solchen Apparat zum freien Schw‘ Gleichgewicht ist, so genügt die : um den Apparat in die stabil Konkavität nach oben kehrt. flächige gilt dasselbe nur C

E 30

-— —— TTT s sti (durch Aufrollen) eine flache cylindrische

ave Flugfläche, (Höhlung nach unten) zu ver- wenn man die Flache nicht seitlich neigt und n herabgebogenen Rändern den Schwerpunkt in z kippt fast augenblicklich nach vorn oder hinten | zurück mit der konvexen Seite vorauf.

= xe Fläche mit der konvexen Seite nach unten durch oem Abfluge in jede beliebige Neigung nach vorn awar in Schwankungen, aber niemals in volle Rotation.

Wee tische und experimentelle Beweis erbracht, E. der Flugflachen allein die konvexen eine unbedingte Stabilitat der Apparate, dass

"noch starkerem Grade die konkaven Flächen .—. aus den unvermeidlichen Schwankungen in

= waren durchweg mit unterseits konkaven Flugflächen weder in ihren Frontal- noch in ihren Sagittalprofilen A Stabilität, und es ist zu vermuten, dass das tragische e unglückseligen Mangel zuzuschreiben ist. Die mit der oen Gefahren konnten Lz/zenthal nicht verborgen bleiben. e anfing, derartige Flügelformen praktisch zu verwenden. Aufsätze (Jahrg. VII. S. 148) sagt er darüber folgendes: oahi den frelschwebenden Flugkörper umherzuschleudern, Murze Zeit eine Stellung des Apparats entsteht, bei welcher e oben trifft, so schiesst der Flugkórper pfeilschnell herab ^en, bevor es gelingt, eine günstigere Stellung herbei- | wieder tragend wirkte. Die Gegenmassregeln aber, die er sehen, scheinen für stärkere Winde, denen er sich zuletzt Parate anzuvertrauen wagte, nicht hinreichend gewesen zu Wege, als er die Wolbungen seiner Flügel abflachte. ihm zwar solche gewölbte Flügelformen als die hohe t/ie der Profillänge betrug, allein bei seinen sich die Wölbung, soweit sich aus den Moment- nehmen lässt, kaum die Hälfte des Betrages. Die

; der ebenen Form. die Ilemmung der sagittalen Schwankungen war Schwanz der Schwalben ähnlichen Steuerfläche. cerung der hinteren Flächenhälfte, sondern in

| konvexe Fallschirmflächen von engler empfohlen -atz von A, Mewes, Z. f. Luftsch 1886. S. 252.

38

erneuten Windstoss verstärkt werden. Es liegt dann die grosse Gefahr vor, dass die Rückschwankung nach vorn zu stark wird, und dass der vordere Flächenrand erheblich über die Richtung des Gegenwindes hinaus nach unten gedrängt wird. Der Widerstand trifft nunmehr die vordere Flächenhälfte von oben und drückt sie hinab, während das hintere Flächenareal noch eine Weile gehoben wird. Der Eintritt einer vollen Rotation des Apparats ist unter diesen Umständen unvermeidlich, ja, es lässt sich erwarten, dass der Apparat überhaupt nicht wieder zum ruhigen Fluge kommt, sondern andauernd rotierend herabsinkt, wie es schon bei Falltafeln so leicht zu beobachten. Die konkave Fläche ist also für die Erhaltung einer möglichst gleichförmigen, schwankungssicheren Flugbewegung noch weniger geeignet, als die ebene Fläche, weil der Flugwind die Rückenseite der konkaven Fläche leichter trifft, als die der ebenen. Den Gegensatz dazu bilden

b. Konvexe Flächen.

Hier kann der Schwerpunkt ohne Störung der Stabilität in der Flugfläche liegen.

Die Angriffspunkte und Pe (Fig. 35) des Widerstandes liegen dann höher als der Schwerpunkt. Ihre Verbindungslinie Pi Ps enthält das Epicentrum E über dem Schwer- punkte, gemäss den Anforderungen des stabilen Gleichgewichts. Die Verschiebungen des Epicentrums während einer Drehung des Apparats um S geschehen auch hier nach derjenigen Seite der Flugfläche, an welcher der

B Widerstand, welcher die Drehung hervorrief, der stärkere war. Es wird zwar dadurch keine Verkleinerung des Areals bewirkt, an dem der stärkere Widerstand angriff, aber das Drehungs- moment dieses Widerstandes wird doch durch Kürzen des Hebearmes E P geschwächt, wie das

des schwächeren Widerstandes durch Verlängerung des zugehörigen Hebearmes verstärkt wird. Dazu kommt, dass durch die Drehung die Fläche des stärkeren Widerstandes der Einwirkung des Flugwindes abgewandt wird, während die andere Flächenhälfte sich dem Drucke des Mediums stärker aussetzt. Jede Drehung ruft also auch bei den konvexen Flächen eine wirksame automatische Hemmung hervor. Was aber diese Flächen besonders vor den konkaven auszeichnet, ist, dass bei ihnen cin verhängnisvoller Rückenwind vollkommen aus-

Fig. 55.

geschlossen ist. Selbst wenn in Folge stärkster dynamischer Schwankung die konvexe Fläche steil aufgerichtet ware, sodass der Flugwind positiv in die dorsale Stellung drückte, so würde dies nicht den Übergang vom Schweben zur Rotation bedeuten, sondern dieser Rücken- wind würde in energischer Weise das Zurückdrehen des Apparats in die normale Flug stellung erzwingen..

ls ist leicht, sich von der Richtigkeit dieser Ableitungen durch den Versuch zu überzeugen. Man lasse ein ebenes rechteckiges Stück Papier aus steiler Stellung herab- fallen. Die Zunahme der Fallgeschwindigkeit und des Luftwiderstandes erzeugt eine Schwankung des Flugkörpers, die unbedingt sofort in dauernde Rotation übergeht.

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Nun erteile man demselben Papierstück (durch Aufrollen) eine flache cylindrische Wölbung und versuche, dasselbe als konkave Flugflache, (Höhlung nach unten) zu ver- wenden. Der Versuch gelingt nicht, auch wenn man die Fläche nicht seitlich neigt und durch Anbringen von Gewichten an den herabgebogenen Rändern den Schwerpunkt in die Stabilitätslage bringt. Die Fläche kippt fast augenblicklich nach vorn oder hinten herum und legt den Rest der Flugbahn zurück mit der konvexen Seite vorauf.

Lässt man endlich die gewölbte Fläche mit der konvexen Seite nach unten durch die Luft fliegen, so kann man sie beim Abfluge in jede beliebige Neigung nach vorn oder hinten bringen; sie gerät dann zwar in Schwankungen, aber niemals in volle Rotation.

Damit ist der theoretische und experimentelle Beweis erbracht, dass von allen Sagittalprofilen der Flugflächen allein die konvexen eine sichere Gewähr bieten für unbedingte Stabilität der Apparate, dass dagegen die ebenen und in noch stärkerem Grade die konkaven Flächen der Gefahr ausgesetzt sind, aus den unvermeidlichen Schwankungen ın Rotation überzugehen‘).

Lilienthal’s Flugapparate waren durchweg mit unterseits konkaven Flugflächen ausgestattet. Sie genügten daher weder in ihren Frontal- noch in ihren Sagittalprofilen den Bedingungen einer flugsicheren Stabilität, und es ist zu vermuten, dass das tragische Ende des kühnen Mannes diesem unglückseligen Mangel zuzuschreiben ist, Die mit der Konkavität der Flügel verbundenen Gefahren konnten Zikenthal nicht verborgen bleiben. Er musste sie bemerken, sobald er anfıng, derartige Flügelformen praktisch zu verwenden. In einem der letzten »Prometheus«-Aufsatze (Jahrg. VII. S. 148) sagt er darüber folgendes: »Der wild anstürmende Wind sucht den freischwebenden Flugkörper umherzuschleudern, und wenn hierbei auch nur für kurze Zeit eine Stellung des Apparats entsteht, bei welcher der Wind die Flügelflächen von oben trifft, so schiesst der Flugkörper pfeilschnell herab und kann an der Erde zerschellen, bevor es gelingt, eine günstigere Stellung herbei- zuführen, in welcher der Wind wieder tragend wirkts. Die Gegenmassregeln aber, die er traf, um dieser Gefahr zu entgehen, scheinen für stärkere Winde, denen er sich zuletzt mit seinem doppelflächigen Apparate anzuvertrauen wagte, nicht hinreichend gewesen zu sein. Er war auf dem richtigen Wege, als er die Wölbungen seiner Flügel abflachte. Die Widerstandsbestimmungen hatten ihm zwar solche gewölbte Flügelformen als die besten erscheinen lassen, deren Pfeilhöhe !/ız der Profillänge betrug, allein bei seinen grossen Apparaten erreichte schliesslich die Wölbung, soweit sich aus den Moment. photographien des »Prometheus« entnehmen lässt, kaum die Hälfte des Betrages. Die Flügelflächen näherten sich also bereits der ebenen Form.

Nicht weniger zweckmässig für die Hemmung der sagittalen Schwankungen war die Verwendung einer horizontalen, dem Schwanz der Schwalben ähnlichen Steuerfläche. Dieselbe stand nicht einfach in der Verlängerung der hinteren Flächenhälfte, sondern ın

*) Wie ich nachträglich sche, sind schon 1832 konvexe Fallschirmfláchen von Z/ergler empfohlen und mit Erfolg benutzt worden. Vergl. hierüber den Aufsatz von A, Alcwes, Z. f. Luftsch 1886. S. 252.

40 einer dazu pronierten Stellung. Hätte er die ganze erweiterte hintere Flächenhälfte in die Richtung dieser Steuerflache emporgebogen, so wäre dadurch eine unterseits konvexe Fläche geschaffen, und ein Absturz, wie er ihn schilderte, wäre unmöglich gewesen. Die kleine und schmale Steuerfläche genügte trotz ihres weiten Abstandes vom Schwerpunkte nicht, einem vorn auf die Oberseite der Flügel treffenden Windstosse das Gleichgewicht zu halten und die zum Absturz führende Drehung des Apparats im Keime zu ersticken.

Die dritte Gegenmassregel war die Anordnung der Flugflächen übereinander. Lilienthal empfand dies als einen grossen Fortschritt, denn die Flugbahn wurde dadurch sichtlich gleichförmiger, und die Windstösse schienen weniger Macht über diesen Apparat zu haben, als über die älteren mit ihren langen Flügeln. Wir haben oben des näheren gesehen, dass in der That die dynamischen Schwankungen solcher Flugkörper geringer sein müssen, da die Verschiebungen des Epicentrums, namentlich an der oberen Fläche, den Schwankungen automatisch entgegenwirken. Allein das Wiederaufrichten des Apparats aus der einmal erreichten steilen Absturzstellung kommt doch immer erst zustande, wenn der Flugwind durch die erlangte Fallgeschwindigkeit des Flugkörpers soweit nach unten abgelenkt ist, dass er wieder gegen die Unterseite der Flugfläche trifft. Es muss also auch bei den doppelflächigen Apparaten sobald einmal bei einer Schwankung der Flugwind vorn auf die Oberseite der Flügel trifft ein Absturz erfolgen, bevor die richtige Flugstellung wieder eingenommen werden kann. Die beim Vorwärtsschwanken des Apparats eintretende Verschiebung des Epicentrums nach hinten wirkt nur hemmend auf diese Schwankung ein und beseitigt dadurch gewiss in vielen Fällen die Gefahr, dass der Wind die Oberseite der Flugflachen trifft. Sobald dies aber einmal bei stärkeren Windstössen eingetreten ist, schützt auch die Doppelflachigkeit nicht mehr vor dem Absturz. Wirklich sicher sind eben unter den passiven Flugkórpern nur solche, die nach dem Prinzip der Konvexitit gebaut sind: deren vordere Flachenhalfte durch Supination dem dorsalen Auftreffen des Windes entzogen ist, wahrend das hinter dem Epicentrum liegende Areal in schwach pronierter Stellung als stets wirksames Horizontalsteuer fungiert. Dass der Vogelflüpel diese wichtige Bedingung der Stabilität nicht oder doch nur zum Teil erfüllt, kann nicht Wunder nehmen, da er doch kein passiver, sondern ein aktiver Apparat ist, der auch beim Segelfluge nicht völlig erstarrt, vielmehr ganz nach Bedarf und Zweckmassigkeit dem Muskelzuge und dadurch dem Willen des flugerfahrenen Tieres folet. Ein aktiver Flügelschlag im rechten Augenblick genügt, um der Bewegung Einhalt zu thun, die den passiven Ilohlflügel abstürzen lassen würde. Und für den Flügelschlag sind konvexe Flügel durchaus ungeeignet, da sie beim Tiefschlag weniger Widerstand in der Luft finden würden, als beim gleich schnell geführten Rückschlag. ^ Ein solcher rein passiver Apparat, der dem Vogel nur gestattete, bei vorhandenem Winde von einem hochgelegenen Punkte aus die Luftreise anzutreten, würde mit seinen grossen und daher schwer zu unterhaltenden Flugflächen doch nur eine mehr als zweifelhafte Waffe im Kampf um's Dasein vorstellen, da er weder für den aggressiven Nahrungserwerb, noch für die Flucht im Falle der Gefahr cin jederzeit brauchbares und zuverlässiges Hülfsmittel

sein konnte.

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10. Die Vorderrandkonturen der Flugflächen.

Durch die Ermittelung der zweckmässigsten Längs- und Querprofile ist über die stabile Form der passiven Flugkórper im Prinzip entschieden. In einzelnen bleiben jedoch noch verschiedene Fragen zu beantworten, deren Bedeutung nicht zu unterschátzen ist. Die erste dieser Fragen bezieht sich auch die Gestalt des vorderen Flachenkonturs: soll er geradlinig sein, oder sollen die Flügespitzen über diese Linie hinaus nach vorn vor- gezogen erscheinen, wie bei den Schmetterlingen, oder endlich sollen sie hinter der Linie zurückbleiben, wie bei den Móven? Der einzige mechanische Unterschied, der durch die verschiedene Stellung der Flügel bedingt wird, scheint in dem ungleichen Abstande des Schwerpunktes resp. Epicentrums vom Vorderrande zu liegen, denn mit den Ver- schiebungen des Areals der Flügelspitzen nach vorn cder nach hinten muss eine entsprechende Änderung der Schwerpunktslage Hand in Hand gehen, wenn nicht der Flugcharakter geändert werden soll. Beim Vogelflug, wo der Schwerpunkt cine nahezu unveränderliche Lage hat, ist die aktive Verschiebung der Flügelspitzen das wirksamste Mittel der vertikalen Steuerung. Zrienthal pflegte umgekehrt mit unveränderlichen Flug- flächen durch aktive Verschiebungen des Schwerpunktes zu steuern. Es kommt aber für die Steuerung wesentlich nur darauf an, wie viel Arcal vor der Frontalebene des Schwerpunktes liegt und wie viel dahinter. Irgend ein besonderer mechanischer Einfluss der Gestalt des Randkonturs ist dabei nicht abzusehen, sofern es sich nicht etwa um erhebliche Änderungen des Verhältnisses der Länge und Breite der Flugfläche handelt, worüber bereits die Rede war. Nur in einer Beziehung kann vielleicht die Stellung der Flügelspitzen und der Vorderrandkontur an sich eine aviatische Bedeutung haben, wenn nämlich der Flug in erregter Luft stattfindet. Bei vorgezogenen Flügelspitzen treffen dic Luftwellen zuerst auf die seitlichen Areale der Flugfläche, bei zurückgezogenen auf die Mitte der Fläche. Die dem Winde zugekehrten Flügel werden den Anprall der Welle mehr als Stoss empfinden, die abgewandten mehr als Druck, da der Widerstand an dem hinteren Flächenareal immer weniger intensiv ist, als an dem Areal vor dem Schwerpunkte. Bei unsymmetrischer Verteilung des Widerstandes, wenn cin Windstoss die eine Seite des Apparats stärker trifft als die andere, würde vermutlich die darauf folgende seitliche Schwankung (Schlingenbewegung) heftiger an den Apparaten auftreten, deren vorgezogene J ligelspitzen einen nach vorn konkaven, einspringenden Randkontur bilden, als an den Flugkörpern mit konvexer Randlinie, weil eben bei diesen letzteren das vordere llächengebict, das den Stoss empfängt, verhältnismässig mehr central liegt, als bei den ersteren, während die abgewandten Fliigelspitzen den Druck der Luftwelle weniger hart erfahren. Die Schwankungen müssen um so heftiger sein, je intensiver die veranlassenden Windstésse sind und je weiter sich der Angrifispunkt ihrer Resultante vom Epicentrum entfernt. Apparate, die vermöge ihrer Form geeignet sind, den excen- trischen Luftstoss abzuschwächen und den Hauptwiderstand möglichst nahe um das

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Epicentrum zu vereinigen, entsprechen am besten den Anforderungen der Stabilität und der Gleichförmigkeit des Fluges. Das Zurücktreten des vorderen Randes der Flügelenden gegenüber der Flugflächenmitte scheint mir hierzu wesentlich mit beizutragen.

Nicht unerheblich für den Gang des Schwebens ist auch das

11. Verhältnis des Flügelgewichts zur Gesamtmasse

des Flugkörpers.

Sind die Flächen allein schwer, im Verhältnis zum Gesamtgewicht, oder ıst die Excentricität des Epicentrums durch ein geringes Übergewicht im weiteren Abstande vom Schwerpunkte hergestellt, so werden die Schwankungen des Apparats anders ver- laufen, als wenn das Flächengewicht gegenüber der Belastung zurücktritt und somit nabezu die ganze Masse im excentrischen Schwerpunkt liegt. Die Vereinigung der Masse nahe beim Schwerpunkte bietet den Vorteil, dass die Tafel leicht in jede neue Gleichgewichts- lage übergeht, während träge peripherische Massen dieser Wiederherstellung des Gleich- gewichts erst widerstehen, dann aber in Folge des beim Schwanken erhaltenen Schwunges leicht über die Gleichgewichtslage hinwegdrehen.

12. Flugapparat der Zanonia macrocarpa.

Für das Studium der Eigenschaften cines guten Schwebapparates hat uns dic Natur die zahlreichen Muster der Schweb- und Scgelvögel, sowie der Flugfische gegeben. Allein die Flugflächen dieser Tiere stehen unter der Gewalt stets aktionsbereiter Muskeln, sie sind verstellbar, beweglich, und man hat nur zu leicht die Vögel in Verdacht, dass sie ihren Flugflächen Bewegungen erteilen, die sich durch ihre Schnelligkeit unserer Beobachtung entziehen.

Darum ist es um so wertvoller, dass wir aus dem Pflanzenreiche Vorbilder von passiven Aeroplanen besitzen, bei denen die Möglichkeit aktiver Flugthätigkeit gänzlich ausgeschlossen ist und die doch in vollkommenster Weise die Schwebbewegung voll- führen. Es sind dies die ähnlich wie die Flugfrüchte unserer Ulmen gebauten Samen der zu den Bignoniaceen gehörigen tropischen Pithecoctenium-Arten, und namentlich die Samen der in Java heimischen Cucurbitacee Zanonia macrocarpa. Diese letztere Pflanze hat kopfgrosse, hartschalige Früchte, die sich bei der Reife zu einem Becher öffnen. Der Inhalt des Bechers besteht aus vielen Dutzenden der herrlichsten Acroplane, die zur Verbreitung der Samen bestimmt sind.*)

Die Flugbewegungen des Zanonia-Samens machen durch ihre geringe Geschwindig- keit und ausserordentliche Gleichförmigkeit einen geradezu entzückenden Eindruck auf jeden, der sie sieht. Erstaunlich ist, mit welcher Präzision diese Acroplane ihre normale Gleichgewichtslage einnehmen, wenn sie durch Zufall aus einer verkehrten Lage zum Fluge loseelassen werden; ja, ob man sie in der Rücken- oder Seitenlage, mit dem vorderen

*, Müllenhoff hat über diese und andere Flugsamen bemerkenswerte Mitteilungen gemacht, die sich

auf die Grösse der Flugllächen, das Gewicht und die Fluggeschnwindigkeit beziehen. Z. f. Luftsch, 1886, S. 224.

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oder hinteren Rande vorauf in die Luft fallen lasst: die stabile Gleichgewichtslage wird momentan auf dem kürzesten Wege und nahezu ohne jegliche Schwankungen wieder- hergestellt. Die Flugbahn verläuft auf schwach welliger Linie geradeaus, oder führt in weiten Spiralen abwärts.

Die Flugfläche eines solchen Samens (Fig. 36) klaftert bis zu 15 cm, bei einer grössten Breite von 5—7 cm. In der Mittellinie, nahe dem Vorderrande, trägt sie die einem Kürbiskern ähnliche, platte, annaherhd kreisrunde Samenkapsel, von welcher ein kurzer, äusserst spröder und an seinem Ende eigenartig verdickter Stiel frei den Vorder- rand des Flugapparats erreicht. Wo die Samenkapsel einen unsymmetrischen Umfang hat, ist auch der ganze Flugapparat unsymmetrisch, so, dass immer an der kleineren Hälfte des

Fig. 36.

Samens auch ein kleinerer Flügel sitzt und umgekehrt. Der vordere Umfang der Flug- fläche hat die Gestalt eines Kreisbogens. Man kann je drei Exemplare dieser Aeroplane so aneinanderlegen, dass sie mit ihren Vorderrändern den Umfang eines Kreises von IO cm Radius einnehmen. Der äusserst zarte Hinterrand ist nur schwach und unregelmässig gebuchtet. Der Flächeninhalt beträgt nach Müllenhoff 46— 47 qcm, das Gewicht ca. 0,16 g.

Legt man die Flugsamen mit der Seite, die beim Fluge die Unterseite ist, auf eine ebene Unterlage, so sieht man, dass die Flugfläche eine ausgesprochene, nach unten konvexe Wölbung besitzt. Die Flügelspitzen erheben sich von der Samenkapsel aus allmählich bis zu 2 cm, der ganze 2—3 cm breite Hinterrand um etwa ı cm aus der Ebene der Unterlage, auf welcher das Samenkorn als tiefliegender Teil des ganzen Apparats ruht.

Der ca. 0,5 cm breite vordere Rand läuft zwar in einen schr feinen, elastisch biegsamen Saum aus, ist aber im ganzen sichtlich kräftiger gebaut, als der empfindliche Hinterrand, und wenn dieser aus der Ebene emporgebogen ist, so zeigt der Vorderrand um so mehr die Tendenz einer Krümmung nach unten. Der Grad der Umbiegung des

6*

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Vorderrandes wechselt. Kin Same, den ich durch Herrn Direktor Dr. Dolau erhielt, zeigt sie in solchem Grade, dass die Randlinie etwa 4 mm tiefer liegt, als die anstossende Flugflache. Dagegen sah ich später an den im botanischen Museum zu Hamburg befindlichen, vielleicht nicht völlig vereiften Samen nur schwache Neigungen des vorderen Flächenrandes. Beim Anblasen gerät der Rand des l'lugapparates in schnelle Vibrationen: der Ausdruck von Spannungsdifferenzen, die durch die strómende Luft an der elastisch biegsamen Kante hervorgerufen werden.

Diese Erscheinung kann an den Rändern aller elastischen, körperlichen Flächen um so leichter zu stande kommen, je weicher diese sind. Gute Beobachter haben sie an den Brustflossen fliegender Fische beobachtet; an den Flossen des Flughahns (Dactylopterus) sind sie zu Beginn des Fluges so stark, dass sie ein hörbares Geräusch hervorrufen. Man hat sie vielfach für aktive Flügelschläge gehalten.

Durch früher mitgeteilte Versuche konnte ich zeigen, dass diese Vibrationen anfangs mit der Windstärke an Schwingungsweite zunehmen. Bei weiterer Steigerung der Stärke eines schräg seitlichen Windes erfahren die elastischen Gebilde eine zunehmende cinscitige Spannung, welche zwar eine Verringerung der Schwingungsweite, aber auch eine Steigerung der Schwingungszahl zur Folge haben muss. Daher hört man das Fluggeräusch bei den Fischen vornehmlich zu Beginn des Fluges, wenn sie, aus dem Wasser hervorschiessend, die grösste Geschwindigkeit und den stärksten Gegenwind haben. Das Rauschen der Schwingen ist bei den Vögeln am deutlichsten während der energischen Abwärtsbewegung der schlagenden Flügel, ja, man kann aus dem An- und Abschwellen dieses Geräusches die Zu- und Abnahme der Winkeleveschwindigkcit während eines Flügelschlages deutlich erkennen. Bei schr starker einseitiger Spannung (durch den Wind) werden die Schwin- gungen für das Auge unerkennbar. Die elastische Fläche nähert sich dann einer extrem gckriimmten oder gewölbten Form, die sich bis zur oberen LElasticititsgrenze nicht mehr wesentlich verändert. Je weicher das Material, um so früher wird, mit steigender Wind- stärke, diese Grenzform der Fläche erreicht.

Die zarte Beschaffenheit der Flüzelránder des Zanonia-Samens erinnert an die weichen, fransenförmigen Fiederenden der freistehenden vorderen Barte an den Hand- schwingen der Eulen. Der Flügelschlag dieser Tiere wird dadurch geräuschlos gemacht, wie umgekehrt das schnarrende Schwirren des aufthiegenden Rebhuhns durch die schnellen elastischen Schwingungen der straffen, scharfen Federränder hervorgerufen wird. Ein Woll- faden cignet sich abgesehen von seiner geringeren Zugfestigkeit auch aus dem Grunde nicht zur Erzeugung musikalischer, reiner Tone, weil die abstehenden Wollharchen dämpfend auf seine Schwingungen einwirken.

Für den Flug sind die Randschwingungen sicherlich von durchaus untergeordneter Bedeutung. Die zu ihrer Erregung und Unterhaltung. erforderliche lebendige Kraft ist verschwindend gegenüber der Gesamtheit der Flugkräfte. Die Schwingungen des Vorder- randsaumes sind völlig unregelmássig, es ist daher ausgeschlossen, dass sie etwa regelnd auf den Gang der gleichfalls unregelmassig strömenden Luft. einwirken könnten, wie die

rhythmischen Schwingungen der Zunge in einer. Orgelpfeife. Von Vorteil für die Flug-

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bewegung könnten die Randschwingen nur sein, wenn durch sie etwa der unregelmässig pulsierende Luftstrom in einen gleichförmig fliessenden verwandelt würde, was nicht abzusehen.

Wichtiger als die Vibrationen sind jedenfalls die erwähnten Formänderungen, welche der Druck der entgegenkommenden Luftströmung an den elastischen Flugflächen hervorruft.

Blast man die Luft in derselben Richtung gegen den vorderen Rand des Zanonia- Samens, wie der relative Gegenwind beim Fluge auf denselben stösst, so biegt sich der zarte Saum des abwärts die ihre konvexe Seite

geneigten Randstreifens dem Winde zukehrt,

leicht in die Richtung der Luftstrómung um (Fig. 37)

und gestaltet so am Vor- derrande eine eigenartig

während die Höhlung nach unten und hinten gewandt Ist.

Der Flugapparat cr- halt dadurch eine zwar

rinnenformige Wölbung, weniger scharfe, aber um so festere Stirnflache, die bei stärkerem Anblasen ihre Form nicht mehr merklich ändert, und die einen mechanischen Ersatz für die sonst bei den Flugapparaten allgemein vorhandenen Randverstarkungen (durch Einlagerung von Skclet- teilen) bilden.

Für den Fall einer Kollision des Flugapparates mit einem festen Fremdkörper, wird durch die elastische Wölbung des Vorderrandes der Stoss derart abgeschwächt, dass jede Verletzung der Flugfliche ausgeschlossen scheint. Nur da, wo in der Mitte des Randes diese elastische Prellvorrichtung fehlt, statt ihrer aber der äusserst spröde Stiel (funiculus) des Samens in den Vordergrund tritt, ist auch die Möglichkeit einer für das weitere Schicksal des Keimes vielleicht bedeutungsvollen Verletzung der Samenschale gegeben.

Man kann den vorderen Rand der Flugfläche, soweit er nur schwach herabgebogen, mit den schneidenartigen Schranken vergleichen, welche an den Flügeln und einzeln- stehenden Schwungfedern der Ruder- und Schwebvógel während der Ausführung energischer Fliigelschlage entstehen. Die aërodynamische Bedeutung derartiger Schneiden habe ich an anderer Stelle (Z. Mechanik d. Vogelfluges. S. 28—38 u. ff.) dargelegt. Die Luft- massen, welche auf die Unterseite der Flugflächen treffen, werden dadurch gezwungen, auch über die Unterseite abzufliessen und nicht, wie bei ebenen Flächen, zum Teil vor- warts um den Vorderrand flugschädlich zu entweichen.

Diese Wirkung liegt auch hier vor. Allcin wo die Schranke stärker entwickelt und weiter herabgebogen ist als zur Erreichung dieses Zweckes erforderlich, schneidet sie auch nicht glatt in der Richtung der sehr schwach geneigten Fallbahn voraus, sondern bietet dem Flugwinde die Oberseite der schrägen gewölbten Stirnflache dar. Auf diese konvexe Fläche übt der Luftwiderstand einen nach unten gerichteten Druck aus, während gleichzeitig an der konkaven Unterseite hinter der Schranke ein im gleichen Sinne saugend wirkendes Druckminimum entsteht.

ue

Die Folge dieser Einrichtung würde ein abwärts gerichtetes Rotieren des Vorder- randes sein, wenn nicht gleichzeitig am hinteren Rande der Flugfliche eine automatisch entgegenwirkende Steuervorrichtung vorhanden wäre. Der ganze breite hintere Teil der I‘lugfliche ist nämlich so weit emporgekrümmt, dass der Flugwind leicht gegen die Ober- seite trifft So entstehen vor und hinter dem Schwerpunkte abwärts gerichtete Kräfte, durch Pfeile in Fig. 37 angedeutet, die sich gegenseitig die Wage zu halten suchen. Steigert sich der Druck an der Schranke, so nimmt er auch entsprechend hinten am Steuer zu, und der ganze Schwebapparat wird so durch das Spiel dieser antagonistischen Kräfte selbstthätig in der Gleichgewichtslage festgehalten, die ihm unter den obwaltenden Widerstandsverhältnissen zukommt. Naturgemäss hat auch hier jede Änderung der Intensität und Richtung des Luftwiderstandes, jede Verschiebung des Widerstandspunktes eine neue Einstellung des Apparates in die Strömung zur Folge, aber diese Einstellung vollzieht sich nicht unter dem Einflusse des Beharrungsvermögens in oscillatorischen Schwankungen, sondern als einfache, einmalige Bewegung, welche durch die vordere und hintere Steuervorrichtung leicht und sicher gedämpft wird, sobald die erforderliche Drehung vollzogen ist. Gänzlich ausgeschlossen, mechanisch unmöglich ist es, dass ein so gestalteter Apparat aus der Schwebbewegung in volle Rotation übergehen könnte, wie es bei ebenen Schwebtafeln so leicht zu beobachten ist; denn mit den Oscillationen werden auch die Rotationen gleichsam im Keime erstickt.

Die am vorderen und hinteren Rande des Flugapparats auftretenden Neben- widerstände sind also dazu bestimmt, die Stabilität und Flugsicherheit, die mechanische Unempfindlichkeit gegen Schwankungen des Druckes zu erhöhen. Da die Resultanten dieser Nebenwiderstinde der Hauptsache nach vertikal abwärts gerichtet sind, so fällt ihre motorische Wirkung auch grösstenteils mit derjenigen der Schwere zusammen; sie wirken herabdrückend und flugbeschleunigend, wie eine dem Gewicht des Apparats hinzugefügte Belastung. Die Steigerung der Stabilität kann als eine Folge dieses Verhältnisses der Nebenwiderstände zum Gewicht betrachtet werden, denn je grösser das Gewicht eines

gegen Schwankungen des Luftwiderstandes, wie das Beispiel der grossen Segelvögel zeigt. Auch bei einer Wage kann man die Unempfindlichkeit dadurch steigern, dass man das Gewicht des Wagebalkens vergrössert.

Flugapparats, desto unempfindlicher ist er

Nur eine kleinere Komponente der Nebenwiderstände wirkt als hemmender Stirn- widerstand verzögernd auf den Fortgang der llugbewegung ein. Die interessanteste Eigenschaft des Zanonia-Samens ist nun aber die unter- scitige Konvexität seiner Flugfläche. Die seitlichen Areale oder Flügel sind vom Samen ab allmählich emporgebogen, wie es das ^ Abbild 38 darstellt. Die Pfeilhöhe der Wölbung beträgt '/1o bis !/s der Klafterweite. Die geringe Konkavität der Fläche hinter dem Vorderrande tritt gegen diese vorherrschende Konvexität gänzlich

Fig. 38.

zurück Mit dieser Eigenschaft genügt die Zanonia, wie ihr idealer Flug beweist, in vollkommenster Weise dem theoretischen Stabilitätserfordernis, welches wir oben auf

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induktiven Wege abgeleitet haben. Der natürliche Flugapparat der Zanonia ist daher der beste Beweis für die Richtigkeit unserer Ansicht, dass die Flugflächen passiver Flugapparate aus Gründen der Stabilität unbedingt unterwärts konvex gestaltet werden müssen.

Das beweist auch der Vergleich mit den Flugapparaten der Tiere.

Für die aerodynamische Analyse kommt nur die während des Fluges vorhandene, nicht die Ruheform der Flugfläche in Betracht. Wenn wir finden, dass von den kurz- flügeligen echten Rudervögeln ab bis zu den Flugfischen und der Zanonia alle Übergangs- formen gewölbter Flügel vorhanden sind: unterseits konkave, ebene und unterseits konvexe so erklärt sich dies durch den mehr oder wenigen aktiven Gebrauch der Flügel.

Uber die Wölbungen am Vogelflügel habe ich gezeigt, (Mech. d. Vogelfl. S. 28 u. ff), dass sie im wesentlichen abhangig sind von dem Winkel, unter dem der relative Gegenwind oder llugwind auf die untere Flugflache trifft. Je mehr eine Fläche beim I‘luge senkrecht vom Winde getroffen wird desto hohler ist sie im allgemeinen an der Unterseite. Bei den Ruderern und besonders beim Abflug trifft die Luft infolge der grossen Winkelgeschwindigkeit der bewegten Flügel unter steileren Winkeln auf die Flächen derselben, als bei den langsameren Flügelschlägen im vollen Fluge oder beim Schwebfluge. Daher sind an den hubkraftigen Flügeln der Ruderer die automatisch wirkenden Einrichtungen vorhanden, die ich als Schranken bezeichnet habe, durch welche innerhalb erreichbarer Grenzen der Grad der Wölbungen dem jedesmaligen Stosswinkel des Windes angepasst wird. Wo bei langen, schmalen Flügeln (Albatros) diese Ein- richtungen fehlen oder nicht in genügendem Grade entwickelt sind, da fehlt auch das Vermögen, den Körper durch Flügelschläge vom Boden zu erheben, denn hierbei sind grosse Stosswinkel anzuwenden, und für diese sind ebene, nicht gewölbte oder »geschránkte« Flügel ungeeignet. Umpgekehrt ist die platte Flügelform überall im Vorteil, wo es sich um schnellen Schweb- und Segelflug handelt, weil hierbei die Stosswinkel des Flugwindes nur wenige Grade betragen. Für ein möglichst langsames und steiles Herabschweben würden natürlich wieder stark gewölbte, womöglich halbkugelige hohle Flugflächen am Platze sein, wie sic ja auch bei den echten Fallschirmen angewandt werden.

In der Emporbiegung der Flügelspitzen der Zanonia erkannten wir das wirksame Mittel gegen seitliche Schwankungen bei zufällig eintretender unsymmetrischer Druck- verteilung; und die Aufbicgung der hinteren Partie der Flugflache erschien uns als eine Steuervorrichtung, durch welche, im Verein mit dem schrankenartigen Vorderrande, alle vertikalen Schwankungen verringert und auf das absolut notwendige Mass eingeschränkt, die Rotationen aber, die sonst so leicht bei passiven Schwebapparaten auftreten, unmöglich gemacht werden. Dass die hintere Steuereinrichtung so sehr viel umfangreicher ist als die vordere Schranke, erklärt sich aus dem Umstande, dass ja beim Schweben der Luft- widerstand vorn weit stärker ist, als hinten an der Fläche, und dass daher auch die vordere Angriffsfläche nur gering zu sein braucht. Dem entspricht auch der zarte Bau der hinteren Flürclränder. Durch die beträchtliche Aufkrummune des Steuerrandes und

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der Flügelspitzen kommt die unterseitige Konvexität zu stande. Zugleich wird dadurch erreicht, dass der Schwerpunkt des ganzen Apparats die genügend tiefe Lage erhält, da ja die Last des Samenkorns an der tiefsten Stelle der Wölbung angebracht ist.

Wie die Vereinigung fast der gesammten Masse, des ganzen Gewichts des Flug- apparats in der Nähe des Schwerpunktes ein Haupterforderniss für den ruhigen, stabilen Verlauf des Fluges ist, weil peripherische Massen bei eintretenden Stellungsänderungen ein starkes, schwer zu hemmendes Schwungmoment ergeben, so ist es offenbar für diesen Zweck auch nicht gleichgültig, wie der Luftwiderstand über die Fläche verteilt ist, ob er mit seinem Haupbetrage zwar symmetrisch, aber in einiger Entfernung vom Schwerpunkte angreift, oder ob er einheitlich, in der Nähe des Schwerpunktes zusammengedrängt auf den Apparat einwirkt. Denn jede eintretende geringe Unsymmetrie des Widerstandes wird den Apparat in stärkere seitliche Schwankungen versetzen, wenn der Angriffspunkt der unsymmetrischen Kräfte weiter entfernt liegt (längerer Arm), als wenn die Differenzen nahe beim Drehungs- und Schwerpunkte liegen. Hierin liegt einer der Hauptvorzüge einer Flächenanordnung, wie sie der Zanonia-Flugapparat zeigt, ein Vorzug, der zwar einen entsprechend grösseren Aufwand an Areal der Flugflächen erfordert, der aber dem toten Flugapparat die jederzeit aktionsbereite Muskelkraft eines lebendigen Flügels ersetzt.

I

Fig. 39.

Die vorstehenden Figuren sind dazu bestimmt, eine annähernde Vorstellung von der Verteilung des Luftwiderstandes an der Zanonia zu geben. ligur 39 I stellt einen frontalen Querschnitt durch den Apparat dar. Die punktierten Linien sind die untere, positive, und die obere, negative Druckkurve. Das Flächenstück zwischen beiden stellt den gesamten Widerstand des Querschnitts dar und zeigt die Abnahme des Druckes gegen die Flügelspitzen hin. Figur 39 H zeigt die Druckverhältnisse im Längsschnitt des Apparats. Bei a und b erzeugt der Gegenwind an der Oberseite einen positiven Druck, an der Unterseite einen negativen, saugenden Widerstand; beide wirken als steuernde Nebenwiderstánde in a wie in b nach unten. Bei c liegt der Hauptwiderstand, der in seiner Wechselwirkung mit der Schwerkraft die Flugbewegung unterhalt.

Man wolle die Druckkurven und Flachen als einen ersten Versuch betrachten, die Druckverteilung im ganzen qualitativ graphisch darzustellen. Auf irgend welche quantitative Genauigkeit erheben dieselben keinen Anspruch. Sie sind ursprünglich aus rein theoretischer Ueberlegung hervorgegangen und werden durch sehr merkwürdige hydrodynamische Analogien in überraschender Weise bestätigt. Die bezüglichen Unter- suchungen sind jedoch nicht abgeschlossen und sollen einer späteren Mitteilung vor- behalten bleiben.

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Eine besonders interessante Beobachtung am Zanonia-Samen bleibt noch hinzu- zufügen. Als ich nämlich mein erstes Exemplar desselben, das flugunfähig geworden war, nach mehreren Monaten durch Beseitigung des etwas gequollenen Keimlings aus der Samenschale erleichterte, zeigte sich das überraschende Phänomen, dass der leere Apparat jetzt wieder fliegen konnte, und zwar besser als im Anfang, denn er hielt sich weit länger in der Luft, die Bewegung war erheblich langsamer, die Bahn weniger geneigt, ich konnte im Schritt neben dem fliegenden Körper einhergehen. Aber der Apparat flog jetzt in der Rückenlage und nahm diese aus jeder beliebigen Anfangsstellung mit ebenso grosser Präzision ein, wie er anfangs die normale Lage gefunden und innegehalten hatte.

Die Verlangsamung der Flugbewegung ergab sich als eine Folge der Gewichts- verminderung, die durch die Beseitigung des schweren Keimlings herbeigeführt war. Die Rückenlage schien mir anfangs durch eine Verschiebung des Schwerpunktes verursacht zu sein, die in Folge der Beseitigung des Keimlings eingetreten war. Der neue Schwerpunkt lag jetzt 0,5 bis 1,0 mm hinter dem des intakten Samens. Allein das vor dem Schwerpunkte liegende Flugareal blieb immer noch beträchtlich grösser, als das hinter demselben liegende. Der Übergang in die Rückenlage aus normaler Anfangsstellung erfolgte auch nicht durch Überschlagen nach rückwärts, sondern durch Überstürzen nach vorn. Demnach blieb nur die Möglichkeit, dass entweder der herabdrückende Neben- widerstand des Vorderrandes durch stärkere Flächenwölbung vergrössert war, oder dass der Nebenwiderstand des hinteren Flugareals durch Abflachung der Fläche verringert war. Es zeigte sich, dass die gewölbte Flugfläche, die längere Zeit auf ebener Unterlage geruht hatte und durch ein Stück Kartenpapier belastet gewesen war, in der Symmetrielinie einen tiefen Einschnitt erhalten hatte, der von hinten her bis an die Samenkapsel reichte. Der Spalt klaffte, die Wölbung der hinteren Flugflächenhälfte war also etwas abgeplattet, und der an ihr beim Fluge entstehende Nebenwiderstand konnte seinem Gegenpart am Vorder- rande nicht mehr das Gleichgewicht halten. So erfolgte bei vollem Samen der Absturz, bei leerem in Folge hinreichender Verschiebung des Schwerpunktes das Wiederaufrichten und der Flug in der Rückenlage.

Der Gegenversuch beweist die Richtigkeit dieses Ergebnisses. Ein Samen mit intakter Flugfläche wurde in gleicher Weise, wie der erste entleert, und es zeigte sich, dass der Flug zwar langsamer, aber in normaler Lage erfolgte.

13. Ergebnisse.

I. Von zwei ähnlichen und gleichschweren Flugkörpern zeigt derjenige die grösseren Schwankungen, welcher die grösseren Flugflächen besitzt; und bei gleichem Areal der Flugflächen zeigt die Bewegung des schweren Körpers die geringeren Schwankungen.

2. Da die stärkere Belastung eines Flugkörpers eine Vergrósserung der Fluggeschwindigkeit zur Folge hat, so muss für langsamere Fahrt das Flugareal auf Kosten der Unempfind- lichkeit des Apparats gegen Schwankungen des Widerstandes vergrössert werden.

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3. Der Schwerpunkt liegt für senkrechten Flug im oder unter dem Mittelpunkte der Fallschirmflache. Bei anderen, seitwärts fortschreitenden Flugkörpern liegt er mehr oder weniger vorwärts vom Flàchenmittelpunkte in der Symmetrieebene. Er darf jedoch niemals den vorderen Grenzpunkt erreichen, bis zu welchem der Widerstands- punkt bei kleinen Neigungswinkeln der Fläche vorrücken kann, sondern muss um eine genügend grosse Strecke hinter diesem Punkte zurückbleiben, damit bei Vorwärts- schwankungen ein rückwärtsdrehendes Kräftepaar entstehen kann. Je weiter der Schwerpunkt nach vorn liegt, desto grösser die Fluggeschwindigkeit, desto geringer im allgemeinen die Schwankungen. '

4. Der Schwerpunkt muss jedenfalls so tief liegen, dass sich eine positive epicentrische Höhe ergiebt, d. h. die Verbindungslinie der Widerstandspunkte des vor und hinter dem Schwerpunkte liegenden Flächengebiets muss sich oberhalb des Schwerpunktes mit der Lotlinie schneiden, welche durch den Schwerpunkt geht. Diese Anordnung wirkt hemmend auf eine begonnene Schwankung und beschleunigt die Wiederherstellung des einmal gestörten Gleichgewichts. Je grösser die epicentrische Höhe, desto energischer und kürzer die Schwankungen. Für starke Böen muss der Apparat steifer sein, d. h. eine tiefere Schwerpunktslage haben, als bei ruhiger Luft.

5. Die Gestalt der Flugfläche richtet sich nach der Flugart. Für den senkrechten Schwebflug ergiebt sich die kreisformige Gestalt des Fallschirmes. Bei seitlicher Flugbewegung tritt nach den Aransin!schen Versuchen eine Verschiebung des Widerstandspunktes gegen den vorderen Flächenrand auf, d. h. eine stärkere Be- anspruchung der vorderen Flachenhalfte. Diese muss daher kleiner und stärker gebaut sein, als das dahinter liegende Areal. So ergiebt sich die zweiseitig symmetrische Gestalt der Flugflächen, die lange, schmale Flügelform bei stark excentrischer Schwerpunktslage. |

6. Von allen Frontalprofilen der Flugflächen eignen sich diejenigen am besten für den passiven Flug, bei denen die Flügelspitzen emporgebogen sind, da hierdurch seitliches Kentern der Flugkörper am sichersten vermieden wird.

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7. Von den sagittalen Querprofilen ergeben zwar nach den ZL/Zes£Aal schen Untersuchungen die unterseits konkaven l'ormen die grössten tragenden Widerstände, allein hinsichtlich der Stabilitat und Flugsicherheit bieten derartige Flugflichenformen die geringste Gewahr: in dieser Beziehung stehen sie noch hinter den ebenen Flugflachen.

8. Eine unbedingte Sicherheit vor plötzlichem Uberschlagen und Abstürzen des Apparats bieten allein solche Flugflächen, die auf der Unterseite eine konvexe Wolbung besitzen, nicht die unterseits konkaven Flachen Zz/ZenfAtais.

9. Für den passiven Schwebflug scheinen solche Vorderrandkonturen der Flugflachen die geeienetsten zu sein, bei denen die dem Schwerpunkt nahcliegende Mitte am weitesten hervortritt, während die Flügelspitzen mässig kaudal zurückgelegt sind.

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10. Bei allen Flugapparaten ist die Masse möglichst in der Nähe des Schwerpunktes zu. vereinigen. und alle peripherischen Teile, die Flugflächen, sind aus möglichst leichtem, aber doch hinreichend festem Material herzustellen. Zur Abschwächung der Wind- stösse empfiehlt sich die Verwendung eines Materials, das an Biegsamkeit und Elasticitat den natürlichen Flugorganen nahe kommt.

Hamburg-Uhlenhorst

10. Marz 1897.

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